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German Pages 489 [492] Year 1987
Gereon Wolters Mach I, Mach II, Einstein und die Relativitätstheorie
Gereon Wolters
Mach I, Mach II, Einstein und die Relativitätstheorie Eine Fälschung und ihre Folgen
W DE _G 1987 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Als Habilitationsschrift auf E m p f e h l u n g der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
CIP-Kur^titelaufnahme
der Deutschen Bibliothek
Wolters, G e r e o n : Mach I [eins], Mach II, Einstein und die Relativitätstheorie : e. Fälschung u. ihre Folgen / Gereon Wolters. — Berlin ; N e w York : de Gruyter, 1987. ISBN 3-11-010825-9
Gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig — p H 7, neutral)
1987 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. O h n e ausdrückliche G e n e h m i g u n g des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: A r t h u r Collignon G m b H , 1000 Berlin 30 Einband: Lüderitz & Bauer, 1000 Berlin 61
Memoriae Patris Matthias Wolters (1903-1984)
„Die Gabe sich widersprechen zu lassen ist wohl überhaupt eine Gabe, die unter den Gelehrten nur die Todten haben" (Gotthold Ephraim Lessing, Sämtl. Schriften V, ed. K. Lachmann, Stuttgart 31890, 272).
„Muntus fuld tezibi" (Titelkupfer in: J. B.Mencken, De charlataneria eruditorum declamationes duae, Amsterdam 41727).
Vorwort Dieses Buch wurde zwar zur Gänze am Schreibtisch geschrieben, doch was es mitzuteilen hat, sind nur zur Hälfte philosophisch-wissenschaftshistorische Schreibtischgedanken. Die andere Hälfte besteht in der Präsentation und Interpretation von Dokumenten, die zum Teil erst mühsam zu suchen und zu finden waren. Dies wäre vermutlich gar nicht, keinesfalls aber in dem relativ kurzen Zeitraum von weniger als fünf Jahren gelungen, wenn mir nicht viele in freundlicher und großzügiger Weise geholfen hätten. Mein Dank gilt zuerst und zuvörderst drei Frauen, die über ihre Männer mit den Geschehnissen in Berührung kamen, von denen hier berichtet wird: Martha Dingler (f 1982), Anna Karma Mach (f 1983) und Charlotte Ulsenheimer. Aus ihrem umsichtig erhaltenen Besitz stammen diejenigen Dokumente, ohne die dieses Buch nicht hätte geschrieben werden können. Notizen, die mir Martha Dingler zur Verfügung stellte, erregten in mir den ersten Verdacht, daß Ernst Machs Andenken durch eine Fälschung verdunkelt werde. Aus dem Besitz von Anna Karma Mach erhielt ich die Dokumente, die meinen anfänglichen, eher vagen Verdacht zu einer gut gestützten Hypothese machten. Die letzten Zweifel wurden schließlich durch jene Papiere zerstreut, die mir Charlotte Ulsenheimer großzügig im Original überließ (nebst Fernrohr und Mikroskop Machs). Zu danken habe ich in diesem Zusammenhang auch den Gebrüdern Peter und Dr. med. Jürgen Ohlendorf, die als Erben Anna Karma Machs mir mit viel Idealismus und Freundschaft weitergeholfen haben. In diesem Sinne gilt mein Dank auch Herrn Dr. phil. h. c. Otto Schäfer (FAG Kugelfischer, Schweinfurt), der Frau Charlotte Ulsenheimer bei der Übergabe ihrer Nachlaßmaterialien tatkräftig unterstützt hat. Zu danken habe ich ferner unzähligen Archivaren und Bibliothekaren in vielen Ländern. Ich kann sie unmöglich alle im Buch namentlich nennen. Stellvertretend für sie möchte ich mich deshalb bei den Kolleginnen und Kollegen der Konstanzer Universitätsbibliothek bedanken, deren Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit ihrer fachlichen Kompetenz nicht nachstehen. Die Arbeit an diesem Buch ist durch das intellektuelle und menschliche Klima in der Fachgruppe Philosophie der Universität Konstanz entschei-
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Vorwort
dend gefördert worden. Hier habe ich zuerst und vor allem Jürgen Mittelstraß zu danken. Sein Ansporn und sein Beispiel ließen Erschlaffung oder gar Mutlosigkeit erst gar nicht aufkommen; ohne die mir generös überlassenen personellen und technischen Kapazitäten seines Lehrstuhls würde dieses Buch Jahre später die Presse verlassen haben. Sollte es auch lesbar gefunden werden, so ist auch das zu einem guten Teil das Verdienst von gerne übernommenen Vorschlägen zu Aufbau und Stil, die ich ihm verdanke. Martin Carrier hat das Manuskript mit kritischem Auge gelesen und mir wertvolle Ratschläge erteilt. Erika Fraiss, Sigrid Klauschke und Christi Rabe haben über die Jahre mit Kompetenz und Anteilnahme die umfängliche Korrespondenz abgewickelt und Vorfassungen des Buches geschrieben. Erika Fraiss hat das Endmanuskript auf ein formales Niveau gebracht, das meine Entwürfe entschieden überstieg. Peter Borchardt, Harald Borges, Daniela Cagalj-Jarde, Soraya de Chadarevian, Birgit Fischer, Sebastian Kempgen, Klaus Lämmerzahl, Christiane Schildknecht, Harald Schnur, Andrea Schwab, Burkhart Steinwachs und Ralf Thäte haben mir zum Teil erheblich bei meinen Forschungen geholfen. Prof. Dr. Armin Herrmann (Stuttgart) sowie die Konstanzer Professoren Lothar Burchardt, Friedrich Kambartel und Jürgen Mittelstraß haben sich bereitwillig gutachterlicher Verpflichtung im Rahmen meines Konstanzer Habilitationsverfahrens unterzogen. Dafür und für Lob, Tadel und Anregung in ihren Gutachten gilt ihnen gleichermaßen mein Dank. Auf der letzten, beschwerlichen Wegstrecke vor der Fertigstellung des Buches, dem Lesen der Korrekturfahnen, haben mich Harald Borges und Christiane Schildknecht begleitet; sie haben dem Text durch ihr stilistisches Feingefühl den letzten Schliff gegeben und ihm, soweit menschenmöglich, den Druckfehlerteufel ausgetrieben. Meine Archivforschungen wurden dankenswerterweise durch Reisestipendien des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft und der Fritz Thyssen-Stiftung unterstützt. Auch die Universität Konstanz bedachte mich gelegentlich aus ihrem karg bemessenen Forschungsetat. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft schließlich hat die Drucklegung des Werkes durch einen namhaften Druckkostenzuschuß ermöglicht. Beim Zitieren von ungedrucktem Material folge ich, allerdings ohne die Ambition einer kritischen Textausgabe, durchweg pünktlich der Schreibweise des Originals. Jedoch habe ich offensichtliche Schreibfehler und gar zu anarchische Zeichensetzung der besseren Lesbarkeit halber stillschweigend korrigiert. Ferner habe ich ,ss' dort, wo es angeht, durch ,ß' und die gelegentlich ältere Schreibweise von Umlauten (ζ. B. ue) durch
Vorwort
XI
die moderne Form (ζ. B. ü) ersetzt. Wo sich bei der Zitation von Briefen Abweichungen von der gedruckten Fassung in Blackmore/Hentschel (eds.) (1985) ergeben, stimmt die von mir vorgelegte Fassung mit dem Original überein. Konstanz, im Herbst 1986
Gereon Wolters
Inhaltsverzeichnis Vorwort
IX
Einleitung
1 Kapitel I Mach und Einstein. Der Einfluß
§ 1 § 2 § 3 § 4 § 5 § 6 § 7 § 8
§ 9 §10 §11
Vorbemerkungen: Themata der Forschung — Ernst Mach und der Fortschritt der Wissenschaft Der Einfluß I: Machs Kritik am mechanischen Weltbild . . . . Der Einfluß II: Machs Trägheitsprinzip Der Einfluß III: Machs Forschungsprogramm und ,Machsches Prinzip' Exkurs: Raumzeit, Mach und Howard Stein Der Einfluß IV: Methodologische Grundsätze der Kritik physikalischer Grundbegriffe (Spezielle Relativitätstheorie) Der Einfluß V: Machs Methodologie und Wissenschaftsphilosophie Der Einfluß VI: Machs Persönlichkeit. Mit einem Exkurs zur Frage: Hat sich Machs positive Einstellung zum Sozialismus geändert? Einsteins Besuch bei Mach Exkurs: Kakanischer Sokrates I, oder: War Ernst Mach ein theoretischer Physiker? Exkurs: Kakanischer Sokrates II, oder: War Mach ein Philosoph?
11 20 37 49 70 91 101
120 130 135 139
Kapitel II Mach und Einstein. Die Briefe und ein Besuch Philipp Franks bei Mach § 12 §13 §14 § 15
Die Briefe. Ihr Auftauchen Die Briefe. Text und Analyse Die Datierung eines undatierten Einstein-Briefes Hat Einstein fünfmal an Mach geschrieben?
148 149 153 161
XIV
Inhaltsverzeichnis
§16 §17
Philipp Franks Besuch bei Mach und eine Folgerung daraus Machs publizierte Äußerungen zur Relativitätstheorie
163 167
Kapitel III Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat §18 §19 § § § § §
20 21 22 23 24
§ 25
Vorläufiges Resümee und Ausblick Mach und die Relativitätstheorie im Jahre 1914. Die Korrespondenz mit Joseph Petzoldt Die Korrespondenz mit Kurt Geissler Die Korrespondenz mit August Föppl Die Korrespondenz mit Leo Gilbert Die Korrespondenz mit Maurice Gandillot Hat Mach 1915 die Relativitätstheorie verworfen? Die Korrespondenz mit Vinko Dvorak Was Mach nicht gesagt hat. Anton Lampa und Friedrich Adler
172 173 191 195 196 198 199 200
Kapitel IV Mach und die Mach-Forschung I: Interne Hypothesen zu Machs angeblicher Ablehnung der Relativitätstheorie § 26 § 27 § 28 § 29
§ 30 §31 § 32
Einleitende Bemerkungen War Mach gegen das Relativitätsprinzip oder gegen das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit? War Mach ein Gegner der .theoretischen Physik'? Haben der traditionelle Kausalbegriff oder der Begriff des Inertialsystems Mach zur Ablehnung der Relativitätstheorie bewogen? Lehnte Mach vierdimensionale Räume in der Physik ab? . . . Zu Argumenten von Gerald Holton Exkurs: Theismus, Mach und Stanley Jaki
203 206 213
218 227 237 240
Kapitel V Mach und die Mach-Forschung II: Externe Hypothesen zu Machs angeblicher Ablehnung der Relativitätstheorie § 33 § 34 § 35
War die Relativitätstheorie für Mach ,dogmatisch'? 252 Hat Mach alters- und krankheitsbedingt die Relativitätstheorie nicht mehr verstanden und sie deshalb abgelehnt? 254 Hat Hugo Dingler Mach zur Ablehnung der Relativitätstheorie bewogen? 256
Inhaltsverzeichnis
XV
Kapitel VI Was wirklich geschah I: Vorgeschichte § 36 § 37 § 38 § 39
Biographisches Intermezzo I: Mach und seine Familie 274 Biographisches Intermezzo II: Ludwig Mach — Lebenslauf . 286 Ludwig als Erbe Machs 294 Der erste Band der Optik und seine Widmung 322
Kapitel VII Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie § 40 § 41 § 42 § 43 § 44 § 45 § 46
Das Optik- Vorwort Ludwig Mach und die Relativitätstheorie I Ludwig Mach und die Relativitätstheorie II Diadochenkämpfe um das Erbe Machs. Erste Runde Diadochenkämpfe um das Erbe Machs. Zweite Runde Der zweite Band der Optik — ein Phantom Schluß
328 336 343 351 365 375 402
Beilagen Beilage 1: Tagebucheintragung Dinglers über seinen ersten Besuch bei Ernst Mach Beilage 2: Tagebucheintragung Dinglers über seinen zweiten Besuch bei Ernst Mach am 15. Juli 1913 Beilage 3: Aus autobiographischen Manuskripten Dinglers Beilage 4: Ludwig Mach: „Experimentalreihe als Einleitung für den II. Teil der Optik gedacht" Beilage 5: Abhandlungen von Ludwig Mach Beilage 6: Gutachten Gehrcke Beilage 7: Gutachten Lenard Beilage 8: Aus Prozeßakten des Münchener Landgerichts Beilage 9: Auszüge aus dem Urteil des Münchener Oberlandesgerichts
407 409 412 416 419 428 429 431 442
Nachweise A: Archive B: Abkürzungen C: Literatur
448 449 449
Register
463
Einleitung A u f den ersten Blick scheint es hinsichtlich des Verhältnisses v o n Ernst Mach 2ur Relativitätstheorie keine Fragen zu geben. Denn unmißverständlich ist im V o r w o r t zu Machs Prinzipien der physikalischen Optik, über dem Datum „Juli 1 9 1 3 " folgendes zu lesen: „Den mir zugegangenen Publikationen und vor allem meiner Korrespondenz entnehme ich, daß mir langsam die Rolle eines Wegbereiters der Relativitätslehre zugedacht wird. Nun kann ich mir heute ein ungefähres Bild davon machen, welche Umdeutungen und Auslegungen manche der in meiner Mechanik niedergelegten Gedanken von dieser Seite in Zukunft erfahren werden. Wenn Philosophen und Physiker den Kreuzzug gegen mich predigten, so mußte ich dies natürlich finden, und war damit ganz einverstanden, denn ich war, wie ich dies wiederholt dargetan habe, auf den verschiedenen Gebieten doch nur ein unbefangener Spaziergänger mit eigenen Gedanken, muß es aber nun mit derselben Entschiedenheit ablehnen, den Relativisten vorangestellt zu werden, mit welcher ich die atomistische Glaubenslehre der heutigen Schule oder Kirche für meine Person abgelehnt habe. Warum aber und inwiefern ich die heutige mich immer dogmatischer anmutende Relativitätslehre für mich ablehne, welche sinnesphysiologischen Erwägungen, erkenntnistheoretische Bedenken und vor allem experimentell gewonnene Einsichten mich hierzu im einzelnen veranlaßten, das soll in der Fortsetzung dieses Werkes dargetan werden. Gewiß wird die auf das Studium der Relativität verwendete immer mehr anschwellende Gedankenarbeit nicht verloren gehen, sie ist heute schon für die Mathematik fruchtbringend und von bleibendem Wert, wird sie sich aber in dem physikalischen Weltbild einer ferneren Zeit, das sich in eine durch mannigfache weitere neue Einsichten erweiterten Welt einzupassen hat, behaupten können, wird sie in der Geschichte dieser Wissenschaft mehr wie ein geistreiches Apergu bedeuten? [...]" — Gezeichnet: „München-Vaterstetten, Juli 1913. Ernst Mach" (Ο., VIII f.). Machs Optik, aus deren angeblich 1 9 1 3 geschriebenem V o r w o r t hier zitiert wurde, erschien allerdings erst 1 9 2 1 , fünf Jahre nach dem Tode ihres Verfassers. Ähnlich wie im Optik-Vorwort konnte man im V o r w o r t der v o n Ernst Machs Sohn Ludwig besorgten 9. Auflage (1933) der Mechanik den folgenden angeblichen Ausspruch Ernst Machs lesen:
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Einleitung
„Ich habe die Newton'schen Prinzipien nicht als Vollkommenes, Abgeschlossenes angesehen, ich kann aber auf meine alten Tage die Relativität ebenso wenig wie die Existenz der Atome und so manches andere als ein Dogma hinnehmen" (Μ., XIX).
Das Studium der Werke Machs sowie der in diversen Archiven lagernden und noch mehr der von mir gesuchten und gefundenen Mach-Materialien haben mich zu der Überzeugung geführt, daß die beiden hier zitierten Texte gefälscht sind: gefälscht von Ernst Machs ältestem Sohn, Dr. med. Ludwig Mach (1868-1951). Das vorliegende Buch ist zum einen ein auf vielfache Weise dokumentarisch gestützter Bericht über diese Fälschung. Dabei wird ein Schmierenstück ersten Ranges enthüllt. In ihm greifen die Komparsen der Physikgeschichte ungeniert nach der Hauptrolle. Die Hauptdarsteller werden zu Marionetten an Fäden, die von Personen gezogen werden, die aus verschiedensten Motiven in das Spiel hineingeraten sind. Zum anderen ist in diesem Buch über verschiedene Aspekte der Machforschung zu berichten, in denen das historische Schmierenstück eine würdige Fortsetzung gefunden hat. Ein so delikates Unternehmen wie der Nachweis einer Fälschung verlangt, daß alle Karten offen auf den Tisch gelegt werden. Denn warum sollte der angebliche Nachweis einer Fälschung nicht auch selbst, um sprachlich im Bereich von Betrug und Gaunerei zu bleiben, mit gezinkten Karten erbracht worden sein? Um etwaige Bedenken dieser Art zu zerstreuen, soll im folgenden kurz der Ablauf meiner Forschungen skizziert werden. Ende 1977, kurz nach meiner Promotion, wurde ich von Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß (Konstanz) ermuntert, mich doch einmal mit dem Nachlaß des Philosophen und Wissenschaftstheoretikers Hugo Dingler (1881 — 1954) zu beschäftigen. Da ich wußte, daß im Dingler-Nachlaß noch Schätze wie seine Korrespondenz mit Rudolf Carnap darauf warteten, gehoben zu werden, 1 griff ich die Anregung von Mittelstraß bereitwillig auf. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte das Projekt. Dr. Peter Schroeder-Heister (Konstanz) und ich kopierten uns sodann bei zwei Gelegenheiten im Jahre 1978 in der Aschaffenburger Wohnung von Frau Martha Dingler, der Witwe Hugo Dinglers, durch die wichtigsten Teile
1
Über die Carnap-Dingler Korrespondenz habe ich in Wolters (1984) sowie Wolters (1985 b) berichtet.
Einleitung
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des immensen Dingler-Nachlasses hindurch. 2 Nach Abschluß der Katalogisierung arbeitete ich zunächst an der Carnap-Dingler-Korrespondenz. Dabei wurde klar, daß Dinglers Tagebücher vermutlich zu einem besseren Verständnis des Verhältnisses von Carnap und Dingler beitragen würden. Aber Martha Dingler hatte die Tagebücher ihres Mannes nicht freigegeben und gedachte auch nicht, dies zu ihren Lebzeiten noch zu tun. Sie war aber bereit, mir auszugsweise Kopien der Tagebücher aus den Jahren der Carnap-Dingler-Korrespondenz zu überlassen. Darunter war auch Tagebuch Nr. 10 vom 5. November 1924 bis zum 14. Juni 1926.3 Dort las ich allerlei Unerfreuliches über einen Mann namens Mach. So ζ. B. unter Montag, dem 16. November 1925 mit Bezug auf den vorangegangenen Samstag: „V2l2 h Mach; mit ihm in Caffee Universität (in München, G. W.). Seine Confession. Völliger pekun[iärer] Zusammenbruch, er ernährt eine große Zahl ihm anhangender gebrochener Menschen" (40). Für den nächsten Tag, einen Sonntag, heißt es: „Darnach zu Pfaff, von Mach gesprochen 2 Stunden. Er will ihm ein wenig helfen, auf das Haus geht er nicht ein. Es stellt sich heraus, daß Mach mich trotz Confession wieder vielfach angelogen" (ebd.). — Samstag, den 21. November 1925: ,,'Λό11 mit L. Mach getroffen, gab ihm den Scheck über 500 M[ark] von Dr. Pfaff. Langer Spaziergang am Kanal. Es ist kein erfreuliches Geschäft, in dieses Elend so tief zu schauen. Keines seiner Geschwister kann sich selbst erhalten" (42). — Montag, den 21. Dezember 1925: „Heute L. Mach. Gab ihm die zweiten 500 M[ark] von Pfaff (46). — Und schließlich unter dem 16. Februar 1926: „Gestern mit L. Mach. Er ist völlig erledigt. Seine Frau hat ihn ruiniert. Sie lebt einfach gradaus weiter und er hat nichts. Er braucht monatlich 200 M[ark für] Cocain und für noch mehr Insulin für sie" (52). — ,Kokain'! Ich muß gestehen, daß mein Interesse am CarnapDingler-Briefwechsel sich augenblicklich stark minderte. Ich hatte das deutliche Gefühl, daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zugehe. Um mir ein möglichst genaues Bild zu verschaffen, begann ich mit dem Studium der Sekundärliteratur. Hier war vor allem Blackmores
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Die Frucht unserer Mühen ist: G. Wolters/P. Schroeder, Der wissenschaftliche Nachlaß von Hugo Dingier (1881—1954). — Verzeichnis — mit einer Bibliographie der Schriften Dinglers, Konstanz 1979 (als Manuskript gedruckt). Nach dem Tod von Martha Dingler (1982) gelangte Dinglers wissenschaftlicher Nachlaß einschließlich der Tagebücher in die Hofbibliothek Aschaffenburg, eine dem Freistaat Bayern gehörende Institution. Die Tagebücher Dinglers sind großenteils numeriert. Im folgenden werden die Dingler-Papiere mit (HDA) abgekürzt. — Herrn Dipl. Bibl. Hartleitner von der Hofbibliothek danke ich für vielfache Unterstützung.
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Einleitung
daten- und materialreiche Darstellung in seiner Mach-Biographie (Blackmore (1972)) sehr wichtig. Durch dieses Buch wurde ich auf einen Teil der über die halbe Welt verstreuten Korrespondenz Machs aufmerksam. Blackmore waren auch bereits gewisse Unstimmigkeiten zwischen Ernst Mach, Ludwig Mach und dem Berliner Mach-Freund Joseph Petzoldt bei der Schilderung eines Ereignisses aus dem Jahre 1914 nicht entgangen. Doch Blackmore hatte hieraus keine weiteren Schlußfolgerungen gezogen. Inzwischen hatte ich die Arbeitshypothese aufgestellt, das Optik-Vorwort und das oben wiedergegebene angebliche Mach-Zitat aus dem Vorwort zur 9. Auflage der Mechanik seien gefälscht. Es kam nun natürlich darauf an, möglichst viele Dokumente zu finden, die meine Arbeitshypothese stützten, dabei aber gleichzeitig sorgfältig auf alles zu achten, was geeignet wäre, sie zu widerlegen. Im Januar 1982 starb Martha Dingler. Wenig später konnte ich in die restlichen Tagebücher Einblick nehmen. Das half weiter. Unter dem 14. November 1951 notierte Dingler: „Gestern mit Martha bei Frau [Anna] Karma Mach in Vaterstetten, da Ludwig M. v o r ca. 2 Monaten starb. Ich brachte ganz vorsichtig das Gespräch auf den [im Optik-Vorwort versprochenen] 2. Bd. der Optik. 4 Vor allem: das M[anu]sk[ri]pt ist da. Sie erzählte, er habe es immer vernichten wollen, aber sie habe es ihm aus den Augen geräumt. Sie hat einen gewissen ,Dr.' Ulzheimer [!], der angeblich bei Föppl 5 arbeitet, aber nicht im Verzeichnis der T.H. [München] steht. Der will .weiterarbeiten', interessiert sich aber am meisten für sein [d. i. Ludwig Machs] Eierpatent u. sonstige Erfindungen" [Tagebuch, unnumeriert, zweifach paginiert, 53 bzw. 65).
Am 12. Dezember 1951 notierte Dingler: „Heute bei Dr. Ulzheimer in Τ. H. Er ist dabei, sich für technische Mechanik zu habilitieren. Er erzählte, Frau Mach habe das Manuskript des zweiten Bandes der Optik von Ernst Mach gesucht, es aber nicht gefunden bisher. Ludwig Mach hatte ja geschrieben, er werde es verbrennen. [...] Dr. Ulzheimer sagt, es sei auch möglich, daß ein junger Neffe von L. Mach, bzw. dessen
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In diesem Band sollten laut Optik-Vorwort die Argumente für die Ablehnung der Relativitätstheorie geliefert werden. Der in den 60er Jahren verstorbene Ludwig Föppl (*1887) war Professor an der Technischen Hochschule München und ein Sohn von August Föppl, in dessen von Max Abraham bearbeitetem Lehrbuch Einstein als Student die Maxwellsche Theorie gelernt hatte (cf. § 6, Anm. 3).
Einleitung
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Frau, die dort im Haushalt half, das M[anu]sk[ri]pt gestohlen haben, da sie meinten nach abgehörten Gesprächen, daß das etwas ,wertvolles' sei" (ebd. 57 bzw. 69).6 Das war Dinglers letzter Tagebucheintrag in Sachen Mach und Band II der Optik mit der für dieses Buch versprochenen Kritik der Relativitättheorie. Die beiden Aufzeichnungen Dinglers vom 14. November und vom 12. Dezember 1951 gaben mir einen wichtigen Hinweis. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob zwischen beiden Einträgen ein Widerspruch bestünde: Am 14. November 1951 berichtet Dingler in seinem Tagebuch die Aussage von Ludwig Machs Frau Anna Karma, sie habe ,Ulzheimer' das Manuskript des zweiten Bandes von Machs Optik gegeben. Am 12. Dezember bestreitet ,Ulzheimer' eben das gegenüber Dingler (und Dingler glaubt ihm). Hatte hier jemand gelogen? — Diese Annahme schien mir nicht plausibel. Könnte es nicht so gewesen sein, daß Frau Mach ,Ulzheimer' irgendwelche Papiere aus dem Nachlaß übergeben hatte, die sie, nachdem ihr Dingler dies in den Mund gelegt hatte, für den zweiten Band der Optik hielt? ,Ulzheimer' prüfte die Papiere, so weiter meine Vermutung, stellte fest, daß es nicht das ominöse Optik II-Manuskript war und erzählte eben dies Dingler. Das wiederum mußte bedeuten, daß ,Ulzheimer' über Dokumente verfügte, die möglicherweise für meine Forschungen wichtig waren. Also versuchte ich, ,Ulzheimer' zu identifizieren. Das Münchener Telefonbuch half mir nicht weiter. Aber der 135. Band des „Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums (GV) (1911 — 1965)" (ed. R. Oberschelp, München 1981) verzeichnete die Dissertation „Über die Knikkung dünner Platten" (o. O. 1949) eines gewissen Gottfried Ub?«heimer, angenommen von der TH München im Jahre 1950. Zwar enthielt diese Dissertation kein curriculum vitae, wohl aber auf dem Titelblatt den Hinweis, daß ihr Verfasser aus Schweinfurt stamme. Ein Blick ins Schweinfurter Telefonverzeichnis förderte eine ganze Reihe Ulsenheimer zutage, und bald hatte ich Kontakt zu Frau Charlotte Ulsenheimer, die zurückgezogen an einem oberbayrischen See lebt. Frau Ulsenheimer bestätigte meine Vermutung. Es waren tatsächlich Papiere aus dem Machschen Nachlaß an ihren Mann gegangen, die sich nach dessen Tod nunmehr in ihrer Obhut befanden. Durch Vermittlung von Dr. phil. h. c. Otto Schäfer, damals 6
Bei dem .jungen Neffen' kann es sich nur um Ernst Machs einzigen überlebenden Enkel Walter Mach handeln. Wie noch ausführlich gezeigt wird (cf. bes. § 45) ist Anna Karma Machs Verdacht nicht zutreffend.
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Einleitung
geschäftsführender Gesellschafter der FAG Kugelfischer 7 in Schweinfurt, dessen Familie mit dem Ehepaar Ulsenheimer von alten Zeiten her befreundet war, wurde es mir ermöglicht, in den Räumen der FAG die „Ulsenheimer-Papiere" (Abkürzung: (ULS)) einzusehen und zu kopieren. 8 Inzwischen hatte ich auch die seit den frühen 60er Jahren im Ernst-MachInstitut der Fraunhofer-Gesellschaft in Freiburg verwahrte Korrespondenz aus dem Nachlaß Machs eingesehen — nebst anderen dort lagernden Materialien (Abkürzung: (EMA)). 9 Ferner hatte ich mit Frau Anna Karma Mach, der Witwe Ludwig Machs, in Vaterstetten bei München Kontakt aufgenommen, da ich vermutete, auch hier seien noch wichtige Dokumente erhalten geblieben, die nicht an (EMA) gegangen waren. Frau Mach — in bereits biblischem Alter (sie starb 95jährig im August 1983) — hatte die Beantwortung aller Anfragen, die mit Ernst Mach zu tun hatten, an stud. phil. Peter Ohlendorf übertragen. In selbstloser Hilfsbereitschaft haben Peter und später auch sein Bruder Dr. med. Jürgen Ohlendorf (beide sind heute indirekt Erben Machs) meine Arbeiten unterstützt. Ohne insbesondere Peter Ohlendorfs Aufmerksamkeit und Umsicht hätte dieses Buch längst nicht jene Überzeugungskraft, die es beansprucht. Letzte Materialien aus dem Hause Mach erhielt ich im Frühjahr 1984, kurz vor dem geplanten Abriß des seinerzeit von Ludwig Mach für sich und seine Eltern gebauten Hauses in Vaterstetten, und dann im Dezember 1984. Die „Vaterstettener Papiere" (Abkürzung: (VAT)) befinden sich im Besitz der Gebrüder Ohlendorf und in Kopie in (PAUK). — Soviel zur Vorgeschichte dieses Buches. Das Buch selbst verfolgt drei miteinander zusammenhängende Ziele. Erstens soll meine Fälschungsthese begründet werden. Zweitens möchte 7
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Die F A G Kugelfischer Georg Schäfer, so der volle Name, ist seit Ende 1985 eine Aktiengesellschaft mit Dr. Otto Schäfer als Aufsichtsratsvorsitzendem. Die Produktion des traditionsreichen Familienunternehmens geht auf Patente Friedrich Fischers (,Kugelfischer') aus dem Jahre 1883 und später zurück, mit deren Hilfe die Herstellung von Kugeln für Kugellager revolutioniert wurde. Bei meinem Aufenthalt in Schweinfurt wurde ich von Herrn Dr. Hans Schlicht (Direktor Werkstofftechnik) und Dipl. Phys. Reinhard Falk (Abt. Physik Labor) mit großer Freundlichkeit betreut. Herr Fuchs, ein weiterer Mitarbeiter der Firma, kopierte unermüdlich. Den genannten Herren sowie Herrn Dr. Otto Schäfer gilt mein herzlicher Dank f ü r ihre liebenswürdige und großzügige Förderung der Wissenschaft, die in diesem Fall ja gewiß nichts mit dem Geschäftszweck der Firma zu tun hat. — Im September 1985 konnten die Ulsenheimer-Papiere dank der Großherzigkeit v o n Frau Charlotte Ulsenheimer und erneut unter Mithilfe von Dr. Schäfer in das Philosophische Archiv an der Universität Konstanz (Abkürzung: ( P A U K ) ) übergehen. Dr. Reichenbach, Dr. Stilp und Frau Zintgraf haben dankenswerterweise meine Forschungen in Freiburg tatkräftig unterstützt.
Einleitung
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ich die zu Machs angeblicher Stellungnahme gegen die Relativitätstheorie vorgebrachten Auffassungen kritisieren. Drittens werde ich Machs Methodologie und Philosophie in ihren Grundzügen darstellen. Diese methodologisch-philosophischen Ausführungen zu Mach erfolgen zum einen im Kontext der Darstellung seines Verhältnisses zu Einstein, zum anderen im Zusammenhang meiner Kritik der üblichen Mach-Mißverständnisse. 10 Dabei bediene ich mich weitgehend einer von P. Feyerabend wiederentdeckten Methode, die Gotthold Ephraim Lessing eingeführt hat: Der ,Lessing-Effekt' n stellt Gerüchten über kaum gelesene, aber gewohnheitsmäßig niedergemachte Autoren schlicht deren Texte gegenüber. Daneben flechte ich Exkurse zu Mach und seinen Kritikern ein, die nicht direkt mit dem Thema ,Mach und die Relativitätstheorie' zu tun haben, aber doch zur Klärung des Machbildes und des Niveaus mancher Machkritik beitragen können. Die ersten beiden Kapitel behandeln das Verhältnis von Mach und Einstein. Hier habe ich mich um eine umfassende Klärung der systematischen und historischen Aspekte bemüht und glaube, einige neue Gesichtspunkte und historische Forschungsresultate vorzustellen. Es wird sowohl der Einfluß Machs auf Einstein analysiert als auch in einem ersten Durchgang die Frage erörtert, wie Mach auf die Relativitätstheorie reagiert hat. Neben den gedruckten Äußerungen von Mach und Einstein werden auch Einsteins Briefe (bzw. eine Postkarte) an Mach vollständig wiedergegeben und analysiert. Dabei ergibt die richtige Datierung eines undatierten Briefes von Einstein an Mach bereits einen deutlichen Hinweis auf die beachtliche 10
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Der daran interessierte Leser kann die entsprechenden Ausführungen leicht anhand des Registers ausfindig machen. Feyerabend (1984), 127: „In his younger years Gotthold Ephraim Lessing, the German playwright, historian and literary critic composed a series of essays called Rettungen (rehabilitations) designed to save the reputation of well-known but unjustly maligned authors. His procedure was simple: he compared the rumors with the texts the authors had left behind. He found that traditional accusations which had been repeated with an air of disdain by scholars and the ,educated public' alike were not just incorrect, but obviously and blatantly so — the evidence was there for all to see and it said the opposite of what appeared in the orthodox accounts." — Meine Einschätzung Machs trifft sich in allen wesentlichen Punkten mit derjenigen Feyerabends. Das ist mir peinlich, denn in der Arbeit Feyerabends, aus der gerade zitiert wurde, heißt es (130): „the mere thought of being surrounded, as some so-called philosophers are, by a bunch of tailwagging zombies already makes me sick." So bleibt nur die Hoffnung, daß er im Sinne von ,Anhang 3' v o n Wider den Methoden^wang verfährt: „Als Professor Wigner eine meiner anarchistischen Predigten gehört hatte, erwiderte er: ,Aber Sie lesen doch sicher nicht alle Manuskripte, die Ihnen die Leute schicken, sondern werfen die meisten von ihnen in den Papierkorb.' Ganz gewiß tue ich das" (Feyerabend (1976), 302).
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Einleitung
Konfusion, in welche sich die Mach-Forschung bei der Untersuchung von Machs Position zur Relativitätstheorie hineinmanövriert hat. Das Resultat der Analyse der Einstein-Briefe sowie der kurzen publizierten Stellungnahmen Machs zur Relativitätstheorie zeigt, daß der über 70jährige, kranke Mach der Relativitätstheorie wohlmllend gegenüberstand und in dieser Theorie eine Anwendung eigener methodologischer Konzeptionen und eine Weiterbildung programmatischer Visionen erblickte, die er vor Jahrzehnten selbst entwickelt hatte. Seine publizistischen Äußerungen, allesamt Fußnoten, zeigen sein Bestreben, auf diese bis dahin nicht beachtete Kontinuität zwischen dem eigenen und dem relativistischen Denken aufmerksam zu machen. Mach mußte dies um so wichtiger sein, als er von Planck just zu jener Zeit öffentlich als falscher Prophet apostrophiert worden war. Im dritten Kapitel untersuche ich die Machsche Korrespondenz, die zeigt, daß sich Mach noch im Jahre 1914, also nach dem ,Juli 1913' des Optik-Vorworts, in unzweideutiger Weise positiv zur Relativitätstheorie geäußert hat. In diesem Zusammenhang wird auch Machs einzig bekanntes, authentisches Bedenken hinsichtlich der Relativitätstheorie erörtert. Dabei handelt es sich um das spezielle Relativitätsprinzip. Ich argumentiere dafür, daß eben dieses Bedenken Mitte 1913 durch die erste (noch unzulängliche) Formulierung der Feldgleichungen der Gravitation (in Einstein/ Grossmann (1913)) ausgeräumt wurde. Ferner wird gezeigt, daß es für die vielfach geäußerte Vermutung, Mach habe sich am Prinzip der Konstanz der Vakuumlichtgeschwindigkeit gestoßen, keine Hinweise gibt, wohl aber für das Gegenteil. Das vorliegende Buch beabsichtigt, den dokumentarisch-historischen Aspekt des Themas ,Mach und die Relativitätstheorie' umfassend und abschließend zu bearbeiten. Deshalb ist es erforderlich, auch eine Reihe von ,Negativresultaten' zu präsentieren; d. h. es ist von Bemühungen zu berichten, bestimmte Korrespondenzen aufzufinden, in denen sich Mach mutmaßlich zur Relativitätstheorie geäußert hat, und die Gründe darzulegen, warum auch in Zukunft nicht mit einem Auffinden dieser Korrespondenzen gerechnet werden kann. In den Kapiteln IV und V setze ich mich mit den mir bekanntgewordenen Auffassungen der Mach-Forschung darüber auseinander, warum Mach die Relativitätstheorie abgelehnt habe. Das vierte Kapitel widmet sich den dabei vorgebrachten ,internen' Argumenten. Das sind Argumente, die von Historikern und Philosophen gewissermaßen stellvertretend für Mach geäußert wurden. Das Optik-Vorwort ist ja nur ein barscher, argumentfreier Ausfall. Ich verkenne nicht, daß es reizvoll sein mag, sich darüber
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Gedanken zu machen, warum Mach die Relativitätstheorie abgelehnt habe, solange man das Optik-Vorwort für echt hält. Ich verkenne außerdem nicht, daß es leicht ist, sich über solche Argumente zu amüsieren, wenn man weiß, daß sie das Gegenteil von dem ,beweisen' sollen, was tatsächlich geschehen ist. Ferner halte ich die Fehlbarkeit aller (auch der eigenen) menschlichen Bemühungen für einen guten Grund, mit anderen nicht zu streng zu verfahren, wenn man sich im Recht glaubt. Dennoch habe ich der Versuchung widerstanden, meine Kritik an den internen Argumenten in homöopathischen Dosen zu verabreichen. Dies entspräche gewiß den Gepflogenheiten des Wissenschaftsbetriebs, in dem eine Krähe der anderen selten ein Auge aushackt. Auch den gutgemeinten Ratschlägen von Freunden, mich hin und wieder doch etwas diplomatischer auszudrücken, konnte ich mich nicht immer anschließen. Und zwar deswegen, weil ich mich angesichts des gelegentlich skandalösen Niveaus dieser Argumente (das Wort .Argument' ist oft genug eigentlich schon zu hoch gegriffen) zu einem deutlichen Wort nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet fühle. Es ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, daß die internen Argumente, beginnend mit der zweiten Hälfte der 60er Jahre, ausschließlich von ,antipositivistisch' orientierten Philosophen und Wissenschaftshistorikern vorgetragen wurden. Diese Kollegen haben sich ihr Geschäft etwas leicht gemacht: sie versuchen den ,.Positivismus' zu desavouieren, indem sie Mach, der sich ja nicht mehr wehren kann, das Schild ,Positivismus' umhängen und ihn sodann als einen bornierten Schwachkopf hinstellen. Ich muß gestehen, daß ich eine derartig konzentrierte Mischung aus tiefsitzendem Vorurteil und intellektueller Schlamperei, gelegentlich bis hin zu glatter Inkompetenz, ja Infamie, bisher in der zeitgenössischen Philosophie und Wissenschaftsgeschichte weder angetroffen habe, noch auch je erwartet hätte. So glaube ich, daß meine Kritik an den internen Argumenten in ihrer Deutlichkeit zwar ungewöhnlich ist, aber dennoch stets der Sache gilt und nicht unfair ist. 12 Während in Kapitel IV die Versuche zurückgewiesen werden, Ernst Mach für eine antipositivistische Kampagne zu instrumentalisieren, setzt sich Kapitel V mit Machforschern auseinander, deren Machbild das hermeneutisch zulässige Spektrum nicht verläßt. Ihnen als Kennern des Machschen Wtrks mußte das Optik-Vorwort wie ein Fremdkörper erscheinen, 12
Ich habe die kritisierten Auffassungen ausgiebig zitiert. Leser, die besorgen, hier oder dort sei etwas aus dem Zusammenhang gerissen, mögen die entsprechenden Schriften lesen und dann urteilen.
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den alle Interpretationskünste nicht zu integrieren vermochten. Sie haben deshalb ihre Zuflucht zu .externen' Hypothesen über die vermeintliche Ablehnung der Relativitätstheorie genommen, d. h., sie haben versucht, in den Machschen Lebensumständen einen Fingerzeig für die Irrationalität des Optik-Vorworts zu finden. Zwei Gesichtspunkte sind es vor allem, die immer wieder vorgebracht werden. Einmal seien es eine durch Machs schwere Erkrankung hervorgerufene Beeinträchtigung und Verbitterung, die ihn zum Optik-Vorwort getrieben hätten, zum anderen der angeblich schädliche Einfluß Hugo Dinglers. Beide Gesichtspunkte haben vor den Tatsachen keinen Bestand, ebensowenig die Vermutung, Mach habe Plancks ,Dogmatismus' treffen wollen. Die beiden letzten Kapitel stellen, gestützt auf eine Fülle bisher unbekannter bzw. unzugänglicher oder nicht beachteter Dokumente, dar, wie es wirklich gewesen ist. Eine solche Darstellung muß ins volle Leben greifen und Dinge zur Sprache bringen, die normalerweise eher in Kriminalromanen als in wissenschaftshistorischen oder philosophischen Abhandlungen ihren Platz haben. Ich hoffe, daß mir der Leser darin zustimmt, daß ungewöhnliche Umstände ungewöhnliche Mittel verlangen. Vom ,grünen Tisch' aus hätte sich das Rätsel ,Mach und die Relativitätstheorie' wohl schwerlich lösen lassen. So wird von Geld und Ruhm, Not und Verstrikkung die Rede sein. Wir werden es vor allem mit Machs ältestem Sohn Ludwig, einem Gehetzten und Gescheiterten, zu tun haben. Bar tieferer physikalischer Kenntnisse, aber gefördert von Interessenten und vermeintlichen Helfern, hielt er sich für fähig, das Werk des Vaters fortzusetzen' und in ,SEINEM Sinne', allerdings auch unter SEINEM Namen, die Relativitätstheorie abzulehnen'. Dabei versprach er Argumente, ohne sie je liefern, ja überhaupt verstehen zu können. Relativitätstheorie war für ihn Interferometrie 13 und wissenschaftliche Arbeit bestand darin, sie anzukündigen. Das Ergebnis war eine aus der Not geborene, auf einer Lebenslüge aufgebaute kümmerliche Existenz. Eine Existenz allerdings, die trotz ihrer Jämmerlichkeit ausgebeutet wurde und — in gewisser Hinsicht auch in diesem Buche — bis auf den heutigen Tag ausgebeutet wird.
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A u f der Interferometrie scheint ein Fluch zu lasten: In seinem MogeljaktoY k n c i k t t ' Λ Fölsing (Fölsing (1978)) über eine Reihe v o n Schlampereien, Fälschungen tnd Betrügereien im Wissenschaftsbetrieb. Nach Fölsing hat es „zumindest einmal" (a. a. 3 . , 73)-auch in der Physik einen echten Betrugsversuch gegeben. Es ging dabei um ein von Einstein vorgeschlagenes Experiment, das über die ,Natur der Lichtstrahlung' Aufklärung bringen sollte. Ein Mann namens Rupp versuchte, mit gefälschten Fotos v o n Interferenzen Lorbeeren zu ernten.
Kapitel I Mach und Einstein. Der Einfluß § 1 Vorbemerkungen: Themata der Forschung — Ernst Mach und der Fortschritt der Wissenschaft Zitieren war nicht gerade eine starke Seite des Wissenschaftlers Albert Einstein. In einem Artikel aus dem Jahre 1907 äußerte er sich zu ausführlichem Literaturstudium so: „Es scheint mir in der Natur der Sache zu liegen, daß das Nachfolgende zum Teil bereits von anderen Autoren klargestellt sein dürfte. Mit Rücksicht darauf jedoch, daß hier die betreffenden Fragen von einem neuen Gesichtspunkt aus behandelt sind, glaubte ich, von einer für mich sehr umständlichen Durchmusterung der Literatur absehen zu dürfen, zumal zu hoffen ist, daß diese Lücke von anderen Autoren noch ausgefüllt werden wird, wie dies in dankenswerter Weise bei meiner ersten Arbeit über das Relativitätsprinzip durch Hrn. Planck und Hrn. Kaufmann bereits geschehen ist" (Einstein (1907), 373).
Starke Worte, scheint es, für den 28jährigen Mann vom Berner Patentamt, der gerade ein Jahr vorher den Sprung vom ,Experten 3. Klasse' zu einem solchen 2. Klasse geschafft hatte und dessen Habilitation im gleichen Jahr, wenn auch aus eher formalen Gründen, scheiterte. Starke Worte, in denen sich, wie A. Pais zu Recht bemerkt, die „ebullience" und „total self-assurance" des Genies mit „a notable lack of taste" vermischt (Pais (1982), 165). Der junge Mann vom Patentamt überließ also gerne die lästige Sichtung der einschlägigen Literatur den Großen und Etablierten seines Fachs. Das lag sicher nicht nur daran, daß die Berner Bibliothek bereits geschlossen hatte, wenn das Patentamt Feierabend machte. 1 Unter Verweis auf Einstein (1907 a), wo zum Teil entlegene Literatur verarbeitet wird, meint
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So jedenfalls klagte Einstein gegenüber J . Stark in einem Brief v o m 2 5 . 9 . 1 9 0 7 (in: A. Hermann (1966), 269).
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Mach und Einstein. Der Einfluß
Pais: „Einstein was evidently able to get to the literature if he set his mind to it". Normalerweise aber „he did not much care" (Pais (1982), 165). In einem gewissen Kontrast zu dieser jedenfalls für den jungen Einstein charakteristischen Unlust, links und rechts zu schauen, steht die dankbare Anerkennung, ja Verehrung für die Leistungen jener Gelehrten, die das eigene Schaffen angeregt hatten. Nie findet man bei Einstein den Versuch, das eigene Genie durch Abblenden seiner historisch durchaus nachvollziehbaren Entstehungsbedingungen glänzen zu lassen. In kaum einer Besinnung auf seine geistigen Ahnen vergißt Einstein den Namen Ernst Mach. Vielleicht kann man sagen, daß Mach für Einstein dann am wichtigsten zu sein scheint, wenn es ihm darum geht, die großen Epochen der Geschichte der Physik und ihre Wechsel herauszuarbeiten. Dies wird vor allem in Einsteins zentralem autobiographischen Text („Autobiographisches") im Einstein-Band von P. A. Schlipps „Library of Living Philosophers" deutlich. In dieser Art ,eigenem Nekrolog mit 67 Jahren' kommt Einstein auf die Physik zu sprechen, wie sie sich dem Züricher Studenten um die Jahrhundertwende präsentiert hatte: „Bei aller Fruchtbarkeit im einzelnen herrschte in prinzipiellen Dingen dogmatische Starrheit: Am Anfang (wenn es einen solchen gab) schuf Gott Newtons Bewegungsgesetze samt den notwendigen Massen und Kräften. Dies ist alles; das Weitere ergibt die Ausbildung geeigneter mathematischer Methoden durch Deduktion. Was das 19. Jahrhundert fußend auf dieser Basis geleistet hat, insbesondere durch die Anwendung der partiellen Differenzialgleichungen, mußte die Bewunderung jedes empfänglichen Menschen erwecken." 2
Einstein skizziert sodann kurz den Siegeszug der klassischen Mechanik, die im 19. Jahrhundert schließlich „sozusagen alle Physiker" als „eine feste und endgültige Grundlage der ganzen Physik, ja der ganzen Naturwissenschaft" ansahen und „nicht müde wurden zu versuchen, auch die indessen langsam sich durchsetzende Maxwellsche Theorie des Elektromagnetismus auf die Mechanik zu gründen" (Einstein, a. a. O., 7 f.). Nun endlich Mach: „Ernst Mach war es, der in seiner Geschichte der Mechanik an diesem dogmatischen Glauben [d. h. dem Glauben an die Mechanik als gesicherte Basis der Physik] rüttelte; dies Buch hat gerade in dieser Beziehung einen tiefen Einfluß auf mich als Student ausgeübt. Ich sehe Machs wahre Größe in der unbestechlichen Skepsis und Unabhängigkeit; in meinen jungen Jahren
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Einstein, „Autobiographisches", in: Schilpp (1955), 7; dort das deutsche Original. Es existiert neben dem zweisprachigen Text in Schilpp (1949) auch eine separate deutsch/ englische Ausgabe: Albert Einstein. Autobiographical Notes. A Centennial Edition, La Salle/Chicago III. 1979.
Themata der Forschung — Fortschritt der Wissenschaft
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hat mich aber auch Machs erkenntnistheoretische Einstellung sehr beeindruckt, die mir heute als im wesentlichen unhaltbar erscheint. Er hat nämlich die dem Wesen nach konstruktive und spekulative Natur alles Denkens und im besonderen des wissenschaftlichen Denkens nicht richtig ins Licht gestellt und infolge d a v o n die Theorie gerade an solchen Stellen verurteilt, an welchen der konstruktiv-spekulative Charakter unverhüllbar zutage tritt, ζ. B. in der kinetischen A t o m t h e o r i e " (Einstein, a. a. Ο., 8).
Mach wird noch an einigen anderen Stellen der autobiographischen Aufzeichnungen erwähnt, auf die ich noch zurückkommen werde. Zunächst zum zitierten Text. Betrachtet man ihn vorerst isoliert, so überrascht es, daß Mach zwar als der entscheidende Erschütterer des mechanischen Weltbildes angesehen wird, aber seine ,wahre Größe' nicht etwa auf einer konkret identifizierten physikalischen Leistung beruhen soll, mit der er ein Weltbild ins Wanken brachte, sondern auf den mehr persönlichen Qualitäten ,unbestechliche Skepsis und Unabhängigkeit'. Einstein hat auch andere Physiker persönlich sehr verehrt, vor allem Η. A. Lorentz 3 . Wenn er jedoch auf Lorentz' Bedeutung für die Entwicklung der Relativitätstheorie und die Physik überhaupt zu sprechen kommt, dann ist nicht so sehr von Persönlichkeit oder wissenschaftlichem Stil die Rede, sondern von genau bezeichneten physikalischen Sachverhalten, mit denen Einstein sich auseinandersetzt bzw. an die er sich anschließt. Es scheint also beinahe so, als habe Mach zur Entwicklung der Physik im allgemeinen und Einsteins physikalischer Ideen im besonderen auf wundersame Weise gewissermaßen nur als Mensch, nicht aber auch als Physiker beigetragen. Dieser erste Eindruck von Einsteins Einschätzung Machs in seinem ,eigenen Nekrolog' ist gewiß nicht ganz unzutreffend. Denn Mach hat zwar den Physiker Einstein sehr beeinflußt, aber nicht auf der Ebene konkreter empirischer oder analytisch-formaler Forschung und ihrer Resultate. Gerald Holton hat in seinen historischen Fallstudien und methodologischen Reflexionen zur Wissenschaftsgeschichte eine .dritte Dimension' der Wissenschaft (wieder-)entdeckt 4 , die über den (ebenen) Koordinate-
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Pais (1982), 169 stellt einige Textzeugnisse zusammen. Holtons Entdeckung der ,Themata' rückt den das abendländische Denken seit Aristoteles über viele Jahrhunderte prägenden Topos-Begriff wieder ins Zentrum wissenschaftshistorischer Reflexionen. Wie sehr Topoi in der Tradition (bis etwa zur Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft) Verstehen und Erfinden vor allem im künstlerischen, historischen, philosophischen und politischen Bereich, aber auch in den Naturwissenschaften bewußt und explizit geprägt haben, habe ich in Wolters (1986) kurz skizziert. Diese Skizze steht im Zusammenhang mit meiner dortigen Interpretation von Machs Wissenschaftslehre als einer Topik der Forschung.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
nachsen empirischer bzw. analytisch-formaler Gehalt den Raum der Themata im naturwissenschaftlichen Denken aufspannt. 5 Aus dieser dritten Dimension stammen forschungsleitende Impulse von großer Stärke, die gleichwohl nicht selbst Gegenstand des naturwissenschaftlichen Forschungsprozesses sind und sein können, weil sie nicht den für wissenschaftliche Aussagen üblichen Annahme- und Verwerfungskriterien genügen. Holton nennt Themata wie Einfachheit, Notwendigkeit, Erhaltung und Symmetrie oder thematische Gegensatzpaare wie absolut-relativ, OrdnungChaos und diskrete Auffassungen-Kontinuumsauffassungen. Ihrer Form nach unterscheidet Holton Themata, die sich in Begriffen ausdrücken lassen (wie ,Symmetrie' und ,Kontinuum'), methodologische Themata (wie etwa den Versuch, Gesetzmäßigkeiten möglichst durch Konstanten, Extrema oder Unfahigkeitsbedingungen darzustellen) und schließlich thematische Aussagen oder Hypothesen, wobei er unter anderem die beiden Grundpostulate der speziellen Relativitätstheorie (spezielles Relativitätsprinzip und Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) als Beispiele nennt. Diese Unterscheidungen Holtons erlauben es, den Einfluß Machs auf Einsteins Herausbildung der Relativitätstheorie als einen thematischen Einfluß ersten Ranges zu beschreiben.6 Dem detaillierten Beleg dieser These dient das erste Kapitel. Dabei geht es nicht in erster Linie darum zu zeigen, daß Einstein von Mach vorgegebene Themata aufgegriffen hat. Daß er dies getan hat, ist wegen seiner zahlreichen einschlägigen Äußerungen in der heutigen wissenschaftshistorischen Literatur unbestritten. Welche Themata Einstein aufgenommen hat und wie er sie aufgenommen hat, ist schon viel wichtiger. Erstens herrscht hierüber kein vollständiger Konsens. Zweitens, und am wichtigsten: Dieses Buch will ja zeigen, daß Mach entgegen landläufiger Meinung die Relativitätstheorie nicht abgelehnt hat, sondern ihr freundlichabwartend gegenüberstand. Indem ich nachweise, wie Einstein Themata aufnimmt und fortführt, die Mach selbst im Zentrum seines Denkens gesehen hat, möchte ich dafür argumentieren, daß Mach nicht den geringsten Grund hatte, die Relativitätstheorie abzulehnen. Hierbei mache ich allerdings eine Voraussetzung über die Persönlichkeit Machs, die ausführlicher erläutert werden soll: ich nehme an, daß Mach 5
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Zu dieser Analogie und für das Folgende cf. Holton (1981), 24 f. und Holtons Einführung zu diesem Band. Ich beschränke mich hier auf die thematische Kontinuität zwischen Mach und Einstein im Bereich der Relativitätstheorie. Es wäre interessant, diese Themata in anderen Bereichen der wissenschaftlichen Aktivitäten Einsteins weiter zu verfolgen und Identitäten, Mutationen oder Vergehen zu analysieren.
Themata der Forschung — Fortschritt der Wissenschaft
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gegen Neu-Realisierungen eines von ihm vertretenen Themas, die in Anpassung an den wissenschaftlichen Fortschritt erfolgten, keine prinzipiellen Einwände hatte. Oder anders: ich gehe davon aus, daß Mach keine Monopolansprüche bezüglich der Realisierung eines Themas gestellt hat. Noch anders und in verstärkender positiver Wendung: ich behaupte, daß Mach erstens wußte, daß der wissenschaftliche Fortschritt auch die konkreten Ausformungen seiner Themata überholen würde, und zweitens, daß Mach dies nicht für einen Schlag gegen sich persönlich, sondern für den selbstverständlichen und von ihm begrüßten Lauf der wissenschaftlichen Welt gehalten hat. Ich könnte diesen Gedanken auch so wenden, daß Fortschrittsglaube und (auch und insbesondere erkenntnistheoretisch begründete) Bescheidenheit Themata, oder sagen wir hier besser: persönliche Grundhaltungen des Wissenschaftlers Mach waren. Mach verstand Wissenschaft evolutionstheoretisch als einen unabschließbaren Prozeß, der wesentlich unter den Kategorien ,Umbildung und ,Anpassung der Gedanken verläuft 7 ; als einen Prozeß, der nicht einmal aufhörte, „wenn alle sinnliche Erfahrung plötzlich ein Ende hätte" (P., 260), und der sich in den Augen Machs keineswegs zu den von ihm selbst vertretenen Auffassungen hinbewegt wie zu einem Teilhardschen ,Punkt Omega'. Das Ich des einzelnen Menschen ist für Mach nur eine „ideelle denkökonomische Einheit", eine „stärker zusammenhängende Gruppe von Elementen" wie Sinnesempfindungen, Erinnerungen, Gefühle; veränderlich, unbestimmt, nur durch die Kontinuität seiner Element-Inhalte praktisch von anderen abgegrenzt (Α., 19, 23). Die Flüchtigkeit des Ich als solchen und seiner Leistungen in der dünnen Luft erkenntnistheoretischer Abstraktion änderte sich für Mach nicht, sobald das eigene, konkrete Ego in Frage stand. Da dieser Gesichtspunkt für eine vernünftige Beurteilung der Reaktion Machs auf die Relativitätstheorie sehr wichtig ist, möchte ich ihn im Folgenden ausführlicher belegen. Mach widmet den 10. Abschnitt des 2. Kapitels der Mechanik dem Thema „Verschiedene Auffassungen der hier dargelegten Gedanken". Er resümiert die Auseinandersetzung mit seinen Kritikern in dem Satz: „Alles zusammengefaßt, kann ich nur sagen, daß ich nicht wüßte, was ich an meiner Darstellung ändern sollte" (M., 271). Das klingt recht selbstbewußt und nicht gerade im Sinne dessen, was hier gezeigt werden soll. Aber
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Mach weist in seinen Schriften auf seine evolutionäre Wissenschaftsauffassung unzählige Male hin. Statt vieler Zitate ein Hinweis auf seinen Vortrag „Uber Umbildung und Anpassung im naturwissenschaftlichen Denken" (1883) (P., 245 — 265) sowie auf das gleichlautende Kapitel in der Wärmelehre (W., 3 8 0 - 3 9 0 ) .
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Mach und Einstein. Der Einfluß
Mach will an dieser Stelle nichts anderes sagen, als daß die Argumente (insbesondere gegen seine Kritik der Newtonschen Begriffe des absoluten Raumes und der Masse) ihn sachlich nicht überzeugen konnten. Dies zeigt die Fortsetzung der gerade zitierten Stelle. Mach scheint sich hier geradezu gegen den Vorwurf verteidigen zu wollen, daß er seine Thesen gegen die Kritik hauptsächlich deswegen aufrecht erhält, weil es die seinigen sind: „Es wäre nicht nur eine sehr subjektive, kurzsichtige Auffassung der Wissenschaft, sondern geradezu verwegen, wenn ich erwarten würde, daß gerade meine Vorstellungen sich den Gedankenkreisen der Zeitgenossen ohne Widerstand einfügen. Die Geschichte der Wissenschaft lehrt ja, daß die subjektiven wissenschaftlichen Weltbilder der Einzelnen stets von andern korrigiert und überdeckt werden. Und in dem Weltbild, welches sich die Menschheit aneignet, sind nach längerer Zeit von den Bildern selbst der bedeutendsten Menschen nur noch die stärksten Züge kenntlich. Der Einzelne kann nichts tun, als die Züge seines Bildes deutlich zeichnen" (ebd.).
Mach stellt also auch seine persönliche Leistung in den Evolutionsprozeß der Wissenschaft hinein, den er schon früh, nämlich in seinem Prager Vortrag von 1871 über „Die Geschichte und Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit", der ersten ausführlichen Darlegung seiner methodologischen Prinzipien, so charakterisiert hatte: „Von der Wissenschaft gilt mehr als von irgend einem andern Ding das Heraklit'sche Wort: ,Man kann nicht zweimal in denselben Fluß steigen.' Die Versuche, den schönen Augenblick durch Lehrbücher festzuhalten, sind stets vergebliche gewesen. Man gewöhne sich also bei Zeiten daran, daß die Wissenschaft unfertig, veränderlich sei" (EA., 3). In den Schriften Machs finden sich ferner nicht wenige Stellen, an denen er explizit auf eine persönliche Meinungsänderung hinweist. So etwa, wenn er es in einer Zuschrift an eine pädagogische Zeitschrift für richtig hält, auf einen Irrtum in einem doch immerhin eineinhalb Dezennien früher erschienenen Buch von sich hinzuweisen (Mach (1889/1890), 29). Dasselbe Buch wird in der Analyse der Empfindungen mehrfach korrigiert (cf. ζ. Β. Α., 113, 115). Für Mach ist „Wissenschaft keine persönliche Angelegenheit [...], sondern [kann] nur als sociale Angelegenheit bestehen" (EI., 290). Dieser Auffassung entspricht es, daß er ζ. B. in der Analyse der Empfindungen an mehreren Stellen andere Wissenschaftler um Referate über den Fortgang von Theorien gebeten hat, über den er selbst sich auf Grund von Alter und Krankheit kein Urteil mehr erlauben zu können glaubte (cf. Α., 126 ff., 309 ff., 315). Die gleiche Linie verfolgen seine testamentarischen
Themata der Forschung — Fortschritt der Wissenschaft
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Anweisungen bezüglich Vor- und Nachworten zu seinen Schriften, wovon im Falle der Mechanik noch ausführlich zu reden sein wird. Sein Verständnis von Wissenschaft als sozialem Prozeß hat Mach allerdings nicht zu solcher Selbstverleugnung getrieben, daß er die Bestreitung wissenschaftlicher Priorität widerspruchslos hingenommen hätte. So hat er stets detailliert die Priorität seiner Lokalisierung des Gleichgewichtssinns in den Bogengängen des Ohrlabyrinths betont (es ging um eine Woche!) (cf. Mach (1875), 97 ff.; Α., 395). In seinen Schriften finden sich viele genaue Angaben darüber, wann und wo er was zum ersten Mal gesagt habe. Besonders auffallig und häufig ist sein Verweis darauf, daß die Forderung nach vollständiger Beschreibung als Aufgabe der physikalischen Theorie von jedermann mit Kirchhoffs und nicht mit seinem Namen verbunden werde, obwohl doch er sie früher aufgestellt habe. Wenn er gleichzeitig auch zugibt, daß sich dieser Gedanke schon bei Adam Smith finde (Α., 41), so reagiert er doch recht säuerlich darauf, daß alle Welt ihn Kirchhoff zuschreibe: „Als nun Kirchhoff 1874 in seiner Mechanik mit seiner ,Beschreibung', mit Aufstellungen hervortrat, welche nur einem Teil der meinigen entsprachen, und gleichwohl dem ,allgemeinen Staunen' der Fachgenossen begegnete, da lernte ich mich bescheiden." Auch klingt es leicht vergrämt — oder ist es Ironie? —, wenn es weiter heißt: „Bei dieser ausgiebigen Hilfe durch Kirchhoff konnte es mir ganz Nebensache (Hervorhebung, G. W.) sein, daß man meine prinzipiell physikalischen Darlegungen für weitere Ausführungen und Anknüpfungen an die Kirchhoffschen hielt und teilweise noch hält, während erstere der Publikation nach in Wirklichkeit nicht nur die ältern, sondern auch die radikalern sind" (M., 258 f.). Mit einer gewissen Kleinlichkeit gar doppelt Mach noch in der Wärmelehre nach: „Nicht unwahrscheinlich ist es allerdings, daß Kirchhoffs Ansicht, der zu eingehenden erkenntniskritischen Erörterungen keine Zeit fand, auf einem bloßen Apergu beruhte, denn in einem Gespräch mit [seinem Lehrer] F. Neumann unterließ er es, dieselbe energisch zu vertreten" (W., 404f.). Der Hinweis darauf, daß Mach auf seinen eigenen Verdiensten zu bestehen weiß, soll zeigen, daß Mach nicht ein allem Irdischen entrückter Hl. Franziskus der Physik ist, sondern sehr wohl sich zu wehren und auf sich aufmerksam zu machen versteht. Davon unberührt ist seine Offenheit für sachliche Kritik, das Eingeständnis der Tatsache, daß auch in seinen Werken Fehler sind, und — verbunden mit einer klaren Abneigung gegen Polemik — der beständige Wunsch, sachlich begründete gegenteilige Ansichten zu fördern. So etwa bezüglich Friedrich Adlers unterschiedlicher
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Auffassung der Massendefinition, zu der Mach am 27.12.1903 an Adler schreibt: „Ich glaube, daß freie Aussprache, und Betrachtung derselben Sache von verschiedenen Seiten für wissenschaftliche Fragen am förderlichsten ist, und aus diesem Grunde wünsche ich die Publication Ihrer Arbeit" (Mach an F. Adler (AAW*)). 8 — Wie sehr Mach bereit ist, eigene Positionen dem wissenschaftlichen Fortschritt zu opfern, zeigt sich, wenn er im Jahre 1914 einem Rudolf Orthner, der ihm eine Arbeit zur Begutachtung zugeschickt hatte, die offenbar stark auf Machs Vortrag über die Erhaltung der Arbeit von 1871 aufbaute, folgendes mitteilt: „Wenn ich nun nach nochmaliger zusammenhängender Lektüre meinen Eindruck rekapi[tu]liren soll, so ist es der, daß ich mit dem Verfasser [d. h. Orthner] zwar ein Stück zu Anfang des Weges gegangen und schließlich zu Ende wieder mich ihm genähert habe doch muß ich sagen, daß ich seine und natürlich auch meine in der damaligen Publication von 1873 [sie!]: Ueber die „Erhaltung der Arbeit" [vertretene Ansicht] als der Realität nicht entsprechend, als durch die Fortschritte der Wissenschaft überwunden und verstiegen bezeichnen müßte" (Brief Machs an R. Orthner vom 2. 6.1914 (OÖL)). 9 Wie wichtig es noch dem alten Mach war, daß alle Welt wisse, er könne Kritik vertragen, zeigt sein Brief an Gottfried Spemann, den Verleger seines letzten zu Lebzeiten publizierten Werks (Kultur und Mechanik, Stuttgart 1915). Spemann hatte es offensichtlich für „nötig gefunden [ . . . ] den Verlag vor mir [d. i. Mach] zu entschuldigen". Dies wegen der (wohl bei O. Külpe) entstandenen und bei Spemann publizierten Dissertation eines Karl Gerhards, die zu dem Ergebnis gekommen war, es ließen sich „von der allgemeinen Theorie Machs wenigstens gewisse Teile für den kritischen Realismus verwerten", wogegen aber „die Anwendung der Theorie auf die Physik überhaupt nichts Verwertbares bietet" (Gerhards (1914), 294). Mach war nicht etwa über den Kritiker Gerhards erbost, sondern über den scheinbar rücksichtsvollen Verleger Spemann. Dessen Entschuldigung hat ihn „anfangs wirklich überrascht, um nicht verletzt zu sagen. Trauen Sie [d. h. Spemann] mir wirklich eine so dünne empfindliche Haut zu [?] dann taugen Sie in der Tat sehr wenig zum Schriftsteller. Als solcher erlebt man ganz andere Dinge als die gemäßigte
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Dr. John Blackmore danke ich für den Hinweis auf den Adler-Mach-Briefwechsel. Dr. Friedrich Stadler (Wien) war mir bei der Beschaffung der Materialien dankenswerterweise sehr behilflich. Dr. Rudolf Orthner (1884—1961) war ein wissenschaftstheoretisch interessierter Chemiker.
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und sachliche Kritik von Gerhards" (Mach an G. Spemann, 6.8.1914, Durchschlag (VAT)). 10 Wenn es weiter heißt, er habe sich zu diesem Thema gegenüber Spemann geäußert, da er „die Meinung nicht ertragen kann, der Kritik gegenüber empfindlich zu sein", dann zeigt sich Mach hier als ein Autor, der über Kritik und eine angemessene Antwort auf Kritik nachgedacht hat. Dies sieht man ζ. B. auch in der Mechanik in dem schon zitierten Abschnitt, der der Auseinandersetzung mit seinen Kritikern gewidmet ist: „Meiner A b n e i g u n g gegen polemische Auseinandersetzungen w ü r d e es nun viel besser entsprechen, ruhig zu warten und zuzusehen, wieviel etwa v o n den ausgesprochenen Gedanken noch annehmbar gefunden wird. Allein ich kann den Leser über den bestehenden Widerspruch nicht im Unklaren lassen und m u ß ihm doch die Wege weisen, sich auch über dieses Buch hinaus zu orientieren, abgesehen davon, daß auch die A c h t u n g der G e g n e r eine Berücksichtigung der E i n w ü r f e fordert" (M., 259).
Kritik also nicht als intellektuelle Reflexbewegung, sondern ruhig, wohlüberlegt und nur dann erfolgend, wenn ein sachlicher Grund vorliegt. Im übrigen ,ruhig zu warten und zuzusehen', das war Machs Devise. Selbst noch in der bitteren Kontroverse mit Planck, der ihm praktisch wissenschaftliche Integrität abgesprochen hatte (cf. 169), hielt Mach in einer Karte an F. Adler seine eigene Replik auf Plancks Rüpeleien für ,überflüssig', nachdem Adler und Petzoldt in seinem Sinne Stellung genommen hatten; sie sei aber nun leider schon „längst bei der Redaktion der Rivista di Scienza" (Mach an F. Adler, 14.1.1910 (AAW)). Mach — das dürften diese Belege deutlich gemacht haben — ist ein Denker, der (wie wohl die meisten) Kritik aufmerksam verfolgt und ihr gegenüber in diesem Sinne durchaus empfindlich ist. Seine Reaktion auf Kritik ist aber besonnen. Kontroversen mit ihm wissenschaftlich (oder persönlich) Nahestehenden sind in Machs Augen besonders fruchtbar und
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Mach erwähnt hier als Negativbeispiel einer Kritik diejenige Jodls an Erkenntnis und Irrtum. Ludwig Mach, weitgehend ahnungslos wie meistens, hat ausgerechnet diese JodlKritik der 3. Auflage von Erkenntnis und Irrtum beigefügt. — Auch in einem Brief an seinen alten Freund Wilhelm Jerusalem geht Mach auf das Buch von Gerhards ein: „In den Münchener Studien zur Psych[ologie] u[nd] Philos[o]ph[ie] steht eine Arbeit von KGerhards, die mir scharf zusetzt; da aber K G nicht alles tadelt, sondern manches gelten lässt, so ist er mir auch gar nicht unsympathisch" (Mach an Jerusalem, 10. 8.1914, (JER)). — Frau Margot Cohn von der National Hebrew and University Library, Jerusalem, danke ich für die freundliche Übermittlung der Jerusalem-Korrespondenz.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
willkommen. 11 Mach betrachtet seine Publikationen nicht nur theoretisch als unabgeschlossen, sondern auch praktisch, indem er — noch zu Lebzeiten — Ergänzungen anderer Autoren zum neuesten Stand der Forschung einfügt und im Falle seines Todes andere zu ergänzenden Vor- bzw. Nachworten autorisiert. Kurzum, das Interesse am wissenschaftlichen Fortschritt ist bei Mach entschieden größer als der verständliche und verbreitete Wunsch, recht zu behalten. So gibt es nicht den mindesten Anhaltspunkt dafür, daß Mach etwas gegen die Einsteinsche Weiterentwicklung seiner Themata einzuwenden gehabt hat. Im Gegenteil: diese Weiterentwicklung mußte für Mach ganz im Sinne des ihm über alles wichtigen Fortschritts der Wissenschaft liegen. Mach ist ein offener und fairer Autor. Es gibt keinen Grund, sein Verhältnis zu Einstein von dieser Offenheit und Fairness auszunehmen. Im Gegenteil: Das Verhältnis Machs zu Einstein scheint ganz besonders unter diesen Begriffen zu stehen. Im folgenden soll gezeigt werden, daß und wie Einstein Machsche Themata aufgreift und weiterführt und wie er ihrem Urheber deutlich zu verstehen gibt, daß es Machsche Themata sind. 12
§ 2 Der Einfluß I: Machs Kritik am mechanistischen
Weltbild
Machs Kritik am mechanistischen Weltbild ist der für Einstein im Rückblick wohl bedeutendste thematische Beitrag, den Mach zur Entstehung der Relativitätstheorie geleistet hat. Jedenfalls folgere ich dies daraus, daß Einstein bei der späten Einschätzung seines Verhältnisses zu Mach in einem Brief an Michele Besso vom 6.1.1948 an erster Stelle Machs „großes 11
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Neben der zitierten Stelle aus dem Brief an Adler cf. etwa das Vorwort zur 7. Auflage der Mechanik (Μ., XV f.). — Man kann es fast als so etwas wie ein Vermächtnis betrachten, wenn Mach in einem seiner letzten Briefe, drei Wochen vor seinem Tod, am 27. Januar 1916 an den Berliner Pädagogen Friedrich Poske (1852-1925) (cf. § 45, Anm. 7) schrieb: „Daß wir in so Manchem differieren, scheint mir nichts weniger als ein Unglück zu sein, denn auch in diesen Dingen kann auf verschiedenen Wegen das Richtigste und Zweckmäßigste gefunden werden. Ich war nie von meiner Unfehlbarkeit überzeugt und habe auch mancherlei einer Polemik zu verdanken" (zitiert aus: Höfler (1916), 63). Ich beschränke mich dabei nicht nur auf Einsteins Dankbarkeitsbekundungen zu Machs Lebzeiten (bis Februar 1916), sondern nehme auch spätere Zeugnisse auf. Dies ist für die angebliche Machsche Ablehnung der Relativitätstheorie nicht erforderlich und geschieht deswegen, weil ich den Einfluß Machs auf Einstein in ein deutlicheres Licht rücken möchte als dies bisher vielfach geschehen ist.
Der Einfluß I: Machs Kritik am mechanischen Weltbild
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Verdienst" erwähnt, „daß er den im 18. und 19. Jahrhundert herrschenden Dogmatismus über die Grundlagen der Physik aufgelockert hat" (cf. den Text des Briefes § 7, Anm. 2). Im schon zitierten .eigenen Nekrolog' wird, ebenfalls an erster Stelle, erneut Mach dafür gerühmt, daß er an dem „dogmatischen Glauben" gerüttelt habe, der in dem „Vertrauen auf die Mechanik [...] als gesicherter Basis der Physik" bestehe. Und dies mit dem Zusatz: „dies Buch hat gerade in dieser Beziehung einen tiefen Einfluß auf mich als Student ausgeübt" (Einstein, Autobiographisches, in: Schilpp (1955), 8). Ich möchte nun die Machsche Kritik des mechanistischen Weltbilds darstellen und sodann darauf eingehen, welchen Aspekt Einstein davon übernommen und für so wichtig befunden hat, ihn Mach in höchsten Lobestönen gutzuschreiben. Legt man die Holtonsche Klassifikation von Themata zugrunde, dann scheint der Ausdruck ,mechanistisches Weltbild' in die Richtung thematischer Aussagen bzw. Hypothesen zu weisen, da auf den ersten Blick in der Ausformulierung des mechanistischen Weltbilds Aussagen bzw. Hypothesen, nicht aber Begriffe und Methoden im Vordergrund stehen. Dieser erste Eindruck wird jedoch im Folgenden revidiert werden, da das mechanistische Weltbild auch einen konstitutiven methodologischen Aspekt aufweist. Der Begriff des Weltbilds (bei Mach praktisch synonym mit Weltanschauung') nimmt in Machs Denken eine wichtige regulative Funktion ein. Als Weltbild im Sinne Machs läßt sich die Summe der einzelnen wissenschaftlichen Forschungsergebnisse verstehen, zusammengefaßt unter möglichst einheitlichen, Verbindung stiftenden Gesichtspunkten, im Idealfall einem einzigen. 1 Das Wort ,Weltbild' scheint dabei in den Kontext der Machschen Wissenschaftsauffassung eigentlich nicht gut hineinzupassen. Denn es suggeriert den metaphysischen Realismus vom forschenden Menschengeist auf der einen Seite, der sich ein ,Bild£ von der ewig in sich ruhenden, hinter den ,Erscheinungen' liegenden ,Welt' auf der anderen Seite macht. Aber Mach ist hier ganz naiv. Gegen eine philosophische Komplikationen witternde Warnung seines positivistischen' Freundes Jo-
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Cf. dazu etwa EI., 3: „Der Spezialforscher kommt schließlich auch zur Einsicht, daß die Ergebnisse aller übrigen Spezialforscher zur Orientierung in seinem Gebiet berücksichtigt werden müssen. So strebt also auch die Gesamtheit der Spezialforscher ersichtlich nach einer \Veitorientierung durch Zusammenschluß der Spezialgebiete. Bei der Unvoll kommenheit des Erreichbaren führt dieses Streben zu offenen oder mehr oder minder verdeckten Anleihen beim philosophischen Denken."
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seph Petzoldt sagt er: „Ich kann es nicht zugeben, wenn Petzoldt sagt: Das Denken will die Welt nicht widerspiegeln [!]" (W., 394). Es kann gewiß keinen Zweifel daran geben, daß Mach keine realistische Widerspiegelungstheorie vertritt, sondern lediglich sagen will, daß das Denken zu Weltkenntnis im Sinne der Vertrautheit mit Naturvorgängen führen soll. Diese Vertrautheit soll möglichst wenig auf nicht empirisch ausgewiesenen, die Lücken zwischen ,Tatsachen' überbrückenden, theoretischen Bestandteilen beruhen, sondern auf in möglichst umfassenden, einheitlichen Gesetzen beschriebener Tatsachenkenntnis. Aber: „Die höchste Philosophie des Naturforschers besteht eben darin, eine unvollendete Weltanschauung zu ertragen und einer scheinbar abgeschlossenen, aber unzureichenden vorzuziehen" (M., 443). Das Ziel der Vertrautheit mit der Natur in einem Weltbild ist allerdings für Mach ganz und gar nicht kontemplativ gemeint, etwa als Erkenntnis des Absoluten ,hinter' der bunten Fülle der Erscheinungen. Weltbilder sind nur Mittel %um Zweck möglichst störungsfreier theoretischer und praktischer Orientierung 2 : „Das Ziel der wissenschaftlichen Wirthschaft ist ein möglichst vollständiges, 2usammenhängendes, einheitliches, ruhiges, durch neue Vorkommnisse keiner bedeutenden Störung mehr ausgesetztes Weltbild [...]. Je näher die Wissenschaft diesem Ziele rückt, desto fähiger wird sie auch sein, die Störungen des praktischen Lebens einzuschränken, also dem Zweck zu dienen, der ihre ersten Keime entwickelt hat" (W., 366).
Grundsätzlich gilt für Mach, daß alle wissenschaftlichen Bemühungen nur als „Zwischenmittel und Zwischenstufen zur Lösung praktischer Aufgaben angesehen werden". Die Rede von ,reiner Wissenschaft' und ,reinen Schöpfungen des Geistes' lenkt nach Mach lediglich „die Aufmerksamkeit von den einfachen, natürlichen Quellen der Wissenschaft" ab (P., 447). Das vorherrschende wissenschaftliche Weltbild, das Mach bei seinem Eintritt in die Forscherlaufbahn um 1860 antraf, war das mechanistische Weltbild wie es sich vor allem seit dem 17. Jahrhundert entwickelt hatte. 3 Zwei Aspekte dieses Weltbilds sind für unsere Zwecke unmittelbar von Bedeutung: 1. der ontologische und 2. der methodologische Aspekt. Beide haben 2
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Cf. auch die instrumentalistische Zweckbestimmung von Wissenschaft in der Analyse der Empfindungen (Α., 29f.). Cf. zum mechanistischen Weltbild: Dijksterhuis (1956); ferner insbesondere Hiebert (1968), Post (1968), Klein (1973), Hirosige (1976) sowie die ausführliche Darstellung in Goldberg (1984), 4 1 - 1 0 2 , cf. 4 1 7 - 4 2 8 , ferner Plancks Vortrag „Die Stellung der neueren Physik zur mechanischen Naturanschauung" vor der Naturforscherversammlung 1910 (in: Planck (1969), 52—68) und Einsteins kurze Skizze in „Autobiographisches" (in: Schilpp (1955), 7 ff.).
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— wie alle Weltbilder — eine bedeutende reduktionistische Komponente und dienen — wie es neuerdings oft heißt — der ,Reduktion von Komplexität' (N. Luhmann). Der ontologische Aspekt des mechanistischen Weltbilds stellt sich als eine vom jeweiligen Stand der Wissenschaft abhängige Konkretisierung des von Demokrit begründeten Atomismus dar, d. h. der metaphysischen These, daß alle Naturprozesse letztlich in der Bewegung kleinster, unveränderlicher, materieller Einheiten bestehen. Der methodologische Aspekt des mechanistischen Weltbilds beruht auf der Forderung, es seien für alle physikalischen Theorien mechanische Modelle anzugeben, jedes physikalische Phänomen sei also erst dann als zureichend erklärt aufzufassen, wenn seine Beschreibung mit den Mitteln der Mechanik geleistet wurde. Im Prinzip kann man methodologischer Mechanist sein, ohne ontologisch die Existenz von Atomen zu behaupten. Boltzmann ζ. B. hat häufig diese Unterscheidung getroffen. Eine wichtige Variante des methodologischen Mechanizismus besteht darin, in nicht-mechanischen Gebieten der Physik heuristisch mechanische Analogien anzusetzen. Dieser Variante des Mechanizismus stand Mach durchaus wohlwollend gegenüber, während er den methodologischen Mechanizismus als Gesamtprogramm sowie den ontologischen Mechanizismus ablehnte. Für Machs partiell anerkennende Einstellung zur Atomtheorie steht etwa die Äußerung, daß diese ζ. B. „durch die Fortschritte der ,Stereochemie' [...] wieder neuerdings an Boden gewonnen" habe (W., 430)4. Eine ,Bereicherung' durch die Atomtheorie sieht Mach auch, wenn er „an die dynamische Gastheorie [denkt], an die Förderung, welche die Kenntniß des Verhaltens der Gase und Lösungen durch Auffassung der Vorgänge als statistische Massenerscheinungen erfahren hat, an die Untersuchungen über die Abhängigkeit der Diffusionsgeschwindigkeit, der Reibung u.s.w. von der Temperatur" (a. a. O., 362). Freilich: heuristischer Erfolg eines Modells beweist nicht auch schon die Existenz der Modellgegenstände, „denn Analogie ist keine Identität" (a.a.O., 363).
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Mach dürfte hier v o r allem an die Erklärung der Isomere mittels der unterschiedlichen Anordnung ihrer Atome im (dreidimensionalen) Raum gedacht haben, die (1874) von J. H. van't Hoff vorgeschlagen wurde und sich rasch als erfolgreiche Theorie etablierte. Mach hatte die dahinter stehende räumliche Auffassung im atomaren Bereich noch 1872 kritisiert (cf. EA., ζ. B. 29). Ganz allgemein konzediert Mach im übrigen eine gewisse psychologische Priorität mechanischer Erklärungen auf Grund der Tatsache, daß die mechanischen Vorgänge am vertrautesten und am leichtesten zugänglich und reproduzierbar sind. Ferner lassen sich — so Mach — an allen physikalischen Vorgängen mechanische Aspekte isolieren; ferner war die Mechanik die erste hochentwickelte, umfassende Theorie der Physik (cf. P., 198).
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In der Physik seiner Zeit sieht Mach, trotz aller gegenteiligen Lippenbekenntnisse, eine starke Tendenz zur Vermischung von ontologischem und methodologischem Mechanizismus. Vor allem wohl mit Blick auf Boltzmann heißt es: „Gern machen nun zuweilen die Vertreter der mechanischen Physik geltend, daß sie ihre Vorstellungen nie anders als bildlich genommen hätten. Darin liegt vielleicht ein nicht ganz ritterlicher polemischer Zug." Die späteren Historiker würden „leicht und ohne Widerspruch darlegen, wie furchtbar ernst und wie erschreckend naiv die betreffenden Vorstellungen von der großen Mehrzahl bedeutender Forscher der Gegenwart aufgefaßt worden sind" (W., 363). Vor allem diese Vermischung von Bild und Wirklichkeit diskreditiert für Mach die mechanische Physik als „ein chimärisches Ideal" (P., 191), in dem ,naturphilosophisch' „die Substanzvorstellung in ihrer naivsten und rohesten Form" wiederaufersteht (W., 429). Dieser Gedanke ist dem Aufklärer Mach (cf. § 10) aufs äußerste zuwider. Ferner sprechen für ihn erkenntnistheoretische Argumente gegen den ontologischen Mechanizismus mit oder ohne methodologischer Komponente. Auf das hierhin gehörende Argument gegen eine Theorie von Gegenständen, die — so Mach — niemals Gegenstand möglicher Erfahrung sein können, wird in § 6, 93 eingegangen. Hier sei nur noch ein Punkt erwähnt, der Mach sehr wichtig gewesen zu sein scheint 5 : die Loslösung der mechanischen Physik von der Sinneserfahrung. Eine Wärmeempfindung ist eben in der mechanischen Physik nur noch ein ganz abgeleitetes Phänomen, das mit der Unfähigkeit des Organismus zu tun hat, das ,Eigentliche', die Bewegung der Atome, festzustellen. Für Mach ist dagegen die Wärmeempfindung das Primäre. In der mechanischen Physik erfüllt Wissenschaft nicht mehr ihre Orientierungsfunktion in der sinnlich erfahrenen Welt. Mach ironisch: „ D i e Physik, in dieser Weise [der ,mechanischen Physik'] behandelt, liefert uns n u n ein Schema, in dem w i r die w i r k l i c h e Welt k a u m w i e d e r e r k e n n e n . U n d in der Tat erscheint Menschen, w e l c h e sich dieser [mechanistischen] A n s i c h t d u r c h einige J a h r e hingegeben haben, die Sinnenwelt, v o n welcher, als einer w o h l v e r t r a u t e n Sache, sie ausgegangen w a r e n , plötzlich als das g r ö ß t e .Welträtsel'" (P., 1 9 1 ) . 6 5 6
Für weitere Gesichtspunkte cf. ζ. B. Hiebert (1970), Laudan (1981). Bei aller Kritik ist für Mach der ontologische Mechanizismus erkenntnistheoretisch nicht vollständig obsolet, soweit bestimmte Zusammenhänge zwischen Wärme und Bewegung in Betracht kommen. Denn gerade die für Mach methodologisch so bedeutenden, tiefsitzenden, quasi naturgeschichtlichen Erfahrungsschätze der Menschheit wie „der Feuerbohrer der wilden Volksstämme, das Feuerschlagen mit Stahl und Stein, die Erwärmung bearbeiteter Metallstücke, und andere technische Erfahrungen mußten schon vor langer Zeit [...]
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In der kinetischen Theorie ergibt sich also eine unerwünschte Entfernung von der alltäglichen Erfahrungswelt. Dieses Manko weiß (so sieht es Mach) die kinetische Theorie generell nicht etwa durch höhere Ökonomie der Darstellung zu kompensieren. Beschränkt man sich auf das methodologische Programm des Mechanizismus ohne ontologische Beimischungen, so ist Mach (neben vielen anderen wie zunächst auch Planck) entgangen, daß in Boltzmanns statistischer Formulierung des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik der entscheidende Schritt zu einer mechanischen Darstellung der Wärmelehre bereits gelungen war. Neben der phänomenologischen, rein auf die Beschreibung makroskopischer Wärmephänomene beschränkten Auffassung hatte sich damit eine atomistisch-molekulare Theorie etabliert. 7 Die Etablierung dieser Theorie lieferte freilich zunächst noch keinen zulänglichen Grund für entsprechende Existenz annahmen. Diese waren erst nach Arbeiten von Einstein (1905) und Jean Perrin (1910) nicht mehr zu umgehen. Mach hatte also — ohne daß ihm dies wohl bewußt war — die Schlacht gegen den Mechanizismus in der Wärmetheorie trotz ehrenwerter Argumente gegen dessen ontologische Implikationen letztlich verloren. Damit war aber keineswegs auch schon der ganze Krieg für den Mechanizismus gewonnen. Denn im mechanistischen Weltbild mußten ja alle Phänomene auf Bewegung kleinster Teilchen reduziert werden. Und in der Tat, ohne daß Mach hier direkt in die Kämpfe eingreifen konnte, wurden auf dem Kriegsschauplatz der Elektrodynamik die entscheidenden Schläge gegen das mechanistische Weltbild geführt. Das Scheitern aller Versuche bedeutender Physiker (wie Maxwell und Hertz), zu einem mechanischen Modell der Elektrodynamik zu gelangen, führte schließlich zum Scheitern des mechanistischen Weltbilds insgesamt. Obwohl Mach zu diesem (elektromagnetischen) Scheitern direkt nichts beitrug, ist der motivierende Einfluß (seiner letztlich ja selbst gescheiterten Kritik) am Atomismus wohl doch
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den Zusammenhang von Wärme und Bewegung nahe legen" (W., 211). — Für Curd (1978), 10 ist der ontologische Aspekt der Atomismus-Debatte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts nachrangig: „what really was at stake [...] was the tenability of the mechanical philosophy and its associated methodology [...]; doubts about the existence of atoms and molecules were a relatively minor issue compared with the more general and vital controversy concerning the value of atomistic and mechanistic physics." Machs kritische Einstellung zur statistischen Thermodynamik beruhte gewiß zum Teil auch auf einem Mangel an Vertrautheit mit deren Entwicklung in den 90er Jahren und einem unzureichenden Verständnis des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik, den Mach lediglich für einen Spezialfall des Energieerhaltungssatzes hielt (cf. Hiebert (1968), 10, 99).
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nicht zu unterschätzen. Seine unberechtigte, wenn auch einflußreiche Weigerung, Wärme ,als eine Art von Bewegung' aufzufassen, wirkte gewiß auch in das Gebiet der Elektrizität hinüber und legte vielleicht manchem den Gedanken nahe, daß das Versagen mechanischer Modelle der Elektrodynamik kein Zufall sei. Die Machsche Kritik am mechanistischen Weltbild mag also sehr wohl, in Verbindung mit dem allgemeinen Prestige des Autors, beim jungen Einstein ein antimechanistisches Klima gefördert haben, obwohl er sich gerade Machs Argumenten in der Thermodynamik nicht anschließen konnte. Dies gilt sowohl für den ontologischen als auch für den methodologischen Aspekt. An dieser Stelle wird, wie die Analyse des entscheidenden Abschnitts in Einsteins „Autobiographisches" (in: Schilpp (1955), 7 — 12) zeigt, (neben ontologischer und methodologischer Kritik) eine dritte (ebenfalls methodologische) Komponente des Machschen Antimecbani^ismus wirksam und für Einstein entscheidend. Dieser Einsteinsche Gedanke sei kurz dargestellt. Für Einstein sind zur Beurteilung physikalischer Theorien zwei Gesichtspunkte maßgebend: (1) „die Theorie darf Erfahrungstatsachen nicht widersprechen" (a.a.O., 8). (2) Die „Prämissen der Theorie" sollen besitzen, „was man kurz aber undeutlich als ,Natürlichkeit' oder ,logische Einfachheit' der Prämissen (der Grundbegriffe und zugrunde gelegten Beziehungen zwischen diesen) bezeichnen kann" (ebd.). — Bezüglich Punkt (1) bot die mechanistische Reduktion der Wellenoptik schon erhebliche Schwierigkeiten, scheiterte jedoch vollends bei der Elektrodynamik von Maxwell und Hertz, die freilich die Konsequenzen aus diesem Scheitern noch nicht gezogen, sondern „in ihrem bewußten Denken durchaus an der Mechanik als gesicherter Basis der Physik festgehalten" haben (ebd.). Mach hat, wie bemerkt, hier nichts, jedenfalls nichts direkt, beigetragen. Anders bei Punkt (2), der für Einstein „in der Zukunft" eine gegenüber (1) immer bedeutendere „Rolle spielen muß, je weiter sich die Grundbegriffe und Axiome von dem direkt Wahrnehmbaren entfernen, so daß das Konfrontieren der Implikationen der Theorie mit den Tatsachen immer schwieriger wird" (a. a. O., 10). Hier, bei Punkt (2), der Bewertung der Grundbegriffe und Prinzipien, ist es Mach, der für Einstein „in erster Linie" (ebd.) wichtig geworden ist. Einstein nennt in diesem Kontext die Machsche Kritik am Newtonschen absoluten Raum, die ins Machsche Trägheitsprinzip mündete (und im nächsten Paragraphen ausführlich behandelt wird). Nun läßt sich fragen, wieso die Machsche Kritik des absoluten Raumes und sein Trägheitsprinzip am ,dogmatischen Glauben' an die Mechanik als Basis der Physik rüttelten. Auch in der Machschen Kritik erscheint die
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Lehre vom absoluten Raum ja nicht als gescheiterter mechanistischer Reduktionsversuch. — Wie es scheint, liegt hier der antimechanistische Wert der Machschen Kritik mechanischer Grundbegriffe zum einen darin, daß mechanistische Reduktionen selbst an Attraktivität verlieren. Denn wieso soll man eine Theorie wie die Elektrodynamik zu besserem Verständnis und methodischer Absicherung auf einen mechanischen Sockel stellen, wenn dieser Sockel von der ätzenden Säure der Kritik schon angegriffen ist? Zum anderen schlägt die Kritik mechanischer Grundbegriffe wie ,Raum' und ,Bewegung' auch auf die Elektrodynamik durch, da diese Begriffe auch dort Grundbegriffe sind. Eben diese Gesichtspunkte waren für Einstein, nach eigenem Bekenntnis, erstrangige Motive auf dem Weg zur Relativitätstheorie. Ich fasse zusammen: Einstein übernahm von Mach das Thema des antimechanistischen Weltbilds, obwohl er selbst einen entscheidenden Beitrag zum ontologisch- und methodologisch-mechanistischen Verständnis der Wärmephänomene leistete. Freilich verstieß dieser Beitrag, wie noch gezeigt wird (cf. § 7), nicht gegen Machs methodologische Regeln, wohl aber gegen deren konkrete Anwendung durch Mach im Fall der Existenz von Atomen (bis zu seiner möglichen »Bekehrung' (cf. Wolters (1987)) im Jahre 1910). Wenn Einstein so zwar den mechanistischen Gedanken in der Thermodynamik, also partiell förderte, so zerstörte er doch den universellen Weltbild-Anspruch der Mechanik durch die Relativitätstheorie. Dabei soll hier nicht im einzelnen gezeigt werden, wie durch die Relativitätstheorie das mechanistische Weltbild obsolet wurde. Genug, daß Mach 1910 selbst bei seinem Gegner Planck folgendes Resümee lesen konnte: „Wer [...] die mechanische Naturanschauung als ein Postulat der physikalischen Denkweise ansieht [was Mach gerade nicht tat], wird sich mit der Relativitätstheorie nie befreunden können" (Planck (1969), 61). 8 Aber auch Freunde Machs wie Anton Lampa signalisierten, daß die Relativitätstheorie nach ihrer Meinung auf der antimechanistischen Linie Machs läge. In einem Brief vom 1.5.1910 (EMA), in dem sich Lampa für die Zusendung von 8
Ich zweifle nicht daran, daß Mach diese Worte gelesen hat. Planck hielt den Vortrag, aus dem dieses Zitat entnommen wurde („Die Stellung der neueren Physik zur mechanischen Naturanschauung"), auf der 82. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte am 23. September 1910 in Königsberg. Diese jährlichen Versammlungen waren das Ereignis des Jahres im öffentlichen, wissenschaftlichen Leben der deutschsprechenden Länder. Minkowskis berühmter Vortrag auf der 80. Versammlung (1908) scheint Mach zu einer näheren Beschäftigung mit der Relativitätstheorie angeregt zu haben. Auch Mach selbst hatte schon einen Festvortrag gehalten, und zwar im Jahre 1894 in Wien („Über das Prinzip der Vergleichung in der Physik", in: P., 266 — 289).
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Machs Replik auf den schweren persönlichen Angriff Plancks (cf. 169) bedankt, heißt es nach einem Hinweis auf entsprechende Experimente von Felix Ehrenhaft, die auf ,Subelektronen' als kleinste elektrische Ladungsträger hinwiesen und in dieser Eigenschaft die Elektronen ersetzen sollten9: „Es wäre doch zu schön, wenn nun auch das Elektron von demselben Schicksal erreicht würde wie das Atom durch die Kathodenstrahlen. Wie das nun auch sein mag, ich denke, daß die Relativitätstheorie die Einleitung zu einer phänomenologischen (Hervorhebung G. W.) Epoche der Physik ist." 10 Generell stellt Hirosige ((1976), 79) fest: „Side by side with the general acceptance of the theory of relativity went the recognition that it invalidates the mechanistic worldview." 11 KurEinstein übernahm von Mach in differenzierter Form das Thema Anti-Mechanizismus und Einsteins Verarbeitung dieses Themas in der Relativitätstheorie wurde — für Mach klar erkennbar — von Freund und Feind als vernichtender Schlag gegen das mechanistische Weltbild verstanden. Doch nicht nur im Negativen, in der Ablehnung des mechanistischen Weltbilds trafen sich Mach und Einstein. Auch in der positiven Einschätzung desjenigen Weltbild-Typs, in dessen Richtung der Zug der Physik schon abgefahren sei, oder sich doch wenigstens nach Machs Wunsch bewegen sollte, lagen beide auf der gleichen Linie. Eine genaue Untersuchung fördert hier einen wichtigen Sachverhalt zutage. Mach scheint sich im Zusammenhang mit dem von ihm favorisierten elektromagnetischen Weltbild positiv auf die Relativitätstheorie beliehen. D. h., er scheint explizit die Relativitätstheorie im Rahmen einer Konzeption zu sehen, die er schon längst vertreten hatte. Wie vielfach in der Mach-Interpretation hat man auch an dieser Stelle bei dem Prager Vortrag über die „Erhaltung der Arbeit" (1871) anzusetzen.
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Eine Darstellung und Analyse der hier implizierten physikalischen und wissenschaftstheoretischen Aspekte bei Holton (1979 a). Mit dem ,Schicksal', welches das Atom durch die Kathodenstrahlen ereilt habe, spielt Lampa wohl auf das Scheitern der ,Crookesschen Hypothese' an, wonach die Kathodenstrahlen aus Gzsmo/ekükn bestünden. Diese Hypothese hatte dahingehend geändert werden müssen, daß es sich bei Kathodenstrahlen um gebündelte Strahlen aus freien Elektronen, also um subatomare Entitäten handle. — Zur gleichen Zeit bemühte sich Lampa (erfolgreich) um die Berufung Einsteins nach Prag (cf. Kleinert (1975); Havranek (1977); Illy (1979); ferner unten § 9). Der verstorbene Tetu Hirosige scheint im übrigen der einzige neuere Wissenschaftshistoriker zu sein, der (wie Einstein selbst) Machs Kritik an Grundbegriffen Newtons vor allem im Rahmen seiner Kritik am mechanistischen Weltbild sieht und diesen Aspekt des Machschen Einflusses auf Einstein betont (cf. das Resümee in Hirosige (1976), 81 sowie den Abschnitt „Hume and Mach" (a. a. O., 57 ff.)).
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Im Zusammenhang der Polemik Machs gegen den Mechanizismus heißt es dort: „Wenn wit heute glauben, daß die mechanischen Thatsachen verständlicher sind wie andere, daß sie die Grundlage für andere physikalische abgeben könnten, so ist dies eine Täuschung. Es liegt dies daran, daß die Geschichte der Mechanik älter und reicher ist als jene der Physik, daß wir mit mechanischen Thatsachen länger auf einem vertrauten Fuß gestanden. Wer darf behaupten, daß uns einmal
elektrische
und Wärmeerscheinungen
nicht ähnlich erscheinen
werden
(Hervorhebung G. W.), wenn wir ihre einfachsten Regeln kennen gelernt haben, und mit ihnen vertraut geworden sind?" (EA., 32).
In der zweiten Auflage (1909) hat Mach den Text des Vortrags, aus dem hier zitiert wurde, sowie die Anmerkungen unverändert gelassen. Lediglich einige wenige Anmerkungen wurden neu hinzugefügt. Darunter die folgende zur gerade zitierten Stelle: „Den Gedanken, daß die Grundlage der Physik auch eine thermische oder elektrische sein könnte, habe ich noch wiederholt in „Mechanik" und „Analyse der Empfindungen" ausgesprochen. Er scheint sich zu verwirklichen (Hervorhebung G. W.)" (EA., 60). Ganz offensichtlich spielt Mach hier auf die Verwirklichung' seiner Idee im ,elektromagnetischen Weltbild' an. 12 Das elektromagnetische Weltbild (in Andeutungen schon bei Wilhelm Weber und Friedrich Zöllner) ergab sich als eine Perspektive aus der Elektronentheorie, wie sie vor allem von Η. A. Lorentz, beginnend mit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts, entwickelt wurde. 13 Die Elektronentheorie lieferte gewissermaßen das elektrodynamische Gegenstück zum mechanistischen Weltbild. Ontologisch besteht nach dem elektromagnetischen Weltbild die physikalische Realität ausschließlich aus dem elektromagnetischen Äther und elektrischen Teilchen, die in den einfachsten Versionen der Theorie als Singularitäten im Äther bzw. im Feld verstanden wurden, womit methodologisch die Reduktion der Mechanik auf Elektrodynamik, d. h. die elektromagnetischen Feldgleichungen, nahegelegt wird (cf. McCormmach (1970), 459). Nun wird man in der Analyse der Empfindungen oder der Mechanik vergeblich nach einer halbwegs konkreten Äuße12
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Die Episode des elektromagnetischen Weltbildes ist eingehend dargestellt und analysiert worden. Cf. ζ. B. die Bücher von Miller (1981) und Goldberg (1984). Neben den genannten Büchern cf. insbesondere McCormmach (1970) (cf. auch (1970 a), (1973)). Die historische Entwicklung war erheblich subtiler als hier dargestellt (cf. vor allem die ausgezeichnete Arbeit McCormmachs (1970)). Zeitweise wurde sogar das Relativitätsprinzip als Bestandteil des unmodernen Mechanizismus empfunden (cf. McCormmach, a. a. O., 489 f.). — Doch dies waren m. E. vorübergehende Insider-Diskussionen, die auf Mach (s. u.) wohl keinen Einfluß gehabt haben.
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rung dieses Gedankens suchen. Er ist dort — soweit ich sehe — ebenso abstrakt wie im Vortrag von 1871 formuliert. 14 Lediglich in einem Vortrag von 1883 findet man die Behauptung eines gewissen Vorrangs der Elektrizität: „Der Zusammenhang unter den physikalischen Erscheinungen ist [...] ein so mannigfacher, daß man derselben Sache auf sehr verschiedene Weise beikommen kann. Namentlich hängen die elektrischen Erscheinungen mit allen übrigen so innig zusammen, daß man die Elektrizitätslehre billig die Lehre vom Zusammenhang der physikalischen Erscheinungen nennen könnte [...]" (P.,
160).
Es zeigt sich hier — wie später auch noch an einem anderen Beispiel — Machs ausgeprägtes Bedürfnis, seine Verdienste für die Entwicklung der Physik historisch ins rechte Licht zu rücken und beizeiten anzumelden. Worauf er sich in diesem konkreten Fall berufen kann, ist physikalisch ja nicht gerade viel, oder besser: gar nichts. Er macht lediglich auf den wissenschaftstheoretischen Umstand aufmerksam, daß das mechanistische Weltbild keine physikalische Notwendigkeit beanspruchen, das physikalische Weltbild eben auch ganz anders sein könne. Mit der entsprechenden physikalischen Entwicklung, die außer von Lorentz vor allem von M. Abraham, W. Kaufmann, H. Poincare, E. Wiechert und W. Wien getragen wurde, hatte Mach nicht das geringste zu tun. Er war eben kein theoretischer Physiker (cf. § 10). In gewisser Hinsicht ist es sogar überraschend, daß Mach meint, darauf aufmerksam machen zu müssen, er erhoffe sich viel vom Zug der Physik hin zum elektromagnetischen Weltbild und habe so etwas immer schon favorisiert. Denn die Elektronentheorie, mit der zusammen das elektromagnetische Weltbild aufkam, baut auf der Existenz unsichtbarer materieller Teilchen, den Elektronen, auf: die Elektronen sind elektrische Ladungsträger und erzeugen mit ihren Ladungen das Feld. Die meisten mit der Elektronentheorie befaßten Physiker zweifelten nicht an der Existen^ der Elektronen. Vielmehr spielte sogar ihre Gestalt eine wichtige Rolle in den teilweise heftigen Auseinandersetzungen. Wenn auch noch sehr dünn bevölkert, konnte dieser Teilchenzoo die in der Kritik des mechanistischen Weltbilds geschärfte Vorstellung Machs von einer befriedigenden Theorie sicher nicht erfüllen. 15 Mit einem gewissen degout zitiert Mach in der 14 15
Cf. Α., 269, 274 Anm.; M., 472 ff. (identisch mit 1. Auflage 467 ff.). Leider hat Mach sich, soweit ich sehe, nie explizit zur Elektronentheorie geäußert. Seine Ankündigung, im Vorwort zur russischen Ausgabe eines Buchs von J. B. Stallo dazu
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Auseinandersetzung mit Planck dessen Satz, „die Atome seien nicht weniger real als die Himmelskörper, und daß ein Atom Wasserstoff 1,6 · 1 0 - 2 4 g wiegt", und schließt an: „Eine ähnliche Äußerung finden wir übrigens bei dem berühmten Begründer der modernen Elektronentheorie Η. A. Lorentz" (Mach (1910), 602). Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß Mach sich hier auf Lorentz' entsprechende Äußerungen zu Elektronen bezieht. — Alles in allem scheint vieles für die Vermutung zu sprechen, daß Mach dem ontologischen Aspekt des elektromagnetischen Weltbilds (jedenfalls so wie es allgemein vertreten wurde) mindestens mit einiger Reserve gegenübergestanden hat. Ganz anders beim methodologischen Aspekt. Um dies zu zeigen, und um zum nächsten Gedanken überzuleiten, sollen alle weiteren Texte Machs zitiert werden, die sich auf das elektromagnetische Weltbild beziehen. 16 (1) Die früheste — indirekte — Erwähnung des elektromagnetischen Weltbilds findet man in der 4. Auflage (1901) der Mechanik am Ende des 3. Abschnitts des 3. Teiles des 2. Kapitels (199, entsprechend M., 186). Mach erwähnt dort neuere Entwicklungen, die entgegen der Newtonschen Instantan-Auffassung eine zeitliche Ausbreitung der Gravitationswirkung annehmen, und zitiert in diesem Zusammenhang ohne weitere Stellungnahme zu dem gesamten Problem Wilhelm Wiens programmatischen Aufsatz „Über die Möglichkeit einer elektromagnetischen Begründung der Mechanik" in der Lorentz-Festschrift von 1900 (Wien (1901)). Wiens Arbeit, „the first formal pronouncement of the electromagnetic view of nature" (McCormmach (1970), 477), vertritt, wie aus dem Titel ersichtlich, den methodologischen Aspekt des elektrodynamischen Weltbilds, aber auch dessen naheliegenden ontologischen Implikationen, und zwar unter Bezugnahme auf den Umstand, daß diese „wohl von allen Physikern gegenwärtig zugegeben" werden (Wien a. a. O., 504). Daran schließt Wien noch die Bemerkung an: „Die Aussage, daß sowohl die Materie als die Elektricität atomistisch aufgebaut ist, ist nach unserer hier vertretenen Anschauung gleichbedeutend" (ebd.). Gewiß kein Kontext, in den zustimmend sich einzubringen Mach ein großes Interesse gehabt haben kann. Und seltsamerweise bezieht sich Machs Zitat ja auch noch nicht auf das
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Stellung zu nehmen, die sich aus einem Brief an Mach von G. Kotliar (26. 2.1908) ergibt (EMA), hat Mach wohl nicht realisiert. Jedenfalls habe ich die genannte Übersetzung nicht auffinden können. Ich hoffe, hier nicht weit von der Vollständigkeit entfernt zu sein (unter Beschränkung auf publizierte Äußerungen).
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Titelprogramm, sondern auf die von Wien damit verknüpfte zeitliche Fortpflanzung der Gravitation. (2) In der 6. Auflage der Mechanik (1908) ist Mach einen Schritt weiter: Einer der wichtigsten Bestandteile der Elektronentheorie war die Beseitigung der Newtonschen Annahme der Konstanz der Masse dahingehend, daß die träge Masse proportional zur Geschwindigkeit zunehme. Nun hatte Mach zwar in der Mechanik auch die Konstanz der trägen Masse vertreten. Aber: er hatte es für ratsam befunden, zu betonen, daß „in dem Massebegriff keinerlei Theorie, sondern eine Erfahrung liegt. Der Begriff hat sich bisher bewährt. Es ist sehr unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich (Hervorhebung G. W.), daß er in Zukunft erschüttert wird, so wie die Vorstellung einer unveränderlichen Wärmemenge [...] durch neue Erfahrungen sich modifiziert hat" (M., 215 f.). Zu dieser Passage hat Mach in der 6. Auflage hinzugefügt: „Diese Stelle stand schon in der ersten Auflage von 1883, also lange bevor die Diskussion über die elektromagnetische Masse begonnen hatte". — Nun kann man diese Bemerkung Machs gewiß durch sein Bestreben erklären, zu verhindern, daß das Licht seiner Leistungen unter den Scheffel gestellt würde. Auch wenn er hier nur darauf aufmerksam machen kann, daß eine Entwicklung der neueren Physik durch eine alte Ansicht von ihm immerhin nicht ausgeschlossen worden sei. Ein relativ mageres Verdienst, das den Wunsch Machs, seinen Namen mit den neueren Tendenzen zu verbinden, in ein um so deutlicheres Licht rückt. Mach muß es mindestens für nicht völlig ausgeschlossen angesehen haben, daß die Elektronentheorie einen Schritt zu einem neuen physikalischen Weltbild sein könnte. Denn sonst wäre es gänzlich unverständlich, daß er es für notwendig gehalten hat, seinen Namen mit dieser Entwicklung — noch dazu auf so schwache und indirekte Weise — in Verbindung zu bringen. Worauf hier ferner noch hingewiesen sei, ist die auffällige Tatsache, daß der Bezug auf das elektromagnetische Weltbild, so wie es sich aus der Elektronentheorie ergab, bei Mach in (1) nur indirekt und ohne jede Wertung, in (2) dagegen schon sub conditione positiv erfolgte, wenn auch mit der einigermaßen seltsamen Versicherung, er habe einem wichtigen Theorem der Elektronentheorie wenigstens nicht im Wege gestanden. (3) Ende 1909 lassen sich erste, schlicht positive Äußerungen feststellen. Ohne eine genaue Reihenfolge behaupten zu können, sei hier mit Machs Antwort auf Plancks Angriff in dessen Leidener Rede von 1908 (erschienen 1909) begonnen. Mach hat offenbar, wie sich aus dem Briefwechsel mit
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Adler ergibt, mit der Antwort auf Planck bis Ende 1909 gezögert. 17 Gegen Plancks Unterstellungen macht Mach geltend, daß die „Vereinheitlichung des Systems der Physik" eine Forderung des Machschen Ökonomieprinzips sei, „selbst wenn diese Vereinheitlichung nur eine vorläufige, hypothetischfiktive sein sollte. Nur glaube ich allerdings, daß die Elektrodynamik, oder sagen wir die Lorentzsche Theorie viel mehr Aussicht hat, nach W. Wiens Auffassung die Mechanik als speziellen Fall in sich aufzunehmen, als umgekehrt" (Mach (1910), 602). Dies ist — in einem für Mach persönlich außerordentlich wichtigen Kontext — die erste mit einer eindeutigen Stellungnahme verbundene Äußerung zum elektromagnetischen Weltbild. Mach vermutet (offensichtlich positiv gestimmt) die methodologische Überlegenheit des elektromagnetischen Weltbilds bei gleichzeitiger ontologischer Zurückhaltung. Dies scheint sein endgültiger Standpunkt in dieser Frage zu sein. Besonders wichtig ist jedoch, daß Mach das elektromagnetische Weltbild hier mit der ,Lorentzschen Theorie' verbindet, also augenscheinlich die Diskussionen, die in Anm. 13 erwähnt werden, nicht zur Kenntnis nimmt. Ferner ist zu beachten, daß für eine ganze Reihe von Jahren nach 1905 weithin nicht zwischen der Lorentzschen und der relativistischen Einsteinschen Formulierung der Elektronentheorie unterschieden wird: „They referred interchangeably to the ,Lorentz', the ,LorentzEinstein', and the ,relativity' theories" (McCormmach (1970), 488). Mach hat also in der Relativitätstheorie einen Schritt hin zum erwünschten elektromagnetischen Weltbild gesehen. Daß er sich hierin letztlich geirrt hat, spielt in unserem Zusammenhang keine Rolle. (4) Die nächste hier anzuführende Äußerung befindet sich am Ende des Artikels „Beschreibung und Erklärung" der, zunächst „sehr gekürzt" (P., 411), im Jahre 1906 erschienen ist. Ob nun an dieser Stelle 1906 gekürzt oder (was ich vermute) 1909/1910 erweitert wurde: es heißt in der Fassung des Artikels in der 4. Auflage der Populär-wissenschaftlichen Vorlesungen (1910): „Seit Galilei, bis fast ans Ende des 19. Jahrhunderts wurde den Tatsachen der Mechanik die höchste erklärende Kraft zugeschrieben. Nun scheint aber die Elektrodynamik, wie es weiter Blickende wohl schon lange ahnten [!], die führende Rolle übernehmen zu wollen. Hierbei wird es aber schwerlich bleiben.
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A m 5. 8 . 1 9 0 9 schrieb Mach an Adler ( A A W ) , daß er „gelegentlich Planck etwas antworten" werde. A m 1 4 . 1 . 1 9 1 0 teilte er Adler mit, daß seine Replik „längst bei der Redaktion der Rivista di Scienza" sei ( A A W ) .
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Mach und Einstein. Der Einfluß
Wenn sich die Auflösung der Atomtheorie durch die Elektronenvorstellung vollzogen haben wird, kommen wohl Materie, Zeit, Raum und Bewegung als Probleme wieder zu ihrem Recht" (P., 427). Diese Textstelle ist von größter Bedeutung, weil sie deutlich macht, warum Mach die Elektronenvorstellung der Atomvorstellung vorzieht. Die Elektronenvorstellung zerstört einerseits den ,rohen' und ,naiven' Substanzglauben des Atomismus mit seiner Annahme von Atomen als letzten, alle Veränderungen überdauernden Einheiten. Andererseits sieht Mach, daß in der Elektronentheorie die nach seiner Meinung im mechanistischen Weltbild so sehr vernachlässigte kritische Klärung von Grundbegriffen wie ,Raum', ,Zeit' und ,Masse' geradezu erzwungen wird. Bei Einstein steht diese Klärung mindestens zu jener Zeit (cf. McCormmach (1970), 488 f.) sogar klar im Vordergrund des Interesses. Machs kritischaufklärerisches Bedürfnis scheint so seine Abneigung gegen die verbreitete Reifizierung der Elektronen durchaus zu übertreffen. (5) Ebenfalls aus dem Jahre 1910 stammt Machs Bemerkung, ihm scheine, „daß die ersehnte Vereinheitlichung [der Physik] gelingen wird, aber nicht auf Grundlage der Mechanik, sondern der Elektrodynamik, von der die Mechanik und die übrigen Kapitel der Physik sich als dürftigere Spezialfälle zu erweisen Miene machen" (P., 437). (6) In einem erstmals am 13.2.1910 veröffentlichten Zeitschriftenartikel schreibt Mach lapidar: „Unter allen Vorgängen scheinen die elektromagnetischen am tiefsten in die Natur einzugreifen und es ist zu hoffen, daß sie die Grundlage einer künftigen einheitlichen Physik bilden werden" (P., 506 f.). Wie schon bemerkt, handelt es sich bei den hier angeführten Belegen (1) und (2) eher nur um Nennungen des elektromagnetischen Weltbilds. Dagegen nimmt Mach in den Belegen (3) bis (6) positiven Be^ug. Dies dürfte kein Zufall sein. Alle positiven Texte stammen von Ende 1909 oder aus 1910 oder wurden zumindest erst 1910 publiziert. Zu diesem Zeitpunkt hatte Mach sich wohl erstmals gründlicher mit der Relativitätstheorie befaßt. Der Anlaß dazu dürfte Hermann Minkowskis berühmter Vortrag „Raum und Zeit" auf der Kölner Naturforscherversammlung am 28.9.1908 gewesen sein, den Mach — wie noch (§17) ausführlicher dargelegt werden wird — schon in der 2. Auflage (1909) des Prager Vortrags über die „Erhaltung der Arbeit" positiv zur Kenntnis genommen hat. Mach kündigte Adler am 26.7.1909 an (AAW): „Sie erhalten dieser Tage einen neuen unveränderten Abdruck von „Erhaltung der Arbeit" ". Was in Machs Brief folgt, gibt einen Fingerzeig darauf, warum es so
Der Einfluß I: Machs Kritik am mechanischen Weltbild
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aussieht, als ob sich Mach erst beginnend mit dem Jahre 1909/1910 positiv auf das elektromagnetische Weltbild bezieht. Mach fahrt in dem genannten Brief an Adler nämlich fort: „Die Sache mit Planck (d. h. der erwähnte Angriff Plancks, in dem Mach vorgeworfen wurde, seine Erkenntnislehre sei ein Hindernis für den Fortschritt der Physik, G. W.) ist mir doch zu dumm geworden. Ich habe ihm im Vorwort (von EA., G. W.) nur gesagt, daß man doch wenigstens kennen muß, was man zur Belehrung anderer kritisieren will. Vielleicht findet er, daß meine Ansichten von 1872 etwas moderner sind, als er sich vorgestellt hat." Daran schließt sich unmittelbar an: „Ist Einstein noch in Bern? Ich möchte ihm auch ein Exemplar senden." Der Bezug auf Einstein erfolgt hier unmittelbar nach dem Hinweis auf seine, d. h. Machs Modernität. Man kann übrigens sagen, daß der Wunsch, diese Modernität und Fruchtbarkeit seiner Gedanken nachzuweisen, Mach zur 2. Auflage der Erhaltung der Arbeit angeregt hat. Denn wie Mach an P. Carus am 7.1.1910 (OCA) schrieb, ist die „deutsche Reimpression (von EA., G. W.) durch Plancks Angriff veranlaßt". Die .Modernität' der Schrift von 1872 kann sich, abgesehen von einem Hinweis auf das Relativitätsprinzip (cf. unten § 17), natürlich nur auf die anläßlich der Kritik des mechanistischen Weltbilds geäußerte Ansicht beziehen (s. o.), daß es eines Tages genau so etwas wie ein elektromagnetisches Weltbild geben könne. Und da kommt Mach unvermittelt auf den Namen Einstein. 18 Dies wiederum scheint nicht zufällig zu sein. Die Elektronentheorie, als physikalische Basistheorie eines elektromagnetischen Weltbilds, baute auf einer Korpuskularhypothese auf, die freilich weithin als Ausdruck der außertheoretischen Realität verstanden wurde. 19 Die Relativitätstheorie ist hingegen eine wenn 18
Ich führe hier natürlich keinen stringenten Beweis vor, sondern eben nur einen Fingerzeig, der auf einer — allerdings durch die Dokumente gestützten — psychologischen Mutmaßung beruht. Als wichtiges Indiz für deren Zutreffen kann ferner gelten, daß auch Minkowskis Vortrag „Raum und Zeit", von dem Machs Beschäftigung mit der Relativitätstheorie vermutlich ausgegangen ist, die Meinung vertritt, daß „der wahre Kern eines elektromagnetischen Weltbildes [...] von Einstein weiter herausgeschält" worden sei (Minkowski (1909), in: Lorentz/Einstein/Minkowski (1974), 66).
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Gelegentlich wurde allerdings deutlich auf den hypothetischen Charakter der Elektronenhypothese hingewiesen. So etwa in Wilhelm Wiens Vortrag auf der 77. Naturforscherversammlung in Meran (1905), dessen „zweite, die Fortschritte der Wissenschaft berücksichtigende, Auflage" (Titelblatt von Wien (1909)) sich in Machs Bibliothek befand (cf. Ackermann I (1959), Nr. 1252). Auch Wiens „Eingeständnis der vielen Lücken" der Elektronentheorie, die zeigten, daß „sie der Verbesserung und Vervollständigung sehr bedürftig ist" (Wien (1909), 5), möchte Mach prinzipiell und speziell mit Bezug auf die Elektronentheorie erfreut haben. In einer langen Anmerkung (28—33) geht Wien auf die Relativitätstheorie ein, wobei er vor allem auf die notwendige Revision der absoluten Begriffe von Raum, Zeit und starrem Körper hinweist mit dem Resümee (31): „Man
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auch nicht abgeschlossene elektrodynamische Theorie, die der Elektronenoder sonst einer Konstitutionshypothese nicht bedarf, sie aber natürlich auch nicht ausschließt. Sie ist vielmehr, nach Einsteins Meinung, „a heuristic principle concerned with measurements and rigid bodies, applicable to all theories" (McCormmach (1970), 489). Sie ist, wie auch Lampa (cf. den oben zitierten Brief) sah, eine phänomenologische Theorie. 20 Und eben dies, der phänomenologische Charakter der Relativitätstheorie, mag Mach bewogen haben, nun seinerseits ab 1909/1910 o f f e n für das elektromagnetische Weltbild zu votieren, nachdem ihm der korpuskulare Charakter der Elektronentheorie als der physikalischen Leittheorie dieses Weltbilds dieses Votum zunächst gewiß etwas sauer gemacht hat. Damit liegt, wenn die gegebene Rekonstruktion stimmt, eine Art dialektischer Thema- Transmission vor: Einstein übernimmt Machs antimechanistisches Thema — Mach wiederum übernimmt Einsteins elektromagnetische, phänomenologische Transformation dieses Themas in der Relativitätstheorie. Dabei versäumt Mach nicht den Hinweis, daß diese Übernahme der neuen Idee ihm, dem immer schon „weiter Blickenden" (s. o.), sehr nahe gelegen habe, daß er eben schon immer ,modern' gewesen sei. Ein solcher Hinweis kann nicht überraschen, wenn man bedenkt, daß Mach sich stets sehr um die historische Würdigung seiner Verdienste gesorgt hat. Bis dahin (1909/1910) war aber Machs Name noch nie öffentlich im Zusammenhang mit der Relativitätstheorie genannt worden, obwohl doch seine Themata diskutiert wurden. Mit diesen Überlegungen ist ein Baustein für die Behauptung geliefert, daß Mach 1910 die Relativitätstheorie erfreut als eine zeitgemäße Realisierung seines antimechanistischen Themas begrüßt und Wert darauf gelegt hat, daß seine Aufgeschlossenheit in diesem Punkte zu Protokoll genommen wurde.
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erkennt, daß der Begriff des starren Körpers seine Bedeutung vollständig verliert und daß die Begriffe von Raum und Zeit nur in unmittelbarer Verknüpfung miteinander brauchbar sind." — Wien wird hier so ausführlich 2itiert, weil er vielleicht einer von Machs (wenigen) Gewährsmännern in Sachen elektromagnetisches Weltbild gewesen ist. Neben Minkowskis „Raum und Zeit" ist Wien (1901) die einzige Schrift, die von Mach in diesem Zusammenhang direkt erwähnt wird. Daran ändert sich natürlich auch nichts, wenn die in der Literatur oft geäußerte Ansicht zutrifft, daß sie eine Verlegenheitslösung war, weil Einstein elektromagnetische und Quantenaspekte nicht unter einen theoretischen Hut zu bringen vermochte und deshalb zuerst einmal eine befriedigende phänomenologische, nur mit Feldern operierende Theorie vorlegen wollte.
Der Einfluß II: Machs Trägheitsprinzip
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§ 3 Der Einfluß II: Machs Trägheitsprin^ip Das von Mach intonierte Thema Antimechanismus liegt, wenngleich von hoher motivationaler Kraft, auf einer sehr abstrakten Ebene. Der thematische Einfluß des Machschen Trägheitsprinzips nähert sich dagegen der konkreten Physik. Geht es doch hier um die Kritik eines zentralen physikalischen Begriffs. Die Machsche Kritik ist eingebettet in die Analyse des Bewegungsbtgtiiis und entfaltet sich am thematischen Gegensatzpaar relativ-absolut. Konkret geht es um die Zurückweisung der Newtonschen Bewegungskonzeption mit ihren Komponenten absoluter Raum, absolute Geschwindigkeit, absolute Beschleunigung (insbesondere absolute Rotation). Vor allem Machs Analyse des Newtonschen Eimerexperiments ist es, die Einstein entscheidend motiviert hat. Vergegenwärtigen wir uns kurz die Problemlage: Empirisch festgestellte Bewegungen sind stets Bewegungen relativ zu anderen Körpern. Eine Kugel rollt auf einer Tischplatte. Sie bewegt sich relativ zu dieser Platte. Steht der Tisch fest im Labor, dann bewegt sich die Kugel mit gleicher Richtung und Geschwindigkeit auch relativ zum Laborraum. Wir können in diesem Fall auch sagen, es sei gleichgültig, ob wir die Kugel bezüglich eines Bezugssystems (ausgedrückt etwa in Cartesischen Koordinaten) ,Tisch' oder ,Labor' betrachten. Anders wird die Lage bereits, wenn wir hinsichtlich der rollenden Kugel Erde und Sonne als Bezugssysteme betrachten. Hinsichtlich des Bezugssystems ,Erde' ergibt sich (bei kurzen Zeiten und Strecken) kein nennenswerter Unterschied zu den Bezugssystemen ,Tisch' oder ,Labor'. Wir haben die gleiche, sagen wir: geradlinige Bewegung. Anders aber, wenn wir die rollende Kugel von der Sonne aus betrachten. Dann bewegt sich die Erde auf einer annähernd elliptischen Bahn um die Sonne und zudem noch täglich einmal um ihre Achse. Die Bahn der Kugel erscheint folglich nicht mehr gerade, sondern gekrümmt. Aber, so sagten sich Newton und die Klassische Physik: an sich bewegt sich doch die Kugel nur einmal und nicht zweimal: einmal gerade (bezüglich Labor) und einmal gekrümmt (bezüglich Sonne). Dies und manches andere (cf. ζ. B. Jammer (1969), 95 ff.; dt. Ausg. 105 ff.) hatte Newton bewogen, eine Art Universalbehälter anzunehmen, in dem alle Körper enthalten sind und in dem sich alle Bewegungen dieser Körper abspielen, den absoluten Raum. Gewissermaßen per definitionem ruht der absolute Raum; denn würde er sich bewegen, müßte er sich hinsichtlich (wenigstens) eines anderen Körpers bewegen. Da aber der absolute Raum alle Körper und ihre Bewegungen enthält,
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Mach und Einstein. Der Einfluß
müßte er auch diesen anderen Körper enthalten, womit der ganze Gedanke absurd wird. Bewegung heißt daher letztlich bei Newton immer Bewegung gegen den absoluten Raum. In seltsamem Kontrast zu dem metaphysischen Nachdruck, mit dem Newton den Begriff der absoluten Bewegung einführt, steht die Tatsache, daß er praktisch, d. h. im physikalischen Alltag mathematischer Darstellungen und Ableitungen und der Formulierung von Gesetzen, keine Rolle spielt — wenn man vom Fall des Newtonschen Trägheitsprinzips einmal absieht. Die praktische Bedeutungslosigkeit des absoluten Raumes liegt daran, daß sich prinzipiell kein Körper als im absoluten Raum ruhend bestimmen läßt. Das wiederum heißt, daß sich kein Bezugssystem ,absoluter Raum' konkret angeben läßt (cf. Born (1969), 59 f.). Setzen wir nun das Trägheitsprinzip einmal voraus, d. h. den Satz, daß sich jeder Körper, auf den keine äußeren Kräfte wirken, geradlinig und gleichförmig bewegt (mit dem Ruhezustand als Grenzfall), und gehen wir zu der Kugel auf dem Labortisch zurück und betrachten ihre Bewegung hinsichtlich des Bezugssystems ,Labor' in Cartesischen Koordinaten. Wir nehmen etwa an, daß sich die Kugel geradlinig relativ zu diesem Bezugssystem bewegt und daß ihr an bestimmten Stellen x; ihrer Bahn Beschleunigungen a; erteilt werden. Betrachten wir nun die Klasse aller zum Bezugssystem ,Labor' in gleichförmig geradliniger Bewegung befindlichen Bezugssysteme, die wir der Einfachheit halber (ohne Beschränkung der Allgemeinheit) auf solche einschränken können, die sich in Richtung der x-Achse des Systems ,Labor' bewegen und deren Ursprung zu einem Zeitpunkt t 0 zusammenfallt. Die Klasse der relativ zu einem durch die Koordinaten x, y, ζ definierten Bezugssystem (in unserem Beispiel das Labor) geradlinig und gleichförmig bewegten Bezugssysteme mit den Koordinaten x', y', z' wird durch die folgenden Koordinatentransformationen (,Galilei-Transformationen') definiert: x' = χ — vt y' = y
z' = ζ t' = t Betrachten wir nun die Bewegung der Kugel von einem geradlinig gleichförmig mit der Geschwindigkeit vo zum Laborsystem L bewegten Bezugssystem I = (x', y', z') aus. Solche Systeme heißen (seit Ludwig Lange) ,Inertialsystemei. Wir stellen fest, daß bei der Beschreibung der Vorgänge in I (d. h. bei einer Galilei-Transformation) sich zwar die Koordi-
Der Einfluß II: Machs Trägheitsprinzip
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naten der Bahnpunkte und die Bahngeschwindigkeit gegenüber der Beschreibung in L ändern, daß aber die Beschleunigungen a, bzw. a-, ganz gleich ob von Κ oder von I aus betrachtet, die gleichen sind (cf. ζ. B. Moller (1976), 12 ff.). Da die allgemeinen Gesetze der Mechanik nur die Beschleunigungen enthalten, kann man diesen Sachverhalt auch so formulieren: Die allgemeinen Gesetze der Mechanik haben in allen Inertialsystemen die gleiche Form. Dieser Satz wird das Relativitätsprin^ip der klassischen Mechanik genannt. 1 Wenn nun in allen Inertialsystemen unabhängig von Richtung, Lage und Geschwindigkeit im (dreidimensionalen euklidischen) Raum die gleichen mechanischen Gesetze gelten, dann ergibt sich der bereits erwähnte Einwand gegen den absoluten Raum in neuer Form: Physikalisch läßt sich kein Inertialsystem auszeichnen. D. h., man kann nicht sagen, in welchem Inertialsystem man sich befindet, oder es läßt sich kein Ort und keine Geschwindigkeit eines Systems relativ zum absoluten Raum angeben. Dies wiederum bedeutet, daß Newton, „wo es ernst wurde" (M., 269), keine absoluten Lagen und Geschwindigkeiten, sondern eben nur Lagen und Geschwindigkeiten relativ zu einem bestimmten Inertialsystem angegeben hat und nur solche angeben konnte. Absolute Lagen und Geschwindigkeiten haben mit anderen Worten nach Mach keine physikalische Bedeutung. Newton glaubte aber, den Begriff des absoluten Raumes und damit den einer absoluten Bewegung etc. doch noch retten zu können. Er meinte zeigen zu können, daß es absolute Bewegungen gebe, die tatsächlich beobachtbare physikalische Bedeutung hätten: beschleunigte Bewegungen, speziell die Rotation. Hier läßt sich nach Newton deshalb von einer beobachtbaren Bedeutung reden, weil im Unterschied zu Trägheitsbewegungen Wirkungen auftreten. Newton erläuterte, was er meinte, an zwei Beispielen, von denen hier dasjenige kurz dargestellt werden soll, auf das sich die berühmte Kritik Machs bezieht: Newtons Eimerversuch.2 Ein mit Wasser 1
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Ich verzichte in dieser elementaren Darstellung auf eine präzisere Formulierung, die u. a. die Einführung der Begriffe ,Invarianz' und .Kovarianz' einschlösse; teils um nicht zu sehr ins mathematische Detail gehen zu müssen, teils weil mit diesen Begriffen üblicherweise nicht wenig Konfusion verbunden ist, deren Beseitigung einen für die Zwecke dieser Abhandlung nicht vertretbaren Aufwand erforderte (für Klärung cf. Friedman (1983), 46ff.). — Einsteins eigene mangelnde begriffliche Schärfe u.a. bezüglich der Unterscheidung von Kovarianz und Erfülltheit des allgemeinen Relativitätsprinzips erörtern auch Earman/Glymour (1978). Newton (1726), 10 f. — Hier steht im übrigen nicht die Frage zur Diskussion, ob Mach Newton richtig verstanden und zu Recht kritisiert hat. So interessant diese Frage auch
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Mach und Einstein. Der Einfluß
gefüllter Eimer wird an einem Seil aufgehängt und solange gedreht, „bis das Seil durch D r e h u n g sehr steif w i r d " („donec filum a contorsione admodum rigescat"), und dann zunächst festgehalten. Im eigentlichen Ablauf des Experiments lassen sich fünf Phasen unterscheiden: 1. (Ausgangs-)Phase: Wasser und Eimer sind relativ zueinander in Ruhe; die Wasseroberfläche im Eimer ist eben. 2. Phase: der Eimer wird losgelassen und rotiert relativ zum Wasser; die Wasseroberfläche ist eben. 3. Phase: jetzt rotieren Eimer und (aufgrund von Kohäsionskräften) auch das Wasser. Eimer und Wasser befinden sich relativ zueinander in Ruhe; die Wasseroberfläche steigt zu den Rändern hin, ist also konkav. 4. Phase: die Rotation des Eimers wird abrupt gestoppt; unterdessen rotiert das Wasser relativ zum Eimer weiter; die Wasseroberfläche ist nach wie vor konkav. 5. (Schluß-)Phase: die Ausgangssituation ist wieder eingetreten: Wasser und Eimer sind relativ zueinander in Ruhe; die Wasseroberfläche ist wieder eben. — Anders, wenn man den Eimer in geradlinig gleichförmiger (,Translations'-)Bewegung betrachten würde. Hier würde das klassische Trägheitsprinzip greifen, es würden keine mechanischen Effekte auftreten. N u n zu Newtons Interpretation des Experiments, das er nicht nur in Gedanken, sondern tatsächlich ausgeführt haben will („ut ipse expertus sum"): Zunächst fiel ihm auf, daß die Gestalt der Wasseroberfläche unabhängig davon war, ob Eimer und Wasser relativ zueinander in Bewegung sind oder nicht. Denn die Wasseroberfläche kann eben sein, wenn (wie in Phase 1 und 5) Eimer und Wasser gegeneinander ruhen; sie kann aber auch eben sein, wenn sich Eimer und Wasser (wie in Phase 2) gegeneinander bewegen. Umgekehrt kann die Wasseroberfläche konkav sein, wenn (wie in Phase 3) Eimer und Wasser relativ zueinander in Ruhe sind; sie kann aber auch konkav sein, wenn (wie in Phase 4) Eimer und Wasser sich gegeneinander bewegen. Die Deformation der Wasseroberfläche war damit für N e w t o n unabhängig v o m relativen Bewegungszustand von Eimer und Wasser, resultierte also nicht aus einer relativen Beschleunigung von Eimer und Wasser. Andererseits tritt aber eben doch das erklärungsbedürftige Phänomen, nämlich die Deformation der ursprünglich ebenen Wasseroberfläche auf. Wo Deformationen auftreten, müssen deformierende Kräfte wirken; d. h. nach dem zweiten Newtonschen Gesetz (Kraft = Masse χ Beschleunigung), daß Beschleunigungen auftreten. Eine Beschleunigung des Wassers relativ zum Eimer kam wie bemerkt für N e w t o n als Ursache der ist und wie sehr man darüber unterschiedlicher Meinung sein mag, sie ist für die hier zu behandelnden Dinge ohne Belang.
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Oberflächendeformation nicht in Frage. Aber auch eine Beschleunigung relativ zu irgendeinem anderen System von Körpern kam für ihn nicht in Betracht. Der Grund dafür ist überraschend: die deformierenden Kräfte im Eimerexperiment sind Fliehkräfte. Fliehkräfte sind Trägheitskräfte, d. h. Kräfte, die Beschleunigungen ,entgegenwirken', hier: der Beschleunigung, die zur Herbeiführung jeder krummlinigen Bewegung wie der Rotation erforderlich ist. Nun ist die Trägheit nach Newton (cf. Freudenthal (1982), Teil LI) eine ,Wesenseigenschaft' einer jeden Materiepartikel, ist eine absolute Eigenschaft. Das bedeutet insbesondere, daß eine Partikel auch dann noch träge wäre, wenn es außer ihr im Universum weiter nichts gäbe. Daher sind auftretende Trägheitskräfte Wesenseigenschaften derjenigen Körper, an denen sie auftreten, und haben mit dem Rest der Welt nichts zu tun. Mit anderen Worten: Beschleunigung kann nach Newton wegen seiner Auffassung der Trägheit nicht Beschleunigung relativ zu anderen Körpern sein. Beschleunigung ist daher Geschwindigkeitsänderung relativ zum absoluten Raum, ist absolute Beschleunigung. Damit glaubte Newton den hinsichtlich Ort und Geschwindigkeit der Körper physikalisch bedeutungslosen absoluten Raum bezüglich beschleunigter Bewegungen für die Physik doch noch gerettet zu haben. Anders Mach. Mach kann nicht einsehen, warum ein Typ absoluter Bewegung, die Translationsbewegung, keine beobachtbaren mechanischen Folgen hat, während ein anderer, die Rotation gegen den absoluten Raum, eben solche Folgen haben soll. Jede Art der Bewegung des Körpers ist für Mach Bewegung relativ zu einem oder mehreren anderen Körpern. Denn: andere Bewegungen als relative sind empirisch nicht feststellbar und damit physikalisch ohne Bedeutung und Belang. — Was aber mit Newtons Argument, das der beschleunigten Bewegung physikalische Bedeutung zuspricht? Mach ist nicht der Meinung, daß Newton durch seine Überlegung den absoluten Raum vom Odium eines Gedankendings befreit habe. Denn das sind absoluter Raum und absolute Bewegung für Mach: „bloße Gedankendinge, die in der Erfahrung nicht aufgezeigt werden können. Alle unsere Grundsätze der Mechanik sind [ . . . ] Erfahrungen über relative Lagen und Bewegungen der Körper" (M., 223). Newton hat einen Denkfehler begangen, als er glaubte, im Eimerexperiment die Existenz des absoluten Raumes aus seinen angeblichen Wirkungen nachgewiesen zu haben: (1) Newton nimmt an, daß die Relativbewegung von Eimer und Wasser keinen Einfluß auf den Zustand der Wasseroberfläche habe. Das stimmt für sein Experiment und das dabei gefüllte Eimerchen. Aber: „Niemand kann sagen, wie der Versuch quantitativ und qualitativ verlau-
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fen würde, wenn die Gefäßwände immer dicker und massiger, zuletzt mehrere Meilen dick würden" (M., 226). Es könnte eben sein, so Mach, daß die dem absoluten Raum zugeschriebene Wirkung unter anderen Umständen aus der Relativbewegung von Wasser und Eimer resultiert. D. h., Newton verwendet in seiner Deduktion eine spezielle Voraussetzung, aus der er ohne Beweis allgemeine Konsequenzen zieht. 3 (2) Ebenso unbewiesen ist Newtons Voraussetzung, daß Trägheit eine Wesenseigenschaft der Körper sei, die auch vorläge, wenn nur ein einziger Körper existierte. Physik ist entgegen solchen künstlichen Annahmen für Mach immer Erfahrungswissenschaft, nie Wesensspekulation. Für ihn zeigt deshalb der Eimerversuch „nur, daß die Relativdrehung des Wassers gegen die Gefäßwände keine merklichen Zentrifugalkräfte weckt, daß dieselben aber durch die Relativdrehung gegen die Masse der Erde und die übrigen Himmelskörper geweckt werden" (M., ebd.). Hinter diesem Satz steht Machs Auffassung, daß es Aufgabe der Physik ist, Beschreibungen der Tatsachen zu liefern (worauf noch öfter und ausführlicher zurückzukommen ist). Das, was sich dem beobachtenden und seine Beobachtungen mit sparsamsten Mitteln beschreibenden Physiker nach Mach darbietet, ist: auch die Trägheitsbewegung und die beschleunigten Bewegungen sind wie alle anderen Bewegungen Relativbewegungen, Bewegungen relativ zu anderen Körpern. Die Trägheitsbewegung ist vor allen anderen dadurch ausgezeichnet, daß sie auf einer relativ zum Fixsternhimmel geradlinig-gleichförmigen Bahn verläuft. Das ist die Beschreibung einer ,Tatsache', nicht mehr und nicht weniger: „Das Verhalten der irdischen K ö r p e r gegen die Erde läßt sich auf deren Verhalten gegen die fernen Himmelskörper zurückführen. Wollten wir behaupten, daß wir von den bewegten Körpern mehr kennen als jenes durch die Erfahrung nahegelegte hypothetische Verhalten gegen die Himmelskörper, so würden wir uns einer Unehrlichkeit schuldig machen. Wenn wir daher sagen, daß ein K ö r p e r seine Richtung und Geschwindigkeit im Raum beibehält [d. h. wenn wir den Trägheitssatz formulieren], so liegt darin nur eine kurze Anweisung auf Beachtung der ganzen Welt" (M., 227).
Mit Machs , Anweisung auf Beachtung der ganzen Welt' klingt im Rahmen des Machschen Trägheitsprinzips nach dem Thema ,relativ-abso3
Newtons Konsequenzen sind nicht nur unbewiesen, sondern auch falsch. Machs Idee mit dem meilendicken Eimer gab Anlaß zu theoretischen Untersuchungen mit einer Hohlkugel, die um einen in ihrer Achse ruhenden Körper rotiert. Dabei traten an diesem Körper die in Machs Bemerkung provozierten Zentrifugalkräfte auf (cf. Thirring (1918)). Dieses Phänomen wird heute .Lense-Thirring-Effekt' genannt. Ähnliche Resultate ergeben entsprechende astronomische Überlegungen (cf. Thirring (1966), 368 ff.).
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lut' ein weiteres Thema an, das auf Einstein eine tiefe Wirkung ausübte: das Thema des Zusammenhangs aller Massen im Weltall. Einsteins Durchführung dieses Themas im Machschen Prinzip (siehe § 4) endete für ihn jedoch in einer enttäuschenden Dissonanz. Folgt man der Machschen Auffassung, dann ist die Mechanik eine Theorie, die ausschließlich relative Bewegungen der Körper untersucht, in der Begriffe wie absoluter Raum, absolute Bewegung und auch absolute Beschleunigung keine physikalische Bedeutung und damit keinen Platz haben. Im Folgenden soll das Machsche Verständnis des Trägheitsprinzips wegen seiner Bedeutung für Einsteins Formulierung der (allgemeinen) Relativitätstheorie noch etwas genauer betrachtet werden. Newtons Trägheitsprinzip ist mit seinem Bezug der Trägheitsbewegung auf den absoluten Raum ein kinematisches Prinzip. 4 D. h., irgendeine Wechselwirkung, irgendein (paarweises) Auftreten von Kräften zwischen dem absoluten Raum und den Körpern in Trägheitsbewegung wird von Newton nicht erwogen. Auch Mach spricht nicht von ,Wechselwirkung' und ,Kräften'. Und doch ist sein Trägheitsprinzip nicht kinematisch, sondern der Tenden^ nach dynamisch, wenn er auch über den Charakter dieser Dynamik noch nichts sagen kann. Man betrachte, um dies klar zu machen, das oben zuletzt gegebene Mach-Zitat: Mach schlägt vor, das Verhalten der auf der Erde sich (träge) bewegenden Körper auf ihr Verhalten gegen die großen Sternenmassen ,zurückzuführen'. Was diese Wendung (,zurückführen') bedeutet, wird erst recht deutlich, wenn man sich einen Kernpunkt der Machschen Wissenschaftsphilosophie vergegenwärtigt: Wissenschaft ist für Mach eine möglichst vollständige ökonomische Beschreibung der Tatsachen (cf. ζ. Β. M., 5; W., 461; EI., 287). Bei der Beschreibung der (idealisierten) Tatsache der Trägheitsbewegung beobachtet Mach nun eine auffallige Koinzidenz: wie von Geisterhand geführt bewegen sich die irdischen Körper auf einer Bahn, die respektive den großen Massen der Fixsterne geradlinig und gleichförmig verläuft. Damit ist die oben beschriebene Schwierigkeit, ein Bezugssystem für irdische Trägheitsbewegungen anzugeben, empirisch gelöst: die Fixsterne geben das Bezugssystem an. Gleichzeitig hat Mach damit die Begriffe ,geradlinig gleichförmige Bewegung' und ,ferne große 4
Cf. hier und für das Folgende: Pais (1982), 284; Hönl (1966). Bunge, einer der am meisten vorurteilsbeladenen Mach-Kritiker, dessen Aufstellungen in vielen Punkten widerlegbar sind, bringt folgendes Kunststück fertig: Er kritisiert (Bunge (1966), 588) Mach dafür, daß er eine ,Interaktion' zwischen bewegtem Körper und Bezugssystem annehme (was doch wohl ein dynamisches Phänomen ist), um auf der nächsten Seite zu tadeln, Mach vertrete eine „purely kinematical conception of motion".
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Mach und Einstein. Der Einfluß
Massen' miteinander verknüpft, jenen auf diesen ,zurückgeführt'. Er hat, mit anderen Worten, die ,begrifflichen Bestimmungselemente' der Tatsache' Trägheitsbewegung in eine Abhängigkeitsbeziehung gebracht. Und es sind eben solche (funktionalen) Abhängigkeitsbeziehungen, durch welche Mach die Rede von ,Ursachen' („Fetischismus") ersetzen will (cf. z. B. W., 432ff., bes. 435f.). 5 Mit einer treffenden Anekdote verdeutlicht Mach, daß es ihm fern liegt, nun missionarisch alle Welt zu seinem Sprachgebrauch bekehren zu wollen. Vielmehr sei eine „Kombination von Humor und Toleranz im allgemeinen sehr empfehlenswert. Die nach uns kommen, werden sich einmal recht verwundern, worüber wir streiten, und noch mehr, wie wir uns dabei ereifern konnten" (EL, 279). — Einstein nimmt den toleranten Humor Machs in Anspruch, wenn er in herkömmlicher Kausalterminologie „eine Art Wechselwirkung" zwischen den irdischen Körpern in Trägheitsbewegung und den fernen Himmelskörpern sieht, sobald er auf Machs Idee zu sprechen kommt. Ja, diese Formulierung ist fast ein Stereotyp geworden (cf. Einstein (1912), 39; Einstein/Grossmann (1913), 6 (bzw. Einstein/Grossmann (1914), 228); Einstein (1913 a), 1260; Einstein (1922), 69). 6 Es ist sehr wichtig, klar zu sehen, daß Einstein Mach hier völlig korrekt interpretiert, wenn er auch nicht der von Mach vorgeschlagenen ,Sprachregelung' folgt. Sie hat sich im übrigen so wie von Mach vorgeschlagen auch sonst nicht durchgesetzt. Schon in Einsteins Formulierung (,Wechselwirkung') wird also, anders als in derjenigen Machs unmittelbar klar, daß das Machscbe Trägbeitsprin^ip7
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So wird man ζ. B. im Register von Machs einschlägigem Werk Erkenntnis und Irrtum vergeblich die Stichwörter ,Ursache', ,Wirkung', .Kausalität' suchen. Statt dessen findet man ein breit ausdifferenziertes Stichwort ,Abhängigkeit'. — Ein Verlust an Gehalt tritt nach Mach durch diese Elimination der klassischen Kausalitätsterminologie nicht ein. Nur ,animistische' und .fetischistische' Relikte im wissenschaftlichen Erkennen werden ausgeschaltet. Daß nichts wesentlich Wissenschaftliches verlorengehe, hatte Mach, mit Blick auf das Trägheitsprinzip, schon 1872 in (wohl rhetorischer) Frageform bemerkt: „Gehört das, was man offen oder versteckt mit nennen muß, wenn man eine Erscheinung beschreiben will, nicht zu den wesentlichen Bedingungen, zu dem Causalnexus derselben?" (EA., 49; Hervorhebungen G. W.). Die Berechtigung der Einsteinschen Mach-Adaption (.Wechselwirkung') macht auch der von Mach gewählte mathematische Ausdruck des Trägheitssatzes deutlich (s. u.), der die Trägheit als mittlere Beschleunigung einer Masse bestimmt, die den Wert Null hat. Zum Gebrauch von .Prinzip' an dieser Stelle cf. Pais (1982), 284: „Mach invented Mach's law of inertia, not Mach's principle." Da Mach allerdings seine Formulierung selbst als .Prinzip' bezeichnet, möchte ich lieber vom .Machschen Trägheits/»;·*»:^' statt vom .Machschen Trägheits_gM^' reden: „Wenn wir daher sagen, daß ein Körper seine Richtung
Der Einfluß II: Machs Trägheitsprinzip
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im Unterschied zum Newtonschen vom Ansatz her ein dynamisches Prinzip ist. Denn der Ausdruck ,Wechselwirkung' ist in der Sprache der Physik nur ein anderes Wort, um das Vorhandensein von Kräften auszudrücken. Und eine physikalische Theorie oder, um in Machs Terminologie zu bleiben, eine Beschreibung der Tatsachen, in welcher der Kraftbegriff vorkommt, ist eine dynamische Beschreibung. Kinematisch/dynamisch, das ist der Unterschied zwischen dem Newtonschen und Machschen Trägheitsprinzip. Der entscheidende Unterschied von Machs Trägheitsprinzip und Einsteins Machschem Prinzip liegt darin, daß Einstein glaubte erreicht zu haben, wozu Mach sich außerstande sah: eine Theorie, welche den Einfluß sämtlicher Massen des Weltraums auf das Trägheitsverhalten der Körper umfaßt (genaueres in § 4). Wenn Machs Trägheitsprinzip einerseits auch Frucht seiner Newton-Kritik ist, so verläßt es andererseits doch nicht den Rahmen der Newtonschen Mechanikkon^eption. Danach ist die Mechanik eine Theorie der Massen und der Wirkungen zwischen ihnen. Mit anderen Worten: sowohl die Newtonsche Gravitationstheorie als auch die Machsche Trägheitstheorie sind Fernwirkungstheorien. Oder besser, noch ist die Trägheitstheorie für Mach ,nur' als Fernwirkungstheorie vorhanden (cf. 65 ff.). Auch methodologisch schließt sich Mach bei der Formulierung seines Trägheitsprinzips an Newton an. Freilich nicht an den metaphysischen Ausrutscher ,absoluter Raum', der Newtons Bewegungslehre verunstaltet hatte. Methodologisch ist vielmehr Newtons Stellung zur Gravitation für Mach vorbildlich. Hier zeigt sich im ,hypotheses non fingo!', „daß es ihm [Newton] nicht um Spekulationen über die verborgenen Ursachen der Erscheinungen, sondern um Untersuchung und Konstatierung des Tatsächlichen zu tun sei". Diese methodologische Haltung „charakterisiert ihn als Philosophen von eminenter Bedeutung" (M., 187). — Wie Newton bei der Gravitation, so sucht Mach bei der Trägheit nur eine quantitative Beschreibung der Erscheinungen. Keine ,Hypothese' über den ,Mechanismus', etwa darüber, wie — ,animistisch-fetischistisch' — die Kräfte ,drücken' und ,ziehen'. Sondern: „Statt zu sagen, die Richtung und Geschwindigkeit einer Masse μ im Raum bleibt konstant, kann man auch den Ausdruck gebrauchen, die
und Geschwindigkeit im Raum beibehält, so liegt darin nur eine kurze Anweisung auf Beachtung der ganzen Welt. Der Erfinder des Prinzips (Hervorhebung G. W.) darf sich diesen gekürzten Ausdruck erlauben [...]" (M., 227).
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Mach und Einstein. Der Einfluß
mittlere Beschleunigung der Masse μ gegen die Massen m, m', m" in den Entfernungen r, r', r" . . . ist = 0 oder d2
Σ mr ~
Im
~
Letzterer Ausdruck ist dem erstem äquivalent, sobald man nur hinreichend viele, hinreichend weite und große Massen in Betracht zieht" (M.,
8
228).8
Daß Mach in der Mechanik als Bezug für Bewegungen drei Möglichkeiten zur Auswahl angeboten habe, wie Milier (1981), 130 zu behaupten scheint, kann ich nicht sehen: Die Beziehung der Bewegung auf die Fixsterne (Millers erste Möglichkeit) wird von Mach in der angegebenen Weise mathematisch formuliert (Millers dritte Möglichkeit) (cf. M., 227 ff.), während der Bezug auf einen Äther (Millers zweite Möglichkeit) von Mach praktisch abgelehnt wird. Der einzige Vorzug der Ätherkonzeption besteht für Mach darin, daß sie „naturwissenschaftlich noch immer wertvoller als der verzweifelte Gedanke an den absoluten Raum" (M., 225) ist (cf. § 6, Anm. 9). .Wertvoller' wohl deswegen, weil der Äther als Träger von Wellen eine unverzichtbare Funktion zu haben schien. Σ mr Machs Term dient zur verkürzten Darstellung des Massenmittelpunkts Μ (bzw. in Σ m einem homogenen Gravitationsfeld des Schwerpunkts) der betrachteten Sternenmassen. Machs Darstellung wird unmittelbar klar, wenn wir uns einer etwas anderen Schreibweise bedienen. Dazu werden die in Frage kommenden Sternmassen mit m^ ihre vektoriell verstandenen Entfernungen zum als Koordinatenursprung festgelegten Erdmittelpunkt mit η bezeichnet. Dann gilt für die x-Koordinate des Massenmittelpunkts des Sternsystems η _ Σ ηΐ| r* XM — . m
η wobei wir der Einfachheit halber Σ mj durch m ersetzt haben. Für die x- bzw. yKoordinate von Μ gilt Entsprechendes. Wir beschränken uns im Folgenden auf die xKoordinate. Die Geschwindigkeit von Μ ergibt sich als Ableitung des Ortes nach der Zeit π dxM d Σπίιί . d « VM = — = , wobei — - Σ m, η dt dt m dt unschwer als x-Komponente des Impulses des Massensystems erkennbar ist. Nach dem Impulserhaltungssatz müssen die Impulskomponenten konstant bleiben, solange keine äußeren Kräfte wirken. Dies wiederum bedeutet, daß alle Geschwindigkeitskomponenten v M von Μ unabhängig vom Bewegungszustand des Systems konstant sein müssen. Unter dieser von Mach allerdings nicht bewiesenen Voraussetzung der äußeren Kräftefreiheit ist die Impulsänderung von Μ und jedes respektive Μ geradlinig gleichförmig bewegten Körpers gleich Null. D. h., d2 —; dt2
Σ πι^ — = 0 m
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Was (ungerechte) Kritik an Mach oft nicht gesehen hat: Mach ist in seine Schöpfung nicht so vernarrt, daß er nicht ihre Gebrechen deutlich bemerkt hätte. Newton kann des „absoluten Raumes nicht habhaft werden", während im Falle des Machschen Trägheitsprinzips ζ. B. „nur eine beschränkte Zahl von Massen unserer Kenntnis zugänglich, und die [in der eben angeführten mathematischen Formulierung dieses Prinzips] angedeutete Summation also nicht zu vollenden" ist (M., 230). Ganz deutlich also eine kritische Distan% %um eigenen Prinzip. Wird doch dessen Mangelhaftigkeit mit Newtons absolutem Raum parallelisiert, d. h. mit dem Mangel des Newtonschen Trägheitsprinzips, der Mach bewogen hatte, sein eigenes aufzustellen! Dies führt natürlich zu der Frage, warum Mach ein neues Trägheitsprinzip aufzustellen für zweckmäßig hält, wenn es physikalisch den gleichen Mangel zu haben scheint wie das alte: nämlich, daß sich konkret kein dynamisches Bezugssystem angeben läßt, gegenüber welchem die Beschleunigung des Körpers in Trägheitsbewegung gleich Null ist. Die Antwort: Der für Mach entscheidende Unterschied ist ein ,erkenntnistheoretischer'', um mit Einstein zu sprechen. Das ,Begriffsungetüm' des absoluten Raumes gehört nach Mach ins Reich der ,Metaphysik' und ist dazu verurteilt, für immer dort zu bleiben. Der absolute Raum kann prinzipiell nicht Gegenstand der Erfahrungswissenschaft sein. „Vorstellungen und Begriffe ohne Beziehung zu einer möglichen Erfahrung sind unnütze, törichte Wahngebilde" (P., 604 f., cf. 424). Der Mangel des Machschen Trägheitsprinzips dagegen ist nicht prinzipiell, sondern abhängig vom Umfang unserer Kenntnisse über die in Frage kommenden Massen und Entfernungen im All. Aber dies ist ein, wenn auch schwerwiegendes, so doch nicht prinzipiell unüberwindliches Hindernis, insofern hinlängliche Approximationen eines Tages möglich sein können. Machs Trägheitsprinzip ist „eine begriffliche, aber keine praktische Verbesserung gegenüber dem absoluten Raum der Newtonschen Theorie" (Goenner (1981), 85). Wie wenig Mach noch von seinem Trägheitsprinzip begeistert war, obwohl es für ihn methodologisch in die richtige Richtung wies, läßt sich ferner an einer oben schon zitierten Passage ersehen: „Wollen wir [im Zusammenhang mit dem Trägheitsprinzip] behaupten, daß wir von den bewegten Körpern mehr kennen als jenes durch die Erfahrung nahegelegte hypothetische (Hervorhebung G. W.) Verhalten gegen die Himmelskörper oder, in der Machschen Ausdrucksweise: d2
Σ mr
"dt^ Em
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Mach und Einstein. Der Einfluß
[...]" (M., 227). Ähnlich: „[...] so empfiehlt es sich, die Bewegungen vorläufig (Hervorhebung G. W.) als durch diese Körper bestimmt anzusehen" (a.a.O., 225). Man sieht an diesen Formulierungen, daß es beinahe schon eine Ubertreibung ist, vom ,Machschen Trägheits/>r/«^>' zu reden; ,Trägheitshypothese' träfe die Machsche Einschätzung genauer. Wie später (cf. § 7) noch deutlich werden wird, ist,Hypothese' bei Mach kein Adelstitel für einen wissenschaftlichen Sachverhalt. Man hat es, wie der angeführte Text zeigt, mit einer Vermutung zu tun. Eine Vermutung allerdings, die durch die Erfahrung (und durch das methodologische Prinzip der grundsätzlichen Erfahrungsbindung wissenschaftlicher Begriffe) ,nahegelegt' 9 wird. Aus dieser Hypothese, wenn es denn möglich sein sollte, eine 9
Es überrascht, wenn man bei Schlick ((1920), 39) zur Machschen Trägheitshypothese (und Newton-Kritik) liest, die Machsche Ablehnung eines ausgezeichneten Bezugssystems, d. h. des Begriffs der absoluten Bewegung, erfolge α priori, d. h. „aus dem bloßen Begriff der Bewegung", während richtigerweise die ganze Entscheidung „der Beobachtung vorbehalten bleiben" müsse. Selbstverständlich gibt Schlick für diese frei erfundene Interpretation keine Belegstelle an. Ebensowenig Reichenbach ((1922), 330), der Schlicks Irrtum zustimmend breittritt, ohne freilich zu bemerken, daß Schlick ihn unterdessen längst (s. u.) mit einer kräftigen Reservatio mentalis versehen hatte. Reichenbach bemerkt noch: „Es ist eine sonderbare Ironie, daß Mach hier unbemerkt dem Apriorismus verfällt." — Es ist nicht ohne Reiz, zu verfolgen, wie der Planck-Schüler Schlick seine haltlosen Behauptungen über die Position Machs zunehmend relativiert. In Schlick (1915) steht er noch auf dem Standpunkt, daß die „Erfahrung uns das Bestehen absoluter Beschleunigungen lehrt" (a.a.O., 165), und deshalb sei Machs Relativierung auch der beschleunigten Bewegung abzulehnen. Machs Fehler sei — Machs dynamische Konzeption der Trägheit wird von Schlick anscheinend nicht bemerkt — ein rein kinematischer Bewegungsbegriff. Dieser trenne „die dynamischen Erscheinungen, also die Fliehkräfte, allgemeiner die Trägheitswiderstände, als die Wirkungen oder Folgen" (167) von der Bewegung als solcher, der Ortsveränderung. In Wirklichkeit aber sei jede kinematische Betrachtung eine Abstraktion von den wirklichen Umständen. Infolgedessen verbleibe ein auf dieser Abstraktion aufgebauter (relativer) Bewegungsbegriff im rein Begrifflichen stecken, während doch alles auf die Erfahrung ankomme. So wird der Empirist Mach belehrt, dessen relativer Bewegungsbegriff nun wirklich kein Produkt reinen Denkens ist. Vielmehr betont Mach: „Alle unsere Grundsätze der Mechanik sind, wie ausführlich (aber wohl nicht ausführlich genug, G. W.) gezeigt worden ist, Erfahrungen (Hervorhebung G. W.) über relative Lagen und Bewegungen der Körper" (M., 223). Sollten sich, so darf man Mach fortführen, jemals Erfahrungen über absolute Lagen einstellen, dann müßte eben der Bewegungsbegriff geändert werden (man vergleiche auch das ,Begriffs'-Kapitel in EI., 126 ff.). — Man lese etwa auch die beiden wundervollen Sätze über Definitionen (anläßlich der Definition des Begriffs ,Temperatur'): „es ist durchaus wichtig zu bemerken, daß überall wo wir der Natur eine Definition auf den Leib setzen, wir abwarten müssen, ob sie derselben entsprechen will. Wir können ja unsere Begriffe willkürlich schaffen, mit Ausnahme der reinen Mathematik aber, schon in der Geometrie und noch mehr in der Physik, müssen wir immer wieder untersuchen, ob und wie diesen Begriffen das Wirkliche entspricht" (W., 42). Oder (M., 253): „Die Annahme einer genügenden Anpassung unserer Begriffe [an die sinnliche Umgebung] kann aber jeden Augenblick durch die Erfahrung widerlegt werden."
Der Einfluß III: Machs Forschungsprogramm
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vollständige ,Beschreibung', d. h. eine Theorie zu machen, ist, so darf man Mach verstehen, eine Aufgabe der weiteren Forschung, ist ein von Mach gestelltes Programm. Ein erster Versuch zur Erfüllung dieses Programms ist Einsteins (für ihn selbst letztlich gescheiterte) Transformation des (Machschen) Trägheits-,Prinzips' ins (Einsteinsche) ,Machsche Prinzip'.
§ 4 Der Einfluß III: Machs Forschungsprogramm und ,Machsches
Prinzip'
Manche historischen Darstellungen der Geschichte der Relativitätstheorie beschränken den Einfluß Machs auf Einstein und damit Machs Stellung in der Geschichte der Relativitätstheorie darauf, daß Einstein aus dem Machschen Trägheitsprinzip das von ihm so genannte ,Machsche Prinzip' entwickelt habe.1 Solche Darstellungen — wir werden in § 5 eine kennenlernen — machen sich weiter keine Gedanken um ein für sie entstehendes merkwürdiges Problem: dem Machschen Prinzip war in Einsteins Verständnis der allgemeinen Relativitätstheorie keine lange Lebensdauer beschieden. Spätestens 1931, nach langen Jahren des Zögerns und schrittweiser Demontage (cf. Pais (1982), 287 f.), gab Einstein das Ähnlich wie in (1915) schreibt Schlick (allerdings bereits unter Auslassung zweier absurder Behauptungen, die ebenfalls einen angeblichen Apriorismus Machs betreffen) in der ersten Auflage (1917) von Schlick (1920): „Es läßt sich also nicht aus dem bloßen Begriff der Bewegung beweisen (wie Mach das wollte), daß es kein ausgezeichnetes Bezugssystem, d. h. keine absolute Bewegung geben könne, sondern die Entscheidung muß der Beobachtung vorbehalten bleiben" (a.a.O., 23). Dieser Satz ist auch in Schlick ((1920), 39) enthalten; nur heißt es jetzt in der Klammer statt „wie Mach das wollte" listig: „(wie man etwa nach den Ausführungen E. Machs glauben könnte) (Hervorhebungen G. W.)". Auch die übrigen kritischen Erwähnungen Machs aus der 1. Auflage sind getilgt. Wohl weil inzwischen auch Planck sein Insistieren auf der Auszeichnung der Inertialsysteme und damit seinen Widerstand gegen die allgemeine Relativitätstheorie aufgegeben hatte (cf. unten § 32, 247). — Recht hat Schlick natürlich damit, daß Mach keine Theorie vorlegt, in der positiv ausgeführt würde, wieso auch beschleunigte Bewegungen als Relativbewegungen aufzufassen seien. Die allgemeine Relativitätstheorie stammt eben nicht von Mach. Mach versucht lediglich zu zeigen, daß Newtons Argument dafür, daß beschleunigte Bewegungen Absolutbewegungen sind, unhaltbar ist. Und er gibt mit seinem Hinweis auf die Fixsterne eine Andeutung, wie ein empirisches Verständnis der Relativität beschleunigter Bewegungen gewonnen werden könnte. Im übrigen handelt es sich bei Schlicks Arbeit (1920) um eine ausgezeichnete Darstellung der Relativitätstheorie und bei Reichenbachs Arbeit (1922) um einen sehr instruktiven Bericht über die (hauptsächlich philosophischen) Auseinandersetzungen um die Relativitätstheorie. 1
Einstein prägte den Terminus ,Machsches Prinzip' im hier besprochenen Sinn in Einstein (1918), 241. Eine ausführlichere Darstellung des Prinzips erfolgt weiter unten.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
Machsche Prinzip auf. Und noch am 2.2.1954 (EAP), im Jahr vor seinem Tod, schrieb er an F. Pirani: „Von dem Mach'schen Prinzip [...] sollte man nach meiner Meinung überhaupt nicht mehr sprechen." Das erwähnte Problem für oberflächliche Darstellungen der Geschichte der Relativitätstheorie besteht darin zu erklären, woher Einsteins ungebrochene Hochachtung für Mach stammt, wenn doch die einzige Idee Machs, die Einstein angeblich übernommen hat, sich so bald als Windei entpuppte. Denn bei nicht wenigen Gelegenheiten, etwa noch in seiner letzten Vorlesung (14. April 1954, cf. Wheeler (1979), 218 f.) hat Einstein Machs Bedeutung für seine eigene wissenschaftliche Entwicklung hervorgehoben. Zuletzt zwei Wochen vor seinem Tod in einem Gespräch mit I. B. Cohen „he [Einstein] told me [Cohen] he admired Mach's writings, which had a great influence on him" (Cohen (1955), 72). Selten fehlt der Name ,Mach', wenn Einstein die für ihn Großen der Physik aufzählt. Und dies doch wohl nicht bloß deshalb, weil er Einstein nur mit einem Gedanken versorgt hatte, von dem man besser ,nicht mehr sprechen' sollte! Man wird sehen, daß die Machsche Kritik des absoluten Raumes und seine Überlegungen zur Trägheit für Einstein erheblich mehr bedeutet haben als nur den Anstoß zum Machschen Prinzip. Vielmehr kann man sagen, daß Mach ein Forschungsprogramm ,allgemeine Relativitätstheorie' initiiert hat. 2 Und nur ein Teil dieses Forschungsprogramms wurde von Einstein vorübergehend unter dem Titel ,Machsches Prinzip' eingelöst. Wenden wir uns nun detaillierter dem Machschen Forschungsprogramm (MFP) zu, wobei noch einmal darauf hingewiesen sei, daß ,Forschungsprogramm' in intuitivem, nicht in terminologischem Sinne verstanden wird, und daß Mach sich der theoretischen Physik als sokratischer Einzelgänger (cf. § 10) und nicht mit dem mathematischen Rüstzeug des theoretischen Physikers nähert, das allein den konkreten Fortschritt der Physik bewerkstel-
2
Ich gebrauche das Wort Forschungsprogramm' in einem intuitiven Sinn. Lakatos hat dessen terminologische Verwendung in die Wissenschaftstheorie eingeführt. Es soll hier nicht untersucht werden, ob oder inwieweit das Machsche Forschungsprogramm den von Lakatos aufgestellten Kriterien für Forschungsprogramme genügt. In einem oberflächlichen Sinn ist dies sicherlich der Fall. Für das mit dem Namen Einstein verbundene Forschungsprogramm .spezielle Relativitätstheorie' nimmt Lakatos selbst im übrigen einen Einfluß Machs an. Einstein habe dieses Programm aufgestellt, „stimulated primarily by Machs criticism of Newtonian mechanics" (Lakatos (1978), 76; dt. 75). Allerdings merkt Lakatos ausdrücklich an, daß seine Meinung auch falsch sein könnte. So ist es wohl auch, jedenfalls was einen primären Einfluß Machs auf die Aufstellung der speziellen Relativitätstheorie betrifft (cf. § 6). Auch Reichenbach ((1922), 331) spricht — allerdings ohne ins Detail zu gehen — von Einsteins „Durchführung des Machschen Programms".
Der Einfluß III: Machs Forschungsprogramm
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ligt. Ausgangspunkt ist eine Textstelle, die wie keine andere Machs Programm formuliert. Sie befindet sich an herausgehobenem Ort, nämlich am Ende des für die Machschen Auffassungen zum Bewegungsproblem und für die Mechanik überhaupt zentralen Abschnitts über „Newtons Ansichten über Zeit, Raum und Bewegung" (Mechanik, Kap. 2.6). Nach einer kurzen Würdigung von Ludwig Langes Ideen zum Begriff des Inertialsystems verweist Mach auf eine Möglichkeit, auf die wir auch noch (§ 5) kurz zurückkommen werden: nämlich, „daß der Trägheitssatz in seiner einfachen Newtonschen Form für uns Menschen nur örtliche und zeitliche Bedeutung hat" (M., 235). Er fährt fort: „Erlauben wir uns noch eine freiere Betrachtung" (ebd.). 3 In dieser .freieren Betrachtung' entwirft Mach ein Gedankenexperiment: Was passiert, wenn sich die Winkelgeschwindigkeit desjenigen Planeten (Erde oder ein anderer) ändert, mit dem wir „unsere Zeit" messen? Und was wäre die Folge, wenn in dem Koordinatensystem, das durch eine große Anzahl („System") in Trägheitsbewegung befindlicher Himmelskörper definiert wird, ein einziger dieser Körper in seiner Bewegung („etwa durch einen Zusammenstoß") zufällig gestört würde? Mach glaubt in beiden Fällen nicht an eine nennenswerte Störung des zeitlichen und räumlichen Ablaufs der physikalischen Erscheinungen. Grund: „Wir halten die Abhängigkeit [der Zeitmessung von der Winkelgeschwindigkeit eines ausgewählten Himmelskörpers] für k e i n e u n m i t t e l b a r e , also die zeitliche Orientierung für eine ä u ß e r l i c h e " (ebd.). Wenn sich die Winkelgeschwindigkeit des gewählten Planeten ändert, erweist er sich damit als für die Zeitmessung unbrauchbar. Man wählt dann eben einen anderen und erhält im wesentlichen die alte Zeitmessung. Ähnliches gilt für das Fixstern-Koordinatensystem: „Die Orientierung ist auch hier äußerlich" (ebd.). 4 Das Ausfallen eines einzelnen Sterns ist unerheblich (cf. M., 49). Mach fährt fort:
3
4
Mir ist rätselhaft, wie die immer geäußerte Behauptung, Mach sei .Sensualist', lasse also als Erkenntnis nur sinnlich Erfahrbares gelten, am Text eingelöst werden soll. Schon das vorhin gegebene Zitat von der Möglichkeit einer raumzeitlich beschränkten Geltung des Trägheitsprinzips ist nicht gerade sensualistisch, noch sind dies die nun folgenden und viele andere Äußerungen Machs. Mach vertritt mit anderen Worten eine nicht-Newtonsche, nicht-absolute Auffassung der Zeit: Es gibt keine ,innere', invariante Zeitmetrik, durch welche der zeitliche Verlauf physikalischer Ereignisse bestimmt wird. Ebensowenig gibt es eine .innere' Raumorientierung, die an dem Bewegungszustand eines einzigen Körpers hängt. O b man daraus schon einen Standpunkt wie denjenigen Riemanns, daß der Raum .metrisch amorph' sei, folgern kann, ist bei der Vagheit des Machschen Texts nicht zu klären. Zur .metrischen Amorphie' von Raum, Zeit und Raumzeit cf. Grünbaum (1973), 495 ff.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
„So sehr man auch für diese [sc. Einsicht] dankbar sein muß, [...] so sehr wird der Naturforscher das Bedürfnis nach weiterer Einsicht, nach Erkenntnis der unmittelbaren Zusammenhänge, etwa der Massen des Weltalls empfinden. Als Ideal wird ihm eine prinzipielle Einsicht vorschweben, aus der sich in
gleicher
Weise die beschleunigten
und die Trägheitsbewegungen
(Hervorhebung
G. W.) ergeben. Der Fortschritt von der Keplerschen Entdeckung zu dem Newtonschen Gravitationsgesetz und das Drängen von diesem zu einem physikalischen Verständnis nach Art der elektrischen Fernwirkung mag hier vorbildlich sein. Wir müssen sogar dem Gedanken Raum geben, daß die Massen, die wir sehen und nach welchen wir uns zufällig orientieren, vielleicht gar nicht die eigentlich entscheidenden sind. [...] Greift der Forscher auch freudig nach dem zunächst Erreichbaren, so schadet ihm gewiß nicht der zeitweilige Blick in die Tiefe des Unerforschten" (M., 235 f.).
Mit den hier angeführten und weiteren Zitaten lassen sich entscheidende, teils miteinander zusammenhängende und sich gegenseitig motivierende Punkte des MFP hervorheben: (1) Die Relativität der Trägheit als Aspekt des Machschen Prinzips. (2) Die allgemeine Kovarianz. (3) Das Äquivalenzprinzip und (4) der Nahwirkungscharakter der allgemeinen Relativitätstheorie. (Zu 1) Machsches Prinzip und Relativität der Trägheit. Bereits in § 3 war deutlich geworden, wie Mach der Newtonschen Fassung des Trägheitsprinzips eine andere Wendung gegeben hatte. Praktisch hat sich ja durch das Machsche Trägheitsprinzip in gewisser Weise nichts geändert: wenn sich ein (irdischer) Körper nach Newton in Trägheitsbewegung befindet, dann auch nach Mach und umgekehrt. Lediglich die begriffliche Auffassung ein und desselben empirischen Sachverhalts ist verschieden. Für Newton ist die Trägheit eine absolute Eigenschaft der Körper, für Mach ist sie vermutungsweise relativ, abhängig von der Verteilung der ,großen Massen'. Dabei ist noch einmal darauf zu verweisen, daß Mach (M. 227) nur von einem „durch die Erfahrung nahegelegte[n] hjpothetische[n ] (Hervorhebung G. W.) Verhalten [eines auf der Erde in Trägheitsbewegung befindlichen Körpers] gegen die Himmelskörper" spricht und auf jede theoretische Erklärung dieses Verhaltens verzichtet. Das obige Zitat von der möglichen raumzeitlich eingeschränkten Geltung des Trägheitssatzes in seiner Newtonschen Form stellt Machs Hypothese in einen weiteren Zusammenhang. Zusammengenommen machen beide Zitate noch deutlicher, daß die Trägheit nach Mach eine Eigenschaft ist, die in nicht näher erläuterter, weil ihm noch unerklärbarer Weise von den Massen im All abhängt, also für ihn auf einer insofern der Gravitation analogen Fernwirkung beruht. Ob aber die Trägheitskräfte tatsächlich „in Wahrheit eine spezielle Form der
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Gravitationskräfte" (Treder (1972), 43) sind, bleibt bei Mach durchaus offen. Die Massenverteilung könnte in der Gegend der Erde zu einem anderen Zeit punkt sowie zu gleicher Zeit an anderen Ä«*wpunkten eine ganz verschiedene Auswirkung haben, d. h., die Trägheit ist für Mach ein lokales Phänomen. Daß Trägheitsbewegung geradlinig gleichförmige Bewegung relativ zu den großen fernen Massen ist, bedeutet nach Mach also lediglich eine raumzeitlich gebundene Tatsache, aus der sich mangels einer Theorie keine Prognose für die Form dieser Bewegung für garn^ andere Zeiten und Räume ergibt. Noch in einem weiteren Punkt, der dem Leser vermutlich längst aufgefallen ist, ist Machs Relativität der Trägheit .hypothetisch'. Es ist stets von den ,großen Massen' o. ä. die Rede, aber nirgendwo wird Mach konkret. Nirgendwo wird gesagt, welche Sterne hier in Betracht kommen. Der Grund ist einfach: niemand weiß es. „Wir müssen sogar dem Gedanken Raum geben, daß die Massen, die wir sehen und nach welchen wir uns zufallig orientieren, vielleicht gar nicht die eigentlich entscheidenden sind" (M., 236). ,Hypothesen' allerorten, damit aber auch Vorschläge und Programme, in welchem Sinne weiterzuforschen ist. In § 3 wurde gezeigt, wie dankbar Einstein die Machsche Hypothese von der Trägheit als ,einer Art Wechselwirkung' mit den übrigen Körpern des Alls übernommen hat. Diese Übernahme erfolgte unter den Bezeichnungen „Relativität der Trägheit" (cf. ζ. B. Einstein (1913 a), 1265) bzw. ab 1918 (cf. oben Anm. 1) „Machsches Prinzip". Im Machschen Prinzip gab Einstein der Vermutung Machs ein theoretisches Gewand. Man geht wohl kaum fehl in der Annahme, daß das Machsche Prinzip bzw. die Relativität der Trägheit ein zentrales Thema bei der Herausbildung der allgemeinen Relativitätstheorie war, auch wenn Einstein später diese , Leiter weggeworfen' (L. Wittgenstein) hat. In fast allen umfassenderen Darstellungen der allgemeinen Relativitätstheorie, die Einstein, beginnend mit Einstein (1912) bis zur Aufgabe des Machschen Prinzips, gegeben hat, wird die Idee der Relativität der Trägheit als ein leitender, zur allgemeinen Relativitätstheorie führender Gesichtspunkt erwähnt. Wie bestimmend der thematische Einfluß des Machschen Prinzips gewesen ist, zeigt Einsteins anfängliche physikalische Interpretation der Feldgleichungen der Gravitation. In moderner Formulierung (cf. ζ. B. Pais (1982), 222) lauten diese: Rμv
1 ~
gμv R —
Κ Τμν .
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Mach und Einstein. Der Einfluß
Diese Gleichungen lassen sich unter Verzicht auf Erläuterung des mathematischen Apparats der Tensoranalysis und Details ihrer physikalischen Bedeutung so verstehen: Das Gravitationsfeld, charakterisiert durch den ,metrischen Fundamentaltensor' gMV, den ,Ricci-Tensor 4 Κμν sowie den ,Krümmungsskalar' R läßt sich als Produkt der ,Gravitationskonstante' κ mit dem die Materie darstellenden ,Energie-Impuls-Tensor' Τ μν ausdrükken. Hier erhebt sich sofort eine tiefliegende, philosophisch-thematische Frage: Ist das Gravitationsfeld oder die ,gekrümmte Raumzeit' durch die Massen bestimmt oder ist es umgekehrt so, daß die gekrümmte Raumzeit oder kurz ,der Raum' ontologische Priorität vor der Materie hat? Erstere Auffassung, also diejenige des Raumes als abgeleiteter Entität, hat Einstein als ,Machsches Prinzip' bezeichnet. 5 Seine Stellung zu dieser Frage bei der Herausbildung der allgemeinen Relativitätstheorie ist klar. Er hat sie ζ. B. Mach in einem Brief von der Jahreswende 1913/14 (cf. § 13, 152 f.) mitgeteilt: „Für mich ist es absurd, dem ,Raum' physikalische Eigenschaften zuzuschreiben. Die Gesamtheit der Massen erzeugt ein GMV-Feld (Gravitationsfeld), das seinerseits den Ablauf aller Vorgänge, auch die Ausbreitung der Lichtstrahlen und das Verhalten der Maßstäbe und Uhren regiert." 6 Insbesondere ist die Trägheit eine nur relativ zu dem durch die Massen erzeugten Feld existierende Eigenschaft. Die kosmologische Konkretisierung des Themas einer ontologischen Priorität der Massen vor dem Raum bot Einstein erhebliche Schwierigkeiten. Denn (cf. ζ. B. Pais (1982), 285 ff.) er stieß auf ein Problem, das schon der Newtonschen Mechanik anhaftet: „ W e n n m a n s i c h die F r a g e ü b e r l e g t , w i e d i e W e l t als G a n z e s e t w a z u d e n k e n sei, s o ist die n ä c h s t l i e g e n d e A n t w o r t w o h l diese. D i e W e l t ist r ä u m l i c h ( u n d zeitlich) u n e n d l i c h . A l l e n t h a l b e n g i b t es Sterne, s o d a ß die D i c h t e der M a t e r i e zwar i m einzelnen sehr verschieden, aber i m g r o ß e n D u r c h s c h n i t t d i e s e l b e ist [ . . . ] . D i e s e A u f f a s s u n g ist m i t d e r Newtonschen
überall
Theorie unvereinbar.
L e t z t e r e v e r l a n g t v i e l m e h r , d a ß die W e l t e i n e A r t M i t t e h a b e , i n w e l c h e r die
5
6
Ich betone noch einmal, daß diese Darstellung nur dem gröbsten Gedankenfaden folgen kann. Im Detail hat die Idee des Machschen Prinzips sehr verschiedene Ausformungen erhalten. In Misner/Thorne/Wheeler ((1973), 546), einem Standardlehrbuch, heißt es: „to summarize or analyze the literature, [...] would demand a book in i t s e l f . Trotzdem, die kurzen Arbeiten von Goenner (1970), (1981) sowie Hönl (1963), (1966) geben einen guten Überblick. Einstein ((1918), 241) führt aus: „Machsches Prinzip: Das G-Feld ist restlos durch die Massen der Körper bestimmt. Da Masse und Energie nach den Ergebnissen der speziellen Relativitätstheorie das gleiche sind und die Energie formal durch den symmetrischen Energietensor (Τ μ ν ) beschrieben wird, so besagt dies, daß das G-Feld durch den Energietensor der Materie bedingt und bestimmt sei."
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Dichte der Sterne eine maximale ist, und daß die Sterndichte von dieser Mitte nach außen abnehme, um weit außen einer unendlichen Leere Platz zu machen. Die Sternenwelt müßte eine endliche Insel im unendlichen Ozean des Raumes bilden" (Einstein (1965), 65). Denn wäre sie das nicht, sondern etwa gleichmäßig im unendlichen Raum verteilt, dann würden unendliche Gravitationspotentiale auftreten und das Universum kollabieren. „Auf eine so tolle Basis hat Jehovah die Welt nicht gegründet" (Einstein an Besso, Dezember 1916, in: Einstein/ Besso (1972), 97). 7 Die rettende Annahme einer abnehmenden Sterndichte, die ins Leere übergeht, ist für Einstein „unbefriedigend schon nach Newton, [...] [n]och unbefriedigender nach [der] Relativitätstheorie, weil [die] Relativität der Trägheit nicht erfüllt [ist]. 8 Letztere würde in der Hauptsache durch die gnv im Räumlich-Unendlichen, zum ganz kleinen Teil durch Wechselwirkung mit den anderen Massen bestimmt. Diese Auffassung ist mir unerträglich" (Hervorhebung G. W.) (Einstein an Besso, a. a. O.). Das Schreckgespenst einer isolierten Partikel, die relativ zum Raum, nicht aber relativ zu anderen Massen Trägheit besitzt, war Einstein also 1916 noch ,unerträglich'. Diese Wortwahl allein zeigt schon, wie tief das Machsche Thema der Verknüpfung physikalischer Wirkungen mit Massen statt mit dem ,Raum' bei Einstein sitzt. Seine (später verworfene) Lösung des Problems zeigt weiter, was zu opfern er bereit ist, um das Machsche Thema zu retten. Er fügte nämlich den Feldgleichungen ad hoc ein ,kosmologisches Zusatzglied' λ hinzu, das unter anderem Trägheit in Abwesenheit von Materie ausschließen sollte. 9 Wenn man bedenkt, was formale Schönheit einer Theorie für Einstein bedeutete, kann man ermessen, wie hoch er das Machsche Thema geschätzt haben muß, wenn er ihm zuliebe die Feldgleichungen verunstaltete. Einstein sah sich gezwungen, das Machsche Thema der Bestimmung ,des Raums' durch die Massen aufzugeben. Die zum Machschen Thema 7
8
9
Einstein ((1965), 65 f.) verweist darauf, daß seines Wissens zuerst H. v. Seeliger dieses Problem gesehen und durch die Hypothese einer stärkeren Abnahme der Massenanziehung 1 als —— bei sehr großen Distanzen zu beheben versucht habe. „Dadurch wird erzielt, daß r2 die mittlere Dichte der Materie allenthalben bis ins Unendliche konstant sein kann, ohne daß unendlich große Gravitationsfelder entstehen." Die Feldgleichungen lassen in diesem Fall Lösungen Ο μ ν = const, bei Τ μ ν = 0 zu. D. h., man hätte ein Gravitationsfeld „ohne jede erzeugende Materie" (Einstein (1918), 243). Pais ((1982), 287) gibt einen kurzen, chronologischen Abriß des bereits 1 9 1 7 mit einer von de Sitter gegebenen, unbefriedigenden Lösung der Feldgleichungen mit kosmologischem Zusatzglied beginnenden Niedergangs von λ, das 1931 endgültig aufgegeben wurde.
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konträre Position ist, fußend auf älteren Ideen von Riemann und Clifford, vor allem von John Wheeler ausgearbeitet und pointiert so vertreten worden: „There is nothing in the world except empty curved space. Matter, charge, electromagnetism, and other fields are only manifestations of the bending of space. Physics is geometry" (Wheeler (1962), 225). 10 Wheeler versteht diesen Ansatz als einen Schritt zu „Einsteins prophetische[r] Vision einer Welt aus reiner Geometrie" (Wheeler/Brill (1963), 361). Wieweit dies historisch für (und zwar nur den späteren) Einstein zutrifft, soll hier nicht diskutiert werden. 11 Der geometrodynamische Ansatz Wheelers war sehr einflußreich. Entsprechend geriet das Machsche Prinzip in Verruf, aus dem es sich bis heute nicht hat befreien können. So erklärt etwa Pais ((1982), 288): „It must be said that, as far as I can see, to this day Mach's principle has not brought physics decisively farther. It must also be said that the origin of inertia is and remains the most obscure subject in the theory of particles and fields. Mach's principle may therefore have a future — but not without quantum theory." Gleichwohl hat das Machsche Prinzip immer wieder seine Anhänger gehabt, oder genauer: man hat versucht, den Grundgedanken des Machschen Prinzips auf immer wieder neue Weise den physikalischen Gegebenheiten anzupassen. Zur Überraschung aller hat sich ab 1972 John Wheeler, von der Gegenseite kommend, den Freunden des Machschen Prinzips angeschlossen.12 In Isenberg/Wheeler (1979), einem Papier mit dem programmatischen Titel „Inertia Here Is Fixed by Mass-Energy There in Every W Model Universe", heißt es (268): „Mystic and murky is the measure many make of the meaning of Mach [...]. Inertia here caused by mass there? Did this twaddle guide Einstein to general relativity [...]? Then close the door on the shameful parentage of the child. Let no voice be heard but the field equation — and especially not the voice of Mach. This ,Mach is bunk' is no longer the universal assessment. A new view is gaining ground." Ein Dialog zwischen einem Freund des Machschen
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Die entsprechende Theorie hat Wheeler ,Geometrodynamik' getauft. Einen kurzen Abriß auf deutsch gibt unter programmatischem Titel Wheeler/Brill (1963). Zur Kritik cf. Grünbaum ((1973), 728 ff.). Stachel (1974) weist darauf hin, daß der spätere Einstein zwar beides gelegentlich ins Auge gefaßt habe, aber „he seems to have explicitly disavowed any desire to reduce physics to geometry" (a.a.O., 53, Anm. l a ) . Grünbaum ((1977), 303) zitiert Einsteins V o r w o r t zur 15. englischen Auflage von Einstein (1965) als weiteren Beleg für diese Einschätzung. Cf. Grünbaum (1973), 728 ff. und Stachel (1974).
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Prinzips und einem skeptischen Gegner führt sodann auf dessen Seite zu dem Resultat: „At least I now understand what it means to say that massenergy there determines inertia here! Let me give my thanks for that to Riemann, Mach (Hervorhebung G. W.), Einstein und all their followers!" (a. a. O., 290 f.). 13 Wheelers Kehrtwendung macht erneut die große thematische Attraktivität des Machschen Prinzips, ungeachtet aller Schwierigkeiten seiner physikalischen Realisierung, deutlich. Goenner (1981) resümiert die von ihm vorgestellten Versuche zur Integration des Machschen Prinzips in die Physik so: „Sämtliche hier besprochenen Ansätze sind nur Teilerfolge auf dem Wege einer Verwirklichung der Machschen Gedanken in einer physikalischen Theorie. Die Diskussion hat gezeigt, wie schwierig es ist, das Machsche Prinzip präzise zu fassen. Danach wundert man sich über die fortwährende Attraktivität der Machschen Überlegungen nach jetzt über hundert Jahren" (a.a.O., 100). Doch Goenner läßt es beim bloßen Staunen nicht bewenden. Das Machsche Prinzip (wie auch immer formuliert) ist „ein Archetyp der intuitiven Erfassung der Welt [...]. Denn alle Aufbietung technisch-mathematischer Meisterschaft für die wissenschaftliche Beschreibung des Kosmos kann die Kreativität kosmologischer Mythen nicht entbehren. Der Teil hängt mit dem Ganzen zusammen; er ist ,ein lebendiger und immerwährender Spiegel des Universums' (Leibniz, Monadologie, Nr. 56)" (a. a. O., 101). — Der Deutung Goenners stimme ich gerne zu, möchte aber bemerken, daß bei Mach natürlich nur metaphorisch von ,kosmologischem Mythos' gesprochen werden kann. Gott, fabelhafte Tiere und dergleichen treten nicht auf. Wohl aber ein sehr allgemeines Thema oder eine ,Theorieform'14, nämlich diejenige des universalen Zusammenhangs. (Zu 2) Allgemeine KovarianIn § 3 wurde das Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik formuliert: Die allgemeinen Gesetze der Mechanik haben in allen Inertialsystemen die gleiche Form. Dieser Satz enthält zwei Beschränkungen: (1) die Einschränkung auf die Gesetze der Mechanik, (2) die Einschränkung auf Inertialsjsteme. Die spezielle Relativitätstheorie läßt
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Dr. O. Obregön (Konstanz) machte mich dankenswerterweise auf das Papier von Isenberg und Wheeler aufmerksam. Diese Bezeichnung wählt G. Freudenthal (1982) bei der interessanten Analyse der unterschiedlichen Ansätze von N e w t o n und Leibniz (der Leibnizsche entspricht dem Machschen). Von besonderem Wert ist der Aufweis der Identität der jeweiligen physikalischen und so^jalphilosophischen Theorieform bei N e w t o n bzw. Leibniz. Auch hier soll ganz unbekümmert um die in § 3, Anm. 1 erwähnten begrifflichen Probleme hinsichtlich des Kovarianz- und Invarianzbegriffs verfahren werden.
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sich als eine Aufhebung der ersten, die allgemeine als eine Aufhebung auch der zweiten Einschränkung auffassen. Einstein trug die abschließende Formulierung der Feldgleichungen der Gravitation, d. h. den mathematischen Ausdruck der allgemeinen Relativitätstheorie, am 25. November 1915 in der Berliner Akademie vor. Auf dreieinhalb Seiten wurde unter dem Titel „Die Feldgleichungen der Gravitation" für diejenigen, die gewissermaßen von Woche zu Woche den Gang der Dinge verfolgt hatten, die letzte Etappe eines langen und mühevollen Weges beschrieben (cf. Einstein (1979) ) 16 . Eine umfassende Darstellung der neuen Theorie für die Fachgenossen erfolgte wenig später unter dem Titel „Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie" (Einstein (1916)). Auch das gebildete Laienpublikum hatte nur bis zum Frühjahr 1917 zu warten, bis ihm „Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie (Gemeinverständlich)" (zitiert nach der Auflage Einstein (1965)) von ihrem Erfinder berichtet wurde. Sowohl in der Darstellung für die Fachgenossen als auch in dem populären Büchlein steht der Name ,Mach' an entscheidender Stelle. In Einstein (1916) beginnt der § 2 („Über die Gründe, welche eine Erweiterung des Relativitätspostulates nahelegen") mit dem Satz: „Der klassischen Mechanik und nicht minder der speziellen Relativitätstheorie haftet ein erkenntnistheoretischer Mangel an, der vielleicht zum ersten Male von E. Mach klar hervorgehoben wurde" (zitiert nach: Lorentz/Einstein/Minkowski (1974), 82; auch die Zitate im Folgenden aus diesem Nachdruck). Ähnlich wird in der populären Fassung (Einstein (1965)) im Kapitel 21 („Inwiefern sind die Grundlagen der klassischen Mechanik und der speziellen Relativitätstheorie unbefriedigend?") auf Mach Bezug genommen. Worin besteht nun der von Einstein angesprochene ,Mangel' sowohl der klassischen Mechanik als auch der speziellen Relativitätstheorie? Nach dem Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik haben die allgemeinen Gesetze der Mechanik in allen Inertialsystemen die gleiche Form. Hierfür hat sich auch die Wendung eingebürgert, daß die mechanischen Gesetze ,kovariant' bezüglich Galilei-Transformationen (cf. § 3) seien. Die Maxwellsche Elektrodynamik ist dagegen nicht galilei-invariant, sondern lorentz-invariant (s. u., Anm. 17). Das spezielle Relativitätsprinzip statuiert nun die Kovarianz aller (d. h. sowohl der mechanischen als auch der elektrodynamischen) Gesetze bezüglich der in der Elektrodynamik gülti-
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Ein durchaus dramatischer Bericht in Pais (1982), Kap. 14.
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gen Transformationen, der Lorenz-Transformationen. Dies wiederum macht eine lorentz-invariante Neuformulierung der Mechanik erforderlich, wie Einstein sie in der speziellen Relativitätstheorie vorlegte. Eine Reformulierung der Elektrodynamik war aus verschiedenen, auch methodologischen (cf. Post (1971), 234) Gründen nicht empfehlenswert. Die Galilei- und die Lorentz-Transformationen haben gemeinsam, daß sie nur bezüglich geradlinig gleichförmig bewegter Systeme (Inertialsysteme) gelten. 17 Doch warum diese Beschränkung auf Inertialsysteme? Warum diese Auszeichnung der geradlinig gleichförmigen Bewegung? Oder anders: Warum gibt es Bezugssysteme I, relativ zu denen die Gesetze der Physik im wesentlichen erhalten bleiben, und Bezugssysteme I', bei denen dies nicht der Fall sein soll? Ähnlich hatte Mach gefragt: warum ist der absolute Raum denn bei einer Translationsbewegung wirkungslos, bei einer Rotation aber nicht? Einstein erläutert diese Frage (in: Lorentz/Einstein/Minkowski (1974), 82 f.) an einem Gedankenexperiment: Man betrachte zwei frei im Raum schwebende flüssige Körper Sj und S2 von gleicher Größe und Art. Sie sollen a) von allen anderen Körpern des Alls und b) voneinander so weit entfernt sein, daß nur die Gravitationskräfte, die jeweils von den Teilen eines Körpers aufeinander ausgeübt werden, eine Rolle spielen. Ferner sei der Abstand von Sj und S2 unveränderlich und die Teile jedes der beiden Körper sollen sich relativ zueinander in Ruhe befinden. Man denke sich eine Verbindungslinie zwischen Si und S2 und nehme an, daß S2 um diese Verbindungslinie, von einem in Sj ruhenden Beobachter betrachtet, mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω rotiere und umgekehrt. Ferner soll sich folgendes Resultat einstellen: S t ist (gemessen mit
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Die Lorentz-Transformationen tragen dem die spezielle Relativitätstheorie bestimmenden Prinzip der Konstanz der Vakuumlichtgeschwindigkeit Rechnung, d. h. der empirischen Hypothese, daß die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum unabhängig v o m Bewegungszustand der Lichtquelle einen konstanten Wert c hat (kurz: »Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit'). Für entsprechende Transformationen bedeutet dies, daß, anders als bei den Galilei-Transformationen, nun auch die Zeit t betroffen ist. Man erhält die bekannten Transformationen
ν
wobei wiederum der Einfachheit halber angenommen wird, daß das relativ zum Inertialsystem I mit der Geschwindigkeit ν bewegte Inertialsystem I' sich in Richtung der x-Achse von I bewegt.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
in Sj ruhendem Maßstab) eine Kugel, S 2 ist (gemessen mit in S 2 ruhendem Maßstab) ein Ellipsoid. S 2 , ruhend in R 2 S l s ruhend in R} bewegt bezgl. Rj
Die ,Newtonsche' Erklärung für dieses Phänomen lautet: Sj ist gegenüber einem Raum R t in Ruhe, während S 2 sich relativ zu diesem Räume bewegt, und zwar, da S 2 rotiert, beschleunigt bewegt. In letzterem Fall treten — wie beim Eimerexperiment — (Trägheits-)Kräfte auf, welche die Deformation von S 2 bewirken. Anders gesagt: die Deformation von S 2 beruht auf einer Wechselwirkung mit Rj (absoluter Raum). Es bleibt die Frage, wieso Si, das sich ja relativ zu dem Raum R 2 , in dem S 2 ruht, in beschleunigter Bewegung befindet, keine Deformation aufweist; denn R 2 ist nicht .weniger fiktiv als Rj. Hierauf weiß die Newtonsche Mechanik keine befriedigende Antwort. Bereits die Antwort auf die Frage nach der Ursache der Deformation von S 2 ist unbefriedigend, da die Einführung von Rj „eine bloß fingierte Ursache, [aber] keine beobachtbare Sache" (a. a. O., 82) ist. Grundsätzlich sind — so Einstein — Kausalitätsaussagen nur dann erkenntnistheoretisch sinnvoll und befriedigend, „wenn als Ursachen und Wirkungen letzten Endes nur beobachtbare Tatsachen auftreten" (ebd.). Eben dies war auch der Kern von Machs Kritik an der
Newtonschen Interpretation des Eimerexperiments.
Ein Gedankengebilde wie
der absolute Raum kann nicht Teil eines Wirkungsgefüges sein. Und schon gar nicht ist verständlich, warum bei Rotationen Wirkungen auftreten, bei gleichförmig beschleunigten Translationen aber nicht. Man muß sich also nach anderen Ursachen oder einem anderen Wirkungsgefüge umsehen. Dabei gilt für Einstein, was schon für Mach gegolten hatte, daß nämlich die „fernen Massen (und ihre Relativbewegungen gegen die betrachteten Körper) [...] als Träger prinzipiell beobachtbarer Ursachen für das verschiedene Verhalten unserer betrachteten Körper anzusehen" sind (a. a. O., 83). Mit anderen Worten: Es sind — im Gedankenexperiment handelt es sich um Rotation — beliebig bewegte Bezugssysteme gleichberechtigt in Betracht zu ziehen, wenn man nicht'dem für einen Eiripiristen erkenntnistheoretisch tödlichen Einwand verfallen will, ad hoc verborgene Ursachen
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für nicht erklärbare Erscheinungen einzuführen. Dies wiederum hat die Forderung zur Folge, für die Gesetze der Physik eine solche Formulierung zu finden, die in beliebig bewegten Bezugssystemen Bestand hat (,allgemein kovariant' ist). Dieser Sachverhalt wird auch ,,allgemeines Relativitätsprin^ip' genannt.18 Wie sehr Mach eine Theorie nach Art der allgemeinen Relativität als wünschenswert vorschwebte, wird sichtbar, wenn wir noch einmal einen
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Inertialsysteme bilden dann einen Spezialfall beliebig bewegter Systeme: sie sind Systeme mit der Beschleunigung 0. D. h., die Relativität der Trägheit ist dann eine Folgerung aus dem allgemeinen Relativitätsprinzip. — Wie sehr bei der Entstehung der allgemeinen Relativitätstheorie das Machsche Prinzip und seine Annahme der Relativität der Trägheit mit dem (allgemeinen) Relativitätsprinzip verwoben waren, macht eine Fußnote in Einstein ((1918), 241) deutlich. Einstein nennt in dieser Arbeit als „Hauptgesichtspunkte" der allgemeinen Relativitätstheorie: a) das Relativitätsprinzip, b) das Äquivalenzprinzip, c) das Machsche Prinzip und merkt an: „Bisher habe ich die Prinzipe a) und c) nicht auseinandergehalten, was aber verwirrend wirkte". Daß Einstein die beiden Prinzipien zunächst nicht klar getrennt hat, beweist, daß er bei der Entwicklung der Theorie die allgemeine Kovarianz der Gravitationsgleichungen stets zusammen mit ihrer physikalischen Interpretation durch das Machsche Prinzip gesehen und gar keine alternative Interpretation ins Auge gefaßt hat. Einsteins Begriff der allgemeinen Kovarianz ist, worauf Earman/ Glymour (1978) hinweisen (cf. besonders 272 f.), nicht ganz eindeutig. Die Kritik der beiden Autoren ist jedoch für die Zwecke dieser Arbeit nicht weiter von Belang. Ich würde mich nicht wundern, wenn Einstein nicht nur — wie von ihm selbst explizit gesagt — die Motivation zur allgemeinen Relativität der Lektüre Machs verdankt, sondern auch das gerade besprochene Gedankenexperiment mit den beiden von allen anderen Weltkörpern isolierten flüssigen Körpern Sj und S 2 . Mach (M., 270) erörtert ein ähnliches Gedankenexperiment von Carl Neumann (cf. § 5, Anm. 13), wobei seine Kritik an Neumann teilweise der Kritik Einsteins entspricht: „Daß aber die Welt einflußlos ist, darf nicht von vornherein angenommen werden" (Mach, ebd.). Sewell (1975), 1 hat sich mit Blick auf die soeben zitierten „Hauptgesichtspunkte" der allgemeinen Relativitätstheorie von 1918 (und auch davor) doch wohl zu sehr von heutigen .absoluten' Auffassungen leiten lassen, wenn er behauptet: „Even the most cursory [!] perusal of Einstein's writingjs] reveals that such [d. h. das Machsche Prinzip als eine der .basic assumptions' der allgemeinen Relativitätstheorie] is emphatically not the case." Das Machsche Prinzip war in Einsteins Augen eben doch zunächst ein „Hauptgesichtspunkt" der allgemeinen Relativitätstheorie, sowenig dies ihm selbst später oder den .Absolutisten' heute gepaßt haben bzw. passen mag. Merkwürdigerweise kennt Sewell die hier herangezogene Stelle aus Einstein (1918) und leitet ihre vollständige Zitation (185 f.) mit dem Satz ein: „Einstein discusses the three points of view upon which GTR [i. e. General Theory of Relativity], in his opinion, rests"! Trotz solcher und anderer Mängel, auf die hier nur in wenigen Fällen eingegangen werden kann, hebt sich Sewells Dissertation von anderen, vorurteilsbeladenen Darstellungen wohltuend durch ihr vielfach gelungenes Bemühen ab, Mach zu Worte kommen zu lassen und die Texte zu verstehen, auch wenn es lediglich die bis dahin ins Englische übersetzten sind. Erkenntnis und Irrtum sowie die Wärmelehre waren so wohl aus Sewells Gesichtskreis ausgeschlossen. Ferner ist Sewells Darstellung der frühen historischen Entwicklung der allgemeinen Relativitätstheorie sehr lehrreich und wertvoll.
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oben schon mitgeteilten Satz Machs betrachten, der im Rahmen einer ,freieren Betrachtung' fällt, in einem Ausblick also auf eine Wunschform zukünftiger Physik: „Als Ideal wird ihm [sc. dem Naturforscher] eine prinzipielle Einsicht vorschweben, aus der sich in gleicher Weise die beschleunigten und die Trägheitsbewegungen (Hervorhebungen G. W.) ergeben" (M., 236). Der für die allgemeine Relativitätstheorie grundlegende Sachverhalt des allgemeinen Relativitätsprinzips ist so für Einstein ganz wesentlich und zu Recht mit der Anregung durch Mach verknüpft. Einstein hat im übrigen den durch Mach motivierten Einwand gegen die Beschränkung auf Inertialsysteme nicht bloß für irgendeinen unter tausend anderen gehalten. Nein, er hat „.seinetwegen (Hervorhebung G. W.) gefordert, daß die Mechanik auf eine neue Grundlage (Hervorhebung G. W.) gestellt werden müsse. Dieser Einwand läßt sich nur durch eine Physik vermeiden, welche dem allgemeinen Relativitätsprinzip entspricht. Denn die Gleichungen einer solchen Theorie gelten für jeden Bezugskörper, in was für einem Bewegungszustande derselbe auch sein mag" (Einstein (1965), 44 f.). So kann es denn auch nicht verwundern, wenn Einstein in seinem Nachruf auf Mach mit Blick auf Machs Kritik des Newtonschen Eimerexperiments schreibt, „daß Mach die schwachen Seiten der klassischen Mechanik klar erkannt hat und nicht weit davon entfernt war, eine allgemeine Relativitätstheorie zu fordern und dies schon vor fast einem halben Jahrhundert!" (Einstein (1916 a), 103). Es sind freilich nicht nur das allgemeine Relativitätsprinzip und die von Einstein anfangs mit diesem verknüpfte Relativität der Trägheit im MFP enthalten. Merkwürdigerweise ist Einstein selbst ein weiterer Punkt entgangen. Denn im Nachruf auf Mach heißt es kurz nach der zuletzt zitierten Stelle: „Die Betrachtungen über Newtons Eimerversuch zeigen, wie nahe seinem [d. h. Machs] Geiste die Forderung der Relativität im allgemeineren Sinne (Relativität der Beschleunigungen) lag. Allerdings fehlt hier das lebhafte Bewußtsein davon, daß die Gleichheit der trägen und schweren Masse der Körper zu einem Relativitätspostulat im weiteren Sinne herausfordert, indem wir nicht imstande sind, durch Versuche darüber zu entscheiden, ob das Fallen der Körper relativ zu einem Koordinatensystem auf das Vorhandensein eines Gravitationsfeldes oder auf einen Beschleunigungszustand des Koordinatensystems zurückzuführen sei" (Einstein (1916 a), 103).
Einstein hat Mach entweder nicht genau gelesen oder Machs Bemerkungen zu dieser Frage wieder vergessen. Denn in Machs Vision der Themata einer erkenntnistheoretisch befriedigenden Physik taucht, wenn
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auch nicht explizit ausgesprochen, auch das Äquivalen^prin^ip, d. h. die These von der Gleichheit von träger und schwerer Masse, auf. (Zu 3) Äquivalen^prin^ip·. Die klassische Mechanik kennt zwei grundsätzlich verschiedene Definitionen des Massenverhältnisses zweier Körper und damit zwei verschiedene Massenbegriffe: träge Masse eines Körpers wird als Widerstand gegen beschleunigende Kräfte verstanden, ausgemi drückt durch die Bestimmung des Massenverhältnisses zweier Körrig per Ki, K 2 als negativ reziprokes Verhältnis ihrer gegenseitig erteilten mi b2 19 Beschleunigungen b1} b 2 : = ; das Verhältnis der Kräfte, welm2 bi che auf zwei Körper in demselben Gravitationsfeld ausgeübt wird, bestimmt hingegen die schwere Masse. Nach schon damals sehr genauen Experimenten von Eötvös (1889) ließ sich empirisch kein Unterschied zwischen träger und schwerer Masse konstatieren. D. h., schwere und träge Masse hatten sich um 1900 bis zu einem sehr hohen Genauigkeitsgrad empirisch als ununterscheidbar herausgestellt. Aber — die klassische Mechanik hatte keine Erklärung für dieses auffallige Phänomen. „Es ist [...] klar, daß die Wissenschaft erst dann einer derartigen numerischen Gleichheit [wie derjenigen von träger und schwerer Masse] voll gerecht geworden ist, wenn sie jene numerische Gleichheit auf eine Gleichheit des Wesens reduziert hat" (Einstein (1922), 37). Eben diese ,Wesensgleichheit' wird angenommen, wenn man das spezielle zum allgemeinen Relativitätsprinzip erweitert: Man betrachte ein Inertialsystem Κ und in Κ sich beschleunigungsfrei bewegende Massen. Nimmt man nun ein zu Κ gleichmäßig beschleunigtes System K ' hinzu, dann befinden sich die relativ zu Κ beschleunigungsfrei bewegten Massen bezüglich K' parallel zueinander gleich stark beschleunigt. Dieses Beschleunigungsverhalten wäre genau das gleiche, wenn man K ' als (relativ zu K) ruhend auffaßte, aber ein entsprechend starkes Gravitationsfeld annähme. Mit anderen Worten: Trägheit und Schwere sind nur verschiedene Betrachtungsweisen ein und desselben Vorgangs. Die Formulierung dieser Einsicht verlangt ähnlich 19
Diese Definition der trägen Masse geht übrigens auf Mach zurück (cf. M., 210 ff.). Und Mach ist sehr stolz darauf, da er, offenbar um Prioritäten klarzustellen, stets betont, daß er sie schon 1868 (Mach (1868)) publiziert habe (cf. M., 242). In EA. ((1. Aufl. = Mach (1872)), 50 ff.) geht er sogar so weit, die ganze Abhandlung von 1868 in einer Fußnote nachzudrucken. Nicht ohne einen schweren Seitenhieb auf „Herrn P o g g e n d o r f P , den Herausgeber der „Annalen der Physik und Chemie", der seinerzeit die Arbeit „nachdem sie etwa ein Jahr bei ihm gelegen hatte, als unbrauchbar zurückgesendet" habe (EA., 50).
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wie die Relativität der Trägheit und die Unbegründetheit der Auszeichnung eines bestimmten Bezugssystems eine Aufhebung der Beschränkung zulässiger' Systeme auf Inertialsysteme. Eben das leistet das allgemeine Relativitätsprinzip. Manches spricht dafür, daß die damit gelungene theoretische Erklärung der empirisch so rätselhaften Tatsache der Gleichheit von träger und schwerer Masse für Einstein das entscheidende Plus der allgemeinen Relativitätstheorie war: „Die Möglichkeit, die numerische Gleichheit von Trägheit und Schwere auf eine Wesenseinheit zurückzuführen, verleiht der allgemeinen Relativitätstheorie nach meiner Überzeugung ein solches Übergewicht über die Auffassung der klassischen Mechanik, daß alle Schwierigkeiten diesem Fortschritt gegenüber gering geschätzt werden müssen" (Einstein (1922), 38). Auch Mach hatte Gründe, die Gleichheit von träger und schwerer Masse anzunehmen. Man betrachte etwa seine Überlegungen, wie das Gewicht ρ einer Last auf einem Tisch durch eine dem freien Fall gleiche Beschleunigung des Tisches gleich Null wird oder die Ausführungen über die Pendelschwingung im freien Fall. Oder die scharfsinnige Beobachtung, die so sehr an das verbreitete Beispiel mit dem fallenden Aufzug erinnert: „Wenn wir selbst von einer Höhe herabspringen oder fallen, haben wir ein eigentümliches Gefühl, welches durch die Aufhebung des Gewichtsdrucks der Körperteile aufeinander, des Blutes usw. bedingt sein muß. Ein ähnliches Gefühl, als ob der Boden unter uns versinken würde, müßten wir auf einem kleinern Weltkörper haben, wenn wir plötzlich dorthin versetzt würden. Das Gefühl des fortwährenden Erhebens [...] würde sich auf einem größern Weltkörper einstellen" (M., 200; cf. P., 386). Beschränken wir uns auf den letzten Vergleich: Mach behauptet, daß die Sinneserfahrung größerer Schwerkraft beim Aufenthalt auf einem (bei gleicher Dichte) größeren (oder bei gleicher Größe dichteren) Planeten der Sinneserfahrung bei einer Beschleunigung ,nach oben' entspricht. D. h., Mach parallelisiert die Sinneserfahrungen von Beschleunigung und Schwere. Weinberg, der auf die angeführten Textstellen in seiner ausgezeichneten Dissertation bereits hinweist, bemerkt mit Recht: „As empiricists, the criteria of our senseperceptions must necessarily play a critical role in the discovery of equivalence or identities between natural processes" (Weinberg (1937), 64). 20 20
Auch Sewell (1975), 43 ff. hat den Zusammenhang zwischen den zitierten Machschen Sätzen und dem Äquivalenzprinzip bemerkt, möchte ihn aber nicht im Sinn des MFP verstanden wissen. Seine Argumente dafür sind: 1. Auch Newton habe beschleunigte
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Mehr noch als solche isolierten Bemerkungen Machs spricht jedoch die Annahme der Relativität der Trägheit dafür, daß Mach das Äquivalenzprinzip nahelag. Denn von der Auffassung der Trägheit als eines möglicherweise gravitationeilen Phänomens bis zur Gleichheit von träger und schwerer Masse ist es nicht eben ein weiter konzeptioneller Weg, worauf ζ. B. Reichenbach ((1928), 260) bereits hinwies. (Zu 4) Nahwirkungstheorie: Ausgangs Nr. 2 war das Machsche JdeaF einer Theorie zitiert worden, „aus der sich in gleicher Weise die beschleunigten und die Trägheitsbewegungen ergeben". Mach hatte damit einen „Blick in die Tiefe des Unerforschten" (M., 236) geworfen, hatte sokratisch über das Bestehende hinausgewiesen. Er war sich ganz offensichtlich bewußt, daß seine Newton-Kritik und seine Idee der Trägheit als Wechselwirkung mit den großen Massen noch fern von einer eigentlichen Theorie war, etwa einer „Erkenntnis der unmittelbaren Zusammenhänge" (ebd.) der Massen des Weltalls oder gar dem ,Ideal' einer Theorie mit beliebig bewegten Bezugssystemen. Eines der Hindernisse, die das Machsche ,Ideal' noch von seiner Realisierung trennten, war nach Einsteins Auffassung der schon in § 3 erwähnte Umstand, daß Machs Konzeption noch immer der Newtonschen Fernwirkungskon^eption von Massen und zwischen diesen wirkenden Kräften verhaftet war. Als solche stand sie quer zur historischen Entwicklung der Physik. Um die Machsche Konzeption „im Rahmen der modernen Nahewirkungslehre durchzuführen, mußte die trägheitsbedingende Eigenschaft des raumzeitlichen Kontinuums allerdings als Feldeigenschaft des Raumes analog dem elektromagnetischen Felde aufgefaßt werden, wofür die Begriffe der klassischen Mechanik kein Ausdrucksmittel
Bezugssysteme (Eimerexperiment!) betrachtet, ohne als Vorläufer der allgemeinen Relativitätstheorie zu gelten. 2. Mach habe lediglich die Tatsache der Unabhängigkeit der Gravitationsbeschleunigung eines Körpers von seiner Masse und chemischen Zusammensetzung ausgedrückt, Einstein aber die Theorie dafür geliefert. Sewells Gesichtspunkte stimmen zwar beide, leisten aber nichts für seine These: (zu 1) Newton hat eben keine Theorie ins Auge gefaßt, in der „sich in g l e i c h e r Weise die beschleunigten und die Trägheitsbewegungen ergeben" (M., 236; cf. oben 56). Daneben bezieht sich dieser Punkt eher auf das allgemeine Relativitätsprinzip als auf das Äquivalenzprinzip, (zu 2) Mach war nicht Einstein. Über eine Theorie zur Erklärung der geschilderten eigentümlichen Erfahrungen, auch wenn sie nicht seine eigene gewesen wäre, dürfte Mach sich gefreut haben, und er hat sich darüber gefreut. Wie sehr Sewells Argument von der angeblichen Ablehnung der Relativitätstheorie durch Mach motiviert ist, zeigt sich darin, daß er hier das OptikVorwort zu Hilfe nimmt: „Reading a general relativistic idea into these examples of Mach's would very likely constitute a ,new exposition and interpretation' against which Mach [sc. im Optik-Vorwort] explicitly warns us" (45). Wie wenig hilfreich ein Rückgriff auf das Optik-Voffrort ist, werden wir noch sehen.
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boten. Deshalb mußte der Machsche Lösungsversuch einstweilen scheitern" (Einstein (1922), 36 f.). Mach sah es ähnlich. Bei seinem ,Blick in die Tiefe des Unerforschten' war ihm, dem Freund des ,elektromagnetischen Weltbilds' (cf. § 2), keineswegs entgangen, daß in einer idealen Theorie beliebiger Bezugssysteme die Newtonsche Konzeption aufgegeben werden müsse. An den zitierten Satz von der ,idealen Theorie' schließt Mach den folgenden an: „Der Fortschritt von der Keplerschen Entdeckung zu dem Newtonschen Gravitationsgesetz und das Drängen von diesem zu einem physikalischen Verständnis nach Art der elektrischen Fernwirkung mag hier vorbildlich sein (Hervorhebungen G. W.)" (M., 236). Dieses Zitat sieht gerade nach dem Gegenteil dessen aus, was ich behauptet habe: nicht von Nahwirkungen soll — so lautet die zitierte Stelle — Machs ideale Theorie handeln, sondern von ,JFernwirkungen'. Man lasse sich aber nicht durch das Wort ,Fernwirkungen' irreführen! Es ist von ,elektrischen' Fernwirkungen die Rede. Der Gebrauch dieses Epithetons in der Physik vor 1900 zeigt die terminologische Konfusion an, die mit den Rettungsversuchen der Newtonschen Fernwirkungskonzeption auch für die Elektrizitätslehre verbunden war. Leider findet man in Machs Schriften, soweit ich sehe, keine Definition von ,Fernwirkung'. Auch nicht im Lehrbuch Mach/Jaumann (1891). Man wird sich deshalb der Lösung des Problems nur indirekt nähern können. Zwar ist in Mach/Jaumann (1891) — ohne Definition — auch häufig von elektrischen und magnetischen Fernwirkungen die Rede; aber dies nur in den von Jaumann, Machs damaligem Prager Assistenten, geschriebenen Kapiteln. Man darf jedoch davon ausgehen, daß deren Inhalt in seinen grundsätzlichen Aspekten ganz gewiß von Mach gebilligt war. Nach Jaumanns Wortgebrauch dürfte sich ,Fernwirkung' etwa so definieren lassen: „Wenn ein Körper Α eine Wirkung ausübt auf einen räumlich von ihm getrennten Körper B, ohne daß andere Körper eine continuirliche, materielle Verbindung zwischen Α und Β herstellen, so spricht man von einer Fernewirkung zwischen Α und B." 2 1 Nun trifft diese Definition auf 21
Ich zitiere diese Definition von Paul Drude (Drude (1897), 597) nicht nur, weil sie dem Wortgebrauch in Mach/Jaumann (1891) entspricht, sondern auch deshalb, weil Mach, wo er (M., 184 f.) auf Fern- und Nahwirkung zu sprechen kommt, sich auf Drude als Gewährsmann bezieht. Drude kann außerdem in methodologischen Fragen gewissermaßen als orthodoxer Machianer betrachtet werden. Dies wird programmatisch in seiner Leipziger Antrittsvorlesung vom 5. Dezember 1894 (Drude (1895)) sichtbar. Drude unterscheidet dort zwei Theorieauffassungen: eine naturphilosophisch-spekulative, die das ,Wesen der Dinge' erfassen will, und die deskriptive Konzeption der einfachsten und vollständigsten Beschreibung, für die Drude selbst „Partei ergriffen" und die „in Herrn
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die Newtonsche gravitationeile Fernwirkung ebenso zu wie auf Theorien der elektromagnetischen Nahwirkung. Fernwirkung ist eben nach dieser Auffassung jede Wirkung, die nicht durch unmittelbaren mechanischen Druck oder Stoß erfolgt. Weiter: „Man kann den Unterschied der Ferneund Nahewirkungen dadurch kurz charakterisiren, daß man sagt, erstere pflanzen sich auch im Vacuum fort, letztere nur in der Materie" (Drude (1897), 598). Drude ordnet die elektromagnetischen und elektrodynamischen Wirkungen unter die Fernkräfte ein (ebd.), obwohl er keinerlei Zweifel daran läßt, daß er die Feldkonzeption der Faraday-Maxwellschen Elektrodynamik akzeptiert. 22 Die Bezeichnung der elektrischen Wirkungen als ,Fernkräfte' bei gleichzeitiger Annahme der Faraday-Maxwellschen Theorie steht ja auch in keinem Gegensatz zu Drudes oben angegebener Definition von ,Fernwirkung', wenn man sie wie Drude und viele seiner Zeitgenossen mit entsprechenden Ätherkonzeptionen als Fortpflanzungsmedium verbindet. Andererseits wird bereits in Drudes Artikel klar, daß seine Subsumtion der elektromagnetischen und elektrodynamischen Kräfte unter die Fernwirkungen ziemlich unzweckmäßig ist. Denn für Drude ist die Reduktion der elektrischen Fernkräfte auf Nahkräfte fast schon eine bewiesene Sache: „Die Idee der Zurückführung der Fernkräfte auf Nahekräfte hat besonders wieder neue Bestätigung erfahren, seit durch Faraday und Maxwell dieses für die elektrischen und magnetischen Wirkungen mit glänzendem Erfolge durchgeführt war" (Drude, a. a. O., 609). Dieses terminologische Schwanken an einer historischen Bruchstelle der Entwicklung der Physik ist nichts Ungewöhnliches und wird vor allem
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Prof. Ernst Mach einen vorzüglichen Anwalt gefunden" hat (Drude a.a.O., 2). Mach meldete schon am 4. Februar 1895 brieflich seinem alten Freund Eduard Kulke: „Prof. P. Drude in Leipzig hat sich in seiner Antrittsvorlesung mir ganz angeschlossen" (Brief Machs an Kulke vom 4 . 2 . 1 8 9 5 (SMI)). Bemerkenswert an Machs Zufriedenheit ist im übrigen, daß sich Drude in der Antrittsvorlesung nachdrücklich fur atomare Auffassungen als Mittel der einfachsten Beschreibung der Tatsachen (insbesondere der Dispersion) einsetzt. — Dr. Paul Forman danke ich für die Unterstützung meiner Arbeit in der Smithsonian Institution (Washington). — Kurze Informationen zu Drude im Enzyklopädieartikel Goldberg (1971). Die allgemeine Erschütterung über den Freitod des 43jährigen Drude (1906), in McCormmach (1982) plastisch geschildert, wurde auch von Mach geteilt: „Der Tod von Drude, den ich in Halle vor Jahren als einen sehr frischen, reichbegabtcn Mann kennen gelernt habe, hat mich tief erschüttert" (Brief Machs an Petzoldt, 13.7.1906 (TUB, Pe 42-3)). „Nahewirkungen sind u. a. die Erscheinungen der Rlasticität, des Stoßes, der Hydro- und Aeromechanik, der Capillarität, der Wärmeleitung, der elektrischen Leitung, die elektrische Potentialdifferenz beim Contakt verschiedener Körper, die elektrolytischen Erscheinungen, die chemischen Reactionen, Aenderungen des Aggregatzustandes" (Drude (1897), 598). Goldberg (1971), 189 hält Drudes Physik des Äthers (1894) für „one of the first German books to base explanations of electrical and optical effects on Maxwell's theory."
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Mach und Einstein. Der Einfluß
durch die Probleme verstärkt, sich unter dem elektromagnetischen Feld etwas Sicheres vorzustellen. Im Grunde nimmt Drude etwa folgende Position ein: die elektrischen Wirkungen sind die in der Faraday-Maxwellschen Theorie beschriebenen. Solche Wirkungen ohne mechanischen Druck und Stoß und materielle Vermittlung werden seit eh und je als /vrwwirkungen bezeichnet. Andererseits sind es nach der Faraday-Maxwell-Theorie Nah Wirkungen, wenn man auch (in den Äthertheorien) noch kein letztlich befriedigendes, anschauliches Modell dafür hat, wie die elektrischen Wirkungen erfolgen. Diese Situation führte vielfach zu Mischtheorien, denen sich zunächst auch Mach, ohne pointiert Stellung zu nehmen, anschloß.23 An der zitierten Stelle (M., 184 f.) gibt er einen kurzen Abriß des Schicksals der Fernkräfte (im Sinne der obigen allgemeinen Definition Drudes): Nach Newtons erfolgreicher Einführung der Fernkräfte habe man die Fernkraftidee „in allen übrigen Gebieten der Physik [anzuwenden versucht], indem man sich die Körper aus durch leere Zwischenräume getrennten fern wirkenden Teilchen konstituiert dachte" (M., 185). Mit dieser und anderen Reduktionen von Nahkräften auf Fernkräfte ist es zu Machs Zeiten jedoch vorbei: „Faradays naiv-geniale Auffassung und Maxwells 23
Es hat speziell in Deutschland im 19. Jahrhundert eine elektromagnetische Schule, nämlich diejenige Franz E. Neumanns gegeben, in der „ein gewisses Beharren auf dem Fernwirkungsstandpunkt, auf dem geistigen Erbe Newtons" festzustellen ist (Kaiser (1981), 13). Freilich handelt es sich bei diesen auf dem Potentialbegriff fußenden Auffassungen und der Feldkonzeption der Faraday-Maxwellschen Theorie nicht um unüberbrückbare Gegensätze. Vor allem der Begriff des .retardierten Potentials', der eine zeitliche Ausbreitung (im Unterschied zur instantanen Fernwirkung) elektrischer Wirkungen im Rahmen von Fernwirkungstheorien verständlich machen soll, schlägt eine Brücke zwischen beiden Konzeptionen (cf. Kaiser (1981), 149, 183 f.; ferner Miller (1981), 92). Andererseits war, wie Kaiser (a. a. O., 180 ff.) belegt, der Maxwellschen Theorie als reiner Kontinuumstheorie auch keine Zukunft beschieden. Denn mit der Elektronentheorie von Η. A. Lorentz kamen auch wieder Aspekte der Teilchenphysik älterer Fernwirkungstheorien im Rahmen der Elektrodynamik zur Geltung, ja bildeten gewissermaßen deren Abschluß als klassische Theorie. Vielleicht hatte (so abenteuerlich diese Vermutung angesichts der Machschen Atomismuskritik auch klingen mag) Mach eben dies im Auge, als er hinsichtlich der Ablösung der Fernwirkung durch die Nahwirkung bemerkte: „Heute hat man wieder ein zu starkes Bedürfnis, alle Wechselbeziehungen in ihrer Kontinuität durch Raum und Zeit (d. h. als Nahwirkungen, G. W.) zu verfolgen, um unvermittelte Fernwirkungen anzunehmen" (EI., 178). — Auch die so geschätzte Faraday-Maxwellsche Theorie ist für Mach keine letzte Wahrheit. Es gibt eben überhaupt keine letzten Wahrheiten in der Wissenschaft, mag der Wissenschaftshistoriker Mach erkannt haben. Eine solche Auffassung wird etwa in einem Brief (7. 6.1912) an Paul Carus, den Leiter der .monistisch' orientierten Verlagsgesellschaft Open Court (Chicago), deutlich: „Will man [im Monismus] nichts sagen als eine lediglich wissenschaftliche Überzeugung, so ist es erst recht nichts fertiges (Hervorhebungen G. W.) und dann überhaupt recht fraglich, ob das einst Monismus heißen wird" (OCA*). — Wissenschaft als „erst recht nichts fertiges"!
Der Einfluß III: Machs Forschungsprogramm
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mathematische Formulierung derselben haben die Berührungskräfte wieder in den Vordergrund gedrängt" (ebd.). Und eben dort stehen sie auch für Mach. Anderes ist bei Machs ungeheurer Wertschätzung Maxwells und seiner Verehrung für Faraday auch gar nicht plausibel.24 Diese Tendenz Machs zur Nahwirkung wird deutlich, wenn man einen Satz wie den folgenden betrachtet: Maxwell erkannte „die Gleichberechtigung der Faradayschen Nahewirkungstheorie der Elektrizität und des Magnetismus mit der bis dahin von den mathematischen Physikern allein anerkannten Fernwirkungstheorie, und wandte schließlich den großen Vorzügen der ersteren (Hervorhebung G. W.) die Aufmerksamkeit zu" (EI., 229). Eine ähnliche Neigung zur Nahwirkung zeigt sich, wenn Mach über Amperes Theorie, „die von der Newtonschen Vorstellung fernwirkender Elementarkräfte stark beeinflußt war", bemerkt, daß sie „der heutigen Kritik nicht standhalten kann" (EI., 294). Wie sehr aber auch Mach den bei Drude sichtbar gewordenen terminologischen Unsicherheiten verhaftet ist, beweist der Satz: „Den von Newton zurückgelassenen Fragen der Nabewirkung, (d. h., G. W.) der vermittelten Fernwirkung, hat [...] im vergangenen Jahrhundert Faraday mit größtem Erfolge sich zugewandt" (EI., 442). Nah Wirkung also als vermittelte Fernwirkung'. Die hier sichtbare terminologische Unschärfe macht klar, wie sehr die Begriffe noch im Fluß sind und wie schwer es Mach fallt, in dieser unsicheren Forschungssituation Stellung zu beziehen. Im übrigen dürfte Machs Position richtig resümiert sein, wenn man sie (jedenfalls in frühen Jahren) den elektrodynamischen Mischtheorien der Schule Franz Neumanns zuordnet. Aber Mach befindet sich gewissermaßen schon im Moment des Absprungs zu einer reinen Nahwirkungstheorie. Dorthin weist für ihn die vorwiegende Tendenz der physikalischen Entwicklung. Je später er sich zur Nahwirkungstheorie äußert, um so positiver ist sein Urteil. Es wäre nicht verwunderlich
24
Die außerordentliche Wertschätzung für Faraday zeigt sich in Wendungen wie „ein Genie wie Faraday" (EI., 296) oder wenn Mach in einem Brief an Paul Carus (8. 8.1907 (OCA)) schreibt: „Jetzt weiß ich sogar, daß meine Schriften ganz überflüssig gewesen wären, wenn man in allgemeinen Überlegungen die Denkweise Humes, in naturwissenschaftlichen Untersuchungen die Nüchternheit Faradays festgehalten und immer weiter gepflegt hätte" (cf. ferner EI., 443 f.). Auch im Zusammenhang seiner Ausführungen über die Hertzsche Mechanik kommt Mach auf den Wert der Nahwirkungsauffassung zu sprechen, zu der „die ganze augenblickliche Entwicklungsphase der Physik" hinstrebe. Freilich mit dem skeptischen Hinweis: „auch wenn man nicht glaubt, daß die Wechselwirkung sich berührender Teile begreiflicher ist als die (echte, G. W.) Fernwirkung" (M., 257). Ein guter Teil dieser Skepsis mochte aus dem Mißtrauen gegen die Äthertheorien resultieren, die mit den Nahwirkungsauffassungen unauflöslich verbunden schienen.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
(nachweisen läßt es sich wohl kaum), wenn er zu Ende seines Lebens eine reine Nahwirkungstheorie akzeptiert hätte. Die Hertzsche Mechanik, die unter anderem einen ersten Versuch einer möglichst umfassenden und einheitlichen Anwendung des Nahwirkungsgedankens darstellt, ist (einschließlich der noch nicht ganz erfolgreichen Bestrebungen, die Gravitation als Nahwirkung zu verstehen) für Mach ein „ideales Programm" (M., 257 f.), „schöner und einheitlicher" als „unsere gewöhnliche Mechanik", wenn auch „für die Anwendung" noch (?) nicht so geeignet. Dies bedeutet mit Blick auf Machs Wunschtheorie der Gravitation als einer Theorie „nach Art der elektrischen Fernwirkung" (M., 236) wohl auch, daß Mach eine Nahwirkungstheorie der Gravitation als konzeptionelles Ziel wenn nicht vor Augen schwebt, so doch wenigstens nicht unwillkommen ist — eine Theorie nach der Art, wie Einstein sie später tatsächlich vorlegen sollte. Neben dem physikalischen Erfolg spricht für Mach auch ein erkenntnistheoretisches Argument für Nahwirkungstheorien: Die Feststellung funktionaler Beziehungen „zwischen räumlich und zeitlich sehr weit Abliegendem" ist ziemlich ungewiß und wird um so unsicherer sein, je größer die Distanzen sind. „Deshalb ist es unbeschadet der Größe des Newtonschen Gedankens der Fernwirkung ein so wichtiger Fortschritt der modernen Physik, daß sie, wo sie es kann, die Berücksichtigung der räumlichen und zeitlichen K o n t i n u i t ä t fordert" (Α., 76f.).
§ 5
Exkurs: Raum^eit, Mach und Howard
Stein
Die gegenwärtigen philosophischen Diskussionen über die allgemeine Relativitätstheorie kreisen zu einem guten Teil um die Frage nach dem ontologischen Status der relativistischen Raumzeit. 1 Diese Auseinandersetzungen begannen etwa Mitte der 50er Jahre, als unter dem Titel ,Geometrodynamik' eine vielschichtige Revitalisierung der allgemeinen Relativitätstheorie einsetzte. Letztere war bei dem Versuch ihrer Weiterentwicklung zu einer einheitlichen Feldtheorie in eine Sackgasse geraten. 2
1
2
Die Literatur, in denen sich diese Debatten niedergeschlagen haben, ist immens und nur noch für den Spezialisten vollständig überblickbar. Cf. z.B. Graves (1971), 2 3 5 f f . , 3 1 2 f f . ; die meisten Beiträge in Earman/Glymour/Stachel (eds.) (1974); Kanitscheider (1976). Cf. auch die (verglichen mit Stein) balanciertere MachKritik in Earman (1970). — Eisenstaedt (1986), 1 1 6 spricht sogar von „le silence profond", in welches die allgemeine Relativitätstheorie nach 1925 „pour longtemps" gefallen sei, bevor die hier angesprochene Revitalisierung einsetzte.
Exkurs: Raumzeit, Mach und Howard Stein
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Im Folgenden sollen weder die Grundzüge der Geometrodynamik dargestellt noch argumentativ in die hochspezialisierte Debatte um neue Versionen des thematischen Gegensatzpaares ,absolut — relativ' eingegriffen werden, die den genannten philosophischen Auseinandersetzungen zugrunde liegen. Auch soll die kontroverse historische Frage, ob in der weithin ,absolut' verstandenen Geometrodynamik der historische Standpunkt Einsteins korrekt wiedergegeben wird, außer Betracht bleiben. 3 Vielmehr geht es darum zu zeigen, wie im Rahmen der Diskussionen um die Raumzeit ein Vertreter eines neuen ,Absolutismus' über das Ziel hinausschießt: gemeint ist Howard Stein (1977), der in dem verständlichen Bestreben, in der Vorgeschichte der Relativitätstheorie die Böcke von den Schafen zu scheiden, in ziemlich rabiater Weise Mach auf die Seite der Böcke treibt. Vor einer detaillierten Diskussion der Position Steins seien zunächst — ohne schon auf Stein Bezug zu nehmen — die verschiedenen Bedeutungen der ,absolut — relativ'-Unterscheidung in der neueren Diskussion skizziert 4 : (1) Die Raumzeit hat Objektcharakter. Aussagen über die Raumzeit sind keine Aussagen über Relationen physikalischer Gegenstände im üblichen (Leibnizschen) Sinn (absolut-relational-Unterscheidung). (2) Theorien der Raumzeit werden koordinatenunabhängig formuliert. Orte und Bewegungen im gekrümmten Raum sind also unabhängig von Bezugssystemen und damit absolut (absolut-relativ-Unterscheidung). (3) Die Struktur der Raumzeit beeinflußt physikalische Objekte, ohne von diesen beeinflußt zu sein (absolut-dynamisch-Unterscheidung). 5 Man kann wohl 3
4 5
Hier gehen die Meinungen auseinander, was etwa Grünbaum (1977) deutlich belegt (cf. ζ. B. 341 ff.), der eine ontologische Priorität der Raumzeit bei Einstein wohl zu Recht bestreitet. Ich schließe mich hier den klärenden Ausführungen Friedmans (1983), 62 ff. an. Wie schon erwähnt, hat J. A. Wheeler, der Begründer der Geometrodynamik, zunächst eine sehr radikale Version dieser Position formuliert, die auf eine monistische RaumzeitOntologie hinausläuft: „there is nothing in the world except empty curved space. Matter, charge, electromagnetism, and other fields are only manifestations of the bending of space" (Wheeler (1962), 255). Eine Kritik dieser Ansichten findet man in Grünbaum (1973), Kap. 22, 728 ff. Wheeler hat seine Anschauung inzwischen geändert (cf. Stachel (1974)). Der bezeichnende Titel von Stachels Aufsatz ist „The Rise and Fall of Geometrodynamics". Allerdings scheint auf selten der Geometrodynamik wieder eine gewisse Erholung vom Fall eingetreten zu sein. Denn bei Mackie (1983) ist zu lesen, daß Philosophen um so entschiedener den .relativistischen' Standpunkt verträten, je ferner sie der hochspezialisierten Diskussion stünden. Die hier suggerierte These, man müsse nur genügend kompetent sein, um .Absolutist' zu werden, leuchtet allerdings nicht ein. Physikalisch dürfte sich jedenfalls die Streitfrage nicht entscheiden lassen. Dies ist auch die Meinung besonnener .Absolutisten' wie Friedman. Auch daß die Mannschaftsstärke
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Mach und Einstein. Der Einfluß
kaum daran zweifeln, daß diese drei ,Absolut'-Aspekte — ungeachtet ihrer nach-Machschen Begrifflichkeit — vordergründig im Gegensatz zu Auffassungen Machs stehen: Für Mach ist Bewegung stets Ortsveränderung physikalischer Objekte relativ zu anderen physikalischen Objekten und damit relativ zu Bezugssystemen, die durch diese Objekte bestimmt werden. Nach Mach ist es nicht der ,Raum', der Wirkungen auf physikalische Objekte ausübt; es sind vielmehr die physikalischen Objekte, die den Raum bestimmen. Und nur sie üben Wirkungen aufeinander aus. Hat Mach etwas mit einer ,absolut' verstandenen Geometrodynamik zu tun? Die Antwort ist ein klares ,Nein', wenn man die Frage rein historisch versteht. Als die Geometrodynamik aufkam, war Mach seit 40 Jahren tot. Daraus folgt, daß die Frage allenfalls lauten kann: ,Was hätte Mach zur Geometrodynamik gesagt, wenn er heute noch lebte?' Diese Frage ist spekulativ. Eine Antwort darf nicht nur in Betracht ziehen, was Mach zu der Thematik, die ganz allgemein in Frage steht, tatsächlich geäußert hat. Sie muß auch erwägen, wie sich das Denken Machs im Rahmen der Entwicklung der Physik in diesem Jahrhundert seinerseits fortentwickelt hätte. Eine historische Erwägung, die dies unterläßt, ist ungerecht, weil sie Wissensstand und Erwägungen eines alten Mannes etwa des Jahres 1900 mit dem Maßstab von etwa 1960 mißt. Eine Antwort hat also die tatsächlichen oder mutmaßlichen Tendenzen des Machschen Denkens herauszuarbeiten. Keine Frage: auch eine solche Antwort wäre hochspekulativ — und ziemlich nutzlos. Sie läßt sich auch nicht durch die Beobachtung ersetzen, daß das ,Machsche Prinzip' heute auf Seiten der ,Relativisten' eine Rolle spielt, Mach also deswegen heute gegen die Geometrodynamik stünde. Es mag den einen oder anderen derjenigen, die (allzu forsch) Mach kritisieren, überraschen, in einem Brief Machs an Joseph Petzoldt (18.9.1904 (TUB*, Pe 42-2)) zu lesen: „Bewegt sich aber ein K ö r p e r sehr fern und unbeschleunigt v o n den anderen, fort, so kann seine Bewegung nur mit Rücksicht auf die letzteren beschrieben werden. D e r Gedanke, daß diese B e w e g u n g durch letztere K ö r p e r bestimmt ist (so Einsteins Machsches Prinzip, G . W.), kann also nicht ohne weiteres
der .absolutistischen' Riege erheblich größer zu sein scheint, kann nicht ohne weiteres als Argument gelten. Letztlich handelt es sich wohl um hintergründige thematischphilosophische Differenzen, die sich selten in die eine oder andere Richtung vollständig auflösen lassen: nämlich um die Kontroverse zwischen Realismus und Instrumentalismus, der sich in diesem Fall als Konventionalismus darstellt (in der Nachfolge Reichenbachs vor allem von Grünbaum vertreten).
Exkurs: Raumzeit, Mach und Howard Stein
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abgewiesen werden. Allerdings (Hervorhebung G. W.) kann die Orientirung der Bewegung durch die fernen Körper eine bloß scheinbare sein. Vielleicht ist (.absolutistische* Mach-Kritiker aufgepaßt!, G. W.) die Fortbewegung eine Angelegenheit des bewegten Körpers und Mediums allein D a m i t zieht Mach (eine ähnliche Ä u ß e r u n g findet man in M., 225) mindestens eine , A b s o l u t ' - D e u t u n g (im Sinne v o n (3) der soeben zitierten ,Absolut'-Verständnisse) der G e o m e t r o d y n a m i k in den Umkreis möglicher Erklärungen, u n d zwar ohne sie gleich zu verwerfen. Keiner weiß also, was Mach heute, d. h., als jemand, der die E n t w i c k l u n g etwa der letzten dreißig Jahre a u f m e r k s a m verfolgt hätte, z u m Machschen Prinzip sagen würde. Vielleicht w ü r d e er es sogar ablehnen. Vielleicht stünde er auf der Seite der G e o m e t r o d y n a m i k , wenn physikalisch so viel d a f ü r spricht, wie ihre Vertreter behaupten. 6 Man sollte folglich Mach als historische Person aus der gegenwärtigen Diskussion heraushalten, in systematischen Auseinandersetzungen B e m e r k u n g e n Machs nicht aus ihrem ganz anderen zeitlichen und wissenschaftlichen Kontext herausreißen u n d sie u n d Mach nicht so behandeln, als habe Mach sich gestern zu neuesten geometrodynamischen K o n z e p t e n geäußert, und zwar als kompetenter K e n n e r des entsprechenden mathematisch-physikalischen Sachverhalts. Diese eigentlich triviale Grundregel hermeneutischer Billigkeit wird nicht immer beachtet. D e n schärfsten Verstoß gegen diese Regel stellt H o w a r d Steins Aufsatz „Some Philosophical Prehistory of General Relativity" (Stein (1977)) dar. Stein hat d o r t ein Kapitel der Rolle Machs gewidmet. Gleich eingangs (a. a. O., 3) bemerkt er: „ T h e heroes of my story are N e w t o n and R i e m a n n " und: „certain attributions often made to the credit of Leibniz and of Mach will come under criticism". D a n u n Mach ,the hero of my (G. W.) story' ist, scheint es mir nicht unpassend, zu Steins Mach-Kritik ein paar Worte zu sagen. Ich hoffe, daß der Leser am E n d e den E i n d r u c k hat, mein Held stehe wieder auf dem Sockel. Das setzt
6
Ich vermag mich deshalb auch nicht der Vermutung v o n Earman/Glymour (1978), 275 anzuschließen, „Mach would have perceived the space-time of general relativity as just another form of the .metaphysical monster' he had detected in Newton's absolute space and time." Auf eine konsistente Möglichkeit für einen Anhänger der relationalen Raumtheorie, im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie dennoch .absolute' Positionen zu vertreten, verweist Friedman ((1983), 232): „Why should the relationalist not accept absolute acceleration and rotation — not, to be sure, as acceleration and rotation with respect to an absolute space or space-time, but as primitive properties of concrete physical trajectories." Auf andere vermittelnde Möglichkeiten weist Stachel (1974), 51 ff. hin. Erinnert sei daran, wie sehr Mach sich dem Fortschritt der Physik verpflichtet fühlt, auch wenn eigene Resultate ihm zum Opfer fallen (cf. § 1).
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Mach und Einstein. Der Einfluß
freilich voraus, daß Steins Mach-Interpretation ,will come under criticism'. Doch ist nicht reine ,Herophilie' der Anlaß, Steins Mach-Kritik ihrerseits nun wieder zu kritisieren. Schon gar nicht sei nach dem (in diesem Fall ja auch nicht im Ernst durchführbaren) Motto verfahren: schlägst du meinen Helden (Mach), dann schlage ich die deinen (Newton, Riemann). Motiv der folgenden Stein-Kritik ist vielmehr der einladende Umstand, daß in Steins Mach-Interpretation weitverbreitete Vorurteile gegenüber der Machschen Philosophie geradezu exemplarisch sichtbar werden. Unzutreffende Vorurteile über die Machsche Wissenschafts- und Erkenntnislehre zu kritisieren, heißt dabei im übrigen nicht, alles als sinnvoll und begründet zu akzeptieren, was im folgenden als Lehre Machs vorgestellt wird. Noch etwas ist vorab zu Steins Mach-Kritik zu sagen: Sie scheint systematisch ihre Verve aus der Verwicklung Steins in Auseinandersetzungen mit heutigen ,Relativisten' zu gewinnen. Gewissermaßen komplementär kommt hinzu, daß Stein Mach keinen entscheidenden historischen Einfluß auf die Entwicklung der (allgemeinen) Relativitätstheorie einräumen will. Ganz im Gegensatz etwa zu Einstein selbst. Es hat den Anschein, als ob Stein auf dem Umweg über den Nachweis, daß Machs Gedanken historisch bedeutungslos gewesen seien, seine Überzeugung stützen will, ,machistische' Ideen taugten in der gegenwärtigen Situation auch systematisch nichts. Im Sinne der oben beschworenen hermeneutischen Billigkeit sei dazu nur zweierlei bemerkt: (1) für die (meist schrittweise) historische Herausbildung einer Theorie, die in der Regel vorübergehend auch in Sackgassen und Irrwege führt, können Personen und Ideen eine bedeutende Rolle spielen, deren Einfluß in der endgültigen, abgeklärten Darstellung der Theorie geradezu unkenntlich geworden ist. (2) Mach selber hat sich zu seiner Rolle als angeblicher ,Wegbereiter' der Relativitätstheorie öffentlich nie — weder positiv, noch negativ — geäußert. Dies jedenfalls soll in diesem Buch auch gezeigt werden. Deshalb dürfte es aber auch nicht gerechtfertigt sein, ihn selbst für die interpretatorischen Resultate seiner Ausleger haftbar zu machen. Dies würde im übrigen auch gelten, wenn Mach seiner Wegbereiterrolle, sagen wir Anfang 1915, öffentlich zugestimmt hätte. Das Verständnis der allgemeinen Relativitätstheorie damals ist von dem heutigen eben doch sehr verschieden, auch wenn die Feldgleichungen die gleichen geblieben sind. Bereits die Ouvertüre des Abschnitts (V) von Stein (1977), der sich mit Mach beschäftigt, läßt nichts Gutes ahnen: Stein attackiert (nicht zu Unrecht) Versuche, das interpretative Vokabular des Historikers zwecks Vermeidung von Anachronismen streng auf das in der jeweils untersuchten
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Periode verwendete zu beschränken (am Beispiel der Berechtigung der Verwendung von ,space-time' in der Newton-Interpretation). In einer ebenso weit ausholenden wie überraschenden, geradezu Leibnizschen Wendung (alles hängt mit allem zusammen) analogisiert er sodann Puristen, die dies (also etwa die Verwendung von ,space-time' in der NewtonInterpretation) ablehnen, mit „the shallow empiricism in science, that seeks security in rules for the construction of concepts, and achieves only a hobbling of theory" (14). Direkt anschließend beginnt das Mach-Kapitel, und Stein fahrt ohne ein Wort des Übergangs fort: „In Mach, of course, we have a classic case of this abusive empiricism" (ebd.). Ich denke, wir haben hier eher ,a classic case' jener ,shallow' and ,abusive' Machinterpretationen vor uns, auf die in diesem Buch noch bei anderen Gelegenheiten zurückzukommen ist. Hier sei nur Steins ungerechte Abfertigung von Machs Newton-Kritik („loss of critical control [...] in an especially acute form" (14)) kritisch geprüft. Steins Mach-Kritik entzündet sich an der immer wieder mißverstandenen Weigerung Machs (wenigstens bis 1910 (cf. Wolters (1987)), die Realität der Atome anzuerkennen, so wie sie in zeitgenössischen Theorien vielfach angenommen wurden. Danach hatte man sich Atome wie extrem kleine, elastische Billardkugeln vorzustellen. 7 Mach lehnte es ab zu glauben, die Welt sei tatsächlich aus solchen unsichtbaren Kügelchen zusammengesetzt. Dies bedeutet freilich nicht, daß er htomtheorien ablehnte, sofern diese ihre Aussagen über Atome als hypothetisch verstanden: als Aussagen in einem mathematischen Modell, dessen empirische Interpretation (wenigstens im Augenblick) nicht oder nicht direkt zu leisten sei. Drei Zitate für viele: „Die Atomtheorie hat in der Physik eine ähnliche Funktion wie gewisse mathematische Hilfsvorstellungen; sie ist ein mathematisches Modell zur Darstellung der Tatsachen" (M., 467). Und: „Atome können wir nirgends wahrnehmen, sie sind wie alle Substanzen Gedankendinge" (a. a. O., 466). Und: „Es wird ohne Zweifel möglich sein, [...] auch aus der Atomistik den wesentlichen, Thatsächliches darstellenden, begrifflichen 7
Den Einwand, so habe dies doch keiner der Atomisten seiner Zeit gesagt, schon gar nicht Boltzmann, läßt Mach nicht gelten: „Gern machen nun zuweilen die Vertreter der mechanischen Physik geltend, daß sie ihre Vorstellungen nie anders als bildlich genommen hätten. Darin liegt vielleicht ein nicht ganz ritterlicher polemischer Zug. Wenn einmal die jetzt lebenden Physiker vom Schauplatz abgetreten sein werden, wird ein künftiger Historiker aus zahlreichen Belegstellen hochstehender Physiker und Physiologen leicht und ohne Widerspruch darlegen, wie furchtbar ernst und wie erschreckend naiv die betreffenden Vorstellungen von der großen Mehrzahl bedeutender Forscher der Gegenwart aufgefaßt worden sind" (W., 363).
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Kern herauszuschälen und die überflüssigen Nebenvorstellungen abzuwerfen" (W., 430). Mach lehnt also die Atomvorstellung nicht ganz und gar ab, sondern nur den Versuch der ,modernen Atomistik', „die Substanzvorstellung in ihrer naivsten und rohesten Form [...] zur Grundvorstellung der Physik zu machen" (a.a.O., 429f.). Stein mißinterpretiert (und mit ihm manche andere) Machs ,Antiatomismus' vollständig, wenn er ihn so zusammenfaßt: „it is a rejection of the possible reality of certain structures, although they are suggested by and serve for the systematic characterization of phenomena, on the grounds that they are not in some sense properly constituted out of phenomenal e l e m e n t s ' " (16). Seine Erläuterung des Hintergrundes des Machschen jAntiatomismus' enthält zwei schwerwiegende Irrtümer: (1) Mach lehnt eine ,possible reality' der Atome keineswegs ab. Was er ablehnt, ist die voreilige und nicht empirisch gesicherte Annahme einer tatsächlichen' (oder wie soll man sagen?) Realität. Dies wird bereits aus den obigen Zitaten deutlich sichtbar. (2) Mach lehnt es nicht deswegen ab, die Atome damaliger Atomtheorien als real anzuerkennen, weil sie nicht aus den , Elementen' der Machschen Erkenntnistheorie , konstituiert' werden können. Steins These impliziert ein komplettes Mißverständnis des sogenannten Machschen Phänomenalismus, der keine philosophische Konstitutionstheorie ist. 8 Vorerst läßt sich der Machsche Standpunkt so charakterisieren, daß für die Annahme der aktuellen Existenz von Gegenständen hinreichende empirische (d. h. auf Sinneserfahrung beruhende) Eviden^ vorhanden sein muß. Dieser Standpunkt ist weder ungewöhnlich noch unvernünftig. Er hat im übrigen nichts mit Machs ,phänomenalistischer' Elementenlehre zu tun, die von Stein und anderen für fast alle vermeintlichen Mängel der Machschen Auffassungen verantwortlich gemacht wird. Stein läßt es freilich nicht mit der Klage über vermeintliche Mängel der Machschen ,Metaphysik' bewenden: „Mach's confusion [...] can be documented more fully, and not just in the philosophy but in the physics" (16). Und dies so: Stein behauptet, nicht ohne Stolz über die Entdeckung: „in his discussion of Newton's theory of motion in The Science of Mechanics, in the space of about four pages, Mach sketches or suggests three entirely different physical theories, each of which puts the subject on a footing satisfactory to him, but which are (as he does not seem to realize) quite incompatible with one another" (16 f.): Theorie (T1) besteht in der „idea of taking the cosmic masses as defining the basic dynamical reference 8
Hierüber ausführlicher in § 11. Cf. Wolters (1985 a).
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frame" (17) und „implies that there is no difference between rotation of the stars about the earth and rotation of the earth beneath the stars. It is equivalent to the statement that the universe is Newtonian, with the stars, on the average, in an inertial state; and would be defeated by evidence against this assertion" (19). Theorie (T2) „implies that there is a difference between those two cases, and leaves the issue of rotation of the stars open to empirical investigation". Theorie (T}) „suggests that there may be no difference between the two cases, because moving masses may induce ,inertial! effects" (19). Im Unterschied zu Stein bin ich nicht der Ansicht, daß bei Mach überhaupt eine Theorie vorliegt, weder eine, noch zwei oder gar drei — jedenfalls solange man das Wort .Theorie' in einem halbwegs akzeptablen Sinn versteht. Auch w o Stein von ,Skizzen' und ,Vorschlägen' spricht, ist dies nicht allzu ernst zu nehmen. E r behandelt Mach, als habe er vollständige (und absurde) Theorien vorgelegt. Mach aber war kein theoretischer Physiker (cf. § 10), und was er zur theoretischen Physik zu sagen hatte, ist Kritik, sind Fragen, Bemerkungen, Fragmente, Möglichkeiten, Anreißen von Themata, ein Forschungsprogramm. Und — Mach entwickelt all dies in einem historischen Kontext aus philosophisch-aufklärerischem Interesse: „Vorliegende Schrift ist kein Lehrbuch zur E i n ü b u n g der Sätze der Mechanik. Ihre Tendenz ist vielmehr eine aufklärende oder, um es noch deutlicher zu sagen, eine antimetaphysische" (Μ., V). So lautet der erste Satz des Vorworts zur ersten Auflage der Mechanik, mit dem auch alle weiteren Auflagen dieses Buches eröffnet werden. Mach hat keine Theorien geliefert und wollte keine liefern. Es ist nicht fair, ihm genau dies zu unterstellen und dann niederzumachen. Noch etwas: Stein behauptet (Tj) —(T3) seien „quite incompatible with one another" (17). Man sieht sogleich, daß Stein Unrecht hat, denn (T 3 ) ist formal nichts anderes als (Tj) mit Möglichkeitsoperator und erweitert um eine mögliche Begründung. Steins Zorn richtet sich zunächst gegen den ,phänomenalistischen' Popanz, den er unter dem Namen ,Mach' zusammengebaut hat. Stein stößt sich dabei an Ausführungen Machs in Kap. II.6.5 der Mechanik. Mach prüft dort die Argumente für die absolute Bewegung, soweit sie im versuchten empirischen Nachweis einer absoluten Erdrotation bestehen: Zentrifugalkräfte wie Abplattung an den Polen, Verminderung der Gravitationsbeschleunigung am Äquator, D r e h u n g der Ebene des Foucaultschen Pendels. E r referiert weiter diese Auffassung so: „Alle diese Erscheinungen verschwinden, wenn die Erde ruht und die übrigen Himmelskörper sich absolut um dieselbe bewegen, so daß dieselbe relative Rotation zustande
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kommt" (M., 225). Gegen dieses Argument, das aus einem gegenüber dem kopernikanischen Standpunkt kontrafaktisch 9 angenommenen Sachverhalt (Rotation des Universums um die Erde) Folgerungen in der Realität (Verschwinden der Zentrifugalkräfte etc.) zieht, hat Mach zwei Einwände: (1) Newtons Gedankengang enthält als ,Beweis' für die Existenz absoluter Bewegung eine petitio principii, da Newton „von vornherein von der Vorstellung eines absoluten Raumes ausgeht" (M., 225), worauf bezogen natürlich jede Bewegung absolut ist. Newton behauptet (ohne Beweis) die genannten Phänomene, d. h., die Zentrifugalkräfte etc. seien die Unterscheidungsmerkmale der absoluten Rotation der Erde. Daraus ergibt sich logisch, daß diese Phänomene verschwinden müßten, wenn die Erde nicht tatsächlich um die Sonne rotierte. D. h., das Gedankenexperiment eines sich um die Erde drehenden Fixsternhimmels ist hier ohne Erkenntniswert, da seine Resultate bereits in der Ausgangsaussage, der Behauptung von der Realexistenz eines Kopernikanischen Universums mit den genannten Effekten, logisch impliziert sind. (2) Nicht nur logisch ist nach Machs Auffassung der ,Newtonsche' Beweis zweifelhaft. Auch methodologisch hält er nicht stand. Gegen das ,Newtonsche' kontrafaktische Argument, wenn das Universum sich um die Erde drehte, hörten die genannten Trägheitseffekte auf der Erde auf, wendet Mach ein: „Das Weltsystem ist uns nicht zweimal gegeben mit ruhender und mit rotierender Erde, sondern nur einmal mit seinen allein bestimmbaren Relativbewegungen" (M., 226). — Wenn Mach auch das ,Newtonsche' Argument für die Kopernikanische Auffassung für logisch nicht stichhaltig hält, so unterscheidet doch auch er zwischen Kopernikus und Ptolemäus und votiert wie Newton für ersteren, obwohl für ihn beide „gleich richtig' (M., 226) sind. Das Kriterium für diese Entscheidung ist für ihn kein physikalisch-empirisches, da die Natur nach seiner Meinung kein solches hergibt. Empirisch herrscht eben ,Unterbestimmtheit', zwei Fälle sind hier „gleich richtig'. Das Auswahlkriterium ist für Mach pragmatisch.10 Er gibt dem Kopernikanischen 9
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,Kontrafaktisch' soll eine Annahme Α heißen, wenn —ι Α wahr ist. In vorliegendem Fall wird das Kopernikanische Weltbild als ,wahr' vorausgesetzt und kontrafaktisch angenommen, das Ptolemäische sei in Geltung. Daß diese beiden kinematisch gleichwertigen Fälle, wie Mach fordert, auch dynamisch gleichwertig seien, ist sicher unzutreffend. Jedenfalls, wenn man die relativistische Konstanz der Lichtgeschwindigkeit voraussetzt. Grünbaum ((1973), 419) z.B. bemerkt zu Recht, daß schon die im Blick auf kosmische Dimensionen mehr als bescheidene Annahme einer Rotationsachse der Länge Erde-Neptun bedeutet, „to assert that the Machian concept of the relative motion of the earth and the stars is no more meaningful physically than the Newtonian bugaboo of the absolute rotation of a solitary earth in a space
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Weltbild den Vorzug, nicht weil es wahr, sondern weil es „einfacher und praktischer" (M., 226) ist. Es ist der genannte methodologische Einwand Machs, der Steins besonderen Widerspruch herausfordert. Er unterstellt Mach, dieser wolle kontrafaktische Überlegungen grundsätzlich aus der Wissenschaft ausschließen. Aber: „Mach suggests no way to formulate a theory in which inferences about states contrary to fact cannot be made; and the very idea seems to contradict our usual notion of what we mean by a ,theory'" (16). Mach würde dem zweiten Teil des hier zitierten Steinschen Satzes sofort und energisch zustimmen. Denn es ist Mach gewesen, der, vielleicht als erster, unter dem Titel ,Gedankenexperimenf die große methodologische Bedeutung kontrafaktischer Überlegungen für die Wissenschaften explizit hervorgehoben hat (cf. Mach (1897); EI., 183 — 200). Nennt man eine Aussage Α ,kontrafaktisch\ wenn der in ihr ausgedrückte Sachverhalt nicht besteht, so lassen sich Sachverhalte unterscheiden, die grundsätzlich nicht eintreten und solche, die als unter bestimmten Bedingungen eintretend für die Zukunft unterstellt werden. Im ersten Fall kontrafaktischer Aussagen spricht man von ,Fiktionen', im zweiten von Antizipationen'. 11 Stein scheint Mach zu unterstellen, daß er Fiktionen aus dem Umkreis zulässiger wissenschaftlicher Verfahren ausschließen will. Dies trifft eindeutig nicht zu. Der fiktive Charakter Machscher Überlegungen zeigt sich ζ. B., wenn er in Gedanken die Mondmasse variiert bis sie derjenigen der Erde gleich ist. 12
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which is structured independently of any matter that it might contain accidentally and indifferently. [Denn die Winkelgeschwindigkeit eines rotierenden Massenpunktes ist abhängig von der Länge des Radius, mit dem er um einen anderen Punkt rotiert. D. h., es treten im Ptolemäischen System ziemlich bald Überlichtgeschwindigkeiten auf.] Accordingly, the earth must be held to rotate not relative to the stars but with respect to the local ,star compass' formed at the earth by stellar light rays whose paths are determined by the local metrical field." Auch Planck (1910), 1189f. hatte bereits Machs These von der physikalischen Gleichwertigkeit der Rotation von Erde und Fixsternhimmel kritisiert. — Hier zeigt sich eben die historische Begrenztheit mancher Machscher Auffassungen. Ich habe allerdings — wenn diese Spekulation einmal gestattet ist — nicht die mindesten Bedenken, daß Mach einer feldphysikalischen Lösung des Problems, wie Grünbaum sie andeutet, begeistert zugestimmt hätte. Denn diese liegt in der Richtung der von Mach erwarteten und gewünschten Entwicklung der Physik. Übrigens weist auch schon A. Föppl in einem Brief an Mach auf die von Grünbaum erwähnten Überlichtgeschwindigkeiten hin (Föppl an Mach 11.1.1910 (EMA*)). - Sewell ((1975), ii, cf. 54ff.) nennt Machs hier in die Irre führende Forderung, „that kinematically equivalent descriptions should also be dynamically equivalent" ,Mach's program' und mißt vor allem dieser Idee einen motivierenden Einfluß auf Einstein zu. Cf. R. Wimmer, ,kontrafaktisch', in: J. Mittelstraß (ed.), (1984), 461. Dieses Beispiel führt Mach ((1897), 2) bei der Analyse des Übergangs von Kopernikus zu Newton, d. h. für das Wachsen der Einsicht in die dynamischen Beziehungen zwischen
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Freilich warnt Mach vor unzulässigem Gebrauch von Gedankenexperimenten, wenn er (EI. 188) zustimmend Duhem zitiert,der davor gewarnt habe, „Gedankenexperimente so darzustellen, als ob es physische Experimente wären, also Postulate für Tatsachen auszugeben." Wer also wie Mach „kein[en] Zweifel [hegt], daß das Gedankenexperiment die größten Umwandlungen in unserm Denken einleitet, und die bedeutendsten Forschungswege eröffnet" (Mach (1897), 2), bei dem darf man keine Theorie erwarten, die eben solche Gedankenexperimente, ausgedrückt in kontrafaktischen Sätzen, ausschließt. Genau darin aber besteht Steins oben zitierte Rüge: „Mach suggests no way to formulate a theory in which inferences about states contrary to fact cannot be made." Diese allgemeine Rüge an Machs Adresse leitet Stein offensichtlich aus der zitierten Weigerung Machs her, sich zu denken, was wäre, wenn sich das Universum um die Erde drehte. Aus dieser Weigerung Machs läßt sich aber zunächst einmal nur eines schließen: daß Mach nicht jedes Gedankenexperiment für zulässig hält. 13 Kriterium für die Unzulässigkeit ist dabei aber keineswegs der kontrafaktische Charakter der Vorstellung eines rotierenden Universums. Wir haben ja gesehen, daß ,Kontrafaktizität' (horribile dictu) für Mach vielmehr einen Typ von Gedankenexperimenten bestimmt. Warum aber lehnt er dann das Gedankenexperiment vom rotierenden Universum ab? Offenbar, weil dieses Gedankenexperiment gegen
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den Himmelskörpern, an: „Der Stein fällt zur Erde [...]. Der Stein werde so groß wie der Mond. Auch der Mond strebt, zur Erde zu fallen. Der Mond möge wachsen, bis er so groß wird wie die Erde." Eine Fülle kontrafaktisch-fiktiver Aussagen. So wächst, wie wir wissen, der Mond nicht (abgesehen von Meteoriten und Raumfahrtmüll) und er nimmt (von kleineren Entnahmen durch Astronauten abgesehen) auch nicht ab. Gleichwohl ist die Annahme einer Variation der Mondmasse nach Mach ein wichtiger Schritt zu einer zentralen wissenschaftlichen Einsicht gewesen. Man vgl. ferner die kontrafaktischen Überlegungen bei den Machschen Ausführungen über Ebbe und Flut (M., 207 ff.). Mach hat sich auch explizit zur Unzulässigkeit eines bestimmten Gedankenexperiments geäußert. Und zwar hinsichtlich einer Überlegung von C. Neumann, wonach ein (tatsächlich) rotierender und deshalb abgeplatteter Himmelskörper weiterhin rotieren und abgeplattet sein würde, auch wenn alle übrigen Himmelskörper verschwänden. Im Falle einer Relativbewegung aber würde mit dem Rest der Welt nach Neumann auch die Abplattung des betrachteten Himmelskörpers verschwinden. „Dagegen habe ich zweierlei einzuwenden. Es scheint mir kein Gewinn, wenn zur Vermeidung eines Widerspruchs eine an sich sinnlose Annahme [cf. unten Anm. 14] gemacht wird. Ferner scheint mir der berühmte Mathematiker (Neumann, G. W.) von der gewiß sehr fruchtbaren Methode des Gedankenexperiments hier einen gar zu freien Gebrauch zu machen. Man darf im Gedankenexperiment unwesentliche (d. h. im Rahmen der jeweiligen .Grammatik' (s. u.) verbleibende, G. W.) Umstände modifizieren, um an einem Fall neue Seiten hervortreten zu lassen. Daß aber die Welt einflußlos ist, darf nicht von vorneherein angenommen werden" (M., 270).
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die ,Grammatik' (im Sinne Wittgensteins) von ,Bewegung' verstößt. 14 Bewegung ist für Mach — gestützt auf die Erfahrung (cf. § 3, Anm. 9) — stets Relativbewegung von Körpern. Wenn Newton, gegen die ,Grammatik' des Wortes ,Bewegung' verstoßend, von einer absoluten Bewegung gegen eine nicht-körperliche Entität ausgeht und bestimmte Phänomene als Resultat der absoluten Bewegung der Erde deutet, so hat Mach keinen Anlaß, sich per Gedankenexperiment auf die eben auch im Bereich absoluter Bewegung verbleibende Umkehrung des Newtonschen Ansatzes einzulassen, die behauptet, daß diese Phänomene wegfielen, wenn die entsprechende absolute Bewegung aufhöre. Als Aussagen über Faktisches verstoßen beide Auffassungen (Ptolemäische und Kopernikanisch-Newtonsche) gegen die ,Grammatik' des Wortes .Bewegung', weil sie ,absolut' sind. Es besteht eben ein Unterschied zur Annahme des wachsenden Mondes (bis zum Grewtfall der Gleichheit mit der Erdmasse). Denn warum sollte — kontrafaktisch — der Mond nicht größer sein als er ist? Die ,Grammatik' des Wortes ,Mond' wäre erst betroffen, wenn man einen Erdmond annähme, der größer als die Erde In der Alltagssprache wird ,bewegt sich' normalerweise als ««stelliges Prädikat verwendet: ,x bewegt sich'. Bezüglich wessen sich etwas bewegt, wird dabei stillschweigend als bekannt vorausgesetzt. Seiner Tiefengrammatik nach und im physikalischen Sprachgebrauch ist ,bewegt sich' ein ^«'stelliger Prädikator oder Rektor: B(a,b) — ,b bewegt sich relativ zu a'. In der Praxis sind für Newton wie für Mach a und b Variable (genauer: schematische Gegenstandsbuchstaben), die für Körper bzw. Massen stehen. Letztlich aber läßt sich ,a' sowohl bei Newton als auch bei Mach als Zeichen für einen Eigennamen auffassen: Für Newton ist die Bewegung jedes Körpers reduzierbar auf eine Bewegung gegenüber dem absoluten Raum. ,a' ist deshalb letztlich eine Bezeichnung für diesen. Für Mach ist jede Bewegung reduzierbar auf eine Bewegung gegen die Fixsterne. ,a' bezeichnet demzufolge das Fixsternsystem. Der Unterschied besteht darin, daß ,a' bei Newton eine empirisch nicht feststellbare, metaphysische Entität bezeichnet, während bei Mach ,a' bestimmte sichtbare Massen darstellt, wobei er ausdrücklich darauf hinweist, daß die konkrete Bedeutung von ,a' aus Zweckmäßigkeitsgründen gewählt wurde und jederzeit revidierbar sei, wenn der wissenschaftliche Fortschritt dies nahelege. Newtons Bewegungsbegriff verstößt gegen die Grammatik von .Bewegung', weil er in Machs Augen letztlich einstellig ist. Es tritt in ihm nämlich nur ein empirischer Gegenstand, ausgedrückt durch ,b', auf, während ,a' empirisch leer bleibt. Newtons gewissermaßen hilfsweise Annahme einer empirischen Wirkung des absoluten Raumes hatte Mach ja bei seiner Kritik des Newtonschen Eimerexperiments zurückgewiesen. Begriffe, die im genannten Sinn gegen die x .Grammatik' verstoßen, sind die von Mach .metaphysisch' genannten Begriffe. Denn die ,Grammatik' eines Begriffs wird nach Mach im wesentlichen durch die Erfahrungen gestimmt, zu deren sprachlicher Wiedergabe er verwendet wird. Dies scheint in Richtung clfes empiristischen Sinnkriteriums zu weisen, wie es im Wiener Kreis, etwa von Carnap in seinem programmatischen Aufsatz „Uberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache" (Carnap (1931)), vertreten wird. Auch Mach verwendet in diesen Zusammenhängen das Wort ,Sinn' (cf. M., 267, 270).
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wäre. Erst dann läge ein ,Grammatik'-Verstoß vor, denn dann müßte man, um in der ,Grammatik' von ,Mond' zu verbleiben, die Erde als ,Mond' bezeichnen. Mach kann — mit anderen Worten — nicht einsehen, warum er sich über den Newtonschen ,Grammatik'-Verstoß der Annahme einer absolut rotierenden Erde nun seinerseits durch einen Verstoß gegen die ,Grammatik' in Form der (kontrafaktischen) Annahme eines absolut rotierenden Universums Klarheit verschaffen soll. Wenn er aber, nicht auf der Tatsachen-, sondern auf der Interpretationsebene (cf. M., 226), annimmt, daß sich die Erde um die Sonne dreht, so handelt es sich um eine prinzipiell willkürliche, wenn auch sehr praktische Wahl eines Betrachtungsstandpunkts, der keine Aussage über die ,Wirklichkeit' darstellt. Es ist einfach und zweckmäßig, so Mach, die Erscheinungen von diesem Standpunkt aus zu beobachten und zu beschreiben (cf. EL, 176 f.). Dieser gewählte Standpunkt ist aber keine physikalische Beschreibung von Tatsachen.15 Und er wird es nach Mach auch nicht dadurch, daß man einen anderen Standpunkt (den ptolemäischen) wegen seiner Kompliziertheit als nachteilig anerkennt. Tatsache ist für Mach nur die Relativbewegung von Erde und Universum. Kopernikanisch-Newtonsche Astronomie zu betreiben bedeutet dann eben nicht die Präsupposition, die Erde drehe sich tatsächlich' um die Sonne, sondern lediglich die Wahl desjenigen Standpunktes, der zur einfachsten Beschreibung der Phänomene führt: „Die Entwicklung der Astronomie war [schon zu Huygens' Zeiten] jener der Mechanik um ein gutes Stück voraus. Als man nun Bewegungen bemerkte, welche, auf die Erde bewogen (Hervorhebung G. W.) mit den schon bekannten mechanischen Gesetzen nicht in Einklang waren, hatte man nicht nötig, diese Gesetze gleich wieder aufzugeben. Der Fixsternhimmel (Hervorhebung G. W.) war schon bereit, diesen Einklang als neues Bezugssystem mit dem geringsten Aufwand von Änderungen an den liebgewordenen Vorstellungen wieder herzustellen. Man denke nur daran, welche Sonderbarkeiten und Schwierigkeiten sich ergeben hätten, wenn zur Zeit einer hohen Entwicklung der Mechanik und der beobachtenden Physik das Ptolemäische System noch in Geltung gewesen wäre, was ganz wohl denkbar ist" (M., 269). 16 15
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Man könnte einwenden, daß Mach zwar nicht kontrafaktische Aussagen als solche aus der Wissenschaft verbannt wissen wollte, sich aber auf eine bestimmte .Grammatik' des Wortes ,Bewegung' festgelegt habe. Der Einwand scheint trivial zuzutreffen. Die .Grammatik' von wissenschaftlichen Begriffen wie .Bewegung' hat aber für Mach keinen Ewigkeitswert. Immer drückt sich in ihr der jeweilige Stand des Wissens aus. Es ist nichj einzusehen, warum etwa der Stand der Physik um 1900 es erfordert haben sollte, dj e .Grammatik' von .Bewegung' als Relativbewegung aufzugeben. 1987 mögen die Umstär^e anders sein! Man denke etwa an die erwähnten Über-Lichtgeschwindigkeiten, die Bei'der Annahme eines um die Erde rotierenden Universums auftreten. Die hier von Mach verwendete pragmatische .inference to the best explanation' spielt in der Wissenschaftstheorie eine wichtige Rolle. Danach erfolgt die Auszeichnung einer
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In direktem Zusammenhang mit (Tj) stellt Stein nun die Frage: „Does he [Mach] have a dynamical theory that erases the distinction between a rotating universe and a nonrotating one?" (16). Doch diese Frage ist bereits beantwortet: Mach hat einen in seinen Augen empirisch gestützten Bewegungsbegriff, der die Unterscheidung eines rotierenden Universums von einem nicht-rotierenden auf der Tatsachenebene ausschließt, und zwar wegen Verstoßes gegen die ,Grammatik' von ,Bewegung'. D. h., Mach hat die von Stein geforderte ,Theorie' nicht und braucht sie von seinen (im historischen Kontext gewiß nicht unvernünftigen) Voraussetzungen her auch gar nicht. Wenden wir uns nun der Steinschen Kritik an (Tj) zu, soweit Machs Annahme einer Bestimmung des dynamischen Bezugssystems durch die kosmischen Massen betroffen ist. Stein charakterisiert Machs Annahme so, daß (T]) darin bestehe, „to take successive determinations of the average relative positions and motions of all·1 the surrounding bodies over various solid angles and out to increasingly great distances, and to use the limits of sequences so obtained to define the dynamical variables" (17). Er formuliert hiergegen folgende Kritikpunkte: (1) (Tj) kann nicht allgemein (,general') gemacht werden: „that the sequences involved converge, and that the limits taken in different directions fit together into a
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Hypothese Η; aus einer Anzahl Hypothesen H ( . . . H m die einen empirischen Sachverhalt S erklären, nach dem Gesichtspunkt, daß Hj .besser' als die übrigen Hypothesen ist. Hier hängt natürlich alles an der Interpretation von ,besser'. Bei dieser treten vor allem pragmatische Gesichtspunkte wie höhere Plausibilität im Gesamtkontext, größerer Erklärungswert, höhere prognostische Kraft, größere Einfachheit, weniger ,ad hoc' etc. auf. Jeder der genannten Gesichtspunkte markiert tiefgehende Kontroversen in der heutigen Wissenschaftstheorie. Grundsätzlich kann man sagen, daß anti-realistisch orientierte Wissenschaftstheoretiker zu einer positiven Einschätzung der .inference to the best explanation' tendieren. — Machs angebliche Gegnerschaft gegen kontrafaktische Überlegungen scheint im übrigen ein Stereotyp in Teilen der Mach-Forschung zu sein. Es wird ζ. B. auch von Sewell ((1975), 79, Anm. 41) vertreten. Doch Sewell hat immerhin gemerkt, daß dieses Stereotyp mit Machs Schätzung der Gedankenexperimente konfligiert. Den Fehler sieht er allerdings bei Mach, der daran gescheitert sei, die auch von ihm gesehene Tatsache, daß Theorien sehr abstrakte Begriffe verwenden, mit der .empiristischen These' über wissenschaftliche Begriffsbildung zu verbinden. Wir werden sehen, daß diese These, soweit Mach betroffen ist, nicht zutrifft. Merkwürdigerweise hat Sewell das zu einem Teil selbst anläßlich seiner Analyse der Machschen Auffassung über wissenschaftliche Begriffsbildung bemerkt: „it would be somewhat unfair to Mach to hold him strictly to the empiricist thesis" (28 f.). Die Darstellung Steins ist nicht ganz korrekt, da Mach, wie das Zitat zu Ende von § 3 (oben 46) zeigte, nur „hinreichend viele, hinreichend weite und große Massen in Betracht" ziehen kann. Dies ist zweifellos für eine befriedigende mathematische Darstellung, wie Mach selbst gesehen hat, ein Problem. Trotzdem sind aber im Prinzip physikalisch zureichende Approximationen möglich.
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coherent geometrical und kinematical framework are special assumptions about cosmic geography. If these assumptions fail, the theory just collapses" (17) (Hervorhebung G. W.). Steins Beobachtung trifft gewiß zu. Nur läßt sich nicht sehen, warum sie eine Kritik an Mach bedeuten soll. Niemand wird etwa den Steinzeitmenschen vorwerfen, sie seien unzweckmäßig vorgegangen, weil sie mittels Jagdzaubers sich des Erfolgs zu versichern versucht hätten, wo doch jeder wisse, daß man ein Tier wirkungsvoller mit der Büchse erlege. Ebenso anachronistisch wäre der Vorwurf gegen Aristoteles' lebensweltlich verankertes Trägheitsprinzip, da doch die Galileischen Idealisierungen richtig seien. Konkret: Die allgemeine Relativitätstheorie ist mehr als drei Jahrzehnte nach dem Machschen Trägheitsprinzip entstanden. Es gibt keinen Grund für den Vorwurf, daß Mach deren von speziellen kosmologischen Annahmen freie Formulierung nicht gefunden habe. Ebenso unbegründet wäre die Annahme, daß Machs Einfluß auf die Herausbildung der Relativitätstheorie unbedeutend gewesen sei, weil er eben diese kosmologischen Annahmen gemacht habe. Es war ja vielmehr so (cf. § 4), daß auch Einsteins Auffassung zunächst von diesen kosmologischen Annahmen nicht frei war; das hier anklingende Machsche Thema war vielmehr ein entscheidendes Motiv für die Herausbildung der allgemeinen Relativitätstheorie. Ein Vorwurf an Machs Adresse wäre erst dann berechtigt, wenn er zwar die allgemeine Relativitätstheorie gekannt, sie aber zugunsten der eigenen Trägheitsauffassung abgelehnt hätte. Dies war jedoch nicht der Fall: Mach hat die allgemeine Relativitätstheorie nur noch ganz unzulänglich in ihrer ersten Fassung (Einstein/Grossmann (1913)) kennengelernt. Ihre abschließende Formulierung fiel in die letzten Lebensmonate eines dahinsiechenden alten Mannes (cf. § 36). Eine über die Bekundung ,freundlichen Interesses' hinausgehende Stellungnahme Machs hat es, wie noch gezeigt wird (§ 13 f.), nicht gegeben. Steins zweiter Einwand gegen (Tj) bemängelt, daß die dem Machschen Trägheitsprinzip zugrunde liegenden kosmographischen Annahmen „far beyond anything for which convincing empirical evidence is available" (17) seien. Es soll nicht untersucht werden, inwieweit Steins Behauptung heute zutrifft. Als Mach seine Idee der Trägheit formulierte, konnte er eben nicht auf jahrzehntelange, eventuell vergebliche Bemühungen in dieser Sache zurückblicken. Mach formulierte eine wegweisende Idee. Diese unterschied sich in den Augen Machs von Newtons absolutem Raum bzw. absoluter Bewegung dadurch, daß sie prinzipiell oder begrifflich empirisch sinnvoll erschien, wenn auch der konkreten, physikalischen Einlösung der Machschen Trägheitsformel erhebliche Schwierigkeiten entgegenstanden.
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Prinzipiell konnte Mach davon ausgehen, daß sich die in dieser Formel auftretende Summation mit dem Fortschritt kosmologischer Kenntnisse dem mathematisch erforderten Grenzwert approximiere. Hinter Machs Auffassung steht eine empiristische Wissenschaftskonzeption, die nicht a priori unvernünftig oder im Blick auf den wissenschaftlichen Fortschritt kontraproduktiv ist. Danach ist die Bindung der Trägheitsbewegung an die der Erfahrung prinzipiell zugänglichen Himmelskörper der Bindung an den prinzipiell nicht erfahrungsgegebenen (,metaphysischen') absoluten Raum vorzuziehen. Denn „Vorstellungen und Begriffe ohne Beziehung zu einer möglichen Erfahrung sind unnütze, törichte Wahngebilde" (P., 604 f.). Der von Mach zugegebene (cf. 47 f.) Mangel, daß sich der Grenzwert in seiner Formulierung des Trägheitssatzes nicht konkret (oder bestenfalls approximativ) bestimmen läßt, wiegt für ihn geringer. — Auch Wissenschaft ist für Mach unabschließbares Stückwerk, das sich immer wieder der Kritik stellen muß. Dies hebt er in einer gesperrt gedruckten Passage der Mechanik hervor, die dadurch noch weiter ausgezeichnet wird, daß Mach darauf hinweist, daß sie schon in der ersten Auflage von 1883 stand: „Das wichtigste [!] Ergebnis unserer Betrachtungen ist aber, daß gerade die scheinbar einfachsten mechanischen Sätze sehr komplizierter Natur sind, daß sie auf unabgeschlossenen, ja sogar auf nie vollständig abschließbaren Erfahrungen beruhen, daß sie zwar praktisch hinreichend gesichert sind, um mit Rücksicht auf die genügende Stabilität unserer Umgebung als Grundlage der mathematischen Deduktion zu dienen, daß sie aber keineswegs selbst als mathematisch ausgemachte Wahrheiten angesehen werden dürfen, sondern vielmehr als Sätze, welche einer fortgesetzten Erfahrungskontrolle nicht nur fähig, sondern sogar bedürftig sind." Und Mach fügt hinzu: „Diese Einsicht ist wertvoll, weil sie den wissenschaftlichen Fortschritt begünstigt" (M., 231).
Der dritte Vorwurf zu (Tj) scheint schließlich derjenige zu sein, der den Newton-Fan Stein am meisten gegen Mach aufbringt: Machs „theory rests upon the assumption that Newtonian dynamics itself is correct; it is entirely parasitic upon the latter theory, and is merely an attempt to reformulate it in a way that refers only to relative motion" (17). Reduziert man diesen Satz auf seinen sachlichen Gehalt, dann lautet er etwa so: ,Mach entwirft keine neue Dynamik, sondern gibt verschiedenen .Aufstellungen' (cf. M., 237) Newtons eine neue, von Newton abweichende Interpretation, die auf der ausschließlichen Verwendung der Begriffe der relativen Bewegung und Beschleunigung beruht'. So formuliert hat man eine Tatsache, die Mach sofort anerkannt hätte: „Dann hat er [Newton] auch die Aufstellung der heute [sc. auch von Mach] angenommenen Prinzipien der Mechanik
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einem Abschluß gebracht. Nach ihm ist ein wesentlich neues Prinzip nicht mehr ausgesprochen worden" (M., 179). — Es ist nicht ersichtlich, durch welche Äußerungen Machs Steins grobschlächtige Wortwahl ,parasitic' auch nur die geringste Rechtfertigung erfahrt. Mach hat von Newton stets — wie nicht anders zu erwarten — mit größter Hochachtung gesprochen. Er hat Newtons Trägheitstheorie in ihrem sachlichen Gehalt anerkannt, hat sich aber die Freiheit genommen, sie anders als Newton zu interpretieren. Was hieran ,parasitic' sein soll, wird Stein schwerlich erklären können. Stein faßt seine Kritik an (Tj) abschließend in dem Satz zusammen, (Ti) „is achieved, not through any theory of inertial structure as an effect of interaction, but only by the special assumptions I have mentioned — which are tantamount, so far as this question is concerned and from the wider Newtonian point of view, to the mere arbitrary exclusion of an average rotation of the universe from the range of envisaged possibilities" (17). Auf einen Punkt Steinscher Mach-Kritik, der in dieser Zusammenfassung klarer als vorher auftritt, sei noch gesondert eingegangen. Gemeint ist der angebliche Mangel einer „theory of inertial structure as an effect of interaction". 18 Wenn Stein Mach in dieser Hinsicht kritisiert, dann trifft die Kritik seinen Helden Newton ebenso. Es ist nämlich die Anwendung der Newtonschen regulae philosophandi 19 und sonstiger methodologischer Bemerkungen Newtons, insbesondere des .hypotheses non fingo', die Machs Ausführungen über die Trägheit leitet. Wegen dieser ,regulae' — Mach zitiert sie (M., 187 f.) bis auf Unbedeutendes vollständig — sieht Mach Newton „als einen Philosophen von eminenter Bedeutung" (M., 187). Der hier in Frage kommende Gesichtspunkt ist die „wiederholte ausdrückliche Versicherung Newtons [insbesondere im Hinblick auf eine Erklärung' der Gravitation], daß es ihm nicht um Spekulationen über die verborgenen Ursachen der Erscheinungen, sondern um Untersuchungen und Konstatierung des Tatsächlichen zu tun sei" (M., 187). Dies bedeutet hinsichtlich der Gravitation etwa eine zuverlässige und allgemeine Beschreibung der Phänomene, die unter dem Begriff,Gravitation' zusammengefaßt werden. Über die ,Ursache', den ,Mechanismus' der gravitationellen (Fern-) Wirkung zu spekulieren, lehnt Newton ab. Ebenso hält es Mach hinsichtlich der Trägheit. Nach Mach beobachten wir, daß es eine Bewegung der Körper gibt, die — solange sie unbeeinflußt ist von einwirkenden Kräften — bezüglich eines durch den Fixsternhimmel gebildeten Systems geradlinig 18 19
Cf. dazu § 3, 44. Cf. Newton (1726), 387 ff.
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und gleichförmig verläuft. Mach geht es um die Beschreibung dieser Tatsache'. Um sonst nichts. Dabei gibt er sofort zu, daß diese Beschreibung (noch?) mit Mängeln behaftet ist. Theorie der Trägheitsbewegung besteht eben nach Mach in ihrer möglichst vollständigen, einfachen und ,ökonomischen' Beschreibung ohne Rekurs auf spekulative Hypothesen, es sei denn, diese dienten einer wesentlichen Verbesserung der Theorie. Wenn also Mach seine Überlegungen zur Trägheit noch nicht in eine umfassendere Theorie, etwa nach Art der allgemeinen Relativitätstheorie, einbetten kann, so sieht er dies selbst (cf. Machs Ausführungen in § 4 über das ,Ideal' einer dynamischen Theorie der Bewegung), und man wird ihm diesen Mangel kaum zum Vorwurf machen können. Zum Schluß seiner Bemerkungen zu (Tj) holt Stein noch zu einem zusammenfassenden vermeintlichen K.o.-Schlag gegen Mach aus, der — unkommentiert — dem Leser nicht vorenthalten sei: „Mach has been led to put forward a theory which must be regarded as on an empirically weaker footing than Newton's own — since Mach's theory is equivalent to the conjunction of Newton's and of special cosmological assumptions. In short, I submit that this is a clear case of ideology out of control" (18). Damit zu der Mach von Stein zugeschriebenen Theorie (T2)• Diese destilliert Stein aus Machs mehrfach und pointiert (ζ. B. am Ende des Vorworts zur Ausgabe letzter Hand der Mechanik (Μ., XVII)) geäußertem Beifall für Korollar V von Newtons Principia. Korollar V läßt sich als eine Formulierung des sogenannten Relativitätsprinzips der klassischen Mechanik auffassen (Stein, 18: .principle of Galilean relativity'). Das Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik besagt, daß die Gesetze der Mechanik in allen geradlinig und gleichförmig zueinander bewegten Bezugssystemen (Inertialsystemen) die gleiche Form haben (cf. 39). Korollar V (Newton (1726), 19) lautet: „Corporum dato spatio inclusorum iidem sunt motus inter se, sive spatium illud quiescat, sive moveatur idem uniformiter in directum sine motu circulari" („In einem gegebenen Raum [Bezugssystem] befindliche Körper haben gegeneinander die gleiche Bewegung, gleichgültig ob jener Raum [d. h. jenes Bezugssystem] ruht oder sich gleichförmig und rotationsfrei geradeaus bewegt"). Zu Korollar V bemerkt Stein (18): „it makes no reference to the cosmic masses". Wieso sich hieraus eine Kritik an Mach oder ein Widerspruch zu (T^ ergeben soll, ist völlig unklar, wenn man den Kontext der Ausführungen Machs zu Korollar V mit heranzieht (insbesondere M., 226 f.). Gewiß, Korollar V enthält expressis verbis keinen Bezug zu ,the cosmic masses'. Aber — Mach interpretiert es so: „Er [Newton] denkt sich [in Korollar V] ein
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momentanes irdisches Koordinatensystem, für welches [bezogen auf die Erde] das Trägheitsgesetz gilt, im Raum, ohne Drehung gegen den Fixsternbimmel (Hervorhebung G. W.), festgehalten" (M., 227). Für diese Interpretation Machs, deren Berechtigung hier nicht weiter untersucht werden soll, spricht gewiß manches. Sie impliziert jedenfalls Theorie (Tj) statt ihr zu widersprechen. Was Stein Mach allenfalls (allerdings wohl auch zu Unrecht) vorwerfen könnte, ist ein Interpretationsfehler. — Worum es Mach im übrigen im besprochenen Zusammenhang geht, ist der Hinweis, daß bei Newton — „durch den Takt des Naturforschers richtig geleitet" (M., 227) — der absolute Raum verschwindet, sobald es ,physikalisch ernst' wird. 20 Gegen das in Korollar V ausgedrückte Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik hat Mach natürlich nicht das Geringste einzuwenden, wenn es auch noch nicht seinem ,Ideal' einer gleichförmige und beschleunigte Bewegungen umfassenden Bewegungstheorie entspricht. Es steht auch in keinerlei ,Gegensatz' zur Machschen Interpretation des Trägheitsprinzips. Ein ,Widerspruch' zwischen (T2) und (T}) ist somit nicht erkennbar. War es schon bei (Tj) und (T2) ein recht hypertropher Sprachgebrauch, von ,Theorie' zu reden, so schränkt Stein bezüglich (T3) bereits selber ein: (T3), „theory- or rather suggestion; for it does not amount to a theory, or even the sketch of a theory" (18), ergibt sich für Stein aus Machs berühmter Bemerkung (Μ., 226), man könne nicht sagen, wie der Eimerversuch
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Cf. (M., 269 f.): „Es sieht sich sehr ähnlich, ob man die Bewegungsgesetze [wie Newton in den „Definitiones" der Principia \ auf den absoluten Raum bezieht oder dieselben abstrakt, d. h. ohne ausdrückliche Bezeichnung des Bezugssystems, ausdrückt [wie Newton in Korollar V und seiner sonstigen physikalischen Praxis]. Das letztere ist unverfänglich und sogar praktisch; denn bei Behandlung eines besondern Falles sieht sich jeder Mechaniker vor allem nach einem brauchbaren Bezugssystem um. Dadurch aber, daß das erstere [d. h. der absolute Raum], wo es ernst wurde, fast immer im letztern Sinne genommen wurde, ist der Newtonsche Gedanke in bezug auf den absoluten Raum weniger schädlich geworden [...]." Man kann diese Idee im übrigen so formulieren (nach einer Anregung von Prof. Marcus Fierz (Zürich)): die Inertialsysteme bilden eine Äquivalenzklasse unter den Koordinatensystemen. Die entsprechende Äquivalenzrelation R lautet: ,in geradlinig gleichförmiger Bewegung zueinander'. Jedes beliebige Inertialsystem χ ist geeignet, diese Äquivalenzklasse zu erzeugen. Denn für die von χ erzeugte Äquivalenzklasse χ = {y : y ist Inertialsystem} gilt: χ = y für jedes y e x. D. h., es ist gleichgültig, welchen Repräsentanten aus der Äquivalenzklasse der Inertialsysteme man zur Darstellung dieser Klasse wählt. Wenn Newton philosophisch' wird, wählt er als Repräsentanten der Äquivalenzklasse der Inertialsysteme den .absoluten Raum'; wird es aber .physikalisch ernst', dann wählt er den Fixsternhimmel. So ist Machs Newtoninterpretation zu verstehen. Seine Newtonkritik besagt, daß der absolute Raum wegen seines .metaphysischen' Charakters kein geeigneter Repräsentant für die Klasse der Inertialsysteme ist.
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„quantitativ und qualitativ verlaufen würde, wenn die Gefäßwände immer dicker und massiger, zuletzt mehrere Meilen dick würden", und aus ähnlichen Aussagen, in denen selbst Stein (18) bei dem angeblichen Dogmatiker Mach „the prospect of a possible revision of physical theory" erblickt. Stein glaubt, es bestehe ein prinzipieller methodologischer Unterschied zwischen Machs Gedankenexperiment mit dem rotierenden meilendicken Eimer und rotierenden Sternmassen. Grund: Im Fall des Eimers „we are not obviously beyond the hope of obtaining information to decide the issue" (18). So sieht es auch Mach. Steins Mißverständnis beginnt dort, wo er Mach mit Blick auf (T3), gewissermaßen schulterklopfend, attestiert: Mach „raises the prospect of a possible revision of physical theory, on the basis of new discoveries" (18 f.). Die Revision physikalischer Theorien hat Mach eben immer im Auge, und vor allem darin besteht für ihn der Fortschritt der Wissenschaft. Und noch einmal sei es gesagt: wenn man den Eimer meilendick werden läßt, führt dies nicht zu einem Verstoß gegen die ,Grammatik' von ,Bewegung'. Anders, nach Mach, wenn man von absoluter Rotation der Erde spricht. Diese für Stein faktische, für Mach nicht kontrafaktische, sondern ,metaphysische' Redeweise verstößt ebenso gegen die ,Grammatik', wie die dazu konträre: das rotierende Universum ist für Stein eine kontrafaktische Annahme. Für Mach ist sie ebenso ,metaphysisch' wie die Annahme einer ,wirklichen' Rotation der Erde.21 Soweit hat Stein Machs (T3) also durchaus mit Lob bedacht — was freilich nur gerecht ist, da (T 3 ) im Lense-Thirring-Effekt eine (theoretische) Bestätigung gefunden hat. 22 Freilich, auch hier ist ein Wermutstropfen 21
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Man beachte Machs feine Ironie in dieser Sache (M., 226): „für Newton stand die Rotation der Erde nicht mehr in Diskussion; sie rotierte bereits zweifellos wirklich." Nochmals sei betont: eine historische Würdigung Machs kann nur gerecht sein, wenn man bei ihm nicht mit erhobenem Zeigefinger das Fehlen physikalischen Wissens attestiert, das sich in den 70 Jahren nach seinem Tod angesammelt hat. Dieses Wissen hätte Mach, den sensiblen Naturforscher, unter anderem auch zu einer Änderung der .Grammatik* von .Bewegung' veranlassen können. Der schon erwähnte ,Lense-Thirring-Effekt' besagt im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie (cf. Thirring (1918), Thirring (1966)), daß bei einem in der Achse einer rotierenden Hohlkugel ruhenden Probekörper Trägheitseffekte auftreten, die aus der Rotation der Hohlkugel resultieren. D. h., daß die Trägheitserscheinungen an einem Körper nicht bloß vom Bewegungszustand dieses Körpers, sondern auch von der Bewegung (und Masse) der übrigen ihn umgebenden Körper abhängen. Thirring ((1966), 370): „Auf diese Weise triumphierte Machs seherische Gabe, die einen Einfluß der Relativbewegung (Hervorhebung G. W.) bei einer Rotation vorausgesagt hatte, über Newton [...]." Dies würde um so mehr gelten, wenn der Lense-Thirring-Effekt auch experimentell bestätigt würde.
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unvermeidlich: Machs ,Theorie' (T 3 ) mit dem Gedanken des meilendicken Eimers „neither suggests the actual content of a revised theory, nor in any way provides evidence for the belief that the new discoveries will in fact lead to revision: it simply points out the possibility that this may happen" (19). Sei's drum! Auch hier gibt es, anders als Stein denkt, keinen Anlaß zum Tadel. Mach hatte eben ein sokratisches Verhältnis (cf. § 10) zur theoretischen Physik. Mach war zwar groß, aber kein Übermensch: er hat den nachkommenden theoretischen Physikern auch noch etwas zu tun hinterlassen — ζ. B. die Formulierung des Lense-Thirring-Effekts und die allgemeine Relativitätstheorie einschließlich Geometrodynamik. Zusammenfassung: Steins als solche bezeichneten Machschen Theorien' (Tj) —(T3) stehen in keinerlei Gegensatz zueinander. (Tj), die in der Machschen Form unzutreffende These von der empirischen Ununterscheidbarkeit des Ptolemäischen und Kopernikanischen Systems, die auf der ausschließlichen Annahme von Relativbewegungen beruht, steht nicht im Widerspruch zu (T 2 ), dem Relativitätsprinzip der Klassischen Mechanik. (T 3 ), wo programmatisch durch Relativbewegungen hervorgerufene Inertialeffekte ins Auge gefaßt werden, läßt sich als mögliche Einlösung von (Τ]) verstehen und steht in keinem logischen Zusammenhang mit (T 2 ). Wenn Stein auch zum Schluß des Mach-Kapitels kontrafaktisch bemerkt „my story has no villains" und er wolle den Eindruck vermeiden „of using Mach as a whipping-boy" (20 f.), so ist dies eben doch der Fall. Mit Stein sei gesagt: „he [Mach] deserves better" (21). Stein gibt sodann zu erkennen, daß seine (Fehl-) Einschätzung und (Fehl-)Interpretation Machs aus seiner Ablehnung der Machschen „epistemology" (21) resultieren. Die Fehlurteile über diese ,epistemology' aber haben Mach geradezu zu ,everybody's whipping-boy' gemacht. Dies zu beenden, ist eines der Ziele dieses Buches. Und gegen dieses Ziel dürfte auch Stein letztlich nichts einzuwenden haben. Denn auch er scheint das Gefühl zu haben, Mach nicht ganz gerecht geworden zu sein. Jedenfalls hat, abgesehen von den gerade zitierten Stellen, die Mach vom Odium des Schurken oder Prügelknaben in Steins Geschichte befreien sollen, auch er Positives zu vermerken: „the honesty of his [Mach's] mind seems to me beyond dispute; his critique of basic concepts, however defective, has been stimulating for philosophical analysis, for historical interpretation, and — not least — for physical theory; and the same can be said of the sheer physical speculation" (21). In der Tat, dies ,,leave[s] a pleasanter flavor" (21).
Der Einfluß IV: Kritik physikalischer Grundbegriffe
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§ 6 Der Einfluß IV: Methodologische Grundsätze der Kritik physikalischer Grundbegriffe (Spezielle Relativitätstheorie) Die vorangehenden Paragraphen haben gezeigt, daß die im Begriff ,Machsches Forschungsprogramm' (MFP) zusammengefaßten thematischen Anregungen die allgemeine Relativitätstheorie entscheidend motiviert haben bzw. in die Richtung des von Einstein eingeschlagenen Weges wiesen. Insoweit hier der Raumbegriff eine zentrale Rolle gespielt hat, ist das Thema methodologische Grundsätze der Kritik physikalischer Grundbegriffe' also bereits behandelt worden. Motivationen für die Herausbildung von Theorien sind im allgemeinen schwer identifizierbare forschungspsychologische Sachverhalte. Sie reichen etwa von den persönlichen und gesellschaftlichen Lebensumständen über allgemeine Themata bis hin zu einem direkten Anschluß an vorhandene Theorien. So gesehen sind alle Motivationen auch heuristisch. Dabei ist unbestreitbar, daß ,falsche' motivierende Ideen ebenso auf ,richtige' Theorien wie ,richtige' Ideen auf,falsche' Theorien führen können. Zwischen einem Motiv für eine Theorie und der ausgearbeiteten Theorie selbst braucht kein stringenter inhaltlicher oder logischer Zusammenhang zu bestehen. Es ist sogar schwierig, wenn nicht unmöglich, überhaupt genau zu sagen, wann eine Theorie ,logisch' aus einem Motiv folgt, denn von einer Folgerung im Sinne der formalen Logik kann man wohl in den seltensten Fällen sprechen, vielleicht auch überhaupt nicht. Trotzdem ist es sinnvoll, ad hoc von logischem oder inhaltlichem Zusammenhang zu sprechen, wenn man die konkreten Implikationen zwischen einer motivierenden Vorgängertheorie und einer Nachfolgertheorie untersucht. Doch ist dabei zwischen der Analyse des Verhältnisses von motivierender Theorie zur historischen Herausbildung der Nachfolgertheorie und der Analyse der Beziehung der Vorgängertheorie zur mehr oder weniger abgeschlossen vorliegenden Nachfolgertheorie genau zu unterscheiden. So kann eine Vorgängertheorie V die Herausbildung einer Nachfolgertheorie Ν entscheidend motivieren, während die Analyse der sachlich-logischen Beziehungen zwischen V und der abgeschlossenen Theorie Ν keinen nennenswerten Zusammenhang konstatiert. Die Strategien der Anhänger einer ,absoluten' Raumauffassung bei der Analyse des Verhältnisses Mach —Relativitätstheorie konzentrierten sich auf die letztere, eher systematische Zusammenhangsanalyse und gelangten dabei zu dem Resultat, daß kein besonders wichtiger Zusammenhang zwischen Machs Ideen und der allgemeinen Relativitätstheorie bestehe.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
Das mag zutreffen, ist jedoch hier nicht weiter wichtig, da es um den historischen Pro^eß der Motivierung Einsteins durch Mach geht sowie um die daraus möglicherweise zu ziehenden Rückschlüsse auf Machs Aufnahme von Einsteins Theorien. Für die Zwecke des vorliegenden Buches ist es ebenso wichtig wie ausreichend, erkannt zu haben, daß sich Einstein durch das MFP aufs höchste motiviert gefühlt hat und daß es für ihn zu Lebzeiten Machs gewiß nicht widersinnig war, in der allgemeinen Relativitätstheorie und dem Machschen Prinzip eine Einlösung des MFP zu sehen. Der die allgemeine Relativitätstheorie motivierende (ziemlich allgemeine) thematische Einfluß Machs auf Einstein wurde in der bisherigen Darstellung nur mit Einschränkungen als ,physikalisch' bezeichnet. Diese Zurückhaltung befindet sich im Einklang mit dem Wortgebrauch Einsteins und seiner Zeit. Wie Einstein in einem (undatierten) Brief an Mach bemerkt, ist die im MFP implizierte Ablehnung von physikalischen Eigenschaften des (absoluten) Raumes ein „erkenntnistheoretisches Argument" und zu jenem Zeitpunkt (Jahreswende 1913/1914) „das Einzige, was ich zugunsten meiner neuen Theorie vorbringen kann". 1 Auch wenn man sich diesem Wortgebrauch Einsteins anschließt, steht doch fest, daß Machs ,erkenntnistheoretischei Argumente oder Themata geradewegs eine physikalische Theorie motivieren, wie die Beziehung MFP — allgemeine Relativitätstheorie/Machsches Prinzip gezeigt hat. Machs Einfluß auf Einstein ist damit nicht erschöpft. Einstein verdankt vielmehr Mach, abgesehen vom Thema Antimechanizismus, ganz allgemein seine frühe ,erkenntnistheoretische' Orientierung. Dies wird von Einstein dankbar anerkannt. Bei seinem Bericht (in „Autobiographisches") über die historischen Umstände, die zur speziellen Relativitätstheorie führten, erwähnt er ein ,Paradoxon', das ihm schon als 16jährigem aufgefallen sei. Es knüpft sich an die Frage, wie jemand, der sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, einen Lichtstrahl neben sich sieht: „Man sieht, daß in diesem Paradoxon der Keim zur speziellen Relativitätstheorie schon enthalten ist [...]. Das kritische Denken, dessen es zur Auffindung dieses zentralen Punktes (relativistischer Gleichzeitigkeitsbegriff, G. W.) bedurfte, wurde bei mir entscheidend gefördert insbesondere durch die Lektüre von David Humes und Ernst Machs philosophischen Schriften" (Einstein, in: Schilpp (1955), 20).
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Für den Text des Briefes und die Datierung cf. § 13 und § 14.
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Allgemein läßt sich Machs Lehre nach dem bisher Gesagten in zwei methodologische Regeln zusammenfassen: (Rl) Mißtraue allen Begriffen ohne Erfahrungsbezug! (R2) Schließe alle Begriffe aus der Wissenschaft aus, die prinzipiell keinen Erfahrungsbezug haben können! Wie sehr Einstein diese Regeln befolgte, wird bereits in der Einleitung zum klassischen Text zur speziellen Relativitätstheorie („Zur Elektrodynamik bewegter Körper" (Einstein (1905)) klar sichtbar. Einstein nennt dort zwei Umstände, die ihn zur Formulierung des speziellen Relativitätsprinzips2 führten: (1) ,Asymmetrien' der Maxwellschen Gesetze bei ihrer Anwendung auf bewegte Körper, (2) „die mißlungenen Versuche, eine Bewegung der Erde relativ zum ,Lichtmedium' zu konstatieren" (Einstein (1905), zitiert nach Lorentz/ Einstein/Minkowski (1974), 26). Um den Machschen Einfluß in diesen beiden Punkten zu erkennen, die Einstein erklärtermaßen zum speziellen Relativitätsprinzip ,hingeführt' haben, muß man die Art und Weise seiner Formulierungen genauer untersuchen. Da sind zunächst die ,Asymmetrien' der Maxwellschen Elektrodynamik, „wie dieselbe gegenwärtig aufgefaßt zu werden pflegt" (ebd.).3 Einstein kritisiert hier die auf der Annahme des absoluten Raumes4 beruhende übliche Unterscheidung zweier Formen von elektrischer Induktion: zum einen, wenn sich der Magnet bewegt und der Leiter ruht (eigentliche Induktion), zum anderen, wenn sich der Leiter bewegt und der Magnet ruht (,Lorentz-Kraft'). Einstein stellt dagegen fest: „Das beobachtbare Phänomen hängt hier nur ab von der Relativbewegmg (Hervorhebung 2
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Das spezielle Relativitätsprinzip liefert logisch betrachtet eine Erweiterung des Relativitätsprinzips der klassischen Mechanik. Nicht nur sind danach die Gesetze der Mechanik in allen Inertialsystemen gleich, sondern überhaupt alle Naturgesetze, insbesondere die elektromagnetischen. Eine ausführliche Analyse der Einleitung von Einstein (1905) in Miller (1981), 143 ff. Uber die Auffassung der Maxwellschen Elektrodynamik informiert man sich am besten dort, wo Einstein selbst sie studiert hat: in August Föppls Einführung in die MaxwelFsehe Theorie der Elektrizität (Föppl (1894)), Abschnitt 5. Dort heißt es § 115 (309): „Wir dürfen es nicht a priori als feststehend ansehen, daß es ζ. B. gleichgültig ist, ob ein Magnet sich in der Nähe eines ruhenden elektrischen Stromkreises oder ob dieser sich bewegt, während der Magnet ruht, falls nur in beiden Fällen die Relativbewegung die gleiche ist." Die Unterschiede untersucht Föppl in § 117 („Bewegter Magnet und ruhender Leiter") und § 119 („Bewegter Leiter und ruhender Magnet"). Über den Einfluß Föppls auf Einstein vgl. Holtons Aufsatz „Influences on Einstein's Early Work" (Holton (1973 b), bes. 205 ff.). Vgl. Föppl, a.a.O., 307ff. Föppl glaubt, daß es „mit Notwendigkeit" (309) absolute Bewegungen geben muß. Aber auch er hat die bekannten Schwierigkeiten, dem Begriff des absoluten Raumes empirischen Gehalt zu geben: „Bis auf Weiteres müssen wir daher als absolute Bewegungen jene relativ zu diesem Kopernikanischen Räume ansehen" (ebd.). Föppl geht also — anders als Mach — davon aus, daß sich die Erde wirklich um die Sonne bewegt.
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G. W.) von Leiter und Magnet" (ebd.). Grund: in beiden Fällen wird das gleiche Phänomen, werden gleich große und gleich verlaufende elektrische Ströme hervorgerufen. Damit war für praktisch jeden Leser von Einsteins Aufsatz ein, ja gewissermaßen das Machsche Thema angestimmt: die Relativität aller Bewegung und die darin implizierte These der dynamischen Äquivalenz kinematisch äquivalenter Sachverhalte. Und um genau diesen Kardinalpunkt der Machschen Methodologie geht es auch bei einem %weiten Aspekt, der Einstein zum speziellen Relativitätsprinzip führte: dem Scheitern der Versuche, eine Bewegung der Erde relativ zum absolut ruhenden Äther, d. h. eine absolute Bewegung, festzustellen. 5 Einsteins Resümee mußte Mach und jeden Machianer erfreuen: Denn Einstein vermutet aus den beiden angeführten Gründen, „daß dem Begriffe der absoluten Ruhe nicht nur in der Mechanik (das hatte Mach gezeigt, G. W.) sondern auch in der Elektrodynamik keine Eigenschaften der Erscheinungen entsprechen" (Einstein, ebd.). 6 Die neben dem Relativitätsprinzip tragende Säule der speziellen Relativitätstheorie, nämlich die Konstant^ der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum, hat Machianern wie Petzoldt Schwierigkeiten bereitet. Darauf werden wir an anderer Stelle ausführlicher zurückkommen. 7 Hier seien nur zwei weitere methodologisch begründete Aktionen Einsteins erwähnt, die für ihn (1905) sehr wichtig waren — und gleichzeitig ganz nach Machs Geschmack. Die erste betrifft die Abschaffung des Äthers8: „Die Einführung eines ,Lichtäthers' wird sich insofern als überflüssig erweisen, als nach der 5
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Das ,Nullresultat' des Michelson-Morley-Versuchs scheint historisch für Einstein (1905) keine große Rolle gespielt zu haben. Das Gegenteil will wohl eher eine interessierte Lehrbuchtradition. Einzelheiten findet man in Holtons glänzendem Aufsatz zur Rolle des Michelson-Morley-Versuchs (Holton (1973 c)). Freilich ist problematisch, wenn Holton Einstein eine Art Anti-Empirismus zu unterstellen scheint. Ganz gewiß hat ein solcher nicht vor Machs Tod bestanden. Cf. M., 222 f.: „Uber den absoluten Raum und die absolute Bewegung kann niemand etwas aussagen, sie sind bloße Gedankendinge, die in der Erfahrung nicht aufgezeigt werden können." Cf. §§ 19, 27. Aus der umfangreichen Literatur zum Ätherproblem sei hingewiesen auf den .Klassiker' Whittaker (1973) sowie auf Leibowitz (1979) und Cantor/Hodges (eds.) (1981). - Einstein bringt auch die Kritik am klassischen Ätherbegriff wiederum mit Mach in Verbindung: „Ernst Mach, der als erster nach Newton das Fundament der Mechanik einer tiefen Analyse unterzog [...], suchte der Hypothese des „Äthers der Mechanik" dadurch zu entgehen, daß er die Trägheit auf unvermittelte Wechselwirkung zwischen der ins Auge gefaßten Masse und allen übrigen Massen zurückzuführen suchte. Diese Auffassung ist zwar logisch möglich, kommt aber als Fernwirkungstheorie für uns heute nicht mehr ernsthaft in Betracht" (Einstein (1924), 87). Cf. ferner die folgende Anm. 9.
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zu entwickelnden Auffassung weder ein mit besonderen Eigenschaften ausgestatteter ,Raum' eingeführt noch einem Punkte des leeren Raumes, in welchem elektromagnetische Prozesse stattfinden, ein Geschwindigkeitsvektor zugeordnet wird" (Einstein in: Lorentz/Einstein/Minkowski (1974), 27). Die Elimination des Äthers aus der Physik bedeutet, daß eine der wesentlichen Stützen des mechanistischen Weltbilds, d. h. der Auffassung, daß die Welt letztlich aus winzigen Partikeln und zwischen diesen wirkenden Kräften bestehe, weggerissen wird. Denn in der Physik des 19. Jahrhunderts diente der Äther im wesentlichen zwei Zwecken: (1) als Medium der Übertragung von Fernkräften, soweit man überhaupt nach einer Erklärung für dieses Phänomen suchte, und insbesondere (2) als Hauptbegriff und Grundsubstanz der mechanischen Lichttheorie. Danach ist das Licht nichts anderes als eine transversale Schwingung eines im Räume ruhenden elastischen und trägen Mediums mit den Eigenschaften eines Festkörpers. Die Annahme eines im Räume ruhenden Äthers lieferte ζ. Β. Η. A. Lorentz ein absolutes Bezugssystem. Auf diese in ihrer Kombination auf den ersten Blick merkwürdigen Eigenschaften des mechanischen Wesens namens ,Äther' muß hier nicht näher eingegangen werden. Erkenntnistheoretisch wichtig ist die Tatsache, daß weder der Äther noch eine seiner gerade genannten Eigenschaften je beobachtet oder gemessen worden waren. Doch die Physiker des 19. Jahrhunderts konnten Erscheinungen wie die Interferenz des Lichts nicht anders als durch die Annahme eines Äthers mit passenden Eigenschaften erklären, d. h., durch eine von der Theorie induzierte hypothetische Existen forderung. Wie Einstein in (1905) erwähnt und wie oben schon angemerkt wurde, waren alle Versuche, den Äther empirisch nachzuweisen, gescheitert. Ganz zu schweigen von den innertheoretischen Schwierigkeiten, die mit der Annahme eines ruhenden Äthers verbunden waren. Diese Nachteile überschatteten natürlich ganz erheblich jene Argumente, die die Einführung dieses hypothetischen Wesens einst scheinbar erfordert hatten. Prinzipiell war die Lage überdies so, daß es zu keinem Zeitpunkt gelungen war, ein befriedigendes (mechanisches) Äthermodell für die (Maxwellschen) Gesetze des Elektromagnetismus (der ja auch das Licht umfaßt) anzugeben (cf. § 2). D. h., die elektromagnetischen Feldstärken traten neben den üblichen mechanischen Begriffen als unabhängige Grundbegriffe auf. „Diese Wandlung führte aber zu einem auf die Dauer unerträglichen Dualismus [zwischen Feld und Materie] in den Grundlagen" (Einstein (1920), 6), der in Einstein (1905) beseitigt wurde „by searching for a unification of mechanics and electrodynamic theory at a higher level"
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(Hirosige (1976), 74). Der Äther, ,überflüssig' wie er war, fand dank der neuen Prämissen der Einsteinschen Theorie einfach keine Berücksichtigung mehr. Es sind somit drei methodologische Gründe, die Einstein auf den Äther verzichten lassen: (a) Der Äther und die ihm zugeschriebenen mechanischen Eigenschaften haben sich der Beobachtung konsequent entzogen, (b) Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, ein Inertialsystem Kt vor allen anderen dadurch auszuzeichnen, daß man es als relativ zum Äther ruhend auffaßt und damit eine Asymmetrie in die Theorie bringt. „Eine solche Asymmetrie des theoretischen Gebäudes, dem keine Asymmetrie des Systems der Erfahrungen entspricht, ist für den Theoretiker unerträglich" (Einstein (1920), 8). (c) Äthertheorien haben zu dem erwähnten ,auf die Dauer unerträglichen Dualismus' zwischen Feld und Materie geführt, (a) und (b) zeigen den direkten methodologischen Anschluß an Mach. Dies legt jedenfalls die von Einstein in (1905) auf eineinhalb Seiten dreimal vorgenommene Parallelisierung der Elimination des Äthers mit der so eminent mit Machs Namen verbundenen Ablehnung von absolutem Raum bzw. absoluter Ruhe nahe.9 Auch Formulierungen wie die von den ,Asymme9
Man darf sich nicht dadurch verwirren lassen, daß das Wort ,Äther' im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie wieder zu Ehren kommt (cf. ζ. B. Einstein (1920), (1924), (1930)), nachdem es in der speziellen Theorie ein illustres Begräbnis gefunden hatte: Einstein kennt ab ca. 1920 vier verschiedene Bedeutungen von ,Äther': (a) der „Äther der Elektrodynamik" (ζ. B. (1924), 89) oder „Lichtäther", (b) der Äther der speziellen Relativitätstheorie, (c) der „,Äther der Mechanik'" (a.a.O., 87), (d) der Äther der allgemeinen Relativitätstheorie. Äther (a), (b) und (c) haben gemeinsam, daß sie irgendwie .absolut' sind (wobei Einstein verschiedene Bedeutungen von ,absolut' (cf. oben 71) nicht unterscheidet): Äther (a) ruht absolut, zeichnet also einen bestimmten Bewegungszustand aus und wird „stillschweigend" als Inertialsystem verstanden (Einstein, a. a. O., 88). Äther (b) hebt zwar den Gedanken eines Bewegungszustandes des Äthers auf, war aber für Einstein ebenfalls „absolut, denn sein Einfluß auf Trägheit und Lichtausbreitung war als unabhängig gedacht von physikalischen Einflüssen jeder Art" (Einstein, a. a. O., 90). Äther (c) schließlich ist der gute alte absolute Raum der Newtonschen Mechanik, allerdings in neuer Interpretation. Newton habe mit ihm, ohne daß Einstein ihn im Jahre 1920 dafür noch kritisiert, „etwas nicht beobachtbares Reales" (Einstein (1920), 11) angenommen. In Einstein ((1924), 87) heißt es dann deutlich: „Das Auftreten von Zentrifugalkräften bei einem (rotierenden) Körper, dessen materielle Punkte ihre Abstände gegeneinander nicht ändern, zeigt, daß dieser Äther nicht nur als ein Phantasiegebilde der Newtonschen Theorie aufzufassen ist, sondern daß ihm etwas Reales in der Natur entspricht." ,Absolut' ist am Äther (c), daß seine „trägheitsspendende Eigenschaft [...] durch nichts beeinflußbar [ist], weder durch die Konfiguration der Materie, noch durch sonst etwas" (Einstein (1924), 88). Als eine weitere Hommage an Mach kann man es betrachten, wenn Einstein den Äther (d) als ,Machscben Äther' bezeichnet (Einstein (1920), 12). Auffällig ist, daß diese Bezeichnung nach dem Erscheinen von Machs Optik (1921), in deren Vorwort ja die Relativitätstheorie abgelehnt wird, bei Einstein nicht mehr auftritt. Allerdings werden
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trien' zwischen Theorie und Erfahrung in Einstein (1905) und (1920), denen sich andere beigesellen ließen, und die Einstein veranlaßten, die Theorie zu ändern, liegen ganz auf der Linie der Machschen Wissenschaftstheorie. ,Anpassung der Gedanken an die Tatsachen' ist Machs Standardformel (cf. ζ. Β. M., 6) und nicht umgekehrt. Einstein vertritt hier mit anderen Worten den empiristischen Grundsatz, daß eine Theorie sich an den Erfahrungen zu bewähren hat, wenn es eine gute Theorie sein soll. Wenn sie es nicht tut, dann soll eben an ihre Änderung gedacht werden. Auch (c), die Überwindung des Dualismus von Äther und Feld, entspricht gewiß dem auf Einfachheit zielenden Machschen methodologischen Postulat der Denkökonomie, ist jedoch nicht inhaltlich mit Machs Namen verknüpft wie die Argumente (a) und (b). Die neben der Abschaffung des Äthers zweite methodologisch bestimmte Aktion im Sinne Machs, die man in Einstein (1905) findet, ist die relativistische Neudefinition der Gleichzeitigkeit. Daß Einstein bei der Kritik auch in Einstein (1924), 87 Machs Verdienste gebührend gewürdigt. Im Unterschied zu Äther (c) ist es beim ,Machschen Äther' der allgemeinen Relativitätstheorie so, daß dieser „nicht nur das Verhalten der trägen Massen [bedingt], sondern [...] in seinem Zustand auch bedingt [wird] durch die trägen Massen" (Einstein (1920), 12). Mach habe diesen Gedanken (d. h. das ,Machsche Prinzip') deswegen noch nicht ,voll entfalten' können, weil er über den Rahmen einer Fernwirkungstheorie nicht hinausgekommen sei, so sehr er, wie wir gesehen haben, auch eine Nahwirkungstheorie für wünschenswert gehalten haben mag. Wichtiger Unterscheidungspunkt des Äthers (d) von Äther (b) und (c) ist, daß Äther (d) nicht mehr homogen und isotrop ist und nicht global, sondern nur lokal bestimmt ist, und zwar durch die ponderable Materie, deren Verhalten ihrerseits wiederum durch den ,Äther' bestimmt ist. — Auch Mach, der dem Äther nicht viel Beachtung und Sympathie entgegenbrachte, hat eine mögliche Interpretation des absoluten Raums als Äther (gemeint ist Äther (c)) in seiner Newtoninterpretation ins Auge gefaßt (cf. 73): „Man müßte also an ein anderes [sc. Medium als die Luft], etwa den Weltraum erfüllendes Medium denken, über dessen Beschaffenheit und über dessen Bewegungsverhältnis zu den darin befindlichen Körpern wir gegenwärtig eine ausreichende Kenntnis nicht haben. An sich würde ein solches Verhältnis nicht zu den Unmöglichkeiten gehören. [...] Wenn auch mit dieser Vorstellung praktisch zunächst nichts anzufangen wäre, so könnte man doch hoffen, über dieses hypothetische Medium in Zukunft mehr zu erfahren, und sie wäre (als nicht prinzipiell metaphysisch, G. W.) naturwissenschaftlich noch immer wertvoller als der verzweifelte Gedanke an den absoluten Raum" (M., 225). Diese Bemerkung ist übrigens auch deswegen interessant, weil sie zeigt, wie tolerant Mach gegenüber Hypothesen ist, die für ihn anders als der absolute Raum, so wie er ihn bei Newton aufgefaßt sah, wenigstens einen Schimmer möglicher empirischer Bestätigung aufweisen. Mach ist eben nicht der positivistische Dogmatiker, als der er gern hingestellt wird. Er spricht übrigens sehr selten überhaupt vom Äther. In der Mechanik hat er das Wort nicht einmal ins Register aufgenommen, ebensowenig in der Wärmelehre. Soweit erkennbar, ist in der Optik nur bei der Besprechung der Huygensschen Lichttheorie vom (Licht-)Äther die Rede (a. a. O., 355 f.). Dies ist natürlich unvermeidlich und geschieht rein berichtend und lakonisch knapp.
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des klassischen, auf der Vorstellung von der absoluten Zeit beruhenden Gleichzeitigkeitsbegriffs sich in der Tradition Machs sieht, betont er selbst in seinem Nachruf auf Mach: Die Modifikation der Begriffe von Raum und Zeit in der Relativitätstheorie ist durch ,Erkenntnistheoretiker' begünstigt worden: „Von mir selbst weiß ich mindestens, daß ich insbesondere durch Hume und Mach direkt und indirekt sehr gefördert worden bin" (Einstein (1916), 102). Einstein bittet (ebd.) den Leser, „Machs Werk: Die Mechanik in ihrer Entwicklung in die Hand zu nehmen und die unter 6. und 7. im zweiten Kapitel gegebenen Betrachtungen" aufzuschlagen. Er zitiert sodann daraus „einige Rosinen" (ebd.) über Raum, Zeit, Trägheit — auch über Zeit, wohl wissend, daß seine eigene begriffliche Reform ganz in der Konsequenz der Machschen liegt. Mach fehlte, „als er jugendfrischen Geistes war" (a. a. O., 103), (wie seinen physikalischen Zeitgenossen) nach Einsteins Meinung die Einsicht in die Bedeutung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. „Beim Fehlen dieser aus der Maxwell-Lorentzschen Elektrodynamik fließenden Anregung reichte auch Machs kritisches Bedürfnis nicht hin, um das Gefühl der Notwendigkeit einer Definition der Gleichzeitigkeit örtlich distanter Ereignisse zu erwecken" (ebd.). Im Prinzip wäre eben Mach, nach seiner methodologischen Leitlinie, den Begriffen operational auf ihren empirischen Grund zu gehen (ζ. B. Trägheit, Masse, Temperatur), genau der richtige Mann gewesen, um festzustellen, daß dem (klassischen) Begriff der Gleichzeitigkeit bei örtlich distanten Ereignissen ,keine Eigenschaften der Erscheinungen' entsprechen. Oder Einstein: „Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Mach auf die Relativitätstheorie gekommen wäre [...] als er jugendfrischen Geistes war" (Einstein, ebd.). 10 10
Einstein geht hier möglicherweise in seiner positiven Erwartung sogar zu weit. Es liegt nämlich der Eindruck nahe, daß Mach mit der Maxwellschen Theorie als einer der Säulen der Relativitätstheorie nicht bis ins Detail vertraut war. Jedenfalls wird man in seinen Werken vergebens nach einer entsprechenden Darstellung, einer Auseinandersetzung oder einer detailliert diskutierten Anwendung suchen. Woran dies liegt, ist schwer zu sagen; vielleicht bildet den Hintergrund, daß Mach relativ wenig im Bereich der Elektrizität gearbeitet hatte. Noch im gemeinsam mit seinem früheren Assistenten Jaumann verfaßten Leitfaden der Physik für Studierende (Mach/Jaumann (1891)) hat er die Ausführungen über Elektrizität und Magnetismus fast ganz Jaumann überlassen. Ferner wurde Maxwells Theorie in ihrer ursprünglichen Form sogar von Spezialisten wie H. Hertz für ziemlich schwer verständlich gehalten (cf. Miller (1981), 92 f.). Oder behagte Mach die ,moderne' vektorielle Behandlung der Maxwellschen Theorie wie bei Föppl wegen mathematischer Schwächen seinerseits nicht? Allerdings gibt es keinen Hinweis darauf, daß Mach an der Maxwellschen Theorie auch nur das geringste auszusetzen hatte. Im Gegenteil: Anläßlich einer kurzen Darstellung des Maxwellschen Gebrauchs von Analogien gerät Mach geradezu ins Schwärmen: „Maxwell gelingt es auf diese Weise in seinen Darstellungen, ohne die Anschaulichkeit aufzugeben, die Unbefangenheit und die begriffliche Reinheit zu
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Eine Tatsache scheint auf den ersten Blick gegen die These zu sprechen, daß Einstein die beiden oben angeführten, aus der Machschen ,Erkenntnistheorie' resultierenden methodologischen Regeln (Rl), (R2) befolgte: In seinem ,annus mirabilis' (1905) publizierte Einstein ja nicht bloß seine Arbeit zur speziellen Relativitätstheorie, sondern auch die Untersuchung über die Brownsche Bewegung (Einstein (1905 a)), die weithin als der Endpunkt der Durchsetzung der kinetischen Wärmetheorie verstanden wurde und letzte, hartnäckige Dissidenten wie W. Ostwald von der Existenz der Atome überzeugte. Mach hat eine öffentliche Konversion wie Ostwald nicht vollzogen, scheint jedoch ab etwa 1910 seinen Widerstand gegen die Annahme der Existenz von Atomen aufgegeben zu haben.11 Auch Einstein berichtet von Zugeständnissen' (cf. § 11), die Mach in dieser Sache über seine Schriften hinausgehend in einem persönlichen Gespräch gemacht habe. Worin diese Zugeständnisse bestanden haben könnten, lehrt eine Untersuchung von Einstein (1905 a), deren Einleitung (549) hier wiedergegeben sei: „In dieser Arbeit soll gezeigt werden, daß nach der molekularkinetischen Theorie der Wärme in Flüssigkeit suspendierte Körper von mikroskopisch sichtbarer Größe infolge der Molekularbewegung der Wärme Bewegungen von solcher Größe ausführen müssen, daß diese Bewegungen leicht mit dem Mikroskop nachgewiesen werden können. Es ist möglich, daß die hier zu behandelnden Bewegungen mit der sogenannten ,Brownsz\\cn Molekularbewegung' identisch sind; die mir erreichbaren Angaben über letztere sind jedoch so ungenau, daß ich mir hierüber kein Urteil bilden konnte. Wenn sich die hier zu behandelnde Bewegung samt den für sie zu erwartenden Gesetzmäßigkeiten
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wahren [...]. Maxwell nähert sich sehr einer idealen Methode der Naturforschung. Daher seine ungewöhnlichen Erfolge!" (EI., 230; cf. ebd. 179, Anm.). Ferner stellte Maxwells Theorie in Machs Augen wohl den Eckstein eines zum geltenden' mechanistischen alternativen, elektromagnetischen Weltbilds dar (cf. § 2). Schließlich ist zu beachten, daß sie Machs Vorstellung einer phänomenologischen Physik entspricht. Sie ist eine .bildfreie' Beschreibung der Tatsachen in Differentialgleichungen. — Ganz allgemein hat Lampa ((1923), 94) die Situation bezüglich des Verhältnisses von Mach zur Maxwellschen Theorie wohl richtig gekennzeichnet: An Machs im engeren Sinne physikalischen Arbeiten „springt vor allem in die Augen, daß [...] [sie] Spezialproblemen gewidmet sind, die keine Beziehung zu den großen theoretisch-physikalischen Gedanken haben, die zu seiner Zeit in Diskussion standen und deren Durchbildung für die weitere Zukunft der Physik bestimmend gewesen ist." Wenn so Mach wohl auch nicht als intimer Kenner der Maxwellschen Theorie gelten kann, so hat er sie gewiß erheblich besser gekannt als Bunge die Werke Machs. In seinem Anti-Mach-Pamphlet (Bunge (1966), 596) glaubt Bunge behaupten zu können: „Nowhere in his [d. i. Machs, G. W.] work are four of the Big Five of theoretical Physics in the 19th century mentioned (Hervorhebung G. W.) [...]". Unter das bei Mach angeblich Fehlende rechnet Bunge auch „Maxwell's electromagnetism [...]". Cf. Wolters (1987).
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wirklich beobachten läßt, so ist die klassische Thermodynamik schon für mikroskopisch unterscheidbare Räume nicht mehr als genau gültig anzusehen und es ist dann eine exakte Bestimmung der wahren Atomgröße möglich. Erwiese sich umgekehrt die Voraussage dieser Bewegung als unzutreffend, so wäre damit ein schwerwiegendes Argument gegen die molekularkinetische Auffassung der Wärme gegeben." Einsteins Ziel ist es also, auf makrophysikalischer Ebene eine mögliche experimentelle Bestätigung für mikrophysikalische Vorgänge theoretisch zu finden.12 Im Falle des Scheiterns der aus der kinetischen Wärmetheorie gezogenen Prognose sieht Einstein dunkle Wolken für diese Theorie aufziehen. Betrachtet man diese Äußerungen Einsteins vor dem Hintergrund der beiden Machschen Regeln, dann läßt sich folgendes sagen: Mach sieht — jedenfalls vor seiner möglichen .Bekehrung' — die kinetische Theorie als einen Fall von (R2), d. h., der Atombegriff ist für ihn als mikrophysikalischer Begriff prinzipiell ohne möglichen Erfahrungsbezug. Einsteins Arbeit (1905 a) kann als der Versuch eines Nachweises dafür betrachtet werden, daß die Machsche Subsumtion des Atombegriffs unter (R2) empirisch falsch ist, d. h., daß anders als Mach es sich voreilig gedacht hatte, Phänomene existieren, die sich kaum anders denn als makrophysikalische Manifestationen atomarer Vorgänge im Sinne der kinetischen Theorie darstellen lassen. Mit anderen Worten: Einstein wendet sich hier nicht gegen die Machsche empiristische Methodologie, sondern lediglich gegen deren unberechtigte Anwendung in einem bestimmten Fall. Sein Argument ist zwar theoretisch', besteht aber in einer Prognose, die empirisch bestätigbar ist und eine Brücke von der physikalischen Mikro- zur Makroweit schlägt. Noch anders gesagt: Einstein überführt den Atombegriff aus dem Bereich von (R2) in denjenigen einer modifizierten Regel (Rl'): (Rl') ,Mache den empirischen Gehalt deiner Begriffe möglichst groß!' (anachronistisch, aber hoffentlich verständlich formuliert). Gegen eine solche Verschiebung, die ganz im Rahmen der empiristischen Methodologie verbleibt, ja sogar einen bedeutenden Erfahrungsgewinn ansteuert, kann Mach kaum etwas einzuwenden gehabt haben. Denn erstens macht er überall in seinen historisch-kritischen und wissenschaftstheoretischen Werken deutlich, daß es ihm vor allem um das Ver12
Dieses Bestreben kennzeichnet auch schon eine Arbeit von Einstein aus dem Jahre 1904. Einstein versucht dort, Schwankungen der inneren Energie eines Systems, die allgemein als nicht beobachtbar galten, einer Messung zuzuführen. Für Einzelheiten cf. Miller ((1981), 134), der sich vor allem auf einschlägige Arbeiten von Martin J. Klein stützt.
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ständnis des wissenschaftlichen Fortschritts zu tun ist (cf. ζ. B. das Vorwort von EI.), daß er „das lebhafteste und naivste Interesse hat, das Wachstum der physikalischen Gedanken zu begreifen" (M., 259). Durch ihren Fortschritt erfüllt Wissenschaft immer mehr ihren Auftrag, „dem vollsinnigen menschlichen Individuum eine möglichst vollständige [theoretische und praktische] Orientierung zu bieten" (Α., 29). 13 Zweitens war ihm, wie nun schon öfter bemerkt, geläufig, daß der wissenschaftliche Fortschritt nicht nur über historische Figuren und die Leistungen der Kollegen, sondern auch über die eigenen hinwegzuschreiten pflegt (cf. § 1). Nicht nur die spezielle Relativitätstheorie und die Arbeit über die Brownsche Bewegung bleiben im Rahmen der Machschen methodologischen Regeln. Auch das allgemeine Relativitätsprinzip, dessen Motivierung durch Mach bereits gezeigt wurde (§ 4), läßt sich als Frucht seiner empiristischen Begriffskritik (bzgl. Raum und Trägheit) verstehen. Mit sinngemäßem Bezug auf (R2) hatte Einstein in der speziellen Relativitätstheorie absolute Geschwindigkeiten ausgeschlossen. Wegen der Auszeichnung der Inertialsysteme war aber der Begriff der absoluten Beschleunigung erhalten geblieben, der nun in der allgemeinen Relativitätstheorie einer erneuten Anwendung von (R2) zum Opfer fallt: Inertialsysteme und beschleunigte Systeme werden von der Theorie nicht mehr unterschieden. Abgesehen von den gerade angeführten direkten Bezügen zwischen Themata der speziellen Relativitätstheorie und solchen Machs sei noch einmal auf den für Einstein eingestandenermaßen wichtigen Einfluß des Machschen AntiMechanizismus bei der Herausbildung seiner kritischen Haltung gegenüber den physikalischen Grundbegriffen hingewiesen. Neben den Regeln (Rl) und (R2) dürfte, worauf bereits Schaffner (1974), 59 ff. hinweist, vor allen Dingen Machs Betonung des konventionellen Aspekts grundlegender physikalischer Begriffe ihren Eindruck auf Einstein nicht verfehlt haben, speziell auf dessen Ausbildung des Gleichzeitigkeitsbegriffs. § 7 Der Einfluß V: Machs Methodologie und Wissenschaftsphilosophie Es scheint in der wissenschaftshistorischen Forschung unbestritten zu sein, daß der junge Einstein ein Anhänger der Machschen Wissenschaftsphi13
Eine ausführlichere Darstellung des Machschen biologistischen Instrumentalismus in Wolters (1986).
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losophie gewesen ist.1 Diese Opinio communis der Forschung soll auch hier nicht bestritten werden. Zu einer zweiten ist freilich einiges zu bemerken: der These nämlich, daß sich Einstein praktisch völlig von Machs Methodologie abgewendet habe (ζ. B. „dramatic change in Einstein's thinking" (Barker (1981), 133). Auch die Datierung dieses Ereignisses und die Thesen über Art und Dauer von Einsteins anti-Machscher Inkubation sind problematisch. Richtig ist vielmehr, daß zwischen Mach und Einstein eigentlich nur %wei Differenzen bestanden haben. Die eine, nämlich Einsteins späterer philosophischer Realismus, ist eine Art wissenschaftsphilosophisch-erkenntnistheoretischer Cantus firmus für die zweite, nämlich Einsteins Verständnis von Theorien als freien Schöpfungen des menschlichen Geistes'. Ferner läßt sich zeigen, daß die zweite Differenz im wesentlichen eine scheinbare ist und auf einem Mißverständnis Einsteins beruht. Dieses Mißverständnis fußt seinerseits auf einer tieferliegenden unterschiedlichen Akzentuierung dessen, was physikalische Theorien letztlich leisten sollen. Als erstes sei untersucht, worin nach Einsteins Meinung die Differenz ^wischen ihm und Mach bestanden hat. Die zweite Opinio communis erklärt unisono mit Einstein selbst, daß Mach nicht den „rein fiktiven Charakter der Grundlagen" physikalischer Theorien gesehen (Einstein (1953), 115), mithin „das freie konstruktive Element in der Begriffsbildung verkannt" habe (Einstein, in: Einstein/Besso (1972), 391). 2 Einstein nennt auch einen 1 2
Cf. ζ. B. Holton (1973 a), Barker (1981) mit Bezug auf Holton, Blackmore (1972), 249 ff. Diese Stelle steht im Brief Einsteins an seinen alten Züricher Studienfreund Michele Besso vom 6. Januar 1948. Besso war ein Anhänger Machs und hatte, wie er selbst an Einstein schrieb (Einstein/Besso (1972), 386), „etwa 1897 oder 98" Einstein auf Machs Schriften aufmerksam gemacht. Da Einsteins Brief an Besso vom 6. Januar 1948 seine ausführlichste Äußerung über sein Verhältnis zu Mach ist, seien die Mach betreffenden Teile (a.a.O., 390 f.) hier vollständig wiedergegeben: „Was Mach betrifft, so will ich unterscheiden, wie Mach überhaupt gewirkt hat, und wie er auf mich gewirkt hat. Mach hat bedeutende fachwissenschaftliche Arbeiten (ζ. B. die Entdeckung der Chok-Wellen, gegründet auf eine wirklich geniale optische Methode) ausgeführt. Davon wollen wir aber nicht sprechen, sondern über seinen Einfluß auf die allgemeine Einstellung zu den Grundlagen der Physik. Da sehe ich sein großes Verdienst darin, daß er den im 18. und 19. Jahrhundert herrschenden Dogmatismus über die Grundlagen der Physik aufgelockert hat. Er hat besonders in der Mechanik und Wärmelehre aufzuzeigen gesucht, wie die Begriffe aus den Erfahrungen heraus entstanden sind. Er hat überzeugend den Standpunkt vertreten, daß diese Begriffe, auch die fundamentalsten, ihre Berechtigung nur von der Empirie aus erhalten, daß sie in keiner Weise logisch notwendig sind. Er hat besonders dadurch sanierend gewirkt, daß er deutlich machte, daß die wichtigsten physikalischen Probleme nicht mathematisch-deduktiver Art sind, sondern solche, die sich auf die Grundbegriffe beziehen. Seine Schwäche sehe ich darin, daß er mehr oder weniger glaubte, daß die Wissenschaft in einem blossen ,Ordnen' empirischen Materials bestehe; d. h., er hat das freie konstruktive Element in der Begriffsbildung verkannt. Er meinte gewissermaßen,
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Grund für dieses „Vorurteil": er „liegt in dem Glauben, daß die Tatsachen allein ohne freie begriffliche Konstruktion wissenschaftliche Erkenntnis liefern könnten und sollten. Solche Täuschung ist nur dadurch möglich, daß man sich der freien Wahl von solchen Begriffen nicht leicht bewußt werden kann, die durch Bewährung und langen Gebrauch unmittelbar mit dem empirischen Material verknüpft zu sein scheinen" (Einstein, in: Schilpp (1955), 18). 3 In dieser Formulierung von 1946 drückt sich der
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daß Theorien durch Entdeckung und nicht durch Erfindung entstehen. Er ging sogar so weit, daß er die .Empfindungen' nicht nur als zu erfassendes Material, sondern gewissermaßen als die Bausteine der wirklichen Welt ansah; er glaubte so die Differenz zwischen Psychologie und Physik überwinden zu können. Wenn er ganz konsequent gewesen wäre, hätte er nicht nur den Atomismus, sondern die Idee einer physikalischen Realität ablehnen müssen. Was nun Machs Einfluß auf meine Entwicklung anlangt, so ist er sicher groß gewesen. Ich erinnere mich ganz gut daran, daß Du mich auf seine Mechanik und Wärmelehre hingewiesen hast während meiner ersten Studienjahre, und daß beide Bücher großen Eindruck auf mich gemacht haben. Wie weit sie auf meine eigene Arbeit gewirkt haben, ist mir offen gestanden nicht klar. Soviel ich mir bewußt werden kann, war der unmittelbare Einfluß von D. Hume auf mich größer. Ich habe diesen zusammen mit Konrad Habicht und Solovine in Bern gelesen. Aber wie gesagt bin ich nicht imstande, das im unbewußten Denken Verankerte zu analysieren. — Interessant ist übrigens, daß Mach die spezielle] R[elativitäts]-Th[eorie] leidenschaftlich ablehnte. (Die allgemeine] R[elativitäts]-Th[eorie] hat er nicht mehr erlebt.) Die Theorie war ihm unerlaubt spekulativ. Er wußte nicht, daß dieser spekulative Charakter auch Newtons Mechanik, überhaupt jeder denkbaren Theorie zukommt. Es besteht doch nur ein gradueller Unterschied zwischen Theorien insofern, als der Gedankenweg von den Grundbegriffen zu den empirisch prüfbaren Folgerungen verschieden lang und kompliziert ist." Holton (1973 a), 234 (dt. 221 f.) teilt den Weg Einsteins hin zu dieser Mach-Kritik in \wei Strecken ein: Strecke 1 steht unter dem Zeichen von Einsteins „youthful allegiance to a primitive phenomenalism that Mach would have commended". Strecke 2 ist gekennzeichnet durch „a more refined form of phenomenalism which many of the logical positivists could still accept". Für Strecke 2 zitiert Holton einen kurzen Text aus Einsteins Vortrag am King's College, London 1921 (Einstein (1953), 131 ff. („Über Relativitätstheorie")), ohne freilich dieses Datum auch als einen Terminus a quo von Strecke 2 zu behaupten. Holtons Unterscheidung ist etwas mißlich. Denn: 1. Was hat man sich unter einem ,primitiven'' Phänomenalismus vorzustellen? Als ,Phänomenalismus' wird allgemein die These verstanden, daß alles Wissen Wissen von Bewußtseinsinhalten ist, und daß insbesondere empirisches Wissen ein Wissen ist, dessen Objektkorrelate Sinnesempfindungen sind. Was sollen hier Unterscheidungen wie .primitiv' besagen? — 2. Einstein hat auch nach 1933, dem allgemein angenommenen Jahr seiner methodologischen Wende, noch eine teilweise phänomenalistische Position vertreten. Dies wird aus seiner wohl umfangreichsten und vielleicht auch bedeutendsten methodologischen Arbeit, „Physik und Realität" (Einstein (1936)), deutlich (ähnlich auch in: Schilpp (1955)). In Einstein (1936) heißt es — inmitten von Passagen, die auch in Machs Analyse der Empfindungen stehen könnten — unter anderem, daß „sich die Physik (unmittelbar) nur mit den Sinneserlebnissen und dem .Begreifen' des Zusammenhangs zwischen ihnen" beschäftigt (a.a.O., 314). Philosophisch .primitiv' dürfte eher ein .zweiter Schritt' (ebd.) sein, mit dem Einstein zu diesem Zeitpunkt den Phänomenalismus durch einen philosophischen Realismus komplet-
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Abschluß einer expliziten Reflexion über den Status von Theorien aus, die in den publizierten Werken Einsteins — soweit erkennbar — mit seiner Antrittsrede vor der Berliner Akademie (2. Juli 1914) beginnt, im Jahre 1919 einen wichtigen Schritt weg von Mach getan hat und' 1922 ihr teilweise Mach-kritisches Ende erreicht. Diese drei Stufen der Entwicklung der Methodologie Einsteins seien nun genauer untersucht. Die Berliner Antrittsrede Einsteins (1914) atmet noch ganz Machschen Geist. Für Einstein gibt es nur einen Theorietyp in der theoretischen Physik. Dieser besteht darin, erstens die ,Prinzipe' eines Bereiches aufzusuchen, und zweitens aus den Prinzipien deduktiv oder rechnerisch empirisch überprüfbare Folgerungen abzuleiten. Die Praxis der theoretischen Physik befindet sich zu diesem Theorienkonzept in einem zweifachen Verhältnis. Einmal gibt es Theorien, bei denen klar formulierte, als Deduktionsbasis geeignete ,Prinzipe' fehlen (Einstein nennt die Wärmelehre, obwohl klar sei, daß hier eine molekularkinetische Auffassung zu gelten habe); zum anderen gibt es „klar formulierte Prinzipe", die „zu Konsequenzen führen, die ganz oder fast ganz aus dem Rahmen des gegenwärtig unserer Erfahrung zugänglichen Tatsachenbereiches herausfallen". Eine solche Theorie ist die Relativitätstheorie, und „es kann langwieriger, empirischer Forschungsarbeit bedürfen, um zu erfahren, ob die Prinzipe der Theorie der Wirklichkeit entsprechen" (Einstein (1979), 2 f.; bzw. (1953), 112). Soweit enthalten Einsteins Ausführungen nichts besonderes. Sie dekken sich mit Machschen Überlegungen (cf. ζ. Β. ΕΙ., 179)4, aber gewiß auch mit denen vieler anderer. Die besondere Beziehung zu Mach wird erst sichtbar, wenn Einstein darlegt, wie man zu den ,Prinzipen' kommt: „Hier gibt es keine erlernbare, systematisch anwendbare Methode, die zum
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tieren zu müssen glaubt. Dadurch wird dem Begriff des körperlichen Objekts eine „von den jenen Begriff veranlassenden Sinnesempfindungen weitgehend [?] unabhängige Bedeutung [zugeschrieben]. Dies meinen wir, wenn wir dem körperlichen Objekt .reale Existenz' zuschreiben." — 3. Der von Holton zitierte Text von 1921 muß nicht als Ausdruck eines sich bereits auf dem Absprung von Mach befindlichen .refined phenomenalism' gesehen werden. Vielmehr ist es so, daß sich hier Einsteins noch ganz an Mach orientierte empiristische Methodologie dokumentiert, die auch nach der angeblichen methodologischen Wende, wenn auch modifiziert, weiterlebt. Das Wort .Positivismus' sollte hier überhaupt ganz vermieden werden, weil es wegen uferlosen Gebrauchs noch nichtssagender geworden ist als manche anderen philosophische Termini. Machs erkenntnistheoretischer Phänomenalismus gilt jedenfalls Einstein auch nach seiner Wende noch einiges. Allerdings abgesehen von Einsteins Behauptung, es sei .unzweifelhaft erwiesen', daß Wärme auf Molekularbewegung zurückzuführen sei. Eine ähnliche Auffassung über Theorien findet man ζ. B. bei Mach (M., 243).
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Ziele führt. Der Forscher muß vielmehr der Natur jene allgemeinen Prinzipe gleichsam ablauschen, indem er an größeren Komplexen von Erfahrungstatsachen gewisse allgemeine Züge erschaut (Hervorhebung G. W.), die sich scharf formulieren lassen" (Einstein, a. a. Ο., 1 bzw. 111). Einstein bedient sich hier des genuin Machschen Terminus für die Gewinnung wissenschaftlicher Grundsätze und Grundbegriffe:,Erschauen''. In den Machschen Schriften wird dieses Wort stets terminologisch verwendet (für Prinzipielles dazu cf. W., 445). So etwa mit Blick auf Archimedes, den ,griechische Beweissucht' gehindert habe, eine korrekte Ableitung des Hebelsatzes zu geben, weil er „nicht das Produkt Ρ · L [d. h. Gewichtx Abstand von der Achse] als das bei der Gleichgewichtsstörung Maßgebende in den Vorgängen erschaut (Hervorhebung im Original)" habe (M., 18). Solches Erschauen erfolgt — so Mach — ,instinktiv'. Es hat eine empirische Basis, geht aber nicht in Sinneserkenntnis auf; es hat — wie wir noch sehen werden — eine entscheidende, nicht verrechenbar kreative Komponente.,Erschauen' findet sich bei Stevins Prinzip des ausgeschlossenen Perpetuum mobile (M., 25) ebenso wie beim Kräfteparallelogramm (M., 44), der Auffassung der trägen Masse eines Körpers als beschleunigungsbestimmendem Merkmal (M., 215) oder dem Galileischen Trägheitssatz (M., 266). Die zuletzt genannte Stelle ist für das Verständnis von ,erschauen' bei Mach deswegen besonders interessant, weil Mach hier den Terminus ,erschauen' als eigene Entdeckung reklamiert. — Man beachte dabei die Unabhängigkeit von Machs Methodologie von seiner Erkenntniskritik (cf. § 11), die auch besagt, daß instinktives Erschauen „does not operate on sensations, it operates in a concrete historical situation that is only partly articulated in the form of postulates, standards and empirical results but largely consists of unconscious tendencies (of thinking, perceiving, reacting to reports)", wie Feyerabend (1984 a, 17) zutreffend erläutert. Eine wichtige zweite Stufe der Entwicklung der Methodologie Einsteins dokumentiert sich in seinem Artikel in der Londoner „Times" vom 6. November 1919. Dieser Beitrag entstand im Zusammenhang mit der glanzvollen Bestätigung der aus der allgemeinen Relativitätstheorie sich ergebenden Prognose der Ablenkung von Lichtstrahlen im Schwerefeld der Sonne durch Eddingtons Pazifikexpedition anläßlich der Sonnenfinsternis vom 29. Mai 1919. Hatte Einstein 1914 nur einen Theorietyp gekannt, der von verschiedenen Theorien in unterschiedlicher Weise realisiert wird, so unterscheidet er jetzt %wei grundsätzlich voneinander verschiedene Theorietypen: ,,konstruktive Theorien' und ,Prin%iptheorieni. 1914 waren noch alle Theorien ,Prinziptheorien' gewesen. Einige wie etwa die mechanische Wärmetheorie
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konnten lediglich noch nicht ,Prinzipe' der geforderten Art (als Deduktionsbasis) aufweisen. 1919 aber ist die Aufstellung von Prinzipien kein allgemeines Desiderat mehr. Ja, die „meisten [Theorien] sind konstruktive Theorien". Die konstruktiven Theorien bilden darüber hinaus die wichtigste Klasse von Theorien. Konstruktive Theorien bestehen in der hypothetischen Annahme eines „relativ einfachen [...] Formalismus", der bestimmte Vorgänge eines Gebietes umfaßt. „So sucht die kinetische Gastheorie die mechanischen, thermischen und Diffusionsvorgänge auf Bewegungen der Moleküle zurückzuführen, d. h. aus der Hypothese der Molekularbewegung zu konstruieren" (Einstein (1953), 127). Prin^iptheorien dagegen beruhen, wie 1914 noch alle Theorien, auf „empirisch gefundene[n], allgemeinejn] Eigenschaften der Naturvorgänge" (a.a.O. 128).5 „Vorzug der konstruktiven Theorien ist Vollständigkeit, Anpassungsfähigkeit und Anschaulichkeit, Vorzug der Prinziptheorie ist logische Vollkommenheit und Sicherheit der Grundlage" (ebd.). An dieser Stelle dürfte bereits die entscheidende methodologische Differenz Mach sichtbar sein, auch wenn sie noch nicht mit explizitem Bezug auf Mach zum Ausdruck kommt. Vielleicht ist Einstein der Gegensatz zu Mach auch noch gar nicht recht bewußt. Der entscheidende Punkt ist, daß die wichtigsten Theorien für Einstein jetzt (1919) solche sind, die auf einem hypothetischen Fundament beruhen, ohne daß damit die Forderung verbunden wird, das hypothetische Fundament im Verlauf der Forschung, wenn irgend möglich, durch ,Prinzipe' zu ersetzen.6 Die mechanische Wärmetheorie als Prototyp der wichtigsten Theorien der Physik! Eine Wendung, die Mach nicht sonderlich erfreut hätte, selbst wenn er später der Existenz von Atomen geneigter gegenübergestanden hat als allgemein angenommen. Hypothesen haben bei Mach eine etwas andere Stellung und Funktion. Wissenschaft besteht nach der bereits erwähnten Machschen Formel erstens in der Anpassung der Gedanken an die Tatsachen, zweitens in der Anpas5
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Man beachte Einsteins nachlässige Formulierung: Die 1 9 1 4 noch .erschauten' Prinzipe werden nunmehr schlicht ,empirisch gefunden'. Miller (1981), 135 ff. hat die interessante Beobachtung gemacht, daß die beiden anderen großen Arbeiten Einsteins aus dem Jahre 1905 (Einstein (1905 a) und (1905 b)) gewissermaßen Durchgangsstufen zu einer ,Prinziptheorie' wie die der speziellen Relativität (Einstein (1905)) sind: „In addition to suggesting solutions for the problems photoelectric effect and Brownian motion, Einstein also sought to demonstrate in the first t w o papers the insufficiency of mechanics, electromagnetism, and thermodynamics in volumes where fluctuation phenomena could not be overlooked; and then propose, in the third paper of vol. 17 [der „Annalen der Physik"], a theory of principle as a new beginning f o r problems concerning the constitution of matter (Miller (1981), 135 f.).
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sung der Gedanken aneinander. In beiden Fällen sind Hypothesen wichtig. Anpassung der Gedanken an die Tatsachen ist für Mach nichts anderes als „Beobachtung" (cf. EL, 164 f.). Beobachtung liefert aber stets nur mehr oder weniger isolierte Tatsachen. Solche isolierten Tatsachen, wie sie im Leben der ,Primitiven' ebenso auftreten wie in der Wissenschaft, „gibt es nur infolge der Beschränktheit unserer Sinne und unserer intellektuellen Mittel. Instinktiv und unwillkürlich spinnen die Gedanken eine Beobachtung fort, indem sie die [direkt beobachtete] Tatsache in bezug auf ihre Teile, oder ihre Folgen, oder ihre Bedingungen ergänzen" (EL, 232). Solche gedanklichen Ergänzungen von Beobachtungen sind Hypothesen. An der Nützlichkeit, Wichtigkeit und (wie das gerade gegebene Zitat schon zeigt) Unvermeidlichkeit von Hypothesen schon auf der Beobachtungsstufe läßt Mach gar keinen Zweifel. 7 Auch auf der Ebene der Anpassung der Gedanken aneinander, der eigentlichen Theorieebene, spielen Hypothesen eine zentrale, vor allem heuristisch den Fortgang der Wissenschaft fördernde Rolle. 8 In gewisser Weise kann man sagen, daß bei der Machschen — an Duhem orientierten — holistischen Theorie-Konzeption (cf. EL, 244) wissenschaftlicher Fortschritt zu einem Teil in Hypothesen-Adjustierung innerhalb des Theoriesystems besteht, wie sie teils durch neue bzw. neuinterpretierte Erfahrungen, teils durch Einführung neuer Hypothesen oder Gesetze notwendig wird. Der andere, für Mach wesentlichere Teil wissenschaftlichen Fortschritts besteht aber in der möglichst vollständigen Ersetzung der Hypothesen durch Beschreibung von Tatsachen9: „Die werdende Wissenschaft bewegt sich in Vermutungen und Gleichnissen [...]. Je mehr sie sich aber der Vollendung nähert, desto mehr geht sie in bloße direkte Beschreibung des Tatsächlichen über. [...] Die Hypothese führt also in ihrer selb st^erstörenden Funktion endlich zum begrifflichen Ausdruck der Tatsachen" (EL, 248). Hypothesen sind also für Mach nützliche, notwendige, wenn auch letztlich transitorische Elemente der Wissenschaft. Andererseits bilden sie 7
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Zusammenhängende Ausführungen über Hypothesen mit zahlreichen Beispielen im Kapitel „Die Hypothese" von EI. (232 ff.). Beispiele hierfür finden sich in dem in Anm. 7 genannten Kapitel sowie an vielen anderen Stellen in den historisch-kritischen Schriften Machs. Verwiesen sei nur auf zwei Beispiele in der Optik (O., 226 und O., 291), die die Entwicklung der Gesetze der Periodizität des Lichts bzw. die Auffassung des Lichts als mechanische Schwingung betreffen. Machs Tatsachenbegriff ist, komplementär zu dieser radikalen Forderung, ziemlich weit. An der zitierten Stelle nennt er die transversale Schwingung des Lichts mitsamt dem dafür als Träger notwendig erachteten Äther eine ,Tatsache'! Zutreffende Ausführungen zum Machschen Tatsachenbegriff in Weinberg (1937), 17 f. (cf. ferner unten § 19 für eine ausführlichere Darstellung).
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eine Versuchung, noch nicht Nachgewiesenes für schon existierend zu halten bzw. sich auf Bereiche zu beziehen, die empirischer Bestätigung grundsätzlich verschlossen sind, und verleiten so zu unberechtigten Existenzbehauptungen (ζ. B. absoluter Raum, Atome). Hier beginnt für Mach das Feld des Erdichteten, Müßigen und Metaphysischen, für das in ernsthafter Wissenschaft kein Platz sei (cf. z. B. P., 244), und hier gilt für ihn kategorisch ,hypotheses non fingo'. Hypothetische Theorien sind „geduldete Hilfsmittel, dürfen aber nie zur Hauptsache gemacht werden." 10 Einstein hingegen hat 1919 erstens die Forderung der Überführung von Groß-Hypothesen in empirisch (durch ,Erschauen') nahegelegte Prinzipien aufgegeben und zweitens geht (wie auch schon 1905) seine Auffassung von möglicher empirischer Bestätigung über diejenige Machs hinaus, wie im vorigen Paragraphen am Beispiel des empirischen Nachweises von Atomen gezeigt wurde. Dieser letzte Punkt steht zwar nicht im Gegensatz zu methodologischen Regeln Machs; wohl aber widerspricht er der Machschen Anwendung einer solchen Regel (§ 6). Mit Blick auf den ersten Punkt und vielleicht auch für den Fall, daß Mach sich der Einsteinschen Anwendung tatsächlich nicht hätte anschließen können, hätte für ihn der Eindruck nahegelegen, daß Einstein Hypothesen ,zur Hauptsache* gemacht habe. Man beachte freilich, daß dieser Gegensatz mehr als drei Jahre nach Machs Tod offenbar wurde und daß ein expliziter Be^ug auf Mach hier noch fehlte. Dieser explizite, negative Bezug auf einen Punkt in Machs Methodologie ist schließlich auf der dritten Stufe der Entwicklung der Einsteinschen Theorienkont^eption erreicht. Diese Stufe schließt — jedenfalls soweit die Beziehung zu Mach eine Rolle spielt — die Ausbildung von Einsteins Methodologie ab. Ihr Beginn läßt sich auf die Zeit 1921/1922 terminieren. Öffentlichen Ausdruck findet sie erstmals in der Sitzung der „Societe fran^aise de Philosophie" in Paris am 6. April 1922 (Thema der Sitzung: La theorie de la relativite). Auf eine entsprechende Frage von Emile Meyerson antwortet Einstein:
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So heißt es im 4. Abschnitt der ,Allgemeinen Bemerkungen' eines „Entwurf einer Lehrinstruction für den physikalischen Unterricht an Mittelschulen", den Mach auf ministerielle Aufforderung verfaßte. O b dieser ,Entwurf publiziert worden ist, konnte ich nicht feststellen. Ich zitiere nach dem Manuskript (VAT). Eine Abschrift des .Entwurfs' befindet sich in (SMI). Ähnlich kritisch wie im .Entwurf äußert sich Mach in P., 259 zu falsch verstandenen Hypothesen: „Hypothesen werden [...] nachteilig und dem Fortschritt gefährlich, sobald man ihnen mehr traut als den Tatsachen selbst, und ihren Inhalt für realer hält, als diese, sobald man, dieselben starr festhaltend, die erworbenen Gedanken gegen die noch zu erwerbenden überschätzt."
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„il ne parait pas y avoir grande relation au point de vu logique entre la theorie de la relativite et la theorie de Mach. Pour Mach il y a deux points a distinguer: d'une part il y a des choses auxquelles nous ne pouvons pas toucher: ce sont les donnees immediates de l'experience: d'autre part, des concepts que nous pouvons au contraire modifier. Le systeme de Mach etudie les relations qui existent entre les donnees de l'experience; l'ensemble de ces relations c'est, pour Mach, la science. C'est la un point de vue mauvais; en somme, ce qu'a fait, c'est un catalogue et non un systeme. Autant Mach Jut un bon mecanicien,
autant il fut un deplorable philosophe (Hervorhebung G. W.). Cette vue courte sur la science le conduisit ä rejeter l'existence des atomes. II est probable que si Mach vivait encore aujourd'hui, il changerait d'avis. Je tiens pourtant ä dire, sur ce point: que les concepts peuvent changer, — je suis en complet accord avec Mach" (Einstein, in: Societe fra^aise de philosophic (ed.) (1922), 111 f.).
Einstein behauptet also im Frühjahr 1922: (1) Es besteht keine besondere logische Beziehung zwischen Machs Lehren und der Relativitätstheorie. Diese These Einsteins stimmt mit dem, was bisher gezeigt wurde, durchaus überein und kann nicht als eine Herabsetzung des Machschen thematischen Einflusses verstanden werden, motiviert etwa durch den (für Mach ungünstigen (s. u.)) Augenblick ihrer Äußerung. 11 Ein ,logischer' Einfluß kann ja allenfalls über das Machsche Prinzip erfolgt sein. (2) Machs Theorieauffassung besteht nach Einstein a) in der Annahme unveränderlicher, unmittelbar gegebener Erfahrungen, b) in veränderlichen Begriffen und c) darin, daß Wissenschaft nichts anderes sei als ein Katalog der zwischen den unmittelbar gegebenen Erfahrungen bestehenden Beziehungen. Bis auf das Element b) ist Einsteins Mach-Interpretation unzutreffend. (Zu a) Mach vertritt keineswegs jenes starre Zweistufenkonzept von Beobachtung und Theorie, wie es im Wiener Kreis zeitweise en vogue war und das Einstein Mach hier offenbar unterstellt. Er favorisiert vielmehr das Konzept der ,Theoriebeladenheit' der Erfahrung, wie es in der heutigen
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Schon 1915, als Einstein noch ganz in Machs methodologischen Spuren wandelte, schrieb er an Moritz Schlick: „Sehr richtig sind auch Ihre Ausführungen darüber, daß der Positivismus die Rel[ativitäts]theorie nahelegt, ohne sie indessen zu fördern." Weiter spricht Einstein hier an, was er bis zum Ende seines Lebens noch öfter wiederholen sollte: „Auch darin haben Sie richtig gesehen, daß diese Denkrichtung (der Positivismus, G . W.) v o n großem Einfluß auf meine Bestrebungen gewesen ist, und zwar E. Mach und noch viel mehr Hume, dessen Traktat über den Verstand ich kurz v o r A u f f i n d u n g der Relativitätstheorie mit Eifer und Bewunderung studierte. Es ist sehr gut möglich, daß ich ohne diese philosophischen Studien nicht auf die Lösung gekommen wäre" (undatierter Brief (Poststempel 1 4 . 1 2 . 1 9 1 5 ) Einsteins an Schlick (EAP)).
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Wissenschaftstheorie heißt 12 : „Die beiden Prozesse, der Anpassung der Vorstellungen an die Tatsachen [d. h. Beobachtung] und der Anpassung der ersteren aneinander [d. h. Theorie], lassen sich in Wirklichkeit nicht scharf trennen. [...] Wir finden ja, wenn wir zu vollem Bewußtsein erwachen, schon ein recht reiches Weltbild in uns vor"; oder: „Auch Beobachtung und Theorie sind nicht scharf zu trennen, denn fast jede Beobachtung ist schon durch Theorie beeinflußt und äußert bei genügender Wichtigkeit andererseits ihre Rückwirkung auf die Theorie" (EI., 164 f.). D. h., physikalische Erfahrungen als Resultate eines ausschließlich durch die Sinnesorgane und mittels elementarer Begriffsbildungen erfolgenden Umgangs mit der Natur im Sinne einer ,reinen' und unveränderlichen Datenerfassung lassen sich nach Mach nicht einmal eindeutig identifizieren, ja sind in bestimmter Hinsicht gar nicht möglich. Es gibt nach Mach auch keine kulturelle tabula rasa, die völlig elementare, von jeder theoretischen Verunreinigung freie Beobachtungsresultate ermöglicht, deren Katalogisierung dann Wissenschaft wäre. Ferner ist zu beachten, daß Wissenschaft als öffentliches Unternehmen bei Mach „notwendig sprachlichen Ausdruck finden" (EI., 167) muß. D. h., Wissenschaft hat notwendig begrifflich-sprachliche Form. Auch die Sinnesempfindungen, welche den empirischen Gehalt von Begriffen bestimmen, müssen begrifflich ausgedrückt werden, um kommunizierbar zu sein. D. h., auch das empirische Tatsachenmaterial der Wissenschaft unterliegt — Einstein schreibt ganz zu Recht Mach eine entsprechende Lehre zu — der sich auf der begrifflichen Ebene vollziehenden Veränderung durch den wissenschaftlichen Fortschritt. Im Zuge einer veränderten theoretischen Einstellung sieht man eben auch manchmal,dieselben' Tatsachen anders. Es ist nach Mach zwar wünschenswert, Tatsachen und theoretische Zutaten soweit wie möglich zu trennen. Vollständig läßt sich diese Operation im allgemeinen aber nicht durchführen, da Wissenschaftler auch geschichtliche Wesen sind. Weiter ist zu beachten, daß in die Wissenschaft nur ausgewählte Aspekte des Tatsächlichen eingebracht
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Die Theoriebeladenheit scheint man erst nach einigen Irrwegen und unter Begleitung lauter Fanfarenstöße, die vermeintlich Neues anzukündigen pflegen, neuerdings wieder .entdeckt' zu haben. Auch Poppers Logik der Forschung kennt die Theoriebeladenheit, allerdings ebenfalls ohne Mach zu würdigen (cf. Popper (1969), 31). Der Kontext suggeriert sogar einen Gegensatz zu Mach! Das wohl deswegen, weil die Theorie«»abhängigkeit der Beobachtung für Popper wesentlicher Bestandteil des ,Instrumentalismus' ist. Für eine Kritik dieses Verständnisses von ,Instrumentalismus' cf. Giedymin (1976), Shapere (1974) und vor allem — auch auf Mach bezogen — die ausgezeichnete Dissertation von Curd (1978).
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werden können. 13 Die Hinzunahme neuer, bislang nicht beachteter Aspekte führt dann auch wieder zu einer Modifikation der ,empirischen Basis'. Für den Fall, daß Einstein mit den unter a) erwähnten und Mach zugeschriebenen, unveränderlichen, ,donnees immediates de l'experience' nicht unmittelbare Erfahrungen in einem unspezifischen, nichtterminologischen Sinn gemeint, sondern auf die Machschen ,Elemente' gezielt haben sollte, sei daraufhingewiesen, daß (cf. § 11) die Machsche Erkenntniskritik keinen konstitutiven Teil seiner Methodologie bildet. Man kann nach Machscher Methode Physik treiben, ohne sich um Machs Erkenntniskritik zu kümmern, solange man nicht aus anderen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen (ζ. B. Realismus) in physikalischen Sätzen unhaltbare Folgerungen zieht (ζ. B. Existenz eines absoluten Raumes). Doch Einstein hat mit seiner These von der wichtigen Rolle angeblich unveränderlicher Erfahrungsgegebenheiten in Machs Theorie auch dann noch unrecht, wenn man annimmt, die Elementenlehre Machs ließe sich von seiner Methodologie nicht trennen. Denn erstens kommt es nach Mach in der Wissenschaft nicht auf die einzelnen Elemente, sondern auf deren regelmäßige funktionale Beziehungen an. Wissenschaft hat nach Mach keineswegs die Aufgabe, isolierte Elemente als eine Art Substanzen zu beschreiben. Sie stellt vielmehr allenfalls eine „Beständigkeit der Verbindung" zwischen Elementen fest (cf. Α., 270; W., 423; M., 6; EL, 30). Das ist gerade die Pointe der Machschen Kritik des traditionellen Substanzbegriffs (cf. die beiden zuerst angegebenen Textstellen). Naturwissenschaftliche Sätze drücken solche Beständigkeiten der Verbindung aus und unterliegen, weil begrifflich, natürlich möglicher Revision. Es gibt eben in der Machschen Erkenntnislehre kein fundamentum inconcussum, an das man sich in jeder Situation und für alle Zeiten halten könnte: „Eine wirkliche bedingungslose Beständigkeit gibt es nicht" (Α., 270). Die jeweiligen Elemente sind in ihrer konkreten Bestimmung „ v o r l ä u f i g ' (EL, 12). Das ist ein zentraler Punkt von Machs prinzipiell auf Revision angelegter, einzelwissenschaftlicher Konzeption der Elementenlehre (cf. § 11). Eine Revision dieser Lehre ist in dem Augenblick fällig, in dem sie ihre erkenntniskritische Funktion nicht mehr erfüllt. (Zu c) Einsteins inkorrekte Darstellung der Machschen Auffassungen mag damit zusammenhängen, daß er Machs Denken in der Retrospektive 13
Niemand kann über eine Tatsache in allen ihren Aspekten und Dimensionen verfügen. Cf. auch Machs Ausführungen über .Abstraktion' (EI., 132 f.), die für jede Darstellung v o n Tatsachen unerläßlich ist.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
mit einem ziemlich flachen und nichtssagenden Etikett versieht, dem Etikett ,Positivismus'; ein Etikett übrigens, das er auch seinen eigenen frühen methodologischen Ansichten glaubt anheften zu müssen.14 Worauf dieses Etikett hinweisen soll, zeigt der oben (109) unter c) angeführte Aspekt, den Einstein aus dem Machschen Theoriebegriff glaubt herauspräparieren zu können: Theorie als Studium der Relationen zwischen den unveränderlichen, ,unmittelbaren' Erfahrungsgegebenheiten und Wissenschaft als Katalog der so erhaltenen Ergebnisse. Einstein sieht hier gewiß richtig, daß Wissenschaft nach Mach die Feststellung relativ beständiger funktionaler Abhängigkeiten im Bereich der Empirie anstrebt. Dieser Bestimmung von Wissenschaft wird zunächst niemand widersprechen, auch Einstein nicht. Was aber Einsteins (und vorher schon Plancks) Widerspruch hervorgerufen hat, ist die Mach zugeschriebene Auffassung, daß Wissenschaft sich mit dieser Tätigkeit erschöpfe, daß sie nicht ,mehr sei als der Katalog funktionaler Beziehungen zwischen Erfahrungen, daß möglichste Vollständigkeit dieses Katalogs das eigentliche Ideal der Wissenschaft sei. Hier hat Einstein sich 1921/22 teilweise der Position Plancks angeschlossen, wie dieser sie in seinem Leidener Vortrag (1908) mit einer sachlich weitgehend unberechtigten und in der Form taktlosen und aggressiven Polemik gegen Mach vorgetragen hatte. 15 Noch 1913 hatte Einstein Mach gegen Planck in Schutz genommen (cf. §13, 149ff.). Planck unterscheidet in seinem Vortrag von 1908 zwei ,Methoden' des wissenschaftlichen Vorgehens, eine Differenzierung, die deutlich auf Einsteins spätere (1919) Unterscheidung von konstruktiven und Prinziptheorien vorausweist: „ D i e eine M e t h o d e ist die jugendlichere, sie faßt, einzelne E r f a h r u n g e n schnell verallgemeinernd, mit k ü h n e m G r i f f e nach dem G a n z e n und stellt in das Z e n t r u m des Bildes v o n v o r n h e r e i n einen einzigen B e g r i f f o d e r Satz, in den sie n u n mit m e h r oder w e n i g e r E r f o l g die ganze N a t u r samt allen ihren Ä u ß e r u n g e n zu bannen u n t e r n i m m t [...]. D i e andere M e t h o d e ist bedächtiger, bescheidener und zuverlässiger, aber an S t o ß k r a f t s der ersten lange nicht
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Für Einsteins (und weitgehend auch die heutige) unscharfe Rezeption der Machschen Erkenntniskritik und Methodologie sollte man im übrigen eine Ursache nicht übersehen, die Einstein in einem Brief an Kathia Adler erwähnt: „Das Aufsätzchen über Mach [d. i. Einstein (1916 a)] sende ich Ihnen mit gleicher Post. Es ist nicht gerade gut; mein Stil ist schwerfällig und hölzern, meine Litteraturkenntnis dürftig (Hervorhebung, G. W.)" (Brief Einsteins an K. Adler, 20. Februar (vermutlich 1917), (EAP)). Einstein hat sich bei der Mach-Lektüre offenbar vor allem die physikalisch relevanten Dinge gemerkt. : Den literarischen Kern der Kontroverse bilden Planck (1909), Planck (1910) sowie Mach (1910).
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gewachsen und daher auch sehr viel später zu Ehren gekommen: sie verzichtet vorläufig auf endgültige Resultate und malt zunächst nur diejenigen Einzelzüge in das Bild, welche durch direkte Erfahrungen vollständig sichergestellt erscheinen, ihre weitere Verarbeitung späterer Forschung überlassend. Ihren prägnantesten Ausdruck hat sie wohl gefunden in Gustav Kirchhoffs bekannter Definition der Aufgabe der Mechanik als einer ,Beschreibung' der in der Natur vor sich gehenden Bewegungen" (zitiert nach Planck (1969), 28 f.).
Bei aller Wertschätzung der deskriptiven Physik sieht Planck jedoch als Kennzeichen des Fortschritts der Physik das „Zurücktreten des menschlichhistorischen Elements in allen physikalischen Definitionen" (30), wie es die konstruktive Methode auszeichne. Damit ist sowohl die Lösung von Sinneserfahrungen zu verstehen als auch ζ. B. die Abkoppelung der Wissenschaft von ihrer Funktion, bei der Befriedigung von Lebensbedürfnissen zu helfen. Kurz, Fortschritt der Wissenschaft ist für Planck durch die „Emanzipierung von den anthropomorphen Elementen" charakterisiert (49). Was dabei gewonnen wird, ist „die Einheit des Weltbildes" (45). Und da wiederum sind die kühnen, jugendlichen Griffe in die Höhen des Allgemeinen die einzige Methode. Mach hat diese Kritik Plancks zurückgewiesen (Mach (1910)). Dabei kann er vor allem auf die Tatsache aufmerksam machen, daß das Ökonomieprin^ip dasjenige Element seiner Methodologie sei, das als heuristisches und Theorien-Selektionsprinzip die Richtung des wissenschaftlichen Fortschritts bestimme. Dieses dynamische methodologische Prinzip besagt, daß Wissenschaft sich möglichst der „übersichtlichen, einheitlichen, widerspruchslosen und mühelosen Erfassung der Tatsachen" (M., 5) anzunähern habe. Es komme darauf an, „möglichst viel auf einmal und in der kürzesten Weise zu beschreiben" (M., 6). Kein Wunder, daß Mach von der MaxwellFaradayschen Theorie, in der elektrische, optische und magnetische Phänomene zusammengefaßt werden, so begeistert war (cf. 68 f. sowie § 6, Anm. 10). Auch die Hertzsche Mechanik, von Planck als Beispiel einer Theorie ersten (kühn hypothetischen) Typs angeführt, fand im wesentlichen Machs methodologische Billigung (cf. M., 252 ff.). Sie beruht vor allem darauf, daß die Hertzsche Mechanik auf nur einem einzigen Grundsatz für alle Systeme bewegter Massenpunkte aufbaut. Hertz' Mechanik bedeutet „einen großen Fortschritt" (M., 254), auch wenn sie vorerst nur einem „schönen Idealbild" (M., 256) entspricht und ein „ideales Programm" (M., 257) darstellt, angesichts dessen — von Hertz „mit der ihm eigenen Aufrichtigkeit" (M., 258) zugegeben — sich für Anwendungen nach wie vor „unsere gewöhnliche Mechanik" (ebd.) empfiehlt. Kein Wunder also, daß
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Mach gegenüber dem Planckschen Vorwurf wenig Verständnis zeigte, er (Mach) stehe mit seinen methodischen Anschauungen dem wissenschaftlichen Fortschritt hin zu einem einheitlichen Weltbild im Wege: Gegen die Einheit des Weltbildes hat „gewiß niemand etwas einzuwenden [...], am allerwenigsten der Vertreter der Denkökonomie, selbst wenn diese Vereinheitlichung nur eine vorläufige, hypothetisch-fiktive sein sollte" (Mach (1910), 602). Mach stimmt also dem Planckschen Zielpunkt der wissenschaftlichen Entwicklung zu, ohne freilich die Planckschen (und Einsteinschen) Motive dafür zu teilen: Für Mach ist eben die kontemplativ-theoretische Erfassung der ,Wirklichkeit' nicht der letzte Zweck der Wissenschaft: „Die biologische Aufgabe der Wissenschaft ist, dem vollsinnigen menschlichen Individuum eine möglichst vollständige Orientierung zu bieten. Ein anderes wissenschaftliches Ideal ist nicht realisierbar, und hat auch keinen Sinn" (Α., 29 f.). 16 Dieser an geschichtliche Bedürfnisse des Menschen gebundene, letztlich stets praktische Zweck der Wissenschaft steht in erheblichem Kontrast zu Plancks kontemplativ-theoretischer „Forderung eines konstanten, von dem Wechsel der Zeiten und Völker unabhängigen Weltbildes" (Planck (1969), 49), das konsequenterweise impliziert, daß „der Physiker, wenn er seine Wissenschaft fördern will, (philosophischer, G. W.) Realist sein [muß], nicht (Denk-, G. W.) Ökonom" (Planck (1910), 1190). Wegen dieser M a n schen Bindung der Wissenschaft an die Lebenspraxis kann die von Einstein und Planck favorisierte, in ihren obersten Sätzen der sinnlichen Alltagserfahrung ferne, ent-anthropologisierte, konstruktive Hypothesenphysik für Mach nur vorübergehende Bedeutung haben. Getreu dem Ökonomieprinzip füllt sie hypothetisch und provisorisch die Lücken, die einer möglichst einheitlichen Beschreibung der Tatsachen noch entgegenstehen. Es bleibt die Aufgabe, so Mach, die Hypothesen Schritt für Schritt durch Beschreibung der Tatsachen zu ersetzen. Die vollkommene Form der Wissenschaft ist also für Mach tatsächlich der von Einstein so genannte Katalog der Beziehungen zwischen den empirischen Gegebenheiten. Freilich ein Katalog — und dies verkennt Einstein —, der sich durchaus auf dem Allgemeinheits- und Einheitlichkeitsniveau konstruktiver Theorien befindet. Daß
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Ausführlichere Erörterungen dazu in Wolters (1986). Drude (1895), 1 gebraucht die Formulierung, daß theoretisch-spekulative Konzeptionen noch nicht die „naturphilosophischefn] Eierschalen" abgelegt hätten. Auch Mach bestreitet im übrigen nicht, daß auch der Instrumentalist ein .Weltbild' braucht, allerdings nur als Mittel: „Um uns mit unserer Umgebung in irgendein Verhältnis zu setzen, bedürfen wir eben eines Weltbildes" (W., 394) (cf. § 2).
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Einstein (und Planck) diese Machsche Intention und die Tendenz seines Denkens zu Einheit und Allgemeinheit verkennen, liegt wohl an Mach — genauer an seiner Weigerung, Einsteins und Plancks konstruktiver Paradetheorie, der mechanischen Wärmelehre, einen deskriptiven Wert zuzuerkennen. Es ist eben auch hier der schon erwähnte Mangel in Machs Konzeption des Begriffs möglicher Erfahrung 17 , der schwere MißVerständnisse seiner methodologischen Position geradezu provoziert hat. Machs fast eigensinniges Beharren darauf, daß ,in the long run' (cf. W., 461) Hypothesen der Beschreibung des Tatsächlichen zu weichen hätten, scheint für Einsteins spätere und — so wie sie vorgetragen wird — verfehlte Standardkritik an Mach verantwortlich zu sein: Mach habe das ,freie konstruktive Element' physikalischer Begriffsbildung verkannt, habe nicht gesehen, daß ,die Grundbegriffe und Grundgesetze der Physik' „im logischen Sinne freie Erfindungen des menschlichen Geistes" sind (cf. Einstein (1953), 116). 1 8 Diesen offenbar auch von anderen als Einstein, allerdings schon zu Lebzeiten Machs erhobenen Vorwurf, „die Spontaneität' und selbständige Gesetzlichkeit' des Denkens gänzlich übersehen zu haben" (Α., 297), kontert Mach leicht gereizt mit dem Hinweis auf die bei seinen Kritikern verbreitete „Unkenntnis" seiner Schriften. Bei der Bildung von Begriffen und Theorien können und müssen sich auch nach Mach jene kreativen Potenzen entfalten, die nach Einsteins Meinung in Machs Konzeption von Wissenschaft als Katalog zu kurz kommen. Der
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Mach wird durch seine Sorge vor .müßigen', .metaphysischen' Spekulationen zu seinem eingeschränkten und inadäquaten Erfahrungsbegriff verleitet. Einstein scheint Mach hier eine Art Induktivismus zu unterstellen. Dies legt jedenfalls eine Formulierung in seinem Brief an Carlton Berenda Weinberg ((EAP), 1.12.1938) im Zusammenhang mit dessen Mach-Dissertation nahe: Mach „irrte aber nach meiner Ansicht darin, daß er es oft so darstellt, als wachse die begriffliche Erkenntnis gewissermaßen von selbst, d. h. ohne logische Willkür bezw. ohne freie Begriffsschöpfung aus dem sinnlich Gegebenen heraus." Einsteins eigene Auffassung trifft sich durchaus mit derjenigen Machs: „Alles Begriffliche kann seine Berechtigung nur auf seiner Be^iehbarkeit auf das, aber keineswegs auf eine Ableitbarkeit aus dem sinnlich Wahrnehmbaren gründen" (Einstein, ebd.). Mach drückt seine im wesentlichen gleiche Auffassung so aus: „Unsere Begriffe sind in der Tat selbstgemachte, jedoch darum noch nicht ganz willkürlich gemachte, sondern aus einem Anpassungsstreben an die sinnliche Umgebung hervorgegangen" (M., 253; cf. EI., 382 f.). Ferner ist Machs .Erschauen' Ausdruck seines antiinduktivistischen Konzepts. Noch ein Zitat: „Wer sich mit Forschung oder Geschichte der Forschung beschäftigt hat, wird schwerlich glauben, daß Entdeckungen nach dem Aristotelischen oder Bacon'sehen Schema der I n d u k t i o n (durch Aufzählung übereinstimmender Fälle) zu Stande kommen. Da wäre ja das Entdecken ein recht behagliches Handwerk" (W., 445). Eine ausführliche Kritik des Induktivismus liefert das Kapitel „Deduktion und Induktion in psychologischer Beleuchtung" (EI., 304 ff.).
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Mach und Einstein. Der Einfluß
„Phantasietätigkeit fällt die Hauptarbeit bei Auffindung neuer Erkenntnisse zu" (EL, 319). Es besteht eine „nahe Verwandtschaft der Leistung des Künstlers und Forschers" (W., 445), wenn auch die „Phantasie des Forschers [...] mehr als die künstlerische durch den Verstand an die Schranken der Wirklichkeit, der Realität gebunden" ist (P., 545). Mach schwebt also eine Art dialektisches Verhältnis von spontanem Entwurf und rezeptiver empirischer Einschränkung bei der physikalischen Begriffsbildung vor. Und ganz gewiß betont er die Rolle der Erfahrung. Aber Phantasie, nicht Katalogisiererfolg macht den wirklich schöpferischen Wissenschaftler aus. So ist ζ. B. Newtons Entdeckung des Gravitationsgesetzes keine erbsenzählende Fleißarbeit, sondern eine „Phantasieleistung" (M., 181). Gleichzeitig dient es, einmal aufgestellt, als Katalog. Die Kunst ist es aber im allgemeinen, die katalogisierenden Gesichtspunkte zu finden. Die hierzu nötige schöpferische Kraft nimmt in dem Maße zu, als dem Ökonomieprinzip folgend immer mehr verschiedene Tatsachen unter immer weniger und umfassendere Begriffe gebracht werden. Galileis Fallgesetz ist eine geringere Phantasieleistung als das Newtonsche Gravitationsgesetz. „Schon die bloße genaue Ermittlung des Tatsächlichen und dessen entsprechende Darstellung in Gedanken erfordert mehr Selbsttätigkeit als man gewöhnlich annimmt. Um angeben zu können, daß ein Element von einem oder mehreren andern abhängt und wie diese Elemente voneinander abhängen, welche funktionale Abhängigkeit hier besteht, muß der Forscher aus Eigenem, außer der unmittelbaren Beobachtung Gelegenem hinzufügen. Man darf nicht glauben, dies durch die Bezeichnung als Beschreibung herabsetzen zu können" (EL, 316).
Freilich, und hier deutet sich bei aller Übereinstimmung hinsichtlich des schöpferischen Aspekts von Forschung auch der tiefere Gegensatz zwischen Einstein und Mach an: Während Hypothesen für Mach Vorgriffe sind, die eigentlich nur eine Funktion als ökonomische Verknüpfungen von Tatsachen haben, gestehen ihnen Einstein und Planck eine davon unabhängige spekulativ-metaphysische Funktion zu. Sie erfüllen als solche das metaphysische Bedürfnis nach einem einheitlichen Weltbild, tragen gewissermaßen mit Stolz Drudes ,naturphilosophische Eierschalen' (cf. Einstein (1953), 144). Sie bilden für Einstein die (unsichtbare) Struktur der Welt ab. Dabei kann es mit der Bewährung in ihren empirischen Folgerungen und mit ihrer logischen Kohärenz mit anderen Hypothesen unter Umständen noch lange hin sein. Es ist wohl so, daß letztlich das metaphysische Bedürfnis Einsteins (und Plancks), das in einer realistischen Erkenntnisauffassung seinen Ausdruck
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findet, die wissenschaftsphilosophische Differenz zu Mach ausmacht. Das einheitliche Weltbild' als letztes Ziel der Physik gibt der physikalischen Theoriebildung andere Akzente als Machs Forderung, daß Wissenschaft der theoretischen und praktischen Orientierung zu dienen habe, wofür ein einheitliches Weltbild nur Mittel sein kann. Historisch haben Planck und Einstein gegenüber Mach in gewisser Hinsicht den Sieg davongetragen. Atomtheorien gehören heute — wenn auch in anderem Gewände als zu Machs Zeiten — zum festen Bestand der Physik. Dabei hat ein antimetaphysisches Mißtrauen auf selten Machs womöglich verhindert, daß er die Atomhypothese als von seinen eigenen methodologischen Prinzipien gedeckt erkannte. 19 Ein Widerspruch zwischen Atomhypothese und diesen Prinzipien besteht gewiß nicht. Auch Einstein sah sich ja in seiner Arbeit zur Brownschen Bewegung durchaus als ,Machianer'. Zusammenfassend läßt sich folglich sagen, daß zwischen der Machschen und der Einsteinschen Methodologie kein erheblicher Unterschied besteht.20 Es treten auf dem Gebiet der Methodologie lediglich unterschiedliche Akzentuierungen auf, die vielleicht vor allem damit zu tun haben, daß Einstein einer anderen Forschergeneration angehörte. Viel entscheidender und gewissermaßen osmotisch die partiell kritische Beurteilung der Machschen Methodologie bewirkend, ist dagegen Einsteins wenigstens partielle, allgemein-wissenschaftsphilosophische Abwendung von der Machschen pragmatistisch-instrumentalistischen Wissenschaftskonzeption 21 , insbesondere seine Annahme einer realistischen Erkenntnistheorie. 19
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Auf diese Gleichheit des methodologischen Ansatzes dürfte auch Einsteins eben zitierte Bemerkung von 1922 vor der Pariser „Societe" anspielen, wonach es „probable" sei, daß Mach die Existenz der Atome akzeptieren würde, „si vivait encore aujourd'hui". Eben dies auch ist die reich dokumentierte These von Feyerabend (1984 a). Das geht zeitlich wohl am frühesten aus einem Brief Einsteins an seinen väterlichen Freund, den Züricher Anatomen Zangger, vermutlich aus dem Jahr 1919 hervor, in dem Einstein auf die Nachricht, daß sein ältester Sohn sich mehr für Technisches interessiere, so reagiert: „Vielleicht kommt ihm doch einmal die Einsicht von der Überflüssigkeit der vielen Nützlichkeiten! Ich sollte ursprünglich auch Techniker werden. Aber der Gedanke, die Erfindungskraft auf Dinge verwenden zu sollen, welche das werktätige Leben noch raffinierter machen, war mir unerträglich. Das Denken um seiner selbst willen — wie die Musik! Deswegen habe ich mich auch nie mit dem Mach'schen Ökonomie-Prinzip als letztem psychologischen Agens befreunden können. Es mag richtig verstandene Ökonomie eines der Motive sein, von dem geistige Schönheit abhängt; aber die Triebfeder wissenschaftlichen Denkens ist nicht ein äußeres Ziel, das man erstrebt, sondern die Freude am Denken" (Einstein an Zangger, ca. 1919, Kopie (EAP)). Man beachte Einsteins komplettes Mißverständnis des Machschen Ökonomieprinzips als der Forderung nach möglichst einfacher Tatsachenbeschreibung. Nirgends behauptet Mach, daß das Streben
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Mach und Einstein. Der Einfluß E s ist s c h w e r z u s a g e n , z u w e l c h e m Z e i t p u n k t E i n s t e i n — w o h l u n t e r
dem
Einfluß
schwenkte.
Schlicks
Noch
1918
(cf.
Howard
(1984))
—
s p r a c h er s i c h i n e i n e m
M a t h e m a t i k e r E . S t u d y eindeutig
antirealistisch
zum
Realismus
Brief an d e n
überBonner
aus:
„ , D i e K ö r p e r w e l t ist real'. D a s soll die G r u n d h y p o t h e s e sein. Was heißt da ,Hypothese'? Für mich ist eine H y p o t h e s e eine A u s s a g e , deren Wahrheit einstweilen vorausgesetzt, deren Sinn aber überjede Zweideutigkeit erhaben sein muß. O b i g e A u s s a g e scheint mir aber an sich sinnlos, w i e w e n n man sagte: , D i e K ö r p e r w e l t ist kikeriki.' E s k o m m t mir vor, daß ,real' eine an sich leere, b e d e u t u n g s l o s e Kategorie (Schublade) ist, deren u n g e h e u r e Wichtigkeit nur darin liegt, daß ich g e w i s s e D i n g e hineinthue und g e w i s s e andere nicht [...]. Ich g e b e zu, daß die Naturwissenschaft v o m ,Realen' handelt und bin d o c h nicht ein ,Realist'. [...] Wenn man z w e i beliebige ,Ismusse' v o n allem Unrat säubert, dann w e r d e n sie einander gleich. [ . . . ] Ist Ihr [d. h. Studys] K a m p f g e g e n den Pragmatismus nicht etwas d e m a g o g i s c h ? [...] Sollte es nicht erlaubt sein, die Wissenschaft v o m b i o l o g i s c h e n Standpunkt aus zu betrachten? Was ist schließlich der Pragmatismus anderes?" (Brief Einsteins an Study v o m 24.9.1918 (EAP)). H i e r steht E i n s t e i n n o c h g a n z auf M a c h s Seite, einschließlich P a r t e i n a h m e ( i n F r a g e f o r m ) f ü r d a s M a c h s c h e biologische
seiner
Z i e l aller W i s s e n -
schaft. A u c h ist, w o r a u f H o w a r d ( 1 9 8 4 ) z u R e c h t h i n w e i s t , E i n s t e i n s »Realism u s ' ein sehr k o m p l e x e s P h ä n o m e n , „a s o p h i s t i c a t e d variety o f scientific realism" ( a . a . O . , 616), u n d durchaus verschieden v o n Plancks Version.22 A l s e i g e n t l i c h e r ,Realist' in e i n e m z i e m l i c h m o d e r a t e n Sinn ( v o n
22
einem
nach Denkökonomie das treibende psychologische Motiv des individuellen Wissenschaftlers sei. Denkökonomie ist vielmehr Selektionskriterium im Wissenschaftsprozeß und heuristischer Leitfaden der Theoriebildung und des Verstehens des wissenschaftlichen Fortschritts. Das gleiche Mißverständnis wie bei Einstein findet sich auch schon in Plancks Leidener Rede gegen Mach (cf. Planck (1969), 50). Mach hat sich schon 2u Lebzeiten dagegen gewehrt: „Man wirthschaftet selbstredend nicht, um zu wirthschaften, sondern um zu besitzen, beziehungsweise um zu genießen. Die Methoden, durch welche das Wissen beschafft wird, sind ökonomischer Natur. Welcher Gebrauch von dem erworbenen Wissen gemacht wird, [...] hat mit der Natur der wissenschaftlichen Methoden nichts zu schaffen" (W., 391). Es kann hier nicht gezeigt werden, daß sich die subtileren Aspekte, insbesondere die konventionalistische Färbung des Einsteinschen Realismus ebenfalls als Machsches Erbe auffassen lassen. Dies gilt insbesondere für die von Howard hervorgehobene Einsteinsche These von der Unterbestimmtheit der Theorie durch die Erfahrungsdaten, d. h., die These, daß ein und dasselbe Erfahrungsmaterial verschiedene Theorien erlaubt. Für die entsprechenden Machschen Ausführungen (bezüglich der Raumtheorie) cf. EI., 414. Besonders aufschlußreich für den nach wie vor äußerst engen Betrug Einsteins Mach ist Einstein (1936).
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„Modell der realen Welt" (Hervorhebung G. W.) ist dort die Rede) bezeichnet sich Einstein, soweit erkennbar, erst ziemlich spät in einem Brief an Schlick (28. November 1930 (EAP)). Während sich das Aufkommen von Einsteins moderatem Realismus nicht genau terminieren läßt, kann für seine spätere Standardkritik an Mach, dieser habe das freie konstruktive Element physikalischer Begriffsbildung nicht beachtet, ein Terminus a quo angegeben werden: es ist der Pariser Vortrag vom 6. April 1922. Noch am 3. 6.1920, in einem Brief an Hans Reichenbach (Kopie (EAP)) hatte Einstein besonders pointiert auf den Erfahrungsbezug der Begriffe hingewiesen: „Begriffe sind eben leer, wenn sie aufhören, mit Erlebnissen fest verkettet zu sein. Sie gleichen Emporkömmlingen, die sich ihrer Abstammung schämen und sie verleugnen wollen." Dieses Bild erinnert sehr an Machs Kennzeichnung der metaphysischen als derjenigen Begriffe, „von welchen wir vergessen haben, wie wir dazu gelangt sind" (EA., 2). Noch „im Vorsommer 1921" (Anm. des Herausgebers in Einstein (1953), 198) hatte Einstein bei einem Vortrag vor der „Royal Society of London" betont, daß die Relativitätstheorie „nicht spekulativen Ursprungs ist, sondern daß sie durchaus nur der Bestrebung ihre Entdeckung verdankt, die physikalische Theorie den beobachteten Tatsachen so gut als nur möglich anzupassen [...]. Das Aufgeben gewisser bisher als fundamental behandelter Begriffe über Raum, Zeit und Bewegung darf nicht als freiwillig aufgefaßt werden, sondern nur als bedingt durch beobachtete Tatsachen" (Einstein (1953), 132). Ein knappes Jahr später in Paris hört sich das alles ganz anders an. Es ist die Mach zugeschriebene Ablehnung der Relativitätstheorie im Vorwort zur Optik (1921), die vielleicht den entscheidenden Anstoß zu diesem letzten Schritt (1922) in Einsteins Neuakzentuierung 23 gegeben hat. Hierauf deutet zunächst einmal Einsteins leicht verärgerte Bemerkung über den „deplorable philosophe" Mach hin, die, so oder ähnlich, ein Hapax legomenon bleiben sollte. Einstein mußte damals glauben, daß Mach auf seine erste philosophische Todsünde, die Leugnung der Existenz der Atome, nun auch noch eine zweite, die Ablehnung der Relativitätstheorie, draufgesetzt habe. Holtons Beschreibung von Einsteins mutmaßlicher Reaktion („deeply disappointed", „at heart very painful", Holton ((1973 a), 230 f.) leuchtet ein. 23
Schon Herneck (1959), 564 vermutet richtig auf der überaus geringen Datenbasis eines Zitats aus einem Brief Einsteins an Mach, daß Einsteins Pariser Urteil über den Philosophen Mach „wesentlich stimmungsbedingt [...] als Ausdruck einer tiefen und berechtigten Enttäuschung" zu verstehen sei.
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Daß Einstein am 6. April 1922 auf der Pariser „Seance" vom OptikVorwort bzw. von Machs angeblicher Ablehnung der Relativitätstheorie wußte, läßt sich sicher nachweisen, selbst wenn man annimmt, daß Ludwig Mach, der Herausgeber der (posthumen) Optik, kein Exemplar dieses Buches an Einstein geschickt hat, oder Einstein zwar eines erhalten, aber keinen Blick ins Vorwort geworfen hat. Daß Einstein am 6. April 1922 Bescheid wußte, ergibt sich aus seiner Karte an Hans Reichenbach vom 27. März 1922 (Kopie (EAP)), die die Rücksendung der Korrekturfahnen von Reichenbach (1922) begleitete. In dieser Arbeit hatte Reichenbach über den „gegenwärtigen Stand der Relativitätsdiskussion" berichtet. Einstein bedachte den Artikel mit viel Lob und detaillierter Kritik. Sie betraf ζ. B. auch Reichenbachs Petzoldt-Darstellung. Diese steht im Abschnitt II („Die auf Mach zurückgehenden Auffassungen") von Reichenbach (1922), wo auf S. 330 f. auch ausführlich von Machs vermeintlicher Ablehnung der Relativitätstheorie die Rede ist. Es ist schwer vorstellbar, daß Einstein zwar die Petzoldt-Kritik zwei Seiten weiter (333 f.) genau gelesen, aber das Mach Betreffende nicht zur Kenntnis genommen haben sollte. Für Einsteins sehr genaues Lesen des ganzen Artikels spricht auch, daß er Reichenbach auf Fehlendes hinweist (Eingehen auf Kretschmann). Für das Verhältnis Machs zu Einstein bleibt festzuhalten, daß es bis zum Tode Machs kein für Mach sichtbares Signal gegeben hat, mit dem Einstein eine Abwendung von der Machschen Methodologie deutlich gemacht hätte. Einsteins erste Neuakzentuierungen fallen gewiß nicht vor das Jahr 1919. Oder anders ausgedrückt: es gab für Mach keinen Anlaß, Einstein wegen methodologischer Abweichungen gram zu sein. Mach mußte bis zu seinem Tode (1916) in Einstein einen guten Empiristen sehen. § 8 Der Einfluß VI: Machs Persönlichkeit. Mit einem Exkurs %ur Frage: Hat sich Machs positive Einstellung r$um Sozialismus geändert? In den vorangehenden Paragraphen wurde der wissenschaftliche und philosophische Einfluß Machs auf Einstein dargestellt und gezeigt, wie Einstein unermüdlich auf die Bedeutung Machs für sein Denken hingewiesen hat. Dies ist der rationale Faktor in der Beziehung zwischen beiden. Neben rationalen Faktoren spielen in der Wissenschaft wie auch sonst im Leben aber auch nicht-rationale Kriterien eine mehr oder weniger wichtige Rolle bei der Annahme oder Ablehnung von Theorien durch einzelne
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Wissenschaftler, ob man dies nun für wünschenswert hält oder nicht. So war etwa die jüdische Abstammung Einsteins für manche deutsche Physiker und Philosophen ein willkommener Anlaß, die Relativitätstheorie zu verwerfen. Zu den nicht-rationalen Faktoren gehört auch die Persönlichkeit des Forschers, die sogar ein nicht unbedeutendes Motiv für Annahme oder Ablehnung seiner Theorie sein kann. Gewiß ist es schwierig, hier im Einzelfall stringent Wirkungen aufzuzeigen. Dies soll im Folgenden auch gar nicht versucht werden. Vielmehr geht es darum, plausibel zu machen, daß bestimmte Persönlichkeitszüge und Anschauungen Machs Einstein bekannt waren; ferner, daß Einstein diese geschätzt hat 1 , und daß umgekehrt Mach wiederum von dieser persönlichen Kongenialität Einsteins angetan gewesen ist, oder doch wenigstens, daß Mach keinerlei Ursache hatte, gegen Einstein persönlichen Groll zu hegen. Welch großen menschlichen Eindruck Mach auf Einstein gemacht hat, zeigt sich in dessen Nachruf: „Bei ihm [Mach] war die unmittelbare Freude am Sehen und Begreifen, Spinozas amor dei intellectualis, so stark vorherrschend, daß er bis ins hohe Alter hinein mit den neugierigen Augen des Kindes in die Welt guckte, um sich wunschlos am Verstehen der Zusammenhänge zu erfreuen" (Einstein (1916 a), 101). Diese Bemerkung aus dem ersten Abschnitt des Nachrufs auf Mach klingt — wie schon in § 1 erwähnt — beileibe nicht wie ein Kollegennachruf und zeichnet sich in ihrem geradezu zärtlichen Ton auch unter den bekannt einfühlsamen sonstigen Nachrufen oder Würdigungen aus Einsteins Feder aus. 2 Dies ist umso erstaunlicher, als Einstein Mach ja nur ein einziges Mal gesehen hat, während er ζ. B. mit Lorentz sehr viel zusammen war und Lorentz' eigene wissenschaftliche Arbeit in engstem Bezug zur inhaltlichen Gestalt der Einsteinschen Physik, insbesondere der Relativitätstheorie, stand. Manches spricht dafür, daß Einsteins erste indirekte Bekanntschaft mit dem Menschen Mach durch die Vermittlung Friedrich Adlers (1879 — 1960)
1
2
Cf. Miller (1981), 126: „nevertheless he [i.e. Einstein] remained impressed with certain of Mach's personal characteristics (many of which were similar to his own)." Auch Herneck (1984), 42 f. hebt, gestützt auf ein Gespräch mit Max v. Laue, den Aspekt des persönlichen Einflusses hervor. Eine ähnlich persönliche Zuneigung zeigt der Gedenkartikel Einsteins auf Η. A. Lorentz (cf. Einstein (1953), 29 — 32). Für andere Nachrufe und Würdigungen cf. etwa Einstein (1913 b), (1919) sowie viele weitere in Mein Weltbild (Einstein (1953)). Einsteins MachNachruf ist im Unterschied zur Meinung seines Verfassers keineswegs „schwerfällig und hölzern" (cf. § 7, Anm. 14).
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erfolgte. 3 Beide waren Kommilitonen am Züricher Polytechnikum. Adler war 1907 — 1911 Privatdozent an der Züricher Universität. Als Sohn von Viktor Adler, dem Begründer der österreichischen Sozialdemokratie, war Friedrich Adler in Zürich auch für die dortigen Sozialdemokraten tätig. 1909 war in Zürich ein Extraordinariat für theoretische Physik zu besetzen. Wie Frank ((1949), 129 f.) berichtet, wollte die mehrheitlich von Sozialdemokraten besetzte Kommission den Genossen Adler auf diese Stelle setzen. Adler lehnte jedoch unter Hinweis auf die überlegene Qualifikation Einsteins ab und empfahl dringend, diesen zu berufen. Das war für Einstein nicht irgendein Ruf, sondern die Erlösung aus dem Berner Patentamt sowie der — wenn auch bescheidene — Beginn der ersehnten Universitätslaufbahn. Der Mann aber, dem er dies verdankte, war nicht nur Physiker und Sozialdemokrat, sondern auch ein glühender Verehrer Machs. Dies zeigen vor allem seine Korrespondenz mit Mach (AAW) und seine MachMonographie (Adler (1918)). Clark (1971) berichtet ferner, daß Einstein nach seiner Übersiedlung nach Zürich (1909) im selben Haus wie Adler wohnte und daß zwischen beiden enge Kontakte bestanden. 4 Es liegt also nahe, daß sich etwas von Adlers Begeisterung für die Persönlichkeit Machs auch auf Einstein übertragen hat. Dies um so mehr, als Einstein zu jener Zeit bei aller Selbständigkeit seiner wissenschaftlichen Arbeit in erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Fragen ganz auf selten Machs stand. Ferner hatte die Lektüre von Machs Schriften in der ominösen Berner „Akademie Olympia" eine wichtige Rolle gespielt. 5 In diesem, man 3
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Zu Werk und Person Friedrich Adlers vgl. Braunthal (1965). Adler, der sich ab 1911 ganz der Politik zuwandte, kam nur noch in einer Phase seines Lebens zu eigentlich wissenschaftlicher Arbeit (cf. Adler (1918), (1920)), nämlich im Zuchthaus: Im Jahre 1916 ermordete er den österreichischen Ministerpräsidenten von Stürgkh, um gegen den Krieg zu protestieren und ein Zeichen gegen die Mehrheit der österreichischen Sozialdemokratie zu setzen, die den Kriegskrediten und damit dem Krieg zugestimmt hatte. Adler wurde zum Tode verurteilt, dann aber begnadigt und zu Kriegsende freigelassen. Ab 1921 widmete er sich ganz dem Aufbau der Sozialistischen Internationale. „Die Adlers wohnten im selben Haus. ,Mit Einstein, der über uns wohnt, stehen wir sehr gut, und, wie das schon so geht, von allen Akademikern [bin ich] mit ihm am intimsten. Sie [die Einsteins] haben eine ähnliche Bohemien-Wirtschaft wie wir', schrieb Adler am 28. Oktober [1909] an seine Eltern" (Clark (1971), 131, dt. 98). Die Geschichte der Errichtung der .Akademie Olympia' erfahrt man aus erster Hand in Maurice Solovines Einleitung zu seiner Ausgabe der Briefe Einsteins an ihn (Einstein (1956), XVII ff. (dt. Text)): „Nach Pearson [The Grammar of Science ] lasen wir gemeinsam die Analyse der Empfindungen und die Mechanik von Mach, die Einstein übrigens schon früher einmal durchgearbeitet hatte (Hervorhebung G. W.)" (Solovine, a.a.O., XIX). D. h., Einstein schätzte Mach so sehr, daß es für ihn interessant genug war, im Kreis der Akademiker noch einmal die Mechanik gründlich vorzunehmen. Es war (cf. § 7, Anm. 2)
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würde heute sagen: privaten Postgraduierten-Arbeitskreis, wurden Machs Analyse der Empfindungen und die Mechanik eifrig studiert. Was Einstein an diesen Schriften — er kannte auch die Wärmelehre und, wie sein Nachruf auf Mach zeigt, die Populär-wissenschaftlichen Vorlesungen — persönlich geschätzt haben mag, ist ihr unprätentiöser, manchmal persönlicher Stil 6 sowie — vielleicht noch stärker — die antiautoritäre Art, mit der sie sich ihren Gegenständen nähern. Machs Begriffskritik wendet sich ja stets gegen die herrschende Meinung in seinem Fach. Aber nicht nur ein antiautoritärer Zug der Machschen Schriften und ihre menschliche Wärme mögen Einstein angezogen haben. Auch dort, wo Mach sich zu politisch-gesellschaftlichen Gegebenheiten äußert, dürfte er dem jungen Einstein aus der Seele gesprochen haben: Etwa, wenn er in „Über den relativen Bildungswert der philologischen und der mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichtsfacher der höheren Schulen" (seit 1903 in den Populär-wissenschaftlichen Vorlesungen enthalten) das deutsche Gymnasium radikal kritisiert. Zu seinen vielen Vorschlägen und kritischen Bemerkungen gehören unter anderem: ,,[I]ch [Mach] würde die Zahl der Schulstunden und die Arbeitszeit außer der Schule bedeutend einschränken. [...] Ich kenne nichts Schrecklicheres als die armen Menschen, die viel gelernt haben. Statt des gesunden kräftigen Urteils, welches sich vielleicht eingestellt hätte, wenn sie nichts gelernt hätten, schleichen ihre Gedanken ängstlich und hypnotisch einigen Worten, Sätzen und Formeln nach, immer auf denselben Wegen. Was sie besitzen, ist ein Spinnengewebe von Gedanken, zu schwach, um sich darauf zu stützen, aber kompliziert
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sein Freund Michele Besso, der Einstein auf Machs Mechanik und Wärmelehre erstmals aufmerksam gemacht hatte. Zwar glaubt sich Einstein 50 Jahre nach dieser Zeit zu erinnern, daß „der unmittelbare Einfluß von D. Hume auf mich größer" gewesen sei als der von Mach, schränkt aber sogleich ein: „soviel ich mir bewußt werden kann", und daß er „nicht imstande [sei], das im unbewußten Denken Verankerte zu analysieren" (Einstein, Brief an Besso vom 6.1.1948, in: Einstein/Besso (1972), 391). — Einem Zeitungsbericht (Dr. Bruno Altmann, Die Zürcher Machkolonie. Zur Vorgeschichte der Relativitätstheorie, in: Allgemeine Zeitung (München), 3. Dezember 1922, 3), wonach Mach für einen studentischen Fan-Club, zu dem auch Einstein gehört haben soll, „die Zentralsonne" (ebd.) gewesen sei, sollte man vielleicht nicht allzu große Aufmerksamkeit schenken. Ich lese stets mit Faszination Machs Schilderung seines Schlaganfalls (1898) während einer Eisenbahnfahrt (cf. Α., 143 f.). Die Mitteilung solcher persönlichen Begebenheiten, auch die häufigen Verweise auf seine Kinder oder seine eigenen Kindheitserlebnisse sind keineswegs Zeichen unpassender Redseligkeit oder gar Geschwätzigkeit. Stets sind sie Teil eines wissenschaftlichen oder philosophischen Arguments. Sie sind ein beständiger Beleg für Machs (und teilweise auch Einsteins) These, daß Wissenschaft aus alltäglichen Orientierungen kontinuierlich erwachsen ist, sie fortsetzt und mit ihnen verbunden bleibt.
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genug, um zu verwirren. [...] Das Beste, was wir gelernt haben, und was uns fürs Leben geblieben ist, ist uns niemals abexaminiert worden. Wie kann der Verstand gedeihen, wenn Stoff auf Stoff gehäuft, und auf Unverdautes noch Neues aufgeladen wird? [...] Die Uniformierung paßt ja gewiß vortrefflich fürs Militär, für die Köpfe taugt sie aber gar nicht. [...] Wie kommt es doch, müssen wir uns fragen, daß etwas so Unzeitgemäßes, wie die Gymnasialeinrichtung, sich so lange gegen die öffentliche Meinung halten konnte?" (P., 343 ff.). In einem Nachtrag (a.a.O., 352ff.) bekennt Mach, wie er sagt, Farbe und teilt mit, daß er die staatlichen Schulen überhaupt abgeschafft wissen will. Das mußte Musik in den Ohren Einsteins sein, für den das Münchener Luitpold-Gymnasium eine Kaserne gewesen war. Man findet in Franks Schilderung von Einsteins Leiden auf dem Gymnasium (Frank (1949), 24 ff.) praktisch all das wieder, was Mach kritisiert hatte. Doch Einstein war nicht nur einer der vielen, die unter dem geistlosen Drill der deutschen Schule gelitten hatten. Einstein war seiner politischen Neigung nach Demokrat und Sozialist, wie schon ein Blick in die Inhaltsverzeichnisse von Mein Weltbild und Out of Mj Later Years sowie in On Peace sofort deutlich macht. Hier traf er sich — wie ihm Friedrich Adler und später in Prag der Mathematiker (und frühere Assistent Machs) Georg Pick wohl vermittelt haben — mit Mach. Gewiß, Mach hielt sich dem politischen Leben weitgehend fern. Doch aus vielen, gewissermaßen beiseite gesprochenen Bemerkungen in seinen Schriften, läßt sich seine demokratische Einstellung leicht rekonstruieren, und seine Sympathie für die Sozialdemokratie war allgemein bekannt (Genaueres s. u.). Als Demokrat winkte er ab, als ihm die Nobilitierung angeboten wurde. 7 Als Mitglied des Herrenhauses, der zweiten Kammer der Donaumonarchie, die neben erblichen Sitzen für den Adel eine Reihe Plätze für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aufwies, die nach feinfühligem Proporzgeschmack auf Lebenszeit ernannt wurden, wirkte Mach auf selten der Progressiven. Adler ((1918), 27) berichtet, wie Mach sich im Krankenwagen und sodann auf zwei Helfer gestützt zu zwei entscheidenden Sitzungen bringen ließ, in denen jede Stimme gebraucht wurde, „da die Entscheidung über die Frucht des großen Bergarbeiterstreiks von 1900, die im Geset% über den Neunstundentag ihren Ausdruck finden sollte, von einigen wenigen Stimmen abhing. Derselben Strapaze unterzog er sich später wieder, als über das Schicksal der großen Wahlreform von 1907 entschieden wurde." Ferner war Mach ein in der Wolle gefärbter Antiklerikaler, der sich mit Verve
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So jedenfalls, leider ohne Quellenangabe, Heller ((1964), 97).
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für die Sache der Aufklärung gegen klerikale Bevormundung geschlagen hatte. 8 Für Einstein war sehr bedeutend (cf. den Nachruf auf Mach), daß Mach antichauvinistisch, antirassistisch und antimilitaristisch gesonnen war. Nur für seine antimilitaristische Gesinnung seien hier zwei — auch heute noch und gerade heute wieder — lesenswerte Passagen aus „Über Erscheinungen an fliegenden Projektilen" (Vortrag 1897) zitiert. In einer Zeit, als den meisten seiner Volksgenossen beim Anblick der schimmernden Wehr die Augen vor Stolz und Rührung feucht wurden, äußerte sich Mach mit bitterem Sarkasmus so: „Die Menschen fühlen sich heutzutage verpflichtet, zuweilen für recht fragwürdige Ziele und Ideale sich gegenseitig in kürzester Zeit möglichst viele Löcher in den Leib zu schießen [...]. Da unter diesen Umständen das Schießen, und was daran hängt, in unserem heutigen Leben eine sehr wichtige, wo nicht die wichtigste Sache ist [...]" (P., 356).
Diesem Vortrag fügte Mach 1902 einen anklagenden Anhang bei: „Man wird in dieser Richtung [sc. der Verwirklichung der Friedensidee] zunächst von allen den Menschen nichts zu erwarten haben, welche im Hader der Völker ihren Vorteil finden. Erinnern wir uns ferner an die Tatsache daß 1870 bei Ausbruch des [deutsch-französischen] Krieges das Interesse der .höheren' Schichten der Gesellschaft sich äußerte durch Ausschreibung hoher Preise für den ersten erschossenen Franzosen und den ersten erschossenen Deutschen" (P., 382).
Noch im letzten zu Lebzeiten publizierten Werk Kultur und Mechanik (Mach (1915), 86), geißelt Mach „die modernen Geldkriege", die neben Kolonialismus, Hexenwahn und Religionskriegen „die schmachvollsten Geschichtskapitel für die kommenden Generationen" sein werden. 9 Einstein muß die hier angeführten Textstellen nicht alle gekannt haben, aber er kann sie gekannt haben und die gegen die Kriegslüsternheit seiner Zeitgenossen hat er gekannt (cf. Einstein (1916 a)). Wichtiger ist vielleicht, daß Einstein oft mit Leuten zusammen war, die den Menschen Mach mit
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Für Details cf. Adler ((1918), 24 ff.) und besonders Herneck ((1966), 5). Zu Machs Antichauvinismus cf. etwa P., 428. Zu seinem Kampf gegen den Antisemitismus seinen Artikel „Die Rassenfrage" (Neue Freie Presse (Wien), 24.12.1907), abgedruckt in: Heller (1964), 99—102). „In Prag galten noch als offene Gegner der antisemitischen Bewegung in der Studentenschaft die Professoren Ewald Hering der Ältere, Ernst Mach [...]", heißt es in der unter anderem antisemitischen Schrift eines Deutschnationalen (Molisch (1939), 128).
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den eben geschilderten sozialen und politischen Ansichten gut kannten und schätzten. 10 Frank ((1949), 131) berichtet, wie Einstein nach Erhalt der außerordentlichen Professur für theoretische Physik gewisse soziale Anpassungsschwierigkeiten hatte: „Sein Einkommen war nicht größer als das im Patentamt in Bern. Aber da er nun eine gewisse Stellung in der Gesellschaft der Stadt einnahm, konnte er nicht mehr wie bisher ein Bohemeleben führen, das billig war und seiner Natur entsprach" (a.a.O., 131). Frank konstatiert ferner eine „Abneigung gegen alles Förmliche und Feierliche" (a.a.O., 140) 11 sowie „das Fehlen der üblichen akademischen Eitelkeit" (a.a.O., 146). Es darf angenommen werden, daß auch Professor Einstein ein bißchen daran arbeiten mußte, in die Rolle des Professors zu finden. Gewiß, er war ein origineller Mensch und Lehrer. Aber auch er wird zumindest unbewußt Leitbilder gehabt haben, als er um 1910 in seine neue Rolle hineinwuchs. Dabei ist es schwer vorstellbar, welcher der vielfach arroganten, förmlichen, reaktionären, chauvinistischen, antisemitischen oder militaristischen Geheimräte, die auf vielen deutschen Lehrstühlen saßen, eine Identifikationsfigur für Einstein hätte abgeben können. Abgesehen davon, daß er damals kaum einen überhaupt persönlich kannte. Aber eine Reihe für die Persönlichkeit Einsteins wichtiger Züge findet sich in der Person Machs — und Einstein wußte darum. Bereits zu Anfang dieses Paragraphen wurde bemerkt, daß für das, was hier gesagt wird, keine argumentative Stringenz beanspruchbar ist. 10
erwähnt sind dies gewiß Adler und Pick. Von Pick heißt es bei Frank ((1949), 140 f.): „Von seinen engsten Kollegen [in Prag] fühlte er [Einstein] sich am meisten zu dem Mathematiker Georg Pick hingezogen. [...] Pick war als junger Mann Assistent von Ernst Mach gewesen, als dieser Professor der Experimentalphysik in Prag war. Einstein ließ sich gern seine Erinnerungen an Mach als Mensch und Forscher erzählen. Besonders gern gab Pick Aussprüche Machs wieder, die man als eine Art Vorahnung der Einsteinschen Lehren deuten konnte." — Der greise, mehr als 80jährige Pick wurde von den Nazis ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er umkam (Frank (1949), 141).
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Auch darin, daß sie auf ihr Äußeres keinen großen Wert legten, waren Mach und Einstein kongenial. Von Einstein ist dies allgemein bekannt. Die Jungakademiker in Bern werden wohl mit Heiterkeit die wunderbare Fußnote in der Analyse der Empfindungen (Α., 3) gelesen haben, wo Mach unter dem Motto „Man kennt sich persönlich sehr schlecht" berichtet, wie er einmal vor einem „höchst unangenehme[n] widerwärtige[n] Gesicht im Profil" erschrak. Es war sein eigenes — im Spiegel. Genau so war es auch, als er beim Besteigen eines Omnibusses konstatierte: „Was steigt doch da für ein herabgekommener Schulmeister ein" (ebd.). Frank ((1949), 176) sah in Mach „einen Mann mit einem grauen, etwas wilden Bart, der wie ein slowakischer Arzt oder Rechtsanwalt aussah", wie immer auch solche Leute in der Slowakei ausgesehen haben mögen.
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Vor allem sind Überlegungen wie die hier vorgetragenen jenen a priori suspekt, die den Menschen in zwei Teile teilen: den reinen Wissenschaftler zur rechten, den ,Restmensch' zur linken, ohne jedes commercium. Diese Trennung einer Person X in Mensch und Wissenschaftler sei nicht empfohlen. Gewiß hängt die Korrektheit eines wissenschaftlichen Ergebnisses pro specie aeterni nicht davon ab, von wem es stammt. Aber im Tageskampf der Ideen und für die vorläufige Annahme oder Ablehnung von Theorien spielt es oft schon eine gewaltige Rolle, wer sie wie vorträgt. Diesem Gedanken soll auch in seiner umgekehrten Richtung nachgegangen werden. Bei einem so offensichtlichen Gleichklang der Persönlichkeiten liegt es nahe, daß auch Mach einen positiven oder doch wenigstens keinen negativen Eindruck von Einstein bekommen hat. Von Adler und anderen, ζ. B. Anton Lampa, Einsteins Prager Kollegen, der sich für Einsteins Berufung nach Prag stark gemacht hatte, mag Mach Informationen über Einsteins Persönlichkeit erhalten haben. Schließlich hat er ihn auch selbst getroffen (cf. § 9). Vielleicht hat er auch noch miterfahren, wie vehement Einstein sich gegen den Weltkrieg ausgesprochen hat, dessen Ausbruch Ernst Mach von seinem Sohn Ludwig übrigens monatelang verheimlicht wurde (cf. § 38). Vor allem aber die Briefe Einsteins an Mach legen nahe, daß Mach Einstein persönlich wohlgesonnen gewesen ist. Damit zur Frage, ob Mach dem Sozialismus positiv oder negativ gegenüberstand. Diese einfach gestellte Frage läßt sich ebenso einfach beantworten: Machs Verhältnis zur sozialistischen Bewegung war schon vor der Jahrhundertwende (die österreichischen Sozialdemokraten konstituierten sich 1888/89 unter Viktor Adler zu einer einheitlichen Partei) überaus positiv, und es blieb so bis an sein Lebensende. Dieses Verhältnis betrifft einmal seine Einstellung zur Politik der österreichischen Sozialdemokratie 12 , zum anderen sein persönliches Verhältnis zur Familie ihres Gründers und Vorsitzenden Viktor Adler über dessen Sohn Friedrich. Beides wird sichtbar in Machs Dankbrief auf Viktor Adlers Glückwünsche zu seinem 70. Geburtstag: „Herzlichen Dank für Ihren freundlichen 12
Cf. Stadler (1982), bes. 85 ff., ferner Herneck (1983), 158 ff., der einschlägige Erinnerungen von Machs Schwester Caroline Lederer mitteilt. Am 12.3.97 schrieb Mach an seinen Sohn Ludwig (VAT): „Du hast wohl gehört, daß die Wiener [..,] wie die Trottel gewählt haben. Überall haben die Pfaffen gegen die Socialdemokraten gesiegt. [...] (Der Wiener Chirurgieprofessor, G. W.) Gussenbauer [war] ganz betroffen, als ich ihm sagte, daß ich mitgewählt habe, und zwar socialdemokratisch. Er sagt, das kann er nicht." Und nach politischen Wirren: „Die Socialdemokraten haben sich sowohl in Wien wie in Prag großartig gehalten; man kann ihnen nicht das Geringste Abträgliche nachsagen. Sie stellen jetzt die einzige tadellose Parthei vor" (Mach an Ludwig Mach, 5.12. 97 (VAT)).
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Wunsch, der Sie mir durch Ihre politische Stellung und Gesinnung, sowie durch Ihren Sohn nahe stehen" (Mach an Viktor Adler, 21.2.1908 (AAW)). Friedrich Adler schließlich findet (Adler (1918), 27) unter Verweis auf EL, 463: Dieses Buch „schließt mit einem Ausblick auf den Sozialismus, ja wir finden in ihm sogar eine deutliche Einsicht in die Notwendigkeit des Klassenkampfes." Wenn dies auch eine etwas zu forsche Interpretation sein dürfte, so liefern die genannten Machschen Zeilen doch ein Plädoyer für die „Landsleute [...], die in unserer Mitte ein schlimmeres Leben führen, als die Wilden, und welche weder die Vorteile und wahren, wenngleich einfachen Freuden genießen, die das Leben der niederen Rassen13 schmücken". Mach verbindet diese Einschätzung mit der Forderung, hier „endlich [...] [durch] Verwirklichung des Ideals einer sittlichen Weltordnung" Abhilfe zu schaffen. In einem Gespräch mit Hugo Dingler (1913) (cf. § 35) bezeichnet sich Mach als Proletarier'. Wie Mach schließlich seine Bindung an die österreichische Sozialdemokratie über den Tod hinaus dokumentierte, zeigt sein Testament. Am 7. März 1916 schreibt Ludwig Mach an V. Adler: „Mein am 19. Februar verschiedener Vater hat eine vom 25. X. 1899 datirte letztwillige Verfügung hinterlassen, in der es unter anderem heißt:,... Mein Begräbnis soll möglichst wenig kosten, dafür wünsche ich, daß der Volksbildungsverein in Wien und die Arbeiterzeitung zu Ihnen passender Verwendung je 50 fl [Gulden] erhalten'" (AAW). 14 Man sollte meinen, daß angesichts dieser Tatsachen Machs lebenslanges positives Verhältnis zum Sozialismus unbestreitbar sei. Dem ist jedoch 13
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Die Rede von den ,niederen Rassen' ist sicher kein Zeichen für einen expliziten Rassismus bei Mach. Aber dem in der Sprache seiner Zeit wuchernden impliziten eurozentrischen Rassismus hat auch er sich offenbar nicht ganz entziehen können. Auf dieses Legat weist schon Adler (1918), 27 hin. Der Volksbildungsverein war eine sozialistische Einrichtung der Erwachsenenbildung, die „Arbeiterzeitung" war (und ist) das Parteiorgan der österreichischen Sozialisten. Daß Mach, wie Blackmore (1972), 235 behauptet, „large sums of money" vermacht habe, läßt sich angesichts der insgesamt 100 Gulden nicht bestätigen. Die 100 Gulden machen bei einem jährlichen Einkommen des pensionierten Mach von 1 2 0 0 0 Kronen ( = 6000 Gulden) etwas mehr als 1,5% des Jahreseinkommens aus. Die Angaben über die Pension (10000 Kronen Pension + 2000 Kronen Subvention') sind einem Brief der österreichischen Gesandtschaft in München an Mach vom 12. Juni 1912 (VAT) entnommen, in dem die Auszahlung dieser Summe nach Bayern genehmigt wird. — Übrigens sei nicht verhehlt, daß die „letztwillige Verfügung" vom 2 5 . 1 0 . 1 8 9 9 , von der Ludwig Mach in seinem Brief an V. Adler spricht, im Machschen Nachlaß nicht auffindbar ist. In der am 27. Juli 1916 amtlich beglaubigten Abschrift des Machschen Testaments vom 26. März 1906 (mit Ergänzung vom 1. Mai 1913), durch welche „alle älteren [letztwilligen Verfügungen] außer Kraft treten" (VAT), sind die beiden Spenden nicht erwähnt. Das Testament betrifft aber auch nur die Verteilung des (sehr bescheidenen) Machschen Besitzes an die Familie.
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nicht so. Blackmore ((1972), 235) ist anderer Meinung. Da die Behandlung dieser Frage bei Blackmore als symptomatisch auch für andere Mängel seines Mach-Buchs betrachtet werden kann 15 , sei die entsprechende Passage vollständig zitiert: „By this time [ca. 1907] Mach had become good friends with Viktor Adler, the respected head of the Austrian Social Democratic Party, and with his son, Friedrich Adler, the physicist-philosopher, but Macb's flirtation with socialism seems to have cooled rather quickly. It became clear that Dietingen's ideas were saturated with Hegelian speculation, and a little-known Russian socialist devoted a whole book to attacking Mach, Avenarius, phenomenalism, and their entire philosophy of science" (Hervorhebung G. W.). Blackmores Darstellung ist entschieden zurückzuweisen. Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt für eine , Abkühlung' des Verhältnisses Machs zur Sozialdemokratie. Mach hat Dietzgen stets geschätzt und durch ihn Hegel schätzen gelernt. 16 Blackmore unterstellt Mach ferner, dieser habe wegen der philosophischen Kritik Lenins in Materialismus und Empiriokritizismus (russisch 1909), wegen der philosophischen Kritik eines damals ,little-known Russian socialist' also, seine freundschaftlichen persönlichen Beziehungen zu führenden österreichischen Sozialisten und seine politische Überzeugung aufgegeben, daß der Sozialismus die beste politische Konzeption seiner Zeit sei. Diese Unterstellung Blackmores ist unbegründet, weltfremd und für Mach herabsetzend. Denn Mach hat keineswegs den Rest der Welt danach beurteilt, wie hier oder dort jemand zu seiner Philosophie stand. Ferner war der Sozialismus für Mach eine politische Bewegung, die zu erkenntnistheoretischen Fragen eigentlich nichts zu sagen hatte. 17 15
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Der früh verstorbene Wolfram Swoboda resümiert in seiner Rezension von Blackmore (1972) bereits mit Blick auf einige andere Beispiele einen für ein wissenschaftliches Buch doch bedenklichen Zug: „Everywhere Blackmore has substituted shallow polemics for historical analysis" (Swoboda (1974), 201). Dem ist hinzuzufügen, daß Blackmore, wie sich gleich zeigen wird, auch nicht davor zurückscheut, Tatsachen durch Vorurteile zu ersetzen. Mach an Adler, 11.7.1906 (AAW): „Ich [d. h. Mach] habe durch Dietzgen angefangen, Hegel zu verstehen, was mir vorher nie gelungen war. Es scheint, daß man von jeder Seite her, und mit jeder Methode, wenn man nur consequent und ohne Vorurteil ins Zeug geht, auf den selben Standpunkt gelangt. Das ist für mich das merkwürdigste Ergebnis dieser Leetüre. Das ist mir auch sehr wertvoll. Hegel paßte nicht in meinen psychischen Organismus, und doch war ich immer überzeugt, daß er ein Denker und kein Narr ist." Mach an Adler, 11. 7.1906 (AAW): „Es ist Ihnen [d. h. F. Adler] wohl bekannt, daß unser unvergeßlichefr] A. Menger eine sozialdemokratische Erkenntnistheorie zu schreiben vorhatte. Mir war das immer komisch, daß ein Sozialdemokrat, wo es sich nicht um Praktisches, sondern um die reine Erkenntnis handelt, anders denken sollte, als ein Mensch irgend welcher Parteifarbung."
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Mach und Einstein. Der Einfluß
§ 9
Einsteins Besuch bei Mach
Einstein hat Mach einmal besucht. Über diesen Besuch gibt es drei (publizierte) Berichte, die wohl sämtlich auf Mitteilungen Einsteins fußen. Der hinsichtlich der Publikation älteste steht in Weinberg ((1937), 104). Er geht auf ein Gespräch zurück, das Weinberg während der Arbeit an seiner Dissertation mit Einstein in Princeton führte: „When Dr. Einstein met Ernst Mach in Vienna, around 1910 — 1911, at which time Mach was quite ill but still mentally alert, they discussed the question of atomic physics. Dr. Einstein inquired whether, if an atomic theory were found to be the only one which completely satisfied the experimental facts, Mach would accept the atomic theory. And Mach answered that he would. From this, it is not at all evident or clear that Mach accepts the possible reality of atoms, though Dr. Einstein informs me that Mach admitted in conversation much that he did not admit in his various works."
Der zeitlich nächste Bericht über Einsteins Besuch bei Mach stammt von Philipp Frank (Frank (1949), 175 ff.). Frank legt den Besuch bei Mach mit der Naturforscherversammlung im Herbst 1913 in Wien zusammen und mit einem Besuch Einsteins bei Viktor Adler, dem Begründer der österreichischen Sozialdemokratie und Vater von Friedrich Adler (cf. § 8). Auch Frank berichtet aus dem Gespräch nur die Geschichte über die Annahme der Atomhypothese. Die dritte Version über den Besuch findet sich in einem Interview, das I. B. Cohen zwei Wochen vor Einsteins Tod (1955) mit diesem geführt hat (Cohen (1955), 72 f.). Einstein datiert hier das Treffen auf 1913, und wieder wird aus dem Gespräch nur das Thema Atomhypothese erwähnt: „If an atomic hypothesis would make it possible to connect by logic some observable properties which would remain unconnected without this hypothesis, then, Mach said, he would have to accept it. Under these circumstances it would be .economical' to assume that atoms may exist because then one could derive relations between observations" (a. a. O., 73).
Zunächst zur Datierung des Besuchs: Die Datierung bei Frank ist mit Sicherheit falsch, da Mach im Herbst 1913 nicht mehr in Wien lebte, sondern in Vaterstetten bei München, wohin er im Mai 1913 übergesiedelt war. 1 Aber auch Einsteins eigene Datierung im Cohen-Interview (schlicht: 1
Hieraufhat als erster F. Herneck (Herneck (1966), 13, Anm. 88) hingewiesen. Er vermutet ferner als Datum „wohl 1911 oder Anfang 1912" (8). Die Datierung von Clark ((1971), 159; dt., 118), der Einsteins Besuch mit dessen Reise nach Brüssel zur Solvay-Konferenz (Oktober 1911) in Verbindung bringt, ist ebenfalls falsch und für den Kenner von
Einsteins Besuch bei Mach
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1913) trifft nicht zu, wohl aber diejenige bei Weinberg. 2 Dies ergibt sich aus einem Notizbuch Einsteins, das als „1911 Day Book" im EinsteinNachlaß (EAP) geführt wird. Auf einer Seite des Notizbuches finden sich folgende Eintragungen: „Hadersdorf-Weidlingau 7 Uhr." Darunter: „Gersthoferstr. 144 Findelhaus, Mach nach 4 Uhr, 41 Plötzleinsdorf." Darunter ein Doppelstrich und folgende weitere Eintragungen: „Ministerium, Adler, Mach 4lA, Ronacher 3A6 Uhr." Darunter schließlich die Adresse: „Ehrat, Dachlisbrunnenstr. 27." Die darauf folgenden Eintragungen sind kurze Rechnungen oder beziehen sich ebenso wie diejenigen, die den hier angeführten vorausgehen, auf Dinge, die mit der Schweiz zu tun haben. Nach nur wenigen weiteren, auf die Schweiz bezogenen Einträgen hinter den soeben angesprochenen, folgen auf Prag bezogene Notizen. Daraus ergibt sich, daß Einstein während seiner (ersten) Züricher Professorenzeit nach Wien gefahren ist und dort Anton Lampa besucht hat, der ein Jahr zuvor auf Machs altem Lehrstuhl für Experimentalphysik an der Deutschen Universität in Prag Platz genommen hatte3, aber offenbar seine alte Wohnung im (niederösterreichischen) Wiener Vorort Hadersdorf-Weidlingau („Ha-Wei") beibehalten hatte. Der Besuch bei Lampa lag sehr nahe, wenn man bedenkt, daß der eigentliche Zweck der Reise nach Wien durch die schlichte Eintragung „Ministerium" angegeben ist. Dort ging es, wie man aus den Einstein-Biographien weiß, um Einsteins Berufung nach Prag. Und man weiß weiter, daß Lampa die treibende Kraft bei dieser Berufung war. 4
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Geographie und Eisenbahnverbindungen a priori unwahrscheinlich: Will man mit der Bahn von Prag nach Brüssel fahren, dann liegt Wien praktisch in Gegenrichtung. Clark führt denn auch keinen Beleg für seine Vermutung an. Holton (1973 a), 228 (dt., 214) liegt mit seiner Schätzung „about New Year's 1911-1912" ebenfalls falsch. Er verbindet sie zudem mit einer unzutreffenden Vermutung und einer unbewiesenen Behauptung. Falsch ist — wie noch ausführlich gezeigt wird (cf. §14) — die Vermutung, daß der Besuch Einsteins bei Mach zeitlich in etwa mit einem undatierten Brief Einsteins an Mach zusammenfalle. Unbewiesen ist Holtons Behauptung, Einsteins Besuch sei „according to Philipp Frank's account in Einstein, His Life and Times, not very successful" (Holton, ebd.) gewesen. Mehr dazu weiter unten. Cf. F. Seidl, „Lampa, Anton", in: L. Santifaller (ed.), Österreichisches Biographisches Lexikon, 1815-1950, Bd. IV, Wien/Köln/Graz 1969, 27. Cf. Frank (1949), 135. Illv (1979) berichtet außerdem ausführlich über die kuriosen Probleme, die sich im Ministerium aus Einsteins religiöser Dissidenz ergaben, und über deren fast gordische Lösung durch Einstein. Eine Darstellung der Umstände von Einsteins Berufung nach Prag anhand Prager Universitätsakten findet man bei Havrinek (1977). Man beachte, daß dort die Zeitangabe „Juni 1911" auf S. 115 ein Druckfehler ist (cf. Anm. 8, ebd.) und richtig „Juni 1910" lauten muß. — Blackmore (1972), 268 gibt im übrigen auch hier eine Kostprobe seines eigenwilligen Verhältnisses zu historischen Tatsachen: „Lampa and Georg Pick, the two Machists on the commission, strongly favored Jaumann [...]", und nicht etwa Einstein. Jaumann war zeitweise Machs Assistent
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Mach und Einstein. Der Einfluß
Aus einem Brief Fritz Adlers aus Zürich an seinen Vater in Wien geht ferner hervor, daß Einstein den Termin im Ministerium in Wien zu einem Besuch bei Viktor Adler nutzen werde. 5 Damit ist klar, daß der Besuch Einsteins bei Mach mit seinem Besuch im Wiener Unterrichtsministerium wegen des Prager Ordinariats und mit seinem Besuch bei Viktor Adler zeitlich zusammenfallt. Das Datum läßt sich ziemlich genau ermitteln, denn Friedrich Adler meldet in dem eben genannten Brief an seinen Vater, daß Einstein am 24. September 1910 von Zürich abfahren werde. Der Besuch bei Mach in der Gersthoferstr. 144 (XVIII. Wiener Stadtbezirk), damals wie heute zu in Prag gewesen. Blackmore stützt sich für seine Behauptung auf Frank (1949). Frank allerdings berichtet (a. a. O., 135 f.), was durch Kleinert (1975), Illy und Havränek detailliert bestätigt und belegt wird: (1) Lampa war ,,[d]er entscheidende Mann für die Besetzung der Stelle".- (2) „Da nach den Vorschriften die für eine Professur vorgeschlagenen Kandidaten ihren Verdiensten nach einzureihen waren, wurde an erster Stelle Einstein und an zweiter Jaumann vorgeschlagen." Das heißt nun nichts anderes, als daß Lampa Einstein favorisierte, und zwar .strongly', wie man bei den genannten Autoren nachlesen kann. Im übrigen liegt in diesem Fall eher auf der Hand, warum Blackmore eine Tatsache verdreht: „Einstein's letters to Mach on August 9 and 17, 1909, the articles accompanying them and even his personal visit to Mach, all apparently failed to influence Mach away from supporting [...] Jaumann" (Blackmore, a.a.O., 267). Es liegt hier Blackmore offenbar daran zu zeigen, daß sich Machs Abneigung gegen Einstein oder die Relativitätstheorie schon anläßlich der Besetzung der Prager Stelle manifestierte. Dieser Wunsch wird sodann durch Anpassung der Tatsachen so erfüllt: (1) Mach favorisierte Jaumann (gegen Einstein). (2) Die ,Machians' vor Ort, Lampa und Pick, taten desgleichen. Ebensowenig wie (2) entspricht (1) den Tatsachen. Zwar äußerte sich Mach tatsächlich zu Jaumann, wie aus einem Brief Lampas an ihn (18.2.1910 (EMA)) hervorgeht. Vorangegangen war eine Anfrage Lampas vom 9.2.1910 (EMA). In dieser Anfrage wird Einstein oder irgendein anderer Kandidat für den Lehrstuhl außer Jaumann nicht erwähnt. Neben dem Lob für Jaumanns Ideal einer phänomenologischen Physik (cf. § 2) enthält Lampas Brief schwere ,erkenntnistheoretische' und .physikalische' Bedenken gegen Jaumann, zu denen er Machs Stellungnahme erbittet. Aus Lampas Brief vom 18. Februar 1910 geht hervor, daß Mach die Bedenken „bezüglich der Methodik Jaumanns beruhigt" habe und Lampa in der Berufungskommission „wärmer für J. eintreten [konnte], als mir dies sonst möglich gewesen wäre". Jaumann kam so wenigstens auf die Berufungsliste — secundo loco! Mach hat also, wenn man so will, Jaumann unterstützt, aber nicht favorisiert'. Mach hegte im übrigen, worüber Blackmore selbst (a.a.O., 145ff.) berichtet, eine so deutliche Reserve gegenüber der Persönlichkeit Jaumanns, daß er, vermutlich während einer Erkrankung 1893/94, in einer Art letztwilliger Erklärung davor warnte, im Falle seines Todes seine Stelle mit Jaumann zu besetzen. Daß der Prager Ruf von 1910/11 zunächst an Jaumann ging, lag an der politischen Entscheidung des Wiener Ministeriums Landeskinder zu bevorzugen, nicht an Lampa oder der Kommission. 5
Briefdatum 23.9.1910 (AAW). Einstein hat 1930 eine kurze Notiz über seinen Besuch bei Viktor Adler geschrieben, und zwar für einen geplanten Gedenkband. Im Manuskript (AAW), das mit den Worten „Der Abend, den ich als Freund Fritz Adlers 1911 bei Viktor Adler verbrachte" beginnt, ist die Zahl „1911" jedoch nachträglich darübergeschrieben worden.
Einsteins Besuch bei Mach
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erreichen mit der Trambahnlinie 41, Richtung Pötzleinsdorf 6 , hat demnach an einem der Tage nach dem 24. September 1910 stattgefunden. Falls man weiter annimmt, daß Einstein sich nicht lange in Wien aufgehalten hat, war der Besuch bei Mach kurz, da Einstein wohl zwei Abende anderswo (bei Lampa und Viktor Adler) verbracht hatte, wenn man seinen Aufzeichnungen und seinem Bericht über seinen Besuch bei Viktor Adler glauben darf. Das Hauptgesprächsthema zwischen Mach und Einstein ist nach allen drei Berichten die Atomhypothese gewesen. Und alle drei Berichte stellen die Unterredung im wesentlichen gleich dar: immer geht es um die Frage, ob eine Atomtheorie, die die empirischen Daten besser abdeckt als eine phänomenologische Theorie, von Mach akzeptiert würde. Und immer ist Machs Antwort: ja. In Franks und Cohens Bericht wird als Grund angegeben, Mach würde im geschilderten Fall die Atomhypothese akzeptieren, weil sie ,ökonomisch' sei.7 Dies ist nicht weiter verwunderlich, da in der Begründung Machs lediglich seine Standardauffassung hinsichtlich der Annahme von Theorien zum Ausdruck kommt. Überraschend ist deshalb nur, daß Einstein über Machs „ja" so begeistert war: „Einstein had been satisfied: indeed more than a little pleased. With a serious expression in his face, he told me the story all over again to be sure that I understood it fully" (Cohen (1955) 73). Vielleicht hat Einsteins Begeisterung damit zu tun, „that Mach admitted in conversation much that he did not admit in his various works", wie Weinberg (s. o.) berichtet. Leider wissen wir nicht, was das war. Weder bei Frank, auf den Holton sich bezieht, noch in den beiden anderen Berichten gibt es im übrigen einen Hinweis darauf, Einsteins Besuch sei ,not very successful' gewesen. Ja, es fallt schwer, hier den eigentlichen Sinn von ,successful' zu verstehen. Wie auch immer: falls man — aus der Sicht Einsteins — nicht nur dann den Besuch als Erfolg zu werten geneigt ist, wenn Mach, sagen wir, einen Widerruf seiner Auffassung über die Existenz der Atome in die Zeitungen hätte einrücken lassen, dann sollte man zur Bewertung des Besuchs vielleicht das Folgende in Betracht ziehen: (1) Es fallt auf, daß es nach Einsteins Besuch 8 bei Mach keine direkte Auseinandersetzung mehr mit der Atomtheorie gibt. Es könnte sein, daß Einsteins Besuch mit dazu beigetragen hat, daß Mach 6 7
8
Aus dem „Findelheim" ist unterdessen allerdings das „Zentralkinderheim" geworden. Weinbergs Bericht macht keine Angaben über Machs Gründe für eine eventuelle Annahme der Atomhypothese. Jedenfalls wenn man von der Neuauflage der Mechanik (1912) absieht, wo lediglich die früheren Ausführungen wiederholt werden.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
bald danach die Existenz von Atomen möglicherweise akzeptiert hat (cf. Wolters (1987)). (2) Es gibt nicht die geringste Andeutung, daß dieser Besuch nicht harmonisch verlaufen ist. Die wenigen Daten im Zusammenhang mit dem Besuch legen es nahe, auf eine abschließende Wertung überhaupt zu verzichten. Tatsache ist allerdings, daß von keinem der beiden Besuchspartner eine irgendwie ungünstige Einschätzung bekannt ist. Übereinstimmung dürfte dagegen hinsichtlich eines anderen, sehr naheliegenden Themas bestanden haben: nämlich des Anlasses für Einsteins Reise nach Wien (cf. Uly (1979), 78). Einstein hatte sich in seinen Papieren als konfessionslos bezeichnet. Der Kaiser aber war nicht bereit, konfessionell Ungebundenen einen Treueeid abzunehmen. Einstein gelang es, den Beamten im Wiener Unterrichtsministerium dazu zu bringen, nachträglich in die entsprechende Spalte ,mosaisch' einzutragen, womit auf elegante Weise alle Hindernisse für Einsteins Berufung nach Prag beseitigt waren. — Auch Mach hatte übrigens bei seiner Berufung nach Wien (1895) mit Hindernissen zu kämpfen, die mit der Religion zusammenhingen: nach einem Brief Machs an J. Popper (14.3.1895 (SMI*)) hatte eine vom Ministerium als ,Vermittler' bezeichnete Person „mehrere Stellen meiner Schriften als gegen die Religion, den Unsterblichkeitsglauben u. s. w. gerichtet bezeichnet". Mach habe darauf erwidert, daß er „zwar in den Vorlesungen nicht agitire, sondern im Gegentheil sehr vorsichtig" sei; „sollte man aber von mir verlangen, daß ich in meinen Schriften den Standpunkt der ,Epistolae obscurorum virorum' einnehme, so möge man die Sache sein lassen, denn diese Zumuthung müßte ich mir verbitten". Am 28. März 1895 bat er Kulke (SMI), „von der Sache nicht zu sprechen, damit die Pf(affen, G. W.) nicht Spielraum gewinnen". Summa summarum läßt sich sagen, daß Mach und Einstein am 25. September 1910 oder an einem der darauffolgenden Tage ein nicht allzu langes Gespräch geführt haben, das sich wissenschaftlich wohl im wesentlichen darum drehte, unter welchen Bedingungen Mach die Atomhypothese zu akzeptieren bereit wäre. Hinweise auf irgendwelche persönlichen Mißklänge gibt es nicht. Der eine Gesprächsteilnehmer denkt 45 Jahre später noch gerne an das Ereignis zurück. Den anderen mag es gefreut haben, daß der junge Physiker, dessen Genie in Fachkreisen schon gerühmt wurde, es nicht versäumte, den alten, kranken und isolierten Kollegen aufzusuchen, der sich über jede Aussprache freute.
Exkurs: Kakanischer Sokrates I
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§10 Exkurs: Kakanischer Sokrates I, oder: War Ernst Mach ein theoretischer Physiker? Mit dem Namen des Sokrates ist eine Methode verknüpft, ohne die Aufklärung der Vernunft nicht möglich ist: der Weg zu tieferer und richtigerer Einsicht setzt voraus, daß Denkgewohnheiten erschüttert, scheinbar selbstverständliche Perspektiven umgekehrt und dem Vorurteil der Heiligenschein der ausgemachten Wahrheit genommen wird. Eine Methode, die in ihren wesentlichen Zügen destruktiv ist. Sokrates will nicht alten Denktrott, alte Selbstverständlichkeiten und alte Vorurteile durch neue ersetzen. Vielmehr triumphiert die Frage über die Antwort, die ironische Nebenbemerkung über den gelehrten Diskurs, das Aper$u über die Theorie, ,Aporie' über Wissen. Mir scheint, Sokrates hat im k. u. k. (,kakanischen') Grazer, Prager, dann Wiener Universitätsprofessor Ernst Mach einen späten Schüler gehabt. 1 Freilich eher österreichisch verhalten als attisch ätzend, eher humorvoll-nachsichtig als verletzend. Mach stellt nicht bloß, sondern wirbt, erklärt den Ursprung von Einseitigkeit, Vorurteil, Irrtum. Falsche Sicherheiten werden mit einer schlichten Frage erschüttert, pompöses Gehabe durch nüchternen Realitätssinn, Autorität durch Argumente. Machs kritisches Interesse wendet sich gerade dem zu, was als ganz besonders ausgemacht und selbstverständlich gilt, was Autoritäten oder Traditionen als methodologische Norm oder letzte Wahrheit dekretiert haben. Als die Mehrzahl seiner Kollegen glaubte, alle Teilgebiete der Physik seien auf die Mechanik zurückzuführen, da war es vor allem Mach, der diesen ,Mechanizismus' (zu recht, wie sich herausstellte) kritisierte (cf. § 2). Auch mit seiner immer wieder kolportierten, entwaffnenden Standardfrage „Ham's schon welche g'sehn?" stand Mach im Gegensatz zur Zunft, die großenteils über Atome wie über Billardkugeln redete. Seine Kritik an den Grundbegriffen der Physik richtete sich ebenso gegen bequeme und 1
Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften spielt in der Hauptstadt des Landes ,Kakanien'. Nicht von ungefähr kommt älteren Kollegen — mit Machs Schriften seit ihrer Gymnasialzeit vertraut — immer wieder das heute aus der Mode gekommene Epitheton ,.weise' für Mach in den Sinn. .Weise' ist im übrigen neben ,sterblich' ein Standardterminus in Syllogismen, in denen .Sokrates' auftritt. — Auch der Sokratische Tugendoptimismus ist dem Aufklärer Mach nicht fremd. An einer der wenigen Stellen seines Werkes, die explizit und thematisch mit einer ethischen Frage zu tun haben, schreibt Mach: „So weit auch der Weg ist v o n der theoretischen Einsicht zum praktischen Verhalten, so kann letzteres der ersteren auf die Dauer doch nicht widerstehen" (Α., 20). Die ethische Frage, um die es geht, ist das Ich und seine .Unsterblichkeit'.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
fest etablierte Gedankenlosigkeit auf diesem Gebiet wie die Kritik philosophischer Begriffe auf dem ihrigen, etwa beim Substanzbegriff (z. B. W., 423 f.). Die theoretische Grundstruktur aller Machschen Kritik ist Perspektivenänderung und Perspektivenerweiterung2; weg von einseitiger und vorurteilsbeladener Sicht der Dinge, stetes Bemühen, die alten Vorurteile und Einseitigkeiten nicht durch neue zu ersetzen. Man könnte auch wieder sagen: Mach will allzu selbstverständlich (und unfruchtbar gewordene) Themata kritisieren und neue nahelegen. Daß Machs aufklärerische Kritik, ohne kohlhaasisch zu sein, durch Angst vor Autoritäten ganz unbeeinflußt ist, versteht sich (bei einem Mann wie ihm) ohnehin von selbst. Buhlen um Gunst ist Mach ebenso fremd. Diese sokratische Form des Machschen Denkens soll an drei Beispielen näher erläutert werden. Das erste bezieht sich auf die Analyse der Empfindungen (1. Aufl. 1886), und zwar auf den ersten Abschnitt des ersten Kapitels: zu einem Zeitpunkt, zu dem die Mehrzahl der Physiker eine Mechanisierung der Physik und fast alle Physiologen 3 eine Physikalisierung (und damit Mechanisierung) der Physiologie für das einzig richtige hielten, empfahl Mach etwas ganz anderes: die alten Methoden der Physiologie nicht aus dem Auge zu lassen und die Physiologisierung der Physik als Hilfsmittel der physikalischen Forschung. Die Abwendung von der Sinnesphysiologie der Goethe, Schopenhauer und Johannes Müller 4 „muß uns als eine nicht ganz zweckentsprechende erscheinen, wenn wir bedenken, daß die Physik trotz ihrer bedeutenden Entwicklung doch nur ein Teil eines größeren Gesamtwissens ist, und mit ihren für einseitige Zwecke geschaffenen einseitigen intellektuellen Mitteln diesen Stoff nicht zu erschöpfen vermag. Ohne auf die Unterstützung der Physik zu verzichten, 2
In der Analyse der Empfindungen berichtet Mach v o n der Überraschung, die es ihm „in einem Alter v o n 4 — 5 Jahren" bereitet hatte, als er von der Stadtmauer Wiens herab im Stadtgraben Menschen sah. Er konnte sich nicht vorstellen, von seinem Standpunkt aus, wie sie „hatten hinunter gelangen können, denn der Gedanke eines anderen möglichen Weges (Hervorhebung G. W.) kam mir [d. h. Mach] gar nicht in den Sinn [...]. Gern gestehe ich, daß mein zufälliges Erlebnis bei Befestigung meiner vor langer Zeit gefaßten Ansicht über diesen Punkt wesentlich mitgewirkt hat. Die Gewohnheit, materiell und psychisch stets dieselben Wege zu gehen, wirkt sehr desorientierend. Ein Kind kann beim Durchbrechen einer Wand im längst bewohnten Hause eine wahre Erweiterung der Weltanschauung erfahren, und eine kleine wissenschaftliche Wendung kann sehr aufklärend wirken" (Α., 12).
3
Eine Ausnahme war Machs Prager Kollege, der Physiologe Ewald Hering (1834—1918). Johannes Müller (1801 — 1858) war einer der Pioniere der Physiologie in Deutschland. Für einen kurzen Überblick über Leistung und Leben cf. J. Steudel, „Müller, Johannes Peter", in: C. C. Gillispie (ed.), Bd. IX (1974), 5 6 7 - 5 7 4 .
4
Exkurs: Kakanischer Sokrates I
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kann die Physiologie der Sinne [...] der Physik selbst noch kräftige Hilfe leisten" (Α., 1). Wie bescheiden diese Sätze auch klingen mögen, in zeitgenössischen Physiker- und Physiologenohren mußten sie wie eine freche Ketzerei tönen, denn über z.B. Goethes Farbenlehre mit ihrer sinnesphysiologischen Methode war längst ex cathedra das Anathem gesprochen: Hermann von Helmholtz, Papst der deutschen Physik und mindestens Kardinalstaatssekretär der Sinnesphysiologie, hatte bereits 1853 in einem immer wieder neu aufgelegten Vortrag zusammenfassend dekretiert: „Daß der theoretische Teil der Goethe'schen Farbenlehre keine Physik (d. h. keine echte Wissenschaft, G. W.) ist, wird hiernach Jedem einleuchten" (v. Helmholtz (1903, I, 44). 5 Und noch in einer „Nachschrift (1875)", die die Bestätigung mancher (biologischer) Ideen Goethes hervorhob und in einer merkwürdig zustimmenden Weise Goethe und Kirchhoff in eine methodologiehistorische Reihe stellte, mußte Helmholtz sein altes Anathem, allerdings bedauernd, erneuern: „Goethe's Versuch, seine Anschauungen an dem Beispiel der Farbenlehre praktisch durchzuführen, können wir freilich nicht als gelungen betrachten" (v. Helmholtz (1903), I, 47). Dieses Verdikt hat Mach, wie wir sahen, nicht gestört. Ein anderes Beispiel einer überraschenden ,Sokratischen' Wendung: „Die [physikalischen] Kräfte treten uns ja durch Vergleich mit dem Willen näher; vielleicht wird aber der Wille noch klarer durch den Vergleich mit der Massenbeschleunigung" (P., 284). Auch hier, diesmal in Form eines Apercus, empfiehlt Mach die Umkehrung der selbstverständlichen und eingefahrenen Richtung des Denkens. Wie fern Mach bei solchem aufklärerischen Geschäft alles Sektierertum liegt, kann man ζ. B. daraus ersehen, daß er in seiner wichtigsten sinnesphysiologischen Arbeit „ein besonderes Gewicht auf die physikalische Seite der Sache gelegt" hat (Mach (1875), III). Mach war als Naturwissenschaftler Experimentalphysiker, im Nebenberuf Sinnesphysiologe. Hier konnte der aufklärerische Zug seines sokratischen Denkens natürlich nicht in der gleichen Weise leitend sein wie in seinen kritischen Schriften. In der Experimentalphysik kann eben die Frage nicht die Antwort, das Apergu nicht das Experiment ersetzen. Falls Machsche
5
Interessant für den Mach-Forscher ist im übrigen Helmholtz' Zusammenfassung der Goetheschen Methodologie (a. a. O., 40): „Er [Goethe] fordert daher für die Untersuchung physikalischer Gegenstände eine solche Anordnung der Beobachtungen, daß eine Thatsache immer die andere erkläre, damit man zur Einsicht in den Zusammenhang komme, ohne das Gebiet der sinnlichen Wahrnehmung zu verlassen. Diese Forderung [...] ist aber ihrem Wesen nach grundfalsch." Es wäre verdienstvoll, einmal die methodologischen Beziehungen zwischen Goethe und Mach zu untersuchen.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
Experimentalphysik etwas Sokratisches hat, dann das ingeniös Überraschende seiner Experimentalideen (cf. z.B. Heinz Reichenbach (1983)). Mach war ein Experimentalphysiker wie die meisten anderen seiner Kollegen, vielleicht nur ein besserer. Aber: Mach war — dies muß man wegen wohl unausrottbarer Mißverständnisse besonders betonen — kein professioneller theoretischer Physiker.6 Gleichwohl hat er — wie in § 1 bereits gezeigt wurde und wie noch weiter klar werden wird — für die Entwicklung der theoretischen Physik manches geleistet; wenn auch nicht in der Weise, wie er als Experimentalphysiker zur Experimentalphysik beigetragen hat. Es gibt in der theoretischen Physik nichts, was den Namen .Theorie' verdient und von Mach stammt. Machs Einfluß auf die theoretische Physik beruht auf seiner Wissenschaftstheorie und seiner sokratischen Einstellung zu den physikalischen Grundbegriffen, ist also letztlich ein allgemeiner, thematischer Einfluß. Seine Kritik des absoluten Raumes war an der Herausbildung von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie wesentlich beteiligt. Doch betrachtet man den Machschen Text genauer, so stellt man fest, daß er eigentlich aus Fragen und Bemerkungen zur herkömmlichen Auffassung besteht, Bemerkungen zudem, die selbst wiederum eher Fragen sind: Woher wissen wir vom absoluten Raum? Wir sehen nur eine geradlinig gleichförmige Bewegung gegen die fernen Himmelskörper. Die Relativbewegung des Wassers gegen den Eimer bewirkt keine Zentrifugalkräfte. Keiner weiß, was geschähe, wenn der Eimer meilendick wäre. Und dort, wo er annähernd so etwas wie eine Theorie, oder besser: den Versuch einer mathematischen Beschreibung der Trägheitsbewegung anbietet, kennzeichnet er diesen als mängelbehaftete ,Hypothese'. ,Woher wissen wir eigentlich . . . ? ' — ,Was erfahren wir tatsächlich . . . ? ' — Das ist, auch wenn in thematazersetzenden Fragen wiederum neue Themata transportiert werden, die Grundform von Machs Beiträgen zur theoretischen Physik. Mach hat einmal anläßlich einer Rezension seinen alten Freund Wilhelm Jerusalem 7 charakterisiert (Mach (1905)): „Es gibt in jedem Gebiete, so auch in dem der Philosophie, zweierlei Forscher und Arbeiter. Der eine strebt, ohne sich um das Treiben der anderen viel zu kümmern, die ihm 6
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Freilich war er, wie wir aus zwei autobiographischen Skizzen (1910, 1913) wissen, ein verhinderter theoretischer Physiker: Nach seiner Promotion wäre Mach gerne zum Weiterstudium nach Königsberg zu F. Neumann (1798 — 1895), dem ,Vater der theoretischen Physik' in Deutschland, gegangen. Aber Geldmangel ließ eine Erfüllung dieses Wunsches nicht zu (cf. Blackmore (ed.) (1978), 409, 415). Zu kurzer Information über Jerusalem cf. meinen Artikel in J. Mittelstraß (ed.) (1984), 309 f.
Exkurs: Kakanischer Sokrates II
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begegnenden Probleme zu bewältigen, durch das Gestrüpp der Aufgaben nach Kräften zu freierer Aussicht sich durchzuarbeiten. Der andere hat sich einen bequemen Sitzplatz erwählt, um erstere zu beobachten, dieselben bald warnend, bald scheltend anzurufen und auf den richtigen Weg zu weisen, den er doch selbst erst zu suchen und zu finden hätte. Wer von beiden den besseren Teil erwählt hat und auf welcher Seite der Verfasser [d. h. Jerusalem] steht, wird wohl der Leser seiner Schrift leicht erkennen." Ich glaube, der Verfasser der Rezension steht nicht weit davon entfernt.
§11
Kakanischer Sokrates II, oder: War Mach ein Philosoph?
Jeder Mach-Leser kennt Machs geradezu stereotype Antwort auf die Frage, ob er ein Philosoph sei: „Ich mache keinen Anspruch auf den Namen eines Philosophen" (Α., 24). — „Noch einmal: Es gibt keine Machsche Philosophie!" (a.a.O., 300). — „Es gibt vor allem keine Machsche Philosophie, sondern höchstens eine naturwissenschaftliche Methodologie und Erkenntnispsychologie, und beide sind, wie alle naturwissenschaftlichen Theorien vorläufige, unvollkommene Versuche" (EI., VII). — Und an Wilhelm Schuppe (7.2.1905): „Wegen des Ungestüms einiger meiner Anhänger, unter dem ich schon viel zu leiden hatte, werde ich ohnehin wieder [in dem Schuppe gewidmeten Erkenntnis und Irrtum] erklären, daß ich überhaupt gar kein Philosoph bin, sondern nur ein Naturforscher, der auf seine Weise einen haltbaren Standpunkt sucht." Mach bezeichnet sich hier (EI., VII) sogar als philosophischen „Sonntagsjäger".i Diese treuherzigen Versicherungen Machs stehen in deutlichem Kontrast zu seiner Wirkungsgeschichte: man hat ihn sehr wohl als Philosophen' und keineswegs als philosophischen ,Sonntagsjäger' rezipiert. Wie ist diese auffällige Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirkung zu erklären? Will Mach sich etwa bloß aus der Schußlinie philosophischer Kritik retten, wie seine etwas gereizte Reaktion auf eine Kritik Richard Hönigswalds vermuten läßt? (Cf. EI., VII f; Α., 299 f.). Wohl nicht. Vielmehr scheinen hier unterschiedliche Philosophiebegriffe vorzuliegen, die sich nicht
1
In leicht und unwesentlich gekürzter Form sind die Briefe Machs an Schuppe in (Mach/ Avenarius/Schuppe (1936)) publiziert. Die Originale aus der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek (Berlin) befinden sich heute in der Bibliothek der jagellonischen Universität zu Krakow (Krakau) in Polen. Schuppes Briefe in (EMA).
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Mach und Einstein. Der Einfluß
gegenseitig ausschließen. So ist Machs Philosophiebegriff am philosophischen Systemdenken orientiert, wie sich deutlich an den Textstellen zeigt, in denen er sich wehrt, unter die Philosophen gerechnet zu werden (cf. besonders Α., 300). Wenn in der Rezeptionsgeschichte dagegen von Machscher Philosophie die Rede ist, dann ist Machs Erkenntniskritik gemeint. 2 Von einer philosophischen Erkenntnistheorie 3 ist die Machsche Konzeption allerdings schon an ihrem Ausgangspunkt verschieden. 4 Philosophen fragen nach Entstehung, Wesen und Grenzen menschlicher Erkenntnis schlechthin. An dieser Fragestellung zeigt Mach kein großes Interesse. Vielmehr betont er die vollkommene Berechtigung des naiven Realismus, der das alltägliche Denken und Handeln prägt. Dieser „hat sich ohne das absichtliche Zutun des Menschen in unmeßbar langer Zeit ergeben; er ist ein Naturprodukt und wird durch die Natur erhalten. Alles was die Philosophie geleistet hat, [...] ist dagegen nur ein unbedeutendes ephemeres Kunstprodukt" (Α., 30). Die evolutionäre Berechtigung des naiven Realismus ist freilich nicht bloß auf die vor- und außerwissenschaftliche Lebenswelt beschränkt: Auch „der untersuchende Physiker, ja selbst der Philosoph, der augenblicklich nicht kritisch sein will" (Α., 303), hat „keinen Grund sich allzusehr durch solche [erkenntniskritischen] Betrachtungen beunruhigen zu lassen" (Α., 255); beide können ohne Schaden auf dem Boden des naiven Realismus bleiben (cf. EI., 12 Anm.). Erkenntniskritische Untersuchungen werden erst erforderlich, wenn die Wissenschaft auf Gebiete übergreift, die im naiven Dualismus von Ich und Welt nicht mehr adäquat erfaßt werden können. Für Mach ist dies bei denjenigen Untersuchungen der Fall, in denen Psychisches und Physisches gemeinsam eine Rolle spielen, d. h., vor allem in der Sinnesphysiologie und Sinnespsychologie (cf. Α., 303). 5 Sinnesphysiologische und sinnespsychologi2
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Ich ziehe im Falle Machs ,Erkenntniskritik' den üblicheren Bezeichnungen .Erkenntnistheorie' oder ,Erkenntnislehre' vor, weil diese (für Mach unzutreffend) einen umfassenden Zugriff auf das Phänomen .Erkenntnis' suggerieren. Gemeint ist hier .Erkenntnistheorie' im engeren Sinne, d. h., unter Ausschluß methodologisch-wissenJchaftstheoretischer Aspekte. Es wird sich freilich zeigen, daß Machs Erkenntniskritik letztlich eben doch einen wissenschaftstheoretischen Zweck verfolgt. Das Folgende berührt sich mit meiner Darstellung in der Einleitung zum Reprint von Machs Analyse der Empfindungen (Wolters (1985 a)). Ohne Beispiele zu nennen, betont Mach (Α., 255) allgemein die Notwendigkeit erkenntniskritischer Analyse, wenn es sich „um die Verbindung von Nachbargebieten von verschiedenem und eigenartigem Entwicklungsgang handelt." Vermutlich hat Mach auch Untersuchungen in Gebieten wie Wärmelehre und Mechanik im Auge. — Machs Methodologie ist, wie Feyerabend (1984 a) treffend hervorhebt, leicht von seiner Erkenntniskritik zu trennen.
Exkurs: Kakanischer Sokrates II
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sehe Untersuchungen setzen deswegen Erkenntniskritik voraus, weil sie, naiv-realistisch betrieben, zum gleichen Fehler tendieren wie eine rein physikalische Untersuchung der Sinneswahrnehmung: „Der Physiker sagt: Ich finde überall nur Körper und Bewegungen von Körpern, keine Empfindungen; Empfindungen müssen also etwas von den physikalischen Objekten, mit welchen ich verkehre, Grundverschiedenes sein." Entsprechend verfährt der (naiv-realistische) Psychologe. Ihm sind „zunächst die Empfindungen gegeben; denselben entspricht aber ein mysteriöses physikalisches Etwas, welches nach der vorgefaßten Meinung von Empfindungen gänzlich verschieden sein m u ß " (Α., 36 f.). Dieser Korrespondenzzwang von psychischer und physischer Welt ist eine Folge der realistischen Einstellung. Mach befürchtet, daß „wir hier vom bösen Geist im Kreis herum geführt" werden (Α., 37). Doch wird in der realistischen Einstellung der Gegenstandsbereich der Wissenschaft nicht nur von der sinnlichen Wahrnehmung teilweise verfehlt. Es stellen sich auch Scheinprobleme. Mach erläutert ein solches Scheinproblem in P., 609. Es handelt sich um das bekannte Phänomen des umgekehrten Netzhautbildes. Der Physiker fragt sich, wieso ein Punkt, der im Raum etwa unten ist, auf der Netzhaut oben erscheint. Die Lösung des Problems liefert die Dioptrik, die zeigt, daß die Lichtstrahlen im dioptrischen Apparat des Auges (Linse, Hornhaut) entsprechend gebrochen werden. Damit ist diese physikalisch berechtigte Frage gelöst. Betrachtet man nun das Phänomen des umgekehrten Netzhautbildes, dem realistischen Korrespondenzzwang folgend, psychologisch, dann ist die Frage zu beantworten, warum wir das umgekehrte Netzhautbild aufrecht sehen. Diese Frage aber „ist als Problem psychologisch ganz sinnlos. Die Lichtempfindungen auf den verschiedenen Teilen der Netzhaut sind ursprünglich mit den räumlichen Empfindungen verbunden und wir bezeichnen mit ,Oben' den Teil, welIn der Literatur findet man jedoch immer wieder Behauptungen wie die, daß Machs Methodologie auf seiner Erkenntnislehre aufbaue. Ich habe nie einen Textbeleg für diese These gesehen. So trifft es denn auch schlicht nicht zu, wenn etwa Miller (1981), 138 (Anm. 4) behauptet: „Mach's analysis of mechanics was based upon an epistemology emphasizing sensationism". Machs Mechanik baut auf gar keiner Erkenntnistheorie auf, sondern besteht in historischer Analyse am Leitfaden einer empiristischen Methodenlehre. Ebenso unzutreffend und textlich nicht belegt ist es, wenn Miller (ebd.) Mach das Folgende zuschreibt: „Theorizing begins from elements, and conversely statements in theories were physically meaningful only if they could be related directly [!] to elements." Dazu nur soviel: Wie zitiert kommt nach Mach der Physiker normalerweise bestens ohne Erkenntnistheorie und Machsche ,Elemente' (s. u.) aus. Elemente sind nach Mach keine Theorienbausteine, sondern allenfalls letzte Prüfinstan%en, und schließlich sind nach Mach Theorien ,/«direkte Beschreibungen (cf. P., 271).
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eher dem unteren Teil der Netzhaut entspricht. Für das empfindende (Hervorhebung G. W.) Subjekt ist diese Frage gegenstandslos" (Mach, ebd.). Besonders abwegig ist für Mach der „ungeheuerliche Gedanke, die Atome zur Erklärung der psychischen Vorgänge verwenden zu wollen" (Α., 254). In dieser Idee addiert sich zu dem Fehler unkritischer Korrespondenzannahmen zwischen Psychischem und Physischem noch der weitere, daß die Atomhypothese, die Mach schon im Gebiet der Physik und Chemie weitgehend als überflüssige und möglicher Erfahrung entzogene Spekulation ansieht, in der Psychologie für bare Münze, sprich: Wirklichkeit, genommen wird. 6 Der realistische Standpunkt in Forschungen auf dem Gebiet der Sinnesphysiologie führt also zu offensichtlichen Scheinproblemen und Unstimmigkeiten. Was ist zu tun? Diese Frage beantwortet Machs Erkenntniskritik, die folglich zunächst nichts anderes ist als eine Reaktion auf eine Herausforderung in einem — wenn auch philosophisch' wichtigen — wissenschaftlichen Spezialgebiet. Entsprechend konzipiert Mach seinen realismuskritischen Ansatz auch nicht als philosophische Erkenntnistheorie im traditionellen Sinne (s. o.), sondern gibt ihm selbst eine ein^elwissenschaftliche Färbung. 7 Mach vertritt den phänomenalistischen Standpunkt, daß alles Wissen ein Wissen in Bewußtseinsinhalten sei. Doch gefallt ihm das Wort ,Bewußtseinsinhalt' nicht, da es den Dualismus von Außenwelt und Bewußtsein suggeriert, den Mach gerade vermeiden möchte. Er zieht es deshalb in EI. vor, von „Befunden" zu sprechen (EI., 7 ff.). In diesen Befunden drückt sich unsere gesamte Welt- und Selbstkenntnis aus. Beispiele solcher Befunde sind, daß sich ein Körper am Feuer erwärmt, bei Berührung mit Eis abkühlt, oder daß man durch Veränderung der Augenstellung einen vorher einfach gesehenen Körper doppelt sieht (a. a. O., 7). Auch „Erinnerungen, Hoffnungen, Befürchtungen, Triebe, Wünsche, Willen u.s.w."
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So mokiert sich Mach (Α., 256) über Ludwig Boltzmann: „Bald nach Erscheinen der ersten Auflage dieser Schrift [1886] belehrte mich ein Physiker darüber, wie ungeschickt ich meine Aufgabe angefaßt hätte. Man könne, meinte er, die Empfindungen nicht analysieren, bevor die Bahnen der Atome im Gehirn nicht bekannt seien. Dann allerdings würde sich alles von selbst ergeben" (cf. EA., Vorwort). Zu Boltzmanns Urheberschaft dieses denkwürdigen Ratschlags cf. A. Höfler ((1910), 2, 9). Der folgenden Darstellung liegt überwiegend Machs Version seiner erkenntniskritischen Position in EI. zugrunde. In meiner Auffassung Machs treffe ich mich so gut wie vollständig mit Paul Feyerabends luziden Ausführungen (Feyerabend (1970), (1981), (1984 a)). Der Sache nach gibt es keinen Unterschied zwischen der Machschen Erkenntniskritik in A, (bes. Kap. 1) und in EI.
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(a. a. O., 6) gehören dazu. Befunde sind also die recht komplexen Einheiten unserer faktischen Welt- und Selbstkenntnis. 8 Diese komplexen Befunde lassen sich zerlegen. Das ist dann unumgänglich, wenn sie geprüft werden sollen. So ist etwa die Prüfung des Befundes, daß sich ein Körper bei Annäherung ans Feuer erwärmt, mit einer Reihe analytischer Aktivitäten verbunden, die von den Prüfungsstandards abhängig sind: Es werden etwa Wärme^ustände zu verschiedenen Zeitpunkten an verschiedenen Orten festgestellt. Eventuell werden diese Feststellungen in metrischer Form angegeben. Im Sinne Machs besteht ein Befund aus solchen ,Elementen' wie Wärmen, Zeiten, Räumen (Drücken, Farben usw.) als Analyseprodukte. Sie heißen ,Elemente', weil es sich bei ihnen um „letzte Bestandteile [handelt], die wir bisher nicht weiter zerlegen konnten" (Α., 4). Mach lehnt es ab, sich über das Wesen dieser Elemente weiter zu äußern. Was den Wissenschaftler interessiert, sind auch keineswegs isolierte Befunde oder Elemente, sondern nur deren mannigfache Verknüpfungen und funktionale Abhängigkeiten. Sie sind gegenüber philosophischen Grundpositionen wie Realismus oder Idealismus ,neutral·. D. h., sie präjudizieren nicht, ob es eine ,Außenwelt' gibt, die die Befunde oder die Elemente, deren Verknüpfung die Befunde sind, verursacht hat und die in den Elementen abgebildet wird; oder ob — idealistisch — die ,Realität' wesentlich von Befunden und Elementen geprägt wird. Noch einmal: die faktisch vorgenommene Zerlegung der Befunde in Elemente ist vorläufig (s. o.; cf. EI., 12 Anm.) und damit hypothetisch. „Sie ist nicht bestimmt ein oder 7 oder 9 Welträtsel zu lösen. Sie führt nur zur Beseitigung falscher, den Naturforscher störender Probleme und überläßt der positiven Forschung das Weitere. Wir bieten nur ein negatives Regulativ für die naturwissenschaftliche Forschung, um welches der Philosoph gar nicht nötig hat sich zu kümmern." Es geht nur darum, dem Naturforscher einen Ansatz zu bieten, dessen er sich „mit Vorteil als Ausgangspunkt der Forschung bedienen kann" (EL, 15). Kein fundamentum inconcussum allerdings, sondern „provisorisch und durch neue Erfahrungen modifizierbar" (EI., 16). Eine erste erkenntniskritische These Machs lautet damit: (El) Unsere Welt- und Selbstkenntnis besteht aus der Summe (untereinander zusammenhängender) philosophisch neutraler Befunde b%w. aus den Elementen, in die sich die Befunde %erlegen lassen.
8
Die methodische Frage nach den anderen Menschen, d. h., Machs Ausweg aus dem Solipsismus, soll hier nicht weiter erörtert werden.
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Mach und Einstein. Der Einfluß
Alle Befunde und Elemente sind von gleicher Art, so verschieden ihr Gehalt auch jeweils sein mag. Mach differenziert diesen monistischen Ausgangspunkt in einem zweiten Schritt: Die vorwissenschaftliche Erfahrung, von der alle Wissenschaft auszugehen hat (EI., 5)9, lehrt, daß es Befunde gibt, die sich direkt auf den Leib beziehen; andere Befunde wiederum überschreiten die Leibgrenzen und schließlich finden sich Befunde wie Vorstellungen, Erinnerungen etc. (EI., 6 ff.). Da letztere für den vorliegenden Zusammenhang nicht weiter wichtig sind, sei hier die Analyse auf die ,Welt-' und ,Leibbefunde' beschränkt. Mach unterscheidet zwei Typen von Weltbefunden: (1) solche, deren Abhängigkeit von anderen Weltbefunden zur Diskussion steht. Die Untersuchung dieser Abhängigkeiten ist Physik. Betrachtet man jedoch (2) ein und dieselben Weltbefunde in ihrer Abhängigkeit von Leib befunden, so handelt es sich um eine physiologisch-psychologische Untersuchung. 10 D. h., die Gegenstände von Physik und Psychologie sind identisch: ein und derselbe Weltbefund, einmal in Abhängigkeit von anderen Weltbefunden, das andere Mal in Abhängigkeit von Leibbefunden betrachtet. „Nicht der S t o f f , sondern die Untersuchungsrichtung 11 ist in beiden Gebieten verschieden" (Α., 14). Machs zweite erkenntniskritische These lautet: (E2) Physik und Psychologie untersuchen die gleichen Gegenstände in je verschiedenen Abhängigkeitsbeziehungen.
9 10
11
„Die Psyche tritt uns in keiner Phase als eine ,tabula rasa' entgegen" (Α., 196). Nur in Abhängigkeit von Z-«'£elementen nennt Mach Weltelemente ,Empfindungen' (Α., 13). In Abhängigkeit von anderen li^Z/elementen sind sie physikalische Objekte. Ich stimme deshalb Feyerabends These „Elemente sind Empfindungen" (Feyerabend (1981), 53), die er Mach zuschreibt, nicht zu. In ihr wird die philosophische Neutralität der Machschen Konzeption nicht beachtet. Feyerabends These ist .idealistisch'. Für Mach ist nur ein Typ von Elementen .Empfindung'. Mach erläutert diese These an einem Beispiel: „Das Grün (A) des Blattes ist verbunden mit einer gewissen optischen Raumempfindung (B), einer gewissen Tastempfindung (C) und mit der Sichtbarkeit der Sonne oder der Lampe (D). Wenn das Gelb (E) der Natriumflamme an die Stelle der Sonne tritt, so übergeht das Grün des Blattes in Braun (F). Wenn das Chlorophyll durch Alkohol entfernt wird [...], verwandelt sich das Grün (A) in Weiß (G). Alle diese Beobachtungen [von Abhängigkeiten der Weltelemente untereinander] sind physikalische. Doch das Grün (A) ist auch mit einem Prozeß meiner Netzhaut verknüpft. Nichts hindert mich prinzipiell, diesen Prozeß in meinem Auge in derselben Weise zu untersuchen, wie in den oben erwähnten Fällen, und denselben in Elemente Χ Υ Ζ . . . aufzulösen [...]. Nun ist Α in seiner Abhängigkeit von Β C D Ε . . . ein physikalisches Element, in seiner Abhängigkeit von Χ Υ Ζ . . . ist es eine E m p f i n d u n g und kann auch als ein psychisches Element aufgefaßt werden. Das Grün (A) an sich wird aber in seiner Natur nicht geändert, ob wir unsere Aufmerksamkeit auf die eine oder auf die andere Form der Abhängigkeit richten. Ich sehe daher keinen Gegensatz von Psychischem und Physischem, sondern einfache Identität in be^ug auf diese Elemente. In der sinnlichen Sphäre meines Bewußtseins ist jedes Objekt zugleich physisch und psychisch" (Α., 35 f.).
Exkurs: Kakanischer Sokrates II
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Mit (El) und (E2) hat Mach eine erkenntniskritische Hypothese für die ,Tiefengrammatik' (Wittgenstein) der Sprache der Physik und der Psychologie formuliert. Deren Pointe ist, daß wegen der gegenständlichen Identität eine ontologische Reduktion von Psychischem auf Physisches (und umgekehrt) prinzipiell ausgeschlossen ist. Bis hierhin ist Mach seiner Versicherung, es gehe ihm nicht um Philosophie, sondern um erkenntniskritische Hypothesen zur Klärung notwendiger Vorfragen in Bereichen wie der Wissenschaft von den Sinneserfahrungen treu geblieben. Mach vertritt, wie klargeworden ist, keine Sinnesdaten-Theorie im modernen Sinne, da ja nur Elemente eines Typs, d. h. ausdrücklich in Leibabhängigkeit betrachtet, als eigentliche Sinnesdaten angesehen werden kann. 12 Ferner liegt, was hier nicht weiter begründet werden soll, keine philosophische Konstitutionstheorie vor. Auch soll hier nicht der Frage nachgegangen werden, inwieweit Machs Erkenntniskritik nicht doch wieder genuin philosophisch ist. Sie ist jedenfalls ihrer Intention nach keine philosophische Erkenntnistheorie im üblichen Sinn. Nun kommt allerdings die Beharrlichkeit, mit der Machs Erkenntniskritik seit ihren Anfängen der Philosophie zugerechnet wird, nicht von ungefähr. Denn Mach hat aus seinem erkenntniskritischen Ansatz zwar keine systematische Philosophie entwickelt; wohl aber aufklärerisch-kritische Folgerungen gezogen, die für das menschliche Selbst- und Weltverständnis von Bedeutung sind. Trotz seines Lobes für den Wert der naiv-realistischen Einstellung (s. o.) gibt es für ihn keine theoretische Basis für die alltägliche Trennung von Ich und Welt. Wovon wir in letzter Instanz wissen, sind allein Befunde. Deren Differenzierung zu Welt-, Leib- und ,Seelen'-Befunden ist praktisch motiviert und prinzipiell unscharf. Das Ich, der hypostasierte Dreh- und Angelpunkt der idealistischen Philosophie ebenso wie des alltäglichen Lebens, ist vom erkenntniskritisch aufgeklärten Standpunkt aus „unrettbar" (Α., 20). Mit ,Ich' wird lediglich eine „Zusammenfassung der mit Schmerz und Lust am nächsten zusammenhängenden Elemente" bezeichnet, eine „ideelle denkökonomische, keine reelle Einheit" (Α., 18 f.). 13 Dies ist kein theoretischer Gedanke, lehr- und lernbar wie die Lösung einer mathematischen Aufgabe. Hier gilt es vielmehr, das 12
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Einen informativen Überblick über die Sinnesdatentheorie bieten die Artikel ,Sensa' (R. J. Hirst) und .Sensationalism' (P. Alexander) in: P. Edwards (1967), Vol. VII, 4 0 7 - 4 1 9 , sowie Hirst (1978) und Hirst (ed.) (1965). Diese Auffassungen hatten erheblichen Einfluß auf das anthropologische Selbstverständnis insbesondere des literarischen Impressionismus im Wien des fin de siecle (Hermann Bahr, Arthur Schnitzler).
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Mach und Einstein. Der Einfluß
eigene Ego zu relativieren. Es handelt sich „um einen psychologischen Umbildungsprozeß (im Grunde meditativer Art, G. W.), der, wie ich an mir erfahren habe, selbst in jungen Jahren schwierig genug ist" (Α., 290). 14 Ähnliche Kritik gilt, gewissermaßen auf der Weltseite, dem Substanzbegriff.xs Die Annahme absolut und unbedingt beständiger, materieller ,Substanzen', die alltägliches und wissenschaftliches Handeln begleitet, beruht auf vorschnellen Urteilen, die erkenntniskritischer Prüfung nicht standhalten. So erscheinen die physischen Körper dem nicht erkenntniskritisch geläuterten Zugriff substantiell. Diese geradezu ,instinktive' Auffassung beachtet aber nicht, daß die scheinbar unbedingte Substanzwahrnehmung an Operationen der Sinnesorgane (Sehen, Tasten) gebunden ist. Diese Operationen haben ihrerseits wiederum andere Bedingungen: Sichtbarkeit setzt erstens Beleuchtung voraus und zweitens, daß der gesehene Körper auch tastbar ist. Tastbarkeit wiederum setzt (nur) Erreichbarkeit voraus. Ferner sind die optischen Bilder ζ. B. je nach Beleuchtung und Raumlage, das Tastbild ζ. B. je nach Temperatur verschieden. Was also konstatiert wird, sind nach Mach keine Substanzen, sondern Bedingungsgefüge, die bei den unterschiedlichsten, auch künstlich hergestellten Konstellationen relativ konstant bleiben: „Die Körper sind also nichts weiter als Bündel gesetzmäßig zusammenhängender Reaktionen" (EL, 148). Auch hier hat wie beim Aufgeben des traditionellen Ich-Begriffs ein psychologischer Umbildungsprozeß' im gesamten Weltverhältnis einzusetzen, um die theoretisch neu gefaßte Substanzvorstellung in unser Weltbild gewissermaßen »spürbar' einzufügen. Es ist eine Sache, diesen Gedanken intellektuell zu verstehen, eine andere, das spontane Verhalten zu sich selbst, den anderen Menschen und zur Welt gemäß dem neuen intellektuellen Verständnis umzuformen. Der methodenkritische Aspekt der Machschen Erkenntnisauffassung war in anderem Zusammenhang bereits in § 10 erwähnt worden: Mach erwartet komplementär zu der Förderung von Psychologie und Physiologie durch Physik auch einen Nutzen für die Physik durch die erstgenannten Disziplinen. Er nennt einige Gründe (Α., 276 ff.) für diese überraschende These: (1) Neue physikalische Tatsachen werden, zunächst gewöhnlich isoliert 14
15
Im übrigen bestand eine große Affinität Machs zum Buddhismus. Eine brauchbare Textzusammenstellung dazu in Blackmore (1972), Kap. 18, 286 ff. Blackmores Urteil ist allerdings durch seine Gewohnheit stark getrübt, „shallow polemics for historical analysis" zu substituieren (W. Swoboda (1974), 201). Weitere Beispiele dafür, wie bei Blackmore Vorurteile Fakten verdrängen, werden wir noch kennenlernen. Cf. W„ 423 ff.; Α., 268 ff.
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auftretend, durch psychische Tätigkeit in einen Kontext gestellt, in dem sie erst zureichend bestimmt werden. (2) Manche physikalische Sätze erfordern zu ihrem Verständnis Leiberfahrungen wie etwa solche, in denen ,rechts' oder ,links' vorkommen (ζ. B. sieht der sich in Richtung des elektrischen Stroms bewegend denkende ,Amperesche Schwimmer' den Nordpol der Magnetnadel, die vom Strom umkreist wird, nach links ausweichen). (3) Die Zusammenhänge zwischen physischem und Empfindungsraum. Mach geht sogar so weit, die Psychologie als „Hilfswissenschaft der Physik" zu bezeichnen (Α., 278). Man sieht, daß Mach zur Philosophie, ähnlich wie zur theoretischen Physik, keine systematisch-aufbauende, sondern eine aufklärerisch-kritische, alte unbefragt-instinktive Welt- und Selbstverhältnisse destruierende Stellung bezieht. Während allerdings erkenntnistheoretische Kritik der theoretischen Physik selbst noch nicht theoretische Physik ist, bildet philosophische Kritik einen genuinen Bestandteil der Philosophie. Die Lehren, die hier zu ziehen sind, sind im übrigen nicht primär theoretisch, so wie man etwa lernt, daß bisherige Annahmen, sagen wir über die Saturnringe, auf Grund neuer Erfahrungen geändert werden müssen. Machs philosophische Kritik zielt vielmehr auf die Überwindung praktischer Einstellungen, die sich zu unreflektierten Lebensformen und Weltanschauungen verfestigt haben. Ganz im Sinne seines Athener Ahnen.
Kapitel II Mach und Einstein. Die Briefe und ein Besuch Philipp Franks bei Mach § 12 Die Briefe. Ihr
Auftaueben
Mach und Einstein haben miteinander korrespondiert. Die Briefe Machs an Einstein sind bisher nicht aufgetaucht. Sie sind vor allem nicht im Einstein-Nachlaß erhalten geblieben. So ist zu befürchten, daß sie verloren gegangen sind. Dagegen sind drei Briefe und eine Postkarte Einsteins an Mach erhalten. Einen ersten Hinweis auf noch existierende Briefe Einsteins lieferte der erste Band des Antiquariatskatalogs der Bibliothek Ernst Machs (Akkermann (1959/1960)), der 1959 zur Auslieferung kam.1 Dort wurde auch der Teil der Korrespondenz Machs angeboten, der heute in (EMA) (Freiburg) lagert. Bei dieser Gelegenheit wurde ein Zitat aus einem Brief Einsteins an Mach mitgeteilt, das Friedrich Herneck noch im selben Jahr einem größeren Kreis Interessierter mit einer eigenen Analyse zugänglich machte (Herneck (1959)). Dieser Brief, es ist derjenige vom 25. Juni 1913, wurde sodann im nächsten Jahrgang der „Physikalischen Blätter" von H. Hönl vollständig mitgeteilt und analysiert. Ein Jahr später fand Anna Karma Mach eine Postkarte Einsteins an Mach vom 17. August 1909, die in Herneck (1961) veröffentlicht wurde. Die Postkarte von 1909 brachte insofern einigen Wind in die Forschung, als aus ihr unzweifelhaft hervorgeht, daß sich Mach, jedenfalls noch kurz vor dem 17. August 1909, als ausgesprochener Relativitäts-Freund zu erkennen gegeben hatte, also minde1
Die großen deutschsprachigen Bibliotheken müßten beschämt sein, daß sie Machs Bibliothek nicht en bloc aufgekauft haben. Eine bedeutendere wissenschaftshistorische Sammlung dürfte wohl kaum mehr je zum Verkauf anstehen. Die finanziellen Vorstellungen von Anna Karma Mach beim Verkauf waren, wenn man die Preise in Ackermann (1959/ 60) betrachtet, bescheiden; nach Auskunft der Gebrüder Ohlendorf hat sie sich sehr um die en-bloc-Abgabe an eine öffentliche Bibliothek bemüht. Dies läßt sich am Beispiel der Bibliothek der ΕΤΗ Zürich auch belegen. Wo aber war ζ. B. die Bayerische Staatsbibliothek?
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Die Briefe. Text und Analyse
stens zeitweise die Relativitätstheorie nicht ablehnte. Doch diese kleine Hürde wurde von der Mach-Forschung leicht genommen: 1909 war Mach noch für die Relativitätstheorie, „im Juli 1913", d. h. zur Zeit, in der angeblich das Optik-Vorwort geschrieben wurde, war er dagegen. Irgendwann zwischendurch hat er seine Meinung geändert. Zwei Jahre später fand Anna Karma Mach zwei weitere Briefe Einsteins an Mach, der eine vom 9. August 1909, der andere ohne Datum. Herneck publizierte und analysierte auch diese beiden Briefe (Herneck (1963)). Schließlich veröffentlichte Herneck alle vier Stücke auf einmal (Herneck (1966), sowie Herneck (1983), 165 ff.). Weitere Korrespondenz wurde nicht gefunden. Damit sind insgesamt erhalten und bekannt: 1. 2. 3. 4.
Brief Einsteins an Mach: Bern, 9. August 1909. Postkarte Einsteins an Mach: Bern, 17. August 1909. Brief Einsteins an Mach: Zürich, 25. Juni 1913. Brief Einsteins an Mach: ohne Ort und ohne Datum.
§13
Die Briefe. Textx und Analyse
A. Der Brief vom 9. August „Hoch geehrter Herr Professor! Ich danke Ihnen bestens für den mir übersandten Vortrag über das Gesetz von der Erhaltung der Arbeit, den ich bereits mit Sorgfalt durchgelesen habe. Im übrigen kenne ich natürlich Ihre Hauptwerke recht gut, von denen ich dasjenige über die Mechanik am meisten bewundere. Sie haben auf die erkenntnistheoretischen Auffassungen der jüngeren Physiker-Generation einen solchen Einfluß gehabt, daß sogar Ihre heutigen Gegner wie ζ. B. Herr Planck, von einem der Physiker, wie sie vor einigen Jahrzehnten im Ganzen waren, ohne Zweifel für ,Machianer' erklärt würden. Weil ich nicht weiß, wie ich mich Ihnen sonst dankbar zeigen soll, schicke ich Ihnen einige meiner Abhandlungen. Besonders möchte ich Sie bitten, sich das über die Brown'sche Bewegung kurz anzusehen, weil hier eine Bewegung vorliegt, die man als ,Wärmebewegung' deuten zu müssen glaubt. Mit aller Hochachtung Ihr ganz ergebener
A. Einstein"
Aus diesem Brief ist folgendes ersichtlich: (1) Es ist Mach gewesen, der den Kontakt mit Einstein durch Zusendung von EA. aufgenommen hat. 1
Nach Herneck (1966).
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Mach und Einstein
(2) Einstein nimmt Mach gegen Plancks Anwürfe in Schutz. (3) Einstein betont Machs erkenntnistheoretischen Einfluß auf die jungen Physiker. (4) Einstein versucht, „wenn auch mit einer auffallend vorsichtigen Interpretation" (Herneck (1966), 6), Mach die kinetische Theorie nahezubringen. B. D i e Postkarte v o m 17. A u g u s t „Hoch geehrter Herr Professor! Ihr freundlicher Brief hat mich ungemein gefreut und nicht minder die Abhandlung. Was Sie mir Persönliches von sich mitteilen, war mir schon alles bekannt, wie allen Freunden der Wissenschaft. Ich bewundere Ihre große Energie. Es scheint, daß ich Ihnen die Abhandlungen zu senden vergessen habe. Aber sie gehen nun zusammen mit der Karte ab. Es freut mich sehr, daß Sie Vergnügen an der Relativitätstheorie haben. Leider habe ich keine Exemplare mehr von der zusammenfassenden Arbeit, die ich im Jahrbuch für Radioaktivität und Elektronik darüber publiziert habe. Indem ich Ihnen nochmals herzlich danke für Ihren freundlichen Brief verbleibe ich Ihr Sie verehrender Schüler A. Einstein"
An dieser Karte ist natürlich vor allem wichtig, daß Einstein Machs ,freundlichen Brief so interpretiert, daß Mach , Vergnügen an der Relativitätstheorie'' habe. Diese ziemlich starke Formulierung läßt im Rückschluß die Vermutung einer deutlichen Sympathiebekundung Machs zu. Es liegt sogar nahe zu vermuten, daß Mach selbst von ,Vergnügen' gesprochen hat. Des weiteren läßt sich aus Machs Antwort auf Einsteins Brief vom 9. August rekonstruieren, daß Mach sich über seinen schlechten Gesundheitszustand geäußert hat (Lähmungen und andere Folgeerkrankungen seines Schlaganfalls von 1898). Ferner geht aus dem Brief hervor, daß die physikalische scientific community über Machs Schicksal und gesundheitlichen Zustand Bescheid wußte. Sehr wichtig ist Einsteins Schlußformel ,Ihr Sie verehrender Schüler'. Sie zeigt zum einen, wie eng sich Einstein Mach verbunden glaubt, obwohl er nicht formell Machs Schüler ist, und dokumentiert zum anderen dem alten Mach diese Verbundenheit. Gerade das dürfte für Machs Einstellung zu Einstein nicht ganz bedeutungslos gewesen sein. C. Der Brief vom 25. Juni 1913 „Hoch geehrter Herr Kollege! Dieser Tage haben Sie wohl meine neue Arbeit über Relativität und Gravitation erhalten, die nach unendlicher Mühe und quälendem Zweifel nun endlich fertig geworden ist. Nächstes Jahr bei der Sonnenfinsternis soll sich zeigen,
Die Briefe. Text und Analyse
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ob die Lichtstrahlen an der Sonne gekrümmt werden, ob mfit] afnderen] Wforten] die zugrundegelegte fundamentale Annahme von der Äquivalenz von Beschleunigung des Bezugssystems einerseits und Schwerefeld andererseits wirklich zutrifft. Wenn ja, so erfahren Ihre genialen Untersuchungen über die Grundlagen der Mechanik — Plancks ungerechtfertigter Kritik zum Trotz — eine glänzende Bestätigung. Denn es ergibt sich mit Notwendigkeit, daß die Trägheit in einer Art Wechselwirkung der Körper ihren Ursprung hat, ganz im Sinne Ihrer Überlegungen zum Newtonschen Eimer-Versuch. Eine erste Konsequenz in diesem Sinne finden Sie oben auf Seite 6 der Arbeit. Es hat sich ferner folgendes ergeben:
vf
(Originalzeichnung Einsteins im Brief vom 25. 6.1913)
1) Beschleunigt man eine träge Kugelschale S, so erfahrt nach der Theorie ein von ihr eingeschlossener Körper eine beschleunigende Kraft. 2) Rotiert die Schale S um eine durch ihren Mittelpunkt gehende Achse (relativ zum System der Fixsterne/,Restsystem'), so entsteht im Innern der Schale ein Coriolis-Feld, d. h. die Ebene des Foucault-Pendels wird (mit einer allerdings praktisch unmeßbar kleinen Geschwindigkeit) mitgenommen. Es ist mir eine große Freude, Ihnen dies mitteilen zu können, zumal jene Kritik Plancks mir schon immer höchst ungerechtfertigt erschienen war. Mit größter Hochachtung grüßt Sie herzlich Ihr ergebener A. Einstein Ich danke Ihnen herzlich für die Ubersendung Ihres Buches." Dieser Brief Einsteins scheint die inzwischen eingeschlummerte Korrespondenz mit Mach wieder zu beleben. Auch diesmal ist es Mach, der die Initiative durch Zusendung eines Buches ergriffen hatte. 2 Der Inhalt des Briefes läßt sich wie folgt zusammenfassen: (1) Einstein hat Mach die Arbeit Einstein/Grossmann (1913) zugeschickt, in der eine erste (noch unbefriedigende) kovariante Fassung der Feldgleichungen vorgelegt wird. (2) Einstein hat diese Arbeit außerordentliche Mühe bereitet. (3) Als empirische Konsequenz aus der in der Theorie vertretenen Äquivalenz von träger und schwerer Masse ergibt sich eine Ablenkung von Lichtstrahlen im Schwerefeld der Sonne. (4) Die Bestätigung dieser empirischen 2
Vermutlich die 7. Auflage der Mechanik aus dem Jahre 1912. 1913 wurde kein Buch Machs veröffentlicht, im Jahre 1912 nur die Mechanik.
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Mach und Einstein
Konsequenz stellt gleichzeitig eine Rechtfertigung des Machschen Trägheitsprinzips dar. (5) Das Machsche Trägheitsprinzip hat nach der neuen Einsteinschen Theorie auch noch eine andere empirische (wenn auch meßtechnisch noch nicht faßbare) Konsequenz. (6) Erneut (und gleich zweimal) nimmt Einstein Mach gegen Planck in Schutz. Dabei sieht er die Bestätigung des Machschen Trägheitsprinzips in der neuen Theorie als eine ihn sehr erfreuende Rehabilitation Machs gegenüber dem ungerechtfertigten Vorwurf Plancks, Machs Lehren seien unfruchtbar. D. Der undatierte Brief „Hoch geehrter Herr Kollege! Ich freue mich sehr über das freundliche Interesse, das Sie der neuen Theorie entgegenbringen. Die mathematischen Schwierigkeiten, auf die man bei Verfolgung dieser Gedanken stößt, sind leider auch für mich sehr große. Es freut mich außerordentlich, daß bei der Entwicklung der Theorie die Tiefe und Wichtigkeit Ihrer Untersuchungen über das Fundament der klassischen Mechanik offenkundig wird. Ich kann heute noch nicht begreifen, wie Planck, den ich sonst wie kaum einen zweiten hochschätzen gelernt habe, Ihren Bestrebungen so wenig Verständnis entgegenbringen konnte. Er steht übrigens auch meiner neuen Theorie ablehnend gegenüber. Ich kann ihm das nicht verargen. Denn bis jetzt ist jenes erkenntnistheoretische Argument das Einzige, was ich zugunsten meiner neuen Theorie vorbringen kann. Für mich ist es absurd, dem ,Raum' physikalische Eigenschaften zuzuschreiben. Die Gesamtheit der Massen erzeugt ein (Gravitationsfeld), das seinerseits den Ablauf aller Vorgänge, auch die Ausbreitung der Lichtstrahlen und das Verhalten der Maßstäbe und Uhren regiert. Das Geschehen wird zunächst auf vier gan% willkürliche raum-zeitliche Variable bezogen. Diese müssen dann, wenn den Erhaltungssätzen des Impulses und der Energie Genüge geleistet werden soll, derart spezialisiert werden, daß nur (ganz) lineare Substitutionen von einem berechtigten Bezugssystem zu einem anderen führen. Das Bezugssystem ist der bestehenden Welt mit Hilfe des Energiesatzes sozusagen angemessen und verliert seine nebulöse apriorische Existenz. In kurzem sende ich Ihnen einige Darstellungen des Gegenstandes, in denen das Formale möglichst zurücktritt, das Sachliche möglichst betont ist. Aber es gelingt mir bei diesen abstrakten Dingen nicht recht, das Sachliche von der Form zu trennen. Mit den besten Wünschen für das neue Jahr Ihr ganz ergebener A. Einstein" Dieser Brief, insbesondere seine Datierung (cf. § 14), ist für die Einschätzung des Verhältnisses Mach-Einstein sowie für meinen Nachweis einer überwiegend positiven Einstellung Ernst Machs zur Relativitätstheorie von großem Wert. Folgende Gesichtspunkte seien vorerst hervorgehoben: (1) Einstein antwortet auf ein Schreiben Machs, in dem dieser .freund-
Die Datierung des undatierten Einstein-Briefes
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liches Interesse' an der ,neuen Theorie' Einsteins habe erkennen lassen. (2) Bei dieser Theorie handelt es sich um eine Gravitationstheorie, und zwar eine solche, in der der Fundamentaltensor gμv auftritt. (3) Mach hat sich offenbar über die mathematische Schwierigkeit dieser Theorie geäußert, eine Einschätzung, der Einstein sich anschließt. (4) Einstein betont noch einmal die überragende Bedeutung der Machschen NewtonKritik und Trägheitskonzeption für seine neue Gravitationstheorie. Einstein geht dabei so weit, daß er Machs Kritik am absoluten Raum als das vorläufig einzige Argument für diese Theorie bezeichnet. (5) Einstein verbindet erneut (wie im Brief vom 25. Juni 1913) Machs Bedeutung für die neue Theorie mit seiner Rehabilitation gegen Plancks Vorwürfe. An den Briefen insgesamt ist für die Zwecke dieses Buches vor allem wichtig, daß Einstein mehrfach für Mach gegen Planck Partei ergreift und, daß die Parteinahme für Mach unter Hinweis auf die Bedeutung Machs für seine (d. h. Einsteins) ,neue Theorie' erfolgt. Vor allem aber ergibt sich aus ihnen keinerlei Hinweis darauf, daß Mach Einstein oder der Relativitätstheorie nicht wohlgesonnen gewesen sei. Es ist vielmehr umgekehrt so, daß Einstein Machs Reaktion auf die Relativitätstheorie am 17. August 1909 als ,Vergnügen' und im undatierten Brief als freundliches Interesse' interpretiert. 3 Und eben diese aus den Einstein-Briefen sich ergebende positive Einstellung Machs zur Relativitätstheorie ist es gewesen, die einige Historiker zu recht seltsamen Interpretationskapriolen verleitet hat. § 14
Die Datierung des undatierten Einstein-Briefes
Der Vermutung, daß das von Einstein im undatierten Brief konstatierte freundliche Interesse' Machs an seiner ,neuen Theorie' eine nach wie vor positive Einsteilung Machs %ur Relativitätstheorie nahelegt, scheinen die weiter unten kritisierten Wissenschaftshistoriker zuzustimmen. Denn aus dieser Zustimmung resultieren letztlich ihre Kapriolen bei der Datierung des undatierten Einstein-Briefes. Eines ist klar: Wenn dieser Brief eine positive
3
Es ist wiederum Blackmore ((1972), 275), der die Behauptung aufstellt, daß es gerade „Einstein's 1913 preliminary version of his general theory" gewesen sei, welche „probably was the most important factor in provoking Mach into writing his 1913 preface to his book on optics". Auch eine bizarre Begründung fehlt nicht: „Einstein's ideas too closely resembled those of Zöllner, both with respect to the use of multidimensions in physics and its appeal to a so-called curved space." Diese These wird noch ausführlich zurückgewiesen werden (cf. § 30).
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Mach und Einstein
Einstellung Machs zur Relativitätstheorie signalisiert, und wenn das OptikVorwort für bare Münze genommen wird, dann muß in der Tat dieser Brief vor ,Juli 1913' datiert werden. Denn das Optik- Vorwort, in dem eine barsche Ablehnung der Relativitätstheorie erfolgt, trägt das Datum ,Juli 1913'. Nun ist es keineswegs zwingend, aus dem von Einstein aus Machs Brief herausgelesenen ,freundlichen Interesse' auf eine positive Einstellung Machs zur ,neuen Theorie' zu schließen. Es ist vielmehr auch denkbar, daß Mach in seinem verlorenen Brief an Einstein etwa so geschrieben hat: „Besten Dank für die freundliche Zusendung Ihrer Arbeit. Ich habe mit großem Interesse darin gelesen, doch sind die mathematischen Schwierigkeiten . . . " . Einstein zurück: „Ich freue mich sehr über das freundliche Interesse . . . " . freundliches Interesse' kann sich auf die Freundlichkeit beziehen, sich überhaupt (und wie auch immer) zu interessieren, oder darauf, daß man sich in positiv-zustimmender Weise, ,freundlich' eben, interessiert. Gewiß liegt letztere Deutung hier näher, doch ist sie nicht zwingend. Anders in den nun zu besprechenden Datierungsversuchen. Denn hier setzt unter dem Zwang, die sich im undatierten Brief Einsteins widerspiegelnde, vermutete positive Einstellung Machs zur Relativitätstheorie mit einer Datierung dieses Briefes vor J u l i 1913' {Optik- Vorwort) zusammenzubringen, geradezu ein Eiertanz ein, der nur mit intellektueller Selbstverleugnung zu Ende gebracht werden kann. Denn der Inhalt des undatierten Briefes in Zusammenhang mit dem Brief Einsteins an Mach vom 25. Juni 1913 läßt in gar keiner Weise eine Datierung des undatierten Briefes vor Juli 1913' zu. Dies soll nun anhand der Kritik bisher vorgelegter Datierungsversuche gezeigt werden: (1) Die früheste Datierung findet sich bei Herneck ((1963), 242, cf. (1983), 172): „Als Zeitpunkt der Abfassung dieses Briefes, der zwischen die Postkarte vom 17. 8.1909 und den Brief vom 25. 6.1913 einzuordnen ist, kommen zwei Daten in Frage: Da von der ,neuen Theorie', der sogenannten ,Prager Theorie', die Rede ist, hat Einstein den Brief — der Schlußformel entsprechend — frühestens zum Jahreswechsel 1911/12 in Prag und spätestens um die Jahreswende 1912/ 13 in Zürich geschrieben. Gerade die Ausarbeitung des ,Machschen Prinzips', das für Einsteins neue Theorie maßgeblich war und im Brief als ,erkenntnistheoretisches Argument' auftritt, bereitete die großen mathematischen Schwierigkeiten, auf die Einstein hinweist. Bekanntlich hat er erst während seiner zweiten Züricher Professur (1912/13) auf diesem Gebiet entscheidende Fortschritte erzielt, vor allem durch die tätige Mitarbeit des Mathematikers Marcel Großmann [...]."
Die Datierung des undatierten Einstein-Briefes
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(2) Herneck ((1966), 8) hält das Datum 1912/13 für „wahrscheinlicher" als 1911/12, allerdings ohne Angabe von Gründen, während (3) Herneck ((1966 a), 51) ohne weitere Erläuterung für „um 1912" votiert. (4) Thiele ((1965), 11) bzw. ((1978), 291) meint: „wahrscheinlich aus dem Jahre 1912". (5) G. Holton ((1973 a), 228) entscheidet sich für „about New Year's 1911 — 12" mit der (begründenden?) Bemerkung: „perhaps just before or after Einstein's sole (and, according to Philipp Frank's account in Einstein: His Life and Times, not very successful) visit to Mach, and after the first progress toward the general relativity theory." (6) A. Pais ((1982), 282) nennt ohne Begründung ,,[a]round January 1913" als Briefdatum, obwohl gerade sein ausgezeichnetes Einstein-Buch genügend Gründe dafür liefert, daß seine Datierung falsch ist. Für die korrekte Datierung reicht bereits die Beachtung eines einzigen Punktes im undatierten Brief aus, nämlich Einsteins Hinweis, daß in der neuen Theorie G^-Felder vorkommen. Es ist wohlbekannt und kann ζ. B. in aller Dramatik geschildert bei Earman/Glymour (1978) oder bei Pais (1982) nachgelesen werden (falls man eine langwierige Überprüfung der Schriften Einsteins scheut), daß Einstein die in der Bezeichnung ,Ο μν Felder' verwendete tensor-analytische Darstellung erstmals in Einstein/Grossmann (1913) verwendet. Mit dem mathematischen Werkzeug der Tensoranalysis versuchte Einstein, nach der Vermutung von Earman/Glymour ((1978), 253), das Äquivalenzprinzip und das Relativitätsprinzip in einer Feldtheorie der Gravitation zu verbinden. Die Tensoranalysis lernte Einstein erst von seinem Freund Grossmann. Wie Pais ((1982), 213) überzeugend darlegt, erfolgte Grossmanns tensoranalytischer Privatkursus für Einstein nach dessen Rückkehr aus Prag zu seiner zweiten Züricher Professur in der Woche vor dem 16. August 1912. Doch noch aus einem weiteren Grunde als dem des Auftretens des Fundamentaltensors ist Hernecks Gleichsetzung der ,neuen Theorie' des Einstein-Briefes mit der ,Prager Theorie' unzutreffend: die Mathematik der Prager Theorie geht über Differentialgleichungen nicht hinaus und konnte so nicht für Mach und schon gar nicht für Einstein Anlaß zum Jammern über große mathematische Schwierigkeiten sein. 1 Ferner war sich, wie man ζ. B. aus Pais ((1982), 201 ff.) entnehmen kann, Einstein über den provisorischen Charakter seiner Prager Ansätze im klaren. Wohl 1
Machs mathematische Fähigkeiten werden gelegentlich aufgrund eigener Bemerkungen Machs unterschätzt. Zur Klarstellung cf. Swoboda (1973), 13 ff., 61 f. (cf. auch §16, Anm. 3).
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Mach und Einstein
kaum hätte er diese tastenden Versuche volltönend als ,meine neue Theorie' ausgegeben. Schließlich wird man in Einsteins Schriften vergeblich nach den im undatierten Brief angekündigten mehr populären Darstellungen der ,Prager Theorie' suchen. Sie war eben in Einsteins Augen work in progress und nicht so bedeutend, breiteren Kreisen in informeller Darstellung bekannt gemacht zu werden. 2 Es führt also kein Weg daran vorbei: die ,neue Theorie' des undatierten Briefes von Einstein an Mach ist die erstmals in Einstein/Grossmann (1913) vorgestellte Gravitationstheorie mit (noch eingeschränkt) allgemein kovarianten Feldgleichungen. Offenbar bezieht sich Einstein in seinem undatierten Brief auf das publizierte Resultat Einstein/Grossmann (1913). Diese Arbeit war, wie aus einem bei Pais ((1982), 223) zitierten Brief Einsteins an Ehrenfest vom 28. Mai 1913 hervorgeht, zu diesem Datum (28. Mai 1913) noch nicht publiziert; Einstein rechnete mit der Publikation ,in einigen Wochen*. Hieraus folgt: Alle Datierungen dieses undatierten Briefes vor der Jahreswende 1913/ 1914 (die Annahme einer Jahreswende ist ja wegen Einsteins Neujahrswünschen erforderlich) sind nachweislich falsch. Der undatierte Brief Einsteins an Mach wurde (frühestens) %um Jahreswechsel 1913j1914 geschrieben. Worauf bezieht sich nun die „neue Arbeit über Relativität und Gravitation", von der Einsteins datierter Brief an Mach vom 26. Juni 1913 spricht? Es ist, der Leser wird nicht überrascht sein, natürlich ebenfalls die Arbeit von Einstein und Grossmann. Kaum jemand macht sich allerdings die Mühe, dies explizit festzustellen 3 : Herneck und Blackmore äußern sich zu dieser Frage gar nicht; Holton ((1973 a), 228) zwar richtig, aber auffallenderweise in Form eines Postulats·. „This must have been (Hervorhebung G. W.) the Entwurf einer verallgemeinerten Relativitätstheorie und einer Theorie der Gravitation, written with Marcel Grossmann". In einer Fußnote folgt 2
3
Mit Einstein/Grossmann (1913) dagegen glaubte Einstein zunächst, das Gravitationsproblem zur vollen Zufriedenheit gelöst zu haben (cf. ein Zitat aus einem Brief an Ehrenfest in Pais (1982), 223). Die Vermutung von Herneck (1966), 8, es könnte Einstein/Grossmann (1913) die von Mach versprochene populäre Fassung der „neuen Theorie" sein, stellt alles auf den Kopf. Bei den von Einstein erwähnten informellen Fassungen handelt es sich vermutlich um Einstein (1913) und (1914), eventuell auch (1913 a). Hönl (I960), 575 beläßt es bei der Frage, welche Arbeit Einsteins im Brief v o m 25. 6.1913 angesprochen wird, bei der Fußnote: „A. Einstein, Naturf. Ges. Zürich 58, 284 (1913), s. auch Z. Math. u. Phys. 62, 225 (1913)." Die erste Angabe Hönls ( = Einstein (1913)) ist falsch, weil es sich bei dieser Arbeit um einen Vortrag handelt, den Einstein erst am 9. September 1913 in Frauenfeld, Kanton Thurgau, gehalten hat und der zudem ziemlich populär ist. Der Sache nach hat Hönl recht, weil auch Einstein (1913) von der neuen Gravitationstheorie handelt. Hönls „s. auch" trifft dagegen endlich ins Schwarze, wenn man davon absieht, daß der entsprechende Zeitschriften-Band die Jahreszahl 1914 trägt.
Die Datierung des undatierten Einstein-Briefes
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die Stellenangabe: „Zeitschrift für Mathematik und Physik, 62: 225 — 261, 1913." Diese Stellenangabe muß Holton in der Tat postulieren (,must have been'), denn man wird in der bei Holton angegebenen Schrift Einsteins und Grossmanns vergeblich nach einer ,Seite 6' suchen. Das ist aber für eine Verbindung der ,neuen Arbeit' in Einsteins Brief an Mach vom 25. Juni 1913 mit der bei Holton zitierten Arbeit erforderlich. Denn in seinem Brief verweist Einstein ja auf „eine erste Konsequenz" im Sinne der Machschen Trägheitsauffassung, die er in der fraglichen Arbeit „oben auf Seite 6" ziehe. Nun beginnt aber die Holtonsche Stellenangabe mit Seite 225. Da hilft es auch nichts, wenn man annimmt, Einstein habe gewissermaßen ,privat' paginiert und mit der ersten Seite dieses Zeitschriftenaufsatzes begonnen. Der Bezug auf Mach, der sich in der Arbeit von Einstein und Grossmann ja tatsächlich findet, stünde in diesem Falle aber auf Seite 4! Das Rätsel löst sich, wenn man sich von der Fixierung auf die Zeitschrifienvctsion von Einstein/Grossmann löst. Von dieser Arbeit gab es, wie die Einstein-Bibliographie in Schilpp (1949) bzw. (1955) richtig angibt, auch einen separaten Sonderdruck. Dieser Sonderdruck hat eine eigene Paginierung und hier ,oben auf S. 6' findet man tatsächlich den Bezug auf Mach, von dem Einsteins Brief vom 25. Juni 1913 spricht. Als Resümee der bisherigen Analyse ergibt sich, daß 1. der undatierte Brief Einsteins (frühestens) zum Jahreswechsel 1913/1914 geschrieben wurde, und daß 2. beide Briefe die Gravitationstheorie von Einstein/ Grossmann (1913) zum Gegenstand haben. Dieses Resümee bedeutet insbesondere, daß die in der Literatur übliche (zu Ausnahmen s. u.) Reihenfolge des undatierten Briefes und des Briefes vom 25. Juni umgedreht werden muß. Liest man die Briefe in der richtigen Reihenfolge, dann lösen sich alle Probleme in nichts auf. Es ergibt sich folgendes Bild: Einstein nimmt nach längerer Unterbrechung (der letzte direkte Kontakt zwischen Einstein und Mach dürfte bei Einsteins Besuch in Wien Ende September 1910 erfolgt sein) wieder Fühlung mit Mach auf (Einsteins Brief vom 25. Juni 1913), nachdem ihm Mach die 7. Auflage der Mechanik zugeschickt hatte. Der Anlaß ist klar: Einstein versteht seine neue Gravitationstheorie, in der er (zunächst) den großen Durchbruch sah (cf. Pais (1982), 223), partiell als Frucht Machscher Motivation und zögert nicht, dies Mach auch kundzutun. Er weist den Verleger von Einstein/Grossmann (1913) an 4 , die Arbeit nach Erscheinen an Mach zu schicken. Einstein 4
Diese Versandart läßt Einsteins unpersönliche Formulierung in seinem Brief vom 25. Juni 1 9 1 3 erwarten: „Dieser Tage haben Sie wohl meine neue Arbeit [...] erhalten [...]." —
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Mach und Einstein
schreibt seinen Brief vom 25. Juni 1913 als eine Art Begleitbrief zu dieser Übersendung. Machs Antwort auf Einsteins Brief, so läßt sich aus Einsteins undatiertem Brief von der Jahreswende 1913/1914 erschließen, signalisiert ein ,freundliches Interesse' an Einsteins neuer Theorie, beklagt aber — was Einstein nicht überraschen konnte, weil es ihm genauso gegangen war — die ,mathematischen Schwierigkeiten', welche die neue Theorie biete. Wann hat Mach nun seinen verlorengegangenen Brief mit der Erwähnung der ,mathematischen Schwierigkeiten' und seines freundlichen Interesses' an der neuen Theorie an Einstein geschrieben? Wenn Einstein seinen Brief vom 25. Juni am gleichen Tage abgeschickt hat, dürfte dieser am 27. Juni 1913 in Machs Händen gewesen sein.5 Es ist kaum wahrscheinlich, daß Mach sich gleich, also noch in den verbleibenden maximal 3 Tagen des Juni 1913, zu diesem größeren Opus geäußert hat. Vielmehr liegt es nahe, daß er dies erst gegen Jahresende tat. Denn Einsteins Brief vom Jahreswechsel 1913/14 beginnt ohne weitere Umschweife mit direktem Bezug auf Machs Brief: „Ich freue mich über das freundliche Interesse, daß Sie [d. h. Mach] der neuen Theorie entgegenbringen." Es ist schwer vorstellbar, daß Einstein einen Brief an Mach so umstandslos direkt begänne, wenn er sich auf einen vorangegangenen Brief Machs bezöge, mit dessen Beantwortung Einstein sich ein halbes Jahr Zeit gelassen hätte. Andererseits muß man wohl auch ausschließen, daß Einstein seinen undatierten Brief an einem der Jahreswechsel 1914/15 bzw. 1915/16 geschrieben hat, da zu diesem Zeitpunkt die ,neue Theorie' ja schon einige Patina angesetzt hatte bzw. überholt war, und er ferner die angekündigten informellen Darstellungen (cf. Anm. 2) nicht erst ,in kurzem', sondern gleich hätte schicken können. D. h., Einsteins undatierter Brief an Mach wurde nicht nur frühestens zum Jahreswechsel 1913/14, sondern genau zu diesem Zeitpunkt geschrieben.
5
Durch freundliche Vermittlung des Ende 1984 früh verstorbenen Herrn Werner Fritsch, Inhaber des Münchener Antiquariats Ackermann, hatte ich Gelegenheit, Machs Exemplar von Einstein/Grossmann (1913) einzusehen. Der jetzige Besitzer ist Herr Werner Bodenheimer (München). Ich danke Herrn Bodenheimer für seine liebenswürdige Bereitschaft, mir Gelegenheit zu einer Prüfung des Büchleins gegeben zu haben. Diese erfolgte Ende Dezember 1983. Es handelt sich bei dem Machschen Exemplar tatsächlich um den separat paginierten Sonderdruck. Er enthält keine Widmung außer dem vorgedruckten „Uberreicht vom Verfasser". Dies kann man als ein weiteres Indiz für die Zusendung durch den Verleger ansehen, da Einstein sehr wahrscheinlich nicht auf eine persönliche Widmung verzichtet hätte. — Das Machsche Exemplar von Einstein/Grossmann (1913) macht einen frischen Eindruck und zeigt keine nennenswerten Benutzerspuren. Auch die für Machs Arbeitsweise charakteristischen Bleistift- bzw. Farbstiftanstreichungen fehlen. Die Postbeförderung erfolgte vor 70 Jahren erheblich schneller als heute.
Die Datierung des undatierten Einstein-Briefes
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Eingangs dieses Paragraphen wurde das Argument vorgestellt, das zu dem hier geschilderten Eiertanz um die Datierung des undatierten EinsteinBriefes geführt hat: Wenn der undatierte Brief eine positive Einstellung Machs zur Relativitätstheorie signalisiert, und wenn Mach im ,Juli 1913' im Optik-Vorwort tatsächlich die Relativitätstheorie abgelehnt hat, dann muß der undatierte Brief unter Beachtung der Jahreswechsel-Glückwünsche zum Jahresende 1912/13 oder früher datiert werden. Die beiden Prämissen haben die hier kritisierten Autoren erfüllt gesehen. So haben sie sich auch entschlossen, die dann unumgängliche Konsequenz zu ziehen. Denn sie waren offenbar nicht bereit, Mach zu unterstellen, dieser habe im ,Juli 1913' die Relativitätstheorie barsch abgelehnt und gleichzeitig bzw. — was nach dem hier Ausgeführten wahrscheinlicher ist — einige Monate später ein ,freundliches Interesse' geheuchelt. Diese hinsichtlich der Mach fraglos unterstellten Verhaltenskonsistenz gewiß ehrenwerte Haltung führt allerdings zu der hier als falsch nachgewiesenen Datierung Jahreswechsel 1912/13 oder früher. Der Witz ist eben, daß die Prämisse von der Authentizität des Optik-Vorworts falsch ist; daß Mach sich vielmehr, wie das von Einstein registrierte freundliche Interesse' nahelegt, ,im Juli 1913', vermutlich aber erst Ende 1913positiv zur Relativitätstheorie geäußert hat. Damit zu einer korrekten Datierung des undatierten Einstein-Briefes: Blackmore ((1972), 255) behauptet, daß „according to Joseph Petzoldt" 6 der undatierte Brief Einsteins an Mach „was probably sent in early 1914" (bzw. „in late 1913 or early 1914", Blackmore a.a.O., 276). Blackmore hat durchaus recht. Allerdings nur, was die Frage der Datierung isoliert vom Kontext seines Buches betrifft. Nimmt man den Kontext hinzu, dann scheint es, als wolle sich Blackmore zwar ausgiebig den Pelz in einer Flut richtiger und wichtiger Daten waschen, ohne sich aber durch eine schlüssige Analyse naß zu machen.7 6
7
Blackmore gibt allerdings nicht an, auf welche Äußerung Petzoldts er sich bezieht. Möglicherweise schließt er das Datum aus der Tatsache, daß Petzoldt am 5. März 1914 den undatierten Brief Einsteins, den Mach ihm zugeschickt hatte, abgeschrieben hat (cf. Blackmore, a. a. O., 276). Die Datierungsprobleme wegen anderer (datierter) Mach-Briefe an Petzoldt, die Blackmore in diesem Zusammenhang erwähnt (cf. a. a. O., 359, Anm. 59) bestehen nach meiner Auffassung nicht, da Mach Petzoldt nach dem undatierten Brief noch einen weiteren Brief Einsteins zugeschickt hat (cf. § 15). Dabei war Blackmores Buch, das sei noch einmal betont, für meine eigene Arbeit sehr wichtig, weil Blackmore mit großer Umsicht und Geduld eine Fülle bislang unbekannter Materialien erschlossen hat. Davon geblendet entging mir bei der ersten Lektüre des Buches, wie vorurteilsbeladen, ja grotesk manchmal Blackmores Interpretation dieser Materialien ist.
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Mach und Einstein
Im einzelnen nimmt Blackmore an (cf. § 13, Anm. 3), daß es gerade die Theorie von Einstein/Grossmann (1913) gewesen sei, die Mach gegen die Relativitätstheorie eingenommen habe (Blackmore, a. a. O., 275). Dies hindert ihn nicht daran, den undatierten Brief, der sich ja (was Blackmore offenbar entgeht) auf die gleiche Theorie bezieht, als „evidence" zu betrachten, „that Mach became more sympathetic to Einstein's approach during late 1913 and early 1914" (a. a. O., 276). Mit der Einschränkung allerdings, daß diese „evidence" „not conclusive" sei. Es folgen bei Blackmore weitere positive Zeugnisse Machs zur Relativitätstheorie aus dem Jahre 1914. Und dann: „All the meager evidence available from late 1914 until Mach's death [...] has suggested that he continued to oppose Einstein's theory" (Blackmore (1972), 278 f.). Die Mach-Forschung hat Blackmores unablässigem Bemühen um die Auffindung von Mach-Briefen gewiß viel zu danken. Freilich dürfte man erwarten, daß Blackmore den Versuch macht, die bei ihm doch sehr wechselnde „evidence" für Machs Einstellung zur Relativitätstheorie von Ende 1913 bis zu seinem Tod Anfang 1916 zu erklären, vor allem zu erläutern, wie diese wechselnde „evidence" zu seiner (d. i. Blackmores) „flat unequivocal answer" auf die Frage paßt: „Did Mach finally accept Einstein's theory of relativity? — No, he did not!" (Blackmore (1972), 282). 8 Auch sollte Blackmore erläutern, wie der undatierte Brief eine „evidence" für eine „more sympathetic" Einstellung Machs zu Einsteins „approach" sein soll, wenn (s. o.) eben dieser approach „probably was the most important factor in provoking Mach into writing his 1913 preface to his book on optics" (Blackmore (1972), 275). Nach Abschluß des Manuskripts wurde ich schließlich auf eine korrekte Datierung des undatierten Einstein-Briefes aufmerksam, die sich auch eines korrekten Arguments bedient: In seinem Buch Relativity and Geometry berührt R. Torretti beiläufig die Frage der Datierung des undatierten EinsteinBriefes und kommt zu der Ansicht, „that the letter to Mach must have been written [...] circa January 1, 1914" (Torretti (1983), 319 Anm. 8). Torretti kommt zu dieser richtigen Datierung, weil sich das Auffinden eines Gedankens Einsteins, den er im undatierten Brief an Mach äußert, anhand der Korrespondenz Lorentz-Einstein auf den August 1913 datieren läßt. 8
Die hier mögliche feinsinnige reservatio, den Akzent auf ,Einstein's' zu legen und zu behaupten, Mach habe allenfalls Petzoldts Version akzeptieren können, die dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit kritisch gegenüberstand, nützt hier gar nichts. Im Optik-Vorwort ist nicht von Einsteins oder Petzoldts oder sonst jemandes Relativitätstheorie die Rede, es heißt vielmehr schlicht und einfach: „die Relativitätslehre".
Hat Einstein fünfmal an Mach geschrieben?
§ 15
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Hat Einstein fünfmal an Mach geschrieben?
In der Literatur zu Mach und Einstein heißt es gewöhnlich, Einstein habe mindestens' viermal an Mach geschrieben. An dieser Behauptung ist weiter nichts Aufregendes, denn es sind genau drei Briefe und eine Postkarte Einsteins bekannt. Die routinierte Vorsicht des Historikers, die nicht davon ausgehen darf, daß nur das existiert bzw. existiert hat, was bekannt ist, sieht sich hier prinzipiell zum einschränkenden ,mindestens' gezwungen. Soweit erkennbar, ist bisher die Frage, ob es positive Hinweise dafür gibt, daß Einstein öfter geschrieben hat, nicht untersucht worden. Hier soll gezeigt werden, daß es Anzeichen dafür gibt, daß Einstein ,mindestens' fünfmal an Mach geschrieben hat. Eine Bestätigung dafür fand ich im Nachlaß von Joseph Petzoldt (TUB), der sich später noch als eine der Hauptfiguren jenes Dramas präsentieren wird, das mit dem Optik-Vorwort von 1921 einen ersten Höhepunkt finden sollte. Hier soll zu seiner Person nur soviel gesagt werden, daß der Avenarius-Adept Petzoldt sich zu einem Freund und kritisch-konstruktiven Anhänger Machs entwickelt hatte. Petzoldt war gleichzeitig, bei nur kleineren Vorbehalten, ein entschiedener Anhänger der Relativitätstheorie. In Petzoldt (1914) hatte er mit großer Emphase Mach als Wegbereiter der Relativitätstheorie gefeiert. Die Relativitätstheorie ist nach Petzoldt „aus dem Gedankenkreise des relativistischen Positivismus heraus erwachsen" (a. a. O., 43), wie er von Mach inauguriert worden sei. Mach und Petzoldt haben eine lebhafte, von Mach immer wieder als wichtig und wohltuend empfundene, Korrespondenz geführt. Petzoldt hat Mach auch mehrfach, mit Sicherheit, wie sich aus der Korrespondenz ergibt, in den Sommern 1904, 1906 und 1908, besucht. Ein weiterer Besuch war für den Sommer 1913 geplant (cf. Brief Petzoldts an Mach vom 15.6.1913 (EMA*)) und fand am 9. August 1913 tatsächlich statt (cf. Brief Machs an W. Jerusalem vom 11.8.1913 (JER)). Mach hat Petzoldt den undatierten (also zur Jahreswende 1913/1914 geschriebenen) Brief Einsteins zur Kenntnisnahme übersandt. Die Übersendung erfolgte am 27. Februar oder am 4. März 1914. Denn auf zwei auf diese Tage datierte, nicht erhaltene Briefe Machs nahm Petzoldt in seinem Brief vom 5. März 1914 (EMA*) Bezug. In diesem Brief bedankte er sich bei Mach für die Übersendung des Einstein-Briefes, von dem er „für meinen [d. h. Petzoldts] privaten Gebrauch unter Voraussetzung Ihrer
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Mach und Einstein
[d. h. Machs] gütigen Erlaubnis Abschrift genommen" habe.1 Nun existiert ein später (§ 19) noch ausführlich zu erörternder Brief Machs an Petzoldt vom 1. Mai 1914 (TUB*, Pe 42-10), der wie folgt beginnt: „Der beiliegende Brief von Einstein beweist das Eindringen der positivistischen Philosophie in die Physik." Blackmore ((1972), 353 (Anm. 59)) hält es für möglich, daß die Daten nicht korrekt sind. Diese Zweifel können sich allenfalls auf das Datum des Mach-Briefes ( l . M a i 1914) beziehen. Daß Petzoldts Briefdatum (5. März 1914) korrekt ist, steht außer Zweifel, da er sich auf zeitlich unmittelbar vorangehende (27. Februar bzw. 4. März 1914) Briefe Machs bezieht und in seiner Abschrift das Datum ,5. März' noch einmal wiederholt. Ist es naheliegend, daß Mach sich mit dem Datum ,1. Mai' geirrt hat? Wohl kaum. Denn die Briefe Machs, die für die Begleitung des undatierten Briefes von Einstein an Petzoldt in Frage kommen, sind — wie Petzoldt schreibt — auf den 27. Februar bzw. den 4. März 1914 zu datieren. Eine Verwechslung dieser beiden Daten mit dem 1. Mai ist sehr unwahrscheinlich, da Mach in diesem Falle sowohl den Tag als auch den Monat der Datierung seines Begleitbriefes verfehlt hätte. Einen solchen doppelten Irrtum anzunehmen, besteht kein Anlaß. Ferner ist der 1. Mai ein für die Mach vertrauten Kämpfe der Arbeiterbewegung so herausgehobenes Datum, daß er es schwerlich mit einem x-beliebigen anderen verwechselt haben dürfte. Daraus würde folgen, daß Mach am 1. Mai 1914 nicht den undatierten, sondern einen anderen Brief Einsteins an Petzoldt geschickt hat. 2 Aber welchen? Hier könnte man zunächst an Einsteins Brief vom 25. Juni 1913 (cf. 150 f.) denken, der seinerzeit die Zusendung von Einstein/Grossmann (1913) an Mach flankiert hatte. Diese Annahme ist aber aus zwei Gründen nicht sehr plausibel: (1) Einsteins Brief von 1913 war am l . M a i 1914 fast ein Jahr alt und Mach hatte den viel späteren (Jahreswende 1913/14), undatierten Brief Einsteins ja schon an Petzoldt geschickt (Ende Februar oder Anfang März 1914). Warum dann noch mit dem alten Brief kommen? Wenn Petzoldts Begeisterung über den undatierten Brief Einsteins an Mach, die sich in seinem (Petzoldts) Brief vom 5. März 1914 (EMA) äußert, Mach zur Zusendung auch des EinsteinBriefes vom 25. Juni 1913 bewogen hätte, dann hätte er diesen Brief doch 1
2
In (TUB, Pe 41) ist auch Petzoldts Abschrift erhalten. Sie trägt von Petzoldts Hand die Aufschrift: „ 5 . 3 . 1 4 Erweiterung der Relativitätstheorie [...] (Ohne Datum; wohl Anfang 1914). Abschrift genommen 5. 3.14." Eine Antwort Petzoldts auf Machs Brief vom 1. Mai 1914, die klärend wirken könnte, ist nicht erhalten.
Philipp Franks Besuch bei Mach und eine Folgerung daraus
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wohl als Antwort auf Petzoldts begeisterten Brief vom 5. März 1914 gleich Petzoldt übersandt. Aber nichts dergleichen: Mach hat an Petzoldt im März und April 1914 noch mindestens viermal (TUB, Pe 42-6 bis Pe 429) geschrieben, ohne auf den Einstein-Brief zu sprechen zu kommen. Ferner hätte Mach Petzoldt den Brief Einsteins vom 25. 6.1913 schon bei Petzoldts Besuch (9.8.1913) zeigen können. All dies spricht dafür, daß Mach am l . M a i 1914 einen neuen, fünften Brief Einsteins an Petzoldt weitergeleitet hat. (2) In Machs Begleitbrief vom 1. Mai heißt es ganz unvermittelt: „Die Paradoxie mit der Uhr wär[e] vor einem Jahr Einstein gar nicht aufgefallen". Dieser Satz muß sich, soll er verständlich sein, auf den ,beiliegenden Brief von Einstein' beziehen. Vom relativistischen Uhrenparadoxon oder von sonst irgendwelchen auf Zeit oder Uhren bezüglichen Dingen ist in Einsteins Brief vom 25. Juni 1913 jedoch nicht die Rede. 3 So ist die Annahme nicht unplausibel, daß Einstein an Mach im Frühjahr 1914 noch einen fünften, nicht erhaltenen Brief geschrieben hat, der Mach, wie wir noch sehen werden, in außerordentliche Begeisterung hinsichtlich der Relativitätstheorie versetzte.
§16
Philipp Franks Besuch bei Mach und eine Folgerung daraus
Es war nach wohl einhelliger Meinung der Wissenschaftshistoriker 1 Hermann Minkowskis berühmter Vortrag „Raum und Zeit" auf der 80. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte am 21. September 1908 in Köln, der die Relativitätstheorie aus dem engen Zirkel der Spezialisten in den Gesichtskreis einer größeren naturwissenschaftlichen Öffentlichkeit rückte. Minkowskis Vortrag war jedoch nicht nur für die popularisierende 3
Es läßt sich freilich nicht ausschließen, daß sich Machs Bemerkung über ,die Paradoxie mit der Uhr' auf Petzoldt (1914) bezieht. Für die Zusendung dieser Arbeit hatte sich Mach im April 1914 (genaues Datum nicht feststellbar) bedankt (TUB, Pe 42-9), aber die Arbeit auch gleich schon kommentiert (cf. § 19). Der abrupte, unvermittelte Bezug in einem späteren Brief auf Petzoldts Bemerkung zum Uhrenparadoxon (Petzoldt (1914), 40) scheint doch eher unwahrscheinlich: andererseits ist es so, daß Mach im Brief v o m 1. Mai auch v o m „Eindringen der positivistischen Philosophie in die Physik" spricht, und Petzoldts Bemerkungen zum Uhrenparadoxon sich kritisch mit dessen Interpretation durch Relativitätstheoretiker (Einstein, Langevin, v o n Laue) auseinandersetzen. Mach könnte also Petzoldts Ausführungen zur .Paradoxie mit der Uhr' als ein Beispiel für das Eindringen der positivistischen Philosophie in die Physik verstanden haben. Mehr zu Machs Brief v o m 1. Mai 1914 oben, 187 ff.
1
Eine Stimme für viele: Minkowskis Kölner Vortrag bewirkte, „that a number of scientists first became intrigued with relativity theory" (Holton (1973 a), 237).
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Mach und Einstein
Verbreitung, sondern viel mehr noch für die formale Entwicklung der Relativitätstheorie von überragender Bedeutung: Die spe2ielle Relativitätstheorie erhielt durch Minkowski ihre bis heute kanonische Darstellung. Zu einer gewissen Breitenwirkung mag auch der tragische Umstand beigetragen haben, daß Minkowski, erst 45jährig, am 12. Januar 1909 gestorben war, noch bevor sein epochemachender Vortrag vom Herbst 1908 die Druckerpresse verlassen hatte. Es scheint, daß auch Mach nun begann, sich für die Relativitätstheorie zu interessieren. Jedenfalls ist kein einziges Dokument bekannt, in dem Mach vor 1909 die Relativitätstheorie oder ihren Schöpfer auch nur erwähnt. Das ändert sich im Jahre 1909 mit einem Schlag. Überall in seiner Korrespondenz und auch an einigen Stellen in publizierten Werken setzt sich Mach in Beziehung zur Relativitätstheorie und ihren Vertretern. Davon wird später noch die Rede sein. Ein für die adäquate Beurteilung der Einstellung Machs zentrales Ereignis ist ein Besuch Philipp Franks (1884—1966) bei Mach, von dem der Besucher in seiner Einstein-Biographie nicht berichtet hat. Es ist vielmehr einer umsichtigen Anfrage von Friedrich Herneck bei Frank zu verdanken, daß wir überhaupt von diesem Ereignis etwas wissen: „Daß Mach um jene Zeit (d. h. 1909/10, G. W.) eindringlich darum bemüht war, die Einsteinsche Theorie möglichst genau kennenzulernen, und daß er ihr von seinem erkenntnistheoretischen Standpunkt aus zustimmte, wird durch einen Brief von Philipp Frank bestätigt, der hier zum ersten Mal auszugsweise mitgeteilt wird. Frank schrieb mir (d. h. F. Herneck, G. W.) am 18. Mai 1959 aus Cambridge (Mass.) unter anderem folgendes: ,In der letzten Zeit seines und meines Aufenthaltes in Wien, (ungefähr 1910) erhielt ich einen Brief von Mach, in dem er mich ersuchte, ihm persönlich Erklärungen über die Einsteinsche Theorie zu geben. Ich besuchte ihn auch, und das war das einzige Mal, daß ich ihn persönlich getroffen habe. Er wollte besonders Genaueres über die Verwendung der vierdimensionalen Geometrie wissen. Wie Sie vielleicht aus seinem Buch „Erkenntnis und Irrtum" wissen, war eine von Machs Lieblingsideen, daß vielleicht die vierdimensionale Geometrie praktischer für physikalische Erklärungen ist als die dreidimensionale. Ich hatte damals den Eindruck, daß er vollständig mit Einsteins spezieller* Theorie übereinstimmte und auch besonders mit deren philosophischer Basis. Mach ersuchte mich, ihm meine Darstellung noch schriftlich oder gedruckt zu hinterlassen. Ich tat das auch, und daher ist die Darstellung der Einsteinschen Theorie, der Mach zustimmte, auch in einem gedruckten Text vorhanden.' Die von Mach gebilligte Darlegung der Einsteinschen Theorie ist unter der Überschrift „Das Relativitätsprinzip und die Darstellung der physikalischen Erscheinungen im vierdimensionalen Raum" 1910 in der „Zeitschrift für physikalische Chemie" erschienen. Wie Rotstiftstriche in dem Sonderdruck aus Machs Bibliothek
Philipp Franks Besuch bei Mach und eine Folgerung daraus
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erkennen lassen, interessierte sich Mach vor allem für das Uhrenparadoxon und für die Frage der Gleichwertigkeit der Bezugssysteme" (Herneck (1966 a), 49 f., cf. Herneck (1966), 7).
Im Unterschied zu seiner Datierung von Einsteins Besuch bei Mach gibt Frank in seinem Brief an Herneck für seinen eigenen Besuch wohl ein richtiges Datum an: Mach hatte sich bei Jerusalem im Dezember 1909 nach der Adresse Franks erkundigt und sich in einem Brief vom 21. Dezember 1909 (JER) bei Jerusalem für die entsprechende Mitteilung bedankt. Wenn Mach nicht lange gezögert hat, zu Frank Kontakt aufzunehmen, dann dürfte Franks Besuch zur Jahreswende 1909/1910 stattgefunden haben. Das schriftliche Resultat des Frankschen Besuchs, Frank (1910), ging jedenfalls, wie die Titelseite zeigt, schon am 12. Juli 1910 bei der Redaktion ein. Die Anregung Machs zu diesem Artikel erfolgte übrigens nicht während des Besuchs, sondern brieflich, wie sich aus einem undatierten Brief Franks' an Mach (EMA*) ergibt. 2 An dem Bericht Franks sind folgende Gesichtspunkte besonders bemerkenswert: (1) der 72jährige, kranke und gelähmte Mach verfolgte noch mit größtem Interesse die Entwicklung in einem wichtigen Teil der theoretischen Physik. (2) Der ,große Mach' scheute sich nicht, den angehenden bzw. frischgebackenen (Habilitation 1910) Privatdozenten Frank in einer Sache zu konsultieren, die er nicht mehr verstand. Abgesehen von den sich hier dokumentierenden persönlichen Qualitäten Machs ist im Blick auf mögliche Äußerungen zur Relativitätstheorie zu beachten, daß Mach nicht mehr in der Lage war, der vierdimensionalen, gruppentheoretischen Darstellung der Theorie, die in aller Munde war, aus eigenen Kräften zu folgen. Seiner Gewohnheit gemäß (cf. die in § 1 erwähnten Ergänzungen und Zusätze anderer Gelehrter zur Analyse der Empfindungen noch zu Lebzeiten Machs) machte er aus dieser Unwissenheit keinen Hehl, sondern bat schlicht um Aufklärung und Belehrung. Das war gewiß ein neuer Aspekt in der wissenschaftlichen Laufbahn Machs, kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß er bei der Abfassung seiner historisch-kritischen Werke über Mechanik (1883), Wärmelehre (1896) und Optik (spätestens
2
(EMA) verwahrt zwei Briefe Franks an Mach; neben dem undatierten einen v o m 13. Juni 1910. Die Briefe Machs an Frank dürften als verloren gelten. Jedenfalls ist dies die Meinung von Holton, der mir am 10. November 1983 freundlicherweise mitteilte, daß Frank sich zur Zeit der sogenannten ,Zerschlagung' der Tschechoslowakei in den USA aufhielt und nicht mehr zurückkehrte. Seine Papiere sind wohl in Prag verblieben und dort verlorengegangen. Franks Nachlaß (er starb 1966 als emeritierter Permanent Faculty Lecturer der Harvard University) konnte ich bislang nicht ausfindig machen.
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Mach und Einstein
Mitte der 90er Jahre begonnen) die einschlägige Mathematik beherrscht hat. 3 Die genannten Bücher sind ja aus einer ausführlichen und intensiven (auch experimentellen') Behandlung des Stoffes in den Vorlesungen entstanden. Jetzt aber mußte er feststellen, daß er erstmals nicht aus eigenen Kräften in der Lage war, mit einem neuen mathematischen Handwerkszeug auf einem der ihn interessierenden Gebiete umzugehen. Hier gäbe es nun verschiedene Reaktionsmöglichkeiten. Eine ist das Ressentiment nach dem Prinzip: die Trauben sind mir zu sauer, sprich: die Mathematik ist für echte Physik ohnehin nicht wichtig. Dies ist aber nie Machs Meinung gewesen, obwohl er gewiß darauf bestanden hat, daß Physik, d. h. Naturkenntnis, nicht durch die Symboloperationen der Mathematik ersetzt werden könne: es herrscht bei der physikalischen Anwendung der Mathematik nur „Analogie (Hervorhebung G. W.) zwischen Naturtatsachen und Rechnungsoperationen" (EI., 222). Andererseits hat Mach die unentbehrliche heuristische und Darstellungsfunktion der Mathematik für die Physik immer wieder hervorgehoben, und dies gilt für ihn auch noch 1910: In einem Brief vom 30. 5. (HLH) an den österreichischen Philosophen Franz Brentano (1838 — 1917), der sich nach einem geeigneten Ort für das Physikstudium seines Sohnes erkundigt hatte, nennt Mach, unter Hinweis auf die guten Laboratorien, Straßburg (mit Karl Ferdinand Braun (1850—1918), dem Erfinder der ,Braunschen Röhre') und Marburg (mit Franz Richarz (1860 — 1920), dem unter anderem eine sehr genaue Bestimmung der Gravitationskonstante gelang). Mach fahrt fort: „Göttingen (mit unter anderen Klein und Hilbert als den Doyens der deutschen Mathematik, G. W.) bitte ich nicht unbeachtet zu lassen. Die ganze tiefere mathematische Bildung, die schon für den heutigen Physiker unentbehrlich 3
Daß es mit Machs Mathematikkenntnissen nicht weit her gewesen sei, ist eine durch eigene Bemerkungen Machs sehr geförderte, wenn nicht überhaupt veranlaßte Legende. Hierauf hat sehr deutlich W. Swoboda in seiner vorzüglichen Dissertation über den jungen Mach hingewiesen: „Whatever gaps may have existed in that knowledge, the application of whatever mathematics was at his command, was impressive" (Swoboda (1973), 62). Gewiß waren die Mathematikkenntnisse Machs nicht so gut wie die der viel jüngeren theoretischen Physiker des Jahres 1910. Unter den Experimentalphysikern dürften aber nicht allzuviele seines Alters bessere besessen haben. Weinberg (1937), 41: „Dr. Einstein is of the opinion that Mach was not a very profound mathematician." Einstein ging gegenüber Weinberg (ebd.) sogar so weit zu behaupten, Mach hätte die kinetische Gastheorie akzeptiert, wenn er nur besser Mathematik gekonnt hätte. Ein wenig überzeugendes Argument. Auch wenn Einstein (wie ich vermute) mit seiner Behauptung recht hatte, daß Mach in den mathematischen Hilfsmitteln der statistischen Thermodynamik nicht sehr geübt war, ändert dies nichts daran, daß sich Mach diese fehlende Übung aus eigener Kraft hätte verschaffen können.
Machs publizierte Äußerungen zur Relativitätstheorie
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(Hervorhebung G. W.) ist und noch mehr für den künftigen sein wird, geht heute von dort aus." Von einem antimathematischen Ressentiment kann bei Mach also keine Rede sein. Die in diesem Zitat durchscheinende Einstellung Machs zur Mathematik wurde hier aus folgendem Grund so ausführlich entwickelt: Wenn man Machs sich in der Konsultation Franks dokumentierendes Eingeständnis, daß er selbst nicht mehr in der Lage sei, bis ins mathematische Detail der Entwicklung der Physik zu folgen, mit seiner Bemerkung gegenüber Brentano zusammennimmt, daß eben dieses mathematische Handwerkszeug ,für den heutigen Physiker unentbehrlich' sei, dann liegt es nahe, daß Mach sich eine detaillierte öffentliche Stellungnahme zur Relativitätstheorie selbst versagte. Gänzlich abwegig wäre es anzunehmen, daß Mach, der jedes Detail seiner historisch-kritischen Schriften mathematisch und experimentell beherrschte, nun auf einmal seine wissenschaftlichen Produktionsgrundsätze radikal über den Haufen geworfen hätte. Dies um so mehr, als — wie der undatierte Brief Einsteins an Mach zeigt — Einstein/ Grossman (1913) Mach erneut damit konfrontiert hatte, daß seine Mathematikkenntnisse nicht mehr ausreichten. Kurz: Franks Besuch bei Mach (1910) und Einsteins undatierter Brief an der Jahreswende 1913/14 zeigen, daß Mach die für ein detailliertes Verständnis sowohl der speziellen als auch der allgemeinen Relativitätstheorie nötige Mathematik nicht beherrschte. Andererseits hielt er die Kenntnis dieser Mathematik ,für den heutigen Physiker', d. h. für jemanden, der sich 1910 als Physiker zur Physik äußerte, für ,unentbehrlich'. Ebenso unentbehrlich war für Mach in seinen historisch-kritischen Schriften die detaillierte mathematische und experimentelle Beherrschung der Dinge gewesen, von denen er redete. Also widerspricht der im OptikVorwort gegebene Hinweis, in einem zweiten Band werde die Relativitätstheorie ,vor allem' aus experimentellen Gründen kritisiert, eklatant Machs Grundsätzen wissenschaftlichen Arbeitens im allgemeinen sowie seiner Auffassung von dem, was in der Physik dieser Zeit unentbehrlich sei, im besonderen.
§17
Machs publizierte
Äußerungen %ur
Relativitätstheorie
Wir haben gesehen (§ 16), daß Mach bei seinen Standards für wissenschaftliches Arbeiten allen Grund hatte, sich nicht publizistisch in detaillierter Form zur Relativitätstheorie zu äußern: das mathematische Handwerks-
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Mach und Einstein
zeug der gruppentheoretischen Methoden, der Tensoren und der Tensoranalysis stand ihm nicht mehr unmittelbar zur Verfügung. Genauso hat er es auch gehalten. Läßt man vorerst das Optik-Vorwort und das Zitat im Vorwort zur 9. Auflage der Mechanik außer Betracht, dann sind es genau drei Stellen in seinem Werk, an denen sich Mach zur Relativitätstheorie bzw. zu ihren Vertretern äußert: 1. Das früheste Zeugnis findet sich in den eineinhalbseitigen „Bemerkungen zum zweiten Abdruck 1909" des Prager Vortrags von 1871 „Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit" (EA. 59 f.). Unter Verweis auf die Seiten 34—37 und 56 — 57 heißt es dort: „Raum und Zeit werden nicht als selbständige Wesen, sondern als Formen der Abhängigkeit der Phänomene voneinander aufgefaßt. Ich steuere also auf das Prinzip der Relativität los, welches auch in „Mechanik" und „Wärmelehre" festgehalten wird. Vgl. „Raum und Zeit physikalisch betrachtet" in „Erkenntnis und Irrtum" 1905. Vgl. H. Minkowski „Raum und Zeit" 1909."
Schon in § 2 (36) wurde darauf hingewiesen, wie wichtig es für Mach im Zusammenhang seiner Kontroverse mit Planck wohl gewesen ist, auf die Modernität und Fruchtbarkeit seiner Auffassungen verweisen zu können, die sich schon in der ersten Auflage von EA. (1872) gezeigt habe. Das Vorwort zur zweiten Auflage stellt diesen Bezug zu Plancks abwertender Kritik explizit her. Dabei hatte sich gezeigt, daß Mach Wert darauf legte, als einer derjenigen zu gelten, die schon lange so etwas wie ein elektromagnetisches Weltbild ins Auge gefaßt hätten. Ferner war gezeigt worden, daß Mach mit der Zusendung eben dieser Schrift den Kontakt zu Einstein aufgenommen hatte. Als ein weiterer Hinweis auf seine Modernität scheint nun auch Machs Bemerkung intendiert zu sein, er sei 1871 auch schon auf das Relativitätsprin^ip ,losgesteuert' und habe den damals eingeschlagenen Kurs in seinen Schriften seither gehalten. Als vorläufigen Höhepunkt der von ihm initiierten Entwicklung zitiert Mach Minkowskis berühmten Vortrag „Raum und Zeit" (Minkowski (1909)). Neben dem Hinweis auf seine Modernität mag Mach natürlich auch das Bedürfnis gehabt haben, sich im Zusammenhang mit der speziellen Relativitätstheorie selbst als einen der Vorläufer und Wegbereiter in die Diskussion zu bringen. Denn sein Name war im Zusammenhang mit der (speziellen) Relativitätstheorie bis 1909, soweit erkennbar, nicht öffentlich genannt worden. 2. In noch stärkerem Maße als die erste öffentliche Äußerung zur Relativitätstheorie ist die zweite als Verteidigung gegen Plancks Vorwurf
Machs publizierte Äußerungen zur Relativitätstheorie
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der Fruchtlosigkeit und Schädlichkeit der Machschen Wissenschaftslehre zu sehen. Sie steht in Machs Replik („Die Leitgedanken meiner naturwissenschaftlichen Erkenntnislehre und ihre Aufnahme durch die Zeitgenossen") auf Plancks Angriff: „Würde das kinetische physikalische Weltbild, welches ich allerdings für hypothetisch halte, ohne es deshalb degradieren zu wollen, auch alle physikalischen Erscheinungen ,erklären', so würde ich die Mannigfaltigkeit der Welt hiermit nicht für erschöpft halten, denn für mich sind eben Materie, Zeit und Raum auch noch Probleme, welchen übrigens die Physiker (Lorentz, Einstein, Minkowski) allmählich auch näher rücken" (Mach (1910), 605).
Mach glaubt hier in apologetischer Weise die Fruchtbarkeit seiner Kritik physikalischer Grundbegriffe und damit die Fruchtbarkeit seiner Wissenschaftslehre durch den Hinweis darauf belegen zu können, daß sie in der Relativitätstheorie allmählich zum Tragen käme. Dabei ist die Erwähnung von Lorentz natürlich auf den mit der Relativitätstheorie verbundenen Aspekt des elektromagnetischen Weltbilds zu beschränken. Aber diese Dinge (und die handelnden Personen) wurden, wie bereits gesagt, von Mach wie auch von den meisten physikalischen Zeitgenossen nicht auseinandergehalten. Ferner ist an dieser Äußerung wichtig, daß Mach die Frage der Grundbegriffe in der Relativitätstheorie nicht schon gelöst sieht. Er begrüßt es nur, daß die Physik auf dem richtigen Weg sei. Beide zitierten Äußerungen haben also, von der Hervorhebung der Wegbereiterschaft einmal abgesehen, für Mach einen hohen persönlichapologetischen Wert in der vielleicht bittersten Stunde seiner wissenschaftlichen Laufbahn. Planck hatte ihn als .falschen Propheten' apostrophiert und seinen Vortrag mit dem Satz „An ihren Früchten sollt Ihr sie (falsche Propheten wie Mach, G. W.) erkennen!" geschlossen (Planck (1969), 51). Mach mußte in dieser Situation für die Relativitätstheorie geradezu dankbar sein: sie war wohl die einzige Frucht, die er vorzuweisen hatte. Und er mußte sie als Frucht selbst vorweisen, da dies in den Schriften der Relativitätstheoretiker bis dahin nicht geschehen war. 3. Im Aufsatz „Sinnliche Elemente und naturwissenschaftliche Begriffe" (1910) bemerkt Mach, daß „in bezug auf Raum und Zeit auch bei weitem noch nicht alles klargelegt" sei. In einer Fußnote zu dieser Stelle verweist er darauf, daß schon Ptolemäus den Raum der Geometrie vom Sehraum unterschieden habe. Er fahrt fort: „Ähnlich wird man zwischen dem (geo-, G. W.) metrischen und dem physikalischen (die Zeit mit enthaltenden) Raum zu unterscheiden haben, wie dies schon in meiner Schrift „Erhaltung der Arbeit" 1872, S. 35, 56 angedeutet, in
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Mach und Einstein
„Erkenntnis und Irrtum" 1906, S. 434 ff. teilweise ausgeführt worden ist, in welcher Richtung durch die Arbeiten von A. Einstein und H. Minkowski wesentliche Fortschritte begründet worden sind" (P., 572).
Mach stellt sich hier in aller Bescheidenheit (,angedeutet', teilweise ausgeführt') explizit und ohne apologetische Begleitmusik in die historische Traditionslinie der Relativitätstheorie. Besonders bemerkenswert ist (ähnlich auch schon im vorigen Zitat), daß Mach dabei auf die Minkowskische Darstellungsform anspielt, in der nicht mehr Raum und Zeit getrennt werden, sondern nur mehr eine Raumzeit auftritt. Davon wird noch ausführlich die Rede sein (cf. § 30). Wichtig ist ferner, daß Mach überzeugt ist, sich mit seiner Vorläuferthese auf den richtigen Zug gesetzt zu haben. Denn die Relativitätstheorie hat für ihn ,wesentliche Fortschritte' begründet. Machs publizierte Äußerungen zur Relativitätstheorie zeigen somit das Bestreben, seinen Namen mit einer in seinen Augen fortschrittlichen Theorie in historische Verbindung zu bringen, was bis dahin noch nicht geschehen war. Daß dieser Hinweis nur sehr kursorisch erfolgen konnte, ist klar, da der 72jährige das mathematische Rüstzeug für ein detailliertes Verständnis der Theorie und wohl auch die nötigen Detailkenntnisse aus Elektrodynamik und Elektronentheorie nicht besaß. Selbst wenn er sie besessen hätte und wenn er die Kraft gehabt hätte, die weitläufigen Diskussionen zu verfolgen, wäre ihm wegen seiner vielfaltigen anderen Aktivitäten (cf. die Bibliographie in Thiele (1963)) in diesen Jahren und insbesondere wegen seiner vielen Erkrankungen wohl kaum die Zeit dazu geblieben (cf. dazu § 36, 277 ff.). Außer diesen drei kurzen Äußerungen aus den Jahren 1909/1910 hat Mach zur Relativitätstheorie nichts publiziert. Die Mach-Forschung scheint einhellig anzunehmen, daß sie als positive Stellungnahmen Machs zur Relativitätstheorie zu werten sind. Freilich trügen sie, wie einige (ζ. B. Blackmore, Holton) meinen, schon den Keim der künftigen Ablehnung in sich (cf. § 26 ff.). Gleichwohl: Machs publizierte Äußerungen sowie die Karte Einsteins an Mach vom 17. August 1909 (,Vergnügen an der Relativitätstheorie') haben alle, die diese Dinge zur Kenntnis genommen haben, davon überzeugt, daß Mach 1909/1910 der Relativitätstheorie zumindest nicht ablehnend gegenüberstand. Da weiterhin alle das Optik-Vorwort von ,Juli 1913' für bare Münze nehmen, muß angenommen werden, daß Mach zwischen 1910 und Juli 1913 seine Meinung zur Relativitätstheorie geändert habe. Als ein Indiz dafür wird gelegentlich angeführt, daß Mach nach 1910 und insbesondere in der revidierten siebten Auflage der j
Machs publizierte Äußerungen zur Relativitätstheorie
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Mechanik von 1912 weder die Relativitätstheorie noch einen der Relativitätstheoretiker der Erwähnung wert erachtet habe. 1 Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu weisen. Andererseits ist er natürlich auch nicht sehr stark, da keine Äußerung zur Relativitätstheorie immerhin nicht gleichbedeutend mit einer negativen ist. So ist das publizistische Schweigen Machs zur Relativitätstheorie nach 1910 gewiß auffällig, beweist aber nichts.
1
Cf. Blackmore (1972), 267.
Kapitel III Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat § 18
Vorläufiges Resümee und Ausblick
Nimmt man das Optik-Vorwort und das Mechanik-Zitat aus, dann haben die bisher angeführten Dokumente folgendes ergeben: Wohl angeregt durch Minkowskis Vortrag „Raum und Zeit" auf der Kölner Naturforscherversammlung vom Herbst 1908, befaßte sich Mach erstmals intensiv mit der Relativitätstheorie. Er nahm durch Zusendung der zweiten Auflage der Erhaltung der Arbeit Kontakt mit Einstein auf und signalisierte diesem und der Fachwelt, daß er die Relativitätstheorie ganz in der Tendenz der eigenen Arbeit sehe. Schließlich äußerte er im August 1909 Einstein gegenüber ,Vergnügen' an der neuen Theorie. Von Philipp Frank, dem frischgebackenen Privatdozenten an der Wiener Universität, ließ er sich Anfang 1910 die Minkowskische Darstellung der Relativitätstheorie erläutern. Der junge Mann schied mit dem Eindruck, daß Mach der neuen Theorie wohlwollend gegenüberstehe. In kurzen Fußnoten in den Jahren 1909/10 betonte Mach die Kontinuität zwischen den eigenen und den relativistischen Ansichten. Besonders wichtig mußte Mach diese Kontinuität in der Auseinandersetzung mit Planck sein, der die Machsche Erkenntnislehre als physikalisch unfruchtbar und schädlich bezeichnet hatte. Einsteins neue Gravitationstheorie von 1913 nahm explizit auf Machs Gedanken der Relativität der Trägheit Bezug. Ein Bezug, den Einstein in zwei Briefen an Mach noch einmal ausführlich erläuterte und dabei Mach — wie schon 1909 — erneut gegen Plancks Vorwürfe in Schutz nahm. Ein verlorengegangener Brief Machs an Einstein vom Jahresende 1913 wurde von Einstein so verstanden, daß Mach freundliches Interesse' an der sich herausbildenden allgemeinen Relativitätstheorie nehme. Wäre das alles, so hätte wohl nie jemand Zweifel daran geäußert, daß der alte Mach die neue Entwicklung, zu der selbst aktiv beizutragen er nicht mehr imstande war, mit freundlich-zustimmendem Wohlwollen verfolgte. Und dies über den ,Juli 1913' hinaus, jene scheinbar unüberwindliche Datierungshürde des Optik-Vorworts.
Mach und die Relativitätstheorie im Jahre 1914
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Im folgenden soll zunächst ein emphatisches pro-relativistisches Zeugnis Machs angeführt werden, bevor die Sprache auf kritische Äußerungen kommt bzw. auf solche, die sich nicht eindeutig einschätzen lassen. Dabei wird auch über ergebnislose Nachforschungen berichtet, die dokumentieren sollen, was versucht wurde, um zur Klarheit zu kommen, wo ein Weiterforschen vielleicht noch Erfolg verspricht oder aber als gänzlich zwecklos erscheinen muß.
§ 19 Mach und die Relativitätstheorie im Jahre 1914. Die Korrespondenz mit Joseph Petzoldt Wenn man strengste Maßstäbe anlegt, dann hat sich Mach nach dem ,Juli 1913', dem angeblichen Zeitpunkt der Abfassung des Optik-Vorworts, nur zweimal unzweifelhaft positiv zur Relativitätstheorie geäußert; und dies beide Male in Briefen an seinen Freund Joseph Petzoldt. Da Petzoldt im folgenden noch eine bedeutende Rolle zufallt, einige Bemerkungen über ihn und sein Verhältnis zu Mach. Joseph Petzoldt (1862—1929) war Zeit seines beruflichen Lebens Lehrer bzw. Oberlehrer der Mathematik und Physik an einem Gymnasium in Berlin-Spandau. 1 Philosophisch Schloß er sich zunächst dem Empiriokritizismus von Richard Avenarius an und erkannte bald die auch von Mach selbst bemerkte Verwandtschaft der Avenariusschen und Machschen erkenntnistheoretischen Positionen. 2 In von Mach als sehr fördernd empfundener Weise 3 übte Petzoldt immanente Kritik an einzelnen Gedanken Machs, ohne im geringsten aus seiner beinahe grenzenlosen Verehrung für Mach einen Hehl zu machen. Es scheint, als habe auch in diesem Falle Mach die Korrespondenz eröffnet, denn am 9.12.1891 (dem ältesten erhaltenen Stück der Korrespondenz) bedankte sich Petzoldt bei Mach für einen „liebenswürdigen Brief sowie für die Übersendung von Schriften Machs (EMA). Nach 1900 nahm Petzoldt auch persönlichen Kontakt zu 1
2
3
Publizierte biographische Informationen über Petzoldt liegen nicht vor. Dubislav (1929) geht nur auf Petzoldts Schriften, nicht auf sein Leben ein. Ähnlich C. Hermann (1929). Präzise Information liefert Petzoldts Personalbogen (Archiv des Pädagogischen Zentrums, Berlin), den mir Prof. Dr. Christian Thiel (Erlangen) freundlicherweise zur Verfügung stellte. Mach wie Avenarius geht es u. a. um die Feststellung dessen, was unbezweifelbar, in letzter Instanz .gegeben' ist. Cf. ζ. B. die Nennungen Petzoldts anhand des Namenregisters der Mechanik oder der Analyse der Empfindungen.
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Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat
Machs ältestem Sohn Ludwig auf, der um diese Zeit in Berlin mit der wirtschaftlichen Verwertung eines Patents (cf. § 37) beschäftigt war. 1901 intensivierte sich der bis dahin, wie es scheint4, eher sporadische Kontakt. Anlaß dazu war wohl die neue (4.) Auflage der Mechanik. Mach, der um diese Zeit „auf ein langes Leben nicht glaubte hoffen zu können" 5 , wollte offenbar die Modalitäten für mögliche posthume Ausgaben der Mechanik regeln. Am 21. 5.1901 bedankte sich Petzoldt bei Mach „für das Anerbieten hinsichtlich Ihrer „Mechanik", das ich mir zur höchsten Ehre anrechne. [...] Die Erfüllung Ihres Wunsches soll mir eine heilige und die willkommenste Pflicht sein" (EMA). Was mit dem Machschen , Anerbieten' gemeint war, macht ein Brief Petzoldts vom 14.6.1901 (EMA) deutlich: „Ihre Wünsche hinsichtlich der Redaktion einer neuen Auflage der Mechanik werde ich eintreffendenfalls auf das gewissenhafteste berücksichtigen. Den Text unverändert zu lassen ist mein eigener Wunsch. Persönlichkeiten [sie!] in der Polemik zu vermeiden und immer sachlich zu bleiben, gehört für mich zur Ethik des schriftstellerischen Berufs. Das Register werde ich umarbeiten."
Im Gegensatz zu späteren, anders lautenden Behauptungen Ludwig Machs dürfte klar sein, daß Machs ,Anerbieten4, auf das Petzoldt am 21. 5.1901 antwortete, für Petzoldt überraschend kam. Nichts deutet darauf hin, daß Petzoldt sich hier vorgedrängt hätte. Auch hatte Petzoldt Mach zu diesem Zeitpunkt noch nicht persönlich getroffen. Das sollte erst im Sommer 1901 zum ersten Mal der Fall sein. Ende 1903 hielt Mach eine vertragliche Fixierung seines .Anerbietens' hinsichtlich der Mechanik für geboten und bestand dabei — unter lebhaftem Protest Petzoldts — auch auf dessen finanzieller Beteiligung am Erlös von Neuauflagen dieses Werkes (Briefe Machs an Petzoldt vom 21. und 28.10.1903 (EMA)). Machs ,Anerbieten' wurde schließlich als ,Nachtrag' zum Verlagsvertrag über die Mechanik (vom 1./2. 8.1882) formuliert und von Mach (24. 2.1904), Petzoldt (28. 2.1904) sowie dem Leipziger Verleger Brockhaus (1.3.1904) unterschrieben (VAT). Im wesentlichen bestimmt der ,Nachtrag', daß „Herr Dr. Petzoldt den vom Verfasser der „Mechanik" zuletzt redigierten Text, abgesehen von der Ausmerzung kleiner Versehen, 4
5
Bis 1901 sind 9 Briefe Petzoldts an Mach in (EMA) erhalten. Dagegen keiner von Mach. Der früheste erhaltene Brief Machs an Petzoldt datiert v o m 25. November 1903 (TUB, Pe 42-1). Mach an A . Forel (7. 8 . 1 9 1 2 ) ; Kopie in (EMA). Das Original befindet sich vermutlich im Medizinhistorischen Institut der Universität Zürich. Ähnlich schreibt Mach im V o r w o r t zur 2. Auflage der Analyse („im April 1900"): „Ich möchte jedoch diese letzte Gelegenheit nicht vorübergehen lassen [...]" (Α., VIII).
Mach und die Relativitätstheorie im Jahre 1914
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wie sie etwa in den Stereotypplatten stehen geblieben sind, unverändert läßt, während er die Freiheit hat, seine eigenen Bemerkungen anhangsweise hinzu zu fügen." 6 Doch nicht nur zu seinem literarischen Testamentsvollstrecker in Sachen Mechanik hatte Mach, den baldigen Tod vor Augen, Petzoldt im Jahre 1901 ausersehen. Offensichtlich hatte er sich in Wien auch dafür eingesetzt, daß Petzoldt sein (d. h. Machs) Nachfolger an der Wiener Universität würde. 7 Das Projekt scheiterte. Machs Lehrstuhl wurde überhaupt nicht neu besetzt und ein entsprechender Lehrauftrag ging an Ludwig Boltzmann. Gleichwohl hatte die ganze Angelegenheit noch ihr Gutes. Denn Petzoldt konnte bei seiner (auch aus formalen Gründen) nicht ganz problemlosen, von Mach gutachterlich unterstützten Habilitation an der Technischen Hochschule Berlin (1904) gegenüber dem für das Verfahren wichtigen Mathematiker Lampe immerhin anfügen, „daß Sie [d. h. Mach] mich dem Minister als Ihren Nachfolger vorgeschlagen hätten" (Petzoldt an Mach, 11.11.1903 (EMA)). 8 Auch sonst wurde die Beziehung zwischen Mach und Petzoldt enger. Auf Bemerkungen Petzoldts zur Machschen Fassung des Trägheitsgesetzes (Brief Petzoldts an Mach vom 3.9.1904 (EMA*)) antwortete Mach mit einem längeren Brief am 18.9.1904 (TUB*, Pe 42-2); dieser beginnt mit den Worten: „Hochgeehrter Freund! Erlauben Sie mir diese Anrede!" Sichtlich gerührt behielt Petzoldt in seinem nächsten Brief (23.9.1904 (EMA*)) noch das gewohnte „Hochgeehrter Herr Professor!" bei, bevor er sich (7.10.1904), nicht ohne Hemmungen, zu „Hochgeehrter väterlicher
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7
8
Aus einem Schriftsatz der Anwälte v o n Brockhaus in einem Zivilprozeß (Ludwig Mach gegen Firma F. A. Brockhaus) vor dem Leipziger Landgericht (Aktenzeichen: 3 C. Reg. 31/32) v o m 2.7.1932. Der .Nachtrag' tritt dort als .Anlage II' auf (VAT). Dieser Plan dürfte wohl anläßlich Petzoldts Besuch bei Mach besprochen worden sein. Petzoldt erwähnt die Angelegenheit erstmals in seinem Brief v o m 7.10.1901 (EMA). Die Initiative dürfte wohl Mach ergriffen haben. Denn es ist schwer vorstellbar, daß der nicht habilitierte Berliner Oberlehrer Petzoldt Mach gedrängt haben könnte, sich für seine Berufung nach Wien stark zu machen. Mit Brief v o m 30.4.1901 hatte Mach den Dekan der Wiener philosophischen Fakultät v o n seinem Pensionsgesuch in Kenntnis gesetzt, mit der Bitte, „meinem [d. i. Machs] festen und reiflich überlegten Entschlüsse keine Hindernisse zu bereiten". Es sei „wahrlich an der Zeit, einer frischen Kraft den Platz zu räumen" (AUW). Mach hat noch bei anderen Gelegenheiten eine Berufung Petzoldts unterstützt. Zuletzt wohl 1915 in Prag, wie sich aus einem Brief Anton Lampas an Mach v o m 16.4.1915 (EMA) ergibt. Der Begründer der Gestalttheorie, Christian von Ehrenfels, versuchte mit einem Sondervotum die dann auch nicht zustandegekommene Berufung Petzoldts zu verhindern.
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Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat
Freund!" entschloß. Erst Monate später rang er sich zu dem dann endgültigen „Lieber Freund!" durch (cf. Petzoldt an Mach, 27.4.1905 (EMA)). Es hat den Anschein, daß die Korrespondenz mit Petzoldt für Mach mit zunehmendem Alter und wachsender Isolierung immer wichtiger, ja unersetzlich wurde. In einem Briefdurchschlag Machs an Petzoldt (8. 9.1914 (VAT)) heißt es mit Blick auf das Thema des Unterschieds von Mensch und Tier: „Was meinen Sie? Ich sehne mich sehr nach einer Äußerung von Ihnen! Schreiben Sie mir wenigstens einige Zeilen!" Am 30. 9.1914 (TUB*, Pe 42-12): „Ich freue mich auf weitere Correspondenz." Am 20.10.1914 (TUB*, Pe 42-13) konstatiert Mach in einem Brief an Petzoldt: „Ihnen danke ich viel Aufklärung, die ich aus Ihrer modifizirten Auffassung meiner eigenen geschöpft habe. Seien Sie hiefür lebhaft bedankt. So viel macht die Diskussion und Aussprache, wenn sie richtig geführt wird." Zwei Tage vorher (18.10.1914) hatte Mach schon in gleichem Sinne an seinen alten Wiener Freund Josef Popper geschrieben: „Ich habe durch die letzte Korrespondenz mit Petzoldt sehr sehr viel gewonnen" (SMI). — Das freundschaftliche Verhältnis zwischen Petzoldt und Mach dauerte wohl bis zu Machs Tod im Februar 1916. Das letzte erhaltene Stück der Korrespondenz ist ein Brief des Oberleutnants und „Stellv. Bezirksadjutants Spandau" an Mach vom 7.11.1915 (VAT). Die Relativitätstheorie spielt in der Korrespondenz Mach-Petzoldt, soweit erhalten, keine große Rolle. Zwischen den Briefen Petzoldts an Mach vom 4.9.1907 und vom 22.9.1910 (EMA*) ist kein Stück der Korrespondenz erhalten. In letzterem Brief wird erstmals die Relativitätstheorie erwähnt. Petzoldt schreibt: „Zu der Relativitätstheorie Einsteins, wie sie Classen9 darstellt, habe ich noch kein genügend nahes Verhältnis gewonnen. Doch scheint mir Einsteins Grundgedanke ganz vortrefflich." Schwierigkeiten hat Petzoldt mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Am 1.6.1911 (nach einer Korrespondenzpause) meldet Petzoldt (EMA*): „Ich komme jetzt allmählich zu näherer Beschäftigung mit dem Relativitätsprinzip [...]. Sie schrieben mir zuletzt, daß Ihnen am Relativitätsprinzip hinsichtlich der erkenntniskritischen Seite noch manches zu fehlen scheine." Dem schließt sich ohne nähere Spezifizierung auch Petzoldt an. Er kommt dann auf sein notorisches Problem mit der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu sprechen, bemerkt allerdings, es möchte wohl sein, daß er „die Dinge noch nicht hinreichend überschaue"; 9
Es handelt sich wohl um Classen (1910), einen Aufsatz, der auch in Machs Bibliothek erhalten geblieben ist (cf. Ackermann (1959), Nr. 1056).
Mach und die Relativitätstheorie im Jahre 1 9 1 4
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und schließt: „jedenfalls aber finde ich die moderne Entwicklung sowohl der theoretischen Physik wie der Mathematik (gemeint wohl Minkowski, G. W.) wundervoll. Damit wird allem Absolutismus und Apriorismus der Garaus gemacht." Dieser Brief Petzoldts ist von besonderer Wichtigkeit, da er den einzigen bekannten Vorbehalt Machs gegen die Relativitätstheorie nennt. Dieser Vorbehalt bezieht sich auf das Relativitätsprin^ip, und zwar auf i dessen ,erkenntnistbeoretische Seite. Natürlich ist es spekulativ, sich darüber zu äußern, was Mach hier gemeint haben könnte. Vielleicht ist aber eine kleine Spekulation hier doch nicht uninteressant. Wir haben zunächst zu beachten, daß es sich beim Relativitätsprinzip, an dem Mach noch ,manches zu fehlen' scheint, um das spezielle Relativitätsprinzip handelt. Das allgemeine Relativitätsprinzip tritt ja in einer ersten, vorläufigen Form nicht vor Mitte 1913 (in Einstein/Grossmann (1913)) auf. Erinnern wir uns daran (cf. § 4), daß es für Einstein ebenfalls „ein erkenntnistheoretischer Mangel [...] [war], der vielleicht zum ersten Male von E. Mach klar hervorgehoben wurde" (in: Lorentz/Einstein/Minkowski (1974), 82), der ihn zum allgemeinen Relativitätsprinzip anregte. Dieser Mangel war die Beschränkung des klassischen und speziellen Relativitätsprinzips auf geradlinig gleichförmig bewegte Bezugssysteme, d. h. die Beschränkung auf Inertialsysteme. Ein physikalischer Grund für diese Beschränkung konnte nicht angegeben werden. Und Einstein hob sie, angeregt durch Mach, im allgemeinen Relativitätsprinzip auch tatsächlich auf. Es kann aber ganz gut so gewesen sein (muß es aber nicht, cf. Anm. 27), daß Einsteins hinsichtlich des speziellen Relativitätsprinzips konstantierter ,erkenntnistheoretischer Mangel' mit dem, was Mach „am Relativitätsprinzip hinsichtlich der erkenntniskritischen Seite noch [...] zu fehlen" schien, zusammenfiel. Denn auch Machs ,Ideal' ging ja in die Richtung einer Theorie, „aus der sich in gleicher Weise die beschleunigten und die Trägheitsbewegungen ergeben" (M., 236; cf. oben § 4). Wenn diese Vermutung stimmt, dann ging Einstein mit Mach hinsichtlich dessen einzigem, bekannten Bedenken gegen die Relativitätstheorie bis in die Formulierung hinein konform: Nicht, daß Mach an der Relativitätstheorie etwas für falsch, abwegig oder was auch immer gehalten hätte — es scheint ihm lediglich jtoctf manches zu ,fehlen'. In eben diesem Sinne spricht Einstein von ,Mangel' und beide davon, daß dieser Mangel ,erkenntnistheoretisch' bzw. .erkenntniskritisch' sei. Selbst wenn Mach Einstein/Grossmann (1913) nur flüchtig und bis zu der Stelle, wo die tensoranalytische Darstellung beginnt, gelesen hat, dürfte er erkannt haben,
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Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat
daß Einstein Mitte 1913 an die Beseitigung eben dieses erkenntnistheoretischen Mangels herangegangen war. Ähnliches kann er aus Einsteins beiden letzten Briefen und aus der Lektüre der von Einstein in seinem Brief zur Jahreswende 1913/14 angekündigten populären Fassungen der ,neuen Theorie' entnommen haben. Mit Blick auf das Optik-Vorwort läßt sich im Falle des Zutreffens dieser Vermutung folgendes sagen: Mach hat sich 1911 zu einem Mangel des speziellen Relativitätsprinzips geäußert. Dies ist die einzige kritische Äußerung Machs zur Relativitätstheorie, von der wir Kenntnis haben. 1913/14 war — für Mach erkennbar — dieser Mangel behoben. Selbst wenn er im ,Juli 1913' das Optik-Vorwort geschrieben hätte, hätte er es deshalb später in den Papierkorb werfen müssen. 10 Dies um so mehr, als Mach am Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, anders als Petzoldt, wohl nichts auszusetzen hatte. Diese Behauptung steht im Gegensatz zu Vorstellungen von Mach-Forschern wie Holton und Blackmore. Der Gegensatz zu Holton ist nur indirekt, da dieser nicht explizit behauptet, Mach sei gegen die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gewesen. Bei seinem Versuch, ein frühes Abrücken Einsteins von Mach nachzuweisen, analysiert Holton einen Brief Einsteins an Besso vom 28. August 1918. In diesem Brief ist Einstein „geradezu erbost", weil Besso ihm unterstellt habe, nach seiner (d. i. Einsteins) Meinung habe in der Relativitätstheorie „die Spekulation [...] sich als der Empirie überlegen gezeigt" (in: Einstein/Besso (1972), 137 f.). ,,[F]ast das Gegenteil davon" sei, so Einstein, richtig. Jede physikalische Theorie müsse, „um Vertrauen zu verdienen, auf verallgemeinerungsfähige Thatsachen aufgebaut sein [...]. Alte Beispiele: Hauptsätze der Thermodynamik auf Unmöglichkeit des perpetuum mobile. Mechanik auf empirisch ertastetem Trägheitsgesetz. Kinfetische] Gastheorie auf Aequivalenz von Wärme und mech[anischer] Energie [...]. Spezielle Relativität auf Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Maxwells Gleichungen für das Vakuum, welche wieder ihrerseits auf empirische[n] Grundlagen ruhen. Relativität bezüglich gleichförmiger] Transformation ist Erfahrungsthatsache. Allgemeine Relativität: Gleichheit der trägen und schweren Masse" (a.a.O., 138).
Einstein versucht sich hier offensichtlich gegenüber dem Spekulationsverdacht des strengen Machianers Besso seinerseits als guter Empirist und Machianer zu profilieren. Für Holton freilich klaffen hier Einsteins fester 10
Abgesehen davon, daß zwischen dem von Mach vermuteten („zu fehlen scheint") Mangel und dem bramarbrasierenden Kanzelton des Optik-Vorworts stilistische Welten liegen.
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Glaube, ein halbwegs orthodoxer Machianer zu sein, und die anti-Machsche Wirklichkeit bereits auseinander: „Careful reading of this letter shows us that already here there is evidence of divergence between the conception of ,fact' as understood by Einstein and ,fact' as understood by a true Machist. The impossibility of the perpetuum mobile, the first law of Newton, the constancy of light velocity, the validity of Maxwell's equations, the equivalence of inertial und gravitational mass — none of these would have been called ,facts of experience' by Mach" (Holton (1973 a), 229; dt. 215 f.).
Tatsache ist, wie sich sogleich zeigen wird, daß der Mach und den ,true Machists' von Holton unterstellte Tatsachen- und Theorie-Begriff nichts mit den tatsächlichen Meinungen Machs, aber viel mit einer zu zielstrebigen Verfolgung des Themas ,Antipositivismus' bei Holton zu tun. Denn macht man sich die Mühe zu überprüfen, was für Mach eine ,Tatsache' ist und welche Tatsachen für ihn die empirische Basis von Theorien bilden, ergibt sich ein ganz anderes als das von Holton gezeichnete Bild. Auch für Mach ist, wie ζ. B. die Lektüre des Abschnitts über das Prinzip der schiefen Ebene in der Mechanik11 zeigt, die Unmöglichkeit des Perpetuum Mobile die Basis unter anderem des Energieprinzips (d. h. des 1. Hauptsatzes der Thermodynamik). 12 Freilich ist zuzugeben, daß Mach die Unmöglichkeit des Perpetuum Mobile nur indirekt und en passant als ,Tatsache' bezeichnet.13 Für ihn ist es vielmehr ein „Prin%ip"u, das auf „instinktive" Weise erkannt wird (M., 24 f.); etwas, das sich, quasi naturgeschichtlich, im Umgang mit der Natur „auch unverstanden und unanalysiert in unseren Vorstellungen" ausprägt (M., 27). Solch instinktives, durch kreatives Erschauen bewußtgemachtes Prinzipienwissen ist „ganz ohne unser Zutun da", ist gewissermaßen sedimentierte Naturerfahrung. „Das Mißtrauen gegen unsere eigene subjektive Auffassung des Beobachteten fallt also weg" (M., 26). Prinzipien haben „höhere Autorität" (ebd.) als schlichte Beobachtungssätze. Jedoch: „Das Instinktive ist ebenso fehlbar wie das klar Bewußte. Es hat vor allem nur Wert auf einem Gebiet, 11
12
13
14
Cf. ferner EA. sowie „Über das Prinzip der Erhaltung der Energie" in: P., 167 — 216, und W., 315 ff. Die Ausführungen in der Mechanik beschränken sich auf den mechanischen Spezialfall des Prinzips der schiefen Ebene. In allen Einzelfällen, die Stevin untersucht, ist es so, „daß überall dieselbe Tatsache (der Unmöglichkeit des Perpetuum Mobile, G. W.) sich ausspricht" (M., 32). Eine glänzende Analyse der Machschen Auffassung von Prinzipien, insbesondere des Prinzips vom ausgeschlossenen Perpetuum Mobile, bei Feyerabend (1984 a), bes. 2 f.
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mit welchem man sehr vertraut ist" (M., 27). „Auch die instinktiven Erkenntnisse sind Erfahrungserkenntnisse." Als „Prinzipien fassen [sie] mehr oder weniger willkürlich bald diese, bald jene Seiten derselben Tatsachen heraus und enthalten eine skizzenhafte Regel zur Nachbildung der Tatsachen in Gedanken" (M., 73). Wenn also im Zusammenhang mit der empirischen Begründungsfunktion des ausgeschlossenen Perpetuum Mobile mehr von ,Prinzip' als von ,Tatsache' die Rede ist 15 , so ist dies allein schon eine Widerlegung Holtons, der Mach offenbar einen rein sensualistischen Tatsachenbegriff unterstellt. Der Vorrang, den Prinzipien', obwohl sie selbst Tatsachencharakter besitzen, vor ,schlichten' Tatsachen haben, beweist, daß Mach weit davon entfernt ist, der ,Machist' der antipositivistischen Karikatur zu sein. Mach zeigt sich hier vielmehr als ein differenzierter Empirist, der Theorien auf Prinzipien aufbaut, die sich tiefsitzenden ,Erfahrungsschätzen' (cf. a. a. O., 27) verdanken und nicht in der Wiedergabe von Beobachtungen aufgehen. Wissenschaft ist für Mach eben nicht die bloße Registrierung und Katalogisierung von Tatsachen, sondern die auf beobachtungsüberschreitenden Erfahrungsprinzipien aufbauende, systematisch und ökonomisch geordnete Darstellung der Tatsachen. Das ausgeschlossene Perpetuum Mobile hat also — entgegen Holtons Meinung — für Mach als ordnendes Erfahrungspr/«:^ noch „höhere Autorität" (M., 26) als eine bloße Erfahrungs/ö/jvw/tf. Gleichwohl drückt sich im Prinzip des ausgeschlossenen Perpetuum Mobile, wie in anderen Prinzipien auch 16 , eine Tatsache oder eine Seite einer Tatsache aus. Mit welchem Nachdruck dabei noch der alte Mach eine sensualistische Fundierung der Physik ausgeschlossen hat, zeigt ein Brief an R. Orthner (2. 6.1914 (OÖL); cf. § 1, Anm. 9). Zu einer gegenteiligen Äußerung Orthners bemerkt Mach: Die Messung des Verhältnisses zweier Massen durch ihr negativ reziprokes Beschleunigungsverhältnis „kann nämlich jede aufmerksame Empirie suggeriren, aber nicht mehr als suggeriren, [...] die wahre Abhängigkeit muß erraten werden, sonst würde nicht ein so außergewöhnliches Genie dazu gehören, dies zu tun. [...] Dies wiederholt sich in 15
16
Genaugenommen sind .Tatsachen' (bei Mach wie auch sonst) auf der Gegenstandsebene angesiedelt, während .Prinzipien' auf die Darstellungsebene gehören. So liegt im Prinzip der virtuellen Verschiebungen für Mach „nur die Anerkennung einer Tatsache [...], die uns längst instinktiv geläufig war, nur daß wir sie nicht so scharf und klar erfaßten. Die Tatsache besteht darin, daß schwere Körper sich von selbst nur abwärts bewegen" (M., 66). Eine Erweiterung des Prinzips „auch auf andere als Schwerkräfte" ist nichts anderes als „die Anerkennung der Tatsache, daß die betreffenden Naturvorgänge nur in einem bestimmten Sinne und nicht im entgegengesetzten von selbst ablaufen" (M., 66/ 68).
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allen Gebieten. [...] Das Gesetz der Wärmemitteilung wird erraten, die Elektrizitätsmitteilung desgleichen usw. usw. Wie Sie meinen können, daß Ihnen dies von selbst zufließen soll, ist mir ganz unbegreiflich [!]" (Hervorhebungen im Original). Machs Tatsachenbegriff ist im übrigen mehrschichtig: (1) In einem fast emphatischen Sinne, der an das traditionelle ,Individuum est ineffabile' erinnert, ist ,Tatsache' ein regulativer Begriff, der die wissenschaftliche Erfassung der Wirklichkeit leitet. Mach spricht von einer }>gan^e[n] Tatsache in ihrem unendlichen Reichtum, in ihrer unerschöpflichen Mannigfaltigkeit" (M., 70). 17 Folglich gelangen in der Wissenschaft eigentlich nur ,Seiten1 einer Tatsache zur Darstellung. „Welche Seiten einer Tatsache beachtet werden, wird [...] von zufalligen Umständen, ja von der Willkür des Beobachters abhängen" (M., 70). (2) Daneben findet sich der übliche Tatsachenbegriff, wonach eine Tatsache ein bestehender empirischer Sachverhalt ist. Auch hier gibt es ein breites Spektrum: „Es giebt Thatsachen, die wir unmittelbar sinnlich wahrnehmen, die wir so zu sagen mit einem Blick überschauen. Andere Thatsachen aber ergeben sich erst durch ein compliziertes Beobachtungs- und begriffliches Reaktionssystem. Niemand sieht es ζ. B. den Massen unmittelbar an, daß sie sich gegenseitig Gravitationsbeschleunigungen erteilen. Die Phase einer Schallwelle ist nicht unmittelbar wahrnehmbar [...]" (Mach (1898), 8). Und doch sind dies alles Beispiele für ,Tatsachen', ebenso wie »Prinzipien' letztlich ,Tatsachen' ausdrücken. Holton wiederum scheint Mach ausschließlich den beschränkten Begriff der ,mit einem Blick' überschaubaren Tatsache zu unterstellen. Bei dieser begrifflichen Verengung wäre ja das Prinzip vom ausgeschlossenen Perpetuum Mobile wirklich keine ,Tatsache'. Nur ist eben die Holtonsche Unterstellung falsch. — Ebenso wie das Prinzip vom ausgeschlossenen Perpetuum Mobile ist das Trägheitsgesetz für Mach eine ,Tatsache' (cf. M., 134, 244), die ,erschaut' wird (cf. oben, 105). Wenn man sich ferner an Machs emphatische Äußerungen zur Maxwellschen Theorie erinnert 18 , fällt es schwer, an die Mach von Holton unterstellte Annahme eines Mangels an Empirizität im Fundament dieser Theorie zu glauben. Gleiches gilt für die durch Experimente fast erzwungene Annahme der Äquivalenz von träger und schwerer Masse.
17
18
„Isolierte Tatsachen gibt es nur infolge der Beschränktheit unserer Sinne und unserer intellektuellen Mittel" (EI., 232). Cf. 69 sowie insbesondere § 6, Anm. 1 1 .
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Angesichts des tatsächlichen Machschen Tatsachenbegriffs bricht Holtons implizites Analogieargument für eine Ablehnung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit durch Mach zusammen. Es ist vielmehr so, daß ebenso wie der Annahme des Prinzips des ausgeschlossenen Perpetuum Mobile und des Trägheitsprinzips als empirischer (nicht: sensualistischer) Theorienbasis (,Prinzip') auch einer Annahme des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit als einer empirischen Grundlage der Relativitätstheorie bei Mach prinzipiell nichts im Wege stand. Blackmore ((1972), 257) behauptet direkt, was Holton nur andeutet: Machs „phenomenalistic epistemology [...] implied the rejection of the light constancy principle." Hierfür, ebenso wie für seine wohl aus Petzoldts Problemen mit der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gefolgerte Behauptung (a. a. O., 275), daß das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit „had long been an epistemological annoyance to Mach and his friends", bleibt Blackmore, soweit Mach betroffen ist, den schlüssigen Beweis schuldig. Wir sahen im übrigen, daß sich die einzige bekannte epistemological annoyance' Machs auf das Relativitätsprinzip bezog. Die Vermutung von Holton und Blackmore, Mach habe Einwände gegen das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gehabt, basiert nicht auf Textzeugnissen (Weiteres cf. § 27). Sie stammt entweder aus einer falschen Auffassung des Machschen Tatsachenbegriffs und der damit verbundenen empiristischen Theoriekonzeption (Holton, Blackmore) oder aus der durch nichts gestützten Annahme, Mach habe sich Petzoldts Bedenken zu eigen gemacht (Blackmore). Eine sorgfaltige Analyse der Briefe Petzoldts an Mach legt im übrigen das Gegenteil nahe: In seinem Brief vom 22.9.1910 an Mach (EMA*) betont Petzoldt, daß er zur Relativitätstheorie „noch kein genügend nahes Verhältnis gewonnen" habe, schildert aber schon ausführlich seine Schwierigkeiten mit der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Der nächste erhaltene Brief Petzoldts, der auf keinen vorangehenden Brief Machs und auch nicht auf die Relativität Bezug nimmt, sondern von technischen Dingen (Adresse, Buchsendung, Berufungsangelegenheit) handelt, stammt vom 9.12.1910 (EMA). Der darauffolgende, erhaltene Brief Petzoldts datiert vom 1.6.1911 (EMA*). Er beginnt: „Schon lange habe ich nichts von mir hören lassen und nichts von Ihnen gehört. [...] Sie schrieben mir zuletzt, daß Ihnen am Relativitätsprinzip hinsichtlich der erkenntniskritischen Seite noch manches zu fehlen scheine. Das glaube ich auch. [...] Eine sonderbare, ,naive' Rolle scheint mir (Hervorhebung G. W.) immer noch die konstante Lichtgeschwindigkeit zu spielen [...]." Die Art der
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Einleitung dieses Briefes läßt darauf schließen, daß Petzoldt auf den Antwortbrief Machs auf seinen (d.h. Petzoldts) Brief vom 22.9.1910 Bezug nimmt. In diesem Brief hatte Petzoldt das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit kritisiert. Machs Antwort aber hat offensichtlich nur das Relativitätsprinzip bemängelt. Denn Petzoldt tritt in seinem Brief vom 1.6.1911 in diesem Punkt der Machschen Kritik bei, während er in Sachen Lichtgeschwindigkeit nur von dem schreibt, was ihm (d. h. Petzoldt) ,naiv' scheine. Hätte Mach bei dieser einzigen bekannten Gelegenheit, bei der er sich partiell nicht positiv (es ,fehlt' etwas) zur Relativitätstheorie äußerte, auch etwas Kritisches zur Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gesagt, hätte Petzoldt gewiß ebenso zustimmend darauf Bezug genommen, wie er es im Falle des Relativitätsprinzips getan hat. Dies gilt im übrigen auch dann, wenn die Brieffolge nicht so stattgefunden hat, wie hier aus naheliegenden Gründen angenommen. — Damit ist ein Teil der Versuche, eine Ablehnung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit durch Mach zu konstruieren, zurückgewiesen (Weiteres cf. § 27). Die Tatsache, daß Petzoldt, der notorische Kritiker dieses Prinzips, nur auf Machs partiell-kritische Bemerkung zum Relativitätsprinzip Bezug nimmt, zeigt, daß Mach sich, jedenfalls zum geschilderten Anlaß, nicht kritisch oder gar ablehnend zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit geäußert hat. Nach Petzoldts Brief vom 1.6.1911 ist zwei Jahre lang von der Relativitätstheorie in den erhaltenen Briefen nicht mehr die Rede. 19 Erst am 15. 6.1913 schreibt Petzoldt an Mach (EMA*), von Laue habe, wohl mit Bezug auf Einstein/Grossmann (1913), berichtet, „Einstein soll mit der Gravitationsaufklärung im wesentlichen fertig sein [...]. Dabei macht er, nach Laues Äußerung, die Zentrifugalvorgänge von Relativdrehungen der Massen gegeneinander abhängig, also wie Sie [d. h. Mach] es tun." — Wie schon (163) bemerkt, hat Petzoldt Mach am 9. August 1913 zum 19
Wenn Blackmoree ((1972), 274) das Fehlen der Briefe Machs an Petzoldt zwischen 1906 und 1 9 1 3 ein „conspicuous gap" nennt, ist unklar, was er meint. Sollte gemeint sein, daß Petzoldt negative Äußerungen Machs zur Relativitätstheorie habe .verschwinden' lassen, damit die Mach-Forschung die Wahrheit nicht erfahren sollte? Falls dies die Meinung Blackmores sein sollte, dann ist darauf zu verweisen, daß (1) Mach v o r 1909 nichts über die Relativitätstheorie geschrieben hat, weil er sich vermutlich noch gar nicht mit ihr befaßt hatte, (2) aus Petzoldts Brief an Mach v o m 1. 6 . 1 9 1 1 eine Reserve Machs hinsichtlich des Relativitätsprinzips hervorgeht, (3) die Korrespondenz zwischen 1909 und 1 9 1 3 nicht sehr dicht war (s. o.) (ferner wurde zwischen dem 1 . 9 . 1 9 1 2 und dem 2 5 . 5 . 1 9 1 3 nicht inhaltlich korrespondiert (nur Umzugsmeldungen)), (4) über 40 Briefe Machs an Petzoldt, die meisten v o r 1907, nicht erhalten sind. .Conspicuous' ist also hier vorerst gar nichts.
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letzten Mal besucht.20 Leider ist über den Inhalt des Gesprächs nichts bekannt. Es ist allerdings wohl auszuschließen, daß Mach sich in diesem Gespräch abfallig über die Relativitätstheorie geäußert hat. Denn dann hätte Petzoldt nicht so emphatisch Machs Auffassungen mit denen Einsteins in Verbindung bringen können, wie er es in Petzoldt (1914) (s. u.) tat. Aus der Korrespondenz ergibt sich in der Folge, daß Mach Ende Februar/Anfang März 1914 Einsteins undatierten Brief von der Jahreswende sowie weitere „Beilagen" an Petzoldt geschickt hat. Darunter einen Vortrag von Einstein.21 Die für das Verhältnis Machs zur Relativitätstheorie zentrale Bedeutung des Petzoldt-Briefwechsels liegt nicht nur darin, daß, wenn auch nur umrißhaft, eine Reserve Machs gegenüber der neuen Theorie namhaft gemacht wird. Wichtiger noch ist, daß diese Korrespondenz direkte Beweisstücke dafür enthält, daß Mach sich noch 1914, also nach dem ,Juli 1913', unzweideutig positiv, ja emphatisch zur Relativitätstheorie geäußert hat. Diese Beweisstücke sind um so wichtiger, als es die einzigen ihrer Art sind. Das erste befindet sich in einem Brief Machs an Petzoldt vom April 1914.22 Der Brief beginnt: „ich habe einstweilen das Heft d[er] positivistischen] Ζ[eit]sehr[ift] erhalten, die Ihren Artikel über Relativität enthält, der mir nicht bloß deshalb gefällt, weil Sie meine bescheidenen Verdienste in bezug auf dieses Thema reichlich anerkennen, sondern auch sonst." 23 Die positivistische Zeitschrift', gemeint ist die „Zeitschrift für positivistische Philosophie", ist, ebenso wie die „Gesellschaft für positivistische Philosophie", als deren ,Organ' sie firmiert, eine Gründung vor allem 20
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Von einem gescheiterten Besuchsversuch Petzoldts im Jahre 1914 wird noch die Rede sein (cf. § 38). Es dürfte sich um eine der in dem Brief zur Jahreswende Mach von Einstein angekündigten populären Versionen von Einstein/Grossmann (1913) handeln (cf. § 14, Anm. 2). Der genaue Tag ist nicht zu ermitteln. Das Original (TUB*, Pe 42-9) trägt — aber wohl nicht von Petzoldts Hand — die Aufschrift „27. April 1914". Der Rest des Briefes ist einer wahrnehmungspsychologischen Frage sowie Kralls „denkenden Pferden" gewidmet, für die Mach sich zu jener Zeit wohl mehr interessiert hat als für die Relativitätstheorie (Kralls „Kluger Hans" trabt auch 70 — 80 Jahre nach seinen Erdentagen noch durch die literarische Welt: cf. z. B. J. Mitchell/R. J. Rickard, Das rechnende Pferd von Elberfeld und andere Rätsel aus der Welt der Tiere, Düsseldorf 1983). Überhaupt standen in Machs letzten Lebensjahren psychologische und biologische Fragen sowie, bezogen auf Kultur und Mechanik, Probleme prähistorischer Anfange von Wissenschaft im Vordergrund des Interesses. Dies jedenfalls zeigen die Korrespondenz (vor allem mit Petzoldt) und die Publikationen.
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Petzoldts, der auch 1. Vorsitzender der „Gesellschaft" war. 24 Der Artikel, den Mach in seinem Brief vom April anspricht, ist „Die Relativitätstheorie der Physik" ( = Petzoldt (1914)). Dieser Titel ist im Grunde irreführend. Dem Inhalt angemessen müßte er etwa so lauten: „Die Relativitätstheorie der Physik als konsequente Anwendung des von Ernst Mach inaugurierten relativistischen Positivismus". Der wohl von Petzoldt erfundene Terminus Relativistischer Positivismus' soll die von Mach und Avenarius entwickelten und von ihm, Petzoldt, fortgeführten Lehren bezeichnen, insbesondere deren Destruktion der traditionellen ontologischen Substanz- und Kausalitätsbegriffe. ,Relativistisch' ist dieser Positivismus vor allem wegen Machs Kritik an Absolut-Begriffen in der Physik. Die Relativitätstheorie wird hier von Petzoldt in allen wesentlichen Punkten als Fortentwicklung und präzise mathematisch-physikalische Realisierung Machscher Gedanken gefeiert bzw. es wird darauf hingewiesen, daß wenigstens Verträglichkeit mit ihnen bestehe. 25 Ganz allgemein zeige sich in der Relativitätstheorie „eine gewaltige Konvergenz moderner Gedankenentwicklung: Physik, Mathematik und positivistische Erkenntnistheorie drängen nach derselben Grundauffassung der Natur, ja der Welt überhaupt" (Petzoldt, a. a. O., 36). Und immer wieder ist es Machs Denken, das den Weg gewiesen habe: zum Relativitätsprinzip, zum relativistischen Zeitbegriff, zur Abschaffung des Äthers, zum implizierten Antimechanismus usw. positivistische', d. h. vor allem an Mach orientierte, Erkenntnistheorie hat ebensowenig etwas gegen den Minkowskischen vierdimensionalen Raum wie gegen nichteuklidische Darstellungen der Relativitätstheorie (a. a. O., 36 f.). Und ständig der Name ,Mach'. Er kommt in Petzoldts Aufsatz vielleicht doppelt so oft vor wie der Name ,Einstein'. An lediglich vier Stellen seines langen und emphatisch positiven Aufsatzes zur Relativitätstheorie als Realisierung Machscher Intentionen erlaubt sich Petzoldt kritische Anmerkungen: Die erste betrifft das Relativitätsprinzip. Das spezielle Relativitätsprinzip postuliert ja die gleiche Form der Naturgesetze in allen Inertialsystemen. Dies bedeutet die Einführung einer relativistischen, der Lote.ntz-Kinematik, während die Dynamik sich nicht wesentlich ändert. Petzoldt macht darauf aufmerksam, daß man, 24
25
D e n Gründungsaufruf (cf. Heft 1 (1913) der „Zeitschrift", soweit es an Mitglieder der Gesellschaft ging) zieren illustre Namen, u. a. Mach, Schuppe, Ziehen, Einstein, Freud und Hilbert. Letzteres gilt für die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, die nach Petzoldt eine empirische Hypothese ist, mit der zwar „die Einstein-Minkowskische Theorie", nicht aber die „umfassendere" Machsche Theorie stehe und falle (Petzoldt, a. a. O., 27).
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unter Beibehaltung der relativistischen Intention, aber bei Aufgabe des Relativitätsprinzips auch die klassische Galilei-Kinematik beibehalten, dafür aber die Dynamik ändern könnte. 26 „Experimentell" sei für die von Einstein gewählte Alternative noch keineswegs entschieden (a.a.O., 40). Für Petzoldt ist wie für Mach (cf. § 17) durch die Relativitätstheorie die Richtung zur Lösung tiefliegender physikalischer Probleme gewiesen, ohne daß das Ziel schon erreicht wäre. In diesem Sinne schließt Petzoldt die hier referierten Ausführungen: „Wollen wir also weiter, so müssen wir durch die gegenwärtige Phase der Relativitätstheorie hindurch zu einer noch souveräneren Beherrschung der begrifflichen Bestimmungsmittel vordringen [...]" (Petzoldt, a . a . O . , 41). Freilich: „die künftige Entwicklung der physikalischen Theorie [...] kann unmöglich mit Umgehung der Relativitätstheorie erfolgen" (ebd.). Eine zweite „Grenze" (Petzoldt, a. a. O., 48) der Relativitätstheorie sieht Petzoldt im prinzipiellen Ausschluß von Überlichtgeschwindigkeiten. Er parallelisiert die Kritik an der Annahme der Lichtgeschwindigkeit als obere Grenze aller Bewegungen mit der Machschen Kritik am absoluten Nullpunkt der Temperatur und verweist darauf, daß man in der Theorie nicht von vornherein mögliche Tatsachen ausschließen dürfe, die etwa die Annahme von Überlichtgeschwindigkeiten erforderten. Als dritte „Grenze" nennt Petzoldt die ursprüngliche Beschränkung der Relativitätstheorie auf Inertialsysteme. 27 Diese war aber durch Einstein/Grossmann (1913) schon beseitigt worden. Entsprechend schließt Petzoldt seine Bemerkungen: „Für Systeme, die gegeneinander beschleunigt sind, ist die Theorie eben erst im Entstehen" (Petzoldt, a . a . O . , 49). Eine vierte „Grenze" der Relativitätstheorie sieht Petzoldt schließlich in der Interpretation des relativistischen Uhrenparadoxons bzw. Zwillingsparadoxons durch Relativitätstheoretiker (Petzoldt, 26
27
Ein solches Programm ist unlängst im Rahmen der auf Dingler zurückgehenden ,Protophysik' (Hauptvertreter: P. Lorenzen, P. Janich, R. Inhetveen) von Lorenzen skizziert worden (Lorenzen (1981), (1981 a)). Lorenzen schlägt vor, die klassische Kinematik beizubehalten, dafür aber das Grundgesetz der Mechanik, den Impuls(änderungs)satz dv m Κ relativistisch abzuändern. Das Motiv für diesen Schritt ist die erkenntnisdt theoretische Auffassung der Protophysik, daß die Kinematik die — selbst nicht wieder messend-empirisch begründbare — operativ ausgewiesene Basis aller Physik ist: ihre Gültigkeit muß „ v o n der messenden Physik als Bedingung ihrer Messungen vorausgesetzt werden" (Lorenzen (1984), 232). Deshalb muß sie nach Meinung der Protophysik von Revisionen grundsätzlich ausgenommen bleiben. Noch einmal der Hinweis, daß es möglicherweise dieser von Petzoldt kritisch in Richtung Relativitätstheorie geäußerte Einwand ist, den auch Mach mit seiner Bemerkung, daß ihm am Relativitätsprinzip noch manches zu fehlen scheine (s. o.), gemeint haben könnte.
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a.a.O., 49ff.). Petzoldt nennt namentlich Einstein, Langevin und von Laue. Wir wissen nicht, was Mach (möglicherweise abgesehen von Petzoldts Kritik der Interpretation des Uhrenparadoxons (s. u.)) von diesen vier Einwänden Petzoldts im Detail gehalten hat. Deswegen ist auch keine auf Petzoldts Aufsatz bezogene detaillierte Auslegung des Machschen Satzes in seinem Brief vom (27.?) April 1914 möglich: Petzoldts Artikel „gefällt" Mach dort „nicht bloß deshalb, weil Sie meine bescheidenen Verdienste in bezug auf dieses Thema reichlich anerkennen, sondern auch sonst." Hieraus läßt sich einigermaßen gewiß nur folgendes schließen: (1) Mach nimmt im April 1914 gerne an, Wegbereiter und Vorläufer der Relativitätstheorie genannt zu werden. (2) Die Relativitätstheorie ist für Mach im Jahre 1914 eine erfreuliche, in seinem Sinne verlaufende und nicht mehr rückgängig zu machende Entwicklung der Physik, ohne daß sich schon sagen ließe, daß die in der Relativitätstheorie ins Auge gefaßten Probleme zu seiner vollen und abschließenden Zufriedenheit gelöst wären. Während (1) im Brief explizit enthalten ist, läßt sich (2) aus Machs Bemerkung schließen, daß ihm Petzoldts Artikel ,auch sonst' gefallen habe. In dieser Allgemeinheit kann mit einiger Sicherheit ,auch sonst' nur bedeuten, daß Mach dem Tenor der Petzoldtschen Arbeit zustimmt. Und dieser Tenor ist: freudige Begrüßung der Relativitätstheorie bei gleichzeitigem Vorbehalt, daß noch nicht alle Probleme gelöst seien. Darüber, wo genau Mach Petzoldt hinsichtlich Leistung und Grenzen der Relativitätstheorie zugestimmt hat, wissen wir nichts. Gleichwohl haben wir in Machs Brief vom (27.?) April 1914 ein unbezweifelbares Zeugnis einer positiven Einstellung Machs zur Relativitätstheorie und dazu, als ihr Wegbereiter in Anspruch genommen zu werden. Am 1. Mai 1914 hat sich Machs positive Einstellung zur Relativitätstheorie emphatisch gesteigert. Mach schreibt an Petzoldt (TUB*, Pe 4210): „Hochgeehrter Freund! Der beiliegende Brief von Einstein beweist das Eindringen der positivistischen Philosophie in die Physik; Sie können sich darüber freuen. Vor einem Jahr war die Philosophie überhaupt, noch eine bloße Dummheit. — — — Die Einzelheiten bestätigen dies. Die Paradoxie mit der Uhr wär[e] vor einem Jahr Einstein gar nicht aufgefallen. Viele Grüße von Haus zu Haus Ihr getreuer Ernst Mach. Haar 1/V, 1914."
Die Details dieses Briefes sind schwer zu interpretieren, doch eines steht fest: Mach bemißt am 1. Mai 1914 den Wert der Philosophie danach, ob und wieweit sie in die Physik, exemplifiziert an der Relativitätstheorie,
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eindringt. Der positivistischen Philosophie ist es gelungen, über die Relativitätstheorie in die moderne Physik zu gelangen. Deswegen ist die positivistische Philosophie im Unterschied zu anderen Philosophien keine Dummheit'. Die Relativitätstheorie als die für Mach vielleicht fortgeschrittenste Theorie der Physik setzt damit der Philosophie die Maßstäbe. Nur wenn die Philosophie hier klärend und anregend eingreifen kann (wenigstens aber wohl kompatibel ist), entgeht sie dem Verdikt, eine ,Dummheit' zu sein. Daran, daß hier eine emphatische Äußerung Machs für die Relativitätstheorie nach dem Optik-Vorwort des ,Juli 1913' vorliegt, ist nicht zu deuteln. Nun zu den Details: Zunächst fallt die Emphase der Äußerung Machs auf. 28 Sie steht in gewissem Kontrast zu den, wenn auch positiven, Äußerungen im Brief vom (27.?) April 1914, die zu Machs mutmaßlicher Einstellung besser zu passen scheinen. Eine Erklärung für diese Emphase ist schwer zu geben. Hängt sie mit Einsteins ,beiliegendem' Brief (vielleicht dem unbekannten fünften) zusammen? Hat sie damit zu tun, daß dem halbseitig gelähmten Mach der Gebrauch der Schreibmaschine oft so beschwerlich fiel und er deswegen gelegentlich zu Äußerungen von erratischer Kürze neigte? Wollte er Petzoldt, der mit seinem Aufsatz von 1914 die positivistische Philosophie' programmatisch in die Entwicklungslinie zur Relativitätstheorie hin und darüber hinaus gestellt hatte, eine Freude machen?29 Wir wissen es nicht. Ebensowenig wissen wir, ob ,die Paradoxie mit der Uhr' sich auf Petzoldts Kritik (a. a. O., 49 ff.) 30 , auf Interpretationen von Relativitätstheoretikern oder auf Äußerungen in einem fünften Brief Einsteins bezogen hat. 28
29
30
Darauf machte mich Dr. Paul Forman (Smithsonian Institution, Washington, D. C.) aufmerksam. Blackmore ((1972), 277) zieht folgende Möglichkeit in Betracht: „Mach was trying to make Petzoldt happy, and in no way changed his opposition to Einstein's theories." Diese angesichts der Annahme der Echtheit des Optik-Vorworts vielleicht verständliche, in ihrem Inhalt jedoch ungeheuerliche Unterstellung muß energisch zurückgewiesen werden. Es sei denn, es gelänge Blackmore der Nachweis, daß Mach ein opportunistischer Heuchler gewesen ist, der — seine wahren Ansichten versteckend — jedem nach dem Munde redete. Dieser Nachweis dürfte jedoch schwerlich gelingen — sowohl für den jungen als auch für den alten Mach. Wegen der relativistischen Zeitdilatation hätten Einstein und andere geschlossen, „daß ein Organismus, der sich mit großer Geschwindigkeit von seinen Altersgenossen entfernte und nach längerer Zeit zu ihnen zurückkehrte, erheblich weniger als diese gealtert sein würde" (Petzoldt (1914), 50). Petzoldts Einwand geht im wesentlichen dahin, daß sich die relativistischen Effekte wegen der zur Feststellung der Alterungsunterschiede erforderlichen Umkehr des Raumschiffs und der dadurch erfolgenden Geschwindigkeitsänderung wieder aufheben müßten.
Mach und die Relativitätstheorie im Jahre 1914
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Weiterhin fallt an Machs Brief vom 1. Mai 1914 auf, daß nach Machs Worten Petzoldt sich über „das Eindringen der positivistischen Philosophie in die Physik" freuen könne. Warum nicht auch Mach selbst? Auch diese Auffälligkeit läßt sich nicht eindeutig und mit Gewißheit klären. Plausibel erscheint, daß der 76jährige Mach seine eigene kritische Begleitung der neueren Entwicklung der Physik für längst abgeschlossen gehalten und gewissermaßen den Stab an Petzoldt, als seinen Nachfolger, bereits weitergereicht hatte. In diesem Sinne hatte Petzoldt in seinem Aufsatz programmatisch »positivistische Philosophie' und neue Physik zusammengebracht, während Mach in seinen publizierten Äußerungen (cf. § 17) nur zurückhaltend auf den .modernen' Kern seiner alten Lehren hatte verweisen können. Die Applikation dieser Lehren in der neuen Physik, verbunden mit neuer Entfaltung alten kritischen Potentials, müßten nach Mach die Jüngeren übernehmen. Und es war ja Petzoldt, den Mach vertraglich mit der kommentierenden und fortentwickelnden Begleitung seiner Mechanik in die Zukunft beauftragt hatte. — Nach Machs Brief vom 1. Mai 1914 ist in der nach wie vor recht lebhaften Korrespondenz mit Petzoldt, soweit erhalten, von der Relativitätstheorie nicht mehr die Rede. Kernthemen sind der Unterschied von Mensch und Tier und die Vorzüge des Lamarckismus. Noch 1915 hat Mach sich für eine Berufung Petzoldts nach Prag eingesetzt (cf. Anm. 8). 31 Während sich Ernst Mach in Briefen an Petzoldt nach dem 1. Mai 1914 zur Relativitätstheorie wohl nicht mehr äußert, weil ihn zu dieser Zeit andere Dinge mehr beschäftigen (soweit er überhaupt zu arbeiten in der Lage war), wird die Relativitätstheorie und Machs Verhältnis zu ihr das wesentliche Thema im Briefwechsel Petzoldts mit Ludwig Mach. Zum ersten Mal tritt hier die Relativitätstheorie zu dem Zeitpunkt auf, an dem der alte Mach sich zum letzten Mal äußert. Am 11. Mai 1914 (TUB, Pe 43-2) schreibt Ludwig Mach an Petzoldt: „Im Auftrage meines Vaters sende ich Ihnen heute ein Buch über ThierBeobachtungen mit der Bitte um gelegentliche Rücksendung. Ich teile völlig Ihren Standpunkt in der R.Sache — und verdanke Ihrem Aufsatz eine Reihe v o n Anregungen, deren experimentelle Umwertung mir sehr wertvoll erscheint. Von hier nichts Neues — Wir schleppen uns stets mit größeren und kleineren Leiden. Herzliche Grüße von Ihrem stets ergebenen Mach."
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In einem Briefdurchschlag Machs vom 14. 8.1914 an Petzoldt (VAT) heißt es: „Mir wäre es die größte Freude, wenn Sie von Deutschland oder der Schweiz weggefischt würden, während man sich in Wien besinnt."
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Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat
Ludwig Mach steht, entgegen späteren Beteuerungen, am 11. Mai 1914 also völlig auf Petzoldts Seite in der Einschätzung der ,R.Sache', wie er sich in einem scheinprofessionellen Jargon ausdrückt, mit dem wir noch öfter Bekanntschaft machen werden. 32 Man könnte an dieser Stelle fragen, wie sich denn die Mach-Forschung zu den in diesem Paragraphen angeführten unbezweifelbaren und eindeutig pro-relativistischen Äußerungen Machs aus dem Jahre 1914 stellt, wenn sie gleichzeitig der Meinung ist, daß Mach ,im Juli 1913' die Relativitätstheorie und jede eigene Vorläuferrolle zurückgewiesen und diese Zurückweisung auch später nicht verworfen habe. Die Antwort ist einfach: Machs Briefe werden zwar teilweise zur Kenntnis genommen, ihre Bedeutung aber wird praktisch ignoriert. — Die Briefe Machs an Petzoldt, die im Archiv der Technischen Universität Berlin aufbewahrt werden, wurden durch die Umsicht von Dr. John Blackmore der Forschung bekannt. Blackmore sieht unter anderem in diesen Briefen wie schon erwähnt (150 f.), „evidence that Mach became more sympathetic to Einsteins approach during late 1913 und early 1914" (Blackmore (1972), 276). Blackmores Einstellung zu dieser ,evidence' wurde bereits (151) kritisiert, ebenso oben, Anm. 29, seine Vermutung, Mach habe Petzoldt mit seinen positiven Äußerungen nur eine kleine Freude machen wollen, ohne dabei seine Meinung von J u l i 1913' geändert zu haben. Auch Holton scheint Machs Briefe nicht so ernst zu nehmen, wie es historische Fakten nun einmal erfordern: „In his 1913 preface rejecting relativity, Mach expressed himself more impetuously and irascibly than he may have meant. Some evidence for this possibility is in Mach's letters to Petzoldt" (Holton (1973), 252, Anm. 35; dt., 244 f., Anm. 42). Eine derartige herunterspielende Wertung der Briefe an Petzoldt ist nicht gerechtfertigt. Die Briefe enthalten, wie jeder sehen kann, eine beachtliche Zustimmung zur Relativitätstheorie. Im Blick darauf die barsche Ablehnung der Relativitätstheorie im OptikVorwort ,more impetuously and irascibly' als gemeint zu bezeichnen, heißt, 32
Die experimentellen Anregungen könnten sich auf den in Petzoldts Artikel ausführlich besprochenen Michelson-Morley-Versuch beziehen. Petzoldt schreibt unter anderem: „Der Michelsonsche Versuch, mit einer außerirdischen Lichtquelle veranstaltet, könnte uns Aufschluß darüber geben, ob die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts v o n der Bewegung der Lichtquelle abhängig ist oder nicht. Und wenn es gelänge, nicht kohärente [!] Lichtstrahlen zur Äußerung von Interferenzvorgängen zu bringen, so würden wir durch Interferenz von irdischem und außerirdischem Licht A n t w o r t auf dieselbe Frage erhalten können" (Petzoldt (1914), 27). Das hier erforderliche Interferometer war in Ludwigs Besitz und v o n ihm sogar weiterentwickelt worden. Dies wird in § 45 noch genauer erörtert werden.
Die Korrespondenz mit K u r t Geissler
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den Inhalt der Briefe praktisch zu ignorieren. Denn diese Briefe beinhalten keine Ablehnung oder Kritik der Relativitätstheorie, ,impetuously', irascibly' oder wie auch immer, sondern freudig-begeisterte Zustimmung. Deshalb ist Holtons Einschätzung, daß diese Briefe „some evidence" für eine weniger ,impetuous' und ,irascible' Ablehnung böten, dem historischen Material unangemessen. Dabei soll nicht bestritten werden, daß eine korrekte Einschätzung der historischen Daten durch die Überzeugung sehr gefördert wird, daß das Optik-Vorwort eine Fälschung ist. Andererseits dürfte auch der Eindruck zutreffen, daß antipositivistische Voreingenommenheit bei Blackmore und Holton eine angemessene Aufnahme historischer Tatsachen behindert. Das gleiche oder schlichte Nachlässigkeit muß jenen Autoren attestiert werden, die nach Blackmore und Holton und in Kenntnis ihrer Arbeiten das Verhältnis Machs zur Relativitätstheorie untersucht haben und Machs Briefe an Petzoldt der Einfachheit halber ganz ignorieren.
§ 20
Die Korrespondenz
mit Kurt
Geissler
Das Interesse Machs an der Relativitätstheorie im Zusammenhang mit Minkowskis Vortrag „Raum und Zeit" dokumentiert sich auch in der Korrespondenz mit Friedrich J. Kurt Geissler (1859 — 1939). Geissler war Gymnasiallehrer gewesen, hatte diesen Beruf jedoch aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen..1 Seine schriftstellerische Tätigkeit umfaßt Arbeiten zur Philosophie, Mathematik, Pädagogik, Psychologie, dem Unterricht vor allem mathematisch-naturwissenschaftlicher Fächer sowie ein umfangreiches literarisches Oeuvre (Gedichte, Dramen, Romane). Die Arbeiten Geisslers haben gelegentlich einen etwas bizarren Zug, der sich schon im Titel spiegeln kann, ζ. B. „Religion und Durchdringung. Eine philosophische Botschaft an alle mit zwei Auszügen aus: Das einheitliche Wesen des Raumes und Richtungswichtige Punkte und Kurven des Dreiecks" (Leipzig 1925) (vgl. auch Geissler (1921)). 1904 zog sich Geissler in die Schweiz zurück, wo seine Frau eine Privatschule betrieb (zunächst in Ebikon bei Luzern). 1912 habilitierte er sich an der Universität Lausanne 2 ,
1
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Eine von Geissler 1907 verfaßte Autobiographie befindet sich in (SPK) (Sign. Nachl. Brümme, Biogr. II). Wir folgen diesem Text. Wie die Universität Lausanne mitteilte, ist ein Habilitationsakt nicht erhalten; lediglich ein 1 1 8 Nummern enthaltendes Schriftenverzeichnis.
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Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat
nachdem er wohl schon 1910 in die Nähe von Lausanne übergesiedelt war. Im Jahre 1929 tauchen Geissler und seine Frau im Melderegister von Ringgenberg (bei Interlaken) auf. 1938 kehrte der 79jährige ,heim ins Reich' 3 ; er scheint 1939 in Eisenach gestorben zu sein.4 Offenbar durch testamentarische Verfügung ging der Nachlaß Geisslers 1939 an die Deutsche Staatsbibliothek Berlin und befindet sich heute bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK, Signatur: Acc. 1939). Der Nachlaß enthält vor allem Literarisches (ζ. B. 4 ungedruckte Romanmanuskripte (darunter: „Irrweg am Matterhorn", „Das Leiden des Triebes")), aber (bis auf eine unbedeutende Ausnahme) nicht einen einzigen Brief. Meine Versuche, die vermutlich weitläufige Korrespondenz Geisslers ausfindig zu machen, sind gescheitert. So kann ich nur auf die zwei erhaltenen Briefe Geisslers an Mach zurückgreifen. Mach hatte sich für Geissler offenbar wegen dessen Aufsatz „Die Dimensionen des Raumes und ihr Zusammenhang" (Geissler (1907)) interessiert und Geissler um Zusendung dieser Arbeit gebeten. Geissler erfüllte diese Bitte wohl am 5.3.1909 (EMA*), wobei er die Gelegenheit zu längeren Ausführungen ergriff, die seine Schriften erläutern sollten. Mach hat am 14. Mai wieder an Geissler geschrieben. Geissler beantwortete diesen Brief am 11.6.1909. Er habe, so Geissler, über Machs „Erwägungen nachgedacht, den Vortrag von Minkowski besitze ich [d. h. Geissler] nicht, kenne ihn auch bisher nicht. Sollten Sie [d. h. Mach] ihn mir zur Ansicht auf kurze Zeit senden können, so würde ich ihn gerne lesen — oder wo erhält man ihn?" (EMA) Was mögen Machs ,Erwägungen' gewesen sein, über die Geissler ,nachgedacht' hat? Diese Frage ist wegen Geisslers sprunghaftem Briefstil schwer zu beantworten. Es scheint, als bezögen Machs ,Erwägungen' sich auf Geissler (1907) und Minkowskis „Raum und Zeit". Denn nach einigen Abschweifungen fahrt Geissler in seinem Brief vom 11.6.1909 fort: „Es wird mir (Hervorhebung G. W.) schwer, mich bei solchen Fragen wie Raum und Zeit ganz auf einen ζ. B. physikalischen Standpunkt zu versetzen, weil diese Grundfragen so unmittelbar die allgemeineren Erkenntnisfelder berühren. Wie soll man das Physiologische und Psychologische ganz trennen, vor allem, wie soll man die physikalische Bedeutung von der
3
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Diese Informationen verdanke ich der freundlichen Mitteilung der Gemeindeschreiberei Ringgen berg. Nachforschungen nach den Erben Geisslers und dem Verbleib des Nachlasses, beim ,Rat des Kreises Eisenach' blieben ohne Ergebnis.
Die Korrespondenz mit Kurt Geissler
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erkenntnistheoretischen trennen?" Geissler (1907) hatte die ,Vorstellung' eines vierdimensionalen Raumes lebhaft kritisiert. Diese Kritik erfolgte auf der Basis von Geisslers mathematischer Erkenntnislehre, die sich freilich ausschließlich auf den Anschauungsraum bezieht. Geissler machte darauf aufmerksam, daß schlichtes Weiterzählen der Dimensionen nicht zulässig sei, da zwischen den ersten drei Dimensionen keine Gleichberechtigung bestünde. Vielmehr habe der i/radimensionale Raum eine Vorrangstellung, da ζ. B. der Vergleich zweidimensionaler Gebilde (dreidimensionale) Raumanschauung voraussetze. Gegen diese Auffassungen also hat Mach etwas zu erwägen gegeben. Ganz gewiß ist nicht die gerade exemplifizierte Idee Geisslers von der ,Abhängigkeit' der Dimensionen des Anschauungsraumes untereinander gemeint. Denn Mach nimmt darauf in einem populären Aufsatz von 1910 zustimmend Bezug (P., 506). 5 Machs ,Erwägungen' können sich somit nur auf Geisslers pauschale Verdammung der Vierdimensionalität beziehen. Denn Mach hat Geissler vielleicht (cf. das letzte Zitat aus Geisslers Brief) darauf aufmerksam gemacht, daß von einem ,physikalischen Standpunkt' aus Geisslers für den Anschauungsnum berechtigte, auf der ,Abhängigkeit' der Dimensionen beruhende Verwerfung der Vierdimensionalität erneut überdacht werden müsse; und zwar im Hinblick auf Minkowski, wie der unvermittelte Anschluß des MinkowskiVortrags an Machs ,Erwägungen' in Geisslers Brief vom 11.6.1909 nahelegt. Diesen Gedanken hat Mach auch wenig später in einer seiner publizierten Äußerungen zur Relativitätstheorie (cf. oben 169 f.) ausgesprochen, wo er außer zwischen dem Sehraum und dem geometrischen Raum auch noch zwischen letzterem „und dem physikalischen (die Zeit mit enthaltendem) Raum" zu unterscheiden auffordert (P., 572). Im ganzen läßt sich also wohl nur bestätigen, was aus anderen, schon aufgeführten Quellen (ζ. B. Einsteins Karte vom August 1909, die publizierten Äußerungen) ohnehin schon feststeht, daß nämlich Mach 1909/10 eine positive Einstellung zur Relativitätstheorie (auch und insbesondere in Minkowskis Dar-
5
Die von Geissler und besonders die von Mach hier verwendete .Dimensions'-Terminologie ist, gemessen am heutigen Sprachgebrauch, ziemlich diffus. Mach scheint eher von der Auszeichnung von Richtungen reden zu wollen, was üblicherweise als .Orientierung' des Raumes bezeichnet wird. In der linearen Algebra wird .Unabhängigkeit' als ,,lineare Unabhängigkeit' verstanden. Dies bedeutet, daß ζ. B. je drei Vektoren a,, a 2 , a 3 des reellen, dreidimensionalen, euklidischen Vektorraumes R 3 linear unabhängig sind, wenn jede Darstellung des Nullvektors als Linearkombination (d. h. ο = c ^ + c2a2 + c 3 a 3 , mit C; als reellen Zahlen) nur die triviale Darstellung (d. h. c, = c2 = c 3 = o) zuläßt. Tatsächlich sind je drei Vektoren des R 3 linear ««abhängig.
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Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat
Stellung) eingenommen hat. — Geissler war übrigens über die Nennung seines Namens in Machs Aufsatz „Eine Betrachtung über Zeit und Raum" (1910) so erfreut, daß er den entsprechenden Satz6 bei Mach in einem eigenen Aufsatz unverzüglich zitierte. Man mag sich fragen, warum hier derartig ausführlich auf die für unser Thema bislang nicht übermäßig ertragreiche Beziehung Mach—Geissler eingegangen wird, zumal von der Korrespondenz ja nur die beiden oben angeführten Briefe Geisslers an Mach bekannt sind und vermutlich höchstens drei (verlorene) Briefe Machs existiert haben. Der Grund ist, daß Geissler sich noch mehr als 10 Jahre später zu diesem Briefwechsel geäußert hat, und zwar in einem etwas konfusen Pamphlet gegen die Relativitätstheorie, der er eine ,grundwissenschaftliche Relativität' gegenüberstellte (Geissler (1921)): „Minkowski wird wohl am meisten als reiner Formalist hingestellt (so von Mach in einem mit mir geführten Briefwechsel). Wenn man aber hört, daß er [d. i. Minkowski] von dem Gedanken einer prästabilierten Harmonie zwischen der reinen Mathematik und der Physik spricht („Raum und Zeit"), gefolgert aus den Ansichten von der vierdimensionalen Mannigfaltigkeit, so sieht man, daß auch diesem reinen Formalisten philosophische Ideen sehr nahe liegen, was freilich nicht beweist, daß er selbst Anspruch auf philosophische Bedeutung machen kann" (Geissler (1921), 11).
Die Erwähnung des Briefwechsels mit Mach in diesem Kontext ist wohl Wichtigtuerei Geisslers. Ferner ist unwahrscheinlich, daß Mach die betreffende, von Geissler ja auch nicht in Form eines Zitats wiedergegebene Äußerung getan hat. Mach verwendet das Wort ,Formalist' sonst nicht. Geissler wiederum knüpft damit an alte Polemiken gegen Hilbert u. a. an (ζ. B. Geissler (1909)). Eine Hervorhebung des angeblich formalistischen' Charakters der Relativitätstheorie findet sich übrigens schon früher (aber nach 1909) auch bei anderen Kritikern. — Es gibt keinen Anlaß, wegen einer solch dubiosen Quelle Mach diese ,Formalismus'Kritik zu unterstellen. Vielmehr scheint es, daß Geissler nur eine (abzulehnende) Alternative zu seiner (anschaulichen) Geometrie kennt: .formalistische' Geometrie. Deshalb sind Machs ,Erwägungen' hinsichtlich Minkowski per se Erwägungen über einen ,Formalisten'. Im übrigen rechnet 6
P., 506: „Das beste Argument, das man bisher gegen die beliebige Verminderung oder Vermehrung der Dimensionen vorgebracht hat, scheint zu sein, daß die drei Dimensionen nicht voneinander unabhängig sind. [Fußnote:] Von Dr. Kurt Geissler vorgebracht." In der ursprünglichen Fassung des Machschen Aufsatzes, die Geissler zitiert, ist die Wortstellung des Satzes verschieden, der Sinn aber gleich.
Die Korrespondenz mit August Föppl
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Geissler Mach keineswegs unter die Gegner der Relativitätstheorie, sondern unter deren Vorläufer — zu denen natürlich auch und insbesondere (trotz aller Kritik) Geissler selbst gehört. 7
§21
Die Korrespondenz mit August
Föppl
Der schon im Zusammenhang mit Einsteins Studium von Maxwells elektromagnetischer Theorie erwähnte (§ 6, Anm. 3 f.) August Föppl (1854—1924) war Professor an der Münchener Technischen Hochschule. Mach nennt ihn mehrfach in der Mechanik-, in der 6. Auflage (1908) widmet er Föppls Auffassungen über Trägheit und Gravitation sogar einen (allerdings in der 7. Auflage von 1912 wieder entfernten) Zusatz (a. a. O., 568 ff.), der Föppl zu folgender Bemerkung veranlaßte: „Ein günstiges Urtheil von so hochstehender Seite entschädigt mich reichlich für die geringschätzige Behandlung, die meine Arbeiten oft genug erfahren haben" (Föppl an Mach 4.4.1908, (EMA)). Im Vorwort zum 6. Band seiner Vorlesungen über Technische Mechanik (1909) heißt es: „Man wird bemerken, daß dieser Teil des ersten Abschnitts (über relative Bewegung, G. W.) durch die Arbeiten von Mach, die stets einen nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht haben, stark beeinflußt ist. Sehr zweifelhaft ist mir freilich noch, ob sich Mach selbst mit den Einzelheiten meiner Auffassung wird einverstanden erklären können. Die Ansichten über diese Dinge sind noch nicht vollständig abgeklärt und daher legt sie sich jeder, der ernsthaft darüber nachdenkt, einstweilen noch auf seine besondere Art zurecht. Jedenfalls würde ich aber auf ein Urteil von Mach über diesen Teil meiner Arbeit, namentlich insoweit es etwa ablehnend lauten sollte, das größte Gewicht legen" (Föppl (1920), IV).
In einem Brief vom 17.12.1909 (EMA) wiederholt Föppl ausführlich und nachdrücklich diese Bitte des Vorworts. Mach ist Föppls Wunsch am
7
Cf. ζ. B. Geissler (1921), 39: „Hier sollte nur gezeigt werden, daß allgemeine Relativgedanken, wie sie bei Einstein als neue ungeheure Tat hingestellt werden sollen, ζ. B. v o r ihm bei Mach da sind. Die Machsche Begründung entbehrt sehr der allgemeineren Rechtfertigung, die er freilich als metaphysisch und verwerflich abweist. Die Einsteinsche Begründung seiner eigenen, formal veränderten Lehre weist keineswegs größere Beweiskraft auf. Allgemeiner relativische Gedanken weist mein Buch v o m Jahre 1900 auf: „Eine mögliche Wesenserklärung für Zeit, Raum, das Unendliche und die Kausalität", welches den Mathematikern und Physikern kaum unbekannt sein dürfte, zumal es in dem Buche ( . . . usw., G. W.)."
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Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat
30.12.1909 nachgekommen. 1 Wie sich aus Föppls Brief vom 11. Januar 1910 (EMA*) ergibt, hat Mach „keine grundsätzlichen Bedenken" geäußert. Föppl seinerseits trägt nun Einwände gegen den „Einstein-Minkowskischen Ansatz" vor. Im einzelnen stellt Föppl fest: (1) Die Relativitätstheorie ist eine Hypothese, „deren Bestätigung durch die Erfahrung [...] einstweilen noch vollständig fehlt". (2) Eine Erweiterung der Theorie von Inertialsystemen auf Drehungen und damit beliebig bewegte Systeme wäre notwendig. Föppl hält diese Erweiterung — wie anfangs auch Planck — jedoch „für sehr unwahrscheinlich". (3) Die Elektronentheorie ist „noch viel zu wenig durchdacht", um sie „mit Erfolg auf die Mechanik der ponderablen oder überhaupt der sinnlich wahrnehmbaren Körper übertragen zu können". (4) Dies zeige sich ζ. B. bei den Überlichtgeschwindigkeiten, die auftreten, falls man die Bewegung der Fixsterne relativ zur Erde betrachtet. 2 Gleichwohl mag Föppl eine Verknüpfung seiner ,Gedankengänge' mit denen Minkowskis nicht ausschließen. Aber: „Einstweilen ist man aber meiner Ansicht nach davon noch weit entfernt und es wird wohl noch vieler Arbeit bedürfen, dieses Ziel zu erreichen, wenn dies überhaupt möglich ist". Es wäre gewiß höchst interessant, Machs Antwort auf diesen Brief Föppls zu kennen. Aber dies ist wohl leider unmöglich (cf. oben, Anm. 1).
§ 22
Die Korrespondenz mit Leo
Gilbert
Leo Gilbert ist der Schriftstellername des 1862 in Galata (Galatz) (Rumänien) geborenen Ingenieurs Leon Silberstein (1932 in Wien gestorben). 1 Gilbert ist unter anderem der Verfasser einer von ihm als „wissenschaftliche Satyre" bezeichneten Polemik gegen die Relativitätstheorie.2 1
2
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2
Dies ergibt sich aus einem Brief Föppls an Mach vom 11.1.1910 (EMA*). Machs Briefe an Föppl müssen als endgültig verloren gelten. Diese Mitteilung verdanke ich Dr. Hermann Föppl (Max Planck Institut, Garching), der in dritter Generation die Physikertradition seiner Familie fortsetzt. Föppl macht hier den interessanten Zusatz: „Man muß die Aussage (über die Bewegung der Fixsterne relativ zur Erde, G. W.), wenn sie einen Sinn haben soll, auf die Entfernungsveränderungen zweier Körper einschränken." Die biographischen Daten beruhen auf Recherchen des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Vor allem Dr. Klaus Lohrmann habe ich für seine intensiven Bemühungen sehr zu danken. Nämlich: Gilbert (1914). Von sich selbst hat der Autor dabei keine geringe Meinung: „Die wissenschaftliche Satyre erfordert eine souveräne Beherrschung des Stoffes, vielseitige
Die Korrespondenz mit Leo Gilbert
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Ende November 1913 schickt Gilbert dieses Buch an Mach. In einem begleitenden Brief befürchtet er: „Der ,Τοη' meiner Schrift wird Ihnen sicherlich nicht gefallen. Aber ich nehme an, daß Sie überhaupt keine Zeit zum Lesen derselben aufwenden werden" (Gilbert an Mach, 1 . 1 2 . 1 9 1 3 (EMA)). Wie sich aus dem Brief Gilberts an Mach vom 2 8 . 1 . 1 9 1 4 (EMA*) ergibt, hat Mach sich für die Zusendung des Buches mit einer (verlorenen) Postkarte bedankt, auf der er sich offenbar günstig über den Wiener Soziologen Rudolf Goldscheid geäußert hat, dem Gilbert seine Schrift gewidmet hatte. In seinem Brief an Mach (28.1.1914) fahrt Gilbert fort: „Demgegenüber macht es nichts, wenn wir in Bezug auf das RelativitätsPrinzip nicht einig sein sollten. Es interessiert mich auch einzig und allein nur, was Sie zu meinen ziemlich scharfen Angriffen gegen Planck sagen. Ich bin darauf gefaßt, daß Sie mit diesem Teil meines Buches nicht einverstanden sind. (Mit dem anderen vielleicht auch nicht.)" Offenbar hat sich Mach auf der Postkarte noch nicht zum Inhalt des Buches geäußert, da Gilbert nur die Möglichkeit eines Dissens über das Relativitätsprinzip in Betracht zieht („nicht einig sein sollten" (Hervorhebung G.W.)). Was Blackmore ((1972), 276) dazu veranlaßt, Gilberts Briefe als „evidence" dafür zu betrachten, „that Mach became more sympathetic to Einstein's approach during late 1913 and early 1914", ist unklar.3 Die
3
Kenntnisse und eine umfassende, in sich gefestigte philosophische Bildung. In erster Linie aber eine vollkommene Unabhängigkeit des Urteils." Mangel daran ist dafür verantwortlich, „daß man heute kaum fünf Gelehrte auffinden könnte, die neben der Ablehnung der ungeheuerlichen Folgerungen des Relativitäts-Prinzips auch dessen sachliche Hohlheit und Nichtigkeit, die völlige physikalische Ignoranz durchschauen und ihre Meinung laut und energisch auszusprechen den Mut haben." Zur Lösung des „FizeauProblems [...], an der berühmte Physiker seit sechzig Jahren sich vergebens abmühen", brauchte das Genie Gilbert im übrigen gerade „einige Tage" (Gilbert (1914), 10 f.). Teile von Gilbert (1914) hat P. Carus mit einem Vor- und Nachwort im „Monist" (24 (1914), 288 — 309) veröffentlicht. Carus' Kommentare zu Gilbert sind so wenig dezidiert wie seine eigenen Äußerungen zur Relativitätstheorie in den beiden vorangegangenen Bänden des „Monist". Einerseits gefallt ihm eine Reihe Konsequenzen aus der Relativitätstheorie (ζ. B. Uhrenparadoxon) nicht; ferner ist er der Meinung, die Relativitätstheorie sei eigentlich nichts Neues, da schon Heraklit und auch besonders Carus selbst gewußt hätten, daß alles Wissen und alle Existenz .relativ' seien (cf. Carus (1912), 190 f., 194). Andererseits scheint ihm die Annahme der Relativitätstheorie durch prominente Physiker einen solchen Eindruck zu machen, daß er diese Theorie nicht völlig verwirft (cf. den Titel von Carus (1913)). Merkwürdigerweise werden diese Arbeiten von Carus im Briefwechsel mit Mach (soweit erhalten) nicht erwähnt. Nur vor der Publikation seines ersten Beitrags ( = Carus (1912)) schreibt Carus an Mach (4.3.1912, (EMA)): „I wish I could submit [Carus (1912)] to you [Mach] for criticism". Mach jedoch, der den Artikel im „Monist" sicher gesehen hat, scheint sich nicht geäußert zu haben. Möglicherweise ist Blackmore die sprachliche Form von Gilberts Satz „Demgegenüber macht es nichts, wenn wir in Bezug auf das Relativitäts-Prinzip nicht einig sein sollten"
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Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat
Tatsache, daß Gilbert befürchtete, er werde auf Machs Widerspruch stoßen, besagt noch nicht, daß Mach auch tatsächlich widersprochen hat. Hier könnte natürlich ein Antwortbrief Machs, falls es einen gegeben hat, das Rätsel lösen. Jedoch müssen die Briefe Machs auch in diesem Falle als verloren gelten. 4 Damit geben auch die Briefe Gilberts keine Auskunft über Machs Einstellung zur Relativitätstheorie.
§ 23
Die Korrespondenz
mit Maurice
Gandillot
A m 5 . 9 . 1 9 1 3 schrieb der französische Naturwissenschaftler Maurice Gandillot 1 an Mach (EMA*): „Vous savez que la question de relativite domine toute la mecanique moderne et reagit aussi sur la physique et sur l'astronomie. J'ai lieu de croire que les idees generalement admises a ce sujet sont entachees d'une grave erreur. De precieuses approbations deja obtenues tendant ä me conflrmer dans mon opinion, je me permets de vous soumettre le cas en vous adressant les pages ci-jointes 2 qui resument la question; je serais extremement heureux si vous vouliez bien me faire l'honneur de me dire ce que vous en pensez."
Die wissenschaftshistorische Forschung würde sich wohl noch glücklicher schätzen als Gandillot, wenn sie eine Antwort Machs auf dessen Frage vom September 1913 besäße. Jedoch ist in der Korrespondenz Gandillots kein Brief von Mach erhalten. 3 Auch Gandillots spätere Schriften gegen die Relativitätstheorie (Gandillot (1922), Gandillot (1923)) erwähnen Mach nicht.
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1
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nicht aufgegangen. Denn er übersetzt: „With respect to that, it is not important if we are (Hervorhebung G. W.) not agreed on the matter of the principle of relativity." So auf den Indikativ gebracht, ist die Sache natürlich einfach: „If Mach and Gilbert were not agreed, and Gilbert opposed the theory, then Mach presumably favored it." Freilich gibt Blackmore, wenn auch mit einem wenig überzeugenden Argument, zu verstehen, daß hier „too much rests on conjecture". Nach Mitteilung des Wiener Stadt- und Landesarchivs sind in der ,Verlassenschaftsabhandlung' Gilberts keine Erben eingetragen. Seine nächsten Verwandten waren Nichten in Bukarest bzw. Czernowitz, die die Nazi-Barbarei wohl nicht überlebt haben dürften. Außerdem ist kaum zu erwarten, daß sie sich für die wissenschaftliche Korrespondenz ihres Onkels in Wien interessiert haben. Die Nachrichten über Gandillots Leben sind spärlich. Poggendorf, Handwörterbuch für die exakten Wissenschaften Bd. VI.II, Berlin 1937, 848, gibt als biographische Daten lediglich: „Ancien Eleve Ec. Polytechn., Paris; * 1857, Paris" an. Es handelt sich wohl um Gandillot (1913). Nach telefonischer Mitteilung (3. 6.1985) von Monsieur Gandillot (Condat), einem Enkel Maurice Gandillots
Hat Mach 1915 die Relativitätstheorie verworfen?
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§ 24 Hat Mach 1915 die Relativitätstheorie verworfen? Die Korrespondenz mit Vinko Dvorak Vinko Dvorak (1848—1922) war in den frühen 70er Jahren des 19. Jahrhunderts Machs Assistent in Prag. Mach scheint zu ihm auch ein persönlich sehr freundschaftliches Verhältnis gehabt zu haben. 1 Dvorak wurde 1875 Professor in Agram (heute: Zagreb), wo er das Institut für theoretische Physik einrichtete. Wie sich aus einem Brief Dvoraks an Mach vom 19. August 1915 (EMA*) ergibt, hat Mach noch 1915 zwei Briefe an Dvorak geschrieben. Diese beiden Briefe wie alle anderen Briefe Machs an Dvorak nach dessen Emeritierung (1911) scheinen verloren. 2 Dies ist um so bedauerlicher, als Dvorak in seinem Brief an Mach vom 19. August 1915 folgendes schreibt: „Dem was Sie [Mach] von übertriebener Spekulation, Massensuggestionen und Moderichtungen in der Physik schreiben, werden wol viele der besten derzeitigen Physiker beistimmen." Leider läßt dieser Brief keine Schlußfolgerung darüber zu, was Mach tatsächlich geschrieben hat und insbesondere, ob er die Relativitätstheorie in seine Kritik an angeblichen Auswüchsen in der Physik eingeschlossen hat. Deshalb läßt sich auch Blackmore ((1972), 278 f.) nicht beistimmen, für den der oben zitierte Satz ein „piece of significant evidence" dafür ist, daß Mach „continued to oppose Einstein's theory". 3 Der Wunsch, es möge so sein, schafft auch hier nicht schon die historischen Tatsachen, die ihn erfüllen. Im übrigen ließe sich selbst dem Auftauchen eines die Relativitätstheorie kritisierenden Briefes von Mach an Dvorak oder sonst jemanden gelassen entgegensehen. Denn (1) steht der Einfluß Machs auf die Heraus1
2
3
Dies läßt sich jedenfalls aus einem längeren herzlichen Brief in Versform, den Mach am 23. August 1873 an Dvorak aus der Sommerfrische geschrieben hat (ZAG), schließen. In einer Autobiographie aus dem Jahre 1913 schreibt Mach: „Einer meiner ersten und begabtesten Eleven, dessen ich mich gern erinnere, war der gegenwärtige Prof. Dr. V. Dvorak in Agram" (Blackmore (ed.) (1978), 415). Zu Dvofäk siehe ferner Blackmore (1972), passim (cf. Index). Eine Reihe Briefe Machs an Dvorak bis 1911 sind im Institut für Theoretische Physik in Zagreb erhalten geblieben. Versuche, auch die anderen Briefe ausfindig zu machen, waren bisher ohne Erfolg. Für vielfältige Unterstützung bei meinen Bemühungen danke ich meinem Konstanzer Kollegen, Privatdozent Dr. Ivo Glaser. Ausdrücklich sei betont, daß der Kontext des Briefes von Dvofäk keine Hilfe zu einem konkreten Verständnis des zitierten Satzes gibt. Er handelt von ganz anderen Dingen. Im übrigen hat Blackmores Ubersetzung einen leicht tendenziösen Anstrich, wenn er Dvoraks „Moderichtungen in der Physik" mit „modish tendencies in modern (Hervorhebung, G. W.) physics" (Blackmore (1972), 279) wiedergibt. Die übrigen .pieces of evidence', die Blackmore (ebd.) für eine (fortdauernde) Ablehnung der Relativitätstheorie durch Mach anführt, werden später noch widerlegt werden.
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Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat
bildung der Relativitätstheorie ebenso fest wie (2) die Tatsache, daß er bis 1914 dieser Theorie sehr freundlich und zustimmend gegenüberstand; (3) schließlich ist das Optik-Vorwort, wie noch gezeigt wird, gefälscht, ganz gleich wie Machs Einstellung zur Relativitätstheorie in den letzten Monaten seines Lebens gewesen sein mag.
§ 25
Was Mach nicht gesagt hat. Anton Lampa und Friedrich
Adler
In diesem Abschnitt wird eine Methode der Quelleninterpretation verwendet, die nicht jeden überzeugen mag, die freilich auch nicht so abwegig ist, wie sie manchem auf den ersten Blick erscheinen mag. Der Grundgedanke ist folgender: Mach stand nicht nur in lebhaftem brieflichen Austausch mit einer Reihe von Physikern, er empfing auch Besuche von ihnen. Wenn diese Personen sich nun vor dem Erscheinen des OptikVorworts (1921) über Machs tatsächliche oder .vermutete Einstellung zur Relativitätstheorie geäußert haben, dann hätten sie gewiß nicht die Relativitätstheorie als eine Theorie im Sinne Machs ausgegeben, wenn Mach ihnen persönlich klargemacht hätte, daß er diese Theorie ablehne. Ob er ihr bei solchen Gesprächen ausdrücklich zugestimmt hat, läßt sich natürlich nur dann behaupten, wenn der Gesprächspartner dies ausdrücklich erwähnt. Dies ist in keinem der nun vorzustellenden Beispiele der Fall. Es ist jedoch interessant, daß die Physiker Lampa und Adler, die in regem persönlichen Kontakt mit Mach standen, davon überzeugt waren, daß die Relativitätstheorie ganz im Sinne Machs sei. Anton Lampa (1868 — 1938), der in diesem Buch schon öfter erwähnt wurde (insbesondere bei der Berufung Einsteins nach Prag (cf. § 9) ), war ein Anhänger Machs. Außerdem war er führend in der auch von Mach (zuletzt in seinem Testament) unterstützten Volksbildung in Wien tätig. Lampa hat, wie sich aus seinen Briefen ergibt, Mach öfter besucht. Auf jeden Fall hat er noch für den Oktober 1914 einen Besuch bei Mach angekündigt. 1 Es ist undenkbar, daß Lampa Sätze wie die folgenden schreiben würde, wenn Mach sich ihm gegenüber gegen die Relativitätstheorie ausgesprochen hätte: „Es ist leicht verständlich, daß seine [d. i. 1
Brief Lampas an Mach v o m 1 4 . 4 . 1 9 1 4 (EMA). Doch könnte dieser Besuch wegen des Kriegsausbruchs ausgefallen sein. — Die Briefe Machs an Lampa müssen wohl als verloren gelten. Zu diesem Resultat ist Prof. Dr. Andreas Kleinert (Universität Hamburg) auf Grund eingehender Nachforschungen gelangt. Von Kleinert liegt im übrigen eine Biobibliographie Lampas v o r (Kleinert, (1985)).
Was Mach nicht gesagt hat
201
Machs] dem physikalischen Zeitgeist heterogenen Ansichten ihm die Gegnerschaft auch bedeutender Physiker eingetragen haben. Die moderne Relativitätstheorie freilich hat ihm einen späten, aber um so gewichtigeren Triumph gebracht" (Lampa (1916)). Oder wenn Lampa ((1918), 8 f.) darauf verweist, daß Machs Ideen „die befruchtende Wirkung versagt" geblieben sei, „zu der sie befähigt waren. Die Tragik dieser Erscheinung wird gemildert durch die Tatsache, daß Mach die Zeit noch erleben durfte, da die Relativitätstheorie in der Physik siegreich Einzug hielt." Ähnlich wie im Falle Lampa ergibt sich auch aus Friedrich Adlers Äußerungen, daß er der Ansicht war, Mach sei für die Relativitätstheorie gewesen. Es gibt zwar keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, daß diese Ansicht Adlers auf direkten Äußerungen Machs beruht, doch läßt sich auch hier ausschließen, daß Mach sich gegenüber Adler gegen die Relativitätstheorie ausgesprochen hat. Die Quellenlage ist allerdings nicht ganz einfach. Im „Anfang Oktober 1918" geschriebenen Vorwort zu seinem Mach-Buch (Adler (1918), 10) verweist Adler auf sein praktisch fertiggestelltes Buch über die Relativitätstheorie. Dort werde „auch die Stellung Machs zur Relativitätstheorie eingehend behandelt". Diese eingehende Behandlung Machs sucht man freilich in Adler (1920) vergebens. Mach wird zwar gelegentlich lobend erwähnt, aber nur ganz beiläufig. Im Literaturverzeichnis tritt er überhaupt nicht auf. Wie das Vorwort mitteilt (Adler (1920), XVI), war das Buch „im Oktober 1918 vollständig abgeschlossen". Freilich hat Adler 1920 „die Arbeit neuerlich durchgesehen, in einigen Einzelheiten Korrekturen angebracht". Eben dieser Überarbeitung scheint die eingehende Behandlung Machs zum Opfer gefallen zu sein. Grund dafür mag sein, daß Adler keine historische Arbeit vorlegen wollte: „Das Hauptgewicht [...] liegt [...] auf einer möglichst deutlichen Herausarbeitung des physikalischen Tatbestandes." Der physikalische Tatbestand, um den es Adler geht, führt zu einem zweiten (und wichtigeren) Hinweis darauf, warum die Darstellung des Verhältnisses von Mach zur Relativitätstheorie weggefallen ist: „Die vorliegende Untersuchung sucht die Notwendigkeit der Annahme eines ausgezeichneten Bezugssystems zu erweisen [...]" (Adler (1920), XIII). Dies aber läuft dem Grundgedanken der Relativitätstheorie (jedenfalls in ihrer frühen Interpretation) zuwider. Doch nicht nur Einstein ist hier der Gegner Adlers, sondern auch Mach. Dies hat Adler auch explizit gesagt, und zwar in einem Brief an seine Frau Kathia vom 22. Februar 1917: „ich habe ein entscheidendes Kriterium
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Was Mach sonst noch zur Relativitätstheorie gesagt hat
in der Relativitätstheorie gegen Mach und Einstein und für Lorentz gefunden." 2 Die Streichung der Mach-Darstellung in Adlers Relativitätsbuch läßt sich so verstehen, daß Adler nicht zuletzt auch deshalb von der Behandlung Machs abgesehen hat, weil ihm an einer Kritik des von ihm verehrten Mach nichts gelegen war. Auf eine solche Kritik hätte es ja letztlich hinauslaufen müssen, da sich Adlers eigene Position ,gegen Mach und Einstein' richtete. Diesen Verzicht auf die Mach-Darstellung bzw. -Kritik glaubte Adler um so leichter leisten zu können, als sich seine Darstellung als ,physikalische' verstand, während Machs Beitrag zur Relativitätstheorie in Adlers Terminologie gewiß als ,erkenntnistheoretisch' zu werten wäre. Auch hier scheint also wieder der Schluß zulässig, daß Mach sich gegenüber Adler nicht irgendwie antirelativistisch ausgesprochen hat. Sonst hätte Adler seine Kritik der Relativitätstheorie nicht schlankweg als ,gegen Mach und Einstein' gerichtet verstanden.
2
Dieser Brief Adlers ging in Abschrift aus der Haft zwecks Zensur an das „Kriegsüberwachungsamt" in Wien. Abgedruckt in Neck ((1964), 244).
Kapitel IV Mach und die Mach-Forschung I: Interne Hypothesen zu Machs angeblicher Ablehnung der Relativitätstheorie § 26
Einleitende Bemerkungen
In den vorangehenden Kapiteln wurden alle Äußerungen Machs zur Relativitätstheorie zusammengestellt. Dabei ergab sich, daß Mach sich zwischen 1909 und Mai 1914 ausdrücklich positiv über die Relativitätstheorie ausgesprochen hat. Für die Zeit zwischen Mai 1914 und Februar 1916 (Machs Tod) sind keine einschlägigen Äußerungen Machs bekannt. Die einzigen Dokumente, die eine Ablehnung der Relativitätstheorie zum Ausdruck bringen, sind das posthume Optik Vorwort und ein Zitat in Ludwig Machs Vorwort zur 9. Auflage (1933) der Mechanik (diese Texte oben in der Einleitung). Daneben tritt eine offensichtlich vorläufig kritische Bemerkung zum Relativitätsprinzip, wie sich aus einem Brief Petzoldts an Mach vom 1. Juni 1911 ergibt (cf. oben § 19, 176f.). Betrachtet man nur die publizierten Äußerungen, dann stehen den drei kurzen, die Relativitätstheorie vorläufig und vorsichtig anerkennenden Äußerungen in Fußnotenform aus den Jahren 1909/10 (cf. oben § 17) das barsch und prononciert ablehnende Optik-Vorwort (,Juli 1913') sowie die (undatierten) Bemerkungen aus dem Mechanik-Norton (Ausgabe 1933) gegenüber. Für diejenigen also, die allein auf das gedruckte Material angewiesen waren, mußte die dezidierte Ablehnung der Relativitätstheorie und jeglicher Vorläufer- und Wegbereiterrolle als Machs letztes Wort in dieser Sache erscheinen. Dieses scheinbar letzte Wort Machs überraschte die älteren Physiker, allen voran Einstein. Es mußte in der Tat jeden überraschen, dem die inhaltliche und historische Bedeutung Machs für die Entstehung der Relativitätstheorie bewußt war. Bei dieser Lage der Dinge konnte es natürlich nicht ausbleiben, daß sich manche darüber Gedanken machten, χvarum Mach die Relativitätstheorie abgelehnt habe. Die ablehnenden Texte selbst geben ja kein einziges
204
Mach und die Mach-Forschung I
Argument konkret an: Das Optik- Vorwort nennt lediglich Argument/y/x?«, die erst in einem 2. Band der Optik durch Argumente eingelöst werden sollen: ,sinnesphysiologische', ,erkenntnistheoretische' und ,vor allem' e x perimentelle' Argumente hätten Mach zur Ablehnung der Relativitätstheorie bewogen. Das angebliche Mach-Zitat in Ludwig Machs Vorwort zur 9. Auflage der Mechanik wie auch das Optik-Vorwort unterstellen zudem, daß Ernst Mach die Relativitätstheorie ähnlich wie den Glauben an die Existenz der Atome als ,Dogma' empfunden habe. Die Angabe von Argumentationstypen und der nebulöse Hinweis auf einen .Dogmatismus' der Relativitätstheorie konnten die älteren Forscher, die, zum Teil mit Mach persönlich bekannt, um seinen wichtigen Anteil an der Herausbildung der Relativitätstheorie wußten, natürlich nicht befriedigen. Die einzige, wie sich zeigen wird, selbst nicht eben sehr überzeugte und überzeugende Ausnahme bildet Hugo Dingler. Man konnte sich schlechterdings nicht vorstellen, daß es in der inneren Konsequenz der Grundsätze des Machschen Denkens liegen könne, die Relativitätstheorie abzulehnen. Deswegen finden wir bei keinem der Älteren (Einstein, Frank, Reichenbach) auch nur den Ansatz einer internen Erklärung von Machs angeblicher Ablehnung der Relativitätstheorie. Die Älteren geben ausnahmslos externe Erklärungsgesichtspunkte an (ζ. B. Alter und Krankheit Machs, Überredung durch Dritte). 1 Mit diesen Erklärungsversuchen, die in sich plausibel sind und für den auf wirkliche Kenntnis der Lehren Machs begründeten Instinkt ihrer Urheber sprechen, werden wir uns im nächsten Kapitel auseinandersetzen. In diesem Kapitel sollen die internen Erklärungsversuche, soweit nicht schon zurückgewiesen, kritisiert werden. Dabei soll nicht bestritten werden, daß es im Prinzip reizvoll sein kann, aus dem Werk Machs die im Optik-Vorwort nur klassifizierten Argumente, gewissermaßen stellvertretend für Mach, zu spezifizieren. Es fallt allerdings auf, daß bis Ende der 60er Jahre niemand auf die Idee gekommen zu sein scheint, Machs mutmaßliche Argumente für eine Ablehnung der Relativitätstheorie nachzuliefern. Über vierzig Jahre lang hat man sich also mit externen Erklärungen (einschließlich ,Dogmatismus') begnügt. Nun scheint es kein Zufall zu sein, daß gerade vor ca. 25 Jahren die ersten internen Erklärungsversuche aufgetaucht sind. Denn betrachtet man die Entwicklung der Wissenschafts-
1
Das ,Dogmatismus'-Argument, das in anderer Form als bei Dingler auch von Feyerabend aufgenommen wird, scheint eher zu den externen Argumenten zu gehören und soll daher im nächsten Kapitel behandelt werden.
Einleitende Bemerkungen
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theorie und der wissenschaftstheoretisch orientierten Wissenschaftsgeschichte, dann markieren die 60er Jahre eine Zeit des Umbruchs. Die dominierende Position, die der logische Empirismus für drei Jahrzehnte in Wissenschaftstheorie und philosophisch orientierter Wissenschaftsgeschichte innegehabt hatte, begann damals zu zerbröckeln. Nicht zuletzt gefördert durch die Studentenbewegung machte sich allseits ein ausgesprochener Anti-,Positivismus' unterschiedlicher Denomination breit. Intellektuelle Gegenströmungen dieser Art sind gewiß nichts Ungewöhnliches, und ebensowenig ungewöhnlich ist es, daß die Philosophie des logischen Empirismus (ζ. B. Carnap, Reichenbach) im Namen einer der Intention nach ζ. B. stärker an der geschichtlichen Wirklichkeit der Wissenschaften orientierten Auffassung kritisiert wurde. So verständlich und berechtigt die Reaktion auf die Übermacht des logischen Empirismus daher auch gewesen sein mag, so ist doch diese Gegenbewegung mit ihrer ungeschlachten ,Positivismus'-Kategorie gelegentlich recht gewaltsam zu Werke gegangen. Es ist ferner verwunderlich, daß auch Mach in diese Positivismuskritik hineingezogen wurde. Denn mit dem logischen Empirismus des Wiener Kreises hat Mach wenig zu tun. Weder historisch (Mach starb vor der Konstitution des Kreises) noch sachlich. Daß Mach in einem vagen Sinne ,Empirist' war, hat nicht viel zu sagen. Zum ,Empirismus' bekannten und bekennen sich viele. Daß sich der Wiener Kreis (um Schlick) in den 20er Jahren als „Verein Ernst Mach" ins Vereinsregister eintragen ließ, heißt nicht, daß Mach ein logischer Empirist war. Er konnte sich gegen diesen Akt ja nicht mehr wehren. Die logisch-empiristische Reverenz gegenüber Mach ist zudem wohl auch als taktischer Schachzug im Sinne einer Vereinnahmung des philosophischen Lokalhelden zu werten. 2 Wenn Mach hier in den Sog des Anti-,Positivismus' gerät, so scheint eine grobe Vereinfachung vorzuliegen. Dies zeigt sich vorab schon daran, daß keiner der anti-,positivistischen' Mach-Kritiker bei seiner Rekonstruktion' den einzigen, in Spuren konkreten Anhaltspunkt, den das Optik-Vorwort für Machs angebliche Ablehnung der Relativitätstheorie bietet, aufgegriffen hat. Genauer: Niemand hat zu erklären versucht, welche ,vor allem'
2
Jedenfalls sucht man in den Werken der .führenden' logischen Empiristen Carnap, Reichenbach und Schlick vergebens nach ausgeprägter Anknüpfung an Machsche Gedanken. Schlick kann sogar als ausgesprochener Mach-Gegner gelten (cf. oben § 3, Anm. 9). Lediglich Frank und Richard von Mises standen dem Machschen Denken ausdrücklich wohlwollend gegenüber. Doch beide waren keine Fachphilosophen und siedelten eher am Rande der logisch-empiristischen Bewegung, soweit deren wissenschaftstheoretischer K e r n betroffen ist.
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Mach und die Mach-Forschung I
experimentellen Einsichten denn Mach veranlaßt haben könnten, die Relativitätstheorie abzulehnen.3 Vielmehr scheinen alle auf ihren eigenen Spürsinn vertraut zu haben. Wie weit sie damit gekommen sind, wird in den folgenden Paragraphen zu prüfen sein.
§ 27
War Mach gegen das Relativitätsprin^ip oder gegen das Prinzip Konstant der Lichtgeschwindigkeit?
der
Die einzige, nicht von einem Einverständnis mit der Relativitätstheorie zeugende Äußerung Machs bezieht sich auf das (spezielle) Relativitätsprin%ip. Sie ist nur indirekt, nämlich in einer Antwort Joseph Petzoldts auf einen Brief Machs enthalten. Wie in § 19 dargestellt, schrieb Petzoldt im Zusammenhang einer allgemeinen positiven Würdigung der Relativitätstheorie („Einsteins Grundgedanke ganz vortrefflich") am 1.6.1911 an Mach: „Sie schrieben mir zuletzt, daß Ihnen am Relativitätsprinzip hinsichtlich der erkenntniskritischen Seite noch manches zu fehlen scheine" (EMA*). Es wurde im angegebenen Paragraphen argumentiert, daß Machs Bedenken mit einem ,Mangel' der speziellen Relativitätstheorie zusammenfällt, den auch Einstein gesehen und (beginnend 1913 bis Ende 1915) beseitigt hat: die Beschränkung des speziellen Relativitätsprinzips auf Inertialsysteme. Für eine Rekonstruktion der angeblichen Ablehnung der Relativitätstheorie ist dieses — wenn auch nicht sehr deutlich geäußerte — Bedenken Machs natürlich sehr wichtig, weil bei dem von Mach kritisierten Mangel des (speziellen) Relativitätsprinzips allein 1 , wenigstens im Ansatz, deutlich wird, in welche Richtung Machs Ablehnung möglicherweise gezielt haben könnte. Es ist überraschend, daß von denjenigen Mach-Forschern, die Petzoldts Briefe gesehen haben2, nur Blackmore ((1972), 274) den genannten Brief
3
1
2
Eine einzige Ausnahme ist hier zu nennen: Der japanische Wissenschaftshistoriker Ryöichi Itagaki hat sich der (eigentlich selbstverständlichen) Mühe unterzogen, das Opiik-Vorwott genau zu lesen, um von dort her die Gesichtspunkte zu einer Rekonstruktion der vermeintlichen Ablehnung der Relativitätstheorie durch Mach zu gewinnen. Es wird sich allerdings zeigen, daß dieser im Prinzip richtige methodische Ansatz Itagakis sein Ziel nicht erreichen kann. Wenn man das Optik.-Vorwort, das — wie sich zeigen wird — auch nicht von Mach stammt, ausschließt. Es sind dies Blackmore, Thiele und vielleicht auch Holton.
War Mach gegen das Relativitätsprinzip oder die Konstanz v o n c?
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erwähnt. Blackmore beläßt es allerdings an der angegebenen Stelle bei einer bloßen Erwähnung. Es hat sogar den Anschein, daß das Wort ,Relativitätsprinzip4 bei Blackmores Hypothesen darüber, warum Mach die Relativitätstheorie abgelehnt habe, überhaupt nicht auftritt. 3 Vielmehr redet Blackmore von ,relativity', wo er — in unzulänglicher Weise — auf das zu sprechen kommt, was sonst als ,Relativitätsprinzip' bezeichnet wird: „In brief, Machian relativity meant the functional dependency of all sensations. Physical relativity meant the equivalence of all physical systems (i. e. none priviledged). Einstein's physical relativity meant the equivalence of all physical systems with respect to the constant velocity of light in a vacuum" (Blackmore (1972), 350, Anm. 25). Obwohl an diesen Begriffsbestimmungen kaum etwas richtig ist, lassen sie doch erkennen, daß sich Blackmore in den beiden letzteren (,physical relativity', ,Einstein's physical relativity') auf verschiedene Formen des Relativitätsprinzips zu beziehen sucht. Weiter läßt sich vermuten, daß Blackmore mit ,physical relativity' das Relativitätsprinzip der klassischen Physik, mit ,Einstein's physical relativity' das spezielle Relativitätsprinzip meint. Nun trifft es zwar zu, daß das klassische Relativitätsprinzip etwas mit der ,Äquivalenz' bei Bezugssystemen zu tun hat, aber nicht mit der ,Äquivalenz' aller, sondern nur der Inertialsysteme. Weiterhin besagt diese .Äquivalenz', daß in Inertialsystemen nur die Gesetze der Mechanik die gleiche Form haben (cf. oben § 4, 58). ,Einstein's physical relativity' oder das spezielle Relativitätsprinzip statuiert, daß auch die elektromagnetischen Gesetze in allen Inertialsystemen die gleiche Form haben. Blackmores Zusatz (s. o.) ,with respect to the constant velocity of light' hat mit dem Relativitätsprinzip erst einmal nichts zu tun; er spricht lediglich die neben dem speziellen Relativitätsprinzip zweite Säule der speziellen Relativitätstheorie an: die Konstanz der Vakuumlichtgeschwindigkeit, die unabhängig vom Bewegungszustand der Lichtquelle einen konstanten Wert c besitzt. Man mag darüber spekulieren, ob Blackmores neuartige Begriffsbildungen aus schlichter Unkenntnis der entsprechenden physikalischen Sachverhalte resultieren. Tatsache ist, daß er mit diesen selbstgeschaffenen begrifflichen Instrumenten unverzüglich zum ,Nachweis' dessen schreitet, was er als einen Grund für Machs Ablehnung von Einsteins ,relativity' betrachtet. Auch was Blackmore als ,Machian relativity' ausgibt, ist durchaus unzutreffend. ,Machian relativity', so will es Blackmore, besteht in 3
Dieser Terminus kommt in Blackmores Buch, soweit ich sehe, überhaupt nicht vor. Im Register sucht man ihn jedenfalls vergebens.
208
Mach und die M a c h - F o r s c h u n g I
der These einer „functional dependency of all (Hervorhebung G. W.) sensations"4 oder darin, wie Blackmore es an anderer Stelle formuliert: „all sensations were dependent on all other sensations"5. Daß sich eine solche streng metaphysische These in Machs Werken finden sollte, ist unwahrscheinlich. Mach teilt zwar die relationale Raumauffassung von Leibniz, aber von einem Hinweis darauf, daß er auch ein sensualistisches Analogon des Repräsentationsaspekts der Monaden vertritt, ist bislang nichts bemerkt worden. 6 Mach wird eben nicht behaupten wollen, daß jede Sinnesempfindung tatsächlich in funktionaler Beziehung zu allen anderen stehe. Was Mach dagegen vertritt, ist, daß Wissenschaft dem Ideal der ökonomischen Beschreibung funktionaler Zusammenhänge zwischen (sinnlich erfahrbaren) Tatsachen genügen solle. Etwas ganz anderes als diese methodologische Regel, Wissenschaft letztlich als Darstellung funktionaler Zusammenhänge von Sinnesempfindungen aufzufassen, ist die starke metaphysische These, daß alle Sinnesempfindungen von allen anderen funktional abhängig sind. Es stellt sich zum Glück heraus, daß zwischen den meisten Dingen eben keine .functional dependency' besteht. So haben etwa die Sinneseindrücke beim Anflug auf New York City mit denen bei Fallexperimenten am schiefen Turm von Pisa nichts zu tun. Jedenfalls solange nicht, als man sich New York nicht im freien Fall nähert. Gewiß, es gibt einige wenige Sinneseindrücke, die in unterschiedlicher Form überall auftreten, nämlich die Sinnesempfindungen von Raum und Zeit. Aber das sind eben erst einmal nur zwei von unbestimmt vielen Sinnesempfindungen oder Sinnesempfindungstypen. ,Machian relativity' in Blackmores Darstellung widerspricht damit nicht erst den Machschen Auffassungen, sondern bereits dem gesunden Menschenverstand. Man könnte im übrigen das alles auf sich beruhen lassen, wenn Blackmore aus Machs ,epistemological theory of relativity' nicht Konsequenzen gezogen hätte, die seine Ansichten über einen Grund Machs zur Ablehnung der Relativitätstheorie leiten. Darüber weiter unten. 4
5
6
B l a c k m o r e spricht statt v o n ,Machian relativity' auch v o n ,epistemological relativity', , „positivistic" relativity' und .Mach's epistemological theory o f relativity' (Blackmore ( 1 9 7 2 ) , 2 5 8 f.). B l a c k m o r e a . a . O . , 2 5 8 . Leider gibt B l a c k m o r e nicht an, w o h e r d e r bei ihm als Zitat ausgewiesene A u s d r u c k stammt. Nach Leibniz .repräsentiert' jede M o n a d e das ganze U n i v e r s u m , d. h. alle anderen M o n a den. Cf. M o n a d o l o g i e § 56: „Cette Liaison ou cet a c c o m m o d e m e n t de toutes les choses creees a chacune et de chacune α toutes les autres, fait que chaque substance simple a des rapports qui expriment toutes les autres, et qu'elle est par consequent un m i r o i r v i v a n t perpetuel de l'univers" ( G . W. Leibniz, Philosophische Schriften V I , ed. C. J . G e r h a r d t , Berlin 1 8 8 5 (repr. Hildesheim ( 1 9 6 1 ) , 6 1 6 ) .
War Mach gegen das Relativitätsprinzip oder die Konstanz von c?
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Blackmore unterstellt Mach, daß er sein epistemologisches Relativitätsprinzip anfangs in Einklang mit demjenigen der speziellen Relativitätstheorie gesehen habe. Sieht man von Blackmores eigentümlichen Begriffsbildungen einmal ab, so ist dies durchaus zutreffend. Auch Blackmores Literaturangabe ist korrekt. 7 Dabei kommt es für Blackmore natürlich darauf an, zu zeigen, warum Mach seine Meinung geändert habe. Dies gelingt folgendermaßen: Mach hat irgendwann, und zwar „before Einstein" (Blackmore, a. a. O., 258), erkannt, daß ,,[e]pistemological relativity and physical relativity had nothing but the mere word in common" (ebd.). Warum das so sei, liegt nach Blackmore freilich nicht am Relativitätsprinzip, sondern an jenem Ingrediens, das Blackmore (s. ο.),Einstein's physical relativity' gegeben hat: der Konstantζ der Lichtgeschwindigkeit. Nun hat sich Mach, soweit bekannt, nie zur Konstanz der Lichtgeschwindigkeit geäußert, weder direkt noch indirekt. Wenn Blackmore seine These aufrechterhalten will, muß er also zeigen, daß Machs sonstige Lehren die Annahme des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ausschließen. Blackmore behauptet auch tatsächlich (a. a. O., 257), daß „Mach's phenomenalistic epistemology [...] implied the rejection of the light constancy principle." Man dürfte nun erwarten, daß sich Blackmore zu dieser für sein Argument zentralen Implikation genauer äußert. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es scheint für ihn vielmehr ganz einfach evident zu sein, daß Machs Erkenntnistheorie die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ausschließt. 8 Lediglich aus beiläufigen Äußerungen ergibt sich, daß Mach eine „constant validity independent of all sensations and conscious data" beim Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bemängelt habe. 9 Diese Interpretation (,constant validity') Blackmores hängt wohl mit seiner irrigen Auffassung darüber zusammen, welche Stellung Mach zu Natur konstan ten eingenommen hat. Diese wiederum scheint darauf aufzubauen, daß im Zusammenhang mit Naturkonstanten häufig das Wort ,absolut' gebraucht wird (z. B. absoluter Nullpunkt der Temperatur). Dies 7
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Blackmore verweist (a.a.O., 252) auf Machs Fußnote zur 2. Auflage (1909) des Prager Vortrags von 1871 (EA.), die oben § 17 (168) analysiert wurde. Blackmore versteht diese Fußnote richtig als „attempt to link Minkowski with Mach's own epistemological theory of relativity" und stellt ebenso zutreffend fest, daß „at the very least the passage did suggest that Mach was interested in and very likely was kindly disposed toward Einstein's and Minkowski's notions of physical relativity" (ebd.). Ein in diesem Zusammenhang von Holton suggeriertes Argument wurde bereits oben § 19, (178 ff.) zurückgewiesen. Das angegebene Zitat gibt nach Blackmore (a. a. O, 259) Einsteins Auffassung wieder, mit der dieser sich von Mach abgesetzt habe.
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Mach und die Mach-Forschung I
aber widerspricht — immer in der Interpretation Blackmores 10 — der Machschen Auffassung: „Mit der Vergleichung der Körper untereinander treten wir aber schon in das Gebiet der Physik ein, ob wir die Hände oder einen künstlichen Maßstab verwenden. Alle physikalischen Bestimmungen sind relativ" (EI., 419). Nachdem Blackmore (a.a.O., 100f.) diese Sätze Machs teilweise zitiert hat, fährt er fort: „Mach also opposed other ,absolutes' (neben absoluter Zeit, absolutem Raum, absoluter Bewegung, G. W.) such as ,absolute zero' and ,the absolute speed of light'. It is possible he opposed other scientific constants as well." 11 Nun handelt es sich bei der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit um eine ganz andere Art,absoluten' Begriffs als im Falle von absolutem Raum, absoluter Zeit, absoluter Bewegung. Letztere Begriffe bezeichnen nach Mach grundsätzlich nicht empirisch referenzialisierbare Vorgänge bzw. Gegenstände. Raum, Zeit und Bewegung beruhen nach Mach auf der Feststellung von Relationen: ζ. B. bewegt sich ein Körper stets relativ zu einem (empirisch identifizierbaren) anderen Körper. In diesem Sinne sind also Raum, Zeit, Bewegung und eben ,alle physikalischen Bestimmungen relativ'. Falls man diesen methodologischen Sachverhalt — ohne daß dies in Machs Augen erforderlich ist 12 — in der Sprache phänomenalistischer Erkenntnistheorie ausdrücken wollte, so könnte man sagen: es gibt kein isoliertes empirisches Datum ,bewegter Körper', es muß vielmehr als weiteres Datum die Wahrnehmung eines anderen Körpers hinzutreten, bezüglich dessen eine Änderung der räumlichen Position des ersteren wahrgenommen wird. Erst die Verknüpfung dieser beiden Sinneserfahrungen gibt dem Terminus ,bewegter Körper' einen empirischen Gehalt.
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Dieses Referat der Blackmoreschen Auffassungen folgt den Ausführungen in Blackmore (1972), 100 f. Im übrigen scheint Petzoldt eine ähnliche Auffassung wie Blackmore gehabt zu haben (cf. oben 185). Blackmore kann es sich hier nicht versagen, noch einmal polemisch nachzusetzen: „The only ,absolutes' he [Mach] seems to have favored were the .absolute certainty' that sensations were ,immediately given', that in and of themselves they could not be deceptive, and that depending on the way in which they were related, they constituted the external world" (Blackmore, a.a.O., 101). Man halte hiergegen etwa den folgenden Text Machs aus dem Vorwort zur 4. Auflage der Analyse der Empfindungen·. „Kein System der Philosophie, keine umfassende Weltansicht soll hier geboten werden. [...] Nicht eine Lösung aller Fragen, sondern eine erkenntnistheoretische Wendung wird hier versucht, welche das Zusammenwirken weit voneinander abliegender Spezialforschungen [...] vorbereiten soll" (Α., X X X ) . Vgl. die oben (§11, 140) zitierte Machsche Auffassung, daß sich der Physiker normalerweise nicht weiter um Erkenntnistheorie zu kümmern braucht und bei seinem CommonSense-Realismus bleiben kann.
War Mach gegen das Relativitätsprinzip oder die Konstanz von c?
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Betrachten wir nun Machs Kritik desjenigen Begriffs, den Blackmore (a. a. O., 100) neben der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit als ,absoluten' Begriff anführt: den Begriff des absoluten Nullpunkts der Temperatur. Hier scheint Mach ansatzweise ebenfalls die prinzipielle Nichtreferenzialisierbarkeit als entscheidendes Argument gegen die Annahme eines absoluten Nullpunkts anzuführen: „Alle Ableitungen (des absoluten Nullpunkts, G. W.) beruhen aber in gleicher Weise auf Hypothesen über die Vorgänge, durch welche wir uns die Wärmeerscheinungen hervorgebracht denken. Welchen Werth wir auch diesen hypothetischen Vorstellungen beilegen mögen, müssen wir doch zugeben, daß sie unbewiesen und unbeweisbar sind, und nicht im Voraus über Thatsächliches entscheiden können, das von der Beobachtung einmal erreicht werden kann" (W„ 55).
Vor allem kritisiert Mach den Ansatz, Temperaturzahlen mit Gasspannungen bei unveränderlichem Volumen zu koppeln und sodann aus der Berechnung, daß die Gasspannung bei —273° C gleich Null wird, zu folgern, daß dadurch auch die niedrigste Temperaturzahl, eben der absolute Nullpunkt erreicht sei. Hier liegt nach Mach ein semantischer Fehler vor: „Die Gasspannungen sind Zeichen des Wärmezustandes (als derjenigen Größe, welche die Temperatur messen soll, G. W.). [...] Daß die bezeichnete Sache (d. i. der Wärmezustand, G. W.) mit dem Zeichen (d. i. die Gasspannung, G. W.) verschwindet, folgt nicht. [...] Die Temperaturzahlen sind Zeichen der Zeichen. Aus der Begrenztheit des zufällig gewählten Zeichensystems folgt nichts über die Grenze des Bezeichneten" (W., 55).
Der Fehler der Machschen Auffassung ist leicht zu sehen. Es ist eben keine Frage der puren Konvention, die Gasspannung als ,Zeichen' für den Wärmezustand anzunehmen. Das hinter der Wahl der Gasspannung stehende molekularkinetische Bild drückt vielmehr tatsächliches' bei Zeichen und Bezeichnetem aus. Sind so absoluter Nullpunkt wie ζ. B. auch absoluter Raum in ihrer Nichtreferenzialisierbarkeit für Mach gleichermaßen unzureichende Begriffe, so liegen die Dinge doch beim absoluten Nullpunkt sehr viel besser. Während ,absoluter Raum' ein prinzipiell nicht empirisch referenzialisierbarer Begriff ist, ist der absolute Nullpunkt nur in dem in der Physik faktisch gewählten, in Machs Augen konventionellen Verständnis prinzipiell nicht empirisch referenzialisierbar. Damit ist keineswegs ein absoluter Nullpunkt überhaupt ausgeschlossen: „Ob die Reihe der Wärmezustände nach unten [...] begrenzt ist, kann nur durch die Erfahrung entschieden werden. Kann man zu einem Körper von
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Mach und die Mach-Forschung I
bestimmtem Wärmezustand keinen auftreiben, der sich als [...] kälterer verhält, so ist damit allein eine Grenze nachgewiesen."13 D. h., die Frage, ,gibt es einen absoluten Nullpunkt der Temperatur?' ist für Mach (anders als im Falle des absoluten Raums) eine sinnvolle empirische Frage, deren — in seinen Augen voreilige und unzutreffende — Lösung er kritisiert. Zwar verwendet auch Mach in beiden Fällen das Wort .absolut'; man sieht aber, daß es sich in Machs Augen beim absoluten Raum um einen im Prinzip ,metaphysischen', beim absoluten Nullpunkt hingegen um einen im Prinzip wissenschaftlichen Begriff handelt. Es ist also unzutreffend, daß Mach — wie Blackmore unterstellt 14 — den Begriff des absoluten Nullpunkts als solchen verworfen hätte. Lediglich dessen faktischen Gebrauch glaubte Mach kritisieren zu müssen. Wenn Blackmore also (a. a. O., 100) nach einer Zitatensammlung zum Thema Machs Ablehnung von absolutem Raum, absoluter Zeit und Bewegung fortfährt: „Mach also opposed other »absolutes' such as ,absolute zero' and ,the absolute speed of light' ", so ist diese Behauptung für ,absolute zero' falsch. Deshalb läßt sich aber auch die These, Mach habe die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit abgelehnt, weil er prinzipiell etwas gegen ,absolute' Größen habe, nicht durch Machs Kritik am faktischen Verständnis des absoluten Nullpunkts stützen. Wenn Blackmore fortfahrt: „It is possible he [Mach] opposed other scientific constants as well", so wird man getrost auf Blackmores Nachweise warten können. Daß die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wegen ihrer „constant validity independent of all sensations and conscious data" von Mach abgelehnt worden sei, wie Blackmore (a. a. O., 259) suggeriert, muß ebenfalls erst noch bewiesen werden. Vorerst ist daher auch mit Einstein davon auszugehen, daß das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit eine Annahme mit genau abgrenzbarem, empirischem Gehalt ist, deren Geltung „in der Natur [...] wahrscheinlich gemacht [wird] durch die Bestätigungen, welche die auf die Voraussetzung eines absolut ruhenden Äthers begründete Lorentzsche Theorie durch das Experiment erfahren hat" (Einstein (1907), 416). Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist ein ,Prin%ip\ das „durch die Erfahrung mächtig gestützt" ist (Einstein (1953), 129) — ein Prinzip der Art von Prinzipien, wie sie nach Mach und Einstein die Basis guter Theorien bilden (cf. oben § 7, 105 f.). 13 14
W., 56. Im Original kursiv. Ähnlich Mach (1887), 5 f., Mach (1892), 1604 f. Diese Unterstellung ist um so rätselhafter, als Blackmore in einer Fußnote auf eben die Seite von Machs Wärmelehre verweist, auf der soeben das Gegenteil seiner Unterstellung belegt wurde.
War Mach ein Gegner der .theoretischen Physik'?
§ 28
War Mach ein Gegner der theoretischen
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Physik'?
In einem Exkurs (oben § 10) wurde die Frage, ob Mach ein theoretischer Physiker gewesen sei, negativ beantwortet. Mach war Experimentalphysiker mit starkem methodologischem und historisch-kritischem Interesse an theoretischer Physik. Die Begriffe ,Experimentalphysiker' und theoretischer Physiker' wurden dabei ganz unbesorgt und naiv verwendet. Hier ist nun eine genauere Explikation erforderlich; denn es ist auch eine angebliche Gegnerschaft Machs zur theoretischen Physik' für seine vermeintliche Ablehnung der Relativitätstheorie verantwortlich gemacht worden. Wiederum ist es Blackmore, der im Anschluß an M. Bunge diese erstaunliche These vertritt: „Mach believed in experimental physics. He rejected theoretical physics, all theoretical physics" (Blackmore (1972), 270). Blackmore sucht diese starken Worte durch einen Hinweis auf den 9. Paragraphen des vierten Abschnitts („Die Ökonomie der Wissenschaft") des vierten Kapitels („Die formelle Entwicklung der Mechanik") der Mechanik zu belegen. Nun kommen in diesem Paragraphen weder der Ausdruck theoretische Physik' noch der Ausdruck ,Experimentalphysik' vor. Gleichwohl kann man sagen, daß dieser Paragraph von theoretischer Physik handelt. Genauer: es geht um Machs Standardauffassung der Atomtheorie. Bekanntlich hat Mach die Atomtheorie als Theorie, d. h. als ,provisorisches Hilfsmittel' zur Ordnung von Erfahrungsdaten, nie abgelehnt; er tut dies auch an der von Blackmore zitierten Stelle nicht: „Die Atomtheorie hat in der Physik eine ähnliche Funktion wie gewisse mathematische Hilfsvorstellungen; sie ist ein mathematisches Modell zur Darstellung der Tatsachen" (M., 467). Von der von Mach zugestandenen Berechtigung der Atomtheorie ist die von ihm, wenigstens lange Zeit, abgelehnte Ontologisierung dieser Theorie zu trennen: „Atome können wir nirgends wahrnehmen, sie sind wie alle Substanzen Gedankendinge" (M., 466). Von einer Ablehnung der Atomtheorie oder gar der gesamten theoretischen Physik durch Mach kann also mit Bezug auf die von Blackmore angegebene Textstelle — und auch sonst — keine Rede sein. Es ist vielmehr so, daß die Blackmoresche These einer Ablehnung von ,all theoretical physics' durch Mach das Resultat einer Begriffsverwirrung ist. Dies macht die Lektüre von Kapitel 7 („Theoretical Physics") des Buches von Blackmore deutlich. Blackmore (a. a. O., 84) beginnt: „We
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Mach und die Mach-Forschung I
often use the terms ,mathematical physics' and ,theoretical physics' interchangeably, but Mach did not, and in terms of his understanding of the distinction there was a sense in which he did not believe in theoretical physics at all." Er fährt sodann fort, daß für Mach das Ziel der Wissenschaft im funktional-mathematischen Ausdruck der Beziehungen zwischen den Phänomenen bestehe. Letzterer mache alle ,Theorien' und mutmaßlich die ganze theoretische Physik überflüssig. „He [Mach] aimed to make all physics experimental in method and mathematical (sans theory) in end result" (Blackmore, ebd.). Wie immer wenn die Mach-Forschung ins Fabulieren gerät, hapert es mit den Textbelegen: Blackmore gibt für seine Behauptung, Mach habe zwischen mathematischer und theoretischer Physik unterschieden, keinen Beleg an. Es muß bezweifelt werden, ob sich einer finden läßt. Die Ausdrücke ,mathematische' und theoretische Physik' treten in Machs Schriften nur je einmal auf: In der Analyse der Empfindungen heißt es zum Newtonschen Gravitationsgesetz, es liefere nicht die „Beschreibung eines Individualfalles", nämlich der Planetenbewegung. Vielmehr sei das Gravitationsgesetz „eine Beschreibung in den (begrifflichen, G. W.) Elementen'"'' Raum, Zeit und Masse. „Indem Newton beschreibt, wie sich die Massenelemente in den Zeitelementen verhalten, gibt er uns die Anweisung, die Beschreibung eines beliebigen Individualfalles aus den Elementen nach einer Schablone herzustellen. So ist es auch in den übrigen Fällen, welche die theoretische Physik (Hervorhebung G. W.) bewältigt hat" (Α., 275 f.). Mach fährt fort, daß die von ihm „vor langer Zeit" empfohlene „Darstellung der Erscheinungen durch Differentialgleichungen" eben jene von Newton vollzogene „Beschreibung in den Elementen" zum Ausdruck bringe. Es zeigt sich also, daß Mach, entgegen Blackmores Behauptung, keinen Unterschied zwischen ,mathematischer' und theoretischer' Physik macht. Denn eben jene .Beschreibung in den Elementen', die mittels Differentialgleichungen erfolgt und von Blackmore zutreffend als Forderung Machs bezeichnet wird, wobei diese für ihn offenbar ,mathematische Physik' ausmacht, eben diese ,mathematische Physik' wird von Mach (a. a. O.) als theoretische Physik' bezeichnet. Kurz, ,mathematische' und ,theoretische Physik' sind bei Mach, wie oft auch sonst, synonyme Begriffe. 1 1
Die einzige bekannte Textstelle, wo Mach von ,mathematischer Physik' spricht, ist (EL, 290, Anm. 1): „Jedem Mathematiker muß es auffallen, daß die Darstellung einer willkürlichen periodischen Bewegung durch Epicykel auf demselben Prinzip beruht, welches der Anwendung der Fourierschen Reihen zugrunde liegt. So berührt sich unsere moderne mathematische Physik (Hervorhebung G. W.) mit der antiken Astronomie." Einer
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Es ist ohnehin eine merkwürdige Sache, Mach eine Gegnerschaft 2ur theoretischen Physik zu unterstellen. Denn diese Unterstellung bedeutet nichts anderes, als daß Mach die Physik überhaupt habe beseitigen wollen. Nach allgemeinem Sprachgebrauch hat die theoretische Physik die Aufgabe, mit möglichst wenigen und umfassenden Grundbegriffen und Grundgesetzen sowie den Folgerungen aus diesen die Vielfalt der Erscheinungen darzustellen.2 Diese Darstellung erfolgt mit mathematischen Mitteln. Allgemein gilt Newton als Begründer der theoretischen Physik, insofern ihm als erstem eine solche mathematisierte Theorie eines einigermaßen umfassenden Gebietes gelang. Zur theoretischen Physik gehören somit alle Theorien der Physikgeschichte, mit denen sich Mach in seinen methodologischen und historisch-kritischen Schriften befaßt. Wie die Lektüre dieser Bücher zeigt, hat Mach keineswegs die Absicht, die Theorien der Physikgeschichte auszumerzen. Er steht der Geschichte und den Leistungen der Physiker, die sie gemacht haben, vielmehr mit rückhaltlosem Respekt, ja mit unverhohlener Faszination gegenüber. Wo Mach Kritik übt, handelt es sich nicht um Kritik an physikalischer Theorie überhaupt, sondern um Kritik an der Fundierung bestimmter Theorien, sei es methodologisch an deren Grundbegriffen (wie im Fall der Newtonschen Bewegungslehre), sei es philosophisch' an deren Interpretation (wie im Fall ontologischer Verständnisse der kinetischen Wärmetheorie). 3 Der erste
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der wenigen, die zwischen mathematischer und theoretischer Physik unterschieden haben, ist W. Wien in einem Vortrag („Ziele und Methoden der theoretischen Physik") aus dem Jahre 1914: Mathematische Physik „besteht mehr in der Ausbildung der für die Weiterbildung der theoretischen Physik erforderlichen mathematischen Hilfsmittel", ist mithin ein Teil der Mathematik, „während die theoretische Physik die Aufgabe hat, die Gesetze aufzustellen, durch die ein möglichst ausgedehntes Gebiet physikalischer Vorgänge beherrscht wird" (Wien (1921), 151 f.). Gegen diese Unterscheidung wird niemand, am wenigsten Mach, etwas einzuwenden haben; ebensowenig auch gegen Wiens Feststellung: „Die großen Meister der theoretischen Physik sind auch die größten Naturforscher gewesen" (Wien, a.a.O., 152). So ζ. B. Einstein in der schon erwähnten „Herbert Spencer Lecture" von 1933 (in: Einstein (1953), 114 f.). Es läßt sich im übrigen keine klare Grenze zwischen .theoretischer' und .Experimentalphysik' ziehen, denn die experimentelle Produktion physikalischer Phänomene erfolgt stets in einem theoretischen Kontext und wird immer wieder durch die Theorie gefördert, während umgekehrt .theoretische Physik' Theorie physikalischer Phänomene ist und prognostisch die experimentelle Produktion physikalischer Phänomene anregt. Es handelt sich mit anderen Worten bei der Unterscheidung von Experimentalphysik und theoretischer Physik nicht um zwei völlig verschiedene oder gar gegensätzliche Bereiche, sondern lediglich um unterschiedliche Schwerpunkte bei der Beschäftigung mit Physik. Auf den durch solche und andere Kritik bewirkten Theorienwechsel bezieht sich, wie der Kontext ergibt, Machs elegischer Ausspruch am Ende des Prager Vortrags von 1871:
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Punkt betrifft die Verbesserung, der zweite warnt vor Mißverständnissen einer bestehenden Theorie. Im übrigen sagt Mach klipp und klar im Vorwort zur 1. Auflage der Mechanik, was analog auch für seine anderen Bücher gelten dürfte: „Der Kern der Gedanken der Mechanik hat sich fast durchaus an der Untersuchung sehr einfacher besonderer Fälle mechanischer Vorgänge entwickelt. [...] [iV]»r auf diesem Wege [der historischen Analyse der Erkenntnis dieser Fälle] [ist] ein volles Verständnis der allgemeinern Ergebnisse der Mechanik zu gewinnen" (M., Vf.). Mit anderen Worten: Um die physikalische Theorie besser zu verstehen, treibt Mach Physikgeschichte. 4 Als weiteren Beleg für Machs Ablehnung der theoretischen Physik als solcher verweist Blackmore auf Bunge (1966), der — ebenfalls ohne Textnachweis — erklärt: Mach „tried to minimize the role of mechanical theories and, indeed, of all theory. [...] In fact, for a radical empiricist [...], no idea is to be accepted unless it concerns experience." Dies wiederum heißt für Bunge: „every theory is [von Mach!] distrusted, or even condemned, because theories proper overreach experience and do not refer to it; and this was wrong" (Bunge (1966), 585). Genau das Gegenteil ist nach Mach der Fall: „Alle Wissenschaft hat nach unserer Auffassung die Funktion, Erfahrung zu ersetzen. Sie muß zwar einerseits in dem Gebiet der Erfahrung bleiben, eilt aber doch andererseits der Erfahrung voraus (Hervorhebung G. W.), stets einer Bestätigung, aber auch Widerlegung gewärtig. [...] Diejenigen Gedanken, welche auf dem größten Gebiet festgehalten werden können und am ausgiebigsten die Erfahrung ergänzen (Hervorhebung G. W.), sind die wissenschaftlichsten" (M., 465). Machs regulative Idee einer hypothesenfreien, aber doch immer noch theoretischen Physik (cf. oben, §7, 107 f.) hat Bunge noch auf einen anderen Gedanken gebracht, der begrifflich wohl darauf beruht, daß manchmal zwischen ,klassischer' und theoretischer Physik' unterschieden
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„Die Theorien aber sind wie dürre Blätter, welche abfallen, wenn sie den Organismus der Wissenschaft eine Zeit lang in Athem gehalten haben" (EA., 46). Blackmore versteht dies (a.a.O., 85) als „poetical attack on theoretical physics". Das sieht Blackmore anders. Für ihn ist Mach so etwas wie der Karl Prantl der Physik (Prantl [1820 — 1888] schrieb vier voluminöse Bände über die Geschichte insbesondere der mittelalterlichen Logik, um nachzuweisen, daß Kant mit seinem berüchtigten Diktum recht habe, die Logik habe seit Aristoteles keine Fortschritte gemacht): „in order to show the inadequacies of theoretical physics, he [Mach] found it necessary to read through the subject in detail. Out of this effort came a number of books on the history of different branches of physics and a number of contributions to theoretical physics. But w e should not mislead ourselves with respect to his primary motivation" (Blackmore (1972), 84).
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wird, wobei mit letzterer vor allem die ,moderne theoretische Physik', insbesondere Relativitäts- und Quantentheorie sowie Elementarteilchenphysik verstanden wird. Hier unterstellt Bunge, daß die Ausschaltung von Hypothesen für Mach bedeute, „only ,experimental propositions' and definitions" aufzustellen. Die überragende Rolle, die die ,.Prinzipien1 für die Konzeption physikalischer Theorie bei Mach haben (cf. oben § 19, 179 ff.), ist Bunge entgangen. Weiter heißt es: Machs „criticism of Newtonian mechanics was more a criticism of theoretical physics than a criticism of classical physics — so much so that he attempted to replace that theory by a single empirical statement and a definition, and that he sanguinely opposed every attempt to go beyond classical physics, particularly relativity and atomic theories" (Bunge, a. a. O., 585). Abgesehen davon, daß sich Machs Newtonkritik schon in der 1. Auflage der Mechanik (1883) findet und damit 20 Jahre vor dem Aufkommen der modernen theoretischen Physik, abgesehen ferner davon, daß schlichtes Nachzählen ergibt, daß Mach die „Newtonschen Aufstellungen" nicht durch einen, sondern durch genau drei ,Erfahrungssätze' sowie zwei Definitionen ersetzen will (M., 241 f.), hat Mach nicht die Atomtheorie, sondern deren realistische Interpretation abgelehnt. Eine Parallelisierung von Machs Ablehnung der realistischen Interpretation der Atomtheorie 5 mit einer angeblichen Ablehnung der Relativitätstheorie ist nicht zulässig, da die Relativitätstheorie eine phänomenologische Theorie ist und keine Annahmen über die materielle Konstitution bewegter Körper enthält, die Mach etwa hätte kritisieren können. Damit entfallt der Grund für eine Parallelisierung. Ohne sich die Mühe zu machen, auch nur eine MachStelle anzuführen, fahrt Bunge (a. a. O., 586) wie folgt fort: Mach „rejected these new ideas (Atomtheorie und Relativitätstheorie, G. W.) because they were incompatible with his philosophy". Sodann spricht er von der „conceivable though untestable conjecture that the strictures imposed by
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Diese Parallelisierung wird auch von Itagaki ((1982), 89) vorgebracht. Doch stützt sich Itagaki dabei auf den Text des Optik- Vorworts, in dem Mach es angeblich „mit derselben Entschiedenheit [ablehnt], den Relativisten vorangestellt zu werden", mit der er die „atomistische Glaubenslehre" (Ο., VIII) abgelehnt habe. Freilich bedeutet der gleiche Grad der .Entschiedenheit' einer Ablehnung der Wegbereiterrolle für die Relativität und einer Ablehnung des „Atomglaubens" nicht auch schon, daß diese beiden Ablehnungen „on the same grounds" (Itagaki, ebd. und 86) erfolgten. Wenn das Optik-Vorwort im übrigen behaupten würde, was Itagaki herausgelesen hat (nämlich Ablehnung „on the same grounds"), wäre dies ein weiteres Argument dafür, daß es gefälscht ist: die Machschen methodologischen Bedenken gegen die Atomtheorie sind eben auf die Relativitätstheorie nicht übertragbar.
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Mach's narrow and dogmatic empiricism have delayed scientific progress", um schließlich noch zu klagen, daß „most ,modern' textbooks on mechanics include Mach's blunders concerning mass and force". Die Wahrheit ist, daß Bunges frei geschöpfte Vorstellungen über Mach ,blunder* sind, inconceivable' und ,testable'. 6 Wie Mach tatsächlich der modernen theoretischen Physik gegenüberstand, ergibt sich aus einem schon zitierten Brief an Franz Brentano. Brentano hatte sich nach einem geeigneten Ort für das Physikstudium seines Sohnes erkundigt. Mach empfahl F. Braun in Straßburg und F. Richarz in Marburg. Beide waren Experimentalphysiker. Aber Mach fuhr fort: „Göttingen bitte ich nicht unbeachtet zu lassen. Die ganze tiefere mathematische Bildung, die schon für den heutigen Physiker unentbehrlich ist und noch mehr für den künftigen sein wird (Hervorhebung G. W), geht heute von dort aus" (Mach an Brentano, 3.5.1910 (HLH)). Die Empfehlung Göttingens läßt sich auch schon 1910 als ein Programm auffassen, das ein gutes Jahr zuvor durch Minkowskis Vortrag „Raum und Zeit" exemplarisch realisiert worden war. Es ist ein Programm theoretischer Physik, dessen ,tiefere mathematische Bildung' dem alten Mach zwar nicht mehr zugänglich war, die er gleichwohl für unerläßlich hielt.
§ 29 Haben der traditionelle Kausalbegriff oder der Begriff des Inertialsystems Mach %ur Ablehnung der Relativitätstheorie bewogen? Elie Zahar, ein dem philosophischen Realismus nahestehender Wissenschaftstheoretiker, hat folgende Frage gestellt: „did Mach's philosophy of science play a significant role in the genesis of Relativity Theorie?". Wenn so gefragt wird, läßt sich die Antwort meist erraten. Bei Zahar lautet sie: „I propose to show that positivism was largely irrelevant to the development of modern physics: while playing lip-service to Machian positivism, scientists like Einstein remained old-fashioned realists" (Zahar (1977), 195). Daß dabei der axiomatische Bannfluch „Mach's philosophy is strictly positivistic" (Zahar, a.a.O., 198) gilt, versteht sich von selbst.
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Schon Sewell, dessen Intention es ist, den ,heuristischen' Einfluß des Machschen Prinzips auf die allgemeine Relativitätstheorie als nicht existent nachzuweisen, bezeichnet Bunge (1966) als „emphatically hostile review of Mach's critique" des Newtonschen Massenbegriffs. „Bunge's views concerning Mach are, in the present writer's opinion, not only misleading but, in some cases, simply unfair" (Sewell (1975), 76, Anm. 22).
Mach gegen Kausalbegriff oder Begriff des Inertialsystems?
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Nun geht Zahar nicht so weit, auch Machs Einfluß auf Einstein „as a matter of psychological fact" (197) in Frage zu stellen. Ihm liegt vielmehr daran, zu prüfen, „whether there exists any objective (Hervorhebung G. W.) connection between Mach's philosophy on the one hand, and the Theory of Relativity as proposed by Einstein on the other" (Zahar, ebd.). Zahar ist davon überzeugt, daß Einsteins Beteuerungen, Mach habe ihn hinsichtlich der Entdeckung der Relativitätstheorie sehr beeinflußt, auf Selbsttäuschung beruhen: „The Machian elements of Einstein's thought may have been irrelevant to this discovery, — or more strikingly still — Einstein may even have used an approach alien to Machism. This latter possibility is clearly indicated by Mach's own rejection of Relativity" (ebd.). Dieser Behauptung läßt Zahar ein längeres Zitat aus dem Optik-Vorwort folgen, das Machs ,rejection' belegen soll. 1 Zahar behauptet zwar nicht explizit, daß Einsteins angebliche Abweichungen vom ,Machismus' Mach wiederum zur Ablehnung der Relativitätstheorie bewogen hätten. Implizit ergibt sich dies aber aus dem obigen Zitat und aus Sätzen wie: „There is another respect in which Special Relativity is unacceptable from a strictly Machian viewpoint" (206), oder „It is therefore small wonder that Mach should have disowned Relativity" (ebd.). Es sind vor allem drei Punkte, die nach Zahar Mach bewogen hätten, die spezielle Relativitätstheorie abzulehnen: (1) Mach habe die traditionelle asymmetrische Kausalrelation durch eine symmetrische Relation, nämlich die Relation funktionaler Interdependenz zwischen verschiedenen Elementen der Sinneswahrnehmung, ersetzen wollen. Dagegen hält Zahar fest: „Rela-
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Als Quelle für das Optik-Vorwort gibt Zahar an: „Mach [1913], Preface" (Zahar, a.a.O., 197). Im Literaturverzeichnis findet sich unter „Mach, E. [1913]" der Eintrag: „The Principles of Physical Optics". Dies ist kein einmaliger Lapsus. Der gleiche Eintrag steht in Zahar (1973), 261. Wer aber so mit bibliographischen Daten umgeht wie Zahar, steht sich schon im Vorfeld der Wahrheitsfindung selbst im Wege: Es gibt überhaupt kein Buch Machs aus dem Jahre 1913, a fortiori keines, in dem die Relativitätstheorie abgelehnt wurde. Es gibt zwar ein Buch Machs mit dem Titel The Principles of Physical Optics. An Historical and Philosophical Treatment. Doch dieses Buch erschien 1926 in London. Es ist die englische Übersetzung des Buchs Die Prinzipien der physikalischen Optik. Historisch und erkenntnispsychologisch entwickelt. Dieses Buch wiederum ist 1921 in Leipzig erschienen. Das Vorwort dieses Buches trägt in der Tat die Datierung ,Juli 1913'. Aber das Buch ist eben erst 1921 erschienen. Und genau dies ist entscheidend. Denn zwischen 1913 und 1921, nämlich 1916, ist Mach gestorben. Wenn Zahar durch eigenwillige bibliographische Angaben suggeriert, Mach habe sich in einem zu seinen Lebzeiten publizierten Buch gegen die Relativitätstheorie ausgesprochen, so ist er selbst das erste Opfer seiner Schlamperei.
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tivity Theory is a causal theory in the traditional sense of the word. The asymmetry between cause and effect is as important a feature of Relativity as it is of any classical hypothesis" (203). (2) Einsteins Gleichzeitigkeitsdefinition widerspreche den Anforderungen der Machschen Methodologie an Definitionen. (3) Einstein habe in der speziellen Relativitätstheorie die Inertialsysteme vor anderen Bezugssystemen privilegiert. „Such frames are abstract entities, they are not determined by any relation they might bear to observables. Hence, if we eliminate from Newtonian Theory an idle metaphysical component, namely the Absolute Space Hypothesis, and speak instead of the absolute set of inertial frames, Special Relativity turns out to be no less ,absolute' then Classical Mechanics. Both theories postulate sets of unobservable inertial frames" (206).
Paul Feyerabend (1980) hat Zahar (1977) insgesamt einer temperamentvollen und zutreffenden Kritik unterzogen. Feyerabend stellt dabei vor allem Zahars Urteile über Machs positivistische' Methodologie als auf ungenauer Textkenntnis beruhende Vorurteile heraus. Er weist aber auch Zahars oben angeführte Punkte (1) —(3), die Machs Ablehnung der Relativitätstheorie plausibel machen sollen, zurück mit dem Resultat: „There is, then, no conflict between Mach's philosophy and the (genesis of the) special theory of relativity" (Feyerabend (1980), 278). 2 Feyerabends Ausführungen zu Punkt (2) bestehen in dem Nachweis, daß Mach die ihm von Zahar unterstellten Anforderungen an Definitionen überhaupt nicht stelle. Deswegen trage der Hinweis auf eine Verletzung dieser (nicht-gestellten) Anforderungen im Falle der Gleichzeitigkeitsdefinition auch nichts zur Erklärung von Machs Ablehnung der Relativitätstheorie bei. Diese Ausführungen Feyerabends, die im Sinne des von ihm eingeführten ,LessingEffekts' erfolgen 3 , sind überzeugend. Feyerabends Ausführungen zu Punkt (1), d. h. zu Zahars These, Mach habe die spezielle Relativitätstheorie abgelehnt, weil sie seiner angeblich symmetrischen Kausalitätsauffassung zuwiderlaufe, sind ebenfalls überzeugend. Feyerabend zeigt durch Hinweis auf verschiedene Textstellen, „that Mach paid great attention to unidirectional processes and occasionally regarded them as fundamental: not all connections are symmetrical and those which are ,are secondary, not basic'" (Feyerabend (1980), 276). Da Feyerabend es im wesentlichen bei diesem kurzen Hinweis beläßt, außerdem die offenbar als Zitat verstandene 2
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Feyerabend führt einen eigenen, schon früher erwähnten Erklärungsversuch für Machs angebliche Ablehnung der Relativitätstheorie an, der in § 33 noch kritisiert werden wird. Cf. Einleitung, Anm. 11.
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Stelle an dem von ihm angegebenen Ort unauffindbar ist 4 , sind einige ausführlichere Bemerkungen zu Machs Kausalitätskritik angebracht. Zahar entwickelt seine Darstellung Machs wie folgt: Mach habe eine an Begriffen, nicht an Sätzen orientierte Methodologie vertreten. „This conceptual [...] approach [...] led him to try to eliminate the asymmetry between cause and effect in scientific explanation. [...] Mach concluded that, in all cases, the cause-effect relation can be replaced by the symmetric relation of functional dependence" (202). Der (von Zahar favorisierte) ,propositional approach' führe hingegen wegen der Asymmetrie des Junktors ,—• ' (Subjunktion) schon aus logischen Gründen im allgemeinen auf die Asymmetrie der Kausalrelation. — Es ist nicht weiter überraschend, ja für Teile der Mach-Forschung schon normal, daß Zahar für seine Behauptung, Machs ,conceptual approach' führe ihn zur Elimination der Asymmetrie der Kausalrelation, keinen Textbeleg anführt. Es gibt wohl auch keinen. Mach vertritt (wenn auch nicht überall) einen ganz naiven .conceptual approach' weil ihm wissenschaftstheoretisch vor allem die Begriffe in die Augen fallen. Er kennt keinen Gegensatz von ,conceptual' und ,propositional approach'. Dieser tritt erst in der neueren Wissenschaftstheorie auf. Ebensowenig ist Machs erkenntnistheoretische Elementenlehre ein unverzichtbarer Bestandteil der Machschen Einstellung zur Kausalität. 5 Der entscheidende Anlaß für Machs Kritik des Ursache- und Wirkungsbegriffs 6 ist vielmehr sein empiristisches (wer will: ,positivistisches') methodologisches Prinzip, Naturwissenschaft als Beschreibung der Tatsachen aufzufassen. Mach schließt sich der Humeschen Kausalitätsauffassung an. 7 Die scheinbar ,notwendige' Verknüpfung zwischen zwei Ereignissen Α und B, die man , kausal' nennt, ist danach nichts anderes als eine durch die Erfahrung legitimierte, gewohnheitsmäßige Erwartung: wenn Α vorliegt, dann tritt auch Β ein. Traditionell nennt man A ,die Ursache' von B. Gegen diese Redeweise hat Mach methodologische Bedenken: (1) die Rede 4 5
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Das Zitat soll sich in der 3. Auflage (1917) v o n Erkenntnis und Irrtum (443) befinden. Eben dies aber, der enge Zusammenhang v o n erkenntnistheoretischer Elementenlehre und methodologischer Kausalitätskritik, wird von Zahar (a.a.O., 201) suggeriert. Machs Ausführungen über ,Kausalität' in W., 432ff. machen z . B . keinen Gebrauch v o n der ,Elementenlehre' und enthalten dennoch alle wesentlichen Punkte der Machschen Auffassung. An den Stellen seines Werkes, w o Mach sich mit der Kausalität auseinandersetzt (cf. W., 432 ff.; EI., 275 ff.; Α., 69 ff.) ist weniger von .Kausalität' als vor allem v o m .Ursache'Begriff die Rede. Cf. W., 435.
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von Α als der ,Ursache' von Β suggeriert etwas, das normalerweise nicht vorkommt: „Die Zusammenhänge in der Natur sind selten so einfach, daß man in einem gegebenen Falle eine Ursache und eine Wirkung angeben könnte" (Α., 74; cf. W., 435 f.). (2) Die Rede von .Ursache' und ,Wirkung' suggeriert ferner selbsterzeugte Bilder von Vorgängen, die in einer schlichten Beschreibung der Phänomene nicht vorkommen: „Wirklich glaubt man Bewegungen besser zu verstehen, wenn man sich ziehende Kräfte vorstellt und doch leisten die tatsächlichen Beschleunigungen mehr, ohne Überflüssiges einzuführen. Ich hoffe, daß die künftige Naturwissenschaft die Begriffe Ursache und Wirkung, die wohl nicht für mich allein einen starken Zug von Fetischismus haben, ihrer formalen Unklarheit wegen beseitigen wird" (P., 284). Statt dessen empfiehlt Mach, „die begrifflichen Bestimmungselemente einer Tatsache als abhängig voneinander anzusehen, einfach in dem rein logischen Sinne, wie dies der Mathematiker, etwa der Geometer, tut" (ebd.). 8 Mach betrachtet zwei Typen von Abhängigkeit: unmittelbare und mittelbare Abhängigkeit (cf. ζ. B. EI., 278 f.). Unmittelbare Abhängigkeit von zwei oder mehr Elementen besteht genau dann, wenn „sämtliche Elemente durch eine Gleichung verbunden sind". Dabei „ergibt sich jedes Element als Funktion der anderen" (EI., 278). Als Beispiele nennt Mach das Boyle-Mariottesche Gesetz, wonach zwischen einer festen Gasmenge bei konstanter Temperatur (T) zwischen Druck (p) und Volumen (v) die ρ ·ν BeziehungÖ rj-< = konst. besteht. Hier läßt sich das Volumen als eine Funktion des Drucks und umgekehrt der Druck als eine Funktion des Volumens auffassen. Mach drückt diesen Fall so aus, „daß man alle unmittelbaren Abhängigkeiten als gegenseitige und simultane ansehen kann" (EI., 279). Dieser von Mach gewählte Ausdruck ist im übrigen eine logische Folgerung daraus, daß Mach die ^«mittelbare Abhängigkeit von Bestimmungsstücken auf den Fall ihrer mathematischen Darstellung in einer 8
Zu dem gerade angeführten Beispiel der .Massenanziehung' äußert sich Mach anderswo so: „Wo wir eine Ursache angeben, drücken wir nur ein Verknüpfungsverhältniß, einen Thatbestand aus, d. h. wir beschreiben. Wenn wir von „Anziehungen der Massen" sprechen, könnte es daher scheinen, als ob dieser Ausdruck mehr enthielte, als das Thatsächliche. Was wir aber darüber hinaus hinzuthun, ist sicherlich müßig und nutzlos. Setzen wir die gegenseitige Beschleunigung φ = k — — — , so beschreibt diese Formel die Thatsache r viel genauer, als der obige Ausdruck (d. h. .Anziehung der Massen', G. W.), und eliminiert zugleich jede überflüssige und falsche Zuthat" (W., 435).
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einzigen Gleichung beschränkt hat. Nach dem älteren, etwas ungenauen mathematischen Sprachgebrauch kann man eben in Funktionsgleichungen wie der oben angeführten Boyle-Mariotteschen sowohl das eine wie auch das andere Bestimmungselement als ,unabhängig' und das jeweils andere als ,abhängig' variabel auffassen. 9 Daß in diesen von Mach genau umschriebenen Fällen »«mittelbarer Abhängigkeit schon aus formalen Gründen die Symmetrie der Kausalrelation naheliegt, ist wohl unbestritten, falls man die Rede von ,Kausalität' hier überhaupt für zweckmäßig hält. Andererseits weiß Mach, daß ,,[f]ür die vulgären (Hervorhebung G. W.) Begriffe Ursache und Wirkung [...] das gerade Gegenteil [gilt]" (EI., 279), also die Asymmetrie der Kausalrelation. Dies liegt daran, daß diese Begriffe nicht bloß in Fällen unmittelbarer Abhängigkeit, sondern „eben in ganz unanalysierten Fällen einer vielfach vermittelten Abhängigkeit Anwendung finden [...]. Als Beispiel diene die Explosion des Pulvers im Geschütz und das Einschlagen des Projektils [...]. Der getroffene Körper restituiert nicht die Arbeit des Pulvers." Er ist nur ein Glied in der „Kette der Abhängigkeiten, die sich auf anderen Wegen fortsetzen als sie eingeführt worden sind. Der Körper liefert etwa fliegende Sprengstücke" (EI., 279 f.). D. h., Naturvorgänge verlaufen nach Mach nicht immer symmetrisch' — wie etwa im vorliegenden Beispiel, wenn wir einen Film vom Einschlagen des Projektils an rückwärts laufen ließen und das Einschlagen sodann als ,Ursache' der Explosion des Pulvers im Geschütz betrachteten. Kurz, in Fällen vermittelter Abhängigkeit betont Mach selbst die Asymmetrie der Abhängigkeitsbeziehung. Gleichzeitig scheint er der Auffassung zu sein, daß eine geeignete Zerlegung eines Falles vermittelter Abhängigkeit, eines Falles asymmetrischer Abhängigkeit also, lauter Teilfälle symmetrischer Abhängigkeit (vulgär: ,Wechselwirkung') ergebe. Ζ. B. ließe sich die komplizierte asymmetrische Abhängigkeit der Erwärmung eines Steins durch die Sonne gedanklich in ,unzählige' nahwirkende, simultane und gegenseitige Teilabhängigkeiten (,Zwischenglieder') auflösen. In jedem einzelnen dieser Zwischenglieder gelten etwa die Abhängigkeiten der Wärmeleitung, die sich in einer Gleichung ausdrücken lassen. Dem liegt in der (Fourierschen) Theorie der Wärmeleitung die „Annahme" zugrunde, „daß die einander sehr nahe liegenden Theile im Innern eines leitenden Körpers Wärmemengen austauschen, welche den Temperaturunterschieden derselben proportional sind" (W., 82). Mach warnt allerdings davor, den Gesamtvorgang
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Heute würde man diesen Sachverhalt eher als die Existenz der Umkehrfunktion f eine bijektive Funktion f bezeichnen.
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als Summe symmetrischer Abhängigkeitsbeziehungen nun auch selbst als symmetrische Abhängigkeitsbeziehung aufzufassen: „Der ganze Vorgang braucht nicht deshalb momentan und umkehrbar zu sein, weil er sich auf eine vielfache Kette simultaner und umkehrbarer Abhängigkeiten gründet" (EL, 280). 10 Dies scheint bei Mach mit der Nichtumkehrbarkeit der Zeit zusammenzuhängen: „Die Tatsache der Nichtumkehrbarkeit der Zeit reduziert sich darauf, daß die Wertänderungen der physikalischen Größen in einem bestimmten Sinne stattfinden. Von den beiden analytischen Möglichkeiten (d. h. Symmetrie und Asymmetrie, G. W.) ist nur die eine (die Asymmetrie, G. W.) wirklich. Ein metaphysisches Problem brauchen wir hierin nicht zu sehen" (Α., 287).
Mach kennt also, anders als Zahar ihm unterstellt, unabänderlich asymmetrische Abhängigkeitsbeziehungen, auch wenn er die entsprechende Rede von einem asymmetrischen Verhältnis von ,Ursache' und ,Wirkung', als fetischistisch' bezeichnet und durch die Redeweise von funktionalen Abhängigkeitsbeziehungen ersetzt wissen möchte. Zahar behauptet nun weiter: „Relativity is a causal theory in the traditional sense of the word. The asymmetry between cause and effect is as important a feature of Relativity as it is of any classical hypothesis" (203). Hier scheint Zahar einiges zu entgehen: (1) Machs Kritik am Kausalbegriff, symmetrisch oder nicht, ist die Kritik an einer in bestimmter Weise interpretierenden Rede über physikalische Gesetze und Theorien, nicht aber die Kritik an den so interpretierten Theorien selbst. Sie betrifft also nicht die physikalische Theorie, sondern deren ,kausalistische' Metatheorie. (2) Mach will lediglich die Kausal-Redeweise über Theorien durch die Funktional-Redeweise ersetzen. (3) Mach hat keinen einzigen physikalischen Sachverhalt als solchen deswegen kritisiert, weil er in der ,Ursache-Wirkungs'-Terminologie dargestellt wurde. (4) Auch für Mach sind nicht-umkehrbare Vorgänge, die traditionell mit dem Hinweis auf die Asymmetrie der Kausalrelation verbunden werden, fundamental (ζ. B. in der Wärmelehre und in der Biologie). Ob ein nicht-umkehrbarer Vorgang vorliegt, wird nicht durch die stets bestehende analytische Möglichkeit der ,Umkehrung' einer funktionalen Beziehung, sondern durch die Naturtatsachen bestimmt. Mit anderen Worten: Mach kann gegen die Relativitätstheorie als physikalische Theorie hinsichtlich der vielleicht von manchen für unerläßlich gehaltenen Verwendung der Kausalterminologie ebensowenig einzuwenden haben, wie gegen die ebenso ,kausale' klassische 10
Für das Beispiel der Erwärmung eines Körpers durch die Sonne cf. Α., 76.
Mach gegen Kausalbegriff oder Begriff des Inertialsystems?
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Physik, genauer gesagt: er kann gar nichts dagegen haben. Die Theorie ist von ihrer herrschenden kausalen Interpretation nicht betroffen. Die kausale Interpretation ist für Mach jederzeit ersetzbar durch eine funktionale (wenn eben auch nicht stets symmetrische) Auffassung. Allerdings zeigt schon eine kursorische Lektüre Machs, daß die Natur in sehr g i c h t i gen' Fällen die formal mögliche Umkehrung funktionaler Beziehungen (und damit kausale Symmetrie) definitiv ausschließt. Es ist im übrigen bemerkenswert, welch geringe metatheoretische Verstimmungen nach Auffassung der neueren Antipositivisten bei Mach zur Ablehnung umfassender theoretischer Konzeptionen führen sollen. Eine derartige Empfindlichkeit, oder besser: Rechthaberei und Verbissenheit, war Mach fremd. Aber er scheint speziell im Fall der Kausalität bereits geahnt zu haben, was noch auf ihn zukommen sollte: „Ich habe irgendwo gelesen, daß ich ,einen erbitterten Kampf gegen den Begriff Ursache führe. Dies ist nicht der Fall, denn ich bin kein Religionsstifter.11 Ich habe diesen Begriff für meine Bedürfnisse und Zwecke durch den Funktionsbegriff ersetzt. Findet jemand, daß hierin keine Verschärfung, keine Befreiung oder Aufklärung liegt, so wird er ruhig bei den alten Begriffen bleiben; ich habe weder die Macht noch auch das Bedürfnis, jeden einzelnen zu meiner Meinung zu bekehren. Als jemand verklagt wurde, daß er nicht an die Auferstehung glaube, soll Friedrich II. resolviert haben: ,Wenn N. am jüngsten Tage nicht mit auferstehen will, so mag er meinetwegen liegen bleiben'. Diese Kombination von Humor und Toleranz ist im allgemeinen sehr empfehlenswert. Die nach uns kommen, werden sich einmal recht verwundern, worüber wir streiten, und noch mehr, wie wir uns dabei ereifern konnten" (EI., 279, Anm.).
Wenden wir uns nun einer anderen Auffassung Zahars (siehe oben (3) ) zu: die spezielle Relativitätstheorie „is unacceptable from a strictly Machian viewpoint" (206). Danach träten in der Newtonschen Theorie ebenso wie in der speziellen Relativitätstheorie „sets of unobservable inertial frames" auf. Sie führten das gerade von Mach vertriebene metaphysische Gespenst des absoluten Raumes gewissermaßen durch die Hintertür wieder ein. Diese Inertialsysteme seien vor allen anderen privilegiert. Hauptunterschied zwischen Inertialsystemen in klassischer Mechanik und spezieller Relativitätstheorie: im einen Fall benötige man Galilei-, im anderen Fall 11
Dazu paßt, daß Zahar Einsteins anfangs völlig zustimmendes Verhältnis zu Mach in diesem Zusammenhang als ,lip-service' bezeichnet, ein Begriff, der ursprünglich eine Überlebensstrategie in religiösen Zwangssystemen bezeichnet. Feyerabend (1980), 275 fragt mit Recht, warum Einstein einen solchen ,lip-service' überhaupt nötig gehabt haben sollte.
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Lorentztransformationen, um Vorgänge mit Bezug zu verschiedenen Inertialsystemen physikalisch zu beschreiben. Inertialsysteme hätten wie der absolute Raum einen absoluten Charakter und seien dabei selbst nicht beobachtbar. Die beobachtbare relativistische Uhrenverlangsamung ζ. B. werde „explained in terms of a hidden cause, namely the existence of a set of abstract frames" (ebd.). Es ist nicht leicht, überhaupt zu verstehen, was Zahar Mach hier unterstellen will. Für den Fall, daß Mach in Zahars Augen am privilegierten Status der Inertialsysteme Anstoß genommen haben könnte, sei auf die diesbezüglichen Ausführungen in § 19 verwiesen. Mach selbst hatte gegen Inertialsysteme nichts einzuwenden, obwohl er diese Konzeption — was ja zum entsprechenden Zeitpunkt auch zutraf — für noch nicht völlig ausdiskutiert hielt (cf. M., 232 f.). Er empfahl (a. a. O.) zu warten „bis sich die Nebel verziehen". Andererseits geht er noch im Vorwort zur Auflage letzter Hand der Mechanik. (1912) auf den Begriff des Inertialsystems ein. Hier zeigt sich deutlich (wie auch im Text des Buches), daß Zahars Ausführungen über Mach mit Machs eigenen wenig zu tun haben. Mach wendet sich gegen Newtons in der Theorie geäußerte Auffassung, wonach geradlinig gleichförmig bewegte Systeme sich gegen den unbeobachtbaren absoluten Raum geradlinig gleichförmig bewegen. In der Praxis habe aber Newton selbst „keine ernste Anwendung" dieses Gedankens gemacht. „Sein Coroll. V („Principia", 1687, p. 19) enthält das einzig praktisch brauchbare (wahrscheinlich angenäherte) Inertialsystem" (Μ., XVII). Konkret: „Das natürliche Bezugssystem ist für ihn jenes, welches irgendeine gleichförmige Translationsbewegung ohne Rotation (gegen die Fixsternsphäre) hat (p. 19, Coroll. V)" (M., 223; cf. 227). Mach sieht das, nun allerdings nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theorie, ebenso wie Newton: Jedes relativ zur Fixsternsphäre geradlinig gleichförmig bewegte System ist ein Inertialsystem. Die Inertialsysteme bilden — was Mach der Sache nach gewiß bemerkt hat — eine Äquivalenzklasse. Insbesondere ist das Fixsternsystem selbst ein Inertialsystem. Ebenso wie das Fixsternsystem beobachtbar ist, ist jedes zu diesem System geradlinig gleichförmig bewegte System beobachtbar, wenn es überhaupt physikalisch eine Rolle spielen soll. Mit anderen Worten: Entgegen Zahars kühner Behauptung postuliert die klassische Mechanik in Machs Augen eben nicht unbeobachtbare,,absolute' Inertialsysteme. Auch hat Mach nichts dagegen, beobachtbare Bewegungen „vorläufig als durch diese Körper (des Fixsternsystems, G. W.) bestimmt (Hervorhebung G. W.) anzusehen" (M., 225).
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,Vorläufig' heißt: solange man keinen besseren Repräsentanten der Äquivalenzklasse der Inertialsysteme als den Fixsternhimmel anzugeben weiß. Die Lektüre 12 Machs zeigt also, daß die ihm von Zahar unterstellte Aversion gegen Inertialsysteme als Grund für die Ablehnung der Relativitätstheorie auf freier Erfindung beruht. Inertialsysteme haben für Mach, weil beobachtbar, physikalische Bedeutung. Nichts deutet darauf hin, daß ihre Übernahme in die spezielle Relativitätstheorie daran für Mach etwas geändert hat. Damit ist die Behauptung hinfällig, eine Aversion Machs gegen Inertialsysteme als ,absolute', unbeobachtbare, kurz: metaphysische Fiktionen sei für seine Ablehnung der Relativitätstheorie verantwortlich. 13
§ 30
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Die These, daß eine tiefsitzende Aversion Machs gegen die Minkowskische Darstellung der (speziellen) Relativitätstheorie für seine angebliche Ablehnung dieser Theorie verantwortlich sei, ist in verschiedener Form vertreten worden. Als erster hat sie wohl Gerald Holton in seiner nach Vorfassungen erstmals 1968 publizierten Arbeit (Holton (1973 a), 237 ff.; dt. 225 ff.) entwickelt. Holton sieht die Schwierigkeit, hier überhaupt zu schlüssigen Beweisen zu kommen. 1 Denn wir besitzen (cf. oben § 16) das kompetente Zeugnis Philipp Franks, daß sich Mach von der Minkowskischen Darstellung der Relativitätstheorie zur Jahreswende 1909/1910 sehr angetan gezeigt habe, nachem sie ihm durch Frank erklärt worden war. Ferner wurde oben (§ 17) darauf hingewiesen, daß sich Mach in Fußnoten von Arbeiten aus den Jahren 1909/1910 vorsichtig in positiven Bezug zur Einstein-Minkowskischen Theorie setzte. Dies alles hat Holton jedoch nicht von seiner These abgebracht, für Machs vermeintliche Ablehnung der Relativitätstheorie sei auch und vor allem ihre Darstellung durch Minkowski maßgebend gewesen.
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Zahar kommt, wie bei seinen Äußerungen über Machs Stellung zur Kausalität, auch hier ohne die Angabe einer einzigen Textstelle in den Schriften Machs aus. Davon unberührt ist natürlich die systematische Frage, welche Rolle Inertialsysteme in heutigen Erörterungen zur Relativitätstheorie spielen. Mach ist eben seit fast 70 Jahren tot. Gleichwohl ist Holton der Meinung: „it is not so difficult to reconstruct the main reasons why Mach ended up rejecting the relativity theory" (Holton, a.a.O., 232; dt. 219). Wir werden sehen, daß die von Holton angesprochene Aufgabe leicht ist, weil er — und nicht nur er — sie sich leicht macht.
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Bei den folgenden Überlegungen hat man vor allem einen Punkt im Auge zu behalten: Mach las 1909 Minkowskis Raum und Zeit, verstand jedoch im Detail so wenig, daß er sich die neue Theorie durch Philipp Frank erklären ließ und — von dieser Erklärung höchst befriedigt — Frank zu ihrer Veröffentlichung aufforderte ( = Frank (1910)). Daß die Minkowskische Raumzeit heute vielfach als ein ,absoluter' Aspekt der Relativitätstheorie angesehen wird (cf. oben § 5, 71 ff.) ist für unsere Untersuchungen hermeneutisch belanglos. Nach Holton hat Mach die Minkowskische Fassung der Relativitätstheorie im wesentlichen deswegen abgelehnt, weil in ihr die Vorstellungen des erfahrbaren Raums und der erfahrbaren Zeit angeblich verlorengingen (Holton (1973 a), 238; dt. 227). Hierin wiederum sieht Holton „an attack on the very roots of sensations-physics, on the meaning of actual measurements" (Holton, a. a. O., 238; dt. 227). Es sind in Holtons Augen speziell drei zusammenhängende Punkte 2 , die Mach abstoßen mußten: (1) Die Raumzeit bedeute „the abandonment of the conceptions of experiential space and experiential time" und damit „an attack on the very roots of sensations-physics, on the meaning of actual measurements". Das RaumZeit-Intervall ds erhalte nicht „the primacy of measurements in ,real' space and time" (239). (2) „If identity, meaning, or ,reality' lies in the fourdimensional spacetime interval ds, one is dealing with a quantity which is hardly denkökonomisch". (3) In der ,Minkowski-Welt£ „the crucial innovation is the conception of the ,zeitartige Vektorelement', ds, defined as (1/c) 1 — dx 2 — dy 2 — dz 2 with imaginary components. To Mach, the word Element had a pivotal and very different meaning [...]. [Elements were nothing less than the sensations and complexes of sensations of which the world consists [...]. Minkowski's rendition of relativity theory was now revealing the need to move the ground of basic, elemental truths from the plane of direct experience in ordinary space and time to a mathematicized,
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Mit Bezug auf Weinberg (1937) unterstellt Holton Mach zwei weitere „sources of suspicion against the Minkowskian form of relativity theory" (Holton (1973 a), 238): (1) ihren .dogmatischen' Charakter, (2) die Nichtbeachtung des biologischen und psychologischen Aspekts physikalischer Fragen. Holton gibt für diesen Bezug auf Weinberg keine Seitenangabe. Er wird schwerlich eine finden. Zwar weist Weinberg (1937), 114 f. darauf hin, daß Mach die Relativitätstheorie exzessiv ,dogmatisch' erschienen sei. Davon jedoch, daß es speziell ihre Minkowskische Form sei, wie Holton angibt, ist bei Weinberg nichts zu finden. Weinberg sieht Minkowskis Darstellung vielmehr (114) als besonders attraktiv für Mach an. Der von Holton zitierte Hinweis auf die ja auch für alle anderen physikalischen Theorien bestehende psychologisch-biologische Seite der Physik findet sich lediglich am Ende eines längeren Mach-Zitats, mit dem Weinberg Machs angebliche Ablehnung der Relativitätstheorie als solcher wegen .Dogmatismus' belegen will.
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formalistic model of the world in a union space and time that is not directly accessible to sensation — and, in this respect, is reminiscent of absolute space and time concepts that Mach had called ,metaphysical monsters'" (Holton, a. a. O., 238 f.; dt. 227 f.). Holtons Darlegungen sind nicht ausführlicher als hier wiedergegeben.3 Dabei wäre es aber (zu 2) sehr interessant zu erfahren, warum das zeitartige Vektorelement Minkowskis ,hardly denkökonomisch' sein soll. Die Pointe der von Mach approbierten Darstellung Franks besteht gerade in dem Nachweis, daß die vierdimensionale Minkowskische Darstellung der Relativitätstheorie empirisch adäquater sei als die zuerst von Einstein gegebene parametrisierte dreidimensionale: „In dieser vierdimensionalen Welt lassen sich die Erfahrungstatsachen adäquater darstellen als im dreidimensionalen Raum, wo immer nur eine willkürliche und einseitige Projektion abgebildet erscheint" (Frank (1910), 495). 4 Frank meint hiermit vor allem, daß parametrisierte Darstellungen zur willkürlichen Festlegung auf ein bestimmtes
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Die Auslassungen im Zitat zu (3) betreffen ganz unwesentliche Punkte. Die These (2) wird auch von Blüh (1968/69), 77 f. vertreten, aber auch nicht genauer als bei Holton. In der Standarddarstellung der klassischen Mechanik und in Einsteins erster Fassung der speziellen Relativitätstheorie werden ζ. B. die Bewegungsgleichungen so dargestellt, daß der Ort eines Massenpunktes als ein dreidimensionaler Vektor χ erscheint. Seine Bewegung wird mittels einer stetigen (und beliebig oft differenzierbaren) Raumkurve ausgedrückt, die sich dadurch ergibt, daß man den dreidimensionalen Vektor als Funktion der Zeit untersucht: χ = (x(t),y(t),z(t)). Eine andere Darstellungsweise, Bewegungen zu beschreiben — und auf diese spielt Frank an — besteht darin, die Bahnkurve auf irgendeine Weise darzustellen und sodann die Bewegung auf dieser Bahn durch Angabe eines Parameters, etwa der Bogenlänge, als Funktion der Zeit darzustellen. — In der Minkowskischen Fassung der Relativitätstheorie wird die formale Konsequenz aus dem Umstand gezogen, daß bei Wechsel des Bezugssystems Längen und Zeiten jeweils für sich genommen nicht invariant sind (Lorentz-Kontraktion, Zeitdilatation). Invariant sind in der Minkowskischen Theorie nicht mehr jeweils räumliche oder zeitliche Abstände, sondern die Abstände zwischen zwei .Punkten' der Raum^eit, d. h. zwei Ereignissen. Die Minkowskische Theorie handelt also nicht mehr separat von Raum und Zeit, sondern von deren ,Union', der Raumzeit. Der .Abstand' zwischen zwei Ereignissen wird durch das Linienelement ds2 ausgedrückt. Formal erfordert dieser Gedanke Minkowskis nicht mehr einen dreidimensionalen euklidischen Vektorraum, sondern einen vierdimensionalen ,pseudoeuklidischen' Raum, der (entsprechend den drei Raumkoordinaten des dreidimensionalen Raumes) durch drei reelle Vektoren sowie (entsprechend der Zeit) durch einen vierten imaginären Vektor aufgespannt wird. Der vierdimensionale Minkowski-Raum unterscheidet sich von einem vierdimensionalen euklidischen Raum lediglich dadurch, daß seine Metrik pseudoeuklidisch ist, d. h., daß der ,Abstand' ds2 = 0 sein kann, ohne daß die Komponenten x1( x2, X3, X4, die in die Bestimmung von ds2 eingehen, sämtlich gleich Null werden. Vor allem ist festzuhalten, daß der vierdimensionale MinkowskiRaum nicht nichteuklidisch ist.
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Inertialsystem zwingen (a. a. O., 475). Dies wiederum heißt 5 : die parametrisierte dreidimensionale Darstellung „liefert uns ein einseitig gefärbtes Bild der empirisch feststellbaren Eigenschaften der Raumkurve; die Darstellung ist keine dem Wesen der Sache adäquate; sie sagt mehr aus, als sie verantworten kann" (Frank, a. a. O., 468). Diese empirisch nicht gerechtfertigte Willkür in der Darstellung vermeidet nach Frank die Minkowskische vierdimensionale Theorie. Genau dies soll sein werbender Artikel zeigen. Adäquate Darstellung des Tatsächlichen mit einfachsten Mitteln zum Zwecke der Erfahrungsersparnis ist aber der Kern der Machschen Denkökonomie. 6 Das Linienelement ist integrierender Bestandteil einer denkökonomisch progressiven Theorie und damit auch selbst denkökonomisch in Ordnung. Minkowskis Theorie, jedenfalls in der von Mach geschätzten Version Franks, ist somit ein wichtiger Schritt zu einer Physik, die den Anforderungen der Denkökonomie in höherem Maße entspricht, weil sie die Differenz zwischen dem Tatsächlichen und seiner Darstellung reduziert. Soviel zum Verhältnis der vierdimensionalen Form der Relativitätstheorie zur Machschen Denkökonomie im allgemeinen. Zu Holtons erstem Punkt, wonach das vierdimensionale Raum-ZeitIntervall ds nicht den Primat von Messungen im ,wirklichen' Raum und in der ,wirklichen' Zeit erhalte, womit die Basis des Machschen ,Sensualismus' betroffen sei, sei zweierlei bemerkt: (1) Holtons Auffassung, daß das Raum-Zeit-Intervall ds den Primat von Messungen im ,wirklichen' Raum und in der ,wirklichen' Zeit, oder sagen wir besser: den üblichen Sinn der Messung von Raum und Zeit aufhebe, ist falsch. Wie ausgeführt (cf. Anm. 4) gibt das Linienelement ds2 den Abstand zweier Ereignisse in der Raumzeit an. 7 ds2 enthält sowohl den räumlichen Abstand zwischen den beiden Raumpunkten der Ereignisse im dreidimensionalen physikalischen Raum als auch die Zeitdifferen% zwischen ihnen. Betrachtet man etwa die Bewegung eines Teilchens in einem System I, dann drückt der in ds2 enthaltene räumliche Abstand die übliche Entfernung zwischen zwei Raumstellen des Teilchens aus, während die ebenfalls in ds2 enthaltene 5
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Frank trifft die folgende Feststellung mit Blick auf parametrisierte zweidimensionale Darstellungen versus dreidimensionale Raumkurven; sie gilt jedoch entsprechend für parametrisierte dreidimensionale Darstellungen versus vierdimensionale Raumkurven wie die Minkowskische Raumzeit (vgl. dazu Frank, a. a. O., 469, 495). Cf. ζ. Β. M., 5 f., 457 ff. Leicht faßliche Ausführungen zu diesem Thema finden sich in Sexl/Schmidt (1979), 1 1 0 ff. und Born (1969), 220. Eine strengere Darstellung in Moller (1976), 133 ff. A u f die Haltlosigkeit des Holtonschen Arguments machte mich Dr. Martin Carrier (Konstanz) aufmerksam.
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, Eigenzeit' nichts anderes ist als die Zeit, die von einer Standarduhr gemessen wird, die der Bewegung des Teilchens [in I] folgt (vgl. ζ. B. Moller (1976), 136). D. h., verbleibt man in I, dann ändert sich am üblichen Sinn der Messungen und damit an den entsprechenden Sinneserfahrungen gar nichts. 8 Geht man zu einem bezüglich I geradlinig gleichförmig bewegten System Γ über und versucht, von dort aus die Geschehnisse in I zu beschreiben, dann ergeben sich Lorentz-Kontraktion und Zeitdilatation. Aber deren Feststellung beruht nicht auf direkten Sinneserfahrungen in I, sondern auf Schlüssen aus Signalbeobachtungen in I' unter Beachtung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Lorentztransformationen. Eine direkte Beobachtung ist im allgemeinen gar nicht möglich. Es geht lediglich darum, die allein verfügbaren (indirekten) Signalbeobachtungen in Γ bezüglich I zu interpretieren. Wie dadurch „the meaning of actual measurements", die von Γ aus in I gar nicht allgemein möglich sind, betroffen sein soll, ist nicht erkennbar. Kurz, an der faktischen Messung von Raum und Zeit hat sich in der Minkowskitheorie nichts geändert. Daß Mach behaupten könnte, die Uhren in I könnten im allgemeinen von I' aus direkt abgelesen und die räumlichen Abstände direkt gemessen werden, ist unsinnig. Falls Mach dennoch etwas gegen die relativistische Auffassung von Messungen hätte einwenden wollen (wofür es keinen Beleg gibt), dann hätte dieser Einwand auf gar keinen Fall etwas mit seinem angeblichen ,Sensualismus' zu tun, sondern allenfalls mit der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, dem Relativitätsprinzip oder der relativistischen Gleichzeitigkeit. (2) Ebenso falsch ist Holtons genauso wenig textlich belegte Unterstellung, wonach die Minkowskische ,Union' von Raum und Zeit Machs ,sensualistischen' Intentionen so sehr widersprochen habe, daß er die Relativitätstheorie habe ablehnen müssen. Es läßt sich vielmehr das Gegenteil belegen, daß nämlich Mach der üblichen Trennung von erfahrbarem Raum und erfahrbarer Zeit kritisch gegenüberstand. Dabei hat man sich zu vergegenwärtigen, daß Mach, anders als seine Kritiker ihm unterstellen, zwischen raumzeitlichen j7«merfahrungen und Raum und Zeit in der
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Das meint wohl auch Itagaki (1982), 92, der sich — anders als Holton — ebenfalls vorstellen kann, „that Mach defined the space-time continuum as a conceptual generalization, leaving the elements of space and time unchanged". Vor der Mach durch Holton grundlos unterstellten „Mißdeutung mathematischer Begriffe" hat schon Reichenbach „ausdrücklich gewarnt": „Wenn man die Zeit als vierte Dimension dem Raum hinzufügt, so verliert sie dabei ihren Sondercharakter als Zeit in keiner Weise [...], [diese Operation] bedeutet [...] für sich noch keine Änderung in der Auffassung der Zeit" (Reichenbach (1928), 139 f.). Warum sollte Mach etwas anderes angenommen haben?
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Physik sehr wohl unterschieden hat. Mach trennt sehr genau den physiologischen' (d. h. Anschauungs-)Raum vom ,geometrischen' und vom physikalischen* Raum (cf. ζ. Β. P. 572, Anm.; EI., 389 ff.). Weiterhin ist der physikalische Raum diejenige Raumform, die ihn besonders interessiert: „Für mich sind Zeit-Raum-Fragen im Wesentlichen physikalische (Hervorhebung G. W.) Fragen" (Mach an Adler, 28. 3.1909 (AAW*)). Was hat nun Mach über das Verhältnis von Raum und Zeit in der Physik zu sagen? Noch vor der Aufstellung der Relativitätstheorie und insbesondere vor Minkowskis Arbeit, ζ. B. in Erkenntnis und Irrtum (1. Auflage 1905), bemerkt Mach: „Durch die Betrachtungen dieses Kapitels (d. i. „Zeit und Raum physikalisch betrachtet", G. W.) wird es klar, daß Raum und Zeit in der Untersuchung nicht gut getrennt werden können." Voller Stolz fügt er hinzu: „Die Untrennbarkeit von Raum und Zeit betonte ich in einer kleinen Notiz in Fichtes Zeitschr. f. Philosophie. 1866" (EI., 446, Anm. 1). So mußte Mach, ohne daß hier die Details des von ihm gesehenen Zusammenhangs von Raum und Zeit erörtert zu werden brauchen, den Minkowskischen Grundgedanken einer Einheit von Raum und Zeit schon fast als Plagiat empfinden: „Gegenstand unserer Wahrnehmung sind immer nur Orte und Zeiten verbunden. Es hat niemand je einen Ort anders bemerkt als zu einer Zeit, eine Zeit anders als an einem Orte" (Minkowski in: Lorentz/Einstein/Minkowski (1974), 55). Lampa ((1918), 33 f.) ist denn auch folgender Meinung: „Der physikalische Raum, von welchem Mach dort spricht, dieser Raum, der zugleich die Zeit in sich enthält, mutet wie eine Vorahnung der Minkowskischen Fassung der Relativitätstheorie an." Damit ist auch Holtons zweite Vermutung hinfallig geworden. Die dritte ist nicht besser und teilweise durch das bisher Gesagte schon widerlegt (cf. ζ. B. § 19). Machs Methodologie verlangt keinen direkten Bezug der Theoriebestandteile zu Sinneswahrnehmungen in dem Sinne, wie ihm von Holton unterstellt wird. Würde Mach einen solchen Bezug verlangen, dann müßte er die klassische Physik aufgeben, da die Grundgesetze der Physik kein schlichter Ausdruck von Sinneserfahrungen sind. Abgesehen davon ist — wie schon mehrfach gezeigt — als vorläufiges Hilfsmittel für die formale Darstellung alles, was nützt, für Mach gerechtfertigt, solange aus der Verwendung von Symbolen in der Darstellung nicht auch schon automatisch auf die Existenz von etwas Symbolisiertem geschlossen wird. Grundsätzlich gilt: „Man hat eben bemerkt, daß zwischen den beobachteten Größen ähnliche (Hervorhebung G. W.) Beziehungen stattfinden wie zwischen gewissen uns g e l ä u f i g e n Funktionen und benutzt diese g e l ä u f i g e r e n Vorstellungen zur
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bequemen Ergänzung der Erfahrung. Naturerscheinungen, welche in ihren Beziehungen nicht jenen der uns geläufigen Funktionen gleichen, sind jetzt sehr schwer darzustellen. Das kann anders werden mit den Fortschritten der Mathematik" (M., 467). 9
Falls Holton, wie in dem oben unter (3) wiedergegebenen Zitat nahegelegt, unterstellen will, daß Mach an der andersartigen Verwendung des Wortes ,Element' in seiner Erkenntniskritik und Minkowskis zeitartigen Vektor-,dementen' Anstoß genommen haben könnte, so würde er ihm grundlos Unterscheidungsunfähigkeit in einem trivialen Fall unterstellen. — Es darf vermutet werden, daß Holton niemals derartige Vorstellungen entwickelt hätte, wenn es das Optik-Vorwort nicht gäbe. Dann hätte man nämlich neben Machs freundlichen Äußerungen zu Minkowski aus den Jahren 1909/1910 eben nur Machs altes (Holton wohl entgangenes) Insistieren auf einer Verbindung von Raum und Zeit. Zudem würden Machs prinzipielle Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem und sein neugieriges Interesse am wissenschaftlichen Fortschritt es sehr plausibel machen, was Frank aus dem persönlichen Kontakt mit Mach mitzuteilen wußte: Mach hat an der vierdimensionalen Darstellung der Relativitätstheorie Gefallen gefunden. Warum hätte er später bei erheblich nachlassender Beschäftigung mit diesen Dingen seine Meinung ändern sollen? Holtons Mutmaßungen über Machs Einstellung zur Minkowskischen Theorie werden durch seine physikalischen Kenntnisse in Grenzen gehalten. Dies ist in Blackmores Äußerungen zu diesem Thema anders. Blackmore stellt die Angelegenheit gewissermaßen in einen weiteren Rahmen. Machs Abneigung richte sich gegen die Vierdimensionalität der Minkowskischen Darstellung der Relativitätstheorie: „Mach was well acquainted with fourdimensional theories and tended to have a prejudice against them" (Blackmore (1972), 261). Als Belege für diese Behauptung führt Blackmore (a. a. O., 351, Anm.) einen Brief von Dvorak an Mach vom 28. Dezember 1888 sowie M., 467 ff. an. Der Brief enthält Dvoraks Mitteilung, daß bereits R. Boscovich „ganz deutlich von einer 4. Raumdimension spricht", was aus Boscovich-Zitaten in einem Aufsatz Dvoraks hervorgehe. Sonst nichts zu diesem Thema. Aus dem Brief ist nicht ersichtlich, ob Dvorak dies tadelnswert findet; ebensowenig läßt sich etwas über Machs Meinung entnehmen. Was Blackmores zweiten Textbeleg betrifft, so findet man dort 9
Vgl. auch EI., 396. Hier zeigt sich einmal mehr, daß Mach der Mathematik nicht mißtraut, wie gelegentlich behauptet wird, sondern daß er im Gegenteil noch sehr viel von ihr erwartet. Freilich ersetzt Mathematik nicht die Physik, sondern ist ihr (unentbehrliches) ,Hilfsmittel'.
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in einer längeren Fußnote Machs Stellungnahme zu nicht-euklidischen und mehrdimensionalen Räumen, wie er sie auch anderswo vertritt (ζ. Β. EA., 27, 29, 55; EL, 418, 446 f.; P., 505 f.). Machs Standardauffassung läßt sich so charakterisieren: (1) Der Anschauungsraum ist dreidimensional. (2) Als theoretische Hilfsmittel der Physik sind Räume beliebiger Dimension erlaubt. (3) Soweit sich in physikalischen Sätzen Anschauliches und damit ,Wirklichkeit' ausdrücken soll, müssen sie dreidimensional formuliert sein bzw. sich entsprechend reformulieren lassen. Historisch liegen — was Blackmore weiß — die Dinge so, daß Mach selbst in frühen Arbeiten, die auf der Atomhypothese beruhen, mehr als dreidimensionale Darstellungen benutzte. Mach glaubte sich hierzu legitimiert, weil Atome keine Gegenstände des Anschauungsraums seien und ihre theoretische Darstellung deswegen auch nicht der Beschränkung auf die drei Dimensionen des Anschauungsraumes unterläge. Wenn Mach später solche polydimensionalen Beschreibungsmittel aufgibt, dann deswegen, weil er die Atomhypothese aufgibt. Auf den Gedanken, daß in nicht anschaulich gegebenen Bereichen beliebigdimensionale Darstellungsmittel erlaubt seien und nützlich sein könnten, ist er auch später noch stolz gewesen, wie aus den meisten der eben genannten Textstellen hervorgeht. 10 Von einem ,Vorurteil' gegen Vierdimensionalität, das Blackmore diagnostizieren zu können glaubt, kann also keine Rede sein. Allerdings muß noch kurz von Blackmores bizarrer Erläuterung für seine ohnehin kühne These gesprochen werden, Mach habe vierdimensionale mathematische Räume als Darstellungsmittel der Physik abgelehnt, weil er (wie wohl die meisten) etwas gegen die Annahme eines vierdimensionalen Anschauungs- oder Erfahrungsnumes hatte. Einen vierdimensionalen Erfahrungsraum (ohne Zeit) hat ja auch 10
Unter Mach-Kennern bestand hierüber nie ein Zweifel. Herneck (1966 a), 49, zitiert aus einem Brief Franks an ihn v o m 18. Mai 1959: „Wie Sie vielleicht aus seinem Buch .Erkenntnis und Irrtum' wissen, war eine von Machs Lieblingsideen, daß vielleicht die vierdimensionale Geometrie praktischer für physikalische Erklärungen ist als die dreidimensionale." Wenn hier auch bei Frank aus langer zeitlicher Distanz heraus die Details nicht ganz deutlich werden, so ist doch an Machs ,Lieblingsidee' v o n der Brauchbarkeit mehr als dreidimensionaler Theorien nicht zu zweifeln. Davon abgesehen, haben abstrakte mathematische mehr-, insbesondere vierdimensionale Räume in der Physik eine — natürlich ebenfalls von Mach nicht kritisierte oder bestrittene — große Rolle gespielt. Es sei hier nur an Lagranges analytische Mechanik erinnert. Mach (EI., 395): „Es ist aber auch keine Schwierigkeit, die analytische Mechanik, wie es geschehen ist, als analytische Geometrie von 4 Dimensionen — die Zeit als vierte betrachtet — aufzufassen." Ferner an Hermann Graßmanns ,lineale Ausdehnungslehre' von 1844, zu der sich Mach (M., 456 f.) positiv äußert und die als n-dimensionale Vektoralgebra auf affiner Basis zu verstehen ist (cf. Mainzer (1980), 1 5 0 ff.).
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Mach stets abgelehnt, während ihm als Darstellungsmittel alles recht war, was weiterhalf. Friedrich Zöllner (1834—1882), ein bedeutender Astrophysiker, Vorkämpfer der in Deutschland teilweise populären Elektri2itätslehre von Wilhelm Weber und Professor an der Leipziger Universität 11 , hatte seit etwa 1870 wissenschaftliche Kontroversen provoziert, die auf seiner Seite gewisse pathologische Züge trugen. Zöllner versteifte sich immer mehr auf die fixe Idee, es gebe eine vierte, rein räumliche Dimension des Erfahrungstaumes, die freilich nur okkultistischen Medien zugänglich sei. In diese Dimension würden in spiritistischen Sitzungen Gegenstände aus dem für gewöhnliche Sterbliche dreidimensionalen Raum verschwinden und von dort wieder auftauchen. Zöllner begründete seine Vorstellung von der Existenz einer vierten Dimension durch eine interessante Analogie: Um zwei verschiedene Punkte (also ivwdimensionale Phänomene) zur Dekkung zu bringen, benötigt man eine Bewegung in der Ebene, also in der ^weiten Dimension. Um die Identität zweier identischer ebener Figuren durch Kongruenz anschaulich zu machen, ist eine Bewegung durch den (ί/mdimensionalen) Raum erforderlich. Nun gibt es, so Zöllner weiter, dreidimensionale, symmetrische Gebilde, die nicht zur Deckung gebracht werden können, ζ. B. Handschuhe. 12 So wie für die Kongruenzoperationen im ein- und zweidimensionalen Fall die jeweils höhere Dimension in Anspruch genommen wird, so ist für den dreidimensionalen Fall nach Zöllners analogisierender Hypothese eine vierte Dimension erforderlich. 13 Machs Kritik an Zöllner richtet sich gegen die Einführung des Spiritismus in die Physik (cf. M., 468, Anm.; W., 371 ff.). An Zöllners Analogiegedanken (ohne dessen spiritistische Deutung), der auf den Leipziger Mathematiker
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Blackmores Darstellung ist in hohem Maße nachlässig. Er scheint keinerlei biographische Nachforschungen über Zöllner angestellt zu haben; sonst hätte er ihn nicht (Blackmore (1973), 261) einen ,scientist' in Anführungszeichen genannt. Er zitiert zwei der skurilen Buchtitel Zöllners, freilich nicht aus eigener Kenntnis. Er entnimmt sie vielmehr der Autobiographie des Mach-Hörers und Komponisten des „Evangelimanns", Wilhelm Kienzl. Einigermaßen korrekt sind die Informationen, die er aus E. G. Borings Geschichte der Experimentalpsychologie bezieht. Eine kurze Darstellung Zöllners gibt Herrmann (1976). Zöllner habilitierte sich 1865 in Leipzig und wurde 1866 dort Extraordinarius. Er lehnte unter anderem einen Ruf an die Universität Straßburg ab, bevor er 1872 in Leipzig Ordinarius wurde. Diese und andere Informationen nebst einer ausführlichen Darstellung von Zöllners Anschauungen in Wirth (1882). Zöllner war, worauf schon Miller (1981), 47, hinweist, einer der Väter des elektromagnetischen Weltbilds. 1876 veröffentlichte er die Principien einer elektrodynamischen Theorie der Materie.
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Umstülpen ist nicht erlaubt, da hierbei die Form zerstört wird. Für eine Darstellung von Zöllners Theorie cf. ζ. B. Zöllner (1881), 71 ff.
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und zeitweiligen Zöllner-Kollegen August Ferdinand Möbius (1790— 1868) zurückgeht, hat er dabei sogar Gefallen gefunden (cf. P., 502 ff., Erstveröffentlichung 1910). Wenn Blackmore Mach allerdings unterstellt, daß dessen Unterscheidungsvermögen so gering gewesen sei, daß er seine auf der Ablehnung des Spiritismus beruhende Abneigung gegen Zöllners vierte Dimension des Erfahrungsraumes auf Minkowski (bei dem außerdem der ,Raum' durch drei und die Zeit durch die vierte Dimension repräsentiert werden) übertragen habe, so ist diese textmäßig wiederum nicht belegte Behauptung völlig aus der Luft gegriffen. 14 Ebenso haltlos ist Blackmores Unterstellung, Hugo Dingler (cf. unten § 35) habe Mach in diesem Sinne beeinflußt: ,,[o]n the use of multidimensional theories in physics they (d. i. Mach und Dingler, G. W.) thought as one" (Blackmore, a. a. O., 265). Als Beleg für diese Behauptung führt Blackmore zwei Briefe Machs an Dingler vom 4. 9. 1910 bzw. vom 26. 1. 1912 an (EMA*). Beide Briefe enthalten weder explizit, dem Sinne nach noch auch nur andeutungsweise ein Wort über mehrdimensionale Räume im allgemeinen oder den vierdimensionalen Minkowski-Raum oder die Relativitätstheorie im besonderen.15 Wir werden im übrigen noch sehen, daß Dinglers bekannte Ablehnung der Relativitätstheorie sich erst nach Machs Tod herausbildete. Wenn Blackmore — aus vermeintlicher Sicht Machs redend — fortfährt: „Einstein and Minkowski [ . . . ] were wrong to introduce non-Euclidean geometry into physics [...]", so scheint er zu übersehen, daß die Minkowskische Theorie gerade k e i n e nichteuklidische Theorie ist (cf. oben Anm. 4). 16 14
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Blackmore (1972), 261: „Mach never did publish an opinion specifically on the soundness of Minkowski's theory, but his own writings of 1906 and his memories of the Zöllner scandal leave no doubt that Mach no more favored the positive views of Minkowski than he earlier had the opinions of any of his other negative allies." Im einzelnen: Richtig ist, daß Mach sich nicht ausführlich zu Minkowski geäußert hat. Aber wie sollte er bei seinem Wissenschaftlerethos auch öffentlich eine detaillierte Stellung zu einer Theorie beziehen, die er sich erst (von Frank) erklären lassen mußte und deren mathematisches Werkzeug er nicht beherrschte? Machs .Schriften von 1906', offenbar Mach (1906 a), bestehen aus Aufsätzen, die zwischen 1901 und 1903 publiziert wurden und großenteils auch in Erkenntnis und Irrtum aufgenommen wurden. In ihnen kommt keine andere als die oben skizzierte Standardauffassung zu mehr als dreidimensionalen Räumen zum Ausdruck. Unter Machs „negative allies" versteht Blackmore solche Gelehrte, mit denen Mach partiell übereinstimmt und die er deswegen in manchen Dissenspunkten nicht kritisiert. Dies gilt im übrigen für die gesamte Mach-Dingler-Korrespondenz, die in (EMA) nicht vollständig vorhanden ist. Blackmores Äußerungen beziehen sich, wie der Kontext eindeutig ergibt, nicht etwa auf die tatsächlich nichteuklidische Allgemeine Relativitätstheorie; der im Januar 1909 verstorbene Minkowski hat ja die Allgemeine Relativitätstheorie auch nicht einmal in ihren Ansätzen erlebt.
Zu Argumenten von Gerald Holton
§31
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Zu Argumenten von Gerald Holton
Neben der in § 30 ausführlich dargestellten und widerlegten These, Mach habe die Relativitätstheorie in ihrer durch Minkowski gegebenen, heute kanonischen Form abgelehnt, hat Holton zwei weitere Gesichtspunkte vorgebracht, die Mach zur Zurückweisung der Relativitätstheorie bewogen hätten. Der erste betrifft Einsteins Insistieren auf dem Status von Theorien als ,freien Schöpfungen des menschlichen Geistes'. Auch Holton weiß, daß Einstein sich vor ,Juli 1913' dem angeblichen Datum des Optik-Vorworts, noch nicht in diesem Sinne geäußert hat und daß demzufolge Mach auch nicht gegen eine solche Äußerung durch Ablehnung der Relativitätstheorie Stellung beziehen konnte. Holton behilft sich in dieser ungünstigen Lage mit einem wenig überzeugenden Schachzug: Mach konnte zwar nicht wissen, was Einstein später einmal sagen würde, aber: „It is this penetrating insight (d. h. Einsteins spätere Auffassung von Theorien als ,freien Schöpfungen des menschlichen Geistes', G. W.) which Mach must have swelled out (Hervorhebung G. W.) much earlier and dimissed as ,dogmatism'" (Holton (1973 a), 233; dt. 221). Dazu sei zweierlei bemerkt:(l) Wie oben (§ 7 bes. 102 ff.) ausführlich belegt, besteht in der von Holton genannten Hinsicht überhaupt keine nennenswerte Differenz zwischen Mach und Einstein. (2) Selbst wenn man das ,Wittern' dessen, was kommen würde, für ein zulässiges Argument hält und ferner kontrafaktisch annimmt, daß Mach sich in der Frage des kreativen Charakters der physikalischen Begriffs- und Theorienbildung in Gegensatz zu Einstein befunden habe, besteht doch eine starke Disproportionalität zwischen der (kontrafaktischen) Ablehnung der Einsteinschen These über TheorienW/dung und der Ablehnung einer von Einstein aufgestellten Theorie. Jemand kann über den Prozeß der Theorienbildung die absurdesten Ansichten vertreten, ohne daß dieser metatheoretische Standpunkt den Wert einer von ihm formulierten Theorie beeinträchtigen muß. Auffassungen über Theorienbildung und der wissenschaftliche Wert von Theorien sind eben zweierlei. Es gibt keinen vernünftigen Grund für die Annahme, daß Mach diesen Unterschied nicht gemacht haben sollte. Ebensowenig dürfte ein Antipositivist wie Holton Machs Theorie der Schockwellen oder der Mach-Bänder deswegen ablehnen, weil Mach ein ,Positivist' gewesen sein soll. Ebenso unzutreffend ist Holtons zweiter Gesichtspunkt, wonach Mach bei Einstein ungenügenden Respekt vor den .experimentellen Tatsachen' habe konstatieren müssen. Es geht dabei um Einsteins Reaktion auf
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Mach und die Mach-Forschung I
ein experimentelles Ergebnis, das Walter Kaufmann 19061 glaubte gefunden zu haben und das, von Kaufmann als experimentum crucis interpretiert, in Widerspruch zur Relativitätstheorie stand. Nach Kaufmanns Experimenten, die von Max Abraham in eine theoretische Form gebracht wurden, liegt der Unterschied zwischen beiden Theorien (d. h. denen von Abraham und Einstein), vor allem in der Bestimmung der transversalen Masse schnell bewegter Elektronen. Ferner geht es um eine Theorie von Alfred Heinrich Bucherer, die ebenfalls mit den experimentellen Daten Kaufmanns in günstigerer Beziehung zu stehen schien als die Relativitätstheorie. Einstein (1907 a) nimmt zu beiden Theorien ausführlich Stellung. Zu den Kaufmannschen Resultaten bemerkt er (a. a. Ο., 439) resümierend: „ O b die systematischen A b w e i c h u n g e n in einer noch nicht g e w ü r d i g t e n Fehlerquelle o d e r darin ihren G r u n d haben, daß die G r u n d l a g e n der Relativitätstheorie nicht den Tatsachen entsprechen, kann w o h l erst dann entschieden w e r d e n , w e n n ein mannigfaltigeres Beobachtungsmaterial v o r l i e g e n w i r d . "
An dieser zurückhaltenden Stellungnahme wird niemand, am allerwenigsten der Experimentalphysiker Mach, etwas auszusetzen haben. So schwierigen und subtilen Experimenten wie denjenigen Kaufmanns mit ß-Strahlen muß man — gewiß nicht nur in Einsteins Augen — eine gewisse Zeit zur wiederholenden Konsolidierung und zur sachlichen Verbreiterung lassen (Einstein nennt a. a. O., 437 die Verwendung rasch bewegter Kathodenstrahlen zusätzlich zu den ß-Strahlen). Grundsätzlich gilt für Einstein, wie der letzte Satz seiner Bemerkung zeigt, daß die Tatsachen über die Geltung der Theorie zu entscheiden haben, nur müssen es genügend breite und hinreichend bestätigte Tatsachen sein. Das war im Falle Kaufmanns nicht gegeben, da dieser (1) als einzigen Typ von Elektronenstrahlen ßStrahlen untersucht hatte und (2) bezüglich seiner Experimentalergebnisse eine gewisse Vorsicht geboten war. Erst 1903 waren von Carl Runge „serious errors in Kaufmann's data analysis" bezüglich elektronentheoretischer Experimente aufgezeigt worden (cf. Miller (1981), 66). 2 Einstein
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Holton nennt eine Arbeit Kaufmanns aus dem Jahre 1906, in der Kaufmann auf diesen Widerspruch ausdrücklich aufmerksam macht. Wie Miller (1981), 124 u. ö. und Goldberg (1984) 134 ff. zeigen, bezog sich Einsteins Äußerung auf Experimente Kaufmanns, die bereits mit dem Jahr 1901 begonnen hatten. Kaum hatte Kaufmann die Daten von 1906 bekanntgegeben, als er auch schon mit Nachbessern beginnen mußte. „Kaufmann's measurements were discredited in 1907" (Goldberg (1984), 149). Auch Holton ist Kaufmanns wankende Reputation bekannt. Einstein hatte also mit seiner Reserve gegenüber Kaufmanns Resultaten völlig recht, worauf Holton ebenfalls aufmerksam macht.
Zu Argumenten von Gerald Holton
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wäre mithin ein Narr gewesen, wenn er sich durch derart ungesicherte Daten hätte beeindrucken lassen. Zu den Theorien von Abraham und Bucherer, die Kaufmanns Daten besser abdeckten, schreibt Einstein (a.a.O., 439): „Jenen Theorien kommt aber nach meiner Meinung eine ziemlich geringe Wahrscheinlichkeit zu, weil ihre die Maße des bewegten Elektrons betreffenden Grundannahmen nicht nahe gelegt werden durch theoretische Systeme, welche größere Komplexe von Erscheinungen umfassen."
Holton bemerkt hierzu, obwohl er beide Passagen Einsteins (auf einer Seite) zitiert: „even though the ,experimental facts' at that time very clearly seemed to favor the theory of his opponents rather than his own, he [Einstein] finds the ad hoc character of their theories more significant and objectionable than an apparent disagreement between his theory and their ,facts'" (Holton (1973), 235; dt. 223).
Holtons Schluß ist ungerechtfertigt. Wir haben gesehen, daß Einstein an der erstgenannten Stelle den Tatsachen die Entscheidung über die Theorie einräumt. Nur müssen es eben zweifelsfrei Tatsachen sein. Solange dies nicht der Fall ist, greift für ihn das Machsche Ökonomieprinzip, „möglichst viel auf einmal und in der kürzesten Weise zu beschreiben" (M., 6) oder, wie Einstein sagt, vorerst derjenigen Theorie den Vorzug zu geben, „welche größere Komplexe von Erscheinungen" umfaßt (Einstein (1907 a), 439). „Mit Sicherheit" kann eben erst „entschieden werden, wenn ein mannigfaltigeres (und sichereres, G. W.) Beobachtungsmaterial (eben zweifelsfreie Tatsachen, G. W.) vorliegen wird" (Einstein, ebd.). Entgegen Holtons Behauptung stehen die Äußerungen Einsteins also in keinem Gegensatz zu Machschen Auffassungen. Sie sind vielmehr ganz in seinem Sinne. Noch etwas anderes ist hier erwähnenswert. Es ist dies eine Art ,Machder-schlaue-Fuchs'-Effekt, den Holtons Gedanke auszulösen geeignet ist: Mach, der alte Fuchs, hat sich eben von dem jungen Dachs Einstein nicht hereinlegen lassen. Er hat ihn, den angehenden Realisten durchschaut, noch bevor er so recht einer geworden war. Dieser Gedanke Holtons würde aber implizieren, daß Mach in der Attitude eines Inquisitors alle Schriften auf (auch minimale) Abweichungen 3 von der ,reinen Lehre' 3
Einstein (1907 a) umfaßt gut 50 Seiten. Die angeblich inkriminierten Stellen 10 Zeilen. Und diese 10 Zeilen sind gewiß nicht das thematische Herz dieses breiten Literaturberichts über die Relativitätstheorie.
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Mach und die Mach-Forschung I
durchforscht und jede nicht orthodoxe Regung mit dem Bannstrahl bestraft hätte. Abgesehen davon, daß eine solche Abweichung hier nicht einmal vorliegt, zeichnet Holtons Gedanke ein historisch nicht im geringsten gestütztes, unsympathisches Bild des Menschen Mach — ein Bild, das wohl auch Holton so nicht hat zeichnen wollen. Wie Mach Meinungsverschiedenheiten, die nicht von persönlichen Gehässigkeiten (wie im Falle Plancks) gekennzeichnet waren, behandelt hat, mag seine Stellung zu Jerusalems Kritik des erkenntniskritischen Monismus beleuchten. Der Zufall will es, daß diese Äußerungen in eben jenen ominösen Juli 1913 fallen, in dem er, Einsteins spätere ,Abweichungen' nur ahnend, sich auf barsche Weise von ihm distanziert haben soll. Zu Jerusalems Kritik am Monismus, immerhin dem Herzstück der Machschen Erkenntnislehre, stellt Mach sich gegenüber dem Kritiker am 2. 7.1913 (JER) so: „Ihre Darstellung des Monismus bei Avenarius und bei mir hat mir sehr zugesagt. Ich war aber doch verwundert, daß Sie diesen Monismus doch nicht haltbar finden." Und gut zwei Wochen später (Brief an Jerusalem, 17. 7.1913 (JER*)): „Ihre Einwendung gegen den Monismus verstehe ich, wenngleich ich mir dieselbe nicht aneignen kann. Das wird uns nicht entzweien." § 32
Exkurs: Theismus, Mach und Stanley Jaki
Am 21. August 1885 unterzeichnete der schottische Richter Adam Lord Gifford (1820—1887) die Verfügung zur Stiftung der nach ihm benannten Vorlesungen. Das Thema der „Gifford Lectures" sollte die,natürliche Theologie' sein, ihr Zweck deren Förderung in Einklang mit den wissenschaftlichen Standards der modernen Naturwissenschaft. Insbesondere der Zweck der Giffordschen Stiftung ist bei der Auswahl der Vortragenden in den fast 100 Jahren seit der ersten Gifford Lecture 1888 recht liberal interpretiert worden. Stehen doch neben christlich orientierten Gelehrten bzw. Theologen wie Etienne Gilson (1931/1932), Karl Barth (1937/1938) und Gabriel Marcel (1949/1950) Gifford Lecturers wie der Doyen des britischen Logischen Positivismus Alfred Ayer (1973) oder der Atheist Adolf Grünbaum, ein streitbarer Empirist und unnachsichtiger Verfechter strenger logischempirischer Standards der Wissenschaften (1984/1985). Von Gifford Lecturers wie Ayer und Grünbaum hat sich wohl niemand eine direkte Förderung des Zwecks der Giffordschen Stiftung erwarten können. Kaum jemand der Gifford Lecturer indes scheint so berufen, den Stiftungszweck zu erfüllen, wie Stanley L. Jaki, Gifford Lecturer 1974/
Exkurs: Theismus, Mach und Stanley Jaki
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1976. Als katholischer Geistlicher hat er eine heute eher selten gewordene Affinität zur natürlichen Theologie, während er gleichzeitig als hochgeachteter Wissenschaftshistoriker über die naturwissenschaftlichen Standards verfügt, an denen Giffords Absichten zufolge die natürliche Theologie zu messen und zu fördern sei. Seiner doppelten Befähigung gemäß stellte Jaki seine Gifford Lectures unter das Thema „The Roads of Science and the Ways to God" (Jaki (1978)). Es wäre gewiß reizvoll, Jakis Anspruch „that the road of science, both historically and philosophically, is a logical (Hervorhebung G. W.) access to the ways to God" (4) kritisch zu überprüfen. Der Zweck des vorliegenden Buches zwingt jedoch zur Beschränkung auf Mach. Niemanden, der die Werke Machs kennt, würde es überraschen, wenn Jaki etwa festgestellt hätte, daß Mach zur Ebnung der natürlichtheologischen ,ways to God' nichts beigetragen habe. Er hat es in der Tat nicht. Der Aufklärer Mach war ein Antiklerikaler und allem Anschein nach ein Atheist. Jaki hat es bei dieser schlichten Feststellung der Fakten jedoch nicht bewenden lassen. Er scheint vielmehr zeigen zu wollen, daß Mach als Wissenschaftler scheitern mußte, weil ihm das Sensorium für die natürliche Theologie fehlte. Den Hintergrund für diese Einschätzung bilden unter anderem folgende Überzeugungen Jakis: Christlicher Theismus war an der Herausbildung der neuzeitlichen Wissenschaft maßgeblich beteiligt. Entscheidendes Movens war dabei eine realistische Erkenntnistheorie mit ihrer Annahme einer unabhängig vom Menschen existierenden, intelligiblen Welt, die Raum für ,das Absolute' schaffe und die Basis sowohl der Gottesbeweise der natürlichen Theologie als auch die Voraussetzung wirklich erfolgreicher Wissenschaft bilde. Wenn aber, wie Jaki annimmt, realistische Erkenntnistheorie untrennbar zu wirklich erfolgreicher Wissenschaft gehört, dann kann der ,Positivist' und ,Sensualist' Mach natürlich kein erfolgreicher Wissenschaftler sein. Die Wege, auf denen Jaki dies nachzuweisen versucht, sind vielfaltig. Gemeinsam ist ihnen die Kunst des halb wahren und damit ganz falschen Zitierens und der Vorrang des Vorurteils vor der Tatsache. Die Jakische Zitierkunst kann hier nicht in allen ihren Varianten vorgeführt werden. 1 1
Vor allem übergehen wir den aus dem Ärmel gezauberten Nachweis eines gestörten Verhältnisses v o n Mach zur antiken und mittelalterlichen Wissenschaft. Auch soll der Zitier-Seiltrick nicht entzaubert werden, mit dem Jaki den Machianer Philipp Frank für seine (d. i. Jakis) nachweislich falsche Behauptung in Anspruch nehmen will, Mach „as a physicist and philosopher-historian of science helped no physicist of any consequence to go forward with his task" (160).
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Mach und die Mach-Forschung I
Nur ein Beispiel: In einer Anmerkung Jakis heißt es: „As I. B. Cohen showed („History and the Philosophy of Science" in The Structure of Scientific Theories, edited with a critical introduction by F. Suppe [Urbana: University of Illinois Press, 1974], pp. 316 — 17), it is easy to pick almost at random a set of statements from Mach's The Science of Mechanics and show that they are wrong" (392, Anm. 56). — Nun hat Cohen dies keineswegs behauptet. Wer sich die Mühe macht, in Cohens Aufsatz nachzulesen, wird finden, daß Cohen genau drei Thesen über Galilei zitiert und von diesen und nur von diesen (Cohen: „the statements of Mach which I have just quoted") behauptet, daß sie sich leicht als falsch nachweisen lassen (Cohen, a.a.O., 317). Davon, daß Cohen behauptet habe, fast jede beliebige Zufallsprobe historischer Thesen Machs ließe sich leicht falsifizieren, findet sich in Cohens Aufsatz keine Spur. Deutlich ist allerdings Cohens Hochachtung vor Mach, die es ihn schwer verstehen läßt, daß einem Mann wie ihm „who had so many profound insights into the creative process of science" (Cohen, ebd.) die monierten Fehleinschätzungen der Leistungen Galileis unterlaufen sind. Auch sonst ist in Cohens Aufsatz manches fast überschwenglich Lobende über Mach zu lesen, verbunden mit der einzigen Warnung, daß Machs Mechanik das Buch eines Philosophen über Wissenschaftsgeschichte sei — was wohl heißen soll, daß Mach manche historische Dinge zu sehr im Lichte seiner Philosophie sehe. Trotz dieser (gewiß nicht unberechtigten) Warnung ist Machs Mechanik fast 100 Jahre nach ihrer ersten Auflage für Cohen „one of the most interesting [books] in the whole field of the history of science and one from which a student can learn an enormous amount" (Cohen, a.a.O., 372). Dies gibt auch Jaki einigermaßen gewunden zu, doch liegt bei ihm, im Unterschied zu Cohen, der Schwerpunkt auf der Warnung: „What is still to be aired in full is the extent to which a student should be informed about the erroneous views of Mach, the historian of science, before it becomes true that a student can learn from Mach's book ,an enormous amount'" (Jaki, ebd.). Jakis Darstellung und Einschätzung von Machs Verhältnis zum Buddhismus ist geprägt von seiner Einschätzung aller nicht-christlichen Religionen und Philosophien. Sie führen nach Jaki, was die Entwicklung der Wissenschaft betrifft, nur in ,blind alleys', im Falle des Buddhismus sogar „into a monumental (Hervorhebung G. W.) blind alley, a fact that escapes only a few Buddhists" (159). Jaki fährt fort: „Mach was one of them". Mach also ein ,Buddhist'. Nun wird Jaki schwerlich ein Textzeugnis aufbieten können, das diese schlichte Behauptung belegt. Unbestreitbar
Exkurs: Theismus, Mach und Stanley Jaki
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ist, daß Mach in gelegentlichen und beiläufigen Äußerungen vom Buddhismus mit Sympathie gesprochen hat (was, jedenfalls im deutschen Sprachraum, seit Schopenhauer nichts Ungewöhnliches war) und daß er gewisse Ähnlichkeiten des Buddhismus mit eigenen Auffassungen gesehen hat. 2 Der Buddhismus ist eine religiös-philosophische Bewegung, die sich in den zweieinhalb Jahrtausenden ihrer Entwicklung in gewiß ebenso viele Richtungen, Gemeinden, Gruppierungen und Sekten verzweigt hat wie das Christentum. Vielleicht ist die Vielfalt buddhistischer Lehren noch erheblich größer als diejenige christlicher Bekenntnisse, insofern hier ja die Heilige Inquisition bzw. das Heilige Offizium (in der katholischen Kirche) bzw. diverse ,Lehrzucht'-Kommissionen (bei Protestanten), zeitweise auch mit Feuer und Schwert, für eine gewisse Einheitlichkeit und Ordnung gesorgt haben. Was heißt da aber: ,Mach war ein Buddhist'? Mach hat sich nie als einen solchen bezeichnet und seine gedruckten und ungedruckten, bekannten Äußerungen zum Buddhismus nehmen zusammengenommen vielleicht eine Druckseite ein. Es ist zwar, speziell in der katholischen Theologie, nach Karl Rahners 3 ein wenig gewaltsamer Idee, alle Menschen ,guten Willens' als ,anonyme Christen' in die Heilsökonomie einzuführen, ein etwas laxer Gebrauch solcher Kategorien durch einen geachteten Theologen sanktioniert worden. Doch sollte eine solche aus innertheologischen Zwängen 4 motivierte Begriffsverwirrung außerhalb
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Gegenüber Fritz Mauthner beschrieb Mach seine Einstellung zum Buddhismus so (Brief vom 22.10.1912 (LBI*)): „Für den Buddhismus habe ich, seit ich etwas davon weiß, immer die größte Sympathie gehabt, wenngleich meine „Analyse der Empfindungen" nicht auf buddhistische] Anregung, sondern durch die naivsten Überlegungen entstanden ist." Insbesondere Diane Spielmann danke ich für ihre liebenswürdige Hilfe bei meinen Forschungen im Leo Baeck Institute, New York. Cf. ζ. B. Karl Rahner, Die anonymen Christen, in: ders., Schriften zur Theologie, Bd. V (Neuere Schriften), Zürich/Köln 1965, 5 4 5 - 5 5 4 . Das theologische Problem besteht kurz darin, daß .Kirchenväter' des 2./3. Jahrhunderts wie (der später aus anderen Gründen als ,Ketzer' verurteilte) Origenes und insbesondere Cyprian die absolute Heilsnotwendigkeit der Kirche betont hatten — eine Lehre, die in der prägnanten Formel ,extra ecclesiam nulla salus' (außerhalb der Kirche kein Heil) ihren Ausdruck fand. Die Schwierigkeit, dieses Verdikt auch über seinen weiteren, nichtkatholische ,Kirchen' umfassenden Sinn hinaus anzuwenden, liegt auf der Hand. Nur verblendeten Kirchenanhängern wird es einleuchten, daß um rechtes Handeln bemühte Menschen mit tadelsfreier Lebensführung vom ewigen Heil auszuschließen seien, nur weil die christliche Botschaft sie nicht erreicht habe. Das theologische Problem, das sich hier stellt, mag zwar durch die elegante Lösung Rahners, alle Menschen guten Willens dem .Christentum' zuzuschlagen, gelöst sein. Nicht jeder der so in die ,Heilsökonomie' Eingeführten wird allerdings darüber glücklich sein, als, wenn auch .anonymer', Christ geführt zu werden.
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der Theologie keine Schule machen. Mit anderen Worten: Bei dem wohl unabänderlichen Stand der Unkenntnis über Machs Buddhismus-Kenntnis und bei der Undifferenziertheit von Machs Sympathiebekundungen für den Buddhismus, ist es wissenschaftlich unzulässig, weitergehende Folgerungen zu ziehen. Sympathie für den Buddhismus macht einen ebensowenig zum Buddhisten wie Sympathie für das Christentum zum Christen. Nun wäre es gewiß gleichgültig, ob Jaki Mach zu Recht als Buddhisten bezeichnet, wenn er mit dieser Bezeichnung nicht auch Abwertungen des Buddhismus verbände, die auf Mach gezielt sind. Eine davon, daß nämlich der Buddhismus die Entwicklung der Wissenschaft in eine Sackgasse geführt habe, wurde schon genannt. Dem kann man zustimmen, ohne freilich Jakis Argumente dafür, warum dies so gewesen ist, zu akzeptieren. Allerdings sollte man nicht Jakis ,westliche' Überschätzung des wissenschaftlich-technischen Aspekts der menschlichen Kulturentwicklung und die sich darin aussprechende Abwertung der großen Kulturleistungen in Traditionen teilen, die auf dem wissenschaftlich-technischen Sektor nichts oder nur wenig vollbracht haben. Ohne jeden Beleg bleibt ferner Jakis, aus Blackmores ,magisterial work' über Mach entnommene Behauptung, daß Haß auf das Christentum die Triebfeder von Machs Offenheit für andere als christlich-westliche, kulturelle Traditionen gewesen sei. 5 Es kommt noch etwas hinzu: Neben der Verzeichnung einer fremden Kultur und der implizierten Herabsetzung der ihr mit Sympathie gegenüberstehenden Angehörigen der eigenen gelingt Jaki eine feinsinnige Parallelisierung von Machs Einstellung zum Buddhismus und seiner angeblichen Ablehnung der Relativitätstheorie: „Buddhism was one o f the t w o dominating factors o f Mach's last ten or so years. [...] T h e other dominating factor o f those years was Mach's feverish e f f o r t to discredit Einstein's relativity on theoretical as well as on experimental grounds. He clearly perceived that the epistemological presuppositions o f relativity and its w o r l d view struck at the r o o t o f an empiricism which he carried to its logical extreme in Buddhism" (159).
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Cf. Jaki (1978), 393, Anm. 67: „It was that hatred that blinded Mach, the historian, to the pivotal role of Christianity in cultural progress. Indeed, as John T. Blackmore put it tersely in his magisterial work, Ernst Mach: His Life, Work and Influence (Berkely: University of California Press, 1972, 290): „Mach never tired of abusing the .Christian' foundation of Western s u p e r i o r i t y ' W h e t h e r Blackmore's objective [!] and massively documented [!] portrayal of Mach will discredit the apotheosis of Mach characterizing much of the Mach literature, an apotheosis casting a curious light on the professed reverence of logical positivists for facts, is still to be seen." Zu Blackmores eigenwilliger Auffassung des Buddhismus cf. die treffende Kritik in Swoboda (1974).
Exkurs: Theismus, Mach und Stanley Jaki
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Hier läßt Jaki seiner Einbildungskraft recht freien Lauf. Im einzelnen: (a) Niemand, der die zahlreichen Schriften aus ,Mach's last ten or so years' gelesen hat, wird aus den wenigen verstreuten Bemerkungen zum Thema Buddhismus entnehmen können, hier habe ein dominierender Faktor der intellektuellen Aktivität Machs gelegen. In Publikationen und Korrespondenz dominieren nachweislich vielmehr Methodologie der exakten Wissenschaften, Geschichte der Optik, Vorgeschichte der Mechanik, Tierpsychologie einschließlich des Verhältnisses von Mensch und Tier und — vielleicht — die Relativitätstheorie, (b) Jaki spricht von „Mach's feverish effort to discredit Einstein's relativity". Ähnlich Jakis dramatische Wendung: „Relativity he [Mach] fought to the bitter end" (156). Das einzige Dokument, das Jaki hier zur Verfügung hat, ist das Optik-Vorwort (und die zwei, drei Sätze aus dem Vorwort zur 9. Auflage der Mechanik). Die Optik aber erschien, wie auch Jaki weiß, im Jahre 1921. Mach hätte also seinen ,feverish effort' und ,fight to the bitter end' zwecks Diskreditierung der Relativitätstheorie, neben dem Buddhismus angeblich ,dominierender' Faktor seiner alten Tage, zu Lebzeiten geheimgehalten, wenn man schon den gefälschten Text für echt nimmt. Liest man ihn auch noch, dann wird man zwar eine Absage an die Relativitätstheorie finden, nichts jedoch über ,fieberhafte Bemühungen' zur Diskreditierung dieser Theorie. Aus Blackmores ,magisterial work' hätte Jaki im übrigen entnehmen können, daß Machs antirelativistische Fieberkurve wegen angeblich wechselnder .evidence' für pro- bzw. anti-relativistische Einstellungen ein gewisses Auf und Ab verzeichnet.6 Ins Reich der Phantasie gehört auch Jakis Bemerkung, die Machs angebliche Ablehnung der Relativitätstheorie mit dessen ,Buddhismus' als ,logisch extremster' Form des Empirismus in Verbindung bringt. Jaki ist bestrebt, Planck und Einstein als die wirklich vorantreibenden und kreativen Geister der modernen Physik herauszustellen, weil nur 6
In anderem Zusammenhang nimmt Jaki zur Kenntnis, daß Mach sich auch positiv zur Relativitätstheorie geäußert hat, und zwar hinsichtlich der hier (cf. § 2) ausführlich dargestellten Versuche Machs, seine frühe Kritik am mechanistischen Weltbild als mit einer schon damals bestehenden Offenheit für ein elektromagnetisches Weltbild verknüpft herauszustellen. Jaki bezieht sich auf Machs Äußerung im Prager Vortrag von 1871, in der er .elektrische und Wärmeerscheinungen' als mögliche Grundlagen einer einheitlichen Physik anstelle der mechanischen ins A u g e faßt. Wer § 2 des vorliegenden Buches über das mechanische und elektromagnetische Weltbild bei Mach gelesen hat, wird sich die Augen reiben, wenn Jaki das fragliche Mach-Zitat aus dem Vortrag von 1871 so kommentiert: „Such a view [wie derjenige Machs], or rather self-imposed myopia, revealed what Mach had really always been, not a physicist [!] or a historian of physics but a philosopher of sensations" (182).
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Mach und die Mach-Forschung I
sie die Beziehung von Wissenschaft und Absolutem, ausgedrückt im philosophischen Realismus, gesehen hätten. 7 Seine Strategie besteht darin, hier und dort vor allem Planck gegenüber Mach auszuzeichnen. Gewiß war Planck ein bedeutenderer Physiker als Mach, wobei man sich freilich vor Augen halten sollte, daß Mach kein theoretischer Physiker war (cf. § 10), und deswegen ein Vergleich nicht ganz fair ist. Dabei kann es natürlich nicht verwundern, daß Jaki an Plancks gegen Mach gerichtetem Leidener Vortrag von 1908 nichts auszusetzen findet. Besonderen Wert legt er auf die (sachlich teilweise berechtigte) Kritik Plancks in seiner Replik auf Machs Antwort auf den Leidener Vortrag. Hier geht es ihm vor allem um Plancks Bemerkungen über Machs „physikalisch ganz unbrauchbare[n] Gedanke[n], daß der Relativität aller Translationsbewegungen auch eine Relativität aller Drehungsbewegungen entspreche, daß man also ζ. B. prinzipiell gar nicht entscheiden könne, ob der Fixsternhimmel um die ruhende Erde rotiert oder ob die Erde gegen den ruhenden Fixsternhimmel rotiert" (Planck (1910), 1189). Machs Annahme ist — worauf schon in § 5, Anm. 10 hingewiesen wurde — in dieser schlichten Form tatsächlich unhaltbar. Worauf es jedoch ankommt, ist die Tatsache, daß Planck hier die von Mach, wenn auch in kritisierbarer Form vertretene These der Relativität der Drehbewegungen, d. h. die Relativität beschleunigter Bewegungen, in toto verwirft. Damit lehnt Planck auch die allgemeine Relativitätstheorie ab, deren Pointe ja (unter anderem) die Ausdehnung des Relativitätsprinzips auch auf beschleunigte Bezugssysteme ist. Planck verwirft damit einen von Mach angeregten Grundgedanken der allgemeinen Relativitätstheorie, noch bevor es diese Theorie überhaupt gab. Dafür wird er von Jaki gelobt. Im übrigen ist es in der Physikgeschichte kein Geheimnis, daß Planck die allgemeine Relativitätstheorie auch nach ihrer vorläufigen Aufstellung zunächst zurückgewiesen hatte und ihr dann zeitweise skeptisch gegenüberstand. 8 Einstein hat dies ζ. B. Mach in seinen Briefen von 1913 und 1913/14 mitgeteilt (cf. 149 ff.). Betrachten wir nun Jakis Qualifikation von Plancks Mach-Kritik, die eine vorweggenommene, implizite Kritik an der allgemeinen Relativitätstheorie ist: „Historians of science have failed in their turn to notice that if a principal aspect of Mach's reading of the history of mechanics could
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Vertreter der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie (Bohr, Heisenberg u. a.) ζ. B. waren dagegen in ihrem Positivismus mindere Köpfe (cf. Jaki, a . a . O . , Kap. 13 („The Horns of Complementarity")). Cf. ζ. Β. Pais (1982), 141 f. (mit Belegen); Blackmore (1972), 255.
Exkurs: Theismus, Mach und Stanley Jaki
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be so illogical, than perhaps there was something seriously wrong with the logic of the whole reading" (179). Mit diesen Worten gibt sich auch Jaki (wenn ihm dies überhaupt bewußt ist) als ein Gegner der allgemeinen Relativitätstheorie zu verstehen. Ihm scheint auch entgangen zu sein, daß Planck sich überhaupt und speziell noch 1913 gegen die allgemeine Relativität ausgesprochen hat. 9 Dagegen Jaki: „Around 1913, when general relativity was still to be formulated in full, there was no question in Planck's mind that if a physical theory ever witnessed the absolute in the physical world, the general relativity did so" (183). ,No question' besteht hier lediglich bezüglich des Jakischen, durch historische Tatsachen wenig berührten Erfindungsgeistes. Jaki hält zum einen die allgemeine Relativitätstheorie für eine Apotheose des Absoluten in der Physik, zum anderen lobt er Planck, weil dieser den ,unlogischen' Charakter einer der von Mach errichteten Säulen dieser Theorie gnadenlos kritisiert habe. Im gleichen Atemzug tadelt er die Wissenschaftshistoriker dafür, daß sie Mach noch nicht auf den Abfallhaufen der Wissenschaftsgeschichte geworfen haben. Jakis Versuch einer Herabsetzung Machs zeigt sich noch einmal im Zusammenhang der Mach-Planck-Kontroverse. Er macht (398, Anm. 60) darauf aufmerksam, daß die gedruckten Stellungnahmen zur Kontroverse „in favor of Mach" gewesen seien. Aber: „their physicist-authors were very insignificant. The absence of first-rate physicists from the fray may be explained by their satisfaction that at long last the authority of Mach, which in Planck's own recollection was „simply above argument" in many circles, had met its well-deserved challenge."
Nun hat Jaki recht, daß in den gedruckten Stellungnahmen zur Kontroverse nur unbedeutende Physiker oder besser: Erkenntnistheoretiker bzw.
9
Wann genau bei Planck eine Wende in seiner Einschätzung der allgemeinen Relativitätstheorie eingetreten ist, mag hier offenbleiben. Noch am 2. Juli 1 9 1 4 jedenfalls, bei seiner Entgegnung auf Einsteins Antrittsrede in der Berliner Akademie der Wissenschaften, kann Planck „der Versuchung nicht widerstehen, meinen Einspruch anzumelden", und zwar genau gegen die von Mach inspirierte Idee der Aufhebung der in der speziellen Relativitätstheorie erfolgten Auszeichnung v o n Inertialsystemen (cf. Plancks Erwiderung in: Einstein (1979), 5). Er verwendet hierbei unter anderem, wohl ohne es zu merken, die bekannte Machsche Formel, wonach Naturgesetze .Einschränkungen der Erwartung' (cf. ζ. B. EI., 449) sind. In der einschränkenden Bevorzugung der gleichförmigen Bewegung in der speziellen Relativitätstheorie könne man „ebensogut auch [...] ein besonders wichtiges und wertvolles Merkmal der Theorie, in der Durchführung dieser Auffassung einen besonderen Fortschritt der Wissenschaft erblicken" (Planck, ebd.).
248
Mach und die Mach-Forschung I
erkenntnistheoretisch orientierte Physiker auftraten. 10 Es sind dies Friedrich Adler (Adler (1909)) und Joseph Petzoldt (Petzoldt (1910)), beide Freunde Machs. Was aber erwartet Jaki eigentlich? Daß Physiker in die erkenntnistheoretische Kontroverse zwischen Planck und Mach selbst publizistisch eingreifen? Dagegen ist zu fragen, welche ,first-rate physicists' denn überhaupt um 1910 zu erkenntnistheoretischen Fragen publiziert haben? Ferner: Warum sollten sich andere überhaupt äußern, vor allem, wenn sie nicht Plancks Meinung waren? Denn zu diesem Zeitpunkt stand Planck auf der Höhe seiner Reputation als Physiker und konnte bereits beträchtlichen wissenschaftspolitischen Einfluß ausüben. Zur gerechten Einschätzung der Publikumsresonanz ist daher auch folgendes festzuhalten: (a) Auch kein ,first-rate physicist' hat im Druck für Planck Partei ergriffen, obwohl er sich durch diese Parteinahme noch am ehesten Vorteile hätte erhoffen können, (b) Auch in ungedruckten Äußerungen scheint es keine dezidierte Pro-Planck-Stellungnahme zu geben. Auch Jaki führt keine an. (c) Allerdings hat Einstein, und damit nach Jakis Einschätzung ein ,first-rate physicist' brieflich für Mach Partei ergriffen. Falls man also das Urteil von ,flrst-rate physicists', gedruckt oder ungedruckt, zur Bewertung überhaupt, wenn auch nur in suggestiver Absicht, heranziehen will, dann steht es in der Kontroverse Mach — Planck 1 :0 für Mach. Jaki hat hier, um im Bild zu bleiben, ein Eigentor geschossen. Jakis Darstellung diskreditiert nicht nur den Wissenschaftler und Philosophen Mach, sie rückt auch den Menschen Mach ins Zwielicht. Einschlägig sind hier die Äußerungen Jakis über den Freitod Ludwig Boltzmanns im Jahre 1906. Jaki referiert Plancks Klage darüber, wie ihn die Befangenheit in Machschen Gedankengängen lange daran gehindert habe, in der Physik weiterzukommen. Dies habe ihn jedoch nicht zu einer „personal vendetta" gegen Mach verleitet, da ihm über alles Persönliche hinaus „the cause of science" am Herzen gelegen habe. Jaki fährt fort: „But the cause [of science] could be threatened, and threatened it was. Still it took a very human event, the suicide of Boltzmann, to trigger (and even then
10
Falsch ist allerdings Jakis Bemerkung, „the printed repercussions" seien „gathered by Thiele" (Ein zeitgenössisches Urteil über die Kontroverse zwischen Max Planck und Ernst Mach, in: Centaurus 13 (1968), 85 — 90). Thiele nennt überhaupt keine gedruckten Stellungnahmen zur Kontroverse. Er scheint wohl keine zu kennen: „Abgesehen von den [brieflichen] Bemerkungen Einsteins sind Stellungnahmen Unbeteiligter zu der Auseinandersetzung bisher nicht veröffentlicht worden" (Thiele, a. a. O., 86). Jaki selbst läßt im Unklaren, wen er mit seiner Bemerkung meint.
Exkurs: Theismus, Mach und Stanley Jaki
249
not hastily) a move by Planck which sent shock waves around the world of science. It was an open secret that a principal factor in the despondency that led to Boltzmann's suicide in 1906 was the influence that Mach's antiatomism exercised in Germany and even beyond. Already aware of the inhibitory character of Mach's influence on his own scientific creativity, Planck could now see in Boltzmann's fate a tragic instance of that influence" (174).
Diese Auführungen Jakis seien mit den historischen Tatsachen verglichen: (a) Jaki gibt keinen Beleg dafür, daß Boltzmanns Freitod von der zeitgenössischen Wissenschaftlergemeinschaft auf Machs ,Antiatomismus' als einem ,principal factor' zurückgeführt wurde. Ferner gibt er keinen Beleg dafür, daß Planck seine Anti-Mach-Attacke in seinem Leidener Vortrag in irgendeinem Zusammenhang mit Boltzmanns Freitod gesehen hat. Solche Belege existieren auch nicht, (b) Es gibt kein Zeugnis dafür, daß Boltzmanns psychischer Zustand im Jahre 1906 etwas mit den Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der kinetischen Theorie zu tun hatte, (c) Machs ,Antiatomismus' beschränkte sich auf kurze Bemerkungen. Die eigentliche Auseinandersetzung wurde von den ,Energetikern' Ostwald und Helm geführt, mit denen Mach nach dem Zeugnis Ostwalds überwiegend nicht übereinstimmte. 11 In philosophischen und wissenschaftstheoretischen Fragen standen sich Boltzmann und Mach übrigens recht nahe, wie ζ. B. Curd nachweist (vgl. Curd (1978), 201 ff. und passim). Auch in der philosophischen Einschätzung der Atomtheorie lagen sie, wie Curd zeigt, nicht so weit auseinander, wie allgemein angenommen, (d) Seit der Naturforscher-Tagung von 1895 hatten Boltzmanns Auffassungen bei führenden Physikern entscheidendes Terrain gewonnen, (e) Die allgemeine große Wertschätzung Boltzmanns im deutschsprachigen wissenschaftlichen Bereich dokumentiert eine akademische Karriere, wie sie nicht eben häufig ist: ordentliche Professuren in Graz, Wien, Graz, München, Wien, Leipzig (auf Drängen des Energetikers Ostwald!) und schließlich wieder Wien. Die höchst ehrenvolle Nachfolge Kirchhoffs auf dem Berliner Helmholtz-Lehrstuhl hatte Boltzmann zunächst angenommen, dann abgelehnt. Die internationale Anerkennung spiegeln unter anderem ehrenvolle Einladungen an amerikani-
11
Es kann hier auf Machs Verhältnis zur Energetik nicht näher eingegangen werden. Verwiesen sei nur auf einen längeren (verspäteten) Geburtstagsartikel Wilhelm Ostwalds aus dem Jahre 1908, den Ostwald in Machs Hausblatt, der Wiener „Neuen Freien Presse" veröffentlichte. Dort schrieb der intellektuelle und institutionelle Anführer der Energetik, der Mach kurz vorher noch gesprochen hatte, daß Mach die Energetik „zwar nicht ausdrücklich abgelehnt hat", sich aber zu ihr „weit mehr kritisch als teilnehmend stellt" (Ostwald 1908). In einer für Ostwald verfaßten Autobiographie (1913) (cf. Blackmore (ed.) (1978), 416), aber auch sonst hat sich Mach selbst allerdings moderater geäußert.
250
Mach und die Mach-Forschung I
sehe Universitäten wider, (f) Es gibt nicht den mindesten Hinweis auf ein gestörtes persönliches Verhältnis Boltzmanns zu Mach. D i e erhaltenen Briefe Boltzmanns an M a c h (cf. Thiele (ed.) (1978), 4 4 ff.) sind freundlich; Thiele b e m e r k t mit Recht, daß speziell Boltzmanns letzter erhaltener Brief an Mach „gegen die A n n a h m e einer u n v e r s ö h n l i c h e n G e g n e r s c h a f t " zwischen beiden spreche (Thiele, a. a. O., 51). D e r Brief (25. 8 . 1 9 0 5 ) lautet: „Besten Dank für Ihr interessantes Buch über Erkenntnis und Irrtum. Ich habe aus Amerika viele Grüße an Sie zu entrichten, besonders von Prof. Löb (d. i. Jacques Loeb, G. W.), der Ihnen mit rührender Verehrung und Anhänglichkeit zugetan ist. Davon mehr mündlich. Mit den herzlichsten Grüßen Ihr ergebenster Ludwig Boltzmann" (Thiele, a. a. O., 52). Boltzmann scheint übrigens Mach m e h r als einmal besucht zu haben. A m 1 8 . 1 1 . 1 9 0 2 schreibt M a c h an den Leipziger
Experimentalphysiker
O t t o Wiener: „ B o l t z m a n n hat mich v o r einigen Tagen besucht. Ich fand ihn v o n seltener Fröhlichkeit" ( L E I ) . 1 2 (g) Allein entscheidend f ü r die Beurteilung der Ursachen v o n Boltzmanns Freitod d ü r f t e seine manischdepressive V e r a n l a g u n g in V e r b i n d u n g mit diversen, w o h l p s y c h o s o m a tischen Leiden sein, die in diesem Z u s a m m e n h a n g w i r k l i c h als ein ,open secret' betrachtet w e r d e n k ö n n e n . 1 3 Es t r i f f t w o h l auch zu, daß seine Depressionen d u r c h den W i d e r s t a n d gegen den , A t o m i s m u s ' nach einer eigenen A n d e u t u n g Boltzmanns N a h r u n g erhielten. J e d o c h ist es ganz 12
13
Machs Nachruf auf Boltzmann (Neue Freie Presse, 8. September 1906, Morgenblatt) ist eine gerechte Würdigung der überragenden Bedeutung Boltzmanns und beginnt: „Ein schwererer Schlag hätte die wissenschaftliche Welt, insbesondere jene Österreichs und Wiens, wohl kaum treffen können, als die unerwartete Nachricht von dem tragischen Tod Ludwig Boltzmanns." Freilich verschweigt Mach die Faktoren nicht, die, wenn man sich überhaupt ein Urteil darüber erlauben will, den Freitod Boltzmanns herbeigeführt haben: „Neurasthenie" und „Depressionszustände". Im Universitätsarchiv Wien findet sich ein Attest des Psychiaters Julius Wagner Ritter v. Jauregg vom 5. Mai 1900, der Boltzmann „einen schweren nervösen Erschöpfungszustand" bescheinigt und „absolute geistige Ruhe" verordnet, verbunden mit einem zwei- bis dreimonatigen Urlaub. Ludwig Flamm, ein Verwandter Boltzmanns, berichtet: „Ich selbst konnte als Student noch die letzte von Boltzmann gehaltene Vorlesung über theoretische Physik hören; es war im Wintersemester des Studienjahres 1905/6. Ein Nervenleiden (Hervorhebung G, W.) verhinderte eine weitere Fortsetzung seiner Lehrtätigkeit [...]. Auch ein Sommeraufenthalt in Duino an der Adria brachte Boltzmann keine Befreiung von den unerträglichen Schmerzen. Und so (Hervorhebung G. W.) beendete er dort am 5. September 1906 sein Leben" (Flamm (1944), 30). Auch T. des Coudres spricht in seinem Nachruf von dem offenbar jedem bekannten „Gemütsleiden" Boltzmanns (des Coudres (1906), 619). Cf. Broda (1955), 25 ff., Blackmore (1972), 212 f. Freilich schließt sich auch Broda dem leichtfertigen Gerede an, die Gegnerschaft mancher Physiker zur Atomlehre habe zu Boltzmanns Depressionen ,beigetragen'. Brush ((1976), 247) bemerkt zu Recht: diese Behauptung „has sometimes been suggested without much evidence".
Exkurs: Theismus, Mach und Stanley Jaki
251
abwegig, gelegentliche und moderate wissenschaftliche Kritik (wie diejenige Machs) als Grund für seinen Freitod anzunehmen. Daß der ,Antiatomismus' zumal der Machsche, ein „principal factor in the despondency (Jaki vermeidet peinlich den medizinischen Ausdruck ,Depression', G. W.) that led to Boltzmann's suicide" gewesen sei, ist angesichts der genannten Umstände eine infame Unterstellung. Sollte Jaki diese Umstände nicht kennen, bliebe es bei einer unverantwortlichen Leichtfertigkeit, die natürlich auch nicht durch den Wunsch, dem ,Positivisten' Mach am Zeuge zu flicken, entschuldigt werden kann (von der Geschmacklosigkeit, aus dem tragischen Ende Boltzmanns noch antiMachsches, sprich: anti-positivistisches Kapital schlagen zu wollen, nicht weiter zu reden). Die Kritik an Jakis Zerrbild von Mach sei an dieser Stelle abgebrochen, obwohl einige Sottisen Jakis (so ζ. B. Machs Einstellung zur Gründung einer katholischen Universität in Salzburg, zum ,Neuen Syllabus' Papst Pius X. oder zum Rektoratseid) durchaus historische Klarstellung und Zurückweisung verdienten. Mach ist gewiß kein durch Kritik unerreichbarer Olympier. Nur sollte sich die Mach-Kritik wie jede wissenschaftliche Kritik korrekter wissenschaftlicher Methoden bedienen. Halbwahrheiten, unkorrektes Zitieren und unbegründete persönliche Herabsetzung mögen (was zu bedauern wäre) ,the way to God' bereiten: auf keinen Fall aber ebnen sie ,the roads of science'. Hier gilt für ihn selbst, was Jaki (158) auf Mach gemünzt feststellt: „Propagandists usually work with blinders on."
Kapitel V Mach und die Mach-Forschung II: Externe Hypothesen zu Machs angeblicher Ablehnung der Relativitätstheorie § 33
War die Relativitätstheorie für Mach ,dogmatisch' ?
Der Dogmatismusvorwurf gegen eine physikalische Theorie ist kein physikalisches, sondern ein philosophisches Argument. Als solches gehört es zur Metatheorie der in Frage stehenden physikalischen Theorie. Man könnte es deswegen auch zu den ,internen' Hypothesen über diesen Gegenstand rechnen. Aus zwei Gründen sei davon abgesehen: (1) Im Unterschied zu den rein spekulativen Thesen des vorigen Kapitels hat der Dogmatismusvorwurf eine Textbasis im Optik Vorwort, dessen Echtheit bisher nicht bezweifelt wurde. (2) In der Feyerabendschen Version wird er mit einem tatsächlich theorieexternen Aspekt verknüpft. Im OptikVorwort heißt es: „Warum aber und inwiefern ich die heutige mich immer dogmatischer anmutende Relativitätslehre für mich ablehne, [...] das soll in der Fortsetzung dieses Werkes dargetan werden" (Ο., VIII f.). Worin der ,Dogmatismus' der Relativitätstheorie bestanden haben könnte, wird mit keinem Wort angedeutet. Dies geschieht ebensowenig in der Machliteratur, wenn ein in Machs Augen bestehender ,Dogmatismus' der Relativitätstheorie für seine vermeintliche Ablehnung dieser Theorie verantwortlich gemacht wird. Eine Ausnahme bildet Paul Feyerabend. Feyerabend ((1980), 279; (1984 a), 21) hat sein ,Dogmatismus'-Argument im Unterschied zu anderen Machforschern qualifiziert: „It applied to Planck who, despite occasional cautionary clauses in his writings [...] seems to have regarded relativistic invariants as parts of the absolute reality he postulated behind the world of science and the sensory world." Feyerabends kurze Charakteristik Plancks trifft zu, wenn auch die von ihm angeführten Planck-Zitate keine Verbindung des Planckschen Realismus mit der Relativitätstheorie vor ,Juli 1913' (angeblicher Zeitpunkt des Optik-Vorworts) erkennen lassen. Selbst
War die Relativitätstheorie für Mach .dogmatisch'?
253
wenn solche Belege vorlägen 1 , würde Feyerabends Argument nicht überzeugender. Die Relativitätstheorie ist eine physikalische Theorie. Ihre philosophische Interpretation — zumal es sich nicht einmal um die Interpretation dessen handelt, der sie aufgestellt hat — ist eine ganz andere Sache. Warum hätte Plancks realistisch-absolute Interpretation der Relativitätstheorie, falls es vor ,Juli 1913' überhaupt eine gegeben hat, Mach als die einzige und autoritative Interpretation dieser Theorie erscheinen sollen? Als Ausdruck einer absoluten Realität hinter den sinnlichen Erscheinungen kann man viele Teile völlig ,unschuldiger' physikalischer Theorien interpretieren. Für andere war die Relativitätstheorie „auf experimentell-physikalischem Boden erwachsen" (Minkowski, in: Lorentz/Einstein/Minkowski (1974), 54). Für Einstein könnte ein Schwerpunkt auf den meßtheoretischen Aspekten (cf. McCormmach (1970), 488 f.) gelegen haben. Erkenntnistheoretische Einstellung und physikalische Theorie sind zweierlei, und der Physiker ,darf nach Mach normalerweise ohne weiteres Realist sein (s. o. 129 mit Aussagen Machs), solange nur die beiden Grundregeln empirischer Wissenschaft (s. o., 93) beachtet werden. Ein Verstoß gegen diese Regeln kam für Mach im Falle der Relativitätstheorie nicht in den Blick. Vor allem hat Mach nicht allgemein verlangt, daß seine erkenntniskritische Auffassung der Subjekt-Objekt-Grenze beachtet werden müsse, damit er physikalische Theorien billigen könne. 2 Andernfalls wäre für ihn von der Physik nicht viel übrig geblieben. Es ist also nicht einzusehen, warum die Auseinandersetzung zwischen Mach und unkritischen Einsteinanhängern „was [...] a conflict between two different scientific theories, one containing a well defined subject/object boundary, the other redefining or dissolving this boundary in accordance with the results of scientific research in physics, physiology, psychology" (Feyerabend (1984 a), 21). Feyerabend schuldet den Beleg dafür, daß Mach (1) je eine physikalische Theorie zum Kampfplatz seiner erkenntniskritischen (nicht: methodologischen) Anschauungen gemacht und daß er (2) die Annahme einer physikalischen Theorie von der Annahme seiner erkenntniskritischen (nicht: methodologischen) Anschauungen abhängig gemacht hat. Feyerabend selbst betont 1
2
Plancks Physikalische Abhandlungen und Vorträge aus der fraglichen Zeit bis einschließlich 1913 ( = Planck (1958), Bd. II) behandeln diese philosophischen Fragen mit keinem Wort. Dies scheint Feyerabend zu unterstellen: Feyerabend (1984 a), 21 sagt über die realistischabsolute Auffassung: „It applied to most other physicists who, unaware of Mach's examination of the subject/object boundary and unwilling to engage in a critical examination of so fundamental a prejudice practiced ,physics as usual'; which means, they took the boundary for granted and used relativity for stabilizing it and making it more precise."
254
Mach und die Mach-Forschung II
(a.a.O., 1), daß sich Machs Methodologie und Machs Erkenntnistheorie leicht trennen ließen. Mach hat sie auch selbst klar auseinandergehalten (cf. oben § 11). So mögen die Planckschen erkenntnistheoretischen Anschauungen für Mach ,dogmatisch' gewesen sein, ohne daß sich daraus das Geringste für einen Dogmatismusvorwurf gegen die Relativitätstheorie folgern läßt — zumal sich Planck vor ,Juli 1913' erkenntnistheoretisch gar nicht zur Relativitätstheorie geäußert hat. Schwerer als die erste wiegt eine zweite Qualifikation des Dogmatismusarguments von Feyerabend: „Mach wanted to examine the matter, his opponents (Befürworter der Relativitätstheorie?, G. W.) either regarded it as settled or did not even realize that there was a problem" (Feyerabend, ebd.). Falls sich dieser Punkt ebenfalls auf die eben erwähnte erkenntnistheoretische Frage beziehen soll, gilt das oben Gesagte. Falls aber — und dies sei hier unterstellt — mit opponents' die Anhänger Einsteins und mit ,problem' die Probleme von Raum, Zeit und Materie gemeint sein sollten, dann rückt Feyerabends Dogmatismusargument, wie noch zu zeigen ist (cf. unten § 41, 357), möglicherweise der Wahrheit nahe. Nur besteht diese Wahrheit nicht darin, daß Mach die Relativitätstheorie abgelehnt hat.
§ 34
Hat Mach alters- und krankheitsbedingt die Relativitätstheorie nicht mehr verstanden und sie deshalb abgelehnt?
Wer die Titelfrage dieses Paragraphen bejaht, geht davon aus, daß Machs Ablehnung der Relativitätstheorie vor dem Hintergrund seiner Lehren irrational war. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß sich angesichts des Optik- Vorworts gerade diejenigen mit dieser vermeintlichen Lösung behelfen, die einen wichtigen Einfluß Machs auf die Herausbildung der Relativitätstheorie annehmen, allen voran Einstein selbst. 1 Hatte dieser doch in seinem Nachruf betont, „daß Mach [...] nicht weit davon entfernt war, eine allgemeine Relativitätstheorie zu fordern [...]. Es ist nicht un-
1
Einstein hält in dem schon zitierten Brief an Besso vom 6.1.1948 noch ein weiteres Argument bereit, das freilich ganz von dem Zwang gezeichnet ist, hier etwas erklären zu müssen: „Die Theorie war ihm unerlaubt spekulativ. Er wußte nicht, daß dieser spekulative Charakter auch Newtons Mechanik, überhaupt jeder denkbaren Theorie zukommt. Es besteht doch nur ein gradueller Unterschied zwischen Theorien insofern, als der Gedankenweg von den Grundbegriffen zu den empirisch prüfbaren Folgerungen verschieden lang und kompliziert ist" (Einstein, in: Einstein/Besso (1972), 391).
Das Alters- bzw. Krankheitsargument
255
wahrscheinlich, daß Mach auf die Relativitätstheorie gekommen wäre [...] in der Zeit, als er jugendfrischen Geistes war [...]" (Einstein (1916), 103). Hier war natürlich nach dem Erscheinen des Optik-Vorworts eine Modifikation erforderlich: Mach hätte, wenn er nicht zu alt gewesen wäre, die Relativitätstheorie doch wenigstens verstanden und ihr zugestimmt. Einstein hat diesen Gedanken gelegentlich geäußert. Am deutlichsten wohl in einem Brief an Armin Weiner vom 18. 9.1930 (EAP) 2 : „Mach hat sich in seinen letzten Jahren mit der Relativitätstheorie befaßt und sich sogar in einer Vorrede zu einer späteren Ausgabe eines seiner Werke ziemlich schroff ablehnend gegen die Relativitätstheorie ausgesprochen. Es kann aber kaum einen Zweifel unterliegen, daß dies eine Folge von durch das Alter verminderter Aufnahmefähigkeit gewesen ist, da die ganze Denkrichtung dieser Theorie der Mach'schen konform gewesen ist, so daß Mach mit Recht als Vorläufer der allgemeinen Relativitätstheorie betrachtet wird."
Einem breiteren Publikum wurde das Altersargument von Reichenbach in seinen berühmten Überblicksaufsatz „Der gegenwärtige Stand der Relativitätstheorie" präsentiert: „daß der junge Mach, der geniale Kritiker Newtons, ein überzeugter Freund der Einsteinschen Lehre geworden wäre, erscheint niemand zweifelhaft, der jene gedanklich-sichere Kritik der klassischen Mechanik einmal in voller Unbefangenheit gelesen hat. Es ist eine häufig zu beobachtende Erscheinung, daß gerade der Schöpfer einer revolutionären Idee sich später gegen diejenigen verschließt, die seine Idee noch weiter ausbauen wollen. [...] Wie viel mehr muß dieses Gesetz gelten, wenn Alter und Krankheit ihn daran hindern, die Intensität des anderen Denkers nachzuerleben!" (Reichenbach (1922), 338 f.).
Das Altersargument als solches kann man gewiß nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Allerdings führen die Proponenten des Altersarguments im Falle Machs nur ein einziges Beispiel für den vermeintlichen Altersstarrsinn an: die Ablehnung der Relativitätstheorie. Das ist nicht ausreichend, ja von nicht allzu ferne winkt Baron Münchhausen, der sich am eigenen Schöpfe aus dem Sumpf zog: Warum hat Mach die Relativitätstheorie abgelehnt? Er war zu alt sie noch zu verstehen. Worin zeigt sich die intellektuelle Altersschwäche Machs? Er verstand die Relativitätstheorie nicht mehr.
2
Dr. Armin Weiner war Ingenieur in Brünn und begeisterter Machanhänger. Seine Sammlung der Briefe Machs an K u l k e und Popper-Lynkeus gelangte nach der Emigration Weiners in die U S A über die Burndy Library von Dr. B. Dibner in Norwalk Conn, in die Smithsonian Institution, Washington D. C. (Dibner Collection).
256
Mach und die Mach-Forschung II
Tatsächlich scheint das Altersargument im Falle Machs ganz einfach falsch zu sein. Obwohl schwer krank und alt, hat Mach nach dem Zeugnis aller, die mit ihm Kontakt pflegten, bis zu seinem Tod mit größtem Interesse am intellektuellen Geschehen teilgenommen und wissenschaftlich gearbeitet (Details unten § 36). 3 Solange also außer dem Optik-Vorwott keine positiven Belege dafür präsentiert werden, daß Mach — trotz der Frankschen Nachhilfestunden — die Relativitätstheorie nicht mehr hinlänglich hat aufnehmen können, solange ist das Altersargument nicht akzeptabel.
§ 35
Hat Hugo Dingler Mach %ur Ablehnung der Relativitätstheorie
bewogen?
Ebenso beliebt wie das Altersargument ist unter Mach-Freunden, die sich den Kopf über Machs vermeintliche Ablehnung der Relativitätstheorie zerbrochen haben, der Gedanke, Hugo Dingler in der Rolle des Schurken ins Siel einzuführen. Dingler, einem fanatischen Gegner der Relativitätstheorie, scheint diese Rolle geradezu auf den Leib geschrieben. So wundert es denn auch nicht, wenn schon Reichenbach ((1922), 338 f.) meinte: „Man darf, nach der oben genannten Ä u ß e r u n g (im V o r w o r t , G . W.) der „Optik", nicht einmal bezweifeln, daß der 74jährige Philosoph mit Dinglers A b l e h n u n g der Relativitätstheorie einverstanden gewesen wäre. [...] Dingler [hat] ein Recht, sich auf die späte Ä u ß e r u n g Machs zu berufen. [...] Daß aber Dingler den 74jährigen gegen den Schöpfer der „Mechanik" ausspielt, ist tief bedauerlich."
Damit war das Thema intoniert, wenn Reichenbach auch nicht direkt behauptete, daß Dingler Mach gegen die Relativitätstheorie eingenommen habe. Diese Behauptung tritt erst später auf. Sie scheint auf Philipp Frank zurückzugehen. Herneck ((1966 a), 53 f.) teilt folgendes mit: 3
Mit Blick auf Reichenbach bemerkt schon Dingler ((1923), 43, Anm.) ebenso süffisant wie zutreffend: „Der alte Mach bedarf dieses Inschutznehmens (gegen Dinglers Interpretation, G. W.), das ihm auf zarte Weise zugleich eine gewisse senile geistige Asthenie imputiert, in keiner Weise. Derselbe Mann, der die Relativitätstheorie ablehnt, schreibt seine „Physikalische Optik", schreibt „Kultur und Mechanik", schreibt eine ganze Reihe populärer Aufsätze, die alle ganz der alte Ernst Mach sind. Hier gibt es kein Anzeichen für irgendein Abnehmen seiner Geisteskräfte. Dasselbe beweist seine ausgedehnte Korrespondenz und das Zeugnis seiner Umgebung. Also bleibt als einziges Indizium der Geistesschwachheit sein Alter von 74 (oder 72) Jahren. Nun, ich glaube, daß eine Verallgemeinerung dieses Indiziums auf den einmütigen Widerstand vieler gleichaltriger Gelehrten oder sonstiger führenden Männer stoßen wird. Warum sollte es dann aber gerade auf Ernst Mach angewandt werden? Offenbar nur, weil der die Relativitätstheorie abgelehnt hat."
Hat Dingler Mach zur Ablehnung bewogen?
257
„Wie Frank in seinem Brief vom 18. Mai 1959 (an Herneck, G. W.) meinte, hätte hierbei der Mathematiker und Philosoph Hugo Dingler, der zu jener Zeit als Privatdozent an der Universität München lehrte, eine verhängnisvolle Rolle gespielt. ,Was Machs spätere polemische Haltung betrifft' — schrieb Frank —, ,so hängt sie nach meiner Meinung mit seinen Beziehungen zu Hugo Dingler zusammen, mit dem er in seinen letzten Jahren in München viel verkehrt hat und der ein erbitterter Gegner Einsteins war.' Tatsächlich beweisen die Dokumente in Machs Nachlaß, daß Hugo Dingler Anfang Juli 1913, also kurz nach dem Eintreffen von Einsteins Brief, Ernst Mach in Vaterstetten besucht hat, wo dieser seit dem Frühjahr 1913 bei seinem Sohn Ludwig lebte. Es hat den Anschein, daß Mach unter dem unmittelbaren Eindruck der mit Dingler geführten Gespräche jenes Vorwort zur „Optik" niederschrieb, dessen Inhalt so schlecht zu seinen früheren Ansichten über die Einsteinsche Relativitätstheorie paßt und auch mit seinem gesamten wissenschaftlichen Arbeitsstil, wie er ihn ein langes Forscherleben hindurch praktiziert hatte, kaum zu vereinbaren ist." 1 Zu der von Herneck vorgetragenen und — wenn auch gewissermaßen mit dessen Kopfschütteln — übernommenen Version Franks bemerkt Holton ( ( 1 9 7 3 a), 254, Anm. 39; dt. 247, Anm. 46): „The copies of letters from Dingler to Mach in the Ernst-Mach-Institute in Freiburg indicate Dingler's intentions; nevertheless, there remains a puzzle about Dingler's role, which is worth investigating." Leider äußert sich Holton nicht dazu, über welche Intentionen Dinglers ihm die genannten Briefe Aufschluß gegeben haben. Über die Relativitätstheorie enthalten sie weder dem Worte noch der Sache nach das Geringste. Angebracht ist allerdings Holtons Zurückhaltung gegenüber dem Dingler-Argument. Wie richtig er damit liegt, wird die Lösung des von Holton konstatierten ,Rätsels' ergeben. Völlig unbekümmert, ja geradezu, als wäre er dabeigewesen, wird das Dingler-Argument v o n Blackmore präsentiert: „Several weeks earlier (d. h. v o r Philipp Franks Besuch bei Mach, G. W.) [...] Mach had found a brief suggestion of what he thought was a very promising argument which in no
1
Der historische Takt dieser Zeilen setzt sich im Folgenden auf der interpretatorischen Ebene fort, wenn es für Herneck (a. a. O., 54) „unerfindlich" ist, „welche ,sinnesphysiologischen Erwägungen' [...] der Einsteinschen Theorie im Wege gestanden haben sollen [...] und von irgendwelchen »experimentell gewonnenen Einsichten', durch die die Relativitätstheorie erschüttert oder gar widerlegt worden wäre, konnte doch wohl nicht im Ernst die Rede sein." Ähnlich hatte sich unter der (unbegründeten) Voraussetzung einer altersund krankheitsbedingten Urteilstrübung Machs schon Heller (1964) geäußert: „Wo wäre es sonst einem Mach unterlaufen, von experimentell gewonnenen Einsichten zu sprechen, w o diese offensichtlich noch nicht vorhanden waren. Von Arbeiten, die wohl im Zuge, aber keineswegs in einem Stadium waren, um .Einsichten' zu liefern. Denn sonst wären sie ja wohl von Ludwig [gleich] veröffentlicht worden" (a.a.O., 149).
258
Mach und die Mach-Forschung II
way favored the pretensions of Einstein, Minkowski, Frank, or theoretical physics" (Blackmore (1973), 264). Es handelt sich, so Blackmore weiter, um Dingler und seine Schrift Dingler (1907). Das infragestehende Argument „concerned geometry and the relations of physics to sense-reality" (ebd.). Mach sei vor allem von Dinglers Auffassung beeindruckt gewesen, „that logical simplicity and descriptive certainty both demanded that physics confine itself to Euclidean geometry. More than three dimensions added unnecessary logical and mathematical complications, falsified nature, and opened the door to speculative chaos. 2 [...] Dingier rejected Einstein's theory [...]. Armed with Dingler's ideas [!], Mach rejected Einstein's theory on precisely the same grounds that Einstein used to try to persuade Mach to accept the atomic theory in physics: logical economy!" (Blackmore, a. a. O., 265).
Auch hier gibt Blackmore keine Belege. Insbesondere bleibt unbewiesen, daß erst Dinglers Gedanken in Dingler (1907) und — worauf Blackmore zusätzlich verweist — Dingler (1910) Mach intellektuell in den Stand gesetzt hätten, die Relativitätstheorie abzulehnen. Tatsächlich enthalten die beiden Schriften Dinglers erste Gedankengänge, die wesentlich später modifiziert in seine Ablehnung der Relativitätstheorie eingehen. Diese Gedanken entwickelte Dingler jedoch völlig unabhängig von der Relativitätstheorie; in systematischem Kontext ist — wie wir noch sehen werden — bis 1917 bei Dingler von der Relativitätstheorie überhaupt nicht die Rede. Und dies aus einem einfachen Grund: Dingler kannte die Relativitätstheorie noch nicht. Dasselbe gilt für die von Blackmore erwähnte weitere Schrift Dingler (1906). Hier versucht Dingler, die euklidische Geometrie durch die bijektive Zuordnung der Punkte des empirischen Raumes und der Punkte des R 3 (reelle Zahlentripel) sowie durch geeignete Transformationen, also analytisch, auszuzeichnen. 3 Da Dingler im Folgenden eine entscheidende Rolle spielt, die teilweise mit seiner Biographie zu tun hat, sei diese kurz dargestellt, bevor sein Verhältnis zu Ernst Mach skizziert wird. 4 2
3
4
Hier zeigt sich einmal mehr, daß Blackmore keinen Unterschied zwischen einem nichteuklidischen und einem pseudo-euklidischen Raum macht. Dingler hat dieses Unternehmen in einem 1952 begonnenen autobiographischen Manuskript („Das Werden einer Wahrheit" ( H D A ) ) als „mißglückt" bezeichnet (a.a.O., 8). Dies dürfte wohl daran liegen, daß er inzwischen erkannt hatte, daß in die speziellen Invarianzanforderungen an die Transformation bereits .euklidische' Annahmen eingingen, Dinglers Auszeichnung der euklidischen Geometrie mithin auf einer petitio principii beruhte. Die folgenden Ausführungen stützen sich in allen Punkten auf Dinglers Tagebücher und auf diverse autobiographische Manuskripte (HDA).
Hat Dingler Mach zur Ablehnung bewogen?
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Hugo Albert Emil Hermann Dingler wurde am 7. Juli 1881 in München als Sohn eines späteren Botanikprofessors an der (später von München nach Aschaffenburg verlegten) Forstlichen Hochschule geboren. Die Familie gehörte zum nationalliberal gesonnenen, protestantischen deutschen Bildungsbürgertum, dem auch — wie Dingler gelegentlich versichert — ein kräftiger Schuß Antisemitismus meist nicht fehlte. Von Herbst 1901 bis Herbst 1902 studierte Dingler an der Münchener Universität ohne große Begeisterung Mathematik und Physik und legte nach diesem ersten Studienjahr den ersten Teil des bayerischen Staatsexamens für das gymnasiale Lehramt in Mathematik und Physik ab. Danach ging er auf Empfehlung eines geschätzten Kollegen seines Vaters ins Mekka der deutschen Mathematik, Physik und wissenschaftlichen Philosophie: er verbrachte das nächste Studienjahr (1902/1903) in Göttingen und studierte vor allem bei Felix Klein (auch bei David Hilbert) Mathematik und bei Edmund Husserl Philosophie. Göttingen scheint die für die weitere intellektuelle und teilweise auch für die persönliche Entwicklung Dinglers entscheidende Station gewesen zu sein. In Göttingen hatte Dingler, der schon als Schüler an philosophischen und wissenschaftstheoretischen Fragen interessiert war 5 , erstmals Gelegenheit, in persönlichem Kontakt mit führenden Wissenschaftstheoretikern und im Kreise ausgezeichneter Kommilitonen und jüngerer Wissenschaftler seine Ideen zu entwickeln. Vor allem Husserls Vorlesung „Einführung in die Erkenntnistheorie" hatte für Dingler „eine innerlich wahrhaft befreiende Wirkung. Das waren ja sozusagen meine [d. h. Dinglers] eigensten Probleme, die nur in mir geschlummert hatten." 6 Das Studienjahr 1903/1904 verbrachte Dingler wieder in München, hörte jedoch möglichst wenig Vorlesungen, um seinem Vater Geld zu sparen. Im Oktober 1904, nach sechs Semestern, bestand Dingler sein Staatsexamen. Seine Kenntnisse in Mathematik und Physik waren nach eigenem Eingeständnis wegen der kurzen Studiendauer begrenzt, zumal sein wissenschaftliches Interesse seit Göttingen der Wissenschaftstheorie galt. Nach einem kurzen Intermezzo im privaten Landerziehungsheim Haubinda widmete sich Dingler seiner Dissertation und verbrachte das Sommersemester 1906 noch einmal in Göttingen, nachdem der Münchener Mathematiker Aurel Voß einen Entwurf der Dissertation als überarbeitungsbedürftig
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Dieses Interesse war während seines Militärdienstes in Erlangen sowie im ersten Münchener Studienjahr verlorengegangen. (HDA), Faszikel 72: „Entdeckungsfahrt im Geistigen. Geschichte meines Lebens. II. Kap. Die Studienjahre", 24. Über Dinglers Verhältnis zu Husserl cf. Wolters (1987a).
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zurückgewiesen hatte. 1907 gelang die Promotion mit einer Schrift über infinitesimale Flächendeformation. Das Buch (Dingler (1907)), das Mach interessierte, war eine Reaktion Dinglers auf die von ihm als bittere Niederlage empfundene Tatsache, daß er einen ihm von Klein in der Göttinger Mathematischen Gesellschaft übertragenen Vortrag über das Kontinuumproblem nicht bewältigt hatte und die Veranstaltung hatte absagen müssen. Seit angeblich etwa Anfang 1906 verstand sich Dingler nach der Lektüre von H. S. Chamberlains Grundlagendes 19. Jahrhunderts als „innerlich bewußter Antisemit". 7 Dies ist deswegen bedeutsam, weil Dingler seinen späteren Kampf gegen die theoretische Physik ex post auch mit dem ,instinktiven' Widerstand des Vollariers gegen deren angeblich jüdischen Charakter' begründet hat. Nach seiner Promotion wurde Dingler bis 1908 Assistent für praktische Mathematik an der Technischen Hochschule München, ein Posten, den er wegen ,Überlastung' kündigte. 8 Im staatlichen Schuldienst, in den er kurzfristig eintrat, gefiel es Dingler ebensowenig. Für die nächsten vier Jahre nahm er eine Assistentenstelle bei dem darstellenden Geometer Ludwig Burmester wahr. Ein Habilitationsversuch an der Technischen Hochschule mit Dingler (1911) als Habilitationsschrift scheiterte Ende 1909/Anfang 1910. Die Habilitation gelang schließlich 1912 an der Universität München mit einer Arbeit Über tvohlgeordnete Mengen und verstreute Mengen im allgemeinen. Die venia legendi wurde jedoch nicht für das Fach ,Mathematik' oder ,reine Mathematik' erteilt, was Dingler angestrebt hatte, sondern für das Fach ,Methodik, Unterricht und Geschichte der mathematischen Wissenschaften'. Dies entsprach Dinglers Interessen und Fähigkeiten, versperrte ihm jedoch praktisch eine akademische Karriere, da es für diese Neuschöpfung keine einzige Stelle an einer deutschen Universität gab. 9 7
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(HDA), Faszikel 72, S. 67. Diese Autobiographie ist während des .Dritten Reiches' entstanden. Kein ,Nichtarier', bei dem Dingler nicht die Rassenarithmetik (.Jude', .Halbjude' etc.) genau vermerkt hätte! Derartige Klassifizierungen und einige sonstige antisemitische Ausfälle wurden von ihm bei einer wohl nach Kriegsende erfolgten Lektüre im Manuskript vorsorglich wieder gestrichen. Daß Dingler ab 1906 eindeutiger Antisemit gewesen sei, läßt sich im übrigen anhand seiner Tagebücher leicht widerlegen. So eine am 12. 3 . 1 9 5 2 begonnene Autobiographie („Das Werden einer Wahrheit" (HDA)). Dingler führte seine angebliche Diskriminierung v o r allem auf das Betreiben des Mathematikers Alfred Pringsheim, des Schwiegervaters v o n Thomas Mann, zurück. Da Privatdozenten, wenn sie nicht über ein eigenes Vermögen verfügten, ausschließlich von den Hörergeldern leben mußten, sei es Pringsheims Bestreben gewesen, nur seinen Schüler Arthur Rosenthal, einen Co-Habilitanden Dinglers, als Privatdozenten für Mathematik zuzulassen. Dies würde zum einen Rosenthals Einnahmen, zum anderen dessen Chancen für eine besoldete Universitätsstelle erhöhen. Hierin sah Dingler ein .jüdisches Komplott'
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Dingler versuchte daraufhin institutionell im Fach Philosophie Fuß zu fassen. Diesem Zweck dienten vor allem seine Grundlagen der Naturphilosophie ( = Dingler (1913)). Seine mathematischen Ambitionen hatte Dingler trotzdem nicht ganz aufgegeben. Da er den Krieg voraussah und davon ausging, ihn nicht zu überleben, andererseits „dafür sorgen wollte, daß mit meinem [d. h. Dinglers] Tod nicht alles verloren ging", beschloß er, seine „durchaus unfertigen Unternehmungen zu den Grundlagen der Arithmetik und zur formalen Analysis zusammenzuschreiben" ( = Dingler (1915)). 10 Um 1913 wandte sich Dingler, der unter dem Einfluß seines Vaters bis dahin die wissenschaftliche Weltanschauung' des Monismus Haeckelscher Prägung favorisiert hatte, stärker der Religion zu. Bereits am 5. August 1914 wurde Dingler eingezogen. Sein Militärdienst dauerte bis zum März 1919. „Die ersten Kriegsjahre ließen mir nicht viel Zeit zu wissenschaftlichem Arbeiten." 11 Abgesehen von einem kurzen Fronteinsatz, dem Dinglers Nerven nicht gewachsen waren, diente er als Ausbilder, dann als Gerichtsoffizier in Augsburg. Im Mai 1918 war Dingler auf einer Tagung in Göttingen (,Max-Planck-Woche') und schied in dem Glauben, seine Berufung an die Göttinger Universität stünde bevor. Diese Möglichkeit sah Dingler, wohl zu recht, durch das Erscheinen seiner Grundlagen der Physik ( = Dingler (1919)) zerstört. In diesem Buch nahm Dingler erstmals von seiner methodologischen Position aus gegen die Relativitätstheorie Stellung. Im Frühjahr 1919 kehrte er wieder in den verhaßten Schuldienst zurück, da er keine Aussichten auf eine Universitätskarriere sah und für eine Familie zu sorgen hatte. Anfang 1920 ließ er sich in einem mutigen Entschluß aus gesundheitlichen Gründen pensionieren 12 , um sich, von der kleinen Pension, Hörergeldern und freiwilligen Leistungen der Universität lebend, ganz der Wissenschaft zu widmen. 1920 verzichtete er auch noch auf seine bescheidene Pension, um den Titel und die Rechte eines außerordentlichen Professors (ohne Besoldung) zu erhalten. In diesen bedrängten Umständen verblieb Dingler, bis er 1932 einen Ruf an die Technische Hochschule Darmstadt in Verbindung mit
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zwischen Pringsheim und Rosenthal. Rosenthal (* 1887) wurde später Ordinarius für Mathematik in Heidelberg, emigrierte 1935 in die Niederlande, von dort 1940 in die USA, wo er 1959 starb (cf. International Biographical Dictionary of Central European Emigres 1933-1945, Bd. II, München 1983). Das Werden einer Wahrheit (cf. Anm. 8), 16. A.a.O., 18. Das amtsärztliche Zeugnis vom 3. 2.1920 diagnostiziert eine „hochgradige Neurasthenie" und befürwortet die „Versetzung in den Ruhestand für die Dauer eines Jahres" (BHM, Sign. MK 43514).
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dem Pädagogischen Institut Mainz erhielt. Letztere Institution wurde 1934 aus Einsparungsgründen geschlossen und Dingler aus eben diesen Gründen pensioniert. Seine Versuche, mit leichter Verspätung Anschluß an den Nationalsozialismus zu gewinnen, scheiterten. Von ,alten Kämpfern' als Opportunist verachtet und bekämpft 13 , erhielt er nicht einmal einen Lehrauftrag an der Universität München, nachdem eine Honorarprofessur bereits abgelehnt worden war. Erst gute Kontakte zum NS-Studentenbund und zum NS-Dozentenbund in München brachten ihm 1939 die ersehnte Aufnahme in die Partei und 1940 den noch mehr ersehnten (bezahlten) Lehrauftrag. Damit war es 1945 vorbei. Dingler hatte sich durch sein Paktieren mit den Nazis — ohne dabei eigentlich besonders erfolgreich gewesen zu sein — hinlänglich kompromittiert und verbrachte die letzten Jahre bis zu seinem Tode am 29. Juni 1954 unermüdlich arbeitend als Privatgelehrter. Um zu einem Urteil über den angeblichen Einfluß Dinglers auf Mach zu kommen, seien zuerst Dinglers Schriften bis J u l i 1913', dem ominösen Zeitpunkt des noch ominöseren Optik-Vorworts, betrachtet. Dingler äußert sich bis zu diesem Datum in der Tat einmal zur Relativitätstheorie, und zwar in einer Rezension von A. Brills Broschüre Das RelativitätsprinDiese Rezension erschien in Petzoldts „Zeitschrift für positivistische Philosophie", deren Mitherausgeber Dingler war. Da es sich um die einzige Äußerung Dinglers zur Relativitätstheorie vor ,Juli 1913' handelt, sei sie hier bis auf die Aufzählung der Abschnitte des Buches vollständig wiedergegeben: „Das logische Gerüste einer Wissenschaft ist völlig unabhängig von der Art und Weise, in welcher die ersten Sätze erlangt wurden, auf denen als Grundsätzen, Axiomen, Grundtatsachen (oder wie man sich ausdrücken will) sie sich aufbaut. So neigt denn auch der Mathematiker dazu, auf die Herkunft und die anderweitige Begründung der Grundsätze einer Wissenschaft weniger zu achten, dagegen möglichst bald der mathematischen (logischen) Formulierung derselben zuzustreben. Hier haben wir die Schrift eines bedeutenden Mathematikers über das Relativitätsprinzip. Die tatsächlichen Grundlagen dieser Theorie werden nur knapp gestreift, die möglichst scharfe logische Formulierung der grundlegenden
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Dingler sah seine Gegner in dieser Zeit v o r allem in dem Philosophen Alfred Baeumler und dem Pädagogen Ernst Krieck. Insbesondere ein angebliches, bisher unauffindbares Gutachten eines dieser beiden für den S D (.Sicherheitsdienst'), den Geheimdienst der SS, scheint Dinglers Rückkehr nach München nachhaltig verhindert zu haben. Auch Münchener theoretische Physiker, v o r allem Sommerfeld, und, stärker noch, dessen Institutsmechaniker Karl Selmayr, scheinen gegen Dingler gearbeitet zu haben.
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Postulate (welche in der Relativitätstheorie durch Sätze gegeben sind, welche die Resultate gewisser Experimente, so denen von Fizeau, Michelson u. a. in etwas absoluter Form aussprechen[)], gegeben, und dann aus diesen Grundlagen die mathematische Theorie in meisterhaft klarer und durchsichtiger Form und Anordnung errichtet. Die Lorenz[!]-Transformation wird durch die Forderung definiert und eingeführt, daß Kugelwellen wieder in Kugelwellen übergehen sollen. [...] So können wir die in ihrer überlegenen Klarheit mustergiltige Schrift jedem mathematisch Gebildeten, der in die mathematische Theorie, die man also die Relativitätstheorie' sich zu bezeichnen gewöhnt hat, eingeführt zu werden wünscht, nur wärmstens empfehlen" (Dingler (1913 a)).
Die Analyse des Dinglerschen Texts und sein Vergleich mit der Schrift von Brill zeigen, daß hier die mögliche Vermutung, Dingler habe im ersten Abschnitt der Rezension eine Kritik an einem rein ,formalistischen' oder theoretischen' Vorgehen aussprechen wollen, unzutreffend ist. Er gibt lediglich in eigenen Worten wieder, was Brill im Vorwort zu seiner Broschüre sagt: „Unter den verschiedenen Grundformen, auf denen sich die Relativitätstheorie aufbauen läßt, scheint mir besonders einleuchtend die rein formalistische zu sein, derzufolge es sich um solche Transformationen handelt, durch welche Kugelwellen wieder in Kugelwellen übergehen." 14
Diesen Typ des Vorgehens hat noch niemand für unzulässig gehalten. Er kennzeichnet ζ. B. jede Form der theoretischen Mechanik, etwa diejenige von Lagrange. Worauf Dingler zu Recht aufmerksam macht, ist die Tatsache, daß durch eine analytische Theorie 15 , wie Brill sie verwendet, die philosophischen und wissenschaftstheoretischen Fragen, etwa nach der Bedeutung der Terme der analytischen Theorie, nicht erledigt sind. Dies aber hat speziell mit der Relativitätstheorie nichts zu tun. 16 Auch Mach hat natürlich nichts gegen analytische Theorien. Ebensowenig kann er etwas dagegen haben, daß die ,Postulate' der Relativitätstheorie, so wie Brill sie auffaßt und wie Dingler Brill korrekt wiedergibt, sich an Experimente anschließen, deren Resultate ,in etwas absoluter Form' ausgesprochen werden. Dinglers zweite Äußerung zur Relativitätstheorie vor 1919, aber nach ,Juli 1913' ist eine Rezension von Emil Cohns populärem Vortrag „Physi14 15
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Brill (1920). Der Text stammt aus dem V o r w o r t zur ersten und zweiten Auflage. In einer analytischen' physikalischen Theorie werden physikalische Größen durch analytische' Objekte wie Zahlen und Funktionen ersetzt. Später erst kommt Dingler zu der Ansicht, daß die analytischen Terme der Relativitätstheorie keine begründete, konkrete Bedeutung haben können.
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kaiisches über Raum und Zeit", die nur einen kurzen Abriß des Inhalts gibt und mit folgendem Satz schließt: „Die ganze Schrift stellt in ihrer Gesamtheit eine wunderbar klare Einführung in die betr. Vorstellungen dar, und jedem, der sich mit diesen Fragen beschäftigen möchte, möchten wir ihr eingehendstes und wiederholtes Studium dringend empfehlen" (Dingler (1914)). 17
Das ist alles, was der Mann, dem nachgesagt wird, er habe Mach gegen die Relativitätstheorie eingenommen, zu Lebzeiten Machs in dieser Sache publiziert hat: zwei lobende 18 Rezensionen von kleinen Schriften über die Relativitätstheorie mit einem Hinweis darauf, daß ihre Grundlagen auf Experimenten beruhten und ihr .formaler' Charakter dem Wissenschaftstheoretiker weitere Aufgaben stelle. Das heißt: Dinglers Schriften liefern nicht den geringsten Nachweis für die These, daß Dingler Mach zur Ablehnung der Relativitätstheorie bewogen habe. Im Folgenden soll das persönliche Verhältnis von Dingler und Mach untersucht werden, um zu überprüfen, ob sich von dort her Anhaltspunkte für eine Beeinflussung Machs gegen die Relativitätstheorie ergeben. Es war Mach, der am 4.4.1910 (HDA) mit Dingler brieflich Kontakt aufnahm. Anlaß war Dinglers erstes Büchlein von 1907 (Dingler (1907)), das Machs Interesse an dem dort zitierten schwer erhältlichen Aufsatz Dingler (1906) geweckt hatte. Zu Dingler (1907) bemerkt Mach: „Ich möchte Ihnen sagen, daß mich sowol die Übereinstimmungen als die Differenzen Ihrer und meiner Ansichten interessiren; dieselben sind auch aus der Verschiedenheit des Ausgangspunktes: Mathematik einerseits, Physik andererseits ganz wol verständlich." Was an Dinglers Erstlingswerk könnte Machs Aufmerksamkeit erregt haben? Dingler (1907) geht von dem Grundgedanken aus, daß Theorien in verschiedenen Gegenstandsgebieten der Mathe17
Es liegt im übrigen die Annahme nicht fern, daß Cohn — ein Machianer und Professor in Straßburg — Mach seinen Vortrag geschickt hat. D e n n Mach hat seinerseits Cohn die 7. Auflage der Mechanik gesandt, wofür sich Cohn am 2 5 . 3 . 1 9 1 2 (EMA) unter anderem so bedankte: „Als die erste Auflage erschien, stand ich vor der Habilitation. Sie hat mich durch mein ganzes Docenten-Dasein begleitet, ist mir immer ein Berater gewesen, und eine Hülfe in dem Streben, physikalischen ,Gesetzen' unbefangen, ohne Dogmenglauben, gegenüberzutreten. Als sich die .Mechanik des Elektrons' entwickelte, schlug ich Seite 207 auf, und schrieb an den Rand: 1883!. Seither haben wir noch in manchem umlernen müssen [...]. Die Geistesverfassung, die uns zum umlernen befähigt, haben wir uns zum guten Teil in Ihrer Schule erworben. Das gilt auch für die, die es nicht sagen — und vielleicht nicht wissen [...]." Die Seitenangabe bezieht sich auf die von Mach offengelassene Möglichkeit des Begriffs der variablen Masse eines Körpers.
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Wenn man Dinglers Zurückhaltung in Rechnung stellt, andere ohne Einschränkung zu loben, dann kann man diese beiden Rezensionen als nahezu hymnisch bezeichnen.
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matik und Physik die gleiche logische Struktur (.logischer Zusammenhang') haben können. 1 9 Die logische Struktur einer Theorie ist ein formales System, das der inhaltlichen Interpretation bedarf. Diesen Gedanken verknüpft Dingler mit der Idee eines absolut voraussetzungslosen und absolut sicheren Aufbaus der Wissenschaftssprache, welche die Semantik der formalen Struktur liefern soll. In diesem Ansatz zeigen sich bereits in nuce wesentliche Gesichtspunkte, die auch später für seine Wissenschaftslehre leitend sind, vor allem die Idee der operativen Definition der wissenschaftlichen Grundbegriffe nach bestimmten Normen. Diese Normen sollen die jeweils einfachsten sein, was Dingler als ,Machsches Ökonomieprinzip' bezeichnet. Empirische Abweichungen von diesen Normen werden als Störungen betrachtet. In diesem Sinne bezeichnet Dingler seinen Ansatz 20 als ,a priori': „Gesetze, welche vermöge unserer Prinzipien stets und unabhängig von allen zu ihrer Prüfung angestellten Experimenten und Beobachtungen gelten, wollen wir als ,a priori'sche Gesetze bezeichnen" (Dingler (1907), 61). Insbesondere ist der ,starre Körper', den eine auf dem Distanzbegriff aufbauende Geometrie voraussetzen muß, ein solcher ,a priori' zu definierender Begriff. 21 Dieser konventionalistisch gefärbte operative Ansatz einer physikalischen Semantik der euklidischen Geometrie ist völlig unabhängig von der Relativitätstheorie entstanden und war auch noch nicht in jenes umfassendere Konzept integriert, das Dingler
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Dieser Gedanke ergibt sich aus dem formalistischen Ansatz Hilberts, wonach etwa die Euklidische Geometrie seiner Grundlagen der Geometrie als ein Zeichensystem mit schematischen Prädikat- und Relationsbuchstaben aufzufassen sei, die erst durch semantische Interpretation, d. h. in einem konkreten Modell, Bedeutung erhalten. Eines von diesen Modellen ist die euklidische Standardgeometrie; es gibt aber auch andere, ζ. B. das Wellsteinsche Kugelgebüsch. Hilbert soll die Situation formaler Theorien sehr treffend durch den Ausspruch gekennzeichnet haben, sein formales System handle ebensogut von Tischen, Stühlen und Bierseideln wie von Punkten, Geraden und Ebenen. Zur Frage, inwieweit Dinglers Ansatz als konventionalistisch betrachtet werden kann, cf. Wolters (1985 b). Ich halte im übrigen Dinglers ursprüngliche Idee einer operativen physikalischen Semantik für eine der bedeutendsten Leistungen der deutschen Wissenschaftstheorie dieses Jahrhunderts. Dinglers zahlreiche Kritiker, die in den meisten Fällen dem philosophischen Niveau Dinglers und der Kreativität bei der Durchführung seines Ansatzes wenig entgegenzusetzen haben, konzentrieren sich im allgemeinen auf die dogmatischen Ansprüche, die Dingler mit seiner operativen Theorie verband. Wenn Mach im oben zitierten Brief an Dingler bemerkt, es würde ihm „lieb sein, zu erfahren, wie Sie [d. h. Dingler] sich in bezug auf die Euklidische Geometrie stellen", so liegt allein schon deswegen keinerlei Bezug zur Relativitätstheorie vor, da 1910 der Gedanke einer Verwendung der nicht-euklidischen Geometrie dort noch gar nicht aufgetaucht war. Vielmehr zeigt sich dasselbe Interesse Machs, wie es sich auch in den letzten Kapiteln von Erkenntnis und Irrtum ausdrückt.
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später zum Feind der Relativitätstheorie machte. Gerade die operationalistischen und konventionalistischen Aspekte der vom Ökonomieprinzip getragenen Dinglerschen Theorie dürften Mach nun sehr interessiert und wohl auch für Dingler eingenommen haben. An A. Thomsen schrieb Mach in diesem Sinne (23. 3.1911 (KBK*)): „Kürzlich ist hier ein junger Mathematiker aufgetaucht, Dr. Hugo Dingler, der eine ökonomische Theorie der Erkenntnis mit großer Selbständigkeit und, wie mir scheint, mit sehr schönem Erfolg vertritt." Auch dürfte sich Mach über die Hommage durch Dinglers ,Machsches Ökonomieprinzip' gefreut haben. Noch erfreuter allerdings scheint der soeben als Habilitand gescheiterte 29jährige Dingler gewesen zu sein, „mit dem Nestor und Klassiker unserer Forschungsrichtung in Verbindung treten zu können" (Dingler an Mach, 7.4.1910 (EMA)). Machs sich bereits in seinem ersten Brief andeutende positive Einschätzung von Dinglers ,Apriorismus', sprich: konventionalistisch gefärbtem Operationalismus, setzt sich in den folgenden Briefen fort. Nach Erhalt von Dingler (1910) 22 , in dem Mach als Vermittler zwischen dem Idealismus Kants und dem Empirismus J. St. Mills gefeiert wird, schreibt Mach, seinen strengen Empirismus fast entschuldigend: „Als ich aber durch reichlich 40 Jahre meinen Gegenstand von den verschiedensten Seiten betrachtete, war es gewiß weniger eigensinnige Abneigung gegen den Apriorismus, als das Bedürfnis, die Ausblicke von meinem ursprünglichen Standpunkt zu erschöpfen, was meine Versuche bestimmte" (Mach an Dingler, 4. 9 . 1 9 1 0 (HDA*)).
Durch solche Anerkennung beflügelt, rückte Dingler das ,Machsche Ökonomieprinzip' in Dingler (1911) noch mehr ins Zentrum seiner Überlegungen. 23 Ähnlich ist es in Dingler (1913). Irgendwelche Äußerungen in Richtung Relativitätstheorie sind damit nicht verbunden. Das gleiche gilt für den gesamten Briefwechsel, der im übrigen auf beiden Seiten kaum Wissenschaftliches enthält, wenn man von Dinglers (gelegentlich großspurigen) Berichten über das absieht, woran er gerade arbeitet.
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Diese populäre Schrift, als solche Vorgängerin der wissenschaftlicheren, gescheiterten Habilitationsschrift (Dingler ( 1 9 1 1 ) ) , ist Mach und Ostwald gewidmet. Davor wiederum glaubte Mach, so erfreut er darüber auch war, warnen zu müssen: „Vor der häufigen, zu häufigen Nennung meines Namens — obwol ich für jede Anerkennung sehr dankbar bin, möchte ich Sie im Interesse der Sache und in ihrem Interesse warnen. Ich glaube, daß Sie sich dadurch eine bedeutende Opposition schaffen" (Mach an Dingler,
16.3.1911 (EMA)).
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Einen ersten Höhepunkt in der Beziehung zwischen Mach und Dingler markiert das Erscheinen der 7. Auflage der Mechanik.. Ohne daß er dies Dingler vorher mitgeteilt hätte, schreibt Mach im Vorwort: „Zu Ende des abgelaufenen Jahrhunderts hatten meine Ausführungen über Mechanik am meisten Glück; man mochte fühlen, daß die empiriokritische Seite die am meisten vernachlässigte Seite dieser Wissenschaft sei. Nun aber machen sich wieder die Kantschen Traditionen geltend; man hat wieder das Bedürfnis nach einer Begründung der Mechanik a priori. Ich bin nun zwar der Meinung, daß, was man von einem empirischen Gebiet a priori wissen kann, sich immer nur der logischen Besonnenheit, nach mehrfachem Überblicken dieses Gebiets, offenbaren muß, glaube aber durchaus nicht, daß Untersuchungen, wie die von G. Hamel („Über Raum, Zeit und Kraft als apriorische Formen der Mechanik" in „Jahresbericht der deutschen Mathematiker-Vereinigung", Bd. 18, 1909; „Über die Grundlagen der Mechanik" in „Mathematische Annalen", Bd. 66, 1908) der Sache schaden werden. Beide Seiten der Mechanik, die empirische und die logische, fordern ihre Untersuchung. Ich denke, daß dies auch in meinem Buch deutlich genug zum Ausdruck kommt, wenn auch meine Arbeit aus guten Gründen sich besonders der empirischen Seite zuwandte. Mit 74 Jahren, von schweren Leiden getroffen, werde ich keine Revolution mehr machen. Ich hoffe aber wesentliche Fortschritte von einem jüngeren Mathematiker, Dr. Hugo Dingler, der sich, nach seinen Publikationen zu urteilen („Grenzen und Ziele der Wissenschaft", 1910; „Die Grundlagen der angewandten Geometrie", 1911), den freien unbefangenen Blick für beide Seiten der Wissenschaft bewahrt hat" (Μ., XVI f.). Dieser Text ist vielfach (vgl. ζ. B. Reichenbach (1922), 330 f.) so verstanden worden, daß Mach Dingler zu seinem geistigen Erben in Sachen Raum-Zeit-Philosophie erklärt und damit dessen Antirelativismus sanktioniert habe. Popper ( ( 1 9 6 9 a), 172, A n m . 8) meint sogar: „Mach [...] remained strongly opposed to it [i. e. „Einstein's Special Theory of Relativity"]; and though he alluded to it in the preface to the last (seventh) German edition (1912) of the Mechanik. [...] the allusion was by way of compliment to the opponent of Einstein, Hugo Dingier: Einstein's name and that of the theory were not mentioned" (Hervorhebung G. W.). Nun ist aber gezeigt worden, daß Dingler sich bis zu diesem Zeitpunkt weder in seinen Publikationen noch in seinen Briefen an Mach zur Relativitätstheorie auch nur mit einem Sterbenswörtchen geäußert hat. Folglich hat Machs lobende Erwähnung Dinglers nichts mit der Relativitätstheorie zu tun. Vielmehr drückt sich in ihr Machs Sympathie für den unter der Flagge des ,Apriorismus' segelnden konventionalistisch-operativen Ansatz Dinglers aus. Dabei sollte man nicht außer acht lassen, daß Mach sich über die Kritik physikalischer Grundbegriffe in fast jeder Form gefreut
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zu haben scheint, sofern sie von antimetaphysischen Grundsätzen getragen war. Ferner ist zu beachten, daß Mach Dingler in diesem Zusammenhang zwar deutlich hervorhebt, aber eben auch den ,Aprioristen' Georg Hamel 24 erwähnt. In den von Mach an dieser Stelle genannten beiden Schriften (Hamel (1909), Hamel (1909 a)) versucht Hamel beim Aufbau der Mechanik 2 5 „zu trennen, was mir an der Mechanik Ausfluß gewisser a priori denknotwendiger Urteile zu sein scheint, was sie also der Geometrie verwandt macht, von dem, was an ihr Hypothese oder Ausfluß der Erfahrung ist, sie also an die Seite der Physik stellt" (Hamel (1909 a), 357). Dazu kommen, so Hamel, noch Konventionen. „Als a priori oder denknotwendig bezeichne ich [...] Urteile, [...] die zum Teil jeder Mensch instinktiv anwendet und anwenden muß, damit er überhaupt Erfahrung erwerben kann" (Hamel, a. a. O., 361). Dazu zählt Hamel auch „Machs Prinzip der Denkökonomie" (ebd.). Überhaupt zeugen die beiden von Mach erwähnten Arbeiten Hamels von dessen kritischer Ehrerbietung gegenüber Mach: „Wenn die vorhergehenden Zeilen erkennen lassen, daß ich nicht in allem die Meinungen Kirchhoffs, Machs und Poincares teile, so wird doch niemand zweifeln, daß ich der aufklärenden Wirkung dieser bedeutenden Autoren eine fundamentale Bedeutung beimesse. Ich glaube nur, daß v o n ihnen noch nicht das Letzte und Tiefste in der Mechanik gesagt worden ist, wir müssen über ihre Kritik hinaus und zusehen, was an dem Alten gut, schön und notwendig ist" (Hamel (1909), 355). 2 6
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Georg Hamel (1877—1954) hatte bei Hilbert promoviert und war Professor für Mechanik an der Technischen Hochschule Brünn, bevor er 1912 Ordinarius der Technischen Hochschule Aachen wurde. 1919 wechselte er an die Technische Hochschule Berlin. Nach 1933 gehörte Hamel zu den Initiatoren einer .Deutschen Mathematik'. Für weitere Informationen zu Leben und Werk Hamels cf. den Enzyklopädieartikel „Hamel, Georg" von K. Mainzer, in: Mittelstraß (ed.) (1984), 2 9 - 3 0 . Ganz abwegig ist Millers ((1981), 180, Anm. 35) Vermutung, Mach habe auf ein angebliches ,neo-Kantian framework' (170) der Relativitätstheorie und damit auf Einstein hinweisen wollen. Mach nennt seine ,Aprioristen' beim Namen. Hamel (1909) avisiert einen zum Aufbau der Mechanik auf dem Begriff des Massenpunktes bzw. des starren Körpers alternativen Ansatz im Begriff des Volumenelements. Dieser Ansatz war auch von dem mit Hamel in Brünn lehrenden Mach-Schüler Jaamann vertreten worden. Später arbeitete Hamel an einem axiomatischen Aufbau der Mechanik in Analogie zu Hilberts axiomatischem Aufbau der Geometrie. An Machs Reaktion, Hamels Schriften im Mechanik-Vorwort als andersgeartete, aber nützliche Arbeit an Grundlagenfragen aufzufassen, kann man erkennen, wie weit seine Toleranz gegenüber anderen Vorgehensweisen geht, solange diese sachlich und fair sind. Dies ist um so höher einzuschätzen, als Hamel einen modifizierten ,Absolutismus' hinsichtlich des Bewegungsproblems vertritt, der Newton „von einigen Schlacken metaphysischer Art zu säubern" unternimmt (Hamel (1909 a), 358).
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Zur Relativitätstheorie findet man in den beiden von Mach erwähnten Schriften Hamels nichts. Das gleiche gilt für Hamels Lehrbuch Elementare Mechanik von 1912. Erst in der mehr populären Schrift Hamel (1921) findet man eine klar anerkennende, kurze Darstellung der Relativitätstheorie, wenn Hamel auch nach den Ausführungen des Vorworts „versucht, den wahren Kern der Theorie von dem umgehängten metaphysischen Gewände zu befreien." Daß Mach Dingler vor Hamel auszeichnet, dürfte daran liegen, daß Dinglers Arbeiten ausgeprägtere methodologische Züge tragen, sich viel enger an Mach anschließen und insbesondere wegen ihres operativen Charakters dem Empirismus näherstehen. Besondere Faszination mag wohl auf die Freunde des Dingler-Arguments die Tatsache ausgeübt haben, daß Dingler Mach auch persönlich getroffen hat. Hier ist allerdings sogleich festzuhalten, daß die ehrende Erwähnung Dinglers im Vorwort der 7. Auflage der Mechanik von 1912 mit diesem persönlichen Kennenlernen nicht in Verbindung steht. Dingler und Mach sind sich erst ein gutes Jahr später zum ersten Mal anläßlich eines Besuches Dinglers bei Mach begegnet. Dieser und noch ein weiterer Besuch Dinglers 27 bei Mach im Juli 1913 weisen allerdings eine auffallende Überschneidung mit dem angeblichen Datum des Optik-Vorworts ,Juli 28 1913' auf. Das Rätsel um die Besuche Dinglers bei Mach erhält dadurch noch eine besondere Note, daß die Aussicht auf den ersten Besuch Dingler zunächst einmal einen gehörigen Schrecken eingejagt hat. Denn so sind — wie sich zeigen wird — jene merkwürdigen und rätselhaften Sätze Dinglers in seinem Brief an Mach vom 1. Juli 1913 (EMA) zu verstehen: „Ich habe ein wenig Furcht, daß Sie mich nicht so finden werden, wie Sie vielleicht erwarteten. Es ist schwer, etwas abschließendes von sich selbst zu sagen; aber es läßt sich wohl sicher das sagen, daß ein Auge, das an möglichste Vorurteilslosigkeit und rücksichtslose Nüchternheit in der Wissenschaft gewöhnt ist, diese Fähigkeit sicher zuerst an seinen eigenen Fehlern geübt hat und übt." Der erste Entwurf dieses Briefes (HDA) gibt einen Fingerzeig darauf, daß die Erklärung dieser unvermittelten Sätze in Dinglers persönlicher Situation und in der Art und Weise seines bisherigen Kontakts zu Mach gesucht werden muß. Im genannten Entwurf heißt es unter anderem:
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Insgesamt hat Dingler Mach viermal besucht. Zweimal im Juli 1913, noch einmal vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs und ein letztes Mal Ende 1914. Thiele ((ed.) (1978), 232) zieht in Erwägung, daß Mach und Dingler über Einsteins Brief an Mach vom 25. 6.1913 gesprochen haben.
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„Aber es scheint, daß man die Vorurteilslosigkeit in der Wissenschaft oft nur dadurch erkaufen kann, wenn man sie gegen sich selbst anwendet [gestrichen: d. h. in,sich selbst etwas problematisch ist. Die geschlossene Persönlichkeit], was doch wohl stets mit einer etwas grüblerischen Natur und Selbstproblematik einhergeht, wenn nicht überhaupt hierin ein gewisses Causalverhältnis besteht."
Mit diesen Worten sprach Dingler eine persönliche Problematik an, die in den Tagebüchern und in den autobiographischen Entwürfen reichlich dokumentiert ist: den Widerstreit zwischen hypertropher Selbsteinschätzung 29 und schweren Minderwertigkeitsgefühlen, die sich in einer von Dingler immer wieder beklagten Schüchternheit' und Kontaktarmut ausdrückten und eine gewisse objektive Nahrung durch die Rückschläge in seiner akademischen Karriere erhielten. 30 Speziell die Jahre 1912/1913 sahen Dingler in einer miserablen psychischen Verfassung. In scharfem Kontrast dazu stehen der abgeklärte Ton seiner Briefe an Mach und solche Sätze wie der, mit dem der 29jährige (!) die „Vorbemerkung" von Dingler (1910) beginnt: „Das vorliegende Büchlein soll einen Teil der Resultate langjähriger Studien über die Theorie der exakten Wissenschaften in populärer Form darlegen." Die Zahl ähnlicher, scheinbar von großem Selbstbewußtsein zeugender Sätze aus den bis Juli 1913 erschienenen Schriften Dinglers ließe sich ohne weiteres vermehren. Kurz, als der Besuch bei Mach ins Haus stand, hatte Dingler Angst, seine persönliche Erscheinung könne in zu argem Kontrast zu jenem Selbstbild stehen, das er in seinen Briefen und Schriften entworfen hatte. Ob oder wieweit sich diese Befürchtung bewahrheitet hat, ist nicht mehr auszumachen. Wie auch immer: am Freitag, dem 4. Juli 1913, bestieg Dingler (wohl nachmittags) um 4 Uhr 45, am Ostbahnhof zu München den Zug nach 29
Schon als Schüler hatte Dingler, im Blick auf die kommenden historischen Dimensionen seiner Persönlichkeit, alles Geschriebene aufbewahrt und alles was passierte, schriftlich zu fixieren versucht. Er merkte jedoch bald, daß bei konsequenter und dauernder Durchführung dieses Projekts jede Unmittelbarkeit verlorenginge und das Genie am Ende in seiner Dokumentation untergehen würde. A m 3 0 . 1 . 1 9 1 2 meldet das Tagebuch, nicht zum erstenmal mit dieser Metapher und, wie der Kontext zeigt, ohne jede Selbstironie: „Daß ich zunächst an meiner Erkenntnistheorie nicht arbeiten kann, tut mir sehr weh. Ich gehe umher wie eine K u h , der die Milch das Euter sprengen möchte, und niemand kommt sie zu melken." Mit ebensowenig Selbstironie heißt es in autobiographischen Aufzeichnungen des 35jährigen, die am 8. Februar 1 9 1 6 beginnen („Die Geschichte meines Geistes"): „Was soll ich jetzt? Soll ich, Prometheus, das den Göttern geraubte Feuer benutzen, um nur Bratwürstel damit zu braten?"
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Auch seine intensiven Versuche, eine Frau zu finden, scheiterten; von der äußerst mäßigen finanziellen Lage Dinglers nicht weiter zu reden. Immer wieder befand sich Dingler in jenen Jahren hart am Rande des psychischen Zusammenbruchs.
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Machs Wohnort Vaterstetten. Am Dienstag, dem 15. Juli 1913, wiederholte Dingler den Besuch.31 Über beide Besuche berichtet ausführlich das Tagebuch (HDA) in einer Art Gedächtnisprotokoll (vollständiger Text als Beilage 1 und 2). Es ist in der Tat von der Relativitätstheorie die Rede gewesen. Allerdings ganz beiläufig im Rahmen einer Plauderei über Gott und die Welt. Im Protokoll vom 5. Juli 1913 heißt es: „Frug wegen Arbeiten. Relativitätstheorie. Habe darüber nachgedacht. „Optik" habe er dreimal geschrieben, die müsse sein Sohn fertig machen." Das ist alles. Mach hat über die Relativitätstheorie .nachgedacht'. Das ist keine Überraschung und für den Leser dieses Buches keine Neuigkeit. Wesentlich mehr hat Mach offensichtlich gegenüber Dingler zu diesem Thema auch nicht geäußert. Und dies just in dem Monat, in dem er angeblich so barsch die Relativitätstheorie und seine eigene Wegbereiterrolle für diese Theorie abgelehnt haben soll! In einer Polemik gegen Petzoldt im Vorwort zu Physik und Hypothese bemerkt übrigens Dingler im Jahre 1921, daß er „selbst erst Mitte 1920 erfuhr, [daß Mach] ein bewußter Gegner der Relativitätstheorie [...] war" (Dingler (1921), VIII). Auch bei dem Besuch vom 15. Juli 1913 kommt die Relativitätstheorie kurz zur Sprache: „Ich: Hoflers Didaktik der Astron[omie] 32 ist erschienen, [unleserlich] sehen, was über Relativität. Er: Höfler meint, damit es etwas relatives gebe, müsse es zuerst etwas absolutes geben. 33 Ich: Kennen Sie F. Poske? Er: Ja das ist ein dicker Freund Höflers [...]." Zum Schluß sei noch untersucht, zu welchem Zeitpunkt Dingler seine spätere antirelativistische Position eingenommen hat. Die Tagebücher, aus denen allerdings auch Seiten herausgeschnitten wurden, geben hierüber keine Auskunft, wohl aber Dinglers spätere autobiographische Aufzeichnungen. In dem am 12.3.1952 angefangenen Manuskript „Das Werden einer Wahrheit" (HDA) heißt es: „ A n der Universität (München, G . W.) w a r unter Leitung v o n L i n d e m a n n 3 4 ein mathematisches C o l l o q u i u m f ü r die D o z e n t e n und D o k t o r a n d e n . Hier berichtete ca. 1 9 1 1 Rosenthal über eine ganz neue physikalische Theorie, über 31
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34
Über den dritten Besuch, der wohl nach Juli 1913 stattfand, sind keine Informationen erhalten. Nur über den letzten Besuch wird Dingler wieder kurz berichten (cf. Beilage 3). Höfler (1913). Dieser Einwand Höflers wird von Mach bereits in (M., 268) zurückgewiesen. Höfler setzt diese alte, etwas stumpf gewordene Waffe in Höfler ((1913), 290 ff.) nun auch gegen die Relativitätstheorie ein, durch die „Machs Relativismus speziell in Sachen der Bewegung gerade in unseren Tagen die umfassendste Sanktion erhalten zu haben scheint" (a. a. O., 290). Ferdinand Lindemann (1852 — 1939) war Ordinarius in München. Er wurde vor allem durch seinen Beweis der Transzendenz von π bekannt.
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Mach und die Mach-Forschung II
die Relativitätstheorie eines Herrn Einstein, von der ich dabei zum ersten Male [!] hörte. Was ich vernahm, schien mir unverständlich und abstrus. Das war meine erste Berührung mit der Denkweise der theoretischen Physiker, die einen bestimmenden Einfluß auf mein ganzes Leben ausüben sollte; ohne sie aber schon klar durchschauen (Hervorhebung G. W.), wohl schon deshalb, weil ich es im Stillen wohl noch nicht für möglich hielt, daß Mathematiker ernsthaft so denken könnten" (a.a.O., 14). Dingler hat also den Vortrag über die Relativitätstheorie nicht genau verstanden und ihn insbesondere nicht in irgendeine Beziehung zu seiner Methodologie gesetzt. Überraschend ist auch, daß Dingler offenbar erst 1911 das erste Mal überhaupt von der Relativitätstheorie gehört hat. Man kann dies als ein Indiz dafür nehmen, wie sehr er beruflich beansprucht bzw. ganz in seine eigenen Arbeiten versenkt war. Es ist sogar so, daß nicht einmal er selbst später die Idee eines Widerspruchs zwischen seiner Methodologie und der Relativitätstheorie hatte. Der Anstoß kam vielmehr von außen. In dem autobiographischen Manuskript „Die Geschichte meines Denkens" (angefangen am 1 9 . 1 2 . 1 9 4 3 (HDA)) heißt es: „Eines Tages 1917 sagte Ewald 35 [im Rahmen eines Cafehausstammtischs in München, an dem sich vor allem Schüler von Sommerfeld und Roentgen trafen] zu mir, wie sich denn mein Resultat in meinen „Grundlagen der angewandten Geometrie" daß die euklidische Geometrie gelte mit den neuen Resultaten der Einsteinschen Relativitätstheorie vereinen lasse. Die Einstellung, die sich anschließend an diese Frage bei den Theoretikern kundtat, zeigte mir, daß man dort meine Resultate als gegnerisch empfinde und daß keinerlei Verständnis dafür noch vorhanden sei. Auch Gespräche mit Seeliger, der sehr über die Einsteinische Entwicklung klagte, bewiesen, daß diese Richtung rapid an Boden gewann und mit einer religionsartigen Überzeugungskraft aufgenommen wurde, sodaß für Diskussionen und Einwände immer weniger Raum blieb. Das zeigte mir die furchtbare Gefahr, die auf dieser Linie lag. Immer mehr mußte ich hier (d. h. in der Relativitätstheorie, G. W.) die Mauer sehen, die einer richtigen Einsicht entgegenstand. Wenn ich dieser (d. h. Dinglers eigener Methodologie, G. W.) also zum Durchbruch verhelfen wollte, so mußte, so schien es mir, daneben (richtig wohl: dann eben, G. W.) diese Mauer zum Einsturz gebracht werden. Ich faßte daher den Gedanken, beides zu vereinen, d. h. die Darstellung des von mir eben erkannten Systems mit einer prinzipiellen Kritik der Relativitätstheorie zu verbinden" (a.a.O., 116). Diese Ausführungen machen klar, daß der in seine Gedanken eingesponnene und in den ersten Kriegsjahren ohnehin durchs Militär absor35
Peter Paul Ewald (* 1888), Spezialist für Kristallographie, emigrierte 1937 nach Großbritannien, von dort 1948 in die USA (cf. International Biographical Dictionary of Central European Emigres 1933-1945, Bd. I, München 1983).
Hat Dingler Mach zur Ablehnung bewogen?
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bierte Dingler bis 1917 die Relativitätstheorie nur en passant wahrgenommen hatte. Auf den Gegensatz zwischen der Relativitätstheorie und seiner Wissenschaftslehre mußte er durch andere aufmerksam gemacht werden. Für jemanden, der wie Dingler seine Lehre für die absolute Wahrheit hielt, mußte Widerspruch, wie der von selten der Relativitätstheorie, Feindschaft bedeuten. Das hier begründete Ressentiment gegen eine erfolgreiche Theorie durchzieht die weitere Entwicklung der Dinglerschen Wissenschaftslehre. Obwohl Dingler nach eigener Einschätzung der Größere ist, bedarf er doch, wenn auch ex negativo, der Förderung durch Einstein: „In dieser Schlacht der Parteien, versuche ich der Wahrheit allein zu dienen. Ich weiß es alles, nur daß mich die Menschen nicht hörten. Da kam Einstein. Dies gab die nötige Resonanz, daß auch ich ein wenig gehört werde." 36 Damit dürfte die spekulative These widerlegt sein, Dingler habe Mach gegen die Relativitätstheorie eingenommen. Die Dokumente zeigen eindeutig, daß diese Beeinflussung nicht stattgefunden hat und auch nicht stattfinden konnte, da Dingler erst ein Jahr nach dem Tode Machs von dritter Seite auf die Diskrepanz zwischen seiner Wissenschaftslehre und der Relativitätstheorie aufmerksam gemacht werden mußte.
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Tagebucheintrag 8 . 1 . 1 9 2 1 in Tagebuch: 2 0 . 1 . 1 9 1 8 - 1 2 . 1 0 . 1 9 2 1 (HDA).
Kapitel VI Was wirklich geschah I: Vorgeschichte § 36
Biographisches Interme^o
I: Mach und seine Familie
Es ist auffallend und merkwürdig, daß kaum ein Buch über Mach auf eine Biographie Machs verzichtet. Dies gilt schon für Henning (1915), die erste umfassende, auch heute noch lesenswerte Darstellung der Machschen Philosophie und Wissenschaftslehre, ebenso für Ratliffs Darstellung der Theorie der Mach-Bänder (Ratliff (1975)) und für Bradleys Mach-Buch (Bradley (1971)), das eine Kurzbiographie enthält. Blackmores Mach-Buch versteht sich ohnehin als wissenschaftliche Biographie und bietet — wenn auch gelegentlich mit Vorsicht zu genießen — eine Fülle biographischer Daten, die auf einem umfangreichen Studium unpublizierten Materials beruhen. Von besonderem Wert ist Hellers Buch über Mach als „Wegbereiter der modernen Physik" (so der Untertitel von Heller (1964)), in dem klug ausgewählte Mach-Texte von kurzen, kenntnisreichen biographischen und doxographischen Einführungen begleitet werden. 1 Neben den vielen biographischen Äußerungen über Mach gibt es noch drei kurze Autobiographien Machs, die von Blackmore herausgegeben wurden (Blackmore (ed.) (1978)). Eine vierte, die offensichtlich im Nachlaß Machs vorhanden war, jetzt aber nicht mehr auffindbar ist, stand Heller zur Verfügung (cf. Heller (1964), 13). Machs faszinierende Persönlichkeit, seine Leistung und sein Schicksal haben eine große biographische Anziehungskraft ausgeübt. Nun sind für die Zwecke dieser Arbeit die bekannten biographischen Daten nur zum Teil wichtig. Für unsere Zwecke sind insbesondere Machs letzte Lebensjahre, seine Krankheit, seine finanzielle Lage und die Situation 1
Heller scheint auch geahnt zu haben, daß mit dem Optik-Vorwort etwas nicht in Ordnung ist. Denn nach einem kurzen Hinweis auf die Zeugnisse für eine positive Einstellung Machs zur Relativitätstheorie und auf die Ähnlichkeit der Machschen und Einsteinschen Methodologie schreibt Heller: „Es ist bemerkenswert (Hervorhebung G. W.), daß die einzige dokumentarisch nachweisbare, ablehnende Stellungnahme Machs zur Relativitätstheorie im Vorwort der „Optik" zu finden ist, die [...] nach dem Tode Machs von seinem Sohne Ludwig veröffentlicht wurde" (Heller (1964), 148).
Biographisches Intermezzo I: Mach und seine Familie
275
seiner Familie von Bedeutung. Vor allem aber soll Ludwig Mach in das Zentrum der Darstellung gerückt werden. Von den vorliegenden MachBiographien unterscheiden sich die folgenden Ausführungen auch dadurch, daß in ihnen eher Privates zur Sprache kommt. Dies geschieht nicht ohne Zögern. In einer Zeit, in der nichts so privat ist, daß es nicht in den Medien breitgetreten würde, in einer Zeit, in der die Möglichkeiten staatlicher Registrierung und Überwachung der Lebensäußerungen des Individuums beängstigende Ausmaße erreicht haben, in einer solchen Zeit erhält die an sich selbstverständliche Pflicht der Achtung der Privatsphäre ein ganz besonderes Gewicht. Auch Verstorbene dürfen von dieser Achtung nicht ausgenommen werden. Es sind vor allem drei Gesichtspunkte, die mich dennoch veranlassen, Privates einer wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich zu machen: (1) Die hier benutzten Dokumente sind nicht durch Zufall oder gegen den Willen der betroffenen Personen erhalten geblieben, sondern wurden in deren Nachlässen der wissenschaftlichen Welt zum Gebrauch überlassen. (2) Alle Beteiligten sind seit mehr als 30 Jahren verstorben. (3) Der Eingriff in die Privatsphäre ist nicht durch Sensationslust motiviert, sondern hat einzig und allein den Zweck, ein Rätsel der Wissenschaftsgeschichte zu lösen und dadurch einen großen Toten, Ernst Mach, in einer wichtigen Angelegenheit zu rehabilitieren. Die nüchterne Form der wissenschaftlichen Darstellung mag die Achtung vor den Personen, deren Schicksal, soweit erforderlich, hier ausgebreitet wird, unterstreichen. 2 Ernst Machs wissenschaftliche Karriere verlief zielstrebig und geradlinig. Nach fünfjährigem Studium an der Wiener Universität erfolgte 1860 die Promotion in Physik, 1861 die Habilitation. 1864 erreichte Mach ein Ruf als Professor der Mathematik nach Graz, dem er mangels Besserem Folge leistete, obwohl er kein Mathematiker war. 1866 wurde er in Graz 2
„An die Nachgeborenen [...] Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut In der wir untergegangen sind Gedenkt Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht Auch der finsteren Zeit Der ihr entronnen seid [...] Gedenkt unsrer Mit Nachsicht" (B. Brecht, Gesammelte Gedichte, Bd. 2, Frankfurt 1976, 724 f.). D e n Hinweis auf dieses Gedicht verdanke ich Dr. Rainer Hegselmann, Essen.
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Was wirklich geschah I: Vorgeschichte
auch Physikprofessor; 1867 übernahm er den Prager Lehrstuhl für Physik. Es scheinen sich Mach nicht viele Möglichkeiten eröffnet zu haben, von Prag wieder wegzukommen: 1884/1885 betrieb der schon mehrfach erwähnte Münchener Astronom Hugo von Seeliger Machs Berufung nach München als Nachfolger von Plancks Lehrer Philipp von Jolly (1809 — 1884). 1882 hat auch ein Ruf aus Jena vorgelegen. 3 1895 — nach 28 Jahren Prag — wurde Mach schließlich in Wien Professor für ,Philosophie, insbesondere Geschichte und Theorie der induktiven Wissenschaften'. Damit eröffnete sich ihm die institutionelle Möglichkeit, sich stärker der Ausarbeitung einer historisch gestützten Methodologie der Physik zu widmen. Die Freude darüber währte jedoch nicht lange. Auf einer Zugfahrt nach Jena zum Besuch seines ältesten Sohnes Ludwig erlitt Mach im Juli 1898 einen Schlaganfall mit nie mehr ganz behobener Lähmung der rechten Körperhälfte, erheblicher Beeinträchtigung der Sprachfahigkeit (cf. Α., 143.)4 und — wie sich aus der Korrespondenz ergibt — quälenden Problemen mit der Harnblase, die meist zweimal täglich ,Spülungen' (d. h. Katheterisierung) erforderten. Hinzu kamen schwere Schlafstörungen und Neuralgien sowie die Folgen einzelner Stürze, die Mach wochen-, manchmal monatelang ans Bett fesselten und am Arbeiten hinderten. Nach seinem Schlaganfall war Mach fest davon überzeugt, daß er nur noch kurze Zeit zu leben haben werde. So schrieb er im Vorwort zur 2. Auflage der Analyse der Empfindungen („im April 1900"): „Ich möchte jedoch diese letzte Gelegenheit nicht vorübergehen lassen [...]" (Α., VIII). Ähnlich äußerte er sich in zahlreichen Briefen, die er von nun an mit der Schreibmaschine schrieb, und die zunehmend persönliche Kontakte ersetzen mußten. Im Mai 1913 übersiedelte Mach nach Vaterstetten bei München. Dort hatte sein Sohn Ludwig in einem abseits gelegenen Waldstück ein Haus bauen lassen, das alle Ansprüche eines privaten Laboratoriums erfüllte und auch sonst den Bedürfnissen des alten Mach entsprechend gebaut war (cf. Dinglers Bericht über seinen Besuch bei Mach in Beilage 3). In diesem Haus starb Mach am 19. Februar 1916, 18 Jahre nach seinem Schlaganfall.
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Ersteres ergibt sich z . B . aus Seeligers Brief an Mach (cf. Thiele (ed.) (1979), 3 9 3 f f . ) , letzteres ζ. B. aus einem Brief Machs an Meinong, der eine Berufung Machs nach Graz ins Auge faßte (cf. Thiele, a. a. O., 392, Anm. 3), sowie aus Machs Personalblatt (AUW). Offensichtlich handelte es sich um eine motorische Aphasie, eine Sprechstörung bei intaktem Sprachverständnis. Daß der Schlag Mach auf der Bahnfahrt nach Jena traf, erwähnt Jerusalem (1916), der ein herzliches, persönliches Verhältnis zu Mach hatte und eine A r t philosophischen, insbesondere philosophie-historischen Gewährsmann für ihn darstellte.
Biographisches Intermezzo I: Mach und seine Familie
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Überblickt man die nur zum Teil vorliegende Korrespondenz Machs nach seinem Schlaganfall im Jahre 1898, dann wird deutlich, wie oft und wie lange er, abgesehen von seinem Basisleiden der rechtsseitigen Lähmung und der damit verbundenen Dysfunktion der Harnblase, durch ständige, neu auftretende Erkrankungen in seinem Befinden beeinträchtigt war und oft genug ganz an der Arbeit gehindert wurde. Dazu eine keineswegs vollständige Zusammenstellung aus den nur teilweise erhaltenen Briefen Machs. Mach entschuldigt hier häufig, daß sich die Beantwortung eines Briefs wegen Krankheit verzögert habe. Dies ist nun keine Notlüge, die Schreibfaulheit, Desinteresse oder anderweitige Verhinderung vertuschen soll. Mach war vielmehr auch nach seiner Erkrankung ein begeisterter Briefschreiber und bat manchmal geradezu flehentlich darum, daß man ihm schreibe. An Paul Carus (undatiert 1901/1902 (OCA)): „Ich war seit Ihrer Abreise von Wien immer mit Korrektur von Neuauflagen beschäftigt trotz Rheumatismus etc.". An Otto Wiener (18.11.1902 (LEI)): „Sie haben die Güte nach meinem Befinden zu fragen. [...] Die motorischen Lähmungen haben aber doch viele kleine Gebrechen im Gefolge, deren Summe eine beträchtliche Last darstellt." An Carus (1.2.1903 (OCA)): „[...] da ich etwa 14 Tage im Bett zubringen mußte." An Carus (29. 8.1903 (OCA) ): „Ich leide seit 5 Wochen an einem sehr schmerzhaften Rheumatismus, der mich an jeder Arbeit hindert." An Carus (17.10.1903 (OCA)): „In den letzten 21j2 Monaten ist es mir gar nicht gut gegangen. Mein .gesundes' Bein verursacht mir sehr peinliche Schmerzen, welche durch die Versicherung, daß es nur eine Neuralgie sei, gar nicht gemildert werden." An Petzoldt (25.11. 1903 (TUB, Pe 42-1)): „[...] wegen meines lästigen Unwohlseins [...]." An Pierre Duhem (15.5.1904 (PAR)): „Ich war vier Wochen krank, und bin noch so geschwächt, daß ich Ihnen, nur mit wenigen Zeilen für Ihren freundlichen Brief und für Ihre gütige Sendung danken kann." Petzoldt an Mach (3.9.1904 (EMA*)): „[...] mit Bekümmernis ersah, daß Sie wieder von Schmerzen gequält worden sind." Soweit die bis an Machs Ende fortsetzbare Chronik des Leidens. Es sei nur noch erwähnt, daß sich im Sommer/Herbst 1912 eine bedeutende Verschlechterung einstellte, die Mach nicht mehr zu überleben glaubte: „Nach einem ganz unerwarteten und schweren Fall, den ich getan, liege ich nun seit vielen Wochen ganz unbeweglich und hilflos, schreibe heute zum ersten Male an Sie. Am 18. August fiel ich hin. Heute ist der 4. Oktober [...]. Sollte dies mein letzter Brief sein, so bitte ich um ein freundliches Andenken" (an Carus, 4.10.1912 (OCA)). Doch Mach erholte sich wieder, siedelte nach Vaterstetten um und schöpfte neue Hoffnung.
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Was wirklich geschah I: Vorgeschichte
An Petzoldt schrieb er (24. 5.1913 (TUB, Pe 42-5)): „Bin zu meinem Sohn Ludwig nach München umgezogen. Bin noch nicht gesund, hoffe es aber zu werden." Doch diese Hoffnung zerschlug sich. Resigniert blickt Mach in einem Brief vom 6. 4.1914 an Carus (OCA) auf ein Jahr in Vaterstetten zurück: „Es geht mir hier nicht sehr gut mit der Gesundheit, ich bin hier viel krank, wie es im 77. Jahr meines Lebens nicht verwundern kann." In der restlichen Zeit, die ihm verblieb, ist Mach mehr schwer krank als leidlich gesund gewesen. Im letzten bekannten Brief, den Mach eine Woche vor seinem Tod an Otto Wiener schrieb (12.2.1916 (LEI*)), heißt es: „Ich bitte zu entschuldigen wenn ich Ihr freundliches Schreiben vom vorigen Jahre wegen meines schlechten Gesundheitszustandes, zu dem sich in letzter Zeit auch mannigfache andere Beschwerden gesellten, erst heute beantworten kann." Es ist keine Frage, daß Machs Krankheit und Siechtum nicht ohne Auswirkung auf seine seelische Verfassung geblieben sind. 5 Dies um so mehr, als er selbst von einer — allerdings angeblich überwundenen — Neigung zur Schwermut in seiner Jugend spricht. 6 Auffallig ist jedoch, wie selten, jedenfalls in den bekannten Briefen, Melancholie, Mißmut und dergleichen zutage treten, und wenn, dann stets in distanziert reflektierter Form. So ζ. B. in der Schlußformel eines Briefs an Popper-Lynkeus vom 25.11.1914 (SMI): „Herzlich grüßend Ihr treuer zuweilen sehr mißmutiger [...]." Machs Briefe enthalten — selten genug — das Wort ,mißmutig', aber sie sind es nicht. Auch ist kein Brief Machs an Außenstehende bekannt, in dem sich gereizte Überreaktion, versteckte Depression, Wehleidigkeit oder Ähnliches äußert. Vielmehr zeigen sich ein grimmiger Humor, ζ. B. wenn er auf Ärzte zu sprechen kommt, und manchmal die dann doch
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Mach schreibt sicher auch aus eigener Erfahrung: „Mit dem Wechsel der Organempfindungen, etwa durch Krankheit, wechseln dann auch die Erinnerungen und die ganze Persönlichkeit" (EI., 69). Mach an Petzoldt ( 1 9 . 8 . 1 9 1 4 (TUB*, Pe 42-11)): „Mein Vater war nach dem Tode der Mutter ein schwerer Melancholiker; ich war es in meiner Jugend auch, bis in späteren Jahren das heitere Temperament der Mutter durchbrach. Ich konnte und durfte (Hervorhebung G. W.) mich keinen Selbstmordgedanken hingeben — und es war gut so, daß ich mir meine Subsistenz schaffen mußte." Mach scheint auch später eine äußerst sensible leib-seelische Konstitution gehabt zu haben. So berichtet er in einem Brief an Carus (15.2.1915 ( O C A ) ) , daß sich im Anschluß an einen „großen Verdruß mit einem Assistenten, der zu dessen sofortiger Entlassung führte", eine schwere Sehstörung eingestellt habe, die bis zu seinem Schlaganfall angedauert hätte. Hierhin gehört auch seine im Anschluß an eine Malariaerkrankung erworbene Fähigkeit, „durch den bloßen Gedanken an Schüttelfrost diesen selbst hervorzurufen" (EI., 62).
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immer wieder enttäuschte Hoffnung, es möchte noch einmal entscheidend aufwärtsgehen. Allerdings hat Mach sich über seinen Zustand auch keine Illusionen gemacht. Immer ist sein Bemühen erkennbar, alle Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen. Ζ. B. in einem Brief an Carus vom 12. 2.1912 (OCA): „Wer darunter (d. h. unter Machs Zustand, G. W.) leidet, ist meine Frau. Denn es ist gewiß keine Kleinigkeit, einen erwachsenen Menschen täglich zu waschen und anzuziehen, wie ein Kind, jedoch ohne die Aussicht, daß es größer, selbständiger und gescheidter wird, sondern nur mit der Aussicht auf ein Begräbnis. Hätte sie mich den Ärzten überlassen, so wäre ich nicht nur längst bankerott, sondern auch längst todt. Es ist ohnehin besser ausgegangen, als ich denken konnte. Wer hätte annehmen können, daß ich 14 Jahre nach meiner Apoplexie noch leben würde? Ich habe seitdem noch neue Bücher geschrieben und manchen Defekt älterer Schriften noch in befriedigender Weise ausgeflickt."
Mit anderen Worten: Nach allem, was bekannt ist, hat Mach sein fast 18jähriges schweres Leiden mit großer Geduld und Ergebenheit getragen. Dafür, daß Verbitterung ihn zu ungerechten Reaktionen veranlaßt hätte, ist kein Beleg bekannt. Machs Arbeiten aus diesen letzten Jahren zeugen von seiner unverminderten Hingabe an die Wissenschaft, zu der nun heroische Ausdauer und Disziplin hinzutreten. In Erkenntnis und Irrtum (1905), einem Buch von mehr als 450 Seiten, bringt Mach seine ausgearbeiteten Wiener Vorlesungen zum Druck. Er arbeitet (auch experimentell) an den schon in Prag begonnenen Prinzipien der physikalischen Optik (posthum 1921) weiter, die gegen Ende seines Lebens abgeschlossen sind. Er schreibt den ersten Teil von Kultur und Mechanik (1915) und scheint für seine Abhandlungen über Interferenz experimentiert zu haben. Mehrere Aufsätze befassen sich mit Geometrie. Zu diesem Zweck studiert Mach ausführlich nichteuklidische Geometrie. Hinzu kommen mehrere erkenntnistheoretische sowie populäre Aufsätze und teilweise erhebliche Erweiterungen in Neuauflagen seiner älteren Bücher.7 Daneben liest Mach Bücher aus vielen Wissensgebieten sowie schöne Literatur. In den Neuauflagen seiner Arbeiten sucht er mit den jeweiligen Neuerscheinungen Schritt zu halten. Immer wieder ist in der Korrespondenz von neuen Büchern die Rede; auch in seinen alten
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Thieles Bibliographie (Mach (1969), 31 ff.) vermittelt einen lebhaften Eindruck von den Aktivitäten Machs, die das heute bei Jungen und Gesunden übliche Maß eher zu überschreiten scheinen.
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Tagen dürfte er zu den besten Kunden der Geroldschen Buchhandlung in Wien gehört haben. 8 Die Arbeitsleistung Machs nach 1898 ist um so höher zu bewerten, als er nicht nur durch Alter und Krankheit behindert wurde, sondern weil auch die familiären Umstände seine gesundheitliche Malaise nicht gerade zu kompensieren geeignet waren. 9 Mach hatte am 1. August 1867 in Graz die um 7 Jahre jüngere Vollwaise Louise Marussig geheiratet. Die beiden hatten fünf Kinder 10 : Ludwig (* 1868), Caroline (* 1873), Heinrich (* 1874), Felix (* 1879), Viktor (* 1881). Caroline ( f l 9 6 5 ) wanderte zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt zu ihrem Sohn in die USA aus. Sie scheint, vielleicht neben Viktor, das einzige der Kinder gewesen zu sein, das in seinem Leben nicht mit großen Problemen zu kämpfen hatte. Heinrich Mach war wohl das wissenschaftlich talentierteste der MachKinder. Er studierte Chemie und wurde am 30. Juli 1894 in Göttingen mit einer Arbeit über Abietinsäure promoviert. In der Nacht vom 10. auf den 11. September 1894 nahm er sich an seinem Studienort mit einer Überdosis Morphium das Leben. 11 Dieses Ereignis scheint Mach nie mehr verwunden zu haben. Als Ursache für den Freitod des Sohnes nannte er gegenüber Carus (14.10.1894 (OCA)), Heinrich habe „wie nachträglich aufgefundene nicht abgesandte Briefe beweisen, periodisch an Trübsinn" gelitten. Knapp 20 Jahre später, im Jahre 1913, hat Mach die Vorstellung geäußert, daß ein Fehlen materiellen Drucks ursächlich gewesen sei: „Ich wollte ihn eingedenk meiner eigenen Jugend nicht darben lassen. Hätte er sein Brod verdienen müssen, hätte er zu solchen Unternehmungen keine Zeit gefunden." 1 2 In einem Brief an Petzoldt (TUB, Pe 42-11), aus dem schon 8
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Bücherrechnungen von Gerold aus den Jahren 1910 und 1911 sind erhalten (VAT). Die über 3000 Nummern der Ackermannschen Antiquariatskataloge (Ackermann (1959/ I960)), die sich zum Teil auf vielbändige Werke beziehen, erfassen nicht die ganze Machsche Bibliothek, vor allem nicht die Klassiker der Literatur. Blackmore ((1972), XV) bringt einen Stammbaum der Familie Mach und a.a.O., XVIII einen chronologischen Abriß des Machschen Lebens. Cf. Blackmore (1972), 41. Blackmores Zuordnung familiärer Spitznamen ist nur teilweise richtig: ,ΑΖΖΟΓΓ ist nicht Viktor, sondern die Mutter, und ,Sultl' nicht Felix, sondern der Vater. Diese Zeitangabe findet sich auf einem undatierten Zettel (VAT) von Ludwig Mach, auf dem die Lebensdaten seiner Eltern, seiner Frau und seiner verstorbenen Geschwister stehen. Er selbst hat sich mit dem Geburtsdatum daruntergesetzt. Die Todesart erwähnt Mach in einem Brief an Carus (14.10.1894 (OCA)). Mach, Autobiographie von 1913, in: Blackmore (ed.) (1978), 417. Heinrich Mach scheint tatsächlich ein flottes Studentenleben geführt zu haben. Der „Göttinger Anzeiger" erwähnt
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zitiert wurde, daß Mach sich keinen Selbstmordgedanken habe hingeben können, weil er für seinen Unterhalt habe arbeiten müssen, heißt es weiter: „Ich glaube heute, daß mein jüngerer Sohn Heinrich, den ich in der kritischen Zeit der Pubertätsentwicklung nach Göttingen schickte, ebenfalls [!] psychopathisch war und daß ich ihn durch die sorgfältige Hilfe, die ich ihm angedeihen ließ, %um Selbstmord getrieben habe" (Hervorhebung G. W.). Diese Selbstbeschuldigung, ob zu recht oder nicht, enthält einen wichtigen Gesichtspunkt, der auch im Verhältnis Machs zu seinem Sohn Ludwig hervortritt und auf den wir noch zu sprechen kommen werden: eine vielleicht zu starke Einmischung in das Leben des Sohnes. Schließlich hat Mach in einer ersten Fassung 13 des obigen Briefes an Petzoldt noch einen weiteren Grund angegeben: „mir half meine gesunde, hausbackene Mutter, die von meinem Vater ererbten Keime der Melancholie überwinden; diesen Vorteil hatte mein Sohn Heinrich nicht, denn seine Mutter hatte seit jeher eine recht trübe Lebensempfindung, was mit traurigen Jugenderfahrungen zusammenhängt [...]."
Man kann wohl sagen, daß die psychische Disposition der Eltern für die Mach-Kinder nicht günstig war, auch wenn Mach seine eigene Jugend,Melancholie' überwunden hatte. Felix Mach war das nächste Sorgenkind der Familie. Wenig interessiert an Schule und Wissenschaft wandte er sich an der Wiener Akademie, offenbar zunächst mit einigem Erfolg, der Malerei zu. Ausweislich des Matrikelverzeichnisses schrieb er sich danach am 28.10.1904 in der vom Jugendstil geprägten Münchener Kunstakademie ein, „um alles violett sehen zu lernen" (Mach an Dvorak, 20.12.1904 (ZAG)). In München lebte seit Oktober 1904 auch sein älterer Bruder Ludwig; 1908 sollte der jüngste, Viktor, nachfolgen. Für eben dieses Jahr (1.3.1908) verzeichnet Felix Machs Meldebogen (SAM) die Abmeldung „in die Klinik Mondstraße 2" 14 . Nach einem Jahr in der Klinik zog Felix zu seinem Bruder
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in seiner 5-Zeilen-Meldung v o m 1 3 . 9 . 1 8 9 4 : „Die Eltern des Dr. M. leben in sehr guten Verhältnissen" (Dr. Helga-Maria K ü h n , Stadtarchiv Göttingen, danke ich für die Übermittlung der Göttinger Zeitungsmeldungen zum Tode Heinrich Machs). (VAT). Diese wohl nicht abgeschickte Fassung befindet sich auf der Rückseite eines Briefes von Popper an Mach v o m 29. 7 . 1 9 1 4 und trägt selbst das Datum „14. August [1914]". Die Briefe Louise Machs an Ludwig (VAT) bestätigen Machs Einschätzung. Über ihnen steht, was Louise (wohl im Mai 1899 ( V A T ) ) an Ludwig schreibt: „Wir haben halt kein Glück, nur das Gegentheil." Spätestens seit Ende der 90er Jahre litt Louise Mach an einem mit großer Heftigkeit wiederkehrenden, quälenden Leberleiden. Um welche Klinik es sich hier gehandelt hat, konnte das Stadtarchiv nicht ermitteln. Vermutlich ist die Adresse nicht richtig. Es muß sich um eine andere, wohl psychiatrische Klinik gehandelt haben.
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Was wirklich geschah I: Vorgeschichte
Viktor, der in der Preysingstraße in München offenbar zur Untermiete wohnte. Mach schildert Felix gegenüber dem ihm nahestehenden Philosophen Hans Cornelius (Brief vom 10. 3.1910 (BSB)), der die beiden Brüder besucht hatte, so: „ein sehr einsilbiger isolirt lebender Mensch, der aber für einen freundlichen Wink von Ihnen gewiß stets dankbar sein wird". 1 5 Im Dezember 1911 gibt der Meldebogen als Wohnort von Felix wiederum eine ,Heilanstalt' an, und zwar die Nervenheilanstalt Neufriedenheim in der Münchener Fürstenrieder Straße 13. Wie lange er sich dort aufgehalten hat, ist unklar. Offenbar nicht sehr lange, denn es ist ein Brief Machs vom 12. 6.1912 (VAT) an Felix (und Viktor) erhalten, der eine Verärgerung des alten Mach dokumentiert, die in seiner wissenschaftlichen und Familienkorrespondenz einmalig ist. Sie entzündet sich daran, daß Mach Felix zwei Bücher geschickt hat, Felix aber nur den Empfang eines Buches bestätigt, was Mach so versteht, daß die Brüder die Sendung weiter keines Blickes gewürdigt hätten. Mach kanzelt den 33jährigen ab: „Du Felix, der Du grundsätzlich nichts liest, wirst vielleicht leider zu spät die Erfahrung machen, daß der Hauptunterschied zwischen einem großen und einem kleinen Maler der ist, daß der erstere ein gebildeter Mensch ist, der nicht nur die Technik hat, sondern auch Stimmungen vermitteln kann, die dem, der nichts von der Welt weiß, nicht zu Gebote stehen."
Weiter ist von „Bildung und Erziehung" die Rede, „gegen die Ihr Euch in der Jugend so beharrlich gewehrt habt". Später, ab etwa 1917/ 1918 hat Felix bei seinem Bruder Ludwig in Vaterstetten gewohnt. Am 31. Mai 1933 meldete der „Völkische Beobachter" in seiner „Bayerischen Chronik" unter der Überschrift „Ein Vermißter tot aufgefunden": „Im Lambachholz bei Pietzing wurde am Montag eine männliche Leiche gefunden. Es handelt sich um den seit 14. Mai abgängigen geistesschwachen Maler Felix Mach aus Haar bei München. Mach dürfte bei einer Rast am Ufer des Sinnsees einen Schwächeanfall erlitten haben, welcher schließlich seinen Tod zur Folge hatte." Die Rolle, die Felix Mach in unserer Geschichte spielt, deutet sich in einer Wendung an, mit der Ludwig Mach am 4.4.1934 Friedrich Adler den Tod des Bruders mitteilt (AAW): „Im Mai vorigen Jahres habe ich meinen Bruder auf tragische Weise und damit meinen letzten Arbeits- (Hervorhebung G. W.) und Notgenossen verloren."
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Diese .Einsilbigkeit' findet man schon beim jungen Felix: „Felix ist seit gestern wieder einmal so verstummt, daß er mir Sorgen macht" (Mach an Ludwig, 2 2 . 3 . 1 8 9 8 (VAT)).
Biographisches Intermezzo I: Mach und seine Familie
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Die Dokumente über Viktor Mach sind äußerst spärlich. Vom väterlichen Vorwurf mangelnden Bildungsinteresses war schon die Rede. 1901 hat Viktor in Agram (heute: Zagreb) eine Aufnahmeprüfung bestanden, möglicherweise für eine Art Ingenieurschule. 16 Dem war eine von Mach zunächst als kostspielig empfundene Ausbildung (mehr als 5000 Mark) in einer Uhrmacherschule in Glashütte bei Dresden voraufgegangen, wobei die Briefe Machs an Ludwig aus jener Zeit zeigen, wie Viktor ein beachtliches feinmechanisches Talent entwickelt hatte. 1904 hielt sich Viktor bei der optischen und feinmechanischen Firma Hensoldt in Wetzlar auf. 17 Ab 1909 wird er im Meldebogen (SAM) als „Inhaber eines mechanischmathematischen Ateliers" geführt. In dem schon erwähnten Brief an Hans Cornelius aus dem Jahre 1910 schreibt Mach: „Der Mechaniker ist der jüngste meiner Söhne, scheint aber am fähigsten zu sein aus der Beobachtung der Welt zu lernen." Im 1. Weltkrieg arbeitete Viktor mehr als drei Jahre in der Munitionsproduktion. Zwischen Viktor und Ludwig Mach habe, nach Auskunft von Walter Mach 18 , ein Verhältnis ,intensiver Abneigung' bestanden. Dieses habe möglicherweise aus der extremen patriarchalischen Bevorzugung des Erstgeborenen Ludwig im Hause Mach resultiert. Sein Vater, so Walter Mach, habe seine Talente stets unter den Scheffel gestellt und sei ein eher melancholisch gestimmter Mensch gewesen. 19 Vieles, was Ludwig Mach an Patenten auszuwerten versucht habe, sei in der Werkstatt von Viktor Mach entstanden. Ludwig sei kein guter Mechaniker gewesen. Das Gefühl, als Erstgeborener und einziger Wissenschaftler der zweiten Generation etwas Besonderes zu sein, habe sich bei ihm auch darin geäußert, daß er die Verheiratung Viktors, soweit an ihm lag, geheimgehalten habe. Sein Vater Viktor, so Walter Mach weiter, habe ihm 16
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19
Cf. Brief von Ernst Mach an Ludwig Mach v o m 2 1 . 1 2 . 1 9 0 1 (VAT). Ob Viktor diese Schule besucht hat und gegebenenfalls mit welchem Erfolg, ließ sich nicht feststellen. Walter Mach berichtet, sein Vater habe eine Ingenieurschule absolviert, konnte aber nicht sagen, welche. Cf. Brief Machs an Dvorak v o m 2 0 . 1 2 . 1 9 0 4 (ZAG). Walter Mach (* 1921), der einzige Nachkomme von Viktor Mach, ist auch der einzige überlebende Mach der dritten Generation. Ludwig, Felix und Heinrich waren kinderlos. Lina hatte zwei inzwischen verstorbene Kinder, die ihrerseits kinderlos waren. Diese Angaben basieren auf einem Gespräch mit Walter Mach am 30. Dezember 1983 in Kirchenseeon/Oberbayern. Das war vielleicht nicht immer so. In den Weihnachtsferien 1898/1899 hat der 18jährige Viktor die bedrückten Eltern „durch seinen Humor sehr aufgeheitert" (Mach an Ludwig, 1 0 . 1 . 1 8 9 9 (VAT)). Im Herbst schreibt die Mutter an Ludwig (8. 9 . 1 8 9 9 (VAT)): „Victor schreibt zuweilen, er ist immer guter Dinge. Ich glaube, der hat das glücklichste Temperament von Euch allen."
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Was wirklich geschah I: Vorgeschichte
berichtet, daß Ludwig Mach vor Enttäuschung und Wut gezittert habe, als ihn dieser von der Geburt eines gesunden Knaben, nämlich Walter, in Kenntnis gesetzt habe. Diese zunächst recht phantastisch klingende Geschichte wird durch unabhängige Zeugnisse bestätigt. Dazu später mehr. Auch in finanzieller Hinsicht war das Leben des alten Mach nicht sorgenfrei. Geld bzw. dessen Fehlen haben in der Machschen Biographie eine wichtige Rolle gespielt. Es wurde schon berichtet (oben § 10), wie Geldmangel Mach daran gehindert hatte, ein theoretischer Physiker zu werden. Die Privatdozentenjahre Machs waren Jahre großen Mangels. Er habilitierte sich, „ohne zu wissen, wovon er im nächsten Jahre leben würde" (Autobiographie von 1910, Blackmore (ed.) (1978), 409). Die Grazer Professur befreite mit ihrem „Gehalt von 1050 Gulden" auch nur „von den schlimmsten Sorgen" (a. a. O., 410). Gegen Ende der 70er Jahre war Machs Vater an den Rand des finanziellen Zusammenbruchs geraten. Mach und seine Schwester Marie verzichteten zugunsten der anderen Schwester (Oktavia) auf ihr ohnehin bescheidenes Erbteil. 20 Machs Prager Jahresgehalt belief sich auf 1365 Gulden (Personalblatt (AUW)). Hierzu müssen wohl Hörgelder gerechnet werden. Der abgelehnte Ruf nach Jena (1882) brachte eine Gehaltserhöhung auf 3000 Gulden. Der Rückgang der Hörerzahlen nach der Teilung der Prager Universität in eine tschechische und eine deutsche (1882) bedeuteten für Mach wiederum einen schweren Einkommensverlust. „Da versuchte M, ob sich der Verlust nicht durch technische Beschäftigung ausgleichen lasse. In der Tat erwarb er in einigen Wochen ungefähr seinen Jahresgehalt, erkannte aber zugleich die Unvereinbarkeit dieser Lebensweise mit wissenschaftlicher Arbeit" (Autobiographie von 1910, a.a.O., 410). Dieser erfolgreiche Ausflug des Vaters ins Erwerbsleben muß auf den damals 14—16jährigen Ludwig Mach einen starken und wegweisenden Eindruck gemacht haben. Auch mag Mach in wissenschaftlich geleiteter, technischer Arbeit eine Möglichkeit gesehen haben, mit der sich der Sohn eine komfortable materielle Existenz aufbauen könne. Zum Schluß seiner Laufbahn (1898) bezog Mach 5000 Gulden Gehalt nebst 900 Gulden ,Personalzulage' und 800 Gulden ,Aktivitätszulage'. Ab 1901 erhielt er ein Ruhegehalt von 5000 Gulden (resp. 10000 Kronen), „doch kann ich [d. i. Mach] nicht unerwähnt lassen, daß mir das h[ohe] Unterrichtsministerium seit I.III. 1910, ohne mein Ansuchen, eine
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Mach erwähnt dies viele Jahre später, am 30. 5 . 1 9 1 2 , in einem Brief an Jerusalem (JER).
Biographisches Intermezzo I: Mach und seine Familie
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(jährliche, G. W.) Subvention von 2000 Kr[onen] für wissenschaftliche Arbeiten zugewiesen hat" (Personalblatt ( A U W ) ) 2 1 . Es soll hier nicht geprüft werden, ob Mach und seine Familie mit dieser Summe eigentlich ein sorgenfreies Leben hätten führen können. Mach jedenfalls hat dies nicht so gesehen: „1898, in meinem 60. Jahr erlitt ich einen Schlaganfall und sah zu meinem Schreck, daß meine beiden jüngsten Söhne [Felix und Viktor] noch gar keine materiell-ökonomische Grundlage fürs Leben hatten. Bisher hatte ich die Erziehung für alles gehalten. Nun sah ich erst, daß ein Vater noch andere Pflichten hat. Nun hieß es trotz meines krüppelhaften Zustandes noch arbeiten! Und das war nur möglich durch die aufopferndste Pflege von Seiten meiner Frau" (Mach, Autobiographie von 1913, in: Blackmore (ed.) (1978), 417).
Machs Darstellung ist gewiß nicht ganz unzutreffend, wenn man bedenkt, daß Viktors Ausbildung in Glashütte mit 5000 Mark ( = 5952 Kronen) mehr als die Hälfte eines Jahresgehalts gekostet hatte. Ob freilich die Einkünfte aus literarischer Arbeit hier die gewünschte Entlastung bringen konnten, mag dahinstehen. Tatsache ist allerdings, daß durch Honorare, insbesondere solche vom Open Court in Chicago, immer wieder für eine erhebliche Verbesserung des Budgets gesorgt wurde. Auch Felix
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Forman u. a. (1975), 4 f., haben sich die Mühe gemacht, den mutmaßlichen Äquivalenten nahezukommen. Solche Versuche ermöglichen trotz aller prinzipiellen Problematik ein lebensnahes Verständnis historischer Umstände. Danach betrug um 1900 der Wert eines US-Dollars 4,20 Mark. Eine Krone entsprach 0,84 Mark (entsprechend 1 Gulden = 1,68 Mark). Eine Mark von 1900 entspricht nach dieser Rechnung etwa dem Wert eines USDollars im Jahre 1975. Diesem wiederum entsprach am 31.12.1975 (cf. Meyers Großes Jahreslexikon 1976, Berichtszeitraum 1975, Mannheim 1976, 297) der Gegenwert von 2,6144 Deutsche Mark. Danach betrug Machs Pension auf den Stand von 1975 umgerechnet 43 922 Deutsche Mark. Forman u. a. machen freilich (a. a. O., 40) darauf aufmerksam, daß „the Western world experienced an inflation of about 25 percent between 1900 and 1914." Machs Pension hat sich — sieht man von der .Subvention' von 2000 Kronen seit 1910 ab — bis 1912 jedenfalls nicht erhöht (Brief der K.u.K. Österr.-Ungar.-Gesandtschaft in München vom 12.6.1912 (VAT)). Die .Subvention' kann somit ziemlich exakt als .Inflationsausgleich' verstanden werden. Personal- und Aktivitätszulagen waren auch ein Grund dafür, daß sich Machs Pensionierung an der Wiener Universität fast drei Jahre hingezogen hat. An Ludwig schrieb Mach am 26. 7.1899 (VAT): „Dein Gedanke, mich in die Pension zu schicken, ist ja sehr freundlich, hat aber doch seine Schwierigkeiten. Ich möchte es schon wegen Felix und Victor noch nicht thun. Dann glaube ich doch wieder etwas frischer zu werden, wenn ich in meine gewöhnliche Thätigkeit wieder etwas hinein komme. Auskommen werden wir auch mit 5000 fl. ( = Florins = Gulden, G. W.), namentlich weil ungewöhnliche Auslagen wegfallen." Ob freilich die Lage so katastrophal war, daß Mach „sich genötigt [sah], aus der Morphol.-physiol. Gesellschaft in Wien auszutreten, um wie er sagt, den Mitgliedsbeitrag von 2 K[ronen] zu ersparen" (Kreidl (1916), 394), mag dahinstehen.
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Was wirklich geschah I: Vorgeschichte
konnte nicht oder jedenfalls nicht immer von seinen Arbeiten leben. 22 Ferner muß irgendwann vor 1910 Machs wohl mittellose Schwester Marie zur Familie gestoßen sein. 23 Noch 1912 klagt Mach gegenüber Carus (Brief vom 12.3. (oder 12.) 1912 (OCA)): „Unser Vater hat uns die beste intellektuelle und ethische Erziehung gegeben; kaufmännische, die er selbst nicht hatte, konnte er uns auch nicht mitteilen. Ich kann ihm daraus keinen Vorwurf machen, obgleich ich mein Leben lang daran laborire" (Hervorhebung G. W.). Machs Schriften, seine Korrespondenz mit Außenstehenden und die Erinnerungen der Besucher lassen von diesem düsteren Hintergrund der letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens kaum etwas ahnen. Seine starke Persönlichkeit ließ ihn all dies ertragen. Letztlich zuversichtlich und gelassen, ja gelegentlich heiter, fügte sich Mach in sein schweres Geschick. Sein Sohn Ludwig war aus anderem Holz geschnitzt.
§37
Biographisches
Interme^o
II: Ludwig Mach — Lebens lauf
Ludwig Mach wird von nun an im Mittelpunkt der Darstellung stehen. Er ist es, der das Optik-Vorwort verfaßt hat. Diese im Folgenden zu belegende Hypothese macht Ludwig Mach gewissermaßen zum Schurken des Spiels. Beim unbefangenen Leser könnte deshalb leicht die Vermutung auftauchen, daß die hier präsentierten Dokumente einem speziellen Zweck zuliebe mit entsprechender Einäugigkeit ausgewählt wurden. Dies ist nicht der Fall. Angesichts der Fülle erhaltener Schriftstücke wurde ebensoviel Sorgfalt auf die Suche nach Ludwig Mach ,entlastenden' Materialien verwendet wie auf den Beleg der Hypothese. Der Vorwurf, der gegen Ludwig Mach erhoben wird, ist schwer. Ich habe nichts gefunden, das ihn entkräften könnte. Wohl aber habe ich eine Unmenge von Dokumenten 22
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Mit Brief vom 1 4 . 2 . 1 9 1 3 (VAT) an Mach bedankt sich Felix für eine noch nicht eingetroffene „Anweisung von Mama" in allerdings unbekannter Höhe. Ferner beklagt Ludwig häufig, daß er für Felix sorgen müsse. Marie Mach hat ihr wechselvolles Schicksal als Erzieherin auf dem Balkan in einem von Ernst Mach eingeleiteten Buch: Erinnerungen einer Erzieherin, Wien 1912, geschildert. An Jerusalem, der den Verlag vermittelt hatte, schrieb Mach am 30. 5 . 1 9 1 2 (JER): „An dem buchhändlerischen Erfolg liegt mir viel mehr als an irgend einer meiner (eigenen, G. W.) Schriften. Ich und meine jüngere Schwester (d. i. Marie, G. W.) haben als noch bessere Aussichten vorhanden waren zu gunsten der jüngsten auf die Erbschaft verzichtet. Es ist uns zwar auch nicht sehr gut gegangen, doch hat es die jüngste Schwester am härtesten getroffen. Hieraus mache ich vor Ihnen kein Geheimnis."
Biographisches Intermezzo II: Ludwig Mach — Lebenslauf
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gesehen, die Ludwigs Handlungsweise verstehbar machen. Es handelt sich um Dokumente, die Ludwig Mach als einen zutiefst unglücklichen, ums materielle, psychische und soziale Überleben ringenden Menschen zeigen. Ludwig Mach wurde am 18. November 1868 in Prag geboren. Über seine Kindheit ist fast nichts bekannt, außer jenen gelegentlichen Anmerkungen in den Schriften Machs (cf. ζ. B. EI., 131 Anm.), in denen dem Leser ein unbefangenes, aufgewecktes Kind vorgestellt wird. Freilich scheint seine Schulkarriere nicht ganz geradlinig verlaufen zu sein. 1 Im Schuljahr 1879/1880 ging Ludwig auf das k.k. deutsche Staatsgymnasium in Prag, Altstadt, wo er bis 1883 blieb. Dann hat er zwei Jahre „als extferner] Privatist studiert", bis er schließlich „1886/7 als öffentlicher Schüler der VIII. Cl[asse] des k.k. St[aats] Gymfnasiums] in Arnau seine Studien fortgesetzt und in demselben Schuljahr 1886/7 beendigt" hat. 2 Das Abiturzeugnis weist (auch für „sittliches Betragen") in allen Fächern die Note „befriedigend" auf. Nur zwei Ausnahmen: lateinische Sprache: „genügend", Physik: „lobenswerth", allerdings mit dem in Ludwigs Zeugnis sonst nicht auftretenden und rätselhaften Vorsatz: „(Durchschnittsleistung)", womit die Schulmeister vielleicht auf ein gewisses Schwanken aufmerksam machen wollten. Ein eher mäßiges Zeugnis also, bei dem man auch in Betracht ziehen muß, daß von der Familie die kostspielige Ausbildung im entfernten Arnau in Kauf genommen wurde, obwohl es in Prag an Ausbildungsmöglichkeit nicht fehlte. Vom Wintersemester 1887 bis zum Sommersemester 1892 studierte Ludwig in Prag Medizin. Sein „Abgangszeugnis" vom 23. Juli 1892 (VAT) nennt auch physikalische Vorlesungen bei Mach (WS 87/88, SS 88, SS 92 („ Experimentalphysik")) und „Physikalische Übungen" bei Tumlirz (WS 87/88) sowie „Differentialund Integralrechnungen [!]" (3stündig) bei Georg Pick (WS 88/89), beide früher Assistenten Machs. Ansonsten scheint Ludwig den üblichen medizinischen Kursus absolviert zu haben. Das (unbenotete, nur die belegten Vorlesungen enthaltende) Abgangszeugnis schließt mit der Bemerkung: „Derselbe hat das erste Rigorosum begonnen." Für die beiden anderen benötigte Ludwig noch drei Jahre. Am 1.7.1895 wurde er promoviert. Anfang 1896 finden wir ihn im berühmten Zeissschen Institut in Jena, das von Ernst Abbe geleitet wurde. Damals (wie heute) lieferte Zeiss 1
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Die folgenden Angaben beruhen auf dem „Maturitäts-Zeugnis" am „K. K. Obergymnasium Arnau" vom 22. Juli 1887 (VAT). Arnau war ein überwiegend von deutschsprachiger Bevölkerung bewohntes böhmisches Städtchen an der Elbe kurz vor der deutschen Grenze. Wegen der großen Entfernung nach Prag muß Ludwig in einem Internat oder zur Untermiete gewohnt haben.
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optische Präzisionstechnologie. Daß Ludwig Machs Karriere gerade dort begann, ist kein Zufall. In einem kurzen Lebenslauf anläßlich eines Antrags auf Unterstützung seiner Arbeiten durch die „Deutsche Forschungsgemeinschaft" vom 14.10.1935 (BÄK, R 73/12 835), von dem noch zu sprechen sein wird, berichtete Ludwig: „Schon in meiner frühesten Jugend habe ich meine Freistunden in der Instituts-Werkstätte zu Prag verbracht und wurde als Student Adlatus meines Vaters, dann sein Leibmechaniker und habe auch selbständig, hauptsächlich optisch weitergearbeitet." Mach und Ludwig haben auch gemeinsam publiziert. Thieles Bibliographie (in: Mach (1969)) führt zwischen 1889 und 1893 drei gemeinsame Arbeiten in den „Sitzungsberichten" der Wiener Akademie an. Es kommen am gleichen Ort noch drei Arbeiten hinzu, die von Ludwig allein gezeichnet sind, ferner insgesamt sieben Arbeiten Ludwigs in der „Zeitschrift für Instrumentenkunde" bzw. in der „Photographischen Rundschau". Die Arbeiten konzentrieren sich auf das von den Machs entworfene und möglicherweise auf einer Idee Ludwigs beruhende ,Interferenzrefraktometer' und auf technische Aspekte der Photographie. Letztere hatten vor allem mit den Schlierenaufnahmen zu tun, mit denen Mach gerade um die Zeit des Eintritts von Ludwig ins Prager Labor die Darstellung von Schockwellen glückte (cf. Reichenbach, Heinz (1983)). Ludwig Mach zögerte, in die Firma Zeiss einzutreten, vor allem aus zwei Gründen: erstens war er sich nicht im klaren, ob er nicht doch eine medizinische Karriere ansteuern sollte, zweitens sahen die Anstellungsbedingungen von Zeiss in Ludwigs Augen zwar eine beamtenähnliche Stellung vor, aber der Gewinn durch Patente und Erfindungen sollte der Firma Zeiss zufallen. Die medizinische Karriere hätte in der Wiener Chirurgischen Klinik Karl Gussenbauers beginnen sollen. Gussenbauer 3 war in Prag Machs Kollege und Ludwigs Lehrer gewesen. Ludwigs Examina scheinen nicht übermäßig brillant gewesen zu sein 4 ; gleichwohl hatte Gussenbauer Bereitschaft erkennen lassen, ihn einzustellen. So hatte sich Ludwig zunächst nur bis Ende September 1896 bei Zeiss verpflichtet 5 , 3
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Karl Gussenbauer (1842—1903) war zunächst Professor in Lüttich und Prag. 1894 wurde er Nachfolger seines Lehrers Theodor Billroth in Wien. Er gilt als Mitbegründer der modernen Magen-Darmchirurgie (nach Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. XI, Mannheim/Wien/Zürich 1974. Dies ergibt sich aus dem Briefwechsel mit seinem Vater (VAT). Offenbar scheint auch der Eintritt Ernst Machs in die Firma zur Diskussion gestanden zu haben. Mach schrieb am 25. 2.1897 (VAT) an Ludwig: „Von einer dauernden Ubersiedlung nach Jena kann jetzt, wo die beiden Buben (d. i. Felix und Viktor, G. W.) in der Schule sind, noch nicht die Rede sein. Was später sein wird, werden wir ja sehen."
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war jedoch mit seiner dortigen Situation nicht zufrieden und trat am 1. Oktober 1896 eine Stelle als „Operationszögling" 6 bei Gussenbauer an, die auf ein Jahr befristet war. Die Brücken in Jena hatte er aber nicht abgebrochen; er war mit Zeiss so verblieben, „daß ich [Ludwig] mich zunächst in der Chirurgie versuche", aber „mit der Firma in dauernder Verbindung bleibe und meine Ferialzeit in Jena zubringe" (Ludwig an Mach, 7.9.1896 (EMA)). Aber schon am 19. November 1896 finden wir Ludwig Mach wieder bei Zeiss. Was war geschehen? Gussenbauer hatte nach Ludwigs Ausscheiden aus der Klinik gegenüber Mach behauptet, „er hätte Dir [d. h. Ludwig] immer abgerathen, Chirurg zu werden" (Mach an Ludwig, 12.3.1897 (VAT)). In einem (undatierten) Brief an den Vater einige Zeit vorher (EMA) hatte Ludwig für diese Angelegenheit eine , Sprachregelung' ausgegeben: „Wenn Du zu Gussenbauer gehst, so thue so, als wenn ich wegen körperlicher Rücksichten die Stelle vorläufig niedergelegt hätte. Ich will nicht, daß dem Manne (Gussenbauer, G. W.) vor den K o p f gestoßen wird, nachdem ich vielleicht noch einmal mit ihm zu thun bekomme. Ich habe ihm nur gesagt, daß ich mich den Anforderungen nicht gewachsen fühle, was er auf eine Überarbeitung in J[ena] deutete. Dabei soll es vorläufig bleiben."
Über Gussenbauers Äußerung gegenüber Mach ist Ludwig empört (Ludwig an Mach, 15. 3.1897 (EMA)): „Gussenbauer hat mir im Gegentheil bis zum letzten Augenblick versichert, daß ich mich zum Chirurgen vorzüglich eigne. Als er bemerkte, daß es mir kein besonderes Vergnügen bereite, den ganzen Tag im Krankenzimmer zuzubringen hat er sich etwas zurückgezogen. Ich habe ihm [...] die Alternative gestellt, mir in einigen Punkten den gewöhnlichen Turnus zu erleichtern. Da er nicht im mindesten darauf reagirte, so mußte ich natürlich gehen."
Ludwig Machs medizinische Karriere war damit zu Ende, bevor sie recht begonnen hatte, und zwar 3/4 Jahre, bevor seinen Vater der Schlag traf. Ludwigs Lamento bestätigt im übrigen Gussenbauers Verdikt über seine Eignung zum Chirurgen. Diesem an sich nüchternen Vorfall hat Ludwig Mach in späteren Jahren eine wahrheitswidrige, heroische Wendung gegeben. In dem schon erwähnten Lebensbericht für die „Deutsche Forschungsgemeinschaft" von 1935 heißt es: „ Veranlaßt (Hervorhebung G. W.) durch eine schwere Erkrankung meines Vaters im Jahre 1898 [ . . . ] habe ich meine chirurgisch6
So die Einstellungsurkunde (VAT).
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akademische Carriere aufgegeben." 7 Eine andere Version gab Ludwigs zweite Frau Anna Karma 8 , die Ludwig wohl erst in den 30er Jahren kennengelernt hat, Hugo Dingler bei einem Besuch im November 1951: „Nachdem er (Ludwig Mach, G. W.) aus der chirurgischen Klinik geflogen war, weil er einer jungen Gräfin zur Flucht verholfen hatte, kam er ans Josefsspital, in Wien. Dort tötete er bei einer schweren Geburt das 6. Kind einer Mutter, um diese zu retten. Er schrieb gleich selbst sein Entlassungsgesuch" (Dingler, Tagebucheintrag 14.11.1951 (HDA)). Man erkennt an diesen recht unterschiedlichen Versionen ein und desselben Sachverhalts zwei Verhaltenstendenzen Ludwigs, die im Laufe der Ereignisse noch öfter ins Auge fallen werden: (1) Eine gewisse Maßlosigkeit, wenn es darum geht, seine gewiß nicht geringen Opfer für den Vater ins rechte Licht zu rücken. (2) Eine gewisse Unbekümmertheit im Umgang mit der Wahrheit. Nach seiner Rückkehr nach Jena stellte sich bei Ludwig erneut Unzufriedenheit mit den dortigen Verhältnissen ein. Und wiederum wurde die Medizin ins Auge gefaßt. Diesmal aber die Ophthalmologie, in der sich Ludwigs optisch-technische Kenntnisse hätten entfalten können. Finanzielle Erwägungen, d. h. nur mäßige Verdienstaussichten, scheinen die Verwirklichung dieses Plans verhindert zu haben. 9 Auch sonst streckte Ludwig im medizinisch-technischen Bereich die Fühler aus. 10 Zur gleichen Zeit legte er mit der Entwicklung der Leichtmetallegierung Magnalium, einer Verbindung von Magnesium und Aluminium, den Grundstock für seinen späteren materiellen Erfolg. 1 1 Ein erstes Patent wurde am 12. November 1898 erteilt. Ende 1899 schied Ludwig bei Zeiss aus und ging nach Berlin. 7
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Ganz ähnlich heißt es in Akten aus einem Prozeß (,Münchener Prozeß') aus den Jahren 1949/1950 (VAT): „Die frühe Erkrankung meines Vaters ließ mich auf meine academische Carriere verzichten [...]." Von diesem Prozeß wird noch zu berichten sein. Für die Annahme, daß der Bericht von Anna Karma nicht auf Erzählungen Ludwigs beruht, gibt es keinen Anhaltspunkt. Mach an Ludwig, 1.7.1897 (VAT): „Ich war gestern bei [dem Wiener Ophthalmologieprofessor] Schnabel. Er ist bereit, Dich jederzeit aufzunehmen. [...] Die Aussichten in materieller Beziehung seien in Ophthalmologie hier nur sehr mäßige." So etwa ab Mitte Juli 1897 zur „Orthopädischen Heilanstalt von Fr. Hessing" in Augsburg-Göggingen. Ludwig sollte dort als .Assistent' und späterer Nachfolger eintreten. Das Projekt scheint an finanziellen Meinungsunterschieden gescheitert zu sein (Briefwechsel darüber in (VAT)). Wie Ludwig selbst gelegentlich zugab, war das Magnalium technisch noch nicht ausgereift. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. XV, Mannheim/Wien/Zürich 1975, unter dem Stichwort .Magnalium': „Bez. für eine 1898 eingeführte Aluminium-Magnesium-Legierung (mit 3 — 30% Mg), die härter als Aluminium ist und sich leichter als dieses bearbeiten läßt; heute durch neuere Legierungen ersetzt."
Biographisches Intermezzo II: Ludwig Mach — Lebenslauf
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Bald darauf begann die kommerzielle Verwertung des Metalls in einer deutschen sowie einer österreichisch-ungarischen Magnalium-Gesellschaft m.b.H. 1 2 In einem Prozeß versuchte Zeiss Besitzansprüche auf das Magnaliumpatent durchzusetzen. Doch Ludwig gewann in letzter Instanz vor dem Leipziger Reichsgericht am 14. April 1902. Während die Gründung der Magnalium-Gesellschaften Ludwig einen gewissen Wohlstand brachte, scheint der mit viel Streiterei verbundene weitere Geschäftsverlauf nicht so erfreulich gewesen zu sein. A m 18. März 1901 hat Ludwig sich in Berlin mit der fünf Jahre jüngeren, in Wien geborenen Regina von Renauld vermählt. Über Regina Mach ist nicht viel bekannt. Sie soll Sängerin gewesen sein. 13 Walter Mach gibt eine Mitteilung seines Vaters weiter, wonach Ludwig seine Heirat vor Ernst Mach verheimlicht habe. So phantastisch diese Geschichte auch klingt, sie wird insofern bestätigt, als in der gesamten erhaltenen Korrespondenz Machs mit Ludwig nie — weder direkt noch indirekt — die Frau bzw. Schwiegertochter erwähnt wird. 1 4 Auch in der Korrespondenz mit Louise Mach kommt Regina nicht vor, ebensowenig in irgendeiner anderen zu Lebzeiten von Ernst und Louise Mach. So schreibt die Mutter am 2 8 . 6 . 1 9 0 1 an Ludwig (VAT), daß sie sich über seinen Besuch in der Sommerfrische der Eltern sehr freuen würde, weil sie ihn so lange nicht gesehen habe. Der Brief schließt: „Laß bald wieder von Dir hören, und sei vielmals gegrüßt und geküßt." Von der frischgebackenen Schwieger-
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Der Gesellschaftervertrag der Deutschen Magnalium Gesellschaft ist unauffindbar. Derjenige der Österreichisch-Ungarischen Gesellschaft, der am 22. 8.1899 in Berlin geschlossen wurde, scheint für Ludwig Mach recht vorteilhaft gewesen zu sein, zumal wenn man bedenkt, daß nach § 2 die Gesellschaft nur in Österreich-Ungarn tätig sein sollte. Ludwig hält unter den insgesamt 29 Gesellschaftern die mit Abstand höchste Einlage (160000 Mark). Die nächsttiefere ist eine von 30000 Mark, fast alle anderen liegen unter 10000 Mark. Ludwig brauchte jedoch diese Einlage nicht bar zu hinterlegen. Sie wurde gegen den auf 330000 Mark geschätzten Wert seines Patents verrechnet, wobei weiter bestimmt wurde (§4), daß die für ihn übrigbleibenden 170000 Mark „aus der Gesellschaftskassc baar gezahlt" würden. Wenn man ferner in Rechnung stellt, daß der Vertrag der Deutschen Magnalium-Gesellschaft für Ludwig nicht schlechter gewesen ist, dann konnte im Jahre 1900 der 32jährige Ludwig Mach als ein schon recht wohlhabender junger Mann gelten. Ludwig gehörte zum siebenköpfigen „Aufsichtsrath" der Österreichisch-ungarischen und wohl auch der deutschen Gesellschaft. So die mündliche Überlieferung der Familie, die durch Walter Mach und die Gebrüder Ohlendorf berichtet wurde. Es ist merkwürdig, daß, von zwei Briefen aus der Mitte des Jahres 1902 abgesehen, die lange Reihe der erhaltenen Briefe Machs an Ludwig Ende 1901 schlagartig abbricht. Auch die danach geschriebenen und erhaltenen Briefe Ludwigs an Mach sind nicht sehr zahlreich.
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tochter ist indes nicht die Rede. Die Herzlichkeit dieses Briefes und der Briefe Machs aus dieser Zeit schließt auch eine familiäre Verstimmung aus, die möglicherweise eben wegen der Schwiegertochter entstanden sein könnte. Die einleuchtendste Erklärung dafür, daß Regina Mach in der Korrespondenz des Jahres 1901 nicht vorkommt, ist also tatsächlich die, daß die Eltern nichts von Ludwigs Heirat wußten. Dies scheint jedoch nicht so geblieben zu sein. Es existiert eine Photographie Machs (VAT), auf deren Rückseite Mach mit der linken Hand geschrieben hat: „Meiner lieben Regina. Wien 2. XII. 07. E. Mach." Ende September 1905 nahm das Ehepaar Mach Wohnung in München (SAM). Allerdings war Ludwig vom 6.5.1903 bis zum 15.5.1912 auch in der Wohnung seiner Eltern in Wien gemeldet. 15 Welchen Tätigkeiten Ludwig im einzelnen nach seinem Ausscheiden bei Zeiss nachgegangen ist, konnte nicht festgestellt werden. Doch ist zu vermuten, daß er in Sachen Magnalium aktiv war. Andererseits scheint eine stetige Präsenz in den Firmen bald nicht mehr erforderlich gewesen zu sein. Offenbar in dem Bestreben, Ludwig aus vorhersehbaren kriegerischen Verwicklungen herauszuhalten, in die er als Arzt hätte hineingezogen werden können, empfahl Mach, daß Ludwig die schweizerische Staatsbürgerschaft annehmen solle (cf. Briefe Machs an Ludwig 19. 2.1897, 31.12.1897, 18.1.1898 (VAT)). 1 6 Bald stand aber auch die Übersiedlung nach Wien zur Diskussion (cf. Brief Machs an Ludwig vom 10.7.1900 (VAT)), dann nach Italien (Mach an Ludwig, 23.1.1901 (VAT)), schließlich wieder in die Schweiz (Mach an Ludwig, 12.4.1901), ein Plan, den Ludwig um 1910 wieder aufgegriffen hat (cf. Brief Adlers an Ludwig Mach vom 26.5.1910 (EMA)). Spätestens Ende 1911 entschloß sich Ludwig Mach zum Hausbau in Vaterstetten bei München. 17 In dieses Haus sollten auch seine Eltern umziehen. Entsprechend wurde das Haus gebaut. Insbesondere sollte es der gemeinsamen Arbeit von Ludwig und Ernst Mach dienen, nachdem sich Ludwig bis gegen Ende 1912 fast ganz aus dem Magnaliumgeschäft zurückgezogen zu haben scheint. 18 Im Mai 1913 siedelten Ernst, Louise 15
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Freundliche Mitteilung von Dr. Klaus Lohrmann (Wiener Stadt- und Landesarchiv) vom 10.10.1984. Seine Erwägungen im Brief vom 31.12.1897 hat Mach mit der hellsichtigen Warnung verknüpft: „Vor der deutschen [Staatsbürgerschaft hüte Dich." Die einzelnen Etappen des Hausbaus sind detailliert in der umfangreichen Korrespondenz (VAT) mit dem Architekten festgehalten. Brief Ludwigs an Mach, 12.12.1912 (EMA): „Ich könnte Dir ja so viel abnehmen [...]. Meine sonstige Thätigkeit wird sich nunmehr absolut auf Briefe beschränken."
Biographisches Intermezzo II: Ludwig Mach — Lebenslauf
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und Marie Mach mit Anna, der treuen Dienerin, aus Wien nach Vaterstetten über. Ludwig und Regina Mach behielten ihre Stadtwohnung in München. Im November 1916, ein Dreivierteljahr nach Machs Tod, wurde Ludwig zum Militär eingezogen. 19 Nach dem Krieg war er in Augsburg im Dienste der Flugzeugfirma Rumpier tätig, für die er auch während des Krieges in Berlin gearbeitet hatte. Eine Erwerbstätigkeit war unumgänglich geworden, weil Ludwig im Krieg sein Vermögen weitgehend verloren zu haben scheint. 20 Damit war zugleich die abschüssige Bahn betreten, von der Ludwig trotz verzweifelten Bemühens nicht mehr loskommen wird. Die folgenden Jahre und Jahrzehnte sind ein beständiger Kampf am Rande des Abgrunds. Ludwig hatte sich und die Seinen in ungünstigen Zeiten durch technische Arbeiten durchzubringen. Immer wieder versuchte er, sich durch irgendeine Erfindung jene Basis materieller Sorglosigkeit zu verschaffen, die ihm sein erstes Patent erbracht hatte. Aussichtsreiche Projekte (wie ein den heutigen Mikrofiche vorwegnehmendes „Mikrobuch") stehen neben Dubiosem (Verfahren gegen Algenbesatz an Schiffen, Eierkonservierung) und Skurrilem (Buchseitenwender, Schutz von Vogel-Nistkästen gegen kleine Raubtiere). Erfolge blieben aus. Dabei hatte Ludwig Mach nicht nur für sich selbst zu sorgen. Nach dem Tode seiner Mutter im Jahre 1919 blieben seine Tante Marie (gestorben 1929), sein Bruder Felix (gestorben 1933), seine Frau Regina (gestorben 1931) sowie (bis 1927) die alte Haushaltshilfe auf seine Fürsorge angewiesen. Vor allem dürfte seine schwer zuckerkranke Frau, für die wohl zudem die Münchener Stadtwohnung zu bezahlen war, Ludwig vor schwere finanzielle Probleme gestellt haben. 21 1940 heiratete Ludwig Anna Karma Lamm. Es scheint, daß er durch diese Ehe wieder einen gewissen persönlichen Rückhalt gewonnen hat. Daß Ludwig Mach dieses Leben bis zum August 1951 durchhielt, als er fast 83jährig starb, ist nicht selbstverständlich; auch in ihm war das 19
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So jedenfalls seine auch naheliegende, häufig geäußerte Behauptung. Die genaueren Umstände des Militärdienstes des österreichischen Staatsbürgers Ludwig Mach bei einer deutschen Flugzeugfirma in Berlin konnten weder im Österreichischen, noch im Bayerischen Kriegsarchiv geklärt werden. Ein kleiner Zettel im Manuskript der Optik (EMA) enthält folgende Aufstellung: „16000 Kr[onen] i. Kriegsanleihe in Safe in P[ra?]g / / [unleserlich] 8000 z. [unleserlich] — / / 32000 Krfonen] - versteckt [unleserlich] / / 24000 Kr[onen] - in baar auf // 40000 Kr[onen] in österr. Staatsrenten." Diese Art der Geldanlage bedeutete, wenn es sich tatsächlich um die Dispositionen Ludwigs gehandelt hat, nach dem Krieg natürlich den finanziellen Ruin. Cf. die in der Einleitung zitierten Äußerungen Ludwigs, die Dingler so in seinem Tagebuch notiert: „Er ist völlig erledigt. Seine Frau hat ihn ruiniert. Sie lebt einfach gradaus weiter und er hat nichts."
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Machsche Erbübel, die Melancholie, stets gegenwärtig. 22 Auf dem Höhepunkt seines Erfolges enthält sein Notizbuch (VAT) unter dem Datum „August 1902" ein Gedicht des 33jährigen mit dem Titel „Resignation": „Langsam schreit' ich durch die Dämmerung. Herz, w o sind die Tage, da du jung? da noch alles voller Hoffnung war die dir Träume reich an Glück gebahr? alle sel'ge Sehnsucht ist verweht — durch die Dämmerung ein Müder geht — und das harte Leben grausam lacht: ein Besiegter geht durch Dämmerung in Nacht. M."
Ob ,M' nun Ludwig ist oder nicht, in diesem Gedicht sind die Stimmungen bezeichnet, die Ludwigs spätere Korrespondenz — und wohl auch sein Leben — durchziehen: Härte des Lebenskampfes, enttäuschte Hoffnungen, Resignation und Scheitern. 23
§ 38
Ludwig als Erbe Machs
Aus Thieles Mach-Bibliographie (in: Mach (1969)) ist zu ersehen, daß Mach und Ludwig bereits im Jahre 1889 gemeinsam die ersten Arbeiten veröffentlicht haben, zu einer Zeit also, als der 21jährige Ludwig gerade sein Medizinstudium begonnen hatte. Diese Arbeiten 1 betreffen vor allem zwei Gebiete, in denen Ludwig Mach beachtliches Talent entwickelte: Interferometrie und technische Aspekte der wissenschaftlichen Photographie. 2 Noch als Medizinstudent war Ludwig auf dem Höhepunkt seiner
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Walter Mach, der Ludwig auch persönlich gut kannte, berichtet aus der Familie, daß niemand Ludwig je habe lachen sehen. Vor allem die Briefe an F. Adler, R. H. Lowie und P. Carus vermitteln die entsprechenden Belege. Am 26.6.1959 bedankt sich Caroline bei Anna Karma Mach dafür, „daß Du [d. h. Anna Karma] Ludwig so liebend und sorgend zur Seite gestanden bist. Bei seinem schwermütigen Temperament war es gewiß nicht leicht, ich kann es ermessen" (VAT). Es sind: „Weitere ballistisch-photographische Versuche", „Über longitudinale fortschreitende Wellen im Glase" und „Über die Interferenz der Schallwellen von großer Excursion", veröffentlicht in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, Bd. 98 (1889). Hier geht es letztlich vor allem um photographische Aufnahmen von Schockwellen bei Geschossen (cf. dazu Heinz Reichenbach (1983)). Ludwig erhielt auf einer internationalen photographischen Ausstellung in Florenz einen Preis.
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Laufbahn im wissenschaftlich-technischen Bereich angelangt: 1892 und 1893 erschienen mehrere Arbeiten über ,Interferenzrefraktometer' (heutige Bezeichnung: Interferometer) und zwar allein unter Ludwigs Namen. 3 Es ist der Erfolg dieser Arbeiten bzw. des in ihnen beschriebenen Interferometers, der Ludwig Mach einen Platz in der Wissenschaftsgeschichte sichert 4 , ihn aber auch zu jenen Handlungen verführt hat, die ihm in diesem Buche zur Last gelegt werden. Waren dies nun völlig eigenständige Ideen und Arbeiten eines genialen Medizinstudenten? Wohl kaum! Das wird deutlich, wenn man sich die Situation klarmacht, in der sie entstanden sind. Ludwig Mach berichtet darüber in handschriftlichen 5 Aufzeichnungen wohl zu einem Schriftsatz für einen Prozeß aus den Jahren 1948/1950 (VAT) (kurz: Münchener Prozeß), auf den wir noch ausführlich zurückkommen werden: „Ich lebe im Labor — trotz Gymnasium. — Ich wachse in den folgenden Jahren in seine 6 Welt hinein und es beginnen die Experimente und ich erfahre, warum die Zimmer mit Durchlässen in Hufeisenform angelegt sind. 7 In den 80er Jahren bin ich völlig im Labor zu Hause, habe mich sogar in der Optik bis zum Justiren der Jaminfschen] Platten 8 von Steinheil 9 eingearbeitet und bin mit Metall- und Holzarbeiten in der überaus bescheidenen 10 Institutswerkstätte völlig eingedeckt."
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Mach, Ludwig (1892), (1892 a), (1893). Daß Ludwig in Jena einen neuen Typ von Interferenzapparat in kürzester Zeit zur Produktionsreife gebracht hat, ist ihm wohl auch zu Kopf gestiegen. Er schreibt an Mach (14.8.1896 (EMA)): „An der Universität Jena muß jeder sich habilitirende Docent den Nachweis erbringen, daß er von seinem Vermögen leben kann. Eine sehr praktische Einrichtung, die das Anwachsen von Proletariat verhindert." Ludwig scheint nicht daran zu denken, daß sein Vater zu eben jenem proletariat' gehört hat, das durch diese famose Jenenser Einrichtung verhindert werden sollte. Die Lehrbücher sprechen vom „Mach-Zehnder-lnterferometer". Genaueres über Ludwig, sein Interferometer und die Interferometrie unten §§ 41 f. Die Handschrift Ludwigs ist eindeutig der Periode nach dem zweiten Weltkrieg zuzuordnen. Der unvermittelte Gebrauch des maskulinen Possessivpronomens der dritten Person Singular bzw. des entsprechenden Personalpronomens (,sein', ,er', bzw. ,Er') ist eine immer wiederkehrende Stileigentümlichkeit Ludwigs nach dem Tode von Ernst Mach. Auch im vorliegenden Papier ist von Ernst Mach vorher nicht die Rede gewesen. Hier zeigt sich eine weitere stilistische Eigenheit von Ludwig Mach: die Konzentration auf völlig unbedeutende Nebensächlichkeiten, die allerdings mit der Attitüde des Fachmanns vorgetragen werden. Ich vermute, daß die Münchener Richter mit den geheimnisvollen hufeisenförmigen Durchlässen im Präger Labor genausowenig anzufangen wußten wie ich. Dagegen kommen zentrale inhaltliche Dinge bei Ludwig gar nicht oder nur nebulös zur Sprache. Teile eines anderen, von Jamin konstruierten Interferometertyps. Traditionsreiche, heute noch existierende Münchener Firma für Präzisionsinstrumente. Dieses Stereotyp kommt in Ludwigs Äußerungen ebenfalls immer wieder vor.
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Insbesondere die Entwicklung von Ludwigs Vier-Platten-Interferometer war eine Frucht der Zusammenarbeit mit dem Vater. In einem Schriftsatz Ludwigs zum Münchener Prozeß (Eingangsstempel des Landgerichts München II vom 14. 9.1949, als „Anlage 2" bezeichnet (VAT), abgedruckt als Beilage 8 B) heißt es: „Der Wunsch, quantitative Messungen an fliegenden Projektilen und Luftstrahlen mit Hilfe des Jamin'schen Apparates zu machen, konnte bei der Kleinheit der Platten von nur 3 Centim. Dicke nicht realisiert werden, denn das Interferenzfeld war geradezu winzig. Der Wunsch nach Abhilfe brachte mich (Hervorhebung G. W.) auf die Konstruktion des Vier-Platten-Apparates."
Ob nun die Idee wirklich von Ludwig stammte oder nicht 11 , Tatsache ist, daß sie in engster Verbindung mit Arbeiten des Vaters stand und Teil von dessen ,Forschungsprogramm' über Schockwellen und Eigenschaften des Lichts waren. Wichtiger sind im Augenblick andere Gesichtspunkte der frühen Laborerfahrungen des jungen Ludwig. Der 21jährige hatte sich als ein wichtiger Helfer des Vaters auf dessen ureigenstem beruflichen Feld, der Experimentalphysik, erwiesen. Er war unter seinen medizinischen Kommilitonen, an die wohl keine übermäßigen wissenschaftlichen Anforderungen gestellt wurden, durch von ihm selbst gezeichnete wissenschaftliche Publikationen hervorgetreten. Es liegt nahe, daß das Selbstbewußtsein des jungen Mannes dadurch mächtig, vielleicht auch übermächtig gefördert wurde. Denn obwohl die Publikationen unter Ludwigs Namen erschienen, sind sie doch aus der Zusammenarbeit mit dem Vater erwachsen. Noch ein Aspekt der frühen Prager Jahre scheint erwähnenswert. Wenn der junge Ludwig im Laboratorium des Vaters, wie er sagt, ,gelebt' hat 12 , so dürfte über das Walten eines Erbfolgers nach Gutsherrenart im Prager Labor nicht nur eitel Freude geherrscht haben. So ist es auch. In einer zum Teil wörtlich zitierenden Zusammenfassung von „Beweisaufnahme und Verhandlung vor dem Reichsgericht am 14. April 1902" (VAT) des schon erwähnten Leipziger Prozesses der Firma Zeiss gegen Ludwig, die 11
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Mach hatte offensichtlich (wenigstens zeitweise) in Prag eine liberale Publikationspraxis: „Viele der auf diese Weise ausgeführten Arbeiten erschienen meist nur unter dem Namen meines Gehilfen" (Mach, Autobiographie von 1 9 1 3 , in: Blackmore (ed.), (1978), 415). Diese Formulierung mag übertrieben sein, falsch ist sie jedenfalls nicht. Ludwig hat ζ. B. auch einen großen Teil der Institutskorrespondenz (VAT) mit Firmen für Laborbedarf geführt. Nicht selten lautet die Anrede an den jungen Studenten in diesen Briefen: „Sehr geehrter Herr Professor!" und ähnlich. Im heute noch recht titelbewußten Österreich, ganz gewiß aber zu k.u.k.-Zeiten eine unerhörte Schmeichelei. Von Ludwigs Liebe zu akademischen Titeln wird noch die Rede sein.
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von Ludwigs Anwälten erstellt wurde, heißt es in der Aussage eines Dr. Czapski von der Firma Zeiss, daß ihm Ludwig wegen seiner Veröffentlichung (Mach, Ludwig (1892 a)) aufgefallen sei. „Ich erkundigte mich deshalb bei dem Professor Dr. von Geitier, welcher Assistent von Professor Mach in Prag gewesen war; er bestätigte die ungewöhnliche Begabung des jungen Mach für das Gebiet der Physik, schilderte ihn jedoch als einen schwer umgänglichen und eigenartigen Menschen, mit dem man schwer fertig werden könne. Ζ. B. führte er an, daß er schon während seiner Schulzeit und anfanglicher Studienzeit beständig im Laboratorium des Vaters gearbeitet habe und daß bei seiner Verschlossenheit und Unzugänglichkeit niemand von seinen Arbeiten Kenntnis erhalten habe, daß er Herr des Laboratoriums und es für einen Dritten dort nicht auszuhalten gewesen wäre, weil der junge Mach in dem Laboratorium allein zu bestimmen gehabt hätte" (a.a. O., 6).
Es folgt ein Bericht über eigene Erfahrungen Czapskis (in Jena) mit der „Eitelkeit" Ludwigs, der Kritik partout nicht habe vertragen können. Ein von ihm hergestellter Magnalium-Spiegel habe (wofür ein Zeuge benannt wird) nach acht Tagen sein Reflexionsvermögen verloren. Ludwig habe geäußert, daß die Leute bei Zeiss in ihrer Beamtenmentalität „nichts verständen f...]. Nichtsdestoweniger veröffentlichte er (d. h. Ludwig, G. W.) in der späteren Abhandlung über Spiegelmetall, daß die Spiegel luftbeständig wären. Ich habe an dieser Stelle zu bemerken, daß ich auch späterhin an kleinen Zügen fand, daß Dr. Mach es mit der Wahrheit nicht genau nahm" (a. a. O., 7).
Czapski nennt auch dafür ein Beispiel. Bei einer quellenkritischen Beurteilung der Aussagen Czapskis fallt gewiß ins Gewicht, daß er Prozeßgegner Ludwigs war. Freilich gewinnt seine Aussage dadurch an Glaubwürdigkeit, daß er Sachverhalte schildert, die auf dem Bericht eines angesehenen Dritten beruhen, der nötigenfalls auch als Zeuge hätte geladen werden können. Des weiteren ist zu bedenken, daß der Bericht Czapskis über Ludwigs Kronprinzenrolle in Prag mit dem Prozeßkern direkt nichts zu tun hat. Es ging im Prozeß nämlich darum, ob die Zusammensetzung des Magnaliums schon im Machschen Laboratorium zu Prag oder erst im Zeiss'schen zu Jena erfunden wurde. 13 13
Prozeßentscheidender Zeuge war übrigens Wolfgang Pauli (1869 — 1955), der Vater des gleichnamigen Physik-Nobelpreisträgers, der unter Eid aussagte, er habe die entsprechenden Schmelzversuche v o n Magnesium und Aluminium im behaupteten Mischungsverhältnis in Prag mit eigenen Augen beobachtet. Nach Auskunft von Ludwigs Schwester Caroline haben Wolfgang Pauli sen. und Ludwig in Prag gemeinsam die Schule und die Universität besucht (cf. Herneck (1983), 161).
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Der Vorwurf mangelnder Wahrheitsliebe liegt dagegen im Prozeßinteresse Czapskis. Aus der Zusammenfassung der Anwälte Ludwigs geht eine Widerlegung des beispielgestützten Vorwurfs Czapskis allerdings nicht hervor. Czapskis Vorwurf der Eitelkeit besteht im Blick auf die später auch von Ludwig zugegebene (cf. § 37) Enttäuschung der Erwartungen an das Magnalium wohl zu Recht. Ludwigs Eindruck vor Gericht muß im übrigen ziemlich ungünstig gewesen sein, da der Vertreter der MagnaliumGesellschaft (die natürlich auf Ludwigs Seite stand) glaubte, „einiges zu seiner [d. h. Ludwigs] Entschuldigung anführen zu müssen" (a. a. O., 28): ζ. B. „mangelnde forensische Gewandtheit" und „daß er durch die Behandlung seitens des Senats eingeschüchtert worden wäre, wenn ihm ζ. B. vorgeworfen werde, daß er die Form über die Wahrheit stelle" (a. a. O., 29). Sobald es auf technisch-wissenschaftliches Gebiet gegangen sei, habe Ludwig „sofort sicheren Boden unter sich [gefühlt]" (ebd.). Kurz, der junge Mach konnte sich als Student schon als enger Mitarbeiter seines Vaters fühlen und scheint sich im Labor zu Prag wie der Chef aufgeführt zu haben, d. h. wie sein Vater sich hätte aufführen können. Man wird es nicht als eine unzulässige Psychologisierung ansehen, wenn hier behauptet wird, daß sich schon der junge Student Mach mit seinem Vater partiell ,identifizierte'. Wir wollen diesen Identifikationsprozeß weiter verfolgen. Dabei wird ein spezifisches Dilemma deutlich. ,Identifikation' mit einer Person bedeutet an sich Abhängigkeit, Passivität. Andererseits ist die Person, mit der Ludwig Mach sich mehr oder weniger identifiziert, ein exemplarisches Beispiel von Unabhängigkeit und Kreativität. Gelungene Identifikation mit dem Vater müßte sich also in ihrem Abhängigkeitscharakter selbst aufheben. Es ist genau diese — nennen wir sie denn ,dialektische' — Leistung der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, die Ludwig Mach mißlungen ist. 14 Übrig bleiben bloße Gesten wie die im Vorwort zur Optik versprochene, aber nie geleistete und ganz jenseits seiner Kräfte liegende Kritik an der Relativitätstheorie. Ludwig Machs wichtigste technischwissenschaftliche Leistung, der Entwurf des Vier-Platten-Interferometers, war unter den Fittichen des Vaters entstanden. Seine für sein materielles 14
Wir werden für diese Behauptung im Folgenden noch manche Stützung vorlegen. Nicht als Beweis, sondern nur zur Illustration sei hier ein Zeugnis von Frau Charlotte Ulsenheimer (cf. Einleitung 5) angeführt, die den alten Ludwig oft (über einen Zeitraum v o n etwa einem Jahr wöchentlich) gesehen hat. Ohne über meine Forschungen im geringsten orientiert zu sein, antwortete sie auf meine Frage, welchen Eindruck Ludwig Mach auf sie gemacht habe: „Kleiner Sohn eines großen Vaters!"
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Fortkommen entscheidende Patentierung des Magnaliums patentierte praktisch eine Idee des Vaters. Das wohl verwertbarste seiner späteren Patente, das ,Mikrobuch', leitet sich von einer Idee des Vaters her. 15 Nachweislich geht auch ein großer Teil der etwa 20 — 30 bekannten Patentideen Ludwigs auf — häufig beiläufig geäußerte — Konzeptionen des Vaters zurück bzw. ist in direkter Zusammenarbeit mit dem Vater entstanden. Eine gute Illustration dieser speziellen Vater-Sohn-Beziehung bietet der Briefwechsel zwischen Ludwig und Ernst Mach während Ludwigs Jenaer Zeit von Februar 1896 bis Ende 1899, die von längeren Aufenthalten Ludwigs in Wien, ζ. B. nach dem Schlaganfall des Vaters, unterbrochen wurde. Aus dieser Zeit liegen mehr als 150 Briefe Machs an Ludwig vor (VAT), wobei keineswegs alle Briefe, die Mach geschrieben hat, erhalten sind. In diesen Briefen gibt es detaillierte Ratschläge Machs zu einer Publikation Ludwigs (Mach, Ludwig (1897)), aber auch nützliche Bemerkungen Ludwigs zu Ideen Machs über Stereoskopaufnahmen mittels Röntgenstrahlen. Was besonders auffällt, ist, in welch dominanter Weise Ernst Mach die Karriere des doch immerhin dreißigjährigen Sohnes zu lenken versucht. So mahnt er etwa in einem Brief (15.?. 1896), Ludwig solle mit seiner Lage bei Zeiss zufrieden sein. Machs Brief vom 28.7.1896 (VAT) beginnt unvermittelt so: „Ich möchte gern wissen, ob Du Gehalt bekommen hast, leidlich vernünftig lebst, nicht hungerst u.s.w. Sei so gut und schreibe etwas ausführlicher." Nachdem Ludwig Probleme bei Zeiss geschildert hatte, schreibt Mach am 18.2.1897 (VAT): „Also Piccolo bei Zeiss, das ist Dein eigentlicher Titel. Ich glaube, daß es vernünftiger sein 15
Das ,Mikrobuch'-Projekt war 1925 bereits bis zu einem offenbar unterschriftsreifen „Vertrag zwischen den Herren Gustave F. Fischer, Präsident der Cosmopolitan State Bank of Chicago in Chicago, einerseits und den Herren Dr. Ludwig Mach und Ing. Geza Tipecska, beide in München, andererseits" (VAT) vorangeschritten. Fischer hätte 16 670 Dollar Entwicklungskosten aufwenden müssen. Die Idee des Mikrobuches hatte allerdings schon Ernst Mach (in Mach (1876)) vorgetragen. Ludwig selbst war ganz offensichtlich außerstande, das Projekt allein zu realisieren. Die Patentschrift (Reichspatentamt Nr. 530 115, Klasse 42 h, Gruppe 3403 vom 3 0 . 1 . 1 9 3 1 (ULS)) ist auf Ludwig und Tipecska ausgestellt. Auch die Entwicklung des Geräts, die ja offenbar zunächst auf direkte kommerzielle Verwertung schon vor der Patenterteilung zielte, dürfte Tipecska viel zu verdanken haben. Geza Tipecska (1882 — 1958) war ein aus Budapest eingewanderter, offenbar sehr fähiger Ingenieur. Nach freundlicher Mitteilung (2.1.1985) seines Sohnes Geza, der die Firma seines Vaters heute in Murnau/Oberbayern weiterführt, hat sein Vater noch Ernst Mach in Vaterstetten persönlich kennengelernt. Ludwig sei Trauzeuge der Eltern im Jahre 1929 gewesen. Diese persönliche Beziehung reflektiert die enge Zusammenarbeit von Ludwig und Tipecska bei einer Vielzahl technischer Projekte. Dies ergibt sich auch aus einem 121/2seitigen Schriftsatz Ludwigs an Tipecska vom 31. 3.1931 (ULS), in dem es allerdings vorwiegend um finanzielle Meinungsverschiedenheiten geht.
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wird im Mai nach Wien zu kommen; da hast Du wenigstens etwas davon", d. h. materiellen Gewinn aus den Arbeiten. Am 10. 7.1897 (VAT) gibt Mach folgende Ratschläge: „Es wäre nicht schlecht, wenn Du nach Frankfurt (zu einem Vortrag, G. W.) gehen würdest. Bedenke übrigens, daß Du noch nie vorgetragen hast. Es ist nicht so leicht. Man muß das erstemal alles genau ausarbeiten, überlegen, und durch eine sorgfaltige Leseprobe auch die nöthige Zeit abmessen. Sonst wird die Sache viel zu lang oder zu kurz. Du hast die üble Gewohnheit, Worte und Satztheile zu wiederholen, mehrmals zum Reden anzusetzen. Das macht im Gespräch keinen guten Eindruck, ist aber im Vortrag sehr störend."
Wäre hier Schluß gewesen, dann hätte man Machs Ausführungen als guten Rat des erfahrenen Vaters empfinden können. Machs Fortsetzung jedoch zeugt von seiner speziellen Beziehung zu dem fast 29jährigen Ludwig: „Gibt Acht darauf, und gewöhne Dir das ab. Es ist nicht nöthig." Auch die weitere Entwicklung Ludwigs bei Zeiss wird von Mach beständig kommentiert und beratend begleitet. So etwa, wenn Ludwig den Zeissschen Anstellungsvertrag Mach zur Begutachtung vorlegt: „Ich kann Dir nur entschieden abrathen, den Vertragsentwurf der Firma Zeiss zu unterzeichnen" (Mach an Ludwig, 8.12.1897 (VAT)). Auch in ökonomischen Dingen gibt Mach, der nach eigenem Geständnis auf diesem Gebiet keine ordentliche Erziehung erhalten und es zu nichts gebracht hat (cf. § 36), gute Ratschläge: „Etwas von den Antheilen (der Magnaliumgesellschaft, G. W.) solltest Du doch behalten, nicht Deine Hand ganz von der Sache zurückziehen. Es ist auch nicht gut, alles an einen Nagel zu hängen. Wenn Du nach Wien übersiedelst, so erkundige Dich gut bei Rechtskundigen, wie Du es machen mußt, um nicht von doppelter Besteuerung betroffen zu werden" (Mach an Ludwig, 6. 5.1900 (VAT)).
Betrachtet man die keineswegs auch nur annähernd vollständig angeführten (und wohl oft erfolgreichen) Versuche Machs, auf seinen erwachsenen Sohn Einfluß zu nehmen, dann dürfte ihm jene Einsicht des Jahres 1914, durch seine Überfürsorge zum Freitod seines Sohnes Heinrich beigetragen zu haben, wohl noch fehlen. Der Überfürsorge Machs scheint eine gewisse Hilflosigkeit Ludwigs komplementär, vielleicht auch durch sie verursacht zu sein. Verschlossenheit, notorische Geheimniskrämerei 16 , Kontaktschwierigkeiten, Mängel 16
Hierüber klagt (die Episode mit Czapski aus dem Leipziger Prozeß ist nur ein Beispiel) praktisch jeder, der mit Ludwig zu tun hatte. Exemplarisch bringt es seine Schwester
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der öffentlichen Präsentation kehren bei Ludwig immer wieder. Wie wir noch sehen werden, hat Ludwig später versucht — jedenfalls in seinen schriftlichen Äußerungen —, dies durch einen eigentümlich bombastischen Stil zu kompensieren, dessen Versatzstücke zum Teil allerdings auch wieder vom Vater stammen. Machs Fürsorge richtete sich jedoch nicht bloß auf den persönlichen, technischen und geschäftlichen Bereich. Ihm war die fast völlige Unkenntnis Ludwigs im Bereich der physikalischen Theorie und Mathematik nicht entgangen. Sobald sich abzeichnete, daß Ludwigs Zukunft nicht in der Medizin liegen würde, wurden Machs Aufforderungen immer dringlicher, Ludwig solle sich physikalische Theorie und Mathematik aneignen: „Da Du Dich einmal diesem Beruf (bei Zeiss, G. W.) zugewandt hast, wird es wohl nothwendig sein, Deine Kenntnisse in Mathematik und Physik zu vervollständigen. Brauchst Du denn nicht einige Bücher?" (Mach an Ludwig, nur teilweise erhalten, vermutlich Oktober/November 1897 (VAT)). Es folgen detaillierte Empfehlungen, die mit dem Imperativ in Frageform enden: „Soll ich Dir nicht einiges schicken?" Am 2.11.1897 (EMA) antwortete Ludwig auf eine erneute Anfrage in wenig begeistertem Ton: „Wenn Du mir den Nernst X 1 gelegentlich (Hervorhebung im Original, G. W.) senden kannst, so ist es mir ganz angenehm." Mach sah hier größere Dringlichkeit. Schon zwei Tage später schrieb er an Ludwig (4.11.1897 (VAT)): „Nernst habe ich absenden lassen." O b Ludwig dem Rat des Vaters gefolgt ist, ist nicht dokumentiert. Obwohl er manchmal schreibt, er befasse sich jetzt mit Theorie, ist zu vermuten, daß dies nicht oder nicht in nennenswertem Ausmaß der Fall gewesen ist. Nirgendwo in dem riesigen Wust von Ludwigs Aufzeichnungen tritt eine Anwendung auch nur der elementaren Differential- und Integralrechnung auf, von Feinheiten der höheren Mathematik ganz zu schweigen. Daß die Einarbeitung in die Theorie in Jena nicht allzuweit gediehen war, war wohl auch Machs Eindruck. So, wenn er aus einem — von ihm selbst mitverschuldeten — Fehler in einer Arbeit Ludwigs, der
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Caroline in einem Brief an die Mutter zum Ausdruck ( 1 . 7 . 1 9 1 7 (VAT)). Ludwig hatte der Mutter — gegen den ausdrücklichen Wunsch Carolines — v o n einer (erfolgreichen) chirurgischen Operation seiner Schwester berichtet. Caroline darauf: „Ich weiß nicht, warum Ludwig, der sonst ja für das Geheimhalten ist, es zum Schluß doch ausgeplauscht hat." Vielleicht wird hier auch auf die ursprüngliche Geheimhaltung von Ludwigs Eheschließung angespielt. Es handelt sich um Nernst/Schönflies (1895), ein Werk, das zuletzt 1931 in 11. Auflage erschienen ist.
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Ludwig in Depression versetzt hatte, folgendes Resümee zieht (Mach an Ludwig, 27.7.1899 (VAT)): „Du hast Dir eine ungewöhnlich gute experimentelle Technik erworben. Es ist schade, wenn Du aus diesem Fall, der für Dich vielleicht ein Glück ist, nicht die Consequenz ziehst, die fehlende theoretische Ausbildung nachzutragen. Wenn es in Jena möglich ist, oder wenn Du nach Berlin kommst, so höre doch wieder 1 8 theoretische Vorlesungen. Wenn man die Theorie nicht kennt, fehlt einem die ganze Erfahrung der Vergangenheit, und man ist auf seine eigene angewiesen, die ja doch immer sehr begrenzt ist."
Es hat nicht den Anschein, daß Ludwig nach diesem Brief, zu einer Zeit, als die Anforderungen des Geschäftslebens ihn absorbierten, und auch schon wieder erste experimentelle Arbeiten im Dienst des Vaters (s. u.) anstanden, dem väterlichen Rat nachgekommen ist. Hierfür gibt es neben der oben erwähnten Nichtanwendung jeglicher ,höherer Mathematik' mindestens drei Indizien. Erstens ist Ludwig Mach im Urteil Ernst Machs bis zum Jahre 1904 nicht soweit in die physikalische Theorie eingedrungen, daß Mach ihm ein den Forschungsstand kommentierendes Vor- oder Nachwort zu den Neuauflagen der Mechanik hätte anvertrauen mögen. In dem schon erwähnten, Anfang 1904 abgeschlossenen „Nachtrag" zum Verlagsvertrag der Mechanik (VAT) mit dem Verleger Brockhaus und Joseph Petzoldt wurde Pet^oldt die „Fortführung" der Mechanik übertragen (cf. oben § 19), eine Regelung, die, wie man noch sehen wird, von Ludwig heftig bekämpft wurde. Zweitens: Dinglers kritischem Scharfblick ist bei den Korrekturen der Optik folgendes nicht verborgen geblieben: „Er [Ludwig] ließ mich eine Correktur lesen, wobei ich ihn auf grobe mathematische Druckfehler hinwies. Er tat dann so, als ob er die schon gekannt hätte, trotzdem sie in den von ihm korrigierten Bogen unbeanstandet standen, und nur durch verständnisvolle Rechnung richtig gestellt werden konnten" (Tagebuch Nr. 7, Eintrag 1 5 . 1 0 . 1 9 2 1 , (HDA)).
Drittens schließlich: auf des Verlags Barth dringliche Mahnung hin (10.6.1922 (VAT)), doch endlich das durchgesehene Exemplar für die dritte Auflage der Wärmelehre einzusenden, antwortet Ludwig (Entwurf vom 24.6.1922 (VAT)), daß die Wärmelehre „baldigst in Ihren [Barths] Händen sein wird. Die Fourierschen Reihen machten mir etwas Mühe — weil ich gerade auf Anderes eingestellt bin — und ich weiß leider nicht, wie Jourdain, der nur diese Punkte beanstandete, schließlich die Formeln 18
Wie wenig Theorie Ludwig in Prag gehört hatte, wurde schon mitgeteilt (cf. § 37).
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faßte." Wenn dies nicht nur ein Bluff sein soll, um Hofrat Arthur Meiner, den Inhaber des Barth-Verlags, vom Vorliegen komplizierter, alles verzögernder mathematischer Hindernisse zu überzeugen, zeigen sie Ludwigs Unkenntnis der ,höheren Mathematik': die Fourierreihen sind ein jedem Mathematiker und jedem Physiker geläufiger Gegenstand. 19 Während die Kenntnis der ausgeführten Theorie der Fourierreihen Ludwig nicht unbedingt geläufig sein muß, ist die Kenntnis ihrer Grundtatsachen jedoch für jeden Physiker unerläßlich, da sie das Standardmittel bei der harmonischen Analyse von Schwingungs- und Wellenphänomenen bilden und zur Darstellung der Wärmeleitung, der zeitlichen Veränderung der Stromstärke bei Wechselstrom usw. dienen. Machs Wärmelehre befaßt sich nun überhaupt nicht mit der mathematischen Theorie der Fourierreihen. 20 Was Mach auf den Seiten 82 ff. der Wärmelehre vorstellt, ist lediglich der Versuch, detailliert abzuleiten, wie in den mathematischen Ausdrücken Fouriers die physikalischen Phänomene zur Darstellung kommen. Das dürfte einem auch nur halbwegs beschlagenen Physiker, auch wenn er ,gerade auf Anderes eingestellt' sein sollte, keine Probleme machen. Kurz, nichts deutet darauf hin, daß Ludwig Mach jemals seine rudimentären, eigentlich kaum vorhandenen Kenntnisse in physikalischer Theorie und Mathematik nennenswert hat erweitern können. Zeigt sich Ludwig so auf dem frühen Höhepunkt seiner Laufbahn als vom Vater durch und durch abhängig, so führt Machs Hilflosigkeit nach seinem Schlaganfall zu einer immer größeren Abhängigkeit von Ludwig. 21 Mach wollte, nachdem der erste Schock seiner Erkrankung vergangen war und er wieder arbeiten konnte, möglichst viele angefangene oder konzipierte Arbeiten, vor allem die Optik und interferometrische Ideen, noch zum Abschluß bringen. Hierzu waren Experimente unerläßlich, die 19
Es handelt sich mathematisch um Reihen, mittels derer periodische Funktionen dargestellt werden. Die Reihen bestehen aus einer Linearkombination von Sinus- und Kosinusfunktionen der gleichen Periode:
J
CO
f(x) = — ^o + X bn = 20
21
J +*
(an cos nx + bn sin nx) mit an = — J f(x) cos nx dx und
2 „=i 1 +π — f f(x) sin nx π —π
π
dx.
„Die genauere mathematische Untersuchung der Fourierschen Ausdrücke [...] [muß] anderwärts nachgesehen werden" (W., 114). Hellers Auffassung (mit Bezug auf einen Brief Ludwigs), hier handle es sich um „ein Musterbeispiel von Kindesliebe" (Heller (1964), 138), mag zwar zutreffen, doch hat solche .selbstlose' Liebe wohl stets einen .dialektischen' Zug: es ist ein gutes Stück Eigenliebe dabei.
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Mach aber wegen seiner Behinderung nur unzulänglich ausführen konnte. Ab 1903 scheint Ludwig hier zeitweise in die Bresche gesprungen zu sein. Mach an Carus (17.10.1903 (OCA)): „Ich arbeite wieder und experimentire sogar, d. h. mein Sohn Ludwig führt Experimente nach meinem Vorschlag aus, und ich controllire sie im Fahrstuhl." Man sieht hier den 35jährigen Ludwig in einem Verhältnis zu Mach, das er so oder ähnlich immer wieder beschrieben hat: „für den Rest meines Lebens ausführender Assistent und Secretär" des Vaters (Ludwig an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, 14.10.1935 (BÄK, R 73/12 835)). Keine Frage scheint es auch gewesen zu sein, daß Mach bei einer dauernden Ansiedlung Ludwigs mit diesem zusammenziehen würde. Doch ebensosehr wie der Vater auf den Sohn, scheint der Sohn sich auf den Vater angewiesen zu fühlen. Dieser Gesichtspunkt tritt in der ersten Phase nach der Erkrankung Machs und während der Jahre der Abwicklung des Magnalium-Geschäfts in den Hintergrund. Doch just zu dem Zeitpunkt, als Ludwig die geschäftlichen Querelen hinter sich zu bringen im Begriffe war, scheint ihm seine wissenschaftliche Hilflosigkeit erneut bewußt geworden zu sein. Zudem mag neuer Ehrgeiz erwacht sein, auch seinen Namen wieder über wissenschaftlichen Publikationen stehen zu sehen. Der Wunsch, wieder gemeinsam mit dem Vater zu arbeiten, war auch eine Triebfeder des Umsiedlungsprojekts nach Vaterstetten. Mach selbst scheint davon, jedenfalls im letzten Moment, nicht mehr begeistert gewesen zu sein. Aus einem undatierten Brief Ludwigs (EMA) von Ende 1912/Anfang 1913 geht hervor, daß Mach die Umsiedlung nach Vaterstetten als ,sanguinisches Jugendprojekt' aufgefaßt hat. Auch über die von Ludwig avisierte gemeinsame Tätigkeit' scheint man unterschiedlicher Auffassung gewesen zu sein: „Natürlich ist's was Anderes, wenn [...] Du Dir die gemeinsame Thätigkeit' so denkst wie Du mir schreibst, dann brauchst Du Dich gar nicht darüber zu alteriren — ich will Niemand mit Zumuthungen kommen." Worin auch immer die Differenzen bestanden haben mögen, Ludwig wirft in demselben Brief dem Vater vor, daß er sich nicht helfen lasse. Gleichwohl scheint es so zu sein, daß es eher die Bedürfnisse Ludwigs als die des 75jährigen Mach und seiner 70jährigen Frau waren, welche zur Übersiedlung der Machs nach Vaterstetten führten, wenn Mach auch neben finanziellen Gründen von einem eigenen „Bedürfnis" nach Experimentieren spricht, das ihn zum Umzug zu Ludwig bewegt habe (Mach an Anton Thomsen, 1. 6.1913 (KBK*)). In dem oben erwähnten Brief sieht Ludwig in der Übersiedlung nämlich „die einzige Möglichkeit [...], die Instrumente, Bücher und sonstigen Behelfe noch einmal für
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uns (Hervorhebung G. W.) verwertbar zu machen". Am 13. 2.1913 (EMA): „Hauptsache ist Dein Befinden — damit wir (Hervorhebung G. W.) noch zu etwas kommen." Am 17.2.1913 (EMA): „[...] möchte ich Dir nur sagen, daß ich für uns (Hervorhebung G. W.) eine Zeit gemeinsamer Arbeit ohne Aufschub wünsche." Der Brief schließt mit dem Satz: „ich für mich möchte nur noch einmal eine wirkliche Arbeit erleben." Wie sehr Ludwigs Interessen im Vordergrund standen und wie illusionslos Mach seine eigenen Möglichkeiten beurteilte, geht auch aus einem (wohl verlorengegangenen) Brief an Adler hervor, den Adler ((1918), 28 f.) zitiert. Mach schrieb „nach seiner Übersiedlung nach Bayern im Jahre 1913": „Mein Sohn wollte in Prag abgebrochene Arbeiten mit mir wieder aufnehmen. An ein praktisches Resultat wird man bei meinen 75 Jahren kaum mehr im Ernst denken. Doch soll die Hoffnungsfreudigkeit der Jugend nicht gestört werden. Vielleicht lerne ich hier noch einmal stehen und gehen. Damit wäre wenigstens die Vorbedingung für das Arbeiten gegeben . . . Seien Sie nicht zu sehr überrascht, wenn Sie hören, ich hätte mich in das Nirwana zurückgezogen, wozu es ja eigentlich schon Zeit wäre."
Worum es bei den ,Arbeiten' im einzelnen ging, wird aus den Briefen Ludwigs sichtbar: Aufarbeitung ,optischer Rückstände' (17. 2.1913), .Relativität' (8.12.1912), .Strahlung' (12.12.1912, alles (EMA)). 22 Ganz im Zentrum aber stand die Arbeit an Kultur und Mechanik, der Ludwig sich mit Feuereifer widmete. Seine erhaltenen Briefe aus den Jahren 1911/1912 handeln von fast nichts anderem. Dieses Buch, das von der Rekonstruktion primitiver historischer Techniken handelt, entsprach bestens seinen Kenntnissen und Fähigkeiten. Die Idee zu diesem Buch selbst ging auf ihn zurück. 23 Wie sehr Mach sich ab Anfang 1913 für dieses Thema interessierte, macht seine Korrespondenz deutlich. 24 Wie stark sich Ludwig auf diesem Gebiet fühlte, zeigt die Indignation, die er an den Tag legte, als er erfuhr, daß Mach einen Artikel aus diesem Themenbereich für die populärwissenschaftliche Zeitschrift „Kosmos" in 22
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Was es mit .Relativität' und .Strahlung' auf sich haben könnte, soll in § 45, 383 f. erörtert werden. Cf. Mach an Ludwig, 7. 6 . 1 8 9 9 (VAT): „Du hast mir einmal erzählt, was für Veranstaltungen man machen müßte, wenn alle Werkzeuge verloren gingen, um wieder zu denselben zu gelangen." Mach an Ludwig, 8 . 2 . 1 9 1 3 (EMA): „Ich interessire mich jetzt gerade für die Anfange der praktischen Mechanik und deren Einfluß auf die Theorie." Mach an Popper, 1 1 . 8 . 1 9 1 3 (SM1*): „Ich habe mich die letzten Wochen (also einschließlich ,Juli 1913', G. W.) damit beschäftigt, die Anfange der Mechanik mit dem, was die orientalischen Despoten getrieben haben, in Vergleich zu bringen."
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Arbeit habe und Ludwig nicht, speziell wegen Schraube und Drehbank, vorher konsultiert habe: „Ich denke, Du könntest den Artikel doch zurückhalten bis zu meiner Rückkehr" (Ludwig an Mach, undatiert (Ende 1911) (EMA)), oder wenn es ihn „wundert" und „überrascht", daß Mach an „unzähligen Entstehungsmöglichkeiten" für Werkzeuge, die er zusammen mit seinem Bruder Viktor ausgeklügelt habe, noch immer etwas auszusetzen finde (Ludwig an Mach, 27.11. [1912] (EMA)). Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß es die mit viel Lektüre verbundene Arbeit an Kultur und Mechanik war, die den Schwerpunkt des Machschen Schaffens in den knapp drei Vaterstettener Jahren bildete, soweit Krankheit überhaupt Arbeit erlaubte. Daneben stehen vielerlei Lektüre, ein Artikel über Interferometrie, ein populärer Aufsatz sowie letzte — vermutlich nur redaktionelle — Arbeit an der Optik. Nicht uninteressant ist es zu sehen, welches Schwanken es in den Vaterstettener Jahren bezüglich der Verfasserschaft von Kultur und Mechanik und Mach (1915 a) gegeben hat. Ein Manuskript von Kultur und Mechanik (EMA) stammt bis Seite 20 der gedruckten Fassung zweifellos von Mach. Der dann beginnende Teil 25 trägt die linkshändige Rotstiftaufschrift Machs: „1. Prähistorische Anknüpfungen von Med. Univ. Dr. Ludwig Mach." 26 Von Ludwigs Mitarbeit ist aber in der publizierten Fassung nicht mehr viel zu sehen. Nur im Vorwort ist davon die Rede, daß „es meinem in frühester Kindheit mechanisch sehr veranlagten Sohne Ludwig auf meine Veranlassung gelang, durch immer neu einsetzende Erinnerungsversuche seine damalige Entwicklung mit vielen Einzelheiten im wesentlichen zu reproduzieren [...]" (Mach (1915), 5). Das ist alles; recht wenig, wenn man bedenkt, daß die Idee des Buches und wohl auch der Löwenanteil an der Arbeit bei Ludwig lag. Was dazu geführt hat, das Buch ohne weitere Erwähnung der Verdienste Ludwigs ausschließlich unter Machs Namen zu publizieren, läßt sich nicht sagen. 27 Ähnlich hat Mach in dem offenbar 25
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Das Manuskript dieses zweiten Teils steht, im Unterschied zu dem von Mach mit der Maschine geschriebenen ersten, in Ludwigs Handschrift; es ist für den Druck noch sprachlich überarbeitet worden. Dabei sind eine Reihe schwülstig-sentimentaler Formulierungen getilgt worden, die für Ludwigs Stil typisch sind. In der gedruckten Fassung lautet die entsprechende Überschrift: „Uber prähistorische Erfindungen und die Uranfange mechanischer Erfahrung und Einsicht." Vielleicht war der gewünschte buchhändlerische Erfolg ein oder sogar der entscheidende Grund. Aus der Korrespondenz Ludwigs mit dem Vater ergibt sich, daß Ludwig aus Sorge um die Zukunft in den Jahren 1911/1912 einige wohl nicht erfolgreiche Geschäfte getätigt hat. Eine erneute geschäftliche Aktivität dürfte sich tatsächlich auch empfohlen haben, wenn die 120000 Kronen der Aufstellung in §37, Anm. 20 Ludwigs ganzes
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von ihm geschriebenen, gewiß aber handschriftlich korrigierten Typoskript von Mach (1915 a) hinter den Titel mit der linken Hand eingetragen: „ E M u L M". In der publizierten Version ist dann von dem ursprünglich als Mitverfasser ausersehenen „L M" nicht einmal mehr in einer Fußnote die Rede, wie es sonst in allen experimentellen Abhandlungen Machs nach seiner Erkrankung (1898) der Fall ist. 28 Die so ersehnte Zusammenarbeit von Ernst und Ludwig Mach hat also trotz ungünstiger Umstände noch stattgefunden, auch wenn sie ausschließlich Mach gutgeschrieben wurde. Ludwig hatte dabei guten Grund, das, was ab 1913 öffentlich als Werk des Vaters präsentiert wurde, zu einem Teil als sein eigenes aufzufassen. Wenn Ludwig später häufiger klagte, „mein Name [ist] wenig bekannt, denn all meine Lebensarbeit steckt in den Werken meines Vaters"29, so ist diese Klage berechtigt. Nur ist die ,Lebensarbeit' wohl nicht so bedeutend, wie hier glauben gemacht werden soll. Nach dem Gesagten läßt sich in den letzten gemeinsamen Arbeiten von Ludwig und Ernst Mach eine reinliche Scheidung der Leistungen nicht mehr vollziehen. Offenbar wurde im Hause Mach auch eine Identifizierung der jeweiligen Anteile nicht für so wichtig gehalten, daß sie in den Publikationen ihren Niederschlag gefunden hätte. Es verwischt sich damit in der öffentlichen Präsentation gemeinsamer Arbeit die Identität der Produzenten, oder genauer: Ludwigs Identität geht verloren. Dieser Sachverhalt hat merkwürdige Entsprechungen auf der persönlichen Seite. Ab Ende 191130 schließen die Briefe des damals 43jährigen Ludwig an Mach mit Grüßen vom ,alten (Hervorhebung G. W.) Ludwig', eine Formel, die als ,d a V' ( = Dein alter Vater) von Mach seit Ende der 90er Jahre gegenüber Ludwig und später als ,Ihr alter' gegenüber nahestehenden Korrespondenzpartnern verwendet wurde. Diese an sich nicht sehr aussagekräftige Stileigentümlichkeit rückt in ein helleres Licht, wenn wir Ludwigs Reaktion auf die Krankheit des Vaters untersuchen, wie sie in seinen
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Vermögen gewesen sein sollten. In dem undatierten Brief von Ende 1912/Anfang 1 9 1 3 an den Vater (EMA) schreibt der 44jährige Ludwig: „Unglücklicherweise habe ich mich v o r Deiner Erkrankung in ein Engagement eingelassen, dessen Abwicklung mich unerwartet viel Zeit gekostet hat — ich wollte Mittel in Vorrat erwerben und damit Ruhe." Diese haben sämtlich mit Interferometrie zu tun, bis auf eine Arbeit über Totalreflexion, die (1904) unter gemeinsamer Verfasserschaft erschien (cf. Bibliographie in Mach (1969)). Brief Ludwigs an Lowie, 2 8 . 1 . 1 9 2 3 (BLB). Aus den Jahren vorher sind keine Briefe Ludwigs an Mach bekannt. Der nächste aus der Zeit v o r Ende 1911 erhaltene Brief Ludwigs an Mach scheint aus dem Jahre 1897 zu sein.
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Briefen zutage tritt. Immer wieder findet man in diesen Briefen ein ,wir', wo es um die Schilderung des Leidens des Vaters geht. 31 Ludwig an Petzoldt (11.5.1914 (TUB, Pe 43-3)): „Von hier nichts Neues - wir schleppen uns eben mit größeren und kleineren Leiden"; (20.7.1914 (TUB, Pe 43-3)) „Meinem Vater geht es nicht gut — seit Herbst schleppen wir uns mit einer ganzen Reihe von neuen Unannehmlichkeiten"; (29.11.1914 (TUB, Pe 43-13)) „Nebst einer höchst fatalen Urethritis haben wir am linken Schienbein eine Wunde [...]." Ludwig an Carus (30.10.1915 (OCA)): „Uns geht es gesundheitlich eben nicht gut — wir ringen uns tagweise durch große und kleine Leiden durch — mir ist es qualvoll als ,Wissender' so wenig thun zu können [...]." Auch abgesehen von der sprachlichen Form würde es Seiten füllen, die Klagen zusammenzutragen, mit denen Ludwig Mach in den Vaterstettener Jahren die Korrespondenten seines Vaters überhäuft. Es hat den Anschein, daß die Leiden Ludwigs erheblich größer sind als die des kranken Vaters, wenn man Machs gleichzeitige Korrespondenz gegen die von Ludwig hält. Noch etwas fallt auf, insbesondere wenn man Bemerkungen wie die vom ,Wissenden' aus dem gerade angeführten Brief an Carus betrachtet: Ludwig legt in seinen Briefen eine gewisse Wichtigtuerei an den Tag. Was heißt es denn anderes, sich angesichts eines 77jährigen schwerkranken Mannes, der nüchtern, gelassen und bewußt auf seinen Tod wartet, als ,Wissender' aufzuspielen? Was weiß in dieser Situation der schnell gebleichte Dr. med. denn mehr als sein medizinischen Dingen ja auch nicht so fernstehender alter Vater? Es zeigt sich hier bei Ludwig Mach eine Tendenz, sich als Sprecher, Sachwalter und Experte in Sachen Ernst Mach zu stilisieren, die in ihrer kläglichen Wegleidigkeit unangemessen ist und in ihrem Mangel an Kompetenz einen Teil der Lebenskatastrophe Ludwigs bedingt. Von dieser Tendenz wird noch mehrfach zu reden sein. Ein weiteres Beispiel für seine merkwürdige Sachwalterschaft liefert Ludwigs erfolgreicher Versuch, einen Besuch Petzoldts bei Mach im Juli 1914 zu verhindern. Auf diesen verhinderten Besuch muß näher eingegangen werden, weil aus der Darstellung bei Blackmore ((1972), 277 f.) leicht der Eindruck entstehen könnte, Mach habe Petzoldt nicht mehr sehen wollen, um ihm die Enttäuschung zu ersparen, ihn plötzlich als Gegner der Relativitätstheorie wiederzufinden: 31
Ich bezweifle, ob man dies nur als den widerwärtigen pluralis medicinalis verstehen soll, der auch heute noch nicht ausgerottet ist. Ludwigs medizinische 6-Wochen-Karriere war für dessen nachhaltige Aneignung vielleicht doch zu kurz.
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„Joseph Petzoldt, in his elation over the letters (d. h. die emphatischen Briefe Machs über die Relativitätstheorie von April und Mai 1914, cf. oben § 19, G. W.), decided to visit Ernst Mach in Vaterstetten and have a long discussion with him concerning the whole question of Einstein's theory of relativity and its development from the special to the general theory." 32
Petzoldt war nach Garmisch gefahren und wollte bei dieser Gelegenheit auch Mach und Dingler 33 (letzteren wohl als Mitherausgeber der „Zeitschrift für positivistische Philosophie" und Mach nahestehenden Wissenschaftstheoretiker) besuchen. A m 20. 7 . 1 9 1 4 schreibt Ludwig 3 4 an Petzoldt offenbar nach Garmisch (TUB, Pe 43-3): „Sie werden wohl unter den momentanen Verhältnissen 35 daran denken bald heimzukommen. Um so mehr thut es mir leid Sie und Doc[ent] Dingler nicht gesprochen zu haben. Wenn Sie nach München kommen sollten so bitte ich mich einige Tage früher v o n der Stunde Ihrer Ankunft zu verständigen — ich komme dann an den Bahnhof. Bitte aber zu berücksichtigen, daß jeder Brief 1 Tag später bei uns bestellt wird."
Der erste Satz macht deutlich, daß Ludwig auf Petzoldts Besuch keinen Wert gelegt zu haben scheint, da er — wenn auch ein Interesse Petzoldts unterstellend — Petzoldts Verzicht auf den Besuch bei Mach antizipiert. Petzoldt reiste denn auch vergeblich nach München, weil Ludwig angeblich das Telegramm, das Petzoldts Ankunft signalisieren sollte, zu spät erhalten habe. 36 A m 3 1 . 7 . 1 9 1 4 , einen Tag vor Kriegsausbruch, schreibt Ludwig wieder an Petzoldt, vermutlich erneut nach Garmisch (TUB, Pe 43-5), mit der Aufforderung, bei Besuchswunsch, um sicher zu gehen, je
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Über die spezielle Intention Petzoldts, Mach zu besuchen, ist auch Blackmore nichts bekannt, auch wenn sich sein Text ganz anders liest. Ich selbst halte es für plausibel, daß Petzoldt seinen alten Freund und Gönner einfach wieder einmal besuchen wollte. Petzoldt und Dingler haben sich tatsächlich getroffen. Dingler schreibt, wohl durch den Kriegsanfang verzögert, an Mach am 22.10.1914: „Ebenso war es mir eine große Freude, mit Herrn Petzold[t], der ein ganz prächtiger Mensch ist, persönlich bekannt geworden zu sein. Ich verlebte einige sehr interessante Stunden in seiner Gesellschaft." Auch hier wohl kein Streit über die Relativitätstheorie! Es ist unzutreffend, wenn Blackmore (a.a.O., 277) erklärt, Ludwig habe diesen Brief „for his father" geschrieben. Hier handelt es sich vielmehr um eine unwahre Behauptung, die Ludwig neun Jahre später aufstellt (s. u.). Am 28. 6.1914 war der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo erschossen worden. Dieses Attentat gab den Anlaß zum 1. Weltkrieg. In den krisengeschüttelten Wochen bis zu dessen Beginn am 1. August waren die beteiligten Parteien in der Hauptsache damit beschäftigt, sich politisch und militärisch für das allseits nicht unerwünschte, kommende Inferno in eine günstige Position zu bringen. Cf. Karte Ludwigs an Petzoldt (undatiert, Aufschrift Petzoldts: 21.7.1914 (TUB, Pe 434))·
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eine Karte an zwei verschiedene Adressen zu schicken. Freilich auch hier eine Art Ausladung: „Bei uns geht es nicht gut es will nicht besser werden — dazu immer bedecktes Wetter — ich weis nicht ob es einen Sinn hat für Sie zu kommen — der Verkehr mit den Vororten soll soviel ich erfahren habe auch eingeschränkt werden." Soweit Ludwig. Mach hatte offenbar ganz andere Wünsche als dieser. Am 19.8.1914 (TUB*, Pe 4211) schreibt er an Petzoldt: „Kürzlich erhielt ich Ihren Brief an mich von Popper zurück. 37 Da fiel mir die Stelle auf: „Ich komme am 4. Juli nach Garmisch, wohne Klammstraße 9.["] Als ich nun an meinen Sohn die Frage stellte, ob er mit Ihnen zusammengetroffen sei, sagte er mir, Sie seien ganz unerwartet wieder abgereist . . . [...] Es tut mir sehr leid, daß Sie schon fort sind ohne mich besucht zu haben. Ich wollte mich einmal aussprechenf.] Herzlichst grüßend Ihr alter treuer Ernst Mach."
Blackmore (a. a. O., 278) stellt fest: „This letter strongly suggested to Petzoldt that either Ludwig or Ernst Mach had not been telling the truth. Petzoldt concluded that it was Ludwig Mach." Blackmore hält diesen Schluß („[fjrom our perspective") angesichts angeblich nicht ausreichender Evidenz für unbegründet und kommt seinerseits, nachdem er noch einmal die Relativitätstheorie ins Spiel gebracht hat, zu folgender merkwürdiger Einschätzung: „there is enough evidence to raise suspicions against the veracity of all three men (Hervorhebung G. W.)". Er ist allerdings vorsichtig genug hinzuzufügen: „but [there is] not enough evidence either to settle the matter or to justify undermining the reputation of any of these able and well-intentioned gentlemen" (Blackmore, ebd.). Im Verlaufe späterer Auseinandersetzungen zwischen Ludwig und Petzoldt, von denen noch zu berichten sein wird, schreibt Ludwig an Petzoldt (4.6.1923 (TUB, Pe 43-32)): „[...] so mögen Sie schon heute wissen, daß ich in seinem Auftrage wegen tatsächlich bestehender, quälender körperlicher Zustände Ihren Besuch ablehnte. Leider aber bin ich im Interesse der Wahrheit genötigt, Ihnen heute mitzuteilen, daß sein hauptsächlichster Beweggrund war, mit Ihnen über die Relativität nicht mehr sprechen zu müssen." 38
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Dieser Brief Petzoldts ist verschollen. Aus diesem neun Jahre nach den Geschehnissen und zu einem ganz bestimmten Zweck geschriebenen Brief glaubt Blackmore offenbar die Berechtigung ziehen zu können, den geplatzten Besuch Petzoldts bei Mach mit der Relativitätstheorie in Verbindung zu bringen.
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Wir werden bei der Untersuchung der Kontroverse Ludwig-Petzoldt sehen (unten § 44), daß der zweite Teil der Aussage Ludwigs unglaubwürdig ist. Es bleibt die Frage, ob Ludwigs Absage im Juli 1914, wie er später behauptete, im Auftrag des Vaters mit Rücksicht auf dessen Gesundheitszustand erfolgte. Mit anderen Worten: es bleibt die Frage, ob Ludwig oder ob Ernst Mach gelogen hat. 39 Wenn man Ludwigs Äußerungen von 1923 für den Augenblick nicht beachtet, dann sieht man sogleich, daß — jedenfalls ausweislich der zitierten Briefe — im Juli und August 1914 vielleicht niemand so recht gelogen hat. Ludwig hat Petzoldt abgeraten zu kommen mit den Argumenten, Petzoldt gehöre in diesen Krisentagen nach Hause, dem Vater gehe es schlecht, das Wetter sei auch nicht gut und außerdem verkehrten die Züge seltener. Vielleicht hat Ludwig gelogen, als er behauptete, Petzoldt habe sich zu spät angemeldet. Aus dem Brief Machs an Petzoldt vom 19. 8.1914 geht lediglich hervor, daß er auf den Besuch Petzoldts gegenüber Ludwig zu einem Zeitpunkt zu sprechen kam, als Petzoldt schon abgereist war, und daß es ihn sehr traurig gestimmt habe, daß man sich nicht habe aussprechen können. Ein Widerspruch zwischen den Äußerungen Machs und Ludwigs besteht nicht. Vielmehr läßt der warme und herzliche Ton des Briefes von Mach an Petzoldt („Ihr alter treuer Freund") es ausschließen, daß Mach Ludwig beauftragt habe zu verhindern, was er gegenüber Petzoldt als ein Desiderat hinstellt („ich wollte mich einmal aussprechen"). Eine derartige Unehrlichkeit Machs muß derjenige plausibel machen, der sie in Erwägung zieht. Wir werden sehen, daß Ludwig Mach zwar 1914 möglicherweise nicht direkt gelogen hat, wohl aber 1923, und zwar nicht aus Hinterhältigkeit, sondern aus Hilflosigkeit. Fragt man nun, warum Ludwig an einem Besuch Petzoldts bei Mach Ende Juli 1914 so wenig gelegen war, dann ist man wieder bei seiner Rolle als Erbe und Sachwalter Machs angelangt. Drei Möglichkeiten kommen hier in Betracht: (1) Bei Ludwig Machs ständigen Klagen über den Zustand des Vaters40 ist es verständlich, daß er vieles ernster eingeschätzt hat als Mach und deswegen aus übertriebener Fürsorge den Besuch verhindern wollte. (2) Ludwig fühlte sich in einem Konkurrenzverhältnis 39
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Wieso Zweifel an der Wahrhaftigkeit auch von Petzoldt (Blackmore: „all three men") bestehen können, ist völlig unklar. In einer nicht erhaltenen Karte an Petzoldt nach Garmisch im Juli 1 9 1 4 schreibt Ludwig unter anderem: „Der Mann, an den Sie denken, lebt gar nicht mehr". Diesen Satz zitiert Petzoldt in einem Brief an Ludwig v o m 18. 5 . 1 9 2 3 (VAT). Für eine ähnliche Formulierung Ludwigs s. u.
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zu Petzoldt, da Mach diesen 1904 vertraglich mit der Fortführung der Mechanik beauftragt hatte (cf. oben § 19). Ludwig Mach hatte offensichtlich bei Ernst Mach ein auf den 3. Juli 1911 datiertes ,Codicill' zum Testament 41 (VAT) durchgesetzt, in dem bestimmt wurde, daß der Text von Machs Werken nach dessen Tod unverändert bleiben sollte, „was nicht ausschließt, daß Ansichten und kritische Bemerkungen Anderer, jedoch deutlich geschieden vom Grundtext, in einem besonderen Anhang hinzugefügt werden." Ludwig wurde ermächtigt, „für die Korrektheit der Texte zu sorgen". Für die Mechanik ergab sich durch das ,Codicill', daß entgegen dem ,Nachtrag' von 1904 zum Verlags vertrag nunmehr die Aufsicht über die Korrektheit des Machschen Textes nicht mehr bei Petzoldt, sondern bei Ludwig lag. Es könnte daher sein, daß Ludwig wegen der von ihm inszenierten Konkurrenzsituation mit Petzoldt aus eigenem Interesse ein Zusammentreffen vermeiden wollte. 42 Eine weitere Möglichkeit (3) hängt mit der ersten zusammen und scheint die wichtigste und einleuchtendste zu sein. Sie hat wiederum mit Ludwigs übertriebener Fürsorge zu tun, die hier Formen der Herrschaft und Entmündigung Machs annimmt: Ludwig Mach hat vor seinem Vater den Ausbruch des 1. Weltkrieges geheimgehalten! Diese Geheimhaltung des Laufs der Welt war umso leichter, als sie nicht mit dem 1. August 1914 beginnen mußte. Am 13.8.1914 schreibt Ludwig, ohne dazu direkt veranlaßt zu sein, den folgenden Brief an Petzoldt (TUB, Pe 43-6): „Ihnen und den Ihren soll ich (Hervorhebung G. W.) für diese Tage die herzlichsten Grüße und Wünsche von uns allen entbieten. Ich habe mich als Mediciner gemeldet — und wurde schon lange in Evidenz gehalten. Mein Vater hat seit fast Jahresfrist kaum eine Zeitung in die Hand genommen — wir (Hervorhebung G. W.) wollen ihm aufregende Detailles [!] ersparen. Sie haben Recht, wenn Sie sagen, es gilt sich nun gegen Asien zu wehren! Sowie es besser geht, schreibt Ihnen mein Vater selbst."43
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Das mir vorliegende ,Codicill' (so die handschriftliche Überschrift von Ludwig, der auch noch ein getipptes „wünsche" handschriftlich in „ordne an" umgeändert hat) ist möglicherweise ein Entwurf, jedoch mit Machs Stempel und seiner linkshändigen Unterschrift versehen (VAT). Wohl im Mär% 1916 hat Ludwig dieses ,Codicill' über Barth an Brockhaus zwecks Unterschrift gegeben (dieses Exemplar ist verschollen). Der Verleger Brockhaus war im übrigen entschlossen, sich durch das ,Codicill' nicht weiter stören zu lassen, da es dem .Nachtrag' von 1904 zum Verlagsvertrag für die Mechanik nicht , widerspreche'. Die erhaltene Korrespondenz zwischen Mach und Petzoldt aus dem Jahre 1911 und später erwähnt das ,Codicill' nicht. Petzoldt hat es vermutlich nicht gekannt. Daß angeblich nur die ,Detailles' geheimgehalten wurden, ist, wie sich zeigen wird, eine jener wahrheitswidrigen Beschönigungen, die sich in unzähligen Briefen Ludwigs finden.
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Ob Mach das Interesse an der Welt und daran, von ihr in der Zeitung zu lesen, verloren hatte 44 oder ob aus irgendeinem Grund (z. B. um Geld zu sparen) die Zeitungen abbestellt worden waren — man kann wohl davon ausgehen, daß Mach die kritische Zuspitzung der politischen Lage am Vorabend des Weltkriegs nicht bekannt war. Dabei fällt es schwer zu glauben, daß der alte Mach der Wahrheit nicht gewachsen gewesen wäre. Wie dem auch sei, um den in der Isolation des Waldgrundstücks ohne nennenswerte Bewegungsmöglichkeit lebenden Mach war eine Informationssperre errichtet worden, die Ludwig durch Petzoldt nicht durchbrechen lassen wollte. Um dies zu erreichen, gab es nur ein Mittel: Postzensur des Vaters und eventuelle Konfiszierung von Briefen, in denen auf den Krieg Bezug genommen wurde. Ein Brief von Petzoldt scheint dabei der erste gewesen zu sein, der Ludwigs Zensur zum Opfer fiel, und zwar derjenige, auf den Ludwig in seinem gerade angeführten Brief vom 13. 8.1914 anspielt (,Sie haben Recht, wenn Sie sagen . . . ' ) . Denn es ist ja er, der den Brief Petzoldts an den Vater beantwortet und dies mit der merkwürdigen Einleitung, daß er ,für diese Tage' des Kriegsausbruchs ,die herzlichsten Grüße und Wünsche von uns allen (Hervorhebung G. W.)' zu entbieten beauftragt worden sei. Daß dieser Briefanfang nicht wahr ist, macht Ludwig selber — offenbar ohne es zu bemerken — unverzüglich klar: Da Mach vom Kriegsausbruch, der offenbar von Ludwig wie von vielen anderen als große Stunde empfunden wurde, nichts wußte, konnte er eben auch Ludwig nicht beauftragen, Petzoldt in diesem Zusammenhang die ,herzlichsten Grüße und Wünsche' auszurichten. D. h., in Ludwigs Brief vom 13. August 1914 geht es nur darum, Petzoldt darauf aufmerksam zu machen, daß der Krieg in der Korrespondenz nicht erwähnt werden dürfe. Das war notwendig, da Petzoldt sich ja schon nichtsahnend zu diesem Thema geäußert hatte. Petzoldt wiederum hat offenbar den Wink Ludwigs nicht verstanden, wohl weil er sich nicht vorstellen konnte, daß man so zur Entmündigung eines alten, geistig völlig klaren Mannes schreiten könne. Er mußte glauben, daß Ludwig mit den ,Detailles', die Mach erspart bleiben sollten, eben auch nur Details, etwa grausame Kriegsphotos oder dergleichen, gemeint haben könnte. Denn Petzoldt hat am 16. 8. 45 wieder vom Krieg geschrieben und, wie es scheint, an Ernst
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Dies ist schlecht vorstellbar, da Machs intellektuelle Neugier, wie sich in der Korrespondenz dieser Zeit zeigt, keineswegs erloschen war. Dieser Brief ist ebenso wie derjenige, auf den Ludwig in seinem Brief v o m 13. August anspielt, nicht erhalten. Sie dürften beide in den Ofen gewandert sein.
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und nicht an Ludwig Mach, obwohl Ludwig am 20.8.1914 antwortet (TUB, Pe 43-7): „Vielen Dank für Ihre Zeilen vom 16. und Alles Gute dem großen Deutschland." Er schließt mit einem merkwürdigen Satz, der in seiner sprachlichen Form Ludwigs schlechtes Gewissen enthüllt 46 : „Das Buch 47 hat verschiedene trübe Erinnerungsbilder ausgelöst — ich habe den Brief von ihm zum Lesen erhalten — sonst würde ich dies natürlich nicht gethan haben." Der Brief, um den es geht, ist ein Brief Machs an Petzoldt vom 19.8.1914 (TUB*, Pe 42-11). Was ist aber, so fragt man sich, denn dabei, daß Ludwig den Inhalt eines Briefes des Vaters kennt, wenn beide so eng zusammenarbeiten und Ludwig nicht selten Briefe nach Diktat schreibt? Ferner, wenn das Buch trübe Erinnerungen ausgelöst haben sollte, dann hätte Mach dies Ludwig ζ. B. erzählen können und Ludwig hätte davon Petzoldt ganz ohne Bezug auf Machs Briefe berichten können. Kurz, Ludwig reagiert wie ein ertappter Schulbube. Es ist einfach lächerlich, wenn ein 46jähriger Mann, ohne daß der mindeste äußere Anlaß dafür vorliegt, glaubt versichern zu müssen, daß er die Briefe, die ihm der Vater zur Expedition übergibt, ,natürlich' nicht läse. So ist es wohl ein ,innerer' Anlaß, das schlechte Gewissen des selbsternannten Zensors Ludwig, der zu dieser merkwürdigen Wendung führt: „sonst würde ich dies natürlich nicht gethan haben." Petzoldt hatte für die Informationssperre und die Zensorenrolle Ludwigs kein Verständnis; er scheint zugleich der einzige aus Machs Bekanntenkreis gewesen zu sein, der es für nötig hielt, gegen diese Entmündigung des hilflosen Vaters zu protestieren. 48 Denn Ludwig schreibt am 29.10.1914 (TUB, Pe 43-10): „Sie haben mit Ihren Vorstellungen ganz Recht — und es ist gewiß, daß man auf die Dauer' die Sache nicht todtschweigen kann und will." Dann versucht Ludwig sich zu verteidigen: „Zu Stande kam es so, daß mein Vater seit mehr denn Jahresfrist (cf. dagegen Brief v o m 13. 8 . 1 9 1 4 , G . W.) jede Zeitung ablehnte — und im S o m m e r standen wir, gerade als die Situation des Krieges sich ergab, gesundheitlich schlecht
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Diesem Phänomen werden wir noch öfter begegnen. Es handelt sich wohl um W. Stern, Psychologie der frühen Kindheit. Bis zum sechsten Lebensjahr, Leipzig 1914, Heidelberg I0 1971. Mach hatte sich schon am 2 4 . 7 . 1 9 1 4 (JER) nach diesem Buch bei Jerusalem erkundigt. Auch dieser Brief ist nicht erhalten. Im übrigen ist die Quarantäne wohl auch für Ludwig von Nachteil gewesen. Ich glaube kaum, daß er nach einem Austausch über den Krieg mit seinem Vater hätte schreiben können: „Wie lange wir dieses System des Schweigens durchführen, ist ja fraglich — wenn mein Vater sich wieder bessert — dann lassen wir ihn an dieser großen Zeit teilnehmen" (Hervorhebung G. W.; Ludwig an Dingler, von dem er ebenfalls einen Brief an Mach kassiert hatte, 2 9 . 1 0 . 1 9 1 4 (HDA)).
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und überkritisch 49 ; soferne es nun weiter wieder besser gehen sollte, ergibt sich die ,Aufklärung', die ja im höchsten Grade wünschenswert ist, von selbst [?]. Zurückgeblieben ist eine außerordentliche Reizbarkeit — die Sprache ist schlechter geworden; und ein solcher Patient stellt die höchsten Ansprüche an seine Umgebung" (Hervorhebungen G. W.). Und wieder glaubt der Zensor betonen zu müssen, ein untadeliger Postbote zu sein: „Alle Ihre Schreiben werden pünktlich abgegeben, ich habe das von Ihnen erwähnte sogar [!] zum Lesen erhalten. Die Zeit bringt es mit sich, daß der Briefverkehr ein spärlicher ist — nur direct auf den Krieg bezügliche Dinge erledige ich" (Hervorhebung G. W.). Die Fortführung der Zensur soll sich also auf Petzoldt (s. o. „alle Ihre Schreiben [...]") nicht beziehen. Dafür, daß Petzoldt offenbar eine Antwort Machs auf einen Brief vermißt hat, ist etwas anderes verantwortlich: „Sollte auf diesen Brief Ihrerseits noch keine Antwort erfolgt sein, so liegt dies an einer nicht zu leugnenden Vergeßlichkeit und Zerstreutheit seinerseits, die ja von je her vorhanden, sich nunmehr gesteigert hat. Haben Sie vielen Dank für Ihre Zeilen, deren Standpunkt ich vollkommen teile." Ende Oktober bedauert es Ludwig also, aus welchen Gründen auch immer, sich zum Zensor des Vaters aufgeschwungen zu haben. Nur, wie sollte er dem Vater die Wahrheit beibringen? Er schien, wie aus einem Brief an Petzoldt vom 6 . 1 1 . 1 9 1 4 (TUB, Pe 43-11) hervorgeht, auf einen baldigen Sieg des ,großen Deutschland' zu warten. 50 Allerdings würde er die Isolation wohl nicht mehr lange durchhalten: „— also, ich werde wohl in Bälde damit herausrücken." Dies war Ende November 1 9 1 4 noch immer nicht geschehen. Ohne daß aus Machs Briefen darüber etwas verlautet hätte, soll wiederum der Gesundheitszustand des Vaters nicht passend gewesen sein: Ludwig mußte „mitteilen, daß es bei uns elend steht und ich nun den Muth sinken lasse. Nebst einer höchst fatalen Urethritis haben wir am linken Schienbein eine 49
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Das läßt sich aus Machs übriger Korrespondenz nicht bestätigen. Zwar schreibt er an Jerusalem am 2 4 . 7 . 1 9 1 4 (JER): „Ich bin wieder sehr mißmutig." Doch hat er lebhaft korrespondiert und auch Besuche empfangen: „Prof D r Pauli war einige Tage mit seinem Sohn hier [...]". Und ebenso gern wie Mach Petzoldt gesehen hätte, hätte er auch Jerusalems Besuch (der im Jahr vorher in Vaterstetten gewesen war) begrüßt: „Sehr gern würde ich mit Ihnen sprechen" (beide Bemerkungen aus einem Brief Machs an Jerusalem v o m 3. 8 . 1 9 1 4 ( J E R * ) ) . Es ist übrigens so, daß es Mach gerade im August verhältnismäßig gut ging. A n Jerusalem schreibt er am 10. 8 . 1 9 1 4 : „Zu meiner Gesundheit fehlt nur eine Nuance: ich kann nämlich noch nicht selbständig pissen [...]." Der Tod des Vaters hätte das Problem allerdings auch gelöst.
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Wunde — wohl durch irgend einen unglücklichen Zufall und ich weis nicht, ob man dieser Dinge noch rechtzeitig Herr werden kann. Es ist nicht mehr der Mann, den Sie in Erinnerung haben, da und so geht es mir, daß ich nie dazu komme, ihn aufzuklären" (Ludwig an Petzoldt 29. 11. 1914 (TUB, Pe 4313) ). 51
Wann Ludwig den Vater aufgeklärt hat oder auch dieser sich selbst, ist nicht mehr genau auszumachen. Am 29.10.1915 (HDA) jedenfalls schreibt Ludwig an Dingler: „Natürlich ist er über den Gang der Weltereignisse längst orientirt — auch darüber, daß Sie nun ganz Soldat sind." 52 Diese Episode wurde so ausführlich geschildert, weil sich hier schon deutlich Ludwigs spätere Handlungsweisen abzeichnen. Ludwig, der auch als Arzt des Vaters fungiert zu haben scheint, maßte sich immer mehr die Rolle des Sachwalters, ja des Vormunds des Vaters an: In unterstellter Antizipation von Interessen, Wünschen und Bedürfnissen des Vaters wird an seiner Statt und über seinen Kopf hinweg über ihn entschieden. Und doch, der so über den hilflosen Vater verfügt, ist selber hilflos. Er scheint gewissermaßen mit dem Vater zu sterben. So bedankt sich der bald 47jährige Ludwig am 13.7.1915 in seiner Antwort an Josef PopperLynkeus sich für die Übersendung eines Buches wie folgt: „[...] Ihr schönes Geschenk, das mir ein liebes Angedenken sein soll, so ferne ich noch lange oder länger leben werde." Das Thema des eigenen baldigen Todes fehlt fortan in keiner Korrespondenz mit den Freunden des Vaters, wobei bis in die Intonation hinein der Vater kopiert wird; meist ist von ,Charons Nachen' die Rede, der schon warte. 53 Charon wird in der Korrespondenz immer mehr Ludwigs ständiger Begleiter; mal auch „blasen die Trompeten schon zum Abmarsch" (an Lowie, 29. 6.1923 (BLB)), um „mein kümmerliches Leben" (an F. Adler, 7.2.1927 ( A A W ) ) zu beenden. 54 So oder 51
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Es sei noch einmal betont, daß Mach in seinen letzten Jahren geistig vollkommen ungetrübt gewesen zu sein scheint, und zwar bis an sein Ende. Spätestens seit Januar 1 9 1 5 muß Mach v o m Krieg gewußt haben. Er bedankt sich am 2 8 . 1 . 1 9 1 5 bei Lowie für einen Artikel Lowies mit dem Titel „International Rivalry in Science" (Mach (1947), 68). In diesem Artikel, den Mach offenbar gelesen hat, heißt es gleich im ersten Satz: „since the beginning of the war" (in: The New Republic 1 (1914), Dez.-Ausg., 15). Ich vermute im übrigen, daß sich Mach auf diese oder ähnliche Weise eben selbst über die Existenz des Krieges .aufgeklärt' hat. Mach hatte sich am 2 8 . 4 . 1 9 1 3 mit einem Brief ( A W W * ) bei der Wiener Akademie so verabschiedet: „Sollte dieser Brief mein letzter sein, so bitte ich nur anzunehmen, daß Charon, der alte Schalk, mich nach einer Station entführt hat, welche noch nicht dem Welt-Post-Verein angehört." Die Lektüre der meist hastig gekritzelten und aus der Not des Augenblicks geborenen Korrespondenz Ludwig Machs ist kein Vergnügen. Es ist quälend, sich durch die mehr
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ähnlich tönt es über die Jahre hin. Immer wieder klingt das Selbstmordthema an. 55 Als Ludwig nach Jahrzehnten der Ankündigung 1951 tatsächlich ,Charons Nachen' besteigt, winkt in einer ungewöhnlichen Todesanzeige noch einmal Ernst Mach, ,der alte Schalk', vom anderen Ufer herüber: „Einen letzten Gruß läßt Dr. Dr. Ludwig Mach Freunden und Bekannten sagen." 56 Freilich, Ludwigs letzter Gruß enthüllt auch einen letzten Coup. Genaueres darüber wird alsbald zur Sprache kommen. Noch im Tode also suchte es Ludwig seinem Vater gleichzutun. Sein Leben war nicht anders: „Ich kämpfe für einen Toten, dessen Schatten ich immer war." 57 Das ist Ludwigs Resümee eines lebenslangen, von vornher-
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als drei Jahrzehnte dokumentierte, gescheiterte Anstrengung hindurchzuarbeiten, hohen Anspruch und miserable Wirklichkeit miteinander zu versöhnen, zumal der Anspruch in hohler Geschwätzigkeit und die Wirklichkeit in schierer Kläglichkeit vorgetragen wird. Auch Dingler berichtet darüber (cf. Beilage 3B). „Süddeutsche Zeitung" vom 29.8.1951. Ernst Mach hatte durch Wolfgang Pauli sen. in die „Neue Freie Presse" (Wien) einrücken lassen: „Bei seinem Scheiden aus dem Leben grüßt Ernst Mach alle, die sich seiner erinnern, und bittet um ein freundliches, heiteres Andenken" (a.a.O., 22. Februar 1916, Titelseite). Ludwig an Lowie, 6. 8.1947 (BLB). Ludwigs Selbstbild als .Schatten' Machs scheint im übrigen ein Stereotyp gewesen zu sein. In einem halbseitigen, wohl von Anna Karma Mach angefertigten Typoskript (VAT) „Lina an Dr. Herneck", das aus Auszügen aus Briefen von Ludwigs Schwester Caroline an Friedrich Herneck besteht, heißt es: „Meines Bruders Verehrung für seinen Vater war grenzenlos. Oft (Hervorhebung G. W.) sagte und schrieb er mir, ich habe ihm manche Arbeit durch meine Hilfeleistung ermöglicht, aber ich bin ja nur sein Schatten." Herneck berichtet über die Korrespondenz mit Caroline Lederer, geb. Mach in Herneck (1983), 154 ff. Carolines Erinnerungen sind nicht immer ganz zuverlässig. Wenn sie unter Wiener Fakultätskollegen, mit denen Mach „näher bekannt" gewesen sei, als ersten Friedrich Jodl nennt, so ist zu bedenken, daß Mach, wie Briefe zeigen, gegen Jodl schon seit Prager Tagen eine so intensive (vielleicht begründete) Abneigung hegte wie gegenüber keinem anderen seiner Kollegen. Besonders erzürnt war Mach noch Jahre später über Jodls wenige Tage nach dem Erscheinen von Erkenntnis und Irrtum publizierte Besprechung „der boshaftesten und subjektivsten Art" (Mach an Spemann, 6.8.1914 (VAT)). Er habe absichtlich dazu geschwiegen. Seine gelegentlich geäußerte sarkastische Bemerkung, sie eigne sich zusammen mit Plancks Angriff (Planck (1909)) vorzüglich als „Specimen" für die „Aufnahme (seiner Lehre, G . W . ) durch die Zeitgenossen" und man solle beides bei einer neuen Auflage gleich mitdrucken (Eintrag Ludwigs in Notizbuch IX (VAT), 23.10.1911), hat Ludwig wohl nicht verstanden. Denn als er die 3. Auflage (1917), gewissermaßen als Tätigkeitsnachweis des Herausgebers, mit Jodls Besprechung als Anhang publizierte, bemerkte er in einer Fußnote nur, dies geschehe „entsprechend einer älteren Verfügung des Verfassers" (ebd. 464). Erst als er durch Otto Wiener (12.5.1917 (LEI)) vorsichtig und detailliert darauf aufmerksam gemacht wurde, daß Jodl Mach „nicht in allen Punkten gerecht" werde, äußerte sich Ludwig (9.6.1917 (LEI)) so: „Mit Ihrer Bemerkung sind Sie ganz im Recht — diese Beurteilung von Seite der Philosophie ist eine ganz Allgemeine." Was auch immer Ludwig damit gemeint haben mag, Wiener hatte davon nicht gesprochen. Seine Kritik hat Ludwig allerdings beeindruckt: War Jodls Rezension 1917 „entsprechend einer älteren Verfügung des Verfassers" aufgenommen worden, so teilte Ludwig am 24. 5.1920 (Entwurf (VAT)) dem Verlag
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ein zum Scheitern verurteilten Kampfes. Der Schatten Machs war für Ludwig ebenso zu lang wie dessen Kleider zu groß. Dingler notiert in seinem Tagebuch eine Äußerung Ludwigs von hohem Symbolwert. In den Tagen, wo Dingler sich dem für ihn so unerfreulichen Geschäft unterzog, „in dieses Elend [Ludwigs] so tief zu schauen", vermerkte er unter dem 18.11.1925: „12h L. Mach. Bis 3h zusammen. Er hat 1902 (richtig: 1901, G. W.) geheiratet. Er mußte die alten Vorlesungsröcke des Vaters tragen und Messingkappen auf den Stiefeln" ((HDA), Tagebuch 10, 42). Es war alles einige Nummern zu groß. Die fehlende Größe, die in seinem Schreibstil durch ebenso sentimentales wie hohles Pathos verdeckt werden soll, hat Ludwig noch auf eine andere, höchst merkwürdige Weise zu erreichen versucht. Erstmals wohl in einem Antrag an die „Deutsche Forschungsgemeinschaft" (DFG) vom 14.10.1935 (BÄK, R 73/12 835) zeichnete Ludwig als ,,M[edicinae] Universalis] Dr. et. Phil. Dr.". In seinen späteren Schreiben an die DFG (d. h. nach dem positiven Entscheid seines Antrags) und auch sonst in den folgenden Jahren begnügte sich Ludwig mit einem Doktortitel. Das gleiche Zögern zeigte sich im Frühjahr 1938, als Machanhänger im nunmehr tschechoslowakischen Brünn eine Mach-Gedenkfeier veranstalteten, bei der eine Reihe von Vorträgen gehalten und auch eine Gedenktafel am Geburtshaus Machs angebracht wurde. Die Feierlichkeiten wurden von Dr. Hugo Iltis58, einem Biologen und Direktor der Brünner ,MasarykVolkshochschule', organisiert, und zwar im Auftrag der .Deutschen Gesellschaft für Wissenschaft und Kunst' in Brünn. Am 13.1.1938 59 hatte Iltis
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Barth mit, „daß Jodls Aufsatz wie dies in der Absicht meines Vaters lag gänzlich und n^var für immer, d. h. auch für jede weitere Auflage wegfällt". Auch sonst war Ludwig nicht gesonnen, sich durch die strikte Bestimmung des testamentarischen ,Codicills', die Machschen Texte unverändert zu publizieren, allzusehr einengen zu lassen. Wie sich aus seiner Korrespondenz mit Adler (AAW) und Barth (VAT) ergibt, war er 1919 bereit, einem Vorschlag Adlers zu folgen und die erkenntnistheoretischen Teile aus der Neuauflage der Wärmelehre herauszunehmen, um sie separat, etwa in den Populär-wissenschaftlichen Vorlesungen, zu publizieren. Den Söhnen von Dr. Iltis, denen es ebenso wie ihrem Vater gelang, vor der Barbarei in die USA zu entkommen, habe ich für die generöse Überlassung der Mach bezüglichen Materialien bzw. für wichtige Informationen zu danken. Es sind dies Prof. Dr. Hugh Iltis (University of Wisconsin, Madison) und Prof. Dr. Wilfred G. Iltis (San Jose State University, San Jose), beide Biologen wie ihr Vater. Es ist mir ein Vergnügen, den gescheiterten Bemühungen von Hugo Iltis, die Brünner Vorträge (darunter einer von Philipp Frank) in einer Schrift „Ernst Mach (1838 — 1938). Gedenkschrift zur Feier des 100. Geburtstages" zu publizieren, ein spätes und gewiß bescheidenes Denkmal zu setzen. Iltis plante darüber hinaus eine Mach-Gesamtausgabe. Dieser Brief (wie auch die übrigen Briefe von Iltis an Ludwig) scheint verloren zu sein.
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an Ludwig geschrieben und die Mach-Feier angekündigt. In einem Brief vom 29.1. hatte er sodann Ludwig dazu eingeladen. Ludwig antwortete, ganz gegen seine Gewohnheit, und wohl um die Bedeutung des Anlasses zu unterstreichen, mit der Schreibmaschine am 2. 2., es sei „durch den Tod unseres Freundes Lampa [?] und inzwischen eingetretene schwere finanzielle Verlegenheiten" für ihn unmöglich zu kommen.60 Der Schlußsatz des Briefes lautet: „Für alles Ihnen und der Gesellschaft herzlich dankend, verbleibe ich in aller Ergebenheit und Treue, Ihr Dr. Dr. Ludwig Mach" (ILT). Hier verwendet Ludwig, soweit zu sehen, zum zweiten Mal jenen ominösen zweiten Doktortitel, der ihn noch ins Grab geleiten sollte. Allerdings auch hier noch zaghaft und versuchsweise, weil er es in den folgenden Briefen an Iltis wieder bei einem ,Dr.' bewenden ließ. Auch sonst trat Ludwig bis Kriegsende nur gelegentlich als ,doppelter Doktor' in Erscheinung. Das wurde nach dem Krieg anders, und zwar wird ,Dr. Dr. Mach' in einem Ausweis der US-Militärbehörde zur Erlaubnis des Besitzes von zwei Gewehren (VAT) 61 offiziell und im noch zu besprechenden Münchener Prozeß gewissermaßen gerichtsnotorisch. Nun ist für den Kenner von Ludwigs Biographie klar, daß er keinen zweiten Doktorgrad (ζ. B. in Physik) je erwerben konnte. Folglich könnte es sich nur um eine Ehrenpromotion 62 handeln. Doch für eine Ehrenpromotion gibt es keinerlei Hinweise. Nachforschungen an der Universität und der Technischen Universität München verliefen denn auch entsprechend negativ.63 60
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Im Laufe der Korrespondenz mit Iltis versuchte Ludwig wie in anderen Fällen auch (Adler, Lowie), einen Kredit zu ergattern. Iltis hatte nämlich von .Generaldirektor' Armin Weiner geschrieben, einem Mach-Sammler, in dessen Besitz die Briefe Machs an Popper (heute: (SMI)) waren. Iltis' .Generaldirektor' gab Ludwig das Stichwort. In dem von einem Major Herbert T. Hope im Auftrag eines Oberstleutnant Sanders unterzeichneten „Certificate" (30. 7.1945) ist von „Dr. of Medicine and Doctor of Philosophy Ludwig Mach of Vaterstetten" die Rede. Ernst Mach hat einen echten ,Dr. h. c.' besessen: 1877 wurde ihm die medizinische Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen verliehen. Frau Prof. Dr. Laetitia Boehm, der Leiterin des Archivs der Universität München, danke ich für ihre Nachforschungen. Ferner danke ich Herrn Bibliotheksoberrat R. Arnold (Technische Universität München — Universitätsbibliothek) für seinen freundlichen Hinweis auf die „Mitteilungen des Bundes der Freunde der TH München", die ebenfalls keinen Dr. h. c. Ludwig Mach verzeichnen. Die einzige Beziehung zu Hochschullehrern, über die Ludwig Mach zu jener Zeit verfügte, war wohl (außer derjenigen zu Dingler) die zu Jonathan Zenneck, Physikprofessor an der Technischen Hochschule München und Leiter des „Deutschen Museums". Zenneck aber verwendete in seinen Briefen an Ludwig (VAT) immer nur einen Doktortitel. Es ist schwer vorstellbar, daß er den zweiten weggelassen hätte, wenn er Ludwig die Freude gemacht hätte, ihn zu besorgen. Freilich, in gewisser Hinsicht hat sich Ludwig nicht selbst promoviert (cf. dazu § 44, Anm. 14). — Merkwürdigerweise zeigte nur Dr. Hans Harting, ein ehemaliger Kollege Ludwigs bei
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Stilisiert sich L u d w i g so wenigstens in der Zahl der Doktorgrade als würdiger Sohn seines Vaters, so hat seine Auffassung, auch familiär der Erbe Ernst Machs zu sein, ähnlich skurrile Formen angenommen. Gewiß fiel Ludwig eine besondere Rolle in der Familie zu. Im Testament Machs vom 2 6 . 3 . 1 9 0 6 (VAT) wurde Ludwig gegenüber seinen Brüdern Felix und Viktor eindeutig bevorzugt. Andererseits war Ludwig gewissermaßen eine Vaterrolle gegenüber den jüngeren Brüdern zugewachsen. Mach an Ludwig (26.7.1899): „Sorge Du nur vor allem dafür, daß Du Deine eigene Existenz soweit sicherst, daß Du ein Ziel, für welches es dafür steht zu leben, ungestört verfolgen kannst. [...] Du wirst vielleicht noch genug Gelegenheit haben, für Deine Geschwister unterstützend einzutreten, und dafür werde ich Dir besonders dankbar sein." Die von Mach vorausgesehene Gelegenheit ist, mindestens im Falle Felix Machs, tatsächlich bald eingetreten. Die innerfamiliäre Auszeichnung aber hat Ludwig Mach in bedenklicher Weise ins Tragisch-Romantische gewendet. So scheint es ihm ein immer stärkeres Bedürfnis geworden zu sein, sich als den letzten Überlebenden des Hauses Mach zu stilisieren. Einige Wochen, nachdem er Dingler den Tod von Felix mitgeteilt hatte 64 , schreibt er am 28. 9.1933 (HDA): „Für die freundlichen Worte über meinen unglücklichen Bruder danke ich Ihnen herzlich; es ist gut, wenn das Haus Μ [ach] für immer erlischt." Ohne daß sich inzwischen am familiären Personalstand etwas verändert hätte, ist für Ludwig dieser Wunsch 2XJ2 Jahre später erfüllt. Am 2 9 . 1 . 1 9 3 6 (BLB) teilt er Lowie mit einiger Verspätung den Tod des Bruders mit: ,,[N]ach dem tragischen Tod meines Bruders, meines Arbeits- und Notgenossens, lebe ich hier als der Letzte des Hauses Mach." Freilich steckt in dem ,hier' eine Reservatio mentalis, ebenso wie im .sozusagen' des nächsten Briefes: „Sie sehen also, daß ich heute sozusagen der letzte Nachfahre unseres verlöschenden Hauses bin" (Ludwig an Lowie, 17.3.1936 (BLB)). Läßt man die feinsinnigen reservationes weg, und stellt man für den Augenblick in Rechnung, daß Ludwigs Schwester Caroline mit ihren beiden Kindern (ein Sohn, eine Tochter) in
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Zeiss, Erstaunen, als Ludwig sich 1 9 4 7 als ,doppelter Doktor' bei ihm meldete (Brief Hartings v o m 30. 3. 1947 ( E M A ) ) . Für wertvolle Informationen in diesem Zusammenhang danke ich Frau Hellmuth, Betriebsarchivarin im Kombinat V E B Zeiss Jena. Pikanterweise war Ludwig nach einer Aktennotiz auf seinem Meldebogen in München ( S A M ) nicht einmal berechtigt, in Deutschland seinen ehrlich erworbenen Prager Doktortitel zu führen. Brief v o m 3 1 . 8 . 1 9 3 3 (HDA): „Die eiserne Faust des Geschickes hat wieder an meine Thüre gepocht [...]."
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der patriarchalischen Genealogie nicht zu zählen scheint, so werden sein Bruder Viktor und dessen doch immerhin schon 15jähriger, höchst lebendiger Sohn Walter aus dem Bild, das Ludwig zeichnet, schlicht verdrängt. Nicht anders ist es in einem Brief an Hans Harting vom 2. 3.1947 (ZEI), in dem aber immerhin die Existenz Carolines (wenn auch nicht die ihrer Kinder) anerkannt wird: „Von unserem Hause bin ich und meine in New Jersey lebende Schwester, die einzig Überlebenden und die älteste Deutsche Universität Prag ist für immer zerstört." 65 Daß der angeblich Letzte des Hauses Mach diese mitleiderregende Selbststilisierung (wie auch im Falle Lowie) für eher profane Zwecke (Geld, Unterbringung des Nachlasses) einsetzt, macht der Kontext der Briefe deutlich. Ein Schreiben an die Wiener Akademie (20.8.1948 (AWW)) bringt explizit tragisches Geschick und irdische Wünsche zusammen: „Als S o h n Ihres, hier am 19. Feb[ruar] 1916 im eigenen, kleinen Laboratorium verstorbenen Mitgliedes Ernst Mach, weil[and] Prof. der Universitäten Graz, Prag, Wien, Mitglied des Herrenhauses etc. trete ich auch als letzter Überlebender des Hauses mit einer Bitte an die A k a d e m i e für den Verstorbenen heran." 6 6
Wie nachhaltig Ludwig seinen Neffen sogar aus dem Familienbewußtsein herausgehalten hat, macht ein seltsamer Umstand deutlich. In einem Brief vom 29.12.1968 (VAT) an Anna Karma Mach äußert Friedrich Herneck sein Erstaunen darüber, daß es eine Linie Viktor Mach gebe. Caroline habe ihm 1962 auf eine spezielle Anfrage hin versichert, daß keiner der Söhne Machs Nachkommen hinterlassen habe. Es wird sich zeigen, daß jene merkwürdige Auffassung Ludwigs als Erbe und Sachwalter Ernst Machs noch eine weitere Seite hatte: Ludwig betrachtete sich auch als den Vollender des Machschen Werkes.
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Andererseits ist es nicht so, daß Ludwig Mach seinen Bruder Viktor und seinen Neffen Walter im Außenkontakt immer verleugnet hätte: Er hat sie auf einer Iltis zur Brünner Mach-Feier von 1938 übersandten Liste der Personen aufgeführt, die für eine Einladung in Frage kämen (ILT). Sein Wunsch: Unterbringung des Machschen Nachlasses bei der Akademie. Dieser Wunsch wird von Ludwig so vorgetragen, daß seine Realisierung aus administrativ-bürokratischen Gründen die österreichische Staatsbürgerschaft Ludwigs voraussetze. Der Rest der Korrespondenz besteht im wesentlichen darin, die Akademie zu diesem Zweck einzuspannen. Ludwig war nach dem ersten Weltkrieg tschechoslowakischer Staatsbürger geworden.
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Mach hatte das Manuskript der Optik vor seinem Schlaganfall (1898) begonnen.1 Sobald er einigermaßen genesen war, nahm er die Arbeit wieder auf. 2 Zunächst sei die Frage geklärt, wer eigentlich die Optik zum Druck gebracht hat. Dies wird bereits einiges Licht auf das Problem der Echtheit des Optik-Vorworts werfen. Schon am 6.10.1902 (EMA) hatte sich Arthur Meiner, Inhaber des Verlagshauses Barth, angelegentlich bei Mach nach der Optik erkundigt und gefragt, „ob für die nächste Zeit Aussicht zur Vollendung ist?"3 13 Jahre später, am 2 . 1 . 1 9 1 5 (VAT), faßte Meiner nach und zwar in einem Brief an Ludwig. „Horaz's Spruch ,nonum prematur in annum' 4 hat gewiß seine Berechtigung, aber ich glaube, das vorliegende Manuskript liegt schon länger als 9 Jahre im Schreibtisch Ihres Herrn Vaters und so rüstig Ihr Herr Vater ja auch noch ist, so wird die Wahrscheinlichkeit selbstverständlich mit jedem Jahre, das mit der Veröffentlichung gezögert wird, geringer, daß er das Erscheinen noch selbst erlebt und das möchten wir beide ihm doch wohl gönnen."
Ludwig war, jedenfalls was Machs Freude an der Publikation seiner Bücher betraf, der gleichen Meinung. Am 28. 2.1913 (OCA) hatte er schon in seinem eigentümlichen Stil an Carus geschrieben: „Vor einiger Zeit bemerkte er [Mach], daß in ,seinem Elend' die englische Neuausgabe der „Analyse" sowie der „Mechanik" durch Sie [d. i. Carus] der einzige
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Die Einleitung, die Kapitel 1—4 sowie eine Seite von Kapitel 5 der Optik liegen im Manuskript (EMA) handschriftlich, teilweise mit maschinenschriftlichen Einschüben vor. Die übrigen Kapitel sind mit der Maschine geschrieben, und zwar vermutlich von Ernst Mach selbst, da Ludwig Mach die Schreibmaschine nicht benutzte. Alle maschinengeschriebenen Teile enthalten Korrekturen linker Hand von Mach. Nach seinem Schlaganfall, bis etwa März 1901, bediente sich Mach der Kleinschrift. Bis dahin waren offenbar der Großteil von Kapitel 5 sowie die Kapitel 6, 7, 9, 10, 11, 12 im wesentlichen fertig. Lediglich die Kapitel 8, 13 und 14 sind in der Standardorthographie, also nach März 1901, geschrieben. Machs Antwort sowie die gesamte Machsche Seite der Korrespondenz sind nach Auskunft von Herrn K. Wiecke, Verlag J. A. Barth (Leipzig), vom 10.6.1982 im Bombenkrieg in Leipzig verbrannt. Wenn auch die Horazsche Empfehlung (Ars poetica, 389), ein Manuskript erst einmal 9 Jahre ruhen zu lassen, im Hause Mach für die Optik vielleicht befolgt worden ist — Ludwig hätte noch besser daran getan, wenn er sich im Blick auf das Optik-Votwort den nächsten Vers von Horaz zu Herzen genommen hätte: „delere licebit quod non edideris; nescit vox missa reverti" (man kann vernichten, was unveröffentlicht blieb; was aber einmal in die Öffentlichkeit kam, kann nicht zurückkehren).
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Lichtblick gewesen wäre 5 , was Sie vielleicht freuen wird zu hören." Sodann berichtete Ludwig: „Ich hoffe diesen Sommer endlich auch die Drucklegung der Optik in die Wege zu leiten, damit er es auch noch erlebt." Weiter fragte er — dies scheint der eigentliche Zweck des Briefes zu sein — ob Carus nicht Übersetzungen der Wärmelehre und von Erkenntnis und Irrtum in Angriff nehmen wolle. Es folgt ein wichtiger Zusatz, an dessen Wahrheit wohl nicht zu zweifeln ist: „Er weis natürlich nichts von einem solchen (gemeint also: diesem, G. W.) Schreiben, würde mir es auch gewaltig verübeln — ich thue es nur, weil ich wieder weis, daß Sie, verehrter Herr Doktor, diese meine Zeilen nicht mißdeuten werden."6 Man sieht hier wieder Ludwig als Sachwalter des Vaters ohne dessen Wissen agieren. Ebenso scheint es mit der Publikation der Optik zu sein. Man beachte, daß die diesbezügliche Verlegerkorrespondenz über Ludwig lief, obwohl Mach selbst noch am 7. 3.1915 an Barth geschrieben hatte7, ohne die Optik auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Noch eine Woche vor seinem Tod scheint Ernst Mach von einer Publikation der Optik nichts gewußt zu haben: Otto Wiener hatte ihm seinen Optik-Beitrag aus dem Physik-Band des Sammelwerkes Die Kultur der Gegenwart zugeschickt.8 Mach antwortete am 12.2.1916 (LEI*)9: „Sie fragen mich wie es mit der Optik steht?; nun haben Sie mit Ihrer ,Lehre vom Licht' und dem daran sich knüpfenden weiten theoretischen Ausblick 1 0 5
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Dies ist unglaubwürdig. Die letzte englische Ausgabe der Mechanik vor diesem Brief Ludwigs erschien zwar 1907, die Analyse aber schon 1897, also ein Jahr vor Machs Schlaganfall. Mach wird sich zudem ζ. B. über das Erscheinen von Erkenntnis und Irrtum (1905), einem neuen Buch, mehr gefreut haben. Warum Ludwig so schrieb, zeigt die Fortsetzung des Satzes sowie das Anliegen, mit dem er alsbald herausrückte. Im übrigen spricht keiner von Machs (erhaltenen) Briefen an Carus zwischen 1913 und 1915 von der Optik. Nur einer dieser Briefe, der zusammen mit einem Schreiben Ludwigs vom 10.3.1915 (OCA) expediert wurde, ist nicht erhalten und vermutlich von den Briten auf See konfisziert worden. Jedenfalls befindet sich ein Durchschlag des Briefes in (VAT). Wiener (1915). Otto Wiener (1862-1927) war ein vor allem auf dem Feld der Optik tätiger Leipziger Professor für Experimentalphysik. Wiener und Mach hatten ein herzliches Verhältnis zueinander. Wiener schlug in einem Brief an Mach vom 5.2.1912 (EMA) vor, die restlichen Experimente für Machs Optik auswärts, eventuell in Leipzig, machen zu lassen, was Mach am 9.2.1912 (LEI) mit einem Hinweis auf Ludwigs Talente indirekt für überflüssig erklärte. Dr. J. Blackmore machte mich dankenswerterweise auf diesen Brief aufmerksam. Mach spielt auf den letzten Paragraphen (Nr. 28, 568 ff.) an, in dem Wiener die Theorie der Lichtquanten „fast als eine Art atavistischen Rückfalls" (a.a.O., 569) in die Emissionstheorie bezeichnet, weil die Quantenauffassung des Lichts den gleichen Defekt wie Newtons Emissionstheorie habe: sie könne die Interferenz nicht erklären. Zwischen dem Lorentzschen und dem Einsteinschen Ansatz, mit dem Resultat des Michelson-
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Was wirklich geschah I: Vorgeschichte so viel vorweggenommen, daß mir meine Ausführungen nicht mehr gefallen wollen. Mit der ungeahnten Entwicklung der Optik konnte ich, der alternde Mann, nicht mehr Schritt halten!"
Der unbefangene Leser dieser Zeilen wird kaum vermuten, daß sich zu diesem Zeitpunkt ein Teil der Optik schon fast drei Monate beim Verleger befand. Denn am 2 5 . 1 1 . 1 9 1 5 hatte Barth an Ludwig (VAT) geschrieben: „Eine größere Weihnachtsüberraschung hätten Sie mir nicht machen können, als mit der Übersendung des Manuskriptes für die „Optik", wenn es auch nur 8 Kapitel von den 14 des ganzen Werkes sind." Die restlichen Kapitel wurden zunächst nicht abgeschickt, weil noch Zeichnungen 11 anzufertigen waren. Dies ergibt sich aus einem Brief von Barth an Ludwig vom 15. 5.1915 (VAT). In demselben Brief schlug Barth die Publikationsbedingungen vor und bemerkte, daß er „gern bereit [sei], mich direkt an Ihren Herrn Vater zu wenden oder ihm einen Vertrag vorzulegen." Freilich habe man bisher auf die Vertragsform immer verzichtet. Diesem Vorschlag einer informellen Regelung hat, wie sich aus Barths Brief an Ludwig vom 21. 5.1915 (VAT) ergibt, Ludwig, nicht Mach, zugestimmt. Bisher spricht kein Indiz dafür, daß Ernst Mach wußte, daß der Druck der Optik eingeleitet war. 12 Dagegen spricht aber: (1) Der Umstand, daß sich Ludwig zum Vormund des Vaters aufgeschwungen hatte. (2) Der Umstand, daß Ludwig ohne Wissen Machs die englischen Übersetzungen der Wärmelehre und von Erkenntnis und Irrtum eingeleitet hatte. (3) Der gerade angeführte Brief Machs an Wiener, der abgesehen davon, daß er nahelegt, daß Mach nichts von der Drucklegung der Optik wußte, viel-
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Experiments fertig zu werden, mag Wiener sich nicht entscheiden, macht jedoch darauf aufmerksam, daß „man doch die Form, in welcher Einstein seine Relativitätstheorie entwickelt hat, als eine Hypothese [wird] bezeichnen müssen, die durchaus nicht selbstverständlich ist (a.a.O., 570). Vorderhand bestehe für die Wellentheorie keine Gefahr, „besonders solange es ihren Gegnern nicht gelingt, gleichwertigen Ersatz durch neue Theorien zu schaffen." Wie wenig allerdings Wiener mit dem neuesten Stand vertraut war bzw. ihn anerkannte, zeigt seine Bemerkung, daß die Sprache der .elektromagnetischen Lichttheorie' „der Übersetzung in eine kinetische Sprache harrt" (a. a. O., 571 f.). Das heißt: noch im Jahre 1915 scheint Wiener auf mechanische Modelle der Elektrodynamik, also auf das .mechanistische Weltbild' zu setzen. Darauf und auf ähnliche editorische Maßnahmen dürfte sich auch die von Dingler im Juli 1913 festgehaltene Äußerung Machs bezogen haben: „Die ,Optik' [...] müsse sein Sohn fertig machen" (cf. Beilage 1). Am 29.3.1916 (VAT) bedankte sich Barth bereits für die Rücksendung der „ersten 48 Fahnen zur .Optik'". Ludwigs Erinnerung in einer Fußnote des Optik-Vorworts, daß der Druck „im Sommer 1916 begonnen" habe (Ο-, VIII, Anm. 1) ist also nicht ganz korrekt. Vorher, am 15.2.1916 (VAT), noch zu Lebzeiten Machs, hatte Barth schon positiv auf Ludwigs Bitte um einen Vorschuß von 600 Mark reagiert.
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leicht auch ein Motiv dafür angibt, warum er die Publikation zurückgehalten hatte: Mach hat gesehen, daß er die neueren,,ungeahnten' Entwicklungen der Optik nicht so weit hatte rezipieren können, um in der Lage zu sein, ihre Geschichte adäquat zu beurteilen. Das Werk beruhte eben auf einer Konzeption der 80er oder 90er Jahre. Mach mag deshalb eine posthume Veröffentlichung vorgezogen haben, um den gewissermaßen fragmentarischen Charakter des Buches zu dokumentieren. Diese Vermutung wird durch Ludwigs Antwort auf Wieners Kondolenzbrief zum Tode Machs bestätigt. Ludwig schreibt (12.8.1916 (LEI)): „Die „Optik" konnte all den modernen Forschungen und der riesenhaften Literatur nicht mehr gerecht werden. Wenn ich (Hervorhebung G. W.) es dennoch gewagt habe, das Manuskript in Druck zu geben, so geschah es in der Meinung, daß auch ein Stück noch brauchbar oder anregend sein könnte." Diese Indizien lassen es als wahrscheinlich erscheinen, daß Mach von der Drucklegung der Optik nichts wußte. Es sei jedoch noch ein vierter Gesichtspunkt angeführt, der bereits mitten in das Feld der Autorschaft Ludwigs unter dem Namen ,Ernst Mach' führt. Die Optik hat nicht nur ein angeblich im „Juli 1913" mit „Ernst Mach" gezeichnetes Vorwort, sondern auch eine solche Widmung13: „Verehrter Freund! Ich erinnere mich der Tage, als sich die ersten Nummern des Open Court zu mir verirrten und langsam zwischen uns sich ein Verkehr anbahnte, der so entscheidend in meinem Leben wurde. Wir begegneten uns in unserem Bemühen um die Verbreitung einer vorurteilslosen Naturauffassung und die Beseitigung hemmender Schranken auf den verschiedensten Gebieten, und hierdurch lernte ich das Stück Kulturarbeit kennen, welches Ihr Haus im Laufe der Zeit in wachsendem Umfange bewältigte. Sie haben damit die einzig mögliche Unsterblichkeit erreicht. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich betone, daß ich lediglich durch Ihr Interesse an meinen Arbeiten und ihre meisterhaften Übersetzungen mit einem großen Kreis in Berührung kommen und fühlen konnte, nicht umsonst gelebt zu haben. Sollte man manchmal meinen Namen nennen, so möge auch stets Ihrer und Edward C. Hegelers dabei gedacht werden. Inmitten einer für mich vielleicht zum letzten Male blühenden Natur entbiete ich Ihnen und den Ihren einen letzten Gruß als Ihr alter München, Juli 1913
13
Ernst Mach"
Dieser Widmung der Optik an Carus hat die Machforschung bislang keine Aufmerksamkeit geschenkt. Die einzige Ausnahme wird weiter unten behandelt werden.
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Was wirklich geschah I: Vorgeschichte
An dieser Widmung fällt mancherlei auf: (1) In den Werken Machs gibt es keine Widmung dieses Typs. Alle sind von der Art wie in Erkenntnis und Irrtum: „Wilhelm Schuppe in herzlicher Verehrung gewidmet". (2) Dem Kenner des Machschen Stils wird der schwülstige, übertreibende Ton neu und ungewohnt erscheinen, während sich bei jedem, der sich durch Ludwigs Korrespondenz hindurchgequält hat, unverzüglich ein deja vu-Erlebnis einstellt. (3) Mach hatte die Gewohnheit, Lebende um die Erlaubnis zu einer Widmung zu bitten. Dies hat er im Falle Carus nicht getan. 14 Wohl aber Ludwig, allerdings mehr als zwei Jahre nach dem ,Juli 1913', auf den die Widmung datiert ist. Am 30.10.1915 (OCA) schreibt Ludwig an Carus: „In Kürze dürfte auch die erkenntnispsychologische Darstellung der „Geschichte der Optik" erscheinen und ein Seitenstück zur Mechanik und Wärme sein. Allerdings sind die modernen Strahlungssachen, die ja s o w o l im Werden als auch Vergehen begriffen sind, nicht miteinbezogen. Darf ich Sie fragen, o b Sie die gedruckte Dedication dieses Werkes gestatten würden — es ist ja das letzte von der Hand meines Vaters (Hervorhebungen G . W.) und im gewissen Sinn auch ein Schlußstein."
Carus hat diesen Brief zwar beantwortet (Durchschlag vom 26.1.1916 (OCA)), ist aber auf die Optik und die angebotene Dedikation merkwürdigerweise nicht eingegangen, obwohl er eine doppelte Unterstreichung in Ludwigs Brief vorgenommen hatte.15 Kurz: es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Publikation der Optik ohne Wissen ihres Verfassers eingeleitet wurde und daß der Text der Widmung nicht von Mach, sondern von Ludwig stammt — wenn Mach auch gegen eine Widmung dieses Buches an Carus gewiß nichts einzuwenden gehabt hätte.16 14 15
16
Cf. Anm. 6. Dies erklärt im übrigen, warum Ludwig nach dem Tode von Carus (1919) versucht hat, bei dessen Frau das Einverständnis zur Widmung zu erlangen. Im Entwurf eines Briefes an Frau Carus vom 18.9.1923 (VAT) betont Ludwig, er habe dies schon am 14.2.1920 versucht. „In Ermangelung einer Antwort mußte ich mich entschließen, es aus Eigenem zu machen [!], da Dr. P. C. sich zur Annahme derselben bereit erklärt hatte." Dies ist eine ziemlich absurde Argumentation, da eine angenommene Widmung eben angenommen ist, ganz gleich, was Hinterbliebene sagen mögen. Ludwig ging es in dem Brief auch vielmehr darum, die noch nicht übersetzten Bücher Machs endlich bei Open Court erscheinen zu lassen. Thiele (1978), 177, spricht von einer „von Mach vorbereiteten englischen Übersetzung" der Widmung der Optik. Dahinter steckt eine gewisse Nachlässigkeit. Denn der von Thiele vollständig zitierte angebliche Entwurf ist Wort für Wort der Text, der in der englischen Übersetzung auch gedruckt ist, übrigens einschließlich eines schweren Übersetzungsfehlers: Die deutsche Wendung, daß Mach sich der Tage erinnere, „als sich die ersten Nummern des Open Court zu mir verirrten", ist wie folgt wiedergegeben: „when
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Der so hoffnungsvoll begonnene Druck der Optik geriet wegen Ludwigs militärischer Dienstverpflichtung alsbald ins Stocken. Am 1.9.1916 (VAT) beklagt Barth, daß zu seinem „großen Bedauern" die Drucklegung der Optik „seit längerer Zeit" ruhe, obwohl ihm Ludwig „unterm 7. August [...] die erfreuliche Mitteilung [gemacht habe], daß Ihre [d.i. Ludwigs] Einberufung hinausgeschoben worden sei." 17 Es erfolgten weitere Mahnungen Barths, die immer dringlicher wurden; „ich habe schon zu oft Vertröstungen gerade mit diesem Buch erleben müssen" (Barth an Ludwig, 5.10.1916 (VAT)). Am 15.12.1917 hat Ludwig dem Verlag Barth offenbar mitgeteilt, daß vorerst mit dem Rest des Manuskripts der Optik nicht zu rechnen sei (cf. Barth an Ludwig, 19.12.1917 (VAT)). Barth war darüber in seinem eben erwähnten Brief ziemlich ungehalten: „Ich habe leider gesehen, daß Sie sehr langsam arbeiten und daß immer wieder tatsächliche oder vermeintliche Abhaltungen die Vollendung hinausschieben. Ich glaube deshalb, der Krieg wird viel eher zu Ende sein, als wie Sie mit der Vollendung des Buches zu Ende sein werden." Hofrat Meiner sollte recht behalten: erst am 7.5.1920 (VAT) konnte das Verlagshaus Barth Ludwig bestätigen, daß das Restmanuskript der Optik einen Tag vorher eingegangen sei. Es fehlte allerdings doch noch etwas. Am 6.1.1921 (VAT) sah Barth die Zeit gekommen, „das Manuskript für das Vorwort (Hervorhebung G. W.) noch zu überweisen", für dessen Zusendung er sich am 1.4.1921 bedankt. Damit sind wir beim corpus delicti in Sachen Mach und Relativitätstheorie angelangt.
17
the first numbers of the ,Open Court' failed to reach me" (Hervorhebungen G. W.). Diesen Zufall mag einer erklären! — zumal der englische Text sonst sehr flüssig und frei ist. Mach las zwar fließend Englisch, seine wenigen englischen Briefe sind jedoch eher ungelenk. Das Manuskript des vermeintlichen Entwurfs hat Thiele von Anna Karma Mach aus dem Nachlaß erhalten. Es gibt in der Tat eine getippte Version des englischen Vorworts (VAT), auf der allerdings auch schon der Verlag der englischen Ausgabe der Optik vermerkt ist. Dort wurde der Text natürlich auch abgeschrieben. Er stammt nach meiner Schätzung aus der Zeit des Münchener Prozesses. Cand. rer. nat. Klaus Hentschel (Hamburg) hat Thieles Vorlage in dessen Nachlaß leider nicht mehr auffinden können (freundliche Mitteilung vom 17.1.1983). — Die Anregung zu einer Widmung in Briefform hat Ludwig wohl aus Machs Widmungsbrief zu seinem Beitrag in der Jerusalem-Festschrift erhalten (cf. Mach (1915 a), 154). Am 12. 8.1916 (LEI) entschuldigt Ludwig allerdings seine verspätete Reaktion auf Wieners Kondolenzbrief vom 2. März unter anderem mit seiner „Einberufung". Tatsächlich erfolgte diese erst im November 1916 (cf. § 37, Anm. 19).
Kapitel VII Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie § 40
Das Optik- Vorwort
Das Verlagshaus Barth hatte sich vom Zeitpunkt der ersten Mahnung, das Optik-Vorwort einzusenden (6.1.1921), bis zu dessen Eintreffen (Ende März) drei Monate zu gedulden. Das wäre eine lange Zeit, wenn es sich für Ludwig nur darum gehandelt hätte, ein Manuskript des Vaters abzuschicken. Das Optik-Vorwort enthält keinerlei Bilder oder Figuren, die eigene, zeitraubende editorische Aktivitäten Ludwigs erfordert hätten. Hätte Ludwig sich im übrigen an Notizen auf einem Zettel gehalten, der sich im Briefwechsel mit Brockhaus (VAT) befindet, wäre die Sache ohnehin nicht schwierig gewesen: Auf einem Blatt, das oben editorische Hinweise an den Setzer zum letzten Kapitel der Optik enthält, steht unten: „Vorwort & Widmung zur Optik nur auf Grund der Vorworte: Mechanik und Wärme, dann Erkenntnis und Irrtum. Anlehnend an die Darstellung der Wärme" (Hervorhebung der Buchtitel G. W.).
Das ist offensichtlich ein Plan, wie das Optik-Vorwort, das ja angeblich seit J u l i 1913' vorlag, im Jahre 1920 erst noch geschrieben werden sollte, und zwar von Ludwig. Ein Blick auf die Vorworte der genannten Bücher zeigt auch, warum dasjenige der Wärmelehre Ludwig als besonders geeignete Vorlage erscheinen mußte. Es enthält noch weniger Wissenschaftliches oder Philosophisches als die anderen Vorworte. Ludwigs Leben wäre vermutlich in mancher Hinsicht in ruhigeren Bahnen verlaufen, wenn er es bei dieser Konzeption des Optik-Vorworts belassen hätte — selbst wenn er der Versuchung nicht hätte widerstehen können, ,Ernst Mach' darunterzuschreiben. Doch im Anschluß an ein schon paginiertes, also nach dem Umbruch der Optik geschriebenes In-
Das
Optik-Vorwort
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haltsverzeichnis 1 , hat Ludwig Mach erneut ein Konzept des Optik-Vorworts entworfen, das ein entscheidendes neues W o r t enthält: „ V o r w o r t — Relativität — anlehnend an Wärme" (Hervorhebung G . W.). Daran hat sich Ludwig dann auch genau gehalten. Zur Bequemlichkeit des Lesers sei hier der Text des Optik- Vorworts bis auf die beiden letzten Abschnitte wiedergegeben, die f ü r unsere Zwecke unwesentliche Danksagungen enthalten. Dabei werden auch die ersten drei Abschnitte aufgenommen, die oben (Einleitung, 1) fortgelassen wurden. „Das vorliegende Werk stellt sich eine analoge Aufgabe, wie die Mechanik und die Wärmelehre, in der Darstellung lehnt es sich aber am meisten an letztere an. Ich hoffe nicht ohne Erfolg das Entstehen der Begriffe der Optik und den historischen Faden ihrer Entwicklung, befreit von metaphysischem Ballast, bloßgelegt zu haben. Ergebnisse historischer Forschung sind hier aber nicht zusammengetragen, und einzelne von anderer Seite erschöpfend behandelte Kapitel nur gestreift. Wie sich die Vorstellungen über das Wesen des Lichtes in einzelnen hervorragenden Forschern gebildet haben, welche Umgestaltungen sie bei den immer neu sich aufdrängenden Tatsachen und sich daran knüpfenden Einsichten erfahren mußten, wie sich hieraus die optischen Begriffe entwickelten, das habe ich erkenntniskritisch und psychologisch darzustellen versucht und das war auch der Kern meiner Vorlesungen, die in einem Kolleg über geometrische Optik in der ersten Zeit meiner Prager Dozententätigkeit ihren Ausgang nahmen. Eine solche Darstellung mußte sich in erster Linie darauf beschränken, die mannigfach sich durchdringenden Tatsachen und Fragen so scharf wie möglich hervorzuheben ohne besondere Rücksicht auf die chronologische Reihenfolge der Funde. In meinem Alter und bei meinem Leiden habe ich, dem Drängen meines Verlegers nachgebend, mich gegen meine Gewohnheit entschlossen, diesen Teil des Buches 1 ) zunächst dem Druck zu übergeben, wogegen in einem weiteren Teil die Strahlung, der Ablauf der Lichtemission, die Maxwellsche Theorie nebst der Relativität kurz behandelt werden. Die bei dem Studium dieser Kapitel sich aufwerfenden Fragen und Zweifel waren Gegenstand langwieriger gemeinschaftlich mit meinem Sohne, meinem langjährigen Mitarbeiter, unternommener Untersuchungen, und es wäre wünschenswert, wenn der mit ihnen verflochtene zweite Teil bald zur Veröffentlichung käme, ich aber bin genötigt bei dieser wohl letzten Gelegenheit meine Anschauungen über die Relativitätslehre zu streifen. 1
Dieses Inhaltsverzeichnis enthält auch (noch ohne Seitenangabe) das Vorwort. Das Verzeichnis befindet sich auf den letzten Seiten eines Notizbuchs mit der Aufschrift: „9. Januar 1917. Johannisthal" (ULS). Im übrigen folgt auf den zitierten Entwurf des Vorworts auch eine Konzeption der Widmung, die sich an diejenigen der übrigen Bücher Machs nun auch nicht mehr anlehnen soll: „Widmung — Monismus". Das Wort .Monismus' kommt zwar in der Widmung nicht vor, die Widmung gilt jedoch einem bedeutenden Vorkämpfer des Monismus.
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
Den mir zugegangenen Publikationen und vor allem meiner Korrespondenz entnehme ich, daß mir langsam die Rolle des Wegbereiters der Relativitätslehre zugedacht wird. Nun kann ich mir heute ein ungefähres Bild davon machen, welche Umdeutungen und Auslegungen manche der in meiner Mechanik niedergelegten Gedanken von dieser Seite in Zukunft erfahren werden. Wenn Philosophen und Physiker den Kreuzzug gegen mich predigten, so mußte ich dies natürlich finden, und war damit ganz einverstanden, denn ich war, wie ich dies wiederholt dargetan habe, auf den verschiedenen Gebieten doch nur ein unbefangener Spaziergänger mit eigenen Gedanken, muß es aber nun mit derselben Entschiedenheit ablehnen, den Relativisten vorangestellt zu werden, mit welcher ich die atomistische Glaubenslehre der heutigen Schule oder Kirche für meine Person abgelehnt habe.2) Warum aber und inwiefern ich die heutige mich immer dogmatischer anmutende Relativitätslehre für mich ablehne, welche sinnesphysiologischen Erwägungen, erkenntnistheoretische Bedenken und vor allem experimentell gewonnene Einsichten mich hierzu im einzelnen veranlaßten, das soll in der Fortsetzung dieses Werkes dargetan werden. Gewiß wird die auf das Studium der Relativität verwendete immer mehr anschwellende Gedankenarbeit nicht verloren gehen, sie ist heute schon für die Mathematik fruchtbringend und von bleibendem Wert, wird sie sich aber in dem physikalischen Weltbild einer ferneren Zeit, das sich in eine durch mannigfache weitere neue Einsichten erweiterten Welt einzupassen hat, behaupten können, wird sie in der Geschichte dieser Wissenschaft mehr wie ein geistreiches Apercu bedeuten? [...] München-Vaterstetten, Juli 1913. Ernst Mach [Anmerkungen zum Optik-Vorwort:] 1) Mit dem Druck des Manuskriptes wurde im Sommer 1 9 1 6 begonnen, doch mußten auf Wunsch des Verfassers noch Versuche nachgeprüft und ergänzt werden. Die jahrelange Abwesenheit des mit dieser A u f gabe Betrauten, infolge seiner in demselben Sommer erfolgten Einziehung, sowie eine Kette weiterer in den Zeitverhältnissen wurzelnder widriger Umstände sind Ursache der Verzögerung des Erscheinens vorliegenden Buches. 2) „Scientia", Internationale Zeitschrift für wissenschaftliche Synthese, Bd. VII, A n n o IV (1910), No. 14."
Die ersten beiden Abschnitte des Optik-Vorworts laufen, abgesehen von Umstellungen, den ersten drei der Wärmelehre tatsächlich ziemlich genau parallel. Der erste Satz ist jeweils beinahe gleich. Optik·. „Das vorliegende Werk stellt sich eine analoge Aufgabe wie die Mechanik und die Wärmelehre, in der Darstellung lehnt es sich aber am meisten an letztere an" (Ο., VII). Wärmelehre: „Das vorliegende Buch stellt sich eine analoge Aufgabe wie meine ,Mechanik'" (W., VII). Freilich war Ludwig der Aufgabe der Umformulierung des Vorworts der Wärmelehre nicht in jeder Hinsicht gewachsen. Verweist Mach darauf, daß seine Wärmelehre,
Das
Optik-Vorwort
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„obgleich sehr zahlreiche Quellen benutzt wurden, kein Ergebnis der Archivforschung'' (Hervorhebung im Original, a. a. Ο., VII) sei, so heißt es im Optik-Vor-worf. „Ergebnisse historischer (Hervorhebung G. W.) Forschung sind hier aber nicht zusammengetragen" (Ο, VII) — was natürlich gänzlich unsinnig ist, da es sich bei dem Buch ja um eine Geschichte der optischen Prinzipien handelt. Auch ist zu bezweifeln, daß dem Stilisten Mach Formulierungen unterlaufen wären wie: „Eine solche Darstellung mußte sich in erster Linie darauf beschränken, die mannigfach sich durchdringenden Tatsachen und Fragen so scharf wie möglich hervorzuheben" (ebd.). Es ist eben so: Mach hat genauso wenig ein Vorwort zur Optik hinterlassen wie eine Widmung. Das Typoskript des Inhaltsverzeichnisses der Optik (geschrieben vor März 1901 (EMA)) führt zwar eine Einleitung und die ersten 12 Kapitel, wenn auch nicht immer wörtlich, auf. Von einem Vorwort aber ist keine Rede. Auch enthält das Gesamtmanuskript der Optik kein Vorwort. Wohl aber ist das Typoskript des Vorworts erhalten. Das ist allerdings nicht von Mach geschrieben, da es — und zwar nicht als spätere Einfügung — die Anmerkung enthält, daß mit dem Druck „im Sommer 1916" begonnen worden sei. Es ist aber auch nicht dasjenige, für dessen Eintreffen sich Brockhaus am 1.4.1921 bedankt hat, denn Barth hat am 7.4.1921 (also eine Woche nach der Eingangsbestätigung) Ludwig gebeten, in einem ,Nachwort' zum Vorwort klarzustellen, daß der Verleger nicht für die 8 Jahre verantwortlich sei, die zwischen dem angeblichen Datum des Vorworts (,Juli 1913') und der Publikation der Optik lägen. Ludwig hat sich statt des gewünschten ,Nachworts zum Vorwort' für eine Anmerkung entschieden. Und nur das Typoskript dieser nach dem 7. April 1921 entstandenen Version des Vorworts ist erhalten. Somit kann in rein technischem' Sinn gegen die Echtheit des Optik-Vorworts vorerst ins Feld geführt werden, daß Ludwig Mach sich Notizen darüber gemacht hat, wie es erst noch zu schreiben sei. Weiterhin fallt auf, daß Dingler, dessen scharfen Antirelativismus Ludwig seit Mitte 1919 kannte und der fleißig und gewissenhaft die Korrekturen der Optik gelesen hatte, nicht viel früher von der Existenz des OptikVorworts erfahren hat als zu dem Zeitpunkt, an dem Barth Ludwig gemahnt hatte, es zu schreiben. 2 Am Freitag, dem 21. Januar 1921 (Tagebuch Bd. 6, 15 (HDA)), notierte Dingler: „Heute Morgen 3 / 4 stünd[ige] 2
Cf. ferner oben 271, wonach Dingler „erst Mitte 1920 erfahren" hat, daß Mach ein Gegner der Relativitätstheorie gewesen sei. Vom Optik-Vorwort dürfte er noch später Kenntnis erlangt haben.
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
Unterredung mit Seeliger. Erzähle ihm ganze Geschichte mit L. Mach u[nd] Petzold[t] 3 , sowie daß E. Mach im Vorwort zur Optik die Relfativitäts] Th[eorie] ablehne." Es dauerte allerdings noch einige Zeit, bis Dingler das Opus in Händen hatte; erst am Sonntag, dem 10. April 1921 konnte er ins Tagebuch (a. a. O., 21) eintragen: „Gestern von Mach die Vorrede zur Optik bekommen. Nachm[ittags] 5h damit zu Seeliger." Dieses merkwürdige Verhalten gegenüber seiner rechten Hand bei der Edition der Optik ist freilich kein zwingendes Indiz dafür, daß Ludwig das OptikVorwort erst noch schreiben mußte, um es Dingler zeigen zu können. Ludwigs seltsames Verhalten ließe sich ζ. B. auch mit seiner notorischen Geheimniskrämerei erklären. 4 Wir wollen nun abschnittsweise den Text der antirelativistischen Passagen des Optik-Vorworts analysieren. Dabei wird sich zeigen, daß weitere gedankliche Ungereimtheiten und stilistische Eigentümlichkeiten Ernst Mach als Verfasser ausschließen. Offenbar zielt der erste Satz über die ,mir zugegangenen Publikationen und vor allem meine Korrespondenz' in eine ganz bestimmte Richtung. Es ist gelegentlich vermutet worden, daß hier Einstein angesprochen werden sollte5, der im Juni 1913 brieflich Mach als Wegbereiter der (allgemeinen) Relativitätstheorie gepriesen hatte. Doch wird sich bald zeigen, daß nicht Einstein, sondern Pet^oldt gemeint ist, mit dem Ludwig in schwere ,Erbauseinandersetzungen' verwickelt war (cf. unten §43 f.). Ich möchte sogar so weit gehen zu vermuten, daß es der ,Erbenstreif %wischen Ludwig und Pet^oldt war, der Ludwig letztlich überhaupt dazu getrieben hat, das Optik-Vorwort zu schreiben. Der zweite Abschnitt (,Wenn Philosophen . . . ' ) ist gedanklich so wirr, daß es abwegig sein dürfte, Mach als Verfasser anzunehmen. Ganz unvorstellbar ist es auch, daß Mach sich als Angriffsziel eines ,Kreuzzugs' bezeichnet haben könnte, der von den Physikern gegen ihn gepredigt worden wäre. Denn erstens hat es dergleichen — trotz Plancks Angriff — nicht gegeben, und zweitens sucht man den hier anklingenden wehleidi3 4
5
Diese „Geschichte" wird in § 43 f. rekonstruiert. Dingler liefert übrigens dafür ein treffendes Beispiel just aus dem Januar 1921. Nach über einjährigem engen Kontakt (cf. § 43) traf er Ludwig in Augsburg, wo dieser ein möbliertes Zimmer hatte. Bei dieser Gelegenheit erfuhr Dingler, daß Ludwig in München eine Stadtwohnung besitze, in der seine Frau lebte: „Erfahre, daß Ludw. Mach München, Aiblingerstr. 5 wohnt. [...] Mittags nach München zu Mach. 3 Haltestellen von uns weg" (Tagebuch, 2 5 . 1 . 1 9 2 1 (HDA)). Wenn man Einsteins zunächst gereizte Reaktion auf das Erscheinen der Optik betrachtet (cf. oben 119 f.), hat er sich vielleicht auch betroffen gefühlt.
Das Optik-Vorwort
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gen Ton bei Mach sonst vergebens 6 — wenn Mach auch gelegentlich darauf hinwies, daß er früher ziemlich alleingestanden habe. Noch deutlicher gegen Machs Autorschaft spricht jedoch die Konfusion dieser Sätze. Denn sie behaupten nichts anderes, als daß Mach den angeblichen Physiker-Kreuzzug gegen sich ,natürlich' fand, weil er ein ,unbefangener Spaziergänger mit eigenen Gedanken' gewesen sei, also ein Amateurphysiker. Das aber ist nie und nimmer Machs Meinung gewesen. Er hat sich zwar nicht für einen Philosophen, wohl aber stets für einen Physiker gehalten. 7 Der unvermittelte, assoziative Anschluß eines Satzes, der von ganz anderem handelt als der vorhergehende (,muß es aber nun ...'), ist wiederum typisch für Ludwigs Stil und wohl auch sein Denken. Wie unsinnig im übrigen die Parallelisierung einer Ablehnung der Existenz von Atomen mit einer Ablehnung der Relativitätstheorie bei Mach ist, wurde schon ausführlich begründet (cf. oben 217 f.). Wieso sich ferner Mach ,im Juli 1913' darüber hätte beschweren können, den ,Relativisten vorangestellt zu werden', ist völlig unerfindlich, denn bis dahin war er, soweit zu sehen, nur zweimal publizistisch im Zusammenhang mit der Relativitätstheorie erwähnt worden 8 und hatte nur Einsteins Brief vom 25.6.1913 erhalten, der ihn mit der Relativitätstheorie in Verbindung brachte. Es wäre also für Mach eine Anmaßung gewesen, im ,Juli 1913' zu behaupten, er werde ,den Relativisten vorangestellt'. Daß der Text des Vorworts so ist, wie er ist, liegt an Ludwigs Unfähigkeit, die Situation vom J u l i 1913' zu rekonstruieren und daran, daß er mit dem Optik-Vorwort auf Petzoldt zielen wollte. Denn Petzoldt hat Mach den Relativisten tatsächlich „vorangestellt", aber erst beginnend mit Petzoldt (1914). Es ist vor allem Petzoldts Nachwort zur 8. Auflage (1920) der Mechanik, auf das sich Ludwig, wie wir noch sehen werden, mit diesem Satz bezieht. Der nächste Abschnitt (,Warum aber . . . ' ) bringt jenes konfuse Sammelsurium von Gesichtspunkten, aus welchen Mach (,für mich') die Relativi6
7
8
Übrigens sah Mach seine methodologische Saat bei den Physikern längst blühen: Die Zahl der Gegner des absoluten Raumes (.Relativisten') „ist in rascher Zunahme begriffen [...]. Wahrscheinlich wird es bald keinen bedeutenden Vertreter der Gegenansicht mehr geben" (M., 233). Ludwig hat offenbar das Vorwort von Erkenntnis und Irrtum nicht genau genug gelesen. Dort bezeichnet sich Mach als .Sonntagsjäger', aber nicht in der Physik, sondern vor allem in der Philosophie: „Obgleich ich mich nämlich stets für die Nachbargebiete meines Spezialfaches (d. h. der Physik, G. W.) und auch für Philosophie lebhaft interessierte, so konnte ich [...] besonders das letztgenannte doch nur als Sonntagsjäger durchstreifen" (EI., Vif.). Cf. Einstein (1912), 39, sowie Einstein/Grossmann (1913). Die erste Nennung erfolgte im übrigen an so abgelegenen Ort, daß Mach von ihr möglicherweise nie erfahren hat.
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
tätstheorie abgelehnt haben soll. Vom ,Dogmatismus'-Vorwurf abgesehen, haben Machs Freunde über diese Gesichtspunkte, speziell die ,sinnesphysiologischen' gerätselt. Sie haben in ihrer Verlegenheit, wie wir sahen, zu ,externen' Erklärungshypothesen gegriffen. Machs Gegner wiederum haben den einzigen konkreten Anhaltspunkt nicht gebührend zur Kenntnis genommen, daß nämlich „vor allem experimentell gewonnene Einsichten" (Hervorhebung G. W.) Mach zur Ablehnung der Relativitätstheorie bewogen hätten. Denn dann wäre ihnen aufgefallen, daß Machsche Physikkritik trotz Bezugs auf Experimente in allen seinen historisch-kritischen Werken nicht experimentelle, sondern methodologische Kritik physikalischer Grundbegriffe und Grundprinzipien ist. Und das nicht zufallig. Diese Schriften sind historische Schriften, die prinzipiell davon absehen, experimentell in den Klärungsprozeß noch im Entstehen begriffener Konzeptionen mit dem Trivialraster Zustimmung/Ablehnung einzugreifen9 — zumal wenn es sich wie bei der Relativitätstheorie um eine Konzeption handelte, deren mathematischer Apparat Mach nicht zur Verfügung stand. Daß dies so ist, mußte ihm nach Einstein/Grossmann (1913) noch deutlicher geworden 9
Man vergleiche dazu etwa folgende Sätze: „Erwähnt muß werden, daß durch Möbius, Hamilton, Graßmann u. a. eine neue Formwandlung der Mechanik eingeleitet ist. [...] Diese Wandlung liegt freilich noch außerhalb der Grenzen einer historischen Darstellung' (M., 456, Hervorhebung G. W.). Diese Sätze stehen schon in der ersten Auflage der Mechanik von 1883. Später hat Mach noch eine kurze (eine Seite), rein deskriptive Charakterisierung der Graßmannschen „Ausdehnungslehre" von 1844 gegeben. Mit anderen Worten: im jähre 1883, im Vollbesitz seiner Kräfte, lag für Mach eine fast 40 Jahre zurückliegende Schrift noch ,außerhalb der Grenzen einer historischen Darstellung'. Wenn man hier entgegenhält, Mach habe sich auch zur kinetischen Theorie, zum Energieprinzip und zur Hertzschen Mechanik geäußert, so ist dazu zu sagen, daß die kinetische Theorie die uralte Konzeption des Atomismus in neuer Form zur Darstellung bringt. Das Energieprinzip galt als erstrangige physikalische Tatsache, deren Interpretation nur umstritten war. Die Hertzsche Mechanik lag als abgeschlossenes System vor und wurde von Mach ja auch nur marginal kritisiert, ansonsten aber für ein ,schönes Idealbild der Mechanik' gehalten (cf. M., 256). Von der „Ausdehnungslehre" Graßmanns schreibt Mainzer ((1980), 151) treffend: „Graßmanns Terminologie und halbwegs philosophische Darstellung erwies sich jedoch als derart schwierig, daß die Vektoralgebra in Deutschland erst über den Umweg englischer und amerikanischer Mathematiker und Physiker rezipiert wurde." Mach hat zwar, wie seine Darstellung in späteren Auflagen zeigt, verstanden, worum es ging; dennoch blieb Graßmann .außerhalb' der historischen Darstellung, weil dessen Konzeption Mach vielleicht nicht in den Details zugänglich und ihm die ganze Sache noch zu sehr im Fluß war. Kann man dem alten und gebrechlichen Mach unterstellen, daß er eine — von ihm klar gesehen — viel weitergehende und kompliziertere Theorie nach acht Jahren bzw. einem Monat aus den Angeln heben wollte? Zudem eine solche, die fast nahtlos ,auf seiner Linie' lag? Wer dies annimmt, muß auch davon ausgehen, daß der alte Mach die Maßstäbe seiner besten Jahre völlig verloren hat. Dies wäre allerdings erst noch zu beweisen.
Ludwig Mach und die Relativitätstheorie I
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sein. Entsprechend äußert er sich gegenüber Einstein (cf. dessen Brief von der Jahreswende 1913/14). Es kommt noch etwas hinzu: Jeder, der die Echtheit des Optik-Vorworts vertritt, unterstellt Mach, dem intimen Kenner der Kompliziertheit und Langwierigkeit historischer Abläufe in der Physik, im Grunde schlichten Größenwahn. Denn wie kann man glauben, daß ein 75jähriger kranker Mann, der seinen baldigen Tod vor Augen hat und nur noch dieses und jenes an seinen Schriften ,ausflicken' will, der mit Mühe noch (einen Teil von) Kultur und Mechanik schafft, der jeden Tag erneut um Kraft zur Arbeit ringt, der seine Optik nicht mehr oder nicht mehr zu Lebzeiten publiziert haben will, daß eben dieser Mann noch einen ^weiten Band dieses Werkes verfassen will. Einen Band zudem, der die von Mach zwar geschätzte, aber in ihrer neuen vektoranalytischen Standarddarstellung von ihm mathematisch kaum beherrschte Maxwellsche Theorie enthalten soll, ferner die von Mach in seinen Vorlesungen nie ausführlich behandelte ,Strahlung' und ,Lichtemission', bei denen sich doch wohl quantentheoretische Gesichtspunkte nicht hätten vermeiden lassen. Und zu alledem auch noch eine Kritik oder gar Widerlegung der Relativitätstheorie, wenn auch alles nur ,kurz'. Man fragt sich unwillkürlich, was denn eigentlich ausführlich behandelt werden soll. In einem Satz: Im Optik-Vorwort spricht tatsächlich ein Größenwahnsinniger, nur: er heißt Ludwig Mach. Wie wenig dieser davon versteht, was er schreibt, zeigt der letzte, ,versöhnliche' Abschnitt, in dem davon die Rede ist, daß die Relativitätstheorie ,schon heute für die Mathematik fruchtbringend und von bleibendem Wert' sei. Mach hatte sich bis zum Juli 1913 davon überzeugen können, daß die Minkowski-Räume Adaptationen längst vorhandener mathematischer Werkzeuge waren und daß die Tensoranalysis der allgemeinen Relativitätstheorie eben auch nicht speziell für diese erfunden worden war. Ludwig ist zu seiner Formulierung möglicherweise deswegen gelangt, weil er von Dingler aufgeschnappt hat, die Relativitätstheorie sei eher etwas für Mathematiker, ein mathematischer Formalismus also. Im Blick auf das hier Vorgetragene ist es allerdings ein Rätsel, wie selbst Machs Gegner glauben konnten, Mach habe je so wirres Zeug wie das Optik-Votvrott geschrieben und habe alle Maßstäbe für die Beurteilung dessen verloren, was ihm noch möglich war und was nicht.
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
§41
Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
I
Wie ist das Optik-Vorwort wirklich zustandegekommen? Was hat Ludwig Mach dazu gebracht, seine Meinung zu ändern? Hatte er doch noch im Mai 1914 seinem Vater in dessen positiver Einschätzung der Relativitätstheorie sekundiert. „Ich teile völlig Ihren Standpunkt in der Rfelativitäts-]Sache", hatte Ludwig im Ton des Fachmanns an Petzoldt geschrieben (11.5.1914 (TUB, Pe 43-2)). Freilich mit einem merkwürdigen Zusatz: „— und ich verdanke Ihrem Aufsatz eine Reihe von Anregungen, deren experimentelle (Hervorhebung im Original, G. W.) Umwertung mir sehr wertvoll erscheint." Von diesem Zusatz wird noch die Rede sein. Was hier wichtig ist: Auf dieser in seinem Brief an Petzoldt vom Mai 1914 identifizierbaren ersten Stufe seiner Entwicklung in Sachen Relativität teilt Ludwig Mach die positive Meinung seines Vaters; und — was ferner sehr wichtig ist — Petzoldts Aufsatz, gelesen oder nicht, hat sein Interesse geweckt, experimentell im Bereich der Relativitätstheorie tätig zu werden. Freilich, Ludwig verband mit der Relativitätstheorie nicht nur die Möglichkeit eigener Wirksamkeit, sondern assoziierte mit ihr fortan auch eine Person seiner näheren Umgebung. In peinlichem Ton schreibt er am 20. 8.1914 (TUB, Pe 43-7), drei Wochen nach Kriegsbeginn, an Petzoldt: „Alles Gute dem großen Deutschland. Jetzt heißt es, ohne ,Relativitätsgedanken' an die Feinde und mit den Fäusten die väterliche Scholle verteidigt!" Dieser Satz sagt zwar nichts über Ludwigs Einstellung zur Relativitätstheorie, wohl aber darüber, wie sehr er den Namen ,Petzoldt' mit der Relativitätstheorie verband. Als %n>eite Stufe läßt sich eine noch ganz vorsichtige Distanz Ludwigs zur Relativitätstheorie im Frühjahr 1917 ausmachen. Dingler hatte am 3. 5.1917 (Entwurf (HDA)) an Ludwig Mach geschrieben, daß er sich „seit langen Jahren zum erstenmale wieder mechanisch-physikalische Probleme vorgenommen" habe und sich freue, „bei diesen Studien immer [...] mit den Werken Ihres Herrn Vaters in enger Berührung zu bleiben. Nur seine Optik vermisse ich noch recht sehr. Sicherlich hat er durch moderne und in ihrer Dauer noch keineswegs übersehbare Bestrebungen seine klassische Betrachtungsweise der eigentlichen saecularen Richtlinien der Entwicklung nicht sehr modifizieren lassen."
Ob Dingler den Entwurf so abgeschrieben hat oder deutlicher geworden ist, Ludwig Mach antwortete jedenfalls am 8. 5.1917 (HDA) so: „Sie haben mit Ihrer Bemerkung ganz recht, über die Electronentheorie, die
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Relativität sprach er manchmal leise ironisirend, so als wollte er die große Begeisterung ein wenig dämpfen!" Dieser Satz Ludwigs ist wichtig. In ihm könnte Machs Einstellung in den letzten Monaten seines Lebens zum Ausdruck kommen. Es könnte sein, daß dem alten Mann ein gewisser Rummel nicht gefiel, der möglicherweise schon anläßlich E. Freundlichs Rußlandexpedition entstanden war, die die Ablenkung von Lichtstrahlen im Schwerefeld der Sonne bei einer Sonnenfinsternis im August 1914 messen wollte. 1 Es könnte auch ein etwas zu selbstsicheres Auftreten von Relativitätstheoretikern Mach gestört haben, der meinte, daß sich die Probleme von Raum, Zeit und Materie nicht von heute auf morgen lösen ließen und daß die Relativitätstheorie nur einen Schritt hin zu dieser Lösung bedeute. In dieser Situation ist es denkbar, daß der alte Mann ,manchmal' und ,leise ironisierend' darauf verwiesen haben mag, daß Rom nicht an einem Tag erbaut wurde. Ausdrücklich sei jedoch darauf aufmerksam gemacht, daß Ludwig Mach im Mai 1917 noch nicht zu berichten weiß, daß sein Vater die Relativitätstheorie abgelehnt' habe. Ein knappes Jahr später konkretisiert sich Ludwig Machs Stufe %wei seiner Meinungsbildung in Sachen Relativität. Dies ist in seiner Korrespondenz mit Friedrich Adler erkennbar, der zu dieser Zeit wegen des Ministerpräsidentenmordes noch im Zuchthaus saß. Ludwig hatte Adler in die Korrektur der 3. Auflage der Wärmelehre (1919) sowie der ersten Fahnen der Optik eingespannt. Bei der Zusendung der bis dahin vorliegenden Fahnen schreibt Ludwig (3. 3.1918 (AAW)): „Über die Relativitätstheorie werden Sie wenig, über die Strahlung gar nichts in der Optik finden — er [d. h. Mach] erklärte mir wiederholt, diese Capitel seien noch viel zu ungeklärt, um in die Darstellung aufgenommen zu werden." Soweit hat sich nichts gegenüber früher geändert. Freilich liest man mit Überraschung, daß man in der Optik ,wenig' über die Relativitätstheorie finde. Tatsächlich findet man dort nämlich gar nichts, wenn man vom Vorwort absieht. Der Grund dafür, warum nach Ludwig doch etwas darinstehen soll, ist einfach. Ludwig Mach verknüpfte die Relativitätstheorie nicht nur mit dem Namen Petzoldt, sondern auch mit seinem eigenen Namen oder genauer: mit seinem ,Interferenzrefraktometer'. Es war ihm nicht entgangen, daß der Michelsonversuch und damit die Interferometrie eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der Relativitätstheorie spielten. Und von Interferenzappara-
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Daraus wurde wegen des Kriegsausbruchs nichts.
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ten, insbesondere dem von Ludwig, ist in der Optik, wenn auch ,wenig', tatsächlich die Rede. 2 Nach den eben zitierten Sätzen fahrt Ludwig in einer Weise fort, die in Umrissen das Programm eines Mündels erkennen läßt, das Vormund sein will. Adler hatte Ludwig offenbar mitgeteilt, daß er an einer Kritik der speziellen Relativitätstheorie ( = Adler (1920)) arbeite. Er versteht seine Untersuchung (a. a. Ο., VII) als „eine rein kinematische [...]. Sie prüft auch nicht das Erfabrungsmaterial, auf das sich die Theorien von Lorentz und Einstein stützen, läßt also die Frage offen, inwieweit die Versuche von Fizeau und Michelson als endgültig beweiskräftig angesehen werden dürfen [...]." 3 Es ist also zu erwarten, daß Adler in seinem (wohl nicht erhaltenen) Brief an Ludwig zwar von der Relativitätstheorie, nicht aber vom Michelsonversuch gesprochen hat. Doch hat Ludwigs Assoziation offenbar gegriffen. Denn er fahrt in seinem Brief fort: 2 3
Wem diese Interpretation zu weit hergeholt erscheint, möge sich noch ein wenig gedulden. Entsprechend wird der Michelsonversuch von Adler auch nur beiläufig erwähnt (cf. Adler (1920), 47 f., 194 Anm.), wobei freilich nicht die geringsten Zweifel an seinem Resultat geäußert werden. Michelson hatte seinen Versuch der Stützung der Ätherhypothese gewidmet. Die Grundidee war: Wenn sich das als Welle verstandene Licht einer ruhenden Lichtquelle nach allen Richtungen mit der Lichtgeschwindigkeit c ausbreitet, wenn ferner das Licht als Schwingung des im absoluten Raum ruhenden Äthers aufgefaßt wird, dann muß sich das Licht in Richtung der Erdbewegung langsamer ausbreiten als in Gegenrichtung:
(Abb. Nach Sexl/Schmidt (1979), 9) (In Bewegungsrichtung der Erde (Geschwindigkeit v) beträgt die Lichtgeschwindigkeit c — v, in Gegenrichtung c + v, senkrecht dazu | / c 2 — v2.) Michelsons Idee zur Messung dieser Geschwindigkeitsdifferenz beruhte auf der Interferenzeigenschaft des Lichts. Diese folgt aus der Wellentheorie und besagt, daß sich unter bestimmten Bedingungen Wellen an gewissen Stellen gegenseitig auslöschen, an anderen hingegen verstärken können. Voraussetzung dafür ist möglichst monochromatisches Licht, d. h. Licht gleicher Frequenz sowie gleicher Amplitude. Damit die Wellenzüge interferieren können, muß das Licht ferner kohärent sein. D. h. vereinfacht, daß die beiden Wellenzüge gleichzeitig von einer punktförmigen Lichtquelle ausgehen und nach dem Durchlaufen verschieden langer Lichtwege sich am gleichen Raumpunkt überlagern müssen. Michelsons Anordnung (wiederum in vereinfachter Darstellung)
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„Ich habe ihn [d. i. Mach] seinerzeit auf gewisse Unzulänglichkeiten des Michelson'schen Versuches aufmerksam gemacht und er gab die Unsicherheit zu — und ich versprach ihm, den Gegenversuch auszuführen — die Behelfe sind da — es fehlt noch die Zeit und Ruhe. Um so mehr interessiren mich im höchsten Grade Ihre Einwendungen bei Einstein, gegen welche Ausführungen ich mich instinctiv in höchstem Grade sträubte. Das wäre ja nett, wenn es uns (Hervorhebungen G. W.) gelänge, experimentell und theoretisch eine Bresche zu schlagen gegen dieses Uberwuchern der Speculation. Er hatte bis zu seinem Tode etwas leises [!] Ironisirendes für die Ionen und die neuen Anschauungen
M,
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t±3 Q (Abb. nach Marder (1979), 16) bestand darin, das Licht L einer Lichtquelle Q an einer halbdurchlässigen Platte Ρ in zwei senkrecht aufeinanderstehende Strahlen L ( und L 2 zu zerlegen. L, geht durch Ρ zu einem Spiegel M], L 2 wird an Ρ auf einen Spiegel M 2 reflektiert. Die Strahlen kehren zu Ρ zurück und werden teilweise in ein Teleskop Τ reflektiert bzw. dorthin gebrochen durchgelassen. Wegen der unterschiedlichen Vorgänge bei der Reflexion bzw. der Brechung durch Ρ verschieben sich die Phasen von Lj und L 2 , im Teleskop entstehen Interferenzmuster. Betrachtet man nun die Anordnung unter Annahme der Ätherhypothese zum einen in Bewegungsrichtung der Erde, zum anderen um 90° gedreht, dann müßte die Lichtgeschwindigkeit in beiden Fällen verschieden sein und bei gleichem Lichtweg eine Phasenänderung und damit verschiedene Interferenzbilder erzeugen. Das war jedoch nicht der Fall: das berühmte ,Negativresultat' des Michelsonversuchs! Ludwig war im übrigen, wie seine Aufzeichnungen zeigen, praktisch ausschließlich mit den technischen Problemen der Interferometrie beschäftigt: Produktion kohärenten Lichts, Herstellung von Planplatten und Spiegeln, Gerätevariationen und Justierungsprobleme. Merkwürdigerweise hat ihn die zentrale Schwierigkeit der Temperaturkonstanz der ganzen, hochsensiblen Anlage kaum beschäftigt. Vielleicht hat er auch deswegen nichts zustandegebracht.
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der Relativisten — vielleicht ist in wenigen Jahren die ganze Sache blos ein interessanter Extraspaziergang gewesen, dessen bleibender Gewinn gewiß nicht in Abrede gestellt werden soll." Auch dieser Brief Ludwigs zeigt Mach nicht als Gegner der Relativitätstheorie, obwohl Ludwig Adler mit dieser Mitteilung eine Freude hätte machen können. Wiederum ist es allenfalls etwas ,leise Ironisierendes', das Mach geäußert habe. Von besonderem Interesse ist die Mitteilung Ludwigs, er habe Mach auf ,Unzulänglichkeiten' des Michelsonversuches aufmerksam gemacht, die Mach dann auch ,zugegeben' habe. O b diese Formulierung auf ein Widerstreben Machs deutet, läßt sich nicht entscheiden. Legt man freilich den üblichen Sprachgebrauch zugrunde, dann ,gibt' nur derjenige eine ,Unsicherheit' eines Experiments ,zu', der es (wenigstens bis dahin) für sicher gehalten hat. Dabei ist zu beachten, daß der Experimentalphysiker Mach den Kollegen Michelson für einen genialen ,Teufelskerl' gehalten hat. 4 Noch stärker wird der Verdacht, daß Mach am Michelsonversuch nichts Nennenswertes auszusetzen hatte, wenn man eine spätere Formulierung Ludwigs in einem Brief an Petzoldt (13.1.1923 (TUB, Pe 43-31)) betrachtet: „Bei unseren Experimenten habe ich für meinen Teil Widersinniges und Unstimmigkeiten nicht nur abgelehnt, sondern auch aufzudecken versucht" (Hervorhebungen G. W.). Da der Kontext von der Relativitätstheorie handelt, scheint auch diese Formulierung darauf hinzudeuten, daß Mach den Michelsonversuch so genommen hat, wie er war. Vielleicht hat er beiläufig bemerkt, daß man den sehr subtilen Versuch noch einmal wiederholen solle. Und eben eine solche Bemerkung mag Ludwig auf die Idee gebracht haben, ,den Gegen versuch auszuführen'. Tatsächlich war im Hause Mach ab 1904 gelegentlich mit ,Michelsons Aufstellung' experimentiert worden 5 . Freilich heißt das nicht, daß der originale Michelsonversuch nachgeprüft wurde, sondern lediglich, daß der von Michelson benutzte Interferometertyp verwendet wurde. Der Gedanke, den Michelsonversuch zu wiederholen, scheint erst später aufgekommen zu sein. Am 8.12.1912 schreibt Ludwig aus München an Mach (EMA*): „Die Relativität ist auch so weit ausgereift, daß ich mit Dir darüber sprechen kann." Klar, daß es 4
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In einem Brief an Carus (24. 2.1899 (OCA)) bedauert Mach, daß er nach seinem Schlaganfall die ersehnte Reise in die USA nicht antreten könne: „Ich hätte so gern einige amerikanische Forscher kennen gelernt. Der Physiker Michelson in Chicago scheint ein Teufelskerl zu sein." Diese Experimente sind in einem sauber geführten Experimentierbuch (VAT) aufgezeichnet. Auf dieses Buch werden wir noch ausführlicher zu sprechen kommen.
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sich hier nur um Experimentalanordnungen handelt, die sich vor allem auf den Michelsonversuch beziehen. 6 Ludwig besaß keinerlei Kenntnis der theoretischen Grundlagen der Relativitätstheorie und konnte mit Relativität' eben nur interferometrische Experimente meinen. 7 Es hat den Anschein, daß aus den Ende 1912 von Ludwig noch avisierten interferometrischen Experimenten im Zusammenhang mit der Relativitätstheorie nichts geworden ist. Dies vermutlich deswegen, weil die höchst komplizierte Michelsonsche Originalanordnung 8 ohnehin jenseits der finanziellen und technischen Möglichkeiten Machs lag und es Mach wohl auch nach seinem Umzug an der nötigen Gesundheit zur Konzeption und Durchführung der Experimente fehlte. Ludwigs Wunsch, den ,Teufelskerl' aus Chicago in den Schatten zu stellen, konnte sich also zu Machs Lebzeiten nicht erfüllen. Was Ludwig am Michelsonversuch kritisieren zu müssen glaubte, wird aus einer Bemerkung sichtbar, die später fiel, als Ludwig die dritte Stufe der Entwicklung seines Verhältnisses zur Relativitätstheorie erreicht hatte. In einem Notizbuch (wohl aus dem Anfang der 20er Jahre (ULS)) steht als Nr. 5 unter der (unzutreffenden) Überschrift „Experimentalreihe als Einleitung für den II. Teil der Optik gedacht": „Nach E. Machs Ansicht ist Michelson's Versuch principiell richtig und soll in der alten Form durchaus nicht wiederholt werden, aber es bestehen bei der Subtilität der Aufstellung ziemliche Bedenken, ob er quantitativ nicht verfehlt ist. Auch soll der Versuch unbedingt mit stehender Lichtquelle oder Fixsternlicht wiederholt werden" (Vollständiger Text in Beilage 4).
Daraus geht, abgesehen davon, daß Ludwig es direkt behauptet, auch indirekt klar hervor, daß Mach am Michelsonversuch nichts zu tadeln fand. Hätte er sich nämlich die ,Bedenken' des zweiten Teils des Satzes zu eigen gemacht, dann hätte er den Michelsonversuch nicht für ,principiell 6
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Daneben könnte der Fizeauversuch eine Rolle gespielt haben, bei dem es um das Verhältnis der Lichtgeschwindigkeit im ruhenden und im bewegten Medium geht. Auch hierbei wird das Interferometer verwendet. Einstein hat diesen Versuch, dessen Ergebnis durch die Relativitätstheorie geklärt wird, gelegentlich sogar „als experimentum crucis zugunsten der Relativitätstheorie" bezeichnet (Einstein (1965), 25). Im Experimentierbuch (cf. Anm. 5) liegen im Anschluß an die sauberen Versuchsaufzeichnungen einige lose Blätter. Eines davon trägt die Überschrift „Relativität". Auf diesem Blatt ist unter anderem der Fizeauversuch skizziert (cf. zum Fizeauversuch O., 246). Diese Behauptung ist nicht übertrieben. In der Fülle der Aufzeichnungen Ludwigs findet man nicht eine einzige theoretische Äußerung zur Relativitätstheorie, es sei denn, man hält das Gerede von .Dogmatismus', .Spekulation' und .Widersinn' schon für Theorie. Cf. Swenson (1972), der eine lebendige Darstellung der Geschichte der ÄtherdriftExperimente liefert. Über Kompliziertheit und Kosten a. a, O. 90 ff.
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richtig' halten können. Denn der Michelsonversuch bzw. sein Negativresultat fällt eben, wenn er quantitativ ,verfehlt' ist. 9 Aus einem Brief an Adler (1. 8.1918 ( A A W ) ) geht hervor, was genau Ludwig am Michelsonversuch gestört hat: „Eine Differenz der Lichtgeschwindigkeit auf 1 Mtr. zu constatiren — auch mit Interferenz und homogenem, noch so genau untersuchtem Licht scheint mir eine experimentelle Verfehlung zu sein."10 An Ludwigs Brief ist noch ein weiterer Umstand bemerkenswert: Ludwig Mach dachte daran, Adler als intellektuellen Mentor an die Stelle des Vaters zu setzen. Adler sollte gewissermaßen den theoretischen Part im Kampf gegen die Relativitätstheorie übernehmen, da Ludwig sich hier ja nur ,instinktiv sträuben' konnte. Ludwig selbst wiederum fühlte sich stark genug, die experimentelle Seite zu bearbeiten 11 : „Das wäre ja nett, wenn es uns (Hervorhebung G. W.) gelänge, experimentell und theoretisch eine Bresche zu schlagen [...]." Ein solcher Mentor war auch dringend nötig, denn Ludwig hätte einen anderen Ausgang des Michelsonschen Ätherdriftexperiments nicht interpretieren können. Auf die selbstgestellte Frage nämlich: „Was ist aber, wenn ein neuer Versuch ein anderes Resultat ergeben sollte?" (Ludwig an Adler, 1 . 8 . 1 9 1 8 (AAW)), wußte er nur zu antworten: „Gewiß bleibt die Arbeit nicht verloren" (ebd.). Ludwigs Versuchsballon brachte eine erste Resonanz des Häftlings Adler, die zu gewissen Hoffnungen zu berechtigen schien. Am 22. 8.1918 (Durchschlag ( A A W ) ) schrieb Adler, der originale Michelsonversuch sei so kostspielig, daß ihn „sich nur Amerikaner leisten" könnten. Aber — 9
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Ähnlich heißt es schon in einem Brief an Adler (1. 8.1918 ( A A W ) ) mit Ludwigs üblicher Präzision: „Michelson's Versuch ist qualitativ genommen einwandfrei und quantitativ höchst bedenklich — so daß eine Wiederholung der Sache dringend notwendig ist." Diese Bemerkung Ludwigs zeigt im übrigen, daß er den Michelsonversuch nicht genau gekannt hat. Die ,Arme' des Geräts waren zwar einen Meter lang, der Lichtweg betrug aber infolge Mehrfachspiegelung elf Meter (cf. den Reprint der Arbeit von Michelson und Morley (1887) in: Swenson (1972), 281). Im übrigen ist es prinzipiell belanglos, wie lang die Gerätearme sind, solange sich mit hinreichender Meßgenauigkeit ein verläßliches Resultat erzielen läßt. In einem Notizbuch (ULS) gibt der alte Ludwig Mach wohl zur Zeit des Münchener Prozesses (1948/1950) einen Abriß seiner Arbeiten. Daraus geht hervor, daß er mit verlängerten ,Armen' experimentiert hat. „Die Schwierigkeit fangt bei 2 M[etern] Entfernung an", heißt es an einer Stelle. Es ist im übrigen zu vermuten, daß Ludwig in gewisser Hinsicht zufällig auf die Seite der Gegner der Relativitätstheorie geraten ist. Er hätte, was seine fadenscheinigen Kenntnisse betrifft, überall stehen können. Nur, wer sich experimentell profilieren wollte, konnte dies nur durch Widerlegung der Experimente erreichen, die zur Stützung der Relativitätstheorie angeführt wurden. Wäre durch Bestätigung dieser Experimente Ruhm zu gewinnen gewesen, hätten wir unter geeigneten Umständen Ludwig vielleicht als ProRelativisten kennengelernt.
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,,[i]ch habe auch die Idee zu einem im Prinzip höchst einfachen Versuch, die ich Ihnen gelegentlich mitteilen werde, heute reicht das Papier leider nicht weiter". Adler ist nicht mehr dazu gekommen, Ludwig seine Experimentalidee mitzuteilen. Im November 1918 wurde er aus dem Zuchthaus entlassen und hatte keine Muße mehr zu wissenschaftlicher Arbeit. Noch am 14. 4.1919 (AAW) versucht Ludwig ein letztes Mal, den wissenschaftlichen Kontakt wieder anzuknüpfen. „Wir haben hier auch trübe Zeiten, so daß (Hervorhebung G. W.) ich auch heute auf ihr letztes Buch 12 , das ich inzwischen gelesen habe, auch wieder nicht eingehen kann, doch hoffe ich, Ihnen bei meiner nächsten Anwesenheit in Wien meine diesbezüglichen Notizen vorlegen zu dürfen", schreibt der 50jährige. Mit Adlers Ausscheiden aus der Wissenschaft war auch Ludwigs relativitätstheoretische Entwicklungsstufe zwei abgeschlossen. Es war vorerst niemand mehr da, der ihm den Weg hätte weisen können. So bleibt zusammenfassend festzuhalten, daß Ludwig Mach gegenüber Adler bis zum Frühjahr 1919 nichts über eine Zurückweisung der Relativitätstheorie durch Mach zu berichten wußte, obwohl er den Antirelativisten und MachVerehrer Adler dadurch gewiß erfreut hätte. Ferner wird erkennbar, daß Ludwig selbst sich mittels interferometrischer Experimente gegen die Relativitätstheorie zu profilieren gedachte. Freilich, dazu brauchte er Hilfe; er brauchte jemanden, der an die Stelle des Vaters trat. Er brauchte jemanden, der Experimentalideen hatte oder mindestens diejenigen Ludwigs beurteilen konnte. Er brauchte jemanden, der die Experimente interpretierte. Ludwig Mach brauchte einen neuen intellektuellen Mentor. Dies sollte Hugo Dingler sein. Mit dessen Auftreten Ende 1919 hatte Ludwig die dritte Stufe seiner Entwicklung in Sachen Relativität erreicht, eine Stufe, über die er nicht mehr hinauskommen sollte.
§ 42
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Die dritte Stufe der Entwicklung des Verhältnisses von Ludwig Mach zur Relativitätstheorie hat mit der zweiten die Idee gemeinsam, durch den Nachweis der Fehlerhaftigkeit des Michelsonversuchs die Unhaltbarkeit der Relativitätstheorie zu erweisen. Neu ist der intellektuelle Mentor Dingler, der Friedrich Adler ersetzen soll, ohne daß dieser in nennenswer12
Es handelt sich wohl um Adler (1918), sein Mach-Buch. Ich glaube nicht, daß Ludwig es gelesen hatte, und noch weniger, daß er sich etwas dazu notierte.
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tem Umfang überhaupt schon hatte in Aktion treten können. Ludwig hatte Dingler sogar schon früher als Adler den Wunsch nach Zusammenarbeit signalisiert. Denn bereits am 8. 5.1917 (HDA) schrieb Ludwig aus Berlin an Dingler: „Ich würde gerne einmal mit Ihnen über Verschiedenes sprechen — hier habe ich noch nicht einmal Petzoldt aufsuchen können. 1 Das ist auch der Grund [!], warum ich die Correctur der Optik wieder unterbrechen mußte." Dingler sprang in Sachen 0/>//^-Korrektur helfend ein. Als Relativitätsmentor faßte ihn Ludwig allerdings erst ins Auge, nachdem Friedrich Adler ausgefallen war. Am 24. 8.1919 (HDA) schreibt der aus Berlin heimgekehrte Ludwig aus Vaterstetten: „Ich wünsche mir einmal, mit Ihnen über die moderne Physik, vor allem Ihren [!] A t o m g l a u b e n zu sprechen — wie gut wäre das für mich, den Philosophen und Mathematiker zu hören, den ,unbefangenen Denker', w o ich nur ein bißchen experimentiren kann. E s sind nämlich einige Apparate da, angefangene D i n g e , d o c h im Ganzen eine ,Physica Pauperum' 2 , die mit einem modernen Laboratorium nicht concurrenzfähig ist — vielleicht könnte man es zusammen sein" (Hervorhebung G. W.).
Man darf Ludwigs Brief nicht dahingehend mißverstehen, daß er unter Dinglers Anleitung den .modernen Atomglauben' experimentell aus den Angeln zu heben gedachte. Daß dafür seine ,physica pauperum' nicht eingerichtet war, dürfte auch Ludwig gewußt haben. An die experimentelle Bekämpfung des ,Atomglaubens' konnte Ludwig also nicht ernsthaft denken. Wohl aber glaubte er, auf dem Feld der Relativitätstheorie experimentell mithalten zu können. Aber — Vorsicht war geboten. Ludwig kannte Dinglers Einstellung zur Relativitätstheorie ja noch nicht. Auch wußte er wohl, daß diese Theorie bei manchen Physikern Emotionen weckte. Denn es dürfte ihm kaum entgangen sein, daß die Auseinandersetzungen um die Relativitätstheorie bereits zu einer gewissen Polarisierung unter den Physikern geführt hatten. Dies wurde noch durch großaufgemachte Presseberichte darüber gefördert, daß zwei britische Expeditionen auf der Südhalbkugel die Sonnenfinsternis vom 29.5.1919 beobachtet hatten, um Aufschluß über die von der allgemeinen Relativitätstheorie prognostizierte Ablenkung von Lichtstrahlen in Sonnennähe zu erhalten. 3 1
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Es ist schwer vorstellbar, daß Ludwig in Berlin (auch später) die Zeit gefehlt haben sollte, Petzoldt zu besuchen, wenn ihm an einem solchen Besuch etwas gelegen gewesen wäre. Vermutlich wollte er seinen Rivalen nicht sehen, um ihn zu bitten, das zu tun, wozu er selbst nicht oder nur unvollkommen imstande war, nämlich die Korrektur der Optik zu lesen. Lat., Arme-Leute-Physik. Viele Details über die Expeditionen in Earman/Glymour (1980).
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Vielleicht waren es gerade solche Meldungen, die Ludwig Mach animierten, in Sachen Relativität erneut die Initiative zu ergreifen. 4 Daher hielt er es für angezeigt, gegenüber Dingler erst einmal vom ,Atomglauben' zu reden. Jeder wußte, daß Mach ihn abgelehnt hatte, und Dingler hatte daran keinen Anstoß genommen. Auf das Feld der Relativität würde man im Gespräch zwanglos übergehen können. Neu war nicht nur der Mentor, neu war auch eine Möglichkeit experimenteller Kontrolle, die im Laufe des Jahres 1919 sichtbar wurde. Beim Michelsonversuch waren nur noch Lorbeeren für eine Widerlegung der Relativitätstheorie zu ernten. Doch der Fall der Ablenkung der Lichtstrahlen im Schwerefeld der Sonne war bis zur Veröffentlichung des Beobachtungsergebnisses anders gelagert: Hier bestand sowohl die Möglichkeit einer Widerlegung der Einsteinschen Hypothese als auch die Möglichkeit ihrer Bestätigung. Da Ludwig keine nennenswerten theoretischen Kenntnisse und Uberzeugungen besaß, konnte es ihm im Prinzip gleichgültig sein, ob er sich die goldenen Sporen des experimentum crucis auf der einen oder auf der anderen Seite verdiente. In dieser Situation schien es zusätzlich ratsam, den Kopf nicht zu weit zum relativistischen Fenster hinauszustrecken. Für diese auf den ersten Blick verwegene Vermutung spricht, daß Ludwig monatelang gegenüber Dingler kein eigenes Urteil über die Relativitätstheorie abgegeben hatte, obwohl er wußte, daß dieser sich vehement gegen sie ausgesprochen hatte. Am 6.11.1919 wurde auf einer gemeinsamen Sitzung der „Royal Society" und der „Royal Astronomical Society" in London bekanntgegeben, daß die Beobachtungen bei der Sonnenfinsternis vom Mai die Prognose der allgemeinen Relativitätstheorie bestätigt hatten. Inzwischen war Ludwig Mach nach einem Besuch Dinglers, den er in einem gleich vorzustellenden Brief erwähnt, über dessen ,Antirelativismus' orientiert. Kaum hatte Ludwig die Nachricht über den Erfolg Einsteins in der Zeitung gelesen 5 , als er am 8.11.1919 (HDA) an Dingler schrieb: „Einstein soll von Lorenz [!] ein Telegramm erhalten haben, daß die Ablenkung der Lichtstrahlen durch die Sonne beobachtet worden sei. Was sagen Sie dazu? Wie vereinbaren Sie es mit Ihren Anschauungen?"
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Wie sich aus einem Brief Ludwigs an Petzoldt (TUB, Pe 43-17) ergibt, hat er spätestens am 12. 8.1919 von der Expedition, aber natürlich noch nicht von ihrem Ergebnis gewußt. Ludwig Mach bezieht sich allerdings in seinem Brief v o m 8 . 1 1 . 1 9 1 9 auf eine kurze Notiz Einsteins in der Ausgabe der „Naturwissenschaften" vom 17.10.1919 (Bd. 7, 776). Diese Notiz hatte in der deutschen Presse ein breites Echo gefunden (cf. Elton (1986)).
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Vermutlich war Ludwig beunruhigt, weil sich für ihn inzwischen die Perspektive der Zusammenarbeit mit Dingler gewandelt hatte. Wenn es ihm im August 1919 vielleicht prinzipiell noch gleichgültig war, für oder gegen die Relativitätstheorie experimentell aufzutreten, so scheint er sich nach dem Gespräch mit Dingler innerlich wohl für eine Arbeit gegen die Relativitätstheorie entschieden zu haben. Zum einen konnte er in diesem Falle den alten Gedanken der Widerlegung des Michelsonversuchs wieder aufgreifen, zum anderen mag Antirelativismus seiner Neigung eher entsprochen haben. In der Tradition seines Vaters war es angemessener, als Kritiker tätig zu werden, und eben diese Rolle hatte er auch schon bei der geplanten Zusammenarbeit mit Adler ins Auge gefaßt. Nun wird man vermuten dürfen, daß Ludwig Mach Dingler bei dessen Besuch mitgeteilt hätte, daß auch sein Vater ein Gegner der Relativitätstheorie gewesen sei, wenn Mach sich tatsächlich gegen die Relativitätstheorie ausgesprochen hätte; oder wenigstens, daß er selber, Ludwig, dagegen sei, wenn der Vater es schon nicht gewesen ist. Beides war merkwürdigerweise nicht der Fall. Ludwig hat sich vielmehr bei Dinglers gewiß mit missionarischem Eifer vorgebrachter Ablehnung der Relativitätstheorie vollständig bedeckt gehalten. Er hat in Dingler sogar den Eindruck erweckt, er sei, gewissermaßen in Familientradition, für die Relativitätstheorie. Dingler notiert vier Monate nach Ludwigs Brief vom November 1919 in seinem Tagebuch (HDA): „ 1 1 . 3 . [1920]. [...] Ludw. Mach antwortet, seit ich ihm mitgeteilt habe, daß gegen Einstein, überhaupt nicht mehr. Als ich ihn [im Februar 1920 auf der Straße] traf, meinte er u. a. Sie werden gegen den Strom schwimmen, wie mein Vater. Er weiß nicht, daß ich jung bin und siegen werde. Seitdem schrieb ich ihm dringend, ich wollte ihn sprechen. Ich möchte ihn nämlich wegen meiner Lichttheorie konsultieren — er antwortet nicht."
Neu war aber nicht nur die methodologische Situation vor dem Bekanntwerden der Beobachtungsresultate über die Lichtablenkung. Ludwig hat sich auch Gedanken gemacht, den entsprechenden Effekt selbst experimentell zu produzieren. Von dieser bizarren Idee wird weiter unten die Rede sein. Während sich Dingler am 11.3.1920 wegen seines Antirelativismus bei Ludwig noch in Ungnade wähnte, war nach dem kurzen Schwanken im Zusammenhang mit der Sonnenfinsternis des Jahres 1919 bei Ludwig die Entscheidung gegen die Relativitätstheorie bereits gefallen. Wahrscheinlich hätte er diese Entscheidung trotz Dinglers Einfluß viel länger hinausgezögert, ja vielleicht nie getroffen, wenn er nicht durch ein anderes
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Ereignis in einen fatalen Zugzwang geraten wäre, von dem Dingler am 11.3.1920 (vgl. den obigen Tagebucheintrag) offenbar noch nichts wußte. Das Ereignis, das Ludwig aus der Deckung zwang, war die Vorbereitung der 8. Auflage der Mechanik.6 Es war klar und ergibt sich auch aus dem Briefwechsel von Ludwig und Petzoldt, daß Petzoldt in dem ihm vertragsgemäß zustehenden Nachwort zur Mechanik Mach als Vorläufer der Relativitätstheorie feiern würde. Damit war eine schwierige Situation entstanden. Einerseits hatte Ludwig eine «»^'relativistische Zusammenarbeit mit Dingler ins Auge gefaßt, andererseits würde Petzoldt Mach als ,Relativisten' herausstellen. Selbst wenn Ludwig die Ergebnisse seiner Kooperation mit Dingler unter seinem eigenen Namen hätte veröffentlichen wollen, wäre doch der Eindruck entstanden, daß der Erbe Machs gegen den Vater anträte — ein Eindruck, den Ludwig, der ,Schatten' Machs, auf jeden Fall vermeiden wollte. Grundsätzlich hätte Ludwig in dieser Situation mindestens drei Möglichkeiten gehabt: (1) Er hätte mit Petzoldt prorelativistisch zusammenarbeiten können. Dem standen seine Abneigung gegen Petzoldt als lästigem ,Miterben', die räumliche Nähe und das überwältigende Selbstbewußtsein Dinglers sowie Ludwigs Bedürfnis, wie der Vater »gegen den Strom zu schwimmen', entgegen. (2) Ludwig konnte, was er dann auch tat, mit Dingler antirelativistisch arbeiten. (3) Er hätte gar nichts tun können; d. h., er hätte dem Fetisch Interferometer entsagen und sich ausschließlich ums Geldverdienen kümmern können. Dem standen Ludwigs versteckter Ehrgeiz, der durch Dingler (ohne daß dieser es wußte) angestachelt wurde, sowie seine Identifikation mit dem Vater entgegen. Was Ludwig Mach sozial war, war er als Sohn seines Vaters. Um diese Rolle auszufüllen und zu erhalten, war die .Fortführung' des väterlichen Werks das beste Mittel. Dieser Gesichtspunkt dürfte es demnach für ihn gänzlich ausgeschlossen haben, aus dem Relativitätsgeschäft einfach auszusteigen. Blieb also die antirelativistische Zusammenarbeit mit Dingler. Dabei hatte Ludwig Ernst Machs Stellung zur Relativitätstheorie noch immer offen gelassen und hätte sie im Prinzip auch offenlassen können, wenn er nur Antirelativismus auf eigene Rechnung betrieben hätte. Im Laufe der Auseinandersetzungen mit Petzoldt über dessen prorelativistisches Nachwort zur 8. Auflage der Mechanik geriet Ludwig immer mehr auf ein falsches Gleis. So führte er während des Sommers 1920 zu seiner Verteidigung Schritt für Schritt angebliche Stellungnahmen von 6
Die Details werden in § 43 ausführlich dargestellt.
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Ernst Mach gegen die Relativitätstheorie in die Auseinandersetzung mit Petzoldt ein.6. Über seine Niederlage gegen Petzoldt aufs schwerste erbittert und gekränkt, trumpfte er schließlich zum Jahresende 1920 gegen Petzoldt mit dem Optik-Vorwort auf. Nur unwesentlich früher hat auch Dingler erfahren, daß Ernst Mach angeblich ein Gegner der Relativitätstheorie gewesen sei (cf. Dingler (1921), VIII). Dingler war wohl auch der erste, der das erfahren hat. Dies alles aber bedeutet: Mit dem OptikVorwort hatte Ludwig die Weichen endgültig in Richtung Katastrophe gestellt. Denn nun mußte er mit seinen antirelativistischen Experimenten heraustreten, und zwar unter dem Namen ,Ernst Mach'. Wenn man auch davon ausgehen kann, daß Ludwigs neuer Aufbruch im Sommer 1919 durch die Sonnenfinsternisexpedition motiviert war, so scheint doch ein Experiment mit Beugung von Lichtstrahlen zunächst noch keine konkreten Formen angenommen zu haben. Vorerst hatte sich Ludwig mit den experimentellen und Beobachtungstatsachen auseinanderzusetzen, die in engem Zusammenhang mit der speziellen Relativitätstheorie standen. Es ist dies neben den schon genannten Versuchen von Michelson und Fizeau vor allem das Phänomen der Aberration. 7 Daß Ludwig sich auf diese Dinge konzentrierte, hatte einen guten Grund: Dingler hatte einen Mäzen für Ludwig Mach gefunden, den Industriellen Dr. Alfred Pfaff, der bei der Erdölexploration im polnischen Boryslaw offenbar eine Menge Geld verdient hatte 8 und gleichzeitig begeisterter HobbyAntirelativist war. Dinglers Tagebuch ((HDA), Nr. 6) meldet: „Safmstag] 2 3 . 4 . [ 1 9 2 1 ] Einladung [...]. D o r t lernte [ich] Dr. Pfaff, G r o ß i n d u striellen, kennen, der G e g n e r der Rel[ativitäts]th[eorie] sei. E r b o t sich, L u d w i g Mach 1 — 2 J a h r e frei zu unterhalten, damit dieser seine physikalischen] Experimente machen könne. 2 7 . 4 . [ 1 9 2 1 ] Unterredung mit Mach, w o l l t e Expose schicken, ist bis heute [d. i. 7. 5 . 1 9 2 1 ] noch nicht g e k o m m e n . "
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Als Aberration bezeichnet man die scheinbare Veränderung des Ortes der Fixsterne an der Himmelssphäre, die durch die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts und die Bewegung der Erde hervorgerufen wird. Diese von J. Bradley 1728 veröffentlichte Beobachtung ließ sich in Athertheorien nur mit ,,beträchtliche[n] Schwierigkeiten" (Born (1969), 232) erklären, während sie sich in der Relativitätstheorie als einfache und natürliche Folgerung ergibt. Alfred Pfaff (1872—1954) berichtet über die Explorationsarbeiten in: Die Lagerstätten im Erdölbecken von Boryslaw, Wien/Berlin 1926. 1932 bis 1945 gehörte Pfaff als Mitglied der NSDAP-Fraktion dem Reichstag an. Er scheint sich vor allem um Wirtschaftspolitik gekümmert und dem später ausgeschalteten .antikapitalistischen' Flügel der Nationalsozialisten nahegestanden zu haben (cf. ζ. B. sein Pamphlet: Wege %ur Brechung der Zinsknechtschaft, München 1932). Pfaff war ein Nachkomme des Mathematikers Johann Friedrich Pfaff (1765 — 1825), bei dem Gauß zeitweise studiert und gewohnt hat.
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Der daraus zunächst entstandene briefliche Kontakt mit Ludwig hatte Pfaff bald klargemacht, „daß [Ludwig] Μ [ach] eine sehr ernste Pflicht seinem Vater gegenüber trägt. Er würde sich später berechtigte Vorwürfe machen müssen, wenn er nicht alles versucht haben sollte, diese Pflicht nach besten Kräften zu erfüllen" (Pfaff an Dingler (HDA), 6.5.1921). Freilich hatte Pfaff in diesem Brief auch schon über den jämmerlichen „Ton" der Schreiben Ludwigs zu klagen: „ich vermisse etwas die mir so sehr zusagende Art, die Unannehmlichkeiten des Lebens zu verachten und zu übersehen." Es kam schließlich ein Arrangement zustande 9 , dem sich später „ein zweites Abkommen" zugesellte, getragen von einer „Gruppe von Herren, der ich [d. i. Pfaff] auch angehöre [...] [und] das ihn [d. i. Ludwig] hoffentlich voll befriedigen wird" (Pfaff an Dingler, 16.9.1921 (HDA)). In jenen Tagen hatte Pfaff eine antirelativistische Broschüre drucken lassen (Pfaff (1921)). 1 0 Sie behandelt hauptsächlich den Michelsonversuch. Freilich hat Pfaff aus Ludwigs Ausführungen zu diesem Thema nicht viel gewinnen können. Er stellt in dem gerade erwähnten Brief unter Bezug auf Unterredungen mit Ludwig fest: „es scheint doch für einen in diesen Dingen Ungeschulten (wie Pfaff, G. W.) sehr schwer zu sein, sich mit diesem Problem endgültig auseinander zu setzen." Nach mehr als einem Jahr konnte Pfaff Dingler über den Fortgang der Arbeiten Ludwigs noch immer nichts mitteilen: „Seit etwa 2 Monaten scheinen (Hervorhebung G. W.) die Arbeiten des Herrn Dr. Mach erfolgreicher als vorher sich zu entwickeln. Seinerzeit legte er größten Wert darauf, die Versuche mit Sonnenlicht vorzunehmen, während ich die Meinung vertrat und vertrete, daß sie unbedingt auch mit künstlicher Lichtquelle und vor allem mit monochromatischem Licht ausgeführt werden sollten. [...] Wenn wir somit hoffen dürfen, daß in absehbarer Zeit die
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10
Ludwig arbeitete um diese Zeit vermutlich bei einer Kühlschrankfirma in Augsburg. In einem offensichtlich von Pfaff an Dingler gerichteten, geradezu konspirativen Brief (HDA) mit der Anrede .Sehr geehrter Herr' und ohne Absender und Unterschrift wird einem ,Herrn X' ( = Ludwig Mach) empfohlen, von seinem bisherigen Arbeitgeber eine Reduktion der Arbeitszeit um 5 0 % bei gleichzeitiger Erhöhung der Bezüge um ebenfalls 5 0 % zu fordern. „Ich zweifle nicht, daß sein (d. i. Herrn X's, G . W.) Angebot von der Gegenseite angenommen [!] wird, bitte aber, Herrn X zu erklären, daß ich ihm, falls wider Erwarten [!] eine Ablehnung erfolgen sollte, durch unseren Vorschlag volle Rückendeckung biete." Der Vorschlag Pfaffs: Ludwig solle „der uns interessierenden Angelegenheit [...] täglich die Hälfte seiner Arbeitszeit" widmen. Herrn Wilhelm Alhäuser (Detmold) danke ich für die Überlassung einer Kopie dieser als Manuskript gedruckten Schrift und f ü r Kopien weiterer Dokumente. Pfaffs Broschüre ist im übrigen v o n den damals bereits verbreiteten antisemitischen Ausfallen frei.
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vorbereitenden [!] Versuche tatsächlich in Angriff genommen werden können, so rückt damit meiner Ansicht nach der Augenblick näher, in dem auch von einem anderen Gesichtspunkte aus die Frage Einstein in Angriff zu nehmen wäre." 11
Es scheint sich bei all dem um technische Probleme im Zusammenhang mit Experimenten zur Relativitätstheorie, vor allem den Michelsonversuch zu handeln. 12 Wie lange dabei genau die Förderung durch Pfaff gewährt hat, läßt sich nicht mehr feststellen. Sie betrug, wie Dingler berichtet, „im Laufe einiger Jahre über 30000 Mark" (cf. Beilage 3B). Irgendwelche Ergebnisse von Ludwigs Arbeiten im Dienste Pfaffs sind im übrigen nicht bekannt. Es ist auch nicht festzustellen, ob Ludwig in der Zeit nach der Unterstützung durch Pfaff in Sachen Relativität überhaupt noch gearbeitet hat. Es hat den Anschein, daß er, von gelegentlichen Exkursionen zur Verwaltung des väterlichen Erbes abgesehen, überwiegend mit der „Tagesnot" 13 , Geld zu verdienen, beschäftigt war, allerdings auch dies ohne nachhaltigen Erfolg. Ludwigs wohl im Zusammenhang mit der Beobachtung der Sonnenfinsternis des Jahres 1919 entstandene neue Experimentalidee zur allgemeinen Relativitätstheorie läßt sich erst zu einem sehr späten Zeitpunkt konkretisieren. 14 Ende 1942 erfuhr Ludwig, daß die Isar-Amper-Werke AG, ein heute noch existierendes Großunternehmen im Energiebereich, beabsichtigten, über sein Waldgrundstück eine Hochspannungsleitung zu legen. Trotz „verzweifelter Gegenwehr" wurde am 8.11.1944 „der Wald gefallt". 1948 erklärten sich die Amper-Werke bereit, an Ludwig eine Entschädigung von nur 780 DM zu zahlen. Ludwig erhob daraufhin im Dezember 1948 Klage beim Landgericht München II. 15 Aus den vorhandenen Prozeßdokumenten ((VAT), Teilabdruck als Beilage 8) läßt sich Ludwigs Prozeßstrategie rekonstruieren: Es ging ihm um den Nachweis, daß die Isar11
Pfaff machte bei dieser Gelegenheit Dingler im übrigen den Vorschlag, die angeblich immer häufiger zu hörende These von Mach als Vorläufer Einsteins zu widerlegen. Die dafür ausgelobten 1500 Schweizer Franken hat sich Dingler in wenig überzeugender Weise mit Dingler (1924) verdient. — Die Probleme Ludwigs schon im Vorfeld des Michelsonversuches sind nicht zufallig. Swenson ((1972), 63) faßt zusammen: „Throughout Michelson's lifetime the controlled interference of light was difficult to produce even in a laboratory."
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Dies ergibt sich aus Aufzeichnungen Ludwigs (ULS), die auch „Pfaffs Bedenken. 22. September 1923 draußen in [München-] Solln" aufzählen. Dabei werden Lichtwege von 10 Metern in einer einbetonierten Interferenzanlage in Betracht gezogen. Ein häufig in diesem Zusammenhang von Ludwig gebrauchter Ausdruck. Ich stütze mich hier auf Notizen Ludwigs zum Münchener Prozeß (VAT). Die Prozeßakten bei Gericht wurden Ende der 70er Jahre vernichtet.
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Diadochenkämpfe um das Erbe Machs. Erste Runde
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Amper-Werke durch die Abholzung des Waldes die Fertigstellung des zweiten Bandes der Optik verhindert hätten, wodurch Ludwig materieller Schaden entstanden sei. Als Gutachter führte Ludwig Jonathan Zenneck16 ein. Zennecks Gutachten (Beilage 8 A) zeigt deutlich das Dilemma des Gutachters: Einerseits wollte Zenneck dem 81jährigen Ludwig helfen, den Prozeß zu gewinnen, andererseits mußte sich der renommierte Physiker Zenneck bemühen, Ludwigs Ideen so darzustellen, daß dabei seine eigene wissenschaftliche Reputation nicht allzu sehr litt. Mit gehöriger Distanz trug Zenneck Ludwigs Experimentalidee vor: „Der Gedanke ist der, daß das Licht sich anders fortpflanze, wenn es sich an einer Masse irgendwelcher Art ζ. B. einer Bleikugel oder einem Baumstamm oder einer Hauswand vorbeibewegt als wenn es sich in freier Luft ausbreite." Hier meßbare Resultate erzielen zu wollen, ist eine so aberwitzige Idee, daß nicht auszuschließen ist, daß Ludwig Mach sie speziell für die Zwecke dieses Prozesses erfunden hat. Gleichwohl hat Ludwig dank des Zenneck-Gutachtens das Gericht beeindrucken können. Am 3.12.1949 verurteilte das Münchener Landgericht die Isar-Amper-Werke zur „Zahlung von 15 000 DM nebst 4% Zinsen seit 21.4.49 und in die Kosten". 17 Ludwig hatte 100000 DM gefordert. Der Berufungsprozeß ging für Ludwig entschieden ungünstiger aus. Das Münchener Oberlandesgericht 18 gewährte nur „5000 DM nebst 4% Zinsen seit 21.4. 1949" und bürdete Ludwig gleichzeitig 3/4 der Kosten auf. Bevor wir uns dem Schicksal eines Phantoms, nämlich dem 2. Band der Optik zuwenden, sei Ludwigs ,Erbstreit' mit Petzoldt kurz dargestellt. Diese Auseinandersetzung liefert weitere wichtige Gesichtspunkte dafür, daß das Optik-Notwott gefälscht ist.
§ 43
Diadochenkämpfe
um das Erbe Machs. Erste Runde
Um die in diesem Paragraphen geschilderten Auseinandersetzungen verstehen und beurteilen zu können, möge der Leser sich in Erinnerung rufen, daß Mach in einem Vertrag aus dem Jahre 1904 Petzoldt die Fortführung der Mechanik anvertraut hatte. Petzoldt sollte die Unversehrt16
17
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Jonathan Zenneck (1871 —1959) war Professor für Experimentalphysik an der Technischen Hochschule München (ab 1913), aber, fast 80jährig, natürlich emeritiert. Als Vorsitzender des Vorstands des „Deutschen Museums" war er weiterhin aktiv. Zitate nach dem Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 1 1 . 1 2 . 1 9 5 0 , 3 (OLG). Cf. Beilage 9.
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heit des Textes der Ausgabe letzter Hand überwachen. Gleichzeitig stand es ihm frei, sich anhangsweise zu neueren Entwicklungen der Mechanik zu äußern. 1911 hatte sich Ludwig mit einem ,Codicill' zum Testament bei seinem Vater dahingehend durchgesetzt, daß ihm die Überwachung der Korrektheit posthumer Ausgaben aller Werke Machs obliegen sollte. Damit war ein Konflikt vorgezeichnet, obwohl der mögliche Konfliktgegenstand, der unveränderte Text der Mechanik, dazu eigentlich wenig Anlaß bot. Wohl aber machte Ludwigs Selbstverständnis als Erbe Machs einen solchen Konflikt geradezu unausweichlich. Hatte sich Ludwig schon in den letzten Lebensjahren des Vaters als unumgänglicher Vermittler aller Kontakte zu Mach verstanden und die Freunde Machs als ,Wissender' mit düsteren Stimmungsbildern aus Vaterstetten versorgt, so verstand er sich nach dessen Tod nicht nur als Nachlaßverwalter, sondern auch als „einziger Gefährte des in diesen Jahren schwer leidenden" Vaters, der einer wartenden Anhängerschar dessen „Äußerungen" weitergab (Μ., XVIII). Falls dies aus chronologischen Gründen ausgeschlossen war, glaubte sich Ludwig gelegentlich auch zu Äußerungen darüber berufen, was sein Vater aus diesem oder jenem Anlaß gesagt hätte, wenn er noch lebte. Eine kleine Blütenlese aus den ersten Jahren nach Machs Tod: An Adler (28.1.1918 (AAW)): „Ich wünsche, Ihnen erzählen zu dürfen, wie oft er Ihrer gedachte, und hier an seiner letzten Wirkungsstätte wird immer wieder von Ihnen gesprochen [...]". An Adler (1.8.1918 (AAW)): „[...] wäre ich Ihnen für meinen Vater zu größtem Dank verbunden, wenn Sie S. 148, Z. 18 und Z. 23 (der Wärmelehre, G. W.) noch einmal prüfen würden". An Adler über dessen Mach-Buch ( = Adler (1918)): „Bis heute durfte ich in demselben nur blättern und bedauere, daß er es nicht mehr erleben durfte, denn so vieles könnte er selbst geschrieben haben" (Ludwig an Adler, 10.2.1919 (AAW)). An Dingler (6.4.1916 (HDA)): „Ihnen aber und Ihrer Frau entbiete ich so wie er es mir auftrug seinen letzten Gruß aus dem Schattenreiche." An Dingler (3.3.1917 (HDA)): „[...] erreichten mich Ihre Zeilen am 19. Febr., an seinem Todestag [...]. Daß Sie nicht lange Docent bleiben würden, war wenigstens seine Uberzeugung." An Dingler (31.12.1918 (HDA)): „Ich konnte Ihre Gaben noch nicht lesen, aber ich mußte mich jetzt eines Ausspruchs meines Vaters nach einem Ihrer Besuche erinnern: ,eine colossale Arbeitskraft'." An Dingler (23.3.1919 (HDA)): „Jedenfalls habe ich in Ihrem Buche 1 lesen 1
Gemeint ist Dinglers Die Kultur der Juden. Eine Versöhnung ^wischen Religion und Wissenschaft, Leipzig 1919.
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können und kann Ihnen nur sagen, daß es auch meinen Vater sehr erfreut hätte." Nach einer Sitzung in Vaterstetten, die Alfred Pfaff, Ludwigs leicht ungeduldig gewordener Mäzen, in Anwesenheit Dinglers arrangiert hatte, notiert Dingler in seinem Tagebuch ( (HDA), Nr. 7, Eintrag 15.7.1922): „[Ludwig Mach] sagt: es ist furchtbar schade, daß Sie nicht früher mit meinem Vater zusammengekommen sind. Er hat sehr viel von Ihnen gehalten. In den letzten Jahren hat er von Ihnen immer als von seinem Nachfolger, der seine Ideen fortführen wird, gesprochen. Noch in der Wiener Zeit hat er von Ihnen gesagt: ,Der Mann ist ein Genie des freien Denkens'. Nur einzig von Popper [-Lynkeus] hat er dies noch früher einmal gesagt, sonst niemals von jemand." An Emil Müller 2 (Entwurf ca. 1917 (VAT)): „Wie sehr haben mich Ihre Ausführungen (in einem Festvortrag der Wiener Akademie, G. W.) an die letzte Zeit, die ich mit meinem Vater verlebte, erinnert, und wenn ich Ihnen für die glänzende Vertretung und Weiterführung seiner Arbeit danke, so mischt sich darin das tief schmerzliche Gefühl, daß es ihm nicht mehr vergönnt war, Ihre an die Allgemeinheit gerichteten Worte zu lesen; er hätte seine helle Freude daran gehabt, so sehr wäre ihm alles aus der Seele gesprochen gewesen." Ein letztes, etwas späteres Zeugnis soll diese bei weitem nicht vollständige Sammlung beschließen. In schweren Geldnöten schrieb Ludwig an Adler (12.4.1934 (AAW)): „Damit ist mein Geschick besiegelt [...]. Es thut mir so furchtbar weh um die Arbeiten, die damit unvollendet, für immer verlorengehen und so vieles, was Ε. M. zwar gesprochen, aber nicht geschrieben hat." Aus den angeführten Zitaten wird klar, wie sehr Ludwig, wenigstens im Kontakt mit Freunden und Bekannten des Vaters, in seiner Rolle als Sohn und E r b e Ernst Machs aufgegangen war. Gewiß wurde er in diese Rolle von dem einen oder anderen auch gedrängt, der in Ludwig eine Art Orakel des verehrten Meisters sah. D o c h fiel diese auf Ludwig umgeleitete Verehrung mit dessen Selbstgefühl aufs treffendste zusammen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, daß ein Konflikt in dem Augenblick unvermeidlich wurde, in dem jemand auftrat, der behauptete, im Sinne des Vaters zu reden und dabei gegen die Interessen des Orakels verstieß. Dieser Konflikt war durch die widersprüchliche Bestimmung Machs hinsichtlich der Mechanik vorprogrammiert. Trotzdem
2
Müller war Professor an der Technischen Hochschule Wien.
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hatte es zunächst den Anschein, als würde er nicht ausbrechen. Aus dem Briefwechsel zwischen Ludwig und Petzoldt ((EMA), (TUB)) geht hervor, daß nach dem Tode Machs, von einer Postkarte Ludwigs von Ende 1916 (TUB, Pe 43-16) 3 abgesehen, zunächst kein Kontakt zwischen Ludwig und Petzoldt bestand. Ludwig unterließ es sogar, während seines etwa zweijährigen Aufenthalts in Berlin Petzoldt dort auch nur einmal zu besuchen. Seine Briefe an Petzoldt seien, so Ludwig, nicht angekommen. Noch bevor Ludwig nach dem Krieg dann wieder Kontakt mit Petzoldt aufnahm, hatte er allerdings bereits an Brockhaus geschrieben, daß bei der anstehenden Neuauflage der Mechanik „Herr Professor Dr. Petzoldt in Spandau einen Anhang über die Relativität beifügen wird" (so verstand Brockhaus in einem Brief an Ludwig vom 30.1.1919 (VAT) Ludwigs nicht erhaltenen Brief vom 26.1.1919). Daß Ludwig ohne Anfrage bei Petzoldt davon ausging, daß dieser einen Anhang ,über die Relativität' schreiben würde, kann nicht überraschen, da er Petzoldt beständig mit der Relativitätstheorie assoziierte. Auch kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Ludwig um die Tendenz dieses Anhangs wußte. Denn selbst wenn Ludwig Petzoldt (1914) nicht gelesen haben sollte, mußte er doch wissen 4 , daß diese Arbeit entschieden prorelativistisch war und daß Petzoldt Mach als Wegbereiter der Relativitätstheorie bezeichnet hatte. Ohne Anzeichen von Protest nahm Ludwig also im Januar 1919 gegenüber dem Verleger und gegenüber Petzoldt selbst vorweg, daß dieser einen prorelativistischen und die Verdienste Machs um die Relativitätstheorie würdigenden Anhang zur Mechanik schreiben werde. Im August 1919 — man vergleiche den Übergang zu Stufe zwei im vorigen Paragraphen — wird auch in der Korrespondenz mit Petzoldt Ludwigs abwartende Haltung zur Relativitätstheorie (im Hinblick auf die britische Sonnenfinsternisexpedition) deutlich. Nach der Mitteilung, daß seine soeben verstorbene Mutter „bis zuletzt oft von Ihnen [Petzoldt] gesprochen" habe, und einigen Klagen über seine Lage schreibt Ludwig (12.8.1919 (TUB, Pe 43-17)): „Zu Einstein's Mechanik [sie!] wäre Manches zu sagen — jedenfalls hat er sein ,Ideal', wenn ich so sagen darf, erfüllt — das Ergebniß der Sonnenfinsternis steht noch aus. Wahrscheinlich wird man die Lage von benachbarten Sternen gegen einander gemessen haben — nur von dieser Methode könnte man sich einen Erfolg versprechen." 3
4
Dort heißt es unter anderem: „ A m Ende dieses für mich unsäglich trüben Jahres gedenke ich besonders Ihrer, der Sie ihm so nahe standen." Cf. seinen schon zitierten Brief an Petzoldt v o m 1 1 . 5 . 1 9 1 4 ((TUB), Pe 43-2).
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Der erste Satz zeigt wieder einmal Ludwigs Bemühen, den K o p f nicht zum Relativistischen' Fenster hinauszustrecken. Jede Interpretation ist erlaubt. 5 Der nächste Brief Ludwigs an Petzoldt steht dann schon — für den Empfänger gewiß unerkennbar — unter dem Eindruck, den Dinglers Antirelativismus nach seinem Besuch bei Ludwig auf diesen gemacht hatte. Mit merkwürdiger Umständlichkeit schreibt Ludwig ( 1 4 . 1 2 . 1 9 1 9 (TUB, Pe 43-18)): „Sie werden nun zweifellos zu der Relativität, den Einstein'schen Dingen und so Manchem anderen das Wort ergreifen müssen [!]. [...] Dr. Dingler hat mich einmal in Haar besucht — was für mich sehr belehrend war. 6 Aus der Ablenkung der Lichtstrahlen im Schwerefeld der Sonne, die einwandfrei festgestellt sein sollen [sie!], zieht D. nicht dieselben Folgerungen wie Einstein." So als sollten diese äußerst vorsichtigen, Dingler in den Mund gelegten Bedenken gegen Petzoldts mutmaßliche Interpretation der britischen Resultate durch besondere Zuneigung kompensiert werden, fährt Ludwig fort: „Es wäre sehr schön, wenn sich unsere kleine Gemeinde einmal wieder zusammenfände." 7 Petzoldt war gerührt und teilte Ludwig am 1 8 . 1 2 . 1 9 1 9 (VAT) mit, er werde zwar ein ,Vorwort oder Nachwort' schreiben, ,,[d]och kann ich das natürlich nicht vom Standpunkt des physikalischen Fachmanns, sondern nur von dem des Erkenntnistheoretikers aus. [...] Würden nicht Sie selbst vielleicht sich mit mir zusammen in jenem Vorwort oder Nachwort äußern und (richtig wohl: über, G. W.) etwaige physikalische Fragen der Mechanik, die nicht die Relativitätstheorie oder doch nicht ausschließlich betreffen?" Diesen gutgemeinten scherweise ablehnen:
Vorschlag
Petzoldts
muß
Ludwig
realisti-
„Was soll ich als ,Physiker' (Anführung im Original, G. W.) aber schreiben? Wenn der Krieg nicht gekommen wäre, hätte ich puncto Relativität 8 etwas experimentell gearbeitet, und etwas im Sinne E. Machs zu sagen gehabt —,
5
6 7
8
Die für Ludwig ungewöhnliche Konkretheit des zweiten Satzes dürfte auf der Lektüre der Tageszeitungen beruhen. Petzoldt wußte zu diesem Zeitpunkt noch nichts von Dinglers Antirelativismus. Ferner will Ludwig der „Gesellschaft für positivistische Philosophie" seinen und Machs Nachlaß vererben, wobei er sich angelegentlich nach der Finanzlage der Gesellschaft erkundigt. Man beachte, daß Petzoldt Ludwig nur dazu aufgefordert hatte, zu nicht oder nicht überwiegend relativitätstheoretischen Fragen Stellung zu nehmen.
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aber das muß, wenn überhaupt, später einmal geschehen. Wenn Sie es für richtig halten, könnte auch Dingler als Physiker [!], wenn er will, das Wort ergreifen. [...] Bitte wollen Sie wegen Dingler die Sache sich überlegen."
Als gelte es, die prospektive Erweiterung des Erbenkreises um Dingler gegenüber Petzoldt wieder wettzumachen, fahrt Testamentsvollstrecker Ludwig fort: „Ich meine allerdings, daß das rein Physikalische Material Ihnen (d. i. Petzoldt, G. W.) völlig geläufig ist und in dem Schlußworte Ihrer Abhandlung vom 9. Juli 1919 glaube ich seine (d. i. Machs, G. W.) Worte zu hören. Ich meine, Sie sind also der Erwählte und ich bitte Sie, wenn irgend möglich die Sache bald in Angriff zu nehmen" (Ludwig an Petzoldt, 26.12.1919 (TUB, Pe 43-19)). Dieser Brief Ludwigs ist von zentraler Bedeutung, erstens für die These unseres Buches, zweitens für die Diadochenkämpfe um das Erbe Machs. Denn es ergibt sich Folgendes: (1) Ende Dezember 1919 weiß Ludwig Mach noch nichts mitzuteilen, was sein Vater ,puncto Relativität' gesagt hat. (2) Ludwig gibt zu, keinerlei Kenntnisse über die Relativitätstheorie zu besitzen.9 (3) Er traut sich zu, diesen Rückstand aufholen zu können. (4) Erst dann kann er sich zur Relativitätstheorie äußern. Diese Äußerungen werden jedoch nicht Äußerungen Ludwigs oder Machs, sondern Äußerungen ,im Sinne E. Machs' (Hervorhebung G. W.) sein, getan durch dessen Sohn, Mitarbeiter, Erben und Sachwalter Ludwig Mach. Dieser letzte Punkt ist entscheidend. Der Sprachgebrauch von ,etwas im Sinne einer Person X tun' impliziert, daß man die allgemeinen Intentionen von X kennt und sie in einem konkreten Fall, bei Fehlen einer speziellen Anordnung von X, selbständig anwendet. Ludwig sagt also Ende Dezember 1919, daß er die allgemeinen Intentionen Machs zwar kenne, daß für den speziellen Fall der Relativitätstheorie aber keine konkrete Instruktion Machs vorliege. Weiter: daß er sich erst noch in die Relativitätstheorie einarbeiten müsse, um überhaupt in die Lage zu kommen, die ihm (angeblich) bekannten allgemeinen Intentionen Machs anzuwenden. Ludwig ist also zu diesem Zeitpunkt noch ehrlich: Er spricht 9
Gegenüber Dingler hatte Ludwig seine Unkenntnis so ausgedrückt: „Ich kann mich kaum mehr durchlesen, auch wenn ich einen großen Teil der Dinge nur in knappen Auszügen lese" (Ludwig an Dingler, 8 . 1 1 . 1 9 1 9 (HDA)).
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nicht von einer Stellungnahme Machs zur Relativitätstheorie, und zwar deshalb nicht, weil es keine gegeben hat. Was es vielleicht einmal geben könnte, ist eine Stellungnahme Ludwigs, die dann allerdings die Weihe besitzt, aus berufener Feder zu stammen. Wir werden sehen, wie sich im Laufe der Diadochenkämpfe die Dinge verschieben. Der Grund dafür ist, daß Ludwig als weiteren Diadochen Hugo Dingler eingeführt hat und diesen an der Fortführung der Mechanik beteiligen will. Wir werden weiter sehen, daß es Dinglers antirelativistisches Sendungsbewußtsein ist, das Ludwig in eine ausweglose Situation drängt, ohne daß Dingler dies freilich beabsichtigt oder auch nur bemerkt hätte. Ludwig ist in seinem oben zitierten Brief vom 26.12.1919 an Petzoldt noch unsicher, ob es ihm überhaupt noch einmal gelingen könnte („wenn überhaupt, dann später einmal"), ,im Sinne E. Machs' zur Relativitätstheorie Stellung zu nehmen. Im Februar 1920 tritt hier eine Änderung ein. Inzwischen waren Dinglers (in einem Teil antirelativistische) Grundlagen (Dingler (1919)) erschienen. Am 7.2.1920 (TUB, Pe 43-21) teilt Ludwig Petzoldt das Erscheinen dieses Buches mit und gibt sogleich eine profunde Charakterisierung des Inhalts: „Es scheint mir der Ausgangspunkt zu Neuem zu sein. Eine historische Darstellung, eine strenge Trennung des mathematischen Teiles von allem Andern, der Nachweis der außerordentlich schwachen Basis dieser ganzen Auffassung vom erkenntnispsychologischen Standpunkt aus!" 10
Ludwig hakt also noch einmal mit Dingler nach. Petzoldt antwortet am 10.2.1920 (VAT) mit einem langen Brief, in dem er seine Konzeption des Mechanik-Vorwortes in extenso entwickelt. Dessen Quintessenz: „die Mechanik Machs [ist] die Hauptquelle für die heutige gewaltige Bewegung der physikalischen Geister." Bevor Ludwig auf diesen Brief antwortete, hatte er eine offenbar entscheidende Begegnung. Unter dem 14.2.1920 notiert Dingler in seinem Tagebuch: „Traf neulich Dr. Ludwig Mach hier auf der Straße [...]. Er sagte in seinem österreichischen] Dialekt: ,Das Buch (die Grundlagen, G. W.) wird Ihnen wie ein Stück Seife in den Mögen follen'." Das ist aus Dinglers Sicht alles über diese Begegnung, und doch glaube ich, daß Ludwig bei diesem kurzen Treffen mit Dingler den Anstoß 10
Keine Frage, daß Ludwig das Buch nicht gelesen hat. Es gibt keinen .mathematischen Teil', sondern nur Dinglers Konzeption einer operativen Begründung der Mathematik. Es gibt auch keine ,historische Darstellung', sondern nur ein einziges, das letzte, Kapitel (7 von 157 Seiten), das die Überschrift „Die Geschichte" trägt. Dort wird Mach kurz erwähnt.
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
dazu erhielt, Petzoldt am 14. 2.1920 (TUB, Pe 43-22) mitzuteilen, er werde nun tatsächlich im Sinne des Vaters Stellung beziehen. Ludwig schreibt: „Alles (d. h. Petzoldts Ausführungen über Mach als Vorläufer der Relativitätstheorie, G. W.) hat mich sehr interessirt —, aber auch mit Wehmuth erfüllt. Ich kann (Hervorhebung im Original, G. W.) vor der Publication des II. Teiles der Optik keine Stellung in seinem Sinn zur Relativität nehmen. Sie werden aber durch Dingler nachdenklich werden. Daß Efinstein] auf Grund der Physikalischen Jugendphilosophie [von] Ε. M. zu seinen Anschauungen gekommen ist, 11 schmälert gewiß nicht sein Verdienst! Mit der Ablenkung des Sternlichtes im Schwerefeld der Sonne muß ich mich speciell noch auseinandersetzen. Wenn Sie sich der Mühe unterziehen, das Programm Ihres Briefes für den Mechanik-Anhang für diesmal zu verwirklichen, dann danke ich Ihnen im Namen meines Vaters" (Hervorhebungen G. W.).
Damit wirft Ludwig dem Miterben Petzoldt den Fehdehandschuh hin, wenn auch vorsichtshalber erst einmal provisorisch. Nur ,für diesmal' dürfe Petzoldt noch tätig werden. Beim nächsten Mal werde Ludwig, der eigentlich ,Erwählte', soweit sein, auch dieses Erbe anzutreten. Die Diadochenkämpfe um das Erbe Machs haben begonnen — auch wenn erst ein Diadoche Miene macht, in die Arena zu steigen. Es wurde gesagt, daß Ludwig vorerst noch provisorisch Petzoldt den Fehdehandschuh zugeworfen habe, denn auch am 14.2.1920 schreibt er nicht klipp und klar, daß er später gegen die Relativitätstheorie arbeiten werde — obwohl die Erwähnung Dinglers und der Duktus der Äußerungen über Einstein das deutlich nahelegen. Ludwig hätte in dieser Situation auch noch ohne größeren Gesichtsverlust zurück gekonnt. Noch am 20.4.1920 (TUB, Pe 43-23) läßt Ludwig im Prinzip alles offen, wenn er an Petzoldt schreibt: „In der letzten Zeit habe ich viel über die Relativität ,experimentell' nachgedacht, speciell auch über die Undulationstheorie des Lichtes — dabei kommen für mich mancherlei 12 Unverständlichkeiten heraus." Das entscheidende Datum der Diadochenkämpfe dürfte einen Tag nach dieser Karte Ludwigs erreicht sein. Es dürfte gleichzeitig die endgültige antirelativistische Festlegung Ludwigs markieren. Ein einziger Satz im 11
12
Obwohl solche Passagen unkommentiert vielleicht am wirkungsvollsten sind, sei doch bemerkt, daß Ludwigs Unkenntnis nur noch von seiner Unverfrorenheit übertroffen wird. Natürlich hat sich Einstein an Machs Mechanik angeschlossen. Lediglich Petzoldts Hinweis in seinem Brief vom 10.2.1920, daß Mach die Idee der Relativität der Trägheit „schon (Hervorhebung G. W.) 1866 und 1872" ausgesprochen habe, hat Ludwigs Reflex mit Machs angeblicher physikalischer Jugendphilosophie' ausgelöst. Die dort geäußerten Grundideen sind im übrigen die gleichen wie die entsprechenden in der Mechanik. ,Manches', .mancherlei' und dergleichen sind die tragenden Ausdrücke, wenn sich Ludwig zur Physik äußert. Welches .manche' gemeint ist, erfährt man nie.
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Tagebuch Dinglers (HDA) macht das klar: „Mi[ttwoch 21. April 1920]. Vormfittags] 10-1 mit Dr. Mach im Theaterkaffee. Versuche besprochen." Die antirelativistische Zusammenarbeit mit Dingler war damit in ein konkretes Stadium getreten. Und trotzdem, am 1.5.1920 scheint Ludwig wieder einmal (oder doch noch immer?) geschwankt zu haben: „Ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie den Anhang in dem von Ihnen entwickelten Sinne bringen. Alles weitere bleibt dann abzuwarten. Ich bin natürlich [!] ganz außer Stande die Relativitäts-Litteratur zu verfolgen. [...] Sommerfeld 13 ist mir ganz und gar nicht gelegen — „Spectrallinien und Atombau", es macht mir den Eindruck von Mephisto's Kartenhaus — doch daraus folgt ja nichts [!]" (Ludwig an Petzoldt, 1. 5.1920 (TUB, Pe 43-24)).
Auch Ludwigs Schreiben an Petzoldt vom 12.5.1920 (TUB, Pe 4327) zeigt noch keine rechte Festigkeit: „Um nun zu Dinglers Buch zu kommen, das ich nur oberflächlich in manchen Teilen lesen konnte, [...] so habe ich seine Ausführungen über Relativität sehr gut gefunden, und meine, daß sich da noch Manches herausstellen wird. Über die Undulations- und Emanationshypothese hätte ich Manches zu sagen! Über all das andere maaße ich mir kein Urteil an."
Es bedurfte noch eines weiteren Einsatzes von Dingler, um das schwankende Rohr Ludwig Mach zu fixieren: „Sajmstag] 5.6. [1920]. Morgfens] zu Ludwig Mach mit ihm 2 St[unden] im Wirtsgarten. Ich soll (außer Petzoldt) Anhang zur 8. Aufl[age] von Machs Mechanik schreiben" (Tagebuch (HDA)). Nun endlich waren alle drei Diadochen in den Kampf einbezogen. Einer freilich glaubte, sich schon wieder in Deckung gebracht zu haben, um dem Kampf der beiden anderen zuzuschauen: Ludwig Mach wollte offenbar den Streit ums Erbe Machs vorläufig von Petzoldt und Dingler austragen lassen, eine Taktik, die bald scheitern sollte. Zwei Tage nach dem Gespräch mit Dingler, am 7. 6.1920 (TUB, ohne Signatur), machte Ludwig Petzoldt (erstmals mit der Anrede ,Werter Herr Professor' statt dem bis dahin seit Jahren stets verwendeten ,Lieber') mit dem Komplott bekannt: „Dingler möchte [sich] als Mathematiker zu einigen Punkten der Principien der Mechanik äußern, und ich meine, es ist dagegen nichts einzuwenden — weil es die Sache von zwei Punkten beleuchten wird und mein Vater neben der Unverändertheit des Textes sonst keinerlei Bedingungen bezüglich der Zusätze stipulirt hat. [...] Ich meine, es würde diesmal (Hervorhebung G. W.) auch sehr gut passen, wenn Sie beide zu Wort kämen, denn was Ε. M. noch
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Dingler hat wohl keinen Menschen so gehaßt wie Arnold Sommerfeld.
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zu sagen hatte [oder: hätte], das kann erst nach dem II. Teil der Optik und nach den Versuchen, die noch zu absolviren wären, aufgenommen werden [...]". Mit Petzoldts langem Antwortbrief vom 10. 6 . 1 9 2 0 (VAT) begann ein Schlagabtausch, den der Taktiker Ludwig wohl nicht erwartet hatte: „Es wäre mir sehr lieb, wenn ich mit Ihnen persönlich sprechen könnte." Petzoldt kann es nicht „verantworten, Dfingler] an dieser Stelle zu Wort kommen zu lassen. Ich muß da Ihnen gegenüber nun ganz offen sein. Ich bin der Ansicht, daß D. das Lebenswerk Ihres Vaters bei weitem nicht genug kennt, um an dieser Stelle zu sprechen. Ich habe die Verpflichtung, darüber zu wachen, daß hier nur im Geiste E. Machs geschrieben wird. [...] Es fehlt da (bei Dingler, G. W.) gewaltig an sorgfältiger Kritik. Ihm fehlt das nonum prematur in annum. [...] Ich fürchte, Sie werden mir nur wenig glauben." Ludwig mußte also feststellen, daß es für ihn keinen Platz auf der Zuschauertribüne gab. Und wieder geriet er ins Schwanken. Dingler notiert unter dem 24. 6 . 1 9 2 0 in seinem Tagebuch (HDA): „Am Freitag [dem 18.6.1920] kam Mach [...]. Er hatte groben Brief von Petzoldft] bekommen, und klappte zusammen, der arme Kerl. Ich verzichtete gern auf meine Mitwirkung, redete ihm aber sehr ins Gewissen, überhaupt eine einseitige Wirkung zuzulassen. Sonntag Vormfittag] besuchte er mich [...] u[nd] sagte, er habe jetzt erkannt, daß sein Vater überhaupt aus dem Tagesstreit ferngehalten werden müsse. War sehr nett. Er ist ein überaus anständiger, feinfühliger Mensch, der für die schweren Nöte des Daseins, denen er ausgesetzt ist, viel zu gut ist." Ludwig Mach hatte, so schien es, noch einmal den K o p f aus der Schlinge ziehen können. Doch nur für ein paar Stunden. A m Nachmittag des ,netten' Sonntagvormittags mit Ludwig waren Dingler Bedenken durch den K o p f gegangen, gegenüber Ludwig zu konziliant gewesen zu sein. In einem sorgfältig konzipierten, dann aber in der Reinschrift doch nicht abgeschickten 14 Einschreibebrief an Ludwig ( 2 0 . 6 . 1 9 2 0 (HDA)) meldet sich der ausgebootete Diadoche Dingler zurück: „Was nun die Angelegenheit der Mechanik angeht, so muß ich, wie von Anfang an, immer wieder betonen, daß es mir der Pietät gegen Ihren Vater strikte zu widersprechen scheint, wenn Herr Petzold[t] diesem Werke eine Änderung oder eine einseitige Orientierung zu geben unternimmt. Nur unter diesem Gesichtspunkt habe ich mich nach anfanglicher Weigerung bereit erklärt, einen Beitrag zu leisten, in dem Gedanken nämlich, diese einseitige Orientierung [...] im An14
Diese Reinschrift trägt von Dinglers Hand die Aufschrift: „Nicht benutzt".
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denken an meinen alten Lehrer und Gönner in etwas [!] wenigstens zu paralysieren [...]. Sie haben, lieber Herr Doktor, durch Ihr generöses und mutiges Anerbieten an mich, das anständigster und hochstehendster Gesinnung entsprang, uns beide in eine etwas verzwickte Lage gebracht."
Dingler befürchtete, daß Ludwig unter Verweis darauf, daß er dazu juristisch berechtigt sei, Dinglers Vorwort gegenüber Petzoldt ins Spiel gebracht habe, dann aber durch eine ^^argumentation Petzoldts „veranlaßt wurde [...], mich wieder auszuschiffen. Das ist natürlich für mich in höchstem Grade blamabel P[etzoldt] gegenüber, denn dieser wird nicht anstehen, von dieser Tatsache öffentlich gegebenenfalls Gebrauch zu machen." Dingler bat Ludwig um eine kurze Mitteilung, daß dieser sich bezüglich seiner juristischen Kompetenz, Mitarbeiter an der Neuauflage der Mechanik zu engagieren, „etwas getäuscht" habe. Damit glaubte er, gegenüber Petzoldt gedeckt zu sein. Wie immer auch Ludwig von Dinglers Nöten Kenntnis erhielt, er schrieb am 1.7.1920 den gewünschten Brief an den ,Werten Herrn Doctor' Dingler (HDA). 15 Alle Forderungen Dinglers aus seinem (nicht abgeschickten) Brief vom 20. 6.1920 sind enthalten. 16 Es zeichnen sich in Ludwigs Brief freilich auch deutlich die Positionen ab, in denen er sich im Kampf der Diadochen einzuigein gedachte. Er stellt die Sache so dar, daß im Sinne des ,Codicills' zum Testament Machs Zusätze anderer erlaubt gewesen seien und er, Ludwig, daraufhin Petzoldt um einen solchen gebeten habe („habe ich aus eigenem in diesem Sinne an Prof. Petzoldt geschrieben"). Nun ist es zwar wahr, daß Petzoldt in dem auch andere Bücher Machs betreffenden ,Codicill' nicht namentlich erwähnt wird. Es ist ferner wahr, daß Ludwig im Jahre 1919 Petzoldt auf die Neuauflage der Mechanik und die Möglichkeit eines Zusatzes von Petzoldts Hand aufmerksam gemacht hatte. Nicht wahr ist aber, daß er dies ,aus eigenem' getan habe, denn Petzoldt hatte dazu ein im Jahre 1904 vertraglich zwischen ihm, Mach und dem Verleger verbrieftes Recht. Das wußte Ludwig natürlich auch (s. u.); denn welchen Rechtstitel sollte Petzoldt sonst haben, wenn Ludwig resigniert gegenüber Dingler weiter feststellen muß: „Petzoldt betrachtet 15
16
Erst im November 1 9 2 0 ging Ludwig bei Dingler zu der gegenüber Petzoldt immer schon gebrauchten Anrede „Lieber . . . " über. — Dingler hat die ganze Angelegenheit so wichtig genommen, daß er Ludwigs Brief abgeschrieben und die Richtigkeit der Abschrift von seiner Frau [!] hat bestätigen lassen. Interessant ist das Datum dieser Bestätigung, der 2 5 . 4 . 1 9 2 1 — 2 Wochen, nachdem Dingler von Ludwig das Typoskript des OpttkVorworts erhalten hatte. Außerdem konnte Dingler befriedigt in seinem Tagebuch (HDA) notieren: „Dofnnerstag] 1 . 7 . 1 9 2 0 abends bis So[nntag] 4. abends in Augsburg. Mach gesehen. Hat Petzold[t] guten Brief geschrieben."
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nun die „Mechanik" als seine Domäne". Überraschend ist auch, daß Ludwig erst am 1 . 7 . 1 9 2 0 gegenüber Dingler (HDA) zu wissen vorgibt, was er immer schon gewußt hatte, daß nämlich Petzoldt Mach als Vorläufer und Wegbereiter der Relativitätstheorie feiern würde: „Nach dem letzten Schreiben P[etzoldts] kann ich nur auf das Tiefste bedauern, daß mein Vorhaben (Dinglers Vorwort, G. W.) vereitelt wurde, zumal es nun ganz klar hervortritt, welche Tendenz dem Anhange Petzoldt's zu Grunde liegen wird." Im Zusammenhang mit dieser kleinen, aber für Dingler sehr wichtigen Querele war Ludwig bezüglich der Einstellung seines Vaters zur Relativitätstheorie wieder ein entscheidendes Stück weitergedrängt worden. Ludwig hat nicht nur am 1 . 7 . 1 9 2 0 den soeben besprochenen, vom Adressaten gewünschten Entlastungsbrief an Dingler geschrieben, sondern zwei Tage vorher ( 2 9 . 6 . 1 9 2 0 (TUB, Pe 43-28)) auch einen Brief an Petzoldt (cf. Anm. 16). Dieser Brief sei hier vollständig angeführt, weil er exemplarisch Ludwigs Unkenntnis und Verwirrung ebenso wie seine Ansprüche erkennen läßt (Hervorhebungen G. W.): „Durch Ihre Ablehnung in Sachen der „Mechanik" haben Sie mich in eine überaus peinliche Lage gebracht. Ich hätte wol nichts dabei gefunden, wenn D[ingler], der ja auch im letzten Vorwort von 1912 erwähnt ist, etwas zu Wort hätte kommen dürfen. Doch das ist nun für immer erledigt, und wie sehr ich auch Ihre Ausführungen, die ich ja erst genau studiren müßte, respectire, so kann ich nur noch einmal sagen: mein Vater hatte nichts Relativistisches im heutigen Sinne (Hervorhebung im Original, G. W.). Er sagte doch nur, daß bei unserer Organisation eine Bewegung nur in Bezug auf etwas Anderes für uns wahrnehmbar wird, eine Masse nur durch eine Wechselwirkung-Beziehung auf andere definirt werden kann. Das gehört in gewissem Sinne mit zu meinen Kindheitserinnerungen, und diese Vorstellungen waren mir so geläufig wie geometrische Sätze. Indessen habe ich bei unseren letzten gemeinsamen optischen Arbeitungen [!] die Gründe seiner kühlen Zurückhaltung kennen gelernt. Nun steht es mir nach den im Vertrags-Nachtrag von 1904 getroffenen Anordnungen natürlich gar nicht χμ, noch irgend etwas sagen, in Erfüllung des Codicilles von 1911, das ich abschriftlich beifüge, lege ich es Ihnen nahe, vielleicht von einem Vorwort abzusehen, nachdem ich bei allen nach seinem Tode erschienenen Auflagen der anderen Werke Alles bis auf die Behebung kleiner Druckversehen unverändert gelassen habe. Nachdem die „Mechanik" weder ein Lehr- noch ein Tagesbuch ist, sondern immer nur von den Wenigen gelesen wird, die sich dafür interessiren 17 , wie 17
Dabei geht es um die 8. deutsche Auflage eines auch in vielen Übersetzungen überaus erfolgreichen Buches.
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sich in diesem Kopf das damalige ,mechanische Weltbild' spiegelte [!], so ist vielleicht diese Tendenz [d. i. Machs] nach Erhaltung des Charakters [des Buches] bis in Einzelheiten verständlich — ohne daß damit Ihren Ausführungen der geringste Zwang angethan wird. Mit der Übersendung der Bücher Dingler's, Orthner's sowie Adler's erwächst Ihnen meines Erachtens doch durchaus nicht die Verpflichtung einer eingehenden Berücksichtigung. Wenn ich nicht allzuschnell meine letzte Reise antrete, so werde ich seine Stellung zur Relativitätstheorie im II. Teil der Optik physikalisch genau praecisiren und werde dann trotz meines obscuren Daseins auch gegen die allgemeine zünftige Schule oder Kirche 18 wie man sie nennen mag im Sinne des Toten zur Klärung der Sache etwas beitragen. Ich hoffe, daß Sie meine offenen Worte nicht mißdeuten werden, ich glaube, sie Ihnen zu schulden und verharre mit freundlichen Grüßen wie immer Ihr ergebener Ludwig Mach." An diesem Brief ist zweierlei bemerkenswert: (1) Ludwigs Bestreben, sich mit Petzoldt gütlich zu einigen. (2) Machs posthume Meinungsbildung in Sachen Relativitätstheorie hat einen wichtigen Schritt von ,leise ironisierender' Zustimmung zu ,kühler Zurückhaltung' getan. Aber, in diesem Brief ist noch nicht v o n Machschen Texten die Rede, die diesen wichtigen Punkt dokumentieren sollen. N o c h immer ist es Ludwig (,ich'), der Machs (,seine') Stellung zu ,praecisiren' und ,im Sinne des Toten zur Klärung der Sache etwas bei [zu] tragen' gedenkt. Auf einem Nebenschauplatz des Diadochenkrieges aber hatte Ludwig in diesen Tagen den entscheidenden Schritt gewagt, wenn auch auf recht ,obscure' Weise. Im Entwurf (29. 6.1920 (VAT)) eines „streng vertraulichen]" Briefes an den MechanikVerleger Brockhaus heißt es, daß Ludwig „es mit allen Mitteln vermeiden möchte, [...] daß Mach Johannes der Wegbereiter für Christus Einstein wird, denn dann wird es [d. h. das Buch, gemeint die Mechanik] ganz damit zusammengeworfen. [...] Zudem nimmt mein Vater in der „Optik" direct eine kritische Stellung gegen die Speculationen dieser Richtung ein — und ich (Hervorhebungen G. W.) bin genötigt, im II. Teil derselben Stellung gegen (Satz bricht ab, G. W.)". O b Ludwig nun den Satz in dem tatsächlich abgeschickten 19 Brief zuendegebracht, oder ob er auf diese doch sehr erstaunliche Passage verzichtet hat — am 29. 6. 1920 ist zum ersten Mal von einem antirelativistischen Text Ernst Machs die Rede. Vermutlich sah Ludwig Mach (cf. die Wendung in der ,Schule oder Kirche' oben) gleichzeitig erste Konturen 18 19
Vgl. die entsprechende Formulierung im Optik-Vorwort! Brockhaus' Antwortbrief vom 7. 6.1920 ist erhalten (VAT).
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des Optik-Vorworts vor seinem geistigen Auge. Wie sehr der scheinbar versöhnliche Ton in Ludwigs Brief an Petzoldt (vom gleichen Tag) eher seine Ohnmacht ausdrückte, etwas gegen diesen ausrichten zu können, und wie klar Ludwig nunmehr die antirelativistische Frontlinie gezogen hatte, zeigen zwei Vorkommnisse: (1) Petzoldts Antwortbrief vom 6. 7.1920 auf den oben angeführten Brief Ludwigs vom 29. 6.1920 befindet sich nicht etwa unter Ludwigs Papieren, sondern im Hugo Dingler-Archiv in Aschaffenburg. Dies ist um so bemerkenswerter, als dieser Brief nicht nur die sachliche Zurückweisung von Thesen Dinglers, sondern auch persönliche Äußerungen über diesen enthält („starke psychische Alteration (Verbitterung oder wer weiß was)"). (2) In einem Brief an Brockhaus (vom 9.7.1920, Entwurf (VAT)) erkundigt sich Ludwig nach rechtlichen Möglichkeiten gegen Petzoldt. Brockhaus hatte offensichtlich kein Interesse, sich in die Diadochenkämpfe einzumischen. Deshalb mußte Syndiadoche Dingler Rechtsrat besorgen. 20 Mit Dinglers Hilfe fordert Ludwig in einem Einschreiben am 7.8.1920 (Entwurf (VAT)) unter Berufung auf sein testamentarisches Recht, über die Unversehrtheit der Texte zu wachen, von Brockhaus, daß Petzoldts Name vom Titelblatt der 8. Auflage der Mechanik entfernt und Petzoldts Vorwort zurückgezogen werde. 21 Zwar sei Petzoldt zu einem Anhang berechtigt. Aber: „Vom Titel bis zum Schluß des Registers bedeutet jede räumliche Einschaltung eine Änderung des Textes, die nach Anordnung des Autors zu unterbleiben hat." Ferner teilt Ludwig mit, daß er „es als aussichtslos betrachten" müsse, sich „mit Prof. P[etzoldt] auseinanderzusetzen". Brockhaus lehnte in einem langen Brief vom 10.8.1920 (VAT) Ludwigs Forderungen freundlich, aber bestimmt ab. Ludwig erreichte lediglich, daß der Schlußsatz von Petzoldts Vorwort gestrichen wurde, in dem dieser Ludwig für die „sorgfältige Durchsicht des Textes [...] herzlich" gedankt hatte. Die Münchener Diadochen hatten die erste Runde des Kampfes um das Erbe Machs verloren. Gedemütigt und erbittert sank Ludwig krank 20
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In (HDA) befindet sich ein Zettel mit entsprechenden Notizen von Dinglers Hand. Am Freitag, dem 6. 8.1920, vermerkt Dinglers Tagebuch (HDA): „Mit L. Mach in Restauration. Brockhaus' Briefe. Zu Rechtsanwalt Böhm. Nicht da. Safmstag] 7.8. l l h mit Mach zu Böhm. Darnach mit Mach Brief an Brockhaus abgefaßt." Ludwig hatte möglicherweise die Idee, seinen antirelativistischen Ausfall des OptikVorworts (1921) schon im Vorwort der 8. Auflage der Mechanik. (1920) vorzutragen. Auf einem Notizzettel mit der Überschrift „Mechanik" (VAT), der einige technische Bemerkungen zum Druck enthält, heißt es: „Vorwort Bezug auf die Relativität. Kultur und Mechanik Schlußzeile."
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darnieder und malte seinen T o d an die Wand. In einem als vielleicht letzte A b r e c h n u n g mit Petzoldt gedachten Brief ( E n t w u r f ( V A T ) ) , schreibt er am 22.8.1920: „Werter Herr Professor! Ich bin zur Zeit schwer erkrankt und hätte Ihnen bei dem mich höchst befremdenden Verhalten, das Sie bei Veranstaltung der 8. Auflage gezeigt haben, noch Folgendes zu sagen. Mein Vater hat mich ausdrücklich und wiederholt beauftragt, dafür zu sorgen, daß bei einer Neuauflage der Mechanik auch Dingler zu Wort käme, weil er für eine ausgesprochen relativist. Färbung dieses Werkes gelegentlich unserer letzten gemeinschaftlichen Versuche fürchte. Die Form wie dies zu geschehen hat, [ist] mir, dem Erben der Autorrechte, überlassen. Vielleicht habe ich es da versehen — das will ich gerne zugeben. Jedenfalls mußte ich aus Ihrer consequenten Ablehnung ersehen, daß Sie ganz im Gegensatz zu Mach keine andere Meinung neben sich dulden und sich damit die letzten Befürchtungen meines Vaters rechtfertigten. Durch eine schon längere [!], schleichende Krankheit [gestrichen: schwer leidend] habe ich diesmal nachgegeben, sollte ich aber noch eine Auflage erleben, dann seien Sie versichert, daß ich mich nicht wieder auf die Seite schieben lasse, sondern mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln dem Wunsch des Verstorbenen in irgendeiner Form Geltung verschaffen werde. — Sollte ich aber nicht mehr sein und Sie freie Bahn haben — dann hoffe ich von Ihrem Billigkeitsgefühl, daß Sie dem Wunsch des Toten wenigstens einigermaaßen Rechnung tragen — und nun entbiete ich Ihnen ohne Groll vielleicht zum letzten Mal einen Gruß." S o schlimm sollte es nicht k o m m e n . L u d w i g hatte noch über 30 J a h r e zu leben und bald Gelegenheit, ,alle ihm zu G e b o t e stehenden Mittel' einzusetzen.
§ 44
Diadochenkämpfe
um das Erbe Machs. Zweite
Runde
In den Auseinandersetzungen zwischen Berlin und München trat zunächst einmal eine kleine Verschnaufpause ein. In einem Brief v o m 2 1 . 1 2 . 1 9 2 2 , der auch in einer halb stenographierenden Abschrift D i n g l e r s erhalten ist ( H D A ) , versuchte Petzoldt wieder K o n t a k t mit L u d w i g aufzunehmen. Petzoldt war v o r allem über die Rolle D i n g l e r s beunruhigt. E r bemühte sich, L u d w i g in geradezu rührender Weise detailliert d a v o n zu überzeugen, daß Dingler v o m Werk Machs „ n u r außerordentlich w e n i g " kenne. D a b e i greift Petzoldt wohl als erster Reichenbachs D i n g l e r - A r g u ment (cf. oben § 35, 256) auf: „Ich möchte Sie nun aber doch freundlichst bitten, teilen Sie mir den ganzen Zusammenhang mit und zwar ganz offen und rückhaltlos! Ich werde den
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Gedanken nicht los, daß D[ingler] Ihrem Vater gegenüber gegen mich Stellung genommen hat, und daß vielleicht auch darauf mit die scharfe Wendung gegen die Relativitätstheorie im Vorwort zur Optik zurückzuführen ist, die gegen den ganzen Geist des Lebens Werkes von Ernst Mach erfolgt ist."
Ludwigs Antwort an Petzoldt vom 13.1.1923 ((TUB) Pe 43-31), die auch in einer Abschrift Dinglers (HDA) sowie in zwei Entwürfen Ludwigs (VAT) erhalten ist, ist sehr aufschlußreich, weil sich hier neben der üblichen Verwirrtheit deutlich eine Berührungsangst vor der Wahrheit zeigt, die manchen Äußerungen Ludwigs eigentümlich ist (Hervorhebungen G. W.): „Bei unseren Experimenten habe ich wiederholt Widersinniges und Unstimmigkeiten nicht nur abgelehnt, sondern auch aufzudecken versucht, und so entstand auf dieser zunächst rein physikalischen Basis (bei wem?, G. W.) eine neue Stellungnahme in den bewußten Fragen."
An diesem Satz Ludwigs zeigt sich trotz des Optik-Vorworts seine Hemmung, geradeheraus die Unwahrheit zu sagen. Er suggeriert sie zwar deutlich, sagt sie aber nicht. Das wird klar, wenn man den Wortlaut des abgeschickten Briefes (s. o.) mit einem der Entwürfe (VAT) vergleicht. Dort lautet die letzte Passage des zitierten Textes so: „und so entstand auf dieser rein physikalischen Basis die Ablehnung". ,Die Ablehnung' hat Ludwig gestrichen und im abgeschickten Brief durch ,eine neue Stellungnahme' ersetzt. Dabei wäre ,Ablehnung' im Blick auf das Optik-Vorwort gewiß der treffende Ausdruck gewesen. Hier wie auch sonst drückt sich Ludwig um eine klare Stellungnahme herum, etwa in der Form: Ernst Mach hat aus den und den Gründen die Relativitätstheorie abgelehnt. Inzwischen kam die 9. Auflage der Mechanik in Gang. Zur Überraschung Petzoldts, aber getreu seiner Drohung vom 22. 8.1920 (s. o. § 43), nahm Ludwig ,mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln' die Auseinandersetzungen wieder auf, indem er in einer von ihm selbst gezeichneten „Erklärung an die Leser" 1 die Ansichten Dinglers darstellte. Diese ,Erklärung' sollte als Vorwort der 9. Auflage dienen. Petzoldt lehnt in einem langen, fast verzweifelt argumentierenden Brief die Aufnahme der Erklärung' in die Mechanik rundweg ab: „Ich kann es nicht verantworten. Ich möchte Sie aber im Interesse des Andenkens Ihres Vaters auch ebenso herzlich und dringend bitten, dieses Manuskript überhaupt nicht zu veröffentlichen. Sie würden mich damit zwingen, meine Ansicht zu meiner Rechtfertigung bekannt zu geben, daß nach meiner Meinung Ernst Mach nicht mehr in der Lage gewesen ist, sich die 1
Die .Erklärung' ist vermutlich nicht erhalten.
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Rel[ativitäts]th[eorie] so anzueignen, daß er ein vollwertiges Urteil hätte abgeben können. Sie schrieben mir im Juli 1914 nach Garmisch 2 , als ich die Absicht ausgesprochen hatte, Ihren Vater auf meiner Rückreise zu besuchen: ,Der Mann, an den Sie denken, lebt gar nicht mehr', und für wie geschädigt seine Gesundheit Sie hielten, geht doch auch daraus hervor, daß Sie ihm viele Monate die Mitteilung vorenthielten, daß wir im Kriege stünden. Sollen nun diese Dinge heute in den schon so wie so unerquicklichen Streit um die Rel[ativitäts]th[eorie] geworfen werden? Ich weiß ganz genau, daß Ihr Vater bei voller Gesundheit heute von Leuten wie Lenard, Gehrcke und den anderen weit abrücken würde, die in so unglaublicher Weise einen wissenschaftlichen Streit in eine breite, eines Urteils ganz unfähige, Öffentlichkeit gezogen haben, die niedrigste antisemitische Agitation (damals in der Berliner Philharmonie) nicht gescheut haben" (Petzoldt an Ludwig, 18.5.1923 (VAT)). 3 Erst jetzt, also mitten in der wieder entfachten Auseinandersetzung, rückt Ludwig mit seiner neuen Version des gescheiterten Petzoldt-Besuchs bei Mach im Juli 1 9 1 4 heraus: „Wenn Sie aus der Formulierung meines Schreibens von 1914 die damalige Insufficienz E. Mach's nachweisen wollen, so mögen Sie schon heute wissen, daß ich in seinem Auftrage wegen tatsächlich bestehender quälender körperlicher Zustände Ihren Besuch ablehnte. 4 Leider aber bin ich im Interesse der Wahrheit genötigt, Ihnen heute mitzuteilen, daß sein hauptsächlichster Beweggrund war, mit Ihnen über die Relativität nicht mehr sprechen zu müssen" (Ludwig an Petzoldt, 4. 6.1923 ((TUB), Pe 43-22)). Nun hatten die Anwälte das Wort. Ludwig aber hatte aus seiner Niederlage in der ersten Runde der Diadochenkämpfe eine wichtige Lehre gezogen. Die Münchener Bataillone hatten sich als zu schwach erwiesen. Das sollte nicht noch einmal passieren! Ende 1922/Anfang 1923 nahm Ludwig Verbindung zu den führenden K ö p f e n der antisemitisch orientierten Anti-Relativitäts- bzw. Anti-Einstein-Bewegung in Deutschland auf. Dabei dürfte er einem Rat Dinglers gefolgt sein. Freilich hat sich Ludwig, soweit feststellbar, mit den Zielen und Methoden der Anti-Einstein-Bewegung nicht identifiziert. Er kannte sie vielleicht nicht einmal genau. Es hat vielmehr den Anschein, daß er die führenden K ö p f e dieser Bewegung für seine eigenen Zwecke einspannen wollte. Im September 1922 versuchte
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Cf. § 3 8 , 311 Anm. Brockhaus Schloß sich Petzoldts Ablehnung von Ludwigs .Erklärung' an. Über die von Petzoldt angesprochenen Auseinandersetzungen, die von einem gewissen Paul Weyland organisiert wurden, berichtet ζ. B. Frank (1949), 269 ff. Womit Ludwig den Vater (cf. dessen Brief an Petzoldt v o m 1 9 . 8 . 1 9 1 4 , oben § 38, 310) als Lügner hinstellt.
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er über Ernst Gehrcke 5 , einen ,,gute[n] Berliner Experimentalphysiker" (Frank (1949), 271 f.), sich mit seiner Unterschrift in eine von Philipp Lenard 6 inszenierte Pressekampagne gegen die Teilnahme Einsteins an der hundertsten Jahresversammlung der „Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte" im September 1922 in Leipzig einzureihen. Gehrcke mußte Ludwig allerdings mitteilen (Karte vom 4.10.1922 (Poststempel) (ULS)), daß seine „Erklärung der Beitretung zu dem Protest" erst eingetroffen sei, „als der Protest bereits an die Tagespresse verschickt war." 7 Zu Philipp Lenard nahm Ludwig im Frühjahr 1923 Kontakt auf. Dies offensichtlich mit seiner Standardbemerkung, Ernst Mach hätte an einer Broschüre von Lenard Gefallen gefunden, wenn ihm noch das Glück beschieden gewesen wäre, ihr Erscheinen zu erleben. Lenard antwortete dem „Sehr geehrte[n] Herr[n] Kollege[n]" Ludwig Mach (8. 3.1923 (ULS)): „Ihre Nachrichten haben mich sehr erfreut, ganz besonders auch, daß Sie meinen, Ihr Herr Vater würde Gefallen gefunden haben an meinem Durchbruch aus der Öde der ,Rel[ativitäts]theorie'. Die Frage, inwiefern treffender Weise E. Mach in Verbindung mit dieser ,Theorie' zu nennen sei, hat mich auch schon beschäftigt und ich würde sehr gern wissen, was etwa die eigene Meinung Ihres Herrn Vaters gewesen sein mochte. Mir scheint es, daß er eben an der Herausarbeitung der Grundlagen sehr beteiligt war, auf welchen man hätte solchen mathematischen Trug wie diese ,Theorie' nicht errichten sollen."
Nach dieser, was das Verhältnis Machs zur Herausbildung der Relativitätstheorie betrifft, hellsichtigen und zutreffenden Bemerkung dokumentiert Lenard, wie sehr ihm der Antisemitismus schon den Blick getrübt hat. „Ich habe es in der Tat immer sehr bedauert, Ihren Herrn Vater bei meinen Besuchen auf der Durchreise nie getroffen zu haben. Was war wohl sein letztes Leiden? Ich stelle mir vor, daß — der Geistesrichtung nach — Ihre Familie nordischer Abstammung sein müßte. Es sind das die jetzt fast ausgestorbenen Menschen, die in sich etwas finden und nicht ihren Weg nach Maaßgabe der
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Ernst Gehrcke (1878 - 1 9 6 0 ) arbeitete 1901 - 1 9 4 6 an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und ab 1950 am jetzigen Deutschen Amt für Maß und Gewicht in Berlin (cf. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Mannheim/Wien/Zürich, Bd. 9 (1973)). Ab spätestens 1920 war Gehrcke führend in der Anti-Einstein-Kampagne tätig. Philipp Lenard (1862 — 1947) war zweifellos der wissenschaftlich bedeutendste unter den Gegnern Einsteins. Er war ab 1907 Professor in Heidelberg. 1905 erhielt er für seine Arbeiten über Kathodenstrahlen den Nobelpreis. Später war er Initiator der gegen eine angeblich .jüdische Physik' gerichteten „Deutschen Physik" (so der Titel seines vierbändigen Werkes (1936/1937)) (cf. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Mannheim/Wien/ Zürich, Bd. 14 (1975)). Aus Gehrckes Karte geht hervor, daß ganze 19 Unterschriften zusammengekommen waren.
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Anderen suchen, — sofern sie nicht (wie ζ. B. die große Menge der Schweden) von dem alles überwuchernden Fremdgeist zu sehr vergiftet sind. Aber freilich, ich habe E. Mach leider nie gesehen; ich wollte, daß doch sein Bild den neuen Optik-Band um ein besonderes Interesse bereichern möchte."8
Damit waren die Hilfstruppen aufgestellt, um an der Seite der Münchener Diadochen in den Kampf zu ziehen. Die Taktik war die gleiche wie beim ersten Mal. Sie sollte nur konsequenter angewendet werden. Am 18.7.1923 (Entwurf (ULS)) schreibt Ludwig dem „verehrte[n] Meister" Lenard: „Mein Vater hat 1901 in einer schwachen Stunde während ich von Wien länger abwesend war, Prof. Petzoldt in Spandau mit der Herausgabe der Mechanik betraut [...]." 9 Ludwig berichtet sodann von seiner Niederlage im Kampf um die 8. Auflage der Mechanik. „Die wissenschaftliche Welt soll also überhaupt von der Meinung E. M.'s nichts mehr erfahren, die Mechanik ist Territorium des Herrn Pfetzoldt] — er versteht das ganz allein, das sehr unbequeme, aber nicht zu unterdrückende, Vorwort von Optik I wird philosophisch auf die Seite geschoben. Ich bin der Herausgeber aller sonstigen Schriften meines Vaters und muß nun zu meinem Leidwesen sehen wie die „Mechanik" in der relativistischen Küche verarbeitet wird. Mein Berater10 sagt mir, es bestünde noch die eine Möglichkeit, auf Brockhaus einen ganz colossalen Druck auszuüben, wenn ich auf Grund eines Gutachtens (richtig wohl: auf ein Gutachten) einer Capaz[ität] mich stützend meiner Behauptung, daß die Urheberrechte verletzt seien Nachdruck geben könnte. [...]
Wenn man sagen kann, daß durch das Petzoldt[-]Nachwort dem Werk eine gan% einseitige Deutung, ein anderer Sinn gegeben wird wie ohne dieses Nachwort, dann wäre das Buch zu retten."
Ein ähnlicher Brief ging unter gleichem Datum (18. 7. 1923 (Entwurf (ULS)) an Gehrcke. — Noch im Juli 1923 wurden die Gutachten fertig (vollständiger Text als Beilage 6 bzw. 7). Ihr Resultat ist dürftig. Gehrcke findet den Übergang vom Text der Mechanik zum Nachwort Petzoldts „peinlich" und fühlt dadurch seinen „Geschmack an dem ganzen Buch beeinträchtigt". Lenard ist ausführlicher und kommt zu einem Ergebnis, von dem der Leser des vorliegenden Buchs sofort bemerkt, daß Baron Münchhausen seine Freude daran gehabt hätte: Petzoldts Nachtrag zur Mechanik verleihe dem Werk „eine ganz einseitige Deutung", weil Mach 8
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Ich befürchte, Machs Aussehen stand in einem gewissen Kontrast zu Lenards Ideal des ,nordischen' Menschen. Man beachte, daß Petzoldt sich bereits im Mai 1901 für Machs Angebot hinsichtlich der Mechanik bedankte (cf. oben § 19, 174), daß aber die auf Initiative Machs zustandegekommene vertragliche Fixierung erst im Februar/März 1904 erfolgte (ebd., 175). Das ist wohl Dingler.
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im Gegensatz zu Petzoldts Darstellung ein Gegner der Relativitätstheorie war. Woher weiß man das? Es steht im Optik-Vorwort! Die Anwälte von Ludwig und Brockhaus korrespondierten weiter (Briefe in (VAT)). Zwar waren seine Truppen nach Ludwigs Meinung bestens in Stellung gebracht, doch das Signal für den Beginn der Schlacht mußte von Brockhaus kommen. Denn erst gegen den beginnenden Druck der 9. Auflage konnte Ludwig gerichtlich vorgehen. Es geschah aber nichts. Am 10. 3.1925 (VAT) schrieb Brockhaus an Ludwigs Anwalt, daß noch genügend Exemplare der 8. Auflage der Mechanik vorhanden seien. Er, Brockhaus, habe am 29. 9.1922 Ludwig „absichtlich so frühzeitig" auf eine Neuauflage angesprochen, „da ich nach den Erfahrungen bei der 8. Auflage — und wie sich gezeigt hat leider mit Recht — angenommen habe, daß es längerer Vorverhandlungen bedürfen würde, ehe ein Neudruck des Werkes stattfinden könnte." Ludwig war enttäuscht. Doch bot sich in anderer Weise eine neue Gelegenheit. Ludwig gelang es, in Heft 41 (vom 8.10.1926) des 14. Bandes der „Naturwissenschaften" eine kurze Ankündigung des Erscheinens der 5. Auflage von Erkenntnis und. Irrtum einzurücken. Dort heißt es (a. a. O., 933): „Obwohl mancherlei mir zugegangene Schriften und Briefe 11 Vorschläge und wertvolles Material zu einem Anhang enthalten, glaube ich für diesmal noch von der Beifügung eines solchen absehen zu können. Sollte es späterhin zu Erweiterungen in Anhangsform kommen, so ist es der ausdrückliche Wunsch des Verfassers], daß dies möglichst unter Beteiligung verschiedener Richtungen geschieht, unter keinen Umständen aber durch Ausschließung Einzelner und durch einseitige Beleuchtung eine dem Verfasser] ganz fern liegende gewaltsame Deutung seiner Anschauungen nach einer jeweils herrschenden Richtung gegeben werde, wie ich dies bei der 8. Auflage der Mechanik leider nicht verhindern konnte."
Petzoldt war empört und schickte eine lange Rechtfertigung an Einstein, die auch gedruckt werden sollte (EAP). Sie enthält jene Informationen über den Zustand Ernst Machs, mit deren Veröffentlichung Petzoldt Ludwig Mach am 18. Mai 1923 gedroht hatte, falls dieser sein Vorwort veröffentlichen würde. Aus nicht bekannten Gründen scheint Petzoldt dieses Papier dann doch nicht publiziert zu haben. — 1929 starb Joseph Petzoldt. Der Kampf um die Mechanik war mit seinem Tod jedoch noch nicht beendet. Im Jahre 1930 kam zum zweiten Mal eine 9. Auflage der Mechanik ins Gespräch. Ludwigs Ziel war das gleiche: Petzoldts Anhang zu eliminieren. 11
Man beachte den Anklang an das Optik Vorwort.
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Die Aussichten dafür standen nach dem Tod des konkurrierenden Diadochen natürlich günstig. Ein Bruder von Petzoldt, Ingenieur Walther Petzoldt in Zwickau (Sachsen), war dessen Erbe. Allein der Umstand, sich nun (indirekt) mit diesem Manne herumschlagen zu müssen, erbitterte Ludwig. Auf einem datierten (5.7.1930) Notizzettel mit der Überschrift „Brockhaus" notiert der 62jährige Ludwig (VAT): „3. Auch eine ,Wissenschaft', die jedem anderen das Maul verbindet, und auch dem Sohne das Recht nimmt, die letzten Äußerungen des Autors den Lesern zu übermitteln! Dogma. (Dinglfer] ist i[n der] Mechanik genannt). 4. Dagegen die Rechte der ,Erben' des Prof. Pfetzoldt], vielleicht wird die Frau ,Sopherl vom Naschmarkt' 12 noch delegirt. (Man ist also verurteilt, den Mist mitzuschleppen.)" Trotz des Todes von Petzoldt war Brockhaus nicht bereit, sich den Forderungen Ludwig Machs zu beugen. Der Austausch der Rechtsanwälte führte sogar auf Ludwigs Seite zu der Einsicht, „daß er [d. i. Ludwig] keinen Rechtsanspruch darauf hat, daß Professor Dingler und er in einer Ausgabe der Mechanik zu Worte kommen. Seine diesbezüglichen Ersuchen wandten sich an das Billigkeitsgefühl des Herausgebers und des Verlegers. [...] Da Herausgeber und Verleger diese Ersuchen abgelehnt haben, hat es dabei sein Bewenden" (Rechtsanwälte Dr. Wilhelm Diess & Ernst Gottscho, München, an Brockhaus, 16.7.1930, Durchschlag (VAT)). Aber: Ludwig besitze einen Rechtsanspruch auf die Entfernung von Petzoldts Anhang. Die Anwälte korrespondierten noch knapp zwei Jahre, bis der Streit prozeßreif war. Mit einem Antrag vom 2 9 . 4 . 1 9 3 2 beim Landgericht Leipzig (VAT) beantragte Ludwigs Anwalt für seinen Mandanten „Dr. Ludwig Mach, Schriftsteller" die Bewilligung des Armenrechts. Die Klageschrift Mach ./. Brockhaus (VAT) trägt das gleiche Datum. Dort heißt es gegen Petzoldts relativistische ,Umdeutung': „In Wirklichkeit [!] hat aber E. Mach öffentlich [!] und privat [!] wiederholt [!] erklärt, daß er durchaus falsch verstanden werde, wenn man ihm die Rolle des Wegbereiters der Relativitätstheorie zuweise. Ja er hat wiederholt [!] in drastischer Weise die Relativitätstheorie als wissenschaftlichen Irrtum abgelehnt."
12
Der „Naschmarkt" existiert noch heute in Wien. ,Frau Sopherl' galt als eine der „berühmten Naschmarkttypen [...] v o r allem ihres Mundwerks wegen" (R. Waissenberger, Eine Metropole der Jahrhundertwende, in: ders. (ed.), Wien 1870 — 1930. Traum und Wirklichkeit, Salzburg/Wien 1984, 18).
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
Ingenieur Walther Petzoldt machte einen Vorschlag zur Güte: er verzichte auf Honoraransprüche und auf den Anhang seines Bruders, „wenn sich Herr Dr. Mach dazu verpflichtet, irgendwelche Ergänzungen anderer Gelehrter (also Dinglers, G. W.) in das Werk nicht aufzunehmen" (Abschrift eines Briefes W. Petzoldts durch den Brockhaus-Anwalt an Ludwigs Vertreter vom 23. 6.1932 (VAT)). Ludwigs Bereitschaft zur Annahme dieses Vorschlags erhielt wohl durch einen Beschluß der „5. Ferienzivilkammer" des Leipziger Landgerichts vom 24.7.1932 (VAT) die entscheidende Förderung: „In Sachen Dr. Mach ./. Brockhaus Verlag wird die Bewilligung des Armenrechts für den Kläger abgelehnt, weil die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet." Ludwig legte dem Verlag ein von ihm verfaßtes Vorwort zur 9. Auflage zur Kontrolle vor, das er aber noch einmal überarbeiten mußte.13 Am 31.3.1933 teilte Brockhaus Ludwig mit (VAT): „Die neue Auflage der „Mechanik" ist fertiggestellt." Sie erschien mit Ludwigs Vorwort, aber ohne Petzoldts Anhang. Das Vorwort ist in seiner inhaltsleeren, weitschweifigen, assoziativen Verwirrtheit (die angeblichen Mach-Zitate stellen einen Höhepunkt von Ludwigs desorientierter Prosa dar) und vor allem im Selbstverständnis des Verfassers echter Ludwig Mach. Es bringt (nach dem Optik-Vorwort) die zweite und letzte negative Äußerung zur Relativitätstheorie, die Ludwig unter dem Namen seines Vaters publiziert hatte: „Die Ausgabe letzter Hand war die siebente vom Jahre 1912: nachdem die achte von dem inzwischen leider verstorbenen Professor Jos. Petzoldt im Jahre 1921 veranstaltet wurde, erscheint nach langer Pause jetzt eine neunte des im Jahre 1883 erstmals aufgelegten Werkes. Es werden für den Leserkreis der „Mechanik" die auf diese sich beziehenden Äußerungen des Autors aus seinen letzten Lebensjahren nicht ohne Interesse sein, zumal das Vorwort der 1921 erschienenen „Physikalischen Optik" in seinen auf die Relativitätstheorie sich beziehenden Bemerkungen überrascht hat. Als einziger Gefährte des in diesen Jahren schwer leidenden Autors teile ich einige dieser Äußerungen hier mit. Ich muß dazu auf den Stand der Dinge Ausgang 1915 verweisen; soweit die einschlägige Literatur noch zugänglich war. ,Schon in jungen Jahren war ich durch meine ständige Selbstanalyse oder Kritik relativistisch, wie man es heute nennt, eingestellt und hätte diese Dinge vielleicht weiter verfolgen können, aber weniger von meinen eigenen Gedanken eingenommen, interessierte mich vorerst der Ausblick, das Hinaustreten aus den Schranken der Vergangenheit, aus dem Bannkreis, den naturgemäß große 13
Ludwigs Anwalt an Ludwig am 2 4 . 9 . 1 9 3 2 (VAT): „Der Verlag macht mich wohl mit Recht darauf aufmerksam, daß der Absatz 2 des Entwurfes noch einer Überarbeitung bedarf, um verständlich zu sein."
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Denker um sich ziehen, und deshalb haben mich gleichzeitig allgemeine sinnesphysiologische und psychologische Fragen stets lebhaft beschäftigt.' ,Und dann, man lebt nur einmal, und ich wollte von der Welt, soweit sie mir eben zugänglich war, möglichst viel haben und war außerstande, mein Leben mit einem Gedanken auszufüllen — hauszuhalten 3 '.' Zweifellos war der Begründer der ,Kritischen Physik', wie ihn H. Dingler nennt, an der Herausarbeitung der Grundlagen, auf denen die Relativitätstheorie später aufgebaut wurde, hervorragend beteiligt; bei der ungemein raschen Entwicklung derselben lag aber doch so viel die Tatsachen Vergewaltigendes vor, daß er sich nicht unbedingt anschließen konnte. ,Ich habe die Newton'schen Prinzipien nicht als Vollkommenes, Abgeschlossenes angesehen, ich kann aber auf meine alten Tage die Relativität ebenso wenig wie die Existenz der Atome und so manches andere als Dogma hinnehmen. Nichts lag mir ferner, wie Schule zu machen, im Gegenteil, meine unwiderstehliche Neigung, außerhalb der Heeresstraße zu wandern, stand dem entgegen, bedingte ein weitgehendes Verständnis für Andersdenkende, ohne denselben deshalb Gefolgschaft zu leisten, denn nichts ist förderlicher wie die durch Widerspruch geweckten Zweifel.' Soweit meine in sehr frühe Zeiten zurückgehende Erinnerung reicht und auch seine Korrespondenz besonders mit Ludwig Lange 1 4 beweist, war der 14
Ludwig zählt in diesem Vorwort alle seine späteren Kontaktpersonen aus dem Relativitätsbereich auf (bis auf Gehrcke und Adler). Dazu gehört auch der unglückliche Ludwig Lange (1863—1936), der Erfinder des Begriffs ,Inertialsystem' (cf. M., 232f.). Lange brachte damit „das von Copernikus, Kepler, Newton nicht vollständig gelöste Problem des physikalischen Bezugssystems so weit zum Abschluß [...], daß erst die Einsteinsche Relativitätstheorie etwas Neues hinzufügte" (v. Laue (1948), 193). Kurz nach seiner hervorragenden Schrift (Lange (1886)) wurde Lange wegen schwerer manisch-depressiver Zustände in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert. Sein immer wieder von langen Klinikaufenthalten (Thonberg (1887), Tübingen (1896), Göppingen (1914-1917), Winnental (1917 — 1926), (1928), Weinsberg (ab 1934), unterbrochenes Leben endete in der Heil- und Pflegeanstalt Weißenhof bei Weinsberg (Württemberg) (Dr. D. Lorenzen danke ich für seine Genehmigung zur Einsicht in Langes Krankenakte). Als der Erfolg der Relativitätstheorie offenkundig war, bemühte sich Lange in rührender Weise darum, daß auch seine Verdienste ein wenig gewürdigt würden. In diesem Sinne hatte er sich an Einstein gewandt, traf ihn und war glücklich darüber, „daß ich am Nachmittag des 12. August, über Nacht und am Vormittag des 13. August v[origen] Jfahres] den Vorzug genießen durfte, in Benzigen (Südwürttemberg, im Pfarrhaus des katholischen Geistlichen, Einstein-Freundes und Reichstagsabgeordneten des Zentrums, Camillo Brandhuber, G. W.) Ihr Gast zu sein" (EAP). Ludwig hatte zu einem mir nicht bekannten Zeitpunkt Kontakt zu Lange bekommen. Im Laufe der Korrespondenz (ULS) übersandte Lange eine Reihe von Memoranden zur Relativitätstheorie. Er hat Ludwig 1925 auch einmal besucht. Nach dem Tode Petzoldts, der „die Gelegenheit benutzt hat, die Einsteinsache zu fördern, für die Ihr Vater keineswegs eingenommen war", bot Lange „für den genannten Fall (der Neuauflage der Mechanik, G. W.) meine Dienste ergebenst an [...]" (Lange an Ludwig, 4.10.1929 (ULS)). Ende 1929 drängte Lange auf einen neuen Besuchstermin bei Ludwig. Der immerhin 66jährige Lange schrieb: „Ich logire, wenn es darauf ankommt, nicht selten in Jugendherbergen, da ich Mitglied des DJH-Verbandes bin, und fühle mich bei einem Minimum von Komfort sauwohl." Inzwischen versuchte
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie ausschließlich seiner Arbeit Lebende von dem rückhaltlosen elementaren Drang nach persönlicher Klarheit beherrscht. Zur Aufdeckung der Schwächen der klassischen Mechanik gehörte damals ebensoviel Mut und Selbstlosigkeit wie heute zur Ablehnung moderner Richtungen. Der Denkökonom, der den Tod nur als „Untergang einer denkökonomischen Einheit" wertete, konnte der Mathematik und der Theorie nur die Rolle von Werkzeugen der Aufklärung im physikalischen Weltbild zuerkennen. Umstände, deren Erörterung unterbleiben kann, nötigen mich hier zur Kürze und Abstandnahme v o n weiteren Ausführungen; doch bin ich auf Grund teilweise noch gemeinsam gewonnener experimenteller Einsichten und nach den Jahren Zusammenarbeitens gewiß, daß P. Lenards b ) originelle in Neuland führende Studie und ebenso die, bei voller Wertung der mathematischen Untersuchungen von ernstestem Ringen nach Wirklichkeit durchdrungene Schrift G. von Gleichst, 1 5 den Beifall Ernst Machs gefunden hätte. München-Vaterstetten, Januar 1933. Dr. Ludwig Mach [Anmerkungen] a) Ε. M. wurde der Vorwurf „grandioser Einseitigkeit" gemacht, der wohl bei der Mannigfaltigkeit seiner Untersuchungen und Einstellung auf die verschiedensten Dinge (vgl. H. Henning: Ε. M. als Philosoph, Physiker und Psycholog) kaum ernst zu nehmen ist. Auf die liebevoll vertiefte Studie von Dr. Robert Bouvier, La Pensee d'E. Mach, sei auch noch hingewiesen. b) P. Lenard: Über Äther und Uräther. Leipzig 1922. c) Gerold von Gleich: Einsteins Relativitätstheorien und [die] Physikalische Wirklichkeit, Leipzig 1930."
15
Lange angeblich, Ludwigs in Amerika gescheitertes ,Mikrobuch'-Projekt bei der Stuttgarter Firma Bosch voranzubringen und gab Ludwig gute Ratschläge, wie aus der Finanzklemme herauszukommen sei (unter anderem Einrichtung eines kleinen Sanatoriums). „Nur freilich, wer soll, da Sie unverheiratet sind [!], den Haushalt führen?" (Lange an Ludwig, 16.12.1929 (ULS)). Langes Besuchswunsch verdichtete sich in der Folgezeit dahingehend, daß er den Plan faßte, überhaupt ganz zu Ludwig nach Vaterstetten überzusiedeln. In einem Brief vom 19.6.1931 (ULS) legte er (nach einem vorherigen Lokaltermin, bei dem Ludwig offenbar nicht anwesend war) detailliert dar, wie er sich die Gestaltung und Heizung seines Zimmers vorstellte. Auf dem Kuvert dieses Briefes (vorher nicht und später nicht wieder) verlieh Lange Ludwig Mach den Grad eines Dr. phil. („Herrn Dr. med. & phil. Ludwig Mach, Schriftsteller"), mit dessen Annahme Ludwig sich, wie wir sahen, noch einige Jahre Zeit gelassen hat. Aus der Übersiedlung wurde nichts. Lange gehörte jedoch zu den ersten aus Ludwig Machs Korrespondentenkreis, die vom Tod Felix Machs (cf. oben § 36, 282), erfuhren: Am 4. 8.1933 (ULS) schrieb Lange, der seit Jahren einen erbitterten Kampf in Kalenderfragen, speziell um die .richtige' Festlegung des Osterdatums führte, an Ludwig: Unter Verweis auf verschiedene Heiligenfeste im Zusammenhang mit Felix' Tod erbrachte er den tröstlichen Nachweis, „daß, diesen kalendariographischen Feststellungen zufolge, der ,auf Ihrem Hause ruhende Fluch', gerade durch das Martyrium des lieben Verstorbenen endgiltig gebrochen und sich in einen Segen zu verwandeln auf dem Wege ist." Lange sollte Unrecht behalten. Gerold von Gleich, ein pensionierter General, der 1916 als Generalstabschef der 6. türkischen Armee in der Gegend von Bagdad operiert hatte (Brief an Ludwig, 3. 5.1933 (ULS)), dürfte (vermutlich durch Vermittlung Dinglers) erst im Jahre 1932 zu Ludwig in Beziehung getreten sein.
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Die Diadochenkämpfe waren mit dem Erscheinen der 9. Auflage der Mechanik im Frühjahr 1933 beendet. Erstmals wohl im Jahre 1963 erschien bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (.Darmstadt) „Mit Genehmigung des Verlages Ε Α. Brockhaus Wiesbaden" ein „unveränderter fotomechanischer Nachdruck der 9. Auflage 1933" der Mechanik. Bis heute trägt dieses klassische Werk den eigenmächtig gestutzten Titel: „Die Mechanik. Historisch-kritisch dargestellt".
§ 45
Der zweite Band der Optik — ein Phantom
Das Optik-Vorwort enthält die Ankündigung, die diversen Gründe für Machs angebliche Ablehnung der Relativitätstheorie würden in einem zweiten Band dieses Werkes ,kurz' dargestellt werden. Wenn auch alles für Ludwig als Verfasser des Optik-Vorworts spricht, so könnte es doch sein, daß Mach sich nach emphatischen Äußerungen für die Relativitätstheorie in seinem Brief an Petzoldt vom 1. 5.1914 (cf. oben § 19, 186) die Sache anders überlegt und sich in den von Krankheit bestimmten knapp zwei letzten Jahren seines Lebens zum Gegner der Relativitätstheorie gewandelt hat. Wie wir sahen, versuchte Ludwig ja gerade durch die fast stereotype Wendung von den ,letzten gemeinschaftlichen Versuchen', die Machs ,kühle Zurückhaltung' offenbart hätten, dem Optik-Vorwort einen Hauch von Echtheit zu verleihen. Es wäre also denkbar, daß Mach in den letzten Monaten seines Lebens das oder die antirelativistischen Kapitel des 2. Bandes der Optik geschrieben und Ludwig später im Vorgriff auf diese Kapitel das Optik-Vorwort verfaßt hätte. Abgesehen von der Absurdität der Annahme, Mach habe sich zu diesem Zeitpunkt noch zugetraut, .Revolution' oder besser Konterrevolution zu machen (cf. Vorwort zur 7. Auflage der Mechanik (1912) in: Μ., XVII), dürften die Reste seiner Arbeitskraft jedoch durch die Fertigstellung von Kultur und Mechanik, des Beitrags zur Jerusalem-Festschrift (Mach (1915 a)) und des letzten populären Aufsatzes (P., 613 ff.) absorbiert gewesen sein. Daß Mach noch zu nennenswerten experimentellen Aktivitäten imstande gewesen sein sollte, ist völlig undenkbar, selbst wenn man von Ludwigs bewegten Klagen über den Zustand des Vaters in diesen beiden Jahren auch nur die Hälfte für bare Münze nimmt. Wenn damit eigentlich schon auszuschließen ist, daß Mach in seinen letzten zwei Jahren gegen die Relativitätstheorie gearbeitet hat, so macht es doch ein anderer Umstand notwendig, das Thema , 1 Optik IF hier ausführlicher zu behandeln.
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Herneck ((1966 a), 54) teilt „nach brieflicher Mitteilung von Frau Anna Karma Mach, der Schwiegertochter und Nachlaßverwalterin Ernst Machs" (a. a. O. 59, Anm. 19), mit, daß „Ludwig Mach 1944 — drei Jahrzehnte nach den gemeinsamen Arbeiten zur Prüfung der experimentellen Grundlagen der Relativitätstheorie — sämtliche Versuchsprotokolle und alle Vorarbeiten für den zweiten Band der „Optik" in einem Anfall von Verzweiflung vernichtet hat." 1
Dieser Darstellung Anna Karma Machs steht eine andere entgegen, die 25 Jahre vor Hernecks Beitrag, also in wesentlich größerer Nähe zu dem angeblichen Ereignis, erfolgte. In der Einleitung wurde bereits Dinglers Tagebucheintrag vom 14.11.1951 (HDA) wiedergegeben: „Gestern [...] bei Frau Karma Mach in Vaterstetten, da Ludwig M. vor ca. 2 Monaten starb. Ich brachte ganz vorsichtig das Gespräch auf den versprochenen 2. Bd. der Optik. Vor allem: das M[anu]sk[ri]pt ist da. Sie erzählte, er habe es immer vernichten wollen, aber sie habe es ihm aus den Augen geräumt. Sie hat einen gewissen ,Dr.' Ulzheimer [...]. Der will .weiterarbeiten'."
Dazu der Tagebucheintrag vom 12.12.1951: „Heute bei Dr. Ulzheimer in Τ. H. [...]. Er erzählte, Frau Mach habe das M[anu]sk[ri]pt des 2. Bandes der Optik von Ernst Mach gesucht, aber nicht gefunden bisher. Ludwig Mach hatte ja geschrieben, er werde es verbrennen."
Hier scheint ein Widerspruch zu bestehen, der sich jedoch leicht auflösen läßt. Tatsächlich hatte Ludwig, wie wir noch sehen werden, schon in den 30er Jahren mit dem Verbrennen von Papieren gedroht. Es gibt jedoch keinen Beweis dafür, daß er tatsächlich je etwas verbrannt hat. Wenn Anna Karma Mach am 13.11.1951 mitteilte, der zweite Band der Optik sei an Dr. Ulsenheimer gegangen, dann tat sie dies in dem Glauben, daß die Ulsenheimer kurz vorher überreichten Papiere den zweiten Band der Optik enthielten. 2 Ulsenheimer hat am 29.12.1951 eine „zusammenfassende Stellungnahme über die übernommenen technischen Arbeiten des Herrn Dr. Dr. L. Mach (An mich durch Frau Mach gegeben am 30.10. und 11.12.1951)" (VAT) verfaßt. Dort heißt es (S. 2): „Die große Arbeit, die in diesem Verzeichnis (Anna Karma Machs vom 11.12.1951, G. W.) nicht aufgeführt ist, fehlt ebenfalls und wird wegen der Wichtigkeit derselben hier mit angeführt." Auf Seite 5 seines Papiers notiert Ulsenhei1
2
Auch Thiele (ed.) ((1978), 235) spricht — wohl gestützt auf Herneck — v o n „der Vernichtung der Unterlagen". Man beachte, daß Anna Karma Mach nichts mit Wissenschaft zu tun hatte.
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mer: „VII. Wissenschaftliche Unterlägen. 1. Kleinere Gedankensplitter und einzelne Blätter der großen Arbeit (jedoch vollkommen ohne Zusammenhang.) 2. Relativität. 3. Kultur und Mechanik. 4. Sekundärinterferenzringe. 2, 3, 4 sind Gedanken von Erst Mach mit Ergänzungen und Anmerkungen von Ludwig Mach." 3 Damit ist klar, daß Anna Karma Mach im November 1951 glaubte, Ulsenheimer den zweiten Band der Optik übergeben zu haben, während Ulsenheimer seinerseits im Dezember wußte, daß das, was Anna Karma Mach ihm gegeben hatte, nicht der zweite Band der Optik war. Es ist anzunehmen, daß Ulsenheimer dies Anna Karma später auch mitgeteilt hat. Daraus ergibt sich, daß Anna Karma Mach Herneck vermutlich keine Beobachtung über die Vernichtung des Manuskripts von Optik II mitgeteilt hat, sondern einen Schluß darauf. Man denke noch einmal daran, daß Ludwig von Vernichten und Verbrennen geredet hatte. Vielleicht hat Ludwig auch tatsächlich etwas verbrannt. Denn er hat wohl, wie wir sahen, in Sachen Relativität experimentiert. Es ist gut denkbar, daß hierüber mehr Notizzettel existiert haben, als heute noch vorhanden sind. Vor allem fehlen praktisch vollständig Aufzeichnungen über Versuchsresultate.4 Es ist also durchaus möglich, daß Ludwig, als er durch das Abholzen der Bäume auf seinem Grundstück sein ,Lebenswerk' vernichtet sah, diese Papiere verbrannte. Noch näher liegt möglicherweise der Gedanke, daß der alte Mann erkannt hatte, daß sein Lebensziel, eine seinem Namen würdige Leistung zu vollbringen, gescheitert war. Die Dokumente dieses Scheiterns sollten vernichtet werden. Daß Ludwig Papiere des Vaters verbrannt haben könnte, möchte ich ausschließen. Selbst wenn es also Aufzeichnungen Ludwig Machs gegeben haben sollte, die er verbrannt hat, so stehen diese in keinerlei Zusammenhang mit einem Manuskript zur Optik II von Ernst Mach. Ein zweiter Band der Optik von Ernst Mach ist vielmehr ein Phantom, dessen Ursprung, 3
4
Daß auch Punkt 2 (Relativität) von Ernst Mach stamme, darf man nicht so ernst nehmen. Ulsenheimer dürfte kaum Zeit gehabt haben, alles genau durchzuschauen. Außerdem war er ausschließlich an Patentsachen interessiert. So ist ihm ζ. B. offenbar entgangen, daß Kultur und Mechanik zum größten Teil Ludwigs Werk war. Es gibt in der Tat in (ULS) eine Mappe mit der Aufschrift „Relativität". Sie enthält allerdings nur Ludwig Langes Papiere, die Briefe von Lenard, Gehrcke und v. Gleich sowie Notizblätter Ludwigs. Mit der .großen Arbeit' war wohl die Optik II gemeint. Es besagt nicht viel, daß Ludwig im Münchener Prozeß bei einem Lokaltermin des Oberlandesgerichts nach seinen Aufzeichnungen zur Optik II gefragt, zur offensichtlichen Erheiterung der Juristen antwortete: „Die feinsten Aufschreibungen haben wir im K o p f ' (Urteil, 11, Beilage 9). Denn hätte er zugegeben, die Aufzeichnungen verbrannt zu haben, dann hätte er natürlich keinen Schadenersatz dafür fordern können, daß nach dem Fällen der Bäume auf seinem Grundstück die Optik II nun nicht mehr zu vollenden sei.
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
Werden und Vergehen wir uns nunmehr zuwenden wollen. Die früheste bekannte Spur dieses Phantoms findet sich in einem Notizbuch Ludwigs (ULS). Zwischen den Datenangaben „27. Febr. 1916" und „1. November 1916", auf jeden Fall also nach Machs Tod, findet man nach editionstechnischen Notizen zur Optik den beidseitig doppelt angestrichenen Eintrag: „Reflexion? Strahlung Relativität
mit neuen Experimenten und allgemeinen Schlußfolgerungen
soll der II. Teil sein."
Ende November 1919 taucht das Phantom erstmals im Briefwechsel auf, und zwar mit dem Optik-Verleger Meiner (Verlagshaus Barth). Zur Entschuldigung für die Verzögerung beim Druck der Optik führt Ludwig am 29.11.1919 (Entwurf (VAT)) an: „Die Sonnentage des verflossenen Sommers habe ich zu optischen Versuchen verwendet, die im Auftrage des Verfassers vor der Drucklegung zu erfolgen hatten und für ein Kapitel sowie für die Fortsetzung des Werkes von Bedeutung sind." Verleger Meiner, der um das Manuskript des ersten Bandes schon genug zu kämpfen hatte, ignorierte die Ankündigung des zweiten. Indirekt wurde die Optik II am 31.6.1920 (Entwurf (VAT)) noch einmal erwähnt, als Ludwig bei Meiner um eine Honorarzusendung bat, „da ich durch rasches Zugreifen momentan die Gelegenheit hätte, mir einige Behelfe zu Experimenten in Sachen der .Relativitätstheorie' vorteilhaft, d. h. noch erschwinglich zu sichern. Ich kann mich des Gefühles nicht erwehren, daß ich auch nicht mehr lange sein werde und eilen muß, mein Tagwerk abzuschließen."
Auch hier keine Reaktion Meiners. Vermutlich im Oktober 1921 hat Ludwig den zweiten Band der Optik gegenüber Meiner dann erneut zur Sprache gebracht. Meiner, der offenbar Ludwig inzwischen gut kannte, antwortete am 22.10.1921 (VAT): „Ich danke Ihnen bestens für Ihre Mitteilung bzgl. des zweiten Bandes der ,Optik'. Danach dürfte wohl noch viel Wasser die Isar entlanglaufen, ehe derselbe fertig wird." Besonders interessant ist die Fortsetzung dieses Satzes: „und es ist dann wohl auch ein Werk, das zwar die Gedanken Ihres verstorbe-
nen Vaters wiedergibt, aber wenig von seinem Manuskript au/weist (Hervorhebung G. W.). Es ist schade, daß Sie im [Optik-]Vorwort, wo schon eine Anmerkung ist, nichts über den zweiten Band gesagt haben, denn ich werde jetzt oft danach gefragt, und weiß auch nach den jetzigen Mitteilungen nicht recht, was ich erwidern soll. Wenn Sie mit dem Manuskript so weit sind, haben Sie wohl die Güte, mich zu benachrichtigen."
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Hofrat Meiner legt hier mit dem nüchternen Sinn des Verlegers den Finger auf eine wunde Stelle, die sich in allen, insofern ehrlichen Äußerungen Ludwigs zur Optik II findet (das Optik-Vorwort ausgenommen): daß nämlich er es ist, der für die Optik II erst noch Experimente zu machen und damit das Buch, soweit die Relativitätstheorie betroffen ist, erst noch t(u schreiben habe. Das ist die Bedeutung der vielen in den voraufgegangenen Paragraphen zitierten Äußerungen Ludwigs, er könne erst in ,SEINEM Sinn' Stellung nehmen, wenn er die geplanten Experimente durchgeführt habe. Etwas anderes hat Ludwig (vom Optik-Vorwort abgesehen) eigentlich nie gesagt. Es bedurfte des nüchternen Blicks des Geschäftsmannes Meiner, um zu erkennen, was sich Leuten wie Dingler auf Grund antirelativistischer Verblendung und alten Freunden Machs wie Friedrich Adler und Robert Lowie (neben diesen auch wieder Dingler) aus rührender Hilfsbereitschaft, vielleicht auch aus Nachsicht gegenüber dem armen Teufel Ludwig, verschloß: Selbst wenn es etwas Schriftliches von Ernst Mach zur Relativitätstheorie gegeben haben sollte, mußte die eigentliche Arbeit von Ludwig erst noch geleistet werden. 5 Was für einen Sinn sollte es auch gehabt haben, wenn sich Mach in seinen letzten Lebensmonaten mühsam an der Schreibmaschine Gedanken über eine experimentelle Falsifikation der Relativitätstheorie gemacht hätte, ohne die Experimente auszuführen bzw. auch nur im Traum daran denken zu dürfen, sie jemals noch ausführen zu können. Denn daß ein Positivresultat des Michelsonversuchs oder ein anderes Ergebnis des Fizeauexperiments oder neue Daten zur Aberration Probleme für die Relativitätstheorie bringen würden, ist trivial. 6 Mach brauchte das nicht eigens aufzuschreiben. Was bleibt, ist die Möglichkeit, daß er in seinen letzten Monaten in dem schon früher erwähnten Sinne auf die Vorläufigkeit auch der Relativitätstheorie hingewiesen hat. Und dies vielleicht auch so, daß er eine Wiederholung des Michelsonversuchs für wünschenswert erachtete.7 5
6
7
Auch Pfaff, der ja nicht auf der Jagd nach Phantomen reich geworden war, scheint darüber nicht im Zweifel gewesen zu sein (cf. oben § 42, 349 f.). Die Annahme, daß Mach die Messung einer relativistischen Ablenkung von Lichtstrahlen durch Baumstämme jemals auch nur ernsthaft erwogen haben könnte, ist abwegig. F. Poske hatte sich in einem Dankbrief für den interferometrischen Beitrag (der beiden Machs) zur Jerusalem-Festschrift (Mach (1915 a)) ähnlich ausgesprochen: „Ich bewundere die Subtilität der beschriebenen Versuche, die gewiß auch zu einer kritischen Wiederholung des Michelsonschen Experiments geeignet gewesen wäre[n]" (Poske an Mach, 2 8 . 1 1 . 1 9 1 5 (EMA)). Der Brief befand sich in einer Mappe von Briefen an Ludwig Mach. Es ist mir nicht gelungen, den wissenschaftlichen Nachlaß Poskes (1852 — 1925), der 41 Jahre als Lehrer am Askanischen Gymnasium (Berlin) wirkte, aufzufinden. Bei meinen Bemühun-
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Auf Meiners Einschätzung der Verfasserschaft der Optik II antwortet Ludwig wie folgt (Entwurf, undatiert (VAT)): „Bezüglich des zweiten Bandes wäre ich wirklich in Verlegenheit, etwas Anderes zu sagen. Es würde in diesem eben so viel von Ε. M. zu finden sein wie im ersten, denn die Arbeit war eine durchaus gemeinschaftliche, und ich habe nur einige Brücken zu bauen. Wenn es mir vergönnt ist, dieses Unternehmen zu beenden, so geschieht dies ganz in seinem Sinne, d. h. einzig und allein um ihrer [sie!] selbst willen, ohne den geringsten materiellen Erfolg oder gar in Erwartung einer Anerkennung der wissenschaftlichen Welt, die für mich gar nicht in Betracht kommt und mir im Grunde genommen (Hervorhebung G. W.) auch längst völlig gleichgiltig ist. Wie schwer es ist von der Feder und dem Zeichenstift zu leben — geschweige denn noch außerdem eine so schwierige Materie zu bearbeiten, ist zur Genüge bekannt. Die Fußnote in's Vorwort setzte ich auf Ihr Verlangen und zu Ihrer Deckung — hatte aber gar keine Veranlassung von dem zweiten Bande und dem Weitern zu sprechen." 8
In diesen Sätzen im Tone eines Mannes, der aller Eitelkeit der Welt längst entsagt hat, kommen, wenn auch überwiegend ex negativo, die drei Motive zur Sprache, die Ludwig in das Relativitätsdesaster hineingeführt haben: Das Erbenmotiv, Geld und Ruhm. Es ist gewiß maßlos übertrieben, wenn Ludwig behauptet, das Phantom Optik II sei in gleichem Maße ein jGemeinschaftswerk' wie die Optik? Andererseits ist Ludwigs Behauptung, daß Optik II ein gemeinschaftliches Werk sei, nicht ganz falsch. Um dies zu erkennen, gilt es herauszufinden, was denn eigentlich im zweiten Band der Optik hätte stehen sollen oder wenigstens stehen können. Zuvor sei jedoch ein anderer Umstand erwähnt, der für Ludwigs, seine Möglichkeiten bei weitem übersteigenden Plan wie auch für sein Scheitern in wirtschaftlichen Dingen wohl nicht unbedeutend ist. In einem längeren Tagebucheintrag (15.10.1921, Tagebuch Nr. 7 (HDA)) notiert Dingler unter dem Stichwort „Enttäuschung mit Ludwig Mach" unter anderem: „Ich habe einen starken Verdacht, daß er Morphinist ist." Ende 1925 wandte sich Ludwig in einer schweren finanziellen und
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gen war mir Herr Marc Roger d'Heureusc (Berlin), Herausgeber der „Askanischen Blätter", dankenswerterweise sehr behiflich. In diesem Punkt sind sowohl Meiner als auch Ludwig nicht genau. Entgegen Meiners Meinung ist im Text des Optik-Vorworts und nicht in einer Fußnote zum Text vom zweiten Band der Optik die Rede. Ludwig erwähnt richtig, daß er eine Fußnote (über die Verzögerung des Drucks der Optik) auf Verlangen Meiners eingerückt habe. Ludwig hat die Tatsache, daß er die Optik zum Druck gebracht und dabei die Kapitelüberschriften geschrieben und Zeichnungen angefertigt hat, wohl stark überschätzt. Auch daß die Interferenz einen Schwerpunkt der Optik bildet, kann doch nicht heißen, daß Mach nur in einem eingeschränkten Sinne ihr Verfasser ist.
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persönlichen Krise hilfesuchend an Dingler. Unter „Mo[ntag] 16. XI." (1925) schreibt Dingler (Tagebuch Nr. 10 (HDA)): ,,Sa[mstag] [...] 1 / 2 12 h Mach, mit ihm in Caffee Universität. Seine Confession. Völliger pekunfiärer] Zusammenbruch, er ernährt eine große Zahl ihm anhangender, gebrochener Menschen [...] Sofnntag] 2 h nach Solln [...] zu Pfaff, von Mach gesprochen 2 Stunden. Er will ihm ein wenig helfen, auf das Haus (wohl eine Hypothek, G. W.) geht er nicht ein. Es stellt sich heraus, daß Mach mich trotz Confession wieder vielfach angelogen. [...] Sa[mstag] 21. XI. 1925 [...] '/26h mit L. Mach getroffen. Gab ihm Scheck über 500 M[ark] v o n Dr. Pfaff. Langer Spaziergang am Kanal. Es ist kein erfreuliches Geschäft, in dieses Elend so tief zu schauen. Keines seiner Geschwister kann sich selbst erhalten. [...] Mo[ntag] 21. XII. 1925 [...] Heute L. Mach. Gab ihm die zweiten 500 M[ark] von Pfaff. [...] Difenstag] 1 6 . 1 1 . 1 9 2 6 [...] Gestern mit L. Mach. Er ist völlig erledigt. Seine Frau hat ihn ruiniert. Sie lebt einfach gradaus weiter und er hat nichts. Er braucht monatlich 200 M[ark für] Cocain und für noch mehr Insulin für sie."
Dingler notiert seinen ersten Rauschgiftverdacht zwar erst im November 1921, als die erste Runde der Diadochenkämpfe bereits vorbei und für Ludwig verloren war. Seine Notiz erfolgt aber im Rahmen einer Klage über Ludwigs Verhalten in den letzten beiden Jahren überhaupt und ohne jede konkrete Zeitangabe. Nichts spricht deshalb dagegen, daß Ludwig schon länger rauschgiftsüchtig war 1 0 und daß sein Kokainkonsum insbesondere zu euphorischer Uberschätzung der eigenen Möglichkeiten beigetragen hat. Was hatte Ludwig nun im Sinn, als er einen zweiten Band der Optik ins Auge faßte? Wir sahen oben, daß dieser Band nach den frühesten
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Kokain galt zu Ludwig Machs Studienzeit als Heilmittel und wurde speziell zur Lokalanästhesie verwendet. Diese Wirkung wurde 1884 von dem Wiener Augenarzt Karl Koller nachgewiesen. Freud und andere glaubten an eine therapeutische Wirkung bei nervösen Erkrankungen (zu den frühen Warnern vor einem unkritischen Umgang mit Kokain gehörte übrigens Dinglers Großvater, der Chemiker A. Erlenmeyer). Im ersten Weltkrieg und danach gab es eine gigantische Zunahme des Kokainmißbrauchs. Für Ludwig als Arzt war es, jedenfalls vor dem Ende des ersten Weltkriegs, leicht, an Kokain heranzukommen. (Diese Angaben entnehme ich Täschner/Richtberg (1982)). Der Stoff war im Hause Mach offensichtlich auch vorhanden. Jedenfalls hat Ludwig wenigstens einmal (im Oktober 1914) bei der Kathederisierung des Vaters Kokain medizinisch verwendet (cf. Brief Machs an Popper vom 18.10.1914 (SMI)): „Mein Sohn gab mir eine Minimalinjektion von Cocain und spritzte aus Vorsicht sofort Wasser nach." Machs Schilderung der Folgen schließt aus, daß er Kokain noch einmal zu medizinischen Zwecken hat anwenden lassen. — Dinglers Tagebuchtext von 1925 läßt sich auch so interpretieren, daß Regina Mach kokainsüchtig war. Dinglers Suchtvermutung bezüglich Ludwig von 1921 sowie der Duktus des Textes von 1925 legen nahe, daß Ludwig süchtig war.
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Aufzeichnungen von 1916 auch von „Reflexion (?)", „Strahlung" und „Relativität" handeln sollte. Im Optik-Vorwort, der nächsten bekannten Äußerung, ist von „Strahlung, [...] Ablauf der Lichtemission" und „Maxwellsche[r] Theorie" die Rede, die „kurz 11 behandelt werden" sollen. Die nächste und ausführlichste Äußerung Ludwigs befindet sich in einem Notizheft, das wohl während der Finanzierung durch Pfaff, also etwa zwischen Mitte 1921 und 1923, entstanden sein dürfte. Die Aufstellung Ludwigs, die in Beilage 4 vollständig zitiert ist, trägt die Überschrift „Experimentalreihe als Einleitung für den II. Teil der Optik gedacht". Diese Uberschrift ist, wie der Text zeigt, völlig irreführend. Ludwig scheint hier in euphorischer Stimmung alles zusammengetragen zu haben, was ihm zur Optik II eingefallen war. 12 Daß die in diesem Text aufgeworfenen Fragen ohne Antwort keine , Experimentalreihe als Einleitung für den II. Teil der Optik' betreffen, ist klar. Ludwigs ziemlich naives Programm soll nicht im Detail untersucht werden. Es ist offensichtlich, daß fast alle angeführten Punkte mit Interferenz und Interferometrie zu tun haben, dem einzigen Gebiet der Physik also, in dem Ludwig Kenntnisse aufzuweisen hatte. Vor allem zeigt sich dies an dem besonderen Gewicht, das die Kohären^ des Lichts in Ludwigs Aufstellung erhält. Das ist nicht weiter verwunderlich, da nur kohärentes Licht interferenzfahig ist. 13 Da Interferenz das entscheidende Phänomen bei den Experimenten zur Relativitätstheorie und für Ludwig die Relativitätstheorie nur von diesen Experimenten her von Interesse war, läßt sich das Auftreten des Wortes ,Relativität' in seiner ersten Aufstellung zur Optik II von 1916 wie auch im Optik-Vorwort leicht erklären. Auch das mit ,?' versehene Wort ,Reflexion' ist in diesem Zusammenhang zu sehen, 11 12
13
Was soll aber dann ausführlich gebracht werden? Es ist möglich, daß es sich bei diesem Papier um Ludwigs Expose für Pfaff (cf. oben § 42, 348) handelt. Als Kohärenz des Lichts bezeichnet man eine feste Beziehung zwischen den Phasen sich überlagernder Wellen. Nur kohärentes Licht ist interferenzfahig. Natürliches Licht ist infolge seiner Erzeugungsweise nicht kohärent, da sich seine Wellenzüge unregelmäßig ändern. Ferner ist von zwei verschiedenen punktförmigen Lichtquellen (außer Laser) bzw. von zwei verschiedenen Punkten einer ausgedehnten Lichtquelle ausgehendes Licht inkohärent. Es kommt also darauf an, einen einzigen Lichtstrahl (der durch einen sehr kleinen Spalt gehen muß) durch Spiegelung und Brechung in zwei Strahlen zu zerlegen und sodann diese beiden Strahlen interferieren zu lassen. Auf diese Weise ist die Kohärenz gewahrt, da etwaige Phasenschwankungen in beiden Strahlen im gleichen zeitlichen Rhythmus auftreten. Eben deswegen erhält man dann auch räumlich feste Interferenzbilder. Im Falle des .kalten' Laserlichts ist auch Licht von zwei räumlich verschiedenen, sonst aber gleichen Lichtquellen interferenzfahig.
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da bei der interferometrischen Produktion interferenzfähigen Lichts Lichtstrahlen an geeigneten Spiegeln reflektiert werden. 14 Sowohl in der Notiz von 1916 als auch im Optik-Vorwort ist von ,Strahlung' die Rede. Es ist schwer zu sagen, was damit gemeint sein soll. In den schon mehrfach erwähnten Notizen Ludwigs über seine angeblichen Arbeiten im Lauf der Jahrzehnte die er anläßlich des Münchener Prozesses angefertigt hat (ULS), heißt es an einer Stelle (ohne Jahresangabe): „rasch rotirender Glaszylinder, linear polarisirtes Licht. P h o s p h o r o s k o p in Prager Institut. In K ü r z e nochmals die alten Blätter ordnen — sein letztes Gespräch darüber. Fixiren w e g e n Optik. Strahlung fällt weg (Hervorhebung G . W.) — dagegen Lloydscher Versuch 1 5 mit Glasstreifen nicht vergessen — w e n n Steinheil die Streifen wirklich machen kann."
Ludwig scheint also irgendwann die ,Strahlung' aus seinem Projekt der Optik II ausgeschlossen zu haben. Wie sie hineingekommen ist, könnte ein von Ernst Mach frühestens 1912 geschriebenes Blatt erklären (VAT), auf dem Anweisungen für die 5. Auflage der „Populären Vorlesungen" 16 (1923), für die 3. Auflage der Wärmelehre (1919) sowie für die 3. Auflage von Erkenntnis und Irrtum (1917) notiert sind. Dort heißt es: „In die dritte Auflage der Wärmelehre ist aufzunehmen 1. ein Artikel über den zweiten Hauptsatz, Betrachtung] nach Boltzmann, dann nach Muster Popul[äre] Vorlesungen Nr. 26. 2. ein Artikel über Temperatur, Strahlung u.s.w.". Während die Erweiterung der „Populären Vorlesungen" mit Stellenangabe auf schon Publiziertes zurückgreift, ist — wie vor allem die Formulierung des Beitrags über den 2. Hauptsatz zeigt — die Ergänzung der Wärmelehre eine Aufgabe, die Mach sich noch für seine letzten Jahre gestellt hat. Nun hat es nicht den Anschein, daß seine Kräfte zur Erledigung dieser Aufgabe noch ausgereicht haben. Denn Ludwig hätte diese Beiträge, wenn Mach sie noch vollendet hätte, gewiß auch publiziert wie im Falle des letzten Beitrags in der 5. Auflage der „Populären Vorlesungen". Es ist aber möglich, daß Mach Ludwig gegenüber von seinen Ideen gesprochen hat. 14
15 16
Ludwig hatte schon bei Zeiss an Spiegelbeschichtungen aus Magnalium gearbeitet. 1904 hatte er mit seinem Vater eine im Zusammenhang mit Interferenz stehende Abhandlung über Totalreflexion in den Wiener Sitzungsberichten publiziert. Auch Machs Beitrag über Reflexion in einer Festschrift von 1906 erwähnt Ludwigs Mitarbeit (cf. Thieles Bibliographie). Auch der Lloydsche Versuch verwendet die Interferenz des Lichts. So wird P. hier von Mach bezeichnet. Die Aufstellung, deren Reihenfolge von ihm noch handschriftlich korrigiert wurde, enthält alle Zusätze der Auflage von 1923 bis auf den letzten, erst 1916 erschienenen Aufsatz: „Einige vergleichende tier- und menschenpsychologische Skizzen".
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Allerdings lag die über optische Aspekte hinausgehende Behandlung der ,Strahlung' gänzlich außerhalb des auf Interferenz beschränkten physikalischen Gesichtskreises von Ludwig. Kein Wunder also, daß sich der fast 80jährige zu dem kategorischen ,Strahlung fallt weg' entschloß, als er sich ein letztes Mal der ,Interferenz' zuwandte. Ludwigs Erwähnung der ,Maxwellschen Theorie' kann schließlich als Routineangelegenheit betrachtet werden, da im Zusammenhang mit der Relativitätstheorie stets von der Maxwellschen Theorie die Rede sein muß und auch bei Mentor Dingler (ζ. B. Dingler (1919), 109 ff.) von ihr gesprochen wird. Man sieht also, wie sich Ludwigs Äußerungen zur Optik II plausibel in den Kontext Machscher Äußerungen und eigener Prätentionen einordnen lassen. Im Folgenden soll das Schicksal der Optik II oder besser: sollen die hauptsächlichen Stationen von Ludwigs weiteren Äußerungen über dieses Phantom skizzenhaft nachgezeichnet werden. Der zweite Band der Optik ist vor allem in den Briefwechseln mit Adler, Lowie und Dingler sowie in einem Förderungsvorgang der damaligen „Deutschen Forschungsgemeinschaft" präsent. Alle Stationen zeigen auf Ludwigs Seite das gleiche Orchestrationsmuster von bedrängender finanzieller Not, heroischem Verzicht auf eigenen Ruhm und schwer lastender Pflicht des Erben, die ,Aufträge' des Vaters zu erfüllen. Diese Themen werden, über die Jahre nur unwesentlich moduliert, über dem ewig gleichen Cantus firmus bewegter Klagen vorgetragen, dem die Ruder von ,Charons Nachen' den Takt schlagen. Wir hörten diese Töne schon beim Dingler-Pfaff-Projekt des Jahres 1921. Im Jahre 1922 nahm Ludwig zum ersten Mal nach dem Tod des Vaters Kontakt mit R. H. Lowie auf, um über diesen wieder in Verbindung mit der Open Court Company zu gelangen. Seine direkten Versuche waren zuvor gescheitert. 17 Bei dieser Gelegenheit teilte Ludwig mit: „Gegenwärtig bin ich mit der Ergänzung von Versuchsreihen für den II. Teil der Optik beschäftigt" (Ludwig an Lowie, 12.6.1922 (BLB)). Obwohl in diesem Brief vergleichsweise moderat vorgetragen, verstand Lowie Ludwigs finanziellen Wink und machte darauf aufmerksam, daß die von Franz Boas 18 , einem Anthropologen an der Columbia University, geleitete 17
18
Ludwig an Lowie, 12. 6 . 1 9 2 2 (BLB): „Ich bin nun in dem Sinne der Erbe meines Vaters, daß ich seine Aufträge zu vollenden habe, werde aber von The Open Court Publishing Co. ignorirt [...], ich glaube, ein Recht auf eine Antwort zu gaben." Es ging Ludwig um neue Übersetzungen sowie vor allem um 250 Dollar. Franz Boas (1858—1942) stammte aus Deutschland. 1899 wurde er Professor an der Columbia University in New York. Boas war einer der bedeutendsten amerikanischen
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„Gesellschaft für Hülfeleistungen im Interesse deutscher Forscher vielleicht geneigt wäre, Ihnen für die erwähnten physikalischen Arbeiten eine Unterstützung zu gewähren" (Lowie an Ludwig, 2 5 . 7 . 1 9 2 2 (BLB)). Diese Aussicht animierte Ludwig am 1 8 . 1 0 . 1 9 2 2 zu einem langen Brief an Lowie (BLB), der sich episch wie kein zweiter über die Optik II äußert: Seine Eltern seien nach Vaterstetten übersiedelt, „wo wir unsere letzten Untersuchungen über das Wesen und die Natur des Lichtes zu vollenden hofften. [...] Ich habe ihm versprochen, nach Möglichkeit seine Arbeiten zu vollenden. [...] Es ist mir auch gelungen, wenngleich unter nicht geringen Opfern, den ganzen Besitz, die Bibliothek, Instrumente, Werkzeuge, Manuscripte etc. so zu erhalten wie er sie verließ, und diesen Nachlaß will ich auch der wissenschaftlichen Welt vermachen. Was nun speciell die Arbeiten über das Licht betrifft, so haben wir mit denselben schon vor mehr denn 20 Jahren begonnen und es bestand die Absicht, viel tiefer wie bisher in das Wesen des Lichtes einzudringen. Michelson's classische Versuche gaben den Anstoß; damals baute ich als Student meine Interferenzapparate und lernte das väterliche Programm zum ersten Male kennen. Das Bestreben ging darauf hinaus, die Undulations- und Emanationshypothese [des Lichts] versuchsweise durch andere Vorstellungen zu ersetzen — den Lichtproceß als solchen durch Umwege auf das Gebiet der Sinnesphysiologie zu ergründen. Das Problem sollte auf zwei Seiten gepackt werden. Schon auf rein physikalischem Gebiete ergaben sich eine Reihe von Sonderbarkeiten', die mit den landläufigen Vorstellungen über Cohärenz nicht mehr in Einklang zu bringen waren, der Ablauf der Lichtemission, die Fortpflanzung des Lichtes führten bei genauer Durcharbeitung und experimentellen Prüfungen zu mancherlei Unstimmigkeiten. In diese Zeit fallt der Beginn der modernen Relativitätslehre, in die E. Mach durch seine Massendefinition, die Vorstellungen von Raum und Zeit hineingezogen wurde. Wir hofften, daß durch Klärung der Frage über das Wesen des Lichtes die relativistischen Speculationen wenigstens gedämpft würden, als der Krieg dazwischentrat und der Tod bald [!] nach dessen Ausbruch meinen Vater von seinem schweren Leiden erlöste. 19 Auch ich mußte als Eingezogener ,meinen Zoll zahlen' und habe dann den I. Teil der Optik herausgegeben, wogegen ich für den II. noch mancherlei zu arbeiten hätte. Mein Vater hat mir geraten, vor allem die Abhandlungen t(U vollenden und einzeln publiciren und sie erst später %ur Ergänzung und Ausgestaltung des II. Teiles verwenden (Hervorhebung G. W.).
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Anthropologen. Nach dem 1. Weltkrieg gründete er eine Gesellschaft, die durch Forschungsstipendien, Buchspenden usw. der finanziell am Boden liegenden deutschen Wissenschaft wieder aufhelfen sollte. Boas' „Professional Correspondence" in der Library of Congress (Washington, D. C.) legt hiervon ein beeindruckendes Zeugnis ab. — Ludwig konnte sich offenbar letztlich doch nicht entschließen, Boas um finanzielle Hilfe anzugehen. Man beachte, daß Ludwig nicht von irgendwelchen Resultaten der angeblichen gemeinsamen Forschungen redet.
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Bis jetzt habe ich versucht, diese Aufgabe, also sein Vermächtnis, weiter zu führen, ich glaube aber, daß bei der von Tag zu Tag steigenden wirtschaftlichen Not, diesen meinen Bemühungen ein natürliches Ende gesetzt sein wird. Wenn ich auch erst nach langen Gedankenexperimenten wirklich experimentire, so kostet doch jedes Stück Werkzeug, wenige Centimeter Messingdratf!], Chemikalien ganz Unerhörtes, trotzdem ich jeden Behelf selbst ausarbeite, f...] Sie empfahlen mir in Ihrem letzten Briefe, mich an Prof. Franz Boas an der Columbia University im September zu wenden. Das ist nun infolge der ungünstigen Umstände verpaßt — und ich weis nicht, ob ich damit nicht zu viel übernehme, denn bei solchen difficilen Untersuchungen kann man so leicht unterwegs liegen bleiben oder der Tod tritt dazwischen und dann ist das Geld verloren. Man kann so schwer einen greifbaren Erfolg verbürgen, denn nur wenige sind auserwählt (Hervorhebung G. W.). Wenn diese meine Bedenken in Ihren Augen nicht stichhältig sein sollten, so würde ich Sie bitten, mich mit einigen Zeilen der Gesellschaft zu empfehlen, ich würde dann die Optik senden und, wenn nötig [!] ein ungefähres [!] Programm entwickeln. Ich selbst habe trotz mancher Specialarbeiten keinen Namen, man kennt mich nicht, denn das Beste, was ich zu Stande brachte, ist in den Arbeiten meines Vaters investirt. Es ist also gewiß nicht so einfach, da herauszukommen. [...] Ursprünglich wollte ich wie bisher20 alles aus eigener Kraft schaffen; die sich immer mehr zuspitzenden Verhältnisse, die steigenden Schwierigkeiten, die flüchtige Zeit lassen es mir rätlich erscheinen, doch den einen oder anderen kürzenden Weg einzuschlagen. Und so entschloß ich mich heute, Ihnen rasch zu schreiben und Sie zunächst um Ihre Vermittlung bei der Open Court Cfompany] zu bitten [...]." Dieser Brief wurde so ausführlich zitiert, weil er in ganz besonderer Weise deutlich macht, daß L u d w i g trotz allen Wortreichtums in Sachen Optik II nichts in der Hand hatte, außer möglicherweise jenen ,Abhandlungen', die angeblich ,später zur Ergänzung und Ausgestaltung' von Optik II dienen sollten und auf die wir noch zurückkommen werden. In einem Brief vom 2 8 . 1 . 1 9 2 3 (BLB) bestätigt Ludwig nochmals diese Einschätzung: „Unendlich viel geht jetzt zu Grunde, man kann da keine Ausnahme mit sich [selbst] machen — ich habe Alles daran gesetzt, den Nachlaß meines Vaters zu erhalten und seine Aufträge noch durchzuführen, es scheint mir aber ein vergebliches Ringen gewesen zu sein. Unter solchen Umständen hat man keine Pläne mehr, wie tapfer man auch sonst des Lebens Last zu tragen versucht. Bei der kommenden Auflage der „Mechanik"21 werde ich den Lesern die letzten Abschiedsworte E. M.'s an die Deutschen Naturforscher vermitteln. Die Arbeiten über Interferenz und Cohären£ sowie über das Wesen des Lichtes', wie er [ ! ] eine derselben nannte, habe ich, obwohl sie sicherlich in dem jetzigen Zustand 20 21
Man beachte, daß Ludwig schon mehr als ein Jahr auf Pfaffs Lohnliste stand. Die zweite Runde der Diadochenkämpfe war gerade eröffnet worden.
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seinen Beifall finden würden, nun doch zurückstellen müssen (Hervorhebung G. W.). Vielleicht kann ich noch einmal mich zu ihrem Abschluß aufschwingen, wenn Ihre Bemühungen bezüglich der in Aussicht gestellten Spende von Erfolg sind. Große Mittel wären ja eigentlich nicht erforderlich [...]. Ich bin unter diesen Umständen zu einer gewissen Ruhe verurteilt — da mußten Gedankenexperimente und die mathematische Durcharbeitung etwas weiter führen, dann kommt man aber an einen toten Punkt. Da sollte das Experiment einsetzen und alles neu beleben. [...] In der Abgeschiedenheit des Waldes vergesse ich auf das Elend und fühle mich der Natur näher [...]." Die hervorgehobene Passage zeigt deutlich, daß das, was Ludwig in seinem zuvor zitierten Brief an Lowie als Kernstück der Optik II angegeben hatte, allenfalls ein Produkt von Ludwigs Arbeit ist. 22 In rührender Hilfsbereitschaft schickte Lowie 50 Dollar, mit deren Hilfe Ludwig „wenigstens nochmals angefangen" hat und in Aussicht stellte: „vielleicht kann ich diesen Sommer mit den physikalischen Fragen bis zu einem gewissen Punkte abschließen" (Ludwig an Lowie, 3 0 . 4 . 1 9 2 3 (BLB)). Trotz weiterer Klagen Ludwigs konnte Lowie nicht mehr tun; der Briefwechsel schlief vorerst ein. Im Jahre 1926 war eine neue finanzielle Katastrophe in Sicht. Ludwig erinnerte sich nun seines ersten Mentors Friedrich Adler, der inzwischen in der internationalen Sozialdemokratie eine wichtige Rolle spielte: „Nun harren aber noch der II. Band der Optik sowie eine Reihe von Arbeiten des Abschlusses, und nach einem, durch gesundheitliche Heimsuchungen schweren, Sommer überkommt mich der Gedanke, ob mir dies ohne irgend eine Hilfe noch möglich sein wird, ob das Geschick es mir vergönnt, den Nachlaß E. M.'s unangetastet der späteren Zeit zu überliefern. [...] Mir thäte es bitter leid, am Wege liegen zu bleiben, denn irgend etwas Anderes wie die Vollendung der Arbeiten will ich nicht [...]. Ich erlaube mir nun heute die Anfrage, ob die Aussicht bestünde, daß beispielsweise das republikanische Wien mir mit einem unverzinslichen Darlehen — (ich will kein Geschenk, weil bei mir noch die Aussicht auf Rückerstattung besteht) die Vollendung und Herausgabe des Iitterarisehen Nachlasses ermöglichen würde?" (Ludwig an Adler, 21.12.1926 (AAW)). Es fällt auf, daß sich Ludwig gegenüber dem Physiker Adler — anders als gegenüber dem Anthropologen Lowie — mit keinem Wort zum Inhalt der noch zu vollendenden Optik II äußert. Bald ist auch fast nur noch von einer Gesamtausgabe der Werke Machs die Rede, einem Plan, den
22
Es liegen tatsächlich in (VAT) maschinengeschriebene Papiere vor, die als Beilage 5 wiedergegeben werden. Auf diese Weise kann sich der Leser ein Bild vom Niveau dieser Arbeiten machen.
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Adler bei einem Besuch in Vaterstetten im Jahre 1924 entwickelt hatte. Adler wollte Einstein zu einer Aktion bei Verlegern gewinnen. Mit der Taube buchhändlerischen Erfolgs auf dem Dach war Ludwig bei drängenden finanziellen Forderungen (Hypothekarzinsen) in der Hand jedoch nicht geholfen. Adler faßte daher eine rasche Umschuldung ins Auge und konnte Ludwig am 2.3.1927 (Durchschlag (AAW)) mitteilen: „Ich war vorgestern in Berlin und sprach mit Einstein über Ihre Angelegenheit. Und er erklärte sofort, daß man unbedingt einen Weg finden müsse, damit Sie in Ruhe die zwei Jahre Zeit haben, um die Werke Ihres Vaters zu vollenden." Noch im Beisein Adlers schrieb Einstein einen Brief an einen Berliner Bankier, „in dem er das wissenschaftliche Interesse der Sache klarlegte". Adler besuchte Ludwig und war gerührt: „Der Besuch in Ernst Machs letztem Heim hat auf mich einen so starken Eindruck gemacht, daß ich darüber einen kleinen Aufsatz schreiben wollte" (Adler an Ludwig, 25.3.1927, Durchschlag (AAW)). Dieser Plan zerschlug sich ebenso wie die genannte Umschuldungsaktion. Auch der intensive Einsatz 23 von Adler half nichts. Das Scheitern der Hilfsaktion führte Ludwig in einem Brief an Adler (6. 7.1927 (AAW)) darauf zurück, „daß sich jemand von einer Auskunftei in Berliner Auftrag vor Monaten nach meinen Vermögensverhältnissen erkundigt hat — das ist jedenfalls schlimm ausgefallen, denn ich bin arm. [...] Wahrscheinlich werde ich meinen ganz zwecklosen Kampf mit all den Widerwärtigkeiten doch aufgeben — warum den Menschen etwas hinterlassen, was sie [...] füglich nicht verlangen [...]." Es scheint, daß Ludwig zunächst so viel verdient hat, daß er nicht in tiefere Schulden stürzte. 1934 aber war die Hypothek auf Haus und Grundstück in Vaterstetten inklusive Zinsen' auf 15 000 D M (1927 waren es noch 12000 Mark) angewachsen. Ludwig Mach schickte ein ,Frl. Gietl' anläßlich deren Besuchs in Zürich bei Adler vorbei, um dort Hilfe zu erbitten. Noch bevor Ludwig eine Reaktion Adlers in Händen oder mit der Zürich-Reisenden gesprochen hatte, bat er Adler um sofort zu beschaffende 2000 Mark für Rückständige Zinsen': „Es thut mir so furchtbar weh um die Arbeiten, die damit unvollendet, für immer verloren 23
In einem Brief an den Berliner Bankier H u g o Simon (25.6.1927, Durchschlag ( A A W ) ) , schilderte Adler in bewegten Tönen Ludwig und Machs Lebensumstände. Nicht immer ganz korrekt, denn daß Ernst Mach bei seiner Emeritierung „auf seinen Gehalt als Universitätsprofessor [verzichtete], obwohl er dazu nicht genötigt gewesen wäre", ist unzutreffend. Mach hatte zu einem solchen Verzicht keinen Grund und hat ihn auch nicht geleistet. In Anbetracht v o n Adlers unbedingter Wahrheitsliebe ist anzunehmen, daß er eine Information Ludwigs weitergab.
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gehen und so vieles, was E. Mach zwar gesprochen aber nicht geschrieben hat" (Ludwig an Adler, 12.4.1934 (AAW)). Nach ihrer Rückkehr nach München schrieb ,Frl. Gietl' an Adler (22.4.1934 (AAW)) und nannte „RM 1000" als am dringendsten notwendige Summe und empfahl sich taktvoll Adler und seiner „verehrten Frau Gemahlin mit deutschem Gruß." 24 Ludwig sah sich veranlaßt, den wohl ungünstigen Eindruck seiner Helferin zu kompensieren und bezeichnete sie als „stark occult [...] veranlagt"; sie sei ein „rechter [?] Student". Weiter schreibt er (27.4.1934 (AAW)): „Der zweite Band der Optik ist nahezu vollendet (Hervorhebung G. W.) — mit unendlicher Mühe (als Physica Pauperum)." Das freilich sollte nicht heißen, daß Adler hoffen konnte, das Phantom bald einmal zu Gesicht zu bekommen. Denn Ludwig fährt vorsichtshalber fort: „er (d. h. der zweite Band, G. W.) wird zunächst keinen Verleger finden [...]." — Adler konnte zu seinem Bedauern Ludwigs Bitte nicht erfüllen. Wie Ludwig in dieser Situation den Hals noch einmal aus der Schlinge ziehen konnte, ist nicht bekannt. Ein Jahr später aber benötigte er wiederum dringend 1000 Mark. Diesmal erinnerte er sich an Dingler. Es ging darum, daß ein ,Mitarbeiter' 25 „eine Reihe von Verpflichtungen abzudecken hätte", für die Ludwig „moralisch mithaftbar zu machen wäre" (Brief an Dingler, 15.8.1935 (HDA)). Dingler, der sich in diesen Tagen nach seinem Darmstädter Intermezzo als ordentlicher Professor der Philosophie (1932 — 1934) um eine Honorarprofessur und einen Lehrauftrag in München bemühte, war wenig begeistert: „Ludwig Mach hat geschrieben, er will wieder 1000 M[ark] von irgend jemand pumpen. Er kommt morgen früh" (Tagebucheintrag, 19. 8.1935 (HDA) ). 26 Dingler besorgte zwar nicht die erbetenen 1000 Mark, hatte aber wohl die Idee, es einmal bei der damaligen „Deutschen Forschungsgemeinschaft" zu versuchen. Am 14.10. stellte Ludwig, der sich wohl bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal zusätzlich zum Dr. med. den ,Dr. phil.' zulegte, einen Antrag auf Subvention in Höhe von 1500 — 2000 Mark. In diesem Antrag steht zwar manches, nicht aber, wofür das Geld eigentlich verwendet werden sollte. Diese Information enthält stattdessen das Gutachten Dinglers für die „Deutsche Forschungsgemeinschaft" vom 17.11.1935 (HDA):
24
25 26
Adler widmete sich derweil im Rahmen der Sozialistischen Internationale dem Kampf gegen den Nationalsozialismus und der Unterstützung von Sozialdemokraten, die vor den Nationalsozialisten aus Deutschland geflohen waren. Ludwig arbeitete mit diesem Mann vermutlich an Patentprojekten. Über das Gespräch hat Dingler nichts eingetragen.
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„Von dem, was er (d. i. Ludwig, G. W.) in seinem Ihnen übersandten wissenschaftlichen Arbeitsprogramm erwähnt 27 , scheint mir bei weitem das wichtigste die Herausgabe des II. Teils der Mach'schen „Optik" zu sein. 28 [...] Von dieser Fortsetzung [des 1921 publizierten 1. Bandes], dem ,11. Band', existieren nun wie es scheint (Hervorhebung G. W.) erhebliche Vorarbeiten, die L. Mach zur Fertigstellung bringen sollte. Es wäre in verschiedener Hinsicht sehr wünschenswert, wenn diese noch ans Tageslicht treten könnten."
Freilich, Dingler kannte seinen Ludwig Mach: Er schlug in seinem Gutachten vor, „sich von ihm (d. h. Ludwig, G. W.) vorher die s c h r i f t l i che Z u s a g e geben zu lassen, daß er nach bestem Können alles daransetzen wird, um innerhalb eines Jahres mindestens die erste Hälfte der Optik II druckfertig im Manuskript vorlegen zu können". Dinglers Erwartungen waren allerdings auch trotz dieser Maßnahme nicht eben sanguinisch. Unter dem 17.11.1935 schreibt er im Tagebuch: „Gutachten über Ludwig Mach für d[eutsche] Forschungsgesellschaft. Er war 2 mal bei mir. Ein Wrack. Morphinist?". Ludwig erhielt mit Bescheid vom 4.1.1936 (Durchschlag (BÄK, R 73/12 835)) 1500 Mark auf die Hand und als „Beihilfe für die Bestreitung des Lebensunterhaltes [...] außerdem bis auf weiteres ein monatlich zu zahlendes Forschungsstipendium in Höhe von RM 50, — ". Ein Jahr später berichtete Ludwig am 2.1.1937 (HDA) Dingler über den Fortgang der Arbeiten: „Es liegt abermals ein Jahr voller Mühsal und Schwierigkeiten hinter mir und doch ist es mir zu meiner Genugthuung gelungen, den größten Teil der experimentellen Nacharbeiten zur Optik zu bewältigen. Teilweise sind diese Arbeiten weit, über den in Aussicht genommenen Rahmen, hinausgewachsen. Ich bin nun mit der Niederschrift und der weiteren Bearbeitung beschäftigt, und frage an, ob Sie mich bei einigen theoretischen Punkten zu berathen gewillt sind. Trotz Ungunst der Zeiten hat sich die Wiener Akademie bereit erklärt, die Abhandlungen zu drucken, d. h. in ihre Sitzungsberichte aufzunehmen; weil der Druck eines Buches viel länger dauert, ist ja diese Art der Publication schon vor Jahren in Aussicht genommen worden."
Ich glaube, daß es sich bei den erwähnten Abhandlungen um dieselben ,Abhandlungen' handelt, die Ludwig schon 15 Jahre vorher am 18.10.1922 gegenüber Lowie erwähnt hatte. Auch damals sollten sie, allerdings noch auf Anraten Machs, separat publiziert werden und sodann ,zur Ergänzung und Ausgestaltung' der Optik II dienen. Während diese ,Abhandlungen' in der Formulierung des Jahres 1922 also noch als schmückendes Beiwerk 27 28
Dingler hat Ludwigs Antrag entweder nicht gesehen oder ihn ignoriert. Und zwar, aus Dinglers Sicht, wegen der versprochenen Kritik an der Relativitätstheorie.
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zur Optik II ausgegeben werden, hat sich 1937 das Phantom Optik II allmählich auf seinen realen Kern, eben die ,Abhandlungen', reduziert.29 Zwei Jahre nach der Bewilligung durch die „Deutsche Forschungsgemeinschaft" mußte Ludwig am 9.3.1938 mitteilen, er sei „seit vorigen Sommer von einem, immer wiederkehrenden, schweren Augenleiden" so behindert worden, daß er „die Aufstellungen mit Sonnenlicht nicht zur Genüge" habe durchführen können. Gleichwohl beantragte er 200 Mark, „weil ich jetzt noch Zeit zur Vorbereitung für den günstigsten Sonnenstand hätte. [...] Durch meine Krankheit sind alle meine Papiere in solcher Unordnung, daß ich zur Zeit meine Belege für die verschiedenen Aufwendungen erst mühsam in meiner Einsamkeit zusammensuchen muß, was noch Zeit in Anspruch nimmt."
Was daraufhin aus der Förderung geworden ist, läßt sich nicht feststellen. Zur Flankierung der Förderung durch die „Forschungsgemeinschaft" hatte Ludwig eine weitere Aktion gestartet. Nach langen Jahren hatte Lowie wieder Kontakt mit Ludwig aufgenommen: Ein New Yorker Bankhaus hatte Geld „von Prof. L[owie] und Freunden" überweisen lassen30. Ludwig war in seinem Brief vom 29.1.1936 (BLB) 29
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Noch deutlicher wird dies in Ludwigs Bericht an die Forschungsgemeinschaft (28. 3. 37) (BÄK, R 73/12 835): „Durch eine noch mögliche Verschiebung der Abgaben [?] gelang es mir, mit dieser Summe eine Zeit lang auch die experimentellen Arbeiten zu fördern, [...] und damit einen Theil der im II. Bd. der „Physik. Optik" noch offenen Fragen zu lösen. Die von weil. Prof. Rud. Steinheil überlassenen, sehr reichlichen optischen Behelfe, sowie eine kleine, von mir von Jugend [an?] angelegte und ausgebaute mechanische Werkstätte waren eine gewaltige Förderung ohne neue Aufwendungen. So konnte die Untersuchung über den Zusammenhang von Cohaerenz und Abgangswinkel der interferirenden Strahlen bedeutend erweitert {fast abgeschlossen) werden. [...] Die Beendigung dieser Arbeiten, sowie deren math. Behandlung [!], werden noch eine gewisse Zeit erfordern, ebenso wie eine Untersuchung über die möglichen Vorgänge der Lichtperception in der Retina, welche auf eine mit Ε. M. begonnene physiologische Untersuchung (Ludwig spricht eine Abhandlung Machs in den Wiener Sitzungsberichten von 1906 an, G. W.) des Mediciners L. M. zurückgreifen, und zur Aufdeckung des .Wesens des Lichtes' beitragen sollen. Es wäre im Sinne E. M.s, die Ergebnisse, also die Capitel, zunächst auszugsweise als Abhandlungen erscheinen zu lassen [...]" (Hervorhebungen G. W.). Zu den Freunden gehörte auch Albert Einstein. In (EAP) befindet sich eine Anweisung in Höhe von 35 Dollar für Ludwig, die Einstein am 6.1.1936 an das Bankhaus Kurt Werner & Co. in New York richtete. Auf unbekannte Veranlassung schrieb er am 9.4.1946 (ILT) an Hugo Iltis: „Ich würde Ernst Mach's Sohn gerne etwas senden, wenn ich einen Weg wüßte, auf dem dies bewerkstelligt werden könnte. Ferner halte ich es für sehr wünschenswert, wenn ihm die Herausgabe der nachgelassenen Schriften Ernst Mach's möglich gemacht würde. Und ich würde mich gerne an jeder in Betracht kommende[n] Stelle dafür einsetzen."
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„überrascht und auch beschämt, denn ich habe so gar lang nichts von mir hören lassen und doch wollte ich Ihnen längst schreiben, denn [!] am 19. Feb. werden es zwanzig Jahre sein, daß mein Vater Charon's Nachen bestieg. [...] Seit ich Sie in meinem Hause begrüßen durfte, sind Jahre unsäglichen Leides über mich hinweggezogen und nach dem tragischen Tod meines Bruders Felix, meines Arbeits- und Notgenossen's, lebe ich hier als der Letzte des Hauses Mach (Viktor Mach ζ. B. lebte bekanntlich noch, G. W.). Durch all die Vorgänge im Lande sind natürlich auch dem Unpolitischen und Andersdenkenden alle Thüren in die Welt verschlossen. 31 [...] Nun hat man ja in meinem Alter (Ludwig war inzwischen 67, G. W.) weder große Wünsche noch viele Hoffnungen — nur abschließen möchte man, nicht Unfertiges in ewige Nacht versinken lassen!"
Sodann schildert Ludwig seine katastrophale Finanzlage und fragt: „Haben Sie denn durch einen Zufall von mir und meinen Verhältnissen Kenntniß erhalten?" Weiter berichtet er über die Gefahr, das Vaterstettener Haus und damit den ,Arbeitsplatz' zu verlieren. „Kultur und Mechanik ist ganz ausgebaut, der 2. Band der Optik soll erscheinen, ebenso die gesammelten Abhandlungen in zwanglosen Bändchen." Wenig später folgt ein weiterer, optimistischer Bericht (15.2.1936 (BLB)). Es heißt unter anderem: „Die Arbeit über den Ablauf der Lichtemission und die Cohärenz, soll diesen Sommer vollendet sein." Bald scheint sich jedoch Ludwigs Lage dramatisch verschlechtert zu haben. Am 17. 3.1936 (BLB) schickt er einen (wohl nicht von ihm selbst) maschinengeschriebenen Brief an Lowie, der mit einem Preis von dessen Lebensglück „an der Seite einer verständnisvollen und liebenswürdigen Gefährtin" beginnt, sodann noch einmal in nicht ganz zutreffender Weise den Tod von Felix schildert („wurde verhungert und erfroren [...] aufgefunden") und berichtet, daß ,,[a]lle meine Bemühungen, ihn zu retten" an „meiner großen Mittellosigkeit und nicht minder an der Flauheit der Allgemeinheit" gescheitert seien. Als „sozusagen [!] letzte[r] Nachfahre unseres verlöschenden Hauses" habe er „eine Reihe von Arbeiten meines Vaters nach seinen 31
Über Ludwigs Stellung zum Nationalsozialismus ließ sich nichts herausfinden. Während er in seinem Antrag an die „Deutsche Forschungsgemeinschaft" (Präsident war der überzeugte Nationalsozialist und Physik-Nobelpreisträger Johannes Stark) von 1935 den obligatorischen .Deutschen Gruß' nicht verwendet hatte, tritt dieser in den beiden anderen erhaltenen Briefen an die „Forschungsgemeinschaft" zwar auf, wirkt aber in die altösterreichische Formel „Es verharrt ergebenst mit Dank und deutschem Gruß" verpackt doch ein wenig ungelenk. Wie man es richtig, d. h. kurz und zackig machte, hätte Ludwig aus dem Bewilligungsschreiben der „Forschungsgemeinschaft" lernen können: „Mit deutschem Gruß, Heil Hitler!" In seiner sonstigen Korrespondenz verwendet Ludwig ausschließlich zivile Formeln, was für einen Nationalsozialisten sehr ungewöhnlich gewesen wäre.
Der zweite Band der Optik
— ein Phantom
393
strikten Weisungen hin n o c h zu vollenden und ebenso einige v o n mir selbst b e g o n n e n e und teilweise publizierte Arbeiten zu E n d e zu führen." N a c h einem Bericht über vergebliche S u b v e n t i o n s b e m ü h u n g e n heißt es: „Und nun komme ich auf den Gedanken, ob es Ihnen nicht möglich wäre, im Kreise Ihrer Freunde und Bekannten und dem Rahmen Ihrer, einen so berühmten Namen [d. i. Berkeley] tragenden Universität, in dem Sinn Interesse zu erwecken, daß durch Entlastung meiner Person von finanziellen Sorgen bis zum Ende dieses Jahres die Möglichkeit gegeben wäre, wenigstens einen Abschluß der literarischen Arbeiten [...] herbeizuführen. [...] Es wollte der reine Zufall, daß ich knapp vor Eintreffen Ihres Briefes, in einer überaus günstigen und klaren Nacht ein langgesuchtes Phänomen, welches sozusagen als der Schlußstein der langen Beobachtungsreihe angesehen werden kann, endlich gefunden habe. [Daß] diese Arbeiten, welche bestimmt sind, zuerst als Abhandlungen zu erscheinen, dann aber den Grundstock des 2. Bandes der physikalischen Optik bilden (Hervorhebung G. W.), das Interesse weitester auch ausländischer Kreise finden würden, ist wohl nicht in Zweifel zu ziehen." Ein Betrag v o n 3000 —4000 Mark, so L u d w i g weiter, würde ihn „in die Lage [...] versetzen, meine vorher erwähnten Arbeiten auch wirklich zu E n d e zu führen." D i e Rückzahlung würde durch den Erfolg seiner „technischen Arbeiten" gewährleistet sein. 3 2 A m 6 . 4 . 1 9 3 6 (BLB) faßte L u d w i g , offenbar mit dem Rücken zur Wand, n o c h einmal nach und übersandte L o w i e die Pläne des Vaterstettener Hauses. D i e s e m Hilferuf folgte am 2 0 . 4 . 1 9 3 6 (BLB) ein n o c h verzweifelterer, den L u d w i g erstmals mit einer D r o h u n g verband: „Mein Vater nahm mir das Versprechen ab, Alles Unvollendete vernichten (Hervorhebung G. W.) und ich muß diesen psychischen und physischen Qualen ein Ende setzen. In dieser schweren Bedrängnis (Zwangsversteigerung seines Hauses, G. W.) um nichts unversucht zu lassen wende ich mich noch einmal an Sie, vielleicht können Sie mir doch noch Retter sein — Erhalter und Weiterführer des Mach'schen Nachlasses. Es handelt sich ja nicht um enorme Summen. [...] In der zweiten Hälfte Mai ereilt mich das Schicksal — wenn ich bis dahin nicht irgendwie 500—600 Mfark] in den Händen habe, um etwas an Zinsen zu zahlen, bin ich endgültig verloren. Ich bitte Sie inständig für den Toten (d. i. Mach, G. W.) mir zu helfen, an mich denke ich längst nicht mehr — für mich würde ich nichts mehr thun — es ist die einzige Entschuldigung, daß ich so an Sie herantrete — es ist eben der Moment höchster, heiligster Not für ein Lebenswerk, dem Schlußstein eines solchen!"
32
Zum Beleg fügte Ludwig Exposes über „Verfahren und Einrichtung zur Verhinderung organischen Ansatzes an eisernen Schiffskörpern", zum „Mikro-Buch" und zu einem „Eier-Konservierungsverfahren" bei.
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
In die Ausgabe vom 22. 5.1936, im 83. Band von „Science", ließ Lowie folgenden Aufruf einrücken: „IN AID OF DR. LUDWIG MACH Dr. Ludwig Mach, the only surviving son [!] of the late Ernst Mach, is threatened by economic pressure with the prospect of having to abandon the house and laboratories in which he has for years endeavored to complete his father's physical researches. The premises contain a complete Archiv with Ernst Mach's notebooks and diaries, on the basis of which Dr. Ludwig Mach had hoped to prepare a memoir of his father's life. Eviction from the valuable but heavily mortgaged property would mean the destruction of all the material assembled. 3,000 to 4,000 marks would enable Dr. Mach to complete Volume II of the Prinzipien der physikalischen Optik, while 500 to 600 marks would stave off the immediate difficulty. Since the case is urgent, remittances of those interested should be addressed directly to Dr. Ludwig Mach, Vaterstetten bei München, Wasserburger Landstraße 61, Germany. ROBERT H. LOWIE" Auf ein hoffnungsvolles 1 1 . 5 . 1 9 3 6 (BLB):
Signal
Lowies
antwortet
Ludwig
am
„Wenn es Ihnen gelänge, Hilfe zu bringen, wäre das noch eine Auferstehung von Ε. M. und auch für mich. [...] Man spinnt mancherlei in der Not aus. Schonung habe ich nicht zu erwarten — es hat eines ganz furchtbaren intellectuellen Aufwandes bedurft, um sich so lange zu halten." Am 19. 5.1936 (BLB) bedankte sich Ludwig für eine Überweisung aus Lowies Privatschatulle: „Sie haben ganz Recht, wenn Sie sagen, daß eine solche Hilfaction Zeit erfordert. Daß Sie aber nicht Physiker sind, dürfte wohl keine so große Rolle spielen, denn mein Vater war ja nichts weniger wie ausschließlich Physiker, und alle seine Zeitgenossen sind ja längst nicht mehr am Leben. Ich will Ihnen noch ein genaues Arbeitsprogramm ausarbeiten." Am 22. 5.1936 (BLB): „Muß ich (aus dem Vaterstettener Haus, G. W.) hinaus, [...] dann lege ich den Wanderstab aus der Hand." Am 8. 6.1936 (BLB) schickte Ludwig, angeregt durch einen Illustriertenbericht über ein Riesenteleskop in Kalifornien Lowie ein Expose über seine (längst gescheiterte) Spiegelmetallidee mit Magnalium, das „dem Silber ebenbürtig und überlegen" sei und bot Amerika seine Dienste an. — Bis Anfang August scheinen inklusive Lowies Spenden weniger als 100 Dollar zusammengekommen zu sein. Nicht genug: „Haben Sie herzlichsten Dank für Ihre Freundeshilfe — ich that, was ich konnte, erreichte nur ein Hinausschleppen — und habe mich eigentlich nach reiflicher Erwägung aufgegeben. [...] [D]as Ende wird nicht lange auf sich
Der zweite Band der Optik — ein Phantom
395
warten lassen — und ich bin bitter, wenn ich daran denke, in welch gemeine Hände alles einmal kommen wird. — In Ansehung dieser Umstände, habe ich trotz innerer Unruhe noch Manches in Eilmärschen erledigt und Anderes zunächst ganz zurückgesetzt, um eine größere Abrundung zu erzielen. Sie sehen also, daß trotz heißen Bemühens Ihrerseits eine wesentliche Änderung der Lage nicht herbeigeführt werden konnte, aber wir können sagen, einiges wurde so weit gerettet, daß, wenn ich wandern (d. h. ausziehen, G. W.) muß, ich in irgendeiner Dachkammer Manches zu Ende schreiben kann" (Ludwig an Lowie, 17. 8.1936 (BLB)).
Als sich Ludwig am 2 . 7 . 1 9 4 6 (BLB) „nach dieser Symphonie des Grauens und des Elendes" wieder bei Lowie meldet, ist seine Adresse noch die gleiche. Von der Vollendung des Lebenswerks Ernst Machs ist hingegen nicht mehr die Rede. Jetzt geht es um Dingler 33 , der „von der amerikanischen Militärregierung wieder seiner Stelle enthoben worden" sei. „Es wäre nun in hohem Grade wünschenswert und auch ein Herzensanliegen E. M.'s, daß diesem Manne, für die kurze Zeit, die ihm noch vergönnt ist, noch eine Wirkungsmöglichkeit in ruhiger Umgebung ermöglicht wird." Ludwig dachte dabei an Amerika. Dies hatte er Dingler indirekt schon am 1. 2 . 1 9 4 6 (HDA) mitgeteilt: „Durch die Zerstörung des Grundstückes (1944, G. W.) und der mit ihr [wohl richtig: ihm] verketteten Lebensarbeit bin ich mit außerdeutschen Kräften in Berührung gekommen und bei Ihren umfassenden Sprachkenntnissen ist der Weg in die Weite offen." Am 26. 2 . 1 9 4 6 (HDA) wird in diesem Zusammenhang als Vermittler Lowie erwähnt. Auch das Phantom Optik II taucht kurz auf. Die „Nazi-Directoren der Amperwerke [haben] das Grundstück durch Abschlagen der alten 100jährigen Bäume [...] zerstört. Dadurch ging die letzte große Lebensarbeit von Ε. M. zu Grunde, die eine Arbeitszeit von nahezu 50 Jahren umfaßt. Alle Verfügungen E. M.'s fallen damit und ich gehe ins Ausland 34 — Deutschland soll kein Blatt Papier erhalten. [...] Es ist die Arbeit auf die vornehmlich in der Optik Bezug genommen ist. Wenn ich eine Entschädigung erhalte, kann ich wenigstens in's Ausland gehen. So wird man das Opfer von Amtsbestien. An mir kann ich mit meinen geschulten Sinnen nur den rapiden Verfall constatiren und habe nur den Wunsch, mit Ihnen über die moderne .Kernphysik' zu sprechen."
Ludwig betreibt Dinglers Übersiedlungsprojekt nach Amerika mit zunehmender, ja verbissener Energie. Freilich wurden auch Ausfallerschei33
34
Ende 1945 hatte sich Ludwig schon dafür eingesetzt, Dingler nach einer schweren Erkrankung die Einreise zu einem Erholungsaufenthalt in Osterreich zu ermöglichen. Schon nach dem Tod seiner ersten Frau (1931) hatte Ludwig angeblich die Auswanderung nach Island erwogen (cf. Brief Ludwigs an Lowie, 2. 7.1946 (BLB)).
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
nungen sichtbar, wenn Ludwig — Lowies großherzige Rettungsaktion von 1936 vergessend — Dingler am 15.10.1946 (HDA) mitteilt: „Ich habe an L[owie] bis zum Tode meiner Frau (Octob. 31) geschrieben — aber nie mehr eine Antwort erhalten — er hat die Briefe offenbar gar nicht erhalten." 35 Fünf Tage später (20.10.1946 (BLB)) setzt Ludwig sich bei Lowie noch einmal drängend für Dingler ein, wobei er eine auf Mach gemünzte Metapher aus dem Optik-Vorwort in eine merkwürdige Beziehung zu Mentor Dingler bringt: „Dingfler] wäre, wie kaum ein Anderer, praedisponirt auch bei kurzer Lehrzeit in dem noch jungfräulichen Boden von drüben feste Wurzel zu fassen und man wird Ihnen Dank wissen, nachdem Philosophen und Physiker den Kreu^ug gegen ihn predigen" (Hervorhebung G. W.). Weiter weist Ludwig auf die Wünschbarkeit des Drucks der gesammelten Abhandlungen hin, der freilich unter seiner Aufsicht in München erfolgen müsse: „wenn ich die Sache nicht besorge, ist sie nicht authentisch." Inzwischen war Ludwig über Lowie, der sich tatsächlich redlich bemühte, den 65jährigen Dingler in Amerika unterzubringen, „tief enttäuscht" (Ludwig an Dingler 2.3.1947 (HDA)) und faßte den Entschluß, den Stier bei den Hörnern zu packen: „Es ist ja möglich, daß wir bei ihm (d. h. Lowie, G. W.) an der unaechten [unrechten?] Stelle sind und ich bitte zu überlegen, ob ich nicht an Einst[ein] schreiben soll — nur ihm es als einen Wunsch E. M.'s vortragen" (Ludwig an Dingler 19.4.1947 (HDA)). Gegen diesen Plan äußert Dingler am 24.4.1947 (Durchschlag (HDA)) „doch ziemlich starke Bedenken. [...] Ich kann mir nicht recht vorstellen, daß A[lbert] E[instein] jemand in seine Nähe verpflanzen würde, den er als vielleicht seinen am meisten ernst zu nehmenden Gegner betrachten muß." Ludwig wollte sich dennoch von seinem Einsteinprojekt nicht abbringen lassen; doch Dingler ignorierte alle seine weiteren Vorstöße in dieser Sache. Von der Fertigstellung der Optik II ist in dieser Zeit nicht mehr die Rede, nur davon, daß die Lebensarbeit von Ernst und Ludwig Mach durch das Fällen einiger Bäume zerstört worden sei. 36 Die Verbitterung darüber weckte jedoch in Ludwig einen Gedanken, mit dessen Realisierung er (s. o.) schon mehr als 10 Jahre vorher gegenüber Lowie gedroht hatte: 35 36
Inzwischen hatte Lowie mit Dingler persönlich bereits brieflichen Kontakt aufgenommen. Daneben äußert Ludwig immer wieder, er habe „rein physik. letzte Fragen mit Ihnen (Dingler, G . W.) zu besprechen. Es ist sicher im Sinne des Toten (d. i. Mach, von dem bis dahin in diesem Brief noch nicht die Rede war, G. W.), wenn Sie die kurze, mir noch beschiedene Frist mit mir zusammengehen", schreibt der fast 79jährige Ludwig ζ. B. am 1 1 . 1 1 . 1 9 4 7 an Dingler (HDA).
Der 2weite Band der Optik
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die Vernichtung des Nachlasses. Auf seltsame Weise bringt Ludwig diese Idee in einem Brief an Lowie (31.3.1947 (BLB)) mit dem Scheitern von Lowies Bemühungen in Verbindung, Dingler in Amerika unterzubringen: „Wenn nicht die Sache, also das Positive, sondern nur Formalien (für Dinglers Weggang nach Amerika, G. W.) entscheidend sind, können Sie nichts machen und der Wunsch E. M.'s ist unerfüllbar. Ich habe ein Jahr zugewartet und gebe nach zahllosen Versuchen auch diese Sache verloren und denke an die Vernichtung des Nachlasses" (Hervorhebung G. W.).
Wenn Ludwig am 31. 3.1947 an die Vernichtung des Nachlasses denkt, muß dieser und damit auch ein eventuelles Manuskript der Optik II zu jenem Zeitpunkt noch existiert haben. Auf Vorhaltungen Lowies erklärt Ludwig am 13.5.1947 (BLB): „Nach der Zerstörung der Lebensarbeit durch die Naz[is] wird es nun kaum mehr zur Veröffentlichung der Abhandlungen und Memoiren kommen und ich bin befugt, sie zu verbrennen. Das paßt in das heutige Zerstörungswerk ganz gut." Am 25.5.1947 (BLB) verdeutlicht Ludwig gegenüber Lowie noch einmal: „Im 2. Bande der „Optik" sollte die Lebensarbeit (doch allenfalls von Ludwig, G. W.), eine hier am Grunde laufende astronomisch-optische Beobachtungsreihe Platz finden. Durch Zerstörung des Grundes — ein Werk der NaziBestien, ist alles vernichtet — eine ganze Reihe dieses Kaliber's freute sich sadistisch meiner qualvollen Verzweiflung im November 1944! — wo Deutschland längst verspielt hatte. Meinem Vorfahren habe ich das Versprechen gegeben, nichts Unvollendetes zu hinterlassen."
Am 23.1.1949 schreibt Ludwig einen bemerkenswerten Brief an Dingler (HDA). Dieser Brief ist eine Antwort auf einen nicht erhaltenen Brief Dinglers vom 18.12.1948 an Ludwig. Freilich läßt sich rekonstruieren, was in Dinglers Brief stand. Denn Dingler hat auf dem vorangegangenen Brief Ludwigs vom 1.12.1948 (HDA) seine Antwort skizziert: „18. XII. 48. Brief mit Anfrage wegen Optik II. Erinnerung an 3 Hilfen etc.". Darauf antwortet Ludwig am 23.1.1949 so: „Auch ich will Ihnen offen schreiben — es soll keine Unklarheit zwischen uns sein, denn Charon wartet schon. [...] Die auf dem Grund laufende optischastronomische Beobachtungsreihe war im Jahre 81 — lange vor Her[t]z etc. [!] — begonnen und so weit angelegt — daß man wirklich darüber am klügsten nicht sprach — die Andeutung in der Optik ist alles, was darüber existirt" (Hervorhebung G. W.).
Ludwig Mach gibt damit am 23. Januar 1949, ,Charons Nachen' wieder einmal im Blick, unumwunden zu, daß über Ernst Muchs Stellung %ur Relativitätstheorie und damit von den entsprechenden Teilen der Optik II weder
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
etwas Schriftliches
existiert,
noch jemals etwas existiert hat — denn die , Andeu-
tung' im Optik-Vorwort stammt ja auch von Ludwig Mach. Dingler kann das einfach nicht glauben. Er verweist auf die Inhaltsübersicht von Optik II im Optik-Worwort: „Daraus geht hervor, daß ein immerhin erhebliches Manuskript vorhanden gewesen sein muß, das diese Dinge behandelt. Wenn ich Ihre sehr geringen und immer sehr vagen Äußerungen zusammennehme, die Sie in 30 Jahren trotz aller meiner Bemühungen Ihnen zu helfen und trotz aller meiner Bitten um Auskunft mir gegenüber gemacht haben, besonders auch die in letzter Zeit gefallenen, dann scheint sich zu ergeben, daß Sie dieses Manuskript der Wissenschaft vorenthalten wollen, bloß weil man Ihnen ein paar Bäume im Garten gefällt hat! Bei allem guten Willen, den ich Ihnen gegenüber stets gehabt habe und noch habe, lieber Herr Doktor, das gibt keine Logik. Man mag es wenden wie man will. Sie haben mir (und einigen anderen) gegenüber dauernd mit diesem mysteriösen Manuskript operiert. Sie sagten mir 1919, Sie hätten es in einer Blechkassette im Garten vergraben etc. Ich habe es aber nie zu sehen bekommen. Doktor May 37 behauptet, daß Sie ihm irgendetwas Derartiges gezeigt hätten (was ja nicht viel besagt). Das alles mutet einem etwas an, wie aus einem Kriminalroman, aber, liebster, bester Herr Doktor, so kann man doch mit einem solchen Vermächtnis nicht umgehen! Verzeihen Sie mir — aber das sind lauter nackte Tatsachen. Ich möchte mir nun erlauben, Ihnen zu sagen, was ich als Wissenschaftler und Schüler Ihres Vaters über diesen Fall denke und als sittlich verantwortlicher Mensch denken muß. Ein einziger, unvollendeter oder sogar sich als nicht haltbar erweisender Gedanke Ihres Vaters ist für die Wissenschaft mehr wert als ein Dutzend ,richtiger' Gedanken von Seiten der landläufigen Professoren. Wenn Sie auch der Sohn und Mitarbeiter Ihres Vaters sind, haben Sie kein Recht diese Dinge der Wissenschaft vorzuenthalten. Es wäre eine geradezu herostratische Tat, ein Verbrechen an allem was uns Menschen wertvoll ist, wenn Sie sich zum Instrument dafür machen sollten, das bewirken würde, daß dieses Manuskript der Welt verlorenginge, und es würde diese Tat ewig auf Ihrem Andenken lasten und man würde es nicht verheimlichen können. Wenn der alte Mann vielleicht auf seinem Totenbett in seiner übertriebenen Bescheidenheit sich vielleicht so geäußert haben sollte, daß die Untersuchung, die durch die gefällten Bäume gestört worden sein soll (nach 30 Jahren!) falls sie nicht durchgeführt werden könnte, weggelassen werden sollte, dann hat dahinter doch ganz gewiß die Vorstellung gestanden, daß mindestens das Übrige so schnell wie möglich herauskommen soll. Aber bei Ε. M. ist auch schon eine bloße Versuchsanordnung, auch wenn sie nicht praktisch durchgeführt wird, von äußerstem Wert und Gewicht. Und der das Wesen der Dinge Erfassende wird auch eine auf dem Totenbett gemachte Äußerung im Sinne des ganzen Forscherlebens interpretieren und nicht an den Worten haften. Sie haben stets
37
Eduard May (1905 — 1956), ein Anhänger Dinglers, wurde 1951 Professor der Philosophie an der Freien Universität Berlin.
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soviel Wert auf die gesammelten Abhandlungen gelegt. An denen kann ja nichts verlorengehen, die können auch später gesammelt werden. Aber der 2. Teil der Optik kann verlorengehen. Auch er würde manches Geld gebracht haben, denn er würde überall gekauft worden sein — wenn man in einer so rein idealen Sache überhaupt dem Geld eine Rolle zubilligt. Sie scheinen sich Gedanken darüber zu machen, ob Ε. M. mit seiner Einstellung zur Relativitätstheorie recht gehabt habe! Er hat 1000 und lOOOOmal recht gehabt! Sie kennen die modernen Bewegungen nicht. Ich kann Ihnen sagen, daß es überall im Gebälk dieser Theorien knistert. Was kann Sie das Tagesgeschwätz dieser Mächler kümmern gegenüber den genialen Gedanken Ihres Vaters? Ich muß wiederholen, daß Sie auch als Sohn und Mitarbeiter keinerlei vertretbares Recht haben, diese Gedanken E. M.'s uns vorzuenthalten, und daß Sie eine schwere Schuld auf sich laden, wenn Sie es tun. Sie wollen ein Vorwort zu den gesammelten Abhandlungen veröffentlichen. Das ist eine vergleichsweise geringe und nebensächliche Angelegenheit gegenüber dem, was Sie der Welt nehmen wollen. Sie sagen in Ihrem Brief, daß durch Dr. Pfaff ,eine Reihe von Arbeiten ermöglicht' worden sei, ,und tatsächlich kam eine Reihe von Arbeiten zum Abschluß'. Wo sind diese? Sie wollen wegen der gefällten Bäume prozessieren. Erlauben Sie mir zu sagen, daß ich es für lOOOmal wichtiger halten würde, wenn Sie noch dafür sorgen würden, daß der 2. Teil der Optik nicht verlorengeht und womöglich noch publiziert wird, was ich Ihnen in 14 Tagen verschaffen kann. Sie meinen immer, daß ,der Name' irgendwie geschadet hat. Das, was sich heute theoretische Physik nennt, fühlt sich vielleicht manchmal etwas gestört durch die Vernunft Ihres Vaters, trotzdem sie alle nichts anderes tun, als seine Gedanken zugrundezulegen. Aber diese armen Narren sind eine vorübergehende Erscheinung. Der Name Ihres Vaters aber gehört jetzt schon zu den bedeutendsten in der Philosophie und Geschichte der Physik. Was kann Sie das Geschwätz dieser Dummköpfe angehen, angesichts des einzigartigen Erbes, das vertrauensvoll in Ihre Hände gelegt wurde? Unwillkürlich frägt man sich, was wohl hinter dieser Fassade eines weniger guten Kriminalromanes dahintersteckt. Denn irgendetwas Bedenkliches muß da vorliegen. Wollen Sie irgendeine späte Rache nehmen an dem alten Mann, einen späten Neid, eine späte Eifersucht ausleben? Dann muß ich Ihnen sagen, daß Sie nicht Ihren Vater, sondern die Welt schädigen, und vor allem auch sich selbst. Ihre Geheimniskrämerei tut immer so, wie wenn Sie etwas Schamhaftes bei Ihrem Vater bedecken und verbergen müßten, von dem man nicht reden kann. Lieber Herr Doktor, das hat Ihr Vater gewiß nicht nötig und Sie sind nicht der Mann dazu, das Urteil zu fällen, das einer solchen Haltung zugrundeliegen müßte. Wenn ich Ihr Verhalten seit 30 Jahren (!) in dieser Sache überdenke, dann sieht es wahrhaftig fast so aus, wie wenn Sie von Anfang an die feste Absicht gehabt hätten, die Sache zu sabotieren. Sie sprechen in Ihrem Briefe von .Andeutungen' Ihres Vaters. Ich muß dem leider widersprechen. Was im Vorwort der Optik gegeben wird, sind keine Andeutungen sondern das Inhaltsverzeichnis eines fast fertigen Buches. Sie benehmen sich, wie wenn Sie Richter über Leben und Tod in dieser Sache wären. Das sind Sie nicht. Sie sind Treuhänder eines Gutes, das der Menschheit
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gehört und das darf nicht durch ein paar Worte verfälscht werden, die der hilflose alte Mann noch geäußert haben mag, vielleicht weil er mit der Hellsichtigkeit des Sterbenden schon Einiges ahnen mochte. Ich kenne Sie lange und genau genug, um Ihnen sagen zu können, ohne Sie irgendwie kränken zu wollen, daß Sie nicht in der Lage sind voll zu beurteilen, welche Werte hier vorliegen. Es handelt sich hier nicht um Sie oder um Ihre Meinung, sondern um Ernst Mach. Raffen Sie sich auf und retten Sie das Unersetzliche. Sie sind schon lange nicht mehr so auf dem Laufenden der Dinge, daß Ihnen allein ein Urteil über den Wert dieser Sache zustehen würde. Sie brauchen sich über nichts zu schämen, was Ihr Vater gesagt hat oder sich gar zu genieren, es zu veröffentlichen. Dazu fehlt jeder Anlaß und jede Grundlage. Verzeihen Sie nochmals. Aber es ist höchste Zeit, daß endlich deutlich gesprochen wird. Sie dürfen diesen Raub an der Wissenschaft nicht durchführen. Als alter Freund und Schüler darf und muß ich Ihnen das sagen. In alter treuer Verbundenheit stets Ihr" (Dingler an Ludwig, 2.2.1949 (Durchschlag (HDA)). Ich glaube, daß man nach Ludwigs Brief vom 2 3 . 1 . 1 9 4 9 an Dingler und dessen gerade zitiertem Brief an Ludwig die Jagd nach dem Phantom Optik II ohne Bedenken abblasen kann. Ein Manuskript eines %weiten Bandes der Optik von Ernst Mach hat es nie gegeben, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat Mach, der nicht einmal den ersten Band der Optik selbst publizieren wollte, an einen zweiten nicht gedacht. Und doch — Ludwigs Phantom Optik II hatte einen realen Kern. Im Machschen Nachlaß (VAT) befindet sich ein Protokollbuch, das in Reinschrift und mit großer Genauigkeit Versuche beschreibt. 38 Die Eintragungen beginnen mit „Schießversuche Winter 87 — 88" und führen über „Glaswellen Sommer 1 8 8 8 - 1 8 8 9 " und „Spiegellegierungen" (1892) schließlich auf das Gebiet der Interferometrie. Die entsprechenden Einträge beginnen mit „Anomale Dispersion. 28. Juli 1892". 39 Es folgen 38
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Es ist dies das einzige Stück dieser Art im Nachlaß, wobei es sich nicht etwa nur um ein Heft mit Versuchen für die Optik handelt. Herrn cand. rer. nat. Ralf Thäte danke ich für seine Unterstützung bei der Auswertung des Protokollbuchs. Als Dispersion des Lichts bezeichnet man die Abhängigkeit des Brechungsindex' der Stoffe von der Farbe, d. h. der Frequenz des Lichts. Hierauf beruht die Möglichkeit der spektralen Zerlegung weißen Lichts durch das Prisma. Als normale Dispersion bezeichnet man die Zunahme des Brechungsindex' einer lichtdurchlässigen Substanz bei zunehmender Frequenz (d. h. von Rot nach Violett). Jeder Körper hat aufgrund seiner Atomstruktur mindestens ein Gebiet, wo diese Regel nicht gilt. Für die meisten Substanzen liegt dieser Bereich anomaler Dispersion nicht im sichtbaren Bereich des Lichts. In den Gebieten anomaler Dispersion befindet sich auch ein Maximum der Absorption und der Reflexion. Mach hat, auch in Zusammenarbeit mit Ludwig, die anomale Dispersion interferometrisch
Der zweite Band der Optik — ein Phantom
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wieder „Schießversuche (2. Dez. 1892)" und andere damit zusammenhängende Experimente. Ab 1893 geht es vor allem um die Technik der bei Interferenz versuchen erforderlichen Planplatten und um Probleme der Justierung des Apparats. 1893 werden Versuche über „Schallwellen mit dem Interferenzrefraktometer" sowie mit „Luftstrahlen" und Ähnlichem notiert. Ein neues Kapitel wird mit der Überschrift „Optische Versuche, begonnen 9. August 1903" eingeleitet. Hier geht es ständig um die von Ludwig im Zusammenhang mit der Optik II oft erwähnten Themen Kohärenz, anomale Dispersion und sekundäre Interferenzen. Die optischen Versuche im Experimentierbuch haben sämtlich mit dem ,Wesen des Lichts' zu tun. Vielleicht hielt es Ludwig — möglicherweise unter der stimulierenden Wirkung des Kokain — für machbar, hieraus ein Buch zu formen. Dieses Buch würde sich, so mag er gedacht haben, auch über die Relativität äußern können, denn mit ,Michelsons Aufstellung' war ja hinlänglich experimentiert worden. Ab etwa 1936 scheint Ludwig den Gedanken, aus diesen Versuchsprotokollen ein Buch zu machen, jedoch aufgegeben zu haben. Er dachte nur noch an eine Publikation in einzelnen Abhandlungen. Auch daraus wurde nichts. Offenbar ist es Ludwig gelungen, in seinen letzten zwei bis drei Lebensjahren die ökonomische Misere soweit zu wenden, daß er keiner unmittelbaren Not ausgesetzt war. Und wieder war es eine Patentidee, die ihm weiterhalf. Seine alte Idee der Eierkonservierung trug späte Früchte, freilich nicht für diejenigen, die ihr Geld hineinsteckten. 40 Bei der Beurteilung von Ludwigs Verhalten ist trotz allem eine gewisse Zurückhaltung anzuraten. Ein gewiß pathologisches Verständnis seiner Erbenrolle, verbunden mit wirtschaftlicher Verzweiflung und familiären Katastrophen trieben ihn in die Enge. Wenn man Ludwig ankreiden will, die der Wissenschaft gewidmeten Subventionen für den Erben Machs dem wirtschaftlichen Überleben zugewendet zu haben41, sollte man auch bedenken, daß das von ihm geschaffene Phantom einer antirelativistischen Optik II durch Dinglers Verblendung gezeugt wurde, auch wenn der
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untersucht (cf. O., 253 ff.). Als Substanz wurde überwiegend der Farbstoff Fuchsin verwendet. Das Eierpatent erwies sich als Fehlschlag. Die Karlsruher „Bundesforschungsanstalt für Lebensmittelfrischhaltung" kam am 8.5.1951 zu einer Beurteilung (VAT), die die Menschheit vor dem „Eierkonservierungsverfahren nach Dr. Mach unter Benutzung von die Austrocknung verhindernden Schutzschichten" endgültig bewahrt hat. So hat Ludwig vom Geld Pfaffs am 15.9.1921 erst einmal eine für ihn anderweitig nützliche Drehbank für 2347 Mark bei der Berliner Firma Kärger geordert (cf. Auftragsbestätigung von Kärger vom 12.10.1921 (VAT)).
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
Erzeuger es nicht wußte. Nicht nur Ludwig hat von Dingler, sondern auch Dingler hat von Ludwig profitiert. Das wird deutlich, wenn man die triumphierenden Äußerungen Dinglers zu Machs angeblicher Ablehnung der Relativitätstheorie z . B . in Dingler ((1921), VIII, 157) liest. Gewiß wäre Dingler niemals bereit gewesen, an einer Fälschung mitzuwirken. Aber sein blinder Haß gegen die Relativitätstheorie war der entscheidende Grund dafür, daß er Ludwigs Fälschung nicht entlarven konnte. Er wäre hierfür als erster in Frage gekommen. Nicht einmal Ludwigs Geständnis vom 23.1.1949 hat ihm die Augen öffnen können. Wie sehr da Dinglers Persönlichkeit im Wege stand, zeigt sein letzter längerer Tagebucheintrag zu Ludwig Mach. Unter dem 14.11.1951 (HDA) schreibt Dingler: „Mich hat er mit dem 2. Band 35 Jahre an der Nase herumgezogen. Um 1931 sei der Fortschritt gescheitert daran, daß er ein bestimmtes kleines Instrument nicht hatte. Mir hat er kein Wort gesagt, wohl in der Furcht, daß er dann gezwungen sei, weiterzuarbeiten. „Dann ist der Einstein erledigt" war seine Meinung u. seines Vaters [!], wenn die Experimente durchgeführt worden wären. Ich habe alles, was möglich war, getan, um ihm zu helfen. Dreimal große Geldhilfe, zweimal willige Verleger, Deutsches Museum, alles hat er versäumt. Wenn ich daran denke, wie er uns alle an der Nase zog mit seiner Geheimniskrämerei, werde ich heute noch wütend. 35 Jahre! Vielleicht war er von den Einsteinianern bestochen? Manchmal möchte man fast so etwas glauben."
„Ich bin ja immer Phantomen nachgejagt", schreibt Ludwig am 26. 8.1913 an Paul Carus (OCA). Ob das Phantom Optik II bei günstigeren äußeren Umständen nicht dabei gewesen wäre? Wer weiß. Vielleicht hätte man unter besseren Bedingungen über Ludwig Mach das sagen können, was ihm ein Freund bei der Kremation am 25.8.1951 nachrief (VAT): „Selbst von unendlicher Güte und Bescheidenheit, bis zur Selbstaufopferung immer nur für andere sorgend und arbeitend, peinlichst bemüht, auch den geringsten Schein von Unrecht zu vermeiden ..
§46
Schluß
Am Ende dieses Buches ist es wie am Ende eines Indizienprozesses. Es gilt, zu einem Urteil zu kommen. Würde man mich fragen ,soll Ludwig Mach gehängt werden?', dann würde ich diese Frage verneinen. Abgesehen davon, daß diese in jedem Fall barbarische Strafe hier in keinem Verhältnis zum Delikt steht, ist nämlich zuzugeben, daß es keinen fairen Prozeß
Schluß
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gegeben hat: der Autor war notgedrungen Detektiv, Staatsanwalt, Verteidiger, psychiatrischer und physikalischer Gutachter sowie Richter in einer Person. Er hat die Beweismittel gesucht, er hat die Anklage erhoben, er hat die Beweismittel ausgewählt und eingebracht, er hat nach Entlastendem Ausschau gehalten und Belastendes vorgetragen. Entlastungsmaterial hat er nicht präsentiert — weil er nach bestem Wissen und Gewissen keines gefunden hat. Als Gutachter hat der Autor zu zeigen versucht, wie der Angeklagte aus seiner Persönlichkeitsdisposition und durch äußere Umstände in eine Zwangssituation geriet, aus der er sich nicht mehr befreien konnte; sie hat ihn geradezu schuldunfahig gemacht. Nie aber hat man den Angeklagten fragen können, was er zu den Vorwürfen zu sagen hätte. Was also soll nun der Autor als Richter tun? Betrachten wir noch einmal das in diesem Buch vorgelegte Beweismaterial. Wir haben gesehen, daß die allgemeine methodologische Einstellung Machs insbesondere den jungen Einstein geprägt hat. Machs Position läßt sich als eine milde Form des Empirismus mit operationalistischen und instrumentalistischen Einschlüssen kennzeichnen. Zweck seiner Methodologie ist vor allem das Verständnis des wissenschaftlichen Fortschritts. Die Invarianten erfolgreicher historischer Entwicklung bestimmen die methodologischen Regeln erfolgversprechender Wissenschaft. Die wichtigste Invariante des historischen Erfolgs der Physik besteht in zunehmender Empirizität der Theorie. Methodologisch läßt sich dies in die Regeln fassen, allen Begriffen ohne oder mit nur ungenügendem Erfahrungsbezug zu mißtrauen und solche Begriffe aus der Wissenschaft zu verbannen, bei denen ein Erfahrungsbezug grundsätzlich ausgeschlossen ist. Mach faßt dies in die Formel von der ,Anpassung der Gedanken an die Tatsachen'. Während ,Anpassung der Gedanken an die Tatsachen' den materialen Wissenschaftsprozeß bestimmt, zielt Machs Formel von der ,Anpassung der Gedanken aneinander' auf die Form dieses Prozesses. Wissenschaft geht es nicht um die theoretische Repräsentation isolierter Tatsachen, sondern um deren ,holistische' Verknüpfung zu immer umfassenderen, einheitlicheren Theorien auf der Basis von ,Prinzipien'. Dies wird dadurch erreicht, daß physikalische Forschung unter dem ,Ökonomieprinzip' steht, möglichst umfassende und vielfältige Bereiche von Tatsachen mit möglichst einfachen theoretischen Mitteln zu erfassen. Alles in allem kann man nicht sagen, daß die Machsche Konzeption sich anmaßt, den Forschungsprozeß unter die Kuratel künstlicher Regeln zu stellen. Die Machsche Methodologie ist die Frucht der historischen Analyse des Wissenschaft-
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
liehen Fortschritts und soll, in dialektischer Wendung, Rahmenbedingungen für weiteren Fortschritt abgeben. Wir sahen, daß der junge Einstein der Machschen Wissenschaftslehre in ihren Grundzügen gefolgt ist. Darüber hinaus hat er aus Machs Kritik des Begriffs des absoluten Raumes eine entscheidende Anregung für die Aufstellung der allgemeinen Relativitätstheorie gewonnen. Mach konnte also die Relativitätstheorie als eine auch von ihm gewünschte Weiterentwicklung physikalischer Grundbegriffe ansehen. Eben das hat ihm sein ihn ,verehrender Schüler' Albert Einstein mehrfach zu verstehen gegeben. Mach hatte weder ein persönliches noch ein wissenschaftliches Motiv, die Relativitätstheorie als ganze ,abzulehnen', schon gar nicht in der brüsken Form, wie dies im Optik-Vorwott geschieht. Alle persönlichen Freunde Machs und Kenner seines Werkes waren der gleichen Meinung. Erst in der zweiten Hälfte der 60er Jahre werden gegen diese Auffassung Zweifel laut. Eine gegen den ,Positivismus', vor allem des Logischen Empirismus, gerichtete Kampagne versucht, bis auf den heutigen Tag, Mach für den Logischen Empirismus in Haftung zu nehmen. So wie Dingler sich von Machs vermeintlichem Antirelativismus eine Stützung seiner eigenen Gegnerschaft zur Relativitätstheorie versprach, so versprachen und versprechen sich Antipositivisten von diesem vermeintlichen Antirelativismus eine Stärkung ihrer Position. Dafür reicht allerdings — womit sich Dingler im wesentlichen noch beschieden hatte — das bloße (vermeintliche) Faktum des Optik-Vorworts nicht aus. Der Antipositivismus sucht vielmehr deutlich zu machen, daß es angeblich Machs positivistische' Borniertheit war, die ihn zur Ablehnung der Relativitätstheorie führte. Damit wird Mach aber als ein philosophischer Dummkopf hingestellt — der er nicht war. Ob dabei die hier gegebene Darstellung der Machschen Philosophie und Methodologie Anklang findet, wird man abwarten müssen. Eine hermeneutische Grundregel besagt, daß man zwar bestimmte Interpretationen von Texten — die in diesem Buch kritisierten gehören dazu — als falsch zurückweisen kann, daß man dabei aber eindeutige und ausschließliche Kriterien für die richtige Interpretation normalerweise nicht angeben kann. Trotzdem hoffe ich, daß die hier gegebene Darstellung der Machschen Methodologie als textmäßig abgesichert sowie als historisch und systematisch korrekt und plausibel gelten kann. Es bestand also auf Seiten Machs keinerlei Motiv für eine barsche, öffentliche Ablehnung der Relativitätstheorie, schon gar nicht in der dabei unterstellten argumentfreien, nur für Autoritätsflxierte etwas bedeutenden Form. Auch schließt Machs persönliche und wissenschaftliche Statur einen
Schluß
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Text wie das Optik- Vorwort aus; ein solcher Text ließe sich allenfalls durch einen pathologischen Bruch in Machs Persönlichkeit erklären. Für eine solche Annahme aber gibt es weder Anlaß noch Belege. Bei der Aufnahme des Tatbestandes wurde rekonstruiert, wie es zum corpus delicti Optik-Vorwort und zum Phantom Optik II kam. Zu diesem Zweck wurde in verschiedenen Ansätzen eine Geschichte erzählt, eine Geschichte allerdings, die sich in jedem ihrer Schritte auf ausführlich vorgestellte Dokumente stützt. Es ergab sich, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Ludwig Mach der Autor des Optik-Vorworts ist, wobei die strikt ablehnende Tendenz des Optik-Vorworts in keiner Weise eine vielleicht mündlich geäußerte Meinung Machs wiedergibt, sondern realitätsferne Prätentionen Ludwig Machs und Erwartungen anderer, die bereit waren, Ludwigs Prätentionen zu fördern, sei es aus Eigeninteresse, Mitleid oder Verehrung gegenüber seinem Vater. Wir haben hier freilich kein Geständnis Ludwigs. Es könnte also so sein, daß das Optik-Vorwort von Ernst Mach geschrieben wurde, oder doch wenigstens, wie von Ludwig behauptet, in ,SEINEM Sinne'. Gewiß, in dieser Welt ist vieles möglich. Doch wer auf Mach als Autor des OptikVorworts bestehen will, der hat, stellvertretend für Ludwig Mach, die vielen Ungereimtheiten, die dieser Annahme entgegenstehen und die in diesem Buch ausgebreitet wurden, erst noch zu erklären. Er wird insbesondere erklären müssen, wie es kommt, daß Ludwig Mach bis kurz vor der Publikation des Optik-Vorworts noch nichts in ,SEINEM Sinn' zur Relativitätstheorie zu sagen wußte. Er wird ferner erklären müssen, was man von einer Ablehnung halten soll, für die es keinen dokumentarischen Nachweis gibt und die der Sohn des Ablehnenden nach eigenem Geständnis in wesentlichen Punkten erst noch zu erarbeiten hatte. Er wird also erklären müssen, was man von wissenschaftlicher Arbeit im familiären Erbgang zu halten hat. Im Unterschied zum Optik-Vorwort sind wir bezüglich des ,zweiten Bandes' der Optik in einer sogar gerichtsmäßig komfortablen Lage. Wir haben Ludwig Machs Geständnis vom 23. Januar 1949 gegenüber Dingler, daß dieses Buch außer in seiner Phantasie nie existiert hat. Das bedeutet, daß es auch jene Argumente gegen die Relativitätstheorie, von denen das Optik-Vorwort so bedeutungsvoll spricht, nur in Ludwigs Phantasie gegeben hat. Damit ist nicht nur eine wichtige Phase der modernen Physikgeschichte hinsichtlich der Einordnung und Leistung Ernst Machs zurechtgerückt, sondern auch klar, daß sich der Antipositivismus, wenn er auch in Zukunft
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Was wirklich geschah II: Ludwig Mach und die Relativitätstheorie
Machs vermeintliche Ablehnung der Relativitätstheorie für seine Zwecke auszuschlachten gedenkt, mit Ludwig Mach auseinanderzusetzen hat. Ich hoffe und glaube allerdings, daß ihm aus dieser Auseinandersetzung noch weniger Früchte erwachsen werden als aus der unfreiwilligen Inanspruchnahme, die sich Ernst Mach bislang gefallen lassen mußte.
Beilage 1 Tagebucheintragung Dinglers über seinen ersten Besuch bei Ernst Mach"1 5/VII/13. Gestern, Freitag, Besuch bei Ernst Mach. Von Ostbahnhof β
[München] nach Vaterstetten. 2 — 5 h [unleserlich] Kraus vom Forstmann? Weg. Hunde. Am Eck sehe alte Dame u. Herrn: Gartensitz. Gemüsewagen hält. Alte Dienerin. Ob ich aus München sei. O b von mir Brief gekommen. Gebe ihr Karte. Sie läuft und ich gehe langsam nach. Dann gab ich ihm die Hand. Seine Schwester, eine feine Frau mit kühnem Gesicht geht weg und überläßt mir ihren Gartenstuhl. Es ist weit weg von der Stadt. Aber schön in der Wildnis. Auf Ihr Buch 3 bin ich sehr gespannt. Man hat mich zum Ehrenpräsidenten der Monisten machen wollen. Habe aber abgelehnt. Schon der Haeckel 4 wollte mich zum österreichischen] Monistenbund als Präsident] haben. Ich liebe keine Religionsgründung. Das hat mir Ostwald 5 übelgenommen. Ich habe nicht einsehen können, wie man Energetik und Atomtheorie verbinden kann (als ich sagte, daß ich an Ostwald seine Elastizität schätze, mit der er sich von neuem überzeugen läßt), das hat er mir auch übelgenommen. (Erwähnte Ofstwald]'s Kräftigkeit) das ist die Rasse, er ist der Sohn eines Böttchers
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Aus Tagebuch v o m 1 8 . 1 1 . 1 9 0 8 - 1 4 . 3.1914 (HDA). Mach lebte außerhalb von Vaterstetten. Die zuständige Poststation, die Mach in seinen Briefen auch als Wohnort angab, war Haar. Gemeint ist Dingler (1913). Ernst Haeckel (1834—1919), ein bedeutender Zoologe, war ein kämpferischer Vertreter des Darwinismus und versuchte diesen zu einer umfassenden Weltanschauung weiterzuentwickeln. Seine Initiative führte 1906 zur Gründung des deutschen „Monistenbundes", einer Organisation, die unter anderem mit ihren „monistischen Sonntagspredigten" eine Art Kirchenersatz darstellte. Für kurze Information zu Haeckel cf. meinen Artikel in: J. Mittelstraß (ed.) (1984), 21 f. Wilhelm von Ostwald (1853 — 1932), der zu den Begründern der physikalischen Chemie gehört, entwickelte eine auf dem Energiebegriff aufbauende monistische Ontologie (.Energetik') und wirkte als Wissenschaftsorganisator. 1911 — 1915 war Ostwald Präsident des „Monistenbundes". Für kurze Information cf. den Artikel von G. Gabriel in: J. Mittelstraß (ed.) (1984), 1 1 0 0 - 1 1 0 2 .
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Beilage 1
aus der Ostseeprovinz. Er hat großes Talent fürs Geschäft. Das habe ich nie gehabt. Wie ich mit 23 Jahren anfing war ich ein Proletarier und wie ich hier sitze bin ichs noch. Mein Sohn hat hier ein Laborat[orium] gebaut, und möchte, daß ich mit ihm einiges fertig mache. Obs aber geht? Ich bin gefallen (mir scheint, daß er einen zweiten Schlag hatte, und man ihm das verheimlicht) und bin 6 Monate gelegen. Sagte ihm, man muß nur den Humor nicht verlieren. Er: „das Leben besteht auch aus anderem als Humor." Frug wegen Arbeiten. Relativitätstheorie. Habe darüber nachgedacht. „Optik" habe er drei Mal geschrieben, die müsse sein Sohn fertig machen. Dann kam zwei Mal jemand, um zu fragen, obs nicht kalt sei. Er sagte stets nein. Dann merkte ich, daß dies wohl Zeichen sein sollten, daß er hinein müsse, und winkte selbst der Schwester und Dienerin, die vor dem Hause stand. Er wurde von Mädel im Stuhl vor Thüre gerollt. Ich angewiesen, zuerst die Treppe hinauf zu gehen. Schwester führte mich 1. Stock in sein Zimmer. Alles so ordentlich u. sauber, in der Mitte ein starkes Geländer, an dem er wieder gehen lernen will. Schwester mit [unleserlich] mußte mich auf Stuhl vor Schreibtisch setzen, von wo aus der Gang nicht zu sehen. Er schlurfte draußen. Schwester rief: nur langsam, langsam, der Herr Doktor wartet schon. So pressierts nicht. Er ging am Arm des Mädchens mit sichtlicher Anstrengung, rechts ein Stock, wurde zu Stuhl geführt und ließ sich ziemlich schwer auf den Sitz fallen. Mußte näher gehen, da [er] schlecht hört. Man hat in Wien immer mir Referate für die Akademie gegeben, und ich habe keine Zeit dafür, jede Minute mir sonst kostbar. Wollte austreten, das haben sie nicht erlaubt. Jetzt bin ich hierher geflohen. Hier werde ich sterben. Man hat mich ins Herrenhaus berufen gerade, als ich die Sprache verloren hatte um dort das, was die Gemeinen beschlossen haben, zu bestätigen.
Beilage 2 Tagebucheintragung Dinglers über seinen %weiten Besuch bei Ernst Mach am 15. Juli 1913x 445 ab nach Vaterstetten. Ankunft, ins Studierzimmer geführt. Warten. Kommt u. setzt sich langsam in seinen Stuhl. Sohn vorher kurz gesehen. Dürrer, langer Mensch. Andere, dicke Schwester (?) Er selbst sehr frisch. Wundervolles Auge. Ich: Höflers Didaktik d[er] Astron[omie] 6 ist erschienen, [unleserlich] sehen, was über Relativität. Er: Höfler meint, damit es etwas Relatives gebe, müsse es zuerst etwas Absolutes geben. Ich: kennen Sie F. Poske? 7 Er: Ja, das ist ein dicker Freund Höflers. Höfler war nicht mein Nachfolger u. war schon vor meinem Abgang da. Meine Professur in Wien wird unbesetzt bleiben. Da haben sich die Philosophen sowohl als die Physiker so geärgert, daß sie sich verschworen haben, keine solche Professur mehr zu machen. Das war eine glückliche Konstellation der Umstände, daß ich damals nach Wien kam. Der Brentano 8 kam wegen seiner klerikalen Neigung nicht in Betracht. Kurz vorher aber ging doch ein guter Bekannter von mir, sonst ein liberaler Mann, auf das Ministerium und brachte denen meine Schriften, worin er alle antiklerikalen Stellen blau unterstrichen hatte. Der Minister gab mir einen Wink und ich schrieb ihnen, daß,
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Höfler (1913). Cf. dazu § 35, Anm. 33. Friedrich Poske wirkte v o n 1876—1917 als Gymnasialprofessor am Askanischen Gymnasium zu Berlin. Er war mit Höfler Herausgeber der „Zeitschrift für den physikalischen und chemischen Unterricht", zu deren Mitherausgebern Mach gehörte und in der er einige Artikel publizierte. Franz Brentano (1838—1917), Philosophieprofessor und katholischer Geistlicher, war vor allem wegen des auf dem 1. Vatikanischen Konzil verkündeten Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes 1873 aus der Kirche ausgetreten. Seine Wiener Professur für Philosophie mußte er 1880 wegen seiner Verheiratung aufgeben, lehrte aber noch bis 1895 als Privatdozent.
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Beilage 2
wenn ich die Professur im Sinne der epistolae obscurorum virorum 9 führen müßte, ich lieber darauf verzichte. Ich habe sie aber doch bekommen. Ein Zeichen, daß es in Wien besser geworden ist, das wäre vor 30 Jahren nicht möglich gewesen. Ich sagte: daß neues Heft von Ostwalds Annfalen] erschienen sei, jetzt mit Goldscheid 10 zusammen] herausgegeben. Er: Goldscheid ist ein wertvoller Mensch. Ich weiß nicht, was die Sociologie dabei soll, bei 0[stwald]'s Zeitschrift]. Kleinpeters Buch „Die Phänomenologie". 11 „Ich habe Petzoldft] erst später kennen gelernt. Wir sind nie in allem ganz einer Meinung gewesen, aber haben uns immer vertragen. Als ich eine Bemerkung] mache, daß nicht mit allem ganz einverstanden bei Kleinpeter: „Man muß zusammenhalten, (so ähnlich)." Ich: Sie sollten mal nach München kommen? Herr Seeliger 12 hat mir das erzählt. Er: Ja, damals bin ich aus einer kindischen Überschätzung meiner momentanen Arbeit nicht weg. Ich hätte sofort experimentell arbeiten müssen. Als Nachfolger von Jolly. 13 Ich: Solle doch diktieren [gestrichen: seine Erinnerungen]. Er: Ja (Jo). Er: ja, nur tippen kann ich, da konzipiere ich langsam, beim Diktieren würde nach einer Viertelstunde mir das Gesagte nicht mehr gefallen. Ich: Aber seine Erinnerungen. Er: ja, da gabs manches komische. Wie ich nach Prag kam, war da der Rektor „Haller". Als ich ihn besuchte, waren wir sehr vorsichtig miteinander. Weil keiner wußte, ob der andere ein Tscheche sei. Wir waren aber beide Deutsche.
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Die .epistolae obscurorum virorum' (Dunkelmännerbriefe) sind von Humanisten des 16. Jahrhunderts (unter anderem von Ulrich von Hutten) absichtlich in schlechtem Latein verfaßte Briefe, als deren Urheber orthodox-theologische Gegner des Humanismus ausgegeben wurden. Die Briefe sind Persiflagen auf scholastische Spitzfindigkeit, Heuchelei, Unmoral etc. ihrer fiktiven Verfasser. Rudolf Goldscheid (1870—1931) war ein dem Monismus und Darwinismus nahestehender Philosoph und (vor allem) Soziologe. Johannes Kleinpeter (1869 — 1916) war Gymnasialprofessor in Gmunden, Oberösterreich, und ein Anhänger Machs. Machs Versuch, ihm in Prag eine Professorenstelle zu verschaffen, scheiterte am Widerstand von Christian von Ehrenfels. Das angesprochene Buch ist: Der Phänomenalismus. Eine naturwissenschaftliche Weltanschauung, Leipzig 1913. Zu Hugo v. Seeliger cf. Thiele (1979). Philipp von Jolly (1809 — 1884) war Experimentalphysiker in München. Seinem Studenten Max Planck gab er den denkwürdigen Rat, nicht Physik zu studieren, da es nichts Bedeutendes mehr zu entdecken gäbe.
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Dinglers zweiter Besuch bei Mach
Er: Neues Buch über mathematischen] Unterricht [in] Österreich]. 1 4 Als ich ein Proletarier war, habe ich unterrichtet, auch Kinder. Frug: was ist 2 + 3, wußte es nicht. Als ich sagte: 2 Nüsse + 5 [wohl richtig: 3] Nüsse, antwortete es: 5 Nüsse. Man brachte 1 Flasche Bier u. Mohnkuchen. Er: ich habe 20 Jahre kein Bier getrunken, jetzt tue ich es. Das Bier ist sehr gut. Er sagte: Mit dem Gehen gehts schlechter. Ich bin froh, wenn ich so zwei Jahre noch habe, und ein paar Sachen zu Papier bringen kann.
14
Es handelt sich um: Josef Jacob, Praktische 1913. Vorwort von Ernst Mach.
Methodik
des mathematischen
Unterrichts,
Wien
Beilage 3 Aus autobiographischen Manuskripten Dinglers Α
Aus: „Die Geschichte meines Denkens" (angefangen 19.12.1943) 15
[S. 86] Schon als Gymnasiast hatte ich Ernst Mach „Populärwissenschaftliche Vorlesungen" mit Begeisterung gelesen. 1902 hatte ich in Göttingen sein berühmtes Buch „Die Mechanik in ihrer Entwickelung" mir gekauft und eifrig studiert. Ich fühlte: hier wurden die Probleme behandelt, die mir besonders nahelagen, bzw. hier wurden die Probleme nahegebracht, auf die ich unmittelbar mit meinem Tiefsten ansprach. Bald darauf las ich auch seine „Analyse der Empfindungen" mit dem gleichen Interesse und gleich nach Erscheinen ließ ich mir durch meinen Großvater „Wahrheit und Irrtum" [sie!] schenken. So war mir Mach nicht nur ein Begriff, sondern ein leuchtendes und verehrungswürdiges Vorbild, wenn ich mich auch nach und nach von manchen seiner Meinungen wieder befreien mußte. Man mag daher mein Glück ermessen, als eines Tages, es mag 1910 gewesen sein, eine Postkarte mit Rückantwort an den Naturwissenschaftlichen Verein Aschaffenburg dort ankam mit der Bitte, ihm einen Aufsatz von mir, der in den Berichten dieses Vereins durch freundliche Vermittlung meines guten Vaters erschienen war, zugänglich machen zu wollen. Da ich gerade in Ferien in Aschaffenburg war, so gelangte die Karte bald an mich. Ich schrieb ihm sogleich in verehrungsvollen Worten und sandte das Gewünschte. So entwickelte sich ein Briefwechsel zwischen uns beiden, der mich tief beglückte. Auch schickte mir Mach von seinen Schriften, [S. 87] was ich noch nicht besaß. Es muß etwa Mitte 1911 gewesen sein, da kam die Sendung der 7. Auflage seiner berühmten „Mechanik" an mich von einem sehr lieben Briefe begleitet. Als ich sie aufschlug, fand ich zu meiner Freude einen überaus freundlichen und hoffnungsvollen Hinweis auf meine Forschungen und auf mich, an sehr ehrenvoller Stelle im 15
(HDA).
A u s autobiographischen Manuskripten Dinglers
413
Vorwort zu der neuen Auflage. Die Abfassung war so, daß sie keinen Zweifel daran ließ (was auch aus seinen Briefen hervorging), daß Mach meine Lösungsversuche kenne, billige und sich manches von ihrer Weiterentwickelung verspreche. Ich hätte oben bei dem Bericht über meine Habilitation an der Universität noch hinzufügen müssen, daß diese Erwähnung gerade rechtzeitig kam, um die Widerstände Pringsheims gegen mich zu überwinden, wie er mir ziemlich deutlich aussprach. Seeliger hatte nämlich Mach als Physiker nach München haben wollen, Mach aber hatte, damals noch in Prag, den Ruf abgelehnt, weil er sich dem deutschen Volkstumskampf in Prag nicht entziehen wollte. So mußte also Mach wohl oder übel auch von Pringsheim als Autorität anerkannt werden, bzw. Seeliger konnte sich den Widerständen Pringsheims gegenüber darauf berufen. Als ich dann schon habilitiert war, kam 1913 die Mitteilung, daß Mach in die Nähe von München (nach Vaterstetten bei Haar) gezogen sei, und daß ich ihn einmal besuchen solle. Es war ein wirkliches Privileg dies zu tun, denn ich war der einzige Gelehrte, dessen Besuche er in Haar noch empfangen hat, außer seinem speziellen Schüler Petzold[t]. Machs begabter Sohn, Dr. Ludwig Mach, hatte in seinem Auftrag das Familienhaus in Vaterstetten gebaut. Es lag ganz einsam im Walde, hinter hohen Büschen versteckt und zu einem physikalischen Forschungsidyll ausgebaut. Eigene Krafterzeugung war bereitgestellt. [S. 88] Im ersten Stock war ein durch das ganze Haus gehendes Zimmer zu einem optischen Versuchssaal ausgebaut mit geschliffenen Fensterscheiben und allen optischen Instrumenten. Parterre lag neben dem Wohnzimmer Machs Arbeitsraum, dessen Wände von einer erlesenen Bibliothek bedeckt waren, die alle wichtigen klassischen Autoren der Physik in Originalausgaben enthielt und noch vieles andere dazu. Mach war durch zwei Schlaganfälle gelähmt und konnte sich nur schwer bewegen. An einem durch das Zimmer in Hüfthöhe gezogenen Balken zog er sich, wenn es sein mußte, langsam entlang. Auch beim Sprechen war eine leichte Störung bemerkbar. Ich war vor dem Weltkrieg noch drei Nachmittage bei ihm und ich muß sagen, daß es in wissenschaftlicher Hinsicht die schönsten und eindruckvollsten Stunden waren, die ich mit einem Vertreter der älteren Generation erleben durfte. Was mir sonst bei Älteren nie vergönnt war, hier konnte ich ganz offen und frei von meinen Problemen sprechen, in dem Bewußtsein, nicht bezweifelt oder abgelehnt zu werden, wenn ich auch natürlich hauptsächlich ihn selbst reden ließ. Auch er sprach sich vollkommen frei und offen aus der Fülle der Erfahrungen eines langen Lebens aus und niemals wieder habe ich in
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Beilage 3
dem Maaße das Gefühl gehabt, daß jedes Wort mich und meine eigenste Sache angehe. Ende 1914 war ich dann nochmals bei ihm, der Weltkrieg raste seit vier Monaten durch Europa. Aber ich durfte bei ihm nicht über den Krieg sprechen denn seine Angehörigen hatten ihm verheimlicht, daß er ausgebrochen sei. 1916 starb er. Ob er vom Kriege noch erfahren hat, weiß ich nicht. Β
Aus: „Das Werden einer Wahrheit" (angefangen 12. 3.1952) 15
[S. 25] Inzwischen hatte ich im Anschluß an meine „Grundlagen der Physik" versucht dieselben Themen sozusagen hermeneutisch darzulegen, gegenüber dem synthetischen Vorgehen vorher. Ich nannte das Buch „Physik und Hypothese" und Schloß eine erneute Kritik der Relfativitäts] Th[eorie] an. Es erschien bei der Vereinigung Wissenschaftlicher Verleger (W. de Gruyter). Im Vorwort konnte ich darauf hinweisen, daß Ernst Mach im Vorwort zu einem nachgelassenen Werke über Optik eindeutig und energisch gegen die Rel[ativitäts] Th[eorie] Stellung genommen habe. Mach verwies dabei auf den zweiten Band dieses Werkes, der von seinem Sohne Ludwig bald herausgegeben werde. Ich will gleich vorgreifend erzählen, was aus dieser Sache wurde. Auf Ludwigs Wunsch las ich eine Correctur des I. Bandes der „Optik", da er keine Mathematik verstand. Er sagte, daß er für den II. noch experimentelle Untersuchungen ausführen müsse. Aber er habe wenig Zeit und Geld. Ich verschaffte ihm einen Kapitalisten der aus ideellen Gründen stark an der Sache interessiert war. Dieser wendet im Laufe einiger Jahre über 30 000 Mark ihm zu. Der Erfolg bestand in leeren Hinhaltungen und Versprechungen. Das Manuskript hatte niemand gesehen. Mitte der 20er Jahre kam er einmal, sprach von Suizid. Ich vermittelte ihm wieder 1000 M[ark]. Ende 1935 kam er von neuem als Bettler. Ich vermittelte ihm durch die Notgemeinschaft [S. 26] die Bezahlung seiner Schulden und eine monatliche Unterstützung, machte aber zur Bedingung, daß er das Manuskript beende. Er versprach alles aber tat nicht das Geringste. Schließlich sprach er davon, daß er die Arbeit doch nicht mehr vollenden könne (man hatte ihm im Krieg einige Bäume gefallt, die er angeblich brauchte für seine Versuche — Präzisionsversuche!) und sie deshalb verbrennen werde. Da platzte mir der Kragen (wie die Berliner sagen) und ich schrieb ihm deutlich und eindeutig, was ich von seinem Verhalten denke. Da er ca. 80 Jahre war, war es höchste Zeit, ihm das zu sagen, 30 Jahre hatte er mich an der Nase herumgeführt.
Aus autobiographischen Manuskripten Dinglers
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Ich vermute, er hatte irgendwelche jüngeren Physiker aus der theoretischen Physik an der Hand, die ihn ,berieten' und deren Aussagen über die Rel[ativitäts] Th[eorie] schenkte er Glauben. Er besaß keinerlei seelische Kraft der eigenen Meinung oder des Widerstandes. Ein armer skelettloser Mensch.
Beilage 4 Ludwig Mach: „Experimentalreihe als Einleitung für den II. Teil der Optik gedacht"16 1) Die Technik und Construction der letzten Interferenzapparate, deren Justirung und Verwendung. — 2) Interferenzapparat für secundäre Interferenzen. Die Grenzen der Interferenz. Allgemeine Betrachtungen und historischer Rückblick. 3) Die Aufstellungen Michelson's sind noch einmal im Princip und ihrer Anwendung genau zu studiren — und auch alle Einzelheiten wie Fehlerquellen — Grenzen der Beobachtungsgenauigkeit zu überprüfen. 4) Die Michelson'sche Anordnung ist durch eine andre, einfachere zu ersetzen und mit dieser die Versuche zu wiederholen, soweit dies überhaupt'angängig ist. 5) Nach E. Machs Ansicht ist Michelson's Versuch principiell richtig und soll in der alten Form durchaus nicht wiederholt werden, aber es bestehen bei der Subtilität der Aufstellung Bedenken, ob er quantitativ nicht verfehlt ist. Auch soll der Versuch unbedingt mit stehender Lichtquelle, Sonnen- oder Fixsternlicht, wiederholt werden. 6) Es sind Mittel zu ersinnen, die es ermöglichen, die Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit im Sinne und entgegen der Bewegung der Erde auf einmal zu bestimmen. Bei Verwendung großer Wegstrecken wäre dies die einwandfreieste Methode, die sich aber vorerst nicht verwirklichen läßt. — Sollte sich auch dieser Versuch auch zunächst wegen unüberwindlicher Schwierigkeiten nicht durchführen lassen, so soll er in Gedankenexperimenten seinen dauernden Platz einnehmen [!]. 7) Bradley's, Fizeau's und Michelson's Versuch sind miteinander zu vergleichen und Überlegungen über den gegenwärtigen Stand dieser Fra-
16
Aus einem Notizbuch Ludwig Machs (ULS).
Ludwig Mach: „Experimentalreihe"
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gen anzustellen. Bradley's Aberration ist in der „Optik" ungenügend erklärt, es möge diese Stelle entsprechend richtiggestellt werden. 17 Fizeau's Versuch betreffend die ,Entramirung des Aethers' mit strömendem Wasser wird als richtig angesehen — er ist mit gasförmigen und festen Körpern zu wiederholen, ebenso aber mit einer anomal dispergierenden Flüssigkeit ζ. B. einer Lösung von Fuchsin oder Cyanin in absolutem Alcohol. — 8) Weitere Versuche über die Natur des Lichtes. Die Vorstellungen der Emanations & Undulationstheorie, die Polarisation. Versuche über Cohaerenz. Zusammenhang zwischen Emission und Erregungscentrum. Die Grenze des Cohäerenzwinkels [!] bei verschiedenen, auch kalten Lichtquellen — bei Leuchtsubstanzen, Käfer- und Pflanzenlicht. Die Cohaerenz zweier getrennter kalter Lichtquellen, sogenannte schwingende Interferenzen'. — Es muß bei dem unendlich schwachen Licht eine neue Form des Fresnelschen Prismas gefunden werden. Reflexion am glühenden Spiegel stört die Cohärenz nicht. Das Emissionsgesetz [unleserlich] Spiegel — Kirchhoffs Satz. — 9) Weitere Vorschläge über das Wesen der Lichtstrahlen. Findet ein sich im Weltall fortpflanzender Lichtstrahl ein Ende [?] — Gilt dasselbe vom Lichtimpuls? Haben die rückwärtigen Partien des Lichtstrahles auf die vorderen einen Einfluß, d. h. hängt die ,mutmaßliche Lebensdauer eines Lichtimpulses' davon ab, ob hinter ihm neue folgen [?] — Können sich Lichtstrahlen tatsächlich durchkreuzen oder gegeneinander laufen, ohne sich etwas anzuhaben, d. h. ohne sich zu beschleunigen oder zu verzögern [?] Sind diese Versuche mit terrestrischen Entfernungen überhaupt durchführbar [?] — sind sie nicht vielmehr ä priori quantitativ verfehlt [?] Versuche mit einem Jaminschen oder sonstigen Interferenzapparat: Mit gleichsinnig oder entgegenlaufendem Licht oder electrischen Strömen.
17
Hier gibt es nichts .richtigzustellen', da nichts ,erklärt' wurde. Mach gibt (O., 35 f.) lediglich einen Bericht über Bradleys Entdeckung des Phänomens und dessen richtige Erklärung auf der Basis der Newtonschen Korpuskularhypothese des Lichts.
418
Beilage 4
Wird es möglich sein, einen der interferierenden Lichtstrahlen durch ein magnetisches Feld von entsprechender Stärke und Ausdehnung zu verzögern oder zu beschleunigen [?] Folgerichtig auch bei Ausbau Maxwellscher Gedanken müßte man eine Induction der Wärme und des Lichtes finden.
Beilage 5 Abhandlungen A
Text %ur
von Ludwig
Machx%
Energiefortpflan^ung19
Wenn ich einen Äther-erfüllten Raum voraussetze, so ist es für die theoretische Betrachtung zunächst ganz gleichgültig, welche Wellen-Art (longitudinal, transversal oder wie sonst) ich für die Energie-Welle annehme, stets darf ich sie als die rhythmische Aufeinanderfolge gleicher Zustände betrachten. Der einfachste Fall hierfür ist die Aufeinanderfolge gleich starker Stöße in gleicher Richtung und in gleichen Zeitabständen. Es wird angenommen, daß der erste Energiestoß unabhängig vom Bewegungszustand der Energiequelle sich mit einer Geschwindigkeit von c in einer Sekunde fortpflanzt. Weiterhin wird als Beispiel angenommen, daß in dem Augenblick, in dem sich der erste Energiestoß um einen Meter von seinem Ausgangspunkt (nicht auch in allen Fällen von der Energiequelle) entfernt hat, der zweite Energiestoß die Energiequelle verläßt und sich dann ebenfalls mit der Geschwindigkeit c in einer Sekunde fortpflanzt. Wird nun die Energiequelle als ruhend gedacht, so werden alle Energiestöße überall im Raum in der Entfernung von einem Meter aufeinander folgen und ebenso auf einen ruhenden Beobachter stoßen. Beträgt zum Beispiel c = 330 m in der Sekunde, so wird die ruhende Energiequelle 330 Energiestöße in der Sekunde aussenden und der ruhende Beobachter wird ebenfalls 330 Energiestöße in der Sekunde feststellen. Bewegt sich die Energiequelle jedoch, unter im übrigen ganz gleichbleibenden Verhältnissen, in der Richtung auf den Beobachter zu, so wird ebenfalls zwar der zweite Energiestoß die Energiequelle verlassen, wenn der erste Energiestoß sich um einen Meter von seinem Ausgangspunkt
18 19
(ULS). Getippte Ausführung, ebenso wie der nächste Text und D, ohne Überschrift Ludwigs; Datum 30. Juni 1921 (ULS). Dieser Text dürfte wie der ebenfalls getippte nächste aus der von Alfred Pfaff geförderten Arbeit (cf. § 42, 348 ff.) resultieren.
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Beilage 5
entfernt hat, aber seine Entfernung von der Energiequelle beträgt nicht mehr einen Meter, sondern weniger. Hat sich die Energiequelle ζ. B. um 25 cm von der Anfangsstelle entfernt, während der erste Energiestoß einen Meter zurückgelegt hat, so verläßt der zweite Energiestoß die Energiequelle in dem Augenblick, in dem die Entfernung zwischen Energiequelle und erstem Energiestoß nur 75 cm beträgt. Dies gilt ebenso für alle weiteren Energiestöße, sie folgen sich in je 75 cm Abstand und treffen, da sie alle die Geschwindigkeit c besitzen, ebenso mit 75 cm Abstand beim Beobachter ein. Dieser stellt also nicht mehr 330, sondern 440 Stöße in der Sekunde fest. Bewegt sich endlich, unter im übrigen wieder gleichgebliebenen Verhältnissen, der Beobachter in der Richtung auf die ruhende Energiequelle zu, so folgen sich in Bezug auf den ruhenden Raum die Energiestöße wie im ersten Fall in Abständen von einem Meter. Ist ein Energiestoß genau 1 einen Meter von dem Beobachter entfernt, so würde er ihn in Sekun330
de erreichen. Inzwischen hat sich aber der Beobachter um 25 cm entgegenbewegt, beide zusammen haben einen Weg von 125 cm zurückgelegt, während ihre Entfernung nur 100 cm betrug. Da der Energiestoß 4 Wegeeinheiten zurücklegt, während der Beobachter 1 Wegeeinheit beschreibt, treffen sich beide (in unserem Beispiel) bei 80 cm. Nun ist aber der nächste Energiestoß wieder genau einen Meter vom Beobachter entfernt, so daß sich der gleiche Vorgang wiederholt. Alle Energiestöße treffen den Beobachter (scheinbar) in der jeweiligen Entfernung von 80 cm voneinander und der Beobachter stellt in der Sekunde 412,5 statt vorher 440 Energiestöße fest. Es ist somit nicht gleichgültig, ob sich die Energiequelle mit der Geschwindigkeit ν dem Beobachter, oder ob sich der Beobachter mit der Geschwindigkeit ν der Energiequelle nähert. In unserem Beispiel war: c = 330 χ 1 Meter ν = 330 χ J / 4 Meter es ist also
c = 4 und ν = 1
und die beiden Stoßpunktzahlen verhalten sich: n 3 : n 2 = 412,5 : 440
Abhandlungen v o n Ludwig Mach
oder:
(
n3 = n2 I 1 -
n3
421
v^ —
{ 12\ 15 = 440 ( 1 - - j = 440 • — = 412,5
Der Ausdruck: v2
erinnert an das Ergebnis des Fizeau'schen Versuches und an die LorentzTransformation:
Da alle beobachtbaren ν stets sehr klein im Verhältnis zu c sind, so wird sich experimental ein Unterschied zwischen 1
v2 / - u n d /l c2 V
v2 c2
-
auf optischem Weg nicht feststellen lassen, vielleicht aber bei entsprechendem akustischem Versuch. 30. Juni 1921.
Β
Text über
Licbtintensität
Die Lichtintensität nimmt mit wechselnder Entfernung von der Lichtquelle ab. Sie ist umgekehrt proportional dem Quadrat der Entfernung. Bringen wir einen Lichtpunkt in den Mittelpunkt einer Hohlkugel, so verteilt sich das Licht vollkommen gleichmäßig auf die gesamte Kugelfläche, jeder Quadratzentimeter der Kugelfläche erhält genau die gleiche Lichtmenge. Führen wir diesen Versuch bei gleichbleibender Lichtquelle der Reihe nach mit verschiedenen großen Kugeln aus, deren Durchmesser wir eine Länge von 1 m, 2 m, 3 m, 4 m, u.s.f. geben, so ist es ohne weiteres ersichtlich, daß sich die gleiche Lichtmenge der Reihe nach auf die einfache, vierfache, neunfache, sechzehnfache u.s.w. Fläche verteilen muß, da die
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Beilage 5
Oberflächen der verschiedenen Kugeln in diesem Verhältnis zunehmen. Wenn ein Quadratzentimeter der ersten Kugel die Lichtmenge eins erhält, so erhält ein Quadratzentimeter der zweiten Kugel nur noch ein Viertel, ein Quadratzentimeter der dritten Kugel ein Neuntel, der vierten Kugel ein Sechzehntel hiervon u.s.f. Bei dieser Ueberlegung, die innerhalb der erlaubten Fehlergrenzen vollkommen mit der Beobachtung übereinstimmt, sind die Lichtstrahlen einer Lichtquelle als Kraftlinien betrachtet, deren Dichte oder Anzahl auf den Quadratzentimeter die Intensität des Lichtes darstellen. Erstaunlich bleibt hierbei die ungeheure Zahl von Licht-Kraftlinien, die von einem Lichtpunkt ausgehen: (Berechnung.) Die aktive Augenfläche wird zu 1 Quadratzentimeter angenommen. Da wir den Planeten Jupiter mit bloßem Auge sehen, muß zum mindesten eine Kraftlinie von ihm ins Auge (1 Quadratzentimeter) gelangen. Seine Entfernung von der Erde ist bekannt, folglich auch die Kugelfläche, die diese Entfernung zum Radius hat. Diese Kugelfläche in Quadratzentimeter ausgedrückt ergibt das Minimum der Kraftlinien, die Jupiter aussendet. Nun erhält Jupiter sein Licht von der Sonne, man hat also die gleiche Berechnung unter Berücksichtigung der Oberfläche beider nochmals auszuführen und erhält ein (sehr ungünstiges) Minimum für die Anzahl Kraftlinien, die die Sonne aussendet. Es ist interessant, zu sehen, wie sich der Abstand zweier Kraftlinien von einander an der Sonnenoberfläche zu der Wellenlänge des Lichtes verhält. Die bis zur Vollkommenheit gleichmäßige Ausbreitung des Lichtes von einem Lichtpunkte aus erscheint mir an und für sich nicht selbstverständlich, sie bedingt einen mathematischen Punkt als Erregungs-Zentrum und Kugelflächen gleichen Erregungs-Zustandes. Auf diesen Kugelflächen müßte aber wieder jeder mathematische Punkt vollkommen Licht-identisch mit jedem anderen Punkte sein. Dies würde aber wieder eine unendlich große Zahl von Kraftlinien bedingen, dann könnte aber die Intensität nicht mit dem Quadrat der Entfernung abnehmen, sondern sie bliebe sich immer gleich. Das Bild von den Kraftlinien ist anschaulich und mathematisch verwendbar, muß aber hiernach doch vielleicht durch ein besseres ersetzt werden. — Lassen wir zum Beispiel das Licht des Sternes Capella, das etwa Jahre gebraucht hat, um von dort bis zu uns zu gelangen, durch ein optisches Medium (etwa Glas oder Wasser) fallen, so verzehrt es sich schon nach wenigen Metern, man sagt: es wird absorbiert. Hierbei ist das Wort
Abhandlungen von Ludwig Mach
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„Absorption" natürlich nur ein wissenschaftlicher Ausdruck für eine beobachtete Tatsache, der jedoch keinerlei Erklärung für diese Tatsache gibt. Klar ist bei diesem Vorgang zunächst, daß er mit der früher beschriebenen Abnahme der Lichtintensität im Verhältnis zum Quadrat der Entfernung von der Lichtquelle nichts zu tun haben kann. Feststellen können wir bei diesem Vorgang zunächst nur, daß etwas, was vorher vorhanden war, nämlich die Lichtenergie, verschwunden ist. Festzustellen wäre aus der Literatur (oder durch Versuche), ob bei ein und demselben Medium die Absorption des Lichtes direkt proportional der im Medium durchlaufenen Strecke ist. Eine Reihe verschiedener Medien ist in verschiedenen Dicken für die verschiedenen Wellenlängen zu untersuchen. Findet bei einem Medium bei einer festgestellten Dicke gerade volle Absorption des Lichtes statt, so ist ohne Zweifel in diesem Augenblick die Intensität des Lichtes gleich null geworden. Diese nunmehr verschwundene Intensität kann mit der Intensität, die durch die Kraftliniendichte bedingt ist, nicht wesensgleich sein, sondern sie muß eine Eigenschaft der einzelnen Kraftlinie selbst sein. Allgemein nimmt man (als Vergleichsbild) an, daß das Licht eine transversale Wellenbewegung des Aethers ist. Hierbei ist die Farbe durch die Wellenlänge, die Intensität durch die Wellen-Amplitüde bedingt. Die Absorption des Lichtes in einem beliebigen Medium wäre also gleichbedeutend mit der Verringerung der WellenAmplitüde auf null in dem betreffenden Medium. Da die Absorption bei zunehmender Dicke des Mediums ganz allmählich alle Phasen bis zur vollständigen Absorption durchläuft, muß also die Wellen-Amplitüde von ihrem Maximum ganz stetig durch alle Werte bis auf null sinken. Es ist wohl erlaubt (? gegebenen Falles: Versuch) anzunehmen, daß alle optischen Medien bei genügender Dicke das Licht vollständig absorbieren. Die spekulative Annahme liegt nicht allzu fern, daß auch dem Aether, wenn auch in außerordentlich viel geringerem Maße, eine Licht-absorbierende Eigenschaft zukommt. Dann müßte bei genügend langem Raumweg jeder Lichtstrahl ausgelöscht werden, nicht weil die Kraftliniendichte zu gering geworden ist, sondern weil die Schwingungsamplitüde jeder einzelnen Kraftlinie auf null gesunken ist. Was aber für das Licht gilt, gilt auch für jede Art strahlender Energie, sei es Licht, Wärme, Elektrizität, Magnetismus oder Schwerkraft. Könnte der Beweis für die Richtigkeit einer solchen Hypothese erbracht werden, so würden auch die Newton'schen Gravitationsgesetze einer (theoretischen) Korrektur bedürfen.
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Beilage 5
Es erscheint mir zweckmäßig, Untersuchungen über Lichtintensität vorzunehmen. Zunächst wäre es wichtig, die Lichtintensität der verschiedenen Lichtsorten (Wellenlängen) im Spektrum zu bestimmen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Lichtstrahlen verschiedener Wellenlängen verschieden lange Wege im Prisma zurücklegen. Dies läßt sich durch Verwendung eines Halb-Zylinders als Prisma oder eines Gitter-Spektrums vermeiden. Es ist als Prisma eine Reihe verschiedener optischer Medien zu verwenden. Man nimmt ganz allgemein an, daß einer ganz bestimmten Stelle des Spektrums eine ganz bestimmte Wellenlänge entspricht. Hierbei ist es gleichgültig, ob es sich um einen Lichtstrahl oder um den ihm zugehörigen Wärmestrahl (oder etwa einen chemischen Strahl) handelt. Nun können wir ein Spektrum von reinen Lichtstrahlen also unter Ausschaltung der Wärmestrahlen und ebenso ein dunkles reines Wärmespektrum erzeugen. Im ersten Fall müssen wir die Wärmestrahlen durch eine Alaunplatte, im zweiten Fall die Lichtstrahlen durch eine Lösung von Jod in Schwefelkohlenstoff absorbieren lassen. Dieses verschiedene Absorptionsvermögen kann nicht durch die Wellenlänge bedingt sein, die ja in beiden Fällen gleich ist, aber auch die Wellenamplitüde kann gleich sein, folglich bliebe eigentlich nur übrig, anzunehmen, daß der Charakter der Lichtwelle wesensverschieden vom Charakter der Wärmewelle ist. Es dürfte wohl richtig sein, alle Versuche einerseits mit reinen Lichtstrahlen, das heißt nach Abfiltrierung der Wärmestrahlen und andererseits mit reinen Wärmestrahlen durchzuführen, um vielleicht auf diese Weise Anhaltspunkte für den Charakter der Aetherwellen überhaupt zu finden. Nun sind ja eigentlich schon seit langer Zeit alle Theorien, die einen Unterschied zwischen Lichtstrahlen und Wärmestrahlen behaupteten, verlassen worden. Die Wissenschaft steht auf dem Standpunkt: es gibt nur eine ununterbrochene Reihe gleichartiger Energiestrahlen. Nur die Wellenlänge (beziehungsweise die Schwingungszahl) ist bei diesen Strahlen verschieden und je nach dem Grade der Brechbarkeit überwiegt die eine oder die andere Wirkung. Diese Erklärung erscheint mir als ein Ausweichen vor unbequemen Schwierigkeiten. Wenn eine bestimmte Wellenlänge im Spektrum sowohl Wärme- wie Licht-Wirkung erkennen läßt und ich habe die Möglichkeit, nach Belieben (durch Alaun- bezw. Jod-Filter) die eine oder die andere Wirkung auszuschalten, so muß meiner Meinung nach für diese Ausschalte-Möglichkeit (Absorptions-Vermögen) eine Eigenschaft der Welle verantwortlich sein, die unabhängig von der Wellenlänge ist. München, den 4. Dezember 1921.
Abhandlungen von Ludwig Mach
C
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„Interferenz und Cohären
Durch fast über 20 Jahre war dieser Gegenstand unser gemeinschaftliches Arbeitsgebiet in dem Sinn, daß mir alle experimentellen Arbeiten zufielen und wir dieses Thema besonders sorgfaltig für den zweiten Teil der „Optik" deren Manuskript zum größten Teil vorliegt, verwenden wollten. Unsere langen, durch Jahre währenden Diskussionen über diesen Gegenstand sind teilweise in unseren Notizbüchern verzeichnet, und wir wurden uns klar, daß wir in Ansehung des großen physikalischen Materiales, vielleicht die größten Aufschlüsse über die Natur des Lichts, durch Sinnesphysiologische und anatomische Einsichten gewinnen könnten, zu mindesten richtungsbestimmendes Material für neue Wege der Erkenntnis, zusammenbrächten. Unsere Wege haben sich hierbei getrennt, indem ich damals schon eingehende Studien, besser gesagt Spekulationen, über die Lichtperzeption im Auge (Retina) anstellte. Diese Dinge aphoristisch niedergelegt, müßte ich mir heute erst wieder lebendig machen. Hand in Hand damit, gehen die in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie niedergelegten Abhandlungen, über die Größe des Abgangswinkels, noch cohärenter Strahlen und die Cohärenz überhaupt. Obwohl hier ein reiches Material und mannigfache Einrichtungen vorhanden sind, können diese Arbeiten als nicht abgeschlossen angesehen werden. Doch scheint die Ansicht von Ε. M., daß die Cohärenz bei kaltem Licht, zum Beispiel fluoreszierenden Körpern, sich in sehr weiten Grenzen bewegt, richtig zu sein. Dieser Teil der Versuche ist tatsächlich um ein gutes Stück weiter gekommen, und bedürfte nur einer hartnäckigen Konzentration um absolute Klarheit zu schaffen. Durch unsere vielen gemeinschaftlichen Gespräche, Gedankenexperimente und Versuchsprojekte bin ich glücklicherweise völlig im laufenden und auf diesem Gebiete richtig zuhause. Die Versuche, welche wir seinerzeit mit Spalten vor dem Sonnenbild anstellten, wurden mit anderen Himmelsobjekten wiederholt.
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Dieser Text ist ebenso wie die nächsten getippt und undatiert. Papiere mit den entsprechenden Typen treten 1936 gelegentlich bei Ludwig Mach auf. Die Texte dürften im Zusammenhang mit der Förderung Ludwigs durch die „Forschungsgemeinschaft" oder durch R. H. Lowie entstanden sein.
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D
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Text %ur Optik II
Ich habe mich mit meinem Vater bis in seine letzte Lebenswoche hinein, immer wieder mit dem Michelson'schen Versuchen in Bezug auf die Aberration Hadleys [sie!] und den Finzeaus'schen [sie!] Beobachtungen eingehendst unterhalten und wir sind hiebei zu Anschauungen gekommen, die den modernen nichts weniger wie gleichgerichtet sind. Ein großer Teil dieser Gedanken ist schon in Wien im Manuskript zum zweiten Teil der „Optik" niedergelegt worden und wir haben damals schon die Lage und die Größe des in Vaterstetten erworbenen Grundes so bemessen, daß er sich zur Aufnahme der Rot eingezeichneten Aufstellung eignet und dann auch mit einer Reihe diesbezüglichen Untersuchungen nach unserer Übersiedelung nach Deutschland unverzüglich begonnen, welche Arbeit, wenn auch mit zeitweilig langen Unterbrechungen, von mir bis heute fortgeführt wurde. Natürlich habe ich die inzwischen enorm angewachsene Literatur über diesen Gegenstand, soweit es meine Verhältnisse und Mittel erlaubten, verfolgt und mir wenigstens die Originalschriften notiert, welcher Umstand mich, so ich hoffe, in die Lage versetzen wird, die nötigen Ergänzungen im Manuskript noch hinzuzufügen. Eine ganz kurze Abhandlung, beginnend mit den ersten Interferenzversuchen, bis zu den heutigen modernen Interferometern, also ein vorwiegend historisches Essays, wurde im Auszug zur Klärung meiner eigenen Anschauungen zu Papier gebracht, und ein Teil dieser Gedanken, ist in der Festschrift für Wilhelm Jerusalem, während des Krieges erschienen. Ε
„Apparat %ur Herstellung sekundärer
Interferenzen"
Bei Arbeiten mit Newton'schen Farbengläsern, kann man auf Grund theoretischer Erwägungen, folgenden Versuch ausführen. Zwei gleiche Newton'sche Farbengläser mit Plangläsern aus Obsidian zeigen die gewöhnliche Erscheinung. In beiden werden nun diese durch Entfernung des Konvexglases vom Planglase zum Erlöschen gebracht. Blickt man nun über das eine Glas als Spiegel in das zweite Glas hinein, so erscheinen unter Umständen wieder Ringe in Farben. Dies wurde auf Anregung von Ernst Mach zu einem Apparat umgebaut, der eigentlich nur zwei derartige Gläser von großer Dicke darstellt. Dieser Interferenzapparat, dessen Optik der verstorbene Professor Rudolf Steinheil herstellte, und aus zwei justierbaren, vollkommenen Planspiegeln und zwei rechtwinkligen Prismenpaaren von höchster Vollkommenheit, d. h. genauesten Winkeln gleicher Dicke und ohne den geringsten Pyramidalfehler, bei
Abhandlungen von Ludwig Mach
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absolut homogenen Silikat-Crown besteht, ist längst vollendet und war wiederholt justiert. Die Publikation über diesen Gegenstand steht noch aus. F
„Apparat %ur stereoskopischen Projektil-Aufnahme"
Bei den letzten Projektil-Aufnahmen war es mir möglich, die SchußLinie in einem nahezu spitzen Winkel zur optischen Achse der SchlierenAufstellung zu legen. In diesem Falle natürlich schlägt das Projektil, je nach der Aufstellung, am Beleuchtungsfunken oder am Hohlspiegel vorbeigehend, in den dahinter gestellten Kugelfang mit Panzerplatte ein. Damals wurde in mir der Wunsch, nach einer stereoskopischen Schlieren-Aufnahme eines fliegenden Geschosses rege, und mein Vater bezeichnete diese Sache, nach der freien Geschoßauslösung im Felde, als den würdigen Abschluß der optisch-ballistischen Versuche. Dies war in den Neunzigerjahren, und unsere Übersiedelung nach Wien, beraubte uns des Laboratoriums und bereitete meiner experimentellen Tätigkeit ein Ende, bedingt durch meinen Übergang in die operative Medizin. Merkwürdigerweise kam aber mein Vater immer wieder auf dieses Thema zurück und nach dem Bau unseres Häuschens mit Laboratorium in Vaterstetten bei München, bestimmte mich mein Vater sofort an die Beschaffung der entsprechenden Apparate heranzugehen. Dies wurde uns durch das Entgegenkommen vom Professor Steinheil ermöglicht, der uns alle optischen Hilfsmittel schenkte, wobei mir die Ausführung aller mechanischen Bestandteile zufiel, was ungefähr in das Jahr 1911 —1912 fällt. Ich konnte gerade noch mit einem Phantom die ganze Anordnung ausprobieren — erhielt von Krupp die notwendigen Nickelstahlplatten als der Krieg ausbrach und diese Arbeiten jäh unterbrach. Der im Februar 1916 erfolgte Tod meines Vaters, meine kurz darauf folgende Einziehung zum Militär und der durch die Inflation erlittene Verlust meiner ganzen Barmittel, ließen mich bis heute nicht an diese Untersuchungen kommen, die bis ins Kleinste sorgfältig vorbereitet sind. Ich konnte also Ε. M. seinen Wunsch bei Lebzeiten nicht mehr erfüllen. Seine eingehende Beschäftigung mit Sinnes-physiologischen, optischen, speziell stereoskopischen Aufgaben mögen mit an dem großen Interesse, das er diesen Versuchen entgegenbrachte, beteiligt gewesen sein. Beim Bau des Hauses haben wir diese ballistischen Versuche mitberücksichtigt, und für ausgiebige Lichtlinien und stabile Aufstellungen, Sorge getragen.
Beilage 6 Gutachten Gebrcke21 Hochgeehrter Herr Doktor. In Erwiderung Ihrer Zuschrift vom 17. 7. danke ich Ihnen bestens für die Einsicht, die Sie mir in die Verhältnisse der Mach'schen Mechanik gaben. Ich habe stets sehr bedauert, daß der Herausgeber dieses Buch in den Dienst der Relativitätsmode gestellt hat. Hierdurch wird wohl vom Standpunkt des Verdienens etwas gewonnen und es mag im Augenblick die Schnelligkeit des Absatzes gesteigert werden, zumal der Herausgeber im Anhang meint, die Relativitätstheorie wäre „die goldene Frucht" von Machs „tiefverwurzeltem und mächtig ausgebreitetem Gedankenbaum". Aber es wirkt einfach peinlich, wenn man beim Durchlesen des Machschen Werkes auf das Machwerk des Anhangs stößt; der Wechsel ist zu plötzlich, und, was noch bedauerlicher ist, es wird einem hierdurch der Geschmack an dem ganzen Buch beeinträchtigt. Meines Erachtens kommt nur ein einziges Mittel in Frage, um dem abzuhelfen: bei einer neuen Auflage sollte der ganze Anhang gestrichen und lieber nur der Abdruck des alten Mach unverändert vorgenommen werden. Ich glaube nicht, daß es viel Zweck hätte, den Herausgeber zu einer anderen Fassung seines Anhanges zu veranlassen, er wird doch immer wieder eine Darstellung bringen, die dem Werk eine ganz einseitige Orientierung gibt, welche Mach, wenn er lebte, weit von sich weisen würde. Wie gesagt, wird sich nur ohne die Beigabe des Herausgebers, die dem Leser einen ganz falschen Begriff von Machs Mechanik gibt, etwas bessern lassen, doch dürfte es schwer sein, den Herausgeber von der Notwendigkeit eines solchen Schrittes zu überzeugen. Mit besten Grüßen Ihr ergebenster [Unterschrift] E. Gehrcke
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Cf. § 44, 367 ff. Gehrcke hat offenbar kein formelles Gutachten geschrieben.
Beilage 7 Gutachten Lenard Heidelberg, 30. Juli 1923. Gutachten Von Herrn Dr. Ludwig Mach aufgefordert, erstelle ich gern um der Wichtigkeit der Sache halber folgendes Gutachten über die in Vorbereitung befindliche Neuherausgabe von E. Mach's „Mechanik", deren Text und Anhang ich eingesehen habe. Es handelt sich dabei um die Frage des Passens des Anhangs des Herausgebers zum Texte des verstorbenen Verfassers. Der Text des Buches war mir lange bekannt, schon aus den bei Lebzeiten des Verfassers erschienenen Auflagen. Ich schätzte das Buch hoch; es war einzigartig und ein dauernd wertvoller Genuß, von dem „unbefangenen" aber mit seltener historischer Kenntniß begabten „Spaziergänger mit eigenen Gedanken" durch die Gebiete der Mechanik sich führen zu lassen. Dieser Genuß und damit die wesentlichste und charakteristischste Wirkung des Buches ist durch das Nachwort des Anhangs verdorben, das von ganz anderem Geist ist. Wichtig ist das für die vielen neuen Leser, die das Buch immer wieder sich erwerben wird. Lesen diese, um sich zu orientieren, das Vorwort zur Neuherausgabe (S. XI der 8. Aufl.) mit der Äußerung von E. Mach an den Herausgeber: „Ihre kritischen u. polemischen Ausführungen, welche sich in abschließende Kapitel werden zusammenfassen lassen, sind mir im Voraus willkommen", so werden sie den Anhang aufschlagen mit dem Vertrauen, daraus Machs Geist und den Geist des ganzen Werkes zu ersehen. Dieses wäre aber eine große Täuschung, die dem Werk Unrecht tut. Der Herausgeber versteift sich in dem Anhang darauf, Mach als einen der Begründer der „Relativitätstheorie" hinzustellen. Daß dies aber ebensowenig im Sinne Machs ist als im Sinne des Textes seiner „Mechanik", dies ist völlig offenbar aus einem anderen Werke Machs — das aber der Leser der „Mechanik" nicht gleich
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Beilage 7
zur Hand hat —, nämlich aus seinen „Prinzipien der physikal. Optik". Dort heißt es in dem von E. Mach selbst unterschriebenen Vorwort: „ . . . entnehme ich, daß mir langsam die Rolle des Wegbereiters der Relativitätslehre zugedacht wird. Nun kann ich mir heute ein ungefähres Bild davon machen, welche Umdeutungen und Auslegungen manche der in meiner Mechanik niedergelegten Gedanken von dieser Seite in Zukunft erfahren werden". Diese 1913 ausgesprochene Befürchtung hat sich 1921 im oben betrachteten Anhang des Herausgebers der „Mechanik" (8. Aufl.) und jetzt wieder in der 9. Auflage ganz augenscheinlich verwirklicht, und es ist damit auch das „im Voraus Willkommenheißen" der Ausführungen des Herausgebers (ausgesprochen 1901) so gut wie ausdrücklich von E. Mach selbst zurückgenommen, wenn man den Inhalt der nun tatsächlich im betrachteten Anhang gemachten Ausführungen ersieht. Diese Ausführungen des Anhangs verleihen in der Tat dem Werk von E. Mach eine ganz einseitige Deutung, sie verändern Sinn und Orientierung des Werkes; sie müßten weggelassen werden, um den von E. Mach so augenscheinlich gewollten Gesichtspunkt des „unbefangenen Spaziergängers" (wie er sich selbst treffend im oben gedachten Vorwort der Optik noch vor dem Obsiegen seines körperlichen Leidens nennt) geltend zu behalten und ihn nicht in verwirrender Weise zu vermischen mit dem ganz anderen Gesichtspunkt eines absichtsvollen Reiseführers. [Unterschrift] P. Lenard Professor der Physik.
Beilage 8 Aus Pro^eßakten des Münchener Landgerichts22 Α
Gutachten ZenneckP
Dr. J. Z e n n e c k , ord. Prof. der Experimental-Physik a. d. Technischen Hochschule München (entpfl.) Geh. Reg. Rat. Betr. Landgericht München II 7. Zivilsenat Akt. Z.: 7. 0. 516/481 DR. MACH, Ludwig ./. Amperwerke wegen Schadenersatz. A. Die Grundlagen für mein Gutachten sind abgesehen von den ProzeßAkten: 1. das was ich bei dem Augenschein in Vaterstetten am 25. Juli 49 gesehen & von Dr. Mach gehört habe 2. die Angaben von Dr. Mach, um die ich ihn bei diesem Augenschein gebeten hatte & die ich am 19. Aug. 49 von ihm erhielt (Anl. 1 & 2) 3. Die Angaben von Dr. Mach in Anl. 3 u. 4 über „Aufstellung & Montierung des Interferenzapparates mit langen Lichtwegen unter konstanten Massenverhältnissen im freien Feld." Ich bemerke dazu, daß diese Grundlagen durchaus nicht so klar waren bzw. sind, als es wünschenswert wäre. Im folgenden versuche ich, die wichtigsten Punkte herauszuheben & zu erklären. B. Der Ausgangspunkt ist der Gedanke von Professor Ernst Mach, dem Vater von Dr. Ludwig Mach & berühmten Physiker, daß die Fortpflanzung des Lichts von der „Umgebung' abhänge. [Hinweis auf: Anl. 2, Z. 51—53, 66 — 76, 77 f.] 22
23
(VAT). Die Papiere dieser Beilage tragen den Eingangsstempel des Münchener Landgerichts II vom 14.9.1949. Cf. § 42, Anm. 16.
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Beilage 8
Es handelt sich dabei um 2 ganz verschiedene Dinge, die aber in Anl. 2 nicht streng getrennt sind, nämlich 1. die Fortpflanzung des Lichts in verschiedenen Medien ζ. B. in Luft & in Wasser oder in einer Atmosphäre mit & einer ohne Wasserdampf [Hinweis auf: Anl. 2, Z. 71 f.], durch die das Licht hindurchgeht, 2. Beeinflussung der Fortpflanzung des Lichts durch Massen, an denen das Licht vorbeigeht, ζ. B. Fortpflanzung des Lichts an der Erdoberfläche gegenüber derjenigen in einem Bergwerk oder auch derjenigen in der freien Luft [Hinweis auf: Anl. 2, Z. 71 ff.], oder auch derjenigen in der freien Luft gegenüber derjenigen längs der Achse eines Solenoids [Hinweis auf: Anl. 2, Z. 139 f.] oder eines Bleirohrs (Angabe Dr. Machs [S. 2] bei dem Augenschein in Vaterstetten): in den beiden letzteren Fällen ist der Lichtstrahl von einem zylindrischen Raum von großer Masse umgeben. Der Fall 1 ist uninteressant: es ist schon längst bekannt, daß die Fortpflanzung des Lichts vom Medium abhängt, in dem die Fortpflanzung erfolgt. Auf was Dr. Mach im Anschluß an die Ideen seines Vaters besonderen Wert legt, gehört zu Fall 2. Der Gedanke ist der, daß das Licht sich anders fortpflanze, wenn es sich an einer Masse irgend welcher Art ζ. B. einer Bleikugel oder einem Baumstamm oder einer Hauswand vorbeibewege als wenn es sich in freier Luft ausbreite. Versuche darüber mögen auf den ersten Anblick sinnlos erscheinen. Man sieht nicht ein, warum ein Lichtstrahl sich anders als in freier Luft fortpflanzen solle, wenn er ζ. B. an einem Baumstamm vorbeigeht, ohne in irgendwelche Berührung mit ihm zu kommen. Vielleicht wird es vorstellbarer, wenn man an folgendes denkt (vgl. folgende Abbildung).
»
1»
(α)
Aus Prozeßakten des Münchener Landgerichts
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Es soll von einer Büchse Β ein Geschoß nach einer Scheibe S geschossen werden. Die Büchse sei so fest eingespannt & ihre Streuung so gering, daß bei mehreren Schüssen das Geschoß immer wieder auf demselben Punkt Ρ des Schirmes einschlägt. Wenn jetzt in die unmittelbare Nähe der Geschoßbahn eine Masse Μ ζ. Β. eine Bleikugel oder ein Holzklotz gebracht wird, so wird das Geschoß einen anderen Punkt Ρ der Scheibe treffen. Das Geschoß pflanzt sich also anders fort wenn es an der schweren Masse Μ vorbeigeht als wenn diese Masse nicht vorhanden ist. — Ob die Ablenkung P'P meßbar ist, ist ganz gleichgültig, vorhanden ist sie zweifellos. — Der Gründl dafür ist allbekannt: er ist die Anziehung des Geschosses durch die Masse Μ infolge der Newton-schen Gravitationskraft. Man drückt es auch häufig so aus: das Geschoß bewege sich durch das Gravitationsfeld der Masse Μ hindurch [Hinweis auf: Anl. 2, Z. 74f.]. [S. 3] Nun behauptet die allgemeine Relativitätstheorie, daß auch das Licht in einem Gravitationsfeld eine Ablenkung erfahre d. h. daß ein Lichtstrahl abgelenkt werde, wenn die Lichtwelle an einer Masse vorbeigehe. Da nach den Beziehungen der Relativitäts-theorie die Ablenkung mit den Massen, die an der Erdoberfläche zur Verfügung stehen, zu klein sein würde, um beobachtet zu werden, so wurden die Versuche zur Prüfung der Relativitätstheorie so gemacht, daß man die Sonne als ablenkende Masse verwendete. Man beobachtet bei einer Sonnenfinsternis, bei der also das Licht der Sonne nicht stört, einen Fixstern in unmittelbarer Nähe des Sonnenrandes, d. h. also, wenn das Licht, das von dem Fixstern in die Fernrohr-Kamera kam, unmittelbar an der großen Sonnenmasse vorbeigegangen war. Wurde dieses Licht durch die Sonnenmasse abgelenkt, so muß der Fixstern an einer anderen Stelle des Himmelgewölbes erscheinen als sonst, wenn das Fixsternlicht auf seinem Weg zur Fernrohr-Kamera nicht an der Sonne vorbeigegangen war. Die Ablenkung, die man tatsächlich beobachtete, war zwar ungefähr die von der Relativitätstheorie geforderte, aber sie lag so nahe bei der Grenze der Beobachtbarkeit, daß auch heute noch nicht sicher istb) ob sie die Folgerungen der Relativitätstheorie bestätigt. Professor Ernst MACH hat diese Versuche nicht mehr erlebt. Er starb schon 1916, während die ersten dieser Versuche erst 1919 ausgeführt wurden. Prof. Mach glaubte an die Relativitätstheorie nicht. Wenn er seinem Sohn die erwähnten Versuche vorschlug, so war der Zweck auch zweifellos der, die Folgerungen der Relativitätstheorie zu prüfen. C. Möglichkeit der Fortsetzung der Versuche auf dem veränderten Grundstück Aus der Auffassung, daß die Lichtfortpflanzung durch die „Umgebung" beeinflußt werden könnte, hat Dr. Mach [Hinweis auf: Anl. 2,
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Ζ. 100 ff.] konsequenterweise den Schluß gezogen, daß Versuche, die mit der Fortpflanzung von Licht [S. 4] zu tun haben, nur vergleichbar sein können, wenn die Massenverteilung dieselbe bleibt. Das bedeutet praktisch, daß Versuche, die er auf seinem Grundstück nach der Abholzung, oder die er teilweise auf dem ENGELMANN'schen Grundstück gemacht haben würde, nicht mehr vergleichbar gewesen wären mit denen, die er vor der Abholzung auf seinem Grundstück gemacht hatte. Die Verhältnisse haben etwas Ähnlichkeit mit der folgenden akustischen Aufgabe. Es sollen irgendwelche Versuche über die Ausbreitung von Schallwellen, die ζ. B. von einem Lautsprecher als Sender zu einem Mikrophon als Empfänger ausgehen, gemacht werden. Die Schallausbreitung ist zweifellos abhängig von der Umgebung d. h. von dem Raum, in dem die Versuche vor sich gehen, — vorausgesetzt, daß nicht ein Raum extrem starker Dämpfung zur Verfügung steht, in dem die Abhängigkeit der Schallausbreitung vom Raum nur ganz gering ist. — Man wird dann auf alle Fälle bestrebt sein, die Versuche alle im selben Raum auszuführen & Versuche, die in verschiedenen Räumen gemacht wurden, nicht für vergleichbar halten. Von Dr. Mach wurde großer Wert darauf gelegt, die Versuchsbedingungen möglichst unverändert zu halten. Das geht aus der Sorgfalt hervor, mit der er sich bemühte, seine Fixpunkte, die Ecken seines Quadrats, die die Spiegel & Planplatten seines 4-Platten-Apparats trugen, stets reproduzierbar festzulegen (Anl. 3 u. 4). Natürlich hätte man unter Zuhilfenahme des Engelmann'schen Grundstücks wieder ein Versuchsquadrat wie auf dem Mach'schen aufbauen können; die Vermessung und der Aufbau würden allerdings wohl damals viel Zeit erfordert haben. Was man aber nicht hätte wiederherstellen können, sind die Massenverhältnisse, wie sie durch die Baumstämme & das Haus bedingt waren. D. Nachteile (Schaden) So ist es bei der Einstellung von Dr. Mach bezüglich einer möglichen Beeinflussung der Lichtausbreitung durch die Massenverteilung in der Umgebung verständlich, daß er sich bei seinem Alter zu einer solchen, — nach seiner Auffassung eben wegen der Änderung der Massenverteilung [S. 5] doch ungenügenden — Änderung seiner ganzen Versuchsbedingungen nicht entschließen konnte & sein ganzes Lebenswerk, als das er nun einmal die Durchführung der von seinem Vater ihm aufgetragenen Versuche ansah, als zerstört betrachtete. Das traf ihn um so härter, als er nach seiner Ansicht [Hinweis auf: Anl. 2, Z. 156 f.] infolge seiner gewonnenen
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Erfahrungen, Einsichten und kultivierten Verfeinerungen die besten Aussichten hatte, die Arbeiten in wenigen Jahren zu Ende zu führen. In der Tatsache liegt wohl der große subjektive ideelle Schaden, den Dr. Mach durch die Maßnahmen auf seinem Grundstück erlitten hat. Ein gewisser objektiver reeller Schaden ist ihm aus folgendem Grunde entstanden. Zu den Versuchen mit der Meßanordnung auf seinem Grundstück gehörten auch Versuche, die mit der Beeinflussung der Lichtfortpflanzung durch die Massenverteilung in der Umgebung nichts zu tun hatten, ζ. B. solche, die sich mit der Lichtfortpflanzung in strömender Luft, wie sie Fizeau mit strömendem Wasser angestellt hatte [Hinweis auf: Anl. 2, Z. 55 ff.] beschäftigten. Die Ergebnisse dieser Versuche sollten in den 2. Teil der „Prinzipien der physikalischen Optik", deren 1. Teil im wesentlichen schon von seinem Vater fertiggestellt worden war [Hinweis auf: Anl. 2, Z. 88 ff.] aufgenommen werden. Diese Versuche hat Dr. Mach begreiflicherweise nun auch aufgegeben & damit auch die Abfassung & Veröffentlichung des 2. Teils der Prinzipien der physikalischen Optik. Dieser objektive Schaden ist sehr gering gegenüber dem subjektiven, den Dr. Mach erlitten hat & der sich nicht einfach in Geldwert ausdrücken läßt. 4 Anlagen
[Unterschrift]
Zenneck
[Anmerkungen] a) von irgend einem Einfluß der Luftbewegung um das Geschoß soll abgesehen werden; man kann sich ja vorstellen, daß der Versuch im „luftleeren" Raum gemacht wird. b) In seiner Geschichte der Physik, die 1946 erschien, sagt Professor Max von Laue, bekanntlich selbst ein ausgezeichneter theoretischer Physiker, von der Relativitätstheorie: „Dennoch sind die Akten über diese Theorie noch nicht geschlossen".
Β Anlage 2 (Ludwig
Mach)
Anbei überreiche ich einige in Betracht kommende Journale und Aufzeichnungen, die sich durch Notizen und Colleghefte von Ε. M. ergänzen. Weitere Tagebücher stehen noch zur Verfügung. Die chronologisch entwickelten Reihen der Versuche und die Zeitangaben bitte ich als eine Übersicht aufzufassen. Ernst Mach, 1864 nach einigen Arbeiten (Doppler-Petzval 60 — 62) nach Graz als Professor der Mathematik nach Prag 67 als Physiker berufen.
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Das Prager Laboratorium, in einem der Universität gehörenden alten Hause untergebracht, verfügte über eine karge Dotation (500 fl.). Die damaligen Publikationen bezeugen seine Arbeitsrichtung: Beiträge zur „Doppler Theorie", Prag, Calve 1874 Optisch akustische Versuche, Prag 73 Grundlinien der Bewegungsempfindungen, Leipzig, Engelmann. Vortrag in der königl. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften über die „Erhaltung der Energie", 12. Nov. 71 zur Theorie des Gehörorgans, Prag, Calve, 73 Für physiologische Experimente war ich Versuchsobjekt. In den folgenden Jahren wagte ich mich selbst in die Laboratoriumsarbeiten hinein, in den 80er Jahren lernte ich durch die hufeisenförmige Form der Zimmer und der Wanddurchbrüche die ersten, für mich so merkwürdigen Aufstellungen kennen. In der überaus bescheidenen Institutswerkstätte erlernte ich die Holz- und Metallarbeit. Für die Erstausgabe der Mechanik habe ich steife Figuren gekritzelt und Vignetten und Porträts nach dem alten nassen Verfahren hergestellt. Ich übergehe die nächsten Jahre, in denen ich meine Maturitätsprüfung ablegte. In die Welt der Optik ward ich durch die Gespräche meines Vorfahren, besonders an Hand einer schönen Literatur, eingeführt und wußte mit den schönen alten Instrumenten des Instituts Bescheid. Als Student der Medizin war mir eine weitere Ausbildung in der theoretischen Physik möglich und lernte seine Einstellung gegenüber der Äther-Hypothese und Molekularphysik kennen. Ich war damals sein Gehilfe auch bei seinen Arbeiten über anomale Dispersion. August 88 begleitete ich Ε. M. nach dem Krupp'schen Schießplatz in Meppen, wo wir die ersten Aufnahmen fliegender Kanonenprojektile mit selbstgebauten Behelfen tätigten. Mein damals vorgeschlagenes Zielfernrohr wurde belächelt und natürlich auch von der österr. Militärverwaltung abgelehnt. [S. 2] Nov. 89 erscheinen „ballistische Studien" von Ernst und Ludwig Mach, und damit beginnen unsere Aufzeichnungen im vorliegenden Journal. Der Wunsch, quantitative Messungen an fliegenden Projektilen und Luftstrahlen mit Hilfe des Jarmin'schen [!] Apparates zu machen, konnte bei der Kleinheit der Platten von nur 3 Centim. Dicke nicht realisiert werden, denn das Interferenzfeld war geradezu winzig. Der Wunsch nach
Aus Prozeßakten des Münchener Landgerichts
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Abhilfe brachte mich auf die Konstruktion des Vier-Platten-Apparates, den ich, nach Überwindung von Schwierigkeiten, im Sommer 1891 selbst erbaute, derselbe hat sich voll bewährt. Ernst Mach bezweifelte nicht nur die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, sondern setzte bei seinen Anschauungen über den Äther Zweifel über die Unabhängigkeit der Lichtstrahlen von ihrer Umgebung. Ich hatte auf seinen Wunsch und in Ansehung des so viel besprochenen Michelsohn'schen [!] Versuchs, die Finzeau'sche [!] Aufstellung mit Preßluft (später in Wien mit einer Geißler'schen Röhre) mit positivem Erfolg wiederholt. Bei der mächtigen Trennung der interferierenden Lichtbündel des VierPlatten-Apparates hoffte er auf experimentellem Wege seine Annahmen überprüfen zu können. Nach seiner Berufung, anfangs der 90er Jahre nach Wien, ruhten diese Arbeiten durchaus nicht, sondern beschäftigten ihn weiter und veranlaßten ihn zu einer Reihe von Diskussionen, die auch in seiner Korrespondenz mit dem Astronomen Seeliger 24 ihren Niederschlag finden. Durch mein Zusammenarbeiten mit dem Spectroskopiker, Dr. Viktor Schumann, erfuhr er, daß schon eine Luftschicht von 3 Centim. gewisse Spektrallinien zum Erlöschen bringt und er zweifelte nicht mehr an der Beeinflussung der Lichtstrahlen durch die Umgebung und faßte den Gedanken einer Hochvacuumphysik. Auch werden die Lichtstrahlen schon wegen des Wassergehaltes der Atmosphäre auf einem sehr hohen Berg sich anders verhalten, wie auf der Erdoberfläche oder in einem Bergwerk. Nach seiner Meinung sind Lichtstrahlen in der Atmosphäre und dem Gravitationsfeld der Erde etwas anderes, wie die Strahlen im Weltall. Zur Ergründung der von ihm vermuteten Wechselwirkungen des Lichtes zu seiner Umgebung sollte die Untersuchung eines interferierenden Lichtstrahles dienen und hier erhoffte er in dem Vier-Platten-Apparat das richtige [S. 3] Werkzeug zu besitzen. Die Änderungen der Interferenz bei „Belastung" des einen Astes hätte bei Streifenverschiebung Aufklärung bringen müssen. Eine Reihe sehr phantasievoller Versuche, teilweise mit polarisiertem Licht, führten zu keinem befriedigenden Abschluß. Auch nach seiner Erkrankung im Jahre 98 beschäftigte uns dieses Thema weiter und außerdem eine ganze Reihe von Spezialarbeiten, über die das Journal und die Separatabdrucke Rechenschaft geben. Ε. M. 24
Die von Thiele publizierten Briefe Seeligers (Thiele (1979)) enthalten nichts dergleichen. Ludwig hatte hier offenbar das Bedürfnis, den in München bekannten und hochgeachteten Seeliger ins Gespräch zu bringen.
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schrieb die „Prinzipien der physikalischen Optik" und seine philosophischen Arbeiten und wurde von mir über den Gang der Experimente im [!] laufenden gehalten, bis wir in seiner neuen Wohnung in der Gersthoferstraße wieder gemeinsam arbeiteten. Bezüglich der Interferenzversuche zur Ergründung der Eigenschaft des Lichtes, kamen wir zu dem Resultat, daß es sich nicht bloß um die ohne weiteres im Apparat gegebene Trennung der Lichtbündel, sondern auch um die Länge (Einschaltung) also quantitative Faktoren handelt. Wir mußten unserem Apparat Dimensionen geben, zu denen Räumlichkeiten nicht ausreichten und dieser Umstand brachte mich auf den Gedanken, im freien Gelände zu experimentieren. Aus diesem Grunde übersiedelten wir 1911 —12 in unser Anwesen nach Vaterstetten, um hier ungestört unseren Ideen und Arbeiten nachzugehen. Wir hatten optisch ausgestattete Arbeitsräume nebst Werkstätte zur Fortsetzung unserer Wiener und der großen Arbeit. Ich stellte mit meinem Bruder Felix nach langen, sich oft wiederholenden Messungen mit Winkelspiegel und Theodolit, die Fundamentpunkte für den großen Apparat im Walde fest. Die Beherrschung so langer Strecken, die Freihaltung der Lichtlinien, erforderte viel Zeit und Mühe. Die Justierungsmethoden mußten geändert und zum Teil neu erdacht werden, die Verständigung der Experimentatoren erforderte Lichtsignale und telefonische Verbindung. Natürlich durfte in der Umgebung des Apparates nicht die geringste Massenverschiebung vorgenommen werden. Nach Einübung einer besonderen Technik begann ich mit den Versuchen im freien Walde, bei großem immer gleichbleibenden Lichtwege bei konstanter Umgebung. Viele Versuchsreihen gingen durch Ungunst der Witterung und sonstiger Zufälle verloren. Auf besonderen Wunsch meines Vaters wurde ein aus einem Glasrohrdreieck gebauter, in einem Bottich schwimmender Michelsohn'scher Apparat improvisiert. [S. 4] Im Laboratorium wurden die Arbeiten für die Weiterführung der „Prinzipien der Optik" fortgesetzt: Ablauf der Lichtemission, Abhängigkeit der Cohärenz vom Abgangswinkel eines glühenden Platindrahtes, Versuche mit dem glühenden Platinspiegel, neue Versuche mit der Loyd'schen [!] Aufstellung, Doppelbrechung des Wassers und der Luft. Eine gebrauchsfähige Einrichtung zur Aufnahme von Luftschliern [!] wurde gebaut (stereoskopischen).
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Die kurzen Berichte dieser Arbeiten wurden nicht mehr gedruckt. Eine Untersuchung über die Interferenz phosphorescierender Lichtquellen wurde begonnen. Ich hatte noch die Freude, meinem Vater noch vor seinem Tode die Ergänzung seines Schlußwortes, die von Felix illustrierte Broschüre „Kultur und Mechanik" zu überreichen. Nach seinem Tode 1916 wurden die Versuche mit aller Energie weitergeführt, doch bedeutete meine Einziehung zum Militärdienst eine große Störung. Dennoch gelang es mir, neue Auflagen seiner herausgegebenen Bücher und 1921 „die Prinzipien der physikalischen Optik" „druckfertig" zu machen. Im Jahre 31 gelangte ich zu eindeutigen Resultaten mit einem größeren Solenoid. Der Wunsch, es zu vergrößern, sowie noch ergänzende Versuche zu machen, konnte bei der damaligen finanziellen Lage nicht erfüllt werden, doch konnte ich eine Reihe von sehr wichtigen Vorarbeiten und Hilfseinrichtungen in der Werkstätte vorbereiten. Der plötzliche Tod meines Bruders beraubte mich der Hilfe bei den Experimenten und brachte mich auf den Gedanken einer stabilisierten Aufstellung, basiert auf einer älteren Beobachtung. Die in Bleiklötzen eingelöteten Elemente, durch Hammerschläge justiert, behalten jahrelang ihre Einstellung. Es wäre möglich gewesen, auf Säulen von Bleiröhren dem Apparat eine unerwartet andere Form zu geben und wurden wiederum die Ausführungen durch Geldmangel vereitelt. Wohl mußte ich mühselig alles wieder so weiterführen, doch hätte ich durch meine gewonnenen Erfahrungen, Einsichten und kultivierten Verfeinerungen die besten Aussichten, in einigen Jahren auch ohne Hilfe, bei der nötigen Ruhe, die Arbeiten zu Ende zu führen. Es hätte sich dann erwiesen, ob Ernst Mach's Anschauungen über Elektronen, Relativität, Äther, Lichtgeschwindigkeit, zutreffen, also dem heutigen physikalischen Weltbild diskrepant sind. So war der Zweck seines Auftrages, meine persönlichen und materiellen Opfer vergeblich und bin ich heute außerstande einen Versuch nachzuweisen, noch zu wiederholen. C Anlage 4 (Ludwig Mach) Aufstellung und Justierung des Interferen^apparates mit langen Lichtwegen unter konstanten Massenverhältnissen im freien Wald. Das im Bau in Meridian gestellte Haus hatte keine Wasser- und sonstige Zufuhr, nur ein vertikales Brunnenrohr. Der Waldboden blieb unberührt.
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Die mit Hilfe von Winkelspiegeln, Stativen und einem Ertl'schen Meßinstrument, grob bestimmten Marken, waren zunächst nur Orientierungspunkte, denen die Lichtwege unter Schonung des Waldbestandes mit Hilfe eines Fernrohres klar gemacht wurden. Dieses Verfahren wurde oft wiederholt, die Grenzen immer genauer gezogen, die Entfernungen mit einer Aluminiumlitze nachgeprüft. Zu den weiteren Vorbereitungen gehörte ein mit Hilfe eines Heliostaten über Reflexionsprismen, im Quadrat herum geleitetes Lichtbündel. Die in den Boden versenkten Stäbe wurden weiter geprüft und ihre Stellung korrigiert. Hierzu dienten dreibeinige, aus Hartholz gefertigte Präzisionsstative mit bis auf den Boden gehenden vertikalen exakten Höhenverschiebungen. Die Verschiebungsachse war durch zwei Marken auf der Stativplatte und auf dem unteren Ende der Stativsäule markiert. Es wurde nun die untere Marke mit den Spitzen der Stäbchen zur Coincidenz gebracht und folgendermaßen verfahren: Die Füße wurden in drei irdene Näpfchen gestellt und so unterlegt, daß die Stativplatte horizontal war. Dann wurden die Näpfchen durch einen Zementguß verfestigt und mit der Umgebung verankert. Dieses Verfahren hat sich, wie die Nachprüfungen ergaben, voll und ganz bewährt. Die Stative waren numeriert, durften nicht um ihre Achse gedreht werden und waren durch eine besondere Markierung versichert. Die im Situationsplan schematisch angedeuteten Stativplatten bildeten nach der Höhenkorrektion zusammen die Ebene des Experimentierfeldes. Trotz der unverdrossen sorgfältigen Arbeit mußten immer wieder Korrektionen und die Arbeit systematisch eingeübt werden. Besonders zu betonen ist, daß bei der Länge der Lichtwege man nur mit Sonnenlicht die Justierung bewerkstelligen konnte. Diese mühsame Arbeit war nutzbringend, weil es nur geringer Nachkorrekturen bedurfte, wenn die Stative neu aufgestellt und die Beobachtungen] mit künstlichem Licht durchgeführt wurden. Auf den vier Stativen standen eckständig, genau über den Achsenmarken, zwei große Planplatten und zwei Spiegel, die mit einem, auf der Stativplatte befestigten Mechanismus, sich frei und mikrometrisch sich um eine horizontale und vertikale Achse drehen ließen. Außerdem war die eine Platte mit Hilfe eines Supports parallel verschieblich angeordnet und zwar auf dem vierten letzten Stativ, wo der Beobachter stand. [S. 2] Die Einzelheiten der Justierung sind in mehreren Abhandlungen im Jahre 91, 92, 93 bekanntgegeben. Die Schwierigkeiten einer Anordnung von diesen Abmessungen dürfen nicht unterschätzt werden und werden nur von dem richtig gewertet, der die Empfindlichkeit des kleinen Jarmin'schen [!] Apparates kennt.
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Durch die Ungunst des Wetters und anderweitiger Zufalle, vor allem durch die Unruhe der Luft, gingen zahlreiche Beobachtungen verloren. Nur dem genauen Studium der lokalen Verhältnisse, abgesehen von laufenden Laboratoriumsarbeiten, ist es zu danken, daß im Jahre 31 eine Reihe eindeutiger Resultate erzielt wurde. Die Einschaltung von Solenoiden und anderen Anordnungen von beträchtlichem Umfang war in Aussicht genommen und sollten, wie bisher auf Seite des Beobachters auf Einsäulenstativ vorgenommen werden. Die Möglichkeit von wirksamen Einschaltungen in lange Lichtwege, bei konstanten Massenverhältnissen war nunmehr erwiesen, der Weg in Neuland offen.
Beilage 9 Auszüge aus dem Urteil des Münchener Oberlandesgerichts25 3 U 29/ 7.0 516/48 LG. München II Streitwert für die Berufung: 14220 D M „ „ „ Anschlußberufung: 5000 D M IM N A M E N D E S VOLKES! Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München — Oberlandesgerichtsrat Dr. Jochheim als Vorsitzender, Oberlandesgerichtsräte Müller und Maurer als Beisitzer — erläßt am 11.12.1950 mit Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren nach § 128 II Z P O in Sachen Dr. Mach Ludwig, Wissenschaftler in Vaterstetten, Gemeinde Parsdorf, Wasserburgerlandstraße 61, Kläger, Berufungsbeklagter und Anschlußberufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Diemer in München, gegen Amper - Werke AG. in München, Sendlingertorpl. 11, Beklagte, Berufungsklägerin und Anschlußberufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Benno Schülein in München, wegen Schadensersatzforderung folgendes Endurteil: I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil [S. 2] des Landgerichts München II vom 3.12.1949 dahin abgeändert: a) daß die Beklagte an den Kläger 5000 D M nebst 4% Zinsen seit 21.4.1949 zu bezahlen hat, b) daß die Klage im übrigen abgewiesen wird, 25
(OLG). Ich erhielt die Kopie des Urteils am 3. April 1984 im Münchener Oberlandesgericht. Die Namen der Beteiligten wurden aus Datenschutzgründen routinemäßig geschwärzt, waren jedoch auf Grund anderer Unterlagen leicht zu rekonstruieren.
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c) daß die Kosten des 1. Rechtszugs der Kläger zu 3 / 4 , die Beklagte zu 4 zu tragen hat. II. Im übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. III. Die Anschlußberufung des Klägers wird zurückgewiesen. IV. Von den Kosten des 2. Rechtszugs trägt der Kläger 3 / 4 , die Beklagte
V 4· V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. [...] [S. 4] II. Der Kläger hat beantragt, die Berufung der Beklagten kostenfallig zurückzuweisen und (Anschlußberufung) die Beklagte in Abänderung des erstrichterlichen Urteils zur zusätzlichen Zahlung von 5000 DM oder eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrages zu verurteilen. [S. 5] In einem verspätet nachgebrachten Schriftsatz hat Kläger vorsorglich eine lebenslängliche Rente verlangt. [...] Er hat hinzugefügt [...], die Festsetzung der Höhe der Entschädigung bleibe nach wie vor in die richterliche Bemessung gestellt: ein über die 1. Instanz hinausgehender Antrag werde nicht gestellt.
Zur Begründung hat der Kläger erklärt: Eine unerlaubte Handlung der Beklagten sei darin zu erblicken, daß sie vor Verbescheidung der Beschwerde mit der Abholzung begonnen habe; dadurch sei nämlich die Entscheidung der Beschwerdeinstanz beeinflußt worden. [...] Im übrigen ist die Anschlußberufung im wesentlichen mit Ausführungen über die wissenschaftliche Bedeutung des Klägers begründet worden. [...] Aufgefordert, zum Nachweis des ihm entgangenen Gewinnes zu 5000 DM dem Gericht seine Vorarbeiten für den 2. Band der „Optik" vorzulegen, ferner genauere Beweise dafür anzubieten, daß die Durchforstung und Uberspannung des Grundstücks die Realisierung eines Grundstücksmehrwertes von 10000 DM verhindere [...], hat der Kläger erklärt: Er könne Belege oder Unterlagen für Gewinnentgang nicht vorlegen [...] Er besitze keine besonderen Aufzeichnungen über die von ihm vorgenommenen Untersuchungen und Experimente. [...] Seine Beobachtungen seien schon durch den Kriegsausbruch [S. 6] und die dadurch erzwungenen optischen Einengungen vorübergehend unterbrochen worden, hätten aber ohne den zerstörenden Eingriff der Beklagten sofort nach Beendigung des Krieges unter bedingten Einschränkungen neu aufgenommen werden können. [...] Hinsichtlich der Höhe des Gewinnentganges
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sei es nicht nur auf den unmittelbaren Ertrag einer wissenschaftlichen Veröffentlichung abzustellen; das dadurch geförderte wissenschaftliche Ansehen hätte auch finanzielle Zuwendungen erwarten lassen. [...] Das Ergebnis seiner Forschungen, die von der Beklagten verhindert worden seien, hätte er jedenfalls auch irgendwie wirtschaftlich auswerten können. [...] Zur Frage der Auswertung seines Grundstücks hat er ausgeführt: Es handle sich um ein Besitztum in einer Villengegend, um eine Randsiedlung, deren Wert in der Ruhe und Schönheit des Grundstücks und im Baumbestand gelegen habe; die Starkstromleitung bedeute eine Verschandlung. Der Kläger habe sein Haus als Speziallaboratorium eingerichtet. [...] Dieses habe nicht nur Liebhaberwert, sondern auch Marktwert, den die Höhe der Aufwendungen des Klägers zur Einrichtung ungefähr angebe; 10000 bis 12 000 D M sei nicht überschätzt. [...] Der Kläger hat zur Ergänzung seiner Ausführungen ein Ergänzungsgutachten des Professors Dr. J. Zenneck vorgelegt. [...] Darin ist ausgeführt, daß die Veröffentlichungsaussichten des zweiten Bandes der „Prinzipien der physikalischen Optik" günstig gewesen wären, zumal als geistiger Urheber dieses Bandes der Vater des Klägers [S. 7] gegolten hätte. Ferner ist darin gesagt, das Grundstück des Klägers sei durch die Verlegung der Hochspannungsleitung zum Verkauf als Forschungslaboratorium praktisch unbrauchbar geworden. [...] [S. 8]
Entscheidungsgründe: Die Berufung der Beklagten ist zum Teil begründet; die Anschlußberufung des Klägers unbegründet. I.
Ansprüche des Klägers nach dem Zwangsabtretungsgeset^:
Die Ausführungen des Erstrichters über die Grundlagen [S. 9] des Anspruchs des Klägers und über die allgemeinen Gesichtspunkte, die für die Bemessung einer Entscheidung maßgebend sind, sind zutreffend. Auf sie wird Bezug genommen. Nicht zu billigen aber sind die Ausführungen über einen Gewinn, der dem Kläger wegen Behinderung in seiner wissenschaftlichen Arbeit angeblich entstanden (richtig: entgangen, G. W.) ist, und über die Höhe der Entwertung seines Grundstücks. Da die angebliche Entwertung des Grundstücks wesentlich mit der wissenschaftlichen Arbeit des Klägers zusammenhängt, sei zunächst die letztere erörtert.
Auszüge aus dem Urteil des Münchener Oberlandesgerichts
1.
Entgangener
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Gewinn aus Wissenschaft lieber Arbeit :
Der Kläger stützt seine Ansprüche darauf, daß es ihm durch die Enteignungsmaßnahme unmöglich geworden sei, den zweiten Band der von seinem Vater herausgegebenen „Prinzipien der Optik" abzuschließen und überhaupt, wissenschaftliche Versuche fortzusetzen, die er angeblich früher unternommen hatte. Beim Augenschein hat Kläger auf die Frage nach seinem Geldschaden erklärt: Das hängt mit dem Werk über die Optik zusammen, zunächst jedenfalls mit dem Buch [...]. Der Sachverständige hat ausgeführt, [...] ein gewisser objektiver reeller Schaden sei dem Kläger dadurch erwachsen, daß er nunmehr Versuche, deren Ergebnisse in dem zweiten Teil der Optik aufgenommen werden sollten, aufgegeben habe und damit auch die Abfassung und Veröffentlichung des zweiten Teils der Optik. Der Erstrichter hat in Anlehnung an das Gutachten Dr. Zenneck unterstellt, daß die vom Kläger auf seinem Grundstück eingerichtete optische Meßanlage einer einzigen großangelegten Versuchsreihe auf lichtelektrischem Gebiete zu [S. 10] dienen hatte, daß die Fortsetzung und der Abschluß dieser Versuchsreihe nunmehr unmöglich geworden sei [...], daß Kläger den zweiten Band der Optik, den er nach Abschluß seiner Versuchsreihen hätte herausgeben können, nun nicht mehr herausgeben könne und daß ihm dadurch materielle Vorteile entgingen [...]. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Ein Werk wie der 2. Band der „Prinzipien der Optik" kann nicht nur aus der Wiedergabe von Versuchen bestehen, die der Kläger (der zur Zeit der Enteignungsmaßnahme fast 75 Jahre alt war und heute ziemlich gebrechlich ist) nach der Zwangsmaßnahme ausgeführt hätte, sondern müßte auch andere Ausführungen enthalten und ältere Versuche verwerten. Es lag daher nahe, zum Beweis des entstandenen Schadens die Vorlage der bisherigen Manuskripte oder doch Notizen und Vorarbeiten dazu, insbesondere der Aufzeichnungen über die bisherigen Versuchsreihen, die nicht vollendet werden können, zu verlangen; schon der Erstrichter und der von ihm vernommene Sachverständige hätten die Vorlage solcher Beweise verlangen müssen. Der Kläger hat aber im Berufungsverfahren zugeben müssen, daß er besondere Aufzeichnungen über die von ihm laufend vorgenommenen Untersuchungen und Experimente nicht angelegt hat. Er hat zwar „bis in die dreißiger Jahre" [...] und zwar zusammen mit seinem 1933 verstorbenen Bruder [...], aber nicht bis zur Enteignung, Untersuchungen und Messungen durchgeführt; er hat nicht laufend Reihenmessungen gemacht, die sich
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in Hunderten von Aufzeichnungen niederlegen ließen. [...] Die Beobachtungen wurden schon durch den Kriegsausbruch „vorübergehend" unterbrochen und hätten erst nach Beendigung des [S. 11] Krieges (1945, Kläger etwa 77 Jahre alt) fortgesetzt werden sollen. [...] Beim Augenschein nochmal nach seinen Aufschreibungen gefragt, hat der Kläger erklärt: „Die feinsten Aufschreibungen haben wir im K o p f . [...] Hienach kann kein Zweifel sein, daß der Kläger kein Blatt Papier als Vorarbeit für den 2. Band der Optik oder auch für andere beabsichtigte Veröffentlichungen, deren Fertigung durch die Dienstbarkeit der Beklagten behindert werden konnte, besessen hat, als über sein Anwesen eine elektrische Leitung geführt wurde. Das Gericht ist überzeugt, daß der Kläger gar nicht ernstlich im Sinne gehabt hat, in seinem Alter noch eine so schwierige Arbeit wie den 2. Teil der Optik oder andere Arbeiten, die durch die Dienstbarkeit der Beklagten verhindert werden konnten, anzufangen und zu veröffentlichen, nachdem er es in jüngeren Jahren versäumt hatte, vorzuarbeiten. Es ist nicht wahr, daß ihm durch die Führung einer Stromleitung über sein Grundstück irgend ein Gewinn aus wissenschaftlicher Arbeit entgangen ist, mag nun dieser Gewinn in einem Honorar oder in einer unentgeltlichen Zuwendung bestehen. Diese Annahme wird auch durch die Aufschlüsse bestätigt, welche der Kläger über den Einfluß der Maßnahme auf seine Versuche gegeben hat. Die Führung der Leitung an sich konnte nämlich seine Versuche bisher kaum stören, weil sie bisher nicht unter Strom stand [...]. Er sagt nun, der dunkle Arbeitsplatz im Freien (das Laubdach, das bei der Durchforstung auf einem Teil des Grundstücks verschwinden mußte), sei die Seele des ganzen Unternehmens gewesen, die Konstanz der äußeren Verhältnisse sei für ihn wesentlich gewesen. [...] [S. 12] Aber es ist nicht glaubhaft, daß lediglich das Fehlen des Hochwaldes auf einem Streifen des Grundstücks, das vorher schon nicht ganz gleichmäßig bewachsen war (Fichtenwald, teilweise Laubwald), die Durchführung von optischen Experimenten mit künstlichem Licht [...] so vollkommen unmöglich gemacht hat, daß dadurch die Herausgabe eines seit Jahren geplanten und im Kopf entworfenen Werkes verhindert wurde. Durch diese Ausführungen wird nichts gegen die wissenschaftlichen Qualitäten des Klägers gesagt. Es mag alles richtig sein, was der Sachverständige Zenneck und im Anschluß daran der Erstrichter über seine wissenschaftlichen Verdienste sagt. Aber im gegenwärtigen Rechtsstreit kann es nicht darauf ankommen, ob der Kläger ein bedeutender Gelehrter ist, sondern nur darauf, ob ihm die Beklagte Schaden zugefügt hat [...].
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[S. 17] Es ist nicht entscheidend, ob Kläger bis 1943 Arbeiten von wissenschaftlichem Wert geliefert hat [...] und ob er bis zur Gegenwart für den Rechtsstreit unerhebliche Arbeiten gefertigt und Briefwechsel mit Gelehrten gepflogen hat [...], wenn, wie aus der Nichtvorlage von Aufzeichnungen oder Entwürfen zu entnehmen ist, Kläger weder den zweiten Teil der Prinzipien noch sonstige Arbeiten geplant hat, welche durch die Maßnahme der Beklagten gehindert wurden. Richtig ist in dem Schriftsatz nur, daß die „große Arbeit" und überhaupt wissenschaftliche Veröffentlichungen nicht aus dem Handgelenk geschaffen werden, sondern sorgfältige Planung, Überprüfung und Formulierung erfordern [...]; [S. 18] deswegen hat das Gericht angenommen, daß der Kläger, wenn er durch die Beklagte in seiner Arbeit gehindert worden ist, irgendwelche Notizen haben müßte, in welchen eine Beziehung zu seinen optischen Versuchen zu erkennen wäre. Müßig sind auch Ausführungen über die Rückwirkungen, welche das „große" Werk auf den Absatz der übrigen Arbeiten des Klägers gehabt hätte, [...] wenn angenommen werden muß, daß der zweite Teil der Optik auch dann nie erschienen wäre, wenn der Kläger mit der Beklagten nie in Berührung gekommen wäre. [...] Zur Post durch den Gerichtswachtmeister am 27. Dez. 1950 unter 3029/50.
Nachweise A:
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C: Literatur (SAM) (SMI) (SPK) (TUB) (ULS) (VAT) (ZAG) (ZEI)
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— Stadtarchiv München (Meldebögen der Familie Mach) — Smithsonian Institution Libraries, Washington D. C., Dibner Collection (Briefe von Ernst Mach an Eduard Kulke und Josef Popper-Lynkeus) — Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin (Diverse Briefe von Ernst Mach, Nachlaß F. J. K. Geissler) — Technische Universität Berlin. Universitätsarchiv (Nachlaß Joseph Petzoldt) - Ulsenheimer-Papiere. In (PAUK) — Vaterstettener Papiere. Kopien in (PAUK) — Fizicki Zavod Zagreb (Briefe Ernst Machs an Vinko Dvoiäk) — VEB Carl Zeiss Jena, Betriebsarchiv (Brief Ludwig Machs an H. Harting)
B: Abkürzungen Α.: EA.: EI.: M.: O.: P.: W.:
Analyse der Empfindungen { = Mach (1922)) Erhaltung der Arbeit ( = Mach (1909)) Erkenntnis und Irrtum { = Mach (1906)) Mechanik ( = Mach 1933)) Optik. ( = Mach (1921)) Populärwissenschaftliche Vorlesungen ( = Mach (1923)) Wärmelehre ( = Mach (1900))
C: Literatur Ackermann, Theodor (1959/1960): Bibliothek Ernst Mach, I—II, München 1959/1960 (Antiquariatskataloge). Adler, Friedrich (1909): Die Einheit des physikalischen Weltbildes, in: Naturwissenschaftliche Wochenschrift 24 (bzw. 8) (1909), 8 1 7 - 8 2 2 (Nachdruck in: Adler (1918), 112-132). (1918): Ernst Machs Überwindung des mechanischen Materialismus, Wien 1918. (1920): Ortszeit, Systemzeit, Zonenzeit und das ausgezeichnete Bezugssystem der Elektrodynamik. Eine Untersuchung über die Lorentzsche und die Einsteinsche Kinematik, Wien 1920. Aichelburg, Peter C./Sexl, Roman U. (eds.) (1979): Albert Einstein. Sein Einfluß auf Physik, Philosophie und Politik, Braunschweig/Wiesbaden 1979. Avenarius, Richard (1936): S Mach, E./Avenarius, R./Schuppe, W. (1936). Barker, Peter (1981): Einstein's Later Philosophy of Science, in: Barker, P./Shugart, C. G. (eds.) (1981), 133-158. Barker, Peter/Shugart, Cecil G. (eds.) (1981): After Einstein. Proceedings of the Einstein Centennial Celebration at Memphis State University, 14—16 March 1979, Memphis 1981. Besso, Michele (1972): Einstein, A./Besso, M. (1972). Blackmore, John T. (1972): Ernst Mach. His Work, Life and Influence, Berkeley/Los Angeles/ London 1972. (ed.) (1978): Three Autobiographical Manuscripts by Ernst Mach, in: Annals of Science 35 (1978), 401-418. Blackmore, John T./Hentschel, Klaus (eds.) (1985): Ernst Mach als Außenseiter. Machs Briefwechsel über Philosophie und Relativitätstheorie mit Persönlichkeiten seiner Zeit. Auszug aus dem letzten Notizbuch (Faksimile) von Ernst Mach, Wien 1985.
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Barker, Peter: 102. Barth, Karl: 240. Barth (Verlag): 322 Anm.; s. Meiner, Arthur. Bedeutung, physikalische: 39, 41, 47, 48 Anm. Beobachtung: 107, 109 f. (und Theorie). Beschreibung: 17, 42 f., 66 Anm., 67 Anm., 113. Besso, Michele: 20, 55, 102, 123 Anm., 178, 254 Anm. Bewegung: Relativität der B.: 37, 41 f., 46 Anm., 48 Anm., 72; absolute B.: 38, 72 f. (von Mach nicht ausgeschlossen), 78 (bei Newton), 93 (Föppl); zweistelliges Prädikat: 81 Anm.; ,Grammatik' von B.: 80 f., 89. Bezugssysteme: 38, 43, 59 ff., 71, 177. Billroth, Theodor: 288 Anm. Blackmore, John T.: 3 f., 18 Anm., 102 Anm., 128 Anm., 129, 131 Anm., 132 Anm., 138 Anm., 146 Anm., 153 Anm., 156, 159 f., 162, 170, 171 Anm., 178 f., 182 f., 188 Anm., 190, 197, 198 Anm., 199, 2 0 6 - 2 1 6 , 2 3 3 - 2 3 6 , 244, 246 Anm., 249 Anm., 257 f., 274, 280 Anm., 284, 296 Anm., 308-311, 323 Anm., 448 Anm. Blüh, Otto: 229 Anm. Boas, Franz: 384, 385 Anm., 386. Bodenheimer, Werner: 158 Anm. Boehm, Laetitia: 319 Anm. Böhm (Rechtsanwalt): 364 Anm. Bohr, Niels: 246 Anm. Boltzmann, Ludwig: 23 ff., 142 Anm., 175, 248 - 251, 448. Boring, E.G.: 235 Anm. Born, Max: 38, 230 Anm., 248 Anm. Bosch (Firma): 374 Anm. Boscovich, Rudjer: 233. Bouvier, Robert: 374. Boyle-Mariottesches Gesetz: 222 f. Bradley, James: 348 Anm., 416 f., 426. Bradley, J.: 274. Brandhuber, Camillo: 373 Anm.
464
Register
Braun, Karl Ferdinand: 166, 218. Braunthal, Julius: 122 Anm. Brecht, Bertold: 275 Anm. Brentano, Franz: 166, 218, 409, 448. Brill, Alexander: 262 f. Brill, D. R.: 56. Brockhaus (Verlag): 174, 175 Anm., 354, 363f., 367 Anm., 370ff., 375 (Verfälschung des Mechanik-Titels). Broda, Engelbert: 250 Anm. Brownsche Bewegung: 99 ff., 106 Anm. Brush, Stephan G.: 250 Anm. ß-Strahlen: 238. Bucherer, Alfred Heinrich: 238 f. Bunge, Mario: 43 Anm., 99 Anm., 213, 216 ff. Burmester, Ludwig: 260. Cantor, G. N.: 94 Anm. Carnap, Rudolf: 2 f., 81 Anm., 205. Carrier, Martin: 230. Carus, Paul: 35, 68 Anm., 69 Anm., 197 Anm., 277-280, 286, 294 Anm., 308, 322 f., 325 Anm., 326, 340 Anm., 448. Chamberlain, Η. S.: 260. Clark, Ronald W.: 122, 130 Anm., 131 Anm. Classen, J.: 176. Clifford, William K.: 55. Cohen, I. Bernard: 50, 130, 133, 242. Cohn, Emil: 263, 264 Anm. Cohn, Margot: 19 Anm. Cornelius, Hans: 282 f., 448. des Coudres, Theodor: 250 Anm. Crookessche Hypothese: 28 Anm. Curd, Martin: 25 Anm., 110 Anm., 249. Cyprian (Kirchenvater): 243 Anm. Czapski, Siegfried: 297, 300 Anm. Datenerfahrung, reine: 110. Demokrit: 23. Deutsche Forschungsgemeinschaft: 288 f., 318, 384, 389 f., 391, 392 Anm., 425 Anm. .Deutsche Mathematik': 268 Anm. .Deutsche Physik': 368 Anm. Dibner, Bern: 255 Anm., 449. Diess, Wilhelm: 371. Dietzgen, Josef: 129. Dijksterhuis, E. J.: 22 Anm.. Dingler, Hugo: 204, 290, 302, 314 Anm., 316-320, 324 Anm., 336, 343 ff. {als . Mentor Ludwigs), 350, 352, 356-375,
380 f. {Rauschgiftverdacht), 384, 3 9 5 - 4 0 0 {Ludwigs Amerika-Projekt), 404 f., 448. Biographie: 259-262, 4 1 2 - 4 1 5 (Autobiographisches %um Verhältnis %tt Mach). Angebliche Beeinflussung Machs gegen die Relativitätstheorie: 10, 236, 256-273, 366. Antirelativismus: 261 {früheste Publikation), 271 ff. {Datierung, 331, 335, 345 f., 357, 402, 415. Antisemitismus: 260. Auseinandersetzung mit Petzoldt: 271, 309, 359-362. Begründer der Protophysik: 186 Anm. Besuche bei Mach: 269 ff., 407—411. Erwähnung im Mechanik- Vorwort: 267. Gegen Altersargument: 265 Anm. Konventionalismus: 265 Anm., 266 f. ,Machsches Ökonomieprin^ip': 265 f, Operationalismus: 265 ff. Selbsteinschät^ung: 269 f., 273. Tagebücher: 3 ff., 270 Anm., 271. Vorworte %ur 8. b%w. 9. Auflage der Mechanik: 359 f., 366 f. Wissenschaftlicher Nachlaß: 2 f. Dingler, Martha: 2 ff. Dispersion des Lichts: 400. Doppler, Christian: 435 f. Drude, Paul: 66 Anm., 67 Anm., 68 f., 114 Anm. Dualismus zwischen Feld und Materie: 95 f. Dubislav, Walter: 173 Anm. Duhem, Pierre: 80, 107, 277. Dvofak, Vinko: 199 f., 233, 281, 283 Anm., 449. Dynamik: 43, 45. Dynamische Äquivalent kinematisch gleicher Sachverhalte: 79 Anm., 94. Earman, John: 39 Anm., 61 Anm., 70 Anm., 73 Anm., 155, 344 Anm. Edwards, Paul: 145 Anm. Ehrenfels, Christian von: 410 Anm. Ehrenfest, Paul: 156 Anm. Ehrenhaft, Felix: 28. Einfachheit: 26. Einstein, Albert: ,Akademie Olympia': 122 f. Anti-E.-Bewegung: 367 f. Atherbegriff: 94 ff. Berufung nach Prag: 131 f. Brownsche Bewegung: 99 f., 106 Anm., 117. Charakterisierung der Physik des 19. Jahrhunderts: 12, 95 (Äther). Einfluß Machs. Allgemeine Relativität: 50 ff., 58, 91 f., 101. Antimechaniysmus: 12, 20 f., 25. Berliner Antrittsrede: 104 f. Charakterisierung in Briefen an Besso: 102
Register Anm., 103 Anm. Erkenntnistheorie: 92, 101 f., 103 Anm., 149 f., 152, 177. Gleichzeitigkeitsbegriff: 97 f., 101, 220. Interpretation des Eimerexperiments: 37, 41 f., 60. Kein direkter Einfluß bei spezieller Relativitätstheorie: 50 Anm., 92. Konventionalismus: 101, 118 Anm. Kritik physikalischer Grundbegriffe: 26 f., 50, 60, 9 2 - 1 0 1 , 403. ,Machscher Äther': 96 Anm., 97 Anm. Machsches Forschungsprogramm: 49 ff. Machsches Prinzip: 43, 45, 49, 53, 61 Anm. Methodologie: 117. Persönlichkeit: 120—127. Skepsis und Kritik: 13. Thematischer Einfluß: 14, 21, 27, 36 f., 43, 53 f., 109, 138. Briefe an Mach: 7f., 148-163, 161 ff. {5. Brief?). Undatierter Brief: Ii., 127, 152-160. Hochachtung für Mach: 12 f., 50, 149 ff. Gespräch mit Mach: 99 f., 130-134, 157. Enttäuschung über Mach: 96 Anm. D i f f e renzen: 102, 117 Anm. Abwendung: 102 ff., 108 ff., 119 {Datierung). Kritik des Machschen Theoriebegriffs: 109 ff., 115. Kritik an Machs ,Positivismus': 13, 109, 112. Kausalität: 60. Kosmologie: 54 f. Nachweis der Existenz von Atomen: 25, 99 f. Pariser Vortrag: 108 ff., 119 f. Photoelektrischer Effekt: 106 Anm. ,Prager Theorie': 154 ff. Realismus: 102, 103 Anm., 104 Anm., 116-119, 218. Technik: 117 Anm. Theoriebegriff. Rolle von Prinzipien: 104. Konstruktive vs. Prinziptheorien: 105 f., 112 f. Drei Entwicklungsstufen in E.s Auffassungen: 104f., 108. Theorienbeurteilungskriterien: 26, 55. Theorien als ,freie Schöpfungen': 109 ff., 115, 119, 237. Erfahrungsbindung: 178 f., Uhrenparadoxon: 163 f. Versuche, Ludwig zu helfen: 388, 391 Anm. Eisenstadt, Jean: 70 Anm. Elektrodynamik: versuchte mechanische Fundierung: 12. Überwindung des mechanistischen Weltbildes mit Hilfe der E.: 25 f., 31 ff. Scheitern mechanischer Modelle: 26, 65. Mischtheorien: 68 f. Asymmetrien: 93. lorentzinvariant: 58. und Teilchenphysik: 68 Anm. und Empirie: 179. Elektronen: 28, 30 {Existenz). 238 f., 264 Anm. (Masse). Elektronentheorie: 196. Basis des elektromagnetischen Weltbilds: 29 f. lange keine klare Unterscheidung von Relativitätstheorie: 33. realistische Interpretation: 31, 35.
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Elton, Lewis: 345 Anm. Empirismus: 75, 84, 205. Energetik: 407. Energiefortpflanzung: 419 ff. „Entanthropomorphisierung": 113 f. Entdeckung/Erfindung: 103 Anm. Eötvös, Robert von: 63. Erlenmeyer, Α.: 381 Anm. Erschauen von Prinzipien: 105, 106 Anm., 115 Anm. Ewald, Peter Paul: 272. FAG Kugelfischer: 6. Falk, Reinhard: 6 Anm. Faraday, Michael: 67 Anm., 68 f., 113. Feldkonzeption: 65, 68. Fernwirkung: 45, 65, 66 (Definition), 67 ff. Feyerabend, Paul K.: 7, 105 Anm., 117 Anm., 140 Anm., 142 Anm., 144 Anm., 204 Anm., 220, 252 ff. Fierz, Marcus: 88 Anm. Fiktion: 79. Fischer, Friedrich: 6 Anm. Fischer, Gustave F.: 299 Anm. Fixsternsystem: Als Bezugssystem: 42 f., 46, 51, 53, 81 Anm., 82 ff., 151, 226. Verursacht das Verhalten der Körper: 60. Rotation: 78, 79 Anm. Fizeauversuch: 197, 263, 341 Anm., 348, 379, 416 f., 426, 437. Flamm, Ludwig: 250 Anm. Fölsing, Albrecht: 10 Anm. Föppl, August: 4 Anm., 79 Anm., 93, 98 Anm., 195 f. Föppl, Hermann: 196 Anm. Föppl, Ludwig: 4. Forel, Auguste: 174 Anm. Forman, Paul: 67 Anm., 188 Anm., 285 Anm. Forschungsprogramm: 50 Anm. Fortschritt der Wissenschaft: 15, 18, 20, 35, 85, 89, 107, 113. Foucaultsches Pendel: 77. Fouriersche Reihen: 214, 302 f. Fouriersche Theorie: 223 f. Frank, Philipp: 122, 124, 126 Anm., 130, 131 Anm., 132 Anm., 133, 148, 155, 163ff., 172, 204, 205 Anm., 227, 229 f., 233, 234 Anm., 236 Anm., 241 Anm., 256 ff., 318 Anm., 367 Anm. Franz Ferdinand (Österr. Thronfolger): 309 Anm.
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Register
Freud, Sigmund: 185. Freudenthal, Gideon: 41, 57 Anm. Freundlich, Ε.: 337. Friedman, Michael: 39 Anm., 71 Anm., 73 Anm. Fritsch, Werner: 158 Anm. Fundamentaltensor, metrischer: 54 f., 153, 155.
Gabriel, Gottfried: 407 Anm. Galilei, Galileo: 33, 116, 242. G.-invariant: 58. G.- Kinematik: 186. G.-Transformationen: 38, 58f. Gandillot, Maurice: 198 Gastheorie, kinetische: 23. Gauß, Carl-Friedrich: 348 Anm. Gedankendinge: 41, 75, 213. Gedankenexperiment: 51, 78 ff. (Jmethodologische Bedeutung), 83 Anm. Gehrcke, Ernst: 367 ff., 377 Anm., 428 {Gutachten).
Methodologische Klarheit Newtons: 45. Nahwirkung: 70. unendliche Gravitationspotentiale: 55. zeitliche Ausbreitung: 31. Grossmann, Marcel: 8 , 4 4 , 8 4 , 1 5 1 , 1 5 4 - 1 5 8 , 160, 162, 177, 183, 184 Anm., 186, 333 Anm., 334. Grünbaum, Adolf: 51 Anm., 56 Anm., 71 Anm., 72 Anm., 78 Anm., 79 Anm., 240. Gussenbauer, Karl: 127 Anm., 288 f.
Habicht, Conrad: 103 Anm. Haeckel, Ernst: 261, 407. Hamel, Georg: 267 ff. Hamilton, W.R.: 334 Anm. Harting, Hans: 319 Anm., 320 Anm., 321, 449. Havränek, Jan: 131 Anm., 132 Anm.. Hebelsatz: 105. Hegel, G. W. F.: 129 Anm. Hegeler, Edward C.: 325. Hegselmann, Rainer: 275 Anm. Heisenberg, Werner: 246 Anm. Heller, Karl D.: 124 Anm., 257 Anm., 274, Geissler, F. J. Kurt: 191-195, 449. 303 Anm. Geitier, Josef von: 297. Hellmuth (Fa. Zeiss): 320 Anm. Geometrodynamik: 56 Anm., 70 ff., 73, 90. Helm, Georg: 249. Gerhards, Karl: 18 f. Helmholtz, Hermann von: 137, 249. Gerhardt, C.J.: 208. Henning, Hans: 274, 374. Geroldsche Buchhandlung (Wien): 280. Hensoldt (Firma): 283. Giedymin, Jerzy: 110 Anm. Hentschel, Klaus: 327 Anm., 448 Anm. Gifford, Adam: 240. Heraklit: 16, 197 f. Hering, Ewald: 125 Anm., 136 Anm. Gilbert, Leo (d.i. Leon Silberstein): 196 ff. Gillispie, Charles C.: 136 Anm. Hermann, Armin: 11 Anm. Hermann, Christian: 173 Anm. Gilson, Etienne: 240. Herrmann, Dieter B.: 235 Anm. Glaser, Ivo: 199 Anm. Gleich, Gerold von: 274, 377 Anm. hermeneutische Billigkeit: 73 f., 84, 89 Anm. Glymour, Clark: 39, 61 Anm., 70 Anm., 73 Herneck, Friedrich: 119 Anm., 121 Anm., Anm., 155, 344 Anm. 125 Anm., 127 Anm., 130 Anm., Goenner, Hubert: 47, 54 Anm., 57. 148-151, 154ff., 164f., 234 Anm., Goethe, J.W. von: 136f. 256 f., 297 Anm., 317 Anm., 321, 376 f. Goldberg, Stanley: 22 Anm., 29 Anm., 67 Hertz, Heinrich: 25 f., 70 (Herrsche Mechanik), 98 Anm., 113, 334. Anm., 238 Anm. Goldscheid, Rudolf: 197, 410. Hessing (Firma): 290 Anm. Gottscho, Ernst: 371. d'Heureuse, Marc Roger: 380 Anm. Grammatik: 78 Anm., 79 ff., 82 f., 89. Hiebert, Erwin: 22 Anm., 24 Anm., 25 Anm. Graßmann, Hermann: 234 Anm., 334 Anm. Hilbert, David: 166, 185, 194, 259, 265 Graves, John C.: 70 Anm. Anm., 268. Gravitation: Ablenkung von Lichtstrahlen: 151. Hirosige, Tetu: 22 Anm., 28 Anm. Analogie \ur Machschen Trägheitsauffassung: Hirst, Rodney J.: 145 Anm. 52. Feldgleichungen: 8, 53 f., 55 Anm. (unbe- Hodges, Μ. J. S.: 94 Anm. friedigende Lösungen), 58, 74, 151. Gravitavan't Hoff, J. H.: 23 Anm. tionsfeld: 54, 73. Hypotheses non fingo: 86. Höfler, Alois: 142 Anm., 271, 409.
Register Holton, Gerald: 13 f., 21, 28 Anm., 93 Anm., 94 Anm., 102 Anm., 103 Anm., 119, 131 Anm., 133, 155 ff., 163, 165 Anm., 170, 178-182, 190 f., 206, 227-233, 237-240, 257. Hönl, Helmut: 43 Anm., 54 Anm., 148, 156 Anm. Hope, Herbert T.: 319 Anm. Horaz: 322. Howard, Don Α.: 118. Hume, David: 69 Anm., 92, 98, 103 Anm., 109 Anm., 123 Anm., 221. Husserl, Edmund: 259. Huygens, Christiaan: 82, 97 Anm. Hypothesen: 45, 86 f., 106 f., 116.
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Jodl, Friedrich: 19, 317 Anm., 318 Anm. Jolly, Philipp von: 276, 410.
Kaiser, Walter: 68 Anm. Kanitscheider, Bernulf: 70 Anm. Kathodenstrahlen: 28, 238. Kaufmann, Walter: 11, 30, 238. Kausalität: 60, 185, 218-225. Kepler, Johannes: 373 Anm. Kienzl, Wilhelm: 235 Anm. Kinematik: 43, 48 Anm. Kirchhoff, Gustav Robert: 17, 113, 137, 249, 268, 417. Klein, Felix: 166, 259. Klein, Martin J.: 22 Anm., 100 Anm. Kleinert, Andreas: 132 Anm., 200 Anm. Illy, Jozsef: 131 Anm., 132 Anm., 134. Kleinpeter, Hans: 410. Iltis, Hugo: 318, 321 Anm., 391 Anm. Kohärenz des Lichts: 382, 417, 425. Iltis, Hugh: 318 Anm. Koller, Karl: 381 Anm. Iltis, Wilfred G.: 318 Anm. Kontinuumstheorien: 68 Anm., 70. Induktion: 93, 418 {elektrodynamische), 115 kontrafaktisch: 78 f. Anm. (logisch). Konventionalismus: 72 Anm., 101, 265 Inertialsystem: 220, 225 ff., 373 f. (Ludwig Anm., 268, 403. Lange). Definition: 38. Bestandteil des RelaKoordinatentransformationen: 38. tivitätsprinzips: 39, 57. Auszeichnung in Koordinatenunabhängigkeit: 71. klass. Mechanik u. spezieller RelativitätstheoKopernikanisches System: 78 f. (kinematisch rie: 49 Anm., 59, 61 Anm., 64, 177, 186. gleichwertig mit Ptolemäischem); 80 ff., 90, Und Äther: 96. 373 Anm. inference to the best explanation: 82 Anm., Körper, starrer: 35 Anm., 36 Anm., 265. 83 Anm. Kosmologie: 54 f., 57. Kosmologisches Zusat Inhetveen, Rüdiger: 186 Anm. glied λ: 55. Welt nur einmal gegeben: 78. Inquisition: 243. Rotierendesjnicht-rotierendes Universum: 83. Instrumentalismus: 22, 72 Anm., 83 Anm., Einfluß auf Formulierung des Trägheitsprin101 Anm., 110 Anm., 114, 403. Zips: 84, 86 ff. Interferenz: 95, 338 f., 425. Kotliar, G. Α.: 30 Anm. Interferometrie/Interferometer: schon einmal Kovarianz: 39, 58. Allgemeine K.: 52, 57 ff., bei einer Fälschung verwendet: 10. 62. Und Machsches Prinzip: 61 Anm. Invarianz: 39. Kräfteparallelogramm: 105. Isar-Amper-Werke: 350 f., 448. Kreidl, Alois: 285. Isenberg, James: 56. Kretschmann, E.: 120. Itagaki, Ryöichi: 206, 217 Anm., 231 Anm. Krieck, Ernst: 262 Anm. Krupp (Firma): 427, 436. Jacob, Josef: 411 Anm. Kühn, Helga-Maria: 281 Anm. Jaki, Stanley L.: 240-251 Kulke, Eduard: 67 Anm., 134, 255 Anm., Jamin-Interferometer: 295, 436. 449. Jammer, Max: 37. Janich, Peter: 186 Anm. Külpe, Oswald: 18. Jaumann, Gustav: 66, 98 Anm., 131 Anm., 132 Anm., 268 Anm. Lagrange-Mechanik: 234 Anm. Jerusalem, Wilhelm: 19 Anm., 138 f., 161, Lakatos, Imre: 50 Anm. 240, 276, 284 Anm., 286 Anm., 314 Lampa, Anton: 27 f., 36, 99 Anm., 127, 131, Anm., 315 Anm., 327 Anm., 379 Anm., 132 Anm., 200 f., 319. 426, 448. Lampe, Emil: 175.
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Register
Lange, Ludwig: 51, 373 f., 377. Langevin, Paul: 187. Laudan, Larry: 24 Anm. Laue, Max von: 121 Anm., 163 Anm., 183 Anm., 197, 373 Anm., 435 Anm. Leibniz, Gottfried Wilhelm: 57,71,73 f., 208. Leibowitz, Flora L.: 94 Anm. Lenard, Philipp: 367 ff., 374, 377 Anm., 429 f. (iGutachten). Lenin, Wladimir I.: 129. Lense-Thirring-Effekt: 42 Anm., 89 Anm., 90. Lessing, Gotthold Ephraim: 7 Anm. Lessing-Effekt: 7, 220. Lichtgeschwindigkeit, Konstanz der: 8, 14, 59 Anm., 78 Anm., 94, 98, 178, 182 f., 206 ff., 212. Lichtintensität: 421—424. Lindemann, Ferdinand: 271 Anm. lineare Unabhängigkeit: 193 Anm. Lloydscher Versuch: 383, 438. Lohrmann, Klaus: 196 Anm., 292 Anm. Lorentz, Hendrik Antoon: 13, 29 ff., 33, 35 Anm., 58 f., 68 Anm., 93, 95, 98, 121 Anm., 160, 169, 177, 202, 212, 232, 253, 338. L.-invariant: 58 f. L.-Kinematik: 186 f.. L.-Kontraktion: 229 Anm., 231. L.Kraft: 93. L.-Transformationen: 59, 231, 263. Lorenzen, D.: 373 Anm. Lorenzen, Paul: 186 Anm. Lowie, Robert H.: 294 Anm., 316, 317 Anm., 320, 379, 384-387, 391 - 3 9 7 , 425 Anm. Luhmann, Niklas: 23. Mach, Anna Karma: 4 f., 148 Anm., 290, 293, 321, 327 Anm., 376 f. Mach, Caroline: 127 Anm., 280, 297 Anm., 301 Anm., 317 Anm., 320 f. Mach, Ernst: Ätherbegriff: 46, 69 Anm., 96 Anm. Atomauffassung. Ablehnung der Existenz von Atomen: 1, 23, 27, 75, 217. Mögliche Meinungsänderung: 27, 75, 99, 130 f. Nützlichkeit der Atomtheorie: 23, 67 Anm., 75 f., 213, 217. Parallelisierung mit Ablehnung der Relativitätstheorie: 1, 217, 333. Unzulängliche Anwendung methodologischer Regeln: 100. Beim Besuch Einsteins: 130, 133 f. In der Psychologie: 142. In der Energetik: 407. Als Aufklärer: 77, 85, 134, 241, 410.
Biographie: 275 — 280. Antiklerikalismus: 124f., 127 Anm., 134, 241, 409f.. Berufung nach Wien: 134, 276. Begrenzte theoretisch-physikalische Kenntnisse: 98 Anm., 99 Anm. Beschäftigung mit der Relativitätstheorie: 164 f., 245. Erkrankung bzw. Alter als angebliche Ursache für die Ablehnung der Relativitätstheorie: 10, 254 ff. Schlaganfall: 123 Anm., 276. Krankheit: 150, 276 ff., 308, 315 f. „Melancholie": 278, 281. Expermientierbuch: 340 Anm., 341 Anm., 400 f. Herrenhausmitglied und Nobilitierung: 124. Einstellung zum Judentum: 125 Anm. finanzielle Probleme: 284 ff. Kontroverse mit Planck: 8, 19, 28, 32 f., 35, 112 ff., 168 f., 246 ff. Mathematikkenntnisse: 98 Anm., 155 Anm., 165 f. Pensionierung: 175 Anm., 285 Anm. Persönlichheit: 14 f., 17 f. Antichauvinismus, Antimilitarismus: 124 f. Einstellung zu wissenschaftlicher Kritik: 15—20, 340, 268 Anm. Sozialismus: 124, 127 ff. Testamentarische Anordnungen: 16 f., 20, 128, 174 f., 312, 317 Anm., 352, 369. Todeserwartung: 174, 276. Übersiedlung nach Vaterstetten: 276 ff., 304f., 385, 413, 438. Verhältnis zu Ludwig: 281, 283 f.. Wissenschaftliche Prioritätsprobleme: 17, 30, 32, 63 Anm. (erkenntniskritische) Elementtheorie: 15, 76, 111, 141 Anm., 143 f. {Neutralität), 233. Empirismus: 76, 141 Anm., 143 f., 180, 205, 266, 403. Erkenntniskritik: 140, 143 f. (erkenntniskritische Thesen), evolutionäre Wissenschaftsauffassung: 15 f. Fortschrittsinteresse: 15, 20, 73 Anm., 85, 89, 101, 403. methodologische Rolle von Gedankenexperimenten: 78 ff. Hypothesen: 48, 106 ff., 114 f., 117 (als Vorgriffe). Ich: 15, 135 Anm., 145 f. Kausalität: 44,218-225, (als funktionale Abhängigkeit) 222 ff. kein Philosoph: 139 f., 333. kein theoretischer Physiker: 50, 138, 213. Kritik von Absolutbegriffen: 16, 34, 37 ff., 48 Anm., 90, 119, 169, 185, 209 ff. Absoluter Raum: Von Newton nicht ernstgenommen: 88; praktisch unbrauchbar: 38, 47; keine physikalische Referenz: 39; als Äther: 97 Anm. Absolute Bewegung: 37, 39, 48 Anm., 72 f. (nicht ausgeschlossen), 78 (bei Newton), 94. Absolute Beschleunigung (Rotation): 37, 41, 60, 62, 77 f. Absolute Geschwindigkeit: 37, 39. Absolute
Register Temperatur: 211 f. Absolute Zeit: 51 Anm., 98. Massenbegriff: 32, 264 Anm. {Konstant der trägen Masse), 63 ( D e f i n i tion), 64 f. (Gleichheit von träger u. schwerer Masse). Kritik der Substanzvorstellung: 24, 75 f., 111, 146. Lamarckismus: 189. Machsches Trägheitsprinzip: 26, 37, 42, 43 ff.; 48 Anm. (tendenziell dynamisch)·, 97 Anm.; 45 (im Rahmen einer Fernwirkungstheorie); 45 f. (Formulierung)·, 47 f., 52 f. (Selbstkritik)·, 152 (Rechtfertigung). Mathematik: 48 Anm., 218, 233. Mechanizismuskritik. Ablehnung des ontologischen Mechanismus: 23 f., 135. mechanische Analogien nützlich: 23. mechanische Modelle nicht verständlicher: 29. Implizierte Substanzvorstellung: 24. Loslösung von der Sinneserfahrung: 24. Als Kritik mechanischer Grundbegriffe: 26 f. beeinflußt Einstein: 20 f. Metaphysikkritik: 24, 41, 47, 77, 81 Anm., 85, 108, 119. Methodologie φ Erkenntniskritik: 105, 254. Nahwirkung: 66 ff. (von Mach favorisiert)·, 68 Anm. Naturgesetze: 111. Naturkonstanten: 209 ff. Ökonomieprinzip: 33, 42 f., 86, 113, 116, 117 Anm., 118 Anm., 230, 239, 403. Parallelismus, psychophysischer: 144. Perspektivenwandel: 136 ff. Phänomenalismus: 76 f., 142 f., 209. Philosophiebegriff: 140. angeblicher Sensualismus: 51 Anm., 115 Anm., 180, 208, 230 f., 241, 245 Anm. Sinnesempfindungen: 24, 64, 76 (als Existenzkriterium), 110, 115 Anm. Sinnesphysiologie: 136 f. Sokratisches Denken: 135 — 147. Tatsachen: 42, 45, 75, 80, 82, 86, 107, 108 Anm., 110f., 179-182, 239. Verhältnis Zum ,Apriorismus': 266 f. Verhältnis zMm Buddhismus: 146 Anm., 242-245. Verhältnis z>* Einstein: 120, 127, 403. Verhältnis zur Relativitätstheorie. Scheinbare Ablehung im Mechanik- Vorwort: 1 f., 372 ff. (Text). Scheinbare Ablehnung im Optik- Vorwort: 1. Ohne Argumente: 8, 203 f., 403. Ausgeräumtes Bedenken: 8,176 ff., 186 Anm., 206. (Abwartend-)positive Einstellung: 8, 14, 148, 150 (Vergnügen'), 153 (freundliches Interesse'), 164, 167, 170, 172, 184, 186, 193 f., 203, 233. Angebliche Gründe für die Ablehnung: 1, 8 ff., 203-240, 362 f. Angeblicher Dogmatismus:
469 1, 10, 204, 228, 252 ff., 334. Erste Kenntnisnahme: 34 f., 172. Fälschungsthese: 2, 4, 6. Keine Einwände gegen Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: 8, 178, 206-212, 437 (Ludwigs Version). Michelsonversuch: 340 ff., 416. Publizierte Äußerungen: 167 — 171. Unterstützung durch die Relativitätstheorie in der Kontroverse mit Planck: 35, 149, 151, 168 f. Vorläufige Resümees: 172, 337, 356 f., 363. Wegbereiterthese: 1, 8, 14, 62, 74, 91, 98, 109, 168 ff., 185 ff., 350 Anm. (Dinglers Widerlegungsversuch), 354, 368. Verhältnis zur theoretischen Physik: 77, 166 f., 213 — 218. Vier- und mehrdimensionale Theorien: 164, 193, 227-236, 258. Werke. Erhaltung der Arbeit. Früheste Darlegung der M.schen Wissenschaftslehre: 16. Späte Einschätzung: 18. Zeugnis für Modernität: 35, 168 f.. An Einstein geschickt: 149, 172. Erkenntnis und Irrtum: 279. Kultur und Mechanik: 18, 279, 305 f., 439. Mechanik. 9. Auflage von Ludwig Mach besorgt: 1, Zweck: 77, 372 f. (Text des Vorworts). Neuauflage durch Petzpldt: 174. Beurteilung: 242. Optik. Von Ludwig M. herausgegeben: 1, 302, 344 Anm., 408, 439. Von M. in seinen letzten fahren geschrieben: 279, 303 f. Editionsgeschichte: 322-327. Vorwort: 1, 8 ff., 65 Anm., 96 Anm., 153 f., 159, 178, 190 f., 200, 203 f., 219 Anm., 3 2 8 - 3 3 5 (Text: 329f.), 332 (Anlaß), Widmung: 325 ff., Versprochener 2. Band: 1, 4f., 351, 360, 363, 375-402, 387 (Projekt Ludwigs), 416 ff. (Materialsammlung). Wärmelehre: 302 (Neuaufl. besorgt durch Ludwig), 318 Anm., 337. Wille: 137. Wissenschaft. Ausgang von vorwiss. Erfahrung: 144. Als Anpassung von Gedanken: 106 f., 110, 403. Erfahrungsbindung: 24, 41 f., 47 f., 48 Anm., 60, 75 f., 81 Anm., 84f., 93 (methodologische Regeln), 97 Anm., 98, 100 (zu enge Auffassung M.s), 208, 210 ff., 403. Geschichtlichheit und Revision von Theorien: 16, 68 Anm., 85, 89. Holistische Theorie-Konzeption: 107, 403. Instrumentalistische Theorieauffassung: 22, 114, 403. Kreativität: 115 f., 237. Rolle von Prinzipien in Theorien: 104 f., 179-181, 212, 403. Sozialer Charakter: 16 f.. Sprachliche
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Register
Form: 110. TatsachenebenejInterpretationsebene: 82, 224. Theorie als Beschreibung: 17, 42 f., 45, 49, 66 Anm., 67 Anm., 75 f., 82, 86 f., 107, 114 (Verhältnis z« Hypothesen), 141 Anm. {indirekte B.), 214, 221 f. Zweck: 22, 24, 101 Anm., 112, 114, 216. Mach, Felix: 280 ff., 283 Anm., 285 f., 288 Anm., 293, 320, 392, 438 f. Mach, Heinrich: 280 f., 283 Anm., 300. Mach, Ludwig: Biographie: 286 — 294. Finanzielle Schwierigkeiten: 3, 293, 306 Anm., 319, 350, 353, 371, 380, 3 8 6 - 3 9 5 . Angeblich Letzter des Hauses Mach: 320 f. Angedrohte Vernichtung des Machschen Nachlasses: 4, 376 f., 393. Auseinandersetzung mit Pet^pldt: 302, 2 3 1 - 3 7 4 . Drogenabhängigkeit: 3, 380 f., 390, 401. Ende der medizinischen Karriere: 289 f. ,Doppelter Doktor': 317, 318 ff., 374 Anm., 389. Fälschung des Optik -Vorworts: 2, 10, 3 2 9 - 3 3 5 , 332 {Anlaß), 342, 347f., 351, 363 f., 380 (Motive), 397 f. (Geständnis). Geheimniskrämerei: 297, 300, 301 Anm., 321, 332. geplante Werkausgabe: 387 f., 391 Anm. Herausgeber von Mechanik und Optik: 1 f. Interferometerbau: 288, 294 ff., 298, 426 f., 436 ff., 439 ff. Interferometer und Relativität: 337 f., 382. 1. Leipziger Prozeß: 175 Anm., 291, 296 f. 2. Leipziger Prozeß: 367 ff., 370 ff. Lichtablenkung: 431 ff. Magnaliumpatent: 290f., 2 9 7 - 3 0 0 , 394. Mangelnde Wahrheitsliebe: 289 f., 297 f., 311, 366, 386 Anm. Mathematisch-physikalische Kenntnisse: 287, 301 ff., 341, 345. „Melancholie": 294. Münchener Prozeß: 295 f., 319, 327 Anm., 342 Anm., 350 f., 377 Anm., 383. Patente und Erfindungen: 4, 283, 291 ff., 299, 393, 401 (Eierpatent), 436. Im Dienste Pfaffs: 348 ff. Postzensur des Vaters: 313 ff. Publikationen: 288, 294 ff. Stellung zum Nationalsozialismus: 392 Anm. Todesankündigungen: 316 f., 365, 378, 384, 386, 394 f., 397. Ungedruckte Abhandlungen: 4 1 9 - 4 2 7 Verhältnis zum Vater. Verheimlichung des Kriegsausbruchs: 127, 312—316. Korrespondenz: 299. Ferner: 290, 295 Anm., 299 f., 312 ff. {Bevormundung), 316 ff.; Helfer und Mitarbeiter: 296, 303, 352, 386. Identifikation: 298, 301, 307 f., 316 f., 347, 353
Verhältnis zur Relativitätstheorie. Früheste Äußerung: 189 f., 336. Überprüfung der allgemeinen Theorie: 351, 355. MichelsonMorley-Versuch: 190 Anm., 3 3 7 - 3 4 0 , 345 f., 348, 350 f., 401, 416, 426, 437 f. Entwicklung: 336 — 351 {Stufen 1 und 2: 336 ff., 354; Stufe 3:343 ff., 358 f., 362 ff.). Mach, Louise: 279 f., 281 Anm., 291 ff. Mach, Marie: 284, 286, 293, 407. Mach, Oktavia: 284. Mach, Regina: 3, 291 ff., 381 Anm. Mach, Viktor: 280 ff., 283, 288 Anm., 306, 320 f. Mach, Walter: 4 f., 283 f., 291 Anm., 294 Anm., 321. Machforschung: Externe Argumente zu Machs angeblicher Ablehnung der Relativitätstheorie: 9 f., 204, 252—273. Interne Argumente zu Machs angeblicher Ablehnung der Relativitätstheorie: 8 f., 204 f., 2 0 6 - 2 4 0 . Machsches Forschungsprogramm: 49 f., 52. Relativität der Trägheit (Machsches Prinzip): 52 f. Allgemeine Kovarianz: 57 ff. Äquivalenzprinzip: 63 ff. Nahwirkungstheorie: 65 ff. Machsches Prinzip: Modifikation des Machschen Trägheitsprinzips: 43, 45, 49, 53, 97 Anm. Verwerfung durch Einstein: 43, 49 f. Begriffsprägung durch Einstein: 49 Anm. Einfluß auf Herausbildung der allgemeinen Relativitätstheorie: 53 f. Ontologische Priorität der Massen: 54 ff. Einsteins Definition: 54 Anm. Neubewertung: 56 f. Als kosmologischer Mythos: 57. Verknüpfung mit allg. Relativitätsprinzip: 61 Anm. Von ,Relativisten' vertreten: 72. Mach-Zehnder Interferometer: 295 Anm. Mackie, John L.: 71. Mainzer, Klaus: 234 Anm., 268 Anm., 334 Anm. Mann, Thomas: 260 Anm. Marcel, Gabriel: 240 Marder, Leslie: 339 Anm. Masse: 63 {träge u. schwere Masse), 63 {Definition der trägen Masse). Mauthner, Fritz: 243 Anm. Maxwell, James Clerk: 12, 25 f., 58, 67 f., 93, 98, 99 Anm., 113, 179, 418. May, Eduard: 398. McCormmach, Russell: 29, 31, 33 f., 36, 67 Anm., 253.
Register Meiner, Arthur: 302 f., 318 Anm., 322 ff., 327 f., 331, 378 ff. Meinong, Alexius: 276 Anm. Menger, Carl: 129 Anm. Meyerson, Emile: 108. Michelson-Morley-Versuch: 94 Anm., 190 Anm., 263, 3 3 8 - 3 4 2 , 379 Anm. (s. auch: Mach, Ludwig). Mill, John Stuart: 266. Miller, Arthur I.: 29 Anm., 46 Anm., 68 Anm., 93 Anm., 98 Anm., 100 Anm., 106 Anm., 121 Anm., 141 Anm., 235 Anm., 238, 268 Anm. Minkowski, Hermann: 27 Anm., 34 ff., 58 f., 93, 95, 163 f., 168 ff., 172, 177, 185, 1 9 1 - 1 9 4 , 196, 209, 218, 2 2 7 - 2 3 7 , 253, 258, 335. Mises, Richard von: 205 Anm. Misner, Charles W.: 54 Anm. Mitchell, J.: 184 Anm. Mittelstraß, Jürgen: 2, 79 Anm., 138 Anm., 268 Anm., 407 Anm. Möbius, August Ferdinand: 236, 334 Anm. Modelle, mathematische: 75, 213. Modelle, mechanische: 23, 26, 65 f. (scheitern in der Elektrodynamik), 29 (nicht verständlicher als andere). Molisch, Paul: 125 Anm. Möller, Christian: 39, 230 Anm., 231. Monismus: 68 Anm., 144, 240, 261, 329 Anm., 407. Müller, Emil: 353. Müller, Johannes: 136 Anm. Musil, Robert: 135 Anm. Nahwirkung: als elektrische Fernwirkung: 66 ff. Beispiele: 67 Anm. Neck, Rudolf: 202 Anm. Nernst-Schönflies (Lehrbuch): 301. Neumann, Carl: 61 Anm., 80 Anm. Neumann, Franz: 17, 68 Anm., 69,138 Anm. Newton, Isaac: 2, 12, 26, 28 Anm., 31, 37, 39 Anm., 40 ff., 45, 47, 60, 68 f., 73 ff., 78 f., 81 f., 84 ff., 89, 96, 103 Anm., 116, 214 f., 217, 220, 225 f., 373, 417 Anm., 423. Machs Verhältnis ψ Ν.: 8 5 - 8 8 . Korollar V der Principia: 87 f. Begründer der theoretischen Physik: 215. Newtonsches Eimerexperiment: Machs Interpretation beeinflußt Einstein: 37, 60, 65 Anm., 151. Darstellung: 39 ff.. Machs Kritik: 41 f., 81 Anm., 88 f. Nullpunkt, absoluter: 186, 209 ff.
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Oberschelp, R.: 5. Obregön, O.: 57 Anm. Ohlendorf, Jürgen: 6, 291 Anm. Ohlendorf, Peter: 6, 291 Anm. Open Court: 68 Anm., 325, 326 Anm., 327 Anm., 384, 386. Ostwald, Wilhelm: 99, 249, 266 Anm., 407, 410. Orthner, Rudolf: 18, 180, 363. Pais, Abraham: 11 f., 43 Anm., 44 Anm., 49, 55 Anm., 56, 58 Anm., 155, 156 Anm., 246 Anm. Pauli, Wolfgang: 297 Anm., 315 Anm., 317 Anm. Pearson, Karl: 122 Anm. Perpetuum mobile: 105, 179 ff., 182. Perrin, Jean: 25. Petzoldt, Joseph: 22, 72, 112, 159, 161, 1 7 3 - 1 9 1 , 277f., 315 Anm., 336, 344, 354 f., 449. Auseinandersetzung mit Dingler: 271, 309, 332, 3 5 9 - 3 6 2 . Auseinandersetzung mit Ludwig Mach: 302, 311 ff., 314 f., 332 f., 356 — 375. Beschuldigungen Ludwigs: 370. gescheiterter Besuch bei Mach: 4, 308 ff., 311. Gründung der GesellschajtjZeitschrift für positivistische Philosophie: 184 f. Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: 94, 176, 182 f., 185 Anm., 186. Als Korrespondent Ludwig Machs: 189 f. Verhältnis Mach: 161, 410. Als Korrespondent Machs: 161 ff., 173 ff., 176, 189. Nachfolger Machs: 175, 189. Relativitätstheorie in der Korrespondenz mit Mach: 176 f. Verantwortlichfür Neuausgaben von Machs Mechanik 174 f., 189, 302, 312, 347 f., 351 f., 354, 369. Verteidigung Machs gegen Angriffe Plancks: 19, 247 f. Vertreter der Vorläuferthese: 161, 185 f. Petzoldt, Walther: 371 f. Petzval, Josef: 435 Pfaff, Alfred: 3, 348 ff., 353, 379 Anm., 382, 384, 386 Anm., 401 Anm., 419 Anm. Pfaff, Johann Friedrich: 348 Anm. Phänomenalismus: 76, 103 Anm. Physik. Verhältnis zur Sinnesphysiologie: 136 f., 144, 146 f. zur Mathematik: 166 f., 233. Theoretische P.: 214, 215. Phänomenologische P : 28, 99 Anm., 144, 217. Physiologie. Methode: 136 f., 144. Pius X. (Papst): 251. Pick, Georg: 124, 126 Anm., 131 Anm., 132 Anm., 287.
472
Register
Pirani, F.: 50. Planck, Max: 8, 10 f., 19, 22 Anm., 25, 27, 31 ff., 35, 48 Anm., 49 Anm., 79 Anm., 112 ff., 115 ff., 118, 149 ff., 152f., 168 f., 172, 240, 2 4 5 - 2 4 9 , 252ff., 261, 276, 317 Anm., 332, 410 Anm. Poggendorf, Johann Christian: 63 Anm. Poincare, Henri: 30, 268. Popper, Karl R.: 110 Anm., 267. Popper-Lynkeus, Josef: 134, 176, 255 Anm., 278, 281, 305 Anm., 310, 316, 353, 381 Anm., 449. Positivismus: 9, 97 Anm., 104 Anm. und Relativitätstheorie: 109 Anm., 162, 185 f., 188 f., 281. Poske, Friedrich: 20 Anm., 271, 379 Anm., 409. Post, Heinz: 22 Anm., 59. Potential: 68 Anm. (retardiertes P.). pragmatisch/Pragmatismus: 78, 82 Anm., 83 Anm., 118. Prantl, Karl: 216 Anm. Pringsheim, Alfred: 260 Anm., 261 Anm., 413. Protophysik: 186 Anm. Ptolemäus, Claudius: 169. Ptolemäisches System: 78 f. (kinematisch gleichwertig mit Kopernikanischem), 80 ff., 90. Rahner, Karl: 243 Anm. Ratliff, Floyd: 274. Raum. Absoluter R.: 16, 26, 35, 37 ff., 93. Als Universalbehälter: 37. Absolut ruhend: 37. Einsteins Gedankenexperiment: 59 f. Verschwindet, wenn es ernst wird: 88. Als Äther: 96 Anm. metrische Amorphie des R.es: 51 Anm. Durch Massen bestimmt: 54 f., 152. Union von Raum und Zeit: 231 f. R. der Atome: 23 Anm., 26 f., 234. Relationaler R.: 71. Physikalischer/Geometrischer/ Anschauungsraum: 169 f., 193, 232 f. Vierund mehrdimensionaler R.: 193, 227 — 236. Raumzeit: 170. ontologische Priorität der gekrümmten R.: 54 ff., 71 Anm., 152. ontologischer Status: 70. absolut/relativ-Unterscheidung: 71 f. von Mach abgelehnt?: 228 ff. Realismus, metaphysischer: 21 f., 30, 72 Anm., 83 Anm., 102, 114, 116 ff., 119, 140 f. (naiver R.), 143, 241, 246, 253. Reduktionismus, mechanistischer: 23, 27. regulae philosophandi: 86.
Reichenbach, Hans: 48 Anm., 50 Anm., 65, 72 Anm., 119 f., 204 f., 231 Anm., 255, 256, 267. Reichenbach, Heinz: 6 Anm., 138, 288, 294 Anm. Relativitätsprinzip, allgemeines: Formulierung: 61. Verknüpfung mit Machschem Prinzip: 61 Anm. Aufhebung der Beschränkung auf Inertialsysteme: 62. Zusammenhang mit Äquivalenterin^ip: 63. Relativitätsprinzip, spezielles: zeitweise als Bestandteil des Mechanismus betrachtet: 29 Anm. Erweiterung in der allgemeinen Relativitätstheorie: 58, 177. Kovarianz von Gesetzen: 58. Motive: 93 f. und Kinematik: 185 f. Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik: Formulierung: 39, 57. Beschränkungen: 57 f. Erweiterung in der Relativitätstheorie: 58. Korollar V der Principia: 87 f. Relativitätstheorie, allgemeine: Aufhebung der Auszeichnung von Inertialsystemen: 49 Anm., 58. von Planck zunächst abgelehnt: 49 Anm., 152, 246 f. von Mach initiiertes Forschungsprogramm: 50. Hauptgesichtspunkte: 61 Anm. Erweiterung der speziellen: 58, 177. Lorentz-invariante Mechanik: 59. Theoretischer Wert: 64. Revitalisierung: 70. Und Äther: 96 Anm. Empirische Bestätigung: 105, 344 ff. (Sonnenfinsternis 1919), 350 f. Relativitätstheorie, spezielle: mit mechanistischem Weltbild unvereinbar: 27. Teil einer phänomenologischen Physik: 28, 36, 217. zunächst von Elektronentheorie oft nicht unterschieden: 33. durch Minkowski in kanonische Form gebracht: 163 f. Formalismusvorwurf: 194. Richarz, Franz: 166, 218. Richtberg, Werner: 381 Anm. Rickard, R. J.: 184 Anm. Riemann, Bernhard: 51 Anm., 56, 73 f. Roentgen, Wilhelm Conrad: 272. Rosenthal, Arthur: 260 Anm., 261 Anm., 271. Rotation. Absolute R.: 37, 39, 59 f. {Einsteins Gedankenexperiment), 77 f., 89, 246 (Planck), Relative R. (Mach): 41, 96; des Fixsternhimmels: 78, 79 Anm., 86. Neumanns Gedankenexperiment: 80 Anm. Rumpier, (Firma): 293. Runge, Carl: 238. Rupp, Emil: 10.
Register Santifaller, L.: 131 Anm. Schäfer, Otto: 5 f. Schaffner, Kenneth F.: 101. Scheinprobleme: 141 (umgekehrtes Netzhautbild). Schilpp, Paul Α.: 12, 21, 26, 92, 103. Schlicht, Hans: 6 Anm. Schlick, Moritz: 48 Anm., 49 Anm., 109 Anm., 118 f., 205. Schmidt, Herbert K.: 230 Anm., 338 Anm. Schnitzler, Arthur: 145 Anm. Schopenhauer, Arthur: 243. Schroeder-Heister, Peter: 2, 3 Anm. Schuppe, Wilhelm: 139, 185 Anm., 386. Seeliger, Hugo von: 55 Anm., 272, 276, 332, 410, 437. Seidl, F.: 131 Anm. Sexl, Roman U.: 230 Anm., 338 Anm. Sewell, William C.: 61 Anm., 64 Anm., 65 Anm., 79 Anm., 83 Anm., 218 Anm. Shapere, Dudley: 110 Anm. Simon, Hugo: 388 Anm. Sinnesdaten: 145 Sinnesempfindung: 24, 64, 76. Sinnesphysiologie: 136 f., 140, 146 f. Sinnkriterium, empiristisches: 81 Anm. Smith, Adam: 17. Solovine, Maurice: 103 Anm., 122 Anm. Sommerfeld, Arnold: 272, 359. Sozialdemokratie: 122 Anm., 129. Spemann, Gottfried: 18 f. Spielmann, Diane: 243 Anm. Spinoza, Baruch de: 121. Stachel, John: 56 Anm., 70 Anm., 71 Anm., 73 Anm. Stadler, Friedrich: 18 Anm., 127 Anm. Stallo, John B.: 30 Anm. Stark, Johannes: 11 Anm., 392 Anm. Stein, Howard: 7 0 - 9 0 . Steinheil (Firma): 295 Anm., 391 Anm., 426 f. Stern, W.: 314 Anm. Steudel, J.: 136 Anm. Stevin, Simon: 105. Stilp, Α.: 6 Anm. Study, Eduard: 118. Stürgkh, Karl von: 122 Anm. Subelektronen: 28 Substanzvorstellung: 24, 34, 75, 185. Swenson, Lloyd S.: 342 Anm., 350 Anm. Swoboda, Wolfram: 129 Anm., 146 Anm., 155 Anm., 166 Anm., 246 Anm.
473
Taschner, Karl-Ludwig: 381 Anm. Teilhard de Chardin: 15. Temperaturdefinition: 48 Anm. Thäte, Ralf: 400 Anm. Theismus: 241 ff. Tensoranalysis: 54, 155, 168, 335. Themata der Forschung: 11,14, 63, 72 Anm., 92. Antimecbani^ismus: 20, 27, 36 f. relativj absolut: 37. Zusammenhang: 43, 52 f., 54 f., 57. ontologische Prioritäten: 54 f. Theoriebeladenheit: 109 f. Theorieform: 57. Theorie. Entstehung!Darstellung: 74. Motivation: 91. als freie Schöpfungen: 102 f. Zweck: 102 Zweistufenkonv^ept: 109 f. Beobachtung und T.: 109 f. Annahme von T.n: 120 f., 127 {außertheoretische Kriterien). Formale T.n: 265 Thermodynamik. Phänomenologische T.: 25. Statistische T.: 25. 1. Hauptsatz (Energieerhaltungssatz): 25 Anm., 179, 334 Anm. 2. Hauptsatz (Entropiesatz): 25. Thiel, Christian: 173 Anm. Thiele, Joachim: 155, 170, 206 Anm., 248 Anm., 250, 276 Anm., 279, 288, 294, 326 Anm., 327 Anm., 376 Anm., 410 Anm., 437 Anm. Thirring, Hans: 42 Anm., 89 Anm. Thomsen, Anton: 266, 304, 448. Thorne, Kip S.: 54 Anm. Tipecska, Geza: 299 Anm. Topik der Forschung: 13 Anm. Torretti, Roberto: 160. Trägheit. Nach Newton Wesenseigenschaft der Materie: 41 f., 55. Relativität der T.: 42, 52 f., 55, 62, 151. Proportional zu Schwere: 63 f. Trägheitsprinzip: 26, 38, 42, 43 (Newtonsches T. kinematisch), 45 ff., 52 (Machsches T.), 51 ff. {lokale Geltung 45, 83 Anm., 85 {mathematische Darstellung;), 84 {Aristotelisches), 105, 181 f. {wird .erschaut'). Treder, Jürgen: 53. Tumlirz, O.: 287. Überlichtgeschwindigkeiten: 79 Anm., 82 Anm., 186, 196. Uhrenparadoxon: 163 f., 186 ff., 197. Ulsenheimer, Charlotte: 5 f., 298 Anm. Ulsenheimer, Gottfried: 4 ff., 376 f. Unterbestimmtheit: 78, 118 Anm. Voß, Aurel: 259.
474
Register
Wagner von Jauregg, Julius: 250 Anm. Waissenberger, Robert: 371 Anm. Wärmelehre s. Thermodynamik. Weber, Wilhelm: 29, 235. Weinberg, Carlton B.: 64, 115 Anm., 130, 133 Anm., 166 Anm., 228 Anm. Weiner, Armin: 255. Wellsteinsches Kugelgebüsch: 265 Anm. Weltbild, elektromagnetisches. Elektrodynamik als Basis der Physik: 29. von Mach nur methodologisch favorisiert: 28 ff., 31—35 Relativitätstheorie als Teil des e. W.s: 28, 36. ontologtsche Charakterisierung: 29 ff. überwindet mechanistisches Weltbild: 32 ff., 99. Väter des e. W.s: 235. Weltbild, mechanistisches. Machs Kritik am m. W. beeinflußt Einstein: 20. Mechanik als Basis der Physik: 21, 324 Anm. ontologtsche u. methodologische Aspekte: 22 ff., 25. mit Hilfe der Elektrodynamik überwunden: 25, 99 Anm. mit Relativitätstheorie unvereinbar: 27. Weltbilder: 16, 21 f. (als Orientierungsmittel), 110, 113 f., 116 f. {Einheit des Weltbildes). Werner, Kurt: 391 Anm. Weyland, Paul: 367 Anm. Wheeler, John A: 50, 54 Anm., 56 f., 71 Anm. Whittaker, Edmund: 94 Anm.
Widerspiegelungstheorie: 22. Wiechert, E.: 30. Wiecke, K.: 322 Anm. Wien, Wilhelm: 30 ff., 35 Anm., 215 Anm. Wiener, Otto: 250, 277 f., 317 Anm., 323 ff., 327 Anm., 448. Wiener Kreis: 81 Anm., 109, 205. Wigner, Eugene: 7 Anm. Wimmer, Reiner: 79 Anm. Wirth, Moritz: 235 Anm. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Verfälschung des Mechanik-Titels: 375. Wittgenstein, Ludwig: 53, 81, 145. Wolters, Gereon: 2 Anm., 13 Anm., 75, 76 Anm., 101 Anm., 140 Anm., 259 Anm., 265 Anm. Zahar, Elie: 218-221, 224-227. Zangger, Heinrich: 117 Anm. Zeiss (Firma): 287 ff., 290, 292,296 ff., 299 f., 320 Anm., 382 Anm., 449. Zeit: 51. Zeitdilatation: 188 Anm., 226, 229, 231. Zenneck, Jonathan: 319 Anm., 351, 4 3 1 - 4 3 5 {Gutachten). Ziehen, Theodor: 185 Anm. Zintgraf (Ernst-Mach-Institut): 6 Anm. Zöllner, Friedrich: 29, 153 Anm., 235 f.
QUELLEN UND STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE
GEREON WOLTERS
Basis und Deduktion Studien zur Entstehung und Bedeutung der Theorie der axiomatischen Methode bei J.H. Lambert ( 1 7 2 8 - 1 7 7 7 ) Groß-Oktav. XIII, 194 Seiten. 1979. Ganzleinen DM 7 8 , ISBN 3 11 007932 1 (Band 15) Wissenschaftstheoretische Rekonstruktion des Lambertschen Vorschlags der Einbettung der „einfachen Begriffe" der philosophischen Tradition in Axiomensysteme exakter Wissenschaften. Rekonstruktion der syllogistischen Logikdiagramme Lamberts als eines quasi-mechanisch handhabbaren diagrammatischen Logikkalküls.
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Walter de Gruyter
W DE
G
Berlin · New York
NICHOLAS RESCHER
Wissenschaftlicher Fortschritt Eine Studie über die Ökonomie der Forschung Aus dem Englischen übersetzt von Gerhard Schäffner Oktav. XVIII, 305 Seiten. 1982. Kartoniert DM 4 2 , ISBN 3 11 007931 3 de Gruyter Studienbuch auch in Leinen gebunden lieferbar DM 7 8 , - ISBN 3 11 008995 5 (Grundlagen der Kommunikation) Der Autor untersucht die künftigen Aussichten naturwissenschaftlicher Forschung. Er vertritt die These, daß eine Verlangsamung des wissenschaftlichen Fortschritts bevorsteht. Für die Aufrechterhaltung eines gleichbleibenden Fortschrittstempos wären exponentiell wachsende Anstrengungen notwendig. Das wirtschaftliche Wachstum ist jedoch beschränkt. Daher ist auch mit einer Verlangsamung des wissenschaftlichen Fortschritts zu rechnen. Das läßt aber nicht darauf schließen, daß die Wissenschaften sich den Grenzen des Wissens nähern, sondern daß sie sich bei dem Versuch, die Grenzen des Wissens zu erweitern, wachsenden Schwierigkeiten gegenüber sehen.
BERNULF KANITSCHEIDER
Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaft Oktav. 284 Seiten, 10 Abbildungen. 1981. Kartoniert DM 19,80 ISBN 3 11 006811 7 (Sammlung Göschen, Band 2216) Konfrontation und Gewichtung der Hauptstandpunkte der- metatheoretischen Betrachtung; Beitrag der Wissenschaftsgeschichte zur Erkenntnistheorie der Physik; philosophische Konsequenzen aus Relativitätstheorie, Kosmologie und Quantentheorie; Problematik einer Einheitswissenschaft.
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