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German Pages [232] Year 2016
Christoph Schmetterer
KAISER FRANZ JOSEPH I.
2016 Böhlau Verlag Wien Köln Weimar
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: József Kiss, Franz Josef I., Kaiser von Österreich (1830–1916), Bildnis in Galauniform © ÖNB Bildarchiv Inventarnummer E 2527 C/D
© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat: Rainer Landvogt, Hanau Einbandgestaltung: hawemannundmosch, Berlin Satz: Reemers Publishing Services GmbH, Krefeld Reproduktionen: Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Druck und Bindung: Theiss, St. Stefan im Lavanttal Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20279-0
Inhalt Vorwort 7 Zeittafel 8 Stammbaum 10 Tafeln 12
Kindheit und Jugend Familie und Erziehung 21 Die Thronbesteigung 24
Innenpolitik Ausgangsposition und Revolution 29 Die Niederschlagung der Revolution 35 Der Übergang zum Neoabsolutismus 37 Der Neoabsolutismus 40 Das Ende des Neoabsolutismus 44 Vom Februarpatent zum Ausgleich 48 Der Ausgleich und die Dezemberverfassung 50 Die Fundamentalartikel 56 Kaiser und Regierung 58 Nationalitätenkonflikt und Parlamentskrise 62 Reformen und Reformversuche 64
Außenpolitik Ausgangssituation und Revolution 71 Die Wiederherstellung des Deutschen Bundes 73 Der Krimkrieg 74 Der Krieg in Italien 77 Die Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in Deutschland 79 Die Gründung des Deutschen Reiches 85 Der Berliner Kongress und der Zweibund 86
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Die Annexionskrise 89 Der italienisch-osmanische Krieg und die Balkankriege 93
Militär Frühe Begeisterung 97 Von der Revolution bis Königgrätz 98 Die Armee in der Doppelmonarchie 102
Rechtliche Position 109 Religion und Kirche 113 Kunst 119 Familie Eltern und Geschwister 125 Elisabeth 132 Andere Frauen 141 Kinder 148 Andere Familienmitglieder 154
Persönlichkeit 169 Erster Weltkrieg und Tod Julikrise und Kriegsbeginn 183 Der Kriegsverlauf 188 Der Kriegseintritt Italiens 191 Der Kaiser im Krieg 194 Der Tod des Kaisers 197 Resümee 199 Quellen und Literatur 204 Abbildungsnachweis 212 Anmerkungen 214 Register 220
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Vorwort Kaiser Franz Joseph las kaum Bücher zum Vergnügen und war daher nicht der typische Adressat für Biographien. Wenn er aber doch die Biographie einer historischen Persönlichkeit gelesen hätte, wäre ihm sicher eine knappe, sachliche und gut lesbare Darstellung am liebsten gewesen. So eine Darstellung seines Lebens zu schreiben habe ich im vorliegenden Buch versucht. Ich hätte dieses Buch ohne Unterstützung nicht schreiben können. Mein Dank gilt zunächst meiner Familie: meinen Eltern und Großeltern, die mir schon als Kind durch Gespräche und Ausstellungsbesuche geholfen haben, mein historisches Interesse und Verständnis zu entwickeln, und meinen Geschwistern für ihre interessierte Geduld beim Anhören meiner Überlegungen zu Franz Joseph. Unter meinen Historikerkollegen waren es vor allem die Gespräche mit Stefan Wedrac und Lothar Höbelt, die mein Bild von Kaiser Franz Joseph geklärt und geschärft haben. Carina Koplenig hat öfter als alle anderen gefragt, „wie es dem Kaiser geht“, und mich damit sehr zum Schreiben motiviert. Ganz besonders bedanke ich mich bei meinem akademischen Lehrer und Freund Thomas Olechowski, der mich nicht nur allgemein zu diesem Buch ermuntert hat, sondern auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort den Kontakt zum Böhlau Verlag hergestellt hat. Schließlich danke ich dem Böhlau Verlag: Peter Rauch für die ebenso herzliche wie spontane Bereitschaft, diese Biographie zu verlegen, und Johannes van Ooyen, Julia Beenken, Christiane Braun, Franziska Creutzburg und Claudia Macho für die liebenswürdige und kompetente Betreuung. Es hat mir viel Freude gemacht, dieses Buch zu schreiben, und ich wünsche mir, dass es mit genauso viel Vergnügen gelesen wird. Wien, Januar 2016 Christoph Schmetterer 7
Zeittafel 1830 Geburt am 18. August 1832 Geburt des Bruders Ferdinand Maximilian am 6. Juli 1833 Geburt des Bruders Karl Ludwig am 30. Juli 1837 Geburt der späteren Ehefrau Elisabeth, Herzogin in Bayern, am 24. Dezember 1842 Geburt des Bruders Ludwig Viktor am 15. Mai 1848 Revolution, Thronbesteigung am 2. Dezember 1849 endgültige Niederschlagung der Revolution 1851 Übergang zum Neoabsolutismus 1853–1856
Krimkrieg
1854 Hochzeit mit Elisabeth am 24. April 1855 Geburt der Tochter Sophie am 5. März 1855 Konkordat mit dem Heiligen Stuhl am 18. August
1856 Geburt der Tochter Gisela am 12. Juli
1857 Tod der Tochter Sophie am 29. Mai 1858 Geburt des Sohnes Rudolf am 21. August 1859 Krieg mit Frankreich und Sardinien-Piemont, Niederlage bei Solferino am 24. Juni 1860 Oktoberdiplom am 20. Oktober 1861 Februarpatent am 26. Februar
1863 Frankfurter Fürstentag vom 16. August bis 1. September Geburt des Neffen Franz Ferdinand am 18. Dezember
1864 Beteiligung am Deutsch-Dänischen Krieg 1865 Eröffnung der Ringstraße am 1. Mai 1866 Krieg gegen Preußen und Italien Niederlage bei Königgrätz am 3. Juli Sieg bei Custozza am 24. Juni 1867 Tod des Bruders Maximilian am 19. Juni in Mexiko Ausgleich mit Ungarn, Dezemberverfassung am 21. Dezember 1868 Geburt der Tochter Marie Valerie am 22. April 1870 1. Vatikanisches Konzil, Kündigung des Konkordats am 30. Juli
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1871 Scheitern der Fundamentalartikel im Oktober 1872 Tod der Mutter Sophie am 28. Mai 1873 Hochzeit der Tochter Gisela mit Leopold von Bayern am 20. April 1875 Tod von Kaiser Ferdinand am 29. Juni 1878 Tod des Vaters Franz Karl am 8. März Berliner Kongress vom 13. Juni bis 13. Juli Okkupation von Bosnien-Herzegowina 1879 Zweibund am 7. Oktober 1881 Hochzeit des Sohnes Rudolf mit Stephanie von Belgien am 10. Mai 1882 Dreibund am 20. Mai 1889 Selbstmord des Sohnes Rudolf am 30. Januar 1890 Hochzeit der Tochter Marie Valerie mit Erzherzog Franz Salvator am 31. Juli 1896 Tod des Bruders Karl Ludwig am 19. Mai 1897 Badeni-Krise 1898 Ermordung der Ehefrau Elisabeth am 10. September in Genf
1900 Hochzeit des Neffen Franz Ferdinand mit Sophie Chotek am 1. Juli
1907 Einführung des allgemeinen, gleichen Männerwahlrechts am 26. Januar 1908 Annexion von Bosnien-Herzegowina am 5. Oktober – Annexionskrise 1911 Hochzeit des Erzherzogs und späteren Thronfolgers Karl mit Zita von Bourbon-Parma am 21. Oktober 1911–1912
Italienisch-Osmanischer Krieg
1912 Erster Balkankrieg
1913 Zweiter Balkankrieg
1914 Ermordung des Neffen und Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Ehefrau Sophie am 28. Juni in Sarajevo Kriegserklärung an Serbien am 28. Juli 1914–1918
Erster Weltkrieg
1915 Kriegseintritt Italiens am 23. Mai 1916 Tod am 21. November
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Stammbaum
Stammbaum Stammbaum Franz II/I Franz II/I 1792 –1835 1792 –1835 (1768 –1835) (1768 –1835) ∞
∞1. Elisabeth 1. Elisabeth Wilhelmina Wilhelmina geb. Herzogin v. Württemberg geb. Herzogin v. Württemberg (1767–1790) (1767–1790)
2. Maria Theresia 2. Maria Theresia geb. Prinzessin v. Neapel-Sizilien geb. Prinzessin v. Neapel-Sizilien (1772 –1807) (1772 –1807) 3. Maria Ludovika 3. Maria Ludovika geb. Prinzessin v. Modena geb. Prinzessin v. Modena (1787–1816) (1787–1816) 4. Karoline Auguste 4. Karoline Auguste geb. Prinzessin v. Bayern geb. Prinzessin v. Bayern (1792 –1873) (1792 –1873)
Ferdinand Ferdinand 1835 –1848 1835 –1848
(noch(noch 10 Kinder) 10 Kinder)
(1793 –1875) (1793 –1875)
Franz Franz Karl Karl (1802 –1878) (1802 –1878)
∞ Maria ∞ Maria Anna Anna geb. Prinzessin geb. Prinzessin v. Savoyen v. Savoyen (1803 –1884) (1803 –1884)
∞ Sophie ∞ Sophie geb. Prinzessin geb. Prinzessin v. Bayern v. Bayern (1805 –1872) (1805 –1872)
FRANZFRANZ JOSEPH JOSEPH Ferdinand Maximilian Maximilian 1848 –1916 1848 –1916 Ferdinand (1832 –1867) (1832 –1867)
(1830 –1916) (1830 –1916)
∞ Elisabeth ∞ Elisabeth geb. Herzogin geb. Herzogin in Bayern in Bayern (1837–1898) (1837–1898)
GiselaGisela Sophie Sophie (1856 –1932) (1855 –1857) (1855 –1857)(1856 –1932)
RudolfRudolf (1858 –1889) (1858 –1889)
∞ Charlotte ∞ Charlotte geb. Prinzessin geb. Prinzessin v. Belgien v. Belgien (1840 –1927) (1840 –1927)
MarieMarie Valerie Valerie (1868 –1924) (1868 –1924)
∞ Leopold ∞ Leopold ∞ Stephanie ∞ Stephanie ∞ Franz Salvator ∞ Franz Salvator Prinz v.Prinz Bayern v. Bayern geb. Prinzessin v. Belgien geb. Prinzessin v. Belgien Erzherzog Erzherzog (1846 –1930) (1846 –1930) (1864 –1945) (1864 –1945) (1866 –1939) (1866 –1939)
4 Kinder 4 Kinder
10
1 Kind1 Kind
10 Kinder 10 Kinder
Karl Ludwig (1833 –1896) ∞
Maria Anna (1835 –1840)
Ludwig Viktor (1842 –1919)
1. Margarete geb. Prinzessin v. Sachsen (1840 –1858)
2. Maria Annunziata geb. Prinzessin v. Neapel-Sizilien (1843 –1871) 3. Maria Theresa geb. Prinzessin v. Portugal (1855 –1944) Franz Ferdinand (1863 –1914)
Otto (1865 –1906)
Ferdinand Karl (1868 –1915)
∞ Sophie geb. Gräfin Chotek v. Chotkowa (1868 –1914)
∞ Maria Josepha geb. Prinzessin v. Sachsen (1867–1944)
∞ Berta Czuber (1879 –1979)
3 Kinder
Karl
1916 –1918
(1887–1922) ∞ Zita geb. Prinzessin v. Bourbon-Parma (1892–1989)
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(noch 1 Kind)
(noch 1 Kind)
Tafeln Vorgänger und Eltern
Franz II./I.
Ferdinand I.
Franz Karl
Sophie
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Kindheit und Familie
Franz Joseph als Kleinkind
Franz Joseph mit seinen Brüdern Karl Ludwig (links) und Ferdinand Maximilian
Die kaiserliche Familie um 1860; hinten: Franz Joseph, Ferdinand Maximilian, Charlotte, Ludwig Viktor, Karl Ludwig; vorne: Gisela, Elisabeth, Rudolf, Sophie, Franz Karl
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Frauen
Elisabeth
Elisabeth (links) mit ihrer Hofdame Irma Sztáray wenige Tage vor ihrer Ermordung
Katharina Schratt
Anna Nahowski
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Kinder
Sophie
Gisela
Rudolf
Marie Valerie
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(Potentielle) Nachfolger
Hinrichtung von Ferdinand Maximilian als Kaiser von Mexiko
Franz Ferdinand mit Sophie
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Hochzeit von Karl und Zita
Politiker und Berater
Felix Fürst zu Schwarzenberg
Gyula Graf Andrássy
Eduard Graf Taaffe
Friedrich Graf von Beck Rzikowsky
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Interessen
Franz Joseph als Teenager in Uniform
Franz Josef als Jäger
Eigenhändige Zeichnung des jungen Franz Joseph
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Erster Weltkrieg und Tod
Franz Ferdinand und Sophie in Sarajevo unmittelbar vor dem Attentat
Franz Joseph auf dem Totenbett
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Kindheit und Jugend Familie und Erziehung Als Franz Joseph am 18. August 1830 geboren wurde, regierte sein Großvater Franz II./I. (ein Enkel Maria Theresias) die Habsburgermonarchie. Obwohl Franz Joseph nicht als Kronprinz, das heißt als ältester Sohn des regierenden Herrschers, geboren wurde, war es wahrscheinlich, dass er selbst einmal Kaiser werden würde. Kaiser Franz hatte nämlich zwei Söhne, die beide aus der zweiten seiner vier Ehen stammten. Der ältere Sohn, Kronprinz Ferdinand, war ein schwerer Epileptiker, der noch dazu äußerlich etwas missgebildet war. Er war, auch für damalige Verhältnisse, ziemlich klein und hatte einen ungewöhnlich großen und eigenartig geformten Kopf. Auch Ferdinands geistige Fähigkeiten waren eingeschränkt – wie sehr, lässt sich nicht mehr genau sagen. Für die Position des Kaisers schien er jedenfalls wenig geeignet. Außerdem war es, auch nachdem Ferdinand 1831 geheiratet hatte, ziemlich klar, dass er niemals Kinder haben würde. Auch Kaiser Franz’ zweitem Sohn Franz Karl, dem Vater von Franz Joseph, wurde nachgesagt, eher beschränkt zu sein. Verglichen mit seinem älteren Bruder war er aber eindeutig der Gesündere, vielleicht auch der Aufgewecktere. Franz Karl heiratete 1827 die bayerische Prinzessin Sophie, übrigens die Schwester der vierten Frau von Kaiser Franz (eine andere ihrer Schwestern war die Mutter der späteren Kaiserin Elisabeth). In den ersten Jahren ihrer Ehe wurde Sophie zwar mehrfach schwanger, verlor ihre Kinder aber jedes Mal. Erst die im Herbst 1829 beginnende Schwangerschaft mit dem späteren Kaiser Franz Joseph verlief gut – worauf die Kur‐ und Erholungsaufenthalte in Bad Ischl im Salzkammergut vielleicht einen gewissen Einfluss hatten. Jedenfalls wurden Franz Joseph und seine später geborenen Brüder wegen der vermuteten Wirkung des Salzkammerguts als „Salzprinzen“ bezeichnet. Außerdem entwickelte schon der junge 21
Franz Joseph eine so starke Zuneigung zu Ischl, dass es für den Rest seines Lebens zu seiner geliebten Sommerfrische wurde. Bei seiner Geburt war Franz Joseph somit der Dritte in der Thronfolge, nach seinem kinderlosen Onkel Ferdinand und seinem Vater Franz Karl. Mit Ferdinands Thronbesteigung 1835 rückte er dann an die zweite Stelle in der Thronfolge. Daher wurde Franz Joseph von Anfang an als künftiger Kaiser erzogen – eine Vorstellung, die seiner ehrgeizigen Mutter Sophie offenbar gut gefiel. Entsprechend der habsburgischen Familientradition wurde der Erzherzog zunächst, bis er sechs Jahre alt war, von einer Kinderfrau („Aja“), der Baronin Louise von Sturmfeder, erzogen. Danach erhielt er einen eigenen Hofstaat, an dessen Spitze Heinrich Graf von Bombelles stand, der damit auch der Hauptverantwortliche für die Erziehung Franz Josephs wurde. Gleichzeitig begann die systematische Ausbildung des jungen Erzherzogs, natürlich in Form von Privatunterricht. Von Anfang an musste Franz Joseph einen umfassenden und dementsprechend anstrengenden Stundenplan bewältigen. Als Sechsjähriger hatte er pro Woche 18 Unterrichtsstunden und dieses Pensum erhöhte sich schnell. Schon zwei Jahre später hatte sich der Unterricht auf 36 Wochenstunden verdoppelt, und als der Erzherzog 15 Jahre alt war, waren es bis zu 55 Stunden. Besonders wichtig waren für den künftigen Herrscher eines Vielvölkerreiches die Sprachen. Als erste Fremdsprache lernte Franz Joseph Französisch, später kamen Italienisch, Tschechisch und Ungarisch dazu. Außerdem erwarb er Grundkenntnisse im Kroatischen und Polnischen. Englisch hingegen lernte er zeit seines Lebens nicht und in den klassischen Sprachen, Latein und Altgriechisch, dürfte sein Unterricht eher oberflächlich gewesen sein. Außer in Sprachen wurde Franz Joseph in Mathematik, Geometrie, Religion und Philosophie unterrichtet. Sein Religionslehrer war der Beichtvater seiner Mutter, Joseph Othmar von Rauscher, den Franz Joseph als junger Kaiser später zum Fürsterzbischof von Wien 22
ernennen sollte. Mit 17 erhielt der Erzherzog dann einige Lektionen in „Staatskunst“ beim damaligen Staatskanzler Metternich. Franz Joseph war der Inbegriff eines braven Schülers, der sich nach Kräften bemühte, das zu lernen, was von ihm verlangt wurde. Nur ein einziges Mal klang in seinem Jugendtagebuch ein Hauch von Kritik an, als er schrieb: „Die Statistischen Lectionen des Herrn Fränzl unterhalten und intereßiren mich, doch die griechischen von Abbé Kis finde ich langweilig und unintereßant; es thut mir auch leid, diese Sprache lernen zu müssen, da man meistens sagt, es sey unnöthig.“ Insgesamt hatte Franz Joseph aber einiges Talent für Sprachen, die der wichtigste Teil seiner Ausbildung waren. Trotzdem belastete ihn der umfangreiche Lehrplan. Am 26. Oktober 1843 schrieb er in sein Tagebuch: „Nun fingen mit schrecklichen Ängsten die mündlichen Prüfungen an, welche gut ausfielen“, und dann am nächsten Tag: „Waren wieder mündliche Prüfungen, welche gut ausfielen, und damit waren die Prüfungen geendet. Ich war froh, nun von so vielen Ängsten befreyt zu seyn. Doch nun muß ich wieder wacker an das Studieren gehen.“1 Wie jeder Habsburger musste auch Franz Joseph ein Handwerk erlernen; in seinem Fall war es das Buchbinden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass er einen besonderen Enthusiasmus dafür entwickelt hätte. Sein Großvater Franz hingegen, der das Gärtnerhandwerk gelernt hatte, blieb sein Leben lang ein passionierter Hobbygärtner. Allerdings war Franz Joseph schon als Kind von allem Militärischen begeistert – und wurde in dieser Begeisterung auch von seiner Umgebung gefördert. Neben dem umfangreichen Ausbildungsprogramm blieb dem jungen Erzherzog nur wenig Zeit zum Spielen. Er hatte dementsprechend auch keine wirklichen Jugendfreunde. Die wichtigsten Bezugspersonen in ungefähr gleichem Alter waren für ihn seine 1832 bzw. 1833 geborenen Brüder Ferdinand Maximilian und Karl Ludwig. Seine einzige Schwester, Maria Anna, starb 1840 mit nur vier Jahren – was ihn sehr 23
erschütterte. Sophie schrieb ihrer Mutter: „Meine armer Franzi ist durch den Verlust seiner Schwester so schmerzlich ergriffen, daß mir dies in Anbetracht seines Alters mehr weh- denn wohltut … er geht nicht so aus sich heraus wie seine Brüder, aber er fühlt um so tiefer.“2 1842 kam dann als Nachzügler der vierte Bruder, Ludwig Viktor, zur Welt und Franz Joseph war von dem herzigen Baby ganz begeistert. Dass Franz Joseph außerhalb seiner Familie praktisch keine tiefgehenden Freundschaften schloss, ergab sich schon aus Standesgründen. Nicht umsonst hatte sein Urgroßonkel Joseph II. einmal über sich gemeint, wenn er unter seinesgleichen sein wolle, müsse er in die Kapuzinergruft gehen – wo die toten Kaiser begraben sind. Als der kleine Erzherzog eines Tages mit seiner Erzieherin spazieren ging, begegneten sie einer Gräfin Tige, der Ehefrau eines kaiserlichen Adjutanten, und deren Kindern. Die begannen sofort mit Franz Joseph zu spielen und nahmen ihn in ihre Mitte. Nach einiger Zeit kam die Gruppe an Erzherzogin Sophie vorbei. „Mit wem geht denn das Kind?“, fragte sie kritisch und meinte dann: „Eigentlich gehört sich das nicht.“3
Die Thronbesteigung Der junge Franz Joseph führte seit seinem 13. Geburtstag ein Tagebuch – in den ersten Jahren sehr regelmäßig, dann immer sporadischer. In der letzten Eintragung vom 13. März 1848 beschrieb er ein Ereignis, das einen wesentlichen Einschnitt in seinem Leben bedeuten sollte: den Ausbruch der Revolution in Wien. Im Verlauf der Revolution nämlich wurde Franz Joseph Kaiser. Schon im Sommer 1848 dachte man in der kaiserlichen Familie darüber nach, ob mit der Revolution nicht der Zeitpunkt für einen Wechsel auf dem Thron gekommen sei. Im November, nachdem es unter Felix Fürst zu Schwarzenberg eine stabile Regierung gab und Alfred Fürst zu Windischgrätz das revolutionäre Wien erobert hatte, wurden diese Überlegungen dann konkret. Damit Franz Joseph seinem 24
Onkel als Kaiser nachfolgen konnte, waren mehrere Schritte nötig: Natürlich musste Kaiser Ferdinand I. abdanken. Da Franz Josephs Vater, Franz Karl, nach seinem Bruder Ferdinand der Nächste in der Thronfolge gewesen wäre, musste auch er auf seine Thronansprüche verzichten. Schließlich musste Franz Joseph für volljährig erklärt werden. Er hatte zwar im August 1848 seinen 18. Geburtstag gefeiert, aber nach dem Familienstatut der Habsburger wurden Erzherzöge grundsätzlich erst mit 20 Jahren volljährig (andere Personen wurden in Österreich damals gar erst mit 24 volljährig). Franz Joseph hätte auch als Minderjähriger Kaiser werden, dann jedoch nicht selbst regieren können, sondern einen Regenten benötigt – und das sollte jedenfalls vermieden werden. Als Kaiser hatte Ferdinand das Recht, Mitglieder des Kaiserhauses vorzeitig für volljährig zu erklären, und das tat er am 1. Dezember 1848 bei seinem Neffen Franz Joseph. Am selben Tag verzichtete Franz Karl auf seine Thronfolgerechte. Wider Erwarten kamen ihm kurz davor Zweifel, ob er tatsächlich darauf verzichten sollte, selbst der Nachfolger seines Bruders zu werden. Da Franz Karl, im Gegensatz zu seiner Frau Sophie, nie durch Ehrgeiz aufgefallen war, dürften seine Bedenken aus der Sorge entstanden sein, dass der doppelte Verzicht ein allzu starker Eingriff in die vorgegebene Ordnung wäre. Sophie konnte diese Bedenken schließlich zerstreuen. Bei Kaiser Ferdinand hingegen war es nicht allzu schwer, ihn von der Abdankung zu überzeugen; ihm war seine Position als Kaiser wohl nie ein Herzensanliegen gewesen. Damit waren alle Voraussetzungen für die Thronbesteigung Franz Josephs gegeben. Am 2. Dezember 1848 erklärte Ferdinand feierlich seine Abdankung und Franz Joseph wurde zu seinem Nachfolger. Die Zeremonie fand in Olmütz im Palais des Fürsterzbischofs statt, weil der Kaiserhof im Oktober 1848 vor der Revolution dorthin geflüchtet war. Ferdinand beschrieb die Ereignisse in seinem Tagebuch folgendermaßen: „Die Funktion endete damit, daß der neue Kaiser 25
vor seinem alten Kaiser und Herrn, nämlich vor mir, kniend um den Segen bath, welchen ich auch unter Auflegung der Hände auf seinen Kopf und Bezeichnung mit dem heiligen Kreutz gab.“4 Sophie notierte in ihrem Tagebuch, dass Ferdinand zu ihrem Sohn sagte: „Gott segne dich, bleib nur brav, Gott wird dich schützen. Es ist gerne geschehen.“5 Eine Krönung des neuen Kaisers fand nicht statt – nicht am 2. Dezember 1848 in Olmütz und auch nicht später. Sie war auch nicht nötig, denn Franz Joseph wurde in dem Augenblick zum neuen Monarchen, in dem Ferdinand seine Abdankung bestätigte. Die Krönung hätte also nur symbolische Bedeutung gehabt. Eine gewisse Überraschung war der Name des neuen Kaisers. Er war am Tag nach seiner Geburt auf den Namen Franz Joseph Karl getauft worden, wurde im Familienkreis aber meistens nur Franz oder Franzi genannt. Daher wollte er sich als Kaiser zunächst Franz II. nennen – nicht zuletzt nach seinem Großvater Franz II./I., den er gut gekannt und sehr gemocht hatte. In den Tagen vor der Thronbesteigung überzeugte ihn Ministerpräsident Schwarzenberg aber davon, dass Franz Joseph der bessere Name sei. Schwarzenberg meinte nämlich, man könnte den Namen Franz zu sehr mit dem Regime von Franz II./I. und Metternich assoziieren, gegen das sich die Revolution richtete. Auf der anderen Seite war Joseph II., an den der zweite Name erinnern sollte, als Reformkaiser zumindest nachträglich sehr populär. Somit wurde der Name, unter dem neue Kaiser die Habsburgermonarchie für fast 70 Jahre regieren würde, in einer Art Augenblicksentscheidung festgelegt. Für den jungen Kaiser kam die neue Würde nicht überraschend, immerhin war er praktisch seit seiner Geburt auf sie vorbereitet worden. Trotzdem versetzte ihn der Thronwechsel in eine ungeheure Aufregung, die zumindest nicht nur positiv war. Sophie beschrieb in ihrem Tagebuch, wie ihr Sohn nach dem Segen des abgedankten Kaisers auch seine Eltern um deren Segen bat: „Er warf sich mir weinend an die Brust und hielt mich lange in seinen Armen. Es war so ergreifend.“6 Franz Joseph erahnte zumindest, was seine 26
neue Aufgabe für ihn bedeuten würde, und so meinte er am Tag der Thronbesteigung: „Leb wohl meine Jugend.“7 Wenige Tage danach gab es dann einen eigenartigen Vorfall, mit dem der junge Mann tatsächlich irgendwie von seiner Jugend Abschied nahm. Seine jüngeren Brüder machten beim Spielen einen Sprung in eine Glastür im erzbischöflichen Palais, fürchteten sich vor der Strafe und baten deshalb den frischgebackenen Kaiser um seine Hilfe. Franz Joseph bekam große Lust, mit seinen Brüdern herumzuspielen, und fragte seine Mutter, ob er die Türe gemeinsam mit ihnen einschlagen dürfe. Sophie erlaubte es und bemerkte in ihrem Tagebuch dazu: „Seine Majestät genoss das in vollen Zügen.“8 Es war vielleicht das letzte Mal überhaupt, dass sich Franz Joseph in einer derartigen Weise gehen ließ. Insgesamt nahm er seine neue Aufgabe von Anfang an sehr ernst. Sein späterer Gegenspieler Otto von Bismarck schrieb 1852 über ihn: „Der junge Herrscher dieses Landes hat mir einen sehr angenehmen Eindruck gemacht: Zwanzigjähriges Feuer, mit der Würde und Besonnenheit reifen Alters gepaart, ein schönes Auge, besonders wenn er lebhaft wird, und ein gewinnender Ausdruck von Offenheit, namentlich beim Lächeln. Wenn er nicht Kaiser wäre, würde ich ihn für seine Jahre etwas zu ernst finden.“9
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Innenpolitik Ausgangsposition und Revolution Als der 18-jährige Franz Joseph Kaiser wurde, waren die Habsburger schon seit Jahrhunderten Kaiser gewesen. Allerdings hatte sich die Art des Kaisertums am Anfang des 19. Jahrhunderts geändert. Bis zu Franz Josephs Großvater Franz II./I. waren die Habsburger römisch-deutsche Kaiser und als solche Oberhäupter des Heiligen Römischen Reichs, des alten deutschen Reichs, das auf Karl den Großen zurückging. Der Kaiser wurde zwar von den Kurfürsten dieses Reichs gewählt, doch seit Friedrich III. (gewählt 1440, zum Kaiser gekrönt 1452) war die Wahl immer auf Habsburger gefallen; die einzige Ausnahme war der Wittelsbacher Karl VII., der von 1742 bis 1745 Kaiser war. Das Heilige Römische Reich war ein eigenartiges Gebilde aus mehr als 300 weltlichen und geistlichen Einzelterritorien. Der Kaiser hatte zwar eine außerordentlich ehrenvolle Position, aber wenig tatsächliche Macht. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war absehbar, dass dieses Reich unter dem Druck Napoleons nicht oder zumindest nicht in der bisherigen Form weiterbestehen würde. Insbesondere war es nach der Reform durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 mehr als zweifelhaft, ob nach Kaiser Franz wieder ein Habsburger zum römisch-deutschen Kaiser gewählt werden würde. Außerdem machte sich Napoleon 1804 selbst zum Kaiser der Franzosen. Damit gab es in Europa (abgesehen vom russischen Zaren) zum ersten Mal einen zweiten Kaiser neben dem römisch-deutschen. Um die Gleichrangigkeit mit Napoleon zu sichern, schuf Kaiser Franz noch im gleichen Jahr für sich selbst einen neuen Titel, den eines erblichen Kaisers von Österreich. Somit hatte Franz nun eine doppelte Kaiserwürde – woraus sich auch die auffällige Bezeichnung Franz II./I. erklärt: Als römisch-deutscher Kaiser war er Franz II., als Kaiser von Österreich Franz I. 29
1806 erklärten einige deutsche Länder dann ihren Austritt aus dem Heiligen Römischen Reich. Das nahm Kaiser Franz zum Anlass, nicht nur die Kaiserkrone niederzulegen, sondern überhaupt das Heilige Römische Reich für erloschen zu erklären. Der neue Titel eines Kaisers von Österreich blieb aber bestehen und die Habsburgermonarchie wurde nunmehr als Kaisertum Österreich bezeichnet. „Kaiser von Österreich“ war ein neuer Titel, aber am staatsrechtlichen Charakter der Habsburgermonarchie änderte sich dadurch nichts. Sie bestand weiterhin aus verschiedenen Königreichen und Ländern: dem Erzherzogtum Österreich (dem heutigen Ober- und Niederösterreich), dem Herzogtum Kärnten, der gefürsteten Grafschaft Tirol, dem Königreich Böhmen, der Markgrafschaft Mähren, dem Königreich Ungarn und vielen anderen. In der Pragmatischen Sanktion von 1713 hatte Karl VI. festgelegt, dass diese Länder unteilbar und untrennbar sein sollten. Gleichzeitig hatte er allen Ländern der Habsburger eine einheitliche Erbfolge gegeben, nach der subsidiär auch Frauen erbberechtigt waren. Unter Karls Tochter Maria Theresia hatten die Länder der Habsburgermonarchie (mit Ausnahme Ungarns) eine einheitliche Verwaltung bekommen und 1804 dann einen gemeinsamen Namen. Das Kaisertum Österreich war – wenn man Russland außer Betracht lässt – nach 1814 der bei Weitem größte Staat Europas. Es reichte von der Lombardei im Westen bis Galizien im Osten, von Böhmen im Norden bis Dalmatien im Süden. Sein auffälligstes Merkmal war die Vielsprachigkeit der Bevölkerung. Immerhin wurden in der Habsburgermonarchie rund zwölf verschiedene Sprachen gesprochen. Bis 1848 war das Kaisertum Österreich in fast allen seinen Gebieten eine absolute Monarchie. Nur in Ungarn konnte der Monarch ohne die Zustimmung der im ungarischen Landtag versammelten Stände keine Gesetze und Steuern beschließen. Auch in manchen anderen Ländern des Kaisertums gab es Stände, aber dort hatten sie nur beratende Funktion. 30
Die Jahre zwischen dem Wiener Kongress und der Revolution von 1848 waren für die Habsburgermonarchie in der Politik eine Zeit des Stillstands. In anderen Bereichen gab es sehr wohl Entwicklungen: Die Industrialisierung begann auch im Kaisertum Österreich, 1829 wurde die Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft gegründet, 1837 der Bau der Nordbahn begonnen, der ersten Dampfeisenbahn der Monarchie. Insgesamt aber war Österreich konservativ bis reaktionär. Das zeigte sich nicht zuletzt daran, dass die Sozialstruktur noch immer stark von feudalen Elementen geprägt war. Zwar hatte Joseph II. die Leibeigenschaft 1781 endgültig abgeschafft und die persönliche Abhängigkeit und Unfreiheit der Bauern damit beendet. Die sogenannte Grunduntertänigkeit blieb aber bestehen. Das bedeutete, dass den Bauern – außer in Tirol und Vorarlberg – das Land, das sie bewirtschafteten, nicht allein gehörte. Vielmehr war das Eigentum zwischen ihnen und den adeligen Grundherrn aufgeteilt. Es gab am Land auch keine sich selbst verwaltenden Gemeinden, sondern die Grundherrschaften, die von den adeligen Grundherrn verwaltet wurden. 1835 starb Franz II./I. Am 28. Februar 1835, wenige Tage vor seinem Tod, hatte er für seinen Sohn und Nachfolger Ferdinand den folgenden Ratschlag niedergeschrieben: „Verrücke nichts an den Grundlagen des Staatsgebäudes; regiere und verändere nicht“.10 In diesem berühmt-berüchtigten „verändere nicht“ ist gewissermaßen die Essenz der vorrevolutionären Epoche in Österreich niedergelegt. Im Übrigen führte nicht Ferdinand selbst die Regierung, sondern die vierköpfige Geheime Staatskonferenz. Sie bestand aus Erzherzog Ludwig (dem jüngsten Bruder von Kaiser Franz), dem Staatskanzler Clemens Fürst von Metternich, dem Staatsminister Franz Anton Graf von Kolowrat-Liebsteinsky und Franz Josephs Vater Franz Karl. Erzherzog Ludwig hatte den Vorsitz, Kolowrat war für die Innenpolitik zuständig, Metternich für die Außenpolitik. Vor allem Metternich galt als die Verkörperung schlechthin des rückwärtsgewandten und 31
repressiven vormärzlichen Systems. Als 1848 dann die Revolution ausbrach, musste er noch am selben Tag zurücktreten. Die Revolution von 1848 begann im Februar in Paris und griff schnell auf weite Teile Europas über. In der Habsburgermonarchie waren Wien, Prag, Norditalien und Ungarn die Zentren der Revolution. In Wien gab es drei revolutionäre Wellen. Die erste, im März, führte nach einem kurzen blutigen Zusammenstoß zum Rücktritt Metternichs und zur Aufhebung der Zensur. In weiterer Folge arbeitete Innenminister Franz Freiherr von Pillersdorf eine konstitutionelle Verfassung für das Kaisertum Österreich aus. Damit waren die wichtigsten Forderungen der Revolutionäre zunächst erfüllt. Die Pressefreiheit war durchgesetzt und zum ersten Mal überhaupt sollte ein österreichisches Parlament, der Reichstag, gewählt werden. Das Wahlrecht zum Reichstag wurde aber sehr restriktiv ausgestaltet, sodass nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung tatsächlich wahlberechtigt gewesen wäre. Daher kam es Mitte Mai wieder zu Unruhen in Wien. Das Kaiserhaus flüchtete nach Innsbruck, und das Wahlrecht wurde deutlich erweitert. Aufgrund dieses erweiterten Wahlrechts wurden auch tatsächlich Wahlen abgehalten, sodass Ende Juli in Wien der neu gewählte Reichstag zusammentreten konnte. Die primäre Aufgabe des Reichstags war es, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Das tat der Reichstag auch, doch der Entwurf (der sogenannte Kremsierer Entwurf ) wurde nie zum Gesetz. Tatsächlich umgesetzt wurde hingegen die vom Reichstag beschlossene Bauernbefreiung: Die Bauern wurden – gegen langfristig zu zahlende, relativ niedrige Ablösen – die alleinigen Eigentümer der von ihnen bewirtschafteten Gründe und die Verwaltungsfunktionen der Grundherrschaften wurden aufgehoben. Das sollte die bleibendste Errungenschaft der Revolution werden. Die letzte und blutigste Phase der Revolution in Wien begann Anfang Oktober 1848. Der Anlass für die neuerliche Erhebung war, dass Wiener Truppen nach Ungarn entsandt werden sollten, um gegen 32
die dortigen Aufständischen zu kämpfen. Teile der Soldaten meuterten gegen diesen Befehl und die Nationalgarde (eine Art revolutionäre Bürgerwehr) schloss sich den Meuterern an. Es kam zu blutigen Straßenschlachten, und der Kriegsminister, der die Entsendung von Truppen nach Ungarn befohlen hatte, wurde von einem Mob gelyncht und an einer Laterne aufgehängt. Die (nicht meuternden) kaiserlichen Truppen waren zahlenmäßig unterlegen und mussten sich aus Wien zurückziehen. Der aus Innsbruck zurückgekehrte Hof flüchtete erneut – diesmal nach Olmütz in Mähren – und etwas später wurde auch der Reichstag nach Kremsier, eine Kleinstadt in der Nähe von Olmütz, verlegt (wo er den Kremsierer Verfassungsentwurf erstellte). Für kurze Zeit war Wien vollständig in der Hand der Revolutionäre, doch der kaiserliche Feldmarschall Alfred Fürst zu Windischgrätz marschierte mit deutlich überlegenen kaisertreuen Truppen auf die Stadt, belagerte sie und eroberte sie schließlich am 31. Oktober. Damit war die Revolution in Wien niedergeschlagen. Zuvor hatte Windischgrätz bereits die Revolution in Prag mit militärischer Gewalt beendet. Dort hatte im Frühsommer 1848 ein Slawenkongress stattgefunden, dessen Ziel die Umwandlung der Habsburgermonarchie in einen Bund gleichberechtigter Völker war. Unmittelbar nach dem Ende des Kongresses radikalisierte sich die Situation und tschechische Revolutionäre begannen einen bewaffneten Aufstand. Diesen sogenannten Pfingstaufstand schlug Windischgrätz, damals Militärkommandant von Prag, binnen weniger Tage nieder. Auch in Ungarn begann die Revolution im März 1848. Im April sanktionierte Ferdinand einen Verfassungsentwurf des ungarischen Landtags, die sogenannten Aprilgesetze. Diese Gesetze, die der Anführer der ungarischen Revolution, Lajos Kossuth, ausgearbeitet hatte, machten Ungarn zu einer konstitutionellen Monarchie. Die Pressefreiheit und andere Grundrechte wurden eingeführt. Die Verbindung zum Rest des Kaisertums Österreich wurde aber auf eine Personalunion reduziert. Das bedeutete, dass Österreich und 33
Ungarn zwar denselben Herrscher hatten – hier als Kaiser, dort als König – sonst aber praktisch unabhängig voneinander waren. Außerdem bedeuteten die Aprilgesetze eine deutliche Benachteiligung der nichtmagyarischen Bevölkerung Ungarns. Ungarisch sollte die einzige Amtssprache werden und besondere Rechte für die nichtmagyarische Bevölkerung waren nicht vorgesehen. Insbesondere die Kroaten als größte nicht-magyarische Bevölkerungsgruppe fühlten sich benachteiligt. Der Ban (eine Art Gouverneur) von Kroatien, Josip Jelačić, erklärte daher noch im April 1848 die Unabhängigkeit Kroatiens von Ungarn. Gleichzeitig hielt er aber ausdrücklich fest, dass Kroatien weiterhin ein Teil des Kaisertums Österreich und loyal zu den Habsburgern bleiben wollte. Ungarn hatte sich also vom Rest Österreichs losgelöst, worauf sich Kroatien wiederum vom abgespalteten Ungarn abspaltete, gleichzeitig jedoch seine Verbindung zu Österreich betonte. Der Kaiserhof in Wien lehnte Jelačić’ Sezession von der Sezession zunächst ab; schließlich erwies sich der Kroate aber als Verbündeter der österreichischen Konservativen gegen die revolutionären Ungarn. Als es in Ungarn im September 1848 dann zu bewaffneten Auseinandersetzungen kam, waren die Fronten klar: Die ungarische Regierung kämpfte gegen die k. k. (österreichische) Armee und gegen Jelačić’ kroatische Truppen. Anders als in Wien oder in Prag stand hier nicht eine Armee auf der einen Seite gegen Aufständische auf der anderen; hier kämpften reguläre Armeen in einem richtigen Krieg gegeneinander. Daher gelang es in Ungarn nicht so schnell, die Revolution niederzuschlagen. Ende 1848 wurde immer noch gekämpft. Auch in Italien führte die Revolution zu einem regelrechten Krieg. Italien war vor 1848 kein einheitlicher Staat. Teile Norditaliens – darunter die Lombardei mit der Hauptstadt Mailand und Venetien mit der Hauptstadt Venedig – gehörten zum Kaisertum Österreich, während der Rest der Halbinsel in kleinere und größere Staaten aufgeteilt war. Schon vor 1848 hatte es in den nichtösterreichischen 34
Teilen Italiens immer wieder erfolglose Aufstände gegeben, deren Ziel die Einigung Italiens war. Im März 1848 kam es dann auch in Mailand und in Venedig zu Erhebungen, die dazu führten, dass die österreichischen Truppen beide Städte verlassen mussten. Auch in den anderen italienischen Staaten brach die Revolution aus. Der König von Sardinien-Piemont, Carlo Alberto, stellte sich an die Spitze der Einigungsbewegung und griff die österreichischen Truppen in Italien an. Die Piemontesen erzielten zunächst einige militärische Erfolge, wurden dann aber von den Österreichern unter Feldmarschall Joseph Graf Radetzky von Radetz eindeutig besiegt. Im Sommer 1848 schlossen Österreich und Sardinien-Piemont einen Waffenstillstand und die Lombardei kam wieder zu Österreich. Venedig hingegen blieb für den Moment unabhängig.
Die Niederschlagung der Revolution Als Franz Joseph am 2. Dezember 1848 Kaiser wurde, war der Höhepunkt der Revolution schon vorbei, doch die innenpolitische Situation keineswegs ruhig. In Wien und Prag hatte die kaiserliche Armee die Revolutionäre zwar endgültig besiegt, aber in beiden Städten – und vielen anderen Teilen des Reiches – galt der Belagerungszustand. Dass man von der Normalität weit entfernt war, wurde nicht zuletzt daran deutlich, dass der Thronwechsel in der mittelgroßen mährischen Stadt Olmütz stattfand und nicht in Wien. Die Lage in Italien war aus Sicht des jungen Kaisers bestenfalls teilweise zufriedenstellend. Radetzkys Armee hatte die Lombardei zwar für den Moment in der Monarchie gehalten, Venedig zurückzuerobern war aber noch nicht gelungen. Im März 1849 eskalierte außerdem der Konflikt um die Lombardei noch einmal. Carlo Alberto erklärte dem Kaisertum Österreich erneut den Krieg. Nach nicht einmal zwei Wochen besiegte Radetzky die sardinisch-piemontesischen Truppen in der Schlacht von Novara – eindeutig und diesmal endgültig. Carlo Alberto dankte noch am Tag der Schlacht ab, und 35
sein Sohn Vittorio Emanuele wurde zum neuen König von Sardinien-Piemont. Nun konzentrierten sich die österreichischen Truppen in Norditalien darauf, Venedig zurückzuerobern. Dabei kam es zum allerersten Luftangriff überhaupt: Die österreichische Armee wollte aus unbemannten Ballons Bomben über Venedig anwerfen. Der Wind drehte sich aber unerwartet, die Ballons wurden abgetrieben, und die Bomben fielen auf unbesiedeltes Gebiet, sodass sie nur wenig Schaden anrichteten. Der erste Luftangriff der Kriegsgeschichte war also alles andere als kriegsentscheidend. Trotzdem konnte Radetzky Venedig im August 1849 zurückerobern. Damit war die Revolution in den österreichischen Teilen Italiens beendet. Am bedrohlichsten erschien währenddessen die Situation in Ungarn. Ende Dezember 1848 hatte die revolutionäre ungarische Regierung zwar die Hauptstadt Pest (einen Teil des heutigen Budapest) verlassen müssen, aber im nächsten Frühjahr besiegte die Revolutionsarmee die kaiserlichen Truppen mehrfach und konnte auch Pest wieder zurückerobern. In dieser für ihn günstigen Situation erklärte Revolutionsführer Kossuth Ungarns völlige Unabhängigkeit vom Kaisertum Österreich. Die Habsburger wurden abgesetzt und Ungarn zur Republik erklärt. Kossuth wurde als Reichverweser (zumindest vorläufiges) Staatsoberhaupt und erhielt diktatorische Vollmachten. Gleichzeitig zeichnete sich ab, dass es der kaiserlichen Armee unter Windischgrätz nicht gelingen würde, die ungarische Revolution zu besiegen. Franz Joseph löste Windischgrätz daher ab und bat den russischen Zaren Nikolaus I. um militärische Hilfe. Im Mai 1849 erreichten die ersten russischen Einheiten Ungarn und im Juni waren die österreichischen und die russischen Truppen zusammen schon mehr als doppelt so stark wie die ungarische Revolutionsarmee. Der revolutionären ungarischen Regierung gelang es hingegen nicht, militärische Hilfe aus dem Ausland zu erlangen. Angesichts dieses Kräfteverhältnisses war auch das Schicksal der ungarischen Revolution besiegelt. Kossuth flüchtete aus Ungarn und die ungarische 36
Armee unter General Arthur Görgey kapitulierte am 13. August 1849 in Világos vor der russischen. Görgey hatte sich bewusst für eine Kapitulation vor der russischen und nicht vor der österreichischen Armee entschieden, weil er von den Russen größere Milde erhoffte. Die übergaben die gefangenen Ungarn aber an die Österreicher. Zar Nikolaus schrieb in diesem Zusammenhang an Franz Joseph und bat ihn um Milde gegenüber den Revolutionsführern. Der Kaiser und seine Regierung waren aber überzeugt, dass man ein Exempel statuieren und Strenge zeigen müsse. So ließen sie im Oktober 1849 in Arad 13 gefangene Generäle der Revolutionsarmee als Hochverräter hinrichten. In Pest wurde am selben Tag auch der frühere Ministerpräsident Lajos Batthyány hingerichtet. Der war zwar ein Verfechter der ungarischen Autonomie, wollte dabei aber die Union mit dem Rest der Habsburgermonarchie aufrechterhalten und lehnte eine gewaltsame Durchsetzung seiner Ziele ab. Dass er trotzdem hingerichtet wurde, beschädigte Franz Josephs Ansehen in Ungarn erheblich – er wurde teilweise zweideutig als blutjunger Kaiser bezeichnet. Nicht alle Todesurteile, die in Ungarn nach dem Ende der Revolution gefällt wurden, konnten tatsächlich vollzogen werden. Nicht nur Ludwig Kossuth, sondern auch andere Revolutionäre waren geflohen. Der neben Kossuth berühmteste war Gyula Graf Andrássy, der 1850 zum Tod verurteilt wurde. Da er aber geflüchtet war, konnte das Urteil nicht vollzogen werden, und so wurde Andrássy „in effigie“ gehenkt: Ein Zettel mit seinem Namen wurde symbolisch an einen Galgen genagelt. Knapp 20 Jahre später sollte der so „Hingerichtete“ noch eine wichtige Rolle in der Geschichte der Habsburgermonarchie und damit im Leben Franz Josephs spielen.
Der Übergang zum Neoabsolutismus Die Revolution von 1848/49 hatte in den verschiedenen Teilen der Monarchie verschiedene Stoßrichtungen. In praktisch allen Gebieten 37
ging es um liberale Reformen, wie insbesondere die Erlassung einer Verfassung und die Garantie von Grundrechten, aber auch um die Bauernbefreiung. Die tschechischen Revolutionäre strebten außerdem eine Autonomie innerhalb der Habsburgermonarchie an. Die Ungarn gingen noch weiter und kämpften in der letzten Phase der Revolution für die völlige Unabhängigkeit. Auch für die italienischen Revolutionäre war die Loslösung von Österreich ein wichtiges Ziel – nicht zuletzt als Voraussetzung für die Einigung Italiens. Nicht einmal ein Jahr nach der Thronbesteigung Franz Josephs war klar, dass die Revolutionen in Ungarn und Italien mit ihren Unabhängigkeits- und Einigungsbestrebungen gescheitert waren. Auf der anderen Seite gab es nach 1848 keine erfolgversprechenden Bestrebungen, die Bauernbefreiung rückgängig zu machen. Nur sehr konservative Adelige wie Windischgrätz liebäugelten mit einer Refeudalisierung Österreichs. Für Franz Joseph und seine Regierung war das hingegen keine Option. Im März 1849 erließ der Kaiser ein Patent, in dem die konkrete Durchführung der Grundentlastung geregelt wurde, und in den nächsten Jahren wurde die Bauernbefreiung dann durchaus zügig durchgeführt. Die Bauernbefreiung war damit die bleibendste und unbestrittenste Errungenschaft der Revolution, auch wenn sie – anders als die Forderung nach einer Verfassung – nicht das zentrale Anliegen der liberalen Revolution schlechthin war. Gerade bei der Frage der Verfassung war die weitere Entwicklung Ende 1849 aber noch offen. Als Franz Joseph den Thron bestieg, war nicht nur der Kaiserhof aus Wien nach Olmütz geflüchtet; auch der Reichstag hatte seinen Sitz von Wien nach Kremsier verlegt und arbeitete dort eine Verfassung aus. In dem Patent, mit dem er seinen Regierungsantritt bekannt gab, ging der junge Kaiser weder auf den Reichstag noch auf Fragen der Verfassung direkt ein. Er stellte lediglich sehr allgemein fest: „Auf den Grundlagen der wahren Freiheit, auf den Grundlagen der Gleichberechtigung aller Völker des Reiches und der Gleichheit aller 38
Staatsbürger vor dem Gesetze, so wie der Theilnahme der Volksvertreter an der Gesetzgebung, wird das Vaterland neu erstehen.“11 Wie diese Teilnahme an der Gesetzgebung aussehen sollte, ließ der Kaiser offen. Sein erster Ministerpräsident, Felix Fürst zu Schwarzenberg, war da schon wesentlich deutlicher, als er meinte: „Wir wollen die konstitutionelle Monarchie aufrichtig und ohne Rückhalt“.12 Wie ehrlich dieses Bekenntnis zum Konstitutionalismus gemeint war, lässt sich schwer sagen. Jedenfalls waren sowohl der Kaiser als auch Schwarzenberg mit dem Kremsierer Verfassungsentwurf des Reichstags nicht einverstanden – vor allem weil darin im Zusammenhang mit den Grundrechten auch erklärt wurde, dass „alle Staatsgewalten vom Volke“ ausgehen sollten. Das war für Franz Joseph, der sich immer als Kaiser von Gottes Gnaden verstand, nicht akzeptabel. Deshalb löste er den Reichstag Anfang März 1848 auf und erließ statt des Kremsierer Entwurfs eine neue Verfassung, die er von Schwarzenberg hatte ausarbeiten lassen. Da der Kaiser diese Verfassung im März ohne Beteiligung der Volksvertretung erließ, wird sie als Oktroyierte Märzverfassung bezeichnet. Sie unterschied sich über weite Strecken wenig vom Kremsierer Entwurf, enthielt aber keinerlei Verweis auf die Volkssouveränität und verzichtete auch auf andere Bestimmungen dieses Entwurfes, die aus Sicht des Kaisers zu revolutionär waren – wie etwa die Abschaffung des Adels. Insgesamt war die Märzverfassung eine solide konstitutionelle Verfassung mit Gesetzgebung durch ein gewähltes Parlament, verantwortlichen Ministern und Grundrechten. Sie hatte nur einen wirklich großen Nachteil: Sie wurde zwar erlassen, aber nie umgesetzt. Im März 1849 konnte der Kaiser die Nichtumsetzung der neuen Verfassung gut damit begründen, dass die Ordnung noch nicht wiederhergestellt war. Immerhin wurde in Ungarn und Italien noch gekämpft und die Märzverfassung sollte – im Gegensatz zum Kremsierer Entwurf – für das ganze Kaisertum Österreich gelten. Doch auch 39
nachdem sich die Lage im Inneren langsam beruhigt und normalisiert hatte, ging der innenpolitische Kurs des Kaisers nicht in Richtung Verfassung, sondern zurück zum Absolutismus. Nach Vorstufen im August 1851 hob er die Verfassung am 31. Dezember 1851 mit den sogenannten Silvesterpatenten endgültig auf. Damit war das Kaisertum Österreich wieder ein absolutistisch regierter Staat, die Epoche des Neoabsolutismus begann. Stolz schrieb Franz Joseph im August 1851 seiner Mutter: „Wir haben das Konstitutionelle über Bord geworfen und Österreich hat nur mehr einen Herrn. Jetzt muss aber noch fleißiger gearbeitet werden. Danken wir Gott, daß wir in drei Jahren fast schon dort sind, wohin wir kommen sollen.“ Erzherzogin Sophie schrieb dazu: „Gott sei gelobt!!“13 Hier muss man den Eindruck gewinnen, dass dieses Über-Bord-Werfen der Verfassung das war, was der Kaiser seit seinem Regierungsantritt gewollt hatte.
Der Neoabsolutismus Franz Josephs erster Ministerpräsident, Schwarzenberg, war zwar noch von Kaiser Ferdinand ernannt worden, seine Ernennung erfolgte aber schon im Hinblick auf den Thronwechsel. Schwarzenberg entstammte dem österreichischen Hochadel; sein Onkel Karl Philipp hatte 1813 die Völkerschlacht bei Leipzig gegen Napoleon gewonnen. Felix Schwarzenberg selbst trat zunächst in die Armee ein, begann dann aber eine Karriere als Diplomat. Als er Ende 1848 das Amt des Ministerpräsidenten antrat, war er gerade 48 geworden und somit mehr als doppelt so alt wie der neue Kaiser. Während Schwarzenbergs außenpolitisches Programm weitgehend klar ist, wurde und wird über seine innenpolitische Position viel diskutiert. Er war eindeutig kein Revolutionär, aber – ebenso wie Franz Joseph – auch kein Reaktionär, der einfach zur Situation von vor 1848 zurückkehren wollte. Manche Historiker nehmen an, dass er am Anfang ehrlich bereit war, dem Konstitutionalismus eine Chance zu geben; andere gehen davon aus, dass seine diesbezüglichen Aussagen als neuernannter Ministerpräsident 40
bloße Lippenbekenntnisse waren. Im Endeffekt trug Schwarzenberg die Rückkehr zum Absolutismus mit. In den ersten beiden Jahren von Franz Josephs Regierung war Schwarzenberg der mit Abstand wichtigste und mächtigste Mann neben dem Kaiser. Im Lauf des Jahres 1851 warf Franz Joseph aber nicht nur die Verfassung über Bord, sondern beschnitt auch die Macht seines Ministerpräsidenten. Der Kaiser hatte zwar kein Interesse daran, die Märzverfassung insgesamt umzusetzen, aber Anfang 1851 errichtete er eine einzelne in der Verfassung vorgesehene Institution, nämlich den Reichsrat. Dieser war bezeichnenderweise kein gewähltes Organ, sondern eine Art Kronrat, dessen Mitglieder vom Kaiser ernannt wurden. Franz Joseph gestaltete den Reichsrat bewusst als Gegengewicht zum Ministerrat, dessen Vorsitzender der Ministerpräsident war. Auf diese Weise wurde der Präsident des Reichsrats, Karl Friedrich Freiherr von Kübeck, zu einer Art Gegenpol zu Schwarzenberg. Allein die Tatsache, dass der Kaiser nun zwei Beratungsgremien auf höchster Ebene hatte, bedeutete eine gewisse Entmachtung Schwarzenbergs. Manche Historiker meinen auch, dass Franz Joseph überhaupt vorhatte, Schwarzenberg zu entlassen. Ob das wirklich der Fall war, lässt sich nicht mehr sagen; Schwarzenberg starb nämlich überraschend am 5. April 1852. Klar ist, dass der Ministerpräsident 1851/52 an Macht verloren hatte und dass es deshalb dazu gekommen war, weil es der Kaiser so wollte. Trotzdem traf Schwarzenbergs Tod den 22-jährigen Franz Joseph schwer. Sein Flügeladjutant Hugo Freiherr von Weckbecker berichtete: „Der Kaiser eilte zu dem noch warmen Körper, warf sich auf die Knie und weinte bitterlich.“14 Gegen Ende seines Lebens meinte der Kaiser im Rückblick, dass Schwarzenberg der bedeutendste Politiker in seiner Regierungszeit gewesen war. Bei aller echten Betroffenheit war Schwarzenbergs Tod für Franz Joseph auch ein nicht unwillkommener Anlass, auf das Amt des Ministerpräsidenten zu verzichten. An seine Mutter schrieb er: „Ich 41
werde jetzt noch mehr selbst machen müssen, da ich mich auf niemand so verlassen kann, wie es bei Schwarzenberg möglich war, allein auch das hat sein Gutes.“15 Von nun an war der Kaiser sein eigener Regierungschef. Er hatte zwei beratende Gremien, nämlich einerseits den Reichsrat und andererseits die Ministerkonferenz – so hieß seit dem Tod Schwarzenbergs die Versammlung der Minister. Mit der Umbenennung des Ministerrats in Ministerkonferenz wollte der Kaiser deutlich machen, dass die Minister lediglich seine Berater waren und nicht etwa zusammen im Ministerrat bindende Beschlüsse fassen konnten. Das Nebeneinander von Ministerkonferenz und Reichsrat gab Franz Joseph die Möglichkeit, beide bis zu einem gewissen Maß gegeneinander auszuspielen. Jedenfalls war er es, der entschied, wenn die beiden Gremien unterschiedliche Auffassungen vertraten. In der Tendenz galt die Ministerkonferenz als liberaler und der Reichsrat als konservativer. Durch die Silvesterpatente von 1851 wurde der Absolutismus zum ersten Mal im gesamten Kaisertum Österreich eingeführt. Damit gab es auch in Ungarn keinen Land- oder Reichstag mehr und der Monarch konnte dort allein die Gesetze erlassen. Nach der besonders blutigen Niederschlagung der Revolution in Ungarn trug dieser Verlust der Sonderstellung des Landes weiter dazu bei, dass Franz Joseph in seinen ersten Regierungsjahren dort sehr unpopulär war. Das wurde am 18. Februar 1853 schlaglichtartig deutlich. An diesem Tag ging der Kaiser gemeinsam mit seinem Adjutanten Maximilian Graf O’Donnell auf der Kärtnertor-Bastei (einem Teil der Wiener Stadtmauer) spazieren. Dort war auch der ungarische Schneidergeselle János Libényi, der gezielt eine Begegnung mit dem Kaiser suchte. Wenige Tage zuvor hatte er ein Messer wie einen Dolch beidseitig schleifen lassen. Damit stürzte er sich nun auf Franz Joseph und stach einmal auf ihn ein. Er traf den Kaiser allerdings nicht so, wie er das vorgehabt hatte. Franz Joseph erlitt eine Schnittwunde am Hals, die zwar stark blutete, aber nicht lebensgefährlich war. O‘Donnell und ein 42
Passant konnten Libényi fassen und so verhindern, dass er nochmals auf den Kaiser einstach. Dabei rief Libényi: „Eljen Kossuth“, ließ also den ungarischen Revolutionsführer hochleben. Auch im nachfolgenden Gerichtsverfahren bekräftigte er seine revolutionären Motive. Libényi sah in Franz Joseph den Mann, der seinem Volk die Freiheit genommen und viel Unglück gebracht hatte. Schon wenige Tage später wurde er wegen des gescheiterten Attentats zum Tod verurteilt. Franz Joseph hatte überlegt, ihn zu begnadigen, aber seine Berater überzeugten ihn, dass der Attentäter hingerichtet werden müsse. Libényis Mutter erhielt allerdings vom Kaiser eine Rente. Zum Dank für die Rettung des Kaisers initiierte sein Bruder Maximilian den Bau der Votivkirche, die im neogotischen Stil vor der Stadtmauer errichtet wurde (wenn auch nicht an der Stelle, an der der Angriff stattgefunden hatte). Auch außerhalb Ungarns brachten die 1850er-Jahre zwar eine Rückkehr zum Absolutismus, aber keine generelle Rückkehr zu den vorrevolutionären Verhältnissen: Die Bauernbefreiung wurde bekanntlich nicht rückgängig gemacht; die gesamte Verwaltung wurde umfassend reformiert und modernisiert; die Universitäten erhielten eine neue Struktur, die bis weit in das 20. Jahrhundert hinein erhalten blieb. Die Wirtschaftspolitik der neoabsolutistischen Periode führte 1859 zu einer modernen und liberalen Gewerbeordnung, mit der die mittelalterlichen Zünfte abgeschafft wurden. Trotz zahlloser Änderungen gilt diese Gewerbeordnung in ihren Grundzügen noch heute. Insgesamt war der Neoabsolutismus also ein politisch konservatives System, das gleichzeitig im wirtschaftlichen Bereich durchaus reformorientiert war. Man kann ihn daher auch als „Modernisierungsdiktatur“ bezeichnen. Das größte Problem für das neoabsolutistische System waren die Staatsfinanzen. Die Niederschlagung der Revolution hatte Geld gekostet, die Reformen von Verwaltung und Justiz kosteten Geld und auch die Bauernbefreiung belastete das Budget, weil der Staat ein Drittel der Ablösesummen übernahm (die anderen Drittel mussten jeweils der Grundherr und der Bauer tragen). Der Staat brauchte 43
also mehr Geld, als er einnahm. Die Regierung nahm Geld durch verschiedene Staatspapiere auf und griff auch auf die Reserven der Nationalbank zurück. Dadurch verlor der österreichische Gulden, eine Silberwährung, massiv an Wert. Im Inland konnte man das etwas verschleiern, indem man einen Zwangskurs für die Banknoten der Nationalbank vorschrieb. Bei Auslandsgeschäften aber zeigte sich der Wertverlust des österreichischen Papiergeldes. Bei Zahlungen aus Österreich wurde nämlich ein Agio verlangt, ein Aufgeld, mit dem die Differenz zwischen dem Zwangskurs des österreichischen Papiergeldes und seinem tatsächlichen Wert ausgeglichen wurde. Trotzdem entwickelte sich die österreichische Wirtschaft am Beginn der 1850er-Jahre nicht schlecht. Dann kam 1853 aber der Krimkrieg. Österreich nahm daran nicht unmittelbar teil, sondern entschied sich für eine Politik der bewaffneten Neutralität – und die war für den Staat ähnlich teuer wie eine echte Beteiligung am Krieg. Nachdem der Krimkrieg 1856 beendet worden war, kam es 1857 zur ersten weltweiten Wirtschaftskrise. Trotzdem gelang es Finanzminister Karl Ludwig Freiherr von Bruck 1858, die Währung zu sanieren: Das Silber-Agio verschwand und die Nationalbank tauschte Banknoten wieder zu ihrem vollen Nominalbetrag in Silber(münzen) um. Dieser Erfolg hatte aber nur kurz Bestand. 1859 kam es zum Krieg mit Frankreich und Sardinien-Piemont, der nicht nur verloren ging, sondern auch gewaltige Kosten verursachte. Mit der sanierten Währung war es schon wieder vorbei und Ende 1859 war das Agio bei Auslandsgeschäften höher als je zuvor.
Das Ende des Neoabsolutismus Nach dem verlorenen Krieg von 1859 war klar, dass es nicht mehr so weitergehen konnte wie bisher. Das wusste auch der Kaiser. Nur wenige Tage nach dem Abschluss eines Waffenstillstands mit Frankreich kündigte er im Juli 1859 im Laxenburger Manifest „zeitgemäße Verbesserungen in Gesetzgebung und Verwaltung“16 an. Das Prestige 44
des neoabsolutistischen Systems hatte durch die Niederlage ganz allgemein gelitten und vor allem konnte der Staat ohne Reformen kein Geld mehr aufnehmen. Die potenziellen Kreditgeber waren nicht mehr bereit, dem Kaisertum Österreich Geld zu borgen, solange die Verwendung des aufgenommenen Kapitals nicht kontrolliert wurde. Das konnte nur durch ein System verwirklicht werden, in dem ein Parlament das Budget kontrollierte. Der Kaiser wollte eine Rückkehr zu einem echten konstitutionellen System, wie es 1848/49 in Aussicht gestellt worden war, unbedingt vermeiden. Alle Zugeständnisse in diese Richtung mussten ihm abgerungen werden. In einem ersten Schritt wurde der bestehende Reichsrat im März 1860 erweitert. Die Mitglieder dieses „verstärkten Reichsrats“ waren noch immer keine gewählten Volksvertreter, sondern wurden vom Kaiser ernannt und hatten zunächst eine rein beratende Funktion. Erst im Juli machte der Kaiser den nächsten Schritt und erklärte, ab jetzt ohne Zustimmung des verstärkten Reichsrats keine neuen Steuern einzuführen und keine Anleihen mehr aufzunehmen. Im Oktober 1860 erließ Franz Joseph dann das Oktoberdiplom, mit dem die Monarchie in einer gemäßigt föderalistischen Form neu geordnet werden sollte. Das Diplom war vom neuen Innenminister Agenor Graf Gołuchowski ausgearbeitet worden und hatte im Wesentlichen folgenden Inhalt: Die einzelnen Kronländer erhielten wieder eine gewisse Autonomie und in jedem Kronland sollte es einen gewählten Landtag geben. Die Landtage wiederum sollten aus ihrer Mitte Abgeordnete in den Reichsrat entsenden. Der Reichsrat und die Landtage sollten an der Gesetzgebung „mitwirken“ – ein bewusst unscharfer Begriff, der absichtlich offenließ, ob das bloße Beratung oder notwendige Zustimmung bedeuten sollte. Nur in Bezug auf Steuern und Anleihen war ausdrücklich klargestellt, dass der Reichsrat zustimmen musste. Im Zusammenhang mit dem Oktoberdiplom erklärte der Kaiser (wieder einmal), dass nun die äußerste Grenze erreicht sei und er sicher keine weiteren Zugeständnisse machen 45
werde. Eine persönliche Einschätzung gab er in einem Brief an seine Mutter: „Wir werden zwar etwas parlamentarisches Leben bekommen, allein die Gewalt bleibt in meinen Händen und das Ganze wird den österreichischen Verhältnissen angepaßt sein.“17 Neben den Finanzen gab es ein weiteres Problem, das bei einer Reform der Monarchie gelöst werden musste, und das war Ungarn. In keinem anderen Teil der Monarchie war der Neoabsolutismus so wenig akzeptiert worden; bis zum Schluss wurde er dort als Fremdherrschaft empfunden. So musste der Kaiser erkennen, dass sich eine vollständige Zentralisierung der Monarchie, in der Ungarn ein Teil wie jeder andere war, nicht verwirklichen ließ. Daher sah das Oktoberdiplom vor, dass die internen Angelegenheiten in den ungarischen Ländern wieder „im Sinne ihrer früheren Verfassungen“ geregelt werden sollten.18 Das bedeutete eindeutig eine Abkehr vom neoabsolutistischen System und stellte Ungarn – wenn auch bewusst vage – eine etwas weitergehende Autonomie als den anderen Kronländern in Aussicht. Das Oktoberdiplom sollte einen Kompromiss mit Ungarn bringen, wurde dort aber nicht akzeptiert. Noch im Herbst 1860 wurde erkennbar, dass Gołuchowski mit seinen Plänen gescheitert war. Das zeigte sich wieder einmal mit besonderer Deutlichkeit bei den Finanzen. Die zentralistische Verwaltung des Neoabsolutismus wurde für Ungarn aufgehoben und die traditionellen, Komitate genannten, Verwaltungsbezirke wurden wieder eingeführt. Die Ungarn nützten diese Rückkehr zu einer gewissen innerungarischen Selbstverwaltung im Winter 1860/61 gleich zu einem umfassenden Steuerboykott. Sowohl Franz Joseph als auch Gołuchowski verwarfen das Konzept des Oktoberdiploms erstaunlich schnell, als erkennbar wurde, dass die Ungarn es nicht akzeptieren würden. Gołuchowski empfahl, überhaupt zum Absolutismus zurückzukehren, doch interessanterweise folgte der Kaiser diesem Rat nicht. Stattdessen machte er im Februar 1861 mit dem Februarpatent noch deutlich weitergehende konstitutionelle Zugeständnisse – obwohl er noch ein knappes halbes Jahr zuvor erklärt 46
hatte, dass seine Konzessionsbereitschaft mit dem Oktoberdiplom erschöpft sei. Das lag vor allem am neuen Staatsminister – de facto Regierungschef – Anton Ritter von Schmerling, einem gemäßigten deutschliberalen Zentralisten. Schmerling überzeugte den Kaiser nämlich davon, dass man im Rest der Monarchie gerade deshalb den Konstitutionalismus pflegen müsse, weil die Ungarn das kaiserliche Angebot des Oktoberdiploms nicht zu schätzen gewusst hätten. Wenn sich im Rest der Monarchie ein blühendes konstitutionelles Leben entwickelte, würden die Ungarn erkennen, dass es ein Fehler gewesen war, nicht daran teilzunehmen. Der Wechsel vom Föderalisten Gołuchowski zum Zentralisten Schmerling scheint in mehrfacher Hinsicht typisch für Franz Josephs Regierungsstil. Einerseits hatte er keinerlei Hemmungen, Gołuchowski schon nach relativ kurzer Zeit fallen zu lassen, nachdem er den Eindruck gewonnen hatte, dass das Oktoberdiplom nicht erfolgreich sein würde. Andererseits war er bemerkenswert schnell bereit, Schmerling, dem Vertreter der entgegengesetzten Richtung, eine Chance zu geben. Daran wird ein wesentliches Charakteristikum Franz Josephs deutlich: Nach seinem Selbstverständnis stand er über den Parteien. Nolens volens musste er aber, nachdem der Neoabsolutismus gescheitert war, akzeptieren, dass er nicht mehr regieren konnte, ohne sich auf bestimmte politische Richtungen bzw. Parteien zu stützen. Wenn eine politische Richtung gewisse Mindestanforderungen erfüllte (insbesondere ein grundsätzliches Bekenntnis zu einem von den Habsburgern regierten Kaisertum Österreich als europäischer Großmacht), war Franz Joseph ziemlich vorurteilslos bereit, dieser Richtung eine Chance zu geben – für eine gewisse Zeit. Er band sich aber nie auf Dauer an eine bestimmte Partei, und wenn es aus seiner Sicht gute Gründe für einen Wechsel gab, hatte er keine Hemmungen, sich nun auf andere Parteien zu stützen. Der Wechsel vom Oktoberdiplom zum Februarpatent war genauso ein Wechsel in der Partei wie ein inhaltlicher Wechsel in den 47
Verfassungsvorschriften. Nach außen sollte das Februarpatent aber als Präzisierung und konkrete Ausgestaltung des Oktoberdiploms „verkauft“ werden. Es sah ebenfalls einen von den Landtagen zu wählenden Reichsrat vor, hielt allerdings unzweideutig fest, dass ohne Zustimmung dieser Parlamente keine Gesetze erlassen werden konnten. Verglichen mit dem Reichsrat hatten die Landtage eine etwas schwächere Position als im föderalistischen Oktoberdiplom. Ungarn wurde auch hier eine Sonderstellung eingeräumt – und die war sogar noch stärker als im Oktoberdiplom. Beim Reichsrat gab es nämlich zwei Varianten: den weiteren Reichsrat für die ganze Monarchie und den engeren Reichsrat für alle Länder außer Ungarn. Auch das Februarpatent war also wieder ein Angebot, das für Ungarn eine besondere Autonomie vorsah. Es wurde schließlich zur ersten Verfassung des Kaisertums Österreich überhaupt, die auch tatsächlich umgesetzt wurde. Noch 1861 wurden die Landtage und von diesen dann der Reichsrat gewählt. Der ungarische Landtag weigerte sich aber, den Reichsrat zu beschicken.
Vom Februarpatent zum Ausgleich Schmerling war also der erste österreichische Politiker, dem es gelang, eine Verfassung auch Realität werden zu lassen, und der 1861 gewählte Reichsrat war das erste österreichische Parlament, das tatsächlich im „Normalbetrieb“ arbeitete. Es hatte zwar schon 1848/49 einen Reichstag gegeben, aber dessen Rolle hatte sich im Wesentlichen auf die Ausarbeitung einer Verfassung beschränkt – die der Kaiser dann nicht genehmigte. Der Reichsrat von 1861 hingegen arbeitete kontinuierlich bis 1865. Schmerling stützte sich dabei, mit Billigung des Kaisers, auf die zentralistischen Deutschliberalen, die wegen ihrer Befürwortung des Februarpatents als die „Verfassungstreuen“ bezeichnet wurden. Sie hatten nicht zuletzt deshalb eine solide Mehrheit im Reichsrat, weil der von anderen Kräften boykottiert wurde: Die Ungarn beschickten ihn von Anfang an nicht und ab 1863 boykottierten auch die Tschechen 48
den Reichsrat. Der Reichsrat konnte somit den Anspruch, das gesamte Habsburgerreich zu repräsentieren, nicht recht erfüllen. Der Boykott der Tschechen war für Schmerling zwar in mancher Hinsicht unangenehm, aber kein existenzielles Problem. Er scheiterte, wie Gołuchowski vor ihm, an den Ungarn. Seine Erwartung, dass sich die Ungarn mittelfristig mit dem Februarpatent arrangieren würden, erfüllte sich nämlich vier Jahre lang nicht. Schmerlings Ungarnpolitik wurde daher auf die Formel „wir können warten“ gebracht; doch Mitte 1865 wollte der Kaiser nicht mehr warten und trennte sich von Schmerling. Um den Jahreswechsel 1864/65 hatte Franz Joseph unter strengster Geheimhaltung Kontakt mit ungarischen Liberalen aufgenommen und im Frühjahr 1865 kamen aus Ungarn erstmals konkrete Kompromissvorschläge. Bis dahin schienen die Positionen des Kaisers und der Ungarn unvereinbar. Die Ungarn bestanden auf einer völligen Wiederherstellung der ungarischen Aprilverfassung von 1848, also auf einer reinen Personalunion, während der Kaiser die sogenannte Verwirkungstheorie vertrat. Die besagte, dass die Ungarn durch ihr Verhalten in der Revolution – den bewaffneten Aufstand und die Absetzung der Habsburger – das Recht auf die Aprilverfassung verloren hatten. Zu Ostern 1865 veröffentlichte nun der liberale ungarische Politiker Ferenc Deák in der Zeitung „Pesti Napló“ einen Artikel, in dem er einen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation andeutete. Grundsätzlich bestand Deák darauf, dass die Aprilverfassung von 1848 wieder eingeführt werde; gleichzeitig meinte er jedoch, aus der Pragmatischen Sanktion ließe sich ableiten, dass es zwischen Ungarn und dem Rest der Habsburgermonarchie gewisse Gemeinsamkeiten gebe, die über eine bloße Personalunion hinausgingen. Im Wesentlichen ging es dabei um eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, und das waren genau jene Bereiche, in denen Franz Joseph eine ungarische Selbstständigkeit niemals akzeptiert hätte – über andere Fragen ließ sich aber reden. 49
Indem Franz Joseph mit Déak Verhandlungen begann, verabschiedete er sich von Schmerlings Politik des Wartens und auch von Schmerling selbst. Mitte 1865 ersetzte der Kaiser ihn durch Richard Graf von Belcredi. Nachdem er es vier Jahre mit den deutschliberalen Zentralisten versucht hatte, gab Franz Joseph damit der anderen Richtung eine Chance. Belcredi, der aus dem mährischen Adel stammte, war nämlich ein Vertreter der konservativen Föderalisten. Im Zuge dieses Wechsels trennte sich der Kaiser für den Moment auch vom Reichsrat des Februarpatents. Im Herbst 1865 erließ er das Sistierungspatent, das die Tätigkeit des Reichsrats für die Zeit der Verhandlungen mit Ungarn aussetzte. Das bedeutete auf Reichs ebene – die Tätigkeit der Landtage wurde nicht ausgesetzt – eine momentane Rückkehr zum Absolutismus. Gerade daran zeigte sich aber, wie viel sich seit den frühen 1850er-Jahren verändert hatte. Diesmal war das Ziel des Kaisers nicht mehr die dauerhafte Rückkehr zum Absolutismus; es ging nur darum, möglichst freie Hand für die Verhandlungen mit Ungarn zu haben. Daher erklärte Franz Joseph schon im Sistierungspatent, dass er eine Einigung mit Ungarn auch den Vertretern der anderen Nationalitäten vorlegen werde.
Der Ausgleich und die Dezemberverfassung Die Verhandlungen zwischen dem Kaiser und den Ungarn wurden im Sommer 1866 zwar durch den Krieg mit Preußen unterbrochen, nach der Niederlage aber fortgesetzt, sodass es Anfang 1867 zu einer Einigung kam. Die wesentlichen Punkte dieser – „Ausgleich“ genannten – Einigung waren: Die österreichisch-ungarische Monarchie wurde in zwei Reichshälften – eine österreichische* und eine ungarische geteilt, die beide weitgehend unabhängig voneinander waren. * Die österreichische Reichshälfte hatte zunächst keinen eigenen Namen und wurde offiziell als „die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder bezeichnet“; erst 1915 erhielt sie offiziell den Namen „Österreich“. Da die Leitha der Grenzfluss zwischen den beiden Reichshälften war, wurde die österreichische auch Cisleithanien genannt, die ungarische Transleithanien. 50
Jede Reichshälfte hatte ihre eigene Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Die beiden Reichshälften bildeten aber eine Personalunion und eine Realunion. Die Personalunion bedeutete, dass der Kaiser von Österreich gleichzeitig auch der König von Ungarn war. Die Realunion bedeutete, dass gewisse Angelegenheiten trotz der prinzipiellen Autonomie der beiden Reichshälften gemeinsam blieben. Das waren die Außenpolitik, das Militär und die Finanzen für diese beiden Bereiche. Daher gab es neben der österreichischen und der ungarischen Regierung auch noch einen gemeinsamen Außen-, Kriegs- und Finanzminister. Ein gemeinsames Reichsparlament gab es hingegen nicht, sondern nur die sogenannten Delegationen. Das waren Abordnungen des österreichischen Reichsrats und des ungarischen Reichstags, die das Budget für die gemeinsamen Angelegenheiten beschlossen, aber sonst kaum Kompetenzen hatten. Abgesehen von der gemeinsamen Außenpolitik und Verteidigung sollten die Reichshälften auch ihre Handels-, Zoll- und Währungspolitik aufeinander abstimmen. Die Einigung zwischen Franz Joseph und den Ungarn wurde juristisch fixiert, indem im März 1867 die Aprilverfassung von 1848 wiederhergestellt und im Juni das ungarische Gesetz über den Ausgleich erlassen wurde. Viel symbolträchtiger war aber die Krönung Franz Josephs zum ungarischen König am 8. Juni 1867. Mit der Abdankung Kaiser Ferdinands war Franz Joseph sofort dessen Nachfolger geworden – als Kaiser von Österreich, König von Ungarn, König von Böhmen etc. Ihm konnte es daher egal sein, ob eine Krönung stattfand oder nicht. Dementsprechend ließ er sich auch nie zum Kaiser von Österreich oder zum König von Böhmen krönen. In Bezug auf Ungarn war die Situation aber anders: Nach ungarischer Auffassung konnte der König seine Rechte nämlich erst dann legitim ausüben, wenn er mit der Stephanskrone gekrönt wurde und dabei schwor, die historischen Rechte Ungarns zu achten und zu erhalten. Nationale Ungarn würden Franz Joseph daher erst nach seiner Krönung 51
uneingeschränkt als König anerkennen. Der Mann, der Franz Joseph in Budapest feierlich die Stephanskrone aufsetzte, hätte übrigens eigentlich tot sein sollen: Es war der ehemalige Revolutionär Gyula Graf Andrássy, der 1849 symbolisch gehenkt worden war. 1860 hatte Franz Joseph ihn dann gemeinsam mit anderen Verurteilten begnadigt und seit 1865 war Andrássy gemeinsam mit Déak der Hauptverhandler des Ausgleichs auf ungarischer Seite gewesen. Anfang 1867 machte der Kaiser dann jenen Mann, dessen Todesurteil er 18 Jahre zuvor bestätigt hatte, zum ungarischen Ministerpräsidenten. Während des Ausgleichs stellte sich natürlich auch die Frage, was die neue Stellung Ungarns für den Rest des Kaisertums Österreich bedeuten sollte. Belcredi liebäugelte damit, die Monarchie insgesamt im föderalistischen Sinn umzugestalten und sie in fünf Länder bzw. Ländergruppen zu aufzuteilen: Deutsch-Österreich, Ungarn, Böhmen-Mähren-Schlesien, Polen-Ruthenien und Illyrien (die südslawischen Gebiete der Monarchie). Die Ungarn und die Deutschliberalen favorisierten aber den Dualismus, also die Aufteilung in nur zwei Reichshälften. Dabei war klar, dass in jeder Reichshälfte eine Nationalität eine gewisse Vormachtstellung haben sollte: in Ungarn (ganz offiziell) die Magyaren, in Österreich (eher inoffiziell) die Deutschen.** Anfang 1867 entschied sich der Kaiser endgültig für den Dualismus. Er entließ Belcredi und ernannte den zentralistischen Außenminister Friedrich Ferdinand Graf von Beust auch noch zum Ministerpräsidenten. Nach der Krönung in Ungarn trat in Wien der (engere) ** Für die Mehrheit der Bewohner Ungarns war Ungarisch nicht die Muttersprache. Sie waren aber ungarische Staatsbürger. In der Monarchie wurde daher oft zwischen Ungarn und Magyaren unterschieden. Ungarn waren alle Bürger des Königreichs Ungarn, Magyaren hingegen nur jene, deren Sprache Ungarisch war. Genauso waren alle Bürger der österreichischen Reichshälfte unabhängig von ihrer Sprache Österreicher. Die deutschsprachigen Österreicher (vor allem im heutigen Österreich und in Teilen von Böhmen, Mähren und Schlesien) wurden als Deutschösterreicher oder einfach als Deutsche bezeichnet. Im Gegensatz dazu nannte man die Bewohner des Deutschen Reiches oft Reichsdeutsche. 52
Reichsrat zusammen, um die Verfassung anzupassen und zu ergänzen. Das geschah durch mehrere Verfassungsgesetze, die der Kaiser im Dezember 1867 sanktionierte. Diese neue Dezemberverfassung war eine „vollständige“ Verfassung. Das Februarpatent hatte nämlich nur die Gesetzgebung geregelt; nun wurden auch Ministerverantwortlichkeit, vollständige Unabhängigkeit der Gerichte und Grundrechte der Staatsbürger eingeführt. Die Grundrechte von 1867 gelten in Österreich als einziger Teil der Dezemberverfassung bis heute. Beust erinnerte sich in seinen Memoiren, wie schwer es noch 1867 gewesen war, den Kaiser endgültig vom Konstitutionalismus zu überzeugen. Franz Joseph war im Herzen sicher kein Konstitutionalist, aber er stellte die Verfassung als solche nun nicht mehr in Frage. Er konnte sich auch deshalb mit der Verfassung arrangieren, weil sie ihm „absolutistische Hintertüren“ offenließ. In der österreichischen Reichshälfte war das vor allem das berühmt-berüchtigte Notverordnungsrecht des Kaisers. Es besagte, dass Kaiser und Regierung in dringenden Fällen anstelle von Gesetzen Verordnungen erlassen konnten, wenn der Reichsrat nicht versammelt war. Vor allem als der Reichsrat um 1900 wegen der Obstruktion verschiedener Gruppen arbeitsunfähig war, machte der Kaiser von dieser Möglichkeit ausgiebig Gebrauch (auch wenn das dem Wortlaut der Verfassung gar nicht entsprach). Auch der Ausgleich mit Ungarn war für Franz Joseph nicht zuletzt deshalb attraktiv, weil es eben kein Parlament für die Gesamtmonarchie gab. Daher konnte der Kaiser die Außenpolitik und das Militärwesen weitgehend ohne parlamentarische Mitbestimmung (aus seiner Sicht eher Einmischung) gestalten. Das war ein Grund, aus dem Franz Joseph bis zu seinem Tod am Ausgleich und am Dualismus festhielt. Außerdem hatte er auf diesem Weg ein Modus Vivendi mit Ungarn erreicht – der war aus seiner Sicht zwar sicher nicht ideal, funktionierte aber doch wesentlich besser als alles, was von 1848 bis 1867 gewesen war. Der Ausgleich wurde und wird teilweise sehr kritisch beurteilt, weil er den Ungarn eine Autonomie gab, die er den anderen Nationalitäten 53
nicht zugestand. Tatsächlich wurde das Nationalitätenproblem 1867 nicht umfassend gelöst, aber in den 1860er-Jahren war eben nur das Verhältnis zu Ungarn so schwierig, dass es für die Habsburgermonarchie existenzbedrohend wurde. Dieses Problem wurde damals in einer Weise gelöst, die immerhin für ein halbes Jahrhundert Bestand hatte. Das bedeutet keineswegs, dass das Verhältnis zu Ungarn von nun an einfach war. Der Ausgleich sah zum Beispiel vor, dass alle zehn Jahre neu festgelegt werden musste, wie viel die beiden Reichshälften zu den Kosten der gemeinsamen Angelegenheiten beitragen mussten. Bei den Verhandlungen über diese „Quote“ kam es regelmäßig zu schweren Krisen. Überhaupt betonten die ungarischen Politiker immer stärker und kompromissloser die Unabhängigkeit Ungarns. Die Diskussionen um das Ausmaß der Gemeinsamkeiten bzw. der ungarischen Selbstständigkeit konnten durchaus den Charakter von Haarspalterei annehmen. Besonders nationalistische ungarische Politiker betonten etwa, dass es gar keinen gemeinsamen Monarchen gab, weil Kaiser von Österreich und König von Ungarn ganz unterschiedliche Positionen waren, die nur zufällig von derselben Person besetzt waren. Genauso gab es Diskussionen um die Bezeichnung des Außenministers, der als Hausminister auch gewisse besondere Verwaltungsaufgaben für das Haus Habsburg wahrnahm. Nach dem Ausgleich bezeichnete der Kaiser den Außenminister als den „Minister Meines Hauses und des Äußern“. Kurz vor der Jahrhundertwende setzten die Ungarn aber durch, dass der Kaiser und König von nun an vom „Minister des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern“ sprach, um nur ja den Eindruck zu vermeiden, dass es ein einheitliches, die Reichshälften allzu sehr verbindendes Herrscherhaus gab. Die ungarischen Unabhängigkeitsbestrebungen hatten aber weit dramatischere Auswirkungen als derartige Kuriositäten. 1905 erlangte zum Beispiel die Unabhängigkeitspartei im ungarischen Reichstag erstmals eine Mehrheit. Daraus entwickelte sich eine Krise zwischen den beiden Reichshälften, die so schwerwiegend war, dass 54
der Generalstabschef einen Plan für den „Kriegsfall U“ ausarbeiten ließ – den Plan für einen Bürgerkrieg mit bzw. in Ungarn wie 1848/49. Zwar kam es nicht zum Ernstfall, doch allein die Tatsache, dass man die Ausarbeitung eines solchen Plans für notwendig erachtete, ist aussagekräftig genug. Franz Joseph bemühte sich nach dem Ausgleich sehr bewusst, auf die national-ungarischen Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Er hielt sich bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg jedes Jahr zumindest einige Wochen in Budapest auf, um zu betonen, dass Wien und Budapest gleichberechtigte Hauptstädte waren – obwohl er nach dem Tod von Kaiserin Elisabeth 1898 nicht mehr gerne in Ungarn war. Außerdem trug er in Ungarn immer nur ungarische Uniformen; das war gerade für einen uniformbegeisterten Formalisten wie Franz Joseph eine vielsagende Geste. Schließlich sprach der Monarch mit ungarischen Politikern in Ungarn prinzipiell ungarisch, auch wenn er wusste, dass sein Gegenüber gut deutsch sprach. Gerade weil er sich nach 1867 so bemühte, den Ungarn entgegenzukommen, ärgerte sich Franz Joseph über ihre Unabhängigkeitsbestrebungen. Sein Adjutant Albert Freiherr von Margutti berichtet, dass der Kaiser in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts einmal sagte: „Ausgleich heißt Kompromiß und bei einem solchen müssen beide vertragsschließenden Teile Nachgiebigkeit zeigen. Das wollen die Ungarn allerdings nicht verstehen; sie pochen immer und immer auf ihre eigenen Ansprüche, ohne zu bedenken, daß man dieselben mit jenen der anderen Reichshälfte in Einklang bringen muß, wenn nicht die Monarchie aus den Fugen gehen soll. Letzteres scheint ihnen gleichgültig zu sein; ob sie aber, lediglich auf eigenen Füßen stehend, gar so sehr auf Rosen gebettet wären, bleibt abzuwarten. Ich glaube es nicht.“19 Wie recht der Kaiser damit hatte, zeigte sich nach dem Ersten Weltkrieg. Mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie wurde Ungarn nämlich ganz unabhängig – und verlor zwei Drittel seines bisherigen Territoriums. 55
Die Fundamentalartikel Die Habsburgermonarchie behielt bis zum Tod Franz Josephs 1916, ja sogar bis zu ihrem eigenen Zerfall 1918, jene Grundstruktur, die sie 1867 durch den Ausgleich erhalten hatte. Unter Franz Joseph gab es nur ein einziges Mal ganz konkrete Überlegungen, die dualistische Struktur der Monarchie zu ändern – und zwar 1871 in Form der sogenannten Fundamentalartikel. Die Tschechen in Böhmen hatten auch 1867 den Reichsrat boykottiert und waren weder mit dem Ausgleich noch mit der Dezemberverfassung einverstanden. So stellte sich die Frage, wie man sie wieder zu einer aktiven Teilnahme am politischen Leben der österreichischen Reichshälfte bewegen konnte oder sollte. Von Dezember 1867 bis 1870 gab es in der österreichischen Reichshälfte eine dezidiert deutschliberal-zentralistische Regierung, das sogenannte Bürgerministerium. Im Bürgerministerium selbst gab es keine Einigkeit, wie man mit dieser Problematik umgehen sollte – und es war der liberalen Regierung wohl auch kein zentrales Anliegen, sich die föderalistisch-konservative Opposition nach Wien zu holen. Dem Kaiser hingegen war es ein Anliegen, die grundsätzliche Opposition der Tschechen zu beenden. Anfang 1871 ernannte er daher den konservativen Föderalisten Karl Sigmund Graf von Hohenwart zum österreichischen Ministerpräsidenten. Im Lauf des Jahres 1871 wurden zwischen dem Kaiser und der Regierung Hohenwart einerseits und den Tschechen andererseits die sogenannten Fundamentalartikel ausgehandelt. Sie sahen für das Königreich Böhmen eine weitgehend autonome Stellung innerhalb der österreichischen Reichshälfte vor, wobei die Tschechen und die Deutschen in Böhmen durchgehend gleichberechtigt sein sollten. Franz Joseph erklärte feierlich, dass er den böhmischen Anspruch auf Autonomie, das sogenannte böhmische Staatsrecht, anerkenne, und erklärte sich bereit, sich in Prag mit der Wenzelskrone zum König von Böhmen krönen zu lassen, so wie er sich 1867 in Budapest zum König von Ungarn hatte krönen lassen. 56
Im Herbst 1871 sah es also danach aus, dass auch Böhmen innerhalb der Habsburgermonarchie größere Selbstständigkeit erlangen würde – wenn diese auch nicht ganz so weit gehen sollte wie die Ungarns. Im Endeffekt kam es aber nicht dazu. Sowohl die Deutschen als auch die Ungarn opponierten gegen die Fundamentalartikel und schließlich entschied sich auch der Kaiser dagegen. Er hatte von den Tschechen verlangt, zunächst den Reichsrat in Wien zu beschicken, um die böhmische Autonomie dort auf verfassungsmäßige Weise zu beschließen. Obwohl die konservativen Föderalisten seit den Wahlen 1871 im Reichsrat die dafür nötige Zweidrittelmehrheit gehabt hätten, weigerten sich die Tschechen weiterhin, Abgeordnete in den Reichsrat zu entsenden. Daraufhin lehnte Franz Joseph die Fundamentalartikel endgültig ab. Im Nachhinein hat man in den Fundamentalartikeln immer wieder eine unnötig vergebene Chance gesehen, das Nationalitätenproblem zumindest in Böhmen zu lösen. Im Vergleich mit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich hätten die Fundamentalartikel tatsächlich einen Vorteil gehabt, weil sie eine Gleichberechtigung von Deutschen und Tschechen in Böhmen vorsahen. Der Ausgleich hingegen beruhte auf der Vorherrschaft der Magyaren in Ungarn und gewährte den anderen ungarischen Nationalitäten (Kroaten, Slowaken, Rumänen, Deutschen) keine Gleichberechtigung. Gerade am Beispiel Böhmens wird aber deutlich, dass eine stärkere Autonomie der traditionellen Kronländer kein zukunftsträchtiges Konzept für die Lösung der immer stärker werdenden Nationalitätenkonflikte war. Da Böhmen wie die meisten anderen Kronländer mehrsprachig war, gab es deutschsprachige und tschechischsprachige Böhmen, und die fühlten sich zunehmend mehr als Deutsche und Tschechen – und nicht als Böhmen. Daher konnten die Konflikte zwischen den Nationalitäten innerhalb eines Kronlandes nicht dadurch dauerhaft gelöst werden, dass dieses Kronland eine größere Autonomie erhielt. Interessanterweise gelang es den Polen Anfang der 1870er-Jahre auf informelle Weise, für Galizien in etwa das zu erreichen, was die 57
Tschechen für Böhmen durch die Fundamentalartikel dann doch nicht erreichen konnten. Das Königreich Polen war bis ins späte 18. Jahrhundert hinein ein selbstständiger Staat gewesen, wurde dann aber in mehreren Teilungen vollständig zwischen Russland, Preußen und der Habsburgermonarchie aufgeteilt. Dabei fiel Galizien an die Habsburger. Insgesamt war die Lage der Polen in Galizien wohl deutlich besser als in Preußisch- oder Russisch-Polen. Das Fernziel der meisten Polen – auch in Österreich – war aber, die drei Teile wieder zu einem selbstständigen Polen zusammenzuführen. In der Zwischenzeit waren sie jedoch durchaus bereit, in der Habsburgermonarchie konstruktive Politik zu machen – vor allem nachdem Galizien eine Art informelle Autonomie erhalten hatte. Seither kam in der österreichischen Reichshälfte keine Regierung mehr an den Polen vorbei: Es gab in jeder einen polnischen Landsmannsminister und der Kaiser ernannte Statthalter von Galizien – anders als in anderen Kronländern – nur mehr in Übereinstimmung mit den polnischen Abgeordneten des Reichsrats, dem sogenannten Polenklub. Außerdem wurde Galizien polonisiert, das heißt, Polnisch wurde zur praktisch einzigen Sprache der Verwaltung. Das führte zu einer Vorherrschaft der Polen über die andere große Bevölkerungsgruppe Galiziens, die Ruthenen (heute Ukrainer genannt). Der Kaiser hatte sich die Loyalität der Polen also gewissermaßen erkauft, indem er die Benachteiligung der Ruthenen in Kauf nahm – ähnlich wie er sich den Frieden mit Ungarn mit der Benachteiligung der Kroaten, Slowaken und Rumänen erkauft hatte.
Kaiser und Regierung Nachdem eine förmliche Föderalisierung der österreichischen Reichshälfte durch die Fundamentalartikel gescheitert war, kehrte Franz Joseph wieder zu einer gemäßigt deutschliberalen Regierung zurück. Die führte 1873 eine Wahlrechtsreform durch: Von nun an wurde der Reichsrat nicht mehr von den Landtagen beschickt, sondern direkt 58
von der Bevölkerung gewählt. Das Wahlrecht war aber, wie schon bisher, weder allgemein noch gleich. Nur Personen mit einem gewissen Mindesteinkommen durften wählen, sodass insgesamt nur ein recht kleiner Prozentsatz der Bevölkerung wahlberechtigt war. Durch die Einteilung der Wähler in vier Kurien hatten außerdem die Stimmen reicherer Wähler – ganz besonders der Großgrundbesitzer – mehr Gewicht als die anderer. Die Zeit der liberalen Regierungen endete endgültig 1879. Die Reichsratswahlen in diesem Jahr hatten ein Patt zwischen den Liberalen und den Föderalisten ergeben. In dieser Situation ernannte der Kaiser seinen Jugendfreund Eduard Graf Taaffe zum Ministerpräsidenten. Taaffe wollte zunächst „über den Parteien“ regieren, stützte sich dann aber auf den sogenannten „Eisernen Ring“, im Wesentlichen ein Bündnis von Katholisch-Konservativen, Tschechen, Großgrundbesitzern und – natürlich – Polen, das im Reichsrat nur eine knappe Mehrheit hatte. Mit diesem Bündnis konnte Taaffe bis 1893 regieren – 14 Jahre und damit weitaus länger als jeder andere österreichische Ministerpräsident. Dass Taaffe so lange an der Regierung blieb, hing natürlich auch damit zusammen, dass er bei Franz Joseph eine besondere Vertrauensstellung hatte. Alle anderen Ministerpräsidenten blieben längstens für einige Jahre im Amt – manche auch deutlich kürzer. Franz Joseph stützte ihre jeweilige Politik, solange sie im Amt waren, doch wenn er zu dem Ergebnis kam, dass ein Wechsel sinnvoll war, ersetzte er die Ministerpräsidenten ohne Zögern. So macht gerade das Handeln des Kaisers in der Zeit von 1860 bis 1871 zunächst den Eindruck eines ziemlich inkonsequenten Zickzackkurses. Es war wohl tatsächlich so, dass Franz Joseph vergleichsweise schnell die Geduld verlor, wenn ein von ihm unterstütztes Konzept nicht so aufging wie erwartet. So war es beim Oktoberdiplom und auch bei den Fundamentalartikeln. Mit Schmerling war er etwas geduldiger, entließ ihn nach vier Jahren aber doch. Andererseits zeigte sich in Franz Josephs Richtungswechseln auch eine bemerkenswerte 59
Flexibilität und ein gewisser Pragmatismus. Sein wichtigstes Ziel war der Erhalt der Habsburgermonarchie und seine liebste Regierungsform wäre eigentlich der Absolutismus gewesen. Nachdem sich gezeigt hatte, dass der Absolutismus nicht (mehr) durchführbar war, fand es der Kaiser zunächst ziemlich beunruhigend, dass das Schicksal seines Reiches nunmehr in der Hand von „wechselnden Mehrheiten“ liegen würde. Tatsächlich war es dann aber Franz Joseph selbst, der es ab 1860 abwechselnd mit verschiedenen Richtungen und Parteien probierte. Für eine bestimmte Zeit stützte er sich jeweils auf die Gruppierung, die ihm für seine Vorstellung vom Erhalt der Monarchie am geeignetsten erschien. Dabei handelte es sich um Zweckbündnisse, nicht um Liebesehen. Auch wenn Franz Joseph von 1861 bis 1865 Schmerling und das System des Februarpatents unterstützte, war er deshalb noch kein zentralistischer Deutschliberaler. Als ihm 1865 der Föderalismus Belcredis als die bessere Möglichkeit erschien, um zu einem Ausgleich mit Ungarn zu kommen, bedeutete das keineswegs, dass Franz Joseph selbst jetzt plötzlich ein Föderalist geworden wäre. Als Belcredi Anfang 1867 den Ausgleich in der Form des Dualismus ablehnte, zögerte der Kaiser daher nicht, mit Beust wieder einen deutschen Zentralisten zum Ministerpräsidenten zu machen. Aus seiner Sicht war der Ausgleich nötig, um die Monarchie zu erhalten, und daher stützte er sich in der künftigen österreichischen Reichshälfte auf jene Richtung, die diese Lösung zu akzeptieren bereit war. Franz Joseph stand tatsächlich über den Parteien, und zwar in dem Sinn, dass er keine dezidierten und vor allem keine dauerhaften Favoriten hatte. Daher war es ihm kein Anliegen, dass eine (von ihm favorisierte) politische Richtung auf Dauer allzu dominant wurde. Er war im Gegenteil darauf bedacht, genau das zu vermeiden, gerade weil er nicht an eine bestimmte Partei gebunden sein wollte. Solange eine bestimmte Regierung im Amt war, stand er aber hinter ihr und erwartete das auch von seinen Beamten – und zwar unabhängig von deren persönlicher politischer Ausrichtung. 60
Wie schon ausgeführt, hielt Franz Josephs Unterstützung bei keiner Regierung länger an als bei jener unter Ministerpräsident Taaffe. Mit ihr folgte ein konservatives Reformkabinett auf eine Periode, in der insgesamt die Deutschliberalen dominiert hatten. Die bleibendsten Errungenschaften der Regierung Taaffe waren wohl die allgemeine Unfall- und Krankenversicherung und die ersten Arbeitnehmerschutzbestimmungen. Die industrielle Revolution hatte auch in der Habsburgermonarchie eine neue große Gesellschaftsschicht entstehen lassen: die Fabrikarbeiter, die vielfach von bisher unbekannten Formen sozialer Not betroffen waren. Wie schwierig die Situation von Arbeitern in dieser Zeit sein konnte, wird gerade an den Reformen der 1880er-Jahre deutlich. 1885 wurde zum Beispiel die tägliche Höchstarbeitszeit für Fabrikarbeiter auf elf Stunden festgelegt. Das wurde – wohlgemerkt bei einer Sechstagewoche – als großer Fortschritt empfunden. Außerdem wurde die Kinderarbeit von Kindern unter 14 Jahren verboten und für Jugendliche von 14 bis 16 Jahren der Achtstundentag eingeführt. Schließlich führte die Regierung Taaffe auch die Vorläufer der heutigen Arbeitsinspektoren ein. Obwohl der Ministerpräsident ein ausgesprochener Gegner der organisierten sozialdemokratischen Arbeiterbewegung war, die er mit allen möglichen Mitteln zu bekämpfen versuchte, traf seine Regierung doch Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Arbeiter. In vielen Bereichen brachte die Regierung Taaffe zwar nicht die große Abkehr vom Liberalismus, setzte aber andere Schwerpunkte. Ein Beispiel dafür ist das Schulwesen: Durch das liberale Reichsvolksschulgesetz von 1868 war die Kontrolle der katholischen Kirche über das Unterrichtswesen beendet und eine grundsätzlich säkulare, staatliche Schule eingeführt worden. Das Ziel der katholischen Kirche blieb jedoch weiterhin ein konfessionelles Schulsystem, also katholische Schulen für katholische Schüler, evangelische Schulen für evangelische Schüler und so weiter. Das konnte und wollte der Eiserne Ring nicht durchsetzen. Allerdings wurde neu festgelegt, dass 61
Schuldirektoren dieselbe Religion und Konfession wie die Mehrheit der Schüler haben mussten, und das bedeutete im überwiegend katholischen Österreich, dass fast nur mehr Katholiken Direktoren werden konnten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Schulpolitik zu einem der wichtigsten und umstrittensten Bereiche der Politik überhaupt – allerdings nicht mehr aus konfessionellen, sondern aus sprachlich-nationalen Gründen. Im Vielvölkerstaat war es eine brisante Frage, in welcher Sprache an Volksschulen, höheren Schulen und Universitäten unterrichtet werden sollte. Schon die Regierung Taaffe hatte die Prager Universität deshalb in eine deutsche und eine tschechische Universität aufgeteilt. Wie brisant die Frage der Unterrichtssprache war, sollte sich bei der nächsten Regierung noch viel deutlicher zeigen.
Nationalitätenkonflikt und Parlamentskrise Taaffe konnte sich in den 1890er-Jahren nicht mehr auf eine fixe Parlamentsmehrheit stützen, und als er 1893 mit dem Plan der Einführung des allgemeinen Wahlrechts scheiterte, endete seine Regierung. Sein Nachfolger als Ministerpräsident, Alfred Fürst zu Windischgrätz, bildete eine Regierung auf Basis der sogenannten großen Koalition. Ihre Besonderheit war, dass sie sowohl von den Deutschliberalen/-nationalen als auch von den Slawen, insbesondere den Tschechen, unterstützt wurde. Dementsprechend betrieb Windischgrätz eine Politik des größten gemeinsamen Nenners, die alle strittigen Fragen auszuklammern versuchte. Dies gelang nur gut eineinhalb Jahre, dann zerbrach die große Koalition an einer scheinbar unbedeutenden Frage. Es ging darum, ob im Gymnasium der Stadt Cilli in der Untersteiermark (heute Celje in Slowenien) neben den bestehenden deutschsprachigen auch slowenischsprachige Klassen eingeführt werden sollten. Die Einführung respektive Verhinderung dieser Parallelklassen war den (Süd-)Slawen bzw. den Deutschen jeweils wichtiger als das Fortbestehen der Regierung. 62
Dem Kaiser war es wohl eher gleichgültig, ob der Gymnasialunterricht in Cilli nur auf Deutsch oder auf Deutsch und Slowenisch erfolgte, aber es beunruhigte ihn, wie leicht solche Fragen seine Regierung destabilisieren konnten. Dabei war dieser Konflikt, verglichen mit dem, was noch kommen sollte, ziemlich harmlos. 1895 ernannte Franz Joseph den Polen Kasimir Graf von Badeni zum Ministerpräsidenten. Dieser stand vor allem vor zwei Herausforderungen: der Reform des Reichsratswahlrechts und dem Konflikt zwischen Deutschen und Tschechen in Böhmen und Mähren. Das Wahlrecht konnte er 1896 tatsächlich reformieren. Erstmals waren alle erwachsenen Männer wahlberechtigt – allerdings war das Wahlrecht immer noch kein gleiches. Der Reichsrat war weiterhin in Kurien geteilt, sodass die vermögenden Wähler deutlich bevorzugt waren. Nur 72 von 425 Abgeordneten wurden tatsächlich von allen Wahlberechtigten gewählt. Im nationalen Konflikt zwischen Deutschen und Tschechen war die Amtssprache eine besonders wichtige und umkämpfte Frage. Hier ging es einerseits um die innere und andererseits um die äußere Amtssprache. Die äußere Amtssprache war jene Sprache, in der Staatsbürger und Behörden miteinander verkehrten, also die Sprache, in der man Anträge stellen konnte und in der die Behörde öffentliche Bekanntmachungen erließ. Als äußere Amtssprache waren Tschechisch und Deutsch in Böhmen seit 1880 gleichberechtigt. Die innere Amtssprache – also die von den Behörden intern benutzte Sprache – war aber Deutsch. Das führte dazu, dass tschechische Beamten notwendigerweise auch Deutsch können mussten, während deutsch-böhmische Beamten in der Regel nicht Tschechisch sprachen. Badeni erließ nun 1897 Verordnungen für Böhmen und Mähren, in denen festgelegt wurde, dass alle Beamten innerhalb von vier Jahren beide Sprachen beherrschen mussten. Damit sollte die volle Gleichberechtigung der beiden Landessprachen erzielt werden. Für die tschechischen Beamten stellte das kein Problem dar, weil sie ohnehin praktisch durchwegs zweisprachig 63
waren. Die deutschsprachigen Beamten wehrten sich aber erbittert dagegen, Tschechisch lernen zu müssen, und fanden bei den Deutschen in der ganzen Monarchie Unterstützung. In Böhmen kam es zu Unruhen und in Wien protestierten die deutschsprachigen Reichsratsabgeordneten gegen die Regierung. Da sie jedoch keine Mehrheit (mehr) hatten, konnten sie die Regierung nicht überstimmen. Stattdessen blockierten sie den Reichsrat durch Obstruktion. Es kam im „Hohen Haus“ zu so schweren Prügeleien, dass die Polizei einschreiten musste, doch ganz unabhängig von Gewalttätigkeiten bot die Geschäftsordnung des Reichsrats selbst genug Möglichkeiten, die parlamentarische Arbeit lahmzulegen. Deutsche Abgeordnete hielten Reden, die zehn Stunden und länger dauerten; außerdem stellten sie dringliche Anträge und verlangten namentliche Abstimmungen darüber. Da die dringlichen Anträge stets vor allem anderen behandelt werden mussten und namentliche Abstimmungen bei mehr als 400 Abgeordneten reichlich Zeit in Anspruch nahmen, waren das sehr wirksame Blockademittel. Badeni hatte die Sprachverordnungen mit Zustimmung des Kaisers erlassen, trotzdem musste er noch 1897 zurücktreten. Die kurzlebigen nächsten Regierungen schränkten das Erfordernis der Zweisprachigkeit für alle Beamten in Böhmen und Mähren wieder etwas ein, konnten die Deutschen damit aber nicht besänftigen und die Obstruktion nicht beenden. Als Franz Joseph annehmen musste, dass die von ihm unterstützten Sprachverordnungen zu einer Dauerkrise führen würden, war er schließlich bereit, darauf zu verzichten. 1899 ließ er die Sprachverordnungen zurücknehmen – mit dem Erfolg, dass die deutsche Obstruktion im Reichsrat praktisch nahtlos von einer tschechischen abgelöst wurde.
Reformen und Reformversuche Der Reichsrat in Wien wurde wegen der Tumulte und der Obstruktion zu einer Touristenattraktion, doch seine eigentliche Aufgabe 64
als Gesetzgebungsorgan konnte er nicht mehr erfüllen. Auch beim Kaiser trugen die parlamentarischen Krisen um 1900 nicht dazu bei, seine ohnehin begrenzten Sympathien für das Parlament zu steigern. Franz Joseph drückte seine Distanz seit jeher dadurch aus, dass er das Parlamentsgebäude praktisch nie betrat; die einzigen Ausnahmen waren die Grundsteinlegung und die Eröffnung des fertigen Hauses. Während im Vereinigten Königreich die Queen bis heute jedes Jahr bei der Parlamentseröffnung zu einem festlichen Auftritt in den Westminster-Palast kommt, bestellte Franz Joseph die Abgeordneten zur Eröffnung des Reichsrats immer zu sich in die Hofburg. Franz Joseph fühlte sich durch die Obstruktion darin bestätigt, dass der Konstitutionalismus für das Vielvölkerreich der Habsburger nicht wirklich geeignet war. Trotzdem wollte er sich nicht (mehr) einfach über die Verfassung hinwegsetzen. Da sich das Parlament selbst lahmlegte, regierte er mit Notverordnungen nach dem berühmt-berüchtigten § 14 – auch wenn dieser eigentlich für einen anderen Fall gedacht war, nämlich für den, dass der Reichsrat gar nicht versammelt war. In den Zeiten der Obstruktion war der Reichsrat zwar versammelt, aber nicht arbeitsfähig. 1867, beim Ausarbeiten der Dezemberverfassung, hatte man schlichtweg nicht daran gedacht, dass so etwas eintreten könnte. Ob das Regieren mit dem § 14 ein Verfassungsbruch war, lässt sich daher kaum sagen. Es war jedenfalls eine Möglichkeit, überhaupt noch zu regieren. Es war aber klar, dass die Anwendung des Notstandsparagraphen kein Dauerzustand sein konnte. 1900 wurde Ernest von Koerber neuer Ministerpräsident; der erste seit Badeni, der deutlich länger als ein Jahr im Amt blieb. Koerber plante eine umfassende Reform der österreichischen Reichshälfte, die er notfalls mit einem Staatsstreich von oben durchsetzen wollte. Im Endeffekt schreckte der Franz Joseph aber gerade vor dem Staatsstreich zurück, und zwar nicht so sehr, weil er um jeden Preis einen Bruch der Verfassung vermeiden wollte – ein überzeugter Anhänger des liberalen Konstitutionalismus 65
der Dezemberverfassung wurde er nie. Vielmehr war der alte Kaiser generell kein Freund radikaler Veränderungen und bezweifelte außerdem, dass sich die Nationalitätenkonflikte durch einen großen Befreiungsschlag in Form einer einmaligen umfassenden Reform lösen ließen – mochten die großen Reformpläne auch noch so wohldurchdacht sein. Gerade um die Jahrhundertwende wurden immer wieder Vorschläge für eine große Reform der Habsburgermonarchie gemacht. Der bekannteste war wohl jener des rumänischen Juristen Aurel Popovici, der empfahl, die Monarchie in „Vereinigte Staaten von Groß-Österreich“ umzuwandeln. Der Thronfolger Franz Ferdinand, ein Neffe des Kaisers, hatte gewisse Sympathien für diese Pläne. Für Franz Joseph aber kam eine Umgestaltung, für die der Ausgleich mit Ungarn aufgegeben werden musste, nicht in Frage. Er bevorzugte eine Politik der kleinen Schritte und der Einzellösungen. Tatsächlich gelang es in den zehn Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, manche Konflikte deutlich zu entschärfen. 1905 konnte in Mähren ein Kompromiss zwischen Deutschen und Tschechen erreicht werden und 1910 gelang in der Bukowina ein Ausgleich zwischen den drei dortigen Nationalitäten (Polen, Ruthenen, Rumänen). Ein 1914 für Galizien ausverhandelter Ausgleich zwischen Polen und Ruthenen konnte nicht mehr umgesetzt werden, weil der Erste Weltkrieg ausbrach. Diese drei Ausgleiche waren etwas grundlegend anderes als derjenige mit Ungarn von 1867, der darauf beruhte, dass die Magyaren eine Vormachtstellung vor den anderen Nationalitäten hatten. Jetzt wurde hingegen versucht, die Gleichberechtigung von zwei oder mehr Nationalitäten innerhalb des eines Kronlands sicherzustellen. Die Kronländer selbst erhielten aber keine größere Autonomie. Eine große Reform, die sich auf die ganze österreichische Reichshälfte bezog, gab es 1906 dann aber doch: die Einführung des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts. Von 1861 bis 1895 war der Reichsrat 66
in vier Kurien eingeteilt gewesen: Ein knappes Drittel der Abgeordneten wurde von den (meist adeligen) Großgrundbesitzern gewählt, ein zweites von Wählern in Städten und ein drittes von Wählern am Land. Außerdem wählten die Handels- und Gewerbekammern einige Abgeordnete. In allen Kurien war das Wahlrecht an einen Zensus, also eine bestimmte Steuerleistung, gebunden. Somit waren nur Personen mit einem gewissen Mindesteinkommen wahlberechtigt und der größere Teil der Bevölkerung blieb vom Wahlrecht ausgeschlossen. Das änderte sich 1896 unter Badeni mit der Einführung einer allgemeinen fünften Kurie, in der alle erwachsenen Männer wahlberechtigt waren. Damals wurde das Wahlrecht zwar allgemein, aber noch nicht gleich. Das wird schon allein daran deutlich, dass diejenigen Männer, die in der ersten bis vierten Kurie wahlberechtigt waren, zusätzlich auch in der fünften Kurie wählen durften. Das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht wurde erst 1906 unter Ministerpräsident Max Wladimir Freiherr von Beck eingeführt. Erst damit hatte jeder Wahlberechtigte eine Stimme, und jede Stimme grundsätzlich den gleichen Wert. Interessanterweise trat der Kaiser 1906 ganz bewusst für die Wahlreform ein. Aus seiner Sicht hatte das Kurienparlament seit der Badeni-Krise seine Arbeitsunfähigkeit nur allzu deutlich bewiesen, und so hoffte der Kaiser, dass eine Änderung des Wahlrechts die Rückkehr zur konstruktiven Parlamentsarbeit bewirken könnte. Mit dieser Vorstellung war er nicht allein und sie war auch nicht unbegründet. Immerhin war der Nationalitätenkonflikt der Grund für die Arbeitsunfähigkeit des Kurienparlaments. Bei allen Nationalitäten der Habsburgermonarchie wurde der Nationalismus ganz besonders vom Bürgertum getragen, das im Reichsrat aufgrund des Kurienwahlrechts besonders stark vertreten war. Es war klar, dass das allgemeine und gleiche Wahlrecht zu einer stärkeren Vertretung anderer Schichten – Arbeiter, Kleinbürger, aber auch der Landbevölkerung – führen würde, und diese Schichten waren weniger nationalistisch als das städtische Bürgertum. 67
Diese Hoffnung erfüllte sich nur teilweise. Tatsächlich brachte das allgemeine Wahlrecht den Durchbruch für die neuen Massenparteien: 1907 wurden die Christlichsozialen (die „Schwarzen“) zur stärksten Partei und 1911 die Sozialdemokraten (die „Roten“), die bei den Reichsratswahlen 1896 zum ersten Mal einige Mandate hatten erreichen können. Damit hatten sich jene Parteien etabliert, die später als „Großparteien“ die Geschichte der Ersten und Zweiten Republik Österreich prägen sollten. Eine merkbare Entschärfung des Nationalitätenkonflikts brachte die Veränderung des Parteienspektrums aber nicht. Die 1893 gegründeten Christlichsozialen waren im Wesentlichen eine deutschsprachige Partei; sie vertraten im Nationalitätenkonflikt zwar grundsätzlich eine gemäßigte Position, hatten sich 1897 aber doch an der deutschen Obstruktion gegen die Badeni’schen Sprachverordnungen beteiligt. Die 1889 gegründeten Sozialdemokraten verstanden sich als übernationale Partei; für sie war nicht der Nationalitätenkonflikt das entscheidende Thema, sondern die soziale Frage. Trotzdem zerbrach auch die Sozialdemokratie an der nationalen Frage: 1911 spalteten sich die tschechischen Sozial demokraten vom Rest ab. Die schwersten Nationalitätenkonflikte konnten also trotz einzelner Fortschritte nicht gelöst oder auch nur entscheidend entschärft werden. Das galt für den Konflikt zwischen Deutschen und Tschechen in Böhmen ebenso wie für die Stellung der Südslawen. In Böhmen schien eine Lösung immer wieder in greifbarer Nähe, doch Anfang 1913 war der Landtag arbeitsunfähig und das Land praktisch unregierbar. Nicht zuletzt weil es auf Landesebene keine verfassungsmäßige Möglichkeit für Notverordnungen gab, löste der Kaiser den Landtag im Sommer 1913 mit den sogenannten Annapatenten auf und ließ Böhmen von einer kaiserlichen Verwaltungskommission regieren. Das war ohne jeden Zweifel ein Verfassungsbruch. Aus Prostest dagegen begannen tschechische Parteien wieder mit der Obstruktion im Reichsrat. Franz Joseph und sein Ministerpräsident, Karl Graf Stürgkh, reagierten 68
darauf, indem sie den Reichsrat im März 1914 vertagten. Damals ahnte wohl niemand, dass diese Vertagung dazu führen würde, dass die österreichische Reichshälfte der Doppelmonarchie wenige Monate später ohne Parlament in einen Weltkrieg gehen sollte. Bis zum Tod Franz Josephs im Jahr 1916 wurde der Reichsrat nicht mehr einberufen.
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Außenpolitik Ausgangssituation und Revolution Nach der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen hatte der Wiener Kongress 1814/15 eine Neuordnung Europas gebracht, die insgesamt bis zur Revolution 1848 bestehen blieb. Sie beruhte auf einem Gleichgewicht der fünf europäischen Großmächte (Großbritannien, Frankreich, Preußen, Österreich und Russland), deren Zusammenwirken als das Europäische Konzert bezeichnet wurde. Dieses Gleichgewicht sollte dadurch erhalten bleiben, dass die Großmächte einerseits untereinander keine Kriege führten und andererseits – nötigenfalls militärisch – eingriffen, wenn es in anderen Teilen Europas Bestrebungen geben sollte, die bestehende Ordnung umzuändern. Dieses konservative, auf die Bewahrung des Bestehenden gerichtete Programm war für das Kaisertum Österreich besonders interessant. Der Wiener Kongress hatte die Stellung der Habsburgermonarchie als Großmacht bestätigt und expansive Tendenzen hatte Österreich ohnehin nicht. Bis zum Ersten Weltkrieg war die österreichische Außenpolitik darauf ausgerichtet, den Großmachtstatus zu erhalten, und nicht darauf, neue Gebiete oder Einflusssphären zu gewinnen. In zwei Regionen nahm die Habsburgermonarchie nach dem Wiener Kongress eine besondere Position ein: in Italien und in Deutschland. Weder hier noch dort gab es 1848 schon die heutigen Nationalstaaten. Vielmehr waren sowohl Italien als auch Deutschland in mehrere Staaten aufgeteilt. In Italien hatten die Habsburger eine besondere Vormachtstellung, weil einerseits große Teile Norditaliens (die Lombardei, Venetien, Triest und das Trentino) überhaupt zum Kaisertum Österreich gehörten und andererseits auch einige der anderen italienischen Staaten einen Habsburger als Monarchen hatten. Während der Revolution 1848/49 sah es zeitweilig so aus, als würde das Kaisertum Österreich seine Position 71
in Italien verlieren, doch mit der endgültigen Niederschlagung der Revolution wurde der Status quo wiederhergestellt – zumindest für einige Jahre. In Deutschland hatte man nach den Napoleonischen Kriegen das alte Heilige Römische Reich nicht wiedererrichtet, sondern stattdessen den Deutschen Bund gegründet, eine eher lose Verbindung der gut 40 einzelnen deutschen Staaten. Am Deutschen Bund waren zwei Großmächte beteiligt, nämlich Österreich und Preußen, wobei einige Teile Österreichs (Ungarn, Galizien, Lombardo-Venetien und Dalmatien) und Preußens nicht zum Bund gehörten. Weiters gab es im Deutschen Bund vier mittelgroße Königreiche (Bayern, Sachsen, Württemberg und Hannover) und schließlich zahlreiche kleinere Staaten bis hin zu vier freien Städten (Frankfurt am Main, Bremen, Hamburg, Lübeck). Das Kaisertum Österreich hatte im Bundestag den Vorsitz und somit eine Art Ehrenvorrang – eine tatsächliche Vorherrschaft war damit aber keineswegs verbunden. Die Revolution brachte in Deutschland ebenso wie in Italien eine nationale Einigungsbewegung. Im März 1848 wurden in vielen deutschen Staaten liberale Regierungen ernannt und im April und Mai zum ersten Mal ein gesamtdeutsches Parlament gewählt: die Nationalversammlung, die in Frankfurt am Main in der Paulskirche zusammentrat. Da das Kaisertum Österreich zum Deutschen Bund gehörte, wurden auch in Österreich Abgeordnete zur Frankfurter Nationalversammlung gewählt – in den ersten Parlamentswahlen, die überhaupt in Österreich stattfanden. Die Hauptaufgabe der Nationalversammlung bestand darin, eine Verfassung für ein neues deutsches Kaiserreich auszuarbeiten. Dabei war vor allem eine – für Österreich besonders wichtige – Frage umstritten, nämlich, wie groß das neue Deutsche Reich sein sollte. Die großdeutsche Lösung hätte bedeutet, dass das neue Deutsche Reich gebietsmäßig dem Deutschen Bund entspricht und die deutschsprachigen Gebiete Österreichs – auch ganz Böhmen – zu einem Teil des Deutschen Reiches werden. Die 72
kleindeutsche Lösung hingegen hätte bedeutet, dass Österreich insgesamt nicht Teil des Deutschen Reichs wird. Für die Habsburgermonarchie hätten beide Varianten gravierende Konsequenzen gehabt. In einer kleindeutschen Lösung hätte Österreich nicht nur seinen Ehrenvorrang im Deutschen Bund verloren, sondern wäre überhaupt kein Teil Deutschlands mehr gewesen. Auf der anderen Seite hätte die großdeutsche Lösung zwangsläufig zu einer Teilung der Habsburgermonarchie geführt: in einen zum Deutschen Reich gehörenden Teil und einen anderen außerhalb. Das war zwar schon beim Deutschen Bund so, aber der war eben nur ein lockerer Staatenbund von über 40 Staaten. Das Deutsche Reich, dessen künftige Verfassung in der Paulskirche ausgearbeitet wurde, sollte aber ein Nationalstaat mit einer einheitlichen Verfassung werden. In einer großdeutschen Lösung wären also die beiden Teile der Habsburgermonarchie nur mehr durch den gemeinsamen Herrscher – also in einer reinen Personalunion – miteinander verbunden gewesen.
Die Wiederherstellung des Deutschen Bundes Als Franz Joseph im Dezember 1848 Kaiser wurde, tagte die Frankfurter Nationalversammlung immer noch. Sie hatte noch keine Verfassung ausgearbeitet und auch noch keine Entscheidung über die groß- oder kleindeutsche Lösung getroffen. Dafür hatten der neue Kaiser und sein Ministerpräsident Schwarzenberg ziemlich klare Vorstellungen. Eine Umwandlung der Monarchie in eine reine Personalunion kam für sie nicht in Frage – sei es wegen der ungarischen Unabhängigkeitsbestrebungen, sei es wegen der großdeutschen Lösung. Vor diesem Hintergrund entschied sich die Nationalversammlung im März 1849 für die kleindeutsche Lösung und bot dem preußischen König, Friedrich Wilhelm IV., die deutsche Kaiserkrone an. Der konservative König lehnte jedoch ab, weil er nicht auf diese revolutionäre Weise Kaiser werden wollte. Damit war zwar die Paulskirchenverfassung, der Entwurf der Frankfurter Nationalversammlung, vom Tisch, die 73
kleindeutsche Lösung aber nicht. Auch nach der endgültigen Niederschlagung der Revolution in Deutschland im Frühjahr 1849 blieb unklar, wie Deutschland in Zukunft gestaltet werden sollte. Der preußische König schlug mit dem sogenannten Erfurter Unionsplan eine konservativere Variante der kleindeutschen Lösung vor. Franz Joseph und seine Regierung wollten sich aber nicht aus Deutschland herausdrängen lassen und schlugen stattdessen eine neues Großreich vor, das aus dem Deutschen Bund und dem gesamten Kaisertum Österreich bestehen sollte. Im Herbst 1850 schien eine militärische Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland durchaus im Bereich des Möglichen. Im November verzichtete Preußen aber endgültig auf den Unionsplan, um einen Krieg mit Österreich zu vermeiden – nicht zuletzt weil Österreich auch von Russland unterstützt wurde. Die Frage nach Deutschlands künftiger Gestaltung blieb weiter unbeantwortet. Auch Schwarzenbergs Plan, aus Deutschem Bund und Habsburgermonarchie ein mitteleuropäisches Großreich zu bilden, ließ sich nicht verwirklichen. Für die anderen Großmächte – besonders Russland – wäre das europäische Gleichgewicht dadurch zu sehr gefährdet worden. 1851 einigte man sich schließlich darauf, den Deutschen Bund so wiederherzustellen, wie er vor 1848 existiert hatte. Der junge Franz Joseph hatte sein Reich unbeschadet aus der Revolution geführt. Er hatte innenpolitisch den Zerfall vermieden, wenn auch nur durch den Einsatz militärischer Gewalt. Außerdem war es ihm sowohl in Italien als auch in Deutschland gelungen, den vorrevolutionären Zustand wiederherzustellen – zumindest für den Moment.
Der Krimkrieg Vom Wiener Kongress bis zur Revolution 1848 konnte das Europäische Konzert für mehr als 30 Jahre militärische Auseinandersetzungen 74
zwischen den Großmächten verhindern. Nach der Revolution dauerte es nicht einmal fünf Jahre, bis es zu einem Krieg kam. Im Juni 1853 ließ der russische Zar, Nikolaus I., seine Truppen in die Donaufürstentümer Moldau und Walachei einmarschieren. Die beiden Fürstentümer (aus deren Vereinigung später Rumänien entstand) befanden sich damals unter der Oberhoheit des Osmanischen Reichs. Dieses reagierte, indem es Russland den Krieg erklärte. Frankreich versuchte zunächst zwischen den Parteien zu vermitteln, scheiterte jedoch und verbündete sich darauf mit Großbritannien und dem Osmanischen Reich. Im März 1854 erklärten auch die beiden Westmächte Russland den Krieg. Nach zähen, verlustreichen Kämpfen endete der Krieg 1856 mit ihrem Sieg. Im Frieden von Paris musste Russland darauf verzichten, sich auf Kosten des Osmanischen Reichs auszudehnen. Das Kaisertum Österreich nahm am Krimkrieg nicht unmittelbar teil, aber trotzdem hatte er massive Auswirkungen auf die interna tionale Position der Habsburgermonarchie. 1849 hatte Franz Joseph die Revolution in Ungarn erst mit russischer Hilfe niederschlagen können, und ein Jahr später hatte die russische diplomatische Unterstützung geholfen, den preußischen Unionsplan zu verhindern. Andererseits hatte Russland Schwarzenbergs Mitteleuropapläne nicht unterstützt. Trotzdem konnte man Anfang der 1850er-Jahre davon ausgehen, dass zwischen Österreich und Russland und auch zwischen Kaiser Franz Joseph und Zar Nikolaus ein Naheverhältnis bestand. So kündigte der russische Monarch dem jungen österreichischen im Vorhinein an, dass er in die beiden Donaufürstentümer einmarschieren werde, und schrieb ihm, er hoffe, „dass du dasselbe mit der Herzegowina und Serbien tust.“20 Franz Joseph ging auf diesen Vorschlag aber nicht ein, sondern wartete ab und verhielt sich neutral. Als Frankreich und Großbritannien in den Krimkrieg eintraten, stellte sich erst recht die Frage, wie Österreich sich verhalten sollte. Am Wiener Hof gab es zwei Parteien: Das Militär und konservative Adelige waren für ein Bündnis 75
mit Russland, Außenminister Karl Ferdinand von Buol-Schauenstein und andere gemäßigt liberale Minister hingegen für eines mit den Westmächten. Die russlandfreundliche Richtung konnte zu Recht darauf verweisen, dass Russland dem Kaisertum in Ungarn zur Seite gestanden war und das autokratische System des Landes dem österreichischen Neoabsolutismus viel näher stand als der Konstitutionalismus der Westmächte. Die Russlandgegner fürchteten hingegen – ebenso berechtigt –, dass eine russische Expansion am Balkan das europäische Gleichgewicht entscheidend durcheinanderbringen und die österreichische Position damit massiv verschlechtern würde. Franz Joseph entschied sich für keine der beiden Richtungen und er tat das nicht ohne Grund. Wäre Österreich in den Krieg eingetreten, hätte es die Hauptlast der Kämpfe tragen müssen – und zwar unabhängig davon, für welche Seite es sich entschieden hätte, ganz einfach weil es geographisch zwischen den beiden Seiten lag. Außerdem hoffte der Kaiser, durch eine Politik der aktiven und bewaffneten Neutralität am meisten für Österreich zu erreichen. Auch wenn Franz Joseph gute Gründe dafür hatte, sich im Krimkrieg nicht eindeutig auf eine der beiden Seiten zu stellen, war die Durchführung dieser Politik doch sehr ungeschickt. Im Juni 1854 forderte Franz Joseph Zar Nikolaus ultimativ auf, die Donaufürstentümer zu räumen, und ließ sie dann selbst von öster reichischen Truppen besetzen. Beim Zaren konnte das nur den Eindruck von Undankbarkeit erzeugen. Franz Joseph war sich dessen auch bewusst und schrieb seiner Mutter: „Es ist hart gegen frühere Freunde auftreten zu müssen, allein in der Politik ist dies nicht anders möglich. … Vor allem muß man Österreicher sein.“21 Den Westmächten musste der österreichische Versuch, vom Krieg zu profitieren, ohne selbst zu kämpfen, hingegen als Ausdruck einer „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“-Mentalität erscheinen. Am Ende des Krieges musste Österreich die Donaufürstentümer räumen, nachdem es enorme Summen für deren Besetzung und die Mobilmachung der Armee 76
ausgegeben hatte. Nicht zuletzt wegen dieser ungeheuren Belastung des Budgets gelang es im Neoabsolutismus nie, die Staatsfinanzen auch nur halbwegs zu ordnen. Durch den Krimkrieg verlor Österreich die Unterstützung Russlands, ohne dass es dafür Großbritannien oder Frankreich als dauerhafte Verbündete gewonnen hätte.
Der Krieg in Italien Franz Joseph verhielt sich im Krimkrieg insgesamt ungeschickt und hatte auch einfach kein Glück. Im Gegensatz dazu konnte ein europäischer Politiker den Krieg sehr geschickt für die Interessen seines Landes nützen: Camillo Benso von Cavour ließ als Ministerpräsident 1855 Sardinien-Piemont auf der Seite der Westmächte in den Krieg eintreten. Sardinien-Piemont hatte keinerlei direkte Berührungspunkte oder Konflikte mit Russland, aber für Cavour war der Kriegseintritt eine günstige Gelegenheit, die Unterstützung der Westmächte in Italien zu erlangen. Besonders bei Napoleon III., dem Kaiser der Franzosen, fand Cavour die gewünschte Unterstützung. 1858 schlossen Frankreich und Sardinien-Piemont in Plombières-les-Bains einen Geheimvertrag, in dem Napoleon sich verpflichtete, Sardinien gegen Österreich militärisch beizustehen. Die Bündnisverpflichtung sollte aber nur dann eintreten, wenn Österreich der Angreifer war. Somit musste Cavour daran gelegen sein, einen österreichischen Angriff zu provozieren. Das galt umso mehr, als umgekehrt der Deutsche Bund verpflichtet war, Österreich bei einem französisch-italienischen Angriff zu unterstützen – allerdings nur dann, wenn ein Teil des Kaisertums angegriffen wurde, der auch zum Deutschen Bund gehörte. Beim Pariser Neujahrsempfang für das diplomatische Corps am Neujahrstag 1859 sagte Napoleon III. zum österreichischen Gesandten Alexander Baron Hübner: „Ich bedauere, dass unsere Beziehungen nicht so gut sind, als ich es wünschte, ich bitte Sie aber, nach Wien zu berichten, dass meine Gefühle für den Kaiser immer die gleichen sind.“22 Dieser Satz scheint für sich genommen denkbar harmlos, 77
doch im Rahmen der zurückhaltenden diplomatischen Sprache des 19. Jahrhunderts war allen Anwesenden klar, dass die Beziehungen zwischen Frankreich und Österreich einen Tiefpunkt erreicht hatten und eine bewaffnete Auseinandersetzung möglich bis wahrscheinlich war. Sardinien begann sich vorzubereiten und mobilisierte seine Armee. Ob auch Napoleon III. gezielt auf einen Krieg hinarbeitete, war für die österreichische Politik hingegen schwer abzuschätzen. Franz Joseph wollte es jedenfalls lange nicht glauben. Er ging davon aus, dass eine Politik der Stärke gegenüber Sardinien Napoleon III. beeindrucken und so von einer Intervention abhalten würde. Daher stellte die österreichische Regierung Sardinien am 19. April ein Ultimatum, in dem sie verlangte, die Rüstungen sofort einzustellen – falls nicht, würden österreichische Truppen in das Königreich einmarschieren. Damit tappte Franz Joseph in die Falle, die Cavour und Napoleon ihm gestellt hatten. Österreich war nun der Aggressor, und Frankreich entsprach, indem es Sardinien unterstützte, nur seinen vertraglichen Verpflichtungen. Der Deutsche Bund hingegen hatte, da Österreich nicht angegriffen worden war, keinerlei Beistandspflicht. Der Krieg war kurz und brachte für Österreich bei Magenta und Solferino zwei deutliche, wenn auch nicht katastrophale Niederlagen. Franz Joseph hatte gehofft, dass Preußen ihn gegen Frankreich unterstützen würde, obwohl kein Gebiet des Deutschen Bundes angegriffen worden war. Tatsächlich war Preußen dazu bereit, aber es verlangte im Gegenzug, dass sich Österreich aus dem Deutschen Bund zurückzog – und dazu war der Kaiser nicht bereit. Vor diesem Hintergrund bemühte sich Franz Joseph, möglichst schnell Frieden zu schließen. Der Preis dafür war die Lombardei. Österreich musste sie zum größten Teil abtreten, konnte aber Venetien behalten. Das wurde im Vorfrieden von Villafranca und dem darauffolgenden Frieden von Zürich vereinbart. Der Vorfrieden sah außerdem vor, dass in Italien ein Staatenbund unter dem Vorsitz des Papstes gegründet werden sollte, dem auch Österreich mit seinen italienischen Besitzungen angehören würde. 78
Dieser Bund wurde aber nie realisiert. Nachdem es in den meisten italienischen Staaten zu Aufständen gekommen war, wurden im Lauf des Jahres 1860 Volksabstimmungen abgehalten, die durchwegs eine große Mehrheit für den Anschluss an Sardinien-Piemont brachten. 1861 wurde dann der piemontesische König Vittorio Emanuele zum König von Italien ausgerufen. Franz Joseph sah darin einen Verstoß gegen die Vereinbarungen von Villafranca und Zürich und weigerte sich hartnäckig, das neue Königreich Italien anzuerkennen. Für ihn war Vittorio Emanuele zwar der König von Sardinien, aber bestenfalls der „angebliche König von Italien“. Von Napoleon III. meinte der Kaiser, er „ist und bleibt trotz allem ein Schuft“23, und Preußen bezeichnete er 1859 als „schmählichen Auswurf“24.
Die Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in Deutschland Der Krieg in Italien war vor allem wegen der Situation in Deutschland so schnell beendet worden. Franz Joseph hatte nach kurzer Zeit Frieden geschlossen, weil er die erhoffte preußische Unterstützung nicht erhielt – zumindest nicht zu Bedingungen, die für ihn annehmbar waren. Napoleon III. hingegen wollte vermeiden, dass Preußen vielleicht doch noch in den Krieg eingriff, und war deshalb friedensbereit. Franz Joseph hoffte zwar, die Lombardei bei nächster Gelegenheit wieder zurückzuerobern, aber der eigentliche Fokus seiner Außenpolitik lag in der Folge auf Deutschland und damit auf der Auseinandersetzung mit Preußen. Dort wurde 1862 jener Mann zum Ministerpräsidenten ernannt, der Franz Josephs großer Gegenspieler in dieser Auseinandersetzung werden sollte: Otto (später Graf, schließlich Fürst) von Bismarck. Das außenpolitische Ziel des neuen Ministerpräsidenten war von Anfang an, die Position Preußens in Deutschland zu stärken. Es war klar, dass dies nur zu Lasten Österreichs gehen konnte. 1863 versuchte Franz Joseph die österreichische Position in Deutschland zu verbessern, indem er eine Reform des Deutschen 79
Bundes vorschlug. Im Sommer lud er die Oberhäupter aller deutschen Staaten zu einem Fürstentag nach Frankfurt, um dort seine Pläne vorzustellen. Der Deutsche Bund sollte weiterhin ein Staatenbund bleiben, aber ein Direktorium – eine Art Bundesregierung – sowie eine bundesweite Volksvertretung bekommen. Er wäre damit eine deutlich stärkere Einheit geworden als bisher. Für den konservativen österreichischen Kaiser war es ein großer Schritt, von sich aus eine Art deutsches Parlament vorzuschlagen – immerhin hatte er in Österreich alle Schritte in Richtung Konstitutionalismus nur widerstrebend und unter Druck akzeptiert. Franz Joseph selbst schätzte die Situation seiner Mutter gegenüber folgendermaßen ein: „Es ist der letzte Versuch, Deutschland zu einigen, um es der Aufgabe gewachsen zu machen, die es zum Gleichgewicht und Frieden Europas erfüllen sollte … Leider will sich Preußen aus Eifersucht und Verblendung an dem Werke nicht beteiligen, wodurch die Sache sehr erschwert wird.“25 Der Kaiser sollte mit seinen Befürchtungen recht behalten. Der Fürstentag in Frankfurt war mit über 40 deutschen Staatsoberhäuptern zwar eine glanzvolle Veranstaltung, auf der Franz Joseph einen großen Auftritt hatte. Der entscheidende Mann fehlte aber: der preußische König Wilhelm I. Franz Joseph hatte ihn im Vorhinein persönlich eingeladen, und nach dem Beginn des Fürstentags schrieben alle anderen Teilnehmer Wilhelm einen Brief, in dem sie ihn aufforderten, nach Frankfurt zu kommen; der König von Sachsen wurde in einem eigenen Sonderzug zu Wilhelm geschickt, um ihm diesen Brief zu übergeben. Wilhelm war von dieser Einladung sehr beeindruckt und wollte ihr schon folgen, doch Bismarck stimmte ihn in einer schweren Auseinandersetzung mit Tränen, Rücktritts- und sogar Selbstmorddrohungen nachträglich um. Der preußische König kam also nicht nach Frankfurt und damit waren der Fürstentag und die österreichischen Reformpläne gescheitert. Ohne oder gegen Preußen wollten die deutschen Klein- und Mittelstaaten nämlich keiner Reform des Bundes zustimmen. 80
In der nächsten Zeit bemühten sich Franz Joseph und seine Regierung daher um eine Zusammenarbeit mit Preußen. Eine Gelegenheit für eine gemeinsame Aktion ergab sich schon 1863/64, als es zu einem Konflikt mit Dänemark kam. Der König von Dänemark war nämlich gleichzeitig Herzog von Schleswig, Holstein und Lauenburg, wobei Holstein und Lauenburg zum Deutschen Bund gehörten, Schleswig aber nicht. Im Londoner Protokoll von 1852 hatte sich Dänemark verpflichtet, allen drei Herzogtümern ihre Selbstständigkeit zu belassen und die Verbindung mit Dänemark auf eine reine Personalunion zu beschränken. Außerdem war festgelegt worden, dass Dänemark zu Schleswig keine engere Bindung herstellen durfte als zu Holstein. Genau dies geschah aber durch die dänische Novemberverfassung von 1863. Noch Ende 1863 beauftragte der Deutsche Bund Österreich und Preußen, Holstein und Lauenburg zu besetzen, und im Jänner 1864 forderten die beiden deutschen Großmächte Dänemark ultimativ auf, die Novemberverfassung aufzuheben und auch Schleswig zu räumen. Dänemark entsprach diesem Ultimatum nicht und es kam zum Krieg. Der Krieg endete nach wenigen Monaten mit einem klaren Sieg der Österreicher und Preußen und Dänemark musste auf alle drei Herzogtümer verzichten. Zunächst verwalteten Österreich und Preußen die eroberten Gebiete gemeinsam im Auftrag des Deutschen Bundes, doch bald kam es gerade wegen dieser Verwaltung zu Konflikten. 1865 einigte man sich – ohne den Deutschen Bund hinzuzuziehen – in der Gasteiner Konvention darauf, dass Preußen Schleswig und Lauenburg verwalten sollte und Österreich Holstein. Auch diese Einigung konnte den Konflikt nicht lösen. Wie es mit Holstein weitergehen sollte, blieb weiter umstritten, und ein Krieg wurde immer wahrscheinlicher. Am 8. April 1866 schlossen Preußen und Italien ein gegen Österreich gerichtetes Bündnis. Es war im Gegensatz zum Vertrag von Plombières-les-Bains von 1858 ein Angriffspakt: Italien verpflichtete sich, Preußen in einem Krieg gegen Österreich zu unterstützen, auch 81
wenn Preußen der Angreifer war; allerdings war der Pakt auf drei Monate befristet. Allein diese Befristung zeigte, dass Bismarck 1866 gezielt auf einen Kriegsausbruch noch im Frühjahr oder Frühsommer dieses Jahres hinarbeitete. Auch Franz Joseph bereitete sich auf einen Krieg vor und schrieb Ende April an seine Mutter: „Was die politischen Verhältnisse anbelangt, so geht es immer mehr dem Kriege entgegen, und ich kann mir nicht denken, wie er noch mit Ehre zu vermeiden sein könnte. … eine gründliche, Dauer versprechende Verständigung mit Preußen … scheint mir rein unmöglich ohne Abdizierung unserer Großmachtstellung und so muss man dem Kriege mit Ruhe und mit Vertrauen auf Gott entgegensehen, denn nachdem wir schon so weit gegangen sind, verträgt die Monarchie eher einen Krieg als einen langsamen aufreibenden faulen Frieden.“26 Am 1. Juni legte Österreich die Frage nach der Zukunft Holsteins dem Deutschen Bund vor. Das war einerseits ein Versuch, diese Frage durch das zuständige Gremium entscheiden zu lassen, andererseits eine bewusste Provokation Preußens, da es ja zwischen den beiden Großmächten eine gültige Vereinbarung in Form der Gasteiner Konvention gab. Bismarck reagierte, indem er preußische Truppen in Holstein einmarschieren ließ. Damit begann für Österreich ein Zweifrontenkrieg: gegen Preußen im Norden und Italien im Süden. Der Kaiser und seine Regierung mussten sogar einen Dreifrontenkrieg befürchten, falls auch Frankreich in den Krieg eingreifen würde. Also erkaufte sich Franz Joseph die französische Neutralität am 12. Juni 1866 in einem seltsamen Vertrag mit Napoleon III., in dem er selbst für den Fall eines österreichischen Sieges zusagte, auf Venetien zu verzichten. Der Krieg von 1866 war kurz und wurde in zwei schweren Schlachten entschieden. Am 24. Juni konnte die österreichische Südarmee unter Erzherzog Albrecht bei Custozza die italienische Armee besiegen, aber am 3. Juli fügten die preußischen Truppen der österreichischen Nordarmee, kommandiert von Ludwig Ritter von 82
Benedek, bei Königgrätz eine schwere Niederlage zu. Damit hatte Österreich den Krieg verloren. Am 20. Juli besiegte die österreichische Kriegsmarine bei Lissa unter Admiral Wilhelm von Tegetthoff zwar noch die italienische Flotte, aber dieser Sieg konnte nichts mehr daran ändern, dass Österreich den Krieg insgesamt verloren hatte. Am 26. Juli wurde in Nikolsburg ein Waffenstillstand vereinbart und am 23. August in Prag ein endgültiger Friedensvertrag geschlossen. Österreich musste das 1861 gegründete Königreich Italien anerkennen und Venetien an dieses abtreten. Gegenüber Preußen musste Österreich auf seine Rechte an Schleswig, Holstein und Lauenburg verzichten, aber keine eigenen Gebiete abtreten. Der preußische König hätte nach dem Sieg gerne österreichische Gebiete annektiert, aber Bismarck überredete ihn, darauf zu verzichten. Österreich musste nur der Auflösung des Deutschen Bundes und einer Neugestaltung Deutschlands ohne österreichische Beteiligung zustimmen. Damit hatte Bismarck sein Ziel erreicht: Österreich machte den Weg für die deutsche Einigung im Sinne der kleindeutschen Lösung frei. Die Niederlage von 1866 muss für Franz Joseph besonders schmerzhaft gewesen sein, denn sie besiegelte das Ende der österreichischen Vorherrschaft in Italien und führte dazu, dass Österreich seine Stellung in Deutschland verlor. In einem Brief an seine Mutter zog er folgendes Resümee: „… wir waren sehr ehrlich, aber sehr dumm. … Wenn man alle Welt gegen sich und gar keinen Freund hat so ist wenig Aussicht auf Erfolg, aber man muß sich so lange wehren, als es geht, seine Pflicht bis zuletzt tun und endlich mit Ehre zu Grunde gehen. Man glaubt immer noch, man habe geträumt, wenn man zurückdenkt, wie das Unglück uns Schlag auf Schlag auf verfolgt hat, wie berechtigte Hoffnungen in wenigen Stunden zerronnen sind und wie die besten Kräfte dieser braven und so unglücklichen Armee tot oder Krüppeln sind.“27 Franz Joseph erkannte, dass seine Politik dumm beziehungsweise ungeschickt gewesen war; leider führte er seiner 83
Mutter gegenüber nicht aus, worin die Dummheit seiner Meinung nach bestanden hatte. Es ist aber klar, dass eine Ungeschicklichkeit der österreichischen Außenpolitik vor 1866 in einer Kombination von Formalismus und mangelnder Flexibilität bestand. Das wird zum Beispiel am Umgang mit dem neuen Königreich Italien deutlich. Dessen Gründung widersprach zweifelsohne den Verträgen von Villafranca und Zürich. Insofern befand sich der Kaiser im Recht, wenn er sich weigerte, das Königreich anzuerkennen. Dieser formelle Rechtsstandpunkt nahm den Charakter einer Realitätsverweigerung an, als alle anderen Großmächte Italien anerkannten, aber er entsprach Franz Josephs Vorstellungen von Geradlinigkeit und Ehre. Überhaupt wird in seinen außenpolitischen Äußerungen an seine Mutter deutlich, dass der Begriff der Ehre für sein Verständnis von Außenpolitik ganz zentral war. Deshalb war es für den Kaiser undenkbar, auf einen Teil seines Reiches zu verzichten, solange er nicht durch einen Krieg dazu gezwungen wurde. Vor 1866 hatte es immer wieder Vorschläge gegeben, Venetien an Italien zu verkaufen oder gegen andere Gebiete, beispielsweise die Donaufürstentümer, einzutauschen. So etwas war für Franz Joseph absolut inakzeptabel. Erst als der Krieg bereits begonnen hatte, war er bereit, Venetien abzutreten, um sich die französische Neutralität zu sichern. Gleichzeitig entsprach es seiner Vorstellung von Ehre, gegen Italien zu kämpfen, obwohl er Venetien so oder so abtreten würde. Daran konnte auch der Sieg von Custozza nichts mehr ändern. In dieser Schlacht wurde daher eigentlich mehr für die Ehre des Kaisers und seines Reiches gekämpft als für den Erhalt Venetiens. Franz Josephs Vorstellung von Ehre besagte, dass man nicht kampflos aufgeben durfte, sondern besser mit Anstand, also kämpfend, untergehen sollte. Dass diese Auffassung bedeutete, dass tausende Soldaten in Schlachten ihr Leben verloren, nahm der Kaiser in Kauf – genauso wie die meisten anderen Politiker und Monarchen seiner Epoche. 84
Die Gründung des Deutschen Reiches Durch den Sieg über Österreich hatte Bismarck freie Hand für die Neugestaltung Deutschlands unter preußischer Vorherrschaft. 1867 gründete er den Norddeutschen Bund, einen Bundesstaat aller deutschen Staaten nördlich des Mains, in dem Preußen eindeutig die dominierende Macht war. Der Frieden von Prag hatte die Möglichkeit offengelassen, dass sich auch die süddeutschen Staaten zu einem eigenen Bund zusammenschließen, doch dazu kam es nie. Stattdessen schloss Preußen noch 1867 sogenannten Schutz- und Trutzbündnisse mit den süddeutschen Staaten ab. Sie verpflichteten beide Seiten zur vollen gegenseitigen Unterstützung in jedem Kriegsfall. Dazu kam es schon 1870 mit dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges. Die süddeutschen Staaten kämpften gemeinsam mit Preußen und dem Norddeutschen Bund und besiegten Frankreich. Ende des Jahres traten sie dem Norddeutschen Bund bei, aus dem damit das Deutsche Reich wurde. Am 18. Jänner 1871 wurde der preußische König Wilhelm I. von Bismarck in Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert. Damit war die deutsche Einigung im kleindeutschen Sinn abgeschlossen. Nach dem preußisch-deutschen Sieg über Frankreich war auch Franz Joseph endgültig klar, dass er die Neuordnung Deutschlands ohne Österreich akzeptieren musste. In der Zeit nach der Niederlage von Königgrätz hatte er sehr wohl mit dem Gedanken geliebäugelt, dass sich eine Gelegenheit zur Revanche ergeben könnte. Da ein Krieg zwischen Frankreich und Preußen immer wahrscheinlicher wurde, bemühten sich sowohl Franz Joseph als auch Napoleon III. Ende der 1860er-Jahre um eine gegenseitige Annäherung. So besuchte Franz Joseph 1867 Paris und schrieb begeistert an seine Frau Elisabeth: „Ich habe viel von Paris erwartet, aber ich bin dennoch paff, denn so überwältigend schön dachte ich es mir doch nicht.“28 Ein förmliches Bündnis mit Frankreich schloss er am Ende allerdings nicht. Als Napoleon III. dann – von Bismarck provoziert – Preußen am 19. Juli 1870 den Krieg erklärte, musste sich Österreich-Ungarn 85
entscheiden, ob es Frankreich aktiv unterstützen oder neutral bleiben sollte. Erzherzog Albrecht, der im Kriegsfall der Oberkommandant der Armee gewesen wäre, und andere hohe Militärs waren dafür, auf französischer Seite in den Krieg einzutreten. Die Mehrheit der Minister aber sprach sich dagegen aus. Dabei spielten mehrere Faktoren eine Rolle: Die österreichisch-ungarische Armee befand sich nach der Niederlage von Königgrätz mitten in einer Phase der Reorganisation und war deshalb nicht sonderlich kriegsbereit. Da außerdem Frankreich formell der Angreifer war, musste man damit rechnen, in Süddeutschland jegliche Sympathie zu verlieren, wenn man sich auf die Seite des antideutschen Aggressors stellen sollte. So wäre ein Kriegseintritt auf der Seite Frankreichs keine gute Möglichkeit gewesen, Einfluss in (Süd-)Deutschland zurückzugewinnen. Schließlich war klar, dass die russischen Sympathien der preußischen Seite galten. Russland beteiligte sich im Endeffekt nicht aktiv am Krieg, aber im Sommer 1870 musste Österreich-Ungarn durchaus damit rechnen, dass Russland auf preußischer Seite in den Krieg eintreten würde, falls Österreich-Ungarn auf Seiten Frankreichs kämpfen sollte. Franz Joseph folgte den Argumenten gegen eine Intervention auf französischer Seite. Im Sommer 1870 entschied er sich, vorerst abzuwarten. Im August und den ersten Septembertagen errangen die preußisch-deutschen Armeen aber so viele Siege, dass der Krieg im Wesentlichen entschieden war. Damit erübrigte sich ein österreichisch-ungarischer Kriegseintritt. Franz Joseph war vom Erfolg der preußischen Armee sehr beeindruckt, meinte aber doch: „dass ich mich darüber freue, werden Sie nicht erwarten“.29
Der Berliner Kongress und der Zweibund Nachdem Österreich 1866 seine Position in Deutschland und in Italien verloren hatte, konzentrierte sich die Außenpolitik der Habsburgermonarchie auf den Balkan. Die beiden anderen Mächte, für deren Interessen der Balkan eine große Rolle spielte, waren Russland 86
und das Osmanische Reich, und der Balkan sollte auch Bedeutung für das künftige Verhältnis zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich haben. 1875/76 kam es in verschiedenen Teilen des Balkans, der damals noch weitgehend unter osmanischer Oberhoheit stand, zu Aufständen. 1877 griff Russland in diese Konflikte ein und erklärte dem Osmanischen Reich den Krieg, nachdem es sich durch einen Geheimvertrag mit Österreich-Ungarn abgesichert hatte. Darin verpflichtete sich Österreich-Ungarn, bei einem russischen Angriff wohlwollende Neutralität zu bewahren; dafür war Russland damit einverstanden, dass Österreich-Ungarn Bosnien und die Herzegowina besetzte. Schließlich wurde vereinbart, dass am Balkan kein großer slawischer Staat entstehen sollte, der das europäische Gleichgewicht stören würde. Der russisch-türkische Krieg endete mit einem klaren Sieg der russischen Truppen. Der im März 1878 geschlossene Frieden von San Stefano sah vor, dass das Osmanische Reich eine Provinz am Rande des Kaukasus an Russland abtrat und dass am Balkan Rumänien, Bulgarien, Serbien und Montenegro unabhängige Staaten werden sollten. Bulgarien wäre nach den Bestimmungen dieses Friedens ein großer Staat unter russischem Einfluss geworden. Das widersprach aus österreichisch-ungarischer Sicht dem Geheimvertrag mit Russland. Nicht nur in Österreich-Ungarn, sondern auch in Großbritannien war man über den russischen Machtzuwachs, den der Vertrag von San Stefano bedeutete, sehr beunruhigt. In dieser Situation schlug der österreichisch-ungarische Außenminister Andrássy mit Rückendeckung des Kaisers einen internationalen Kongress vor, um die offenen Fragen zu klären. Dieser Vorschlag wurde von Großbritannien unterstützt, und Bismarck bot an, den Kongress in Berlin zu veranstalten. Da Russland keinen Krieg mit anderen Großmächten riskieren wollte, war es zur Teilnahme bereit. So fand noch 1878 der Berliner Kongress statt, auf dem der Friede von San Stefano revidiert wurde. 87
Neben anderen Detailregelungen wurde Bulgarien deutlich verkleinert und blieb unter osmanischer Oberhoheit. Für Österreich-Ungarn brachte der Berliner Kongress die einzige Gebietserweiterung in Franz Josephs Regierungszeit: Es wurde nämlich ermächtigt, Bosnien und die Herzegowina zu okkupieren. Das bedeutete, dass Bosnien-Herzegowina durch österreichisch-ungarische Truppen besetzt und von nun an von Österreich-Ungarn verwaltet wurde. Dennoch blieb eine rein nominelle Oberhoheit des osmanischen Sultans über Bosnien-Herzegowina bestehen. Diese eigenartige Konstruktion wurde nicht zuletzt aus Gründen der österreichisch-ungarischen Innenpolitik gewählt. Wenn Bosnien-Herzegowina ein vollwertiger Teil der Habsburgermonarchie geworden wäre, hätte sich die Frage gestellt, wie man die neuen Gebiete in die beiden Reichshälften integriert. Vor allem aus Sicht des ungarischen Außenministers Andrássy war eine volle Integration nicht wünschenswert: Wäre Bosnien-Herzegowina zur österreichischen Reichshälfte gekommen, hätte diese im Vergleich zur ungarischen erheblich an Größe und Gewicht gewonnen. Wäre es zur ungarischen Reichshälfte gekommen, hätte es dort eine deutliche slawische Mehrheit gegeben, und das wäre keineswegs im Sinne der Magyaren gewesen. Also gehörte Bosnien-Herzegowina ab 1878 zwar de iure weiterhin zum Osmanischen Reich, war de facto aber ein Teil Habsburgermonarchie. Dabei sollte es für 30 Jahre bleiben. In Österreich-Ungarn ging man davon aus, dass es ein reiner Formalakt sein würde, Bosnien-Herzegowina zu okkupieren. Andrássy etwa meinte, dafür müsse die Entsendung einer Militärkapelle reichen. Tatsächlich dauerte es aber bis 1882, bis Bosnien-Herzegowina ganz erobert und „befriedet“ war. Für Franz Joseph bedeutete es jedenfalls sehr viel, dass er sein Reich erweitern konnte. Sein Sohn Rudolf meinte in einem Brief an seinen Erzieher: „Die Hinzufügung zweier Länder zur Monarchie macht Papa, so wie wir es ja schon 88
lange wissen, sehr viel Freude. Ich glaube, dass er in Bosnien und der Herzegowina einen Ersatz für die Lombardei und Venetien sucht.“30 Der Berliner Kongress hatte zu einer deutlichen Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Russland und dem Deutschen Reich geführt. Bismarck war daher auf der Suche nach neuen Verbündeten und bot Österreich-Ungarn ein allgemeines Defensivbündnis an. Franz Joseph und Andrássy zeigten Interesse, wollten aber ein nur gegen Russland gerichtetes Bündnis. Nach längeren Verhandlungen stimmte Bismarck zu und am 7. Oktober 1879 wurde der Zweibund geschlossen: Deutschland und Österreich-Ungarn verpflichteten sich, den jeweils anderen Staat bei einem russischen Angriff militärisch voll zu unterstützen. Für alle anderen Fälle wurde eine wohlwollende gegenseitige Neutralität vereinbart. Was Franz Joseph bei sich dachte, als er 13 Jahre nach Königgrätz ein Bündnis mit seinem Gegner von damals abschloss, ist nicht überliefert. Seine Mutter war 1872 gestorben und seine ganz persönliche politische Meinung vertraute er niemandem anderen so an, wie er es in seinen Briefen an sie getan hatte. Jedenfalls zog der Kaiser das Bündnis mit dem Deutschen Reich bis zu seinem Tod nie mehr in Zweifel. Ähnlich wie er nach 1867 innenpolitisch am Ausgleich mit Ungarn festhielt, hielt er seit 1879 außenpolitisch am Zweibund fest. Am Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte Edward VII. von Großbritannien mehrfach, Franz Joseph zu einer Lockerung des Bündnisses mit Deutschland zu überreden, blieb damit aber völlig erfolglos. 1882 trat mit Italien auch der zweite Gegner von 1866 dem Zweibund bei, und das Bündnis erweiterte sich zum Dreibund.
Die Annexionskrise Die letzten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts waren für die österreichisch-ungarische Außenpolitik insgesamt eine ruhige Epoche. Die Monarchie wollte vor allem den Status quo erhalten und beteiligte sich nicht am Kolonialismus der anderen Großmächte. Das 89
wesentliche Interessengebiet der Monarchie war der Balkan, und dort gelang es, größere Konflikte mit dem potenziellen Rivalen Russland zu vermeiden. Das 20. Jahrhundert brachte aber eine tiefgreifende Destabilisierung der Lage am Balkan. 1903 wurde in Serbien der österreichfreundliche König Alexander aus der Dynastie der Obrenovic ermordet. Sein Nachfolger Peter I. Karadjordjevic verfolgte eine antiösterreichische und prorussische Politik. Drei Jahre später wurden in Österreich-Ungarn zwei Schlüsselposition neu besetzt: Im Herbst 1906 wurde Alois Lexa Freiherr von Aehrenthal Außenminister und Franz Conrad von Hötzendorf Chef des Generalstabs. Beide hatten eigene Ideen für die Außenpolitik der Habsburgermonarchie. Conrad war überzeugt, dass die Probleme der Monarchie sich nur durch Krieg lösen ließen, und trat daher für einen Präventivkrieg gegen Italien oder Serbien ein. Aehrenthal hingegen wollte Reformen im Inneren mit außenpolitischen Aktionen kombinieren. Innenpolitisch trat Aehrenthal für den Trialismus ein. Er wollte die durch den Ausgleich von 1867 geschaffene Zweiteilung der Monarchie also durch eine Dreiteilung ersetzen. Neben der österreichischen und der ungarischen Reichshälfte sollte es einen eigenen südslawischen Reichsteil geben. Südslawen gab es in beiden Teilen der Monarchie (insbesondere Slowenen in der österreichischen Reichshälfte und Kroaten in der ungarischen) und natürlich in Bosnien-Herzegowina, wo Kroaten, Serben und Bosniaken (bosnische Muslime) lebten. Die Anhänger des Trialismus gingen davon aus, dass eine Dreiteilung der Monarchie innen- und außenpolitische Vorteile haben würde. Innenpolitisch erhofften sie sich eine Entschärfung des Nationalitätenkonflikts – auch wenn ein eigener südslawischer Reichsteil den deutsch-tschechischen Konflikt in Böhmen nicht hätte lösen können. Solange Bosnien-Herzegowina von Österreich-Ungarn aber nur verwaltet wurde, war es nicht möglich, aus Bosnien und den südslawischen Gebieten der beiden Reichshälften einen neuen, gleichberechtigten Reichsteil zu machen. Somit war eine Annexion 90
Bosniens die außenpolitische Voraussetzung dafür, die Monarchie im Inneren trialistisch umgestalten zu können. Eine Annexion bedeutete im Gegensatz zur bloßen Okkupation, dass Bosnien nicht nur von Österreich-Ungarn verwaltet wurde, sondern auch rechtlich ein vollwertiger Teil der Habsburgermonarchie war. Aehrenthal war allerdings Außenminister und als solcher nicht für die innere Gestaltung der Monarchie zuständig; ja nach den Ausgleichsgesetzen war es ihm sogar ausdrücklich untersagt, innenpolitische Funktionen zu übernehmen. Dazu kam, dass Franz Joseph strikt darauf achtete, dass sich seine Minister nicht in Angelegenheiten mischten, die außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches lagen. Es ist also schwer vorstellbar, dass der Kaiser gerade die Pläne seines Außenministers zur inneren Umgestaltung der Monarchie unterstützt hätte – und zwar unabhängig von deren Inhalt, schon allein, weil sie vom Außenminister kamen. Auch inhaltlich war Franz Joseph kein Freund einer trialistischen Reform, weil er den Ausgleich mit Ungarn nicht in Frage stellen wollte. Im Gegensatz dazu liebäugelte sein Neffe und Thronfolger Franz Ferdinand, der sich Aehrenthals Ernennung eingesetzt hatte, zumindest mit dem Trialismus. Außenpolitisch erhoffte sich Aehrenthal, dass eine Annexion Bosniens ein deutliches Zeichen der Stärke der Habsburgermonarchie sein würde; ein Signal gegen die südslawisch-großserbischen Expansionstendenzen des Königreichs Serbien. Diesem außenpolitischen Aspekt einer Annexion konnte auch der Kaiser etwas abgewinnen. Eine Gelegenheit, die Annexionspläne umzusetzen, kam 1908. Im Sommer dieses Jahres kam es im Osmanischen Reich zur jungtürkischen Revolution. Im Juli beschlossen die Jungtürken, eine liberal-konstitutionell ausgerichtete Reformbewegung, dass in Konstantinopel ein Osmanisches Parlament zusammentreten sollte. In das neue Parlament sollten Abgeordnete aus allen Provinzen entsandt werden, und da Bosnien-Herzegowina formell immer noch unter osmanischer Oberhoheit standen, hätte das bedeuten können, dass auch dort Wahlen 91
für das Osmanische Parlament durchgeführt werden. Das wäre mit der faktischen Herrschaft der Habsburgermonarchie über Bosnien nicht vereinbar gewesen und bot so einen willkommenen Anlass für die Annexion. Der Kaiser erklärte daher in einem Handschreiben, „die Rechte Meiner Souveränität auf Bosnien und die Herzegowina zu erstrecken.“31 Es ist typisch für Franz Josephs Formalismus, dass er danach, nämlich 1910, zum ersten Mal nach Bosnien reiste, weil er eben erst durch die Annexion auch de iure der Herrscher von Bosnien-Herzegowina geworden war. Die Annexion veränderte an den tatsächlichen Verhältnissen in Bosnien-Herzegowina nur wenig; trotzdem gab es heftige Reaktionen. Das Osmanische Reich reagierte zunächst mit einem Boykott aller österreichisch-ungarischen Produkte. Dieser Konflikt konnte aber am vergleichsweise einfachsten behoben werden, indem Österreich-Ungarn Anfang 1909 eine erhebliche Abfindung an das Osmanische Reich zahlte. Schwerwiegender waren die Auswirkungen der Annexion auf das Verhältnis zu Russland und Serbien. Obwohl Aehrenthal den russischen Außenminister Iswolski vorab bei einem informellen Treffen in Buchlau grundsätzlich über die geplante Annexion informiert hatte, gab es in Russland einen Sturm der Entrüstung. Auch in Serbien kam es zu wütenden Protesten, weil serbische Nationalisten Bosnien-Herzegowina als Teil des von ihnen angestrebten Großserbien ansahen. Sowohl Serbien als auch Russland mobilisierten Teile ihrer Armeen und für einige Wochen schien ein Krieg durchaus im Bereich des Möglichen. Im Endeffekt kam es nicht dazu. Da Russland sich noch nicht von der Niederlage im Krieg gegen Japan 1904/05 erholt hatte, wollte die Regierung keinen neuen Krieg riskieren und akzeptierte die Annexion schließlich. Ohne russische Unterstützung konnte auch Serbien wenig unternehmen. Mit der Annexion Bosnien-Herzegowinas hatte Österreich-Ungarn insofern einen diplomatischen Sieg errungen, als sie trotz zahlreicher Proteste schlussendlich von allen anderen Mächten akzeptiert 92
wurde. Allerdings verschlechterte die Annexionskrise insbesondere das Verhältnis zu Russland und Serbien dauerhaft. Gerade deshalb war Österreich-Ungarn umso mehr auf das Deutsche Reich als einzigen Verbündeten angewiesen – und hatte somit einiges an außenpolitischer Flexibilität verloren. Innenpolitisch führte die Annexion nicht zum Trialismus – nicht zuletzt, weil der Kaiser überzeugt war, dass jedes Infragestellen des Ausgleichs mit Ungarn eine Destabilisierung der Monarchie mit unabsehbaren Folgen bedeutet hätte. Bosnien-Herzegowina wurde weder zum Kern eines dritten, südslawischen Reichsteils, noch wurde es Teil einer der beiden bestehenden Reichshälften. Wie schon bisher wurden Bosnien und die Herzegowina vom gemeinsamen Finanzminister verwaltet, nunmehr mit dem Status als Reichslande. 1910 erhielten die neuen Gebiete eine eigene Verfassung, wobei die ungarische Regierung größten Wert darauf legte, dass diese Reichslande keinen gleichberechtigten dritten Teil der Habsburgermonarchie bildeten. Damit konnte das Gleichgewicht zwischen den beiden Reichshälften erhalten werden, doch das südslawische Problem blieb ungelöst. Insbesondere waren viele bosnischen Serben mit der Situation unzufrieden und wollten lieber zum Königreich Serbien als zur Habsburgermonarchie gehören.
Der italienisch-osmanische Krieg und die Balkankriege Der Balkan und das Osmanische Reich kamen auch nach der Anne xionskrise nicht zur Ruhe. 1911 versuchte die italienische Regierung, die Schwäche des Osmanischen Reichs – das auch als der „kranke Mann am Bosporus“ bezeichnet wurde – auszunützen. Italien verlangte ultimativ die Abtretung der osmanischen Gebiete in Libyen. Als das Osmanische Reich dem nicht entsprach, kam es zum Krieg, den Italien nach einem Jahr gewann, und das Osmanische Reich verlor seine letzten nordafrikanischen Besitzungen. Während Russland und Großbritannien dem italienischen Engagement in Nordafrika positiv 93
gegenüberstanden, waren Italiens Dreibundpartner Deutschland und Österreich skeptisch und unterstützten die italienischen Ambitionen nicht. Der österreichische Generalstabschef Conrad sah während des italienisch-osmanischen Krieges wieder einmal den geeigneten Moment für einen Präventivkrieg gekommen. Da es seiner Meinung nach über kurz oder lang ohnehin zum Krieg mit Italien kommen würde, wollte er die günstige Gelegenheit nützen, Italien anzugreifen, während es woanders bereits in einen Krieg verwickelt war. Franz Joseph und Aehrenthal waren aber strikt gegen Conrads Präventivkriegsüberlegungen. Als Conrad am 15. November 1911 Aehrenthals Außenpolitik in einer Audienz beim Kaiser kritisierte, reagierte Franz Joseph scharf und deutlich. Er sagte zu Conrad: „Diese fortwährenden Angriffe, besonders die Vorwürfe wegen Italiens und des Balkans, die sich immer wiederholen, die richten sich gegen mich; die Politik mache ich, das ist meine Politik. Meine Politik ist eine Politik des Friedens. Dieser meiner Politik müssen sich alle anbequemen. In diesem Sinne führt mein Minister des Äußern meine Politik.“32 Kurz nach dieser Audienz entließ der Kaiser den Generalstabschef; allerdings berief er ihn nach einem Jahr wieder auf diesen Posten. Franz Josephs Aussage gegenüber Conrad macht zwei Dinge deutlich: Wie wichtig dem Kaiser der Frieden war und wie sehr er die Außenpolitik als seine ganz persönliche Angelegenheit betrachtete. Gerade in die Außenpolitik wollte er sich von niemandem hineinreden lassen; die gestaltete er zusammen mit dem Außenminister und deshalb empfand er Zwischenrufe von anderen leicht als persönliche Angriffe. Schon 1879 hatte er nach Kritik am damaligen Außenminister Andrássy festgehalten: „Sie reden immer von der Politik Andrassys, vergessen Sie nicht, das ist meine Politik.“33 Auch parlamentarische Einmischungen in die Außenpolitik waren dem Kaiser zuwider, doch die waren durch die Konstruktion des Ausgleichs von 1867 eher selten. Die Außenpolitik war ja eine gemeinsame Angelegenheit beider 94
Reichshälften und es gab kein gemeinsames Parlament. Das war einer der Gründe, aus denen Franz Joseph mit dem Ausgleich recht gut leben konnte. Der italienisch-osmanische Krieg hatte die Schwäche des Osmanischen Reiches, das noch immer einen bedeutenden Teil des Balkans beherrschte, noch deutlicher werden lassen. Vor diesem Hintergrund verbündeten sich Serbien, Bulgarien, Montenegro und Griechenland im Frühjahr und Sommer 1912. Dieser Balkanbund, der unter russischer Patronanz geschlossen wurde, griff im Herbst das Osmanische Reich an und fügte ihm eine eindeutige militärische Niederlage zu, in deren Folge es alle seine europäischen Gebiete – mit Ausnahme eines kleinen Gebiets westlich von Istanbul – verlor. Alle im Balkanbund verbündeten Staaten konnten sich so auf Kosten der Türkei deutlich vergrößern. Allerdings hatte man sich schon beim Abschluss des Bündnisses nicht über die Aufteilung einer allfälligen Beute einigen können. Daher kam es wenige Wochen nach dem Ende des ersten Balkankrieges zu einem zweiten, in dem Bulgarien gegen Serbien, Griechenland, Rumänien und schließlich auch das Osmanische Reich kämpfte. Bulgarien verlor den Krieg und nahezu alle Gebiete, die es zuvor im Ersten Balkankrieg gewonnen hatte. Österreich-Ungarn beteiligte sich, ebenso wie die anderen Großmächte, nicht direkt an den Balkankriegen, aber deren Ergebnisse beunruhigten die österreichisch-ungarische Außenpolitik. Serbien hatte sein Gebiet praktisch verdoppeln können und somit einen Teil der großserbischen Pläne verwirklicht. Das nächste Ziel der serbischen Nationalisten war Bosnien-Herzegowina, das aus nationalistischer Sicht ein historisches Kernland Serbiens war. Österreich-Ungarn wiederum wollte jeglichen serbischen Machtzuwachs verhindern; insbesondere sollte Serbien keinen direkten Zugang zur Adria bekommen. Daher unterstützte Österreich-Ungarn das Fürstentum Albanien, das zwischen Serbien und der Adria lag und 1912 seine Unabhängigkeit erklärt hatte. 95
Montenegro und Serbien weigerten sich auch nach dem Ende der Balkankriege, albanische Gebiete zu räumen. Erst als Leopold Graf Berchtold, Aehrenthals Nachfolger als Außenminister, in zwei Ultimaten (im Frühjahr an Montenegro, im Herbst an Serbien) die Räumung Albaniens forderte, zogen sich die montenegrinischen bzw. serbischen Truppen zurück. Diese Ultimaten waren nur deshalb erfolgreich, weil dahinter jeweils eine Teilmobilmachung der k. u. k. Armee als Drohgebärde stand. Derartige Mobilmachungen verschlangen Unsummen, und außerdem entstand bei den österreichisch-ungarischen Politikern der Eindruck, Serbien gebe diplomatischen Drohungen zwar kurzfristig nach, ändere aber seine Politik nicht dauerhaft. Daher waren sich die Beteiligten bei einer Sitzung des gemeinsamen Ministerrats im Oktober 1913 einig, dass es über kurz oder lang wahrscheinlich zu einer militärischen Auseinandersetzung mit Serbien kommen würde und man sich durch eine Verstärkung der Armee darauf vorbereiten sollte. Der nächste Konflikt mit Serbien kam, als Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 von bosnischen Serben ermordet wurde – und zwar mit Waffen aus serbischen Armeebeständen.
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Militär Kaiser Franz Joseph unterschied sich schon rein optisch in mehrfacher Hinsicht von seinem Vorgänger Ferdinand. Der war klein und körperlich auffallend unproportioniert, während der junge Franz Joseph ein für seine Zeit eher großer, schlanker und eleganter Mann war. Außerdem trug Franz Joseph als Kaiser praktisch immer Uniform, während Kaiser Franz II./I. und Kaiser Ferdinand im Alltag zivile Kleidung bevorzugt hatten. Franz Joseph hingegen konnte man allenfalls bei privaten Auslandsreisen und auf der Jagd in Zivil sehen. Mit dem Tragen der Uniform drückte der Kaiser einerseits aus, dass er immer „im Dienst“ war, andererseits entsprach es seiner großen Leidenschaft für alles Militärische.
Frühe Begeisterung Die militärische Ausbildung junger Prinzen war im 19. Jahrhundert in allen Herrscherhäusern – auch bei den Habsburgern – eine Selbstverständlichkeit. Insgesamt war der Wiener Hof in der ersten Jahrhunderthälfte nicht betont militärisch ausgerichtet, doch gerade in der Erziehung des kleinen Erzherzogs spielten militärische Dinge von Anfang an eine große Rolle. Einerseits war es Erzherzogin Sophie offenbar ein Anliegen, ihren Sohn ganz bewusst zum Offizier zu erziehen, andererseits traf sie damit auch genau die Interessen des Buben. Schon der einjährige Franz Joseph war von seinem Holzgewehr begeistert, und Sophie beschrieb ihrer Mutter ganz enthusiastisch, wie er Soldat spielte: „Du würdest nicht glauben, wie hübsch er das zu machen versteht. Er ist zum Fressen mit seinem kleinen Gewehr, seiner Grenadiermütze auf dem Kopf, seinem Säbel an der Seite und dem kleinen Tornister auf dem Rücken.“34 Als Franz Joseph 18 Monate alt war, konnte er schon zwischen Offizieren – die er „Azizis“ nannte – und einfachen Soldaten – für ihn „Dada“ – unterscheiden. Militärische Begriffe gehörten also zu seinen ersten Worten überhaupt. 97
Die militärische Begeisterung blieb auch beim jugendlichen Franz Joseph erhalten. Als er zu seinem 13. Geburtstag zum Oberst eines Kavallerieregiments ernannt wurde, war das nach seiner eigenen Aussage einer der glücklichsten Tage seines Lebens. Er war auf seinen neuen Rang so stolz, dass er von nun an mit „Franz, Oberst“ unterschrieb. Franz Josephs Offizierskarriere begann somit als Teenager mit dem höchsten Offiziersrang unterhalb der Generalität. Außerhalb des Kaiserhauses erreichten junge Männer mit knapp 20 Jahren den niedrigsten Offiziersrang, nämlich den eines Leutnants. Zum Oberst wurden „normale“ Offiziere – wenn überhaupt – mit etwa 40 Jahren ernannt. Bis 1848 nahm Franz Joseph immer wieder an militärischen Übungen teil und freute sich über jede Gelegenheit, seine Uniform zu tragen. Mit tatsächlichen Kampfhandlungen war er aber nicht konfrontiert – nicht zuletzt, weil das Kaisertum Österreich keine Kriege führte. Das änderte sich mit dem Ausbruch der Revolution: Im Frühsommer 1848 wurde Franz Joseph zu Feldmarschall Radetzky an den italienischen Kriegsschauplatz geschickt. Dort nahm er am 6. Mai an der Schlacht von Santa Lucia gegen die sardinisch-piemontesische Armee teil und erhielt so seine „Feuertaufe“. In einem Brief an seine Mutter schrieb er darüber: „Ich habe zum ersten Male die Kanonenkugeln um mich pfeifen gehört und bin ganz glücklich!“35 Radetzky und seine Offiziere bemühten sich, ihren zukünftigen Kaiser von allzu grausamen, aber auch von allzu gefährlichen Situationen fernzuhalten. Auch so bewies Franz Joseph aber deutlich, dass er in der Gefahrensituation einer Schlacht persönlich tapfer war und die Nerven behielt. Da er in Radetzkys Stab keine eigene militärische Funktion hatte, sondern im Wesentlichen ein besonders prominenter Beobachter war, hatte er keine Gelegenheit, selbst Truppen zu führen.
Von der Revolution bis Königgrätz Dabei blieb es zunächst auch, nachdem Franz Joseph Kaiser geworden war. An der Jahreswende 1848/49 stand die Monarchie in Ungarn noch 98
immer im Krieg und im April 1849 übernahm der Kaiser auch den Oberbefehl – leitete die Operationen aber nicht tatsächlich selbst. Nach der Niederschlagung der Revolution (zuletzt in Ungarn im Sommer 1849) gab es aus Franz Josephs Sicht vor allem einen Faktor, der ihm sein Reich erhalten hatte: die Armee. Seine persönliche Vorliebe für das Militärische wurde nun durch den Eindruck bestärkt, dass die Armee die wichtigste und verlässlichste Stütze des Throns war. Treue war daher aus seiner Sicht die wichtigste Anforderung an die Armee. 1849 schrieb er, dass „die Güte einer Armee nicht so sehr in gelehrten als in treuen und ritterlichen Offizieren liege.“36 Eine Gelegenheit, selbst Truppen zu führen, kam für den jungen Kaiser 1859 im Krieg gegen Frankreich und Sardinien-Piemont. Radetzky, der 1848/49 in Italien so erfolgreich gekämpft hatte, war 1858 gestorben. Also übernahm zunächst Feldzeugmeister Ferencz József Graf Gyulay das Oberkommando über die österreichischen Truppen. Karl Ludwig Graf Grünne, der Generaladjutant des Kaisers, schrieb zuversichtlich an Gyulay: „Was der alte Esel der Radetzky mit achtzig Jahren gekonnt hat, wirst Du auch noch zustande bringen.“37 Gyulay konnte es aber nicht. Er agierte langsam und unentschlossen, und als es bei Magenta zur ersten Schlacht des Krieges kam, wurden die von ihm geführten Österreicher geschlagen. Kurz vor der Schlacht von Solferino übernahm Franz Joseph selbst das Oberkommando – und wieder wurden die Österreicher geschlagen. Auf den ersten Blick scheint es nicht allzu überraschend, dass der Kaiser die Schlacht verlor; immerhin hatte er zuvor noch nie eine militärische Einheit im Kampf kommandiert und versuchte sich nun gleich als Oberbefehlshaber. Allerdings wurde auch die französische Armee von ihrem Kaiser, Napoleon III., befehligt und der hatte persönlich kaum mehr Erfahrung im militärischen Kommando als Franz Joseph. Im Endeffekt waren beide Kaiser wohl eher nominelle Oberkommandanten. Der Grund für den französischen Sieg lag nicht so sehr darin, dass Napoleon III. ein so viel besserer Feldherr als Franz Joseph gewesen 99
wäre, sondern darin, dass die französische Armee insgesamt besser geführt war als die österreichische. Dabei waren sich alle Teilnehmer und Beobachter einig, dass die österreichischen Soldaten tapfer gekämpft hatten. Zeitgenossen meinten daher, in der Schlacht von Solferino hätten „Löwen geführt von Eseln“ gekämpft. Das war auch eine Folge jener Politik, die Charakter und Praxis so deutlich über eine theoretische Ausbildung der Offiziere gestellt hatte – einer Politik, die auch der persönlichen Auffassung des Kaisers entsprach. Franz Joseph schrieb nach der verlorenen Schlacht in einem Brief an Elisabeth: „Ich bin um viele Erfahrungen reicher geworden und habe das Gefühl eines geschlagenen Generals kennen gelernt.“38 Der Schweizer Geschäftsmann Henri Dunant, der am Abend der Schlacht über das Schlachtfeld fuhr, war so betroffen von den unversorgten Sterbenden und Verwundeten, dass er spontan und auf eigene Kosten Hilfsmaßnahmen organisierte. In weiterer Folge initiierte Dunant die Gründung des Roten Kreuzes. Der Krieg von 1859 war nicht der letzte, den Franz Joseph führte, aber die Schlacht von Solferino war sein erster und einziger Versuch, selbst eine Armee zu kommandieren. Solferino war mit über 280.000 Soldaten und knapp 40.000 Toten, Verwundeten, Vermissten und Gefangenen die größte Schlacht seit der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 gewesen. Doch schon sieben Jahre später nahmen an der Schlacht von Königgrätz weit mehr, nämlich 400.000 Soldaten teil. Franz Joseph blieb diesmal in Wien; die österreichische Nordarmee, die in Böhmen gegen Preußen kämpfte, wurde von Ludwig Ritter von Benedek kommandiert, einem General, der im Krieg 1859 positiv aufgefallen war. Ende Juni 1866 gab es mehrere Gefechte zwischen Österreichern und Preußen, die – mit einer Ausnahme – alle ungünstig für die österreichische Seite endeten. Benedek zog sich daraufhin nach Königgrätz zurück. Nach den erfolglosen Vorgefechten hatte er alle Zuversicht verloren und bat den Kaiser telegraphisch, Frieden zu schließen, weil eine Katastrophe für die Armee seiner Meinung nach unvermeidlich war. Franz Joseph 100
antwortete: „Einen Frieden zu schließen unmöglich. Wenn Rückzug erforderlich, ist derselbe anzutreten. Hat eine Schlacht stattgefunden?“39 Die Frage am Schluss verstand Benedek als Aufforderung, sich einer Entscheidungsschlacht zu stellen – und so war sie auch gemeint. So fand am 3. Juli die Schlacht von Königgrätz statt. Obwohl die österreichische Armee den preußischen Angriffen zunächst gut standhalten konnte, erlitt sie im Endeffekt eine schwere Niederlage, konnte sich aber immerhin geordnet zurückziehen. Es gab mehrere Gründe für diese Niederlage: Zunächst war die preußische Armee mit den berühmten Zündnadelgewehren ausgerüstet. Das waren Hinterlader, mit denen die preußischen Soldaten deutlich schneller schießen konnten als die Österreicher mit ihren Vorderladern. Auch in Österreich war die Einführung von Hinterladern diskutiert worden, doch die Armeeführung und der Kaiser waren skeptisch gewesen. Außerdem wendeten die Österreicher die sogenannte Stoßtaktik an, deren Hauptmerkmal rücksichtslose Bajonettangriffe waren. Gerade gegenüber der überlegenen preußischen Feuerkraft führte diese Taktik nur zu geringen Erfolgen, verursachte aber zugleich schreckliche eigene Verluste. Auf preußischer Seite gab es knapp 10.000 Gefallene, Verwundete, Vermisste und Gefangene, auf österreichischer mehr als das Vierfache. Nicht umsonst war der preußische Oberkommandant General Helmuth von Moltke ein wissenschaftlich gebildeter Offizier und ein ausgezeichneter Stratege. Benedek hingegen war ein typischer Offizier der österreichischen Armee jener Epoche: ein tapferer, etwas raubeiniger und ein bisschen beschränkter Praktiker. Damit entsprach er den Vorstellungen des Kaisers – und war Moltke hoffnungslos unterlegen. Nach der Niederlage von Königgrätz wurde ein militärgerichtliches Verfahren gegen Benedek eingeleitet. Franz Joseph schlug dieses Verfahren aber nieder, befahl also die Einstellung der Ermittlungen, und zwar unabhängig von deren Ergebnissen. Er nahm Benedek das feierliche Versprechen ab, über die Schlacht von Königgrätz und die Umstände 101
der Niederlage für immer zu schweigen. Gleichzeitig mit der Bekanntgabe der Niederschlagung des Verfahrens veröffentlichte die Wiener Zeitung einen ausführlichen Artikel. Darin wurde die Verfahrenseinstellung mit Billigung des Kaisers wie folgt begründet: „Es giebt kein Gesetzbuch, das den Mangel höchster geistiger Begabung straffällig erklärt.“40 Benedek wurde damit zum Sündenbock für eine Niederlage gemacht, an der er zwar einen bedeutenden Anteil hatte, für die er aber keineswegs allein verantwortlich war. Er litt sehr darunter, dass er sich dagegen nicht verteidigen konnte, und zog sich völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Bis zu seinem Tod im Jahr 1881 hielt er sich trotzdem an sein Versprechen und schwieg.
Die Armee in der Doppelmonarchie Nach der Schlacht von Königgrätz begann für die Habsburgermonarchie die längste Friedensperiode in ihrer Geschichte überhaupt. Der Enthusiasmus Franz Josephs für alles Militärische blieb auch in diesen Jahren unverändert. Gerade im Frieden zeigte sich, dass seine Militärbegeisterung nicht notwendigerweise bedeutete, dass er besonders kriegerisch oder gar kriegslüstern war. Andererseits war Franz Joseph keineswegs ein Pazifist. Krieg war für ihn ein legitimes Mittel der Politik und eine halbwegs starke Armee eine unverzichtbare Voraussetzung für die Großmachtstellung der Monarchie nach außen und ein zentrales Element für deren Zusammenhalt im Inneren. Seine Einstellung zu Kriegen aber wurde spätestens nach 1866 eher resignativ. 1912 meinte er: „Ich will keinen Krieg, ich habe immer nur Unglück mit Kriegen gehabt, wir werden siegen und Provinzen verlieren.“41 1848 war der junge Kaiser begeistert gewesen, als er bei Santa Lucia eine Schlacht ganz unmittelbar miterlebte. Vielleicht war es aber gar nicht der Kampf, der ihn am Militär am meisten faszinierte, sondern die Ordnung. Franz Joseph war jemand, der in strikten Kategorien dachte, und die militärische Organisation und Disziplin kam seiner persönlichen Vorstellung von Ordnung sehr entgegen. In gewisser 102
Hinsicht galt das für eine Armee im Frieden wohl noch mehr als für kämpfende Truppen; immerhin bedeutet jeder Krieg zwangsläufig auch eine teilweise Zerstörung der Armee und ihrer Ordnung. Schließlich kann es keinen Feldzug – siegreich oder erfolglos – geben, der die militärische Organisation nicht gewaltig durcheinanderbringt. Jedenfalls widmete Franz Joseph militärischen Fragen auch im Frieden zumindest die Hälfte seiner täglichen Arbeitszeit. Im zivilen Bereich genügte es ihm in der Regel, über die wesentlichen Entwicklungen informiert zu werden und Grundsatzentscheidungen selbst zu treffen. Bezüglich der Armee wollte er hingegen auch kleine Detailfragen selbst entscheiden. Franz Joseph hatte zwei persönliche Sekretariate: die Kabinettskanzlei, die für alle zivilen Angelegenheiten zuständig war, und die Militärkanzlei, in deren Zuständigkeit alle militärischen Belange fielen. Der Zuständigkeitsbereich der Kabinettskanzlei war also viel umfassender als jener der Militärkanzlei. Trotzdem war der Aktenanfall in der Militärkanzlei wesentlich größer – eben weil es im militärischen Bereich viel mehr Angelegenheiten gab, in denen sich der Kaiser die Entscheidung vorbehielt. Als zum Beispiel um die Jahrhundertwende für die Offiziere der Kriegsmarine eine Art Smokingjacke eingeführt werden sollte, scheiterte das daran, dass Franz Joseph diesen Vorschlag persönlich ablehnte. Überhaupt waren dem Kaiser Details und deren vorschriftsmäßige Einhaltung in allen militärischen Fragen sehr wichtig. Alle, die ihn näher kannten, waren sich darüber einig, dass er ein sehr zurückhaltender Mann war, der praktisch nie die Beherrschung verlor. Wenn aber Offiziere die militärischen Vorschriften nicht genauestens einhielten, konnte ihr Oberster Kriegsherr sehr unangenehm werden. 1904 saß ein junger Offizier bei einer Truppeninspektion im Brucker Lager am Tisch des Kaisers; an den Ärmeln seiner Uniformbluse fehlten die vorgeschriebenen Knöpfe. Das war weitverbreitet, weil diese Knöpfe keine Funktion hatten. Franz Joseph ärgerte sich fürchterlich und fuhr den Offizier wutentbrannt an: „Wie können Sie sich unterstehen 103
in unvorschriftsmäßiger Adjustierung vor mir zu erscheinen?“ Dem Offizier war gar nicht bewusst, dass seine Bluse nicht den Vorschriften entsprach, aber das machte den Kaiser nur noch wütender.42 Jahre zuvor hatte Franz Joseph im Verlauf eines Manövers bei einer Artilleriebatterie einen kleinen Fehler bemerkt. Ein Beobachter erinnerte sich später, dass der Kaiser den Hauptmann, der diese Batterie kommandierte, „derart anfuhr und herunterputzte, dass es kein Wunder gewesen wäre, wenn man bald vom Selbstmord dieses Offiziers gehört hätte“.43 Franz Josephs Adjutant Margutti zog folgendes Resümee über den Kaiser und das Militär: „Kaiser Franz Joseph war durch und durch ‚Soldat‘; sein ganzes Fühlen und Denken kulminierte vorbehaltlos in diesem Begriffe. Ein leitender Militär, ein Organisator seiner Wehrmacht ist er allerdings nie gewesen; dazu fehlten ihm die tiefgreifenden Fachkenntnisse, vielleicht auch der instinktive Blick zur richtigen Beurteilung einschlägiger Fragen und zur initiativen Anbahnung ihrer fallweisen Lösung. Aber ‚Soldat‘ in des Wortes eng umschriebener Bedeutung, war Kaiser Franz Joseph wie kaum je ein Habsburger auf dem Thron vor ihm.“44 Auch im Ausland gab es nach Napoleon I. keine Monarchen, die große Feldherren gewesen wären – und gerade Napoleon war eben ein Offizier, der später Kaiser wurde, und nicht von Geburt an der Prinz eines Herrscherhauses, der auch Offizier war. Von den meisten seiner „Kollegen“ (etwa Edward VII. von Großbritannien, nicht aber Wilhelm II. von Preußen/Deutschland) und seinen unmittelbaren Vorgängern unterschied sich Franz Joseph aber durch die besondere Betonung alles Militärischen. Als er bei Solferino lernen musste, dass er kein guter Feldherr war, war er jedoch konsequent genug, sich nicht mehr als aktiver Truppenkommandant zu versuchen, und beschränkte sich für den Rest seiner Regierungszeit darauf, „Oberster Kriegsherr“ zu sein. Für Franz Joseph als Herrscher der Habsburgermonarchie hatte die Armee noch eine Funktion, die sie in den anderen Großmächten in dieser Form nicht hatte: Sie war die Klammer seines multinationalen 104
Reiches. Das war schon 1848 deutlich geworden und galt erst recht nach 1867. Immerhin war die Armee nach dem Ausgleich eine der wenigen Gemeinsamkeiten beider Reichshälften. Der Kaiser legte größten Wert darauf, dass es so blieb. Genauso wichtig war es ihm, in der Zeit immer stärkerer Nationalitätenkonflikte den übernationalen Charakter der Armee zu erhalten. Als es am Beginn des 20. Jahrhunderts auf ungarischer Seite wieder starke Forderungen nach einer Teilung der Armee gab, erließ der Kaiser 1903 nach den Manövern in Chlopy (Galizien) einen Armeebefehl, in dem er diesen Bestrebungen eine für ihn ungewöhnlich deutliche Absage erteilte: „Mein Heer … möge wissen, daß ich nie der Rechte und Befugnisse mich begebe, welche seinem Obersten Herrn verbürgt sind. Gemeinsam und einheitlich, wie es ist, soll Mein Heer bleiben, die starke Macht zur Vertheidigung der österreichisch-ungarischen Monarchie gegen jeden Feind.“45 Von 1867 bis 1914 war die Armee für Franz Joseph also primär ein Instrument der Innenpolitik. Darin war er sich mit seinem Neffen und Thronfolger einig: Auch Franz Ferdinand betonte mehrfach, wie wichtig ihm die Einheit der Armee nach innen war, während er Kriegseinsätzen in der Regel sehr skeptisch gegenüberstand. Als im Zusammenhang mit den Balkankriegen eine militärische Intervention in Serbien vorgeschlagen wurde, meinte Franz Ferdinand – in einer für ihn typischen Sprache, die viel weniger zurückhaltend war als die seines Onkels: „Führen wir einen Spezialkrieg mit Serbien, so werden wir es in kürzester Zeit über den Haufen rennen, aber was dann? Und was haben wir davon? Erstens fällt ganz Europa über uns her und betrachtet uns als Friedensstörer, und Gott behüte uns, daß wir Serbien annektieren, ein total verschuldetes Land mit Königsmördern und Spitzbuben etc.“46 Im Gegensatz zu Franz Ferdinand hatte Franz Joseph kein besonderes Naheverhältnis zur Kriegsmarine. Er trug zwar immer Uniform und hatte eine bemerkenswert große Sammlung von österreichisch-ungarischen und ausländischen Uniformen – doch eine Marineuniform war nicht darunter. Der Kaiser erklärte das einmal 105
so: Er sei in seiner Jugend zum Armeeoffizier ausgebildet worden und deshalb trage er auch die Uniform eines Armeeoffiziers. Zum Seemann sei er hingegen nicht ausgebildet worden – er könne nicht einmal ein Spielzeugboot seiner Enkelkinder kommandieren – und habe deshalb in einer Marineuniform das Gefühl, verkleidet zu sein. Neben seinem ganz persönlichen Desinteresse an der Kriegsmarine war der Kaiser wohl auch überzeugt, dass Österreich(-Ungarn) eine Landmacht war, für deren Machtstellung eine starke Kriegsmarine nicht übermäßig wichtig war. (Tatsächlich beschränkte sich die Rolle der k. u. k. Kriegsmarine im Ersten Weltkrieg dann mit wenigen Ausnahmen darauf, im Hafen vor Anker zu liegen und zu warten.) Gerade weil Franz Joseph nur wenig Interesse an der Marine hatte, wurde sie zum Betätigungsfeld für andere Mitglieder des Kaiserhauses. Das galt mit Einschränkungen für seinen Sohn Rudolf, vor allem aber für seinen Bruder Ferdinand Max und seinen Neffen Franz Ferdinand. Franz Ferdinand war der Einzige der drei, der auch entscheidenden Einfluss auf die Armee erlangen konnte – weil Franz Joseph schon ein alter Mann war und weil Erzherzog Albrecht nicht mehr lebte. Wie groß Franz Ferdinands Einfluss auf die Armee war, zeigte sich 1906 sehr deutlich bei der Abberufung des Generalstabschefs Friedrich Graf von Beck-Rzikowsky. Beck war wie Franz Joseph Jahrgang 1830 und wurde zu einem seiner engsten Vertrauten. 1865 wurde er als Oberstleutnant der Generaladjutantur des Kaisers zugeteilt. Schon ein Jahr später vertraute Franz Joseph ihm so sehr, dass er ihn vor der Schlacht von Königgrätz mit Spezialmissionen zu Benedek in das Hauptquartier der Nordarmee schickte. Beck blieb weiter in Franz Josephs unmittelbarer Umgebung: 1867 wurde er Vorstand der Militärkanzlei des Kaisers (der Nachfolgeorganisation der Generaladjutantur), 1874 Generaladjutant und 1881 schließlich Chef des Generalstabs. Beck war nicht nur praktisch genauso alt wie Franz Joseph, sondern hatte auch eine ähnliche Statur und trug ebenfalls einen Backenbart. 106
Vor allem aber entsprach er mit seiner ruhigen, auf Ausgleich bedachten, dabei aber zielgerichteten Art den Wünschen und auch dem Naturell des Kaisers. Aufgrund seiner besonderen Vertrauensstellung bei Franz Joseph wurde er gelegentlich sogar als „Ersatzkaiser“ bezeichnet. Wie besonders diese Stellung tatsächlich war, wird daran deutlich, dass Franz Joseph Beck öffentlich als „meinen alten Freund“ bezeichnete. So etwas tat der zurückhaltende Kaiser bei niemand anderem. 1906 bemühte sich Franz Ferdinand gezielt um die Absetzung Becks als Generalstabschef; er hielt ihn für zu alt und zu bedächtig, um die k. u. k. Armee so zu modernisieren, dass sie auch im beginnenden 20. Jahrhundert konkurrenzfähig blieb. Zusätzlich zu Becks Abberufung konnte Franz Ferdinand auch seinen Wunschkandidaten als Nachfolger durchsetzen: Franz Conrad von Hötzendorf. Conrad war gut 20 Jahre jünger als Beck und galt in der Armee als geniale Begabung. (Im Ersten Weltkrieg sollte sich aber erweisen, dass er diesen Ruf insgesamt nicht zu Recht hatte.) Tatsächlich leitete Conrad in der k. u. k. Armee einen deutlichen Modernisierungsschub ein. Im Gegensatz zum konzilianten, umgänglichen Beck war er bei der Umsetzung oft schroff und fordernd und stieß damit auch den Kaiser vor den Kopf – ganz besonders, wenn er seinen rein militärischen Aufgabenbereich verließ und versuchte, sich in die Außenpolitik einzumischen. Überhaupt zeigte sich am Beginn des 20. Jahrhunderts, dass Franz Joseph mit der Armee umso weniger anfangen konnte, je moderner sie wurde. Es kam wohl zu einer graduellen Distanzierung des Kaisers von der Armee. Zu seinem 13. Geburtstag war Franz Joseph bekanntlich zum Dragoneroffizier ernannt worden. Die Uniform, über die er sich damals so gefreut hatte, war bunt und bestand aus einem weißen Frack und einer blauen Hose; dazu wurde ein schwarz-goldener Lederhelm getragen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts gehörten die Dragoner in der Habsburgermonarchie zur schweren Kavallerie, die mit massiven 107
Attacken Schlachten entscheiden sollte. Im Ersten Weltkrieg zeigte sich sehr schnell, dass die Zeit Schlachten entscheidender Reiterangriffe endgültig vorbei war. Die Uniformen der meisten Soldaten waren nicht mehr bunt, sondern hatten möglichst unauffällige Farben, und kurz bevor der Kaiser starb, hatte es in der Schlacht an der Somme den ersten Kriegseinsatz von Panzern gegeben. Gerade das Beispiel der Panzer zeigt, wie wenig der alte Franz Joseph mit der damals modernen Kriegstechnik anfangen konnte. Von 1903 bis 1906 entwickelte der österreichische Autoproduzent Austro-Daimler ein mit Maschinengewehren bewaffnetes gepanzertes Auto. Nach vielversprechenden Tests wurde dieser Radpanzer im Herbst 1906 dem Kaiser vorgeführt. Im Betrieb war er so laut, dass die Pferde der Offiziere wegen des ungewohnten Lärms scheuten. Franz Joseph ärgerte sich über die so entstandene Unordnung und meinte, es sei eine unbrauchbare Erfindung. Die k. u. k. Armee nützte die Gelegenheit nicht und das Panzerauto wurde später nach Frankreich verkauft. Allerdings war Franz Joseph keineswegs der Einzige, der nicht erfasste, wie sich der technische Fortschritt auf die Kriegsführung im Ersten Weltkrieg auswirken sollte. Es gab wohl kaum Generäle und andere Offiziere, die am Beginn des Krieges nicht mit der Führung technisch hochgerüsteter Massenheere überfordert gewesen wären. Auch wenn der Kaiser am Ende seines Lebens zu militärtechnischen Neuerungen keinen rechten Zugang mehr finden konnte, blieb er der Armee bis zu seinem Tod ganz besonders verbunden. Sein Generaladjutant, Eduard Graf Paar, meinte diesbezüglich: „Er lebt und stirbt für die Armee, unser guter Kaiser, wenn er nur Soldaten sieht, kommt er mir wie neugeboren vor.“47
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Rechtliche Position Als Kaiser hatte Franz Joseph eine grundlegend andere Rechtsposition als seine Untertanen. Er war „geheiligt, unverletzlich und unverantwortlich“. Geheiligt bedeutete, dass er ein Herrscher von Gottes Gnaden war. Seine Unverletzlichkeit wurde durch besondere strafrechtliche Vorschriften, nämlich die Delikte des Hochverrats und der Majestätsbeleidigung, geschützt. Dass der Kaiser im rechtlichen Sinn „unverantwortlich“ war, hieß nicht etwa, dass er leichtsinnig oder rücksichtslos gewesen wäre, sondern dass er für seine Handlungen nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte. Egal was Franz Joseph getan hätte, man hätte ihn dafür nicht bestrafen oder verurteilen können. Diese Unverantwortlichkeit war ein Wesensmerkmal der Monarchie und bestand bis 1918. Seit 1867 wurde die Unverantwortlichkeit des Kaisers durch die Verantwortlichkeit seiner Minister ergänzt. Die meisten Anordnungen des Kaisers mussten vom zuständigen Minister gegengezeichnet werden, das heißt, der Minister musste nach dem Kaiser unterschreiben, damit die kaiserliche Anordnung auch gültig wurde. Mit der Gegenzeichnung übernahm der Minister die Verantwortung für die Anordnung des Kaisers. Das bedeutete, dass der Minister vom Parlament vor dem Staatsgerichtshof angeklagt werden konnte, wenn durch die von ihm gegengezeichnete Anordnung die Verfassung oder sonstige Gesetze verletzt wurden. Ein Minister musste kaiserliche Anordnungen allerdings nichts gegenzeichnen; wenn er die Anordnung für verfassungs- oder gesetzwidrig hielt, konnte er die Gegenzeichnung verweigern – und hätte dann wohl zurücktreten müssen. In der Praxis kam das nicht vor. Franz Joseph traf seine Entscheidungen gemeinsam mit seinen Ministern und entließ sie, wenn er mit ihnen keinen grundlegenden Konsens mehr hatte. Auch zu Ministeranklagen vor dem Staatsgerichtshof kam es nie. Trotzdem war die Ministerverantwortlichkeit eine ganz wesentliche Forderung des 109
liberalen Konstitutionalismus, weil sie ein systematischer Ausgleich für die Unverantwortlichkeit des Kaisers war. Als sich Franz Joseph mit dem Konstitutionalismus arrangierte, fand er sich auch mit der Ministerverantwortlichkeit vor Reichsrat und Staatsgerichtshof ab, zumal sie kaum praktische Auswirkungen hatte. Trotz Ministerverantwortlichkeit ernannte er als Kaiser die Minister und entließ sie auch wieder. Der Reichsrat konnte die Minister nicht auswählen und hatte auch nicht die Möglichkeit, sie durch ein Misstrauensvotum abzusetzen. Die Auswahl der Minister blieb also ganz in der Hand des Kaisers – und das war Franz Joseph auch sehr wichtig. Im Neoabsolutismus hatte der Kaiser allein die Gesetze erlassen. Später konnte er das nur mehr gemeinsam mit dem Parlament. Wenn die Mehrheit des Reichsrats einen Gesetzesbeschluss fasste, wurde dieser durch die – Sanktion genannte – Zustimmung des Kaisers zum Gesetz. Der Kaiser konnte die Gesetzesbeschlüsse des Reichsrats nur annehmen oder ablehnen, sie jedoch – in dieser Phase – nicht mehr inhaltlich abändern. In der Praxis kam es so gut wie nie vor, dass Franz Joseph Gesetzesbeschlüssen des Reichsrats die Sanktion verweigerte. Er hatte nämlich andere Möglichkeiten, die Gesetzgebung zu beeinflussen: Die allermeisten Gesetze beruhten auf Regierungsvorlagen, also auf Gesetzesvorschlägen der Regierung, und die Regierung schlug dem Reichsrat keine Gesetze vor, mit denen der Kaiser nicht einverstanden war. Allerdings bestand keine Garantie dafür, dass der Reichsrat die Regierungsvorlagen unverändert annahm. Dass Franz Joseph Gesetze nicht mehr allein erlassen konnte, war die entscheidende Einschränkung seiner Machtposition, die er durch den Konstitutionalismus hinnehmen musste, und bekanntlich fiel ihm das nicht leicht. Im Gegensatz dazu hatte er gar kein Problem damit, die Unabhängigkeit der Gerichte zu respektieren. Alle Gerichtsurteile in der Habsburgermonarchie wurden in seinem Namen gefällt, aber 110
der Kaiser selbst war kein Richter und konnte den Richtern, die er ernannte, auch nicht befehlen, wie sie entscheiden sollten. Das war schon im Neoabsolutismus so und wurde im Konstitutionalismus nochmals garantiert. Nur auf Strafverfahren konnte der Kaiser Einfluss nehmen, indem er Verfahren niederschlug, also weitere Ermittlungen untersagte, oder verurteilte Straftäter begnadigte. Franz Joseph machte von der Möglichkeit, Verfahren niederzuschlagen, selten Gebrauch (beispielsweise bei General Benedek 1866), aber er begnadigte regelmäßig verurteilte Straftäter. Ein besonders prominentes Beispiel war der Linzer Bischof Franz Joseph Rudigier, der zu einer Haftstrafe verurteilt worden war, nachdem er zum Widerstand gegen die liberalen Schulgesetze von 1868 aufgerufen hatte. Außerdem setzte der Kaiser bei zum Tod verurteilten Verbrechern die Strafe oft auf lebenslangen Kerker herab. Franz Joseph selbst konnte, da er ja unverantwortlich war, keinesfalls bestraft werden. Gleichzeitig war er durch das Strafrecht ganz besonders geschützt. Jeder vorsätzliche Angriff auf den Kaiser, jede vorsätzliche Verletzung, jede vorsätzliche Gefährdung seiner Person war Hochverrat und wurde mit dem Tod bestraft. Dementsprechend wurde der Attentäter János Libényi 1853 zum Tod verurteilt und hingerichtet. Insgesamt war gegen den Kaiser gerichteter Hochverrat aber sehr selten. Wesentlich häufiger kamen Majestätsbeleidigungen vor. Wenn man den Kaiser beleidigte, verspottete oder sonst die Ehrfurcht ihm gegenüber verletzte, musste man mit einer Strafe von einem bis fünf Jahren schwerem Kerker rechnen. Die österreichischen Gerichte schöpften diesen Strafrahmen zwar selten aus, waren ansonsten bei Majestätsbeleidigungen aber sehr streng. 1861 etwa wurde einem Josef Mayerhofer vorgeworfen, er sei ein Lump. Mayerhofer sagte darauf: „Ich bin kein Lump und wenn ich ein Lump bin, dann ist der Kaiser auch einer.“ Das Oberlandesgericht Wien sah sogar in diesem Satz eine Majestätsbeleidigung, für die Mayerhofer verurteilt werden sollte.48 Diese unnachgiebige 111
Sichtweise dürfte durchaus im Sinne Franz Josephs gewesen sein. Immerhin hatte er selbst als absoluter Monarch das Strafgesetz von 1852 erlassen, das die strengen Vorschriften über die Majestätsbeleidigung enthielt. Außerdem hatte er offenbar kein besonderes Interesse daran, Majestätsbeleidiger zu begnadigen. Trotz seiner Unverantwortlichkeit stand der Kaiser nicht über den Gesetzen. In der Dezemberverfassung war ausdrücklich vorgesehen, dass er bei seinem Regierungsantritt geloben sollte, die Verfassung zu achten und im Einklang mit den Gesetzen zu regieren. Franz Joseph leistete dieses Gelöbnis allerdings nicht, weil sein Regierungsantritt schon 19 Jahre zurücklag, als die Dezemberverfassung erlassen wurde. Er selbst empfand sich nicht als über den Gesetzen stehend, und es war für ihn als gläubigen Katholiken selbstverständlich, dass er „dem Allmächtigen“ gegenüber für sein Handeln verantwortlich war – auch wenn er nach dem irdischen Recht nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte.
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Religion und Kirche Kaiser Franz Joseph entstammte zwei Herrscherhäusern, die sich seit Jahrhunderten über ihren Katholizismus definiert hatten. Die Habsburger und die Wittelsbacher waren die entscheidenden Kräfte hinter der Gegenreformation im deutschsprachigen Raum gewesen. Dementsprechend wurde Franz Joseph von seiner Mutter im konservativ-katholischen Sinn erzogen. Er blieb zeit seines Lebens ein frommer und überzeugter Katholik. Er ging in die Messe (zumindest jeden Sonntag, in seinen jüngeren Jahren auch öfter), beichtete regelmäßig und hielt sich penibel an die – damals sehr umfassenden – katholischen Fastengebote. Frömmigkeit war für Franz Joseph etwas ganz Selbstverständliches. Wenn er je religiöse Zweifel gehabt haben sollte, dann muss er sie – im Gegensatz zu seiner Frau – für sich behalten haben. Sein einfacher und aufrichtiger Glaube gab dem Kaiser in schwierigen Zeiten Halt und Stütze. So telegraphierte er nach dem Tod seiner kleinen erstgeborenen Tochter seiner Mutter: „Unsere Kleine ist ein Engel im Himmel.“49 Als Franz Joseph geboren wurde, war das Verhältnis von Kirche und Staat im Wesentlichen noch immer so, wie Kaiser Joseph II. es durch seine Reformen im späten 18. Jahrhundert gestaltet hatte. Der Josephinismus betrachtete die Kirche vor allem unter dem Aspekt der Nützlichkeit für den Staat. Daher hatte Joseph jene Klöster aufgehoben, in denen man nur betete, aber nichts produzierte, nicht unterrichtete und keine Kranken betreute. Außerdem wurden die Pfarrer seit Joseph II. auch zu staatlichen Verwaltungsaufgaben herangezogen, insbesondere zur Führung der Personenstandsregister, der sogenannten Matriken. Dabei blieb es in Österreich übrigens bis 1938. Joseph hatte in diesem Zusammenhang auch die staatliche Kontrolle über die Kirche deutlich verschärft. Der Josephinismus bedeutete also eine deutliche Unterordnung der Kirche unter den Staat. Außerdem wurden neben dem katholischen Christentum seit 113
Joseph II. auch andere Religionen und Konfessionen vom Staat toleriert. Das bedeutete noch keine Gleichstellung aller Religionen, aber Nichtkatholiken wurden zumindest nicht mehr verfolgt oder zur Auswanderung gezwungen. Franz Josephs Religionslehrer, Joseph Othmar von Rauscher, war ein erklärter Gegner des Josephinismus. Er war der Meinung, dass der Staat unter der Hoheit der Kirche stehen sollte, und wollte die Kirche von der staatlichen Kontrolle befreien. Rauscher prägte die kirchenpolitischen Ansichten seines Schülers entscheidend. 1855 wurde dem Kaiser die Mitschrift einer Predigt vorgelegt, die der Prior der Kirche Am Hof in Wien gehalten hatte. Dort hieß es, der Staat stehe unter der Hoheit der Kirche und jede Einschränkung kirchlicher Rechte sei eine Sünde. Franz Joseph schrieb darunter: „vollkommen korrekt.“50 Im selben Jahr schloss der Kaiser ein Konkordat (einen völkerrechtlichen Vertrag mit dem Heiligen Stuhl), in dem er der katholischen Kirche weitgehende Rechte einräumte. Dass ihm das Konkordat ein Herzensanliegen war, wurde nicht zuletzt daran deutlich, dass es an seinem 25. Geburtstag unterzeichnet wurde. Das Schulwesen wurde der kirchlichen Aufsicht unterstellt, das Eherecht für Katholiken richtete sich ausschließlich nach dem Kirchenrecht (was keinen substanziellen Unterschied zu vorher bedeutete) und die Kirche erhielt Kompetenzen im Zusammenhang mit der Buchzensur. Die strikte staatliche Aufsicht wurde aufgehoben, aber die Pfarrer erfüllten weiterhin staatliche Verwaltungsaufgaben. Auch an der Toleranz des Staates gegenüber anderen Religionen und Konfessionen änderte sich durch das Konkordat nichts. Konservative Katholiken begrüßten das Konkordat, aber sonst fand es wenig Zustimmung. Nicht nur Liberale, sondern auch aufgeklärte Konservative lehnten es ab. Dieser Vertrag mit der Kirche wurde vielfach als eine „Rückkehr ins Mittelalter“ empfunden – gar nicht so sehr wegen einzelner inhaltlicher Regelungen, sondern wegen des Gesamteindrucks, dass sich der österreichische Staat der Kirche 114
hier in einer unzeitgemäßen Weise unterordnete, vielleicht sogar auslieferte. Es blieb jedenfalls ein vordringliches Ziel der Liberalen, das Konkordat wieder loszuwerden, doch im Neoabsolutismus war nicht daran zu denken. Als Franz Joseph 1867 mit dem Bürgerministerium eine dezidiert liberale Regierung ernannte, legte diese dem Reichsrat sehr schnell Gesetzesentwürfe zur Änderung des Konkordats vor. Der Kirche sollte die Schulaufsicht wieder entzogen und das Eherecht sollte wieder staatlich geregelt werden. Der Reichsrat beschloss die Entwürfe und der Kaiser sanktionierte sie, sodass sie im Mai 1868 Gesetzeskraft erlangten. Persönlich war Franz Joseph von diesen „Maigesetzen“ alles andere als begeistert, aber er stand hinter der von ihm ernannten liberalen Regierung. Den empörten Bischöfen erklärte er, dass es seine Pflicht als konstitutioneller Monarch sei, die Gesetze zu sanktionieren. Gleichzeitig machte er gegenüber der Regierung deutlich, dass die neuen Gesetze nach seinem Willen restriktiv und kirchenfreundlich ausgelegt werden sollten. Papst Pius IX. und die österreichischen Bischöfe protestierten gegen die Maigesetze und der Bischof von Linz, Franz Joseph Rudigier, rief in einem Hirtenbrief zum aktiven Widerstand auf. Er wurde deshalb wegen Störung der öffentlichen Ruhe gerichtlich zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Franz Joseph begnadigte ihn aber sofort, sodass er keinen einzigen Tag seiner Strafe verbüßen musste. Durch die Maigesetze von 1868 wurde das Konkordat innerstaatlich weitgehend ausgehöhlt; als völkerrechtlicher Vertrag bestand es aber weiterhin. Mit dem Ersten Vatikanischen Konzil 1870 ergab sich eine Möglichkeit, auch das zu beenden. Auf dieser Versammlung aller katholischen Bischöfe wurde nämlich die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma erhoben. Für die österreichische Regierung war das ein Anlass bzw. Vorwand, das Konkordat auch völkerrechtlich zu beenden. Das wurde damit begründet, dass sich der Charakter des Papsttums durch das Unfehlbarkeitsdogma so entscheidend geändert 115
habe, dass frühere Vereinbarungen auf die neue Situation nicht mehr anwendbar seien. Daher fühle sich die Regierung nicht mehr an die Vereinbarungen im Konkordat von 1855 gebunden. Das Konkordat endgültig aufzugeben fiel Franz Joseph nicht leicht; das geht aus einem Brief an seine Mutter hervor, in dem er schrieb: „Die Aufkündigung des Konkordats ist mir auch schwer geworden. Doch ich habe mich dazu entschlossen, weil es der mildeste und meiner Ansicht nach richtigste Vorgang gegenüber den unseligen Beschlüssen Roms war … Es ist auch mein innigster Wunsch, mit der Kirche wieder zu einer Einigung zu kommen, doch das ist mir mit dem jetzigen Papst nicht möglich.“51 Auch wenn Franz Joseph Vorbehalte gegenüber Pius IX. und dessen zunehmend reaktionärem Kurs hatte, änderte das nichts an seiner persönlichen Frömmigkeit. Der Kaiser zeigte auch weiterhin öffentlich, wie sehr er sich der katholischen Kirche verbunden fühlte. Die enge Verbindung zwischen Herrscher und Kirche wurde vor allem bei zwei kirchlichen Zeremonien deutlich: der Fußwaschung am Gründonnerstag und der Fronleichnamsprozession. In Erinnerung daran, dass Jesus vor dem letzten Abendmahl seinen Jüngern die Füße gewaschen hatte, tat der Kaiser am Gründonnerstag dasselbe bei zwölf armen alten Männern. Fronleichnam war seit der Reformation ein betont katholisches Fest, und der Kaiser demonstrierte seinen Katholizismus bis 1912 öffentlich, indem er bei der alljährlichen Fronleichnamsprozession direkt hinter dem Himmel ging, unter dem ein Priester die Monstranz mit einer Hostie trug. Bei der Papstwahl des Jahres 1903 griff Franz Joseph schließlich direkt in die Geschichte der katholischen Kirche ein. Mariano Kardinal Rampolla galt als Favorit und erhielt in den ersten beiden Wahlgängen auch die meisten Stimmen. Nach dem zweiten Wahlgang erklärte der Bischof von Krakau, Jan Kardinal Puzyna, dass der Kaiser als katholischer Monarch sein Veto gegen Kardinal Rampolla einlege. Die Habsburger hatten dieses Vetorecht, das ius exclusivae, 116
seit jeher in Anspruch genommen, obwohl es im Kirchenrecht nicht vorgesehen war. Tatsächlich wurde dann nicht Kardinal Rampolla gewählt, sondern Giuseppe Kardinal Sarto, der sich als Papst Pius X. nannte. Ob das Veto Franz Josephs ausschlaggebend dafür war, ist umstritten. Genauso umstritten ist, warum sich der Kaiser dazu entschlossen hatte. Erklärungen von ihm selbst sind zu dieser Frage nicht überliefert, sodass nur Spekulationen möglich sind. Der vielleicht plausibelste Erklärungsversuch besagt, dass der Kaiser Rampollas Wahl verhindern wollte, weil dieser als sehr frankreichfreundlich galt. Toleranz gegenüber anderen Religionen und Konfessionen war für Franz Joseph ebenso selbstverständlich wie sein persönlicher Katholizismus. Er ernannte von Anfang an ohne Unterschied katholische und evangelische Minister. Juden hingegen wählte er in der Regel nur dann für höhere staatliche Positionen aus, wenn sie konvertiert waren. Der Kaiser war also, wie praktisch alle seine Zeitgenossen, nicht frei von gewissen religiösen Vorbehalten gegenüber Glaubensjuden; den in seiner Regierungszeit aufkommenden Rassenantisemitismus lehnte er aber strikt ab. In den 1880er-Jahren erklärte Franz Joseph seinem Ministerpräsidenten Taaffe: „Ich dulde keine Judenhetze in meinem Reiche. Jede Antisemitenbewegung muß sofort in ihrem Keim erstickt werden.“52 Trotzdem wurde der Antisemitismus in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer stärker. Das wurde besonders deutlich, als der christlich-soziale Politiker Karl Lueger 1895 zum Wiener Bürgermeister gewählt wurde. Lueger hatte einen dezidiert antisemitischen Wahlkampf geführt, und deshalb weigerte der Kaiser sich fast zwei Jahre lang, ihn als Bürgermeister zu bestätigten, musste ihn schlussendlich aber doch akzeptieren.
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Kunst Franz Josephs Beziehung zur Kunst lässt sich schwer auf einen Nenner bringen. Der Kaiser war einerseits durchaus kunstinteressiert und selber in manchen Bereichen nicht untalentiert. Andererseits war er trocken und phantasielos und so fehlte ihm für andere Bereiche das Verständnis. Am meisten konnte er mit bildender Kunst anfangen, nicht zuletzt weil er selbst in seiner Jugend gerne und gut gezeichnet hatte. Mit sechzehn unternahm er beispielsweise eine längere Reise durch Dalmatien und hielt seine Eindrücke in einer Serie von Zeichnungen fest. Diese Zeichnungen sind wohl die bekanntesten Werke Franz Josephs, weil sie 1888 zu seinem 40-jährigen Regierungsjubiläum veröffentlicht wurden. Sie zeigen, dass der junge Erzherzog zeichnerisch durchaus talentiert war. Nachdem er Kaiser geworden war, dürfte Franz Joseph nicht mehr gezeichnet haben – zumindest sind keine Zeichnungen bekannt oder erhalten. Trotzdem hatte Franz Joseph gerade auch als Kaiser einen starken Bezug zur bildenden Kunst. Immerhin wurde er wesentlich öfter porträtiert als die meisten anderen Leute. Offenbar hatte er durchaus Freude daran, Modell zu sitzen, und ließ sich auch gerne fotografieren und – in seinen letzten Lebensjahren – filmen. 1911 wollte man den Kaiser an seinem 81. Geburtstag bei einer Rede filmen und stellte die Kamera daher in seiner Nähe auf. Wegen der lauten Geräusche des Aufnahmegeräts forderte ein Herr aus Franz Josephs Gefolge den Kameramann auf, während der Rede nicht zu filmen. Der Kaiser meinte aber: „Lassen Sie den Mann nur seine Arbeit verrichten, mich stört es nicht!“53 Einen weiteren Bezug zur bildenden Kunst hatte Franz Joseph als Auftraggeber. Alle seine Residenzen waren mit zahlreichen Bildern ausgestattet und die entsprachen natürlich dem persönlichen Geschmack des Kaisers. Er mochte realistische Kunst und konnte mit abstrakten Werken wenig anfangen. Die Motive spiegelten seine 119
Interessen wider und so hingen in seinen Schlössern Bilder seiner Familie – bei jedem Schreibtisch etwa ein großes Porträt seiner Frau Elisabeth –, militärische Motive sowie Jagd- und Landschaftsbilder. Franz Joseph las viel (nämlich Akten und Zeitungen) und schrieb viel (nämlich Briefe), aber mit Literatur im eigentlichen Sinn konnte er nur wenig anfangen. Es ist nicht überliefert, dass er literarische Werke gelesen hätte – etwa Romane oder Erzählungen –, und im Gegensatz zu seiner Frau hatte er keine Ambitionen, Gedichte zu schreiben. Elisabeths literarische Versuche betrachtete er wohlwollend-verständnislos als „Wolkenkraxeleien.“ Franz Josephs eigener Schreibstil in seinen Briefen war anschaulich, nüchtern und klar – mit gelegentlichen Anflügen von trockenem Humor und fast immer ohne jenes Pathos, das gerade im 19. Jahrhundert weitverbreitet war. Die Form von Literatur, mit der Franz Joseph sicher am meisten anfangen konnte, war das Theater. Als Jugendlicher hatte er selbst gelegentlich bei Aufführungen im familiären Rahmen mitgewirkt und als Kaiser besuchte er gerne Theatervorstellungen, am häufigsten im von ihm finanzierten (Hof-)Burgtheater – und in seinen späteren Jahren am liebsten, wenn seine Freundin Katharina Schratt auftrat. Allerdings blieb Franz Joseph, wenn er ins Theater ging, oft nicht für die ganze Vorstellung. Als ausgesprochener Frühaufsteher ging er ungern spät ins Bett, und so verließ er das Theater oft schon in der Pause, weil es ihm sonst zu lange dauerte. Es wäre interessant zu wissen, ob und wie der Kaiser sich in solchen Fällen dann nach dem Rest der Vorstellung erkundigte, aber es ist nicht überliefert. Wenn er eine Aufführung bis zum Ende ansah, galt das als besondere Auszeichnung, wobei Komödien und volkstümliche Stücke seinem Geschmack am meisten entsprachen. Zu den Klassikern hingegen fand Franz Joseph zumindest als junger Mann nur wenig Zugang. Über eine Veranstaltung zu Goethes 100. Geburtstag schrieb er seiner Mutter: „Diese unnütze Feier hätten wir uns wohl schenken können, wir haben besser Sachen und Leute zu feiern“,54 und über eine Aufführung von 120
Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ im Burgtheater, meinte er: „Es war ziemlich langweilig und ungeheuer dumm.“55 Neben dem Burgtheater finanzierte der Kaiser auch die Wiener Hofoper (heute Staatsoper), doch das Musiktheater interessierte ihn weniger als das Sprechtheater. Im Gegensatz zu vielen seiner Vorfahren war Franz Joseph nämlich unmusikalisch. Widmungen von Kompositionen nahm er gerne entgegen – eines der berühmtesten ihm gewidmeten Werke ist die 8. Symphonie von Anton Bruckner –, aber ein besonderes Interesse an Musik hatte der Kaiser nicht. Er soll gesagt haben, er erkenne die Volkshymne – wie die Kaiserhymne von Joseph Haydn in der Monarchie offiziell hieß – daran, dass die Leute aufstehen. Es mag sein, dass Franz Joseph hier in einem Anflug von Selbstironie etwas übertrieb, aber die Aussage zeigt, dass ihm seine geringe Musikalität bewusst war. Interessanterweise war er als junger Mann trotzdem ein leidenschaftlicher Tänzer. Das architektonische Erscheinungsbild seines Reiches und ganz besonders seiner Heimatstadt Wien wurde in Franz Josephs Regierungszeit wohl nachhaltiger geprägt als in jeder anderen Epoche. 1857 gab der Kaiser in einem Handschreiben an seinen Innenminister Alexander Freiherr von Bach den Befehl, die alten Wiener Stadtmauern zu schleifen und stattdessen eine Prachtstraße um die Innere Stadt anzulegen. Das war die Geburtsstunde der Ringstraße. Als einer der ersten öffentlichen Bauten auf der neuen Straße wurde 1869 die Oper fertiggestellt. Das Gebäude fand während des Baus wenig Anklang. Da das Niveau der Ringstraße nach dem Baubeginn erhöht worden war, wirkte das Opernhaus so, als hätte es keinen Sockel. Es kam zu einer regelrechten Pressekampagne gegen die beiden Architekten, August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll, in der die entstehende Oper als „versunkene Kiste“ oder – in Anspielung auf die schwere Niederlage gegen Preußen 1866 – als „Königgrätz der Baukunst“ bezeichnet wurde. Van der Nüll war von dieser Kritik so verletzt, dass er sich noch vor der Eröffnung der Oper erhängte, und 121
auch Sicardsburg erlebte die Fertigstellung nicht mehr, weil er kurz davor an Tuberkulose starb. Van der Nülls Selbstmord machte Franz Joseph sehr betroffen, da auch er sich kritisch über das neue Operngebäude geäußert hatte. Immer wieder wird behauptet, dass er deshalb von nun an jegliche Kritik an Kunstwerken vermied und nur mehr stereotyp sagte: „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.“ Tatsächlich beschränkte sich der Kaiser auch später bei Ausstellungen und vergleichbaren Anlässen nicht auf diesen einen Satz, aber er vermied scharfe Kritik – und dabei kann die Erfahrung von van der Nülls Selbstmord schon eine Rolle gespielt haben. Diese Zurückhaltung mag auch damit zusammenhängen, dass der ohnehin eher verschlossene Franz Joseph mit zunehmendem Alter immer reservierter wurde. Außerdem war sich der Kaiser darüber im Klaren, dass er in künstlerischen Dingen – anders als beispielsweise in militärischen Fragen – kein Fachmann war. Dass Österreich und vor allem Wien in seiner Regierungszeit eine besondere kulturelle Blüte erlebte, geschah nicht wegen des Kaisers, sondern neben ihm. Es geschah auch nicht trotz Franz Joseph, denn er arbeitete ja nicht gegen eine kulturelle Blüte, sondern hatte schlichtweg kein sonderliches Interesse an ihr. Das wird besonders an der Wiener Moderne um 1900 und im Vergleich mit Thronfolger Franz Ferdinand deutlich. Franz Ferdinand hatte genaue künstlerische Vorstellungen; architektonisch schwebte ihm etwa ein „maria-theresianischer Reichsstil“ vor, also eine eindeutig rückwärtsgewandte Richtung. Mit der damals modernen Kunst konnte er nicht nur nichts anfangen, er stand ihr sogar dezidiert feindselig gegenüber. Über Oskar Kokoschka meinte er etwa, nachdem er eines seiner Bilder gesehen hatte: „Dem Kerl sollte man alle Knochen im Leibe brechen!“56 Zu derartigen Äußerungen hätte sich Franz Joseph niemals hinreißen lassen. Seine Reaktionen auf moderne Kunst zeugen von Unverständnis, aber nicht unbedingt von Feindseligkeit. 122
Vor einem nur in Blautönen gehaltenen Bild einer Waldlandschaft fragte der Kaiser den Maler zum Beispiel zu einer der blauen Flächen: „Soll das vor dem Jagdhaus ein See sein?“ Der Maler antwortete: „Nein, Majestät, das ist eine Waldwiese.“ Als der Kaiser weiter fragte, warum die Wiese dann blau sei, meinte der Maler: „Ich sehe die Wiese so!“ Darauf meinte Franz Joseph, schon im Gehen: „Dann hätten Sie nicht Maler werden sollen.“57 Besonders ehrlich dürfte der Kaiser gewesen sein, als er nach einer Ausstellung der Wiener Sezession – der weitaus wichtigsten modernen Künstlergruppe im Wien der Jahrhundertwende – sagte: „Ich hab’s mir eigentlich ärger vorgestellt.“58
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Familie Eltern und Geschwister Franz Karl und Sophie Franz Josephs Vater, Erzherzog Franz Karl, wurde am 17. Dezember 1802 geboren. Er war das neunte Kind des damaligen Kaisers Franz II/I. und dessen zweiter Frau Maria Theresa, einer geborenen Prinzessin von Neapel-Sizilien. Franz und Maria Theresia waren doppelte Cousins: Sein Vater war der Bruder ihrer Mutter, seine Mutter die Schwester ihres Vaters. Diese nahe Verwandtschaft der Ehepartner hatte dramatische Auswirkungen auf die Gesundheit ihrer Kinder, da sie das Auftreten von Erbkrankheiten begünstigte. Von den zwölf Kindern des Paares starben fünf in ihren ersten zehn Lebensjahren. Von den Söhnen erreichten überhaupt nur zwei das Erwachsenenalter, nämlich Franz Karl und sein älterer Bruder Ferdinand, der spätere Kaiser Ferdinand. Ferdinand war bekanntlich nicht nur ein schwerer Epileptiker, sondern auch geistig beeinträchtigt. Franz Karl war geistig ebenfalls eher beschränkt und auch optisch wenig attraktiv. Franz Josephs Mutter Sophie war eine geborene bayerische Prinzessin. Sie kam am 27. Jänner 1805 als Tochter des bayerischen Kurfürsten Maximilian Joseph (ab 1806 König von Bayern) zur Welt. Sophie entwickelte sich zu einer gebildeten und vielseitig interessierten jungen Frau, die noch dazu als bemerkenswerte Schönheit galt. Ihre Ehe mit Franz Karl wurde von den beiden Herrscherhäusern arrangiert. Als Sophie ihren künftigen Ehemann das erste Mal sah, war sie enttäuscht. Sie schrieb ihrer Mutter: „Er ist ein bon garçon [guter Kerl], er fragt jedermann um Rath, mais il est terrible [aber er ist schrecklich] … Mich würde er zu Tode langweilen.“59 Trotz dieses wenig überzeugenden ersten Eindrucks heirateten Franz Karl und Sophie am 4. November 1824.
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Die Ehe wäre vermutlich auch gegen den Willen Sophies geschlossen worden, weil dynastische Überlegungen den beiden Herrscherhäusern wichtiger waren als die Gefühle der Brautleute. Sophie wehrte sich aber ohnehin nicht gegen die Ehe, denn sie bot der ehrgeizigen Prinzessin interessante Perspektiven. Franz Karl stand in der Thronfolgeordnung der Habsburgermonarchie an zweiter Stelle, nach seinem Bruder, dem Kronprinzen Ferdinand. Angesichts Ferdinands gesundheitlicher Probleme war es fraglich, ob er je Kaiser werden würde, und selbst wenn, schien es praktisch ausgeschlossen, dass er selbst Kinder haben würde. Somit konnte Sophie hoffen, irgendwann einmal selbst Kaiserin von Österreich oder die Mutter des Kaisers von Österreich zu werden. Diese Hoffnungen gründeten sich nicht zuletzt auf ein ärztliches Gutachten aus dem Jahr 1824, in dem der damalige Leibarzt des Kaisers, Andreas Joseph Stifft, meinte, dass man bei Ferdinand mit einem Gehirnschlag rechnen musste. Stifft empfahl auch, dass Ferdinand keinesfalls heiraten sollte, da zu befürchten war, dass der Kronprinz den Vollzug der Ehe vielleicht nicht überleben würde. 1830 entschloss sich Kaiser Franz II./I. aber trotz Ferdinands schlechten Gesundheitszustands dazu, die Weichen für dessen Thronfolge zu stellen, und ließ ihn zum König von Ungarn krönen. In diesem Zusammenhang revidierte Dr. Stifft sein Gutachten über Ferdinands Gesundheit. Jetzt meinte er, Ferdinand sei zwar ein Epileptiker, aber doch nicht von einem Gehirnschlag bedroht. Vor diesem Hintergrund hielt Stifft nun auch eine Eheschließung des Kronprinzen für möglich. Tatsächlich heiratete Ferdinand 1831 Maria Anna, eine geborene Prinzessin von Sardinien-Piemont. Für Sophies Ambitionen waren diese Entwicklungen ein schwerer Schlag. Es war sehr unwahrscheinlich geworden, dass Franz Karl der direkte Nachfolger von Kaiser Franz II./I. werden würde; und wenn Ferdinand gar einen Sohn bekommen sollte, würden ihr Mann Franz Karl oder ihr Sohn Franz Joseph auch nicht Ferdinands Nachfolger werden. Dementsprechend erleichtert war Sophie, als Ärzte ihr 126
erklärten, dass Ferdinand mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Kinder haben würde. So konnte sie weiterhin davon ausgehen, dass ihr Sohn einmal Kaiser werden würde. Sophie war für den jungen Franz Joseph die wichtigste Bezugsperson. Ihre konservative politische Einstellung, ihre Gegnerschaft zum Konstitutionalismus und ihr Katholizismus prägten ihn entscheidend. Auch nachdem er Kaiser geworden war, besprach er politische Angelegenheiten mit seiner Mutter. Tatsächlich war Sophie das einzige Familienmitglied überhaupt, mit dem sich Franz Joseph regelmäßig und umfassend über politische Fragen austauschte. In seinen Briefen an sie drückte der Kaiser seine ganz persönlichen Gefühle in Bezug auf politische Entwicklungen offener und direkter aus als in allen anderen schriftlichen – und vermutlich auch mündlichen – Äußerungen. Mit anderen Familienmitgliedern sprach der Kaiser nur dann über Politisches, wenn sie eine politische oder militärische Funktion hatten, und hielt dabei jene professionelle Distanz, die er bei seinen Beratern und Mitarbeitern stets an den Tag legte. Für Franz Karl galt nicht einmal das; der war zwar pro forma General, interessierte sich aber weder für politische noch für militärische Fragen. Es ist nicht überliefert, dass Franz Joseph sich mit seinem Vater über derartige Angelegenheiten je beraten oder ausgetauscht hätte. Die größte Gemeinsamkeit der beiden war die Leidenschaft für die Jagd. Sophie starb am 28. Mai 1872. Nach einem Besuch im Burgtheater war sie sehr erhitzt und setzte sich auf ihren Balkon, um sich abzukühlen. Dort schlief sie ein und zog sich so eine Lungenentzündung zu, an der sie nach einigen Tagen starb. Franz Karl überlebte seine Frau um fast vier Jahre und starb am 8. März 1876. Ferdinand Maximilian Als Franz Joseph knapp zwei Jahre alt war, wurde am 6. Juli 1832 sein Bruder Ferdinand Maximilian geboren, der im Familienkreis Max genannt wurde. Als Kinder und Jugendliche hatten die beiden Brüder ein 127
sehr enges Verhältnis, obwohl sie charakterlich recht unterschiedlich waren. Franz Joseph war schon als Kind und Jugendlicher nüchtern und ernsthaft, Maximilian hingegen phantasievoll und lebhaft. Die Unterschiede wurden etwa am Umgang der beiden Brüder mit ihrem Taschengeld deutlich. Während Franz Joseph sparsam war und penibel Buch über seine Ausgaben führte, gab Maximilian regelmäßig deutlich mehr Geld aus, als ihm zur Verfügung stand, um Bücher und Bilder zu kaufen (seine Mutter glich die Fehlbeträge dann aus). Wie herzlich und liebevoll das Verhältnis zwischen den Brüdern war, wird an den Briefen deutlich, die sie sich schrieben, wenn sie einander nicht sehen konnten. Franz Joseph etwa schrieb seinem Bruder: „Ich werde die ganze Zeit so viel wie möglich Dich durch Zeichnungen und kleine Schriften zu zerstreuen versuchen!“60 Natürlich war die Beziehung der beiden auch davon geprägt, dass Franz Joseph aller Voraussicht nach Kaiser werden würde. Besonders Erzherzogin Sophie achtete darauf, dass dies nicht vergessen wurde. 1847 wurde im Familienkreis das Theaterstück „Der Wirrwarr“ von August von Kotzebue aufgeführt. Der quirlige Maximilian hätte gut in die Titelrolle gepasst, aber Sophie bestand darauf, dass Franz Joseph sie spielte, obwohl sie seinem Naturell nicht recht entsprach. Sie begründete das damit, dass er sich als künftiger Kaiser daran gewöhnen müsse, „bei jeder wie immer gearteten Gelegenheit die erste Rolle (zu) spielen.“61 Als Franz Joseph 1848 dann tatsächlich Kaiser wurde, bewirkte das eine gewisse Entfremdung zwischen den Brüdern. Beide dürften von Eifersucht auf den anderen nicht frei gewesen sein. Für Maximilian war es nicht immer leicht, dass sein Bruder Kaiser war – und er nicht. Der verschlossene Franz Joseph hingegen beneidete seinen charmanten Bruder darum, wie leicht der auf andere Menschen zugehen und sie für sich gewinnen konnte. Nach der Niederlage von 1859 erreichte Franz Josephs Popularität wohl ihren absoluten Tiefpunkt. Als er nach Wien zurückkam, wurde er teilweise mit demonstrativen 128
„Hoch Maximilian“-Rufen begrüßt. Dadurch wurde das Verhältnis der Brüder sicher nicht verbessert. Maximilian hätte gerne wichtige staatliche Aufgaben übernommen, doch Franz Joseph hielt ihn von den Regierungsgeschäften eher fern. 1854 ernannte der Kaiser seinen Bruder immerhin zum Oberkommandanten der österreichischen Kriegsmarine. Freilich spielte die Kriegsmarine im Kaisertum Österreich insgesamt keine bedeutende Rolle; sie war auch kein militärischer Bereich, der den Kaiser selbst interessierte. Vielleicht ernannte Franz Joseph seinen Bruder auch deshalb zum Marinekommandanten, weil das bedeutete, dass Maximilian viel an der Adria und weniger in Wien war. Bei aller Zwiespältigkeit war diese Ernennung natürlich auch ein Vertrauensbeweis. Das galt genauso, als Franz Joseph seinen Bruder 1857 zum zivilen Generalgouverneur von Lombardo-Venetien ernannte. Immerhin war Lombardo- Venetien neben Ungarn der unruhigste Teil der Habsburgermonarchie. Allerdings ließ der Kaiser seinem Bruder bei der Verwaltung dieser italienischen Provinzen nur wenig eigenen Gestaltungsraum. Kurz vor dem Krieg 1859 wurde dann ganz Lombardo-Venetien der Militärverwaltung unterstellt. Damit gab es keinen Platz mehr für einen zivilen Gouverneur. Eine Kriegsmarine gab es zwar weiterhin, aber nach der Niederlage von Solferino fehlte das Geld, um sie so zu modernisieren, wie Maximilian es gerne gemacht hätte. Maximilian hatte also weiterhin kein Betätigungsfeld, das ihn erfüllte. In dieser Situation kam Anfang der 1860er-Jahre ein interessantes Angebot. Im Juli 1861 hatte die Republik Mexiko beschlossen, ihre Auslandsschulden nicht mehr zu bezahlen. Daraufhin schickten die Gläubigermächte Spanien, Großbritannien und Frankreich Ende 1861, Anfang 1862 Truppen nach Mexiko, um die Regierung zur Zahlung der Schulden zu zwingen. Während sich Spanien und Großbritannien bald wieder zurückzogen, hatte der französische Kaiser, Napoleon III., weitergehende Pläne für Mexiko: Er wollte dort ein – von Frankreich abhängiges – Kaiserreich errichten und dessen 129
Krone bot er 1863 Maximilian an. Der war ebenso wie seine Frau Charlotte interessiert, wollte die Kaiserwürde aber nur annehmen, wenn sich das mexikanische Volk in einer Volksabstimmung für ihn als Herrscher entschied. Tatsächlich fand eine Abstimmung statt, deren Ergebnis eine breite Zustimmung für Maximilian war – nur leider hatten die mexikanischen Monarchisten und die Franzosen das Ergebnis gefälscht. Maximilian wusste das nicht und nahm am 10. April 1864 die mexikanische Kaiserwürde an. Franz Joseph hielt sehr wenig von den mexikanischen Plänen seines Bruders. Er versuchte, ihn davon abzuhalten, und als ihm das nicht gelang, bestand er darauf, dass Maximilian auf seine Position als Erzherzog von Österreich verzichtete, bevor er die mexikanische Kaiserwürde annahm. Für Franz Joseph war die Sache mit dem mexikanischen Kaiserreich ein Abenteuer mit höchst zweifelhaftem Ausgang. Daher wollte er deutlich machen, dass es sich um eine Privatangelegenheit seines Bruders handelte. Das Kaisertum Österreich sollte nicht hineingezogen werden. Diese Haltung des Kaisers führte noch einmal zu einer schweren Auseinandersetzung mit Schreiduellen zwischen den beiden Brüdern. Nachdem sich Franz Joseph schließlich von Maximilian verabschiedet hatte und schon dabei war, in den Zug zu steigen, drehte er sich noch einmal um, ging zurück zu seinem Bruder und umarmte ihn. Diese Spontanität des sonst so zurückhaltenden Kaisers zeigt, wie nahe ihm die ganze Sache ging. Tatsächlich entwickelte sich die Lage in Mexiko nicht so, wie Maximilian es erhofft hatte. Zunächst hatte er noch Unterstützung durch französische Truppen, doch nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges 1865 erzwangen die USA deren Abzug. Ohne substanzielle europäische Unterstützung konnte sich das Kaiserreich in Mexiko aber nicht halten. Die republikanische Armee besiegte Maximilians Truppen und der Kaiser von Mexiko selbst wurde von einem Kriegsgericht zum Tod verurteilt. Franz Joseph setzte seinen Bruder wieder in dessen Rechte als Erzherzog von Österreich ein, weil 130
er hoffte, dass die republikanisch-mexikanische Regierung es nicht wagen würde, einen Erzherzog von Österreich hinzurichten. Der republikanische Präsident, Benito Juárez, ließ sich davon aber nicht beeindrucken und am 19. Juni 1867 wurde Maximilian erschossen. Karl Ludwig Während Franz Joseph zu seinem Bruder Maximilian eine intensive, wenn auch keineswegs einfache Beziehung hatte, entwickelte er zu seinem nächsten Bruder Karl Ludwig, der am 30. Juli 1833 geboren wurde, nie ein besonders enges Verhältnis. Karl Ludwig machte schon als Kind und Jugendlicher auf seine Umgebung vor allem einen trägen Eindruck. Seine Mutter meinte über ihn, er sei „schwach im Talente“ und würde nie interessant werden.62 Im Gegensatz zu Maximilian litt Karl Ludwig offenbar nicht darunter, dass er nicht der Kaiser war. Sein Verhältnis zu Franz Joseph dürfte dementsprechend weitgehend konfliktfrei, aber auch distanziert gewesen sein. Wie alle Erzherzöge war Karl Ludwig Offizier, aber bei ihm war das eine reine Formalität. Eine politische Funktion übernahm er nur einmal, als ihn sein Bruder 1855 zum Statthalter in Tirol ernannte. Dieses Amt legte er aber 1861 zurück, weil er gegen die Konstitu tionalisierung der Habsburgermonarchie war. Karl Ludwig war – wie fast alle Habsburger – ein begeisterter Jäger, außerdem fischte er gerne und sammelte Kunst. Der Erzherzog war ein strenger, konservativer Katholik, dessen Religiosität gelegentlich wohl die Grenze zur Bigotterie überschritt. 1896 starb er nach einer Pilgerreise ins Heilige Land, auf der er, aus religiösen Gründen, Wasser aus dem Jordan getrunken und sich so vergiftet hatte. Ludwig Viktor Franz Josephs jüngster Bruder, Ludwig Viktor, wurde am 15. Mai 1842 in Wien geboren. Der knapp zwölfjährige Franz Joseph war von seinem kleinen Bruder ganz begeistert, aber als Erwachsene 131
standen sich die beiden nicht sonderlich nahe. Ludwig Viktor, der in der Familie „Bubi“, „Luziwuzi“ oder auch „Lutschiwuschi“ genannt wurde, galt bei vielen Zeitgenossen als boshaft und intrigant. Wie bei seinem Bruder Karl Ludwig war Ludwig Viktors militärischer Rang eine reine Formalität; er interessierte sich weder für Politik noch für das Militär, hatte aber ein großes Interesse an Architektur. Im Kaiserhaus wurden immer wieder Heiratspläne für Ludwig Viktor geschmiedet – unter anderem mit einer Schwester von Kaiserin Elisabeth –, doch die scheiterten nicht zuletzt daran, dass er homosexuell war. Die sexuelle Orientierung des Erzherzogs war ein offenes Geheimnis und führte immer wieder zu Skandalen, zum Beispiel wenn er im Schwimmbad junge Offiziere bedrängte. Franz Joseph soll das mit den Worten „man müsst ihm als Adjutanten eine Ballerina geben, dann könnt nix passieren“63 kommentiert haben und verbannte seinen Bruder nach einem derartigen Skandal aus Wien nach Schloss Kleßheim bei Salzburg. Ludwig Viktor überlebte seine Brüder und starb 1919.
Elisabeth Franz Joseph begegnete seiner späteren Frau Elisabeth das erste Mal im September 1843 und dann wieder 1848, wenige Monate bevor er Kaiser wurde. Beide Male besuchte er die Familie von Herzog Max in Bayern. Der gehörte zu einer nicht regierenden Nebenlinie des bayerischen Königshauses und lebte mit seiner Familie auf Schloss Possenhofen in der Nähe von München. Durch seine Frau, Maria Ludovika, war Max eng mit der Familie Franz Josephs verbunden. Ludovika war nämlich die jüngere Schwester von Franz Josephs Mutter Sophie. Max und Ludovika hatten insgesamt zehn Kinder. Das viertälteste von ihnen war die 1837 geborene zweite Tochter Elisabeth, im Familienkreis auch „Sisi“ genannt. Bei den ersten beiden Begegnungen machte das Mädchen auf seinen Cousin Franz Joseph offenbar 132
keinen besonderen Eindruck. Dafür freundete sich Elisabeth beim zweiten Treffen mit Franz Josephs jüngerem Bruder Karl Ludwig an, der damals 15 Jahre alt war. Die beiden schickten sich danach Briefe und Geschenke, wobei Karl Ludwigs Interesse an Elisabeth größer gewesen sein dürfte als ihres an ihm. So unspektakulär diese ersten Begegnungen von Franz Joseph und Elisabeth verliefen, so folgenschwer war die nächste fünf Jahre später. Nachdem sich einige Heiratsprojekte für den jungen Kaiser von Österreich nicht konkretisiert hatten, entwickelten Sophie und Ludovika den Plan, Franz Joseph mit einer Tochter Ludovikas zu verheiraten. Dabei hatten sie allerdings nicht Elisabeth im Auge, sondern die dreieinhalb Jahre ältere Helene, die in der Familie „Nene“ genannt wurde. Im August 1853 fuhren Ludovika und Helene nach Ischl, um dort Franz Joseph und seine Eltern zu treffen und eine Verlobung vorzubereiten. Auf diese Reise nahmen sie auch Elisabeth mit. Was genau der Grund dafür war, ist nicht mehr ganz klar. Der Effekt dieser Entscheidung war aber gewaltig. Franz Joseph verliebte sich Hals über Kopf in Elisabeth, entschloss sich sofort, sie zu heiraten, und setzte seinen Willen in wenigen Tagen durch. Helene verwand diese Zurückweisung nur schwer und wurde zunehmend depressiv. Erst fünf Jahre später heiratete sie den ungeheuer reichen Maximilian Anton von Thurn und Taxis, mit dem sie glücklich verheiratet war, bis er nur neun Jahre später, 1867, starb. Elisabeth mochte Franz Joseph offenbar, doch gleichzeitig dürfte sie von der unerwarteten Entwicklung ziemlich überfordert gewesen sein. Ihre Mutter soll zu ihr gesagt haben: „dem Kaiser von Österreich gibt man keinen Korb“,64 und so verlobten sich Franz Joseph und Elisabeth nach wenigen Tagen, am 18. August 1853, dem 23. Geburtstag des Kaisers. Im Frühjahr 1854 kam Elisabeth dann zur Hochzeit nach Wien. Sowohl die Reise als auch der Empfang in Wien wurden mit großem Pomp inszeniert. Überall gab es Schaulustige, die ihre künftige 133
Kaiserin sehen wollten. Viele werden aber vom Anblick der jungen Braut enttäuscht gewesen sein: Sie weinte nämlich die meiste Zeit. Die Hochzeit in der Wiener Augustinerkirche am 24. April 1854 war der Höhepunkt des Pomps. Der Zelebrant war Franz Josephs ehemaliger Religionslehrer Othmar von Rauscher, der nun Erzbischof von Wien war. Elisabeth wurde allerdings auch nach der Hochzeit nicht glücklicher. Franz Joseph unternahm keine Hochzeitsreise mit ihr, sondern führte seinen intensiven Arbeitsalltag weiter. Das junge Paar wohnte in Laxenburg, aber Franz Joseph fuhr in der Früh nach Wien, um zu arbeiten, und kam erst am Abend wieder zurück. Elisabeth fühlte sich gleichermaßen allein und gefangen. Schon zwei Wochen nach der Hochzeit drückte sie ihre Gefühle in folgendem Gedicht aus: „O, dass ich nie den Pfad verlassen, der mich zur Freiheit hätt’ geführt. O, dass ich auf der breiten Straße Der Eitelkeit mich nie verirrt! Ich bin erwacht in einem Kerker, Und Fesseln sind an meiner Hand. Und meiner Sehnsucht immer stärker – Und Freiheit! Du, mir abgewandt! Ich bin erwacht aus einem Rausche, Der meinen Geist gefangen hielt, Und fluche fruchtlos diesem Tausche, Bei dem ich Freiheit! Dich – verspielt.“65
Elisabeth hatte ihre vertraute Umgebung nicht bloß im rein örtlichen Sinn verlassen; sie hatte in Wien oder Laxenburg auch keine Bezugspersonen, die ihr vertraut waren. Selbst ihren künftigen Mann 134
hatte sie zwischen Verlobung und Hochzeit nur einige Male für ein paar Tage gesehen. Die bestimmende Person für Elisabeth wurde ihre Schwiegermutter. Sophie suchte den Hofstaat für Elisabeth aus, legte ihren Tagesablauf fest und versuchte, ihre Schwiegertochter zu jener Kaiserin zu formen, die sie sich für ihren Sohn und die Monarchie wünschte. Dabei behandelte Sophie die 16-Jährige wohl nicht mit jener Sensibilität, die sie gebraucht hätte. Diese Situation änderte sich auch nicht, als Elisabeth ein knappes Jahr nach der Hochzeit ihr erstes Kind zur Welt brachte: ein Mädchen, das nach seiner Großmutter väterlicherseits Sophie getauft wurde und schon 1857 mit zwei Jahren starb. Die Großmutter und nicht die Mutter war die Hauptverantwortliche für die Erziehung der kleinen Sophie und der beiden Geschwister, die bald darauf geboren wurden: Gisela im Jahr 1856 und Rudolf, als Kronprinz, 1858. Die alltägliche Betreuungs- und Erziehungsarbeit im Einzelnen lag freilich – wie im Hochadel damals üblich – ohnehin in den Händen von Bediensteten. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass Elisabeth ihre Kinder nicht stillte. Dass sie aber ihre Schwiegermutter fragen musste, wenn sie ihre eigenen Kinder sehen wollte, war doch unüblich. In den letzten Jahren betonten einzelne Autoren immer wieder, dass Sophie nicht jene sprichwörtliche böse Schwiegermutter war, als die sie in den „Sissi“-Filmen aus den 1950er-Jahren dargestellt worden ist. Als Beweis dafür werden Briefe Sophies angeführt, in denen sie durchaus liebevoll über ihre Schwiegertochter schreibt. Es wird schon richtig sein, dass Sophie nicht bewusst bösartig zu Elisabeth war. Trotzdem halfen ihre sehr strikten Vorstellungen von der Rolle ihrer Schwiegertochter der jungen Kaiserin sicher nicht, sich am österreichischen Hof einzufinden und wohlzufühlen – und dass Elisabeth in Wien insgesamt nicht glücklich war, ist unbestritten. Franz Joseph war unzweifelhaft sehr in seine Frau verliebt. Trotzdem gelang es ihm nicht, substanziell dazu beizutragen, dass sie sich in Wien wohlfühlte. In die Konflikte zwischen seiner Mutter und seiner 135
Frau mischte er sich im Normalfall nicht ein. Offenbar entsprachen Sophies Vorstellungen durchaus seinen eigenen. Nur als Elisabeth ihm ein regelrechtes Ultimatum stellte, setzte er den Willen seiner Frau auch gegenüber Sophie durch. Dass sich Elisabeth unglücklich fühlte, drückte sich auch immer wieder in Weinkrämpfen und körperlichen Symptomen wie Hustenanfällen und Ähnlichem aus. Im Herbst 1860 schließlich verschlechterte sich ihr Zustand so sehr, dass der berühmte Arzt Josef Škoda eine schwere Lungenkrankheit diagnostizierte und dringend zu einer Kur im Süden riet. Woran Elisabeth genau litt, lässt sich wohl nicht mehr genau feststellen. Auf jeden Fall hatte ihre Krankheit auch ein psychosomatisches Element. Elisabeth reiste zur Kur nach Madeira, die sie nach einigen Zwischenstationen später auf Korfu fortsetzte. Erst nach knapp zwei Jahren, im Sommer 1862, kehrte sie zu ihrem Mann und ihren Kindern zurück – vorläufig. Sie fühlte sich am Wiener Hof genauso unglücklich und unzufrieden wie vor ihrer Kur. Von nun an zog sie aber die Konsequenzen daraus und flüchtete regelmäßig – ohne sich dabei sonderlich um ihren Mann oder ihre Repräsentationspflichten zu kümmern. Bis zum Ende ihres Lebens blieb sie eine rastlos Reisende. Überhaupt bildete die Zeit auf Madeira und Korfu einen Einschnitt in Elisabeths Leben: Sie kam offenbar mit neuem Selbstbewusstsein zurück und setzte ihre eigenen Vorstellungen nun offensiv durch. Besonders deutlich wurde das bei einer schweren Auseinandersetzung mit ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter im Jahr 1865. Franz Joseph hatte seinen Sohn Rudolf von Anfang an betont militärisch erziehen lassen, was zu Grausamkeiten führte, denen der sensible Kronprinz nicht gewachsen war. Als Elisabeth von diesen Exzessen erfuhr, wollte sie ihren Sohn schützen und forderte von ihrem Mann ultimativ: „Ich wünsche, daß mir vorbehalten bleibe unumschränkte Vollmacht in allem, was die Kinder betrifft, die Wahl ihrer Umgebung, 136
den Ort ihres Aufenthaltes, die complette Leitung ihrer Erziehung, mit einem Wort, alles bleibt mir ganz allein zu bestimmen, bis zum Moment der Volljährigkeit. Ferner wünsche ich, daß, was immer meine persönlichen Angelegenheiten betrifft, wie unter anderem die Wahl meiner Umgebung, den Ort meines Aufenthaltes, alle Anordnungen im Haus p.p. mir allein zu bestimmen vorbehalten bleibt.“66 Franz Joseph akzeptierte diese Forderungen. Was Elisabeth hier verlangte, mag aus heutiger Sicht nicht allzu ungewöhnlich erscheinen, für ihr Umfeld war es aber ungeheuerlich. Zu ihrer Zeit war der Mann schon von Gesetzes wegen das „Haupt der Familie“ und Franz Josephs Befugnisse als Oberhaupt des Hauses Habsburg gingen noch deutlich weiter als die anderer Familienväter. Nach dem Familienstatut der Habsburger konnte er jedem Mitglied des Herrscherhauses vorschreiben, wo es sich aufzuhalten hatte, und musste jede Auslandsreise ausdrücklich genehmigen. Auch optisch änderte sich die Kaiserin in dieser Zeit: Vor ihren Kuraufenthalten dürfte sie auf ihre Umgebung wie ein hübsches, noch etwas unfertiges Mädchen gewirkt haben, danach jedoch erschien sie als ausnehmend schöne, junge, aber erwachsene Frau. Gerade in den 1860er-Jahren war sich Elisabeth ihrer Schönheit vollkommen bewusst. Auf den Fotos der Kaiserin aus dieser Zeit kann man das auch heute noch nachvollziehen – ja es scheint sogar, dass diese große, schlanke Frau dem heutigen Schönheitsideal noch mehr entspricht als jenem des 19. Jahrhunderts. Elisabeth investierte ungeheuer viel Zeit und Aufwand in die Pflege ihres Äußeren. Das Waschen und Trocknen ihrer beinahe knöchellangen Haare etwa war eine Zeremonie, die einen ganzen Tag in Anspruch nahm. Trotz ihrer intensiven Körperpflege – oder, angesichts der Mittel, die sie dazu verwendete, vielleicht sogar deshalb – dürfte Elisabeth schon früh gealtert sein. Jedenfalls ließ sie sich nach 1867 nicht mehr fotografieren und verbarg ihr Gesicht meist hinter einem Schleier oder einem Fächer. Wie die Kaiserin 137
nach ihrem 30. Lebensjahr aussah, lässt sich heute daher nicht mehr sagen. Vermutlich hat ihr Gesicht schon früh Falten bekommen. Schließlich änderte sich in den 1860er-Jahren auch das Verhältnis zwischen Elisabeth und Franz Joseph. Besonders wegen Elisabeths zahlreicher Reisen geriet der Kaiser, wenn er seine Frau sehen wollte, immer mehr in die Rolle eines Bittstellers. Dass in der Beziehung der beiden etwas anders geworden war, zeigt sich signifikant an einer Kleinigkeit, nämlich daran, wie der Kaiser die Briefe an seine Frau unterschrieb. In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte er mit „Dein Dich liebender Franz“ unterschrieben, in späteren Jahren unterzeichnete er als „Dein Kleiner“ oder „Dein kleines Mannecken“ (tatsächlich war er körperlich etwas kleiner als Elisabeth). Mitte der 1860er-Jahre engagierte sich Elisabeth das einzige Mal in ihrem Leben ganz gezielt politisch. Im Gegensatz zu ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter hatte sie schon in den 1850er-Jahren deutliche Sympathien für Ungarn entwickelt – wohl auch als eine Art Provokation gegen die damals am Wiener Hof allgegenwärtige antiungarische Stimmung. Als sich Franz Joseph ab 1860 vorsichtig und ab 1865 verstärkt um einen Ausgleich mit Ungarn bemühte, nahm Elisabeth ganz gezielt Einfluss auf ihn – und zwar im ungarischen Sinn. Dabei spielte eine gewisse romantische Anziehung zwischen Elisabeth und Gyula Andrássy eine Rolle. Zweifelsohne schwärmten beide füreinander, und schon die Zeitgenossen überlegten, ob sie eine Affäre hatten – dass sie ihre romantische Zuneigung tatsächlich auch körperlich auslebten, ist aber wenig wahrscheinlich. Elisabeths Einsatz für Ungarn war sicher nicht der einzig entscheidende Faktor, der Franz Joseph vom Ausgleich mit Ungarn überzeugte, sondern einer von vielen Gründen. Der Ausgleich führte aber zu einer zeitweiligen Annäherung des Herrscherpaars. Deren Resultat war Elisabeths viertes Kind: Zehneinhalb Monate nach der Königskrönung im späteren Budapest brachte Elisabeth dort ihre Tochter Marie Valerie zur Welt. Diesmal hatte sie von Anfang an die 138
alleinige Kontrolle über die Erziehung ihres Kindes. Sie erzog Marie Valerie betont ungarisch – mit dem Effekt, dass die als Erwachsene eher deutschnational orientiert war. Der Ausgleich mit Ungarn und die Geburt Marie Valeries konnten aber auf Dauer nichts daran ändern, dass die Ehe des Kaiserpaares schwierig blieb. Franz Joseph und Elisabeth waren vor allem viel zu unterschiedlich, um miteinander zu harmonieren. Franz Joseph war ein nüchterner, eher phantasieloser Charakter, der sein Leben hauptsächlich damit verbrachte zu arbeiten. Während ihr Mann mit den Regierungsgeschäften mehr als beschäftigt war, hatte Elisabeth – wie die meisten Frauen des damaligen Hochadels – keine eigentliche berufliche Aufgabe. Für jene Mischung von Repräsentation und karitativem Engagement, die mit ihrer Position traditionellerweise verbunden gewesen wäre, hatte Elisabeth nichts übrig. Wann immer es möglich war, entzog sie sich ihren repräsentativen Pflichten. Stattdessen stürzte sie sich obsessiv in ihre Hobbys. In den 1860er-Jahren lernte sie mit Leidenschaft Ungarisch und in den 1870er-Jahren begeisterte sie sich für das Reiten. Sie ritt so gut und so waghalsig, dass nur die besten Reiter der Welt mit ihr mithalten konnten – wie zum Beispiel der Brite George „Bay“ Middleton. Nachdem sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr reiten konnte, begann Elisabeth exzessive Spaziergänge zu machen – ohne Rücksicht auf Wind und Wetter oder ihre Hofdamen, die sich schwertaten, mit dem Tempo der Kaiserin mitzuhalten. Außerdem begann sie in den 1880er Jahren Neugriechisch zu lernen und wieder vermehrt Gedichte zu schreiben. Sie entwickelte eine besondere Verehrung für Heinrich Heine und meinte sogar, Heines Geist spreche in ihren Gedichten. Elisabeths Lyrik kann sich mit Heines Werken nicht messen, ist handwerklich aber nicht schlecht gemacht und hat gelegentlich einen ebenso verbissenen wie bissigen Humor. Vor allem geben die Gedichte einen Einblick in Elisabeths Seelenleben. Das folgende Gedicht zeigt 139
beispielsweise, dass die Kaiserin von der Monarchie als Staatsform gar nicht so viel hielt: „Und sollten sie entscheiden, Die Republik muss sein, So willige mit Freuden In ihren Wunsch ich ein“67
Daher ist es auch kein Zufall, dass Elisabeth ihre Gedichte beim Schweizer Bundespräsidenten, also in einer Republik, hinterlegen ließ. Auch wenn die Kaiserin keine überzeugte Anhängerin der Monarchie war und ihre Repräsentationspflichten als Monarchin nicht mochte, nützte sie die Privilegien, die ihre Stellung mit sich brachte, doch vielfach aus. Franz Joseph selbst war ein so außergewöhnlich guter Reiter, dass er seine Umgebung noch als Mittsiebziger mit seinen Reitkünsten beeindrucken konnte. So waghalsig wie seine Frau betrieb er diesen Sport aber nie. Im Gegensatz zu Elisabeth war er ziemlich bodenständig, fühlte sich in Wien grundsätzlich wohl und verbrachte seine Zeit am liebsten in Ischl. Das Fernweh seiner Frau teilte er nicht, und während sie Abwechslung auch in ihren Passionen brauchte, war Franz Joseph der Inbegriff eines Gewohnheitsmenschen. Er litt darunter, dass sie so oft auf Reisen war, und versuchte – wenig erfolgreich – Elisabeth den Aufenthalt in Wien schmackhafter zu machen, indem er für sie die Hermesvilla im Lainzer Tiergarten errichten ließ. Auch wenn Franz Joseph große Sehnsucht nach seiner Frau hatte, waren die Begegnungen des Paares oft nicht sehr glücklich. In einem Brief an Elisabeth wird dieser Zwiespalt sehr deutlich: „Wenn Du auch recht böse und sekkant warst, so habe ich Dich doch so unendlich lieb, daß ich ohne Dich nicht sein kann.“68 Auch Marie Valerie beschrieb in ihrem Tagebuch mehrfach, wie wenig ihre Eltern miteinander anfangen konnten. Selbst in Bereichen, 140
die sie eigentlich beide interessierten, waren Kaiser und Kaiserin nicht sonderlich kompatibel. Beide hielten sich gerne in der Natur auf, aber Franz Joseph mochte sie vor allem als leidenschaftlicher Jäger, während Elisabeth an seinen Jagden in der Regel nicht teilnahm. Dafür konnte er mit ihrem Spazierlaufen nur wenig anfangen. Auch für die künstlerisch-geistigen Interessen seiner Frau – ihre „Wolkenkraxeleien“ – hatte der Kaiser nur wenig Verständnis. Elisabeth wiederum teilte die Vorliebe ihres Mannes für das Militär nicht. In den 44 Jahren ihrer Ehe gelang es Franz Joseph und Elisabeth nur selten, einander glücklich zu machen. Diese Ehe endete am 10. September 1898. Elisabeth war inkognito in Genf, ihre Anwesenheit wurde aber trotzdem bekannt. Auch Luigi Lucheni, ein italienischer Anarchist, erfuhr davon. Ursprünglich hatte er den italienischen König Umberto I. ermorden wollen. Da ihm aber das Geld für eine Reise nach Italien fehlte, änderte er seinen Plan: Sein Opfer sollte jetzt der französische Prinz Henri Philippe d’Orléans sein. Dieser verschob seinen geplanten Aufenthalt in Genf aber kurzfristig. Da erfuhr Lucheni, dass die Kaiserin von Österreich in der Stadt war, und änderte seinen Plan noch einmal. Am zeitigen Nachmittag war Elisabeth gemeinsam mit ihrer Hofdame Irma Sztáray auf dem Weg zu einer Schiffsfahrt am Genfer See. Lucheni sprang hinter einem Baum hervor und stach der Kaiserin mit einer geschliffenen Feile in die Brust. Elisabeth merkte zunächst gar nicht, dass sie verletzt worden war, und ging an Bord des Schiffs. Dort erst brach sie zusammen und starb, nachdem sie gefragt hatte: „Was ist mit mir geschehen?“69 Als Franz Joseph die Todesnachricht erhielt, sagte er: „Sie wissen gar nicht, wie ich diese Frau geliebt habe.“70
Andere Frauen Nach den Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts war es praktisch unerlässlich, dass Elisabeth als Jungfrau in die Ehe ging. Auf der anderen Seite hatte Franz Joseph als junger Mann aus dem Hochadel 141
schon vor seiner Heirat sexuelle Erfahrungen gemacht – was von seiner Umgebung auch mit einer gewissen Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wurde. Verlässliche Details über sein Liebesleben vor der Hochzeit mit Elisabeth sind allerdings nicht bekannt. Sicher ist hingegen, dass die beiden die Ehe erst in der dritten Nacht nach der Hochzeit vollzogen. Das erzählte Elisabeth nämlich, Jahrzehnte später, einer ihrer Hofdamen. Für die junge Kaiserin war es offenbar eine eher unangenehme als beglückende Erfahrung – und damit war sie keineswegs allein. Ihre spätere Schwiegertochter Stephanie, die ebenfalls sehr jung verheiratet wurde, schrieb in der Retrospektive über die Hochzeitsnacht mit Kronprinz Rudolf: „Welche Nacht! Welche Qual, welcher Abscheu! Ich hatte nichts gewußt, man hatte mich als ahnungsloses Kind zum Altar geführt. Ich glaubte, an meiner Enttäuschung sterben zu müssen.“71 Im Gegensatz zu seinem Sohn war Franz Joseph kein ausgeprägter „Womanizer“. Obwohl er Frauen gegenüber sehr charmant sein konnte, legte er bei Begegnungen außerhalb des Protokolls eine gewisse Befangenheit nie ganz ab. In den ersten Jahren seiner Ehe war er Elisabeth treu, aber dabei blieb es nicht. Elisabeths häufige Abwesenheit vom Hof spielte in diesem Zusammenhang sicher eine Rolle. Erste Gerüchte über außereheliche Aktivitäten des Kaisers kamen schon 1859 auf, gesichert ist aber nur eine einzige Affäre: die mit einer jungen Frau namens Anna Heuduck bzw. Nahowski. Franz Joseph lernte die damals 15-Jährige zufällig 1875 bei einem Spaziergang kennen und sprach sie mit den Worten „Sie gehen aber fleißig spazieren“72 an. Spätestens drei Jahre später begannen die beiden eine sexuelle Affäre. Als Anna den Kaiser das erste Mal zu sich einlud, kam er nicht und entschuldigte sich zunächst mit seiner vielen Arbeit; auf ihr Nachfragen gab er dann aber zu, dass er sich einfach nicht getraut hatte. Dabei war die als Anna Nowak geborene junge Frau schon zum Zeitpunkt ihrer ersten Begegnung verheiratet. Die Ehe mit dem Seidenfabrikanten Johann Heuduck wurde aber 1878 geschieden, vermutlich noch vor dem Beginn der Affäre mit dem Kaiser. 142
1882 heiratete Anna den Bahnbeamten Franz Nahowski. Ob und wann der vom prominenten Liebhaber seiner Frau wusste, ist nicht bekannt. Eventuell tolerierte Nahowski, der seiner Ehefrau auch nicht treu war, die Affäre wegen der damit verbundenen materiellen Vorteile. Franz Joseph finanzierte Anna Nahowski nämlich unter anderem zwei verschiedene Wohnsitze in der Nähe von Schönbrunn und eine Sommervilla in der Steiermark. Als der Kaiser die Beziehung 1889, nach dem Selbstmord von Kronprinz Rudolf, durch einen Hofbediensteten endgültig beenden ließ, erhielt Anna Nahowski gegen das Versprechen zu schweigen den Betrag von 200.000 Gulden (heute ungefähr 2,5 Millionen Euro). Die Beziehung zu Anna Nahowski hatte für Franz Joseph praktisch nur einen Zweck. In ihren Aufzeichnungen vermerkte sie es einmal als Besonderheit, dass er der Kaiser nur zum Reden gekommen war. Er besuchte sie in der Regel zeitig in der Früh, etwa um fünf Uhr, und benutzte dabei eine Geheimtüre in der Schlossmauer, für die nur er einen Schlüssel hatte. Nachdem er mit ihr geschlafen hatte, verließ Franz Joseph seine Geliebte schnell wieder. Sie bekam insgesamt fünf Kinder. Im Fall der 1885 geborenen Tochter Helene (die später den Komponisten Alban Berg heiratete) wurde immer wieder spekuliert, dass Franz Joseph der Vater sein könnte. Sichere Belege für seine Vaterschaft gibt es aber nicht. Die Affäre als solche ist aber durch tagebuchartige Aufzeichnungen von Anna Nahowski belegt. Während der Charakter der Affäre mit Anna Nahowski eindeutig war, wurde und wird über eine andere, weitaus bekanntere Beziehung Franz Josephs sehr viel mehr spekuliert: über die zu seiner „Freundin“ Katharina Schratt. Sie wurde 1853 in Baden geboren und begann eine Karriere als Schauspielerin. 1883 wurde sie an das Wiener Burgtheater (damals Hofburgtheater) berufen. Nicht zuletzt weil der Kaiser das Haus finanzierte, war dieses Engagement mit einer Antrittsaudienz bei ihm verbunden. Einen besonders nachhaltigen Eindruck machte Katharina Schratt bei dieser ersten Begegnung noch nicht auf den Kaiser. Sie war 143
jedenfalls etwas befangen – und damit zog Franz Joseph sie noch Jahre später in einem seiner Briefe auf. Das nächste Mal begegneten sie sich 1885 am Ball der Industriellen. Diesmal unterhielt sich Franz Joseph länger mit der Schauspielerin – und diesmal gefiel sie ihm offensichtlich. Das bemerkte auch Kaiserin Elisabeth. Im Frühjahr 1886 arrangierte sie ein Treffen zwischen Franz Joseph und Katharina Schratt im Atelier des Malers Heinrich von Angeli. Das war der Beginn eines intensiven Naheverhältnisses zwischen beiden, das – nicht ohne Krisen – bis zum Tod des Kaisers dauern sollte. Franz Joseph begann Katharina Schratt regelmäßig zu besuchen, vor allem aber schrieb er ihr zahlreiche Briefe, von denen über 900 erhalten sind. Elisabeth förderte die Freundschaft zwischen ihrem Mann und der Schauspielerin ganz bewusst – wohl auch weil sie sich darüber im Klaren war, wie einsam Franz Joseph wegen ihrer häufigen Abwesenheit war. In der Öffentlichkeit wurde Katharina Schratt überhaupt als Freundin der Kaiserin dargestellt – weil das so unverfänglicher war. In Wirklichkeit empfand die Kaiserin gegenüber der anderen Frau wohl eher eine gewisse Verachtung, die sich auch auf Franz Josephs Schwärmerei für die Schauspielerin erstreckte. In einem ihrer Gedichte drückte sie das aus, indem sie Franz Joseph mit dem sagenhaften indischen König Wiswamitra verglich, der in eine Kuh verliebt war: „Da weckt sie lautes Rasseln im Thal aus ihrer Ruh‘; Der König Wiswamitra Kehrt heim von seiner Kuh. Oh König Wiswamitra, Oh welch ein Ochs bist Du!“73
Nach dem Selbstmord Kronprinz Rudolfs war Katharina Schratt aber für Kaiser und Kaiserin eine wichtige Stütze. Während des knappen Jahrzehnts zwischen Rudolfs Tod und der Ermordung Elisabeths war 144
diese seltsame Dreierbeziehung am intensivsten und wahrscheinlich auch am entspanntesten. Katharina Schratt bezog zusätzlich zu ihrer Wohnung in der Stadt eine Villa in der Nähe von Schönbrunn und eine Villa in Bad Ischl, die beide vom Kaiser finanziert wurden. Als Elisabeth ermordet wurde, kam Katharina Schratt sofort nach Wien, um dem Kaiser beizustehen, und tatsächlich konnte Franz Joseph wohl am ehesten bei seiner „Freundin“ Trost finden. Als er erfuhr, dass sie in Wien war, um ihm zu kondolieren, schrieb er ihr: „Es ist schön von Ihnen, daß Sie gekommen sind, mit wem kann ich besser von der Verklärten sprechen als mit Ihnen.“74 Anders als der Tod des Kronprinzen brachte die Zeit nach der Ermordung der Kaiserin keine weitere Annäherung zwischen Franz Joseph und Katharina Schratt. Im Gegenteil: Es war der Beginn der schwersten und längsten Verstimmung zwischen den beiden. In den nächsten Wochen dankte der Kaiser seiner „Freundin“ in jedem seiner Briefe für deren Unterstützung, aber sie erwartete eine öffentlichkeitswirksamere Form der Dankbarkeit, konkret den neuen Elisabeth-Orden. Franz Joseph verlieh den Orden aber Elisabeths ehemaliger Hofdame Irma Sztáray und nicht seiner Freundin. Die empfand das als schwere Zurücksetzung und distanzierte sich deutlich vom Kaiser. Dazu kam, dass Franz Josephs betont katholische Tochter Marie Valerie die Beziehung ihres Vaters zu Katharina Schratt seit jeher missbilligt hatte. Zu Lebzeiten Elisabeths hatte sie das nicht allzu offen ausgedrückt. Nach dem Tod der Kaiserin aber ließ sie Katharina Schratt deutlich ihre Ablehnung spüren. Vor allem aber kam die Schauspielerin nicht gut mit dem neuen Burgtheater-Direktor Paul Schlenther zurecht. Sie war auch hier enttäuscht, dass Franz Joseph nicht deutlich und öffentlich Partei für sie ergriff. Im Oktober 1900 kündigte sie – vermutlich mit dem Hintergedanken, dass der Kaiser ihre Kündigung niemals annehmen und sie wenigstens jetzt deutlich unterstützen würde. Franz Joseph unterschrieb die Kündigung aber 145
anstandslos – sei es, weil er den Manipulationsversuch nicht als solchen erkannte, sei es, weil er sich nicht manipulieren lassen wollte. Katharina Schratt war jedenfalls so getroffen, dass sie den persönlichen Kontakt mit dem Kaiser weitestgehend vermied und auf seine – weiterhin regelmäßigen – Briefe nicht, nicht persönlich oder nur mit deutlicher Verzögerung antwortete. Ab 1902 näherten sich Franz Joseph und Katharina Schratt einander wieder langsam an. Die Freundschaft der beiden blieb bis zum Tod des Kaisers bestehen, doch so intensiv wie in den 1890er-Jahren wurde sie nicht mehr. Katharina Schratt war in den letzten 30 Lebensjahren Franz Josephs einer seiner wichtigsten Kontakte überhaupt und, abgesehen von seiner engeren Familie, wohl seine einzige private Ansprechperson. Der tatsächliche Charakter der Beziehung – platonische Freundschaft oder doch sexuelle Affäre – ist bis heute umstritten. Klar ist, dass Franz Joseph in Katharina Schratt verliebt war. In einem nicht erhaltenen „Gedankenbrief“ dürfte sie ihm im Jahr 1888 auch explizit ein Verhältnis angeboten haben. Franz Joseph antwortete ihr: „Daß ich Sie anbete, wissen Sie gewiß … So jetzt haben wir uns gegenseitig ausgesprochen und das ist vielleicht gut, denn es mußte einmal heraus. Dabei muß es aber bleiben und unser Verhältnis muß auch künftig das Gleiche sein, wie bisher, … denn ich will nichts Unrechtes thun, ich liebe meine Frau und will ihr Vertrauen und ihre Freundschaft für Sie nicht mißbrauchen.“ Franz Joseph schrieb weiter, dass er zu alt sei, um ihr „brüderlicher Freund“ zu sein, aber gerne ihr „väterliche Freund“ sein wolle.75 In einem (nicht endgültigen) Testament aus dem Jahr 1889 bedachte der Kaiser seine „Freundin“ mit der stolzen Summe von 500.000 Gulden (heute knapp 6,5 Millionen Euro) und begründete das mit ihrer „innigsten und reinsten Freundschaft“.76 Aus dieser Formulierung lässt sich wohl ableiten, dass die beiden zu diesem Zeitpunkt (noch) keine Affäre hatten. Ob es später dazu kam, muss offen bleiben. Es gibt keine eindeutigen Beweise, weder dafür noch dagegen. Es ist 146
höchst unwahrscheinlich, dass Franz Joseph Katharina Schratt nach dem Tod der Kaiserin heimlich heiratete. Dafür war er der Idee der standesgemäßen Ehe viel zu stark verpflichtet – wie sich im Konflikt mit seinem Neffen Franz Ferdinand nur allzu deutlich zeigte. Außerdem gib es schlichtweg keine Beweise für die immer wieder geäußerte Vermutung von der heimlichen zweiten Ehe. So oder so unterschied sich Franz Josephs Beziehung zu Katharina Schratt in wesentlichen Punkten von der Affäre mit Anna Nahowski. Bei Anna Nahowski ging es von Anfang an und fast ausschließlich um Sex. Die besondere Fähigkeit Katharina Schratts bestand hingegen darin, dass sie mit dem Kaiser so plaudern konnte, dass er sich in ihrer Anwesenheit entspannte. Wenn sich Franz Joseph mit ihr unterhielt, konnte es vorkommen, dass er plötzlich laut auflachte – zum Erstaunen seiner Umgebung, die das nicht gewohnt war. Das Verhältnis mit Anna Nahowski wurde strikt geheim gehalten, während allgemein bekannt war, dass das Kaiserpaar mit Katharina Schratt befreundet war. Marie Valerie konnte diese Beziehung ihres Vaters nur deshalb ablehnen, weil sie davon wusste; von Anna Nahowski hatte sie hingegen keine Ahnung. Franz Joseph war zu beiden Frauen finanziell großzügig, aber gegenüber Katharina Schratt ging diese Großzügigkeit sehr viel weiter. Im Jahr 1911 schenkte er ihr den gewaltigen Betrag von 2,5 Millionen Kronen (heute über 13 Millionen Euro), um ihre Versorgung sicherzustellen. Außerdem zahlte er regelmäßig ihre Spiel- und anderen Schulden. Vor allem aber schenkte Franz Joseph Katharina Schratt bei jeder sich bietenden Gelegenheit teuren Schmuck. Anna Nahowski dagegen hatte er nur ein einziges – zumindest im Vergleich unbedeutendes – Schmuckstück geschenkt. Beide Frauen waren während ihrer Beziehungen mit dem Kaiser verheiratet. Katharina Schratt hatte mit ihrem Ehemann, Miklos Baron Kiss de Ittebe, einen Sohn. Sie hatte sich von ihrem Mann schon getrennt, bevor sie den Kaiser kennenlernte, blieb aber bis 147
zu seinem Tod im Jahr 1909 formell mit ihm verheiratet. Daneben hatte sie andere Verehrer. Der prominenteste war Fürst (später Zar) Ferdinand von Bulgarien. Ob die beiden ein sexuelles Verhältnis hatten, ist nicht klar. Auf jeden Fall wusste Franz Joseph von ihrem Kontakt und war deshalb auch eifersüchtig. Auch Hans Graf Wilczek, ein Polarforscher und Kunstmäzen, war in Katharina Schratt verliebt und hatte zeitweilig eine Affäre mit ihr, von der Franz Joseph allerdings nichts wusste. Nach dem Tod Franz Josephs führte Katharina Schratt ein sehr zurückgezogenes Leben und hielt ihrem verstorbenen kaiserlichen Freund insofern die Treue, als sie keine Memoiren schrieb, obwohl ihr erhebliche Summen dafür geboten wurden.
Kinder Sophie Das erste Kind des Kaiserpaares wurde am 5. März 1855, ein knappes Jahr nach der Hochzeit, geboren und nach Franz Josephs Mutter Sophie Friederike getauft. Zwei Jahre später wurden Sophie und ihre kleine Schwester Gisela auf einer gemeinsamen Ungarnreise des Kaiserpaares krank. Gisela erholte sich schnell wieder, aber Sophie starb knapp drei Monate nach ihrem zweiten Geburtstag. Gisela Die zweite Tochter von Franz Joseph und Elisabeth wurde am 12. Juli 1856 geboren. Giselas Verhältnis zu ihrer Mutter war zeitlebens distanziert, dafür hatte sie eine sehr enge Beziehung zu ihrem Bruder Rudolf. Optisch und charakterlich war Sophie ihrem Vater durchaus ähnlich. Sie war eine vergleichbar nüchterne Persönlichkeit und verstand sich auch gut mit Franz Joseph. Giselas Schwester Marie Valerie bewunderte ihre Fähigkeit, entspannt mit dem zurückhaltenden und verschlossenen Vater zu plaudern, ohne dass die Gesprächsthemen 148
ausgingen. Ein ähnlich gutes Verhältnis hatte Franz Joseph auch zu Giselas Mann Leopold, einem bayerischen Prinzen, den sie 1873 heiratete. Er wurde einer von Franz Josephs liebsten Jagdbegleitern. Gisela und Leopold hatten zusammen vier Kinder: zwei Töchter und zwei Söhne. Nach dem Ende der Monarchie lebten die beiden bis zu ihrem Tod eher zurückgezogen in München. Leopold starb 1930, Gisela 1932. Rudolf Von den drei Kindern des Kaisers, die das Erwachsenenalter erreichten, hatte Rudolf, geboren am 21. August 1858, sicher das schwierigste Verhältnis zu seinem Vater. Als erster und einziger Sohn nahm er schon von Geburt an eine Sonderstellung ein. Von seinen Schwestern wurde in erster Linie erwartet, dass sie als junge Frauen in ein anderes ebenbürtiges Adelshaus einheirateten; Rudolf hingegen sollte seinem Vater als Kaiser nachfolgen. Daher wollte Franz Joseph den Kronprinzen von Anfang an so erziehen, wie es seinen Vorstellungen von einem künftigen Monarchen und seinen eigenen Vorlieben entsprach. Das bedeutete, dass Rudolf in allererster Linie Soldat werden sollte. Schon am Tag der Geburt ernannte der Kaiser seinen Sohn zum Oberst der k. k. Armee. In den Herrscherhäusern des 19. Jahrhunderts war es durchaus üblich, dass schon Buben Offiziere wurden. In Preußen etwa traten die Prinzen mit zehn Jahren als Leutnant (der niedrigste Offiziersrang) in die Garde ein. Auch Franz Joseph selbst war bekanntlich mit 13 Jahren zum Oberst ernannt worden. Als Oberst stand er nur eine Rangstufe unter den Generälen und war, zumindest nominell, der Kommandant einer Einheit von zumindest 1000 Soldaten. Trotz aller Reife und seines großen Interesses am Militär konnte und sollte Franz Joseph als Teenager die alltäglichen Pflichten eines tatsächlichen Regimentskommandanten nicht erfüllen, aber immerhin konnte er repräsentative Aufgaben übernehmen – und tat das auch mit Begeisterung. Beim 149
neugeborenen Rudolf war natürlich nicht einmal das möglich. Die Ernennung eines Babys zum Kommandanten einer großen militärischen Einheit erschien daher schon den Zeitgenossen ungewöhnlich; aus heutiger Sicht wirkt sie richtiggehend absurd. Mit sechs Jahren erhielt Rudolf einen eigenen männlichen Hofstaat. An dessen Spitze stand Generalmajor Leopold Gondrecourt, ein ebenso tapferer wie rücksichtsloser Offizier der k. k. Armee. Er sollte den Kronprinzen zu einem ebensolchen Offizier machen – und dieses Ziel wollte er mit brutalen Methoden erreichen. Er weckte den kleinen Buben mit Pistolenschüssen, setzte ihn in der Nacht im Lainzer Tiergarten aus und wollte ihn mit Kaltwasserkuren abhärten. Gerade für den sensiblen Rudolf waren diese Methoden denkbar ungeeignet. Joseph Graf Latour, ein Untergebener Gondrecourts, war so beunruhigt über die Entwicklung des Kronprinzen, dass er heimlich Kaiserin Elisabeth informierte, die gerade im Ausland war. Seit dem Tod der kleinen Sophie hatte sich Elisabeth nicht besonders intensiv um ihre Kinder gekümmert – zumal sie oft nicht am Kaiserhof war. Jetzt aber, nachdem sie den beunruhigenden Bericht Latours erhalten hatte, verlangte sie von Franz Joseph ultimativ die alleinige Kontrolle über die Erziehung ihrer Kinder. Auf Elisabeths Wunsch wurde Gondrecourt entlassen und Latour zum Erzieher des Kronprinzen bestellt. Latour war eher liberal eingestellt, verzichtete auf die brutalen Methoden seines Vorgängers und ging wesentlich stärker auf die Interessen des Kronprinzen ein. Rudolf war auffallend intelligent und vor allem naturwissenschaftlich sehr interessiert. Bis ans Ende seines Lebens gehörte die Vogelkunde zu seinen Leidenschaften. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Interessen hätte Rudolf gerne an einer Universität studiert, aber das ließ Franz Joseph nicht zu. Eine andere Leidenschaft entwickelte der Kronprinz, als er erwachsen wurde: die für Frauen. Er hatte zahlreiche Geliebte, besuchte regelmäßig Bordelle und war stolz darauf, dass ihm keine Frau widerstehen konnte. 150
Mit knapp 21 Jahren ging Rudolf 1881 eine arrangierte Ehe ein. Er heiratete die belgische Prinzessin Stephanie, die wenige Tage nach der Hochzeit 17 Jahre alt wurde. Ihr Vater war der belgische König Leopold II., ihre Mutter Henriette eine geborene Habsburgerin, sodass auch Rudolf mit seiner Ehefrau verwandt war – wenn auch deutlich entfernter als seine Eltern. Am 2. September 1883 wurde das einzige Kind des Paares geboren: Elisabeth, die im Familienjargon „Erszi“ (eine ungarische Koseform für Elisabeth) genannt wurde. Insgesamt war die Ehe von Stephanie und Rudolf wenig glücklich. Er hatte weiterhin viele Affären, infizierte sich mit einer Geschlechtskrankheit und dürfte auch seine Frau damit angesteckt haben, sodass sie unfruchtbar wurde. Auch sonst war Rudolf als junger Erwachsener wenig glücklich. Sein kaiserlicher Vater betraute ihn zwar mit militärischen Aufgaben, hielt ihn aber von allen politischen Entscheidungen fern. Rudolf war eindeutig liberal eingestellt, doch gerade in den 1880er-Jahren setzte Franz Joseph konsequent auf eine konservative Regierung. So war der Kronprinz nicht nur zur politischen Untätigkeit verurteilt, sondern musste auch den Eindruck gewinnen, dass sein Vater die Habsburgermonarchie in eine Richtung führte, die aus seiner Sicht falsch war. Abgesehen von Denkschriften, die er anonym veröffentlichte, konnte Rudolf keinen Einfluss darauf nehmen. Franz Joseph tat nichts, um seinen Sohn bewusst einzubinden, und nahm wohl auch nicht wahr, wie unglücklich der mit seiner Situation war. Rudolf war nicht der einzige Kronprinz, der in der für einen Thronfolger unvermeidlichen Warteposition frustriert und unterbeschäftigt war, aber bei ihm ging die Frustration sehr viel weiter als bei anderen, nämlich bis zur Lebensmüdigkeit. Schon 1888 hatte er seine Langzeitgeliebte Mizzi Caspar gefragt, ob sie sich gemeinsam mit ihm umbringen würde. Sie aber lehnte ab und berichtete der Polizei vom beunruhigenden Zustand des Kronprinzen – ohne dass dies Konsequenzen gehabt hätte. Ende Jänner 1889 kam es zu einer schweren Auseinandersetzung zwischen Franz Joseph und seinem Sohn, deren genauer Inhalt nicht 151
mehr rekonstruiert werden kann. Jedenfalls dürfte diese Konfrontation der Anlass dafür gewesen sein, dass Rudolf die Selbstmordgedanken, die er schon länger hatte, in die Tat umsetzte. Am 29. Jänner fuhr er mit seiner 17-jährigen Geliebten Mary Vetsera in das Jagdschloss Mayerling. Am nächsten Tag wurden die Leichen der beiden gefunden. Manche Details dieser Nacht sind unklar und werden sich nicht mehr klären lassen; dass Rudolf zuerst Mary Vetsera mit deren Einverständnis und dann sich selbst tötete, ist aber mit Abstand die wahrscheinlichste Variante. Trotzdem gab und gibt es zahlreiche andere Theorien über den Tod des Kronprinzen. Der Grund für die vielen Vermutungen und Gerüchte liegt vor allem im Verhalten von Kaiser und Hof nach den Ereignissen von Mayerling. Man versuchte nämlich zu vertuschen, dass Rudolf sich selbst getötet hatte und dass er mit einer Geliebten in Mayerling gewesen war. Dazu lancierte der Hof bewusst falsche Informationen und gab zunächst bekannt, der Kronprinz sei durch einen Herzschlag oder bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen. Nach kurzer Zeit mussten jedoch auch die offiziellen Seiten eingestehen, dass Rudolf Selbstmord begangen hatte. Hingegen wurde bis zum Ende der Monarchie nicht offiziell zugestanden, dass er mit Mary Vetsera in Mayerling gewesen war. Franz Joseph hatte an den Vertuschungsmaßnahmen nach dem Suizid unmittelbaren Anteil. Gemeinsam mit dem damaligen Ministerpräsidenten Taaffe vernichtete er sofort nach Rudolfs Tod eigenhändig Papiere seines Sohnes, die er für brisant hielt. Franz Josephs Aussagen über seinen Sohn und dessen Tod sind widersprüchlich. Einerseits soll er beklagt haben, dass sich Rudolf „wie ein Schneider“77 umgebracht habe. (Was immer er genau mit diesem Vergleich ausdrücken wollte, es war sicher eher abfällig gemeint.) Andererseits bezeichnete er ihn am Tag des Begräbnisses in einem Brief an Katharina Schratt als „den besten Sohn, den treuesten Unterthan“.78 Rudolfs Selbstmord traf den Kaiser sicher schwer, aber wie bei allen 152
anderen Schicksalsschlägen bewahrte er nach außen hin Haltung und erledigte seine Arbeit praktisch in derselben Weise wie sonst. Marie Valerie Marie Valerie, die jüngste Tochter des Kaiserpaares, wurde am 22. April 1868 geboren, fast zehn Jahre nach ihrem Bruder Rudolf. Sie war ein ausgesprochenes Wunschkind ihrer Mutter. Elisabeth hatte weder zu Gisela noch zu Rudolf eine besonders enge Beziehung, nicht zuletzt weil sie, jedenfalls bis 1865, nicht sehr an der Erziehung der beiden beteiligt wurde und durch ihre häufige Abwesenheit vom Wiener Hof oft von ihnen getrennt war. Für die Erziehung von Marie Valerie war die Kaiserin aber von Anfang an allein verantwortlich. Auf Elisabeths ausdrücklichen Wunsch kam das Kind in Buda (heute ein Teil von Budapest) zur Welt. Die Kaiserin nahm ihre Tochter meist auf ihre Reisen mit und erzog sie betont ungarisch. Beispielsweise sprach Elisabeth mit Marie Valerie prinzipiell nur ungarisch – und verlangte das zunächst auch von Franz Joseph. 1888 verlobte sich Marie Valerie mit ihrem Cousin dritten Grades, Erzherzog Franz Salvator. Anders als ihre Schwester Gisela, die in das bayerische Königshaus eingeheiratet hatte, blieb Marie Valerie somit auch nach ihrer Hochzeit ein Mitglied des Hauses Habsburg. Wegen des Selbstmords ihres Bruders fand die Hochzeit erst 1890 statt. Die Ehe war zunächst durchaus harmonisch; Franz Salvator hatte aber Affären mit anderen Frauen und das Verhältnis der beiden Ehepartner verschlechterte sich deutlich. Trotzdem bekam Marie Valerie zehn Kinder, mehr als ihre Geschwister Gisela und Rudolf zusammen. Marie Valerie verehrte ihren Vater sehr und hatte – im Vergleich zum Kronprinzen – ein eher unproblematisches Verhältnis zu ihm. Eine gewisse Befangenheit ihm gegenüber konnte sie aber nie ablegen. Als Franz Joseph 1916 starb, hinterließ er Marie Valerie unter anderem die Kaiservilla in Ischl. Marie Valerie und ihr Mann verzichteten schon 1919 auf ihre möglichen Herrscherrechte und konnten so ihr 153
Privateigentum in der Republik Österreich behalten. Die Kaiservilla befindet sich daher noch immer im Besitz eines Enkels von Marie Valerie. Sie selbst überlebte ihren Vater nur um acht Jahre; am 6. September 1924 starb sie mit 56 Jahren an Lymphdrüsenkrebs.
Andere Familienmitglieder Kaiser Ferdinand Franz Josephs Vorgänger Ferdinand zog sich nach seiner Abdankung nach Prag und Mähren zurück und hielt sich aus der Politik seines Neffen vollkommen heraus. Nach dessen Niederlage in der Schlacht von Solferino 1859 konnte er sich einen Kommentar aber nicht verkneifen und meinte: „So hätt’ i’s a troffn“ (im Sinne von ‚Das hätte ich auch zusammengebracht‘). Insgesamt dürfte der Kontakt zwischen Onkel und Neffe nach 1848 freundlich, aber wenig intensiv gewesen sein. Franz Joseph hatte Ferdinand 1848 zwar als Kaiser und Oberhaupt des Hauses Habsburg abgelöst, das kaiserliche Privatvermögen war aber bei Ferdinand geblieben. Der Ex-Kaiser war also durchaus vermögend und nach der Abdankung erwies er sich als geschickter und erfolgreicher Verwalter seiner Güter. Franz Joseph hingegen war in den ersten Jahren seiner Regierung ein vergleichsweise „armer“ Monarch. Als Ferdinand 1875 ohne Nachkommen starb, setzte er aber seinen Neffen und Nachfolger auch zum Universalerben ein, sodass Franz Joseph nun auch das Privatvermögen von Ferdinand erhielt. Franz Ferdinand Mit dem Tod von Kronprinz Rudolf wurde Franz Josephs Bruder Karl Ludwig automatisch zum neuen Thronfolger. Allerdings rechneten die meisten Leute nicht damit, dass Karl Ludwig jemals Kaiser werden würde. Er zeigte nämlich keinerlei Interesse an Politik, und so gab es Grund zur Annahme, dass er im Falle des Falles zugunsten seines 154
Sohnes Franz Ferdinand verzichten würde. Diese Frage hätte sich jedoch nur gestellt, wenn Karl Ludwig seinen kaiserlichen Bruder überlebt hätte. Tatsächlich starb er aber schon 1896. Damit wurde Karl Ludwigs ältester Sohn Franz Ferdinand automatisch zum Thronfolger. Franz Ferdinand wurde am 18. Dezember 1863 geboren und begann – wie die anderen Erzherzöge – bereits als Teenager eine militärische Laufbahn. Knapp 30-jährig erkrankte er dann an Tuberkulose und musste wegen dieser Krankheit seinen Militärdienst unterbrechen und mehrere Kuraufenthalte absolvieren. 1896 war er beispielsweise aus Gesundheitsgründen in Ägypten. Sein Vater besuchte ihn dort und reiste bei dieser Gelegenheit auch nach Palästina – wo er dann das verseuchte Jordanwasser trank. Franz Ferdinand hingegen kehrte gesund zurück nach Wien. Viele Leute hatten nicht mehr damit gerechnet, dass er sich wieder erholen würde, und ihn gewissermaßen schon „abgeschrieben“. Das verärgerte den aufbrausenden und nachtragenden Franz Ferdinand. In den folgenden Jahren kam es zu einem schweren Konflikt zwischen Kaiser und Thronfolger, der das Verhältnis der beiden bis zum Schluss belasten sollte. Vermutlich 1896 hatte Franz Ferdinand bei Erzherzogin Isabella deren Hofdame Sophie Gräfin Chotek kennengelernt und sich in sie verliebt. Sophie stammte aus altem böhmischem Adel, nach dem Familienstatut der Habsburger war sie aber nicht ebenbürtig, weil sie nicht aus einem aktuellen oder ehemaligen Herrscherhaus kam. Nicht standesgemäße Ehen waren bei den Habsburgern nicht schlechthin verboten. Sie mussten aber – wie jede andere Ehe im Kaiserhaus – vom Kaiser genehmigt werden. Außerdem konnten Nachkommen aus einer nicht standesgemäßen Ehe selbst nicht Mitglieder des Kaiserhauses werden. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte es einen prominenten Fall einer solchen Ehe gegeben: Erzherzog Johann, der Bruder von Kaiser Franz II./I., hatte 1819 die Postmeisterstochter Anna Plochl kennengelernt, sich 155
in sie verliebt und beschlossen, sie zu heiraten. Dafür brauchte er die Zustimmung seines kaiserlichen Bruders, der sie ihm nach langen schwierigen Verhandlungen erst 1829 gab – und bis 1833 außerdem darauf bestand, dass die Ehe geheim blieb. Der einzige Sohn von Erzherzog Johann und Anna Plochl war kein Mitglied des Kaiserhauses und somit nicht Erzherzog; er wurde aber später zum Grafen von Meran ernannt. Franz Joseph war Franz II./I. in vielen Dingen ähnlich – und lehnte nicht standesgemäße Ehen genauso ab wie sein Großvater und Vorvorgänger. Als 1899 die Beziehung zwischen Franz Ferdinand und Sophie Chotek bekannt wurde, verweigerte der Kaiser zunächst die Erlaubnis zur Heirat und versuchte, Franz Ferdinand von seinen Eheplänen abzubringen. Franz Ferdinand beharrte aber darauf und erklärte, er würde auch auf die Thronfolge verzichten, falls das nötig sein würde, um Sophie heiraten zu können. Das wiederum wollte Franz Joseph vermeiden. Franz Ferdinand war sicher nicht sein ausgesprochener Wunschnachfolger, aber wenn Franz Ferdinand auf den Thron verzichtet hätte, wäre dessen Bruder Otto Thronfolger geworden. Otto war aber ein echter „Hallodri“ und in viele Skandale verwickelt. Der vielleicht bekannteste davon ereignete sich im Hotel Sacher, als Otto von einer Geliebten aus dem gemeinsamen Zimmer ausgesperrt wurde – und dabei mit nichts außer einem Säbel „bekleidet“ war. Einen Charakter wie Otto wollte Franz Joseph keinesfalls als Thronfolger und für Franz Ferdinand wäre ein Thronverzicht nur die Ultima Ratio gewesen. Also gab Franz Joseph schlussendlich seine Zustimmung zur Ehe zwischen Franz Ferdinand und Sophie Chotek. Es musste aber – wie auch bei Erzherzog Johann und Anna Plochl – eine sogenannte morganatische Ehe sein. Das bedeutete, dass Sophie nicht, wie es damals üblich war, ein Teil der Familie ihres Ehemannes wurde. Sie wurde keine Erzherzogin und konnte – obwohl ihr Mann Kaiser werden sollte – selbst nicht Kaiserin und Königin 156
werden, sondern nur Gemahlin des Kaisers und Königs. Franz Joseph verlieh ihr aber den Titel einer Fürstin, später Herzogin von Hohenberg. Auch Franz Ferdinands Kinder wurden dementsprechend keine Habsburger und hatten daher keine Thronansprüche. Am 28. Juni 1900 musste Franz Ferdinand im Zeremoniensaal der Wiener Hofburg vor den Mitgliedern des Kaiserhauses einen feierlichen Eid leisten. Damit bestätigte er, dass Sophie nicht ebenbürtig war und verzichtete für sie und die künftigen gemeinsamen Kinder auf alle Thronansprüche. Nur im Gegenzug zu dieser Verzichtsleistung war Franz Joseph bereit, die Ehe zwischen Franz Ferdinand und Sophie zu erlauben. Damit wollte er vermeiden, dass Franz Ferdinand das Familienstatut der Habsburger als Kaiser später so abändern konnte, dass Sophie Kaiserin würde und die Kinder doch Thronfolgeansprüche hätten. Am 1. Juli 1900 konnten Franz Ferdinand und Sophie dann tatsächlich heiraten. Die Hochzeit fand im kleinsten Rahmen in der Kapelle von Schloss Reichstadt in Böhmen statt und bildete so einen auffälligen Kontrast zum großen Zeremoniell des Verzichtseids drei Tage zuvor. Vom Kaiserhaus kam niemand außer Franz Ferdinands Stiefmutter zur Hochzeit. Franz Ferdinand und Sophie hatten drei Kinder: eine Tochter und zwei Söhne; ein dritter Sohn wurde 1908 tot geboren. Franz Ferdinand war insgesamt kein einfacher Charakter; er war empfindlich und cholerisch. Dennoch entwickelte sich die Ehe mit Sophie sehr harmonisch und die beiden waren ihren Kindern liebevolle Eltern. Das Verhältnis des Thronfolgers zu seinem Onkel Franz Joseph blieb aber belastet und der Kaiser bemühte sich auch nicht besonders um eine Verbesserung. Sophie wurde im Hofzeremoniell immer wieder zurückgesetzt. Beispielsweise durfte sie in Theatern nicht mit ihrem Mann in der Hofloge sitzen und konnte auch sonst bei Hoffesten nicht gemeinsam mit ihm auftreten. Diese Behandlung seiner Frau verbitterte Franz Ferdinand – nicht zuletzt gegenüber dem Kaiser. Wer Sophie hingegen als gleichrangig behandelte, konnte sich damit 157
auch Franz Ferdinands Sympathie sichern. Zum Beispiel war es ein Grund für die Freundschaft zwischen dem Thronfolger und dem deutschen Kaiser Wilhelm II., dass dieser Sophie gegenüber jede Zurücksetzung vermied. Franz Joseph betraute Franz Ferdinand vor allem mit militärischen Aufgaben. Dafür erhielt der Thronfolger einen eigenen militärischen Stab, die Militärkanzlei, die sich bald zu einer Art persönlichem „Think-Tank“ entwickelte. 1913 ernannte der Kaiser Franz Ferdinand zum „Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht“. Damit war der Thronfolger für den Fall eines Krieges der designierte Oberbefehlshaber der österreichisch-ungarischen Streitkräfte. Er war ebenso wie sein Onkel auf der einen Seite militärbegeistert, auf der anderen Seite aber alles andere als ein Kriegstreiber. In der Armee sah er eine unverzichtbare Klammer für den Zusammenhalt der Habsburgermonarchie. Im Unterschied zu Franz Joseph war Franz Ferdinand auch ein großer Förderer der Kriegsmarine. Gerade weil der Kaiser kein großes Interesse an der Marine hatte, bot sich für den Thronfolger hier ein eigenständiges Betätigungsfeld. An politischen Entscheidungen beteiligte Franz Joseph seinen Neffen jetzt grundsätzlich ebenso wenig wie früher seinen Sohn. Trotzdem konnte Franz Ferdinand sehr viel mehr informellen Einfluss erlangen als Rudolf. Das hängt einerseits damit zusammen, dass er die Militärkanzlei hatte, die er bewusst zu einer „Nebenregierung“ ausbaute. Andererseits war Franz Joseph in der Zeit, in der Franz Ferdinand sein Thronfolger war, bereits wesentlich älter als zu Lebzeiten Rudolfs. Ein möglicher Thronwechsel rückte immer näher, und daher richteten sich die Entscheidungsträger zwar nach dem Kaiser, schielten aber gleichzeitig in Richtung seines vorgesehenen Nachfolgers. Bekanntlich trat Franz Ferdinand aber nie die Nachfolge seines Onkels an. Im Juni 1914 führte die k. u. k. Armee in Bosnien-Herzegovina Manöver durch, an denen auch Franz Ferdinand 158
als Generalinspektor teilnahm. Sophie begleitete ihn nach Bosnien, und nach Abschluss der Manöver besuchten die beiden am 28. Juni die bosnische Hauptstadt Sarajevo. In Sarajevo wartete eine Gruppe von jungen nationalistischen bosnischen Serben auf den Thronfolger, um ihn zu ermorden. Die Attentäter standen in Kontakt mit dem serbischen Geheimdienst und erhielten Pistolen und Bomben aus serbischen Armeebeständen. Am 28. Juni verteilten sie sich entlang der Fahrtroute des Thronfolgerpaares in der Stadt. Franz Ferdinand und Sophie kamen am Vormittag in Sarajevo an und fuhren in einer Kolonne von sechs Autos durch die Stadt; dabei saßen sie im zweiten Auto. Noch am Vormittag versuchte einer der Verschwörer, der 19-jährige Nedeljko Čabrinović, den geplanten Anschlag in die Tat umzusetzen: Er warf eine Bombe auf das Auto, in dem das Thronfolgerpaar saß. Als der Fahrer bemerkte, dass etwas auf den Wagen zuflog, gab er Gas – und so traf die Bombe zwar das hinten zusammengefaltete Verdeck des Autos, fiel dann aber auf die Straße und explodierte beim nachfolgenden Wagen. In diesem Auto wurde ein Offizier so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus gebracht werden musste; außerdem wurde Sophie von einem Splitter am Hals getroffen und erlitt dadurch einen kleinen Kratzer. Trotz des ersten Anschlags wurde der Besuch in Sarajevo fortgesetzt. Allerdings änderte Franz Ferdinand das Programm ab, weil er am Nachmittag den verletzten Offizier im Spital besuchen wollte. Diese Änderung des Programms wurde den Autofahrern aber nicht (ausreichend) mitgeteilt – und das war fatal. An der entscheidenden Stelle fuhr die Wagenkolonne zunächst in die falsche Richtung. Um dieses Missverständnis zu korrigieren, blieb das Auto des Thronfolgers für einen kurzen Moment stehen – genau an der Ecke, an der einer der Verschwörer stand: der 19-jährige Gavrilo Princip. Nach dem gescheiterten Attentatsversuch von Čabrinović trank er enttäuscht einen Kaffee an einem Straßentisch, und es war ein reiner Zufall, dass die Autokolonne nicht nur an ihm vorbeifuhr, sondern in seiner 159
unmittelbaren Nähe – wenn auch nur für einen Moment – stehen blieb. Princip nutzte die Gelegenheit – und schoss zwei Mal. Mit dem ersten Schuss traf er Sophie in den Unterleib, mit dem zweiten Franz Ferdinand in den Hals. Man brachte das Thronfolgerpaar mit dem Auto in den Konak von Sarajevo, den Sitz des Landeschefs von Bosnien-Herzegowina. Sophie starb noch im Auto, Franz Ferdinand kurz danach im Konak. Gavrilo Princip versuchte erfolglos, sich umzubringen, und wurde verhaftet. Ihm und den anderen Attentätern wurde der Prozess gemacht. Da Princip nach der damaligen Rechtslage noch nicht volljährig war, wurde er, anders als einige seiner Mitverschwörer, nicht hingerichtet, sondern zu lebenslangem Kerker verurteilt. Er verbüßte seine Strafe in der Festung Theresienstadt und starb dort im Frühjahr 1918. Als Franz Joseph von der Ermordung des Thronfolgers erfuhr, soll er gesagt haben: „Entsetzlich! Der Allmächtige lässt sich nicht herausfordern. Eine höhere Gewalt hat wieder jene Ordnung hergestellt, die ich nicht erhalten konnte.“79 Katharina Schratt hat den Tod Franz Ferdinands angeblich mit folgenden Worten kommentiert: „Jetzt wird er [Franz Ferdinand] ihn [Franz Joseph] nicht mehr quälen können.“80 Es ist klar, dass die Ermordung seines Neffen den Kaiser persönlich weniger traf als der Tod seines Bruders, seines Sohnes und seiner Frau. Weltgeschichtlich war das Attentat von Sarajevo hingegen ungleich folgenschwerer. Karl Nach der Ermordung Franz Ferdinands konnte sein älterer Sohn Maximilian nicht neuer Thronfolger werden, weil er eben nicht aus einer standesgemäßen Ehe stammte und daher kein Habsburger war. Auch Franz Ferdinands Bruder Otto konnte nicht mehr Thronfolger werden; er war schon 1906 an Syphilis gestorben. Somit wurde Ottos ältester Sohn Karl zum Thronfolger. 160
Erzherzog Karl Franz Joseph wurde am 17. August 1887 auf Schloss Persenbeug in Niederösterreich geboren. Von seiner Mutter wurde er betont katholisch erzogen und mit 16 Jahren begann er seine Karriere in der k. u. k. Armee. Nach dem Tod von Karls Vater übernahm Franz Ferdinand die Vormundschaft für seinen Neffen, nicht zuletzt weil Karl jetzt an zweiter Stelle in der Thronfolge stand. Karl hatte sowohl zu Franz Joseph als auch zu Franz Ferdinand ein gutes Verhältnis – durchaus bemerkenswert angesichts der starken Spannungen zwischen den beiden. 1911 heiratete er Zita von Bourbon-Parma. Nach der ihm so unliebsamen Ehe Franz Ferdinands war Franz Joseph mit Karls Wahl sehr zufrieden, weil sie das standesgemäße Weiterbestehen der Dynastie zu sichern schien. Bei der Hochzeit in Schwarzau entstanden die bekanntesten Filmaufnahmen des alten Kaisers, der auf keinem anderen Film so nahe und so unmittelbar in eine Filmkamera schaut. Auch Franz Ferdinand ist auf dem Film von der Hochzeit zu sehen, seine Frau Sophie aber nicht – sie durfte nicht dabei sein. Einen Monat nachdem Karl durch den Tod Franz Ferdinands Thronfolger geworden war, erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. In die Entscheidungsprozesse, die zu dieser Kriegserklärung führten, band Franz Joseph seinen Großneffen nicht ein. Nach dem Beginn des Krieges wurde Karl dem österreichisch-ungarischen Armeeoberkommando zugeteilt; auch dort wurde Karl nicht in die Entscheidungsfindung eingebunden und blieb im Wesentlichen auf repräsentative Aufgaben beschränkt. Mitte 1915 holte der Kaiser den Thronfolger zurück nach Wien, damit er Einblicke in die Regierung der Donaumonarchie gewinnen konnte. Diese Ausbildung bestand in erster Linie daraus, dass Karl jene Akten zu lesen bekam, die der Kaiser bearbeitete. Gelegentlich erklärte Franz Joseph dem Thronfolger wohl auch die eine oder andere, aus seiner Sicht besonders wichtige Sache. Indem Franz Joseph Karl zu sich holte, ließ er ihn politisch wesentlich näher an sich heran als Rudolf und Franz Ferdinand zuvor. Auch Karl hatte zu Lebzeiten Franz Josephs aber keinen substanziellen Einfluss 161
auf die Entscheidungen des alten Kaisers und seiner Berater. Karl dürfte aber weit weniger unter seiner Position als Thronfolger gelitten haben als Rudolf und Franz Ferdinand vor ihm. Im Frühjahr 1916 kehrte Karl an die Front zurück. Zuerst übernahm er das Kommando eines Armeekorps an der Italienfront und kommandierte dann ab August eine Heeresgruppe in Rumänien. Er nahm diese Aufgaben ernst, auch wenn die militärische Führung seiner Truppen faktisch eher in der Hand seiner Generalstabschefs lag. In Rumänien war das der deutsche Offizier Hans von Seeckt, der später in der Weimarer Republik Chef der Heeresleitung wurde. Als im November 1916 absehbar war, dass Kaiser Franz Joseph nicht mehr lange leben würde, kehrte Karl nach Wien zurück und war dann auch bei seinem Großonkel, als der starb. Mit Franz Josephs Tod wurde Karl automatisch zum neuen Kaiser – und übernahm ein schweres Erbe. Einerseits musste er mitten in einem Weltkrieg die Regierung eines instabilen Vielvölkerstaates übernehmen, andererseits trat er die Nachfolge eines Mannes an, der fast 70 Jahre lang Kaiser gewesen war. Karl unterschied sich in einem wesentlichen Punkt von praktisch allen anderen Staatsoberhäuptern der kriegführenden Parteien. Er wollte den Krieg beenden und dabei war ihm der Frieden insgesamt wichtiger als ein österreichisch-ungarischer Sieg. Der Frieden war ihm ein persönliches und ehrliches Anliegen, aber er verfolgte dieses Ziel nicht immer sehr geschickt. Es ist sehr fraglich, ob ein anderer, entschlossenerer Kaiser an seiner Stelle mit Friedensbemühungen erfolgreicher gewesen wäre. Eines ist aber klar: Die Durchsetzung seiner Ziele war für Karl schon allein deshalb schwerer, weil ihm jene Autorität fehlte, die Franz Joseph hatte, weil er schon bei der Geburt seiner meisten Minister Kaiser gewesen war. Aussteiger Beim Tod Franz Josephs hatte das Kaiserhaus etwa 90 Mitglieder. Als Familienoberhaupt hatte der Kaiser entscheidenden Einfluss 162
auf deren Lebensumstände. Er musste alle Ehen, Vormundschaften und Adoptionen im Kaiserhaus genehmigen. Außerdem konnte er festlegen, wo sich die Familienmitglieder aufzuhalten hatten und wer in deren Hofstaaten aufgenommen wurde. Die Erzherzöge und Erzherzoginnen unterlagen also einer besonderen familiären Gewalt. Gleichzeitig genossen sie zahlreiche Privilegien und erhielten auf Staatskosten eine opulente finanzielle Versorgung. Trotzdem traten in der Regierungszeit Kaiser Franz Josephs einige Erzherzöge freiwillig aus dem Kaiserhaus aus. In allen Fällen spielten nicht standesgemäße Beziehungen eine Rolle. 1868 etwa heiratete Erzherzog Heinrich in Bozen die bürgerliche Sängerin Leopoldine Hofmann. Obwohl Franz Joseph nicht standesgemäße Ehen grundsätzlich ablehnte, war er bereit, diese Ehe unter bestimmten Voraussetzungen zu akzeptieren: Heinrich musste aus dem Kaiserhaus austreten und Österreich verlassen. Drei Jahre später entschied sich der Kaiser, Heinrich wieder in das Kaiserhaus aufzunehmen. Beides waren Premieren: Heinrich war der erste Erzherzog, der aus dem Kaiserhaus austrat, und er war der erste und einzige, der wieder aufgenommen wurde. Der nächste Aussteiger, Erzherzog Johann Salvator, verließ das Kaiserhaus 1889 und heiratete kurz darauf die Tänzerin Ludmilla „Milli“ Stubel. Diese Beziehung war nicht der einzige Grund für Johanns Austritt aus dem Kaiserhaus. Er war durch seine liberale und unkonventionelle Einstellung ein Enfant terrible innerhalb der kaiserlichen Familie. 1887 hatte er seine militärischen Ämter niedergelegt, nachdem er bei der Wahl des Fürsten von Bulgarien eine unglückliche Rolle gespielt hatte. Als er beim Kaiser um den Austritt aus dem Kaiserhaus ansuchte, erklärte Johann, er wolle lieber „als gewöhnlicher Mensch eine neue Existenz“ beginnen, statt „das unwürdige Dasein eines fürstlichen Müßiggängers weiter zu führen.“81 Franz Joseph knüpfte seine Genehmigung an strenge Bedingungen: Johann erhielt keinerlei finanzielle Unterstützung und durfte die 163
Habsburgermonarchie nicht mehr betreten. Im Sommer 1890 verließ Johann Orth, wie er sich jetzt nannte, gemeinsam mit seiner Frau den Hafen von La Plata auf einem neu gekauften Schiff in Richtung Chile. Das Schiff erreichte sein Ziel nie; es dürfte in einem Sturm untergegangen sein. Zehn Jahre nach dem Verschwinden von Johann Orth konnte Franz Ferdinand dem Kaiser die Ehe mit Sophie Chotek abtrotzen. Das war das einzige Mal, dass Franz Joseph eine morganatische Ehe genehmigte, ohne dass der heiratswillige Erzherzog aus dem Kaiserhaus austreten musste. Dafür gibt es wohl mehrere Gründe: Franz Ferdinand wollte zwar keine ebenbürtige Frau heiraten, aber immerhin eine aus dem Hochadel. Außerdem wollte Franz Joseph vermeiden, dass Otto zum Thronfolger wurde. Schließlich war Franz Ferdinand in der Auseinandersetzung mit seinem Onkel wohl besonders beharrlich und unnachgiebig. Beide Brüder Franz Ferdinands, Otto und Ferdinand Karl, lehnten seine Ehe mit Sophie ab. Wenige Jahre später verliebte sich Ferdinand Karl aber selbst in eine nicht ebenbürtige Frau: Bertha Czuber, die Tochter eines Universitätsprofessors für Mathematik. 1909 heirateten sie heimlich – worüber Ferdinand Karl den Kaiser erst zwei Jahre später informierte. Franz Joseph genehmigte die Ehe nur unter der Bedingung, dass Ferdinand Karl aus dem Kaiserhaus austrat. Der frühere Erzherzog, der sich nun Ferdinand Burg nannte, erhielt vom Kaiser aber weiterhin eine erhebliche finanzielle Unterstützung und durfte auch in Österreich-Ungarn bleiben. Allerdings wurde ihm vom Kaiser verboten, nach Wien zu kommen. Eine Ausnahme machte Franz Joseph 1914 nur für einen einzigen Besuch, damit Ferdinand Karl an den Trauerfeierlichkeiten für seinen in Sarajevo ermordeten Bruder teilnehmen konnte. Ferdinand und Bertha Burg führten eine glückliche, aber kurze Ehe. Er starb schon 1915, und seine Frau überlebte ihn um 64 Jahre. Im Gegensatz zum bürgerlichen Ferdinand Karl war Erzherzog Leopold Ferdinand ein Enfant terrible des Kaiserhauses. In den späten 164
1890er-Jahren begann er eine Beziehung mit der ehemaligen Prostituierten Wilhelmine Adamovicz. Um sie heiraten zu können, bat er den Kaiser 1903 um seine Entlassung aus dem Kaiserhaus. Leopold Ferdinand, der sich ab nun Leopold Wölfling nannte, konnte erreichen, dass er finanziell weiter aus dem habsburgischen Familienvermögen versorgt wurde. Im Gegenzug musste er aber die Habsburgermonarchie verlassen. Leopold Wölfling und Wilhelmine Adamovicz heirateten dann in der Schweiz, ließen sich aber schon nach wenigen Jahren wieder scheiden. Auch seine zweite Ehe, wieder mit einer Ex-Prostituierten, hielt nur einige Jahre. Nach dem Ersten Weltkrieg lebte Leopold Wölfling verarmt und ohne dauerhafte Beschäftigung zunächst in Wien, dann in Berlin. Dort heiratete er ein drittes Mal, wurde ein Anhänger der Nationalsozialisten und starb schließlich 1935. Gut 20 Jahre zuvor, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, hatte er in die Habsburgermonarchie zurückkehren wollen, um in der k. u. k. Armee zu kämpfen. Franz Joseph hatte das abgelehnt und zu Leopolds Mutter gesagt: „Erwähne den Namen Leopold nicht mehr. Er ist, seit ich ihn verbannt habe, tot für mich und er wird es immer bleiben!“82 Dieser Ausspruch zeigt, wie unnachgiebig Franz Joseph nicht standesgemäße Verbindungen ablehnte – zumindest bei männlichen Familienmitgliedern. Bei seinen weiblichen Verwandten war er nicht genauso streng. Franz Josephs älteste Enkelin, Giselas Tochter Elisabeth, heiratete 1893 als erstes Enkelkind – und zwar heimlich, weil ihr Ehemann, Otto Freiherr von Seefried, nicht ebenbürtig war. Als die heimliche Ehe schließlich bekannt wurde, lehnten Elisabeths Vater und ihr väterlicher Großvater (der bayerische Prinzregent) die Ehe strikt ab. Das österreichische Kaiser- und Großelternpaar akzeptierte die nicht standesgemäße Ehe hingegen nach kurzer Zeit. Franz Joseph war zunächst zwar, wie er an Kaiserin Elisabeth schrieb, „niedergeschmettert“. Dann machte er Seefried aber zum Offizier der k. u. k. Armee und erhob ihn 1904 in den österreichischen Grafenstand. 165
Außerdem trug er, gemeinsam mit Gisela, dazu bei, dass sich seine Enkelin Elisabeth und ihr Vater wieder annäherten. Als das Ehepaar Seefried 1895 eine erste Tochter bekam, schrieb Franz Joseph an seine Frau: „Also wir können uns gegenseitig gratulirn, daß wir Urgroßeltern geworden sind; eigentlich ein Zeichen unseres vorgeschrittenen Alters. Wir hätten vor Zeiten kaum gedacht, daß unser erstes Urenkelkind eine Baronin Seefried sein würde. Aber so geht es eben auf dieser Welt!“83 Als Stephanie, die Witwe Kronprinz Rudolfs, im Jahr 1900 zum zweiten Mal heiratete, war die Konstellation eine ähnliche: Ihr Bräutigam, der ungarische Graf Elemér Lónyay, war nicht ebenbürtig. Stephanies Vater, Leopold II. von Belgien, verweigerte daraufhin jeglichen Kontakt mit seiner Tochter und verjagte sie 1902 sogar vom Begräbnis ihrer Mutter. Im Gegensatz dazu hatte Franz Joseph weiterhin nicht sehr intensiven, aber regelmäßigen und freundlichen Kontakt mit Stephanie und unterstützte sie auch finanziell. Es stellt sich also die Frage, warum der Kaiser bei den nicht standesgemäßen Ehen seiner männlichen Verwandten so viel strikter war als bei den weiblichen. Ein Grund mag darin liegen, dass seine Enkelin und seine Schwiegertochter ihm einfach näherstanden als seine Neffen und noch weiter entfernte Verwandte. Außerdem könnte es sein, dass es für Franz Joseph aus einer chevaleresken Haltung heraus schwieriger war, einer Frau einen Wunsch abzuschlagen als einem Mann. Der wichtigste Grund dürfte aber – und das war für Franz Joseph ganz typisch – ein formaler gewesen sein: In dem Moment, in dem eine Erzherzogin heiratete, verlor sie ihre Mitgliedschaft im Kaiserhaus und wurde stattdessen eine Angehörige der Familie ihres Mannes. Gisela wurde beispielsweise mit ihrer Hochzeit Mitglied des bayerischen Königshauses. Daher war ihre Tochter Elisabeth zwar Franz Josephs Enkelin, aber niemals Mitglied des österreichischen Kaiserhauses. Sie war bei ihrer Geburt eine bayerische Prinzessin und mit ihrer Hochzeit wurde sie ein Mitglied der Familie Seefried. 166
Stephanie war auch nach Rudolfs Tod noch Mitglied des Kaiserhauses. Als sie den Grafen Lónyay heiratete, beendete das aber automatisch ihre Zugehörigkeit zum Kaiserhaus und machte sie stattdessen zu einem Teil der Familie Lónyay. Wenn eine Erzherzogin nicht standesgemäß heiratete, konnte das also nie dazu führen, dass jemand, der nicht ebenbürtig war, in das Kaiserhaus hineinkam. Deshalb war Franz Joseph bei den Ehen seiner weiblichen Verwandten so viel entspannter.
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Persönlichkeit Schon Bismarck hatte dem jungen Kaiser eine große Ernsthaftigkeit attestiert, und tatsächlich nahm Franz Joseph seine Aufgabe als Monarch so ernst, dass seine Privatperson dahinter fast völlig zurücktrat. Sein Adjutant Margutti meinte daher auch, das auffälligste Charaktermerkmal des Kaisers sei seine „Entpersönlichung“ gewesen. Wie ernst der Kaiser seine Funktion als Staatsoberhaupt nahm, zeigte sich zunächst an seinem Arbeitseifer. Er war von jeher ein Frühaufsteher. Seine Neigung, „mit den Hühnern“ aufzustehen, wurde mit fortschreitendem Alter immer ausgeprägter, sodass der Kaiser in seinen letzten Lebensjahren schließlich zwischen drei und halb vier in der Früh – eigentlich noch in der Nacht – aufstand. Den weitaus größten Teil seines Tages verbrachte Franz Joseph mit Arbeit. Ministerpräsident Schwarzenberg hielt schon in Bezug auf den etwa 20-jährigen Kaiser fest, dass zumindest zehn Stunden seines Tages mit Arbeit ausgefüllt waren.84 Die Arbeit bestand für den Kaiser aus repräsentativen Pflichten, Besprechungen mit seinen Beratern und vor allem aus dem Lesen von Akten. Franz Joseph war ein Freund der „schriftlichen Erledigung“. Zu Margutti bemerkte er diesbezüglich einmal: „Glauben Sie mir, in wichtigen Dingen ist der schriftliche Weg nicht nur der verläßlichste, sondern auch der schnellste. Man muß eben bloß wissen, was man will, dann bringt man es auch mühelos zu Papier; aber auch nur dann! Und vor dem scheuen sich die meisten!“85 Es ist kein Zufall, dass der Kaiser auch noch an seinem letzten Lebenstag Akten erledigte. Die Grundlage für Franz Josephs Entscheidungen waren praktisch immer die ihm vorgelegten Akten. Wichtige Angelegenheiten besprach er außerdem mit seinen Ministern und sonstigen Beratern. Am häufigsten besprach sich der Kaiser mit dem Außenminister, weil er gerade die Außenpolitik als seinen ganz persönlichen Bereich betrachtete. Außerdem hatte der Außenminister als Hausminister 169
noch besondere Aufgaben im Zusammenhang mit dem Herrscherhaus. Im Ersten Weltkrieg hatte dann der Vorsteher der kaiserlichen Militärkanzlei die längsten und häufigsten Besprechungen mit dem Kaiser, weil er ihm über die militärische Lage berichtete. Während des größten Teils seiner Regierungszeit übernahm Franz Joseph auch regelmäßig den Vorsitz in den Ministerratssitzungen. In den letzten zehn Jahren seines Lebens tat er das aber nur noch in seltenen Ausnahmefällen – offenbar waren ihm Besprechungen mit mehreren Leuten gleichzeitig zu anstrengend geworden. Alle Mitarbeiter des Kaisers betonten neben seinem Fleiß und seiner Genauigkeit auch, wie gut er sich in Politik und Verwaltung seines Reichs auskannte und was für ein exzellentes Gedächtnis er hatte. Es ist fast schon ein Topos, Herrschern ein gutes Gedächtnis zuzuschreiben; Napoleon, Wilhelm II. oder auch Hitler sind besonders berühmte (oder auch berüchtigte), aber keineswegs die einzigen Beispiele. Vielfach wird dieser Eindruck nicht nur dadurch entstanden sein, dass das Gedächtnis tatsächlich so herausragend war, sondern vor allem dadurch, dass Herrscher vor ihren Begegnungen mit anderen Menschen in der Regel gut vorbereitet werden. Das galt auch für Franz Joseph, zumal er kein Freund spontaner Aktivitäten war, sondern Anhänger genauer und rechtzeitiger Vorbereitungen. Trotzdem sind die Zeugnisse über sein ausgezeichnetes Gedächtnis so einhellig, dass mehr daran gewesen sein muss als bloß gute Vorbereitung. Franz Josephs Kenntnis des Staatswesens beschrieb Margutti folgendermaßen: „wir sehen in ihm, vor allem, einen ungemein geschickten Maschinenleiter, einen hervorragenden Werkführer, welcher mit selten zarter und geduldiger Hand das ungeheuer komplizierte Werk der Führung und Verwaltung einer dualistischen Monarchie im Gange erhielt.“86 Spätestens ab der Mitte seiner Regierungszeit hatte Franz Joseph wesentlich mehr politische Erfahrung, als seine Minister überhaupt haben konnten. Der Ministerpräsident mit der längsten Amtszeit war 170
bekanntlich Eduard Graf Taaffe mit knapp 13 Jahren. Als er 1879 von seinem Altersgenossen Franz Joseph in dieses Amt berufen wurde, war der freilich schon 31 Jahre lang Kaiser gewesen. Natürlich hatte auch Taaffe vorher eine politische Karriere gemacht, war auch schon Minister gewesen, aber trotzdem zeigt das Beispiel, dass es schon in den mittleren Jahren des Kaisers niemanden gab und geben konnte, der über eine vergleichbare Erfahrung an der Spitze der Regierung verfügen konnte. Die Minister in Franz Josephs späten Jahren waren in der Regel sogar erst nach seiner Thronbesteigung geboren worden. Nur im militärischen Bereich, der dem Kaiser bekanntlich besonders am Herzen lag, umgab er sich auch in späteren Jahren noch gerne mit Altersgenossen. Friedrich Graf von Beck-Rzikowsky, Langzeit-Generalstabschef von 1881 bis 1906, war praktisch gleichaltrig. Während er Beck 1906 abberufen musste, behielt der Kaiser bis zu seinem Tod alte und immer älter werdende Herren in seiner persönlichen militärischen Umgebung: Sein Generaladjutant, Eduard Graf Paar, war nur sieben Jahre jünger als Franz Joseph und der Chef seiner Militärkanzlei, Arthur Freiherr von Bolfras, war immerhin auch schon 1838 geboren worden. Alle Mitarbeiter des Kaisers waren sich über seine Genauigkeit, seinen Fleiß und seine Erfahrung einig, deuteten aber auch an, dass seine Arbeitsweise dazu führen konnte, dass er nicht immer den großen Überblick hatte. Für den übergenauen, detailorientierten Franz Joseph war es sicher nicht immer leicht, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, und die sprichwörtliche Fähigkeit, „fünf gerade sein zu lassen“, dürfte er kaum gehabt haben. Das galt ganz besonders für den militärischen Bereich, wo er den Details der Uniformierung ebenso viel Aufmerksamkeit schenkte wie grundlegenden organisatorischen, strategischen oder taktischen Fragen. Gleichzeitig war es für das Umfeld des Kaisers wohl gar nicht so einfach zu beurteilen, wie es um seinen politischen Gesamtüberblick bestellt war. Einer von Franz Josephs Grundsätzen war es nämlich, 171
mit Ministern und anderen Beratern ausschließlich über deren jeweiligen Zuständigkeitsbereich zu sprechen. Die einzelnen Minister bekamen also nur bestimmte Ausschnitte mit und konnten schon allein deshalb kaum einschätzen, wie gut der Gesamtüberblick des Kaisers war – ganz besonders in den letzten Jahren, als Franz Joseph kaum noch an Ministerratssitzungen teilnahm. Der Kaiser konnte sehr scharf reagieren, wenn Minister oder Berater ihren Kompetenzbereich überschritten, indem er etwa meinte: „Sagen Sie mir zunächst, wieso diese Angelegenheit Sie etwas angeht.“87 Der kurzzeitige Ministerpräsident Erich Graf Kielmansegg hob in seinen Memoiren hervor, dass Franz Joseph ihn auch noch nach seiner Amtszeit nach seiner Einschätzung der politischen Lage fragte, weil das eben ein ganz außergewöhnlicher Vertrauensbeweis von Seiten des Kaisers war.88 Mit Personen, die kein Amt hatten, sprach der Kaiser – abgesehen von seiner Mutter – überhaupt nicht über Politik. Sein Schwiegersohn, Leopold von Bayern, immerhin Franz Josephs liebster Jagdgefährte, meinte im Ersten Weltkrieg etwa, er kenne den Kaiser zwar schon seit 40 Jahren, habe aber noch nie ein Wort über Politik mit ihm gesprochen.89 Vermutlich war er nicht zuletzt deshalb der liebste Jagdgefährte. Auch Katharina Schratt ließ der Kaiser bei aller Verliebtheit kalt abblitzen, wenn sie versuchte, bei ihm zu intervenieren. Zum Beispiel sollte der mit ihr befreundete Schauspieler Alexander Girardi einen Orden erhalten, doch die an sich schon beschlossene Verleihung ließ so lange auf sich warten, dass er ungeduldig wurde. Er bat daher die gemeinsame Freundin, beim Kaiser nachzufragen, ob der die Bearbeitung der Sache nicht vorziehen könne. Franz Joseph antwortete verstimmt, er werde den Akt dann bearbeiten, wenn er nach der normalen Reihenfolge drankomme – und damit war das Thema beendet.90 Dass der Kaiser darauf beharrte, politische Fragen nur mit den zuständigen Funktionären zu besprechen, heißt nicht, dass er 172
beratungsresistent gewesen wäre. Die zuständigen Minister konnten und sollten ihre Meinung zu den Dingen sagen, die sie mit dem Kaiser besprachen, allerdings nur solange das in einer ruhigen, sachlichen und respektvollen Art und Weise geschah. Diese Einstellung Franz Josephs entsprach natürlich seinem Formalismus und konnte durchaus zu einer gewissen Verengung seines Blicks führen. Gleichzeitig bedeutete sie aber auch, dass der Kaiser in höchstem Maß unbestechlich war, dass es nicht möglich war, sich seine Entscheidungen über irgendwelche Hintertüren zu erschleichen. Der letzte Ministerpräsident der österreichischen Reichshälfte, Heinrich Lammasch, meinte diesbezüglich: „Meinem Empfinden nach dürfte Kaiser Franz Joseph nur dem Einflusse einer Person zugänglich sein, die der höchsten Aristokratie angehört, über die glänzendsten Geistesgaben und die umfassendsten Kenntnisse verfügt, unermeßlich reich ist und nie und niemals vom Kaiser etwas begehrt.“91 Im konstitutionellen System ab 1867 hatte Franz Josephs Grundsatz, politische Fragen nur mit den zuständigen Ministern zu besprechen, schließlich noch einen weiteren Grund. Als Kaiser war er bekanntlich „unverantwortlich“ und die Verantwortung für seine Anordnungen übernahmen die Minister mit ihrer Gegenzeichnung. Dieses System wäre ad absurdum geführt worden, wenn der Kaiser seine Entscheidungen nach Beratung mit anderen (unverantwortlichen) Ratgebern getroffen hätte, ein Minister aber trotzdem die Verantwortung dafür hätte übernehmen müssen. Beim deutschen Kaiser Wilhelm II. wurde immer wieder kritisiert, dass er viel auf unverantwortliche Ratgeber hörte und es deshalb nicht nachvollziehbar war, woher seine Entscheidungen kamen. Derartiges war bei Franz Joseph undenkbar. Sein Adjutant Margutti beschrieb Franz Josephs Vorstellung von der Rolle seiner Mitarbeiter folgendermaßen: „Alle seine Minister, Referenten und dergleichen waren für ihn, solange sie gerade im Amte standen, einzig und allein bloß Teile der Staatsmaschine, dazu da, um dieselbe, so gut sie es zuwege brachten, in ungestörtem Gange 173
zu erhalten.“92 Auch Leibkammerdiener Eugen Ketterl meinte, der Kaiser behandle seine Minister so wie ein Fabrikant seine Angestellten.93 Wenn der Kaiser jemanden als Minister haben wollte, war es für denjenigen schwierig abzulehnen. Erich Graf von Kielmansegg war nicht von seiner Eignung überzeugt, als Franz Joseph ihn 1895 zum Ministerpräsidenten ernennen wollte, und sagte das dem Kaiser auch. Der entgegnete: „Sie waren Offizier und wissen, was es heißt, wenn der Kaiser sagt, Ich befehle!“94 Kielmansegg fügte aber gleich hinzu, Franz Joseph habe das nicht im Befehlston, sondern betont freundlich gesagt. Es gibt vergleichbare Berichte auch von anderen Funktionären. Freilich ist es nicht ganz leicht zu sagen, ob das echte Bedenken waren, für ein schwieriges Amt geeignet zu sein, oder doch eher eine rituelle Form falscher Bescheidenheit, die der Kaiser durchschaut haben mag. Solange ein Funktionär im Amt war, konnte er damit rechnen, dass der Kaiser hinter seiner Politik stand. Wenn das aber nicht mehr der Fall war, insbesondere wegen politischer Meinungsverschiedenheiten, hatte Franz Joseph keine Bedenken, seine Funktionäre zu entlassen. Ein berühmtes Beispiel ist etwa die Entlassung von Generalstabschef Conrad 1911, nachdem er sich mit seinen Präventivkriegsplänen zu stark in die Außenpolitik eingemischt hatte – noch dazu mit einer Auffassung, die der Kaiser nicht teilte. Franz Joseph erklärte Conrad, dass seine Entlassung deshalb notwendig war und er ihm das direkt sagen wollte, weil der gerade Weg immer der beste sei. Als Conrad darauf erwiderte, dass auch er immer den geraden Weg gegangen war, meinte der Kaiser: „Da haben wir also beide das gleiche getan und wir scheiden als Freunde“.95 Seine Geradlinigkeit war immer ein hervorstechendes Charaktermerkmal des Kaisers. In jüngeren Jahren gelang es ihm jedoch nicht immer, so versöhnlich zu sein, wenn er sich von einem Amtsträger trennte. Handelsminister Karl Ludwig von Bruck etwa empfand die Umstände seiner Entlassung 1860 als so kränkend, dass er sich das Leben nahm, und Franz Josephs Umgang 174
mit General Benedek nach der Niederlage von Königgrätz war alles andere als versöhnlich. Insgesamt wurde Franz Joseph aber von seiner Umgebung als ausnehmend höflicher Mann wahrgenommen – wobei seine Form der Höflichkeit stets distanziert und gelegentlich wohl auch reine Formalität war. Ketterl betonte in seinen Memoiren, dass der Kaiser seinen Dienern nie Befehle erteilte, sondern immer „ich bitte“ sagte, wenn er einen Wunsch hatte, und „ich danke“, wenn dieser erfüllt wurde. Leutselig war Franz Joseph aber nie. Schon über den jungen Kaiser schrieb Schwarzenberg 1850: „Von der gewissen warmen und flachen Gutherzigkeit mancher Erzherzöge findet man in ihm keine Spur. Er ist aber allgemein zugänglich, geduldig und hat den guten Willen, allen gerecht zu sein.“96 Auf jeden Fall war Franz Joseph insofern ein leicht zugänglicher Monarch, als er von seinem Großvater Franz die Gewohnheit der allgemeinen Audienzen übernommen hatte. An zwei Vormittagen pro Woche empfing der Kaiser jeweils für einige Stunden bis zu 100 Audienznehmer. Diese Audienzen standen grundsätzlich allen Untertanen des Kaisers offen. Allerdings dauerten sie durchwegs nur wenige Minuten, sodass hier kein echter Austausch zwischen dem Kaiser und den Bürgern stattfinden konnte. In der Praxis kamen zu den meisten Audienzen entweder Personen, die der Kaiser befördert, ausgezeichnet und sonst unterstützt hatte, oder Bittsteller. Von den Bittstellern wurden aber nur diejenigen zum Kaiser vorgelassen, deren Bitte er auch erfüllen wollte. Abgesehen von diesen formalisierten Begegnungen hatte Franz Joseph nur wenig Kontakt zu den Menschen, über die er herrschte – und suchte ihn auch nicht. Franz Joseph versteckte sich aber keineswegs in seinen Residenzen – abgesehen von der letzten Zeit im Ersten Weltkrieg, in der er Schloss Schönbrunn praktisch nicht mehr verließ. Der Kaiser war zwar distanziert, aber überhaupt nicht ängstlich. Trotz des missglückten Anschlags von János Libényi hatte er keinerlei Furcht vor Attentaten. 175
Wenn er im Sommer in Schönbrunn wohnte, fuhr er über Jahrzehnte praktisch täglich in einer offenen Kutsche durch Wien in die Hofburg. Auch bei seinen Spaziergängen durch den Schönbrunner Schlosspark ging Franz Joseph regelmäßig durch Teile des Parks, die allgemein zugänglich waren – immerhin lernte er auf diesem Weg auch Anna Nahowski kennen. Nicht nur zu seiner Affäre Anna Nahowski und zu seiner Freundin Katharina Schratt war Franz Joseph finanziell großzügig. Das war einer seiner allgemeinen Charakterzüge, der damit zusammenhing, dass er persönlich bescheiden und ziemlich bedürfnislos war und außerdem keinen besonderen Bezug zu Geld hatte. Der Kaiser finanzierte seiner Frau deren Reisen und sonstige Extravaganzen und unterstützte auch Familienmitglieder, die ihm nicht sonderlich nahe standen. Sogar den meisten Aussteigern aus dem Kaiserhaus, von denen er persönlich schwer enttäuscht war, gewährte er eine gewisse finanzielle Versorgung. (Die einzige Ausnahme war Erzherzog Johann Salvator bzw. Johann Orth.) Auch gegenüber Leuten, die er nicht näher kannte, war Franz Joseph nicht knausrig. Er ermächtigte seine Kabinettskanzlei, Bittstellern Beträge bis zu 200 Kronen zu zahlen (ausgehend vom Wert im Jahr 1914 wären das heute über 1000 Euro). Für seine Umgebung war Franz Joseph der Inbegriff von Korrektheit. Zu seiner Vorstellung von Korrektheit und Genauigkeit passte es auch, dass ihm Pünktlichkeit ein ganz wesentliches Anliegen war. Er erwartete sie von seiner Umgebung und war zugleich selbst ein Muster an Pünktlichkeit. Ähnlich verhielt es sich mit der Einhaltung des komplizierten und steifen Hofzeremoniells der Habsburger. Franz Joseph pochte strikt auf dessen Einhaltung, aber er fühlte sich auch selbst durch die Vorgaben des Zeremoniells gebunden. Am Verhältnis des Kaisers zum Hofzeremoniell zeigen sich einige seiner Charaktereigenschaften besonders deutlich:. Einerseits entsprach er auch selbst den Anforderungen, die er an seine Umgebung stellte. Andererseits wird der Unterschied zwischen der Privatperson 176
und dem Herrscher deutlich. Als Privatperson war Franz Joseph bescheiden, ja anspruchslos. Ein berühmtes Beispiel für seinen einfachen Lebensstil ist, dass er in seinen Residenzen auf einfachen eisernen Feldbetten schlief. Die große persönliche Bescheidenheit des Kaisers wird auch an folgender Episode deutlich: Als er einmal in der Nacht Durst bekam, verlangte er nichts zu trinken und blieb lieber durstig, weil er deshalb niemanden wecken wollte. Erst als der Kaiser später Katharina Schratt von seinem nächtlichen Durst erzählte, sorgte sie dafür, dass nun in der Nacht immer etwas zu Trinken für ihn bereit stand. Auch mit seiner Kleidung war Franz Joseph anspruchslos. Ketterl erinnerte sich später, dass er, als er Kammerdiener wurde, deutlich bessere Unterwäsche hatte als der Kaiser. Franz Joseph legte zwar Wert auf eine saubere und gepflegte Erscheinung, hatte aber keinerlei Interesse an irgendwelchem Luxus. So anspruchslos Franz Joseph für sich persönlich war, so wichtig war ihm seine Würde als Monarch. Gerade weil das Hofzeremoniell die Würde des Kaisers und des Kaiserhofes hervorheben sollte, war es ihm sehr wichtig. Das muss keineswegs heißen, dass Franz Joseph alle Zeremonien genoss. Da er im Alter schon um acht Uhr abends ins Bett ging, waren Abendveranstaltungen eine Belastung. Auch andere Verpflichtungen waren für ihn zweifellos anstrengend. Über die Fußwaschung am Gründonnerstag schrieb er 1900 beispielsweise an Katharina Schratt: „Die Herumrutscherei beim Fußwaschen hat meinem Rücken nicht geschadet.“97 Während sich Kaiserin Elisabeth, soweit sie konnte, allen zeremoniellen Verpflichtungen entzog, war das für Franz Joseph undenkbar. Für ihn war das Zeremoniell untrennbar mit seinem Kaisertum verbunden. Franz Josephs Bewusstsein von seiner besonderen Würde als Kaiser drückte sich auch darin aus, dass er anderen nur unter besonderen Umständen die Hand gab. Aus seiner Sicht war ein Handschlag des Kaisers eine spezielle Auszeichnung, die er nicht wahllos vergeben wollte. Seinem Adjutanten Margutti etwa, der immerhin zehn Jahre 177
zu seiner ganz unmittelbaren Umgebung gehörte, reichte Franz Joseph nur ein einziges Mal die Hand. Margutti war einerseits begeistert, andererseits aber enttäuscht, weil er mit dem Kaiser allein war, als der ihm die Hand gab, sodass es keine Zeugen für diese hohe Ehre gab. Am nächsten Tag gratulierte ihm Graf Paar aber doch zum Handschlag des Kaisers – Franz Joseph hatte dem Generaladjutanten nämlich davon erzählt. Es gab nur sehr wenige Personen, denen der Kaiser regelmäßig die Hand gab: seinen Familienmitgliedern, anderen Herrschern und deren Angehörigen, Botschaftern und Angehörigen des Hochadels. Hier wurde Franz Josephs ausgeprägter Standesdünkel deutlich. Obwohl er die meisten Mitglieder des Kaiserhauses persönlich nicht sonderlich schätzte, standen sie aus seiner Sicht über allen anderen Menschen, einfach weil sie zum Kaiserhaus gehörten. Auch Adelige, zumindest wenn sie zum Hochadel zählten, waren für den Kaiser schlichtweg „etwas Besseres“. Ihnen gab Franz Joseph allein schon wegen ihrer Herkunft die Hand, auch wenn sie gar kein besonderes Amt hatten. Hohe staatliche Funktionäre, die nicht dem Hochadel angehörten, fühlten sich oft zurückgesetzt, weil der Kaiser ihnen ostentativ nicht die Hand gab. In seiner gesamten Regierungszeit ernannte er keinen einzigen nichtadeligen Ministerpräsidenten, wobei rund die Hälfte der Ministerpräsidenten dem Hochadel entstammte. Auch im militärischen Bereich wurde der Standesdünkel des Kaisers deutlich. Trotz seiner Begeisterung für alles Militärische redete Franz Joseph nie mit Soldaten, sondern sprach immer nur Offiziere an. Franz Josephs ausgeprägtes Standesbewusstsein führte auch dazu, dass er praktisch keine persönlichen Freunde hatte. Natürlich gab es Berater, die er besonders schätzte oder die einen besonders großen Einfluss hatten, wie Generaladjutant Grünne in den 1850er-Jahren oder später Generalstabschef Beck. Das waren aber keineswegs private Freundschaften. Persönliche Freunde hatte der Kaiser wohl nur zwei: Katharina Schratt und Albert von Sachsen. Albert war zwei Jahre 178
älter als Franz Joseph, wurde 1854 Kronprinz und 1873 König von Sachsen; er starb 1902. Die beiden kannten und mochten sich seit ihrer Jugend. Für Franz Joseph war die freundschaftliche Verbindung zu Albert wohl nur deshalb möglich, weil der nicht sein Untertan und im Wesentlichen gleichrangig war. Daher schrieb der Kaiser, dem die korrekte Form sonst so wichtig war, an Albert: „Über den Brief, den Du mir damals geschrieben hast, bin ich erschrocken, da er mit ‚Euer Majestät‘ beginnt und mit Titeln erfüllt ist, die, wie ich gehofft hatte, zwischen uns beiden unnöthig sind, ich bitte Dich daher inständigst, diese Formen künftig auszulassen und mich einfach mit ‚Du‘ zu traktieren …“98 Bei Katharina Schratt konnte sich Franz Joseph zum „Du“ hingegen nie durchringen. Er unterschrieb seine Briefe an sie bis zum Schluss als „Ihr Sie innigst liebender Franz Joseph“ und seine Freundin apostrophierte ihn immer als „Majestät“. Auch in dieser Freundschaft, in der er wohl mehr Privatmann war als sonst je, vergaß Franz Joseph nie, dass er der Kaiser war. Franz Josephs war der Auffassung, als Kaiser immer im Dienst zu sein. Dass er ständig Uniform trug, war auch Ausdruck dieser Einstellung. Zivilkleidung trug er nur auf privaten Auslandsreisen und bei seinem einzigen Hobby: der Jagd. Auf die Jagd zu gehen, war für Angehörige des Hochadels in seiner Epoche eine Selbstverständlichkeit. Für Franz Joseph aber war es weit mehr als eine gesellschaftliche Konvention – die Jagd war eine große persönliche Leidenschaft. Mit zwölf Jahren erlegte er im Lainzer Tiergarten seinen ersten Hirsch und ein Jahr später ging er in Ischl mit seinem Vater auf seine erste Gamsjagd, die er in einem ausführlichen Schulaufsatz enthusiastisch beschrieb. Ischl und Gödöllő wurden seine liebsten Jagdreviere. An den Wänden der Kaiservilla in Ischl befinden sich noch immer unzählige Jagdtrophäen des Kaisers und auf jeder sind sorgfältig Jahr und Revier vermerkt. Bei seinen Zeitgenossen galt Franz Joseph auch auf der Jagd als Musterbeispiel eines Kavaliers, nicht zuletzt weil er gelegentlich auch 179
ohne Abschuss von der Pirsch zurückkehrte. Im Gegensatz dazu wurde die Schießwut des Thronfolgers Franz Ferdinand vielfach als unwaidmännisch kritisiert. Während Franz Joseph in gut 70 Jahren als Jäger etwa 55.000 Tiere erlegte, waren es bei Franz Ferdinand mehr als 270.000 Tiere in etwas mehr als 40 Jahren. Die Jagd war für den Kaiser eine Möglichkeit, den Regierungsalltag hinter sich zu lassen, und dementsprechend gelöst und entspannt war er im Umgang mit seinen Jagdgästen. Während die Gäste bei Hoftafeln nur mit ihren Sitznachbarn sprechen konnten – allein schon wegen der großen Aufsätze in der Mitte der Tafel –, war bei Jagdgesellschaften die „Konversation über Tisch“ gestattet. Es durfte also jeder mit jedem sprechen, ja die Gäste durften auch von sich aus den Kaiser ansprechen, was sonst undenkbar war. Inhaltlich beschränkten sich diese Gespräche allerdings auf die Jagd. Der Kaiser wollte immer wissen, wie viele Schüsse die Beteiligten abgegeben hatten und was sie damit getroffen oder nicht getroffen hatten. Themen abseits der Jagd, insbesondere politische Fragen, wurden nicht angeschnitten. Obwohl Franz Joseph bei der Jagd privater und zugänglicher als sonst war, blieb er auch hier ein Formalist. Er hatte eine strikte Vorstellung, wie die Jagdkleidung auszusehen hatte – zumindest bei Jagden in Österreich. Sein Flügeladjutant Ludwig Ritter von Höhnel schrieb darüber: „Zu den Äußerlichkeiten, die dabei ziemlich strikte einzuhalten waren, gehörte unter anderem die Gewandung, welche der Landestracht mehr oder weniger gleichen musste. Stark genagelte Goiserer Bergschuhe, grobe wollene Wadenstrümpfe, bloße Knie, kurze gamslederne Knickerbocker, dazu eine Tiroler Joppe mit Hirschhornknöpfen, ein grellfarbiger Schlips sowie ein grünes Jagerhüatl waren de rigeur.“99 Für diese Jagdkleidung gab es zwar keine Vorschrift, aber trotzdem war Franz Joseph bei Abweichungen genauso verstimmt wie bei Verstößen gegen Uniformierungsvorschriften. Vor allem fand er, dass man bei einem ordentlichen Jäger unbedingt die nackten Knie unter der kurzen Lederhose sehen musste. Gelegentlich 180
kam es aber vor, dass Jäger unter der Lederhose lange Unterhosen trugen. Wenn der Kaiser das sah, ärgerte er sich, und bei einem Besuch der Kaiserin-Elisabeth-Gedächtniskapelle am Schneeberg fuhr er auf der Stelle beleidigt ab, nachdem er bemerkt hatte, dass einige der Förster, die ihn empfingen, keine nackten Knie hatten. Auch hier kam zum Ausdruck, wie sehr Franz Joseph in strikten Kategorien dachte. Dazu passte gut, dass der Kaiser allgemein als eher phantasielos wahrgenommen wurde. Außerdem entsprach sein Festhalten an hergebrachten Kategorien seinem Konservativismus. Franz Josephs konservative Einstellung zeigte sich auch in Details seiner persönlichen Lebensgestaltung: Für Kaiserin Elisabeth ließ er Fließwasser in die Hofburg einleiten, verwendete selbst aber lieber einen altmodischen Leibstuhl. Genauso fuhr er wesentlich lieber mit der Kutsche als mit dem Auto und konnte sich auch mit dem Telefon nicht anfreunden. Hingegen reiste er gerne mit dem Zug und verschickte oft Telegramme – Eisenbahnen und Telegraphen hatte es eben schon in seiner Jugend gegeben.
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Erster Weltkrieg und Tod Julikrise und Kriegsbeginn Als Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo ermordet wurde, war der Kaiser schon auf seiner üblichen Sommerfrische in Bad Ischl. Nachdem er vom Attentat erfahren hatte, fuhr er gleich am nächsten Tag zurück nach Wien, um mit seinen Ministern und Ratgebern zu besprechen, wie man auf das Attentat reagieren sollte. Für Franz Joseph und die anderen Entscheidungsträger stand offenbar außer Zweifel, dass das Königreich Serbien in der einen oder anderen Form mit dem Attentat zu tun hatte, obwohl die Attentäter selbst Angehörige der Habsburgermonarchie waren; immerhin hatten sie Waffen aus serbischen Armeebeständen verwendet. Die entscheidende Frage war also nicht so sehr, wie man mit Gavrilo Princip und seinen Mitverschwörern umgehen sollte – denen wurde in Sarajevo der Prozess gemacht –, sondern welche Konsequenzen das Attentat für das Verhältnis zu Serbien hatte. In Wien besprach sich Franz Joseph unter anderem mit den drei gemeinsamen Ministern, dem Generalstabschef sowie dem österreichischen und dem ungarischen Ministerpräsidenten. Er empfing alle jeweils einzeln zur Audienz, aber es gab keine Konferenz aller Minister unter Vorsitz des Kaisers. Am 2. Juli fand zwar eine Sitzung des gemeinsamen Ministerrats statt, aber Franz Joseph nahm an ihr nicht teil. In dieser Sitzung wurde beschlossen, einen hochrangigen Beamten des Außenministeriums, Alexander Graf von Hoyos, nach Berlin zu schicken, um zu erfragen, wie man die Lage im verbündeten Deutschen Reich sah und ob das Deutsche Reich eine österreichisch-ungarische Aktion gegen Serbien unterstützen würde. Am 6. Juli kam Hoyos aus Berlin zurück und hatte den sogenannten „Blankoscheck“ im Gepäck: eine deutsche Zusage, Österreich-Ungarn bei jeglichem Vorgehen gegen Serbien bedingungslos zu unterstützen. 183
Auch als der gemeinsame Ministerrat am 7. Juli wieder zusammentrat, war der Kaiser nicht dabei – er befand sich schon wieder auf dem Weg zurück nach Bad Ischl. In dieser Sitzung sprachen sich die Beteiligten für eine militärische Aktion gegen Serbien aus – mit einer Ausnahme: Der ungarische Ministerpräsident István Graf Tisza hatte Bedenken. Er konnte sich zumindest teilweise durchsetzen; der gemeinsame Ministerrat beschloss in der nächsten Sitzung am 14. Juli, Serbien nicht sofort anzugreifen, sondern vorerst – zumindest pro forma – eine diplomatische Lösung zu versuchen. An Serbien sollte noch einmal ein betont scharfes Ultimatum gerichtet werden, eine militärische Aktion wollte man nur beginnen, wenn Serbien dieses Ultimatum ablehnen würde. Am 23. Juli übergab der österreichische Gesandte in Belgrad, Wladimir Giesl Freiherr von Gieslingen, das – vom Kaiser genehmigte – Ultimatum. Der serbischen Regierung wurde eine Frist von 48 Stunden eingeräumt, um die österreichisch-ungarischen Forderungen anzunehmen. Für den Fall der Nichtannahme wurde der Abbruch der diplomatischen Beziehungen angedroht. Am 25. Juli übergab der serbische Ministerpräsident, buchstäblich in letzter Minute, die serbische Antwort auf das Ultimatum in der österreichischen Gesandtschaft in Belgrad, nachdem er noch auf der Fahrt dorthin handschriftliche Ergänzungen und Streichungen vorgenommen hatte. Die serbische Regierung erklärte sich grundsätzlich mit den meisten österreichisch-ungarischen Forderungen einverstanden, führte aber aus, dass zwei Punkte des Ultimatums mit der serbischen Souveränität unvereinbar und damit unannehmbar seien. Konkret handelte es sich um die Forderungen, dass österreichisch-ungarische Organe auf serbischem Territorium an der Untersuchung der Hintergründe des Attentats teilnehmen und dort auch an der Unterdrückung antiösterreichischer Propaganda mitwirken sollten. Außenminister Berchtold hatte Giesl angewiesen, die diplomatischen Beziehungen zu Serbien nur dann nicht abzubrechen, wenn die serbische Regierung 184
alle österreichisch-ungarischen Bedingungen vorbehaltlos erfüllte. Da das nicht der Fall war, verließ Giesl Belgrad zusammen mit dem Gesandtschaftspersonal noch am selben Abend. In Erwartung einer negativen Antwort hatte er die Abreise bereits nach Übergabe des Ultimatums vorbereitet. Die serbische Regierung wiederum hatte schon wenige Stunden vor Übergabe der Antwort die Generalmobilmachung der serbischen Armee eingeleitet. Auch in Österreich-Ungarn wurde noch am 25. Juli eine Teilmobilmachung gegen Serbien angeordnet. Zwei Tage später mobilisierte Russland seine Truppen an der Grenze zu Österreich-Ungarn, und am 28. Juli ermächtigte Franz Joseph Berchtold, Serbien den Krieg zu erklären. Davor hatte der Außenminister dem Kaiser mitgeteilt, dass österreichische Truppen bei Temes Kubin (heute Kovin in Serbien) bereits von serbischen Einheiten angegriffen worden seien. Dabei handelte es sich um eine Falschmeldung: Das Gefecht bei Temes Kubin hatte nie stattgefunden. Mit der Kriegserklärung an Serbien war der Krieg da – zumindest zwischen Österreich-Ungarn und Serbien – und binnen weniger Tage wurde daraus der große europäische Krieg, der Erste Weltkrieg. Am 1. August erklärte das Deutsche Reich den Krieg an Russland und zwei Tage später an Frankreich. Am 4. August schließlich erklärte Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg, weil Deutschland bei dem Angriff auf Frankreich die belgische Neutralität missachtete. Damit standen die Gegner des ersten Kriegsjahres fest: Deutschland und Österreich-Ungarn (die Mittelmächte) kämpften gegen Serbien, Russland, Frankreich, Belgien und Großbritannien (die Entente). Italien erklärte sich trotz des Dreibunds für neutral, dafür trat das Osmanische Reich ab November auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg ein. Österreich-Ungarn kämpfte zunächst an zwei Fronten: im Südosten gegen Serbien und im Nordosten gegen Russland. Dieser Krieg wurde von Kaiser Franz Joseph begonnen. Es war seine Entscheidung, Serbien den Krieg zu erklären. Er war es, der 185
am 28. Juli 1914 ja oder nein zum Krieg sagen konnte – und ja sagte. Eine parlamentarische Entscheidung über den Krieg gab es nicht und nach der Verfassung war sie auch nicht nötig. Die Entscheidung über Krieg und Frieden war allein Sache des Monarchen. Als sich Franz Joseph für die Kriegserklärung an Serbien entschied, musste er damit rechnen, dass sie den großen europäischen Krieg bringen würde – ob er das wollte, ist eine andere Frage. Der Kaiser rechnete bestimmt nicht damit, dass seine Kriegserklärung einen Weltkrieg auslösen würde, der über vier Jahre dauern und allein eineinhalb Millionen österreichisch-ungarischen Soldaten das Leben kosten sollte. Welche Dimensionen dieser Krieg annehmen würde, konnte wohl kein einziger der Entscheidungsträger im Sommer 1914 ahnen. Trotzdem bleibt die Frage, warum sich Franz Joseph, der seine Politik wenige Jahre zuvor noch so vehement als Politik des Friedens bezeichnet hatte, 1914 für den Krieg entschied. Im Wesentlichen gibt es zwei Möglichkeiten, das Verhalten des Kaisers in der Zeit zwischen Attentat und Kriegsausbruch – der sogenannten Julikrise – zu interpretieren: Einerseits könnte man annehmen, dass die Ermordung Franz Ferdinands für Franz Joseph persönlich kein Anlass für militärische Aktionen gegen Serbien war, dass er also von seinen Beratern und vielleicht auch einem kriegerischen Deutschen Reich zu einem Krieg gedrängt wurde, den er eigentlich nicht wollte. Andererseits ließe sich Franz Josephs Verhalten im Juli 1914 auch so verstehen, dass er selbst schon Anfang Juli eine bewusste Entscheidung für den Krieg getroffen hatte. Es gibt Aussagen des Kaisers, die nahelegen, dass er Ende Juli noch hoffte, einen Krieg vermeiden zu können. Immerhin sagte er, als er von der serbischen Reaktion auf das Ultimatum erfuhr: „Nun, der Abbruch der diplomatischen Beziehungen bedeutet noch immer nicht den Konflikt.“100 Auch Außenminister Berchtold und seine Berater im Außenministerium mögen Zweifel daran gehabt haben, dass der Kaiser einer Kriegserklärung an Serbien tatsächlich zustimmen würde. 186
Warum sonst hätten sie einen serbischen Angriff bei Temes Kubin erfinden sollen, der nie stattgefunden hatte. Der Sinn des erfundenen Gefechts lag offenbar nicht in der Propaganda gegenüber dem Ausland. Die Kriegserklärung wurde ohne Verweis auf Temes Kubin abgeschickt und so erfuhr man im Ausland gar nichts von dem angeblichen Angriff der Serben. Auch in der innenpolitischen Propaganda wurde das Gefecht bei Temes Kubin nicht verwendet. Es bleibt also die Frage, warum der serbische Angriff auf Temes Kubin überhaupt erfunden wurde – wenn diese Erfindung nicht dazu dienen sollte, den Kaiser von der Notwendigkeit einer Kriegserklärung zu überzeugen. Ob der Kaiser überhaupt überzeugt werden musste, ist aber eine andere Frage. Franz Joseph war zwar fast 84 Jahre alt, als er Serbien den Krieg erklärte. Er war müde geworden und nahm seit 1906 nicht mehr an den Sitzungen des gemeinsamen Ministerrats teil. Trotzdem ist es praktisch nicht vorstellbar, dass in der Außenpolitik eine so grundlegende Entscheidung getroffen wurde, die seinem Willen nicht entsprach. Gerade die Außenpolitik verstand der Kaiser – ebenso wie das Militär – als seinen ganz persönlichen Politik- und Entscheidungsbereich. Hier ließ er sich von seinen Beratern nichts einreden, das er selbst nicht wollte. Vor diesem Hintergrund lässt sich Franz Josephs Verhalten in den ersten Julitagen 1914 am ehesten wie folgt verstehen. Er war bekanntlich nur wenige Tage in Wien, um Gespräche mit seinen wesentlichen Beratern zu führen, und fuhr dann zurück nach Ischl. Im Detail ist nicht bekannt, was er in diesen Audienzen während seines knappen Aufenthalts in Wien besprach, aber ein Grund für seine schnelle Rückreise nach Ischl könnte gewesen sein, dass die wesentliche Entscheidung für ihn bereits getroffen war – und das bedeutete eine Entscheidung für den Krieg. Das bestätigte auch der gemeinsame Finanzminister, Leon Ritter von Biliński, der im Rückblick die Auffassung vertrat, die Entscheidung für den Krieg sei in den ersten Julitagen gefallen und der Kaiser habe sie getroffen. 187
Das alles muss nicht heißen, dass Franz Joseph den Krieg wollte, aber aus seiner Sicht war er offenbar nötig, um die Großmachtstellung der Habsburgermonarchie zu erhalten. Ernst Hanisch trifft den Punkt wohl ziemlich genau, wenn er schreibt: „Um der ‚Ehre‘ willen, seiner persönlichen und der des Staates, riskierte der Uralte einen Weltkrieg.“101 Franz Joseph mag in den letzten Tagen vor der Kriegserklärung durchaus gehofft haben, dass es doch nicht zum Krieg kommen würde, aber er tat nichts, um ihn aktiv zu vermeiden – vielmehr erfolgten alle Schritte, die schließlich zum Krieg führten, mit seiner Zustimmung.
Der Kriegsverlauf Als der Erste Weltkrieg begann, rechneten fast alle Beteiligten mit einem kurzen Krieg – und mit einem schnellen Sieg der eigenen Seite. Franz Joseph war hier insofern eine Ausnahme, als er von Anfang an eher pessimistisch war. Tatsächlich wurde im Herbst 1914 schnell klar, dass keine der beiden Seiten einen schnellen Sieg erringen würde, und für Österreich-Ungarn verlief der Krieg besonders ungünstig. Das begann schon beim Aufmarsch. Der österreichisch-ungarische Generalstab hatte Planungen für verschiedene Szenarien erstellt: den „Kriegsfall R“ für einen Krieg mit Russland und den „Kriegsfall B“ für eine Auseinandersetzung mit Serbien am Balkan. Um möglichst flexibel auf alle Eventualitäten reagieren zu können, wurden die Truppen in drei Kontingente geteilt. Die „Minimalgruppe Balkan“, bestehend aus zwei Armeen (der 5. und 6.), sollte in jedem Fall gegen Serbien eingesetzt werden; die „A-Staffel“, bestehend aus drei Armeen (der 1., 3. und 4.), war in jedem Fall für die russische Front vorgesehen. Die „B-Staffel“, die nur die 2. Armee umfasste, wollte man flexibel einsetzen; bei einem Krieg nur gegen Serbien sollte sie an die Balkanfront geschickt werden, bei einem Krieg (auch) gegen Russland hingegen an die russische Front. Als es nun tatsächlich zum Krieg kam, konnte sich Generalstabschef Conrad nicht entscheiden, wohin er die B-Staffel schicken sollte. Er ließ 188
sie schließlich nach Serbien transportieren, aber noch bevor die 2. Armee dort ankam, hatte Conrad seine Meinung schon wieder geändert und beschlossen, die 2. Armee möglichst schnell an die russische Front zu verlegen. Die 2. Armee konnte daher einerseits nur sehr eingeschränkt gegen Serbien eingesetzt werden und kam andererseits erst verspätet an der russischen Front an. Trotzdem gelangen den k. u. k. Truppen unmittelbar nach Beginn der Kämpfe einige Erfolge gegen Russland. Die waren aber nicht von langer Dauer. Schon Anfang September musste die k. u. k. Armee weite Teile Galiziens inklusive der Hauptstadt Lemberg aufgeben und erlitt dabei auch schwere Verluste an Toten, Verletzten und Kriegsgefangenen. Am serbischen Kriegsschauplatz verlief der Krieg für Österreich-Ungarn nicht erfolgreicher. Der dortige Kommandant, Oskar Potiorek, schickte seine Truppen von August bis Dezember 1914 gleich in drei Offensiven gegen Serbien. Nachdem die ersten beiden schwere Verluste, aber keine dauerhaften Erfolge brachten, konnte Belgrad im Rahmen der dritten Offensive erobert werden – und zwar genau am 2. Dezember 1914, dem 66. Jahrestag von Franz Josephs Thronbesteigung. Als man dem Kaiser die gute Nachricht überbrachte, hatte er Freudentränen in den Augen. Gleichzeitig war er skeptisch, dass die Eroberung Belgrads nicht bloß aus militärischem Zufall auf diesen Tag fiel, und damit war er nicht der einzige. Der Journalist Egon Erwin Kisch ätzte: „Anlässlich des Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josephs fand heute vormittags unter zahlreicher Beteiligung die Eroberung von Belgrad mit reichhaltigem Vergnügungsprogramm statt.“102 So oder so dauerte die Freude nicht lange. Die serbische Armee, die auch massive Verluste erlitten hatte, zog alle irgendwie verfügbaren Kräfte zusammen und konnte die k. u. k. Truppen mit deutlicher Überlegenheit angreifen. Binnen weniger Tage musste Potiorek Belgrad vollständig räumen. Das Kriegsjahr 1914 endete für die Habsburgermonarchie also alles andere als günstig. Am Balkan war es trotz dreier Versuche nicht 189
gelungen, Serbien zu erobern, und im Nordosten waren größere Teile Galiziens an Russland gefallen. Noch viel schwerer als die territorialen Verluste wogen die an Menschenleben: Rund 189.000 Mann waren gefallen, etwa 490.000 hatten Verwundungen erlitten und rund 278.000 waren in Kriegsgefangenschaft gekommen. Von diesen Verlusten sollte sich die k. u. k. Armee für den Rest des Krieges nicht mehr erholen. Die Ausgangsposition für die österreichisch-ungarischen Truppen war ungünstig. Sie mussten gegen serbische und russische Truppen kämpfen, die zusammen zahlenmäßig deutlich überlegen waren. Außerdem waren sowohl die serbische als auch die russische Armee kriegserfahren – diese aus dem russisch-japanischen Krieg und jene aus den Balkankriegen – und teilweise besser und moderner ausgerüstet als die k. u. k. Armee. Vor allem aber zeigte sich im ersten Jahr des Weltkriegs, dass viele österreichisch-ungarische Generäle mit der Führung ihrer Truppen deutlich überfordert waren. 1915 entwickelte sich die militärische Lage sowohl an der russischen Front als auch am Balkan deutlich günstiger. Im Mai gelang den österreichisch-ungarischen und deutschen Truppen bei Tarnów-Gorlice gemeinsam ein großer Durchbruch, der in den folgenden Monaten zur Rückeroberung Galiziens führte. Der Plan zu dieser Schlacht ging unter anderem auf eine Idee des österreichischen Generalstabschefs Conrad zurück, das Kommando führte aber der deutsche General August von Mackensen. Der kommandierte auch die gemeinsame Offensive deutscher und österreichisch-ungarischer Truppen gegen Serbien im Herbst 1915 – und ihm gelang binnen weniger Wochen, woran Potiorek 1914 gescheitert war: die vollständige Eroberung Serbiens. Bei diesen Erfolgen zeigte sich, dass die Mittelmächte aus den Fehlern des Vorjahres gelernt hatten. Im Herbst 1914 hatten die deutschen und die österreichisch-ungarischen Truppen noch jeweils für sich gegen Russland gekämpft, nun war ihr Vorgehen koordiniert. Es zeigte sich aber auch, dass die österreichisch-ungarischen Armeen nur 190
mehr dann erfolgreich kämpften, wenn sie von deutschen Truppen unterstützt, am besten überhaupt von einem deutschen Kommandanten geführt wurden. Das bemerkte auch der Kaiser. Einerseits kränkte es ihn, wenn man behauptete, dass seine Truppen weniger gut kämpften als die deutschen, andererseits liebäugelte er schon 1914 damit, alle k. u. k. Truppen dem deutschen Generalfeldmarschall (und späteren Reichspräsidenten) Paul von Hindenburg zu unterstellen.
Der Kriegseintritt Italiens Obwohl die Mittelmächte große Erfolge an der Ostfront und am Balkan erzielen konnten, war ein Ende des Krieges auch 1915 in weiter Ferne. Das lag primär an der Westfront, an der Deutschland gegen Frankreich und Großbritannien kämpfte. Dort starben zwar tausende Soldaten in den Schützengräben, aber keine Seite kam auch nur in die Nähe eines entscheidenden Sieges. Außerdem gab es seit dem Frühsommer 1915 für Österreich-Ungarn eine neue Front. Der frühere Dreibundpartner Italien trat nämlich im Mai in den Krieg ein – und zwar auf Seiten der Ententemächte. Italien hatte sich schon im Sommer 1914 für neutral erklärt, weil Österreich-Ungarn der Angreifer war und der Bündnisfall somit nicht gegeben war. Österreich-Ungarn hatte sich zwar der deutschen Unterstützung versichert, bevor es Schritte gegen Serbien einleitete, Italien aber nicht einmal konsultiert. Die deutsche Regierung drängte Österreich-Ungarn, Italien die Abtretung des Trentino (also des italienischsprachigen Teils von Tirol) anzubieten, um ihm auf diesem Weg einen Kriegseintritt auf Seiten der Mittelmächte schmackhaft zu machen. Für Franz Joseph war das aber undenkbar. Er erklärte, er würde lieber abdanken als freiwillig einen Teil seines Reiches abtreten. Somit war klar, dass Italien sich nicht am Krieg beteiligen würde – zumindest nicht auf Seite der Mittelmächte. Stattdessen begannen Verhandlungen zwischen Italien und der Entente, die schließlich am 25. April 1915 im Vertrag von London mündeten. Italien verpflichtete sich, schnellstmöglich, spätestens aber 191
binnen eines Monats in den Krieg einzutreten und Österreich-Ungarn anzugreifen. Dafür sollte es im Falle eines Sieges der Entente nicht nur das Trentino, sondern praktisch alle italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie und dazu noch Südtirol bekommen, das weitestgehend deutsch besiedelt war. Österreichisch-ungarische Gegenangebote waren die längste Zeit am strikten Veto des Kaisers gescheitert. Am 8. März 1915 fand aber ein gemeinsamer Ministerrat statt, an dem Franz Joseph teilnahm – allein seine Anwesenheit zeigte, dass es hier um bedeutende Entscheidungen ging –, und in dieser Sitzung erklärte er, zu territorialen Konzessionen in Bezug auf das Trentino bereit zu sein. In den folgenden Wochen und Monaten wurde das österreichisch-ungarische Angebot an Italien immer wieder verbessert, doch im Endeffekt konnte Österreich-Ungarn nicht das bieten, was die Entente bot. So kündigte Italien am 3. Mai den Dreibundvertrag und erklärte Österreich-Ungarn am 23. Mai den Krieg. Die Verhandlungen mit Italien im Frühjahr 1915 belasteten den Kaiser sehr. Als Anfang Mai klar wurde, dass eine friedliche Einigung mit Italien nicht möglich war, weinte er und sagte er etwas wie, dass die Monarchie dann eben anständig zu Grunde gehen müsse.103 Im Rückblick meinte er später freilich, dass er sich am Tag der italienischen Kriegserklärung von einer großen Last befreit gefühlt hatte.104 Immerhin bedeutete sie das Ende einer quälenden Ungewissheit. Außerdem mag mitgespielt haben, dass der Kriegseintritt Italiens sich militärisch keineswegs so katastrophal auswirkte wie vielleicht befürchtet. Die österreichisch-ungarischen Truppen hielten den Italienern auch ohne substanzielle deutsche Hilfe stand – österreichisch-ungarische Offensiven an der neuen dritten Front, der Südwestfront, waren allerdings auch nur dann erfolgreich, wenn sie mit deutscher Unterstützung geführt wurden. Die Ereignisse vor dem italienischen Kriegseintritt zeigen jedenfalls, dass Franz Joseph trotz Müdigkeit und hohen Alters die 192
Außenpolitik auch im Frühjahr 1915 noch immer so bestimmte, dass gegen seinen Willen keine grundlegenden Entscheidungen getroffen werden konnten. Solange er gegen Gebietsabtretungen an Italien war, wurde darüber nicht verhandelt. Erst nachdem auch der Kaiser persönlich zu dem Ergebnis gekommen war, dass es sinnvoll sein könnte, Italiens Neutralität durch das Versprechen von Gebietsabtretungen sicherzustellen, wurden Verhandlungen mit Italien aufgenommen. Daran wird erneut deutlich, dass auch die Entscheidung für den Krieg im Juli 1914 nicht gegen den Willen des Kaisers hätte erfolgen können. Im Sommer 1914 war ein Krieg aus Franz Josephs Sicht unvermeidlich gewesen, um den Großmachtanspruch der Monarchie gegenüber Serbien aufrechtzuerhalten. Im Frühjahr 1915 entsprach es zunächst seiner Vorstellung von Anstand und Ehre, eher eine dritte Front in Kauf zu nehmen, als Gebiete freiwillig abzutreten, auch wenn die Gefahr einer Niederlage damit erheblich größer wurde. Vom Gegenteil ließ er sich nur langsam überzeugen, und selbst dann war er erleichtert, als es doch zum Krieg mit Italien kam und nicht zu freiwilligen Gebietsabtretungen. Dabei war der alte Franz Joseph keineswegs ein Kriegstreiber. Wäre er einer gewesen, hätte er vor 1914 wesentlich mehr Sympathie für Conrads Präventivkriegspläne gehabt. Trotzdem war er bereit, für seine Vorstellungen von Ehre und Anstand das Leben von tausenden, ja sogar von Millionen Menschen zu riskieren. Damit war der Kaiser kein Einzelfall. Gerade vor und im Ersten Weltkrieg stellten alle Beteiligten die nationale Ehre über das Leben der Soldaten, die sie in den Krieg schickten, um für ebendiese Ehre zu kämpfen. Bei Franz Josephs Begriff von Ehre gab es allerdings zwei Besonderheiten: Erstens war die Habsburgermonarchie kein Nationalstaat, und daher gab es nicht die eine nationale Ehre Österreich-Ungarns. Umso wichtiger waren die persönliche Ehre des Kaisers und die des Hauses Habsburg. Die Donaumonarchie war eben kein Reich der Deutschen oder Briten oder Franzosen, sondern ein Reich der Habsburger. Zweitens hatte 193
Franz Josephs Ehrbegriff einen grundsätzlich defensiven Charakter. Das gilt auch für den Beginn des Ersten Weltkriegs – auch wenn es zunächst paradox scheint, dass Österreich-Ungarn als Angreifer eine letztendlich defensive Politik machte. Es ging für Österreich-Ungarn 1914 eben nicht darum, sich auszudehnen und große Gebiete am Balkan zu erobern; es ging darum, deutlich zu machen, dass man immer noch eine Großmacht war, die sich vom kleinen Serbien nicht beliebig herausfordern lassen wollte. Franz Joseph entschied sich für den Krieg, obwohl er von Anfang an starke Zweifel daran hatte, ob Österreich-Ungarn ihn würde gewinnen können. Wenn er von österreichisch-ungarischen Siegen erfuhr, waren das für ihn Momente großer und tiefer Freude, aber insgesamt dürfte er während des ganzen Krieges eine pessimistische, ja schon fatalistische Grundhaltung gehabt haben. Die Befürchtung, vielleicht sogar Vermutung, Österreich-Ungarn könnte den Krieg verlieren, hinderte den Kaiser jedenfalls nicht daran, 1914 den Krieg zu beginnen und es 1915 auf den Kriegseintritt Italiens ankommen zu lassen, weil es ihm darum ging, die Ehre seines Reiches als Großmacht zu erhalten. So liegt, bei aller Vereinfachung, schon ein bisschen Wahrheit in dem Spruch, die Habsburgermonarchie habe 1914 „aus Angst vor dem Tod Selbstmord begangen“.
Der Kaiser im Krieg Zwei Tage nach der Kriegserklärung an Serbien fuhr Franz Joseph von Bad Ischl zurück nach Wien. Von nun an verließ er Schloss Schönbrunn bis zu seinem Tod nur mehr sehr selten und Wien überhaupt nicht mehr. Im Herbst 1914 besuchte er insgesamt drei Mal Verwundete und Spitäler und im November 1915 empfing er Kaiser Wilhelm II. am Bahnhof. Im Allgemeinen beschränkte sich das Leben das Kaisers aber auf seine Wohnräume in Schönbrunn und gelegentliche Spaziergänge im Schlossgarten. Der Krieg brachte für Franz Joseph offenbar einen deutlichen Alterungsschub. Bei Audienzen 194
kam es nun immer öfter vor, dass er gelegentlich einnickte – ganz besonders am Nachmittag, wenn er, als extremer Frühaufsteher, schon müde war. Gleichzeitig waren die meisten Besucher immer noch davon beeindruckt, wie gut sich der Kaiser in vielen Dingen auskannte. In grundlegenden Fragen der Politik, ganz besonders der Außenpolitik, war seine Meinung immer noch die entscheidende. Auf die militärischen Operationen seiner Armee nahm er hingegen nur wenig direkten Einfluss, obwohl es ihm wichtig war, umfassend informiert zu werden. Wenn Franz Joseph den Eindruck hatte, keine oder keine ausreichend genauen Informationen zu erhalten, forderte er sie mit Nachdruck ein. In einzelnen besonders schwierigen Situationen – etwa nach dem Scheitern der Balkanoffensive im Dezember 1914 – schickte er einen Offizier seiner Militärkanzlei an die Front, um auf diese Weise einen vertrauenswürdigen unmittelbaren Bericht zu bekommen. Insgesamt griff der Kaiser vor allem durch Personalentscheidungen in die Kriegführung ein: Potiorek wurde beispielsweise im Dezember 1914 abberufen, Conrad hingegen blieb im Amt – vielleicht gar nicht so sehr, weil Franz Joseph so großes Vertrauen in ihn hatte, sondern weil es ihm an Alternativen fehlte. Es entging dem Kaiser nicht, dass die Armee ein Führungsproblem hatte, und Mitte 1916 zog er die Konsequenzen daraus, indem er einer gemeinsamen „Obersten Kriegsleitung“ zustimmte. Ab September 1916 hatte damit der deutsche Kaiser den Oberbefehl über alle Truppen der Mittelmächte und so konnte die deutsche Oberste Heeresleitung dem österreichisch-ungarischen Armeeoberkommando Befehle erteilen. Damit traf der Kaiser in seinem letzten Lebensjahr eine schwerwiegende Entscheidung: Immerhin gab er durch die gemeinsame „Oberste Kriegsleitung“ einen Teil seiner Souveränität auf. Auch innenpolitisch kam es im Herbst 1916 noch einmal zu einem dramatischen Zwischenfall: Am 21. Oktober erschoss der Sozialist Friedrich Adler, der Sohn des Parteigründers Victor Adler, den österreichischen Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh. Adler wollte 195
damit ein Zeichen gegen die Kriegspolitik einer Regierung setzen, die seit dem Frühjahr 1914 ohne Parlament regierte. Natürlich hatte Stürgkh den Reichsrat im März 1914 nicht deshalb vertagt, damit die Monarchie einige Monate später ohne Parlament in der österreichischen Reichshälfte in den Ersten Weltkrieg gehen konnte; als der Krieg dann aber kam, war Stürgkh strikt gegen eine Wiedereinberufung des Reichsrats. Das Parlamentsgebäude am Ring wurde als Lazarett verwendet, wozu der Ministerpräsident sinngemäß gemeint haben soll, die größte Leistung seiner Regierung sei es gewesen, das Gebäude endlich einer sinnvollen Verwendung zuzuführen. Franz Joseph unterstützte die Politik seines Ministerpräsidenten, und als sich eine Gruppe von einflussreichen Politikern 1915 aktiv darum bemühte, Stürgkh zu stürzen, ließ er das nicht zu. In den Jahren nach 1867 hatte sich der Kaiser – wenn auch ohne Begeisterung – mit dem Konstitutionalismus arrangiert; in der besonderen Situation des Ersten Weltkriegs aber kam es ihm doch gelegen, dass er zumindest die österreichische Reichshälfte ohne Parlament regieren konnte. Nach Stürgkhs Ermordung berief Franz Joseph einen Mann zum neuen Ministerpräsidenten, der dieses Amt schon einmal innegehabt hatte, nämlich Ernest von Koerber. Das Interessanteste an dieser Wahl war, dass Koerber dezidiert eine Wiedereinberufung des Reichsrats befürwortete. Das wusste auch der Kaiser, und so zeigte die Ernennung Koerbers, dass er noch ganz am Ende seines Lebens flexibel genug war, um seine Politik zu überdenken und anzupassen. Manche Personen aus der nächsten Umgebung des Kaisers (sein Kammerdiener Ketterl und Kaiserin Zita, die Frau von Kaiser Karl) meinten im Rückblick sogar, Franz Joseph habe Ende 1916 gesagt, er werde den Krieg demnächst beenden. Ob das so stimmt, lässt sich schwer sagen; es besteht der Verdacht, dass dem Kaiser hier nachträglich etwas unterstellt wurde. Alle Aussagen über Franz Josephs Friedenswillen am Ende seines Lebens wurden nämlich erst Jahre nach seinem Tod gemacht. Entsprechende Zeugnisse noch aus seinen 196
Lebzeiten oder aus der Zeit unmittelbar nach seinem Tod gibt es nicht. Der stellvertretende Chef der kaiserlichen Militärkanzlei, Ferdinand Freiherr von Marterer, hielt Anfang 1915 in seinem Tagebuch fest, der Kaiser habe gesagt, es sei ein Fehler gewesen, bei Kriegsbeginn sowohl gegen Russland als auch gegen Serbien offensiv vorzugehen. Den Krieg insgesamt bezeichnete er hingegen nicht als Fehler – bei allen Zweifeln an einem guten Ausgang.
Der Tod des Kaisers Es wäre interessant zu wissen, welche Vorstellungen Franz Joseph von der Zukunft seines Reiches nach dem Ende des Weltkriegs hatte, doch es gibt keine Anhaltspunkte für seine allfälligen Überlegungen zu diesem Thema. Er befürchtete wohl, dass eine Niederlage das Ende der Habsburgermonarchie bedeuten könnte, aber er musste nicht mehr miterleben, dass es tatsächlich dazu kam. Franz Joseph war zeit seines Lebens erstaunlich gesund und in guter körperlicher Verfassung. Noch als über 70-Jähriger beeindruckte er seine Umgebung bei Manövern mit seiner körperlichen Fitness. Erst in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war er einige Mal ernsthaft krank gewesen. Auch Anfang November 1916 hatte der Kaiser wieder Husten und Fieber. Franz Joseph selbst sagte zu seinem Leibarzt, Dr. Joseph Ritter von Kerzl: „Diesmal wird es wohl das Ende sein“105 – und tatsächlich sollte er sich nicht mehr erholen. Trotzdem arbeitete der Kaiser weiter bis zu seinem letzten Lebenstag. Auch am 21. November erledigte er noch Akten, musste die Arbeit wegen seines Gesundheitszustandes aber immer wieder unterbrechen. Als der Kaiser schließlich ins Bett ging, fragte ihn sein Kammerdiener Ketterl nach weiteren Befehlen. Darauf antwortete Franz Joseph: „Ich bin mit meiner Arbeit nicht fertig geworden, morgen um ½4 Uhr wecken Sie mich wie gewöhnlich.“ Nachdem der Kaiser eingeschlafen war, wachte er noch einmal kurz auf und wollte etwas trinken. Zunächst gelang es nicht, ihm diesen Wunsch zu erfüllen, doch schließlich konnte 197
Ketterl dem Kaiser ein bisschen Tee einflößen. Darauf meinte Franz Joseph lächelnd: „Warum geht’s denn jetzt?“ – und schlief wieder ein. Fünf Minuten nach neun Uhr starb der 86-Jährige, nachdem er die Habsburgermonarchie fast 68 Jahre lang regiert hatte.
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Resümee Das auffälligste Merkmal der Regierungszeit Franz Josephs ist ihre ganz außergewöhnliche Dauer von nahezu sieben Jahrzehnten. Es gab und gibt andere Monarchen, deren Amtszeit noch länger war bzw. ist, aber ihre Zahl ist sehr gering. Ein aktuelles Beispiel ist König Bhumibol, seit 1946 Herrscher von Thailand, ein historisches Louis XIV., der 72 Jahre lang König von Frankreich war. Allerdings wurde Louis schon als vierjähriges Kind König und konnte daher in den ersten Jahren seines Lebens die Regierung nicht selbst führen, wie es Franz Joseph von Anfang an tat. Die fast 70 Jahre, in denen Franz Joseph Kaiser war, werden gewissermaßen von der Revolution 1848 und dem Ersten Weltkrieg umrahmt. Für die Zeit dazwischen bietet sich eine Einteilung in zwei große, unterschiedlich lange Abschnitte ein: die Zeit von 1848/49 bis 1866/67 und dann die Zeit vom Ausgleich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Außenpolitisch war der Krieg von 1866 der große Einschnitt, weil Österreich mit dieser Niederlage endgültig seine Position in Deutschland und Italien verlor. Innenpolitisch war der Ausgleich mit Ungarn 1867 eine bedeutende Zäsur: Er machte aus dem Kaisertum Österreich die österreichisch-ungarische Monarchie und schuf damit jene Struktur, die das Habsburgerreich bis zu seinem Untergang behalten sollte. Dass Franz Joseph eine ganze Epoche allein schon durch die Dauer seiner Herrschaft prägte, ist klar. Ob er ein guter oder ein schlechter Monarch war, ist viel schwieriger zu beantworten und entzieht sich einem eindeutigen Ja oder Nein – allein schon, weil es ganz unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe geben kann. Nach seinen eigenen traditionellen Maßstäben war Franz Joseph zumindest kein sonderlich erfolgreicher Herrscher. Unter seiner Herrschaft verlor die Habsburgermonarchie Kriege, Gebiete und Einfluss. Abgesehen vom Sieg über die Revolution 1848/49 gewann der Kaiser 199
nur unwichtige Kriege (den deutsch-dänischen Krieg 1864 und den Okkupationsfeldzug 1878), verlor aber die entscheidenden (1859 und 1866). Als er 1916 starb, war noch nicht abzusehen, wie der Erste Weltkrieg ausgehen würde, aber am Ende bedeutete dieser Krieg nicht bloß eine weitere Niederlage für die Habsburgermonarchie, sondern überhaupt ihren Untergang. In den ersten zwei Jahrzehnten seiner Regierungszeit verlor Franz Joseph mit der Lombardei und Venetien zwei große und gut entwickelte Provinzen. Bosnien-Herzegowina, der einzige Gebietszuwachs seiner Regierungszeit, war flächenmäßig zwar etwas größer als Lombardo-Venetien, konnte sich ansonsten aber keineswegs mit den verlorenen Gebieten messen. Als Franz Joseph Kaiser wurde, gab es drei außenpolitische Sphären, in denen Österreich besondere Interessen und eine besondere Position hatte: Deutschland, Italien und den Balkan. In nicht einmal 20 Jahren verlor Österreich seine Vorherrschaft in Italien und musste in Deutschland die kleindeutsche Lösung ohne österreichische Beteiligung akzeptieren. Auch innenpolitisch musste sich der Kaiser nach gut zehn Jahren eingestehen, dass er sein ideales Regierungssystem, den Neoabsolutismus, nicht dauerhaft hatte durchsetzen können. Franz Joseph war sich seiner Erfolglosigkeit gerade in den ersten beiden Jahrzehnten seiner Regierung bewusst, als er 1870 zu seinem späteren Minister Albert Schäffle sagte: „Ich bin halt ein Pechvogel.“106 Nach 1900 drückte Graf Paar einen vergleichbaren Gedanken wesentlich schärfer aus, als er meinte, in der Hand des Kaisers werde jedes Los zu einer Niete.107 Von einem Mann wie Paar, der als Generaladjutant eine ganz besondere Vertrauensposition beim Kaiser hatte und als Musterbeispiel von Loyalität zu ihm galt, ist das doch ein bemerkenswert drastischer Satz. Der Anlass für Paars Aussage war allerdings nicht die Politik, sondern das Privatleben des Kaisers. Er reagierte damit nämlich auf die Feststellung von Leibarzt Kerzl, Franz Joseph habe mit Kaiserin Elisabeth das große Los gezogen. 200
Tatsächlich begleiteten private Tragödien das gesamte Leben des Kaisers. Der Verlust eines kleinen Kindes, der zweijährigen Sophie, war ein Schicksal, das er – bei aller Tragik – mit vielen seiner Zeitgenossen teilte. Dass er aber seinen Bruder, seinen Sohn, seine Frau und seinen Neffen auf gewaltsame Weise verlor, war eine besonders schwere Häufung. Vor diesem Hintergrund ist Franz Josephs berühmter Satz „mir bleibt doch nichts erspart“ gut verständlich. Besonders tragisch war Rudolfs Selbstmord, weil das schwierige Verhältnis zwischen Vater und Sohn hier eine wesentliche Rolle spielte. Dass sich sein einziger Sohn umbrachte, war für Franz Joseph nicht nur ein schwerer Schicksalsschlag, sondern auch eine besondere Art von Misserfolg. Es war ihm nicht gelungen, seinem sensiblen und intelligenten, aber auch orientierungslosen Sohn ein verständnisvoller Vater zu sein. Der Tod der Kaiserin war hingegen ein tragischer Zufall. Dass Franz Joseph und Elisabeth schon lange vorher keine harmonische Ehe führten, lag aber durchaus am mangelnden Verständnis des Kaisers für seine Frau – und genauso an ihrem mangelnden Verständnis für ihn. Gerade in der Zeit von der Hinrichtung Maximilians bis zum Attentat auf Franz Ferdinand war Franz Joseph politisch erheblich erfolgreicher als in den ersten 20 Jahren seiner Regierung. Vom Ausgleich bis zum Ersten Weltkrieg erlebte Österreich-Ungarn eine Phase friedlicher Entwicklung, die fast ein halbes Jahrhundert dauerte, auch wenn sie keineswegs frei von Krisen war. Weder der Ausgleich mit Ungarn 1867 noch der Zweibund mit Deutschland 1879 entsprachen in dieser Form den Idealvorstellungen, die Franz Joseph gehabt hatte, als er Kaiser wurde, aber sie bildeten einen halbwegs stabilen innenund außenpolitischen Rahmen für sein Reich. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das gerade für Österreich-Ungarn eine besondere Herausforderung. Immerhin war es die Zeit des Nationalismus, der Nationalstaaten und der nationalen Einigungsbewegungen. Die Habsburgermonarchie lag als Vielvölkerstaat also nicht im Trend, und das wusste auch der Kaiser. Im Ersten 201
Weltkrieg sagte er: „Ich bin mir seit Jahrzehnten bewusst, wie sehr wir in der heutigen Welt eine Anomalie sind.“108 Vor diesem Hintergrund war die relative Stabilität der Monarchie vom Ausgleich bis zum Ersten Weltkrieg eine bemerkenswerte Leistung, die auch eine Leistung des Kaisers war. In diesen Jahren konnte er die Monarchie aus großen militärischen Konflikten heraushalten. Dabei half ihm natürlich die weltpolitische Gesamtsituation. Gerade in den 1880er- und 1890er-Jahren waren die europäischen Großmächte vor allem mit ihren Kolonialreichen beschäftigt. Im Gegensatz etwa zu Wilhelm II. hatte Franz Joseph aber keinerlei koloniale Ambitionen. Weil sich die Monarchie aus kolonialen Fragen heraushielt, war ihre außenpolitische Situation relativ ruhig, zumindest bis zu den Wirren am Balkan im frühen 20. Jahrhundert. Außerdem erwies sich Franz Joseph als geschickter und flexibler Innenpolitiker, der auf große Reformen verzichtete, aber versuchte, akute Konflikte zu lösen, zu entschärfen oder auch auszusitzen. Sein langjähriger Ministerpräsident Taaffe bezeichnete diese Politik als eine Politik des „Durchfrettens“ und die „wohltemperierte Unzufriedenheit“ der Völker der Habsburgermonarchie war ein geflügeltes Wort. Solange die Unzufriedenheit der einzelnen Nationalitäten eben wohltemperiert war, bedeutete das keine existenzielle Bedrohung für die Monarchie. Es war aber nötig, immer neue Kompromisse zu finden, und das gelang dem Kaiser und seinen Regierungen gar nicht schlecht. Zu einer existenziellen Bedrohung wurde der Nationalitätenkonflikt erst mit dem Ersten Weltkrieg – einem Krieg, den Franz Joseph begann. Der Kaiser konnte nicht wissen, dass dieser Krieg das Ende seines Reiches bedeuten würde, aber er ahnte, dass es so kommen könnte, und nahm es in Kauf. Allerdings musste er den Untergang der Habsburgermonarchie nicht mehr erleben. Ob man Franz Joseph für einen guten Kaiser hält, hängt also davon ab, welche Zeit und welcher Bereich aus welcher Perspektive beurteilt wird. Klar ist aber, dass Franz Joseph seine Aufgaben sehr 202
ernst nahm und versuchte, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Dem Kaiser konnte man viel vorwerfen – zum Beispiel seine Phantasielosigkeit, seine Abneigung gegen Neuerungen, seinen Standesdünkel – und viele Vorwürfe gegen ihn waren nicht unbegründet. Sein Pflichtbewusstsein und seine Gewissenhaftigkeit stellten aber nicht einmal seine schärfsten Kritiker in Abrede. Franz Joseph erwarb sich gerade dadurch großen Respekt – der durch die vielen persönlichen Tragödien in seinem Leben noch verstärkt wurde. Je länger der Kaiser regierte, umso mehr wurde auch er persönlich als eine Institution wahrgenommen. Sein Bild hing in jeder Schule, jedem Amt, jedem Gericht und jeder Kaserne. Als Franz Joseph starb, gab es in Österreich-Ungarn keine aktiven Beamten, Soldaten oder Offiziere, die ihren Dienst unter einem anderen Herrscher begonnen hatten; überhaupt gab es nur wenige Menschen, die sich an einen anderen Kaiser erinnern konnten. In Franz Josephs Regierungszeit amtierten 17 US-Präsidenten, fünf chinesische Kaiser und vier Päpste. Der alte Kaiser war einer der Faktoren, die sein Reich zusammenhielten – allein weil er da war. Karl Renner, der erste Kanzler der Republik Österreich, meinte später im Rückblick über die Ausrufung der Republik 1918: „Also wenn der alte Kaiser noch gelebt hätte, hätten wir uns das nicht getraut“.109 Alle, die Franz Joseph begegneten, ganz besonders in seinen späteren Jahren, waren sich darin einig, dass er der Inbegriff eines Monarchen war. Sein Adjutant Horthy meinte etwa: „Keinen anderen Monarchen habe ich kennengelernt, der so wie er die Majestät personifizierte.“110 Gerade weil Österreich nur zwei Jahre nach seinem Tod zur Republik wurde, ist Franz Joseph bis heute der Kaiser schlechthin geblieben.
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Quellen und Literatur Es lebt wohl niemand mehr, der Franz Joseph noch persönlich begegnet ist, geschweige denn Personen, die ihn aus einer gewissen Nähe kannten. Der Letzte war sein 2011 verstorbener Urgroßneffe Otto. Es ist aber umfassend überliefert, wie der Kaiser ausgesehen hat. Er wurde schon als Baby, Jugendlicher und junger Mann viel porträtiert. Die ersten erhaltenen Fotos Franz Josephs wurden 1859 aufgenommen und zeigen den knapp 30-jährigen Kaiser im Jahr der Schlacht von Solferino. Dabei handelt es sich aber nicht um die ersten Fotos, die überhaupt von ihm gemacht wurden. Aus einem Brief seiner Mutter geht nämlich hervor, dass er schon in den 1840er-Jahren gemeinsam mit seinen Brüdern fotografiert wurde. Diese Fotos sind aber offenbar nicht erhalten. Insgesamt ist die Zahl der überlieferten Porträts und Fotos jedenfalls so groß, ja unübersehbar, dass man sich von Franz Josephs Äußerem in jeder Lebensphase ein genaues Bild machen kann (dazu: Hans Pauer, Kaiser Franz Joseph I. Beiträge zur Bild‐Dokumentation seines Lebens, auszugsweise zusammengestellt aus den Beständen der Porträtsammlung und des Bildarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek [Wien 1966]; Georg Markus [Hg.], Der Kaiser. Franz Joseph I., Bilder und Dokumente [Wien ²1985]). Das unterscheidet ihn von seiner Frau Elisabeth, die sich nach 1867 nicht mehr fotografieren ließ und sich nur mehr verschleiert oder hinter einem Fächer versteckt in der Öffentlichkeit zeigte. Im Gegensatz zu Elisabeth wurde Franz Joseph auch gefilmt – freilich nur in seinen letzten Lebensjahren. Der bekannteste Film, in dem er zu sehen ist, zeigt die Hochzeit seines Großneffen Karl mit Zita von Bourbon-Parma in Schwarzau am 21. Oktober 1911. Dieser Film zeigt Franz Joseph aus größerer Nähe als jeder andere, und er ist der einzige, auf dem man dem Kaiser in einer Großaufnahme für einen Moment gewissermaßen direkt in die Augen schauen kann. Auch die Stimme Franz Josephs ist dokumentiert. Schon 1889 hatte Thomas Edison, der Erfinder des Phonographen, einen Mitarbeiter auf eine Reise durch Europa geschickt, um dort Aufnahmen zu machen. Bei dieser Gelegenheit wurde unter anderem Bismarcks Stimme aufgezeichnet. Auch vor Franz Joseph fand eine Vorführung statt, aufgenommen wurde er damals aber noch nicht. Erst 1903
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fertigte die Akademie der Wissenschaften für ihre Phonogrammsammlung ein Stimmporträt des Kaisers an. Der Text, den Franz Joseph dabei las, enthält auch die berühmte Floskel „es hat mich sehr gefreut“. Die zweite Tonaufnahme des Kaisers ist eine kurze Unterstützungserklärung für den Militär-Witwen- und Waisenfonds aus dem Jahr 1915. Unter den schriftlichen Quellen zu Franz Josephs Leben nehmen die von ihm selbst geschriebenen Dokumente eine besondere Stellung ein. Er bearbeitete in seiner Regierungszeit nicht nur eine ungeheure Anzahl von Akten, die er teilweise mit Randbemerkungen versah, sondern war auch ein fleißiger und verlässlicher Briefschreiber. Memoiren oder Ähnliches schrieb Franz Joseph hingegen nicht, im Gegensatz etwa zum deutschen Kaiser Wilhelm II. Das lag schon in seinem Naturell, vor allem aber daran, dass er bis zum Ende seines Lebens regierte und so vermutlich weder Anlass noch Zeit zum Schreiben von Memoiren hatte. Franz Joseph war auch kein leidenschaftlicher Tagebuchschreiber wie zum Beispiel Queen Victoria. Nur in seinen Teenagerjahren führte er ein Tagebuch – offenbar nicht so sehr aus eigenem Antrieb, sondern weil man das in seiner Umgebung für sinnvoll hielt und ihm deshalb zum 13. Geburtstag ein Tagebuch schenkte. Dieses Jugendtagebuch wurde über 150 Jahre nach seiner Entstehung veröffentlicht und ist somit leicht zugänglich (Heimo Cerny [Hg.], Die Jugend‐Tagebücher Franz Josephs [1843–1848] [Wien 2003]). Auch eine große Zahl der Briefe Franz Josephs ist publiziert worden. Die bekanntesten sind diejenigen, die er von 1886 bis kurz vor seinem Tod an Katharina Schratt schrieb. Diese über 1000 Briefe wurden bisher zwei Mal in Auszügen herausgegeben. In der ersten Edition ( Jean de Bourgoing [Hg.], Briefe Kaiser Franz Josephs an Frau Katharina Schratt [Wien 1949]) gibt es nicht nur Auslassungen, sondern gelegentlich auch Manipulationen des Textes. Auch die zweite Edition (Brigitte Hamann, Fast jede Nacht träume ich von Ihnen: Die Briefe Kaiser Franz Josephs an Katharina Schratt [München 2011]) enthält nur eine Auswahl der Briefe, die aber sehr sorgfältig und umfassend ediert ist. Leider sind nur die Briefe des Kaisers an Katharina Schratt, nicht aber ihre Briefe an ihn erhalten. Nur einige Konzepte für Briefe an den Kaiser vermitteln einen Eindruck davon, wie sie ihm schrieb.
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Die meisten Briefe schrieb Franz Joseph in seinem Leben wohl an seine Frau Elisabeth – allein schon weil sie oft ohne ihn auf Reisen war. Ein guter Teil dieser Korrespondenz – insbesondere aus den 1890er-Jahren – ist veröffentlicht (Georg Nostitz‐Rieneck [Hg.], Briefe Kaiser Franz Josephs an Kaiserin Elisabeth, 2 Bde. [Wien, München 1966]). Schließlich sind auch die Briefe Franz Josephs an seine Mutter Sophie und seinen Sohn Rudolf ediert. Die Briefe an Sophie (Franz Schnürer [Hg.], Briefe Kaiser Franz Josephs I. an seine Mutter, 1838–1872 [München 1930]) sind insofern interessant, als sie für ihren Sohn auch eine Ansprechpartnerin für politische Fragen war. Die Briefe an Rudolf (Friedrich Weissensteiner [Hg.], Lieber Rudolf. Briefe von Kaiser Franz Joseph und Elisabeth an ihren Sohn [Wien 1991]) stammen vorwiegend aus dessen Kindheit und geben daher einen gewissen Eindruck von Franz Joseph als Vater. Neben diesen edierten Briefen des Kaisers gibt es auch viele noch nicht veröffentlichte. Korrespondenz mit seinem Freund Albert von Sachsen befindet sich beispielsweise im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien. Außerdem kann man davon ausgehen, dass auch in Privatarchiven und Privatsammlungen Briefe des Kaisers vorhanden, aber nicht allgemein zugänglich sind. Schon in den 1920erJahren wurde eine Sammlung von Briefen Franz Josephs veröffentlicht (Otto Ernst [Hg.], Franz Joseph I. in seinen Briefen. Auf Grund von Forschungen im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien [Wien 1924]), die Briefe enthält, die sonst nicht ediert sind. In Franz Josephs unmittelbarer familiärer Umgebung gab es mehrere eifrige Tagebuchschreiber. Seine Mutter hinterließ zahlreiche Bände französischsprachiger Tagebücher. Sie werden im Haus-, Hof- und Staatsarchiv für die Familie Habsburg aufbewahrt und können nur mit Erlaubnis der Familie eingesehen werden. Einzelne Passagen aus den Jahren 1848 bis 1852 wurden von Reinöhl ediert (Fritz Reinöhl [Hg.], Aus den Tagebüchern der Erzherzogin Sophie, in: Historische Blätter 4 [1931], 109–136). Auch Franz Josephs Tochter Marie Valerie führte ein Tagebuch, dessen Original ebenfalls nicht zugänglich ist. In den 1930erJahren wurde eine maschinschriftliche Abschrift bzw. Zusammenfassung erstellt und ein Teil dieses Auszugs schließlich publiziert (Martha Schad, Horst Schad [Hgg.], Marie Valérie von Österreich. Das Tagebuch der Lieblingstochter der
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Kaiserin Elisabeth. 1878–1899 [München ²2000]). Diese Entstehungsgeschichte spiegelt sich in der Edition wider. Kaiserin Elisabeth führte kein Tagebuch im herkömmlichen Sinn, drückte ihre Gedanken aber regelmäßig in Gedichten aus, die als poetisches Tagebuch veröffentlicht wurden (Brigitte Hamann, Kaiserin Elisabeth. Das poetische Tagebuch [Wien 62008]). Schließlich führte Anna Nahowski ein Tagebuch, das der einzige Beweis für ihre Affäre mit dem Kaiser ist (Friedrich Saathen [Hg.], Anna Nahowski und Kaiser Franz Joseph. Aufzeichnungen [Graz, Wien 1986]; Herwig Knaus, Anna Nahowski und Kaiser Franz Joseph. Ihr Leben – ihre Liebe – ihre Kinder [Wien 2012]). Auch Personen aus der beruflichen Umgebung Franz Josephs führten Tagebuch. Ediert sind zum Beispiel das Tagebuch des Polizeiministers Kempen aus der Zeit von Revolution und Neoabsolutismus ( Josef Karl Mayr [Hg.], Das Tagebuch des Polizeiministers Kempen von 1848 bis 1859 [Wien, Leipzig 1931]) und jenes des Politikers Joseph Redlich aus den späten Jahren des Kaisers (Fritz Fellner, Doris A. Corradini [Hgg.], Schicksalsjahre Österreichs. Die Erinnerungen und Tagebücher Josef Redlichs 1869–1936. 3 Bde. [Wien, Köln, Weimar 2011]). Viele Tagebücher von hohen Beamten, Offizieren und Politikern wurden bisher hingegen nicht publiziert. Ein wichtiges Beispiel sind die Aufzeichnungen von Feldmarschall-Leutnant Ferdinand Freiherr von Marterer, dem stellvertretenden Chef der kaiserlichen Militärkanzlei in Franz Josephs letzten Regierungsjahren. Dieses Tagebuch, das teilweise im Haus-, Hof- und Staatsarchiv erhalten ist, gibt bedeutsame Einblicke in das Leben des Kaisers im Ersten Weltkrieg. Im Gegensatz zu Franz Joseph selbst haben einige Personen aus seiner näheren Umgebung Erinnerungen verfasst. Die umfassendsten und bekanntesten Erinnerungen an den alten Kaiser stammen von Eugen Ketterl (Der alte Kaiser, wie nur Einer ihn sah. Der wahrheitsgetreue Bericht seines Leibkammerdieners [Wien 1929]) und Albert Freiherr von Margutti (Kaiser Franz Joseph. Persönliche Erinnerungen [Wien, Leipzig 1924]). Ketterl wurde 1894 Leibkammerdiener des Kaisers und blieb bis zu dessen Tod in dieser Funktion. In diesen 22 Jahren bekam er bestimmt einen unmittelbareren Eindruck von Franz Joseph als nahezu jeder andere. Sein Buch ist die Quelle schlechthin für die persönlichen Gewohnheiten und Lebensumstände des alten Kaisers. Margutti, der 1900 Flügeladjutant des
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Kaisers wurde, behandelt sowohl Persönliches als auch Politisches. Während Flügeladjutanten dem Kaiserhof normalerweise für vier Jahre zugeteilt waren, war Franz Joseph mit Margutti so zufrieden, dass er ihn bis 1906 als Flügeladjutant behielt. Auch danach musste Margutti den Hof nicht verlassen, denn der Kaiser schuf für ihn die neue und einmalige Stelle eines Flügeladjutanten des Generaladjutanten und in dieser Funktion blieb Margutti bis zu Franz Josephs Tod in seiner unmittelbaren Nähe. Weniger bekannt ist das Buch von Stefan Baron Kray (Im Dienste der Kabinettskanzlei während des Weltkrieges. Episoden und Charakterbilder aus dem Leben der Kaiser Franz Josef und Karl. Reflexionen eines ehemaligen Hofsekretärs der k. u. k. Kabinettskanzlei [Budapest 1937]). Kray war im Ersten Weltkrieg Beamter in der Kabinettskanzlei des Kaisers und blieb auch nach dem Tod Franz Josephs auf diesem Posten. Daher ist in seinen Erinnerungen besonders der Vergleich zwischen dem Mittachtziger Franz Joseph und seinem knapp 30-jährigen Nachfolger Karl interessant. Im Jahr 1931, 101 Jahre nach der Geburt Franz Josephs und 15 Jahre nach seinem Tod, erschien ein Sammelband mit Erinnerungen von rund 20 Politikern und Mitarbeitern des Kaisers (Eduard Ritter von Steinitz [Hg.], Erinnerungen an Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, apostolischer König von Ungarn [Berlin 1931]). Diese Erinnerungen sind von unterschiedlicher Qualität und teilweise so betont positiv gehalten, dass das von ihnen gezeichnete Bild etwas unvollständig bleibt. Außerdem gibt es Erinnerungen von Zeitgenossen Franz Josephs, in denen ein kürzerer oder längerer Abschnitt dem Kaiser gewidmet ist. Beispiele dafür sind die Veröffentlichungen des langjährigen Statthalters von Niederösterreich und Kurzzeit-Ministerpräsidenten Erich Graf Kielmansegg (Kaiserhaus, Staatsmänner und Politiker. Aufzeichnungen des k. k. Statthalters [Wien 1966]), des Bankiers Rudolf Sieghart (Die letzten Jahrzehnte einer Grossmacht. Menschen, Völker, Probleme des Habsburger‐Reichs [Wien 1932]) oder des späteren Reichsverwesers von Ungarn, Nikolaus von Horthy (Ein Leben für Ungarn [Bonn 1953]), der als Offizier der k. u. k. Kriegsmarine Flügeladjutant des Kaisers war. In den letzten 100 Jahren wurden viele Biographien über Kaiser Franz Joseph geschrieben. Unter den frühen Biographien aus der Zwischenkriegszeit nimmt
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jene von Josef Redlich eine Sonderstellung ein ( Josef Redlich, Kaiser Franz Joseph von Österreich. Eine Biographie [Berlin 1928]). Immerhin war Redlich in den letzten Jahren der Monarchie als Politiker aktiv und kannte Franz Joseph persönlich. Die immer noch umfassendste Biographie des Kaisers stammt von Egon Caesar Conte Corti und Hans Sokol und besteht aus drei dicken Bänden (Egon Caesar Conte Corti, Vom Kind zum Kaiser. Kindheit und erste Jugend Kaiser Franz Josephs I. und seiner Geschwister [Graz, Salzburg, Wien 1950]; Egon Caesar Conte Corti, Mensch und Herrscher. Wege und Schicksale Kaiser Franz Josephs I. zwischen Thronbesteigung und Berliner Kongreß [Graz, Salzburg, Wien 1952]; Egon Caesar Conte Corti, Hans Sokol, Der alte Kaiser. Franz Joseph I. vom Berliner Kongreß bis zu seinem Tode [Graz, Salzburg, Wien 1955]; Corti starb bei der Arbeit am dritten Band, der daher von Sokol fertiggestellt wurde). Cortis Stil und Darstellungsweise wirken mittlerweile altertümlich und kitschig und seine überaus positive Einstellung zur Monarchie ist allzu offenkundig. Trotzdem ist sein Werk bis heute wegen der Fülle an Material und wegen des Detailreichtums unverzichtbar. Außerdem konnte Corti zahlreiche Dokumente einsehen, die sonst nicht zur Verfügung stehen – sei es, weil sie sich in privater Hand befinden, sei es, weil sie im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts erschienen zwei einbändige Biographien des Kaisers von ausländischen Autoren. Jene von Alan Palmer (Franz Joseph I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn [München 1995]) ist flüssig geschrieben, aber ein bisschen nostalgisch-verklärend. Das Werk von Jean‐Paul Bled (Franz Joseph. „Der letzte Monarch der alten Schule“ [Wien 1988]) ist wohl die gelungenste Biographie. Das bisher letzte deutschsprachige Biographie des Kaisers (Christian Dickinger, Franz Joseph I. Die Entmythisierung [Wien 2001]) ist solide recherchiert, hat aber eine einseitige politische Stoßrichtung, die exemplarisch daran deutlich wird, dass der Autor Franz Joseph als „multiplen Versager“ sieht. Neben vielen weiteren Biographien gibt es zahlreiche Bücher, die sich mit einzelnen Aspekten im Leben Franz Josephs beschäftigen. Das reicht vom Privatleben des Kaisers ( J. Cachée, G. Praschl‐Bichler, „Sie haben’s gut, Sie können ins Kaffeehaus gehen!“ Kaiser Franz Joseph ganz privat [Wien 1994];
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Katrin Unterreiner, Kaiser Franz Joseph 1830–1916. Mythos und Wahrheit [Wien 2006]) über seinen Hof (Martina Winkelhofer, Der Alltag des Kaisers. Franz Joseph und sein Hof [Wien 2011]) bis zu seinen Essgewohnheiten ( Josef Cachée, Die Hofküche des Kaisers. Die k. u. k. Hofküche, die Hofzuckerbäcke rei und der Hofkeller in der Wiener Hofburg [Wien 1985]; Ingrid Haslinger, Tafeln wie ein Kaiser. Franz Joseph und die kulinarische Welt des Wiener Hofs. Mit den besten Rezepten aus der Hofküche [Wien 1999]; Hannes Etzlstorfer, Franz Karl Ruhm, Tafeln mit dem Kaiser. Alltag und Geschichte rund um das Schönbrunner Menübuch von Mai 1913 bis Januar 1914 [Wien 2014]). Mit den Beziehungen des Kaisers zu Frauen im Allgemeinen beschäftigt sich Friedrich Weissensteiner („Ich sehne mich sehr nach dir“. Frauen im Leben Kaiser Franz Josephs [Wien 2012]). Ein ganz besonderer Dauerbrenner ist Franz Josephs Beziehung zu Katharina Schratt ( Joan Haslip, Die Freundin des Kaisers. Franz Joseph von Österreich und die Schauspielerin Katharina Schratt [München 1998]; Georg Markus, Katharina Schratt. Die zweite Frau des Kaisers [Wien, München 41998]; Katrin Unterreiner, Kein Kaiser soll uns stören. Katharina Schratt und ihre Männer [Wien, Graz, Klagenfurt 2014]). Im Gegensatz zu dieser Fülle von Titeln zum Privatleben des Kaisers gibt es aus den letzten Jahren und Jahrzehnten nur ein einziges Buch, das sich speziell mit Franz Josephs Rolle im politischen System beschäftigt (Lothar Höbelt, Franz Joseph I. Der Kaiser und sein Reich. Eine politische Geschichte [Wien 2009]). Dafür ist die Literatur, die sich allgemein mit der Geschichte der Habsburgermonarchie im Zeitalter Franz Josephs befasst, so zahlreich, dass hier nicht einmal ein grober Überblick möglich ist. Daher sei nur auf die große Serie der Akademie der Wissenschaften verwiesen: Alois Brusatti (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. I: Die wirtschaftliche Entwicklung (Wien 1973); Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. II: Verwaltung und Rechtswesen (Wien 1975); Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. III: Die Völker des Reiches, 2 Teilbde. (Wien 1980); Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. IV: Die Konfessionen (Wien 1985); Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hgg.),
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Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. V: Die bewaffnete Macht (Wien 1987); Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VI: Die Habsburgermonarchie im System der internationalen Beziehungen, 2 Teilbde. (Wien 1989 und 1993); Helmut Rumpler, Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VII: Verfassung und Parlamentarismus, 2 Teilbde. (Wien 2000); Helmut Rumpler, Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VIII: Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft, 2 Teilbde. (Wien 2006); Helmut Rumpler, Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. IX: Soziale Strukturen, 2 Teilbde. (Wien 2010); Helmut Rumpler, Anatol Schmied‐Kowarzik (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. XI: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, Teilbd. 2: Weltkriegsstatistik Österreich‐Ungarn 1914–1918 (Wien 2014).
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Abbildungsnachweis Innenklappe vorn https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hauptmann_Carl_ Christian_Franz_Radesfeld_-_Politische_Karte_des_Kaisertums_%C3%96sterreich_um_1849.jpeg (Zugriff: 07.12.2015) Innenklappe hinten Wilhelm Schier, Atlas zur allgemeinen und österreichischen Geschichte, 8. Auflage, bearb. v. Ernst Joseph Görlich, Wien 1966, S. 50. 1 Österreichische Nationalbibliothek Wien (ÖNB Wien), Inv. Nr. PORT_00048356_01 2 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ferdinando_I_d%27Austria.jpg) (Zugriff: 07.12.2015) 3 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Franz_Karl_Erzherzog_Litho.jpg) (Zugriff: 07.12.2015) 4 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Erzherzogin_Sophie_Litho.jpg) (Zugriff: 07.012.2015) 5
ÖNB Wien, Inv. Nr. PORT_00049324_01
6
ÖNB Wien, Inv. Nr. 166271-B
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ÖNB Wien, Inv. Nr. KOR134_1
8 ÖNB Wien/Angerer, L., Inv. Nr. Pf 6639 E 63/6 Abs.D. 9
ÖNB Wien, Inv. Nr. Pf 6639 E 112/2
10 ÖNB Wien, Inv. Nr. KO 2.391-C 11 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Anna_Nahowski.jpg (Zugriff: 07.12.2015) 12 ÖNB Wien, Inv. Nr. PORT_00050165_01 13 ÖNB Wien /Albert, Inv. Nr. NB 525619-B 14 ÖNB Wien, Inv. Nr. Kor 44/5 15 ÖNB Wien /Pietzner, Inv. Nr. Pf 144:C(52) 16 Kunsthalle Mannheim 17 ÖNB Wien, Inv. Nr. KO 890 B 18 ÖNB Wien, Inv. Nr. 16565 C 19 ÖNB Wien, Inv. Nr. NB 511668-B 20 ÖNB Wien, Inv. Nr. Kor 414/1
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21 ÖNB Wien, Inv. Nr. NB 501.951 – C 22 ÖNB Wien, Inv. Nr. PORT_00068186_01 23 ÖNB Wien, Inv. Nr. Pk 4969 24 ÖNB Wien/Srna, Inv. Nr. Pf 19000 E 210 25 ÖNB Wien, Inv. Nr. Pk 325, 9 26 ÖNB Wien, Inv. Nr. S 104/262 27 ÖNB Wien/Lechner-Müller, Inv. Nr. 460.225-B
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Anmerkungen 1
Heimo Cerny, Die Jugend-Tagebücher Franz Josephs (1843–1848). Ungekürzte kommentierte Textedition (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 96, Wien Köln, Weimar 2003), 26.10.1843, 27.10.1843.
2
Gerd Holler, Sophie, die heimliche Kaiserin. Mutter Franz Joseph I. (Wien 1993), 103.
3
Holler, Sophie, 55; Louise von Sturmfeder, Die Kindheit unseres Kaisers. Briefe der Baronin Louise von Sturmfeder, Aja seiner Majestät, aus den Jahren 1830–1840 (Wien o.J. [1910]), 97.
4
Alan Palmer, Franz Joseph I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn (München 1995), 78; Egon Caesar Conte Corti, Vom Kind zum Kaiser. Kindheit und erste Jugend Kaiser Franz Josephs I. und seiner Geschwister (Graz, Salzburg, Wien 1950), 328–330.
5
Palmer, Franz Joseph, 78; Jean‐Paul Bled, Franz Joseph. „Der letzte Mo narch der alten Schule“ (Wien 1988), 82.
6
Bled, Franz Joseph, 89.
7
Bled, Franz Joseph, 90.
8
Palmer, Franz Joseph, 79.
9
Georg Markus (Hg.), Der Kaiser. Franz Joseph I., Bilder und Dokumente (Wien ²1985), 171.
10 Rudolf Hoke, Ilse Reiter (Hgg.), Quellensammlung zur österreichischen und deutschen Rechtsgeschichte, vornehmlich für den Studiengebrauch (Wien, Köln, Weimar 1993), Nr. 1694. 11 Reichsgesetzblatt 1/1849. 12 Bled, Franz Joseph, 86. 13 Franz Schnürer (Hg.), Briefe Kaiser Franz Josephs I. an seine Mutter, 1838–1872 (München 1930), Nr. 136. 14 Markus, Kaiser, 172. 15 Schnürer, Briefe, Nr. 145.
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16 Reichsgesetzblatt 133/1859. 17 Schnürer, Briefe, Nr. 219. 18 Reichsgesetzblatt 226/1860. 19 Albert Freiherr von Margutti, Kaiser Franz Joseph. Persönliche Erinnerungen (Wien, Leipzig 1924), 237. 20 Hellmut Andics, Das österreichische Jahrhundert. Die Donaumonarchie 1804–1918 (Wien 1982), 141. 21 Schnürer, Briefe, Nr. 178. 22 Joseph Alexander Graf von Hübner, Neun Jahre der Erinnerung eines Österreichischen Botschafters in Paris unter dem zweiten Kaiserreich 1851–1859 (Berlin 1904), Bd. 2, 150. 23 Schnürer, Briefe, Nr. 214. 24 Schnürer, Briefe, Nr. 215. 25 Schnürer, Briefe, Nr. 229. 26 Schnürer, Briefe, Nr. 244. 27 Schnürer, Briefe, Nr. 246. 28 Georg Nostitz‐Rieneck (Hg.), Briefe Kaiser Franz Josephs an Kaiserin Elisabeth, 2 Bde. (Wien, München 1966), Bd. 1, 68. 29 Lothar Höbelt, Franz Joseph I. Der Kaiser und sein Reich. Eine politische Geschichte (Wien 2009), 38. 30 Palmer, Franz Joseph, 295. 31 Wiener Zeitung, Nr. 231 vom 7.10.1908, 1. 32 Egon Caesar Conte Corti, Hans Sokol, Der alte Kaiser. Franz Joseph I. vom Berliner Kongreß bis zu seinem Tode (Graz, Salzburg, Wien 1955), 363. 33 Helmut Rumpler, Die rechtlich‐organisatorischen Rahmenbedingungen für die Außenpolitik der Habsburgermonarchie 1848–1918, in: Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VI: Die Habsburgermonarchie im System der internationalen Bezie-
hungen, Teilbd. 1 (Wien 1989), 1–121, hier 45. 34 Holler, Sophie, 54. 35 Schnürer, Briefe, Nr. 76.
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36 Egon Caesar Conte Corti, Mensch und Herrscher. Wege und Schicksale Kaiser Franz Josephs I. zwischen Thronbesteigung und Berliner Kongreß (Graz, Salzburg, Wien 1952), 27. 37 Joseph Redlich, Kaiser Franz Joseph von Österreich. Eine Biographie (Berlin 1928), 240. 38 Nostitz‐Rieneck, Briefe, Bd. 1, 28. 39 Corti, Mensch und Herrscher, 358. 40 Wiener Zeitung, Nr. 298 vom 8.12.1866, 722. 41 Christian Dickinger, Franz Joseph I. Die Entmythisierung (Wien 2001), 138. 42 Margutti, Kaiser Franz Joseph, 37–38. 43 Erich Graf Kielmansegg, Kaiserhaus, Staatsmänner und Politiker. Aufzeichnungen des k. k. Statthalters (Wien 1966), 26. 44 Margutti, Kaiser Franz Joseph, 251. 45 László Péter, Die Verfassungsentwicklung in Ungarn, in: Helmut Rumpler, Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VII: Verfassung und Parlamentarismus, Teilbd. 1: Verfassungsrecht, Verfassung-
swirklichkeit, zentrale Repräsentativkörperschaften (Wien 2000), 239–540, hier 527. 46 Friedrich Weissensteiner, Franz Ferdinand. Der verhinderte Herrscher (Wien 2007), 206. 47 Margutti, Kaiser Franz Joseph, 252. 48 Philip Czech, Der Kaiser ist ein Lump und Spitzbube. Majestätsbeleidigung unter Kaiser Franz Joseph (Wien 2010), 180–181. 49 Corti, Mensch und Herrscher, 189. 50 Holler, Sophie, 278. 51 Schnürer, Briefe, Nr. 258. 52 Naama Magnus, Die Juden, in: Amt der niederösterreichischen Landesregierung (Hg.), Niederösterreichische Landesausstellung Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs, Bd. 1: Von der Revolution zur Gründerzeit 1848–1880 (Wien 1984), 85–86, hier 86. 53 Kinematographische Rundschau 1911. 54 Schnürer, Briefe, Nr. 106.
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55 Schnürer, Briefe, Nr. 178. 56 Dickinger, Franz Joseph, 182. 57 Nikolaus von Horthy, Ein Leben für Ungarn (Bonn 1953), 58–59. 58 Markus, Kaiser, 172. 59 Holler, Sophie, 21. 60 Holler, Sophie, 97. 61 Markus, Kaiser, 25. 62 Jean‐Paul Bled, Franz Ferdinand. Der eigensinnige Thronfolger (Wien, Köln, Weimar 2013), 36. 63 Markus, Kaiser, 174. 64 Brigitte Hamann, Elisabeth. Kaiserin wider Willen (München 1992), 35. 65 Egon Caesar Conte Corti, Elisabeth. „Die seltsame Frau“ (Salzburg 1934), 54–55. 66 Michaela Vocelka, Karl Vocelka, Sisi. Leben und Legende einer Kaiserin (München 2014), 49–50. 67 Brigitte Hamann, Kaiserin Elisabeth. Das poetische Tagebuch (Wien 2008), 145.
6
68 Corti, Elisabeth, 163. 69 Vocelka, Sisi, 97. 70 Vocelka, Sisi, 99. 71 Prinzessin Stephanie von Belgien, Fürstin von Lónyay, Ich sollte Kaiserin werden. Lebenserinnerungen der letzten Kronprinzessin von Österreich-Ungarn (Leipzig 1935), 83. 72 Friedrich Weissensteiner, „Ich sehne mich sehr nach dir“. Frauen im Leben Kaiser Franz Josephs (Wien 2012), 193. 73 Hamann, Poetisches Tagebuch, 116. 74 Hamann, Fast jede Nacht träume ich von Ihnen: Die Briefe Kaiser Franz Josephs an Katharina Schratt (München 2011), 390. 75 Brigitte Hamann, Fast jede Nacht, 78. 76 Hamann, Fast jede Nacht, 154. 77 Dickinger, Franz Joseph, 65. 78 Hamann, Fast jede Nacht, 126.
217
79 Margutti, Kaiser Franz Joseph, 139. 80 Bertha Zuckerkandl, Österreich intim. Erinnerungen 1892–1942 (Frankfurt/Main 1970), 113. 81 Christian Dickinger, Habsburgs schwarze Schafe. Über Sonderlinge, Rebellen und Wahnsinnige im kaiserlichen Hause (München 2001), 140–141. 82 Dickinger, Schwarze Schafe, 152. 83 Weissensteiner, „Ich sehne mich sehr nach dir“, 152. 84 Bled, Franz Joseph, 350. 85 Margutti, Kaiser Franz Joseph, 33. 86 Margutti, Kaiser Franz Joseph, 209. 87 Kielmansegg, Kaiserhaus, Staatsmänner und Politiker, 32. 88 Kielmansegg, Kaiserhaus, Staatsmänner und Politiker, 62. 89 Lothar Höbelt, „Stehen oder Fallen?“ Österreichische Politik im Ersten Weltkrieg (Wien, Köln, Weimar 2015), 31. 90 Eugen Ketterl, Der alte Kaiser, wie nur Einer ihn sah. Der wahrheitsge treue Bericht seines Leibkammerdieners (Wien 1929), 71–72. 91 Margutti, Kaiser Franz Joseph, 55. 92 Margutti, Kaiser Franz Joseph, 55. 93 Ketterl, Alter Kaiser, 46. 94 Kielmansegg, Kaiserhaus, Staatsmänner und Politiker, 44. 95 Corti, Sokol, Alter Kaiser, 364. 96 Redlich, Kaiser Franz Joseph, 60. 97 Hamann, Fast jede Nacht, 435. 98 Corti, Mensch und Herrscher, 91. 99 Ludwig Höhnel, Flügeladjutantendienst beim Kaiser, in: Eduard Ritter von Steinitz (Hg.), Erinnerungen an Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, apostolischer König von Ungarn (Berlin 1931), 375–395, hier 385. 100 Margutti, Kaiser Franz Joseph, 415. 101 Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (= Österreichische Geschichte 1890–1990, Wien 1994), 212.
218
102 Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918 (Wien, Köln, Weimar 2013), 285. 103 Rauchensteiner, Erster Weltkrieg, 654. 104 Höbelt, „Stehen oder Fallen?“, 34. 105 Corti, Sokol, Alter Kaiser, 436. 106 Albert Schäffle, Aus meinen Leben, Bd. 2 (Berlin 1905), 70. 107 Margutti, Kaiser Franz Joseph, 74. 108 Adam Wandruszka, „In der heutigen Welt eine Anomalie“, in: Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848– 1918. Bd. VI: Die Habsburgermonarchie im System der internationalen Beziehungen, Teilbd. 1 (Wien 1989), XI–XVI, hier XI.
109 Markus, Kaiser, 172.
110 Horthy, Leben für Ungarn, 52.
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Personenregister A Adamovicz, Wilhelmine 165
Adler, Friedrich 195
Aehrenthal, Alois Lexa Freiherr von 90–92, 94, 96
Albert, König von Sachsen 178– 179
Albrecht, Erzherzog 82, 86, 106
Alexander, König von Serbien 90 Andrássy, Gyula Graf 36–37, 52, 87–89, 94, 138
Bismarck, Otto Fürst von 27, 79–80, 82–83, 85, 87, 89, 169
Bombelles, Heinrich Graf von 22 Bruck, Karl Ludwig Freiherr von 44, 174
Bruckner, Anton 121
Buol-Schauenstein, Karl Ferdinand von 76
Burg, Ferdinand (siehe: Ferdinand Karl, Erzherzog)
Angeli, Heinrich von 144
C
B
Carlo Alberto, König von Sardi-
Badeni, Kasmir Graf von 63–65, 67–68
Batthyány, Lajos 37
Beck, Max Wladimir Freiherr von 67
Beck-Rzikowsky, Friedrich Graf von 106 – 107, 171, 178
Čabrinović, Nedeljko 159 nien-Piemont35
Caspar, Marie 151
Cavour, Camillo Benso Graf von 77–78
Conrad, Franz von Hötzen-
dorf 90, 94, 107, 174, 188–190, 193, 195
Belcredi, Richard Graf von 50,
Czuber, Bertha 164
Benedek. Ludwig Ritter von 83,
D
Berchtold, Leopold Graf 96,
Dunant, Henri 100
Berg, Helene 143
E
52, 60
100–102, 106, 111, 175 184–186
Beust, Friedrich Ferdinand Graf von 52–53, 60
Bhumibol, König von Thailand 199
220
Deák, Ferenc 50, 52
Edward VII., König des Vereinigten Königreichs 89, 104
Elisabeth, Kaiserin, geb. Herzogin in Bayern 21, 55, 85, 100, 120,
132–142, 144–145, 148, 150–151, 153, 165, 177, 181, 200–201
Elisabeth, Fürstin zu Windis-
chgrätz, geb. Erzherzogin 151
F Ferdinand I., Kaiser 21–23, 25–26, 31, 33, 40, 51, 97, 125–127, 154,
Ferdinand Karl, Erzherzog 164, Ferdinand Maximilian, Erzherzog 23, 43, 127–131
Franz II./I., Kaiser 21, 26, 29–31,
Goethe, Johann Wolfgang von 120
Gołuchowski, Agenor Graf 45– 47, 49
Gondrecourt, Leopold Graf 150
Grünne, Karl Ludwig Graf 99, 178
Gyulay, Feréncz József Graf 99
H Heine, Heinrich 139
Heinrich, Erzherzog 163
Helene, von Thurn und Taxis 133
Hindenburg, Paul von 191
97, 126, 155–156
Hötzendorf (siehe: Conrad)
91, 96, 105–107, 122, 147, 154–162,
Hohenberg, Sophie Herzogin
Franz Ferdinand, Erzherzog 66, 164, 180, 183, 186, 201
Franz Karl, Erzherzog 21–22, 25, 31, 125–127
Franz Salvator, Erzherzog 153
Friedrich III., Römisch-Deutscher Kaiser 29
Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 73
G Giesl, Wladimir Freiherr von Gieslingen 184–185
Girardi, Alexander 172
Gisela, Prinzessin von Bayern, geb. Erzherzogin 135, 148–149, 153, 165–166
Görgey, Arthur 37
221
Hofmann, Leopoldine 163
von, geb. Gräfin Chotek von Chotowa 155–157, 164
Hohenwart, Karl Sigmund Graf von 56
Hoyos, Alexander Graf von 183 Hübner, Alexander (Graf ) von 77
I Iswolski, Alexander 92
J Jelačić, Josip 43
Johann Salvator, Erzherzog 163, 176
Joseph II., Kaiser 24, 26, 31, 113–114
Juárez, Benito 131
K Karl VII, Kaiser 29
Karl Ludwig, Erzherzog 23, 131–133, 154–155
Kerzl, Joseph Ritter von 197, 200 Kielmansegg, Erich Graf von 172, 174
Kisch, Egon Erwin 189
Ludwig, Erzherzog 31
Ludwig Viktor, Erzherzog 24, 131, 132
Lueger, Karl 117
M Maria Theresia, Königin und Kaiserin 21, 30, 125
Marie Valerie, Erzherzogin 138– 140, 145, 147–148, 153–154
Koerber, Ernest von 65, 196
Margutti, Albert Freiherr von 55,
Kolowrat-Liebsteinsky, Franz
Maximilian, Herzog in Bay-
Kossuth, Lajos 33, 36–37, 43
Maximilian, Herzog von Hohen-
Kübeck, Karl Friedrich Freiherr
Maximilian Joseph, Kurfürst/
Kokoschka, Oskar 122 Anton Graf von 31
Kotzebue, August von 128 von 41
L Latour, Joseph Graf 150
Leopold II. König der Belgier 151, 166
104, 169–170, 173, 177–178 ern 132
berg 160
König von Bayern 125
Metternich, Clemens Wenzel Fürst von 23, 26, 31-32
Middleton, George 130
Moltke, Hellmuth von 101
Leopold, Prinz von Bayern 149,
N
Leopold Ferdinand, Erzher-
Napoleon I. Kaiser der Fran-
172
zog 164–165
Nahowski, Anna 142–143, 147, 176 zosen 29, 40, 104, 170
Libényi, János 42–43, 111, 175
Napoleon III., Kaiser der Fran-
Louis XIV., König von Frank-
Nikolaus I, russischer Zar 36–37,
Lónyay, Elemér Graf 166–167 reich 199
Lucheni, Luigi 141
Ludovika, Herzogin in Bayern 132–133
222
zosen 77–79, 82, 85, 99, 129 75–76
O O’Donnel, Maximilian Graf 42
Orléans, Henri Philippe de 141
Orth, Johann (siehe: Johann Salvator, Erzherzog)
Otto, Erzherzog 160, 164
P Paar, Eduard Graf von 108, 171, 178, 200
Schratt, Katharina 120, 143–148, 152, 160, 172, 176–179
Schwarzenberg, Felix Fürst
von 24, 26, 39–42, 73–75, 169, 175
Seeckt, Hans von 162
Seefried, Elisabeth Gräfin von, geb. Prinzessin von Bayern 165–166
Peter I., König von Serbien 90
Seefried, Otto Freiherr/Graf
Pius IX., Papst 115–116
Shakespeare, William 121
Pillersdorf, Franz Freiherr von 32 Pius X., Papst 117
Popovici, Aurel 66
Potiorek, Oskar 198–190, 195
Princip. Gavrilo 159–160, 183
Puzyna, Jan Kardinal 116
von 165–166
Sicard von Sicardsburg, Eduard 121–122
Stubel, Ludmilla 163
Sophie, Erzherzogin (Mutter von Franz Joseph) 21–22,
24–27, 40–41, 46, 76, 80, 82–84,
R Radetzky, Joseph Graf von Radetz 35–36, 98–99
Rampolla, Mariano Kardinal 116
Rauscher, Joseph Othmar von 22, 114, 134
Rudigier, Franz Joseph 111, 115
Rudolf, Kronprinz 135–136,
142–144, 148–154, 158, 161–162,
166–167, 201
S Schäffle, Albert 200 Schlenther, Paul 145
Schmerling, Anton Ritter von 47–50, 59–60
223
89, 97–98, 113, 116, 120, 125–128, 132–133, 135–136, 148,
Sophie Friederike, Erzherzogin (Tochter von Franz Joseph) 148, 150, 201
Stephanie, Kronprinzessin, geb.
Prinzessin von Belgien 142, 151, 166–167
Stifft, Andreas Joseph 126
Stürgkh, Karl Graf 68, 195–196 Sturmfeder, Louise Baronin von 22
T Taaffe, Eduard Graf 59, 61–62, 117, 152, 171, 202
Tige, Gräfin 24
U Umberto I., König von Italien 141
Wilhelm I., König von Preußen, Deutscher Kaiser 80, 85
Wilhelm II., König von Preußen,
Deutscher Kaiser 104, 158, 170,
173, 194, 202
V Van der Nüll, Eduard 121–122
Windischgrätz, Alfred I. Fürst zu
Vittorio Emanuele, König von
Windischgrätz, Alfred III. Fürst
Vetsera, Mary 152
Sardinien-Piemont/Italien 36, 79
W Weckbecker, Hugo Freiherr von 41
(General) 24, 33, 36, 38
zu (Ministerpräsident) 62
Wölfling, Leopold (siehe: Leopold Ferdinand, Erzherzog) 164–165
Z Zita, Kaiserin, geb. von Bourbon-Parma 161, 196
Wilczek, Hans Graf 148
Ortsregister A
C
Albanien 95–96
Chlopy 105
B
D
Arad 37
Cilli 62–63
Bad Ischl (Ischl) 21–22, 133, 140,
Dänemark 81
Balkan 76, 86–87, 90. 93–96, 105,
F
145, 153, 179, 183–184, 187, 194 188–191, 194–195, 200, 202
Böhmen 30, 51–52, 56–58, 63–64,
Frankreich 44, 71, 75, 77–78, 82, 85–86, 99, 108, 117, 129, 185, 191,
68, 72, 90. 100. 157
Bosnien, Bosnien-Herze-
gowina 87–93, 95, 158–160, 200
Bulgarien 82, 87–88, 95, 148. 163
224
199,
G Galizien 30, 57–58, 66, 72, 105, 198–190
Genf, Genfer See 141
Großbritannien 71, 75, 77, 87, 89, 93, 104, 129, 185, 191
H Holstein 81–83
I Innsbruck 32–33
Italien 32, 3–36, 38–39, 71–72, 74, 77–79, 81–84, 86, 89–90, 93–95,
98–99, 129, 141, 162, 185, 191–194, 199–200
K Korfu 136
O Olmütz 25– 25, 33, 35, 38
P Paris 32, 75, 77, 85 Possenhofen 132
Polen 52, 57–58, 66
Prag 32–35, 56, 62, 83, 85, 154
Preußen 50, 58, 71–72, 74, 78–86, 100, 104, 121, 149
R Rumänien 75, 87, 95, 162
Russland 30, 58, 71, 75–77, 86–87, 89–90, 92–93, 185, 188–190, 197
Kremsier 32–33, 38–39
S
L
Sardinien-Piemont 35–36, 44,
Lauenburg 81–83 Lemberg 198
Lombardei 30, 34–35, 71, 78–79, 89, 200
Lombardo-Venetien 72, 129, 200
Sarajevo 159–160, 164, 183 77–79, 99, 126
Schleswig 81–83
Schönbrunn 143, 145, 175–176, 194 Serbien 75, 87, 90–93, 95–96, 105, 161, 183–191, 193–194, 197
M
T
Madeira 136
Temes Kubin 185, 187
Mailand 34–35
Trentino 71, 191–192
Mähren 30, 33, 52, 63–64, 66, 154 Mayerling 152
Mexiko 129–130
Montenegro 87, 95–96
225
Tirol 30–31, 131, 180, 191–192
U Ungarn 30, 32–34, 36–39, 42–43, 46–58, 60, 66, 72, 75–76, 89, 91,
93, 98–99, 126, 129, 138–139, 148, 199, 201
V Venedig 34–36
Venetien 34, 71, 78, 82–84, 89, 200 Világos 37
Sachregister A
C
Absolutismus, absolute Monar-
chie 30, 40–44, 46, 50, 53, 60,
Christlichsoziale 68
112,
D
gowina) 89–93
Deutsches Reich 72–73, 85, 87, 89,
Annexion (von Bosnien-HerzeAntisemitismus 117
Deutscher Bund 72–74, 77–83 93, 183, 185–186,
Aprilgesetze 33–34
Dezemberverfassung 50–56,
Armeeoberkommando 161, 195
Donaufürstentümer 75–76, 84
Arbeiterbewegung 61 Ausgleich
- mit Ungarn 50–57, 60, 66,
89–91, 93–95, 105, 138–139, 199, 201, 202
- in Mähren 66
- in der Bukowina 66 - in Galizien 66
65–66, 112
Dreibund 98, 94, 185, 191–192 Dualismus 52–53, 60
E Eiserner Ring 59, 61
Erster Weltkrieg 55, 66, 69, 71, 106–108, 162, 165, 170, 172, 175, 183–197, 199–203
B Balkanbund, Balkankriege 95–
F
Bauernbefreiung 32, 38, 42–43
Februarpatent 46–50, 53, 60
96, 105, 190
Berliner Kongress 86–89 Burgtheater (Hofburgth-
eater) 120–121, 127, 143, 145
226
Familienstatut 25, 137, 155
Föderalismus, Föderalisten 47, 50, 52, 56–60
Frankfurter Fürstentag 80, 83, 85
Frieden von
- Prag 80, 83, 85
- San Stefano 87
- Zürich 78–79, 84
Fronleichnam, Fronleichnamsprozession 116
Fundamentalartikel 56–59
Kaiserhymne (Volkshymne) 121
Kirche, katholische 61, 113–117
Kleindeutsche Lösung 73–74, 83, 85, 200
Konkordat 114–116
Konstitutionalismus, konstitutionelle Monarchie 32–33, 39–40, 45–47, 53, 65, 76, 80,
G Gasteiner Konvention 81–82
Großdeutsche Lösung 72–73 Großgrundbesitzer 59, 67
Grundherr, Grundherrschaft,
Grunduntertänigkeit 31–32,
38, 43
Grundrechte 33, 38–39, 53
H
110–111, 127, 131. 173, 196
Konzil, Erstes Vatikanisches 115 Kremsierer Verfas-
sungsentwurf 32, 33, 38–39
Kriegserklärung
- an Serbien 161, 185–188, 194 - durch Italien 192,
Kriegsmarine 83, 103, 105–106, 129, 158
Krimkrieg 44, 74–77,
Heiliges Römisches Reich 29–
Kurien 59, 63, 67
Hofburg 65, 157, 176, 181
L
I
Leibeigenschaft 31
30, 72
Industrialisierung, industrielle Revolution 31, 61,
J
Laxenburger Manifest 44 (Deutsch)Liberale, Liberalis-
mus 48–50, 52, 56, 58–59, 61–62, 114–115
Jagd 97, 127, 141, 149, 172, 178–180
M
Jungtürken, Jungtürkische Revo-
Majestätsbeleidigung 109, 111–112
Josephinismus 113–114 lution 91
K Kabinettskanzlei 103, 176 227
Maigesetze 115 Militärkanzlei
- des Kaisers 103, 106, 170–171, 195, 197
- des Thronfolgers 158
Ministerrat (Ministerkonfer-
R
enz)41–44
Reichshälften 50–52, 54, 88, 90,
109–110
Reichsrat 41–42, 45, 48–51, 53,
Ministerverantwortlichkeit 53, Mobilmachung 76, 97, 185
N Nationalismus 67, 201
Nationalitäten 50, 53–54, 57,
93, 95, 105
56–59, 63–69, 110, 115, 196
Reichstag 32–33, 38–39, 42, 48, 51, 54
Revolution
- französische 71
62–68, 90, 105, 202
Nationalversammlung, deutsche 72–73
Norddeutscher Bund 85
Notverordnungen 53, 65, 68
O Obstruktion 53, 64–65, 68
Okkupation von Bosnien-Herzegowina 91
Oktoberdiplom 45–48, 59
Oktroyierte Märzverfassung 39, 41
Osmanisches Reich 75, 87–88, 91–95, 185
Oper (Hofoper, Staatsoper) 121– 122
P Papst, Papstwahl 78, 115–117, 203
- von 1848 24–26, 29, 31–40,
42–43, 49, 52, 71–75, 98–99, 199
Ringstraße 121
Ruthenen 58, 66
S Schulpolitik, Schulwesen 61–62, 111, 114–115
Schutz- und Trutzbündnisse 85
Silvesterpatente 40, 42 Slawenkongress 33
Sozialdemokraten 61, 68 Sprache (Amtssprache,
Landessprache, Unter-
richtssprache) 34, 52, 58, 62–63
Staatskonferenz, geheime 31
Stände 30
Stephanskrone 51–52 Südslawen 68, 90
Parlamentseröffnung 65
T
Präventivkrieg 90, 94, 174, 193
Trialismus 90–91, 93
Personalunion 33, 49, 51, 73, 81
Thronfolge 22, 25, 126, 157, 160–161
Pragmatische Sanktion 30, 49
Tschechen 48–49, 56–58, 59,
228
62–63, 66, 68
U Ultimatum
- an Dänemark 81
Vorfrieden von
- Nikolsburg 83 - Villafranca 78
- an Montenegro 96
Votivkirche 43
- an Serbien 1913 96
W
- an Sardinien-Piemont 78
- an Serbien 1914 184–186
V Vertrag von
- London 151
- Plombières-les-Bains 77, 81
Wahlrecht 32, 58–59, 62–63, 66–86
Wenzelskrone 56
Wiener Kongress 31, 71, 74
Z
Vielvölkerstaat, Vielsprachig-
Zentralismus, Zentralisten 46–
Völkerschlacht bei Leipzig 40,
Zeremoniell 157, 176–177
keit 22, 30, 62, 65, 162, 201 100
229
48, 50, 52, 56, 60
Zweibund 89, 201
OK! AUC H ALS eBO
MANFRIED RAUCHENSTEINER
DER ERSTE WELTKRIEG UND DAS ENDE DER HABSBURGERMONARCHIE 1914–1918
Die Geschichte von der Entfesselung des Ersten Weltkriegs, von der Rolle Kaiser Franz Josephs, vom Verhalten der Nationalitäten der Habsburgermonarchie bis zum Zerfall eines 630-jährigen Reiches liest sich wie ein spannender Roman. Es geht um Politik und Krieg, das Bündnis mit Deutschland, Krieg als Ausnahmezustand und als Normalität. Das Buch, von einem der führenden Historiker Österreichs, ist eine mitteleuropäische Enzyklopädie des Ersten Weltkriegs. Dieser Titel liegt auch für eReader, iPad und Kindle vor. 2013. 1222 S. 32 S/W-ABB. UND 2 KARTEN. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78283-4 [BUCH] | ISBN 978-3-205-79259-8 [EBOOK]
„Ein epochales Werk.“ Der Spiegel Geschichte
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EDGARD HAIDER
WIEN 1914 ALLTAG AM RANDE DES ABGRUNDS
Der Historiker und Publizist Edgard Haider nimmt den Leser mit in das Wien des Jahres 1914 , auf Bälle und Feste , ins Theater , auf Straßen und Plätze , in Wohnhäuser und Paläste – in eine Stadt , deren Bewohner nicht wahrhaben wollen , dass auch Wien kurz vor dem Abgrund steht. Im Bewusstsein geblieben ist die verblüffende Euphorie über den Ausbruch des Krieges im Sommer , doch was sonst geschah in diesem Schicksalsjahr ist weitgehend vergessen. Haider hat zahlreiche Dokumente zusammengetragen , die einen Blick in die Welt vor hundert Jahren offenbaren. Prophetisch wirkende Analysen der politischen Lage , die eine neue Ordnung erahnen lassen , sind hier ebenso zu lesen wie grobe Fehleinschätzungen. Die Spurensuche führt zu heute skurril anmutenden Bräuchen und Moden , bringt aber auch überraschend Modernes zutage. Ein Tanz auf dem Vulkan , dessen Ausbruch wie eine lang ersehnte Erlösung bejubelt wird , in Wahrheit aber der Anfang vom Ende der alten Welt ist. 2013. 300 S. 140 S/W-ABB. GB. 135 X 210 MM | ISBN 978-3-205-79465-3
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