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German Pages 312 Year 2018
Bettina Braun Eine Kaiserin und zwei Kaiser
Mainzer Historische Kulturwissenschaften | Band 42
Editorial In der Reihe Mainzer Historische Kulturwissenschaften werden Forschungserträge veröffentlicht, welche Methoden und Theorien der Kulturwissenschaften in Verbindung mit empirischer Forschung entwickeln. Zentraler Ansatz ist eine historische Perspektive der Kulturwissenschaften, wobei sowohl Epochen als auch Regionen weit differieren und mitunter übergreifend behandelt werden können. Die Reihe führt unter anderem altertumskundliche, kunst- und bildwissenschaftliche, philosophische, literaturwissenschaftliche und historische Forschungsansätze zusammen und ist für Beiträge zur Geschichte des Wissens, der politischen Kultur, der Geschichte von Wahrnehmungen, Erfahrungen und Lebenswelten sowie anderen historisch-kulturwissenschaftlich orientierten Forschungsfeldern offen. Ziel der Reihe Mainzer Historische Kulturwissenschaften ist es, sich zu einer Plattform für wegweisende Arbeiten und aktuelle Diskussionen auf dem Gebiet der Historischen Kulturwissenschaften zu entwickeln. Die Reihe wird herausgegeben vom Koordinationsausschuss des Forschungsschwerpunktes Historische Kulturwissenschaften (HKW) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Bettina Braun (Prof. Dr.), geb. 1963, lehrt Geschichte der Frühen Neuzeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie forscht zur Verfassungsgeschichte des Alten Reichs, zur Germania Sacra in der Frühen Neuzeit sowie zur Herrschaft von Frauen.
Bettina Braun
Eine Kaiserin und zwei Kaiser Maria Theresia und ihre Mitregenten Franz Stephan und Joseph II.
Gefördert mit Mitteln des Forschungsschwerpunkts Historische Kulturwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
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I NH ALT Vorwort ............................................................................................. 7 Einleitung ......................................................................................... 9 1. Die Heirat einer Erzherzogin und eines Herzogs oder einer künftigen Königin und eines Fürsten ohne Land: komplizierte Regelungen für eine schwierige Konstellation ......................................................... 19 2. Einmal Florenz und zurück: Maria Theresia als Gemahlin des Großherzogs von Toskana ............................. 31 3. Die Regierungsübernahme Maria Theresias: rechtliche Regelung und praktische Ausgestaltung der Mitregentschaft Franz Stephans ...................................... 39 4. Die Krönungen Maria Theresias in Ungarn und Böhmen: die Suche nach der richtigen Position für den Prinzgemahl ................................................................. 69 5. Die Kaiserwahl Franz Stephans und die Diskussion um eine Nicht-Krönung ............................................................ 81 6. Das Kaisertum Franz’ I. und die Rolle der Kaiserin Maria Theresia im Reich .................................... 99 7. Die Außenpolitik zwischen der »Obermacht« des Hauses Bourbon und dem »Monster« in Berlin .......... 117
8.
Die Königin im Krieg: Eine Frau kämpft gegen den roi connétable .................................................... 131
9.
Ein Paar und 16 Kinder: Erziehung und erste Heiraten ............................................. 153
10. Am Hof in Wien: zur baulichen und zeremoniellen Repräsentation einer komplizierten Konstellation ........... 185 11. Der Tod Franz Stephans: Und plötzlich ist alles anders .............................................. 205 12. Und noch einmal eine Mitregentschaft: also alles beim Alten? .......................................................... 211 13. Eine Mutter und neun Waisen – oder: Wer ist das Familienoberhaupt? ......................................... 231 14. Wer führt die Armee: die Witwe im Schleier oder der Thronfolger in Uniform? ............................................... 257 15. Der Prunksarkophag: ein Arbeitspaar in Zinn und Blei ......................................... 269 Abkürzungen ................................................................................ 275 Quellen und Literatur ................................................................... 277 Register ......................................................................................... 301
Vorwort
In der Lehre und bei meinen Forschungen über die Herrschaft von Frauen in der Frühen Neuzeit bin ich – wenig erstaunlich – immer wieder auf Maria Theresia gestoßen und musste dabei feststellen, dass es zu ihr kaum neuere Forschungen gibt, was mich dann wiederum doch sehr erstaunte. So kam ich dazu, mich mit dieser herausragenden Herrscherinnengestalt näher zu beschäftigen, zunächst im Rahmen einer Tagung zu den Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit, auf der ich Maria Theresia als Teil eines Arbeitspaares vorgestellt habe. Nachdem dieser „Versuchsballon“ auf reges Interesse und positive Resonanz gestoßen war, gab mir eine Reisebeihilfe der Fritz Thyssen-Stiftung in den folgenden Jahren die Möglichkeit, mich in den Semesterferien immer wieder im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien in die Archivalien zu Maria Theresia zu vertiefen. Diese Archivaufenthalte waren auch deshalb so fruchtbar, weil im Vorfeld des Maria-Theresia-Jubiläums 2017 zahlreiche Forscherinnen und Forscher sich regelmäßig am Minoritenplatz einfanden, um aus ganz unterschiedlichen Perspektiven über die Kaiserin zu forschen, deren Vernachlässigung nun erkennbar ein Ende nahm. So ergaben sich manche Gespräche am Rande, bisweilen aber auch ein intensiverer Austausch über Quellen und Fragestellungen. Insbesondere Katrin Keller und Sandra Hertel danke ich für den stets offenen und kollegialen Austausch, in dem sie mich an ihren Erkenntnissen teilhaben ließen. Den Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz danke ich dafür, dass sie meine jahrelange Fixierung auf Maria Theresia mit Humor ertragen haben. Matthias Schnettger und mein Mann Wolfgang Dobras haben den
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Eine Kaiserin und zwei Kaiser
ganzen Text kritisch gelesen und durch ihre unbestechlichen Fragen und Anmerkungen erheblich zu seiner Verbesserung beigetragen. Dem Forschungsschwerpunkt Historische Kulturwissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität und namentlich seinem Sprecher Jörg Rogge bin ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Mainzer Historische Kulturwissenschaften und die Finanzierung der Drucklegung sehr dankbar.
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Einleitung
Maria Theresia ist bekannt und unbekannt zugleich. Fragt man nach bedeutenden deutschen Fürstinnen der Frühen Neuzeit, so fällt mit ziemlicher Sicherheit zuallererst ihr Name.1 Das erscheint nur allzu berechtigt, regierte sie doch als Königin von Ungarn und Böhmen sowie als Herrscherin der österreichischen Erblande 40 Jahre lang über einen der größten Territorialkomplexe Europas. Nach der Wahl ihres Mannes Franz Stephan zum Kaiser im Jahre 1745 war sie zudem als Kaiserin die höchstrangige Frau der westlichen Christenheit.2 Schaut man hingegen in die historische Forschung, so ergibt sich ein völlig anderes Bild: Die in den letzten Jahren florierende Forschung zur Herrschaft von Frauen3 hat um Maria Theresia lange einen großen Bogen gemacht, und auch eher traditionelle Themenfelder wie Maria Theresias Reformen, ihre Heiratspolitik oder die Außenpolitik der Habsburgermonarchie sind in den letzten Jahren kaum bearbeitet worden.4 Das ist umso frappierender, wenn man zum Vergleich beispielsweise 1
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Diese Wahrnehmung Maria Theresias als einer der mächtigsten Frauen ihrer Zeit wird auch bestätigt durch den zunächst eher skurril anmutenden Vergleich mit einer der mächtigsten Frauen unserer Gegenwart, mit Angela Merkel: GRUHN, 2008. Derselben Parallele bedient sich Heribert Prantl in einem Leitartikel über die Situation der Demokratie in Deutschland angesichts der Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Berlin 2016, wenn er schreibt: »Bei der Union ist die Kanzlerin nicht mehr die Kaiserin Maria Theresia«; PRANTL, 2016. Offensichtlich gilt auch dem Journalisten Maria Theresia als Inbegriff mächtiger weiblicher Herrschaft. Zu den Kaiserinnen jetzt BRAUN, 2016. Siehe zuletzt (mit zahlreichen Literaturangaben) KELLER, 2016. Eine Ausnahme stellen in allerjüngster Zeit die Forschungen zum Wiener Hof im 18. Jahrhundert dar; KUBISKA-SCHARL/PÖLZL, 2013; PANGERL u. a., 2007.
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Eine Kaiserin und zwei Kaiser
die geradezu ausufernden und alle Bereiche abdeckenden Forschungen zu Elisabeth I. von England heranzieht. Es ist durchaus lohnend, über die Ursachen für diese jahrzehntelange Vernachlässigung Maria Theresias nachzudenken, auch wenn letztlich natürlich nicht mit letzter Sicherheit angegeben werden kann, weshalb ein Historiker oder eine Historikerin ein bestimmtes Thema nicht bearbeitet hat. Für die Frauen- und Geschlechtergeschichte dürfte lange Zeit eine Rolle gespielt haben, dass die sechzehnfache Mutter, die sich auch bewusst als solche inszenierte, kaum dem Rollenbild der emanzipierten Frau entsprach. Denn über einen gewissen Zeitraum hinweg und in manchen Kreisen der Frauenbewegung wurde Emanzipation eben auch gleichgesetzt mit einer Abwendung von der traditionellen Mutterrolle und implizierte eine teilweise doch recht deutliche antimännliche Tendenz. Unter diesen Prämissen lag es nicht gerade nahe, sich mit einer Frau zu beschäftigen, die ihre Mutterrolle für zentral hielt – wenn auch in einem ganz anderen Verständnis als das bürgerliche 19. Jahrhundert – und die Zeit ihres Lebens auf ihren Ehemann bezogen blieb, auch wenn sie ihn um 15 Jahre überlebte. Denn die Witwenschaft bedeutete für Maria Theresia gerade nicht – wie es die neuere Forschung für adlige wie nichtadlige Frauen herausgearbeitet hat5 – einen Zugewinn an Freiheit und die Eröffnung neuer Handlungsspielräume, sondern das Leben als Witwe markierte für Maria Theresia stets einen Verlust, eine Leerstelle. Nein, eine solchermaßen passionierte Ehefrau und Mutter konnte sicher nicht der bevorzugte Forschungsgegenstand frauenbewegter Historikerinnen sein. Aus dieser Sicht bot sich Elisabeth I. schon eher an, eine Frau, die sich bewusst gegen einen Mann an ihrer Seite entschieden hatte, die Leben und Regierung allein und unabhängig meistern wollte. Oder Katharina von Medici, die ganz klassisch ihre Witwenposition dazu nutzte, für ihre Söhne oder auch neben und über ihnen zu regieren. Diese Frauen konnten eher als »Vorbilder« dienen und waren damit als Untersuchungsgegenstände deutlich attraktiver. Auch die ostentative Frömmigkeit und dezidierte Katholizität Maria Theresias prädestinierten sie nicht gerade zum Gegenstand für eine geschichtswissenschaftliche Forschung, die lange Zeit Säkularisierung als eine Voraussetzung für und ein Kennzeichen von Modernisierung ansah und Religion mit Rückständigkeit gleichsetzte. Aus einer solchen Per5
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SCHATTKOWSKY, 2003.
Einleitung
spektive heraus konnte Maria Theresia geradezu als Symbol für den rückständigen katholischen Teil der deutschen Geschichte gelten. Die Beschäftigung mit »Verlierern« aber wird traditionell eher vermieden. Viel reizvoller erschien da die Untersuchung des angeblich mehr in die Moderne weisenden Preußen. Damit ist schon ein weiterer Ursachenkomplex angedeutet. In der deutschen Geschichtswissenschaft stand und steht Maria Theresia stets im Schatten Friedrichs des Großen. Die Geschichte dieser beiden Herrscherpersönlichkeiten war seit dem preußischen Überfall auf Schlesien im Dezember 1740, und damit praktisch von Anfang an, unauflöslich miteinander verbunden, aber sie wird in der deutschen Historiographie fast immer aus der preußischen Perspektive erzählt, und eben nicht als Verflechtungsgeschichte oder gar aus der Sicht der Wiener Hofburg. Zwar wird heute kein ernstzunehmender Historiker mehr die preußischen Siege des 18. Jahrhunderts als wichtige Etappe der deutschen Mission des Hauses Hohenzollern betrachten, die in die Reichsgründung von 1870/71 mündeten, aber die vorwaltende preußische Perspektive auf die Ereignisse ist doch vielfach geblieben. Fragt man nach der Art der Regierung, so wurden die Mitte und die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts lange Zeit unter dem Etikett des Aufgeklärten Absolutismus betrachtet, eine Etikettierung, die Maria Theresia ebenfalls von vornherein ausschließt. Denn das Pendant zu Friedrich dem Großen bildete in diesem Verständnis selbstverständlich Joseph II. und nicht seine als konservativ und unaufgeklärt geltende Mutter. Dementsprechend zahlreich sind die Studien zur Reformpolitik Josephs und zum Josephinismus.6 In dieser Sicht wird die Regierungszeit Maria Theresias zur reinen Vorgeschichte degradiert, der dann eben die eigentliche Reformperiode folgte. Es ist mithin ein ganzes Bündel von Ursachen, das dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass Maria Theresia der Forschung lange Zeit weitgehend unbekannt geblieben ist. Freilich ändert sich dies in jüngster Zeit. Denn zum Jubiläumsjahr 2017 sind gleich drei wissenschaftliche Biographien Maria Theresias erschienen.7 So unterschied6 7
Hier sind für die neuere Forschung vor allem die zahlreichen Arbeiten Helmut Reinalters zu nennen, z. B. REINALTER, 2011; DERS., 1993; DERS., 2008; außerdem SCHMALE u. a., 2007. BADINTER, 2016; dt. Übersetzung 2017; LAU, 2016; STOLLBERG-RILINGER, 2017.
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Eine Kaiserin und zwei Kaiser
lich diese Werke in ihren Ansätzen auch sind, so ist ihnen doch gemeinsam, dass sie endlich eine modernen geschichtswissenschaftlichen Methoden verpflichtete Interpretation der Herrscherin liefern. Allerdings bleibt immer noch vieles zu tun. So wäre es durchaus reizvoll, die Entwicklung der preußischen und der österreichischen Reformen als einen Verflechtungsprozess zu rekonstruieren, in dem die gegenseitige Wahrnehmung die nächsten Schritte ebenso bestimmte wie die eigenen Erfahrungen. Mit gutem Recht könnte außerdem in Zweifel gezogen werden, ob der kaum hinterfragte Gegensatz zwischen der konservativen Kaiserin und ihrem aufgeklärten Sohn die Reformbereitschaft Maria Theresias nicht deutlich zu niedrig ansetzt, weil dieses Bild von den harten Auseinandersetzungen über die konfessionelle Toleranz bestimmt wird, die aber nicht ohne weiteres auf andere Politikbereiche übertragen werden können. Jedenfalls probeweise könnte die Geschichte der österreichischen Reformen auch geschrieben werden als eine Geschichte maria-theresianischer Reformen, die aufgeklärtes Gedankengut durchaus aufnahmen, und die unter Joseph eine – letztlich kaum erfolgreiche und vielfach wieder zurückgenommene – Radikalisierung erfahren haben. Viele andere Ansätze wären denkbar. In dieser Studie soll dagegen die eingangs erwähnte neuere Forschung zur Herrschaft von Frauen aufgegriffen und für die sehr spezifische Situation Maria Theresias fruchtbar gemacht und modifiziert werden. Anders als Elisabeth I. von England, Christina von Schweden oder auch die Zarinnen Elisabeth I. und Katharina II.8 waren die meisten Fürstinnen der Frühen Neuzeit verheiratete Frauen. Für sie wurde der Begriff der »regierende[n] Fürstin« geprägt.9 Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die Fürstin als Ehefrau des Fürsten an der Regierung teil hatte und dass die Übernahme entsprechender Aufgaben ihr nicht nur zugestanden, sondern ganz selbstverständlich von ihr erwartet wurde. Maria Theresia war eine solche regierende Fürstin: Seit 1736 war sie mit Franz Stephan von Lothringen verheiratet, der ab 1737 als 8
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Selbstverständlich war Katharina verheiratet gewesen, ihre Ehe mit Peter III. war ja die Voraussetzung für ihre Besteigung des Zarenthrons gewesen. Während ihrer Regierungszeit aber – und das allein ist hier entscheidend – war sie eine unverheiratete, genauer: verwitwete Frau. Eine vergleichende Perspektive auf Maria Theresia und Katharina II. demnächst in dem Sammelband BRAUN u. a., 2018. WUNDER, 2011.
Einleitung
Großherzog der Toskana regierte. Vor allem aber war Maria Theresia seit dem Tod ihres Vaters Karls VI. am 20. Oktober 1740 Herrscherin aus eigenem Recht – ebenso wie die englischen Königinnen Maria Tudor, Elisabeth I. und Anna oder Zarin Elisabeth I. Denn neben ihrem immensen Erbe verblasste das von ihrem Mann in die Ehe eingebrachte Großherzogtum doch merklich.10 Als Mutter und damit Garantin für den Fortbestand der Dynastie aber nahm Maria Theresia – anders als die genannten Herrscherinnen – eine der für eine regierende Fürstin traditionellen Rollen wahr. Fasst man diese Eckdaten zusammen – Herrscherin aus eigenem Recht und regierende Fürstin, Ehefrau bzw. Witwe, Mutter –, so ergibt sich eine sehr spezifische Konstellation, in der Maria Theresia über vier Jahrzehnte lang Herrschaft ausübte. Als Herrscherin aus eigenem Recht hatte sie doch stets einen Mann an ihrer Seite: erst ihren Ehemann, dann ihren Sohn, mit dem sie zusammen regierte. Und genau um dieses »zusammen« soll es in dieser Studie gehen. Ausgegangen wird dabei von dem Modell eines Arbeitspaares, das Heide Wunder ursprünglich für Handwerker- und Bauernhaushalte entwickelt hat11 und das hier auf ein fürstliches Arbeitspaar übertragen werden soll.12 Diesem Modell liegt die Vorstellung zugrunde, dass der jeweilige Haushalt seine vielfältigen Aufgaben nur dann erfüllen konnte, wenn Ehemann und Ehefrau zusammenarbeiteten und beide Partner gewisse Aufgaben übernahmen. Für die regierenden Fürstinnen ist gezeigt worden – freilich ohne ausdrücklich auf das Modell vom Arbeitspaar zu rekurrieren –, dass diese ganz eigene Handlungsfelder übernahmen, die für das Funktionieren der Herrschaft unverzichtbar waren. Dazu gehörten die Erziehung der fürstlichen Kinder, das Agieren als Patronin am Hof, das Pflegen eigener Netzwerke, eine herausragende Stellung in der höfischen wie religiösen Repräsentation wie überhaupt die Übernahme einer religiösen Vorbildfunktion ebenso wie die Oberaufsicht über den fürstlichen Haushalt einschließlich der in diesem Rahmen anfallenden Entscheidungen finanzieller und personeller Natur, 10 Von den erwähnten Herrscherinnen aus eigenem Recht war nur Maria Tudor als Ehefrau des spanischen Königs Philipp II. zugleich regierende Fürstin in dem erwähnten Sinne, eine Konstellation, die praktisch freilich kaum zum Tragen kam. 11 WUNDER, 1992, S. 97-109. 12 Ein erster Versuch, die Herrschaft Maria Theresias mit Hilfe dieses Modells zu analysieren bei BRAUN, 2016.
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Eine Kaiserin und zwei Kaiser
aber auch die »Politikberatung« in einem weiten Sinne durch den ungehinderten Zugang zum Fürsten.13 Maria Theresia soll in dieser Studie als Teil eines fürstlichen Arbeitspaares verstanden werden, und zwar für ihre gesamte Regierungszeit. Wenn man das Modell des Arbeitspaares als Grundlage für eine solche Untersuchung akzeptiert, bedarf es keiner weiteren Begründung, Maria Theresia und Franz Stephan als ein solches Arbeitspaar zu analysieren. Anders sieht es mit der Konstellation Maria Theresia – Joseph aus, da die beiden ja kein Ehepaar und damit auch kein klassisches Arbeitspaar in dem skizzierten Sinne bildeten. Für die hier vorgelegte Studie wird allerdings als Prämisse postuliert, dass die strukturellen Parallelen zwischen beiden »Paaren« so groß sind, dass es erkenntnisfördernd sein dürfte, die Aufgabenverteilung zwischen Maria Theresia und Joseph mit demselben Instrumentarium zu untersuchen wie die Arbeitsbeziehung zwischen Maria Theresia und ihrem Ehemann. Für diesen Ansatz kann ins Feld geführt werden, dass Maria Theresia diese Parallele selbst hergestellt hat, indem sie ihren Sohn 1765 genauso zum Mitregenten ernannt hat wie ihren Ehemann 25 Jahre zuvor. Zu diesen Parallelen gehört auch, dass Maria Theresia, obwohl de jure ab 1765 Kaiserinwitwe, de facto auch weiterhin die Funktion einer regierenden Kaiserin ausübte, und das auch schon zu Lebzeiten Maria Josephas, der zweiten Gemahlin Josephs, die von ihm in jeder Hinsicht ignoriert und hinter seiner Mutter hintangestellt wurde. Für die Arbeitspaare Maria Theresia – Franz Stephan bzw. Maria Theresia – Joseph soll untersucht werden, wie hier die Aufgaben verteilt wurden. Denn aufgrund der besonderen Konstellation mit der Frau als Herrscherin aus eigenem Recht ist zu vermuten, dass die Aufgabenteilung anderen Regeln folgte als bei den meisten anderen fürstlichen Arbeitspaaren. Grundsätzlich sind verschiedene Rollenmodelle denkbar. Da wäre zunächst die Aufteilung nach den verschiedenen Ämtern, d. h. die Reichsangelegenheiten wären vom Kaiser erledigt worden, während Maria Theresia als Landesherrin für die Erblande zuständig gewesen wäre. Freilich gab es Bereiche, die kaum eindeutig einem der beiden Ämter zuzuordnen waren, wie z. B. die höfische Repräsentation oder die dynastische Politik. 13 WUNDER, 1997, S. 45-50; KELLER, 2016, S. 22f.
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Einleitung
Vorstellbar wäre auch eine Ausdifferenzierung der Zuständigkeiten nach Ressorts. Hier wären verschiedene Einflussfaktoren zu berücksichtigen: von persönlichen Interessen über spezielle Kompetenzen (Sprachkenntnisse, Landeskenntnis, militärische Erfahrung) bis zum Geschlecht (z. B. Militär als eher männliche und Soziales als eher weibliche Domäne). Kaiser Karl VI. hingegen scheint schlicht von einer traditionellen Aufgabenverteilung nach Geschlecht ausgegangen zu sein, nach der also Franz Stephan die Regierung im engeren Sinne hätte ausüben und Maria Theresia als seine Ehefrau die Aufgaben einer regierenden Fürstin hätte wahrnehmen sollen. Anders ist es kaum zu erklären, dass Karl VI. seine Tochter nicht auf die Regierung vorbereitete,14 andererseits aber Franz Stephan an den Sitzungen der Geheimen Konferenz teilnehmen ließ,15 womit dieser in einer für einen Kronprinzen typischen Weise in eine spätere Regierungstätigkeit eingeführt wurde. Vor diesem Hintergrund ist Maria Theresias häufig zitierter Vorwurf an ihren Vater, dass es ihm »niemals gefällig ware, mich zur Erledigung weder der auswärtigen noch inneren Geschäfte beizuziehen noch zu informieren«,16 durchaus gerechtfertigt. Denn genau dieses hatte Karl VI. eben bei seiner Tochter nicht getan, bei seinem Schwiegersohn aber sehr wohl. Auch wenn die Aufgabenverteilung im Detail erst eruiert werden muss – dass Maria Theresia dieser Vorstellung ihres Vaters nicht folgte, ist evident. Zu klären ist aber, ob es nicht doch Bereiche gab, in denen eine Aufgabenverteilung nach Geschlecht erfolgte, sei es in der Übernahme der üblichen Zuschreibungen, sei es in deren Umkehrung oder Anpassung. Auch wenn die Darstellung weitgehend der Chronologie folgt, wird hier also nicht eine weitere Biographie Maria Theresias vorgelegt und auch keine Analyse ihrer Regierungstätigkeit. Vielmehr geht es darum, 14 Barbara Stollberg-Rilinger hat darauf aufmerksam gemacht, dass das Erziehungsprogramm und der Fächerkanon für Maria Theresia sich kaum von dem für männliche Erzherzöge unterschieden haben, wenn man einmal davon absieht, dass sie nicht in Jura unterrichtet wurde und keine Kavalierstour unternahm; STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 24. Das ist selbstverständlich richtig, aber es bleibt doch der Unterschied, dass Maria Theresia eben nicht direkt in die Regierungsgeschäfte eingeführt wurde. 15 ZEDINGER, 2008, S. 81. 16 Maria Theresias Politisches Testament von 1750/51, gedr. in: WALTER, 1968, Nr. 72, S. 63-97, hier S. 64.
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wie Maria Theresia sich die Arbeit mit ihrem Mann bzw. mit ihrem Sohn teilte, und welches Bild von dieser Arbeitsteilung nach außen vermittelt wurde. Denn die Aufgabe war durchaus delikat und barg manche Gefahr. Die im Österreichischen Erbfolgekrieg entstandenen Karikaturen mit ihren offenen sexuellen Anspielungen stehen für die Erwartung, dass es den regierenden Männern wohl nicht allzu schwerfallen dürfte, mit dieser Frau fertig zu werden, sie ihrer Herrschaft und Würde zu entkleiden und nackt stehen zu lassen.17
Abb. 1: De Koninginne van Hongaryen Ontkleedt, Illustrierter Einblattdruck, o. O., 1742. Österreichische Nationalbibliothek Wien. Musste sie sich als Reaktion darauf also als femme forte, als starke Frau mit männlichen Qualitäten, präsentieren? Was für eine alleinstehende Herrscherin ohne weiteres funktionierte, war für eine Ehefrau wie Maria Theresia heikel, denn damit stellte sie ihren Mann fast automatisch ins Abseits und die traditionelle Geschlechterordnung auf den Kopf. Da die Existenz des von Maria Theresia geerbten Reichs nicht zuletzt am Fortbestand der Dynastie hing, musste die Königin zudem ihrer genuin weiblichen Aufgabe nachkommen, einen Thronfolger zu 17 Siehe auch STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 99f., Abb. 10 und 11.
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Einleitung
gebären. Die Geburt Josephs im März 1741 war deshalb mindestens so wertvoll wie ein Sieg auf dem Schlachtfeld. Diese Aufgabe konnte ihr niemand abnehmen, auf allen anderen Feldern aber musste die Aufgabenverteilung immer wieder aufs Neue austariert werden. Und genau darum soll es in dieser Studie gehen. Die Untersuchungsgegenstände wurden danach ausgewählt, ob sie Auskunft auf diese Frage geben können. Am Ende soll nicht ein Gesamtbild der Regierungstätigkeit Maria Theresias stehen. Wenn aber auf diese Weise eine wesentliche Grundbedingung der Herrschaft Maria Theresias und auch weiblicher Herrschaft insgesamt erhellt werden könnte, wäre schon viel gewonnen.
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1. Die Heirat einer Erzherzogin und eines Herzogs oder einer künftigen Königin und eines Fürsten ohne Land: komplizierte Regelungen für eine schwierige Konstellation
In Maria Theresias Gebetbuch fand sich ein von ihr eigenhändig beschriebener Zettel, auf dem sie notiert hatte: »Mein glücklicher ehestand war 29 jahr, 6 monat, 6 täge, um die nämliche stund, als ihm die hand gegeben, auch an einem Sonntag, ist er mir plötzlich entrissen worden. Macht also jahr 29, monat 335, wochen 1540, täge 10781, stunden 258744«.1 Diese Zeilen hatte sie nach dem Tod Franz Stephans zu Papier gebracht. Penibel genau hatte sie zurückgerechnet vom 18. August 1765, dem Todestag Franz Stephans, auf den 12. Februar 1736, ihren Hochzeitstag. Diese wohl ziemlich einzigartige Notiz zeigt die tiefe Erschütterung, die der plötzliche Tod ihres Mannes bei Maria Theresia ausgelöst hatte, und sie macht deutlich, dass die kaiserliche Ehe mehr war als nur eine Zweckgemeinschaft zur Reproduktion der Dynastie. Dennoch war sie selbstverständlich auch das, und als eine solche war sie von den beiden Vätern von langer Hand geplant worden. Dabei war die Aufgabe gerade für Karl VI. einigermaßen kompliziert. Denn je deutlicher sich abzeichnete, dass der Kaiser und seine Gemahlin keinen Sohn mehr bekommen würden, dass also Maria Theresia die Erbin des großen habsburgischen Länderkomplexes sein wür1
WOLF, Bd. 1, 1863, S. 80.
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de, desto schwieriger wurde es, einen adäquaten Ehemann für sie zu finden. Selbstverständlich musste der Kandidat aus einer der alten hochadligen Dynastien stammen, durfte aber selbst nicht zu mächtig sein,2 damit die geplante Verbindung nicht den Argwohn anderer Mächte auf sich zog, und selbstverständlich musste er katholisch sein. Verschiedene Familien brachten ihre Söhne ins Spiel, so die spanische Königin Elisabeth Farnese oder die Nichten des Kaisers, die Kurfürstinnen von Sachsen und Bayern, deren Söhne freilich deutlich jünger als Maria Theresia waren.3 Das war ein erheblicher Nachteil, denn die Erbtochter sollte möglichst bald Kinder bekommen, um den so sehr gefährdeten Fortbestand der Dynastie zu sichern. In einer solchen Situation war es nicht ratsam zu warten, bis ein potentieller Bräutigam das notwendige Alter erreicht hatte, und dadurch kostbare fruchtbare Jahre der Braut zu verschenken. Karl VI. entschied sich denn auch anders, und zwar relativ früh, nämlich für das Haus Lothringen. Und er hielt an dieser Entscheidung fest, was angesichts häufig wechselnder politischer Konstellationen und damit einhergehender dynastischer Überlegungen eher ungewöhnlich war. Was also gab den Ausschlag für Lothringen? Die Dignität des Hauses Lothringen entsprach jedenfalls den Mindestanforderungen, das Haus beanspruchte königlichen Rang, auch wenn seine Fürsten nur Herzöge waren. Die Katholizität der Dynastie stand außer Frage. Seit mehreren Generationen existierten zudem enge familiäre Beziehungen zwischen den beiden Häusern. Herzog Karl V. von Lothringen hatte im habsburgischen Dienst glänzende Siege gegen die Türken erfochten und war verheiratet mit Erzherzogin Eleonore Maria, einer Schwester Kaiser Leopolds I. Da Frankreich damals das Herzogtum Lothringen be2
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Renate Zedinger hat darauf hingewiesen, dass Franz Stephan zum Zeitpunkt der Hochzeit mitnichten ein Fürst ohne Land gewesen sei; ZEDINGER, 2008, S. 105. Das ist formal selbstverständlich korrekt, da Franz Stephan damals die Abtretungsurkunde noch nicht unterzeichnet hatte. Aber es war allen klar, dass die Abtretung Lothringens eine Bedingung für die Heirat gewesen und somit unabwendbar war, dass Franz Stephan sein Land also in allernächster Zeit verlieren würde, während durchaus unsicher war, wann er das in Aussicht gestellte Großherzogtum Toskana bekommen würde, da mit dem Tod des 64jährigen Großherzogs nicht unmittelbar zu rechnen war. Der sächsische Kurprinz war fünf, der bayerische sogar zehn Jahre jünger als Maria Theresia.
Die Heirat einer Erzherzogin und eines Herzogs
setzt hielt, lebte die herzogliche Familie in Innsbruck, wo de facto Eleonore Maria die Statthalterschaft über Tirol ausübte, da ihr Mann wiederholt längere Zeit auf diversen Kriegsschauplätzen für die Habsburger kämpfte.4 Nach dem Tod Karls V. 1690 wuchsen seine Söhne am kaiserlichen Hof in Wien auf, gemeinsam mit den beiden späteren Kaisern Joseph und Karl. Nach dem Frieden von Rijswijk 1697 konnte der junge Herzog Leopold das Herzogtum wieder in Besitz nehmen. Seine jüngeren Brüder dienten der Wiener Reichskirchenpolitik mangels habsburgischer Kandidaten als Bewerber um diverse Posten in der Germania Sacra5 – Karl Joseph brachte es immerhin zum Bischof von Osnabrück und Erzbischof von Trier. Es war also eine dem Kaiserhaus außerordentlich eng verbundene Familie, aus der Kaiser Karl VI. den Bräutigam für seine älteste Tochter zu nehmen gedachte. Die Konstellation konnte als geradezu ideal gelten: eine alte katholische Dynastie, aber mit doch eher überschaubarer eigener Machtbasis, zudem dem Kaiserhaus eng verbunden und zu Dankbarkeit verpflichtet, sodass keine unliebsamen Überraschungen hinsichtlich eigener politischer Vorstellungen zu befürchten waren. Es gab nur ein einziges Problem: Das Herzogtum ragte seit den französischen Erwerbungen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wie ein Keil in französisches Gebiet hinein. Bei einer Heirat des künftigen Herzogs von Lothringen mit der Erbin des Habsburgerreichs würde der Hauptkonkurrent Frankreichs über diesen Keil gebieten. Es stand nicht zu erwarten, dass Frankreich dies ohne weiteres akzeptieren würde. Dessen ungeachtet trieb Karl VI. das lothringische Eheprojekt vor6 an. Er konnte dabei nicht nur auf die Zustimmung seines künftigen Gegenschwagers Herzog Leopold rechnen, sondern entsprach damit dessen kühnsten Träumen. Denn schon seit längerem hatte Herzog Leopold eine solche Eheverbindung für seinen ältesten Sohn ins Auge gefasst und entsprechende Verhandlungen angebahnt. Der Erbprinz sollte zunächst einmal unauffällig der kaiserlichen Familie vorgestellt werden. Damit diese Reise in der Öffentlichkeit kein allzu großes Aufsehen erregte, wurde ein Vorwand gesucht und gefunden. Offiziell sollte der 4 5 6
GARMS-CORNIDES, 2015. Zu Karl V. außerdem BASTL, 2015. WOLF, 1994. Zur Vorgeschichte der Eheschließung ausführlich ZEDINGER, 1994. Eine knappere Zusammenfassung bei DERS., 2008, S. 21-66.
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Eine Kaiserin und zwei Kaiser
Erbprinz das dem Herzog von Lothringen 1722 übertragene böhmische Herzogtum Teschen in Augenschein nehmen und dabei »zufällig« die kaiserliche Familie treffen, die sich anlässlich der Krönung Karls VI. zum böhmischen König in Prag aufhielt. Im Februar 1723 stimmte der Kaiser dem Treffen zu. Am 4. Juni 1723 aber starb der junge Prinz an den Pocken. Dass dieser Todesfall nicht das Ende des Projekts bedeutete, ist typisch für die dynastische Welt des Ancien Régime. Denn die erhoffte eheliche Verbindung sollte eben nicht primär zwei Individuen verbinden, sondern zwei Familien. Und glücklicherweise hatte der lothringische Herzog weitere Söhne. Als der Gesandte des Herzogs dem Kaiser in Wien die Todesnachricht überbrachte, erwähnte er deshalb die jüngeren Brüder des verstorbenen Prinzen, und der Kaiser reagierte genau so, wie der Herzog gehofft hatte und wie es dynastischem Denken entsprach: Er übertrug die Einladung auf den zweiten Sohn des Herzogs von Lothringen: Franz Anton Stephan. Und so reiste Franz Stephan, wie er dann vor allem im 19. Jahrhundert genannt werden sollte,7 an Stelle seines älteren Bruders nach Prag, um der kaiserlichen Familie vorgestellt zu werden. Ganz offensichtlich hinterließ er einen guten Eindruck, denn bereits wenige Wochen später schrieb Karl VI. an Herzog Leopold, dass er seit langem eine engere Verbindung ihrer beiden Häuser wünsche und dass er an diesem Vorhaben festhalten werde.8 Bezeichnenderweise sprach auch Karl VI. von einer Verbindung der beiden Häuser, nicht von Personen. Was also später, auch in der Erinnerung Maria Theresias, zu einer romantischen Liebesgeschichte verklärt wurde, begann wie eine ganz normale dynastische Verbindung, die zwischen den Häuptern zweier Dynastien ausgehandelt wurde. Ungewöhnlich war nur, dass der künftige Bräutigam von nun an zur Vervollkommnung seiner Ausbildung am Kaiserhof lebte und damit schon jetzt in die Familie seiner künftigen Braut aufgenommen wurde. Anders als die allermeisten königlichen Paare lernten sich Franz Stephan und Maria Theresia also nicht erst bei ihrer Hochzeit kennen. Bis aus ihnen Braut und Bräutigam werden soll7 8
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Er selbst unterschrieb stets mit »François«. Zu der Namensfrage ZEDINGER, 1994, S. 55. Kaiser Karl VI. an Herzog Leopold von Lothringen, 23.9.1723; HHStA Wien, Lothring. Hausarchiv 111, Nr. 435, fol. 20-21, die einschlägige Passage gedr. bei ZEDINGER, 1994, S. 165.
Die Heirat einer Erzherzogin und eines Herzogs
ten, dauerte es allerdings noch eine ganze Weile. Franz Stephan war 15 Jahre alt, als er Ende 1723 nach Wien übersiedelte, Maria Theresia zu diesem Zeitpunkt gerade erst sechs Jahre. Am 27. März 1729 starb Herzog Leopold, Franz Stephan war damit Herzog von Lothringen. Renate Zedinger hat schon vor Jahren angemerkt, dass Leopold »aus der Sicht des Wiener Hofes« zu einem »denkbar günstigen Augenblick« verstorben sei.9 Denn allmählich drohte der Aufenthalt des Herzogs in Wien pikant zu werden. Maria Theresia wurde am 13. Mai 1729 zwölf Jahre alt und erhielt zu diesem Zeitpunkt einen eigenen Hofstaat. Sie war damit zwar noch nicht direkt in heiratsfähigem Alter, aber eben auch kein Kind mehr. Da konnte es nicht länger angehen, dass der junge Mann, der, wie jedermann wusste, auch wenn es nicht offiziell verkündet worden war, die junge Erbin einst heiraten sollte, mit ihr unter einem Dach wohnte. Dass er nun nach Lothringen reisen musste, um dort sein väterliches Erbe anzutreten, fügte sich also bestens. Allerdings war mit der Reise Franz Stephans nur Zeit gewonnen, das Problem aber noch nicht gelöst. Denn auf Dauer in Lothringen bleiben sollte Franz Stephan auch nicht. Zu groß waren die Befürchtungen, dass Frankreich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit Lothringen überfallen und den Herzog gefangen nehmen könnte.10 Die verschiedenen Überlegungen, die zur Zukunft Franz Stephans in den nächsten Monaten und Jahren angestellt wurden, sind in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Zum einen zeigen sie die Größe des Dilemmas. Denn es gab keinen Präzedenzfall, aus dem man hätte ableiten können, wie die adäquate Position für den Ehemann der Erbin einer Großmacht aussehen sollte. Selbst wenn die französische Gefahr nicht gewesen wäre, wäre es kaum denkbar gewesen, dass Maria Theresia an der Seite ihres Gatten in Nancy oder Lunéville lebte und dort den Erbfall abwartete. Allerdings konnte man dem (künftigen) Ehemann der Erbin, der nun immerhin regierender Fürst und dem Ausbildungsalter entwachsen war, auch nicht einfach irgendeinen Posten in kaiserlichem Dienst übertragen, ohne dass dadurch sein Ansehen Schaden genommen hätte. Denn – und das war der zweite Aspekt in diesem Dilemma – dann wäre die Diskrepanz zwischen der künftigen Königin von Böhmen und Ungarn 9 EBD., S. 81. 10 EBD., S. 81f.
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Eine Kaiserin und zwei Kaiser
und ihrem Ehemann noch sichtbarer geworden, als sie es ohnehin schon war. Wie groß diese Diskrepanz war, wird schonungslos deutlich, wenn man sich den Überlegungs- und Entscheidungsprozess anschaut. Denn beraten und entschieden wurde in Wien, und zwar nicht zusammen mit Franz Stephan, sondern über seinen Kopf hinweg. Verschiedene Optionen wie die Übertragung der Statthalterschaft in Ungarn oder den österreichischen Niederlanden wurden geprüft.11 Eine überraschende Möglichkeit eröffnete sich letztlich im Zusammenhang mit der polnischen Thronfolge, um die nach dem Tod Augusts des Starken 1733 ein Krieg entbrannt war. Diese Verknüpfung der lothringischen Frage mit der polnischen Thronfolge hatte nämlich den Vorteil, dass so das Problem, das sich aus der Lage der Territorien Franz Stephans in Gemengelage zum französischen Gebiet ergab, gelöst werden konnte. Das Paket, das geschnürt wurde, sah folgendermaßen aus: Als Ausgleich für den Verzicht auf die polnische Thronkandidatur, der den Weg freimachte für die Wahl Friedrich Augusts von Sachsen zum König von Polen, sollte Stanislaus Leszcynski, der Schwiegervater Ludwigs XV., Lothringen erhalten. Nach seinem Tod sollte das Herzogtum dann an Frankreich fallen. Franz Stephan wiederum sollte als Entschädigung für den Verlust Lothringens nach dem Tod des letzten Medici das Großherzogtum Toskana erhalten. Über diese grundsätzlichen Eckpunkte der Vereinbarung wurde allein zwischen Wien und Versailles verhandelt – weder Franz Stephan noch Stanislaus Leszcynski wurden bei den Gesprächen auch nur gehört.12 Zwar verhandelte Franz Stephan dann über die detaillierten Modalitäten durchaus zäh und nicht ohne Erfolg, und zwar über seine Hochzeit hinaus. Aber die grundlegende Entscheidung war zu diesem Zeitpunkt längst gefallen, und Franz Stephan war an ihr nicht beteiligt gewesen.13 Insofern entbehrt die vielfach kolportierte Begebenheit, wonach Staatssekretär Johann Christoph von Bartenstein Franz Stephan den Vertrag über die Abtretung Lothringens vorgelegt und dazu gesagt haben soll »keine Unterschrift, keine Erzherzogin«14 der Grundlage, wie Renate Zedinger zu Recht angemerkt hat. 11 12 13 14
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EBD., S. 87-89, 98f. EBD., S. 94-96; BADINTER, 2016 S. 61f.; LAU, 2016, S. 30. Die Präliminarien waren bereits im Oktober 1735 unterzeichnet worden. Zuerst in französischer Sprache bei COXE, 1847, S. 195, ihm folgend ARNETH, Bd. 1, 1863b, S. 24. Als Quelle wird ein Brief Robinsons an Lord
Die Heirat einer Erzherzogin und eines Herzogs
Denn der Kaiser hatte als Chef des Hauses seine Entscheidung längst getroffen – und zu diesem Haus gehörte eben auch Franz Stephan de facto schon jahrelang: Die Verabredungen zwischen Karl VI. und Herzog Leopold, der jahrelange Aufenthalt Franz Stephans am Kaiserhof, die bevorzugte Behandlung des jungen Prinzen durch die kaiserliche Familie, die Finanzierung auf Kosten des Kaisers15 – all das machte Franz Stephan zum Mitglied des Hauses, lange bevor er dies durch die Heirat offiziell wurde. Jegliche Opposition gegen die kaiserliche Entscheidung wäre einem Affront gleichgekommen – damit aber hätte er die kaiserliche Ungnade in aller Schärfe auf sich gezogen. Es gibt keine Indizien, dass Franz Stephan diese Option ernsthaft in Erwägung gezogen hätte, und insofern war die Situation wohl weniger dramatisch, als es das angebliche Bartenstein-Zitat vorgibt. Damit soll nicht gesagt werden, dass Franz Stephan seine Stammlande leichten Herzens aufgegeben hätte, aber er besaß eigentlich keine vernünftige Alternative,16 zumal die Toskana ein durchaus akzeptabler Ersatz und weit weniger gefährdet war als Lothringen. Während noch über die Details der Abtretung Lothringens verhandelt wurde, wurden parallel die Hochzeitsvorbereitungen vorangetrieben. Immerhin war es die Erbtochter, deren Hochzeit gefeiert werden sollte. Dementsprechend hoch war der Aufwand, der getrieben wurde, ja: getrieben werden musste. Die Bedenken seiner Räte wegen der hohen Kosten wischte der Kaiser deshalb einfach beiseite.17 Konkret geplant wurde also für die Hochzeit der Erbtochter, die Maria Theresia zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung ja war. In den rechtlichen Regelungen musste jedoch auch allen möglichen anderen Konstellationen Rechnung getragen werden. Denn es konnte viel passieren: Die unwahrscheinlichste Variante war sicher die, dass Kaiserin Elisabeth Christine doch noch einen Thronfolger gebären könnte. Angesichts Harrington vom 31.12.1738, also deutlich nach der behaupteten Äußerung, angegeben. 15 In den letzten zwei Lebensjahren seines Vaters hatte Franz Stephan keine Apanage mehr aus Lothringen erhalten, sodass er beim Tod seines Vaters erhebliche Schulden hatte. Sicherlich aber hatte er teilweise auch auf Kosten des Wiener Hofs gelebt; ZEDINGER, 1994, S. 69; REISINGER-SCHWIND, 1973, S. 258. 16 So auch BADINTER, 2016, S. 63. 17 STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 34.
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ihres Gesundheitszustands wurde am Wiener Hof aber auch immer wieder einmal darüber spekuliert, dass Karl VI. nach ihrem Tod erneut heiraten und aus dieser Ehe dann vielleicht der ersehnte Erbe hervorgehen könnte.18 Maria Theresia konnte auch sterben, bevor sie ein Kind zur Welt gebracht hätte. Für alle diese Möglichkeiten galt es Vorsorge zu treffen. Deshalb musste Maria Theresia bereits am Tag nach der Brautwerbung, die am 31. Januar 1736 erfolgte, in einem sogenannten Renunziations-Akt zusagen, dass sie auf das Erbe verzichten würde, falls ihrem Vater noch ein Sohn geboren werden sollte oder falls ihre Schwester einen Sohn zur Welt bringen würde, sie jedoch nicht.19 Auch Franz Stephan musste eine Verzichtserklärung unterschreiben, und zwar musste er sich verpflichten, nie selbst Anspruch auf die österreichischen Erblande zu erheben.20 Dass einem regierenden Herrscher – und ein solcher war Franz Stephan zu diesem Zeitpunkt ja noch, da er die Abtretung Lothringens noch nicht unterzeichnet hatte – ein solcher Verzicht abverlangt wurde, war ungewöhnlich und nur aus der besonderen Konstellation der Heirat mit einer Erbtochter zu erklären. Der Heiratsvertrag mit seinen gegenseitigen Verpflichtungen von Mitgift und Widerlag, der Übersicht über den in die Ehe eingebrachten Besitz und den Regelungen für die Vormundschaft über die Kinder beim Tod eines Ehegatten21 folgte hingegen dem üblichen Schema. Üblich war es auch, dass für die Braut ein Witwensitz festgelegt wurde: Nach dem Tod Franz Stephans sollte Maria Theresia als Witwensitz Commercy in Lothringen oder Siena in der Toskana erhalten. Die Regelung spiegelt zum einen das Bestreben, alle Eventualitäten einzukalkulieren, zum anderen aber die hochadlige Konvention. Und diese besagte, dass eine Witwe sich nach dem Tod ihres Mannes auf ihr Wittum zurückzog und in Abgeschiedenheit ihre Tage verbrachte, zumindest wenn sie nicht für minderjährige Kinder zu sorgen oder wie in diesem 18 Das erwähnt der venezianische Gesandte Pietro Andrea Capello noch 1744 in seiner Finalrelation. Die Relation ist gedruckt in ARNETH, 1863a, S. 221. 19 HHStA Wien, Familienurkunde Nr. 1893. Auch der Heiratsvertrag referiert diesen Verzicht ausführlich; HHStA Wien, Familienurkunde Nr. 1892; HHStA Wien, Lothring. Hausarchiv 35, Nr. 51, fol. 38r-49r, hier fol. 41r42v. 20 ZEDINGER, 1994, S. 118. Die Verzichtsurkunde Franz Stephans ist gedruckt in: CLERCQ, 1976, S. 130f. 21 HHStA Wien, Lothring. Hausarchiv 35, Nr. 51, fol. 38r-49r; auch Familienurkunde Nr. 1892.
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Fall zu regieren hätte. Allerdings sah die Praxis am kaiserlichen Hof in Wien etwas anders aus. Hier blieben die Witwen dem Hof zumeist eng verbunden, wohnten weiterhin in der Hofburg oder einer Witwenresidenz in der Stadt oder der näheren Umgebung und wurden auch weiter in die höfische Repräsentation eingebunden. Schon deshalb ist dieser Passus im Heiratsvertrag ungewöhnlich. Seine Realisierung hätte konkret bedeutet, dass die Königin von Böhmen und Ungarn – denn das würde sie aller Wahrscheinlichkeit nach zu diesem Zeitpunkt sein – sich auf ihr Altenteil nach Siena zurückzog – eine in Kenntnis der späteren Ereignisse und der Persönlichkeit Maria Theresias einigermaßen abstruse Vorstellung, die aber erneut deutlich macht, dass Karl VI. mit einem ganz und gar nicht rechnete, nämlich damit, dass seine Tochter selbst regieren und ihrem Mann den Platz zuweisen würde, der ihm in der Rangordnung zustand, also den zweiten Platz an ihrer Seite. Aufgesetzt worden war also ein Ehevertrag im Rahmen der üblichen Geschlechterordnung, obwohl schon der Rangunterschied zwischen den Eheleuten die natürliche Geschlechterordnung gefährdete und die Tatsache, dass Maria Theresia souveräne Königin sein würde, sie vollends aushebelte. Dieses Problem sollte die Eheleute fortan begleiten. Immer wieder mussten deshalb individuelle Lösungen gefunden werden, erstmals bereits bei der Hochzeitstafel. Sowohl das Gemälde, das in der Werkstatt Martin van Meytens’ von der öffentlichen Tafel nach der Trauung entstanden ist,22 als auch ein zeitgenössischer Einblattdruck23 lassen davon freilich nichts ahnen, sondern überliefern eine Sitzordnung, die uns zunächst einmal nicht ungewöhnlich vorkommt, nämlich Braut und Bräutigam nebeneinander an einer Seite der Tafel sitzend. Zwar sitzt Maria Theresia wenigstens auf dem Gemälde zur Rechten ihres Gatten, also auf der besseren Seite, aber selbst an ihre linke Seite hätte eigentlich nicht ihr Ehemann gehört, sondern ihre rangmäßig über ihrem Mann stehende Tante Maria Magdalena, die ihren Platz aber an Franz Stephan abgetreten hatte.24 Nur der Verzicht der Erzherzogin hatte dem Bräutigam die Peinlichkeit erspart, nicht neben seiner ihm frisch angetrauten 22 Abgebildet bei STOLLBERG-RILINGER, 2017, Farbtafel 3; IBY u. a., 2017, S. 96. 23 KOSCHATZKY, 1980, S. 42. 24 ZEDINGER, 2008, S. 109 ohne Beleg.
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Ehefrau sitzen zu dürfen. Der Druck platziert Franz Stephan hingegen zur Rechten Maria Theresias und zeigt überhaupt eine ganz andere Verteilung der Personen an der Tafel,25 was die Frage nach dem dokumentarischen Charakter solcher Abbildungen aufwirft.26 Allerdings wird diese Sitzordnung durch eine Skizze in den Zeremonialakten bestätigt.27 Danach wäre die Sitzordnung beim Hochzeitsmahl tatsächlich der Geschlechterordnung gefolgt, die den Ehemann auf der besseren, rechten Seite platzierte.
Abb. 2: Skizze mit Sitzordnung beim Hochzeitsmahl Maria Theresias und Franz Stephans 1736. HHStA Wien, ÄZA 37, fol. 17v. Auch in der Folgezeit sollte der niedere Rang des Großherzogs immer wieder zu Problemen führen. Denn die lothringische Dynastie beanspruchte zwar königlichen Rang, Franz Stephan wurde am Wiener Hof auch die Anrede »Königliche Hoheit« gewährt, aber all das konnte doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lothringer eben keine gekrön25 Der Kaiser sitzt zwischen seiner Ehefrau und seiner Mutter (in der Bildbeschreibung ist fälschlicherweise von der »Schwägerin« die Rede), auf der einen Längsseite sitzt das Brautpaar, wobei Franz Stephan zur Rechten Maria Theresias Platz genommen hat, ihnen gegenüber sitzen Maria Anna, die Schwester Maria Theresias, sowie deren Tante Maria Magdalena; KOSCHATZKY, 1980, S. 42f. 26 Diesen spricht Barbara Stollberg-Rilinger jedenfalls dem MeytensGemälde ab; STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 866, Anm. 89. 27 HHStA Wien, ÄZA 37, fol. 17v.
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ten Könige waren. Deshalb verweigerten ihnen die anderen Souveräne mit dem Papst an der Spitze die gerade um 1700 so wichtig gewordenen honores regii, die königlichen Ehren.28 Zu Konflikten kam es beispielsweise stets, wenn der päpstliche Nuntius in Wien und Franz Stephan an einer Veranstaltung teilnehmen wollten, da keiner dem anderen den Vortritt lassen wollte. Ein ums andere Mal wusste deshalb der Oberstkämmerer Khevenhüller in seinem Tagebuch zu berichten, dass entweder Franz Stephan oder der Nuntius einer Veranstaltung fernblieb.29 Deshalb zelebrierte der Nuntius auch nicht mehr die sogenannten Toison-Ämter, also die Messen an den Festtagen des Ordens vom Goldenen Vlies, da er dabei unweigerlich auf Franz Stephan als Großmeister des Ordens treffen musste. Khevenhüller notierte dazu: »Den 1. Novembris ware Toison Ammt in der Hoff Capellen und pflegte vorhin allzeit der Nuncius zu pontificiren, aber wegen des bekanten Coeremonial Disputs mit dem Herzog wird dieser nicht mehr geladen«.30 Statt dessen zelebrierte der Bischof von Erla die Messe, der im Rang so eindeutig unter dem Großherzog stand, dass keine Schwierigkeiten zu befürchten waren. Dieses Problem konnte erst mit der Kaiserwahl gelöst werden, die Franz Stephan im Rang über alle anderen Fürsten erhob. Bis dahin aber stand er im Rang hinter seiner Frau, schon als sie nur Erzherzogin und Kaisertochter war, erst recht, als sie mit dem Tod ihres Vaters Königin von Böhmen und Ungarn wurde. Dass es ein ungewöhnliches Paar war, das am 12. Februar 1736 in der Augustinerkirche in Wien getraut wurde, ließ sich auch am Trauund Wohnort des jungen Paares ablesen. Üblicherweise fand bei Heiraten in den europäischen Königshäusern eine Trauung per procuram, also eine Stellvertreterhochzeit, bei der ein Teil des Brautpaars durch einen nahen Verwandten vertreten wurde, am Heimathof der Braut statt, bevor diese dann zu ihrem Bräutigam und ihrer neuen Familie aufbrach, wo dann die richtige Trauung in Anwesenheit beider Brautleute vollzogen wurde. Bei Maria Theresia und Franz Stephan gab es nur eine Trauung und zwar in der Residenz der Brautfamilie, da der Bräutigam 28 STOLLBERG-RILINGER, 2002. 29 Z. B. KHEVENHÜLLER-METSCH, Bd. 1, 1907, S. 156 (9.6.1743); S. 191 (1.12.1743). 30 EBD., S. 184 (1.11.1743).
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dort bzw. in der Nähe ja schon seit Jahren seinen Lebensmittelpunkt hatte. Um der Schicklichkeit Genüge zu tun, wurde er deshalb in den knapp zwei Wochen zwischen Brautwerbung und Hochzeit aus Wien entfernt und musste sich nach Pressburg zurückziehen. Und sozusagen im Elternhaus der Braut kam das junge Paar dann auch nach der Hochzeit unter. Das war logisch und ungewöhnlich zugleich. Aber wo hätten Maria Theresia und Franz Stephan auch sonst residieren sollen? Sein angestammtes Herzogtum war der Herzog gerade dabei abzutreten, über das ihm in Aussicht gestellte Territorium aber verfügte er noch nicht. Einzig in Pressburg hätte der Statthalter von Ungarn mit seiner Gemahlin Wohnung nehmen können. Aber selbst als Franz Stephan dann ein gutes Jahr später Großherzog von Toskana wurde, wurde eine dauerhafte Übersiedlung nach Florenz nicht erwogen. Die Erbin hatte ihren Platz in Wien, danach musste sich ihr Ehemann richten. Auch wenn im Zeremoniell an der doppelten Fiktion festgehalten wurde, dass in der Hofburg jetzt Maria Theresia als die Gattin des Herzogs von Lothringen, der als souveräner Herrscher angesehen wurde, logierte,31 konnte das sicher niemanden darüber hinwegtäuschen, dass hier die kaiserliche Erbtochter und künftige Herrscherin des Habsburgerreichs mit ihrem Ehemann Quartier bezogen hatte. Franz Stephan hatte in die Familie seiner Frau eingeheiratet, nicht Maria Theresia in seine.
31 STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 43.
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2. Einmal Florenz und zurück: Maria Theresia als Gemahlin des Großherzogs von Toskana
Am 20. Januar 1739 trafen Großherzog Franz Stephan und seine Gemahlin Maria Theresia in Florenz ein, um das Großherzogtum, das Franz Stephan als Ersatz für Lothringen erhalten hatte, feierlich in Besitz zu nehmen. Gut drei Monate später, am 26. April, verließen beide die Stadt und das Großherzogtum wieder, um nie mehr zurückzukehren. In diesem Vierteljahr war Maria Theresia eine normale Fürstin, also die Gattin eines regierenden Fürsten, die als Ehefrau selbstverständlich teil hatte an der Herrschaft ihres Mannes – eine »regierende Fürstin« im Sinne Heide Wunders.1 Ab 1740 sollte Maria Theresia dann eine regierende Fürstin in einem ganz anderen Sinne sein, nämlich souveräne Königin von Ungarn und Böhmen und damit Herrscherin aus eigenem Recht über eine europäische Großmacht. Von nun an war der Fokus ganz auf sie gerichtet, zumal sich die Ereignisse direkt nach ihrem Regierungsantritt geradezu überschlugen. Über die kurze Zeitspanne, in der Maria Theresia die eher traditionelle Rolle der fürstlichen Gemahlin einnahm, liegen vergleichsweise wenige Nachrichten vor. Denn in diesen Wochen und Monaten stand ihr Mann im Mittelpunkt. In der Literatur wird zumeist erörtert, wie der Herrschaftsübergang, der mit einem Dynastiewechsel einherging, organisiert wurde, welche Maßnahmen der neue Landesherr ergriff und auf welches Personal er sich dabei
1
Siehe oben Einleitung S. 12.
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stützte.2 Angesichts dieser Themenschwerpunkte tritt Maria Theresia in den Hintergrund, wie es eben für regierende Fürstinnen üblich war, weshalb die Forschung sie zumeist ignorierte. Mit dem Tod Gian Gastones de’ Medici am 9. Juli 1737 war Franz Stephan Großherzog der Toskana geworden. Schon vorher war der Herrschaftsübergang vorbereitet worden, sodass die ersten Beauftragten des künftigen Großherzogs bereits in Florenz waren, als Gian Gastone starb. Auch die nun folgenden Verhandlungen über die Zukunft der Schwester Gian Gastones und die Regierungsübergabe ließen sich problemlos von den lothringischen Vertrauensleuten Franz Stephans abwickeln. Aber irgendwann sollte der neue Landesherr sein Territorium schon selbst in Besitz nehmen und die Huldigung seiner Untertanen empfangen. Im Sommer 1738 aber war Franz Stephan zunächst einmal im Türkenkrieg beschäftigt. Und da offenbar von vornherein daran gedacht war, dass Maria Theresia ihren Mann begleiten sollte, mussten ihre Schwangerschaften mitberücksichtigt werden.3 Denn Maria Theresia brachte nach ihrer Hochzeit in rascher Folge Kinder zur Welt, allerdings nicht den ersehnten Thronfolger, sondern nur Mädchen: im Februar 1737, im Oktober 1738 und dann wieder im Januar 1740. Zwei Monate nach der zweiten Niederkunft brach das großherzogliche Paar Richtung Toskana auf, selbstverständlich ohne die beiden Töchter. Diese Reise unterstreicht zum einen die bekannte Tatsache, dass Maria Theresia ihrem Körper viel zumutete und keine Schonung kannte. Denn eine solche Reise, zumal mitten im Winter, war nun wahrlich keine vergnügliche Spazierfahrt. Zum anderen wird an einem solchen Detail deutlich, dass Maria Theresia eine ganz normale adlige Mutter war, die ihre Kinder selbstverständlich von Ammen großziehen ließ – und eben nicht die fürsorgliche Mutter der bürgerlichen Familie, zu der sie das 19. Jahrhundert gerne stilisieren wollte. In Florenz hatte man inzwischen alles für den Empfang des neuen Landesherrn vorbereitet. Eine Raumfolge im Palazzo Pitti, der bisherigen Medici-Residenz in Florenz, war hergerichtet worden; sogar einen Triumphbogen hatte man errichtet, wenn auch vorerst nur als Provisorium in Holz, die Ausführung in Stein beanspruchte dann noch einige 2 3
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Eine knappe Zusammenfassung bei ZEDINGER, 2008, S. 147-168. Außerdem CLERCQ, 1976; PANSINI, 1979; WAQUET, 1973. GARMS-CORNIDES, 2009, S. 152-154.
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Jahre. Selbstverständlich wurden auch Medaillen auf das Ereignis geprägt. Abb. 3: Bronzemedaille auf den Einzug Franz Stephans in Florenz 1739. Dorotheum GmbH & CoKG Wien/ Fotostudio Dirk Sonnenwald Hamburg.
Würde man diese offiziellen Medien für Darstellungen der Realität halten, so wäre nur der Landesherr in seine Stadt eingeritten. So zeigen die Medaillen zum Einzug Franz Stephans in Florenz den Großherzog zu Pferd auf den Triumphbogen zureitend.4 Dem entspricht die Darstellung auf dem Triumphbogen selbst. Dort taucht der Großherzog hoch zu Ross gleich drei Mal auf: als Reiterstandbild ganz oben auf dem erhöhten Mittelteil sowie auf einem Pferd vor dem Triumphbogen im Relief über der linken Durchfahrt auf der stadtauswärts gewandten Seite.5 Und im Mittelrelief ist der Sieg über die Türken in der Schlacht von Cornia 1738 dargestellt und damit Franz Stephan zum Türkensieger stilisiert.6 Noch deutlicher ist der Hinweis auf die Siege Franz Stephans gegen die Türken bei dem Reiterstandbild, zu dessen Füßen gefesselte Türken liegen, deren Waffen und Fahnen mit dem Halbmond gekennzeichnet sind.7 Der neue Großherzog wurde also als erfolgreicher Feldherr präsentiert, der sich sogar gegen den gefährlichsten Feind überhaupt, die Türken, durchgesetzt hatte. In einem solchen Bildprogramm war für die 4 5 6 7
KLEIN, 1988, S. 284, Abb. 31 und 32. Vgl. Schau- und Denkmünzen 1782/1970, Nr. VIII-X. KLEIN, 1988, S. 255, Abb. 1; das Relief im Detail S. 266, Abb. 12. Das Relief selbst gibt zwar keinen Hinweis darauf, welche Schlacht hier dargestellt wird, die Zuordnung zu eben dieser Schlacht kann aber der schriftlichen Überlieferung entnommen werden; EBD., S. 260. EBD., S. 264.
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Gemahlin des Fürsten kein Platz. Allein das Allianzwappen über der mittleren Durchfahrt zeigt neben dem lothringischen Wappen den österreichischen Bindenschild – der einzige Hinweis auf die habsburgische Verbindung. Interessant ist nun, dass auf einer Projektskizze, die der mit dem Bau des Triumphbogens beauftragte lothringische Architekt, JeanNicolas Jadot, angefertigt hatte, als Relief nicht Franz Stephan auf dem Pferd, sondern ein Paar in einer Kutsche beim Einzug vor der Triumphpforte vorgesehen war, also eine Darstellung, die dem tatsächlichen Ablauf entsprach.8 Letztlich aber wurde der Darstellung des Reiters der Vorzug gegeben, also der idealen Form des Herrschereinzugs, wie er Franz Stephan zugestanden hätte.9 Damit wählte man nicht nur den triumphaleren Gestus, sondern umging gleichzeitig eine Schwierigkeit, der man bei der Ausgestaltung der Feierlichkeiten selbst nicht ausweichen konnte, nämlich die Frage nach der Rangfolge von Franz Stephan und Maria Theresia und damit nach deren Platzierung. Gebührte Franz Stephan als dem Landesherrn die bessere, rechte Seite oder musste er auch hier, in seinem eigenen Territorium, hinter seiner Gemahlin, der Erzherzogin, zurücktreten und mit der linken Seite vorliebnehmen?10 Den Zeitgenossen war dieses zeremonielle Zeichensystem wohl vertraut, und dementsprechend sorgfältig beobachteten sie die räumliche Anordnung. So begnügte sich der französische Gesandte in Florenz, Graf Lorenzi, nicht damit, einfach den Bericht des luccesischen Gesandten über den Einzug des Großherzogs nach Paris zu schicken11 und ihn dahingehend zu kommentieren, dass die Beschreibung durchaus zutreffend, aber stark übertrieben sei. Lorenzi fügte vielmehr noch folgende Information hinzu: »Ce Prince [= Franz Stephan, B.B.] avoit commencé, lorsqui’il paroissoit en public, à prendre la droite sur Madame la Grande Duchesse, mais il n’a pas continué à cause que Mr le comte d’Herbestein, Grand Chambellan de cette Princesse, a représenté
8 EBD., S. 262, Abb. 8. 9 GARMS-CORNIDES, 2009, S. 161. 10 Die Skizze Jadots lässt aufgrund ihres Skizzencharakters keine Identifizierung der beiden Personen in der Kutsche zu, sodass nicht zu klären ist, wer auf welcher Seite sitzt. 11 Der Bericht gedr. in CLERCQ, 1976, S. 170-184.
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que cela ne convenoit point par rapport à sa qualité d’Archiduchesse.«12 Franz Stephan hatte also versucht, in der Öffentlichkeit – und nur darüber konnte der Gesandte berichten – eine gegenüber seiner Frau hervorgehobene Stellung durchzusetzen, war aber vom Oberstkämmerer Maria Theresias sofort zurechtgewiesen worden, dass dies nicht mit dem Status Maria Theresias als Erzherzogin vereinbar sei. Leider überliefert der Bericht nicht, wie der Streit ausging. Immerhin berichtete der Gesandte unter dem Datum des 7. März noch einmal über diese Frage, dass nämlich der Großherzog erneut begonnen habe, die rechte Seite einzunehmen und zwar sowohl in der Kutsche als auch in der Kirche oder an der Tafel.13 Über solche Differenzen verlautet in dem gedruckten Bericht freilich nichts. Nur an einer Stelle wird auf die exakte Position der beiden Eheleute zueinander eingegangen. Bei der Schilderung des Gottesdienstes im Dom zu Siena wird ausdrücklich erwähnt, dass Maria Theresia sich zur Linken Franz Stephans befunden habe.14 Damit hätte sich Franz Stephan in diesem Punkt tatsächlich durchgesetzt. Auch in der Korrespondenz des Kardinalnepoten Neri Corsini mit dem Nuntius in Wien werden diese Platzierungsfragen thematisiert. Danach hätte Maria Theresia unterwegs in der Kutsche den besseren Platz eingenommen, für den Einzug in Florenz und die ersten offiziellen Ausfahrten dort hätten Maria Theresia und Franz Stephan dann die Plätze getauscht15 – alles andere wäre eine allzu deutliche Brüskierung des Großherzogs gewesen, die auch nicht im kaiserlichen Interesse sein konnte. Bei anderen Gelegenheiten lässt sich freilich beobachten, wie sehr die österreichischen Minister stets darauf Wert legten, dass der besondere Status der Erzherzogin beachtet wurde. So wurden die Credenzschreiben des Abgesandten von Lucca beanstandet, weil in beiden Schreiben die Anrede nicht korrekt gewesen sei, vor allem aber in dem Schreiben an Maria Theresia der Erzherzoginnentitel fehlte. Der Gesandte wurde zwar vorgelassen, musste aber ein neues Beglaubigungsschreiben nachreichen. Freilich fiel auch die zweite Version nicht ganz zur Zufriedenheit des Oberstkämmerers aus. Zwar enthielt das Schrei12 13 14 15
EBD., S. 61. EBD., S. 65. EBD., S. 182; GARMS-CORNIDES, 2009, S. 164, Anm. 67. EBD., S. 164.
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ben jetzt den Erzherzoginnentitel, aber der Titel »Osservatissimo«, der sowohl für Franz Stephan als auch für Maria Theresia verwendet wurde, sei, so Herberstein, viel zu niedrig für eine Fürstin solcher Qualität, die so viele Kronen trage, dass sie ihr fast vom Kopf fielen.16 Die Nachrichten über diese zeremoniellen Differenzen verdanken wir dem Bericht des luccesischen Gesandten an den Rat der Stadt. Der Gesandte referiert auch die Position Herbersteins und deutet mit dem letzten Halbsatz, den der Oberstkämmerer so sicher nicht gesagt hat, sein leises Unverständnis für diese Pingeligkeiten des Wiener Zeremonienhüters an. Allerdings blieb ihm gar nichts anderes übrig, als der Aufforderung nachzukommen und nach seiner Rückkehr nach Lucca eine dritte Ausfertigung zu veranlassen.17 Unübersehbar ist das Bemühen der österreichischen Minister, den Status Maria Theresias, der ihr aufgrund ihrer Herkunft gebührte, zu berücksichtigen. Aus Wiener Sicht galt es die Erzherzogin zu repräsentieren und nicht die Gemahlin des Großherzogs. Auch bei der Audienz für die Gesandten wurden die kleinen Unterschiede beachtet und registriert. So blieb die Delegation Luccas bei der Audienz bei Maria Theresia – anders als zuvor bei Franz Stephan – in der Antecamera, weil die Erzherzogin ein höheres Zeremoniell als ihr Ehemann habe, wie der Gesandte in seinem Bericht erläuterte.18 Dass Maria Theresia Gesandte in Audienz empfing, gehörte zu ihren selbstverständlichen Aufgaben als herrscherliche Gemahlin. Substantielle politische Fragen dürften bei diesen Anlässen eher nicht besprochen worden sein. Immerhin äußerte Maria Theresia gegenüber dem Gesandten Luccas den Wunsch, Lucca zu besuchen, was Franz Stephan beim Empfang des Gesandten mit dem Hinweis auf Zeitmangel abgelehnt hatte. So leicht gab sich der Gesandte allerdings nicht geschlagen, sondern er versuchte es nochmals beim abendlichen Salon im Palazzo Pitti, wo er, wie er schreibt, nicht als Gesandter, sondern als Adeliger erschien, der auf diese Weise sein Zutrittsrecht demonstrierte. In der Zwischenzeit hatte Maria Theresia mit ihrem Gemahl über ihren Wunsch, Lucca zu besuchen, gesprochen – ein Hinweis darauf, dass die beiden sich über ihre jeweiligen Audienzen austauschten. Franz Stephan kam dem Wunsch Maria Theresias insofern entgegen, als er vorschlug, die 16 CLERCQ, 1976, S. 178. 17 EBD., S. 63. 18 EBD., S. 176.
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Stadt incognito zu besuchen, worauf sich der Gesandte aber nicht einlassen wollte.19 Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Frage um eine Marginalie, die aber dennoch deutlich macht, dass Maria Theresia durchaus als Gesprächspartnerin ernst genommen wurde, und zwar sowohl von ihrem Mann als auch von den Gesandten. Größere Aktivitäten, wie sie für den Handlungsspielraum einer Fürstin typisch sind, wie z. B. die Verantwortung für den Hofstaat, den Aufbau und die Pflege von Netzwerken oder karitative Tätigkeiten, konnte Maria Theresia in diesen wenigen Wochen und angesichts der speziellen Situation als neue Landesmutter direkt nach einem Dynastiewechsel sicher nicht entfalten. Die Zeit war zu kurz, um eine Praxis herauszubilden, die erkennen ließe, wie die Handlungsspielräume des Großherzogs Franz Stephan und seiner Gemahlin ausgestaltet worden wären. Dennoch lässt sich wenigstens ansatzweise beobachten, dass die traditionellen Mechanismen auch in diesem Fall griffen. Wenn die Barfüßigen Karmeliter in Florenz sich – wenn auch vergeblich – mit einer Bittschrift an Maria Theresia wandten und sie um Unterstützung für die Renovierung ihres verfallenen Klosters baten, so suchten sie ganz traditionell die Fürsprache der Gemahlin des Herrschers in Anspruch zu nehmen.20 Dem traditionellen Aufgabenbereich einer fürstlichen Gemahlin entsprach auch die Pflege des Kontakts zu anderen Fürstinnen, in diesem Fall zu Anna Maria Luisa de’ Medici, der Schwester des verstorbenen Großherzogs, die seit dem Tod ihres Mannes, des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz, wieder in Florenz residierte. Wenn Maria Theresia Anna Maria bat, die Patenschaft für ihre Tochter Maria Anna zu übernehmen und wenn die letzte Medici-Fürstin der jungen Großherzogin mit ihren Juwelen aushalf,21 dann kamen damit typische Elemente eines Fürstinnen-Netzwerks zum Tragen. Die Fürstinnen erwiesen sich gegenseitig kleinere und größere Gefälligkeiten, um miteinander in Kontakt zu treten und zu bleiben und die Verbindungen zwischen ihren Familien zu pflegen.
19 EBD., S. 63. 20 STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 57. 21 KÜHN-STEINHAUSEN, 1967, S. 188f. Ich danke Cathérine LudwigOckenfels für diesen Hinweis.
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In der Außendarstellung konnte die traditionelle Rollenverteilung aber nur in der Toskana selbst zum Tragen kommen, auch wenn Maria Theresia selbstverständlich bis zum Tod ihres Vaters im Oktober 1740 de jure regierende Fürstin in dem oben beschriebenen Sinne an der Seite ihres Ehemanns, des Großherzogs, war. Nach der Rückkehr des Paares nach Wien im Frühsommer 1739 spielte das aber keine Rolle mehr. Denn in Wien war Maria Theresia die Erbin und Franz Stephan ihr Gemahl.
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3. Die Regierungsübernahme Maria Theresias: rechtliche Regelung und praktische Ausgestaltung der Mitregentschaft Franz Stephans
Am 20. Oktober 1740 starb Kaiser Karl VI. Am 21. Oktober leitete Maria Theresia die Sitzung der Geheimen Konferenz. Das Konferenzprotokoll, das wie immer in der linken oberen Ecke die Teilnehmer der Sitzung aufzählt, verzeichnet an dieser Stelle: »Coram augustissima Regina et serenissimo duce Lotharingiae«, vermerkt also, dass die Sitzung in Anwesenheit der erhabensten Königin und des durchlauchtigsten Herzogs von Lothringen abgehalten wurde.1 Darauf folgen die Namen der übrigen Teilnehmer; anschließend werden wie immer die verschiedenen Beratungspunkte knapp aufgeführt mit den Voten der einzelnen Teilnehmer. Mit keinem Wort wird also der besonderen Situation gedacht, der Tod des Kaisers und die Regierungsübernahme seiner Tochter werden an keiner Stelle erwähnt. Das Protokoll vermittelt vielmehr den Eindruck geschäftsmäßiger Routine, von business as usual. Dabei war die Situation alles andere als gewöhnlich. Was hier vor sich ging, war vollkommen neu und jedenfalls für die Wiener Verhältnisse ohne jedes Vorbild. Erstmals nahm eine Frau an der Geheimen Konferenz teil, ja: sie nahm nicht nur teil, sie saß der Sitzung vor. Die dreiundzwanzigjährige Königin präsidierte einer Versammlung von Männern, die allesamt mehr als doppelt so alt 1
Konferenzprotokoll vom 21.10.1740; HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 50, Konferenzprotokolle und Referate 1740 IX-XII, fol. 126r.
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waren wie sie selbst und die der Konferenz teilweise seit Jahrzehnten angehörten.2 Das Signal, das Maria Theresia damit gleich am allerersten Tag ihrer Regierung aussandte, war deutlich: Die Erbin wollte regieren und die Herrschaft nicht ihrem Mann überlassen,3 wie sich das ihr Vater wohl vorgestellt hatte.4 Und noch ein zweites Signal ging von dieser Sitzung aus: Denn Maria Theresia war nicht allein gekommen, sondern sie wurde von ihrem Mann begleitet, der an zweiter Stelle unter den Teilnehmern verzeichnet ist. Franz Stephans Anwesenheit war an sich weit weniger ungewöhnlich als die seiner Frau. Denn auch in den Monaten und Jahren zuvor taucht sein Name häufig als Teilnehmer der Konferenz auf. Aber obwohl die dürren Notizen der Protokolle dazu nichts andeuten, ist doch offensichtlich, dass sich seine Rolle schlagartig geändert hatte. Er nahm nicht mehr wie bisher als Kronprinz an der Konferenz teil, der in die Regierungsgeschäfte eingeführt werden sollte,5 sondern als Ehemann der Landesherrin. Was das genau bedeu2 3
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Johann Christoph Bartenstein war mit 51 Jahren mit Abstand der jüngste, der Hofkammerpräsident Gundacker von Starhemberg mit knapp 77 Jahren der älteste Teilnehmer. Arneth schildert die Szene jener Konferenz vom 21. Oktober zwar anschaulich, thematisiert aber explizit nur den Altersunterschied zwischen den »durch Alter und körperliche Gebrechlichkeit« gebeugten Männern und »dem in jugendlicher Frische und Schönheit strahlenden Herrscherpaare« (ARNETH, Bd. 1, 1863b, S. 90f.), ohne auf die Tatsache einzugehen, dass hier eine Frau einer Versammlung von Männern vorsaß. Für die Vermutung, dass Karl VI. davon ausging, dass Franz Stephan zumindest zu großen Teilen die Regierung übernehmen würde, spricht nicht nur die Tatsache, dass der Kaiser seine Tochter nicht in die Regierungsgeschäfte einführte, seinen Schwiegersohn hingegen an den Sitzungen der Geheimen Konferenz teilnehmen ließ. Ausdrücklich formuliert worden war diese Annahme in einem Vertrag zwischen Karl VI. und Franz Stephan vom 4. Mai 1736 über die Übertragung der Statthalterschaft in den Niederlanden an Franz Stephan. Diese Statthalterschaft sollte mit dem Tod Karls VI. enden, weil Franz Stephan dann »an deren Regierung seu uxorio seu paterno nomine theil haben« werde; Project der geheimen Convention zwischen Karl VI. und Franz Stephan (HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 46, Konferenzprotokolle und Referate 1737 VI, fol. 20r-26v, hier fol. 26r; die Stelle auch zitiert bei REINÖHL, 1929, S. 651, Anm. 3). Ganz offensichtlich konnte Karl VI. es sich gar nicht anders vorstellen, als dass sein Schwiegersohn als Ehemann oder Vater an der Regierung teilhaben würde, wobei er wohl von einer dominierenden Teilhabe ausging. Nach den Angaben von Renate Zedinger nahm Franz Stephan seit 1732 an den Sitzungen der Geheimen Konferenz teil; ZEDINGER, 2008, S. 81. In den
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ten sollte, war zwar einstweilen noch unklar, aber von dieser Konferenz ging doch eine unmissverständliche Botschaft aus: Eine junge Frau und ihr Ehemann übernahmen die Regierung – deutlicher als mit dieser doppelten Anwesenheit konnte man nicht zum Ausdruck bringen, dass künftig ein Arbeitspaar die Länder der Habsburgermonarchie regieren sollte.6 In den folgenden Wochen und Monaten nahmen entweder Maria Theresia und Franz Stephan gemeinsam an der Konferenz teil oder nur Franz Stephan.7 Dass Maria Theresia allein die Konferenz leitete, kam
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Konferenzprotokollen (HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge) wird Franz Stephan als Sitzungsteilnehmer jedoch erstmals im Dezember 1737 genannt; HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 48, Konferenzprotokolle und Referate 1737 X-XII, fol. 163r-164r (31.12.1737). Ab diesem Zeitpunkt nahm er den Protokollen zufolge regelmäßig an den Sitzungen teil (HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 47-49, passim), gelegentlich – besonders, wenn es um militärische Fragen ging – sind auch Stellungnahmen Franz Stephans überliefert; HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 48, Konferenzprotokolle und Referate 1739 IX-X, fol. 24r (9.9.1739); 50v (17.9.1739), 52v (23.9.1739), 170v (31.10.1739). Verschiedentlich wird auch explizit erwähnt, dass Franz Stephan die Sitzung leitete, so z. B. am 24. November 1739 (HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 49, Konferenzprotokolle und Referate 1739 XI-XII, Bartenstein an Karl VI., Wien, 27.11.1739, fol. 31r33v, hier fol. 31r), für andere Termine kann man von einer Sitzungsleitung Franz Stephans ausgehen, wenn er als erster und ranghöchster Teilnehmer genannt wird; HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 47-49, passim. Für diese Jahre sind anders als für die Zeit ab 1741 keine eigenhändigen Notizen Franz Stephans über die Sitzungen der Geheimen Konferenz erhalten. Dies könnte darauf hindeuten, dass Franz Stephan sich bis 1740 in der Tat mehr als Zuhörer verstand, während seine gewandelte Rolle und gestiegene Bedeutung nach der Regierungsübernahme Maria Theresias ihn dazu veranlasste, sich eigene Notizen zu machen und auch festzuhalten, welche Aufgaben er selbst übernommen hatte. Allerdings ist angesichts der bekannten Tatsache, dass viele der Franz Stephan betreffenden Archivalien nicht erhalten sind, eine gewisse Zurückhaltung bei diesem argumentum ex silentio geboten. Denselben Eindruck vermittelt der Bericht Ferdinand Bonaventura Graf Harrachs an seinen Bruder Friedrich August vom 20. Oktober 1740 über den Empfang der Konferenzminister durch Maria Theresia auf der Favorita wenige Stunden nach dem Tod ihres Vaters. Auch bei dieser Gelegenheit befand sich Franz Stephan zur Linken Maria Theresias. Der Brief zitiert bei BADINTER, 2016, S. 76. Siehe jeweils die Aufzählung der Konferenzteilnehmer in den Protokollen in HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 50.
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hingegen nur selten vor.8 Gerade an den wichtigen Sitzungen, so z. B. im Dezember 1740, als die Nachrichten vom preußischen Einmarsch in Schlesien eintrafen und besprochen wurden, oder im Frühsommer 1741, als die Maßnahmen in Reaktion auf den Ausbruch des Kampfs um die österreichische Erbfolge festgelegt wurden, nahm das Königspaar gemeinsam teil.9 Diese gemeinsame Sitzungsteilnahme sieht auf den ersten Blick aus wie die praktische Umsetzung der Mitregentschaft Franz Stephans. Denn am 21. November 1740 hatte Maria Theresia ihren Mann offiziell zum Mitregenten ernannt. In einer feierlichen Urkunde erklärte Maria Theresia, dass sie erkannt habe, da »von wegen Unsers Geschlechts die Wohlfarth, Ruhe und Sicherheit Unserer getreuesten Erb=Königreiche und Länder in mehreren Vorfallenheiten erheischen dürfte, daß Uns die Schwehre jeder Regierung anklebender Last, durch eine vertraute Mit=Obsorge und Beyhülfe erleichtert werde«, sodass sie beschlossen habe, deshalb »Unsers geliebtesten Gemahls, des Herzogs von Lothringen und Bar, Groß=Hertzogens von Toscana Liebden, wie Ihro hierunter Dero hohe Geburt, grosse Dienste, und mit Uns glücklich getroffene Vermählung, das Wort ohne das sprechen, die Mit= Regierung gesammt Unserer Erb=Königreiche und Länder auf[zu]= und übertragen.«10 Setzte Maria Theresia also hier das Rollenmodell um, das sich ihr Vater vorgestellt hatte? Es klingt ganz so: Wegen ihres Geschlechts, d. h. weil sie eine Frau war, sei es für das Wohl des Landes notwendig, dass sie in der Last der Regierung von ihrem Mann unterstützt werde. Und so hat es Fritz Reinöhl, der lange Zeit der einzige war, der sich näher mit der Übertragung der Mitregentschaft befasst hat, wohl auch verstanden, wenn er davon schreibt, dass »im Unterbewußt-
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So am 18. November 1740, als die Details der Ausgestaltung der Mitregentschaft verhandelt wurden; HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 50, Konferenzprotokolle und Referate 1740 IX-XII, fol. 136r-136ar. 9 Eine Ausnahme bildete die zweite Märzhälfte 1741, als Maria Theresia nach der am 13. März erfolgten Geburt Erzherzog Josephs den Sitzungen fernblieb und erst am 12. April wieder an der Konferenz teilnahm. 10 Urkunde vom 21. November 1740, gedr. in Europäische Staats-Cantzley, 1741, S. 707f. Diese Passage auch in der ansonsten knappen Bekanntmachung gedr. in Supplementum codicis Austriaci, 1777, S. 7f. In der Urkunde wie in der Publikation findet sich auch die Formel »uxorio & paterno nomine« aus dem Vertrag von 1736.
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sein das natürliche Anlehnungsbedürfnis der Frau eine gewisse Rolle gespielt« haben dürfte.11 Gegen dieses Verständnis spricht aber nicht nur die gesamte Regierungspraxis Maria Theresias, dagegen sprechen auch der Wortlaut und der Tenor der Gesamturkunde und anderer in diesem Zusammenhang entstandener Urkunden. Denn in der Urkunde ist an keiner Stelle von einer Übertragung konkreter Herrschaftsrechte an Franz Stephan die Rede, nirgends wird auch nur angedeutet, wie die Aufgabenverteilung zwischen Maria Theresia und ihrem Mann künftig aussehen könnte. Es heißt nur ganz lapidar, dass Maria Theresia ihrem Gemahl »die Mit=Regierung gesammt Unserer Erb=Königreiche und Länder auf= und übertrage[n]«.12 Die Übertragung wird nicht eigentlich begründet, es wird lediglich auf die hohe Geburt Franz Stephans, seine Verdienste und seine Eheschließung mit Maria Theresia verwiesen. Der oben zitierte Hinweis auf ihr Geschlecht wird streng genommen als »Erwägung« bezeichnet und im eigentlichen Übertragungsakt nicht wiederholt.13 Im Mittelpunkt der Urkunde steht also nicht die Ausgestaltung der Mitregentschaft. Was sich stattdessen wie ein roter Faden durch den Text zieht, ist die Beteuerung, dass die Mitregentschaft nicht gegen die Pragmatische Sanktion verstoße. Das heißt, Maria Theresia trat nicht einen wie auch immer gearteten Teil ihres Erbes an Franz Stephan ab – eine solche Abtretung wäre nämlich nicht mit dem Unteilbarkeitsgebot der Pragmatischen Sanktion vereinbar gewesen.14 Denn in der damaligen Situation, unmittelbar nach dem Tod Karls VI., galt es auch nur den leisesten Verdacht eines solchen Verstoßes zu vermeiden. Wenn nämlich Maria Theresia selbst die Erbfolgeordnung ihres Vaters missachtet 11 REINÖHL, 1929, S. 661. 12 Europäische Staats-Cantzley, 1741, S. 708. 13 Badinter misst dem Hinweis Maria Theresias auf ihr Geschlecht größere praktische Relevanz zu, indem sie anführt, dass Maria Theresia als Frau ihre Truppen nicht selbst ins Feld führen konnte und dass infolge von Schwangerschaft und Kindbett mit wiederkehrenden Ausfallzeiten der Königin zu rechnen war – dafür sollte mit der Mitregentschaft vorgesorgt werden. Allerdings macht auch Badinter deutlich, dass die Formel der Mitregentschaft bedeutete, »qu’il est le premier après elle«; BADINTER, 2016, S. 79-81, Zitat auf S. 81, Hervorhebung im Original. 14 Zur Pragmatischen Sanktion vgl. BRAUNEDER, 1994, S. 85-115; SCHULZE, 1982. Als Textgrundlage nach wie vor: TURBA, 1913.
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hätte, hätte sie damit ihren präsumtiven Gegnern in die Hände gespielt. Zumindest Bayern hatte ja die Pragmatische Sanktion nie anerkannt, auch die sächsische Haltung war durchaus zweifelhaft – von dieser Seite war also mit Versuchen zu rechnen, wenigstens Teile des österreichischen Erbes zu beanspruchen. Das sollte auf alle Fälle vermieden werden, und deshalb war die Argumentation der Urkunde darauf ausgerichtet zu betonen, dass die Mitregentschaft der Pragmatischen Sanktion nicht widersprach, ja: dass die Pragmatische Sanktion unter allen Umständen Gültigkeit hatte.15 Im Protokoll der Konferenzsitzung vom 18. November 1740, in der Maria Theresia mit den Ministern über den Text der Übertragungsurkunde beriet, sind die Befürchtungen der Minister und ihre Vorsicht geradezu mit Händen zu greifen. Sie äußerten keine grundsätzliche Ablehnung, rieten aber zu äußerster Vorsicht. Am deutlichsten artikulierte Hofkanzler Philipp Ludwig Graf Sinzendorf seine Bedenken: »die intention für den herzogen wäre lobwürdig. Müße aber gesehen werden, nicht mehr zu schaden als zu nützen, absonderlich aber denen übelgesinnten keinen anlaß zu geben umb von denen zeiten suchen zu profitiren.« Und er fuhr fort: »die wörter von mit Regenten helfeten nichts und köndten schaden«. Diese Befürchtungen suchte Starhemberg mit den Worten »der act der übertragung wäre mit aller vorsichtigkeit gefaßt« auszuräumen. Dazu gehörte für ihn auch, dass die Huldigung allein gegenüber Maria Theresia erfolgen sollte, womit eben deutlich gemacht wurde, dass sie allein die Landesherrin war.16 Welchem Zweck diente die Urkunde aber dann, wenn nicht dem Anliegen, Franz Stephan einen Teil der Regierungsverantwortung zu übertragen und ihm gewisse Aufgaben zuzuweisen? Darüber gibt die Urkunde selbst keine Auskunft, wohl aber die Beratungen im Vorfeld. Und aus diesen geht ganz klar hervor, dass die Mitregentschaft dazu beitragen sollte, die Chancen Franz Stephans auf eine Wahl zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs zu vergrößern. So wurden in der Instruktion, die Rudolf Graf Colloredo Anfang November 1740 erhielt, um bei den rheinischen Kurfürsten und einigen Reichskreisen für eine 15 Dies betont auch BEALES, 1997, S. 486. 16 Konferenzprotokoll vom 18.11.1740; HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 50, Konferenzprotokolle und Referate 1740 IX-XII, fol. 136r-136ar, hier fol. 136r-v.
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Wahl Franz Stephans zu werben, die Argumente aufgezählt, die der Gesandte zugunsten des Herzogs vorbringen sollte. Die Instruktion ging auch auf den möglichen Einwand ein, Franz Stephan verfüge nicht über genügend Macht, um das kaiserliche Amt ausüben zu können. Dagegen wurde geltend gemacht, dass Maria Theresia ihn in die Regierung der Erblande aufnehmen könne, ja: dass es geradezu natürlich sei, dass er der Regierung »uxorio nomine« vorstehe.17 In den weiteren Beratungen wurde dann wiederholt betont, wie dringend notwendig es sei hervorzuheben, dass eine solche Übertragung nicht gegen die Pragmatische Sanktion verstoße.18 Die Mitregentschaft in den Erblanden sollte also das Argument entkräften, Franz Stephan verfüge nicht über die für das kaiserliche Amt notwendige Hausmacht. Durch die Mitregentschaft sollte er die Erblande als Hausmacht vorweisen können, ohne freilich Landesherr der Erblande zu sein. Unmissverständlich lautete deshalb das Conclusum am Ende des Protokolls der Konferenzsitzung vom 20. November 1740, auf der letzte Details beratschlagt wurden: »I.M. wollen alles für ihren Gemahl thun. Beschehe wegen der Kayserwahl.«19 Dass dies der alleinige Zweck der Mitregentschaft war, bestätigte Johann Christoph Freiherr von Bartenstein noch einmal im Rückblick 1765, als Joseph die Mitregentschaft übertragen werden sollte. Bei dieser Gelegenheit formulierte er in aller Deutlichkeit: »Franciscus primus wurde als Hertzog von Lothringen und Baar zum Mitregenten ernennt, um Ihme den Weg zur Erlangung der römischen Königswürde zu erleichtern.«20 Die Urkunde vom 21. November 1740 fixierte mithin keineswegs die in den vergangenen Wochen deutlich gewordene Beteiligung Franz Stephans an der Regierung, es ging also nicht um die rechtliche Konstituierung eines Arbeitspaares, sondern um die Wählbarkeit Franz Stephans zum Kaiser.21 17 Instruktion für Rudolf Graf Colloredo zu den rheinischen Kurfürsten, Wien, 6.11.1740 (Konzept Bartensteins); HHStA Wien, Staatskanzlei, Instruktionen 3, Colloredo, fol. 20r-42v, betr. Kaiserwahl Franz Stephans fol. 34r-42r, referiert bei REINÖHL, 1929, S. 652. 18 EBD., S. 653. 19 Konferenzprotokoll vom 20.11.1740; HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 50, Konferenzprotokolle und Referate 1740 IX-XII, fol. 140r. 20 Zitiert nach REINÖHL, 1929, S. 653. 21 So auch STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 75. Badinter scheint hingegen davon auszugehen, dass die Mitregentschaft tatsächlich die Beteiligung Franz
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Damit aber stellt sich geradezu zwangsläufig die Frage, warum auch Joseph zum Mitregenten ernannt worden ist. Denn um seine Wählbarkeit musste man sich in Wien im Jahre 1765 ja nicht mehr sorgen, er war bereits 1764 zum Römischen König gewählt worden und folgte seinem Vater nach dessen Tod 1765 automatisch im Kaiseramt nach. Ansonsten aber war er durchaus in einer ähnlichen Lage wie einst Franz Stephan: Auch er war ein Kaiser ohne Hausmacht. Franz Stephan hatte immerhin auf sein Großherzogtum Toskana verweisen können, das aus der Reichsperspektive zwar vollkommen an der Peripherie lag und dessen Ressourcen auch kaum für Reichsbelange eingesetzt werden konnten. Joseph aber besaß nur die winzige Grafschaft Falkenstein22 in der Pfalz, die vor allem dadurch einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hat, dass Joseph sich bei seinen zahlreichen Reisen des Incognitos eines Grafen von Falkenstein bediente. Zwar besaß Joseph als Graf von Falkenstein die Reichsstandschaft, aber ein Territorium von 6,5 km2 mit knapp 8.000 Einwohnern23 stellte nun sicherlich keine angemessene Hausmacht für einen Kaiser dar. Selbstverständlich war er der künftige Erbe aller habsburgischen Erblande, aber zu dem Zeitpunkt, als Joseph Kaiser wurde, regierte dort seine Mutter als Landesherrin, Joseph war also sogar noch mehr als sein Vater ein Kaiser ohne Land. Und diesem Zustand sollte abgeholfen werden, indem nun eben auch Joseph zum Mitregenten ernannt wurde. Da also der Zweck der Mitregentschaft im Wesentlichen gleich geblieben war, mussten auch keine neuen Bestimmungen über die Ausgestaltung der Mitregentschaft aufgesetzt werden. Ausdrücklich hieß es in der Urkunde vom 17. September 1765, dass Maria Theresia beschlossen habe, Joseph die Mitregentschaft »auf die nemliche Art und Weise aufzutragen, wie Wir Unsers in Gott höchstStephans an der Regierung festschreiben sollte. Detailliert schildert sie demzufolge, wie Franz Stephan aus der Regierung gedrängt wurde und bezeichnet die Mitregentschaft deshalb als »Mythos«; BADINTER, 2016, passim, v. a. S. 153, 200. 22 Falkenstein war 1667 an Lothringen verkauft worden und verblieb auch nach der Abtretung der Stammlande an Frankreich 1736 beim lothringischen Herzogshaus; Joseph erbte Falkenstein also von seinem Vater. Auf das Großherzogtum Toskana hatte er hingegen zugunsten seines Bruders Leopold verzichten müssen; das Herzogtum Teschen wiederum war als Versorgung für seine Schwester Marie Christine und ihren zukünftigen Ehemann Albert von Sachsen vorgesehen. 23 OBERDORFFER, 1959, S. 540.
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seeligen Gemahls kays. Maytt. kraft eingangs erwehnten ÜbertragungsAct de dato 21. November 1740 zu Unsrem Mitregenten feyerlichst erkläret haben.«24 In der Narratio der Urkunde wurde wie 1740 angeführt, dass Maria Theresia der Hilfe bedürfe. Von dieser Hilfe in Form der Mitregierung durch ihren Mann hätten sie und das Land in der Vergangenheit profitiert, sodass sie sich jetzt, »nachdem […] die schwere Last der Regierung […] welche wir […] mit Unsers höchstseeligen Gemahls kay. Maytt. zur allgemeinen Wohlfarth und Unserer Erleichterung so glücklich getheilet haben, wiederum ganz auf Uns zurückgefallen«,25 diese Hilfe von niemandem mehr als von ihrem Sohn erwarten könne. Erneut rekurriert also die Einleitung auf die Schwäche Maria Theresias, ohne dass diese Form der Mitregierung im Folgenden näher erläutert würde. Stattdessen wurde wie 1740 betont, dass die Regelung nicht gegen die Pragmatische Sanktion verstoße und dass diese Mitregierung erfolge »ohne jedoch von der eigenthümlichen Beherrschung Unserer beständig beysammen zu verbleiben habender Staaten ganz oder zum Theil etwas zu vergeben«.26 Die Urkunden über die Übertragung der Mitregentschaft geben also weder 1740 noch 1765 Auskunft über die tatsächliche Regierungsbeteiligung des Mitregenten. Und eine solche grundsätzliche Regelung, etwa im Sinne eines modernen Geschäftsverteilungsplans, erfolgte auch in der Folgezeit nicht. Auskunft über die tatsächliche Aufgabenverteilung kann also nur eine Analyse der Regierungspraxis geben. Diese Regierungspraxis war zunächst einmal ganz grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, dass Maria Theresia und Franz Stephan nur äußerst selten für längere Zeit getrennt waren. Fast immer hielten sie sich am gleichen Ort auf, zumeist natürlich in Wien, aber auch auf Schlössern in der näheren Umgebung. Wenn Maria Theresia größere Reisen unternahm, wurde sie von ihrem Mann begleitet, so beispielsweise 1743 zur Krönung nach Prag oder auch 1765 zur Hochzeit Leopolds nach Innsbruck. Solche Reisen bildeten aber seltene Ausnahmen, normalerweise pflegte Maria Theresia eine für eine Herrscherin ihrer Zeit doch recht ungewöhnliche stabilitas loci. Sie liebte das Reisen nicht, sie reis24 HHStA Wien, Familienurkunde Nr. 2013, die Erklärung Josephs über die Annahme der Regentschaft Nr. 2014; gedr. in KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 394f., das Zitat auf S. 395. 25 EBD., S. 394. 26 EBD., S. 395.
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te, weil und wenn es notwendig war, nicht aus Vergnügen – auch deshalb brachte sie später so wenig Verständnis für die zahlreichen Reisen ihres Sohnes Joseph auf. Franz Stephan wiederum war nur wenige Male für längere Zeit von Wien abwesend, zuerst während des Österreichischen Erbfolgekrieges, als er im November/Dezember 1741 und dann erneut im Sommer 1742 bei der Armee im Feldlager weilte. 1745 brach er dann am 28. Juni von Wien zur Kaiserwahl nach Frankfurt auf und war deshalb fast drei Monate von Maria Theresia getrennt, die ihm Mitte September nachreiste. Erst knapp 20 Jahre später unternahm er seine nächste große Reise, und zwar 1764 erneut nach Frankfurt zur Königskrönung Josephs. Ansonsten fuhr Franz Stephan zwar immer wieder auf seine Güter oder begab sich auf die Jagd, aber dabei handelte es sich nur um kurze Aufenthalte von wenigen Tagen bis zu höchstens zwei Wochen. Dass Maria Theresia und Franz Stephan also nur selten länger getrennt waren, hatte zur Folge, dass kaum Korrespondenz zwischen den beiden vorliegt. Die Kommunikation zwischen den Ehepartnern fand mündlich statt – und ist damit für die Historiker nicht nachvollziehbar. Für eine Rekonstruktion der Regierungspraxis bedeutet das, dass es nicht möglich ist, anhand von Briefen den Meinungsaustausch zu verfolgen und auf diese Weise beispielsweise zu eruieren, wie die Entscheidungsfindung erfolgte, wer wen vielleicht in welcher Frage von seinem Standpunkt zu überzeugen vermochte, wer den dominierenden Part innehatte. Der Beantwortung solcher Fragen sind aufgrund der skizzierten Ausgangslage damit äußerst enge Grenzen gesetzt. Da explizite Aussagen über die Geschäftsverteilung und die Meinungsbildung also weitgehend fehlen, ist man auf indirekte Hinweise in den Quellen angewiesen. So signalisierte die dürre Aufzählung der Teilnehmer der ersten Konferenz nach dem Tod Karls VI. die Absicht Maria Theresias selbst zu regieren und zwar mit ihrem Mann an ihrer Seite. Für das Jahr 1741 finden sich bei über zwanzig Konferenzprotokollen die Namen beider Majestäten in der Teilnehmerliste – ein Wert, der in der Folgezeit nicht mehr erreicht werden sollte.27 Es entsteht der Eindruck, dass mit der regelmäßigen, gemeinsamen Konferenzteilnahme erst einmal ein Zeichen gesetzt werden sollte, dass die Konferenz 27 HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 52. Über die Schwierigkeiten bei der Auswertung der Konferenzprotokolle hinsichtlich der Konferenzteilnehmer jetzt VAN GELDER, 2017, S. 163f.
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vom 21. Oktober 1740 keine Ausnahme gewesen sei. Sicher diente die Teilnahme an den Sitzungen dem jungen Herrscherpaar dazu, sich einen Einblick in die vielfältigen Materien zu verschaffen, ein Einblick, der zumindest Maria Theresia von ihrem Vater ja verweigert worden war. Zudem lernten die beiden auf diese Weise auch die verschiedenen Konferenzminister besser kennen, konnten ihre Stärken und Schwächen genauer einschätzen. Dass die prekäre Lage der Monarchie es außerdem geraten sein ließ, die Dinge in der Konferenz persönlich intensiv zu diskutieren, dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben. In den Folgejahren nahmen Maria Theresia und Franz Stephan jedenfalls deutlich seltener gemeinsam an der Konferenz teil. Es sieht so aus, als ob, nachdem unter der neuen Herrscherin eine gewisse Routine eingekehrt war, die Minister wieder fast ausschließlich unter sich berieten.28 Erst im Jahre 1746 tagte die Konferenz dann wieder regelmäßig unter dem Vorsitz von Maria Theresia und Franz Stephan, ohne dass die Gründe für diese verstärkte Präsenz in den Konferenzsitzungen deutlich würden. Zwar erreichte der Österreichische Erbfolgekrieg nach den preußischen Erfolgen Ende 174529 und der französischen Eroberung erheblicher Teile der österreichischen Niederlande noch einmal eine für die Habsburgermonarchie sehr bedrohliche Dimension, aber es hatte in den vergangenen Jahren genügend existenzbedrohende Situationen gegeben, die nicht automatisch zu einer verstärkten Sitzungsleitung durch das Herrscherpaar geführt hatten. Eine einfache Gleichung der Art, dass besonders bedrohliche Situationen zu einer verstärkten Sitzungsteilnahme Maria Theresias und Franz Stephans führten, lässt sich nicht aufmachen. Auffallend ist weiterhin, dass Maria Theresia nur in ganz seltenen Fällen allein der Konferenz vorsaß, während die Sitzungen deutlich häufiger von Franz Stephan allein geleitet wurden. Zwei dieser seltenen 28 Gemeinsame Konferenzteilnahmen: 1741: 22; 1742: 3; 1743: 8; 1744: 9; 1745: 6; 1746: 17; 1747: 6. Zahlen nach HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 52-58; und KHEVENHÜLLER, Bd. 1 und 2, 1907/1908. Dieser Eindruck wird durch die von Van Gelder erhobenen Zahlen bestätigt. Er ermittelt für das Jahr 1741 für Franz Stephan 40 Konferenzteilnahmen, für Maria Theresia 24. In den folgenden Jahren gehen die Zahlen deutlich zurück, um erst 1746 mit 26 bzw. 20 Konferenzteilnahmen wieder deutlich anzusteigen; VAN GELDER, 2017, Tabelle 1, S. 168f. 29 Schlacht bei Soor 30.11.1745; Schlacht bei Kesselsdorf 15.12.1745.
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Sitzungspräsidien Maria Theresias fallen in die Zeit von Franz Stephans Reise nach Frankfurt anlässlich der Kaiserwahl.30 Und am 7. September 1746 nahm Maria Theresia zwar an einer Sitzung teil, auf der lange und kontrovers darüber diskutiert wurde, ob mit Spanien verhandelt werden sollte, entschieden wurde auf der Sitzung aber nichts, weil, wie Khevenhüller anmerkt, »die Kaiserin in Abwesenheit des Kaisers nicht concludiren« wollte.31 Dass Maria Theresia allein an der Konferenz teilnahm, bedeutete also noch lange nicht, dass sie auch allein entscheiden wollte. Offensichtlich war ihr bei Fragen von grundlegender Bedeutung die Rücksprache mit ihrem Mann so wichtig, dass die Entscheidungen notfalls eben auch warten mussten. Grundsätzlich bevorzugte es Maria Theresia aber, sich schriftlich über die Sitzungen informieren zu lassen, wenn sie nicht mit Franz Stephan gemeinsam an den Beratungen teilnahm. Franz Stephan hingegen suchte die Konferenz deutlich häufiger allein auf. Dabei lässt sich freilich nur in einer Hinsicht ein deutliches Muster beobachten. Regelmäßig leitete Franz Stephan die Konferenz in den Zeiten, in denen seine Frau sich im Wochenbett befand. Eigens begründet wird diese Praxis an keiner Stelle. Ob Franz Stephan diese Phasen, in denen seine Frau nur eingeschränkt arbeitsfähig war, gezielt nutzen wollte, um sich stärker selbst zu profilieren oder ob umgekehrt Maria Theresia ihn vielleicht sogar eigens beauftragte, an der Konferenz teilzunehmen, um deutlich zu machen, dass ungeachtet der Ausfallzeiten der Landesherrin die herrscherliche Präsenz weiterhin gewährleistet war, weil ein Teil des Arbeitspaares ja einsatzfähig war, lässt sich nicht entscheiden. In diesen Mutterschutzzeiten, die zwischen vier und acht Wochen betrugen, waren die politischen Geschäfte offiziell ganz auf Franz Stephan zugeschnitten. So hatte Maria Theresia ihre Minister bereits einige Tage vor der Geburt Leopolds im Frühjahr 1747 »an I.M. den Kaiser vollends angewisen«.32 Dass diese Übertragung der Geschäfte an Franz Stephan auch die Konferenzleitung umfasste, erhellt aus der Beschreibung Khevenhüllers für die Zeit nach der 30 Sitzungen vom 30.7.1745 (N.N. an Franz Stephan, Wien, 31.7.1745; HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 55, Konferenzprotokolle und Referate 1745 VII-XII, fol. 17r-19r, hier fol. 17r) und 2.9.1745 (Bartenstein an Maria Theresia, Wien, 3.9.1745; EBD., fol. 40r). 31 KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 111 (7.9.1746). 32 EBD., S. 151 (30.4.1747). Leopold wurde am 5.5.1747 geboren.
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Geburt Karl Josephs am 1. Februar 1745, in der es heißt, dass »auch die gewöhnlichen engern Conferenzien und sobenannte Colloquia […] bei ihm [= Franz Stephan; B.B.] und unter seinem Praesidio gehalten, ingleichen die Rapports deren Ministern an ihn abgestattet« wurden.33 Aus derselben Beschreibung wird aber auch unmissverständlich klar, dass Franz Stephan in den Augen vieler keineswegs ein vollgültiger Ersatz für seine Frau war, denn Khevenhüller fährt in seinem Tagebuch fort: »weillen aber leider das Vertrauen ob rationes notas nicht vorhanden, thaten die meisten, wo nicht periculum in mora vorhanden, damit zuruckhalten und muste die Königin bald selbsten widerumen alle Arbeit über sich nehmen.«34 Ganz offensichtlich sollte Franz Stephan in diesen Perioden nach außen den Schein der vollen Funktionsfähigkeit der Herrschaft wahren, de facto freilich liefen die Fäden weiterhin bei Maria Theresia zusammen, weshalb besonders wichtige Angelegenheiten notfalls eben warten mussten. So verzögerten sich die Verhandlungen über die Anbahnung einer engeren Verbindung mit Frankreich zwar im Herbst 1755 wegen der Geburt Erzherzogin Maria Antonias, aber Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz tröstete den Gesandten in Paris damit, dass Maria Theresia zumeist vor Ende der üblichen Wochenbettzeit die Geschäfte wieder aufzunehmen pflege.35 Ohnehin wäre die Vorstellung, Maria Theresia hätte nach den insgesamt sechzehn Geburten sich jeweils für ungefähr sechs Wochen völlig aus der Politik zurückgezogen und alles komplett ihrem Mann überlassen, gänzlich abwegig. Dass sie in diesem Zeitraum, wie es üblich war, sich nicht in der Öffentlichkeit zeigte, sondern damit bis zum offiziellen Hervorgang, also dem ersten Kirchgang nach der Entbindung, wartete, bedeutete noch lange nicht, dass sie nicht arbeitete und überhaupt niemanden empfing. So schrieb Staatskanzler Corfiz Anton Graf Ulfeld am 18. Februar 1745, also 17 Tage nach der Geburt Karl Josephs, an Franz Stephan, dass, wenn er sich sicher sein könnte, dass Franz Stephan und Maria Theresia das beigefügte Schriftstück am nächsten Morgen gutheißen würden, er die weiteren Vorkehrungen treffen könnte.36 33 34 35 36
EBD., S. 25 (3.2.1745). EBD., S. 25f. ARNETH, Bd. 4, 1870, S. 402. Corfiz Anton Graf Ulfeld an Franz Stephan, 18.2.1745; HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 55, Konferenzprotokolle und Referate 1745 I-VI, fol. 32r.
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Das heißt, Ulfeld richtete sein Schreiben zwar offiziell an Franz Stephan, der das fragliche Memoire dann auch mit einer eigenhändigen Marginalie genehmigte, aber er ging ganz selbstverständlich davon aus, dass Maria Theresia und Franz Stephan gemeinsam die anhängige Entscheidung treffen würden. Einen eigenständigen Entscheidungsspielraum besaß Franz Stephan also offenbar auch in diesen Zeiten nicht, jedenfalls nicht in Fragen von größerer Relevanz. Wie schnell Maria Theresia in der Tat die Arbeit wieder aufnahm, zeigt eine Bemerkung Khevenhüllers vom 1. September 1743, dass Maria Theresia, »ob sie schon noch nicht vorgeseegnet, dennoch bereits mit denen Ministris widerummen zu arbeiten angefangen.«37 An diesem Tag war es gerade erst gut zwei Wochen her, dass die Königin ihre Tochter Maria Elisabeth zur Welt gebracht hatte. Dass Franz Stephan jeweils in den ersten Wochen nach einer Entbindung Maria Theresias einen nie näher definierten Teil der Routineangelegenheiten übernahm, zeigt auch ein Blick auf die in diesen Perioden entstandenen Akten. Üblicherweise erhielt Maria Theresia von jeder Konferenzsitzung einen Bericht, in dem die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst waren. Diese Berichte waren halbbrüchig rechts geschrieben, d. h. die linke Hälfte der Seiten war jeweils leer und bot damit Platz für die Randbemerkungen der Monarchin. Maria Theresia notierte nun – teilweise Punkt für Punkt – ihre Entscheidungen, indem sie die Vorschläge genehmigte, Modifikationen anbrachte oder – seltener – alles verwarf. Zumeist hieß sie jedoch den Bericht insgesamt mit einem einfachen »Placet Maria Theresia« gut, eventuell ergänzt um einen knappen Kommentar. Diese Praxis wurde auch während der Wochenbettzeiten Maria Theresias beibehalten. Weiterhin war zumeist sie die Adressatin der Berichte. Nun konnte es aber vorkommen, dass Franz Stephan diese mit einem »Placet Frantz« abzeichnete.38
37 KHEVENHÜLLER, Bd. 1, 1907, S. 174 (1.9.1743). Geburt Maria Elisabeths am 13.8.1743. 38 So z. B. auf dem an Maria Theresia adressierten Bericht vom 26. Mai 1742 (d. h. 13 Tage nach der Geburt Maria Christines); HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 52, Konferenzprotokolle und Referate 1742 I-VI, fol. 141r-v.
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Abb. 4: Bericht mit einem Placet Maria Theresias. HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 52, Konferenzprotokolle und Referate 1742 I-VI, fol. 17r.
Abb. 5: Ein an Maria Theresia adressierter Bericht mit einem Placet Franz Stephans. HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 52, Konferenzprotokolle und Referate 1742 I-VI, fol. 141r-v. Offensichtlich spielte sich für diese – recht regelmäßig jährlich wiederkehrenden – Wochenbettzeiten eine Routine ein, die keiner expliziten Regelung bedurfte, sodass beispielsweise die Diskrepanz zwischen Adressatin und Autor der Marginalie auf den Berichten keiner Erwähnung bedurfte. Dass Franz Stephan in diesen Phasen mehr als sonst wahrnehmbar mitregierte, hatte freilich nichts mit der ihm übertragenen Mitregentschaft zu tun. Diese Teilhabe an der Regierung war keine Folge einer rechtlichen Konstruktion, sie war auch nirgends rechtlich geregelt, sondern sie war selbstverständlicher Bestandteil der Arbeitsteilung eines Arbeitspaares, das eben auch unter diesen speziellen Umständen
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des zeitweisen Rückzugs der Landesherrin aus der Öffentlichkeit funktionieren musste und funktionierte. Für die normale Regierungsroutine war es also vergleichsweise unerheblich, dass Maria Theresia in regelmäßigen Abständen wochenlang unsichtbar war, da sie hinter den Kulissen ihre Arbeit nur kurz unterbrach. Anders sah es aus bei Akten, die die öffentliche Präsenz der Herrscherin erforderten. So stand im September 1748 die Abschiedsaudienz für den türkischen Gesandten an. Üblicherweise fanden in solchen Fällen die Audienzen bei der Kaiserin und beim Kaiser kurz hintereinander statt. Franz Stephan aber befand sich seit Ende August auf der Jagd. Maria Theresia, wieder einmal hochschwanger, befürchtete nun, dass, wenn sie bis zur Rückkehr ihres Mannes wartete, eventuell die Geburt dazwischenkommen könnte, obwohl diese eigentlich erst für Anfang Oktober berechnet war. Dann aber hätte der Gesandte eventuell den Winter über in Wien bleiben müssen, eine Aussicht, die vor allem auch deshalb wenig erfreulich war, weil sein Aufenthalt vom Kaiserhof finanziert werden musste. Also entschied Maria Theresia, die Abschiedsaudienz trotz der Abwesenheit Franz Stephans am 16. September vorzunehmen, die Audienz beim Kaiser sollte dann nach dessen Rückkehr stattfinden.39 Die Vorsicht Maria Theresias erwies sich als wohlbegründet: Denn bereits am folgenden Tag setzten die Wehen ein, und die Kaiserin wurde von einer toten Tochter entbunden. Für solche öffentlichen Akte bedeuteten die Geburten also tatsächlich eine Pause von mehreren Wochen: von wenigen Tagen oder Wochen vor der Geburt bis zum offiziellen Ende der Wochenbettzeit.40 Dass die Wochenbettzeit vorüber war und die Landesherrin auch offiziell und sichtbar wieder die Geschäfte übernommen hatte, signalisierte jeweils eine gemeinsame Konferenzteilnahme des Herrscherpaars
39 KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 261f. (16.9.1748). 40 Verschiedentlich finden sich Notizen, dass Maria Theresia wegen des herannahenden Geburtstermins keine öffentlichen Appartements mehr abhielt oder keine öffentlichen Gottesdienste mehr besuchte, sondern weitgehend zurückgezogen lebte, d. h. ihre Präsenz in der Öffentlichkeit reduzierte. Zum Beispiel wurden ab dem 23. Januar 1746 die öffentlichen Tafeln abgesagt, zwei Tage später auch der Besuch des Gottesdienstes in der Michaelerkirche eingestellt und stattdessen die Hofkapelle aufgesucht, und ab dem 4. Februar fanden auch keine Appartements mehr statt. Die Geburt Maria Amalias erfolgte dann am 26.2. (EBD., passim).
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vier bis acht Wochen nach der Entbindung.41 Diese Praxis wirkt in ihrer Regelmäßigkeit geradezu wie das politische Pendant zur kirchlichen Zeremonie der Aussegnung der Wöchnerin. Diese fast ritualhaften Konferenzteilnahmen nach dem Ende des Wochenbetts zeigen erneut, dass dieser Präsenz des Arbeitspaars eine symbolische Bedeutung zukam, die sich nicht in einer sachlich vielleicht gebotenen Anwesenheit erschöpfte. Auch wenn Schwangerschaft und anschließendes Wochenbett in den ersten eineinhalb Jahrzehnten der Regierung Maria Theresias keine seltenen Ausnahmefälle darstellten, sondern eine fast jährlich wiederkehrende Routine bildeten, überwogen doch die normalen Zeiten, in denen die Herrscherin voll verfügbar war. Wie also teilten Maria Theresia und Franz Stephan normalerweise die Regierungsgeschäfte untereinander auf? Wie bereits erwähnt, sind schriftliche Regelungen nicht überliefert. Eine völlig stringente Aufgabenverteilung dürfte aber auch mündlich nicht festgelegt worden sein. Gewisse Tendenzen aber sind doch erkennbar. Dabei ist zunächst zu betonen, dass die Grundvoraussetzungen feststanden und damit auch, dass die Arbeitsteilung nicht die übliche sein konnte. Denn Maria Theresia war die Landesherrin, Franz Stephan kamen in den österreichischen Erblanden keinerlei Herrschaftsrechte zu außer denen, die seine Gemahlin ihm zugestehen wollte. Daran hatte auch die Ernennung zum Mitregenten nichts geändert. Anders als sonst ist deshalb in diesem Fall nicht nach den Handlungsspielräumen der Fürstin, also Maria Theresias, zu fragen, sondern nach denen Franz Stephans als des Ehemanns der Landesherrin. Terminologisch lässt sich das freilich nur schwer fassen. Für die Ehefrau des Fürsten hat sich in der neueren Forschung der Begriff der regierenden Fürstin eingebürgert, um deutlich zu machen, dass der fürstlichen Ehefrau durchaus und selbstverständlich Herrschaftsrechte zukamen.42 Ist schon diese Begrifflichkeit nicht gerade selbsterklärend, würde es noch weit größere Prob41 13.3.1741 Geburt Josephs, 12.4.1741 Konferenzteilnahme; 13.5.1742 Geburt Maria Christines, 23.6.1742 Konferenzteilnahme; 13.8.1743 Geburt Maria Elisabeths, 26.9.1743 Konferenzteilnahme; 1.2.1745 Geburt Karl Josephs, 30.3.1745 Konferenzteilnahme; 26.2.1746 Geburt Maria Amalias, 2.4.1746 Konferenzteilnahme; 5.5.1747 Geburt Leopolds, 26.5.1747 Konferenzteilnahme. 42 WUNDER, 2011. Siehe oben, Einleitung, S. 12.
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leme bereiten, die Ehemänner von Fürstinnen, die aus eigenem Recht regierten, als regierende Fürsten zu bezeichnen – Missverständnisse wären vorprogrammiert. Die Bezeichnung Prinzgemahl, die die gegenüber der Ehefrau nachgeordnete Stellung des Ehemanns zum Ausdruck bringt, erscheint für Franz Stephan schon deshalb ungeeignet, weil er die meiste Zeit der gemeinsamen Regierung, nämlich ab 1745, als Kaiser protokollarisch seiner Ehefrau vorging. Begrifflich lässt sich die Position Franz Stephans also nicht adäquat fassen, praktisch aber musste man Lösungen finden. Diese Suche nach Aufgabenbereichen, die Franz Stephan mehr oder weniger eigenständig ausfüllen sollte, begann lange vor dem Regierungsantritt Maria Theresias, ja: sogar schon vor der Hochzeit mit der habsburgischen Erbtochter. Bereits 1732 war Franz Stephan zum Statthalter in Ungarn ernannt worden.43 Er verstand dieses Amt keineswegs als bloße Sinekure, die ihm ein zusätzliches Einkommen und Ansehen verschaffen sollte, sondern er nahm die ihm übertragene Aufgabe ernsthaft in Angriff. So verschaffte er sich eine gründliche Kenntnis des Landes, indem er sich zum einen in die Akten vertiefte, zum anderen aber auch das Land bereiste.44 Während Franz Stephan sich die Kompetenz für Ungarn erst langsam aneignen musste, wurde wohl schon allein aufgrund seiner lothringischen Herkunft vorausgesetzt, dass er über vertiefte Kenntnisse der niederländischen Verhältnisse verfügte. Es verwundert deshalb nicht, dass Karl VI. seinen Schwiegersohn zum Statthalter der Niederlande ernennen wollte. Diese Planungen wurden dann allerdings gestoppt, weil der Erbfall in der Toskana schneller als erwartet eintrat.45 Damit war Franz Stephan Fürst aus eigenem Recht geworden und bedurfte nicht mehr der Statusverbesserung durch eine Statthalterschaft. Auch wenn Franz Stephan in der Folgezeit nie einen offiziellen Posten in den österreichischen Niederlanden und den mit diesen Gebieten befassten 43 Nur wenig erhellend zur Amtsausübung Franz Stephans: BAKÁCS, 1984. Zu Recht stellt Bakács am Ende fest, dass es ungeklärt sei, inwieweit Franz Stephan nach dem Ende seiner Statthalterschaft 1741 weiter an den ungarischen Angelegenheiten Anteil nahm, ob also insofern »von einer gemeinsamen Regierung die Rede sein kann«; S. 36. 44 Dies gilt vor allem für die Anfangszeit; ab 1736, also nach der Heirat mit Maria Theresia, nahm seine Präsenz in Ungarn deutlich ab; EBD., S. 29. 45 Zu der geplanten Statthalterschaft ausführlich: HERTEL, 2014a, S. 239-257.
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Behörden versah, galt er doch offenbar als quasi geborener Experte für diese Region. Stärker als für andere österreichische Erbländer wurde er in Entscheidungen, die die Niederlande betrafen, einbezogen. Nach dem Tode Karls VI. ließ er Friedrich August Graf Harrach, den Obersthofmeister der Statthalterin der Niederlande, Erzherzogin Maria Elisabeth, wissen, er solle ihn künftig direkt über die niederländischen Angelegenheiten informieren.46 Harrach kam dieser Aufforderung nach und versorgte Franz Stephan in den folgenden Monaten bis zum Tod Maria Elisabeths im August 1741 mit ausführlichen Berichten. In der Folgezeit verfügte Franz Stephan dann ohnehin über einen kurzen Draht nach Brüssel, da sein Bruder Karl Alexander 1744 das Amt eines Statthalters der Niederlande übernahm. Neben den niederländischen waren es vor allem die italienischen Angelegenheiten, in denen Franz Stephans Wort besonderes Gewicht zukam. Als Großherzog der Toskana war er ohnehin permanent mit der italienischen Politik befasst und wurde von seinen Mitarbeitern in Florenz auf dem Laufenden gehalten. Obwohl nominell selbständig, bildete das Großherzogtum selbstverständlich einen Teil des politischen Gesamtsystems der Habsburgermonarchie. Dementsprechend hatte die toskanische Politik und damit auch der Großherzog dem Gesamtinteresse zu dienen. Gleichzeitig war das Großherzogtum einer der bedeutendsten Außenposten Habsburgs südlich der Alpen und Franz Stephan schon deshalb in alle Italien betreffenden Fragen involviert. Der Anteil Franz Stephans an den ungarischen, niederländischen und italienischen Angelegenheiten lässt sich einstweilen aber nicht näher bestimmen. Deutlich wird nur, dass Franz Stephan zu Beratungen über diese Regionen hinzugezogen wurde. Die Weichen für diese regionale Spezialisierung waren früh gestellt worden, durch die Herkunft, die Übertragung der Statthalterschaft in Ungarn und das Antreten des toskanischen Erbes als Kompensation für den Verlust Lothringens. Diese noch von Karl VI. vorgenommenen Weichenstellungen sollten sich als dauerhaft erweisen. Vor allem aber – und zwar ebenfalls schon zu Lebzeiten Karls VI. – wurde versucht, Franz Stephan als Militärexperten zu profilieren. Das war in mehrerlei Hinsicht naheliegend. Denn zum einen war ein militärisches Amt ebenso wie eine Statthalterschaft grundsätzlich eine ad46 EBD., S. 253, Anm. 835.
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äquate Aufgabe für den Ehemann der Thronerbin. Zum anderen aber hätte kaum etwas die durchaus schwierige Position Franz Stephans am Wiener Hof nachhaltiger verbessern können als militärische Erfolge. Und die familiäre Tradition sprach ja dafür, dass ihm solche militärischen Erfolge in die Wiege gelegt worden waren, denn immerhin war er der Enkel des Türkensiegers Karls V. von Lothringen.47 Militärische Siege hätten wohl auch – zumindest vorläufig – das Manko vergessen lassen, dass er bisher nur Mädchen gezeugt hatte: 1737, 1738 und 1740 hatte Maria Theresia jeweils eine Tochter zur Welt gebracht. Und dieses Defizit wurde in diesem Fall – anders als sonst – eben dem Ehemann angelastet, der damit seiner wichtigsten dynastischen Pflicht nur unzureichend nachkam.48 Die Voraussetzungen für eine Imageaufbesserung mit Hilfe militärischer Erfolge waren auch insofern günstig, als die Rolle des Kriegshelden seit dem Tod Prinz Eugens im Jahre 1736 vakant war. Eine erste Möglichkeit, militärischen Ruhm zu erwerben, hätte der Polnische Thronfolgekrieg (1733-1735/38) geboten. Allerdings lehnte es Karl VI. ab, seinem Schwiegersohn ein militärisches Kommando zu übertragen, sehr zum Missfallen Franz Stephans.49 Als aber bereits 1737 erneut Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich ausbrachen, bot sich Franz Stephan die nächste Chance zu kriegerischer Betätigung. 1738 wurde er zum nominellen Oberkommandierenden der Armee ernannt50 und machte sich auf den Weg auf den Balkan, von wo er dem Kaiser regelmäßig Bericht abstattete. Freilich scheint Franz Stephan nicht direkt für militärische Operationen verantwortlich gewesen zu sein, was angesichts des Desasters der kaiserlichen Kriegsführung für ihn eher von Vorteil gewesen sein dürfte. Als dann im Sommer 1739 über die Konsequenzen aus den militärischen Misserfolgen beraten wurde, nahm Franz Stephan regelmäßig an den Konferenzen teil 47 Zu Karl V. von Lothringen jetzt die knappe Zusammenfassung bei BASTL, 2015. 48 Zur schwierigen Situation Franz Stephans siehe ARNETH, Bd. 1, 1863, S. 51. Ein geradezu desaströses Bild vom Ruf Franz Stephans in diesen Jahren entwirft BADINTER, 2016, S. 67-75; ähnlich STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 61-63. 49 ZEDINGER, 2008, S. 96. 50 Tatsächlich hatte zunächst Friedrich Heinrich Graf Seckendorf und dann Joseph Lothar Graf Königsegg das Oberkommando inne; HOCHEDLINGER, 2003, S. 212f.; PETRITSCH, 2000, S. 47.
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und äußerte seine Meinung.51 Deutlich wird: Franz Stephan wurde zu den Militaria hinzugezogen, die Hoffnung auf eine Aufbesserung seines Rufs erfüllte sich freilich nicht. Ganz ähnlich stellte sich die Konstellation im Österreichischen Erbfolgekrieg dar, als Maria Theresia die Aufgabenverteilung zu verantworten hatte. Im November 1741 wurde Franz Stephan das Oberkommando übertragen, und er begab sich zusammen mit seinem Bruder Karl Alexander nach Böhmen zur Armee, um den Vormarsch der gegnerischen Truppen nach Böhmen und die Eroberung Prags zu stoppen – ein Vorhaben, das allerdings gänzlich misslang. Dennoch wurde Franz Stephan auch im folgenden Jahr mit dem Kommando betraut, und er reiste Ende Juni 1742 erneut nach Böhmen ab. Wie undurchsichtig die Hierarchien waren und wie unklar und damit misslich die Position Franz Stephans war, zeigt die Korrespondenz aus dem Sommer 1742. Glaubt man einem Schreiben Maria Theresias an ihren Mann, so besaß er einen umfassenden Entscheidungsspielraum. Am 25. Juli 1742 ließ sie ihn nämlich wissen: »Ich bin weit entfernt Ewer königl. Hoheit und Lbden derer militar operationen halber des mindeste auch nur anhand zu geben, sondern überlasse alles dero gutduncken lediglich«. Dass davon keine Rede sein konnte, zeigt schon der folgende Satz, in dem sie ihm nach der einleitenden Floskel »nur begnuge mich zu melden« einen konkreten Vorschlag über das weitere militärische Vorgehen unterbreitete, freilich nicht ohne im Nachsatz erneut zu betonen: »hiervon im geringsten nicht urtheilen zu wollen sondern mich lediglich zu beschränken, meine gedancken über eingangs erwehnte auswahl zu eröffnen«.52 Eine klare Definition von Zuständigkeiten und Kompetenzen sähe sicherlich anders aus. Franz Stephan befand sich deshalb in einer äußerst unangenehmen Lage. Die Situation wurde noch dadurch verkompliziert, dass nicht nur sein Entscheidungsspielraum gegenüber Maria Theresia nicht genau definiert war, sondern auch nicht der gegenüber den anderen Kommandanten. Als Ehemann der Landesfürstin gebührte Franz Stephan ein nicht zu übersehender Vorrang, andererseits konnten die Generäle auf ihre jahrelange militärische Erfahrung verweisen. 51 HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 49, Konferenzprotokolle und Referate 1739 VI-VII, passim. 52 Maria Theresia an Franz Stephan, Wien, 25.7.1742; HHStA Wien, Familienkorrespondenz A 37-1-30, fol. 459r-461r, hier fol. 460v.
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Wie in einem Brennglas wurde diese verworrene Situation sichtbar in der im Sommer 1742 geführten Diskussion, ob Prag unter allen Umständen von den Franzosen zurückzuerobern sei oder ob man sich auf die Besetzung Bayerns (als Faustpfand für Schlesien) konzentrieren solle. Uns interessieren weniger die inhaltlichen Standpunkte als der Verlauf der Diskussion. Am 24. August 1742 legte Maria Theresia in einem Brief an Franz Stephan drei mögliche Vorgehensweisen dar, betonte erneut, dass sie die Entscheidung allein ihm überlasse, machte ihm durch ihre Kommentare aber mehr als deutlich, welche der drei Alternativen sie bevorzugte und welche ihr völlig widerstrebte.53 Obwohl Maria Theresia also angeblich ihrem Mann die Entscheidung überlassen hatte, rief sie drei Tage später ihre wichtigsten Minister und einige Generäle zu sich, um mit ihnen über genau dieselbe Frage zu beraten. Die Runde favorisierte ein anderes Vorgehen als Maria Theresia in ihrem Schreiben zuvor, wieder aber wurde die Entscheidung Franz Stephan anheimgestellt. Und dieser entschied sich dann für eine noch einmal andere Lösung, und zwar für die von Maria Theresia deutlich abgelehnte Variante. Liest man die Korrespondenz jener Tage, so entsteht der Eindruck eines vollständigen Kompetenzwirrwarrs. Maria Theresia korrespondierte mit ihrem Mann, überließ ihm angeblich die Entscheidung, machte ihm aber zugleich deutlich, welches Vorgehen sie erwartete. Gleichzeitig korrespondierte sie mit den Feldmarschällen Königsegg und Khevenhüller und bat letzteren, Franz Stephan beratend zur Seite zu stehen, ja: sie vertraute ihren Mann geradezu der Fürsorge Khevenhüllers an54 – ihn, in dessen Hände sie angeblich alle Entscheidungen gelegt hatte. Parallel dazu berieten die zuständigen Gremien in Wien und an der Front und tauschten selbstverständlich ebenfalls ihre Standpunkte aus. Ein solches Vorgehen war nicht nur verwirrend, es kostete auch enorm viel Zeit. Das konnte nur schiefgehen, und es ging tatsächlich auch schief. Angesichts solcher Strukturen konnte es nicht gelingen, Franz Stephan als glänzenden militärischen Führer zu etablieren, und zwar zunächst einmal weitgehend unabhängig von seinen militärischen Fähigkeiten.
53 Maria Theresia an Franz Stephan, Wien, 24.8.1742; in ARNETH, Bd. 2, 1864, S. 490. 54 EBD., S. 128.
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EBD.,
fol. 7r-8v; gedr.
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Erkennbar ist das Bemühen Maria Theresias, ihrem Mann eine herausragende militärische Rolle zu übertragen, gleichzeitig aber auch das Zögern, ihm die Militaria vollständig anzuvertrauen. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Die von Arneth vermutete »Eifersucht auf das ihr allzu selbstständig erscheinende Benehmen ihres Gemahls«55 wird es eher nicht gewesen sein. Dennoch zog sie die Entscheidungen jetzt noch deutlicher an sich, völlig zutreffend hatte sie nämlich diagnostiziert, dass die parallele Existenz zweier Regierungen, einer in Wien, und einer bei der Armee, nicht zielführend sei.56 Eine weitere Konsequenz aus den Erfahrungen des Sommers 1742 war zudem, dass die militärische Karriere Franz Stephans stillschweigend beendet wurde. Zwar blieb er nominell Oberbefehlshaber der Armee, aber er rückte in den folgenden Kampagnen nicht mehr selbst ins Feld, sondern blieb in Wien und wohnte dort den militärischen Beratungen bei. Zu diesen aber wurde er selbstverständlich und regelmäßig hinzugezogen. Wenn es in einem Schreiben an Franz Stephan aus dem November 1741 heißt, »wornach Ewer Königl. Hoheit, da es eine militar anliegenheit ist, von der ausfallende maynung durch seine behörde sonder zwayfel geziemend werden benachrichtet werden«,57 so gilt diese Praxis auch für die kommenden Jahre. Der Versuch, Franz Stephan als Feldherrn zu profilieren und ihm damit eine Rolle zuzuweisen, die Maria Theresia mit Sicherheit nicht ausfüllen konnte, scheiterte also schnell und gründlich. Dass man dies versucht hatte, ist verständlich, denn das Modell besaß unverkennbar einen erheblichen Reiz. Der Monarch, der an der Spitze seiner Truppen ins Feld rückte, war der Inbegriff des machtvollen Herrschers und wurde dementsprechend in Gemälden und Reiterstandbildern in Szene gesetzt. Friedrich der Große verkörperte diesen Herrschertyp in extremer Ausprägung, aber auch Ludwig XV. von Frankreich und Georg II. von Großbritannien zogen wenigstens gelegentlich mit ihrer Armee in die Schlacht. Da diese Möglichkeit einer weiblichen Herrscherin versperrt war, wäre es eine ideale Lösung gewesen, diesen Part innerhalb des Arbeitspaares dem Ehemann zuzuweisen, der damit maximal an der 55 EBD., S. 130. 56 EBD. 57 N.N. an Franz Stephan, Pressburg, 5.11.1741; HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 52, Konferenzprotokolle und Referate 1741 VIII-XII, fol. 88r.
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herrscherlichen Rolle und Autorität partizipiert hätte. Dies aber blieb Franz Stephan verwehrt. Was ihm blieb, war eine Beteiligung an den militärischen Beratungen, gerade auch, wenn es um die Logistik und Finanzierung militärischer Operationen ging. Eine solche Tätigkeit besaß selbstverständlich ihren Wert, aber sie ließ sich nicht nach außen hin darstellen, eignete sich nicht für eine wie auch immer geartete Repräsentation des fürstlichen Gemahls. Denn all das, was Franz Stephan fortan im Bereich des Militärs tat – Berichte entgegennehmen, beraten, an Entscheidungen mitwirken –, das tat auch Maria Theresia, da ihr diese sich in den inneren Zirkeln abspielenden Militaria als Frau in gleicher Weise zugänglich waren, und ganz selbstverständlich hatte sie dabei das letzte Wort. Militaria als etwas Unweibliches anzusehen, wäre Maria Theresia wohl nicht in den Sinn gekommen. Denn die Sicherung des eigenen Landes – und auf nichts anderes zielte alles Militärische letztlich ab – war eine der vornehmsten Aufgaben jedes Herrschers und damit auch jeder Herrscherin. Während Franz Stephan im militärischen Bereich zwar stets in die Beratungen mit einbezogen wurde und ein selbstverständlicher Ansprech- und Diskussionspartner war, ansonsten aber keine herausragende Rolle spielte – schon gar keine, die sich in repräsentativen Darstellungen nach außen hätte verwerten lassen –, war seine Kompetenz in finanziellen und wirtschaftlichen Fragen unstrittig. Längst ist bekannt, dass Franz Stephan mit seinen finanziellen Transaktionen und einer konsequenten Wirtschaftsförderung den Grundstock für das habsburgisch-lothringische Familienvermögen gelegt hat, wovon das Herrscherhaus bis ins 20. Jahrhundert hinein profitierte.58 Seine Kenntnisse kamen aber nicht nur seinen privaten Finanzen zugute, sondern sie wurden auch für den Staatshaushalt nachgefragt – zwei Bereiche, die sich im 18. Jahrhundert zunehmend ausdifferenzierten. Freilich gehörte finanzielle Expertise nicht gerade zu den traditionellen Herrschertugenden und spielte deshalb auch in der herrscherlichen Repräsentation keine Rolle. Größe und Bedeutung eines Herrschers und die Finanzlage des von ihm regierten Staates schienen vielmehr in der Frühen Neuzeit lange auf geradezu groteske Weise voneinander unabhängig zu sein: So hatte das spanische Weltreich zur Zeit 58 MIKOLETZKY, 1961. Siehe auch die knappe Zusammenfassung bei ZEDINGER, 2008, S. 224-231.
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Philipps II. trotz mehrerer Staatsbankrotte seine größte Bedeutung erreicht und auch Ludwigs XIV. Größe war bestimmt keine Folge besonderer finanzpolitischer Solidität, die Appelle und Brandbriefe seines Finanzministers Colbert schob er vielmehr einfach beiseite. Andererseits hatte sich gerade jüngst bei Preußen gezeigt, wie wertvoll im Kriegsfall ein prall gefüllter Staatsschatz sein konnte, während Österreich schmerzlich hatte erfahren müssen, dass es auch aus diesem Grund kaum konkurrenzfähig war. Überlegungen über eine effektivere Ausnutzung der eigenen Ressourcen und eine bessere Finanzverwaltung konnten deshalb jetzt eher auf Gehör rechnen; Kompetenz in ökonomischen Fragen dürfte am Wiener Hof nun höher im Kurs gestanden haben als bisher üblich. Und in diesem Bereich war Franz Stephan den bisherigen Räten eindeutig überlegen. Daraus wurden noch im Verlauf des Österreichischen Erbfolgekrieges Konsequenzen hinsichtlich der Geschäftsverteilung gezogen. Im Februar 1746 wies Maria Theresia den Hofkammerpräsidenten Johann Baptist Karl Graf Dietrichstein an, »alles, was in Geldsachen cameraliter oder militariter sein mag«, direkt an Franz Stephan zu berichten; sie wollte mit diesen Angelegenheiten künftig nicht mehr befasst werden.59 Als der bisherige Direktor der Militär- und Schuldenkasse wenige Monate später seinen Rücktritt einreichte, überließ Maria Theresia die Entscheidung darüber, wer künftig die Schuldenkasse führen sollte, folgerichtig ihrem Mann.60 Dass alle Angelegenheiten, die die Staatsschulden betrafen, in den Zuständigkeitsbereich des Kaisers fielen61 – auch wenn er selbstverständlich kein offizielles Amt übertragen bekam –, wurde bei der erneuten Umstrukturierung der Schuldenverwaltung 1748 deutlich, als Franz Stephan die entsprechende Korrespondenz mit dem Hofkammerpräsidenten führte und die Instruktion für den Schuldenkassadirektor entwarf.62 59 Maria Theresia an Johann Baptist Karl Graf Dietrichstein [24.2.1746], gedr. in ARNETH, Bd. 4, 1881, S. 171f.; auch in WALTER, 1968, S. 50f. 60 KRETSCHMAYR, 1925, S. 34. 61 Insofern hat Dickson Recht, wenn er schreibt, dass »the debts buro, styled a ›Staats-Schulden-Cassa‹, was put into the emperor’s hands« (DICKSON, Bd. 2, 1987, S. 25), auch wenn dies nicht aus der von ihm angeführten Stelle folgt, in der es lediglich heißt, »des schuldenweesen halber wird es Kayser befehlen«; KRETSCHMAYR, 1925, S. 34, die Antwort der Hofkammer im selben Sinn, EBD., S. 35, Z. 16-18. 62 EBD., S. 230.
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Eine solch klare Kompetenzzuweisung findet sich für keinen anderen Bereich. Eine noch weitergehende Regelung wurde nach dem Siebenjährigen Krieg getroffen, als Maria Theresia ihren Mann ausdrücklich mit der Sanierung der maroden Staatsfinanzen beauftragte63 – offensichtlich traute sie diese Herkulesaufgabe keinem anderen zu. Auch beim Wienerischen Stadtbanco, einem 1706 gegründeten, nominell unabhängigen Kreditinstitut, dessen Kontrolle aber 1746 auch offiziell in die Verwaltung des Hofs eingegliedert worden war,64 war der Kaiser der – im wörtlichen Sinne – entscheidende Mann. Als Anfang 1749 Rudolf Graf Chotek zum neuen Stadtbanco-Direktor ernannt wurde, notierte Khevenhüller, »daß er zwar dem Namen nach die Direction des Statt Banco erhalten, in der That aber der Kaiser selbsten die Hände darinnen hätte und die geheimme [sic!] Instruction ihn in seiner Manipulation also bindete, daß er nicht das geringste thun dörffe, ohne sich vorhero bein [sic!] Kaiser anzufragen und dessen Befehle und Anweisung abzuwarten.«65 Franz Stephan aber war nicht nur administrativ in die Finanzangelegenheiten eingebunden, die von ihm erwirtschafteten Gewinne wurden auch gelegentlich, d. h. wenn die Not besonders groß war, zur Finanzierung staatlicher Aufgaben herangezogen. Im Januar 1744 wusste sich Maria Theresia nicht anders zu helfen, als dass sie ihrem Mann sämtliche königlich böhmischen Kameralgüter auf Lebenszeit verpfändete und dafür eine Million Gulden erhielt.66 Für den Moment hatte Franz Stephan dem Staat damit aus einer finanziellen Notlage geholfen, indem auf einen Schlag ein großer Betrag zur Verfügung gestellt wurde; auf längere Sicht freilich dürfte der Kaiser ein rentables Geschäft gemacht haben. Denn innerhalb von 15 Jahren gelang es, die Erträge der Güter zu verdreifachen, die nun eben in die Privatschatulle Franz Stephans und nicht mehr in die Staatskasse flossen. Diese Transaktion zeigt nebenbei übrigens auch die bereits erwähnte Trennung von Staats63 BEER, 1894, S. 245. Siehe auch DICKSON, Bd. 2, 1987, S. 63 und MIKOLETZKY, 1961, S. 27. 64 FELLNER/KRETSCHMAYR, 1907, S. 107-109. 65 KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 299 (12.1.1749). Diese Einschätzung Khevenhüllers wurde von dem englischen Gesandten in Wien geteilt, der Chotek gar als »Strohmann« für Franz Stephan bezeichnete; DICKSON, Bd. 2, 1987, S. 30. 66 ZEDINGER, 2008, S. 228.
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schatz und Vermögen der Herrscherfamilie. Im Siebenjährigen Krieg sah sich Maria Theresia erneut gezwungen, auf von ihrem Mann erwirtschaftetes Geld zurückzugreifen. Und die von ihm erzielten Gewinne waren in der Tat beträchtlich: Die 1755 aus der Banco-Hauptkasse entnommenen 150.000 Gulden, die als »reservierte Besoldungscassa« dienen sollten, hatten der Kaiser und seine Berater bis 1761 durch Börsenspekulationen auf 2 Millionen Gulden vermehrt, eine Summe, die nun auf nicht näher bezeichnete Weise an die Staatskasse zurückfloss.67 Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass der Finanzminister innerhalb des Arbeitspaares Franz Stephan war, auch wenn eine aktenbasierte Untersuchung der Mitwirkung Franz Stephans in den einzelnen, mit den Finanzen befassten Gremien noch aussteht. Diese Aufgabenverteilung stellte sicherlich die in jeder Hinsicht ideale Lösung dar. Nicht nur, weil Franz Stephan ein ausgewiesener Fachmann in Wirtschafts- und Finanzfragen war und zudem entsprechende Experten um sich versammelt hatte,68 sondern auch, weil Maria Theresia umgekehrt in finanziellen Angelegenheiten ziemlich bedenkenlos agierte und Geld durchaus mit lockerer Hand ausgab. So konnte sie die Bitten ihrer Untergebenen um eine finanzielle Zuwendung kaum je abschlagen; in jungen Jahren beliefen sich ihre Spielschulden auf durchaus beträchtliche Summen und auch sonst neigte sie für den eigenen Bedarf nicht gerade zu besonderer Sparsamkeit. Ganz anders Franz Stephan: Dass Khevenhüller den Kaiser direkt nach dessen Tod als »gutten Haushalter« bezeichnete,69 könnte man noch als Lob des Untergebenen für den von ihm verehrten, gerade verstorbenen Dienstherrn abtun, außerdem erscheint ein solches Urteil angesichts des Kontrasts zum Finanzgebaren Maria Theresias geradezu logisch. Wenn aber der britische Botschafter in Wien, Lord Stormont, 1763 nach London berichtete, dass vom Kaiser angenommen werde, dass er von Finanzdingen ebensoviel, wenn nicht mehr verstehe als irgendjemand sonst in diesem Land, drückt sich darin nicht nur die Hochachtung des Diplomaten vor den 67 EBD., S. 104. 68 Hier wäre vor allem der Lothringer François Joseph Toussaint (ca. 16891762) zu nennen, der mit Franz Stephan nach Wien gekommen war und ihm zunächst als Kabinettssekretär gedient hatte, dann aber bald vielfältige Aufgaben im Bau- und Finanzwesen übernahm und zuletzt als Finanzrat und Direktor der Rechenkammer amtierte; MIKOLETZKY, 1961, S. 49-52. 69 KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 136 (31.8.1765).
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Kenntnissen Franz Stephans aus, sondern es wird auch deutlich, dass diese Tatsache allgemein bekannt war.70 Dass die Finanzangelegenheiten Franz Stephans Sache waren und dass Maria Theresia ihm diesen Bereich weitgehend überlassen hatte,71 zeigte sich deutlich nach seinem Tod: Nun musste sich die Kaiserin wohl oder übel auch mit diesen Fragen befassen und gestand Graf Hatzfeld gegenüber ihre mangelnde Kenntnis der Materie ein.72 Während in Finanzfragen eine erhebliche Einflussnahme Franz Stephans deutlich zu fassen ist und er in militärischen Angelegenheiten selbstverständlich konsultiert wurde, ist sein Anteil in anderen Bereichen weniger genau zu bestimmen. Es ist freilich kaum vorstellbar, dass Maria Theresia wichtige Entscheidungen über die außenpolitische Orientierung oder in Personalangelegenheiten traf, ohne mit ihrem Mann Rücksprache zu halten. Allerdings handelte es sich dabei – anders als vielfach bei den Konsultationen ihrer Minister und Räte – eben in einem wörtlichen Sinne um Rücksprache, also um mündliche Kommunikation. Sie ist damit nicht rekonstruierbar. Auch wenn eine Diskussion wichtiger Fragen sicherlich stattgefunden hat, gibt es aber ebenso wenig einen Zweifel daran, dass das letzte Wort in diesen Bereichen Maria Theresia hatte. Wenn es Differenzen zwischen Maria Theresia und Franz Stephan gegeben habe sollte – und davon ist auszugehen –, drangen sie freilich anders als später bei Joseph im Allgemeinen nicht nach außen. Eine Ursache dafür dürfte sein, dass Franz Stephan den Vorrang seiner Frau grundsätzlich akzeptierte. Das aber war nicht nur eine Frage des Temperaments, sondern eben auch der Ausgangslage: Franz Stephan war der eingeheiratete Ehemann, der keine eigenen Ansprüche geltend machen konnte, Joseph hingegen war der Thronfolger, dem es um die von ihm für richtig gehaltene Politik für das ihm zustehende Erbe ging. Insofern konnte Franz Stephan von
70 Es dürfte also kaum zutreffen, dass Maria Theresia die finanziellen Fähigkeiten ihres Mannes erst 1763 erkannte, wie ZEDINGER, 2008, S. 104 vermutet. 71 So auch DICKSON, Bd. 2, 1987, S. 25f.: »but it is clear that he was financially expert, and that where public money, and, in particular, public credit, were concerned, his role during his co-regency was as important as that of Joseph II in military matters during his«. 72 MIKOLETZKY, 1963, S. 392.
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vornherein gar nicht so auftreten wie Joseph, selbst wenn er es gewollt hätte. Mit dem Regierungsantritt Maria Theresias am 20. Oktober 1740 war also ein gut funktionierendes Arbeitspaar konstituiert worden; Grundlage dafür war die 1736 geschlossene Ehe der beiden, nicht die Übertragung der Mitregentschaft. Gemeinsam regieren aber konnte dieses Paar eben erst nach dem Tod Karls VI. Denn bis dahin war Maria Theresia nicht an den Regierungsgeschäften in den Erblanden beteiligt gewesen. Und in der Toskana, deren Großherzog Franz Stephan seit 1737 war, führten die von ihm nach Florenz entsandten Räte die Regierung und berichteten von dort aus dem Landesherrn in Wien. Diese Regierung in Abwesenheit, die allein auf schriftlicher Kommunikation beruhte, war aber einer Beteiligung der regierenden Fürstin eher abträglich. Deshalb gründete das Arbeitspaar Maria Theresia und Franz Stephan zwar auf der Eheschließung, aktiv aber wurde es erst mit dem Regierungsantritt Maria Theresias.
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4. Die Krönungen Maria Theresias in Ungarn und Böhmen: die Suche nach der richtigen Position für den Prinzgemahl
Mit dem Tod Karls VI. am 20. Oktober 1740 folgte ihm seine älteste Tochter Maria Theresia als Erbin aller seiner Länder und wurde damit nicht nur Erzherzogin der österreichischen Erblande, sondern auch Königin von Böhmen und Ungarn. Seinen nach außen hin sichtbaren Höhepunkt und Abschluss fand der Herrschaftsübergang in den Erbhuldigungen der Stände der österreichischen Länder bzw. den Krönungen in Pressburg und Prag. Diese Zeremonien wiesen eine lange Tradition auf, und die jeweiligen Abläufe waren in den Protokollen und Akten der zuständigen Hofstellen penibel festgehalten. Allerdings stellten sich dieses Mal ganz neue Fragen, auf die die alten Papiere keine Auskunft gaben. Denn die Zeremonien galten in diesem Fall nicht einem Landesfürsten mit einer Ehefrau an seiner Seite, sondern einer Landesfürstin. Damit aber waren viele Fragen zu klären: Konnte die Zeremonie an einer Frau genauso vollzogen werden wie an einem Mann oder waren an der ein oder anderen Stelle Modifikationen nötig? Die Probleme begannen bei so praktischen Fragen wie derjenigen, ob die Herrscherin ebenfalls einreiten sollte, zumal wenn sie eventuell schwanger war. Kopfzerbrechen bereitete aber auch der Ehemann der Fürstin: Durfte er an dem Akt teilnehmen und falls ja, wo sollte er platziert werden?
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Über solche und ähnliche Fragen wurde am Wiener Hof intensiv debattiert. Zum Glück für die Geschichtswissenschaft wurden diese Debatten und die jeweils getroffenen Entscheidungen schriftlich festgehalten, damit sie später bei vergleichbaren Anlässen als Präzedenzfälle herangezogen werden konnten. Die Zeremonialakten und Zeremonialprotokolle des Wiener Hofes füllen unzählige Regalmeter und geben Auskunft auf fast alle Fragen des Protokolls. Lange Zeit wurden sie eher als Kuriositätensammlung angesehen, inzwischen aber stürzen sich die Historiker auf diese Quellen, weil die Auflistung von Rangfolgen bei Einzügen, die Zeichnungen von Tischordnungen oder von Sitzordnungen in Kirchen sowie die Erörterung von Einladungslisten nämlich über die Rangordnung bei Hof und das Austarieren eventuell divergierender Ansprüche aufgrund von Verwandtschaft, Stand, Anciennität oder Geschlecht informieren. In dem uns interessierenden Fall wird mit der Ausgestaltung des Zeremoniells eben zugleich die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Landesfürstin und ihrem Ehemann sowie die nach der Position einer weiblichen Herrscherin überhaupt verhandelt. Den ersten Akt in der ganzen Reihe dieser Inthronisationsfeierlichkeiten in den einzelnen Ländern bildete die Erbhuldigung der niederösterreichischen Stände in Wien am 22. November 1740. Die Huldigung fand damit ziemlich genau einen Monat nach dem Tod Karls VI. und dem Regierungsantritt seiner Tochter statt. Das war ungewöhnlich schnell, Maria Theresias Vater und Onkel hatten sich mit der Entgegennahme der Huldigung jeweils deutlich mehr Zeit gelassen.1 Die Gründe für diese Eile liegen auf der Hand, galt es doch, in Anbetracht der nicht unumstrittenen Nachfolge Maria Theresias durch den Huldigungsakt vor aller Welt deutlich zu machen, dass die Stände die Erzherzogin als neue Landesfürstin anerkannten. Der Huldigung kam damit die Funktion zu, die von den niederösterreichischen Ständen bereits 1720 anerkannte Pragmatische Sanktion zu bekräftigen und jegliche Zweifel an 1
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Joseph I. war seinem Vater Leopold I. am 5. Mai 1705 nachgefolgt, die Erbhuldigung der niederösterreichischen Stände fand am 21. September 1705 statt. Noch länger dauerte es bei Karl VI., der sich beim Tod seines Bruders Joseph am 17. April 1711 in Spanien befand, um seine Ansprüche auf das spanische Erbe durchzusetzen. Er reiste erst im Herbst 1711 ins Reich, und zwar zunächst nach Frankfurt zur Kaiserkrönung (22.12.1711). Die niederösterreichische Erbhuldigung erfolgte erst am 8. November 1712.
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der Legitimität der Herrschaft Maria Theresias auszuräumen.2 Rechtzeitig vor der Huldigung, genauer gesagt: einen Tag vorher, war die Ernennung Franz Stephans zum Mitregenten erfolgt. In den Verhandlungen über die Ausgestaltung der Mitregentschaft war aber unmissverständlich festgelegt worden, dass allein Maria Theresia gehuldigt werden sollte. Alles andere hätte als Verstoß gegen die Pragmatische Sanktion und das dort enthaltene Gebot der Unteilbarkeit der Herrschaft verstanden werden können – Erbin und Landesherrin war allein Maria Theresia, daran durfte kein Zweifel aufkommen. Franz Stephan blieb deshalb beim Huldigungsakt nur eine Statistenrolle. Er verfolgte die Zeremonie hinter einem schwarzen Türvorhang auf der Galerie, gemeinsam mit Erzherzogin Maria Magdalena, der unverheirateten Schwester Josephs I. und Karls VI. und Tante Maria Theresias.3 Deutlicher konnte man kaum machen, dass Franz Stephan bei dem eigentlichen Huldigungsakt nichts zu suchen hatte. In der gedruckten Beschreibung der Erbhuldigung wird er demzufolge im Zusammenhang mit der Huldigung überhaupt nicht erwähnt.4 Das entsprach durchaus der bisherigen Praxis. Auch bei den vorangegangenen Huldigungen war die Gemahlin des Landesfürsten beim Huldigungsakt nicht präsent gewesen. Offenbar hegte man jetzt aber gewisse Zweifel, ob mit einem Mann genauso verfahren werden könne. Der Obersthofmeister Rudolf Graf Sinzendorf schrieb deshalb am 1. November 1740: »Was aber bey diesem Huldigungsact Ihro Königl. Hoheith dero herzgeliebtesten herrn gemahl concerniren könnte, ein solches dependiert von Ewer Königl. Mayt. allergnädigsten Befehl.«5 In den internen Akten wurde also die Positionierung Franz Stephans durchaus thematisiert. Diese festzuhalten war wichtig, denn nur so konnte die für diesen Fall gefundene Lösung später als Präzedenzfall dienen.
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William D. Godsey stellt in seiner Untersuchung der niederösterreichischen Erbhuldigungen deshalb die Regel auf, dass die Erbhuldigungen umso schneller stattfanden, je unsicherer die politische Lage war; die von ihm angefertigte Tabelle weist die Erbhuldigung Maria Theresias folgerichtig als die schnellste auf; GODSEY, 2005, S. 151, Tabelle S. 152. Beschreibung der Erbhuldigung; HHStA Wien, ÄZA 39-12, fol. 124r-150r, hier fol. 144r. Erb-Huldigung, 1740. Rudolf Graf Sinzendorf an Maria Theresia, Wien, 1.11.1740; HHStA Wien, ÄZA 39-12, fol. 61r-64r, hier fol. 63r.
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Während Franz Stephan beim Huldigungsakt nur unsichtbarer Beobachter war,6 durfte er immerhin bei der anschließenden Tafel an der Seite seiner Gemahlin Platz nehmen – hier war seine Anwesenheit offenbar politisch unschädlich. Er saß zur Linken Maria Theresias, also an dem Platz, an dem normalerweise die Gemahlin des Landesfürsten saß.7 Maria Theresia und Franz Stephan waren also nicht ihrem Geschlecht entsprechend an der Tafel platziert, sondern ihrem Rang entsprechend – und damit gebührte Maria Theresia als Königin und regierender Landesfürstin der bessere Platz auf der rechten Seite. Aber nicht nur die Positionierung Franz Stephans bereitete den zuständigen Stellen Kopfzerbrechen, auch in Bezug auf Maria Theresia konnte nicht alles wie bisher üblich gehandhabt werden. Grundsätzlich galt zwar die Maxime, sich an den vorangegangenen Huldigungen zu orientieren und möglichst keine Änderungen vorzunehmen. Denn Orientierung an der Tradition bedeutete zugleich Legitimation, Maria Theresia wurde damit in die lange Reihe habsburgischer Landesfürsten eingeordnet, denen sie ganz selbstverständlich nachfolgte. Aber manchmal waren der Befolgung der Tradition doch Grenzen gesetzt. In dem langen Zug, der sich von der Hofburg zur Domkirche St. Stephan bewegte, ritt der Landesfürst üblicherweise zu Pferd. Reiten konnte Maria Theresia damals wohl noch nicht, aber das hätte sie lernen können, was sie dann im Vorfeld der ungarischen Krönung 1741 auch tat.8 Zum Zeitpunkt der Huldigung aber war sie im fünften Monat schwanger, sodass ein Ritt zur Kirche auf gar keinen Fall in Frage kam. 6
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In den Zeremonialakten zur Erbhuldigung Josephs I. 1705 wird die Rolle Wilhelmine Amalies nicht eigens thematisiert, sie scheint also unproblematisch gewesen zu sein. Erwähnung findet nur ihre Teilnahme am Mahl in der Ritterstube an der Seite Josephs; HHStA Wien, ÄZA 21-2, passim, betr. Mahl fol. 87r. Bei der Huldigung gegenüber Karl VI. stellte sich die Frage der Präsenz seiner Ehefrau Elisabeth Christine nicht, da sie zu diesem Zeitpunkt noch als Regentin in Spanien war. Siehe das Bild in Erb-Huldigung, 1740, nach S. 80. Dass Franz Stephan hier an der Stelle platziert wurde, die üblicherweise der Gemahlin zukam, zeigt ein Vergleich mit der Erbhuldigung von 1705. Damals hatte Wilhelmine Amalie zur Linken Josephs an der Tafel gesessen. Siehe GRUBER, 1998, S. 48. Barbara Stollberg-Rilinger weist darauf hin, dass Maria Theresia für den Ritt auf den Krönungshügel als festen Bestandteil des Krönungsrituals eigens reiten lernte; STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 88. Thomas Lau schreibt von einer Auffrischung ihrer Reitkünste; LAU, 2016, S. 79.
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Schließlich sollte die Königin endlich den ersehnten Thronfolger zur Welt bringen, da durfte nichts riskiert werden – Tradition hin oder her. Aber auch für dieses Problem wurde eine Lösung gefunden. Maria Theresia wurde »in schwartzem Kleyd, doch mit eingepuderten harren und kostbarem Geschmuck um den Hals, in Ohren, und auf der Brust gezieret, in einer schwartz überzogenen um und um mit klaren Gläsern verwahrten Senfte, von sechs Sessel-Tragern getragen.«9 Dieses Detail zeigt sehr anschaulich, wie die Tradition vorsichtig adaptiert werden konnte, wenn die Umstände es erforderlich machten. Ansonsten aber verlief die Erbhuldigung ganz im üblichen Rahmen. Der erste Akt, bei dem Maria Theresia öffentlich als die legitime Nachfolgerin ihres Vaters präsentiert und installiert wurde, war erfolgreich über die Bühne gebracht worden. Dass auch die kleinen Anpassungen des Zeremoniells offensichtlich als gelungen galten, kann man der Tatsache entnehmen, dass auf sie bei der Erbhuldigung der oberösterreichischen Stände in Linz am 25. Juni 1743 zurückgegriffen wurde. Denn erneut war Maria Theresia schwanger, weshalb die Hofkonferenz anfragte, ob wie 1740 der verglaste Sessel für den Weg vom Schloss zur Kirche zum Einsatz kommen sollte, was Maria Theresia mit einem knappen »placet« genehmigte.10 Mit der niederösterreichischen Erbhuldigung war ein Muster gefunden worden, das sich auf die späteren Feierlichkeiten übertragen ließ. Der nächste Akt, bei dem sich die gefundenen Lösungen bewähren mussten, war die ungarische Krönung in Pressburg. Politisch kam diesem Akt enorme Bedeutung zu. Denn inzwischen war der Kampf um das österreichische Erbe voll ausgebrochen, die preußischen Truppen hatten innerhalb weniger Wochen Schlesien erobert. Am 10. April 1741 hatten die österreichischen Truppen gegen Preußen in der ersten Schlacht des Krieges bei Mollwitz eine Niederlage erlitten. Andere Mächte folgten dem von dem preußischen Angriff ausgehenden Signal und bestritten jetzt das Erbrecht Maria Theresias. Im Mai 1741 schlossen sich Frankreich, Spanien, Preußen, Bayern und Sachsen in der Nymphenburger Allianz gegen Österreich zusammen. Die Phalanx der 9
Erb-Huldigung, 1740, S. 70. Siehe die Abbildung bei OTRUBA, 1990, S. 241; IBY u. a., 2017, S. 84f. 10 Vortrag der Hofkonferenz an Maria Theresia, Wien, 10.4.1743; HHStA Wien, ÄZA 42-2, fol. 25r-32v, hier fol. 26v.
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Gegner war also wahrlich furchterregend. Auf habsburgischer Seite mussten folglich alle irgendwie verfügbaren Ressourcen mobilisiert werden, zumal nach dem Verlust des reichen Schlesien. Damit aber gewann Ungarn überragende Bedeutung. Ohne massive ungarische Unterstützung, das war allen klar, war dieser Kampf nicht zu gewinnen. Zwar ist die anrührende Szene, wonach Maria Theresia mit dem Säugling Joseph auf dem Arm vor dem ungarischen Landtag aufgetreten sei und die ungarischen Adligen erst zu Tränen gerührt und dann zu begeisterten Vivat-Rufen animiert habe, die darin gegipfelt hätten, dass jene für die junge Königin ihr Leben hingeben wollten, mittlerweile ins Reich der Legenden verwiesen worden.11 In ihrem innersten Kern allerdings trifft die Legende insofern etwas Richtiges, als Maria Theresia und ihren Beratern selbstverständlich klar war, dass man auf Ungarn angewiesen war, dass man deshalb um die Ungarn buhlen und ihnen auch gewisse Zugeständnisse machen musste. Denn die ungarischen Stände verfügten über eine außerordentlich starke Position, hatten sie sich doch für die Anerkennung der Erblichkeit der Stephanskrone im Hause Habsburg weitgehende Privilegien zusichern lassen, zu denen die Steuerfreiheit des Adels ebenso gehörte wie die Zusicherung, nur zur Verteidigung des eigenen Landes, nicht aber der anderen Länder der Habsburgermonarchie herangezogen zu werden. Dem für Juni 1741 ausgeschriebenen Landtag und der in diesem Rahmen geplanten Krönung kam also erhebliche Bedeutung zu, auch als Signal an die sich gerade formierende antiösterreichische Koalition. Zunächst sah es gar nicht gut aus für die Königin. Die Verhandlungen verliefen außerordentlich zäh, da beide Seiten versuchten, ihre Maximalforderungen durchzusetzen und sich wenig kompromissbereit zeigten.12 Zeitweise schien es fraglich, ob man zu einer Einigung über das Inauguraldiplom gelangen würde, dessen Unterzeichnung Voraussetzung für die Krönung war. Letztlich einigte man sich dahingehend, einige Punkte auf Verhandlungen nach der Krönung zu verschieben, wobei Maria Theresia allerdings mehr oder weniger zusichern musste, den Forderungen der Stände zu entsprechen.13 11 TELESKO, 2012, S. 162; STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 90-94. 12 Details bei ARNETH, Bd. 1, 1863, S. 263-276, eine kurze Zusammenfassung bei STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 84-86. 13 Für Maria Theresia hatte dieser Kompromiss aber den Vorteil, dass sie die strittigen Punkte nicht in ihrem Krönungseid beschwören musste.
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Immerhin, am 25. Juni 1741 konnte die Krönung Maria Theresias zur Königin von Ungarn stattfinden. Im Verhältnis zu den schwierigen Verhandlungen im Vorfeld waren die zeremoniellen Fragen der Krönung einfach zu entscheiden, nachdem die grundsätzliche Frage geklärt worden war, ob man sich an dem Vorbild der früheren Königskrönungen oder der Königinnenkrönungen orientieren sollte. Rechtlich konnte es hier eigentlich keinen Zweifel geben: Maria Theresia war die Erbin ihres Vaters und folgte diesem in allen Rechten eines ungarischen Königs nach. Diese Rechte und Pflichten fanden ihre symbolische Repräsentation in der Königskrönung und demzufolge musste diese als Orientierung dienen. Der Obersthofmeister Rudolf Graf Sinzendorf brachte die Überlegungen Maria Theresia gegenüber auf den Punkt: »Eure königliche Majestät [solle] nicht als eine gemahlin eines Königs, sondern wie ein König selbst gecrönt werden.«14 Man zog also die Krönung Karls VI. 1712 und nicht diejenige Elisabeth Christines 1714 als Vorbild heran und nahm nur so wenig wie möglich Anpassungen vor. So trug Maria Theresia das schwere Krönungsschwert nicht selbst, sondern es wurde auf einem Polster getragen.15 Ansonsten aber wurde Maria Theresia wie die bisherigen Könige von Ungarn gekrönt, und das heißt auch, dass die Zeremonie ganz auf sie zugeschnitten war. Erneut durfte Franz Stephan den zentralen Akt, nämlich die Krönung im Martinsdom zu Pressburg, nur als Zaungast verfolgen. Dieses Mal musste man allerdings größere Mühen aufwenden, um dem Herzog einen geeigneten Platz zu verschaffen. Vor einem Fenster der Apsis wurde an der Außenwand der Kirche eigens ein Gerüst angebracht, sodass Franz Stephan sowie die Erzherzoginnen Maria Anna, die Schwester Maria Theresias, und Maria Magdalena, ihre Tante, von dort aus eine gute Sicht auf den in der Mitte der Apsis aufgestellten Thron und die gesamte Zeremonie hatten.
14 HHStA Wien, ZP 18, fol. 170r. Siehe dazu jetzt HERTEL, 2016, das Zitat auf S. 115. 15 EBD., S. 115f.
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Abb. 6: Skizze des Martinsdoms in Pressburg für den Krönungsgottesdienst 1741 (Ausschnitt). Legende: Nr. 1: Altar, Nr. 2: Ordinari-Thron, Nr. 8: Gerüst für die Erzherzoginnen Maria Anna und Maria Magdalena sowie Franz Stephan. HHStA Wien, ÄZA 40-11, fol. 190r. Am anschließenden Krönungsmahl durfte Franz Stephan dann allerdings wieder teilnehmen, musste aber im Vergleich zur Erbhuldigung mit einem schlechteren Platz vorliebnehmen. Denn neben Maria Theresia saßen jetzt die beiden Erzherzoginnen, erst dann kam Franz Stephan. Offenbar hielt man es im ungarischen Fall für besonders wichtig, die habsburgische Dynastie zu inszenieren, deren Erbrecht Ungarn mit der Pragmatischen Sanktion ja auch in weiblicher Linie anerkannt hatte – und dieser Dynastie gehörte Franz Stephan eben nicht an, das kam in dieser Platzierung deutlich zum Ausdruck.16 Um einen Ritt kam Maria Theresia in diesem Fall übrigens nicht herum – allerdings nicht auf dem Weg vom Schloss zur Kirche, denn die16 So auch STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 89.
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sen legte sie im Wagen zurück. Aber fester Bestandteil der ungarischen Krönungszeremonie war der Ritt des frisch gekrönten Königs auf den Krönungshügel. Für diese Zeremonie wurde Erde aus allen Komitaten Ungarns zu einem Hügel aufgeschüttet. Der König musste dann auf den Hügel hinaufreiten und ein Schwert in alle vier Himmelsrichtungen schwenken, um auf diese Weise deutlich zu machen, dass er das Königreich gegen Gefahren von allen Seiten verteidigen werde. Dieser Zeremonie unterzog sich nun auch Maria Theresia. Eine Schwangerschaft stand dem Ritt dieses Mal nicht entgegen, sodass die Königin den öffentlichkeitswirksamen Akt in den althergebrachten Formen vollziehen konnte. Gerade dieser Akt war es dann auch, der mehr noch als die Krönung selbst medial verbreitet wurde. So wurde eine Medaille auf das Ereignis geprägt, das eben diesen Ritt zeigte,17 zahlreiche Gemälde überlieferten das Bild von der Königin von Ungarn auf dem Krönungshügel18 und auf dem Doppelsarkophag für Maria Theresia und Franz Stephan sollte es dann diese Zeremonie sein, die die Herrschaft in Ungarn symbolisierte. Aufschlussreich ist auch die Beschreibung der Krönungsfeierlichkeiten durch Alfred von Arneth in seiner Biographie Maria Theresias. Normalerweise handelt Arneth Zeremonien eher knapp ab und konzentriert sich zeittypisch auf die politischen Verhandlungen und die militärischen Ereignisse, weist bei feierlichen Akten höchstens auf die Begeisterung hin, die Maria Theresia allenthalben entgegengeschlagen habe. In diesem Fall aber glaubt er bei Maria Theresia ein »Gefühl des Schmerzes« ausmachen zu können, weil Franz Stephan bei den Krönungsfeierlichkeiten eine »kränkende Zurücksetzung« erfahren habe, da er »nicht an dem Platze, welchen sie für ihn so sehr gewünscht hatte, nicht an ihrer Seite, nicht als ihr Gemahl – nur als einfacher Privatmann […] der Feierlichkeit beiwohnen [durfte]. Durch Nebengäßchen, von Niemand beachtet, mußte er sich dorthin verfügen.«19 Das freilich erscheint wenig glaubhaft, zumal Arneth als Zeugen für das Heranschleichen des Herzogs nur den venezianischen Gesandten anführt. Gegen diese Darstellung spricht zum einen der erhebliche Aufwand, der mit dem Bau des Gerüsts an der Kirche getrieben wurde. Zum anderen aber 17 Schau- und Denkmünzen, 1782/1970, Nr. XXIII. 18 SERFÖZÖ, 2017. 19 ARNETH, Bd. 1, 1863, S. 279.
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entsprach das Procedere in seinen Grundzügen dem bei der Erbhuldigung im Jahr zuvor. Es spiegelte exakt die rechtliche Stellung und den Rang der Ehepartner und dürfte von Maria Theresia deshalb nicht in Frage gestellt worden sein, um – wohl eher einer romantischen Vorstellung des 19. Jahrhunderts folgend – ihren Mann in diesem Moment an ihrer Seite zu haben. Die Akten geben jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass Maria Theresia den Versuch unternommen hätte, das Zeremoniell in diese Richtung zu ändern. Während die Erbhuldigung in Wien und die Krönung in Pressburg verhältnismäßig rasch nach dem Regierungsantritt Maria Theresias stattfanden, musste sie auf die Krönung zur Königin von Böhmen länger warten. Denn Ende 1741 eroberten französisch-bayerische Truppen Prag, am 19. Dezember 1741 ließ sich Karl Albrecht von Bayern im Veitsdom als König von Böhmen huldigen, nachdem er bereits am 2. Oktober 1741 kurz nach der Eroberung des Landes von den oberösterreichischen Ständen in Linz die Huldigung entgegengenommen hatte. Erst nach der Rückeroberung Böhmens um die Jahreswende 1742/43 konnte deshalb an die böhmische Krönung gedacht werden. Diese sollte verständlicherweise möglichst bald stattfinden, um deutlich zu machen, dass Maria Theresia die rechtmäßige Königin von Böhmen sei und Karl Albrecht als Usurpator sich diese Würde nur angemaßt habe. Politisch war im Vorfeld der böhmischen Krönung ebenso wie der oberösterreichischen Erbhuldigung, die direkt im Anschluss stattfinden sollte, vor allem zu klären, wie mit denjenigen umzugehen sei, die sich dem bayerischen Kurfürsten unterworfen hatten, den »Treulosen« also, wie sie in den österreichischen Quellen bezeichnet werden. Im Hinblick auf das Zeremoniell wurden zwar kurz noch einmal die bereits für Ungarn diskutierten, grundsätzlichen Fragen angesprochen, nämlich, ob Maria Theresia sich »mit denen Ceremonien und Solennitaeten als König und nicht als eine gemahlin eines Königs crönnen« lassen wolle,20 aber die Hofkonferenz war sich mit Maria Theresia erneut darüber einig, dass sie selbstverständlich mit den für einen König üblichen Zeremonien gekrönt werden sollte.21 Konkret hieß das beispielsweise, dass Maria The20 Promemoria über Sitzung der Hofkonferenz; HHStA Wien, ÄZA 42-1, fol. 138r-144v, hier fol. 143r-v. 21 Referat und Gutachten der Hofkonferenz Wien, 23.2.1743; EBD., fol. 166r180r, hier fol. 177v.
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resia in der Wenzelskapelle den königlichen Ornat anlegte und dann mit der Hauskrone auf dem Kopf vor den Altar trat. Wenn in den Akten auf die Tradition verwiesen wurde, wurde deshalb nicht nur die Krönung Karls VI. von 1723 als Vorbild herangezogen, sondern auch die Pressburger Krönung von 1741. Diese diente in den Fragen als Präzedenzfall, in denen es um den Umgang mit einer weiblichen Herrscherin und ihrem Gemahl ging. Erneut wurde deshalb nach einem Platz Ausschau gehalten, von dem aus Franz Stephan und Erzherzogin Maria Anna die Krönungszeremonie verfolgen konnten, und mit dem Oratorium auch gefunden, sodass dieses Mal weder bauliche Veränderungen noch das Anbringen eines Vorhangs nötig waren.22 Das war auch genau der Platz, von dem aus Kaiserin Elisabeth Christine 1723 die Krönung Karls VI. verfolgt hatte. Das Anbringen roter Damastvorhänge war hingegen nötig, um Franz Stephan und Maria Anna zu ermöglichen, auch die Huldigung inkognito zu beobachten23 – auch hier griff man auf das Vorbild von 1723 zurück. Lässt man die einzelnen Akte Revue passieren, so wird das Bemühen sichtbar, Maria Theresia als Landesfürstin in der Tradition ihrer Vorgänger zu präsentieren und die althergebrachten Akte möglichst unverändert stattfinden zu lassen. Änderungen wurden nur dort vorgenommen, wo es das Geschlecht, und das hieß konkret vor allem: eine Schwangerschaft, dies unumgänglich machten. Franz Stephans Rolle wurde zwar verschiedentlich diskutiert, im Prinzip aber war klar, welche Rolle er einzunehmen hatte, nämlich die der Gemahlin des Landesfürsten. Nur in einem Punkt war es nicht möglich, dass mit ihm wie mit einer königlichen Gemahlin verfahren wurde: Er konnte nicht als Gemahl der Königin zum König gekrönt werden, so wie Elisabeth Christine 1714 zur Königin von Ungarn gekrönt worden war. Die Krönungszeremonie, die der eines Königs entsprach, war übrigens unabhängig von dem jeweiligen Titel. Maria Theresia wurde in ihren beiden Königreichen wie ein König gekrönt. Dennoch trug sie in Böhmen den Titel einer Königin von Böhmen, während es in Ungarn offiziell für den Herrscher nur den Titel »Rex Hungariae« gab.24 In der 22 Project über die vorzunehmende königl. Böhmische Crönung; EBD, fol. 58r-130v, 133r-v, hier fol. 66r. 23 Project über die vorzunehmende königl. Böhmische Erbhuldigung in der Residenz-Stadt Prag; EBD., fol. 48r-57r, hier fol. 51v-52r. 24 HOLZMAIR, 1964.
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offiziellen Titulatur Maria Theresias stellte sich das Problem freilich nicht, da dort beide Königstitel zusammengefasst wurden, sodass sie als Königin von Ungarn und Böhmen firmierte.
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5. Die Kaiserwahl Franz Stephans und die Diskussion um eine Nicht-Krönung
Wohl jede Darstellung des Lebens Maria Theresias enthält den Hinweis, dass sie es abgelehnt habe, sich zur Kaiserin krönen zu lassen. Damit verknüpft werden zumeist Vermutungen darüber, was sie zu diesem Schritt veranlasst haben und welche Folgen diese Tatsache gehabt haben könnte. Die zuletzt gestellte Frage ist einfach zu beantworten: Die Krönung oder Nicht-Krönung einer Kaiserin zog keinerlei rechtliche oder auch zeremonielle Folgen nach sich.1 Kaiserin wurde eine Frau durch die Heirat mit dem Kaiser oder durch die Wahl des eigenen Ehemanns zum Kaiser. Dies betonten bereits die Reichspublizisten des 17. und 18. Jahrhunderts mit kaum zu überbietender Eindeutigkeit. So formulierte Jakob Karl Spener 1727 in seiner Staatsrechtslehre: »Des Käysers Standes.mäßige Gemahlin, bekommt gleich alle die Titel, Hoheit und Vorzüge, welche ihr das Herkommen verstattet, mit der Vermählung, ohne daß es einiger fernern Erklärung bedarff. Dahero wenn sie dem Herkommen nach, gecrönet wird, sie durch und nach der Crönung mehr nicht erlanget, als sie vorhero bereits gehabt.«2 Das heißt 1 2
So auch deutlich STOLLBERG-RILINGER, 2008, S. 190. Ebenso WANGER, 1994, S. 161. SPENER, 1727, S. 214f. Und Ahasver von Fritsch hatte bereits 1667 geschrieben, dass die Feierlichkeit der Krönung nicht nötig sei und daher dem Glanz des kaiserlichen (= der Kaiserin) Glücks weder etwas hinzufüge noch dieses vermindere, während Bernhard Ludwig Mollenbeck hervorhob, dass die Kaiserin allein durch die Ehe die kaiserliche Würde erlange,
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auch, dass die Kaiserin diesen Titel vom Tag der Wahl ihres Ehemannes an trug,3 und genauso hat es auch Maria Theresia gehandhabt. Insofern ist es eigentlich erstaunlich, dass dieser Nicht-Krönung im Falle von Maria Theresia stets so breiter Raum eingeräumt wird. Denn die Mehrheit der frühneuzeitlichen Kaiserinnen wurde nicht gekrönt,4 ohne dass dies in den eventuell vorhandenen Lebensabrissen besonders erwähnt oder gar als Defizit benannt werden würde. Wenn das bei Maria Theresia anders ist, so dürften dafür drei Gründe ausschlagge-
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was Jakob Bernhard Multz zu der Schlussfolgerung veranlasste, dass einer Kaiserin durch eine fehlende Krönung nichts abgehe; FRITSCH, 1667, S. 16; MOLLENBECK, 1682, S. 32; MULTZ, 1690, S. 245. Für die Hinweise auf die Reichspublizistik danke ich Katrin Keller. Freilich lassen sich zeitgenössisch einige Unsicherheiten hinsichtlich der Titulatur beobachten, die darauf hindeuten, dass der Zeitraum zwischen Wahl und Krönung als eine Art Zwischenstatus wahrgenommen wurde. Auf den Medaillen, die anlässlich der Wahl Franz Stephans geprägt wurden (Schau- und Denkmünzen, 1782/1970, Nr. XLVIII-LIII), wurde der Kaisertitel verwendet, ebenso auf der Medaille auf den Einzug in Frankfurt nach der Wahl; EBD., Nr. LIV. Im Wiener Diarium wird Franz Stephan für den 25. September (die Wahl war am 13. September erfolgt, die Krönung fand am 4. Oktober statt) als »Seine Röm. Königl. und Kaiserliche Majestät« bezeichnet und Maria Theresia als »Röm. Königin« (Wiener Diarium, 6.10.1745, Anhang, S. 8); im weiteren Verlauf des Berichts über den Einzug in Frankfurt ist von Franz Stephan dann als »Ihro Kaiserl. Majestät« die Rede; EBD., S. 9. In derselben Ausgabe wird bei dem Bericht aus Frankfurt vom 26. September Franz Stephan zunächst als römischer König und künftiger Kaiser aufgeführt und Maria Theresia entsprechend als »Römische auch zu Hungarn und Böheim Königin und künftige Kaiserin«, während im weiteren Verlauf des Berichts beide dann wieder als König und Königin firmieren; EBD., S. 9. Eindeutig der Kaisertitel benutzt wird hingegen im Konferenzprotokoll vom 1. Oktober 1745, wo als Anwesende an erster Stelle genannt sind »Ihre Kays. Mayt., Ihre Mayt. die Kayserin«; HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 55, Protokolle und Vorträge 1745 VII–XII, fol. 104r. Ein Hinweis auf diese Diskrepanz auch bei WANGER, 1994, S. 71 für 1612: Matthias ritt »unter einem […] Baldachin, der ihm in einer Aufschrift bereits den Kaisertitel zuerkannte, obwohl der Gewählte vor der Krönung selbst nur den Titel Römischer König führte.« Nur sechs der insgesamt 19 Kaiserinnen bzw. Römischen Königinnen der Frühen Neuzeit wurden gekrönt: Anna, die Ehefrau Matthias‘, 1612; Eleonore, die zweite Ehefrau Ferdinands II., 1630; Maria Anna, die erste Ehefrau des Römischen Königs Ferdinands (III.), 1637; Eleonore, die dritte Ehefrau Ferdinands III., 1653; Eleonore Magdalena, die dritte Ehefrau Leopolds I., 1690 und Maria Amalia, die Ehefrau Karls VII., 1742. Zu den Kaiserinnenkrönungen siehe FÜHNER, 2007; KELLER, 2019.
Die Kaiserwahl Franz Stephans
bend sein: Zum einen ist seit langem bekannt, dass Maria Theresia sich in diesem Punkt gegen ihren Ehemann und ihre Räte durchsetzte, die für eine Krönung votiert hatten – vergleichbare Diskussionen sind für andere Nicht-Krönungen nicht bekannt.5 Zum zweiten fiel ihre Weigerung umso mehr auf, als sie eigens zur Krönung ihres Mannes nach Frankfurt reiste, die Nicht-Krönung sich also nicht zwangsläufig aus der Nicht-Anwesenheit ergab.6 Zum dritten aber war es eben doch ein ungewöhnliches Kaiserpaar, bei dem offensichtlich war, dass der Kaiser seine Wahl allein der Hausmacht seiner Frau verdankte. Die Frage der Krönung sagt damit auch etwas aus über das Verhältnis des Kaisers zur Königin von Böhmen und Ungarn sowie Erzherzogin von Österreich – und muss deshalb auch hier thematisiert werden. Bevor es aber soweit war, musste Franz Stephan erst einmal zum Kaiser gewählt werden. Und eine solche Wahl war ja schon einmal gescheitert. Anfang 1742 hatten die Kurfürsten ihren bayerischen Kollegen Karl Albrecht zum Kaiser gewählt. Diese Wahl war für das Haus Habsburg auf der ganzen Linie ein Desaster gewesen. Nicht nur des Wahlergebnisses wegen; im Vorfeld der Wahl war auch die Übertragung der böhmischen Kurstimme auf Franz Stephan von den anderen Kurfürsten abgelehnt worden,7 die böhmische Kur wurde in der Folge von der Wahl ausgeschlossen. Schon aus diesem Grund hielt man in Wien die Wahl Karls VII. für nicht rechtmäßig. Am 20. Januar 1745 aber starb Karl VII. Es musste also nach nur drei Jahren erneut ein Kaiser gewählt werden. Und dieses Mal standen die Chancen für Franz Stephan besser. Denn ein ernsthafter Konkurrent war nicht in Sicht. Der junge bayerische Kurfürst signalisierte schnell, dass er zu einem Ausgleich mit Habsburg bereit sei, und das schloss den Verzicht auf eine Bewerbung um die Kaiserwürde ein – Max Joseph hatte wohl erkannt, dass sein Vater das Kurfürstentum mit dem Kaiseramt überfordert hatte. Friedrich II. von Preußen kam nicht in 5
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Bei der ersten frühneuzeitlichen Kaiserinnenkrönung 1612 war lediglich diskutiert worden, ob Kaiserin Anna zusammen mit ihrem Mann gekrönt werden sollte oder separat. Anna setzte sich mit ihrem Wunsch nach einer separaten Krönung durch; FÜHNER, 2007, S. 295; WANGER, 1994, S. 162. Zuvor war in der Frühen Neuzeit nur ein einziges Mal, nämlich bei der Krönung Maximilians II. zum Römischen König 1562, die Ehefrau anwesend gewesen, ohne ebenfalls gekrönt zu werden. ARETIN, Bd. 2, 2005, S. 418f.
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Frage, ebenso wenig der sächsische Kurfürst und König von Polen. Es lief also letztlich alles auf Franz Stephan zu. Auch die Frage der böhmischen Kur war jetzt zur Zufriedenheit Wiens geregelt worden.8 Was in Wien in diesem Frühjahr 1745 übrigens überhaupt nicht diskutiert wurde, war die Frage, ob Franz Stephan sich erneut um die Kaiserkrone bewerben solle. Sobald die Nachricht vom Tod des wittelsbachischen Kaisers in Wien eingetroffen war, ging es allein darum, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten, um Franz Stephan die Kaiserkrone zu sichern und gleichzeitig Schlesien zurückzugewinnen. Beide Fragen hingen untrennbar zusammen. Denn die österreichische Besetzung Bayerns diente auch dem Zweck, ein Tauschobjekt gegen Schlesien in die Verhandlungen einbringen zu können. Sollte aber der bayerische Kurfürst für die Wahl Franz Stephans gewonnen werden, so war dies nicht denkbar ohne eine Restitution Bayerns an die Wittelsbacher, das Faustpfand für Schlesien musste also aus der Hand gegeben werden. Dass Maria Theresia dennoch zuerst den Ausgleich mit Bayern suchte, verdeutlicht die hohe Priorität, die sie der Gewinnung der Kaiserkrone beimaß. Nicht nur, dass die kaiserliche Würde aus habsburgischer Sicht ihren natürlichen Platz ohnehin in Wien hatte – in der damaligen Situation sprachen aus Wiener Sicht auch ganz handfeste machtpolitische Überlegungen für diese Option. Denn nur so konnte es gelingen, dem preußisch-französischen Gegner die Ressourcen des Reichs zu entziehen. Zwar hatte Karl VII. die schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass es um diese Ressourcen in Form von Geld oder Truppen eher schlecht bestellt war, aber was der Kaiser im Prinzip stets in die Waagschale werfen konnte, war die kaiserliche Autorität und Legitimität, die eine geschickte Politik dann eben auch durchaus in Geld und Truppen ummünzen konnte. Zudem konnte nur so die Verbindung in die österreichischen Niederlande gesichert werden. Diese Zusammenhänge waren den Wiener Ministern und Maria Theresia selbstverständlich bewusst, und sie dürften ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass man 1745 alles daran setzte, die Kaiserwahl nicht erneut zu einem Fiasko werden zu lassen. Inwiefern bei Maria Theresia dabei auch der persönliche Wunsch mitspielte, »ihren geliebten Gatten erhöht zu sehen,
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Zu den Details der Verhandlungen im Vorfeld der Wahl: ARETIN, Bd. 3, 1997, S. 19-24.
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dessen untergeordnete Stellung sie bedrückte«,9 sei dahingestellt. Die politischen Argumente sprachen eindeutig genug für die Bewerbung um die Kaiserkrone. Obwohl ein Ausgleich mit Bayern bereits am 22. April 1745 im Frieden von Füssen erzielt werden konnte und an der Zustimmung der Kurfürsten von Mainz, Trier und Hannover ohnehin nicht zu zweifeln war, konnte die Wahl Franz Stephans noch nicht als völlig gesichert gelten. Zu den Unsicherheitsfaktoren gehörte die Anwesenheit französischer Truppen rechts des Rheins. Zwar war man auch in Frankreich zu der Überzeugung gelangt, dass alles auf eine Wahl Franz Stephans hinauslief,10 aber man wollte sich doch nicht vorschnell geschlagen geben und die Wahl wenigstens hinauszögern. Mit diesem Ziel hatten französische Truppen die Wahlstadt Frankfurt eingekreist und somit das Zusammentreten des Wahlkongresses verhindert. Da man in Wien an einer möglichst raschen Wahl interessiert war, galt es, die französischen Truppen aus der Umgebung von Frankfurt zu vertreiben. Bei dem Heer, dem es am 19. Juli gelang, die französischen Einheiten zum Rückzug auf das linke Rheinufer zu veranlassen, befand sich auch Franz Stephan. Am 28. Juni hatte er Wien verlassen, um sich zur österreichischen Armee an den Rhein zu begeben. Nominell wurde ihm der Oberbefehl übertragen, de facto lag er freilich bei Feldmarschall Otto Ferdinand Graf von Traun. Ganz offensichtlich sollte erneut versucht werden, Franz Stephan zu militärischen Meriten zu verhelfen. Der Kandidat für das kaiserliche Amt sollte sich als erfolgreicher Heerführer präsentieren und damit seine Fähigkeit unter Beweis stellen, das Reich vor seinen Feinden schützen zu können. An diesem mit dem kaiserlichen Amt untrennbar verbundenen Anspruch war Karl VII. ja ganz offensichtlich gescheitert. Allerdings war der Zug des Kandidaten mit seinen Truppen Richtung Frankfurt ein durchaus zweischneidiges Schwert. Denn auf keinen Fall durfte der Eindruck entstehen, der Großherzog versuche die in Frankfurt versammelten Kurfürsten durch die militärische Präsenz 9
HENNINGS, 1961, S. 256f. In eine ähnliche Richtung zielt auch die Äußerung von Arneth: »Gerade die persönliche Erhebung ihres Gemahls auf den Kaiserthron war es jedoch, was Maria Theresia immer mit größter Lebhaftigkeit gewünscht hatte. Mit erneuerter Kraft erwachte diese Sehnsucht in ihr, als die Nachricht vom Tode des Kaisers nach Wien gelangte.« ARNETH, Bd. 3, 1865, S. 7. 10 ARETIN, Bd. 3, 1997, S. 21.
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unter Druck zu setzen und gefährde damit die Freiheit der Wahl. Um solchen Anschuldigungen von vornherein den Boden zu entziehen, zogen sich die österreichischen Truppen nach der Vertreibung der Franzosen in die Gegend von Heidelberg zurück. Dort schlugen sie für die kommenden Wochen ihr Hauptquartier auf, dort harrte auch Franz Stephan der kommenden Ereignisse. Außerordentlich eng war in diesen Wochen die Kommunikation zwischen dem österreichischen Hauptquartier am Rhein und Wien. Und obwohl in diesem Fall mit dem Mann korrespondiert wurde, der höchstwahrscheinlich in Kürze Kaiser sein würde, ist doch unübersehbar, dass die wichtigen Entscheidungen in Wien gefällt wurden und Franz Stephan weitgehend nur Informationen zur Kenntnis zu nehmen hatte. In engem Abstand wurden dem Großherzog Noten übersandt, die ihn über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden hielten.11 Dabei wurde ihm nur in eher marginalen Fragen, z. B. der, wem welche Nachrichten weitergeleitet werden sollten, ein eigener Entscheidungsspielraum zugebilligt.12 Nach außen residierte im österreichischen Hauptquartier der Oberbefehlshaber der österreichischen Truppen und präsumtive Kaiser, im internen Verkehr freilich erscheint sein Handlungsspielraum doch eher begrenzt. Das zeigte sich letztlich auch bei der vieldiskutierten Frage nach der Krönung Maria Theresias. Diese Debatte begann bereits lange vor der Wahl. Als in Frankfurt am 4. August endlich die offiziellen Vorverhandlungen zur Wahl eröffnet wurden, war man in Wien in Gedanken schon weiter. Ganz offensichtlich hielt man die Wahl Franz Stephans nur noch für eine Formsache und wandte sich deshalb unverzüglich der Planung der nächsten Schritte zu. Insbesondere für den Einzug des künftigen Kaisers in Frankfurt und die Krönung waren umfangreiche Vorbereitungen zu treffen. Dementsprechend wurde darüber korrespondiert, welche und wie viele Equipagen, Livreen, Möbel und Pferde benötigt würden, ob diese aus Wien nach Frankfurt geschickt oder aus
11 HHStA Wien, Staatskanzlei Vorträge 55, Referate und Protokolle 1745 VII-XII, fol. 23r-24r (3.8.1745), 25r-26r (5.8.1745), 31r-v (29.8.1745), 42r-46v (4.9.1745), 48r (5.9.1745), 50r (6.9.1745). 12 EBD., fol. 31r-v, hier fol. 31r (Nota für Franz Stephan vom 29.8.1745); fol. 42r-46v, hier fol. 42r (Nota für Franz Stephan vom 4.9.1745).
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Kosten- und Zeitgründen von Frankfurt aus besorgt werden sollten.13 Es wurden Berechnungen über die zu erwartenden Kosten angestellt – und das angesichts der aufgrund der andauernden Kriege ohnehin völlig leeren Kassen. Dennoch wurde an Sinn und Nutzen dieser Investition keinen Augenblick gezweifelt. Während es bei diesen Fragen eher um Details ging, prallten in der Debatte um die Reise Maria Theresias nach Frankfurt die Standpunkte hart und grundsätzlich aufeinander. Offensichtlich hatte Maria Theresia frühzeitig signalisiert, dass sie nach Frankfurt reisen wollte, möglicherweise schon vor Franz Stephans Abreise aus Wien. Denn in der vorliegenden Korrespondenz wird an keiner Stelle erörtert, ob Maria Theresia nach Frankfurt reisen sollte, diese Absicht wurde vielmehr vorausgesetzt. Diskutiert wurde lediglich das Wie der Reise, also vor allem die Frage der Krönung. Am 5. August taucht das Thema erstmals in der Korrespondenz auf. Da Franz Stephan seinen diesbezüglichen Satz aber mit den Worten »ich wiederhole« einleitete, war also offensichtlich schon früher darüber gesprochen worden. Was der Großherzog seiner Frau gegenüber wiederholte, war seine Überzeugung, dass sie sich krönen lassen »müsse«, um einen schlechten Eindruck zu vermeiden, da jedermann die Krönung erwarte. Er fügte noch hinzu, dass dies nicht einmal vier Tage koste – vermutlich hatte Maria Theresia die für die Krönung notwendige Verlängerung des Aufenthalts ins Feld geführt.14 Am 18. August richtete Franz Stephan dann einen geradezu flehentlichen Appell an Bartenstein, um die Königin von ihrer Weigerung, sich krönen zu lassen, abzubringen – offenbar hatte er selbst jede Hoffnung aufgegeben, brieflich in dieser Frage etwas bewegen zu können. Erneut verwies er auf den ungünstigen Eindruck, den ihre Weigerung hervorrufen würde, da sie als Verachtung der Zeremonie ausgelegt werden könnte. Zweimal betonte er dann, dass diese Krönung nicht gegen ihre Würde als König verstoße oder mit dieser unvereinbar sei.15 Falls aber 13 Siehe z. B. Franz Stephan an Maria Theresia, Heidelberg, 11.8.1745; HHStA Wien, Familienkorrespondenz A 36-1, fol. 708r-v, 712r-v. 14 Franz Stephan an Maria Theresia, Heidelberg, 5.8.1745; EBD., fol. 698r700v, hier fol. 700r; der auf die Krönung bezogene Satz gedr. bei ARNETH, Bd. 3, 1865, S. 430. 15 »et net en rien contre sa quallité de Roy«; »qui et tres conpatible aveque sa dinité de Roy«. Franz Stephan an Bartenstein, Heidelberg, 18.8.1745; HHStA Wien, Familienkorrespondenz A 25-10, fol. 80r; zit. bei ARNETH,
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Maria Theresia bei ihrer Haltung bleibe, sei es besser, wenn sie gar nicht erst nach Frankfurt komme. Maria Theresia hingegen beharrte auf ihrem Standpunkt: Sie wollte nach Frankfurt kommen, sich aber nicht krönen lassen. Auf einem Referat der Hofkonferenz vom 21. August 1745, in dem Details der Krönungsvorbereitungen diskutiert wurden und auch Fragen, die den Fall betrafen, »wan Ewr königl. Mayt. sich crönen zu lassen gesinnet wäre«, notierte sie lapidar: »Lasse mich nicht Crönen«.16 Wie aufgeheizt die Diskussion war, kann man daran erkennen, dass Maria Theresia offenbar sogar die Befürchtung hegte, nach ihrer Ankunft in Frankfurt überrumpelt und zur Krönung quasi gezwungen zu werden, was sie zu der Überlegung veranlasste, ob es vielleicht doch besser sei, sich gar nicht erst nach Frankfurt zu begeben.17 Geradezu verzweifelt mutet der Vorschlag Ulfelds an, so zu tun, als ob Maria Theresia sich krönen lassen wolle, und deshalb auch alle dafür notwendigen Utensilien nach Frankfurt schaffen zu lassen und dort die Krönung dann wegen Beschwerden aufgrund ihrer Schwangerschaft abzusagen.18 Ulfeld hoffte wohl, auf diese Weise aller Welt die Bereitschaft Maria Theresias zur Krönung vorführen zu können und damit ihren Respekt vor dem Reich und seinen Zeremonien deutlich werden zu lassen. Dass das Ganze eine ziemlich unwürdige Schmierenkomödie geworden wäre, die mit ziemlicher Sicherheit aufgeflogen wäre oder zumindest zu Spekulationen Anlass geboten hätte, kam ihm wohl nicht in den Sinn. Denn warum hätte die schwangere Königin, die die Strapazen der Reise überstanden hatte, dann die Krönung nicht mehr aushalten können sollen? Zumal man bei einem plötzlichen Unwohlsein die Zeremonie auch um ein paar Tage hätte verschieben können. Was Ulfeld hier vorschlug, war
Bd. 3, 1865, S. 430; eine deutsche Paraphrase bei ZEDINGER, 2008, S. 189. Das Stück ist nicht adressiert, eine archivarische Notiz gibt Bartenstein als Empfänger an, Arneth hingegen nennt Ulfeld als Adressaten; ARNETH, Bd. 3, 1865, S. 430. 16 HHStA Wien, ZP 20, fol. 181v-182r. 17 Ulfeld an Franz Stephan, Wien, 22.8.1745; HHStA Wien, Reichskanzlei, Wahl- und Krönungsakten 65, fol. 230r-232v, hier fol. 230v; z. T. gedr. bei ARNETH, Bd. 3, 1865, S. 429; ein Satz in deutscher Paraphrase bei ZEDINGER, 2008, S. 189. 18 Ulfeld an Franz Stephan, Wien, 22.8.1745; HHStA Wien, Reichskanzlei, Wahl- und Krönungsakten 65, fol. 230r-232v, hier fol. 231r.
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sicherlich keine gute Idee, offenbart aber die Ratlosigkeit, die bei Franz Stephan und den Ministern in Wien herrschte. Denn alles Argumentieren half nichts, Maria Theresia blieb bei ihrer einmal getroffenen Entscheidung – und sorgte damit bei den Zeitgenossen wie bei den späteren Historikern für Spekulationen über ihre Beweggründe. Bevor diese auf ihre Plausibilität hin befragt werden, verdienen einige Punkte festgehalten zu werden. Zum einen ist es angesichts der bekannten Reiseunlust Maria Theresias unübersehbar, wie wichtig ihr die Reise nach Frankfurt war. Sie selbst begründete ihren Wunsch an keiner Stelle, aber eine emotionale Komponente scheint hier deutlich mitgespielt zu haben. Vielleicht wollte sie tatsächlich vor allem Zeugin der Erhöhung ihres Gatten sei. Vielleicht auch wollte sie Präsenz bei einem Akt zeigen, der vor drei Jahren aus ihrer Sicht zu Unrecht an Karl VII. und seiner Gemahlin vollzogen worden war. Ihre Präsenz unterstrich, dass die Kaiserkrone nun wieder an ihren – aus habsburgischer Sicht – angestammten Platz kam, nämlich nach Wien und damit in die habsburgische Dynastie.19 Vielleicht war ihre Anwesenheit bei der Krönung Ausdruck eines eher unspezifischen Triumphs angesichts der vielen in den letzten Jahren überwundenen Schwierigkeiten und konnte damit als Signal verstanden werden, dass dieses, nun erneut durch das Kaisertum legitimierte Haus auch den noch verbliebenen Hindernissen trotzen werde. Zum anderen ist auf einen formalen Aspekt hinzuweisen. Da die Krönung der Kaiserin nicht notwendig war, lag die Entscheidung darüber allein beim Kaiser. Er bestimmte, ob seine Frau gekrönt werden sollte oder nicht. Formal war das auch 1745 so, indem Franz Stephan eben nicht beim Erzbischof von Mainz um die Krönung seiner Frau nachsuchte. Aber er verzichtete auf diese Bitte gegen seine Überzeugung, und so hat 1745 de facto die Kaiserin die Frage der Krönung entschieden: ein deutlicher Ausdruck der aus dem üblichen Rahmen fallenden Konstellation. Was aber bewog Maria Theresia zu ihrer Entscheidung? In den Quellen werden verschiedene Deutungsmuster angeboten, die von der 19 Das war selbstverständlich mindestens nicht ganz korrekt, denn genau wie 1742 entstammte auch 1745 nur die Kaiserin der habsburgischen Dynastie. Aber Franz Stephan hatte – anders als Karl VII. – seine Wahl seiner Frau zu verdanken, die eben nicht nur der habsburgischen Dynastie entstammte, sondern die Landesherrin des Habsburgerreiches war.
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Forschung auch aufgegriffen worden sind. Die ältere Forschung hielt zunächst einmal den Hinweis auf ihre Schwangerschaft für plausibel.20 Angeführt wurde in diesem Zusammenhang häufig die Aussage Maria Theresias, dass sie sich nicht krönen lassen wolle »dans l’etat où je suis«,21 was dann als »Zustand« im Sinne von »Umstände«, also Schwangerschaft, verstanden wurde, eine Übersetzung, die freilich keineswegs zwingend ist. Ohnehin vermag das Argument nicht zu überzeugen. Selbst wenn die Schwangerschaft in den Überlegungen Maria Theresias eine Rolle gespielt haben sollte, so hätte diese mehr gegen die Reise als gegen die Krönung gesprochen.22 Hinzu kam: Maria Theresia arbeitete üblicherweise bis kurz vor der Geburt, empfing fast bis zuletzt Minister und auswärtige Gesandte. Da erscheint es kaum plausibel, dass ihr eine Krönung in der ersten Hälfte der Schwangerschaft irgendwie als unpassend oder zu anstrengend erschienen wäre. Auch das finanzielle Argument, das z. B. Arneth anführt,23 sprach eher gegen die Reise als gegen die Krönung. Die für eine Kaiserinnenkrönung zusätzlich notwendigen Anschaffungen und Ausgaben dürften sich angesichts der insgesamt hohen Kosten doch eher in Grenzen gehalten haben. Außerdem ist Maria Theresia nicht gerade dafür bekannt, dass sie sich aufgrund finanzieller Erwägungen von etwas abhalten ließ. Damit bleibt vor allem der Hinweis auf die beiden Kronen, die Maria Theresia bereits trug. Dabei war sicher nicht entscheidend, dass »das mystische und kraftspendende Erlebnis von Preßburg […] zu stark […] und daher unvergessen« gewesen sei, weshalb sie »schon die Pra-
20 ARNETH, Bd. 3, 1865, S. 105, schreibt von »ziemlich vorgeschrittener Schwangerschaft«, was für Ende des 4. Monats doch etwas übertrieben erscheint. Ähnlich GUGLIA, Bd. 1, 1917, S. 266. Noch LAU, 2016, S. 99 führt allein die Schwangerschaft als Grund an, wenn auch mit einem einschränkenden »vorgeblich«. Dass die Schwangerschaft lediglich einen gern genutzten Vorwand bildete, hatte bereits Maria Theresias Großmutter, Herzogin Christine Luise von Braunschweig-Wolfenbüttel deutlich formuliert; KELLER, 2019. 21 HHStA Wien, Reichskanzlei, Wahl- und Krönungsakten 65, fol. 248r.; das Zitat gedr. bei ARNETH, Bd. 3, 1865, S. 420, Anm. 15. 22 Maria Theresia wäre zudem nicht die erste Kaiserin gewesen, die bei ihrer Krönung schwanger war. Eleonore Magdalena, die dritte Gemahlin Kaiser Leopolds I., wurde am 19. Januar 1690 gekrönt, am 22. Juli brachte sie eine Tochter zur Welt. 23 ARNETH, Bd. 3, 1865, S. 105.
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ger Krönung als eine seelische Wertverminderung empfunden« habe,24 dass sie also gegen Krönungen schon abgestumpft gewesen sei. Schwerer wiegt das Argument, Maria Theresia habe sich einer Krönung nicht unterziehen wollen, die ihr nur als Gattin des Kaisers gegolten hätte, nachdem sie bereits zwei Mal mit einer Krone aus eigenem Recht gekrönt worden war. Das dürfte Ulfeld gemeint haben, wenn er von ihren »männlichen« Kronen sprach25 – »männlich«: das hieß in diesem Fall »aus eigenem Recht«. Ulfeld zitierte Maria Theresia dann weiter mit dem Satz, dass sie für eine Krone »ne vouloit plus changer de Sexe«.26 Mit den Kronen von Böhmen und Ungarn und als Erbin ihres Vaters hatte Maria Theresia nämlich eine männlich konnotierte Herrschaftsposition errungen und war deshalb auch nach dem Ritual für einen König und nicht dem für eine Königin gekrönt worden. Für die Krönung in Frankfurt aber hätte sie sozusagen zum weiblichen Geschlecht wechseln müssen, um sich zur Kaiserin krönen zu lassen. Eine solche Krönung als Ehefrau aber empfand sie als minderwertig im Vergleich zu ihren männlichen Kronen.27 Vor diesem Hintergrund gewinnt auch ihr Hinweis auf ihren »etat« eine andere Bedeutung. Wenn man »etat« als Stand versteht, also als Hinweis auf ihren Stand als Königin von Böhmen und Ungarn, dann war es eben dieser Stand als Königin aus eigenem Recht, der sie daran hinderte, sich zur Kaiserin krönen zu lassen. Maria Theresias Absage an eine eigene Krönung entsprang also einer sehr präzisen und kenntnisreichen Kalkulation. Zum einen wusste sie sehr wohl einzuschätzen, dass ihr diese Krönung keine zusätzliche Würde oder Legitimation verschaffte, sie hatte diese erneute Krönung nicht nötig. Zum anderen aber sah sie sehr deutlich, dass eine Kaiserinnenkrönung die Kaiserin als Gemahlin des Kaisers und damit als diesem nachgeordnet inszenierte – und das hielt sie mit ihrer Würde als
24 HENNINGS, 1961, S. 266. Völlig falsch ist übrigens die ebd. zu findende Behauptung, dass die Kaiserin mit einem Diadem gekrönt wurde. Die Kaiserin wurde vielmehr mit der Reichskrone, d. h. der sogenannten Krone Karls des Großen, gekrönt; KELLER, 2019. 25 Ulfeld an Franz Stephan, Wien, 22.8.1745; HHStA Wien, Reichskanzlei, Wahl- und Krönungsakten 65, fol. 230r-232v, hier fol. 230v-231r: »Elle regarde ce couronnement au dessous des deux couronnes Masculines qu’Elle porte.« 26 EBD., fol. 231r. 27 Siehe dazu jetzt ausführlich KELLER, 2019.
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souveräne Königin von Böhmen und Ungarn für unvereinbar.28 Diese nachgeordnete Stellung der Kaiserin aber war der Zeremonie ihrer Krönung inhärent und konnte auch nicht geändert werden. Denn es war der Kaiser, der um die Krönung seiner Gemahlin bat, die Kaiserin zog zur Linken ihres Mannes in den Dom ein, sie wurde zwar ebenfalls mit der Reichskrone gekrönt, erhielt aber nicht das Schwert und wurde weder am Scheitel noch an den Händen gesalbt. Für eine normale Kaiserin fiel das nicht ins Gewicht, da sich ihr Status allein auf ihre Ehe mit dem Kaiser gründete – und genau dies war bei Maria Theresia eben anders. Insofern wäre diese Krönung tatsächlich eine »Komödie« gewesen, wie sie gegenüber Ulfeld formulierte.29 Darin drückte sich also nicht eine Geringschätzung gegenüber der Krönungszeremonie als solcher aus, wie sie Joseph II. dann anlässlich seiner Krönung 1764 äußern sollte,30 und schon gar nicht eine Distanzierung gegenüber dem Reich. Denn dann wäre es kaum nachvollziehbar, weshalb Maria Theresia so auf den Erwerb der Kaiserkrone für ihren Mann gedrungen hatte und weshalb sie auf einer Ausübung des Erbschenkenamts durch Böhmen drang, die lange Zeit unterblieben war.31 Zur Debatte stand nicht das Verhältnis Maria Theresias zum Reich, sondern die Inszenierung als Ehefrau des Kaisers oder Herrscherin aus eigenem Recht. Nach außen freilich wurden diese Differenzen nicht sichtbar. Liest man die Berichterstattung im Wiener Diarium, so schien es die normalste Sache der Welt zu sein, dass die Frau des künftigen Kaisers zur Krönung anreiste und an den Feierlichkeiten teilnahm, sich selbst aber nicht krönen ließ. Gerade der letztgenannte Punkt wurde an keiner Stelle thematisiert. Ebenso wie andere Kaiserinnen vor ihr beobachtete Maria Theresia den Einzug ihres Mannes als Zuschauerin, denn diese Zeremonie galt allein dem neu gewählten Kaiser. So wird über den Tag des Einzugs nach Frankfurt berichtet: »Ihro Majest. die Röm. Königin, welche alschon um 11 Uhr incognito in hiesiger Stadt eingetroffen, und 28 In diesem Sinne, wenn auch ohne Nachweis, bereits SCHMID, 1990, S. 236. 29 Die Bezeichnung der Krönung als »Komödie« ist nur überliefert in einem Schreiben Ulfelds an Franz Stephan, der ein Gespräch mit Maria Theresia referiert; Ulfeld an Franz Stephan, Wien, 22.8.1745; HHStA Wien, Reichskanzlei, Wahl- und Krönungsakten 65, fol. 230r-232v, hier fol. 231r; gedr. bei ARNETH, Bd. 3, 1865, S. 429f., Anm. 13, hier S. 429. 30 BEALES, Bd. 1, 1987, S. 114f. 31 HHStA Wien, Zeremonialakten Sonderreihe 14, fol. 88r.
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in dem Gast-Haus zum Röm. Kaiser abgetretten waren, sahen den Zug auf der Altane bemeldten Gast-Hauses vorbey gehen.«32 Zunächst hatte Maria Theresia die Absicht geäußert, den Einzug incognito zu verfolgen, weshalb man einen einfachen Teppich über das Geländer gehängt hatte. Nachdem sie sich aber schließlich dafür entscheiden hatte, »den kayserl. Einzug öffentlich in allerhöchsten Augenschein zu nehmen«,33 war der Balkon entsprechend präpariert worden: mit einem Teppich aus rotem Samt mit goldenen Bordüren sowie mit einem reich verzierten Sessel mit Rücken und Armlehne.34 In der Zeitung heißt es dann weiter: »Ihro Majestät die Königin, welche besonders gegen Ihro Churfürstl. Gnaden von Maynz im Vorbeyfahren und die hohe Herren Gesandten sich sehr huldreich bezeigeten, beliebten gegen Ihro Röm. Königl. und Kaiserliche Majestät zwey tieffe Neigungen zu machen.«35 Das heißt, Maria Theresia wurde selbstverständlich wahrgenommen, sie verschwand nicht einfach in der Menge der Zuschauer, ganz im Gegenteil. Das Krönungsdiarium vermerkt ausdrücklich, dass sie als »großmüthige Beschützerin der Teutschen Freyheit« gefeiert worden sei.36 Ihre Zuschauerrolle, die sie als Gattin des Kaisers wahrnahm, erlaubte es ihr gleichzeitig, ihre eigene Rolle zu verkörpern, als habsburgische Erbin, die gegen die französisch-preußischen Angriffe für ihr Erbe und für die deutsche Freiheit gekämpft hatte. Dieses wohl kalkulierte Spiel mit den verschiedenen Rollen lässt sich auch in den kommenden Tagen beobachten. Als das Herrscherpaar zwei Tage nach dem Einzug in Frankfurt das österreichische Hauptquartier in Heidelberg besuchte, reisten die beiden selbstverständlich gemeinsam: Die Landesfürstin und ihr Oberbefehlshaber inspizierten ihre Truppen, Franz Stephan zu Pferd und Maria Theresia im offenen Wagen, anschließend fuhren sie gemeinsam durch das Lager.37 Bei der Tafel saß Maria Theresia zur Rechten ihres Mannes, da ihr als der Landesfürstin die bessere Seite zustand. Zum Abschluss der Truppeninspektion erhielt jeder Soldat ein Geldgeschenk in Höhe von 1-2 Gul32 33 34 35 36 37
Wiener Diarium, 6.10.1745, Anhang S. 8. Vollständiges Diarium, 1746, S. 43. EBD., und ebenso HHStA Wien, ZP 20, fol. 246v. Wiener Diarium, 6.10.1745, Anhang S. 8. Vollständiges Diarium, 1746, S. 43. Wiener Diarium, 13.10.1745, S. 4.
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den38 – und zwar selbstverständlich auf Geheiß der Königin, denn schließlich waren es ja ihre Truppen. Es wurde mithin genau nach den unterschiedlichen Anlässen und damit den unterschiedlichen Rollen differenziert – einmal der (künftige) Kaiser und seine Ehefrau, dann wieder die Königin von Böhmen und Ungarn sowie Erzherzogin von Österreich und ihr Ehemann, der als Oberbefehlshaber ihre Truppen befehligte. Stets musste also bedacht werden, in welcher Funktion Maria Theresia und Franz Stephan auftraten. Nachdem man ab 1740 zeremonielle Lösungen für die Konstellation souveräne Landesfürstin + Gemahl gefunden hatte, bedurfte es nunmehr der Regelungen für die noch wesentlich kompliziertere Konstellation souveräne Landesfürstin + Kaiser, eine Konstellation, für die es erst recht keinen Präzedenzfall gab. Die genaue Beachtung der neuen Rollen ist ansatzweise – wenn auch noch tastend und etwas improvisiert aufgrund der räumlichen Verhältnisse – während des Frankfurter Aufenthaltes zu beobachten. An den Tagen nach dem feierlichen Einzug empfing Franz Stephan die kurfürstlichen Wahlbotschafter. Nach der Audienz beim Erwählten Römischen Kaiser wurden die Botschafter zu Maria Theresia geleitet. Zu den Audienzen vermerkt das Zeremonialprotokoll: »Weilen Ihre Majestät die Königin eine souveräne Selbstherrscherin und Königin von Ungarn und Böhmen ist, geruhte sie mithin mehr in dieser Qualität als in jener einer Gemahlin des Römischen Königs zu consideriren.«39 Ausdrücklich wird vermerkt, dass die Audienzen bei der Kaiserin früher anders gehandhabt worden seien, man jetzt aber auf Wunsch Maria Theresias von der bisherigen Praxis abgewichen sei, »nachdeme allerhöchst dieselbe Souveraine und selbst herrschende Königin zu Hungarn und Böheim seyend.«40 Die besondere Konstellation sollte sich also von Anfang an im Zeremoniell spiegeln. Am Krönungstag stand dann wieder allein der Kaiser im Mittelpunkt. Franz Stephan absolvierte das bei einer Krönung übliche Pro38 Die gemeinen Soldaten erhielten einen Gulden und die Unteroffiziere zwei; Vollständiges Diarium, 1746, S. 54. Durch diese Abstufung erklären sich die unterschiedlichen Zahlen in der Literatur: Im Wiener Diarium ist von 2 Gulden die Rede (Wiener Diarium, 13.10.1745, S. 5), bei ZELLMANN, 1966, S. 86 findet sich die Angabe 1 Gulden. 39 Zit. nach HENNINGS, 1961, S. 277. 40 HHStA Wien, ZP 20, fol. 273r.
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gramm, d. h. er wurde von seinem Quartier abgeholt, in feierlichem Zug zum Dom geleitet, wobei er unter einem Baldachin ritt. An die Krönung schloss sich dann im Römer das feierliche Krönungsmahl an.41 Maria Theresia nahm an keinem dieser Akte teil, auch nicht am Krönungsmahl. Über sie heißt es im Wiener Diarium knapp: »Ihro Maj. die Kaiserin waren gleichsam incognito, so, wie in der Kirche, also in dem nemlichen Römer-Saal.«42 Das entsprach freilich exakt der Rolle der Kaiserin in der Krönungsprozedur, in der für sie schlicht kein Platz vorgesehen war.
Abb. 7: Die Bartholomäuskirche in Frankfurt während der Krönung Franz Stephans (Ausschnitt). Legende: Nr. 20: Empore mit Maria Theresia, Christine Luise von BraunschweigWolfenbüttel und Anne Charlotte von Lothringen. Vollständiges Diarium, 1746. Bayerische Staatsbibliothek München, ESlg/2 J.publ.g. 145, Abb. zwischen S. 116 und 117. 41 Wiener Diarium, 23.10.1745, ExtraBlatt, S. 13-16. 42 Wiener Diarium, 20.10.1745, S. 12.
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Die Krönung in der Bartholomäuskirche verfolgte Maria Theresia von der rechten Seitenempore aus, zusammen mit ihrer Großmutter Christine Luise von Braunschweig-Wolfenbüttel und ihrer Schwägerin Anne Charlotte von Lothringen.43 Der Grundriss und vor allem die Abbildung im Krönungsdiarium zeigen, dass es sich bei dieser Empore keineswegs um einen versteckten Platz handelte, ähnlich wie ihn Franz Stephan bei den Krönungen in Pressburg und Prag eingenommen hatte, sondern eher um einen Logenplatz mit allerbester Sicht auf das Geschehen, der zudem auch von den in der Kirche Anwesenden gut gesehen werden konnte. Die Kaiserin nahm zwar nicht direkt an der Krönung teil, ihr kam dabei keine aktive Rolle zu, aber als Zuschauerin gebührte ihr ein herausgehobener Platz. Beim anschließenden Krönungsmahl im Römer blieb Maria Theresia hingegen wieder nur die Rolle der Beobachterin im Verborgenen, da diese Zeremonie eine rein männliche Veranstaltung war, bei der – anders als bei dem Mahl im Anschluss an die Kaiserinnenkrönung – überhaupt keine Frauen anwesend waren. Aber auch in diesem Fall hatte man Vorsorge getroffen, sodass Maria Theresia von einer Loge in einem Nebenzimmer aus das Mahl beobachten konnte.44 Auch das entsprach der Tradition. So war beispielsweise auch Kaiserin Maria Amalia 1742 bei der Krönung ihres Mannes Karl VII. und dem anschließenden Mahl nicht sichtbar anwesend gewesen, sondern hatte das Mahl von einer Loge unter der Orchestertribüne aus beobachtet.45 Solche detaillierten Informationen finden sich in der Zeitung freilich nicht, ebenso wenig wie die vor allem durch Goethes Schilderung in Dichtung und Wahrheit bekanntgewordene Szene, wie Maria Theresia beim Zug ihres Gatten zum Römer ein Tuch geschwenkt und »Vivat«
43 Vollständiges Diarium, 1746, S. 119, siehe auch den Grundriss nach S. 117. Der Beschreibung nach dürfte es sich um dieselbe Empore handeln, auf der auch Kaiserin Anna bei der Krönung ihres Mannes 1612 Platz genommen hatte; WANGER, 1994, S. 113. 44 Vollständiges Diarium, 1746, S. 125. 45 »Unter dieser mit grünem Damast behängten Tribüne befand sich eine Loge, aus welcher Ihro Majest. die Kayserin, nebst des Cron=printzen und der Prinzeßinnen Hoheiten dem Mahl incognito zusehen konnten.« STAHL, 2007, S. 289.
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gerufen habe,46 eine Szene, die man zuerst in einer zeitgenössischen Beschreibung der Krönung findet.47 Vergleicht man die Frankfurter Krönung mit den Krönungen von Pressburg und Prag, so erscheinen die Rollen vertauscht. Im Mittelpunkt stand jeweils der bzw. die zu Krönende. Aber während man selbst aus der Zeitung von der Anwesenheit Maria Theresias bei Krönung, Zug zum Römer und Krönungsmahl erfährt, kann man die Zuschauerrolle Franz Stephans nur den internen Akten entnehmen. Für die medial vermittelte öffentliche Wahrnehmung war er also bei den Zeremonien in Pressburg und Prag über weite Strecken wesentlich unsichtbarer als Maria Theresia in Frankfurt. Immerhin aber nahm er an der Seite Maria Theresias an den Krönungsmahlen teil, was der Kaiserin grundsätzlich verwehrt war. In allen Fällen entsprach die Positionierung zunächst einmal dem üblichen Zeremoniell und bedeutete keine bewusste Zurücksetzung des Ehepartners, wie es gerade für Franz Stephan für die Krönung in Pressburg gelegentlich behauptet worden ist. Während Franz Stephan damit bei den Krönungen die Rolle der landesfürstlichen Gemahlin übernahm, d. h. Abwesenheit bei der Krönung, Teilnahme an der anschließenden Tafel zur Linken des Königs, trat die Gemahlin des Kaisers nur als Zuschauerin in Erscheinung. Diese Rolle der Kaiserin nahm Maria Theresia wahr, und zwar offenbar ohne Probleme, denn es finden sich keine Hinweise darauf, dass sie versucht hätte, das Protokoll zu ändern, um für sich eine prominentere Rolle zu erhalten. Ihre Krönung zur Kaiserin hätte aber ihre dem Kaiser gegenüber nachgeordnete Position offen in Szene gesetzt – und das wollte Maria Theresia vermeiden. Während das Zeremoniell bei der Kaiserkrönung Franz Stephans sich also im üblichen Rahmen bewegte und damit die Kaiserin weitgehend ignorierte, war die öffentliche Wahrnehmung Maria Theresias eine doch erkennbar andere als bei den anderen Kaiserinnen. Das zeigte sich schon bei einem Blick auf die Beschreibungen der Zeremonien in den Zeitungen. Es wird aber noch deutlicher in den Lobgedichten und Lobpreisungen, die allenthalben nach der Wahl Franz Stephans publi46 HENNINGS, 1961, S. 281. 47 »Die Röm. Kay. Crönung zu Franckfurt und derselben Beschreibung de anno 1745 betreffend«; HHStA Wien, Zeremonialakten Sonderreihe 14, fol. 83v.
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ziert und von denen einige im Wiener Diarium abgedruckt wurden. Obwohl es sich um Gedichte anlässlich der Kaiserwahl handelte, wird stets auch Maria Theresias gedacht, und zwar in einer Weise, die die Vermutung nahelegt, in diesem Fall sei tatsächlich ein Kaiserpaar gewählt worden. So heißt es in einem Kölner Epigramm zwar zunächst, wie zu erwarten, »Lang lebe Stephan«, dann aber erfolgt ein Vivat erst auf Franz und dann auf Maria Theresia, dem sich der Wunsch anschließt, dass sie das Zepter des Reichs lange führen mögen (Plural!).48 Noch prägnanter formulierte eine andere Inschrift, in der es heißt, dass Franz und Theresia das Reich empfangen hätten,49 und bei der Beschreibung der Reaktionen in der Reichstagsstadt Regensburg werden zwei Lobgedichte abgedruckt, eines auf Franz Stephan und eines auf Maria Theresia.50 Eine vergleichbare Hervorhebung der Kaiserin findet sich für die Wahlen davor und danach nicht51 – die Besonderheit des neuen Kaiserpaares wurde also erkennbar wahrgenommen und auch in diesen Lobpreisen umgesetzt.
48 »Unica Vox resonet: Stephane Vive diu! Vivat Franciscus Primus! Theresia Vivat! Imperii Sceptrum plurima Lustra gerant!«; Wiener Diarium, 29.9.1745, S. 4. 49 »Franciscus et Theresia Imperium accipiunt«; EBD. 50 Wiener Diarium, 25.9.1745, Anhang, S. 10. 51 Vgl. z. B. für die Wahl Karls VI. 1711 das Wiener Diarium, 21.10.1711, S. 2: »Carolum elegit Deus«.
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6. Das Kaisertum Franzʼ I. und die Rolle der Kaiserin Maria Theresia im Reich
Mit der Wahl Franz Stephans von Lothringen zum Kaiser am 13. September 1745 wurde scheinbar der Normalzustand im Reich der Frühen Neuzeit wiederhergestellt: Der Kaiser residierte erneut in Wien. Freilich war es nur scheinbar eine Rückkehr zum Zustand vor 1740. Denn zum einen war der Kaiser eben kein Habsburger, und es war Franz Stephan durchaus wichtig, dass dies auch äußerlich sichtbar wurde. So wurde er beim Einzug in Frankfurt vor der Krönung von der toskanischen Garde eskortiert und damit seine Würde als Großherzog der Toskana betont. Eigens zur Krönung war auch Franz Stephans Schwester Anne Charlotte angereist, die damit die lothringische Herzogsfamilie vertrat.1 Zum anderen waren der Kaiser und der König von Böhmen und Ungarn sowie Landesherr der österreichischen Erblande jetzt eben nicht mehr eine Person, sondern zwei. Deshalb aber stellte sich eine ganze Reihe alter Fragen noch einmal neu. Das Verhältnis zwischen dem Reich und den Erblanden musste unter den geänderten Voraussetzungen neu austariert werden. Dieses Verhältnis konkretisierte sich in dem Verhältnis zwischen Franz I. als Kaiser und Maria Theresia als Landesherrin. Und zum dritten hatte das Intermezzo des wittelsbachischen Kaisertums, so kurz es auch gewesen war, doch zu Veränderungen in der Verwaltungsstruktur in Wien geführt, die nun nicht einfach rückgängig zu machen waren. Das Gewicht der österreichischen Behörden war gestiegen und 1
Wiener Diarium, 6.10.1745, Anhang, S. 9f.; ZEDINGER, 2008, S. 191.
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hatte damit der Tendenz zum Überwiegen der landesherrlichen vor den Reichsinteressen einen neuen Schub verliehen.2 Zunächst einmal mussten jedoch schnell einige Entscheidungen vor allem personeller Art getroffen werden, bevor man sich derartigen grundsätzlichen Erwägungen hingeben konnte. Freilich sagt bereits die Art und Weise, wie diese ersten Entscheidungen gefällt wurden, einiges darüber aus, wie die kaiserliche Regierung und ihr Verhältnis zur österreichischen Landesherrschaft ausgestaltet werden sollte. Noch bevor Franz Stephan überhaupt zum Kaiser gewählt worden war, wurde im internen Schriftverkehr bereits über die Vergabe von Posten in den Reichsbehörden diskutiert. Mit der raschen Besetzung wichtiger Ämter sollte signalisiert werden, dass der neue Kaiser sich bemühte, die Reichsverwaltung, die in den vergangenen drei Jahren ihre Aufgaben kaum hatte erfüllen können, in einen funktionstüchtigen Zustand zu versetzen. In die Personaldiskussion im August 1745 involviert waren Franz Stephan, Maria Theresia und Staatskanzler Anton Corfiz Graf Ulfeld. Dieser Gedankenaustausch deutete bereits an, dass der noch nicht einmal zum Kaiser Gewählte solche Fragen künftig wohl nicht allein entscheiden, sondern dass er sich darüber mit seiner Frau abstimmen würde, ja: abstimmen müsste.3 Die Kriterien, die an die Kandidaten angelegt wurden, waren Loyalität und Qualität. Gerade ersteres spielte angesichts der spezifischen Situation des Jahres 1745 eine besondere Rolle. Denn anders als bei Regierungswechseln innerhalb einer Dynastie konnte und wollte man nicht einfach das Personal des Vorgängers übernehmen. So argumentierte Staatskanzler Ulfeld in Be2 3
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WHALEY, Bd. 2, 2014, S. 437. Das war schon allein dadurch bedingt, dass z. B. die für die Reichskanzlei in Aussicht genommenen Sekretäre bis dahin in österreichischem Dienst tätig waren, Maria Theresia sie also für das Reich freigeben musste. Der 1745 ernannte Sekretär für die deutsche Expedition, Andreas Mohr, war zuvor Expeditor der Staatskanzlei in Wien gewesen; GROSS, 1933, S. 399. Paul Anton Gundel, der zum Sekretär der lateinischen Expedition avancierte, kam ebenfalls aus dem österreichischen Dienst und war zuletzt an der österreichischen Gesandtschaft in Paris tätig gewesen; EBD., S. 431. Beide galten als Gefolgsleute Bartensteins. Siehe auch Ulfeld an Franz Stephan, Wien, 31.8.1745; HHStA Wien, Reichskanzlei, Wahl- und Krönungsakten 65, fol. 238r-239v. Aus dem Schreiben geht hervor, dass Franz Stephan wegen der Besetzung der beiden Sekretärsposten an Maria Theresia geschrieben hatte und dass Maria Theresia Ulfeld beauftragt hatte, sich nach deren Eignung zu erkundigen.
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zug auf die beiden bisherigen Sekretäre in der Reichskanzlei, dass diese so sehr gegen den Wiener Hof agitiert hätten, dass deren Weiterbeschäftigung nicht in Frage komme.4 Hinsichtlich der Qualität der Kandidaten wies Ulfeld darauf hin, dass es wichtig sei, für den Reichshofrat überzeugende Personen zu präsentieren, um auf diese Weise deutlich zu machen, welche Bedeutung der Wiener Hof dem Reich beimesse.5 Allen Beteiligten war offenbar bewusst, dass man sich keine Fehlbesetzung erlauben durfte. Auch deshalb schien eine enge Absprache angezeigt. Es galt, einen Neubeginn zu markieren, der aber gleichzeitig eine Brücke in die Vergangenheit schlagen sollte. Damit wurde signalisiert, dass das wittelsbachische Kaisertum so etwas wie ein Betriebsunfall gewesen sei, man jetzt aber zu der bewährten Konstellation des habsburgischen Kaisertums zurückkehre. Wie gesagt, genau genommen traf das nicht zu, denn Franz Stephan war eben kein Habsburger. Diese Betonung der dynastischen Kontinuität wies also nicht nur eine antiwittelsbachische und damit letztlich antifranzösisch/-preußische Spitze auf, sie diente auch dazu, den dynastischen Bruch zu verdecken. Ein Blick auf die ersten Personalentscheidungen zeigt das Bemühen, an das Kaisertum Karls VI. anzuknüpfen. Sowohl der jetzt zum Präsidenten des Reichshofrats ernannte Johann Wilhelm Graf Wurmbrand6 als auch der Vizepräsident Anton Esaias Graf Hartig7 hatten dieses Amt bereits vor 1740 bekleidet. Auch sechs der einfachen Reichshofräte hatten dem Gremium bereits unter Karl VI. angehört, ihr Amt aber mit einer Ausnahme unter Karl VII. verloren.8 Dominikus Joseph Hayeck von Waldstätten, der ab Januar 1746 eine wirkliche Reichshofratsstelle erhielt, hatte ebenfalls bereits unter Karl VI. einen herausragenden Posten innegehabt, und zwar als Reichshoffiskal.9 Die Hälfte des Reichs4 5 6 7 8 9
Ulfeld an Franz Stephan, Wien, August 1745; EBD., fol. 222r-226r, hier fol. 223r. EBD., fol. 223v. Dabei war man sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass der 75jährige das Amt kaum lang würde ausüben können; EBD. ARETIN, Bd. 3, 1997, S. 59. Hartig war 1734-1740 bereits Vizepräsident gewesen und amtierte als solcher erneut 1745-1754; GSCHLIESSER, 1942, S. 370f. EBD., S. 436f. Allein Heinrich Bernhard Wucherer, Reichshofrat auf der Gelehrtenbank seit 1726, gehörte unter allen drei aufeinanderfolgenden Kaisern dem Gremium an. OBERSTEINER, 1992, S. 87f.
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hofrats verkörperte damit die direkte personelle Kontinuität von der Regierung Karls VI. zu der seines Schwiegersohnes. Für das Amt des Prinzipalkommissars am Reichstag entschied man sich ebenfalls für denjenigen, der diese Funktion bereits vor 1740 innegehabt hatte, nämlich für Joseph Wilhelm Ernst Fürst von Fürstenberg.10 Alle diese Personalien verweisen eindeutig auf eine habsburgische Tradition. Auch wenn die Betreffenden offiziell selbstverständlich von Franz I. ernannt wurden, lässt sich an ihnen keine personalpolitische Handschrift Franz Stephans erkennen. Letztlich waren alle Genannten Kreaturen Karls VI., die jetzt erneut zu Amt und Würden kamen.11 Und auch für Italien griff man auf bewährtes Personal zurück: Der Plenipotentiar Carlo Stampa hatte dieses Amt bereits ab 1735 ausgeübt.12 Während diese Kontinuitäten offensichtlich sind, muss man schon etwas genauer hinsehen, wenn man Personen finden will, bei denen zu vermuten ist, dass Franz Stephan bei ihrer Berufung eine größere, aktive Rolle gespielt hat. Ein solcher Einfluss wurde beispielsweise bei der Berufung Rudolf Graf Colloredos zum Reichsvizekanzler vermutet. Vordergründig passt Colloredo genau in das beschriebene Muster. Er war 1737 dem damaligen Reichsvizekanzler Johann Adolf Graf Metsch an die Seite gestellt worden, um dessen unübersehbare Defizite auszugleichen, und mit der Aussicht, jenem nachzufolgen. Als Metsch im November 1740 starb, übernahm Colloredo interimistisch dessen Amt. Dann aber beging er einen in den Augen Maria Theresias eigentlich unverzeihlichen Fehler: Er wollte sein Amt nämlich nach der Wahl Karls VII. behalten.13 Christoph Gnant vermutet deshalb, dass die Beru10 Allerdings hatte Fürstenberg sein Amt 1742 zunächst behalten, um nach einigen Monaten auf den Posten eines Oberhofmeisters Karls VII. zu wechseln. Nach dessen Tod hatte er dann für Österreich den Frieden von Füssen mit Bayern ausgehandelt. Fürstenberg stand also nicht einfach für die Kontinuität habsburgischen Kaisertums, sondern hatte durch seine Amtsausübung auch zur Legitimierung des wittelsbachischen Kaisertums beigetragen. Dass man sich in Wien dennoch für ihn entschied, war mithin alles andere als selbstverständlich. Offenbar war es aber durchaus möglich, sich vom »Makel« des wittelsbachischen Dienstes zu befreien, wenn die übrigen Voraussetzungen stimmten; ROHRSCHNEIDER, 2014, S. 72-75. 11 So auch, jedoch ohne Details, STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 163, 165. 12 SCHNETTGER, 1999, S. 395. 13 ARETIN, Bd. 3, 1997, S. 29. Reichsvizekanzler unter Karl VII. wurde dann aber nicht Colloredo, sondern Johann Georg Graf Königsfeld.
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fung Colloredos mehr den Wünschen Franz Stephans als denen Maria Theresias entsprochen habe.14 Diese Vermutung dürfte sich letztlich genauso wenig belegen wie widerlegen lassen. Allerdings wird die Ernennung Colloredos nicht gerade auf allzu vehementen Widerstand Maria Theresias gestoßen sein, denn immerhin hatte sie ihn bereits 1743 zum Konferenzminister ernannt.15 Dass Colloredo eine dezidiert antifranzösische Haltung vertrat, entsprach sicherlich den Grundüberzeugungen Franz Stephans, war freilich eine Position, die Maria Theresia in den Anfangsjahren ihrer Regierung durchaus noch teilte. Die Berufung Colloredos dürfte mithin eine Personalentscheidung gewesen sein, bei der die Vorstellungen Maria Theresias und Franz Stephans im Wesentlichen konform gingen. Ähnliches gilt für den Konkommissar am Reichstag, Carl Joseph von Palm. Palm war seit längerem in österreichischem Dienst tätig gewesen, unter anderem als österreichischer Direktorialgesandter am Reichstag. Allerdings besaß er auch Verbindungen zum Hause Lothringen: So hatte sein Vetter Franz Gottlieb Großherzog Franz Stephan als Finanzberater gedient, und er selbst fungierte seit 1743 als Berater Karl Alexanders von Lothringen.16 Bereits 1737 hatte Franz Stephan Palm die Vertretung des Votums der lothringischen Markgrafschaft Nomeny auf dem Reichstag übertragen, Palm war zudem ebenso wie Colloredo an den Verhandlungen über den Tausch Lothringens gegen die Toskana beteiligt.17 Es ist also nicht auszuschließen, dass Franz Stephan deshalb auf ihn aufmerksam geworden war. Während für diese Personalentscheidungen wohl von engen Absprachen auszugehen ist, bei denen freilich das österreichische Überge14 GNANT, 2009, S. 126. In diese Richtung geht auch die Argumentation von Groß, der bei Maria Theresia allerdings vor allem moralische Vorbehalte gegen Colloredos Lebenswandel vermutet, freilich ohne dies zu belegen; GROSS, 1933, S. 354. Barbara Stollberg-Rilnger sieht in der Ernennung Colloredos vor allem das Werk von dessen Schwiegervater Gundacker Thomas Graf Starhemberg, erwähnt aber ebenfalls, unter Hinweis auf Khevenhüller, dass diese Ernennung gegen den Willen Maria Theresias erfolgt sei (wobei sich das von ihr angeführte Zitat freilich auf die Ernennung zum Konferenzminister bezieht); STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 164f. 15 ARETIN, Bd. 3, 1997, S. 29. 16 ROHRSCHNEIDER, 2014, S. 81. 17 KOLLMER, 1983, S. 70f.
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wicht unübersehbar ist, scheint Franz Stephan in einer seiner ersten Handlungen als künftiger Kaiser, nämlich bei den Verhandlungen über den Vertrag über die Reichskanzlei, eigenständig vorgegangen zu sein, womit er sich prompt erheblichen Ärger einhandelte. Seit langem hatten die Rechte des Mainzer Erzkanzlers bei der Leitung der Reichskanzlei immer wieder Anlass zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Mainz und Wien gegeben. 1742 war es dann dem Erzbischof gelungen, mit Karl VII. einen Vertrag auszuhandeln, der fast alle Mainzer Forderungen berücksichtigte. Freilich konnten sich die Mainzer Erzbischöfe nicht lange an diesem Erfolg freuen, denn mit dem frühen Tod des Kaisers 1745 war der Vertrag Makulatur. Noch während der Verhandlungen über die Kaiserwahl 1745 bemühte sich Kurfürst Johann Friedrich Karl von Ostein deshalb, von Franz Stephan entsprechende Zugeständnisse zu erhalten. Mit den Verhandlungen beauftragte Franz Stephan Anfang September seinen Kabinettssekretär Baron François Joseph Toussaint, einen seiner lothringischen Vertrauten, also keinen österreichischen Beamten oder Reichsexperten. Da der Vertrag bereits am 9. September unterzeichnet wurde, konnte Franz Stephan auch nicht mit Wien Rücksprache gehalten haben. Der Vertrag entsprach weitgehend den Mainzer Vorstellungen – und stieß deshalb in Wien auf harsche Kritik, mit der Folge, dass Österreich nach der Krönung Franz Stephans offiziell gegen den Vertrag protestierte, Nachbesserungen verlangte und auch erhielt. Im Grunde war das ein ungeheuerlicher Vorgang. Eine der ersten Vereinbarungen, die der künftige Kaiser noch im Vorgriff auf seine Wahl unterzeichnet hatte, wurde von den Behörden seiner Frau, der Landesherrin der österreichischen Erblande, praktisch kassiert, weil die Belange eben dieser Erblande nicht ausreichend berücksichtigt worden waren. Zwar kam das neue, am 17. Oktober unterzeichnete Promemoria offiziell als »Erläuterung« daher, in der behauptet wurde, dass Mainz selbstverständlich nie eine Schwächung erbländischer Interessen beabsichtigt habe, aber die Desavouierung des gerade gekrönten Kaisers war für diejenigen, die mit der Materie befasst waren, nicht zu übersehen.18 Sicherlich handelte es sich in diesem Fall nicht um eine grundsätzliche Differenz zwischen Reichs- und erbländischen Interessen und auch nicht um unterschiedliche politische Positionen, sondern Franz Stephan 18 Siehe die Details bei GROSS, 1933, S. 81f.
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hatte wohl schlicht die Brisanz der Materie unterschätzt. Dennoch sollte fortan genau dies vermieden werden: der Eindruck von Uneinigkeit am Wiener Hof zwischen den verschiedenen Akteuren der Reichspolitik. In seiner Studie zum Immerwährenden Reichstag hat Michael Rohrschneider detailliert herausgearbeitet, wie sorgfältig am Kaiserhof darauf geachtet wurde, dass die verschiedenen Vertreter Wiens in Regensburg an einem Strang zogen.19 Noch wichtiger war freilich, dass in Wien selbst Einigkeit über den einzuschlagenden Kurs bestand. Inwieweit es hier zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Maria Theresia und Franz Stephan kam, lässt sich kaum nachvollziehen. Offensichtliche Pannen wie im Zusammenhang mit dem Kanzleivertrag sind aus späterer Zeit nicht überliefert. Sie waren auch schon deshalb unwahrscheinlich, weil zumeist alle Beteiligten sich in Wien befanden, Absprachen also einfacher zu realisieren waren als während der mehrmonatigen Abwesenheit Franz Stephans im Sommer 1745. Offiziell wurde selbstverständlich stets der Dienstweg eingehalten, d. h. die vom Kaiser auszufertigenden Dokumente wurden von Franz Stephan unterzeichnet, die die Erblande betreffenden Schriftstücke hingegen von Maria Theresia; es sei denn, der Mitregent kam in den oben beschriebenen Fällen zum Zuge. Übergriffe der Art, dass Maria Theresia nun plötzlich das Reich betreffende Dokumente unterschrieben hätte, finden sich nicht. Aktenkundlich lässt sich eine entsprechende österreichische Einflussnahme und damit das Übergewicht der Hausmachtpolitik also nicht fassen.20 Auch bei Sitzungen und Akten, die offiziell das Reich betrafen, musste Maria Theresia vor der Tür bleiben. Einfach in der Sitzung aufzutauchen, war nicht denkbar, also sann Maria Theresia wenigstens in einem Fall auf eine andere Lösung. Am 26. Oktober 1746 standen die Belehnung des Bischofs von Passau und die erste Sitzung des Geheimen Rats unter Franz I. an. Maria Theresia befahl, die Tür zum Billardzimmer, in dem die Belehnung stattfinden sollte, offen zu lassen und außerdem in die Tür zur Ratsstube ein Loch zu bohren, damit sie die Sitzung des Geheimen Rats beobachten konnte.21 Die Aktion besitzt ge19 ROHRSCHNEIDER, 2014, passim. 20 Alois Schmid weist freilich explizit und zu Recht darauf hin, dass »nicht alle Verfügungen, die unter dem Namen Franz’ I. laufen, tatsächlich auf seine Initiative zurückgehen müssen«; SCHMID, 1991, S. 15. 21 KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 121 (26.10.1746).
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radezu symbolischen Charakter: Öffentlich trat der Kaiser allein und unabhängig auf, gleichzeitig aber hatte seine Frau durch ein Guckloch bzw. einen Türspalt alles im Blick und wohl auch im Griff. Eines freilich ist evident: Die Aufteilung von Kaiserwürde und landesherrlichem Amt barg theoretisch die Möglichkeit, das kaiserliche Amt gegenüber der Hausmacht stärker zu profilieren. Das konnte man je nach Standpunkt als Chance oder als Gefahr verstehen. Eventuelle Interessenkollisionen waren nicht länger Rollenkonflikte einer Person, sondern die verschiedenen Interessen konnten an zwei verschiedenen Personen angedockt werden.22 Es gab einen Kaiser, der durch seinen Krönungseid dem Reich verpflichtet war, und es gab die Landesherrin der österreichischen Erblande. Dabei ging es aber nicht um ein einfaches Nebeneinander. Denn die Frage nach dem Gewicht der Reichsund der österreichischen Interessen ist für die Zeit von 1745 bis 1765 zugleich die Frage danach, in welchem Ausmaß Maria Theresia ihrem Mann einen eigenständigen Handlungsspielraum im Reich überließ. Immerhin stellte die Reichspolitik neben der Herrschaft in der Toskana für Franz Stephan die einzige Möglichkeit dar, sich als Herrscher zu profilieren und Politik zu gestalten. De jure war der Kaiser in seinen Entscheidungen von der Mitsprache irgendwelcher Landesfürsten – sei es die Königin von Böhmen und Erzherzogin von Österreich, der Landgraf von Hessen oder der Bischof von Würzburg – völlig unabhängig, aber die Realität war mutmaßlich eine andere, wenn diese Landesfürstin die eigene Ehefrau war, deren Macht der Kaiser seine Wahl verdankte. Überspitzt formuliert: War Franz Stephan als Kaiser letztlich auch in Reichsangelegenheiten mehr ein österreichischer Mitregent als ein souverän agierendes Reichsoberhaupt? Und war Maria Theresia, nicht als Kaiserin, d. h. als Ehefrau des Kaisers mit gewissen, in der Tradition
22 Die von Schmid angeführte Äußerung des preußischen Gesandten Podewils über zwei Parteien am Wiener Hof aus dem Januar 1749 bezieht sich allerdings auf die Politik gegenüber Russland und kann also nicht ohne weiteres, wie dies Schmid suggeriert, auf die Reichspolitik bezogen werden; SCHMID, 1995, S. 189; Podewils an König Friedrich II. von Preußen, Wien, 8.1.1749, in: FRIEDRICH II., Bd. 6, 1880, S. 345. Auch die von Schmid ebenfalls zitierte Äußerung Khevenhüllers »Wir haben hier zwei Herrn, den Kaiser und die Kaiserin, beide wollen regieren« bezieht sich eindeutig auf andere Zusammenhänge; KHEVENHÜLLER, Bd. 4, 1914, S. 141 (31.12.1757).
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wurzelnden Aufgabenbereichen, sondern als Herrin über die Machtgrundlage des Kaisers, also das Oberhaupt über dem Oberhaupt? Das ist eine andere Frage als die nach dem Erfolg oder Scheitern der Reichspolitik Franz Stephans. Diese ist zuletzt doch etwas positiver bewertet worden. Während Karl Otmar von Aretin dem Kaiser in der Reichspolitik weitgehend Versagen vorgeworfen hat,23 sieht Alois Schmid ihn in wesentlich günstigerem Licht und bescheinigt ihm, dass er sich für die »Aktivierung der Reichsverfassung und der Reichsinstitutionen« eingesetzt habe.24 Obwohl diese Urteile auf den ersten Blick diametral entgegengesetzt erscheinen, liegen sie letztlich gar nicht so weit voneinander entfernt und treffen sich in zwei wesentlichen Punkten. Sowohl Aretin als auch Schmid gehen nämlich davon aus, dass es so etwas wie eine Reichspolitik Franz Stephans gegeben habe, und dass Franz Stephan im kaiserlichen Amt eine Möglichkeit gesehen habe, sich zu profilieren und eine eigenständige Wirksamkeit zu entfalten.25 Letztlich stimmen beide auch darin überein, dass Franz Stephan die Probleme des Reichs zwar deutlich erkannt, dass er sie aber nicht einmal ansatzweise gelöst habe. Klar zu sein scheint auch, dass die Initiativen Franz Stephans eher in der Anfangsphase seiner Kaiserjahre zu verorten sind, da insbesondere der Aufstieg Kaunitz’ für eine andere Ausrichtung der Politik stand, die mit den Vorstellungen des Kaisers nicht in Übereinstimmung zu bringen war. Angelegt waren diese Differenzen freilich von Anfang an, und sie zeigten sich auch in der grundsätzlichen Auffassung über die Position des Kaisers im Reich. Um die Auffassungen Franz Stephans, die aus dem üblichen Wiener Rahmen fielen, verstehen zu können, ist zu berücksichtigen, dass dieser Kaiser sehr spezielle Voraussetzungen in das kaiserliche Amt mitbrachte. Anders als die habsburgischen Kaiser vor ihm und als seine Nachkommen nach ihm war er nicht für dieses Amt erzogen worden. Er war nicht sozialisiert worden in der Vorstellungswelt vom quasi gottgegebenen habsburgischen Kaisertum, einer Auffassung, die das Kaisertum von Wien her dachte. Auch in seiner Jugendzeit am Kaiserhof wurde offenbar nicht versucht, ihn mit dieser Sicht zu imprägnieren oder ihn überhaupt in die Reichspolitik einzufüh23 ARETIN, Bd. 3, 1997, S. 32 und 81. 24 SCHMID, 2000, S. 97. 25 Wesentlich kritischer hingegen STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 164.
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ren. In dem Lektürekanon, den ihm sein Vater vorgab, befand sich keines der einschlägigen Werke der Reichspublizistik.26 Das mochte aus der Sicht des Herzogs von Lothringen noch verständlich sein, aber auch Karl VI. sorgte nicht dafür, dass sein präsumtiver Schwiegersohn und damit eben auch präsumtiver Kaiser in Bezug auf das Reich Nachhilfe erhielt. Eine systematische Vorbereitung auf das kaiserliche Amt, wie sie insbesondere für Joseph II. bezeugt ist,27 hat Franz Stephan also nicht erhalten. Und so blieb seine Sicht auf das Reich von der lothringischen Perspektive geprägt, und das heißt, der Perspektive eines Fürsten ohne ausreichende Hausmacht für das kaiserliche Amt. Besonders deutlich zum Ausdruck kommt das in einer Denkschrift, die Franz Stephan im Frühsommer 1742 verfasste.28 Hinter den Überlegungen stand vor allem die Absicht, den französischen Einfluss in Deutschland zurückzudrängen und Frankreich, das in den Augen Franz Stephans der gefährlichste Feind des Reichs wie Österreichs war, zu bekämpfen. Um diesen Kampf erfolgreich bestehen zu können, bedurfte es, so die Überzeugung des Großherzogs, eines Zusammenschlusses der Reichsstände (einschließlich Bayerns und Preußens) sowie einer Stärkung des Reichs. In diesem Zusammenhang schlug Franz Stephan vor, dass dem Kaiser qua Amt ein Territorium zustehen sollte, und er hatte dafür konkret das Elsass im Blick.29 Ein solches kaiserliches Territorium hätte den Kaiser von einer Hausmacht unabhängiger gemacht und damit die Verfassungsentwicklung des Reichs um Jahrhunderte zurückgedreht. Denn die lange Reihe von Kaisern aus dem Hause Habsburg war ja nur möglich gewesen, weil der Kaiser über eine entsprechende Hausmacht verfügen musste, um das kaiserliche Amt angemessen ausüben zu können. Das Scheitern des wittelsbachischen Kaisertums Karls VII. sollte diese strukturelle Voraussetzung erfolgreicher kaiserlicher Politik dann ungewollt bestätigen. Der Vorschlag war mithin nicht aus habsburgischer 26 GNANT, 2009, S. 120. 27 CONRAD, 1964. 28 SCHWERDFEGER, 1898. Zum Gesamtzusammenhang der Denkschrift SCHMID, 1995. 29 SCHWERDFEGER, 1898, S. 374. Dieser Vorschlag war selbstverständlich gegen Frankreich gerichtet, das damals über das Elsass verfügte, und er hatte damit den Vorteil, dass dieses künftige Kronland nicht aus dem Territorialbestand irgendwelcher Reichsstände genommen werden musste und den süddeutschen Reichsständen die langersehnte Reichsbarriere gebracht hätte.
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Perspektive gedacht, der einzigen Dynastie, die eine solche Hausmacht aufwies, sondern aus der des Reichs oder kleinerer Fürsten, die nur bei den von Franz Stephan vorgeschlagenen strukturellen Änderungen eine Chance auf die Kaiserkrone hatten. Der Vorschlag stand also dem habsburgischen Selbstverständnis diametral entgegen, und damit gleichzeitig der Aussicht auf die Rückgewinnung der Kaiserkrone durch ein Mitglied der habsburgisch-lothringischen Dynastie. Ob Franz Stephan mit dieser Idee tatsächlich die Bedingungen für seine eigene Kaiserwahl verbessern wollte, da er selbst über keine territoriale Verankerung im Reich verfügte, wie Alois Schmid vermutet hat,30 erscheint fraglich. Denn zum einen war Franz Stephan nur ungefähr zehn Jahre jünger als der soeben zum Kaiser gewählte Karl VII., der Großherzog konnte also nicht ohne weiteres damit rechnen, dass sich ihm noch einmal eine Chance bieten würde. Wahrscheinlicher war es da schon, dass sein einjähriger Sohn Joseph einst zur Wahl stünde, der dann selbstverständlich über die österreichische Hausmacht gebieten würde, also eines solchen Kronlandes nicht bedürfte. Und zum anderen würde das ja bedeuten, dass Franz Stephan so tat, als habe er mit der von seiner Frau regierten Ländermasse gar nichts zu tun – dass er 1742 überhaupt in die engere Wahl gekommen war, hatte er aber natürlich allein der Hausmacht seiner Frau zu verdanken, und gescheitert war seine Wahl nicht an seiner mangelnden territorialen Verankerung im Reich, sondern an der politischen Großwetterlage und manchen Ungeschicklichkeiten der österreichischen Politik. Realpolitisch erlangte die Denkschrift keine weitere Relevanz,31 sie zeigt aber, dass Franz Stephan die habsburgische Auffassung vom Kaisertum eben nicht mit der Muttermilch aufgesogen hatte, sondern dass er aus einer anderen politischen Denktradition kam. Und das war auch nach etlichen Jahren am Hof in Wien noch spürbar, wie dieses Gutach30 SCHMID, 1995, S. 181. 31 Schmid führt in seinem Aufsatz aus, dass Franz Stephan am Wiener Hof keine Chance hatte, seine Anschauungen durchzusetzen, ja: sie auch nur ernsthaft in die Diskussion einzubringen, wie er bereits mit einer ersten Denkschrift im Jahre 1741 hatte erfahren müssen. Um der Denkschrift von 1742 dasselbe Schicksal zu ersparen, sollte sie anonym an Friedrich Karl von Schönborn, den Bischof von Bamberg und Würzburg und ehemaligen Reichsvizekanzler, der jetzt auch Karl VII. beratend zur Seite stand, geschickt werden. Schmid muss freilich zugeben, dass sich nicht nachweisen lässt, ob die Schrift tatsächlich abgeschickt wurde; EBD., S. 186.
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ten zeigt. Wie aber sah es aus, nachdem Franz Stephan selbst zum Kaiser gewählt worden war und offiziell Verantwortung für das Reich trug und damit nicht mehr nur Denkschriften für die Schublade produzierte? Mündeten seine Überzeugungen in eine spezifische Reichspolitik, die mit der österreichischen Politik Maria Theresias kollidierte? Auch wenn es zu so offensichtlichen Differenzen wie im Zusammenhang mit dem Kanzleivertrag nicht mehr kam, sollte daraus nicht vorschnell geschlossen werden, dass es keine Differenzen gegeben hätte – das wäre auch erstaunlich gewesen angesichts der eben durchaus divergierenden Interessen von Reich und Hausmacht und der unterschiedlichen Grundüberzeugungen der beiden Protagonisten. Es erscheint mithin durchaus plausibel, wenn der englische Diplomat Charles Hanbury Williams von Konflikten zwischen Maria Theresia und Franz Stephan in der Reichspolitik berichtete.32 Allerdings ist es nicht ganz einfach, solche Konflikte in den Akten aufzuspüren. In einem Fall freilich ist ein solcher Konflikt genau nachvollziehbar, und nicht zufällig spielten dabei das Verhältnis zu Frankreich und die Lage in Italien eine entscheidende Rolle.33 Seit langem schwelte ein Konflikt zwischen der Republik Genua und der Stadt San Remo über das Ausmaß der genuesischen Herrschaft über San Remo bzw. die Frage, ob San Remo der Reichshoheit unterstehe. Dabei suchte und fand die antigenuesische Opposition in San Remo Unterstützung bei Österreich, das seit dem Spanischen Erbfolgekrieg über erhebliche Teile Italiens herrschte. Verschiedentlich machten zudem Vertreter San Remos die Reichsinstitutionen auf die Rechte des Reichs über ihre Stadt aufmerksam. Im Jahre 1753 entlud sich der Konflikt in einem Aufstand, der von Genua freilich rasch niedergeschlagen wurde. Dabei aber blieb es nicht: Genua wollte den Sieg nutzen, um den Widersetzlichkeiten San Remos dauerhaft ein Ende zu bereiten, nahm einschneidende Verfassungsänderungen vor, die die Stadt eines Großteils ihrer traditionel32 Allerdings führt er keine Beispiele an. Was Lau, der die Beschreibung des Wiener Hofs durch Williams und auch die erwähnte Aussage referiert, an dieser Stelle freilich verschweigt, ist die Tatsache, dass Williams nie am Wiener Hof akkreditiert war, sondern seine Beschreibung sich nur einer Stippvisite verdankte; LAU, 2016, S. 93f. Die Passagen aus dem Bericht Williams’ bei Lau nach HHStA Wien, Sonderbestände, Nachlass Arneth 8b. 33 Die folgende Darstellung nach SCHNETTGER, 2006, S. 363-386.
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len Privilegien beraubte, und verhängte hohe Strafzahlungen. San Remo wandte sich daraufhin an den Reichshofrat in Wien, der sich die Position San Remos weitgehend zu eigen machte. Aus der Sicht des Reichs galt es, Genua für seine Rechtsbrüche zur Verantwortung zu ziehen und damit gleichzeitig die Reichsrechte in Italien zu wahren. Genua aber nahm für sich die völkerrechtliche Souveränität in Anspruch, betrachtete daher das Eingreifen der Reichsinstitutionen als unzulässig – und suchte und fand für diese Auffassung die Unterstützung Frankreichs. Damit kamen auch am Wiener Hof ganz andere Gesichtspunkte als das Reichsrecht ins Spiel. Denn energische Maßnahmen des Reichs gegen Genua hätten Frankreich verärgert, mit dem Maria Theresia und Kaunitz gerade eine engere Zusammenarbeit anstrebten. Der französische Gesandte ließ Kaunitz deshalb wissen, sein König hoffe, Maria Theresia werde dementsprechend auf ihren Ehemann einwirken.34 Dass das Reich nicht tätig wurde, lässt sich nicht anders deuten, als dass der Kaiser in dieser Frage einen Rückzieher machen musste. Das reichsrechtlich Gebotene, über das sich der Kaiser mit den Spitzen der Reichsbehörden einig war, unterblieb, weil es den Interessen Österreichs zuwiderlief. Frankreich sollte Österreich bei der Rückgewinnung Schlesiens helfen, demgegenüber waren die Reichsrechte in Italien und der Schutz von Reichsuntertanen von sekundärer Bedeutung. Dass dies schon den Zeitgenossen durchaus bewusst gewesen war, zeigt die Erwähnung dieser Auseinandersetzung in der 1766 erschienenen Biographie Franz Stephans, die die Verdienste des gerade verstorbenen Kaisers geradezu hymnisch pries – und die deshalb nicht offen Ross und Reiter nennen konnte. Der Autor erwähnt die Unterwerfung San Remos durch Genua und schließt die kryptische Bemerkung an: »Wichtigere Gegenstände verhinderten damals, auf diese Sache ein Augenmerk zu richten.«35 Genau so war es, und die wichtigeren Gegenstände waren die bündnispolitischen Interessen der Großmacht Österreich, hinter denen das Reichsrecht und damit auch der Kaiser zurückstehen mussten. Auch in einem anderen Fall hofften kleine Reichsglieder vergeblich auf die Unterstützung des Kaisers – in diesem Fall ging die Bedrohung sogar direkt von Österreich aus. Im Bestreben um den Ausbau seiner 34 EBD., S. 380f. 35 SEYFART, 1766, S. 301.
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landesherrlichen Rechte in den Vorlanden beanspruchte Österreich die Landesherrschaft in der unweit des westlichen Bodensees gelegenen Landgrafschaft Nellenburg und bestritt damit zugleich die Reichsunmittelbarkeit der dort ansässigen hegauischen Ritter. Der Streit zog sich schon länger hin, verschärfte sich aber erneut in den 1740er Jahren. Die Ritter baten den Kaiser 1747 um den Schutz ihrer Rechte, wurden aber von Maria Theresia schroff zurückgewiesen. Dabei gehörten die Reichsritter zur traditionellen kaiserlichen Klientel, deren Schutz dem Kaiser eigentlich am Herzen liegen musste. Auch in diesem Fall aber siegte das Interesse Österreichs, das die Territorialisierung seiner Herrschaftsrechte vorantreiben wollte. Dass die österreichische Rechtsauffassung dann doch nicht in aller Schärfe durchgesetzt wurde, verdankten die Hegauer Ritter dem noch wesentlich schärferen Vorgehen Württembergs gegen die Ritterschaft – in diesem Konflikt vertrat der Kaiser selbstverständlich die Position der Ritter, konnte er damit doch gleichzeitig dem Konkurrenten im Südwesten, Württemberg, schaden. Damit aber war ein energisches österreichisches Vorgehen gegen die ritterlichen Rechte nicht zu vereinbaren.36 Die beiden sehr unterschiedlichen Streiflichter beleuchten Konfliktfelder zwischen den Reichs- und den österreichischen Interessen und sie bestätigen das Bild vom Überwiegen der österreichischen Hausmacht. Demnach scheint die Aufteilung der Ämter von Kaiser und Landesherr(in) auf zwei unterschiedliche Personen nicht zu einer Stärkung der kaiserlichen Position geführt zu haben. Eine Profilierung Franz Stephans in der Reichspolitik und damit eine Profilierung des kaiserlichen Amts überhaupt lässt sich nicht beobachten. Der Handlungsspielraum des Kaisers Franz’ I. endete dort, wo die Interessen Österreichs begannen. In vielen Fällen aber ging es weniger um genau identifizierbare gegensätzliche Positionen, sondern es lässt sich eine wenig klare Regelung der Zuständigkeiten beobachten, die freilich im Ergebnis ebenfalls zu einem Übergewicht der Hausmacht führte. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht die Überlieferungslage, konkret die Aufteilung von Materien zwischen Reichskanzlei und Staatskanzlei. Denn dabei zeigt sich, dass von der Staatskanzlei eben auch Materien bearbeitet wurden, die strenggenommen eher als Reichsangelegenheiten einzuordnen waren. 36 QUARTHAL, 1981, S. 174-189; PRESS, 1984.
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Ein Beispiel hierfür bildet die Kirchenpolitik. Kirchenpolitik gehörte zu den genuin kaiserlichen Aufgaben, dem Kaiser als dem advocatus ecclesiae hatte der Schutz der Kirche ein besonderes Anliegen zu sein. Im Verlauf der Frühen Neuzeit konkretisierte sich dies im Schutz der katholischen Kirche durch die dem Hause Habsburg entstammenden Kaiser. Im Gegenzug war die Reichskirche zur wohl wichtigsten Klientel des Kaisers im Reich geworden. Zentrales Instrument der kaiserlichen Reichskirchenpolitik war die Entsendung kaiserlicher Wahlkommissare zu den Bischofs- und Abtswahlen im Reich. Zwar schickten auch andere interessierte Mächte wie z. B. Bayern oder Frankreich Vertreter zu solchen Wahlen, aber allein dem kaiserlichen Kommissar kam eine genau festgelegte Funktion innerhalb des Wahlverfahrens zu. Reichskirchenpolitik in diesem Sinne fiel also eindeutig in die Zuständigkeit des Kaisers. Folgerichtig finden sich in den Beständen der Reichskanzlei Unterlagen zu zahlreichen Bischofswahlen der Zeit: von den Instruktionen an die Wahlkommissare über deren Berichte bis hin zu den kaiserlichen Gratulationsschreiben nach der Wahl.37 Damit wird freilich nur ein Teil der Überlieferung erfasst – und in etlichen Fällen wohl nicht der politisch entscheidende Teil. So lässt eine Bemerkung im Zusammenhang mit der Bamberger Bischofswahl von 1746 aufhorchen. Staatskanzler Ulfeld schrieb an Maria Theresia, dass die Bamberger Wahl einstimmig auf Johann Philipp Anton von Franckenstein gefallen sei, und zwar in einer Weise, dass dieser zeit seines Lebens dem kaiserlichen Wahlkommissar zu danken habe.38 Erstaunlich ist an dieser Bemerkung weniger der Inhalt des Schreibens als vielmehr der Korrespondenzzusammenhang. Denn hier schrieb eben nicht der Reichsvizekanzler an den Kaiser, sondern der Staatskanzler an Maria Theresia, und das Schreiben befindet sich demzufolge im Bestand der Staatskanzlei. Auch der kaiserliche Wahlkommissar in Bamberg, Johann Karl Graf Cobenzl, berichtete nicht nur dem Kaiser bzw. der Reichskanzlei über seine Tätigkeit, sondern auch Maria Theresia.39 Einige Wochen
37 Siehe z. B. die Angaben bei CHRIST, 1975, passim. 38 Ulfeld an Maria Theresia, 29.9.1746; HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 56, Konferenzprotokolle 1746 VII-IX, fol. 161r-163r, hier fol. 161r. 39 Cobenzl an Franz Stephan, Bamberg, 14.9.1746; HHStA Wien, Staatskanzlei, Berichte aus dem Reich 35, fol. 666, zitiert nach BERBIG, Bd. 1, 1976, S. 40, Anm. 91; Cobenzl an Maria Theresia, 28.9.1746 (HHStA Wien,
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zuvor hatte die Konferenz sich ebenfalls mit der Wahl in Bamberg und in Würzburg befasst.40 An sich war die Konferenz für die (vor allem außenpolitischen) Angelegenheiten der Monarchie zuständig, sie tagte üblicherweise unter dem Vorsitz des Staatskanzlers, gelegentlich nahmen auch Maria Theresia und/oder Franz Stephan an den Sitzungen teil. Bei der Sitzung am 7. August 1746 war auch der Kaiser anwesend, sodass Khevenhüller angesichts von Teilnehmerkreis und Tagesordnung die Sitzung als »Reichskonferenz« einstufte.41 Die Reichskonferenz war der alsbald wieder in der Versenkung verschwundene Versuch, ein Gremium zu etablieren, das ad hoc zur Beratung von Angelegenheiten zusammentreten sollte, die Reichs- und erbländische Belange in gleicher Weise tangierten. Die Wahrnehmung der kaiserlichen Interessen bei einer Bischofswahl aber war eigentlich eine reine Reichsangelegenheit, zumindest beruhte auf dieser Fiktion das Instrument des kaiserlichen Wahlkommissariats, das sich damit von der Vertretung von Partikularinteressen durch andere Gesandte abgrenzte. Die Bamberger Wahl war beileibe kein Einzelfall, wie insbesondere die im Vorfeld von Bischofswahlen entstandene Korrespondenz zeigt. So berichtete der kaiserliche Wahlgesandte bei der Mainzer Wahl von 1763 zwar auch an den Reichsvizekanzler Colloredo, aber mindestens ebenso häufig und mit genauen Informationen über den Fortgang des Wahlgeschäfts an Kaunitz.42 Es wäre genauer zu prüfen, in welchen Fällen sich die Staatskanzlei – und damit letztlich Maria Theresia – einschaltete. Einstweilen scheint es jedenfalls so, dass eine solche Einflussnahme eher die Regel als die Ausnahme darstellte.43 Intern wurde dabei mit aller Deutlichkeit formuliert, dass es um die »Ergebenheit gegen das allerhöchste Ertz-Haus« ging, die die Kandidaten an den Tag legen sollten44 – erwartet wurde also der Einsatz für das österreichische Interesse und nicht das stets ins Feld geführte Engagement für das Wohl
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Staatskanzlei, Berichte aus dem Reich 35, fol. 749). Siehe die Darstellung der Bamberger Wahl bei BERBIG, Bd. 1, 1976, S. 32-47. Konferenzprotokoll 7.8.1746; HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 56, Konferenzprotokolle 1746 VII-IX, fol. 67r. KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 106 (7.8.1746). WEBER, 2013, S. 55, 57. Siehe dazu auch die Beispiele bei STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 168-172. Das Zitat aus einem Vortrag des Reichsvizekanzlers Colloredo; EBD., S. 169.
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der katholischen Kirche, das Gemeinwohl, die deutsche Freiheit oder das Reichsinteresse, oder was sich sonst noch an hehren Prinzipien aufzählen ließ. Auch den Akteuren in den Bistümern war vollkommen klar, dass die Reichskirchenpolitik nur pro forma vom Kaiser und den Reichsgremien betrieben wurde. Denn anders lässt es sich nicht erklären, dass z. B. Adam Friedrich von Seinsheim, der sich 1753 um die Bamberger Bischofswürde bewarb, sowohl den Kaiser als auch Maria Theresia um Unterstützung bat.45 Und die neugewählten Bamberger und Würzburger Bischöfe in der Regierungszeit Maria Theresias schickten eben nicht nur dem Kaiser, sondern auch Maria Theresia eine Wahlanzeige.46 Die Überlieferungslage zeigt also, dass Kaiser Franz I. auf einem der traditionellen kaiserlichen Handlungsfelder, dem der Reichskirchenpolitik, praktisch nicht in Erscheinung trat.47 Diese Abstinenz dürfte weniger auf konkrete Meinungsverschiedenheiten zurückzuführen sein, die etwa Maria Theresia veranlasst hätten, diesen Aufgabenbereich an sich zu ziehen.48 Die Kirchenpolitik zum Wohle der katholischen Kirche wie der kaiserlichen Position war vielmehr fester Bestandteil des habsburgischen Selbstverständnisses vom Kaisertum, dabei aber kaum zu trennen von der Staatsräson des österreichischen Gesamtstaates. In dem Maße, in dem die Reichspolitik nach 1740 von der Auseinandersetzung mit Preußen bestimmt wurde und damit wieder eine verstärkte konfessionelle Komponente erhielt, gewann die Kirchenpolitik eine noch stärkere hausmachtpolitische Dimension, was sich in der Zuständigkeit der Staatskanzlei niederschlug.
45 BERBIG, Bd. 1, 1976, S. 48. Zu dieser Wahl auch STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 170. 46 CHRIST, 1975, S. 184 und 194. 47 Weshalb Alois Schmid in Franz Stephan den »Erneuerer der habsburgischen Reichskirchenpolitik« sieht, bleibt rätselhaft, zumal er diese Einschätzung nicht näher begründet; SCHMID, 1991, S. 17. Ihm folgt GNANT, 2009, S. 128, ebenfalls ohne Begründung. 48 Es liegen keine Hinweise vor, dass z. B. bei Bischofswahlen Franz Stephan je einen anderen Kandidaten favorisiert hätte als Maria Theresia. Ob Franz Stephans Zugehörigkeit zu den Freimaurern und seine jansenistenfreundlichen Anschauungen eine Rolle spielten, lässt sich nicht angeben. Kovács deutet an, dass jedenfalls die Kurie deshalb erhebliche Bedenken gegen Franz Stephan als Kaiser hegte; KOVÁCS, 1985, S. 432.
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Für die politische Entscheidungsfindung zwischen dem Kaiser Franz I. und der Landesherrin Maria Theresia lassen sich trotz der ungenügenden Quellen- und Forschungslage zwei grundlegende Tendenzen beobachten: Obwohl die beiden Rollen von zwei unterschiedlichen Personen besetzt wurden, waren die Kompetenzen vielfach wenig klar voneinander abgegrenzt. Im Zweifelsfall überwogen die österreichischen Interessen, und der Kaiser musste sich seiner Frau, der Landesherrin, unterordnen. Nach außen durften freilich weder Differenzen noch Unterordnung sichtbar werden. Denn der Kaiser war das weltliche Oberhaupt der Christenheit und musste sich also niemandem unterordnen. Deshalb wäre Maria Theresia auch bereit gewesen, als Königin von Böhmen und Erzherzogin von Österreich sich vom Kaiser in der traditionellen Weise belehnen zu lassen.49 Das hätte bedeutet, dass sie als Vasallin vor ihrem auf dem Kaiserthron sitzenden Mann hätte niederknien müssen. Wenn dieser Akt dann letztlich doch unterblieb, so hängt das allein mit der Weigerung der anderen Kurfürsten zusammen, auf diese Weise ihr Lehen zu empfangen. Maria Theresia selbst hatte keine Bedenken, in diesem Zeremoniell das Auseinandertreten von kaiserlichem Amt und Herrschaft über die Erblande und die dabei zutagetretende Hierarchie zwischen dem Kaiser und seiner Vasallin zu inszenieren. Denn nach außen, im Zeremoniell, musste der Vorrang des Kaisers hervorgehoben werden. Bei solennen Akten, in denen der Kaiser auftrat, war Maria Theresia tatsächlich nur die Frau an seiner Seite, auch wenn sich das nicht einmal hinsichtlich der Reichspolitik mit den internen Entscheidungsmechanismen deckte. Bei der Krönung in Frankfurt hatte Maria Theresia deshalb die großen Akte, die ihre nachrangige Position zur Schau gestellt hätten, gemieden. Und zur Krönung ihres Sohnes Joseph 1764 fuhr Maria Theresia nicht mit; diese Reise unternahm Franz Stephan allein mit seinen Söhnen Joseph und Leopold. Den Reichstag wiederum suchte Franz Stephan wie schon seine Vorgänger nicht auf. Auf den großen reichspolitischen Bühnen trat Maria Theresia also nicht auf, insofern war sie im Reich persönlich nicht präsent.
49 BRAUN, 2016a, S. 216f.
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7. Die Außenpolitik zwischen der »Obermacht« des Hauses Bourbon und dem »Monster« in Berlin
Auch wenn rasche Bündniswechsel und immer neue Koalitionen teilweise ein verwirrendes Bild bieten, präsentierte sich die außenpolitische Grundkonstellation in Europa in der Frühen Neuzeit doch lange Zeit sehr übersichtlich: Über zwei Jahrhunderte lang war der grundsätzliche Antagonismus derjenige zwischen den Habsburgern und dem französischen Königshaus, seien es nun die Valois oder die Bourbonen. Davon hatte jede außenpolitische Überlegung auszugehen, das war die Konstante, mit der Karl VI. im Prinzip noch ganz ähnlich kalkulierte wie einst Karl V. Das hatte sich noch einmal deutlich während des Polnischen Thronfolgekriegs 1733-1735 gezeigt, als Frankreich und Österreich verschiedene Kandidaten für die Wahl zum polnischen König unterstützt hatten: Ludwig XV. seinen Schwiegervater Stanislaus Leszczynski und Karl VI. den sächsischen Kurfürsten Friedrich August, der mit der ältesten Tochter seines Bruders verheiratet war. In den Folgejahren näherten sich die beiden Kontrahenten zwar vorsichtig an, aber es kam (noch) nicht zu einer grundlegenden Umgruppierung der Bündnisse. 1740 bedeutete dann eine deutliche Zäsur. Denn jetzt bekam der traditionelle Feind in Paris Konkurrenz, zunehmend griff der Gedanke Platz, dass der »böse Mann« in Berlin noch gefährlicher sein könnte als der französische König. Damit aber stellte sich die Frage nach der grundsätzlichen Ausrichtung der Außenpolitik. Wenn der gefährlichste Feind nicht länger Frankreich war, dann musste die gesamte Außenpolitik neu durchdacht 117
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und neu ausgerichtet werden. Und genau das geschah bekanntlich in den 1750er Jahren. Mit dem sogenannten Renversement des alliances vollzog Maria Theresia die Hinwendung zu Frankreich, weil sie sich nur mit diesem Partner Chancen ausrechnete, Preußen wirkungsvoll entgegenzutreten und Schlesien zurückgewinnen zu können. Für Maria Theresia saß der ärgste Feind tatsächlich in Berlin bzw. Potsdam, nicht von Anfang an, aber doch irgendwann deutlich erkennbar. Franz Stephan sah dies anders. Trotz aller Gefährlichkeit Preußens und trotz des natürlich höchst schmerzlichen Verlusts Schlesiens blieb in seinen Augen doch stets Frankreich der gefährlichste Gegner des Hauses Österreich wie des Reichs. Diese außenpolitische Differenz haben Maria Theresia und Franz Stephan nie überbrückt. Sie brach immer wieder auf, machte sich auf vielfältige Weise bemerkbar und hatte Einfluss darauf, wer in der Außenpolitik die Linie vorgab. Unterschiede in der Bewertung der außenpolitischen Gegner sind von Anfang an zu beobachten. Selbstverständlich waren sich Maria Theresia und Franz Stephan ebenso wie alle anderen am Wiener Hof darüber einig, dass der preußische Einfall in Schlesien und die anschließende Besetzung der Provinz ein ungeheuerlicher Vorgang war und dass den Forderungen Friedrichs keinesfalls nachgegeben werden dürfe. Auch Franz Stephan betonte, dass es für ihn nicht in Frage komme, die Kaiserwürde auf Kosten des Erbes seiner Frau zu erwerben,1 d. h. Preußen entgegenzukommen, um die preußische Kurstimme für die Kaiserwahl zu gewinnen. Damit war die in Wien allenthalben verkündete Grundsatzposition umschrieben. Weit weniger klar war, wie diese Haltung in praktische Politik umgesetzt werden könnte, solange die preußischen Truppen in Schlesien standen und eine österreichische Gegenwehr, die diesen Namen verdiente, nur langsam in Gang kam. Da half auf Dauer das Beschwören der eigenen Unnachgiebigkeit wenig. Kompromisse waren kaum zu vermeiden, und damit stellte sich die Frage, wo man die größte Gefahr ortete. Zunächst schien die Antwort auf diese Frage einfach zu sein: Preußische Truppen waren auf habsburgisches Terrain marschiert, einen anderen Gegner gab es vorläufig nicht, denn Frankreich hielt sich – ebenso wie die übrigen Mächte – erst einmal bedeckt. Und dennoch lassen 1
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Bericht des britischen Gesandten Robinson über ein Gespräch mit Franz Stephan, 27.6.1741; RAUMER, 1836, S. 135.
Die Außenpolitik zwischen Bourbon und Berlin
sich bereits in den ersten Wochen der Auseinandersetzung Nuancen in der Haltung Maria Theresias und Franz Stephans Preußen gegenüber beobachten. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Franz Stephan eher bereit war, den Forderungen Friedrichs wenigstens ein Stück weit entgegenzukommen.2 So lässt der englische Gesandte in seinen Berichten aus Wien wiederholt anklingen, dass Franz Stephan die unnachgiebige Haltung der Mehrheit der österreichischen Minister nicht ganz teilte.3 Der Vertreter Maria Theresias am französischen Hof wiederum berichtete, dass man sich in Paris über die Frankreichfeindlichkeit des Großherzogs keinen Illusionen hingab.4 Auffallend ist, dass der Kontakt nach Berlin in dieser Anfangszeit in erheblichem Maße über Franz Stephan lief. Der preußische Sondergesandte Gotter sprach mehrmals bei Franz Stephan vor,5 der preußische König und der Großherzog tauschten einige Briefe aus.6 Es ist schwer zu entscheiden, ob es sich dabei um eine bewusste Aufgabenteilung am Wiener Hof handelte, ob also Maria Theresia ihren Mann vorschickte, um ein mögliches Entgegenkommen Preußens auszuloten und sich so die Möglichkeit offenzuhalten, sich später von diesen Sondierungen zu distanzieren. Oder ob es eine Rolle spielte, dass Franz Stephan und Friedrich sich schon einmal persönlich begegnet waren, als Franz Stephan 1732 Berlin einen Besuch abgestattet hatte – während Maria The2 3
4 5 6
ARNETH, Bd. 1, 1863, S. 128f. Ähnlich der Gesandte Hannovers: Bei der Schilderung der Meinungsbildung in der Konferenz vom 3. Januar 1741, in der über das neueste preußische Angebot beraten wurde, gibt er seiner Vermutung Ausdruck (»so viel mich dünckt«), dass »der Hertzog selbst vielleicht wünsche, daß ein schickliches Auskommen möge gefunden, der König von Preußen beybehalten und mit ihm eine genaue Freundschafft festgesetzt werden könne.« GRÜNHAGEN, 1876, S. 504. RAUMER, 1836, S. 63, 81, 88f., 93. ARNETH, Bd. 1, 1863, S. 119f. und 128. Audienzen am 18.12. und am 1.2.; GRÜNHAGEN, 1876, S. 494 und 503. Schon für Anfang November 1740 berichtet der englische Gesandte Robinson von einem Briefwechsel zwischen Friedrich und Franz Stephan; RAUMER, 1836, S. 74. Die Politische Correspondenz Friedrichs des Großen enthält freilich kein entsprechendes Stück. Friedrich II. an Franz Stephan, Berlin, 6.12.1740 (ARNETH, Bd. 1, 1863, S. 375 = FRIEDRICH II., Bd. 1, 1879, Nr. 185, S. 124); Franz Stephan an Friedrich II., o.D. (ARNETH, Bd. 1, 1863, S. 377f.); Friedrich II. an Franz Stephan, Wutsch, 12.1.1741 (EBD., S. 380f. = FRIEDRICH II., Bd. 1, 1879, Nr. 259, S. 178); Franz Stephan an Friedrich II., o.D. (ARNETH, Bd. 1, 1863, S. 381).
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resia Friedrich nicht kannte und ihm auch nie persönlich begegnen sollte. Einiges spricht außerdem dafür, dass der preußische König seine Angebote bewusst über Franz Stephan lancierte, weil er bei diesem aufgrund von dessen Vorgeschichte eine ausgeprägte Abneigung gegen Frankreich und damit eine etwas größere Nachgiebigkeit Preußen gegenüber erwartete.7 Liest man die Anweisungen Friedrichs des Großen oder die Berichte der englischen Gesandten, so drängt sich freilich auch der Eindruck auf, dass die politisch Verantwortlichen Maria Theresia zunächst schlicht nicht ernst genommen haben und deshalb erst einmal davon ausgingen, dass ihr Gemahl von nun an ihr Ansprechpartner sein werde.8 Glaubt man den Worten des englischen Gesandten, so hat Franz Stephan den Dissens in der Einschätzung der internationalen Lage sogar thematisiert und eingestanden, dass sein Ruf in der Öffentlichkeit darunter leide, dass »er mehr und länger vom König von Preußen Gutes gehofft habe, als dieser es verdiene.«9 Zu diesem Zeitpunkt, im Sommer 1741, konnten über die Absichten des preußischen Königs keine Zweifel mehr bestehen, doch noch immer ging der englische Gesandte davon aus, dass Franz Stephan innerlich wohl anders gesinnt sei,10 d. h. anders als seine Gemahlin, die Gebietsabtretungen strikt ablehnte. Allerdings gestand Franz Stephan dem Gesandten gegenüber auch ein, dass er eine
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Friedrich wies seinen Gesandten in Wien, Borcke, an, sich an den Großherzog zu wenden und erst dann an die Minister, wenn Franz Stephan das für tunlich halte. Friedrich der Große an Caspar Wilhelm von Borcke, Berlin, 15.11.1740; FRIEDRICH II., Bd. 1, 1879, Nr. 159, S. 102-105, hier S. 104. Eine ausführliche Schilderung der Verhandlungen zwischen Berlin und Wien sowie der Beratungen in den beiden Hauptstädten bei BEIN, 1994, S. 175-185. Bein hebt ebenfalls hervor, dass Friedrich bewusst den Weg über Franz Stephan wählte; EBD., S. 178 und 181. 8 Maria Theresia taucht in den Überlegungen dieser Männer kaum als handelnde Person auf, sondern lediglich als Erbin ihres Vaters, also als diejenige, um deren Erbe gerade geschachert wurde. Sie unterlagen offenbar dem gleichen Irrtum wie Karl VI., der ebenfalls davon ausgegangen war, dass Franz Stephan die Regierung in die Hand nehmen würde. Dies gilt auch für die Berichte des hannoverschen Gesandten Lenthe; GRÜNHAGEN, 1876, passim. Auch an anderen Höfen rechnete man zunächst kaum mit Maria Theresia; dazu jetzt SCHNETTGER, 2018. 9 RAUMER, 1836, S. 134. 10 EBD., S. 136.
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nachgiebigere Haltung am Wiener Hof nicht würde durchsetzen können.11 Dennoch sah Franz Stephan in Verhandlungen mit Friedrich selbst dann noch einen Sinn, als Maria Theresia längst überzeugt war, dass diese zu nichts führen würden. Als Franz Stephan im Januar 1742 erneut an den preußischen König schreiben wollte, ließ Maria Theresia ihn gewähren, ermahnte ihn aber zugleich, sich nicht zu erniedrigen. Zuvor hatte die Königin Rücksprache mit Bartenstein gehalten und ihn offensichtlich um seine Meinung zu der Absicht ihres Mannes gebeten. Der Minister machte sich zwar ebenfalls keine Hoffnungen, dass ein solches Schreiben irgendetwas bewirken könne, er hielt es aber auch nicht für schädlich – immerhin aber wurde Franz Stephan mit Schriftstücken versorgt, die ihm die richtige Sicht der Dinge nahebringen sollten.12 Es kann also nicht die Rede davon sein, dass Franz Stephan eigenmächtig handelte, das wäre ihm wohl nie in den Sinn gekommen. Aber er setzte schon einen eigenen Akzent, der sich von der sonstigen Wiener Politik deutlich unterschied, als er Baron Karl Pfütschner im Februar 1742 nach Olmütz zum preußischen König sandte. Das unterstrich auch die Person des Emissärs. Pfütschner, der ehemalige Erzieher Franz Stephans, war eben kein österreichischer Diplomat, sondern eine Vertrauensperson des Großherzogs. Was das Ergebnis dieser Sondierungen anbelangt, sollten Maria Theresia und Bartenstein Recht behalten. Friedrich machte Pfütschner mehr als deutlich, dass Maria Theresia aufgrund ihrer derzeitigen Schwäche für ihn als Bündnispartnerin nicht attraktiv sei, dass er zwar im Unterschied zu anderen nicht ihren völligen Ruin anstrebe, sie allerdings auch nicht als Nachbarin haben wolle. Konkret bedeutete das, ihr Herrschaftsgebiet auf Österreich und Ungarn zu reduzieren. Ein Treffen mit Franz Stephan hielt der König für nicht
11 EBD., S. 133. 12 Bartenstein an Maria Theresia, 29.1.1742; HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 52, Protokolle und Vorträge 1742 I-VI, fol. 21r-22r. Auf der Rückseite des Schreibens befindet sich eine eigenhändige Notiz Maria Theresias an ihren Mann, in der es heißt: »vous ecrirez s’il vous plait, mais il n’en est pas digne et fera un mauvais usage, ne vous avilissez pas et prenez le beau pretexte de nos conquêtes.« Diese Notiz gedr. bei ARNETH, Bd. 2, 1864, S. 468, Anm. 11.
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opportun – vereinbart wurde vielmehr ein geheimer Briefwechsel.13 Zwar übersandte Franz Stephan noch einmal eine Denkschrift,14 danach aber verlief die Aktion im Sande, was angesichts der weit auseinanderliegenden Positionen nicht erstaunt. Interessant in unserem Zusammenhang ist aber weniger das Ergebnis der Mission als vielmehr der Vorstoß als solcher. Erkennbar ist, dass Franz Stephan nach wie vor seine alte Idee eines gemeinsamen Vorgehens gegen Frankreich verfolgte – und das trotz der preußischen Besetzung Schlesiens, der bayerischen Besetzung Oberösterreichs und der Huldigung der oberösterreichischen Stände gegenüber Kurfürst Karl Albrecht sowie dessen gerade erfolgter Wahl zum Kaiser. Offenbar waren das in den Augen Franz Stephans nur temporäre Ereignisse, die nicht eine so grundsätzliche Gefahr darstellten wie die französische Bedrohung. Friedrich bediente sich dieser Frankreich-Phobie Franz Stephans geschickt, indem er Pfütschner die von Frankreich ausgehende Bedrohung in den schwärzesten Farben malte, um seine eigenen Bedingungen als einzige Chance für Maria Theresia erscheinen zu lassen. Dass Franz Stephan in dieser Situation sogar ein Treffen mit Friedrich ins Gespräch brachte, ist schon höchst bemerkenswert. Leider lässt sich nicht feststellen, ob dieser Vorschlag explizit mit Maria Theresia abgesprochen war. Wenn man weiß, welche Befürchtungen Maria Theresia im Vorfeld der Begegnungen Josephs mit Friedrich später hegte, dann erscheint das eher unwahrscheinlich, war doch die Situation 1742 noch ungleich delikater als 1769/70. Wenn Arneth davon spricht, dass Maria Theresia das »ihr allzu selbständig erscheinende Benehmen« Franz Stephans »nicht ohne Eifersucht« betrachtet habe,15 so trifft das kaum den Kern des Problems. Hier ging es nicht um Eifersucht oder andere persönliche Befindlichkeiten, hier ging es um tiefgreifende politische Differenzen. Und Maria Theresia sah sehr klar, dass es kontraproduktiv wäre, wenn diese Differenzen nach außen hin sichtbar würden. Wichtig war es in dieser schwierigen Situation, mit einer Stimme zu sprechen.16 Dass diese
13 14 15 16
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Pfütschner an Franz Stephan, Brünn, 6.2.1742; EBD., S. 469-475. EBD., S. 56. EBD., S. 130. Arneth referiert die Position Maria Theresias mit den Worten, es dürfe keine doppelte Regierung geben – leider ohne jede Quellenangaben; EBD. Das trifft exakt den Kern des Problems.
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Stimme die ihre sein musste, daran gab es für sie keinen Zweifel. Denn schließlich ging es um ihr Erbe, für das sie die Verantwortung trug. Bekanntlich gelang es nicht, das gesamte Erbe zu sichern. Der Verlust Schlesiens, den Maria Theresia im Präliminarfrieden von Breslau am 11. Juni 1742 erstmals unterschreiben musste,17 ließ sich auch in den folgenden Kriegen nicht rückgängig machen. Immerhin aber verblieb Maria Theresia der allergrößte Teil des väterlichen Erbes, das Habsburgerreich wurde nicht unter all den Mächten aufgeteilt, die sich ab 1741 zum Kampf gegen Österreich zusammengefunden hatten. Die Verluste waren damit doch geringer ausgefallen, als man in Wien in den dunkelsten Stunden des Österreichischen Erbfolgekrieges befürchtet hatte. Hatte sich damit die alte Bündniskonstellation, die vor allem auf die Zusammenarbeit mit den Seemächten Großbritannien und Niederlande setzte, bewährt? Die französisch-preußische Kooperation zugunsten des wittelsbachischen Kaisertums sprach jedenfalls aus Wiener Sicht eher für als gegen die Beibehaltung des alten Systems. Allerdings hatte der Aachener Frieden von 1748 in seinen Ergebnissen wie in der Art der Verhandlungsführung den Verantwortlichen in der Hofburg deutlich vor Augen geführt, dass Großbritannien vor allem seine eigenen Interessen verfocht und die Belange des Bündnispartners bestenfalls am Rande berücksichtigte. Und so hatte Maria Theresia nicht nur erneut den Verzicht auf Schlesien unterschreiben müssen, sondern auch auf Parma und Piacenza sowie auf Teile des Herzogtums Mailand. An den Verhandlungen in Aachen war der österreichische Unterhändler – es handelte sich um Wenzel Anton Graf Kaunitz, der bei dieser Gelegenheit wertvolle diplomatische Erfahrungen sammelte – kaum beteiligt, in Aachen wurde wenig mit, sondern zumeist über Österreich verhandelt. Vor dem Hintergrund dieser demütigenden Erfahrung wurde in Wien erneut über die Ausrichtung der Außenpolitik diskutiert. Im Frühjahr 1749 bat Maria Theresia ihre wichtigsten Minister um entsprechende Gutachten. In der Forschung hat das von Kaunitz verfasste Gutachten die größte Beachtung gefunden, gilt es doch als die erste ausführliche Formulierung der Anschauungen, die dann später zum Ren-
17 In der Konvention von Klein-Schnellendorf vom 9. Oktober 1741 hatte Maria Theresia bereits auf Niederschlesien Verzicht geleistet.
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versement des alliances führen sollten.18 Allerdings griffe es zu kurz, eine gerade Linie von der Enttäuschung über den Frieden von Aachen bis zum Abschluss des Bündnisses mit Frankreich 1756 ziehen zu wollen. Dass diese Entwicklung keineswegs zwangsläufig war, dass die Situation vielmehr durchaus offen war, zeigen gerade die Gutachten des Frühjahrs 1749. Denn die Mehrzahl der Minister wollte eben doch am Bündnis mit Großbritannien festhalten, trotz der negativen Erfahrungen, die man gerade gemacht hatte.19 Zu denjenigen, die im Frühjahr 1749 ein Gutachten vorlegten, gehörte auch Franz Stephan.20 Das allein ist schon ungewöhnlich, denn es war immerhin der Kaiser und Ehemann der Monarchin, der hier seine Gedanken zu Papier bringen ließ. Leider ist nicht bekannt, ob Maria Theresia ihren Mann um diese Denkschrift gebeten hatte oder ob er selbst die Initiative ergriffen hat, vielleicht weil er befürchtete, dass seine Perspektive sonst nicht ausreichend zur Geltung käme.21 Allerdings wurde das Gutachten des Kaisers nicht wie die anderen allgemein zur Diskussion gestellt und zu diesem Zweck von Bartenstein in seinem »Auszug, das dermahlige System betreffend« zusammengefasst, was dessen Sonderrolle hervorhebt.22 Deutlich wird, dass Franz Stephan sich auch von den jüngsten Erfahrungen nicht irre machen ließ in seiner Grundüberzeugung, dass Frankreich stets danach trachte, Österreich zu schaden und ihm deshalb nicht zu trauen sei, während die Seemächte die natürlichen Verbündeten Österreichs seien. Zwar kam auch Franz Stephan nicht umhin, auf die Gefährlichkeit des preußischen Königs einzugehen, aber er gab auch zu bedenken, dass es 18 HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 62, fol. 115r–238v; gedr. in POMMERIN/SCHILLING 1986. 19 ARNETH, Bd. 4, 1870, S. 269f.; ARETIN, Bd. 3, 1997, S. 42-45. 20 HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 62, fol. 1r-29v; eine Zusammenfassung bei ARNETH, Bd. 4, S. 266-269. Das Gutachten ist nicht signiert, doch gehen Arneth und Schmid übereinstimmend davon aus, dass es Franz Stephan zuzuschreiben ist; EBD., S. 266; SCHMID, 1991, S. 9f. Ihnen folgt STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 890, Anm. 154. 21 Aretin geht – ohne Begründung – davon aus, dass Maria Theresia auch ihren Mann um ein Gutachten gebeten hat; ARETIN, Bd. 3, 1997, S. 42. 22 »Auszug, das dermahlige System betreffend«; HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 61, IV, fol. 90r-104r, gedr. in BEER, 1871, S. 129-142. Siehe auch ARNETH, Bd. 4, 1870, S. 271. Der »Auszug« beinhaltet eine Zusammenfassung der Gutachten Königseggs, Ulfelds, Khevenhüllers, Colloredos und Kaunitz’; über das Gutachten Harrachs referierte Bartenstein in einem separaten Stück; BEER, 1871, S. XXVI.
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nutzlos sei, bei jeder sich bietenden Gelegenheit »öffentlich den Haß, den man gegen ihn [= den preußischen König, B.B.] zu haben Ursach hat, [zu] zeigen.«23 Noch stimmten die meisten Minister mit Franz Stephan überein, dass es eigentlich keine Alternative zu dem Bündnis mit Großbritannien gebe. Erkennbar sind aber doch bereits gewisse Nuancen in der Beurteilung der internationalen Lage, die aus einem anderen Grundverständnis herrührten. Denn so wie der Verlust Schlesiens für Maria Theresia ein Schlüsselerlebnis gewesen war, das ihr außenpolitisches Koordinatensystem entscheidend geprägt hatte, so war es für Franz Stephan der Verzicht auf Lothringen gewesen. In seiner frankophoben Grundhaltung ließ er sich deshalb durch nichts erschüttern. Franz Stephan beteiligte sich folglich auch nicht an der Perhorreszierung des preußischen Königs, die in Wien allmählich um sich griff.24 Gemeinhin geht die Forschung davon aus, dass Franz Stephan in dem Maße, in dem die Auffassung von Kaunitz auf größere Zustimmung stieß, weil vor allem Maria Theresia sich mit dem Gedanken anfreundete, angesichts der frustrierenden Erfahrungen mit Großbritannien auch einmal die entgegengesetzte Option auszuprobieren, außenpolitisch am Wiener Hof isoliert wurde. Freilich sollte man diese Entwicklung nicht zu früh ansetzen und ihr auch nicht absolute Geltung beimessen. Denn Kaunitz war keineswegs von vornherein auf ein Bündnis mit Frankreich fixiert. Im Vordergrund stand für ihn, ebenso wie für Maria Theresia, das Ziel, Schlesien zurückzugewinnen – und um dieses Ziel zu erreichen, war eine Kooperation mit Frankreich eine Option, zunächst und noch für lange Zeit aber eben eine Option unter mehreren.25 23 ARNETH, Bd. 4, 1870, S. 268. 24 Bereits Ende 1747 war Preußen in der Instruktion für Kaunitz zum Aachener Kongress als »Erbfeind« bezeichnet worden; SCHILLING, 1994, S. 25. 25 Adolf Beer hat bereits 1871 darauf hingewiesen, dass Maria Theresia und Kaunitz keineswegs seit 1749 konsequent auf das Bündnis mit Frankreich zusteuerten; BEER, 1871, S. VII-XIII. Ausführlich dazu SCHILLING, 1994, passim. Lau hingegen wertet bereits Kaunitz’ Gutachten von 1749 als Vorschlag für eine diplomatische Revolution, konzentriert sich deshalb auf die von Kaunitz als eine Möglichkeit angesprochene Annäherung an Frankreich und zeichnet dementsprechend auch den Gegensatz zu der Position Franz Stephans schärfer; LAU, 2016, S. 229-232. Allerdings erwähnt auch er, dass es lange Zeit »eine ganze Reihe möglicher Handlungsoptionen« gab; EBD., S. 233.
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Franz Stephan und Kaunitz standen also mitnichten von vornherein und stets in Fundamentalopposition zueinander, und das heißt, Franz Stephan ist auch nicht aus der Außenpolitik verdrängt worden, sobald Kaunitz an Einfluss gewonnen hatte.26 Auch wenn Maria Theresia stets das letzte Wort hatte, war Franz Stephan doch weiterhin in den Beratungs- und Entscheidungsprozess eingebunden. Das gilt sicherlich für die Jahre von 1750 bis 1752, in denen Kaunitz als Botschafter in Paris tätig war – eine Mission, die gemeinhin als entscheidende, wenn auch einstweilen noch erfolglose Vorstufe für das österreichisch-französische Bündnis gilt. Für diese Zeit liegen detaillierte Informationen vor in der Korrespondenz zwischen Kaunitz und Maria Theresias Privatsekretär Koch. Diesem Briefwechsel ist zu entnehmen, dass Kaunitz in Paris etliche Berichte speziell für Franz Stephan verfasste.27 Gegensätze zwischen Franz Stephan und Kaunitz bzw. Maria Theresia werden hier nicht sichtbar. Franz Stephan erscheint in diesen Briefen vielmehr ganz selbstverständlich als ein Akteur der Wiener Außenpolitik, der beispielsweise einschlägige Konferenzen leitete und Beschlüsse fasste.28 Ja, Franz Stephan betraute Kaunitz im April 1752 sogar mit der Vertre26 SCHMID, 2000, S. 12: »Die Zusammenarbeit der beiden [Maria Theresia und Kaunitz, B.B.] erzürnte den Kaiser immer mehr […] Vor allem seit Kaunitz in Wien das Sagen hatte, begnügte er [Franz Stephan, B.B.] sich damit, mehr im Hintergrund zu agieren.« Ähnlich auch Zedinger: »Nach den turbulenten Auseinandersetzungen im Mai 1749 in der Geheimen Konferenz war deutlich geworden, welche Bündnissysteme Kaunitz anstrebte. Aus dieser Politik hielt sich der Kaiser und immer auch noch Mitregent heraus.« ZEDINGER, 2008, S. 95. 27 In der geheimen Korrespondenz zwischen Kaunitz und Maria Theresias Privatsekretär Koch finden sich immer wieder Hinweise auf solche Berichte Kaunitz’ an Franz Stephan. Vgl. z. B. Koch an Kaunitz, Wien, 5.12.1750; SCHLITTER, 1899, S. 41-44, hier S. 41. Koch übermittelte Kaunitz in diesem Schreiben den ausdrücklichen Wunsch Franz Stephans, der Botschafter solle dem Kaiser weiterhin schreiben und ihm durch seine »lettres particulieres« in Auszügen über seine Verhandlungen berichten. Außerdem Kaunitz an Koch, Paris, 18.12.1750 (EBD., S. 51-55, hier S. 51); Koch an Kaunitz, Wien, 9.1.1751 (EBD., S. 64-69, hier S. 65); Kaunitz an Koch, Paris, 20.8.1752 (EBD., S. 264-267, hier S. 266); Kaunitz an Koch, Paris, 11.1.1752 (EBD., S. 304-307, hier S. 304). Auch Arneth wusste von dieser Korrespondenz zwischen Kaunitz und Franz Stephan, kannte aber noch nicht die Briefe Kochs an Kaunitz; ARNETH, Bd. 4, 1870, S. 326 und S. 542, Anm. 404. 28 Koch an Kaunitz, Wien, 8.3.1751; SCHLITTER, 1899, S. 85-89, hier S. 86.
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tung seiner eigenen Interessen in Paris, als dort über Ansprüche, die noch aus seinem Verzicht auf Lothringen herrührten, verhandelt werden sollte.29 Das heißt, Kaunitz führte in Paris für Franz Stephan Verhandlungen, von denen Maria Theresia nichts wusste.30 Das deutet weder darauf hin, dass Kaunitz zu diesem Zeitpunkt bereits unbeirrt in französischem Fahrwasser schwamm, noch darauf, dass die beiden Männer unüberbrückbare Differenzen trennten. Als Kaunitz im Anschluss an seine Tätigkeit in Paris nach Brüssel reiste, um dort über die Erneuerung des Barrieretraktats zu verhandeln, lagen er und Franz Stephan sogar ganz auf einer Linie. Bei den Verhandlungen ging es um die Besetzungsrechte, die den Vereinigten Niederlanden zum Schutz – also als Barriere – gegen Frankreich in einigen Festungen der früher spanischen, jetzt österreichischen Niederlande, eingeräumt wurden. In dieser Frage plädierten Franz Stephan und Kaunitz für Kompromisse gegenüber den Niederlanden, während Maria Theresia eine härtere Position vertrat. Der Dissens mit Maria Theresia ging sogar so weit, dass Kaunitz den ihm aus Wien übersandten Vertragsentwurf nicht benutzte, da er ihn für unbrauchbar hielt, wie er an Franz Stephan schrieb.31 Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob Maria Theresia Kaunitz tatsächlich gegen den Willen Franz Stephans zum Staatskanzler gemacht hat, wie häufig vermutet wird. Diese Annahme stützt sich vor allem auf die Bemerkung Khevenhüllers, dass Maria Theresia als Folge der Ernennung Kaunitz’ zum Staatskanzler »ville Désagréments – zumahlen von seiten des Kaisers – vorsehete.«32 Allerdings kann man daraus nicht ohne weiteres schließen, dass sich Franz Stephan im Vorfeld vehement gegen die Ernennung von Kaunitz gestellt hätte. Denn immerhin hatte Maria Theresia mit Rudolf Graf Choteck noch einen anderen Kandidaten in die engere Wahl gezogen – und Choteck konnte durchaus als ein Mann Franz Stephans gelten. Wenn es Franz Stephan 29 30 31 32
Kaunitz an Koch, Paris, 11.11.1752; EBD., S. 304-307, hier S. 304f. Koch an Kaunitz, Wien, 24.11.1752; EBD., S. 310. SCHILLING, 1994, S. 80. KHEVENHÜLLER, Bd. 3, 1910, S. 71 (31.10.1752). Renate Zedinger folgert deshalb: »An der Bestellung des Grafen Kaunitz zum Hof- und Staatskanzler im Jahre 1753 hatte Franz Stephan von Lothringen sicherlich keinen Anteil, ihre politischen Konzepte waren zu verschieden.« ZEDINGER, 2008, S. 95.
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also darum gegangen wäre, Kaunitz als Staatskanzler unbedingt zu verhindern und so das Festhalten am alten System durchzusetzen, so wäre die Protektion Chotecks dazu durchaus ein probates Mittel gewesen. Als Direktor des Banco- und Commerzienwesens galt Choteck zwar als kaum ersetzbar,33 aber dieses Opfer hätte der Kaiser dann eben bringen müssen. Dass sich von entsprechenden Hinweisen keine Spur findet, deutet eher darauf hin, dass Franz Stephan einen solchen eben nicht unternommen hat, um Kaunitz als Staatskanzler zu verhindern. Das erscheint auch deshalb plausibel, weil die Positionen noch so im Fluss waren, dass nicht einzelne Personen unverrückbar für eine bestimmte außenpolitische Ausrichtung standen. Dass die außenpolitische Umorientierung nicht automatisch aus dem Austausch der handelnden Personen folgte, zeigt zudem schon der zeitliche Ablauf der Ereignisse. Denn der Umschwung erfolgte eben nicht bald nach dem Amtsantritt von Kaunitz als Staatskanzler im Jahre 1753, sondern erst infolge der veränderten internationalen Lage 1755.34 Denn ab dem Spätsommer 1755 wurde in der Geheimen Konferenz in Wien immer wieder intensiv diskutiert, wie auf die Verschärfung des britischfranzösischen Gegensatzes in den Kolonien oder die Gerüchte über eine Annäherung zwischen Großbritannien und Preußen reagiert werden sollte. Es war also keineswegs so, dass die Annäherung an Frankreich von Maria Theresia und ihrem Staatskanzler Kaunitz im Alleingang durchgezogen und die vermuteten Gegner dieser Politik – darunter nicht zuletzt Franz Stephan – bewusst außen vor gelassen oder sogar bewusst getäuscht worden wären.35 So wurde bereits der Plan für die erste Instruktion für den Gesandten in Paris, Graf Starhemberg, ausdrücklich von Maria Theresia und Franz Stephan unterzeichnet. Schon zuvor hatte Kaunitz es als wünschenswert bezeichnet, dass das Credenzschreiben für Starhemberg von beiden Majestäten unterzeichnet werden sollte.36 Erkennbar ist das Bemühen, Franz Stephan von vornherein in die Ver33 KHEVENHÜLLER, Bd. 3, 1910, S. 71 (31.10.1752). 34 Zedinger setzt den Umschwung sicherlich zu früh an, wenn sie schreibt: »Die Berufung des Grafen Kaunitz-Rietberg zum Hof- und Staatskanzler im Jahr 1753 veränderte das jahrzehntelang bewährte politische Konzept des Wiener Hofes.« oder »Aktuell wurde die geänderte Politik nach 1753.« ZEDINGER, 2008, S. 91f. 35 Dieser Eindruck wird vermittelt EBD., S. 93f. 36 ARNETH, Bd. 4, 1870, S. 391.
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handlungen mit einzubinden – sicher auch, weil man davon ausgehen musste, dass der Kaiser dieser Politik eher skeptisch gegenüberstand. Ebenso wichtig dürfte aber gewesen sein, dem französischen Hof zu signalisieren, dass Wien in dieser Angelegenheit einig war, dass Maria Theresia und Franz Stephan hinter dem Wiener Angebot standen. Angesichts der Bedeutung der Verhandlungen und der Radikalität der Neuausrichtung sollte diese in Wien bei den entscheidenden Personen offenbar breit abgesichert werden.37 Aus der Schilderung der Verhandlungen durch Arneth geht ebenso wie aus den Tagebucheintragungen Khevenhüllers zweifelsfrei hervor, dass Franz Stephan selbstverständlich an den Beratungen teilnahm.38 Und er wohnte den Konferenzen nicht nur bei, es gibt auch keine Hinweise darauf, dass er einer Annäherung an Frankreich energisch entgegengearbeitet hätte. Das gilt in gleicher Weise für andere Mitglieder der Konferenz, denen eine eher probritische Haltung unterstellt werden konnte, wie z. B. Colloredo. Es fehlen also Indizien dafür, dass sich in den entscheidenden Wochen vor der Vertragsunterzeichnung zwei Parteien in der Konferenz bekämpft hätten. Ganz im Gegenteil – die Umorientierung der österreichischen Außenpolitik scheint geradezu geräuschlos vonstatten gegangen zu sein.39 Es passt deshalb ins Bild, dass in der Konferenz vom 19. Mai 1756, in der Maria Theresia den Neutralitäts- und den Defensivvertrag mit Frankreich unterzeichnete, Franz Stephan ebenfalls anwesend war.40 War Franz Stephan also auf die außenpolitische Linie Maria Theresias eingeschwenkt oder hatte er schlichtweg resigniert? Das erste ist 37 Andererseits durften die Verhandlungen, deren Ausgang ja völlig offen war, nicht zu früh nach außen dringen. So lässt sich z. B. erklären, dass Graf Sylva-Tarouca nicht eingeweiht war, da er nicht zu dem innersten Zirkel der außenpolitisch Verantwortlichen gehörte. Gegen ZEDINGER, 2008, S. 93, die darin ein Indiz für den Ausschluss der Gegner einer österreichisch-französischen Annäherung sieht. 38 Konferenz am 24.9.1755 (ARNETH, Bd. 4, 1870, S. 401); Konferenz am 20.11.1755 (KHEVENHÜLLER, Bd. 3, 1910, S. 268); Konferenz am 23.1.1756 (ARNETH, Bd. 4, 1870, S. 407); Konferenz am 20.2.1756 (KHEVENHÜLLER, Bd. 4, 1914, S. 7). 39 Bereits Arneth wies darauf hin, dass sich in den Akten keine Hinweise auf angeblich stürmisch verlaufene Konferenzen finden; ARNETH, Bd. 4, 1870, S. 450. 40 KHEVENHÜLLER, Bd. 4, 1914, S. 22 (19.5.1756).
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unwahrscheinlich, zu tief saßen bei Franz Stephan die Ressentiments gegen Frankreich und es gibt durchaus Indizien dafür, dass er dieser Annäherung an Frankreich weiterhin skeptisch gegenüberstand – so wollte er seine Kinder offensichtlich nicht an bourbonische Höfe verheiraten. Das Ausmaß an Resignation bei Franz Stephan ist schwer zu bestimmen. Allerdings sollte man mit solchen Erklärungsversuchen, von allen prinzipiellen methodischen Problemen einmal abgesehen, auch deshalb vorsichtig sein, weil Franz Stephan erkennbar auf vielen Feldern ein erhebliches Maß an Tatkraft an den Tag legte. Ebenso wahrscheinlich ist, dass ihm, wie auch den anderen Befürwortern eines Zusammengehens mit den Seemächten angesichts der britischen Politik die Argumente ausgingen. Eines aber ist klar: Dass eine eigenständige Position Franz Stephans im Vorfeld des Renversement des alliances im Unterschied zum Österreichischen Erbfolgekrieg kaum zu fassen ist, bedeutet nicht, dass der Kaiser von den außenpolitischen Entscheidungen ausgeschlossen worden wäre oder sich selbst aus diesen Beratungen völlig zurückgezogen hätte. In den für das Verhältnis zu Frankreich und zu Großbritannien eminent wichtigen niederländischen Angelegenheiten kam Franz Stephan ohnehin so etwas wie die Federführung zu. So war es bezeichnenderweise Franz Stephan, der im Mai 1756 die Mitglieder der Geheimen Konferenz um Gutachten über die Frage bat, ob als Gegenleistung für die französische Hilfe bei der Rückgewinnung Schlesiens eventuell die gesamten Niederlande an Frankreich abgetreten werden sollten.41 In den folgenden Kriegsjahren sollte es dann freilich ohnehin weniger um die großen Fragen der außenpolitischen Ausrichtung als um die vom militärischen Geschehen diktierten tagesaktuellen Notwendigkeiten gehen. In diesen militärischen Beratungen aber wurde das Votum Franz Stephans selbstverständlich gehört.
41 ARNETH, Bd. 4, 1870, S. 450.
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8. Die Königin im Krieg: Eine Frau kämpft gegen den roi connétable
Insbesondere die erste Hälfte der Regierungszeit Maria Theresias war von Kriegen geprägt: Bis 1748 kämpfte sie im Österreichischen Erbfolgekrieg sieben Jahre lang gegen Preußen und eine übermächtig scheinende Koalition um ihr väterliches Erbe, von 1756 bis 1763 war im – nun auch so genannten – Siebenjährigen Krieg erneut Preußen der Hauptgegner. Nach dem Ende dieses Krieges folgte eine längere Friedensperiode, bevor sich 1778/79 wieder österreichische und preußische Truppen gegenüberstanden, wobei auf österreichischer Seite dieses Mal die Führung eindeutig bei Joseph II. lag. Die ersten beiden langen Kriege aber sind – gerade in der deutschsprachigen Historiographie – personalisiert worden zu einem Zweikampf zwischen Maria Theresia und Friedrich dem Großen.1 Diese Reduktion verkürzt die komplexe Realität dieser Auseinandersetzungen natürlich auf eigentlich unzulässige Weise. Dennoch weist sie auf einen interessanten strukturellen Unterschied hin: Auf der einen Seite stand mit Friedrich II. der roi connétable selbst im Feld: Die Entscheidungswege waren dadurch extrem kurz, der Oberbefehlshaber war nur sich selbst verantwortlich und konnte Manöver riskieren, die einen General im Falle des Misserfolgs – mindestens – seinen Posten gekostet hätten. Auf der anderen Seite stand eine Frau, die während des Krieges fernab des Schlachtengeschehens in 1
Teilweise wird der Zweikampf bereits im Titel thematisiert. Vgl. z. B. GÜNZEL, Der König und die Kaiserin; JESSEN (Hg.), Friedrich der Große und Maria Theresia in Augenzeugenberichten; KOBELT-GROCH, Friedrich II. und Maria Theresia. Der Siebenjährige Krieg – ein Kampf der Geschlechter?
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Wien saß und auf die Informationen angewiesen war, die ihr mehr oder weniger schnell von den Schlachtfeldern zukamen. Das allein war erst einmal noch nicht ungewöhnlich: Auch die meisten ihrer männlichen Herrscherkollegen führten ihre Truppen nicht persönlich ins Feld. In diesem Punkt stellte eindeutig der preußische König die Ausnahme dar. Der Unterschied zu den anderen männlichen Herrschern lag aber darin, dass Maria Theresia keinerlei militärische Kenntnisse vermittelt worden waren. Davon wird man nämlich sicher ausgehen dürfen, auch wenn letztlich wenig über ihre Ausbildung bekannt ist. Aber wenn Karl VI. es schon nicht für nötig befunden hatte, seine Tochter in die politischen Geschäfte einzuführen, so wäre es eine völlig abwegige Vorstellung, dass sie ausgerechnet Unterricht in militärischen Themen erhalten hätte, wie das für männliche Thronfolger üblich war. Ein weiterer Punkt kam hinzu: Anders als der Hof, an dem Frauen durchaus bestimmte Funktionen zukamen, war das Militär nicht nur eine männlich dominierte, sondern eine rein männliche Welt.2 Wie würden diese Männer darauf reagieren, falls Maria Theresia auf die Idee käme, in militärischen Fragen mitreden zu wollen? Kurzum: Es stellt sich die Frage, wer die militärischen Entscheidungen in Wien fällte. Behielt sich Maria Theresia auch in diesem, wie in so vielen anderen Bereichen, das letzte Wort vor? Oder akzeptierte sie, dass das Militärwesen eine männliche Domäne war und überließ diese Entscheidungen ihrem Mann oder altgedienten Generälen, die einschlägiges Expertenwissen vorweisen konnten? Mit Sicherheit war das Militär- und Kriegswesen für eine weibliche Herrscherin der heikelste Bereich, trotz möglicher Anknüpfungspunkte an die Darstellungen von Herrscherinnen als heldenhaften Amazonen3 und trotz einzelner Beispiele erfolgreicher Kriegsherrinnen.4 Nicht zufällig hat Maria Theresia gerade in diesem Zusammenhang ihr Geschlecht thematisiert, was sie sonst normalerweise nicht tat: Über den Österreichischen Erbfolgekrieg schrieb sie in ihrem ersten sogenannten Politischen Testament: »wie dann, soferne nicht alle Zeit gesegneten 2 3 4
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Es geht hier nur um die Kommandoebene. Dass für den Tross mit einem erheblichen Anteil von Frauen zu rechnen ist, steht auf einem anderen Blatt. Zu Darstellungen Marias de’ Medici und Christines de France als Amazonen siehe SCHNETTGER, 2014, S. 222 und 231. So sicherte z. B. Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel im Dreißigjährigen Krieg die Existenz ihres Landes.
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Leibes gewesen, mich gewiß niemand aufgehalten hätte, selbsten diesem so meineidigen Feinde entgegenzusetzen.«5 Dass allein die Schwangerschaften sie daran gehindert hätten, in den Krieg zu ziehen, trifft selbstverständlich nicht zu. Auch eine nichtschwangere Königin an der Spitze ihrer Truppen war undenkbar. Hinzu kommt, dass Maria Theresia ihr letztes Kind, Maximilian Franz, im Dezember 1756 bekam – zumindest im Siebenjährigen Krieg hätten Schwangerschaften sie also nicht davon abgehalten, selbst ins Feld zu ziehen. Was Maria Theresia mit ihrer Aussage aber thematisiert, ist, dass für eine Frau in militärischen Fragen doch gewisse Grenzen existierten. In Übereinstimmung mit diesem Rollenbild ist deshalb in der Literatur gewöhnlich zu lesen, dass das Militär der Bereich gewesen sei, den Maria Theresia vollständig an ihre Mitregenten abgetreten habe, erst an ihren Mann Franz Stephan und dann an ihren Sohn Joseph.6 Zu diesem Bild haben auch einige, immer wieder zitierte Aussagen von Maria Theresia selbst beigetragen. So schrieb sie zu Beginn der 1750er Jahre an ihren Vertrauten, Graf Sylva-Tarouca, dass sie sich der Militaria völlig entledigt und diese dem Kaiser übergeben habe.7 In ähnlicher Weise behauptete sie 1766, dass sie alles Militärische Joseph überlassen habe.8 Immerhin gestand sie zu gleicher Zeit auch zu, dass ihr dieser Schritt schwergefallen sei, da dieser Zweig der Staatsverwaltung der einzige
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Maria Theresias Denkschrift von 1750/51; WALTER, 1968, Nr. 72, S. 6397, hier S. 81. Auch der preußische Gesandte Podewils vertrat die Meinung, dass Maria Theresia gerne selbst ihre Truppen kommandiert hätte: Bericht Podewils’ an Friedrich II., Wien, 18.1.1747; WOLF, 1859, S. 486496, Zitat S. 491; diese Stelle auch zitiert bei BADINTER, 2016, S. 168. Die späteren Aussagen dürften alle auf Arneth zurückgehen, bei dem es heißt: »Nach dem Tode des Kaisers Franz, welcher bisher wenigstens dem Namen nach die oberste Leitung der Militärgeschäfte geführt hatte, übertrug Maria Theresia dieselbe gleichzeitig mit der Mitregentschaft an Joseph.« ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 184f., so übernommen z. B. von BEALES, Bd. 1, 1990, S. 135. Die von Arneth vorgenommene Einschränkung »wenigstens dem Namen nach« wird freilich nicht immer beachtet. ZEDINGER, 2008, S. 314, Anm. 111. Maria Theresia an Gräfin Sophie Amalie Enzenberg, o.O., 12.2.1766; ARNETH, Bd. 4, 1881, S. 468-472, hier S. 471.
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gewesen sei, für den sie Interesse gehabt habe9 – was freilich eher dagegen spricht, dass sie sich niemals darum gekümmert hat. Doch so plausibel diese Aussagen und das darauf beruhende Bild der Forschung auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, straft doch schon ein flüchtiger Blick in die Archivalien diese Behauptung Lügen. Denn vor allem aus den Akten der verschiedenen Kriegszeiten ist beispielsweise ersichtlich, dass Maria Theresia und Franz Stephan häufig gemeinsam die Konferenzen leiteten, auf denen über das militärische Vorgehen beraten wurde. Außerdem finden sich zahlreiche Vorträge der Minister und Berichte über das Kriegsgeschehen, die am Rande mit Bemerkungen und Entscheidungen Maria Theresias versehen sind.10 Eine ähnliche Beobachtung machten bereits die Autoren des vom österreichischen Kriegsarchiv herausgegebenen Werks über den Österreichischen Erbfolgekrieg. Sie konstatierten: »Aber trotz […] der pflichtgemässen Information des Hofkriegsraths bleibt es eine ewig denkwürdige Thatsache, dass die geniale Tochter Carl VI. wie in politischen, so auch in militärischen Fragen den entscheidenden Punct stets zu treffen wusste, eine Thatsache, die nur Derjenige voll zu würdigen weiss, der die äusserst zahlreichen eigenhändigen Bemerkungen auf den Acten des Kriegs- und des Hofkammer-Archivs vor Augen gehabt.« Ist schon dieser Aussage das Erstaunen der Militärs des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu entnehmen, dass eine Frau in der ureigensten männlichen Domäne des Militärs zu fundierten Entscheidungen in der Lage war, so wurden die Autoren im folgenden Satz noch deutlicher: »Und obwohl im Allgemeinen mit Recht angenommen wird, dass das Weib einem Fürworte leichter zugänglich sei, als der Mann, muss ausdrücklich betont werden, dass die Entscheidungen dieses männlichen Geistes in 9
Randbemerkung Maria Theresias zu einem Brief Graf Emanuel SylvaTaroucas, Februar 1766; KARAJAN, 1859, Anhang Nr. 30, S. 69f.; ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 231; in dt. Übersetzung in: WALTER, 1968, S. 213. 10 Einen Eindruck von dieser Überlieferungslage bietet allein schon der Anhang zu Khevenhüllers Tagebuch für die Zeit des Siebenjährigen Krieges. Dort sind z. B. zahlreiche Konferenzprotokolle abgedruckt, bei denen zumeist auch die Sitzungsteilnehmer angegeben sind. Die im Anschluss an die Sitzungen von Kaunitz verfassten Vorträge, die in der Edition der Khevenhüller-Tagebücher ebenfalls in großer Zahl abgedruckt sind, sind häufig mit Randbemerkungen Maria Theresias, ihrem knappen Placet oder ausführlicheren Resolutionen versehen. KHEVENHÜLLER, Bd. 4, 1914, Anhang, passim.
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weiblicher Hülle stets mit dem Blick auf das Allgemeine, auf das Gesammtwohl des Staates und der Armee im Besonderen getroffen wurden.«11 Dass Maria Theresia die Militaria völlig abgegeben hätte, davon ist jedenfalls nicht die Rede. Es gilt also, diesen scheinbar so eindeutigen Bereich genauer zu untersuchen. Wie bereits dargelegt wurde, waren die Versuche, Franz Stephan zum Feldherrn aufzubauen, rasch und gründlich gescheitert. Ob Maria Theresia sich dabei vorgestellt hatte, dass Franz Stephan als ihr verlängerter Arm auf dem Schlachtfeld agieren sollte oder ob sie ihm wirklich einen weitgehenden Entscheidungsspielraum in der Kriegführung hatte zugestehen wollen, lässt sich nicht klären. Allerdings implizierten Entscheidungen über militärische Taktik und Strategie immer auch eine politische Prioritätensetzung – und diese behielt sich Maria Theresia selbstverständlich vor. Nachdem das Experiment mit Franz Stephan als tatsächlichem Oberbefehlshaber bereits in den ersten Jahren des Österreichischen Erbfolgekriegs vollständig misslungen war, stand fest, dass Franz Stephan sich künftig nur noch von Wien aus um die militärischen Belange kümmern würde. Allerdings verabschiedete sich Maria Theresia noch nicht vollständig von der Idee, dass ein Mitglied der herrscherlichen Familie an der Spitze der Truppen stehen sollte. An die Stelle von Franz Stephan sollte von nun an sein jüngerer Bruder Karl Alexander treten. Karl Alexander war im Gefolge von Franz Stephan nach Wien gekommen, als dieser 1736 Maria Theresia geheiratet hatte und dafür das ererbte Herzogtum hatte abtreten müssen. Maria Theresia betrachtete ihren Schwager von vornherein als zur Familie gehörig. Noch enger wurden die Beziehungen zur habsburgischen Familie, als Karl Alexander im Januar 1744 die einzige Schwester Maria Theresias, Maria Anna, heiratete. Allerdings bestand diese Ehe nur ein knappes Jahr. Bereits im Dezember 1744 starb Maria Anna, nachdem sie einige Wochen zuvor ein totes Kind zur Welt gebracht hatte. Karl Alexander heiratete nicht wieder und gehörte also auch fortan zur kaiserlichen Familie. Als ziviles Amt war ihm 1744 – ursprünglich zusammen mit seiner Frau – die Statthalterschaft in den Niederlanden übertragen worden, ein Amt, das er durchaus erfolgreich bis zu seinem Tod 1780 versah. In Kriegszeiten jedoch begab er sich zum Heer. Nachdem er bereits am Türken11 Österreichischer Erbfolge-Krieg, Bd. 1/1, 1896, S. 302.
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krieg 1737-1739 teilgenommen hatte, wurde er im Österreichischen Erbfolgekrieg seinem Bruder beigegeben und übernahm nach dessen Rückberufung nach Wien im Sommer 1742 den Oberbefehl. Wenn schon die Herrscherin nicht selbst ins Feld rücken konnte, dann sollte wenigstens ein Mann aus der kaiserlichen Familie dem Preußenkönig Paroli bieten – so ließ sich diese Konstruktion verstehen.12 Außerdem war Maria Theresia ihrem Schwager nicht nur persönlich sehr zugetan, sondern auch von seinen überragenden Feldherrntalenten zutiefst überzeugt. In dieser Hinsicht allerdings enttäuschte sie ihr Schwager ebenso, wie es ihr Mann getan hatte. Zunächst freilich stand er immerhin an der Spitze der Armee, die die französischen und bayerischen Truppen aus Böhmen vertrieb, im Juli 1744 gelang ihm mit seiner Armee sogar der Übergang über den Rhein. Maria Theresia war nun vollends überzeugt, einen genialen Feldherrn in der Familie zu haben. Nicht zufällig wurde der Übergang über den Rhein auf einem der Reliefs an den Seiten des Doppelsarkophags für das Kaiserpaar dargestellt. Neben diesen Siegen schlug freilich eine deutlich größere Zahl an Niederlagen zu Buche.13 Das hielt Maria Theresia nicht davon ab, ihren Schwager im Siebenjährigen Krieg erneut mit dem Oberkommando zu betrauen, eine Entscheidung, mit der die Militärs alles andere als glücklich waren. Hinzu kam, dass inzwischen einige junge Generäle nachgewachsen waren, denen eine solche Aufgabe durchaus zuzutrauen war und die sich diese auch selbst zutrauten. Khevenhüller, der ansonsten mit Kritik an der kaiserlichen Familie eher sparsam umging, stand mit seiner Meinung sicher nicht allein, wenn er im Juni 1757 schrieb, Maria Theresia habe »eine besondere Personal-Affection für ihren Herrn Schwagern […], mithin – ob sie schon die Fähler dieses Herrn leider nicht mißkennen kann – so findet sie dennoch immer Entschuldigungen und verblendet sich fast selbsten hierüber.«14 Immerhin erwähnte der Oberstkämmerer in diesem Zusammenhang, dass selbst Franz Stephan es nicht gerne gesehen habe, dass seinem Bruder das Kommando übertragen worden sei. Selbst nach der Niederlage der österreichischen Armee bei Leuthen am 5. Dezember 1757 konnte sich Maria Theresia noch nicht dazu durchringen, 12 Dies betont auch STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 117, S. 427-429. 13 Chotusitz 17. Mai 1742, Hohenfriedberg 4. Juni 1745, Soor 30. September 1745, Kesselsdorf 15. Dezember 1745, Rancoux 11. Oktober 1746. 14 KHEVENHÜLLER, Bd. 4, 1914, S. 100 (22.6.1757).
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ihrem Schwager das Kommando zu entziehen, sondern hoffte darauf, dass er von selbst zurücktreten würde. Diesen Gefallen tat er ihr freilich erst einmal nicht, sodass sie ihn ziemlich unmissverständlich in einem Handschreiben dazu auffordern musste, das Kommando niederzulegen.15 Mit der anschließend erfolgten Ernennung Leopold Graf Dauns zum Oberbefehlshaber waren die familieninternen Lösungen vom Tisch – eine solche Option eröffnete sich erst wieder, als Joseph alt genug war, ein militärisches Kommando zu übernehmen, und dies im Bayerischen Erbfolgekrieg dann auch tatsächlich tat. Deutlich wird also schon bei einer ersten Annäherung an das Thema, dass die militärischen Angelegenheiten nichts waren, was allein im Kreis militärischer Experten wie den obersten Generälen oder dem Hofkriegsrat entschieden worden wäre, sondern dass das Kaiserpaar bei diesen Entscheidungen nicht nur ein gewichtiges Wort mitredete, sondern letztlich den Ausschlag gab. Und ebenso offensichtlich scheint es, dass diese Entscheidungen nicht bei einer Person, auch nicht bei Maria Theresia, monopolisiert wurden, dazu waren sie wohl schlicht zu wichtig. Versucht man die Entscheidungsfindung in militärischen Fragen nachzuvollziehen, merkt man zudem schnell, dass diese Entscheidungswege nicht mit Hilfe von Organigrammen zu erfassen sind. Sicher zu Recht ist als eine Ursache für die Niederlagen der österreichischen Heere im Österreichischen Erbfolgekrieg wie im Siebenjährigen Krieg immer wieder angeführt worden, dass die Kompetenzabgrenzungen zwischen verschiedenen Institutionen wie Hofkriegsrat, Generalkriegskommissariat, Deputation und Hofkammer weder sinnvoll noch klar gewesen seien, weshalb dann zumeist im Anschluss an die Kriege organisatorische Umstrukturierungen vorgenommen wurden.16 Doch wird mit diesen institutionellen Zuständigkeiten nur ein Teil der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung erfasst. Denn gerade für die Kommunikationskanäle rund um das Monarchenpaar spielten personelle Konstellationen eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie offizielle Dienstwege oder Kompetenzzuweisungen. So wurde im Siebenjährigen Krieg eine Art kleine Militärkonferenz eingerichtet, die jeweils ad hoc
15 ARNETH, Bd. 5, 1875, S. 348-351. 16 Siehe dazu knapp ZIMMERMANN, 1965, S. 69f.
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zusammentrat und deren Zusammensetzung ebenfalls variierte.17 Eine Konstante dieser Zusammenkünfte war indessen die führende Rolle von Kaunitz, der damit seine zentrale Position auch in militärischen Angelegenheiten zementierte – obwohl er keinem der für das Militär zuständigen Gremien angehörte. Eher noch schwieriger zu erfassen oder gar systematisch einzuordnen ist die Kommunikation über direkte persönliche Kontakte. Dabei nutzten Maria Theresia und Franz Stephan durchaus unterschiedliche Kommunikationskanäle, und selbst wenn sie dieselben Kanäle nutzten, dann konnten diese eine durchaus unterschiedliche Funktion haben. Diese Kommunikationskanäle waren extrem abhängig von den jeweiligen personellen Konstellationen. Je nachdem, wie diese aussahen, hatten Maria Theresia und Franz Stephan Zugang zu unterschiedlichen Informationen und besaßen unterschiedliche Möglichkeiten, in die Armee hineinzuwirken. Für die Anfangsphase des Österreichischen Erbfolgekriegs lässt sich z. B. beobachten, dass Franz Stephan damals mit führenden Militärs besser vernetzt war als Maria Theresia. Das dürfte zum einen daran liegen, dass Maria Theresia als Landesherrin zwar de jure die Oberbefehlshaberin war und als solche selbstverständlich auch Adressatin der entsprechenden Berichte, dass ansonsten die altgedienten Militärs aber wenig Veranlassung gesehen haben dürften, mit der jungen Frau auf dem Thron militärische Sachfragen zu besprechen oder ihr diesbezügliche Überlegungen vorzutragen. So heißt es in einem Konferenzprotokoll vom 5. November 1741, dass wegen der Verwendung der aus Italien kommenden Truppen eine Konferenz abgehalten werden solle, »wornach Ewer Königl. Hoheit [= Franz Stephan, B.B.], da es eine militar anliegenheit ist […] werden benachrichtet werden.«18 Es dauerte offensichtlich eine gewisse Zeit, bis die Generäle realisierten, dass ihre neue Landesfürstin sich auch mit solchen Fragen zu befassen gedachte, oder, wie es die Autoren der Darstellung des Österreichischen Erbfolgekriegs formulierten, dass in dieser Frau ein »männlicher Geist« steckte, denn nur ein solcher war ihrer Auffassung nach in der Lage, militäri17 DUFFY, 1977, S. 19. Vgl. z. B. KHEVENHÜLLER, Bd. 4, 1914, S. 86 (9.5.1757); S. 87 (10.-12.5.1757); S. 91 (18.5.1757); S. 94 (30.5.1757). 18 HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 52, Konferenzprotokolle und Referate 1741 VIII-XII, fol. 88r.
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sche Fragen kompetent zu erfassen. Franz Stephan hingegen konnte zwar keine glänzende militärische Karriere vorweisen, aber er war ein Mann, besaß immerhin eine gewisse Kriegserfahrung und war entsprechend ausgebildet und mochte den Militärs deshalb zunächst als der naheliegende Ansprechpartner erscheinen. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die österreichischen Truppen zu Beginn der Auseinandersetzung mit Preußen von Wilhelm Reinhard Graf Neipperg, dem früheren Erzieher und Vertrauten Franz Stephans, befehligt wurden. Franz Stephan verfügte damit über einen zusätzlichen Draht zur Armeespitze jenseits der offiziellen Kanäle. So lässt sich für die ersten Kriegsjahre beobachten, dass teilweise eine parallele Korrespondenz zwischen Neipperg und Franz Stephan sowie Neipperg und Maria Theresia geführt wurde, gelegentlich schrieb Neipperg an einem Tag sowohl an Franz Stephan als auch an Maria Theresia.19 In den Briefen an seinen ehemaligen Schützling äußerte sich Neipperg offener und brachte auch Sachverhalte zu Papier, die er Maria Theresia gegenüber offenbar nicht ansprechen wollte. So zeichnete Neipperg dem Großherzog gegenüber im August 1741 ein wesentlich pessimistischeres Bild der militärischen Lage, als er dies Maria Theresia gegenüber getan hatte, und verlieh auch seiner Einschätzung Ausdruck, dass gewisse Zugeständnisse gegenüber Preußen einschließlich territorialer Abtretungen wohl nicht zu vermeiden seien.20 Gleichzeitig fungierte Franz Stephan als eine Art Mittelsmann zwischen dem General und der Landesfürstin. Bereits während des ersten Feldzugs im Frühjahr 1741 hatte Neipperg Franz Stephan beispielsweise gebeten, er möge Maria Theresia doch um Geduld bitten, da es ihm und seinen Truppen an vielem fehle, was zu einem raschen Agieren nötig wäre.21 In umgekehrter Richtung fungierte Franz Stephan als Übermittler der Wünsche und Anweisungen Maria Theresias. Ob er dabei in direktem Auftrag der Königin handelte oder ihre Wünsche unter der Hand weitergeben oder verstärken wollte, lässt sich nicht immer feststellen. Wenn Franz Stephan am 7. September 1741 parallel zu der Instruktion 19 Vgl. z. B. Neipperg an Maria Theresia, Neisse, 7.7.1741; Neipperg an Franz Stephan, Neisse, 7.7.1741 (Österreichischer Erbfolge-Krieg, Bd. 2, 1896, S. 385f.); Neipperg an Maria Theresia, 25.9.1741; Neipperg an Franz Stephan, 25.9.1741 (EBD., S. 479). 20 EBD., S. 417f. 21 Neipperg an Franz Stephan, Olmütz, 15.3.1741; EBD., S. 191.
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Maria Theresias an Neipperg vom gleichen Tag noch ein Schreiben übermittelte, in dem er nochmals auf die Notwendigkeit verwies, Böhmen unbedingt zu halten, weil ansonsten die finanzielle Situation der Monarchie katastrophal würde, so diente dieses Schreiben sicher eher zur Verstärkung der Anweisungen der Herrscherin, sollte den General also zusätzlich ermuntern, alles ihm Mögliche zu tun.22 Anfang Juli 1741 hingegen hatte Franz Stephan Neipperg gebeten, die militärischen Operationen wieder aufzunehmen, da Maria Theresia nicht bereit sei, schlesische Gebiete abzutreten. In diesem Fall scheint die Nachricht an Neipperg eher die Funktion einer halboffiziellen Anweisung gehabt zu haben, da die Verhandlungen mit Preußen noch liefen.23 Auf alle Fälle zeigt diese Korrespondenz Maria Theresia und Franz Stephan als gleichermaßen an den militärischen Entscheidungsprozessen beteiligt. Als Franz Stephan im November 1741 selbst zusammen mit seinem Bruder Karl Alexander ins Feld rückte, wurde er noch direkter in die militärischen Entscheidungen involviert. Nach dem wenig glücklichen Ende dieses Experiments und nachdem sein Bruder ihm im Kommando gefolgt war, war es dann eben Karl Alexander, der Franz Stephan mit exklusiven Nachrichten von der Front versorgte. Das galt auch für die ersten Jahre des Siebenjährigen Krieges. Für die internen Abläufe in Wien bedeutete das Oberkommando Karl Alexanders von Lothringen, dass Franz Stephan in militärischen Fragen noch stärker eingebunden war als ohnehin, da er mit seinem Bruder über einen Ansprechpartner in der Armeeführung verfügte. Die beiden Brüder schrieben sich regelmäßig, wenn Karl Alexander bei der Armee war.24 Weilte der Herzog in Wien, pflegte er seinen Bruder jeweils vor dem Mittagessen aufzusuchen.25 Aber Franz Stephan besaß mit dem Kontakt zu seinem Bruder nicht nur einen zusätzlichen Informationskanal, der Kaiser konnte auch als Verstärker der Anweisungen Maria Theresias dienen. Diese Strukturen änderten sich nach dem Rücktritt Karl Alexanders von Lothringen und der Übertragung des Oberbefehls an Leopold Graf Daun Ende 1757. Denn Daun und Maria Theresia pflegten ein durchaus 22 23 24 25
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EBD., S. 449. Franz Stephan an Neipperg, Pressburg, 8.7.1741; EBD., S. 387. Vgl. z. B. ARNETH, Bd. 5, 1875, S. 261. KHEVENHÜLLER, Bd. 4, 1914, S. 70 (4.3.1757).
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enges und vertrauensvolles Verhältnis. Dazu hatte sicher beigetragen, dass der General 1751 die Tochter von Maria Theresias ehemaliger Erzieherin, der Gräfin Fuchs, die bei der Königin nach wie vor in hohem Ansehen stand, geheiratet hatte. Maria Theresia fühlte sich ihrem neuen Oberbefehlshaber besonders verbunden, zumal sie seit dem Sieg von Kolin am 18. Juni 1757 überzeugt war, ihm die Rettung der Monarchie zu verdanken.26 Die Korrespondenz mit Daun ist erkennbar in einem anderen Ton gehalten als beispielsweise diejenige mit Neipperg. Maria Theresia hat es verstanden, sich Daun auch auf persönlicher Ebene zu verpflichten. Diese Art der Personalführung lässt sich bei der Kaiserin auch gegenüber ihren Ministern beobachten. Die Tagebücher Khevenhüllers sind voll von Bemerkungen über kleine und größere Aufmerksamkeiten der Herrscherin, sei es, dass sich Maria Theresia bei der Erkrankung eines Ministers oder eines Mitglieds seiner Familie über den Gesundheitszustand des Patienten auf dem Laufenden halten ließ oder gar ihren eigenen Arzt schickte, sei es, dass sie sich nach den Fortschritten der Kinder erkundigte, diese zu Veranstaltungen wie den Kinderbällen am Hof einlud oder ihnen Stellen verschaffte, oder dass sie gar persönlich im Haus eines Ministers vorbeischaute, womit sie freilich die solchermaßen Beehrten durchaus in eine gewisse Bredouille bringen konnte. Auf alle Fälle vermittelte sie ihren Ministern auf diese Weise das Gefühl, bei ihr in besonderem Ansehen zu stehen und dringend gebraucht zu werden. Was im zivilen Bereich schon früh zu beobachten ist, dauerte im Militär etwas länger. Hier lassen sich diese Mechanismen erstmals bei Daun feststellen. Das mag zum einen daran liegen, dass der Oberbefehl in den ersten gut eineinhalb Jahrzehnten der Herrschaft Maria Theresias in der Hand von Familienmitgliedern lag, zum anderen aber sicher auch daran, dass Maria Theresia gerade bei den altgedienten Militärs erst langsam an Statur gewinnen musste. Daun aber, gut 20 Jahre jünger als Neipperg,27 war Maria Theresias Kreatur, er hatte ihr die entscheidenden Karriereschritte zu verdanken. Er gehörte damit einer jüngeren Generation von Offizieren an, die ihre maßgebliche Prägung eben nicht mehr unter Karl VI. oder gar unter 26 Maria Theresia an Daun, 18.6.1758; WALTER, 1968, Nr. 114, S. 145f. Der am ersten Jahrestag des Sieges von Kolin geschriebene Brief trägt unter der Datumszeile die Erläuterung »Geburtstag der Monarchie«. 27 Daun wurde im Jahre 1705 geboren, Neipperg 1684.
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Prinz Eugen erhalten hatten. Ihnen gegenüber befand sich Maria Theresia in einer ganz anderen Position als gegenüber den altgedienten Generälen ihres Vaters. Zu ihnen baute die Kaiserin ein persönliches Verhältnis auf und sie verfügte damit nun ebenfalls über persönliche Verbindungen in die Armee, wie sie anfangs eher Franz Stephan besessen hatte. Das lässt sich deutlich an der Korrespondenz ablesen. Schon bevor Daun zum Oberbefehlshaber ernannt worden war, hatte er es sich im Sommer 1757 zur Gewohnheit gemacht, Maria Theresia täglich über den Stand der Dinge zu informieren – d. h. er vertraute nicht darauf, dass die Kaiserin vom Oberbefehlshaber Karl Alexander von Lothringen mit den nötigen Nachrichten versorgt wurde, und er schrieb auch nicht an Franz Stephan, sondern an Maria Theresia.28 Ein Dreivierteljahr vorher hatte Khevenhüller noch berichtet, dass ein Kurier von der Armee Feldmarschall Brownes »seine Depeschen sogleich immediate zum Kaiser [brachte], wie er es in Kriegszeiten immer zu thun und anzubefehlen pflegt, um die erste Nachrichten zu haben und selon les événements die Kaiserin davon informieren zu können.«29 An solchen Indizien wird sichtbar, wie sich die Gewichte langsam in Richtung Maria Theresia verschoben. Sie hatte sich inzwischen umfangreiche Kenntnisse in militärischen Fragen angeeignet30 und besaß genügend persönliche Verbindungen, um sich ganz gezielt Rat zu holen. Mit Kaunitz und Daun saßen zwei Männer ihres Vertrauens an den zentralen Schaltstellen. Sie war dadurch gerade auch hinsichtlich militärischer Angelegenheiten ein Stück weit unabhängig von Franz Stephan geworden. Insgesamt ergibt sich das Bild einer gemeinsamen Leitung der militärischen Angelegenheiten, insbesondere in Kriegszeiten. Franz Stephan war in diesem Bereich deutlich stärker präsent als in zivilen in28 THADDEN, 1967, S. 221 und passim. 29 KHEVENHÜLLER, Bd. 4, 1914, S. 45 (4.10.1756). 30 Zu einem ähnlichen Urteil gelangt auch Christopher Duffy: »The industrious and inquisitive Empress-Queen attained a breadth and precision of military expertise which put most of her generals to shame. She followed or initiated the progress of every reform in discipline, tactics, dress and weapons, and she was competent to give an immediate and informed opinion on many a matter that was puzzling her ›advisers‹«; DUFFY, 1977, S. 18. Es wäre interessant zu erfahren, wen Maria Theresia dabei um »Nachhilfeunterricht« gebeten hatte. Diese Frage ist freilich im Rahmen dieser Studie nicht zu klären.
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nen- und außenpolitischen Entscheidungen, ohne freilich die militärische Leitung auch nur annähernd allein zu übernehmen. So findet sich in den ersten Monaten des Siebenjährigen Krieges unter zahlreichen Vorträgen, die die zu ergreifenden militärischen Maßnahmen betreffen, das Placet Franz Stephans.31 Dass er aber keineswegs allein entschied, wird aus kleinen Bemerkungen deutlich. Am 12. Dezember 1756 schrieb Kaunitz an Franz Stephan, dass über die Frage der Ausstattung der Generäle Buckow und St. Andre »Ewer Maytt. wie auch der Kayserin Königin Maytt. unter anderen allergnädigst zu verordnen geruhet« hätten.32 Wenn sich, wie offensichtlich in diesem Fall, Maria Theresia und Franz Stephan einig waren, führte die gemeinsame Bearbeitung der Militaria zu einer Stärkung der militärischen Führung: Das Kaiserpaar führte gemeinsam die Armee, beide sorgten sich gemeinsam um das Schicksal der Monarchie, das an die militärischen Erfolge geknüpft war. Aber Maria Theresia und Franz Stephan waren sich nicht immer einig, und dann konnte die gemeinsame Behandlung der Kriegsangelegenheiten zum Problem werden, ja: sich geradezu kontraproduktiv auswirken. So hatte Khevenhüller im Dezember 1757 nach der Niederlage der österreichischen Armee gegen Preußen bei Leuthen als eine Ursache des Problems ausgemacht, dass das Land zwei Herren habe, den Kaiser und die Kaiserin, und dass Franz Stephan das Militär regiere oder doch in diesem Bereich (ebenso wie im Finanzwesen) nichts Wichtiges ohne sein Wissen und sein Zutun entschieden werde.33 Khevenhüller analysiert das Problem nicht genauer und so erfährt man nicht, ob er nur die Tatsache misslich fand, dass durch die doppelte Führung vermehrt Absprachen nötig wurden, die zu Zeitverlust führten, oder ob es regelrechte Differenzen zwischen Kaiser und Kaiserin gab. Mit genau solchen hatte im Jahr darauf Feldmarschall Daun zu kämpfen, und er beklagte sich bei Maria Theresia im Juli 1758 bitter darüber, dass Franz Stephan seine Befehlsführung laufend kritisiere. Des weiteren führte er aus, dass er die Vorschläge des Kaisers für undurchführbar halte. Der Oberbefehlshaber war ratlos und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er bat Maria Theresia »fusfahlendt, mir 31 HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 79, Vorträge 1756 IX-XII, passim. 32 Kaunitz an Franz Stephan, 12.12.1756; EBD., fol. 478r-v, 486r. 33 KHEVENHÜLLER, Bd. 4, 1914, S. 141 (31.12.1757).
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nuhr hirin gnädichst zu befelen was den dun solle, umb EM mehr nicht in mindesten zu misfahlen.«34 Die Lösung, die Maria Theresia fand, ist bezeichnend, zeigt sie doch zum einen, dass die Kaiserin an der gemeinsamen Militärführung festhalten wollte, zum anderen aber, dass die letzte Entscheidung eben doch bei ihr lag. Falls Daun es künftig für nötig halte, Maria Theresia offen und ohne dass Franz Stephan von dem Schreiben Kenntnis erhalten sollte, zu schreiben, sollten die Briefe über ihren Kabinettssekretär Koch geschickt werden.35 Maria Theresia eröffnete ihrem Oberbefehlshaber also die Möglichkeit, mit ihr eine geheime Korrespondenz an ihrem Mann vorbei zu führen. In dieser Regelung werden die Grenzen der gemeinsamen Regierung deutlich markiert; sie zeigt überdies, wie sehr Maria Theresia auch in militärischen Fragen mittlerweile das Sagen hatte und sich ein eigenes Urteil zutraute. Diese Praxis einer separaten Korrespondenz mit dem Oberbefehlshaber behielt Maria Theresia übrigens über das Ende des Siebenjährigen Krieges und den Tod Dauns im Januar 1766 hinaus bei. Auch mit Feldmarschall Lacy pflegte Maria Theresia einen Briefwechsel, von dem Joseph nichts wissen durfte.36 Nach außen aber drang diese Praxis selbstverständlich nicht. Das Geheimnis wurde nicht nur den Zeitgenossen gegenüber gewahrt, sondern noch lange darüber hinaus, denn sonst hätte kaum die Auffassung aufkommen können, Maria Theresia habe die Militaria ihren Mitregenten vollständig überlassen. Was die Zeitgenossen wahrnahmen, und was in den meisten Fällen auch zutraf, war die gemeinsame Führung der militärischen Angelegenheiten. Dementsprechend lässt sich kaum angeben, wer von beiden Monarchen für einen bestimmten Bereich allein oder auch nur weitgehend verantwortlich gewesen wäre. Am ehesten lässt sich noch feststellen, dass Franz Stephan – wie kaum anders zu erwarten – in besonderem Maße mit Fragen der Finanzierung befasst wurde. So gab der Kaiser in der bereits erwähnten Frage der Ausstattung der beiden Generäle genaue Anweisungen über die Auszahlung der Gelder und genehmigte auf Nachfrage von Kaunitz die Anweisung
34 Daun an Maria Theresia, 16.7.1758, in Auszügen gedruckt bei THADDEN, 1967, S. 352. 35 EBD., S. 353. 36 Siehe dazu unten Kap. 14.
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der Gelder für zwei Monate im Voraus.37 Keineswegs war es hingegen so, dass Maria Theresia sich überwiegend um die sozialen Belange der Armee, also die Nöte der Soldaten, gekümmert hätte. Gleichwohl sind von ihr durchaus Schreiben oder auch Randbemerkungen überliefert, in denen sie sich um die Versorgung der Soldaten bemühte; so wenn sie z. B. Neipperg im September 1756 mitteilte, dass sie angesichts des nahenden Winters Stiefletten für die Soldaten habe anfertigen lassen, und ihn fragte, ob Mäntel abgegeben werden sollten.38 Damit entsprach sie ihrem eigenen Anspruch, Mutter der Armee zu sein, eine Rolle, die umso wichtiger war, als Maria Theresia nicht wie Friedrich der Große durch das gemeinsame Erleben und Erleiden des Krieges eine direkte Verbundenheit mit ihren Soldaten herstellen konnte. Es wäre freilich verkehrt, hierin schlicht die soziale, weibliche Seite der Armeeführung zu sehen; es handelte sich vielmehr um eine politisch genau kalkulierte Rolle. Schon gar nicht erschöpfte sich Maria Theresias Beschäftigung mit der Armee in diesem Bereich. Denn noch zahlreicher sind ihre Bemerkungen und Anweisungen zu genuin militärischen Themen, von der übergeordneten Frage nach strategischer und taktischer Ausrichtung bis hin zu Detailproblemen der Bewaffnung. Die Kaiserin bestand darauf, umfassend und detailliert über die Geschehnisse auf den Kriegsschauplätzen informiert zu werden. Im Herbst 1757 wies sie Feldmarschall Neipperg an, dass er »täglich directe an mich eine Estafette schicken soll, mit dem Journal und den kleinsten Particularitäten, besonders was Verlust von Leuten, oder wie die Arbeiten avanciren«, und sie endete mit der vorwurfsvollen Aufforderung, »dieses exacter als er jetzt die Correspondenz führt«.39 Es ging ihr also nicht nur um die großen Linien – Maria Theresia wollte möglichst alles wissen und dadurch so weit wie möglich das Defizit kompensieren, dass sie nicht selbst an der Front anwesend sein konnte. Auch als sie zu Beginn des Siebenjährigen Kriegs letztmals wegen einer Geburt einige Wochen lang nur eingeschränkt handlungsfähig war – ihr Sohn Maxi37 Kaunitz an Franz Stephan, Wien, 23.12.1756; HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 79, Vorträge 1756 IX-XII, fol. 523r-v, 525r; das Placet mit der Zahlungsanweisung auf fol. 525r. Kaunitz an Franz Stephan, Wien, 28.12.1756; EBD., fol. 535r. 38 Maria Theresia an Neipperg, o.D.; WALTER, 1968, Nr. 92, S. 132. 39 Maria Theresia an Neipperg, o.D.; ARNETH, Bd. 4, 1881, S. 149; WALTER, 1968, Nr. 106, S. 141.
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milian Franz wurde am 8. Dezember 1756 geboren – und jedenfalls nicht an den Konferenzen teilnahm, wollte sie doch weiter auf dem Laufenden gehalten werden und entscheiden können. Unter das Protokoll einer Militärkonferenz vom 16. Januar 1757 notierte Franz Stephan sein Placet, aber mit der Anmerkung »ver möc der Kayserin bey komenden Zetl«, d. h. Maria Theresia hatte auf einem Zettel ihre Entscheidung kundgetan, die Franz Stephan nun mit seinem »Placet« weiterleitete. Außerdem bat er, »fernerhin solle diese Protocolla der Kayserin zugeschikt werden«, und der folgende Bericht ist dann auch tatsächlich mit den Randbemerkungen Maria Theresias versehen.40 Die in solchen Randbemerkungen oder separaten Schreiben formulierten Anweisungen Maria Theresias betrafen alle Elemente der Kriegsführung, von kleinen, eher marginalen Details bis zu den großen Richtungsentscheidungen. Dass sie die Entscheidung über das operative Vorgehen auf dem Schlachtfeld dabei in die Hände ihrer Generäle legte, steht dazu nicht im Widerspruch und ist auch nicht so zu verstehen, dass sie sich als Frau darüber kein Urteil zugetraut hätte. Dieser Entscheidungsspielraum folgte vielmehr notwendigerweise aus der großen Entfernung zwischen Wien und den verschiedenen Kriegsschauplätzen. Es wäre schlicht nicht zielführend gewesen, detaillierte Vorgaben zu machen, die sich dann vor Ort eventuell als undurchführbar erwiesen. Will man einen durchgehenden Zug in Maria Theresias auf die Kriegsführung bezogenen Kommentaren und Befehlen ausmachen, so wäre es wohl am ehesten die Ungeduld ihrer Aufforderungen und der Wunsch nach einem risikofreudigeren Vorgehen.41 Weil, wie sie einmal zu Beginn ihrer Regierungszeit formuliert hatte, das Schicksal ihres Landes außer von Gott vor allem von der Armee abhänge,42 war das Militär ein Politikbereich, den sie äußerst ernst nahm und dem insbesondere in Kriegszeiten ihre volle Aufmerksamkeit galt. Angesichts der Bedeutung der Kriege für den Erhalt ihrer Territorien gerade in den ersten gut zwanzig Jahren ihrer Regierung wäre es geradezu absurd gewesen, wenn sie diese existentiellen Fragen anderen überlassen hätte. Davon 40 KHEVENHÜLLER, Bd. 4, 1914, S. 286. 41 Durchaus typisch ist eine Formulierung wie »Alles schläft, und wenn ich nicht triebe, so würde gar nichts gethan.« Maria Theresia an Hofrat Doblhoff, o.D. [1.12.1741]; WALTER, 1968, Nr. 9, S. 26f., hier S. 27. STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 117f., 423, 425. 42 Maria Theresia an Franz Stephan, 1741; erwähnt bei DUFFY, 1977, S. 18.
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kann indessen keine Rede sein.43 Das Militär erscheint vielmehr als der Politikbereich, für den man – bei allen Verschiebungen im Detail – von einer wirklich gemeinsamen Regierungstätigkeit Maria Theresias und Franz Stephans reden kann. Dies wurde auch in der Repräsentation nach außen sichtbar. Auf unterschiedlichen Wegen sollte vermittelt werden, dass es ein Herrscherpaar war, für das die Armee focht, auch wenn formal Maria Theresia die alleinige Oberbefehlshaberin war und die Truppen auf sie vereidigt waren. Aber sie inszenierte sich nicht wie einst Elisabeth I., die ihre Truppen bei Tilbury in einer berühmt gewordenen Rede unmittelbar vor der Schlacht motiviert hatte. Stattdessen beschränkte sich Maria Theresia auf Truppenbesuche an nicht allzu weit von Wien entfernten Orten und verzichtete dabei wohl auf größere Ansprachen. Zudem trat sie bei diesen Anlässen zumeist mit Franz Stephan zusammen auf. So besichtigten Kaiser und Kaiserin gemeinsam am 17. April 1748 ein in Wien durchziehendes Kürassier-Regiment, im Mai assistierten sie bei der Fahnenweihe eines in Wien in der Garnison liegenden Regiments.44 Im Juni unternahmen sie dann eine zehntägige Reise nach Mähren, bei der neben diversen anderen Besichtigungen auch eine mehrtägige Truppenrevue auf dem Programm stand.45 Im Jahr darauf waren in den verschiedenen Ländern der Monarchie Manöver angesetzt worden, um »das neue nach dem preußischen Beispill introducirte Exercice in Gang zu bringen«. Maria Theresia und Franz Stephan besuchten das Manöver in Mähren, da es in der Nähe von Franz Stephans Besitzung Holitsch abgehalten wurde.46 Gelegentlich, wenn Franz Stephan verhindert war, nahm Maria Theresia solche Termine auch alleine wahr, so als sie Anfang August 1748 ein in seine Garnison einrückendes Bataillon besichtigte.47 An dieser Praxis gemeinsamer Truppenbesuche hielt das Kaiserpaar auch nach dem Ende des Krieges fest. Und auch während des Siebenjährigen Krieges weiß Khevenhüller immer wieder von solchen 43 Dies betont auch Duffy in seinem Werk über die Armee Maria Theresias: »Maria Theresa held the ultimate responsibility of supreme command of her troops until her dying day, and there was never any danger that, as a woman, she might have proved indifferent to the affairs of her army«; EBD. 44 KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 217 (17.4.1748) und 224 (15.5.1748). 45 EBD., S. 230-242 (Juni 1748). 46 EBD., S. 344f., das Zitat auf S. 344 (18.8.1749). 47 EBD., S. 251f. (5.8.1748).
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Truppeninspektionen zu berichten. Einen direkten militärischen Nutzen besaßen diese Truppenbesuche selbstverständlich nicht, anders, als wenn der König als tatsächlicher Oberbefehlshaber seine Truppen inspizierte und gegebenenfalls Konsequenzen aus dem zog, was ihm vorgeführt wurde. An keiner Stelle ist deshalb anlässlich dieser Besuche erwähnt, dass Maria Theresia oder auch Franz Stephan sich konkret zu den inspizierten Truppenteilen geäußert, Kritik angebracht oder Verbesserungsvorschläge gemacht hätten. Wichtiger war der symbolische Gehalt solcher Aktionen – betont werden sollte die Verbundenheit des Herrscherpaars mit seinem Militär, für Feinheiten des Exerzierens oder Fragen militärischer Disziplin waren andere zuständig. Freilich konnten zeremonielle Fragen solcher Besuche des Herrscherpaars auch manche Fallstricke bergen, wie sich bei dem Manöver in Mähren 1749 zeigte. Wenig erstaunlich war es erneut die Rolle Franz Stephans, die zu Diskussionen Anlass gab. Während Maria Theresia die Parade in einem Landauer verfolgte, bestieg Franz Stephan ein Pferd, begab sich an die Spitze seines Regiments und salutierte vor Maria Theresia wie die anderen Regimentsinhaber auch. Das aber wurde »von villen als eine, für einem römischen Kaiser etwas unanständige Submission angesehen«.48 Was innerhalb der militärischen Hierarchie korrekt war, führte im größeren zeremoniellen Zusammenhang des Reichs zu Problemen. Ein solches Kaiserpaar war nicht vorgesehen, demzufolge gab es keine Präzedenzfälle. Was in diesem Moment aber zählte, waren nicht Überlegungen über Rang und Zeremoniell, sondern die Präsenz des Herrscherpaars bei den Truppen. Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Armee den Monarchen am Herzen lag. Dass die militärischen Erfolge als gemeinsam errungene Siege des Herrscherpaares verstanden werden sollten, auch wenn Franz Stephan sie nicht als Kommandeur auf dem Schlachtfeld errungen hatte, zeigen die Siegesmedaillen aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges. Stets ist das Doppelporträt des Herrscherpaares abgebildet,49 eine Praxis, die bei 48 EBD., S. 344 (19.8.1749). 49 Schau- und Denkmünzen, 1782/1970, Nr. CXXIX (Sieg von Kolin), Nr. CXXXIII (Befreiung von Prag), Nr. CXXXVI (Entsatz von Olmütz), Nr. CXXXIX (Sieg von Hochkirch), Nr. CXL (Entsatz von Dresden), Nr. CXLI (Sieg von Maxen), Nr. CXLII (Sieg von Landshut), Nr. CXLIII (Eroberung von Glatz), Nr. CL (Eroberung der Festung Schweidnitz). Auch andere mit dem Militär zusammenhängende Ereignisse wurden mit
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einem männlichen Herrscher völlig undenkbar gewesen wäre.50 Dabei erscheint das seitliche Profil Kaiser Franz’ stets im Vordergrund, ist also vollständig sichtbar, während Maria Theresia jeweils halb verdeckt ist. Diese Darstellungsweise betont den gemeinsam errungenen Sieg, zugleich aber auch die kaiserliche Würde Franz Stephans.51
Abb. 8: Silbermedaille auf den Sieg von Kolin 1757. Dorotheum GmbH & CoKG Wien/Fotostudio Dirk Sonnenwald Hamburg. Soldaten, die sich im Kampf besonders ausgezeichnet hatten, konnten auf die Anerkennung durch ihre Königin rechnen. Als Reaktion auf den Medaillen gewürdigt, so die Errichtung der Militärakademie in Wiener Neustadt 1752 (Nr. CX), die Stiftung des Militär-Maria-Theresia-Ordens 1757 (Nr. CXXXII) oder die Aufstellung der Grenztruppen in Siebenbürgen 1762 (Nr. CLI). 50 Diese Medaillen stammen alle aus der Zeit nach der Kaiserwahl Franz Stephans, ein Vergleich mit der Praxis zu der Zeit, als Maria Theresia ihm im Rang vorausging, ist also nicht möglich. 51 Vergleichbare Medaillen wurden auch anlässlich anderer herausragender Ereignisse und Erfolge geprägt, wie z. B. des Neubaus des Elisabethinerklosters in Linz 1745 (Schau- und Denkmünzen, 1782/1970, Nr. LXIX), der Gründung des Theresianums 1746 (Nr. LXXXII), der Erneuerung des Minoritenklosters in Wien 1748 (Nr. XC), der Grundsteinlegung für das Invalidenhaus in Wien 1751 (Nr. CIII), der Grundsteinlegung für das Kloster der Elisabethinerinnen in Brünn 1751 (Nr. CIV), der Errichtung des adeligen Damenstifts in Prag 1754 (Nr. CXVI), des Baus des Universitätshauses in Wien 1756 (Nr. CXXIV), des Baus einer Brücke über den Fluss Mincio (Nr. CXXVI) oder der Errichtung von Schleusen bei Mantua 1756 (Nr. CXXVII).
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Sieg von Kolin stiftete Maria Theresia den Militär-Maria-Theresia-Orden, der dann die höchste militärische Auszeichnung des Habsburgerreichs bis zu dessen Ende sein sollte. Der Orden trägt also, einigermaßen ungewöhnlich, den Namen seiner Stifterin und dürfte damit wohl der einzige militärische Verdienstorden sein, der nach einer Herrscherin benannt ist. Trotz dieser herausgehobenen Position Maria Theresias teilte sie auch in diesem Orden ihrem Mann eine wichtige Rolle zu, indem er als Großmeister des Ordens fungierte. Der Orden trug also ihren Namen, aber es war Franz Stephan, der ihn in einer offiziellen Zeremonie übergab. Festgehalten ist diese Aufgabenteilung in dem monumentalen Gemälde von Martin van Meytens über die erste Ordensverleihung im Jahre 1758.52 Unter einem Baldachin ist Franz Stephan zu sehen, wie er gerade Feldmarschall Daun den Orden überreicht. Links im Gewühl der Menschen, aber durch ihr weißes Kleid und den größeren Abstand der Umstehenden gut zu erkennen, steht Maria Theresia, die also der Ordensverleihung beiwohnt, die zentrale Rolle aber ihrem Mann überlässt. Maria Theresia kümmerte sich aber nicht nur um die siegreichen Helden ihrer Kriege, sondern nahm auch Anteil am Schicksal der Gefallenen und Verwundeten. Zumindest sollten so ihre regelmäßigen Besuche bei den in St. Stephan für die verstorbenen Soldaten abgehaltenen Messen verstanden werden. So berichtet Khevenhüller für den Sommer 1746, dass Maria Theresia jeden Morgen vor 7 Uhr inkognito aus Schönbrunn nach St. Stephan komme, um an dieser Andacht teilzunehmen.53 Diesen Andachten scheint die Kaiserin zumeist alleine beigewohnt zu haben, jedenfalls wird eine Anwesenheit Franz Stephans nur selten erwähnt. Ganz abgesehen davon, dass getrennte Gottesdienstbesuche des Paares auch ansonsten gang und gäbe waren, dürfte gerade in dieser Sorge für die Opfer des Krieges die Rolle Maria Theresias als Mutter ihrer Armee besonders gut zum Ausdruck gekommen sein. Denn wie hätte sich dieses besser darstellen lassen, als wenn die Mutter um ihre gefallenen Söhne trauert? Das war nun in der Tat eine dezidiert weibliche Rolle, die Maria Theresia in Bezug auf ihr Militär hier einnahm.
52 Siehe die Abbildung in: IBY, 2009, S. 21. 53 KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 107 (18.8.1746).
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Für eine größere Öffentlichkeit inszeniert wurde diese Rolle auf einer 1743 geprägten Medaille, die Maria Theresia als mater castrorum verherrlichte und sie damit in eine Tradition stellte, die bis zu Faustina, der Gemahlin Kaiser Mark Aurels, zurückreichte. Das Münzbild zeigte die Königin als Pallas Athene mit Schild und Speer vor den Schlachtreihen ihres Heeres.54 Auf dieser Medaille wird die Mutterrolle freilich mit einer anderen Bedeutung aufgeladen. Hier ist es nicht die rückwartsgewandte Trauer der Mutter, sondern inszeniert wird die Kriegsherrin, für die die Truppen in die Schlacht ziehen.
Abb. 9: Maria Theresia als mater castrorum, Silbermedaille 1743. Dorotheum GmbH & CoKG Wien/Fotostudio Dirk Sonnenwald Hamburg. Maria Theresia aber war mehr als die Landesherrin, für die die Truppen in die Schlacht zogen. Sie nahm nicht nur regen Anteil an den militärischen Entscheidungen und wollte über alles informiert sein, sondern sie war an diesen Entscheidungen beteiligt, soweit ihr dies von Wien aus möglich war. In allen Fragen, die die Armee und die Kriegsführung betrafen, bezog sie ihren Mann Franz Stephan ein – der Oberbefehlshaber war also ein Amtspaar, in dem aber im Zweifel Maria Theresia das letzte Wort hatte. Davon, dass sie die Militaria ihrem Mann Franz Stephan überlassen habe, kann keine Rede sein. 54 SPEIGEL, 2012, S. 130f. Vgl. Schau- und Denkmünzen 1782/1970, Nr. XXXVIII.
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9. Ein Paar und 16 Kinder: Erziehung und erste Heiraten
Die dringlichste Aufgabe, die ein Herrscherpaar arbeitsteilig zu erfüllen hatte, war, für den Fortbestand der Dynastie zu sorgen. Diese Verpflichtung war selbstverständlich allen fürstlichen Ehepaaren bewusst, aber kaum jemand dürfte die Dringlichkeit dieser Aufgabe so deutlich empfunden haben wie Maria Theresia. Denn die Regierungszeit ihres Vaters war davon geprägt gewesen, dass es ihm und seiner Ehefrau Elisabeth Christine eben nicht vergönnt gewesen war, der Dynastie einen männlichen Erben zu schenken; mit zwei (überlebenden) Töchtern war die Reproduktionsbilanz dieser Ehe überhaupt eher bescheiden ausgefallen. Daraus folgte nicht nur ein politisches Problem. Die geringe Fruchtbarkeit des Kaiserpaares war auch eine menschliche Katastrophe, vor allem für Kaiserin Elisabeth Christine. Da die Kinderlosigkeit einer Ehe fast ausschließlich der Frau angelastet wurde, waren die Frauen einem enormen Druck ausgesetzt. Elisabeth Christine hat dies in extremer Weise erfahren, indem im Laufe der Jahre wohl wirklich nichts unversucht gelassen wurde, um der Kaiserin zu einer Schwangerschaft zu verhelfen: von den gemeinsam mit ihrem Mann unternommenen Wallfahrten nach Mariazell über angeblich lust- und empfängnisfördernde Gemälde im Schlafzimmer bis hin zu allerlei Kuren und Medikamenten, die letztlich die Gesundheit Elisabeth Christines ruinierten und dafür verantwortlich waren, dass sie an zunehmender Fettleibigkeit litt.1 Letztlich aber war alles (fast) vergeblich: Zwar gebar die Kaiserin mehr als sieben Jahre nach ihrer Heirat 1716 endlich einen Sohn, aber dieser 1
RILL, 1992, S. 192.
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starb schon wenige Monate später. Immerhin war damit bewiesen, dass das Kaiserpaar nicht komplett unfruchtbar war – das ließ hoffen. Und tatsächlich folgten bald weitere Geburten, doch waren die 1717 und 1718 geborenen Kinder nur Mädchen. Nach einer langen Pause von über fünf Jahren folgte 1724 erneut ein Mädchen, das freilich bereits mit sechs Jahren starb. Nach den Maßstäben der Zeit – und sicher auch nach ihren eigenen Maßstäben – hatten Karl VI. und Elisabeth Christine ihre vornehmste Aufgabe also nur höchst unzureichend erfüllt. Was das völlige Fehlen von Erben bedeuten konnte, auch dafür bot die jüngere Geschichte des Hauses ein drastisches Beispiel. Auf den kinderlosen Tod Karls II. von Spanien im Jahre 1700 war der Spanische Erbfolgekrieg gefolgt, der damit endete, dass ein großer Teil des Erbes für die Habsburger verloren ging. Mit dieser familiären Erfahrung, ja: Belastung, ging Maria Theresia in ihre Ehe mit Franz Stephan. Sie, und sicher auch Franz Stephan, wusste, was von ihr erwartet wurde: die Geburt eines männlichen Erben. Diese Erwartungshaltung wurde anlässlich der Heirat auch mehr als deutlich formuliert. So wurde in der Dekoration der Augustinerkirche, in der, wie im habsburgischen Haus üblich, die Trauung stattfand, auf die erhoffte Fruchtbarkeit des Brautpaars angespielt. Und in einem Glückwunschgedicht wurde unmissverständlich die Hoffnung ausgesprochen, dass »der Allmächtig Gott Euch beede woll belohnen / Und heute übers Jahr beglücken mit ein Sohn.«2 Immerhin: Der Anfang war vielversprechend. Denn bereits wenige Monate nach der Heirat am 12. Februar 1736 war Maria Theresia schwanger – wenigstens zeichnete sich also kein jahrelanges Warten wie bei ihrer Mutter ab. Fast genau ein Jahr nach der Hochzeit wurde das erste Kind geboren: ein Mädchen. In geringem Abstand folgten 1738 und 1740 zwei weitere Mädchen. Fruchtbar war das Thronfolgerpaar also zweifellos, was noch fehlte, war der männliche Erbe. Und ein weiteres Problem kam hinzu: Zwei der drei Mädchen starben bald, sodass Ende Januar 1741, also nach fünf Jahren Ehe, nur noch die zweitgeborene Tochter Maria Anna lebte. Es ist vielfach beschrieben worden, welche Freude deshalb die Geburt des Sohnes Joseph am 13. März 1741 auslöste. Schon ein Blick auf die Berichterstattung im Wiener Diarium zeigt, wie unterschiedlich die 2
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Ein Paar und 16 Kinder
Geburt eines Jungen und eines Mädchens aufgenommen wurde. War die Geburt der dritten Tochter am 12. Januar 1740 schlicht mit den Worten notifiziert worden: »ist in der Kaiserl. Burg die Durchlgste ErtzHertzogin Maria Theresia […] von einer gesunden wolgestalteten Printzessin glüklich entbunden worden, worauf alsogleich die behörigen Veranstaltungen zu Dero feyerlichen Tauf vorgekehret«3, war die Erleichterung bei der Geburt Josephs mit Händen zu greifen. In der Zeitung hieß es: »Heute in der fruhe […] seynd Ihre Majestät die Königin zu Hungarn und Böheim […] eines schön= und wolgestalten ErtzHertzogen zu unaussprechlicher Freude Allerhöchster Herrschaften wie auch zum höchsten Trost alhiesiger Inwohner und gesammter Königl. Erb=Königreichen und Landen glücklich entbunden worden; von welcher glüklichen Entbindung alsogleich der Ruf mithin ein immerwährendes Jubel=Geschrey durch alle Gässen noch bey eitler Nacht erschollen. Von dieser glüklichen Entbindung seynd auch die Nachrichten mittels Abfertigung einiger Kammer=Herren, Truchsessen und respective Expressen an unterschiedliche auswärtige Höfe abgefertiget worden.«4 Allerdings: Auch wenn die Freude allenthalben groß war – sicher nicht zuletzt bei Maria Theresia und Franz Stephan selbst –, gesichert war die Zukunft der Dynastie damit noch lange nicht, das hatten die frühen Tode zweier Töchter den Eltern auf traurige Weise bewusst gemacht. Und so ließen Maria Theresia und Franz Stephan in ihren Anstrengungen nicht nach. Maria Theresia selbst hat später einmal geäußert, dass sie mit zehn Kindern zufrieden wäre.5 Zu diesem Zeitpunkt war Maria Theresia gerade zum zehnten Mal schwanger. Da aber zwei der drei erstgeborenen Töchter früh gestorben waren und die dann kurz darauf im September 1748 geborene Tochter bei der Geburt starb, hatte die Kaiserin ihr selbst gestecktes Ziel noch nicht erreicht. Offensichtlich ging sie davon aus, dass bei zehn Kindern trotz aller immer einzukalkulierender Unglücksfälle der Bestand der Dynastie als gesichert gelten konnte. Dass sie das Gebären von Kindern als eine Pflicht ansah, zeigt das von ihr im Zusammenhang mit Schwangerschaften stets ver3 4 5
Wiener Diarium, 13.1.1740, S. 6. Wiener Diarium, 16.3.1741, S. 4. Zu der medialen Reaktion auf die Geburt Josephs jetzt TELESKO u.a., 2017, S. 445-455. Maria Theresia an Maria Antonia von Sachsen, 29.8.-4.9.1748; LIPPERT, 1908, Nr. 7, S. 5f., hier S. 5.
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wendete Verb »fürchten« (craindre). So schrieb sie in demselben Brief, dass sie fürchte, noch mehr Kinder zu bekommen, und auch in anderen Briefen werden Vermutungen über eine erneute Schwangerschaft stets mit dem Wort »craindre« eingeleitet.6 Nicht ungehemmter Fortpflanzungsdrang oder überbordende Mutterliebe waren hier also wirksam, sondern Maria Theresia erfüllte mit ihren zahlreichen Schwangerschaften ihre Pflicht im Dienst der Dynastie. Sehr bewusst nahm sie wahr, dass die zahlreichen Schwangerschaften an ihrem Körper nicht spurlos vorübergingen, sondern ihn schwächten und sie vorzeitig altern ließen. Gleichzeitig fürchtete sie, dass sie dadurch »moins capable pour le travails [sic!] de la tete« würde, dass die Schwangerschaften sich also negativ auf ihre geistige Leistungsfähigkeit auswirkten.7 In letzter Konsequenz hieß dies, dass die vielen Geburten auf Kosten der Qualität der Regierungsarbeit gingen. Aber während das nur Spekulationen waren, waren die Folgen ausbleibender Geburten sehr real und deshalb unbedingt zu vermeiden. Und so wurden nach Joseph im Abstand von einem bis eineinhalb Jahren zwölf weitere Kinder geboren. Und mit Ausnahme der 1748 tot geborenen Maria Karolina überlebten alle Kinder das so gefährliche Säuglings- und Kleinkindalter. 20 Jahre nach ihrer Heirat hatte Maria Theresia 16 Kinder geboren, von denen immerhin 13 noch lebten. Diese primäre Aufgabe eines fürstlichen Ehepaares hatten Maria Theresia und Franz Stephan also glänzend erfüllt. Auch wenn dazu keine Aussagen Maria Theresias oder ihres Mannes überliefert sind, liegt die Annahme nahe, dass die selbst für damalige Verhältnisse große Zahl der Kinder auch eine Reaktion auf die familiäre Erfahrung war. Deshalb auch drängte Maria Theresia Joseph nach dem Tod Isabellas von Parma so unbarmherzig, rasch wieder zu heiraten, weil aus seiner ersten Ehe nur eine Tochter hervorgegangen war.8
6 7 8
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Vgl. z. B. »je crains de nouveaux etre grosse«; Maria Theresia an Maria Antonia von Sachsen, 5.-10.6.1749; EBD., Nr. 11, S. 7f., hier S. 8. Maria Theresia an Maria Antonia von Sachsen, 29.8.-4.9.1748; EBD., Nr. 7, S. 5f., hier S. 5. ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 83. Maria Theresia an Maria Antonia von Sachsen, 16.1.1764; LIPPERT, 1908, Nr. 128, S. 207-211, hier S. 209. Maria Theresia an Maria Antonia von Sachsen, 9.2.1764; EBD., Nr. 129, S. 211213, hier S. 211.
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In der auf Maria Theresia folgenden Generation aber konnte die Dynastie erst einmal als gesichert gelten. Und immerhin fünf Söhne9 boten auch eine hinreichende Garantie dafür, dass man nicht erneut auf den Notbehelf der weiblichen Thronfolge würde ausweichen müssen. Nun galt es, diese Kinder so zu erziehen, dass sie einst ihre Aufgaben im Dienste der Familie würden erfüllen können. Die Sorge um die Erziehung der Kinder aber gehörte traditionell zu den Bereichen, in denen der Fürstin ein großer und eigener Handlungsspielraum zugemessen wurde.10 Es ist vielfach überliefert, dass Maria Theresia sich intensiv um die Erziehung ihrer Kinder gekümmert hat. Im Rückblick formulierte sie selbst das 1774 so: »Trotz meines Alters, meiner Gebrechlichkeit und der Geschäfte, denen ich mich zu widmen hatte, bildete die Erziehung meiner Kinder doch immer den hauptsächlichsten und wichtigsten Gegenstand meiner Aufmerksamkeit.«11 Das sah nun freilich nicht so aus, dass sie den ganzen Tag oder auch nur mehrere Stunden täglich ihre Kinder um sich gehabt und alle mütterlichen Aufgaben selbst übernommen hätte. Denn ein solches Verständnis von den Aufgaben einer Mutter war in fürstlichen Familien nicht üblich. Galt dies schon für die Ehefrauen von Herrschern, so erst recht für Maria Theresia. Ihr fehlte als Landesfürstin schlicht die Zeit, sich täglich stundenlang um ihre Kinder zu kümmern.12 Es wäre also sicherlich unzutreffend, sich das Familienleben in der Hofburg oder in Schönbrunn wie in einer bürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts vorzustellen, auch wenn es am Kaiserhof zur Zeit Maria Theresias sicher weniger förmlich zuging als noch eine Generation zuvor oder an manchen anderen Höfen. Dennoch sind solche Vorstellungen von einem geradezu bürgerlichen Familienleben Maria Theresias weit verbreitet. Sie wurden genährt durch Äußerungen wie die des preußischen Gesandten Podewils, der in seiner Charakterisierung Maria Theresias ausdrücklich erwähnte, wie sehr sie ihre Kinder liebe 9
Der zweitgeborene Sohn Karl Joseph starb 1761 mit knapp 16 Jahren, die anderen vier Söhne aber erreichten das Erwachsenenalter. 10 KELLER, 2016, S. 20. 11 Denkschrift Maria Theresias für Max Franz [April 1774]; HHStA Wien, Familienakten 55-10, fol. 181r-197v, 201r, in Auszügen und in deutscher Übersetzung gedruckt bei ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 477-488, hier S. 478. 12 So auch STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 471.
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und dass sie sie an Empfangstagen immer um sich habe.13 Sein Nachfolger als Gesandter in Wien, Maximilian von Fürst und Kupferberg, wusste 1755 zu berichten, dass Maria Theresia, wenn sie sich erholen wolle, ihre Kinder sehe, was drei bis vier Mal täglich vorkomme. Und er fuhr fort: »Sie ist eine zärtliche und strenge Mutter. […], es kommen Belohnungen und auch Strafen vor, eben so gut wie bei Privatleuten.«14 Eine Fürstin, die ihre Kinder um sich hat und die sie bestraft und belohnt wie eine normale Mutter – solche Bilder weckten Assoziationen eines bürgerlichen Familienlebens. Dabei wurde freilich übersehen, dass die preußischen Gesandten als Vertreter eines feindlichen Hofes kaum Zugang zum Hof hatten und weitgehend auf Informationen aus dritter Hand angewiesen waren – einen direkten Einblick in das Familienleben am Wiener Hof hatten sie mit Sicherheit nicht. Zudem stellt sich die Frage nach dem Vergleichsmaßstab der Gesandten. Sie kamen ja von einem Hof ohne Familie, andere Höfe kannten sie nicht, sie dürften also kaum über ein ausgeprägtes und geeignetes Koordinatensystem verfügt haben, um das von ihnen Beobachtete und Gehörte einzuordnen. Dennoch dienten ihre vagen Hinweise der Forschung als Belege für das angeblich bürgerliche Familienleben am Kaiserhof. Noch stärker in diese Richtung wirkten bildliche Darstellungen wie die von Isabella von Parma angefertigte Zeichnung von der Nikolausbescherung in der kaiserlichen Familie.15 Dieses Bild zeichnet in der Tat eine bürgerliche Familienidylle mit dem Kaiser im Schlafrock, der Kakao servierenden Kaiserin und den auf dem Fußboden spielenden Kindern. Freilich hat die kunsthistorische Forschung inzwischen herausgearbeitet, dass die Zeichnung auf einem zeitgenössischen niederländischen Stich beruht16 und somit keineswegs ein realistisches Bild des kaiserlichen Familienlebens entwarf. Wenn also unter Hinweis auf solche Darstellungen das Leben am Wiener Hof zur Zeit Maria Theresias
13 HINRICHS, 1937, S. 50. 14 RANKE, 1833-1836, S. 674. 15 Die Zeichnung wurde – ebenso wie diejenige von Joseph am Wochenbett seiner Gemahlin Isabella – bis vor kurzem Marie Christine zugeschrieben. Im Katalog zur Ausstellung »Maria Theresia 1717-1780« wird von Elfriede Iby hingegen Isabella von Parma als Künstlerin genannt; IBY u. a., 2017, S. 272. 16 BARTA, 2001, S. 134. Ebenfalls LAU, 2016, S. 114.
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als »relaxed, informal and bourgeois« charakterisiert wurde,17 so beruht eine solche Charakterisierung auf unzutreffenden Vorannahmen. Der Alltag in der Wiener Hofburg war sicher in stärkerem Maß höfischen Zwängen und politischen Rücksichten unterworfen, als solche Darstellungen suggerieren. Damit soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass Maria Theresia so etwas wie Familienglück erfahren hat und dass sie ihre Kinder liebte. Aber es bleibt doch der dynastische Rahmen zu berücksichtigen und das hieß, dass diese Kinder von Anfang an einer Aufgabe zu dienen hatten, nämlich dem Wohl des Hauses Habsburg-Lothringen. Diesem Dienst hatten sie alles andere unterzuordnen, das erwartete Maria Theresia von ihren Kindern genauso, wie sie das selbst praktizierte. Etwas davon klingt in der oben angeführten Äußerung von Podewils an, der ausdrücklich erwähnt, dass die Kaiserin ihre Kinder »an den Empfangstagen« um sich gehabt habe. Das heißt, an diesen Tagen hielten sich die Kinder in der Nähe Maria Theresias auf, um irgendwelchen Besuchern präsentiert zu werden und so die Prosperität der kaiserlichen Familie vor Augen zu führen.18 Wesentlich schärfer formulierte später die Kammerfrau Marie Antoinettes, dass es sich dabei um eine genau kalkulierte Inszenierung gehandelt habe: »Sobald man von der Ankunft eines Fremden von Bedeutung in Wien Kenntnis erhalten hatte, umgab sich die Kaiserin mit ihrer Familie, zog ihn zur Tafel, und erweckte durch diese wohlberechnete Annäherung den Glauben, als leite sie selbst die Erziehung ihrer Kinder.«19 Nun kannte Jeanne Louise Henriette Campan, die der französischen Königin als Kammerfrau gedient hatte, das Leben am Wiener Hof selbstverständlich nicht aus eigener Anschauung. Aber was sie in ihren Memoiren niederschrieb, dürfte dem Eindruck entsprochen haben, den Marie Antoinette ihr von ihrer Kindheit vermittelt hatte. Wenn man also die Vorstellungen von einer geradezu bürgerlichen Familienidylle und einer ihre Kinder ständig umsorgenden Kaiserin als freilich wirkmächtige Inszenierung entlarven muss, stellt sich die Frage, wie die Erziehung der kaiserlichen Kinder denn tatsächlich aussah und welchen Anteil die Eltern daran nahmen. 17 WANGERMANN, 1977, S. 286; ähnlich auch WANDRUSZKA, 1968, S. 181; DERS., Bd. 1, 1963, S. 35. 18 Zur Präsentation der kaiserlichen Kinder vor der höfischen Öffentlichkeit siehe STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 465-469. 19 CAMPAN, Bd. 1, 1824, S. 98.
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Die Kinder auf ihren Dienst für die Dynastie vorzubereiten war das Ziel der Erziehung in der kaiserlichen Familie. In diesem Geist waren die Instruktionen verfasst, die die Erzieher und Erzieherinnen der kaiserlichen Kinder – nach spanischem Vorbild Ayo bzw. Aya genannt – an die Hand bekamen und die ihnen ihr Tun und Lassen genau vorschrieben. Verfasst hat diese Instruktionen Maria Theresia – und zwar sowohl für die Erzieherinnen der Töchter als auch für die Erzieher der Söhne. Das war durchaus ungewöhnlich, denn üblicherweise war es der fürstliche Vater, der die Erziehungsinstruktionen erließ.20 Immerhin schrieb Maria Theresia in der Instruktion für Karl Joseph Graf Batthyany, den Ayo Josephs, dass diese Anweisung dem Willen und der Meinung Franz Stephans gemäß verfasst worden sei.21 Und gegenüber der Gräfin Lerchenfeld wies Maria Theresia explizit darauf hin, dass jene auf Wunsch des Kaisers zur Aya für seine Töchter ernannt worden sei.22 Insgesamt wird man davon ausgehen können, dass das Kaiserpaar sich hinsichtlich der Richtlinien über die Erziehung der Kinder abgesprochen hat. Als Auftraggeberin der Erzieherinnen und Erzieher aber trat Maria Theresia in Erscheinung, an sie waren auch die Berichte der Erzieher gerichtet. Als Reaktion auf diese Berichte kommentierte Maria Theresa dann das Gelesene und erteilte ergänzende Anweisungen.23 Das genau war es, was Maria Theresia meinte, wenn sie, wie oben zitiert, 1774 schrieb, dass sie die Erziehung ihrer Kinder stets als ihre wichtigste Aufgabe betrachtet habe. Dort räumt sie nämlich ein, dass »nicht Alles in Gemäßheit meiner Instructionen und Befehle, so wie der Sorgfalt geschah, die ich auf die Sache verwendete.«24 Damit umschrieb sie 20 Vgl. z. B. die Instruktionen für die Erzieher und Erzieherinnen der Kinder im Hause Wittelsbach, die durchgängig von den Fürsten erlassen wurden; SCHMIDT, 1892; DERS., 1899. 21 Instruktion Maria Theresias für Graf Batthyany als Ayo ihres Sohnes Joseph [1751]; HHStA Wien, Familienakten 54-3, fol. 2r-9r; gedr. in ARNETH, Bd. 4, 1881, S. 5-13, hier S. 13. 22 Instruktion Maria Theresias für die Gräfin Lerchenfeld als Aya für Johanna Gabriele und Maria Josepha [November 1756]; EBD., S. 101-104, hier S. 104. 23 Siehe EBD., und die folgenden Briefe Maria Theresias an die Gräfin Lerchenfeld; EBD., S. 105-123. 24 Denkschrift Maria Theresias für Max Franz [April 1774]; HHStA Wien, Familienakten 55-10, fol. 181r-197v, 201r, in Auszügen und in deutscher Übersetzung gedr. bei ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 477-488, hier S. 478.
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ziemlich genau ihren Part bei der Erziehung: Sie erteilte die Instruktionen und Befehle und überwachte deren Einhaltung.25 Wie an anderen Höfen auch wurde die Erziehungsarbeit im engeren Sinne hingegen einem dafür sorgfältig ausgesuchten Personenkreis übertragen: Die Oberaufsicht lag beim Ayo bzw. der Aya, der Unterricht wurde durch verschiedene Lehrer erteilt, für die geistliche Erziehung war der Beichtvater zuständig. Soweit entsprach die Regelung am Wiener Hof der an Fürstenhöfen üblichen Praxis. Ungewöhnlich war aber, dass nicht der Vater, sondern die Mutter die Ziele der Erziehung formulierte und die Richtlinien vorgab. Bei genauerer Betrachtung freilich erscheint dieses Vorgehen logisch. Denn der älteste Sohn Joseph war der Erbe seiner Mutter, und auch die anderen Kinder sollten dem von der Mutter weitergegebenen Haus dienen. Zwar sollte die Bezeichnung »Habsburg-Lothringen« den dynastischen Bruch verdecken, und in dem durch die Heirat zwischen Maria Theresia und Franz Stephan entstandenen neuen Haus hätte Franz Stephan durchaus die Rolle des pater familias beanspruchen können. Alle diese Konstruktionen konnten freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass – mit Ausnahme der Toskana – die Position des Hauses eben auf dem mütterlichen Erbe beruhte. Das aber hatte Auswirkungen jedenfalls auf die nach außen sichtbare Gestaltung der Erziehung. Durchaus zutreffend wird die Sorge Maria Theresias um die Erziehung ihrer Kinder als intensiv und über das übliche Maß hinausgehend beschrieben. Ungewöhnlich war daran aber nicht etwa, dass Maria Theresia die höfischen Gepflogenheiten außer acht gelassen und wie eine bürgerliche Mutter agierte hätte – das tat sie nämlich mitnichten –, sondern ungewöhnlich war, dass sie über den einer Fürstin durchaus zugeschriebenen Handlungsspielraum in Erziehungsfragen hinaus offiziell die Richtlinien der Erziehung vorgab und deren Einhaltung überwachte. Dieses Interesse Maria Theresias am Erfolg der Erziehung und des Unterrichts äußerte sich auch darin, dass sie häufig den Examina beiwohnte, denen sich Joseph regelmäßig unterziehen musste. Immer wieder berichtet Khevenhüller von der Anwesenheit der Kaiserin bei diesen
25 Pointiert dazu STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 471: »Maria Theresia kümmerte sich um die Erziehung vor allem dadurch, dass sie ausführliche Instruktionen an die Verantwortlichen verfasste«.
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Anlässen.26 Als Franz Stephan am 28. Mai 1755 gegen Ende einer Prüfung hinzukam, hob Khevenhüller das hingegen ausdrücklich als Ausnahme hervor, indem er die Bemerkung anfügte, dass der Kaiser sonst nur selten an solchen Akten teilnehme.27 Überhaupt bereitet es Schwierigkeiten, die Beteiligung Franz Stephans an der Erziehung der Kinder zu bestimmen. Es gibt einige Hinweise darauf, dass die Kinder ihren Vater nicht in demselben Maße wie die Mutter als streng, stets fordernd und häufig tadelnd wahrgenommen haben. Noch mit 18 Jahren schrieb Marie Antoinette, dass sie ihre Mutter liebe, aber dass sie ihr Angst bereite, selbst aus der Ferne. Sogar wenn sie ihr schreibe, fühle sie sich unbehaglich.28 Einen ganz anderen Eindruck hinterlässt dagegen ein Brief der vierzehnjährigen Maria Josepha an ihren Vater aus dem August 1765. Maria Josepha war mit einigen ihrer Geschwister in Wien geblieben, während der andere Teil der Familie zur Hochzeit Leopolds nach Innsbruck gereist war. Das Mädchen berichtete dem Vater von den Aktivitäten der zu Hause gebliebenen Kinder, und das in einem vergleichsweise wenig förmlichen Ton.29 Josephs erste Ehefrau Isabella von Parma, die im Unterschied zu den häufig zitierten preußischen Gesandten tatsächlich das Innenleben der kaiserlichen Familie kannte, urteilte also wohl zutreffend, wenn sie an ihre Schwägerin Marie Christine schrieb: »Du kennst ja ihre [= Maria Theresias, B.B.] Weise, ihre Kinder zu lieben; jederzeit ist sie mit einer Art Mißtrauen und anscheinender Kälte gemischt. […] Was 26 So z. B. am 13. August 1749 (KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 342), am 27. März 1752 (DERS., Bd. 3, 1910, S. 20), am 27. August 1755 (EBD., S. 257), am 23. Februar 1756 (DERS., Bd. 4, 1914, S. 8) und am 3. August 1757 (EBD., S. 111). Umgekehrt erwähnte es Khevenhüller ausdrücklich, als Maria Theresia wegen Beschwerden zu Beginn einer Schwangerschaft nicht an einem Examen Josephs teilnehmen konnte; DERS., Bd. 3, 1910, S. 4 (24.1.1752). Dagegen schreibt Stollberg-Rilinger, dass Maria Theresia bei diesen Examina nie anwesend gewesen sei; STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 477. 27 KHEVENHÜLLER, Bd. 3, 1910, S. 242 (28.5.1755). 28 »J’aime l’imperatrice, mais elle me fait peur, même de loin. Même quand je lui écris, je ne me sens pas à l’aise.« Zitiert nach IBY, 2008, S. 34. Graf Mercy-Argenteau an Maria Theresia, Paris, 16.1.1773; ARNETH/GEFFROY, Bd. 1, 1874, S. 404-406, hier S. 404. 29 Maria Josepha an Franz Stephan, Schönbrunn, 15.8.1765; HHStA Wien, Familienkorrespondenz 51-6, fol. 1r-2v.
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ihre Kinder betrifft, so liebt die Kaiserin dieselben, aber sie geht von einem falschen Grundsatze aus, der in allzu großer Strenge besteht.«30 Vergleichbare Äußerungen über Franz Stephan sind hingegen nicht überliefert. Man muss nicht so weit gehen und in der Familie Maria Theresias eine Umkehrung der üblichen Rollenbilder sehen, sodass Franz Stephan den sanften, liebevollen Part ausfüllte und Maria Theresia die eigentlich väterliche Rolle des strengen, fordernden, stets an die Zukunft der Kinder denkenden Zuchtmeisters einnahm. Denn es ging hier weniger um Geschlechterrollen als um die Position innerhalb der Dynastie.31 Und Chef des Hauses war letztlich eben Maria Theresia, auch wenn dies nach damaliger Auffassung mit der natürlichen Geschlechterordnung kollidierte, die eine Unterordnung der Ehefrau unter den Ehemann vorsah. Allerdings war es dann doch Franz Stephan, der seinen Söhnen Joseph und Leopold Instruktionen für den Ehestand mitgab. Anlässlich ihrer bevorstehenden Eheschließung erhielten beide Erzherzöge Ratschläge des Vaters, wie eine Ehe am besten zu führen sei.32 Ob Franz Stephan auch für seine Töchter entsprechende Ratschläge verfasst oder dies der Mutter überlassen hätte, lässt sich nicht entscheiden, da keine der Erzherzoginnen zu Lebzeiten des Vaters verheiratet wurde. Dass sich die Fürsorge des Kaisers aber nicht nur auf seine Söhne, sondern auf alle Kinder erstreckte, zeigt die von ihm bereits 1752 verfasste »Instruction pour mes enfants tant pour la vie spirituelle que la
30 Diese Äußerungen Isabellas finden sich in den (undatierten) »Conseils à Marie«; BADINTER, 2008, S. 191-202, hier S. 196 und 201; in deutscher Übersetzung gedr. bei ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 49-57, hier S. 53 und 56. 31 Es ist völlig unklar, was Lau meint, wenn er schreibt: »Die Erziehungsaufgaben waren vor dem Tode Franz Stephans zwischen den Eheleuten im Wesentlichen entlang der Geschlechterlinie geteilt worden«; LAU, 2016, S. 404, Anm. 41. Soll das heißen, dass Franz Stephan für die Erziehung der Söhne, Maria Theresia aber für die der Töchter zuständig war? Oder ist gemeint, dass Franz Stephan die eher »männlichen« Kenntnisse (Militär, Jagd?) und Maria Theresia die »weiblichen« (Soziales, Religion?) an die Kinder weitergab? Beide Annahmen sind durch die Quellen vielfach widerlegt. Die von Lau als Beleg angegebene Seite im Tagebuch Khevenhüllers enthält nichts über Erziehung. 32 Instruktion für Joseph: ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 36; Instruktion für Leopold »Sur le Mariage« vom 15.1.1765; HHStA Wien, Familienakten 55-6, fol. 42r–45v; eine Zusammenfassung bei ZEDINGER, 2008, S. 261f.
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temporelle«,33 die alle seine Kinder als Abschrift erhalten sollten. Die Instruktion offenbart die Sorge eines Vaters um das Glück und das Seelenheil seiner Kinder. Da sie für alle Kinder gedacht war, die zu diesem Zeitpunkt zudem meist noch sehr jung bzw. noch gar nicht geboren waren, konnte sie nicht auf die Individualität der Kinder eingehen und schon gar keine speziellen politischen Ratschläge enthalten. Sie stellt ein eher privates Dokument dar, das freilich deutlich macht, welchen Anteil Franz Stephan am Leben seiner Kinder nahm. Dass die offiziellen Anweisungen über die Erziehung der Kinder von Maria Theresia stammten und sie auch in Erziehungsangelegenheiten, wie z. B. durch ihre Anwesenheit bei Prüfungen, eher in Erscheinung trat, sollte keineswegs so gedeutet werden, als ob sich Franz Stephan nicht für die Erziehung seiner Kinder interessiert hätte. Vielmehr scheint Franz Stephan familienintern als Vater eine wichtigere Rolle gespielt zu haben, als dies nach außen hin in Erscheinung trat. Maria Theresia erließ zwar die Instruktionen für die Erzieherinnen und Erzieher und wohnte den öffentlichen Prüfungen vor allem des Thronfolgers bei, aber Franz Stephan gab seinen Kindern persönliche Ratschläge mit auf den Weg, Ratschläge, die nicht zur Publikation bestimmt waren. Diese Aufgabenverteilung tritt deutlich zutage nach dem überraschenden Tod des Kaisers im August 1765 während der Hochzeitsfeierlichkeiten in Innsbruck. Franz Stephan starb am 18. August, am 30. August verließ Leopold mit seiner jungen Frau Innsbruck. Irgendwann im Verlauf dieser zwölf Tage verfasste Maria Theresia drei Instruktionen für Leopold: eine allgemeine, eine über die Religionsausübung34 und eine mit Maßregeln für den Krankheitsfall.35 Es steht zu vermuten, dass Maria Theresia diese Instruktionen schrieb, weil Franz Stephan dies nun eben nicht mehr tun konnte, oder, wie Maria Theresia formulierte, »in der gegenwärtigen Situation, so Du keinen Herrn und keinen Vater mehr hast, muß ich Dir Vater und Mutter sein, Dir meine Ratschläge erteilen und Dir helfen, so weit ich es kann.«36 An sich wäre 33 HHStA Wien, Familienakten 54-1, fol. 55r-72r, auch Familienurkunde Nr. 1954. Eine ausführliche Inhaltsangabe bei KOVÁCS, 1986, S. 60-69. 34 ARNETH, Bd. 1, 1881, S. 21-30. 35 EBD., S. 14-21. 36 »Instruction Generale« Maria Theresias für Leopold, in deutscher Übersetzung in Auszügen und Paraphrase gedr. in WANDRUSZKA, 1963, S. 110118, das Zitat auf S. 117.
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das also wohl die Aufgabe des Vaters gewesen, so aber übernahm nun Maria Theresia als Mutter diesen Part, und zwar einschließlich der Ratschläge für die Regierung des Großherzogtums Toskana, also des väterlichen Erbes. Welch außerordentliche Bedeutung Maria Theresia diesen Instruktionen beimaß, erhellt schon aus ihrem Entstehungszeitraum: Obwohl sie sich nach dem Tod ihres Mannes, wie vielfach bezeugt, in einer psychischen Ausnahmesituation befand, wollte sie ihren Sohn doch nicht ohne elterliche Ratschläge in den Ehestand und seine neue Aufgabe ziehen lassen. In der Folgezeit gab Maria Theresia allen ihren Kindern Ratschläge mit, sobald sie den Wiener Hof verließen. Bekannt sind vor allem ihre Instruktionen für die an auswärtige Höfe verheirateten Töchter Maria Amalia (Parma), Maria Karolina (Neapel) und Marie Antoinette (Frankreich), in denen sie ihre Töchter ermahnte, sich ihrem Ehemann unterzuordnen und sich nicht in die Politik einzumischen.37 Diese Anweisungen haben insofern Erstaunen hervorgerufen, als sie ganz und gar nicht der von Maria Theresia selbst geübten Praxis entsprachen.38 Dabei wurde freilich übersehen, dass sich die Position Maria Theresias von der ihrer Töchter fundamental unterschied: Maria Theresia war die Erbin und Landesfürstin und damit zur Herrschaft berufen und verpflichtet, wohingegen ihre Töchter die Ehefrauen von Fürsten waren und damit über keine eigenen Herrschaftsrechte verfügten. Ob das Kaiserpaar sich über die bei der Erziehung der Kinder zu beachtenden Prinzipien weitestgehend einig war oder ob es wenigstens gelegentlich zu substantiellen Konflikten kam, lässt sich nicht feststellen. In einem Bereich hingegen lassen sich Meinungsverschiedenheiten ziemlich deutlich greifen, nämlich bei der Verheiratung der Kinder. Damit freilich berührten die Differenzen ein zentrales Feld der Politik, entschieden doch in den dynastisch organisierten Staaten Europas in der Vormoderne dynastische Heiraten ganz wesentlich über die Ausrichtung der Politik. Mit Hilfe von Heiraten konnten alte Verbindungen befestigt oder neue Koalitionen angebahnt oder bestätigt werden, es konn37 Instruktionen für Maria Karolina [April 1768]; HHStA Wien, Familienakten 55, fol. 80r-92v und 94r-99r, gedr. in ARNETH, Bd. 3, 1881, S. 32-55; Instruktion für Maria Amalia, Juni 1769; EBD., S. 3-16; Instruktion für Marie Antoinette; gedr. in: CHRISTOPH, 1952, S. 15-19. Eine Zusammenfassung bei KOVÁCS, 1986, S. 71-77. 38 So noch LAU, 2016, S. 323f.
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ten Friedensverträge bekräftigt oder Erbansprüche untermauert und damit gerade der Keim für neue Konflikte gelegt werden. Eines aber waren dynastische Heiraten auf gar keinen Fall: eine Privatangelegenheit. In der Forschung zu Fürstinnen der Frühen Neuzeit wird betont, dass die Heiratspolitik zu den Feldern gehörte, auf denen die Mitwirkung der Fürstin geradezu erwartet wurde.39 Die Fürstin konnte in ihren weiblichen Korrespondenznetzwerken Vorsondierungen über mögliche Heiratskandidatinnen und -kandidaten anstellen oder sogar bei Besuchen an verwandten oder befreundeten Höfen die fraglichen Personen direkt in Augenschein nehmen. Denn solche Heiraten wurden von langer Hand geplant, das mögliche Bewerberfeld konnte also gar nicht früh genug vorsortiert werden. Erste Überlegungen wurden oft Jahre im Voraus angestellt, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die potentiellen Brautleute erst im Kindesalter waren. Dementsprechend häufig wurden solche Überlegungen auch wieder verworfen – sei es, weil die politischen Konstellationen sich änderten, sei es, weil die Kandidaten und Kandidatinnen starben oder sich nicht wie erhofft entwickelten –, und dann war es gut, wenn diese Anbahnungen nicht offiziell erfolgt waren. In dem Moment, in dem offizielle Heiratsverhandlungen eingeleitet wurden, war die Entscheidung meist schon endgültig gefallen, zu diesem Zeitpunkt gab es kaum mehr ein Zurück ohne erheblichen Gesichtsverlust. Umso wichtiger waren die Sondierungen im Vorfeld. So weit das übliche Procedere. Allerdings ist es evident, dass dieses Muster auf Maria Theresia und Franz Stephan nicht passt. Denn Maria Theresia verfügte nicht über ein weibliches Netzwerk im obigen Sinne, über das sie unverbindliche Anfragen hätte lancieren können. Zwar gab es einige Damen, mit denen sie einen weitgehend nicht politischen Briefwechsel pflegte wie die Gräfinnen Edling und Enzenberg,40 aber diese kamen schon aufgrund ihres nichtfürstlichen Standes für solche Erörterungen nicht in Frage. Einen typischen Fürstinnenbriefwechsel pflegte Maria Theresia hingegen mit Kurfürstin Maria Antonia von Sachsen,41 der Tochter ihrer Cousine Maria Amalia.42 Mit der Kurprinzessin bzw. Kurfürstin korrespondierte Maria Theresia, wie sie selbst 39 40 41 42
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KELLER, 2016, S. 22. ARNETH, Bd. 4, 1881, S. 449-525; LAVANDIER/CZERNIN, 2017. LIPPERT, 1908. Maria Amalia, eine Tochter Kaiser Josephs I., war verheiratet mit Kurfürst Karl Albrecht von Bayern, dem späteren Kaiser Karl VII.
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schrieb, »en amie, sans ceremonie ni politique«,43 was natürlich nicht bedeutete, dass in den Briefen zwischen den beiden entfernten Cousinen überhaupt keine politischen Themen behandelt worden wären. Aber unabhängig davon, wem Maria Theresia schrieb, war eben doch immer die Herrscherin über eine Großmacht die Verfasserin des Briefs – unverbindliche Sondierungen waren ihr per se nicht möglich. Umgekehrt aber konnte auch Franz Stephan nicht in diese Rolle schlüpfen, da ein männliches Pendant zu diesen eher informellen FürstinnenNetzwerken nicht existierte. Damit aber kam jeder Überlegung, die vom Wiener Hof publik wurde, schon ein fast offizieller Charakter zu. Dementsprechend diskret mussten solche Vorüberlegungen vonstatten gehen, um nicht vorschnell nach außen zu dringen. Das ist auch in erheblichem Umfang gelungen – und stellt die Historiker insofern vor ein Quellenproblem, als diese internen Erörterungen über mögliche Heiratsoptionen einschließlich eventuell unterschiedlicher Standpunkte kaum zu greifen sind. Man ist deshalb auf wenige Indizien angewiesen. Auffallend ist zunächst ein statistischer Befund: Während die ältesten Töchter des Kaiserpaares entweder gar nicht (Maria Anna und Maria Elisabeth) oder sehr spät verheiratet wurden (Marie Christine mit 24, Maria Amalia mit 23 Jahren), traten die jüngeren Töchter sehr früh vor den Altar: Maria Karolina war 15 Jahre alt, als sie Ferdinand von Neapel heiratete, Marie Antoinette sogar erst 14 bei ihrer Heirat mit dem Dauphin; die für Neapel ursprünglich vorgesehenen Erzherzoginnen Johanna Gabriele bzw. Maria Josepha wären bei ihrer Vermählung auch nicht älter als 16 Jahre alt gewesen. Bei den Söhnen war der Unterschied nur minimal, aber auch bei ihnen sank das Heiratsalter langsam. Diese Diskrepanzen sind zu signifikant, als dass es sich dabei um puren Zufall handeln könnte. Unübersehbar ist, dass die Kinder keineswegs in der Reihenfolge ihres Alters verheiratet wurden. Die erste Sorge galt vielmehr erkennbar der Verheiratung der Söhne, wobei natürlich dem Thronfolger Joseph besondere Bedeutung zukam, aber auch seine nächstjüngeren Brüder Karl Joseph (geb. 1745) und Leopold (geb. 43 Maria Theresia an Maria Antonia von Sachsen, 9.3.1761; LIPPERT, 1908, Nr. 69, S. 99-101, hier S. 101. Eine vergleichbare Korrespondenz pflegte Maria Theresia wohl auch mit ihrer Cousine Maria Josepha, der Schwiegermutter Maria Antonias. Allerdings sind von diesem Briefwechsel gerade die Schreiben Maria Theresias nicht erhalten; EBD., Einleitung, S. XXXIX.
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1747) wurden früh in die Überlegungen mit einbezogen. Und diese Überlegungen waren überaus komplex, galt es doch viele Gesichtspunkte zu bedenken. Dass die Braut katholisch – oder mindestens zur Konversion bereit – sein musste, schränkte die Auswahl von vornherein erheblich ein, zumal wenn man sie nur in königlichen Häusern suchen wollte, womit im Grunde nur die Bourbonen in Frage kamen. Außerdem sollte die Braut einigermaßen im Alter passen, und es durften keinerlei körperliche Defizite erkennbar sein, die an ihrer Gebärfähigkeit zweifeln ließen. Waren diese persönlichen Voraussetzungen geklärt, stellte sich die Frage, welche Kandidatin am besten in die politische Konstellation passte. Über alle diese Fragen scheint es in Bezug auf die Verheiratung der Söhne keine größeren Meinungsverschiedenheiten am Wiener Hof gegeben zu haben. Ins Auge gefasst wurden zunächst nur Mädchen aus der Dynastie der Bourbonen, und zwar vor allem aus dem spanischen Zweig des Hauses. Eine solche Verbindung passte zu den Bemühungen in den 1750er Jahren, sich den Bourbonen vorsichtig anzunähern; eine solche Heirat konnte auch die Möglichkeit eröffnen, die 1735 bzw. 1748 verlorenen italienischen Gebiete wenigstens teilweise für das eigene Haus wiederzugewinnen. Zwar wollte man sich in Wien noch nicht endgültig festlegen, aber in Neapel ging man Mitte der 1750er Jahre fest davon aus, dass Joseph die älteste Tochter des Königs von Neapel-Sizilien44 heiraten würde. Doch es kam anders, weil sich die politischen Konstellationen nach dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges änderten. In diesem Krieg war Österreich existentiell auf die französische Unterstützung angewiesen, und deshalb konnte man kaum ablehnen, als Ludwig XV. seine Enkelin Isabella von Parma als Braut für Joseph ins Gespräch brachte. Isabella von Parma war die Tochter Philipps, des dritten Sohnes von Philipp V. von Spanien und dessen zweiter Ehefrau Elisabeth Farnese, und ist damit patrilinear der spanischen Linie der Bourbonen zuzuordnen. Zudem hatte Isabella ihre ersten Lebensjahre am Hof in Madrid verbracht, bevor ihr Vater nach dem Frieden von Aachen 1748 das Herzogtum Parma erhielt. Für die Hei44 Karl, ältester Sohn von König Philipp V. von Spanien und dessen zweiter Ehefrau Elisabeth Farnese, regierte 1735-1759 als König von Neapel und Sizilien. Nach dem kinderlosen Tod seines Halbbruders Ferdinand 1759 folgte Karl ihm als Karl III. auf den spanischen Thron.
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ratsverhandlungen 1759 entscheidend war aber ihre mütterliche Abstammung, da ihre Mutter Louise Elisabeth die älteste Tochter Ludwigs XV. war. Bezeichnenderweise liefen die ersten Verhandlungen deshalb auch über Paris und nicht über Parma. Dieser Brautwechsel kam dem Kaiserhaus auch insofern zupass, als sich die ursprünglich vorgesehene Braut nur zögerlich entwickelte.45 In einem Konferenzvortrag vom 1. Februar 1759 heißt es ausdrücklich, Kaiser und Kaiserin hätten entschieden, dass wegen des Alters46 und der »Leibesgestalt« der Infantin eine Heirat mit Joseph nicht in Frage komme und die Verhandlungen deshalb auf »eine schickliche Art« abzubrechen seien.47 Das Problem war nur, dass man dem König von Neapel schon ziemlich weitgehende Zusagen gemacht hatte, auch wenn noch kein förmlicher Heiratsvertrag unterzeichnet worden war. In dieser unangenehmen Situation verfiel man in Wien auf einen außergewöhnlichen Ausweg. Dem Hof in Neapel wurde mitgeteilt, Joseph habe sich so heftig in ein Porträt Isabellas verliebt, dass die Eltern ihn nicht zu einer anderen Heirat zwingen wollten. Wirkungsvoller als dieses Argument dürfte das Trostpflaster gewesen sein, das man dem König anbot: Der zweitälteste Sohn des Kaiserpaares sollte mit einer neapolitanischen Prinzessin verheiratet werden, als Ausstattung sollte das Paar das Großherzogtum Toskana erhalten, wo eine habsburgische Sekundogenitur eingerichtet werden sollte.48 Obwohl die Angelegenheit mehr als delikat war, gingen die Verhandlungen recht rasch über die Bühne, was darauf hindeutet, dass es darüber am Kaiserhof selbst keine größeren Differenzen gab. Am 6. Oktober 1760 wurde in Wien die Hochzeit Josephs mit Isabella von Parma gefeiert. 45 Die Infantin Maria Josepha galt als körperlich und geistig zurückgeblieben; LIPPERT, 1908, S. 59, Anm. 17. 46 Dieses Argument wurde vom Hof in Neapel als das bezeichnet, was es war, nämlich eine Ausrede, denn das Altersverhältnis zwischen Joseph und der Infantin hatte sich selbstverständlich nicht geändert; ARNETH, Bd. 5, 1875, S. 455. 47 Vortrag, Wien, 1.2.1759; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 7, Vorträge, fol. 1r-3r, hier fol. 1r-v. 48 Zu den Verhandlungen ARNETH, Bd. 5, 1875, S. 450-457. Ein solches Heiratsprojekt war ursprünglich von Neapel ins Gespräch gebracht, von Wien aber erst einmal dilatorisch behandelt worden. In Wien kam man jetzt auf die Idee zurück, um die doch recht massive Missstimmung Karls III. zu beseitigen; KLEINMANN, 1967, S. 21 und 24f.
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Dass die zweite Hochzeit dann doch etwas länger auf sich warten ließ, lag nicht zuletzt daran, dass der als Bräutigam vorgesehene Erzherzog Karl Joseph 1761 starb. Der für ihn als Bräutigam nachrückende dritte Sohn des Kaiserpaares, Leopold, war gerade erst 14 Jahre alt und damit auch nach damaligen Maßstäben für eine Heirat – für einen Jungen – deutlich zu jung. Dennoch traten die beiden Höfe schon 1762 in konkrete Verhandlungen ein.49 Der Vater der Braut regierte mittlerweile als Karl III. in Spanien. Ähnlich wie Maria Theresia und Franz Stephan für ihre Töchter bestand auch der spanische König für die Verheiratung seiner Töchter auf einer souveränen Stellung seiner Schwiegersöhne. Die größte Hürde für die Hochzeit war deshalb genommen, als Franz Stephan am 14. Juli 1763 das Instrument zur Errichtung einer habsburgisch-lothringischen Sekundogenitur in der Toskana unterzeichnete.50 Anfang 1765 wurden dann die dafür notwendigen rechtlichen Schritte vollzogen: Joseph verzichtete auf das ihm als Erstgeborenem zustehende Erbe zugunsten seines Bruder Leopold. Dieser sollte, solange der Vater lebte, als Generalgouverneur in Florenz amtieren.51 Diese Klausel sollte dann durch den Tod Franz Stephans im August 1765 hinfällig werden, sodass Leopold im September als neuer Großherzog der Toskana in Florenz einzog. Mehr noch als bei anderen Hochzeiten war also in diesem Fall das Einverständnis Franz Stephans notwendig, da die Heirat an eine Änderung der Erbfolge in der Toskana geknüpft war. Es liegen keine Hinweise vor, dass er sich dagegen gesträubt hätte. Interessant ist, dass Wien in einer frühen Phase der Verhandlungen versuchte, diese Notwendigkeit einer separaten Zustimmung Franz Stephans als Mittel zum Zeitgewinn zu nutzen. Dem spanischen König wurde nämlich mitgeteilt, dass er sich zunächst an den Kaiser als Souverän des Großherzogtums Toskana zu wenden habe – Madrid hätte also mit zwei Ansprechpartnern verhandeln müssen: mit Maria Theresia als Mutter und Familienoberhaupt und mit Franz Stephan wegen der Toskana. Karl III. ließ diese Zumutung mit der Begründung zurückweisen, dass er sich nicht in Fragen der Secundo-Versorgung eines anderen
49 WANDRUSZKA, Bd. 1, 1963, S. 57f.; KLEINMANN, 1967, S. 92-104. 50 WANDRUSZKA, Bd. 1, 1963, S. 58. 51 »Note pour l’etablissement de Leopold en Toscane après le Mariage«; HHStA Wien, Familienakten 55, fol. 78r-v.
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Souveräns einmischen wolle.52 Auch wenn von einer solchen Zweiteilung der Verhandlungen künftig nicht mehr die Rede war, zeigt diese Episode sehr schön, dass sich die Beteiligten sehr wohl darüber im Klaren waren, dass hier zwei Parteien agierten, deren Interessen nicht unbedingt deckungsgleich waren. Normalerweise wollte man dies in Wien eher kaschieren, in diesem Fall aber hatte man versucht, die formal unterschiedlichen Zuständigkeiten zu instrumentalisieren. Allerdings sollte es noch zu Problemen führen, dass diese Änderung in der Erbfolge und das privatrechtliche Testament des Kaisers über sein Vermögen nicht recht zusammenpassten. In seinem Testament vom 28. Januar 175153 hatte Franz Stephan nämlich sein Vermögen seinem erstgeborenen Sohn vermacht, also Joseph. Zu diesem Zeitpunkt musste der Kaiser selbstverständlich davon ausgehen, dass sein ältester Sohn ihm auch in der Toskana nachfolgen würde. Unter den veränderten Bedingungen des Jahres 1765 kam es nach dem Öffnen des väterlichen Testaments zu einer äußerst unerquicklichen Auseinandersetzung zwischen den Brüdern Joseph und Leopold. Joseph berief sich auf den Wortlaut des Testaments, wonach ihm als Erstgeborenem das Erbe zustehe, Leopold hingegen hielt diesen Wortlaut durch die geänderte Erbfolge für überholt. Er argumentierte, dass die aus der Toskana herrührenden und dort auch angelegten Gelder selbstverständlich dem Großherzog der Toskana, also ihm, zustünden und dass er sie dort für Infrastrukturmaßnahmen verwenden wolle und glaube, damit dem väterlichen Willen zu entsprechen, während Joseph eben auf den Wortlaut des Testaments verwies, dem Bruder aber immerhin anbot, 4 % Zins für die ihm aus der Toskana zustehenden und nach Wien zu überweisenden Gelder zu zahlen. Die Wogen gingen so hoch, dass Maria Theresia vermitteln und ihre Söhne zur Mäßigung ermahnen musste. In der Sache aber setzte sich Joseph durch.54 Es ist erstaunlich, dass ein so begabter und weitsichtiger Ökonom wie Franz Stephan die Bestimmungen seines Testaments nicht an die veränderte Erbfolge angepasst hatte. Denn schließlich ging es nicht um Kleingeld, sondern um die erkleckli52 Graf Demetrio Mahony, spanischer Gesandter in Wien, an die Staatskanzlei, 20.3.1762; HHStA Wien, Staatskanzlei Spanien Korrespondenz 1762, zitiert nach KLEINMANN, 1967, S. 94. 53 Testament Franz Stephans vom 28.1.1751; KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 396-401. 54 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 171-175; WANDRUSZKA, Bd. 1, 1963, S. 137-147.
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che Summe von 2 Millionen Gulden, und so war der Konflikt zwischen dem Alleinerben und dem Großherzog der Toskana geradezu vorprogrammiert. Vermutlich aber hatte Franz Stephan gedacht, dass ihm dafür noch genügend Zeit bleiben würde. Sicherlich war es nicht seine Absicht, seinem Sohn den Start in der Toskana zu erschweren, denn offensichtlich stand er voll hinter dem Heiratsprojekt, auch wenn es eine weitere Verbindung mit dem Haus Bourbon bedeutete. Auch für die Heirat des dritten Sohnes wurden die Weichen früh und einvernehmlich gestellt. Bereits im Jahre 1753 war vereinbart worden, dass der dritte Sohn des Kaiserpaares – das war zu diesem Zeitpunkt der damals sechsjährige Leopold – die Tochter des Erbprinzen von Modena heiraten sollte, um dort einst eine habsburgische Nebenlinie zu etablieren.55 Nach dem Tod Karl Josephs 1761 rückte dann der vierte Sohn Ferdinand in die Position Leopolds als Bräutigam für die Erbprinzessin nach. Damit waren außer dem jüngsten, dem 1756 geborenen Maximilian Franz, alle Söhne des Kaiserpaares versorgt. Nicht nur das Tempo der Verhandlungen spricht dafür, dass über diese Heiratsprojekte am Wiener Hof große Einigkeit herrschte. Dass in der offiziellen Korrespondenz und in den entsprechenden Verträgen das Kaiserpaar jeweils als Einheit auftrat, verstand sich von selbst. Auch bei den internen Beratungen waren teilweise Maria Theresia und Franz Stephan anwesend, so in einer Konferenz am 7. Juni 1763, bei der über das spanische und das modenesische Heiratsprojekt gemeinsam beraten wurde.56 Erkennbar aber war Maria Theresia das Oberhaupt des Hauses. Deshalb war sie es, die mit den Familienoberhäuptern der potentiellen Bräute korrespondierte, so z. B. mit dem Herzog von Modena, als es um die durch den Tod Karl Josephs notwendigen personellen Anpassungen ging.57 Dass der Kaiser eine deutlich nachgeordnete Stellung hatte, wird an mancherlei Details deutlich. Am 4. Juni 1760 erteilten 55 Herzog Francesco III. von Modena hatte nur einen Sohn, Ercole, dessen einziger Sohn gerade gestorben war. Da der Erbprinz und seine Frau sich getrennt hatten, war auch kein weiterer Sohn zu erwarten, sodass die einzige Tochter Maria Beatrix (geb. 1750) als präsumtive Erbin gelten konnte; EBD., S. 43f. 56 Vortrag von Kaunitz an Maria Theresia, 14.6.1763; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 9-7, unfol. 57 Maria Theresia an Herzog Francesco von Modena, Wien, 29.12.1762; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 4, Correspondenzen der ksl. Familie, fol. 1r-2r.
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sowohl Maria Theresia als auch Franz Stephan Graf Mercy d’Argenteau eine Instruktion für die Verhandlungen mit dem Hof in Parma über die Hochzeit Josephs. Die entscheidenden Punkte enthielt die Instruktion Maria Theresias, während Franz Stephan in seiner Instruktion schrieb, dass Mercy d’Argenteau von Maria Theresia »mit einer dermassen umständlichen Belehrung über alles versehen […], daß, da Wir damit vollkommen einverstanden seynd, wir uns hierauf lediglich beziehen wollen.«58 Er gab dem Gesandten dann nur noch einige gesonderte Anweisungen, die seine kaiserliche Würde betrafen. Nach außen aber wurde dieses Gefälle selbstverständlich nicht sichtbar. So versäumte es Maria Theresia auch in den von ihr allein ausgehenden Schreiben nicht zu betonen, dass »der Kaiser und sie« die entsprechenden Beschlüsse gefasst hätten.59 Ähnlich wie in Erziehungsfragen scheint Franz Stephan aber auch bei Fragen der Verheiratung der Kinder familienintern eine stärkere Position besessen zu haben, als nach außen in Erscheinung trat. So drängten beide Eltern ihren ältesten Sohn Joseph nach dem Tod Isabellas von Parma, rasch eine zweite Ehe einzugehen. Joseph aber wollte am liebsten überhaupt nicht mehr heiraten und fand auch die beiden zur Auswahl stehenden Kandidatinnen, Maria Josepha von Bayern und Maria Kunigunde von Sachsen, gleichermaßen unattraktiv. Letztlich aber fügte er sich der dynastischen Räson und damit dem elterlichen Willen. Sogar die Auswahl der Braut überließ Joseph seinen Eltern. Khevenhüller allerdings weiß von der entscheidenden Besprechung der Eltern mit ihrem Sohn zu berichten, dass sie ihm die zentrale Frage gestellt hätten und dass Joseph »endlich auf des Herrn Vattern wiederholte Vorstellungen zu endlichen Auswahl der bayerischen Princessin zwar mit sehr schwären Hertzen bewogen worden.«60 Der Oberstkämmerer, der die internen Abläufe besser kannte als irgendjemand sonst, weist 58 Instruktion Maria Theresias für Graf Mercy d’Argenteau an den Hof von Parma, Wien, 4.6.1760; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses. Vermählungen 7, Weisungen, fol. 25r-38r. Instruktion Franz Stephans für Graf Mercy d’Argenteau an den Hof von Parma, Wien, 4.6.1760; EBD., fol. 50r58r, Zitat fol. 50r-v. 59 Maria Theresia an Herzog Francesco von Modena, Wien, 29.12.1762; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 4, Correspondenzen der ksl. Familie, fol. 1r-2r, hier fol. 1r. 60 KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 67 (11.11.1764).
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hier also dem Vater die entscheidende Rolle zu. Das freilich waren Nuancen in den internen Entscheidungsabläufen, Differenzen hingegen werden nicht sichtbar. Anders sah dies in Bezug auf die Zukunft der Töchter aus. Hier machten sich die unterschiedlichen außenpolitischen Präferenzen Maria Theresias und Franz Stephans deutlich bemerkbar. Während der Kaiser offensichtlich keine Einwände gegen die Verheiratung seiner Söhne mit bourbonischen Prinzessinnen erhob, lehnte er solche Verbindungen für seine Töchter ab und versuchte stattdessen, seine Verwandten ins Spiel zu bringen. Diese unterschiedliche Behandlung der Söhne und der Töchter mag vielleicht zunächst widersinnig erscheinen, lässt sich bei genauerer Überlegung aber doch erklären. Zum einen könnte Franz Stephan die fast völlige Ausrichtung der Heiratsverbindungen auf das Haus Bourbon ein Dorn im Auge gewesen sein. Wenn sich diese übergeordneten politischen Rücksichten für die Söhne schon nicht vermeiden ließen, sollte man – so möglicherweise die Überlegungen Franz Stephans – wenigstens für die Töchter nach Alternativen suchen. Zum anderen aber wurden die Töchter – anders als die Söhne – durch ihre Heirat Teil einer fremden Dynastie, nämlich der des Ehemannes. Zwar verkörperten fürstliche Ehefrauen gerade die Verbindung zweier Dynastien, aber sie entfernten sich mit ihrer Heirat – auch räumlich – doch ein Stück weit von ihrer Herkunftsfamilie. Die Aussicht, dass seine Töchter Teil des Hauses Bourbon werden sollten, mag den kaiserlichen Vater besonders geschmerzt haben. Diesen Plänen setzte er offenbar eigene Vorstellungen entgegen, und zwar möglicherweise von Anfang an. Die allerersten Hinweise auf Heiratsüberlegungen für die Erzherzoginnen finden sich Ende 1747. Damals sprach ein sardinischer General in Wien vor, um gemeinsame Operationspläne für das kommende Jahr zu erörtern. Ausdrücklich weist Khevenhüller darauf hin, dass der Abgesandte von beiden Majestäten »in privato« empfangen worden sei, obwohl üblicherweise nur Franz Stephan den Turiner Hof als zur Familie gehörig behandelte, da der König von Sardinien und Herzog von Savoyen Karl III. Emanuel mit seiner 1741 gestorbenen Schwester verheiratet gewesen war. Khevenhüller mutmaßt nun, dass der Abgesandte vielleicht auch die älteste Erzherzogin Maria Anna in Augenschein nehmen und wegen einer Hochzeit mit Viktor Amadeus, dem ältesten Sohn des Königs, sondieren wollte. Grundsätzlich dürfte eine solche
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Verbindung bei Franz Stephan durchaus auf Wohlwollen gestoßen sein. Khevenhüller bringt allerdings sogleich auch ein gewichtiges Argument vor, das gegen diese Verbindung sprach, nämlich die »Disproportion beiderseitigen Jahren«, da der Herzog fast 12 Jahre älter als die Erzherzogin war. Hinzu kam, dass Maria Anna »ihrer zarten Structur nach eher spätter als früher zum Ehestand geschickt zu werden scheinet.«61 Und so lange wollte man in Turin sicher nicht warten, da der Herzog immerhin schon 21 Jahre alt war – er heiratete dann bereits 1750 eine spanische Infantin. Auch wenn von dieser Option später nie mehr die Rede war, bestätigt diese Notiz nicht nur, wie früh solche Sondierungen einsetzten, sondern zeigt auch eine mögliche Alternative zum Haus Bourbon auf – eine Alternative, die Franz Stephan grundsätzlich sympathisch war und auf die er später – wenn auch unter geänderter personeller Besetzung – noch einmal zurückkommen sollte. Auf die konkrete Situation des Jahres 1747 bezogen sollte Khevenhüller Recht behalten. Überhaupt scheinen für Maria Anna nie konkretere Heiratspläne erwogen worden zu sein. Sicherlich ließ ihre schwache Gesundheit die Eltern eher zögern, für sie nach einer passenden Partie zu suchen; zudem galt, wie gezeigt, die Aufmerksamkeit zunächst der Verheiratung der Söhne. Ob allerdings für Maria Theresia und Franz Stephan von vornherein feststand, dass ihre älteste Tochter nicht heiraten sollte, erscheint doch fraglich. Die Verwachsungen einschließlich eines Buckels waren wohl eine Folge erst ihrer schweren Erkrankung im Jahre 1757. Noch im Februar 1755 bestand Franz Stephan darauf, dass seine Tochter bereits früher als üblich erstmals öffentlich mit den Eltern auf der Redoute speisen und einem Maskenball zusehen durfte62 – ein verkrüppeltes und also nach damaligen Maßstäben nicht präsentables Mädchen hätte er wohl kaum so in die Gesellschaft eingeführt. Insgesamt scheint das Verhältnis zwischen Vater und Tochter relativ eng gewesen zu sein. Das lag nicht zuletzt daran, dass Maria Anna die naturwissenschaftlichen Interessen ihres Vaters teilte. Die genaueren Details, ob, wie und ab wann Franz Stephan diese für eine 61 KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 197 (27.12.1747). 62 DERS., Bd. 3, 1919, S. 226 (9.2.1755). Zu der Einrichtung von Redouten und der Praxis, dass die kaiserlichen Majestäten dem maskierten Treiben von einer Loge aus zuschauten: SCHNITZER, 1999, S. 271. Für diesen Hinweis danke ich Katrin Keller.
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Fürstentochter eher ungewöhnlichen Neigungen systematisch gefördert hat, ob hier eventuell eine Kompensation der schlechten Heiratsaussichten vorlag, all das lässt sich nicht feststellen.63 Jedoch war bereits vor dem Tod Franz Stephans entschieden, dass für Maria Anna eine geistliche Versorgung angestrebt werden sollte, sie also für irgendwelche Heiratspläne nicht in Frage kam. Dauernd unverheiratet blieb auch Maria Elisabeth, die 1743 geborene dritte (überlebende) Tochter des Kaiserpaars. In diesem Zusammenhang wird stets darauf verwiesen, dass Maria Elisabeth 1767 an den Pocken erkrankte und danach so entstellt gewesen sei, dass sie für eine Heirat nicht mehr in Frage gekommen sei. Aber einmal abgesehen davon, dass keine zuverlässigen Angaben darüber vorliegen, wie schlimm die Narben waren, die von der Pockenerkrankung zurückgeblieben waren,64 vermag diese Vermutung nicht zu erklären, warum bis dahin nicht schon längst über eine Verheiratung Maria Elisabeths verhandelt worden war. Immerhin war die Erzherzogin zu diesem Zeitpunkt bereits 24 Jahre alt. Bereits Alfred von Arneth hat sich über diesen Sachverhalt gewundert,65 ohne dafür jedoch eine Erklärung anführen zu können. Körperliche Defizite können als Ursache ausgeschlossen werden, galt doch gerade Maria Elisabeth als ausgesprochen hübsch. Naheliegend ist hingegen eine ganz andere Erklärung. Für Maria Elisabeth genauso wie für ihre ihr im Alter nahestehenden Schwestern Marie Christine und Maria Amalia wurden deshalb keine Heiratsver63 Auch die Dissertation von ENGELS, 1965, enthält dazu keine genaueren Informationen, die über die Konstatierung eines engen Vater-TochterVerhältnisses hinausgehen. 64 Immer wieder zitiert wird die Bemerkung bei PANGELS, 1980, S. 39, dass Maria Elisabeth sich einen Spiegel habe geben lassen und ob ihres Spiegelbildes in Tränen ausgebrochen sei. Pangels bleibt den Beleg für diese Aussage freilich schuldig. Gegen eine allzu große Verunstaltung spricht auch, dass Maria Theresia noch 1766/67 in den Zusätzen zu ihrem Testament Überlegungen über eine Heirat Maria Elisabeths anstellte; HHStA Wien, Familienurkunden 2001-2007. Auch später taucht ihr Name noch im Zusammenhang mit Heiratsprojekten auf – schon deshalb erscheint es zumindest fraglich, ob ihre Narben tatsächlich so entstellend waren. Dass Ludwig XV. von weiteren Heiratsüberlegungen Abstand genommen habe, nachdem er ihr Bild gesehen habe – was als Beleg für die Entstellungen gewertet wurde – hat Bürgschwentner wohl zu Recht in das Reich der Legenden verwiesen; BÜRGSCHWENTNER, 2015, S. 148. 65 ARNETH, Bd. 7, 1876, S 270.
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handlungen eingeleitet, weil Maria Theresia und Franz Stephan sich nicht einigen konnten, mit wem ihre Töchter verheiratet werden sollten.66 Solange diese Frage aber intern nicht geklärt war, konnte man nicht an fremde Höfe herantreten, ja: konnten nicht einmal erste Sondierungen betrieben werden. Auf die internen Vorklärungen gibt es nur einige wenige Hinweise. So scheint Franz Stephan erneut einen Verwandten ins Gespräch gebracht zu haben, nämlich seinen Neffen Benedetto Maurizio von Savoyen, Herzog von Chablais.67 Der junge Herzog, 1741 als Sohn Karls III. Emmanuel und seiner dritten Ehefrau Elisabeth Therese von Lothringen geboren, hätte im Alter gut zu den ein bis zwei Jahre jüngeren Erzherzoginnen gepasst. Gegen ihn sprach freilich, dass er als nicht erbberechtigter Prinz einer Erzherzogin und Kaisertochter keine standesgemäße Existenz bieten konnte. Eine solche Heirat hätte zudem einen Affront gegen Frankreich dargestellt, und das wollte Maria Theresia sicherlich vermeiden.68 Diese Sondierungen fanden allerdings deutlich vor der Erkrankung Maria Elisabeths statt. Es gab also – wie zu erwarten – durchaus Überlegungen über eine Verheiratung Maria Elisabeths. Dass diese nicht in konkrete Verhandlungen mündeten, dürfte allein darauf zurückzuführen sein, dass Maria Theresia und Franz Stephan über diese wichtige Frage keine Einigung erzielen konnten. Maria Elisabeth blieb deshalb auf Dauer unverheiratet, Marie Christine und Maria Amalia aber heirateten erst in relativ reifem Alter. Diese Differenzen, die man zunächst mehr erahnen als wirklich festmachen kann, wurden dann in Bezug auf Marie Christine im Jahre 1765 aktenkundig. Franz Stephan favorisierte als Bräutigam für Marie Christine, wie gesagt, seinen Neffen Benedetto Maurizio.69 Marie
66 BÜRGSCHWENTNER, 2015, S. 147; ZEDINGER, 2008, S. 263f. 67 BÜRGSCHWENTNER, 2015, S. 147. 68 Die Anfrage des polnischen Königs Stanislaus Poniatowski wurde vom Kaiserhof ebenfalls abschlägig beschieden, auch er – ein Wahlkönig von Russlands Gnaden – war in den Augen Maria Theresias keine angemessene Partie für ihre Tochter. In diesem Fall dürfte Franz Stephan aber wohl keine abweichende Position vertreten haben. 69 Zwar wird in den Akten über die in Wien und Turin wegen einer möglichen Heirat geführten Gespräche kein Name genannt, sondern es ist stets nur von einer Erzherzogin die Rede; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Einzelne Abhandlungen 6-3. Ganz offensichtlich aber war Marie Christine, die nach Maria Anna älteste Erzherzogin, gemeint. Das geht
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Christine aber hatte sich in Albert von Sachsen verliebt, einen Sohn des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs Friedrich August. Das allein wäre noch nicht ungewöhnlich gewesen – höchst ungewöhnlich war aber, dass Maria Theresia gewillt war, diese Neigung ihrer Tochter zu berücksichtigen. Denn zum einen hatten Erzherzoginnen wie alle Fürstentöchter bei ihrer Heirat nicht mitzureden, sondern sich den elterlichen Plänen zu fügen, zum anderen erfüllte Albert in keiner Weise die Kriterien, die an den Bräutigam einer Kaisertochter angelegt wurden. Denn als vierter (überlebender) Sohn hatte Albert nicht die geringste Chance auf die Nachfolge im Kurfürstentum. Genau deshalb stand er ja seit 1761 in unterschiedlichen militärischen Funktionen im Dienste des Hauses Habsburg. Da spielte es auch keine Rolle, dass eine Verbindung zum Hause Sachsen aus der Sicht der Hofburg an sich durchaus wünschenswert war. Denn seit die Auseinandersetzungen um das Erbe Karls VI. beendet waren, bemühten sich die Habsburger erkennbar um ein engeres Verhältnis zu Sachsen, dem als Nachbar Preußens und Kurfürstentum eine erhebliche Bedeutung zukam. Teil dieser Bemühungen war die Korrespondenz Maria Theresias mit den sächsischen Kurfürstinnen. Deshalb auch war Maria Kunigunde, die Tochter des Kurfürsten und Schwester Alberts, als Braut für Joseph nach dem Tod seiner ersten Frau in die engere Wahl gezogen worden. Nachdem Maria Theresia und Franz Stephan sich dann aber für die Schwester des bayerischen Kurfürsten Max Joseph entschieden hatten, unterstützte Maria Theresia die Bemühungen um eine geistliche Versorgung Maria Kunigundes in einem bedeutenden Damenstift ebenso, wie sie die Kandidatur Clemens Wenzeslaus’, des Bruders von Albert und Maria Kunigunde, bei etlichen Bischofswahlen förderte. Obwohl also kein Zweifel daran bestehen kann, dass die Heirat mit einem sächsischen Prinzen den Interessen Wiens durchaus entsprach, finden sich in der Korrespondenz zu dieser Hochzeit keinerlei politische Überlegungen. Offensichtlich war für Maria Theresia in diesem Fall allein der Wunsch ihrer Tochter ausschlaggebend. Das lässt sich nicht anders erklären, als dass Maria Theresia bei ihrer Lieblingstochter Marie Christine andere Maßstäbe anlegte als bei ihren anderen Kindern.
auch aus der Korrespondenz zwischen Maria Theresia und Marie Christine hervor, die sonst keinen Sinn ergeben würde.
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Das ging so weit, dass sie in den ersten Monaten des Jahres 1765 in Bezug auf die Verheiratung ihrer Tochter ein doppeltes Spiel spielte. Offiziell wurden die Verhandlungen mit dem Hof in Turin fortgeführt. Dabei ging es vor allem darum, dem Herzog von Chablais eine souveräne Stellung zu verschaffen, da, wie man in Wien betonte, eine Erzherzogin nur mit einem souveränen Fürsten verheiratet werden dürfe.70 In den Schriftstücken wurde immer wieder betont, wie sehr beide kaiserliche Majestäten an einer solchen Heirat interessiert seien. Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass der Herzog eingeladen wurde, an den Feierlichkeiten anlässlich der Hochzeit Leopolds in Innsbruck teilzunehmen.71 In Savoyen musste man also den Eindruck haben, dass Benedetto Maurizios Chancen gut stünden, und auch Franz Stephan gab sich vermutlich dieser Illusion hin. Zur selben Zeit tröstete Maria Theresia ihre Tochter und bat sie um Geduld, ermahnte sie aber gleichzeitig, während des Aufenthalts in Innsbruck die Contenance zu wahren und sich nichts anmerken zu lassen, außerdem solle sie niemandem von der Sache erzählen.72 Ausdrücklich forderte sie die Tochter auf, dem Vater tausend Aufmerksamkeiten zu erweisen und ihn mit Zärtlichkeit zu behandeln – eine Aufforderung, die wohl so zu verstehen ist, dass der Vater keinen Verdacht schöpfen sollte.73 In der Zwischenzeit ver70 HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Einzelne Abhandlungen 6-3: »Précis über das vorliegende VermählungsProject und dessen Scheitern«; Memoire des Grafen Firmian für Franz Stephan betr. Plan einer Vermählung einer Erzherzogin mit dem Herzog von Chablais, o.D., unfol. 71 HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Einzelne Abhandlungen 6-3. 72 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 252-255. Maria Theresia an Marie Christine, o.D.; HHStA Wien, Nachlass Erzherzog Friedrich 1-1, in Auszügen gedr. bei ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 534, Anm. 350, die deutsche Übersetzung auf S. 253. Maria Theresia an Marie Christine, o.D.; HHStA Wien, Nachlass Erzherzog Friedrich 1-3, gedr. in Auszügen bei ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 534f., die deutsche Übersetzung S. 253-255. 73 Maria Theresia an Marie Christine, o.D., Frühsommer 1765; HHStA Wien, Nachlass Erzherzog Friedrich 1-1, fol. 9r-v, gedr. in ARNETH, Bd. 2, 1881, S. 358-360, in deutscher Übersetzung bei ROTHE, 1940, S. 121f. Allerdings weist die Übersetzung bei Rothe etliche Fehler auf, so wenn davon die Rede ist, dass Maria Theresia »des Vaters Pläne hintertrieben« habe, »von denen schon die ganze Familie sprach«. An einigen Stellen gibt die Übersetzung den Inhalt eindeutiger wieder als das französische Original und entkleidet den Brief damit seines konspirativen Charakters (z. B. Joseph statt »votre frere«). Dafür, dass die Tochter den Vater absichtlich umgarnen sollte, wird als Begründung geliefert »car il est clairvoyant«, was bei
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sorgte Kaunitz den Gesandten in Turin, Graf Firmian, mit immer neuen Papieren, die die Forderungen des Kaiserpaares an den Status des künftigen Schwiegersohnes enthielten. Das muss gar nicht hinter dem Rücken Franz Stephans geschehen sein – denn das offizielle Vorgehen war durchaus kohärent: Die Forderung nach einer souveränen Stellung des Bräutigams entsprach der Linie, die man auch bei den früheren Verhandlungen vertreten hatte. Im Nachhinein und in der Zusammenschau mit den Briefen Maria Theresias an Marie Christine freilich wird deutlich, dass die Kaiserin diese Verhandlungen nicht zum Erfolg geführt sehen wollte. Wie sie sich das genau vorstellte, ob sie einen konkreten Plan verfolgte oder erst einmal auf Zeit spielte, bleibt im Dunkeln. Marie Christine schrieb sie nur, dass sie Zeit brauche, aber vor der Rückkehr aus Innsbruck nichts unternehmen könne.74 Wenn sie aber wirklich einen Plan gehabt haben sollte, wie ihr Ehemann von der Idee einer savoyischen Hochzeit abgebracht werden könnte, so musste sie ihn nicht ausführen. Denn nach dem Tod Franz Stephans stand einer Hochzeit Marie Christines mit Albert nichts mehr im Wege. Bereits im November 1765 war die Hochzeit beschlossen.75 Ungebührlich schnell, noch mitten im Trauerjahr, fand am 6. April 1766 die Hochzeit in Schlosshof statt. Marie Christine wurde von ihrer Mutter außerordentlich großzügig ausgestattet: Sie erhielt die Hälfte des für die Versorgung aller Kinder zur Verfügung stehenden Geldes.76 Ihren Schwiegersohn Albert belehnte Maria Theresia gemeinsam mit Marie Christine mit dem kleinen Herzogtum Teschen, sodass er sich künftig Herzog von SachsenTeschen nannte. Davon, dass der Ehemann einer Erzherzogin über eine souveräne Herrschaft verfügen müsse, war keine Rede mehr. Aus diesen Vorgängen wird eines ganz deutlich: Wenn Maria Theresia gewollt hätte, hätten sich die Hindernisse für eine Verheiratung Marie Christines (oder einer anderen Erzherzogin) mit dem Herzog von Chablais durchaus überwinden lassen, aber Maria Theresia wollte nicht. Rothe sinnentstellend mit »das versteht sich ganz von selbst« übersetzt wird. 74 Maria Theresia an Marie Christine, o.D., Frühsommer 1765; HHStA Wien, Nachlass Erzherzog Friedrich 1-1, fol. 9r-v, gedr. in ARNETH, Bd. 2, 1881, S. 358-360, in deutscher Übersetzung bei ROTHE, 1940, S. 121f. 75 Kurfürstin Maria Antonia von Sachsen an Maria Theresia, Dresden, 28.11.1765; LIPPERT, 1908, Nr. 153, S. 255. 76 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 257; HERTEL, 2014, S. 40.
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Dass es ihr nicht ums Prinzip ging, sondern darum, Marie Christine ihren Wunsch zu erfüllen, sieht man auch daran, dass sie 1766/67 sogar selbst Verhandlungen über die Heirat einer Erzherzogin mit dem Herzog von Chablais befürwortete – dieses Mal war allerdings Joseph gegen eine solche Verbindung, da er nicht einen weiteren Schwager finanzieren wollte.77 Der Vorgang lässt erahnen, wie tief die Gräben zwischen Maria Theresia und Franz Stephan hinsichtlich der Zukunft ihrer Töchter gewesen sein müssen. Franz Stephan wünschte engere Verbindungen zu seiner Familie und stand bourbonischen Heiraten für seine Töchter mehr als skeptisch gegenüber. Maria Theresia ging es um den Rang des Hauses und die politische Annäherung an die Bourbonen, und im konkreten Fall Marie Christines um das Glück ihrer Tochter. Einzigartig war an dem Fall sicher, dass Maria Theresia hier im Einverständnis mit ihrer Tochter handelte, eine Ausnahme war ihr verdecktes Handeln möglicherweise aber nicht. Bereits früher einmal hatte sie dem Grafen Sylva-Tarouca gegenüber von Heiratsverhandlungen geschrieben, von denen der Kaiser nichts wissen dürfe.78 Zumindest nicht in vollem Umfang einbezogen wurde Franz Stephan auch in die anfänglichen Überlegungen über eine zweite Heirat Josephs. Nach dem Tod Isabellas von Parma am 27. November 1763 drängten die Eltern Joseph, möglichst schnell wieder zu heiraten. Obwohl dieser Gedanke für Joseph unerträglich war, machte ihm sein Vater sehr klar, dass er sich diesem Ansinnen nicht entziehen könne, dass seine Eltern in dieser Sache vielmehr Gehorsam von ihm verlangen könnten.79 In dieser Situation verfiel Joseph auf die Idee, die jüngere Schwester Isabellas zu heiraten, in der Hoffnung, so quasi eine Kopie seiner geliebten Frau zu bekommen. Mit dieser Idee trat er an seine Mutter heran, und zwar, wie es scheint, zunächst an sie allein. Maria 77 Maria Theresia an die Gräfin Enzenberg, 11.7.1766; ARNETH, Bd. 4, 1881, S. 478f.; ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 273. In den verschiedenen Ergänzungen zu ihrem Testament vom Sommer 1767 verlieh Maria Theresia stets ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Hochzeit Maria Elisabeths mit dem Herzog von Chablais zustande komme; Codizille vom 29.5.1767, 22.7.1767, 31.8.1767 (HHStA Wien, Familienurkunden 2001-2007). In einer früheren Fassung hatte Maria Theresia noch eine Heirat Maria Amalias mit dem Herzog von Chablais für möglich gehalten. 78 ZEDINGER, 2008, S. 263f. und S. 345, Anm. 17. 79 Franz Stephan an Joseph, 28.1.1764; BEALES, Bd. 1, 1990, S. 83.
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Theresia stand dem Vorschlag erst einmal nicht völlig ablehnend gegenüber. Freilich gab es ein größeres Problem zu überwinden. Maria Luisa von Parma war bereits dem Sohn des spanischen Königs versprochen; Karl III. musste also dazu gebracht werden, auf diese Verbindung zu verzichten. Obwohl ein solches Ansinnen mehr als unüblich war, erklärte sich Maria Theresia bereit, dem spanischen König diese Bitte zu unterbreiten – der freilich erwartungsgemäß ablehnte.80 Dass Mutter und Sohn in dieser Angelegenheit konspirativ hinter dem Rücken Franz Stephans handelten, wird aus einer Stelle in einem Brief Josephs an seine Mutter deutlich, in der er schreibt, dass er bezüglich der Heiratsangelegenheit jetzt nicht ins Detail gehen könne, da Franz Stephan andauernd ins Zimmer komme, weshalb er nur mit Unterbrechungen schreiben könne.81 Gleichzeitig gab Joseph seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Kaiser zustimmen werde, da er ihm gegenüber geäußert habe, dass er mit einer solchen Heirat einverstanden sei.82 Aus unerfindlichen Gründen hielt es Joseph aber trotzdem für besser, den Vater zunächst nicht direkt einzubeziehen. Erst als Franz Stephan und seine beiden Söhne auf ihrer Rückkehr von der Wahl und Krönung Josephs zum Römischen König in Melk eintrafen, wo Maria Theresia auf sie wartete, wurde offenbar über die Angelegenheit offen beraten und das weitere Vorgehen abgestimmt.83 Wie gesehen spielte Franz Stephan dann aber bei den entscheidenden Beratungen über die Auswahl einer Braut für Joseph eine zentrale Rolle. Unklar bleibt, in welchem Ausmaß Franz Stephan in die Verhandlungen über eine Heirat Maria Josephas mit Ferdinand, dem König von Neapel, einbezogen wurde, ob es also in diesem Fall gelungen war, ihn zu einer Zustimmung zu einer bourbonischen Heirat für eine seiner Töchter zu bewegen. Als der spanische König Karl III. im Mai 1762 80 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 95f. Maria Theresia an Karl III. von Spanien, 2.5.1764; ARNETH, Bd. 1, 1867, Nr. 52, S. 123-125. Karl III. an Maria Theresia, Aranjuez, 2.6.1764; EBD., S. 125f. 81 Joseph an Maria Theresia, Linz, 18.4.1764; EBD., Nr. 44, S. 115-118, hier S. 116. 82 Joseph an Maria Theresia, Linz, 18.4.1764; EBD., S. 118. 83 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 94f. Noch in Linz hatte Joseph die Frage Franz Stephans, ob Maria Theresia ihm wegen der Heirat geschrieben habe, zwar bejaht, um, wie er sagte, den Vater nicht zu belügen, auf weitere Ausführungen aber verzichtet; Joseph an Maria Theresia, Linz, 18.4.1764; ARNETH, Bd. 1, 1867, Nr. 50, S. 119f., hier S. 120.
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erstmals wegen einer Braut für seinen Sohn vorfühlen ließ, wurde er noch wegen des Alters der in Aussicht genommenen Erzherzoginnen Johanna Gabriele oder Maria Josepha vertröstet.84 Doch schon ein Jahr später, im Sommer 1763 – Johanna Gabriele war inzwischen an den Pocken gestorben – erging die Anweisung, Maria Josepha solle heimlich Spanisch lernen, was darauf hindeutet, dass Maria Theresia fest von einer Heirat ihrer Tochter mit dem spanischen Infanten ausging.85 Und wenige Monate später schrieb Maria Theresia bereits von der Heirat nach Neapel als einer ausgemachten Sache.86 Damit war Maria Josepha die erste Erzherzogin, für die konkrete Heiratspläne verfolgt wurden. Für ihre vier älteren Schwestern sah Maria Theresia hingegen noch 1764 in ihrem Testament eine geistliche Versorgung als Äbtissinnen von Damenstiften vor.87 Versucht man die nicht allzu zahlreichen Hinweise auf die familienpolitischen Entscheidungen resümierend einzuordnen, so lässt sich sicher sagen, dass eindeutig Maria Theresia als das Oberhaupt des Hauses fungierte – nach außen sowieso, aber auch intern hatte sie im Zweifel das letzte Wort. Allerdings kam intern die traditionell dominante Rolle des Ehemanns und Vaters durchaus zum Tragen, sei es, dass Franz Stephan entscheidend auf den Sohn einwirkte wie bei der zweiten Heirat Josephs, sei es, dass er verhinderte, dass Maria Theresia ihre Vorstellungen ohne weiteres umsetzen konnte und so zumindest Verzögerungen bewirkte.
84 KLEINMANN, 1967, S. 107. 85 WACHTER, 1968, S. 223. 86 Maria Theresia an die Gräfin Lerchenfeld, Schönbrunn, 13.10.1763; ARNETH, Bd. 4, 1881, S. 116-119, hier S. 116. 87 Codizill zum Testament Maria Theresias vom 15.1.1764; HHStA Wien, Familienurkunde Nr. 2001.
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10. Am Hof in Wien: zur baulichen und zeremoniellen Repräsentation einer komplizierten Konstellation
Im Prinzip war alles ganz einfach: Der Herrscher – in Wien also üblicherweise der Kaiser – hielt seine Audienzen in der sogenannten männlichen Raumfolge ab;1 in diesen Räumlichkeiten fanden auch zeremoniell herausgehobene Ereignisse wie öffentliche Tafeln, Erbhuldigungen, Taufen, Ordensfeste usw. statt. In der weiblichen Raumfolge bat hingegen die Gemahlin des Herrschers zum Empfang.2 In der Wiener Hofburg befanden sich die Herrscherappartements im ersten Stock des leopoldinischen Trakts.3 Beide Raumfolgen bestanden aus fünf bis sechs Zimmern,4 wobei die Zutrittsrechte von einem zum nächsten Raum immer exklusiver wurden. Marina Beck hat dazu pointiert formuliert: »Jede Türschwelle bedeutete auch eine soziale Schwelle.«5 Beide Raumfolgen trafen sich im gemeinsamen Schlafzimmer des Herrscher1 2 3 4
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In den Quellen finden sich auch andere Bezeichnungen wie Ratsstubenseite oder Ritterstubenseite. Siehe dazu BECK, 2017a, S. 27. Auch hier gibt es noch andere Bezeichnungen wie Spiegelzimmerseite oder Königinseite; EBD., S. 27. Einen guten Überblick über die einzelnen Gebäudeteile und die baulichen Veränderungen bieten jetzt die Visualisierungen der Rekonstruktionen verschiedener Bauzustände in LORENZ/MADER-KRATKY, 2016, S. 24-29. Die männliche Raumfolge bestand aus Gardestube, Ritterstube, Erster und Zweiter Antekammer, Ratsstube und Retirade, die weibliche aus Gardestube, Erster und Zweiter Antekammer, Audienzzimmer und Spiegelzimmer; BECK, 2017b, S. 166; MADER-KRATKY, 2014, S. 83. BECK, 2017b, S. 167f.
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paares. Trotz der im Prinzip parallelen Konstruktion war die Hierarchie unübersehbar. Die männliche Raumfolge war eindeutig als die höherstehende hervorgehoben, indem dort die Zeremonien von größerer Bedeutung zelebriert wurden. Diese Praxis entsprach der üblichen Rangfolge, wonach der Herrscher über seiner Gemahlin stand. Das galt freilich nicht für Wien zu Beginn der Regierungszeit Maria Theresias. Denn bei ihrem Regierungsantritt 1740 hatte Maria Theresia als Königin von Böhmen und Ungarn sowie Erzherzogin von Österreich eindeutig einen höheren Rang inne als ihr Mann, der Großherzog von Toskana. Damit stellte sich die Frage, wie man mit dieser ungewöhnlichen Konstellation umgehen sollte. Sollte man einfach die Räumlichkeiten tauschen, Maria Theresia also die ranghöhere männliche Raumfolge nutzen und Franz Stephan die weibliche? Eine solche Raumnutzung wäre an sich logisch gewesen, denn Maria Theresia beanspruchte schließlich die Kronen Böhmens und Ungarns und damit eine traditionell männliche Position. Wollte sie diesen Anspruch zeremoniell in Szene setzen, was gerade angesichts der vielfältigen Anfechtungen ihres Erbanspruchs zu Beginn ihrer Regierungszeit dringend notwendig war, so konnte sie letztlich gar nicht anders, als im männlichen Appartement zu repräsentieren. Andererseits hätte eine Nutzung der weiblichen Raumfolge durch Franz Stephan noch deutlicher, als es ohnehin jedem klar war, vor Augen geführt, dass die natürliche Geschlechterordnung in dieser Ehe auf den Kopf gestellt war. Mit der Kaiserwahl Franz Stephans 1745 änderte sich die Situation dann aber grundlegend: Als Kaiser stand Franz Stephan nun im Rang über seiner Frau. Allerdings war damit nicht einfach die traditionelle Ordnung wiederhergestellt. Denn als Königin von Böhmen und Ungarn sowie österreichische Erzherzogin war Maria Theresia weiterhin souveräne Herrscherin aus eigenem Recht und nicht einfach nur die Gemahlin des Kaisers. In der Hofburg residierten ab jetzt also zwei Souveräne unter einem Dach. Für diese komplizierte Situation musste nun eine Lösung gefunden werden, und zwar in den bestehenden Räumlichkeiten der Hofburg, deren in etlichen Jahrhunderten entstandene Bauten ohnehin für ein barockes Herrschaftszeremoniell nur bedingt geeignet waren und damit für jeden Zeremonienmeister eine Herausforderung darstellten. Zwar trug sich Maria Theresia nach der Kaiserwahl 1745 mit Gedanken für einen
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völligen Umbau der Hofburg und beauftragte Balthasar Neumann und den Lothringer Jean Nicholas Jadot mit entsprechenden Entwürfen. Der Plan Jadots sah zwei parallele Appartements vor, die eine adäquate Repräsentation der beiden Herrscher ermöglicht hätten.6 Allerdings wurden diese Überlegungen nicht weiter verfolgt, ohne dass man die Ursache dafür wüsste.7 Eine Rolle gespielt haben könnte, dass damit die Ausnahmesituation baulich verfestigt worden wäre.8 Spätestens seit der Geburt des zweiten Sohnes Karl Joseph im Februar 1745 aber bestanden berechtigte Hoffnungen, dass man nach der Herrschaft Maria Theresias wieder zum Normalfall der personellen Identität von Kaiser und Herrscher des Habsburgerreiches zurückkehren würde. Im Rahmen der bestehenden Bausubstanz aber war eine klare räumliche Aufteilung, die diese spezielle Konstellation adäquat repräsentierte, schwierig zu realisieren. Es waren deshalb kreative Lösungen gefragt, die immer wieder aufs Neue Kompromisse zwischen den zeremoniellen Erfordernissen und den räumlichen Gegebenheiten darstellten. Dazu kam der Unwillen Maria Theresias, sich zeremoniellen Traditionen blind zu unterwerfen, was den Oberstkämmerer Khevenhüller wiederholt zur Verzweiflung trieb und ihn den völligen Zusammenbruch jeder zeremoniellen Ordnung, was für ihn fast gleichbedeutend war mit der Ordnung an sich, befürchten ließ. Fast schon klassisch ist sein Stoßseufzer, dass er sich »unsere so sehr ruinirte Etiquette – wenigstens so vill thunlich ware – von dem gänzlichen Zerfahl zu retten angeligen sein lassen« wollte.9 6 7
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BECK, 2017a, S. 192. Zu den Entwürfen Balthasar Neumanns und Jadots siehe LORENZ, 2016; GARMS, 2016. Offiziell wurde Geldmangel als Grund angegeben, was mitten im Österreichischen Erbfolgekrieg im Prinzip natürlich eine plausible Begründung darstellte. Aber dass die Kassen leer waren, wusste Maria Theresia auch schon, als sie die Entwürfe in Auftrag gab. Zudem ließ sie sich auch sonst von finanziellen Überlegungen eher nicht abhalten und trieb beispielsweise den Ausbau von Schloss Schönbrunn ohne Rücksicht auf die Kosten voran; BECK, 2017a, S. 191f. So die Überlegung EBD., S. 536. Beck bezieht sich dabei auf GRAF, 1997, S. 586, die jedoch nicht auf die Ausnahmesituation, sondern auf die Unsicherheiten in der Handhabung des Zeremoniells hinweist. KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 37 (16.3.1745). Bereits 1743 hatte er geklagt: »Mann hatte aber wegen der bald nach angetrettener dermahligen Regierung ausgebrochenen Troublen nicht vill auf das Coeremonial Wesen sehen können, mithin selbes seithero sehr negligiret«; DERS., Bd. 1, 1907, S. 187 (15.11.1743).
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Dass Maria Theresia immer wieder aus Gründen der Bequemlichkeit an der alten Etikette rüttelte, das konnte der Gralshüter der zeremoniellen Tradition nicht verstehen. Bis vor wenigen Jahren hätte die Forschung Khevenhüller als Sonderling abgetan und eine Äußerung wie die oben zitierte als Beweis dafür angesehen, dass der barocke Wiener Hof hoffnungslos altmodisch und irrational und Österreich auch aus solchen Gründen nicht konkurrenzfähig war im Kampf gegen das moderne und rationale Preußen, in dem der aufgeklärte Friedrich solche alten Zöpfe radikal abgeschnitten habe.10 Eine an den Kulturwissenschaften orientierte Geschichtswissenschaft hat dann freilich das Zeremoniell als komplexes Zeichensystem entdeckt und dessen höchst rationale Spielregeln herausgearbeitet. Als Quellen dienten dafür nicht zuletzt solche Aufzeichnungen wie die des Oberstkämmerers bzw. Obersthofmeisters Maria Theresias.11 Damit hat sich für solche Fragen die Forschungslage innerhalb eines doch recht kurzen Zeitraums völlig geändert und zwar sowohl, was die Intensität, als auch, was die Wertungen der Forschung betrifft. Für den Wiener Hof kommt hinzu, dass auch die Erforschung der Baugeschichte der Hofburg und des Schlosses Schönbrunn in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht hat.12 Dabei profitierten die kunsthistorischen Arbeiten von den kulturhistorischen Forschungen zu 10 Dass dieser Vergleich nicht nur in seinem ersten Teil unzutreffend war, sondern auch in Bezug auf die preußische Praxis von falschen Voraussetzungen ausging, haben die Forschungen im Umfeld des FriedrichJubiläums 2012 gezeigt. Zwar versuchte Friedrich, sich für seine Person entsprechenden Verpflichtungen möglichst zu entziehen, aber er sah sehr wohl, dass der preußische Staat die international üblichen Gepflogenheiten nicht einfach ignorieren konnte. Zumeist überließ er die Repräsentationsaufgaben deshalb seiner in Berlin residierenden Ehefrau Elisabeth Christine. Wenn es ihm politisch ratsam erschien, wusste er auch in Berlin den notwendigen Prunk zu entfalten und begab sich in solchen Fällen dann auch aus Potsdam nach Berlin; STOLLBERG-RILINGER, 2012; BISKUP, 2012. 11 Zu Khevenhüller und der Rezeption seines Tagebuchs STOLLBERGRILINGER, 2017, S. 353-360. 12 Allein in den letzten beiden Jahren sind mit dem Band über die Hofburg im 18. Jahrhundert, der im Rahmen der fünfbändigen »Veröffentlichungen zur Bau- und Funktionsgeschichte der Hofburg« des an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angesiedelten Projekts entstanden ist, und der Dissertation von Marina Beck zwei in jeder Hinsicht gewichtige Bände vorgelegt wurden; LORENZ/MADER-KRATKY, 2016; BECK, 2017a.
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Repräsentation und Zeremoniell, sodass keine rein kunst- bzw. bauhistorischen Analysen vorgelegt wurden, sondern die Frage nach der zeremoniellen Nutzung der Räumlichkeiten meist gleich mit erörtert wurde. Diese grundlegenden Forschungen zu den Residenzen Maria Theresias und ihrer zeremoniellen Nutzung geben auch Auskunft über die speziellen Probleme des Zeremoniells zur Zeit Maria Theresias und ihrer Mitregenten. Denn speziell war die Situation in der Tat. Nicht nur, dass zum ersten Mal in den habsburgischen Erblanden eine Frau nicht nur übergangsweise als Regentin für einen männlichen Erben, sondern als legitime Erbin und somit Herrscherin aus eigenem Recht regierte. Erstmals seit gut drei Jahrhunderten konnte in Wien nicht mehr das kaiserliche Zeremoniell praktiziert werden. Wie tief verwurzelt das Bewusstsein, sich am kaiserlichen Hof zu befinden und dem Kaiser zu dienen, auch bei den Hofangehörigen war, unterstrich unfreiwillig der achtzigjährige Gundacker Graf Stahremberg, als er noch 1743 bei der Huldigung der oberösterreichischen Stände in Linz in seiner Ansprache mehrmals von der kaiserlichen statt von der königlichen Majestät sprach.13 Zu diesem Zeitpunkt aber residierte schon seit bald drei Jahren kein Kaiser mehr in Wien. Dementsprechend hatte das Zeremoniell angepasst werden müssen. Denn nur für den Kaiser wurde die Tafel auf ein dreistufiges Podest gestellt und nur für ihn warteten die Botschafter persönlich an der Tafel auf. Fortan unterblieb also der Aufbau der Bühne vor jeder öffentlichen Tafel. Doch beließ man es nicht bei dieser Änderung, sondern verlegte die öffentlichen Tafeln auch in einen anderen Raum, und zwar von der zweiten Antekammer auf der männlichen Seite in das Audienzzimmer auf der weiblichen Seite. Eine Begründung für diesen Raumwechsel findet sich nicht. Marina Beck vermutet, dass auf diese Weise verschleiert werden sollte, dass man nun auf das kaiserliche Zeremoniell verzichten musste.14 Wäre man im gleichen Raum geblieben, wäre es für das Publikum augenfällig gewesen, dass die erhöhte Position der Tafel weggefallen war.
13 KHEVENHÜLLER, Bd. 1, 1907, S. 160 (25.6.1743). 14 BECK, 2017a, S. 42.
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Auch die farbliche Ausstattung der Räume stand zur Disposition. Denn Gold galt als Farbe des Kaisers.15 Deshalb überlegte die Hofkonferenz anlässlich der Taufe Josephs im März 1741, ob die Ritterstube statt mit goldenem Stoff mit andersfarbigen Materialien ausgekleidet werden sollte. Maria Theresia aber entschied, wie bisher einen goldenen Baldachin zu verwenden,16 d. h. sie setzte sich über die Farbkonvention hinweg. So ganz wollte sie auf den kaiserlichen Glanz doch nicht verzichten, und offenbar war die Farbsymbolik weniger eindeutig besetzt als die Platzierung der Tafel auf einem Podest und eröffnete damit einen gewissen Spielraum. Ansonsten aber galt es gerade, die Kontinuität zu wahren und damit zu demonstrieren, dass Maria Theresia die legitime Nachfolgerin ihres Vaters war. Die Hofkonferenz hatte deshalb schon am 28. Oktober 1740 vorgeschlagen, dass »die ordnung, hoff-bräuch, und etiquette, wie vor diesen unter der nunmehro in Gott ruhenden kayn. May. dero herrn vattern, in allen und jeden, ohne einen unterschied zu machen, auch fürohin beobachtet, und bey hoff fortgeführet werden sollen.«17 Deshalb zogen Maria Theresia und Franz Stephan auch so bald wie möglich in das bisher von ihren Eltern genutzte herrscherliche Appartement.18 Damit aber begannen die Probleme. Denn Franz Stephan konnte nicht einfach die männliche Raumfolge seines kaiserlichen Schwiegervaters übernehmen und Maria Theresia in die Räume ihrer Mutter, also der 15 MADER-KRATKY, 2013, S. 98. In den Zeremonialakten heißt es wörtlich »weilen das Goldt Stuck eine Kayserliche Würde anzeiget«; HHStA Wien, ÄZA 40, fol. 2r (31.1.1741). Das heißt nicht, dass die Verwendung von Gold für andere Personen als den Kaiser völlig ausgeschlossen gewesen wäre. So konnten z. B. durchaus golddurchwirkte Fäden verwendet werden. Allerdings war ein mit goldenem Stoff bespannter Baldachin oder ein komplett mit Goldbrokat bezogener Lehnsessel wohl tatsächlich ein kaiserliches Privileg. Siehe die verstreuten Hinweise bei BECK, 2017a, S. 80, 82, 102, 105, 134, Anm. 458 und 461. Systematische Studien zur Farbsymbolik in Bezug auf die Kaiserwürde fehlen. 16 STÖCKELLE, 1982, S. 281f. HHStA Wien, ZP 18, fol. 31r (13.3.1741); BECK, 2017a, S. 134, Anm. 458. Auch für den Baldachin im Audienzzimmer gibt es Hinweise auf eine goldene Bespannung bereits vor der Kaiserwahl Franz Stephans; HHStA Wien, ZP 19, fol. 206r (15.10.1743); BECK, 2017a, S. 42. 17 HHStA Wien, ZP 17, fol. 263r (28.10.1740); zit. nach BECK, 2017a, S. 213. 18 EBD.
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Gattin des Herrschers, ziehen. Schließlich mussten die Räume des Herrschers Maria Theresia zur Verfügung stehen. Deshalb nutzte Maria Theresia sowohl die männliche – als Herrscherin – als auch die weibliche Raumfolge – als Ehefrau.19 Für Franz Stephan wurde ein eigenes Appartement eingerichtet, das sich parallel zur männlichen Raumfolge auf der Basteiseite befand. Dieses konnte von der zweiten Antekammer der männlichen Raumfolge aus betreten werden; vom letzten Raum des Appartements, der zweiten Retirade, führte eine Tür in das gemeinsame Schlafzimmer. Damit war der problemlose Zugang zu den Räumen des Großherzogs ebenso gesichert, wie das für das habsburgische Zeremoniell so typische gemeinsame Schlafzimmer beibehalten werden konnte. Freilich spielten diese Räume im höfischen Zeremoniell dieser Jahre praktisch keine Rolle, weil Franz Stephan im Zeremoniell keine Rolle spielte.
Abb. 10: Die Repräsentationsappartements in der Hofburg 1743-1748. Legende: Männliche Seite: X: Garderobe, R: Ritterstube, 1: Erste Antikammer, 2: Zweite Antikammer, A: Ratsstube, B: Retirade. Weibliche Seite: X (?): Gardestube, X (?); Gardestube/Antikammer, 2/A: Zweite Antikammer/Audienzzimmer, B: Spiegelzimmer, D: Kabinett. C: (gemeinsames) Schlafzimmer. Appartement Franz Stephans: 1/A: Audienzzimmer/Antikammer, GA: Garderobe, C/D: Erste Retirade/Konferenzzimmer/Kleines Kabinett, C/BZ: Zweite Retirade/Bilderzimmer. Vorlage: Johann Aman: Historischer Gesamtplan der Hofburg im Zustand der späten 1740er Jahre, Hauptgeschoss (Rekonstruktion durch Aman, 1. H. 19. Jh.), Albertina Wien, Az 6181. Bearbeitung: Marina Beck.20 Denn während Franz Stephan als Mitregent seine Frau im politischen Geschäft ganz selbstverständlich vertreten konnte, war eine solche Ver19 EBD., S. 213f. 20 EBD., Tafel 10, S. 198. Ich danke Marina Beck für die Überlassung der Grundrissskizze und die Umarbeitung in eine schwarz/weiß-Druckvorlage.
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tretung in zeremonieller Hinsicht nicht möglich. Für das Zeremoniell war nämlich seine Ernennung zum Mitregenten ohne jede Wirkung. Zwar hatte Maria Theresia zu Beginn ihrer Regierung verfügt, dass die Hofbedienten ihrem Mann als Mitregenten genauso zu schwören hatten wie ihr, und ihn, bis auf die Kniebeuge, ebenso zu bedienen hatten wie sie, doch stieß sie damit auf erheblichen Widerstand. Zu einem solchen Dienst am Großherzog waren die bisherigen Kammerherren fürstlichen Standes nicht bereit und suchten deshalb nicht um eine Erneuerung ihrer Kammerherrenwürde nach, und neue Kandidaten bewarben sich nicht um den Kammerherrenschlüssel. Erst als Maria Theresia damit drohte, diesen Herren den Hofzutritt zu entziehen, besannen sich die Fürsten eines anderen.21 Von denjenigen, die in irgendeiner Weise von ihr abhängig waren, konnte Maria Theresia also die (weitgehende) Gleichbehandlung ihres Ehemannes verlangen – das an allen Höfen praktizierte Zeremoniell aber konnte sie nicht einfach außer Kraft setzen, ohne damit für ihren Hof einen massiven Ansehensverlust zu riskieren. Im Zeremoniell lagen deshalb Welten zwischen Maria Theresia und ihrem Ehemann – oder präziser: Etliche Personen des Wiener Hofs kamen in der Rangfolge zwischen Maria Theresia und Franz Stephan, so die beiden Kaiserinwitwen Wilhelmine Amalie (bis 1742) und Elisabeth Christine, außerdem Maria Anna, die jüngere Schwester Maria Theresias (bis 1744), sowie Erzherzogin Maria Magdalena, die unverheiratete Schwester Karls VI. (bis 1743). Augenfällig wurde das, sobald nur eine der genannten Personen an einer öffentlichen Tafel teilnahm. Denn dann gebührte der Platz zur Linken Maria Theresias – der ohnehin schon der schlechtere Platz war – eben mitnichten Franz Stephan, sondern z. B. seiner Schwiegermutter Elisabeth Christine. Und die nächsten Plätze nahmen dann gegebenenfalls die Schwester und die Tante Maria Theresias ein.22 Lediglich wenn alle diese Damen nicht anwesend waren, durfte Franz Stephan zur Linken seiner Frau sitzen. So konnte Khevenhüller für die Mittagstafel im Anschluss an die Krönung in Prag, wohin eben weder die Mutter Maria Theresias noch die
21 KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 44f. (11.4.1745). 22 BECK, 2017a, S. 42; MADER-KRATKY, 2013, S. 95.
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Erzherzoginnen mitgefahren waren, notieren: »I.M. speiseten mit den gewöhnlichen Curialien und der Herzog saße an dero linken Hand.«23 Auch im Umgang mit den in Wien akkreditierten Botschaftern bereitete der niedere Rang Franz Stephans Probleme. Denn die Botschafter, die ja denselben Rang beanspruchten wie die sie entsendenden Herrscher, waren nicht bereit, dem Großherzog das gleiche Zeremoniell entgegenzubringen wie der Königin von Böhmen und Ungarn. Franz Stephan war deshalb bei Audienzen, die Maria Theresia gab, nicht anwesend oder stand höchstens incognito in der Tür zum Nachbarraum.24 Er empfing die Diplomaten auch nicht anschließend separat, wie das sonst die Gattin des Herrschers tat.25 An Galatagen und hohen Feiertagen begleiteten die Botschafter üblicherweise den Herrscher oder die Herrscherin im Anschluss an die Audienz zum Gottesdienst und dann zur öffentlichen Tafel. Dort aber wären sie Franz Stephan begegnet – und damit hätte das zeremonielle Verhältnis zwischen ihm und den Botschaftern geklärt werden müssen. Da dies aber ohne Gesichtsverlust für eine der beiden Seiten nicht zu regeln war, blieben die Botschafter dem Kirchgang und der Tafel fern. Sobald aber Franz Stephan sicher abwesend war wie 1742, als er mit der Armee im Feld stand, nahmen die Botschafter sofort wieder an Gottesdienst und Tafel teil.26 Es war also erkennbar allein das zeremonielle Problem, das die Botschafter von der Teilnahme abhielt, und nicht etwa eine generelle Unlust, bei solchen repräsentativen Akten Präsenz zu zeigen. Während Franz Stephan in zeremonieller Hinsicht ein Schattendasein fristete, tat Maria Theresia alles, um ihren herrscherlichen Status zu repräsentieren. Akte, die sie in ihrer Funktion als Landesherrin vornahm, wurden deshalb selbstverständlich in der männlichen Raumfolge abgehalten. Bereits die Huldigung der niederösterreichischen Stände am 23 KHEVENHÜLLER, Bd. 1, 1907, S. 146 (12.5.1743). 24 MADER-KRATKY, 2014, S. 85. 25 Beck konnte für den Zeitraum 1740-1745 nur zwei Audienzen ermitteln, die Franz Stephan erteilt hatte; BECK, 2017a, S. 91. Dass er den preußischen Gesandten empfing, könnte darauf zurückzuführen sein, dass er Friedrich den Großen von seinem Aufenthalt in Berlin persönlich kannte und zu Beginn des Österreichischen Erbfolgekrieges auch mit ihm korrespondiert hatte. Bei der Audienz für den venezianischen Gesandten könnte seine Position als Großherzog von Toskana und damit italienischer Herrscher eine Rolle gespielt haben. 26 EBD., S. 81.
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22. November 1740 fand in der Ritterstube auf der männlichen Seite statt.27 Und am 15. Dezember 1740 empfing sie den päpstlichen Nuntius Camillo Paolucci in der Ratsstube, ganz so, wie das auch ihr Vater getan hatte.28 Für die jährliche Landtagsproposition lud Maria Theresia die Abgeordneten in die Ritterstube, wo sie dem Akt »more solito sub throno«, also wie üblich unter dem Thron, d. h. unter dem Baldachin, beiwohnte. Dabei trug ihr der Oberstkämmerer Khevenhüller das Staatsschwert voraus.29 Ganz selbstverständlich berichtet Khevenhüller in seinem Tagebuch vom üblichen Verlauf eines landesherrlichen Akts, der eben zufällig von einer Frau durchgeführt wurde. Da es sich um einen männlichen Akt des Landesherrn handelte, fand er in der männlichen Raumfolge statt. Mit einem Verzicht auf diese Zeremonie oder der Verlegung in die weibliche Raumfolge hätte Maria Theresia ihren eigenen Anspruch als legitime Herrscherin in Frage gestellt. Das stand nicht zur Debatte, und es wurde auch nicht debattiert, sondern war mit der frühen Grundsatzentscheidung der Hofkonferenz, alles genauso handzuhaben wie unter Karl VI., ein für allemal geklärt. Die weibliche Raumfolge nutzte Maria Theresia hingegen, wenn sie die Frauen der Botschafter empfing. Damit kam sie einer Aufgabe nach, die üblicherweise die Gemahlin des Herrschers übernahm und die deshalb auch in deren Räumen stattfand.30 Dies gilt auch für alle Zeremonien, die in direktem Zusammenhang mit den diversen Geburten Maria Theresias standen. So nahm die Königin den Handkuss ihrer Hofdamen nach der Geburt in ihrem Spiegelzimmer entgegen und betrat beim Hervorgang die Augustinerkirche durch die weibliche Raumfolge, wo auch anschließend die öffentliche Tafel stattfand.31 Maria Theresia füllte also selbstverständlich eine männliche und eine weibliche Rolle aus und nutzte demzufolge auch beide Raumfolgen. Nur bei einer Zeremonie wurde in diesen frühen Regierungsjahren das Geschlecht Maria Theresias tatsächlich ausgiebig thematisiert, nämlich als es darum ging, ob Maria Theresia dem zum Kardinal ernannten 27 Siehe die Abbildung EBD., S. 203, Tafel 21. 28 MADER-KRATKY, 2013, S. 97. Bereits am 18. November hatte Maria Theresia den venezianischen Gesandten Zeno empfangen; SCHNETTGER, 2018. 29 KHEVENHÜLLER, Bd. 1, 1907, S. 190f. (26.11.1743). 30 Vgl. z. B. EBD., S. 184 (1.11.1743), 218 (12.5.1744), 247 (17.9.1744), 250 (2.10.1744). 31 MADER-KRATKY, 2013, S. 101f.
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päpstlichen Nuntius Paolucci das Kardinalsbirett aufsetzen dürfe. Die nach Wien entsandten Nuntien erhielten üblicherweise früher oder später vom Papst den Kardinalspurpur verliehen.32 Damit der frisch ernannte Kardinal nicht eigens nach Rom reisen musste, wurde das Birett als Zeichen seiner neuen Würde nach Wien übersandt, wo ihm dann der Kaiser das Birett aufsetzte. Als Paolucci 1743 zum Kardinal ernannt worden war, gab es aber bekanntlich keinen Kaiser in Wien. Damit stellte sich die Frage, wer diese Aufgabe übernehmen sollte. An der Kurie hatte man nämlich, wie Khevenhüller dankenswerterweise ausführlich berichtet, Bedenken geäußert, dass eine Frau diese Funktion verrichte, weil es dafür keinen Präzedenzfall gebe, und stattdessen vorgeschlagen, den Wiener Erzbischof Kardinal Sigismund Graf Kollonitz mit der Übergabe zu betrauen. Damit aber war der Wiener Hof ganz und gar nicht einverstanden. Es wurde argumentiert, dass diese Funktion entweder in das Spirituale einschlage, dann könne sie aber von keinem weltlichen Fürsten vorgenommen werden. Das aber, so der stillschweigende Schluss, sei offensichtlich nicht der Fall, denn sonst hätte ja auch der Kaiser diese Funktion nicht ausüben dürfen. Oder aber es handle sich um eine weltliche Zeremonie, die der päpstliche Hof gekrönten Häuptern ehrenhalber zugestehe, »und in disem lezteren Fahl liesse sich zwischen den männ- oder weiblichen Geschlecht nicht wohl ein Unterschied machen, da die Majestätt und Ober-Herrschafft bei beiden in gleicher Gestalt und Wesenheit hafften.«33 Herrschaft war unabhängig vom biologischen Geschlecht – deutlicher als der Oberstkämmerer Maria Theresias konnte man das kaum ausdrücken. Dem hatte die Kurie offenbar wenig entgegenzusetzen,34 und so konnte Maria Theresia auch diesen herrscherlichen Akt, der aufgrund seiner geistlichen Komponente offensichtlich als besonders männlich galt, durchführen. In dem Bericht des Wiener Diariums über die Birettübergabe war freilich von diesen Diskussionen keine Rede. Ausführlich und ganz selbstverständlich wird die Zeremonie beschrieben. Mit keinem Wort wird
32 Zu den Birettaufsetzungen siehe GARMS-CORNIDES, 2006, S. 142. 33 KHEVENHÜLLER, Bd. 1, 1907, S. 192 (1.12.1743). 34 Zudem war auch der Nuntius selbst daran interessiert, den Streit aus der Welt zu schaffen, da er die bevorstehende Trauung Erzherzogin Maria Annas gerne zelebrieren und keineswegs dem Erzbischof überlassen wollte; EBD.
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der durchaus bemerkenswerten Tatsache Erwähnung getan, dass hier eine Frau inmitten höchster kirchlicher Würdenträger agierte.35 Während erbliche Herrschaft also kein Geschlecht kannte, hinderte ihr Geschlecht Maria Theresia jedoch an der Übernahme der Großmeisterwürde des Ordens vom Goldenen Vlies. Vermutlich war es die Kombination aus ritterlicher und geistlicher Tradition, die jegliche Mitgliedschaft von Frauen im Orden von vornherein ausschloss. Das Großmeistertum des Ordens vom Goldenen Vlies war deshalb das einzige Amt, in dem Franz Stephan seinem Schwiegervater Karl VI. nachfolgte.36 Andere Kandidaten gab es nicht, falls man den Orden in der Familie halten wollte. Insofern war die Nachfolge Franz Stephans wohl wirklich alternativlos. Bereits am 31. Oktober 1740 trat Franz Stephan bei einer Ordensvesper erstmals als neuer Ordenssouverän in Erscheinung.37 Der Großherzog übernahm damit nicht nur ein genuin männliches Amt, er agierte damit auch in einer Sphäre, von der Maria Theresia weitgehend ausgeschlossen war. Denn bei den feierlichen Gottesdiensten der Ordensritter, den sogenannten Toisonämtern, den Versammlungen und gemeinsamen Mahlzeiten dieses erlauchten Kreises war für Maria Theresia höchstens eine Zuschauerrolle vorgesehen. So konnte sie die Gottesdienste in der Hofkapelle nur vom Oratorium aus verfolgen.38 Und bei den Tafeln der Ordensritter blieb ihr bestenfalls ein kurzer Blick durch die Tür.39 Die Ritter versammelten sich unter Vorsitz ihres Großmeisters wie bisher in der Ritterstube, d. h. in der männlichen Raumfolge der Hofburg. Trotz der räumlichen Kontinuität war freilich auch bei diesen Anlässen unübersehbar, dass es nun eben nicht mehr der Kaiser war, der dem Orden vorstand. Als die Ritter am 30. November 1742 das erste Mal seit dem Tod Karls VI. sich wieder zu ihrem Ordensfest anlässlich
35 Wiener Diarium, 7.12.1743, Anhang. 36 Eine vergleichbare Situation hatte es bisher nur ein einziges Mal gegeben und zwar nach dem Tod Karls des Kühnen 1477. Ihm war eben nicht seine Tochter und Erbin Maria an der Spitze des Ordens nachgefolgt, sondern deren Ehemann Maximilian. Damit wurde aus dem burgundischen ein habsburgischer Orden. 37 BECK, 2017a, S. 66. 38 EBD., S. 66 und S. 127, Anm. 303. 39 EBD., S. 67.
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des Tages ihres Ordenspatrons, des Heiligen Andreas, zur Tafel einfanden,40 »speiseten Sie [Ihre Königliche Hoheit = Franz Stephan, B.B.] mit ihnen in der Ritterstueben auf gleiche Art wie K.M. höchstseeligen Andenckens, nur mit diesem Unterschied, daß mann die Estrade oder den Stapffel, worauf vormahlen des Kaisers Tisch unter dem Baldachin erhöhet wurden, hinwegnahm, mithin dermahlen sowohl der Quer-Tisch, woran I. Kö. H. saß, als auch die lange Taffel deren Herrn Rittern in einer Höhe waren und völlig an einander stoßeten. Das Motivum ware, weillen I. Kö. H. kein gecröntes Haubt sein.«41
Solche Ordensfeierlichkeiten waren allerdings die einzigen Anlässe, für die Franz Stephan vor seiner Kaiserwahl die männliche Raumfolge nutzte. Die Wahl Franz Stephans zum Kaiser am 13. September 1745 machte erneute Änderungen im Zeremoniell notwendig. Dass bei öffentlichen Mahlzeiten die Tafel nun wieder auf einem Podest platziert wurde und man außerdem wieder mehr in der kaiserlichen Farbe Gold schwelgen konnte, dürfte als eine Rückkehr zur Normalität empfunden worden sein. Auch die Sitzordnung bei offiziellen Anlässen verursachte den mit dem Zeremoniell befassten Herren wohl kaum ernsthaftes Kopfzerbrechen. Denn selbstverständlich gebührte dem Kaiser der beste Platz, von nun an saß Franz Stephan deshalb zur Rechten seiner Ehefrau. Rang- und Geschlechterordnung waren also wieder in Übereinstimmung gebracht, insofern hatte sich die Situation im Vergleich zu den Vorjahren vereinfacht. Neue Schwierigkeiten bereitete aber die räumliche Situation. Da jetzt zwei souveräne Herrscher in Wien residierten, hätte man eigentlich zwei herrscherliche, also männliche Raumfolgen gebraucht. Von entsprechenden Umbauplänen wurde, wie gesagt, rasch Abstand genommen. Stattdessen nutzten nun Franz Stephan und Maria Theresia die 40 1740 und 1741 hatte die Feier nicht stattgefunden, »weillen ao. 1740 die Trauer gewesen, und in solchem Fahl die Toisonisten eine besondere Tracht haben, worzu mann aber die Spesen nicht hergeben wollen, ao. 1741 aber I. Kö. H. nicht dahier, sondern bei der Armée in Böhmen sich befanden.« KHEVENHÜLLER, Bd. 1, 1907, S. 104 (30.11.1742). 41 EBD., S. 103f. (30.11.1742).
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männliche Raumfolge, aber eben zu unterschiedlichen Zeiten. Wenn also Franz Stephan als Kaiser Botschafter empfing oder eine Belehnung vornahm, so tat er dies in der männlichen Raumfolge mit kaiserlichem Zeremoniell, ebenso wie Maria Theresia dort solche Akte als Landesherrin durchführte. Galt aber der Besuch eines Botschafters der Gattin des Kaisers, so empfing sie diesen in ihrer weiblichen Raumfolge. Maria Theresia nutzte also weiterhin beide Appartements, musste sich das männliche jetzt aber mit Franz Stephan teilen. Praktisch sah das so aus, dass ein Botschafter zuerst von Franz Stephan als Kaiser in der männlichen Raumfolge empfangen wurde und zumeist noch am gleichen Tag Audienz bei Maria Theresia als Gemahlin des Kaisers in der weiblichen Raumfolge erhielt. Einige Tage später fuhr der Botschafter dann erneut in der Hofburg vor, um dieses Mal von Maria Theresia als Königin von Böhmen und Ungarn und Landesherrin der österreichischen Erblande in der männlichen Raumfolge empfangen zu werden.42 Ein solches Procedere erscheint nach heutigen Maßstäben umständlich und ineffizient. Aber darauf kam es nicht an, sondern darauf, wie Khevenhüller formulierte, dass »mann die supremam potestam, welche beiden – sowohl dem Kaiser, als der Kaiserin – anklebet, wohl in die Augen fallen mache, […] und mann also […] die Distinction der doppelt und beiderseitigen Souveraineté auf das kennlichste beobachten wollen.«43 Diese neue Konstellation, dass in Wien jetzt zwei Souveräne, nämlich der Kaiser und die Königin von Böhmen und Ungarn, residierten, musste im Zeremoniell augenscheinlich werden. Nur weil diese beiden Herrscher sozusagen zufällig miteinander verheiratet waren und deshalb eine Residenz bewohnten, konnte man nicht auf eine Audienz verzichten, zumindest so lange nicht, bis das Bewusstsein von dieser doppelten Souveränität sich allgemein in den Köpfen festgesetzt hatte. Um die beiden Akte klar zu trennen, fanden die Audienzen beim Kaiser und bei der Königin von Böhmen und Ungarn deshalb üblicherweise an verschiedenen Tagen statt. So empfing Franz Stephan den neuen päpstlichen Nuntius am 8. Oktober 1746, drei Tage später erhielt der Nuntius dann Audienz bei Maria Theresia.
42 BECK, 2017a, S. 219. 43 KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 118 (11.10.1746).
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Aber selbst den zeitgenössischen Diplomaten, die eigentlich von Berufs wegen mit allen zeremoniellen Wassern gewaschen waren, fiel es offenkundig schwer, sich in dieser ungewöhnlichen Konstellation zurechtzufinden. So wurde der neue französische Botschafter am 11. April 1752 mit den üblichen Zeremonien vom Kaiser und der Kaiserin empfangen. Trotz einer kleinen Neuerung im Zeremoniell44 verliefen die Audienzen zur Überraschung des Oberstkämmerers ohne Zwischenfälle. Zu einem solchen kam es aber drei Tage später, als der Botschafter Maria Theresia als Königin die Aufwartung machte. Khevenhüller berichtet, »daß der Bottschaffter, welcher das Creditiv in heutiger königlicher Audienz hätte übergeben sollen, solches von darumen unterlassen, weillen er solches aus Verstoß bereits in lezterer, bei der Kaiserin (als kaiserlicher Gemahlin) gehabter Audienz überreichet hatte.«45 Der Botschafter hatte also nicht korrekt nach den Funktionen Maria Theresias unterschieden. Das Kredenzschreiben galt der Königin von Böhmen und Ungarn sowie Herrscherin über eine europäische Großmacht, nicht der Gemahlin des Kaisers – Creditive für Fürstengattinnen gab es nämlich nicht. Der englische Gesandte Lord Hindford hatte wenige Tage zuvor offenbar alles richtig gemacht, als er am 7. April von Franz Stephan und am 9. April von Maria Theresia empfangen worden war.46 Zumindest wusste Khevenhüller von keinen Regelverstößen zu berichten, was er sich sonst kaum hätte entgehen lassen. Nur in Ausnahmefällen wurde von der Praxis der terminlich strikt getrennten Audienzen abgewichen. So fanden die Abschiedsaudienzen der Gattin des russischen Gesandten bei Franz Stephan und Maria Theresia am 18. Juli 1752 vormittags direkt hintereinander statt, obwohl Maria Theresia solche Audienzen normalerweise nachmittags und an einem anderen Tag abzuhalten pflegte. Wegen ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft – knapp einen Monat später sollte ihre Tochter Maria Karolina zur Welt kommen – wollte sich die Kaiserin die Mühe des häufigen Umkleidens ersparen. Ausdrücklich hielt der Oberstkämmerer fest, dass es sich dabei um eine Ausnahme handle, und dass »sonsten wegen der doppelten Repraesentation beider Mayestätten immer ein In44 Diese betraf das Abnehmen der Kopfbedeckung durch den Kaiser beim Eintreten des Gesandten. 45 KHEVENHÜLLER, Bd. 3, 1910, S. 24 (14.4.1752). 46 EBD., S. 22 (7. und 9.4.1752).
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tervallum wenigstens eines Tages zwischen der Audienz des Bottschaffters bei den Kaiser und jener bei der Kaiserin gelassen zu werden pfleget.«47 Seine Aufzeichnungen bestätigen dies; viele Male sind dort Audienzen bei Franz Stephan und Maria Theresia im Abstand von wenigen Tagen verzeichnet. Im Laufe der 1750er Jahre aber wurde diese strikte Aufteilung immer weniger beachtet. Maria Theresia verzichtete jetzt häufig auf die Audienz als Gemahlin des Kaisers und empfing die Botschafter nur noch als Herrscherin, das aber in der weiblichen Raumfolge. Das war praktisch: Denn zum einen sparte Maria Theresia auf diese Weise Zeit, weil sie nur noch eine statt bisher zwei Audienzen abhalten musste, und zum anderen umging man so das Problem der Doppelbelegung der männlichen Raumfolge. Was aus heutiger Perspektive ganz vernünftig erscheint, war nach den Regeln des zeitgenössischen Zeremoniells eigentlich inakzeptabel, weil Maria Theresia auf diese Weise darauf verzichtete, ihren Status als souveräne Herrscherin zu repräsentieren. Ganz offensichtlich war sie der Meinung, sich das leisten zu können. Ihre Position war jetzt so gefestigt, dass sie sie nicht mehr mit jeder Audienz bekräftigen musste. Prinzipiell aber wurde selbstverständlich nach wie vor unterschieden, ob Maria Theresia als Gemahlin oder als Herrscherin auftrat, womit zugleich der Raum vorgegeben war. So wurde festgestellt, dass der Ritterschlag des venezianischen Gesandten »kein actus einer allerdurchltgsten kay. Gemahlin, sondern von der könig. souveraineté, mithin ein männlicher actus gewesen, folglich auch auf der männer seiten hätte vor sich gehen sollen.«48 Unglücklicherweise fand aber zur gleichen Zeit ein Kirchgang des Ordens vom Goldenen Vlies statt, weshalb die männliche Raumfolge belegt war. Offensichtlich war bei der Planung etwas schiefgelaufen. Da aber Franz Stephan über keine Raumfolge verfügte, in die er hätte ausweichen können, und zudem als Kaiser ohnehin vorging, musste Maria Theresia in diesem Fall dem venezianischen Gesandten den Ritterschlag in der weiblichen Raumfolge ertei-
47 EBD., S. 51 (18.7.1752). 48 HHStA Wien, ZP 25, fol. 279r (27.12.1755), zitiert nach BECK, 2017a, S. 219.
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len.49 Die mit praktischen Problemen eigens begründete Ausnahme bestätigte somit die Regel. Was für die Hofburg galt, hatte prinzipiell auch für Schönbrunn Gültigkeit, nachdem das Schloss seit den ausgehenden 1740er Jahren zunehmend als zweite Residenz und nicht mehr nur als Jagd- oder Lustschloss genutzt wurde, sodass fast alle repräsentativen Akte auch dort stattfanden.50 Dennoch waren die zeremoniellen Standards in Schönbrunn dauerhaft etwas niedriger und die räumlichen Voraussetzungen noch schwieriger, sodass insbesondere oft nicht konsequent zwischen männlicher und weiblicher Raumfolge unterschieden wurde.51 Die Grundkonstellation mit Kaiser und Landesfürstin blieb auch nach dem Tod Franz Stephans gleich, nur dass die beiden Herrscher jetzt nicht mehr Ehemann und Ehefrau waren, sondern Sohn und Mutter. Und genau deshalb waren nun eben doch Änderungen in der Zuteilung der Räume notwendig, weil Joseph als (zunächst verheirateter) Kaiser nicht einfach die Räume seines Vaters übernehmen konnte, die in das gemeinsame Schlafzimmer mit Maria Theresia mündeten. Zudem benötigte seine Ehefrau Maria Josepha eine eigene weibliche Raumfolge, in der sie als Gemahlin des Kaisers empfangen konnte. Benötigt wurden also wie vorher zwei männliche und eine weibliche Raumfolge, nur dass diese jetzt von drei statt wie bisher von zwei Personen genutzt wurden. Es dauerte relativ lange, bis man eine vorläufige Lösung gefunden hatte. Erst über ein Jahr nach dem Tod Franz Stephans bezog das junge Kaiserpaar die herrscherlichen Appartements im ersten Stock des leopoldinischen Trakts der Hofburg, die bis Sommer 1765 von Maria Theresia und Franz Stephan genutzt worden waren. Maria Theresia zog in ein Appartement in der Amalienburg, also in unmittelbarer Nähe. Allerdings blieb sie dort nicht lange, angeblich, weil ihr Leibarzt van Swieten die Räume für nicht luftig genug hielt. Sie wechselte deshalb in ein Appartement im zweiten Stock des leopoldinischen Trakts über der weiblichen Raumfolge der Kaiserin, was Khevenhüller die Bemerkung entlockte, »so kann mann doch freilich nicht sagen, daß es für eine sol-
49 EBD., S. 69, 219. 50 BECK, 2014; sowie BECK, 2017a, passim. 51 EBD., S. 376-379.
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che frau convenable aussehe, welche nicht als wittib, sondern als König und Souveraine bewohnet sein sollte.«52 Der päpstliche Nuntius war der erste, der in den neu hergerichteten Räumlichkeiten empfangen wurde. Am 9. November 1766 erteilte ihm Joseph Audienz in der Retirade der männlichen Raumfolge, direkt anschließend empfing ihn Kaiserin Maria Josepha in ihrem Spiegelzimmer. Immerhin noch am selben Tag, aber im Abstand von einigen Stunden, suchte der Nuntius dann abends Maria Theresia in ihrem Appartement im zweiten Stock auf.53 Das grundsätzliche Muster war also identisch mit der bisherigen Praxis: erst Audienz beim Kaiser, dann bei der Kaiserin, anschließend, aber doch spürbar später, bei der Herrscherin des Habsburgerreichs; nur die Zahl der Akteure und der Räume hatte sich vermehrt. In diesen Räumen im zweiten Stock blieb Maria Theresia auch wohnen, als Kaiserin Maria Josepha im Sommer 1767 starb. Für zeremonielle Anlässe aber nutzte sie nun häufig die weibliche Raumfolge im ersten Stock, ohne dass hier ein System erkennbar wäre. Deshalb zog es auch keine Änderungen im Zeremoniell nach sich, als Maria Theresia 1772 wieder die Räume im ersten Stock als Wohnräume bezog. Allerdings werden die Informationen über die zeremoniellen Abläufe je später desto spärlicher. Hinzu kam, dass Joseph zum einen die über das Jahr verteilten Galatage 1766 abschaffte, sodass allein der 1. Januar als Galatag übrigblieb, und zum anderen selbst oft wochen- oder gar monatelang von Wien abwesend war. Die Anzahl der repräsentativen Zeremonien nahm also rapide ab. Mit dem Tod Khevenhüllers im Jahre 1776 versiegt zudem eine der wichtigsten Quellen für das Hofleben zur Zeit Maria Theresias. Insgesamt sind wir deshalb über die zeremonielle Praxis während der Mitregentschaft Josephs deutlich schlechter informiert als über die Zeit bis 1765. Im Zeremoniell wurde der Anspruch Maria Theresias, legitime Königin von Böhmen und Ungarn sowie Herrscherin der österreichischen Erblande zu sein, ebenso konsequent erhoben und durchgesetzt wie auf dem diplomatischen Parkett oder dem Schlachtfeld. Die Königin von 52 KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 206 (31.10.1766). 53 BECK, 2017a, S. 223f. Siehe auch die Audienzen des maltesischen Botschafters am 18. und 19. Mai 1767; KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 236 (18./19.5.1767).
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Böhmen und Ungarn nutzte deshalb die männliche Raumfolge der herrscherlichen Appartements genauso, wie ihr Vater das getan hatte. Denn sie war seine legitime Erbin, nicht ihr Mann. Diese Grundkonstellation blieb unverändert durch ihre gesamte Regierungszeit hindurch, auch über die Zäsuren 1745 und 1765 hinweg, die gewisse Anpassungen des Zeremoniells und der Nutzung der Räumlichkeiten erforderlich machten. In der praktischen Umsetzung konnte das etwas lockerer gehandhabt werden, nachdem der Erbanspruch Maria Theresias im Frieden von Aachen 1748 grundsätzlich anerkannt worden war. Der Status des Mitregenten war hingegen kein Stand, der sich irgendwie zeremoniell hätte ausdrücken lassen. Für den zeremoniellen Rang der Mitregenten Maria Theresias war es entscheidend, ob sie Kaiser waren oder nicht, und ihr damit im Rang vorangestellt waren oder eben nicht.
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11. Der Tod Franz Stephans: Und plötzlich ist alles anders
Der Tod Franz Stephans am 18. August 1765 markiert sicherlich die tiefste Zäsur in der Regierungszeit Maria Theresias. Ohne Zweifel hat die Kaiserin den Verlust ihres Ehemanns als persönliches Unglück empfunden.1 Das war angesichts der Praxis dynastischer Ehen durchaus nicht selbstverständlich. Maria Theresia aber gedachte in den folgenden 15 Jahren ihres verstorbenen Mannes an dessen Todestag auf ganz besondere Weise. Jährlich begab sie sich am 18. August in die Kapuzinergruft, wo ihr Mann in dem Doppelsarkophag begraben lag, den sie bereits 1754 in Auftrag gegeben hatte, betete dort und hörte oft mehrere Messen.2 Ansonsten verbrachte sie Franz Stephans Todestag in völliger Zurückgezogenheit.3 Auch am 18. jeden Monats »verblibe die Kaiserin wegen der heutigen Epoque des achtzehenden Tag des Monaths gewöhnlichermassen retiriret.«4 Diese am Datum orientierte Trauerarbeit war ihre individuelle Form, mit diesem Verlust umzugehen.5
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ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 157. Ihre diesbezüglichen Äußerungen sind zahlreich; vgl. die Beispiele bei BRAUNEIS, 2015, S. 295-297. WOLFSGRUBER, 1887, S. 62-73. KHEVENHÜLLER, Bd. 7, 1925, S. 38 (18.8.1770); DERS., Bd. 8, 1972, S. 39 (18.8.1774); PICHLER, 1914, S. 27. KHEVENHÜLLER, Bd. 7, 1925, S. 24 (18.5.1770). Auch DERS., Bd. 6, 1917, S. 251 (17./18.7.1767); DERS., Bd. 7, 1925, S. 61 (18.2.1771), 80 (18.6.1771), 115 (18.2.1772), 145 (18.9.1772), 176 (18.7.1773); DERS., Bd. 8, 1972, S. 80 (17.5.1775). Für den 18. September 1775, »an welchem Tag des Monaths die Kaiserin doch sonsten retiriret zu bleiben pfleget«, berichtet Khevenhüller von einer Illumination, die eine Woche vorher we-
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Dass Maria Theresia fortan nur noch in Witwenkleidung erschien, zeigte nicht nur ihre Trauer an, sondern machte auch den Wandel ihres Standes deutlich: von der Ehefrau zur Witwe. Mit dem Witwenstand waren ganz bestimmte rechtliche und soziale Folgen verknüpft. Für eine fürstliche Witwe bedeutete er üblicherweise, sofern sie nicht für einen minderjährigen Sohn die Regentschaft übernehmen musste, den Rückzug auf einen häufig eher abseits gelegenen Witwensitz, wo ihr freilich eine sehr selbstständige Herrschaft möglich war. Eine solche Tradition der Entfernung der Witwe vom Hof hatte sich in Wien allerdings nicht ausgebildet. Die Kaiserinwitwe behielt ein Appartement in der Hofburg und übernahm auch weiterhin repräsentative Aufgaben. Ansonsten aber wurde auch am Kaiserhof von der Kaiserinwitwe ein eher zurückgezogenes Leben erwartet, das nicht zuletzt der Pflege der Memoria ihres verstorbenen Gemahls gewidmet sein sollte. Entsprechend diesen Erwartungen hatten die beiden 1740 lebenden Kaiserinwitwen ihren langen Witwenstand gestaltet. Elisabeth Christine verbrachte einen erheblichen Teil des Jahres auf ihrem Witwensitz Hetzendorf und trat auch, wenn sie in der Hofburg weilte, politisch nicht in Erscheinung. Noch weiter hatte sich Wilhelmine Amalie zurückgezogen. Sie besaß zwar bis zu ihrem Tod ebenfalls ein Appartement in der Hofburg, hatte sich aber auch einen Anbau an den Salesianerinnenkonvikt am Rennweg in Wien errichten lassen und lebte dort in engem Kontakt mit der klösterlichen Gemeinschaft.6 Ein solcher Rückzug einer fürstlichen oder auch kaiserlichen Witwe setzte selbstverständlich voraus, dass der verstorbene Mann der Herrscher gewesen war und die Regierung an einen Sohn oder anderen Erben weitergegeben wurde. Für Maria Theresia passte dieses Muster deshalb nicht. Der Tod Franz Stephans kam völlig überraschend. Der Kaiser war 56 Jahre alt gewesen, als er starb, seine Witwe war 47 Jahre. Da er vorher nicht krank gewesen war, hatte kein Anlass bestanden, sich Gedanken zu machen, wie ein eventueller Witwenstand Maria Theresias aus-
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gen schlechten Wetters hatte abgesagt werden müssen, EBD., S. 102 (18.9.1775). Dies gilt nicht nur für den Todestag Franz Stephans, sondern auch für die Todes-, Geburts- oder Namenstage anderer Familienangehöriger, wie z. B. ihrer Eltern, ihrer Schwester oder ihrer Kinder. Siehe die Übersicht bei WOLFSGRUBER, 1887, S. 54-73. PÖLZL, 2016.
Der Tod Franz Stephans
sehen könnte. Dementsprechend offen war die Situation im August 1765, zumal es keine Präzedenzfälle gab, an denen man sich hätte orientieren können.7 Möglicherweise hat Maria Theresia in einem ersten Impuls erwogen, sich völlig aus der Öffentlichkeit und der Politik zurückzuziehen und sich ganz ihrem Witwenstand zu widmen. So lässt sich jedenfalls ihre Äußerung gegenüber Kaunitz verstehen, dass sie sich auf seinen Rat hin nach Wien schleppe, um für ihre neun Kinder Sorge zu tragen8 – was ja wohl heißen sollte: und sich eben nicht in ihrer Trauer zu vergraben. Sollte sie wirklich mit derartigen Rücktrittsgedanken gespielt haben, so wohl nur in der allerersten Verzweiflung. Denn bereits am 21. August zeigte sich Kaunitz dem französischen Gesandten gegenüber überzeugt, dass Maria Theresia ihre Schwäche überwinden und wieder die Regierung übernehmen werde.9 Als geradezu prophetisch sollte sich die Einschätzung des französischen Diplomaten erweisen, dass Maria Theresia, wenn sie die Regierungsgeschäfte erst wieder einmal aufgenommen haben würde, sie nicht mehr abgeben würde.10 Bereits Anfang September konnte der Gesandte nach Paris berichten, dass die Kaiserin ihre Minister empfange und Resolutionen unterzeichne.11 Er war sicher, »qu’il n’y aura d’autres changements dans son train de vie qu’un peu plus de retraite.«12 Das war vielleicht etwas überspitzt formuliert, traf aber durchaus den Kern. Denn so groß auch der äußerliche Kontrast war – symbolisiert durch die trauernde Witwe, die zurückgezogen lebte und zunächst fast alle Vergnügungen am Hof untersagte –, so wenig änderte sich grundsätzlich daran, dass 7
Noch am ehesten vergleichbar war die Situation mit derjenigen Königin Annas von Großbritannien nach dem Tod ihres Mannes Georg von Dänemark 1708. Anna war die Herrscherin, ihr Mann nur der eingeheiratete Prinzgemahl. In diesem Fall aber stand – anders als bei Maria Theresia – nicht ein Sohn zur Verfügung, der nach einer Abdankung die Regierung hätte übernehmen können, sondern die Dynastie der (protestantischen) Stuarts endete mit Anna, sodass ein Rücktritt und damit eine vorzeitige Nachfolge des Hauses Hannover, zumal mitten im Spanischen Erbfolgekrieg, keinesfalls zur Debatte stand. 8 Maria Theresia an Kaunitz, Innsbruck, 28.8.1765; BEER, 1873, S. 432f., in deutscher Übersetzung bei ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 167f. 9 Bericht des Louis-Maria Florent, Graf Du Châtelet, 21.8.1765; in Auszügen bei BADINTER, 2016, S. 252. 10 EBD. 11 EBD. 12 EBD.
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Maria Theresia weiterhin das Heft des Handelns in der Hand behielt – das hatte der französische Botschafter durchaus richtig gesehen. Fast genau einen Monat nach dem Tod seines Vaters wurde Joseph am 17. September 1765 zum Mitregenten ernannt. Damit war auch formal die Kontinuität zu den vergangenen 25 Jahren hergestellt. Auch Joseph war nur Mit-Regent und damit seiner Mutter klar untergeordnet, von ihrer Abdankung war nicht mehr die Rede. Auf den ersten Blick ergibt sich also ein maximaler Kontrast zwischen einem radikalen Bruch in der Selbstdarstellung und Repräsentation auf der einen und einer weitgehenden Kontinuität in der Regierungspraxis auf der anderen Seite. Auf den zweiten Blick freilich gestalteten sich die Verhältnisse doch etwas differenzierter. Zweifelsohne zeigte der Wiener Hof in der zweiten Regierungshälfte Maria Theresias ein völlig anderes Gesicht als in ihren ersten Jahren. Aber die Entwicklung war schleichend verlaufen, und die Ursachen waren vielfältiger, als es bei einer Konzentration auf die durch den Tod Franz Stephans ausgelösten Änderungen erscheinen mag. So war schon das Hofleben der 1750er Jahre kaum mehr mit jenem der Anfangsjahre zu vergleichen. Trotz der äußeren Anfechtung ihrer Herrschaft und des langandauernden Kriegs durchtanzte die junge, lebenslustige Königin manche Nacht, war eher die letzte als die erste, die die zahlreichen Bälle in der Faschingszeit verließ, und sie amüsierte sich wahrhaft königlich, wenn ihr mit einer Verkleidung wieder einmal eine Überraschung gelungen war.13 Für das Damenkarussell Anfang 1743 fand sie Zeit, intensiv zu trainieren.14 Und außerhalb der Ballsaison frönte sie mit durchaus erheblichen Einsätzen dem Kartenspiel; sie selbst hat das im Rückblick Marie Antoinette gegenüber als Spielsucht eingeordnet und ihre Tochter eindringlich davor gewarnt.15 Berichte über solche ausgelassenen Vergnügungen werden im Laufe der Zeit weniger. Und Anfang des Jahres 1747 konstatierte Khevenhüller, dass »die erstere Frölichkeit der Jugend […] alsgemach vorüber und sie [= Maria Theresia, B.B.] ohnehin wegen ihres öffteren geseegneten Stands sothanes Divertissements am wenigsten zu profitiren vermag«, 13 KHEVENHÜLLER, Bd. 1, 1907, S. 118 (7.1.1743), 125 (5.2.1743). 14 EBD., S. 111 (22.12.1742). 15 Maria Theresia an Marie Antoinette, Wien, 5.11.1777; ARNETH, 1866, Nr. 106, S. 222-224, hier S. 223.
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dass aber der Kaiser an den Maskenbällen festhalten wollte.16 Zwar blieben die Spielabende fester Bestandteil des Hoflebens, sie scheinen aber ihren exzessiven Charakter verloren zu haben. Für die Abende ließ Maria Theresia nun häufig eigens kleinere Amusements arrangieren, um Franz Stephan zu erheitern und ihn aus seinen trüben Stimmungen zu reißen, möglicherweise auch, um ihn von anderweitigen außerhäuslichen Aktivitäten abzuhalten.17 Maria Theresia selbst nahm an diesen Veranstaltungen nicht immer teil, sondern zog sich häufig zum Arbeiten zurück. Der Wiener Hof hatte also schon lange vor 1765 manches von seinem Glanz und seiner Leichtigkeit verloren. Das schloss freilich nicht aus, dass, sofern es politisch geboten schien, alle nur denkbare Pracht entfaltet wurde. So wurde bei der ersten Hochzeit Josephs mit Isabella von Parma im Oktober 1760, mitten im Siebenjährigen Krieg, wirklich an nichts gespart. Der kaiserliche Hof präsentierte sich bei dieser Gelegenheit in der ganzen Fülle seiner Pracht. Von solchen außerordentlichen Anlässen abgesehen, machte sich aber auch in Wien die allgemeine Stimmung bemerkbar, die manchen Aufwand als übertrieben kritisierte und manches Zeremoniell als hohl empfand. Und bei allem Sinn für Repräsentation und Tradition waren solche Gedanken Maria Theresia durchaus nicht fremd. Schließlich hatte sie selbst bei den Audienzen schon für manche Vereinfachung gesorgt, indem sie z. B. häufig auf die Audienz als kaiserliche Gemahlin verzichtete.18 Der Einschnitt des Jahres 1765 bot insofern eine nicht unwillkommene Gelegenheit, radikal mit mancher Tradition zu brechen, was ohne diesen äußeren Anlass wohl nicht so einfach gewesen wäre. Denn es ist schon auffällig, dass Maria Theresia dem Ansinnen Josephs, die zahlreichen Galatage abzuschaffen und nur noch den Neujahrstag als Galatag vorzusehen, keinen erkennbaren Widerstand entgegensetzte. Die von Khevenhüller überlieferte Bemerkung, dass die Kaiserin glaube, »diese Idée hätte endlichen ihren Grund, weil in der That die Menge der Gala-Täg zu groß geworden und der Noblesse nur unnütze Ausgaben verursachte,«19 klingt fast so, als ob sie auf einen solchen Vorstoß nur 16 KHEVENHÜLLER, Bd. 2, 1908, S. 145 (15.2.1747). 17 Vgl. z. B. für das Jahr 1757 DERS., Bd. 4, 1914, S. 69 (27.2.1757), 71 (7.3.1757), 80 (22.4.1757), 125 (28.10.1757), 128 (19.11.1757). 18 Vgl. oben, Kap. 10. 19 KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 210 (24.11.1766).
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gewartet hätte. Nachlassende Festfreude, Kritik an barocker Repräsentation und die aufgeklärt-rationale Ablehnung solcher Veranstaltungen durch Joseph waren hier eine wirksame Verbindung eingegangen und hatten eine Entwicklung in Gang gesetzt, die durch den Tod Franz Stephans sicherlich beschleunigt wurde, die aber längst angelegt war. Der Bruch, für den symbolisch die Kaiserinwitwe in Schwarz steht, sollte also nicht überbetont werden. Umgekehrt sollten aber auch die Elemente der Kontinuität, die durch den Übergang der Kaiserwürde und die Übertragung der Mitregentschaft von Franz Stephan auf Joseph signalisiert wurde, nicht überbewertet werden. Denn bei aller formalen Parallelität der Konstruktion brachte der Wechsel der Personen doch erhebliche Änderungen mit sich. Joseph war der Sohn und eben nicht der Ehemann Maria Theresias, die Temperamente der beiden Männer waren denkbar verschieden. Schon das bedeutete einen erheblichen Unterschied. Zudem war der Wechsel von Franz Stephan zu Joseph nicht die einzige Personaländerung. Wenzel Anton Graf Kaunitz war zwar längst zur zentralen politischen Figur in Wien avanciert, verkörperte insofern also die Kontinuität. Aber seine Position war innerhalb der neuen Konstellation doch eine erkennbar andere. Zu Franz Stephan hatte er stets in deutlicher Opposition gestanden. Mit Joseph hingegen verband ihn manches, sodass in der neuen Dreierkonstellation die Koalitionen durchaus wechselten. Mit Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz († 30. August 1765) und Leopold Graf Daun († 5. Februar 1766) verlor Maria Theresia kurz nach ihrem Mann außerdem zwei weitere wichtige Berater und enge Vertraute ihrer bisherigen Regierungszeit. Sie hinterließen Lücken, von denen zunächst – anders als bei Kaiserwürde und Mitregentschaft – nicht absehbar war, wer sie ausfüllen würde. Auch davon hing das künftige Machtgefüge in Wien ab. Die Routine der Abläufe und die Geschwindigkeit der ersten Entscheidungen, die einen raschen Übergang zur Normalität suggerieren sollten, täuschen darüber hinweg, dass in diesen ersten Monaten nach dem Tod Franz Stephans die Situation durchaus eine gewisse Offenheit besaß. Erst die weitere Zukunft musste zeigen, ob die Brüche oder die Kontinuitäten überwiegen würden.
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12. Und noch einmal eine Mitregentschaft: also alles beim Alten?
So groß auch der Schock über den Tod Franz Stephans war, setzten doch fast unmittelbar danach Überlegungen ein, wie die Regierung künftig zu gestalten sei. Mit dem Tod seines Vaters war Joseph automatisch Kaiser des Heiligen Römischen Reiches geworden. Auf seine Position in den österreichischen Erblanden hatte das aber keinen Einfluss. Er war zwar der Erbe, aber für den Moment verschaffte ihm das keinerlei Regierungsrechte. Schon Ende August 1765 war freilich klar, dass Joseph, nach dem Vorbild der Regelung für Franz Stephan, in den Erblanden zum Mitregenten ernannt werden sollte. Am 17. September 1765 erfolgte dann die Bestellung Josephs zum Mitregenten, wobei ausdrücklich auf die Urkunde vom 21. November 1740 Bezug genommen wurde. Joseph wurde die »Mitobsorge und Mitregierung« übertragen – wie 1740 wurde also auch jetzt klar zum Ausdruck gebracht, dass nicht zwei gleichberechtigte Regenten nebeneinander herrschen sollten, sondern dass Maria Theresia regierte, »ohne […] von der eigenthümlichen Beherrschung Unserer beständig beysammen zu verbleiben habender Staaten ganz oder zum Theil etwas zu vergeben.«1 Hinter dieser Formulierung stand wie 1740 das Bemühen, alles zu vermeiden, was als Verstoß gegen das Unteilbarkeitsgebot der Pragmatischen Sanktion gewertet werden könnte. 1
Reversale Josephs über die Annahme der Mitregentschaft, Wien, 17.9.1765; KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 394f., hier S. 395.
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In Bezug auf die Regierung der Erblande setzte Maria Theresia Joseph also praktisch in die Position seines Vaters ein. Dementsprechend wurde in der Narratio der Urkunde hervorgehoben, dass die jetzige Regelung durch den Tod Franz Stephans ausgelöst worden sei, weil dadurch die Regierung wieder ganz an Maria Theresia zurückgefallen sei. Da die Mitregentschaft sich aber »für die Aufnahme Unsres Ertzhauses und für die Wohlfahrt aller getreuen Unterthanen« bewährt habe,2 sollte an der Konstruktion auch unter der veränderten personellen Konstellation festgehalten werden. Detaillierte Regelungen waren durch den Rückgriff auf 1740 überflüssig, erneut wurde also nicht festgelegt, wie die »Mitobsorge und Mitregierung« praktisch aussehen sollte. 1740 war die Mitregentschaft eingerichtet worden, damit Franz Stephan über eine territoriale Basis im Reich verfügte, um so seine Chancen auf die Wahl zum Kaiser zu erhöhen. Damit aber stellt sich die Frage, weshalb 1765 wiederum eine Mitregentschaft eingerichtet wurde, obwohl solche Überlegungen ja obsolet waren, seit Joseph 1764 zum Römischen König gewählt worden war. Dennoch argumentierten die Minister, die Maria Theresia um ihre Gutachten gebeten hatte, ganz ähnlich wie 1740. Insbesondere Reichshofrat Joseph Philipp Christoph von Bartenstein, der Sohn Johann Christoph von Bartensteins,3 des Verfassers der Mitregentschaftsurkunde von 1740, hob hervor, dass die jetzige Situation im Reich ohne Vorbild sei, da es noch nie einen Kaiser gegeben habe, »welcher nicht Lande und Leute unter seiner Bothmässigkeit gehabt und dadurch die haubtsächlichste Pflicht des Kaiserthums, nemlich die werckthätige Beschüzung derer Reichs-Ständen sich hätte unterziehen können.«4 Erneut wurde also darauf verwiesen, dass das kaiserliche Amt eine gewisse territoriale Basis voraussetzte, in diesem Fall nicht als Bedingung für eine Wahl, sondern als Fundament für
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EBD., S. 394. Johann Christoph von Bartenstein wurde auch 1765 um eine Stellungnahme gebeten, in der er aber vor allem betonte, dass er über die gegenwärtigen Entwicklungen nicht hinreichend informiert sei, und in der er ansonsten die Ereignisse von 1740 rekapitulierte. Gutachten Johann Christoph von Bartensteins, Wien, 5.9.1765; KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 383385. Gutachten des Reichshofrats Joseph Philipp Christoph von Bartenstein; EBD., S. 385-388, hier S. 385f.
Und noch einmal eine Mitregentschaft
eine erfolgreiche Regierung.5 Und Joseph war in dieser Hinsicht noch schlechter ausgestattet als sein Vater, da er nur über das kleine Herzogtum Teschen und die Grafschaft Falkenstein verfügte, nachdem er die Toskana an seinen Bruder Leopold abgetreten hatte. Bartenstein jun. verlangte deshalb, dass die Mitregentschaft so ausgestaltet werden müsse, dass sie in den Augen übelgesinnter Reichsstände nicht als unbedeutendes »Blendwerck« abgetan werden könne. Er wollte dies mit Regelungen zur verpflichtenden Gegenzeichnung von Schriftstücken durch Joseph erreichen.6 Das hätte eine Konkretisierung der Mitregentschaft bedeutet, wie sie 1740 aus gutem Grund vermieden worden war – und auch jetzt nicht weiter diskutiert wurde. Denn neben diesem Bemühen um eine Machtbasis für den Kaiser klingt zwischen den Zeilen der Gutachten von 1765 noch ein weiteres Argument für die Mitregentschaft an, nämlich die Mitregentschaft als Kontrollinstrument. Der Kaiser verfügte immerhin über eine eigene Bürokratie, eine eigene Gerichtsbarkeit und nicht ganz unerhebliche Rechte, die er zum Wohl oder zum Schaden der Habsburgermonarchie einsetzen konnte. Bei Joseph rechneten die Minister Maria Theresias nun offenbar damit, dass er als Kaiser eine selbständigere Politik treiben könnte, als sein Vater das getan hatte. Zumindest würde er sich wahrscheinlich mehr in die verschiedenen Bereiche der Politik einschalten »nach seiner rühmlichen Begierde, sich in Geschäften zu verwenden«, wie Bartenstein jun. das in seinem Gutachten ausdrückte.7 Was hier als »rühmlich« ins Positive gewendet wurde, konnte eben auch eine Gefahr darstellen. Durch die Mitregentschaft sollte Joseph deshalb ausdrücklich auf die Interessen des Erzhauses verpflichtet werden und eine genaue Kenntnis aller Vorgänge erhalten.8 Explizit ging Bartenstein auch auf den Fall ein, dass Maria Theresia und Joseph in einer Frage unterschiedliche Standpunkte vertreten könnten. In einer solchen Situation sei zu hoffen, dass der Staatsrat mit solchen Männern versehen sei, die 5
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Ähnlich Johann Christoph von Bartenstein, der schrieb, dass dem »gesamten Reich daran gelegen ist, einen mit eigenen Länderen und Macht versehenen Kaiser« zu haben; Gutachten Johann Christoph von Barteinsteins, Wien, 5.9.1765; EBD., S. 383-385, hier S. 385. Gutachten des Reichshofrats Joseph Philipp Christoph von Bartenstein; EBD., S. 385-388, hier S. 387. EBD., S. 386. EBD., S. 386f.
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zum Wohl des Landes entschieden, was im vorliegenden Fall nur heißen konnte, dass die von Maria Theresia berufenen Minister in ihrem Sinne entscheiden und Joseph überstimmen sollten.9 Durch die Mitregentschaft sollte Joseph in die erbländischen institutionellen Strukturen eingebunden werden und sich somit stets unter der Kontrolle Maria Theresias befinden.10 Deshalb wurde in die Reversalien auch ein Passus eingefügt, dass Joseph ausdrücklich die Maria Theresia »einzig und allein zukommende[n] und verbleibende[n] souveraine[n] Beherrschung dero Erb-Königreichen und Landen« anerkenne und dass die Mitregentschaft nicht gegen die Regierung Maria Theresias eingesetzt werden dürfe.11 Eine solche Verpflichtung hatte die Urkunde, die Franz Stephan 1740 hatte unterzeichnen müssen, nicht enthalten, jetzt aber hielt man diese Vorsichtsmaßnahme offensichtlich für notwendig.12 Erkennbar ist also, dass die Mitregentschaft von 1765 ungeachtet dessen, dass sie rein äußerlich an das Vorbild von 1740 anknüpfte, doch unter ganz anderen Vorzeichen stand. 1740 war das Ziel gewesen, dem bis dahin als schwach und glücklos wahrgenommenen Ehemann der Erbin und Königin eine achtbare Position zu verschaffen und so seine Chancen bei der Kaiserwahl zu verbessern, 1765 jedoch sollte der als tatendurstig und ehrgeizig eingeschätzte Erbe und Kaiser in die Politik seiner Mutter eingebunden werden. Gemeinsam war beiden Mitregentschaften jedoch, dass kein Zweifel daran bestand, dass Maria Theresia die Zügel in der Hand hielt, dass sie die Herrscherin war, die ihren Mitregenten je nach Bedarf an der Regierung beteiligte. Wie ungewöhnlich die Konstellation von 1765 war, wird auch an den beiden anderen Punkten deutlich, die im Zusammenhang der Mitregentschaft noch diskutiert wurden, nämlich die Frage nach der Ausgestaltung der Hofhaltung und nach dem Rang der Kaiserinwitwe. Üblicherweise bezog nach dem Tod des Kaisers seine Witwe ein Witwenappartement in der Hofburg, hielt sich aber häufig auch auf einem
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EBD., S. 387. So auch BEALES, 1997, S. 492. KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 395. Franz Stephan hatte nur zugesichert, dass er an der Pragmatischen Sanktion festhalten und nichts unternehmen werde, was gegen diese verstoße; Reversalien Franz Stephans vom 21.11.1740; Europäische Staats-Cantzley, 1741, S. 710-712.
Und noch einmal eine Mitregentschaft
Witwensitz in der Nähe auf.13 Die kaiserlichen Gemächer in der Hofburg bezog das neue Kaiserpaar. Dieses Modell taugte freilich nicht als Vorbild für die Situation von 1765. Denn mit Franz I. war zwar der Kaiser gestorben, nicht jedoch das Oberhaupt des Hauses und die Landesherrin der Erblande. Es kam also überhaupt nicht in Frage, dass die Kaiserinwitwe und Landesherrin sich zurückzog und Joseph das Feld überließ – das hätte ihre Abdankung vorausgesetzt. Die schließlich gefundene Lösung, dass nämlich Maria Theresia in das ehemalige Witwenappartement ihrer Mutter zog, während Joseph und seine Gemahlin in das Paradeappartement wechselten, war in zeremonieller Hinsicht freilich keine adäquate Lösung für die Königin von Böhmen und Ungarn und Herrscherin der Erblande, die nun ihre Audienzen meist im Spiegelsaal ihres Witwenappartements abhielt.14 Neben der Raumfrage musste noch die Frage nach der Rangfolge der regierenden Kaiserin Maria Josepha, der Ehefrau Josephs, und der Kaiserinwitwe Maria Theresia geklärt werden. An sich war die Sache klar: Im Normalfall ging die regierende Kaiserin im Rang der Kaiserinwitwe voran. Allerdings schien der gegenwärtige Fall aus verschiedenen Gründen eine Ausnahme zu bilden, wie Kaunitz in einer ausführlichen Stellungnahme feststellte.15 Denn Maria Theresia verbinde mit ihrer Würde als Kaiserin, die ihr auch nach dem Tod des Kaisers weiter anhafte, noch die Würde einer wirklichen Königin. Nach der Bemerkung, dass »der behörige Rang für die Kaiserinnen selbst in den Reichsgesätzen noch nicht hinlänglich bestimmt wurde«, führt Kaunitz weitere Argumente ins Feld: Maria Theresia sei nicht nur eine Mutter, sondern eine Stammmutter des Hauses Österreich16 »und ein bisher annoch ungesehenes beyspiel einer kaiserlichen wittib«, weshalb es nur angemessen sei, dass Maria Josepha als Schwiegertochter ihr den Vor13 MADER-KRATKY, 2016. Siehe auch oben, Kap. 11, S. 206. 14 Siehe dazu auch Kap. 10, S. 201f. 15 Bei der undatierten Stellungnahme Kaunitz‘ handelt es sich um die Reinschrift mit eigenhändigen Korrekturen von Kaunitz; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Einzelne Abhandlungen 6-4, o.D., unfol. Ebenso Vortrag der Hofkonferenz vom 12.9.1765; HHStA Wien, ZP 30 (1765), fol. 261r-285r, zum Rangverhältnis der beiden Kaiserinnen fol. 275r-278v. 16 Dieses Argument könnte auch als Hinweis auf die Kinderlosigkeit Maria Josephas verstanden werden.
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tritt lasse. Trotz der Vielzahl der von ihm angeführten Argumente riet Kaunitz davon ab, über die Rangfrage eine förmliche Entscheidung herbeizuführen. Vermutlich war ihm bewusst, dass für die ungewöhnliche Konstellation – eben ein »annoch ungesehenes beyspiel einer kaiserlichen wittib« – kaum eine hieb- und stichfeste Regelung zu finden war. In den Ausführungen lässt sich eine gewisse Ratlosigkeit greifen, so wenn Kaunitz schreibt, dass er zunächst auf den Gedanken verfallen sei, dass jegliche Konkurrenz vermieden werden solle, um so die Rangfrage in der Schwebe zu halten. »Konkurrenz« war in diesem Fall ganz wörtlich gemeint – jegliches (öffentliche) Zusammentreffen von regierender und verwitweter Kaiserin sollte vermieden werden – ein Vorschlag, der selbstverständlich nicht praktikabel war. Fast noch verzweifelter mutet die Idee an, die Frage über das Gastrecht zu klären, d. h. von der Fiktion auszugehen, dass Joseph und seine Gemahlin Gäste Maria Theresias seien und sich der Vortritt aufgrund des Gastrechts und nicht aufgrund der kaiserlichen Würde bemesse. Letztlich schien es Kaunitz unvermeidlich, den Rang ipso facto und ohne weitere Anführung der Ursachen zu bestimmen. Man gewinnt den Eindruck, dass das Ergebnis dieser Überlegungen von vornherein feststand, dass selbstverständlich Maria Theresia der Gemahlin Josephs voranzugehen hatte.17 Denn die umgekehrte Rangfolge hätte doch in einem zu krassen Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen gestanden, gerade auch angesichts der weitgehend isolierten Stellung der Kaiserin Maria Josepha. Die geradezu verzweifelte Suche nach Argumenten, um die real existierenden Rangverhältnisse zu begründen, offenbart erneut die ungewöhnliche Konstellation einer Kaiserinwitwe, die zugleich Oberhaupt des Hauses und Landesherrin war. In dieser Frage stießen auch Experten wie Kaunitz an ihre Grenzen, und so blieb letztlich nichts anderes übrig, als das Offensichtliche, nämlich den Vorrang Maria Theresias, zu konstatieren. Damit war strenggenommen nichts ausgesagt über das Verhältnis zwischen Maria Theresia und Joseph, also zwischen Landesherrin und Mitregent, aber die Diskussion zeigt doch die bestimmende Position Maria Theresias am Hof. War Joseph in dieser konkreten Frage sicherlich mit Maria Theresia einig gewesen – was sich außer der Einsicht in die Realität möglicherweise weniger kindlicher Liebe zu seiner Mutter 17 Die Entscheidung Josephs in HHStA Wien, ZP 30, fol. 284r-v.
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als ehelicher Nicht-Liebe verdankte18 –, so sollte er die mütterliche Dominanz in den kommenden Jahren noch leidvoll erfahren. Bartenstein hatte durchaus Recht gehabt mit dem Hinweis auf dessen »Begierde, sich in Geschäften zu verwenden«. Joseph verstand die Mitregentschaft nämlich nicht nur als rechtliche Konstruktion, um seine Position im Reich ausreichend zu fundieren, sondern er wollte tatsächlich mitregieren. Insofern erwiesen sich die Erwartungen Bartensteins als berechtigt und hellsichtig. Und auch mit der Vermutung, dass Mutter und Sohn nicht immer einer Meinung sein würden, sollte er Recht behalten. Die vielfältigen Auseinandersetzungen zwischen Maria Theresia und Joseph sind in ihrer inhaltlichen Dimension seit langem bekannt.19 Hier sollen sie stattdessen in ihrer formalen und persönlichen Dimension interessieren, zumal gerade Joseph sich immer wieder ausdrücklich auf seinen Status als Mitregent berief. Freilich sind dabei sachliche Differenzen, das persönliche Verhältnis zwischen Mutter und Sohn sowie grundsätzliche Erwägungen über die Ausgestaltung der Mitregentschaft kaum zu trennen. In unterschiedlichen Kombinationen dieser Elemente durchzogen solche Meinungsverschiedenheiten die kompletten 15 Jahre der gemeinsamen Regierung von Maria Theresia und Joseph.20 Der erste grundsätzliche Konflikt wurde aber nicht durch eines der Reizthemen Repräsentation, Religion oder Bauernbefreiung ausgelöst, sondern durch eine scheinbar banale Änderung der Unterschriftenregelung beim Staatsrat, die aber gerade dadurch, dass es dabei nicht um eine inhaltliche Differenz, sondern um eine reine Verfahrensfrage ging, die prinzipielle Konstruktion der Mit-
18 Es ist eine nicht zu klärende Frage, wie diese Diskussion ausgesehen hätte, wenn Isabella von Parma die regierende Kaiserin gewesen wäre. 19 Siehe z. B. BEALES, Bd. 1, 1990, S. 134-241; ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 169203. 20 Theodor von Karajan zeichnet in seiner Studie zur Mitregentschaft Josephs ein allzu ideales Bild, wenn er schreibt: »Es gereicht der grossen Mutter, wie ihrem Sohne zum unvergänglichen Nachruhme, dass beide durch fünfzehn volle Jahre mit einer Selbstbeherrschung, die unserer Bewunderung würdig ist, all die Schwierigkeiten des neuen Verhältnisses siegreich überwanden, der Wohlfahrt ihrer Reiche unausgesetzt die eigene hinopferten.« Seine Darstellung läuft darauf hinaus, dass in der Mitregentschaft zwei edle Charaktere aufgrund unglücklicher Umstände tiefgreifende Konflikte auszutragen hatten; KARAJAN, 1865, das Zitat auf S. 7.
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regentschaft freilegte.21 Ausgangspunkt war eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem langsamen Geschäftsgang beim Staatsrat, der vor allem daraus resultierte, dass das Gremium sich kaum mehr zu gemeinsamen Sitzungen traf, sondern alle Angelegenheiten durch Zirkulation der Schriftsätze und Voten zu erledigen trachtete. Nach monatelangen Debatten entschied Maria Theresia am 18. Dezember 1768, dass wenigstens über die als wichtig eingestuften Materien künftig wieder Sitzungen abgehalten werden sollten, an denen möglichst sie selbst, Joseph oder beide teilnehmen sollten.22 Es war also denkbar, dass Joseph bei Sitzungen anwesend war und Entscheidungen (mit-)abzeichnen musste, die gegen seinen Willen getroffen worden waren. Da er jedoch üblicherweise wie sein Vater ohne weiteren Zusatz unterschrieb, konnte es nach außen so aussehen, als ob er diese Entscheidungen auch inhaltlich mittrug, da keine Erläuterung andeutete, dass er nur im Auftrag handelte. Und genau das stieß Joseph sauer auf. Er hatte in den vergangenen Jahren erfahren, dass die Mitregentschaft ihm keineswegs eine klar definierte Einwirkungsmöglichkeit verschaffte, sondern dass er stets nur innerhalb der Grenzen tätig werden konnte, die seine Mutter umschrieb. Und diese untergeordnete Stellung wollte Joseph durch den Zusatz »ex consilio« oder »qua corregens« hinter seinem Namen dokumentiert wissen. In einem Schreiben vom 19. Januar 1769 an seine Mutter ließ er – wenn auch formal unterwürfig – seinem Frust freien Lauf. Er bezeichnete die Mitregentschaft als einen leeren Titel. Er sei ein Nichts, in Staatsangelegenheiten nicht einmal ein denkendes Wesen und habe nur ihre Befehle zu unterstützen und ihr sein Wissen mitzuteilen. Nach der Natur der Sache – gemeint war offensichtlich die Mitregentschaft – sei der Platz seiner Gedanken und Gefühle nur zu Füßen seiner Mutter. Um diesem äußerst asymmetrischen Verhältnis Ausdruck zu verleihen, schlug er vor, wenn er schon unterschreiben müsse, dies nur mit dem Zusatz »ex consilio« oder »qua corregens« bei seinem Namen zu tun. Überhaupt widerspreche die Mitregentschaft, die eine Regierung durch zwei Personen suggeriere, dem Wesen der Monarchie, die eben die Herrschaft durch einen Einzelnen bedeute – dem trage die von ihm vorgeschlagene Unterschriftenrege21 Zu diesem Konflikt auch STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 547-549. 22 Maria Theresia an den Staatsrat, 16.12.1768; WALTER, 1934/1970, S. 3539.
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lung Rechnung.23 Damit blieb Joseph der von ihm schon in seinen Rêveries von 1763 vertretenen Auffassung treu, dass die Politik einer Monarchie nur einem Kopf entspringen könne24 – und das war nach Lage der Dinge der Kopf Maria Theresias. Dem sich zu fügen, war er durchaus bereit, aber dann sollte die Unterschrift nicht etwas anderes vortäuschen. Maria Theresia wiederum erklärte sich zwar bereit, zu der alten Unterschriftenpraxis beim Staatsrat zurückzukehren, aber sie wollte auf gar keinen Fall an die Mitregentschaft als solche rühren. Denn diese erfüllte für sie nicht einfach eine schnöde Funktion der besseren Fundierung des Mitregenten im Reich und einer eventuellen Unterstützung bei den Geschäften, sie besaß vielmehr – jedenfalls in Maria Theresias Verständnis des Jahres 1769 – eine emotionale Dimension als Unterpfand ihrer Liebe zu ihrem verstorbenen Ehemann, als dessen würdiger Sohn sich Joseph nun zu erweisen habe.25 Unausgesprochen stand damit der Vorwurf im Raum, dass Joseph dessen eben nicht würdig sei, wenn er gegen eine Regelung rebelliere, die sein Vater 25 Jahre lang akzeptiert hatte. An diesem Punkt wurde also weit mehr verhandelt als nur eine Unterschriftenregelung. Es ging um die Frage, ob Joseph bereit war, sich weiterhin seiner Mutter widerspruchslos unterzuordnen, so wie sein Vater das getan hatte. Dass dies von ihm erwartet wurde, hätte Joseph eigentlich wissen müssen, denn genau das hatte er in den Reversalien zur Übernahme der Mitregentschaft unterschrieben. Aber offensichtlich hatte er sich die Praxis anders vorgestellt. Vielleicht hatte er im September 1765, als er die Urkunde unterschrieben hatte, auch nicht geglaubt, dass seine Mutter nach der Überwindung des ersten Schocks wieder so energisch die Führung der Geschäfte übernehmen würde. Als Joseph realisierte, wie tief er seine Mutter mit seinem Schreiben verletzt hatte, betonte er zwar seine Ergebenheit und Dankbarkeit ihr 23 Joseph an Maria Theresia [19.1.1769]; ARNETH, Bd. 1, 1867, Nr. 99, S. 233f. 24 BEALES, 1980, S. 155. 25 Maria Theresia an Joseph [Januar 1769]; ARNETH, Bd. 1, 1867, Nr. 100, S. 234f. Sie bezeichnete die Mitregentschaft als »une convention solennelle si chère à mon coeur et était l’ouvrage de ma tendresse le 21 novembre 1740 et renouvellée le 19 septembre 1765 la plus cruelle de ma vie«. Sie habe sich gestützt auf »l’espérance seule de retrouver en vous un fils digne d’un tel père« (S. 235).
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gegenüber, blieb aber in der Sache hart. Denn gerade, weil er ihr alles verdanke und sich dessen bewusst sei, hätte er eine solche Anfrage nie gestellt, wenn diese für ihn nicht so wichtig wäre, während die Änderung für Maria Theresia praktisch ohne Bedeutung sei.26 Die in den folgenden Tagen hin- und hergehenden Briefe offenbaren vor allem eine abgrundtiefe gegenseitige Verständnislosigkeit. Maria Theresia betonte immer wieder, dass sie Joseph nicht verstehe und dass er ihr keine vernünftigen Gründe für seinen Vorstoß genannt habe.27 Ganz offensichtlich verstand sie wirklich nicht, wo für Joseph das Problem lag, weil für sie in diesem Moment die Mitregentschaft eine emotionale Komponente besaß, sodass Joseph sich durch sein Ansinnen als undankbarer Sohn erwies. Joseph wiederum glaubte der emotionalen Seite Genüge getan zu haben, indem er seiner Mutter ein ums andere Mal seine Liebe und Dankbarkeit versicherte. In der Unterschriftenregelung aber sah er schlicht eine Verfahrensregelung. Nach seinem Dafürhalten war es einfach vernünftig, wenn die tatsächlichen Machtverhältnisse und Zuständigkeiten sich in der Unterschrift spiegelten. Andernfalls könnten perverse Herzen annehmen, so führte er aus, dass er ein Mehr an Macht besitze und Maria Theresia sich zurückgezogen habe.28 Er aber wollte deutlich gemacht wissen, dass Maria Theresia die Monarchin war, während er nur eine untergeordnete Position einnahm. Aufgrund dieser völlig unterschiedlichen Verständnishorizonte war eine Einigung kaum vorstellbar. Wie verfahren die Situation war, zeigt schon die Tatsache, dass Graf Stahremberg als Vermittler zwischen beiden eingeschaltet wurde, freilich ohne Erfolg.29 Angesichts der Unmöglichkeit, zu einer Verständigung zu gelangen, konnte es nur einen Ausweg geben, der freilich die von Joseph beklagten Verhältnisse erneut spiegelte. Maria Theresia verlangte von Joseph als Beweis seiner Zuneigung und Zärtlichkeit, künftig die Schriftstücke wie bisher zu unterzeichnen, bis man
26 Joseph an Maria Theresia [26.1.1769]; EBD., Nr. 101, S. 235f. 27 »ne me donnant aucune raison valable«; EBD., S. 236. »je ne comprends pas votre billet«; Maria Theresia an Joseph, o.D.; EBD., Nr. 105, S. 240f., hier S. 240. 28 Joseph an Maria Theresia [28.1.1769]; EBD., Nr. 104, S. 238-240, hier S. 239. 29 Maria Theresia an Joseph, 28.1.1769; EBD., Nr. 103, S. 237f.
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zu einer Einigung gelangt sei.30 Eine solche Einigung wurde aber selbstredend nicht gefunden. Maria Theresia hatte die Machtprobe einstweilen gewonnen. Joseph aber reagierte unter anderem dadurch, dass er versuchte, sich dem Konflikt möglichst durch Abwesenheit von Wien zu entziehen: Im Frühjahr 1769 reiste er für fünf Monate nach Italien, im Jahr darauf stattete er Ungarn einen Besuch ab, im Herbst 1771 verschaffte er sich einen Eindruck von den Verhältnissen in dem von einer Hungersnot heimgesuchten Böhmen und im Sommer 1773 lernte er auf einer mehrmonatigen Reise die nach der Ersten Teilung Polens neu hinzugekommenen Gebiete in Galizien kennen. In ihrem Sohn Joseph hatte Maria Theresia also einen Mitregenten, der immer wieder monatelang nicht verfügbar war; ihr Mann Franz Stephan hingegen hatte Wien – abgesehen von der Reise zur Krönung Josephs in Frankfurt 1764 – stets nur für kurze Ausflüge verlassen. Die periodische Abwesenheit Josephs mochte das Problem entschärfen, konnte eine Lösung aber nicht ersetzen. Es war also absehbar, dass die Frage der Austarierung der Gewichte an der Staatsspitze irgendwann wieder aufs Tapet kommen würde. Von Josephs Seite bildete vor allem der Staatsrat wiederholt das Ziel von Reformvorschlägen. Doch so hart die Kritik an diesem Gremium im Einzelnen auch ausfiel und so sehr diese auch als Angriff auf Maria Theresia und Kaunitz verstanden werden konnte, vermied Joseph doch eine auf die Personen und auf seine Position abzielende Zuspitzung.31 Dennoch war das Ziel seiner Anstrengungen unübersehbar: Der Kaiser wünschte eine Politik, die in Inhalt und Verfahren seinen Vorstellungen 30 Maria Theresia an Joseph, o.D.; EBD., Nr. 105, S. 240f., hier S. 241. Es ist deshalb nicht ganz überzeugend, wenn Beales seine ausführliche und differenzierte Schilderung des Konflikts damit beendet, dass er schreibt, »Finally, they compromised«; BEALES, Bd. 1, 1990, S. 200. Ein Kompromiss hätte zunächst einmal vorausgesetzt, dass beide Seiten wenigstens ansatzweise die Position des jeweils anderen hätten nachvollziehen können. Eine Bewertung der gefundenen Lösung fällt auch deshalb schwer, weil aus dem Schreiben Maria Theresias nicht ganz ersichtlich ist, was sie mit »comme ci-devant« meinte – die Praxis bis 1768 oder die vor Josephs Schreiben vom 19. Januar praktizierte Regelung. Eine Überprüfung der Praxis an den Akten des Staatsrats ist nicht möglich, da diese im Zweiten Weltkrieg verbrannt sind. 31 Zu den diversen Memoranden und Reformvorschlägen Josephs siehe EBD., S. 207-218.
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einer aufgeklärten Staatsführung entsprach. Eine solche konnten Maria Theresia und Kaunitz in seinen Augen je länger desto weniger gewährleisten.32 Angesichts der vielen Nadelstiche und der häufig weit auseinanderliegenden sachlichen Positionen ist es geradezu erstaunlich, dass der Konflikt erst Ende 1773 so sehr eskalierte, dass die Aufgabenverteilung und damit die Mitregentschaft erneut grundsätzlich diskutiert wurden. Im Laufe des Jahres war wieder einmal intensiv über eine Reform des Staatsrats debattiert worden, geradezu monströse Gutachten wurden verfasst – allein der von Kaunitz am 1. Mai 1773 vorgelegte Text umfasste 240 Seiten.33 Joseph hätte den Staatsrat am liebsten durch einen Premierminister ersetzt,34 was Kaunitz, dessen Kind der Staatsrat war, sicher nicht ganz zu Unrecht als gegen ihn gerichteten Affront betrachtete. Aber auch seine Mutter verschonte Joseph nicht mit freilich etwas rätselhaft formulierter Kritik. Nachdem er zunächst die Vorteile einer systematisch geordneten Geschäftsführung gepriesen hatte,35 empfahl er ihr den »gebrauch vertrauter und geschikter männer, welche aus pflicht und gedenkensart von allen weiblichen vorwitz und partheylichkeiten weit entfernt wären«. Sie solle doch wenigstens einmal versuchen, »geschäfte, so die natur zu männlichen gemacht hat, durch männer versehen zu lassen.«36 Joseph machte hier einen Gegensatz zwischen der männlichen und der weiblichen Art, Politik zu treiben, auf; das männliche Prinzip stand in seinen Augen für Systematik, Sachorientierung und Verschwiegenheit, das weibliche hingegen für Vorwitz, Parteilichkeit und Geschwätzigkeit. Joseph führt an keiner Stelle aus, worauf er mit diesen Empfehlungen abzielte, die Passage steht vielmehr etwas zu32 In drastischen Worten klagte Joseph darüber seinem Bruder Leopold: Joseph an Leopold, 26.1.1772; HHStA Wien, Sammelband 7-3, fol. 19r-v, und Joseph an Leopold, 23.9.1773; EBD., fol. 198r-199v. Arneth hat diese Briefe oder zumindest die besonders kritischen Stellen nicht in seine Edition des Briefwechsels zwischen Maria Theresia und Joseph aufgenommen; Hinweis bei BEALES, Bd. 1, 1990, S. 216, Anm. 70. 33 HHStA Wien, Staatskanzlei, Vorträge 167. 34 Gutachten Josephs vom 27.4.1773; WALTER, 1934/1970, S. 48-73. 35 Ein ausführliches Referat des Schreibens Josephs bei STOLLBERGRILINGER, 2017, S. 556f. 36 Gutachten Josephs vom 27.4.1773; WALTER, 1934/1970, S. 48-73, hier S. 52.
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sammenhanglos zwischen den konkreten Ausführungen zu Staatsrat und Kabinett. Mit ziemlicher Sicherheit zielte Joseph mit seinem Angriff auf die Beteiligung der Frauen an der Politik nicht auf die Kaiserin selbst. Denn das hätte dem dynastischen Prinzip, das eben auch die Herrschaft von Frauen vorsah, zutiefst widersprochen. Die Passage kann kaum anders verstanden werden denn als Kritik an dem Einfluss der Maria Theresia umgebenden Damen ihres Frauenzimmers. Diese regelten den Zugang zur Kaiserin, und insbesondere Josepha von Guttenberg wurde erheblicher Einfluss zugeschrieben.37 Das waren an sich völlig normale Usancen an einem Frauenhofstaat, die sich von denen eines Männerhofstaats auch nicht grundsätzlich unterschieden. Joseph hielt es aber augenscheinlich für unangemessen, dass Frauen auf diese Weise Einfluss auf Staatsangelegenheiten nehmen konnten – und verkannte damit wesentliche Funktionsmechanismen von Höfen. Im Grunde genommen stellt diese Passage einen Generalangriff auf die Regierungsweise Maria Theresias dar, die zu einem erheblichen Teil auf persönlichen Beziehungen und Loyalitäten beruhte; Prinzipien also, die in Josephs Kategorisierung als weiblich und damit verwerflich galten. Indem aber weder er noch seine Mutter je auf diese Äußerungen zurückkamen, blieben sie ohne Wirkung. Sie offenbaren aber Josephs geradezu verzweifelten Versuch, die gesamte Regierungstätigkeit einem vernünftigen, von persönlichen Rücksichten und höfischen Gepflogenheiten unabhängigen System unterzuordnen. Mit diesen Überlegungen überschnitt sich die Sachauseinandersetzung über die Verhältnisse in Galizien, das Österreich durch die Erste Teilung Polens erworben hatte und das nach Meinung Josephs, der im Sommer 1773 das Land bereist hatte, miserabel verwaltet wurde – ein Versäumnis, das er Kaunitz anlastete, dem das Gebiet direkt unterstand.38 In der Sache setzte sich Joseph durch, Kaunitz musste die Verwaltung Galiziens abgeben. Allerdings verknüpfte der Staatskanzler diesen Akt diensteifriger Pflichterfüllung und Unterwerfung unter die herrscherliche Entscheidung mit einem Rücktrittsgesuch.39 Das alles hatte scheinbar nichts mit Joseph und seiner Position zu tun, ja: es spiel37 BEALES, Bd. 1, 1990, S. 225. 38 STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 559f. 39 Kaunitz an Maria Theresia, 7.12.1773; z. T. gedr. in ARNETH, Bd. 2, 1867, S. 21, Anm. 1.
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te Joseph eigentlich in die Karten, der auf diese Weise hoffen konnte, den Staatskanzler loszuwerden und gestärkt aus der Angelegenheit hervorzugehen, nachdem er sich bereits in der Sache durchgesetzt hatte. Dabei hatte er die Rechnung freilich ohne seine Mutter gemacht. Denn Maria Theresia lehnte das Rücktrittsgesuch von Kaunitz ab und forderte den Staatskanzler auf, nach einer Lösung zu suchen, um weiter gemeinsam, wie in den vergangenen 33 Jahren, dem Staat dienen zu können – sonst werde sie abdanken.40 Das klang fast so, als ob Kaunitz seit 1740 ihr Mitregent gewesen wäre, was natürlich formal nicht zutreffend war, die Realität für die Zeit ab 1753 aber dennoch ganz gut beschrieb. Die Reaktion Josephs war eine doppelte: Zum einen versicherte er Kaunitz ebenfalls seines Vertrauens,41 zum anderen aber bot er seinerseits seinen Rücktritt als Mitregent an. In einem ausführlichen Schreiben legte er seiner Mutter im Dezember 1773 seine missliche Lage dar. An manchen Stellen nahm er einzelne Argumente der Auseinandersetzung von 1769 wieder auf, so wenn er ausführte, dass zwei Willen niemals ganz einig sein könnten,42 weshalb eben Maria Theresia das Zentrum sein müsse, bei dem alles zusammenfließe.43 Das war erneut ein Plädoyer für eine wirkliche Monarchie, also eine Einherrschaft, während eine Mitregentschaft nur zu Missverständnissen führe und zu Intrigen einlade. In einer kurzen Bemerkung blitzt erneut Josephs Absage an die Erwartung auf, die Rolle seines Vaters zu übernehmen.44 Diese Argumente werden aber nicht in der schneidenden Schärfe und argumentativen Klarheit des Jahres 1769 vorgetragen, sie fließen eher en passant ein in Josephs resignative Bilanz der vergangenen Jahre. Der Kaiser rekapituliert, wie er versucht habe, mit der Situation zurechtzukommen, indem er einerseits – direkter Rekurs auf den Konflikt von 1769 – an der Unterscheidung der Unterschriften festgehalten habe, andererseits sich, beispielsweise durch seine ausgedehnten Reisen, der Ausübung der Mitregentschaft so weit wie möglich entzogen habe. Das 40 EBD., S. 22. 41 Joseph an Kaunitz, 9.12.1773; EBD., S. 22. 42 Joseph an Maria Theresia, 9.12.1773; EBD., Nr. 190, S. 23-27, hier S. 24: »que deux volontés ne peuvent jamais rester unies si parfaitement«. Das Schreiben zuerst abgedruckt bei KARAJAN, 1865, S. 28-31. 43 Joseph an Maria Theresia, 9.12.1773; ARNETH, Bd. 2, 1867, Nr. 190, S. 2327, hier S. 26. 44 »je ne pouvais jouir le rôle de feu mon auguste père«; EBD., S. 23.
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Schreiben mündet in eine seltsam larmoyante Klage darüber, dass er als einziger Thronfolger in Vergangenheit und Gegenwart in die Geschäfte einbezogen werde. Joseph schloss mit einem geradezu flehentlichen Appell, ihn ein sozusagen normales Kronprinzenleben führen zu lassen, in dem er sich der Lektüre und seinen Vergnügungen widmen und sich ansonsten auf die Reichsgeschäfte konzentrieren könne.45 Es nimmt kaum wunder, dass Maria Theresia diesem Wunsch ihres Sohnes nicht entsprach. Anders als 1769 kam sie dieses Mal jedoch nicht auf die emotionale Seite der Mitregentschaft zurück, sondern konterte mit einem radikalen Gegenvorschlag: Sie bot ihm an, sich komplett aus der Regierung zurückzuziehen und ihm die Geschäfte vollständig zu überlassen46 – wohl wissend, dass er dies bisher stets abgelehnt hatte. Mit keinem Wort ging sie auf seinen Wunsch ein, von der Mitregentschaft entbunden zu werden. Ähnlich wie Joseph breitete sie vielmehr ihre Unzulänglichkeiten aus, betonte, dass es ihr angesichts der Beschwerden des Alters immer schwerer falle, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Noch mehr als Joseph argumentierte sie also auf der rein persönlichen Ebene, ohne auf ihre Differenzen in Bezug auf die Regierungsführung einzugehen. Es scheint fast so, als wollten Mutter und Sohn diese heiklen Punkte umgehen, weil sie wussten, dass sie darüber zu keiner Einigung finden würden. Bekanntermaßen wurde aus den Rücktritten nichts. Maria Theresia regierte ebenso weiter wie Joseph als Mitregent und Kaunitz als Staatskanzler. Im Grunde genommen war das logisch. Denn in dem Moment, in dem Joseph nicht bereit war, die ganze Macht und Verantwortung auf sich zu nehmen, blieb ihm nichts anderes übrig, als wie bisher weiterzumachen, und das hieß: zu den Bedingungen Maria Theresias. Inwieweit Maria Theresia kühl einkalkuliert hatte, dass ihr Sohn auch dieses Mal vor dem letzten Schritt zurückschrecken würde, dass das Angebot der kompletten Regierungsübergabe also die eleganteste Möglichkeit war, ihn zur Fortsetzung der Mitregentschaft zu bewegen, lässt sich nicht entscheiden – ganz ausgeschlossen ist es sicher nicht.47 45 EBD., S. 27. 46 Maria Theresia an Joseph [Dezember 1773]; EBD., Nr. 191, S. 27-29. 47 Auch Beales scheint in diese Richtung zu denken, wenn er den Vorgang als Mischung aus emotionaler Erpressung und politischer List bezeichnet, wie sie von Elisabeth I. von England hätte stammen können; BEALES, Bd. 1, 1990, S. 221.
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Der Schriftwechsel aus den ersten Dezembertagen 1773 mit seiner Konzentration auf die persönlichen Befindlichkeiten bot freilich keine Lösungsansätze für die Frage, wie künftig regiert werden sollte. Um aus der Sackgasse wechselseitiger Rücktrittsdrohungen herauszukommen, kehrte man zurück zu den Problemen des Verfahrens im Staatsrat. Dabei ließ Maria Theresia Joseph bezüglich der Details freie Hand, nachdem sie freilich den Vorschlag, den Staatsrat durch eine Regierung mit Hilfe eines Kabinetts zu ersetzen, abgelehnt hatte.48 In dem neuen Statut für den Staatsrat vom 12. Mai 1774 wurden Joseph genau definierte Aufgaben im Staatsrat zugewiesen. Alle inneren Angelegenheiten sollten fortan den Staatsrat passieren, die Papiere sollten Joseph vorgelegt werden, der die Voten der einzelnen Staatsräte sammeln und sie Maria Theresia zur endgültigen Entscheidung vorlegen sollte.49 Joseph wurde also fest in den Geschäftsgang eingebunden und damit zugleich beschäftigt und kontrolliert. Maria Theresia entsprach damit zwar der Forderung Josephs nach einer genaueren Regelung des Geschäftsgangs, ignorierte aber gleichzeitig seine grundsätzlichere Bitte nach einer Revision der Mitregentschaft. Solange sie die Herrscherin war – und Joseph hatte die Übernahme der Regierung ja gerade abgelehnt –, trug sie die Verantwortung und musste deshalb auch letztlich die Entscheidungen fällen. Das war gemeint, wenn Maria Theresia schon am 20. Dezember 1773, also unmittelbar nach dem oben referierten Briefwechsel mit den Rücktrittsankündigungen, an Lacy schrieb, dass sie einen letzten Versuch unternehmen werde, den Kaiser dazu zu bringen, innerhalb des Systems zu arbeiten.50 Genau das beabsichtigte die neue Regelung. Maria Theresia überließ ihrem Sohn genau definierte Reviere und behielt sich selbst die Kontrolle und letzte Entscheidung vor. Die Rechnung ging immerhin so weit auf, dass die grundsätzlichen Fragen vorerst nicht mehr auf den Tisch kamen. Joseph stürzte sich tat48 In seinem Gutachten vom 27. April hatte Joseph zwei Vorschläge unterbreitet, einen radikaleren der Ersetzung des Staatsrats durch ein Kabinett und einen moderateren einer Reform des Staatsrats; Gutachten Josephs vom 27.4.1773; WALTER, 1934/1970, S. 53-69. In einem Schreiben vom 12. März 1774 beauftragte Maria Theresia Joseph mit der Realisierung des zweiten Vorschlags; Maria Theresia an Joseph, Wien, 12.3.1774, EBD., S. 77f. 49 Maria Theresia an den Staatsrat, 12.5.1774; EBD., S. 80-84. 50 Maria Theresia an Lacy, 20.12.1773; ARNETH, Bd. 9, 1879, S. 630f.
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sächlich auf die Arbeit im Staatsrat, und zwar so sehr, dass er in den nächsten Jahren auch nicht mehr zu größeren Reisen aufbrach – erst 1777 war er wieder für längere Zeit von Wien abwesend, als er Frankreich bereiste. Allerdings verlief die Zusammenarbeit zwischen Maria Theresia und ihrem Thronfolger auch in den kommenden Jahren alles andere als konfliktfrei. Bezüglich der Mitregentschaft aber war offenbar alles Wichtige gesagt. Zumindest finden sich aus den letzten fünf Jahren keine grundsätzlichen Erörterungen der Mitregentschaft mehr. Wohl aber drohte Joseph bei größeren Auseinandersetzungen immer wieder damit, die Mitregentschaft niederzulegen. Diese Drohung entwickelte sich zum Ausdrucksmittel des maximalen Protests gegen die Politik Maria Theresias. Nicht zufällig sind solche Drohungen insbesondere im Zusammenhang mit der Religionspolitik überliefert, da in diesem Bereich die beiderseitigen Ansichten diametral auseinanderlagen. Auf der einen Seite die fromme Kaiserin, für die es kein Heil außerhalb der katholischen Kirche gab und die es deshalb für ihre Pflicht hielt, dafür zu sorgen, dass in ihren Territorien nur der katholische Glaube erlaubt war; auf der anderen Seite der persönlich durchaus gläubige Kaiser, der zwar die Zugehörigkeit der Untertanen zur katholischen Kirche als wünschenswert ansah,51 als Aufklärer aber Religionsfreiheit und Toleranz für das Gebot der Stunde hielt. Deshalb lehnte Joseph die 1777 erlassenen Religionsmandate für Mähren, die drastische Zwangsmaßnahmen gegen die Protestanten vorsahen,52 als völlig inakzeptabel ab und verlangte ihre sofortige Rücknahme. Zwar baute er seiner Mutter goldene Brücken, indem er das Edikt als das Ergebnis schlechter Beratung darstellte und damit auf den Topos vom schlecht beratenen Herrscher zurückgriff, gleichzeitig aber kündigte er an, falls Vergleichbares noch einmal vorkomme, die Mitregentschaft niederzulegen.53 Maria Theresia führte umgekehrt seine Opposition auf seine mangelnde Vertrautheit 51 »Je donnerais ce que je possède, si tous les protestants de ses Etats pourraient se faire catholiques«; Joseph an Maria Theresia, Freiburg, 20.7.1777; ARNETH, Bd. 2, 1867, Nr. 164, S. 150-153, hier S. 152. 52 Zu der Politik gegenüber den Protestanten in Mähren STEINER, 2009, S. 331-360. Zu dem Konflikt über diese Frage zwischen Maria Theresia und Joseph auch STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 661-665. 53 Joseph an Maria Theresia, Turas, 23.9.1777; ARNETH, Bd. 2, 1867, Nr. 268, S. 160f.
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mit den Details zurück, weshalb er nach deren Kenntnisnahme sicher seine Meinung ändern werde. Vor allem aber drückte sie ihr Missvergnügen darüber aus, dass er bei der geringsten Meinungsverschiedenheit stets diesen »widerwärtigen Vorschlag der Mitregentschaft« mache, d. h. mit seinem Rücktritt drohe, obwohl er wisse, wie empfindlich sie darauf reagiere.54 Glaubt man dieser Äußerung Maria Theresias, griff Joseph also häufiger zu diesem Mittel, vermutlich auch im direkten Gespräch. Die Drohung mit der Niederlegung der Mitregentschaft hatte einen geradezu ritualisierten Charakter bekommen. Denn beiden Seiten dürfte bewusst gewesen sein, dass es sich dabei um keine ernsthafte Option handelte – schon auch wegen des damit verbundenen öffentlichen Aufsehens. Sie war aber für Joseph eine Möglichkeit anzuzeigen, wann für ihn eine rote Linie überschritten war – mehr konnte er nicht tun. Wenn Joseph in diesem Zusammenhang seiner Mutter schrieb, dass es ihm in zwölf Jahren noch nicht gelungen sei, ein Mitregent nach ihren Vorstellungen zu werden und dass er dies auch in Zukunft nicht schaffen werde, so hatte er damit vermutlich Recht.55 Das war freilich nicht die Folge mangelnder Lernfähigkeit Josephs, es war die Folge einer schwierigen Konstruktion. Dass diese Konstruktion mit Franz Stephan einigermaßen funktioniert hatte, bei Joseph aber zu wachsender Verbitterung und Entfremdung zwischen Maria Theresia und ihrem Mitregenten führte, dürfte zum einen am unterschiedlichen Naturell von Vater und Sohn gelegen haben, zum anderen aber an der bei aller scheinbaren Parallelität doch anderen Ausgangslage. Franz Stephan war nur der eingeheiratete Ehemann, dessen Verbindung zu den von ihm mitregierten Ländern einzig und allein über seine Ehefrau hergestellt wurde. Joseph aber war der Erbe dieser Länder, d. h. er würde mit den Folgen der während seiner Mitregentschaft getroffenen Entscheidungen einst direkt konfrontiert werden. Das ließ ihn ganz anders reagieren, als Maria Theresia das von ihrem Mann gewöhnt gewesen war, und es ließ die Mitregentschaft zu einem permanenten Kampf werden, bei dem letztlich aber doch Maria Theresia am längeren Hebel saß: Denn sie war 54 Maria Theresia an Joseph, Schönbrunn, 25.9.1777; EBD., Nr. 269, S. 162, in deutscher Übersetzung in WALTER, 1968, Nr. 357, S. 410f. 55 Joseph an Maria Theresia, Turas, 26.9.1777; ARNETH, Bd. 2, 1867, Nr. 270, S. 163f.
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Und noch einmal eine Mitregentschaft
die Herrscherin, die eben nichts abgab von der Herrschaft über ihre Territorien, Joseph aber war nur der Mitregent – sicher nicht nur zu ihren Füßen, wie er selbst schrieb, aber eben auch nicht auf Augenhöhe. Angesichts dieser Erfahrungen entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass Joseph am Ende seines Lebens auf die Idee verfiel, seinen Bruder Leopold zum Mitregenten zu ernennen. Allerdings war diese Mitregentschaft von ihm nicht als eine Konstruktion für eine längere Zeit gedacht, sondern sollte nur dazu dienen, ein Machtvakuum während des Herrschaftsübergangs von Joseph zu Leopold oder während einer eventuellen Regierungsunfähigkeit Josephs zu vermeiden. Anfang Februar 1790 hatte sich Joseph nämlich von seinen Ärzten bestätigen lassen, dass mit seiner Genesung nicht mehr zu rechnen sei. Er bat deshalb seinen Bruder Leopold, so schnell wie möglich nach Wien zu kommen.56 Die außenwie die innenpolitische Lage waren kritisch: Aufstände in den Niederlanden und in Ungarn, der Krieg mit dem Osmanischen Reich, die Unsicherheit über die Folgen der Umwälzungen in Frankreich, die Furcht vor einem Krieg mit Preußen. In dieser Situation wäre es fatal, so Joseph, wenn die Monarchie handlungsunfähig wäre.57 Deshalb hatte Joseph alles vorbereiten lassen, »pour que […] je puisse expédier les déclarations nécessaires qui vous déclarent mon Corégent tout comme l’Impératrice m’avait nommé le sien. Par là vous êtes d’abord en plein droit de tout ordonner, et votre signature a égal effet au dehors comme au dedans comme la mienne.«58 Das Instrument war also zwar dasselbe, der damit verbundene Zweck aber ein vollkommen anderer: Denn jetzt hätte die Mitregentschaft in der Tat gerade die völlige Handlungsfähigkeit des Mitregenten und Erben sicherstellen sollen. Leopold aber hatte sich die Klagen seines Bruders über die unbefriedigende Situation als Mitregent offensichtlich gut gemerkt und wollte es deshalb vermeiden, in eine ähnliche Lage zu geraten. Er schrieb seiner Schwester Marie Christine, dass er zu Lebzeiten Josephs in keiner Weise an der Herrschaft beteiligt werden 56 Joseph an Leopold, 6.2.1790; ARNETH, Bd. 2, 1872, S. 316f.; BEALES, 1997, S. 499; WANDRUSZKA, Bd. 2, 1965, S. 220-231. 57 »Or dans les circonstances dans lesquelles se trouve l’Etat, toute stagnation à prendre des partis décisifs pourrait être du plus grand malheur, et comment pourrait-on en prendre, si je n’existais plus ou ne fus plus en état de rien décider.« Joseph an Leopold, 6.2.1790; ARNETH, Bd. 2, 1872, S. 316f., hier S. 316. 58 Joseph an Leopold, 8.2.1790; EBD., S. 318.
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wolle. Denn »wenn ich zeige, daß ich vor den Augen der Öffentlichkeit oder der fremden Höfe daran teilnehme, so würde ich den Anschein erwecken, als huldigte ich den gleichen Prinzipien und Systemen wie Seine Majestät und billigte alles, was gemacht worden ist; und ich verscherzte für immer meinen guten Ruf und das Vertrauen der Höfe und der Öffentlichkeit und würde den Staatsgeschäften einen großen Schaden zufügen, ohne den geringsten Nutzen. Außerdem befände ich mich jeden Augenblick im Gegensatz zu Seiner Majestät und dies würde ihm nur schaden und ich würde mir die Hände für die Zukunft binden und ich wäre später gezwungen, alles das zu widerrufen, was ich getan habe.«59 Was Leopold hier an seine Schwester schrieb, war die Quintessenz der Erfahrungen Josephs als Mitregent. Da Joseph dann noch schneller als erwartet bereits am 20. Februar 1790 starb, unterblieb die Probe aufs Exempel. Als Leopold am 12. März 1790 in Wien eintraf, kam er als Herrscher und nicht als Mitregent.
59 Leopold an Marie Christine, 18.2.1790; WANDRUSZKA, Bd. 2, 1965, S. 225; das französische Original bei WOLF, 1867, S. 102-104, hier S. 103.
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13. Eine Mutter und neun Waisen – oder: Wer ist das Familienoberhaupt?
Beim Tode Franz Stephans am 18. August 1765 waren erst zwei seiner Kinder verheiratet, nämlich seine ältesten Söhne Joseph und Leopold. Maria Theresia schrieb deshalb, dass sie nun für neun Waisen zu sorgen habe,1 und sie meinte damit ihre unverheirateten Kinder: von der 26jährigen Maria Anna bis zum gerade erst achtjährigen Maximilian Franz. Glaubt man dieser Äußerung Maria Theresias, war es also künftig allein ihre Aufgabe, sich um die Zukunft, und das heißt vor allem um die Erziehung und eventuelle Verheiratung ihrer Kinder zu kümmern. Familienoberhaupt des Hauses wäre also weiterhin Maria Theresia gewesen. Und genauso agierte sie auch in den Monaten unmittelbar nach dem Tod ihres Mannes, als sie mit kaum zu überbietender Zielstrebigkeit die Heirat Marie Christines unter Dach und Fach brachte. Innerhalb kürzester Zeit wurden nicht nur die üppige Versorgung Marie Christines und ihres Ehemannes sichergestellt, sondern auch die komplizierten Fragen ihres Rangs geregelt sowie die Statthalterschaft Alberts in Ungarn eingerichtet – und das, obwohl diese Verbindung »nach denen Staats-Maximen nicht die anständigste ware«, wie Maria Theresia selbst gegenüber Khevenhüller einräumte.2 Der Oberstkämmerer betonte, dass es sich um eine einsame Entscheidung Maria Theresias ge1 2
Maria Theresia an Kaunitz, Ende August 1765; BEER, 1873, S. 432f.; in deutscher Übersetzung: ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 167f., hier S. 167; WALTER, 1968, Nr. 175, S. 205f. KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 158.
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handelt habe, die sie gegen die Meinung ihrer Minister gefällt habe. Joseph war an dieser Entscheidung nicht beteiligt. Seinem Bruder Leopold gegenüber schrieb er ausdrücklich, dass Maria Theresia die grundsätzliche Entscheidung ganz alleine getroffen habe.3 Persönlich war ihm Albert als Schwager durchaus willkommen,4 das hat die rasche Abwicklung der Angelegenheit sicher erleichtert. Vor allem aber sah Joseph, welchen Stellenwert Maria Theresia dieser Heirat beimaß und welche Freude er ihr bereitete, indem er die rasche Ausführung der mütterlichen Pläne unterstützte. Freilich war er von den finanziellen Regelungen nicht gerade begeistert, wie er Kaunitz gegenüber freimütig einräumte. Er betrachtete die 4 Millionen Gulden, die für Marie Christines Versorgung aufgewendet wurden, als Opfer für seine Mutter5 – und hielt sie wohl nur deshalb für akzeptabel. In diesen Wochen und Monaten verstand sich Joseph mehr als ausführendes Organ der Wünsche Maria Theresias; Anspruch auf eine Mitgestaltung der Familienpolitik erhob er (noch) nicht. Manches spricht dafür, dass er sich in der ersten Zeit nach dem überraschenden Tod seines Vaters erst einmal orientieren und in die Geschäfte einarbeiten musste. Dabei scheint er sich zunächst auf seine Aufgaben als Kaiser konzentriert zu haben, wo ihm ein eigener, von der Mutter unabhängiger Handlungsspielraum offenstand.6 Und noch eine weitere Verbindung trieb Maria Theresia nach dem Tod Franz Stephans mit forciertem Tempo voran, nämlich die bereits 1753 in ihren Grundzügen vereinbarte Hochzeit des dritten Erzherzogs mit der Erbprinzessin von Modena Maria Beatrix. Schon am 24. Oktober 1765 konnte Graf Firmian dem Herzog von Modena berichten, dass Maria Theresia beschlossen habe, die Verlobung nun stattfinden zu lassen. Lediglich der Ablauf der ersten Trauermonate im November und 3 4 5 6
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Joseph an Leopold, 14.11.1765; ARNETH, Bd. 1, 1867, Nr. 63, S. 152-155, hier S. 153. An seinen Bruder schrieb Joseph, dass ihm nichts Besseres habe passieren können, als dass ihm [durch diese Hochzeit] eine angenehme Gesellschaft für sein ganzes Leben beschert worden sei; EBD. Joseph an Kaunitz, 11.11.1765; BEER, 1873, S. 444f. Vgl. Josephs Bericht an Leopold über seinen Arbeitstag, in dem er ausdrücklich erwähnt, dass er sich morgens zunächst den Reichsangelegenheiten widme und ansonsten viel Zeit damit zubringe, die schriftlichen Hinterlassenschaften des Vaters zu inspizieren; Joseph an Leopold, 12.9.1765; ARNETH, Bd. 1, 1867, Nr. 53, S. 128-131.
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Dezember solle noch abgewartet werden, für die Zeit danach könne der Herzog einen Termin festlegen.7 Und tatsächlich fand die Verlobung dann im April 1766 statt. Dabei war eigentlich gar keine Eile geboten, da Ferdinand erst 11 Jahre alt war. An eine Hochzeit war in absehbarer Zeit also noch nicht zu denken. Es entsteht deshalb der Eindruck, dass Maria Theresia geradezu besessen war von dem Gedanken, möglichst viele der neun Waisen so bald wie möglich versorgt zu wissen. Denn auch die Zukunft Maria Annas wurde jetzt geregelt. Am 2. Februar 1766 wurde sie zur ersten Äbtissin des 1755 gegründeten Prager Damenstifts auf dem Hradschin ernannt und in Wien feierlich in ihr Amt eingeführt.8 Schon dass die Zeremonie am Wiener Hof stattfand, deutet an, dass keinesfalls beabsichtigt war, Maria Anna fortan in Prag ein klösterliches Leben führen zu lassen. Die Existenz als Stiftsdame und gar als Äbtissin eines Damenstifts diente zunächst einmal der materiellen Versorgung adliger Damen, um ihnen ein standesgemäßes Leben zu ermöglichen. Fand sich für eine Stiftsdame doch noch ein Bräutigam, war eine Rückkehr in die Welt jederzeit möglich. Maria Anna aber nahm nicht einmal rudimentär am Stiftsleben teil, sondern blieb am Hof in Wien, wo sie ihren naturwissenschaftlichen Interessen frönte und die Mutter bei ihren religiösen Pflichten begleitete oder auch vertrat. Als Gehalt setzte Maria Theresia ihrer Tochter 80.000 Gulden aus den Zinsen des Familienfonds aus.9 Weniger als ein Jahr nach dem Tod Franz Stephans hatte Maria Theresia von den neun Waisen also immerhin drei versorgt. Das ist erstaunlich, gerade auch angesichts der Tatsache, dass sich das Kaiserpaar mit der Versorgung seiner Kinder bisher ja eher Zeit gelassen hatte. Eine mögliche Ursache für das verschärfte Tempo könnte sein, dass der plötzliche Tod Franz Stephans Maria Theresia in brutaler Deutlichkeit vor Augen geführt hatte, dass es eben auch sehr schnell zu spät sein konnte. Direkt greifen lässt sich diese Motivation in den Quellen freilich nicht. Vielleicht aber konnten diese Fragen nun auch deshalb schneller geklärt werden, weil Maria Theresia allein entscheiden konnte und nicht länger auf die teilweise abweichende Meinung ihres Eheman7 8 9
Graf Firmian an Francesco von Modena, Wien, 24.10.1765; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 5-1, fol. 226r-227r. ENGELS, 1965, S. 27. KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 164f. (2.2.1766); Wiener Diarium, 5.2.1766, S. 4. ENGELS, 1965, S. 28.
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nes Rücksicht nehmen musste. Das trifft sicherlich für die Verheiratung Marie Christines zu. Ganz grundsätzlich stellt sich damit die Frage nach der Stellung Maria Theresias im Verhältnis zu der Josephs innerhalb der Dynastie. Denn dass sich die Gewichte durch den Tod Franz Stephans verschoben hatten, war evident, da Joseph nicht einfach in die Position seines Vaters einrückte. In der Zeit ihrer Ehe mit Franz Stephan war zweifelsohne Maria Theresia das Oberhaupt des Hauses gewesen. Denn Franz Stephan war ja nur der angeheiratete Ehemann und konnte schon deshalb nicht der Chef des Hauses sein. Gleichzeitig aber war Maria Theresia als Ehefrau ihrem Mann prinzipiell untergeordnet. Und als Mutter konnte und wollte sie die Ansichten des Vaters in Familienangelegenheiten nicht einfach ignorieren. Die Rollen als Chef des Hauses und als Ehefrau standen also in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. Ganz anders war die Situation nach 1765. Als ältestem Sohn und Erben kam Joseph nach dem Tod des Vaters eigentlich die Rolle des Familienoberhaupts zu. Folgerichtig hat Maria Theresia ihren Sohn Joseph im Januar 1766 als »chef de la maison« bezeichnet.10 Gleichzeitig aber war eine Witwe ihrem Sohn gegenüber nicht in gleicher Weise untergeordnet wie zuvor ihrem Ehemann, während umgekehrt der Sohn der Mutter Respekt schuldete. Die Forschung zu fürstlichen Frauen hat deshalb herausgearbeitet, dass gerade die Witwenzeit Fürstinnen die größten Handlungsspielräume eröffnete.11 Das gilt nicht zuletzt für die Versorgung ihrer Kinder. Einerseits verfügte Joseph also in der Dynastie als Erbe über eine stärkere Position als sein Vater, andererseits aber konnte Maria Theresia als Witwe und Mutter unabhängiger agieren als zuvor. Auch hier war also ein Spannungsverhältnis unübersehbar, und es musste sich gerade in der Familienpolitik zeigen, wie de facto die Ge-
10 In der Auseinandersetzung zwischen Joseph und Leopold um das väterliche Erbe wies Maria Theresia den Grafen Franz Thurn, der Leopold in die Toskana begleitet hatte und der der Kaiserin regelmäßig Bericht erstatten sollte, ausdrücklich darauf hin, dass er seine Position Joseph als dem »chef de la maison« verdanke. Maria Theresia an Franz Graf Thurn, 12.1.1766; ARNETH, Bd. 1, 1867, S. 170-172, hier S. 171. 11 SCHATTKOWSKY, 2003. Das gilt insbesondere für den – auf Maria Theresia freilich nicht zutreffenden – Fall, dass die Witwe die Regentschaft für einen minderjährigen Sohn übernahm.
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wichte verteilt waren. Immerhin waren ja noch sechs Erzherzöge und Erzherzoginnen zu versorgen. Bereits grundsätzlich Übereinstimmung erzielt worden war über die Verheiratung von Maria Josepha mit König Ferdinand von Neapel. Im Sommer 1766 ließ der Madrider Hof erneut wegen der Heirat anfragen. Die in Aussicht genommenen Brautleute waren zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt und kamen also langsam in ein heiratsfähiges Alter. Nach den spanischen Vorstellungen sollte die Heirat möglichst bald nach dem 16. Geburtstag Ferdinands am 12. Januar 1767, also dem Tag seiner Volljährigkeit, stattfinden.12 Tatsächlich konnte Karl III. den Heiratsvertrag am 23. Dezember 1766 unterschreiben. Alsbald begann man in Wien mit den Vorbereitungen für die Hochzeit, bei der Maria Josepha ihrem Bräutigam zunächst in Wien in procuram angetraut werden sollte, bevor sie sich auf den Weg nach Neapel machte. Ein solches Procedere war üblich, wenn Fürstentöchter in weit entfernte Länder verheiratet wurden, da man die Bräute nicht mit einem ungeklärten Status auf die lange Reise schicken wollte. Die Hochzeitsvorbereitungen wurden im Mai 1767 allerdings jäh unterbrochen, weil einige Mitglieder der kaiserlichen Familie an den Pocken erkrankten, darunter Maria Theresia selbst. Bis auf Josephs zweite Gemahlin Maria Josepha überlebten freilich alle die gefährliche Erkrankung. Erst im Spätsommer konnte man sich erneut der Hochzeit zuwenden: Am 8. September hielt der neapolitanische Botschafter für seinen König feierlich um die Hand der Erzherzogin Maria Josepha an. Die Trauung wurde daraufhin auf den 14. Oktober festgelegt. Anfang Oktober aber brachen in der kaiserlichen Familie erneut die Pocken aus und machten alle Pläne zunichte. Die erste, die erkrankte, war Maria Josepha, ihr folgte ihre Schwester Maria Elisabeth. Während letztere überlebte, starb die junge Braut am 15. Oktober. Schon wenige Tage nach ihrem Tod setzten Überlegungen ein, wie das politische Projekt einer Eheverbindung mit dem König von Neapel gerettet werden könnte. Wieder einmal zeigte sich in aller Deutlichkeit, dass dynastische Heiraten nicht in erster Linie Verbindungen zwischen zwei Individuen besiegelten, sondern dass es um Verabredungen zwischen zwei Häusern ging, bei denen die Personen austauschbar waren. Und genau einen solchen Tausch nahm man jetzt vor. An die Stelle von 12 CORTI, 1950, S. 22f.
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Maria Josepha trat ihre um ein Jahr jüngere Schwester Maria Karolina.13 Erneut wurde eine Hochzeit geplant, wenn auch nicht so prächtig wie im Jahr zuvor. Am 7. April 1768 fand in der Augustinerkirche die Trauung statt, wobei Maria Karolinas Bruder Ferdinand den Bräutigam vertrat. Noch am selben Tag verließ die junge Braut Wien und reiste ab Richtung Neapel. Sieht man die Korrespondenz über diese beiden Eheschließungen durch, so fällt auf, dass die entscheidenden Briefe auf Monarchenebene ausschließlich zwischen Karl III. und Maria Theresia ausgetauscht wurden. Lediglich in dem Brief, in dem Karl III. am 7. Dezember 1767 bat, Maria Karolina als Braut für seinen Sohn vorzusehen, erwähnte der König, dass er ein gleichlautendes Schreiben an Joseph richten werde.14 Jetzt, als alles entschieden war, sollte auch der Kaiser nicht übergangen werden. Bis dahin aber hatte sich Karl stets an Maria Theresia gewandt, ganz offensichtlich hielt er sie für die richtige Ansprechpartnerin und das heißt für den Chef des Hauses. Joseph taucht als Akteur in diesen Verhandlungen nicht auf. Ähnlich ist der Befund für die interne Korrespondenz. Ob es um die Details des Ehevertrags ging, um Fragen des Zeremoniells im Zusammenhang mit der Eheschließung oder um den künftigen Rang der Königin von Neapel, stets war es Maria Theresia, die von den Ministern konsultiert wurde und die die Entscheidungen fällte. Wenn Kaunitz im Juli 1767 ausnahmsweise Joseph mit solchen Dingen befasste,15 so lässt sich das leicht erklären: Maria Theresia hatte zu diesem Zeitpunkt nach 13 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 344. Bereits in dem Schreiben vom 2. November 1767, in dem Karl III. Maria Theresia zum Tod Maria Josephas kondolierte, bat er sie, nun eine andere Tochter als Braut für seinen Sohn zu bestimmen. Karl III. an Maria Theresia, Escorial, 2.11.1767; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 11, a: Familienkorrespondenz, fol. 33r-34r. 14 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 347. 15 Kaunitz an Joseph, Wien, 1.7.1767; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 11, b: Conferentialien, Vorträge, a.h. Resolutionen, fol. 80r-84v. Kaunitz an Joseph, Wien, 24.7.1767, EBD., fol. 92r-96v. Nachdem die Krankheit am 26. Mai offen ausgebrochen war, endete die übliche Kontumazzeit von sechs Wochen Anfang Juli. Kaunitz aber, der eine panische Angst vor Ansteckung hatte, hielt sich noch länger von der Kaiserin fern und traf sie erstmals wieder am 19. Juli. Am 22. Juli fand das feierliche Te Deum statt, um die Genesung Maria Theresias zu feiern; KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 51f.
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ihrer gerade überstandenen Pockenerkrankung die Geschäfte noch nicht wieder in vollem Umfang aufgenommen. Die Ausnahme bestätigte also die Regel. Außerdem ging es in diesen Schreiben des Kaisers auch um die Reise Maria Josephas nach Neapel, für deren Details sich Joseph aus einem besonderen Grund interessierte. Er selbst wollte seine Schwester nämlich auf der Reise nach Neapel begleiten. Ein solches Vorhaben war höchst ungewöhnlich, normalerweise wurde diese ehrenvolle Aufgabe einem hohen Adligen übertragen. Wenn Joseph nun als Bruder mit seiner Schwester reisen wollte, sagt das zunächst einmal etwas über das enge Verhältnis zwischen den Geschwistern – ein Jahr später bei Maria Karolina hat er diese Möglichkeit nicht mehr in Betracht gezogen. Gleichzeitig aber verrät der Reiseplan auch etwas darüber, wie Joseph seinen Platz in der Familienhierarchie verstand: Denn als Chef des Hauses hätte er eine solche Reise unmöglich antreten können, für den »Vize-Chef« aber mochte es gerade noch möglich sein. Selbstverständlich taucht eine solche Bezeichnung »Vize-Chef des Hauses« nirgends in den Akten oder Briefen auf. Aber sie gibt die Realität doch ziemlich zutreffend wieder. Diese sah so aus, dass Joseph in Haus- und Familienangelegenheiten eine seiner Mutter deutlich nachgeordnete Position einnahm. Am deutlichsten hat Maria Theresia selbst diese Position ihres Sohnes in einer Instruktion an Graf Firmian beschrieben, der nach Mailand geschickt werden sollte, um dort der feierlichen Verlobung Ferdinands mit der Erbprinzessin Maria Beatrix von Modena beizuwohnen. In der Instruktion schreibt Maria Theresia, dass Firmian für seine Mission auch noch eine Vollmacht erhalten solle »von des Kaysers Majt. und Lbden., als welche in der Eigenschaft eines Mitregenten an gegenwärtiger wie an allen übrigen Haus-Angelegenheiten wesentlich teilnehmen und mitwirken.«16 Wie bei der Mitregent16 Instruktion Maria Theresias für Graf Firmian zur Vollziehung der Verlobung Ferdinands mit Maria von Modena, 30.12.1765; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 3-2, fol. 216r-223v, hier fol. 216r-v. Am 4. März 1766 ergingen dann die Credenzen für Firmian an den Erbprinzen und die Erbprinzessin von Modena, also die Eltern der Braut. Joseph an Herzog Ercole von Modena, Wien, 4.3.1766; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 4, Correspondenz der kaiserlichen Familie, fol. 28r-v. Joseph an Herzogin Maria Theresia von Modena, Wien, 4.3.1766; EBD., fol. 29r-v.
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schaft im Allgemeinen sollte Joseph also auch in Familienangelegenheiten »wesentlich teilnehmen und mitwirken«, aber nicht die Richtung der Politik bestimmen. Auch ohne diesen Text oder die Details der Mitregentschaft zu kennen, war dies offenbar allen Beteiligten klar: Familienpolitik war die Domäne Maria Theresias, sie war der Chef des Hauses, nicht Joseph. Anders sahen die Zuständigkeiten nur aus, wenn im Zusammenhang mit einer Heirat Belange des Reichs tangiert wurden. Das war z. B. der Fall, als es darum ging, Ferdinand die Eventualinvestitur für das Reichslehen Modena zu erteilen, sodass Ferdinand und seine Nachkommen nach dem Tod Herzog Francescos und dem seines Sohnes Ercole in Modena nachfolgen konnten.17 Eine solche Investitur konnte selbstverständlich nur der Kaiser erteilen, weshalb der Herzog von Modena seine Bitte offiziell an Joseph richten musste.18 Kaunitz hatte die Rechtslage deshalb ausführlich in einem Vortrag vor Maria Theresia und Joseph dargelegt,19 wickelte die Angelegenheit dann aber ausschließlich mit Maria Theresia ab. Sie war es auch, die die Reichsstände bat, der Regelung zuzustimmen.20 Soweit Joseph in diesen Verhandlungen also auftrat, tat er dies als Kaiser oder um das Vorgehen seiner Mutter zu unterstützen. Was hier ausführlich für die Heiratsverhandlungen für Maria Josepha bzw. Maria Karolina gezeigt wurde, wiederholte sich bei den späteren Eheanbahnungen. Zunächst ging es um Maria Amalia. Maria Amalia (geb. 1746) war bereits über 20 Jahre alt, es wurde also höchste Zeit, an ihre Verheiratung zu denken. Allgemein wurde damit gerechnet, 17 Allerdings erlebten weder Maria Theresia noch Joseph die Etablierung der habsburgischen Tertiogenitur, für die sie mit dieser Heirat und der Nachfolgeregelung die Grundlage gelegt hatten. Denn Ercole d’Este lebte bis 1803. Zu diesem Zeitpunkt war Modena Teil der Cisalpinischen Republik. Im Reichsdeputationshauptschluss erhielten die Habsburg-Este den Breisgau, den sie 1805 aber wieder verloren. Erst ab 1814 regierte der Sohn Ferdinands und Maria Beatrix’ dann in Modena. 18 Kaunitz an Maria Theresia, Austerlitz, 8.9.1770; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 3-3, fol. 89r-v, 92r. 19 Vortrag von Kaunitz an Maria Theresia und Joseph, Wien, 21.7.1770; EBD., fol. 65r-80v. 20 Maria Theresia an die Reichsstände [14.11.1770]; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 4, Correspondenz der kaiserlichen Familie, fol. 57r-58r.
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dass auch sie mit einem Bourbonen verheiratet werden sollte, und tatsächlich traten die Höfe von Madrid und Paris im Herbst 1768 mit einem entsprechenden Ansinnen an die Kaiserin heran.21 Als Bräutigam war Herzog Ferdinand von Parma vorgesehen, ein Neffe des spanischen und Enkel des französischen Königs. Diese Verbindung passte in die außenpolitische Konzeption, und dass Ferdinand der Bruder von Josephs erster Gemahlin Isabella war, dürfte in Wien sicher zu seinen Gunsten gesprochen haben. 1751 geboren, war er mit dem Tod seines Vaters bereits 1765 Herzog von Parma geworden. Da er noch nicht volljährig war, wurden die Heiratsverhandlungen von dem königlichen Onkel in Madrid und dem Großvater in Paris geführt, von denen der junge Herzog überhaupt in jeder Hinsicht abhängig war. Im Grunde stellten sich bei den Verhandlungen nur zwei Probleme. Das eine war nicht aus der Welt zu schaffen: Der junge Herzog war nämlich fünf Jahre jünger als seine Braut. Das andere betraf den Status und die Versorgung des Paares. Der Herzog von Parma war ein souveräner Fürst, diese Bedingung für den Ehemann einer Erzherzogin erfüllte er also. Freilich war das Herzogtum klein und die wirtschaftlichen Verhältnisse eher zerrüttet, sodass kaum damit zu rechnen war, dass das Land genug Einnahmen abwerfen würde, um dem Herzogspaar eine standesgemäße Lebensführung zu ermöglichen. Maria Theresia wäre eventuell bereit gewesen, sich an der finanziellen Ausstattung des Paares zu beteiligen, aber sie wusste, dass Joseph solchen Überlegungen ablehnend gegenüberstand.22 Politisch waren sich Maria Theresia und ihr Sohn über die Wünschbarkeit der Heirat – anders als einst Maria Theresia und ihr Mann – einig. Uneinig aber waren sie sich darüber, welche Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels eingesetzt werden dürften. Dieser Dissens aber war letztlich einer über den Stellenwert von dynastischer Politik überhaupt. Für Maria Theresia war Politik immer dynastische Politik, in ihrem patriarchalischen Verständnis von Politik gab es kein Staatsinteresse, das unabhängig vom Haus gedacht werden konnte. Demzufolge trennte sie auch nicht zwischen Familienvermögen und 21 Karl III. von Spanien an Maria Theresia, Escorial, 19.10.1768; HHStA Wien, Familienkorrespondenz A 37-1-18, fol. 7r-v. 22 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 377. Joseph drängte Maria Theresia deshalb auch, in den Heiratsverhandlungen hart zu bleiben. Joseph an Maria Theresia, 29.3.1769; ARNETH, Bd. 1, 1867, Nr. 110, S. 250-253, hier S. 250. Joseph an Maria Theresia, 17.4.1769; EBD., Nr. 115, S. 260-264, hier S. 261.
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Staatshaushalt, sondern die staatlichen Einnahmen standen selbstverständlich für dynastische Zwecke wie die Versorgung einer Erzherzogin zur Verfügung. Ganz anders Joseph: Zwar dachte er durchaus noch in dynastischen Kategorien, auch wenn er sich dem Diktat der Dynastie nicht um jeden Preis unterwerfen wollte, wie seine Weigerung, ein drittes Mal zu heiraten, zeigt. Aber in seinem Verständnis von Politik existierte der Staat neben und unabhängig von der Dynastie. Staatliche Gelder waren deshalb für das Wohl des Staates einzusetzen, die Dynastie konnte sie nicht ohne weiteres für sich in Anspruch nehmen, wenn auch selbstverständlich weiter der Monarch darüber entschied, was unter dem Wohl des Staates bzw. Volkes zu verstehen sei. Maria Theresia waren insofern also die Hände gebunden. Sie beantwortete die Anfrage aus Madrid und Paris deshalb zwar durchaus zustimmend, wies aber zugleich darauf hin, dass die dortigen Höfe für eine angemessene Versorgung des Paares zu sorgen hätten.23 Diese Frage scheint freilich kein größeres Hindernis gebildet zu haben, denn in Paris und Madrid wusste man durchaus, dass der Außenposten in Parma finanziell nicht allein überlebensfähig war. Die Verhandlungen kamen also verhältnismäßig rasch zum Abschluss. Am 27. Juni 1769 konnte in der Wiener Augustinerkirche erneut eine Stellvertreterhochzeit gefeiert werden, am 1. Juli 1769 brach Maria Amalia Richtung Parma auf.24 Wie bisher trat in diesen Gesprächen stets Maria Theresia als die Ansprechpartnerin der bourbonischen Könige auf. So richtete Karl III. seine erste Anfrage an Maria Theresia »et par Son canal à l’Empereur«, d. h. die Verbindung zu Joseph verlief nur indirekt über Maria Theresia.25 Ähnliches gilt auch für die Verheiratung der jüngsten Tochter Maria Theresias, Marie Antoinette. Auch in diesem Fall korrespondierte Ludwig XV. mit der Mutter, also mit Maria Theresia.26 Und erneut besprach Kaunitz mit Maria Theresia die Details von Ehevertrag, Ze-
23 Maria Theresia an Ludwig XV., Wien, 26.11.1768; HHStA Wien, Familienakten 50-1, unfol. ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 377. 24 EBD., S. 379. 25 Karl III. von Spanien an Maria Theresia, Escorial, 19.10.1768; HHStA Wien, Familienkorrespondenz A 37-1-18, fol. 7r-v, hier fol. 7r. 26 Siehe die Korrespondenz der beiden Monarchen in HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 15, Familienkorrespondenz.
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remonien, Geschenken, Übergabe der Braut an der Grenze – kurzum all die Dinge, die im Vorfeld zu klären waren.27 Was sich bei einer Analyse der Heiratsverhandlungen erschließen lässt, dass nämlich, ungeachtet ihrer eigenen Aussage, selbstverständlich Maria Theresia der Chef des Hauses war, wird in Rechtsdokumenten wie Eheverträgen oder Vollmachten teilweise ausdrücklich festgehalten. Grundsätzlich fungierten bei den Eheverträgen auf habsburgischer Seite stets Maria Theresia und Joseph als Vertragspartner. Schon das deutet die ungewöhnliche Konstellation an, da für die Gegenseite selbstverständlich nur der Vater in Erscheinung trat. Maria Theresia war zwar Chef des Hauses, aber selbstverständlich musste Joseph die Vereinbarungen mit unterzeichnen – auch wenn er an den Verhandlungen kaum beteiligt war. Joseph wurde in den Verträgen zudem regelmäßig an erster Stelle genannt – das aber war nicht Ausdruck seiner Stellung innerhalb der Dynastie, sondern war der kaiserlichen Würde geschuldet, die ihn im Rang über seine Mutter stellte. Da sowohl Maria Theresia als auch Joseph Vertragspartner waren, mussten sie auch beide Vollmachten erteilen, sofern sie die Verträge nicht selbst unterschrieben.28 In diesen Dokumenten wurde es für notwendig gehalten, näher zu umschreiben, in welcher Funktion Joseph diese Urkunden ausstellte. Der Wortlaut variierte je nach der Sprache des Dokuments, der Tenor war jedoch immer derselbe. Joseph unterschrieb als »Co-Regent et chef futur de toute l’auguste Maison d’Autriche«29, als »corregens Regnorum ac Provinciarum Austriacarum et futurum totius Domus austriacae 27 HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 15, passim. 28 Das war üblich, da auch die Gegenseite nicht durch den Monarchen selbst, sondern nur durch Gesandte vertreten war. Auch wenn der Ehevertrag in Wien unterzeichnet wurde, ließen sich Maria Theresia und Joseph deshalb vertreten, Joseph durch den Reichsvizekanzler Colloredo und Maria Theresia durch ihren Obersthofmeister Ulfeld bzw. Khevenhüller und eventuell durch Kaunitz. Siehe z. B. den Ehevertrag für Maria Josepha und Ferdinand von Sizilien, Wien, 29.4.1767; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 11, b: Conferentialien, Vorträge, a.h. Resolutionen, fol. 1r-8r, die Unterschriften und Siegel auf fol. 8r. Ehevertrag für Marie Antoinette und den Dauphin Ludwig, Wien, 14.4.1770; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 15, fol. 484r-495v, Unterschriften und Siegel auf fol. 490r. 29 Ehevertrag für Maria Josepha; HHStA Wien, Hausarchiv, Sammelband 101, fol. 84r-93r, hier fol. 84r.
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Caput«30 oder als »Mit-Regent und Erbthronfolger der unserem Erzhauß zustehenden Königreich und Länder«.31 Stets wird also auf Josephs Funktion als Mitregent verwiesen, der, wie Maria Theresia das formuliert hatte, an den »Angelegenheiten wesentlich teilnehmen und mitwirken« sollte, und auf seine Rolle als Erbe, die ihm eben jetzt schon ein gewisses Mitspracherecht sicherte. Bezeichnenderweise wurde es mit einer Ausnahme nie für nötig befunden, auch die Funktion Maria Theresias näher zu definieren – ihre Mitwirkung verstand sich offensichtlich von selbst. Nur im Entwurf des Ehevertrags für Maria Josepha findet sich ein entsprechender Zusatz auch bei Maria Theresia. Und zwar wird sie bezeichnet als »chef actuel de la […] Auguste Maison d’Autriche«.32 Deutlicher konnte man die Verhältnisse nicht ausdrücken. Maria Theresia war nicht einfach die Mutter der zu verheiratenden Tochter, die deshalb auch ein Wörtchen mitzureden hatte – nein: Sie war der derzeitige Chef des Hauses, der die Entscheidungen fällte. Damit war sie eben deutlich mehr als eine regierende Fürstin, also die Frau eines Fürsten, die in der Heiratspolitik einen nicht unwesentlichen Handlungsspielraum besaß, sondern sie war der Chef, über dem es keine weitere Instanz gab. Auf diesen Unterschied und seine Folgen für das Zeremoniell machte Kaunitz anlässlich der offiziellen Werbung des Königs von Neapel um die Hand Maria Josephas aufmerksam. Unklar war nämlich, wie diese Werbung genau vonstatten gehen sollte, ob der neapolitanische Botschafter zuerst bei Joseph oder zuerst bei Maria Theresia Audienz erhalten und bei wem er sein Anliegen offiziell vorbringen sollte. Als 30 Vollmacht Josephs für Colloredo zum Abschluss des Ehevertrags für Maria Amalia, Wien, 2.3.1769; HHStA Wien, Familienakten 50-1, unfol. Ebenso im Ehevertrag für Maria Amalia; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 13, Vollmachten, Credentialien, etc., unfol. 31 Vollmacht Josephs für Graf Firmian zur Übergabe Maria Amalias, 1769; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 13, Briefe, Noten, Weisungen, Berichte, unfol. 32 Ehevertrag für Maria Josepha; HHStA Wien, Hausarchiv, Sammelband 10-1, fol. 84r-93r, hier fol. 84r. Der Status des Stückes ist nicht ganz eindeutig zu bestimmen; der Text ist von verschiedenen Händen geschrieben, allerdings finden sich keine Korrekturen, die das Stück eindeutig als Konzept kennzeichnen würden. In dem endgültigen Vertrag fehlt dieser Zusatz; Ehevertrag für Maria Josepha und Ferdinand von Sizilien, Wien, 29.4.1767; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 11, b: Conferentialien, Verträge, a.h. Resolutionen, fol. 1r-8r.
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einen möglichen Präzedenzfall hatte Kaunitz die Werbung des portugiesischen Königs um die Hand der Erzherzogin Maria Anna im Jahre 1708 ausgemacht. Vergleichbar war der Fall insofern, als 1708 wie 1767 der Vater der Braut nicht mehr lebte, wohl aber die Mutter, die Kaiserinwitwe; der Kaiser war in beiden Fällen der Bruder der Braut.33 Damals hatte der portugiesische Botschafter in einer Audienz bei Kaiser Joseph I. um die Hand Maria Annas angehalten und gleichzeitig um die Erlaubnis gebeten, das gleiche Gesuch auch bei der Brautmutter vorbringen zu dürfen. Dieses wurde ihm selbstverständlich gewährt, worauf sich der Botschafter zur Audienz bei der Kaiserinwitwe begab. Soweit also der Präzedenzfall, der aber, wie Kaunitz ausführte, nicht als Vorbild taugte. Denn es sei klar, dass zuerst die Audienz beim Kaiser stattfinden müsse, dass aber »die förmliche eheliche anwerbung der durchlauchtigsten braut hingegen bey Euer Mayt. zu erst und hauptsächlich zu geschehen hat, da allerhöchst dieselben als wirkliches familienhaupt und Mutter den Consensum principalem, Ihro Kayl. Mayt. aber als Bruder und Corregent nur Consensum secundarium oder accessorium zu ertheilen haben.«34 Darin aber liege der wesentliche Unterschied zu 1708, als Joseph I. eben bereits »wirklicher regierender Chef des hauses«35 gewesen sei. Und dieser Unterschied musste im Zeremoniell ausgedrückt werden. Kaunitz schlug deshalb vor, dass der Botschafter in der Audienz bei Joseph nur um eine vorläufige Bewilligung seines Gesuchs bitten solle, und darum, bei Maria Theresia die förmliche Werbung vorbringen zu dürfen. Ob Joseph als Mitregent dann auch bei der zweiten Audienz anwesend sein solle, wollte Kaunitz dem Kaiser überlassen. Maria Theresia war im Prinzip mit diesem Vorschlag einverstanden, ergänzte ihr Placet aber um die Anmerkung, dass sie bei der ersten Audienz beim Kaiser ebenfalls anwesend sein werde, während die zweite Audienz bei ihr allein stattfinden solle.36 Noch stärker, als Kaunitz das vorgeschlagen hatte, wollte Maria Theresia also ihre 33 Maria Anna war eine Tochter Leopolds I. aus seiner dritten Ehe mit Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg, Kaiser Joseph I. war also ihr Bruder. Sie heiratete 1708 König Johann V. von Portugal. 34 Kaunitz an Maria Theresia, 26.8.1767; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Vermählungen 11, fol. 106r-108r, hier fol. 107r. Die kursiven Stellen im Original unterstrichen. 35 EBD., fol. 107v. Die kursive Stelle im Original unterstrichen. 36 EBD.
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Position als »wirkliches familienhaupt« dargestellt wissen. Es durfte kein Zweifel aufkommen, dass der allein entscheidende Akt ihr vorbehalten war, und zwar ihr allein. Im Frühjahr 1770 hatte Maria Theresia also die Aufgabe der Verheiratung ihrer Töchter erledigt – sieht man von den auf Dauer unverheiratet bleibenden Töchtern Maria Anna und Maria Elisabeth ab. Im Jahre 1771 fand dann auch die längst vereinbarte Hochzeit zwischen Ferdinand und Maria Beatrix d’Este statt. Das bedeutete nun aber noch lange nicht, dass Maria Theresia als Familienoberhaupt nicht mehr gefragt gewesen wäre. Denn die Heiraten dienten neben der Versorgung der Kinder auch einem politischen Zweck, und dieser konnte nur erreicht werden, wenn die Ehepartner sich entsprechend verhielten. War dies nicht der Fall, konnten die politischen Ziele verfehlt, ja: schlimmstenfalls in ihr Gegenteil verkehrt werden. Und genau das befürchtete Maria Theresia im Herbst 1769. Denn aus Parma trafen schon wenige Wochen nach der Hochzeit Maria Amalias besorgniserregende Nachrichten in Wien ein. Anders als ihre Mutter ihr das eingeschärft hatte, hielt sich die junge Herzogin nämlich keineswegs zurück und beobachtete erst einmal ihre neue Umgebung, sondern begann sofort, eine sehr aktive Rolle am Hof zu spielen. Aber auch in Neapel entwickelten sich die Dinge nicht so, wie Maria Theresia sich das vorgestellt hatte. Denn Maria Karolina trat ebenfalls politisch wesentlich mehr in Erscheinung, als ihre Mutter für richtig hielt.37 Die Kaiserin sah in diesem Moment das ganze Projekt der durch Heiraten befestigten Allianz mit den Bourbonen durch das Verhalten ihrer Töchter in Gefahr. Diese taten in ihren Augen alles, um den Unwillen ihres Schwiegervaters bzw. Onkels in Madrid zu erregen. Das musste sie als Chef des Hauses auf den Plan rufen, ebenso wie auf der anderen Seite den spanischen König. Maria Theresia ermahnte deshalb ihre Töchter ebenso wie Karl III. seinen Neffen bzw. Sohn.38 Beide Monarchen korrespondierten miteinander und stimmten sich ab, wie der Situation beizukommen sei. Im Oktober 1769 informierte Maria Theresia auch ihren Sohn Leopold über die Misere. Nachdem sie ihm die Lage geschildert hatte, klagte sie, dass erschwerend hinzukomme, dass sie in dieser Frage nicht 37 Maria Theresia an Maria Karolina, Wien, 22.10.1769; HHStA Wien, Hausarchiv, Sammelband 10-1, fol. 104r-105v. 38 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 387f.
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einmal auf die Unterstützung durch Joseph zählen könne, da er auf Seiten seiner Schwester Maria Karolina stehe. Joseph war nämlich während seiner Italienreise im Sommer 1769 auch einige Tage in Neapel gewesen und hatte die Situation am Hof in Neapel und insbesondere seinen Schwager Ferdinand unerträglich gefunden, weshalb er durchaus Verständnis für das Verhalten seiner Schwester aufbrachte.39 Dies wissend hatte Maria Theresia ihn auch nicht über alles informiert. Stattdessen bat sie Leopold, sie auf dem Laufenden zu halten, sobald er Neues erfahre, aber eben nur sie.40 Freilich wurde der Dissens zwischen Maria Theresia und Joseph nicht öffentlich, da Maria Theresia die Angelegenheit wohl weiterhin allein regelte. Noch im Herbst 1769 schickte sie ihren Vertrauten Graf Rosenberg nach Parma, damit er ihr ein genaues Bild der Lage zeichne und auf Maria Amalia einwirke.41 Auch ansonsten versuchte Maria Theresia alles, um an möglichst umfassende Berichte aus Parma zu gelangen. Jeder österreichische Minister oder Gesandte, der in Italien unterwegs war, wurde zu einem Abstecher nach Parma aufgefordert, um die besorgte Mutter mit neuen Informationen zu versorgen. Auch wenn diese im Detail in ihrer Bewertung der Lage durchaus differierten, wirklich beruhigen konnte keiner der Berichte Maria Theresia. Wichtiger als Joseph war in dieser Situation für Maria Theresia der in Florenz residierende Sohn Leopold. Dass sie sich ihres zweitältesten Sohnes als Informanten, Gesprächspartners und Vermittlers bediente, war aus mehreren Gründen naheliegend. Aufgrund der geographischen Nähe verfügte er eher über Informationen aus Parma als Maria Theresia im fernen Wien. Den neapolitanischen Hof wiederum kannte Leopold aus eigener Anschauung, da er seine Schwester nach der Hochzeit dorthin begleitet und zwei Monate in Neapel verbracht hatte. Und Leopold fungierte gleichzeitig als Bindeglied zum spanischen König, seinem Schwiegervater – denn die Ehe Leopolds mit Maria Ludowika war zu diesem Zeitpunkt die einzige habsburgisch-bourbonische Verbindung, 39 Über diesen Aufenthalt erstattete er seiner Mutter einen ausführlichen Bericht: Joseph an Maria Theresia, Florenz, 21.4.1769; HHStA Wien, Hofreisen 1-2B; BEALES, Bd. 1, 1990, S. 60. 40 Maria Theresia an Leopold, 19.10.1769; HHStA Wien, Hausarchiv, Sammelband 10-1, fol. 97r-98v, 96r, gedr. in ARNETH, Bd. 1, 1881, S. 25-30. 41 Offensichtlich war sie mit der Arbeit Baron Knebels, der die Erzherzogin nach Parma begleitet hatte, nicht recht zufrieden.
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die funktionierte und ihren Zweck erfüllte. Maria Theresia bediente sich deshalb dieses Kanals nach Madrid zusätzlich zu ihrer direkten Korrespondenz mit Karl III.42 Leopold erfüllte also seine Pflicht im Dienste des Hauses, und im Unterschied zu seinen Schwestern tat er das so, wie seine Mutter sich das vorstellte. Er musste zwar einräumen, dass er seit einem Jahr keine Briefe aus Neapel mehr erhalte, weil nämlich seine Schwester den Verdacht hege, dass er Informationen nach Wien weitergebe,43 aber er ließ es nicht an gutem Willen fehlen. Erkennbar ist, wie Maria Theresia die Fäden in der Hand hielt und versuchte, das Familienunternehmen zu dirigieren und gegebenenfalls disziplinierend einzugreifen. Dafür nahm sie die Familienmitglieder in die Pflicht, so in diesem Fall Leopold. Während sich die Lage in Neapel alsbald beruhigte, lief die Entwicklung in Parma völlig aus dem Ruder. Bald ging es nicht mehr nur um das Betragen der Erzherzogin, sondern um die Ausrichtung der Politik. Im Herbst 1771 tauschte Karl III. von Spanien seinen ersten Minister in Parma aus, ohne dass diese Maßnahme zu einer Entspannung geführt hätte. Irgendwann zwischen dem Herbst 1769 und dem Frühjahr 1772 müssen sich auch die Bewertungen der Situation bei den Akteuren in Wien geändert haben. Offensichtlich betrachtete Joseph die Affäre nicht länger als eine reine Familienangelegenheit, die er getrost seiner Mutter überlassen könne, sondern als einen politischen Kasus von erheblicher Sprengkraft. Jetzt waren es Joseph und Kaunitz, die Maria Theresia zu entschiedenerem Handel drängten,44 zumal der spanische und der französische König ein Eingreifen Maria Theresias verlangten. In aller Deutlichkeit ließ die Kaiserin ihrer Tochter klarmachen, dass sie nicht zulassen werde, dass Maria Amalia die aus Staatsinteresse herbeigeführte Verbindung mit den Bourbonen gefährde.45 In letzter Konsequenz hieß das, dass Maria Amalia sich dem Interesse der 42 Auch aus diesem Grund ermunterte Maria Theresia Leopold mehrfach, diese Angelegenheit mit seiner Frau zu besprechen und ihr ihre Briefe zu zeigen. Zu Leopold als Verbindungsglied nach Madrid vgl. z. B. die Ankündigung eines Schreibens an Karl III. in Leopold an Maria Theresia, 10.9.1771; HHStA Wien, Hausarchiv, Sammelband 10-1, fol. 123r-125r. 43 Leopold an Maria Theresia, 28.11.[1769]; EBD., fol. 110r-111v. 44 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 404. 45 Instruktion für Graf Rosenberg vom März 1772, ausführlich zitiert EBD., S. 404-408; in deutscher Übersetzung bei ROTHE, 1940, S. 161-172.
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Familie unterzuordnen hatte. War sie dazu nicht bereit, drohte ihr der Ausschluss aus der Familie. Denn für diesen Fall ließ Maria Theresia ihr ankündigen, dass die Familie den Briefkontakt mit ihr einstellen werde.46 Noch deutlicher als bei Heiratsverhandlungen oder bei funktionierenden Ehen lassen sich an diesem Konfliktfall die Mechanismen dynastischer Politik beobachten. Das außenpolitische Ziel durfte nicht gefährdet werden, deshalb wurde Druck auf unbotmäßige Familienmitglieder ausgeübt. Gedroht wurde – außer mit der Einstellung der finanziellen Zuwendungen – mit dem Abbruch der familiären Beziehungen. Im Mai 1772 untersagte Maria Theresia ihren Kindern tatsächlich, weiter mit der Schwester in Parma zu korrespondieren.47 Je stärker die Lage sich zuspitzte und je mehr sie dadurch eine allgemeinpolitische Dimension erhielt, desto intensiver scheint sich Joseph eingeschaltet zu haben. Auch er nutzte jetzt seinen Bruder Leopold als Informationsquelle und schrieb ihm auf dessen ausführlichen Bericht hin, dass er keinen anderen Ausweg mehr sehe, als die Dinge auf die Spitze zu treiben und das Herzogspaar seinem Schicksal zu überlassen. Joseph wünschte sich, der spanische König würde das Paar nach Spanien zitieren und für einige Jahre von der Regierung entfernen. Gleichzeitig bat er seinen Bruder, der Mutter nichts von seinen, Josephs, Ideen zu berichten, da er nicht wisse, zu welcher Auffassung sie tendiere.48 Während diese Äußerung darauf hindeutet, dass die Abstimmung in Bezug auf die Familienpolitik nicht allzu eng gewesen zu sein scheint, fand kurz darauf dann doch eine Beratung statt. Denn eine Woche später berichtete Maria Theresia Leopold, dass sie diese Sache ausführlich mit Joseph und mit Kaunitz beraten habe. In fast gleichlautenden Worten wie Joseph schrieb nun auch sie, dass man die beiden ihrem Schicksal überlassen müsse.49 Zwar fiel es Maria Theresia durch-
46 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 407. 47 Maria Theresia an Ferdinand, 7.5.1772; DERS., Bd. 1, 1881 S. 121f. 48 Joseph an Leopold, 10.12.1772; DERS., Bd. 1, 1867, Nr. 172, S. 388-390, hier S. 388. 49 Maria Theresia an Leopold, Wien, 19.12.1772; DERS., Bd. 1, 1881, S. 3237.
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aus schwer, ihrer Tochter gegenüber eine solche Härte zu zeigen.50 Aber ebenso, wie sie glaubte, ihre Töchter aus Gründen der Staatsräson verheiraten zu müssen, so war sie nun überzeugt, den Kontakt zu Maria Amalia abbrechen zu müssen. Zwar wurde das strenge Kontaktverbot ein Jahr später wieder gelockert, ganz problemlos gestaltete sich das Verhältnis aber auch fortan nicht. Allerdings erkannte Maria Theresia wohl doch zunehmend, dass Maria Amalia es an der Seite ihres unfähigen Ehemannes und in den bescheidenen Verhältnissen in Parma wirklich schwer hatte.51 Dass Maria Theresia ihre Pflicht als Mutter und Chef des Hauses mit der Heirat der Kinder nicht als erledigt betrachtete, ist im Falle Marie Antoinettes seit langem bekannt. Die Heirat ihrer jüngsten Tochter mit dem Dauphin stellte die wichtigste Heiratsverbindung dar, die Maria Theresia einfädelte, und bildete die Krönung ihrer Heiratspolitik. Umso wichtiger war es, dass die Ehe die Erwartungen erfüllte. Konkret bedeutete das, dass Marie Antoinette möglichst bald einen Thronfolger gebären und sich ansonsten so verhalten sollte, dass es keine Klagen gab, noch besser: dass sie sich eine geachtete Position am Hof erwerben sollte. Um darüber aus erster Hand unterrichtet zu sein, beauftragte Maria Theresia ihren Gesandten in Paris, Florimond Claude Graf Mercy-Argenteau, ihr zusätzlich zur offiziellen Korrespondenz, die über die Staatskanzlei lief, separate Berichte zukommen zu lassen, in denen er sie über alles, was ihre Tochter betraf, auf dem Laufenden halten sollte.52 Maria Theresia wollte also nicht nur einen zeitlichen Informationsvorsprung vor Joseph und Kaunitz haben, sie wollte exklusive Informationen, über die nur sie verfügte. Dass sie außerdem Marie Antoinette verpflichtete, ihr regelmäßig zu schreiben, verstand sich von selbst. Allerdings lauteten die Nachrichten über die beiden zentralen Punkte, die Maria Theresia aus Paris erreichten, immer weniger verheißungsvoll. Erneut schien eine Heirat nicht die an sie geknüpften Hoff50 Das geht bereits aus dem Brief an Ferdinand hervor, in dem sie ihm das Kontaktverbot mitteilte. Maria Theresia an Ferdinand, 7.5.1772; EBD., S. 121f. 51 Maria Theresia an Maria Beatrix d’Este, 5.8.1776; ARNETH, Bd. 3, 1881, S. 240-242, hier S. 241. Maria Theresia an Ferdinand, 19.10.1780; DERS., Bd. 2, 1881, S. 303-306, hier S. 304. 52 DERS., Bd. 7, 1876, S. 434. Maria Theresia an Graf Mercy-Argenteau, 24.5.1770; ARNETH/GEFFROY, Bd. 1, 1874, Nr. 4, S. 8f., hier S. 8.
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nungen zu erfüllen. Denn zum einen verhielt sich Marie Antoinette am Hof wenig geschickt, mischte sich aber immerhin nicht wie ihre beiden älteren Schwestern direkt in die Politik ein, zum anderen wurde sie nicht schwanger. Eine politisch noch größere Brisanz erhielten diese Fragen, als Ludwig nach dem Tod seines Großvaters Ludwig XV. 1774 König und Marie Antoinette damit Königin wurde. Maria Theresia reagierte auf die neue Situation mit einer Erhöhung der Korrespondenzfrequenz: Statt einmal wurden von nun an zwei Mal pro Monat Briefe zwischen Wien und Paris gewechselt.53 Noch mehr als bisher schien es Maria Theresia nötig zu sein, über jedes Detail informiert zu werden, und weiterhin wurde Marie Antoinette, jetzt immerhin Königin von Frankreich, mit Ermahnungen hinsichtlich ihrer Lebensführung, ihrer Ehe und ihrer Gesundheit überhäuft. Eine solche Korrespondenz war nur zwischen Mutter und Tochter denkbar, Maria Theresia agierte hier mindestens so sehr als Mutter wie als Chef des Hauses. Denn die Kritik an Marie Antoinette war – im Unterschied zu der an ihren Schwestern Maria Amalia und Maria Karolina – weniger politischer als vielmehr persönlicher Natur. Insbesondere die Frage, ob die Ehe zwischen Marie Antoinette und ihrem Mann denn nun endlich vollzogen worden sei und was am besten zu tun und zu lassen sei, damit Marie Antoinette endlich schwanger würde, zieht sich wie ein roter Faden durch die Korrespondenz.54 Dass Joseph an dieser Korrespondenz keinen Anteil hatte, erstaunt ebenso wenig wie die Tatsache, dass er offenbar glaubte, eingreifen zu müssen, als zu befürchten stand, dass die junge Königin sich politisch exponierte und außerdem ihren Mann brüskierte.55 In seiner 53 Nach einiger Zeit kehrte man freilich wieder zum alten Rhythmus zurück. 54 Diese Passagen, jedenfalls diejenigen, die das Thema nicht nur allgemein andeuten, sondern sehr konkret den Sachverhalt z. B. der Menstruation benennen, sind von Arneth sowohl in der ersten Edition der Korrespondenz zwischen Maria Theresia und Marie Antoinette (ARNETH, 1866b) als auch in der um die Korrespondenz der Kaiserin mit ihrem Gesandten MercyArgenteau erweiterten Ausgabe (ARNETH/GEFFROY, 1874) ohne Kennzeichnung der Auslassungen weggelassen worden. Sie sind jedoch enthalten in der deutschen Ausgabe der Korrespondenz; CHRISTOPH, 1952, die meisten dieser Passagen auch in GIRARD, 1933. Zur Editionsgeschichte der Korrespondenz siehe die Einleitung von CHRISTOPH, 1952, S. 7-13. 55 Marie Antoinette an Graf Rosenberg, 13.7.1775; ARNETH, 1866b, Nr. 65, S. 152-154; GIRARD, 1933, S. 150-152; in deutscher Übersetzung in CHRISTOPH, 1952, S. 154-157. Konkret ging es um Personalfragen, vor allem darum, ob, wie Marie Antoinette wünschte, der Herzog von Choiseul,
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ersten Empörung entwarf Joseph einen Brief, in dem er seiner Schwester schonungslos die Leviten las, sie vor einer Einmischung in Personalentscheidungen und in die französische Politik im Allgemeinen warnte, weil ihr dies zum einen als Ehefrau des Königs nicht zustehe und sie zum anderen von Politik und überhaupt von ernsthaften Dingen keine Ahnung habe.56 Vermutlich fürchtete Joseph eine Wiederholung des Desasters von Parma, allerdings mit dem Unterschied, dass ein solcher Vorgang am französischen Hof eine ganz andere Brisanz gehabt hätte. Damit aber war es keine Angelegenheit mehr, die zwischen Mutter und Tochter allein zu regeln gewesen wäre. Freilich zeigte sich auch in diesem Fall die familieninterne Hierarchie. Denn Maria Theresia hielt das Schreiben ihres Sohnes für zu hart und veranlasste ihn, den Brief nicht abzuschicken und stattdessen einen weniger vorwurfsvollen Text zu verfassen.57 Sie hielt es also durchaus für sinnvoll, dass er der Schwester die Ungebührlichkeit ihres Verhaltens vor Augen führte, aber sie selbst kontrollierte, auf welche Weise dies geschah – als Mutter und Chef des Hauses. Eine ähnliche Aufgabenteilung findet sich auch in Bezug auf den zweiten Problemkreis, nämlich die ausbleibende Schwangerschaft. Dieses Thema war natürlich für das Gespräch unter Frauen prädestiniert, und es bildete auch tatsächlich ein ständig wiederkehrendes Thema in den Briefen zwischen Mutter und Tochter. Hatte Maria Theresia anfangs angesichts des Alters von Tochter und Schwiegersohn noch zur Geduld gemahnt, so wurde sie mit der Zeit doch zusehends unruhig. Die Sorgen bei Mutter und Tochter wurden noch größer, als die Schwägerin Marie Antoinettes 1775 einen Sohn gebar. Sie, die Ehefrau des Herzogs von Artois und jüngeren Bruders Ludwigs XVI., hatte der Dynastie einen Erben geschenkt und damit das vollbracht, was eigentlich Aufgabe der Königin gewesen wäre. Marie Antoinette war sich ihres Versagens sehr bewusst, und brachte das ihrer Mutter gegenüber auch deutlich zum Ausdruck: »Il est inutile de dire à ma chère maman comder 1770 in Ungnade gefallen war, rehabilitiert werden sollte. Choiseul hatte, zunächst als Botschafter in Wien, dann als Außenminister, entscheidenden Anteil am Zustandekommen des französisch-österreichischen Bündnisses. 56 Joseph an Marie Antoinette, Juli 1775; ARNETH, 1866a, S. 1-4, in deutscher Übersetzung in CHRISTOPH, 1952, S. 157-160. 57 EBD., S. 157.
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bien j’ai souffert de voir un héritier qui n’est pas de moi.«58 Unklar war aber, wie hier Abhilfe geschaffen werden könnte. In dieser Situation stieß das Medium der Korrespondenz nämlich erkennbar an seine Grenzen, zumal angesichts der zeitüblichen Scheu und Unfähigkeit, sexuelle Fragen deutlich zu benennen. Und so dürfte Maria Theresia ausnahmsweise den Reiseplänen ihres Sohnes wenigstens partiell etwas Positives abgewonnen haben, als Joseph 1776 plante, Frankreich und eben auch seine Schwester in Paris zu besuchen. Ausdrücklich forderte Maria Theresia ihre Tochter auf, ihre Eheprobleme, und d. h. das Ausbleiben einer Schwangerschaft, mit ihrem Bruder zu besprechen.59 Was diesen Punkt anbelangt, war Joseph also durchaus im Auftrag und an Stelle seiner Mutter unterwegs. Denn selbst nach Paris zu reisen, hat Maria Theresia nicht erwogen. Umso mehr dürfte sie froh gewesen sein, sich ihres Sohnes bedienen zu können, der dann auch die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllte. Denn es gelang Joseph, im Gespräch mit seinem Schwager das Problem zu identifizieren und einer Lösung zuzuführen. Ein interessantes Licht auf seine Rolle wirft aber auch die Tatsache, dass er seiner Schwester außerdem umfangreiche Réflexions übergab, in denen er ähnlich wie seine Mutter anlässlich der Hochzeiten ihrer Töchter Marie Antoinette ausführliche Ratschläge für ihr Verhalten als Königin und Ehefrau erteilte.60 Im Tenor ähnelten diese Ermahnungen durchaus denen Maria Theresias, verpflichtete Joseph die Königin doch ebenfalls zur Unterordnung unter ihren Ehemann und zu politischer Enthaltsamkeit. Vom Anspruch her trat Joseph mit dieser Schrift fast in eine Art Vaterrolle gegenüber der 14 Jahre jüngeren Schwester. Erkennbar verarbeitete er in seinen Überlegungen die Beobachtungen, die er in den vergangenen Wochen am französischen Hof gemacht hatte – insofern waren seine Ermahnungen konkreter auf die aktuelle Situation bezogen als die eher allgemeinen Instruktionen Maria Theresias. Freilich zeigten auch die Ermahnungen Josephs keine allzu lang anhaltende Wirkung – bereits ein halbes Jahr später berichtete Mercy-Argenteau, dass die Kö-
58 Marie Antoinette an Maria Theresia, Versailles, 12.8.1775; ARNETH/ GEFFROY, Bd. 2, 1874, S. 366. 59 Maria Theresia an Marie Antoinette, Wien, 2.1.1777; GIRARD, 1933, S. 197f., hier S. 198; in dt. Übersetzung in CHRISTOPH, 1952, S. 205. 60 »Réflexions données à la reine de France«; ARNETH, 1866a, S. 4-18.
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nigin wieder in ihre alten Gewohnheiten zurückgefallen sei.61 Wieder also war die Mutter gefragt, um die Tochter auf den ihrer Meinung nach rechten Weg zurückzubringen. Auch bei dieser wichtigsten dynastischen Verbindung behielt es sich Maria Theresia also selbst vor, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit die Ehe den gewünschten Erfolg zeitigte. Einen großen Trost bedeutete es für Maria Theresia immerhin, dass nach Dutzenden von Briefen und langen Jahren des Wartens, Hoffens und Bangens Marie Antoinette endlich schwanger wurde und am 19. Dezember 1778 ein Kind gebar – allerdings nur ein Mädchen. Die Freude darüber, dass grundsätzlich dem Zeugen und Gebären von Kindern beim französischen Königspaar also nichts im Wege stand, hielt bei Maria Theresia allerdings nur kurz an. Schon gut ein Vierteljahr nach der Geburt erinnerte sie ihre Tochter daran, dass die Prinzessin einen »compagnon« brauche und dass dieser nicht allzu lange auf sich warten lassen sollte.62 Von Monat zu Monat wurden ihre Anfragen drängender, ein Jahr später schrieb sie schlicht: »il nous faut un dauphin«.63 Wie in einem Brennglas bündeln sich in dem Personalpronomen die verschiedenen Interessen: »nous«, das umschloss nicht nur das königliche Paar und die besorgte Mutter in Wien, sondern eben auch die Häuser Bourbon und Habsburg-Lothringen, als dessen Chef Maria Theresia ihrer Sorge Ausdruck verlieh. Von den neun Waisen war zuletzt nur noch der jüngste Sohn, der 1756 geborene Maximilian Franz, unversorgt. Und erst in ihrem letzten Lebensjahr konnte Maria Theresia auch seine Zukunft endgültig klären, indem sie dafür sorgte, dass er zum Koadjutor des Kurfürsten und Erzbischofs von Köln und Bischofs von Münster, Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels, gewählt wurde. Stärker als bei ihren anderen Kindern bezog sie bei den Überlegungen über die Zukunft Maximilian Franz’ ihren Sohn Joseph mit ein. Dafür dürfte die spezielle Posi61 Er vermutete zudem, dass sie die »Réflexions« verbrannt habe; Graf Mercy-Argenteau an Maria Theresia, Fontainebleau, 17.10.1777; ARNETH/ GEFFROY, Bd. 3, 1874, S. 121-124, hier S. 121. 62 Maria Theresia an Marie Antoinette, 1.4.1778; EBD., S. 302f., hier S. 303; GIRARD, 1933, S. 274f., hier S. 275; in deutscher Übersetzung in CHRISTOPH, 1952, S. 289f., hier S. 290. 63 Maria Theresia an Marie Antoinette, 1.4.1780; ARNETH/GEFFROY, Bd. 3, S. 415f., hier S. 415; GIRARD, 1933, S. 306-308, hier S. 307; in deutscher Übersetzung in CHRISTOPH, 1952, S. 320-322, hier S. 321.
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tion ihres jüngsten Sohnes ausschlaggebend gewesen sein. Denn anders als seine Schwestern, die an andere Höfe verheiratet worden waren und anders als seine beiden älteren Brüder, die in Italien über eine eigene Herrschaft verfügten bzw. eine solche erwarteten, würde Maximilian Franz stets direkt dem Wiener Hof verbunden bleiben und damit Joseph in gewisser Weise unterstehen. Das legte ein Mitspracherecht Josephs nahe, obwohl Maria Theresia sich selbstverständlich auch in diesem Fall die letzte Entscheidung vorbehielt. Bereits im Jahre 1769 ließ die Kaiserin Maximilian Franz zum Koadjutor des Hochmeisters des Deutschen Ordens, ihres Schwagers Karl Alexander von Lothringen, wählen. De jure war der Hochmeister ein Reichsfürst, der vom Ordenskapitel in freier Wahl bestimmt wurde, de facto entschied im 18. Jahrhundert das Kaiserhaus über die Vergabe der Hochmeisterwürde. Mit dem Anspruch auf die Nachfolge seines Onkels war zwar für eine gewisse finanzielle Grundausstattung des Erzherzogs und eine seiner Herkunft entsprechende Stellung gesorgt, aber das erschien Maria Theresia noch nicht ausreichend. Ihre Idee war vielmehr, dass Maximilian Franz einst die Statthalterschaft in Ungarn übernehmen sollte. Um ihn auf diese Aufgabe vorzubereiten, wurde der junge Erzherzog 1774 auf eine ausgedehnte Reise in die Niederlande, nach Frankreich und Italien geschickt. Als einziger der Söhne Maria Theresias hat Maximilian Franz also eine Kavalierstour unternommen. In der Instruktion, die Maria Theresia vor seiner Abreise verfasste, wies sie ihn mehrmals darauf hin, dass er in Zukunft vom Chef des Hauses abhängig sein werde, wobei aus dem Zusammenhang deutlich wird, dass sie dabei nicht sich, sondern ihren Nachfolger, also Joseph, meinte.64 Aber Joseph spielte nicht nur als künftiger Chef des Hauses eine passive Rolle als Gegenstand der mütterlichen Erörterungen, sondern er wurde auch aktiv an den Überlegungen zur Ausbildung seines Bruders beteiligt. In einem von seiner Mutter erbetenen Gutachten schätzte Joseph, obwohl selbst vielfach und lange unterwegs, den Nutzen der Reise für seinen Bruder als gering ein, da er noch zu jung sei, um von diesen Erfahrungen ausreichend profitie-
64 Instruktion Maria Theresias für Maximilian Franz; HHStA Wien, Familienakten 55-10, fol. 181r-197v, 201r, gedr. in ARNETH, Bd. 2, 1881, S. 317-339, in deutscher Übersetzung ausführlich zit. bei ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 477-488.
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ren zu können.65 Hinsichtlich der weiteren Ausbildung seines Bruders legte Joseph detailliert dar, wie er sich dessen Vorbereitung auf den Posten des Statthalters in Ungarn vorstellte. Und Maria Theresia nahm diese Vorschläge nicht nur zur Kenntnis, sondern folgte ihnen auch. Man gewinnt den Eindruck, dass Maria Theresia mit diesen Nachfragen die Konsequenz aus der Erkenntnis zog, dass Maximilian Franz seinen Dienst am Hause Habsburg eben höchstwahrscheinlich vor allem unter Joseph leisten würde. Möglicherweise ließ sich Joseph von ähnlichen Überlegungen leiten und wurde deshalb auch selbst aktiv. Kurz vor der Abreise Maximilian Franz’ nach Italien, wo er zunächst bei seinem Bruder Leopold in Florenz Station machen sollte, setzte Joseph nämlich Leopold über die Pläne hinsichtlich der Zukunft ihres jüngsten Bruders in Kenntnis und schloss eigene Überlegungen an, die unter anderem darauf abzielten, Maximilian Franz dem mütterlichen Dunstkreis in Schönbrunn zu entziehen und ihn eher in seine eigene Nähe in der Stadt zu ziehen. Joseph bat Leopold, bei Maximilian Franz zu sondieren, was er von dieser Idee halte, und ihm auch seine eigene Meinung mitzuteilen, da er vorher nicht mit Maria Theresia über diese Angelegenheit reden wollte.66 Aus diesen Zeilen spricht der Wille Josephs, die Zukunft des jüngsten Bruders mitgestalten zu wollen und diese Planungen nicht allein der Mutter zu überlassen. Freilich, übergehen konnte Joseph die Mutter nicht, weshalb er versuchte, einen Konsens mit seinen Brüdern herzustellen, um diesen dann – falls nötig – gegen Maria Theresia ins Feld führen zu können. Die Überlegungen hinsichtlich einer militärischen Laufbahn sollten sich freilich als überflüssig erweisen, da die Gesundheit Maximilian Franz’ den damit verbundenen Strapazen nicht gewachsen war. So blieb am Ende nur die – ursprünglich von Maria Theresia dezidiert abgelehnte – Versorgung mit einer geistlichen Pfründe,67 die mit seiner Koadjutorwahl in Köln und Münster im August 1780 gesichert werden konnte. Am Ende ihres Lebens konnte Maria Theresia somit bilanzieren, dass es ihr gelungen war, die neun Waisen, die ihr Mann ihr hinterlas65 Joseph an Maria Theresia, 22.7.1775; ARNETH, Bd. 2, 1867, Nr. 121, S. 7176, hier S. 72. 66 Joseph an Leopold, 6.10.1775; EBD., Nr. 125, S. 86-88, hier S. 87. 67 Das Hochmeistertum des Deutschen Ordens setzte nicht den geistlichen Stand des Amtsinhabers voraus, die Wahl zum Koadjutor des Hochmeisters präjudizierte also noch keine geistliche Laufbahn.
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Eine Mutter und neun Waisen
sen hatte, zu versorgen. Sie hatte damit ihre Aufgabe als Mutter und als Chef des Hauses erfüllt. Dabei hatte sie genauso gehandelt, wie es die Aussage gegenüber Kaunitz unmittelbar nach dem Tod Franz Stephans angedeutet hatte. »Sie« hatte sich um neun Waisen zu kümmern, denn sie war jetzt – mehr noch als zuvor – das Familienoberhaupt. Dass Joseph innerhalb der Dynastie eigentlich eine stärkere Position hatte als sein Vater, kam praktisch nicht zum Tragen. Maria Theresia handelte in diesen Fragen weitestgehend allein, »als Mutter und Vater«, wie sie das Leopold gegenüber formuliert hatte.68 Joseph durfte und musste dann als künftiger Erbe lediglich die Heiratsverträge mit unterschreiben. Aber bis ins Zeremoniell hinein wurde deutlich gemacht, dass der aktuelle Chef des Hauses Maria Theresia war. Joseph trat nur dann stärker in Erscheinung, wenn sich die familiären Beziehungen zu veritablen politischen Krisen auswuchsen, wie im Falle von Maria Amalia und Marie Antoinette. Und bei den beiden jüngsten Kindern lassen sich vorsichtige Ansätze beobachten, dass Joseph Teile der Vaterrolle übernahm – aber immer nur so weit, wie Maria Theresia ihm das zugestand.
68 »Instruction Generale« Maria Theresias für Leopold, in deutscher Übersetzung in Auszügen und Paraphrase gedr. in WANDRUSZKA, Bd. 1, 1963, S. 110-118, hier S. 117.
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14. Wer führt die Armee: die Witwe im Schleier oder der Thronfolger in Uniform?
Schon rein äußerlich ließ Joseph keinen Zweifel daran, wie wichtig ihm das Militär war: Seit 1766 trat er öffentlich nur noch in Uniform auf. Dass am Wiener Hof das spanische Mantelkleid abgeschafft und stattdessen Uniform getragen werden sollte, kommentierte der Obersthofmeister Khevenhüller mit den Worten »Dieser junge Herr will absolument den König in Preußen imitieren und alles militairement tractiren.«1 Diese offensichtliche Orientierung am preußischen Vorbild war aus Wiener Sicht selbstverständlich verwerflich, und auch die Abschaffung des spanischen Mantelkleids stieß jedenfalls bei Traditionalisten auf Ablehnung. Die Hochschätzung des Militärs hingegen konnte am Kaiserhof durchaus auf größere Zustimmung rechnen, als es der vermeintliche Gegensatz zwischen dem barocken Wien und dem militärischen Berlin glauben machen will. Denn im Respekt für das Militär ließ sich Maria Theresia so leicht nicht übertreffen. Zu sehr war ihr bewusst, dass sie nicht zuletzt ihrer Armee den Erhalt ihrer Staaten verdankte und dass sie auf diese auch weiterhin angewiesen sein würde. »Um dem Militari neue Kennzeichen Unserer für selbes habenden besonderen Neigung und Gnade zu geben«, waren die Offiziere 1751 deshalb für hoffähig erklärt worden,2 d. h. sie durften in Uniform bei Hof erschei1 2
KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 186f. (8.6.1766). Dekret vom 25.2.1751; HOCHEDLINGER, 1999, S. 151. Zur Wertschätzung des Militärs durch Maria Theresia auch STOLLBERG-RILINGER, 2017, S. 403.
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Eine Kaiserin und zwei Kaiser
nen. Und 1757 ordnete Maria Theresia außerdem an, dass beim Te Deum nach militärischen Siegen und bei der Andacht für die Seelen gefallener Soldaten alle Offiziere Uniform zu tragen hatten. Das galt auch für die männlichen Mitglieder der kaiserlichen Familie. Franz Stephan und die Erzherzöge erschienen folglich erstmals beim Te Deum für den Sieg von Schweidnitz am 20. November 1757 in Uniform.3 Ebenso kann es als ein Indiz für die Wertschätzung des Militärs angesehen werden, dass mit Karl Joseph Graf Batthyany 1748 ein altgedienter Militär zum Ayo des Kronprinzen ernannt worden war. Bereits Ende 1747 hatte der sechsjährige Erzherzog selbst erstmals Uniform getragen, als ihm das Althansche Regiment übertragen worden war.4 Ein Jahr später paradierte er dann zu Pferd an der Spitze seines Regiments an seinen Eltern vorbei.5 Die Einübung in das Militärische bildete also einen wichtigen Bestandteil der Ausbildung des Thronfolgers, wie übrigens auch seiner Brüder. Denn das Waffenhandwerk sei der einzige Weg, wie ein Prinz von hoher Geburt sich der Monarchie nützlich erweisen könne, so Maria Theresia in der Instruktion für Franz Graf Thurn als Vize-Ayo Leopolds.6 Vor dem letzten Schritt aber schreckte Maria Theresia doch zurück: Dass ihr Sohn im Siebenjährigen Krieg an der Seite von Feldmarschall Daun praktische Kriegserfahrung sammelte, wie er selbst das wünschte, war ihr dann doch zu gefährlich.7 An diesem Verbot von 1758 änderte sich auch im weiteren Verlauf des Krieges nichts, obwohl Joseph gegen Ende des Krieges mit gut 20 Jahren durchaus das nötige Alter für einen entsprechenden Einsatz gehabt hätte. Anders als sein Vater konnte Joseph beim Antritt der Mitregentschaft also keine praktische militärische Erfahrung vorweisen, eine gründliche Vorbereitung auf das Amt des Oberbefehlshabers hatte er aber sehr wohl erhalten. Und so erscheint es zunächst einmal durchaus logisch, wenn Maria Theresia schon 1766 – und später immer wieder – äußerte, dass sie die Militaria ihrem Sohn vollständig übergeben habe. Denn in diesem Be3 4 5 6 7
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KHEVENHÜLLER, Bd. 4, 1914, S. 129 (20.11.1757). DERS., Bd. 2, 1908, S. 199 (31.12.1747). EBD., S. 290f. (10.12.1748). Instruktion Maria Theresias für Franz Graf Thurn als Vize-Ayo Leopolds [1761]; ARNETH, Bd. 4, 1881, S. 17-21, hier S. 21. Siehe auch STOLLBERGRILINGER, 2017, S. 123. ARNETH, Bd. 5, 1875, S. 353.
Wer führt die Armee?
reich waren ihr als Frau nun einmal die deutlichsten Grenzen gesetzt. Aber schon der Nachsatz stimmt skeptisch. Denn Maria Theresia schrieb, dass dies geschehen sei, obwohl dieser Zweig der Staatsverwaltung der einzige gewesen sei, für den sie Interesse gehabt habe.8 Dass sie dann ausgerechnet diesen Politikbereich abgegeben haben sollte, erscheint wenig plausibel. Hinzu kommt, dass sie Ähnliches bereits über die Arbeitsteilung mit Franz Stephan behauptet hatte – zu Unrecht, wie die genauere Analyse gezeigt hat. Damit empfiehlt sich auch für die zweite Mitregentschaft ein genauer Blick auf die tatsächliche Aufgabenverteilung bei der Leitung der militärischen Angelegenheiten. In den 25 Jahren der gemeinsamen Herrschaft von Maria Theresia und Franz Stephan hatte die Habsburgermonarchie 14 Jahre lang Krieg geführt, zuerst sieben Jahre lang im Österreichischen Erbfolgekrieg 1741-1748, dann noch einmal genauso lang im Siebenjährigen Krieg 1756-1763. Im Vergleich dazu waren die Jahre der Mitregentschaft Josephs eine friedliche Zeit. Nur wenige Monate der insgesamt 15 Jahre, im Bayerischen Erbfolgekrieg 1778/79, befand sich die Monarchie im Krieg. Das heißt nun aber nicht, dass das Militär seine Bedeutung eingebüßt hätte. Aber es waren ganz andere Herausforderungen, die nun bewältigt werden mussten. Nach dem zermürbenden Siebenjährigen Krieg ging es vor allem darum, die Armee zu reorganisieren und ihre Aufbringung und ihren Unterhalt auf eine tragfähige finanzielle Grundlage zu stellen – eine Herkulesaufgabe, die auch 1765, zwei Jahre nach Kriegsende, noch nicht einmal ansatzweise gelöst war. Eine Frage immerhin, die während des Österreichischen Erbfolgekriegs manches Kopfzerbrechen bereitet hatte, musste in den Friedensjahren nach 1765 nicht geklärt werden, nämlich die, ob der Mitregent als Oberbefehlshaber die Truppen auch persönlich ins Feld führen sollte. Ziemlich schnell geklärt war außerdem die Frage, ob die Truppen neu vereidigt werden müssten. Da der bisherige Eid auf Maria Theresia, Franz Stephan und ihre Nachkommen gelautet habe, sei damit auch Joseph eingeschlossen, eine erneute Vereidigung also überflüssig – so das Votum des Hofkriegsratspräsidenten Daun.9 8 9
Randbemerkung Maria Theresias zu einem Brief Graf Emanuel SylvaTaroucas, Februar 1766; KARAJAN, 1859, Anhang Nr. 30, S. 69f.; ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 231; in dt. Übersetzung in WALTER, 1968, S. 213. HAUSMANN, 1967, S. 157.
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Abb. 11: Fahne mit den Initialen Maria Theresias (»MT«) und Franz Stephans (»CF« = »Corregens Franciscus«), ca. 1745. Heeresgeschichtliches Museum Wien. In seinem Vortrag vom 23. September 1765, in dem er diese Einschätzung kundtat, machte Daun aber an anderer Stelle Handlungsbedarf aus. Erforderlich sei nämlich eine Änderung der Namenschiffren auf Fahnen und Standarten. Bisher befanden sich dort auf den Schwingen des Doppeladlers auf der einen Seite die Initialen »MT«, auf der anderen Seite die geteilten Initialen »FC« für »Franciscus Corregens« und »IM« für »Imperator«.10 Das konnte so selbstverständlich nicht bleiben. Bei der an das Votum Dauns anschließenden Beratung schlug Kaunitz für die notwendigen Änderungen eine Sparversion vor. Das »F« solle einfach durch ein »J« ersetzt werden, außerdem solle das österreichische Wappen rechts und das lothringische Wappen links gesetzt werden, d. h. das toskanische Wappen entfiel. Diese Änderung könne durch das Auf- und 10 EBD., S. 145. Die hier beschriebene Fahne entspricht also nicht der oben abgebildeten, zeigt aber ebenfalls die Initialen »MT« und »CF«. Die Platzierung der Initialen auf den Schwingen des Doppeladlers dürfte der Anordnung auf der Paukenfahne Franz Stephans entsprechen. Da kaum mehr Fahnen aus der Zeit erhalten sind, ist man vielfach auf Beschreibungen angewiesen, eine Überprüfung an Originalen ist kaum möglich.
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Wer führt die Armee?
Abtrennen der alten Stickerei erfolgen.11 Wie viel der Staatskanzler von Handarbeiten verstand, ob er sich das nicht etwas zu einfach vorstellte, sei dahingestellt. Man kam jedenfalls nicht in die Verlegenheit, das ausprobieren zu müssen, da Maria Theresia selbst dieser Vorschlag zu weit ging – sie mochte sich vom Namen ihres Mannes auf den Fahnen nicht so schnell trennen und entschied, dass die von Kaunitz vorgeschlagene Gestaltung nur bei neuen Fahnen umgesetzt werden sollte, womit das Auftrennen der Stickerei entfiel. Damit aber konnte man nun doch an etwas umfassendere Änderungen gehen. Daun legte einen Entwurf vor, der auf den Flügeln des Doppeladlers rechts »J. II« (also »Josephus II.«) und links »I.C.« (»Imperator Corregens«) vorsah.12
Abb. 12: Paukenfahne Franz Stephans mit den Initialen »CF« (»Corregens Franciscus«) und »IM« (»Imperator«), vor 1757. KHM-Museumsverband.
11 Vortrag vom 25.9.1765; HHStA Wien, Ministerium des ksl. Hauses, Einzelne Abhandlungen 6-4, unfol. HAUSMANN, 1967, S. 157. 12 Dieser Vorschlag bezog sich also offenbar auf eine Fahne, die nur die Initialen Josephs enthielt. Es dürfte sich damit um ein Stück vergleichbar der Paukenfahne Franz Stephans handeln.
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Damit war Maria Theresia einverstanden, wünschte aber noch die Hinzufügung des Militär-Maria-Theresia-Ordens und des ungarischen St.Stephansordens, wogegen Kaunitz Bedenken anmeldete.13 Das führte zu einer Verzögerung und letztlich zu einer grundsätzlichen Änderung, nachdem Daun am 5. Februar 1766 gestorben war. Denn nun hatte Joseph, wie Kaunitz bereits am 1. März 1766 in einem Vortrag formulierte, die »Entscheidung in diesen Dingen, wie überhaupt in allen militärischen Angelegenheiten […] an sich gezogen.«14 Für die Gestaltung der Fahnen bedeutete dies, dass Joseph diese Frage entschied: Jeglicher Hinweis auf die Mitregentschaft Josephs unterblieb, er firmierte vielmehr nur als »J. II«, also als Kaiser.15 Denn die von Daun vorgeschlagene Initialenkombination von Kaiser und Mitregent konnte man durchaus als Entwertung des Kaisertitels durch den Hinweis auf die nur abgeleitete Stellung Josephs in den Erblanden verstehen. Die von Joseph durchgesetzte Variante hingegen betonte den Charakter der Armee als »kaiserlich-königlich«, wie sie seit 1745 wieder genannt wurde, und sie vermied den Hinweis auf den von Joseph früh als problematisch eingeschätzten Mitregentenstatus. Klar zum Ausdruck gebracht wurde durch die Anbringung der Initialen Maria Theresias und Josephs, dass die Armee beiden verpflichtet war. Nicht klar war hingegen, ob es sich dabei um eine gleichberechtigte Armeeführung handeln sollte. Durch den Tod Dauns war eine recht offene Situation entstanden, die für Joseph die Chance bot, in den militärischen Angelegenheiten tatsächlich einen bestimmenden Part zu übernehmen. Denn dass Maria Theresia ihren altgedienten Hofkriegsratspräsidenten nicht beiseiteschieben würde, um Joseph größere Einflussmöglichkeiten zu verschaffen, war angesichts ihrer bekannten Anhänglichkeit gegenüber langjährigen Vertrauten klar. Aber nun, da Daun gestorben war, ergab sich ein Vakuum, und es konnten durchaus verschiedene Optionen verfolgt werden bis hin zu der Überlegung, ob Joseph nicht selbst den Vorsitz im Hofkriegsrat übernehmen sollte.16 Maria Theresia schien tatsächlich bereit, ihrem Sohn hier weitgehende Handlungsfreiheit zu eröffnen, denn sie überließ ihm die Auswahl des neuen Hofkriegsratspräsidenten. 13 EBD., S. 158. 14 EBD., S. 159. 15 EBD., S. 163. Eine solche Fahne scheint – jedenfalls in Wien – nicht erhalten zu sein. 16 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 212.
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Joseph entschied sich für Franz Moritz Graf Lacy, einen noch verhältnismäßig jungen (geb. 1725) irischstämmigen General-Feldzeugmeister, der im Siebenjährigen Krieg eine steile Karriere gemacht hatte und seit 1763 dem Hofkriegsrat angehörte.17 Diese Entscheidung für Lacy bedeutete zugleich eine gegen etliche ältere Offiziere, die eigentlich viel eher an der Reihe gewesen wären. Dennoch war Maria Theresia mit dieser Wahl voll und ganz einverstanden. Sie hatte zwar geschrieben, dass sie Joseph die Wahl überlasse, gleichzeitig aber hinzugefügt, dass, falls er sie fragen sollte, sie keinen anderen Kandidaten sehe als Lacy.18 Ob er sie direkt gefragt hat, lässt sich nicht feststellen, aber es ist kaum anzunehmen, dass Maria Theresia und Joseph über eine so wichtige Personalie nicht gesprochen hätten. In diesem Fall kamen sie zum selben Ergebnis, was es unmöglich macht, die jeweiligen Anteile an der Entscheidung zu bestimmen. Maria Theresia, Joseph und Lacy – diese drei würden künftig also über die Militaria bestimmen. Viel würde davon abhängen, zu welchem Arbeitsmodus die drei fanden, welche Kommunikationswege sich etablierten und wie sich die persönlichen Beziehungen gestalteten. Denn bisher war Maria Theresias Draht zur Armee nicht zuletzt über ihr enges Verhältnis zu Daun hergestellt worden. Ganz so eindeutig gestalteten sich die Dinge nun nicht mehr, da Joseph ebenfalls ein sehr enges, ja freundschaftliches Verhältnis zu Lacy pflegte – der Feldmarschall sollte zu den ganz wenigen Personen gehören, von denen sich Joseph wenige Tage vor seinem Tod brieflich verabschiedete.19 Maria Theresia hatte den freundschaftlichen Kontakt zu ihrem obersten Militär also nicht mehr exklusiv. Wenn Maria Theresia von sich behauptete, dass das Militär ihr mehr als andere Bereiche der Staatsführung am Herzen gelegen habe, so gilt dies sicher in gleicher Weise für Joseph. Jedenfalls stürzte er sich voller Eifer auf den neuen Aufgabenbereich. Erkennbar ist sein Bemühen, den theoretischen Unterricht, den er bisher genossen hatte, nun um praktische Übungen und eigene Anschauung zu ergänzen. Anfang Juni 1766 brach er in Begleitung Herzog Alberts, Lacys und mehrerer hoher Offi17 Zu Lacy KOTASEK, 1956; DIES., 1944. 18 Randbemerkung Maria Theresias zu einem Brief Graf Emanuel SylvaTaroucas, Februar 1766; KARAJAN, 1859, Anhang Nr. 30, S. 69f.; in dt. Übersetzung in WALTER, 1968, S. 213. 19 BEALES, Bd. 2, 2009, S. 634.
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ziere zu einer mehrmonatigen Tour Richtung Böhmen auf. Auf dem Programm standen die Besichtigung einiger Schlachtfelder des Siebenjährigen Krieges, die Inspektion von Festungen sowie der Besuch von Manövern. Dabei sollte er selbst eine Einheit befehligen, ihm gegenüber stand kein Geringerer als Feldmarschallleutnant Gideon Ernst Freiherr von Laudon, der Sieger von Kunersdorf. Der Kaiser inszenierte sich als Lernender – so lehnte er die Teilnahme von Offizieren als Zuschauern an dem Manöver ab, damit sie nicht Zeuge seiner Fehler würden20 –, gleichzeitig verfasste er ausführliche Berichte über seine Eindrücke, wobei er nicht mit kritischen Urteilen auch über altgediente Offiziere sparte. Der vorgebliche Lehrling getraute sich also ohne weiteres, seinen Lehrern Noten zu erteilen. Adressatin der Berichte Josephs war seine Mutter, die weiter ganz selbstverständlich an den militärischen Belangen Anteil nahm. Dass selbst Lacy, der es eigentlich hätte wissen müssen, sich nicht sicher war, wie denn nun in militärischen Fragen die Zuständigkeiten waren, zeigt eine Begebenheit aus dem Herbst 1766. Joseph hatte Lacy gebeten darzulegen, welche Vorbereitungen nötig seien, bevor die Armee ins Feld rücken könne. Lacy kam der Bitte nach und verfasste eine entsprechende Denkschrift. Statt diese aber nun an denjenigen zu schicken, der sie in Auftrag gegeben hatte, übersandte Lacy sie Maria Theresia mit der Frage, ob er das Papier nicht lieber nur ihr allein zuschicken solle.21 Maria Theresia war ob des Inhalts der Denkschrift höchst beunruhigt, weil sie den enormen Reformbedarf in der Armee benannte, fand es aber offenbar völlig normal, dass Lacy ihr die Schrift geschickt hatte und nicht Joseph. Sie wies den Hofkriegsratspräsidenten an, Joseph die Denkschrift ebenfalls zu übergeben, und verlangte von Lacy Vorschläge, wie den Mängeln abzuhelfen sei. Lacy konnte sich also durchaus bestätigt fühlen in seiner Vermutung, dass er sich tunlichst zuerst an Maria Theresia zu wenden hatte, da sie eben auch in militärischen Fragen das letzte Wort haben wollte.
20 ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 220f. 21 Lacy an Maria Theresia (mit ausführlicher Randbemerkung Maria Theresias), Wien, 28.11.1766; HHStA Wien, Nachlass Lacy 2-2-1, fol. 76r; ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 222f. und 530, Anm. 320; BEALES, Bd. 1, 1990, S. 185.
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Einen Monat später legte Joseph ebenfalls eine Denkschrift zu diesem Thema vor, die zahlreiche Ideen Lacys aufgriff.22 Der Text enthielt weitreichende Vorschläge für eine Vergrößerung der Armee, die Rekrutierung von Soldaten durch Konskriptionen (also nach preußischem Vorbild) und ihre stärkere Einbindung in die zivile Gesellschaft. Das Memorandum offenbart die Entschlossenheit Josephs, zusammen mit Lacy das Militär grundlegend umzustrukturieren. Genauso offensichtlich ist aber, dass Joseph diese Frage nicht allein angehen konnte. Zunächst zwischen Maria Theresia, Joseph, Lacy und Kaunitz diskutiert, wurde vor allem die Frage der Rekrutierung mit Hilfe eines Kantonssystems schließlich einer Kommission vorgelegt. Damit war erst einmal Zeit gewonnen. Ende 1767 bat Kaunitz Maria Theresia, eines der Gutachten, die er in diesem Zusammenhang erstellt hatte, zu unterdrücken, um Joseph nicht in die Quere zu kommen. Maria Theresia hielt das für vernünftig, auch um eine Demotivierung Josephs zu vermeiden.23 Weiterhin bestimmte also Maria Theresia, wer welche Informationen erhielt. Bei ihr liefen die Kommunikationskanäle zusammen, sie war die Herrin des Verfahrens und damit der Entscheidung. Bezeichnend hierfür ist eine Randbemerkung Maria Theresias auf einem Schreiben Lacys vom 8. März 1766 »Vous pouvez faire voire cette lettre à l’Emp.«24 Maria Theresia legte fest, welche Informationen Joseph erhielt. Diese Praxis, die sich in den ersten Wochen der gemeinsamen Militärführung ausbildete, war in ihren Grundzügen kennzeichnend für das Verfahren jedenfalls bis zum Bayerischen Erbfolgekrieg.
22 KHEVENHÜLLER, Bd. 6, 1917, S. 458-467. 23 BEALES, Bd. 1, 1990, S. 187; ARNETH, Bd. 7, 1876, S. 28. 24 Lacy an Maria Theresia, 8.3.1766; HHStA Wien, Nachlass Lacy 2-2-1, fol. 5r. Bereits am 22. Februar hatte Lacy angefragt, ob er, falls höhere Offiziere bei ihm etwas vorbringen würden, vorab Joseph informieren solle, damit dieser bei der anschließenden Audienz schon über den Sachverhalt informiert sei – Maria Theresia hielt das für sinnvoll; Lacy an Maria Theresia, 22.2.1766; EBD., fol. 71r-72r. In der Korrespondenz zwischen Lacy und Maria Theresia finden sich zahlreiche Beispiele für derartige Nachfragen Lacys; z. B. Lacy an Maria Theresia, Wien, 23.4.1767; EBD., fol. 86r. Im März 1766 ließ sie Lacy wissen, dass sie nicht wolle, dass Karl Alexander von Lothringen oder Joseph wüssten, dass sie ihm ein nicht näher bezeichnetes Schreiben geschickt habe; Maria Theresia an Lacy, vor 11.3.1766; EBD., fol. 274r-v.
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Das galt nicht nur im Dreiecksverhältnis Maria Theresia – Joseph – Lacy, sondern auch darüber hinaus. Im Januar 1772 äußerte Joseph die Bitte, künftig die Korrespondenz des Hofkriegsrats komplett einsehen zu dürfen.25 Selbst nach sechs Jahren Mitregentschaft verfügte er also nicht über einen ungehinderten Zugang zu den Papieren der obersten Militärbehörde. Maria Theresia hingegen bekam alles zu sehen, was bei Lacy einging und was dieser für wichtig genug erachtete, um es der Kaiserin vorzulegen. Wenn Joseph ihm etwas zusandte, reichte Lacy dies unmittelbar an Maria Theresia weiter, auch wenn es von Joseph gar nicht so gedacht war.26 Auch wenn Lacy viele Details mit Joseph besprach, stellte die letzte Instanz für ihn doch unverkennbar Maria Theresia dar. Als der Kaiser ihm den Entwurf einer Resolution über die Reform der Artillerie mit einem eigenhändigen Billet zuschickte, übersandte Lacy beides an Maria Theresia mit der Bitte um eine Anweisung, damit er seine Antwort an Joseph aufsetzen könne.27 In der Korrespondenz Lacys mit Joseph findet sich dagegen nicht der geringste Hinweis darauf, dass Joseph wusste – oder Lacy ihn darüber informierte –, dass sämtliche Vorschläge Josephs noch einer höheren Instanz präsentiert wurden. Joseph war sich aber selbstverständlich darüber im Klaren, dass Lacy bei seiner Mutter in hohem Ansehen stand und viel bei ihr vermochte. Das machte er sich zunutze, wenn er bei Maria Theresia mit seiner Meinung nicht durchdrang, aber den Hofkriegsratspräsidenten auf seiner Seite wusste. So war er in Bezug auf eine Umorganisation – in diesem Fall der Artillerie – wieder einmal gezwungen, eine Resolution zu entwerfen, mit deren Inhalt er nicht einverstanden war. Seine letzte Hoffnung war Lacy,
25 Joseph an Lacy, 26.1.1772; HHStA Wien, Nachlass Lacy 2 (erwähnt bei BEALES, Bd. 1, 1990, S. 185). Eine Überprüfung am Original war nicht möglich, da die Stücke dieses Kartons aus dem Zeitraum November 1771November 1774 im Archiv vermisst werden. 26 Lacy an Maria Theresia, Wien, 21.8.1770; HHStA Wien, Nachlass Lacy 22-1, fol. 110r. Ähnlich erneut am 27.11.1770, als Lacy Maria Theresia ein Werk Josephs schickte, von dem er nicht sicher war, ob sie es schon kannte; Lacy an Maria Theresia, 27.11.1770; EBD., fol. 121r-v. 27 Lacy an Maria Theresia, 25.3.1772; HHStA Wien, Nachlass Lacy 3-3, fol. 37r.
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den er deshalb bat, mit Maria Theresia zu sprechen und sie von seiner, Josephs, Position zu überzeugen.28 Maria Theresia und Lacy unterhielten nicht nur eine enge und vertrauensvolle Korrespondenz, wie sie vielleicht zwischen einer Landesherrin und dem Vorsitzenden ihres obersten militärischen Gremiums erwartet werden konnte. Die Kaiserin traf auch Vorkehrungen, damit Joseph jedenfalls von einem Teil dieses Briefwechsels nichts erfuhr. Dazu gab sie Lacy genaue Anweisungen, was er auf das Kuvert zu schreiben hatte, damit ein Brief direkt bei ihr ankam.29 Ausdrücklich versicherte sie dem Hofkriegsratspräsidenten, dass niemand ihre für ihn bestimmten Briefe zu sehen bekomme, »pas meme mon intime pichler«, also nicht einmal ihr Kabinettssekretär Karl Joseph von Pichler.30 Manchmal allerdings ging das auch schief, und irgendwelche Noten Lacys landeten doch bei Joseph.31 Soweit erkennbar, beschränkten sich die vertraulichen Erörterungen zwischen Maria Theresia und Lacy nicht auf bestimmte Bereiche des Militärs, sondern tangierten alle Themen von Personalentscheidungen über das Abhalten von Manövern bis zu grundsätzlichen Fragen wie der Aufbringung von Soldaten. Mit Sicherheit fiel keine Entscheidung in militärischen Fragen von Belang, ohne dass Maria Theresia daran beteiligt gewesen wäre. Die Hierarchie, die sich in der Korrespondenz abzeichnet, ist eindeutig: An der Spitze stand ohne jeden Zweifel Maria Theresia, es kann keine Rede davon sein, dass sie sich aus dem militärischen Bereich zurückgezogen hätte. Dieses Bild bestätigt sich auch bei einer Durchsicht der Korrespondenz zwischen Maria Theresia und Joseph. Zwar äußerte der Kaiser gerade in Personalangelegenheiten durchaus seine eigenen Ansichten und Vorschläge, überließ die letzte Entscheidung aber stets Maria Theresia.32 28 Joseph an Lacy, 25.3.1772; HHStA Wien, Nachlass Lacy 7 (alt VII,1a), fol. 40r. 29 Randbemerkung zu Lacy an Maria Theresia, 22.2.1766; HHStA Wien, Nachlass Lacy 2-2-1, fol. 71r-72r, hier fol. 71r. 30 Lacy an Maria Theresia, Wien, 22.3.1769; EBD., fol. 95r-v. 31 Undatiertes Billet Maria Theresias an Lacy; EBD., fol. 56r. 32 Joseph an Maria Theresia, 28.1.1769; ARNETH, Bd. 1, 1867, Nr. 87, S. 210f.; Joseph an Maria Theresia, 22.5.1769; EBD., Nr. 118, S. 271-276, hier S. 272; Joseph an Maria Theresia, Pavia, 10.6.1769; EBD., Nr. 123, S. 291f., hier S. 292; Joseph an Maria Theresia, Como, 21.6.1769; EBD., Nr. 126, S. 297-299, hier S. 298.
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Was sich in der Innenansicht als klare Hierarchie darstellte, sollte so aber nach außen nicht in gleicher Weise sichtbar werden. In den Augen der Öffentlichkeit sollte die Position Josephs stärker erscheinen, als sie es tatsächlich war. Das musste fast zwangsläufig zu Schwierigkeiten führen, wenn Joseph nach außen hin für eine Entscheidung verantwortlich zeichnete, mit der er gar nicht einverstanden war. So beklagte er sich bei seinem Bruder Leopold Anfang 1771 bitter darüber, dass die letzten Beförderungen beim Militär zu Unzufriedenheiten geführt hätten, und dass er zu Unrecht dafür verantwortlich gemacht werde. Er sei gegen die Entscheidung Maria Theresias gewesen, aber die Kaiserin habe ihm befohlen, diese zu unterzeichnen. Jetzt bezeichne Maria Theresia ihn in der Öffentlichkeit als den Urheber, wodurch er als falsch und sogar als Lügner erscheine.33 In der Öffentlichkeit musste und sollte der stets in Uniform auftretende Kaiser selbstverständlich als Oberbefehlshaber und Herr der militärischen Entscheidungen erscheinen. Intern aber war er bestenfalls ein Mit-Oberbefehlshaber, so wie er ein Mitregent war an der Seite und unter seiner Mutter.
33 Joseph an Leopold, 10.1.1771; EBD., Nr. 132, S. 321-323, hier S. 322.
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15. Der Prunksarkophag: ein Arbeitspaar in Zinn und Blei
Das monumentale Maria-Theresia-Denkmal an der Wiener Ringstraße zeigt die Kaiserin überlebensgroß auf einem Thron sitzend, die rechte Hand grüßend ausgestreckt, in der Linken ein Szepter und die Pragmatische Sanktion. Von ihrem Platz in fast 20 Metern Höhe scheint sie immer noch den Überblick über ihre Länder und Untertanen zu haben. Sie sitzt allein auf ihrem Thron, so wie andere Herrscher allein auf ihrem Denkmalpferd sitzen. Und dennoch bringt das MariaTheresia-Denkmal im Unterschied zu den zahlreichen Reiterstandbildern männlicher Herrscher zum Ausdruck, dass die Kaiserin ihr riesiges Reich nicht allein regierte. In den unteren Etagen des Denkmals sind zahlreiche Berater und Minister, Generäle, aber auch Wissenschaftler und Künstler verewigt. Die inhaltliche Konzeption für das Denkmal stammt von Alfred von Arneth, der der Kaiserin mit seiner zehnbändigen Biographie und zahlreichen Editionen bereits ein papierenes Denkmal gesetzt hatte und der mit dem Denkmalkonzept nun die Quintessenz einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit seiner Heldin zog. Man kann also davon ausgehen, dass Arneth genau wusste, was er tat, als er das Denkmal so und nicht anders konzipierte. Selbstverständlich kann man über die Auswahl der Personen im Einzelnen streiten,1 aber auffallend ist schon, dass zwei ganz zentrale Gestalten fehlen: Maria Theresias Mitregenten Franz Stephan und Joseph. Das Denkmal zeigt eine allein herrschende Fürstin, die sich während ihrer 1
Gerade bei den Verwaltungsfachleuten ist z. B. offensichtlich, dass auch regionaler Proporz eine Rolle spielte.
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Regierung zahlreicher, deutlich unter ihr stehender Männer bediente. Mitregenten passten nicht in eine solche Komposition. Wo hätte man sie auch platzieren sollen? Auf gleicher Höhe neben der Kaiserin? – wohl kaum. Etwas unterhalb, aber noch über den anderen Beratern? – das war ebenfalls nur schwer vorstellbar. Und wie man gleich zwei Mitregenten hätte unterbringen sollen, wie ihr Verhältnis zueinander und zu Maria Theresia darstellen – das wäre eine wohl kaum zu lösende Aufgabe gewesen. Angesichts dieser Schwierigkeiten war es einfacher, die beiden lieber gleich wegzulassen; und Joseph II. besaß ohnehin schon längst sein eigenes Denkmal vor der Hof- bzw. Nationalbibliothek.2 Das Denkmal ohne die beiden Mitregenten entspricht insofern der Konzeption von Arneths Maria-Theresia-Biographie, als auch dort die Mitregenten eher schlecht wegkommen. Franz Stephan war aufgrund mancher Defizite in den Augen Arneths kaum in der Lage, seine Frau wirkungsvoll zu unterstützen, und Joseph war für seine Mutter nicht zuletzt eine Quelle ständigen Kummers, wegen seiner Reisen, seiner religiösen Auffassungen, seiner Bewunderung für den preußischen König und zuletzt wegen des Kriegs gegen ihn. Dass Maria Theresia ihren Mann zum Mitregenten ernannte, konnte sich Arneth nicht anders als durch weibliche Schwäche und Anlehnungsbedürftigkeit erklären. Ein Arbeitspaar – das lag außerhalb der Vorstellungskraft des Historikers des 19. Jahrhunderts.
2
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Das Reiterstandbild Josephs II. war von Kaiser Franz II./I. in Auftrag gegeben und 1807 enthüllt worden.
Der Prunksarkophag
Abb. 13: Prunksarkophag Maria Theresias und Franz Stephans in der Wiener Kapuzinergruft (Ausschnitt), 1754. Österreichische Nationalbibliothek Wien. Dass es aber durchaus ein Denkmal des Arbeitspaares gibt, verdanken wir Maria Theresia selbst. Denn der von ihr bereits 1754 in Auftrag gegebene Doppelsarkophag in der Kapuzinergruft3 ist genau dies: ein Denkmal für ein Arbeitspaar. Halb sitzend, halb liegend ruhen Franz Stephan und Maria Theresia einander zugewandt und halten gemeinsam jeweils mit ihrer rechten Hand das ungarische Krönungsszepter. Deutlicher konnte man eine gemeinsame Herrschaft nicht ausdrücken. Hierar3
Zum Doppelsarkophag zuletzt ausführlich, wenn auch mit anderem Schwerpunkt TELESKO, 2012, S. 90-109.
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Eine Kaiserin und zwei Kaiser
chisch korrekt ist Franz Stephan als Kaiser zur Rechten seiner Frau platziert. Ansonsten ist das Monument denkbar paritätisch aufgebaut: In der linken Hand hält Maria Theresia das ungarische Krönungsschwert, Franz Stephan das kaiserliche Szepter. Jede Längsseite des Sarkophags ist mit zwei Reliefs geschmückt, die die wichtigsten Herrschaften der beiden symbolisieren: Für Maria Theresia sind das das ungarische Königtum mit dem Ritt auf den Krönungshügel in Pressburg sowie die böhmische Krone mit der Krönung zur Königin in Prag. Franz Stephan ist dargestellt als Großherzog der Toskana und als Kaiser durch die beiden Einzüge in Florenz und in Frankfurt. Nicht ein Herrscher und die Ehefrau an seiner Seite und auch nicht eine Königin und ihr Prinzgemahl sind hier dargestellt, sondern zwei Herrscher mit ihren jeweiligen Herrschaften, die aber nicht nebeneinander ihre jeweiligen Territorien regiert haben,4 sondern die sich zu gemeinsamer Regierung zusammengefunden haben – symbolisiert durch das gemeinsame Festhalten des Szepters. Weil sie beide, auch hierin völlig parallel und gleichberechtigt, das Szepter mit ihrer rechten Hand umfassen, müssen sie sich einander zuwenden. Damit wird ein weiteres Mal die Gemeinsamkeit betont, ein Miteinander statt eines Nebeneinanders. Dass es ausgerechnet das ungarische Krönungsszepter ist, das beide umgreifen, bedeutet selbstverständlich nicht, dass sich ihre gemeinsame Regierung auf Ungarn beschränkt hätte. Das kaiserliche Szepter kam für eine solche Darstellung nicht in Frage, denn auf das Reich bezog sich die Mitregentschaft ja gerade nicht. Die ungarische Krone aber war die höchste Würde, die Maria Theresia besaß. Die Darstellung als ungarische Königin, insbesondere im ungarischen Krönungsornat, besaß deshalb herausragende Bedeutung für die Repräsentation Maria Theresias.5 Auch für den Sarkophag wurde auf diese Darstellung zurückgegriffen. Dazu passte das ungarische Szepter als Herrschaftssymbol, das also nicht als Beschränkung auf Ungarn zu verstehen ist, sondern als höchste Würde für die Herrschaft Maria Theresias in allen ihr von ihrem Vater vererbten Ländern steht. Für alle diese Länder hatte sie ihrem Mann die Mitregentschaft übertragen. 4 5
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Das wäre das Modell Philipp II. von Spanien und Maria Tudor von England gewesen. TELESKO, 2012, S. 92.
Der Prunksarkophag
Der Doppelsarkophag ist vielfach als Denkmal einer Liebesehe verstanden worden. Das soll hier auch gar nicht in Abrede gestellt werden. Aber er drückte auch eine politische Konzeption aus, nämlich die einer gemeinsamen Regierung. Auf den ersten Blick wirkt diese völlig paritätisch. In den Details lassen sich aber ganz subtil doch einige Abstufungen erkennen. Als Kaiser ruht Franz Stephan zur Rechten seiner Frau. Diese Kaiserwürde aber verdankte er ihr, wie die Inschrift verdeutlicht, wo es heißt, dass sie die Kaiserwürde des Römischen Reichs ihrem Haus zurückgebracht habe: »ROM. IMPERII: MAIESTATEM. DOMUI. SUAE: RESTITUIT«.6 Das lässt sich als Hinweis auf die historisch nicht zu bestreitende Tatsache verstehen, dass Franz Stephan seine Wahl allein der habsburgischen Hausmacht zu verdanken hatte. Damit wird aber auch zum Ausdruck gebracht, dass Franz Stephan in die habsburgische Dynastie eingebunden wurde – dafür steht auch die Bezeichnung Habsburg-Lothringen. Ja, man könnte fast so weit gehen zu sagen, dass Franz Stephan hier nur als Platzhalter, als Übergangslösung für Joseph fungierte, mit dem dann wieder – wie es im Verständnis Maria Theresias selbstverständlich und gottgewollt war – ein Habsburger die Kaiserkrone trug.
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Die Inschriften abgedruckt bei WOLFSGRUBER, 1887, S. 256.
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Abkürzungen
ÄZA
Ältere Zeremonialakten
fol.
Folio
gedr.
gedruckt
HHStA
Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien
ND
Nachdruck
NF
Neue Folge
o. D.
ohne Datum
o. O.
ohne Ort
unfol.
unfoliiert
ZP
Zeremonialprotokolle
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Quellen und Literatur
Ungedruckte Quellen Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien Hausarchiv, Familienakten 49, 50, 54, 55 Hausarchiv, Familienakten, Sammelbände 4, 6, 7, 10, 69 Hausarchiv, Familienkorrespondenz A 25, 35-37, 51, 53 Hausarchiv, Familienkorrespondenz B 1 Hausarchiv, Ministerium des kaiserlichen Hauses, Vermählungen 3-5, 7-9, 11, 13, 15, 15a Hausarchiv, Ministerium des kaiserlichen Hauses, Einzelne Abhandlungen 6 Hausarchiv, Ministerium des kaiserlichen Hauses, Hausgesetze und Familienversorgungsfonds 1, 2 Kabinettsarchiv, Staatsrat, Nachlass Lacy 1-3, 5, 7, 8 Länderabteilungen Österreichische Akten, Österreich – Staat 2 Obersthofmeisteramt, Hofzeremonielldepartement, Ältere Zeremonialakten 21, 24, 25, 39, 40, 42, 43, 45, 48, 70 Obersthofmeisteramt, Hofzeremonielldepartement, Sonderreihe 14 Obersthofmeisteramt, Hofzeremonielldepartement, Zeremonialprotokolle 18, 20, 30 Reichskanzlei, Vorträge 6d, 6e, 7a, 7b, 7c, 8a Reichskanzlei, Wahl- und Krönungsakten 65 Sonderbestände, Nachlass Arneth 8b
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Eine Kaiserin und zwei Kaiser
Staatskanzlei, Vorträge 36, 38-40, 42, 43, 45-50, 52-56, 58, 66, 74, 75, 78-83, 90, 91, 96-100, 102, 103, 109, 113, 114, 125-127 Urkunden, Familienurkunden 2001-2007, 2009, 2023a, 2037, 2043, 2054a, 2095
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Eine Kaiserin und zwei Kaiser
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300
Register
Albert, Herzog von SachsenTeschen 46, 178, 180, 231f., 263 Amalie Elisabeth, Landgräfin von Hessen-Kassel 132 Andreas, Heiliger 197 Anna von Tirol, Kaiserin 82f., 96 Anna, Königin von England 13 Anne Charlotte, Prinzessin von Lothringen 95f., 99 Aretin, Karl Otmar von 107, 124 Arneth, Alfred von 40, 61, 77, 88, 90, 122, 124, 126, 129, 133, 176, 222, 249, 269f. Aubeterre, Joseph-Henri d’ 111, 199 August II., der Starke, König von Polen 24 August III., König von Polen, s. Friedrich August III. Badinter, Elisabeth 43, 45 Bakács, Bernadette 56
Bartenstein, Johann Christoph von 24f., 40, 45, 87f., 100, 121, 124, 212 Bartenstein, Joseph Philipp Christoph von 212f., 217 Batthyány, Karl Joseph Graf von 160, 258 Beales, Derek E.D. 221, 225 Beck, Marina 185, 189, 193 Benedetto Maurizio von Savoyen, Herzog von Chablais 177, 179-181 Bestušev-Rumin, Johanna Henriette Luise Gräfin von 199 Bestušev-Rumin, Michael Petrovič Graf von 199 Borcke, Caspar Wilhelm von 120 Borromeo, Vitaliano, Kardinal und Nuntius 202 Browne, Maximilian Ulysses 142 Buckow, Adolf Nikolaus von 143 Bürgschwentner, Joachim 176
301
Eine Kaiserin und zwei Kaiser
Campan, Jeanne Louise Henriette 159 Capello, Pietro Andrea 26, 77 Choiseul, Etienne-François Herzog von 249 Chotek, Rudolf Graf von 64, 127f. Christina, Königin von Schweden 12 Christine Luise, Herzogin von Braunschweig-Wolfenbüttel 90, 95f. Christine de France, Herzogin von Savoyen 132 Clemens Wenzeslaus von Sachsen, Erzbischof von Trier und Bischof von Augsburg 178 Cobenzl, Johann Karl Graf von 113 Colbert, Jean-Baptiste 63 Colloredo, Rudolf Graf von 44f., 102f., 114, 124, 129, 241 Correr, Pietro 200 Corsini, Neri 35 Cybo, Maria Theresia, Erbprinzessin von Modena 172, 237 Daun, Leopold Graf von 137, 140f., 143f., 150, 210, 258f., 261-263 Daun, Maria Josefa Gräfin von 141 Dickson, Peter George Muri 63
302
Dietrichstein, Johann Baptist Karl Graf von 63 Diodati, Lorenzo 34 Dohna, Friedrich Ludwig Graf von 193 Duffy, Christopher 142, 147 Edling, Rosalie Gräfin von 166 Eleonore I. von Gonzaga, Kaiserin 82 Eleonore II. von GonzagaNevers, Kaiserin 82 Eleonore Magdalena von PfalzNeuburg, Kaiserin 82, 90, 243 Eleonore Maria von Österreich, Herzogin von Lothringen 20f. Elisabeth I., Zarin 12f. Elisabeth I., Königin von England 10, 12f., 147, 225 Elisabeth Farnese, Königin von Spanien 20, 168 Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel, Kaiserin 19, 25, 28, 72, 75, 79, 153f., 190, 192, 206 Elisabeth Christine von Braunschweig-WolfenbüttelBevern, Königin von Preußen 188 Elisabeth Therese von Lothringen, Königin von Sardinien 174, 177 Eltz, Philipp Karl Graf von, Erzbischof von Mainz 104
Register
Enzenberg, Sophie Amalie Gräfin von 166 Erdödy, Gabriel Anton Graf von, Bischof von Erla 29 Erizzo, Nicolo 193 Este, Ercole d’, Herzog von Modena 172, 237f. Este, Francesco III. d’, Herzog von Modena 172, 232f., 238 Este, Maria Beatrix d’, Erzherzogin von Österreich 172, 232, 237, 244 Este, Rinaldo d’ 172 Eugen, Prinz von Savoyen 58, 142 Faustina, Kaiserin 151 Ferdinand II., Kaiser 82 Ferdinand III., Kaiser 82 Ferdinand (III.), Römischer König 82 Ferdinand, König von Neapel 167, 182, 235, 242, 244f. Ferdinand VI., König von Spanien 168 Ferdinand, Erzherzog von Österreich 157, 172, 232f., 236-238, 244, 253 Ferdinand, Herzog von Parma 239, 244, 247f. Firmian, Karl Joseph Graf von 180, 232, 237 Florent, Louis-Maria, Graf du Châtelet 207
Franckenstein, Johann Philipp Anton Graf von, Bischof von Bamberg 113 Franz II./I., Kaiser 270 Franz IV., Erzherzog von Österreich, Herzog von Modena 238 Franz Stephan, Herzog von Lothringen, Großherzog von Toskana, Kaiser 9f., 12, 14-16, 19-67, 71f., 7579, 81-87, 89, 92-112, 114116, 118-122, 124-130, 133-140, 142-144, 146-151, 154, 156, 158, 160-167, 169-177, 179-183, 186, 190-193, 196-201, 203, 205f., 208-215, 219, 221, 224, 228, 231-234, 239, 254f., 258-261, 269-273 Friedrich II., der Große, König von Preußen 11, 61, 83, 117-122, 124f., 131f., 145, 188, 193, 257 Friedrich August III., Kurfürst von Sachsen, König von Polen 24, 84, 117, 178 Friedrich Christian, Kurfürst von Sachsen 20 Fritsch, Ahasver von 81 Fuchs, Karoline Gräfin von 141 Fürst und Kupferberg, Maximilian von 158 Fürstenberg, Joseph Wilhelm Ernst Fürst von 102
303
Eine Kaiserin und zwei Kaiser
Georg II., König von Großbritannien 61, 85 Gnant, Christoph 102 Godsey, William D. 71 Goethe, Johann Wolfgang von 96 Gotter, Gustav Adolf von 119 Gundel, Paul Anton 100 Guttenberg, Josepha von 223 Harrach, Ferdinand Bonaventura Graf von 41 Harrach, Friedrich August Graf von 41, 57, 124 Hartig, Anton Esaias Graf von 101 Hatzfeld, Karl Friedrich Anton Graf von 66 Haugwitz, Friedrich Wilhelm Graf von 210 Herberstein, Hans Gundacker Graf von 34-36 Hindfort, Johan Carmichael, Lord 199 Iby, Elfriede 158 Isabella von Parma 156, 158, 162f., 168f., 173, 178, 181, 209, 217, 239 Jadot, Jean-Nicolas 34, 187 Johann V., König von Portugal 243 Johann Wilhelm, Kurfürst von der Pfalz 37 Johanna Gabriele, Erzherzogin von Österreich 167, 183
304
Joseph I., Kaiser 21, 70-72, 166, 243 Joseph II., Kaiser 11, 14, 16f., 42, 46-48, 55, 66f., 74, 92, 108f., 116, 122, 131, 133, 137, 144, 154-158, 160163, 167-173, 178f., 181183, 190, 201f., 208-232, 234-243, 245-255, 257-259, 261-269, 273 Karajan, Theodor von 217 Karl der Große, Kaiser 91 Karl V., Kaiser 117 Karl VI., Kaiser 13, 15, 19-22, 25-28, 38-41, 43, 48f., 5658, 67, 69-73, 75, 79, 91, 98, 101f., 108, 117, 120, 132, 134, 141f., 153f., 178, 190, 192, 194, 196f., 203, 272 Karl VII., Kaiser 78, 82-85, 89, 96, 101f., 104, 108f., 122, 166 Karl Albrecht, Kurfürst von Bayern, Kaiser, s. Karl VII. Karl X., König von Frankreich 250 Karl II., König von Spanien 154 Karl III., König von Spanien 168-170, 182, 235f., 239f., 244-247 Karl IV., König von Spanien 182 Karl der Kühne, Herzog von Burgund 196
Register
Karl V., Herzog von Lothringen 20f., 58 Karl Alexander, Prinz von Lothringen 57, 59, 103, 135-137, 140, 142, 253, 265 Karl III. Emanuel, König von Sardinien 174, 177 Karl Joseph, Erzherzog von Österreich 51, 55, 157, 167, 169f., 172, 187 Karl Joseph von Lothringen, Erzbischof von Trier und Bischof von Osnabrück 21 Katharina II., die Große, Zarin 12 Katharina de’ Medici, Königin von Frankreich 10 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton Fürst von 51, 107, 111, 114, 123-128, 134, 138, 142-144, 180, 207, 210, 215f., 221-225, 232, 236, 238, 240-243, 246-248, 255, 260-262, 265 Keith, Robert Murray 64 Khevenhüller-Metsch, Johann Joseph Fürst von 29, 50-52, 64f., 103, 106, 114, 124, 127, 129, 134, 136, 141143, 147, 150, 161-163, 173-175, 187f., 192, 194f., 198f., 201f., 205, 208f., 231, 241, 257 Khevenhüller-Metsch, Ludwig Andreas Fürst von 60 Knebel, Franz Baron von 245
Koch, Ignaz von 126, 144 Königsegg, Joseph Lothar Graf von 58, 60, 124 Königsegg-Rothenfels, Maximilian Friedrich Graf von, Erzbischof von Köln und Bischof von Münster 252 Königsfeld, Johann Georg Graf von 102 Kollonitz, Sigismund Graf von, Kardinal, Erzbischof von Wien 195 Kovács, Elisabeth 115 Lacy, Franz Moritz Graf von 144, 226, 263-267 Lamberg, Joseph Dominikus Graf von, Kardinal, Bischof von Passau 105 Lau, Thomas 72, 110, 125, 163 Laudon, Gideon Ernst von 264 Lenthe, Otto Christian von 119f. Leopold I., Kaiser 20, 70, 82, 90, 243 Leopold II., Großherzog von Toskana, Kaiser 46f., 50, 55, 116, 157, 162-165, 167, 170-172, 179, 182, 213, 222, 229-232, 234, 244247, 253-255, 258, 268 Leopold, Herzog von Lothringen 21-23, 25, 108 Leopold Clemens, Erbprinz von Lothringen 21f. Leopold Johann, Erzherzog von Österreich 153
305
Eine Kaiserin und zwei Kaiser
Lerchenfeld, Walburga Gräfin von 160 Lorenzi, Graf von 34 Louis Antoine von Bourbon, Herzog von Angoulême 250 Louise Elisabeth von Frankreich, Herzogin von Parma 169 Ludwig XIV. König von Frankreich 63 Ludwig XV., König von Frankreich 24, 61, 117, 168f., 176, 239f., 246, 249 Ludwig XVI., König von Frankreich 167, 248-252 Maria von Spanien, Kaiserin 83 Maria I., Königin von England 13, 272 Maria de’ Medici, Königin von Frankreich 132 Maria, Herzogin von Burgund 196 Maria Amalia von Österreich, Kurfürstin von Bayern, Kaiserin 20, 82, 89, 96, 166 Maria Amalia, Erzherzogin von Österreich, Herzogin von Parma 54f., 165, 167, 176f., 181, 238, 240, 244249, 255 Maria Amalia, Erzherzogin von Österreich († 1730) 154
306
Maria Anna von Spanien, Kaiserin 82 Maria Anna, Erzherzogin von Österreich, Königin von Portugal 243 Maria Anna, Erzherzogin von Österreich, Schwester Maria Theresias 26, 28, 75f., 79, 135, 153, 192, 195 Maria Anna, Erzherzogin von Österreich, Tochter Maria Theresias 32, 37, 58, 154f., 167, 174-177, 231, 233, 244 Maria Antonia von Bayern, Kurfürstin von Sachsen 166f. Maria Antonia von Spanien, Königin von Sardinien 175 Maria Elisabeth, Erzherzogin von Österreich († 1740) 32, 58, 154f. Maria Elisabeth, Erzherzogin von Österreich 52, 55, 167, 176f., 181, 235, 244 Maria Elisabeth, Erzherzogin von Österreich, Statthalterin der österr. Niederlande 57 Maria Josepha von Bayern, Kaiserin 14, 173, 178, 201f., 215f., 235 Maria Josepha, Erzherzogin von Österreich 162, 167, 182f., 235-238, 242 Maria Josepha von Österreich, Kurfürstin von Sachsen,
Register
Königin von Polen 20, 117, 167 Maria Josepha von Spanien 168f. Maria Karolina, Erzherzogin von Österreich († 1741) 32, 58, 154f. Maria Karolina, Erzherzogin von Österreich († 1748) 155f. Maria Karolina, Erzherzogin von Österreich, Königin von Neapel 165, 167, 199, 236, 238, 244-246, 249 Maria Kunigunde von Sachsen, Fürstäbtissin von Essen und Thorn 173, 178 Maria Ludowika von Spanien, Großherzogin von Toskana, Kaiserin 164, 245f. Maria Luisa von Parma, Königin von Spanien 181f. Maria Magdalena, Erzherzogin von Österreich 27f., 71, 75f., 192 Maria Margaretha von PfalzNeuburg 90 Maria Therese, Erzherzogin von Österreich, Tochter Josephs II. 156 Maria Theresia von Savoyen, Gräfin von Artois 250 Maria Theresia Charlotte von Frankreich 252 Marie Antoinette (Maria Antonia), Erzherzogin von Österreich, Königin von
Frankreich 51, 159, 162, 165, 167, 208, 240, 248252, 255 Marie Christine, Erzherzogin von Österreich, Herzogin von Sachsen-Teschen 46, 52, 55, 158, 162, 167, 176181, 229-232, 234 Mark Aurel, Kaiser 151 Matthias, Kaiser 82f., 96 Maximilian I., Kaiser 196 Maximilian II., Kaiser 83 Maximilian Franz, Erzherzog von Österreich, Erzbischof von Köln und Bischof von Münster 133, 145f., 157, 172, 231, 252, 254f. Max III. Joseph, Kurfürst von Bayern 20, 83f., 178 Medici, Anna Maria Luisa de’, Kurfürstin von der Pfalz 32, 37 Medici, Gian Gastone de’, Großherzog von Toskana 20, 24, 32, 37 Mercy-Argenteau, Florimond Claude Graf von 173, 248, 251 Merkel, Angela 9 Metsch, Johann Adolf Graf von 102 Meytens, Martin van 27, 150 Modena s. Este Mohr, Andreas 100 Mollenbeck, Bernhard Ludwig 81 Multz, Jakob Bernhard 82
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Eine Kaiserin und zwei Kaiser
Murray, David, Earl of Mansfield, Viscount Stormont 65 Mustafa Efendi 54 Neipperg, Wilhelm Reinhard Graf von 139-141, 145 Neumann, Balthasar 187 Ostein, Johann Friedrich Karl Graf von, Erzbischof von Mainz 85, 89, 93, 104 Pallas Athene 151 Palm, Carl Joseph von 103 Palm, Franz Gottlieb von 103 Pangels, Charlotte 176 Paolucci, Camillo, Nuntius 35, 194f. Pergen, Johann Anton Graf von 114 Peter III., Zar 12 Pfütschner, Karl Baron 121f. Philipp II., König von Spanien 13, 63, 272 Philipp V., König von Spanien 168 Philipp von Spanien, Herzog von Parma 168, 239 Pichler, Karl Joseph von 267 Podewils, Otto Christoph Graf von 106, 133, 157, 159 Prantl, Heribert 9 Reinöhl, Fritz 42 Ricci, Zenobius de 202 Robinson, Thomas 119f. Rohrschneider, Michael 105
308
Rosenberg, Franz Graf von 245 Saint-André, Friedrich Daniel von 143 Santa Elisabetta, Herzog von 235, 242 Schmid, Alois 105-107, 109, 115, 124 Schönborn, Franz Georg Graf von, Erzbischof von Trier und Bischof von Worms 85 Schönborn, Friedrich Karl Graf von, Bischof von Bamberg und Würzburg 109 Seckendorf, Friedrich Heinrich Graf von 58 Seinsheim, Adam Friedrich Graf von, Bischof von Bamberg und Würzburg 115 Serbelloni, Fabrizio, Kardinal, Nuntius 198 Seyfart, Johann Friedrich 111 Sinzendorf, Philipp Ludwig Graf von 44 Sinzendorf, Rudolf Graf von 71, 75 Spener, Jakob Karl 81 Stampo, Carlo 102 Stanislaus Leszczynski, König von Polen 24, 117 Stanislaus Poniatowski, König von Polen 177 Starhemberg, Georg Adam Graf von 51, 128, 220
Register
Starhemberg, Gundacker Thomas Graf von 40, 44, 103, 189 Stollberg-Rilinger, Barbara 15, 28, 72, 103, 162 Stormont, s. Murray Swieten, Gerhard van 201 Sylva-Tarouca, s. Tarouca Tarouca, Emanuel Tellez da Sylva de Meneses y Castro, Graf 129, 133, 181 Thurn, Franz Graf von 234, 258 Tillot, Guillaume du, Marquis von Felino 246 Toussaint, François Joseph 65, 104 Traun, Otto Ferdinand Graf von 85
Williams, Charles Hanbury 110 Wucherer, Heinrich Bernhard 101 Wunder, Heide 13, 31 Wurmbrand, Johann Wilhelm Graf von 101 Zedinger, Renate 20, 23f., 127129 Zeno, Alessandro 194
Ulfeld, Anton Corfiz Graf von 51f., 88, 91f., 100f., 113, 124, 241 Van Gelder, Klaas 49 Viktor Amadeus, König von Sardinien 174f. Waldstätten, Dominikus Joseph Hayeck von 101 Wasner, Ignaz Johann von 119 Wiesenhütten, Franz Freiherr von 63 Wilhelmine Amalie von Braunschweig-Lüneburg, Kaiserin 28, 72, 192, 206
309
Geschichtswissenschaft Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.)
Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 2015, 494 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-2366-6 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2366-0
Reinhard Bernbeck
Materielle Spuren des nationalsozialistischen Terrors Zu einer Archäologie der Zeitgeschichte 2017, 520 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3967-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3967-8
Debora Gerstenberger, Joël Glasman (Hg.)
Techniken der Globalisierung Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie 2016, 296 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3021-3 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3021-7
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Geschichtswissenschaft Alban Frei, Hannes Mangold (Hg.)
Das Personal der Postmoderne Inventur einer Epoche 2015, 272 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3303-0 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3303-4
Manfred E.A. Schmutzer
Die Wiedergeburt der Wissenschaften im Islam Konsens und Widerspruch (idschma wa khilaf) 2015, 544 S., Hardcover 49,99 € (DE), 978-3-8376-3196-8 E-Book: 49,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3196-2
Pascal Eitler, Jens Elberfeld (Hg.)
Zeitgeschichte des Selbst Therapeutisierung – Politisierung – Emotionalisierung 2015, 394 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3084-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3084-2
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