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German Pages 528 [525] Year 2014
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Umschlagfoto: Kniende Figur des hl. Koloman vom Koloman-Altar in der Melker Stiftskirche (© Stift Melk) Frontispiz: Das Decken-Fresko im Kolomani-Saal von Stift Melk stellt eine Synthese der Stiftsgeschichte dar: Die Babenberger Markgrafen Leopold I., der – nach barockem Verständnis – die Kanoniker nach Melk gebracht hat (tatsächlich war das wohl Markgraf Heinrich I.), und Leopold II., der 1089 wesentlich zur Umwandlung des Kanonikerstiftes in ein Benediktinerkloster beigetragen hat, sind im unteren Teil des Freskos zusammen mit dem noch nicht barocken Klostergebäude abgebildet. Über dem irdischen Geschehen sind Markgraf Leopold II. als Heiliger, der hl. Koloman als Pilger, der hl. Benedikt (Ordensgründer und Patron Europas) sowie die Apostelfürsten Petrus und Paulus.
© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Wien . Köln . Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Nikola Langreiter, Lustenau Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Layout: Ulrike Dietmayer, Wien Druck und Bindung: Druckerei Theiss GmbH, St. Stefan im Lavanttal Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Printed in the EU ISBN 978-3-205-79556-8
Geleitwort
Wahrscheinlich war es 2012 das erste Mal in der tausendjährigen Geschichte der Verehrung des heiligen Koloman, dass sein Festtag am 13. Oktober von einem mehrtägigen wissenschaftlichen Symposion begleitet wurde. Im Vorfeld wurden Untersuchungen der Kolomaniverehrung, konzentriert auf das Kloster Melk und von diesem ausgehend auf den bayerisch-österreichischen Kultur-Raum, publiziert. Nun finden die Beiträge der Vortragenden auf dem Symposion ihre schriftliche Wiedergabe in einem zweiten Band, der im Jahr 2014, also 1000 Jahre nach der Translatio des heiligen Koloman nach Melk, erscheint. In den Beiträgen von Edeltraud Ambros, Ralph Andraschek-Holzer, Andreas Bihrer, Ernst Bruckmüller, Rainald Dubski, Udo Fischer (OSB), Christine Glaßner, Gottfried Glaßner (OSB), Michael Grünbart, Elisabeth Klecker, Ernst Lauermann, Klaus Lohrmann, Andrea LongoniHoetschl, David Merlin, Meta Niederkorn-Bruck, Dagmar Ó Riain-Raedel, Kathrin Pallestrang, Thomas Schilp, Alois Schmid, Werner Telesko und Andreas Zajic wird deutlich, wie stark verflochten die Kolomaniverehrung mit dem Werden des Landes ist und durch die monastischen wie dynastischen Verbindungen darüber hinaus wirken konnte. Für mich persönlich wird durch das Symposion und die beiden „Koloman-Bände“ deutlicher, was an Historischem, an Legendenhaftem und an liturgischen Quellen vorhanden ist und welche vielfältigen Aspekte der Blick auf die Kolomaniverehrung durch die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und die Kontextualisierung mit der Heiligenverehrung einerseits und dem Pilgerwesen andererseits zu gewinnen ist. Wie kann die Verehrung in die kommenden Zeiten weitergetragen werden? Sicher nicht in einem Rückgriff auf eine unaufgeklärte, überkommene Verehrung von Knochen, Zähnen und Haaren. Es geht um den Inhalt einer Geschichte, die vor 1000 Jahren als Grenzzwischenfall begonnen hat. Diese Geschichte muss weitererzählt werden, weil es um ein immer währendes, existentiell menschliches Thema geht, das auch unserer Generation vieles zu bewältigen aufgibt: Fremdes macht Angst. Anders sein, anders aussehen, anders sprechen erschwert Kommunikation und macht zumindest vorsichtig und misstrauisch.
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Geleitwort
Wie gehen wir damit um? Wie gehen Menschen grundsätzlich damit um? Welche Lösungen gibt es, außer jenen brutalen, die uns gegenwärtig täglich in den Nachrichten Berichte vermitteln, die uns an jeder Menschlichkeit zweifeln lassen. Ist das Netzwerk der Menschlichkeit noch so schwach, so gilt es, daran zu arbeiten, dass es nicht gänzlich verschüttet wird. Es geht um das Weitererzählen einer Geschichte, die zeigt, wie tödlich Vorurteile sein können, wie tödlich vernichtendes Reden über andere sein kann. Wenn es das Weitererzählen der Geschichte auch nur im lokalen Bereich schafft, Vorurteile abzubauen, Ängste in den Griff zu bekommen, Fremdes nicht nur als Gefahr zu sehen, dann ist die Geschichte heilig und es ist allemal wert, dass der heilige Koloman nicht aus dem Blickfeld gerät und seine Verehrung weiterlebt, selbst dann, wenn es nochmals 1000 Jahre dauert, bis die Menschheit noch aufgeklärter ist und dann hoffentlich weiß, dass durch Vernichten nichts besser wird. Die Grabstätte des heiligen Koloman befindet sich in der Stiftskirche unweit der Grablege der ersten Herrscher Österreichs, der Babenberger. Seit 925 Jahren betreuen Benediktiner diesen Ort. Möge es ihnen möglich sein, die Aufgaben, die sie dort durch die Jahrhunderte erfüllt haben, auch weiterhin durch ihr ORA ET LABORA ET LEGE und durch das Weitererzählen der Geschichte ihres Hausheiligen auch in Zukunft zu erfüllen. Großer Dank gebührt Frau Univ.-Prof. Dr. Meta Niederkorn-Bruck, die das Thema „Koloman“ zum Jahrtausendgedenken intensiv und mit großer Hingabe aufgenommen hat. Ihre persönliche Beziehung zur Kolomaniverehrung, ihr Engagement und ihr profundes historisches Wissen haben uns, dem Konvent des Stiftes Melk, sehr geholfen, die Bedeutung der Tradition der Kolomaniverehrung neu zu reflektieren und sehr bewusst weiterzutragen. P. Martin Rotheneder Leiter Kultur-Tourismus Koordinator der Veranstaltungen zu den Gedenkjahren 2012 und 2014
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Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Meta Niederkorn-Bruck
Ein Heiliger unterwegs in Europa. Das Koloman-Gedächtnis in den Kalendern des 12. bis 21. Jahrhunderts . . . . . . 13 Ernst Bruckmüller
Österreich. Ein Begriff im Wandel der Zeit vom 10. bis 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Rainald Dubski
Das Heilige Römische Reich und seine Nachbarn um 1000 n. Chr. ������������������� 75 Ernst Lauermann
Ein frühungarischer Reiter aus Gnadendorf, Niederösterreich . . . . . . . . . . . . . . . 89 Andreas Bihrer
Heilige und Helden in der Chronik Thietmars von Merseburg . . . . . . . . . . . . . 105 Udo Fischer
Bischof Altmann von Passau (1010/1020 –1091) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 David Merlin
Die einstimmigen liturgischen Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman. Kompositionsoriginalität und schriftliche Überlieferung in Melk (11.–16. Jh.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
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Christine Glassner
Literarische Transformationen des Heiligen. Die mittelalterlichen Legenden von Coloman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Gottfried Glassner OSB
Koloman und Melk. Eine „Beziehungsgeschichte“ zwischen Aufbruch und Ankunft . . . . . . . . . . . . . 199 Dagmar Ó Riain-Raedel
St. Koloman. Der Heilige aus Irland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Alois Schmid
Der heilige Koloman in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Michael Grünbart
Was bringt man aus dem Heiligen Land mit? Erinnerungen, Andenken und Spolien aus dem byzantinischen Osten ��������������� 263 Thomas Schilp
Reinoldus. Die mittelalterliche Stadt Dortmund und ihr heiliger Patron . . . . . . . . . . . . . . . 279 Elisabeth Klecker
Heilige und Humanisten in Konkurrenz. Johannes Stabius’ Einblattdruck zu Ehren des heiligen Koloman (1513) ������������� 301 Klaus Lohrmann
Vornbacher und Babenberger. Die Beziehungen der Grafen von Vornbach zu Melk im 11. und 12. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Werner Telesko
Der Koloman-Altar in der Stiftskirche Melk. Typus und Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
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Ralph Andraschek-Holzer
Melk-Ansichten aus dem 18. Jahrhundert. Signifikanz für eine Epoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Kathrin Pallestrang
Heiligenverehrung und Politik. Grundsätzliches und Beispielhaftes aus kulturwissenschaftlicher Sicht . . . . . . . . 433 Andreas Zajic
Von echten Gräbern und fiktiven Inschriften. Die Rolle der Babenbergergrablege für die Selbstvergewisserung des Melker Konvents in Mittelalter und Früher Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Edeltraud Ambros
Verehrung, Kult und Brauchtum. Koloman – ein Heiliger als Forschungsgegenstand der Volkskunde . . . . . . . . . . . 473 Andrea Longoni-Hötschl
Wallfahrt und Kult. Eine Umsetzung im Geschichtsunterricht der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
Anhang
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 Orts- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
Vorwort Der heilige Koloman stellt das Kloster Melk, in dem er seit nunmehr 1.000 Jahren ruht, immer wieder vor die Herausforderung, seinem Vorbild zu folgen. Diese Herausforderung wurde angenommen und in vielen Projekten realisiert. Der Tradition der Koloman-Verehrung, die mit der Grablegung des Heiligen in Melk begann, hat sich die Geschichtsschreibung von Anfang an gestellt. Hagiographen und Historiker des Klosters arbeiteten bereits im 12. Jahrhundert daran: In dieser Zeit entstanden unter Benutzung älterer Text-Vorlagen die Vita und der erweiterte Wunderkatalog. Durch Notizen, die bereits die erste Schreibergeneration in die Annalen eintrug (1123), nahm Koloman damals auch in der Klosterhistoriographie schon seinen Platz ein. Ungebrochen bis ins 20. Jahrhundert setzten sich dann Mönche und seit dem ausgehenden Mittelalter zunehmend auch nicht dem Kloster angehörende Gelehrte und Forscher mit der Lebens- und Wirkungsgeschichte des Heiligen auseinander. Vom 11. bis 14. Oktober 2012 trafen sich Historiker verschiedenster Disziplinen (Byzantinistik, Germanistik, Musikwissenschaft, Volkskunde) im Kloster Melk und trugen aus ihren Disziplinen formulierte Fragen an Koloman bzw. an die Geschichte der Kolomanverehrung vor. Anschließend wurden die Ergebnisse der Tagung überarbeitet und in Aufsätze gefasst, die in diesem Band nun einer interessierten Öffentlichkeit vorgelegt werden können. Der Tagungsband umfasst die Beiträge jener Vortragenden, die dazu bereit waren, ihre Vorträge, die sie im Rahmen der Tagung „Koloman 1012 –2012. Unterwegs in Europa – Unterwegs für die Welt“ im Oktober 2012 in Melk gehalten haben, für die Druckfassung, die nun zum 1000-Jahr-Jubiläum der Beisetzung Kolomans in Melk im Oktober 2014 erscheinen wird, aufzubereiten. In letzter Konsequenz ist dieses aber auch in hohem Maß ein Produkt erfolgreicher Zusammenarbeit mit dem Böhlau Verlag. Herrn Johannes van Ooyen, Frau Ulrike Dietmayer und Frau Nikola Langreiter möchte ich an dieser Stelle für Geduld und Ausdauer in der Betreuung des Bandes auf dem Weg von den Manuskripten zum gedruckten Buch besonders danken.
Wien, am 17. Juli 2014
Meta Niederkorn-Bruck
Kniende Figur des hl. Koloman vom Koloman-Altar in der Melker Stiftskirche (© Stift Melk)
Ein Heiliger unterwegs in Europa Das Koloman-Gedächtnis in den Kalendern des 12. bis 21. Jahrhunderts Meta Niederkorn-Bruck
Pilgerschaft – Weg und Ziel Das letzte, höchste Gut des Menschen heute ist nach Peter Bieri1 die Würde. Allerdings gewinnt ein weiteres ‚Heiligtum‘ an Bedeutung: materieller Besitz. Dieser führt den Besitzenden nicht selten zu maßloser Gier nach weiterem Besitz. Um diesen zu erreichen, erlangen Menschen ungeheure – auch kriminelle – Kräfte. Um wie viel stärker die Glaubenskraft war, wenn sie ein Mensch besaß, belegen nahezu zahllose Heilige und Märtyrer. Allein die Zahl der namentlich Bekannten ist kaum überschaubar. Naturgemäß gar nicht überschaubar ist die Zahl aller namenlos Verstorbenen, die aus Überzeugung für den Glauben ihr Leben ließen. Dazu zählen alle jene, die das Leben durch gewaltsamen Tod für den Glauben ließen; dazu gehören aber auch alle, die durch ihre Lebensführung bewiesen, dass sie dem Grundgedanken des Glaubens bis zur Aufgabe der eigenen Wünsche nachzufolgen trachteten. Pilger machen sich in allen Weltreligionen auf, den allerheiligsten Ort, den sie mit der identitätsstiftenden Figur ihres Glaubens verbinden, aufzusuchen. Im Buddhismus2, im Hinduismus, im Islam und im Judentum werden Pilgerfahrten als besondere Möglichkeit der Reinigung angesehen. Nach dem Koran sollte eine Pilgerfahrt (hagg – der Haddsch) von jedem erwachsenen Muslim mindestens einmal im Leben, jeweils nur an bestimmten Tagen im Jahr, durchgeführt werden.3 Ausdrücklich erwähnt sind die Kaaba und der Berg Arafat als Ziele. Allerdings ist im Koran ausdrücklich festgehalten, dass die Pflicht durch die Maßgabe der Möglichkeiten bestimmt ist. Mit der Pilgerschaft verbinden alle Religionen einen besonderen Ausdruck der Verehrung der Ziele respektive der Menschen, deren Wirken mit den Zielen verbunden wird. Ebenso wichtig ist der Aspekt der Reinigung, die durch eine Pilgerreise erlangt wird. Rituelles Baden, wie etwa es etwa die Hindus im Ganges betreiben, sind hier zu nennen, aber auch das Baden in jenen zahlreichen Quellen, die an Pilgerwegen liegen 1 Peter Bieri, Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde (München 2013). 2 Klaus Josef Notz (Hg.), Das Lexikon des Buddhismus, Band II (Freiburg/Basel/Wien 2007) S. 364 – 365. 3 Der Koran. Neu übertragen von Hartmut Bobzin (München 2010) Erläuterungen im Anhang, hier S. 790.
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und mit dem Heiligen, der das Ziel der Wallfahrt ist, verbunden werden. Immer hat in diesem Zusammenhang das Wasser heilende, weil die Seele reinigende, Wirkung.
Jerusalempilger Wie in anderen Religionen, so galt auch im Christentum4 nicht allein das räumliche Ziel als das eigentliche Ziel, sondern auch das Unterwegssein selbst als Ziel der Pilgerreise. Die Mühe, die der Pilger auf sich nimmt, abgesehen von der bewussten Entscheidung die Heimat, und die bekannten Menschen zu verlassen. Diese Entscheidung und Glaubenskraft, die ineinander so verschränkt sind, dass man sie nicht voneinander trennen kann, stellen bereits einen ersten wesentlichen Teil der Pilgerreise dar. Der heilige Hieronymus warnt vor Pilgerreisen, die die christlich fundierte Lebensweise geradezu zu ersetzen scheinen: „non Ierosolymis fuisse, sed Hierosolymis bene vixisse, laudandum est“5. Diese Stelle wird in der Rezeption noch spezifischer auf das Pilgerwesen bezogen, so in der Vita des heiligen Adalbert von Prag6 oder im Itinerarium Peregrinorum aus dem 12. Jahrhundert. Hier heißt es dann bereits: „Nulla ergo itineris incepti vos festinationis seducat occasio, quia non Hierosolimis fuisse, sed bene interim7 vixisse laudabile est“.8 Sich auf den Weg nach einem weit entfernten Ziel zu machen, bedeutete für den Pilger allerdings nicht nur hinsichtlich des Glaubens eine Herausforderung; denn immerhin glaubte er so sehr an das Ziel, dass er im Grunde alles aufgibt. Zunächst das soziale Netzwerk, in das er eingebunden war, sei dieses noch so schwach; wegzugehen, bedeutet in der Regel für den Pilger, alles zu verlassen, ohne große Hoffnung auf Rückkehr. Für den Pilger stellten Klöster und Kirchen, nicht zuletzt christliche Gemeinschaften/Gemeinden ein zusätzliches Netzwerk dar. Er konnte sich aufgrund des Schutzes, der sowohl im Evangelium – „wie Christus sollt ihr Gäste empfangen“ –, als auch in weltlicher Gesetzgebung geregelt wurde, verlassen. Die Benediktiner standen und stehen hier in der Pflicht der Regula Benedicti, wobei diese Gastfreundschaft im 6. Jahr4 Ludwig Schmugge, Pilger A: Westlicher Bereich, I: Früh- und Hochmittelalter, in: LMA 6 (ND 2000) Sp. 2148 – 2151. 5 Sancti Eusebii Hieronymi Epistulae CSEL 54 S. 529. 6 Itinerarium Peregrinorum, in: Monumenta Poloniae Historica I, hg. von Jadwiga Karwasinska (Warsawa 1969) S. 15. 7 Interessanterweise gibt es zur Überlieferung des Hieronymus in der Rezeption auch die Variante „ibidem“. Es wird sowohl das Leben zwischen den Pilgerfahrten als relevant angesehen, wie das Verhalten in Jerusalem selbst. Hinsichtlich der Tatsache, dass dieses Itinerarium in der Renaissance des 12. Jahrhunderts entstand, gewinnt das „ibidem“ beinahe zynischen Charakter. Zur Überlieferung vgl. Giles Constable, Crusaders and Crusading in the Twelfth Century (Farnham 2008) S. 286, Anm. 291. 8 Itinerarium Peregrinorum, in: Itinerarium Peregrinorum et Gesta Regis Ricardi. Chronicles and Memorials of the Reign of Richard I. Ed.: William Stubbs (Cambridge 2012) S. CL.
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hundert nahezu ausschließlich auf Glaubensgenossen eingeschränkt wird, wie Michaela Puzicha im Kommentar zur Benediktsregel ausdrücklich festhält9. Die Funktion des Klosters, Gastfreundschaft zu bieten, nehmen die Melker Benediktiner im 21. Jahrhundert der Zeit entsprechend sowohl am Grab Kolomans selbst10, als auch in Burkina Faso11, im Kosovo12 und in Rumänien13 durch verschiedene soziale Projekte wahr. Trotz allen Vertrauens auf die Nächstenliebe, vertrauend auf den Wertekatalog der Bergpredigt, war Unterwegssein gefährlich. Selbst Pilger aus wohlhabenden Schichten waren sich auch noch im späten Mittelalter der Gefahren bewusst, wie auch die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gedruckten Pilgerführer belegen14. Man verzeichnete nicht nur wichtige Stationen im Heiligen Land, sondern auch sichere (Zufluchts-) Orte auf dem Weg dorthin. Ganz abgesehen davon, dass nützliche Gegenstände aufgelistet wurden.15 Die Peregrinatio in terram sanctam des Bernhard von Breydenbach zählte zu den erfolgreichen Buchprojekten aus der Zeit der Inkunabel (Erstdruck 1486)16, weil er die Faszination des Fremden (dort u. a. auch Druck der „littera … arabica“, und der Trachten, fol. 75r) ebenso ‚festhielt‘, wie er andererseits – und dies hauptsächlich – praktischer Ratgeber war. Die Pilger errichteten vor dem Anbruch ihrer Reise oft ein Testament17. So schenkte Friedrich von Hausegg vor Antritt seiner Romwallfahrt dem heiligen Koloman und dem Kloster Melk vier Lehen und drei Hofstätten18.
9 Michaela Puzicha, Kommentar zur Benediktsregel. Mit einer Einführung von Christian Schütz. Im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz (St. Ottilien 2000) S. 447. 10 Paolo Coelho, Aleph (Zürich 2013) S. 76: Nicht jeder muss Asien durchqueren oder den Jakobsweg entlangpilgern. Ich kenne einen Abt in Österreich, in Melk“ … so schreibt Paolo Coelho – „der die Abtei fast nie verlassen hat, und dennoch die Welt besser versteht, als viele Reisende“. 11 http://www.stiftmelk.at/Burkina%20Faso.html (Zugriff: 25.12.2013). 12 Derzeit wird das Projekt von Stift Melk, dem Verein Netzwerk und der Diakonie getragen http://www. stiftmelk.at/ (Zugriff: 29.12.2013). 13 „AURO DANUBIA – Stift Melk hilft Waisenkindern in Saniob (Rumänien)“: http://www.stiftmelk.at/ 14 Hans Rupprich, Vom Mittelalter zum Barock. Neubearbeitet von Hedwig Heger (=Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 4, München 21994) S. 163. 15 Britta Kölling, Das Islambild des Arnold von Haff, in: Vorstellungswelten der mittelalterlichen Überlieferung: Zeitgenössische Wahrnehmungen und ihre moderne Interpretation, hg. von Jürgen Sarnowsky (=Nova Mediaevalia 11, Göttingen 2012) S. 207– 236; zu den Ratschlägen konkret S. 207 – 208, sowie zu Bernhard von Breydenbach, S. 216 mit Anm. 46 (dort reiche Literaturhinweise). 16 Helga Rebhan, Der Erstdruck orientalischer Alphabete: Bernhard von Breydenbach, Peregrinatio in terram sanctam, in: Bettina Wagner, Als die Lettern laufen lernten. Medienwandel im 15. Jahrhundert (=Bayerische Staatsbibliothek München, Ausstellungskatalog Nr. 81, Wiesbaden 2009) Nr. 45, S. 128f. 17 Siehe auch Legate zugunsten Kolomans; http://www.mom-ca.uni-koeln.de/mom/AT-StiAM/MelkOSB/ 1287_II_02/charter?q=Koloman (Zugriff: 23.12.2013). 18 http://www.mom-ca.uni-koeln.de/mom/ATStiAM/MelkOSB/1287_II_02.1/charter?q=Melk%201287 (Zugriff: 22.12.2013).
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Aetherias/Egerias19 Bericht ist der älteste, aber auch Adamnán von Iona20 und Beda Venerabilis21 verfassten sehr bekannte Pilgerführer, die zum Allgemeingut der Lektüre in Klöstern gehörten. Mit der Lektüre dieser Texte konnte man bereits durch das Lesen dem Heiligen Land näher kommen; diese aber auch als Reiseführer nützen, wenn man diese zentralsten Orte des Christentums tatsächlich aufsuchte.
Kolomans Ankunft Koloman stand in dieser Tradition, in der sich Pilger allenthalten aus dem lateinischen Westen auf den Weg machten. Die Hinrichtung hob ihn zweifellos zunächst nicht aus der vorhandenen Masse von Pilgern heraus, die ebenfalls auf dem Weg (nicht selten gewaltsam, aus Gründen des Fremdenhasses) umkamen. Die Geschehnisse als Wunder zu verstehen, bedarf der kulturellen Akzeptanz einer Gruppe, einer Person, einer Region. Diese Faktoren spielten im ‚Fall‘ Kolomans zusammen. Besonderes Movens erhielt die Koloman-Verehrung schließlich noch durch die von den Babenbergern forcierte Translation nach Melk. Im Jahr 1014 in Melk ‚angekommen‘, wurde Koloman hier im Oktober beigesetzt und wird an diesem Ort bis in die Gegenwart verehrt. Die Babenberger hatten mit der Hinrichtung Kolomans nichts zu tun. Daher konnten sie sich gerade um diesen Heiligen bemühen, umso mehr, als sie selbst sich in der Region, in der Koloman getötet worden war, gegen andere adelige Familien zu etablieren versuchten22. Die Entscheidung, den als Heiligen Erkannten nach Melk zu bringen, trug gleichzeitig zu dessen Bekanntheit bei. Denn der Weg von Stockerau nach Melk war nicht an einem Tag zu bewerkstelligen; man hat den Heiligen in der einer Translation entsprechenden Form nach Melk gebracht wurde, nämlich in Begleitung durch Geistliche aber auch Kirchenvolk, Absingen von entsprechenden Gesängen und schließlich wohl auch durch Gottesdienste, bei welchen bekannt gemacht wurde, um wen es sich da handelt – also medienwirksam, wenn man so möchte. Denn dass man im Zuge dieser Prozession nicht an Orten vorbeigezogen sein wird, steht außer Frage. Ebenso ist anzunehmen, dass man für Gottesdienst lieber Kirchen 19 Siehe zusammenfassend Daniela Müller, Rechtliche Aspekte des Santiago-Kultes unter Berücksichtigung von Beispielen aus Südwestdeutschland, in: Jakobus Studien, Bd. 7, hg. von Klaus Herbers (Tübingen 1995) S. 293 – 309, hier S. 296. 20 Max Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters I. Von Justinian bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts (Orig. 1911, München 42011) S. 236 – 239. 21 Henry Loyton Loyn/Knut Schäferdieck, Beda Venerabilis, in TRE I, S. 397 – 402, bes. S. 399. – Manitius, Geschichte (wie Anm. 20), bes. S. 85; Manitius stellt fest, dass Bedas Text beinahe zur Gänze aus Hegesippos und Adamnan von Hy gearbeitet ist. 22 Siehe dazu den Beitrag von Klaus Lohrmann in diesem Band, S. 345 –375.
Koloman im Spiegel der Kalender (12. bis 21. Jahrhundert)
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und Kapellen wählte. Damit erreicht man aber Öffentlichkeit, wie man sie in dieser Zeit des Mittelalters nicht anders erreichen konnte. Der Ort seiner zweiten und letzten Bestattung wurde für Koloman zweifellos zentraler Ort der Verehrung. Gleichzeitig aber wurde seine Verehrung über verschiedenen Netzwerke an viele weitere Orte des bayerisch-österreichischen Raumes weiter getragen23. Nicht zuletzt ist das Kloster Melk, auch zu einem nicht geringen Anteil genau dafür Zeugnis – denn Stiftungen durch die Babenberger und Habsburger sowie aller anderen Wohltäter erfolgten expressis verbis immer wieder auf den heiligen Koloman (ad sanctum Cholomanum, sancto Cholomanno). An seinem Grab wurde durch die Babenberger Markgrafen Adalbert24, Ernst25 und Leopold II. das Gedächtnis institutionalisiert, zunächst durch die Errichtung eines Stiftes, die Übertragung der Kreuzreliquie und der heiligen Lanze, schließlich durch die Förderung des 1089 gegründeten Benediktinerklosters, das unter Beteiligung Markgraf Leopolds II., eines Parteigängers der Kirchenreform26, eingerichtet wurde. Die Förderung des Koloman-Kultes, sowie die finanzielle und ganz besonders die Ausstattung mit den großen Heiltümern geschah im Kontext der Verankerung der Babenberger nicht nur hier im Herrschaftsgebiet an der Grenze gegen Ungarn, Böhmen und Mähren, sondern ist vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der Reichskirchenpolitik zu sehen. In dieser hatten sie mit Poppo27, der als Erzbischof von Trier einen zentralen Posten in der Reichsverwaltung innehatte, tatsächlich einen Platz erworben. Immerhin sorgte Poppo ab 1017 für die Reorganisation nach dem großen Trierer Bistumsstreit, der seit 1008 mit Adalbero von Luxemburg angedauert hatte28.
23 Siehe dazu den Beitrag von Alois Schmid in diesem Band, S. 239–262. 24 Karl Lechner, Adalbert, in: NDB 1 (Berlin 1953) Sp. 45 – 46. – Adalbert war Bruder Ebf. Poppos von Trier – der ebenso im Sinne Heinrichs III. wirkte, siehe dazu auch Arian Korke, Wenn die Nachfolge an den Nachfolgern scheitert. Die Kirchenreform um 1050, in: Genealogisches Bewußtein als Legitimation: Inter- und intragenerationelle Auseinandersetzungen sowie Bedeutung von Verwandtschaft bei Amtswechsel, hg. von Hartwin Brandt/Katrin Köhler/Ulrike Siewert (=Bamberger Historische Forschungen 4, Bamberg 2008) S. 193 – 211, hier S. 209. 25 Zu Ernst siehe Georg Scheibelreiter, Ernst, Mgf. von Österreich, in: LMA 3 (ND 2000) Sp. 2177 – 2178. 26 Heide Dienst, Leopold II., Mgf. von Österreich, in: LMA 5 (ND 2000) Sp. 1898 – 1899. 27 Zu Poppo siehe Alfred Heit, Poppo, Ebf. von Trier, 1016 – 1047, in: LMA 7 (ND 2000) Sp. 101 – 102. 28 Christian Schieffer, Trier B: Bistum. in: LMA 8 (ND 2000) 997 – 1003; hier S. 998.
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Erinnerung, die Gemeinschaft stiftet – Sakraltopographie und Kalender Erinnerung an wichtige Personen, auch an Heilige, wird an Tage, an Tagesdaten gebunden. Diese Ehrentage, es handelt sich im Falle der Heiligenverehrung um Todestage, sowie die Erinnerungstage an Erhebung und Translation von Gebeinen, werden in zeitstrukturierten Texten eingetragen. Im Rahmen des täglichen Stundengebetes, zumeist im Kapitel29, werden die Gedächtnisse verlesen. Dabei werden nicht nur die Namen von Heiligen, sondern gegebenenfalls auch von Stiftern und Wohltätern genannt. Die ideale Text-Form stellt eine Verbindung von Kalender und Nekrolog dar, die jeweils auf einem Doppelblatt die perfekte Übersicht bietet30. Der Lesezyklus orientiert sich nach dem Kalender, weshalb in solche schon sehr früh genau diese Informationen neben der Festzone eingetragen werden. Schon in den ältesten erhaltenen liturgischen Büchern – Sakramentar, dafür zu nutzendes Antiphonar und Evangelistar, sowie im Martyrolog, wurden Tage sowohl nach dem Römischen/Julianischen Kalender als auch nach den Heiligen im Kalender benannt. Das Martyrolog orientierte sich auch sehr oft nicht am sonst üblichen Jahresbeginn, dem Nativitätsstil (25.12.), dem Circumcisionsstil (1.1.), dem Annuntiationsstil (25.3.), sondern begann, wie auch der Kalender, mit dem 1. Jänner. In der Heiligenverehrung wie generell in der in der Messfeier perpetuierten Eucharistiefeier („Zu meinem Gedächtnis“) werden lineare und zyklische Zeit – in der Memoria – harmonisch miteinander verbunden. ‚Kontinuitätskonstruktionen‘ der hochmittelalterlichen und spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung beruhen in der Regel auf dem Material der Memoria und münden folgerichtig nicht selten ja auch in der Schilderung des Jüngsten Gerichtes (Apoc. 3, 17, 20, 22), in dessen Verlauf der Liber Vitae geöffnet wird. „Das kulturelle Gedächtnis zirkuliert und inszeniert kollektives Wissen“.31 Der Kalender stellt eine Textsorte dar, die kollektives Wissen über wichtige Heilige verankert. Kalenderreime – ob es nun der Cisiojanus ist, oder ob es deutschsprachige Formen solcher Merkverse sind, wie sie seit dem ausgehenden Hochmittelalter immer häufiger werden – belegen aber noch viel deutlicher kollektives Wissen. Denn diese Texte würden ihrer mnemotechnischen Funktion nicht gerecht werden, wenn nicht das Orientierungswissen über die Heiligen als selbstverständlich gälte, ihre Gedenktage als Fixpunkte im 29 Deshalb befinden sich in den Handschriften, die als Kapiteloffizienbuch bezeichnet werden, in der Regel ein Kalender, ein Martyrolog und die Benediktsregel – also jene Texte, die im Stundengebet der Gemeinschaft Tradition und Gegenwart miteinander verbinden. Diese Verbindung soll bis zum Ende der Zeit fortgetragen werden. 30 Abb. 3. 31 Thomas Schmidt, Der Kalender und die Folgen. Uwe Johnsons Roman ‚Jahrestage‘. Ein Beitrag zum Problem des kollektiven Gedächtnisses (=Johnson Studien 4, Göttingen 2000) S. 124.
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Jahresverlauf als so bekannt vorausgesetzt werden können. Das kollektive Wissen wird allerdings deutlich biographisch geprägt32; dies ist im Zusammenhang mit Schreiben und Merken an Irrtümern besonders deutlich ablesbar. Man muss nicht Sigmund Freud bemühen, um sich den Fehler zu erklären, wenn in einem Kalender zum 31. Jänner der Name Virgilius eingetragen wird, und nicht der für diesen Tag korrekte Name des Vigilius (von Trient). Da es sich beim Kalender um jenen handelt, der der Heiltumsschau des Heuperger beigebunden ist, ist verständlich, dass dem ‚Autor‘, Drucker oder Setzer der Name Virgilius vertrauter war als Vigilius, dessen Namen an diesem Tag üblicherweise im Kalender stand. Virgil war aber aufgrund der Virgilkapelle33 in Wien jedem bekannt; so auch ganz sicher dem Setzer in der Werkstatt des Johannes Winterburger34. Gleichzeitig ist diese Erinnerung aber mit Wissen über diese Heiligen verknüpft. Ein Kalender kann hier zwar nur wenig Wissen transportieren; er beruft sich aber zumindest auf Texte, die immer wieder beizuziehen sind. Wissen im Kalender stellte schon im Mittelalter eine wesentliche Komponente dar, zu der sich nicht wenige Schreiber/Auftraggeber/Autoren auch tatsächlich veranlasst sahen. Abgesehen davon, dass ein Kalender jenes Wissens vermittelt, das man zur Erledigung aller liturgischen Aufgaben im Jahreskreises benötigt, spiegelt ein Kalender die gesamte Tradition in welcher Kalender und auch allenfalls andere kalendarisch strukturierte Texte, wie Martyrolog, Evangelistar, Lektionar, Diurnale, Missale, etc. stehen. Seit der Bestattung Kolomans 1014 in Melk besteht liturgische Verehrung, die durch die Gemeinschaft– zunächst Kanoniker und ab 1089 Mönche – getragen und liturgisch im gesprochenen und gesungenen Wort ausgebaut wird. Die Verantwortung für die Laus perennis besteht und wird – der Intention der Sache entsprechend – weiter bestehen. 32 Siehe dazu Alfred Schütz/Thomas Luckmann, Strukturen der Lebenswelt (Konstanz 2003) S. 163 und 172. 33 Sie befindet sich unter der Magdalenenkapelle auf dem Friedhof neben St. Stephan, diese unterirdisch angelegte Kapelle war bis in die Barockzeit – bis zur Zerstörung der Magdalenenkapelle und bis der Friedhof tatsächlich aufgelassen wurde, ein wichtiger Bestandteil von nicht wenigen Messstiftungen, die im Zusammenhang mit Testamenten verfügt wurden. So z. B: 1433, Feber 7 in einer Stiftung einer Seelenmesse am Virgilaltar bei St. Stephan. Maria Firneis, Zur astronomischen Orientierung der „Virgil“-Kapelle, in: Anzeiger. Österreichische Akademie der Wissenschaften (Wien 1981) S. 240 – 251. – Barbara Schedl, … die Chappellen die da leit in sant Stephans Vreythof … Zu Ausstattung und Wirkung des unterirdischen Nischenraumes, in: Fundort Wien (Berichte zur Archäologie 5, Wien 2002) S. 246 – 254. 34 Matthaeus Heuperger, In disem Puechlein ist verzaichent das hochwirdig heyligtumb, so man In der Loblichen stat Wienn in Oesterreich alles jar an suntag nach dem Ostertag ze zaigen pfligt. Blatt 52 (ohne Zählung: Nach Cristi gepurde tausent funffhunndert und zway jar durch Johannes Winterburger auch burger daselb zu Wienn gedrugkt und zu end bracht“. – Hier zitiert nach dem Exemplar in München, BSB Rar. 1746 . Im zweiten Exemplar, das völlig identisch ist, fehlt das letzte Blatt mit dem „Memento mori“ auf der Vorderseite, und der Schlussbemerkung – dem Druckervermerk – auf der Rückseite (München, BSB Rar. 1747).
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Verehrung – Kalender – Liturgie Das Fest35, respektive die Feste Kolomans sind vor allem in den Melker Kalendern, auch in jenen, die ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert gedruckt wurden, rubriziert eingetragen. Hierbei ist unbedingt auch über den Melker Textbereich hinaus zu berücksichtigen, dass Kalender – je nachdem, ob sie für die Liturgie des Stundengebets oder für die Liturgie der Messfeier als Orientierungen dienen – jeweils in ihrem Sanctorale auch die konkrete Verwendung spiegeln. Offizien der Stundengebetsliturgie unterscheiden sich von der Messliturgie. Hochfeste erfordern in Texten, Musik und ganz besonders auch im Material der liturgischen Geräte und Gewänder höheren Aufwand. An der Zahl der Lesungen, der Gesänge und an der der Kerzen und der allenfalls auch möglichen Prachtentfaltung in den liturgischen Gewändern, wird allen die Bedeutung eines Festes selbst dann klar, wenn vielleicht die Texte, die gelesen und gesungen werden, nicht verstanden werden. Heiligenfeste stehen den Hochfesten zwar nach, versuchen aber ebenso im Aufwand zu unterstreichen, dass das Heiligenfest den ‚Zyklus‘ des Temporales – die festlose Zeit – durchbricht. Es werden Sonderoffizien immer dort gebraucht und deshalb auch geschaffen, wo der zu Feiernde besonderen Stellenwert einnimmt – also wo er begraben liegt, wo bedeutende Reliquien vorhanden sind, oder aber der Heilige in der Kirche der feiernden Gemeinschaft das Hauptpatrozinium inne hat. Die Berechtigung zur Feier eines Sonderoffiziums wird in seiner Berechtigung sowohl in den liturgischen Büchern – handschriftlichen wie auch gedruckten – ausdrücklich erläutert, wie auch solche Sonderoffizien gegen Obrigkeiten verteidigt werden36. Das Grab des Heiligen in der Kirche der zentrale Ort der Erinnerung. So markant die Eigenständigkeit der Feiern am Grab des Heiligen auch war; die Zahl der Lesungen/Lektionen ist, sowohl für den Bereich des Stundegebetes, als auch für die Messfeier in den relevanten liturgischen Büchern festgelegt. Es erfolgte aber nicht nur, wie Andreas Traub für diesen Bereich allgemein festhält, eine Zeitbestimmung,37 sondern fraglos eine (Fest-)Zeiterweiterung durch Gesänge. Aus der Zahl der Lectiones38 35 Hansjörg Auf der Maur, Feste und Gedenktage der Heiligen, in: Feiern im Rhythmus der Zeit II/I, hg. von Bernhard Meyer (=Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft, Bd. 6/1, Regensburg 1994) S. 65 – 352, hier S. 99 – 120. 36 Siehe zu den Argumenten Melks gegenüber dem neuen Bischof von St. Pölten, 1782; in dieser Arbeit unten S. 37f. 37 Andreas Traub, Zeitbestimmung durch Gesänge, in: Hans-Joachim Ziegler (Hg.), Ritual und Inszenierung (Tübingen 2004) S. 135 – 138. 38 Hierzu Niederkorn-Bruck unter Mitarb. von Rainald Dubski, Koloman 1012–2012. Tradition und Wandel in der Verehrung des Heiligen (Kontinuität und Brüche als Ausdruck der Zeit, hg. vom Stift Melk, Melk/ Wien 2012) S. 223 – 245: Koloman im Officium missae und in der Liturgie des Stundegebetes.
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lässt sich die Bedeutung eines Heiligen für den Ort, für eine Gemeinschaft, für eine Region ebenso ablesen, wie aus der Beobachtung der Tatsache, in welcher Form der Name der Person in ein liturgisches Buch, in den Kalender etc., eingetragen wurde: Unterschiedlichste Auszeichnungsformen von Schrift selbst, aber auch Tintenfarbe sowie Verwendung von Gold und Silber, schließlich sogar Initialen, die zu ganzseitigen Bildern anwachsen können, belegen den Charakter eines Festes. Daraus lässt sich auch die Topographie der Verehrung erarbeiten. Weiten Raum bieten zusätzlich Lesungen aus dem Martyrolog bzw. hagiographische Texte, die im Zuge der Predigt verarbeitet werden, und schließlich die musikalische Umrahmung dieser Gottesdienste39, in erster Linie der Memorial-Gottesdienste am Grab. Selbst der für seine strengen Forderungen nach Einhaltung der Consuetudines bekannte Johannes Schlitpacher in Melk, erlaubt im Hinblick auf die Festtage die Verwendung der Orgel für die Messe, in besonderen Fällen sogar mehrstimmige Musik, zumindest aber einstimmigen Gesang mit Orgelbegleitung, und für besondere Situationen auch Prozessionen durch den Kreuzgang – wie sie für Melk immer wieder ausdrücklich gestattet werden40. Schenkungen von Statuten und Bildern sorgen nicht nur dafür, dass der Heilige das ganze Jahr hindurch nicht nur dem Konvent selbst, sondern auch bei allen, die einem Memorial-Gottesdienst beiwohnen, in Erinnerung bleibt. Der Stellenwert eines solchen Festtages wird durch spezifische Stiftungen von Einkünften, die für Armenspeisungen und „Spenden“41 verwendet werden sollen, unterstrichen.
Memoria für den Heiligen – zugunsten der eigenen und aller anverwandten Seelen Die Memoria bzw. die Memorialgottesdienste sind hier in zwei Gruppen zu teilen. Zum einen in diejenigen, die um die Feste Kolomans am 13. Oktober, am zweiten Donnerstag nach Pfingsten, am 17. Juli42, insbesondere seit dem 14. Jahrhundert auch für Gothalm43 am 26. Juli44, gefeiert werden. Zum anderen ist hier besonderes Augen39 Siehe dazu für das Mittelalter den Beitrag von David Merlin in diesem Band S. 157–180. 40 Zu den Prozessionen siehe die spezifischen Anordnungen Schlitpachers siehe Meta Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform im Spiegel der Visitationen 8=MIÖG Erg.-Bd. 30, Wien 1994) S. 144 – 149. – Avisamenta Ettalensia, Melk, Stiftsbibliothek Cod. Mell. 1605, fol. 176v. 41 Zur Tradition der Kolomanispenden siehe Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 38) S. 355 – 360. 42 Die Tradition dieses Festtages wird im Kloster St. Koloman in Stockerau ganz besonders hochgehalten. Die Schwestern nahmen am Festtag des heiligen Koloman 1912 in Stockerau das klösterliche Leben auf. 43 Hieronymus Pez, Scriptores Rerum Austriacarum I (Lipsiae 1721) S. 109 – 112; ebendort im Kontext der Historia Fundationis Mellicensis S. 297 – 298. 44 Im Kalender wird er ab dem 13. Jahrhundert eingetragen; allerdings bereits im 15. Jahrhundert nicht mehr konsequent genannt. Zum Nachtrag im Kalendar von 1123 siehe dazu auch Christine Glassner/
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merk auch jenen Mess- und Lichtstiftungen zuzuwenden, die an den Altar am Grab des Heiligen getätigt wurden. Diese Stiftungen, oft Anniversarien für sich und die Familie, verzeichnen detailliert, in welcher Form der Stifter im Rahmen des Gottesdienstes im Sinne der Memoria zu erwähnen sei mitunter auch, in welcher Form, durch wen aus dem Konvent – etwa Abt oder Prior oder nur durch einen der Priestermönche – der Gottesdienst abgehalten werden muss. So etwa in der Stiftung Simon Erdls, Richter in Säusenstein, der für eine Seelgerätsstiftung 100 Gulden übergibt; für die Messe am Fest des hl. Koloman zusätzlich 100 Gulden stiftet. Immerhin war Koloman ja seit 1702 in einem – wenn auch würdigen (so betont es die darüber ausgestellte Urkunde aus dem Jahr 1702 – Provisorium untergebracht, diese Stiftung entspricht absolut den Intentionen der Kolomanbruderschaft, die sich die besondere Förderung des heiligen gerade unter diesen schwierigen Bedingungen zum Ziel gesetzt hatte45. Die Memoria, die spezifisch mit dem Grab des Heiligen verknüpft wird, soll dessen Fürsprache bei der Auferstehung sichern. Nicht zuletzt deshalb haben auch die Babenberger ja im Begräbnis die Nähe zum Heiligen gesucht; das Stiftergedächtnis wird am 12. Oktober, also in unmittelbarem zeitlichen Umfeld zum Koloman-Fest gefeiert. Diese Tradition wurde auch dann, als man das Koloman-Fest, insbesondere die Teilnahme der Pilger verteidigte, ab der Errichtung des Bistums 1782 (dem Bischof von St. Pölten gegenüber) herausgestrichen. Das Eigenoffizium konnte nicht zur Diskussion gestellt werden. Schon in den frühen Melker Kalendern, auch im prominenten aus dem Jahr 112346, in welchem das Fest selbst und in einem später zu datierenden Nachtrag die Octava Cholomanni mit roter Tinte eingetragen wurden, ist Koloman auch Indikator für die bestehende Verehrung; und dies gilt auch für liturgische Bücher, die an jenen Orten verwendet werden, an welchen seine Verehrung fortbesteht, bis in die Gegenwart. Ebenfalls Zeugnisse aus der Zeit um 1100 belegen die rasche Akzeptanz des Heiligen auch außerhalb Melks; dabei kam den Netzwerken des pfarrlichen Betreuung (Weikendorf 47) sowie die Kontakte der Klöster untereinander eine entscheidende Rolle zu. Abseits des unmittelbaren Umfeldes von Melk sind vor allem das Kloster St. Emmeram in Regensburg und das Kloster Tegernsee bereits für die frühe Zeit der Koloman-Verehrung zu nennen. Alois Haidinger, Die Anfänge der Melker Bibliothek. Neue Erkenntnisse zu Handschriften und Fragmenten aus der Zeit vor 1200 (Melk 1996) S. 119. 45 Melk, Stiftsarchiv Urkunde von 1708, April 23. 46 Überlieferung im Verband mit grundlegenden Texten: Nekrolog (es handelt sich um ein Kalendar-Nekrolog), Annalen, etc. Siehe zur Handschrift: Glassner/ Haidinger (wie Anm. 45) S. 116 – 124. 47 Weihe der Pfarrkirche, Reliquien des heiligen Koloman sind u. a. genannt – Koloman, in: NiederkornBruck (wie Anm. 38)) S. 89 – 91 und S. 492.
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Aus St. Emmeram liegt im Martyrolog/Nekrolog48 bereits ein sehr frühes Zeugnis vor: Der Name Kolomans wurde in diesem Text, der 1045 entstanden ist, sicher noch im frühen 12. Jahrhundert in Maiuskelbuchstaben nachgetragen. Ebenso wurde Koloman auch im aus Regensburg überlieferten Martyrologium Wolfhardi49 wohl bereits um 1100 nachgetragen; dieser Nachtrag wird durch den älteren Vermerk im Nekrolog plausibel ergänzt50.
Instrumentalisierung des Heiligen und dessen Verehrung durch die Landesfürsten Instrumentalisierung ist in diesem Zusammenhang nicht nur negativ konnotiert, hier gilt es vielmehr, das Handeln aus der Religiosität der Zeit heraus zu betrachten. Der Landesfürst handelte in der spezifischen Ausstattung des Begräbnisortes eines Heiligen auch im Sinne seiner Untertanen; der Schutz, das Wohlwollen des Heiligen sollte auch für die Region und die darin lebenden Menschen erlangt werden. Zusätzlich ausgezeichnet wurde der Ort dadurch, dass die Babenberger ihn als Grablege wählten; umgekehrt wurde die Grablege durch die Nähe des Koloman-Grabes ausgezeichnet. Die Babenberger, die Kanoniker, ab 1089 die Mönche, alle Pilger waren sich dessen bewusst, dass der Heilige im Angesicht des Jüngsten Gerichtes als „Schützer“ und Fürbitter auftreten werde. Im Sinne des Do ut des, wenn man so will. Allerdings darf die Kraft des überzeugten Glaubens nicht darauf reduziert werden. Sie war Grundelement des Verständnisses von Gott und seinem Wirken durch die Menschen für die Menschen. Das universalkirchliche Sanctorale51 wird durch die lokalen Gegebenheiten ergänzt; der heilige Koloman – mitunter auch der selige Gothalm – werden in den Melker Kalender, aber auch in alle Kalender jener Gemeinschaften und Personen aufgenommen, für welche die beiden oder auch nur Koloman tatsächlich Relevanz – in erster Linie durch Reliquienbesitz begründet – besaß. Bis es soweit kommen konnte, bedurfte es allerdings verschiedener Faktoren: Kalender, Martyrologe und Liturgie stellen die zentralen Medien mit jeweils unterschiedlicher Breitenwirkung dar. 48 Eckhard Freise/Dieter Geuenich/Joachim Wollasch, Das Martyrolog-Necrolog von St. Emmeram zu Regensburg (MGH Libri Mem. N. S. 3, Hannover 1986) S. 141 – 251. 49 München, BSB Clm 18100 fol. 104, b; am rechten Rand des Blattes nachgetragen. – Alfred Wendehorst, Wolfhard von Herrieden, in: LMA 9 (ND 2000) Sp. 309. 50 Offenbar besaß man in Regensburg bereits Reliquien; es überrascht ja auch nicht, dass eine Capella S. Colomanni hier 1260 errichtet wurde. 51 Hansjörg Auf der Maur, Feste und Gedenktage der Heiligen, in: Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft, hg. von Hans Bernhard Meyer, 6.1: Feiern im Rhythmus der Zeit (Regensburg 1994) S. 65 – 357; hier S. 146 – 163.
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Kalenderherrschaft und Kalendermacher – Herrschaft im Kalender – ein Weg Der christliche Kalender beruht auf dem Römischen (Julianischen) Kalender; der Chronograph von 354 zeichnet sich durch die Berücksichtigung der Lebenswirklichkeit der Christen, die im Imperium Romanum leben, aus; immerhin werden darin sowohl Gerichtstage als auch Gedenktage für die Kaiser festgehalten, wie eben auch zentrale Feste der Christen (Nativitas Domini, etc.). Der Julianische Kalender, der seinen Namen auf die maßgeblichen Anordnungen Caesars zur Durchführung der Kalenderreform hat, bestand in der Grundlage bis 1583 ohne Bruch, seither als Gregorianischer Kalender, in der Struktur bis heute. Auch der Jüdische Kalender wurde nahezu gleichzeitig, in der bis heute maßgeblichen Struktur unter dem Patriarchen Hillel II. 359 niedergeschrieben52. Offenbar verlangte gerade die sich als katholische Kirche gegen nicht akzeptierte Lehrmeinungen etablierende und damit abgrenzende Kirche nach Verschriftlichung des Kalenders und der darin festzuhaltenden Gedenktage, in welchen sich ja die Unterschiede deutlich ausdrückten. Dass im Judentum und im Christentum der Kalender fixiert wurde, ist auch Ausdruck des lebhaften Diskussionsprozesses über ‚die Zeit‘. Immerhin setzte Hillel II. auch die Jüdische Ära53 – nach christlicher Rechnung – ins Jahr 3761 v. Christus; nach jüdischer Rechnung waren im Jahr 359 also 4120 Jahre seit der Schöpfung vergangen. Die Idee, dass hier staatlicher Druck gerade auch im Hinblick auf die zahlreichen unsicheren ‚Strömungen‘ innerhalb des Christentums, in der Etablierung des Christentums nach Konstantins Entscheidung54, zur Verschriftlichung führte, liegt nahe. Der Julianische Kalender wird erst durch die Gregorianische Kalenderreform im Jahr 1583 für die Katholiken nun mit neuem Namen, nicht aber mit neuer Struktur versehen. Auch hier sollten sich am Kalender wieder einmal die Geister scheiden: Auch Professoren der Wiener Universität wurden im Zuge der Verteidigung des Gregorianischen Kalenders tätig, so Paulus Guldinus55 in seiner Refutatio Elenchi Calendarii Gregoriani a Setho Calvissio conscripti et opera Davidis Origani editi [Maguntiae 1616] 56. 52 Günter Stemberger, Judaica Minora II: Geschichte und Literatur des rabbinischen Judentums (=Texts and Studies in Ancient Judaism 138, Tübingen 2010) S. 27. 53 Hermann Leberecht Strack/Günter Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch (München 8 1992) S. 99. 54 Zusammenfassend dazu Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustinus zu Macchiavelli (Stuttgart 32013) S. 1; vgl. für die geschichtliche Situation bes. S. 35 – 53, dort vor allem Augustinus – als Ergebnis des Denkens zwischen Donatisten, Manichäern, neuplatonischer Philosophie S. 41 – 48. 55 Siehe zu ihm auch Acta eruditorum Anno MDCXCV (Lipsiae 1695) S. 493 – 495. 56 Josephus Ferer de Ferenau, Scriptores antiquissimae ac celeberrimae Universitatis Viennensis ordine chronologico propositi, Pars III: Saeculum tertium ab anno MDCX usque ad annum MDCLXXV (Viennae 1742) S. 32f.
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Die Praxis bestätigt in der Drucklegung „Der alte[n] und neue[n] Schreibkalender“, die Erfolgsprodukte für Buchdrucker waren, auch die notwendige Akzeptanz57. Man führt beide Kalender parallel und folgt damit auch wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Allerdings gibt es hier auf beiden Seiten im Beharren auf dem jeweils eigenen Standpunkt Beispiele extremer Verurteilung der jeweils anderen Glaubensgemeinschaft. Dieses Phänomen wird sich bis in die Gegenwart unter unterschiedlichen Kalenderherren wiederholen.
Kolomans Weg in den Kalender – gesteuerte Erinnerung oder Ausdruck eines kollektiven Wissens vom Heiligen? Hatte es ein Heiliger in ein Legendar generell, im konkreten Fall auch in das Magnum Legendarium Austriacum geschafft58, hatte er bzw. seine ‚Lobby‘ gewonnen. Koloman findet sich bereits in der Überlieferung aus Zwettl aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts59. Bemerkenswert ist, dass die Vita des Abtes Bertholdi von Garsten (+ 1122), der das Grab des heiligen Koloman in Melk besucht hatte, nicht in diese Sammlung aufgenommen wurde.60 Jedenfalls für das Resonanzgebiet dieses Textes, das selbst durch die noch heute erhaltenen Textzeugen für den bayerisch-österreichischen Donauraum seit dem 12. Jahrhundert durch die Netzwerke der Klöster, über Ordensgrenzen hinweg, deutlich belegt ist.61 Diese Sammlungen stellen ein Paradebeispiel des lebendigen Textes dar. Eine ‚legendarische‘ Zwischenstation im 15. Jahrhundert stellt das Kreuzensteiner Legendar dar, ein Legendar mit spezifische österreichischem Sanctorale: „Severin, Koloman, Florian, Valentin, und alle jene, die durch Translation, Mirakel und Reliquien mit Österreich, besonders Wien in Beziehung stehen, sind stark repräsentiert“62. Es entstand, wie Walter Jaroschka und Alfred Wendehorst aufzeigten, unter nicht unwesentlicher Beeinflussung Thomas Ebendorfers, der aber nicht als Urheber angesehen werden kann. Die Unternehmungen Maximilians fußen 57 Dieses Phänomen wird sich im Zusammenhang mit dem Französischen Revolutionskalender, 1795 – 1805 wie auch mit dem Revolutionskalender der Sowjetunion 1929–1940 zeigen. Beide Kalenderprojekte wurden rasch aufgegeben, da äußere Umstände die Akzeptanz vorhandener Traditionen notwendig machte und diese auch zuließ. Siehe unten S. 38f. 58 Zu den Überlieferungen und zur Einordnung in die Literaturgeschichte des 12. Jahrhunderts vgl. Fritz Peter Knapp, Die Literatur des Früh- und Hochmittelalters, hg. von Herbert Zeman (= Geschichte der Literatur in Österreich I, Graz 1994) S. 172 – 179; zu den Handschriften S. 173. 59 Dazu Niederkorn-Bruck (wie Anm. 38) S. 223f. 60 Siehe dazu Knapp, Literatur (wie Anm. 59) S. 174. 61 Zusammenfassend immer noch Guy Philippart, Legendare, in: VfL 25 (Berlin/New York 1985) Sp. 644 – 675. 62 Alfred Wendehorst/Walter Jaroschka, Kreuzensteiner Legendar, in: VfL 25 (Berlin/New York 1985) Sp. 368 –369; hier S. 369.
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ja nicht zuletzt auch auf diesen Arbeiten; die darin enthaltenen ‚Personen‘ sollten in ihrer Verehrung durch die Gelehrten mit Quellen gesichert werden. So kann die Aufnahme der „in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstandenen Vita des heiligen Valentin (7.1.) eventuell schon in Prüfening in die Sammlung aufgenommen worden sein, sicher aber in Österreich63. Im Kalendarium des Bernhard von Stencz für Kaiser Friedrich III. ebenso, wie im Kalendarium des Diurnale Mellicense, des Missale Mellicense, naturgemäß im Missale Pataviense, auch im Kalender zur Heiltumsweisung wird Valentin rubriziert eingetragen, seine Bedeutung also in dieser Form weiterhin berücksichtigt 64. Dass er in der Reihe der sog. „Schutzheiligen“, dem Blatt Dürers von 151565, nicht vorkommt, ist zu beachten. Wie Legendare allgemein, so ist auch das Magnum Legendarium Austriacum ein ‚lebender‘, weil sich ständig durch Ergänzungen anpassender Text66. Dies gilt insbesondere auch für die Übersetzungen der Legendare in die Volkssprache, die unter dem Sammeltitel „Der Heiligen Leben“67 abgeschrieben und gedruckt werden. Dem Zusammenspiel zwischen weltlichen und geistlichen Interessen im Hinblick auf die Akzeptanz des Heiligen und dessen Kultpflege kommt hier eine ebenso wichtige Rolle zu wie der Inszenierung des Heiligen im Rahmen der liturgischen Verehrung und – dies ist im Sinne der räumlichen Wirkung besonders nötig – auch der Texte, die sich als Medium des Wissens beweisen konnten. Das Magnum Legendarium belegt in seiner Textgeschichte ebenso deutlich wie die Kalender des 20. Jahrhunderts die Herrschaft über den Kalender.
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Knapp, Literatur (wie Anm. 59) S. 173. Siehe insgesamt hierzu die Synopse zum Kalenderblatt Oktober vom 11. bis zum 20. Jahrhundert, im Anhang. Dazu siehe unten S. 33 (Abb.1). Zur Entstehung tatsächlich immer noch wesentliche Grundlagen bei Albert Poncelet, Magno Legendario Austriaco, in: Analecta Bollandiana XVII (Bruxelles 1898) S. 24 –216; dort vor allem im Kontext der Legendar – beginnend mit Wolfhard von Herrieden, über die Windberger Sammlung bis zu den Textzeugen in Heiligenkreuz, Zwettl, Melk, etc. 67 Werner Williams-Krapp, Die deutschen und niederländischen Legendare des Mittelalters. Studien zu ihrer Überlieferungs-, Text- und Wirkungsgeschichte (=Texte und Textgeschichte 20, Tübingen 1986); hier vor allem S. 24 –27, 301–303 und 360. Siehe auch den Beitrag Christine Glassner in diesem Band S. 181–138.
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Heiligenverehrung – Kalenderblätter als Spiegel kollektiven Wissens und als Zeichen von Herrschaft Es bedurfte verschiedener Medien, um Wissen über Heilige, das zu kollektivem Bewusstsein hinsichtlich der Verehrung und damit zur kollektiven Erinnerung führen konnte, zu vermitteln. Im Folgenden wird darauf eingegangen, was im Zusammenhang mit Heiligenverehrung, konkret mit Koloman, tatsächlich kollektive Erinnerung ist. Dabei ist dann zu differenzieren, was tatsächlich aktive und bewusste Erinnerung ist, was kollektive Erinnerung im Sinne der Zeitstrukturierung ist und was nur mehr Erinnerung aus Gewohnheit ist. Das kollektive Wissen, geradezu Bewusstsein, wo die Heiligen im Jahr einzuordnen sind, war so selbstverständlich, dass man Festtermine als ‚Datierungselemente‘ verwenden konnte. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass neben den schon genannten Hochfesten, Herren- und Marienfesten auch solche Heilige überregional nicht zuletzt durch geistliche Obrigkeiten, die durch ihre Herrschaft über Schrift den Kalender immer wieder neu schreiben, vermerkt werden. So werden etwa Mauritius und Ulrich, im kollektiven Bewusstsein mit der Etablierung der Herrschaft deutlich verbunden. Der heilige Bischof Ulrich68 schließlich deshalb, weil ihm sein Wirken in der Schlacht auf dem Lechfelde, in der ihm von einem Engel die „Crux victorialis“ übergeben wurde69, nicht nur gegen die heidnischen Ungarn, sondern vor allem für die Sicherung des Reiches angerechnet wird. Ulrich wurde sehr rasch nicht nur von Herrschaftsträgern, sondern auch vom Volk verehrt. Mauritius wiederum erlangte in der Bevölkerung sehr viel weniger ‚Ruhm‘, bei Herrschern aber dafür umso spezifischere Verehrung. Spätestens seit der Funktion der Lanze im Zuge der Herrschaftssicherung Heinrichs II. nach dem Tod Ottos III. nahm dieser Heilige eine besondere Position ein70. Er wurde der Reichsheilige schlechthin, der auch im Herrschaftsgebiet der Babenberger besondere Bedeutung erlangte. Markgraf Ernst schenkte Melk – damals noch Kanonikerstift – eine „Lancea S. Mauritii“71. Diese Reliquie ist im Schatz des Hauses seit dem beginnenden 19. Jahrhundert nicht mehr vorhanden: Philibert 68 Manfred Weitlauff, Das Lechfeld – die Entscheidungsschlacht König Ottos I. gegen die Ungarn 955, in: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 36 (2002), S. 80 – 108 (erneuter, gekürzter Abdruck in: Schauplätze der Geschichte in Bayern, hg. von Alois Schmid/Katharina Weigand [München 2003], S. 55 –74); Ders. (Hg.), Bischof Ulrich von Augsburg 890–973. Seine Zeit – sein Leben – seine Verehrung. Festschrift aus Anlass des tausendjährigen Jubiläums seiner Kanonisation im Jahre 993 (Weißenhorn 1993). 69 Hans Augustyn, Das Ulrichskreuz und die Ulrichskreuze, in: Bischof Ulrich (wie Anm. 69) S. 267– 315, hier S. 295. Klaus Schreiner, Ritual, Zeichen, Bilder. Formen und Funktionen symbolischer Kommunikation im Mittelalter (=Norm und Struktur, Köln/Weimar/Wien 2011), I: Signa Victricia. Heilige Zeichen in kriegerischen Konflikten S. 11– 63; hier S. 20f. 70 Thietmar, Chronicon IV, 50 S. 188. 71 Philibert Hueber, Austria ex Archivis Mellicensibus illustrata (Wien 1722) S. 297.
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Hueber gibt sogar ihre Maße, die sie seit der Erneuerung der Fassung durch Herzog Rudolf IV. hatte, in der Höhe von zwei Wiener Fuß an. Als klassischer Vertreter der Kontinuität in der christlichen Herrschaftsideologie als die Verteidiger des Glaubens nimmt diese Lanze unter den Herrschaftssymbolen eine besondere Stellung ein. Die verschiedenen Formen der liturgischen Verehrung am Ort seines Grabes sowie zunehmend am Ort seiner Hinrichtung und schließlich über die Reliquienvergabe – insbesondere auch zur Zeit der ersten Melker Reform sowie später im 18. Jahrhundert – an verschiedenen Orten, die oft selbst versuchten, ihre Tradition mit Kolomans Weg aus Irland bis nach Stockerau in Verbindung zu bringen72, trugen zur Prominenz des Heiligen bei. Eine nicht unwesentliche Erweiterung dieser liturgischen Verehrung und damit Erweiterung des Wissens das zu kollektiver Erinnerung führen konnte, stellten schließlich Reliquientranslationen an Orte dar, die im Zuge der Melker Reform mit der Koloman und über die aus Melk übernommenen liturgischen Bücher dessen Verehrung in Berührung gekommen waren. Reliquienschenkungen als Unterstützung und Festigung eines Netzwerkes wurden seit dem frühen Mittelalter ja zunächst im Zuge der Missionierungen, ebenso durch das Papsttum im Zuge der Bindung der Kirchen an Rom, ganz bewusst gefördert. Ebenso wurden auch von Fürsten, Königen und spätestens ab der ersten Jahrtausendwende dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zur Festigung der Freundschaft vor allem zu Fürsten, deren Herrschaftsgebiet außerhalb des Reiches lag, eingesetzt. Dass dies mitunter – wie im Rahmen der Reliquientranslationen in das eben erst gewaltsam ‚christianisierte‘ Sachsen73 – in besonderer Intensität geschah, belegen ‚Geschenke‘ und Verwaltung. Bleibende Traditionen sollten durch die Stiftung von Orten (Bistümer, Pfarrkirchen und Klöster) geschaffen werden, sowie diese neu gewonnenen Gebiete dem lateinischen Christentum gesichert und damit auch die Nähe zum König aufrecht erhalten werden. Die große Welle der Reliquientranslationen anlässlich der Errichtung der neuen zentralen Bistümer und Erzbistümer74 Prag (972/976; Erzbistum 1344)75, Magdeburg (968), Merseburg (968), Starigard/Oldenburg (962), Erz72 Siehe dazu Übersicht bei Niederkorn Bruck (wie Anm. 38) S. 436 – 500; dort findet sich auch auf S. 435 der Hinweis darauf, dass ein Verzeichnis wie dieses von Ergänzungen die durch Leser mitgeteilt werden, im Verzeichnis, das sich auf der HP des Stiftes Melk befindet, laufend eingetragen und damit diese Memoria Kolomans“ lebendig erhalten wird. 73 Hedwig Röckelein, Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert. Über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter (Beihefte der Francia 48, Stuttgart 2002) S. 26: eine Liste der „Empfänger“, S. 26. 74 Mathias Hardt, Die Christianisierung Ostmitteleuropas, in: Credo. Christianisierung Europas im Mittelalter I: Essays (Paderborn 2013) S. 358 –369. 75 Ian Hlavacek, Prag III: Bistum und Erzbistum, in: LMA 7 (ND 2000) Sp. 162 – 164.
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bistum Gnesen76 (1000; am Grab Adalberts), Krakau (1000), Breslau (1000), Kolberg (1000), Gran (Strigonium/Esztergom; seit 1001 Erzbistum)77, Veszprém (997), Pécs und Eger (wohl 1009)78, Kalocsa (wohl 1002)79, Csanád (wohl 1030)80 belegt dies eindrucksvoll. Der ungarische König Koloman der Buchkundige, der bis 1091 Bischof von Großwardein war, erreichte nach den politischen Wirren schließlich ab 1095 als König eine neuerliche entscheidende Etablierung des Christentums, vor allem unter bewusster Anknüpfung an das lateinische Christentum und nicht an des griechische. Gleichzeitig aber löste er den Anspruch der „Lehenshoheit“ des Papstes über Ungarn, da er durch seine Argumentation den Schutz nicht auf die Person des Papstes, sondern auf die Kirche allgemein bezog81, weshalb ihm der Beiname „der Buchkundige“ durch die Historiographen ‚verliehen‘ wurde. Stuhlweissenburg/Alba Regia war seit 1018 Residenz der ungarischen Könige, Krönungsort und Grablege, da der Pilgerweg nach Jerusalem eingerichtet worden war.82 Dass in diesem Kontext die ‚Legende‘ von der Transferierung Kolomans nach Ungarn aufkam, ist nicht verwunderlich; das Ereignis kann aber durch Quellen nicht gesichert werden.
Landesfürstliche Installierung des Grabes und des Koloman-Kultes Markgraf Heinrichs Anordnung, Kolomans Überreste nach Melk zu bringen erfolgte im Rahmen der Bemühungen der Babenberger, sich selbst in dieser Grenzregion zu etablieren83. Damit setzte der Markgraf einen Akt, den Bruder, Erzbischof Poppo von Trier, in der Förderung der Heiligsprechung Simeons in Trier setzen wird. Beiden 76 Gerard Labuda, Gnesen II: Erzbistum, in: LMA 4 (ND 2000) Sp. 152–154. – Daniel Bagi, Die Darstellung der Zusammenkunft von Otto III. und Bolesław dem Tapferen in Gnesen im Jahre 1000 beim Gallus Anonymus, Die ungarische Staatsbildung und Ostmitteleuropa. Begegnungen, hg. von Ferenc Glatz (=Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Budapest 2002) S. 177–190. 77 György Györffy, Gran, in: LMA 4 (ND 2000) Sp. 1647–1648. 78 Dániel Bagi, Die Christianisierung Ungarns im 10. und 11. Jahrhundert, in: Credo I (wie Anm. 75) S. 370 –379, hier S. 376. – Bagi, Heidentum und Christentum in den ersten historiographischen Werken Ostmitteleuropas. Eine historische Region und zwei Modelle, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 54 (2005) S. 159 –173. 79 Bagi, Ungarn (wie Anm. 78) S. 375. 80 Bagi, Ungarn (wie Anm. 78) S. 376. 81 Daniel Bagi, Gallus Anonymus und die Hartwig Legende über den Erwerb der Alleinherrschaft von Boleslaw III. bzw. Koloman dem Buchkundigen, in: Frühmittelalterliche Studien 43 (2009) S. 453 – 460, hier bes. S. 455 – 459. 82 Hansgerd Göckenjan, Stuhlweissenburg. Eine ungarische Königsresidenz vom 11. –13. Jh., in: Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte Ost und Nordosteuropas, hg. von Klaus Zernack (Wiesbaden 1971) S. 135 –152. 83 Siehe dazu vor allem die detaillierten Angaben im Beitrag von Klaus Lohrmann in diesem Band S. 345 –376.
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ging es darum, durch diese Initiierung eines Kultes, anderen zu vermitteln, dass man ebenso handeln konnte, wie die Ersten im Reich. Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass eine Kanonisation erst seit der Jahrtausendwende überhaupt mit dem Papsttum verknüpft war 84; Bischof Ulrich von Augsburg war der erste, der eine solche offiziell durch den Papst bestätigte Erhebung zu den Altären, jedenfalls nach späterer historiographischer Überlieferung gesichert, im Jahr 993 erfuhr 85. Poppo hatte sich mit Simeon ein Denkmal gesetzt, das nicht zuletzt im beginnenden 16. Jahrhundert abermals im großen Gedechtnus-Werk86 Kaiser Maximilians I. Beachtung fand87. Seit dem 11. Jahrhundert setzten die Babenberger neben dem Stift und ab 1089 dem Benediktinerkloster auf dem Berg in Melk für Koloman die wesentlichen Schritte. Unter Herzog Leopold VI. sollte es vorübergehend zu einem Höhepunkt in der KolomanVerehrung im Zusammenhang mit politischen Absichten kommen; die Bemühungen Leopolds VI. verliefen allerdings im Sande und auch Herzog Friedrich II. hier nichts mehr erreichen konnte. Dennoch verlor Koloman im Sinne der Herrschaftssicherung nicht das Interesse der Fürsten. König Ottokar selbst betonte mehrfach in Arengen seiner Urkunden die herausragende Bedeutung Melks. Ist es deshalb wirklich ein Zufall, dass gerade damals der Wunderkatalog um jene ‚Geschichte‘ vom Böhmenkönig erweitert wurde, der das Grab öffnen lassen wollte und erblindete und durch die in ein Gebet gekleidete Bitte um die Fürbitte Kolomans das Augenlicht wieder erlangte? Unter Berufung auf den Brand von 1297, bei dem Quellen mit genaueren Angaben verbrannt seien, berichtet Philibert Hueber 88 über dieses Ereignis aufgrund der Berichte, die im 14. Jahrhundert anlässlich der Graböffnung in die S. Paulini episcopi 89 in vigilia Egidii – im Beisein Rudolfs IV. niedergeschrieben wurden. Tatsächlich stellte Premysl II. Ottokar die Bedeutung Kolomans in den Vordergrund. Immerhin bezeichnete er das Kloster Melk als Kloster des heiligen Koloman90. 84 Zusammenfassend dazu Richard Puza, Selig- und Heiligsprechungsverfahren, in: LMA 7 (ND 200) Sp. 1735 –1736. – Im Besonderen Ottfried Krafft, Papsturkunden und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch (=Archiv für Diplomatik und Wappenkunde Bh. 9, Köln/Weimar/Wien 2005). 85 Siehe dazu Franz Xaver Bischof, Die Kanonisation Bischof Ulrichs auf der Lateransynode des Jahres 993, in: Bischof Ulrich (wie Anm. 69) S. 197–222; hier S. 199. 86 Zuletzt dazu Thomas Schauerte, Der Kaiser stirbt nicht: Transitorische Aspekte der maximilianeischen Gedechtnus, in: Kaiser Maximilian I. und die Kunst der Dürerzeit, hg. von Eva Michel/Maria Luise Sternath (München/London/New-York 2012) S. 36 – 47. 87 Siehe dazu unten S. 34 f. 88 Hueber, Ex Archivis S. 304. 89 Paulinus von Trier, 31.8. 90 Niederkorn-Bruck (wie Anm. 38).
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Ottokar griff hier in seiner Funktion als Landesfürst im Herzogtum Österreich die Tradition auf, zollte ihr Respekt und brachte auf diese Weise eines der ‚alten‘ Klöster und dessen Abt auf seine Seite; damit gewann er auch einen wesentlichen Knoten im Netzwerk der Stifte und Klöster für sich91. In der Bestätigung der Freiheiten für St. Nikola bei Passau benannte die Intitulatio1255 seine Position als Sohn und Herrschaftsnachfolger, „pie recordationis serenissimi domini patris nostri regis Boemie Wenzezlai et antecessorum nostrorum illustrium ducum Austrie“ 92. Erst der Habsburger Rudolf IV. setzte hier abermals neue Akzente; auch hier ist es kein Zufall, dass Gothalms Verehrung durch Quellen gestützt wurde. Die Öffnung seines Sarkophags stellt im Hinblick auf Rudolfs Reliquiensammlung einerseits, im Hinblick auf seine sicher auch weiter gehenden Überlegungen hinsichtlich österreichischer Heiliger und Seliger andererseits einen mit Herrschaftssymbolik aufgeladenen Akt dar. Offenbar maß auch das Kloster dem Besuch des Herzogs große Bedeutung zu, denn immerhin hat ein Anonymus sowohl in den Annalen als auch im Kalender, der sich wohl schon damals im Handschriften-Verband mit den Annalen befand, entsprechende Notizen angebracht93. Man hatte eventuell sogar auf einen neuerlichen Besuch des Herzogs gehofft, denn der Schreiber, der insgesamt zu den Ereignissen um Rudolfs Besuch in der Melker Historiographie tätig war, vermerkte im Kalender, auf welchen Wochentag im Jahr 1362 der 2., 6. und der 21. Dezember fielen94. Rudolf griff mit der besonderen Auszeichnung, die er Koloman durch die Stiftung des Grabs, durch die Neufassung der Pretiosen, die um des Heiligen Grab ja schon durch die Babenberger versammelt worden waren wie die Kreuzreliquie (Melker Kreuz) und die sog. Mauritiuslanze, die Idee der Babenberger auf, Koloman im Sinne der dem Einfluss der Passauer Bischöfe entzogenen ‚Landeskirche‘ zu instrumentalisieren. Auch die Verbringung des Kolomani-Steins in die Kirche St. Stephan in Wien an der damals sehr prominenten Stelle im Portal des sog. Bischofstores – durch das der Bischof die Kirche betritt – drückt die Position Kolomans in Rudolfs ‚Konzept‘ aus. Dass er sich nicht bloß um diesen Stein für seinen Reliquienschatz bemühte, belegen ja auch die Verzeichnis angeführte Koloman-Reliquie – ein Arm Kolomans 95.
91 Niederkorn-Bruck (wie Anm. 38), S.104 –106. 92 1255 Marz 18, „apud Chremsam“ – Bayerisches Hauptstaatsarchiv: http://www.mom-ca.uni-koeln.de/ mom/DE-BayHStA/KUPassauStNikola/35/charter?q=Ottokar (Zugriff: 22.12.2013) 93 Siehe Pez, Scriptores (wie Anm. 44) Col. 163 –188. 94 Siehe dazu [Niederkorn]-Bruck, Codex Mellicensis 391 (=Descriptiones codicum historicorum medii aevi II, hg. von Joachim Rössl). In: NÖLA. Mitteilungen aus dem NÖ Landesarchiv 8 (1984) S. 31– 44, hier S. 3. 95 Siehe dazu Niederkorn-Bruck (wie Anm. 38), S. 129 –137.
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Im Kalender Friedrichs III.96, der diesem von der theologischen Fakultät der Universität Wien geschenkt wurde, ist Kolomans Name rubriziert; ebenso wie im Kalender, der unter Berufung auf Regiomontanus in das sog. Heidelberger Schicksalsbuch aufgenommen wurde. Dass in der Sipp-, Mag- und Schwägerschaft Maximilians Koloman verzeichnet ist, ist im Konzept dieser Sammlung begründet, durch Hinweis auf die Vorfahren Maximilians dessen Bedeutung als Herrscher sowie seine Ansprüche zu untermauern. Aber unmittelbar nach Rudolfs Tod ruhte die Verantwortung für die Sicherung Kolomans im Bewusstsein des Landes wieder nahezu völlig auf dem Kloster und dessen Netzwerken. Der prominente, oftmals auch analysierte Holzschnitt Albrecht Dürers, der die sog. Schutzheiligen Österreichs darstellt, fügt sich auf einen ersten, sehr oberflächlichen Blick nahtlos in die Sakraltopographie der Zeit um 1500 im Herrschaftsbereich Maximilians I. ein. Im Detail wird es allerdings schwieriger. Denn fraglos stellten Maximilian, Florian und Severin ‚alte‘, traditionell im Donauraum und in Salzburg verehrte Heilige dar. Die Nahtstelle zwischen spätantikem Christentum und Mittelalter ist durch sie sozusagen gewährleistet. Die Forschung diskutiert, ob Poppo und Otto nicht erst durch Hans Springinklee beigefügt worden seien97. Dies würde dem Unternehmen Gedechtnus jedenfalls entsprechen. Der heilige Quirinus von Siscia/Sabaria98, der erste, links im Holzschnitt, ist schon ein wenig schwieriger in der kollektiven Erinnerung des Donauraumes – auch der Zeit um 1500 – unterzubringen. Rechts, vom Rand her, stehen Otto von Freising, Poppo von Trier und der heilige Leopold. Die „Schutzheiligen“ sind im Vergleich mit dem Kalender, der für die Drucklegung der Heiltumsweisung in Wien (1502) beigegeben wurde und auch die jeweiligen Angaben zu den Ablässen bietet, im Sinne der Frage nach Verehrung durch Eliten – wie im Kalender Friedrich III., und vor allem im Gedechtnus-Projekt Maximilians zum Ausdruck kommt – und Verehrung durch die breite Bevölkerung aufschlussreich. Abgesehen von der Frage, welche Feste hier rubriziert sind, ist die Zahl der zu erreichenden Tages des Ablasses ein wichtiger Spiegel der Heiligenverehrung und deren Akzeptanz durch kirchliche Obrigkeiten99. „Umb deswillen die gnad und ab96 Wien, ÖNB Cod. 97 Unbestimmter von einem Schüler Dürers spricht David J. Collins, Reforming Saints. Saints’ Lives and their Authors in Germany 1470 –1530 (Oxford 2008) bes. S. 129. 98 Günter Kastner, Quirinus von Siscia (Sissek), in: LCI 8 (ND 1990) Sp. 242–243. – Gloria AvellaWidhalm, Quirinus von Siscia, in: LMA VII (ND 2000) Sp. 376. 99 Ablass ist ein Produkt aktiver Verehrung, und deren Förderung durch Obrigkeit – sicher nicht gefördert hat man Heilige, deren Akzeptanz seitens der Gläubigen nicht gegeben war. Die Bedingung für Erlangung des Ablasses liegt in der Erfüllung der Buße (Besuch eines Heilgengrabes !), die noch durch Petrus Cantor oder
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Abb. 1: Albrecht Dürer, Die Schutzheiligen von Österreich, Holzschnitt 1517. Von links nach rechts: Quirin, Maximilian, Florian, Severin, Koloman, Leopold, Poppo von Trier und Otto von Freising. (Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel, Inventar-Nr. 4189)
las in denselben brieven vermelt in nachvolgenden kalender angezaigt und begriffen […]. Welcher Mensch eines puesfertigen lebens bereuten hertzens und gueten fursatz benantes wirdig Gotshaus sand Steffans mit andacht heimsucht, erlangt gnad und ablas toedlicher sund und zwir sovil hie hernach pegriffen ist“100: Für Quirinus und Maximilian sind keine Tage eingetragen; für Florian 2.140 Tage, für Severin 4.380 Tage, für den Besuch des Gottesdienstes am Fest Kolomans erhielt man nach dem Kalender der Wiener Heiltumsweisung 5.565 Tage Ablass; für Leopolds Fest wurden hingegen ‚nur‘ 5.540 Tage verzeichnet. Otto und Poppo sind hier nicht aufgeführt. Otto von Freising101 hat tatsächlich eine Verehrung als Seliger erlangt, auch wenn sein Gedächtnis kaum in Kalendern, selbst in Freising selten102, vermerkt wurde. So steht er nicht einmal im Kalender Friedrichs III. und auch nicht im Kalender, der dem Gebetbüchlein des Wiener Bischofs Friedrich von Nausea beigefügt ist. Bemerkenswert ist, dass er auch nicht im Kalender Jakob Mennels – weder in der Stuttgarter aber Stephen Langton festgelegt, auch durch Johannes von Freiburg nochmals geltend gemacht wurde: siehe zusammenfassend Ludwig Hödl, Ablass, in: LMA I (ND 2000) Sp. 43 – 46; hier Sp. 44f. 100 Heuperger, Heiltumsweisung (wie Anm. 34): „Die Vorred“ (ohne Seiten/Blattzählung). 101 Joachim Ehlers, Otto von Freising. Ein Intellektueller im Mittelalter (München 2013). 102 So etwa nicht im Missale Frisingense [Sixtus von Tannberg], 1487 – auch nicht im: Missale Frisingense (Andreas Ossiander) [Venetiis 1520] hier nach München BSB 2 Liturg. 220, Permalink: http://www.mdznbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10147730-0. (Zugriff: 27.11.2013).
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Niederschrift103, noch in der in Wien überlieferten Abschrift – beachtet wird, wenn man gleichzeitig Maximilians Initiativen berücksichtigt und auch den genannten Holzschnitt im Auge behält. Erzbischof Poppo von Trier ist zwar historisch eindeutig als Sohn Markgraf Luitpolds104 und als Kirchenreformer und Politiker des ersten Viertels des 11. Jahrhunderts bekannt, allerdings nicht als Heiliger zu bezeichnen; denn weder durch Verehrung und schon gar nicht durch Kanonisation hat er die Ehre der Altäre erreicht. Allerdings ist festzuhalten, dass Maximilian am 8. Jänner 1517 in Trier das Grab seines ‚Vorfahren‘ hat öffnen lassen, so, wie er 1517 versprochen hat, das Grabmal Kolomans zu erneuern. Ob er Kolomans Grab öffnen lassen wollte und man deshalb von ihm die Zusicherung erhielt, das Grab herrichten zu lassen, ist nicht belegt, aber denkbar. Die Annalen jedenfalls sprechen dies nicht an; auch existiert sonst kein Zeugnis dazu, während über die Graböffnung in Trier ein Notariatsinstrument hergestellt wurde105: Unter Anwesenheit des Dompropstes von Brixen, Sebastian Sperantius, des Dekans von St. Simeon in Trier106, Balthasar Merklin von Waldkirch, des Bischofs von Syron (Sirensis) und des Abtes von Echternach. Bei dieser Graböffnung sei, so behauptete man in der Literatur hin, auch über die Kanonisation Leopolds gesprochen worden, auch wenn man dies für Poppo nicht ins Auge gefasst habe107. Es ist allerdings zu bedenken, dass Poppo gemeinsam mit Otto nachträglich zu den Habsburgischen ‚Heiligen‘ montiert wurde, dadurch wurde ja auch ein Blatt verändert, das Dürer hergestellt hat108. Natürlich hatte Hans Springinklee durch seine Funktionen im höfischen Umfeld, nicht zuletzt durch seine Mitarbeit im Rahmen der ‚Ehrenpforte‘ eine maßgebliche Stellung inne. Dennoch bleibt die Erweiterung des Blattes im Kontext der Gedechtnus bemerkenswert. Die Kanonisation Leopolds war lange ein Projekt der Habsburger; unter Friedrich III. konnte der Prozess bekanntlich im Jahr 1485 erfolgreich abgeschlossen wer103 Siehe dazu Wolfgang Irtenkauf, Der „Habsburger Kalender“ des Jakob Mennel (Urfassung), in: Litterae. Göppinger Beiträge zur Textgeschichte 66 (Göppingen 1979) S. 1–29, mit 24 Abbildungen, hier S. 9 –11 und 17f. 104 Georg Scheibelreiter, Die Babenberger. Reichsfürsten und Landesherrn (Wien 2010) S. 100f. und S. 359; dort auch im Kontext zur Bestattung Ottos von Freising – und der damit verbundenen Unsicherheit. – Wolfgang Schmid, Poppo Wolfgang von Babenberg. Erzbischof von Trier, Förderer des heiligen Simeon (Trier 1998). 105 Ausführlich dazu Franz Josef Heyen, Das Stift St. Simeon in Trier (=Das Bistum Trier 9= Germania Sacra NF 41, Berlin 2002) S. 111 –114, hier S. 112f. 106 Dessen Kanonisation auf Poppos Initiative zurück zu führen ist – siehe dazu Niederkorn-Bruck (wie Anm. 38) S. 72. 107 Heyen, Das Stift (wie Anm. 106) S. 112. 108 Thomas Schauerte, Albrecht Dürer und Hans Springinklee (?), Die Schutzheiligen von Österreich 1515, in: Maximilian I. (wie Anm. 87) S. 175, Nr. 25.
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den. Die Erhebung der Gebeine109 Leopolds wurde allerdings erst im Jahr 1508 durchgeführt. Diese Translation ‚beging‘ Maximilian als Mitglied der Prozession; er stellte sich, indem er die landesfürstlichen und nicht die königlichen Insignien trug, in Leopolds Nachfolge. Damit wurde gleichzeitig Leopolds Stellung in seinem GedechtnusProjekt offensichtlich. Schon 1985 hat anlässlich der Jubiläumsausstellung in Klosterneuburg Floridus Röhrig nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen110, dass diese Darstellung mit der Darstellung am Innsbrucker Grabmal, in der Ehrenpforte und im Triumphzug nahezu identisch ist. In diesem Kontext ist interessant, dass vorhandenes ‚Formenmaterial‘ auch anderswo verwendet wird. Ebenso auffällig ist, dass Gesicht und ‚Outfit‘, wie sie im Blatt Dürers von den Österreichischen Schutzheiligen für den heiligen Florian verwendet werden, sich in Hans Springinklees Blatt der Schutzheiligen Maximilians für den heiligen Georg – für den die Rüstung zweifellos besser passt – wieder-finden. Thomas Schauerte wies darauf hin, dass die Rüstung für Florian nicht passt111, was ikonographisch gesehen stimmt; allerdings die Bezeichnung Florians als Tribun und die Abbildung als Ritter aus der Intention des Blattes zu verstehen. Florian ist einer jener Schutzheiligen die ‚militärisch‘ zur Herrschaftssicherung bzw. zur Verteidigung des Christentums im nunmehrigen Herrschaftsgebiet der Habsburger beitragen, damit ist die Rüstung eigentlich plausibel. Noch mehr, bedenkt man die zeitgenössische Diktion in den Argumenten gegen die herannahenden Osmanen. Maximilian I. hatte eine einflussreiche „Publizistengruppe […], die während seiner Regierungszeit die öffentliche Meinung zugunsten seiner Person und Ziele formte“112, durch die Krönung mit dem Dichterlorbeer an sich gebunden. Stabius, Cuspinian, Suntheim und Mennel sind Protagonisten im Rahmen der Sammlungen und Forschungen für das Gedechtnus-Projekt. Der heilige Koloman stand bei Stabius offenbar auch in persönlicher Verehrung; es finden sich immerhin Stabius’ Züge im Gesicht der KolomanDarstellung von 1513, wie schon Eduard Chmelarz festgestellt hatte und nunmehr 2012 durch Thomas Schauerte bestätigt wurde113. 109 Schauerte, Albrecht Dürer und Hans Springinklee (wie Anm. 109) S. 175; – Ders., Hans Springinklee: Maximilian wird im Beisein seiner Schutzheiligen Christus empfohlen (1515/1517), in: Maximilian I. (wie Anm. 87) Nr. 129, S. 385. 110 Die Schutzheiligen Österreichs, in: Der heilige Leopold. Landesfürst und Staatssymbol. Katalog der Niederösterreichischen Landesausstellung im Stift Klosterneuburg vom 30. März bis 3. November 1985, red. von Floridus Röhrig/Gottfried Stangler (=Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums N.F. 155, Wien 1985) Objekt-Nr. 233, S. 251. 111 Schauerte, Albrecht Dürer und Hans Springinklee (wie Anm. 109) S. 175. 112 Dieter Mertens, Dichter und Herrscher. Rituale der Zuordnung, in: Spielregeln der Mächtigen. Mittelalterliche Politik zwischen Gewohnheit und Konvention, hg. von Claudia Garnier/Hermann Kamp (Darmstadt 2010) S. 291 – 309, hier S. 306. 113 Schauerte (wie Anm. 109) Nr. 123, S. 372.
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Jakob Mennel war einer der Baumeister an jenen „Herolde[n]“114 (Ehrenpforte, Sipp-, Mag- und Schwägerschaft, Theuerdank, Weisskunig), die Maximilians Ruhm in die Zukunft tragen sollten. Dieser hatte ihm den Auftrag gegeben115, möglichst alle Personen, die dem „Gedechtnus“-Projekt dienen konnten, nicht nur zu benennen, sondern für diese die Quellen zu ermitteln. Dass hier auch der oben genannte Poppo im Zuge der Erhebung der Reliquien Simeons von Trier eine Rolle spielt, ist insofern interessant, als dieser im Habsburger-Kalender Mennels nicht genannt wird, sehr wohl hingegen im Bericht über die Erhebung116. Mennels Akzeptanz in dieser Position, wenngleich sicher nicht völlig unumstritten, wird propagandistisch in zweifacher Hinsicht deutlich. Auf Hans Weiditz’ Gedenkblatt auf Kaiser Maximilian I. wird Mennel dargestellt, wie er dem bereits kranken Kaiser aus den Büchern vorliest: „Cesari antiquissime et nobilissime genealogie eius per Manlium libri leguntur“ 117. Quirin, Maximilian, Florian, Severin, Koloman, Leopold, Poppo und Otto wurden im Hinblick auf Maximilians Gedechtnus-Projekt instrumentalisiert. Dies funktioniert auch sehr gut, da diese Heiligen, bis auf Poppo und Otto, tatsächlich in der kollektiven Erinnerung verankert sind, wie ihre Nennung im Reimkalender sowie auch in anderen Kalendern dieser Zeit belegt118. Gleichzeitig sind sie nicht jene, die als seine persönlichen Schutzheiligen zu bezeichnen sind und auch als solche dargestellt werden. Vor Christus findet sich der Kaiser im Schutz Georgs, Maximilians, Barbaras, Andreas‘, Sebastians und Leopolds, die ihn angeführt von Maria mit dem Christuskind [!], Christus empfehlen119. Die doppelte Präsenz Christi am Bild widerspricht Maximilians Selbstsicht, der sich nach seinem Tode die Zähne ausschlagen ließ120, sie wird aber von Schauerte mit der Position Maximilians erklärt121. 114 Eduard Chmelarz, Die Ehrenpforte des Kaisers Maximilians, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 4 (Wien 1886) S. 289 – 319, hier S. 310. Im Zusammenhang mit der Drucklegung der Ehrenpforte weist Chmelarz darauf hin, dass Maximilian mit Ausnahme des Theuerdanks keines seiner propagandistischen Großprojekte im fertigen Zustand sehen konnte. 115 Fabian Schwarzbauer, Geschichtszeit. Zeitvorstellungen in den Universalchroniken Frustolfs von Michelsberg, Honorius Augustodunensis, Ottos von Freising (=Orbis Mediaevalis 6, Berlin 2005). – Simon Laschitzer, Die Heiligen aus der Sipp-, Mag- und Schwägerschaft des Kaisers Maximilian I., in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 4,5 (1886 – 1887) S. 70 – 289, S. 81. 116 Siehe dazu Abb. 5, S. 53. 117 Thomas Schauerte, Hans Weiditz. Gedenkblatt auf Kaiser Maximilian I., in: Kaiser Maximilian I. (wie Anm. 87) Nr. 130, S. 386; Tafel S. 387. 118 Siehe unten S. 47– 48. 119 Thomas Schauerte, Hans Springinklee: Maximilian wird im Beisein seiner Schutzheiligen Christus empfohlen, in: Maximilian I. (wie Anm. 87) S. 385; NM. 129. 120 Gernot Mayer, Der Monogrammist A. A.: Das Totenbildnis Maximilians OI. 1519, in: Maximilian I. (wie Anm. 87) Nr. 127, S. 380 – 383. 121 Schauerte, Schutzheiligen (wie Anm. 120) S. 385.
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Der heilige Koloman steht auf dem Blatt der „Schutzheiligen“ im Zentrum und nimmt diese Position auch im Gedechtnus-Projekt ein. Er stellt den Angelpunkt zwischen regionaler Identität und genealogischer Identität dar und verbindet Spätantike/ Frühmittelalter und Hochmittelalter. Die links von ihm stehenden Heiligen Quirin, Maximilian, Florian und Severin stellen in der Geschichte der Christianisierung des bayerisch-österreichischen Raumes prägende ‚Persönlichkeiten‘ und auch historische Zäsuren dar. Auch die ihnen jeweils zugeordneten Texte bestätigen diese Sicht: „Quirinus episcopus Lauriacensis deinde Patriarcha Aquilegiensis martyr, Maximilianus archiepiscopus Lauriacensis martyr, Florianus tribunus militum, martyr Lauriaci passus, Severinus post Attilam regem Hunnorum defunctum secundarius Austrie apostolus“. Rechts von Koloman stehen die Babenberger Leopold, Poppo und Otto. Die Bildunterschrift: „Leopoldus princeps, pius marchio Austrie“, bestätigt die reichsweite Bedeutung der Babenberger, die Poppo, Marchio orientalis, archiepiscopus Treverensis, im Grunde vorbereitet hat. Markgraf Leopolds III. Sohn, Otto von Freising122, S. Otto marchio orientalis, Episcopus Frisingensis, ist Zeitzeuge der Erhebung Österreichs zum Herzogtum, – in seiner Chronik berichtet er ausführlich darüber – er selbst wird hier als „marchio orientalis“ bezeichnet123. Heiligenverehrung wird aber nicht nur im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit instrumentalisiert, sondern man erreichte auch im Barock geradezu ‚Spitzenleistungen‘, die kaum übertroffen werden können. Die architektonischen Ausdrucksformen dieser Religiosität der Fürsten, insbesondere auch der Habsburger, wurden unzählige Male behandelt; letztlich stellt das Kloster Melk in seiner äußeren Erscheinungsform die klassische Synthese zwischen „Erbe und Auftrag“, zwischen Tradition und Anspruch des Benediktinerklosters einerseits und landesfürstlicher Frömmigkeit andererseits dar124. Die zunehmende Diskussion um die Heiligenverehrung, nicht zuletzt durch die Kritik der Protestanten an so vielen als Heilige bezeichneten Personen setzte intensive Nachforschungstätigkeit seitens der Katholiken in Gang. Das quellenkritische Projekt der Acta Sanctorum, das sich der Untersuchung der Quellen zu den Heiligen widmete, erfuhr die Verantwortung der Fürsten und nahm diese 1770 auf höchster Ebene in Anspruch. Zuerst wurden die Habsburger, schließlich der Papst als Förderer in die Pflicht genommen. Es handelte sich bei den entsprechenden Widmungen um eine Instrumentalisierung der Heiligenverehrung in beson122 Karl Schnith, Otto von Freising, in: LMA VI (München/Zürich ND 2000) Sp. 1581 – 1583. 123 Dies ist im Kontext der im Auftrag Maximilians I. angefertigten Prunkabschrift des Privilegium maius bemerkenswert. Vgl. zur Prunkabschrift Andrea Scheichl, Jörg Kölderer und der Monogramist A. A., Beglaubigung des Privilegium Maius 1512, in: Maximilian I. (wie Anm. 87) Nr. 30, S. 181 – 183. 124 Werner Telesko, Kosmos Barock. Architektur – Ausstattung – Spiritualität. Die Stiftskirche in Melk (Wien 2013) S. 158 –170.
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derer Form125. Dem maßgeblichen Förderer, Ferdinand von Fürstenberg, wurden die 1675 und 1680 erschienenen Bände gewidmet. Wenn etwa Band 53 im Jahr 1770 Maria Antonia (Marie Antoinette) gewidmet wird, so berührt dies angesichts der Katastrophe von 1789 und im Zusammenhang mit dem durch die Revolution eingeführten Revolutionskalender, der diese Tradition völlig auszulöschen versucht, ganz besonders; natürlich werden hier sowohl Marie Antoinettes Eltern, Maria Theresia und Franz I. angesprochen, wie auch ihr Bruder, seit 1765 Kaiser Joseph II. Die Entscheidung, diesen 1770 veröffentlichten Band so hochrangig zu widmen, ist gleichzeitig Ausdruck der bereits vorhandenen Verunsicherung über den Fortgang des wissenschaftlichen Unternehmens126. Band 54, der nach der Unterdrückung der Jesuiten durch Joseph II. und Verlegung der Tätigkeit nach Flandern 1794 in Tongerloo, noch als letzter vor der Unterbrechung bis 1845, erscheinen konnte, wird Papst Pius VI. gewidmet. Die in den Papst gesetzte Hoffnung wird in die klassische Supplik gekleidet.
Kalender – Herrschaft über die Zeit, die nicht allein Zeit der Kirche(n) ist Kalender werden weltlich. Im ausgehenden 18. Jahrhundert wurden „Kalendersynopsen“ zunehmend beliebter. Nunmehr stellen Kalender sehr oft den katholischen, protestantischen, griechischen/ orthodoxen und jüdischen Kalender nebeneinander, im relevanten Zeitraum wurde noch der französische Revolutionskalender zur Seite gestellt127. Diese Kalender stellen die Toleranz in den Mittelpunkt, sie belegen auch die kalendarische Vielfalt selbst für jene, die nach der offiziellen Abschaffung des Revolutionskalenders durch Napoleon128 diesen Kalender noch als Wissensschatz tradieren129.
125 Stefan Benz, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003). 126 Jan Marco Sawilla, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch (Frühe Neuzeit 131, Tübingen 2009). – Die Besetzung Flanderns durch die Franzosen hatte auch hier der Arbeit der Bollandisten ein vorläufiges Ende gesetzt. 127 Im relevanten Dekret wird im Abschnitt XV ausdrücklich auf die Bedeutung hingewiesen, die Lehrern, Lehrerinnen, Eltern und Institutionen in der Vermittlung von Kalendern zukommt: Décret de la Convention nationale portant sur la création du calendrier républicain, XV.: Les professeurs, les instituteurs et institutrices, les pères et mères de famille, et tous ceux qui dirigent l’éducation des enfants, s’empresseront à leur expliquer le nouveau calendrier, conformément à l’instruction qui y est annexée. 128 Dekret vom 9. Juni 1805; Auslaufen des Kalenders mit 31. Dezember 1805. 129 http://www.heinrichbernd.de/calendar/index_html?mode=f#.UsG6p02A3wo (Zugriff: 16.12.2013).
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Diese Kalender haben naturgemäß nichts mehr mit liturgischen Büchern zu tun; sie dienen der Orientierung in den ‚Zeiten‘. Dennoch dürfen wir davon ausgehen, dass auch die Kirche(n), schon im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit solche Kalender besaßen, um sich zu orientieren; vielleicht auch, um sich abzugrenzen. Gerade Geistliche in Positionen, durch die sie in diplomatische Geschäfte oder auch nur in Innenpolitik, Wirtschaft und Verwaltung eingebunden waren, konnten in solchen Kalendern nachschlagen, Ordensmann und Ordensfrau standen dagegen durch das Stundengebet täglich/stündlich in der Zeit. Er/sie ist – nolens volens – durch die Lesungen darüber informiert, welches Datum ist.
Kalenderblatt als Zeitgeschichte – Kolomans Verehrung durch die Zeiten Die Reimkalender, beruhend auf dem seit dem 13. Jahrhundert belegten Cisioianus130, fassen den Jahresablauf durch Merkverse, in welchen die Heiligenfeste die Eckpunkte in der Zeit darstellen. Ihre Mnemotechnik funktioniert aber nur dann, wenn mit den Namen der Heiligen Orientierung im Monatsverlauf gegeben ist, nicht jeder wird das Tagesdatum genau im Kopf haben. Die Verortung ist jenen, die innerhalb der diesem Glauben verpflichteten Gesellschaft leben, selbstverständlich – und nicht nur diesen. Auch Mitglieder anderer religiöser Gemeinschaften werden wichtige Termine der dominierenden Religion zur Kenntnis nehmen müssen, zum Beispiel in Terminangaben in rechtsetzenden Schriftstücken (Urkunden und Akten), Zinsterminen, für die Festlegung von Markttagen. Artes-Zyklen und auch Schulordnungen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, etwa die Loosdorffische Schulordnung von 1574131, sehen vor, dass Schüler über den Kalender Cisiojanus unterrichtet werden. Neben dieser allgemeinen Orientierung wurde dort vor allem im Hinblick auf das bewegliche Osterfest (zw. 22. März und 25. April) und die davon abhängigen Termine Bezug genommen. Die Berücksichtigung des Rezipientenkreises solcher Reimkalender, aber auch Practica, Schicksalsbücher und Aderlasskalender spiegelt sich in deren Sprache ebenso, wie sich das 130 Jan Prelog, Cisioianus, in: LMA II (München/Zürich ND 2000) Sp. 2101. – Clemens Brentano, Werkausgabe. Märchen II: Rheinmärchen Ausgabe, hg. von Wolfgang Frühwald/Friedrich Kemp (München 1968), Bd. 3, hier die Beschreibung des Herrn Cisio Ianus S. 143 – 149 – Zum Cisioianus als Textform: Arne Holtorf, Cisioianus, VfL, Bd. 1 (Berlin 21978) Sp. 1285 – 1289. 131 Lossdorffische Schulordnung. Auf bevelch dess wolgeborn herrn, herrn Hanns Wilhelmen, Herrn zuo Losenstein unnd Schallenburg, etc., gestellt im Jar nach Christi Geburt ([Augustae Vindelicorum] 1574). Faksimile mit Einleitung, hg. von Gerhard Flossmann (Loosdorf 1974) fol B II, v.
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Feiertagsgerüst der jeweils relevanten Region, in welcher der Kalender verwendet werden soll, ablesen lässt. Das sog. Heidelberger Schicksalsbuch – ein von Katharina Glanz in die Zeit nach 1491 eingeordnetes Kalendarium, das aber in die Zeit vor 1485 zu datieren ist132 – belegt eindrucksvoll, welche Bedeutung die Beobachtung der Zeit im Jahreslauf in der Lebenswirklichkeit hat. Der Kalender zeigt in seinem Sanctorale – vor allem in den rubrizierten Eintragungen – keineswegs den Festkalender des Bistums Eichstätt. Vielmehr ist hier jener Kalender, der mit Regiomontans Tafeln im Druck bereits mehrfach vorgelegen war, richtungsweisend. Hier, wie im Schicksalsbuch, ist Kolomans Name zum 13. Oktober rubriziert; aber nicht nur Koloman stellt hier die Verbindung her, das Kalendarium deckt sich in hohem Maße mit jenem im Kalender, den Bernhards von Stencz133, ebenso Mitglied der Universität Wien, Kaiser Friedrich III. schenkte. Selbst die Konzentration auf das Blatt Oktober in Kalendern vom 11. bis zum 21. Jahrhundert vermittelt die immer wieder erfolgreiche Verschiebung von Schwerpunkten und belegt damit Brüche und Veränderungen in der Geschichte. Solange Schriftlichkeit ein Elitenphänomen – sogar innerhalb der Geistlichkeit – war, spiegeln Kalender immer auch Herrschaftsauffassung. Kolomans durchgehend festgehaltenes Gedächtnis in den hier beispielhaft vorgestellten Kalendern belegt seine Verankerung im kollektiven Wissen. Besonders markant ist diese Verankerung des Heiligen in jenen Kalendern, die auch von den ‚Kalendermachern‘ als klassische Synopsen hergestellt wurden, bei welchen es dann nicht mehr um Heiligenverehrung oder Orientierung in den Festdaten ging, sondern um ‚Wissen‘ über die Zeitberechnungssysteme. Dass hier Koloman und ebenso andere Heiligen, die als Identitäts- und Traditionsträger verstanden werden, verzeichnet sind, versteht sich aus der Tendenz heraus, nicht zuletzt durch die Erinnerung an Tradition, Herrschaft zu sichern. Der Kaiser respektiert den Festkalender seiner Untertanen, ob Katholiken, Protestanten, Griechen (griechischorthodox) oder Juden134. Die seit 1881 seitens der Militärseelsorge auch zu betreuenden Muslime werden im sog. (aufgrund der Umstellung der Zählung) Neuen Krakauer
132 Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 832 (Persistente URL: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ cpg832/0010) (Zugriff: 29.12.2013). Im Kalendarium fol. 1e – 12r; wird der 1485 kanonisierte Leopold nicht verzeichnet, hingegen der heilige Koloman rubriziert eingetragen. In der Diözese Eichstätt hat Koloman zwar in Kalendern Platz gefunden, doch wurde sein Name nicht rubriziert. 133 Siehe dazu oben S. 32–33. 134 Siehe Caudia Reichl-Ham, Die Militärseelsorge in Geschichte und Gegenwart. Themenheft 4 (2005) S. 71– 26; in dieser der evangelischen Militärseelsorge gewidmeten Arbeit wurden auch die griechischorthodoxen Mitglieder der Armee berücksichtigt.
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Schreibkalender von 1914 im Abschnitt: Miltärkalender135, im Soldatenkalender von 1916 allerdings nicht mehr berücksichtigt136. Die Frage, wie weit Toleranz reichen kann, stellte sich auch für den christlichen Kalender im Zeitalter der Konfessionalisierung. Von den Protestanten wird die Struktur des Julianischen Kalenders weiter verwendet; auch Heilige finden sich in diesen Kalendern verzeichnet, obwohl im Hinblick auf Heilige eine grundlegend andere Position als die der Katholiken eingenommen wurde137. Es handelt sich dabei immer aber um Namen solcher, deren Existenz und vorbildhafte Lebensführung als belegt galt. An diesen Beispielen ist nun festzustellen, dass im katholischen Kalender der heilige Eduard am 13. Oktober eingetragen wurde, während hingegen im parallel dazu gedruckten protestantischen Kalender der heilige Koloman, wenn auch mitunter zum falschen Datum, nämlich dem 15. Oktober, verzeichnet wurde138. Kolomans Nennung im Zürcher Paurenkalender auf das Jar MDLXXV 139 belegt, dass die Verzeichnung eines Namens nicht automatisch eine Verehrung des Heiligen impliziert. Koloman bzw. sein Fest am 13. Oktober war ein allgemeines Datierungselement140, das über Urkunden aus der habsburgischen Kanzlei141, aber auch das Schrifttum der Universität Wien in viele Regionen verbreitet wurde142. Darüber hinaus war Koloman ein weithin üblicher Zinstermin143. 135 Neuer Schreibkalender für das Jahr 1914, 160. Jahrgang (Wien 1913) bes. S. 107: Militärgeistlichkeit, e) Militärimame. 136 Siehe unten S. 43. 137 Heilige im Kalender der Protestanten werden in der Lutherischen Kirche – Augsburger Bekenntnis Artikel 21 – bereits als Vorbilder geduldet. Die Anrufung wird untersagt, da der Weg des Menschen zu Gott nicht über Fürsprache der Heiligen, sondern durch das Erlösungswerk Christi allein gelingen kann. 138 Orientierung im ‚Festkreis‘ wird in der Zeit des Umbruchs schwieriger: Hier wurde im sog. Neu Oktober – also Oktober – in der Ordnung nach der Gregorianischen Kalenderreform – „Neuer October“ (rechte Spalte) Koloman am 15.10. eingetragen; im sog. alten, julianischen Kalender wurde Koloman gar nicht verzeichnet. 139 München, BSB Res/Chrlg328c – 1575. Abb. 6. 140 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Klosterurkunden Passau-Niedernburg, Nr. 719: 1512 X 15, Passau: http:// www.mom-ca.uni-koeln.de/mom/DE-BayHStA/KUPassauNiedernburg/719/charter?q=Kolmanstag (Zugriff: 26.12.2013) 141 Z. B. 1477 berichten die Landstände an Herzog Sigismund, dass „umb den nachsten St. Kollmanstag“ die Türken eingefallen sein; zit.t nach Franz Anton Sinnacher, Beyträge zur Geschichte der bischöflichen Kirche zu Säben und Brixen in Tyrol, Bd. VI. (Brixen 1828) S. 595. – Zeitangabe: „freytag nach s. Cholmanstag 1477“ siehe Beda Schroll, Urkundenbuch St. Paul (= FRA II/39, Wien 1876) S. 468, Nr. 599. 142 Dass Thomas Ebendorfer in seinem Werk hier besonders oft auf Koloman zurückgriff, wird angesichts der Kolomanverehrung durch Ebendorfer nicht überraschen (Predigten); siehe dazu den Beitrag von Elisabeth Klecker in diesem Band, S. 301–344. 143 Z. B. im Urbar Maidburg-Hardegg, Roman Zehetmayer, Das Urbar des Grafen Burkhard III. von Maidburg-Hardegg aus dem Jahre 1363 (=FRA III 15, Wien 2001) S. 34 und 143. – Oder 10. August 1321: Weichart der Pernauer und seine Frau Jeut bekennen mit ihren Erben, vom Domkapitel zwei Lehen zu Atzeisdorf (Aezleins-) zu Burgrecht erhalten zu haben und versprechen, Heinrich v. Hard, Dom-
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Der 1795 eingeführte französische Revolutionskalender veranschaulicht den Bruch mit alten Traditionen. Gleichzeitig waren sich auch die Kalendermacher in Frankreich bewusst, dass das ‚alte System‘ der Orientierung in der Zeit nicht ersatzlos gestrichen werden konnte, wenn man Chaos verhindern wollte. Daher wurde ausdrücklich auf die Verantwortung von Lehrern und Eltern hingewiesen, die ihnen anvertrauten Personen mit dem neuen Kalender vertraut zu machen. Dass man dennoch in diesem Revolutionskalender sehr oft parallel den christlichen Kalender abdruckte, nicht ohne in der Bezeichnung „Ere vulgaire“144 den eigenen Standpunkt gegenüber dem alten Kalendersystem zum Ausdruck zu bringen, beruht allerdings nicht nur darauf, dass man Ungebildeten den neuen Kalender erst langsam beibringen musste, sondern auch auf dem Bemühen, sich mit ‚der Zeit‘ außerhalb Frankreichs weiterhin arrangieren zu können. Die abwertende Bezeichnung belegt freilich für das Land wie für die Epoche der Aufklärung, die öffentliche Beschränktheit, in der sich die individuelle Ignoranz und Indolenz spiegelt. Im Jahrzehnt von 1795 bis 1805 musste man mit zumindest drei Kalendersystemen zurechtkommen, um in Wirtschaft und Handel bestehen zu können. Der Revolutionskalender wurde sehr oft mit dem katholischen und protestantischen Kalender gemeinsam abgedruckt; vor allem in den von den Franzosen eroberten Gebieten. Friedrich Schiller betätigt sich um 1800 mehrfach als Herausgeber eines Almanachs. Im Almanach 1796145 wird Koloman korrekt eingetragen; 1797, 1798146 und 1799 wird Koloman nicht genannt; im Jahr 1800147 wird Koloman wieder am 13. Oktober verzeichnet. Der Musenalmanach von 1802 von August Wilhelm von Schlegel und Ludwig Tieck enthält, wie viele Nachfolger, keinen Kalender. Jurende’s Vaterländischer Pilger im Kaiserstaate Österreich. Geschäfts- und Unterhaltungsbuch für das Jahr 1830 nimmt im Sinne des Toleranzpatentes die im Kaiserstaate vertretenen Religionen in den Kalender auf; zum 13. Oktober verzeichnen auf den Kalenderblättern sowohl Katholiken als auch Protestanten Eduard. Im Wandkalender, der in diesem Geschäftsbuch dem Kalendarium vorangestellt ist, wird allerdings Koloman zum 13. Oktober genannt148. herrn als Hofmeister zu Arnsdorf, jährlich 60 neue Wiener Pfennige am Kolomanstag und eine Nachtselde am gleichen Tage oder als Ablösung hierfür 40 Pfennige zu geben. Wien,HHStA AUR 1321 VIII 10). 144 Hier ein Beispiel im Almanach typographique, ou Répertoire de la Librairie (Paris, chéz Henry Tardieu, Libraire et Commmissionaire, L’An VII de la République Français). 145 http://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Musenalmanach_1796_A_022.jpg&oldid= 1480455 (Zugriff: 12.8.2012). 146 Friedrich Schiller (Hg.): Musen-Almanach für das Jahr 1798 (Tübingen 1797). 147 Friedrich Schiller (Hg.): Musen-Almanach für das Jahr 1800 (Tübingen 1800) S. 297. 148 Jurende‘s Vaterländischer Pilger im Kaiserstaate Österreichs. Geschäfts- und Unterhaltungsbuch für alle Provinzen des österreichischen Gesamtreiches. 1830. Allen Freunden der Kultur aus dem Lehr-, Wehrund Nährstande, vorzüglich allen Natur- und Vaterlandsfreunden gewidmet (Brünn 1829).
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In Franz Hallers Kalender für fünf Religionen auf das Jahr 1832 149, der in Wien zum Druck gebracht wird, wird bei den Katholiken zum 13. Oktober Eduard, bei den Protestanten Koloman verzeichnet. In Gustav E. Weisflogs Republikanischem Kalender wird Koloman sowohl bei den Protestanten, als auch bei den Katholiken verzeichnet150. Dagegen verzeichnet der Allgemeine Militärkalender auf das Jahr 1866 151 zum 13. Oktober Koloman wiederum bei den Protestanten, Eduard bei den Katholiken. Der Pester Lloyd-Kalender für das Schaltjahr 1868152 berücksichtigt auf den Kalenderblättern die Festzonen der Katholiken und Protestanten, der Russen und Griechen, der Juden und der Türken. Dieser Kalender verzeichnet am 13. Oktober für die Katholiken den heiligen Koloman, für die Protestanten den heiligen Eduard. Nicht überraschend ist, dass Der Salzkammergut-Familien-Kalender – hier zitiert für das Jahr 1913153 – dieser im Hinblick auf die Rezipienten wiederum auf einen Horizont reduziert, ausschließlich einen katholischen Kalender enthält, in dem auch Koloman verzeichnet ist. Der Salzkammergut-Familien-Kalender des Jahres 1919, naturgemäß bereits im Jahr davor für den Druck vorbereitet, verzeichnet den zum 17. August den „Geburtstag Sr. Majestät“ (d. i. der Geburtstag Kaiser Karls)154. Koloman findet sich hier in guter ‚alter‘ Tradition – es ist ein ausschließlich katholischer Kalender – verzeichnet.
Faschismus und Verzeichnung von Heiligen in Kalendern Kalender sind immer Zeugnisse der kulturellen Verankerung. Diese spiegeln in mehrfacher Hinsicht – auch im Layout deutlich155 – den Ausdruck der Geisteshaltung des Regimes. Gleichzeitig haben selbst die Nationalsozialisten nicht gewagt, die Heiligen völlig aus jenen Kalendern zu drängen, die traditionell Verwendung gefunden hatten und weiter verwendet wurden. Man machte sich aber gerade den traditionellen Gebrauch der „alten Krakauer Schreibkalender“ zunutze, indem man die eigene Wertvor149 Franz Haller, Kalender für fünf Religionen auf das Jahr 1832 (Wien 1831) ohne Zählung; http://www. digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/pageview/350247 (Zugriff: 31.12.2013). 150 Gustav E. Weisflog, Deutsch-Republikanischer Kalender auf das Jahr 1849 (Werdau): zitiert nach: München, BSB Permalink: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12bsb11018770-1 (Zugriff: 27.12.2013). 151 Allgemeiner Militärkalender auf das Jahr 1866 (Frankfurt/Main 1866) S. XIV. 152 Pester Lloyd-Kalender für das Schaltjahr 1868. Jahrbuch für Handel, Industrie, Gewerbe, Kredit und Vereinswesen, hg. von der Pester Lloyd-Gesellschaft (Pest 1867). 153 Salzkammergut-Kalender 1913 Persistente Identifier (Werk): urn:nbn:at:AT-OOeLB-1472420Persistente Identifier (Seite): urn:nbn:at:AT-OOeLB-1472921 154 Karl wurde am 17. 08.1887 geboren. O.A., Karl, in: ÖBL 3 (1965) S. 236 – 239, hier S. 239. 155 Abb. 7 und 8.
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stellung in den Gedenktagen verankerte, die als eigene Rubrik jeweils in die Monatsblätter eingefügt wurden. Der „Krakauer Schreibkalender“, erstmals gedruckt 1641156, belegt im Vergleich der Kalenderblätter des Oktober in den Jahren 1930, 1942 und 1946 nicht nur vordergründig den Bruch mit Traditionen. Im Folgenden wird dies an den Kalendern von 1919, 1942 und 1946 verdeutlicht. 1942 werden unter der Rubrik „Festrechnung der Katholischen [!] Kirche, Heilige Namen“ zum 13. Oktober Jakob von Ulm, Odilo, Simpert, Lubentius und als letzter Koloman verzeichnet. Für die Festrubrik der Protestanten gibt es den Untertitel: Gedenktage; hier wird zum 13. Oktober auf das Toleranzpatent von 1781 verwiesen. Das ist purer Zynismus; anders kann man es angesichts der Ereignisse, insbesondere auch ab 1942 nicht bezeichnen. Besonders unterstrichen wird diese zynische Haltung in der Rubrik „Gesetzliche Feiertage“, Gedenktage, als erste Kolumne am Blatt angeführt. Hier findet sich zum 13. Oktober die Eintragung „1882 Graf Gobineau157, Rassenforscher, gestorben“. Das nationalsozialistische Regime ließ keinen Zweifel, dass es die Tradition nicht nur optisch an den Rand drängte; Menschlichkeit hatte keinen Platz mehr. Allerdings ließ man im Kalender 1942 sowohl die protestantische wie auch die katholische Kirche im Kalender zumindest zu Wort kommen. Immerhin hatten sich beide Kirchen mit dem Regime arrangiert. Die Ausgabe des nunmehr als Österreichischer Schreibkalender 1946 mit dem Untertitel alter Krakauer Schreibkalender gedruckten Kalenderbuches setzt auch in der Zählung der Jahrgänge einen besonderen Akzent. Der Kalender wird als Jahrgang 304 gedruckt und stellt den Kalender wieder in eine Tradition, die vorgibt, ungebrochen seit 1641 (dem ersten Jahr der Drucklegung) zu bestehen. Der Kalender erscheint tatsächlich, wie in der Vorbemerkung betont wird, in bescheidenerem Umfang. Das Kalenderblatt selbst belegt die neuen Akzente; neben dem Kalender der Katholiken, die wieder auf Platz eins gerückt sind, wird der Kalender der Protestanten und – damit zollt man der Besatzungsmacht Respekt –, der Griechische (Julianische!) Kalender abgedruckt. Der 1929 eingeführte sowjetische Revolutionskalender war seit 1940 nicht mehr in Kraft, sondern durch den gregorianischen Kalender ersetzt worden, den man im Februar 1918 – auf den 1. Februar folgte der 14. Februar – eingeführt hatte. Bis dahin hatte in Russland bzw. in der Sowjetunion der Julianische Kalender in Russland 156 Vorbemerkung zur Ausgabe für das Jahr 1946 (Wien 1945). „Der Krakauer Schreibkalender ist im Jahr 1641 an der Universität Krakau entstanden. Damals hat er auch seinen Namen erhalten. Astronomen dieser hohen Schule haben lange Zeit das Kalendarium beigestellt. Johann Thomas, Edler von Trattner hat im Jahre 1754 in Wien mit der jahrgangsweisen Numerierung [!] des Krakauer Schreibkalenders begonnen“. 157 Zur Rezeption Gobineaus im deutschsprachigen Raum und deren breiter Förderung durch den Verlag Bruckmann in München vgl. Wolfgang Martynkewicz, Salon Deutschland. Geist und Macht 1900– 1945 (Berlin 2011) S. 116f.
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gegolten, weshalb man auch von der Februarrevolution bzw. der Oktoberrevolution 1917 spricht. Die Wiener Kalendermacher hatten hier die religiöse Zugehörigkeit der griechisch-orthodoxen Christen im Blick. Koloman findet sich im Schreibkalender nunmehr bei den Katholiken, Eduard bei den Protestanten verzeichnet.
2000 – 2010 – 2011 – 2014 Kolomans Gedächtnis blieb in den Kalendern erhalten. Im „Jahrbuch für die Erzdiözese Wien zum Jahr 2000“158 finden sich zum 13. Oktober Koloman und Eduard gleichwertig nebeneinander gestellt; im Jahrbuch der Erzdiözese Wien 2011159 wird nur mehr Koloman genannt. Im Niederösterreichischen Bauernbundkalender für 2014 hat ein kurzer Aufsatz zu Altmann, Koloman und Severin Platz gefunden: Die kollektive Erinnerung an Koloman, allerdings auch an Altmann160, der selten Aufnahme in den Kalender gefunden hatte, wird deutlicher. Der Kalender der Erzdiözese Wien für 2014 nennt Koloman nicht nur, sondern bietet auch Information: „Pilger und Märtyrer in Stockerau, 2012“161. Der Kalender der Diözese St. Pölten bleibt lapidar bei der Namensnennung, ohne Verankerung in der Zeit162. Dass Koloman im Liturgischen Kalender der Österreichischen Benediktinerkongregation163 nicht genannt wird, bestätigt, dass sein doch recht dominanter Platz im Kalender verloren gegangen ist. Seine Nennung beruht nunmehr auf dem von Ortstraditionen und Personen getragenen Interesse.
158 Ohne Impressum (Wien 1999); Kalender S. 6 – 17, hier S. 15. 159 Ohne Impressum (Wien 2010) Kalendarium S. 6 – 18, hier S. 16. 160 Erich Broidl, Altmann, Koloman und Severin, in: Bauernbundkalender (2014) S. 155 – 161. Mitteilung P. Udo (Eduard) Fischer, vom 29.10.2013. 161 http://www.hs2-mattighofen.eduhi.at/liturg_kal.htm (Zugriff: 28.01.2013): Liturgischer Kalender der Erzdiözese Wien für 2014. 162 http://www.dsp.at/sites/www.dsp.at/files/dateien/1 – 50_dir1_2014.pdf (Zugriff: 31.12. 2013). 163 Liturgischer Kalender Österreichische Benediktinerkongregation 2014; http://www.eucharistiefeier.de/ lk/api/lko2014osbat.html (Zugriff: 31.12.2013).
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Epilog – Ehrentag und Namenstag Auch in solchen Kalendern aus der bayerisch-österreichischen Provenienz ist keineswegs verwunderlich, wenn sich Heiligennamen als zeitstrukturierende Elemente finden, die offenbar immer noch eine Rolle für die Namensgebung bilden. Namenstage gewannen seit dem späten Mittelalter an Bedeutung; im Zuge der höfischen Kultur waren Namensfeste zeremoniell bestimmte, weltliche Feste. Selbst der Kaiserhof in Wien würdigte hier oft weniger den Patron hinter dem Namen als vielmehr die zu feiernde Person des Fürsten. So auch im Falle eines hamburgischen Singspieles zu Ehren Kaiser Leopolds I.164. Immerhin hatte er veranlasst, den heiligen Leopold an die Stelle Kolomans als österreichischen Landespatron zu setzen. Bei der im Auftrag der „Österreichischen Nation der Universität Wien“ anlässlich des 15. November 1648 gehaltenen Festpredigt, verweist Paul Sixtus II. Trautson auf den antiken Mars: „sed nobis Mars noster Divus Leopoldus“165, den heiligen Leopold erwähnt er dagegen nicht. Im Jahr 1716 wird die 35. Wiederkehr des Namenstags gefeiert; im Text spiegelt sich eine Parallele zum Geburtstag166. Die Tradition des im Olymp und in der antiken Welt handelnden „Singspiels“ fand seit dem Barock immer weitere Ausformungen, die letztlich den Namenstag im „Diesseits“ allein verankert sehen. Die Schluss-„Aria“ verdeutlicht dies: „Solang die Sternen[!] glühen / wünscht unser Mund zugleich, muss in Vergnügen blühen/ das ertzhauss Österreich // Solang den Himmel schmücket / der Sonnen reiches Gold / sei sieghafft, sei beglücket / der GROSSE LEOPOLD“167.
(Ver-)Sicherung der Tradition Ist die Nennung im Kalender immer auch Beleg für die Verehrung eines Heiligen? Was bedeutet Verehrung? Ist sie durch Einzelpersonen, Eliten oder Gemeinschaften, sogar durch breite Bevölkerungsschichten getragen? Daraus ergibt die weitere Frage, 164 Reinhard Keiser, Aller unterthänigster gehorsam, welcher auff den erfreulichen Nahmens-Tage des grossen Kaysers Leopolds in einem Tantz- und Singenspiel den 15. November 1698 auff dem Schauplatz vorgesstellet (Hamburg 1698); hier zitiert nach Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, druche 2343-8f-helmst. 165 Mars Austriacus D. Leopoldus Austriae Marchio et Tutelaris sive Panegyricus in eiusdem Tutelaris festa Luce nomine inclitae Nationis Austriacae, antiquisssimae et celeberrimae Universitatis Viennensis. Dictus in Basilica D. Stehani Prothomartiris ab illustrissimo iuvene Paulo Sixto Trautsohn, Comite Austriaco (Viennae 1648) hier 5r. [ohne Zählung!]. 166 Die Von Göttlicher Majestät geheiligten, Denck- und merckwürdigen Zahlen, Fünf und Sieben: Wolte Als Der Durchlauchtigste Fürst und Herr, Herr Christian, Hertzog zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berg, ... Am 16. Martii 1716. Sein Höchst-Erfreulichstes Nahmens-Fest; Zum 35 mahl [!], ... celebrirete, In unterthänigster Devotion erwegen, und seine verbundene Pflicht darinnen ablegen. 167 Hier zitiert nach Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Yv 2345 8° – Helmst.– Bild 42.
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wie die Namen von Heiligen in die Kalender kommen; implizit aber auch die Antwort darauf. Eine Sichtung verschiedener Kalender vom 12. bis zum 20. Jahrhundert zeigt mehrere Phänomene, die die Nennung eines Heiligen in letzter Konsequenz immer auf Verehrung zurückführen. Es gibt aber auch Belege, die keineswegs mit einer Verehrung des Heiligen in Verbindung zu bringen sind. Vielmehr beruht die Verzeichnung eines Heiligen im Kalender oft auf dessen Verankerung im kollektiven Bewusstsein einer Region. Heiligennamen können aber im Interesse einer kleinen Gruppe oder gar einer einzelnen Person im Kalender aufscheinen. Dies trifft vor allem dann zu, wenn diese Kalender Widmungsstücke – nicht selten Einzelanfertigungen – sind oder aber der Identität einer bestimmten Gemeinschaft Rechnung tragen. In Reimkalendern spiegelt sich seit ihrer Überlieferung auch in der Volkssprache seit dem 14. Jahrhundert das kollektive Wissen über Heilige. Mitunter werden Heiligenfeste sogar mit Angaben zu Markttagen verbunden168: In einer Überlieferung aus dem bayerischen Raum – wohl vor 1485, da Leopold nicht genannt wird – werden folgende Gedenktage und Heiligen aufgeführt: Beschneidung, Drei Könige, Erhard, Marcellus, Anthonius, Prisca, Fabian, Agnes, Vincentius, Paulus, Policarp, Brigitta (Breyd), Blasius, Agatha, Dorothea, Scholastica, Valentin, Iuliana, Petri Stuhl, Matthias, Adrian, Gregor, Gedrud, Benedikt, Ruprecht, Ambrosius, Tiburtius und Valerianus, Georg, Marcus, Vitalis, Philipp, Kreuzauffindung, Johannes, Sophie, Urban, Petronilla, Erasmus, Barnabas, Johannes der Täufer, Peter und Paul, Ulrich, Kylian, Margarethe, Arnolf, Maria Magdalena, Iacobus, Kristoforus, Petrus, Steffanus, Oswalt, Sixtus, Affra, Laurencius, Tiburtius, Maria, Bernhard, Timotheus, Bartholomeus, Gilg (Egidius), Maria Geburt, Kreuzerhöhung, Lamprecht, Matheus, Haymram (Emmeram), Ruprecht, Wenzel, Michael, Franciscus, Marcus, Dionysius, Kolman, Gallus, Lucas, Ursula, Symon, Wolfgang, Allerhayligen, Leonhard, Martin, Briccius, Elisabeth, Virgil, Andreas, Barbara, Nikolaus, Maria, Lucia, Thomas, Christi Geburt, Steffanus, Johannes, Kinder, Thomas. Aus diesen Überlieferungen wird aber auch der Unterschied, der zwischen herrschaftlicher Inszenierung von Heiligenverehrung und Verehrung im kollektiven Wissen der breiten Bevölkerung besteht. Hinsichtlich der Koloman-Verehrung bestand jedenfalls breiter Konsens zwischen Eliten und Nichteliten. Viele der Heiligen, die im 14. und 15. Jahrhundert zu diesem gemeinsamen Wissensgut gehörten, werden auch in den folgenden Jahrhunderten in sog. Volkskalendern, aber auch in Jahrbüchern des Kaiserstaates wie letztlich auch in Kalendern von Banken – hier bis ins 21. Jahrhundert – genannt169. 168 Etwa ein Reimkalender, Bayern, 15. Jahrhundert, hier zitiert nach BSB Inc. c.a.76; hs. 169 Hier für 2014 die Kalender der Ersten Bank Sparkasse und BAWAG als Beispiele konsultiert. Koloman wird im Kalender der BAWAG genannt.
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Dass aber auch im 21. Jahrhundert das kollektive Gedächtnis, durchaus dem Prinzip Reimkalenders nicht unähnlich, funktioniert, belegt das „Calendarium“ des Bodo Hell170. Hier wird unter Nr. 10171: der hl. Florian behandelt. Im Text selbst wird über Florian hinaus auf Georg, Sebastian, Nothelfer, Severin, Koloman und Leopold – (dem Jahreskreis folgend) – verwiesen. Säkularisierung und Globalisierung brachten und bringen vielfach eine neue Einstellung dem Vornamen gegenüber mit sich. Leitnamen innerhalb von Familien und schon gar tatsächliche Bezüge zum Namenspatron, zur Person, deren Namen jemand trägt, sind selten geworden. Generell ist dies so vielfältig zu sehen, wie es die Facetten sind, die Kurt Flasch im Abschnitt „Was heißt hier ‚Christ‘?“ für die Einstellung der Christen zum Christentum herausarbeitet.172 Selbst heute noch weiß jede und jeder, dass bestimmte Feste – wie Ostern, Nikolaus, Weihnachten herankommen; selbst dann, wenn die betreffende Person gar nicht der Religion nahe steht, aus der diese Feste kommen. Ebenso ist auch in Europa zumindest auch in Zentraleuropa jedem Halloween bewusst173. Mitunter werden im Zuge der Diskussion um Feste Traditionen konstruiert, die mit dem eigentlichen Anlass nichts mehr zu tun haben. Im Hinblick auf den wirtschaftlichen Aspekt des Namenstags, etwa in Ratgebern Das perfekte Namenstagsgeschenk174, kommt mitunter die Distanz zur Person, die hinter dem Namen steht, besonders deutlich zum Ausdruck. Gleichzeitig aber werden in „Namenstagsbüchlein“ die spezifischen Personen oft so verniedlicht, dass der Sinn solcher Geschichten ebenso zu hinterfragen ist. Mitunter werden Namen, um sie von jeder religiösen Bindung zu trennen, mit den Namen von Künstlern verbunden; nicht zuletzt daraus ergaben sich Namenmoden. Das Phänomen ist sicher nicht neu; nach dem Kaiser, nach dem Landesfürsten benannt zu werden, hatte ebenfalls Tradition. Immerhin verzeichnet die Statistik Austria zum Jahr 2012 Lukas, Tobias und Maximilian als die drei häufigsten Vornamen für neugeborene Knaben175. Es gibt aber auch gesetzliche Bestimmungen dafür, welche Namen auch wirklich als Vornamen zugelas170 Bodo Hell, Calendarium. (=Immergrün, Wien/Bozen 2011). 171 St. Florian und die inneren Brandherde (Patrozinium 4. Mai), in: Hell, Calendarium (wie Anm. 171) S. 36 – 39; Koloman S. 37. 172 Kurt Flasch, Warum ich kein Christ bin (München 22013) S. 19 – 27, bes. S. 19 – 21. 173 Editha Hörandner (Hg.), Halloween in der Steiermark und anderswo (Wien 2005). 174 http://www.amazon.de/namenstag-geschenk/s?ie=UTF8&keywords=namenstag%20geschenk&page=1 &rh=i%3Aaps%2Ck%3Anamenstag%20geschenk (Zugriff: Mai 2014). 175 STATISTIK AUSTRIA, Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung. Erstellt am 02.08.2013 (Bericht online). Phonetisch gleichlautende Vornamen wurden teilweise zusammengefasst.
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sen werden, um unsinnige Namen auszuschließen176. Seit 2008 ergaben Nachfragen unter meinen Studierenden (Historikern), dass der Name Koloman nahezu unbekannt war177. Interessant ist, dass bei der Suche „Koloman“ im WWW der heilige Koloman erst knapp vor 2012 dem bedeutenden Vertreter der Wiener Werkstätte, Koloman Moser, 1868 –1918), in den Suchergebnissen näher kam. (Das Netz ist ‚merkfähig‘; nicht nur hinsichtlich der Produktsuche.) Abschließend sei bemerkt: Schade ist, dass man selbst bei säkularisierten Kalendern, wenn man Vornamen abdruckt, nicht versucht, im Sinne der Globalisierung verschiedene Religionen gleichberechtigt nebeneinander zu setzen. Kulturelle Identitäten werden aus einem falschen Toleranzverständnis heraus verwischt; Toleranz wäre vielmehr erst dann gegeben, wenn man unterschiedliche Traditionen respektiert! Die Kinder sitzen nebeneinander in den Klassen, Kinder und Erwachsene begegnen einander in den Verkehrsmitteln, jedenfalls im öffentlichen Raum, oder sie begegnen einander beruflich, nennen einander auch beim Vornamen. Diese Chance könnte man – im Sinne Kolomans – der nicht nur Europa durchwanderte und im Kalender bis ins 21. Jahrhundert seinen Platz fand, nützen und ‚das Fremde, ‚die Fremden‘ kennenlernen !
176 „In der Erklärung des Vornamens muss der Vorname oder die Vornamen, der oder die dem Kind gegeben wurde/wurden, angegeben werden. Bezeichnungen, die nicht als Vornamen gebräuchlich sind oder dem Wohl des Kindes abträglich sind, dürfen nicht in das Geburtenbuch eingetragen werden. Auch muss zumindest der erste Vorname des Kindes dem Geschlecht entsprechen“. https://www.help.gv.at/Portal. Node/hlpd/public/content/8/Seite.081100.html (Zugriff: 31.12.2013). 177 Der Partner einer Studierenden trug den Vornamen Koloman. – Auch Kolo(man) Moser hat hier offenbar keine Nachwirkung mehr. – Ergänzend dazu die Ergebnisse aus den Interviews am Kolomanikirtag in Melk 2010 im Beitrag von Edeltraud Ambros, S. 473 – 498.
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Abb. 2: Wolfhard von Herrieden, Kalender vor dem Martyrolog, Koloman um 1100 nachgetragen (München, BSB Clm 18100 fol. 2r)
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Abb. 3: Nachtrag der Octava – wohl 1170 – anlässlich der Transferierung Kolomans in die Klosterkirche Melk (Melk, Stiftsbibliothek, Cod. Mell. 391, fol. 10v)
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Abb. 4: Bernhard Stencz, Kalender für Kaiser Friedrich III., wohl 1470/80 (Wien, ÖNB)
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Abb. 5: Jakob Mennel, Hauskalender (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB V 43)
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Abb. 6 a / b: „So genannter „Zürcher Bauernkalender, Druck: Zürich 1575 (München, BSB Res /Chrlg328c –1575)
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Abb. 7: Krakauer Schreibkalender von 1942
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Abb. 8: Österreichischer Schreibkalender von 1946 mit dem Untertitel „Alter Krakauer Schreibkalender“ (https://www.findbuch.at/de/oesterreichischer-der-alte-krakauer-schreibkalender-1946.html)
Österreich Ein Begriff im Wandel der Zeit vom 10. bis 20. Jahrhundert Ernst Bruckmüller Nach Thietmar von Merseburg, dem zeitlich dem Geschehen am nächsten stehenden Chronisten1, geschah das Martyrium des heiligen Koloman dort, wo die Grenze der Baiern an die der Mährer stößt: In Bawariorum confinio atque Mararensium quidam peregrinus nomine Colomannus ab incolis, quasi speculator esset, capitur et ad professionem culpae, quam non meruit, diris castigacionibus compellitur. Ille, cum se nimis excusaret pauperemque Christi se sic vagari affirmaret, in arbore diu arida innocens suspensus est. Nam caro eius a quodam postea paululum incisa sanguinem fudit, ungues ac capilli crescebant. Ipsa quoque arbor floruit et hunc Christi martirem esse monstravit. Hoc marchio Heinricus ut comperit, corpus eiusdem in Mezilecun sepelivit. 2 Uns interessiert hier weniger das Martyrium des armen Pilgers, als die Umschreibung der Örtlichkeit: Das Verbrechen an Koloman geschah „an der Grenze der Bayern und der Mährer“. Thietmar war in der politischen Geographie jener vom sächsischen Merseburg an der Saale doch sehr entlegenen Regionen vielleicht nicht besonders gut beschlagen. Aber dass es „Bayern“ und „Mährer“ gibt, das war für ihn doch selbstverständlich. Es geschah im Grenzland der Bayern zu den Mährern. Dieses Grenzgebiet hatte für ihn keinen eigenen Namen. Immerhin gab es dort einen Markgrafen namens 1 Über Thietmar vgl. Alphons Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs (=MIÖG, Erg. Bd. 19, Wien 1963), S. 170. Thietmar (975 –1018) war ein äußerst gut informierter Zeitgenosse, ein Verwandter des sächsischen Kaiserhauses. Seine Chronik der Jahre 908 –1018 ist in den letzten Jahren fast eine tagebuchartige Zeitgeschichte. Zum Gesamtkomplex „Koloman“ vgl. Meta Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman. Der erste Patron Niederösterreichs (=Studien und Forschungen aus dem niederösterreichischen Institut für Landeskunde, Bd. XVI, Wien 1992). 2 Das ist heutzutage im Internet leicht abzurufen: http://www.mgh.bibliothek.de/digilib/thietmar.html. Dort also die Dresdener Handschrift nach dem Originale und für die minder Schriftkundigen daneben die Edition: Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung. Thietmari Merseburgensis episcopi chronicon, hg. v. Robert Holtzmann. Unv. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1935, München 1980 (=Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 6, Scriptores rerum Germanicarum Nova Series 9, Hannover 1852). In dieser Edition S. 492, in der Handschrift fol. 176 r.
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Heinrich, der dann, als sich die Unschuld des armen Koloman herausgestellt hatte, diesen nach Melk („Mezilecun“ – man sieht, wie sich die Namen veränderten, bei der wahrscheinlich mündlichen Wiedergabe der Berichte, bis sie Thietmar schließlich aufschrieb). Die in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts – wohl auf Anregung des damaligen Abtes Erchanfried (1121–1163) – entstandene, im Kern aber doch wohl auf ältere, auch schriftliche – Überlieferungen zurückgehende „Passio Scti. Colomanni“ lässt Koloman „in orientalem Norice regionem“ ankommen, „cui a plaga orientali Pannonia, ab aquilonari confinis adiacet Poemia.“3 Dieser östliche Teil „Noricums“ grenzte im Osten an Pannonien, im Norden aber an Böhmen. Dazu ist zu sagen, dass schon seit dem 7. oder 8. Jahrhundert der Name „Noricum“ (oder hier „Norica“) von den Bayern für ihr eigenes Stammesgebiet verwendet wurde. Der alte römische Provinz-Name, der seinerseits auf ein vorrömisches, keltisches „regnum Noricum“ zurückgeht, war also nach Westen gewandert.4 Die „Passio“ liefert auch die rationale Begründung für das Misstrauen der Stockerauer: „Harum nationes regionum Norice telluri admodum tunc temporis erant moleste, eo quod ab illis sepe numero sint turpiter humiliate, devicte multisque modis miserabiliter afflicte.“ Die Bewohner jener bayerischen Grenzregion seien von ihren Nachbarn, also den „Böhmen“ und den „Pannoniern“ (also den Ungarn) immer wieder belästigt, ja sogar „erniedrigt“ worden und es sei ihnen dabei recht jämmerlich ergangen. Daher also die Angst vor Spionen!5 Wir haben es mit einer im Osten der Baiern gelegenen Region zu tun, einer Landschaft, die im Norden an Mähren grenzte (im 12. Jahrhundert an Böhmen!) und im Osten an Ungarn. Stockerau (der Ortsname kommt erstmals im Breve Chronicon Austriacum Mellicense – 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts – vor) kann nicht unweit von dieser Grenzen gelegen sein – die Ungarn beherrschten damals wohl noch mehr oder weniger das Gebiet östlich jenes Höhenrückens, der von den Pollauer Bergen im Südosten Mährens über die Falkensteiner Klippen und den Ernstbrunner Wald bis zum
3 Wieder kommt uns das Internet zu Hilfe. Es gestattet uns, am Bildschirm bequem die Edition der Passio Sti. Cholomanni, hg. v. Georg Waitz, Hannover 184 (MGH SS 4, S. 674 – 678), zu lesen: http://www. dmgh.de/de/fs/object/display/bsb0000871_00690. Unser Zitat bei Waitz auf S. 675. 4 Vgl. Herwig Wolfram, Grenzen und Räume, Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung (= Geschichte Österreichs 378 – 907, Wien 1995), 298 f: Im 9. Jahrhundert ist die „natio Noricorum“ im Wipptal zu verorten, der Name war also schon westwärts gewandert. – Im Hochmittelalter wird ganz Bayern als „Noricum“ bezeichnet, vgl. die Vita Altmanni, ed. Wilhelm Wattenbach (MGH SS 12, Hannover 1856, hier S. 236 f.) 5 Passio Sancti Colomanni, (wie Anm. 3).
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Bisamberg führt.6 Und wenig nördlich von Stockerau standen schon die Mährer (im 12. Jahrhundert: „Böhmen“). Zwar – mit den Ungarn soll es um 1012 friedliche Verhältnisse gegeben haben. Im Norden aber hatte der Polenherzog Bolesław Chrobry Böhmen und Mähren seinem rasch expandierenden Reich eingegliedert. Zwischen 1002 und 1018 gab es zwischen dem ostfränkischen (noch nicht: „deutschen“!) Reich und diesem expansiven Polen mehrere kriegerische Auseinandersetzungen. Ob da die Mährer als Gefolgsleute Bolesławs auch an der bayerischen Nord-Ostgrenze immer wieder lästig waren? Möglich ist es. An dieser Grenzsituation änderten erst die Feldzüge Heinrichs III. etwas, durch sie wurde die Reichsgrenze dauerhaft nach Osten bis an die March und nach Norden etwa bis an die Thaya verschoben.7 In allen bisher genannten Quellen ist das östliche Gebiet der Bayern keine besondere politische Einheit, der Markgraf kommt zwar vor, aber immer auch der König bzw. Kaiser Heinrich II., der ja vorher Herzog von Bayern war und in einer Quelle als Verwandter des Markgrafen vorgestellt wird. Erst in Fassungen der Koloman-Geschichte aus dem 14. Jahrhundert ist Koloman nicht (mehr) in das östliche Gebiet der Bayern gekommen, sondern „in Austriam“, nach Österreich.8 Ebenso in einer deutschen Fassung aus dem 15. Jahrhundert, die in der Wiener Nationalbibliothek (ehem. Hofbibliothek) erhalten ist: Koloman macht sich auf den Weg, gemeinsam mit anderen Pilgern, „die auch dar wollten gen und chomen gen Osterreich und zu Ungern und zu Pehem, der zwair lannd vollkch was dem volk zu Ostereich gar veint. Davon das sy oft von in uberwunden wurden und sy jamerlich gepeinigt heten, davon heten sy ainen posen won zu den dienern Gotes sand Colomanno …“ 9 Inhaltlich hat sich der Autor dieser Schrift also recht genau an die „Passio“ gehalten, was das Motiv Kolomans für seine Pilgerschaft, aber auch die Motivation der Einheimischen betrifft, den Fremden als einen Spion der Böhmen oder der Ungarn zu betrachten. Aber Koloman kam jetzt erstmals nach „Österreich“, das es um 1012 offenkundig noch nicht gegeben hat. * 6 Da es zwischen Kamp und March 1002 eine größere Königsschenkung an den Markgrafen Heinrich gab, muss man wohl von einer gewissen Unsicherheit der Grenzen ausgehen. Vgl. Karl Brunner, Herzogtümer und Marken. Vom Ungarnsturm bis ins 12. Jahrhundert (= Österreichische Geschichte 907–1156, Wien 1994), S. 178 f. Noch 1031 galt die Fischa als Grenze. 7 Erst ab der Mitte des Jahrhunderts, nach den diversen Kriegszügen Heinrichs III. gegen Ungarn, wurde die Grenze an March und Leitha dauerhaft. Vgl. Brunner (wie Anm. 6), S. 180 –189. 8 Cholomannus Scotus sepulchrum Domini visitare voluit et in Austriam veniens … Vgl. Meta Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman (wie Anm.1), S. 79 (Pronunciamentum bzw. Legendarium Austriacum minus, 1. H 14. Jahrhundert). 9 Niederkorn-Bruck, Koloman, S. 82.
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Nicht gegeben? Aber wir haben doch die berühmte Ostarrîchi-Urkunde, die auf den 1. November 996 datiert ist und vermutlich auch in diesem Zeithorizont entstanden ist! Und dieses Jubiläum des „Namenstages“ unserer Republik wurde sowohl 194610 wie 1996 feierlich zelebriert, 1996 mit einer großen Landesausstellung.11 Die Urkunde bekräftigt eine Schenkung Kaiser Ottos III. an den Bischof Gottschalk von Freising, im Gebiet von Neuhofen (dem seltsamer Weise das Attribut „an der Ybbs“ beigefügt ist, obwohl dort von der Ybbs weit und breit nichts zu sehen ist). Und Ostarrîchi wurde zu Österreich, das ist doch sonnenklar. Wir sollten uns aber die Sache genauer ansehen. Die Schenkung erfolgte auf Bitten des Herzogs Heinrich (eines Neffen des Kaisers, später sein Nachfolger!) Die geschenkten „Sachen“ (res, tatsächlich handelt es sich um liegendes Gut und um diverse Rechte) lagen „in regione vulgari vocabulo Ostarrîchi in marcha et in comitatu Heinrici comitis filii Liupaldi marchionis in lovo Niuuanhova dicto…“. Warum ausgerechnet in dieser Urkunde der Begriff „Ostarrîchi“ verwendet wurde, hat einen bestimmten Grund. Als Vorlage für diese Urkunde (als Schimmel – simile !) diente nämlich eine Freisinger Urkunde aus dem Jahre 973, in der Otto II. dem Bischof Abraham von Freising eine Schenkung im heutigen Slowenien bestätigte; das Schenkungsgut lag „in regione vulgari vocabuli Chreine et in marcha et in comitatu Popponis comitis sitam“. Ähnlich auch in einer Schenkung in derselben Gegend (Bischoflack – Škofja Loka) aus dem Jahre 989, hier heißt es wieder: „in regione vulgari vocabulo Chreine et in marcha ducis Heinrici et in comitatu Waltilonis comitis“. Vielleicht hat man das Wort „ostarrîchi“ in der Neuhofener Urkunde auch etwas später eingefügt, weil man, gezwungen durch die verwendete Vorlage (der Zwang des Schimmels!), den umgangssprachlichen GegendNamen einfügen musste, wobei dieser in Freising – die Urkunde ist eine EmpfängerAusfertigung, also wohl in Freising geschrieben, wo ja auch die Vorlage auflag – möglicherweise nicht so genau bekannt war. Nun wurde er aber verwendet.12 Der zweite Beleg für ostarrîchi stammt schon aus dem Jahre 998, als Otto III. in Rom die Schenkung des Gutes Nöchling im Yspertal bestätigte, das „in pago quoque Osterrriche vocitato“ lag.13 Erich Zöllner hat diese Nennung (und einige andere, ana10 Dazu die umfänglich und gründliche Studie von Stefan Spevak, Das Jubiläum „950 Jahre Österreich“. Eine Aktion zur Stärkung eines österreichischen Staats- und Kulturbewusstseins im Jahre 1946 (Wien – München 2003). 11 Ernst Bruckmüller – Peter Urbanitsch (Hg.), Ostarrîchi – Österreich. Menschen, Mythen, Meilensteine. Katalog der Niederösterreichischen Landesausstellung 1996 (Horn 1996). 12 Diese Beobachtungen stammen von Heinrich Appelt, Zur diplomatischen Beurteilung der OstarrîchiUrkunde, in: Babenberger-Forschungen (JbLkNö NF 42, 1976), S.1– 8, wieder in: Ders., Kaisertum. Königtum, Landesherrschaft. Gesammelte Studien zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, hg. v. Othmar Hageneder und Herwig Weigl (MIÖG- Erg.Bd. 28, Wien 1988), S. 163 –173. 13 Erich Zöllner, Der Österreichbegriff, Formen und Wandlungen in der Geschichte (Österreich Archiv, Schriftenreihe des Instituts für Österreichkunde, Wien 1988), S. 10.
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loge) mit der Frage verknüpft, ob „ostarrîchi“ nicht der bei den Bayern eigentlich fehlende „Ostgau“ gewesen sei, denn je einen West-, Nord- und Südgau habe es bei jenen sehr wohl gegeben.14 Die Bezeichnung „ostarrîchi“ erscheint in dieser Zeit aber noch nicht (oder doch nicht so genau) als klar abgegrenzter Herrschaftsbereich eines feudalen Amtsträgers (des Markgrafen Heinrich), sondern eher als ziemlich unbestimmte Gegend-Bezeichnung – „dort im Osten“ sozusagen. Zöllner verwies auf „ostarrîchi“ bei Otfried von Weißenburg, der in der Einleitung seiner Evangelienharmonie im 9. Jahrhundert das ostfränkische Reich Ludwigs „des Deutschen“ „Ostarrîchi“ genannt habe; in einer lateinischen Anrede bezeichnete er dasselbe Herrschaftsgebiet hingegen als „regna orientalia“. Ludwig wird auch „rex orientalis“ genannt. Oriens, plaga orientalis begegnet immer wieder für ein Land, eine Region im Osten.15 Als „Oriens“ wurden auch die karolingischen Marken im Südosten des Reiches bezeichnet, und vielleicht hatte Richard Müller recht, der schon 1901 vermutete, dass die spätkarolingische Markenkonstellation im Südosten des bayerischkarantanischen Machtkomplexes „thero peigiro ostarrîchi“ geheißen habe.16 Ob man sich um 996 oder 998 daran noch erinnerte? Immerhin war das karolingische Ostland, von der Population her mehrheitlich eher slawisch als bayerisch, 907 durch die katastrophale Pressburger Schlacht17 praktisch zur Gänze verloren gegangen. Die bayerische (und Reichs-)Grenze war seither die Enns. Nach der Lektüre von Johannes Fried18 vor allzu viel Vertrauen in mündliche Überlieferungen gewarnt, sollten wir auch nicht allzu locker an solche Begriffs-Kontinuitäten glauben. Wie auch immer – solche „östliche Gegenden“ konnten im 10. Jahrhundert, aber auch noch später, auch außerhalb der „babenbergischen“ Mark liegen. So erfolgte eine Schenkung an Salzburg 970 (Otto I.) in der heutigen Steiermark „in comitatu Marchuuardi marchionis nostri in plaga orientali“ – in der Mark des Grafen Markward (von Eppenstein), im „Ostland“ – aber ganz sicher nicht im babenbergischen „ostarrîchi“!19
14 Zöllner (wie Anm. 13), Österreichbegriff, S. 14 f. 15 Zöllner, Österreichbegriff (wie Anm. 13), S. 11. 16 Zöllner, ebd.; Richard Müller, Der Name Österreich, in: Blätter für Landeskunde von Niederösterreich NF 35 (1901), S. 402 – 438. 17 Vgl. den Katalog Schicksalsjahr 907. Die Schlacht bei Pressburg und das frühmittelalterliche Niederösterreich, hg. v. Roman Zehetmayr (St. Pölten 2007). 18 Johannes Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik (München 2004). 19 Heide Dienst, Ostarrîchi – Oriens – Austria: Probleme „österreichischer“ Identität im Hochmittelalter, in: Richard Plaschka, et. al. (Hg.), Was heißt Österreich? Inhalt und Umfang des Österreichbegriffs vom 10. Jahrhundert bis heute (Archiv für österreichische Geschichte Bd. 136, Wien 1995), S. 35 – 50, hier S. 38 f.
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Öfter kommt hingegen die Bezeichnung des Ostarrîchi als „pagus“, Gau, vor. Nach 998 begegnen Schenkungen „in pago Osterriche“ (oder ähnlich) 1015, 1051, 1066, 1067.20 Das sollte doch eher kleinräumig gedacht sein, denn der Begriff „pagus“, Gau, kann sich doch wohl nicht auf einen unbestimmten Raum beziehen, dazu ist die kleinräumliche Verwendung viel zu häufig.21 Vielleicht bereiteten diese pagusNennungen die Konzentration des Ostarrichi-Begriffs auf die östliche Mark des Herzogtums der Bayern vor? Der Amtsbezirk des Markgrafen wird hingegen vor 1050 niemals mit der Gegend- oder Gaubezeichnung „Ostarrîchi“ genannt. Man beschrieb also die Lage eines geschenkten Gutes, so können wir mit Heide Dienst zusammenfassen, zunächst mit einem geographischen Begriff in allgemeiner lateinischer Form (oriens, pars orientis, partes orientales, plaga orientalis, regio orientalis usw.), mitunter präzisiert durch eine Benennung in der Volkssprache (Ostarrîchi, Chreine), schließlich durch die Nennung von Mark und/oder Grafschaft samt dem Namen des jeweiligen Markgrafen.22 * Das ändert sich ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts: erstmals 1055 wird „in comitatu Ernestonis Osterich dicto“ verwendet, 1058: „in marchia Osterriche et in comitatu Ernestes marchionis“, ähnlich 1074.23 Ab jetzt – erst – wurde die Mark mit dem Namen jener Gegend benannt, in der sie lag! Das heißt aber nicht nur, dass die Mark jetzt einen eigenen Namen hatte, sondern dass aus dem unbestimmten Gegend-Begriff der Name für ein ganz bestimmtes Herrschaftsgebiet geworden war ! Wie das im Einzelnen vor sich ging, wissen wir nicht. Es kann auch sein, dass mit dem langsamen Wandel vom Alt- zum Mittelhochdeutschen die inhaltliche Bedeutung des alten „ostarrichi“-Wortes nicht mehr verständlich war. Vielleicht konnte sie gerade dadurch zu einem Landesnamen werden. Es entstand also etwas Neues – nämlich „Österreich“. Dies durchaus noch nicht im heutigen Sinne, sondern im Sinne des „Landes“ und Herzogtums des 12. und 13. Jahrhunderts. Der Hintergrund dieser Entwicklung lag zum einen sicher in der Kontinuität der markgräflichen Herrschaft im Haus der so genannten „Babenberger“. Zum 20 Dienst, Ostarrîchi (wie Anm. 19), insbes. S. 40, mit Verweis auf Max Weltin, Die „tres comitatus“ ottos von Freising und die Grafschaften der Mark Österreich, in: MIÖG 84 (1976), S. 31–59. 21 Vgl. Gertrud Diepolder, Die Orts- und „in pago“-Nennungen im bayerischen Stammesherzogtum zur Zeit der Agilolfinger, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 20 (1957), S. 364 – 436. 22 Warum da nicht selten zwischen Mark und Grafschaft unterschieden wurde, ist für uns Spätgeborene schwer verständlich, da wir die Mark eben als Grafschaft des Markgrafen ansehen. Aber vielleicht hatte der Markgraf innerhalb der Mark noch einen engeren Herrschaftsbezirk, vielleicht einen, in dem bayerische Freie lebten, über die er als Graf – etwa für das Aufgebot – verfügen konnte? Die hier zitierte schöne Formulierung bei Dienst, Ostarrîchi – Oriens – Austria (wie Anm. 19), S. 39. 23 Dienst, Ostarrîchi – Oriens – Austria (wie Anm. 19), S. 40.
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anderen geschah in der Zeit von etwa 1000 bis um etwa 1250 eine weitgehende Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Hier nur ein paar Stichworte: Bevölkerungsvermehrung, (Ost-)Kolonisation, Verdichtung von Handel und Verkehr, das Streben nach Kirchenreform, neue Klöster, neue Orden, neue Straßen, neue Städte … Gleichzeitig richteten die salischen und staufischen Kaiser ihr Interesse sehr stark auf Italien aus, so dass in den weiten „deutschen Landen“ (dass es sich um solche handle, wird auch langsam zum Allgemeinbegriff) die Königs- bzw. Kaiserherrschaft versuchte, mit den neuen Kräften zu einem Einverständnis zu kommen, das ihnen den Rücken für ihre Kaiser- und Weltherrschaftsvorstellungen frei hielt. Die neuen Kräfte: Das war zunächst eine selbstbewusst gewordene Kirche (Stichwort „Investiturstreit“). Und das war ein politisch neues Phänomen, die „Reichsfürsten“. Als die Ottonen im 10. Jahrhundert die Königsherrschaft erwarben, standen neben ihnen nur wenige Große, die Herzöge. Sie geboten über weite, aber wenig erschlossene und besiedelte Gebiete, die so genannten „jüngeren Stammesherzogtümer“. Sie waren ritterliche Helden, die ein ritterliches ebenso wie ein geistliches Gefolge um sich scharten. Könige und Herzöge profitierten aber von den neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erscheinungen nur zum Teil – nur dort, wo sie selbst Klöster, Burgen und (später) Städte gründen konnten, wo sie durch den Schutz über Straßen und Pässe Maut- und Zolleinnahmen lukrieren konnten und wo durch eigene Besiedlung eine dichtere Bevölkerung höhere Abgaben leistete. Bei den großen Entfernungen und den schlechten Kommunikationsmöglichkeiten konnten Könige und Herzöge diese Leistungen nur selten selber erbringen. Das taten andere. In unserer Umgebung und insbesondere im Falle des bayerischen Ostlandes waren das in erster Linie die Markgrafen, daneben aber auch andere Geschlechter. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Landesausbau, Kloster-, Burgen- und Städtegründungen nicht nur als Möglichkeiten gesehen wurden, die Einkünfte zu vermehren, sondern auch in einer Phase starker Rivalitäten zwischen den großen Familien, jenen der Herzöge, Markgrafen oder Grafen, Reviere abzustecken und Prestige zu gewinnen. In Konkurrenz mit mehreren anderen Hochadelsgeschlechtern und mit zunehmender Distanz zum bayerischen Herzog wurden auf dem Gebiet der Mark Österreich die Markgrafen zu jenem dominanten Geschlecht, die sich schon im 12. Jahrhundert „principes“, Fürsten, nannten. Leopold II. und Leopold III. gründeten mehrere wichtige Klöster, über die sie auch die Vogtei, eine Art Schutzherrschaft, übten, im 12. Jahrhundert erwarben sie auch vielfach die Vogteirechte über den Besitz des Diözesanbischofs (von Passau) und von Besitzungen der Reichskirche, von denen neben Passau Salzburg, Freising, Bamberg und Regensburg in unseren Breiten begütert waren. Sie setzten dazu
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eine ihnen besonders ergebene Gefolgschaft ein, die „ministeriales“, also unfreie, bewaffnete, kriegerische Diener, die die entsprechenden Gewaltmaßnahmen, wenn nötig und tunlich, durchführten. Es gibt dafür schöne Belege aus dem später geschriebenen „Landbuch von Österreich und Steier“24, die zeigen, wie die Markgrafen und ihre Leute die hochadeligen Konkurrenten langsam, aber beharrlich verdrängten. Ein besonders wichtiger und großer Happen waren die drei Grafschaften der Grafen von Peilstein, in deren mittlerer die namengebende Burg und der Hauptort St. Leonhard am Forst lagen (die westlichste lag im Ybbstal, die östlichste im Pielachtal). Die Peilsteiner taten den Babenbergern, mit denen sie übrigens verwandt waren (man stand gesellschaftlich auf gleicher Stufe!) den großen Gefallen, im frühen 13. Jahrhundert auszusterben. Wo solches nicht geschah, wurde nachgeholfen. Es waren raue Zeiten. Die Babenberger waren also nicht nur Markgrafen (was zunächst nicht viel bedeutete), sondern sie waren die Vögte über Kirchenbesitz und Klöster (wie Melk!), gründeten Klöster, beherrschten Burgen und Städte. Bis um 1200 waren sie stärker als alle Konkurrenten im Land. Aber schon 1136 sprach Leopold III., der spätere „Heilige“ (Markgraf von 1095 bis 1136), vom „principatus terrae“, sah sich also als princeps, Fürst, in seinem Land. Ein „richtiges“ Land im Sinne Otto Brunners25 war ein territorial deutlich abgegrenztes Herrschaftsgebiet, beherrscht von einem Geschlecht, das sich schon ab dem frühen 12. Jahrhundert den Großen des Reiches (dem entstehenden „Reichsfürstenstand“) zurechnen konnte. Dem Fürsten dieses Landes26, seit 1156 Herzog, stand die Landesgemeinde der großen freien Herren, aber bald auch seiner (zunächst unfreien) Ministerialen zur Seite, zum Wehrdienst verpflichtet, auf Hof-, Heeres- und Gerichtstagen sich versammelnd, als Landesgemeinde, die Gemeinde der Landesangehörigen. Eine solche Landesgemeinde der wehrhaften Herren wird von der „Vita Altmanni“, die wohl im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts entstand, schon für das Jahr 1081 angenommen, als Markgraf Leopold II. die „primores sui regiminis“, die Großen seines Herrschaftsbereiches, nach Tulln versammelt haben soll, um dort, in offener Versammlung, König Heinrich IV. (Heinricus tyrannus) den Gehorsam aufzukündigen. Bald ist auch vom „ius illius terrae“, vom Landrecht, die Rede.27 24 Das „Landbuch“ ediert von Joseph Lampel in MGH, Deutsche Chroniken III (Hannover – Leipzig 1900), S. 687 –724. Im trefflichen Internet unter: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/bsb00000774 abrufbar. 25 Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter (5. Aufl. Wien 1965). Die erste Auflage erschien 1939. 26 Vom „principatus terre“, also vom Landesfürstentum, spricht schon Leopold III. in der Gründungsurkunde für Kleinmariazell, 1136, vgl. Karl Lechner, Die Babenberger. Markgrafen und Herzoge von Österreich 976 –1246 (Wien – Köln – Graz 31985), S. 133. 27 Brunner, Land und Herrschaft (wie Anm. 25), S. 198 f.
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Diese neuen Landesfürsten waren es nun, die neben den Chefs der alten Herzogtümer, als Fürsten des Heiligen Reiches galten, als Reichsfürsten. Tatsächlich geboten sie in ihren neuen Ländern wie Könige in ihren Reich, hatten Recht zu sprechen und zu schützen: die Kirche, die Kaufleute, die kleinen Leute, die Städte. Ihre „Werkzeuge“ dabei waren, wir sagten es schon, ihre zunächst unfreien, aber ritterlichen Gefolgsleute, die Ministerialen. Wenn deren Chefs, die Markgrafen, zu „Landesfürsten“ wurden, so wurden aus deren Ministerialen, die vielfach an die Stelle des alten freien Adels traten, neue Herrschaftsträger. Man sprach – schon mittelhochdeutsch – zunächst von „Dienstmannen“, später aber schon von „Dienstherren“, und im 14. Jahrhundert sogar von „Landherren“. Ein neuer Herrenstand entstand. * Für unser Thema ist zentral, dass diese neuen Eliten sich nun nicht mehr (primär) als „Bayern“ sahen, sondern als etwas anderes, sie wurden – zunächst wohl bayerische – „Österreicher“. Man brauchte daher auch eine begriffliche Distanzierung von den Bayern, den „Norikern“, wie sie in gelehrten Texten schon seit längerem genannt wurden. Immerhin wurde die Mark schon früh (985) „provincia“, zu Deutsch: „Land“ genannt.28 Der Schreiber der „Vita Altmanni“ brauchte dafür im 3. Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts „Noricum ripense“, auch „provincia Orientalis“, dem entspricht Osterland.29 Das „ripense“ leitet der Göttweiger Mönch folgendermaßen ab: ideo vocatur, quia subductis montibus ripa Danubii undique vineis et arvis foecundatur – das Land am Ufer der Donau, reich an Weingärten und Äckern! Da das offenbar noch nicht genügte, verband derselbe Autor den Namen Göttweig mit den Goten und sagte, dass die „terra, quae nunc Orientalis dicitur, quondam a Gothis inhabitata fertur“.30 Daneben blieb aber im 11. und frühen 12. Jahrhundert noch lange die „plaga orientalis“ als traditionsreicher Begriff in Gebrauch, auch bei Cosmas von Prag (+ 1125) in seiner Beschreibung des Sieges der Böhmen über die „Ostler“ in der Schlacht bei Mailberg 1082.31 Aber auch die „plaga orientalis“ war jetzt nicht mehr eine unbstimmte Größe, sondern bezeichnete genau die Mark, und das war (Nieder-)Österreich. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts, bei Otto von Freising (+1158) etwa, begegnet auch die „marchia orientalis“, die östliche Mark, die nach der Schilderung Ottos über die 28 Brunner, Land und Herrschaft (wie Anm. 25), S. 199. – Hier und im Folgenden wird die Edition der Vita Altmanni von Wilhelm Wattenbach, in MGH SS XII (Hannover 1856), zitiert, S. 236 –238. Auch diese ist im Internet abrufbar und damit der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit sogleich zugänglich: http://www.dmgh.de/de/fs1/object/display/bsb00001081_00265.htn. 29 Dienst, Ostarrichi (wie Anm. 19), S. 41. Die Vita Altmanni ediert von Wilhelm Wattenbach in MGH SS XII (Hannover 1856), hier S. 236 –238. Im Internet: http://www.dmgh.de/de/fs1/object/display/ bsb00001081_00265.htn. 30 Dienst, Ostarrichi (wie Anm. 19), S. 41. 31 Dienst, Ostarrichi (wie Anm. 19), S. 42.
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Herzogserhebung Heinrichs II. 1156 („privilegium minus“), von alters her mit gewissen Grafschaften verbunden gewesen sein soll.32 Dieses nun auch reichsrechtlich bestätigte Herzogtum verlangte nach einem ordentlichen lateinischen Namen. „Orientalis“ (siehe oben!) war zu einfach, zu unbestimmt, so konnte man sich einfach nicht nennen. Erstmals 1147, freilich in einem „nicht ganz unverdächtigen“ Diplom Konrads III. für Klosterneuburg taucht ein neuer Begriff auf – Austria. Er wird auch im Barbarossa-Diplom von 1156, dem so genannten „Privilegium minus“ verwendet, wo bereits vom „dux Austrie“ die Rede ist, ebenso wie von der Umwandlung der Mark in ein Herzogtum Österreich: „marchiam Austrie in ducatum commutavimus“, sagt Friedrich Barbarossa und fügt hinzu: „et eundem ducatum cum omni iure prefato patruo nostro Heinrico et prenobilisime uxori sue Theodore in beneficium concessimus“ – die prenobilissima Theodora war übrigens eine Byzantinerin, und es ist eine der seit langem überlieferten Forschungsmeinungen, dass die schön klingende „Austria“ ihr zuliebe erfunden worden sei.33 So ganz erfunden war der Begriff aber nicht. Tatsächlich wurden schon bei merowingischen Teilungen die östlichen Teile des Frankenreichs „Austria“ oder „Austrasia“ genannt. Ähnliche Bezeichnungen gibt es im Langobardenreich. Die Austria ist eine hybride Wortbildung – die germanische Wurzel „austr-“ (Osten, östlich) wird einfach mit einer lateinischen Endung versehen, und fertig ! Wie auch immer – Austria blieb die lateinische Bezeichnung für das Herzogtum Österreich und wanderte später auch in andere Sprachen (Italienisch, Spanisch, Englisch), zuweilen etwas verändert (Autriche, Avstrija usw.). * Das „Land“ Österreich hatte damit seine beiden Namen, deutsch und lateinisch. Es war im Wesentlichen das heutige Niederösterreich, noch ohne die bucklige Welt (die war damals noch steirisch), aber mit dem heute oberösterreichischen Machland. Eine Änderung ergab sich durch die gemeinsame Herrschaft der Babenberger über Österreich und Steier seit 1192. Freilich bedeutet diese Veränderung keine Erweiterung des Landes Österreich! Denn schon 1186 hatten Ministerialen des unheilbar kranken steirischen Herzogs Otakar IV. in der sogenannten „Georgenberger Handfeste“ die Zusicherung erhalten, sie, die „Steirer“, würden auch nach dem erwartbaren Aussterben der eigenen Fürstenfamilie und dem Übergang des Landes an die österreichischen Babenberger bei ihrem bisherigen Recht verweilen können. Sie sollten also „Steirer“ bleiben dürfen und keine „Österreicher“ werden (müssen)! Das blieb dann auch so, 32 Weltin, Tres comitatus (wie Anm. 20), passim. 33 Dienst, Ostarrîchi, (wie Anm. 19), S. 44 f.; Zöllner, Österreichbegriff (wie Anm. 13), S. 17 –19.
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bis in die Gegenwart. Das heißt übrigens auch, dass der Landesbildungsprozess des 12. Jahrhunderts in Österreich und Steier(mark) bereits sehr stabile neue Einheiten mit einem ausgeprägten quasi-ethnischen Eigen-Bewusstsein (Stammesbewusstsein) hervorgebracht hatte! 1192 umfasste das damalige Land des steirischen Markgrafen auch erhebliche Teile des heutigen Oberösterreich, den Traungau und das Salzkammergut, aber auch das Gebiet nördlich der Donau bis zur Mühl. Diese Gebiete galten noch als Teile der Steiermark, waren aber von den dortigen Zentren recht entlegen (die namengebende Burg Steyr blieb lokal wichtig, aber hatte keine überregionalen Funktionen mehr, seit das Zentrum nach Süden, nach Graz gewandert war). Leopold VI. erweiterte dieses Gebiet durch den Ankauf von Linz (1211), Lambach und Wels (1216) sowie Freistadt im Mühlviertel (1217). Dieses inzwischen recht groß gewordene steirische Gebiet nördlich des Phyrn erhielt schon unter den letzten Babenbergern einen eigenen Landrichter, der unter König Ottokar II. Přemysl mehrfach bezeugt ist.34 Zeitweilig war das „Landl“ (so sagte man später) auch schon vom übrigen Steirischen abgetrennt, als nämlich die übrige Steiermark bei Ungarn war (1254 –1260). So entwickelte sich das Land „ob der Enns“ zu einer eigenständigen Einheit, die freilich zunehmend mit „Österreich“ verbunden wurde, immer weniger mit „Steiermark“. Schon im 13. Jahrhundert begegnet „Austria superior“ für dieses Gebiet, für das 1452 erstmals ein eigener Landtag bezeugt ist. 1458 erhielt bei einer Herrschaftsteilung mit seinem Bruder Friedrich III. dessen Bruder Albrecht VI. das Land ob der Enns übertragen, wodurch das eigenständige Land seine endgültige Gestalt annahm.35 So hatte sich der Geltungsbegriff des Namens „Österreich“ nach Westen ausgedehnt. Das Herzogtum Österreich, das rechtlich und wirtschaftlich bedeutendste Land der Habsburger, sollte aber auch reichsrechtlich eine besondere Stellung erhalten. Rudolf IV., der Stifter, war als Schwiegersohn des großen böhmischen Königs und römischen Kaisers Karl IV. sehr wenig erbaut von der Festlegung der reichsrechtlichen Vorrangstellung der Königswähler, der Kurfürsten in der sog. „Goldenen Bulle“ 1356. Ob dies der Anlass für die Fälschung des sogenannten „Privilegium maius“ war oder ganz allgemein die Politik Rudolfs dahinterstand, die Habsburger politisch auf gleicher Augenhöhe mit den Luxemburgern und den Wittelsbachern zu halten, bleibe dahingestellt. Jedenfalls gelang Rudolf 1363 mit dem Erwerb von Tirol ein ganz großer Schachzug. – Das Privilegium maius wurde von Karl IV. nicht bestätigt (Petrarca soll das Machwerk durchschaut haben), jedoch von Kaiser Friedrich III. im Jahre 1442 mit Zustimmung der Kurfürsten. Nun waren die dort nieder geschriebe34 Zölllner, Österreichbegriff (wie Anm. 13), S. 29. 35 Zöllner, Österreichbegriff (wie Anm. 13), S. 30.
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nen Bestimmungen geltendes Reichsrecht, also auch der Erzherzogstitel und der Titel eines obersten Jägermeisters des Reiches.36 Eine ganz andere, räumlich aber noch weitere Bedeutung erreichte der Name Österreich unter den Habsburgern. Die aus Schwaben gekommenen Habsburger, 1282 mit Österreich und Steiermark belehnt, suchten bald einen zusammenfassenden Begriff für ihre zwischen den Vogesen und der March bzw. Leitha weit verstreut liegenden Besitzungen – und sie fanden ihn. Schon im frühen 14. Jahrhundert begegnet ein neuer Begriff – „Herrschaft zu Österreich“, lateinisch „dominium Austriae“.37 Das bedeutete nun mehr und anderes als das Herzogtum Österreich mit seiner damals bereits unumstrittenen Hauptstadt Wien. „Herrschaft zu Österreich“ konnte als dynastischer Begriff für das Herrschaftsgebiet der im 14. Jahrhundert sich aufspaltenden Familie gelten, konnte aber auch als zusammenfassender Begriff für alle habsburgischen Herrschaftsreche und -gebiete verwendet werden. Das war kein neues Land, auch noch lange kein neuer „Staat“. Es war einfach eine praktische Kurzbezeichnung. Sie kam vom ranghöchsten einzelnen Herrschaftsgebiet, dem Herzogtum Österreich. Seit dem 1. Drittel des 14. Jahrhunderts begegnet eine neue Kurzformel, die dann im 15. Jahrhundert die ältere von der „Herrschaft zu Österreich“ verdrängte – „Haus Österreich“ , Casa de Austria, Casa d’Austria, Maison d’Autriche. „Die neuen Ausdrücke ‚Herrschaft‘ und ‚Haus Österreich‘ bezeichnen einmal die Dynastie (mit allen ihren Zweigen), häufiger noch die Summe oder den Inbegriff ihrer Herrschaftsgewalt, und dienten mehr und mehr auch als territoriale Sammelbegriffe an Stelle der umständlichen Aufzählung aller Länder und Herrschaftstitel der Habsburger.“38 Durch die dynastischen Heiraten von 1477 und 1496/97 sprang der Begriff „Haus Österreich“ nun auch nach Süd- und Westeuropa über – die Casa d’Austria wurde mit der Kaiserwahl Karls V., der bereits Herzog von Burgund und König von Kastilien und Aragon war, am 28. Juni 1519, zur dominanten europäischen Macht. Aber schon Maximilian I. hatte sein (ungekröntes) Kaisertum, dessen Macht in erster Linie auf der ökonomi36 Eine schöne Reproduktion der prunkvollen Bestätigung Maximilians I. aus dem Jahre 1512 bietet der Katalog Kaiser Maximilian I. und die Kunst der Dürerzeit, hg. v. Eva Michel – Maria Luise Sternath (München – London – New York 2012). – Die sorgfältig ausgeführte Titelseite zeigt Jagdszenen, überlegt mit dem rot-weiß-roten Bindenschild und der Überschrift AVSTRIA.COR.ET.CLIPEVS.SACR.ROM. IMP., und unter dem Wappen: ARCHIDUX. AVSTRIAE.RO.IMPERII. SVPREMVS.VENATOR. 37 Zöllner, Österreichbegriff (wie Anm. 13), S. 35 –37. – Der Begriffsbedeutung von „Haus Österreich“ hat sich insbesondere der große Historiker Alphons Lhotsky gewidmet, v. a. in seinem Beitrag Was heißt „Haus Österreich“? In: Anzeiger der phil.-hist. Klasse der ÖAW93, 1956, wieder in: Alphons Lhotsky, Aufsätze und Vorträge, hg. v. Heinrich Koller und Hans Wagner, Bd. 1 (Wien 1970), S. 344 –364. 38 Erich Zöllner, Perioden der österreichischen Geschichte und Wandlungen des Österreichbegriffs bis zum Ende der Habsburgermonarchie, in: Zöllner, Probleme und Aufgaben der österreichischen Geschichtsforschung, hg. v. Heide Dienst und Gernot Heiss (Wien 1984), S. 55 – 86, hier S. 63.
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schen Kraft der burgundischen Niederlande beruhte, in einer sehr neuzeitlich wirkenden Weise zu inszenieren verstanden, als europäisches Projekt „Haus Österreich und Burgund“.39 Dafür steht die Wappenkombination rot-weiß-rot („Österreich“) verbunden mit den schrägen blaugelben Balken von „Burgund“. Etwas weniger weit reichend, aber ebenso recht hübsch ist die Kombination von „Alt- und Neu-Österreich“, eine Kombination, die auf Rudolf IV. den Stifter zurückgeht und mit dem Kleid des frommen Markgrafen, Leopolds III. in Verbindung gebracht wurde: Als Neu-Österreich wurde der rot-weiß-rote Bindenschild bezeichnet, als Alt-Österreich das auf Grund blau-gelber Stoffreste im Grab des Markgrafen „rekonstruierte“ Wappen der fünf auffliegenden goldenen Adler auf blauem Grund (heute: Niederösterreich).40 Der Bindenschild wanderte mit Karl V. auch nach Spanien und Italien, wo man ihn ebenso antreffen kann wie in den Niederlanden, besonders in Belgien (und Luxemburg), Gebiete, die ja bis 1797 habsburgisch blieben, er begegnet aber auch in Florenz, wo er im Wappen des Großherzogs Pietro Leopoldo (als Kaiser Leopold II.) im Deckengemälde der Akademie zu besichtigen ist. Dass die habsburgischen Wappenkombinationen auf verschiedensten Gebäuden in den ehemals habsburgischen Vorlanden ebenso zu finden sind wie in Böhmen oder in der Militärgrenze, in Triest usw., füge ich hier nur ergänzend hinzu. Freilich – das Schwergewicht der Casa d’Austria lag nicht im heutigen Österreich! Es lag ökonomisch in den burgundischen Niederlanden, vielleicht auch noch in Italien (wo Karl V. zu den von ihm ererbten Königreichen von Neapel und Sizilien noch Mailand eroberte), militärisch in Spanien. Aber wie auch immer: Die beiden nach Karl V. getrennten Linien der Casa d’Austria stimmten ihre Politik aufeinander ab, und man kann ruhig sagen, dass es Ferdinand II. in der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges ohne das spanische Silber übel ergangen wäre. Spanien verlor im 17. Jahrhundert immer mehr an Gewicht, nach dem Pyrenäenfrieden von 1659 war die Zeit seiner Prädominanz endgültig vorbei. Mit dem Tod Karls II. 1700 hörte die spanische Linie des Hauses zu existieren auf. * Aber noch Karl VI., der ja als Karl III. spanischer König hätte werden sollen, sprach von den beiden Monarchien, die das Haus Österreich beherrschte – der Monarchia Hispanica und der Monarchia Austriaca. Die Monarchia Austriaca41 taucht nicht zufällig um 1700 auf, auch der deutsche Begriff „österreichische Monarchie“ begegnet bereits im 18. Jahrhundert. Das war nun nur mehr die Summe der von den Wiener 39 Vgl. den schon zitierten Katalogband Katalog Kaiser Maximilian I. und die Kunst der Dürerzeit, hg. v. Eva Michel – Maria Luise Sternath (München – London – New York 2012). 40 Zöllner, Österreichbegriff (wie Anm. 13), S. 45 – 47. 41 Zöllner, Österreichbegriff (wie Anm. 13), S. 55 – 57.
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Habsburgern erblich beherrschten Länder, also Ungarn mit Kroatien und Siebenbürgen, Böhmen mit Schlesien und Mähren, die Länder der österreichischen Hofkanzlei (das heutige Österreich ohne Salzburg und Burgenland, aber mit fast ganz Slowenien, Triest, Südtirol und den vorländischen Besitzungen zwischen Bodensee und Oberrhein), dazu als Erbmasse nach den Spaniern Belgien/Luxemburg und Mailand (Neapel/Sizilien gingen 1735 verloren). Im 18. Jahrhundert konnte der Begriff „Österreich“ folgende Inhalte haben: – das (Erz-)Herzogtum Österreich und das Land ob der Enns (ein Reichslehen, zwei Länder), – die Gebiete, die von der österreichischen Hofkanzlei aus verwaltet wurden („Niederösterreich“, „Innerösterreich“ und „Oberösterreich“, also die Gebiete zwischen Oberrhein und Schwarzwald einerseits, der Adria und der March-Leitha-Grenze andererseits), – die Summe aller habsburgischen Gebiete. – „Österreich“ bezeichnete also immer noch in erster Linie das Erzherzogtum Österreich, das Land um Wien (samt ob der Enns). Immerhin galten seit 1713 (Pragmatische Sanktion) alle erblichen Länder des „Hauses Österreich“, die ganze „österreichische Monarchie“ als untrennbar. Aber eine Einheit waren sie noch lange nicht. Aber da passierte etwas, mit dem man nicht mehr gerechnet hatte: Nach dem Tod Karls VI. im Jahre 1740 wählten die Kurfürsten nicht den Gemahl der Erbtochter Maria Theresia zum Kaiser, sondern den Wittelsbacher Karl Albrecht (Karl VII.). Und nun war die seit Wallenstein ständig unter Waffen stehende kaiserliche Armee nicht mehr die Armee des Kaisers, sie waren nicht mehr „die Kaiserlichen“, sondern etwas anderes. Kurzer Hand bezeichnete man sie als „Österreicher“. Das waren sie ja auch – die Armee des Hauses Österreich. Die Kurzbezeichnung „Österreich, österreichisch“ wurde jetzt allgemein verwendet, wenn es nicht nur um Bewohner des Erzherzogtums Österreich ging oder um Mitglieder der Familie Habsburg (die sich selber immer „Haus Österreich“ nannten), sondern auch, wenn es um Offiziere, Soldaten, Diplomaten, schließlich auch die Beamten des Hauses Österreich ging. Die „österreichische Monarchie“ sollte nun, da für kurze Zeit auch der Glanz der Kaiserkrone fehlte (bis 1745), vollkommen auf eigenen Füßen stehen können. Dazu war es notwendig, aus allen diesen Königreichen und Ländern mit ihren je eigenen Land-Rechten, Landtagen, Untertansrechten, landeseigenen Bürokratien, eine Einheit zu bilden, einen Staat im Sinne des 18. Jahrhunderts. Denn die Zeitgenossen des
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18. Jahrhunderts sprachen immer noch von den „k.k. österreichischen Staaten“, aber nicht von einem Staat.42 Tatsächlich ist diese von Maria Theresia und Joseph II. eingeleitete Staatsbildung nur bis zu einem gewissen Grad gediehen. Im Großen und Ganzen wird man bis um 1790 von einem böhmisch-österreichischen „Staat“ sprechen können, mit relativ einheitlicher Verwaltung und zunehmend einheitlicher Gesetzgebung. Der Versuch Josephs II., in diesen „Staat“ auch Ungarn und Belgien einzubeziehen, scheiterte. Der Widerstand war zu groß. Faktisch entstand schon jener Zustand, wie ihn dann 1867 der Ausgleich mit Ungarn auch staatsrechtlich fixierte: Eine Monarchie, die nach außen einheitlich auftrat, im Innern aber aus zwei durchaus unterschiedlichen Staatswesen bestand. 1781 erschien die erste Landkarte, die alle diese Länder auch im Kartenbild zeigte: „General Karte der sämtlichen k.k. Staaten nach dem Zustande im Jahre 1781“, es war gleichzeitig die erste Karte „zur Erlernung der Erdbeschreibung für die deutschen Schulen der kayserl. Königl. Staaten“, hier waren die „Österreichischen Staaten“ durch Farben gekennzeichnet und zwar die Deutschen Erblande (inkl. dem Burgundischen Kreis und Böhmen), Ungarn und Nebenländer (inkl. Galizien), die italienischen Staaten (inkl. Toskana!). Es waren aber zugleich auch „die Kreise des Heiligen Römischen Reiches deutlich vorgestellet (…)“. 43 Auch die berühmte Ausrufung des erblichen Kaisertums Österreich (1804) änderte daran eigentlich nichts. Als Kaiser Franz dies verkündete (seine Antwort auf die Kaiserkrönung Napoleons und die radikale Veränderung in der Verfassung des römisch-deutschen Reiches 1803), beruhigte er gleichzeitig seine Untertanen, dass sich an den inneren Verhältnissen seiner „unabhängigen Staaten“ nichts ändern werde, sie sollten ihre Titel, „Verfassungen, Vorrechte und Verhältnisse“ unverändert beibehalten.44 Auch die großen Werke der Rechtskodifikation, die ja auch eine Angleichung der Rechte bewirken sollte, blieben auf die Gebiete des theresianisch-josephinischen Staates beschränkt – so wurde das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch 1812 nur für die „deutschen Erbländer“ publiziert, also definitiv nicht für Ungarn. Aber wie auch immer: In der Publizistik war jetzt häufig vom „Österreichischen Kaiserstaat“ oder dem Kaisertum Österreich die Rede. Zumindest nach außen wurde diese Staatenkombination doch zunehmend als ein Staat begriffen. 42 Grete Klingenstein, Was bedeuten „Österreich“ und „österreichisch“ im 18. Jahrhundert? Eine begriffsgeschichtliche Studie, in: R. G. Plaschka u. a. (Hg.), Was heißt Österreich? (wie Anm.19), S. 149 – 220. 43 Karte im Besitz des Autors. Handschriftlich ist ein Carl von Desselbrunn als Autor vermerkt. Auf diese Karte verweist auch Klingenstein, „Österreich“ und „österreichisch“ (wie Anm. 42), hier S. 202: Nach Ignaz de Luca, einem bekannten Statistiker des 18. Jahrhunderts, wurde die Karte unter Aufsicht des Abtes Ignaz Felbiger (1724 –1788) eigens für den Schulgebrauch angefertigt. 44 Klingenstein, „Österreich“ und „österreichisch“ (wie Anm. 42), S. 204 f.
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Erst die Niederlage der Revolution(en) von 1848 –1849 sollte einen entschlossenen zentralistischen Neustart ermöglichen. Das Kaisertum Österreich behielt zwar seinen Namen bei, aber im Innern änderte sich alles. Keine Sonderstellung mehr für Ungarn ! Verwaltung überall nach einem Muster: Einheitsstaat. Wir wissen, dass das neoabsolutistische Experiment scheiterte. Erst mit dem Ausgleich von 1867 wurde ein Modus vivendi gefunden, der halbwegs das Überleben der Monarchie sicherte. Für unsere Fragestellung ist interessant, dass der Begriff „Österreich“ im Staatstitel nur adjektivisch auftritt (österreichisch-ungarische Monarchie), daneben natürlich als Landesname. Für den westlichen, „diesseitigen“ Staat, die „cisleithanische“ Reichshälfte oder „die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ wurde der Name Österreich bis 1915 sorgfältig vermieden. Allerdings kam den Bewohnern dieses Teilstaates immerhin eine „österreichische“ Staatsbürgerschaft zu.45 Erst 1915 wurde verfügt, dass der westliche Teilstaat nun auch einen eigenen Namen erhalten solle, eben „Österreich“. Das war weniger Ausdruck einer nunmehr endgültig anerkannten Staatsbildung oder einer gewachsenen gesellschaftlichen Integration auf der Ebene dieses Staates – ganz im Gegenteil. Viel eher war es Ausdruck des Eingeständnisses, dass die österreichisch-ungarische Monarchie eben wirklich aus zwei Staaten bestehe und nicht – wie man 1867 wohl noch annahm – ein (Ober-) Staat sei, der neben dem konsolidierten Königreich Ungarn eine Reihe von durch eine gemeinsame parlamentarische Vertretung zusammengefassten und von einer eigenen Regierung regierten „Königreichen und Ländern“ umfasse. Die intensiven staatsrechtlichen Diskussionen um diese Dilemmata können wir hier nicht ausführlich referieren.46 Das bald darauf entworfene Wappen für diesen österreichischen Teilstaat, ein Doppeladler mit rot-weiß-rotem Herzschild und diversen herrscherlichen Attributen in den Fängen wies ebenso – historisch – zurück wie nach vorne: Ganz ähnliche Doppeladler mit dem österreichischen Herzschild hatten schon habsburgische Kaiser der frühen Neuzeit geführt (unter anderem Maximilian I.); andererseits diente dieser Adler ganz augenscheinlich als Vorbild für den republikanischen Adler von 1919 ! * Dieses Österreich zerbrach im Oktober 1918. Der Österreichbegriff hatte ausgedient. Die neue Republik der Deutschösterreicher wollte mit ihm ebenso wenig zu tun haben wie die nichtdeutschen Völker der ehemaligen Monarchie in ihren jetzt selbstständigen Nationalstaaten. Ebenso eindeutig wie skurril ist die Reihe der von Gerald Stourzh zusammengestellten Namensvorschläge für die junge Republik – Hochdeutschland, Deutsches Bergreich, Donau-Germanien, Ostsass, Ostdeutscher Bund, Deutschmark, 45 Zur Periode 1848 bis 1918 vgl. Ernst Bruckmüller, Österreichbegriff und Österreichbewusstsein in der franzisko-josephinischen Epoche, in: Plaschka u. a. (Hg.), Was heißt Österreich? (wie Anm. 19), S. 255 – 288. 46 Ausführlicher: Bruckmüller, Österreichbegriff (wie Anm. 13), passim.
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Teutheim, Treuland, Friedeland …47 Schließlich legte die Friedenskonferenz den Österreichern den „verhaßten Namen Österreich“ (Otto Bauer) auf. Man strebte also einen völligen Bruch mit der Vergangenheit an. Irgendwie hat man ja auch heutzutage den Eindruck, als sollte die gesamte österreichische Vergangenheit vor 1918 am Besten der Vergessenheit anheimfallen, wenn man die Identitäts- und Gedächtnispolitik unserer Republik betrachtet. Wir wissen, dass nicht wenige Österreicher damit ihre Probleme hatten. Aber es ist hier nicht der Ort, das Identitätsproblem der Ersten Republik ausführlicher zu diskutieren. Eigentümlicherweise wurde ein österreichischer Patriotismus erst dann staatlich gefordert und gefördert, als dieser Staat keine Demokratie mehr war – jetzt erst, als Hitler deutscher Reichskanzler war und die rasche Gleichschaltung und Angliederung Österreichs an sein Reich forderte, besann sich die Regierung Dollfuß der jahrhundertelangen eigenen Geschichte Österreichs, jetzt erst begannen Berufshistoriker (der Melker Pater Wilhelm Schier ist hier zu nennen!), das eigene Profil Österreichs, das freilich immer noch ein deutsches sein sollte, herauszuarbeiten.48 Es hat, wie wir wissen, nicht gereicht. 1938 schien Österreich nur mehr der Vergangenheit anzugehören. Der Name wurde weitgehend getilgt, auch in den Landesnamen von Ober- und Niederösterreich. Als Land des Deutschen Reiches wurde „Österreich“ 1939 getilgt (Ostmarkgesetz). Benötigte man einen Sammelbegriff, dann sprach man von den „Donau- und Alpenreichsgauen“, die freilich jeder für sich Berlin unterstellt waren. Erst Hitlers Krieg und Niederlage eröffneten der Republik Österreich eine zweite Chance. Sie war jetzt, nach 1945 und noch mehr nach 1955, von der Bevölkerung akzeptiert. Ein spezifisches Österreichbewusstsein entstand.49 Die Äußerungen dieses Bewusstseins sind manchmal nicht besonders erfreulich, speziell im Zusammenhang mit bestimmten Äußerungen in Wiener Boulevardblättern. Aber das hat mit dem heiligen Koloman nichts mehr zu tun.
47 Gerald Stourzh, Vom Reich zur Republik, Studien zum Österreichbewusstsein im 20. Jahrhundert (Wien 1990), S. 32. 48 „Österreich“. Grundlegung der vaterländischen Erziehung, hg. v. d. Vereinigung christlich-deutscher Mittelschullehrer (Wien – Leipzig 1936). 49 Anstelle vieler Literaturhinweise hier – etwas unbescheiden – das eigene Buch des Autors: Ernst Bruckmüller, Nation Österreich. Kulturelles Bewußtsein und gesellschaftlich-politische Prozesse (Wien – Köln – Graz 21996).
Das Heilige Römische Reich und seine Nachbarn um 1000 n. Chr. Rainald Dubski
Die Ereignisse des Jahres 1012, die das Martyrium des Heiligen Koloman betreffen, können nicht isoliert für sich betrachtet werden. Es bedarf daher einer hinreichenden Kontextualisierung der Geschehnisse, die sich in der Gegend von Stockerau abspielten, um das Martyrium und dessen mögliche Ursachen besser verstehen zu können. Für die Erhellung des Falles rund um den iroschottischen Pilger gilt es vor allem die Ost- bzw. Südostgrenze des Heiligen Römischen Reiches und der dort angrenzenden Nachbarn einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Die Beziehungen des Heiligen Römischen Reiches zu den benachbarten Machtkomplexen Polen, Böhmen und Ungarn erweisen sich für die Phase um 1000 und die darauf folgenden Jahre als überaus reich an politischen und dynastischen Facetten. Zusätzlich erscheint das Schicksal des heiligen Koloman zu einem beträchtlichen Teil durch mentalitätsgeschichtliche Aspekte geprägt zu sein. „In Bawariorum confinio atque Mararensium quidam peregrinus nomine Colomannus ab incolis, quasi speculator esset, capitur et ad professionem culpae, quam non meruit, diris castigacionibus compellitur“1 – lautet der zentrale Satz des zeitgenössischen Historiographen. Koloman wird also im bayerisch mährischen Grenzgebiet mit dem Vorwurf aufgegriffen, ein Späher zu sein. Die Menschen in der Gegend um Stockerau scheinen sich also vor fremden Übergriffen gefürchtet zu haben. Woher aber die Furcht vor fremden Kundschaftern? Die Bevölkerung des bayerischen Grenzlandes und der ottonischen Mark im Osten sah sich während des 9. und 10. Jahrhunderts einer Vielzahl von bewaffneten Überfällen ausgesetzt2. Im Zeitraum zwischen 902 und 955 fanden Übergriffe magyarischer Streifscharen 1 Thietmari Merseburgensis Episcopi: Chronicon. In: Robert Holtzmann (Hg): Freiherr vom Stein Gedächtnisausgabe. Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Darmstadt 1974) S. 442. 2 Die folgenden vier Absätze sind zur Gänze aus meiner Dissertation übernommen: Rainald Dubski, Grundherrschaft und Christianisierung als prägende Elemente des Grenzsaumes zu Ungarn und Mähren – Vom Ende der Frankenherrschaft bis zum Beginn des hohen Mittelalters (Phil. Diss. Uni Wien 2012) S. 53 –55.
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gleichsam im Jahresabstand statt3. Kleinere militärische Erfolge seitens der Ottonen konnten in keiner Weise darüber hinwegtäuschen, dass den Ungarn nicht beizukommen war. Die von den umherstreifenden Magyaren verbreitete Angst und Verheerung manifestierte sich in geradezu coelestischen Vergleichen4. Die Ungarn werden „von Gott für schlecht gehalten“5 und sie seien von „Gott verhasst“ 6. Sie seien die eine „göttliche Geisel“ 7. Aber auch die gegenteilige Meinung lässt sich in den Quellen finden. Nicht Gott, sondern der Teufel8 hätte die Magyaren geschickt und sie würden nur „Schlechtes / Grausames“9 oder Boshaftigkeiten anrichten. Diese Attributzuschreibungen mögen nicht zuletzt daher stammen, dass gerade Klöster 10 oder Kirchen11 mit deren Altären und deren Reliquien12 zu den bevorzugten Hauptzielen der Reiterkrieger zählten. Auch vor den Priestern, Mönchen und Nonnen13 hätten sie nicht haltgemacht. Selbige hieß es, würden von den Ungarn gefoltert14 oder gar getötet15. Die Magyaren würden selbst vor der Schändung16 der Leichen der von ihnen Getöteten nicht zurückschrecken. Den
3 Peter Hanak, Die Geschichte Ungarn (Essen 1988) S. 21. 4 Chronicon Benediktoburanum: MGH SS. IX. Pag. 218. Ebenda Bernardus Cremifanensis monachus: MGH SS XXV. Pag. 656 ebenda Actus Brunwilarensis monasterii fundatorum: MGH SS. XI. Pag. 126. 5 Chronicon Benediktoburanum: MGH SS IX. Pag. 218. 6 Chronicon Benediktoburanum: MGH SS IX. Pag. 218. 7 Bernardus Cremifanensis monachus: MGH SS XXV. Pag. 639 u. 651. 8 Chronicon Benediktoburanum: MGH SS IX. Pag. 233. 9 Chronicon Benediktoburanum: nach MGH SS. IX. Pag. 218. Ebenda Albericus monachus Trium Fontium: MGH SS XXIII. Pag. 753. Ebenda Annales Augienses: MGH SS I. Pag. 68. Ebenda Annales Dorenses: MGH SS XXVII. Pag. 518. 10 Chronicon Benediktoburanum: MGH SS IX. Pag. 218 u. 222. Ebenda Bernardus Cremifanensis monachus: MGH SS XXV. Pag. 647. Ebenda Adamus Bremensis scholasticus: MGH SS VII. Pag. 303. Ebenda Albericus monachus Trium Fontium: MGH SS XXIII. Pag. 752. Ebenda Annales Corbeiae Saxonicae: MGH SS III. Pag. 919. 11 Adamus Bremensis scholasticus: MGH SS VII. Pag. 304. Ebenda Chronicon Benediktoburanum: MGH SS IX. Pag. 218. 12 Bernardus Cremifanensis monachus: MGH SS XXV. Pag. 645. Vgl. auch Wilhelm Störmer, Ostfränkische Herrschaftskrise und Herausforderung durch die Ungarn. Zur Ausformung des sog. Jüngeren bayerischen Stammesherzogtums und zum Wandel der Herrschaftsverhältnisse in Bayern. In: Willibald Katzinger und Gerhart Marckhgott (Hg.), Forschungen zur Geschichte der Städte und Märkte Österreichs. Bd IV. Bayern, Ungarn und Slawen im Donauraum (Linz 1991) S. 75. 13 Annales Dorenses: MGH SS XXVII. Pag. 410. 14 Chronicon Benediktoburanum: MGH SS IX. Pag. 218. Ebenda Bernardus Cremifanensis monachus: MGH SS XXV. Pag. 651. Ebenda Annales Dorenses: MGH SS XXVII. Pag. 518. Ebenda Annales Admuntenses: MGH SS IX. Pag. 573. 15 Albericus monachus Trium Fontium: MGH SS XXIII. Pag. 752. Ebenda Albertus Stadensis Abbas s. Mariae stadensis: MGH SS XVI Pag. 310. Ebenda Annales S. Columbae Senonensis: MGH. SS I. Pag. 105. Ebenda Adreas Dandolo: Muratori, SS Italicae. XII. Pag. 191. 16 Chronicon Benediktoburanum: MGH SS IX. Pag. 233. Ebenda Annales Dorenses: MGH SS XXVII. Pag. 410.
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Schilderungen weiter folgend, verfolgen17 die Magyaren sehr schnell18 die flüchtigen Bauern, Kinder und Frauen19, die von ihnen vergewaltigt wurden, oder sie zerfleischen die Geistlichen. Sie würden sich wie Wölfe20 benehmen. Ein weiteres in den Quellen gepflegtes Vorurteil bestand darin, dass die Magyaren rohes oder gar menschliches Fleisch21 konsumierten. Sie werden der der Mär entsprechend als Untiere22 oder gar als Rasende bzw. Furien23 bezeichnet. Auch würden sie Menschenblut24 trinken. Jene Menschen, die von ihnen nicht getötet würden, würden gefangen25 genommen. Die mit Mord und Brandschatzung überzogenen Landstriche werden stark entvölkert26. Der Vorwurf, dass sie ungebildete, gelagesüchtige Barbaren wären, wirkt im restlichen Kontext eher harmlos und fast skurril. Bei allen Gräueltaten, die die Ungarn anrichteten, werden sie in anerkennendem Tonfall als gewaltige27 Bogenschützen bezeichnet. Ein weiteres Motiv, das in den Quellen immer wieder gern gebraucht wird, ist die Darstellung ihrer systematischen Angriffsaktionen28.
17 Chronicon Benediktoburanum: MGH SS IX. Pag. 218. 18 Über die besondere Schnelligkeit bei der Verfolgung von Menschen kann man in Bonizo Episcopus Sturiensis Liber ad Amicum: Migne, Patrol. lat. anno 899 nachlesen. 19 Benedictus Monachus: MGH SS III. Pag. 711. Das Fangen von Menschen und der mit den Gefangenen betriebene schwunghafte Handel stellten einen im 10. Jahrhundert durchaus nicht unüblichen Erwerbszweig dar. 20 Chronicon Benediktoburanum: MGH SS IX. Pag. 233. 21 Albericus monachus Trium Fontium: MGH SS XXIII. Pag. 752. Ebenda Adreas Dandolo: Muratori, SS Italiae. XII. Pag. 191 Ebenda Annales Admuntenses: MGH SS IX. Pag. 573. 22 Burcardus de Hallis: MGH SS XXX. Pag. 662. 23 Actus Brunwilarensis monasterii fundatorum: MGH SS XI. Pag. 127. Ebenda Annales S. Columbae Senonensis: MGH SS I. Pag. 105. Ebenda Actus Brunswilarensis monasterii fundatorum: MGH SS XI. Pag. 127. 24 Albericus monachus Trium Fontium: MGH SS XXIII. Pag. 753. Ebenda Adreas Dandolo: Muratori, SS Italiae. XII. Pag. 191. (In besonderer Weise ist diese Quelle zu betrachten, in der Andreas Dandolo sich zu einer Zeit über die Ungarn äußert und die Stereotypen der früheren Schriftsteller übernimmt, zu der Ungarn bereits ein geordnetes christliches Königreich war, dem die Bedrohung durch die Osmanen bald bevorstehen sollte. Dass Dandolo die Ungarn nicht sehr geschätzt haben mag, ist nach Ansicht Simonfelds [Simonsfeld Henry: Andreas Dandolo und seine Werke (München 1876) S 7ff.] darauf zurückzuführen, dass die Ungarn unter König Ludwig I. mit Genua, dem Erzfeind Venedigs, verbündet waren und die dalmatinischen Besitzungen der Venetianer angreifen und erobern sollten. Damit liegt der propagandistische Wert dieser Quelle auf der Hand.) Ebenda Annales Admuntenses: MGH SS. IX. Pag. 573. 25 Annales Corbeienses: MGH III. Pag. 4. 26 Actus Brunwilarensis monasterii fundatorum: MGH SS XI. Pag. 127. 27 Albericus monachus Trium Fontium: MGH SS XXIII. Pag. 748. Ebenda, Annales S. Columbae Senonensis: MGH SS I. Pag. 105. 28 Bernoldus monachus S. Blasii sive Bernoldus Constatiensis Chronicon: MGH SS V. Pag. 422. Ebenda Bernardus Cremifanensis monachus: MGH SS XXV. Pag. 638ff. Ebenda Albericus monachus Trium Fontium: MGH SS XXIII. Pag. 422. Ebenda Annales Altahenses: MGH SS XX. Pag. 787.
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Das Ungarnbild in den abendländischen Quellen stellt sich alles andere als schmeichelhaft dar. Die Vorwürfe, die aus den Texten erkennbar sind, reichen weit, vielleicht schon zu weit. Der kritische Umgang mit den Berichten und Annaleneinträgen ist daher ein absolutes Muss. Obwohl das stilistische Mittel der Überzeichnung reichlich und erschöpfend angewandt wurde (speziell der Vorwurf des Kannibalismus und des Bluttrinkens), ist die Bedrohlichkeit der magyarischen Raubzüge für die damalige Bevölkerung Europas anzuerkennen. Selbst wenn das Schrifttum der Quellen teilweise unsachliche Vorwürfe enthält, können wir aus ihm letztlich die Gefühlslage der Bedrohten ablesen, die sich von Furcht geleitet zu geiferndem Hass zu steigern scheint. Der Verschiebung des Bedrohungsempfindens hin zu Hass werden sich die Bewohner der ottonischen Mark nicht entzogen haben können. Noch im Jahr 991 gibt es Unstimmigkeiten mit den Ungarn, die zu Auseinandersetzungen führen, die Heinrich der Zänker jedoch eindeutig zu seinen Gunsten und damit auch zum Vorteil der östlichen Mark entscheiden kann29. Die Magyaren befinden sich auch weiterhin eher in der Defensive. Der eindeutige Wandel in den Beziehungen des Heiligen Römischen Reiches zum ungarischen Herrschaftskomplex erfolgte zur Zeit König Stephans I. und Kaiser Ottos III. Die Krönung Stephans einerseits und der Akt von Gnesen30 andererseits stellen die beiden wichtigen Markpunkte der kaiserlichen Ostpolitik dar. Besonders bemerkenswert in diesem Zusammenhang präsentiert sich eine Stelle in den polnischen Annalen31. In dieser fließen gleichsam historische Realität und historisches Wunschdenken zusammen. Nach polnischer Geschichtsschreibung erhielt damit Stephan, Rex Pannoniae32, jene Krone, die angeblich ursprünglich für den polnischen Herzog gedacht war. Wir können aus dieser Textstelle zumindest den Anklang eines Neidgefühls erkennen – eine interessante Facette, wenn es darum geht, die Ungarn zu betrachten, die noch einige Jahre zuvor als der Inbegriff des Bösartigen gegolten ha29 Annales Sancti Rudberti Salisburgenses: MGH SS IX. Pag. 772. 30 Johannes Fried, Otto III. und Boleslaw Chrobry, Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars, der Akt von Gnesen und das frühe polnische und ungarische Königtum (2. Aufl. Stuttgart 2001) S. 86f. 31 Stephanus rex Ungarie misit Affricum episcopum Romam ad papam Silvestrum pro corona petenda. Eodem tempore dux Polonorum Mescho miserat Lampertum episcopum coronam petere. Sed papa angelica monitus visione, coronam quam preaperaverat Meschoni Affrico nuncio regis Ungariae dedit. Sed cur fuerit non data Polonis in chronica plenius habetur. (Annales Polonorum. Bd I. MGH SS XIX. Pag. 618.) Ebenda Annales a primo cristiano duce Meschone Polonorum et uxore sua: Mon. Polon. Hist. Tom II. Pag. 829. 32 Canonicus Wissegradensis: Continuatio Chronicae Cosmae Pragensis: MGH SS IX. Pag. 138 et 145. Ebenda Chronicon Austriacum anonymi: Rauch SS Austriacum. II. Pag. 215. Ebenda Chronicon Garstense: Rauch SS Austriacum. I. Pag. 9. Ebenda Chronicon Pictum Vindobonense, de gestis Hungarorum, ab origine gentis ad a. 1330. Szentpetery Scriptores Hungariae Pag. 615. Ebenda Cosmas Pragensis ecclesiae decanus: MGH SS IX. Pag. 124. Ebenda Ekkehardus Uraugiensis abbas: MGH SS VI. Pag. 242. Ebenda Godyslaw Baszko: Mon. Polon. Hist.
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ben. So löst in diesem Falle Neid das lang gehegte Gefühl der Abscheu gegenüber den Ungarn ab33. Die genaue Motivation für Vajk (wie Stephan vor der Taufe hieß), sich zum Christentum hinzuwenden erscheint zur Gänze nicht klärbar. Über Stephan erfahren wir lediglich, dass er im Gegensatz zu seinem Vater Christ aus Überzeugung gewesen sein soll34. Pflegte Geza, der Vater Stephans, obwohl er sich bereits 973 bekehren ließ, ein eher lockeres Christentum, das aus politischem Kalkül entstanden war – Geza war nach nomadischer Tradition mit mehreren Frauen gleichzeitig verheiratet und opferte auch noch den alten Göttern – so nahm es sein Sohn mit der für die Ungarn neuen Religion genauer. Die Annahme des Christentums, sei es aus Überzeugung oder aus praktischen Beweggründen, ermöglichte es Stephan, vom Papst die Königswürde über Ungarn übertragen zu bekommen. Die Königskrönung wiederum ermöglichte es dem ungarischen König unter den anderen gekrönten Häuptern als Gleicher unter Gleichen akzeptiert zu werden. Dies erschien vor allem auch deshalb so essenziell, da in einer militärischen Schwächephase des magyarischen Herrschaftskomplexes das Beibehalten alter religiöser Strukturen einen Vorwand für einen Feldzug gegen den ungarischen Stammesverband hätte liefern können. Die Rolle Stephans als Staatsgründer kommt in diesem Zusammenhang besonders deutlich hervor35. Die Verbesserung des Verhältnisses mit dem Heiligen Römischen Reich erhält das nach außen unübersehbare Zeichen durch die Eheschließung Stephans mit Gisela, der Tochter des bayerischen Herzogs und Schwester des späteren Kaisers Heinrich II. Die Knüpfung familiärer Bande zwischen Ottonen und Arpaden führte zu einem friedlichen Miteinander, welches erst 1030, also lange nach dem Martyrium Kolomans zu Ende kam. Die streitbaren salischen Kaiser Konrad II. und Heinrich III. fochten manche Auseinandersetzung gegen das arpadische Königreich. Im Frühsommer 1030 eröffnete Konrad II. einen brutalen Feldzug, dessen ausschlaggebende Gründe nicht gänzlich klärbar sind36. Sei es bayerische Kriegstreiberei37, sei es das Ausdehnen ungarischer Grenzwächtersiedlungen38, sei es das Verweigern des Durchmarsches für einer kaiserli33 Dieser Absatz ist zur Gänze aus der Dissertation des Autors (wie Anm. 2) entnommen. S. 147f. 34 Vgl. Szabolcs De Vajay, Großfürst Geysa von Ungarn, Familie und Verwandtschaft. In: Mathias Bernath (Hg.): Südost – Forschungen, Internationale Zeitschrift für Geschichte Kultur und Landeskunde Südosteuropas begründet von Fritz Valjavec. Bd. XXI (München 1962) S. 45f. 35 Attila Zsoldos, Das Königreich Ungarn im Mittelalter. In: István György Tóth (Hg.), Geschichte Ungarns. Übersetzt von Èva Zádor (Budapest 2005) S. 47. 36 Herwig Wolfram, Konrad II. 990–1039, Kaiser dreier Reiche (München 2000) S. 250. Vgl. auch Herwig Wolfram, Die Ungarische Politik Konrads II. In: Balazs Nagy und Marcell Sebök (Hg.): Festschrift in Honour of Janos M. Bak, The Man of Many Devices, Who Wandered Full Many Ways (CEU Press. Budapest 1999). – Vgl auch Werner Trillmich, Kaiser Konrad II. und seine Zeit (Bonn 1991). 37 Wippo: Gesta Chuonradi. MGH, Bresslau. SS LXI. in usum scholarum. Cap XXVI. Pag. 44. 38 Hans Göckenjan, Grenzwächter im mittelalterlichen Ungarn (Wiesbaden 1972) S 10.
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chen Delegation in Richtung Byzanz39 oder vielleicht die feindliche Außenpolitik Konrads II. gegenüber Venedig (der spätere Thronerbe und Neffe Stephans I. stammte aus der Metropole an der Adria), die das gegenseitige Verhältnis trübte(n). Das Resultat war jedenfalls ein Krieg der von Stephan gewonnen wurde. Heinrichs III. Kriegsglück schien, was Ungarn betraf, zunächst stärker ausgeprägt. 1044 besiegte er den rebellischen Anführer der Ungarn, Samuel Abba, der sich erfolgreich gegen Peter den Venezianer, Stephans Nachfolger, erhoben hatte40. Heinrich setzte Peter nach gewonnener Schlacht wieder ein und ließ den ungarischen König einen Treueeid leisten. Die Krone, die ursprünglich vom Papst an Stephan I. übersandt worden war, ließ Heinrich nach Rom zurückschicken41. 1051 führte Heinrich erneut Krieg gegen Andreas I., der König Peter (den Venezianer) vom Thron verdrängt hatte. Der militärische Erfolg blieb diesmal jedoch aus. Heinrich III., der die Amtsenthebung seines Vasallen gleichsam zu rächen versuchte, konnte sich in den lange dauernden Auseinandersetzungen nicht durchsetzen. Selbst auf päpstliche Intervention hin wollte er aber nicht von weiteren Kriegszügen absehen, die jedoch auch keine Erfolge für den Salier brachten42. Erst 1058 kehrte wieder Frieden ein, den ein Ehebündnis zwischen dem Sohn König Andreas I. und der Tochter Heinrichs IV. besiegeln sollte43. Die Lage an der ungarischen Grenze stellte sich also um das Jahr 1000 vergleichsweise angenehm ruhig und friedlich dar. Jahrzehnte lang andauernde Steifzüge der Ungarn waren seit 955 praktisch zu Ende. Die letzte Auseinandersetzung mit den Ungarn vor dem Tod Kolomans lag über zwanzig Jahre zurück und deren Örtlichkeit entzieht sich unserer exakten Kenntnis. Die Relevanz betreffend das Martyrium Kolomans liegt jedoch darin, dass durch die Jahrzehnte der Streifzüge und Übergriffe entlang der Donau die Bevölkerung in der Peripherie und dazu zählte auch die Gegend um Stockerau, eine Mentalität entwickelte, die von Furcht geprägt war. Die Beziehungen mit Polen stellen sich für eine Analyse der Außenverhältnisse des Heiligen Römischen Reiches als mindestens ebenso wichtig dar. Die ottonischen Beziehungen nach Polen hatte mit dem Wechsel des Herrschers an der Schwelle vom ersten zum zweiten christlichen Jahrtausend nicht nur ein neue Persönlichkeit auf dem Thron des Reiches gebracht, sondern auch neue Missstimmung bei den östlichen Nachbarn. War das Verhältnis zwischen Boleslaw Chrobry (965/967–1025)44 39 Franz Reiner Erkens, Konrad II. (um 990–1039), Herrschaft und Reich des ersten Salierkaisers (Regensburg 1998) S. 90. 40 Dezso Dercsenyi (Hg.), Bilderchronik. Faksimiledruck (Weimar 1968) S. 53. 41 Hóman Bálint, Geschichte des Ungarischen Mittelalters, von den ältesten Zeiten bis zum Ende des XII. Jahrhunderts. Bd 1. Übersetzt im Auftrage des Ungarischen Instituts an der Universität Berlin von Hildegard Roosz und Lothar Saczek (Berlin 1940) S. 248ff. 42 Herimannus Augiensis: MGH SS V. Pag. 130. 43 Böhmer, Regesta Imperii III. Salisches Haus 1024 –1125, Teilband 2 (Köln 1984) Nr. 137. 44 Herbert Ludat, Boleslw Chrobry. In: LMA II (ND 2000) Sp. 359 –364.
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und dem Kaiser Otto III. (980 –1002)45 noch als überaus freundschaftlich zu bezeichnen, so führte Kaiser Heinrich II. (978 –1024)46 mehrere heftige Auseinandersetzungen mit seinem östlichen Nachbarn47. Mit der Machterlangung der liudolfingischen Familie rückte das Machtzentrum innerhalb des Reiches stark nach Osten48. Der Terminus Machtzentrum kann in diesem Zusammenhang sicher nur eingeschränkt verstanden werden, da das Königtum des 10. und 11. Jahrhunderts ein reines Wanderkönigtum war. Dennoch legten die Ottonen ihr Augenmerk auf Sachsen und seine östlichen Nachbarn49. Für die Zeit Kolomans war eine entscheidende Verschlechterung in der Beziehung zwischen dem polnischen Herzog Boleslaw Chrobry und dem Reich zu konstatieren. Otto III. und seine Ostpolitik gegenüber Boleslav schien von besonderer Wertschätzung gegenüber dem Herzog getragen zu sein. Diese Haltung gipfelte im Akt von Gnesen, der heute noch polnischen und deutschen Historikern Rätsel aufgibt. Die leidenschaftlich diskutierte Frage besteht darin, ob Otto III. Boleslaw Chrobry zum König erhoben hatte oder nicht. Diese Frage kann und soll allerdings nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Beschränken wir uns daher auf die objektiv fassbaren Ereignisse, die in Gnesen50 im Jahre 1000 stattgefunden haben. Boleslaw wurde im Rahmen der Feierlichkeiten von Otto III. als „Bruder und Mitarbeiter des Imperiums“51 sowie als „Freund und Bundesgenosse des römischen Volkes“52 bezeichnet. Otto setzte dem polnischen Herzog ein Diadem auf, verlieh ihm typisch kaiserliche Rechte über die Kirche sowie das Missionsfeld und schloss einen Freundschaftspakt. Sogar eine Nachbildung der Mauritiuslanze53 wurde an Boleslaw verliehen. […] Ein Musterbeispiel für den von Otto III. gehegten Gedanken der „renovatio Imperii“54. Mit Boleslav Chrobry 45 Tilmann Struve, Otto III. In: LMA VI (ND 2000) Sp. 1568 –1570. . 46 Alfred Wendehorst, Heinrich II. In: LMA IV (ND 2000) Sp. 2037–2039. 47 Stefan Weinfurter, Kaiser Heinrich II. und Boleslaw Chrobry, Herrschaft mit ähnlichen Konzepten. In: Questiones Medii Aevi Novae. Vol. 9. 2004 (Warszawa 2004) S. 5ff. 48 Die folgenden drei Absätze stammen aus der der Dissertation des Autors (wie Anm. 2) S. 197f. 49 Helmuth Beumann, Die Ottonen (5. Aufl. Stuttgart Berlin Köln 2000) S. 42, 79, 125, 147, 160. 50 Gerard Labuda, Gnesen II: Erzbistum, in: LMA 4 (ND 2000) Sp. 152–154. – Daniel BAGI, Die Darstellung der Zusammenkunft von Otto III. und Bolesław dem Tapferen in Gnesen im Jahre 1000 beim Gallus Anonymus, in: F. GLATZ (Hg.): Die ungarische Staatsbildung und Ostmitteleuropa. Begegnungen. (=Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Budapest 2002) S. 177–190. Zu den Zusammenhängen siehe auch Harald Zimmermann, Das Mittelalter, I. Teil, Von den Anfängen bis zum Ende des Investiturstreites (1Aufl. Braunschweig 1975) S. 188. 51 Regesta Imperii Sächsisches Hausgut, II,3 Otto III. (980) 983–1002, Bearb. Heinrich Uhlirz (1956/57 ) S. 745, Nr.: 1349d. 52 Ebd. 53 Zum Symbolgehalt der Mauritiuslanze vgl.: Helmuth Beumann, Die Ottonen (5. Aufl. Stuttgart Berlin Köln 2000) S. 79, 150. 54 Der ideologische Grundstein der kaiserlichen Herrschaft Ottos III. wird besonders durch seinen Titel des römischen Kaisers offenbar, der in den Urkunden immer wieder stark betont wird. vgl. auch Bernd Schneid-
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befand sich ein überaus selbstbewusster und nach Einfluss strebender Mensch an der Spitze Polens. Böhmen stellte einen weiteren Machtbereich dar, der für die Zeit des heiligen Koloman von besonderer Bedeutung war55. Die Quellen, die das Verhältnis Böhmens zu den ottonischen Ländern beschreiben, sind zunächst spärlich, bezeugen jedoch ein gutes Verhältnis56 zwischen dem benachbarten Bayern, also dem Reich und Böhmen. Eine Trübung des gedeihlichen Miteinanders erfolgt unter der Ägide Boleslaws II., des Frommen. Obwohl der Böhme mit einer Ottonin verheiratet war und obwohl er mit dem damaligen Thronerben Otto II. zu Ostern 973 in Quedlinburg zusammengetroffen war, ergriff Boleslaw der Fromme Partei für Heinrich den Zänker57. 975 unternahm Otto II. eine Strafexpedition, die Boleslaw den Frommen nicht davon abhielt, dem Zänker Zuflucht und Schutz zu gewähren. Als ein kaiserliches Heer 976 einen Vorstoß auf Pilsen unternahm, konnten die Böhmen die bayerische Vorhut überraschend schlagen und in einem Gegenstoß in die Oberpfalz eindringen, ja sogar bis Passau an der Donau vorstoßen. Ohne Zweifel war dieser Angriff, der der Zeit entsprechend mit Plünderungen einherging, dazu angetan, die Passauer und andere Bewohner des bayerischen Südostens in Angst und Schrecken zu versetzen. Zwei Jahre später wurde der Konflikt in Quedlinburg jedoch beigelegt. Die Zeiten blieben allerdings von Diskontinuität geprägt. Diese trat vor allem im Dreiländereck Böhmen, Polen und dem Reich zu Tage. Innerhalb Böhmens schwelte ein Konflikt zwischen zwei Familien um die Vorherrschaft. Die Macht der böhmischen Herzöge aus der Familie der Premysliden58 wurde durch die Auseinandersetzung mit den Slavnikiden59 immer wieder auf die Probe gestellt, doch konnten sich die Premysliden 995, vor allem durch die Morde auf der Burg Libovice, durchsetzen. Adalbert von Prag blieb von diesem Anschlag verschont, da er zu dem fraglichen Zeitpunkt in Rom weilte. Otto III. scheint niemals direkt in diese Auseinandersetzung zwischen den beiden Familien eingegriffen zu haben. Das erscheint besonders befremdlich, wenn man sich die Tatsache vor Augen führt, dass der heilige Adalbert, aus der Familie der Slavnikiden, und der liudolfingische Herrscher persönlich befreundet waren. Die Unruhe, die Böhmen erfasst hatte, kam allerdings zu keinem Ende.
müller, Otto III. – Heinrich II. In: Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter (Hg.): Otto III. – Heinrich II. Eine Wende? (Sigmaringen 1997) S. 19. 55 Die folgenden fünf Absätze sind aus der Dissertation des Autors (wie Anm. 2) entnommen, S 199ff. 56 Jörg Hoensch, Geschichte Böhmens, Von der Slawischen Landnahme bis zur Gegenwart (3. Aufl. München 1997) S. 47. 57 Helmuth Beumann, Die Ottonen (5. Aufl. Stuttgart Berlin Köln 2000) S. 115. 58 Jan Zemlicka, Premysliden. In: LMA VII (ND 2000) Sp.186 –188. 59 D. Testik, Slavnikiden. In: LMA VII (ND 2000) Sp. 2004 –2005.
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Thietmar von Merseburg konstatiert zur Zeit Boleslavs des Roten (Nachfolger Boleslavs II. des Frommen in der böhmischen Herzogswürde) eine Regierungskrise60. Diese Unruhe weckte die Begehrlichkeiten Boleslaw Chrobrys von Polen, der zuerst mittelbar und schließlich in eigener Person die Hand nach Böhmen ausstreckte61. Erklärend sei Folgendes dazu bemerkt. Die Verhältnisse in Böhmen gestalteten sich teilweise äußerst turbulent. Als der böhmische Herzog Boleslaw II im Jahre 999 für immer seine Augen schließt, beginnt ein Kampf um die Vorherrschaft unter seinen Söhnen, von denen sich Boleslaw III. gegen seine beiden Brüder Jaromir und Oldrich durchsetzt. Jaromir, Oldrich und deren Mutter flohen nach Regensburg. In weiterer Folge empörte sich der böhmische Adel gegen Boleslaw III., der nach Polen ausgeliefert wurde. An seiner Stelle wurde Vladivoj, auf den Herzogsthron gehoben. Der neue Herzog verstarb jedoch 1003 noch bevor seine Einsetzung vom Kaiser offiziell bestätigt werden konnte verstarb. Nach dem Tode Vladivojs wiederum berief der Adel Jaromir und Oldrich zurück in ihre Heimat. Zeitgleich mischte sich aber Boleslaw Chrobry aus Polen ein und setzte den zuvor ausgelieferten Boleslaw III. in Böhmen ein. Boleslaw III. begann mit einer grausamen Verfolgung seiner Gegner, die jedoch auch seinem polnischen Namensvetter und Gönner Boleslaw Chrobry missfiel. Chrobry setzte Boleslaw III. schließlich erneut ab und übernahm selbst die Herrschaft. In den Auseinandersetzungen Kaiser Heinrichs II. und Boleslaw Chrobrys konnte der Ottone 1004 den Piasten aus Böhmen verdrängen und durch den oben erwähnten Jaromir in der böhmischen Herzogswürde ersetzen. Jaromir verblieb bis 1012 in seiner Funktion bis er 1012 durch seinen Bruder Oldrich abgesetzt wurde. Auch Oldrich unterwarf sich sowohl Heinrich II. und später König Konrad II. Die premyslidische Macht erfuhr neuerlichen Aufschwung als der Sohn Oldrichs, Brestislaw, die Polen 1029 auch noch aus Mähren verdrängen konnte. Es gilt nun festzuhalten, dass Heinrich II. zunächst gegen den Vorstoß des Polenherzogs nach Böhmen nichts unternahm. Das gegenseitig gute Verhältnis zwischen Heinrich II. und Boleslaw Chrobry schlug um und eskalierte erst zu dem Zeitpunkt, als der letzte Ottone Boleslaw in seiner nunmehrigen Funktion als Böhmenherzog die Huldigung abverlangte. Der Pole verweigerte, und damit war der Konflikt vorprogrammiert. Dazu gilt es noch eine andere Tatsache zu berücksichtigen. Die Eingliederung Böhmens in den Herrschaftsbereich Boleslaw Chrobrys konnte womöglich unter Berufung auf den heiligen Adalbert auf Kosten des Erzbistums Mainz gehen. Dies jedoch durfte Kaiser Heinrich II. nicht mehr dulden, da Erzbischof Willigis vom Mainz maßgeblich62 daran beteiligt war, Heinrich auf den Thron zu setzen. Eine stille 60 Thietmari Merseburgensis Episcopi: Chronicon. In: Robert Holtzmann (Hg): Freiherr vom Stein Gedächtnisausgabe (Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1974) S. 200ff. 61 Ergänzende Erklärung vgl. Manfred Alexander, Kleine Geschichte der böhmischen Länder (Stuttgart 2008) S. 40f. 62 Helmuth Beumann, Die Ottonen (5. Aufl. Stuttgart Berlin Köln 2000) S. 161.
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Duldung dieser Aktivitäten gegen Willigis hätte bedeutet, dass der Imperator gegenüber seinem Gönner undankbar reagiert und eine Beschneidung des Reichskirchengebiets hingenommen hätte. Diese Handlungsweise schien für Heinrich auf keinen Fall angebracht und wäre seinem Ansehen unter den Reichsfürsten zweifellos abträglich gewesen. Der Frieden zwischen dem Reich und Polen wurde damit ab 1003 beendet und vor 1018 nicht dauerhaft wieder hergestellt. Boleslaw Chrobry war mit der Aneignung Böhmens und Mährens also zum unmittelbaren Nachbarn des Reiches an der gesamten Ostflanke geworden63. Böhmen verblieb bis 1004 unter polnischer Hoheit und Mähren bis ins Jahr 102964. Die Regierungszeit Heinrichs II. war daher massiv von der Auseinandersetzung mit Boleslaw Chrobry geprägt. Der polnisch-böhmische Fürst stellte folglich einen nicht zu vernachlässigenden Machtschwerpunkt in der Zeit Kolomans dar. Drei Kriegszüge Heinrichs II. manifestierten die negative Zäsur im Verhältnis zwischen dem Reich und seinen östlichen Nachbarn. Neben dem Griff nach Böhmen und Mähren erwiesen sich auch die Verhältnisse an der Nordostgrenze als Stolperstein in den Beziehungen zwischen dem Herzog von Böhmen und Kaiser Heinrich II. Sowohl die Mark Meißen, die Lausitz sowie das Milzener Land weckten die Begehrlichkeiten Chrobrys. Nach dem Frieden von Bautzen 1018 verbleib jedoch lediglich die Lausitz und das Milzener Land, dafür aber ohne lehensrechtliche Bindung, beim polnischen Herzog 65. Die Waffengänge Henrichs und des polnischen Herrschers Boleslaw wurden, wenn wir Thietmars Chronik weiter folgen, an der Nordostgrenze66 des Reiches geführt, nicht aber im südlichen böhmisch-bayerischen Raum. Der Ort der Kriegszüge erscheint in diesem Zusammenhang besonders wichtig, da wir versuchen müssen, zwischen dem Seelenleben und der Furcht der Bevölkerung in der Gegend von Stockerau und der Tötung Kolomans, des vermeintlichen Spions, einen kausalen Zusammenhang abzuleiten. Doch lässt sich für das Jahr 1012 und die unmittelbar vorher gelegene Zeitspanne keine direkte Aggression von Böhmen oder Mähren ausgehend und schon gar nicht in den Donauraum der östlichen Mark konstatieren. In der Heiligenvita des Koloman finden wir folgende Passage: „Venit itaque in Orientalem Noricae Regionem, cui a plaga orientali Pannonia, ab aquilonari confinis adjacet Poemia. Harum Nationes regionum, populis Noricae telluris ad modum tunc temporis erant molestae, eo quod ab illis saepe numero sint turpiter humiliatae, devictae, multisque 63 Karl Lechner, Die Babenberger, Markgrafen und Herzoge 976 –1246 (4. Aufl. Wien Köln Weimar 1992) S. 60. 64 Jörg Hoensch, Geschichte Böhmens, Von der Slawischen Landnahme bis zur Gegenwart. (3. Aufl. München 1997) S. 51. 65 Vgl. dazu Eduard Mühle, Die Piasten, Polen im Mittelalter (München 2011) S. 26f. 66 Karl Brunner, Herzogtümer und Marken, Vom Ungarnsturm bis ins 12. Jahrhundert. In: Herwig Wolfram (Hg.), Österreichische Geschichte 907–1156 (Wien 2003) S. 179.
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modis miserabiliter afflictae.“ 67 Zum einen können wir darin die oben besprochenen und lange tradierten Klischees die Ungarn betreffend feststellen, zum anderen auch die Furcht vor den Böhmen. Woher aber diese Furcht? Eine Möglichkeit, die Angst vor Spionen, speziell der damaligen Bevölkerung, zu verstehen, könnte darin bestehen, dass Markgraf Heinrich I. aus der Familie der Babenberger an den Feldzügen seines obersten Lehensherren beteiligt68 war. Markgraf Heinrich war mit Sicherheit in die Kämpfe verwickelt. Doch fanden diese Kämpfe soweit von seinem Lehen statt, dass niemand in der östlichen Mark direkt von den eigentlichen Auseinandersetzungen betroffen und bedroht sein konnte. Die Textstelle Thietmars von Merseburg die Eingangs Erwähnung fand, weist auf das mährische Grenzgebiet hin. Nach dem eben dargelegten ist zwar klar, dass zum Zeitpunkt des Martyriums des heiligen Kolomans Mähren unter der Kontrolle der Piasten stand, doch war das Grenzgebiet um das heutige Stockerau mitnichten von Mähren aus bedroht. Es ist daher nicht anzunehmen, dass die Bevölkerung aus einer direkten Bedrohungssituation heraus handelte, als sie Koloman 1012 tötete. Zusätzlich müssen wir nach dem Erwähnten Folgendes in Betracht ziehen. Von 1004–1012 und auch danach regierten in Böhmen Herzöge aus dem Haus der Premysliden, die den Herrschern des Heiligen Römischen Reiches positiv gegenüber standen. Eine Bedrohung aus Böhmen heraus wäre dementsprechend sehr unwahrscheinlich gewesen. Für das Martyrium, das Koloman erlitt, war also weniger das Bedrohungsszenario die Böhmen, Mährer oder Ungarn betreffend das Problem, sondern der mentalitätsgeschichtliche Aspekt der Fremdheit69. Empfundene Fremdheit sorgt leider in vielen Fällen für Irritation70. Für die Einwohner jener Peripherie des ottonischen Reiches entlang der Donau galt diese menschliche Grundfunktionsweise genauso wie für die Menschen heute, obwohl Geistesströmungen wie Christianisierung, Humanismus und Aufklärung aus der Tiefe der Unmündigkeit herausgeführt haben sollten71. Insbesondere der interkulturelle Kontakt mit den Nachbarn im Nordosten, den Slawen, als auch der nicht immer so positiv gestaltete Kontakt mit den neuen Nachbarn im Südosten, den Ungarn, mögen ein spezifisches Wir-Bewusstsein geschaffen haben. Wir können also annehmen, dass die geopolitische Ausgangssituation des beginnenden 11. Jahrhunderts und die damit verbundenen Konflikte mit den Ungarn, Polen und/ 67 MGH SS IV. Pag. 675. 68 Im Buch VII seiner Chronik erwähnt Thietmar von Merseburg ein Jagdgefecht, in dem Heinrich siegreich war und Kriegsbeute machen konnte. Im VIII. Buch der Chronik wird Heinrich als tapfer bezeichnet. 69 Meta Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman, der erste Patron Österreichs (= Studien und Forschungen aus dem niederösterreichischen Institut für Landeskunde Bd. 16, hg. Silvia Petrin und Willibald Rosner, Wien 1992) S. 14. 70 Die folgenden sechs Absätze sind aus der Dissertation des Autors (wie Anm. 2) übernommen S 205–207. 71 Friedrich Stentzler, Mythos und Aufklärung. In: Gegenwart als Geschichte, Islamwissenschaftliche Studien. Sonderdruck aus der Zeitschrift Die Welt des Islam. Bd. 28 (Leiden 1988) S. 559.
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oder Böhmen sich auf die Menschen in den Grenzräumen und ihre Lebensweise mit Sicherheit bewusstseinsstiftend ausgewirkt und die stets durch gegenseitige Bedrohung charakterisierte Mentalität der Bewohner des Grenzraumes erzeugt haben. Dass diese Selbstwahrnehmung nicht immer eine besonders positive Wahrnehmung des Fremden implizierte, liegt auf der Hand. Der Grenzraum, in dem der irische Pilger aufgegriffen wurde, hatte zwar, wie oben festgestellt, im Jahre 1012 bereits seit mehreren Dekaden keine nennenswerten Auseinandersetzungen mit den Nachbarn miterleben müssen, doch das Selbstbild und das damit verbundene negativ überprägte Fremdbild schienen sich tief in die Gehirne der Bevölkerung gegraben zu haben und wurden Koloman in letzter Konsequenz zum Verhängnis. Eine weitere psychologische Komponente sollte in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden. Die latente Angst der Grenzbevölkerung vor Übergriffen mag dazu geführt haben, dass die Furcht, die, wie wir festgestellt haben, eher diffus war, als durch Faktisches begründbar, durch eine neurotische Verschiebung des inneren Unruhezustandes auf etwas Benennbares, in diesem Fall auf die Person des Pilgers, zum Ausdruck kam72. Zu einer Verstärkung des Angstphänomens mag noch etwas hinzugekommen sein. Menschen, die sich nicht mit Sprache verständigen können, müssen in letzter Konsequenz auf die Gestik als Hilfsmittel zurückgreifen. Auch dieser letzte Versuch der Verständigung ist in seinen Ausformungen nicht immer interkulturell und mag daher das gegenseitige Unverständnis nicht nur zusätzlich fördern, sondern auch Abneigung erzeugen. In diesem Zusammenhang ist eine spätmittelalterliche (spätmittelhochdeutsche) Quelle zu nennen, die davon zu berichten weiß, dass die Gebärden Kolomans dazu beitrugen, ihn seinem Martyrium zuzuführen, da seine Gestik den Zorn seiner Mörder angestachelt hatte73. Die Ereignisse um den Märtyrer zeugen allerdings nicht nur von der Furcht vor der Fremde und dem unbekannten Anderen. Sie künden auch von der positiv, religiös überprägten Fremde74. Denn der Pilger selbst nimmt den Weg die Donau abwärts auf sich, um auf ihm in fremde Länder zu den Heiligen Stätten des Christentums im gelobten Land zu gelangen, und die Wegleistung des Koloman war durchaus beachtlich. Wäre dieser Mann tatsächlich von Irland bis Jerusalem gelangt, so hätte er eine Wegstrecke von mindestens 5000 km in einer Richtung zurücklegen müssen. Kein Mensch hätte zu dieser Zeit solche Wegstrecken und derartige Strapazen auf sich genommen, ohne den Willen und die Bereitschaft, sich auf etwas Neues, etwas Fremdes, etwas Anderes 72 Irene Etzersdorfer, Was ist Xenophobie? In: Irene Etzersdorfer und Michael Ley (Hg.), Menschenangst und die Angst vor dem Fremden (Berlin 1999) S. 101. 73 Vgl. Der Heiligen Leben: Von Sant Colomanno, fol. 193 r, b – 194 r, a [Der heiligen Leben, Nürnberg 1488] (BSB 1 Inc. c.a. 269a). 74 Zur Peregrinatio vgl. Julien Ries, Pilgerreisen und ihre Symbolik. In: Paolo Caucci von Saucken (Hg.): Pilgerziele der Christenheit, Jerusalem, Rom, Santiago de Compostela (Stuttgart 1999) S. 19ff.
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einzulassen. Dennoch bei aller Fremdheit, der der irische Pilger mit Sicherheit bereit war zu begegnen75, mag bei Kolomans Reise und den dafür notwendigen Vorbereitungen wohl die Hoffnung eine Rolle gespielt haben und sein Tun von dem Gedanken getragen worden sein, dass das einigende Band der Christenheit eine menschenwürdige Behandlung und einen brüderlichen Umgang für den Pilger gewährleistete. Vom notwendigen Gottvertrauen76, das für eine solche Reise vonnöten war, sei hier noch völlig abgesehen. War das ethnozentrische Weltbild77 des Mittelalters grundsätzlich dazu angetan, die nicht zum eigenen Kulturkreis gehörigen Menschen abzuwerten, so mag der Märtyrer doch auf dieses eine, aber sehr wichtige Wesensmerkmal gehofft haben, da es ihm den Status eines vollwertigen Menschen und damit weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus eine menschenwürdige Behandlung garantieren hätte müssen. Als äußeres Zeichen78 der Pilgerschaft wird Koloman zumindest mit einem entsprechenden Pilgermantel, einem Stab und einer Pilgerflasche ausgestattet gewesen sein79. Gegen Kälte und Regen mag Koloman auch einen Pilgerhut getragen haben, der ihn vor den Einflüssen der Witterung schützte. All das hätte ihm zwar grundsätzlich im zwischenmenschlichen Kontakt nützlich sein können, doch setzt der mit den Attributen eines Pilger einhergehende Nutzen voraus, dass jene, auf die der Pilger trifft, mit der Symbolik der Gegenstände vertraut sind. Dies war bei Koloman ganz offensichtlich nicht der Fall80. Er wurde auf Grund seines Erscheinens schlicht und einfach als fremd eingestuft. Noch dazu erschien diese Fremdheit durch die Bekleidung in ganz offensichtlicher Art und Weise. Die Offensichtlichkeit des Fremden, oft auch als Kriterium der Sichtbarkeit genannt, stellt dabei einen Schlüsselreiz beim Empfinden von Fremdheit dar. Auch das zeigt wie sehr die Gegend des heutigen Stockerau Peripherie gewesen ist. Diese Tatsache wird zusätzlich unterstrichen von der 75 Zur inneren Einstellung der Pilger gegenüber Fremden vgl. Wilhelm Fricke, Die Itinerarien des Konrad von Parsberg, des Reinhard von Bemelberg und ihrer Mitreisenden über eine Pilgerreise nach Jerusalem im Jahre 1494, Zugleich ein Beitrag zur Erforschung von Fremdenfurcht und Fremdenfeindlichkeit im Spätmittelalter (Bochum 2000) S. 151. 76 Norbert Ohler, Pilgerleben im Mittelalter, Zwischen Andacht und Abenteuer (Freiburg Basel Wien 1994) S. 43. 77 Harry Kühnel, Das Fremde und das Eigene, Mittelalter. In: Peter Dinzelbacher (Hg.), Europäische Mentalitätsgeschichte, Hauptthemen in Einzeldarstellungen (2. Aufl. Stuttgart 2008) S. 481. 78 Robert Plötz, Auf dem Weg und am heiligen Ort, Pilgerbräuche. In: Paolo Caucci von Saucken (Hg.): Pilgerziele der Christenheit, Jerusalem, Rom, Santiago de Compostela (Stuttgart 1999) S. 87. 79 Zur Decodierung der mittelalterlicher Symbolik vgl. János Bak, Symbolik und Kommunikation im Mittelalter. In: Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Phil.-Hist. Klasse. Band 596 (Wien 1992) S. 44. 80 Franz Reiner Erkens, Coloman. In: Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Aufl. Bd. 2 ( Freiburg 1994) Sp. 1260. Ingeborg Ramseger, Koloman. In: Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd. 7 (Freiburg 1974) S. 328, Sp. 2. Ebenda Norbert Corveyer: Bibliotheca Sanctorum et pontificia Universitas Lateranense. Acta Sanctorum Februarii. Tom III. 1678. Pag. 83 a, c, e, f. (Acta Sanctorum online: http://visualiseur.bnf. fr/Visualiseur?Destination=Gallica&O=NUMM-6029 am 17. 8. 2011)
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Abwesenheit einer Person aus dem Stand der Geistlichkeit, die den Pilger an seinen Attributen sicher erkannt hätte. Angst vor dem Fremden81, Xenophobie, scheint in allen Gesellschaften in unterschiedlichster Form verbreitet. In mittelalterlichen Gesellschaftsformen stellte sich dieses Phänomen nicht grundsätzlich anders dar als heute. Angst vor dem Unvertrauten ist also transhistorisch und ubiquitär82. Koloman mag auf Grund seines Aussehens zunächst Aufsehen und damit unmittelbar gekoppelt Angst ausgelöst haben. Wie sehr Fremdheit und Angst vor dem kulturellen Kontext Europas verwoben sind, zeigt ein philologischer Blick ins Lateinische. Der Begriff „hospes“83 kann nämlich nicht nur den Gast meinen, sondern auch den Fremden. Die sprachwissenschaftliche Nähe dieser beiden Begriffe erscheint geradezu symptomatisch und nicht minder programmatisch für den Umgang mit Fremdheit, sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart. Die Angst vor dem Fremden und unbekannten wird in der Vita des heiligen Koloman nochmals hervorgehoben, wenn man sich die Misshandlungen vor Augen führt, denen der Pilger ausgesetzt wurde84. Grausamkeiten dieser Art sind vermutlich nur dann wirklich umsetzbar, wenn eine extreme innere Distanz oder Abneigung gegen die Person besteht. Zusammenfassend bleibt daher festzustellen, dass die Grenzen in den Köpfen der Menschen Kolomans Schicksal besiegelten. Die politischen Grenzen und die ständige Metamorphose derselben mag die Einstellung der Häscher erst entstehen haben lassen.
81 Michael Ley, Xenophobie als interkulturelles Phänomen. In: Irene Etzersdorfer und Michael Ley (Hg.): Menschenangst und die Angst vor dem Fremden (Berlin 1999) S. 131. 82 Walter Seiter, Philosophische Dispositionen zur Xenophobie. In: Irene Etzersdorfer und Michael Ley (Hg.): Menschenangst und die Angst vor dem Fremden (Berlin 1999) S. 11. 83 Langenscheidt (Hg.): Großes Schulwörterbuch Lateinisch – Deutsch. Langenscheidt (Berlin München Wien Zürich New York) S. 381. 84 Meta Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman, der erste Patron Österreichs. (= Silvia Petrin und Willibald Rosner [Hg.]: Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde. Bd. 16 Wien 1992) S. 14.
Ein frühungarischer Reiter aus Gnadendorf, Niederösterreich Ernst Lauermann
Fundort, Fundgeschichte, Befund Die Marktgemeinde Gnadendorf liegt etwa 15 Kilometer nordwestlich von Mistelbach, nördlich der Leiserberge (Abb.1).
Abb. 1: Niederösterreich-Karte mit eingezeichnetem Fundort
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Abb. 2: Bergung des Grabes im Juli 2000 (Foto: NÖ Landessammlung Ur- und Frühgeschichte, 139_28748)
Abb. 3: Umzeichnung des Grabungsbefundes (Zeichnung: Franz Drost)
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Am 18. Juli 2000 meldete Bürgermeister Karl Buchhammer1 aus Gnadendorf dem Museum für Urgeschichte des Landes Niederösterreich in Asparn an der Zaya, dass bei Aushubarbeiten im Ortsgebiet, direkt vor dem Eingang der Volksschule, Teile eines menschlichen Schädels und ein Stück einer eisernen Langwaffe gefunden wurden. Nach Besichtigung der Fundstelle durch den Verfasser wurde eine Rettungsgrabung eingeleitet2. Die Bergung gestaltete sich äußerst schwierig, da die Arbeiten wegen Regens immer wieder unterbrochen werden mussten; andererseits war Eile geboten, da die Straßenarbeiten nur wenig Aufschub duldeten (Abb. 2). Nach Auffindung des Pferdeschädels am 19. Juli wurde die Wahrscheinlichkeit ernsthaft in Erwägung gezogen, dass es sich hier um ein Reitergrab aus dem 10. Jahrhundert handeln könnte3. In einer Tiefe von einem Meter unter dem Straßenniveau fand sich in einer zwei Meter langen und 60 Zentimeter breiten Grabgrube eine Körperbestattung in gestreckter Rückenlage, West-Ost-orientiert4 (Abb. 3). Die Grabgrube war nicht eindeutig erkennbar und hob sich vom schottrigen Untergrund nur schwer ab. Der Schädel des Bestatteten war bereits durch die Baggerarbeiten zerstört worden, lediglich der Unterkiefer befand sich noch in Originallage. Links neben dem Schädel lag ein großer Tierknochen (40)5, an dem ein Eisenmesser (39) angerostet war. Knapp neben dem Schädel war ein kleiner Ring aus Bronzedraht (2). Die Arme lagen gestreckt neben dem Körper, auf dem rechten Arm lag ein eiserner Säbel, dessen Griff samt Parierstange bereits durch den Bagger aus dem Grabverband gerissen worden war. Am Säbel zeigten sich noch deutliche Holzreste. Im Bereich des Griffes konnten zwei grün patinierte Griffknaufbeschläge und Silberblechstreifen sichergestellt werden. Die Wirbelsäule war etwas verschoben, im unteren Bauchbereich lagen durchlochte Silbermünzen (3, 17) und grün patinierte Gürtelbeschläge (4, 5, 6, 7, 10). Durchlochte Silbermünzen (insgesamt 11 Stück) fanden sich sowohl unterhalb als auch knapp über dem Skelett. Im Bereich des linken Unterschenkels lagen stark zusammengelegt, Teile eines erwachsenen Pferdeskeletts, nämlich der Schädel samt Unterkiefer sowie die distalen 1 An dieser Stelle möchte ich Herrn Bürgermeister AD Karl Buchhammer, sowie dem damaligen Vizebürgermeister und jetzigen Bürgermeister Herrn Karl Schmid für die rasche Fundmeldung und für zahlreiche Hilfen vor Ort herzlich danken. 2 An der Fundbergung waren beteiligt: Franz Drost, Monika Schittenhelm, Gerda Lauermann und Dr. Ernst Lauermann. 3 In einem Pressebericht der NÖ Nachrichten, Ausgabe Mistelbach vom 27. Juli 2000 wird auf Seite 53 das „Reitergrab aus dem 10. Jh.“ erstmals genannt. 4 Ernst Lauermann, Ein landnahmezeitliches Reitergrab von Gnadendorf, Archäologie Österreichs 11/2 (2000), 34 f. 5 Die in Klammern gesetzten Zahlen beziehen sich auf die Fundnummern, der in der Zeichnung (Abb. 3) eingetragenen Objekte.
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Abschnitte sämtlicher vier Extremitäten. Die proximalen Abschnitte und das Axialskelett fehlten. Des Weiteren fand sich auf dem linken Unterschenkel liegend das Ortband der Säbelscheide (29, 30, 31), am rechten Fußgelenk lag eine Eisenschnalle (38) und neben dem rechten Unterschenkel fanden sich Reste eines Steigbügels (36). Der Säbel wurde im Block geborgen und wie alle anderen Fundmaterialien in das Museum für Urgeschichte nach Asparn an der Zaya gebracht6. In der Fachwelt löste das Gnadendorfer Grab einiges Erstaunen aus. So wurde unter Führung vom Generaldirektor des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, Herrn Univ. Doz. Dr. Falko Daim, ein internationales Expertenteam zusammengestellt, das die wissenschaftliche Bearbeitung des Fundes vornahm7.
Die wichtigsten Fundgegenstände8 Gürtelbeschläge Die Reiterkrieger der östlichen Steppen pflegten ihre Waffen an ihren Gürteln zu befestigen, damit sie die Bewegungsfreiheit im Sattel nicht behinderten. Der Gürtel galt als Rangabzeichen und war oftmals unterschiedlich zusammengesetzt. Bei den Ungarn im 10. Jh. hatte der Gürtel meist eine Länge von beinahe eineinhalb Metern und war von unterschiedlich verzierten Beschlägen, oft aus vergoldetem Silber, verziert. Anzahl und Material der Beschläge bestimmten den Rang des Trägers. Meist betrug die Anzahl der Beschläge zwischen 15 und 20 Stück, manchmal fanden aber auch bis zu 50 Stück Beschläge Verwendung9. 6 Das Fundmaterial wurde Herrn Josef Steiner zur Restaurierung übergeben. Insgesamt dauerte die Restaurierung bis Herbst 2001, wobei die Arbeiten am Säbel große Probleme aufwarfen, da kein Eisenkern mehr vorhanden war. Eine Eisenschnalle wurde im Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz nachrestauriert. 7 Dem Expertenteam gehörten folgende Personen an: Bagácsi-Szabó Erika, Brunner Karl, Bühler Birgit, Csányi Bernadett, Czibula Ágnes, Daim Falko, Felgenhauer-Schmiedt Sabine, Greiff Susanne, Hahn Wolfgang, Kalmár Tibor, Kucera Matthias, Kunst Günter Karl, Lauermann Ernst, Mehofer Mathias, Müllauer Natascha, Pany Doris, Prohaska Thomas, Pucher Erich, Raskó Istvan, Révész, László, Stadler Peter, Takács Miklós, Teschler-Nicola Maria, Tobias Bendeguz, Tömöry Gyöngyvér und Zehetmayer Roman. Alle Beiträge wurden zusammengefasst in: Falko Daim – Ernst Lauermann (Hrsg.), Das frühungarische Reitergrab von Gnadendorf (Niederösterreich), Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Band 64 (Mainz 2006). Herrn Doz. Dr. Daim sei für die Gesamtorganisation der wissenschaftlichen Bearbeitung der herzlichste Dank ausgesprochen. Erst dadurch erlangte der Fund die Bedeutung die ihm gebührt. 8 Katalog der Fundgegenstände, in: Daim – Lauermann (wie Anm. 6), S. 5 –28. 9 László Révész, Auswertung der Funde, in: Daim – Lauermann (wie Anm. 6), S. 120.
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Abb. 4: Gürtelbeschläge aus Silber (Foto: NÖ Landessammlung Ur- und Frühgeschichte, 139_30829)
Im Grabverband fanden sich jedoch nur sieben wappenförmige Gürtelbeschläge, ähnlicher Machart, aus Silber gegossen, teilweise vergoldet, die zu einer Gürtelgarnitur gehörten (Abb. 4). Bei ungarischen Gräbern aus dem 10. Jahrhundert ist es keine Seltenheit, dass nur eine geringe Anzahl von Gürtelbeschlägen zu Tage kommt. Dies wird zum einen mit absichtlichem Zerschneiden aus rituellen Gründen, zum anderen könnte es das Recht ausdrücken überhaupt einen Gürtel zu tragen10, erklärt. Auch beim Gnadendorfer kann man annehmen, dass die Beschläge nicht für den 14-jährigen Jungen angefertigt wurden, vielmehr dürfte ein Gürtel eines älteren Angehörigen zerschnitten und bei der Bestattungszeremonie ins Grab gelegt worden sein11. Da die Gürtelbeschläge stark abgenutzt sind, sind feine Details der Verzierungsmotive nur schwer erkennbar. Ein Ranken-Blumenmotiv, das in mehreren ungarischen Gräbern des 10. Jh. nachgewiesen werden konnte, scheint auch Verwendung gefunden zu haben. Nach László Révész, ist es nicht möglich die Nutzungsdauer dieser Motive auf das erste Drittel des 10. Jh. zu beschränken12. 10 László Révész (2006), S. 120 f. 11 László Révész (2006), S. 122. 12 László Révész (2006), 124.
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An drei Metallgegenständen aus Gnadendorf hatten sich kleine Textilreste ankorrodiert erhalten. Die Fragmente waren in Kontakt mit Eisen-, Bronze- und Silbergegenständen erhalten geblieben und konnten so ihren ursprünglichen Charakter bewahren. Das Gewebe mit der Nr. 3 umschließt einen nicht eindeutigen Eisengegenstand. Natascha Müllauer interpretiert das Objekt entweder als ,Textilen Behälter‘ in Form einer flachen Tasche, oder auch als Teil der Oberbekleidung13. Beim Material handelt es sich eindeutig um Seide14. Auch das Textilfragment (Nr.10), aus Leinen, dürfte dem Obergewand zugerechnet werden15. Beim Gürtelbeschlag (Nr. 8), haftete der Textilrest, vermutlich eine Leinenbindung, an der Schauseite des Beschlags. Das Textilstückchen dürfte wegen seiner Feinheit auch zur Kleidung gezählt werden. Generell lässt sich für das 10. Jh. in Mitteleuropa ein vermehrtes Auftreten von leinwandbindigen Geweben erkennen. Als Herstellungsort für das Seidengewebe kommt eher das Byzantinische Reich in Betracht, da die höhere Schussdichte tendenziell gegen China spricht, weil chinesische Gewebe sich durch eine höhere Kett- als Schussdichte auszeichnen16.
Münzen Elf, teilweise fragmentierte und stark korrodierte Silbermünzen wurden entdeckt (Abb. 5). Bis auf eine von ihnen, waren alle auch mehrmals durchlocht, sie können zum Trachtzubehör gerechnet werden. Zehn Münzen konnten näher bestimmt werden. Fünf davon waren Ostprägungen von König Berengar knapp nach 900, zwei Münzen vom selben König, allerdings frühe Prägungen, knapp vor 900 und drei Münzen waren Westprägungen von König Ludwig, 900 –90217. Genau genommen bildet das erste Prägejahr der jüngsten Münze eines „geschlossenen Fundes“ den „terminus post quem“ für die Niederlegung. Beim Gnadendorfer Grab wäre das ziemlich sicher das Jahr 900. Allerdings kann die Zeit zwischen Prägung und tatsächlicher Grablegung nicht genau abgeschätzt werden. Die aufgenähten Münzen sprechen für einen längeren Zeitraum, die einzige nicht durchlochte Münze eher für eine kürzere Zeit. Diese nicht durchlochte Münze könnte auch als Totenmünze für 13 Natascha Müllauer, Die Textilien, in: Daim – Lauermann (Hrsg.), (Mainz 2006), S. 97. 14 Natascha Müllauer (wie Anm. 13), S. 94 f. 15 Natascha Müllauer (wie Anm. 13), S. 95. 16 Andreas Schmidt-Colinet – Annemarie Stauffer – K. Al AscAd, Die Textilien aus Palmyra (Mainz 2000), S. 18 f. 17 Wolfgang Hahn, Die Münzen, in: Daim – Lauermann (wie Anm. 6), S. 99 – 106.
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Abb. 5: Silbermünzen aus dem Grab (Foto: NÖ Landessammlung Ur- und Frühgeschichte, 139_30834)
die Reise ins Jenseits gedient haben18. Für die Numismatik ist eine Frühdatierung der Bestattung naheliegend, es sei denn, man möchte auf Grund der anderwärtigen Befunde annehmen, das Gewand oder Geschirr, auf dem die Münzen appliziert waren, sei an spätere Generationen weitergegeben worden19
Säbel Der Säbel mit einschneidiger Klinge ist aus Eisen geschmiedet, leicht gekrümmt, hat eine Griffangel und einen verstärkten Rücken. Die Scheide ist teilweise ankorrodiert. Die Parierstange ist in einem Stück gegossen und aus Bronze, die Enden sind kugelförmig und verziert. Die Parierstange wurde auf den Griff des Säbels aufgeschoben und durch die hölzernen Griffteile fixiert. Der hölzerne Griffteil20 ist im Bereich der Parierstange noch vollständig erhalten und dort mit einem vergoldeten Silberblech bedeckt. Die beiden Knaufschalen, aus Silber gegossen, endeten in einem länglichen blütenförmigen Fortsatz und sind an den Außenseiten mit einem flächendeckenden, reich beblätterten Palmettendekor verziert. Teilweise sind noch Reste der Vergoldung erhalten. Der Knauf ist sehr stark abgenutzt. Die Gesamtlänge des Säbels beträgt 83,9 Zentimeter (Abb. 6). 18 László Révész (2006), 134. 19 Wolfgang Hahn (2006), 105. 20 Eine Holzartenuntersuchung vom 25.10.2000 an der Universität für Bodenkultur Wien durch die Arbeitsgruppe Holzbiologie und Jahresringforschung erbrachte, trotz kleiner Unsicherheiten für den Griff Kirschholz und für die Scheide Birnenholz. Für die Bestimmung sei Herrn Michael Grabner herzlich gedankt.
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Abb. 6: Säbel mit Knauf, Tragösen und Ortband (Foto: NÖ Landessammlung Ur- und Frühgeschichte, 139_33355)
Zum Säbel gehörte außerdem ein Scheidenmundblech aus getriebenem Silberblechstreifen, die gesamte Oberfläche schein früher vergoldet gewesen zu sein. Mittig ist eine Palmettenverzierung oberflächlich ziseliert. Weiters zu nennen sind zwei Trageösen des Säbels. Jede besteht aus zwei Teilen. Das Deckblatt besteht aus Silber, teilweise vergoldet, in Form einer stilisierten Blüte aus drei Blättern. In der Mitte der äußeren Blätter wurde jeweils eine dunkelblaue Glasperle in einer runden Auslassung angebracht. Eine dritte Glasperle befindet sich zentral über den beiden Blättern. Die Rückplatte besteht aus einem u-förmig ausgeschnittenen Kupferblechstreifen und war durch vier mit gegossenen Nieten an der Deckplatte mit dieser verbunden. Ebenfalls als Bestandteil des Säbels ist das zweiteilige Ortband, welches im Grab etwas disloziert gefunden wurde. Der Vorderteil ist aus Silber gegossen, abgeflacht zylindrisch, mit lyraförmigem Ausschnitt, dessen unterer Rand aus zwei flachen Bögen gebildet ist. Das Ortband ist an seiner gesamten Oberfläche mit einem erhabenen Rankenornament versehen. Die Flächen dazwischen sind vergoldet. Der Rückenteil besteht aus einer gegossenen Kupferlegierung. Als Ortbandunterlage diente ein gebogenes Silberblech. Bei der Restauration im Museum für Urgeschichte des Landes Niederösterreich fielen auch kleine Fragmente mit genarbter Oberfläche auf. Eine genaue Analyse ergab, dass es sich wahrscheinlich um die Reste einer Hai- oder Rochenhaut handelte21, die extrem widerstandsfähig sind. Durch die genarbte Oberfläche der Fischhaut wurde der damit überzogene Säbelgriff rutschfest. Auch der „Säbel Karls des Großen“ in der Wiener Schatzkammer ist mit einer Fischhaut überzogen. Der Säbel von Gnadendorf steht im Material der ungarischen Frühgeschichte fast alleine da. Nur rund ein Dutzend der insgesamt ca. 150 bekannten ungarischen Säbel des 10. Jh. ist mit Silberbeschlägen verziert. Die meisten davon stammen aus
21 Günter Karl Kunst, Hautreste eines Knorpelfisches, in: Daim – Lauermann (Hrsg.), (Mainz 2006), 83 – 91.
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Nordostungarn, von dort stammt auch die bisher einzige direkte Analogie zum Säbel von Gnadendorf, die Prunkwaffe von Karos III, Grab 1122.
Pferdegeschirr (Abb. 7)
Abb. 7: Pferdegeschirr bestehend aus Trense, Schnalle und Steigbügelpaar (Foto: NÖ Landessammlung Ur- und Frühgeschichte, 139_33368)
Zum Pferdegeschirr gehört eine mehrteilige Trense aus geschmiedetem Eisen, mit asymmetrischen Knebelstangen, mit einem dicken, aus zwei Teilen zusammengesetzten scharnierartigen Mundstück, das an beiden Enden mit einem Doppelring endet. Weiter zu nennen sind zwei birnenförmige, stark korrodierte Steigbügel und eine große geschmiedete Eisenschnalle mit flachen rechteckigen Rahmen und rechteckigen, spitz 22 Lászlo Révész (2006), 119 – 158.
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zulaufenden Dorn. Die Schnalle war an der Oberseite mit Punktlinien und Querlinien verziert und ursprünglich vollständig verzinnt, Reste davon haben sich noch erhalten. Im Grab von Gnadendorf wurde somit nicht nur die abgezogene Haut mit Schädel und Schienbeinen vom Pferd des Verstorbenen, sondern auch das komplette Pferdegeschirr mit begraben. Davon zeugen die aus Eisen gefertigten Teile des Zaumzeuges und des Sattels. Die Trense gehört zu den asymmetrischen beweglichen Trensen mit Gebissseitenstangen mit dickem Mundstück. István Dienes23 hat sich ausführlich mit der Funktion unterschiedlicher Trensen auseinandergesetzt. Er kommt zum Schluss, dass die ungarischen Schmiede bewusst verschiedene Trensen formten und diese nicht nur dem Geschlecht, dem Alter und der Stellung des Benutzers in der gesellschaftlichen Hierarchie entsprechend anpassten, sondern auch den Eigenschaften und der Natur des Pferdes. Dafür sprechen die unterschiedlich geformten Mundstücke. Die Trense von Gnadendorf diente zur Führung eines ruhigen, leicht lenkbaren Pferdes. Ihrer Struktur nach konnte damit auch ein weniger geübter Reiter von normaler Körperkraft sein Pferd leicht lenken24. Auf die Beigabe des Sattels aus Holz und Leder ins Grab lassen die Gurtschnalle und das Steigbügelpaar schließen. Beide Steigbügel gehören zu den häufigsten Typen im ungarischen Fundmaterial des 10. Jhs., den birnenförmigen Steigbügeln. Die asymmetrische Variante, wie auch in Gnadendorf angetroffen, wurde hauptsächlich von Kriegern benutzt und bestätigt die Zugehörigkeit des Gnadendorfer Reiters zur führenden Schicht25.
Speisebeigabe Neben dem Kopf des Toten lag auf der linken Seite ein Pferdeknochen mit einem angerosteten, stark korrodierten Eisenmesser, welches ursprünglich wohl im Fleisch steckte. Der Knochen stammte von einem dreieinhalb-jährigen Pferd. Der Brauch, dem Verstorbenen Speisen für die Reise ins Jenseits ins Grab beizugeben, war im 10. Jh. im ganzen ungarischen Siedlungsgebiet stark verbreitet. Die Knochen stammen überwiegend von Schaf, Rind, im geringeren Maß auch von Geflügel und Schwein. Es ist allerdings nicht belegt, dass aus irgendeinem ungarischen Grab aus dem 10. Jh. Pferdeknochen als Reste von Speisebeigaben entdeckt wurden. Noch dazu ist eindeutig erwiesen, dass die offensichtliche Speisebeigabe mit beigegebenem Messer, nicht vom Fleisch des im Grab gefundenen Pferdes stammt. Der Pferdefemur gehörte zu einem dreieinhalbjährigen Tier, während das Opfertier ein etwa siebenjähriges Reitpferd 23 István Dienes, A honfoglaló magyarok lószerszámának néhány tanusága. Arch. Ért. 93, (1966), 208 –232. 24 Lászlo Révész (2006), 136f. 25 Lászlo Révész (2006), 137f.
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war. Offensichtlich wurde Speisebeigabe und Pferdeopferung streng voneinander abgegrenzt26. Der Verzehr von Pferdefleisch dürfte zu den rituellen Zeremonien der landnahmezeitlichen Ungarn gehört haben.
Anthropologische Analyse27 Nach der anthropologischen Untersuchung war der Bestattete etwa 14 –18 Jahre alt, gut trainiert und kräftig, wie man von den gut ausgebildeten Muskelansätzen schließen konnte. Der junge Mann dürfte ein sehr guter und geübter Reiter, vermutlich von früher Kindheit an, gewesen sein. Er hatte nämlich im Kampf oder im Training ernste Schäden erlitten. Zwei Verletzungen wurden festgestellt. In der rechten Armbeuge war der Bursche von einem scharfkantigen, eventuell hohlen Gegenstand getroffen worden. Die Wunde konnte nicht mehr verheilen, sie war jedoch ziemlich sicher nicht tödlich. Eine Verletzung am Kopf dürfte er drei bis sechs Monate vor seinem Tod erlitten haben. Diese Schädelverletzung hatte er zunächst überstanden, vermutlich wurde sie durch Abschaben medizinisch behandelt. Doch könnte sie letzten Endes im Zusammenhang mit anderen Faktoren zum Tod geführt haben. Der Gnadendorfer Junge litt aber auch an einer, bisher noch nie am archäologischen Material beobachteten Krankheit: dem „Klippl-Feil-Syndrom“. Die Krankheit zeigte sich an angeborenen Verwachsungen der Wirbelkörper, einer Deformation der Schädelbasis, sowie einer ebenfalls angeborenen Verengung der äußeren Gehörgänge – vermutlich war er schwerhörig. Möglicherweise hat er jedoch seine Krankheit nicht als Behinderung empfunden, denn sie dürfte noch nicht voll ausgeprägt gewesen sein. Der Tod des jungen Kriegers war wohl eine Spätfolge des Schädeltraumas in Kombination mit der angeborenen Fehlbildung. Die bei ihm festgestellte Instabilität der Schädelbasis könnte nach einem Trauma entsprechende neurologische Symptome ausgelöst oder verstärkt haben und somit indirekt – als Spätfolge – den Tod verursacht haben28. Auf Grund der Zeitstellung des Fundes stellt sich auch die Frage nach der Herkunft des Knaben. Zur Klärung dieser Frage bietet der Vergleich des Strontium-IsotopenVerhältnisses im Zahnschmelz und in den Langknochen den idealen Zugang. Die
26 Lászlo Révész (2006), 139f. 27 Doris Pany – Maria Teschler-Nicola – Thomas Prohaska – Matthias Kucera, Anthropologische Analyse, in: Daim – Lauermann (Hrsg.), (Mainz 2006), 29 – 67. 28 Doris Pany – Maria Teschler-Nicola, Der „gezeichnete Held“, in: Falko Daim (Hrsg.), Heldengrab im Niemandsland. Ein frühungarischer Reiter aus Niederösterreich, Mosaiksteine Forschungen am RömischGermanischen Zentralmuseum Band 2 (Mainz 2006), 42.
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gewonnenen Daten zeigen keine statistischen Unterschiede, sodass der Jugendliche keinen Residenzwechsel vollzogen hat29.
Das Pferd30 Links neben den Beinen des Kriegers fanden sich auch Teile eines erwachsenen Pferdeskeletts, nämlich der Schädel samt Unterkiefer sowie die distalen Abschnitte sämtlicher vier Extremitäten in „gebündelter“ Lage. Die proximalen Abschnitte und das Axialskelett fehlten vollständig. Es war Sitte der landnahmezeitlichen Ungarn, ihren Toten die Haut eines Pferdes samt enthaltenem Schädel und distalen Extremitätenabschnitten beizugeben. Keine der in Gnadendorf geborgenen Pferdeknochen trägt jedoch irgendwelche Schlag-Schnitt- oder Hackspuren, die auf eine vorgenommene Tötung bzw. Zerlegung im frischtoten Zustand hinweisen würden. Keinerlei Manipulationen konnten festgestellt werden, daher ist entweder mit vorhergehender Mazeration, oder mit überaus großer Sorgfalt beim Heraustrennen der Knochenteile zu rechnen. Für Erich Pucher ist in Anbetracht der Unannehmlichkeiten, die das Abwarten der Verwesung mit sich gebracht hätte, die sorgfältig vorgenommene Heraustrennung der Knochen, wahrscheinlicher31. Eine genaue Analyse konnte feststellen, dass es sich beim Pferd um einen etwa sieben Jahre alten Hengst mit einer ungefähren Widerristhöhe von 135 Zentimetern handelte. Das Pferd von Gnadendorf fügt sich vollkommen in den Rahmen seiner Zeit. Es dürfte auch eher der Züchtung nach, den kleinen ungarischen Pferden, als westlichen Züchtungen zuzuordnen sein.
Bestattungsritus32 Der Grabritus im Frühmittelalter wird kaum jemals von zeitgenössischen Autoren erwähnt. Die Archäologie kann nur einen kleinen Ausschnitt davon wiedergeben, nämlich jenen der sich unter der Erde erhalten hat. Bestattungsbräuche können sehr langlebig sein, aber auch von den modernen Strömungen beeinflusst werden. Unter den rund 27000 bisher bekannten ungarischen Gräbern aus dem 10. und 29 Doris Pany – Maria Teschler-Nicola – Thomas Prohaska – Matthias Kucera, Der gezeichnete Held (wie Anm. 28), 65. 30 Erich Pucher, Das Pferd, in: Daim – Lauermann (Hrsg.), (wie Anm. 27), 75 – 82. 31 Erich Pucher (2006), 76. 32 Falko Daim, Der frühungarische Jüngling von Gnadendorf und die Folgen – Der Blickwinkel der Archäologie, in: Daim – Lauermann (Hrsg.), (wie Anm. 27), 289.
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11. Jh. befinden sich etwa 1000 mit partieller Pferdebestattung. Am Rande des ungarischen Machtbereichs war die Beibehaltung der „heidnischen“ und für die landnehmenden Ungarn charakteristischen Sitte der Pferdebestattung ein klares Zeichen der Zugehörigkeit – besonders, wenn man an die Existenz einer lokalen, schon in gewissem Maße christianisierten Bevölkerung rechnet33. Inwieweit kann die Anwesenheit eines altungarischen Grabes im Weinviertel Niederösterreichs, die Machtstruktur ungarischer Fürsten widerspiegeln? Hier ist besondere Vorsicht geboten, man kann nicht automatisch altungarische Funde und Befunde für die Ausdehnung der Macht heranziehen34. Das Weinviertel, im 9. Jh. zum Machtbereich des Mährischen Fürstentums gehörend, dürfte 905/90635 durch die Ungarn erobert worden sein. Es ist anzunehmen, dass sich ein Teil des mährischen Gentiladels in die Elite der Altungarn eingegliedert hat. Diese Sitte geht in die Frühawarenzeit des 7. Jh. zurück. Anders als bei den Awaren wurden im 10. Jh. aber niemals komplette Pferde mitbestattet. Auch die Mitgabe von Pferdefleisch, mit Messer, stellt eine Besonderheit dar und wurde bisher noch nie beobachtet.
Datierungsmöglichkeiten36 Anlässlich der Bearbeitung des ungarischen Reitergrabes von Gnadendorf wurden zwei C-14 Messungen veranlasst. Eine Messung vom Knabenskelett und eine vom Pferd. Dabei unterschied sich das Ergebnis um fast zwei Generationen von dem zu erwartenden. Bezüglich des Pferdes von Gnadendorf ist mit einer wahrscheinlichen Datierung von 950 bis 1020 zu rechnen. Für den Knaben ergibt sich ein Ergebnis von 982 bis 1022. Ein kombiniertes Intervall beider Proben liegt zwischen 980 und 101837. Nach archäologischen Kriterien kann das Grab des Gnadendorfer Knaben nur aus der älteren Phase der so genannten Landnahmezeit (895/896 bis 930/940) stammen38. Aber auch spätere Möglichkeiten müssen in Betracht gezogen werden, etwa die Zeit 33 Miklós Takács, Siedlungsgeschichtliche Auswertung, in: Daim – Lauermann (Hrsg.), (Mainz 2006), 212. 34 Miklós Takács (2006), 213. 35 Herwig Wolfram, Die Geburt Mitteleuropas. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung 378 –907 (Wien 1987), 366f. 36 Peter Stadler, Radiocarbondatierungen von Skelettproben aus Gnadendorf und von Vergleichsfunden, in: Daim – Lauermann (Hrsg.), (Mainz 2006), 107–118. 37 Peter Stadler (2006), 110. 38 Mechthild Schulze-Dörrlamm, Spuren der Ungarneinfälle des 10. Jahrhunderts, in: Falko Daim (Hrsg.), Heldengrab im Niemandsland. Ein frühungarischer Reiter aus Niederösterreich. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung des RGZM 14. September bis 19. November 2006. Mosaiksteine Forschungen am Römisch- Germanischen Zentralmuseum Band 2, (Mainz 2006), 43 – 62.
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zwischen 938 und 991, wo es auf Grund der Verschlechterung von Beziehungen zwischen Bayern und Ungarn immer wieder zu kriegerischen Handlungen gekommen war. Unabhängig davon, wann der ungarische Junge bestattet wurde, steht fest, dass die Überlebenden überzeugt waren, dass das Grab sich in Sicherheit befand. Sie sahen keine Notwendigkeit dafür, den mit wertvollen Beigaben bestatteten Toten besonders tief in der Erde zu verbergen. Sie dachten auch nicht den Leichnam nach Hause zu bringen, obwohl dies ohne Probleme möglich gewesen wäre, da sich die ungarischen Wohnsitze nicht weiter als 60 bis 80 Kilometer hinter den Kleinen Karpaten befanden. Allem Anschein nach fürchteten sich die Angehörigen nicht einmal davor, dass nach ihrem Fortgang die Ortsansässigen hervorkommen und es wagen würden, das Grab zu plündern und den Leichnam zu schänden, wodurch die jenseitige Ruhe des Verstorbenen gestört worden wäre39.
Mögliches Fazit Die Entdeckung des ungarischen Grabes von Gnadendorf mit einem außergewöhnlichen Fundensemble (Abb. 8), hat einige Aufregung verursacht, ein gut ausgestattetes Reitergrab der ungarischen Landnahmezeit war in Niederösterreich bisher unbekannt und auch nicht zu erwarten. Ein Grab sollte immerhin in der Nähe einer mehr oder weniger dauerhaften Siedlung liegen. Das heutige Niederösterreich betrachtete man allenfalls als ein Gebiet, das von den Ungarn über längere Perioden beherrscht wurde. Das zusammenhängende Siedlungsgebiet der „Landnahmezeit“ lag in Ungarn und der Westslowakei. Das Niederösterreich des 10. Jh. war lange von der „Schanze“ bei Thunau am Kamp geprägt, sie blieb lange ein großer Einzelfall. Erst zuletzt hat die Erforschung der Burg von Sand bei Raabs ein herrschafts- und siedlungsgeschichtliches Gegenmodell für Gars geliefert. Freilich erfolgte die Errichtung der Burg Sand erst im 2. Viertel des 10. Jh., über 100 Jahre später als die Schanze bei Thunau. Beide Anlagen sind jedoch noch im 10. Jh. zu Grunde gegangen. Gnadendorf wirft aber vor allem, wenn die Spätdatierung der Grablegung um 1000 stimmt, neue Fragen zur Herrschaft der frühen Babenberger auf. Von einer Beherrschung des Raumes, das über das Donautal hinausgreift kann nun keine Rede mehr sein. Niederösterreich war in dieser Zeit noch keinem Machtbereich zuzurechnen, man lebte im Spannungsfeld mehrerer Kulturen. Dies ist nun genau jene Situation, die Koloman bei seiner Ankunft im Raum um Stockerau vorfindet. Eine Bevölkerung, die sich völlig verunsichert jedem Fremden gegenüber verhalten hat. Die 39 Lászlo Révész (2006), 154.
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Abb. 8: Reitergrab von Gnadendorf – die Beigaben Foto: NÖ Landessammlung Ur- und Frühgeschichte, 139_30818)
Anwesenheit von ungarischen Reitern dürfte somit keine Seltenheit gewesen sein, sie prägte das Verhalten der Bewohner um Stockerau nachhaltig. Bedenken wir, dass die Christianisierung Ungarns, ausgehend von den Spitzen des Reiches, in vollem Gange war, dass es aber noch bis in die Mitte des 11. Jh. Revolten gegen diese Neuorientierung der Gesellschaft gab. Bedenken wir weiter, dass die ungarische Glanzzeit beim Begräbnis in Gnadendorf bereits zwei Generationen zurücklag, wenn wir der C-14-Methode vertrauen dürfen. Dann könnte bei der Bestattung weniger der religiöse, persönliche Aspekt im Vordergrund gestanden haben, sondern die gesellschaftliche Funktion. Vielleicht wurde das Begräbnis als Demonstration von oppositionellen Traditionalisten, gerichtet an die „neumodische“ Reichsführung, verstanden, ein Auflehnen alter ungarischer Tradition am Beginn einer neuen Zeit.
Heilige und Helden in der Chronik Thietmars von Merseburg Andreas Bihrer
Heiligenkulte sind die Ergebnisse von sozialen Aushandlungsprozessen.1 Wer in einer Gemeinschaft als Heiliger gilt, das bestimmt die Gemeinschaft selbst. Im christlichen Europa monopolisierte das Papsttum ab dem Hochmittelalter immer erfolgreicher das Vorrecht, über die Erhebung von Heiligen in letzter Instanz entscheiden zu dürfen. Zugleich wurden Heiligsprechungen immer stärker von juristisch ausgebildeten Fachleuten vorbereitet und beurteilt.2 Diese Entwicklung bedeutete jedoch nicht, dass nicht auch andere Kreise als die päpstliche Kurie und deren Juristen bei der Etablierung von Heiligenkulten entscheidend eingreifen konnten. Zudem waren es ebenso nach dem hohen Mittelalter nie allein juristische Argumente, die aus einem gewöhnlichen Christen einen Heiligen werden ließen. Vor dem Hochmittelalter war der Prozess einer Heiligsprechung gleichwohl noch weit weniger genormt; eine Vielfalt an Laien und Geistlichen wirkte mit, allein die spätantiken und frühmittelalterlichen Bischöfe konnten gewisse Vorrechte für sich reservieren. In der Spätantike und in der karolingischen Epoche, dann wieder in der Zeit um das Jahr 1000 sind in Mitteleuropa besonders zahlreiche Anstrengungen zu erkennen, neue Heiligenkulte zu begründen oder die Verehrung bereits etablierter Heiliger stärker zu fördern. Dies führte zu einer verstärkten Kultkonkurrenz, welche eine Phase intensiver Aushandlungsprozesse um Heiligkeit anstieß. Unterschiedliche Traditionen wurden miteinander verschmolzen, um sich durch immer wieder neue und möglichst überzeugende Heiligkeitskonzepte Gehör zu verschaffen. Der Wettbewerb um Heiligkeit wurde
1 Diese Studie entstand im Rahmen des Teilprojekts ,Hagiographik als Heroisierung. Transformationen und Synkretismen im französischen, englischen und deutschen Frühmittelalter‘ innerhalb des SFB 948 ,Helden – Heroisierungen – Heroismen‘ an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. 2 Zum juristischen Kanonisationsprozess im Mittelalter vgl. zuletzt die umfassenden Studien von Otfried Krafft, Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch (AfD Beiheft 9, 2005), und Thomas Wetzstein, Heilige vor Gericht. Das Kanonisationsverfahren im europäischen Spätmittelalter (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 28, 2004).
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in unterschiedlichen Medien geführt, denn die Heiligen mussten narrativ, visuell und performativ definiert werden. Eines dieser Medien war die Chronistik.3
I. Die Chronik Thietmars von Merseburg Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass auch in der bis 1018 reichenden Chronik Bischof Thietmars von Merseburg (975 –1018) ein besonderes Interesse den christlichen Heiligen gilt. Thietmar besaß einflussreiche Vorfahren, denn sein Vater gehörte den Grafen von Walbeck, seine Mutter den Grafen von Stade an. Ihr Sohn machte in kirchlichen Institutionen im Umfeld der Herrschaftsmittelpunkte der Familie schnell Karriere; nach Aufenthalten im Stift Quedlinburg, im Kloster Berge und im Domstift Magdeburg wurde Thietmar 1002 Propst von Walbeck. Im Jahr 1009 schließlich erhielt er den Merseburger Bischofsstuhl. Von nun an widmete sich Thietmar vorrangig der Restitution und dem Ausbau des erst kurz zuvor wiederhergestellten Bistums Merseburg.4 Auch diesem Ziel galt seine Chronik, die er aus der Doppelperspektive eines sächsischen Adeligen und eines Reichsbischofs schrieb. Thietmar begann Ende 1012 und damit kurz nach Antritt seines Bischofsamts das Geschichtswerk, an welchem er kontinuierlich bis kurz vor seinem Tod am 1. Dezember 1018 arbeitete. Abgesehen von einigen Fragmenten ist die Chronik heute in zwei vollständigen Handschriften überliefert: Während der ältere Codex auf das Diktat des Autors zurückgeht und eigen3 Zur medialen Konstruktion von Heiligenbildern im Spannungsfeld zu Heldenvorstellungen vgl. als neuere Ansätze Andreas Hammer / Stephanie Seidl (Hg.), Helden und Heilige. Kulturelle und literarische Integrationsfiguren des europäischen Mittelalters (Germanisch-Romanische Monatsschrift Beiheft 42, 2010), sowie Wolfgang Speyer, Heros, in: Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt 14, hg. von Ernst Dassmann (1988) Sp. 861– 877, Wolfgang Speyer, Die Verehrung des Heroen, des göttlichen Menschen und des christlichen Heiligen. Analogien und Kontinuitäten, in: Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, hg. von Peter Dinzelbacher / Dieter R. Bauer (1990) S. 48– 66, und Kerstin Wölki, Mit Kreuz und Schwert. Helden des Mittelalters, in: Helden. Von der Sehnsucht nach dem Besonderen. Katalog zur Ausstellung im LWLIndustriemuseum Henrichshütte Hattingen, 12.3. – 31.10.2010, Red. Dietmar Osses (2010) S. 82–105. 4 Über die Lebensstationen und das Werk Thietmars von Merseburg orientieren die neueren Studien von Knut Görich, Otto III., Romanus Saxonicus et Italicus (Historische Forschungen 18, 1993) S. 62– 63, David Fraesdorff, Der barbarische Norden. Vorstellungen und Fremdheitskategorien bei Rimbert, Thietmar von Merseburg, Adam von Bremen und Helmold von Bosau (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 5, 2005) S. 135–138, und David A. Warner, Introduction. Thietmar, Bishop and Chronicler, in: Ottonian Germany. The Chronicon of Thietmar of Merseburg, übers. von dems. (2001) S. 1–64, hier S. 49–62, sowie die aktuellen Lexikonartikel von Gerd Althoff, Thietmar von Merseburg, in: Lex. MA 8 (1997) Sp. 694 – 696, Helmut Beumann, Thietmar von Merseburg, in: VL 8,2, hg. von Kurt Ruh, u.a. (völlig neu bearb. Aufl. 1992) Sp. 795–801, Peter Johanek, Thietmar von Merseburg (975–1018). Chronica, in: Hauptwerke der Geschichtsschreibung, hg. von Volker Reinhardt (1997) S. 632– 636, und David A. Warner, Thietmar of Merseburg, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle 2, hg. von Raymond Graeme Dunphy (2010) S. 1424 –1425.
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händige Korrekturen Thietmars aufweist, gibt die zweite Handschrift eine überarbeitete Redaktion wieder, die möglicherweise im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts im Kloster Corvey entstanden ist.5 Die historische Forschung hat schon lange die politische Dimension der Chronik Thietmars von Merseburg herausgestellt: Der Fokus des Verfassers lag zum einen auf seinem Selbstverständnis als Reichsbischof, seinem persönlichen Umfeld und dem Bistum Merseburg, zum anderen auf der Geschichte Sachsens und der ottonischen Herrscher.6 Aufgrund der Lage seines Berichtsraums im Nordosten des Reichs galt sein Interesse zudem den Nachbarn, vor allem dann, wenn angesichts der Grenzsituation im Norden oder im Osten politische oder religiöse Konflikte entstanden.7 Insbesondere die Trennlinie zwischen Christen und Heiden zog Thietmar der bisherigen Forschung zufolge sehr scharf.8 Diese Grenze bestand in seiner Chronik desgleichen 5 Die autographe Dresdner Handschrift wurde faksimiliert, vgl. Die Dresdner Handschrift der Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg [Faksimile], 3 Bde., ed. Ludwig Schmidt (1905). Eine Forschungsübersicht zur Überlieferung und zu den Redaktionsstufen der Chronik Thietmars von Merseburg bietet Steffen Patzold, Nachtrag, in: Thietmar von Merseburg, Chronik, neu übertragen und erläutert von Werner Trillmich. Mit einem Nachtrag von Steffen Patzold (FvSt-GA 9, 92011) S. XXXII–LIV, hier S. XXXVI–XXXIX; zur kontroversen Bewertung der Brüssler Handschrift vgl. Hartmut Hoffmann, Mönchskönig und rex idiota. Studien zur Kirchenpolitik Heinrichs II. und Konrads II. (MGH Studien und Texte 8, 1993) S. 151–176, und Klaus Nass, Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert (MGH Schriften 41, 1996) S. 143 –178. 6 Einen Forschungsüberblick über Thietmars Wahrnehmung und Darstellung der ottonischen Königsherrschaft bietet Patzold, Nachtrag (wie Anm. 5) S. XL–XLII, umfassend zu diesem Thema bereits Helmut Lippelt, Thietmar von Merseburg. Reichsbischof und Chronist (Mitteldeutsche Forschungen 72, 1973) S. 138–192, an neueren Untersuchungen sind zu nennen Svere Bagge, Kings, Politics, and the Right Order of the World in German Historiography c. 950–1150 (Studies in the History of Christian Thought 103, 2002) S. 95–188, Görich, Otto III. (wie Anm. 4) S. 62–86, Hoffmann, Mönchskönig (wie Anm. 5), Ludger Körntgen, Königsherrschaft und Gottes Gnade. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 2, 2001) S. 121–136, und Warner, Introduction (wie Anm. 4); zur Restitution des Bistums Merseburg vgl. Lippelt, Thietmar (wie Anm. 6) S. 89 –115. 7 Eine Forschungsübersicht zur Behandlung Osteuropas in Thietmars Chronik findet sich bei Patzold, Nachtrag (wie Anm. 5) S. XLIII–XLIV, vgl. hierzu auch die ältere Untersuchung von Franz-Josef Schröder, Völker und Herrscher des östlichen Europa im Weltbild Widukinds von Korvei und Thietmars von Merseburg (Diss. 1975). 8 Vgl. dazu die Studie von Karl Leyser, der herausarbeitete, dass Thietmar eine klare Linie zwischen Christen und Heiden zieht und in seiner Weltsicht neu Konvertierte nicht schnell und einfach diese Grenzlinie überwinden können, so Karl Leyser, The Ascent of Latin Europe (1986) S. 20, vgl. hierzu auch Lutz E. von Padberg, Geschichtsschreibung und kulturelles Gedächtnis. Formen der Vergangenheitswahrnehmung in der hochmittelalterlichen Historiographie am Beispiel von Thietmar von Merseburg, Adam von Bremen und Helmold von Bosau, ZKG 105 (1994) S. 156 –177, hier S. 160 –172, und Fraesdorff, Norden (wie Anm. 4) S. 237–243, Vorstellungen und Fremdheitskategorien bei Rimbert, Thietmar von Merseburg, Adam von Bremen und Helmold von Bosau (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 5, 2005) S. 237–243, der seine Untersuchungsergebnisse zu Thietmars Wahrnehmung des Nordens auch auf die Slawen überträgt.
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zwischen den westlichen Christen und den erst vor kurzem neu bekehrten Gläubigen im Osten Europas. Die Forschung ergänzte seit den 1970er Jahren diese Deutung von Thietmars Geschichtswerk, indem sie sich stärker mit der religiösen Vorstellungswelt des Autors befasste: Thietmar von Merseburg verstand sich als Bischof nicht nur als ein Großer des Reichs, sondern auch als Seelsorger. Zentral war für ihn die Sorge um sein Seelenheil und um die Memoria seines persönlichen Umfelds.9 Aus diesem Grund kreisten die Gedanken Thietmars immer wieder um die theologischen Komplexe Sünde, Buße und gute Werke, um Fürbitte, Gebetshilfe und Memoria, ja die Chronikhandschrift fungierte – so könnte man zugespitzt formulieren – zugleich als ein Gedenkcodex. Zwei mit den beiden vorgestellten Forschungstraditionen verbundene Felder blieben bislang jedoch noch unbearbeitet: Das Thema der Mission in Thietmars Chronik wurde nur gestreift, zu Darstellung und Funktion der Heiligen liegen sogar überhaupt noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen vor.10 Dabei ist das Interesse Thietmars an den Heiligen, ihren Reliquien und ihren Kulten aufgrund der zahlreichen Nennungen in seiner Chronik offensichtlich. Mit den gängigen Mustern von Heiligenviten, Wundererzählungen und Translationsberichten war der Historiograph bestens vertraut; daneben bildeten Heiligenlegenden und Mirakelberichte auch di9 Zu dieser Deutung vgl. einige ältere Arbeiten, in denen schon die Memoria als Hauptintention Thietmars herausgearbeitet wurde, vgl. Ernst Karpf, Von Widukinds Sachsengeschichte bis zu Thietmars Chronicon. Zu den literarischen Folgen des politischen Aufschwungs im ottonischen Sachsen, in: Angli e sassoni al di qua e al di là del mare (Settimane di Studio del Centro italiano di Studi sull’alto Medioevo 32, 1986) S. 547–580, hier S. 573, Lippelt, Thietmar (wie Anm. 6) S. 200, und Hansjörg Wellmer, Persönliches Memento im deutschen Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 5, 1973) S. 61–82; an jüngeren Studien, die diese Deutung verfeinert haben, vgl. Arnold Angenendt, Die Welt des Thietmar von Merseburg, in: Zwischen Kathedrale und Welt. 1000 Jahre Domkapitel Merseburg. Aufsätze, hg. von Holger Kunde / Andreas Ranft (Schriftenreihe der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz 2, 2005) S. 35 – 62, Hartmut Bleumer / Steffen Patzold, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster in der Kultur des europäischen Mittelalters, Das Mittelalter 8,2 (2003) S. 4 –22, Hans-Werner Goetz, Die Chronik Thietmars von Merseburg als Ego-Dokument. Ein Bischof mit gespaltenem Selbstverständnis, in: Ego Trouble. Authors and Their Identities in the Early Middle Ages, hg. von Richard Corradini u.a. (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 15, 2010) S. 259 –270, Rob Meens, Kirchliche Buße und Konfliktbewältigung. Thietmar von Merseburg näher betrachtet, FmSt 41 (2007) S. 317–330, oder Kerstin Schulmeyer-Ahl, Der Anfang vom Ende der Ottonen. Konstitutionsbedingungen historiographischer Nachrichten in der Chronik Thietmars von Merseburg (Millennium-Studien 26, 2009). 10 In neueren Studien wurde zwar die religiöse Identität Thietmars, so Goetz, Chronik (wie Anm. 9) S. 269, die „Religionswelt“ des Chronisten, so Angenendt, Welt (wie Anm. 9) S. 51, „ungewöhnliche Naturerscheinungen, … Geschichten von Wiedergängern und zuletzt die Träume und Visionen“ in dem Geschichtswerk, so Schulmeyer-Ahl, Anfang (wie Anm. 9) S. 49, oder der transzendentale Wahrheitsbegriff des Chronisten, so ebd. S. 224, untersucht, doch die Funktionen der hagiographischen Passagen kamen bislang nicht zur Sprache, abgesehen von einem kurzen Abschnitt zu Reliquien, vgl. Angenendt, Welt (wie Anm. 9) S. 53 –54, und einer knappen Argumentation zur Rolle der Heiligen beim Vollzug transzendenten Offenbarungswissens, vgl. Schulmeyer-Ahl, Anfang (wie Anm. 9) S. 224 –226.
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rekte Vorlagen für seine Schilderungen. Überdies gibt Thietmar in seiner Chronik an, er habe ein Martyrologium verfasst, in welches er eine Liste der Reliquien und des Kirchenschatzes sowie eine Aufstellung von Besitz und Rechten aufgenommen habe (VIII, 13).11 Thietmar von Merseburg erstellte somit insgesamt zwei ,Gedenkcodices‘, von denen heute nur noch die Chronik erhalten geblieben ist. Einer der beiden ,Gedenkcodices‘, die gleichsam das geistige Fundament der erneuerten Merseburger Kirche bilden sollten, orientierte sich am linearen chronologischen Ablauf der Heilsgeschichte, der andere dagegen am Kirchenjahr, das durch die Abfolge der Heiligenfeste versinnbildlicht wurde. Der Reichsbischof Thietmar verließ Sachsen nur sehr selten, auch wenn für ihn einige kürzere Reisen nach Süddeutschland und in das Rheinland belegt sind. Gleichwohl war er aufgrund seines Zugangs zum Königshof bestens informiert und besaß ein enges Netz an Zuträgern, deren Berichte er neben schriftlichen Vorlagen wie die Chronik Widukinds von Corvey für die Niederschrift seines Geschichtswerks verwendete. Insbesondere Mitglieder seiner weitverzweigten Familie versorgten ihn mit Nachrichten selbst aus denjenigen Reichsteilen, die von Sachsen aus weit entfernt lagen. So bestand zum Beispiel seit der Mitte des 10. Jahrhunderts eine Heiratsverbindung von Thietmars Vorfahren mit einem engen Verwandten der Babenberger, wodurch der Chronist Neuigkeiten aus dem Südosten des Reichs erfuhr.12 Thietmar stand nicht nur einem Grenzbistum im Osten des ostfränkisch-deutschen Reichs vor, auch der weltliche Zweig seiner Familie engagierte sich bei der Sicherung der östlichen Marken. Hierbei agierte diese Sippe immer in enger Verbindung mit den ottonischen Herrschern; beispielsweise waren Brüder Thietmars an den Feldzügen der Kaiser nach Osten beteiligt.13 In den letzten Lebensjahren des Chronisten stand der Konflikt der Ottonen mit dem polnischen Herzog und späteren König Boleslaw Chrobry im Zentrum seines Interesses: So berichtet er ausführlich von den militärischen Kampagnen, den zahlreichen, aber nur kurzzeitig wirksamen Friedensschlüssen und dem erneuten Ausbrechen der Konflikte. Boleslaw Chrobry wird hierbei von Thietmar als tyrannischer Herrscher gezeichnet, der Chronist gesteht ihm 11 Die Chronik Thietmars von Merseburg wird im Folgenden zitiert nach: Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung, hg. von Robert Holtzmann (MGH Scrip. rer. Germ., N.S. 9, 21955); in Klammern werden die Bücher in römischen Zahlen und die Kapitel in arabischen Zahlen angegeben. 12 Zu den Verbindungen Thietmars zu den Babenbergern vgl. Karl Lechner, Die Anfänge des Stifts Melk und des St. Koloman-Kultes, Jb. für Landeskunde von Niederösterreich, N.F. 29 (1944/48) S. 47–81, hier S. 73, oder Josef Wodka, Der heilige Koloman (1012), in: Bavaria Sancta. Zeugen christlichen Glaubens in Bayern 1, hg. von Georg Schwaiger (1970) S. 221–232, hier S. 221. 13 Zu diesen militärischen Konflikten und zu Thietmars Position vgl. zuletzt David Steward Bachrach, Memory, Epistemology, and the Writing of Early Medieval Military History. The Example of Bishop Thietmar von Merseburg (1009–1018), Viator 38,1 (2007) S. 63–90.
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nicht eine einzige gute Eigenschaft oder eine einzige lautere Absicht zu.14 Diese Auseinandersetzungen waren nicht nur auf die sächsische Ostgrenze beschränkt, denn der Einfluss Boleslaw Chrobrys reichte bis nach Mähren und Böhmen, wo die Ottonen ebenfalls mit dem Herzog in Konflikt gerieten und militärische Operationen unterstützten, an denen desgleichen Brüder Thietmars beteiligt waren. Thietmar erwähnt in seiner Chronik an vier Stellen Mähren, wobei er zuerst auf die Verhältnisse im späten 9. Jahrhundert zurückblickt (VI, 99). In zwei weiteren Abschnitten seines Geschichtswerks wird im siebten Buch Mähren als Ort des militärischen Kampfs mit Boleslaw Chrobry vorgestellt (VII, 57 und VII, 61). Diese beiden Schilderungen bereiten die Lokalisierung des Martyriums des heiligen Koloman vor, der an der Westgrenze Mährens zu Tode gekommen war und dessen Schicksal Thietmar nur wenige Unterkapitel später am Ende des siebten Buchs erzählt (VII, 76). Mähren wird somit als Ort von Krieg und Gewalt gezeichnet, als ein Raum, der mit den Konflikten der ottonischen Herrscher mit Boleslaw Chrobry aufs Engste verbunden war. In diesem zu Beginn des 11. Jahrhunderts noch weitgehend unerschlossenen Grenzraum zwischen Mähren und dem späteren Österreich versuchte Markgraf Heinrich I. (994–1018) erfolgreich seinen Einfluss geltend zu machen.15 Nachdem Boleslaw Chrobry kurz nach 1000 Böhmen unter seine Herrschaft gebracht hatte, sind über 15 Jahre hinweg immer wieder Einfälle über die westliche Grenze belegt, sodass im Grenzraum zwischen Mähren und dem späteren Österreich mehrere Herrschaftsträger mit ihren Ansprüchen miteinander konkurrierten. An der Spitze der Konfliktparteien standen Kaiser Heinrich II. und Boleslaw Chrobry, aber auch andere Akteure wie Heinrich I. beteiligten sich an der herrschaftlichen Erschließung dieses Raums. Dem Babenberger kam eine zentrale Rolle in der Koalition gegen Boleslaw Chrobry zu, ja Heinrich I. besaß eine sehr einflussreiche Position innerhalb des Adels im Südosten des Reichs.16 14 Vgl. Lippelt, Thietmar (wie Anm. 6) S. 187–188, oder Schröder, Völker (wie Anm. 7) S. 61–64 und 117–120. 15 Zu diesem Raum zu Beginn des 11. Jahrhunderts vgl. zuletzt Peter Csendes, Der niederösterreichische Raum im 10. Jahrhundert, in: Baiern, Ungarn und Slawen im Donauraum, hg. von Willibald Katzinger (Forschungen zur Geschichte der Städte und Märkte Österreichs 4, 1991) S. 95 –104, Erwin Kupfer, Krongut, Grafschaft und Herrschaftsbildung in den südöstlichen Marken und Herzogtümern vom 10. bis zum 12. Jahrhundert (2009) S. 100, oder Georg Scheibelreiter, Die Babenberger. Reichsfürsten und Landesherren (2010) S. 94 –97. 16 Zur Biographie Markgraf Heinrichs vgl. Kupfer, Krongut (wie Anm. 15) S. 62– 63 und 99 –100, Karl Lechner, Die Babenberger. Markgrafen und Herzöge von Österreich 976 –1246 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 23, 51995) S. 61–64, und insbesondere Scheibelreiter, Babenberger (wie Anm. 15) S. 91–103; zu den Babenbergern vgl. immer noch den umfassenden Katalog einer Ausstellung des Jahres 1976: 1000 Jahre Babenberger in Österreich. Niederösterreichische
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Der Markgraf wird in Thietmars Chronik an vier Stellen genannt – und dies durchweg positiv. In den ersten beiden Erwähnungen ebenfalls im siebten Buch wird Heinrichs ruhmreicher Kampf gemeinsam mit den Baiern gegen Boleslaw Chrobry geschildert (VII, 19 und VII, 61).17 Ausdrücklich betont Thietmar, dass der Babenberger durch sein entschiedenes Handeln gegen den Feind Kaiser Heinrich II. geholfen habe. Ebenso lokalisiert die Bezeichnung Orientalium marchio („von der Ostmark“) (VII, 19) Markgraf Heinrich eindeutig als Verteidiger des Reichs im östlichen Grenzland. Thietmar stilisiert den Babenberger somit nicht nur zu einem erfolgreichen Streiter gegen den despotischen Herrscher im Osten, sondern auch zu einem loyalen Parteigänger der Ottonen. Mit beiden, den Ottonen und den Babenbergern, waren wiederum Thietmar und seine Geschwister eng verbunden. Sogar Heinrichs Tod im Jahr 1018 vermerkt Thietmar eigens, ja er charakterisiert den Markgrafen an dieser Stelle lobend als fortis armatus (VIII, 18). Die Initiierung und Förderung des Koloman-Kults, die Thietmar seinem Verwandten am Ende des siebten Buchs zuschreibt (VII, 76), steht damit im Kontext der Kämpfe gegen Boleslaw Chrobry im östlichen Grenzraum. Durch diese Erwähnungen des Babenbergers in Thietmars Chronik wird dem Leser zu verstehen gegeben, dass Koloman als Heiliger und Markgraf Heinrich I. als militärischer Held gemeinsam im Südosten des Reichs für die richtige Sache einstanden.18 Zusammengefasst kann somit festgestellt werden, dass das Interesse Thietmars von Merseburg am Martyrium des heiligen Koloman im politischen Kontext der Auseinandersetzung zwischen den Ottonen und Boleslaw Chrobry zu verorten ist. Wahrscheinlich erfuhr der Chronist über seine familiären Verbindungen mit den BaJubiläumsausstellung Stift Lilienfeld 15. Mai – 31. Oktober 1976 (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, N.F. 66, 31976). 17 Zur Darstellung Markgraf Heinrichs in Thietmars Chronik vgl. bislang nur die kurze Erwähnung bei Bachrach, Memory (wie Anm. 13) S. 84. 18 Als einzige umfassende moderne Studie zum heiligen Koloman vgl. Meta Niederkorn-Bruck, Der Heilige Koloman. Der erste Landespatron Niederösterreichs (Veröffentlichungen des Instituts für Landeskunde von Niederösterreich 16, 1992), die sich aber auf die Passio und die Mirakelsammlung des 12. Jahrhunderts konzentriert und nur kurz auf die Erwähnung Thietmars eingeht, vgl. ebd., S. 20; in erster Linie hat sich die Forschung auf die Verehrung Kolomans und dessen politischer Instrumentalisierung im Spätmittelalter konzentriert, vgl. 900 Jahre Benediktiner in Melk. Jubiläumsausstellung im Stift Melk vom 18. März bis 15. November 1989 (1989) S. 153 –167, Klaus Brandstätter, Heiligenkulte im Dienste der Politik. Die österreichischen Heiligen Leopold und Koloman, in: Ostarrichi – Österreich. 1000 Jahre – 1000 Welten. Innsbrucker Historikergespräche 1996, hg. von Hermann J. W. Kuprian (1997) S. 63 – 81, Wodka, Koloman (wie Anm. 12) S. 221–232, oder Erich Zöllner, Märtyrer und Realpolitiker. Die österreichischen Landesheiligen Koloman und Leopold, Österreich in Geschichte und Literatur 46 (2002) S. 358 – 366, zu dieser Forschungsrichtung vgl. Jürgen Petersohn (Hg.), Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter (VuF 42, 1994). Eine Interpretation der Erwähnung Kolomans in der Chronik Thietmars von Merseburg fehlt damit, die Passage wurde von der Koloman-Forschung bislang lediglich zur Rekonstruktion des Martyriums und der Translation ausgewertet.
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benbergern von dieser Geschichte. Aufgrund seiner Konzentration auf die Auseinandersetzungen des Reichs mit den Völkern im Osten und mit Boleslaw Chrobry im Besonderen nahm er den Bericht über den Iren Koloman, der im Grenzraum zu Mähren umgekommen war, in seine Chronik auf. Die Verbindung des Heiligen zu seinen Verwandten, die in Person Markgraf Heinrichs I. die Translation Kolomans nach Melk veranlasst hatten, und das besondere Interesse des Chronisten für Heilige und ihre Kulte bildeten weitere Motive für Thietmar, das Schicksal Kolomans in seinen eigenen Worten und mit seiner eigenen Deutung niederzuschreiben.
II. Koloman in der Chronik Thietmars von Merseburg Der Bericht Thietmars über das Martyrium des heiligen Koloman steht am Ende des siebten Buchs seiner Chronik; der Heilige wird ausschließlich in dieser Passage behandelt.19 Die Darstellung umfasst fünf Sätze; sie ist der vierte und zugleich letzte von insgesamt vier Nachträgen zu den Geschehnissen des Jahres 1017. Möglicherweise wurde dieser Zusatz noch im selben Jahr verfasst, gewiss aber einige Monate vor Thietmars Tod am 1. Dezember 1018, da der Chronist in seinem letzten Lebensjahr noch ein längeres achtes Buch seines Geschichtswerks anfertigte. Der Abschnitt aus Folio 176r der Dresdner Handschrift lautet folgendermaßen: In Bawariorum confinio atque Mararensium quidam peregrinus nomine Colomannus ab incolis, quasi speculator esset, capitur et ad professionem culpae, quam non meruit, diris castigacionibus compellitur. Ille, cum se nimis excusaret pauperemque Christi se sic vagari affirmaret, in arbore diu arida innocens suspensus est. Nam caro eius a quodam postea paululum incisa sanguinem fudit, ungues ac capilli crescebant. Ipse quoque arbor floruit et hunc Christi martirem esse monstravit. Hoc marchio Heinricus ut comperit, corpus eiusdem in Mezilecun sepelivit. (VII, 76) „Im Grenzgebiet zwischen Baiern und Mähren griffen die Einwohner den Pilger Koloman auf, den sie für einen Spion hielten, und zwangen ihn durch schlimme Misshandlungen zum Bekenntnis einer Schuld, von der er frei war. Obwohl er kräftig 19 Auch die Forschung zu Thietmar von Merseburg hat sich – von einer Ausnahme abgesehen – bislang noch nicht mit dem Koloman-Abschnitt beschäftigt; lediglich in der Monographie von Schulmeyer-Ahl wird der Heilige in einer Fußnote erwähnt und ohne eine nähere Begründung mit „endzeitlichem Gedankengut“ in Verbindung gebracht, vgl. Schulmeyer-Ahl, Anfang (wie Anm. 9) S. 48; zum eschatologischen Denken bei Thietmar vgl. Benjamin Arnold, Eschatological Imagination and the Program of Roman Imperial and Ecclesiastical Renewal at the End of the Tenth Century, in: The Apocalyptic Year 1000. Religious Expectations and Social Change, 950 –1050, hg. von Richard A. Landes / Andrew Colin Gow / David C. van Meter (2003) S. 271–284, hier S. 281–282.
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seine Harmlosigkeit beteuerte und versicherte, er ziehe als armer Bruder Christi umher, hängte man ihn an einem längst verdorrten Baume auf: schuldlos, denn als man später sein Fleisch ein wenig anschnitt, floss Blut heraus; Nägel und Haare wuchsen. Der Baum selbst jedoch begann zu grünen und erwies ihn dadurch als Märtyrer Christi. Sobald Markgraf Heinrich davon erfuhr, ließ er seine Leiche in Melk bestatten.“20 Die Passage zu Koloman wurde wie der größte Teil der Chronik von einem Schreiber des Bischofs nach Diktat niedergeschrieben und von Thietmar eigenhändig korrigiert. Für diesen Abschnitt dokumentiert die Dresdner Handschrift kleinere orthographische Korrekturen an drei Stellen, u.a. verbesserte der Chronist den Namen des Heiligen von Commannus zu Colomannus. In der späteren Corveyer Fassung des frühen 12. Jahrhunderts wurden nur wenige Formulierungen zu Koloman variiert, so beispielsweise das Wort speculator zu explorator. Allerdings ergänzte man an zwei Stellen jeweils acht Worte; der Redaktor wollte so die Ausführungen des Chronisten weiter zuspitzen und keinen Zweifel an der Heiligkeit Kolomans lassen. Thietmar von Merseburg erwähnt in seinem Abschnitt über Koloman keine Jahreszahl, allerdings wird das Geschehen durch den Erzählkontext eindeutig in das Jahr 1017 gesetzt, denn die drei anderen Nachträge sind diesem Jahr zuzuordnen. Die drei berichteten Ereignisse – Aufgreifen und Verurteilung Kolomans, Wunder nach der Hinrichtung, Translation nach Melk – werden in der Darstellung Thietmars zeitlich eng miteinander verknüpft, denn die Wunder hätten sich kurz nach der Hinrichtung ereignet, und der Markgraf, so der Chronist, habe die Überführung des Leichnams angeordnet, sobald er von den Wundern gehört habe. Mit diesen Formulierungen suggeriert Thietmar, dass alle diese Ereignisse im Jahr 1017 stattgefunden hätten. Damit unterscheidet sich seine Datierung von der späteren Melker Tradition, nach welcher das Martyrium im Jahr 1012, das erste Begräbnis 1013 und die Translation nach Melk im Jahr 1014 geschehen sein sollen.21 Welche der beiden Datierungsansätze zutreffend ist, wird wohl nie zu entscheiden sein, aber aufgrund Thietmars guter Verbindungen zu den Babenbergern sollte man nicht vorschnell der erst im späten 11. Jahrhundert fassbaren regionalen Tradition den Vorrang geben.22 20 Diese Übersetzung folgt Thietmar von Merseburg, Chronik, neu übertragen und erläutert von Werner Trillmich. Mit einem Nachtrag von Steffen Patzold (FvSt-GA 9, 92011) S. 439; eine englische Übersetzung dieser Passage bietet Ottonian Germany. The Chronicon of Thietmar of Merseburg, übers. von David A. Warner (2001) S. 360. 21 Vgl. Annales Mellicenses, ed. Wilhelm Wattenbach (MGH SS IX [Chronica et Annales aevi Salici], 1851) S. 480 –501, hier S. 497. 22 Zur Rekonstruktion von Martyrium und Translation Kolomans vgl. Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 15 –16, welche die regionale Überlieferung für glaubwürdig hält; ein Tagesdatum der Hinrichtung ist aus dem Mittelalter nicht überliefert, wohingegen die Translation seit dem 11. Jahrhundert auf den 13. Oktober datiert wird, vgl. ebd., S. 16.
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Anders als die spätere Melker Historiographie nennt Thietmar nicht das Dorf Stockerau als Ort des Martyriums.23 Auch erwähnt er kein Begräbnis am Ort von Kolomans Hinrichtung; das Geschehen wird vielmehr so zusammengezogen, dass der Eindruck entsteht, der Leichnam des Heiligen sei vom Hinrichtungsplatz direkt nach Melk übertragen worden. Dem Chronisten ist jedoch vor allem die überregionale Lokalisierung der Ereignisse sehr wichtig, denn in den ersten Worten der Koloman-Passage wird der Raum explizit benannt. Thietmar bezeichnet ihn als Grenzraum zwischen Baiern und Mähren und verweist damit auf diejenige Grenze, die in seiner Chronik im Mittelpunkt steht: die Grenze nach Osten, die zu Beginn des 11. Jahrhunderts in erster Linie aufgrund des politischen Handelns Boleslaw Chrobrys besonders in den Blick Thietmars gerückt war. Somit macht der Verfasser bereits in seinen ersten Worten deutlich, warum er den Koloman-Bericht in sein Werk aufgenommen hat: Er will ein Beispiel geben, wie die Konflikte im südlichen Teil dieser Grenze verliefen und welche Erfolge dort auf Kosten Boleslaw Chrobrys erreicht wurden, die wiederum als Vorbilder für die Auseinandersetzungen im nördlichen Teil der Grenze dienen konnten. Der Heilige wird als Colomannus bezeichnet; die eigenhändige Korrektur der Verschreibung belegt, wie wichtig Thietmar die korrekte Namensnennung war.24 Ein expliziter Hinweis auf die Herkunft Kolomans schien dem Chronisten hingegen nicht notwendig. Zwar kamen zu Beginn des 11. Jahrhunderts nur noch wenige irische Geistliche auf den Kontinent, wofür die moderne Forschung innere Konflikte und die verstärkten Wikingereinfälle verantwortlich macht.25 Erst ab dem späten 11. Jahrhundert und mit der Blüte der Schottenklöster nahm der Zuzug von irischen Geistlichen auf den Kontinent wieder zu.26 Doch konnten noch zu Beginn des 11. Jahrhunderts gelehrte Leser aus der korrigierten Namensform Colomannus sicherlich die irische Herkunft erschließen, zumal ein Begleiter Kilians diesen Namen trug, der eine gewisse 23 Vgl. Annales Mellicenses (wie Anm. 21) S. 497. 24 Zu den zahlreichen irischen Heiligen mit dem Namen Colmán vgl. die Übersicht bei Pádraig Ó Riain, A Dictionary of Irish Saints (2011) S. 183 –208. 25 Vgl. Helmut Flachenecker, Schottenklöster. Irische Benediktinerkonvente im hochmittelalterlichen Deutschland (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte, N.F. 18, 1995) S. 50, Ingeborg Meyer-Sickendieck, Gottes gelehrte Vaganten. Die Iren im frühen Europa (vollst. durchges. u. erw. Neuaufl., 1996) S. 303 und 308, sowie Stefan Weber, Iren auf dem Kontinent. Das Leben des Marianus Scottus von Regensburg und die Anfänge der irischen ,Schottenklöster‘ (2010) S. 264. Ein kurzes Kapitel zur irischen Präsenz in Westeuropa um 1000 bei Flachenecker, Schottenklöster (wie Anm. 25) S. 47–50, wohingegen die Beispiele in einem Sammelband zu Iren in Süddeutschland im Frühmittelalter mit dem 9. Jahrhundert enden, vgl. Dorothea Walz, Einleitung, in: Irische Mönche in Süddeutschland. Literarisches und kulturelles Wirken der Iren im Mittelalter, hg. von ders. (Lateinische Literatur im deutschen Südwesten 2, 2009) S. 9 –26. 26 Vgl. Dagmar Ó Riain-Raedel, Ireland and Austria in the Middle Ages. The Role of the Irish Monks in Austria, in: Austro-Irish Links through the Centuries, hg. von Paul Leifer / Eda Sagarra (2002) S. 11– 40, hier S. 27–32, Walz, Einleitung (wie Anm. 25) S. 21, oder Weber, Iren (wie Anm. 25) S. 264 –265, sowie umfassend Flachenecker, Schottenklöster (wie Anm. 25).
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Bekanntheit auf dem Kontinent erreicht hatte und auch in Thietmars Chronik Erwähnung fand (I, 4). Für den Chronisten war die Herkunft Kolomans allerdings nicht von besonderer Bedeutung, da für ihn nur das Martyrium, die Wunder und die Translation, nicht aber die Vita des Heiligen wichtig waren. Allein die Ereignisse, die sich auf den Grenzraum bezogen, waren für Thietmar von Interesse. Diese Fokussierung des Chronisten auf das Martyrium, die Wunder und die Bestattung Kolomans zeigt sich außerdem daran, dass er keine weiteren Angaben zu Herkunft oder zum Stand des Heiligen macht. So erwähnt er zum Beispiel keine königliche Abstammung Kolomans, und auch in den anderen hagiographischen Quellen bis in das 14. Jahrhundert wird eine solche Abstammung nicht erwähnt. Eine solche wurde gewiss erst im Spätmittelalter analog zu zahlreichen anderen ,Standeserhebungen‘ von Heiligen den Koloman-Viten ergänzend hinzugefügt.27 Für Thietmar besaß die Vorgeschichte keine Bedeutung, wollte er doch wie gezeigt keine vollständige, mit der Geburt und Erziehung des Heiligen beginnende Vita verfassen. Der Chronist bezeichnet Koloman nur als peregrinus und als pauper Christi. Damit meint er einen Asketen, der als äußeres Zeichen seiner Lebensform durch die diesseitige Welt zieht. Der Pilgerverkehr nahm in Europa mit dem 11. Jahrhundert wieder langsam zu; Jerusalemwallfahrten waren zu diesem Zeitpunkt jedoch noch selten.28 27 Einige Forscher halten Koloman für den Sohn eines irischen Kleinkönigs, ja machen sogar Vorschläge zur Identität des Vaters, vgl. Meyer-Sickendieck, Vaganten (wie Anm. 25) S. 309, Ó Riain-Raedel, Ireland (wie Anm. 26) S. 28 –29, und Scheibelreiter, Babenberger (wie Anm. 15) S. 97. Eine königliche Herkunft Kolomans wird zuerst in der Vita Gothalmi aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts genannt, vgl. Laurenz-Günther Kull, Kritische Bemerkungen zum Buch von Meta Niederkorn-Bruck ,Der heilige Koloman‘, Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich 65 (1994) S. 46 – 49, hier S. 46, Laurenz-Günther Kull, Der heilige Koloman in Geschichte und Kunst, in: 1000 Jahre Babenberger in Österreich. Niederösterreichische Jubiläumsausstellung Stift Lilienfeld 15. Mai – 31. Oktober 1976 (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, N.F. 66, 31976) S. 664 – 670, hier S. 664 – 665, und Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 12. 28 Zur Zunahme des allgemeinen Pilgerverkehrs ab der Mitte des 11. Jahrhunderts vgl. Ludwig Schmugge, Zu den Anfängen des organisierten Pilgerverkehrs und zur Unterbringung und Verpflegung von Pilgern im Mittelalter, in: Gastfreundschaft, Taverne und Gasthaus im Mittelalter, hg. von Hans Conrad Peyer (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 3, 1983) S. 37– 60, hier S. 41– 42. Auch die Zahl der Jerusalempilger stieg erst aber der Mitte des 11. Jahrhunderts und vor allem im 12. Jahrhundert auf eine nennenswerte Größe an, vgl. Andreas Bihrer, Begegnungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und England (850 –1100). Kontakte – Konstellationen – Funktionalisierungen – Wirkungen (MittelalterForschungen 39, 2012) S. 89, Jürgen Krüger, Die Grabeskirche in Jerusalem und ihre Nachbauten im 11. und 12. Jahrhundert, in: Canossa 1077 – Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik 1 [eine Ausstellung im Museum in der Kaiserpfalz, im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und in der Städtischen Galerie am Abdinghof zu Paderborn vom 21. Juli – 5. November 2006], hg. von Christoph Stiegemann (2006) S. 498 –511, hier S. 498–499, und Ludwig Schmugge, Jerusalem, Rom und Santiago – Fernpilgerziele im Mittelalter, in: Pilger und Wallfahrtsstätten in Mittelalter und Neuzeit, hg. von Michael Matheus (Mainzer Vorträge 4, 1999) S. 11–34, hier S. 19; dies unterstreicht auch eine Quellenübersicht zu westlichen Pilgerberichten, die eine Lücke zwischen 872 und 1044 aufweist, vgl. John Wilkinson, Jerusalem Pilgrims. Before the Crusades (1977) S. 215.
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Dies lag auch darin begründet, dass der Landweg nach Jerusalem erst nach der Mitte des 11. Jahrhunderts gefahrenloser bereist werden konnte. Somit wurde aus dem peregrinus Koloman erst im 12. Jahrhundert ein Pilger mit einem konkreten Ziel.29 Dass man ihm in genau dieser Zeit Jerusalem als Ziel anhängte, lässt sich mit der vor allem durch die Kreuzzüge geschürten Begeisterung für das Heilige Land erklären. Der historische Koloman war dagegen wohl dem traditionellen Vorbild der irischen Peregrinatio verpflichtet, die gerade nicht das Erreichen eines bestimmten Ziels, sondern eine dauernde Wanderschaft durch die Welt als asketische Leistung verstand. Wahrscheinlich zog er bewusst in ein noch kaum christianisiertes Gebiet, um dort nach dem Vorbild vieler anderer irischer Missionare auf dem Kontinent zu wirken. Erst aus der Sicht des 12. Jahrhunderts, als dieser Raum vollständig christianisiert worden war, bedurfte es einer neuer Motivation, um die Anwesenheit des Heiligen zu erklären: Nun wurde Koloman zu einem Jerusalempilger.30 Der Personenkreis, der für die Festnahme, Verurteilung und Hinrichtung Kolomans verantwortlich war, wird von Thietmar nicht näher beschrieben oder gar ethnisch oder politisch eingeordnet, sondern er bezeichnet die Akteure lediglich als Einwohner dieser Grenzregion. Zudem werden deren Aktivitäten nur durch den kurzen Hinweis erläutert, dass sie Koloman für einen Spion hielten.31 Thietmar ist hier nicht an einer Diskussion über die Schuld am Tod des Heiligen interessiert. Auch versucht er nicht, durch einen Hinweis auf die äußeren Umstände die Festnahme zu entschuldigen. Der Chronist erwähnt ausschließlich das handlungsauslösende Moment für das folgende Geschehen, in welchem die einzigen namentlich benannten Akteure 29 Vgl. Passio S. Cholomanni, ed. Georg Waitz (MGH SS IV [Annales, chronica et historiae aevi Carolini et Saxonici], 1841) S. 675–677, hier S. 675, bzw. Die Passio Cholomanni, in: Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 70. 30 Die Forschung zweifelte bislang nicht daran, dass Koloman ein Jerusalempilger gewesen sei, vgl. zum Beispiel Edeltraud Ambros, Der Heilige Koloman. Der erste Landespatron von Niederösterreich (Phil. Diss. 2010) S. 22, Edina Bozóky, La légende de saint Coloman de Melk, pèlerin martyr, in: ,Scribere sanctorum gesta‘. Recueil d‘études d‘hagiographie médiévale offert à Guy Philippart, hg. von Étienne Renard (Hagiologia 3, 2005) S. 573–593, hier S. 575, Brandstätter, Heiligenkulte (wie Anm. 18) S. 67, Kull, Koloman (wie Anm. 27) S. 665, Meyer-Sickendieck, Vaganten (wie Anm. 25) S. 309, NiederkornBruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 12–13, Ó Riain-Raedel, Ireland (wie Anm. 26) S. 27–28, Walter Pohl / Brigitte Vacha, Die Welt der Babenberger. Schleier, Kreuz und Schwert (1995) S. 34, Scheibelreiter, Babenberger (wie Anm. 15) S. 96, Weber, Iren (wie Anm. 25) S. 621, und Zöllner, Märtyrer (wie Anm. 18) S. 359, lediglich Meyer-Sickendieck, Vaganten (wie Anm. 25) S. 309, nennt als weitere Motive eine Bußwallfahrt, ein Interesse für das Reformmönchtum und die Bewährung Kolomans als Fürstensohn, der ein Kirchenamt angestrebt habe. 31 Die ab Thietmar genannte Spionage-Anklage wird von der Forschung für glaubhaft gehalten, vgl. zum Beispiel Ambros, Koloman (wie Anm. 30) S. 22, Meyer-Sickendieck, Vaganten (wie Anm. 25) S. 309, Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 14 und 41, Ó Riain-Raedel, Ireland (wie Anm. 26) S. 27–28, Scheibelreiter, Babenberger (wie Anm. 15) S. 96, und Zöllner, Märtyrer (wie Anm. 18) S. 359.
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Koloman und Heinrich positiv gezeichnet werden. Der falsche Verdacht der Spionage weist darüber hinaus auf die Konfliktsituation in diesem Grenzraum hin, womit nochmals an das Leitinteresse des Chronisten erinnert wird. Den größten Raum in Thietmars Bericht nehmen die Beschreibung des Martyriums und der Wunder nach dem Tod Kolomans ein, also die Aufzählung der Beweise für die Heiligkeit des Peregrinus aus Irland. Dieser wurde Thietmar zufolge nicht sofort getötet, sondern befragt und gefoltert. Koloman wird in der Erzählung Thietmars Platz eingeräumt, wie ein spätantiker Märtyrer zum einen seine Standhaftigkeit zu beweisen und zum anderen seine Unschuld zu beteuern. Durch einen Erzählerkommentar wird eindeutig Stellung bezogen, denn der Ire sei unschuldig gewesen. Diese Schuldlosigkeit wird in der kurzen Sequenz mehrfach in unterschiedlichen Formulierungen betont: So wird Koloman beispielsweise bei der Schilderung seiner Hinrichtung nochmals explizit als unschuldig bezeichnet. Allerdings wurde Thietmar zufolge der Heilige nicht aufgrund seines christlichen Bekenntnisses aufgegriffen und gepeinigt, sondern weil eine Verwechslung vorgelegen habe. Die Parallelen zu anderen Heiligenviten und zum Leiden Christi sind jedoch eindeutig gezeichnet. Thietmar lässt keinen Zweifel daran, dass Koloman ein Heiliger war, auch wenn er nicht durch die Hand von Heiden starb, die ihn wegen seines christlichen Glaubens verfolgt und hingerichtet hätten. Die offenbare Heiligkeit Kolomans stellt der Chronist durch die Beschreibung der Wunder nach dem Tod dar. Zuerst formuliert er eine genaue Beschreibung des Todes, um den Mirakelbericht vorzubereiten. Danach werden die Wunder aufgezählt, so das noch nach dem Tod fließende Blut, die weiter wachsenden Nägel, Haare und schließlich der blühende Baum.32 Diese Wunder sind dem Chronisten zufolge nicht nur als Zeichen der Unschuld Kolomans zu verstehen, sondern auch als Beleg für seine Heiligkeit, denn Thietmar beschließt diese Passage mit einer eindeutigen Schlussfolgerung für seine Leser: Dies alles sei der Beweis dafür gewesen, dass Koloman ein Märtyrer Christi gewesen sei. Im letzten Satz schildert Thietmar die Bestattung des Heiligen. Von einem Begräbnis am Ort der Hinrichtung ist nicht die Rede; vielmehr wird der Eindruck erweckt, dass Markgraf Heinrich sofort gehandelt habe und den Heiligen kurz nach dessen Tod in Melk habe bestatten lassen. Im Zentrum dieses abschließenden Satzes steht der Markgraf, der neben dem Heiligen als Einziger namentlich erwähnt wird. Andere Akteure, wie der Bischof von Eichstätt, dem die Melker Annalen allein die Translation der Gebeine des Heiligen zuschreiben, werden hingegen nicht genannt.33 Vielmehr war es allein Heinrich, der Thietmar zufolge als Erster die göttlichen Zeichen erkannt 32 Zu hagiographischen Parallelen vgl. Bozóky, Légende (wie Anm. 30) S. 575 –576. 33 Vgl. Annales Mellicenses (wie Anm. 21) S. 497.
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und ohne zu zögern eine hochrangige Bestattung angeordnet, also richtig gehandelt habe: Koloman ist der Heilige, der Babenberger jedoch der weltliche Held. Am Ende des letzten Satzes wird mit Melk ein genauer Ort benannt, den die kundigen Leser möglicherweise mit den Babenbergern verbinden konnten. Im frühen 11. Jahrhundert fungierte Melk aber noch nicht als Hausstift bzw. als Hauskloster dieser Sippe, ja es ist in der Forschung umstritten, ob zu diesem Zeitpunkt überhaupt mehr als eine Pfarrkirche bestanden habe: Das Datum der Stiftsgründung konnte bislang nur grob eingegrenzt werden, diskutiert wird hierbei ein Zeitraum, der vom späten 10. Jahrhundert bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts reicht.34 Zudem ist nicht belegt, ob Markgraf Heinrich I. in Melk begraben wurde; beginnend mit der nachfolgenden Generation ist eine regelmäßige Bestattung an diesem Ort nachweisbar, sodass erst ab diesem Zeitpunkt von einer Familiengrablege der Babenberger in Melk gesprochen werden kann.35 Ohne Zweifel fungierte Melk bereits unter Heinrich I. als Vorort der Babenberger, auch wenn in der Forschung erwogen wird, dass desgleichen andere Herrschaftsträger wie der Eichstätter Bischof Rechte in Melk besaßen.36 Die explizite Nennung des Ortsnamens Melk sollte überdies deutlich machen, dass das Grab des Heiligen verehrt werden konnte. Als Pfleger am Kultort werden allerdings von Thietmar keine Mitglieder einer größeren Gemeinschaft erwähnt; vielmehr entsteht der Eindruck, dass Koloman in einer Kirche, nicht aber in einem Stift oder Kloster bestattet wurde. Da Thietmar gute Verbindungen zu den Babenbergern besaß und aus diesem Grund sicher von einem Stift der Familie gewusst hätte, ist es wahrscheinlich, dass zu dieser Zeit in Melk noch keine solche Institution bestand. Mit der Erwähnung eines Stifts hätte zudem der Rang des Heiligen erhöht werden können, sodass der Chronist eine solche Information gewiss nicht unerwähnt gelassen hätte. Somit erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass erst durch die Bestattung Kolomans Melk zum babenbergischen Zentralort im 11. Jahrhundert wurde. Nun 34 Die jüngere Forschung geht davon aus, dass zu Zeiten der Translation Kolomans in Melk noch kein Stift bestanden habe, vgl. Lechner, Babenberger (wie Anm. 16) S. 63, und Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 17–19. 35 Zu den Grablegen der Babenberger im 11. Jahrhundert vgl. Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 18–19, Scheibelreiter, Babenberger (wie Anm. 15) S. 101, und Pohl / Vacha, Babenberger (wie Anm. 30) S. 81. 36 Die Forschung sieht in Melk den Vorort von Markgraf Heinrich I., vgl. Lechner, Anfänge (wie Anm. 12) S. 79, Lechner, Babenberger (wie Anm. 16) S. 63, und Scheibelreiter, Babenberger (wie Anm. 15) S. 97, was gleichwohl mit der Translation Kolomans begründet wird. Lange wurde die Melker Peterskirche von der Forschung für eine Eigenkirche des Eichstätter Bischofs gehalten, vgl. Lechner, Anfänge (wie Anm. 12) S. 75– 76, Lechner, Babenberger (wie Anm. 16) S. 63, Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 17, und Pohl / Vacha, Babenberger (wie Anm. 30) S. 81, zuletzt wurde aber vorgeschlagen, in den Babenbergern die einzigen Grundbesitzer und Patronatsherren in Melk zu sehen, vgl. Kupfer, Krongut (wie Anm. 15) S. 61–63.
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wurden andere Herrschaftsträger verdrängt oder deren Rechte abgelöst, nun fungierte der Ort als Familiengrablege, nun wurde ein Stift eingerichtet. Damit formulierten die Babenberger ihren Anspruch, vom Zentrum Melk aus, an welchem Koloman verehrt wurde, auch den Grenzraum, in welchem der Heilige getötet worden war, in Besitz zu nehmen und zu behalten. Nicht zufällig endet die Passage mit einer Lokalisierung, denn so hatte Thietmar ja anfangs seinen Koloman-Bericht eingeleitet. Damit erinnert der Chronist nochmals an den Raum, in welchem das Geschehen stattfand: der Grenzraum zwischen Christen und Heiden, zwischen den guten Herrschern aus dem Hause der Ottonen und den schlechten, noch nicht wirklich christianisierten Herrschern wie Boleslaw Chrobry. Dieser Raum war umkämpft, nicht nur im Norden und Osten, wovon große Teile von Thietmars Chronik berichten, sondern auch im Süden, wie diese Episode belegen soll. Doch ein Sieg des schon länger christianisierten Westens ist nahe: Dies offenbart sich Thietmar zufolge im Wirken Gottes, der einen Heiligen aus dem fernen Irland in diesen Raum schickte und ihn dort sein Martyrium erleiden ließ. Dieser Sieg zeigt sich aber auch im Handeln der Herrschaftsträger, denn Markgraf Heinrich agierte vorbildhaft und letztendlich erfolgreich. Der Parteigänger des Kaisers und zugleich Verwandte Thietmars löste den Konflikt zugunsten des ostfränkisch-deutschen Reichs und des westlichen Christentums. An Heinrichs Vorort Melk wurde Koloman begraben, nun durfte als gesichert gelten, so könnte man Thietmars Schilderung deuten, dass durch das Heiligengrab aus dem Grenzraum ein Teil der westlichen Christenheit wurde: Gott sorgt sich, so Thietmar, um diesen Raum, er wirkt dort Wunder, er besetzt und befriedet ihn.
III. Weitere Heilige in der Chronik Thietmars von Merseburg Koloman ist bei weitem nicht der einzige Heilige, den Thietmar von Merseburg in seiner Chronik nennt. Vielmehr beschäftigt er sich mit dem Lebensweg und der Verehrung vieler weiterer Heiliger, mit etablierten ebenso wie mit neuen, mit lediglich lokal ebenso wie mit weit über die Reichsgrenzen hinaus verehrten Heiligen. Dagegen wird biblisches Personal selten erwähnt, und auch Kirchenväter oder andere theologische Gelehrte, die als heilig angesehen wurden, kommen in Thietmars Chronik selten zur Sprache. Den größten Teil stellen diejenigen Heiligen, die entweder als Gründerväter von kirchlichen Institutionen verehrt wurden oder als Missionare tätig waren. Im Folgenden soll danach gefragt werden, welche Darstellungsabsichten Thietmar von Merseburg verfolgte, wenn er in seiner Chronik den Namen eines Heiligen erwähnt oder von dessen Vita, Martyrium und Verehrung berichtet.
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Heilige fungieren im christlichen Denken als zentrale Orientierungspunkte in Raum und Zeit: Zum einen werden Orte und Institutionen, die mit ihrem Wirken oder ihrer Verehrung in Verbindung stehen, mit Heiligennamen benannt oder zumindest spezifiziert. Zum anderen strukturieren ihr Todestag bzw. andere Tage, die auf Heilige bezogen werden, das Kirchenjahr. Diese zweite Konvention spielt bei Thietmar nur eine randständige Rolle, Heiligennamen dienen ihm indessen vor allem dazu, kirchliche Institutionen zu bezeichnen. Wenn er also Heilige wie Afra, Albanus, Ambrosius, Attala, Caecilia, Clemens, Columban, Cyprianus, Cyriacus, Emmeram, Gallus, Gereon, Kilian, Koloman d.Ä., Lambert, Laurentius, Magnus, Martin, Mauritius, Nazarius, Pantaleon, Radegundis, Romanus, Servatius, Severinus, Sophia, Stephan oder Veit erwähnt, dann zielt er oftmals, ganz dem üblichen Gebrauch folgend, auf die Institution. Hierbei soll der Heiligenname nur die Dignität dieser Gemeinschaft versinnbildlichen, der Chronist will nicht dessen gesamte Vita und alle Formen des Kults evozieren. Dagegen spielt der Wunderglaube nur eine marginale Rolle in Thietmars Chronik: Mirakel finden selten Erwähnung und überdies meist in sehr knapper Form, also ohne dass deren Ablauf und deren Folgen narrativ ausgekleidet wären. So bemerkt Thietmar zum Beispiel lediglich, dass Kilian 70 Wunder vollbracht habe (I, 4). Nur kurz wird angesprochen, dass beim Brand des Klosters Berge Heiligenreliquien und ein Teil des Schatzes unzerstört geblieben seien (VII, 58). Ansonsten berichtet Thietmar zum einen von Wundern im Kontext der Mission der Slawen oder Dänen bzw. an den Rändern der westlichen Christenheit (I, 4; II, 14; IV, 44 – 45). Zum anderen schildert er Mirakel im Zusammenhang mit jüngst verstorbenen Klerikern wie dem Missionsbischof Poppo, Erzbischof Gero von Köln oder Bischof Adalbert von Prag, deren Heiligkeit noch nicht breit anerkannt war (II, 14; III, 2; IV, 44 – 45). Koloman entspricht beiden Kriterien, und somit ist Thietmars Schilderung der Mirakel nach dem Tod des Heiligen folgerichtig. Wunder besitzen in dieser Chronik also vorwiegend einen zeichenhaften Charakter, sie sind wenig komplex und sollen einen Heiligen eindeutig kennzeichnen. So fehlen großartige Heilungswunder und Errettungen ebenso wie Erweckungen vom Tode. Heilige mischen sich bei Thietmar nur selten mit Wundertaten in die Geschichte der Welt ein, sondern die berichteten, meist postmortalen Wunder sollen allein auf die Heiligen verweisen. Ganz den zeittypischen Gepflogenheiten verpflichtet ist Thietmars Interesse an Reliquien. Besonders häufig thematisiert er die als vorbildhaft dargestellte Förderung von Heiligenkulten durch die Ottonen. Meist sind es spätantike Märtyrer, denen Thietmars besondere Wertschätzung gilt, da ihre Heiligkeit etabliert und oftmals weitbekannt war. Verschiedene Formen des Umgangs mit den Reliquien werden vom Chronisten beschrieben, so das Erwerben, Verschenken, Überbringen oder Sammeln (I, 23; II, 3; II, 16; II, 17; IV, 45; VIII, 14). Ein herausragendes Zentrum, an welchem
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die Kaiser ihre Reliquienschätze zusammentrugen, bildete Magdeburg. Dieses neu errichtete Erzbistum gründete Thietmar zufolge geradezu auf Reliquien: Insbesondere Kaiser Otto I. habe das Erzbistum mit einer großen Zahl an Reliquien hochrangiger und schon lange verehrter Heiliger ausgestattet (II, 3; II, 16; II, 17); desgleichen habe Otto III. an das neu errichtete Erzbistum Gnesen Reliquien geschenkt (IV, 45). Dem Vorbild der Ottonen folgten in Thietmars Darstellung zahlreiche Bischöfe und Adelige (II, 19; VI, 77) – und der Chronist selbst: Kaiser Heinrich II. habe Merseburg ein Kreuzespartikel und andere Heiligenreliquien geschenkt (VIII, 14); allerdings stellt auch Thietmar für sich heraus, dass er Reliquien für sein Bistum erworben habe, was er durch eine direkte Leseransprache unterstreicht (VIII, 13). Der Chronist dokumentiert also das zeitgenössische Interesse an Reliquien, die für die Errichtung einer geistlichen Institution unabdingbar waren und für deren Erwerb in Thietmars Weltbild insbesondere Kaiser, Bischöfe und Adelige verantwortlich zeichneten. Thietmar gehörte zu diesem Kreis, aber auch sein Verwandter Markgraf Heinrich. Bei den Heiligen konnte Fürbitte eingelegt werden, für eine Gemeinschaft, für eine Person oder für eine vergangene, jedoch auch für eine in der Zukunft geplante Handlung. Diesem Ziel diente ebenfalls der Reliquienerwerb, und so verwundert es nicht, wenn hier vor allem die Fürbitten der Ottonen bei Thietmar beschrieben werden: Beispielsweise betete Heinrich II. in Magdeburg beim heiligen Mauritius um Fürsprache bei Gott vor seinem Italienzug (VI, 3) und vor seinem Feldzug gegen Boleslaw Chrobry (VII, 16); desgleichen baten Große wie Markgraf Hermann im Kampf gegen die Polen um den Beistand von Heiligen (VII, 23). Einfache Kleriker ersuchten ebenfalls Heilige um Hilfe (VIII, 10), und Thietmar legte bei Gott und allen seinen Heiligen einen Eid ab (VII, 52). Der Reliquienerwerb korrespondierte also mit dem Glauben an die Wirkkraft der Interzession von Heiligen bei Gott. Heilige wurden im christlichen Denken nicht nur als Boten zu Gott, sondern auch als Boten von Gott verstanden. Von Visionen, in welchen Heilige erschienen seien, berichtet Thietmar in seiner Chronik mehrfach, ja der Botendienst, der bekanntlich desgleichen Engeln zugeschrieben wird, war aus Sicht des Historiographen die Hauptaufgabe der Heiligen. Die Nachrichten wurden in verschiedenen Formen überbracht, als längere Erzählung oder als kurze direkte Ansprache, die in einem Fall nur die Zahl V umfassen konnte (VI, 47). Doch nicht nur mündlich ausgesprochene Botschaften erwähnt Thietmar, vielfach berichtet er von symbolhaften Handlungen der Heiligen, die ihn wiederum vor die Aufgabe stellten, diese Zeichen korrekt zu deuten. So erzählt der Chronist von einer Vision, in welcher die Osnabrücker Patrone Crispin und Crispinian einen späteren Bischof mit zwei Lanzen durchbohrten. Thietmar bescheinigt diesem Bischof aber einen guten Lebenswandel und sieht sich deshalb zu keiner Deutung dieser Erscheinung imstande, vielmehr stellt er gleichsam zur Diskussion,
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wie die Botschaft der beiden Heiligen zu verstehen sei (IV, 69). An dieser Erzählung ist typisch, dass die Todesart der Märtyrer bzw. deren Attribute in der Darstellung verwendet wurden. Auffällig ist allerdings, dass Thietmar zumindest an dieser einen Stelle eine mögliche Uneindeutigkeit der Visionen problematisiert. Die Botschaften der Heiligen besitzen außerdem unterschiedliche Inhalte, sie reichen bei Thietmar von einfachen Nachrichten über Warnungen bis hin zu konkreten Handlungsanweisungen. Vielfach verkünden die Heiligen der Chronik zufolge die baldige Verleihung eines kirchlichen Amts (II, 24; IV, 69; VI, 39; VI, 47); auf diese Weise soll die Vergabe einer Position in der kirchlichen Hierarchie durch Thietmars Visionserzählung gleichsam legitimiert werden. Andere Nachrichten betreffen die Ankündigung vom Martyrium oder Tod verehrungswürdiger Personen (IV, 28; VIII, 8–9); so soll deren Verehrung gleichsam vorbereitet werden. In den die Ämterverleihungen betreffenden Visionen stellt der Chronist fast immer das Eintreffen der Voraussagungen in den Mittelpunkt seiner Schilderungen, wodurch umgekehrt auch die Glaubwürdigkeit der Botschaften herausgestellt wird. Thietmar berichtet darüber hinaus in drei Passagen seiner Chronik von Heiligenerscheinungen, die ihm selbst widerfahren seien, und nutzt so deren Überzeugungspotential zugleich für seine Selbstdarstellung: Während in einem Abschnitt die Verehrungswürdigkeit der Einsiedlerin Sisu in Drübeck durch eine Erscheinung offenbart wird (VIII, 8–9), verweisen die beiden anderen Visionen darauf, dass Thietmar selbst bald das Merseburger Bischofsamt verliehen werde (VI 39; VI 47). Anhand dieser beiden Erscheinungen, die gleichwohl ihm selbst und nicht anderen zuteil wurden, will der Chronist unterstreichen, dass ihm sein Amt rechtmäßig zukomme. Die göttlichen Botschaften betreffen also auch den Verfasser der Chronik selbst. In weiteren Visionen, in denen Thietmar Heilige als Überbringer göttlicher Botschaften darstellt, wird von den Adressaten ein anderer Lebenswandel eingefordert (IV, 70; IV, 72). Außerdem wird explizit Stellung zur Reichspolitik genommen, denn Thietmar berichtet davon, dass Bischof Ulrich von Augsburg die heilige Afra in einer Vision erschienen sei, in welcher sie ein Schwert ohne Griff in der Hand gehalten habe, was auf die fehlende Königsweihe Heinrichs I. verweise (I, 8). Der Kaiserin Theophanu sei der heilige Laurentius mit verstümmeltem Arm erschienen, um Thietmar zufolge ebenfalls bildhaft zu beklagen, dass Otto II. das Merseburger Bistum geschädigt habe (IV, 10). Andere moralische Mahnungen betreffen zum Teil allgemeine Missstände, die in manchen Passagen nicht näher spezifiziert werden (I, 4; IV, 14; VII, 43), aber eben auch individuelles Fehlverhalten insbesondere der königlichen Dynastie (I, 8; IV, 10). Hier zeigt sich erneut Thietmars Interesse am Seelenheil Einzelner, zugleich nimmt er explizit Stellung zum Handeln der Ottonen. In allen diesen Fällen wird den Voraussagen oder den moralischen Belehrungen Autorität verliehen,
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indem sie von Thietmar als göttliche Botschaften, die durch Heilige überbracht wurden, markiert werden. Thietmars Heilige handeln also meist in Bezug auf eine Person oder auf eine geistliche Gemeinschaft. So wird zum Beispiel eine ungerechtfertigte Anklage Erzbischofs Brun von Köln nach demütiger Fürbitte des Unschuldigen bei mehreren Heiligen fallen gelassen (II, 16), oder Heinrich II. wird durch die erbetene Hilfe des heiligen Laurentius von einer Kolik befreit (V, 28). Heilige schützen bei Thietmar damit nicht generell vor Krankheiten, Missernten oder Naturkatastrophen. Allerdings können sie ihr Wirken einem bestimmten Raum zuteilwerden lassen: Die Reliquien von Mauritius und anderer Heiliger, die in Magdeburg verehrt werden, wirken nach Thietmar zum „Wohl des ganzen Landes“ (ad salutem patriae tocius) (II, 17). Heilungs- und Errettungswunder werden wie bereits erwähnt selten in Thietmars Chronik beschrieben, vielmehr überbringen die Heiligen meist Botschaften, die ebenfalls genau auf deren Adressaten abgestimmt sind. Dies trifft auch auf die Strafen zu, die Heilige als Ausführende von Gottes Willen entweder, wie im Falle eines Corveyer Abts, vorhersagen (IV, 72) oder selbst vollstrecken können: Nach der Verwüstung eines Klosters verfällt ein Slawenherzog kurz vor seinem Tod dem Wahnsinn und glaubt, dass er, als man ihn mit Weihwasser besprengt, vom heiligen Laurentius verbrannt werde (III, 18). Ein Magdeburger Scholaster wird gelähmt, weil er Thietmar zufolge den heiligen Mauritius gekränkt habe (IV, 66), ebenso ein Däne, der an der Tötung des heiligen Dunstan beteiligt gewesen sei (VII, 43). Ein Mönch aus Corvey wird gar mit dem Tod bestraft, weil er Reliquien unachtsam behandelt habe (IV, 70–72), was der Chronist am Ende in einer direkten Leseransprache als schwere Strafe für die Missachtung der Heiligen deutet: Nunc, lector, audisti de contemptu sanctorum gravem poenam (IV, 72). Mit dieser längeren Exempelgeschichte will Thietmar eines seiner zentralen Anliegen verdeutlichen, was er mehrfach explizit und bereits zu Beginn programmatisch hervorgehoben hatte (IV, 70). Auffällig häufig beschäftigt sich Thietmar mit Heiligen, die ihren Tod durch die Hand von Heiden fanden. Fast alle Heilige, die der jüngeren Vergangenheit des Chronisten angehören, starben als Missionare oder bei gewalttätigen Auseinandersetzungen an den nördlichen und östlichen Grenzen des Reichs. Das so beschriebene Schicksal der Heiligen soll die Gefahren des Konflikts mit den Heiden aufzeigen, eröffnet aber dem Verfasser vor allem die Möglichkeit, die Überlegenheit des christlichen Glaubens durch die Blutzeugen zu demonstrieren. Zu Beginn seiner Chronik schildert Thietmar gleichsam als Leitmotiv für diese Darstellungsabsicht das Martyrium des heiligen Kilian, der aus Irland stammte, bei den Heiden predigte und zusammen mit seinen Gefährten Koloman d.Ä. und Totmann das Martyrium erlitt (I, 4) – möglicherweise soll die Beschreibung des Martyriums Kolomans d.J. auf diese Passage zurückverweisen. Eine ausführliche Schilderung gilt dem Martyrium Bischof Arns
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von Würzburg, der zusammen mit seinen Begleitern durch Slawen zum Märtyrer wurde (I, 4). Dem Dänenmissionar Poppo von Schleswig widmet Thietmar ebenfalls einen Bericht, in dem er von dessen wundersam überstandener Probe vor dem Dänenkönig Harald Blauzahn erzählt (II, 14). Detailliert schildert der Chronist drei gewaltsame Todesfälle von Geistlichen des 10. und frühen 11. Jahrhunderts: Adalberts von Prag Martyrium bei den Pruzzen (IV, 28), die Tötung von Thietmars Verwandten Brun von Querfurt, der im Grenzgebiet zwischen Preußen und Russland missioniert hatte (VI, 94–95), und die Ermordung des Erzbischofs Dunstan von Canterbury durch die heidnischen Dänen (VII, 42 – 43).37 In die Reihe dieser Märtyrer ist Thietmar zufolge auch Koloman aufzunehmen. Koloman als neuer Heiliger gehörte zu Beginn des 11. Jahrhunderts – noch – nicht zu der Gruppe der etablierten Heiligen, die den Menschen als Boten Gottes Nachrichten überbringen, auf zukünftige Ämtervergaben hinweisen, zu gottgerechtem Leben ermahnen oder Fehltritte bestrafen konnten. Er ist in Thietmars Chronik – noch – kein Heiliger, der in Visionen erscheint und fest mit einer Familie oder Institution verbunden ist, auch wenn seine Translation nach Melk durch einen Babenberger solche Verbindungen angelegt hatte. Wie die anderen neuen Heiligen war auch Koloman in der Darstellung Thietmars ein Opfer des Konflikts mit den heidnischen oder den noch nicht wirklich christianisierten Feinden des Reichs im Norden und im Osten. Thietmar stellt Koloman in eine Reihe mit Poppo von Schleswig, Adalbert von Prag und Brun von Querfurt und damit mit den Märtyrern seiner Zeit, die durch ihr bedingungsloses Eintreten für den christlichen Glauben und durch ihr Opfer letztendlich den Sieg des Christentums vorwegnehmen – ein Sieg, der sich Thietmar zufolge auch im Sieg des ostfränkisch-deutschen Reichs an seinen Grenzen zeigen wird, durch den Heiligen Koloman und den Helden Markgraf Heinrich.
IV. Ausblick: Hagiographische Quellen zu Koloman bis in das 12. Jahrhundert Es wurde deutlich, dass Thietmar von Merseburg nicht zufällig einen Bericht über Koloman und Heinrich I. in seine Chronik aufgenommen hat. Zugleich entwarf er ein spezifisches Bild dieses Heiligen, das an anderen ähnlichen Heiligendarstellungen in seinem Geschichtswerk orientiert war. Mit dieser Zeichnung Kolomans 37 Zum angelsächsischen England in Thietmars Chronik und zu dieser Passage vgl. Andreas Bihrer, Verwobene Konstellationen, verknüpfte Erfahrungen. England und das Reich in der Ottonen- und Salierzeit. Thietmar von Merseburg über die Angelsachsen, in: Identität und Krise? Zur Deutung vormoderner Selbst-, Weltund Fremderfahrungen, hg. von Christoph Dartmann / Carla Meyer (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 17, 2007) S. 45 –59, und Bihrer, Begegnungen (wie Anm. 28) S. 497–500.
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verfolgte Thietmar spezifische seelsorgerische, familiäre und politische Ziele, die in die Gesamtintention seiner Chronik eingepasst waren. Seine Darstellung Kolomans ist außerdem nur vor dem historischen Kontext der Entstehungszeit von Thietmars Aufzeichnungen und insbesondere vor dem Hintergrund der Konflikte an den östlichen Grenzen des ostfränkisch-deutschen Reichs zu verstehen. Abgesehen von einigen wenigen spärlichen und knappen Zeugnissen, die noch dem 11. Jahrhundert angehören, wurde das Leben Kolomans erst wieder im 12. Jahrhundert erzählt, ja neu erzählt, zumal den hochmittelalterlichen Verfassern Thietmars Schilderung nicht vorlag, sie also eine eigene Tradition begründen mussten – und wollten. Aus dem 11. Jahrhundert ist neben den Einträgen des Heiligennamens in Kalendarien und Martyrologien nur eine kurze Notiz zu Koloman in den wohl um 1075 entstandenen Annalen des Klosters Niederaltaich erhalten geblieben.38 Da Vergleichstexte aus der Zeit fehlen, nehmen die Herausgeber der Niederaltaicher Annalen an, dass der dem Jahr 1012 zugeordnete Satz zu Koloman nicht aus einem anderen Werk übernommen wurde: Sanctus Colemannus apud Stokarawe patitur, marchione Henrico in Austria, patre Adalberti marchionis.39 Die Heiligkeit Kolomans wird in dieser Aufzeichnung nicht in Frage gestellt, sondern er wird selbstverständlich als sanctus Colemannus bezeichnet. Das Geschehen wird in den Ort Stockerau verlegt und im Gegensatz zu Thietmars Darstellung bereits im Jahr 1012 angesiedelt. Von Melk ist hingegen nicht die Rede, auch wird keine größere Zeitspanne zwischen das erlittene Martyrium und die Translation gesetzt. Wie in Thietmars Chronik steht im Vordergrund das Handeln des Markgrafen Heinrich, der zudem mit dem Namen seines 1055 verstorbenen Bruders und Nachfolgers näher identifiziert und damit mit der gegenwärtig regierenden Dynastie eng verbunden wird. Weniger das Schicksal des Heiligen, sondern die Verherrlichung der Babenberger bildete den Anlass für den Eintrag in die Niederaltaicher Annalen. Im 12. Jahrhundert förderte vor allem der Melker Konvent das Andenken Kolomans. In einer gänzlich anderen historischen Situation entwarfen die Melker Verfasser ein neues Bild Kolomans, das kaum mehr etwas mit der Darstellung und Deutung Thietmars gemein hatte. Den Hintergrund für diese Anstrengungen bildeten die Autonomiebestrebungen des Klosters: Das Stift war im Jahr 1089 in ein Benediktinerkloster umgewandelt und 1110 unter päpstlichen Schutz gestellt worden, außerdem 38 Zu den Kalendar- und Martyrologeinträgen seit dem 11. Jahrhundert vgl. Lechner, Babenberger (wie Anm. 16) S. 319, Lechner, Anfänge (wie Anm. 12) S. 79 – 80, Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 21–22, und Ó Riain-Raedel, Ireland (wie Anm. 26) S. 29–30, zu späteren Einträgen vgl. Alois Haidinger, Beobachtungen zum Festkalender des Stiftes Kremsmünster, Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 109 (1998) S. 27–67, hier S. 62–63. Gleichwohl ist die Datierung solcher Einträge sehr problematisch und bedarf einer zukünftigen Überprüfung. 39 Annalen von Niederaltaich, ed. Wilhelm von Giesebrecht / Edmund von Oefele (MGH SS 20 [Supplementa tomorum I, V, VI, XII, Chronica aevi Suevici], 1868) S. 772– 824, hier S. 790.
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beanspruchte nun der Konvent die freie Abtswahl.40 Als Abt Erchanfrid (1121–1163) sein Amt antrat, versuchte er anhand einer ,Schriftlichkeitsoffensive‘ auf mehreren Feldern den neuen Status des Klosters zu demonstrieren und zu legitimieren: Unter ihm wurden um 1123 neben einem Kalendar-Nekrolog auch die Melker Annalen begonnen, in deren Grundstock drei Nachrichten zu Koloman eingetragen wurden.41 Außerdem gab Erchanfrid eine Koloman-Vita in Auftrag, in welche ein Translationsbericht und eine Mirakelsammlung aufgenommen wurden.42 Entweder kurz vor oder kurz nach dem Tod Erchanfrids wurden die Informationen aus den Annalen und der Vita im sog. ,Breve Chronicon Austriae Mellicense‘ miteinander verbunden.43 Die drei Einträge zu Koloman in den Melker Annalen lauten zu 1012: Beatus Cholomannus martyrizatus est, et suspensus apud Stocchaerouwe; zu 1013: Hoc anno beatus Cholomannus sepultus est in eodem loco; zu 1014: Hoc anno sanctus Cholomannus a Megingaudo Heibstatensi episcopo in Mediliccha sepultus est.44 Es fällt auf, dass durch die neue chronologische Verteilung des Geschehens dem heiligen Koloman ein viel größerer Raum und damit eine viel größere Bedeutung als zum Beispiel in den Annalen von Niederaltaich eingeräumt wird; insbesondere die Aufteilung von Martyrium und Begräbnis Kolomans in Stockerau auf zwei Jahreseinträge wirkt wie eine bewusste Dehnung des Geschehens. Somit dominiert das Schicksal Kolomans im Grundstock der Melker Annalen die geschichtliche Deutung des frühen 11. Jahrhunderts, es wird zum zentralen Ereignis dieser Zeit. An der unbestrittenen Heiligkeit Kolomans wird am Ort seiner Verehrung kein Zweifel gelassen, er wird zweimal als beatus und einmal als sanctus bezeichnet. Der Zusatz sanctus kommt ihm wohl nicht zufällig erst nach der Translation nach Melk zu, auch wenn der Bedeutungsunterschied zwischen beatus und sanctus im 12. Jahrhundert noch nicht so groß war wie in späteren Zeiten. Besonders auffällig ist, dass in diesen Annalen die Translation nach Melk gerade nicht dem Babenberger Heinrich I., sondern dem Eichstätter Bischof zugeschrieben wird. Diese Art der Darstellung ist 40 Vgl. hierzu die Übersicht bei Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 23 –25. 41 Zu den Erwähnungen Kolomans im Melker Kapiteloffiziumsbuch, im Stiftungsbrief und im Kalendarium vgl. Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 23–25. 42 Vgl. Passio S. Cholomanni (wie Anm. 29), und De Miraculis Sancti Cholomanni Martyris, ed. Georg Waitz (MGH SS IV [Annales, chronica et historiaea aevi Carolini et Saxonici], 1841) S. 677– 678, sowie die Neuedition bei Passio Cholomanni (wie Anm. 29) S. 70–78, in welcher auch die Varianten der ältesten Handschrift verzeichnet sind; zur Überlieferung der Passio vgl. auch Kull, Bemerkungen (wie Anm. 27) S. 47– 48, und Kull, Koloman (wie Anm. 27) S. 664. 43 Vgl. Breve Chronicon Austriae Mellicense, ed. Wilhelm Wattenbach (MGH SS XXIV [Annales aevi Suevici], 1879) S. 69 –71, hier S. 70 –71; im Gegensatz zur älteren Forschung, welche die Chronik nach 1170 datiert, sind nach Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 29, die Aufzeichnungen noch zu Lebzeiten Erchanfrids verfasst worden. 44 Annales Mellicenses (wie Anm. 21) S. 497.
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gewiss mit den Autonomiebestrebungen des Klosters zu erklären. Die Erinnerung an die Babenberger wurde in den Melker Annalen getilgt und damit – unwissentlich – die Darstellungsintention Thietmars von Merseburg, der den Helden Heinrich neben den Heiligen Koloman gestellt hatte, in ihr Gegenteil verkehrt. In der wohl kurze Zeit später entstandenen Koloman-Vita, die aufgrund ihrer Konzentration auf die Erzählung des Martyriums von der Forschung meist als ,Passio‘ bezeichnet wird, ist die Frontstellung gegen die Babenberger nicht mehr zu fassen, denn nun wurde wieder Markgraf Heinrich die Translation zugestanden.45 Möglicherweise orientierte man sich an mündlichen Überlieferungen oder an älteren Kurzfassungen einer Lebensbeschreibung für den liturgischen Gebrauch, insgesamt stellt die Passio jedoch ein Erzeugnis des 12. Jahrhunderts dar, das den neuen Zeitgeist widerspiegelte.46 Anhand der handschriftlichen Überlieferung kann die Passio lediglich grob in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts datiert werden.47 Die Verfasserschaft Abt Erchanfrids ist nicht belegt, aber wahrscheinlich regte er die Abfassung dieses Textes an.48 Anders als die Melker Annalen datiert die Koloman-Passio den Tod, das Martyrium und die Translation des Heiligen nicht in die Jahre 1012, 1013 und 1014, sondern der Verfasser gibt lediglich an, dass dies zu Zeiten Kaiser Heinrichs II. geschehen sei und zwischen Tod und Translation drei Jahre gelegen hätten.49 Im Gegensatz zu Thietmar und zu den Annalen erwähnt der Autor der Passio explizit, dass Koloman aus Irland stammte.50 Dieser Hinweis erklärt sich wahrscheinlich aus der neuen Popularität der irischen Mönche, die ab dem späten 11. Jahrhundert vor allem durch die Gründung der Schottenklöster präsent waren. Die Kreuzzugsbegeisterung des 12. Jahrhunderts bildete, wie bereits angesprochen, den Anlass, Koloman als Jerusalempilger zu bezeichnen.
45 Vgl. Passio S. Cholomanni (wie Anm. 29) S. 676 – 677, bzw. Passio Cholomanni (wie Anm. 29) S. 74 –76. 46 In der Forschung wurde vermutet, dass bereits im der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts der Grundstock der Passio niedergeschrieben worden sei, vgl. Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 21 und 61, danach Kull, Bemerkungen (wie Anm. 27) S. 47, und Ó Riain-Raedel, Ireland (wie Anm. 26) S. 29–30. 47 Die älteste Überlieferung der Passio und eines Teils des Mirakelberichts findet sich in einer Tegernseer Handschrift, die nach Bernhard Bischoff in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts geschrieben wurde, vgl. Kull, Bemerkungen (wie Anm. 27) S. 47–48, und Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 21 und 67; eine kurze Beschreibung der Handschrift bietet Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 68. 48 Walter Berschin erwähnt in seiner Überblicksdarstellung die Koloman-Passio nicht, sondern führt sie nur in seiner Liste der Viten von Eremiten, Reklusen und Pilgern auf, vgl. Walter Berschin, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter 4,2: 1070 – 1220 n. Chr. (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 12,2, 2001) S. 590. Eingehendere Untersuchungen der Passio legten bislang nur Bozóky, Légende (wie Anm. 30), und Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) vor. Die Forschung sieht meist in Abt Erchanfrid selbst den Verfasser der Passio, vgl. zuletzt Ó Riain-Raedel, Ireland (wie Anm. 26) S. 30. 49 Vgl. Passio S. Cholomanni (wie Anm. 29) S. 675 und 677, bzw. Passio Cholomanni (wie Anm. 29) S. 70 und 75. 50 Vgl. Passio S. Cholomanni (wie Anm. 29) S. 675, bzw. Passio Cholomanni (wie Anm. 29) S. 70.
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Wie in Thietmars Chronik steht auch in der Passio die Gerichtsverhandlung im Mittelpunkt der Darstellung, da diese den erzählerischen Rahmen bot, die Unschuld und die Standhaftigkeit des Heiligen ausführlich zu illustrieren.51 Hieran sollte Kolomans Heiligkeit demonstriert werden, wohingegen erst im Spätmittelalter die Vita des Heiligen um Lebensstationen vor der Anklage erweitert wurde. Zugleich bot die Gerichtsszene die Möglichkeit, über Parallelen zur Leidensgeschichte Christi Koloman als besonders verehrungswürdig zu zeichnen.52 Die Verwendung weiterer Topoi belegt, dass der Verfasser des 12. Jahrhunderts mit der hagiographischen Tradition wohl vertraut war.53 Meist wird Koloman in der Passio als vir Dei, famulus Dei oder sanctus vir bezeichnet, aber möglicherweise war es auch ein Resultat der Kreuzzugsbegeisterung und eines neu entstehenden Adelsideals, dass Formulierungen wie invictus Christi miles oder fortissimus athleta Cholomannus eine neue Attraktivität gewannen und ebenfalls in der Passio Verwendung fanden.54 Koloman war nun Heiliger und Held in einer Person. Die hagiographischen Zeugnisse der Koloman-Verehrung des 12. Jahrhunderts belegen also eindrücklich, wie das nach Autonomie strebende Kloster Melk ein neues, zeitgemäßes Koloman-Bild entworfen hatte. Auch andere Elemente der Passio reflektieren neben den neuen Aushandlungsprozessen den Zeitgeist des 12. Jahrhunderts und dabei nicht zuletzt die Jerusalembegeisterung, von welcher Abt Erchanfrid ohne Zweifel angesteckt worden war, pilgerte er doch selbst zweimal nach Jerusalem55 – gleichsam als Koloman-Imitatio eines von ihm selbst in Auftrag gegebenen KolomanBildes. Im 12. Jahrhundert war auch der einstmalige Grenzraum, in welchem Koloman zu Tode gekommen war, unbestrittener Teil der westlichen Christenheit. Thietmars Erzählung war von nun an überholt.
51 Vgl. Passio S. Cholomanni (wie Anm. 29) S. 675, bzw. Passio Cholomanni (wie Anm. 29) S. 71. 52 Zu den Parallelen zur Passion Christi vgl. Bozóky, Légende (wie Anm. 30) S. 575–576, Kull, Koloman (wie Anm. 27) S. 664, und Zöllner, Märtyrer (wie Anm. 18) S. 359. 53 Zu Parallelen zu anderen Heiligenviten vgl. Bozóky, Légende (wie Anm. 30) S. 577–578, der Koloman dem Typus „martyr de la justice“ zuweist, vgl. ebd., S. 575. 54 Vgl. Passio S. Cholomanni (wie Anm. 29) S. 675, bzw. Passio Cholomanni (wie Anm. 29) S. 71; in der Mirakelsammlung ist hingegen ausschließlich von vir Deus, beatus Cholomannus, sanctus Cholomannus oder beatus martyr Cholomannus die Rede, vgl. De Miraculis Sancti Cholomanni Martyris (wie Anm. 42) S. 677– 678, bzw. Passio Cholomanni (wie Anm. 29) S. 76–78. Gleichwohl muss angemerkt werden, dass Formulierungen wie athleta Christi bereits seit der Spätantike gebräuchlich sind und auch in der Chronik Thietmars von Merseburg Verwendung finden (II, 42; II, 45; IV, 10; V, 28; VI, 70; VII, 42– 43). 55 Zu Erchanfrids Jerusalemreisen 1152 und 1163 vgl. Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 18) S. 26, und Ó Riain-Raedel, Ireland (wie Anm. 26) S. 30.
Bischof Altmann von Passau (1010/1020 –1091)* Udo Fischer
Vor etwa 700 Jahren, am Allerseelen-Tag des Jahres 1311 unterzeichneten Abt Petrus und der aus Mönchen und Nonnen bestehende Doppelkonvent des Klosters Göttweig eine Confraternitätsurkunde für Stift Melk. Darin werden die liturgischen Verpflichtungen (Messfeier und Psalterium; Konversen beten 1.000 Pater noster und Ave Maria) bei Eintreffen der Todesnachricht eines Melker Benediktiners genannt, aber auch die gegenseitige Wertschätzung der Heiligen. Am Fest des Göttweig-Gründers Altmann mögen den Melker Brüdern, heißt es, beim Festmahl sieben Gänge gereicht werden. Gleiches wird auch für das Fest des heiligen Koloman im eigenen Haus versprochen.1
Altmann und Koloman Wer die Sommersakristei des Stiftes Göttweig besucht, findet den in diesem Gotteshaus begrabenen Gründer (Bischof Altmann) und den in Melk bestatteten Märtyrer (Koloman) am Kreuzstamm eines Messkleids vom Ende des 15. Jahrhunderts bildlich vereint. Die Stickerei der ältesten in Göttweig aufbewahrten Kasel aus stark verblichenem rotem Tuch zeigt in angesetzten Feldern in ganzer Figur den heiligen Altmann und den heiligen Koloman.2
Vita Altmanni In der Vita Altmanni (VA), der einzigen Vita eines Passauer Bischofs und wichtigsten Informationsquelle über den als Heiligen verehrten Gottesmann, findet sich ausgerechnet eine Notiz über die Umwandlung der Kanonikergemeinschaft Melk in ein * Grundlage dieses Beitrags ist meine Dissertation „Bischof Altmann von Passau und sein Doppelkloster an der Donau, Studien zur Frühgeschichte des Stiftes Göttweig“ (Wien 2008). 1 Göttweiger Urkunden 1: Urkunden und Regesten zur Geschichte des Benedictinerstiftes Göttweig, Teil 1 (1058 –1400), hg. von Adalbert Franz Fuchs (= FRA II/51, Wien, 1901) Nr. 258, S. 260 –262. Laut Rückvermerk wurde die Verbrüderung im Jahr 1470 erneuert. 2 Dora Heinz Die Paramente, in: 900 Jahre Stift Göttweig 1083 –1983, Katalog der Jubiläumsausstellung (Göttweig 1983) S. 393f.
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Benediktinerkloster nicht, bei der Altmann als Diözesanbischof gewiss führend mitgewirkt hat. Der Einzug der ersten Mönche am 21. März 1089 hat den Kult des heiligen Koloman dort und in Österreich bis heute garantiert. Altmanns Reform der Stifte St. Florian, Kremsmünster und St. Pölten und selbstverständlich seine Gründungen St. Nikola und Göttweig werden in der VA dargestellt. War es die Initiative der Babenberger in Melk, die die allem Laieneinfluss gänzlich abholden Göttweiger Reform-Mönche nicht verewigt sehen wollten? Auch die von Altmann geförderte, jedoch von Herzog Welf IV. veranlasste Gründung des Stiftes Rottenbuch findet keinen Eingang in die VA, ja nicht einmal das mächtige Geschlecht der Formbacher, obwohl es mit dem Gut Paudorf einst Altmann jenen Berg geschenkt hatte, auf dem das Stift erbaut werden konnte, und obwohl der Bischof dieses Geschlecht mit der Vogtei beauftragt hatte. Vielleicht aber war es einfach die Abneigung der 1094 aus der Tradition von St. Blasien-Fruttuaria-Cluny nach Göttweig gekommenen Mönche gegen die ersten Benediktiner in Melk, die aus Lambach und somit aus dem konkurrierenden Ordenszweig Münsterschwarzach-Gorze stammten.
Bischof Altmann Von Sachsen nach Bayern Altmann erblickte etwa zu jener Zeit in Sachsen das Licht der Welt, als Koloman in Stockerau starb. Seine Geburt wird mit etwa 1010/1020 erschlossen. Den Name seiner Eltern verschweigt die Vita Altmanni, doch dürfte er Spross einer mächtigen weitverzweigten alemannisch-fränkischen Sippe gewesen sein, die sich bis in die Zeit der Merowinger und Karolinger zurückverfolgen lässt. Der erste Träger des Namens Altmann, ein Diakon, wird 728 in einer Urkunde des Bischofs Uuidigernus von Straßburg für das Kloster Murbach fassbar.3 Ein kleiner Exkurs, da die Altmanen im 9. Jahrhundert auch in Melk begütert gewesen sind: Bei der Übergabe der Abtei Traunkirchen4 am Traunsee 909 durch König Ludwig d. Kind an den Grafen Arbo und den Salzburger Erzbischof Pilgrim tritt unter 3 Regesta Alsatiae aevi Merovingici et Karolini 496 –918, Bd. 1: Quellenband, hg. von Albert Bruckner (Strasbourg – Zürich, 1949) Nr. 113, S. 56. 4 Das Salzburger Eigenkloster Traunkirchen ist am ursprünglichen Standort Altmünster bereits in den Ungarnkriegen des 10. Jahrhunderts untergegangen. 1120/1140 wurde es in Neumünster als Benediktinerinnenkloster neu gegründet. Im 16. Jahrhundert ging es wie viele andere Klöster in der Zeit der Reformation ein. Vgl. Korbinian Birnbacher, Traunkirchen, in: LThK, Bd. 10, Sp. 207.
Bischof Altmann von Passau
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den Intervenienten ein Altman auf, der als Bote des Erzbischofs von Mainz bezeichnet und noch vor dem Salzburger Vasallen Deotrich genannt wird.5 Dabei könnte es sich um jenen Altman handeln, der im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts zu Melk Lehensgut besaß. Im Jahr 892 schenkte König Arnulf einem Theotrich, einem Vasallen des Salzburger Erzbischofs Dietmar, sieben Herrenhufen zu Melk „aus dem einstmaligen Lehen Altmans“.6 Erst Bischof Altmanns mutmaßlicher Großvater Graf Altmann – diesen Namen findet man zuvor in Sachsen nicht – wurde nach der Heirat mit Hathewig von Ölsburg in Sachsen sesshaft. Graf Altmann dürfte bereits vor 1000 gestorben sein, da bei der Umwandlung von Stederburg in ein Kanonissenstift nur noch seine Frau in führender Rolle auftritt.7 Die ersten Lebenstationen Altmanns gemäß seiner Vita waren Paderborn und Aachen. In Paderborn besucht er die Domschule und wird später deren Leiter – zumindest eine Zeit lang unter Meinwerk (1009 –1036), dem bedeutendsten Bischof der Diözese im Mittelalter.8 Vielleicht ist König Heinrich III. bei einem Besuch in der westfälischen Bischofsstadt auf Altmann aufmerksam geworden, denn Paderborn galt als „Festtagspfalz der Herrscher“.9 5 Die Regesten des Kaiserreiches unter den Karolingern 751–918, Bd. 1, nach Johann Friedrich Böhmer, neubearbeitet von Engelbert Mühlbacher, Innsbruck, 1908) Nr. 2058. Sechs Intervenienten treten auf: Bischof Adalbero von Augsburg, Bischof Salomon von Konstanz, Bischof Dracholf von Freising, Graf Chonrad sowie Altmann, der Bote des Erzbischofs Hatto von Mainz, und Deotrich, ein Vasall des Erzbischofs Pilgrim von Salzburg. 6 Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern, Nr. 1870; Vgl. Arnolfi Diplomata, bearb. von Paul Fridolin Kehr (Berlin 1940 = MGH Diplomata Regum Germaniae ex stirpe Karolinorum, Bd. 3) Nr. 98, S. 143 –144. 7 Die Chronik von Stederburg: nach der Ausgabe der Monumenta Germaniae, übers. und hg. von Eduard Winkelmann (Berlin, 1866) S. 7. 8 Gabriele Grosse, Meinwerk, in: in LThK, Bd. 7, Sp. 72; vgl. Sveva Gai – Claudia Dobrinski – Clemens Kosch – Sven Spiong – Martin Kroker, Die Siedlungsentwicklung Paderborns im 11. und im frühen 12. Jahrhundert im Kontext der westfälischen Bischofsstädte, in: Canossa 1077, Erschütterung der Welt, Bd. 1, hg. von Christoph Stiegemann – Matthias Wemhoff (München 2006) S. 251–264; hier S. 251. 9 Günther Dressler, Paderborn, Kleiner Führer durch die alte Stadt, Paderborn (o. O, o. J.) S. 4; vgl. Josef Fleckenstein, Die Hofkapelle der deutschen Könige , Teil II: Die Hofkapelle im Rahmen der ottonischsalischen Reichskirche (Stuttgart 1966, MGH Schriften 16/II) S. 280: „So hatte Heinrich II. das Weihnachtsfest am häufigsten (nämlich allein zehnmal) in Pöhlde gefeiert; auf Pöhlde folgt Merseburg, dann Paderborn, Bamberg, Magdeburg und Ingelheim; Konrad II. hatte die meisten Hochfeste in Paderborn und Nimwegen gefeiert, dreimal hat er Weihnachten bereits in Goslar verbracht. Bei Heinrich III. rückt, genau wie im Itinerar, Goslar mit sieben Festfeiern an die Spitze, die zweite Stelle nimmt mit vier Festen Speyer
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Die nächste Karrierestufe spricht bereits von höchster Wertschätzung durch den Herrscher: Er wird Propst des Marienstifts Aachen, des traditionellen Krönungsortes deutscher Könige. Daneben ist er Hofkaplan Heinrichs III. bzw. seiner Gattin Agnes. Heinrich III. (1039 –1056) förderte einerseits die Reformbewegung von Cluny und ihre Idee der kirchlichen libertas, griff aber andererseits vehement in die Kirchenpolitik ein, wenn es ihm nötig erschien.10 Überliefert sind von ihm nicht nur rituelle Ausdrucksformen königlicher Demut, sondern auch Beweise zunehmender Härte im Umgang mit Gegnern, die Zeitgenossen als ungewöhnlich registrierten.11 Der später an Altmann bekrittelte Rigorismus war offenkundig kein Sonderfall, sondern bei Regierenden, die sich von Gott auserwählt wussten, durchaus gängig. Im November des Jahres 1043 heiratete der 26-jährige König, der bereits fünf Jahre Witwer war, in Ingelheim die etwa 18-jährige Agnes, Tochter des Herzogs Wilhelm V. von Aquitanien und seiner Frau Agnes.12 Die junge Frau stammt aus einer nicht nur der Kirche sehr zugeneigten, sondern in die Kirchenreform seit vielen Jahrzehnten als Stifter und politische Akteure involvierten Familie. Der Vater der jungen Königin war äußerst fromm und ein Förderer der Clunyazensischen Reform. Er pilgerte jährlich nach Rom oder Santiago de Compostela und unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu Kaiser Heinrich II., dem Heiligen. Er bemühte sich um wirksame Kontrolle der Bischöfe, sorgte für die Wiederherstellung von Abteien und nahm an Debatten über Kirchenfragen regen Anteil.13 Nach dem Tod Heinrichs III. hatte Agnes für ihren minderjährigen Sohn Heinrich IV. die Reichsgeschäfte übernommen, doch nach dessen Entführung durch jene Gruppe, die unter Agnes‘ Herrschaft Einfluss bei Hofe verloren hatte, in Kaiserswerth (1062) wurde sie ins Abseits gedrängt und ging später nach Rom, wo sie in enge Beziehungen zu Reein; darauf folgen Paderborn mit drei, Pöhlde, Regensburg und Utrecht mit je zwei und Mainz mit einer Festfeier.“ 10 Karl Rudolf Schnith, Kaiser Heinrich III., in: Gerhard Hartmann–Karl Schnith, Die Kaiser, 1200 Jahre europäische Geschichte (Augsburg, 2003) S. 191–202; hier S. 192, 196. 11 Gerd Althoff, Die letzten Salier im Urteil ihrer Zeitgenossen, in: Canossa 1077, Erschütterung der Welt, Bd. 1, hg. von Christoph Stiegemann–Matthias Wemhoff (München 2006), S. 79 –92; hier S. 81. 12 Schnith, Kaiser Heinrich III., S. 192; Marie Luise Bulst-Thiele, Agnes, in: LMA, Bd. 1, Sp. 212; Vgl. Dietrich Claude–Charles Higounet, Aquitanien, in: LMA, Bd. 1, Sp. 829 – 831. Die gleichnamige römische Provinz im Südwesten Frankreichs reichte bis an die Loire, 418 kam Aquitanien an die Westgoten, 507 an die Franken. Die Grafen von Poitou wurden Mitte des 10. Jahrhunderts Herzöge von Aquitanien. 13 Benoît Cursente, Wilhelm I. der Fromme, in: LMA, Bd. 9, Sp. 135f.
Bischof Altmann von Passau
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formkreisen trat.14 Was alles genau Altmann in den Jahren nach dem Tod Heinrichs III. an der Seite der Kaiserin erlebt oder mitgemacht hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Die VA berichtet nur, dass Altmann nach Heinrichs III. Tod dessen Witwe Agnes fideli obsequio adhaesit.15 Der Kreis der Getreuen war schon klein geworden, Altmann zählte zu den verbliebenen. Als einzige Aktivität erwähnt die VA einen Besuch der Kaiserin mit ihrem Kaplan Altmann in der Stadt Passau,16 wo ihr einstiger Kaplan Egilbert Bischof war. 1064/1065 unternimmt Altmann mit tausenden Menschen eine Wallfahrt nach Jerusalem. Auf dem Heimweg erreicht ihn im Sommer 1065 auf ungarischem Boden die Nachricht, dass er von Kaiserin Agnes zum Bischof von Passau bestimmt worden ist. Geweiht von Erzbischof Gebhard in Salzburg, kann er die ersten zehn Jahre in Frieden agieren.
Bischof von Passau: Das friedliche Dezennium Beinahe das ganze erste Dezennium der insgesamt 26 Jahre des bischöflichen Wirkens Altmanns verläuft kirchenpolitisch relativ unspektakulär, kirchenreformerisch jedoch äußerst arbeitsintensiv. Die Anfänge der Chorherrenstifte St. Nikola, Rottenbuch und Göttweig fallen in diese Zeit. Gerade zwei Jahre Bischof, kann er am 30. September 1067 mit tatkräftiger Unterstützung von Kaiserin Agnes – sie schenkt den Neunten aus ihren Einkünften in Ybbs und Persenbeug – vor Passaus Toren das Chorherrenstift St. Nikola gründen.17 Im selben Jahr erhält er von Heinrich IV. auf Bitten seiner Mutter Agnes und anderer reichen Besitz im heutigen Niederösterreich.18 Altmanns Verhältnis zum jungen König ist am Beginn seiner bischöflichen Tätigkeit noch intakt. Daher bitten ihn Menschen, sich bei Heinrich IV. für sie einzusetzen. So im Jahr 1067, als die Adelige Lantwich sich an ihn wendet und daraufhin vom König das Gut Asing erhält.19
14 Gerd Althoff, Heinrich IV. (Darmstadt 2006) S. 50; Karl Rudolf Schnith, Kaiser Heinrich IV., in: Gerhard Hartmann–Karl Schnith, Die Kaiser, 1200 Jahre europäische Geschichte (Augsburg 2003), S. 204 –228, hier S. 206. 15 VA Kap. 2. 16 VA Kap. 2. 17 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Bd. 1: 731–1206, bearb. von Egon Boshof (München 1992) Nr. +353, S. 103f. 18 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 351, S. 103. 19 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 352, S. 103.
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1072 weiht er auf dem Göttweiger Berg eine Kirche zu Ehren der heiligen Erentrudis.20 1073 unterstützt er Herzog Welf IV. bei der Errichtung des Chorherrenstiftes Rottenbuch.21 Doch dann wird Altmann immer mehr in den „Investiturstreit“ und in die „Gregorianische Kirchenreform“ hineingezogen, er wird sogar einer der führenden Akteure.
„Investiturstreit“ und „Gregorianische Kirchenreform“ Als „Investiturstreit“ bezeichnet man jene Jahrzehnte dauernden Auseinandersetzungen zwischen Papst und König, die nach dem Tod Heinrichs III. (1056) zum Ausbruch kamen und bis zum Ausgang der Regierung Heinrichs V. (1125) währten. Sie hatten sich an den Modalitäten der Einsetzung von Bischöfen und Äbten entzündet. Einen Ausgleich brachte erst das Wormser Konkordat 1122.22 Die „Gregorianische Kirchenreform“ ist eng verquickt mit dem Investiturstreit, jedoch keineswegs damit gleichzusetzen. Sie ist benannt nach Papst Gregor VII. (1073 –1085), der die Forderungen der kirchlichen Reformpartei nach Beseitigung der Simonie, der Priesterehe und der Abschaffung der Laieninvestitur mit päpstlicher Vollmacht in der Gesamtkirche durchsetzen wollte. Der Gehorsam gegenüber dem Nachfolger des heiligen Petrus und damit Petrus selbst wurde zum ausschlaggebenden Maßstab. Der Vater Heinrichs IV., Kaiser Heinrich III., war es, der 1046 durch sein Eingreifen in Rom das Papsttum aus lokalen städtischen Verstrickungen gelöst hatte. Dadurch fasste die Kirchenreform an zentraler Stelle Fuß. Er konnte wohl nicht ahnen, zu welchen Auseinandersetzungen es auf Grundlage der Reform-Ideen später zwischen seinem Sohn und dem erstarkten Papsttum kommen würde.23
Begeisterter Kirchenreformer und aufmüpfiger Sachse Dass Altmann tief in die Auseinandersetzungen zwischen Papst und Kaiser involviert wurde, war unvermeidlich. Dabei waren aber nicht die Größe und Lage seiner Diözese ausschlaggebend, eher seine kirchenreformerische Gesinnung und seine Herkunft 20 Göttweiger Urkunden 1, Nr. 3, S. 4. 21 Jakob Mois, Das Stift Rottenbuch in der Kirchenreform des XI.–XII. Jahrhunderts, Ein Beitrag zur Ordensgeschichte der Augustiner-Chorherren (München 1953) S. 18 –20. 22 Tillman Struve, Investiturstreit, in: LMA, Bd. 5, Sp. 479 – 481. Vgl. auch Rudolf Schieffer, Investiturstreit, in: LThK, Bd. 5, Sp. 570 –573. 23 Vgl. Rudolf Schieffer, Gregor VII., in: LThK, Bd. 4, Sp. 1016f.; Rudolf Schieffer, Gregorianische Reform, in: LThK, Bd. 4, Sp. 1030 –1033.
Liturgische Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman
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aus dem immer wieder „aufmüpfigen“ Stamm der Sachsen, vor allem jedoch sein inniges Verhältnis zu Kaiserin Agnes. Der Riss, der Kirche und Reich trennte, ging in besonderer Härte durch die kaiserliche Familie, entzweite Mutter und Sohn. Dabei spielten psychologische Facetten wohl ebenso eine Rolle wie kirchen- und staatspolitische Überlegungen. Der Mutter war der Sohn entführt und die Macht entwunden worden. Der Sohn wurde – heute würde man sagen, im entscheidenden Wachstumsalter, dem der Pubertät – der Mutter entfremdet und allzu früh mit schweren Lasten überbürdet. Nach der Entführung hatte Heinrich IV. seine Mutter zweieinhalb Jahre nicht mehr gesehen und als er sie Ende 1064 in Tribur traf, war sie schon zunehmend ins Lager seiner Gegner gewechselt.24 Dazwischen stand Altmann, der beide gut kannte, beiden nahe stand, sich aber als Reformer und Sachse zwangsweise für die Seite der Mutter entscheiden musste, wollte er seiner Überzeugung treu bleiben. Der Sohn aber war zum Spielball Mächtiger geworden, ehe er selbst das Ruder ergriff, Entscheidungen fällte und dafür kirchliche Konsequenzen zu ertragen hatte wie keiner seiner königlichen Vorgänger. Ins Kalkül zu ziehen ist bei Altmann, dass er ein durch und durch treuer und dankbarer Mensch war. Verrat lag ihm fern, nie hat er – wie andere im Investiturstreit – die Seiten gewechselt. Was ihm später den Vorwurf der Sturheit einbrachte, war in Wirklichkeit Prinzipientreue. Seine tief verwurzelte Dankbarkeit gegenüber Heinrich III. und Agnes zeigte sich weit über deren Tod hinaus. So weihte er eine Reihe von Kirchen den von ihnen am meisten verehrten Heiligen: Simon und Judas sowie Petronilla und Margaretha. Heinrich III., geboren am 28. Oktober 1017, hatte zeitlebens ein inniges Verhältnis zu den Heiligen seines Geburtstages. Auf seinem Romzug 1046 richtete er es so ein, dass er das Fest der Apostel Simon und Judas in Pavia, der Hauptstadt des italienischen Königreiches, celebraret in fascibus et corona. Seinem ausdrücklichen Wunsch gemäß wartete man nach seinem Tod am 5. Oktober 1056 einige Wochen, um ihn am 28. Oktober im Speyrer Dom beizusetzen,25 das Herz und die Eingeweide kamen jedoch laut Verfügung nach Goslar.26
24 Stefan Weinfurter, Canossa. Die Entzauberung der Welt (München 2006) S. 52.; Vgl. Althoff, Die letzten Salier, S. 88. Der junge Heinrich IV. besaß in dieser Zeit nur eine einzige Vertrauensperson: Erzbischof Adalbert von Hamburg –Bremen (1043 –1072), den er, als er selbständig regieren konnte, als ausschließlichen Ratgeber bevorzugte. Adalbert besaß ähnliche Eigenarten und Schwächen, die Heinrichs Gegner später beim König selbst kritisierten: Provokation der Großen durch Burgenbau, verächtliche Behandlung von Adeligen, das sich Umgeben mit rangniederen Personen und das Fällen einsamer Entscheidungen. 25 Joachim Dahlaus, Zu den Anfängen von Pfalz und Stiften in Goslar, in: Die Salier und das Reich, Bd. 2, hg. von Stefan Weinfurter (Sigmaringen 1991), S. 373 – 428; hier S. 407. 26 Boshof, Die Salier, S. 164.
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In Österreich lässt sich das Simon- und Judas-Patrozinium selten finden. In Salzburg, Vorarlberg und Wien überhaupt nicht, in Tirol und Kärnten nur bei drei ins 17. Jahrhundert zurückreichenden Filialkirchen.27 In Nieder- und Oberösterreich hingegen tragen acht Pfarrkirchen diesen Titel, und sie werden wohl zu Recht mit Bischof Altmann in Zusammenhang gebracht. Die Pfarre Kilb (NÖ) wurde von Bischof Altmann gegründet und seinem Stift Göttweig anvertraut. Hier ist die Herkunft des Simon- und Judas-Patroziniums eindeutig und klar. Weitere fünf Pfarrkirchen scheinen nach Josef Wodka ihren Bezug zu Altmann zu haben: Taiskirchen (OÖ), Pabneukirchen (OÖ), Altlengbach (NÖ), Weißenkirchen an der Perschling (NÖ) und Gars am Kamp (NÖ).28 Bei Vösendorf (NÖ)29 und Palting (OÖ) könne dies nicht mit Sicherheit angenommen werden. Das Patrozinium der heiligen Petronilla ist sehr selten, in Niederösterreich lässt es sich nur zweimal finden. König Heinrich IV. vermachte seiner Mutter eine Landschenkung an der Ostgrenze der Ostmark im Gebiet des heutigen Petronell. Kaiserin Agnes starb am 14. Dezember 1077 und wurde am 5. Jänner 1078 in Rom in der Kapelle der heiligen Petronilla, der legendären Tochter des heiligen Petrus, begraben. Ein Mitwirken Bischof Altmanns bei der Patroziniumswahl liegt nahe, da die Vohburger die von ihnen gegründete Pfarre und Kirche bald nach seinem Tod dem Stift Göttweig übergaben.30 Die „Mitte oder Ende des 11. Jahrhunderts gegründete“ Pfarre Kapelln trägt gleichfalls das Patrozinium der heiligen Petronilla. Bald nach der Errichtung wurde sie dem Stift St. Pölten übertragen.31 Für Josef Wodka weist auch dieses Patrozinium auf Bischof Altmann.32 Das Patrozinium der heiligen Margaretha ist in Niederösterreich häufig anzutreffen. Ihr Fest wird heute am 20. Juli gefeiert, vormals jedoch am 12. Juli, was in Göttweig sowohl ein Calendar-Fragment aus der Zeit um 1095 wie auch das Kalendarium 27 Dehio Tirol, hg. vom Bundesdenkmalamt (Wien 1980) S. 709. Simon- und Judaskapelle in Falkenstein, Schwaz; Dehio Kärnten, hg. vom Bundesdenkmalamt (Wien 2001) S. 115, Filialkirche der Hl. Agnes und der Heiligen Simon und Judas in Faning, Gemeinde Moosburg; S. 198, Filialkirche Hl. Simon in Globasnitz. 28 Josef Wodka, Altmann und der Ausbau des Passauer Bistums in Österreich, in: Der Heilige Altmann, Bischof von Passau. Sein Leben und sein Werk, Festschrift zur 900-Jahr-Feier 1965 (Göttweig 1965), S. 48 –57; hier S. 51f. 29 1267 als Filialkirche genannt. Hans Wolf Erläuterungen zum historischen Atlas der österreichischen Alpenländer II/6 (Wien 1955) S. 95. 30 Die Chronik Bernolds von St. Blasien, übers. von Eduard Winkelmann (Berlin, 1863) S. 19; Josef Grubmüller, Geschichte der Marktgemeinde Petronell (Carnuntum) (Petronell 1965) S. 216f; Wolf, Erläuterungen, S. 391. 31 Wolf, Erläuterungen, S. 129. 32 Wodka, Altmann und der Ausbau des Passauer Bistums, S. 51.
Bischof Altmann von Passau
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Gottwicense von ca. 1500 belegen.33 Mechthild Black-Veldtrup erschließt den 12. Juli 990 als Geburtstag Kaiser Konrads II. Dieser stellte offenbar an seinem 35. Geburtstag (12. Juli 1025) die Stiftungsurkunde für Limburg aus und legte am selben Tag den Grundstein für den Dom von Speyer, wo er begraben werden wollte. Auf diesen Termin weisen auch die beiden Nennungen Konrads in den Seelheilformeln zweier Diplome seines Sohnes Heinrich III. zum 11. bzw. 12. Juli hin. Heinrich III. weihte das 1049 von ihm gegründete Stift Ardagger der heiligen Margaretha.34 Altmann hat als Bischof von Passau um 1080 auf Eigengut die Pfarre Pyhra gegründet und für sie gleichfalls das Patrozinium der heiligen Margaretha ausgewählt.35 In dem auf 1083 datierten Göttweiger Stiftungsbrief wird dem Kloster in Mautern u. a. auch eine Kapelle der heiligen Margaretha übergeben.36 Die Weiheinschrift dieses kleinen Gotteshauses, das 1786 profaniert wurde und heute als Museum dient, wird von Andreas Zajic auf 1078/1079 datiert und ist die älteste Inschrift des politischen Bezirks Krems. Sie ist die einzige erhalten gebliebene Inschrift aus der Zeit Altmanns, die den Passauer Bischof namentlich erwähnt, noch dazu mit seinem Titel „Apostolischer Legat“.37 Mit Papst Gregor VII. (1073 –1085) erhielt das Ringen um Kirchenreform eine neue Dimension, indem sie zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser führte, die in dieser Schärfe erstmalig war und die Zeitgenossen für den Anfang des Weltendes hielten. Papst und Kaiser verdammten einander, uralte Ordnungen zerbrachen, Treueschwüre waren plötzlich nicht mehr als Schall und Rauch. Die römische Fastensynode 1074 erneuerte die alten Dekrete gegen Simonie und Priesterehe, und Altmann schärfte sie auf einer Diözesansynode ein. Die Resonanz war enttäuschend. Daher wählte er das Dompatrozinium für einen Paukenschlag. Am 26. Dezember 1074, dem Fest des heiligen Stephanus, bestieg er die Kanzel und las öffentlich die päpstlichen Schreiben vor. Gleichzeitig untersagte er bei schwerer Strafandrohung gemäß kanonischem Recht und päpstlicher Weisung den Kanonikern und Priestern die Ehe. Die Reaktion der Geistlichen war einmütig. Furor erfasste sie. Am liebsten, schil-
33 Göttweiger Urkunden 3: Urkunden und Regesten zur Geschichte des Benedictinerstiftes Göttweig, Teil 3 (1468 –1500), hg. von Adalbert Franz Fuchs (= FRA II/55, Wien 1902) S. 940 und S. 949; Mechthild Back-Veldtrup, Kaiserin Agnes (1043 –1077), Quellenkritische Studien (Köln –Weimar –Wien 1995; Münstersche historische Forschungen, Bd. 7); S. 113. In West- und Norddeutschland wurde das Fest der heiligen Margaretha am 13. Juli begangen. 34 Black-Veldtrup, Kaiserin Agnes, S. 112 –114. 35 Wolf, Erläuterungen, S. 148. 36 Göttweiger Urkunden 1, Nr. 5, S. 8. 37 Andreas Zajic, Die Inschriften des politischen Bezirks Krems (Wien 2008) Nr. 1, S. 3 –5.
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dert die VA überspitzt, hätten sie den Bischof zerstückelt, doch die Hilfe Gottes und der Schutz durch die anwesenden Adeligen bewahrte ihn davor.38 Die Stimmung im Passauer Klerus war angespannt. Doch mit seiner Haltung hatte er sich vor dem Reformpapst als würdig erwiesen und so empfing er wenige Wochen später im Frühjahr 1075 von Papst Gregor VII. eine Bestätigung des Diözesanbesitzes und der Observanz für das neue Kloster St. Nikola.39 Die Bischöfe von Hamburg –Bremen, Straßburg und Speyer hingegen werden zur selben Zeit suspendiert und sogar mit dem Verbot der Zelebration von Messen belegt.40 Im selben Jahr wird Altmann in einem Brief des Bischofs von Würzburg an Bischof Burchard von Halberstadt neben Erzbischof Siegfried von Mainz, Erzbischof Gebhard von Salzburg, Herzog Berthold von Kärnten und dem Briefschreiber selbst zum Unterhändler zwischen König Heinrich IV. und den Sachsen vorgeschlagen.41 Das beweist nach Egon Boshof, dass der Passauer Bischof damals im Reichsepiskopat bereits über so viel Prestige verfügte, dass man ihm zutraute, bei der Lösung einer schweren Krise zum Nutzen aller einen wichtigen Beitrag leisten zu können.42 Das Anfangs freundschaftliche Verhältnis zwischen dem etwa 60-jährigen Papst Gregor VII. und dem kaum 25-jährigen Heinrich IV. wird durch die kompromisslose Haltung bei der Besetzung des Erzbistums Mailand gestört. Anfang 1076 trifft ein Schreiben aus Rom ein, in dem der Papst dem König eklatantes Fehlverhalten vorwirft und in scharfem Ton schuldigen Gehorsam einfordert.43 Getragen von der romfeindlichen Stimmung eines Großteils des deutschen Episkopats lässt Heinrich IV. daraufhin am 24. Jänner 1076 in Worms den Papst durch zwei Erzbischöfe und 24 Bischöfe – Erzbischof Gebhard und Bischof Altmann fehlen – für abgesetzt erklären. Die Reaktion erfolgt rasch: Gregor VII. lässt auf der Fastensynode am 22. Februar 1076 den König nicht nur exkommunizieren, sondern gleichfalls absetzen.44 Das war 38 VA Kap. 11. 39 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 369, S. 109. 40 Johannes Laudage, Am Vorabend von Canossa – Die Eskalation eines Konflikts, in: Canossa 1077, Erschütterung der Welt, Bd. 1, hg. von Christoph Stiegemann–Matthias Wemhoff (München 2006) S. 71 –78; hier S. 72. 41 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 371, S. 110. Hier wird Embricho als Bischof von Würzburg genannt, damals war dies allerdings Adalbero. Embricho war von 1127–1146 Bischof von Würzburg. 42 Egon Boshof, Bischöfe und Bischofskirchen von Passau und Regensburg, in: Die Salier und das Reich, Bd. 2, hg. von Stefan Weinfurter (Sigmaringen 1991) S. 113 –154; hier S. 138. 43 Laudage, Am Vorabend von Canossa, S. 72; Rudolf Schieffer, Das Reformpapsttum seit 1046, in: Canossa 1077, Erschütterung der Welt, Bd. 1, hg. von Christoph Stiegemann–Matthias Wemhoff (München 2006) S. 99 –109; hier S. 107; Schnith, Kaiser Heinrich IV., S. 209. 44 Weinfurter, Canossa, S. 119 –124; Laudage, Am Vorabend von Canossa, S. 73f.; Bernd Schneidmüller, Canossa – Das Ereignis, in: Canossa 1077, Erschütterung der Welt, Bd. 1, hg. von Christoph Stiegemann–
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erstmalig in der Geschichte und stürzte das Reich in große Turbulenzen, denn nun waren alle Untertanen von ihren Treueeiden entbunden. Für Bischof Otto von Freising, einem Sohn des Babenberger-Markgrafen Leopold III. und der Königstochter Agnes, war die Bannung seines Großvaters Heinrich IV. noch 70 Jahre später ein welterschütterndes Ereignis: „Ich lese wieder und wieder die Geschichte der römischen Könige und Kaiser, aber ich finde vor Heinrich keinen einzigen unter ihnen, der vom römischen Pontifex exkommuniziert oder abgesetzt worden ist.“ Als die römische Kirche beschloss, den römischen König nicht mehr als Herrn des Erdkreises zu ehren sondern wie einen gewöhnlichen Menschen bannte, habe sie das Reich zermalmt und damit die Weissagung des Propheten Daniel (Kap. 2 und 7) erfüllt.45 In einem mit 22. Februar 1076, dem Tag der Absetzung ihres Sohnes, datierten Schreiben aus Rom berichtet Kaiserin Agnes dem Bischof von Passau über die Fastensynode und die Maßnahmen des Papstes gegen den König, Altmann ist also aus erster Hand bestens informiert.46 Er zögert nicht, Bann und Absetzung in seiner Diözese unverzüglich bekannt zu geben, woraufhin ihm der Dompropst Egilbert entgegentritt und die Sache des Königs leidenschaftlich verteidigt. Die darauf folgende Exkommunikation Egilberts prädestiniert diesen später für königliche Ehren. Heinrich IV. ernannte ihn drei Jahre später zum Erzbischof von Trier.47
Gregors VII. Stellvertreter im Reich: Päpstlicher Legat für Deutschland Im Frühjahr und Sommer 1076 zeichnet sich immer deutlicher eine Oppositionsgruppe innerhalb des deutschen Episkopats gegen den König ab, gleichzeitig formiert sich die sächsische Adelsopposition von neuem und sucht Kontakt zu unzufriedenen Großen in Matthias Wemhoff (München 2006), S. 36 – 46; hier S. 37; Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., hg. von Franz-Josef Schmale (Darmstadt 1974) S. 471– 475. 45 Schneidmüller, Canossa, S. 37f. 46 Hugonis Chronicon Lib. II, in: MGH SS 8, hg. von Georg H. Pertz (Hannover 1848) S. 368 –503. Quellen zum Investiturstreit, Teil 1: Ausgewählte Briefe Papst Gregors VII, hg. von Franz-Josef Schmale (Darmstadt, 1978) II, S. 435. 47 Josef Oswald, St. Altmanns Leben und Wirken nach der Göttweiger Überlieferung „Vita Altmanni“, in: Der Heilige Altmann, Bischof von Passau, Sein Leben und sein Werk, Festschrift zur 900-Jahr-Feier 1965 (Göttweig 1965), S. 142 –166; hier S. 162; Weinfurter, Canossa, S. 131: „Altmann von Passau versuchte es als erster mit einer Reform seines Klerus.“
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Süddeutschland.48 Noch vor September 1076 bestellt Gregor VII. in Übergehung des bayerischen Metropoliten, des Erzbischofs Gebhard von Salzburg, Bischof Altmann zu seinem Legaten: cui papa vices suas in dispositione ecclesiasticarum causarum delegaverat.49 Damit übernimmt er immer mehr die Führung der Gregorianer im Reich.50 Altmann geht sofort ans Werk: Mit der Vollmacht ausgestattet, bußfertige Exkommunizierte in die Kirche aufzunehmen, erteilt Altmann noch im selben Monat in Ulm dem Bischof Otto von Konstanz die Absolution, setzt ihn jedoch nicht mehr in sein Amt ein.51 In Ulm hatten sich jene getroffen, die „wegen der Notlage des Reichs in Sorge waren“, neben Altmann auch die Bischöfe Adalbero von Würzburg und Hermann von Metz sowie die Herzöge Rudolf von Schwaben, Welf von Bayern und Berthold von Kärnten.52 Am 16. Oktober legt Altmann in Tribur den Bischöfen Pibo von Toul und Huzmann von Speyer und anderen reumütigen Exkommunizierten auf, nach Rom zu pilgern.53 In Tribur findet zu dieser Zeit – vom 16. bis 22./23. Oktober – ein Fürstentag statt, an dem auch Patriarch Sigehard von Aquileja als zweiter päpstlicher Legat teilnimmt.54 Lambert von Hersfeld preist im Zusammenhang mit dieser Versammlung Altmann als einen „Mann von apostolischem Wandel und großen Tugenden in Christo.“55 Die hier anwesenden schwäbischen und sächsischen Fürsten beraten über die Absetzung des Königs und beschließen diese auch für den Fall, dass er sich nicht binnen Jahresfrist vom Bann befreit.56
Trotz Canossa-Gangs Heinrichs IV. wird ein Gegenkönig gewählt Für den König zeichnet sich eine Verbindung der innerdeutschen Opposition mit dem Papst ab, er fürchtet eine Neuwahl und entschließt sich, im strengen Winter nach Canossa zu eilen, wo ihm der Papst am 25. Jänner 1077, dem Fest Pauli Bekehrung, die Absolution erteilt.57 48 49 50 51 52 53 54 55
Schneidmüller, Canossa, S. 39. Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 373, S. 110. Boshof, Bischöfe und Bischofskirchen, S. 138. Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 374, S. 110f. Weinfurter, Canossa, S. 135. Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 375, S. 111. Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 376, S. 111. Die Jahrbücher des Lambert von Hersfeld, übers. von L. G. Hesse, neu bearb. von W. Wattenbach (Leipzig 21883) S. 273. 56 Althoff, Heinrich IV., S. 144f; Schneidmüller, Canossa, S. 39. 57 Schneidmüller, Canossa, S. 40 – 42.
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Dessen ungeachtet wählt die Opposition den Schwabenherzog Rudolf von Rheinfelden, einen Schwager Heinrichs IV., der den kirchlichen Reformkreisen nahe steht, sieben Wochen später, am 15. März 1077, zum Gegenkönig.58 Bischof Altmann nimmt daran teil und feiert bald darauf in Augsburg zusammen mit dem neuen König das Osterfest.59 Im Juni begleitet er König Rudolf nach Sachsen. Ob Altmann am 12. November 1077 an der Versammlung in Goslar teilgenommen hat, die unter dem Vorsitz des Kardinallegaten die Exkommunikation Heinrichs IV. erneuerte, ist den Quellen nicht zu entnehmen, aber nicht unwahrscheinlich.60
Altmann verliert seine Gönnerin und die Bischofsstadt In dieser Zeit verliert Altmann seine größte Gönnerin und wichtigste Mitstreiterin in Sachen Kirchenreform und gegen Heinrich IV.: dessen Mutter Kaiserin Agnes. Die letzten zwölf Lebensjahre soll sie, die stets engen Kontakt zu Altmann pflegte, zum größten Teil in Italien oder Burgund, auf Reisen von Kloster zu Kloster, in Monte Cassino, Subiaco und Farfa, in Fruttuaria und Cluny, in Rom und in der Umgebung der Markgräfin Mathilde, als Botschafterin des Papstes und Friedensvermittlerin verbracht haben.61 Am 14. Dezember 1077 stirbt die etwa 52-jährige Kaiserin Agnes in Rom und wird in der Kapelle der heiligen Petronilla (seit den Karolingern die Capella regum Francorum) vor dem römischen Petersdom, bestattet.62 Das sollte beweisen, dass sie eine treue Tochter des heiligen Petrus war; ihren eigenen Sohn aber hatte sie verloren. Kurz darauf geht Altmann auch seiner von ihr erhaltenen Bischofsstadt verlustig. Zu Beginn des Jahres 1078 kommt Heinrich IV. nach Passau und macht Altmanns Reformwerk zunichte. Die Reformkanoniker von St. Nikola werden vertrieben. Bischof Altmann kann in seine Bischofsstadt nie mehr zurückkehren. 58 Weinfurter, Canossa, S. 148. Rudolf von Rheinfelden war in erster Ehe mit Mathilde, einer Schwester König Heinrichs IV., verheiratet, in zweiter Ehe mit Adelheid von Turin, einer Schwester von Berta, der ersten Frau König Heinrichs IV. 59 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 378 und 379, S. 112. 60 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 380, S. 113. 61 Hansmartin Schwarzmaier, Das „salische Hausarchiv“, in: Die Salier und das Reich, Bd. 1, hg. von Stefan Weinfurter (Sigmaringen 1991), S. 97–115; hier S. 114. 62 Black-Veldtrup, Kaiserin Agnes, S. 2; Le Necrologe de Gorze, S.92.
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Wohin die Chorherren von St. Nikola geflüchtet sind, ist unklar. Propst Hartmann findet man später als Benediktiner in St. Blasien im Schwarzwald, wo er vor 1094 das Amt des Priors bekleidet.63 Manche werden vielleicht nach Göttweig gegangen sein, wo das Aufbauwerk Altmanns schon begonnen hatte und Gebäude zu deren Aufnahme vermutlich schon fertig gestellt waren. Ab nun kann Altmann nur noch im östlichen Teil seiner Diözese, in der babenbergischen Mark, sein Bischofsamt ungehindert ausüben. In den Passauer Regesten des Jahres 1078 klafft eine Lücke. Vermutlich reist er noch im Herbst nach Rom. Am 11. Februar 1079 nimmt er in der Ewigen Stadt an der Fastensynode teil und legt dem Papst seine Resignation vor. Gregor VII. ernennt ihn erneut zum Bischof und bestätigt seine Legatenwürde.64 Gleichzeitig bestellt ihn der Papst gemeinsam mit dem Bischof Hermann von Metz und dem Abt Ekkehard von der Reichenau in einem Schreiben an König Rudolf von Rheinfelden als möglichen Berichterstatter über die in Rom getroffenen Entscheidungen.65 Er muss sich jetzt in seine sächsische Heimat zurückziehen, wo ihn Bischof Poppo (1076 –1083) von Paderborn gastlich aufnimmt. Gemeinsam konsekrieren sie 1079 den Neubau der Abdinghofkirche.66 1080 lässt Altmann in Konstanz Bertolf im Auftrag Gregors VII. anstelle des gebannten und abgesetzten Bischofs Otto zum Nachfolger wählen.67 Im Oktober desselben Jahres fordert Heinrich IV. den Gegenkönig an der Elster zum Kampf heraus. Rudolf von Rheinfelden verliert dabei die rechte Hand – die Hand, mit der er einst Heinrich IV. den Treueeid geleistet hat – und stirbt noch am Tag nach der Schlacht an der Verwundung.68 Bald darauf kommt es in Altmanns Heimat zu den ersten Bischofsschismen: 1080 in Minden69 und 1083 nach dem Tod von Altmanns Freund Poppo auch in Paderborn.70 63 64 65 66
Clemens Anton Lashofer, Professbuch des Benediktinerstifts Göttweig (Göttweig 1983) S. 26. Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 381, S. 113. Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 382, S. 113. Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 383, S. 114 nennen als Quelle die Annales Patherbrunnenses; Brandt–Hengst, Das Erzbistum Paderborn, S. 67 nennt die Jahreszahl 1078. 67 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 384, S. 114. 68 Althoff, Heinrich IV., S. 175. „Das war unschwer als ein besonders deutliches Gottesurteil zu erkennen und stellte wirklich genau das Gegenteil von dem dar, um was Gregor die Apostelfürsten gebeten hatte.“; Schnith, Kaiser Heinrich IV, S. 217f.; Richard Laufner, Egilbert, in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 338 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd135902711.html ; S. 338. 69 Thomas Vogtherr, Westfälische Bischöfe im Zeitalter des Investiturstreits, in: Canossa 1077, Erschütterung der Welt, Bd. 1, hg, von Christoph Stiegemann–Matthias Wemhoff (München 2006), S. 169 –174; hier S. 170. 70 Vogtherr, Westfälische Bischöfe, S. 171; vgl. auch S. 173. Die westfälischen Domkapitel haben insbesondere in den Jahrzehnten des Investiturstreits eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Wo
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Leopolds II. Abfall von Heinrich IV. und die Schlacht bei Mailberg (1082) Im April 1081 bricht Heinrich IV. zu einem Romzug auf, der länger als drei Jahre dauern wird. Anfang August wählt eine Gruppe sächsischer und schwäbischer Großer, bei denen sich auch der abgesetzte bayrische Herzog Welf IV. befindet, in Ochsenfurt am Main Hermann von Salm zum neuen Gegenkönig (1081–1088). Eine Teilnahme des päpstlichen Legaten Altmann gilt als sehr wahrscheinlich, obwohl sie aus den Quellen nicht belegt ist. Hermann von Salm kann anfangs in Schwaben und Bayern, später im östlichen Sachsen eine gewisse Rolle spielen, doch bleiben seine Wirkungsmöglichkeiten insgesamt eher gering.71 Auch im Osten des Reiches nutzt man die Abwesenheit des Königs, um Stärke zu zeigen: Ebenfalls noch im August 1081 versammeln sich in Tulln die Großen der Ostmark um Bischof Altmann und Markgraf Leopold II. und sagten sich vom „Tyrannen König Heinrich“ los.72 Die VA schreibt, Leopold II. und die Vornehmsten seines Herrschaftsbereiches hätten sogar einen diesbezüglichen Eid geschworen, von Altmann wird dies jedoch nicht berichtet. Der Bischof erhielt großes Lob, und die Anhänger des Königs wurden aus der Ostmark vertrieben.73 Bei dieser Schilderung ist natürlich zu beachten, dass zur Zeit der VA-Abfassung die Vogtei über Göttweig bereits in Händen der Babenberger lag. 1081 herrscht ein reger Schriftverkehr zwischen Rom und den Aufenthaltsorten des Passauer Bischofs in der Ostmark. Nach mehreren Schreiben bezüglich der Sache des Papstes in Deutschland und der Behandlung von Anhängern Heinrichs IV., die auf die Seite der Kirchenreformer überwechseln wollen, erhält Altmann von Gregor VII. einen Brief mit dem Auftrag, für seine Sache zu werben und die Anhänger Heinrichs IV., die dem Nachfolger des heiligen Petrus wieder gehorsam sein möchten, „brüderlich“ aufzunehmen. Im Besonderen soll er einen Zehentstreit zwischen Bischof Benno II. von Osnabrück mit dem Abt von Corvey selbst entscheiden oder an den Papst verweisen.74
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immer es gelang, ohne Einwirkung des Herrschers aus der eigenen Mitte einen Bischof zu wählen, handelte es sich um Vertreter der Kirchenreform. Schnith, Kaiser Heinrich IV., S. 218f; Die Regesten der Bischöfe von Passau, S. 115, Anm. zu Nr. 388; nach Boshof, Bischöfe und Bischofskirchen, S. 139, hatte Bischof Altmann zu Hermann von Salm keine Verbindung mehr. Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 389, S. 115. VA Kap. 25. Quellen zum Investiturstreit, Teil 1: Ausgewählte Briefe Papst Gregors VII, hg. von Franz-Josef Schmale, (Darmstadt 1978) Nr. 117, S. 364f.
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War Altmann in Sachen Strenge noch päpstlicher als der Papst selbst? Binnen eines Jahres muss Gregor VII. den Passauer Bischof mindestens zweimal ermahnen, nicht zu rigoros zu handeln und mehr Brüderlichkeit an den Tag zu legen. Fürchtet er, sein Legat könnte mit der Zeit mehr verprellen als gewinnen? König Heinrich IV. übertrug nach Leopolds II. Abfall dessen Mark dem Böhmenherzog Wratislav. Dieser hatte zuvor 300 Schwerberittene dem König nach Italien geschickt und war dadurch geschwächt. Daher warb er beim Bischof von Regensburg eine Schar von vermutlich 150 bis 200 schwer bewaffneten Söldnern an, die ihm jener gerne bereitstellte, weil er als Königstreuer mit reichen Besitzungen in der Ostmark vom Parteiwechsel Leopolds II. besonders betroffen war. Der Babenberger wurde von den Formbachern, von Dienst- und Lehensleuten Altmanns und anderen unterstützt. Zu vermuten ist, dass auch Bauern der von Heinrich III. an der Nordgrenze eingerichteten Wehrorganisation zum Einsatz kamen. Beide Heere treffen zwischen Obritz und Mailberg aufeinander. Nach einem blutigen Kampf erringen die Böhmen einen vollständigen Sieg, allerdings gehen die Angaben über die Verluste auseinander. Während die VA sie auf beiden Seiten für bedeutend hält, zählt Cosmas von Prag unter den böhmischen Gefallenen nur vier mit Namen auf und spricht von nur geringen eigenen Verlusten. Leopold II. zieht die Konsequenzen und hält sich künftig von Reichspolitik fern, sichert sich aber auf diese Weise die Herrschaft über seine Mark. Von einem Anspruch Wratislaws auf die Ostmark ist später nicht mehr die Rede.75 Dem Böhmenherzog Wratislav wurde 1085 in Anerkennung seiner Verdienste von Heinrich IV. die Königswürde ad personam zuteil, die ihm versprochene Mark Meißen und die bayrische Ostmark erhielt er jedoch nicht. Die Salbung zum König wurde Wratislav 1086 ausgerechnet durch Altmanns Intimfeind Erzbischof Egilbert von Trier zuteil.76 Zwischen Babenbergern und Přzemysliden ist in späterer Folge eine Aussöhnung gelungen, was die Verheiratung von zwei Töchtern Leopolds II. beweist: Gerbirg ehelicht den böhmischen Herzog Bořivoy II. und Ida den mährischen Teilfürsten Liutold von Znaim. Die VA schildert die Schlacht am 12. Mai 1082 bei Mailberg ausführlich. Böhmens „grausamer Herzog“ sei mit einem „Haufen von Slawen und Bayern“ in das „Land 75 Leopold Auer, Die Schlacht bei Mailberg als Ereignis der österreichischen und mitteleuropäischen Geschichte, in: 900 Jahre Schlacht bei Mailberg, Ausstellungskatalog, Bd. 7 (Mailberg 1982), S. 11–18. Auer, Die Schlacht bei Mailberg als Ereignis, S. 13 –16. 76 Karl Lechner, Die Babenberger. Markgrafen und Herzöge von Österreich 976 –1246 (Wien – Köln –Weimar 61996, Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, Bd. 23) S. 113; Laufner, Egilbert, S. 338.
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Altmanns und Leopolds“ eingedrungen und habe alles mit Feuer und Schwert verwüstet. Sie kämpften mit Speeren und Wurfgeschossen und dann mit Schwertern. Nach „Gottes unerforschlichem Ratschluss“ hätte der Feind in dieser „ungeheuren Schlacht“ den Sieg errungen: „Geschlagen wandten sich die Unsrigen zur Flucht. Die Feinde aber folgten ihnen nach und mordeten und hieben sie nieder auf freiem Feld, andere führten sie, beladen mit reicher Beute, fort und verwandelten das ganze Land in eine Wüstenei.“ In der darauf folgenden Hungersnot seien viele zu Altmann gekommen und hätten um Lebensmittel gebeten.77 Schlacht, Verfolgung der Fliehenden, Tötungen und Gefangennahme erscheinen plausibel, aber auch, dass sich die Notleidenden jetzt vorwiegend an den Bischof wandten, der ihrer Meinung nach für den Gesinnungswandel Leopolds II. und die Niederlage mit darauf folgender Verheerung verantwortlich war. Dass Altmann daraufhin „allen Hausrat seiner bischöflichen Wohnung bis zum letzten Leintuch“ verteilte, war wohl nicht nur seinem „Mitleid aus innerstem Herzen“ zuzuschreiben, sondern der Einsicht in die Notwendigkeit, den angerichteten Schaden wieder gut zu machen. „Auch auf dem Berg Göttweig“ hatte Altmann „viele Tausende von Armen“ zu speisen.78
Altmanns Kirchweihen in Kremsmünster (1082) und Göttweig (1083) Im selben Jahr 1082 vermochte Bischof Altmann in den westlichen Teil seines ihm im Bistum verbliebenen Einflussbereiches zu eilen und die Kirche des Passauer Eigenklosters Kremsmünster zu weihen.79 In den Passauer Regesten findet sich als nächste Kirchweihe dann bereits jene des von Altmann erbauten Klosters zu Ehren der Muttergottes auf Göttweig am 9. September 1083 samt Übertragung eines aus Pfarren, Ländereien und Einkünften bestehenden Besitzes.80 Geweiht wurde damals vermutlich auch die Frauenklosterkirche St. Blasien des Göttweiger Doppelklosters, die zum Sonnenaufgang 10. Juni/5. Juli ausgerichtet 77 VA Kap. 25. 78 VA 25: „Auf diese unglückselige Niederlage folgte eine große Hungersnot, die jene Reste des Volkes noch hinwegraffte, die mit Mühe und Not den Feinden entkommen waren. Von solchem Elend bedrängt, kamen alle zu Altmann und baten um Nahrungsmittel. Aus innerstem Herzen von Mitleid mit ihnen gerührt, verkaufte der getreue Verwalter allen Hausrat seiner bischöflichen Wohnung bis zum letzten Leintuch und verteilte alles an die Notleidenden. Daher nannte man ihn Vater der Armen. Auch auf dem Berg Göttweig, wo er sich mit seinen Freunden häufig geistlichen Übungen hingab, speiste er viele Tausende von Armen.“ 79 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 394, S. 116. 80 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. (+) 396, S. 117f.
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ist.81 Am 10. Juni 1075 erlag Markgraf Ernst der Tapfere den Verletzungen, die er tags zuvor bei der Schlacht an der Unstrut erlitten hatte.82 Die Melker Annalen stellen im Bericht über diese Schlacht ausdrücklich einen Konnex zu Altmann her. Markgraf Ernst sei „im 11. Regierungsjahr des Passauer Bischofs Altmann“ getötet worden.83 Gewiss hat der Bischof auch die Begräbnisfeierlichkeiten in Melk geleitet. Ernsts Enkelin Gerbirg ist nach dem Tod ihres Gatten, des böhmischen Herzogs Bořivoy II., als Nonne dem Göttweiger Frauenkloster zu St. Blasien beigetreten84 und hat dieses mit dem Gut Ranna so reich bestiftet, dass es – im Gegensatz zu fast allen anderen niederösterreichischen Doppelstiften – bis zur Reformationszeit existieren konnte.85 Ein Beobachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Altmann nach der Schlacht bei Mailberg besorgt war, die Ostmark könnte Leopold II. entrissen und damit ihm selbst die letzte Möglichkeit geraubt werden, als Diözesanbischof tätig zu sein. Gleichzeitig kamen schlechte Nachrichten aus seiner Heimat. Im Januar 1083 stirbt Otto von Northeim, quasi der Stellvertreter des zweiten schwachen Gegenkönigs Hermann von Salm in Sachsen, worauf sich die Brüchigkeit der königsfeindlichen Koalition zeigt. Kirchenreformerische Bischöfe und oppositionelle Adelige ziehen nicht mehr an einem Strang. Den einen war es um die libertas ecclesiae gegangen, den anderen um die leges patriae, die alten Rechte der Sachsen.86 Eine Koalition, zusammengehalten durch den gemeinsamen Feind, kommt ins Wanken. Das mag Altmann bestürzt, vielleicht sogar in Panik versetzt haben. Göttweig musste rasch geweiht werden. Zur Zeit der Weihe Göttweigs ist Heinrich IV. immer noch in Italien, wo sich das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden beginnt.
81 PAPG Franz Perschl, Kl. Wien – St. Blasien, Thallern (o. O. 2004, maschinschriftlich) S. 3f. 82 Allgemein wird der 9. Juni 1075, der Tag der Schlacht an der Unstrut, als Todestag des Markgrafen Ernst angenommen. Vgl. Lechner, Die Babenberger, S. 88 und 331, Anm. 19. Als Beleg wird hier vor allem das älteste Melker Nekrolog genannt; Dagegen Die Jahrbücher des Lambert von Hersfeld, S. 208: Lambert von Hersfeld schreibt in seinen Annalen zum 9. Juni: „Hier wurde Ernst, der Markgraf der Baiern, schwer verwundet, ein Mann von großem Ansehen im Reiche und durch viele Siege gegen die Ungarn hochgerühmt; halbtot in das Lager zurückgetragen, starb er am folgenden Tag.“ 83 Breve Chronicon Austriae Mellicense, hg. von Wilhelm Wattenbach, in: MGH SS 24 (1879), S. 69 –71; hier S. 71. … in primo belli H. IV. regis occisus est in Saxonia iuxta fluvium Unstruth anno 11. Altmanni Pataviensis episcopi. 84 Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger, Bd. 1, Nr. 42, S. 56 –58. 85 Göttweiger Urkunden 3, S. 948 und S. 954, jartag E. 86 Wolfgang Giese, Reichsstrukturprobleme unter den Saliern – der Adel in Ostsachsen, in: Die Salier und das Reich, Bd. 1, hg. von Stefan Weinfurter, Sigmaringen, 1991, S. 273 –308; hier S. 298f.
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Im März 1084 kann der König in Rom Einzug halten; der Papst flüchtet sich in die Engelsburg. Eine Synode tritt zusammen, verhängt über Gregor VII. Absetzung und Exkommunikation und wählt Wibert von Ravenna zum Gegenpapst Clemens III. (1084–1100). Zu Ostern vollzieht dieser an Heinrich IV. und seiner Frau Berta die Kaiserkrönung. Nach Aufbruch derselben in die Heimat treffen endlich die Verbündeten Gregors VII., die Normannen, zur „Befreiung“ ein. Sie plündern und brandschatzen Rom so schlimm, dass sich der Papst in der Ewigen Stadt nicht länger halten kann. Mit den Normannen geht er nach Salerno, wo er ein Jahr später, am 25. Mai 1085 stirbt.87
Altmanns Absetzung durch eine kaisertreue Synode Die VA spricht von mehreren Papstschreiben an Altmann, die in Göttweig 50 Jahre später noch vorhanden waren, und zitiert auch aus einigen. In die Zeit um 1081 bis 1085 fallen wohl die fragmentarisch in der VA enthaltenen Briefe des Papstes Gregor VII. an Altmann, in denen er Aufforderungen, Anweisungen und Mahnungen aus Rom bekommt. In einem anderen Brief erinnert Gregor VII. daran, dass „mehr als einmal Boten in deinem Auftrag zu uns gekommen sind“. Gleichzeitig erlaubt er, die bisherige Strenge der kirchlichen Bestimmungen zu mildern.88 In dieser Zeit erhält Altmann auch ein päpstliches Mandat mit der Weisung, die von einem exkommunizierten Bischof geweihten Priester durch Handauflegung zu bestätigen, sofern ihr Leben tadellos ist und sie zum Zeitpunkt ihrer Weihe nichts von der Exkommunikation wussten.89 Heinrich IV. sitzt als Kaiser fest im Sattel, seine Getreuen befinden sich im Aufwind, die kirchliche und politische Opposition steckt in der Krise. Im April 1085 wird Bischof Altmann ebenso wie sein Metropolit Gebhard von Salzburg und dreizehn andere Bischöfe von einer Synode kaisertreuer Bischöfe in Abwesenheit exkommuniziert und abgesetzt.90 Kaiser Heinrich IV. installiert in Passau einen Gegenbischof: Hermann, Enkel des Herzogs Adalbero von Kärnten aus der Familie der Eppensteiner.91 87 88 89 90 91
Schnith, Kaiser Heinrich IV., S. 219. VA Kap. 30, Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 403, S. 120, Nr. 401 und Nr. 400, S. 119. Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 402, S. 119f. Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 399, S. 119; vgl. VA. Kap. 15. Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 442, S. 130; vgl. Karl Brunner, Herzogtümer und Marken, Vom Ungarnsturm bis ins 12. Jahrhundert, Österreichische Geschichte 907–1156, hg. von Herwig Wolfram (Wien 2003) S. 142.
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Die sächsischen Adeligen erkennen 1085 Heinrich IV. wieder an, im Juli wird er in Magdeburg feierlich empfangen, der Gegenkönig Hermann flieht zu den Dänen. Politische Unklugheit zwingen freilich den wieder erstarkten Kaiser bald, Sachsen erneut zu verlassen, der Gegenkönig kann zurückkehren.92
Erzbischof Gebhards Rückkehr aus dem Exil Für die Salzburger Kirchenprovinz bringt das Jahr 1086 eine positive Wende. Gemeinsam mit Bischof Meginward von Freising und dem Grafen Engelbert von Spanheim kann Bischof Altmann seinen Metropoliten Erzbischof Gebhard nach neunjährigem Exil wieder nach Salzburg zurückgeleiten. Gebhard, Meginward und Altmann verhängen im gleichen Jahr über den Salzburger Gegenerzbischof Berthold von Moosburg und den Passauer Gegenbischof Hermann von Eppenstein den Kirchenbann.93 Doch letzterer sitzt fest im Sattel, eine Rückkehr Altmanns in seine Bischofsstadt rückt nicht in greifbare Nähe. Aus dem kurzen Pontifikat von Gregors VII. Nachfolger Victor III. (1086 –1087), der zuvor 30 Jahre Abt von Montecassino war, sind keine Kontakte zu Altmann überliefert. Der auf der Seite der Kirchenreform stehende Benediktiner hatte sich durch Dialogbereitschaft ausgezeichnet und war daher nicht der Lieblingskandidat seines Vorgängers. Auf einer Synode schärfte Victor III. zwar die früheren kirchenrechtlichen Verbote erneut ein, erneuerte jedoch nicht die Exkommunikation des Königs.94 Nach dem Tod des Passauer Gegenbischofs Hermann bestellt Heinrich IV. 1087 den Würzburger Domherrn Thiemo zu dessen Nachfolger.95 Am 12. März 1088 wird mit Odo von Chatillon ein früherer Mönch und Prior des Benediktinerklosters Cluny als Urban II. zum Papst gewählt. Bereits am darauffolgenden Tag unterrichtet der neue Pontifex Bischof Altmann neben Erzbischof Gebhard und anderen Bischöfen und Großen des Reiches über seine Wahl und fordert sie auf, ihm die bereits seinem Vorgänger erwiesene Treue zu bewahren.96 92 Giese, Reichsstrukturprobleme, S. 299f. 93 Heinz Dopsch, Gebhard (1060 –1088), Weder Gregorianer noch Reformer, in: Lebensbilder Salzburger Erzbischöfe aus zwölf Jahrhunderten, hg. von Peter F. Kramml –Alfred Stefan Weiss (Salzburg 1998, Salzburg Archiv, Schriften des Vereines Freunde der Salzburger Geschichte, 24) S. 41– 62; hier S. 58. 94 Johannes Laudage, Victor III., in: LThK, Bd. 10, Sp. 768f. 95 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 446, S. 131. 96 Alfons Becker, Urban II., in: LThK, Bd.10, Sp. 455f.; Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 406, S. 121.
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Urban II. bestätigt Altmann als päpstlichen Legaten Fünf Wochen später, am 18. April 1088 bestätigt Papst Urban II. Altmann als Legaten für Sachsen, Schwaben und die angrenzenden Länder, gleichzeitig stellt er ihm Bischof Gebhard III. von Konstanz zur Seite.97 Das zeigt die Wertschätzung, die Altmann in Rom genießt, denn er ist nun bereits zwölf Jahre päpstlicher Legat. Der Papst weiß um seine Gesinnung und seinen Einsatz, aber auch um sein fortgeschrittenes Alter, deshalb bekommt er quasi einen Koadjutor für seine schwere und strapaziöse Aufgabe zur Seite gestellt. Altmann ist immerhin bereits 70 bis 80 Jahre alt, seine Kräfte werden schwächer. Aus seiner Heimat langen deprimierende Nachrichten ein: Die wichtigsten gregorianischen Bischöfe schließen – wohl noch 1088 – Frieden mit Heinrich IV.98 Der Lebensabend beschert Altmann nicht mehr die sehnlich erhoffte Rückkehr nach Passau, aber doch einige freudige Ereignisse, die ihn zuversichtlich stimmen können, dass sich die Kirchenreformer im Reich letztlich durchsetzen werden. Er kann drei festlichen Ereignissen westlich der Enns beiwohnen: Am 15. September 1089 weiht er zusammen mit seinem Freund, dem Bischof Adalbero von Würzburg, die Klosterkirche in dem 1056 von diesem in seiner väterlichen Burg von Lambach gegründeten Kloster neu.99 Im Frühling 1090 weilt Altmann in Salzburg. Am 25. März 1090 ist er ebenso wie Herzog Welf IV. von Bayern und zahlreiche weltliche und geistliche Große anwesend bei der Wahl Thiemos, des Abtes von St. Peter in Salzburg, zum neuen Erzbischof von
97 Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV., bearb. von Carl Erdmann–Norbert Fickermann (Weimar 1950) Nr. 29, S. 254 –257; Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 410, S. 122. Papst Urban II. dehnt die Vollmachten Bischof Gebhards von Konstanz insbesondere auf die Klöster Reichenau und St. Gallen aus sowie auf jene Gebiete, die für Bischof Altmann unerreichbar sind, wobei die Bischofssitze Augsburg und Chur ausdrücklich erwähnt werden. 98 Althoff, Heinrich IV., S. 207. 99 Alfred Sohm, Lambach 2006, 950 Jahre Stift, 640 Jahre Markt (Lambach 2006) S. 20; Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. (+) 415, S. 124 nennen den 14. September als Weihetag. Vgl. dazu Vita Sancti Adalberonis, hg. und übersetzt von Irene Schmale-Ott (Würzburg 1954, Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg, 8) Kap. 8, S. 38.
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Salzburg,100 am 7. April spendet er zusammen mit den Bischöfen Meginward von Freising und Eginhard von Würzburg dem Erwählten die Bischofsweihe.101 Urban II. übersendet ihm mit einem Schreiben das Pallium, das er dem neuen Salzburger Metropoliten überreichen soll. Darin nennt er den Bischof von Passau frater carissimus, seinen teuersten und wertvollsten Bruder. In den vier in der VA zitierten Briefen Papst Gregors VII. wird Altmann als in Christus geliebter Bruder, dilectus in Christo frater, apostrophiert.102 Am 25. Mai 1090 weiht Altmann in der südlichen Apsis der Stiftskirche St. Florian einen Altar zu Ehren des heiligen Petrus.103 Wenige Wochen später erfährt er vom tragischen Tod des jungen Grafen Ekbert II. von Braunschweig. Der Verwandte seines Göttweiger Stiftsvogtes und Urenkel des mit seinem eigenen Vater verbündeten Brun wurde am 3. Juli 1090 ermordet.104 1089 gelang es der politischen Kunst Urbans II., eine politische Heirat – die allerdings nicht lange halten sollte – zwischen dem 17-jährigen Welf V., dem Sohn des zwar ab100 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 416, S. 124; Heinz Dopsch, Thiemo, in: LThk, Bd. 9, Sp. 1501f. Thiemo, aus dem Geschlecht der Grafen von Formbach, ein begabter Maler und Bildhauer, war seit 1077 Abt von St. Peter in Salzburg. Als Erzbischof führte er in Admont die Klosterreform durch. In der Schlacht bei Saaldorf unterlag er 1097 dem kaiserlichen Gegenerzbischof Berthold von Moosburg und wurde in Kärnten von kaisertreuen Adeligen gefangengenommen. Nach der Befreiung ging er ins Exil und nahm am Kreuzzug teil, bei dem er am 28. September 1101 in Palästina das Leben verlor. Er wird als Seliger verehrt. 101 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 419, S. 125. 102 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 418, S. 125; VA Kap. 30. 103 Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 420, S. 125. 104 Vgl. E. Karpf, Ekbert II., in: LMA, Bd. 3, Sp. 1762. Ekbert II. hatte 1068 als unmündiger Knabe das Erbe seines Vaters angetreten. Als Folge der Gegnerschaft zu Heinrich IV. verlieh dieser 1076 seine Markgrafschaft Meißen an den böhmischen Herzog Wratislav, der diese jedoch nicht lange halten konnte. (Wenige Jahre später entzog Heinrich IV. auch dem österreichischen Markgrafen Leopold II. dessen Mark– was 1082 zur Schlacht bei Mailberg führte.) Nach 1083 wurde Ekbert II. zum bedeutendsten, wenngleich nicht konsequentesten Gegner Heinrichs IV. Aufgrund seiner schwankenden Haltung wurde er 1088 von einem Fürstengericht geächtet und der Mark Meißen für verlustig erklärt. Brunos Buch vom Sächsischen Krieg schildert Ekbert II. in schwarzen Farben. 1075 habe er den Sachsen keine Hilfe geleistet, weil er „naher Verwandter des Königs“ und diesem „mit ganzer Seele zugetan“ war. (Kap. 56, S. 66) Auch als Heinrich IV. im Jänner 1080 in Sachsen einfiel, habe sich Ekbert II. neutral verhalten und zögernd in der Nähe der Wallstatt verweilt, „um den Ausgang des Kampfes abzuwarten, und dem Sieger mit Glückwünschen sich anzuschließen“. (Kap. 117, S. 159). Auffallend ist, dass in Brunos Buch vom Sächsischen Krieg Erzbischof Gebhard von Salzburg (Kap. 126, S. 173) und Bischof Adalbero von Würzburg (Kap.110, S. 144) im Gegensatz zu Altmann namentlich genannt werden. Dieser wird als Legat des Papstes und Bischof von Passau zwar mehrfach erwähnt (Kap. 88, S. 114 und 116; Kap. 110, S. 144; Kap. 120, S. 164), jedoch ohne Namensnennung. Das kann darauf zurückzuführen sein, dass der aus Sachsen stammende Passauer Bischof ohnehin den Lesern bekannt war. In Betracht zu ziehen ist jedoch auch, dass Altmanns Name verschwiegen wird, weil dessen Assoziationen zu
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gesetzten, aber nicht verdrängten Bayernherzogs, und der 43-jährigen Mathilde von Tuszien einzufädeln.105 Auch hier dürfte Altmann seine Hände im Spiel gehabt haben.
Altmanns Tod in Zeiselmauer Noch zwei Jahre vor seinem Tod ist Altmann als päpstlicher Legat immer noch aktiv. Bernold von St. Blasien berichtet zum Jahr 1089, dass Papst Urban II. Bischof Gebhard von Konstanz „und den ehrwürdigen Bischof Altmann von Passau“ mit seiner Vertretung „in ganz Alemannien, Bayern und Sachsen und in anderen benachbarten Gegenden“ betraut habe, „sodass sie die Ordinationen, welche zu verwerfen sind, verwerfen, welche aber zu bestätigen sind, bestätigen sollten“.106 Im Sommer 1091 erkrankt der greise Bischof Altmann schwer. Er stirbt am 8. August 1091 im Passauer Hof in Zeiselmauer. Die Begräbnisfeierlichkeit in Göttweig leitet der Salzburger Erzbischof Thiemo, der „beinahe atemlos zum Leichnam des geliebten Freundes geeilt war, wo er reichlich Tränen vergoss“.107
Papst Gregor VII. mahnt Altmann zur Milderung der Strenge Altmann hat in seiner politischen Verantwortung selbst auf Papst Gregor VII nicht immer die gebotene Rücksicht genommen. Im März 1081 erhält er deswegen ein an ihn und auch an den Abt Wilhelm von Hirsau gerichtetes Schreiben des Papstes, worin ihnen Gregor VII. sein großes Vertrauen bekundet. Er bittet beide dringend um Unterstützung der Markgräfin Mathilde Ekbert bekannt waren oder weil Altmanns Verbündeter Markgraf Ernst von Österreich 1075 an vorderster Front an der Unstrut gegen die Sachen gekämpft hat und dort in der Schlacht gefallen ist. Etwas anders als Bruno beurteilt Bernold von St. Blasien den Markgrafen Ekbert II. Vgl. Die Chronik Bernolds, S. 54. Ekbert, „ein in der Sache des Hl. Petrus recht tätiger Mann“, sei im Hinterhalt erschlagen worden. Bernold vermutet hinter der Tat eine List der Äbtissin Adelheid von Quedlinburg, einer Schwester König Heinrichs IV. Die Chronik Bernolds, S. 47 und 49f., kreidet Ekbert jedoch an, 1087 Heinrich IV. durch eine List in Sachsen entkommen lassen zu haben; ein Jahr später habe er jedoch Gott und dem Hl. Petrus gelobt „auch fernerhin in reinerer Treue anzuhängen“. 105 Schnith, Kaiser Heinrich IV., S. 220f. 106 Die Chronik Bernolds, S. 51. 107 VA Kap 31, Die Regesten der Bischöfe von Passau, Nr. 440, S. 129: Die VA verabsäumt nicht, in diesem Zusammenhang auf den tragischen Tod des Salzburger Erzbischofs hinzuweisen, der „in Jerusalem von den Heiden grausam misshandelt, mit der Martyrerkrone geschmückt worden ist“. Erzbischof Thiemo nahm 1101 am Kreuzzug teil und erlitt in Aschkelon das Martyrium der Ausdärmung.
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von Tuszien, die wegen ihrer pro-päpstlichen Haltung von den eigenen Vasallen für wahnsinnig gehalten werde. Im weiteren Teil des Briefes wendet sich der Papst nur an Bischof Altmann, seinen „liebsten Bruder“. Er möge Herzog Welf ermahnen, das Treueversprechen zu erfüllen, „wie er es vor der Kaiserin Agnes, dem Bischof von Como und mir gab, als ihm nach dem Tod seines Vaters dessen Lehen übertragen worden war“. Altmann möge darauf hinwirken, dass Welf und auch andere Mächtige ihre guten Absichten in die Tat umsetzen, damit die Italier von Heinrich auf die Seite des Papstes wechseln. Altmann soll alle ermahnen, nicht übereilt einen Unwürdigen, sondern einen Geeigneten zum neuen König zu wählen. Gleichzeitig wird Altmann ein Treueeidformular übermittelt, das jener dem neuen König vorzulegen habe. Jener sollte „dem heiligen Apostel Petrus und seinem Stellvertreter Gregor“ Treue und Gehorsam versprechen und geloben, am Tag des ersten Zusammentreffens mit dem Papst dessen und des heiligen Petrus Vasall zu werden. Gregor VII. stellt es Altmann frei, „etwas einzuschränken oder zu erweitern“, jedoch ohne Verzicht auf den ungeschmälerten Treueeid und das Gehorsamsversprechen. Er rühmt im gleichen Atemzug des Bischofs „kirchliche und treue Gesinnung“, die er aufgrund von Versprechen besitze und aufgrund von Erfahrungen nicht bezweifle. Weiters ermahnt der Papst Abt Wilhelm und Bischof Altmann, gegenüber den Priestern Geduld zu zeigen und „zeitweilig die Strenge zu mildern“. Als Grund führt er neben den populorum turbationes (damit dürfte eher das Chaos unter den Führenden des Volkes als die Verwirrung an der Basis gemeint sein) und dem Mangel an Besitz den großen Mangel an (geeigneten) Priestern an: quia paucissimi sunt, qui fidelibus christianis officia religionis persolvant. In einer Zeit des Friedens und der Ruhe, „die wir mit Gottes Erbarmen bald zu kommen glauben“, könne darüber angemessener verhandelt und die kanonische Ordnung genauer eingehalten werden. Zuletzt geht Gregor VII. auf den Fall eines gewissen Buggo (vielleicht Bischof Burchhard von Halberstadt) ein, den Altmann in Rom zur Anzeige gebracht hat – offenkundig mit einem Vorwurf auch gegenüber dem Papst. Denn Gregor fühlt sich zur Feststellung gedrängt, sich nicht erinnern zu können, „dass wir ihm so unbesonnen eine derartige Macht, nämlich die Lossprechung zu erteilen, übertragen haben“. Sich selbst verteidigend, beteuert er, Buggo „weder brieflich noch persönlich“ kennengelernt zu haben. Altmanns rigor, dessen Milderung Gregor gegenüber Priestern einmahnte, dürfte der Papst offenkundig auch in brieflichen Formulierungen ihm gegenüber verspürt
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haben. Das wieder lässt diese Eigenschaft am Bischof eher als Geradlinigkeit denn als Sturheit erkennen.108 Seelsorglich hat Altmann weitaus weniger rigoros agiert. So ließ er die heidnische Eiche auf dem Göttweiger Berg nicht fällen, sondern solange inmitten der von ihm errichteten Stiftskirche stehen, bis diese geweiht war. Auch hat er offenbar nicht alle Punkte des Reform-Programms der Lateransynode 1059 strikt umgesetzt. Die VA berichtet über die getreue Erfüllung von vier der fünf Forderungen. Nur für eine wird kein Beispiel zitiert. Es gibt keinen Bericht, dass Altmann einen nicht in Monogamie lebenden Verheirateten vom Kommunionempfang ausgeschlossen hätte. Zwar getraute sich „der gottgeliebte Bischof Altmann mit großer Unerschrockenheit, die Mächtigen dieser Welt ... in ihre Schranken zu weisen“, doch wird in diesem Zusammenhang nur sein Auftreten gegenüber einem Adeligen in einem Besitzstreit angeführt. Dieser musste sich übrigens in St. Pölten barfuß im Schnee vor ihm demütigen, wie einst Heinrich in Canossa.109
Altmann stellt Weichen für Göttweigs Zukunft Altmann hat wohl auch noch zu Lebzeiten die Weichen für Göttweigs Zukunft gestellt. In seinem Sinn dürfte drei Jahre nach seinem Tod das ganz auf seine Person zugeschnittene Chorherrenstift in eine stabile Benediktinerabtei umgewandelt worden sein. Der Göttweiger Weihetag im Jahr 1083 zielte nämlich bereits in Richtung Benediktiner. Der 9. September ist der Festtag des heiligen Gorgonius. Dieser Heilige, der Schutzpatron von Gorze, hätte jedoch eher inkludiert, dass Mönche vom Schlage Lambach/ Melks nach Göttweig kommen sollten und nicht die diese verteufelnden Ordensleute clunyazensischer Prägung. Doch auch hier war letztlich die politische Überlebensfrage entscheidender als innerkirchliche Animositäten. Erster Göttweiger Abt wurde nämlich der von Altmann für St. Nikola erwählte Propst Hartmann,110 der sich als Benediktiner in St. Blasien, vor allem aber als Kanzler des Gegenkönigs Rudolf von Schwaben bewährt hatte.111 Zwar hatte sich Altmann der Reformidee der libertas eccelesiae verschrieben, doch im Gegensatz dazu setzte er in eigenen Bereichen voll auf den Einsatz und Schutz 108 Quellen zum Investiturstreit, Nr. 116, S. 358 –365. 109 VA Kap. 24. 110 VA Kap. 40. 111 VA Kap. 8.
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von Laien, vor allem solcher, mit denen er verwandt war. Für Göttweig holte er im Gegensatz zu anderen Klöstern auch keinerlei päpstlichen Schutzbrief ein. Doch das ist eine andere Geschichte.
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Die einstimmigen liturgischen Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman Kompositionsoriginalität und schriftliche Überlieferung in Melk (11. –16. Jh.) David Merlin
Der Kultus des heiligen Koloman weist hochinteressante musikalische Aspekte auf – es ist geboten, sie in Rahmen dieses Tagungsbandes gebührend zu erörtern. Über dieses Thema sind bereits zwei musikwissenschaftliche Beiträge erschienen: eine bündige Abhandlung von Charles Nequette und eine Rekonstruktion der originalen Gestalt der Gesänge für die erste Vesper und die erste Nokturn von Franz Plener, welche später in ein im Rahmen der Tagung erschienenes, für die heutige Liturgie konzipiertes Heft gemündet ist.1 All diese Arbeiten fokussieren sich ausschließlich auf die Gesänge des Stundengebets. Zudem beziehen sie sich allein auf die in der Melker Stiftsbibliothek aufbewahrten Quellen. Im Rahmen dieses Diskurses werden sowohl das Offizium Fons et origo boni, als auch die Gesänge des Proprium Missae zu Ehren des heiligen Koloman in Betrachtung gestellt. Es werden hier auch Melker Fragmente sowie Quellen einbezogen, die außerhalb der Melker Stiftsbibliothek aufbewahrt
1 Merritt Charles Nequette, The Office of St. Coloman, in „Sacra/Profana. Studies in Sacred and Secular Music for Johannes Riedel“, hg. v. Audrey Ekdahl Davidson–Clifford Davidson (Minneapolis 1985), S. 227–234; Franz Plener, Das Reimoffizium zum Fest des hl. Koloman in seiner ursprünglichen Gestalt, in „Singt dem Herrn ein neues Lied. Festschrift für Pater Bruno Brandstetter zum 75. Geburtstag“, hg. v. Abt Georg Wilfinger und dem Konvent des Stiftes Melk, [Melk 2006], S. 130 –158; Franz Plener (Bearb.), Das Melker Reimoffizium. Vesper zum Fest des hl. Koloman (Melk 2012). Für geschichtliche Information über das Stift Melk bzw. den heiligen Koloman s. Meta NiederkornBruck, Der heilige Koloman. Der erste Patron Niederösterreichs (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde, 16, Wien 1992) und Meta Niederkorn-Bruck, unter Mitarb. v. Rainald Dubski, Koloman 1012–2012. Tradition und Wandel in der Verehrung des Heiligen (Melk 2012); ferner s. Siegfried Haider, Melk, in Lexikon des Mittelalters, Bd. 6 (1993), Sp. 498 – 499, und Burkhard Ellegast, Melk, in Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 7 (Freiburg/Breisgau 1998), Sp. 88.
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sind. Im vorliegenden Beitrag werden die wichtigsten Zwischenergebnisse einer sich noch im Prozess befindenden Forschung präsentiert.2 Es sei gestattet, zwei einleitende Anmerkungen zu machen. Im Folgenden wird die originale Schreibart des Lateinischen der jeweiligen Quelle wiedergegeben,3 und die Signaturen von Handschriften und Fragmenten werden mittels der Kodifizierung des Repertoire Internationale des Sources Musicales (RISM) angegeben. Die Melker Stiftsbibliothek wird somit mit dem Kürzel »A–M« gekennzeichnet. Es ist noch wichtig, dem Untersuchungsgegenstand dieses Beitrages ein Wort vorweg zu nehmen, um ein tieferes Verständnis zu ermöglichen. Mit der Bezeichnung »die einstimmigen liturgischen Gesänge« werden jene Gesänge gekennzeichnet, die im Rahmen der christlich-okzidentalen, in diesem Fall katholischen, Liturgie gesungen werden. Ausschließlich monodisch, d. h. einstimmig, werden sie in der schriftlichen Überlieferung tradiert und sind unterschiedlichen Alters in den vielen Schichten dieses langlebigen, facettenreichen Repertoires. Die klassische Bezeichnung »gregorianischer Choral« ist zwar gebräuchlich, bedarf aber einiger Korrektur.
I. Datierung und Lokalisierung Im Folgenden wird auf Datierung und Lokalisierung der Gesänge näher eingegangen. Obwohl davon nicht die geringste Spur vorhanden ist, sollte man auf vernünftige Weise, genau so wie im Fall der Passio, die Existenz älteren Materials, aus der früheren Zeit, in der Kanoniker in Melk ansässig waren, nicht ausschließen. Trotzdem scheint es äußerst plausibel, dass die Kanoniker und auch die Benediktiner in ihrer ersten Zeit in Melk die Gesänge aus dem Commune Sanctorum sangen.
2 Vor gut zwei Jahren habe ich im Rahmen des Projektes „Musik – Identität – Raum“ der Abteilung Musikwissenschaft des Instituts für kunst- und musikhistorische Forschungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, unter der Leitung von Mag. Dr. Alexander Rausch, eine Untersuchung über die einstimmigen liturgischen Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman begonnen (http://www.oeaw.ac.at/kmf/projekte/mir/index.html). Seither beschäftige ich mich in meiner eigenen Kapazität mit diesem Thema. Im Rahmen eines kurzzeitigen Forschungsauftrages gelang es mir, reichhaltiges Quellenmaterial zusammenzutragen, aus dem eine eingehende Forschung hervorgegangen ist. Zukünftig wird dazu ein ausführlicher Artikel in der Fachzeitschrift „Studien zur Musikwissenschaft“ [58 (2014)] mit sämtlichen Übertragungen der Gesänge für die Liturgie der Messe und des Stundengebetes zu Ehren des heiligen Koloman erscheinen. Sämtliche Internet-Adressen sind am 20.05.2013 auf ihre Aktualität überprüft worden. 3 Beispielsweise werden keine Diphthonge für Genitiv und Dativ für den weiblichen Singular der zweiten Deklination hinzugefügt. Die nomina sacra und die Großbuchstaben werden hingegen standardisiert.
Liturgische Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman
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Die Herausgeber der Analecta Hymnica (im Folgenden: AH)4 sind der Meinung, dass Melk der Ursprung des Koloman-Offiziums Fons et origo boni sei. Die Hypothese basiert auf dem monastischen Ablauf des Stundengebetes (cursus monasticum),5 welchen die ältesten Quellen aufweisen, sowie auf der Ähnlichkeit mit dem BenedictusOffizium Praeclarum late: Dass die monastische Form […] dem Officium ursprünglich ist, beweist neben dem mutmaßlichen Melker Ursprunge desselben der Umstand, dass es auf Musik und Metrum des Benedictus-Officiums Praeclarum late etc. gemacht ist. 6
Beide sind überzeugende Argumente, welche die Ansicht untermauern, dass das Koloman-Offizium in einem Benediktiner Zönobium verfasst wurde. Wenn nicht in Melk, eine denkbare Alternative wäre ein Benediktiner Kloster in Österreich oder im süddeutschen Raum. Anhand der Edition von Praeclarum late,7 muss aber die von den AH dargelegte Ähnlichkeit in Punkto Musik stark eingeschränkt werden: Nämlich handelt es sich deutlich um andere Melodien. Die gesamte Modal-Struktur (d. h. die Reihenfolge der modi ) der zwei Offizien ist ja fast gleich – natürlich nur wenn man die älteste, benediktinische Fassung von Fons et origo einbezieht (s. unten). Über die Herkunft und die Urheberschaft des Offiziums stellt Charles Nequette zwei sehr relevante Hypothesen auf: The texts of the Office seem entirely unique to St. Coloman. […] seventeen make specific reference to him by name, and the first antiphon of Vespers I refers to him as patron […]. From my study of these texts I feel confident that it is safe to assert their origin as Melk. […] appear original to this Office. […] there is therefore every reason to believe that the Benedictines of Melk were responsible for creating the Office.8
4 Clemens Blume – Guido Maria Dreves –Henry Marriott Bannister (Hg.), Analecta Hymnica Medii Aevi, 55 Bände (Leipzig: Reisland 1886 –1925 [Nachdruck New York: Johnson Reprint 1961]). Register: Analecta Hymnica. Register, hg. von Max Lütolf (Bern – München 1978). Edition des Offiziums Fons et origo: Bd. 13, Nr. 34, S. 95 – 98. 5 Über die zwei Gestaltungen des Offiziums s. László Dobszay, Offizium, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl., Sachteil 7 (1997), Sp. 593 – 609: 597–599; David Hiley, Western plainchant: a handbook (Oxford 1993 [Nachdruck 2005]), S. 25 –29; Giacomo Baroffio, Cantemus domine gloriose (Saronno 2003), S. 16 –17. 6 AH, Bd. 13, S. 98. Wesentlicher Gesichtspunkt in den AH ist vorwiegend die Form und nicht der Ursprung. 7 Willibrord Heckenbach, Das mittelalterliche Reimoffizium »Praeclarum late« zu den Festen des heiligen Benedikt, in „Itinera Domini“, in: Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums, Supplementband 5 (Münster 1988), S. 189 –210. 8 Nequette, The Office (wie Anm. 1), S. 228.
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Laut Nequette wurde das Offizium im Stift Melk verfasst und die Melodien wurden einzig und allein für dieses Offizium komponiert. Weil das Stift Melk der Ausstrahlungspunkt der Verehrung war und bis heute ist, ist es sinngemäß äußerst plausibel, dass die Texte des Offiziums in Melk, von Melker Kanonikern oder Benediktiner Mönchen verfasst wurden. Dasselbe sollte auch für die Texte des Proprium Missae gelten. Bedeutend schwieriger zu beantworten scheint aber die Frage des Melker Ursprungs der Melodien. Zwei Elemente rücken dies in ein besseres Licht. Einerseits die optimale Anpassung des melodischen Profils an die Worte des Textes – so befindet sich beispielweise in der Melodie über dem Namen »Koloman« in etlichen Fällen die höchste Note der ganzen Melodie; andererseits die Responsoriumsverse, welche nicht die psalmodischen Formeln gebrauchen, sondern neukomponiert wurden. Beide Punkte bestärken die Ansicht, dass diese Melodien für die Texte des Koloman-Offiziums – und ausschließlich dafür – komponiert wurden. Wenn die Melodien nicht bereits vorhanden waren, bzw. keine Melodien aus Offizien anderer Heiliger kontrafaktiert wurden, bedeutet das mit größter Wahrscheinlichkeit, dass sie gleichzeitig oder kurz nach den Texten komponiert wurden. Die Texte der Gesänge nehmen teilweise Bezug auf die Passio: sie folgen ihrem Ablauf.9 Es ist anzunehmen, dass sie nach der Passio redigiert wurden, also entweder im 11. Jahrhundert mit den ersten Abfassungen oder nach der Fassung von Abt Erchenfried, nach dem Jahr 1121.10 Es sind jedoch keine direkten Auszüge aus der Passio in den Gesangstexten zu erkennen. Die Revision Erchenfrieds und die Texte des Offiziums bleiben also zwei unabhängige Gegenstände, die allerdings gewisse Parallelen aufweisen.11 Umgekehrt ist es jedoch möglich, mit der Datierung der liturgisch-musikalischen Denkmäler zu Ehren des heiligen Koloman einen Zeitpunkt festzustellen, der für die Entstehung der Gesänge als terminus ante quem fungiert. In anderen Worten: Die ältesten Handschriften stellen die späteste zeitliche Grenze für die Entstehung der Gesänge dar. Es sind die Melker Fragmente A –M Fragm. 225 und A –M Fragm. 227/1, die Alois Haidinger und Christine Glaßner dem Lektionar-Schreiber bzw. dem Kalender-Schreiber zuschreiben, die folglich in Melk lokalisiert und in den Jahren 9 Davon sollte man aber alle Gesänge, deren Texte lediglich allgemeine Invokationen an Koloman enthalten, ausschließen. 10 Über die Passio s. Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman (wie Anm. 1), S. 20 –21 und 26 –28 sowie 67 – 69. 11 Am heutigen Stand der Untersuchung ist es schwierig diese Verwandtschaften genauer zu definieren. Wörtliche Zitate/parallele Stellen sind nicht zu finden – lediglich das Epitheton athleta ist in beiden Texten auffindbar. Frau Dr. Glassner hat in ihrem Vortrag dieses Thema angedeutet, das aber weiterer Untersuchungen bedarf.
Liturgische Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman
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1160 bis 1180 bzw. um 1200 datiert werden.12 Bringt man dies im Zusammenhang mit dem Eintrag „in den Melker Annalen, wo etwa von einer Nachfolgehand zum Jahr 1170 […] die Weihe eines Altares zu Ehren des hl. Koloman vermerkt wird. Damals erfolgte wohl die Übertragung der Gebeine Kolomans aus der Peterskirche in die Klosterkirche […]“,13 dürfte also das Jahr 1170 als endgültiger terminus ante quem angesehen werden. Die am 13. Oktober 1014 in Gegenwart des Babenbergers Markgraf Heinrichs I. und Bischofs Megingoz/Megingaud von Eichstätt durchgeführte translatio (Übertragung der Gebeine) bedeutete für Koloman gleichzeitig die Heiligsprechung – dies wird canonisatio aequalis definiert.14 Die Translation muss daher wie der Anfangspunkt jeder liturgischen Verehrung strictu sensu verstanden werden. Es ist also nicht zufällig, dass in den Eintragungen in den Melker Annalen für die Jahre 1012 und 1013 Koloman beatus genannt wird, im Jahr 1014 aber sanctus. Die Translation stellt also den ehestmöglichen Termin für den terminus post quem dar – eine dermaßen alte Datierung der Gesänge entbehrt jedoch jeglicher Wahrscheinlichkeit. Geht man davon aus, dass das Offizium Fons et origo in Melk verfasst wurde (und somit gezwungenermaßen auch in Melk komponiert wurde), sowie dass es sich um ein Benediktiner Offizium handelt, muss sich daraus ableiten, dass der früheste Termin für 12 Christine Glassner–Alois Haidinger, Die Anfänge der Melker Bibliothek. Neue Erkenntnisse zu Handschriften und Fragmenten aus der Zeit vor 1200 (Melk 1996), S. 100 bzw. 109 –110. A – M Fragm. 225 ist auf S. 11 im Originalzustand vor der Ablösung aus dem Cod. 1742 im Jahr 1996 sowie auf dem Hinterdeckel farbig abgebildet. Ferner s. Merritt Charles Nequette, Music in the Manuscripts at the Stiftsbibliothek of Melk Abbey, Austria. An annotated Bibliography (Dissertation, Minnesota University 1983), S. 146; Edward Höchtl, Die adiastematisch notierten Fragmente aus den Handschriften der Stiftsbibliothek Melk: Versuch einer Bestandaufnahme, (Dissertation, Universität Wien 1990), Bd. 1, S. 60 – 67 und Bd. 2, Abb. 5 –9; Plener, Das Reimoffizium (wie Anm. 1), S. 131 –132. Für sämtliche zitierte Quelle vgl. auch die Bibliographie zu mittelalterlichen Handschriften in Österreich: http://www.ksbm.oeaw.ac.at/lit/frame.htm. 13 Diese Angabe in den Melker Annalen (A – M Cod. 391, fol. 63v) sowie das älteste erhaltene Melker Kalendarium (eben A –M Cod. 391, fol. 1–12, ca. 1122/23) zählen zu den frühesten schriftlichen Beweisen auf die Kolomanverehrung. Darüber s. Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman (wie Anm. 1), S. 30. Über beide Quellen Glassner–Haidinger, Die Anfänge, (wie Anm. 12)S. 81–84 bzw. 116 –121 sowie Abb. 90. Kolomans Tod, Begräbnis und Translation wurden 1123 von der „Hand A“ in den Melker Annalen eingetragen [fol. 58r; Glassner–Haidinger, Die Anfänge (wie Anm. 12), Abb. 51 und Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman (wie Anm. 1), Abb. 3]. 14 Koloman Juhász, St. Koloman, der einstige Schutzpatron Niederösterreichs, in Theologisch-praktische Quartalschrift 69 (1916), S. 540 –560 und 777 –798: 559; s. auch Laurenz Günther Kull, Der Heilige Koloman in Geschichte und Kunst, in „1000 Jahre Babenberger in Österreich. Katalog der Ausstellung“ (Wien/Lilienfeld 1976), S. 664 – 666: 665, und Adolf Riedl, Der heilige Koloman, in „101. Jahresbericht des öffentlichen Stiftsgymnasiums der Benediktiner zu Melk“ (Melk 1959), S. 3 –22: 13. Ferner s. Markus Ries, Heiligenverehrung und Heiligsprechung in der Alten Kirche und im Mittelalter. Zur Entwicklung des Kanonisationsverfahren, in Manfred Weitlauff (Hg.), Bischof Ulrich von Augsburg: 890 –973. Seine Zeit, sein Leben, seine Verehrung. Festschrift aus Anlaß des tausendjährigen Jubiläums seiner Kanonisation im Jahre 993 (= Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte, 26/27, Weißenhorn 1993), S. 143 –167: 146 –148.
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162
das Erschaffen des Offiziums (in der ältesten uns bekannten Form) erst die Ankunft der Benediktiner in Melk im Jahr 1089 ist. Zudem ist eine durchaus plausible Hypothese, dass das Offizium, genau wie die Revision der Passio, während der Amtszeit des Abtes Erchenfrids entstanden ist: 1121 bis 1160/1163. Die Zeitspannen für die Entstehung sind somit entweder auf ungefähr achtzig Jahre (1089–1170) oder auf zirka vierzig Jahre bestimmt worden.
II. Hinweise auf die Quellen Genau wie für jedes andere Kirchenfest werden die liturgischen Quellen in zwei große »Familien« gespalten: die für die Messe und jene für das Stundengebet, d. h. das Offizium. Eine weitere Unterteilung, die parallel zur bereits genannten Gruppierung gemacht wird, davon aber komplett unabhängig läuft, ist jene in: »Quellen mit musikalischer Notation« und »nicht notierte Quellen«. Die liturgisch-musikalischen Quellen teilt man nochmals in zwei Gruppen ein: die mit adiastematischer Notation und jene mit diastematischer Notation. Die adiastematische Notation, auch linienlose Neumennotation genannt, ist eine Musikschrift, welche dem Sänger zwar die rhythmischen, agogischen und interpretatorischen Nuancen der Melodie anzeigt, aber die genaue Höhe eines Tones nicht mitteilt. Eine solche Notation ist ausschließlich für diejenigen lesbar, welche die Melodie bereits auswendig kennen. Um davon eine für die heutige Zeit singbare Melodie zurückzubekommen, ist es notwendig, die mit adiastematischen Neumen geschriebene Fassung mit einer weiteren zu vergleichen, welche die Notation auf Linien aufweist. Nur aus der letztgenannten kann die genaue Höhe der Töne gewonnen werden.15 Was die Liturgie zu Ehren des heiligen Koloman betrifft, stammen die adiastematischen Quellen aus dem 12. bis 14. Jahrhundert. Sie weisen unterschiedliche Stadien der deutschen Neumennotation auf (St. Gallener Neumen).16 Die aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammenden Zeugen weisen hingegen eine diastematische Musikschrift auf: die gotische Choralnotation, auch Hufnagelnotation genannt. Bis zum jetzigen 15 Zwei Ausnahmen seien erwähnt. 1.) Liturgisch-musikalische Quellen sind prinzipiell mit musikalischer Notation versehen, es gibt aber auch manche, die nicht notiert sind, wie das berühmte Cantatorium von Monza (I–MZ 88), eine der für die Edition Antiphonale Missarum Sextuplex benützten Quellen. 2.) Die linienlose Neumennotation aus Aquitanien ermöglicht die genaue Ablesung der Intervalle. 16 Nur das Graduale A – M 109 weist Liniennotation auf. Diese Handschrift wird in Rahmen des vorliegenden Beitrages nicht erörtert, weil sie aus Regensburg stammt und für Koloman nur zwei Gesänge aus dem Commune enthält. Darüber s. Janka Szendrei – David Hiley, Ein wenig bekanntes Graduale mit Sequenziar aus St. Emmeram, Regensburg: Handschrift 109 (olim 1056) der Stiftbibliothek Melk (14.–15. Jhdt.), in David Hiley (Hg.), Ars musica – musica sacra, (Regensburger Studien zur Musikgeschichte, 4, Tutzing 2007), S. 99 –126.
Liturgische Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman
163
Stand der Forschung wurden insgesamt mehr als sechzig Quellen für die liturgische Verehrung Kolomans konsultiert – davon ist aber nur ein Dutzend mit Notation versehen. Im Folgenden seien die bedeutendsten Zeugen präsentiert, mit besonderem Blick auf die von Melker Provenienz. Zuerst jene für die Messe. Das Graduale-Fragment A – M Fragm. mus. 5 B wird dem Kalendar-Schreiber zugeschrieben und ist in Melk um das Jahr 1200 entstanden. Das Fragment „listet […] alle Heiligenfeste des Kirchenjahres auf, gibt für die einzelne Formularteile jedoch nur die Textanfänge an“.17 Auf der ersten Spalte der recto-Seite befinden sich die für Koloman vorgeschrieben Propriumsgesänge. Sie stammen aus dem Commune Sanctorum: Introitus Laetabitur, Graduale Gloria et honore, Alleluja Laetabitur, Offertorium Posuistui, Communio Qui michi. Für die Oktav ist alles zu wiederholen: Die Rubrik lautet nämlich sicut in die sancto. Eine Auflistung der Propriumsgesänge für die Messe ist auch im Kodex A–M 920 zu finden (fol. 164ra). Es handelt sich um ein aus dem 15. Jahrhundert stammendes, mit Quadratnotation versehenes Graduale. Auch in diesem Fall werden Gesänge aus dem Commune vorgeschrieben, bloß der Introitus bleibt aber gleich: Introitus Laetabitur, Graduale Posuisti, Alleluja Iustus non conturbabitur, Offertorium Desiderium, Communio Magnam est. Eine ähnliche Liste ist noch im Graduale Pataviense, das 1511 von Johannes Winterburger in Wien gedruckt wurde, auf fol. 138v zu finden.18 Es treten wieder der Introitus Laetabitur und das Graduale Posuisti auf, wie in der Handschrift A – M 920, darauf folgen aber andere, dem Commune Sanctorum entnommene Gesänge: das Alleluja Iustus ut palma, das Offertorium Gloria et honore und das Communio Qui vult. Dazu kommt noch die eine Sequenz, Letabundus fidelis, die dem Proprium Cholomani gehört: Sie ist für die Messe am Kolomanitag reserviert (13. Oktober).19 Die Sequenz Letabundus fidelis ist auf fol. 256v –257r notiert, im Sequentiar-Teil des Buches. Interessanterweise wird sie im Winterburgers Graduale in einer Transposition auf die höhere Quint wiedergegeben (Finalis c). Das Offizium betreffend ist die älteste Quelle das Fragment A – M Fragm. 225.20 Alois Haidinger kommentiert das folgendermaßen: „Die Schrift kann 17 Glassner–Haidinger, Die Anfänge (wie Anm. 12), 108 und Abb. 86 auf S. 115. 18 Christian Väterlein (Hg.): Graduale Pataviense (Wien 1511). Faksimile, (Das Erbe deutscher Musik, 87, Kassel 1982). Die Bayerische Staatsbibliothek hat das vollständige Digitalisat des Exemplars A – Mbs 2 Liturg. 451 p im Internet zur Verfügung gestellt: http://dfg-viewer.de/show/?set%5Bmets%5D=http% 3A%2F%2Fdaten.digitale-sammlungen.de%2F%7Edb%2Fmets%2Fbsb00001999_mets.xml. Darüber s. auch das Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts: G 2728 (= VD16; www.gateway-bayern.de/index_vd16.html) und Renaissance Liturgical Imprints: A Census: REAAA0728 (= RELICS: http://quod.lib.umich.edu/r/relics/index.html). 19 Ediert in AH 41, S. 94, Nr. 6; Verfasser des Textes ist Christanus Campoliliensis/Christans von Lilienfeld. Eine weitere Sequenz für Koloman ist in der Handschrift A – M 147 zu finden (Coelestis te laudat chorea, s. unten). 20 S. Fußnote 12.
164
David Merlin
nicht überzeugend mit jener des Lektionar-Schreibers gleichgesetzt werden, die Rankeninitiale ist hingegen eindeutig von der gleichen Art wie jene, die nur auf den vom Lektionar-Schreiber beschriebenen Blättern vorkommen.“21 Somit kann es mit großer Wahrscheinlichkeit um 1160 bis 1180 datiert sowie in Melk lokalisiert werden. Der zweitälteste Zeuge für das Offizium ist das Brevier-Fragment A – M Fragm. 227/1, das dem Kalendar-Schreiber zugeschrieben wird.22 Es kann folglich um das Jahr 1200 datiert und in Melk lokalisiert werden. Die Initiale ist mit einer heute stark beschädigten Abbildung des heiligen Koloman versehen – Haidinger schreibt hierzu: „Die wenig erhaltenen Fragmente dieses Breviers lassen die ursprünglich reiche Ausstattung erahnen. Bedauerlicherweise ist die Figur des Melker Patrons Koloman so stark zerstört, dass keinerlei Aussagen zur Ikonographie dieser ältesten Darstellung des Heiligen möglich sind.“23 In der Handschrift A – M 570 befinden sich zwei eingebundene Makulaturen, das vordere und hintere Satzblatt, welche die Vesper und den Anfang der Matutin enthalten.24 Es handelt sich hier um Fragmente von einem Antiphonar aus dem 14. Jahrhundert, das mit größter Wahrscheinlichkeit in Melk und für den Gebrauch in Melk geschrieben wurde. Aus dem Jahr 1519 stammt ein Antiphonar, das in Wien von dem zuvor genannten Johannes Winterburger gedruckt wurde.25 Obwohl die Diözesanzugehörigkeit dieses Antiphonars noch nicht unmissverständlich festgestellt ist, kann man mit Recht behaupten, dass es für den Gebrauch seitens des säkularen Klerus innerhalb der Diözesen Wien, Wiener Neustadt und gewissermaßen auch Passau geschaffen wurde.26 Hier werden für Koloman neun Lektionen aus dem 21 Glassner–Haidinger, Die Anfänge (wie Anm. 12), S. 100. 22 S. Fußnote 12. 23 Glassner–Haidinger, Die Anfänge (wie Anm. 12), S. 110. 24 Joachim Fridolin Angerer, Lateinische und deutsche Gesänge aus der Zeit der Melker Reform. Probleme der Notation und des Rhythmus, bezogen auf den historischen Hintergrund und verbunden mit einer Edition der wichtigsten, durch die Reform eingeführten Melodien, Wien: Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs (Forschungen zur älteren Musikgeschichte, 2, Wien 1979), S. 24 –28, Reproduktion der verso-Seite des Vordersatzblattes sowie des Hintersatzblattes zwischen S. 26 und 27. Für weitere Literaturhinweise s. Anhang 1. Nequette, Music in the Manuscripts, (wie Anm. 12), S. 140 und S. 166 (Abb.); Höchtl, Die adiastematisch notierten Fragmente (wie Anm. 12), I 343 –350; Nequette, The Office of St.Coloman (wie Anm. 1); Plener, Das Reimoffizium (wie Anm. 1). 25 Karlheinz Schlager (Hg.), Antiphonale Pataviense (Wien 1519). Faksimile, (Das Erbe deutscher Musik, 88, Kassel 1985). Die Bayerische Staatsbibliothek hat das vollständige Digitalisat des Exemplars A – Mbs Res/2 Liturg. 11e im Internet zur Verfügung gestellt: http://dfg-viewer.de/show/?set%5Bmets%5D=http %3A%2F%2Fdaten.digitale-sammlungen.de%2F%7Edb%2Fmets%2Fbsb00080050_mets.xml. VD16: A 2947; RELICS: REAAA0027. 26 David Merlin, Das von Winterburger gedruckte Antiphonar aus dem Jahr 1519: ein Antiphonale Pataviense?, in Robert Klugseder (Hg.), „Cantus Planus: papers read at the 16th meeting (Vienna, Austria, 2011)“, International Musicological Society und Österreichische Akademie der Wissenschaften, Kommission für Musikforschung (Purkersdorf 2012), S. 265 –275.
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Commune eines Märtyrers vorgeschrieben. Vom Offizium Fons et origo ist nicht mehr die geringste Spur zu finden. Diese Serie ausgewählter liturgisch-musikalischen Quellen soll mit der Handschrift A – M 147 abgeschlossen werden, welche in musikwissenschaftlicher Hinsicht vielleicht die bedeutendste Quelle für die Erforschung der musikalischen Gestalt der Liturgie zu Ehren des heiligen Koloman darstellt.27 Sie ist mit diastematischer Notation versehen und enthält sämtliche Gesänge für Matutin und Laudes (Nachtandacht und Morgengebet), sowie zwei Propriumsgesänge für die Messe: das Alleluja und die Sequenz Coelestis te laudat chorea.28 Der Teil von A – M 147, der die Gesänge für Koloman enthält,29 wurde in Melk im Sommer 1460 geschrieben, d. h. nach der Einbruch der Melker Reform.30 Im Weiteren wird auf diese Handschrift und auf die Nachwirkungen der Reform auf das Koloman-Offizium näher eingegangen. In Anhang 1 wird synoptisch der Inhalt aller mit Notation versehenen Quellen für das Offizium dargestellt. Die Tabelle berücksichtigt jedoch nicht die Matutin, auf welche im folgenden Abschnitt näher eingegangen wird.
III. Die Anordnung der Modi und die Struktur des Offiziums Am Beispiel der Matutin soll erklärt werden, inwiefern die Reihenfolge der modi (d. h. der Tonarten) eine bedeutende Rolle in der Struktur des Offiziums Fons et origo boni spielt. Das Offizium hat im Laufe der Zeit eine radikale Umgestaltung erlebt. Besonders die Struktur der Matutin wurde stark verändert. Der Grund dafür liegt in den liturgischen Änderungen der Melker Reform, die 1418 ausbrach und nach der Konformität mit der Liturgie der römischen Kurie strebte. Mit anderen Worten bedeutet dies eine komplette Umgestaltung vom cursus monasticus zum cursus saecularis des Offiziums.31 Obwohl keines für eine komplette Rekonstruktion der Matutin ausreicht, weisen die ältesten Fragmente die ursprüngliche monastische Form der Nachtandacht auf: 27 Nequette, Music in the Manuscripts (wie Anm. 12), S. 62, 88 und S. 167 (Abb.); Nequette, The Office of St. Coloman (wie Anm. 1); Plener, Das Reimoffizium (wie Anm. 1). 28 Ediert in AH 54, S. 56, Nr. 37. 29 Die Gesänge des Offiziums befinden sich auf fol. 139r –146r, dann folgen jene für die Messe auf fol. 146v –148r. 30 Auf fol. 146r am unteren Rand wurde Folgendes vermerkt: Ex karitate. in vigilia sancti Bartholomei apostoli [23. August] finitur. 1460. Mellici. 31 S. Fußnote 5. Über die Melker Reform s. Joachim Fridolin Angerer, Die liturgisch-musikalische Erneuerung der Melker Reform. Studien zur Erforschung der Musikpraxis in den Benediktinerklöstern des 15. Jahrhunderts (Wien 1974), besonders die Seiten 125 –164, und Merrit C. Nequette, Music in the Manuscripts (wie Anm. 12), S. 13 –20. Darüber hinaus Nequette, The Office (wie Anm. 1), S. 230: „this rearrangement may have been the result of the Melk Reform“.
David Merlin
166
Die erste und zweite Nokturne bestehen aus sechs Antiphonen und vier Responsorien. Es handelt sich um A – M Fragm. 225 sowie um die zwei Makulaturen im Kodex A – M 570. Das erstgenannte bricht Mitte im Vers des ersten Responsoriums (Iesu sequens) ab; die jüngeren Makulaturen reichen hingegen bis zum Anfang des fünften Responsoriums aus (d. h. das erste Responsorium der zweiten Nokturn: Celesti afflatus). Der heutige Zustand von A – M Fragm. 227/1 ist sehr beschädigt und ermöglicht ein Ablesen nur für die ersten drei Antiphonen der ersten Vesper. Für die dritte Nokturn ist keine Quelle vorhanden, die aus der Zeit vor der Melker Reform liegt. – Eine Fassung des cursus monasticus der dritten Nokturn ist also nicht erhalten. Die einzige Quelle, welche die Matutin vollständig enthält, die Handschrift A – M 147, weist die säkulare Form auf: Alle drei Nokturne bestehen aus drei Antiphonen und drei Responsorien. Darüber hinaus sind uns die Laudes, sowie die Magnificatantiphon für die zweite Vesper ausschließlich in der säkularen Form überliefert. Im Folgenden werden die zwei unterschiedlichen Strukturen der Matutin tabellarisch dargestellt. Für jedes Stück werden neben der Gattung, die Position in der Reihenfolge (in kursiv für die Antiphonen, für die Responsorien hingegen fett) und der Modus gezeigt. Die Tabelle 1 spiegelt die Reihenfolge der ältesten Fragmente wider (s. oben). Durch den Vergleich mit dem Kodex A – M 147 sind die Modi eruierbar. (Ist die Angabe ein Fragezeichen, bedeutet dies, dass eine Gegenüberstellung nicht möglich ist – s. folgende Absätze). Es ist festzustellen, dass die Reihenfolge der Modi in einer parallelen Weise, für Antiphone und Responsorien, der Einordnung der Modi nach läuft. In diesem Fall spricht man von einem Modal-Offizium.
Gat
Nr
Mod
Incipit
Psalm / Vers
inv
–
VI
Christum laudemus istaque
Venite (ps 94)
Erste Nokturn ant
1
I
Beatur vir Cholomannus
Beatus vir (ps 1)
ant
2
II
Ergo in timore
Quare fremuisti (ps 2)
ant
3
III
Unde deus iusticie
Cum invocarem (ps 4)
ant
4
IV
Scuto bone voluntatis
Verba mea (ps 5)
ant
5
V
O quam est admirabile
Domine dominus noster (ps 8)
ant
6
VI
Domino confidens iustus
In domino (ps 10)
rsp
1
I
Iesu sequens vestigia
Mundum reliquit – Fragm. 225 endet
167
Liturgische Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman
Gat
Nr
Mod
Incipit
Psalm / Vers
rsp
2
?
Ex alto Christus
Curam saluti
rsp
3
III
Immitis gens orientis
Pacifica ambulantem
rsp
4
IV
Post immania tormenta
Iustus ut leo
zweite Nokturn ant
7
VII
Domine iste beatus
Domine quis habitabit (ps 14)
ant
8
VIII
Virtute tua rex
Domine in virtute tua (ps 20)
ant
9
?
Innocens manu beatus
Domini est terra (ps 23)
ant
10
II
Exauditus martyr sanctus
Exaudi (ps )
ant
11
?
In Sion iam nunc
Te decet hymnus (ps 64)
ant
12
?
Integrum corpus
Bonum est confiteri (ps 91)
rsp
5
V
Celesti affla
[Lakune]
Tabelle 1. Matutin: cursus monasticus (A – M Fragm. 225 und Hintersatzblatt recto und verso von A– M 570)32
In Tabelle 2 ist hingegen die Abfolge der Gesänge in der Handschrift A–M 147 zu sehen. Die Struktur der Matutin ist hier die typische für den cursus saecularis der Liturgie: alle drei Nokturne bestehen aus drei Antiphonen und drei Responsorien. Diese zweite Fassung respektiert die Reihenfolge der Texte der ersten nicht: Das zweite Responsorium (Ex alto Christus) sowie die neunte Antiphon (Innocens manu beatus) der ursprünglichen monastischen Fassung sind übersprungen worden, die Antiphon Exauditus martyr, die in der älteren Fassung die zehnte Position hält, ist in der jüngeren Form an der dritten Stelle platziert (vgl. in Tabelle 2 die zweite mit der vierten Spalte). Die Umstellung der Struktur sowie der Reihenfolge der Texte hat aber auch Änderungen in der Reihenfolge der Modi verursacht. In der säkularen Form läuft die modale Reihenfolge unabhängig für Antiphonen und Responsorien. Die Antiphonen sind zwar modal geordnet, es wird aber der zweite Modus wiederholt. Die Responsorien hingegen wiederholen den dritten und sechsten Modus und überspringen den zweiten und den siebten. Im dritten Nokturn sind sie sogar absteigend angeordnet. In diesem Fall kann man nicht von einer modalen Anordnung sprechen – es handelt sich also um kein Modaloffizium mehr. 32 Gat = Gattung; ant = Antiphona; inv = Invitatorium; rsp = Responsorium; Nr = Position in der Reihenfolge; Mod = Modus; ps = Psalm.
David Merlin
168
Gat inv
Nr
Mod
Nr
147
147
570
–
VI
–
Incipit
Psalm / Vers
Christum laudemus
Venite (ps 94)
erste Nokturn ant
1
I
1
Beatur vir Cholomannus
Beatus vir (ps 1)
ant
2
II
2
Ergo in timore
Quare fremuisti (ps 2)
ant
3
II
10
Exauditus martyr sanctus
Domine quid multiplicati (ps 3)
rsp
1
I
1
Iesu sequens vestigia
Mundum reliquit
rsp
2
III
3
Immitis gens orientis
Pacifice ambulantem
rsp
3
IV
4
Post immania tormenta
Justus ut leo
zweite Nokturn ant
4
III
3
Unde deus iusticie
Cum invocarem (ps 4)
ant
5
IV
4
Scuto bone voluntatis
Verba mea (ps 5)
ant
6
V
5
O quam est admirabile
Domine dominus noster (ps 8)
rsp
4
V
5
Celesti afflatus rore
Vincla carceris
rsp
5
VI
//
Agonista magnificus esayco
Martir innocens
rsp
6
VIII
//
Belliger athleta Cholomanne
Mundi spineta
dritte Nokturn ant
7
VI
6
Domino confidens iustus
In domino confido (ps 10)
ant
8
VII
7
Domine iste beatus
Domine quis habitabit (ps 14)
ant
9
VIII
8
Virtute tua rex
Domine in virtute (ps 20)
rsp
7
VI
//
Per evangelica dicta
Qui dum tantum
rsp
8
III
//
Rumaldus viso sanguine
Credens videre
rsp
9
II
//
O lux celorum
Respice de celo
Tabelle 2. Matutin: cursus saecularis (A – M 147, fol. 139r –145r)33
Die säkulare Fassung besteht aus neun Antiphonen und genauso viele Responsorien. Folglich bleiben also wegen der Umgestaltung der Liturgie manche Gesänge unbenutzt. Es handelt sich hierbei um die Antiphonen Innocens manu beatus, In 33 S. Fußnote 31 Nr. 147 = Position in A – M 147; Nr. 570 = Position in A – M 570; // = nicht vorhanden.
Liturgische Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman
169
Sion iam nunc und Integrum corpus. Sie sind nur in der adiastematischen Notation erhalten, daher ist es uns nicht mehr möglich, die Melodie dieser Gesänge zu rekonstruieren. Dies gilt auch für das Responsorium Ex alto, das von der säkularen Fassung ausgeschlossen bleibt. Fünf Responsorien kennen wir nur in der säkularen Fassung – für sie ist ein Vergleich mit der älteren Neumennotation nicht möglich: Agonista magnificus, Belliger athleta, Per evangelica dicta, Rumaldus viso sanguine, O lux celorum.
IV. Analyse dreier ausgewählter Gesänge Drei besonders interessante Stücke, ausgewählt aus dem Corpus der Gesänge, die zu Ehren Kolomans komponiert wurden, werden im Folgenden analysiert.34 In Abbildung 1 wird das Responsorium Post immania tormenta wiedergegeben, das in der Überlieferung vom Manuskript A–M 147 die Doxologie, d. h. das Gloria patri, aufweist – vollkommen im Einklang mit seiner liturgischen Position. Der reformierten Liturgie zufolge ist es nämlich das dritte, also das letzte der ersten Nokturn. In Anhang 2 ist die Übertragung des Responsoriums Post immania tormenta zu finden. Am Beginn der Repetenda (sentencia. Assis) und im Vers (confidit qui) treten zwei Sechstensprünge auf. Nach dem Vers Iustus ut leo kommt die Repetenda ab den Worten Assis ovis, nach dem Gloria jedoch ab den Worten Hinc Colomannus. Die Figuration F-G-a-G-a kommt mehrmals vor: Geschrieben ist sie zwar viermal (immania, ustulatur, letatur, irrisit), bezieht man aber beide repetendae ein, wird sie insgesamt sieben Male gesungen. Ähnlich ist in der Doxologie die Kombination zweier porrectus auf sancto (G-F-G/aG-a). Diese Figuration wirkt als Vorbereitung einer Kadenzformel auf die Finalis, die mit einer darauffolgenden clivis (F-E) erreicht wird, oder mit leicht verzierten Schlussbewegungen (immania: F-E-D/E; ustulatur: F-E-D/G/E). Die Melodie des Verses Iustus ut leo ist nicht auf die psalmodische Struktur aufgebaut,35 sondern sie weist eine bogenförmige freikomponierte Form auf. Sie beginnt mit einer Verzierung auf der Finalis, steigt dann mit einem Sechstensprung auf die Obersechste (c) auf, kehrt wieder auf die Finalis zurück und endet mit der oben beschriebenen Kadenzformel (F-G-a -G-/F -E). 34 Die Höhe der Töne wird mittels Buchstaben der guidonischen Leiter nach angegeben: -A-B/H-C-D-EF-G-a-b/h-c-d-e-f-g-a’. 35 Vgl. die Tabellen in Bruno Stäblein, Psalm B, in „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ 10 (1962), Sp. 1676 –1690: zwischen 1680 und 1681. (Sie werden wiedergegeben in: Baroffio, Cantemus (wie Anm. 5), S. 65 – 66).
170
David Merlin
Abb. 1: Responsorium Post immania tormenta (A – M 147, fol. 140v –141r)
Liturgische Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman
Abb. 2, Detail: Anfang der Versen (A–M 147, fol. 140v, a: 6. System; b: 1. System)
171
172
David Merlin
Interessanterweise ist im Original am Anfang des Verses ein Erniedrigungszeichen vor dem F (Iustus) zu sehen, das auch im vorangegangenen Responsorium Immitis gens orientis zu finden ist. Die Stimmlage von Post immania, genauso wie jene von Immitis gens, umfasst die Oktave C – c und auch dort ist das Erniedrigungszeichen erst – und ausschließlich – am Anfang des Verses zu finden. Ist dies als eine Spur von Transpositionspraxis zu interpretieren? Beide Stücke weisen aber eine Stimmlage auf, welche sehr bequem für einen Männerchor ist. Die Transposition auf die Unterquint scheint praktisch auf Grund der tiefen Lage und theoretisch wegen der Finalis A nicht nachvollziehbar. In der Transposition würde die Melodie sogar das F, ein Ton tiefer als das guidonische , erreichen, welche die tiefste geschriebene Note dieses Repertoires ist – und dementsprechend äußerst selten auftritt. Eine Transposition auf die Oberquarte ist in der Praxis wohl möglich (das ist die Unterquint eine Oktave höher), wäre jedoch in der Schriftgewohnheit eher ungewöhnlich. Das Auftauchen des Erniedrigungszeichens zur Kennzeichnung des Halbtones zwischen E und F mutet bereits etwas merkwürdig an. Dies geschieht auch nur zu Beginn des Verses und steht nicht für das ganze Stück. Wurde hier bloß der Vers transponiert und nicht die ganze Melodie? Die Deutung dieses Umstandes bedarf weiterer Erklärungen. In Anhang 3 ist die Übertragung der Benedictusantiphon Benedictus sit dominus zu finden. Sie ist in dem siebten Modus gelegt und erstreckt sich von der Unterterz E bis zur a’ eine None über die Finalis G. Dieses hohe a’ ist die höchste, geschriebene Note im ganzen Offizium und tritt nur einmal, in diesem Stück, auf – zwar nicht auf den Namen Cholomannus, sondern auf das Wort claudos, welches »die Hinkenden« bedeutet. Man kann dennoch annehmen, dass das a’ aus rein strukturell-musikalischen Gründen genau in dieser Stelle platziert wurde, und nicht um das Wort hervorzuheben. Auf lang-ui-dos ist eine etwas kuriose aber »sängerfreundliche« Silbentrennung zu bemerken. Quinten- und Quartensprünge kommen oft vor und genau so oft beziehen sie eine der zwei für den Modus strukturellen Töne G (bzw. g) oder d ein. Auf dominus per quem treten drei Quartensprünge nach einander auf; zwei Quintensprünge befinden sich zwischen den Worten nos languidos. Die Transkription des Alleluja für die Messe zu Ehren des heiligen Koloman befindet sich in Anhang 4. Der Vers des Allelujas weist den gleichen Text wie das gleichnamige Responsorium der ersten Vesper auf.36 Der Tonumfang dieses üppigen Stückes erstreckt sich von B bis f und umfasst somit den Ambitus plagalis samt authenticus. Die Melodie ist durch häufige Quarten- und Quintensprünge charakterisiert, die fast ausschließlich die zwei für den Modus strukturellen Noten C und F (bzw. c und f) einbeziehen. Im Vers befindet sich auf dem Wort nobis ein langes Melisma, in dem eine Stelle wiederholt wird (F-a-c/c-a-c/d-e-f-e-d-c/c-d-f-f ). Nach diesem Element springt die Melodie eine 36 Im Alleluja wird der Text des Responsoriumverses nicht verwendet (Ut prium aput dominum).
Liturgische Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman
173
Oktav tiefer, durch die Wiederholung ergeben sich also zwei Oktavensprünge. Es sind aber im Stück weitere Melodiesegmente bzw. Tonkombinationen zu erkennen, die wiederholt werden. Sechs Noten nach dem soeben erwähnten Melodiesegment tritt die Tonkombination des Anfangs des Jubilums (c-c-b-a-G-F) wieder auf. Weitere melodische Formeln, die im Laufe des Stückes wiederholt erscheinen, sind folgende: f-d-e-c/d-b-c-a (im Jubilum); a-b-a-G-F-E/G/F (Cholomannum, miserande); c-c-a-c/FF-D-F (impetratam); c-c-F/a-a-D/F-F-C (impetratam). Am Ende des Verses muss das Jubilum wiederholt werden. Darauf wird im Kodex 147 – und das ist gebräuchlich in der handschriftlichen Überlieferung – nur mithilfe der ersten Note des Jubilums hingewiesen.37 Weil oft das Erniedrigungszeichen in der Handschrift verwendet wird, wurde hier immer auf das b hingewiesen. In der Melodien des Offiziums Fons et origo boni treten häufig höheren Sprünge auf (Quart- und Quintintervalle sowie auch Sechst- und Oktavintervalle), die manchmal unmittelbar nacheinander und auch in entgegengesetzter Richtung erscheinen. Dies ist ein Merkmal des kompositorischen Stils der Melodien nach der Jahrtausendwende nördlich der Alpen.38 In mediterranen Melodien, sowie in Gesängen aus den älteren römisch-fränkischen Schichten des Repertoires kommen so zickzackartige Bewegungen und so breite Intervalle nicht vor. Die Kompositionssprache bestätigt also die Herkunft dieser Gesänge aus dem deutschsprachigen Raum. Abschließend soll noch hervorgehoben werden, dass die Komposition und die Aufführung, welche ein geschicktes musikalisches Schaffen voraussetzen, genau so wie auch die Niederschrift und die schriftliche Überlieferung des Corpus der Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman, die aussagekräftigen Beweise für eine intensive musikalische Tätigkeit innerhalb jener kulturellen Blüte sind, die im Stift Melk während des 12. Jahrhunderts und besonders während der Amtszeit des Abtes Erchenfried stattfand. Die Bedeutung der Musik blieb in Melk stark: Diese Gesänge für die Liturgie des Hauspatrons Koloman sind auch die Zeugen einer schriftlichen Überlieferung der Musik in Melk, welche so gut wie ununterbrochen vier Jahrhunderte hindurch lief. Erst ab der Zeit des Trienter Konzils sind keine notierte Quellen mehr vorhanden – die jüngste herangezogene Quelle ist eine Handschrift gemischten Inhaltes (eine sogenannte pharetra), welche zu den Jahren 1521–1526 zu datieren ist: A – M 1258. Man könnte sich also die Frage stellen, wie lange noch diese Gesänge Bestandteil der Liturgie zu Ehren des Heiligen Koloman blieben. Anhand der von Franz Plener veröffentlichten Abbildungen von Notenmaterial aus dem Musikarchiv des Stiftes 37 Aus diesem Grund ist in der Übertragung ein Teil des Jubilums mittels einer eckigen Klammer signalisiert. 38 Ein berühmtes Beispiel dafür ist das Gloria I (s. Graduale Triplex, S. 790), das vom deutschen Papst Leo IX (†1054) komponiert wurde.
174
David Merlin
Melk,39 kann festgestellt werden, dass diese musikalische Tradition – wahrscheinlich nach einer Ruhezeit in der Barock und wohl mit wesentlichen Änderungen – noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gepflegt wurde. Im Hinblick auf die Vesper, die am 13. Oktober 2012 in der Melker Stiftskirche zelebriert wurden, kann man doch durchaus sagen, dass wir uns in einer stets lebendigen Tradition befinden.
V. Hinweise über die Verbreitung der liturgischen Formulare und conclusio Zum Schluss soll noch bündig die geographische Verbreitung des Kultus des heiligen Koloman erörtert werden. Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen der Verbreitung der Verehrung und der Patrozinien und jener der liturgischen Formulare für die Messe bzw. das Stundengebet. Einerseits ist Koloman der Hauspatron des Benediktiner Stiftes Melk und wird als Schutzpatron gegen viele unterschiedliche Feinde der Menschheit angerufen.40 Andererseits haben wir die Koloman gewidmeten Kultstätten. Sie sind nicht nur in Österreich sondern befinden sich auch in Südtirol, Ungarn, Slowenien, Bayern, Württemberg, Schwaben und in der Pfalz. Laut Joseph Wodka sind sie „vor allem im altbayerischen Raum und in den Diözesen Eichstätt und Regensburg“ befindlich41 – dazu muss man mindestens noch das Bistum Passau erwähnen, in dem „das Fest des hl. Kolomann […] ein echtes Diözesanfest“ war.42 Georg Karnowkas Untersuchung nach war Koloman im 14. Jahrhundert neben dem Passauer Kalender in den liturgischen Kalendaren der Diözesen Salzburg, 39 Plener, Das Reimoffizium (wie Anm. 1), 131: „Als letztes Ergebnis dieser Tradition liegt ein sichtlich intensiv benütztes Exemplar aus dem 20. Jh. vor, die weiße Quadratnotation von Hand und der Text mit der Schreibmaschine geschrieben, das dem jubilierenden Stiftmusicus wohl bekannt sein dürfte.“ Die Abbildungen befinden sich auf die Seiten 151 –158. Plener zitiert die Signatur der Quelle nicht. 40 Im Allgemeinen ist Koloman Schutzpatron der Wanderer und der Erhängten, en détail hilft er gegen Kopf-, Hals- und Zahnschmerzen; in bäuerlichen Ortschaften wird er als Pferdepatron verehrt, auf Alm und Wiese als Viehpatron, außerhalb des Dorfes ist er der Wetterpatron; in Österreich wird gerne eine Pfarrkirche Koloman geweiht und zudem ist er Quellen- oder Brunnenpatron, woraus Heilwasser heraussprudelt. Koloman wurde von Mädchen angerufen, um einen guten Ehemann zu finden. Schlussendlich markiert der Kolomanitag (13.10.) den Anfang der Ernte der roten Rüben. 41 Josef Wodka, Der heilige Koloman, in Georg Schweiger (Hg.), „Bavaria Sancta. Zeugen Christlichen Glaubens in Bayern“, Bd. 1 (Regensburg 1970), S. 221 – 232: 228. Wodka listet 45 Kolomanistätten in Deutschland (S. 228 –30), in Niederkorn-Bruck, Koloman 1012–2012 (wie Anm. 1), S. 436 –500 werden insgesamt 227 Kolomanistätten aufgelistet. 42 Georg-Hubertus Karnowka, Breviarium Passaviense. Das Passauer Brevier im Mittelalter und die Breviere der altbayerischen Kirchenprovinz (= Münchener theologische Studien, 2; Systematische Abteilung 44, St. Ottilien 1983), S. 23.
Liturgische Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman
175
Brixen, Regensburg und Freising eingetragen.43 Was aber die geographische Verbreitung der Formulare, d. h. was die tatsächliche Anwesenheit der Formulare in den liturgischen Büchern betrifft, kann man am heutigen Stand der Forschung behaupten, dass sie damals typisch für das Bistum Passau war und noch charakteristischer für eine Region innerhalb dessen, deren Grenzen noch nicht genau umrissen sind. Anhand der bereits vorliegenden Arbeiten von Judith Lauf und Martin Roland, kann doch ein Gebiet bestimmt werden, welches das heutige Bundesland Niederösterreich sowie die Städte Wien, Wiener Neustadt, Sopron/Ödenburg und Bratislava/Pressburg einbezieht – mit Melk im Zentrum der Ausstrahlung.44 Für diesen Beitrag wurden hauptsächlich Quellen, die sich in der Stiftsbibliothek Melk oder in unterschiedlichen Bibliotheken in Wien befinden, herangezogen. Es bleibt der Wunsch, künftig diese Forschung zu erweitern. Man kann noch hinzufügen, dass das Gebiet, in dem Propriums-Messgebete zu Ehren Kolomans zu finden sind, wohl ausgedehnt ist. Die musikalischen Quellen befinden sich aber, abgesehen vom gedruckten Graduale Pataviense und dem Kirnberger Kodex D-4 des Wiener erzbischöflichen Archivs (A –Wda), ausschließlich im Stift Melk. Paucis absolvo. Die Verehrung Kolomans verwurzelt sich um die Drehscheibe Melk-Stockerau und ist ein Wahrzeichen der historischen, kulturellen und religiösen Identität Niederösterreichs. Sie ist gleichzeitig auch ein Element der Vereinheitlichung der Identität des süddeutschen Sprachraums. Ein Element, das letztendlich die linguistischen Grenzen überschreitet, übernational wird und Österreich mit seinen Nachbarländern Deutschland, Italien, Slowenien, Slowakei und Ungarn verbindet und vereint. Koloman: Unterwegs in Europa, unterwegs für Europa.
43 Karnowka, Breviarium Passaviense, (wie Anm. 42), S. 41. 44 Judith Lauf, „Verbindungen der mittelalterlichen liturgischen Praxis in Wien und Ödenburg“, in Codices Manuscripti. Zeitschrift für Handschriftenkunde 73/74 (2010), S. 15 – 30; Martin Roland, „Illustrierte Missalien in Brünn, Preßburg und Österreich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Methodische Ansätze zur Lokalisierung von Cod. 4812 der Österreichischen Nationalbibliothek“, in Hana Pátková, Pavel Spunar und Juraj Sedivý (Hg.), The History of written culture in the „Carpatho-Danubian“ region (Bratislava – Praha 2003), S. 121 –153, bes. 123 –129; Janka Szendrei–Richard Rybaric (Hg.), Missale Notatum Strigoniense ante 1341 in Posonio [= Pressburg/Bratislava], (Musicalia Danubiana, 1, Budapest 1982), fol. 285r=S. 523.
David Merlin
176 Anhang 1. Die notierten Quellen für das Offizium (ohne Matutin) 45 Signatur
A–M Frgm 225
A–M Frgm 227/1
A–M 570
A–-M 147
A–M 756
A–M 819
A–M 931
A–M 1258
A–M 1259
A– Wda D-4
Zeit
1160/
um
14.
1460
15.
15.
1382–
1521–
15.
16.in
1180
1200
um 1500
1387
1526
NN
NN
NN
GN
GN
GN
GN
GN
GN
GN
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Notation Gat
Incipit Literatur
1. VESPER ant
Fons et origo boni
r
2vb
I*v
–
170r
–
–
186r
156v
–
ant
Factor lucisator
r
2vb
I*v
–
170v
–
–
186v
156v
–
hominum ant
Nos fragiles vigiles
r
2vb
I*v
–
170v
–
–
186v
157r
–
ant
Nos mundare lavare
v
//
I*v
–
171r
–
–
187r
157r
–
rsp
O crucifer Cholomanne
v
//
I*v
–
171r
16v
–
187r
157v
323*v
vrs
Ut pium apud
v
//
I*v
–
171v
17r
–
187v
157v
323*v
v
//
I*v
–
171v
17r
101r
187v
158r
324r
dominum amg
Magnificeris domine salutaris
LAUDES ant
Laudes plebs Christi
//
//
//
145r
172r
–
–
188r
158v
324r
ant
Tyro beatus mansit
//
//
//
145r
172v
–
–
188v
159r
324r
ant
Plebs vigil in fossa
//
//
//
145v
172v
–
–
188v
159r
324r
ant
Te benedicit Christe
//
//
//
145v
–
–
–
–
–
324r
ant
Laudent vi mentis
//
//
//
145v
173r
–
–
189r
159v
324r
abn
Benedictus sit dominus
//
//
//
146r
–
–
–
–
–
324r
173r
17v
–
189v
159v
324v
2. VESPER amg
Rex sabaoth verbigena
//
//
//
–
45 S. auch Fn. 32; abn = Benediktusantiphon; amg = Magnifikatantiphon. Gat = Gattung; Frgm = Fragment; in = ineunte (Anfang); NN = Neumennotation; GN = gotische Notation; – = nicht vorhanden; // = Lakune bzw. Stelle nicht lesbar.
Liturgische Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman
177
Literatur zu Anhang 1 1 Nequette, Music in the Manuscripts (wie Anm. 12), S. 146; Glassner/Haidinger, Die Anfänge (wie Anm. 12), S. 11 (Abb.) und 100; Höchtl, Die adiastematisch notierten Fragmente (wie Anm. 12), I, S. 60 – 67, Abb. 5 – 9; Plener, Das Reimoffizium (wie Anm. 1). 2 Glassner/Haidinger, Die Anfänge (wie Anm. 12), S. 109 –110. 3 Nequette, Music in the Manuscripts, S. 140 und 166 (Abb.); Höchtl, Die adiastematisch notierten Fragmente (wie Anm. 12), I, S. 343 –350; Angerer, Lateinische und deutsche Gesänge (wie Anm. 24), S. 24–28; Nequette, The Office of St. Coloman; Plener, Das Reimoffizium (wie Anm. 1). 4 Nequette, Music in the Manuscripts (wie Anm. 12), S. 62, 88 und S. 167 (Abb.); Nequette, The Office of St. Coloman (wie Anm. 1); Plener, Das Reimoffizium (wie Anm. 1). 5 Nequette, Music in the Manuscripts (wie Anm. 12), S. 97; Plener, Das Reimoffizium (wie Anm. 1). 6 Nequette, Music in the Manuscripts (wie Anm. 12), S. 63; Nequette, The Office (wie Anm. 1); Plener, Das Reimoffizium (wie Anm. 1). 7 Auf fol. 101v ist der erste Teil des Responsoriums Immitis gens orientis niedergeschrieben. Nequette, Music in the Manuscripts (wie Anm. 12), S. 83–84; Christine Glassner – Otto Kresten – Otto Mazal, Inventar der Handschriften des Benediktinerstiftes Melk, Teil 1: Von den Anfängen bis ca. 1400 (Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters, II/8, Wien 2000), S. 367–368. 8 Nequette, Music in the Manuscripts (wie Anm. 12), S. 64 – 65 und 168 (Abb.); Nequette, The Office of St. Coloman; Plener, Das Reimoffizium, S. 133. 9 Nequette, Music in the Manuscripts (wie Anm. 12), S. 65; Nequette, The Office (wie Anm. 1); Plener, Das Reimoffizium (wie Anm. 1), S. 133. 10 Franz Lackner: Katalog der Streubestände in Wien und Niederösterreich. Teil 1. Nichtarchivalische mittelalterliche Handschriften und Fragmente in Korneuburg, Mistelbach, Retz, St. Pölten, Tulln, Waidhofen an der Thaya, Weitra, Wien, Wiener Neustadt und aus Privatbesitz, unter Mitarbeit von Alois Haidinger, (Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters, II/5, Wien 2000), Nr. 112, S. 487– 495; Lap-Kwan Kam: Die Offiziumsgesänge im spätmittelalterlichen Österreich in der Überlieferung des Antiphonale Pataviensis D-4/C-11/C-10 der Kirnberger Bibliothek der Wiener Dompropstei. Inventar und Kommentar (Dissertation, Universität Wien 2000), S. 13 –18.
178
David Merlin
Anhang 2. Übertragung des Responsoriums Post immania tormenta (A–M 147, fol. 140v)
Liturgische Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman
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Anhang 3. Übertragung der Benedictusantiphon Benedictus sit dominus (A–M 147, fol. 146r)
180
David Merlin
Anhang 4. Übertragung des Alleluia O crucifer Cholomanne (A–M 147, fol. 146v)
Literarische Transformationen des Heiligen Die mittelalterlichen Legenden von Coloman Christine Glassner
Der verwahrloste, obdachlose Trinker unter den Brücken von Paris, der durch ein Wunder in die Schuld der heiligen Therese von Lisieux gerät, wird nie die Schulden (200 Francs) einlösen können, erst im Sterben, im Tod gelingt Ein- und Erlösung: „… er macht nur eine Bewegung, als wollte er in die linke innere Rocktasche greifen, wo das Geld, das er der kleinen Gläubigerin schuldig ist liegt, und er sagt: ‚Fräulein Therese !‘ – und tut seinen letzten Seufzer und stirbt.“1 So treibt Joseph Roths in seinem Todesjahr 1939 im Exil entstandene Novelle ‚Die Legende vom heiligen Trinker‘ auf ihr Ende zu. Roth wählt ein Motiv aus dem Fundus des literarischen Genres Legende, funktioniert es um und macht es auf seine Weise dem Fortgang der Erzählung nutzbar. Beim modernen Erzähler geschehen alle Wunder einfach so: „Denn es war einfach ein Wunder, und innerhalb des Wunders gibt es nichts Verwunderliches“2, konstatiert der Erzähler und sie, die Wunder geschehen bei Roth ante mortem als movens der Novelle. Auch ereignet sich das Sterben des Trinkers Andreas in der Öffentlichkeit, aber: es ereilt ihn im Kirchenraum, in einer Sakristei ein gnädiger, sanfter Tod. Wenn, wie im Titel angekündigt, über literarische Transformationen des Heiligen gehandelt werden soll, dann versteht sich das Heilige nicht als Sacrum, das sich zum Profanum komplementär verhält, sondern meint die Verkörperung des Heiligen in einer Person, wie sie uns der moderne Autor Joseph Roth vor Augen stellt. Denn die Personifizierung ermöglicht, erleichtert zumindest die Umsetzung des Sacrum, besonders das ethisch Heilige3 des neutestamentlichen Christentums in die literarische Form des Berichts und der Erzählung zu überführen, sei es nun in der lateinischen oder volkssprachlichen hagiographischen Literatur des Mittelalters. 1 Joseph Roth, Die Legende vom heiligen Trinker. Novelle. In: Joseph Roth, Die Erzählungen (Köln 1992), S. 244 –272, hier: 272. 2 Roth (wie Anm. 1), S. 262. 3 Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter (Darmstadt 1997), S. 358: „Die Transformierung von der kultischen Heiligkeit zur ethischen Reinheit ist vorrangig die Leistung der Propheten gewesen. [...] Die Heiligkeit im Neuen Testament gehört religionsphänomenologisch eindeutig auf die Seite der ethischen Heiligkeit, der gegenüber die rituelle Reinheit eine geringe Bedeutung einnimmt.“
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In der lateinischen Passio und in den volkssprachlichen Legenden von Koloman erleidet dieser ein grausam peinigendes, leidvolles Martyrium, die Wunder treten in der Welt post mortem in Erscheinung, offenbaren sich als Zeichen der Heiligkeit des Protagonisten und verdeutlichen seine Erwählung. Schon im Frühchristentum bewirkt und erzwingt die Fama sanctitatis, die mündliche Nachrede der Heiligkeit, eine Verschriftlichung des Martyriums in verschiedenerlei Ausformungen: etwa als Märtyrerakten4 auf der Grundlage von Gerichtsprotokollen oder als Epistel.5 Die Fama sanctitatis steht übrigens auch heute noch am Anfang eines Kanonisationsverfahrens, „gibt es diese subjektive Einschätzung nicht, wird erst gar nicht ein Seligsprechungs- oder Heiligsprechungsprozess angestrengt“ 6, im Rahmen des diözesanen Informativprozesses muss „eine historisch einwandfreie Biographie“ 7 des Dieners Gottes vorgelegt wurden. Bis in das 8. Jahrhundert hinein wurden in der römischen Liturgie die Martyriumsberichte nicht verlesen. Der Mainzer Kirchenhistoriker Theofried Baumeister hat die Entwicklung der Formen des kirchlichen Heiligengedächtnisses bis zum Aufkommen der Legenden knapp so zusammengefasst: „Die seit dem 5. Jahrhundert begegnenden römischen Gesta Martyrum wurden nicht für die Liturgie, sondern vor allem zur Belehrung der Pilger auf ihrer Wallfahrt zu den Märtyrergräbern und zur Erklärung des Ursprungs der Titelkirchen geschaffen. Das Fehlen der Kontrollinstanz der liturgischen (Ver-)Lesung hat das Aufkommen der Legenden begünstigt.“ 8
*** Die historische Entwicklung mittelalterlicher Literatur in der deutschen Volkssprache kann ohne Beachtung des wichtigsten Prozesses der Transformation, des Wechsels der Sprachen vom Latein der Kleriker in die Sprache Deutsch, weder verstanden noch be4 Die Acta proconsularia sancti Cypriani episcopi et martyris vom 30. August 257: Theodor Ruinart (Ed.), Acta Martyrum P. Theodorici Ruinart opera ac studio collecta selecta atque illustrata. ... (Ratisbonae 1859), S. 261–264. 5 Martyrium des hl. Polykarp. Bischof von Smyrna. In: Andreas Lindemann, Henning Paulsen (Ed. et transl.), Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von Franz Xaver Funk u. a. ... Neu herausgegeben und übersetzt (Tübingen 1992), S. 261–285. 6 Karl Wallner, Ist das Heilige objektivierbar? Grundlagen einer katholischen Sicht der Heiligkeit. In: Jan Mikrut (Hg.), Heiligkeit als Herausforderung. Wien 1999, S. 33 –57, hier: 40 – 41 und 55 mit Anm. 47. 7 Vgl. Mikrut (wie Anm. 6), Normen 10.1. S. 215. 8 Theofried Baumeister, Die Entstehung der Heiligenverehrung in der Alten Kirche. In: Heiligenverehrung – ihr Sitz im Leben des Glaubens und ihre Aktualität im ökumenischen Gespräch. Hrsg. von Gerhard Ludwig Müller (Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg, München/Zürich 1986), S. 9 –30, hier: 25.
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schrieben werden. Volkssprachliche Literatur im Mittelalter entsteht großteils, sieht man etwa von der Entwicklung des höfischen Romans, der Heldenepik und des Minneliedes ab, im Prozess zwischen Übernahme, Adaptation und fortschreitender Ablösung von lateinischer Schriftkultur. Das literarische Genre Heiligenlegende, Vita und Passio bleibt auch deshalb zunächst eng mit der lateinischen Schriftlichkeit verbunden, weil es – im liturgischen Vollzug in kurze, pointiert formulierte Abschnitte geteilt – stets zu Gehör gebracht wird. In der Ausformung zum liturgisch wirkenden Wort gewinnt die Hagiographie in den Heiligenoffizien einen Ausdrucksbereich, der nach Uta Kleine „noch wenig Beachtung gefunden hat“9. In der Liturgie des Reimoffiziums zum Fest des heiligen Koloman Fons et origo boni (Analecta hymnica 13, Nr. 34), in die Anrufungen und Gebete an den Heiligen in Antiphonen und Responsorien eingebaut, gleichsam als Erzählung in Fortsetzung dargeboten, finden sich Stücke aus der Prosa der lateinischen Passio in gereimter, verknappter Form.10 Es geschieht eine Rückbindung einzeln berichteter, in Gesang und Gebet vorgetragener Geschehnisse aus der faktischen Vita des Heiligen an biblische Schriftstellen, so in der Antiphon zu den Laudes, wo das auf wunderbare Weise vom ersten Grab Kolomans zurückweichende Wasser mit dem in Exodus 15,19 berichteten Wunder vom Gang des Volkes Israel unter der Führung des Moses durch das Meer verknüpft wird.11 Der zeitnaheste, Historizität beanspruchende Bericht über die ‚Passio Colomanni‘ am Ende des siebten Buches im Chronicon Thietmars von Merseburg zum Jahr 101712 liefert chronikalisch knapp die wesentlichen Teile des für die Märtyrerlegende typischen 9 Uta Kleine, Die Inszenierung des Wortes in der Liturgie am Beispiel rheinischer Heiligenoffizien des Hochmittelalters. In: Dieter R. Bauer, Klaus Herbers et al. (Hg.), Heilige – Liturgie – Raum (Beiträge zur Hagiographie 8, Stuttgart 2010), S. 119–135, hier: 125. 10 Analecta hymnica 13, Nr. 34 Responsorium 1: Jesus sequens vestigia/ Colomannus Scotigena/ it Jerusalem terrestrem/ Morte empturus coelestem. Passio Cholomanni MGH SS 4, S. 675,15 –16: Scotice gentis oriundum, peregrinationis iter arripere, terrestrem celestis amore Ierusalem cum aliis currens, quibus eadem mens erat. Analecta hymnica 13, Nr. 34 Responsorium 4: Post immania tormenta/ iudicis ex sententia/ Assis ovis ustulatur. Passio Cholomanni MGH SS 4 S. 675,33,35: acria tortorum flagra, lapides ovaque fortiter ignita ... nullificavit. Analecta hymnica 13 Nr. 34 Antiphona 4: Dependens corta fronduit/ Juxta quod David cecinit/ Justus ut palma florebit. Passio Cholomanni MGH SS 4, S. 675,40 – 41: torta in qua pendebat fronduit impleta prophetia psalmigraphi, que ait: Iustus ut palma florebit. Analecta hymnica 13, Nr. 34 Ad Cantica Responsorium 2.: Rumaldus viso sanguine/ Qui de pendentis corpore/ Colomanni profluebat,/ Hunc humari decernebat. Passio Cholomanni MGH SS 4, S. 676,22–23,24,25 : unde confestim sanguis profluens ipsum ... Rumaldus et qui cum eo adderant ... non parva multitudine cleri ac populi coadunata, decreverunt beate memorie viri corpus sepeliendum deponi. 11 Analecta hymnica 13, Nr. 34 In Laudibus Antiphona 1: Ipsius a tumba/ Veluti Moysen fugit unda. Passio Cholomanni MGH SS 4, S. 476, Z. 35 –36: Nam tumulus, quo claudebatur corpus ipsius, aquarum diluvio non attingebatur penitus. 12 Robert Holtzmann (Hg.), Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung (MGH SS rer. germ. N. S. 9, Berlin 1935), S. 492 und 493.
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Erzählmusters13: die konventionelle Vorgeschichte über Herkunft und Verhaftungsgrund, vom Grund-Erzählmuster die Stationen Folter, Todesurteil und Hinrichtung, gefolgt vom Bericht über Wunder. Die Nachgeschichte über die Bestattung und Translatio Kolomans nach Melk (in Mezilecun) beschließen den Bericht, der als Kern, aus dem sich die Legende textgeschichtlich entwickelt, gesehen werden kann. Allein der Rahmen des Eintrags, die Verortung im bairisch-mährischen Grenzgebiet zu Beginn (In Bawariorum confinio atque Mararensium und Mezilecun), zum Schluss auch die zeitliche Einordnung in der Nennung des Markgrafen Heinrich, die Ausführung der Vor- und Nachgeschichte verdankt sich dem Genre Chronistik. Im Eintrag in den ‚Melker Annalen‘ reduzieren sich die zu den Jahren 1012 bis 1014 vermerkten Ereignisse um Koloman auf die Fakten: martyrizatus, suspensus et sepultus est apud Stocchaerouwe und in Mediliccha, vermehrt um die Nachricht aus der Haustradition des Klosters, dass der Eichstätter Bischof Megingaud Koloman in Melk beerdigt habe.14 Ebenso knapp fällt die Vorgeschichte der Passio im zwischen 1177 und 1194 entstandenen ‚Breve chronicon Austriae Mellicense‘15 aus, wo nur die Tatsache, dass beatus Cholomannus in Stocherau/oe suspensus est, mitgeteilt, dafür aber die zeitliche Einordnung des Geschehens breiter ausgeführt wird. Der lateinische, ursprüngliche, detaillierteste, durch die Aufnahme in die Acta Sanctorum gleichsam approbierte Text der ‚Passio Colomanni‘ aus der Mitte des 12. Jahrhunderts16, ohne die anschließenden Mirakel, gliedert sich so:
13 Vgl. Edith Feistner, Historische Typologie der deutschen Heiligenlegende des Mittelalters von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zur Reformation (Wissensliteratur im Mittelalter 226, Wiesbaden 1995), S. 26 –28. 14 1012 Beatus Cholomannus martyrizatus est et suspensus apud Stocchaerouwe 1013 Hoc anno beatus Cholomannus sepultus est in eodem loco. 1014 Hoc anno sanctus Cholomannus a Megingaudo Heibstatensi episcopo in Mediliccha sepultus est. (Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 391, 58r.) Die liturgische Handlung durch den Eichstätter Bischof Megingaud erklärt sich aus der Rechtsnachfolge als Eigenkirchenherr in Melk, die das Bistum Eichstätt vom Stift Herrieden bei Ansbach übernommen und angetreten hatte. Vgl. Franz Heidingsfelder, Die Regesten der Bischöfe von Eichstätt (bis zum Ende der Regierung des Bischofs Marquard von Hagel 1324) (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Landesgeschichte 6, 1, Erlangen 1938), S. 54 f., Nr. 150. 15 Anno itaque ab incarnatione Domini 1012, beatus Cholomannus in Stocherauoe [beigefügt über suspensus von gleichzeitiger Hand] suspensus celos adiit, temporibus H. regis, qui dux fuerat Baioarie, sed tercio Ottoni successerat, marchiam quoque Austrie tenente Heinrico, tritavo vestro. Druck: MGH SS 24, S. 71. 16 Georg Waitz (Hg.), Passio sancti Cholomanni. (MGH SS 4, Hannover 1841), S. 675 – 677. Die älteste Überlieferung bietet Admont, Stiftsbibliothek, Cod. 412, 15v–18v (hier datiert: XIImed.).
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Prolog zur Funktion der Passio: Memoria Historische Verortung, Lob des Kaisers Heinrich Herkunft und Verhaftung Kolomans Verhandlung, Folter, Tod durch Erhängen, erstes Nichtverwesungswunder Rumaldus, erstes Blutwunder, erstes Krankenheilungswunder Unversehrtheitswunder, Wunderzeugen Ungläubiger Jäger: Bestätigung des ersten Blutwunders Erste Bestattung an der Donau , Hochwasserwunder Fischer: Herstellung der Öffentlichkeit durch Wunderzeugen Markgraf Heinrich ordnet die Translatio an, zweites Nichtverwesungswunder Zweites Blutwunder Zweites Krankheitswunder Zweite Bestattung Kolomans in Melk
Die Erzählung folgt dem Muster des „doppelten Kursus“: Ein Erzählstrang wird bis zu einem vorläufigen Schlusspunkt geführt (Passio, Wunder, bis zur ersten Bestattung), dann wiederaufgenommen und mit duplizierten Motiven aus dem ersten Teil (hier das zweite Nichtverwesungswunder, das zweite Blutwunder und das zweite Krankenheilungswunder) bestätigt und schließlich mit der endgültigen (also der zweiten) Bestattung in der Peterskirche in Melk, der Residenz des Markgrafen, beendet. Während der erste Teil dem einfachen Schema der Märtyrerlegende folgt, wird im zweiten Teil durch die Wiederholung der Wunder eine höhere Stufe der Heiligkeit bestätigt. Für die Krankenheilung im ersten Teil muss der Kranke mit einem aus Kolomans Leichnam geschnittenen Stück Fleisch bestrichen werden, im zweiten Teil wird der Kranke allein durch das Berühren der Bahre, auf der der Heilige liegt, geheilt. Neben dieser Funktion der Bestätigung der Heiligkeit durch Wunder dient der zweite Teil aber auch der Bekräftigung der Heiligkeit durch den Landesherrn sowie der Einsetzung und Heiligung des Kultortes an der endgültigen Begräbnisstätte in dessen Residenz. Die Passio nennt nach der historischen Zuordnung und Festlegung der Zeit, in welcher die Begebenheit sich zugetragen haben soll, mit der im Alten Testament besonders in den historischen Büchern verwendeten biblischen Einleitungsformel „Es begab sich“17 Cholomannus nicht nur beim Namen, sondern ordnet ihn gleichzeitig ethnisch dem irischen Stamm zu, nennt Zweck, Ziel und Antrieb der zentralen Gestalt des Berichts, die Pilgerreise im Kollektiv nach dem irdischen Jerusalem, um das himmlische zu erlangen.18 Zur tausendjährigen Wiederkehr des Kreuzestodes Christi im Jahr 1033 sollen sich viele auf Jerusalemfahrt zum Grab des Heilands begeben haben19. Dass der Autor der 17 Accidit autem: II Sm 18, 9; IV Rg 6, 5; I Par 19, 1. 18 MGH SS 4, S. 675, 15–16: Accidit autem, quendam, Cholomannum nomine, Scotice gentis oriundum, peregrinationis iter arripere, terrestrem celestis amore Ierusalem cum aliis currens quibus eadem mens erat. 19 Charles Freeman, Holy Bones, Holy Dust, How Relics Shaped the History of Medieval Europe (New
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Passio den Protagonisten seiner hagiographischen Erzählung auf Pilgerschaft zusammen mit einem Kollektiv (cum aliis currens) ins Heilige Land ziehen lässt, erklärt die zum Zeitpunkt der Textgenese herrschende, vom zweiten Kreuzzug dominierte historische Situation der Jahre 1147–1149.20 So wird ein bestimmtes Erzählmuster der Märtyrerlegende einem Vorbild, sei es einer literarisch bereits festen Vorlage oder einer konkreten historischen Situation angepasst, nachgebildet und modelliert, wobei die zuletzt genannte Möglichkeit dem Autor eines hagiographischen Berichts größere Freiheit im Gestalten der Erzählung eröffnet. So geschieht die literarische Transformation des Heiligen, indem sich die Darstellung der literarischen Figur des Heiligen an die je aktuelle historische Situation – hier konkret an den zweiten Kreuzzug – in der Aufnahme des Motivs der Pilgerreise nach Jerusalem und an jenes literarische, wenngleich historisch stets wirksame des verräterischen Spions 21 anlehnt. Thietmar von Merseburgs zeitnaher chronikalischer Bericht über Kolomans Schicksal als Märtyrer am Schluss des siebten Buches seines Chronicon kennt beide Motive nicht 22, obwohl als Verhaftungsgrund der irreale Vergleich gezogen wird, Koloman verhalte sich so, quasi speculator esset, wie wenn er ein Bischof wäre, der sein Amt als Hüter der Gläubigen, als Wächter über den Glauben (vielleicht missionierend) wahrnehme. Christine Mohrmann hat in ihrem Aufsatz ‚Episkopos – speculator‘, wie der Titel andeutet, beide Bezeichnungen differenziert gleichgesetzt.23 Die Bedeutung specuHaven 2011), S. 94, mit Verweis auf Rodvlfi Glabri, Historiarvm libri quinque, ed. John France (Oxford 1989), S. 198 –199. 20 Jonathan Phillips, The Second Crusade: extending the frontiers of Christendom (New Haven 2007), v. a. chapter 6: People, Practicalities and Motivation, S. 99 ff. 21 MGH SS 4, S. 675, 21–22: orta est falsa suspicio, tanquam veniret missus a predictis nationibus [Pannoniensium et Bohemorum], causa explorationis ac prodende regionis. 22 MGH SS rer. Germ. N. S. 9, S. 492, 5–15: In Bawariorum confinio atque Mararensium quidam peregrinus nomine Colomannus ab incolis, quasi speculator esset, capitur et ad professionem culpae, quam non meruit, diris castigacionibus compellitur. Ille, cum se nimis excusaret pauperemque Christi se sic vagari affirmaret, in arbore diu arrida innocens suspensus est. Nam caro eius a quodam postea paululum incisa sanguinem fudit, ungues ac capilli crescebant. Ipsa quoque arbor floruit et hunc Christi martirem esse monstravit. Hoc marchio Heinricus ut comperit, corpus eiusdem in Mezilecun sepelivit. 23 Christine Mohrmann, Episkopos – speculator. In: Dies., Études sur le latin des chrétiens T. 4 (Rom 1977), S. 231–252. Neben die Zeugnisse aus der Liturgie treten diejenigen, welche die Verantwortung des Amtsträgers betonen: „Toutefois, pour l’Occident les territoires pour lesquels est attestée la fonction liturgique des textes d’Ezechiel sont ceux-là mêmes où l‘on trouve l’emploi du mot speculator pour l’évêque: il faut y ajouter seulement, avec quelques réserves, il est vrai Rome et l’Italie et une source irlandaise. Le terme speculator n‘a jamais été un terme pleinement technique, comme episcopus: il est toujours employé dans un contexte, qui exprime l’idée de la responsabilité.“ (S. 245) Als irische Belegstelle sei Columban Ep. V,5 angeführt: „... praedicandum est frequenter verbum Domini, a pastoribus scilicet, ecclesiae speculatoribus et magistris ...“ (S. 249). – Peter Stotz, Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters. Bd. 2: Bedeutungswandel und Wortbildung (Handbuch der Altertumswissenschaft II,5,2, München 2000), V § 6.1. S. 22: „den – als Lehnwort der eig. Bdtg. nach undurchsichtigen – episcopus ... zu beleben, hat man die Bischöfe immer wieder mit speculator(es) benannt, dies namentlich hinsichtlich ihrer Verantwortung für die Gläubigen. , speculator‘ eigentlich ,Späher, Kundschafter‘
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lator /Bischof, als verantwortungsbewusster Amtsträger lässt sich durch das spätantike bis zum frühmittelalterlichen Latein hin nachweisen. Hervorzuheben ist jene Bezeugung in Isidors wirkmächtiger Etymologiae (VII.12.12): Episcopi autem Graece, Latine speculatores interpretantur. Nam speculator est praepositus in ecclesia, dictus eo quod speculatur, atque praespiciat populorum infra se positorum mores et vitam. Geschildert wird im Chronicon Coloman, der sich damit rechtfertigt, pauperemque Christi se sic vagari affirmaret.24 Nicht nur die asketische Heimatlosigkeit, die Wanderschaft als Fremder irischen Namens, sondern die Gesinnung25 als pauper Christi verweist auf die Attitude der iro-fränkischen Wandermönche des 7. und 8. Jahrhunderts. Damit transponiert der hagiographisch stilisierte Bericht Thietmars einerseits die konkrete historische Situation der Jahre 1012 bis 1016 im östlichen Grenzbereich der Mark26 in die Vergangenheit einer in diesem Raum nie wirksam gewordenen iro-fränkischen Mission, bindet aber andererseits im Schlusssatz des Berichts, Hoc marchio Heinricus ut comperit, corpus eiusdem in Mezilecun sepelivit, den Kult des Heiligen an den lokalen Machthaber Heinrich I. So wird mit diesem Bericht vom Historiographen Thietmar ein babenbergischer Hausheiliger für diese Region mit einer literarisch wirksamen iro-fränkischen Rückbindung modelliert. Auf die Gründe, weswegen Markgraf Heinrich I. diese Rückbindung gesucht haben könnte, macht Alexander O‘Hara aufmerksam, indem er schreibt: „The phenomenon of ‘Hiberno-ethnosanctity’27 may also have played a role in Margrave Henry’s decision to promote the cult of St Coloman especially given his family’s history and their links to Franconia and the cult of St Kilian.“28 In jüngerer Forschung wird die gewinnt dadurch die Bedeutung ,Aufseher, Hüter‘. Dieser Sprachgebrauch begegnet auch im MA auf „Schritt und Tritt.“ 24 MGH rer. Germ. N. S. 9, S. 492,10 –11. 25 Vgl. die peregrinatio pro Christo bei Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart (München 1994), S. 61. 26 Die militärische Situation im östlichen Grenzraum kann in dieser Zeitspanne als eine eher wenig konsolidierte betrachtet werden. Vgl. dazu Georg Scheibelreiter, Die Babenberger. Reichsfürsten und Landesherrn (Wien – Köln – Weimar 2010), S. 92 ff., bes. S. 96 –97: Eine Güterverleihung an den Passauer Bischof Berengar von 1014 zeigt einen Fortschritt im Landesausbau an. Karl Brunner, Leopold der Heilige. Ein Portrait aus dem Frühling des Mittelalters (Wien – Köln –Weimar 2009), S. 186: „Im Jahr 1014 erhielt Passau z. B. von Kaiser Heinrich II. Güter an fünf Orten in orientali regno im Zuständigkeitsbereich des Markgrafen Heinrich I., um dort Kirchen zu errichten: in Herzogenburg, Krems, Tulln, Sigmaresweret (später Kirchberg v v am Wagram) und Otcinesseuue (später Stockerau)“. Nach Scheibelreiter, S. 98 wäre Otcinesseuue wohl mit v Jedlesee (heute Wien, 21. Bezirk) bzw. eher mit dem abgegangenen Ort Otcinesseuue bei Stockerau gleichzusetzen. 27 Damit beschreibt Alexander O’Hara das hagiographische Phänomen, dass im Frühmittelalter viele Heilige dunkler Herkunft eine irische Abstammung zugeschrieben bekommen. Siehe Alexander O’Hara, The Cult of St Coloman and the Babenbergs. Saint Formation and Political Cohesion in Eleventh-Century Austria. Erscheint in Journal of Medieval Latin, hier: Manuskript S. 27 f. 28 O‘Hara (wie Anm. 27), S. 29. Mein herzlicher Dank gilt Alexander O’Hara für die Einsicht in das Manuskript vor der Drucklegung.
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genealogische Herkunft des Stammvaters der österreichischen Babenberger, des Markgrafen Leopold I. (976 –994) vorsichtig zwischen den bayrischen Luitpoldingern und den fränkisch-thüringischen Popponen angesiedelt29, wenngleich sich „die ‚Babenberger‘ nach eigener Überlieferung und überzeugter Selbstgewissheit tatsächlich [als] Babenberger, für die die popponische Linie prägend und bestimmend war”30, betrachteten. Der Vater des Markgrafen Heinrich I., der erste Babenberger in der östlichen Mark Leopold I., erliegt im Zentrum der Verehrung des irischen Missionsbischofs Kilian am Morgen nach der Kiliansmesse des Jahres 994 in Würzburg einem in seiner Zufälligkeit aus dem Hinterhalt geführten Schuss mit dem Pfeil und wird auch dort begraben.31 Die Transformation des Heiligen in den verschiedenen literarischen Ausformungen des 11. und 12. Jahrhunderts in lateinischer Sprache, vom Vergleich mit einem vagierenden Wanderbischof iro-fränkischen Vorbilds zum spionierenden Jerusalempilger hin, vollzieht sich im Bezug auf eine je andere historische Situation. Die späteren volkssprachlichen Kolomanlegenden des 14. und 15. Jahrhunderts in Prosa heben alle auf das Motiv des spionierenden Jerusalempilgers ab, das in der ‚Passio Colomanni‘ des 12. Jahrhunderts vorgegeben ist.32 Im Gebet an Koloman in der Reimpaardichtung Heinrichs ‚Litanei‘33, entstanden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, wird ganz allgemein und ohne Angabe eines konkreten Ziels berichtet, dass er sich aus seinem
29 Scheibelreiter (wie Anm. 26), S. 77– 89, nach S. 381. 30 Scheibelreiter (wie Anm. 26), S. 89. 31 Thietmar von Merseburg, Chronicon. MGH SS rer. Germ. N. S. 9, S. 157, 6 –14: Predictus presul post hec Luippoldum marchionem Orientalium et nepotem eius Henricum ad missam Sancti Kiliani, que est octavo Idus Iulii, ad se vocans, cum magna caritate eos habuit; comes vero in sacra nocte post matutinam cum suis militibus ludens, ex uno foramine ab excecati amico sagitta vallante vulneratus est et facta confessione sexto Idus Iulii expiravit, innocens predicte actionis in facto et consilio. Hic postera die ibidem sepultus merito defletur, quia sibi prudenciorem et in cunctis actibus meliorem nullum reliquit. – Zum Mord vgl. O’Hara (wie Anm. 27), S. 20 mit Anm. 53, und Scheibelreiter (wie Anm. 26), S. 78. 32 Ulla Williams und Werner Williams-Krapp (Hg.), Die ‚Elsässische Legenda aurea‘ Band I: Das Normalcorpus. (Texte und Textgeschichte 3, Tübingen 1980), S. 824, 11–13: „... daz mit anderen bilgerin von Schoto o tenland v∫ fur ein selig man Colomannus genant ... ∫uchte von andaht das heilige grab zu/o Iheru∫alem.“ S. 824, 15: „do wart er begriffen fur einen ∫pieher oder fur einen furreter“. – Margit Brand, Bettina Jung und Werner Williams-Krapp (Hg.), Der Heiligen Leben Band II: Der Winterteil (Texte und Textgeschichte 51, Tübingen 2004), S. 73, 13 –15: Der selb Kolomannus het gnod, das er dy irdischen Jerusalem gesehen wolt ... Und macht sich auf den weg mit andern pilgreim S. 73, 19 –21: ... in heten dy von Osterreich dar gesant vnd er wer dar vmb dar kumen, das er das lant verspehen wolt vnd wolt dy leut verroten. – München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 537, 172vb –174ra: Von sant Colmanus ein marterer. 172vb –173ra. Vnd er gewan große begirung wie er mocht beschawen die heiligen stett in (CLXXI, 173ra) dem lannd Jerusalem. Darumb so macht er sich auff den weg mit andren pilgram vnd kom durch Vngern vnd durch Beheim do wart der selig sant Colman gefangen fur einen speher daß er daz lannd solt uerraten. 33 Friedrich Maurer (Hg.), Die religiösen Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts. Nach ihren Formen besprochen. Bd. III. (Tübingen 1970), S. 124 –252.
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Vaterland in die beschwerliche Fremde entfernte 34, wohl aber sein ihn antreibendes Motiv mit Verweis auf ein biblisch gebrauchtes Bild, dass derjenige, der mit vorwärts gewandtem Blick den Pflug führe, an das Ziel, das Reich Gottes gelangen könne, verdeutlicht.35 In allen lateinischen Kolomanlegenden, in den liturgischen Feiern zum Fest des Märtyrers erleidet er den Kreuzestod36, in der lateinischen Chronistik wird dieser nicht direkt erwähnt, sondern bleibt im Verb suspendere aufgehoben, außer bei Thietmar von Merseburg, der einen dürren Baum als Ort des Märtyrertodes nennt.37 Das zugehörige thaumaturgische Zeichen vollzieht sich an diesem Baum38, während in der ‚Passio Colomanni‘ das Folterseil am Kreuz zu grünen beginnt39, grünt in der volkssprachlichen ‚Elsässischen Legenda aurea‘ das Holz des Kreuzes (oder Galgens ?) über dem Märtyrer40, in ‚Der Heiligen Leben‘ ist es die blühende Weide41. Der Illuminator der ‚Elsässischen Legenda aurea‘ im Heidelberger Codex Cpg 144, 246r aus der Werkstatt Diebold Laubers in Straßburg der Jahre 1418/1419 hat den eindeutigen Legendentext do dise drie lichomen lange zit an dem galgen hingen durch einen Galgen, von dem drei Seile hängen, ins Bild gesetzt. Bislang können wir keine lateinische noch volkssprachliche mittelalterliche Legende benennen, die den Tod Kolomans mit einem Holunderstrauch, den die Stockerauer Lokaltradition kennt, in Verbindung bringt. *** 34 Maurer (wie Anm. 33), S. 206, v. 848 –850: Do er uze sines vater lande/ vil gestorticliche irnande/ in daz sware ellende. 35 Maurer (wie Anm. 33), S. 206, v. 851–854: Er nam den pluc mit dem ende,/ er gienc ime geistliche nach,/ daz er nie hinder sich nesach/an deme selbe ackergange. Dazu Lc 9, 62: nemo mittens manum suam in arratrum et aspiciens retro aptus est regno Dei. 36 In der Passio Cholomanni (MGH SS 4 463, S. 37–38): duobus latronibus suspensis cum eo; in ‚Heinrichs Litanei‘ (Maurer [wie Anm. 33], S. 206, v. 879 – 880): zwiscen zwein scachere/ wart er irhangen also du selbe; in der Liturgie Salve felix miles Christi (Analecta hymnica 4, Nr. 218) es in ligno strangulatus; Caelestis te laudat chorea (Analecta hymnica 54 Nr. 37, 7) patibulo petit; in „Der Heiligen Leben“ (Brand, Williams-Krapp [wie Anm. 32], S. 74, 11: Dar nach hingen sye jn an den galgen (Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Bd. 1–3 [Leipzig 1872–1878,reprographischer Nachdruck Stuttgart 1979], Bd. 1, 727–728 galgen = Hauptbedeutung: Kreuz; Bd. 3, Sp. 171 Nebenbedeutung: Galgen); in der ‚Elsässische Legenda aurea‘ (Williams, WilliamsKrapp [wie Anm. 32], S. 824, 24 –25): Do dise drie lichomen lange zit an dem galgen hingen; in „Der Heiligen Leben-Redaktion“ (BSB München Cgm 537, 173vb): do liß er in hecken an einen galgen. 37 Thietmar von Merseburg, Chronicon (MGH SS rer. Germ. N. S. 9, S. 463, 14): in arbore diu arida suspenderunt. 38 Thietmar von Merseburg, Chronicon (MGH SS rer. Germ. N. S. 9, S. 463, 17–18): arbor virescens floresque producens. 39 Passio Cholomanni (MGH SS 4, S. 675, 39): et torta in qua pendebat fronduit. 40 Elsässische Legenda aurea (Williams, Williams-Krapp [wie Anm. 32], S. 825, 2): vnd began daz holcz des e galgen ob ime grunen. 41 Der Heiligen Leben (Brand, Jung, Williams-Krapp [wie Anm. 32], S. 74,15 –16): und pluet dy wyde, do er an hinge.
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Herre sancte Columban, /hilf dinen armen dienistman, /einen offin42 sundere, /daz ich ein nachvolgere /dinen tugindin werde 43. Mit diesen vier Reimpaaren eröffnet die in einer Handschrift des beginnenden 13. Jahrhunderts überlieferte Fassung der als ‚Litanei‘ betitelten Dichtung eines sonst unbekannten Heinrich, fälschlich innerhalb des Commune anstelle der Reihe der Märtyrer angeordnet, das Gebet an Koloman. Schon im 19. Jahrhundert hat die altgermanistische Forschung erkannt44, dass die erzählenden Partien innerhalb des Gebets Züge aus der Kolomanlegende (nicht einer Columbanlegende, wie die Handschrift irrig überliefert) enthalten, zum Beispiel am deutlichsten die Verse: zwiscen zwein scachere /wart er irhangen also du selbe 45. Im Aufbau folgt diese Dichtung als Ganzes, wie der Werktitel verrät, der Allerheiligenlitanei und übernimmt deren Dreiteilung mit der gliedernden Funktion ihrer drei lateinischen Antwortrufe: Miserere nobis, Orate pro nobis, rogamus audi nos. Freilich entfernt sich der Dichter vom Vorbild der Litanei, indem er an Stelle des Namenkatalogs mit zugehörigem Antwortruf den Heiligen kurz, aber immer im Blick auf die Bibel46, wertend charakterisiert, woraus sich die speziellen Bitten des Betenden ergeben. In 46 Reimpaarversen47 wird Koloman als beispielgebendes Vorbild gefeiert, dem es besonders in der Abkehr von der Welt, in der Hinwendung zum Herrn nachzueifern gilt. Mehrmals ist pointiert darauf im Gebet, stets mit Bezug zur ‚Passio Colomanni‘, hingewiesen.48 Wir besitzen damit – soweit wir sehen – das älteste, volksprachliche, literarhistorisch bedeutende Stück, entstanden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in dem Koloman als Märtyrer angebetet wird. Als Märtyrer preisen und rühmen die Verse ihn, schildern ihn als Vorbild für den Betenden und zeichnen ihn als einen, der die Welt hinter sich lässt, ohne jedoch seine Pilgerschaft zu erwähnen. Die unter dem Titel Heinrichs ‚Litanei‘ in die Germanistik eingeführte frühmittelhochdeutsche Reimpaardichtung existiert in zwei Fassungen, in einer kürzeren, älteren und in einer um ein Drittel längeren, jüngeren Version.49 Die kürzere Fassung, ein in Form der Litanei in bairisch-österreichischer Schreibsprache abgefasstes Bußgedicht, überliefert ein ursprünglich selbständiger, sehr wahrscheinlich außerhalb des Stiftes 42 Publicanus, Zöllner ist hier mit offin übersetzt. In der Bibel werden peccator (Sünder) und publicanus (Zöllner) oft als Synonyma gebraucht. Vgl. dazu etwa Mt 9, 10 –11. ... einen offin sundere: einem Sünder, gleich dem Zöllner (in der Bibel). 43 Maurer (wie Anm. 32), S. 124 –252, S. 205, vv. 806 – 809. 44 Bereits vor Friedrich Vogt, Über die Letanie. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 1 (1874), S. 108–146, hier: 140. 45 Maurer (wie Anm. 33), S. 206 f., v. 879– 880. 46 Maurer (wie Anm. 33), S. 205, v. 832– 834 Mc 10, 21; v. 836 – 844 Mt 19, 29; S. 206 v. 851–854 Lc 9, 62; v. 855 – 856 Mt 10,16. 47 Maurer (wie Anm. 33), S. 205–207, v. 806 –897. 48 Maurer (wie Anm. 33), S. 205–207 v. 836 – 844; v. 848–850; v. 859; v. 883. 49 Die Kurzversion umfasst 952, die Langversion 1468 Verse.
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Seckau noch vor der Mitte des 12. Jahrhunderts entstandener Fazikel auf 36 Blättern50. Dieses einzelne Heft hat dann noch im Laufe des 12. Jahrhunderts zwischen den Buchdeckeln der heutigen Handschrift Grazer Handschrift 1501 Platz gefunden.51 In unserem Zusammenhang von weit größerem Interesse zeigt sich die Überlieferung der längeren Form in der ehemaligen Handschrift der Seminarbibliothek Straßburg52, denn nur sie, die während des deutsch-französischen Kriegs 1870 verbrannt ist, enthielt das Gebet an Koloman53 als Teil der ‚Litanei‘ Heinrichs54 in ihrer erweiterten, im westmitteldeutschen Raum entstandenen Form. Unsere heutige Kenntnis des Inhalts der gesamten Handschrift verdankt sich einzig der im Jahr 1837 zum Druck gebrachten Abschrift des Münchener Germanisten Hans Ferdinand Maßmann55. Vor wenigen Jahren konnte Christoph Mackert56 durch die Entdeckung eines 1828 publizierten Faksimiles des Beginns des ‚Alexander‘ (Bl. 13vb) die bisher nur lückenhaften kodikologischen Angaben zur Handschrift ergänzen. Das wichtigste Ergebnis seiner Untersuchung ist jedoch die nun durch die Abbildung überzeugend belegbare Korrektur der Datierung der Handschrift in das erste bis zweite Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. Zwischen den Text, wie ihn die Grazer Handschrift bietet, und jener im Straßburger Codex erweiterten Fassung wird man aus überlieferungs- und textgeschichtlicher Perspektive mehrere Zwischenstufen ansetzen, die, in ca. 75 Jahren zwischen Österreich/ Bayern und dem westmitteldeutschen Raum entstanden, im Sinne des Zürcher Altphilologen Peter Stotz als Adaptionen verstanden werden können, „so wie man in die Litaneitexte in Prosa überall örtlich wichtige Heilige einsetzte, so tat man es eben auch hier, nur mußte man die Anrufungen in Verse gießen“.57 Die umfangreichsten Erweiterungen in S betreffen die ähnlich wie in G gestalteten Anrufungen der Heiligen: des Evangelisten Johannes (v. 618–661), sowie Nikolaus (v. 898–947), Aegidius (v. 948– 977), Margarete (v. 1005–1035), Maria Magdalena (v. 1096 –1242) und die irrtümlich unter die Confessores gereihten Märtyrer Blasius (v. 746 – 805) und Columban [= Koloman] (v. 806 – 897). 50 Graz, Universitätsbibliothek, Ms 1501 (Sigle G), 70r–105r (Sigle G). Der Faszikel umfasst Bl. 70 –110. 51 Vgl. dazu und weiter Christine Glassner, Karl Heinz Keller, Heinrichs ‚Litanei‘. Neue Befunde zu Überlieferung und Funktion (in Vorbereitung). 52 Die sog. Straßburg-Molsheimer Handschrift. 53 Straßburg, Seminarbibliothek, Cod. C. V.16.6. 4o (Sigle S), 11va –11vb. 54 Straßburg, Seminarbibliothek, Cod. C. V.16.6. 4o (Sigle S), 9rb –13va. 55 Hans Ferdinand Massmann (Hg.), Deutsche Gedichte des zwölften Jahrhunderts und der nächstverwandten Zeit, Erster Theil: Die Straßburg-Molsheimer Handschrift (Bibliothek der gesamten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit 3,1, Quedlinburg – Leipzig 1837), S. 43 – 63. 56 Christoph Mackert, Eine Schriftprobe aus der verbrannten ‚Straßburg-Molsheimer Handschrift‘. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 130 (2001), S. 143 –165. 57 Peter Stotz, Ardua spes mundi. Studien zu lateinischen Gedichten aus St. Gallen (Geist und Werk der Zeiten 32, Bern – Frankfurt a. M. 1972), S. 66.
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Des Märtyrers Flucht aus der vertrauten Umgebung,58 sein Aufbruch zur Pilgerreise, do er uze sines uater lande/ vil gestorticliche irnande/ in daz sware ellende59, die Standhaftigkeit des Märtyrers60, sein jesusgleiches Sterben zwischen zwei Schächern,61 all die mitgeteilten Ereignisse und Charakterzüge finden sich auch im ältesten Teil der Passio Sancti Cholomanni wieder, so dass die in Handschrift S fixierte Verwechslung mit Columban sehr früh erkannt, und durch die Konjektur zu Koloman beseitigt werden konnte. Die Schlussverse 887– 890 in der Handschrift S fordern Koloman/Columban auf: beujl vns gote mit deme gebete/ unde gedenke des zv vorderis, / durch des gebot dv hie genant bis, / des abtes engelbrechtis 62, und beziehen sich bei genauem Lesen auf den Auftraggeber allein der Verse 806–897, des Gebets an Koloman. Schon seit dem 19. Jahrhundert 63 bis in Fritz Peter Knapps Literaturgeschichte von 199464 hinein wird jener Abt Engelbrecht mit dem praepositus Engelbrecht von St. Florian (1172–1203) identifiziert, auch ein Abt gleichen Namens des untersteirischen Benediktinerklosters Obernburg65 und ein gleichnamiger Propst des Nonnenklosters Pernegg in der Diözese Passau66 wurden als Auftraggeber vorgeschlagen. Wenn man die Vorstellung aufgibt, es handle sich bei der in S überlieferten Textform um eine gegenüber G einzige Erweiterung eines einzelnen Autors, sondern mit verschiedenen Adaptionen an lokal verehrte Heilige rechnet, dann wird man – des Kultzentrums Melk 67 und des zeitnah zur Entstehung der Passio sancti Cholo58 Maurer (wie Anm. 33), S. 205 f., v. 836 – 844. Mit Sicherheit hat der Verfasser der Verse Swer min sulhe minne hat/ daz er vater unde muter lat/ sin wib unde sine kint,/ vnde di sine kunliche sint,/ sin hus vnde sin eigin,/ der wils in lon zeigen,/ da mite ih ime geldin wil./ ih geb im zeinzichstunt also uil/ zu deme ewige libe die Verse des Matthäusevangeliums Mt 19, 29 vor Augen gehabt: Et omnis qui reliquerit domum, vel fratres, aut sorores, aut patrem, aut matrem, aut filios, aut agros, propter nomen meum, centuplo accipiet, et vitam aeternam possidebit. 59 Maurer (wie Anm. 33), S. 206, v. 848 – 850. Da er es wagte, aus seines Vaters Land kühn in die beschwerliche Fremde zu ziehen. Entspricht MGH SS 4: S. 675, 16... peregrinationis iter arripere. 60 Maurer (wie Anm. 33), S. 206, v. 871 sin mut was umbewegelich („standhaft war sein Wille“). Entspricht MGH SS 4: S. 675, 25 ... mentis sue constantiam viriliter corroborando ... 61 Maurer (wie Anm. 33), S. 206 f., v. 876 – 880 sin tot was gelich deme dinen,/ do lieze du wol scinen,/ wi lieb er dir were./ zwiscen zwein scachere/ wart er irhangen also du selbe („Sein Tod glich dem Deinen, dadurch hast Du deutlich erkennen lassen, wie lieb er Dir war. Zwischen zwei Schächer, wie Du selbst, wurde er erhängt.“). Dies entspricht MGH SS 4: S. 675, 37– 38 ... duobus latronibus suspensis cum eo. 62 Maurer (wie Anm. 33), S. 207, v. 888 – 890. 63 Vogt (wie Anm. 44), S. 143. 64 Fritz Peter Knapp, Die Literatur des Frühmittelalters in den Bistümern Passau, Salzburg, Brixen und Trient von den Anfängen bis zum Jahre 1273 (Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart 1, Graz 1994), S. 461. 65 Max Roediger, Die Litanei und ihr Verhältnis zu den Dichtungen Heinrichs von Melk. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 19 (1876), S. 241–346, hier: 339. 66 Albert Leitzmann, Zur Litanei. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 64 (1927), S. 79 – 80, hier: 79. 67 Die Verbreitung des Koloman-Kultes war und ist, wenn man die Kirchen-, bzw. die Altarpatrozinien heranzieht, im Wesentlichen auf das heutige Gebiet von Nieder- und Oberösterreich als Kernland begrenzt. Im alt-
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manni regierenden Abtes Erchinfridis wegen – die Konjektur des abbit Engelbrehtis zu ‚des abbit Erchinfridis‘68 begründet ins Auge fassen dürfen.69 Für die Datierung der Textgenese des Koloman-Teils bedeutete dies, dass der Auftrag zur Abfassung vor das Jahr 1163, dem Zeitpunkt der zweiten Jerusalemfahrt Erchenfrieds, von der er nicht mehr zurückkehrte,70 zu setzen wäre. Wenn man mit dem „gedenke des zv vorderis“ nicht bloß das Gedenken des Heiligen an den Menschen Erchenfried, sondern die Memoria an den Verstorbenen verbindet, hieße es, dass der Auftrag an den Verfasser des Koloman-Teils wohl in die Zeit kurz vor Erchenfrieds Peregrinatio nach Jerusalem, die Abfassung des Gebets noch in das Jahr 1163 oder kurz danach fiele.
*** Die mittelalterliche, volkssprachliche Prosalegende von Koloman kennen wir in drei verschiedenen Fassungen, wovon jedoch keine einzige in den mittelalterlichen Handschriften der Bibliothek des Stiftes Melk überliefert ist. Dies erstaunt nicht, wenn man bedenkt, dass im Zentrum der Verehrung Kolomans, im Kloster, die Memoria im Offizium und in der Messe in der lingua sacra zu feiern war. Ein kurzer Blick auf die Überlieferungssituation der volkssprachlichen Kolomanlegende im 14. und 15. Jahrhundert zeigt überdies, dass sie im benediktinischen Umkreis in Männerklöstern bislang nur in der Laienbrüderbibliothek des Klosters Tegernsee nachzuweisen ist.71 Allerdings gilt relativierend, dass wegen der komplexen Überlieferungssituation, die sich in Sammlungs-, Gruppen-, und Einzelüberlieferung spaltet, keine vollständige Bestandsaufnahme zur Überlieferung der volkssprachlichen Kolomanlegende vorliegt, obwohl zwei der
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bayrischen Gebiet, südlich der Donau, findet sich der Heilige an nachrangigen Altären, meist in Kapellen verehrt. Vgl. dazu die Kartenbeilage in: Meta Niederkorn-Bruck unter Mitarbeit von Rainald Dubski, Koloman 1012–2012. Tradition und Wandel in der Verehrung des Heiligen (hg. vom Stift Melk, Melk –Wien 2012). Zur Genitivendung -is (mitteldeutsch), -es (oberdeutsch) vgl. z. B. Nibelungenlied: II 24.4 des küenen Sîfrides lîp (Hs. B, St. Gallen Cod. 857), zitiert nach Hermann Reichert (Hg.), Das Nibelungenlied nach der St. Galler Handschrift. Text und Einführung (Berlin 2005), S. 45. – Lateinische Formen, Vokative kommen bei Anrufungen in der ‚Litanei‘ durchaus vor. Mit dieser Konjektur hätte sich die Diskussion um die Identifizierung des Engelbrecht mit allen sich daran anschließenden Folgerungen, einschließlich derjenigen um die Titulatur, ob denn ein Propst auch Abt genannt werden könne, erledigt. MGH SS 9, 504, 26: 1163. Erchinfridus Medilicensis abbas Hierosolymam proficiscitur (Der Melker Abt Erchenfrid bricht nach Jerusalem auf). Von dieser Reise ist er offenbar nicht mehr zurückgekehrt. Seine erste Jerusalemfahrt ist für das Jahr 1152 notiert: MGH SS 9, 504,10: Herchinfridus Medilicensis abbas Hierosolymam proficiscitur et reuertitur (Der Melker Abt Erchenfrid bricht nach Jerusalem auf und ist zurückgekehrt). – Erchenfrids Tod ist im Necrologium Mellicense zum 17. Mai notiert. In München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 540, 1ra–291vb im Jahr 1468 von frater Jodocus Donatus für die Laienbrüderbibliothek des Klosters Tegernsee geschrieben.
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drei Legendensammlungen, innerhalb derer die erwähnten deutschsprachigen Fassungen der Legende jeweils tradiert sind, die ‚Elsässische Legenda aurea‘, und ‚Der Heiligen Leben‘ in vorbildlichen Editionen vorliegen und die dritte, ‚Der Heiligen Leben, Redaktion‘, gut erschlossen ist.72 Etwa ein Jahrhundert nach der Entstehung der wirkmächtigsten lateinischen Legendensammlung, der ‚Legenda aurea‘ des Genueser Dominikaners Jacobus de Voragine (1252/60), die in über 1000 Handschriften auf uns gekommen ist, wählt also ein anonymer Übersetzer in der damals Freien Reichsstadt Straßburg einen Grundstock an Legenden als Vorlage für seine volkssprachliche Sammlung aus, die in der Forschung als ‚Elsässische Legenda aurea‘ bezeichnet wird. Er benutzt dafür eine auf bairisch-österreichischem Gebiet entstandene lateinische Vorlage, die Erweiterungen um vorwiegend in eben diesem Raum verehrte Heilige, wie Rupert, Virgil, Florian, Maximilian, und nicht zuletzt Koloman aufweist. Die genaue lateinische Vorlage mit dem identischem Bestand und der gleicher Abfolge der Texte, wie sie das Corpus der Übersetzung von 190 Legenden bietet, kennen wir bislang nicht.73 Diese volkssprachliche Sammlung überliefern – nach neuestem Erkenntnisstand – 37 Handschriften aus dem 14. und 15. Jahrhundert vollständig, außerdem sind zwei Fragmente aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bekannt.74 Ihr Verbreitungsgebiet beschränkte sich auf den Südwesten des Reichs, das Oberrheingebiet und Teile der heutigen Schweiz. Im Gegensatz zu der in nicht weniger als 31 Ausgaben in Frühdrucken und Postinkunabeln bis zum Jahr 1521 auf den Markt gebrachten Sammlung von ‚Der Heiligen Leben‘, blieb die ‚Elsässische Legenda aurea‘ im 15. und 16. Jahrhundert als Sammlung ungedruckt. Immerhin aber bewahrt sie uns eine Fassung der volkssprachlichen Kolomanlegende.75 Auch das im Nürnberger Dominikanerkonvent um 1400 entstandene volkssprachliche Prosalegendar ‚Der Heiligen Leben‘ bewahrt in seiner in zwei Phasen entstandenen Sammlung eine Fassung der Kolomanlegende als eine der ‚Passio Colomanni‘ des 12. Jahrhunderts nahe Übersetzung. Denn diese Sammlung, ‚Der Heiligen Leben‘, speist sich in der ersten Phase der Entstehung aus bereits verfügbaren volkssprachlichen Verslegendaren, wie dem ‚Märterbuch‘ und ‚Passional‘, einzelnen Vers- und Prosalegenden, um in einer zweiten Phase auf lateinische Texte der ‚Vitae sanctorum‘ als Vor72 Siehe Anm. 32. Weiters: Konrad Kunze (Hg.), Die Elsässische ‚Legenda aurea‘. Band II: Das Sondergut (Texte und Textgeschichte 10, Tübingen 1983); Werner Williams-Krapp, Die deutschen und niederländischen Legendare des Mittelalters. Studien zu ihrer Überlieferungs-, Text- und Wirkungsgeschichte (Texte und Textgeschichte 20, Tübingen 1986). 73 Vgl. Williams, Williams-Krapp (wie Anm. 32), S. XV–XVI. 74 Die Überlieferung ist im ‚Handschriftencensus‘ (http://www.handschriftencensus.de/werke/ 973) aufgelistet. 75 In mindestens fünf Handschriften überliefert: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 6, 210ra (CCVIII)–210va (CCIX); Rottenburg/Neckar, Bibliothek des Priesterseminars, Hs. 11, 282vb –283va; Kassel, Murhardsche Bibliothek und Landesbibliothek, 2o Ms. Theol. 5, 141va–143rb; Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III. 1. 2o 23, 191ra–192rb; Heidelberg Universitätsbibliothek, Cpg 144, 246r–247va.
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lage für die Übersetzung zurückzugreifen.76 In diese zweite Phase des Sammelns fällt die Aufnahme der Passio Cholomanni in das in über 130 Handschriften überlieferte77, im ostfränkischen und bairisch-österreichischen Raum verbreitete Legendar, das im Grundcorpus 251 Legenden verzeichnet. Die Endfassung der ‚Heiligen Leben, Redaktion‘ entsteht vor 1434 und entwickelt sich aus der Sammlung ‚Der Heiligen Leben‘ in zwei Phasen. In der Forschung werden zwei Orte ihres Entstehens, Nürnberg und das Bistum Bamberg diskutiert. Die Kolomanlegende liegt in Endfassung etwa in der Münchener Handschrift Cgm 537 aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts vor.78 In den Literaturzentren der Freien Reichsstädte Straßburg und Nürnberg bildet sich also innerhalb der letzten zwei Drittel des 14. Jahrhunderts als Typ die literarische Gebrauchsform des Prosalegendars heraus, das als Übersetzungsliteratur, „in Sach- und Zweckbeziehungen unfreier determiniert,“ dem „ kulturellen Zwang nach deutscher Schriftliteratur“79 folgt, einem kulturellen Zwang, dem das 14. Jahrhundert bereits stärker als vorhergegangene Zeiten zu unterliegen scheint. Dass als Träger und Beförderer dieses neuen Literaturtyps ‚Prosalegendar‘ der in den Städten tätige Orden der Prediger, die Dominikaner in Erscheinung treten, verwundert nicht, operiert diese Ordensgemeinschaft doch seit ihrer Gründung in praktischer Seelsorge und Wissenschaft. Wie nähern sich die drei volkssprachlichen Fassungen dem Märtyrer? Sant Colmanus ein marterer, so wird er in der Fassung von ‚Der Heiligen Leben, Redaktion‘ genannt. Diese zeichnet ihn gleichsam gegenüber der Legende in ‚Der Heiligen Leben‘ mit reduziertem Strich als seligen, guttigen, tugentlichen man, den vnschuldigen diner gotz, der die kron der marter80 verdient, während der Koloman in der Fassung aus der ‚Elsässischen Legenda aurea‘ knapp als ‚Be-Suchender‘ des Heiligen Grabes skizziert ist, der um der Liebe Christi willen die Pein der Marter standhaft erträgt. Diese Betonung der heroischen Standhaftigkeit ist allen drei Fassungen eigen. Dass nicht nur die heroische Standhaftigkeit angesichts des Todes den christlichen Märtyrer mit den antiken Heroen in den Mythen verbindet, dass die Heiligen, insbesondere die Märtyrer in den Erzählmustern den Platz, den einst antike Heroen in den Mythen einnahmen, besetzen, ist durch eine weit in das 19. Jahrhundert zurückreichende Forschung hinreichend erhärtet. Man muss dazu nur den Artikel ‚Herakles‘ im 76 Vgl. Brand, Jung, Williams-Krapp (wie Anm. 32), S. XIV. 77 Die Überlieferung ist im ‚Handschriftencensus‘ unter http://www.handschriftencensus.de/werke/881 verzeichnet. 78 Konrad Kunze, ‚Der Heiligen Leben, Redaktion‘, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. 3 (Berlin 1981), Sp. 625 – 627 + Bd. 11 (Berlin 2004), Sp. 603. 79 Hugo Kuhn, Versuch einer Literaturtypologie des deutschen 14. Jahrhunderts. In: Typologia Litterarum. Festschrift Max Wehrli, hg. von Stefan Sonderegger, Alois Maria Haas und Harald Burger (Zürich 1969), S. 261–280. Wieder abgedruckt in: Hugo Kuhn, Kleine Schriften. Bd. 3: Liebe und Gesellschaft (Stuttgart 1980), S. 121–134, hier: 127. 80 Alle Zitate aus München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 537, 172vb, 173ra.
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‚Reallexikon für Antike und Christentum‘ zu Rate ziehen.81 Die Deutungen der Erzählmuster im Christentum unterscheiden sich allerdings massiv von denen aus der antiken Vorstellungswelt, wie Henrieke Maria Zilling in ihrer rezenten kulturwissenschaftlich orientierten Monographie ‚Jesus als Held. Odysseus und Herakles als Vorbilder christlicher Heldentypologie‘ resümiert: „Der Umgang mit dem Mythos zeigt eine enorme Ambivalenz, die zwischen Abwehr, Übernahme und Christianisierung schwankt.“ 82 Eine Ambivalenz ganz anderer Art verzeichnen die lateinische und die volkssprachliche ‚Elsässische Legenda aurea‘-Fassung gegenüber den beiden Fassungen von ‚Der Heiligen Leben‘: in der je anderen Zuteilung der strafenden Seite, dem zufolge auch in den verschiedenen Zuweisungen der Richtung der Wanderbewegung des Pilgers. Die lateinische Passio und die ‚Elsässische Legenda aurea‘ setzen Koloman in Noricum, diesseits, gefangen, er erleidet sein Martyrium auf norischer Seite, er kommt von der ungarisch-böhmischen Seite, während die beiden ‚Der Heiligen Leben‘-Fassungen Gefangennahme und Martyrium nach Ungarn-Böhmen verlegen. Die Legendenfassung in der ‚Elsässischen Legenda aurea‘ bewahrt, wie in der ‚Passio Colomanni‘ vorgegeben, den doppelten Kursus und damit die Verortung der Legende in der Region und die Heiligung des Kultortes, während die später entstandenen ‚Der Heiligen Leben‘-Fassungen die regionale Bindung aufgeben und damit so etwas wie eine Kommunfassung der Kolomanlegende, somit ein Exemplar des Typus Märtyrerlegende, repräsentieren und in Folge weite Verbreitung erfuhren. Stilistisch erscheinen die mittelalterlichen, im 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstandenen deutschen Legenden in schlichtem Gewand. In parataktischer Reihung der Sätze verzichten sie auf Sprachbilder, ein velut attonitus expavit 83 in der ‚Passio‘, gleichsam wie vom Donner gerührt, erschrak er, wird zu einfachem do erschrack er.84 Dennoch kann die Übersetzungsleistung, historisch bewertet, generell auf alle drei deutschen Legendenfassungen bezogen, als qualitativ gut gelten. Gleichwohl bietet die Redaktion von ‚Der Heiligen Leben‘ die glatteste, geschmeidigste Übertragung. Quid enim sequi, nisi imitari?85, fragt der Heilige Augustinus, was heißt denn nachfolgen, wenn nicht nachahmen? Die lateinischen und volkssprachlichen Ausfor81 Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt, hg. von Ernst Dassmann, Carsten Colpe et al. Band 14 (Stuttgart 1988), Sp. 554 –583, bes. Sp. 569 –572 zu den Parallelen zwischen dem Leben Jesu und dem des Herakles. Besondere Beachtung verdient der Hinweis, „die meisten Elemente, die in beiden Lebensgeschichten auftauchen, werden für orientalisch und weitaus älter gehalten als die kynisch-stoische Philosophie und die Heraklesbiographie“ (Sp. 570). 82 Henrieke Maria Zilling, Jesus als Held. Odysseus und Herakles als Vorbilder christlicher Heldentypologie (Paderborn 2011), S. 221. 83 Passio Cholomanni. Druck: MGH SS rer. germ. 2o 4, S. 676,7. 84 Brand, Jung, Williams-Krapp (wie Anm. 32), S. 74, 28. 85 Augustinus, De sancta virginitate liber I. cap. 27 (Patrologia latina 40, 411).
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mungen der Kolomanlegende bieten genügend Beziehungspunkte zur Passio Christi. Die Nachahmung des Märtyrers bezieht sich zunächst auf die menschliche, schwache Seite, auf Christi Leiden und Sterben. Die thaumaturgischen Elemente in der lateinischen Passio und den volkssprachlichen Ausformungen in der Legende, rücken Koloman, den Geheiligten, näher an das Göttliche in Christus, lassen den Heiligen zu einem Mittler zwischen Gott und den Menschen werden.
Koloman und Melk Eine „Beziehungsgeschichte“ zwischen Aufbruch und Ankunft Gottfried Glassner OSB Abb. 1: Altarbild der Translatio des heiligen Koloman von Johann Georg Bachmann 1647, Wintersakristei. Kupferstich aus Deppisch, Geschichte und Wunder=Wercke (1743) von F. L. Schmitner nach Zeichnung von Franz Rosenstingel. (© Stiftsbibliothek Melk)
Das Altarbild in der Wintersakristei des Stiftes (Johann Georg Bachmann 16471) erzählt auf eindrucksvolle Weise von einer doppelten Ankunft des heiligen Koloman (Abb. 1): Einmal von seiner Ankunft in der Melker Babenbergerburg am 13. Oktober 1014, die zugleich seine Ankunft in der Öffentlichkeit der vom Markgrafengeschlecht der Babenberger verwalteten Grenzregion markiert – im Zentrum steht die feierliche Beisetzung in Gegenwart des Markgrafen Heinrich und des Eichstätter Bischofs Megingaud – zum Anderen von seiner Ankunft im himmlischen Jerusalem: Von einer 1 Vgl. 900 Jahre Benediktiner in Melk. Jubiläumsausstellung 1989 (Melk 1989), Kat.-Nr. 35.22, S. 344f.
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Abb. 2: Melker Annalen zu den Jahren 1012 bis 1014, Cod. 391 p. 117. (© Stiftsbibliothek Melk)
Gruppe von Putti emporgehoben, blickt der Pilger Koloman auf die Beisetzung seines Leichnams; ein Einblick in die Donaulandschaft bei Stockerau mit dem an einem dürren Baum Erhenkten zeigt die Wegstrecke an, den der Leichnam zurückgelegt hat. Einige Putti streuen Rosen auf den Leichenzug, womit auf das in der Legende berichtete Wunder hingewiesen wird, dass der Leichnam bei der Graböffnung in Stockerau unversehrt war und einen wohlriechenden Duft ausströmte. An diesem Wunder wie auch an anderen Wundern erkannten die Menschen die Wahrheit um den fremden Pilger, nämlich dass er bei Gott „angekommen“ ist. Die Translatio, der Aufbruch von Stockerau und die Ankunft des Leichnams in Melk, ist sichtbarer Ausdruck des Wissens um seine Ankunft im Himmel, eines Wissens, das untrennbar mit der Einsicht in eigenes Fehlverhalten verbunden ist. Oder anders formuliert: Nur wer den Blick in die menschlichen Abgründe wagt, die zum Tod Kolomans geführt haben, weiß um seine Ankunft im Himmel und ist bereit zum Aufbruch. Nun ist die Ankunft Kolomans in Melk zweifellos Signal für einen Aufbruch. Die Translatio begründet eine „Beziehungsgeschichte“. Melk und Koloman gehören seither zusammen, wie es in unüberbietbarer Prägnanz und Kürze die sich auf ältere Quellen stützenden und im Jahre 1123 niedergeschriebenen Angaben zu den Jahren 1012, 1013 und 1014 in den Melker Annalen festhalten (Abb. 2): Der selige (beatus) Koloman wurde in Stockerau gemartert und aufgehenkt (1012), der selige (beatus) Koloman wurde an eben diesem Ort begraben (1013) und der heilige (sanctus) Koloman wurde von Megingaud, Bischof von Eichstätt, in Melk begraben (1014).2 Die geschichtliche Entwicklung Melks als Residenz und Grablege der Babenberger, die Einführung der Benediktiner im Jahr 1089 und die Geschichte des in die Selbständigkeit entlassenen und 2 Cod. Mell. 391 p. 117. Vgl. Othmar K. M. Zaubek, Der heilige Koloman, Niederösterreichs Landespatron (Wien 1985), S. 24.
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mit päpstlichen Schutzbriefen ausgestatteten Klosters bis auf den heutigen Tag ist ohne die mit diesem Ort der Grablege verbundene Verehrung Kolomans nicht denkbar.
Koloman und Melk im Zeitalter des Barock Immer wieder ist Koloman in der Geschichte des Melker Klosters neu „angekommen“. Im Folgenden sind einzelne Stationen und Wegstrecken namhaft zu machen, die der Verehrung Kolomans und seiner Bedeutung für Melk in besonderer Weise neue Dimensionen erschlossen haben. In aller Regel markiert seine „Ankunft“ auch einen „Aufbruch“ zu neuen Ufern. Ich möchte mit jener Epoche beginnen, in der das Altarbild von Johann Georg Bachmann an seinen heutigen Ort in der Wintersakristei „gewandert“ ist, mit der Epoche des barocken Neubaus der Stiftskirche und des Klostergebäudes unter Abt Berthold Dietmayr (1700 –1739), die das äußere Erscheinungsbild des Bandes zwischen Melk und Koloman bis auf den heutigen Tag entscheidend geprägt hat. Der Weg zur Neu-Definition der Rolle Kolomans für das Kloster, die mit dem Abbruch der gotischen Kirche einschließlich der Zerstörung des altehrwürdigen, von Herzog Rudolf IV. gestifteten gotischen Hochgrabes des Melker Hausheiligen seinen Anfang nahm und mit der feierlichen Beisetzung der Reliquien im neuen Grab am Kolomanialtar der barocken Stiftskirche am 13. Oktober 1735 seinen Abschluss fand, kommt in seiner Bedeutung jener Translatio gleich, die am 13. Oktober 1014 die „Beziehungsgeschichte“ zwischen Melk und Koloman begründet hat. So wird es jedenfalls auch von den Zeitgenossen empfunden, etwa in den Bauberichten zum Jahr 1735: „Es war dißer Heyllige Martyrer in seinen ganzen Leben ein Seeliger Wanderer, Frembling und Pilgram absonderlich zu dem H. Grab nach Jerusalem. […] Dan nachdeme Ihro Excellenz unßer gnädiger Herr Herr Prälatus Bertholdus die hoche, und großmüethige Resolution genuhmen, die alte zimblich schwache Kirchen in einen neuen rechtschaffenen Templ zu veränderen, hat freilig woll die Sach nicht anders schickhen, oder thuen lassen, alß das eines oder anderes auch nuzbahres auf die seithen müsset geräumet werden. Unter welchen das vornembste geistliche Kleinodt wahre, nemblich das alt Mausoleum oder Grab, in welchem der H. Leib S. Colomanni geruehet. Daß wahre wahrhaftig ein Haubt Werckh zu änderen, damit das Haubt werckh des Neuen gebäu nicht verhindert wurde. Anjezo hat sich abermall gezeiget, das der H. Colomannus Vor- in- und nach seinen glorreich Todt ein andächtiger Wanders-Mann geweßen sein mues. Dan nach desselben gebührenden Graberhebung, Sollemnius auß der erhebten Graberhebung, in beysein deren Infulirten Häubtern und Herrn Herrn Prälathen […] wurden die H. Reliquien erstlich auf den Hoch-Altar, nachmallen recht- und linkher Handt, wie die Nothwendigkeit des Gebäu erfordert, auf Unterschiedliche seiten Altär decentissime übersezet und alßo Immer hin in der Kirchen durch 34 Jahr gewandert; Allein dißes gegenwärtige 1735gste Jahr hat aller bishero erzelten wanderschafften des Heylligen Colomanni eine Endtschafft, und entschluß gemacht. Dan nachdeme der Prächtige Altar aus Marmor Stein versezet, mit Bilthauer arbeith ausge-
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Abb. 3: Kolomani-Altar, Stiftskirche Melk. Kupferstich aus Deppisch, Geschichte und Wunder=Wercke (1743) von F. L. Schmitner nach einer Zeichnung von Franz Leßner. (© Stiftsbibliothek Melk)
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Abb. 4: Titelbild zu Matthäus Stainhauser, Königliches Feinperl (1724). (© Stiftsbibliothek Melk)
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zühret, die außzührung auf das feineste vergultet, der weis Marmor Steinen Sarg über den Tabernacul erhoben und erhebter befestiget, ware in den 1735 Jahr den 13. October eben den großen Fest Unsers H. Patron, und Martyris St. Colomanni bestimmet, an welchen mit aller geistlich Solennitet in Beysein viller Herrn Herrn Prälathen, welche in actu repositionis benennet, des ganzen Cleri und Vornehmen Adls Persohnen, wie auch villen Ibrigen Volckhs mit großer Ehrerbietigkeit, Procession und Gesang der H. Leib oder Reliquien St. Colomanni in einen bleyenen Kasten verschlossen und in die letzte vollkommene Ruehestatt geleget, gesezet und beschlossen. Jezt ruehet Colomannus in der Kirchen, und Closter Mölckh. Zu mehrer Befestigung dißer Seeligen Ruehe, stehet in der mitte dißes Composen Altar nägst über den zürlich Sarg eine durch guldene Wolckhen hinauf greifende Säullen, oder villmehr Pyramit deroselben inhalt bekante, und benante Non plus ultra zueschreibe damit Verstehend non plus ultra wirdt diße Ruehestatt Colomanni zu einer wanderschaft verkheret.“3
Auch Gottfried Deppisch erweist in dem 1743 unter dem Titel „Geschichte und Wunder=Wercke des Heiligen Colomanni Königlichen Pilgers und Martyrers …“ erschienenen Druckwerk ausdrücklich in der Widmung an Abt Adrian Pliemel (1739 –1745) und unübersehbar im Kupferstich des neuen Kolomanialtars von Franz Rosenstingl (Abb. 3) der großartigen neuen Grablege seine Reverenz. Man kann dieses Buch, das auf den Vorarbeiten von Hieronymus Pez in den „Acta S. Colomanni Regis et Martyris“ (Wien 1713)4 basiert, den Anspruch eines umfassenden wissenschaftlichen Kompendiums erhebt und sich in deutscher Sprache an ein breiteres Publikum wendet, in der Tat als Frucht der 1735 zum Abschluss gekommenen Translatio verstehen. Der Weg zur neuen Grablege regt zur intensiven Auseinandersetzung mit der Beziehungsgeschichte zwischen Melk und Koloman an und erschließt breiteren Bevölkerungsschichten die Bedeutung des Melker Hausheiligen. Eine Reihe weiterer literarischer und künstlerischer Zeugnisse für die Renaissance der Koloman-Verehrung in der ersten Hälfte des 18. Jh.s sind in diesem Zusammenhang zu nennen: Die 1708 von Prior Valentin Larson gegründete Koloman-Bruderschaft, deren Statuten unter dem Titel „Geistlicher Bund und Freundschaft unter dem Schutz des heiligen Königs und Martyrs Colomanni“1728 in Krems im Druck erschienen sind;5 das Werk „Königliches Feinperl“ von Matthäus Stainhauser, gedruckt 1724,6 bei dessen emblematischer und kalligraphischer Ausgestaltung wohl Bonifaz Gallner7 Regie geführt hat (Abb. 4); die für Pilger gedachte „Kurzgefaßte Geschichte von dem hl.-königlichen Pilger und Martyrer Coloman“ des Marian Paradeiser (Krems 1774) sowie gedruckte „Ehren-Re3 Baujournal des Jahres 1735 (Stiftsarchiv Melk, 11 Bauamt 7, fol. 2r-4r). Text gegenüber dem Zitat bei Hans Tietze, Stadt und Stift Melk. In: Die Denkmale des Politischen Bezirks Melk = Österreichische Kunsttopographie (Wien 1909), S. 159–370, hier S. 213, anhand des Originals korrigiert. 4 Meta Niederkorn-Bruck, unter Mitarb. von Rainald Dubski, Koloman 1012–2012. Tradition und Wandel in der Verehrung des Heiligen (Kontinuitäten und Brüche als Ausdruck der Zeit, Melk 2012), S. 313 –316. 5 Ebd., S. 309f. 6 Ebd., S. 310 – 312. 7 Zu Bonifaz Gallner ebd., S. 317f.
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Abb. 5: Kupferstich von I. A. Pfeffel nach Zeichnung von Bonifaz Gallner aus Hieronymus Pez, Acta S. Colomanni (1713). (© Stiftsbibliothek Melk)
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Abb. 6: Grundriss der gotischen Stiftskirche mit eingezeichneten Altären (© Stiftsbibliothek Melk)
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den“, die am Fest des heiligen Koloman in Melk in der Regel von auswärtigen Geistlichen gehalten wurden, wie die 1750 in Wien gedruckte Festpredigt von Pfarrer Karl Chrysostomus Oelhans.8 Selbstverständlich darf an dieser Stelle die wunderbare, von Abt Thomas Pauer (1746 –1762) in Auftrag gegebene und vom berühmten Wiener Goldschmied Joseph Moser im Jahr 1752 gefertigte Kolomani-Monstranz in Form eines blühenden Holunderstrauches auf einem naturalistischen Terrainstück, mit Insignien der königlichen Abstammung, der Pilgerschaft und den Marterwerkzeugen, nicht unerwähnt bleiben. Das reich verzierte Reliquienfach präsentiert den verehrten Unterkiefer des Heiligen in einer goldenen Fassung aus der Zeit um 1500.9 Der Dissertatio des Hieronymus Pez über Koloman von 1713 ist eine Zeichnung von Bonifaz Gallner als Frontispiz beigegeben, die I. A. Pfeffel in Kupfer gestochen hat (Abb. 5). Die Darstellung des Melker Schutzpatrons ist insofern bemerkenswert, als königliche Insignien fehlen. Koloman erscheint als Pilger (Pilgerstab, Pilgermantel mit Muschel) und Märtyrer (Palmzweig) und stützt sich auf das Porträt Abt Berthold Dietmayrs. Stern und Adler deuten im Kontext der beigegebenen Inschriften die Regierungszeit Abt Bertholds als Wanderschaft unter einem hell leuchtenden Stern, beschützt von den Schwingen des Adlers (sub umbra tua), getragen von Gewandtheit, Frömmigkeit und Vernunft (dexteritate et pietate, ratione). Unten gibt die Szenerie den Blick auf den Neubau frei, wie er sich 1713 mit Kaisertrakt und Stiftskirche von Süden her präsentiert. Es fehlt die Altane und der 1718 im Zuge der Neugestaltung des Eingangstraktes abgebrochene Kammerturm befindet sich noch in situ. Die eigentliche Dimension des Paradigmenwechsels, der unter Abt Berthold Dietmayr bezüglich der Rolle Kolomans als Hausheiliger passiert, erschließt sich erst im Vergleich zum Vorgängerbau der gotischen Stiftskirche mit ihren nach dem Geschmack der Zeit erneuerten Altären. Auf Abt Valentin Embalner (1637–1675) geht die Reduktion der durch allerlei Umbauten, Altarstiftungen und Erneuerungen wohl bereits ziemlich unübersichtlichen Anzahl der Altäre auf ein „kanonisches“ Maß an Patrozinien zurück. Sie sind im Grundrissplan der gotischen Stiftskirche, der Anselm Schrambs10 Chronicon Mellicense beigebunden ist, lokalisierbar (Abb. 6) :11 E Apostelaltar und F Benedikti-Altar links bzw. rechts an der Stirnseite zum erhöhten Chorraum 8 Carolus Chrysostomus Oelhans, Ehren-Rede über die Gecrönte und Crönende Tugenden Colomanni. Des heiligen königlichen Blut-Zeugen, eines gesamten Niederösterreich, besonders aber eines löbl. Uralten und exempten Stifts Mölck Schutz Patrons. Dessen jahrliche Gedächtnus in besagten Ordens-Stifft S. Benedicti den 3ten Pfingste feiertag anno 1750 mit besonderer gewöhnlicher Feyerlichkeit begangen wurde (Wien 1750). 9 Vgl. 900 Jahre Benediktiner in Melk (Anm. 1), Kat.-Nr. 18.09, S. 159f. 10 Anselm Schramb, Chronicon Mellicense, seu Annales Monasterii Mellicensis […] (Wien 1702). 11 Vgl. Burkhard Ellegast, Die baulichen Gegebenheiten des Stiftes Melk vor dem barocken Neubau Abt Berthold Dietmayrs. In: Stift Melk. Geschichte und Gegenwart Bd. 3 (Melk 1983), S. 106 –176, hier S. 126 –130.
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(1646), G Engelsaltar (1646), H Nikolaus-Altar (1645), B Kreuz-Altar und C Altar zur Ehren Johannes des Täufers (1647) sowie D der Dreikönigsaltar im erhöhten Chorraum, und schließlich im hinteren südlichen Kirchenraum J der 1647 über der Krypta mit dem Grab des Heiligen in rotem Marmor ausgeführte Kolomani-Altar und I der 1650 analog gestaltete Leopoldi-Altar auf gleicher Höhe zum Kolomani-Altar. Diese beiden Altäre waren durch die kostbare Ausführung mit rotem Marmor und vor allem durch die neu angeschafften Altarbilder von Johann Georg Bachmann als einander entsprechendes und zusammengehöriges Ensemble hervorgehoben. 1661 wurde A der Hochaltar erneuert, der den Titel „Auferstehung Christi“ erhielt.12 Abt Berthold, der an den bestehenden Patrozinien festhielt, verlegte den KreuzAltar in die Sommersakristei. Neu kam der Sebastian-Altar hinzu. Die bedeutsamste Neuerung betrifft einerseits den Hochaltar, der jetzt das Gedächtnis der Apostelfürsten Petrus und Paulus ins Zentrum rückt, und andererseits die Altäre im Querschiff, wo nunmehr Koloman und Benedikt einander gegenüberstehen. Die Zuordnung von Kolomania-Altar im südlichen Kirchenschiff und Leopoldi-Altar als Gegenstück im nördlichen Kirchenschiff, die im Konzept der neuen Kirche verlassen wurde, kommt aber noch einmal bei der Positionierung der Statuen der beiden Hauspatrone vor der Stiftseinfahrt zum Tragen, die laut Baubericht am 24. Juli 1717 „bey den Pasteyen“ aufgesetzt wurden. (Abb. 7) Die Tatsache, dass Baumeister Jakob Prandtauer ein Extrahonorar von 100 Gulden, der Polier Hans Georg Schwaiger 20 Gulden erhielt und Lorenzo Matielli für die beiden Statuen schon am 14. Jänner 1717 mit einer Summe von 160 Gulden entlohnt wurde, lässt erahnen, wie wichtig Abt Berthold dieses Ereignis nahm.13 Vielleicht – es ist nicht mehr als eine Vermutung – gab ihm die geradezu demonstrative Übernahme des „kanonischen“ Schemas Koloman-Leopold am Stiftseingang freie Hand dafür, in der Stiftskirche dieses Schema nicht einfach zu wiederholen, sondern neue Akzente hinsichtlich der Einbindung der Koloman-Memoria in ein übergreifendes Gesamtkonzept zu setzen.14 Die Gestalt Kolomans wird in diesem Kontext stärker an das apostolisch-biblische Fundament (Hochaltar) und die Mönchs12 So nach Schramb, Chronicon Mellicense (wie Anm. 10), S. 565. Die Angabe wird aber nicht von Philibert Hueber, Apparatus Chronicus pro historia Mellicensi T. 2 (1699), Cod. 1853/2, p. 565 gedeckt. Michael Mair berichtet in seiner Beschreibung der Altäre der Stiftskirche von 1674 (Cod. 1462), p. 77, dass „der obere, oder hochaltar ist zu ehrn der glorwürdigsten himmels königin Mariae gewüchen“. 13 Vgl. Burkhard Ellegast, Die vorbarocke und barocke Lösung der Ostseite des Stiftes Melk. In: Stift Melk. Geschichte und Gegenwart Bd. 2 (Melk 1981), S. 38–57, hier S. 50. 14 Die Neuakzentuierung ist auch bei Deppisch rezipiert, wenn er beim Hinweis auf das zweimal im Jahreszyklus, nämlich am Pfingstdienstag und am 13. Oktober (mit Oktav), begangene Fest des „nach denen zweyen Heiligen Aposteln Petri und Pauli fürnehmsten Patrons unseres Stiffts“ (Geschichte und Wunder=Wercke, S. 132) spricht und damit Koloman auf eine Stufe mit den Apostelfürsten stellt (die beide ebenfalls zwei Festtage im Jahreszyklus haben, das Hochfest Petrus und Paulus am 29. Juni und Petri Stuhlfeier und Pauli Bekehrung am 18. bzw. 25. Jänner).
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Abb. 7: Stiftsportal mit Statuen der heiligen Koloman und Leopold nach Entwurf von Lorenzo Matielli (1717) (Foto: Gottfried Glaßner)
väter (Benedikt) herangerückt. Es werden auf diese Weise Verbindungslinien von Koloman zu den irischen Missionaren auf dem europäischen Festland ins Spiel gebracht und die Zuordnung zu Benedikt unterstreicht den Gedanken der Beheimatung der Koloman-Verehrung speziell bei den Benediktinern. Denn sie waren es, die vor allem über die Melker Reform die Verehrung des Heiligen verbreitet und gefördert haben. Nun wird durch diese Neuakzentuierung, die der Abbruch des Koloman-Grabmals programmatisch vorweggenommen hat, das enge Band zwischen dem österreichischen Herrscherhaus und Koloman nicht einfach zerrissen. Es wird vielmehr auf eine neue und umfassendere Betrachtungsebene verlagert, in der die Beziehung von Koloman zu den Babenbergern und den Habsburgern zu einem Teilaspekt der grundsätzlicheren Frage wird, wie Machtausübung eines Kaisers, eines Fürsten oder auch einer Volksmenge, die zum Mob wird, „funktioniert“. Im einen Fall machen weltliche wie kirchliche Regenten fromme Stiftungen und bauen der gedeihlichen Zukunft eines Landstrichs vor, im anderen Fall bringen Machthaber aller Schattierungen Menschen unter die Folter und auf den Galgen, und es ist nicht von vornherein ausgemacht, in
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welche Richtung es tatsächlich geht. Es kommt alles auf das Durchschauen der Regeln an, nach denen Geschichte „gemacht wird“. Das entscheidende Stichwort, das das ikonographische Programm der Melker Stiftskirche anzeigt, ist am Hochaltar zu lesen: legitime – die Krone des Martyriums erlangt nur, wer „gesetzmäßig“ (nach den Regeln) gekämpft hat. Das Inschriftband mit dem Zitat aus Ps 91,13 (Ps 92,13) über dem Kolomanigrab zielt auf denselben Sachverhalt: Iustus ut palma florebit. Es ist der „Gerechte“, der wie eine Palme erblüht. Auf vielfältige Weise, am deutlichsten vielleicht in der Gegenüberstellung von Benedikt und Koloman wird, angedeutet durch den Obelisken (in Bezug auf Benedikt auch durch die Triumphstraße im monumentalen Langhausfresko), ein Ziel vor Augen gestellt und am Beispiel Benedikts und Kolomans gezeigt, wie man zu diesem Ziel gelangt, nämlich durch ein tugendhaftes asketisches Leben und durch ein Dasein als Pilger, d. h., indem man den Mut hat, sich allen Gefahren zum Trotz auf den Weg zu machen. Bezeichnenderweise bezieht die Parallelisierung von Kolomani-Altar und Benedikti-Altar neben dem Sarkophag (Kenotaph bei Benedikt) und dem Obelisken auch den Pilgerhut als typisches Attribut des Pilgers Koloman mit ein. Parallel zum Pilger Koloman erscheint auch Benedikt als Pilger und sein Tod inmitten der ihn stützenden Brüder erschließt sich somit als Ziel seiner irdischen Pilgerschaft. Die Ikonographie der Melker Stiftskirche ist eine einzige große Einladung, sich auf den Weg zu machen, die einzelnen Motive und Kompositionen von verschiedenen Seiten zu betrachten und immer wieder neue Zusammenhänge zu entdecken.15 Dass der Betrachter (und Pilger) aufgefordert ist, zum Lernenden zu werden, gilt speziell im Kontext, in den Koloman hineingestellt ist. Wenn man den Weg in der Wintersakristei beginnt, kann man anhand des Altarbildes der Translatio lernen, dass Angst und Vorurteile gegenüber einem Fremden blind machen, dass dieselben Menschen aber auch die Fähigkeit entwickeln, die Zeichen zu deuten, die ihre Verblendung offenbaren, und den Aufbruch wagen, der unter dem Segen von oben steht. Der Weg zum Kolomani-Altar, vorbei am Babenbergergrab, erinnert daran, dass es die Babenberger waren, die den Leichnam des heiligen Koloman in ihrer Residenz bestattet und mit ihren Stiftungen der an diesen Ort berufenen Klostergemeinschaft den Weg in die Zukunft geebnet haben. Die seit dem Mittelalter belegte unmittelbare Nachbarschaft von Babenbergergrab und Kolomanigrab bleibt in der neuen Kirche unangetastet. Die kniende Pilgergestalt über dem Sarkophag zeigt den heiligen Koloman als einen, der „angekommen ist“ und Fürbitte einlegt. Sein Pilgerweg wird angedeutet durch die zurückgelassenen königlichen Insignien und die Donaulandschaft bei 15 Vgl. Gottfried Glassner, „In tympano et choro in chordis et organo laudate Deum“ (Ps 150,4). In: „Singt dem Herrn ein neues Lied“. Festschrift für Pater Bruno Brandstetter zum 75. Geburtstag (Melk 2006), S. 102–116.
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Stockerau, den Ort seines Martyriums. Er findet sich in Gesellschaft von Florian und Donatus, also von Repräsentanten der römischen Militärmacht im nachmaligen Herrschaftsbereich der Babenberger. Sie haben ihren Ruhm nicht auf dem Schlachtfeld erlangt, sondern als Blutzeugen. Als Schutzpatron des Klosters und der Stadt Melk steht Koloman in einer Reihe mit diesen Schutzpatronen in Blitz- und Feuergefahr. Mit Blickrichtung auf das Grab Kolomans steht am Benedikti-Altar über dem seitlichen Kircheneingang die Figur des heiligen Berthold von Garsten. Sie erinnert nicht nur an den Namenspatron des Erbauers der Kirche, sondern auch an die historisch verbürgte Pilgerfahrt des berühmten Gründerabtes von Garsten zum Grab des heiligen Koloman, das sich damals (ca. 1140) noch in der Peterskirche außerhalb der zum Kloster umfunktionierten Melker Babenbergerburg befand. „Angekommen“ sind auch die Drei Könige, die aus dem Morgenland aufgebrochen sind, um den neu geborenen König der Juden zu finden und anzubeten. Wir sehen sie in der dem Kolomani-Altar unmittelbar anschließenden Seitenkapelle, wie sie dem göttlichen Kind ihre Reverenz erweisen, und zumal einer der Drei Könige erscheint in derselben knienden Haltung wie der Pilger Koloman nebenan. In Korrespondenz zum Bachmann-Bild aus der alten Stiftskirche, das auf dem gegenüber liegenden LeopoldiAltar drei Babenberger als Stifter des Melker Klosters zeigt, erschließt sich in Hinblick auf den gegenüber der Vorgängerkirche von Koloman abgerückten Leopold eine neue Sinndimension: Der heilige Leopold und seine in der Melker Haustradition als Gründer des Kanonikerstifts (Leopold I.) bzw. des Benediktinerklosters (Leopold II.) verankerten Vorgänger aus dem Geschlecht der Babenberger präsentieren ihre fromme Stiftung, wie die Drei Könige dem Kind ihre Gaben darbringen. Es ist aber in der Epiphanie-Kapelle auch die Kehrseite weltlicher Machtausübungen präsent: König Herodes, der die Soldaten ausschickt, um die Knaben von Bethlehem zu töten, und die heilige Familie, die sich durch die Flucht nach Ägypten den Häschern entzieht (Staffelbilder über den Durchgängen zwischen den Seitenkapellen). Das Wegmotiv setzt sich in den Staffel-Reliefen des Michaels-Altars fort: Wir sehen Rafael als Begleiter des Tobias (mit Fisch) und einen Engel, der ein Kind auf gefährlichem Weg beschützt. Auch hier bringt der durch den Erzengel Michael bewerkstelligte Sturz des Widersachers (Altarbild) die zu überwindende und im Himmel bereits überwundene Kehrseite der Machtausübung ins Spiel. Betritt man in weiterer Folge die Nikolaus-Kapelle, knüpft das Staffelrelief, das ein Segelschiff im Seesturm zeigt, noch einmal an das Wegmotiv an (Nikolaus als Schutzpatron der Seeleute). Die Symbolzahl drei begegnet mehrfach im Bildprogramm der Kapelle, was wiederum Assoziationen zum Epiphanie- und Leopoldi-Altar freisetzt: Durch die Gabe einer Mitgift in Form von drei Goldklumpen bewahrt Nikolaus drei Jungfrauen davor, von ihrem Vater zu Prostituierten gemacht zu werden, und das Staffelrelief am
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Fluchtpunkt des Wegs durch die Seitenkapellen zeigt den heiligen Bischof von Myra, wie er dem Kaiser im Traum erscheint und ihn eindringlich ermahnt, die drei von ihm aufgrund falscher Anschuldigungen zum Tod verurteilten Feldherrn freizulassen. Eine interessante Parallele zu Koloman besteht hinsichtlich der berühmten, 1087 nach der Eroberung Myras durch die Seldschuken von italienischen Kaufleuten organisierten Translatio der Reliquien des heiligen Nikolaus nach Bari. Auch hier gilt der Tag der Ankunft der Schiffe mit den Reliquien, nämlich der 9. Mai, als eigentlicher Fest- und Gedächtnistag des Heiligen! Es ist nicht daran zu zweifeln, dass die Einbindung Kolomans in einen großen biblischen und kirchengeschichtlichen Horizont sehr überlegt geschieht. Dieselbe gezielte Einbindung von Einzelmotiven in einen übergreifenden Gesamtzusammenhang ist auf verschiedenen Ebenen in der Ikonographie der Melker Stiftskirche festzustellen und gewissermaßen ihr Markenzeichen. Es ist an das Stichwort ratione als Kennzeichnung der Regierung Abt Berhold Dietmayrs im Frontispiz des KolomanBuches von Hieronymus Pez zu erinnern. Der Erbauer der Stiftskirche und der Klosteranlage geht „mit Überlegung“ ans Werk! Er hat mit der Einordnung Kolomans in ein übergreifendes Gesamtkonzept die Bedeutung dieses Heiligen und seine Verehrung in neue Dimensionen aufgebrochen. So gesehen ist durch sein großes Werk Koloman wahrlich neu in Melk „angekommen“.
Koloman und Melk – Stationen einer Beziehung im Vorfeld der barocken „Ankunft“ Wenigstens stichwortartig seien weitere wichtige Stationen und Etappen der „Beziehungsgeschichte“ zwischen Melk und Koloman aufgezählt,16 die auf je spezifische Weise die Voraussetzungen für den Aufbruch geschaffen haben, der im Zeitalter des barocken Neubaus zu konstatieren war und der auch die Weichen für die Gegenwart gestellt hat. In der Regel haben Zeiten der Rückbesinnung und Neubewertung des Melker Hausheiligen literarische Spuren hinterlassen, so in der Passio Cholomanni, die seit dem 14. Jh. Abt Erchenfried (1121–1163) zugeschrieben wurde, in der Vita Gothalmi des Bernhard Dapifer (1362 im Kontext des Interesses Rudolfs IV. für den Melker Hausheiligen), in der Nachforschungen über Kolomans Abstammung (1524), bei Hieronymus Pez und Gottfried Deppisch im frühen 18. Jh. Neben den Zeiten und historischen Konstellationen, in denen eine intensive Auseinandersetzung mit der Koloman-Überlieferung 16 Weiterführende Informationen bei Meta Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman – der erste Patron Niederösterreichs (=Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde Bd. 16, Wien 1992); Dies., Koloman 1012–2012 (wie Anm. 4), und in den einschlägigen Beiträgen dieses Symposion-Bandes.
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zu beobachten ist, gab es natürlich auch den kontinuierlichen Prozess der Aneignung und Herausbildung einer Haustradition, in der Koloman mit je eigenen Akzentsetzungen einen festen Platz einnahm. Man kann diese Entwicklung anhand des Kalendars und der in der Liturgie (Offizium und Messfeier) verwendeten Formulare und Gesänge ablesen. In der Neuzeit, besonders in der Ära des Barock, erhält das Bild als Medium der Vermittlung der Inhalte an die Außenwelt bis hin zur Inszenierung verstärkt Bedeutung. Um die Zeit der Kanonisation des heiligen Leopold im Jahr 1485, jedenfalls nach 1483, sind wohl für Abt Wolfgang von Schaffenrath (1483 –1497) in Cod. 1398 die wichtigsten Texte zur Melker Hausgeschichte zusammengetragen worden. Das Kompendium zeugt von einer in der Melker Reform entscheidend geförderten Integration der Koloman-Überlieferung in die Haustradition. Ein ähnliches Kompendium hat Abt Reiner von Landau während seines Noviziates angelegt (Cod. 1842). Es spiegelt den Lern- und Wissensstoff in Hausgeschichte wieder, den sich ein Melker Novize 1613/14 anzueignen hatte.17 Was die nach außen hin wahrnehmbare Entwicklung der Verehrung Kolomans in Melk anbelangt, sind folgende Eckpunkte zu nennen: 1014 Translatio des Leichnams nach Melk und Grablege in der Peterskirche – 1170 Übertragung der Reliquien von der Peterskirche in die Klosterkirche18 – 1363 Beisetzung im von Rudolf IV. gestifteten gotischen Hochgrab – 1429 Einweihung des Kolomani-Altars in der neuen gotischen Kirche19 – Verbreitung des Kolomankults durch die Melker Reform und Belebung der Wallfahrt, was in dem von Kaiser Friedrich III. am 19. April 1451 verliehenen Recht, jährlich am 13. Oktober in Melk einen Markt abzuhalten, seinen Niederschlag findet. – 1594 Erneuerung der Kolomani-Krypta mit Inschrift von Abt Caspar Hoffmann20 – 1647 frühbarocker Kolomani-Altar über dem Grabmal mit bemerkenswerter neuer In17 Cod. 1842 wird im Kontext der Koloman-Memoria erstmals bei Niederkorn-Bruck, Koloman 1012– 2012 (wie Anm. 4), S. 292–302, gewürdigt. 18 Nach dem Diebstahl der Kreuzreliquie wird in denn Annalen zum Jahr 1170 von der Weihe des Kolomani-Altars berichtet, d. h. in diesem Jahr hat man die Reliquien des heiligen Koloman von der Peterskirche in die Klosterkirche übertragen. 19 Im Bericht des Wolfgang von Steyr über die Weihe der Kirche ist auch die Renovierung des Kolomani-Altars und seine Weihe am 27. Februar 1429 erwähnt (der im südlichen Teil gelegene Altar ist abgebrochen worden). Vgl. Ignaz F. Keiblinger, Geschichte des Benedictiner-Stiftes Melk in Niederösterreich, seiner Besitzungen und Umgebungen Bd. I (Wien 1867), S. 517. 20 Anlass für die Renovierung des Kolomani-Altars im Jahr 1594 war der Besuch von Kaiser Matthias. Dazu Ellegast, Die baulichen Gegebenheiten (wie Anm. 11), S. 111f., mit Verweis auf P. Michael Mair, Historia (Cod. 1462), fol. 10v (ebd. 10r wird auch die Inschrift des Grabstifters Herzog Rudolfs IV. wiedergegeben): „Vor dem Grab stand ein Altar. Zwischen dem Altar und dem Grabmal hatte Abt Caspar eine Marmortafel anbringen lassen, die ein Marmorengel in seinen Händen hielt und auf der folgender Restaurierungsvermerk zu lesen war: ‚hoc renovabatur Colomanni altare Beati, Caspar coenobii Melici cum sceptra gerebat MDXCIV‘.“ Aus der in Philibert Hueber, Austria ex archivis Mellicensibus illustrata, (Leipzig 1722), S.297 enthaltenen Abbildung geht hervor, dass sich das Grabmal in einer Krypta befand.
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schrift in goldenen Lettern21 – 1735 Beisetzung im Grab am Kolomani-Altar der barocken Stiftskirche. Ein entscheidender Anstoß für die literarische Verankerung der Koloman-Memoria ergab sich im Rahmen der Rückbesinnung auf die Gründungsgeschichte Melks unter Abt Erchenfried (1121–1163). In diese Zeit fällt die Entstehung der Passio bzw. Historia de particula sanctae Crucis Cholomanni mit einem Grundstock, der auf die erste Hälfte des 11. Jh.s zurückgehen könnte, und eine Fassung mit erweitertem Wunderkatalog, der erstmals die Ungarn-Episode enthält. Das Breve Chronicon Austriacum Mellicense will vermutlich auf dem Hintergrund der Erhebung Österreichs zum Herzogtum im Jahr 1156 die enge Verbundenheit der Babenberger mit Melk betonen und verlegt die Gründung des Kanonikerstifts in die Zeit Leopolds I. (976 –994). Die enge ideelle und lokale Verbundenheit zwischen Koloman und den Babenbergern, wie sie in den Melker Annalen Cod. 391, fol. 15r, durch die Nebeneinanderstellung der Inschriften des Babenbergergrabs und des Kolomanigrabs auf eindrucksvolle Weise dokumentiert ist, wird hier grundgelegt. Das Interesse von Herzog Rudolf IV. dem Stifter für die Geschichte seiner „Vorfahren“, der Babenberger, und seine mehrfachen Aufenthalte in Melk in den Jahren 1360 –1363 regten eine Überarbeitung aller wichtigen Quellen zur Melker Hausgeschichte an. Die Passio sancti Colomanni wurde unter dem Titel Historia sancti Colomanni neuerlich abgeschrieben und dem Herzog vielleicht schon 1360 vorgelegt. 1362 beim dritten Besuch des Herzogs in Melk waren die Historia de particula sancti Crucis und die Historia fundationis abgeschlossen. Das Alter des Klosters und seine von jeher bestehende Verbindung zum Landesherrn werden hervorgehoben. Zwar ist das Gedächtnis des seligen Godhalm am 26. Juli seit dem 13. Jh. im Melker Kalendar belegt, aber erst 1362 erhält in der Vita Gothalmi des Bernardus Dapifer die Gestalt des Godhalm ihr besonderes Profil und mit Godhalm als getreuem Diener wird aus dem Pilger Koloman ein königlicher Pilger Koloman. Eine weitere Dimension in der „Beziehungsgeschichte“ zwischen Melk und Koloman eröffnet die Historiographie unter Abt Sigismund Thaler (1505 –1529): 1505 wird die neue Bibliothek fertiggestellt, 1517 von Stephanus Burkhardi ein neuer dreibändiger Bibliothekskatalog angelegt (Cod. Mell. 704/1–3). Die Flores Chronicarum (Cod. Mell. 1569) von 1511 bezeugen eine rege Sammeltätigkeit bezüglich der Quellen zur Landes- und Hausgeschichte. Die Aufenthalte Kaiser Maximilians I. in Melk in den Jahren 1506, 1516 und 1517 regen genealogische Forschungen zu Koloman an. 1517 ver21 Wortlaut nach Schramb, Chronicon Mellicense, S. 863: Tibi o dive Colomanne regio Scotorum principi, peregrino sanctissimo, martyri gloriosissimo patrono hic ad urnam tuam hanc ex marmore aram posuit Valentinus Abbas Mellicensis. Tu locum hunc et vicinos Austriæ agros ab omni periculo semper immunes redde. Anno M.DC.XLVII. („Dir, o göttlicher Koloman, königlicher Pilgerfürst der Schotten [Iren], heiligster Märtyrer, glorreicher größter Patron, hier bei deinem heiligen Grab hat Valentin Abt von Melk diesen Altar aus Marmor errichtet. Du erhalte diesen Ort und die benachbarten Fluren Österreichs von jeglicher Gefahr unversehrt. Im Jahr 1647.“)
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sprach er eine Erneuerung des Kolomanigrabes, zur der es durch seinen Tod 1519 nicht mehr kam. Die Melker Gründungsgeschichte und die Geschichte des seligen Godhalm werden redigiert, dabei die Bedeutung der Babenberger und Rudolfs IV. für das Kloster besonders hervorgehoben. 1514 wird der Hochaltar der Melkerhof-Kapelle zu Ehren der heiligen Koloman und Leopold geweiht. 1524 wird nach der wahren Abstammung des heiligen Koloman geforscht.22 In dieser Zeit, ca. 1526 bzw. nach Artur Rosenauer23 vielleicht schon früher in den letzten Jahren des zweiten Jahrzehnts des 16. Jh.s, wurde neben einem niederländischen Flügelalter, von dem der Mittelteil (Salvator, Johannes Evangelist und Maria) im Altar der Prälaturkapelle erhalten ist, ein ursprünglich fünf Tafeln umfassender Altar eines fränkischen Meisters angeschafft, von dem die Tafeln der heiligen Petrus, Koloman und Katharina erhalten sind, zwei weitere Tafeln, vermutlich mit einem Bild der Madonna (als Mittelbild des Altars) und des Apostels Paulus (als Gegenstück zu Petrus), verloren gegangen sind. Von den Bemühungen zur Erneuerung des klösterliches Lebens und des Baubestandes unter Abt Caspar Hoffmann (1587–1623) und Abt Reiner von Landau (1623 –1637), die auch die Belebung der Koloman-Verehrung betreffen, sei hier noch die Anschaffung eines Brunnens durch Abt Reiner im Jahr 1637 erwähnt, der über eine Wasserleitung mit neuer Quellfassung am Hiesberg bei Rosenfeld gespeist und von einer Statue des Pilgers Koloman auf hohem, aus vier Delphin-Leibern gebildeten Sockel gekrönt wurde (Abb. 8).24 Er wurde im Haupthof des Stiftes, damals „Kolomanihof“, heute „Prälatenhof“, aufgestellt. Abt Berthold Dietmayr schenkte 1722 den nicht mehr ins Konzept der neu entstehenden Klosteranlage passenden Brunnen der Stadt, wo er – mit einer Kopie der originalen Koloman-Statue aus dem Jahr 1920 – auf dem Rathausplatz steht. Bemerkenswert an dieser Statue ist, dass Koloman, wie aus älteren Darstellungen bekannt, im Barock aber nicht mehr üblich, als Attribut seines Martyriums einen Teil des Strickes in der einen Hand hält. Man kann davon ausgehen, dass Abt Reiner, der 1630 vom Probst des Chorherrenstiftes St. Pölten Johannes Fünfleutner ein Stück vom Strick des heiligen Koloman (de eius torta) erworben und in ein silbernes, heute nicht mehr vorhandenes Reliquiar in Form einer Statue des Heiligen eingeschlossen hat,25 bei dem von ihm in Auftrag gegebenen Kolomani-Brunnen besonderen Wert auf dieses Attribut legte. 22 Zur Konstruktion der Genealogie mit einschlägigen neueren Erkenntnissen über die Herkunft des angeblichen Antwortschreibens aus dem schottischen Königskloster Dumferline, das gemeinsam mit den Angaben zur königlichen Abstammung des Heiligen in der Melker Annalenhandschrift Cod. 391 beigebunden ist, siehe Niederkorn-Bruck, Koloman 1012–2012 (wie Anm. 4), S. 264 –278. 23 900 Jahre Benediktiner in Melk (wie Anm. 1), Kat.-Nr. 15.01, S. 145. 24 Johannes Cellensis, Memorabilia Mellicensis (Cod. 1854), fol. 94v–95r. Vgl. Keiblinger, Melk I (wie Anm. 19), S. 879. 25 Johannes Cellensis, Memorabilia Mellicensis (Cod. 1854), fol. 93r. Vgl. Ellegast, Die baulichen Gegebenheiten (wie Anm. 11) S. 119.
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Ergänzend zum barocken Erscheinungsbild des Klosters wäre noch auf die spätestens 170826 erfolgte Aufstellung einer Koloman-Statue auf einem 28 Meter hohen Felssporn an der Donau und die Reaktivierung eines Brunnens im Kolomanihof mit Aufstellung einer Statue des sich der Kirche zuwendenden Pilgers Koloman im Jahr 174727 hinzuweisen (Abb. 9). Nach Absprengung des Felsens im Dezember 1957 wurde die Statue an der Bundesstraße 1 im April 1958 an ihrem jetzigen Platz neu aufgestellt. Der Brunnen im Kolomanihof besteht nicht mehr, die Statue des Heiligen, 2012 restauriert und auf dem Postament neu aufgesetzt, steht nach wie vor an ihrem angestammten Platz. Wenn man bedenkt, dass der Melker Hausheilige als Pilger den Reisenden im Westen (auf der Donau bzw. der Bundesstraße) als Orientierungspunkt gedient hat und dient, dass er (gemeinsam mit Leopold) die Ankommenden beim Haupteingang des Stiftes im Osten begrüßt, und dass man ihm an einem markanten Punkt im Zentrum der Stadt begegnet, ist die Verbundenheit zwischen Koloman und Melk, wenn man so will, die Melk-spezifische „Beziehungsgeschichte“, auch nach außen hin unübersehbar dokumentiert.
Zusammenfassung und Ausblick Bleibt am Schluss noch der Hinweis, dass die „Beziehungsgeschichte“ zwischen Melk und Koloman natürlich nicht mit dem 18. Jh. geendet hat. Als Beispiele für die Rückbesinnung auf die immer eng mit Koloman verbundenen Anfänge und Aufbrüche in der Hausgeschichte sind zu nennen: die kalligraphisch gestaltete, Abt Alexander Karl zum silbernen Abtsjubiläum im Jahr 1900 gewidmete Dichtung „Der Mönch von Inisfallen“ aus der Feder des Novizen Fr. Richard (Julius) Pramberger (später als St. Lambrechter Konventuale P. Romuald Pramberger berühmter Heimatforscher der Obersteiermark),28 die Bemühungen um eine Neubelebung der Koloman-Verehrung im Vorfeld des Jubiläumsjahres 1912, die vor allem von P. Franz Ser. Weber29 aus26 Erstmals findet die Peter Widerin zugeschriebene Statue in den Priorats-Ephemeriden zum 24. Oktober 1708 (Vol. IV, Stiftsarchiv Melk 5 Priorat 9, p. 284) Erwähnung, d. h. zu diesem Zeitpunkt muss sie jedenfalls an Ort und Stelle gestanden sein. 27 Baujournal des Jahres 1747 (Stiftsarchiv Melk, 11 Bauamt 8, fol. 5v): „Zudeme so wurde auch jene schon von vill Jahren her ruiniert- und verschütte Brun bey der Kirchen zu großen Nutzen des Closters widrum außgegraben und in brauchbahren standt gestellet, auch mit einen steinernen postament und darauf stehenden Statuen unsers glorreichen heil. Schutzherrns Colomanni versehen.“ Vgl. Burkhard Ellegast, Restaurierung des Stiftes Melk in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Stift Melk – Geschichte und Gegenwart Bd. 2 (Melk 1981), S. 58 –125, hier S. 105. 28 Jetzt Cod. 522. Zur Beschreibung der Handschrift siehe: Elisabeth Vavra (Hg.), Die Suche nach dem verlorenen Paradies. Europäische Kultur im Spiegel der Klöster (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums N.F. 428, St. Pölten 2000), Kat.-Nr. 3.8.12, S. 592–594. 29 Franz Ser. Weber, St. Coloman. Denkschrift zur Neunten Jahrhundertfeier des Heiligen Schutzpatrones der Benediktinerabtei Melk (Melk 1912).
Koloman und Melk
Abb. 8: Kolomanibrunnen, Rathausplatz der Stadt Melk, ursprünglich 1637 im Stift, 1722 von Abt Berthold Dietmayr der Stadt geschenkt (Foto: Gottfried Glaßner)
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Abb. 9: Statue des heiligen Koloman, ursprünglich mit Brunnen, errichtet 1747 im Kolomanihof (Foto: Gottfried Glaßner)
gingen, und das Interesse von P. Adolf Riedl (1893 –1967) für den Melker Hausheiligen und die Stätten, an denen sein Gedächtnis bewahrt wird. Es fand seinen Niederschlag vor allem in den Melker Periodika mit Blick auf das 1962 begangene 950-Jahr-Jubiläum.30 Zweifellos gibt es darüber hinaus Potential für neue Aufbrüche in 30 Adolf Riedl, St. Koloman Heiltümer. In: Melker Mitteilungen 48 (1951), S. 8 –11; ders., Der Kult des heiligen Koloman in Melk und anderswo. In: 100. Jahresbericht des öffentlichen Stiftsgymnasiums in Melk (1957/58), S. 19–29; ders., Der heilige Koloman. In: 101. Jahresbericht des öffentlichen Stiftsgymnasiums in Melk (1958/59), S. 3 –22; ders., Auch ein Jubilar. Zum 950jährigen Kolomanijubiläum. In: Melker Mitteilungen 91 (Sept. 1962), S. 8–10; ders., Auf St. Kolomans Spuren. Eine Fahrt zu den bayrischen Kolomaniheiligtümern. In: St. Pöltner Diözesan-Kalender (1962), S. 29 – 43.
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der Gegenwart, z. B. in der Neuentdeckung des in diesem Vortrag beschriebenen, in die biblische Geschichte wie in die Kirchengeschichte hinein geöffneten „KolomanPilgerweges“ von der Wintersakristei über die Seitenkapellen in die Kirche. Wenn man annimmt, dass der festliche Einzug zum Pontifikalamt in barocker Tradition diesen Weg genommen hat (und wieder nehmen könnte), dann ruft dieser Prozessionsweg zum Gottesdienst das Unterwegssein in all seinen Facetten ins Gedächtnis und der Gottesdienst wird zur Ankunft des Pilgers in der Gegenwart der feiernden Gottesdienstgemeinde, die immer auch Auftrag und Aufbruch bedeutet. Nicht das „Event“, auch nicht hektische Betriebsamkeit, die keinen Ausgangspunkt und kein Ziel kennt, ist Kennzeichen von „Angekommensein“, sondern die Einbettung in einen als Pilgerweg durch die Geschichte begriffenen Sinnhorizont.
St. Koloman Der Heilige aus Irland? Dagmar Ó Riain-Raedel
Irische exuli, später oft als Heilige verehrt, sind seit dem späten 6. Jahrhundert auf dem Festland bezeugt.1 Sie hatten ihr Heimatland im Zeichen freiwilliger Askese verlassen, mit der Absicht, eine peregrinatio pro amore Dei durchzuführen. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurden sie als Klostergründer, Einsiedler und Gelehrte bekannt und trugen entscheidend zu der karolingischen Kirchen- und Kulturpolitik bei. Im späten 11. Jahrhundert setzte eine Welle irisch-benediktinischer Klostergründungen, der so genannten Schottenklöster, ein, die unter anderem auch zu der Errichtung des Schottenstifts St. Marien in Wien führte. Der heilige Koloman lässt sich jedoch weder zeitlich oder örtlich, noch motivisch in dieses Schema einfügen. Dennoch wurde die irische Herkunft des Heiligen oder seine Pilgerreise ins Heilige Land kaum in Zweifel gezogen. Letzteres wahrscheinlich wegen der Tatsache, dass Iren im Mittelalter als Pilger par excellence galten und ersteres wegen seines Namens, der zweifelslos als irisch angesehen werden kann. Der vorliegende Beitrag will Namen, Herkunft, Pilgerreise nach Jerusalem vor dem Hintergrund irischer Geschichte um die Jahrtausendwende untersuchen.
Der Heilige aus Irland Weder Thietmar von Merseburgs Chronikeintrag,2 noch die Melker Annaleneinträge (Stiftsbibliothek CM 391) gaben einen Hinweis auf die Herkunft Kolomans. Dieser 1 Zu all diesen siehe James F. Kenney, The Sources for the Early History of Ireland (Ecclesiastical) (= Records of Civilization, 11) (New York, 1929; Neudruck. Dublin 1979); Thomas Charles-Edwards, The Social Background to Irish Peregrinatio, in: Celtica 11 (1976) S. 43 –59, S. 43 –59. 2 In Bawariorum confinio atque Mararensium quidam peregrinus nomine Colomannus ab incolis, quasi speculator esset, capitur et ad professionem culpae, quam non meruit, diris castigacionibus compellitur. Ille, cum se nimis excusaret pauperemque Christi se sic vagari affirmaret, in arbore diu arida innocens suspensus est. Nam caro eius a quodam postea paululum incisa sanguinem fudit, ungues ac capilli crescebant. Ipsa quoque arbor floruit et hunc Christi martirem esse monstravit. Hoc marchio Heinricus ut comperit, corpus eiusdem in Mezilecun sepelivit. Chronicon Thietmari Merseburgensis: Codex Dresdensis, fol. 002r: Thietmar von
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findet sich jedoch in seiner Passio, die ihn als Iren bezeichnet: scotice gentis oriundum. Obwohl nicht bekannt ist, woher der Autor seine Information erhalten hat, bot sich allein schon der Name an, den Heiligen als Iren zu identifizieren.3 Kolomans Name, von Thietmar und der Passio als Colomannus gegeben, kann auf eine irische Wurzel Colum, eines damals und noch heute häufigen Namens, zurückgeführt werden. Die Ableitung oder Koseform Colmán ist gleichfalls vielfach belegt, und kann auch als Grundlage für den Namen des heilige Columbanus von Luxeuil und Bobbio († 615), angesehen werden.4 Koloman teilt seine Namenform so auch mit dem heiligen Colum/Columba von Iona († 597), der, wie auch Columbanus, seinen irischen Namen als columba latinisierte.5 Die Ansicht, dass es sich bei Koloman um einen irischen Königssohn handele, erscheint erst in späterer Literatur und kulminierte in der unten zu besprechenden Genealogie, die ihn mit der schottischen Königsfamilie in Verbindung brachte. Als diese im 16. Jahrhundert verfasst wurde, wurde die ursprüngliche Bedeutung von scotia als Irland nicht mehr erkannt, eine Tatsache, die sich von nun an Schotten zu Nutzen machten, mit dem Versuch, mittelalterliche irische peregrini und deren Klostergründungen für sich in Anspruch zu nehmen. Erst durch einen Aufsatz Wilhelm Wattenbachs des Jahres 1856 wurde man sich der wahren Herkunft der scoti wieder bewusst; doch setzte sich diese Erkenntnis nur begrenzt durch und noch heute wird noch oft in der Forschung und populärer Wissenschaft ein mittelalterlicher scotus fälschlich als „Schotte“ übersetzt.6 Spätestens seit dem 17. Jahrhundert, als die emigrierten irischen Franziskaner in Leuven/Louvain sich die Aufgabe stellten, Quellen zur Geschichte ihres Vaterlandes, wo derzeit die Ausübung des katholischen Glaubens untersagt war, zu sammeln, wurden
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Merseburg, MGH Digitale Edition der Chronik des Thietmar von Merseburg: http://www.mgh-bibliothek.de/thietmagn/thietmar)001a.jpg. Der Vorschlag, man hätte den Namen von einem der beiden Begleiter des heiligen Kilian (Colonat und Totnan) übernommen, scheint in Anbetracht, dass eine Verehrung der Würzburger Heiligen in Stockerau nicht belegt ist, schwer nachzuvollziehen. Auch Colmán von Lindisfarne wird nicht bekannt gewesen sein. Siehe dazu Rainald Dubski in: Meta Niederkorn-Bruck, (unter Mitarbeit von Rainald Dubski), Koloman 1012–2012 Tradition und Wandel in der Verehrung des Heiligen (Kontinuitäten und Brüche als Ausdruck der Zeit (Melk 2012), S. 65. So zählte John Colgan, Acta sanctorum Hiberniae (Louvain 1645) 120 Heilige mit Namen Colum/ Colmán, von denen die meisten jedoch als lokale Ableitungen eines einzigen Heiligen, nämlich Colum/Columba von Iona, angesehen werden können, siehe die einzelnen Einträge in Pádraig Ó Riain, A Dictionary of Irish Saints (Dublin 22001), S. 183 –208. Dagmar Ó Riain-Raedel, „Bemerkungen zum hagiographischen Dossier des hl. Gallus“, in: Gallus und seine Zeit: Leben, Wirken, Nachleben. Akten der Tagung vom 5. bis 8. September 2012 in der Stiftsbibliothek St. Gallen, hrsg. von der Stiftsbibliothek und vom Stiftsarchiv St. Gallen (Monasterium Sancti Galli 7) (im Druck). Wilhelm Wattenbach, „Die Kongregation der Schottenklöster in Deutschland“, in: ZS für christliche Archäologie 1 (1856), S. 21–58.
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auch die mittelalterlichen Iren auf dem Festland recherchiert. John Colgan (Seán Mac Colgan, † 1658), der eifrigste irische Hagiologe seines Zeitalters, konnte zwar einen Band über die drei „Nationalheiligen“ Irlands, Patrick, Brigida und Columba von Iona, unter dem Titel Trias Thaumaturga veröffentlichen, doch seine kalendarisch geordneten Acta Sanctorum Hiberniae kamen nicht über den Monat März hinaus. Sein MitFranziskaner Hugh Ward (Aodh Buidhe Mac an Bhaird, Hugo Vardius, † 1635) hatte sich mit Koloman beschäftigt, als er versuchte, unter dem Titel Sancti Rumoldi … acta (ein angeblich irischer Bischof von Mechelen in Belgien), zu beweisen, dass Scotia und Hibernia zur Zeit des Heiligen identisch waren und so mittelalterliche Scoti auf dem Festland Iren waren.7 Dieser Versuch richtete sich zuvorderst gegen den schottischen „Hagioklepten“ Thomas Dempster, der 1619 die wichtigsten irischen Heiligen für sein eigenes Vaterland in Anspruch genommen hatte und den Ward in seinem Prolog erwähnt.8 Ward wurde auch vom Melker Historiker Hieronymus Pez betreffs Koloman angeschrieben, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten, was, wie andere Beispiele zeigen, anscheinend bei ihm üblich war.9 Ward war dafür verantwortlich, den Leuvener Laienbruder Michael O’Clery (Míchél Ó Cléirigh) nach Irland zu senden, um dort möglichst viele der damals noch vorhandenen alten Handschriften zu transkribieren. Dank diesem ehrgeizigen Unternehmen konnten viele wertvolle Texte gerettet werden, denn die meisten seiner in Irland verbliebenen Vorlagen sind nun verschollen. O’Clery gelang es auch während seines Aufenthalts im Franziskanerkloster Donegal aus den ihm zur Verfügung stehenden Handschriften ein Martyrologium zu kompilieren, das unter dem Titel The Martyrology of Donegal noch heute in der Brüsseler Bibliothèque Royale (cod. No. 5095 –96) liegt. In einem nicht von O’Clery stammenden Eintrag zum 13. Oktober wird Kolomans gedacht, 7 Das Werk wurde posthum herausgegeben: Hugo Vardaeus / Thomas Sirinus, Sancti Rumoldi martyris inclyti, archiepicopi Dubliniensis … acta, martyrium, liturgia antiqua … summa fide collecta, notis illustrata et aucta disquisitione historica (Leuven 1662), S. 234 –240. Die von Ward zitierte Handschrift aus dem Zisterzienserkloster Kaisershaim (Kaisheim), aus der der irische Jesuite Stephen White ihm Exzerpte aus einer Vita Colomanni schickte, konnte unter den Handschriften aus Kaisheim in der Bayerischen Staatsbibliothek nicht identifizeirt werden. Stephen White, der als Professor in Dillingen/Ingolstadt tätig war, konnte den Franziskanern in Leuven mehrere irische Handschriften zukommen lassen, so unter anderem auch die älteste Handschrift der Vita Sti Columbae, jetzt Schaffhausen Generalia I, die damals auf der Reichenau war, siehe Ó Riain-Raedel, The travels of Irish manuscripts: from the Continent to Ireland, in: A miracle of learning. Studies in manuscripts and Irish learning, hrsg. v. Toby Barnard, Dáibhí Ó CroinÍn and Katherine Simms (Aldershot 1998), S. 52 – 67. 8 Siehe: http://www.archive.org/stream/thomaedempste2101dempuoft/thomaedempste2101dempuo-ft_djvu. txt, S. 241: Koloman („Scotiae Princeps“); zu Ward, siehe: Pádraig Breatnach, An Irish Bollandus: Fr. Hugh Ward and the Louvain Hagiographical Enterprise, in: Égise 31 (1999), S. 1–30. 9 Auch andere Kollegen Wards beschwerten sich über sein Schweigen auf an ihn gerichtete Schreiben: Pádraig Breatnach, An Irish Bollandus: Fr. Hugh Ward and the Louvain Hagiographical Enterprise, in: Égise 31 (1999) S. 1–30, 12.
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der, ohne weitere Details zu geben, als Pilger in Austria und Sohn Maol Seachnaills, Sohn Domhnalls, beschrieben wird. Da Ward die Handschrift vielerorts mit eigenen Nachträgen bestückt hat, mag auch dieser Eintrag von ihm stammen.10 In Zusammenhang mit O’Clerys vierjährigem Aufenthalt in Irland wird auch der Versuch unternommen worden sein, Kolomans königliche Herkunft anhand der irischen Annalen zu erforschen. Trotz des Vorkommens zahlreicher Kleinkönige auf der Insel, entschied sich Ward für den mächtigsten Mann im Lande, Maol Seachnaill Mac Domhnaill (auch Máelseachlainn oder Malachias genannt), König der Grafschaft Meath und Hoch-König von Irland († 1022). Mit seinem Namen bekannte er sich als Diener/Verehrer des heiligen Seachnall (Secundinus), einem der Begleiter des heiligen Patrick, und Gründer der Kirche Dunshaughlin (Domhnach Seachnaill), der Hauptkirche von Meath.11 Maol Seachnaill gehörte zu der südlichen Linie der Uí Néill Dynastie, die die Bezeichnung Clann Cholmáin (die Dynastie des Colmán) trug, benannt nach einem Vorfahren (Colmán Mór), der im 5. Jahrhundert gelebt haben soll.12 Ward war offensichtlich im Besitz extensiver Nachrichten über Maol Seachnaills Karriere und trug auch eine Genealogie bei, die ihn 17 Generationen bis zum legendären ersten irischen König Niall zurückführte, der angeblich im Zuge der ursprünglichen Invasion Irlands aus Spanien gekommen war. Was Kolomans angebliche Mutter betraf, so entschied er sich für Brian Borús Tochter Mór (allerdings mit der Bemerkung: si rite memini) und gibt deren Genealogie, die sie in 16 Generationen ebenso an die Ursprünge der königlichen Familie der Dál Cais zurückführt.13 So konnte Ward seine Ausführungen dann mit dem folgenden Kommentar versehen, der sich auf den oben genannten Colman Mór bezieht: „Erat igitur S. Colmannus filius Malachiae Magni, Hiberniae Regis hoc nomine secundus“. Obwohl keine irische Quellen die Theorie einer Verwandtschaft von Maol Seachnaill mit Koloman bestätigen, ergeben sich doch einige Anhaltspunkte. Zum einen stimmt die Chronologie, denn Maol Seachnaill starb 1022 im Alter von 73 Jahren, wurde also im Jahre 950 geboren und könnte so theoretisch der Vater Kolomans gewesen sein. Die Annalen berichten, dass Maol Seachnaills erster Sohn, Flann, im Jahre 1013 in der Schlacht von „In Draignén“ gegen die Wikinger ums Leben kam. Zum andern könnte sich Kolomans Name auf seine Zugehörigkeit zur Dynastie des Clann Cholmáin beziehen, besonders da, wie die Genealogien zeigen, der Name Colmán (Koloman) 10 Breatnach, An Irish Bollandus, S. 27–30. 11 Dagmar Ó Riain-Raedel, A Dictionary of Irish Saints (Dublin 22001), S. 552–553. 12 M. A. O‘Brien/J. V. Kelleher, Corpus Genealogiarum Hiberniae (Dublin 21976), S. 159, 162, 425. 13 Ward irrte sich hier, denn Mór war die erste Ehefrau, nicht die Tochter Brian Borús, und kommt so als Mutter Kolomans nicht in Frage. Brian Ború starb als Hochkönig von Irland in der Schlacht von Clontarf im Jahre 1014.
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nicht zu den traditionellen Rufnamen der Dynastie gehörte und sich so eher auf den Clan-Namen beziehen könnte. Selbst falls er der Sohn Maol Seachnaills war, ist die Identität seiner Mutter nicht bekannt, doch besteht die Möglichkeit, dass es eine der berühmtesten irischen Königinnen, Gormlaith inghean Mhurchadha († 1030), Schwester von Maolmórdha, König von Leinster, gewesen sein könnte. Falls einigen Nachrichten Glauben geschenkt werden kann, wurde sie nach dem Tod ihres Ehemannes, des Wikingerkönigs von Dublin, Olaf Cuarán (ca. 927–981), die Ehefrau/Geliebte Maol Seachnaills, der mit ihrem ersten Ehemann in lange Konflikte verwickelt gewesen war. Mit ihm hatte sie einen Sohn, Conchobhar, der 1030 verstarb, doch scheint sich Maol Seachnaill von ihr getrennt zu haben, worauf sie seinen Rivalen Brian Ború und Nachfolger als HochKönig († 1014) heiratete, der sich jedoch ebenfalls von ihr scheiden ließ. Gormflaiths politische Intrigen, mit denen sie ihre Ehemänner gegeneinander ausspielte, interessieren hier nicht, doch mag relevant sein, dass zumindest den Annalen nach zwei ihrer Söhne und ein Enkel auf Pilgerfahrt gingen.14 Gormlaiths erster Sohn, König Sitric III (Silkbeard, † nach 1038) aus ihrer Ehe mit Olaf, König von Dublin, unternahm im Jahre 1028 eine Pilgerreise nach Rom.15 Er reiste in der Gesellschaft einer Gruppe irischer Adliger, zu denen auch der König von Breagha (Co. Meath) gehörte. Auf ihrem Rückweg aus der Ewigen Stadt machten die Pilger in Köln Station, wo zu dieser Zeit irische Äbte zwei Benediktinerklöstern (Groß St. Martin und St. Pantaleon) vorstanden. Die mit dem dortigen Erzbischof Heribert (999 –1021) eng verbundenen irischen Äbte waren anscheinend in der Lage, die Pilger mit reichen Reliquienschätzen auszustatten, die Sitric anschließend als Gründungsreliquien an die erste Kathedrale Irlands, die Christ Church in Dublin, schenkte. Obwohl die Reliquien, zu denen Teile des erzbischöflichen Stabes, der Ketten des heiligen Petrus und Teile von Heriberts Kasel gehörten, ein Opfer der Reformation wurden, zeigt eine im gleichzeitig in Köln erworbenen Martyrologium erhaltenen Liste, dass die Iren mit den wertvollsten Schätzen der Schatzkammer des Kölner Doms ausgestattet wurden. Nicht viel später machte sich auch Sitrics Sohn, Amhlaoibh (Olaf), auf eine Pilgerreise nach Rom, bei der
14 Máire Ní Mhaonaigh spricht von Gormlaiths „propensity for politically motivated marital alliances“, Maire Ní Mhaonaigh, Tales of Three Gormlaiths in Medieval Irish Literature, in: Ériu 52 (2002), S. 1–24; hier S. 4. 15 Pádraig Ó Riain, Dublin’s oldest book? A list of saints ‘made in Germany’, in: Medieval Dublin 5, ed. S. Duffy (Dublin 2004), S. 52 –72; Pádraig Ó Riain, Das Martyrologium der Klöster Groß St. Martin und St. Pantaleon in Köln, S. 181–214; Pádraig Ó Riain, A Martyrology of Four Cities (=Henry Bradshaw Society, London 2008).
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er jedoch im Jahre 1032 unterwegs in England ermordet wurde; ein Schicksal, das an das zwei Jahrzehnte frühere Martyrium Kolomans erinnert.16 Von Maol Seachnaills Söhnen ist keine Pilgerfahrt bekannt, stattdessen scheinen sie, wie ein Eintrag der Annalen von 1032 andeutet, zumeist mit Machtkämpfen beschäftigt gewesen zu sein.17 Von den fünf in den Genealogien aufgeführten Söhnen Flann († 1013), Conghalach († 1017), Conchobhar († 1030, Sohn Gormlaiths), Murchadh Ruadh († 1049), Muircheartach († 1049), zeigte sich allein Domhnall († 1019), Abt des Klosters Clonard, für die Kontinuität der Dynastie, die sich auf seine zwei Söhne stützte, verantwortlich.18 Es kann natürlich möglich gewesen sein, dass ein weiterer Sohn, nämlich Koloman, nicht in den irischen Annalen erscheint, weil die Nachricht von seinem Ableben in Irland nicht bekannt wurde und, wie der obige Eintrag in der Martyrology of Donegal gezeigt hat, erst im 17. Jahrhundert wieder akut wurde. Letztlich ging auch Gormlaiths Sohn aus ihrer Ehe mit Brian Ború, Donnchadh mac Briain († 1064), am Ende seines Lebens auf Pilgerfahrt nach Rom, wo seine Begräbnisstätte in der Rundkirche von San Stefano noch heute von seinen Landsleuten besucht werden kann.
Die Genealogia sancti Kolomanni ut Scoti dicunt Obwohl die wohl bereits im Laufe des 11. Jahrhunderts in Melk verfasste Passio Kolomans irische Herkunft und das Ziel seiner Pilgerreise genannt hatte, lässt sich wenig davon in den um 1123 begonnenen Annalen finden. Dennoch blieb die Geschichtsschreibung in Melk in den folgenden Jahrzehnten bemüht, die Verbindungen zu den Babenbergern nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und die Handschrift Cod. Mell. 391 birgt sozusagen das klösterliche Gedächtnis. In diese Handschrift wurden auch die im 16. Jahrhundert zur Festigung der klösterlichen Position angeschafften oder abgefassten Dokumente inkorporiert, die ein erneuertes Interesse an Kolomans Herkunft zeigen.19 Hierzu gehört ein Brief, der im Jahr 1524 von Prior Andreas/Adam Foreman des Klosters Dumfermline in Schottland an den Melker Abt geschickt wurde.
16 Amhlaoibh, son of Sitric, was slain by the Saxons, on his way to Rome; Annals of the Four Masters: http:// www.ucc.ie/celt/online/T100005B/text014.html. 17 Muircheartach, son (or grandson) of Maol Seachnaill, was blinded by Conchobhar Ua Maol Seachnaill; Annals of the Four Masters: http://www.ucc.ie/celt/published/T100005B/index.html 18 A New History of Ireland, Bd. 9, S. 131. 19 Beschreibung der Handschrift in: 1000 Jahre Babenberger in Österreich. Objekt-Nr.: 274, S. 243: http:// wwwg.uni-klu.ac.at/kultdoku/kataloge/11/html/990.htm.
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Es handelte sich um ein Antwortschreiben auf eine Anfrage, die ein Weltgeistlicher namens Andreas Wilsern im Auftrag des Melker Abts nach Schottland gebracht hatte, mit dem Anliegen, Informationen über Herkunft und Familie des Heiligen zu erhalten. Der darin enthaltenen Genealogie nach war Koloman ein Sohn Königs Malcolm III († 1093) und dessen Ehefrau Margarete von Essex († 1093), die selbst später als Heilige verehrt wurde. Sein Name sei ursprünglich Ethelred gewesen und diesen habe er bei seiner Ankunft auf dem Kontinent in Koloman umgewandelt. Die in Cod. Mell. 391 fol. 94r erhaltene Genealogie erweist sich allerdings als höchst fabulös, bereits die Chronologie ist offensichtlich falsch, denn Malcolm und Margarete heirateten erst im Jahre 1069, über 50 Jahre nach dem Tod Kolomans. Die heilige Margarete als Mutter Kolomans hätte natürlich Koloman einen besonderen Glanz verliehen, doch mögen noch weitere Hintergründe vorhanden gewesen sein. Ihr Vater Edward Ætheling († 1057), war als Kind ins Exil geschickt worden und wahrscheinlich wurde Margarete während seines späteren Aufenthalts in Ungarn geboren, wo ihr Vater am Hof des ungarischen Königs Andreas lebte und wo er auch seine einheimische Frau Agatha geehelicht haben mag.20 Edward wurde 1057 nach England zurückgerufen, um die Königswürde anzunehmen, starb aber bereits zwei Tage nach seiner Ankunft.21 Die ungarische Herkunft Margaretes mag in Melk oder auch in Schottland bekannt gewesen sein und könnte so einen Beweggrund geliefert haben, sie als Kolomans Mutter in Anspruch zu nehmen. Dies wäre umso mehr verständlich in Anbetracht der Tatsache, dass in dem erweiterten Wunderkatalog der Passio von einer durch den Trierer Erzbischof Poppo, Bruder Markgraf Heinrichs, instigierten Überführung des Heiligen nach Ungarn berichtet wird.22 Diese translatio soll, wie unten noch besprochen werden wird, auf Drängen von Petrus rex Ungarorum († 1046) veranlasst worden sein, vielleicht um Reliquien für die Kathedrale und königliche Grablege in Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) zu liefern. Nachfolgende Katastrophen zeigten jedoch deutlich, dass der Heilige wieder zurück nach Melk wollte und allein sein Haupt soll so in Ungarn verblieben sein. Noch im 16. Jahrhundert war diese Version bekannt, denn bei seinem Besuch in Melk im Jahre 1517 versprach Kaiser Maximilian I, das Haupt des Heiligen quod est in Alba regali Hungariae wieder zu repatriieren und gleichzeitig Kolomans Grabmal in Melk zu erneuern.23 Dennoch kann Kolomans Verbindung zu Malcolm und Margarete allein aus chronologischen Gründen nicht aufrechterhalten werden und so ist es auch verständlich,
20 Gabriel Ronay, The Lost King of England (London 1989 und 2002). 21 Alan Orr Anderson, Early Sources of Scottish History. A. D 500 –1286, Bd. 1 (London 1922). 22 Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman, S. 27–28, 77. 23 Annales Mellicenses, MGH SS IX, 530; siehe Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman, S. 49.
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dass der bisher als echt angesehene Brief als eine Melker Fälschung entlarvt wurde.24 Wie diese entstanden ist, ist weiterhin unsicher, doch wie Prof. Niederkorn-Bruck gezeigt hat, bieten sich einige Lösungen an. Der im Brief sich als Prior titulierende Andreas Foreman († 1522) war zeitweilig schottischer Gesandter an der Kurie, später Bischof von St. Andrews und letztlich Abt des Benediktinerklosters Dumfermline. Im Jahre 1497, als Andreas an der Kurie weilte, war auch der Melker Abt Wolfgang in Rom und mag dort den schottischen protonotarius apostolicus kennengelernt und um Auskunft betreffs seines Hausheiligen gefragt haben. Ihm war natürlich nicht bewusst, dass Scotia im Mittelalter als Bezeichnung für Irland gebraucht wurde. Dennoch waren auch die HighlandSchotten, zu denen Malcolm und seine Vorfahren gehörten, gälisch (irisch) sprechend und so zeigt sich, dass die angestrebte Verbindung nicht ganz so abwegig ist wie allgemein angenommen, und dass die Forschungen vielleicht etwas gründlicher waren als erwartet. Malcolm ist eine Übersetzung seines gälischer Namens Maol Coluim, unter dem er bei seinen Zeitgenossen und auch später bekannt war. Die Bezeichnung Maol Coluim (Diener/Verehrer des heiligen Colum/Columba von Iona) weist auf die von Iona ausgehende Verehrung des dortigen Hausheiligen in Schottland zurück. Wie oben gezeigt wurde, geht auch der Name des Melker Heiligen auf diese Form zurück. Malcolm war schon der dritte König dieses Namens und erst seit seiner Heirat mit der englischen Prinzessin Margarete änderten sich die seit Generationen gebräuchlichen gälischen zu englischen Namen um. Koloman könnte so theoretisch einen irischen und einen englischen Namen (Ethelred?) gebraucht haben. Dennoch sind allein die zeitlichen Diskrepanzen zu gravierend, um der Geschichte Glauben zu schenken. Doch steht fest, dass der Verfasser der Genealogie Zugang zu schriftlichen Quellen gehabt haben muss, die er dann zur Benefiz Melks falsifizierte. Dass Melk zuvorderst von der Verbindung profitieren sollte, zeigt sich schon allein an der Tatsache, dass das angebliche Märtyrertum weder von der schottischen Königsfamilie, noch von Dumfermline, der adligen Grablege, zu ihren eigenen Zwecken ausgenützt wurde. Am einleuchtendsten ist es, dass die Genealogie aus der im Jahre 1521 in Paris gedruckten Historia maioris Britanniae tam Angliae quam Scotiae e veterum Monumentis concinnata des Schotten John Maior (Mair) (1467–1550) rekonstruiert wurde.25 Wo diese Schrift bereits drei Jahre nach ihrem Druck vorgelegen hat, ist allerdings noch nicht geklärt, doch mag der Brief sowieso jünger sein, als die in ihm angegebene fiktive Datierung auf 1524. Maior war nur einer in einer Reihe Historiker seines Heimatlandes, die irische Klöster auf dem Kontinent für Schottland in Anspruch nehmen wollten und 24 Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman, S. 53 –54. 25 Niederkorn-Bruck, Koloman, S. 273.
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befindet sich so in der Tradition jener, die der Übernahme der Schottenklöster in Regensburg (1515), Würzburg und Erfurt durch schottische Benediktiner Vorschub leisteten.26
Die Suche nach dem Königssohn
Die Melker Geschichtsforschung und -schreibung des 16. Jahrhunderts bewegte sich so, wie Prof. Niederkorn-Bruck dargestellt hat, innerhalb der kontemporären „Wissenstransfer[s] zwischen Fürstenhof, Universität und Kloster“. Besonders Kontakte zwischen Klöstern gleichen Ordens trugen zum Informationsaustausch bei, und man mag hier insbesondere an das Melker „gelehrte Netzwerk nach St. Gallen“ denken.27 Hier handelte es sich insbesondere um den Arzt und Antiquar Joachim von Watt (Joachim Vadianus, † 1551), der im Anschluss an sein Rektorat an der Universität Wien nach St. Gallen übersiedelte und sich dort mit der historia des heiligen Gallus, der als irischer „Gründer“ des dortigen Klosters galt, auseinandersetzte. Vielleicht war es St. Galler Einfluss, der die Melker Suche nach der Genealogie beeinflusste. Schon im 9. Jahrhundert hatte man sich im Kloster an der Steinach bemüht, einen Stammbaum des Heiligen zu fabrizieren, der unter anderem seine königliche Geburt, die bereits in seiner Vita anklang, beweisen sollte.28 So zitierte man in St. Gallen gewisse venerabiles Scoti als Gewährsleute, die die Genealogie verifizieren konnten, und es mag mehr als Zufall sein, dass auch der in Melk fabrizierte Stammbaum mit der Überschrift ut Scoti dicunt eingeleitet wird. Im Falle der St. Galler Genealogie zeigt sich, dass die Stammbäume des heiligen Patrick und der heiligen Brigida, die jene des Hausheiligen begleiten, sorgfältig gearbeitet wurden und die Angaben aus deren Viten des ausgehenden 7. Jahrhunderts entnommen wurden. Was den heiligen Gallus selbst betrifft, so kann weder seine königliche Herkunft noch die in der Genealogie zitierten Namen seines Vaters und Großvaters aus irischen Quellen bestätigt werden. Hauptanliegen in St. Gallen wie in Melk war, den Status ihres Heiligen durch eine angebliche adlige Herkunft zu erhöhen. In St. Gallen war man noch einen Schritt weitergegangen, indem man den Hausheiligen zur Trias der irischen „Nationalheiligen“ erhob, die allgemein aus den Heiligen Patrick, Brigida und Columba von Iona bestand. Die oben angesprochenen Verbindungen zum Kloster St. Gallen mögen so in Melk den Anstoß gegeben haben, auch ihren Heiligen mit einer Genealogie auszustatten, die seinen Status als Königssohn ein für alle Mal bestätigen sollte. Anders als im Falle des heiligen Gallus, dessen Eltern bereits in seiner Vita als secundum Deum religiosi, 26 Mark Dilworth, The Scots in Franconia. A Century of Monastic Life (London 1974), S. 212–215. 27 Niederkorn-Bruck, Koloman, S. 184 –196. 28 Dagmar Ó Riain-Raedel, Bemerkungen zum hagiographischen Dossier des heiligen Gallus.
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secundum saeculum nobiles beschrieben wurden29, ist in Melk eine solche Theorie nicht vor dem fingierten Brief von 1524 belegt. Außer der möglichen Abhängigkeit von der St. Galler Genealogie ist nicht bekannt, ob die Melker Historiker sich bewusst waren, dass die meisten frühmittelalterlichen wirklichen oder angeblichen Iren in ihren Viten zumeist als Königssöhne bezeichnet wurden. So wurde nicht nur dem heiligen Kilian von Würzburg eine vornehme Herkunft zugeschrieben, auch die beiden irischen Schwarzwälder Märtyrer, Landelin und Trudpert, waren angeblich Königssöhne.30 Auch wenn hier an einen Topos zu denken ist, haben die obigen Beispiele gezeigt, dass die im 11. Jahrhundert stattfindenden Pilgerreisen zumeist von Mitgliedern der irischen Adelsschicht unternommen wurden. Dies lag natürlich daran, dass allein Reisen wichtiger Personen, seien dies Laien oder Kirchenmänner, in den Annalen registriert wurden. Doch muss auch beachtet werden, dass Irland, als eine im fernen Westen gelegene Insel, geographisch benachteiligt war und jegliche Reise zumindest einer, wenn nicht zweier, Schiffsfahrten bedurfte, die sicherlich bezahlt werden mussten. Auch wenn während des Mittelalters (und auch später) hunderte oder tausende Personen von Irland auf das Festland emigrierten, ist fraglich, ob nicht vorwiegend reiche oder einflussreiche Personen solche Reisen unternehmen konnten, wenn auch vielleicht gutmütige oder fromme Schiffer Pilger umsonst transportiert haben mögen.
Irische Pilgerfahrten im 11. Jahrhundert Wie die obigen Beispiele gezeigt haben, nahm im 11. Jahrhundert die, durch die Wikingereinfälle lange behinderte Pilgertätigkeit wieder beträchtlich zu. Wie sich erwiesen hat, kamen die peregrini dieser Zeit zumeist aus dem Teil Irlands (Leinster), zu dem auch das Regierungsland Maol Seachnaills gehörte.31 Soweit aus den Annalen zu entnehmen ist, konzentrierten sich die Pilgerfahrten hauptsächlich auf Rom, wo seit spätestens dem 11. Jahrhundert ein irisches Kloster, das wohl als hospitium für die Pilger diente, belegt ist.32 Schon in der Zeit von Columbanus († 615) gebrauchten irische Pilger und Bischöfe auf dem Weg zur Kuria die wohlbekannten Handelswege 29 Walahfrid, 1: Walahfrid Strabo, Vita sancti Galli. Das Leben des heiligen Gallus, S. 24 –25. 30 Dagmar Ó Riain-Raedel, Die Iren im Schwarzwald: Das traurige Schicksal der heiligen Landelin und Trudpert, in: FS für Hildegard L. C. Tristram, Hg. Gisbert Hemprich (2009) S. 55 – 61. 31 Dagmar Ó Riain-Raedel, Aspects of the promotion of Irish saints’ cults in medieval Germany, in: ZCP 39 (1982) S. 220 –34. 32 André Wilmart, La Trinité des Scots à Rome et les notes du Vat. Lat. 378, in: Revue Bénédictine 41 (1929), S. 218 –230; Gwynn, Ireland and Rome in the 11th century, in: Irish Ecclesiastical Record, 5th. series 57 (1941) S. 215–232.
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und Römerstraßen von Nordfrankreich über die Rhein-Moselgegend Richtung Bodensee und von dort über Oberitalien nach Rom. Im Laufe der Jahrhunderte gab es genügend monasteria scottorum oder Klöster entlang dieser Wege, die, wie etwa St. Gallen, ihre Gründung auf einen Iren zurückführten und wo dessen Landesgenossen auf ein Willkommen hoffen konnten. Obwohl Reisen ins Heilige Land kaum bezeugt sind, und der Tod eines südirischen Königs in Jerusalem im Jahre 1080 eine Ausnahme darstellt,33 lässt sich annehmen, dass auch solche Pilger über das Rhein-Moselgebiet reisten, wo seit dem späten 10. Jahrhundert Irenkolonien um Metz, Trier und Köln belegt sind.34 Hier starb auch ein Abt aus Maol Seachnaills Hauskloster Dunshaughlin im Jahre 1027.35 Auch Jerusalemfahrten wurden nun, wenn auch immer noch spärlich, verzeichnet.36 Außer Annaleneinträgen deuten auch andere, weniger direkte, Indizien auf einen Aufschwung an irischen Pilgerfahrten hin. So können hier eventuell als Pilgerandenken von den heiligen Stätten zurückgebrachte Reliquien eine gewisse Beweiskraft haben. Das Steinstückchen von Salomons Tempel kann vielleicht mit anderen ähnlichen Reliquien verglichen werden, zu denen auch Porphyrfragmente gehören, die in verschiedenen Ausgrabungen gefunden wurden. Bezeichnenderweise wurden diese Steinchen, vielleicht Mosaiksteine aus dem Mittelmeerraum, in Gräbern gefunden, was daraufhin deuten könnte, dass sie als Reliquien angesehen wurden. Eine im Jahre 1129 im Kloster Clonmacnoise gestohlene Jerusalemreliquie, ein Stückchen des Tempels Salomons, mag zu diesen gehört haben.37 Im gegenwärtigen Zusammenhang mag von Interesse sein, dass im Jahre 1005 ausgerechnet Maol Seachnaill dem Hauptaltar in Clonmacnoise ein mit Gold geschmücktes Antepedium geschenkt hatte, zu dem vielleicht auch ein Reliquienkästchen gehörte, das den Cairrecan Tempuill Solman beinhaltet hat. Auch zu den Reliquien, die Maol Seachnaills Stiefsohn, König Sitric, aus Köln zurückgebracht haben soll und die anschließend an die Christ Church in Dublin geschenkt wurden, gehörten Steinbröckchen des Heiligen Grabes und anderer Stätten in Palästina. In wieweit diese
33 Peter Harbison, Pilgrimage in Ireland (London 1995), S. 29. 34 Leo Weisgerber, Eine Irenwelle an Maas, Mosel und Rhein in Ottonischer Zeit?, in: Aus Geschichte und Landeskunde. Forschungen und Darstellungen (FS für Franz Steinbach, Bonn 1960), S. 727–750. 35 Dunchadh, son of Gilla Mochonna, successor of Seachnall, the most distinguished wise man of the Irish, died at Coloin, in Germany. 36 1224 Aodh, son of Conchobhar Maonmhaighe died while coming from the River [Jordan] and from Jerusalem this year; Annals of Loch-Cé: http://www.ucc.ie/celt/published/T100010A/; 1231 Ualgharg Ua Ruairc, King of Breifne, died in pilgrimage on the way to the River [Jordan]: http://www.ucc.ie/celt/published/ T100010A/. 37 Im Jahre 1129 verzeichneten die irischen Annalen, dass vom Altar der Kirche in Clonmacnois mehrere Schätze gestohlen wurden, darunter ‚carrecáin Tempaill Solman‘, d. h. ein Steinstückchen von Salomons Tempel. Clonmacnois wurde als Zentrum Irlands angesehen und nahm so die gleiche Stellung wie Jerusalem in mittelalterlichen Karten ein: Cormac Bourke, Cairrecan Tempuill Solman, Peritia 16 (2002), S. 474 – 477.
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Reliquien direkt aus dem Heiligen Land nach Irland kamen, oder ob sie über irische Klöster im Ausland, wie etwa Köln, kamen, wäre noch zu bestimmen. Auch für Koloman wäre es naheliegend gewesen, in Köln Station zu machen, bevor sich die zwei Pilgerwege, einerseits südlich nach Rom, andererseits östlich nach Jerusalem, trennten.38 Vielleicht könnte dies die bisher ungeklärte Frage, wie Thietmar im entfernten Merseburg von Martyrium und Translatio Kolomans erfahren konnte, beantworten.
Thietmar von Merseburg Die früheste Erwähnung von Martyrium und Translatio Kolomans ist, wie bekannt, Bischof Thietmars von Merseburg Nachtrag am Ende seines 7. Buches, das mit dem Jahre 1017 endet. Es bleibt weiterhin ungeklärt, wie Thietmar so frühzeitig von dem Schicksal Kolomans erfahren konnte. Vielleicht kam die Nachricht über eines der Irenklöster in Köln, denn wie die vielen diese Stadt betreffenden Einträge zeigen, hatte Thietmar besonderes Interesse an Köln, wo, wie er erzählt, der mit ihm verwandte Gero (970 –976) dank einer Vision Kaiser Ottos I zum neuen Erzbischof gewählt worden war.39 Holtzmann wies auf familiäre Verbindungen Thietmars zu Köln hin, die vielleicht über seine Großmutter Mathilde und seine Mutter Kunigunde zu erklären sind und durch die seine guten Kenntnisse über Ereignisse in dieser Gegend belegt werden könnten.40 Viele Einträge erwähnen Heribert, König Heinrichs Kanzler und Erzbischof von Köln († 1021), den Thietmar als sanctae Agripinae archiepiscopus bezeichnet und der auch über seinen Bruder Heinrich, Bischof von Würzburg († 1018), Kontakt mit dem Chronisten gehabt haben mag. Wie oben gezeigt wurde, war Heribert ein besonderer Freund der Iren in Köln.41 Wahrscheinlicher sind jedoch andere verwandtschaftliche Verbindungen, durch die Thietmar die Nachricht über Koloman erreicht haben könnte. So war sein Vetter Thiedrich Kleriker in Magdeburg und ab 1012 Kaplan König Heinrichs. Außerdem hatte er familiäre Beziehungen zu den Babenbergern, denn Thietmars Tante war Eila (Eilica, † 1013), eine Schwester seines Vaters Siegfried, die Markgraf Berthold († 980)
38 Ó Riain-Raedel, Irish Benedictine monasteries on the Continent, in: Irish Benedictines, hg. v. Martin Browne and Colman Ó Clabaigh (Dublin 2005) S. 25 – 63. 39 Sebastian Rossignol, Die Spukgeschichten Thietmars von Merseburg, in: Concilium medii Aevi (2006) S. 63. 40 Thietmarus Merseburgensis Chronica, S. IX. 41 Dem ist jedoch gegenüber zu halten, dass Marianus Scotus († 1082/3), der in Kölner Affären gut unterrichtet war, Koloman in seiner Chronik nicht erwähnt (MGH SS V, 555).
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aus dem Haus der jüngeren Babenberger und Bruder Markgrafs Luitpolds/Leopolds († 994), geheiratet hatte.42 Eine besondere Beziehung mag zu Erzbischof Poppo von Trier (circa 986 – 16. Juni 1047) bestanden haben, der 1007 von König Heinrich II. (ab 1014 Kaiser) als Propst am neugegründeten Bistum Bamberg eingesetzt und 1016 zum Erzbischof von Trier gewählt wurde. Als Sohn Leopolds war Poppo Bruder Markgrafs Heinrich, des Veranlassers der Translatio nach Melk. Poppo wird im Wunderkatalog der Passio als Trevirorum archiepiscopus Poppo nostri marchionis frater beschrieben, wobei der genannte Markgraf sich mittlerweile auf seinen anderen Bruder, Heinrichs Nachfolger Adalbert, bezog.43 Über Markgraf Heinrichs Werdegang war Thietmar gut unterrichtet und nennt ihn vir fortis et strennuus in seinem Eintrag zu Heinrichs Tod am 24. Juni 1018. Seine Beschreibung Heinricus ... qui marcam inter Hungarios et Bawarias positam tenuit, zeigt deutlich, dass er sich der schwierigen und strategisch wichtigen Rolle der Ostmark bewusst war.44 Die in Heinrichs Herrschaftsgebiet gelegene wichtige Donaustraße, die den Weg nach Ungarn, in die Ukraine und, wohl besonders wichtig, nach Konstantinopel, öffnete, war auch für das Reich von großer Bedeutung. Wie Thietmar eingehend berichtet und wie die Regesten eindeutig darlegen, waren die Jahre um die Jahrtausendwende durch wiederholte Auseinandersetzungen Kaiser Heinrichs mit den Potentaten in Böhmen und Polen gezeichnet. Es war in Heinrichs Interesse, das sich im 10. Jahrhundert zum Christentum bekennende Ungarn als Verbündete an sich zu binden, was im besonderen dadurch ausgedrückt wurde, dass er seine Schwester Gisela mit Stephan († 1038), der 1000 von Papst Silvester II., vielleicht unter Einwirkung Kaiser Ottos III., die ungarische Königskrone erhalten hatte, vermählte.45 In wieweit König Heinrich oder der Markgraf die Organisation im neuen Regierungsbereich unterstützten, bedürfte weiterer Untersuchung. Insbesondere stellt sich die Frage, ob Erzbischof Poppo eine Rolle in der sich zu dieser Zeit entwickelnden kirchlichen Strukturalisierung der ungarischen Kirche spielen sollte. Das unter Adalbert aktiv einsetzende „starke Vordringen gegen Osten und Nordosten“ geschah in enger Verbindung mit Heinrich.46
42 Thietmarus Merseburgensis Chronica, S. XI. Zu weiteren verwandtschaftlichen Beziehungen, siehe Lechner, Die Babenberger, S. 54 –55. 43 Friedrich Lesser, Erzbischof Poppo von Trier (1016 –1047) (Leipzig 1888); Wolfgang Schmid, Poppo von Babenberg († 1047) (Trier 1998). 44 Thietmar von Merseburg, MGH Digitale Edition der Chronik des Thietmar von Merseburg: http://www. mgh-bibliothek.de/thietmagn/thietmar)001a.jpg; siehe Lechner, Die Babenberger, S. 59 – 66. 45 Pál Engel, The Realm of St Stephen. A History of medieval Hungary (New York 2001) S. 27–28. 46 Karl Lechner, Die Babenberger, (Wien – Köln –Weimar 41996) S. 66 –71.
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Speculator: Spion oder Bischof? Auch wenn Thietmar Koloman als peregrinus bezeichnet, ergibt sich die Nachricht über sein Pilgerziel allein aus der Passio, die, wie alle Viten, ausschließlich als Dokument ihrer Abfassungszeit zu bewerten ist und die Ereignisse rückwirkend interpretiert haben wird.47 Bezeichnenderweise erwähnen die im frühen 12. Jahrhundert begonnenen Melker Annalen weder sein Ziel noch seine Nationalität, noch wird er als Pilger bezeichnet. So mag vielleicht eine wahre Note der Passio nachklingen, wenn sie den Verdacht erwähnt, Koloman sei geschickt worden, um die Gegenden der Ungarn und Böhmen auszukundschaften: tanquam veniret missus a predictis nationibus causa explorationis ac prodende regionis.48 In einem wichtigen Beitrag zum Melker Kolloquium vom Oktober 2012 wies Frau Dr. Christine Glassner daraufhin, dass die von Thietmar für Kolman gebrauchte Bezeichnung speculator im Mittelalter nicht nur für Spion, sondern ebenso für Klostervorsteher oder, bevorzugt, Bischof verwendet werden konnte. Der Begriff ist in diesem Sinne während des Mittelalters wiederholt belegt und bereits Columbanus, Kolomans irischer Vorgänger, hatte in seiner 5. Epistel den Bischof von Rom, Papst Leo I., als speculator adressiert.49 Wie mehrere frühmittelalterliche irische Texte, zumeist in Anlehnung an Isidor von Sevillas Etymologia, zeigen, wurde speculator als lateinisches Äquivalent von griechisch episkopos angesehen: episcopus nomen a graeco ductum, os in us convertens, quod latine superspeculator sive superintentor dicitur.50 In Analogie zu Ezekiel 3: 16 und 33:6 bedeutete speculator „Überseer oder Wächter“, also einer, der als Bischof über seine Gemeinde wacht.51 Wäre also Koloman als Bischof und nicht als Spion in Stockerau ermordet worden, würde sich natürlich die ganze Konstellation seiner Legende verändern. Ließe sich 47 Dagmar Ó Riain-Raedel, Kalendare und Legenden und ihre historische Auswertung, in: Media and Communication in Early Irish Literature (1989) S. 241–265. 48 Niederkorn-Bruck, Der hl. Koloman, S. 71. 49 Pulcherrimo omnium totius Europae Ecclesiarum Capiti, Papae praedulci, praecelso Praesuli, Pastorum Pastori, reverendissimo Speculatori; humillimus celsissimo, minimus maximo, agrestis urbano, micrologus eloquentissimo, extremus primo, peregrinus indigenae, pauperculus praepotenti, — mirum dictu, nova res, rara avis — scribere audet Bonifatio Patri Palumbus: http://www.ucc.ie/celt/published/L201054/index.html: Epistula V (§ 1–2, 15). 50 Damian Bracken, Authority and Duty: Columbanus and the Primacy of Rome, in: Peritia 16 (2002) S. 168 –213, 187–189. 51 Ezechiel 3: 16: cum autem pertransissent septem dies factum est verbum Domini ad me dicens fili hominis speculatorem dedi te domui Israhel et audies de ore meo verbum et adnuntiabis eis ex me: Und da die sieben Tage um waren, geschah des Herrn Wort zu mir und sprach: Du Menschenkind, ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel; du sollst aus meinem Munde das Wort hören und sie von meinetwegen warnen; Ezechiel 33: 1: et factum est verbum Domini ad me dicens fili hominis loquere ad filios populi tui et dices ad
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demnach argumentieren, Koloman habe sich auf einer offiziellen Dienstreise befunden, um, wie die Passio andeutet, die Regionen Ungarns oder Böhmens zu erkunden, wären vielleicht einige bisher ungeklärte Fragen beantwortbar. Hierzu gehört nicht nur die Tatsache, warum Thietmar den Tod eines einfachen Pilgers im entfernten Osten berichten sollte, sondern auch warum Markgraf Heinrich daran interessiert war, den Märtyrer für seine Burg und als Patron seiner Dynastie in Anspruch zu nehmen. Die prekäre Stellung der Burg Melk, die um 985/87 von den Babenbergern (wieder-)erobert werden musste, zeigt, dass die Region unter anhaltendem Druck stand. Die von König Heinrich an Markgrafen Heinrich I. erteilte umfangreiche Schenkung des Jahres 1002 sollte so wohl die Stellung der babenbergischen Familie „in der Abwehr gegen polnische und ungarische Bedrohung stärken“ und hauptsächlich eine Rolle im Zuge einer „Konsolidierungspolitik“ betreiben.52 Die zwölf Jahre später stattfindende Translatio der Reliquien Kolomans sollte so zur Stärkung der Position Melks wie auch der des Markgrafen, beitragen. Es mag mehr als Zufall sein, dass nicht vor langer Zeit die Reliquien des heiligen Adalbert († 997), der als Missionar den Märtyrertod gefunden hatte und bereits 999 heiliggesprochen wurde, nach Prag gebracht worden waren und er so zum Schutzheiligen Böhmens erkoren worden war. So war es den Babenberger sicherlich wichtig, dem gegenzuhalten, indem sie auch einen Märtyrer auf ihren Burgberg überführen konnten. Wenn auch über die Einzelheiten der politischen Lage in der Grenzgegend von Stockerau um 1012 nur spekuliert werden kann, fällt natürlich auf, dass Koloman sich für seine Jerusalemreise einen höchst prekären Zeitpunkt ausgesucht hatte. Nicht nur war die Situation in der Gegend, wie es sich dann auch bewahrheitete, äußerst gespannt, erst vier Jahre zuvor hatten der Fatimide al-Hâkim († 1021) die heiligen Stätten Jerusalems, allen voran die Grabeskirche, zerstören lassen.53 Nicht allein waren so die Pilgerstätten nicht mehr vorhanden, der Zugang für Pilger war beschränkt und wohl auch nicht sehr ratsam. In den folgenden Jahrzehnten verbesserte sich die Lage, wie allein die wohl um 1030 stattgefundene Jerusalemreise Erzbischofs Poppo von Trier beweist.
eos terra cum induxero super eam gladium et tulerit populus terrae virum unum de novissimis suis et constituerit eum super se speculatorem; Und des Herrn Wort geschah zu mir und sprach: Du Menschenkind, predige den Kindern deines Volkes und sprich zu ihnen: Wenn ich ein Schwert über das Land führen würde, und das Volk im Lande nähme einen Mann unter ihnen und machten ihn zu ihrem Wächter. 52 Kurt Reindel, Bayern, Vom Zeitalter der Karolinger bis zum Ende der Welfenherrschaft. 788 –1180, in: Max Spindler (Hg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Bd. 1 (2München 1981) hier bes. S. 306 –307; Karl Gutkas, Das Reich und Österreich von 970 –1250, in 1000 Jahre Babenberger in Österreich (1976), S. 170 –173, 171. 53 Niederkorn-Bruck, Koloman, S. 36 –39.
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Eine Pilgerreise nach Jerusalem um 1012 scheint so wenig angebracht und es bleibt weiterhin unerklärt, welche Beweggründe Koloman wirklich in die Grenzgegend gebracht haben.54
Die Abfassungszeit der Passio Eine eventuelle „Dienstreise” Kolomans, wie sie vielleicht aus Thietmars Angaben gefolgert werden könnte, findet sich allerdings nicht in der Passio, die ausschließlich von einer Jerusalemreise Kolomans berichtet. In wieweit dies auf eine veränderte Zeitanschauung zurückgeht, kann nur spekuliert werden. Die Passio gibt an, dass Markgraf Heinrich von den Wundern, die in Stockerau geschehen waren, erfahren habe und daraufhin den Heiligen aus seiner dortigen vorläufigen Grablege auf seine Burg Melk gebracht hatte. Eine Reaktion aus Stockerau ist nicht bekannt, obwohl man dort wohl auch aus den Mirakeln Gewinn hätte erzielen können. Obwohl solche Wunder, selbst jene, bei denen man sich auf Augenzeugen berief, nicht belegbar sind und hauptsächlich als typisch hagiographische Topoi abgetan werden können, stimmt die erst in den Annalen angegeben Daten für Kolomans Martyrium (1012/1013/1014) mit der Lebenszeit Heinrichs, der 1018 starb, überein. Zur Zeit der im Zusammenhang mit der Überführung der Reliquien Kolomans nach Ungarn genannten Personen, König Peter von Ungarn († 1046) und Erzbischof Poppo von Trier, regierte bereits Heinrichs und Poppos Bruder Adalbert († 1055).55 Doch da die Verhandlungen anlässlich der oben genannten Pilgerreise Poppos ins Heilige Land um 1030 stattgefunden haben sollen, ergeben sich zeitliche Schwierigkeiten, da König Peter sein Amt erst 1038 antrat.56 Poppo sollte bei dieser Gelegenheit wohl bei den Babenbergern intervenieren. Trotzdem mag relevant sein, dass Adalbert in zweiter Ehe mit der Schwester König Peters, einer Tochter des venezianischen Dogen Ottone Orseolo, verheiratet war. Wie lange nach diesen angeblichen Ereignissen die Passio angesetzt werden kann, steht offen, doch scheint die Bezeichnung Adalberts als noster marchio darauf zu deuten, dass der Markgraf noch am Leben war. Leider ist die genaue Datierung der ältesten Handschrift der Passio, München Bayerische Staatsbibliothek Clm 18581 aus dem Kloster Tegernsee, bisher nicht ausreichend geklärt. Eine 1972 vorgelegte paläographische Untersuchung der Handschrift datierte jene die Passio Kolomans enthaltenden Teile auf das letzte Drittel des 11. Jahr54 Dennoch bleibt wichtig, dass Koloman von Thietmar als peregrinus apostrophierte, doch mag vielleicht nicht irrelevant sein, dass zwei mehr oder weniger kontemporäre Bischöfe, Pilgrim von Passau († 991) und Erzbischof Pilgrim von Köln (1021–1036), peregrinus zur Namenform erhoben. 55 Karl Lechner, „Adalbert“, in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 45 [Onlinefassung]; URL: http:// www.deutsche-biographie.de/pnd13324993X.html. 56 Niederkorn-Bruck, Koloman, S. 72.
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hundert, ja die Handschrift wird expressis verbis zu jenen Tegernseer Handschriften gezählt, die bisher fälschlich ins 12. Jahrhundert datiert worden waren.57 Es läge hier also eine vollständige frühe Version der Passio vor, die bereits den sogenannten kleinen Wunderkatalog enthält und an den von der gleichen Hand der erweiterte Katalog (Kapitel 12–19) angehängt wurde. Obwohl eine Datierung der Handschrift in das späte 11. Jahrhundert auch zu den von ihr betreffs Koloman in liturgischen Quellen aus Tegernsee und Regensburg erarbeiteten Notizen passen würde, favorisiert jedoch Prof. Niederkorn-Bruck eine Datierung in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts.58 Bestätigung einer solchen Datierung käme auch durch die allerdings erst seit dem 14.Jahrhundert dokumentierten Klostertradition, die Abt Erchenfried (1121–1163) als Verfasser oder Überarbeiter der Passio angibt.59 Auch wenn die genaue Datierung der Passio so nicht festgelegt werden kann, kann sie doch als eine spätere Entwicklung aus Thietmar angesehen werden. Wie der Hinweis auf Poppos Jerusalemreise zeigt, waren die heiligen Stätten nun wieder erreichbar und falls an einer Spätdatierung festgehalten werden kann, so hätten diese die Kreuzfahrer mittlerweile wiedererobert, ja sie hätten vielleicht in Melk oder Umgebung Station gemacht. Pilgerfahrten zu allen heiligen Schreinen blühten wieder auf. Die an der Donauroute gelegenen Schottenklöster, wie Regensburg und Wien, scheinen verständlicherweise ein besonderes Interesse an Jerusalempilgerfahrten entwickelt zu haben. Bereits eine im Jahre 1089 von Kaiser Heinrich IV. an die irischen Mönche in Weih-Sankt Peter gewährte Urkunde spricht von der Pilgerlust der Iren: quidam Scottigenae pro cruciando corpore salvandaque anima patria sua exulerant, ac diu orationum loca visitantes Ratisponam tandem venerant. Erst nachdem sie lange Zeit die heiligen Stätten besucht hatten, ließen sie sich so in Regensburg oder anderwärts nieder. Wie auch die um etwa ein Jahrhundert später verfasste Vita Mariani versichert, konnte es auch umgekehrt passieren, denn einige der Begleiter des Gründervaters, Marianus Scotus (Muireadhach Mac Robhartaigh, † ca 1082), verließen Regensburg, um weiter zu pilgern. Clemens/Candidus machte sich auf den Weg nach Jerusalem, Johannes wurde Inklusus in Göttweig. 60 Auch die um die Mitte des 12. Jahrhunderts im Regensburg Schottenkloster verfasste Vita Albarti spricht von einer Jerusalemreise der Begleiter Erhards, des als Iren angesehenen Patrons des Damenstifts Niedermünster. Die Präsenz zweier Replika der anastasis rotonda der Grabeskirche in Schottenklöstern, eine in 57 Zur Datierung der Handschrift Clm 18 581 aus dem Kloster Tegernsee, siehe Christine Elisabeth Eder, Die Schule des Klosters Tegernsee im Spiegel der Tegernseer Handschriften, in: StMGBO 83 (1972) S. 6 –155, 15, 125 –126. 58 Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman, 21 –22. 59 Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman, 26 –27. 60 Helmut Flachenecker, Schottenklöster. Irische Benediktinerkonvente im hochmittelalterichen Deutschland (=Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF 18, Paderborn 1995) S. 69 –72, 81.
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Weih-Sankt Peter und eine noch erhaltene im Heiligkreuz Kloster in Eichstätt, weisen auf eine besondere Vorliebe für den Kult des Heiligen Grabes hin.61 Im 12. Jahrhundert wäre so die Jerusalemreise eines irischen Pilgers nicht ungewöhnlich gewesen, was allerdings Kolomans peregrinatio betrifft, so bleiben, bis weitere Quellen ans Licht kommen, viele Fragen unbeantwortet. Was die causa scribendi für die Passio betrifft, erscheint gravierend, dass Melk zu dieser Zeit längst nicht mehr das caput der Babenbergerdynastie war, sondern an Bedeutung von Klosterneuburg überholt worden war. Insbesondere sollte später das ca. 1155 gegründete Wiener Schottenstift nahe der Babenbergerresidenz Am Hof eine Bedrohung für Melk darstellen. So wurde in dieser Zeit nicht nur das sogenannte Ernestinum, das angeblich im 11. Jahrhundert ausgestellt wurde, gefälscht, auch das Breve Chronicon Austriae Mellicensis aus einer Handschrift des späten 12. Jahrhunderts lässt Melks Geschichte mit Koloman beginnen.62 Obwohl der Schreiber sowohl die Annalen als auch die Passio benutzte, ist weder von der irischen Herkunft des Heiligen, noch von einer Pilgerreise die Rede. Ausschlaggebend war jedoch, dass allein Melk, im Gegensatz zu allen andern Babenberger Gründungen, Reliquien eines Märtyrers besaß. Außerdem hatte die Passio erstmals die irische Herkunft Kolomans schriftlich festgelegt, womit natürlich die spätere Ankunft der irischen Schottenmönche in Wien an zweite Stelle gerückt wurde. Später mag auch der Streit um die Auffindung des Melker Kreuzes im Schottenstift, wie Gerhard Flossmann angedeutet hat, in diese Richtung weisen.63 Heinrich Jasomirgott, der neue Herzog von Österreich, mag einen Kompromiss angestrebt haben, falls er tatsächlich bereits die Absicht einer Bistumsgründung in Wien anstrebte, die unter dem Patronat des heiligen Koloman stehen sollte. Im Jahre 1204 Herzog Leopold VI. schlug schließlich Papst Innocenz III. vor, ein von Passau unabhängiges Bistum zu gründen und dem Bischof das Schottenkloster als Sitz anzuweisen. Dies Unternehmen scheiterte allerdings, wozu wohl auch die Weigerung der irischen Mönche selbst beitrug, die ihre Unabhängigkeit und ihr Recht zum Erbbegräbnis der herzoglichen Familie bedroht sahen.64 Wie bekannt, sollte die Erschaffung eines Bistums erst Friedrich III. († 1469) gelingen und an Koloman erinnert in Wien nun einzig der Kolomanistein.
61 Diarmuid Ó Riain, An Irish Jerusalem in Franconia, www.ria.ie/getmedia/.../ORiain_201110.pdf.aspx S. 219 –270. 62 Wattenbach, MGH SS., 24 (1879) S. 70 –71. 63 Gerhard Flossmann, Melk und die Babenberger, in: 1000 Jahre Babenberger in Österreich (Wien 1976), S. 240 –243, 240. 64 Coelestin Rapf, Das Schottenstift (Wien –Hamburg 1972) S. 17–18.
St. Koloman. Der Heilige aus Irland
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Das Schweigen der Schottenklöster-Dokumente Wie oben erwähnt, machte man sich in der irischen Literatur erst im 17. Jahrhundert Gedanken über die irische Herkunft Kolomans. Dabei verwundert, dass die im späten 11. Jahrhundert gegründeten irischen Benediktinerklöster, die sogenannten Schottenklöster, sich der Existenz Kolomans nicht bewusst gewesen zu sein scheinen. Der um die Mitte des 13. Jahrhunderts im Mutterkloster St. Jakob in Regensburg verfasste Libellus de fundacione ecclesie Consecrati Sancti Petri, der an zwei Stellen längliche Heiligenkataloge irischer kontinentaler Heiliger bietet, schweigt betreffs Koloman, obwohl z. B. Florian von Lorsch und Virgilius von Salzburg genannt werden.65 Keine der aus Schottenklöstern bekannten Kalendare oder Martyrologien führen Koloman, mit der Ausnahme des Tegernseer Martyrologs des 12. Jahrhunderts, der zahlreiche irische Heilige dem Werk Hermanns des Lahmen von der Reichenau hinzufügte.66 Hier erscheint, wie auch in dem davon abhängenden Nekrolog von Aquileia, am 13. Oktober der Eintrag Colomanni mart.67 Auch die um 1200 im gleichen Kloster verfasste Litanei, University College Cork Boole Library MS U.331, die außer irischen Heiligen in ihrem Heimatland auch solche auf dem Festland anführt, nennt Koloman nicht. Dies, obwohl Kilian und seine Gefährten in der Kategorie der Märtyrer und auch der heiligen Rupert von Salzburg und Corbinian von Freising gedacht wird, wobei die Fülle Regensburger Heiligen einen deutlichen Hinweis auf die Herkunft der heute nur noch in einem Einzelblatt erhaltenen Litanei gibt.68 Es lässt sich schließen, dass Koloman den Schottenklöstern nicht bekannt war, oder sie an ihm, aus welchem Grund auch immer, nicht interessiert waren, dies obwohl auch sie zu den im Magnum Legendarium Austriacum enthaltenen Viten beitrugen, unter denen sich auch die Passio Kolomans befindet.
65 Pádraig A. Breatnach, Die Regensburger Schottenlegende – Libellus de fundacione ecclesiae consecrati Petri, in: Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 27 (1977) S. 117 –310, 141 –149, 183 –188; zu den Schottenklöstern allgemein, siehe Ludwig Hammermayer, Die irischen Benediktiner„Schottenklöster“ in Deutschland, in: StMBO 87 (1976) S. 249 –338; Flachenecker, Schottenklöster Irische Benediktinerkonvente im hochmittelalterlichen Deutschland (wie Anm. 60). 66 Zu den Kalendaren der Schottenklöster, siehe Dagmar Ó Riain-Raedel, Das Nekrolog der irischen Schottenklöster: Edition der Handschrift Vat. lat. 10100 mit einer Untersuchung der hagiographischen und liturgischen Handschriften der Schottenklöster, in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg, Bd. 26 (1992), S. 7 –119, 41 – 44. 67 Pádraig Ó Riain, Feastdays of the Saints: a History of Irish Martyrologies (=Subsidia Hagiographica 86, 2006) S. 245. 68 Dagmar Ó Riain-Raedel und Pádraig Ó Riain, Irish Saints in a Regensburg Litany, in: Clerics, Kings and Vikings: essays on medieval Ireland, hrsg. v. Emer Purcell, Paul Maccotter, Juliane Nyhan & John Sheehan (im Druck).
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Dagmar Ó Riain-Raedel
Trotz vieler Kirchen, die noch heute das Patrozinium des Heiligen tragen, blieb Melk das Zentrum des Kolomankults und, wie die Beiträge in diesem Band zeigen, ist das bis heute geblieben.
Der heilige Koloman in Bayern Alois Schmid
Die katholische Kirche ist von ihrem Selbstverständnis her auf Universalität ausgerichtet. Sie bemüht sich, ihre Glaubensinhalte und Frömmigkeitsformen weltweit über Volks- und Kulturgrenzen hinweg mit ihrer klar geordneten hierarchischen Struktur durchzusetzen. Dennoch haben sich in allen Epochen der Kirchengeschichte regionale Eigenheiten ausgebildet. Das gilt besonders für die Heiligenverehrung1. Die einzelnen Staaten, die einzelnen Territorien, ja sogar einzelne Städte und Orte verehrten jeweils ihre eigenen Heiligen als besondere Schutzherren und Fürsprecher. Diese Bestrebungen setzen im Mittelalter ein. Sie wurden ein wesentliches Element der staats- bzw. landeskirchlichen Bestrebungen, die sich im Rahmen der Nations-2 und Territorienbildung3 in ganz Europa verfolgen lassen. Ihren Höhepunkt erreichten sie im Zeitalter des Absolutismus mit der Ausbildung von Landespatronen4. Für dieses allgemeine Phänomen ist auch der heilige Koloman5 ein bezeichnendes Beispiel. Seine Verehrung hat ihren Schwerpunkt eindeutig in Österreich mit dem Mittelpunkt des Heiligengrabes im Benediktinerkloster Melk. Koloman ist der entscheidende hier mit besonderer Intensität verehrte Ortsheilige. In Niederösterreich gilt er als der eigentliche Landespatron. Seine Verehrung erfolgt bis herein in die Ge-
1 Gerhard Ludwig Müller, Gemeinschaft und Verehrung der Heiligen (Freiburg i. Br. 1986). 2 Jürgen Petersohn (Hg.), Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter (Vorträge und Forschungen 42, Sigmaringen 1994). 3 Für Österreich: Franz Attems – Johannes Koren, Schutzheilige Österreichs als Bewahrer und Helfer (Innsbruck 1992); Elisabeth Kovacs, Die Heiligen und heiligen Könige der frühen Habsburger (1273 –1519), in: Klaus Schreiner (Hg.), Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter: Formen – Funktionen – politisch-soziale Zusammenhänge (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 20, München 1992), S. 93 –126. Für Böhmen: Ferdinand Seibt (Hg.), Bohemia sacra: Das Christentum in Böhmen 973–1973 (Düsseldorf 1974). Für Bayern: Gerhard Schwertl, Die Beziehungen der Herzöge von Bayern und Pfalzgrafen bei Rhein zur Kirche 1180 –1294 (Miscellanea Bavarica Monacensia 9, München 1968). 4 Johannes Kunisch, Absolutismus, Göttingen 21999, S. 117–125; Heinz Duchhardt, Das Zeitalter des Absolutismus (München 21999), S. 74 – 83. 5 Meta Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman – der erste Patron Niederösterreichs (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 16, Wien 1992). Nunmehr grundlegend: Dies., Koloman 1012–2012: Tradition und Wandel in der Verehrung des Heiligen (Melk 2012).
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genwart in vielfältigen Ausdrucksformen. Koloman ist ein wesentliches Element der Pietas Austriaca 6. Doch reicht die Verehrung des heiligen Koloman über diesen Kernraum hinaus. Sie erstreckt sich in die Nachbargebiete hinein. Das gilt vor allem für den westlichen Nachbarn Bayern. Die Orte seines dortigen Kultes erreichen ebenfalls eine bemerkenswerte Anzahl. Dem Märtyrerheiligen kommt auch in der Pietas Bavarica 7 eine noch nie in Breite thematisierte8 Stellung zu9. Dieser sei im Folgenden durch den Blick auf fünf ausgewählte Aspekte nachgegangen.
I. Die Namengebung Es gibt im heutigen Freistaat Bayern mehrere Orte, deren Name mit dem heiligen Koloman in Verbindung steht. Der in der Volksetymologie später hergestellte Bezug zum Kohlengewerbe (Koloman = Kohlenmann) ist für deren Erklärung belanglos10. Eine Geländebezeichnung (wie der Kolomaniberg bei Mondsee) ist hier nicht bekannt. Das Amtliche Ortsverzeichnis für Bayern weist in der neuesten Ausgabe von 1991 folgende Koloman-Orte in Bayern nach11: – Sankt Colomann (Weiler, Gem. Velburg, Lk Neumarkt)12 – Sankt Colomann (Einöde, Stadt Dorfen, Lk Erding)13 – St. Kolomann (Siedlung, Gem. Wörth, Lk Erding)14
6 Anna Coreth, Pietas Austriaca. Österreichische Frömmigkeit im Barock (Österreich Archiv, München 2 1982); engl. Übersetzung von William David Bowman und Anna Maria Leitgeb (Lafayette 2004). 7 Dazu zusammenfassend: Benno Hubensteiner, Vom Geist des Barock. Kultur und Frömmigkeit im alten Bayern (München 21978); Gerhard P. Woeckel, Pietas Bavarica: Wallfahrt, Prozession und Ex voto-Gabe im Hause Wittelsbach in Ettal, Wessobrunn, Altötting und der Landeshauptstadt München von der Gegenreformation bis zur Säkularisation und der Renovatio Ecclesiae (Weißenhorn i. B. 1992). 8 Marginale Hinweise bei: Romuald Bauerreiss, Kirchengeschichte Bayerns II (St. Ottilien 1950), S. 171; Walter Brandmüller (Hg.), Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte I (St. Ottilien 1998), S. 211. 9 Josef Wodka, Der heilige Koloman, in: Georg Schwaiger (Hg.), Bavaria Sancta. Zeugen christlichen Glaubens in Bayern I (Regensburg 1970), S. 221–232. 10 Josef Karlmann Brechenmacher, Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Familiennamen II: K–Z, (Limburg a. d. Lahn 1963), S. 87. 11 Amtliches Ortsverzeichnis für Bayern (Gebietsstand 25. Mai 1987), hg. vom Bayerischen Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung (Beiträge zur Statistik Bayerns 450, München 1991). 12 Ebd., S. 841. 13 Ebd., S. 841. Vgl. Ludwig Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmale: Oberbayern (München 2006), S. 1053. 14 Ebd., S. 841. Vgl. Susanne Margarethe Herleth-Krentz – Gottfried Mayr, Das Landgericht Erding (Historischer Atlas von Bayern, Altbayern 58, München 1997), S. 475.
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– Kolomann (Einöde, Gem. Fridolfing, Lk Traunstein)15 – Coloman (Einöde, Gem. Tengling, Lk Traunstein)16 – Kolomann (Einöde, Gem. Neukirchen vorm Wald, Lk Passau)17 – Kollomann (Weiler, Gem. Hebertsfelden, Lk Rottal-Inn)18. Diesen sieben Orten ist gemeinsam, dass es sich um sehr kleine Ansiedlungen handelt. In keinem Fall geht es um ein größeres Pfarrdorf im Altsiedelland, sondern immer nur um Einöden, höchstens Weiler in einem Ausbauraum. Mit dem historischen Koloman können diese Orte unmöglich zusammenhängen. Die Erstbelege sind durchwegs jünger. Das ist im Einzelnen für den drittgenannten Ort exakt nachgewiesen, dessen Belegreihe erst mit dem Jahr 1481 einsetzt19. Die Benennungen stehen in Verbindung mit der späteren Verehrung, die von den österreichischen Kernlanden aus vor allem im Rahmen der Melker Reform auch donauaufwärts ins westliche Nachbarland ausgestrahlt hat. Diese Deutung wird durch die Lage der genannten Ortschaften im östlichen Bayern bestätigt, wo eine natürliche Verbindung zu Österreich gegeben ist. Etwas aus der Reihe fällt durch seine abseitige Lage der erstgenannte Ort. Er liegt am Westrand des bayerischen Altsiedellandes, fast schon im östlichen Vorfeld von Nürnberg20. Aber auch er kann durch den Blick in die Nachbarschaft verständlich gemacht werden. Er liegt innerhalb eines bezeichnenden Umfeldes. Auffallend viele der dortigen Orte führen Namen, die auf das Grundwort -winn enden: Breitenwinn, Kirchenwinn, Krumpenwinn, Reichertswinn, Walkertswinn. Sie werden als planmäßige Ansiedlungen slawischer Kolonisten gedeutet, die von den Babenbergern, den mit Sicherheit nachgewiesenen früheren Grundherren in diesem Raum, angeordnet worden sein dürften21. Dabei muss man nicht zwangsläufig an einen militärischen Hintergrund denken; ebenso gut ist eine Ansiedlung im Rahmen friedlicher Landeserschließung vorstellbar. Trotz der größeren Entfernung wird somit auch in diesem Fall ein Bezug zum österreichischen Kernraum durchaus ersichtlich. Mit dem historischen Koloman kann diese Ortschaft nichts zu tun haben. 15 Ebd., S. 581. Vgl. Gotthard Kiessling – Dorit Reimann (Bearb.), Denkmäler in Bayern I/22: Landkreis Traunstein (Lindenberg 2007), S. 133f. 16 Ebd., S. 487. Vgl. Kiessling/Reimann (Bearb.), Denkmäler in Bayern: Landkreis Traunstein, S. 677f. 17 Ebd., S. 581. 18 Ebd., S. 581. Anm. 36. 19 S. Anm. 14. Vgl. Historisches Ortsnamenbuch von Bayern: Oberbayern 3: Altlandkreis Erding, bearb. von Cornelia Baumann nach Vorarbeiten von Hans Dachs und Karl Puchner (München 1989), S. 165, Nr. 546. 20 S. Anm. 12, 45. Vgl. Die Kunstdenkmäler von Bayern: Bezirksamt Parsberg, bearb. von Friedrich Hermann Hofmann (München – Wien 1906 [ND 1981]), S. 202f. 21 So jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit: Manfred Jehle, Parsberg (Historischer Atlas von Bayern, Altbayern 51, München 1981), S. 3.
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Zusätzlich zu diesen sieben Orten weist das »Amtliche Ortsverzeichnis« im nämlichen Raum noch eine ganze Gruppe von ebenfalls sehr kleinen Orten mit ähnlichen Namenbildungen aus: Kollmann, Kollmannsberg, Kollmannseck, Kollmannshof, Kollmannsöd, Kollmenzing22. Ob auch sie diesem Namenfeld zuzurechnen sind, lässt sich ohne eingehendere toponymische Spezialuntersuchungen nicht sagen. Doch deutet ein erster Anlauf durchaus in diese Richtung. Der Ortsname Kollmannsöd (Stadt Pocking, Lk Passau) löste erst 1599 ältere Bezeichnungen ab und wird vom zuständigen Bearbeiter durchaus mit dem Pilgerheiligen in Zusammenhang gebracht23. Er verweist auf den für den Besitzer belegten häufigen Familiennamen Kollmann, für den Entsprechendes vorausgesetzt wird24. Damit wird der Bereich der Personennamen berührt. In Österreich erfreut sich der Vorname Koloman besonders nach der Kanonisierung zunehmender Beliebtheit. Diese wird durch die Anweisung des Heiligen Stuhles an den Bischof von Passau 1244, dem neuen Heiligen angemessene Verehrung zuteil werden zu lassen, zusehends verstärkt. Im Urkundenmaterial der österreichischen Klöster nehmen die Nennungen in den Zeugenlisten deutlich zu. Das gilt nicht in gleicher Weise für den altbayerischen Raum25. Doch fehlt es auch hier nicht an Einzelbelegen für das spätere Mittelalter, die sich auf Ostbayern konzentrieren26.
II. Die Kirchenpatrozinien Auch im Bayerischen führen mehrere Kirchen das Patrozinium des heiligen Koloman. Das gilt natürlich in erster Linie für die genannten sieben Siedlungen. Ihr Ortsname steht in jedem Fall in direkter Verbindung mit einer Kirche, die eben dieses Patrozinium führt27. Doch kommen dazu weitere Gotteshäuser in anderen Ortschaften. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Pfarrkirchen, Nebenkirchen und Kapellen, von denen mehrere sogar Ziele von kleinen Wallfahrten geworden sind. In keinem Fall wird auch hier ein unmittelbarer Bezug zum historischen Koloman ersichtlich. Im 22 Amtliches Ortsverzeichnis für Bayern 1991 (wie Anm. 11), S. 581. 23 Josef Egginger, Griesbach i. Rottal – der ehemalige Landkreis (Historisches Ortsnamenbuch von Bayern: Niederbayern 1, München 2011), S. 238f., Nr. 371. 24 Rosa und Volker Kohlheim, Familiennamen: Herkunft und Bedeutung (Mannheim – Leipzig 22005), S. 390. 25 Das ergibt die Auswertung des Namenmaterials im EDV-Portal »Monasterium«. 26 Z. B. Regensburger Urkundenbuch II, bearb. von Franz Bastian und Josef Widemann (Monumenta Boica 54, München 1956), S. 471, Nr. 1220: Cholman dem Donersteiner (1378); Die Urkunden des Klosters Raitenhaslach I, bearb. von Edgar Krausen (QuE NF 17/1, München 1959), S. 366, Nr. 444: Cholomannus de Radendorf (1291), S. 614, Nr. 717 (1343). 27 Das macht besonders deutlich das in Anm. 14 und 19 angeführte fachmännisch untersuchte Beispiel.
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Der heilige Koloman in Bayern
Folgenden wird ein Blick in die bayerischen Diözesen geworfen. Dabei sei vorab betont, dass in dieser Zusammenstellung nur die aktuellen Patrozinien erfasst werden. Die Zahl der Orte mit Spuren einer – zum Teil auch untergegangenen – Verehrung ist natürlich deutlich höher. Ihnen ist Meta Niederkorn-Bruck in der wünschenswerten Vollständigkeit nachgegangen28.
Bistum Regensburg Die Diözesanmatrikel29 weist in der Patroziniumsstatistik für den heiligen Koloman folgende acht Orte aus: – Berghausen (Expositurkirche; Pfarrei Appersdorf, Dekanat Mainburg; 1722)30 – Harting (Filialkirche; Pfarrei Neutraubling, Dekanat Regensburg-Land; um 1260; Umbau 1769)31 – Leitenhausen (Nebenkirche mit Wallfahrt: Pfarrei Sandsbach, Dekanat Schierling; 17. Jh.)32 – Lenzing (Nebenkirche; Pfarrei Oberwinkling, Dekanat Deggendorf; 1761)33 – Massenhausen (Nebenkirche mit Wallfahrt; Pfarrei Lindkirchen, Dekanat Mainburg; 1680)34 – Kollbach (Kapelle; Pfarrei Kollbach, Dekanat Frontenhausen; 19. Jh.)35 – Kollomann (Nebenkirche; Pfarrei Hebertsfelden, Dekanat Eggenfelden; 1953)36 – Warmersdorf (Kapelle, Wallfahrt; Pfarrei Alten-/Neuenschwand, Dekanat Schwandorf; 15. Jh.)37. In der Diözese Regensburg gibt es also nach Ausweis der Bistumsmatrikel acht Orte, an denen eine Kirche dem heiligen Koloman geweiht ist. In keinem Fall wird der heutige kirchenrechtliche Status als Pfarrkirche angegeben. Durchwegs handelt es sich 28 Niederkorn-Bruck, Koloman 1012–2012 (wie Anm. 5), S. 436 –501. Anm. 139. 29 Matrikel des Bistums Regensburg, hg. von Paul Mai (Regensburg 1997), S. 949: Register s. v. Koloman. Vgl. Johann B. Lehner, Die mittelalterlichen Kirchen-Patrozinien des Bistums Regensburg, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 94 (1953), S. 36. 30 Ebd., S. 41. 31 Ebd., S. 442. Anm. 127–131. 32 Ebd., S. 627. Vgl. Hans J. Utz, Wallfahrten im Bistum Regensburg, neu bearb. von Karl Tyroller (München –Zürich 21989), S. 260f. 33 Ebd., S. 479. 34 Ebd. 344. Vgl. Utz, Wallfahrten im Bistum Regensburg (wie Anm. 32), S. 265f. 35 Ebd., S. 313. 36 Ebd., S. 235f., Anm. 18. 37 Ebd., S. 21. Vgl. Utz, Wallfahrten im Bistum Regensburg (wie Anm. 32), S. 312; Chamer Zeitung (14. Oktober 2010).
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um nachrangige Kirchen: eine Expositurkirche, eine Filialkirche, vier Nebenkirchen, im Übrigen um Kapellen. Sie sind überwiegend in kleinen Orten positioniert. Dort liegen sie mehrfach sogar außerhalb der Ortskerne in der Einsamkeit.
Bistum Eichstätt Die maßgebliche Diözesanbeschreibung38 führt folgende Patroziniumsorte an: – Breiteneck/Breitenbrunn (Burgkapelle)39 – Kolbenreuth (Kapelle; Pfarrei Laibstadt, Dekanat Hilpoltstein)40 – St. Koloman (Pfarrei Oberweiling, Dekanat Oberweiling)41 – Stöckelsberg (Pfarrkirche; Dekanat Kastl)42 – Burgsalach (Pfarrkirche; Dekanat Weißenburg)43 – Oberappenberg (Kapelle; Pfarrei Unterschwaningen, Dekanat Wassertrüdingen)44 – St. Koloman (Filialkirche; Pfarrei und Dekanat Velburg)45. Für das Bistum Eichstätt weist die vorliegende Diözesanmatrikel46 somit sieben Orte mit einem Koloman-Patrozinium nach. Die größere Entfernung zu Österreich macht die etwas geringere Anzahl durchaus verständlich. Doch handelt es sich hier immerhin in drei Fällen um Pfarrkirchen. Hier kommt zum Ausdruck, dass Eichstätt trotz der größeren Entfernung über intensive herrschaftliche Verbindungen zum Melker Raum verfügte. Diese gehen auf Eichstätter Besitzrechte bereits in der Karolingerzeit im Raum um Melk zurück47. Bischof Megingaud (991–1015) hatte beim Begräbnis des Märtyrers Koloman eine führende Rolle übernommen48. Des Weiteren standen 38 Franz Xaver Buchner, Das Bistum Eichstätt: Historisch-statistische Beschreibung, 2 Bände (Eichstätt 1937/38); II, S. 942, Register s. v. Koloman. 39 Ebd. I, S. 111. 40 Ebd. II, S. 68. 41 Ebd. II, S. 294, 690. 42 Ebd. II, S. 553. 43 Ebd. II, S. 827. 44 Ebd. II, S. 860. 45 Ebd. II, S. 700, Anm. 12 und 20. 46 Die derzeit in Gang befindliche Neubearbeitung kann diese Angaben Buchners nur bestätigen. Für diesbezügliche Auskünfte zu den laufenden Arbeiten sei dem Leiter des Diözesanarchivs, Dr. Bruno Lengenfelder, herzlich gedankt. 47 Ernst Klebel, Eichstätt und Herrieden im Osten, in: Ders., Probleme der bayerischen Verfassungsgeschichte. Gesammelte Aufsätze (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 57, München 1957), S. 332–340. Kein Hinweis bei: Gerhard Hirschmann, Eichstätt (Historischer Atlas von Bayern, Franken 6, München 1959). 48 Die Regesten der Bischöfe von Eichstätt, bearb. von Franz Heidingfelder (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte VI, 1; Erlangen 1938), S. 54f., Nr. 150.
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Der heilige Koloman in Bayern
die im Raum einflussreichen Grafen von Kastl-Habsberg mit den Babenbergern in genealogischer Verbindung49. Bezeichnenderweise handelt es sich in Breitenbrunn/ Breiteneck um eine Burgkapelle50. Die Verbindungen Eichstätts nach Melk wirkten in der Koloman-Verehrung spürbar nach51.
Bistum Passau In der Bistumsstatistik von Rudolf Zinnhobler52 und den maßgeblichen Diözesanbeschrieben53 werden für das heutige Diözesangebiet neun Patrozinien des heiligen Koloman nachgewiesen, der hier an den Beginn der Heiligenreihe des Hochmittelalters gestellt wird54. Es werden folgende Orte genannt: – – – – – – – – –
Exenbach (Kapelle; Pfarrei Böhmzwiesel, Dekanat Freyung) Grasensee (Nebenkirche; Pfarrei Walburgiskirchen, Dekanat Simbach) Kirchhaunberg (Nebenkirche; Pfarrei Reischach, Dekanat Neuötting) Koloman (Nebenkirche; Pfarrei Neukirchen v. Wald, Dekanat Passau-Nord) Koloman (Kapelle; Pfarrei Rainding, Dekanat, Dekanat Passau-Süd) Langsham (Nebenkirche; Pfarrei Triftern, Dekanat Pfarrkirchen) Mittich (Nebenkirche; Pfarrei Mittich, Dekanat Passau-Süd) Sigrün (Nebenkirche; Pfarrei Wald b. Winhöring, Dekanat Neuötting) Untergrafendorf (Nebenkirche; Pfarrei Pörndorf, Dekanat Vilshofen).
Für den bayerischen Teil der Diözese Passau ergibt sich somit ein in etwa gleicher Anteil an Koloman-Kirchen wie in den oben genannten Nachbardiözesen, die auch hier durchweg Nebenkirchen sind.
49 Karl Bosl, Das Nordgaukloster Kastl: Gründung, Gründer, Wirtschafts- und Geistesgeschichte, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 89 (1939), S. 1–186, hier 32–56; Jehle/HAB, Parsberg (wie Anm. 21), S. 40 – 42. 50 Kunstdenkmäler von Bayern: Parsberg, bearb. von Hofmann (wie Anm. 20), S. 40 –53; Eduard Dietz, Preitprunn (Breitenbrunn 1986). 51 Jehle/HAB Parsberg (wie Anm. 21), S. 9. 52 Rudolf Zinnhobler (Bearb.), Die Passauer Bistumsmatrikeln I (Neue Veröffentlichungen des Instituts für Ostbairische Heimatforschung 31a, Passau 1978), S. 139, 140, Anm. 6, 284, 286, Anm. 11, 292, Anm. 7. 53 Handbuch des Bistums Passau, hg. vom Bischöflichen Ordinariat (Passau 1981), S. 827. 54 Herbert W. Wurster, Das Bistum Passau und seine Geschichte (Editions du Signe, Straßburg 2010), S. 59.
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Für die Erzdiözese weist die Bistumsmatrikel Martin von Deutingers an folgenden Orten Koloman-Patrozinien aus55: – – – – – – – – – –
Oberschiltern (Filialkirche; Pfarrei Schwindkirchen, Dekanat Dorfen) Soyen (Filialkirche; Pfarrei Grafing, Dekanat Grafing) Haslach (Filialkirche; Pfarrei Glonn, Dekanat Grafing) Thonhausen (Filialkirche; Pfarrei Zolling, Dekanat Inkofen) Ismaning (Filialkirche; Pfarrei Ismaning, Dekanat Ramersdorf ) Perlach (Filialkirche; Pfarrei Perlach, Dekanat Ramersdorf ) Reichertshausen (Filialkirche; Pfarrei Deining, Dekanat Bad Tölz) Weipertshausen (Filialkirche; Pfarrei Münsing, Dekanat Bad Tölz) Oberwarngau (Kapelle; Pfarrei Warngau, Dekanat Warngau) St. Kolomann (Kapelle; Pfarrei Rieden, Dekanat Wasserburg).
In der Erzdiözese wird also die gleiche Zahl an Koloman-Patrozinien erreicht. Dabei ist zu bedenken, dass sie früheres Salzburger Diözesangebiet umfasst, wo die Koloman-Verehrung besonders gepflegt wurde56. Durchweg handelt es sich auch hier um Nebenkirchen und Kapellen.
Bistum Augsburg Für Augsburg sind auf der Grundlage des Diözesanbeschriebes von Steichele/Schröder nicht mehr als vier Koloman-Patrozinien nachzuweisen: Ösch (Kapelle; Pfarrei Pfronten), Schwarzenbach (Kapelle; Pfarrei Seeg), Tussenhausen (Kapelle; im Pfarrdorf )57. 55 Martin von Deutinger, Die älteren Matrikeln des Bisthums Freysing II (München 1849), S. 146, 325, 336, 429, 479, 495, 573, 592; III (München 1850), S. 7, 93. 56 Johannes Neuhart, Wallfahrten im Erzbistum Salzburg (München –Zürich 1982), S. 19, 41, 79. 57 Antonius von Steichele/Anton Schröder, Das Bisthum Augsburg historisch und statistisch beschrieben IV (Augsburg 1883), S. 512, 543 (s. auch Michael Petzet [Bearb.], Stadt- und Landkreis Füssen [Bayerische Kunstdenkmale 8, München 1960], S. 161); IX, bearb. von Friedrich Zoepfl (Augsburg 1934 –39), S. 417, Anm. 58. Vgl. Walter Pötzl, Augusta sacra. Augsburger Patrozinien des Mittelalters als Zeugnisse des Kultes und der Frömmigkeit, in: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 9 (1975), S. 19 –75; Ders., Kirchenpatrozinien im Norden, Westen und Süden von Augsburg, in: Jahresbericht des Historischen Vereins des Landkreises Augsburg (1976), S. 127–215; Ders., Kultgeographie des Bistums Augsburg II: Die Patrozinien in den ehemaligen Landkapiteln Bayermänching, Friedberg, Aichach und Rain, in: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 10 (1976), S. 70 –113; Ders., Kultgeographie des Bistums Augsburg III: Die Patrozinien in den ehemaligen Landkapiteln Hohenwart, Neuburg und Burgheim, in: ebenda 11 (1977), S. 34 – 65; Ders., Kirchengeschichte und Volksfrömmigkeit (Der Landkreis Augsburg 5, Augsburg 1994), S. 11–22.
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In dieser Diözese liegt die prächtigste aller Koloman-Kirchen in Bayern überhaupt: Sankt Coloman (Pfarrei Waltenhofen) bei Schwangau ist trotz der Randlage im Westen des Kultgebietes ein echter Glanzpunkt der bayerischen Kunstlandschaft58. Somit ergibt sich als Gesamtbild: Im heutigen Freistaat Bayern gibt es eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Kirchen, die dem heiligen Koloman geweiht sind. Meistens handelt es sich um nachgeordnete Kirchen bis hin zu Kapellen. Das ist ein wichtiger Unterschied zu Österreich. Sie liegen vorzugsweise außerhalb der Ortskerne in einsamer Lage, oft an Waldrändern oder auf Anhöhen59. Oft befinden sich in der Nähe Benediktinerklöster. Mehrfach sind sie Ziele von Nahwallfahrten, vereinzelt auch Pferdewallfahrten (Schwangau60, Tengling, Massenhausen) geworden, die meistens zwischenzeitlich erloschen sind. In mehreren Fällen wird mit ihnen ein Brunnenheiligtum in Verbindung gebracht. Die von der Ortsgeschichte zur Bauzeit beigebrachten Daten verweisen überwiegend in die frühe Neuzeit. Als Schwerpunkte zeichnen sich das 15. und das 18. Jahrhundert ab. Gerade auf die Koloman-Verehrung hat die Melker Reform großen Einfluss ausgeübt61. Der Bezug auf eine Station auf dem Pilgerweg des Heiligen, wie er sogar für das abgelegene St. Coloman bei Schwangau behauptet wird, ist in keinem Fall zu belegen. Selbst für diesen Glanzpunkt reichen die Belege kaum über die Mitte des 15. Jahrhunderts zurück62. Mittelalterliche Zeugnisse liegen für die genannten Orte allein für Harting vor; darauf wird zurückzukommen sein63.
III. Die Ikonographie Die Verehrung des heiligen Koloman in Bayern findet vor allem in bildlichen Darstellungen ihren augenfälligen Ausdruck64. Der Märtyrerheilige gehört hier aber nicht zu den mit Vorliebe dargestellten Heiligen. Er steht deutlich im Schatten anderer 58 Hermann Leeb, Wallfahrtskirche St. Coloman (Pfarrei Waltenhofen, Gem. Schwangau, Schwangau 1993); Petzet (Bearb.), Füssen (wie Anm. 57), S. 155 –160; Georg Paula, Wallfahrtskirche St. Coloman, in: Wilhelm Liebhart (Hg.), Schwangau: Dorf der Königsschlösser (Sigmaringen 1996), S. 489 –502; Ursula Pechloff, Wallfahrtskirche St. Coloman (Peda Kunstführer 565, Passau 2004). 59 Rudolf Kriss, Die Volkskunde der Altbayrischen Gnadenstätten, 3 Bände (München-Pasing 1953 –56), hier III, S. 73f. 60 Helga Hoffmann, Die Wallfahrt zum heiligen Coloman, in: Liebhart (Hg.), Schwangau (wie Anm. 58), S. 415 – 427. 61 Meta Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform im Spiegel der Visitationen (Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung Erg.-Band 30, Wien – München 1994), S. 45. 62 Historisches Ortsnamenbuch von Bayern: Schwaben 9: Füssen, bearb. von Thaddäus Steiner (München 2005), S. 151, Nr. 327. 63 S. Anm. 127–131. 64 Wolfgang Braunfels, Lexikon der christlichen Ikonographie VII (Rom–Freiburg i. Br. 1974), Sp. 328f., s. v. Koloman.
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Heiligengestalten. Die Koloman-Bildnisse erreichen bei weitem nicht die Dichte und Vielfalt wie im Österreichischen65. Es handelt sich eher um Einzelstücke. Für Bayern erscheinen folgende vier Bildmotive besonders bezeichnend. Der Märtyrerheilige Der Heilige wird mit dem entscheidenden Attribut seines Martyriums dargestellt: dem Galgen. Diesem werden bezeichnende Elemente beigefügt, etwa der Strick des Henkers oder auch der Speer, den ein Jäger in die Brust des nicht verwesten Leichnams des Märtyrers stößt. Schöne Beispiele finden sich in St. Coloman bei Schwangau66 oder Haslach (Lk Ebersberg)67. Der Pilgerheilige Der Heilige wird mit den typischen Attributen des Pilgers dargestellt: Wanderhut, Wanderstab, Gürtel, Trinkflasche, Beutel, gelegentlich auch mit der Muschel. Zur Pilgerschaft gehört die Rast, die außer zur körperlichen Rekreation zur Besinnung auf das Wesentliche des Christenlebens genutzt werden soll. Deswegen wird er oft in Rastposition dargestellt68. Den bekanntesten Beleg bietet das beliebte Druckwerk von Deppisch aus dem Jahr 174369. Bezeichnende Beispiele aus Bayern finden sich in Haunberg (Lk Altötting) oder der Trenbachkapelle am Passauer Dom. Der Kopfheilige Das Martyrium am Galgen kostete Koloman seinen Kopf. Daraus erwuchs seine Verehrung besonders bei Krankheiten und Schmerzen des Kopfes. Er gilt wie Johannes der Täufer als Kopfheiliger. Diese sehr spezielle Form seiner Verehrung fand ihren bildlichen Ausdruck in der plastischen Vorstellung allein des in Holz geformten Kopfes, der, verschiedentlich mit Getreide aufgefüllt, bei Prozessionen mitgetragen wurde. Die Kolomansköpfe sind der religiösen Volkskunde vor allem Altbayerns eine mehrfach belegte Erscheinung (vereinzelt verbunden mit der Zugabe von Löffeln), so zu Massenhausen oder Hochstätt am Chiemsee70. 65 Dieses Ergebnis erbringt auch die Durchsicht der Materialien des Instituts für Volkskunde der Kommission für bayerische Landesgeschichte. 66 Druck: Pechloff, St. Coloman (wie Anm. 58), S. 3. 67 Die Kunstdenkmale des Königreiches Bayern: Regierungsbezirk Oberbayern V, bearb. von Gustav von Bezold, Berthold Riehl und Georg Hager (München 1902 [ND 1982]), S. 1368f. 68 Kriss, Altbayrische Gnadenstätten III (wie Anm. 59), S. 73f. 69 Godefridus Deppisch, Geschichte und Wunder-Wercke des heiligen Kolomanni (Wien 1743), S. 64f. 70 Kriss, Altbayrische Gnadenstätten I (wie Anm. 59), S. 178, 187f., 235f., 278; II, S. 283f.; III, S. 165, 179; Rudolf Kriss, Votivgaben beim heiligen Koloman, in: Bayerischer Heimatschutz 23 (1927), S. 35 – 42; Gislind Ritz, Kolomansköpfe, in: Der Zwiebelturm 7 (1952), S. 272–273.
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Der Viehpatron Aus der Lokalisierung der Koloman-Kirchen in ländlicher Abgeschiedenheit erwuchs die Verehrung des Heiligen besonders in der Landbevölkerung. Auch er wurde als Patron der Haustiere in Anspruch genommen und dementsprechend mehrfach mit bezeichnenden Attributen dargestellt. Ein besonders schönes Beispiel für diese Darstellungsform findet sich in der Wallfahrtskirche St. Coloman bei Schwangau: der Heilige als Königssohn zwischen Pferd und Ochsen71. Die genannten Motive konnten auch vermischt werden und in bezeichnender Kombination auftreten. Ein sehr eindrucksvolles Andachtsbild des 17. Jahrhunderts aus der Wallfahrtskirche Massenhausen zeigt den Pilgermönch mit dem Wanderstab und -hut, dem Engel den Kranz und die Palme des Märtyrers verleihen72. Im Hintergrund wird auf den Tod am Galgen Bezug genommen. Das Bild ist unterschrieben mit dem Vers: Wer Hülff in seiner Noth begert, Sanct Colman thue begrüssen. Zu Harting allzeit wird verehrt, Dort fall er Ihm zu Füssen.
Hier wird der Weg zu einem Allerweltsheiligen angedeutet, der für viele Nöte gerade der einfachen Leute zuständig war. Kolomann wurde vereinzelt auch im Rahmen der Partnerwahl angefleht. Allein dessen Name regte schließlich Bauernmädchen zum Stoßgebet an: Heiliger Koloman, schenk mir einen braven Mann ! 73 Das Wallfahrtsbild von Massenhausen belegt, wie sich nun auch die Volkspoesie mit dem Volksheiligen beschäftigte und die Druckgraphik als Medium des Heiligenkultes eingesetzt wurde. Im Übrigen erfolgte die Darstellung in den üblichen Gattungen der Volksfrömmigkeit: auf dem Ölbild auf Altären; im Fresko an Kirchenwänden; mit Statuen des Heiligen; auf Votivbildern in den verschiedenen Wallfahrtskirchen74.
71 Druck: Wodka, Der heilige Koloman (wie Anm. 9), S. 225; Pechloff, St. Coloman (wie Anm. 58), Rückumschlag. 72 Heute im Diözesanarchiv Regensburg. Druck: Utz, Wallfahrten im Bistum Regensburg (wie Anm. 32), S. 267. 73 Kriss, Altbayrische Gnadenstätten I (wie Anm. 59), S. 29. 74 Die bekannteste Serie in St. Coloman zu Schwangau: Pechloff, St. Coloman (wie Anm. 58), S. 13f.; weiterhin Kriss, Altbayrische Gnadenstätten I (wie Anm. 59), S. 39f.
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IV. Die Historiographie Ein besonders ergiebiges Untersuchungsfeld sind sicherlich die in Bayern mit Einsatz gepflegte Historiographie und Hagiographie. Diese literarischen Gattungen bieten auch für den österreichischen Märtyrer zahlreiche und zum Teil aufschlussreiche Belege. Von ihnen seien lediglich zwei wichtige herausgegriffen und erläutert. 1. Landesapostel des Mittelalters Nachdem Koloman noch im Hochmittelalter eigentlich kein Thema der bayerischen Historiographie war75, rückte er erst im späteren Mittelalter stärker in den Gesichtskreis der Geschichtsschreiber. Die Formierung des Territorialstaates Bayern bedingte die Ausbildung einer entsprechenden Landeshistoriographie. Gezielt suchte sie auch nach den mit dem Land in besonderer Beziehung stehenden religiösen Leitfiguren. Dadurch wurde der Blick auf die großen Gestalten der Missionsgeschichte gelenkt, denen man nunmehr gesteigerte Verehrung entgegen brachte. Das Mittelalter sprach sie als Landesapostel, noch nicht als Landesheilige oder gar Landespatrone an76. Wie in Böhmen oder in Österreich77 rechnete man zu ihnen eine ganze Gruppe von Glaubensboten, die sich bei der Missionierung besondere Verdienste erworben hätten. Für das Herzogtum Bayern wird sie erstmals fassbar in einer Urkunde des Bischofs Johann von Moosburg zu Regensburg 1392, mit der dieser seinem Klerus auftrug, für die würdige Gestaltung der Festtage der besonderen Schutzherrn und Apostel Bayerns Sorge zu tragen78. Die Urkunde bestimmte, dass in der Kirche des Kollegiatstiftes U. L. Frau an der Alten Kapelle zu Regensburg agatur memoria beatissimorum martyrum et pontificum, patronorum et apostolorum Norice terre seu Bavarice telluris, qui sua doctrina eandem terram illustrarunt, et gentilem cecitatem depulerunt ab eadem, quorum corpora sparsim in laribus suis meruit confovere. 75 Michael Müller, Die Annalen und Chroniken im Herzogtum Bayern 1250–1314 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 77, München 1983), S. 161: einziger Hinweis auf Koloman im oberschwäbischen Weißenau. 76 Vgl. Alois Schmid, Die bayerischen Landespatrone, in: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 46 (2001), S. 289 –311. 77 České nebe – Böhmischer Himmel. Böhmische Landespatrone und Wallfahrtsorte in der barocken Devotionalgraphik (Schriftenreihe des Wallfahrtsmuseums Neukirchen bei Hl. Blut 5, Furth i. W. 1995); Eduard Hlawitschka, Ein bislang unbekanntes Flugblatt vom Jahre 1626 aus Leitmeritz, in: Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 21 (2000), S. 149 –184; Attems/Koren, Schutzheilige Österreichs (wie Anm. 3). 78 Die Urkunde unediert in: Bischöfliches Zentralarchiv Regensburg, Archiv der Alten Kapelle, Urkunde vom 7. März 1392; Abschrift: Staatliche Bibliothek Regensburg, Rat. ep. 165: Thomas Ried, Codex chronologico-diplomaticus episcopatus Ratisbonensis III, Nr. 634. Regest: Josef Schmid, Die Urkundenregesten des Kollegiatstiftes U. L. F. zur Alten Kapelle in Regensburg II (Regensburg 1922), S. 83, Nr. 441. Vgl. Ferdinand Janner, Geschichte der Bischöfe von Regensburg III (Regensburg 1886), S. 323f.
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Sodann werden in der Urkunde die von dieser Verfügung betroffenen Heiligen einzeln benannt: die Heiligen Dionysius, Emmeram, Koloman, Kastulus, Erhard, Wolfgang, Godehard, Rupert und Virgil. Die besondere Verehrung dieser neun Heiligen wird also vor allem mit ihrer missionarischen Tätigkeit im Lande begründet. Dazu kommt als weiteres Motiv das Begräbnis im Lande, das als wichtiger Kristallisationspunkt der Verehrung angesehen wurde. Den genannten neun Heiligen, unter denen freilich merkwürdigerweise Korbinian zu vermissen ist, wurde ein Vorbildcharakter zugesprochen. Entscheidend für diesen Zusammenhang ist, dass Koloman in dieser Reihe der besonderen Schutzherren enthalten ist. Er wurde im spätmittelalterlichen Bayern zur kleinen Gruppe der Landesapostel gerechnet. Damit könnte in Zusammenhang stehen, dass man seinen Gedenktag (13. Oktober) in der Herzogskanzlei zur Datierung auch amtlicher Schreiben einsetzte79. Freilich erlangte dieser Gedanke im Spätmittelalter keine größere Verbreitung. Deswegen kann es nicht verwundern, dass er nicht Eingang in die einsetzende bayerische Landeshistoriographie fand. Weder Andreas von Regensburg80 noch Hans Ebran von Wildenberg81 und auch nicht Ulrich Füetrer82 bieten einen Hinweis auf den Pilgermärtyrer. Lediglich Veit Arnpeck schildert kurz dessen grausames Ende und erste Wundertaten83. Von der Rolle eines besonderen Landesapostels ist hier jedoch nicht die Rede. Dementsprechend weiß auch Johannes Aventinus über Koloman nicht viel zu berichten. Er verweist in seinen Chroniken lediglich kurz auf die Fakten der Hinrichtung zu Stockerau und das anschließende Begräbnis zu Melk84. Von einer besonderen Bedeutung für die Landesreligiosität spricht Aventin nicht. Die Entwicklung der Folgezeit ist davon gekennzeichnet, dass die Gruppe der Landesapostel auf die Einzelgestalten von Landespatronen verengt wurde85. In Österreich rückte Leopold ins Zentrum. In Bayern führt die Entwicklung über mehrere Stufen schließlich auf Maria als Patrona Boiariae zu; Bayern wurde ein marianisches Land. In diesem Rahmen büßte der heilige Koloman in Bayern während der beginnenden Frühneuzeit seine frühere Funktion ein. Der Hauptgrund für diese Verschiebung war sicherlich seine besondere Verwurzelung in Österreich. Landespatrone erhielten in der Barockzeit auch die Aufgabe der Abgrenzung gegenüber den Nachbarn: 79 Regensburger Urkundenbuch I, bearb. von Josef Widemann (Monumenta Boica 53, München 1912), S. 329, Nr. 595: pfintztag vor s. Cholomanstag. 80 Andreas von Regensburg, Sämtliche Werke, hg. von Georg Leidinger (QuE NF 1, München 1903). 81 Hans Ebran von Wildenberg, Chronik von den Fürsten aus Bayern, hg. von Friedrich Roth (QuE NF 2/1, München 1905). 82 Ulrich Füetrer, Bayerische Chronik, hg. von Reinhold Spiller (QuE NF 2/2, München 1909). 83 Veit Arnpeck, Sämtliche Chroniken, hg. von Georg Leidinger (QuE NF 3), München 1915, S. 714f. 84 Johannes Turmair’s genannt Aventinus Sämmtliche Werke, hg. von der K. Akademie der Wissenschaften, 6 Bände (München 1881–1908), hier V, S. 285. 85 Schmid, Die bayerischen Landespatrone (wie Anm. 76), S. 295 –308.
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Es war undenkbar, dass der in Österreich bis 1663 verehrte Landesheilige eine ähnliche Funktion in Bayern erhielt. 2. Matthäus Rader, Bavaria sancta et pia Wenn damit Koloman zwar aus der früheren Rolle als Landesapostel abgedrängt wurde, büßte er andererseits seine bisherige Stellung keinesfalls gänzlich ein. Ihm wurde auch weiterhin eine für die Christianisierung und damit die kirchliche Entwicklung des Landes förderliche Funktion zuerkannt. Auch weiterhin wurde er zu den wegweisenden Heiligengestalten gezählt; das belegt vor allem die Aufnahme in das maßgebliche Sammelwerk des Kartäusers Laurentius Surius86. Das wichtigste Dokument für diese Einschätzung in Bayern ist die »Bavaria sancta et pia« des Jesuitenpaters Matthäus Rader87. Sie ist in vier aufwendig ausgestatteten Folianten ab 1615 bis 1628 erschienen. Hinter dem Unternehmen steht als spiritus rector der Landesherr, Herzog und Kurfürst Maximilian I. Er hat es angestoßen, gefördert und auch inhaltlich wesentlich mitbestimmt88. In dieses Grundwerk der bayerischen Hagiographie hat Pater Rader auch den heiligen Koloman aufgenommen. Er entschloss sich dazu aber erst im dritten Band von 1627, mit dem er die Behandlung der Heiligen abschloss, um sich den Seligen zuzuwenden. Diese Einordnung zeigt, dass auch Rader Koloman zu den weniger wichtigen Heiligenfiguren zählte. Dennoch war die Berücksichtigung aufgrund seiner Konzeption unumgänglich. Rader legte seiner Sammlung den Raum der alten terra Bavarica zugrunde, zu der eben auch die frühere Ostmark zählte. Das macht vor allem die dem Einleitungsband vorangestellte Landkarte deutlich; sie greift weit über Altbayern hinaus nach Osten und Süden aus89. Im Sinne dieser Grundkonzeption musste Rader auch Koloman aufnehmen. Ein zweites Problem stellte die Form der Kanonisierung dar. Denn P. Rader machte sich darüber in einer Zeit, die den Vorgang der Heilig- und Seligsprechung kirchenrechtlich ordnete90, eingehende Gedanken. Er traf eine Unterteilung in ordnungsgemäß kanonisierte Heilige und Selige sowie lediglich durch Verehrung ausgezeichnete Gottselige. Rader reihte Koloman unter die Heiligen ein. Ein Problem ist ihm hier 86 Laurentius Surius, De probatis sanctorum vitis( Köln 1568), S. 207f.; Quelle: Stabius. 87 Matthäus Rader, Bavaria sancta et pia, 4 Bände (München 1615 –1628). 88 Zu diesem Werk: Alois Schmid, Die »Bavaria sancta et pia« des P. Matthäus Rader SJ, in: Chantal Grell/ Werner Paravicini/Jürgen Voss (Hg.), Les princes et l´histoire du XIVe au XVIIIe siècle (Pariser Historische Studien 47, Bonn 1998), S. 499 –522. 89 Druck der Karte bei: Matthias Mayerhofer, Kupferstiche im Dienst politischer Propaganda. Die »Bavaria Sancta et Pia« des Pater Matthäus Rader SJ (Materialien zur bayerischen Landesgeschichte 25, München 2011), S. 284, Abb. 66. 90 Ludwig von Pastor, Geschichte der Päpste XIII (Freiburg i. Br. 1929), S. 592–594; Winfried Schulz, Das neue Selig- und Heiligsprechungsverfahren (Paderborn 1988), S. 28–33.
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nicht ersichtlich geworden. Für ihn war Koloman ein ordnungsgemäßer Heiliger, obwohl er nie in einem förmlichen Verfahren zur Ehre der Altäre erhoben worden ist. Rader hat sich bei der Ausarbeitung seiner Biogramme umfassend mit der Geschichte aller berücksichtigten Persönlichkeiten beschäftigt. Das gilt auch für Koloman. Wie in den meisten anderen Fällen hat er dazu Auskünfte bei ausgewiesenen Spezialisten eingeholt. Als solchen Fachmann zog er im Falle Kolomans den in Dillingen wirkenden Ordensbruder P. Stephan Vitus SJ91 bei. Dieser Ansprechpartner war mit Bedacht ausgewählt. Denn Pater Vitus (um 1573 – um 1648) stammte aus Clonmel/ Lismore in Irland und hatte seine Studien am Trinity College in Dublin sowie am irischen Kolleg in Salamanca absolviert. Nach dem Eintritt in die Societas Jesu 1596 kam er 1606 als Professor für Scholastik nach Ingolstadt; später wirkte er in Dillingen, Pont-à-Mousson und Metz, ehe er 1640 nach Dublin zurückkehrte, um schließlich in Galway sein Leben zu beenden. Der international tätige Jesuitengelehrte hat mehrere Werke von zum Teil grundlegender Bedeutung zu kirchenhistorischen Themen des angelsächsischen Raumes hinterlassen. Diesen hochrangigen Fachmann befragte P. Rader in nicht erhalten gebliebenen Briefen zu Einzelheiten über den heiligen Koloman. Er wandte sich in diesem Fall also an einen in der unmittelbaren Umgebung tätigen Sachkenner aus dem eigenen Orden. P. Vitus konnte vor allem wegen eines nie zum Druck gelangten, in der Königlichen Bibliothek zu Brüssel verwahrten Werkes über die Heiligen Schottlands92 als entscheidender Fachmann gelten. Er wandte sich nicht an die Ordenshistoriker im österreichischen Benediktinerkloster Melk, die sich zur gleichen Zeit intensiv mit Koloman beschäftigten. Obwohl er sich in diesem Fall mit einem Kontaktmann aus der nächsten Umgebung begnügte, belegen seine Recherchen ein ausgeprägtes methodisches Bewusstsein. Denn über den Ordenskollegen Vitus dehnte er seine Untersuchungen auf den Herkunftsraum des Heiligen aus; er brachte damit das methodische Prinzip der örtlichen Nähe der Quelle zur Anwendung. Der angesprochene Korrespondenzpartner enttäuschte den hochangesehenen Ordenshistoriker nicht und antwortete ihm in zwei ausführlichen, mit feiner Feder abgefassten Schreiben, in denen er sein gesamtes breites Wissen über Koloman in großer Ausführlichkeit mitteilte.
91 Zu P. Stephan Vitus (auch White) (um 1573–um 1648): Carlos Sommervogel, Bibliothèque de la Compagnie de Jésus VIII (Paris–Brüssel 1898), Sp. 1093 –1098; Ludwig Koch, Jesuiten-Lexikon. Die Gesellschaft Jesu einst und jetzt (Paderborn 1934), Sp. 1844; Thomas Specht, Geschichte der ehemaligen Universität Dillingen (1549–1804) und der mit ihr verbundenen Lehr- und Erziehungsanstalten (Freiburg i. Br. 1902 [ND 1987]), S. 286; Klaus Jaitner (Hg.), Bayerische Gelehrtenkorrespondenz II: Kaspar Schoppe V (München 2012), S. 2800. 92 Sommervogel, Bibliothèque de la Compagnie de Jésus VIII (wie Anm. 91), S. 1096.
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Die beiden Antwortschreiben von P. Vitus sind innerhalb des Rader-Nachlasses überliefert93. Im ersten Brief vom 15. Dezember 161694 betonte er, dass man zwei Heilige mit dem Namen Koloman zu unterscheiden habe, die in ganz unterschiedlichen Zeiten gelebt hätten: Bischof Koloman von Lindisfarne (Amtszeit 661– 664) und Koloman von Stockerau. Mit beiden hat er sich intensiv beschäftigt und kannte nicht nur die gesamte einschlägige Literatur, sondern auch die Quellen. Für letzteren verweist er sogar auf eine »Vita Kolomani« aus dem Zisterzienserstift Kaisheim (bei Donauwörth), von der im Übrigen heutzutage nichts mehr bekannt ist. Diese sehr bemerkenswerte Auskunft bettet er in weit ausholende Erläuterungen zur ihm bestens bekannten Literatur über die Geschichte Schottlands ein. Dieser erste Brief ist vor allem wegen seines Datums zu beachten. Nach mehreren Jahren kam P. Vitus noch einmal auf die Angelegenheit zurück. Am 6. September 1620 erörterte er mit Rader noch einmal in großer Ausführlichkeit einschlägige Probleme, wobei er im Wesentlichen seine Gedanken des früheren Briefes wiederholte und weiterführte95. In einzelnen anderen Schreiben der RaderKorrespondenz wird das Problem Koloman nur am Rande kurz berührt96. Nachdem P. Rader den heiligen Koloman in sein früheres Kompendium zur allgemeinen Heiligengeschichte noch nicht aufgenommen hatte97, beschäftigte er sich mit den Problemen um diesen Heiligen seit dem Eintritt in die entscheidende Phase der Arbeit an seinem Hauptwerk. Mit der Ausarbeitung des Biogrammes ließ er sich aber Zeit. Er stellte es bis zum dritten Band zurück. Das Ergebnis seiner Bemühungen legte er schließlich auf fünf Druckseiten nieder98. In den Marginalien benannte er die beigezogenen Quellenschriften: Johannes Cuspinian, Johann Stabius, Wolfgang Lazius, Johannes Aventinus, Johannes Trithemius, Laurentius Surius, Caesar Baronius. Das waren sicherlich die entscheidenden literarischen Autoritäten, die zur Verfügung standen. Mit ihnen bezog er gleich einleitend entschiedene Stellung gegen einen wenig bekannten und wenig bedeutenden italienischen Benediktinerliteraten 93 Vgl. Alois Schmid, Der Briefwechsel des P. Matthäus Rader SJ. Eine neue Quelle zur Kulturgeschichte Bayerns im 17. Jahrhundert, in: ZBLG 60 (1997), S. 1109 –1140; Stefan Benz, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003), S. 69f., auch 483. 94 Bayerische Staatsbibliothek München, clm 1611, fol. 123rv (Orig.); Kopien: ebd. Oefeleana 216, fol. 233r–236v; Archiv des Erzbistums München und Freising Nachlaß Rader. Edition: Alois Schmid (Hg.), P. Matthäus Rader SJ, Briefwechsel III, bearbeitet von Magnus Ulrich Ferber und Veronika Lukas (in Vorbereitung), Nr. 830. 95 Bayerische Staatsbibliothek München, clm 1612, fol. 143r–144v (Orig.); Kopie: Archiv des Erzbistums München und Freising Nachlaß Rader 4. Druck: Alois Schmid (Hg.), P. Matthäus Rader SJ, Briefwechsel IV, bearb. von Magnus Ulrich Ferber und Veronika Lukas (in Vorbereitung), Nr. 60. 96 So Rader, Briefwechsel III (wie Anm. 94), Nr. 963. Vgl. auch Brief A 51. 97 Matthäus Rader, Viridarium sanctorum, 3 Bände (Augsburg 1604 –1614). 98 Rader, Bavaria sancta III (Augsburg 1627), S. 111–115: De S. Colomanno.
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P. Arnold Vion99, der die Angaben über die zwei zu unterscheidenden Träger dieses Namens, Koloman von Lindisfarne und Koloman von Stockerau, durcheinander gebracht habe. An diesem weitverbreiteten Werk übte Rader deutliche Kritik: Parum caute scripsit Arnoldus Wion, caetera multae vir lectionis, sed exiguae accurationis. In hoc solo Colomanno quam multa illius peccata! 100 Rader bemühte sich um eine Entwirrung der vorgefundenen Hinweise über diese zwei Personen, eine Klärung der Fakten. Dazu griff er über die Literatur wirklich auf die Quellen zurück. Vor allem zog er die Hauptquelle Thietmar von Merseburg bei101. Die »Passio Cholomanni« war damals noch nicht bekannt ebenso wie die »Annnales Mellicenses«102. Im Übrigen begnügte er sich mit den Angaben der Literatur, aus der er breit zitiert. Diese Kenntnisse verdankte er weithin seinem früheren Korrespondenzpartner P. Stephan Vitus. Im Falle Kolomans ist also das erarbeitete Biogramm nicht besonders originell ausgefallen. Es hat zwar seine Verdienste durch die Klärung von Einzelheiten, doch basiert es im entscheidenden Kern auf den Erläuterungen eines Korrespondenten. Im Übrigen stellt der Artikel weithin eine Addition von Exzerpten aus naheliegender Literatur dar. Besonders ausgiebig zitiert er aus dem Einblattdruck des Johannes Stabius von 1513, den er jedoch nicht in der Urform, sondern im weit verbreiteten Abdruck bei Surius wiedergibt. Die entscheidenden Aussagen beruhen auf den brieflichen Auskünften des P. Vitus. Doch wird der Ordensbruder namentlich nicht genannt. An wissenschaftlichem Eigenwert bleibt dieser Abschnitt deutlich hinter anderen Biogrammen zurück, die selbständige Forscherleistungen Raders von herausragendem Rang darstellen. Rader hat diesen Abschnitt mit weniger Herzblut verfasst als andere. Das zeigt schon der geringere Umfang. Für Rader war Koloman ein religiöses Vorbild als Märtyrer und Pilger, der zu Recht Verehrung auch in Bayern in seiner nächsten Umgebung erfahre. Für ihn ist Koloman einer der vielen heiligmäßigen Gestalten, die auf dem dafür besonders fruchtbaren Boden Bayerns erwachsen sind. Das wollte er zeigen. Die entscheidenden Forschungsfortschritte in der Koloman-Frage sind ein Jahrhundert später den Melker Gebrüdern Pez vorbehalten geblieben103. Hinter deren subtiler Quellenarbeit bleibt Rader deutlich zurück.
99 Zu P. Arnold Wion (Vion) OSB (* Douai 1554; + Mantua 1610): Christian Gottlieb Jöcher u. a., Allgemeines Gelehrten-Lexicon IV (Leipzig 1751), S. 2019. Bekannt als Verfasser mehrerer Werke. Über Koloman: Ders., Lignum vitae – ornamentum et decus ecclesiae (Venedig 1595); benützt deutsche Ausgabe (Augsburg 1607), S. 128. 100 Rader, Bavaria sancta III (wie Anm. 98), S. 111. 101 Thietmar von Merseburg, Chronik, hg. von Robert Holtzmann, MGH SrG NS 9 (Berlin 1935), S. 493. 102 Vgl. Niederkorn-Bruck, Koloman – der erste Patron Niederösterreichs (wie Anm. 5), S. 23–28. 103 Thomas Wallnig/Thomas Stockinger, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez: Text – Regesten – Kommentare I: 1709–1715 (Wien–München 2010), S. 467– 469, Nr. 283, S. 592–596, Nr. 360,
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Ein Grund für den in diesem Punkt geringeren Einsatz Raders ist offensichtlich in der Ordenszugehörigkeit Kolomans zu sehen. Vor allem sie mag dafür verantwortlich gewesen sein, dass Rader keine Kooperation mit den in erster Linie zuständigen Benediktinern zu Melk suchte, sondern einem nicht minder sachkundigen Ordensgenossen den Vorzug gab. Im Biogramm über Koloman machte er die Kritik an einem benediktinischen Ordensliteraten zum leitenden Grundgedanken seiner Ausführungen. Diese werden auch von der Ordensrivalität zu den Benediktinern getragen. Die »Bavaria sancta« wählte für die Behandlung der meisten Heiligen die zwei Medien des Textes und des Bildes104. Rader wollte mit seinem bimedialen Verfahren Geist und Gemüt in gleicher Weise ansprechen. In diesem Sinne hatten Abbildungen den Ausführungen Anschaulichkeit zu verschaffen und die angestrebte pädagogische Wirkung zu vertiefen. In diesem Sinne wurde in die Erarbeitung der Bilder ähnliche Sorgfalt investiert wie in die Texte105. Die Bilder wurden als Kupferstiche von den namhaften Augsburger Meistern Matthias Kager und Raffael Sadeler geschaffen. Doch wurden ihnen in Entwürfen genaue Anleitungen vorgegeben. Sie stammten teilweise von Rader selber, der sich dazu viele Gedanken machte. Natürlich ließ er die legendarischen Ausschmückungen mit den Blumen, die am Galgen blühten, und dem Blut aus dem Leichnam des Gehenkten zur Darstellung bringen. Dass der Kupferstich in Anlehnung an das Motiv des Jesus-Verräters Judas gestaltet worden sei, von dem es im Matthäus-Evangelium (Mt. 27, 3 –10) heißt, dass er sich erhängt habe106, wird neuerdings, auch mit dem Hinweis auf das Martyrium des heiligen Petrus, in Frage gestellt107. Raders »Bavaria sancta et pia« wurde das Grundwerk zur bayerischen Hagiographie. Es fand dementsprechend große Verbreitung und in der Folgezeit mehrfache Neuausgaben und Nachahmung. Die Neubearbeitungen von Maximilian Rassler108und anderen109 behielten den Abschnitt über Koloman bei, der somit die maßgebliche Darstellung der Vita des österreichischen Heiligen in Bayern blieb. P. Matthäus Rader wurde
S. 597–599, Nr. 363, S. 602–610, Nr. 365, S. 622–626, Nr. 375, S. 627– 629, Nr. 378, S. 629 – 635, Nr. 379, S. 667, Nr. 397, S. 771f., Nr. 470. 104 Dazu nunmehr: Mayerhofer, Rader (wie Anm. 89). 105 Carsten-Peter Warncke, Bavaria Sancta – Heiliges Bayern. Die altbayerischen Patrone aus der Heiligengeschichte des Matthaeus Rader in Bildern von J. M. Kager, P. Candid und R. Sadeler (Dortmund 1981), S. 242f. 106 Mayerhofer, Rader (wie Anm. 89), S. 118 mit Abb. 53. 107 S. die Rezension von P. Julius Oswald SJ, in: Archivum Historicum Societatis Iesu 81 (2012), S. 389 – 393, hier 393. 108 Maximilian Rassler, Heiliges Bayerland – Gottseliges Bayerland, in Teutsche Sprach übersetzt II (Augsburg 1714), S. 33 –36. 109 Bavaria sancta oder das heilige Bayerland von P. Matthäus Raderus. Ein nützliches Handbuch I (Straubing 1840), S. 271f.; Bayerische Staatsbibliothek München, cgm 2831, 1, fol. 127f.
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der entscheidende Gewährsmann in Bayern bezüglich Kolomans110. Das von dieser verpflichtenden Autorität gezeichnete Bild behielt seine Gültigkeit auch für die Folgezeit. Koloman wurde zu den vielen Figuren gerechnet, die den bayerischen Heiligenhimmel zierten. Das gilt bis zu Georg Schwaigers »Bavaria sancta« aus dem Jahre 1970111.
V. St. Emmeram zu Regensburg Eine besondere Verehrung erfuhr der heilige Koloman im Regensburger Benediktinerkloster St. Emmeram. Sie fand ihren frühesten Niederschlag in einem Nachtrag zum bekannten Emmeramer Martyrologium, dessen Grundstock um das Jahr 1036 niedergeschrieben wurde. Zu einem nicht bestimmbaren Zeitpunkt wurde auf Rasur zum 13. Oktober ein Nachtrag zu Koloman angebracht: Item Natalis sancti Cholomanni martyris112. Vergleichbare Hinweise finden sich auch in Handschriften aus anderen bayerischen Benediktinerklöstern113: Tegernsee, Benediktbeuern, Prüll114. In Tegernsee wurde der älteste Textzeuge der »Passio« niedergeschrieben115. Die Nachricht vom gewaltsamen Tod des Jerusalempilgers fand Verbreitung vor allem im Benediktinerorden. Besondere Beachtung erfuhr sie im Regensburger Emmeramskloster um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Dieser Zeitpunkt fällt zusammen mit dem ersten Höhepunkt des Koloman-Kultes in Österreich116. Die gerade um die Mitte des 13. Jahrhunderts auch in St. Emmeram deutlich verstärkten Bemühungen um den österreichischen Heiligen werden vor allem fassbar in der Errichtung einer eigenen Koloman-Kapelle117. Sie wurde an hervorgehobener Stelle unmittelbar neben dem Kapitelsaal plat110 Allerdings keine Berücksichtigung bei: Joseph von Obernberg, Legende der Heiligen in Baiern, herausgegeben zur Belehrung und Erbauung (München 1818); Magnus Jocham, Leben der Heiligen und Seligen des Bayerlandes zur Belehrung und Erbauung für das christliche Volk (München 1861/62). 111 S. Anm. 9. 112 Eckhart Freise, Das Martyrolog-Necrolog von St. Emmeram zu Regensburg (MGH Libri memoriales et Necrologia NS 3, Hannover 1986), S. 282, fol. 53v. 113 Einzelnachweise bei: Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman – Landespatron von Niederösterreich (wie Anm. 5), S. 21–23. 114 Bayerische Staatsbibliothek München, KL Weltenburg 8. Zur Provenienz aus Prüll: NiederkornBruck, Der heilige Koloman – Landespatron von Niederösterreich (wie Anm. 5), S. 21. 115 Bayerische Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung clm 18 581, fol. 116v–125r. Druck: Passio S. Cholomanni, hg. von Georg Waitz, MGH SS IV (Hannover 1841), S. 674 – 678. 116 Karl Lechner, Die Babenberger: Markgrafen und Herzoge von Österreich 976 –1246 (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 23, Wien–Köln–Weimar 41992), S. 293. Vgl. auch Sigmund von Riezler, Geschichte Baierns II (Geschichte der europäischen Staaten 20,2, Gotha 1880), S. 206, 227. 117 Max Piendl, Quellen und Forschungen zur Geschichte des ehemaligen Reichsstiftes St. Emmeram in Regensburg (Thurn und Taxis-Studien 1, Kallmünz 1961), S. 59f., Nr. 58; Ders., St. Emmeram in Regensburg. Die Baugeschichte seiner Klostergebäude (Thurn und Taxis-Studien 15, Kallmünz 1986), S. 208 –210.
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ziert und diente als Kapitelkapelle. Der Konvent weihte also sogar seinen wichtigsten Versammlungsort diesem Heiligen. Da sie im Zuge späterer Baumaßnahmen beseitigt wurde, haben sich von ihr keine Überreste erhalten. Deswegen ist sie weithin in Vergessenheit geraten. Doch ist die Baumaßnahme durch Schriftquellen vorzüglich belegt. Eine hier überlieferte »Nota historica«118 berichtet: Capella sancti Colomanni. Anno Domini 1260, vacante imperio, dedicata est capella sancti Kolomanni martiris 3. Idus Octobris a reverendo Ratisponense episcopo Alberto obtentu domini Ulrici huius cenobii abbatis in honore sancte Trinitatis et beate Marie virginis ac sancti Cholomanni martiris, Emmerami, Albani, Gereonis, Pangracii, Tiburcii martirum, Lamperti episcopi et martiris, Petronelle virginis, Chunigundis regine, Affre martiris, undecim milium virginum et aliorum sanctorum, quorum nomina scripta sunt in celis.
Am 13. Oktober 1260 erteilte also Bischof Albert II. der Koloman-Kapelle die kirchliche Weihe119. Diese wichtige Kapelle kann mit schriftlichen Quellen weiter verfolgt werden120. Der spätere Hauschronist Jakob Passler schrieb in seiner Hauschronik: hunc sanctum in monasterii patronum elegerunt 121. Auch dieser Hinweis sichert die besondere Verehrung des Märtyrerheiligen. Die St. Koloman-Kapelle war ein wichtiger Fixpunkt im Sakralleben des Konventes, bis sie im Rahmen der Neubaumaßnahmen ab 1730 dem Barockbau weichen musste. Neben der Bau- und Kunstgeschichte ist die Namenkunde zu befragen. Koloman wurde nach dem traurigen Geschehen um den Märtyrer im südöstlichen Europa ein beliebter und weit verbreiteter Vorname. Sogar ein ungarischer König (1095 –1116) führte ihn122. Auch in Österreich wurde er nicht nur als Ordensname, sondern auch als Vorname gerne gewählt. In Bayern begegnet er dagegen äußerst selten. Diese Feststellung sei mit einem Blick in die Diözese Passau untermauert. Die dortigen Trauungsregister sind für statistische Auswertungen vorzüglich aufbereitet. Bis zum Stichjahr 1900 belegen sie lediglich fünf Träger dieses Namens: Pfarrei Neuhofen 1651; Pfarrei Hutthurm 1654; Pfarrei Kammern 1761/62; Pfarrei Grainet 1816, Pfarrei Ruhstorf 1881. Aus diesem 118 Nota historica, hg. von Oswald Holder-Egger, MGH SS XV/2 (Hannover 1888), S. 1097. 119 Paul Mai, Urkunden Bischof Alberts II. von Regensburg (1260 –1262), in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 107 (1967), S. 7– 45, hier S. 23, Nr. 14. 120 Bischöfliches Zentralarchiv Regensburg, MS 15 b: Jeremias Grienewaldt, Ratispona oder Summarische Beschreibung der uhralten nahmhafften Statt Regenspurg von ihrem Ursprung, Auff- und Abnehmung (1615), fol. 199v. 121 Pfarrarchiv St. Emmeram Regensburg, P. Jacob Passler, Hierosophia II (1747), fol. 1085f. Druck: Piendl, Quellen und Forschungen (wie Anm. 117), S. 59, Nr. 58. 122 Z. J. Kosztolnyk, From Coloman the Learned to Bela IV. (1096 –1196): Hungarian domestic policies and their impact upon foreign affairs (New York 1987).
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Befund darf abgeleitet werden, dass Koloman auch im neuzeitlichen Bayern nie ein weiter verbreiteter Vorname wurde123. Ein einziger, gerade einer der bedeutendsten Mönche des Konventes von St. Emmeram wählte freilich noch im ausgehenden 18. Jahrhundert den Namen Kolomans zu seinem Klosternamen: Pater Koloman Sanftl124. Er war als Professor und Bibliothekar ein angesehener Vertreter der in diesem Reichsstift mit beachtlichen Erfolgen betriebenen klösterlichen Aufklärung. Seine Ausbildung hatte er an der Universität Salzburg und somit im Österreichischen erhalten. Das wissenschaftliche Hauptwerk ist eine Untersuchung zum »Codex aureus«, der bedeutendsten Handschrift im Besitz des Klosters125. Die Wahl gerade dieses auch im Emmeramskloster singulären Namens126 hängt mit der Ordenszugehörigkeit des Pilgermärtyrers zusammen. P. Koloman Sanftl belegt, dass sich das Emmeramskloster die Verehrung des österreichischen Heiligen bis zu seinem Ende angelegen sein ließ. Dafür gibt es noch einen sehr überzeugenden Beleg außer Hauses. Es wurde bereits oben auf das für das Thema wichtige Pfarrdorf Harting verwiesen127. Dieses Harting war eine Inkorporationspfarrei des Klosters St. Emmeram. Es muss wohl davon ausgegangen werden, dass der Inkorporationsherr diesen Heiligen in sein Pfarrdorf getragen hat. Die Koloman-Verehrung stellte eine wichtige Verbindungsklammer der Landpfarrei zu diesem Stadtkloster dar. Der Kult wird bis in die Gegenwart aufrechterhalten128. Mittelpunkt ist die Pfarrkirche, als deren Erbauungszeit ebenfalls die Jahre um die Mitte des 13. Jahrhunderts angegeben werden129. Umbaumaßnahmen erfolgten im Jahre 1769, also in der Zeit P. Koloman Sanftls. Natürlich weist auch diese Kirche entsprechende Bildnisse auf. Doch fand das Patrozinium in Harting noch eine weitere bezeichnende Ausprägung. Hier ist die einzige Bruderschaft zum heiligen Koloman in Bayern nachge-
123 Für diese Auskunft danke ich Herrn Archivdirektor Dr. Herbert W. Wurster (Passau) sehr herzlich. Vgl. Anm. 25, 26. 124 Zu P. Koloman Sanftl OSB zuletzt: Bernhard Lübbers, „… einer von ienen seltenen Männern, quorum mundus non erat dignus“. Koloman Sanftl (1752–1809), Benediktinermönch und Bibliothekar des Reichsstiftes St. Emmeram in Regensburg, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 149 (2009), S. 167–188. 125 Dissertatio in aureum ac pervetustum SS. evangeliorum codicem MS. monasterii S. Emmerami Ratisbonae auctore P. Colomanno Sanftl, eiusdem monasterii presbytero benedictino SS. theologiae professore et bibliothecario (Regensburg 1786). 126 Catalogus monachorum almae et exemtae congregationis SS. Angel. Custod. Benedictino-Bavaricae (Tegernsee 1782). Einziger weiterer bekannter Träger des Namens: P. Coloman Frank OSB, Andechs. 127 S. Anm. 63. 128 [Joseph Sperl,] Lebensgeschichte des hl. Pilgers und Martyrers Coloman, Patrons der Filialkirche Harting (Regensburg 1898). 129 Matrikel des Bistums Regensburg, hg. von Mai (wie Anm. 29), S. 442.
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wiesen130. Sicher gehen deren Anfänge über die bekannten Belege des 19. Jahrhunderts in frühere Zeiten zurück131. Die entscheidende Frage ist die nach den Anstößen für das besondere Engagement des Reichsstiftes St. Emmeram zugunsten des heiligen Koloman. Sie sind in der Ordenszugehörigkeit des Konventes zu suchen. Bis zurück ins Zeitalter der Kirchenreform von Gorze132 und Hirsau133 reichen die Verbindungen zwischen Melk und St. Emmeram. Sie wurden durch Ausläufer der Melker Reform verstärkt, auch wenn sich St. Emmeram grundsätzlich der Kastler Observanz zurechnete134. Für die Ordensheiligen hatte man im Emmeramskloster immer viel übrig. Die Verehrung Kolomans ist am ehesten auf der Ordensschiene nach Regensburg getragen worden. Für die naheliegende Vermutung, dass dabei dem benachbarten Schottenkloster St. Jakob eine bestimmende Rolle zugekommen sein könnte, finden sich keine Anhaltspunkte135. In der Spiritualität der Schottenmönche spielte Koloman eine sehr untergeordnete Rolle136. Auch für einen Zusammenhang mit der großen Politik ergeben sich keine Anhaltspunkte.
130 Josef Krettner/Thomas Finkenstaedt, Erster Katalog von Bruderschaften in Bayern (Würzburg 1980), S. 153 (a. a. 1863). 131 [O.V.,] Bruderschaft zu Ehren des hl. Blutzeugens Coloman in der Filialkirche zu Harting, Pf. Obertraubling (Regensburg 1926). 132 Kassius Hallinger, Gorze – Cluny. Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter (Studia Anselmiana 24/25), 2 Bände (Rom 21971), S. 365 –371, 606 – 608. 133 Hermann Jakobs, Die Hirsauer. Ihre Ausbreitung und Rechtsstellung im Zeitalter des Investiturstreites (Kölner Historische Abhandlungen 4, Köln 1961), S. 70f. 134 Bernhard Bischoff, Studien zur Geschichte des Klosters St. Emmeram im Spätmittelalter (1324–1525), in: Studien zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 65 (1953), S. 165 –191, hier 152f.; Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform (wie Anm. 61), S. 32, 186; Walter Ziegler, Das Benediktinerkloster St. Emmeram zu Regensburg in der Reformationszeit (Thurn und Taxis-Studien 6, Kallmünz 1970), S. 22–29. 135 Scoti peregrini in St. Jakob. 800 Jahre irisch-schottische Kultur in Regensburg, hg. von Paul Mai (Bischöfliches Zentralarchiv und Bischöfliche Zentralbibliothek Regensburg: Kataloge und Schriften 21, Regensburg 2006). 136 Helmut Flachenecker, Schottenklöster: Irische Benediktinerkonvente im hochmittelalterlichen Deutschland (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF 18, Paderborn 1995), S. 217f., 225.
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Der heilige Koloman in Bayern
VI. Schluss Der heilige Koloman gehört zu den geschichtlichen Persönlichkeiten, die sich dem historischen Nachweis weithin entziehen. Dennoch spielt er in der Frömmigkeitsgeschichte der Landbevölkerung auch Bayerns eine durchaus bemerkenswerte Rolle. Sie erreichte zwar nicht das gleiche Gewicht wie im Nachbarland Österreich. Dieses Ausgangsland war immer das Herz des Koloman-Kultes. Das hängt wesentlich mit der politischen Entwicklung zusammen. Die herrschaftliche Trennung von Österreich und Bayern hatte auch Auswirkungen auf Kirche und Kultur. Von diesen Veränderungen wurde auch der heilige Koloman betroffen. Er stieg einerseits zu einem der Landespatrone in Österreich und besonders Niederösterreich auf. In gleichem Ausmaß ging andererseits sein Ansehen in Bayern zurück. Seine Verehrung büßte hier vor allem ihre anfängliche herrschaftliche Komponente ein. Das ist ein wichtiger Unterschied zu Österreich, wo er durchaus auch für Staat und Universität (13. Oktober: Beginn des Wintersemesters, was angesichts des bevorstehenden 650-jährigen Jubiläums 2015 sicher wieder mehr Beachtung finden wird) von ungleich höherer Bedeutung war und noch immer ist. Im Mittelpunkt der Pietas Bavarica und der Volksreligiosität stehen hier andere Persönlichkeiten und Phänomene137. Die unterschiedlichen Entwicklungen in Österreich und Bayern belegen einen korrespondierenden Zusammenhang. Dennoch ist Koloman in Bayern mehr als nur eine Randfigur des religiösen Lebens. Das westliche Nachbarland ist nicht nur ein Nebenland oder auch Ausläufer des KolomanKultes in Österreich138. Das macht vor allem der Blick auf die höchst instruktive und somit verdienstvolle Verbreitungskarte der Koloman-Verehrung deutlich, die Meta NiederkornBruck soeben vorgelegt hat139. Sie weist für den Freistaat Bayern fast ebenso viele Orte der Verehrung nach wie für Österreich. Freilich haben diese in vielen Fällen eine andersartige Bedeutung. Die Quantität entspricht nicht der Qualität. In Bayern wurde Koloman in der Neuzeit doch weithin zu einem Volks- und Bauernheiligen. Dennoch macht die Kartierung der Verbreitung der Verehrungsorte einmal mehr die Zusammengehörigkeit des oberdeutschen Raumes in kultureller Hinsicht jenseits der staatlichen Grenzen deutlich. Ohne Zweifel gehört auch der heilige Koloman zum vielgestaltigen bayerischen Heiligenhimmel. Diese Feststellung, für die mit großem Nachdruck vor allem P. Matthäus Rader SJ eingetreten ist, gilt bis herein in unsere Gegenwart. 137 In diesem Sinne nicht berücksichtigt bei: Anton Mayer-Pfannholz, Der bayerische Heiligenhimmel, in: Bayerische Frömmigkeit: 1400 Jahre christliches Bayern (München 1960), S. 66 –73; Hans D. Leicht, Heilige in Bayern: Lebensbilder von Afra bis Wunibald (München 1993); Peter Pfister, Ihr Freunde Gottes allzugleich. Heilige und Selige im Erzbistum München und Freising (München 2003). 138 Wodka, Koloman (wie Anm. 9), S. 228, bezeichnet die Anzahl der Koloman-Heiligtümer zutreffend als „beträchtlich“. Anders: Utz, Wallfahrten im Bistum Regensburg (wie Anm. 32), S. 31: „seltener Wallfahrtsheiliger … Koloman“. 139 Niederkorn-Bruck, Koloman 1012–2012 (wie Anm. 5), S. 436 –501 mit Kartenbeilage.
Was bringt man aus dem Heiligen Land mit? Erinnerungen, Andenken und Spolien aus dem byzantinischen Osten Michael Grünbart
Einleitung Aus byzantinistischer Sicht kann an dieser Stelle nicht direkt etwas zur Person des Gefeierten beigetragen werden, sondern eher danach gefragt werden, was ihn erwartet hätte, wenn er sein Reiseziel im Osten erreicht hätte.1 Im Jahre 1012 war Koloman auf Pilgerfahrt: Der Weg donauabwärts stellte sich nicht als einfaches Unterfangen dar, wenngleich diese Verbindung wahrscheinlich schneller als auf dem Landweg Richtung Balkan war. In Südosteuropa wäre er wahrscheinlich auf das sich auflösende erste bulgarische Reich gestoßen, das im Widerstreit mit den Byzantinern stand. 1014 vernichtete Kaiser Basileios II. die Truppen Samuels in der Schlacht von Kleidion (nahe dem bulgarischen Petritsch), 14.000 wurden dabei geblendet und zu Samuel geschickt, der bei ihrem Anblick tot zusammenbrach.2 Sicher wäre er beeindruckt gewesen von Konstantinopel, denn die Stadt zählte zu den größten ihrer Zeit und barst geradezu vor Reliquien und Stätten der spirituellen Erbauung.3 Konstantinopel war auf dem Weg Richtung Osten eine fast unerlässliche Durchgangsstation, da man dort weitere Reiseinformationen bekam und von dort auf dem See- oder Landweg weiter ziehen konnte. Hätte Koloman Jerusalem erreicht, wäre 1 Zum Jubiläum zuletzt Meta Niederkorn-Bruck, unter Mitarb. von Rainald Dubski, Koloman: 1012– 2012. Tradition und Wandel in der Verehrung des Heiligen. (Kontinuitäten und Brüche als Ausdruck der Zeit), Melk –Wien (2012). 2 Zur Regierungszeit des Kaisers Basileios II. Catherine Holmes, Basil II and the Governance of Empire (976 –1025) (2005); Paul Stephenson, Byzantium’s Balkan Frontier. A Political Study of the Northern Balkans, 900 –1204 (2000). 3 Byzance et les reliques du Christ. XXe Congrès International des Études Byzantines, 19 – 25 août 2001, Table Ronde les Reliques de la Passion, hg. Jannic Durand/Bernard Flusin (Centre de Recherche d’Histoire et Civilisation de Byzance, Monographies 17, 2004); John Wortley, Studies on the Cult of Relics in Byzantium up to 1204 (Variorum Collected studies series 935, 2009); Gia Toussaint, Kreuz und Knochen. Reliquien zur Zeit der Kreuzzüge (2011).
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er enttäuscht gewesen, denn kurz zuvor, genau am 18. Oktober 1009 hatte der Fatimiden-Kalif Al-Hakim die Grabeskirche zerstören lassen.4 Koloman folgte den Spuren unzähliger Pilgerinnen und Pilger, die sich seit der Spätantike nach Osten aufmachten, um dort die heiligen Stätten und Wallfahrtsorte aufzusuchen.5 Man kann kaum ermessen, wie strapaziös alleine der lange Weg und die klimatischen Veränderungen gewesen sein mussten, abgesehen davon, dass ständig die Angst vor Überfällen mitreiste. Außerdem konnte es gefährlich werden, wenn man sich nicht verständigen konnte. Das widerfuhr Koloman, der aufgrund seiner mangelnden Sprachkenntnisse als Spion verdächtigt wurde. Damit das nicht passierte, traten nach dem ersten Kreuzzug 1096/99 vermehrt Sprachführer auf, mit denen man sich einfache Sätze auf Lateinisch und Griechisch einprägen konnte (etwa: Da mihi panem: Dos me psomi ).6 Hatte der oder die Reisende das Ziel erreicht, dann folgte kurzzeitig Erleichterung – vor dem langen Rückweg –, seit der Spätantike war man in der Levante auf Pilger-„Tourismus“ eingestellt und hatte für die Unterbringung und Verpflegung der Heilssuchenden vorgesorgt.7 Mein Vorhaben hier ist es, nachzuzeichnen, wohin die Begeisterung die Pilgernden trieb und wie sie sich daran erinnerten, wie sie sich an Erinnerung klammerten, ganz konkret, was sie von den loca sancta mitbrachten. Gegen Ende wird versucht, regionale Bezüge zu finden, insbesondere anhand von Spolien und anderen Formen von Erinnerung.
4 Konflikt und Bewältigung. Die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem im Jahre 1009, hg. Thomas Pratsch (Millennium-Studien 32, 2011). 5 Klassisch Bernhard Kötting, Peregrinatio religiosa. Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen in der alten Kirche (²1980). Der XII. Internationale Kongress für frühchristliche Archäologie 1991 war dem Generalthema „Peregrinatio. Pilgerreise und Pilgerziel“ gewidmet, siehe Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn, 22.–28. September 1991, hg. Ernst Dassmann–Josef Engemann (Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 20, 1995); weiters Alice-Mary Talbot, Byzantine Pilgrimage to the Holy Land from the Eighth to the Fifteenth Century, in: Joseph Patrich (Hg.), The Sabaite Heritage in the Orthodox Church from the 5th Century to the Present (Orientalia Lovaniensia Analecta 98, 2001), S. 97–110. 6 Jonathan Sumption, Pilgrimage. An Image of Mediaeval Religion (1975), S. 260 –261; Itinéraires russes en Orient, übers. von B. de Khitrowo (Publications de la Société de l’Orient Latin, Série géographique 5, repr. 1966). 7 John Wilkinson, Jerusalem Pilgrims before the Crusades (1977); ders., Jerusalem Pilgrimage, 1099 – 1185 (1988).
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Pilgerwesen Fast jeder, der heute eine Reise tut, nimmt sich gerne Erinnerungsstücke, Andenken oder Souvenirs von einer Küste, einem Berg oder einem Stück Land mit nach Hause; oftmals materiell wertlos wird ein Gegenstand durch eine persönliche Begebenheit oder Beziehung bedeutungsbeladen; der Wert steigert sich, wenn ein Ort auch eine spirituelle Komponente hat bzw. wenn es sich um einen Ort der (in unserem Kontext christlichen) Verehrung handelt oder wenn sich eine Vorstellung auch verwirklichen lässt.8 In der Spätantike und frühmittelalterlichen Periode war das nicht anders.9 Im Lateinischen war man ein peregrinus, also ein Fremder, im Griechischen wird der Begriff xenos, Fremder/Gastfreund verwendet. Im Mittellateinischen wird peregrinus zum Synonym für Pilger, während sich im Griechischen diese Konnotation nicht ausgebildet hat. Im Griechischen hieß der Akt der pilgernden Verehrung proskynema (Verehrung). Bis ins zwanzigste Jahrhundert wurde chatzēs () (für den nach Jerusalem Pilgernden) gebraucht, hinter welchem Wort sich unschwer die hadji verbirgt.10 Dies beschränkt sich nicht nur auf die Namensform islamischer Gläubiger, auch Christen bekamen die Vorsilbe „Chatzi“ zu ihrem Namen (heute im griechischen Namensgut weitverbreitet; z. B. Chatzidakis, Chatzimichael). Die sukzessive Anerkennung bzw. Formierung des Christentums (Konzilien von 325 in Nikaia, 381 in Konstantinopel) öffnete auch die Wege Richtung Osten bzw. machte das Reisen zu den christlichen loca sancta erst möglich und durch kaiserliche Forcierung erstrebenswert. Kaiser Konstantinos unterstützte auch die Ausstattung der heiligen Plätze, in die Geschichte ein ging er mit der Errichtung der Grabeskirche in Jerusalem. Gründe für eine Fernreise waren: ein geistiges Bedürfnis, die heiligen Stätten zu sehen, damit verbunden Wissbegierde, zu ergründen, wie es dort ist (schon Egeria reiste mit der Bibel in der Hand, um die berühmten Orte aufzusuchen)11; dazu traten
8 Kulturgeschichtlich aufbereitet in der Ausstellung: Der Souvenir. Erinnerung in Dingen von der Reliquie zum Andenken (2006). 9 Sehr instruktiv Gary Vikan, Early Byzantine Pilgrimage Art (Dumbarton Oaks Byzantine Collection Publications 5, ²2010). 10 Cyril Mango, The Pilgrim’s Motivation, in: Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn, 22.–28. September 1991, hg. Ernst Dassmann–Josef Engemann (Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 20, 1995), S. 1– 9, S. 1. 11 Egeria’s Travels. Newly translated with supporting documents and notes, hg. John Wilkinson (³2002); Sheryl Savina, Egeria: An Early Woman Pilgrim to the Holy Land (381–384), in: Voix de femmes au Moyen Âge: actes du colloque du Centre d’Études Médiévales Anglaises de Paris-Sorbonne (26 –27 mars 2010), hg. Leo Martin Carruthers (2011), S. 15–36.
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das Verlangen nach Heilung, Stärkung gegen dämonische Kräfte oder wie es Cyril Mango einfach ausdrückt: „It became the thing to do.“12 Rasch kursierten Berichte von Reisenden, die zur Nachahmung anregten, nützliche Informationen liefern und die Scheu, sich aufzumachen, nehmen konnten. Schon ein Pilger aus Bordeaux (Anonymus Burdigalensis, um 333) spricht etwa davon, dass man ihm Stätten mit biblischer Bedeutung zeigte.13 Legenden in Verbindung mit den heiligen Stätten bildeten sich aus, ja miracula-Sammlungen wurden ab dem fünften Jahrhundert sogar gefördert, da ein Nutzen evident wurde: Mit Pilgern konnte man auch Geld machen.14 Die heiligen Stätten wurden als so wertvoll erachtet, dass sie bzw. der Weg dorthin unter militärischen Schutz gestellt wurden (z. B. in Abu Mina Ägypten, wo der Heilige Menas verehrt wurde).15 Bis in das siebte Jahrhundert kann man von einem kontinuierlichen Pilgerstrom ausgehen, der Untergang des Perserreiches und die Ausbreitung der Araber bewirkten eine Unterbrechung bzw. bedeuteten zunächst eine Erschwernis, die loca sancta aufzusuchen. Allerdings erkannten auch die neuen Machthaber in der Region, dass das Pilgerwesen auch einen wirtschaftlichen Faktor darstellte.16 Trotzdem scheint die Unterstützung kirchlicher Institutionen bzw. christlicher Erinnerungsstätten stagniert zu haben. Ein einzigartiges Dokument, welches die Organisation der Heiligen Stätten um 800 behandelt, analysierte vor kurzem Michael McCormick.17 Karl der Große hatte eine Gesandtschaft in das Heilige Land geschickt, welche gleichsam alle Klöster und Kirchen inventarisieren solle. Karl der Große war in direkte Konkurrenz zum byzantinischen Kaiser getreten, indem er auch – nachdem ihm das der Kalif Hārūn ar-Rašīd (786 – 809) angetragen hatte – die Sorge über die loca sancta übernahm.18
12 Mango, Motivation (wie Anm. 10), S. 9. 13 Josef Engemann, Pilgerwesen und Pilgerkunst, in: Christoph Stiegemann, Byzanz, das Licht aus dem Osten. Kult und Alltag im Byzantinischen Reich vom 4. bis 15. Jahrhundert (2001), S. 45 –52. 14 Mango, Motivation (wie Anm. 10), S. 9; vgl. Speros Vryonis, Jr., The Panegyris of the Byzantine Saint. A Study in the Nature of a Medieval Institution, in: The Byzantine Saint, hg. von Sergei Hackel (1981), S. 196 –226. 15 Pierre Maraval, Lieux saints et pèlerinages d’Orient. Histoire et géographie des origines à la conquête arabe (1985), S. 166. Zu den Ampullen von dort zuletzt Janette Witt, Menasampullen (Spätantike – frühes Christentum – Byzanz : Reihe A, Grundlagen und Monumente: Bestandskataloge 2,1, 2000). 16 Sumption, Pilgrimage (wie Anm. 6), S. 183. 17 Michael McCormick, Charlemagne’s Survey of the Holy Land. Wealth, Personnel, and Buildings of a Mediterranean Church between Antiquity and the Middle Ages. With a critical edition and translation of the original text (Dumbarton Oaks medieval humanities, 2011) 18 Michael Grünbart, Byzanz. Eine marginalisierte Macht (in: Kaiser und Kalifen. Karl der Große und die Mächte am Mittelmeer um 800. Hg. von der Stiftung Deutsches Historisches Museum (2014), S. 24 –37.).
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Im Zuge der diplomatischen und politischen Beziehungen zwischen Ost und West war es dazu gekommen, dass sich in vielen Orten Westeuropas Reliquien ansammelten, die lokal verehrt werden konnten. Reliquien wurden zu einer wichtigen (Bei-) Gabe für Gesandtschaften:19 So wurde schon an Radegund, die Witwe des fränkischen Königs Chlothar I., 569/570 von Iustinos II. und seiner Gemahlin Sophia ein Teilchen des Wahren Kreuzes geschickt.20 Venantius Fortunatus schrieb ein Gedicht für die kostbare Fassung des nach Poitiers gebrachten Partikels (Vexilla regis prodeunt), wobei Sophia mit Helena verglichen wird. Ein Teil des Reliquiars hat die französische Revolution in Sainte Croix bei Poitiers überstanden. Kreuzpartikel zählten zu den kostbarsten verehrungswürdigen Zeugnissen der Präsenz Christi. Konstantinopel hatte sich sukzessive zu einem spirituellen Arsenal entwickelt.21 Dies geschah nach der Wahl Byzantions zur Residenzstadt Konstantinos’ des Großen, da die aufstrebende Metropole sich mit einer spirituellen Vergangenheit ausstatten musste, um gegen die anderen Patriarchatssitze bestehen zu können (vor allem gegen die Petrusstadt Rom). Nicht von ungefähr bekam Konstantinopel das Epitheton „Neues Jerusalem“. Als Kaiser Justinian die Hagia Sophia errichtete (532–537), maß er sich nicht nur mit der Patrizierin Iuliana Anikia, sondern blickte auf König Salomon, der mit seinem Tempelbau Maßstäbe setzte. Eine Erscheinung, die man in der frühbyzantinischen Zeit zunehmend feststellen kann, war, dass sich die Bevölkerung öfters auf überirdische, heilige Autoritäten verließ oder verlassen musste. Auch byzantinische Kaiser stützten sich zunehmend auf die Einbindung übernatürlicher Kräfte.22
19 Siehe z. B. Franz H. Tinnefeld, „Mira varietas“: exquisite Geschenke byzantinischer Gesandtschaften in ihrem politischen Kontext (8. –12. Jh.), in: Mitteilungen zur spätantiken Archäologie und byzantinischen Kunstgeschichte 4 (2005), S. 121–137. 20 Die crux Vaticana wurde auch von dem oströmischen Kaiserpaar gestiftet, siehe Christa Belting-Ihm, Zum Justinuskreuz in der Schatzkammer der Peterskirche zu Rom, Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 12 (1965), S. 142–166; Toussaint, Kreuz und Knochen (wie Anm. 3), S. 90. 21 John Wortley, The Byzantine Component of the Relic-Hoard of Constantinople, in: Greek, Roman and Byzantine Studies 40 (1999), S. 353–378 (Wortley 2009, Nr. II); Konstantinopel beherbergte viele Marienreliquien Stephen J. Shoemaker, The Earliest „Life of the Virgin“ and Constantinople’s Marian Relics, in: Dumbarton Oaks Papers 62 (2008), S. 53 –74. 22 Ioli Kalavrezou, Helping Hands for the Empire: Imperial Ceremonies and the Cult of Relics at the Byzantine Court, in: Byzantine Court Culture from 829 to 1204, hg. von Henry Maguire (1997), S. 53 –79; Sophia Mergiali-Sahas, Byzantine Emperors and Holy Relics. Use and Misuse of Sanctity and Authority, in: Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik 51 (2001), S. 41– 60.
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Im Zeichen des Kreuzes Eine wesentliche Rolle spielte das Kreuz, in dessen Zeichen Konstantin der Große 312 nicht nur siegte, sondern das sich auch kurz darauf materialisierte.23 Das Heilige Grab wurde laut dem Biographen Konstantins, Eusebios von Kaisareia, in der Regierungszeit des ersten christlichen Kaisers entdeckt und dabei angeblich auch das Kreuz Christi gefunden. Am 14. September 335 wurde die Heilig-Grab-Kirche in Jerusalem eingeweiht, wie Konstantin weitere Verehrungsstätten an Orten, die mit dem Leben Christi in Verbindung standen, erbauen ließ.24 Eine Archegetin des byzantinischen Pilgerwesens und gleichzeitig Begründerin oder Schutzpatronin der Archäologie verkörperte Helena, die Mutter Konstantins.25 Sie reiste in den 320er Jahren in das Heilige Land, besuchte dort wichtige Orte der Heilsgeschichte und trat auch als Stifterin bzw. Einweiherin von Bauten in Erscheinung. Die Erzählung von der Auffindung des Wahren Kreuzes durch die Kaiserinmutter († 329) kursierte verstärkt ab dem Ende des vierten Jahrhunderts; erwähnt zum ersten Mal bei Gelasius von Kaisareia um 386 n. Chr. verknüpfte auch Ambrosius die Kreuzesauffindung in seiner Totenrede auf Kaiser Theodosius I. mit Helena. Sind die Fundumstände nicht zu klären, so muss doch festgehalten werden, dass bereits in der Mitte des vierten Jahrhunderts Kreuzespartikel hochgeschätzte Objekte der Verehrung in der christlichen Ökumene waren. Diesen Umstand berichtete der Bischof Kyrillos von Jerusalem in einem Brief an Kaiser Konstantin. Paulinus von Nola (354 – 431) deponierte einen Splitter des Kreuzes unter dem Altar der Felixbasilika in Nola (nordöstlich von Neapel gelegen); dazu formulierte er „Totaque in exiguo segmine vis crucis est“ („im winzigen Teil ist die ganze Kraft des Kreuzes“).26 Und auch nach Melk kam ein Partikel des wundertätigen Holzes: In einem etwas über 60 Zentimeter hohen Reliquiar befindet sich ein Span, den Markgraf Adalbert 23 Karin Krause, Konstantins Kreuze. Legendenbildung und Artefakte im Mittelalter, in: Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an International Spring School, hg. von Michael Borgolte–Bernd Schneidmüller (2010), S. 171–193; Barbara Baert, A Heritage Of Holy Wood: The Legend of the True Cross in Text and Image (2004); Holger Klein, Byzanz, der Westen und das „wahre“ Kreuz. Die Geschichte einer Reliquie und ihrer künstlerischen Fassung in Byzanz und im Abendland (Spätantike – frühes Christentum – Byzanz: Reihe B, Studien und Perspektiven 17, 2004). 24 Jürgen Krüger, Die Grabeskirche zu Jerusalem. Geschichte – Gestalt – Bedeutung (2000); Martin Biddle, Das Grab Christi. Neutestamentliche Quellen – historische und archäologische Forschungen – überraschende Erkenntnisse (1998). 25 Stephan Borgehammar, How the Holy Cross was Found. From event to medieval legend (Bibliotheca theologiae practicae 47, 1991); Jan Willem Drijvers, Helena Augusta. The Mother of Constantine the Great and the Legend of Her Finding of the True Cross (Brill’s Studies in Intellectual History 27, 1992); Sandra Ann Fortner–Andrea Rotloff, Auf den Spuren der Kaiserin Helena. Römische Aristokratinnen pilgern ins Heilige Land (2000), S. 80 –98 (Helena die politische Pilgerin). 26 Paulinus von Nola ep. 32, 11 (CSEL 29, 287).
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(1018 –1055) um 1040 gestiftet haben soll. Zweimal wurde die wertvolle Reliquie entwendet und unter wundersamen Umständen wieder nach Melk zurückgestellt (1170, 1362, Historia de particula sanctae Crucis Mellicensis). Herzog Rudolf IV., der Melk 1362 zweimal besuchte, brachte die Fassung der Reliquie in die heutige Form. Dabei wurden Edelsteine, Perlen und Cameo von einem Vorgängerreliquiar übernommen. Das Filigranornament der Vorderseite kopiert eines aus dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts.27 Neben der symbolischen Bedeutung hatte das wahre Kreuz eine weitere Qualität: Es handelt sich dabei um eine Berührungsreliquie. Johannes von Damaskos, der große byzantinische Bildtheologe, erklärt das folgendermaßen: „Dieses wirklich kostbare und verehrungswürdige Holz (Kreuz) nun, an dem sich Christus selbst für uns zum Opfer gebracht, ist zu verehren, da es durch die Berührung des heiligen Leibes und Blutes geheiligt ist, desgleichen die Nägel, die Lanze, die Kleider und seine heiligen Stätten, als da sind: die Krippe, die Höhle, das heilbringende Golgatha, das lebengebende Grab, Sion, die Burg der Kirchen, und dergleichen.“ 28
Kolomanstein – eine Berührungsreliquie Auch mit der Leidensgeschichte Kolomans ist eine Berührungsreliquie verbunden. Koloman wurde an einem Baum aufgeknüpft, blieb dort aber lange Zeit unversehrt. Vor seinem Tode hatte man ihm die Unterschenkel abgesägt, um ihn zu einer Aussage zu bewegen. Das Blut tropfte auf einen Stein, den sogenannten Kolomanstein. Dieser wurde am 3. Mai 1361 auf Veranlassung Rudolf IV. des Stifters nach Wien transferiert, wo er beim nördlichen Portal der Stephanskirche („Bischofstor“ – heute rechts des Eingangs zum Andenkenladen) eingemauert wurde.29 Der Stein ist abgegriffen, da sich die Gläubigen durch die Berührung in Verbindung mit der Kraft des Heiligen setzen wollen.30 Diese Anknüpfung an einen Heiligen stellt in der Geschichte der Reliquien eine wichtige Komponente dar. Der griechische Kirchenvater Basileios der Große merkte an, dass Gläubige, die die Gebeine von Heiligen berührten, Gnade erführen. 27 900 Jahre Benediktiner in Melk. Jubiläumsausstellung 1989, Stift Melk, hg. von Ernst Bruckmüller (1989), S. 154 –155; Heiligenkreuz: Der Babenberger Herzog Leopold V. (1157–1194) schenkte dem Kloster die Kreuzreliquie; er hatte Richard Löwenherz gefangen setzen lassen. 28 Des Johannes von Damaskus genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens. Aus dem Griechischen übersetzt von Dr. Dionys Steinhofer. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 44) München (1923), cap. 4. 29 Rudolf Simek, Ewige Orte. Reliquien und heilige Stätten in Wien (2007), S. 20 –22. Die Inschrift lautet: Hic est lapis super quem effusus est sanguis ex serratione tibiarum S. Colomanni Martyris quem huc collocavit illustris Dominus Rudolphus IV Dux Austriae etc. 30 Vgl. Kolomanistein bei Eisgarn (angebliche Fußwaschung in einer Felsvertiefung) nördlich von Heidenreichstein.
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Johannes Chrysostomos empfahl seinen Anhängern, die Märtyrergräber zu besuchen, da ihre Gebeine eine solch große Kraft hätten, dass sie die Gräber und die darin befindlichen Reliquiare weihten.31 Und auch im Westen hatte man dieselbe Meinung: Gregor von Tours schrieb im Jahre 594/95: „[M]an glaubt, dass alles, was der heilige Körper berührt, geheiligt ist“.32 Das „Ausstrahlen“ des Heiligen geht sogar noch weiter. Thiofried von Echternach schreibt vor 1110: „Wer festen Glaubens mit seiner Hand den äußeren Verschluß (des Grabes) berührt, etwa ein Gold- oder Silberplättchen, einen gleichwie wertvollen Edelstein oder sonst ein Stück Gewebe, Ziermetall, Bronze Marmor oder Holz – es wird berührt, was drinnen ist.“33 Die heilige Kraft diffundiert/durchdringt also die Materie.
Zielorte und Verkörperungen des Heiligen Das Ziel der spätantiken Pilgerreisenden war nicht nur Jerusalem, rasch bildeten sich Wallfahrtsorte von Kleinasien bis nach Ägypten heraus.34 Kleinasien hatte den Vorteil, dass der Anreiseweg kürzer und dadurch weniger kostenintensiv war.35 Die Beziehung knüpfte sich nicht nur an einen Erinnerungsort (wie Bethlehem, Galiläa, Jerusalem), sondern auch an das, was dort an Reliquien vorhanden war.36 Die Macht der Reliquien erklärt Vitricius, Bischof von Rouen und gestorben um ca. 407, in seiner Schrift de laude sanctorum folgendermaßen: „Die physischen Überreste eines Heiligen
31 Pierre Maraval, Lieux saints et pèlerinages d’ Orient. Histoire et géographie des origines à la conquête arabe (1985), S. 143 – 144, S. 147. 32 Gregorius Turonensis, Opera. Teil 2 Miracula et opera minora. Liber in Gloria martyrum (MGH Scriptores rerum Merovingiarum 1,2) 1885, § 6 S. 42, Zeile 26. 33 Thiofried von Echternach, Flores Epitaphii II 3 (PL 157, Sp. 345). 34 Pierre Maraval, The Earliest Phase of Christian Pilgrimage in the Near East (before the 7th Century), Dumbarton Oaks Papers 56 (2002), S. 63–73, 68– 69: Hl. Menas in Ägypten, zusammen mit Abbakyros und Johannes in Menuthis Hl. Sergios – um seine Stätte entstand die Stadt Sergiopolis; Hl. Thekla in Seleukia, Isaurien; Hl. Johannes in Ephesos; Hl. Euphemia in Chalkedon; Hl. Theodoros von Euchaita; Hl. Demetrios von Thessalonike. 35 Hansgerd Hellenkemper, Frühe christliche Wallfahrtsstätten in Kleinasien, in: Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn, 22. –28. September 1991, hg. von Ernst Dassmann– Josef Engemann (JbAC Ergänzungsband 20, Münster 1995), S. 259 –271, 268. 36 Zu den Jesus-Reliquien siehe den Überblick Reiner Sörries, Was von Jesus übrig blieb. Die Geschichte seiner Reliquien (2012).
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sind nicht nur Überträger des Heiligen, sie selbst sind heilig und das kleinste Stück wirkt wie das Ganze.“37 Natürlich waren Orte begünstigt, die Teile von Aposteln oder Kleidungsstücke Marias beherbergten.38 Waren diese nicht vorhanden, so konnten unzählige Märtyrer oder besser ihre Gräber Ersatz schaffen. Das Grab eines Heiligen „war auf Erden der Ort des Heiligen schlechthin“39. Das Gebet an einen Blutzeugen gerichtet (also an jemanden, durch den Gott wirkte oder der sich für seinen Glauben hingab) wurde besonders hoch eingeschätzt, da man sich dadurch eine raschere Erhörung einer Bitte erhoffte. Eine weitere Gruppe stellten zeitgenössische, lebende heilige Männer und Frauen dar, die ein nur auf Gott ausgerichtetes Beispiel der Entsagung vorlebten. Zellen, Säulen oder Höhlen suchte man auf. In Syrien gab es heilige Männer, die noch zu Lebzeiten Tausende Pilger anzogen.40 Der wohl berühmteste war Symeon der Ältere, der sein Leben auf einer Säule in Qal’at Sem’an nordöstlich von Antiocheia verbrachte. Er erfuhr dadurch höchste Bewunderung, die soweit führte, dass Pilgernde nach seiner Kutte griffen, um Fäden daraus zu ziehen. Die Säule wurde daraufhin von knapp zwei Metern Höhe auf über zehn Meter aufgestockt. Nach seinem Tode im Sommer 459 wurden seine Reste triumphal nach Antiocheia gebracht, der Ort mit der Säule wurde aber unter Kaiser Zeno (474 – 491) aufgewertet und um die Säule eine Kirchenanlage mit entsprechenden Unterbringungsmöglichkeiten errichtet. Die Anklänge an konstantinopolitanische Architektur wie die Hagia Sophia sind dabei unübersehbar.41 Man kennt gut 70 Styliten aus dieser Zeit, bekannt ist Daniel Stylites in der Nähe von Konstantinopel (ab 460)42 – dieser war aufgrund seiner Autorität auch Ratgeber des Kaisers. Nachweisen lassen sich auch Verehrungsstätten von Engeln, die am Ende des vierten Jahrhunderts auf der Lokalsynode von Laodikeia zwar als jüdisch verdammt wur37 Vikan, Early Byzantine Pilgrimage Art (wie Anm. 9), S. 23. 38 John Wortley, The Marian Relics at Constantinople. Greek, Roman and Byzantine Studies 45 (2005), S. 171–187 (Wortley 2009, Nr. XI) sowie Shoemaker, „Life of the Virgin“ (wie Anm. 20). 39 Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart (1994), S. 132. 40 Maraval, The Earliest Phase of Christian Pilgrimage in the Near East (before the 7th Century), in: Dumbarton Oaks Papers 56 (2002), S. 69–70. 41 Vikan, Early Byzantine Pilgrimage Art (wie Anm. 9), S. 9. 42 Sebastian Kolditz, Ein umstrittener Kaiser und patriarchale Kirchen im späteren fünften Jahrhundert: Weltliche und geistliche Macht unter Basiliskos, in: Michael Grünbart–Lutz Rickelt–Martin Marko Vučetić (Hg.), Zwei Sonnen am Goldenen Horn? Kaiserliche und patriarchale Macht im byzantinischen Mittelalter. Akten der internationalen Tagung vom 3. bis 5. November 2010. Teilband 1 (Byzantinistische Studien und Texte 4, 2013), S. 19–53. Siehe Hippolyte Delehaye, Les saints stylites (Subsidia Hagiographica 14, 1923, Nachdruck 1962), S. XXXV–LVIII; Michel Kaplan, L‘espace et le sacré dans la vie de Daniel le stylite, in: Le sacré et son inscription dans l’espace à Byzance et en Occident. Études compares, hg. von Michel Kaplan (Byzantina Sorbonensia 18, 2001), S. 199–217, hier S. 200–202.
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den, dennoch aber in Phrygien weiterblühten (Michael in Kolosses oder Michael in Germia)43.
Bleibende Erinnerung und Erinnerungsstütze Das Bedürfnis der Pilgerreisenden, ein Andenken ihres Kontaktes mit dem Heiligen oder eine Erinnerung an den Wirkungsort lebendig zu erhalten, musste – wie bereits zu erkennen war – groß gewesen sein, denn man liest manchmal davon, dass Gläubige Gegenstände beschädigten, ein Stück von einem Kreuz abbrachen oder sogar abbissen(!).44 Der Wunsch, etwas mit nach Hause zu nehmen, konnte dadurch befriedigt werden, dass man ihnen Objekte anbot, die mit dem Ort etwas zu tun hatten. Ersatzreliquien also, da sich kaum ein Pilger eine „echte“ Reliquie leisten konnte. Andenken, die eulogia oder benedictiones genannt wurden, waren meist aus billigem Material und in großer Masse hergestellt worden.45 Die Nähe zu einem heiligen Schrein veredelte die einfachen Produkte, denn die heilige Kraft übertrage sich – wie angeführt – aus einem Schrein oder Grab auf den anliegenden Gegenstand. Öl, Salböl, Weihwasser, Steine, Erde, Lehm oder Sand kamen für derartige Übertragungen in Frage.46 Wie kam die Übertragung der heiligen Kraft zustande? Aufgrund erhaltener Schreine kann man sehr genau die Funktionsweise von „Reliquienautomaten“ rekonstruieren. Es sind Reliquiare aus Stein erhalten geblieben, in den sich Löcher zum Eingießen und Auslassen von Öl oder Wasser befinden.47 43 Cyril Mango, The Pilgrimage Centre of St. Michael at Germia, Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik 36 (1986). S. 117–32. 44 Gary Vikan, in: Heaven on earth. Art and the Church in Byzantium, hg. von Linda Safran (1998), S. 234. 45 Gabriele Miethke, Wundertätige Pilgerandenken, Reliquien und ihr Bilderschmuck, in: Byzanz. Die Macht der Bilder, hg. von Michael Brandt–Arne Effenberger (1988), S. 40 –55. Lieselotte KötzscheBreitenbruch, Pilgerandenken aus dem Heiligen Land. Drei Neuerwerbungen des Württembergischen Landesmuseums in Stuttgart, in: Vivarium. Festschrift Theodor Klauser zum 90. Geburtstag (Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 11, 1984), S. 229, 246. 46 Vikan, Early Byzantine Pilgrimage Art (wie Anm. 9), S. 10f. Maraval, The Earliest Phase of Christian Pilgrimage (wie Anm. 31), S. 233 –241. Josef Engemann, Das Jerusalem der Pilger. Kreuzauffindung und Wallfahrt, in: Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn, 22. –28. September 1991, hg. von Ernst Dassmann–Josef Engemann (JbAC Ergänzungsband 20, Münster 1995), S. 24 –35, S. 32–33. Vikan, Heaven (wie Anm. 44), S. 234 –236. 47 Wilhelm Gessel, Das Öl der Märtyrer. Zur Funktion und Interpretation der Ölsarkophage von Apamea in Syrien. Oriens Christianus 72 (1988), S. 183 –202. Siehe jetzt Marie-Christine Comte, Les reliquaires du ProcheOrient et de Chypre à la période protobyzantine (IVe–VIIIe siècles). Formes, emplacements, fonctions et cultes (Bibliothèque de l‘antiquité tardive 20, 2012); Welt von Byzanz (2004), S. 187, nr. 247 (Janette Witt).
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Ganz wesentlich war dabei, dass der kostbare Gegenstand umspült wurde; die Heiligkeit der Reliquie überträgt sich auf den flüssigen Stoff, der abgefüllt werden kann. Eine anonyme Quelle aus dem sechsten Jahrhundert berichtet von einer ähnlichen Praxis: „Wenn das heilige Kreuz zur Anbetung aus seiner Kammer getragen wird und ins Atrium gelangt, wo es angebetet wird, erscheint im selben Augenblick ein Stern am Himmel und kommt über den Ort, an dem sich das Kreuz befindet; und während das Kreuz angebetet wird, bleibt er über ihm stehen. Da wird Öl in Halbflaschen (ampullae mediae) dargebracht, damit es gesegnet werde. Sobald das Holz des Kreuzes den Rand einer Flasche berührt, wallt das Öl auf, und wenn sie nicht schnell geschlossen wird, fließt es ganz heraus.“48 Nicht nur Gefäße, ganze Anlagen für derartige Kontaktsegnungen konnten bisher freigelegt werden. In Abu Mina erforschte eine solche Anlage archäologisch 1983 Peter Grossmann. Unter dem Altar der Gruftkirche des Heiligen wurde ein Alabastergefäß gefunden, in das mit Weihrauch versetztes Öl gegossen worden, das mit einem Röhrchen entnommen werden konnte.49 Auch einfacher Sand fungiert als ein beliebtes Mitbringsel: Sulpicius Severus berichtet davon, dass von dort, wo Christi Himmelfahrt Ausgang nahm, Sand genommen wurden. Wundersam bildete sich dieser immer wieder nach.50 Die mitgebrachten Stücke mussten in der Heimat auch entsprechend ins Licht gerückt werden, ihre Herkunft durfte nicht in Vergessenheit geraten. Wie man sich einfache Reliquien-/Andenkensammlungen vorstellen kann, zeigt ein hölzerner Kasten, der in den Vatikanischen Museen aufbewahrt wird. Das Ensemble wird in das sechste bis siebte Jahrhundert datiert, die Steine und Holzstücke, die zum Teil Inschriften tragen wie „von dem Ort der lebensspendenden Auferstehung“ (π ), „aus Bethlehem“ π ’A), „vom Ölberg“ (π’ 51 (π μ) oder „aus Sion“ (π ) sind – wie unschwer zu erkennen – in 48 Engemann, Pilgerwesen und Pilgerkunst (wie Anm. 13), S. 46 – 47; vgl. Herbert Donner, Pilgerfahrt ins Heilige Land. Die ältesten Berichte christlicher Palästinapilger (4. –7. Jahrhundert) (1979). – Anonymus Placentinus 18 und 20 (CSEL 39, 171), bes cap. 20 (172, 17–173,2) Procedente sancta cruce ad adorandum de cubiculo suo et veniens in atrio, ubi adoratur, eadem hora stella apparet in coelo et venit super locum, ubi crux resedit, et dum adoratur crux, stat super ea et offertur oleum ad benedicendum, ampullas medias. Hora, qua tetigerit lignum crucis orum ampullae mediae, mox ellubescit oleum foris, et si non clauditur citius, totum redundat foris. 49 Engemann, Eulogien und Votive, in: Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn, 22.–28. September 1991, hg. Ernst Dassmann–Josef Engemann (Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 20, 1995), S. 223 –233, S. 226. 50 Engemann, Pilgerwesen und Pilgerkunst (wie Anm. 13, S. 47, Sulpicius Severus, Chronica 2,33 (CSEL 1, 87). 51 Byzanz. Die Macht der Bilder Nr. 27 (Kat Nr. 13). Siehe auch Sörries, Was von Jesus übrig blieb (wie Anm. 36), S. 301 – niemand geht auf die Anordnung in der Form des Christogramms (XP) ein!
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einem Kreuz angeordnet, das von zwei Diagonalen durchlaufen wird, es soll also ein Chi-Rho gebildet werden. Man hat es hier also mit einer heiligen Topographie im Kleinen zu tun, man besitzt das Heilige Land oder man hat einen direkten Zugang. Die einfachsten, wenngleich aufgrund ihrer Fragilität sehr selten erhalten gebliebenen Stücke sind Erdmedaillons.52 In die Erde oder den Lehm von einem heiligen Ort wurde ein Stempel eingepresst, der einen Heiligen repräsentiert und ein Motto enthält. Vier Stücke stammen von einem Model und tragen Buchstaben, die wahrscheinlich in IOY Ω aufzulösen sind, also Eulogien des Abbas Konon. Konon aus Bidana wirkte in Isaurien, und der Legende nach besaß Macht er über Dämonen, die er in Tongefäße einsperrte; nach seinem Tod stieß man auf die vergrabenen Gefäße und die Dämonen entflohen. Ein Fundkomplex sind die Pilgerandenken, welche vom British Museum in den 1970er Jahren angekauft wurden.53 In einer Glasschale befinden sich etwa 80 tönerne Stücke, auf denen die Wurzel Salomos dargestellt ist. Die Wurzel Salomos wurde aktiv zum Exorzismus eingesetzt. Als besonders haltbar erwiesen sich auch Andenken aus Glas.54 Was Pilger in ihre Heimat mitbrachten, waren nicht nur Schilderungen ihres Weges und Beschreibungen der heiligen Stätten, sie nahmen auch Ansichten mit. Darunter sind nicht Zeichnungen zu verstehen, jedenfalls lässt sich das nicht nachweisen, aber es existieren auf den Gegenständen, die man mitnehmen konnte, auch Abbildungen des Heiligen Grabes oder anderer Stätten. Eine Tonlampe im Archäologischen Museum der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster zählt zu den seltenen bisher bekannten Exemplaren, welche die Aedicula, also das Grab Christi, darstellen. Wahrscheinlich wurde darin auch Öl von dort verbrannt.55
52 Christoph Stiegemann (Hg.), Byzanz (2001), Nr. I.78. Vgl. auch Jeab-Pierre Sodini, Nouvelles Eulogies de Symeon, in: Catherine Jolivet-Lévy – Michel Kaplan – Jean-Pierre P. Sodini (Hg.), Les saint et leur Sanctuaire a Byzance. Textes, images et monuments (Byzantina Sorbonensia 11, 1993), S. 25–33. 53 Levy Y. Rahmani, The Byzantine Solomon Eulogia Tokens in the British Museum, in: Israel Exploration Journal 49 (1999), S. 92 –104; weitere Eulogien: Ders., Eulogia Tokens from Byzantine Bet She’an, in: ,Atiqot XXII (1993), S. 109 –119. 54 Vassiliki Foskolou, Glass Medallions with Religious Themes in the Byzantine Collection at the Benaki Museum: A Contribution to the Study of Pilgrim Tokens in Late Middle Ages, in: 4 (2004), S. 51– 73; Despina Kotzamani, Glass Medallions with Religious Themes in the Byzantine Collection at the Benaki Museum: Technical Analysis, in: 4 (2004), S. 75 – 89 (auf Griechisch mit engl. Zsfg). 55 Michael Grünbart (Hg.), Gold und Blei – byzantinische Kostbarkeiten aus dem Münsterland (2012), S. 188 –189. Weiters tönerne Pilgerampullen (Stiegemann, Byzanz. Das Licht aus dem Osten [2001], I.77, S. 199 –200 [Janette Witt]): Dargestellt sind das Kreuz auf dem Golgothahügel oder Triumphkreuz, Christus in der Aedicula oder ein Heiliger in seinem Grab.
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Seltener kamen vor 1204 (Vierter Kreuzzug) wertvolle Objekte in den Westen. Abgesehen vom erwähnen diplomatischen Austausch brachten Söldner (in byzantinischen Diensten) Gegenstände mit. Besonders gut nachzuweisen ist das durch Münzen, die oft als Anhänger sichtbar getragen wurden. Wir nähern uns dem Ausgangspunkt der Reise und der Frage, was wäre gewesen, wenn Koloman weiter als bis nach Stockerau gekommen wäre. Bis 1927 konnte man im Stift Heiligenkreuz ein Rondell aus Serpentin (datiert 1078 –1081) bewundern, welches dorthin im 17. Jahrhundert kam, dann aber an das Victoria and Albert Museum in London verkauft wurde.56 Wenn man sich heute in die nähere Umgebung des Todesortes des Heiligen begibt, dann gilt als ein Fixpunkt ein Besuch der Ruine Kreuzenstein, welche im ausgehenden 19. Jahrhundert als mittelalterliche Idealburg wiederausgebaut wurde. Zunächst nur für die Grablege der Grafen Wilzcek konzipiert, entwickelte sich die Errichtung zu einem Sammelsurium von mittelalterlichen Spolien und ganzen Bauteilen mit entsprechendem Interieur.57 Aufmerksam wurde auch die Gestaltung der Fassade betrieben – blickt man die Südseite58 an, und dort besonders die Loggia im venezianischen Stil,59 dann kann man dort eine Relief erkennen, das einen byzantinischen Heiligen darstellt: Den Heiligen Georg.60 Vielleicht hätte Koloman auch Erinnerungen von seinen Besuchen der heiligen Stätten in Jerusalem mitgebracht. Seit dem Hochmittelalter baute man an vielen Orten das Heilige Grab nach, im Spätmittelalter wurden Ansichten auch durch den Buchdruck weit verbreitet.61 Aus der Barockzeit lässt sich ein kleiner, bislang wenig („Mutter Gottes, hilf ’ dem chris56 tusliebenden Herrscher Nikephoros Botaneiates“) – nicht klar ist, wo es angebracht war, da zum Tragen zu schwer, wahrscheinlich fungierte es als Verzierungselement. Die genaue Dokumentation des Objektes samt seiner Geschichte unter http://collections.vam.ac.uk/item/O125943/roundel-unknown/. 57 Arnold Esch, Wiederverwendung von Antike im Mittelalter. Die Sicht des Archäologen und die Sicht des Historikers (Hans-Lietzmann-Vorlesungen 7, 2005); Joachim Poeschke (Hg.), Antike Spolien in der Architektur des Mittelalters und der Renaissance (1996). 58 Andreas Nierhaus, Rekonstruiertes Mittelalter. Der Wiederaufbau von Burg Kreuzenstein 1874–1906 (Dipl. Wien 2002) S. 37: „eine komponierte Schaufassade“. 59 Alfred Walcher-Molthein, Burg Kreuzenstein (1926), S. 3 (ca. 1891; Errichtung der Südfassade). 60 Abbildung bei Camillo Sitte, Aus der Burg Kreuzenstein, in: Schriften zu Städtebau und Architektur (Camillo Sitte Gesamtausgabe 2, 2010) S. 476 –510, S. 505 (die Abbildung ist größer als in der Originalpublikation Kunst und Kunsthandwerk 1, 1898, S. 3 –15, 95 –104, 155 –164) „An der Wand befinden sich Ziersteine, darunter wohl der bedeutendste ein byzantinischer heiliger Georg des VIII. oder IX. Jahrhunderts aus parischem Marmor“ (S. 504). 61 Anette Weber, „Hässliches Loch“ oder himmlisches Jerusalem? Jüdische und christliche Vorstellungen vom „Neuen Tempel“ nach der Zerstörung der Grabeskirche 1009, in: Thomas Pratsch (Hg.), Konflikt und Bewältigung. Die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem im Jahre 1009 (Millennium-Studien
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beachteter Bau als Beispiel anführen. Am Kalvarienberg außerhalb Eggenburgs ließ der Pfarrer Georg Andreas von Strassoldo (1653 –1676) eine Grabeskirche errichten.62 Es war nicht die Bestimmung des Heiligen Koloman in den Osten zu kommen, sein Heilswirken ist aber in einer gesamteuropäischen christlichen Tradition zu verstehen. Die Verehrung seiner Gebeine und der von ihm berührten Gegenstände gehört zu den typischen Memorialpraktiken in Ost und West.
Literatur Angenendt, Arnold: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart (1994) Baert, Barbara: A Heritage of Holy Wood: The Legend of the True Cross in Text and Image (2004) Belting-Ihm, Christa: Zum Justinuskreuz in der Schatzkammer der Peterskirche zu Rom, Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 12 (1965), S. 142–166 Camper, R.: A Hoard of Terracotta Amulets from the Holy Land, in: Actes du XV e Congrès International des Études Byzantines, Athènes 1976, II/A (1981), S. 99 –106 Comte, Marie-Christine: Les reliquaires du Proche-Orient et de Chypre à la période protobyzantine (IV e–VIIIe siècles). Types, emplacements, fonctions et cultes (Bibliothèque de l‘antiquité tardive 20, 2012) Engemann Josef: Palästinensische Pilgerampullen im Franz Joseph Dölger-Institut in Bonn, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 16 (1973) S. 5 –27 Engemann, Josef: Das Jerusalem der Pilger. Kreuzauffindung und Wallfahrt, in: Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn, 22.–28. September 1991, hg. von Ernst Dassmann–Josef Engemann (JbAC Ergänzungsband 20, Münster 1995), S. 24–35 Engemann, Josef: Eulogien und Votive, in: Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn, 22.–28. September 1991, hg. Ernst Dassmann–Josef Engemann (Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 20, 1995), S. 223–233 Foskolou Vassiliki: Representations of the Holy Sepulchre and their Symbolism in the Late Byzantine Era, in: Deltion Christianikes Archaiologikes Etaireias 25 (2004), S. 225 –236 (griechisch mit engl. Zsfg.) Foskolou, Vassiliki: Glass Medallions with Religious Themes in the Byzantine Collection at the Benaki Museum: a Contribution to the Study of Pilgrim Tokens in Late Middle Ages, in: 4 (2004), S. 51–73
32, 2011), S. 321–344; Michael Rüdiger, Nachbauten des Heiligen Grabes von Jerusalem in der Zeit von Gegenreformation und Barock. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte architektonischer Devotionalkopien (2003). 62 Ludwig Brunner, Eggenburg. Geschichte einer niederösterreichischen Stadt, 2. Teil (1939), S. 296 –297.
Was bringt man aus dem Heiligen Land mit?
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Reinoldus Die mittelalterliche Stadt Dortmund und ihr heiliger Patron1
Thomas Schilp
Die Stadt als Schwurgemeinschaft, die Gemeinde von Bürgern aus Genossen gleichen Rechts, war wesentliches Strukturelement der abendländischen Gesellschaften des Mittelalters.2 Auch Dortmund wurde in dem großen Urbanisierungsprozess Europas im 12. und 13. Jahrhundert zur Stadt, ja Dortmund kann als eine der Musterstädte dieses Prozesses der Gemeindebildung im Nordwesten des Reiches bezeichnet werden. Hatte die ältere Stadtgeschichtsforschung auch für Dortmund zu Recht für lange Zeit die Entwicklung der Selbstverwaltung und der politischen Autonomie, zum Teil durchaus kontrovers, diskutiert,3 so war ein wesentlicher Aspekt der Entfaltung der Bürger- und Stadtgemeinde überhaupt nicht in das Blickfeld einbezogen worden: Das Selbstverständnis der Stadt als Sakralgemeinde und die Bedeutung des Stadtheiligen Reinoldus für die Gemeindebildung und für die Selbstdeutung und für die Identität der mittelalterlichen Bürgergemeinde. 1 Der Beitrag folgt weitgehend dem Manuskript des Vortrags, der für die Koloman-Tagung im Oktober 2012 vorgesehen war. Er ist nur mit den wichtigsten Anmerkungen ausgestattet, welche die Diskussionen der jüngeren Forschung über die weite Thematik der Stadtheiligen zugänglich macht. Der Beitrag ist bemüht, mit einem Stadtpatron einen anderen Heiligen-Typus in die Diskussion des Tagungsbandes einzubringen. Reinoldus war selbst »Reisender« und zugleich Ziel von Pilgerreisen, er genoss weite Ausstrahlung. Zugleich soll die sich wandelnde Bedeutung und Funktion dieses Stadtheiligen bis in unsere Zeit thematisiert werden. 2 Siehe hierzu aus der Fülle der Literatur Otto Gerhard Oexle, Kulturwissenschaftliche Reflexionen über soziale Gruppen in der mittelalterlichen Gesellschaft: Tönnies, Simmel, Durkheim und Max Weber, in: Die okzidentale Stadt nach Max Weber, hg. v. Conrad Meier (HZ Beiheft 17, 1994), S. 115 –160. 3 Siehe etwa Luise von Winterfeld, Geschichte der freien Reichs- und Hansestadt Dortmund, Dortmund 1934, 61977, Franz-Josef Schmale, Die soziale Führungsschicht des älteren Dortmund. Beobachtungen zur hochmittelalterlichen Stadtgeschichte, in: Dortmund. 1100 Jahre Stadtgeschichte. Festschrift, hg. von Gustav Luntowski und Norbert Reimann (Dortmund 1982), S. 53–78, Norbert Reimann, »In burgo Tremonia«. Pfalz und Reichsstadt Dortmund Dortmund in der Stauferzeit, in: BllDtLdG 120, 1984, S. 79–104; Thomas Schilp, Consules rempublicam Tremoniensem gubernantes. Die Entwicklung der reichsstädtischen Autonomie Dortmunds im Jahrhundert der staufischen Königsherrschaft, in: BllDtLdG 131 (1995), S. 51 –111.
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Thomas Schilp
Die selbstbewusste Dortmunder Stadtgesellschaft hat sich – wie andere Städte auch4 – unter dem Stadtheiligen in der Idee und Vision der heiligen Stadt Jerusalem gesehen.5 Der nahezu exklusive Besitz der Reliquien des Reinoldus, dessen Festtag am 7. Januar begangen wurde und wird, des heiligen Patrons der Hauptpfarrkirche (Abb. 1) und der Stadt Dortmund, ihre Verehrung und das alltägliche Leben mit dem heiligen Reinoldus war im mittelalterlichen Sinne bereits ein Stück weit die Verwirklichung der Civitas Dei. Nicht zu Unrecht hat die neuere Forschung, zuerst und vor allen Wilfried Ehbrecht,6 Reinoldus als den wohl stärksten Stadtpatron nördlich der Alpen im Mittelalter bezeichnet. Der Dortmunder Chronist und Dominikaner Johann Nederhoff hat die Beziehung Dortmunds zu seinem Patron aus der Sicht des 15. Jahrhunderts in den folgenden Worten beschrieben: »Wahrhaftig, durch die Gebeine der Heiligen wird eine Stadt geheiligt, die fromme Hingabe der Bürger gemehrt und die Stadt in Gefahren verteidigt [...] Die Reichsstadt [Dortmund] hat den Kaiser als irdischen [...], den heiligen Reinold aber als himmlischen Patron«.7
4 So bezeichnete sich die Stadt Köln bereits im ältesten Stadtsiegel, das erstmals für 1149 überliefert, aber wohl älter ist, als SANCTA ∙ COLONIA ∙ DEI ∙ GRATIA ∙ ROMANAE ∙ ECCLESIAE ∙ FIDELIS ∙ FILIA; siehe zum Siegel und dem Zusammenhang die Arbeiten von Toni Diederich, hier: Rheinische Städtesiegel, (Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz Jahrbuch 1984/85, Neuss 1984), S. 261 ff. 5 Siehe hierzu Thomas Schilp, Sakrale Topographie im mittelalterlichen Dortmund, in: Barbara Welzel, Thomas Lentes und Heike Schlie (Hg.), Das »Goldene Wunder« in der Dortmunder Petrikirche. Bildgebrauch und Bildproduktion im Mittelalter (Dortmunder Mittelalter-Forschungen 2, Bielefeld ²2004), S. 37–56 (mit den Hinweisen auf die wichtigste Literatur). Wilfried Ehbrecht, Überall ist Jerusalem, in: Die Stadt als Kommunikationsraum. Beiträge zur Stadtgeschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, hg. von H. Bräuer und E. Schlenkrich (Leipzig 2001), S. 129 –185. 6 Wilfried Ehbrecht, Cyriak, Quirin, Reinold und Konsorten. Der Ritterheilige als Schutze und Mitte von Bürgern und Einwohnern, in: Die mittelalterliche Stadt und ihre heiliger Patron. Reinoldus und die Dortmunder Bürgergemeinde, hg. von Thomas Schilp und Beate Weifenbach (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Dortmund 15, Dortmund 2000), S. 11–24, und zuvor: Ders., Die Stadt und ihre Heiligen. Aspekte und Probleme nach Beispielen west- und norddeutscher Städte, in: Vestigia Monasteriensia. Westfalen – Rheinland – Niederlande, hg. von Elke Widder, Mark Mersiowsky und Peter Johanek (Studien zur Regionalgeschichte 5, Bielefeld 1995), S. 197–262. 7 Eduard Roese, Des Domincaners Jo. Nederhoff Cronica Tremonmiensium (Dortmunder Chroniken 1), Dortmund 1880, S. 33 f.: Revera sanctorum reliquiis civitas ipsa sanctificatur, devocio civium augmentatur et opidum in periculis defensatur […] Congruum quippe videtur, quod imperiale opidum imperatorem habens patronum in terris de imperatorem sangwine exortum sanctum Reynoldum habeat patronum in celis.
Reinoldus
Abb. 1: Dortmund, St. Reinoldikirche: Blick in den Chor (um 1450) – am Triumphbogen die beiden Skulpturen von St. Reinoldus (links, Anfang 14. Jahrhundert) und Karl dem Großen (rechts, um 1450) (Foto: Rüdiger Glahs, Dortmund)
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Wer aber eigentlich war Reinoldus? Die Geschichte des heiligen Reinoldus entwickelte sich nachweislich aus der französischen Chanson de geste Renaut de Montauban.8 Das Epos gehört zum weiten Feld der höfisch-aristokratischen altfranzösischen Literatur des hohen und späten Mittelalters, die Karl den Großen (771–814) feiert. Das Reinoldus/Renaut-Epos spielt zur Zeit Karls des Großen während der Sachsenkriege (772–804), in die Dortmund und die Region mehrfach verwickelt waren. In den mittelalterlichen Handschriften des Renaut de Montauban beziehungsweise der Quatre Fils Aymon (»Vier Haimonssöhne«) wird in aller Ausführlichkeit das Leben des edlen Ritters Renaut aus dem vornehmen Geschlecht der Haimoniden erzählt. Nach zwei tödlichen Konflikten zwischen Karl dem Großen und den Haimoniden erhebt sich Renaut gemeinsam mit seinen drei Brüdern gegen den Kaiser. Als es nach jahrzehntelangen Kämpfen schließlich zum Friedensschluss mit Karl kommt, begibt sich der Held auf eine Bußpilgerfahrt ins Heilige Land. Die verschiedenen Textfassungen wurden sicher bereits im 12. Jahrhundert mündlich tradiert; es entstanden spätestens seit dem frühen 13. Jahrhundert bis zum Ende des 15. Jahrhunderts allein 16 schriftlich fixierte altfranzösische Vershandschriften beziehungsweise Fragmente und zehn Prosatexte mit variierten Fassungen. Die Historie Renauts gehört mit zu den am weitesten verbreiteten Erzählstoffen des Mittelalters. Für die Rezeption in Dortmund spielten wahrscheinlich die südlichen Niederlande eine Rolle. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die weit gespannten Handelsbeziehungen der Dortmunder Hansekaufleute, die unter anderem in Brügge am Hansekontor beteiligt waren.9 Neben den deutschen Dichtungen sind denn auch vier handschriftliche Fragmente von mittelniederländischen oder flämischen Reimtexten vom Ende des 13. Jahrhunderts bis zum späten 15. Jahrhundert erhalten. Etwa seit den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts erschienen dann in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland auch diverse gedruckte Erzählfassungen in der jeweiligen Landessprache. 8 Zum Folgenden siehe Beate Weifenbach, Die Haimonskinder in der Fassung des Aarauer Handschrift von 1531 und des Simmerner Drucks von 1535. Ein Beitrag zur Überlieferung französischer Erzählstoffe in der deutschen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, 2 Bde. (Germanistische Arbeitern zu Sprache und Kulturgeschichte 39, Frankfurt a. M. 1999), und Birgit Franke, Heiliger Reinoldus: Irdischer und himmlischer Ritter, in: Matthias Ohm, Thomas Schilp und Barbara Welzel (Hg.), Ferne Welten – Freie Stadt. Dortmund im Mittelalter (Dortmunder Mittelalter-Forschungen 7, Bielefeld 2006), S. 53 – 66. 9 Siehe hierzu zuletzt Thomas Schilp, Dortmund als Hansestadt, in: Thomas Schilp und Barbara Welzel (Hg.), Dortmund und die Hanse: Fernhandel und Kulturtransfer (Dortmunder Mittelalter-Forschungen 15, Bielefeld 2012), S. 57 – 94, 73 ff.
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Eine Dortmunder Reinoldus-Erzählung muss es gegeben haben, denn Kaiser Karl IV. erhielt 1377 nicht nur ein Buch mit der Dortmunder Reinoldliturgie, sondern auch eine Vita des Stadtheiligen zum Geschenk10 – diese ist aber leider nicht erhalten. Die Kölner Erzählungen der Reinoldus-Vita11 können beitragen, das »Bild« des heiligen Reinoldus zu vermitteln, wie es am Beginn des 14. Jahrhundert (und wahrscheinlich auch schon im 12. und 13. Jahrhundert) in Dortmund verstanden wurde und wie es sich in der erhaltenen Dortmunder Skulptur des Stadtheiligen vermittelt. Auf eine lokale Dortmunder »Besetzung« der Chanson de geste Renaut de Montauban könnte bereits die zweitälteste altfranzösische Textvariante weisen.12 In dieser Erzählversion spielt eine Stadt namens Tre(s)moigne eine herausragende Rolle. Es ist plausibel, Tremoigne mit Dortmund zu identifizieren, zumal die Stadt seit 1153 in den offiziellen Schriftquellen als Tremonia bezeichnet wird. Renaut/Reinoldus ist der stärkste und mutigste der vier Söhne des Adligen (H)Aimon, eines mächtigen Vasallen Karls des Großen. Er ist mit allen wichtigen Paladinen des fränkischen Herrschers verwandt, Renaut wird auch als Neffe des Kaisers bezeichnet. Nach einem Zwist gibt der Kaiser Haimon seine Schwester Aya zur Frau; aus Angst vor Racheakten ihres Gemahls bringt Aya die vier Söhne heimlich zur Welt, und Haimon entdeckt dieses Geheimnis erst viele Jahre später, kurz vor der Krönung Ludwigs. Bei einem von Karl in Paris einberufenen Hoftag tötet Renaut dessen Sohn Ludwig. Renaut und seine Brüder fliehen zunächst in die Ardennen. Nach erneuter Flucht unterstützen sie in der Gascogne zusammen mit Renauts Vetter (Malagis) König Yeve erfolgreich gegen die heidnischen Sarazenen. Renaut gewinnt die Hand von Claradis, der Tochter Yeves, und errichtet die Burg Montauban. In einem Zwischenspiel führt Karls Neffe Roland erfolgreich Krieg gegen die heidnischen Sachsen. Da der Kaiser Renauts mächtige Trutzburg Montauban entdeckt hat, verfolgt er ihn mit neu erwachtem Hass. 10 Die Chronik des Dietrich Westhoff von 750 –1550, in: Die Chroniken der westfälischen und rheinischen Städte 1: Dortmund, Neuß, hg. von Josef Hansen (Die Chroniken der deutschen Städte 20, Leipzig 1887, Neudruck Stuttgart 1969), S. 147– 462, berichtet (S. 233): Dar beneven siner keiserlicher majestät getoent und vierbracht sanct Reinolts ganz leven und historij, inhaldende wie er sin leven im ruterspil geovet und tolest vermits penitentien und ruw datselvige sijn leven gebettert, und uterlich umb die liefte gots und den hilgen christen gloven mit der cronen des mertelers gekroent worden und dat ewige leven erlangt. Ouch wie man sijn histoij im choer gesungen mit wort undnoten siner keiserlicher majestät neven dem hilgedon geschenkt, ouch gnediclich angenomen und entvangen. Die Chronik des Jo. Nederhoff (wie Anm. 7), S. 59, berichtet kurz und knapp: Insuper optulit ei civitas librum de gestis sancti Reynoldi et hoistoriam, que in eius festo decantari consuevit. 11 Zu den Kölner Reinoldiviten des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit siehe die Edition von Beate Weifenbach und Walter Kettemann, Die Historie van sent Reynolt, in Schilp/Weifenbach, Reinoldus und die Dortmunder Bürgergemeinde, S. 122–156. Siehe zur Liturgie analog die Überlieferung aus St. Kunibert in Köln: Thomas Schilp, Historia Reynoldi martyris. Das Reimoffizium zum Fest des heiligen Reinoldus aus St. Kunibert in Köln, in: Ebd., S. 157–170. 12 Die folgenden Überlegungen orientieren sich an den ältere Arbeiten zusammenfassenden Überlegungen von Franke, Heiliger Reinoldus (wie Anm. 8), S. 57 ff. mit den Hinweisen auf weiterführende Literatur.
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In aller Ausführlichkeit werden dann Belagerungen und Widerstand, diverse Schlachten, der Verrat der vier Haimonssöhne durch König Yeve, Hinterhalte und Listen besungen. Mehrfach entkommen Renaut und seine Brüder aus schier hoffnungslosen Situationen. Dabei spielen sowohl Bayart, das starke und schnelle Wunderpferd Renauts, auf dem alle vier Haimonssöhne zugleich reiten können, eine wichtige Rolle, wie auch Malagis. Immer wieder weiß Reinoldus diese Situationen durch seine magischen Kräfte zu wenden. Alles in allem erweist sich der Held als überaus kampfesmutiger, tapferer und tugendhafter Ritter, den selbst der legendäre Roland nicht besiegen kann. Mehrfach sucht Renaut den Friedensschluss mit Karl dem Großen, seinem Lehnsherrn. Der Kaiser verweigert sich stets oder stellt Bedingungen, die nicht mit Renauts Ritterehre zu vereinbaren sind. Nachdem schließlich Montauban verloren ist, flieht Renaut mit den Seinen nach Tremoigne/Dortmund, wo er als Stadtherr eine Burg besitzt und mit Jubel empfangen wird. Kämpfe und Belagerungen folgen. Als Karls eigene Paladine dem Kaiser schlussendlich die Gefolgschaft verweigern, kommt es doch zum Friedensschluss zwischen Renaut und Karl. Der Held unterwirft sich und übergibt dem Kaiser sein treues Pferd Bayart. Als Karl versucht, das Wunderross zu ertränken, entkommt das riesige Pferd trotz der schweren Mühlsteine um seinen Hals. Während Renauts Brüder, seine Frau und seine beiden Söhne beim Kaiser Gnade finden, muss sich der Held auf eine Bußpilgerreise ins Heilige Land begeben – oder nach einer anderen Variante: Reinoldus lebt erst drei Jahre bei einem Eremiten, bevor er auf Befehl Gottes das Heilige Land aus den Händen der Heiden befreien soll. Dort kämpft Renaut – zunächst nur mit einem Holzpfahl (Pilgerstock), dann jedoch wieder mit ritterlichen Waffen – zusammen mit Malagis gegen die Heiden. Nach der erfolgreichen Eroberung Jerusalems kehrt der Held ins Frankenreich zurück. Renaut wendet sich endgültig vom weltlichen Leben ab. In ärmlichen Pilgerkleidern wandert er nach Köln – der Stadt von St. Peter und den Heiligen Drei Königen, wo er als namenloser Handfröner beim Bau der Kirche St. Peter seine körperlichen Kräfte ohne Entlohnung einsetzt. Aufgrund seiner frommen und selbstlosen Lebensführung erschlagen ihn erzürnte Steinmetze und versenken seinen Leichnam im Rhein. Nun geschehen nach den Reinoldus-Viten etliche Wunder: Fische bringen den heiligen Leichnam, der wundersam leuchtet, an die Wasseroberfläche und Engelsgesang ertönt. Bürger kommen zum Fluss, der Erzbischof von Köln und weitere Geistliche bergen den Leib. (Die Auffindung erfolgt durch eine reiche, kranke oder erblindete Kölnerin, die sofort geheilt ist. Bei der Bergung des Heiligen ertönen alle Kölner Kirchenglocken von selbst.) Der Erzbischof erkennt die Zeichen des Martyriums und identifiziert den Heiligen als den demütigen Arbeiter am Kölner Gotteshaus St. Peter. Als man Renaut nach einer Totenmesse in Köln beisetzen will, bewegt sich der Karren mit den heiligen Gebeinen von selbst und ohne Unterlass über den Kirchhof, aus der Stadt heraus in
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Richtung Dortmund. Man folgt ihm in einer großen Prozession. Bei Herannahen läuten in Dortmund alle Glocken von selbst, die ganze Stadt läuft herbei, und Kranke, die den heiligen Renaut berühren, gesunden auf der Stelle. Der Kölner Erzbischof veranlasst in Dortmund eine Prozession mit Kerzen und Gesang, die durch die hell erleuchtete Stadt zu einem Tor herauszieht. Dort erkennt der – wie es heißt – Dortmunder Bischof dann schließlich in dem heiligen Körper den edlen Ritter und preist wehklagend dessen ritterliche Taten. Der Kölner Erzbischof berichtet vom Martyrium Reinolds und den Mirakeln. Schließlich wird der Heilige in der Marienkirche von Dortmund beigesetzt, wo – so der Text – er noch heute verehrt werde. Es ist mehr als verlockend, in diesem Inhalt einen literarischen Zeugen der Dortmunder Reinoldilegende zu sehen. Dass dieser Text zumindest Spuren der lokalen Sichtweise enthält, ist nicht auszuschließen. Diese Historie erklärt auf prägnante Weise die enge »Beziehung« Dortmunds zum heiligen Reinoldus. Zudem betont sie sehr viel deutlicher als die Kölner Erzählvarianten die Unabhängigkeit Dortmunds und ihres Stadtheiligen. Die Gebeine ihres vormaligen »Burg- und Stadtherrn« gehören gewissermaßen den Dortmundern. Sie brauchen die Reliquien nicht erst erbitten, wie die Kölner Versionen dies behaupten. Die Dortmunder Vita folgte sicherlich nicht in allen Episoden, Verwandtschaftsbeziehungen oder Örtlichkeiten et cetera der Versdichtung des späten 13. oder frühen 14. Jahrhunderts. Man wird in der Freien Reichs- und Hansestadt vielmehr eine eigenständige Erzählfassung entwickelt haben – allerdings wohl unter Beibehaltung der Tremoigne-Sequenz mit Perspektivierung der das Ritterleben abschließenden Heiligenepisoden auf Dortmund. Die Dortmunder Historie mag darüber hinaus auch beeinflusst gewesen sein durch die Rezeption des Erzählstoffes in den südlichen Niederlanden, die in einigen Aspekten mit den überlieferten deutschen Texten übereinstimmt. Angemerkt sei noch eine Kuriosität: In der deutschen Heidelberger Reimfassung zieht Karl der Große, nachdem er die Mörder Reinolds in Köln hatte ertränken lassen, nach Dortmund zu St. Reinolds Kirche. Als die Dortmunder befürchten, der Kaiser wolle ihnen die Reliquien rauben, beteuert er seine guten Absichten. Doch als man den Schrein öffnet, ist Reinoldus geflohen. Diese Episode verdeutlicht prägnant die mittelalterliche Vorstellung von der Doppelexistenz der Heiligen im Himmel und auf Erden, die ein menschenhaftes, sprich lebendiges Handeln des in den Reliquien unmittelbar präsenten Heiligen denkbar machte.
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Reinoldus in Dortmund Reinoldus bot als Stadtpatron Schutz.13 Die Dortmunder Fernkaufleute, bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts in der Reinoldigilde organisiert, nahmen ihren Heiligen mit in die Ferne, auf die Handelsfahrten. Im Ostseeraum, in Danzig oder Thorn, Riga oder Tallinn, stoßen wir auf mehr oder weniger intensive Spuren der Reinoldusverehrung, die auf Dortmunder zurückgehen: Reinolduskapellen, Reinoldusbänke in den vornehmen patrizischen Gesellschaften, oft »Artushöfe« genannt, oder gar in den Rathäusern der Ostseestädte belegen die einstige Präsenz Dortmunder Kaufleute mit »ihrem« Heiligen in diesem Raum.14 Es hat fast den Anschein, als sei Reinoldus zunächst nur der Patron der in der Reinoldigilde zusammengeschlossenen Dortmunder Fernkaufleute gewesen, die zunächst auch alleine den Rat der Stadt stellten; erst im Kontext der Privilegierung zur Reichsstadt im 12. und beginnenden 13. Jahrhundert wurde Reinoldus offensichtlich zum Patron der gesamten Stadtgemeinde, erst jetzt ist der Stadtheilige sozusagen kommunalisiert worden. In Dortmund schloss die Verehrung des Reinoldus und seiner Reliquien die Bürgergemeinde spätestens seit dem 13. Jahrhundert zusammen, der Stadtheilige wirkte identitätsbildend. Die Bürger verstanden sich als Gemeinde nur im Zusammenhang mit ihrem Heiligen. Rat und Bürgermeister waren im Besitz der Schlüssel zum kostbaren Reliquienschrein in der Reinoldikirche: Beim Besuch Kaiser Karls IV im Jahre 1377 in der Reichsstadt öffneten die beiden Bürgermeister mit ihren Schlüsseln den Reliquienschrein im Hochchor der Reinoldikirche, um dem Kaiser als dem weltlichen Herren der Stadt Reliquien des Stadtheiligen zum Geschenk zu machen (Abb. 2) – irdischer Herr und himmlischer Patron waren in diesem Akt mit der Dortmunder Bürgergemeinde vereint.15 Reinoldus wurde von der Stadtgemeinde als himmlischer Ritter verehrt, der die Stadt Dortmund und ihre Freiheiten in den Unbilden der Realität vor Angriffen schütz13 Zum Folgenden siehe ausführlich Thomas Schilp, Reinoldus, »unser stat overster patroen und beschermer«, in: Schilp/Weifenbach, Reinoldus und die Dortmunder Bürgergemeinde, S. 35 – 49, sowie Ders., Reinoldus. Die mittelalterliche Stadt Dortmund und ihr heiliger Patron, in: Ohm, Schilp, Welzel, Ferne Welten – Freie Stadt. Dortmund im Mittelalter (wie Anm. 8), S. 49 – 52. Dort siehe auch die Hinweise auf die umfangreiche weiterführende Literatur. 14 Zu den Artushöfen siehe Stephan Selzer, Artushöfe im Ostseeraum, Ritterlich-Höfische Kultur in den Städten des Preußenlandes im 14. und 15. Jahrhundert (Kieler Werkstücke, Reihe D, Band 8, Frankfurt a. M. u. a. 1996). In Danzig besteht am dortigen Artushof bis heute die Reinoldusbank als Vereinigung von Danziger Honoratioren und erinnert auf diese Weise an den historischen Zusammenhang. 15 Siehe hierzu ausführlich Schilp, Reinoldus, »unser stat overster patroen und beschermer« (wie Anm. 13), S. 43 ff.; Birgit Franke, Kaiser Karl IV. und Kaiserin Elisabeth in Dortmund 1377 und 1378, in: Nils Büttner, Thomas Schilp und Barbara Welzel (Hg.), Städtische Repräsentation. St. Reinoldi und das Rathaus als Schauplätze des Dortmunder Mittelalters (Dortmunder Mittelalter-Forschungen 5, Bielefeld
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Abb. 2: Die 1377 von der Stadt Dortmund an Kaiser Karl IV. geschenkte Reliquie des heiligen Reinoldus – dies wird noch heute im Schatz des St. Veits-Doms in Prag aufbewahrt (Fotosammlung des Stadtarchivs Dortmund)
te. Wiederholt rettete Reinoldus die Stadt aus der Gefahr feindlicher Angriffe. Die Erscheinungen des Stadtheiligen wurden ungemein konkret verstanden und gelebt; die entsprechenden Berichte der Stadtchroniken verdeutlichen uns noch heute die Vorstellung des mittelalterlichen Lebens mit dem Patron in der Mitte der Stadtgemeinde. Nur einige Episoden der Rettung der Stadt aus Gefahr durch den Patron sollen hier angeführt werden: 1352 – und damit in Bezug auf das Eingreifen eines Heiligen für »seine« Stadt rund einhundert Jahre früher als etwa in Köln oder Soest – hatte Reinoldus nach der Chronik des Dietrich Westhoff einen nächtlichen Anschlag verhindern können.16 In der Nacht von Sonntag Laetare auf den Montag waren Mannen der Grafen von der Mark durch Verrat heimlich in die Stadt eingedrungen, um die Tore von innen zu öffnen. Nach der älteren Überlieferung weckte Reinoldus die Nachtwächter auf der Marienkirchen gerade noch rechtzeitig – eine lichte Erscheinung vom Himmel vertrieb die Eindringlinge. Hals über Kopf flohen sie aus der Stadt. Der Chronist Westhoff merkt um 1550, im Kontext der Reformationswirren in der Stadt also, vorsichtig an, die Erscheinung sei nach dem Dafürhalten nicht die von Reinoldus, sondern eher Engeln zuzuschreiben, die von Gott gesandt seien: […] (ich will gloven, dattet eins engels stem gewesen, dwile ider menschem ider statm jale lantschaften vermits gots rijcheund milde gm´nade mit engeln als wecgters und bewarers besorft) […].17 2005), S. 275 – 295; Angelika Lampen, Karl IV. in Dortmund. Eine Stadt erlebt den Kaiser, in: Ohm, Schilp, Welzel, Ferne Welten – Freie Stadt. Dortmund im Mittelalter (wie Anm. 8), S. 87 – 94. 16 Chronik des Dietrich Westhoff (wie Anm. 10), S. 215 f. 17 Ebd., S. 215.
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Als 1377 verbündete feindliche märkische und bergische Truppen die Stadt belagerten, habe Reinoldus – so die städtische Chronistik – schützend in das Geschehen eingegriffen. Reinoldus habe auf der Stadtmauer gestanden, um seine Stadt als Patron und Beschützer zu segnen, aber mehr noch: er habe die Kugeln aus den feindlichen Geschützen wie Bälle abgefangen und auf die Feinde zurückgeworfen. Das habe großen Schaden angerichtet, so dass die Feinde abgezogen seien. Zur dankenden Erinnerung an diese Tat des Stadtpatrons errichtete die Stadtgemeinde wohl unmittelbar nach dem Ereignis auf der Stadtmauer »am Windmühlenberg neben dem Westentor im Norden« ein steinernes »Reinoldusdenkmal«, das Dietrich Westhoff im Jahr 1538, so seine Chronik, noch selbst gesehen hat.18 Die steinerne Reinoldusfigur legte auch vor der Stadtbefestigung sichtbares Zeugnis ab, dass die Stadt mit ihren Mauern von dem Patron beschirmt und aktiv geschützt wurde, dass sich die Stadtgemeinde selbstbewusst unter dem verteidigenden himmlischen Schutz von Reinoldus wusste – die Stadtfreiheit verdankte sich im Selbstverständnis Dortmunds dem Schutz des heiligen Patrons. Das siegreiche Überstehen der Belagerung durch Truppen des Erzbischofs von Köln und der Grafen von der Mark in der so genannten Dortmunder Großen Fehde 1388/89 lässt den Stadtchronisten über die Gründe nachdenken: Stadt und Bürger hätten um den Wert der Charakters einer freien Stadt und um die Bedeutung der politischen Autonomie für die Unabhängigkeit als Reichsstadt gewusst: Die heren undburger van Dortmunde […] sprechende, siehedden eine vrije stat und darin ir regiment ine van iren aldern und altvedern nachgealten, die ine weerm aver van dem romeschen rijche to lehen gude entfangen hetten.19 Stadt und Bürger – und dies wird als ein wesentlicher Grund angegeben – verstanden sich in der Zeit der Belagerung über alle sozialen Differenzierungen innerhalb der Stadt hinweg auch immer als eine sakrale Gemeinschaft. Der Chronist resümiert: »Wenngleich die von Dortmund in diesen langen Kriegsläufen nicht ohne Schaden der Menschen und ihrer Güter blieben, ist der Schaden doch aus der Umsicht und Gnade Gottes durch die Fürbitte des heiligen Märtyrers und Hauptpatrons der Stadt St. Reinoldus gegen die Verderbnis der Gewalt doch sehr gering gewesen«.20 In der Deutung des Mittelalters war Reinoldus also für seine Stadt aktiv. Dankprozessionen der Stadtgemeinde nach überstandener Gefahr nahmen den Stadtheili18 Zu den Vorgängen im Jahr 1377 siehe ebd., S. 226f. Westhoff, ebd., S. 227, führt aus: Dat it also geschehen und waer sij, heb ich dat stenen belde sanct Reinolts ungeveerlich 1538 up er muren an Windenmollenberge neegst der Westenpoerten int norden sehen staende, mit einem uetgerektem arm in manier, als sloge it van sich; welcher belde der tijt to einer ewiger gedechtnisse darselvest […] die stat verschaft und maken laten. Aver ist nur vervallen. 19 Ebd., S. 278. 20 Ebd., S. 284.
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gen in ihre Mitte, stellten die Identität der Bürger und Einwohner mit dem Patron in ihre Mitte her. Der kostbare Reliquienschrein des Heiligen wurde auf den städtischen Prozessionen mitgeführt; anlässlich der Prozessionen wird er als »Hauptherr der Stadt und ihr Patron« bezeichnet.21 Die Prozessionen nahmen in der Kirche des Patrons, der Hauptpfarrkirche der Stadt, ihren Ausgangs- und Endpunkt (Abb. 3).22
Abb. 3: Typischer Prozessionsweg in Dortmund nach einer Beschreibung in der chronike des Dietrich Westhoff zum Jahr 1506, hier eingezeichnet in: Detmar Mulher, Ansicht der Kaiserlichen Freyen Reichsstadt Dortmund 1610, Kupferstich, Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund (Foto und Einzeichnung: Stadtarchiv Dortmund)
Auch den Empfang Karls IV. im Jahre 1377 gestalteten die Dortmunder mit Reinoldus in ihrer Mitte: Im städtischen Zug führten sie seinen Reliquienschrein vor die Stadt, um den Kaiser als irdischen und Reinoldus als den himmlischen Herrn mit Dortmund zu vereinen und alle zusammen zur Reinoldikirche zu schreiten. Bei diesem Besuch schenkten die Dortmunder dem Kaiser – wie bereits erwähnt – Reinoldusreliquien (vor allem ein Schienbein), die noch heute in der originalen Verpackung 21 Siehe hierzu ausführlich Schilp, Sakrale Topographie im mittelalterlichen Dortmund (wie Anm. 5), S. 45 ff. 22 Ein typischer Prozessionsweg ist in der Chronik des Dietrich Westhoff (wie Anm. 10), S. 287ff. für das Jahr 1506 beschrieben.
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Abb. 4 und 5: Pilgerzeichen mit der Darstellung des heiligen Reinoldus, vermutlich zwischen 1375 und 1425 (Sammlung van Beulen, Cothen, Inv. 1303)
im Veitsdom zu Prag aufgebahrt sind (Abb. 2). Zudem schenkten sie – wie ebenfalls bereits erwähnt – aus diesem Anlass dem Kaiser auch eine Reinoldus-Vita und eine Handschrift einer in Dortmund zu singenden Reinoldusliturgie.23 Reinoldus war nach Jerusalem gepilgert, um seine Sünden im Kampf gegen Karl den Großen zu sühnen. Die Reliquien des Reinoldus in Dortmund waren im Mittelalter 23 Siehe hierzu die ausführliche Beschreibung ebd., S. 229–236 sowie die neuere Forschung: Franke, Kaiser Karl IV. (wie Anm. 15), Lampen, Karl IV. in Dortmund (wie Anm. 15) und Peter Johanek, Karl IV. und Heinrich von Herford, in: Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville zum 65. Geburtstag, hg. v. Franz J. Felten, Anette Kehnel und Stefan Weinfurter (Köln–Weimar–Wien 2009), S. 229 – 244.
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Abb. 7: Siegel des Pfarrers Johannes von St. Reinoldi, 1317 und 1331 (Stadtarchiv Dortmund, Siegelsammlung)
Abb. 6, links: Skulptur des heiligen Reinoldus, Anfang 14. Jahrhundert (St. Reinoldikirche, Dortmund; Foto. Rüdiger Glahs, Dortmund)
selbst Ziel von Pilgerreisen, wie Beschreibungen des verlorenen Reinoldusreliquiars belegen. Votivgaben von Gläubigen waren auf dem Brustreliquiar befestigt worden, um den Dank für die Fürbitte oder erfolgte Heilungen auszudrücken. Schwache Reflexe finden wir in Chroniken der Niederlande des 13. Jahrhunderts, vor allem jedoch bezeugen überlieferte Pilgerzeichen des Spätmittelalters mit Bildnissen des Reinoldus aus dem beginnenden 14. und 15. Jahrhundert Dortmund mit dem Stadtpatron als Ziel von Pilgerfahrten. Pilgerzeichen wurden vom Pilgerort als Erinnerungszeichen mitgenommen – sie dokumentierten die Pilgerfahrt als ein Bußopfer. Zwei Abzeichen weisen eindeutig auf Reinoldus: Dargestellt ist in beiden – wie üblich beschä-
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Abb. 8 –11: Kasel mit Inschrift für Segebodo Berswordt, Borten: Köln, Mitte 15. Jahrhundert: Vorder- und Rückseite, Detailaufnahmen (Kath Pfarrkirche St. Walburga, Oestrich-Winkel im Rheingau, Fotosammlung des Stadtarchiv Dortmund)
digten– Zeichen aus Blei die Figur eines Ritters, der in seiner Linken einen großen Schild mit dem brabantischen Löwen vor den Körper hält und die Rechte mit einem Schwert erhoben hat (Abb. 4 und 5).24 Die Bildsprache ist eindeutig und zitiert die überlebensgroße Reinoldusskulptur, die – im beginnenden 14. Jahrhundert geschaffen – jeden Besucher des Mittelalters in ihren Bann gezogen haben muss. Das monumentale, circa 2,70 Meter hohe Standbild des Dortmunder Stadtheiligen zeigt Reinoldus als jugendlichen wehrhaften Ritter mit hoch erhobenem Schwert in der Recht und dem Schild halb vor dem Körper in der Linken (Abb. 6).25 Da ein für das Jahr 1317 erhaltenes Siegel des Rektors Johannes der Reinoldikirche im Siegelbild 24 Vgl. hierzu Ohm, Schilp und Welzel, Ferne Welten – Freie Stadt (wie Anm. 8), S. 158 Kat. Nr. 66 (Barbara Welzel) mit den Hinweisen auf weiterführende Literatur. 25 Siehe hierzu ebd., S. 157 Kat. Nr. 63 (Birgit Franke) mit den Hinweisen auf weiterführende Literatur.
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eben dieses Standbild des Dortmunder Stadtpatrons zitiert, muss die Skulptur von Reinoldus eigentlich älter, schon zuvor entstanden sein (Abb. 7). Wie sehr Reinoldus mit Dortmund verbunden war, zeigt auch der Messornat des Segebodo Berswordt aus dem 15. Jahrhundert. Segebodo war Sohn einer der angesehenen Patrizierfamilien Dortmunds, wahrscheinlich handelt es sich um den 1451 gestorbenen Theologen und Juristen, dessen erste Pfarrstelle St. Reinoldi war. Er war später Stiftsherr in Köln, an der Kölner Universität tätig und für seine Memoria sind mehrere Paramente erhalten, die – in der Barockzeit und um 1890 – umgearbeitet worden sind. Weitgehend ursprünglich sind die Borten, auf die es in unserem Kontext ankommt. Noch heute erhalten sind eine Kasel, eine zur Kasel umgearbeitete Dalmatik sowie ein Antependium. Der Ornat wurde entweder von Segebodo selbst und wahrscheinlich an die Dortmunder Reinoldikirche geschenkt oder aber von der auf Segebodo folgenden Generation. Der Ornat wird heute in der katholischen Pfarrkirche St. Walburga in Oestrich-Winkel im Rheingau aufbewahrt und ist dort seit dem 19. Jahrhundert im Kircheninventar nachweisbar, das Antependium zählt heute
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zu den Beständen des Museums Schnütgen in Köln, ohne dass die Reise der OrnatTeile bislang im einzelnen hätte ergründet werden können.26 Ich wähle die Kasel als pars pro toto aus (Abb. 8 –11): Auf der Vorderseite zeigt die Kasel einen Stab, auf der Rückseite ein lateinisches Kreuz mit Kölner Borten aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, die heute aus mehreren Abschnitten zusammengesetzt sind, sie sind – wie die Inschriften zeigen – auf keinen Fall in der ursprünglichen Anordnung. Die Borten zeigen im Wechsel jeweils eine Figur, Inschriften und ornamentale Darstellungen. Im Zentrum des Kreuzes und auch der Vorderseite ist Christus als Salvator mundi, als Weltenherrscher, dargestellt. Unterhalb der Christusfigur sind auf der Rückseite die Worte Segebode Berswort und legum doctor zu lesen. Bild und Text vergegenwärtigte also gemäß der Schenkerintention die Person des Segebodo Berswordt in jeder Messe, in der die Kasel getragen wird und wurde. Das untere Ende von Vorder- wie Rückseite der Kasel bringt den Dortmunder Stadtpatron Reinoldus zur Darstellung – er wird in das Geschehen der Vergegenwärtigung des Toten Segebodo einbezogen. Die Kasel dürfte für die Reinoldikirche zu Dortmund geschaffen worden sein, hier war Reinoldus in der Form der Reliquien präsent. Wurde die Kasel jedoch für eine Kölner Kirche geschaffen und an diese geschenkt, so wäre der Dortmunder Stadtheilige beim Tragen der Kasel in das liturgische Geschehen einbezogen worden. In jedem Fall: Reinoldus sollte in die Memoria des Segebodo Berswordt einbezogen sein.
Zur Rezeptionsgeschichte –Näherungen Reinoldus erlitt der Legende zufolge also sein Martyrium im Zuge des Dombaus in Köln, als er von erzürnten Steinmetzen aus Furcht vor Lohneinbußen erschlagen wurde. Mit der Auffindung der im Rhein versenkten Leiche waren Wunderheilungen verbunden. Mönch war er in Köln nach seinem kriegerischen Widerstand gegen Karl den Großen und einer Bußpilgerfahrt nach Jerusalem geworden. In Dortmund wurde der Märtyrer Reinoldus vom heiligen Mönch zum himmlischen Ritter gestaltet, so wie er uns in der überlebensgroßen Statue noch heute am nördlichen Ausgang zum Chor der Reinoldikirche begegnet (Abb. 6). Als himmlischer Ritter war Reinoldus Schützer und Schirmer der Stadtgemeinde am Throne Gottes, er setzte sich für seine Stadt ein. Wir wissen nicht, wann die Gebeine des Dortmunder Stadtpatrons von Köln nach Dortmund überführt wurden, es ist lediglich zu vermuten, dass dies mit dem Ausbau zur Königpfalz im 10. Jahrhundert oder aber in der Phase einer radikalen Kir26 Siehe hierzu zuletzt ebd., S. 249–251 Kat. Nr. 163 –165 (Martina Klug/Susan Marti und Gudrun Sporbeck) mit den Hinweisen auf weiterführende Literatur.
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chenreform der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts unter Erzbischof Anno II. erfolgt sein könnte.27 Unbestritten aber wurde St. Reinoldi die Hauptpfarrkirche der Stadt, von der die anderen Kirchen in der Stadt abhängig waren. Hier wurden die Gebeine des Stadtheiligen auch im Reliquienhaus bewahrt. Nach der Reformation drohte Reinoldus als Patron der Stadt in Vergessenheit zu geraten: Der kundige Dortmunder Chronist Johann Christoph Beuhaus (1721–1786) identifizierte in einer systematisierenden historisch-statistischen Beschreibung das Standbild Karls des Großen in der Reinoldikirche ohne Zögern, rätselte aber, ob mit dem Standbild gegenüber [...] ein Rolandschild [...] wiewohl eher zu glauben, dass dadurch ein Fürst, der sonderlich mild gegen diese Kirche gewesen, vorgestellet werden solle, etwa Hertzog Heinrich der Löwe von Sachsen, oder vielmehr ein Graf von Dortmund [...].28 Nach der Reformation wurden die Reliquien des Stadtheiligen 1614 vom Dortmunder Bürger Albert Klepping nach Köln in Sicherheit gebracht, um von dort 1616 über den habsburgischen Erzherzog Albert in die Domkirche nach Toledo (Spanien) zu gelangen, wo sie noch heute aufbewahrt und verehrt werden.29 Als die Gemeinde der St. Reinoldikirche im 18. Jahrhundert zur baulichen Unterhaltung dringend finanzieller Mittel bedurfte, wurde das kostbare Reinoldusreliquiar aus dem Jahre 1324, das bis dahin noch immer an Ort und Stelle in dem steinernen Reliquienhaus an der nördlichen Wand des Chors aufbewahrt wurde, kurzerhand versteigert. Das zersägte und zerschlagene Reliquiar aus Silber mit Ketten, Hals- und Ordensbändern, Münzen und so weiter als Dank- und Votivgaben erbrachte 834 Reichstaler 53 Stüber.30 Die Reinoldusreliquien befinden sich heute, wie bereits erwähnt, zum größten Teil in Toledo; der Unterschenkelknochen, den Kaiser Karl IV. bei seinem Besuch in der Reichsstadt Dortmund 1377 zum Geschenk erhalten hatte, gehört heute zum Schatz des Veitsdoms in Prag (Abb. 2). Zum 1100-jährigen Stadtjubiläum kehrten 27 Siehe hierzu Schilp, Reinoldus, unser stat overster patroen und beschermer (wie Anm. 13), S. 35 f. und S. 38 f. mit Anm. 40 und 41: Im Jahr 1999 wurden eine Probe der Reliquien im Leibniz-Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung der Christian-Albrechts-Universität Kiel untersucht, um möglicherweise einen Anhaltspunkt oder einen terminus post quem für die Translation der Reliquien nach Dortmund zu gewinnen. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % lebte der Mensch, dessen Überreste erhalten sind, zwischen 543 und 652, der wahrscheinlichste Bereich liegt zwischen 599 und 641. Die Reliquien gehören also zu den Überresten eines Menschen, der lange vor der Lebenszeit der historischen Person Reinoldus und der Karls des Großen (um 800) gelebt hat. 28 Johann Christoph Beurhaus, Die Merkwürdigkeiten der Kayser(lichen) und des H(eiligen) R(eichs) freier Stadt Dortmund, Stadtarchiv Dortmund Bestand 448 Nr. 15/1 S. 311f. 29 Siehe hierzu Paul Fiebig, St. Reinoldus in Kult, Liturgie und Kunst (=Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 53, Dortmund 1956), S. 28 ff., sowie Schilp, Reinoldus, unser stat overster patroen und beschermer (wie Anm. 13), S. 36 f. 30 Vgl. hierzu Fiebig, St. Reinoldus in Kult, Liturgie und Kunst (wie Anm. 29), S. 43 ff. sowie Schilp, Reinoldus, unser stat overster patroen und beschermer (wie Anm. 13), S. 37 f.
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Abb. 12: Plakat für die Dortmunder Kinderoper über Reinoldus, 2005 (Stadtarchiv Dortmund)
Abb. 13: Dortmunder Stadthaus, 1899: Den Giebel zitierte bis zum Zweiten Weltkrieg eine Skulptur des Stadtpatrons Reinoldus (Stadtarchiv Dortmund) Abb. 14: Der »Eiserne Reinoldus«, der »Nagel«-Reinoldus des Ersten Weltkriegs, von Friedrich Bagdons in der Hale des Dortmunder Rathauses am Markt, 1915 (Stadtarchiv Dortmund)
die Reinoldusreliquien im Jahre 1982 aus Toledo im Rahmen einer Ausstellung nach Dortmund zurück; die Propsteigemeinde, und damit die Stadt, behielt als Geschenk auf Dauer eine Reliquie, die in einem modernen Reliquienschrein im Hauptaltar der Propsteikirche aufbewahrt wird. Heute ist Dortmund, um mit Jürgen Habermas zu sprechen, eine Stadt im »postsäkularen Zeitalter«. Nach der Reformation der Reichsstadt im 16. Jahrhundert, die eine katholische Minderheit tolerierte, formte die rasante Industrialisierung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Stadt um: Das betraf nicht nur die Stadtgestalt, die regelrecht überrollt worden ist, das betraf vor allem auch die Mentalität der Bevölkerung: Die Migrationsbewegungen nach Dortmund und die Region hat auch die lokalen und regionalen Traditionen regelrecht überrollt. Inzwischen befindet sich die Stadt in einer erfolgreichen der erneuten Umformung: Die Säulen der städtischen Wirtschaft: Steinkohle-, Stahl- und Bierindustrie, die noch eine wesentliche Säule des Wiederaufbaus Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg waren, sind in den vergangenen
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rund dreißig Jahren völlig weggebrochen. Aus der strukturellen Krise von Stadt und Region ist in Dortmund ein bewusst gestalteter Strukturwandel geworden, der inzwischen auch richtig greift. Auffallend für die Dortmunder Geschichte der vergangenen fast 200 Jahre ist dabei, dass trotz aller Erschütterungen der Stadt mit den wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und mentalen Umbrüchen in der Stadt Reinoldus nach wie vor ein Symbol für Dortmund geblieben ist. Reinoldus ist im Leben der modernen Stadt noch heute präsent; Reinoldus kommt für Dortmund durchaus auch heute »Identifikationspotential« zu.31 Die Dortmunder Kinderoper »Herr Ritter und Herr Mönch«, eine Komposition von Granville Walker mit einem Libretto von Mechthild von Schoenebeck, wurde am 15. Januar 2005 mit großem Erfolg uraufgeführt (Abb. 12). Die 1988 wiederbelebte Reinoldigilde, eine Vereinigung von Honoratioren, hat sich in Anknüp31 Siehe hierzu und auch zum Folgenden: Gabriele Sander, Stadtpatron und Haimonskind. Überlegungen zur Rezeptionsgeschichte Reinolds in Dortmund, in: Schilp und Weifenbach (Hg.), Die mittelalterliche Stadt und ihre heiliger Patron (wie Anm. 6), S. 101 – 110.
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fung an mittelalterliche Traditionen zum ausschließlichen Ziel gesetzt, das Ansehen der Stadt nach außen zu fördern und zur Identitätsbildung Dortmunds beizutragen. Die Prachtfassade des Stadthauses von 1899 (Abb. 13) am heutigen Friedensplatz etwa wurde einst von einer Reinoldusfigur gekrönt. Im Ersten Weltkrieg wurde in der Halle des Rathauses eine hölzerne Reinoldusfigur aufgestellt, die 1915 von Friedrich Bagdon geschaffen worden war und durch das Einschlagen von Nägeln und Plaketten (zur Finanzierung der nationalen Kriegsopferhilfe) zum »Eisernen Reinoldus« wurde (Abb. 14). Pikanterweise war es die Identitätsstiftung dieses umgedeuteten »Eisernen Reinoldus«, der seit 1965 unkritisch auch namengebend für die Ehrung herausragender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens durch den Presseverein Ruhr Dortmund/Kreis Unna wurde. Der »Eiserne Reinoldus« war während des Zweiten Weltkriegs mit dem Ziel der Finanzierung von Paketen für Frontsoldaten reaktiviert worden. Notgeld der Inflationszeit wurde 1922 mit vier Reinoldus-Motiven gestaltet (Abb. 15 –18). Heute wird ein Dortmunder Doppelkorn »Alter Reinoldus« produziert, gibt es in Dortmund ein internationales Reinoldus-Tennisturnier, eine Reinoldus Transport- und Robotertechnik GmbH, ein Reinoldus-Mineralwasser, Motorsportveranstaltungen des ADAC unter dem Namen »Reinoldus-Rennen« (Auto-Langstreckenrennen, Enduro-Ralley, Motorrad-Oldtimerfahrt), eine Freimaurer-Loge mit dem Namen »Reinoldus zur Pflichttreue«.
Abb. 15 –18: Notgeld der Stadt Dortmund, 1822, entworfen von Fritz Landwehrmann, mit den Motiven: Reinoldus verteidigt die Stadt von der Stadtmauer herab und wehrt feindliche Kugeln ab, als würde er mit Bällen spielen; Reinoldus mit den anderen drei Haimonssöhnen auf dem Pferd Bayard; Reinoldus als Mönch beim Kölner Dombau; der »Eiserne Reinoldus« aus dem Jahre 1915 (Stadtarchiv Dortmund)
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Heilige und Humanisten in Konkurrenz Johannes Stabius’ Einblattdruck zu Ehren des heiligen Koloman (1513)1
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Als am 15. Februar 1506 die Gebeine des 1486 heiliggesprochenen Markgrafen Leopold III. in Klosterneuburg erhoben und in Anwesenheit Kaiser Maximilians in einem kostbaren Schrein beigesetzt wurden, erschien beim Wiener Drucker Winterburger ein Einblattdruck mit einer lateinischen Ode zur Feier des Anlasses2. In insgesamt 24 sapphischen Strophen beschreibt Johannes Panaetianus3 zunächst die Verdienste des Markgrafen und sein heiligmäßiges Leben, das ihn als Gegenstand von Dichtung über antike Heroen und Göttersöhne wie Hercules und Aeneas stelle. Die Erwähnung der Gründung von Klosterneuburg leitet zum unmittelbaren 1 Für die Anregung zu diesem Beitrag sei Frau Prof. Meta Niederkorn-Bruck herzlichst gedankt. Bereits für das Referat konnte zusätzlich zu ihrer älteren Publikation Der heilige Koloman. Der erste Patron Niederösterreichs (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 16, NÖSchriften 53; Wien 1992) die aus Anlass des Melker Symposions erschienene Neufassung herangezogen werden: Meta Niederkorn-Bruck, unter Mitarbeit von Rainald Dubski, Koloman 1012–2012. Tradition und Wandel in der Verehrung des Heiligen (Kontinuitäten und Brüche als Ausdruck der Zeit, Melk 2012). 2 ODE AD DIVVM LEOPOLDVM: IN QVA ALLOQVITVR PHEBUM: NA/talicium: vitam translationem et fontem ex quo vinum manavit demonstrat: ut Phebus veniat lyram et poetas secum ducat qui vitam Divi Leopoldi culcius conscribant Ioannis Paneciani (Viennae: Johann Winterburg 1506; GW(Einbl) 1074; GW M29240). Das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München BSB-Ink (P-10) ist als Digitalisat im Internet verfügbar: (12. 9. 2012). Vgl. Falk Eisermann, Verzeichnis der typographischen Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (Wiesbaden 2004) P-2, fig. 59. 3 Zu Panaetianus: Gustav Bauch, Die Rezeption des Humanismus in Wien (Breslau 1903, Neudruck Aalen 1986), 152; John L. Flood, Poets Laureate in the Holy Roman Empire. A Bio-bibliographical Handbook (Berlin 2006) Bd. 3, 1470; das Datum der Dichterkrönung „not after 1505“ ist wenig wahrscheinlich; er konnte sich wohl gerade mit der vorliegenden Ode profilieren bzw. vom Anlass profitieren: Der von Bauch 152, Anm. 3, zitierte Eintrag des Panaetianus als Scholar der Medizin vom 23. Mai 1506 „poeta manibus Regis Maximiliani laureatus“ passt aufgrund der Anwesenheit Maximilians in Wien im Februar 1506 sehr gut. Vgl. Joseph Aschbach, Die Wiener Universität und ihre Humanisten im Zeitalter Kaiser Maximilians I. (Geschichte der Wiener Universität 2, Wien 1877) 68, Anm. 1 nach Eders Catalogus mit falscher Zuordnung der Jahreszahl.
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Anlass der Translatio über, mit der Maximilian die Überreste dem Dunkel der steinernen Gruft entrissen habe. Die Festlichkeit wird jedoch auch mit ihren profanen Seiten, einem Weinbrunnen, geschildert. Eine Überraschung stellen die letzten zwei Strophen dar, die auf eine bereits als Abschluss geeignete Bitte für Maximilian folgen: Phebe consurgas cito te precamur Fer liras tecum et Stabium atque Celtem Duc et argutum placido lepore tecum Cuspinianum, Ut ducis laudes fidibus canoris Dulcius tecum resonare possent, Quam mihi rauco calamus ministrat Paneciano. Phoebus, erhebe dich schnell, wir bitten dich, nimm deine Leier mit und bringe Stabius, Celtis und ihn, der hell tönt in sanfter Eleganz, Cuspinian. Damit sie den Ruhm des Fürsten mit klingenden Saiten Süßer gemeinsam mit dir ertönen lassen können, Als es die Flöte mir ermöglicht, dem heiseren Panaetianus.
Panaetianus, Schüler am collegium poetarum, das 1501 zur institutionellen Verankerung humanistischer Bildung an der Wiener Universität gegründet worden war, nennt mit dieser Bitte an Apoll die drei führenden Humanisten in Wien in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts: den Begründer des collegium poetarum Conrad Celtis (1459 –1508), den Inhaber einer der beiden mathematisch-astronomischen Professuren Johannes Stabius (1468 Hueb bei Steyr –1522)4 und Johannes Cuspinianus (1473 –1529), der nach Celtis’ Tod dessen Nachfolge antreten, v. a. aber im diplomatischen Dienst Maximilians, der Vorbereitung der habsburgisch-jagiellonischen 4 Hellmuth Grössing, Art. Stabius (Stöberer), Johannes. Deutscher Humanismus 1480 –1520. Verfasserlexikon (Berlin 2012) 948 –957; Ders., Johannes Stabius. Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 9 (1968) 239 –264; Ders., Johannes Stabius. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte der Zeit Kaiser Maximilians I. (Diss. Wien 1964); Monika Maruska, Art. Stabius, Johannes. Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache 11 (1991), 125f.; Flood, Poets laureate Bd. 4 (Berlin/New York 2006) 1974 –1976.
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Doppelhochzeit von 1515, Karriere machen sollte; im Jahr 1506 war die Namensnennung wohl als Kompliment an den landesfürstlichen Superintendenten der Universität gedacht, eine Position, die Cuspinian seit 1501 innehatte5. Der Zweck, zu dem Celtis’, Stabius’ und Cuspinians Anwesenheit gewünscht ist, war bereits in der Überschrift genannt: ut Phebus veniat lyram et poetas secum ducat qui vitam Divi Leopoldi culcius conscribant Ioannis Paneciani (Phoebus möge kommen und Dichter mitbringen, die das Leben des heiligen Leopold eleganter beschreiben als Johannes Panecianus). Die Genannten sollen also humanistischen Maßstäben entsprechende Hagiographie liefern. Sind sie dieser Aufforderung nachgekommen? Celtis wird gewöhnlich die Inschrift für den (1529 eingeschmolzenen) Reliquienschrein zugeschrieben, unter seinen Epigrammen findet sich jedenfalls ein der Heiligsprechung des Markgrafen gewidmetes 6. Cuspinian verfasste eine ausführliche Prosavita, die den Auftakt des unvollendet gebliebenen landeskundlichen Werks Austria bildet7; er soll am Anfang seiner Karriere die Gunst Friedrichs III. durch eine Dichtung auf den heiligen Leopold gewonnen haben8. Von Stabius ist kein Text zu Ehren Leopolds 5 Hans Ankwicz-Kleehoven, Der Wiener Humanist Johannes Cuspinian. Gelehrter und Diplomat zur Zeit Kaiser Maximilians I. (Graz/Köln 1959) 22f. 6 Georg Wacha, Konrad Celtis und die Heiligsprechung des Markgrafen Leopold. Unsere Heimat. Zeitschrift des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich und Wien 47 (1976) 7–15. Das Epigramm findet sich schon auf dem Einblattdruck von 1504 (s. u.) und mit einem zusätzlichen Distichon in der Nürnberger Handschrift (Stadtbibliothek, cod. Cent. V Ms. App. 3): Konrad Celtes, Fünf Bücher Epigramme, ed. Karl Hartfelder (Berlin 1881, Nachdr. Hildesheim 1963) 5,19. Es befremdet, dass das Epigramm 1506 nicht aktualisiert wurde, um Maximilians Anteil zu würdigen. Zu den Schreinen: Wolfgang Pauker, Der neue Leopoldischrein des Stiftes Klosterneuburg (Klosterneuburg 1936); Der heilige Leopold. Landesfürst und Staatssymbol. Katalog der Niederösterreichischen Landesausstellung im Stift Klosterneuburg vom 30. März bis 3. November 1985. Red. von Floridus Röhrig– Gottfried Stangler (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums. N.F. 155, Wien 1985) 151f., Nr. 33 und 408 – 410, Nr. 580 –582. 7 An deren Schluss steht der immer wieder referierte Kurzbericht über die Translatio, bei der Maximilian im Ornat eines Erzherzogs von Österreich auftrat. Austria Ioannis Cuspiniani cum omnibus eiusdem marchionibus, ducibus, archiducibus, ac rebus praeclare ad haec usque tempora ab ijsdem gestis, in: Ioannis Cuspiniani […] De consulibus Romanorum commentarii (Basileae: per Ioannem Oporinum 1553). Zur Austria: Veronika Coroleu Oberparleiter, Johannes Cuspinians Austria aus dem Jahr 1528. Bemerkungen zur Konzeption und zum gelehrten Anspruch, in: Johannes Cuspinianus (1473 –1529). Ein Wiener Humanist und sein Werk im Kontext, hg. von Christian Gastgeber–Elisabeth Klecker (Singularia Vindobonensia 2, Wien 2012) 65 –112. 8 Die Nachricht nur im Brief des Johannes Menanus Greul an Cuspinians Sohn Sebastian: Johann Cuspinians Briefwechsel, gesammelt, hg. und erl. v. Hans Ankwicz von Kleehoven (Veröffentlichungen der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Reformation und Gegenreformation. Humanistenbriefe 2, München 1933) 183. In der Sekundärliteratur wird damit gerne Cuspinians Dichterkrönung (die 1493 während Maximilians Anwesenheit zum Begräbnis seines Vaters stattfand: Ankwicz, Der Wiener Humanist 21) in Verbindung gebracht, dies geht aus dem Brief jedoch nicht hervor. Winfried Stelzer, Art. Cuspinianus (Spieshaymer, Spieß-, -heimer), Johannes. Deutscher Humanismus 1480 –1520. Verfasserlexikon 1 (2008) 519 –537; hier 520; Flood, Poets laureate Bd. 1 404 – 407.
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bekannt; die einzige von ihm erhaltene Heiligenode gilt dem älteren Landespatron, dem heiligen Koloman. Sie erschien 1513 als Einblattdruck bei Johann Weissenburger in Nürnberg9 und ist mit einem heute (nach einer älteren Zuschreibung an Hans Springinklee) Albrecht Dürer zugewiesenen Holzschnitt des Heiligen illustriert10.
Humanisten und Heilige Der zitierte Ausschnitt aus Panaetianus’ Leopold-Ode führt zu jenen Aspekten, die im folgenden für Stabius zur Sprache kommen sollen: An der Kolomanode können Möglichkeiten humanistischer Hagiographie geprüft werden, die in den Dienst fürstlicher Herrschaftslegitimation oder lokalen Geltungsstrebens treten konnte, anderseits – und dies kommt aus heutiger Perspektive bei religiöser Dichtung unerwartet – birgt die Publikation einer Heiligenode Anfang des 16. Jahrhunderts ein Potential für die Selbstdarstellung des Verfassers vor einem Publikum von Humanisten-Kollegen, „im literarischen Feld“11: Die Beliebtheit der Gattung und ihre damit gegebene Sichtbarkeit erlaubt es, sich durch gezielte Bezugnahmen auf Vorgängertexte zu positionieren und zu profilieren. Nachdem lange das Klischee vom Neopaganismus der Humanisten vorherrschend gewesen war, wurde am Beispiel von Sebastian Brants Onuphriusdichtungen aufgezeigt, wie das Ausklammern eines wesentlichen Bereichs humanistischer Textproduktion Verzerrungen zur Folge hat und anstelle müßiger Fragen nach der Ehrlichkeit des Verfassers philologisch-literaturwissenschaftliche Analysen die Basis für eine Kontextualisierung bilden müssen12. Es lässt sich zeigen, wie die Verehrung einzelner Heiliger, etwa der heiligen Anna, neuen Lebensidealen und -realitäten entsprach13 oder im Italien des 15. Jahrhunderts, mit der unmittelbaren Bedrohung durch die os9 Irmgard Bezzel, Johann Weißenburger als Drucker in Nürnberg in den Jahren 1502–1513. Archiv für Geschichte des Buchwesens 53 (2000) 217–262; hier in der Bibliographie der Drucke Weißenburgers 261 Nr. 108. 10 Thomas Schauerte, Der heilige Koloman (Johannes Stabius als St. Koloman), in: Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. 2. Holzschnitte und Holzschnittfolgen, hg. vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, bearb. von Rainer Schoch– Matthias Mende– Anna Scherbaum (München 2002) 374–377 Nr. 234. 11 Vor dem Hintergrund der Theorien Pierre Bourdieus hat Albert Schirrmeister, Triumph des Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jahrhundert (Frühneuzeitstudien N.F. 4, Köln–Wien 2003) gezeigt, wie Wettbewerb innerhalb von Humanistenkreisen und literarisches Prestige mit Chancen auf Förderung bzw. Position „im Feld der Macht“ interagieren. 12 Roland Stieglecker, Die Renaissance eines Heiligen. Sebastian Brant und Onuphrius eremita (Gratia 37, Wiesbaden 2001). 13 Angelika Dörfler-Dierken, Die Verehrung der heiligen Anna in Spätmittelalter und früher Neuzeit (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 50, Göttingen 1992). Virginia Nixon, Mary’s Mother. Saint Anne in Late Medieval Europe (University Park 2004).
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manische Expansion, die frühchristlichen Blutzeugen Aktualität erhielten14. Konnte humanistische Philologie zum Teil einen geradezu historisch-kritischen Zugang entwickeln15, so verband sich Hagiographie nicht selten mit den gerade für den deutschen Humanismus charakteristischen landeskundlichen Interessen16, sodass einzelne Humanisten sogar eine aktive Rolle bei der Neubelebung lokaler Kulte spielten17. Angesichts der Bedeutung, die dem Bild des Heiligen zukommt und der sich ergebenden Publikationspraxis illustrierter Schriften haben unterschiedliche Bild-Textrelationen vermehrt Aufmerksamkeit gefunden18; die Zusammenarbeit von Dichter und Künstler lässt sich nicht zuletzt dann präzisieren, wenn es gelingt, die Technik des Textautors, etwa in der Adaption vorliegender Hagiographie, nachzuvollziehen19. Trotz dieses allgemeinen Aufschwungs der Forschung ist die neulateinische Heiligendichtung um 1500 sicher noch immer ein Bereich, in dem aufgrund der Fehlurteile des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts Nachholbedarf besteht. Dies gilt auch für den genannten Einblattdruck des Johannes Stabius (vgl. Abb. 1). Das große Blatt (369 x 600 mm)20 ist in zwei Hälften wie Buchseiten geteilt und zeigt links im Holzschnitt den Heiligen frontal als Pilger mit dem austreibenden Seil, umgeben von den Wappen des Heiligen Römischen Reichs, Österreichs, Schottlands und dem eigenen Wappen des Stabius21. Die rechte Hälfte bietet typographisch in zwei Spalten eine 31 sapphische Strophen (124 Verse) umfassende Ode. Das Blatt trägt eine zwiefache Widmung: Über dem Holzschnitt wird das Gedicht dem Heiligen als Dank in Erfüllung eines Gelübdes dediziert und in das Jahr 1513 datiert (Divo 14 Alison Knowles Frazier, Possible Lives: Authors and Saints in Renaissance Italy (New York 2005). 15 Ann Moss, St Anne in Crisis, in: Schooling and Society. The Ordering and Reordering of Knowledge in the Western Middle Ages, hg. Alasdair A. MacDonald–Michael W. Twomey (Groningen Studies in Cultural Change 6, Leuven 2004) 189 –198. 16 David J. Collins, Reforming Saints. Saints’ Lives and Their Authors in Germany, 1470–1530 (Oxford 2008). 17 Gabriela Signori, Humanisten, heilige Gebeine, Kirchenbücher und Legenden erzählende Bauern. Zur Geschichte der vorreformatorischen Heiligen- und Reliquienverehrung. Zeitschrift für historische Forschung 26 (1999) 203 –244. 18 Z. B. Daniel Agricola, Vita Beati (1511). Ein Emblembuch avant la lettre. Fotografischer Nachdruck des lateinischen Werks mit synoptischer Beigabe einer neuhochdeutschen Übersetzung sowie der Transkription des frühneuhochdeutschen Drucks, ed. Seraina Plotke (Basel 2012). 19 Claudia Wiener, Hochmittelalterliches Marienlob? Benedictus Chelidonius’ Elegien in ihrem Verhältnis zu Baptista Mantuanus’ Parthenice Mariana und Dürers Marienleben, in: Lateinische Lyrik der Frühen Neuzeit. Poetische Kleinformen und ihre Funktionen zwischen Renaissance und Aufklärung, hg. Beate Czapla–Ralf Georg Czapla –Robert Seidel (Tübingen 2003) 96 –131; Andachtsliteratur als Künstlerbuch. Dürers Marienleben (Bibliothek Otto Schäfer, Ausstellungskatalog 21, Schweinfurt 2005). 20 The illustrated Bartsch. Bd. 12: Hans Baldung Grien, Hans Springinklee, Lucas van Leyden, ed. James Marrow (New York 1981) Nr. 87. 21 Zu den Wappenholzschnitten s. u. Anm. 73.
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Colomanno martyri sancto Austrieque patrono presentissimo: Joann. Stabius Au(striacus) voti reus hoc carmen dedicat Anno domini J.C. MDXIII); rechtsbündig unter der Ode ist als Empfänger Andreas Stiborius/Stöberl (1464 Pleiskirchen bei Altötting – 3.Sept. 1515 Wien)22 genannt (Andreae Stiborio Theologo (Divi Colomanni sacerdoti in Stokarau) transmissum), Stabius’ Kollege an der Wiener Universität (auf dem zweiten Lehrstuhl für Mathematik am Collegium poetarum et mathematicorum), mit dem ihn ähnliche mathematisch-astronomische Interessen verbanden, dem aber auch eine besondere Affinität zum Heiligen zugeschrieben werden konnte: Er war Pfarrer in Stockerau, dem Ort von Kolomans Martyrium. Das Blatt findet in der Forschung vor allem von kunsthistorischer Seite als DürerHolzschnitt und Identifikationsporträt des Humanisten Aufmerksamkeit23, daneben ist der Text der Ode unbeachtet geblieben, wie auch der Kontext der Publikation und mögliche Intentionen des Verfassers24.
22 Siegmund Günther, Art. Stiborius, Andreas. Allgemeine Deutsche Biographie 36 (Leipzig 1893) 162f.; Helmuth Grössing, Art. Stiborius, Andreas. Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache 11 (1993) 196; Christoph Schöner, Mathematik und Astronomie an der Universität Ingolstadt im 15. und 16. Jahrhundert (Ludovico Maximilianea. Forschungen 13, Berlin 1994); Franz Graf-Stuhlhofer, Humanismus zwischen Hof und Universität. Georg Tannstetter (Collimitius) und sein wissenschaftliches Umfeld im Wien des frühen 16. Jahrhunderts (Wien 1996) 125 –128; Hermann Göhler, Das Wiener Kollegiat-, nachmals Domkapitel zum hl. Stephan in seiner persönlichen Zusammensetzung in den ersten zwei Jahrhunderten seines Bestandes 1365–1554 (Diss. Wien 1932); Walter Goldinger, Das Domkapitel zu St. Stephan in der Humanistenzeit. Jahrbuch/Verein für Geschichte der Stadt Wien 34 (1978) 89 –105. 23 S. u. mit Anm. 76. 24 Die einzige Äußerung stellt die recht überraschende Vermutung dar, die 1513 publizierte Ode könnte Stabius 1502 die Dichterkrönung eingebracht haben: Thomas Schauerte, Kaiser Maximilian I. und die Kunst der Dürerzeit, hg. Eva Michel–Maria Luise Sternath (Ausstellung der Albertina 494, München [u. a.] 2012) 372, Nr. 123. Bei Grössing, Art. Stabius (wie Anm. 3) werden die Dichtungen in einer für das Verfasserlexikon ungewöhnlichen Kürze abgetan; der MOOeLA-Beitrag (wie Anm. 3) spricht das in älterer Literatur zu humanistischer Dichtung übliche Verdikt: 254 „Stabius’ Gedichte sind weder historisch als Quelle noch literarhistorisch noch überhaupt künstlerisch wertvoll“.
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Johannes Stabius, Ode auf den heiligen Koloman. Text und Übersetzung Im Folgenden wird Text nach dem Nürnberger Einblattdruck unter Beibehaltung der Orthographie mit (vorsichtig) modernisierter Zeichensetzung wiedergegeben. In den Anmerkungen werden Entsprechungen zur Vita Erchenfrieds25 notiert. Austriae sanctus canitur patronus Fulgidum sidus rutilans ab Arcto Scoticae gentis COLOMANNUS acer Regia proles. Ille dum sanctam Solymorum ad urbem Transiit dulcem patriam relinquens, Regios fastus, trabeam, coronam Sceptraque tempsit. Propter et Christum peregrinus, exul Factus in terris alienus ultro Caelicam pura meditatus aulam Mente fideque. Dumque diversos populos pererrat Rheticas tandem veniens ad oras Nave sanctum Danubius recepit Gurgite vastus
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Perque formosas segetes, per agros Devehit laetos et amaena prata Perque colles vitiferos secando Norica rura. 20 Mirus in sanctis deus es deorum Ille terrenam Solymam26 requirit, Tu sed aeternam tribuis supremo Martyri Olympo.
25 Sie wird zitiert nach der Ausgabe: Passio S. Cholomanni, ed. Georg Waitz, in: Scriptores (in Folio) 4: Annales, chronica et historiae aevi Carolini et Saxonici, hg. Georg Heinrich Pertz et al. (Monumenta Germaniae Historica, Hannover 1841) 674 – 678. 26 2 Accidit autem, quondam, Cholomannum nomine, Scotice gentis oriundum, peregrinationis iter arripere, terrestrem celestis amore Ierusalem cum aliis currens, quibus eadem mens erat.
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308 Austriae terras agitabat amens Tunc furor fortes Moravos, Bohemos, Pannones bello simul implicabat Inferus hostis. Ergo dum sanctum hospitio receptat Oppidum nostro Stokaraw vocatum Patrio ritu, male tentat illum Daemonis astus. Spargit in turbas odiosa dicta: „Prodet hic vestram speculator urbem.“ Credidit vulgus, trahitur nocentis More modoque.
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Caeditur virgis sine fine martyr, Vritur corpus crepitante flamma. Septies Christus probat hoc talentum Igne manuque.27 40 Iustus et vinctus manibus cathenis Et pedes pressus gravibus catastis Intrat horrendum tenebris situque Carceris antrum. Nec quies ulla est: Sathanae minister Forcipe ignita faber infidelis Vellicat carnes, vorat ossa durae Lamina serrae. Saevus ut nullam necis inde causam Tortor invenit, male iudicatus Innocens inter medius pependit ecce latrones. Mox sui Christus famuli revelat Gloriam signis, memoranda quae sunt Saeculis cunctis, veneretur omne ut Martyr in aevum.
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27 3 Animam eius tormentis sicut aurum quod per ignem probatur excoctum tandem extorsere suspendio, duobus latronibus suspensis cum eo.
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Hos duos nequam lateri innocentis, Poena quos iunxit similis, sed impar Causa, depascunt volucres, resolvit Putrida tabes.28 60 Corporis sancti caro, barba, sanguis, Cum pilis ungues vegetantur, ac si Spiritus vitae sacra adhuc regendo Membra foveret. Donec implevit revolutus anno Sol suos menses celerique luna Sexies cursu duodena lustrans Signa peregit,29 Insuper restis sacra colla circum Fronduit multis foliis, pependit Qua pius martyr, retulitque pulchro Germina flore. Anxius somno pater inde doctus,30 Si podagrosum puerum recenti Carne suspensi super illiniret, Convaliturum.
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Luce mox orta famulo sacrati Corporis suras violare ferro Praecipit, manat calidus repente Vulnere sanguis. 80
28 3 Horum carnibus frequenti morsu dilaniatis avium et bestiarum et putredine consumptis, sancti viri corpus unguibus cum barba cesarieque crescentibus materiali corruptione procul remota floruit; insuper et torta in qua pendebat fronduit. 29 6 Si quis vero nosse velit quantum temporis spacium pendendo impleverit, integrum annum computet et dimidium. 30 4 Contigit cuiusdam Rumaldi filium morbo debilitari podagrico. Patre vero super hac re graviter anxio et quid ageret dubio, quadam nocte sibi revelabatur in somnis, filium suum pristine sanitati restituendum, si locus morbi obliniretur carne strangulati videlicet hominis. Igitur expergefactus ac tali visione solito quidem hilarior effectus, accuratissime queri et afferri medicinam precepit, misso festinanter nuncio quam sibi predicta revelavit visio. Profectus ergo nuncius postquam devenit ad locum ubi venerabile pendebat corpus, infixa lancea frustum carnis de sura pendentis, ut iussus erat, abstulit. Mox mirum in modum magna sequebatur cruoris copia tam calidi, acsi anima adhuc observaretur in corpore.
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310 Carne ubi sancta puer est inunctus,31 Pristinus membris vigor inde venit; Gratiam Christi puer et parentes Plausibus ornant. Fama dum vulgat meritum beati Martyris signa et manifesta clarent, Ecce venator temerare sanctum32 Cuspide corpus Audet et cordis penitus latentes Perforat venas, fluit inde torrens Sanguinis. Christus latus hoc sacrato Stigmate honorat. Ergo concurrunt populi piusque Clerus et sanctum veneranda turba Corpus a furca levat et sepulchro Condit honesto.
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Ast novo signo nova mira sancti Christus ostendens, elementa testes Indicant hoc, Danubius retorto Flumine primus 100 Ille ubi vastos cumulos aquarum33 Volvit et templi medios inundat Fornices, sancti monumenta perstant Pulvere sicco.
31 4 At puer cuius causa hec fiebant, allate carnis medicamine tertio illitus surrexit incolomis, viribus propriis innitens qui prius ad surgendum vix utebatur alienis. Tali modo ipse sibi redditus grates retulit deo ac beato Cholomanno per cuius merita pristina sanitas ei est restituta. 32 6 Quidam venator, cuius precordia frigore obriguerunt perfidie: Si verum est, inquit, quod asseritur, ut de isto corpore cruor decurreret calidus, hoc ego iam sum comprobaturus. Arrepto itaque venabulo, venerabilis viri latus perforavit; unde confestim sanguis profluens ipsum et cui insidebat iumentum sacris imbuit reliquiis. Rumaldus et qui cum eo aderant vise rei formidine trepidi non parva multitudine cleri ac populi coadunata, decreveruntbeate memorie viri corpus sepeliendum deponi. 33 7 Sequenti igitur anno Danubius effreni licentia littorum curva itinera devagatus pleraque edificia suis viribus eruta funditus ingurgitavit, et queque loca sibi contigua estuantis diluvii opiis inebriavit; atrium autem basilice, iuxta quam beati Cholomanni cadaver requievit, tanta diluvies replevit, ut medietas ecclesie vix appareret. Set omnipotentis Dei clementia per famuli sui merita ostendit miracula, nostris quoque temporibus inaudita. Nam tumulus quo claudebatur corpus ipsius, aquarum diluvio non attingebatur penitus.
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Talibus multis deus ut beati Martyris vitam populis benignus Detegit, mox tum pia fama tangit34 Principis aures. Ille devota comitante turba Eruit sanctum, bonus implet omnes Halitus, quales paradysus auras Spirat odoras Integer totus similisque vivo Tollitur, signis variis choruscans. Pulchra Medlicum meliore condit Membra sepulchre.
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Hic preces puras COLOMANNUS audit Impetrat vivis veniam, salute, Mortuis certam requiem simulque Gaudia caeli. 120 Illius semper meritis iuvetur Archidux noster pius imperator Austriae clarum decus et nepotes MAXIMILIANI.
Österreichs heiliger Patron wird besungen, ein strahlendes Gestirn funkelnd vom Norden, des schottischen Volkes königlicher Spross, der Held Koloman. Auf der Überfahrt zur heiligen Stadt Jerusalem verließ er die süße Heimat, verschmähte königlichen Prunk, Robe, Krone und Szepter. Um Christi willen auf Pilgerschaft, zum Verbannten geworden auf Erden, zum Fremden aus eigenem Antrieb, des himmlischen Königshofs denkend, reinen Sinnes im Glauben.
34 9 Huius tam stupendi miraculi fama pervenit ad aures Heinrici marchionis. Qui statim, missis clericorum ordinibus et quibusdam militie sue primatibus, precepit, ut in civitatem suam honorifice transferrent sancti viri corpus. Venerunt autem ad sepulchrum; set priusquam tangerent sarcophagum, tanti odoris occurrit eis fragrantia, ut omnes qui aderant lacrimis maduissent pre gaudio. Aperto itaque sarcophago, invenerunt sanctum corpus ab omni corruptione illesum.
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Viele entlegene Völker bereisend, kam er endlich in das rhaetische Land, da nahm zu Schiff der Donaustrom den Heiligen auf. Vorbei an schönen Saaten, an fruchtbaren Feldern und lieblichen Wiesen, an rebentragenden Hügeln vorbei führt er ihn stromab, durchschneidend das norische Land. Wunderbar bist Du, Gott, in deinen Heiligen! Jener sucht das irdische Jerusalem, du aber verleihst ihm das ewige als Märtyrer am Gipfel des Olymp. Österreichs Länder versetzte in Unruhe damals unseliges Wüten, die starken Mährer, Böhmen und Ungarn zugleich verwickelte in Krieg der höllische Feind. Wie also den Heiligen in der Herberge aufnahm der Ort Stockerau, in unserer Sprache von den Vätern her so genannt, da versucht ihn die List des Teufels in übler Absicht. Er streut Worte des Hasses unter die Menge: „Dieser wird eure Stadt als Späher verraten!“ Die Menge schenkte Glauben, und er wird abgeführt nach Art und Weise eines Schuldigen. Er, der Gerechte, die Hände gefesselt mit Ketten, die Füße in schwere Klammern gepresst, betritt das Verließ des Kerkers, schauerlich in Dunkel und Moder. Mit Ruten gepeitscht wird der Blutzeuge ohne Ende, sein Körper mit knisternder Flamme gebrannt, siebenmal prüft Christus dieses Talent im Feuer, (es abwägend) mit der Hand. Keine Ruhe ist ihm gegönnt: Als Diener des Satans zerreißt mit glühender Zange ein ungläubiger Schmied das Fleisch, es frisst sich in die Knochen die Schneide der harten Säge. Wiewohl der grausame Folterknecht keinen Grund zum Tode fand, wurde er zu böswillig verurteilt, Und hing unschuldig in der Mitte zwischen zwei Räubern. Bald offenbarte Christus die Glorie seines Dieners durch Zeichen, derer alle Generationen gedenken sollen, auf dass der Märtyrer in alle Zeit verehrt würde.
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Die zwei Verbrecher, die gleiche Strafe dem Unschuldigen zur Seite stellte, doch ungleiche Ursache, diese fressen die Vögel, es löst sie auf faulige Verwesung. Des heiligen Leichnams Fleisch, Bart, Blut und mit den Haaren die Nägel bleiben frisch, als ob Lebensatem noch immer die heiligen Glieder lenkte und wärmte. Als die Sonne die rechte Zahl der Monate im Jahreskreis erfüllt, und der Mond in schnellem Lauf sechsmal seine Wanderschaft durch die zwölf Sternbilder vollendet hatte, Da trieb das Seil um den Hals des Heiligen aus mit vielen Blättern, das Seil, an dem der fromme Märtyrer hing, und brachte Knospen hervor in schöner Blüte. Ein besorgter Vater wurde im Traum belehrt: Wenn er den gichtigen Knaben mit frischem Fleisch des Gehängten bestreiche, werde er gesunden. Gleich bei Sonnenaufgang trägt er dem Diener auf, die Beine des heiligen Leichnams mit dem Messer zu verletzen – da strömt warmes Blut aus der Wunde. Und wie der Knabe mit dem heiligen Fleisch eingerieben wird, kehrt den Gliedern die frühere Lebenskraft zurück. Christi Gnade feiern der Knabe und seine Eltern mit Jubel. Während die Kunde das Verdienst des seligen Märtyrers verbreitet, und hell sichtbar die Wunderzeichen leuchten, siehe, da wagt ein Jäger den heiligen Leichnam mit einem Pfeil zu schänden, und durchbohrt die tief verborgenen Adern des Herzens: Da fließt ein Blutstrom heraus. Christus ehrt die Seite mit diesem geheiligten Wundmal. Da laufen nun zusammen Volk und fromme Geistlichkeit und voll Ehrfurcht löst die Schar den Leichnam vom Galgen und setzt ihn in einem ehrenvollen Grab bei. Doch mit einem neuen Zeichen offenbart Christus neue Wunder des Heiligen, Die Elemente bringen Beweise als Zeugen. Als die Donau mit gewundenem Strom zunächst
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gewaltige Wassermassen heran wälzt und mitten das Gewölbe der Kirche überschwemmt, da steht das Grabmal des Heiligen weiterhin auf trockener Erde. Als durch viele solche Zeichen Gott das Leben des seligen Märtyrers den Völkern gütig enthüllt hatte, da erreichte die fromme Kunde bald die Ohren des Fürsten. In Begleitung einer frommen Schar lässt er den Heiligen bergen: Da erfüllt alle ein Wohlgeruch, wie das Paradies duftende Lüfte atmet. Ganz unversehrt und einem Lebenden gleich wird er erhoben und strahlend von verschiedenen Zeichen. Melk birgt die schönen Glieder in einem besseren Grab. Hier hört reine Bitten Coloman, erlangt den Lebenden Gnade und Heil, den Verstorbenen sichere Ruhe und zugleich die Freuden des Himmels. Durch seine Verdienste möge immer Hilfe zuteil werden unserem Erzherzog, dem frommen Kaiser, der strahlenden Zier Österreichs, und den Enkeln Maximilians.
Die Ode bietet nach der Themenangabe eine chronologisch fortschreitende Erzählung der Passio des Märtyrers und der Wunder nach seinem Tod. Entsprechend der expliziten Anrufung als Landespatron zu Anfang, schließt sie mit einer Bitte für den Landesfürsten und seine Nachkommenschaft. Die Erzählung ist zugleich eine Deutung der Biographie ex post – dies ist geradezu gattungsimmanent in der Hagiographie und bei Koloman zentral für seine Geltung als Märtyrer, da der Justizirrtum, dem er zum Opfer fiel, nur bei Betonung des „um Christi willen“ als Märtyrertod und Glaubenszeugnis gewertet werden kann. Dieser Deutung dient neben dem expliziten Hinweis zu Beginn von Strophe drei (v. 9 propter et Christum) – quasi einer Überschrift über das folgende Geschehen – insbesondere die Einführung Satans jeweils an markanter Stelle im Adoneus am Strophenende (v. 28 inferus hostis; v. 32 daemonis astus). Er agiert als Gegenspieler des Heiligen in der typisch teuflischen Rolle des Verleumders (diabolus), seine in direkter Rede vorgebrachte Lüge markiert den dramatischen Wendepunkt. In der Folge greift die schon beim Protomärtyrer Stephanus in der Apostelgeschichte (7,59f.) gesuchte Analogie zu Leiden und Sterben Christi als Raster der Erzählung: Der Heilige wird als Unschuldiger verurteilt, obwohl dazu kein Grund gefunden
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werden konnte (v 49f. nullam necis inde causam […] invenit, vgl. Joh 18,38 und 19,5 in eo nullam causam invenio). Die Parallelisierung wird fortgesetzt durch die Hinrichtung zwischen zwei Räubern (v. 51f. medius pependit inter latrones, vgl. Mk 15,27, Mt 27,38, Joh 19,18 medium autem Iesum), schließlich scheint auch das aus der Seitenwunde austretende Blut – wie v. 91f. Christus latus hoc sacrato stigmate honorat andeutet – als Christusähnlichkeit aufgefasst (Joh 19,34 sed unus militum lancea latus eius aperuit et continuo exivit sanguis et aqua). Rückschauend bildet dann bereits das Verlassen des eigenen Königreichs und die Reise nach Jerusalem eine Entsprechung zu den Passionsberichten der Evangelien. Als Grundlage der erzählenden Partien der Ode kann eine Gegenüberstellung der Texte die Passio Erchenfrieds erweisen; Stabius hat sich hier auch für deutende Elemente inspirieren lassen: So ist die Gegenüberstellung von irdischem Jerusalem als Ziel der Pilgerschaft und himmlischem als Lebensziel und Lohn zwar naheliegend, aber bei Erchenfried vorbereitet; dies trifft auch auf die Feuerprobe des Goldes (nach Prv 17,3) zu. Insgesamt hat er diese Ansatzpunkte jedoch deutlich ausgebaut. Ein Großteil von Erchenfrieds Text war leicht verfügbar: Er dient im Breviarium Pataviense (das im 1469 errichteten Bistum Wien Gültigkeit behielt) als lectio zum Fest des Heiligen. Von den Wundern ist im Breviarium jedoch nur die Rumalduserzählung aufgenommen; Stabius muss darüber hinaus also eine handschriftliche Quelle zur Verfügung gehabt haben35.
Koloman 1012–1513: Stockerau – Melk – Maximilian? Während humanistische Dichtung auf den heiligen Markgrafen Leopold in der Neuheit, vor allem aber im besonderen Engagement Maximilians ein leicht nachvollziehbares Motiv findet, scheint Dichtung auf Koloman im Jahr 1513 – zumal ein ,500-Jahrjubiläum‘ nicht angesprochen wird – einer Erklärung zu bedürfen. Welchen Anlass hatte Stabius für seine Ode, welche Absicht(en) könnte er mit der Publikation verbunden haben? Grundsätzlich ist zwischen dem Interesse an Koloman, hinter dem der Fürst oder der Kultort stehen kann, und dem Interesse des Autors zu differenzieren. Indizien können beim Fehlen von Sekundärquellen nur aus der spezifischen Art der Darstellung in Text und Bild gewonnen werden. Drei mögliche Interessenten sind in der Ode mit Namen genannt: Die Orte Stockerau und Melk als Träger eines Kolomankults sowie Kaiser Maximilian, der sich als Landesfürst in der Nachfolge babenbergischer Kolomanverehrung sehen kann. 35 Zur Überlieferung der Passio Niederkorn-Bruck, Koloman 233–238.
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Der nächstliegende Ansatzpunkt scheint mit Stabius’ gut bezeugter Tätigkeit für Maximilian gegeben, die vor allem in der Ehrenpforte und ihrer Clavis sichtbar wird36. Stabius dürfte eine Art Schlüsselposition als Koordinator der Kunstunternehmungen Maximilians erlangt haben; aus einem an entlegener Stelle erhaltenen Dokument geht hervor, dass er bei Maximilians Tod den besten Überblick hatte und eine Aufstellung vorlegen konnte, wie weit die einzelnen Projekte gediehen waren37. Ab 1509 lässt sich belegen, dass Stabius in genealogische Forschungen involviert war38, sodass an einen Zusammenhang mit den Bestrebungen, die dem Herrscher verwandten und verschwägerten Heiligen zu erfassen, gedacht werden könnte; leicht ließ sich dies auf Landesheilige (zumal angeblich königlichen Geblüts) ausdehnen. Jedenfalls enthalten die von Jakob Mennel (ca. 1460 – Anfang 1525)39 als Teil der Fürstlichen Chronik zusammengestellten legenden und annales der auserwelten hayligen, so dem offtgemelten theuren fuersten von Habspurg, Caiser Maximilianen mit natuerlicher freuntschafft verwandt sind (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 3077*) Koloman mit einer deutschen Version von Erchenfrieds Passio. Dieser Teil der Chronik war 1514 abgeschlossen und bildete die Grundlage für die Aufträge zur Anfertigung der Heiligenstatuen für Maximilians Grabmalsprojekt 40. Doch schon am (1513 fertiggestellten) Hochgrab Friedrichs III. im Stefansdom sind sowohl Leopold (an der Tumba) als auch Koloman (an der Balustrade) dargestellt41. In Stabius’ Ode wird die Ausrichtung auf Land und Landesfürst geschickt durch Anfangs- und Schlusswort (Austriae, Maximiliani) zum Ausdruck gebracht; die Erzählung ist entsprechend der Vorlage Erchenfrieds so geführt, dass sie mit dem Eingreifen des (babenbergischen) Landesfürsten endet42. Zu dieser Tendenz, Kolomans Passio in die Landesgeschichte einzuordnen, passt die etwas abrupte (weil mit einem 36 Eduard Chmelarz, Die Ehrenpforte Kaisers Maximilian I. Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses 4 (1886) 289 –319; hier 300 –303; Thomas Ulrich Schauerte, Die Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I.: Dürer und Altdorfer im Dienst des Herrschers (Kunstwissenschaftliche Studien 95, München 2001) mit Publikation der entsprechenden Regesten. 37 Staatsarchiv Hannover, cod. Y 17, vol. 1, fol. 799, publiziert von S. Steinherz, Ein Bericht über die Werke Maximilians I. MIÖG 27 (1906) 152–155. 38 Grössing (wie Anm. 4) 246. 39 Karl Heint Burmeister–Gerard F. Schmidt, Art. Mennel (Manlius), Jakob. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 6 (21987) 389 –395; hier 391f. 40 Niederkorn-Bruck, Koloman 152–160; Simon Laschitzer, Die Heiligen aus der „Sipp-, Mag- und Schwägerschaft“ des Kaisers Maximilian I. Jahrbuch der Kunstsammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 4 (1886) 70 –288; 5 (1887) 117–261. 41 Friedrich Wimmer–Ernst Klebel, Das Grabmal Friedrichs des Dritten im Wiener Stephansdom (Österreichs Kunstdenkmäler 1, Wien 1924). 42 Dies entspricht zwar der Abfolge bei Erchenfried, musste aber in einer poetischen Bearbeitung nicht übernommen werden. Gerade die weiter unten besprochene Ode zeigt, dass eine Kolomanode auch ohne Nennung des Landesfürsten auskommen konnte.
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Subjektswechsel verbundene) Einführung des Donaustroms als Protagonisten, der den Heiligen aktiv nach Österreich bringt (v. 15 recepit; v. 17 devehit)43, ebenso wie das auf eine volle Strophe ausgedehnte Lob des Landes. Doch auch wenn Stabius Kolomans Stellung als Landespatron betont und ihn explizit für Maximilian anruft, fällt auf, dass eine sich in den Quellen bietende Möglichkeit, an Maximilians Propaganda (gerade der Jahre um die habsburgischjagiellonische Doppelhochzeit) anzuknüpfen, nicht genützt ist: Erchenfried betont einleitend den Frieden unter Kaiser Heinrich II., der Pilgerreisen erleichtert habe. Zusammen mit einem Hinweis auf den heiligen Kaiser hätten sich daran leicht Maximilians Kreuzzugspläne anschließen lassen, doch wird diese Einleitung (die auch unter den Lectiones des Breviers den Anfang macht) von Stabius im Gegensatz zu Mennel nicht berücksichtigt. Leichter in Maximilians ,memoria-Projekt‘ und die Recherchen nach verwandten Heiligen einzuordnen ist Stabius’ 1515 datierter Einblattdruck mit der Darstellung von sechs Landesheiligen (Quirin, Maximilian, Florian, Severin, Koloman, Leopold), zumal er den Namensheiligen des Kaisers enthält, mit Florian einen Heiligen berücksichtigt, dem Maximilians aktuelles Interesse galt44, und in einer zweiten Fassung um zwei geistliche Würdenträger aus dem Geschlecht der Babenberger, nämlich Poppo, Erzbischof von Trier und Gründer des Simeonstiftes (1016 –1047)45, und Otto von Freising (1112–1158), erweitert wurde46. Das daruntergesetzte Gebet in Hexametern (Ad sanctos Avstriae patronos Ioann. Stabii Av. precatio) richtet sich an die Gruppe insgesamt und schließt mit einer Bitte für Maximilian. Im Bildteil könnte, wenn man in den Kreuzen auf dem Schild des heiligen Florian, dem Buch des heiligen Severin und dem Pilgerabzeichen des heiligen Koloman das heraldische Emblem des St. Georgsordens erkennen will, ein Element von Maximilians Türkenkriegspropaganda einbezogen sein47. Dieses Blatt ist auch zu berücksichtigen, um die Widmung der Kolomanpublikation zu bewerten: Es ist demselben Andreas Stiborius gewidmet, der nun als Verehrer aller österreichischen Landespatrone (eorundem sacrosanctorum Patronorum sacerdoti devotissimo) erscheint. Es ist also fraglich, ob Stiborius’ Stockerauer Pfarrherrenwürde das auslösende Moment für die Koloman-Publikation darstellte. 43 Ähnlich die aktive Formulierung v. 115 Medlicum condit. 44 S. 318 u. Anm. 50. 45 Die Bedeutung Poppos zeigt sich indirekt durch einen von Suntheym irrtümlich angenommenen zweiten babenbergischen Bischof dieses Namens: Floridus Röhrig, Der Babenbergerstammbaum im Stift Klosterneuburg (Wien 21977) 46 und 64. 46 Campbell Dodgson, Die erste Ausgabe von Dürers österreichischen Heiligen. Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst 1931, 29 –32; 175 Nr. 25; Thomas Schauerte, Die Schutzheiligen von Österreich, in: Dürer (wie Anm. 10) 383–388 Nr. 237. Vgl. die Abbildung S. 33 in diesem Band. 47 Schauerte (wie Anm. 46) 387.
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Noch weniger lässt sich entscheiden, ob die Ode den alten Landespatron gegenüber dem neuen Heiligen wieder aufwerten wollte, ja ob überhaupt ein Konkurrenzverhältnis empfunden wurde – am ehesten würde man dies von seiten der Begräbnisstätten erwarten: Sah sich Melk gegenüber Klosterneuburg zurückgesetzt und wollte mit der Erinnerung an Koloman und dessen Verehrung durch die Babenberger Prestige zurückgewinnen? Vorstellbar scheint, dass Maximilian für Koloman interessiert, etwa eine Erhebung und Umbettung der Gebeine angeregt werden sollte – wovon Melk profitiert hätte. Maximilians quasi „archäologisches“ Interesse48 berechtigte durchaus zu solchen Erwartungen: Abgesehen von dem besonderen Fall des heiligen Leopold im Jahr 1506 war Maximilian schon 1492 bei der Translatio des heiligen Simpert in Augsburg anwesend, der unter seine Hausheiligen aufgenommen wurde49, und 1513 bietet sich St. Florian zum Vergleich an, wo 1514 die bei Papst Leo X. angesuchte Grabungserlaubnis – freilich ohne Erfolg – genützt wurde50. Ein Besuch Maximilians in Melk fällt jedoch erst ins Jahr 151751.
Heiligenlob an der Universität Wien Betrachtet man die Widmungen österreichischer Sujets an Stiborius aus der Perspektive des Widmenden, so lassen sie sich als Darstellung der Verbundenheit mit dem Wiener Gelehrtenkreis und damit als Aufrechterhalten von Wiener Netzwerken interpretieren. Nach Stabius’ zahlreichen Erwähnungen in Cuspinians Œuvre zu schließen, blieb tatsächlich eine enge Beziehung auf der Basis von historischen und landeskundlichen Interessen bestehen. Mit Koloman fand Stabius ein geeignetes Sujet, um an seine Tätigkeit an der Wiener Universität anzuknüpfen: Der Festtag des Heiligen am 13. Oktober war der Wahltag akademischer Funktionsträger, der Beginn des Wintersemesters und wurde mit Festgottesdienst und Festpredigt – die auf die wichtigsten Daten der hagiographischen Tradition Bezug nahm – begangen. 48 Christopher Stewart Wood, Maximilian I as Archeologist, Renaissance Quarterly 58 (2005) 1128 –1174. 49 Zur Translatio des heiligen Simpert und Maximilians Interesse: Niederkorn-Bruck, Koloman 262. Vgl. Wolfgang Augustyn, Historisches Interesse und Chronistik in St. Ulrich und Afra im Umfeld von monastischer Reform und städtischem Humanismus am Ende des 15. Jahrhunderts. Wilhelm Wittwer und sein Catalogus abbatum, in: Humanismus und Renaissance in Augsburg. Kulturgeschiche einer Stadt zwischen Spätmittelalter und Dreißigjährigem Krieg, hg. von Gernot Michael Müller (Berlin 2010) 329 –387; hier 370 und Anm. 226. 50 Karl Rehberger, Zur Verehrung des hl. Florian im Stift St. Florian. Mitteilungen des oberösterreichischen Landesarchivs 11 (1974) 85–98; hier 94. 51 Zu Koloman und Leopold: Niederkorn-Bruck, Koloman 161–169; zum Besuch Maximilians: 161 und 253.
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Ganz allgemein war die Universität ein Bereich, in dem Heiligenverehrung gepflegt wurde, v. a. die Patronatsfeste der Nationen und Fakultäten bildeten Gelegenheiten der Rezeption und aktiven Produktion hagiographischer Texte – in einem Nebeneinander von antiken und mittelalterlichen Texten: Auf der einen Seite das Ideal klassischer Dichtersprache und Metrik repräsentiert durch den spätantiken Dichter Aurelius Prudentius Clemens (348 – nach 405), der auch Eingang in die universitäre Lehre fand52, auf der anderen Seite ,unklassische‘ Texte, etwa Reimoffizien, in der gottesdienstlichen Praxis. Eine Durchsicht des (in Wien gültigen) Breviarium und Missale Pataviense53 macht deutlich, dass sich aus der Teilnahme an kirchlichen Feiern die Kenntnis einer Fülle von mittelalterlichem Heiligenlob ergab, das dazu herausforderte, Gegenstücke in moderner, an den klassisch-antiken Vorbildern orientierter Form zu schaffen, dabei aber den durch die liturgische Verwendung quasi geheiligten Texten mit Allusionen Respekt zu zollen. Punktuell lässt sich dies im Fall Kolomans beobachten: Das Missale Pataviense bietet zum Fest des heiligen Koloman die Sequenz Letabundus fidelis, die heute Christanus von Lilienfeld/Christanus Campililiensis (gest. nach 1329; 1326–1328 Prior von Lilienfeld)54 zugewiesen wird, und nach einer Einleitung mit Nennung des festlichen Anlasses und Aufforderung zu Freude eine erzählende Darstellung der passio gibt, die mit Kolomans Ankunft in Österreich beginnt55: Qui relinquens Scociam / casu venit Austriam / fructuosam. Stabius’ auf eine ganze Strophe (v. 17–20) ausgedehntes Österreichlob lässt sich als 52 Cuspinians (wahrscheinlich) erste Publikation überhaupt galt 1494 den Tageszeitenhymnen (Liber Cathemerinon) und entstand wohl für eine Vorlesung: Johann Cuspinians Briefwechsel (wie Anm. 8) 1f.; Conrad Celtis besaß eine Handschrift der 14 Hymnen auf Märtyrer (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. Vind. 247). Prudentius war nicht nur sprachlich-stilistisches Modell, er legitimierte auch aufgrund der in der Sammlung vertretenen Märtyrer seiner spanischen Heimat eine ,patriotische Tendenz‘ in der Heiligendichtung. 53 Hinzuweisen ist auf einen Druck des Missale Pataviense (VD 16 M 5610) mit einem Empfehlungsgedicht Cuspinians, abgedruckt bei: H. Ankwicz von Kleehoven, Documenta Cuspiniana. Urkundliche und literarische Bausteine zu einer Monographie über den Wiener Humanisten Dr. Johann Cuspinian (Archiv für Österreichische Geschichte 121, Wien 1957) 97 Nr. 83. 54 Christani Campililiensis Opera Poetica, hg. von Walter Zechmeister (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis XIX A-B, Turnhout 1992) 67f. (Officium 12); Christans von Lilienfeld Hymnen, Officien, Sequenzen und Reimgebete, ed. Guido Maria Dreves (Analecta Hymnica 41a, Leipzig 1903) 94 (Sequenz 6); Franz-Josef Worstbrock, Art. Christan von Lilienfeld. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 1 (Berlin – New York 1978) 1202–1208. Art. Christan von Lilienfeld. Biographia Cisterciensis (Cistercian Biography), Version vom 15. 9. 2011 (20. 7. 2013). 55 Z. B. Plinius, nat. hist. 3,60 vitiferi colles (von Kampanien). – Eine Bezugnahme auf eben diese Strophe der Sequenz scheint auch in der kurzen Kolomanvita von Cuspinians Austria vorzuliegen: Itaque sanctus in has oras sive fortuito, sive Deo sic volente delatus (Austria, Anm. 6, 665). Die Alternative Deo sic volente korrigiert fortuito bzw. casu in der Sequenz: In einer Heiligenbiographie kann es ja keine Zufälligkeit geben.
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Entfaltung des Epithetons lesen, das zum Aufhänger für ein Landesenkomion mit klassischem Vokabular wird56. Konnte also die von mittelalterlichen Texten geprägte Liturgie zu poetischen Kontrafakturen anregen, so bot eine institutionalisierte hagiographische Textproduktion Gelegenheit zur Gestaltung von Prosa entsprechend neuen stilistischen Idealen: Die traditionellen Predigten zu den Festen der Fakultäts- bzw. Nationspatrone wurden Anfang des 16. Jahrhunderts als panegyrische Prunkreden gestaltet, die sich unter Verzicht auf die Exegese eines Bibelzitats an antiker Rhetorik orientieren, antike exempla heranziehen und Höhepunkte mit Verseinlagen ausschmücken. Gedruckt liegen derartige Reden aus den Jahren 1507 bzw. 1509 auf die Fakultätspatronin Katharina von Alexandria und die Patronin der Rheinischen Nation Ursula von Arbogast Strub (1483 –1510) vor und ebenfalls auf Ursula von Joachim Vadianus (von Watt; 1484 –1551) aus dem Jahr 151057. Seit 1486 beging die Universität auch das Leopoldsfest am 15. November58; im Druck erschien 1513 die Rede Thomas Stretzingers59 vom November 151260. Sie baut auf der panegyrischen Überbietung einer Fülle antiker exempla auf, das Geleitgedicht des Joachim Vadianus rühmt die historisch-
56 Für die Wahl der sapphischen Strophe – der freilich beliebtesten Odenform überhaupt – mag zusätzlich die Antiphon Tyro beatus mansit humatus aus jenem Reimoffizium anregend gewirkt haben, das im Breviarium Pataviense Verwendung findet. Sie besteht aus Adoneen, die sich als sapphische Strophen deuten lassen: Peter Stotz, Sonderformen der sapphischen Dichtung. Ein Beitrag zur Erforschung der sapphischen Dichtung des lateinischen Mittelalters (Medium aevum 37, München 1982) 438 – 440. 57 Lateinischer Text mit deutscher Übersetzung bei: Elisabeth Brandstätter, Arbogast Strub. Biographie und literarhistorische Würdigung. Gedächtnisbüchlein, hg., übers. u. komm. von Hans Trümpy (Vadian-Studien 5, St. Gallen 1955) 72–103. Mit „Gedächtnisbüchlein“ ist Vadians Ausgabe von Strubs Reden und Gedichten mit angeschlossenen Epitaphia gemeint (Wien: Vietor–Singriener 1511; VD 16 ZV 14767); Joachim Vadian, Lateinische Reden, hg., übers. u. erkl. von Matthäus Gabathuler (VadianStudien 3, St. Gallen 1953) 2–21. 58 Martin Wagendorfer, Die erste Wiener Universitätsrede zu Ehren des heiligen Leopold 1486 und der Wiener Arzt und Humanist Dr. Johannes Tichtel. Mittellateinisches Jahrbuch 47 (2012) 259 –286. Vgl. Paul Uiblein, Die Kanonisation des Markgrafen Leopold und die Wiener Universität, in: Ders., Die Universität Wien im Mittelalter. Beiträge und Forschungen (Schriftenreihe des Universitätsarchivs 11, Wien 1999) 489 –536. 59 Zu Stretzinger: Alphons Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs (MIÖG Erg.bd. 19, Graz–Köln 1963) 443. 60 Oratio de Divo Leopoldo Austriae habita a venerabili viro magistro Thoma Stretzinger ex Neuburga Forensi (Viennae Austriae: Singrenius–Vietor 1513; VD 16 9549). Thomas Stretzinger, Oratio de divo Leopoldo III. Austriae marchione in universitate Vindobonensi habita, ed. Hermannus Maschek (Bibliotheca scriptorum medii recentisque aevorum, saec. XVI, Leipzig 1934). In Hinblick auf archäologische Interessen Maximilians scheint bemerkenswert, dass Stretzinger die Translatio des hl. Leopold mit der (im Sinne der translatio imperii bedeutsamen) Auffindung des Pallasgrabes parallelisiert: Pallas imperante Henrico secundo effoditur, Leopoldus sub pontificatu Iulii secundi et imperio Maximiliani Romanorum regis invictissimi, ex terrae visceribus (ut novimus singuli.) Anno domini millesimo quingentesimo sexto magnifice transfertur.
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altertumswissenschaftliche Leistung des Verfassers, die die memoria des Landesheiligen sichere61, ordnet die Rede also auch in humanistische Landeskunde ein. Im Falle Kolomans fehlt eine derartige humanistische Publikation, ja überraschenderweise scheint sich von den jährlichen Koloman-Predigten nur wenig erhalten zu haben62: Bekannt sind zwei Predigten (Collatio de sancto Colomanno nostro patrono Iustum deduxit dominus und Si quis vult post me venire) 63 des Geschichtsschreibers und Theologen an der Wiener Universität Thomas Ebendorfer (1388 –1464)64. Ebendorfer, dessen Geburtsort Haselbach in der Nähe von Stockerau liegt, dürfte eine besondere Affinität zu dem dort hingerichteten Koloman gehabt haben; er kennt jedenfalls lokale Traditionen, die er in seine Predigt Iustum deduxit dominus einfließen lässt: So erinnert er sich, als Kind in der Au ein Bild gesehen zu haben65, und bietet mögliche Identifikationen für den zuständigen Richter66. Stabius’ Ode zeitlich näher steht die kurze Rede des Magisters der Artistenfakultät Wolfgang Cameri(n)us/Chaemraer aus Zwettl67 aus dem Jahr 1509, die sich ebenfalls 61 V. 1 Eruis Hystoriis Heroica gesta vetustis („Du ziehst aus alten Geschichtsbüchern heroische Taten hervor“); v. 7 Nempe tibi debent, cum omnes, tum Pannonis ora / cuius in obscuro non sinis esse Deos („Dir sind alle zu Dank verpflichtet, besonders das Pannonische Land, dessen Heilige du nicht im Dunkel belässt“). 62 Noch nicht eingesehen werden konnte die Predigtsammlung des Wiener Hofpredigers Thomas Peuntner (ca. 1390–1439), cod. Vind. 4685, die nach Ausweis der Tabulae codicum … in Bibliotheca Palatina Vindobonensi asservatorum Bd. 3, 348 mit einer Kolomanpredigt Facies eius erat aus dem Jahr 1428 beginnt. Eine Aufarbeitung der Wiener Kolomanpredigten ist in Kooperation mit Frau Prof. NiederkornBruck geplant. 63 Zu den beiden Predigten: Niederkorn-Bruck, Koloman 73–75. Im Folgenden wurde nicht zuletzt aufgrund der leichten Verfügbarkeit (die Handschrift ist digitalisiert: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00034638) herangezogen: München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 14123 (St. Emmeram/Regensburg) Collacio de sancto Colomanno nostro patrono, fol. 360ra–365r; cod. Vind. 4680 fol. 120r–127v. 64 Zur Person: Alphons Lhotsky, Thomas Ebendorfer. Ein österreichischer Geschichtschreiber, Theologe u. Diplomat des 15. Jh. (Stuttgart 1957); Paul Uiblein, Art. Ebendorfer, Thomas, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon Bd. 2 (1980) 253–266; Thomas Ebendorfer von Haselbach (1388– 1464). Gelehrter, Diplomat, Pfarrer von Perchtoldsdorf. Ausstellung anlässlich der 600. Wiederkehr des Geburtstages von Thomas Ebendorfer in der Burg zu Perchtoldsdorf, 18. September–16. Oktober 1988, hg. von Johannes Seidl (Perchtoldsdorf 1988). Ebendorfer notiert das Martyrium und die Translatio nach Melk auch in seiner Chronik: Thomas Ebendorfer, Chronica Austriae, ed. Alphons Lhotsky (MGH Scriptores rerum Germanicarum. N. S. 13, Berlin–Zürich 1967) 59. 65 Ebendorfer, clm 14123, fol. 364v qualiter fuit de sancto colomanno qui in valle quadam salicibus plena proprie aput haselpach vocata Streittal oberrando pro exploratore captus dicitur ut puer audivi et ymaginem eius ad memoriam in alta salice locatam vidi. Zu lokalgeschichtlichen Notizen bei Ebendorfer vgl. auch Leonhard Franz, Thomas Ebendorfer und der Michelsberg bei Stockerau. Unsere Heimat N.F. 1 (1928) 12, 352–357. 66 Ebendorfer, clm 14123, fol. 363v; 364v. 67 Wolfgang Chaemraer, gen. Camerius (ID: 217873459), in: RAG, Repertorium Academicum Germanicum. URL: http://www.rag-online.org/gelehrter/id/217873459 (Zugriff vom 29. 10. 2013). Nach dem Wiener Artistenregister (bzw. Acta facultatis artium 4, fol. 59v 24796 / p1) hatte er 1508 die Predigt zum Fest der heiligen Katharina übernommen.
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nur handschriftlich erhalten hat (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 4765, fol. 5v–6v), in der Art und Weise der Gestaltung – Verzicht auf einen Bibelvers, Schlussgebet in fünf elegischen Distichen – jedoch den panegyrischen Reden Strubs und Vadians entspricht (wenn sie auch ohne antike Exempla auskommt). Gegenüber Erchenfried, aber auch den mittelalterlichen Dichtungen bieten beide Reden eine modifizierte Erklärung für Kolomans Festnahme und Hinrichtung. Sowohl von Ebendorfer als auch von Chaemraer wird der Verdacht gegenüber Koloman auf Sprach- und Verständigungsprobleme zurückgeführt: Ebendorfer mutmaßt, Kolomans Schottisch sei für Tschechisch gehalten worden68, Chaemraer lässt Koloman aufgrund mangelnder Sprachkenntnis alle Fragen bejahen69. Ganz ähnlich spricht auch Johannes Cuspinian in seiner Austria, die Kurzviten der österreichischen Landespatrone enthält, von Kolomans Unvermögen, Vorwürfen entgegenzutreten70. In der Tat fordert Kolomans Geschichte zu Fragen nach Verständigungsmöglichkeiten und damit nach Organisationsformen des Pilgerwesens um das Jahr 1000 heraus: Welche Möglichkeiten hatte ein Pilger, sich als solcher auszuweisen? Hatte er ein von lokalen kirchlichen Autoritäten gefertigtes (lateinisches) Dokument bei sich, wie wurden zu erwartende Schwierigkeiten berücksichtigt? Dabei handelt es sich freilich um Fragen, die der Literaturgattung, auf der die Kolomanüberlieferung basiert, nicht angemessen sind: Erchenfried rechnet nicht mit Sprachproblemen, sondern betont die wahrheitsgemäßen Antworten71; Christan von Lilienfeld zieht in der schon zitierten Sequenz die Parallele zu Christus mit dem Bild des vor dem Scherer verstummenden Schafs (mulctandus obticuit / … / suum non aperuit / os ut agnus nach dem auf Christus gedeuteten Gottesknechtlied Is 53,7 quasi … ovis obmutuit). Soweit sich dies aus so 68 Ebendorfer, clm 14123, fol. 363v puto propter vicinitatem aliquorum vocabulorum istorum ydiomatum, licet scotia lingua a bohemia multum differat. Vgl. Niederkorn-Bruck, Koloman 75. 69 Wolfgang Camerinus, Cod. 4765, fol. 6r sciscitantibus tortoribus quis et unde esset nihil praeter assertivam voculam IaIa … respondit. 70 Austria (wie Anm. 6) 665 Itaque sanctus in has oras sive fortuito, sive Deo sic volente delatus, in oppidum Stockeraw, quod antiquitus Asturis dictum est, linguae et idiomatis nostri ignarus, cum quicquid rogaretur, imprudens omnia affirmasset, pro stolido habitus, sive exploratore patriae, anno a nato IESV, M.XII ab hominibus impiis et inexpertis est in arbore vimine sive reste suspensus. („So kam der Heilige in unsere Gegend – zufällig bzw. nach dem Willen Gottes – in die Stadt Stockerau, die in der Antike Asturis genannt wurde, und weil er unserer Sprache und unseres Idioms nicht mächtig war, bejahte er unvorsichtigerweise alle ihm gestellten Fragen und wurde für einen Dummkopf oder Spion gehalten; im Jahr 1012 n. Chr. wurde er von gottlosen, unerfahrenen Leuten an einer Weidenrute oder einem Strick aufgehängt.“) 71 3 Interrogatus itineris sui causam veraciter exposuit, aliud quicquam confiteri quam quod res erat compelli nequaquam potuit („Nach dem Grund seiner Reise befragt, gab er ihn wahrheitsgemäß an und konnte nicht dazu gebracht werden etwas anderes als die Tatsachen auszusagen.“).
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wenigen Texten ableiten lässt, scheint es sich um ein Spezificum der Wiener Tradition zu handeln, um eine im universitären Umfeld beheimatete, bewusst rationalisierende, quasi ,wissenschaftliche‘ Erklärung72. Geht man davon aus, dass Stabius mit dieser vertraut war, so ist sein Ausblenden nicht nur einer Sprachbarriere, sondern überhaupt jeder Kommunikation zwischen Koloman und Einheimischen auffällig; selbst von dem bei Erchenfried geschilderten Prozess mit Anhörung vor einem Richter bleiben abgesehen von v. 50 male iudicatus nur Kerkerhaft und Folterungen. Die Machenschaften des Satans überdecken jedoch nicht nur das Problematische von Kolomans Martyrium. Auch wenn Stabius darauf verzichtet, Koloman als Christi miles zu bezeichnen und von Kampf und Sieg zu sprechen (so etwa die Sequenz Christans: Cholomanni variam / pugnam et victoriam / gaudiosam), rekurriert er gerade mit dem aktiven Eingreifen des Teufels auf ein Konzept des Martyriums, wie es in frühchristlichen Texten, etwa bei Tertullian, prominent ist73: Der Märtyrer sieht sich mit Satan selbst konfrontiert, nicht in einer Auseinandersetzung mit staatlichen Stellen, die vom Teufel nur als Handlanger gebraucht werden (vgl. v. 45 Sathanae minister). Ob Stabius die szenische Ausgestaltung in diesem Sinn vielleicht sogar als direkten Anschluss an die Antike verstanden wissen wollte, ist freilich schwer zu entscheiden.
Heiligenlob als Medium humanistischer Selbstdarstellung? Stabius und Celtis Einen konkreten Anlass für die Publikation nennt Stabius selbst in der Überschrift: voti reus impliziert eine Gebetserhörung bzw. die Erfüllung eines Gelübdes, verknüpft den Anlass also eng mit der Person des Verfassers. Die derzeitige Kenntnis von Stabius’ Biographie lässt keine nähere Bestimmung zu, dagegen scheint es gut möglich, den Einblattdruck in Stabius’ eigenes (auf Bild-Text-Medien spezialisiertes) Schaffen einzuordnen und zugleich in humanistischer (ebenfalls oft bimedial BildText kombinierende) Publikationstätigkeit zu (lokalen) Schutzheiligen zu verorten. Zunächst ist hinzuweisen auf das links vom Heiligen (in Kontakt zu dessen Pilgerstab namensetymologisch?) positionierte Wappen, das Stabius als poeta laureatus führte und das er als eine Art Signet einsetzte74: So ließ er es an der Ehrenpforte (datiert 72 Auch die unten besprochene Kolomanode Vadians (?) folgt dieser Erklärung und nennt die entdeckte Unkenntnis der Sprache als Grund des Misstrauens (v. 94 inscius linguae). 73 Wiebke Bähnk, Von der Notwendigkeit des Leidens. Die Theologie des Martyriums bei Tertullian (Forschungen zu Kirchen- und Dogmengeschichte 78, Göttingen 2001) 59–76. 74 Chmelarz, Ehrenpforte 300f.; zu den Wappenholzschnitten Schauerte 152, Anm. 21; Thomas Schauerte, Das Wappen des Johannes Stabius mit dem Lorbeerkranz, in: Dürer (wie Anm. 10) 372–374 Nr. 233 und Ders., Das Wappen des Johannes Stabius 514 –516 Nr. A 15.
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1515) anbringen, an der er 1512/13 bereits gearbeitet haben muss, und es findet sich auch an einem Gedächtnisholzschnitt Hans Springinklees, der Maximilian vor Christus als salvator mundi kniend zusammen mit sieben Schutzheiligen zeigt75. Stabius sorgte also ganz gezielt für die Sichtbarkeit seines Anteils und nützte seine Position im Rahmen von Maximilians Gedächtniswerk, um die eigene memoria mit der des Kaisers zu verknüpfen76. In diesem Zusammenhang ist die vielzitierte Notiz zu bewerten, dass in Koloman Stabius selbst porträtiert sei. In einem Brief an Dürer vom 24. Oktober 1524 zeigt Niclas Kratzer Interesse am Nachlass des Stabius und bittet um dessen Porträt: „Ich pit euch das ir mir des Stabius angesicht welt schicken, das kunderfecht ist in der pilnuss sant Kolman geschniden in holz.“77 Eine Bronzemedaille von Peter Vischer d. J., die Stabius als poeta laureatus im Profil zeigt, scheint dies zu bestätigen78; auch auf die ähnliche Physiognomie des österreichischen Wappenherolds am Mittelturm der Ehrenpforte wurde hingewiesen79; einer der Männer auf dem Inventoren-Blatt des Miniaturentriumphzugs lässt dieselben Züge erkennen80. Trifft dies zu, so ist die Wiederholung an prominenten, auf Stabius’ Tätigkeit für Maximilian bezogenen Positionen taktisch darauf berechnet, die Chance auf Wiedererkennen zu erhöhen. Ein Bemühen um das eigene Porträt würde Stabius mit anderen Humanisten verbinden – in Wien gerade mit den von Panaetianus genannten: Celtis und Cuspinian. Celtis’ sog. Sterbebild81, war Stabius zweifellos bekannt; vielleicht konnte er Dürers 75 Künstler und Kaiser. Albrecht Dürer und Kaiser Maximilian I. Der Triumph des römisch-deutschen Kaiserhofes (Kunsthalle Bremen 25. November 2003 bis 18. Jänner 2004) 63 Nr. 30; Schauerte (wie Anm. 46). 76 Schauerte (wie Anm. 24) 372. 77 Chmelarz, Ehrenpforte 301; Dürer. Schriftlicher Nachlass, hg. von Hans Rupprich. 1. Autobiographische Schriften. Briefwechsel. Dichtungen. Beischriften, Notizen und Gutachten. Zeugnisse zum persönlichen Leben (Berlin 1956) Nr. 54, 11f. In Kratzers Formulierung deutet nichts darauf hin, dass er das Porträt für ein Werk Dürers hielt. 78 Künstler und Kaiser (wie Anm. 75) 39: Nr. 7. Die Medaille wird von Schauerte (wie Anm. 10) 374 Jakob Binck zugeschrieben. 79 Grössing (wie Anm. 4) 260–262: Ikonographie; Thomas Schauerte, Der Herold an der Druckerpresse. Tradition und Innovation in Kaiser Maximilians I. Gedächtniswerk, in: Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, hg. von Gabriele Wimböck unter Mitarb. von Frank Büttner (Pluralisierung & Autorität. Sonderforschungsbereich 573. Ludwig-Maximilians-Universität München 9, Berlin 2007) 135–160; hier 151f. Vgl. Schauerte (wie Anm. 24) 372. Von einer „dichten Reihe der beglaubigten Bildnisse“ lässt sich bei Stabius jedoch – im Gegensatz zu Celtis und Cuspinian – kaum sprechen; als zeitgenössisch beglaubigt können ja nur Kolomanholzschnitt und Medaille gelten. 80 Franz Winzinger, Die Miniaturen zum Triumphzug Kaiser Maximilians I. (Veröffentlichungen der Albertina 5, Graz 1973); Schauerte (wie Anm. 24) 372. Ablehnend dagegen zur Identifikation des Stabius als Modell für Karl den Großen: Schauerte (wie Anm. 10) 375. 81 Amor als Topograph. 500 Jahre Amores des Conrad Celtis. Ein Manifest des deutschen HumanismusBibliothek Otto Schäfer. Museum für Buchdruck, Graphik, Kunsthandwerk, Kabinettausstellung 7. April –30. Juni 2002 (Bibliothek Otto Schäfer. Ausstellungskatalog 18, Schweinfurt 2002) 174 –177;
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Marter der Zehntausend sehen, die Celtis im Bildzentrum gemeinsam mit dem Maler zeigt82. Für Cuspinian83 liegt neben dem Ehebildnis und dem Exlibris ein sakrales Identifikationsporträt im Rahmen einer heiligen Sippe vor; die Entstehung wird jedoch erst nach 1513 angesetzt84. Während die Identität der Dargestellten im Falle Cuspinians auf der Rückseite der Tafel aufgeschlüsselt ist, bot der Druck keine passende Stelle; einzig das Wappen konnte als Hinweis dienen. Als Medium der Selbstdarstellung macht ein Identifikationsporträt auf dem Einblattdruck jedenfalls nur Sinn in der Kombination mit einem durch die Namensnennung autorisierten Text. Zur Profilierung als ,humanistischer‘ Autor wählte Stabius mit der Heiligenode in einem klassischen Versmaß eine überaus beliebte Textsorte, für die der (illustrierte) Einblattdruck eine wichtige Publikationsform darstellte85. Zu verweisen ist auf die eingangs zitierte Ode des Johannes Panaetianus, die mit einer Darstellung des Stifterpaares Leopold und Agnes ausgestattet ist. Und gerade diese Ode kann die Intention des Verfassers nicht verleugnen, der den Anlass unabhängig von (möglicher, nicht nachprüfbarer) persönlicher Devotion für seine Karriere nützte: Wenn Panaetianus bescheiden seine Unterlegenheit gegenüber den Größen der Wiener Universität thematisiert, so versucht er doch, sich als jüngster in diesen Humanistenkreis einzuschreiben, der durch das Ideal antikisierender Dichtung verbunden war. Und seine Taktik hatte Erfolg – die Dichterkrönung durch Maximilian noch im selben Jahr erfolgte ja kaum ohne Vermittlung zumindest eines der drei Genannten. Schenkt man der Nachricht Glauben, dass Cuspinian eine Ode auf den heiligen Leopold verfasst hat und sieht man die Inschrift am Schrein im Epigramm des Celtis86, so könnte im Jahr 1506 Stabius derjenige gewesen sein, der noch kein Probestück in humanistischer Heiligendichtung geliefert hatte. Dass er dies gerade in aemulatio mit
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Peter Luh, Kaiser Maximilian gewidmet. Die unvollendete Werkausgabe des Conrad Celtis und ihre Holzschnitte (Europäische Hochschulschriften Reihe 28, Kunstgeschichte 377, Frankfurt am Main–Wien [u. a.] 2001) 282–312. Paul M. Bacon, Humanism in Wittenberg: Frederick the Wise, Konrad Celtis, and Albrecht Dürer’s 1508 Martyrdom of the Ten Thousand Christians. Konsthistorisk tidskrift/Journal of Art History 82 (2013) 1–25. Einen Überblick mit reicher Dokumentation zur Forschungslage bietet Cornelia Plieger, Johannes Cuspinian. Andacht, Repräsentation und Memoria im Spiegel der Kunst, in: Johannes Cuspinianus (wie Anm. 7) 219–254. Hans Georg Thümmel, Bernhard Strigels Diptychon für Cuspinian. Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien 76 (1980) 97–110. In der reichen Materialübersicht bei Stieglecker (wie Anm. 12) hätte man eine spezielle Berücksichtigung dieses publikationstechnischen bzw. medialen Gesichtspunkts gewünscht: Neben dem von ihm besprochenen Onuphrius-Einblattdruck liegen weitere zum Patron der Juristen, dem heiligen Ivo, und seinem Namenspatron, dem Pestheiligen Sebastian, vor: Frank Hieronymus, Sebastian Brants SebastiansOde illustriert von Albrecht Dürer. Gutenberg Jahrbuch 52 (1977) 271–308; vgl. Matthias Mende, Die Marter des heiligen Sebastian, in: Dürer (wie Anm. 9) 493f. A4. Zu Celtis s. u. S. Anm. 5.
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Celtis nachholen wollte, zeigt spätestens seine Publikation zu den (sechs bzw. acht) Schutzheiligen Österreichs aus dem Jahr 1515: Celtis hatte 1504 auf einem Einblattdruck Epigramme (Gedichte unterschiedlicher Länge in elegischen Distichen) auf Martin, Leopold, Florian und Koloman publiziert und auf die vier österreichischen Heiligen ein Epitaph auf Neidhart folgen lassen – eine Kombination, die bereits bei Zeitgenossen auf Befremden stieß 87. An eben diesen nicht illustrierten Einblattdruck knüpfte Stabius ganz offenkundig an: Durch die bildliche Darstellung der Landespatrone entstand ein repräsentatives Gegenstück, sodass Celtis letztlich erfolgreich verdrängt wurde. Aber schon in seiner Kolomanode zeigt Stabius Kenntnis von Celtis’ Kolomanepigramm auf diesem Einblattdruck, indem er dessen dritten Vers seinem Versmaß entsprechend umformuliert (Celtis v. 3 dum propter Christum peregrinus factus in orbe vgl. Stabius v. 9f. propter et Christum peregrinus exul / factus in terris); er zitiert damit den einzigen (publizierten) humanistischen Vorgängertext zu Koloman. Es war jedoch wohl ein anderes – ungleich bekannteres – Gedicht des Celtis, an dem Stabius mit seiner Kolomanode gemessen werden wollte: Celtis’ Ode auf den Nürnberger Stadtpatron, den heiligen Sebaldus, die er für seinen Freund Sebald Schreyer, den Kirchmeister von St. Sebald, verfasste. Diese Ode ist im selben (freilich geläufigen) Versmaß der sapphischen Strophe verfasst, von annähernd gleicher Länge (28 Strophen) und wurde zunächst ebenfalls als Einblattdruck mit einer bildlichen Darstellung des Heiligen publiziert 88. Es lassen sich nach dem Holzschnitt zwei Fassungen (Michael Wolgemut, Albrecht Dürer) mit jeweils zwei Auflagen unterscheiden. Der Einblattdruck trägt den Titel Deo optimo maximo et divo Sebaldo patrono pro felicitate urbis Norice per Conradum Celtem et Sebaldum Clamosum, eius sacre sedis curatorem, pie devote et religiose positum, verwendet also eine Formel für das Setzen eines Monuments. In antiker Tradition ist das Gedicht als solches zu verstehen, passend ist jedoch auch die (an die Sebaldusstatue in St. Sebald angelehnte) Darstellung des Heiligen als Statue auf einer Säule. Die Wappen im oberen Bildteil gehören dem Heiligen, zu beiden Seiten der Säule erscheinen die der ,Stifter‘ des Monuments: links das Wappen des Celtis, rechts das Schreyers. Die Ode hat eine äußerst erfolgreiche Rezeptionsgeschichte89: Sie fand nicht nur schon 1496 in einem Nürnberger Druck 87 Dieter Wuttke, Ein unbekannter Einblattdruck mit Celtis-Epigrammen zu Ehren der Schutzheiligen von Österreich. Arcadia 3 (1968) 195–200; Jörg Robert, Art. Celtis (Bickel, Pickel), Konrad (Conradus Celtis Protucius). Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon 1,2 (2006) 375 – 427; hier 420f. 88 Eisermann, Verzeichnis C-7; C-8 GW 6464; Hain 4844*; BSB-Ink C-213; GW(Einbl) 481; Campbell Dodgson, Die illustrierten Ausgaben der sapphischen Ode des Conrad Celtis an St. Sebald. Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 23 (1902) 45–52; Luh (wie Anm. 80) 199 –209; Rainer Schoch, Art. Der heilige Sebaldus auf der Säule (Flugblatt des Conrad Celtis an den heiligen Sebaldus), in: Dürer (wie Anm. 9) 112–115 Nr. 129; Amor als Topograph (wie Anm. 80) 119f.; Robert (wie Anm. 86) 417f. 89 Vgl. Schäfer (u. Anm. 92) 238–241.
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der Legenda aurea Aufnahme90, sondern wurde mit neuer Illustration auch in die in Nürnberg erschienene Amores-Ausgabe von 1502 integriert (vgl. Abb. 2), wo sie passend auf die Norinberga, die Beschreibung der Stadt in Prosa, folgt91; schließlich ist sie – nun ohne Illustration – auch in der von Wiener Humanisten besorgten, 1513 in Strassburg gedruckten Odenausgabe92 als Ode III 10 enthalten. Für Stabius’ Kolomandruck – für Bild wie Text – ist die Sebaldusode (bzw. ihre Publikationen) in mehrfacher Hinsicht interessant. Die Grundvoraussetzung für die Vergleichsmöglichkeit war schon in der hagiographischen wie ikonographischen Tradition gegeben: Sowohl Sebaldus als auch Koloman sind heilige Pilger, die mit den entsprechenden Abzeichen und Attributen ausgestattet werden93. Der Kolomanholzschnitt lässt sich aber auch im Arrangement geradezu als Kombination der unterschiedlichen Sebaldus-Publikationen betrachten: Wie auf den beiden Einblattdrucken ist der Verfasser der Ode durch sein Wappen präsent, die Darstellung des Heiligen als Pilger in der Landschaft lässt sich jedoch eher mit dem Holzschnitt der Amores-Ausgabe vergleichen. Zudem entspricht die Disposition von Bild und Text bei Stabius nicht den Einblattdrucken, die die Sebaldusstatue mittig setzen, sondern als in eine linke Bild- und rechte Texthälfte geteiltes Blatt eher der Präsentation in der Amores-Ausgabe, in der die Darstellung des Heiligen eine eigene Seite erhält, nur dass die Ode nicht synoptisch beginnt. Mit der Widmung an Stiborius, dem als Pfarrherrn von Stockerau ein ähnliches Naheverhältnis zum bildlich und literarisch dargestellten Heiligen wie dem Kirchenmeister der Nürnberger Sebalduskirche zugeschrieben werden konnte, scheint sich Stabius sogar ein Situationsanalogon geschaffen zu haben. Über die Darstellung hinaus ließen sich Analogien im Text akzentuieren. So bietet sich gleich die Themenangabe der ersten Strophe zu einer Gegenüberstellung von Sebaldus und Koloman an; die wichtigsten Parallelen sind hier schon angedeutet: In beiden Fällen handelt es sich um Pilger aus dem ferneren nördlichen Ausland, für die königliche Abstammung zugleich mit dem Verzicht auf königliche Würden behauptet wird; beide werden am irdischen Ziel ihrer Pilgerschaft als besondere Schutzheilige verehrt. 90 Nürnberg 1496 BSB-Ink I-101GW M 11251 (29. 10. 2013). 91 Conradi Celtis Protvcii Primi Inter Germanos Imperatoriis Manibvs Poete Lavreati Qvatvor Libri Amorvm Secvndvm Qvatvor Latera Germanie (Noribergae 1502; VD 16 C 1911). 92 Zum Strassburger Druck der Oden: Robert (wie Anm. 87) 404–408. Zweisprachige Ausgabe: Conrad Celtis, Oden, Epoden, Jahrhundertlied. Libri odarum quattuor, cum epodo et saeculari carmine, übers. und hg. von Eckart Schäfer (Neolatina 16, Tübingen 2008) 234 –241. Für die im Folgenden zitierten Strophen wird diese Übersetzung wiedergegeben. Zur Entstehungsgeschichte der Odenausgabe vgl. auch Eckart Schäfer, Nachlese zur Odenedition des Conradus Celtis, in: Horaz und Celtis, hg. von Ulrike Auhagen–Eckard Lefèvre–Eckart Schäfer (Neolatina 1, Tübingen 2000) 227–259. 93 Koloman war bereits von Gabriel Angler im Typus des bärtigen Pilgers dargestellt worden: NiederkornBruck, Koloman 182.
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Celtis Regiae stirpis suboles Sebalde Norica multum veneratus urbe Da tuam nobis memorare sanctam Carmine vitam Sproß aus königlichem Stamm, Sebaldus, hochverehrt in der Stadt Nürnberg, gewähre uns, an dein heiliges Leben im Lied zu erinnern. Stabius Austriae sanctus canitur patronus Fulgidum sidus rutilans ab Arcto Scoticae gentis COLOMANNUS acer Regia proles
Als Korrektur hat Stabius zweifellos den Schluss intendiert: Schon Celtis hatte in den Gebetsteil am Ende Maximilian eingeschlossen; in der drittletzten Strophe wird Sebald um Hilfe im Türkenkrieg angerufen, so dass der Name Maximilians im Genitiv den Adoneus bildet. Fata Germanis faueant triumphis Dum petet thurcos gladiis cruentis Principis nostril iuuenile robur Maxmiliani. Fata Germanis faueant triumphis Dum petet thurcos gladiis cruentis Principis nostril iuuenile robur Maxmiliani.+ Hinc vbi nostras animas solutis Corporum vinclis deus euocabit Confer ut tecum capiamus Gaudia celi.
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Hinc vbi nostras animas solutis Corporum vinclis deus euocabit Confer ut tecum capiamus
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Das Schicksal begünstige deutsche Siege, sobald die Türken mit blutigen Schwertern angreift unser jugendlich starker Herrscher Maximilian Wenn unsere Seelen, aus den Fesseln des Körpers gelöst, Gott von hier abberufen wird, hilf uns, dass wir mit dir des hohen Himmels Freuden erlangen. Wenn du das, Vater, für uns erreichen wirst vor des obersten Donnerers Angesicht, werden wir hier auf deine Altäre stets arabischen Weihrauch häufen.
Die letzten beiden Strophen sind jedoch – da die Ode ja dem Wunsch Schreyers entsprechend tatsächlich zur Verwendung im Gottesdienst bestimmt war 94 – der betenden Gemeinde in den Mund gelegt, die sich von Sebald die Vermittlung der ewigen Seligkeit erhofft und Verehrung gelobt. Stabius, der an keine gottesdienstlichen Rücksichten gebunden war, hat die Reihenfolge umgekehrt: Zunächst wird Kolomans Mittlerrolle zur Erlangung von körperlicher Gesundheit und Seelenheil festgestellt (v. 118 impetrat – Celtis v. 109 impetrabis), die von den Heiligen erwirkten himmlischen Freuden (v. 120 gaudia celi) bilden wie bei Celtis (v. 108) einen Adoneus. Bei Stabius steht jedoch Maximilians Name effektvoll im allerletzten Vers95 und korrespondiert mit dem ersten Wort der Ode, der Nennung von Herrschafts- bzw. Patronatsgebiet. Es lässt sich nicht ausschließen, dass Stabius auch die weitere Publikationsgeschichte der Sebaldus-Ode im Blick hatte: In der Nürnberger Amores-Ausgabe gehen ihr Germania generalis und Norinberga voraus, sie wird also in den Rahmen des nicht realisierten Projekts der Germania illustrata gestellt96. Eben dieses Projekt wurde im Wiener Humanistenkreis in modifizierter Form als Austria illustrata aufgegriffen: Bereits Ladislaus Suntheim (gest. vor Feb. 1513) hinterließ Materialien97, Cuspinians Austria, 94 Zu den Kürzungen und Textänderungen: Schäfer (wie Anm. 92). 95 Während Celtis die in der lateinischen hexametrischen Dichtung (neben Maximus Aemilianus) üblicherweise verwendete Form Maxmilianus hat, bietet der Kolomandruck Maximiliani; es ist nicht klar, ob es sich um einen Druckfehler handelt, oder ob Stabius das dritte i konsonantisch auffasste. 96 Robert (Anm. 86) 393 –395; Gernot Michael Müller, Germania illustrata quae in manibus est. Spurensuche nach einem nie realisierten Werk des Konrad Celtis, in: Amor als Topograph (wie Anm. 81) 137– 149. Zu den Verbindungslinien zwischen humanistischer Hagiographie und Germanis illustrata: Collins (wie Anm. 15). 97 Winfried Stelzer, Art. Sunthaym (Sunthaim, Suntheim[er]), Ladislaus. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 9 (21995), 537–542; hier 539f.
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die darauf aufbauen konnte, blieb ein Torso, eine Zusammenstellung von unterschiedlich ausgearbeiteten Themenkomplexen98: Der posthume Druck enthält jedoch neben einer ausführlichen Vita Leopolds des Heiligen die schon genannten Kurzvorstellungen der österreichischen Landespatrone – derselben wie auf Stabius’ Einblattdruck von 1515. Dessen Precatio ad sanctos Avstriae patronos hat Cuspinian auf die Prosadarstellung folgen lassen, sodass sich ähnlich dem Druck von Celtis’ Amores die Kombination von Landeskunde und Dichtung auf Landesheilige ergibt99. Die hagiographisch-narrative Kolomanode hätte sich für eine derartige Verwendung vielleicht sogar besser geeignet; ob Stabius an diese Möglichkeit dachte, kann nicht entschieden werden100. Seine Bezugnahme auf Celtis sowie der entsprechende Einsatz des späteren Gedichts durch Cuspinian, lassen den Gedanken jedoch nicht abwegig erscheinen. Versucht man eine abschließende Beurteilung – wobei der Gesichtspunkt persönlicher Verbundenheit mit dem Heiligen selbstverständlich ausgeklammert werden muss –, so hat Stabius mit einer hagiographischen Ode ein Thema bzw. eine Textsorte und Publikationsform gewählt, die zur Selbstdarstellung geeignet war, ja neben einem prominenten Vertreter wie Celtis – der aufgrund von Stabius’ Wiener Vergangenheit und seines aktuellen Aufenthaltsortes Nürnberg als Bezugspunkt nahe lag – fast automatisch zur Positionierung im „literarischen Feld“ führen musste. Hatte Celtis zwar seinen Einblattdruck zu den Österreichischen Heiligen ohne Illustrationen herausgebracht, im übrigen aber auf ausgefeilte Bildprogramme bzw. Bildtextkombinationen Wert gelegt, so schließt Stabius diese Lücke mit den Publikationen von 1515, tritt aber bereits 1513 mit dem Anspruch der Celtisnachfolge auf, indem er ein ,österreichisches‘ Gegenstück zu Celtis’ Sebaldusode publiziert. Würde man also von Stabius als Maximilians Experten eher den heiligen Leopold erwarten, so könnte sich in Hinblick auf aemulatio mit Celtis Koloman empfohlen haben. Die von Stabius anvisierte Rezeption des Koloman Blattes ist in mehreren Schritten, im Wechseln zwischen Bild und Text vorstellbar. Der Betrachter und Leser kann von einem Vergleich der heiligen Pilger Sebaldus und Koloman zu einem Vergleich von Celtis und Stabius als Verfasser von Heiligenoden geführt werden. Ein Erkennen von Stabius’ textlicher Bezugnahme und damit seines dichterischen Anspruchs muss den Blick aber wieder zurück zum Bildteil lenken, wo – unabhängig vom Erkennen eines Identifikationsporträts – das lorbeerbekränzte Wappen den Autor als poeta laureatus 98 Die Austria wurde posthum 1553 und ein weiteres Mal in gleicher Form im Jahr 1601 herausgegeben, die handschriftliche Fassung ging verloren. Vgl. Coroleu Oberparleiter (wie Anm. 7). 99 Austria (wie Anm. 6) 665f. 100 Besonders zu bedenken ist, dass die Amores-Ausgabe neben dem Druckort Nürnberg mit Wien als Sitz des Collegium poetarum und Wirkungsstätte des Celtis ein zweites Zentrum hat: Sie bietet sowohl das Privilegium erectionis collegii poetarum et mathematicorum in Vienna als auch den Panegyricus des Vinzenz Lang aus Anlass der Eröffnung; der Kolophon vermerkt die Vollendung der Druckvorlage in Wien.
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ausweist, damit als Nachfolger des gekrönten Dichters Celtis, an dessen collegium die laureatio stattfand101. Da diese letztlich von Maximilian autorisiert war, erfolgt eine Rückbindung zum abschließenden Gebet der Ode: Im Vergleich mit Celtis SebaldusOde wird hier im letzten Wort – auch visuell erfassbar! – zur Schau gestellt, wie die Dichtung des Stabius ihr Ziel in Maximilian findet.
Epilog: Blutzeuge oder Bekenner? Koloman und Leopold Stabius’ Bemühungen auf dem Gebiet humanistischer Heiligendichtung war kein dauerhafter Erfolg beschieden: Wenn Celtis’ Einblattdruck zu den österreichischen Heiligen in Vergessenheit geriet, verdankt Stabius’ Precatio ihre weitere Rezeption in erster Linie der Aufnahme in Cuspinians Austria102. Die vollständige Kenntnis seiner Koloman-Ode scheint dagegen schon bald verloren gegangen zu sein: Der Kartäuser Laurentius Surius (1522–1578) zitiert sie in seinem monumentalen hagiographischen Sammelwerk Vitae sanctorum unter Berufung auf eine nicht näher bestimmte Handschrift nur bis zur Hälfte (v. 56 martyr in aevum)103 und bleibt damit die Quelle für spätere, u. a. für Matthäus Rader SJ (1561–1634), aus dessen Bavaria Sancta104 noch Hieronymus Pez (1685–1762) den Text in seine Acta S. Colomanni übernimmt105. Nichts deutet schließlich daraufhin, dass Stabius als Celtis-Nachfolger wahrgenommen worden wäre. Diese Position kam in Wien am ehesten Joachim Vadianus (1484 –1551) zu, der seit 1512 den Lehrstuhl für Poetik (anstelle Cuspinians, der durch diplomatische Missionen voll in Anspruch genommen war) innehatte. In der posthumen Ausgabe von Celtis’ Oden (1513) – unter denen sich eine Stabius gewidmete (2,21 De solario 101 In der Forschung herrscht Uneinigkeit, ob die Krönung durch Celtis selbst, so Aschbach (wie Anm. 3) 365 Anm. 2, oder in seiner Vertretung durch Cuspinian erfolgte: Ankwicz, Der Wiener Humanist (wie Anm. 4) 23 Anm. 10. Dies hängt an der Interpretation der Cuspinianvita Gerbels, der berichtet: Caesares Av cum … Divi Maximiliani clementissimi Caesaris iussu Johanni stabio nobili mathematico et poetae laurea danda foret … soli Cuspiniano inaugurandi Stabii et laudandae poetices provinciam esse demandatam. Es scheint freilich seltsam, dass Celtis im Eröffnungsjahr des collegium poetarum nicht selbst agiert hätte. 102 Cuspinians Einschätzung war zweifellos richtig: Austria (wie Anm. 7) 665 Satis sit mihi, eruditum ac doctum carmen Ioannis Stabii mathematici et historiographi Maximiliani Caesaris, de iis sex patronis austriae subscribere, ne pereat. Von Cuspinian (bei dem die Precatio unmittelbar an einen Verweis auf die ausführliche Leopoldvita anschließt) hängt wohl ab: Viti Iacobaei poetae laureati De Divo Leopoldo Austriae principe panegyricum (Viennae Austriae: Raphael Hofhalter 1560). 103 Benützt in der Ausgabe: Vitae Sanctorum ex probatis authoribus & mss. codicibus, October (Coloniae Agrippinae: Sumptibus Ioannis Kreps et Hermanni Mylii 1618) 207f. Die Unvollständigkeit ist Surius jedoch bewusst, er notiert: Hucusque tantum habuit Codex unde haec descripsimus. Desunt autem adhuc nonnulla. 104 Bavaria Sancta III (Monachii: Sadeler 1627) 109 –113. 105 Acta S. Colomanni regis et martyris divi tutelaris Austriae dissertationibus et notis historico-Cricticis illustrata et in lucem data (Crembsij /Krems: Kopiz 1713) 63 – 65.
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per Noricum astrologum invento)106 und eine von Stabius erstmals publizierte (3,28 an Johannes Trithemius)107 befinden – beansprucht Vadianus durch einen einleitenden Brief an den Straßburger Drucker Matthias Schürer und ein Lobgedicht auf Celtis neben Thomas Resch die Rolle des Nachlassverwalters. Falls tatsächlich eine Art Konkurrenzverhältnis bestand, gewinnt eine Anmerkungsnotiz in Aschbachs Geschichte der Universität Wien an Brisanz: Auch Vadianus soll eine Ode auf den heiligen Koloman verfasst haben108. Die bibliographische Angabe führt zwar ins Leere, in der Tat stößt man jedoch auf eine weitere sapphische Koloman-Ode, wenn man der eingangs zitierten Publikation des Johannes Panaetianus und dem darin angeregten poetischen Wettstreit nachgeht. Der heilige Leopold blieb ein poetisches Sujet der in Wien tätigen oder mit der Wiener Universität in Verbindung stehenden Humanisten: Caspar Ursinus Velius (1493 –1539), der 1515 persönlichen Kontakt mit Stabius hatte, verfasste einen hexametrischen Panegyricus (Leopoldus seu Paean in divum Leopoldum, Austriae Principem et tutelare numen) 109. Dieser ist noch einem umfassenden Sammelwerk beigegeben, das der Klosterneuburger Propst Balthasar Polzmann (reg. 1584 –1596) zum heiligen Markgrafen und seiner Verehrung im Jahr 1591 erscheinen ließ110. Der abschließende Teil bietet nach den Offizien zu den beiden Festen des Heiligen (15. November und 15. Februar als Gedenktag der translatio) zunächst Gebete, darunter ohne Namensnennung die Precatio vom Einblattdruck des Johannes Panaetianus, und versammelt dann ältere Dichtungen zu Ehren des Heiligen: Auf die Ode des Panaetianus 106 Auf die von Stabius am Chor der St. Lorenzkirche in Nürnberg angebrachte Sonnenuhr verweist Schäfer (wie Anm. 92) 176f. 107 Schäfer (wie Anm. 92) 284–289. 108 Aschbach (wie Anm. 3) 394 Anm. 1. Als Publikationsort wird der Anhang zu Translatio Divi Leopoldi: Johann Winterburger publiziert genannt. Gemeint ist offenkundig Hystoriae de festo et translatione diui Leopoldi marchionis Austrie (Vienne: impressum per Joannem Vinterburg s.a. ca. 1506; VD16 H 3910). Dieser Druck enthält jedoch keinen Anhang; es dürfte sich um eine Verwechslung mit Polzmanns Compendium handeln; sie erklärt sich leicht dadurch, dass der sechste Abschnitt auf einem neuen Titelblatt fast genau den Titel des Winterburgerdrucks trägt: Historiae de festo et translatione S. Leopoldi Marchionis Austrie trägt. 109 Gustav Bauch, Caspar Ursinus Velius, der Hofhistoriograph Ferdinands I. und Erzieher Maximilian II. (Budapest 1886) 22. Die angebliche Widmung an Stabius konnte noch nicht verifiziert werden. In der Gedichtausgabe von 1522 ist kein Adressat genannt: Casparis Ursini Velii e Germanis Silesii Poematum libri quinque (Ex inclyta Basilea: apud Ioannem Frobenium 1522; VD16 U 366) sylv. I 3. Zur Publikationsgeschichte im Zusammenhang mit der Wiederbelebung des Leopoldkultes an der Universität Wien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts: Georg Wacha, Eine geplante Leopoldskirche in Wels. Zum Leopoldskult des 16. Jahrhunderts in Oberösterreich. Jahrbuch des Musealvereines Wels 9 (1962/63) 82–92; hier 85. 110 Balthasar Polzmann, Compendium vitae, miraculorum S. Leopoldi, sexti marchionis Austriae (In Neuburgensi monasterio: Leonhardus Nassingerus 1591 (VD 16 P 4123). Zu Propst Polzmann: Maximilian Fischer, Merkwürdigere Schicksale des Stifts und der Stadt Klosterneuburg aus Urkunden gezogen (Wien 1815) Bd. 1 Tab. III.
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folgt eine weitere von Elias Hermann aus Bielitz in Schlesien sowie der hexametrische Paean des Caspar Ursinus Velius. Eine Überraschung stellt der vorletzte Text (dem nur mehr ein Empfehlungsgedicht Ad pium lectorem für die gesamte Publikation folgt) dar: Er ist Koloman gewidmet, und wie eine Pointe mutet die Angabe des Kolophons an, dass der Druck am Tag des heiligen Koloman beendet wurde: Die S. Colomanni martyris, etiam patroni austriae finitum est. Wenn die Ode Authore Joachimo Vaciano überschrieben ist, könnte es sich – dem Wiener Kontext (Panaetianus, Velius) nach zu schließen – um einen Druckfehler handeln: Es liegt nahe, an den genannten, bis 1518 in Wien tätigen Joachim Vadianus aus St. Gallen zu denken, der in seine Heimat zurückgekehrt zu einem Vorkämpfer der Reformation wurde111. Dichtungen erschienen in erster Linie als Empfehlungen zu Studienausgaben und Drucken anderer Universitätsangehöriger, als Einzeldrucke u. a. zwei autobiographische Gedichte – eine poetische Deutung seines Wappens und die Ekloge Faustus, die Vadians Stellung an der Universität thematisiert112. Als wichtigstes poetisches Werk darf sein Panegyricus aus Anlass der Umbettung Friedrichs III. in das Hochgrab im Apostelchor des Stefansdoms gelten, mit dem er sich 1513113 erfolgreich profilierte: 1514 wurde ihm in Linz von Maximilian der Dichterlorbeer verliehen114. Eine Sammelausgabe von Vadians Dichtungen scheint nicht in den Druck gelangt zu sein, jedenfalls ist auf den derzeitigen Stand der Forschung nicht nachzuvollziehen, welcher Quelle Polzmann die Kolomanode entnommen hat; der unerwartete Publikationskontext hat dazu geführt, dass sie bisher weder im Zusammenhang mit Koloman noch als (mögliche) Dichtung Vadians Aufmerksamkeit gefunden hat115.
111 Ein Joachim Vacianus lässt sich sonst nicht belegen; der VD 16 wirft nur diesen Titel aus. 112 Flood, Poets laureate Bd. 4, 2197–2204; Herwig Biehl, Die Faustusekloge und die Wappenelegie des Joachim von Watt (Diss. Wien 1948); Friedrich Steinmetz, Das lyrische Werk des Joachim von Watt (Diss. Wien 1950). 113 Vadians Panegyricus erschien als einziger Originalbeitrag in einer (in Wien und Strassburg gedruckten) Textsammlung, die sowohl Friedrich III. als auch Philipp den Schönen kommemoriert: Elisabeth Klecker, Tod und Grabmal Kaiser Friedrichs III. in einer Gedenkschrift aus dem Jahr 1514, in: Vita morsque et librorum historia, hg. von Jitka Radimská (Opera Romanica 9, České Budějovice 2006) 12–28. 114 Werner Näf, Die Vorbereitung von Vadians Dichterkrönung, in: Ders., Vadianische Analekten (VadianStudien 1, St. Gallen 1945) 1– 4. 115 Sie ist nicht erfasst bei Steinmetz (wie Anm. 111). Nachforschungen zu möglichen Druckvorlagen müssten in der Stiftsbibliothek Klosterneuburg unternommen werden, waren jedoch noch nicht möglich.
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Ode dicolos tetrastrophos Sapphicis tribus hendecasyllabis et Adonico Dimetro quarto in laudem S. Colomani martyris116 Est locus tardi gelido sub axe Frigoris, quo se spaciata tellus Vertit in saeuos Boreae tumultus Oceanique, Sole quo raro glaciem niuesque Bruma dispersis superans tenebris Temperat Coelo minus & corusco Sydera pallent, Fertilis Phoebo redhibente currum Versilem, multo viridansque fructu, Cui manet (quod iam referunt) vetustum Scotia nomen. Quae fidem priscis animosa seclis Coepit et magno venerata cultu Foeminas passim genuit virosque Aethere dignos.
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Quorum habet primas Colomannus ille Clarus omnino teneris ab annis In fide miles rigidaeque constans Tramite vitae. 20 Moribus cultus opera parentum Flore non certae nituit iuuentae Corporis casti patientiaeque Commoda doctus. Hic ubi cassos hominum labores Novit et nostros agitare cursus Finis incerti vicibusque tempus Irreparatum,
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116 Text nach Compendium vitae (wie Anm. 110) cap. VI unter Beibehaltung der Orthographie, mit Modernisierung der Interpunktion. Der Text ist zum Teil schwer verständlich und möglicherweise entstellt. Er bedürfte eines genaueren Kommentars, als als es dieser Anhang zulässt, daher werden problematische Stellen nur mit ? markiert.
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Et memor vitae miseraeque Christi Mortis, humanum rediit genus qua In suas dudum superumque sedes Fauce baratri, Reppulit vulgi vacuos honores, Diuites mensas variamque vestem Osus argentum rutili nec auri Pondere captus.
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Publicae nusquam studiosus aurae Creber abductas petiit recessus Limpida ut sese super astra ferret Mente quieta, 40 Pauperis stratus tuguri per umbram, Omnium quamuis fuerit beatus Copia rerum reliquoque diues Asse parentum, Aemulus solers in Apostolorum Semitam, qua se referunt Olympo Nuda quos vestit pietas fidesque Vitaque simplex. Vtque deuotus chorus ille Christo Spiritus sancti renouatus igne Fit peregrinans animo docendi Virgine verbum, Dum per extremos agitatur Indos Perque nigros Aethyopas Libesque Gallias vltra rigidas citraque Regnaque Lydi,
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Sic per Europae propioris arua Patriae, Diuus Colomannus exit Solus atque expers nemorosa linguae Tesqua peragrat. 60 Coerulum vectus properat per aequor Huc vbi gressum relegunt sagaces Incolae ignota mare dum reportat Arbore succum.
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Illa tum saeuos homines luporum More praedantum capreas tenebant: Corda paucorum pietas mouebat In peregrinos. 80 Causa erat bellum quod in vtriusque Pannonis fines tulerat Gradiuus· Caedibus gaudens rutilisque semper Laetus117 in armis. Quo ferum vulgus scelus omne tentat Nec Deum poenae memor est nec atrae Legis, in nodum glomerans reductum Phasque nephasque. Id genus certis Colomannus illic, Quo graues bello sinuosus Ister Noricos linquit Caeciumque laxo Flumine lambit, Praenditur purus scelerum viator, Inscius linguae quod erat notatus (Dum silet per singula), proditoris Suspicione.
117 Latus Compendium 1591.
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Roboris vasti fidei ministrum Fronde suspendunt viridique resti Guttur elidunt quod inepta nunquam Verba locutum est. 100 Non diu tandem latuit probata Sanctitas, multo superum fauore Claret et multis hodie sacrato Corpore signis. Martyrem iusti petiere votis Nec minnus templis venerantur ossa Quod malos mundi superarit ingens Victor amores. Praestat hoc·nunquam moritura virtus, Dum modo purae fidei comes sit, Praestat et vitae vigilans caducae Cura laborque.
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Ode mit vierzeiligen Strophen in zwei unterschiedlichen Maßen (drei sapphischen Elfsilblern und einem adonischen Dimeter an vierter Stelle) zum Lob des heiligen Märtyrers Koloman: Es liegt ein Ort unter dem eisigen Himmel trägen Frostes, wo sich die Erde weit gegen das grausige Wüten des Boreas und des Okeanos wendet, wo der Mittwinter mit rarem Sonnenschein Eis und Schnee mildert, die Dunkelheit vertreibt und die Sterne am gleißenden Himmel weniger bleich sind, ein Ort, der fruchtbar ist, wenn Phoebus den wendigen Wagen zurückfahren lässt, und von reicher Frucht grünt, der (wie man sagt) noch immer den alten Namen Scotia trägt. Schottland, das in alter Zeit beherzt den Glauben annahm, in Ehrfurcht pflegte und allenthalben des Himmels würdige Frauen und Männer hervorbrachte. Unter diesen hält jener berühmte Koloman den ersten Rang, hervorleuchtend schon von zarter Jugend an, ein Glaubensstreiter, beständig auf dem Pfad eines strengen Lebens.
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Sittlich gebildet durch die Mühe der Eltern, erstrahlte er in der Blüte der unsicheren Jugend, wissend um die Vorteile körperlicher Keuschheit und Ausdauer. Als dieser die eitlen Mühen der Menschen durchschaut und erkannt hatte, dass unseren Lebenslauf ungewisse Ziele (?) und die unwiederbringliche Zeit im Wandel antreiben, und er an Christi Leben und elenden Tod dachte, durch den das Menschengeschlecht zu den ihm bestimmten himmlischen Wohnsitzen zurückkehrte aus dem Schlund der Hölle, da wies er von sich die nichtigen Ehren des Pöbels reiche Tafeln und bunte Gewänder, voll Abscheu vor Silber, nicht verführt vom Wert rotglänzenden Goldes, in nichts strebte er nach nach öffentlicher Anerkennung, oft suchte er entlegene Abgeschiedenheit auf, um sich zu den klaren Sternen aufzuschwingen ruhigen Sinns hingestreckt im Schatten einer ärmlichen Hütte, obwohl er gesegnet war an allen Gütern in Fülle und reich durch das ererbte Vermögen der Eltern, ein eifriger Nachahmer auf dem Weg der Apostel, auf dem sich jene zum Himmel begeben, die reine Frömmigkeit und Glaube bekleidet und ein einfaches Leben. Wie jene Christus ergebene Schar, erneuert durch das Feuer des heiligen Geistes, sich auf Wanderschaft begibt, um das Wort mit jungfräulichem Sinn zu verkünden, und sich (vom Geist) durch das Land der Inder treiben lässt am Rand der Welt, durch das Land der schwarzen Äthiopen und Libyer, die kältestarren Provinzen Galliens, des diesseitigen und jenseitigen (?), und das Reich der Lyder, so zieht der heilige Koloman aus durch die Gebiete des der Heimat näheren Europa, allein und ohne Sprachkenntnis durchwandert er waldige Landstriche. Nach der Überfahrt über das blaue Meer eilt er hierher, wo Einwohner mit viel Spürsinn ihre Schritte setzen, solange das Meer Harz von einem unbekannten Baum herbeiträgt118;
118 Es ist wohl nicht die Bernsteinstraße gemeint, sondern mit Bezug auf Tacitus, Germania 45 das Küstengebiet der bernsteinsammelnden Aestii an der Ostsee.
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von dort wandert er durch dichtbevölkertes Gebiet und sucht die Schluchten des hercynischen Waldes auf, schaurig düster und starrend von Felsen und Bäumen, immer ins Gebet vertieft und wachen Sinnes bis in die tiefste Dunkelheit, nie vergessend auf den Erlöser und die Apostel. Während er bei sich die wechselvolle Reise überdenkt und Gefilde eines besseren Landes sucht, betritt er zufällig die pannonischen Waldungen und lieblichen Länder. Diese hatten damals wilde Menschen als Einwohner, die nach der Art von Ziegen reißenden Wölfen lebten; nur die Herzen weniger bewegte Gastfreundschaft gegenüber Fremden. Die Ursache war der Krieg, den Mars in das Gebiet beider Pannonien gebracht hatte, Mars, der sich am Morden freut und immer nur in seinen glänzenden Waffen froh ist. Dadurch ist das wilde Volk zu jedem Verbrechen bereit und denkt nicht an die Strafe der Götter, nicht an das schwarze Gesetz, sondern verwickelt zu einem Knoten Recht und Unrecht. Von solchen Menschen (?) wird Koloman ergriffen, dort wo der gewundene Hister die vom Krieg beschwerten Noriker verlässt und den Kahlenberg sanft fließend bespült, dort wird der von Verbrechen reine Wanderer aufgegriffen – weil er (zu allem schweigend) als der Sprache unkundig aufgefallen war – unter dem Verdacht, er sei ein Verräter. In der Krone einer weitausladenden Eiche hängen sie den Diener des Glaubens auf und schnüren ihm mit einem grünen Seil die Kehle zu, die nie unrechte Worte gesprochen hat. Nicht lange blieb schließlich die bewährte Rechtschaffenheit verborgen, er ist durch vielfältige Gunst des Himmels berühmt, auch heute noch durch viele Zeichen an seinem heiligen Leichnam. Zurecht hat man sich mit Gebeten an den Martyrer gewandt und verehrt nicht weniger die Gebeine in Kirchen, weil er weltliche Gelüste als siegreicher Held überwand. Dies leistet Tugend, die keinen Tod kennt, wenn sie nur zusammen mit dem reinen Glauben auftritt. Dies leistet wachsame Sorge und Mühe im hinfälligen Leben.
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Während die sapphische Strophenform der Konvention entspricht, ist die inhaltliche Gestaltung bzw. die Schwerpunktsetzung in der Vita des Heiligen durchaus auffällig. Schnell zeigt sich ein scheinbares Missverhältnis: Dem Leben Kolomans in der Heimat, das am Ausgangspunkt der Kolomantradition bei Erchenfried keine Beachtung findet und später ausschließlich in Hinblick auf seine (königliche) Abstammung interessiert119, sind zwölf Strophen von insgesamt 28 gewidmet. Sieben weitere schildern Aufbruch und Wanderschaft: Diese ist freilich nicht traditionell als Jerusalemreise deklariert, sondern als Nachfolge der Apostel, deren missionarische Tätigkeit (v. 51 docendi … verbum) in zwei Strophen ausgeführt ist – möglicherweise ein Reflex von Erchenfrieds Praefatio, die die beispielgebende Weltverachtung des Petrus hervorhebt120. Der Widerspruch, dass sich Koloman aufgrund mangelnder Sprachkenntnis (v. 59 expers … linguae) nicht zum iroschottischen Wanderprediger stilisieren lässt, wird in Kauf genommen121. Das Martyrium erhält sechs Strophen, wobei jedoch vier den politischen Hintergrund erklären und die eigentliche Passio auf zwei Strophen beschränkt ist122: Berichtet wird nur das Aufgreifen, der sich aus Kolomans Schweigen ergebende Verdacht und die Hinrichtung, für die untypisch eine Eiche genannt ist123. Anstelle von im Detail ausgeführten grausamen Torturen wird die Todesart als verfehlte Strafe charakterisiert, da sie (das Prinzip der Talion pervertierend) mit der Kehle jenes Organ betrifft, das sich gerade nichts zuschulden kommen ließ (v. 99f. guttur elidunt, quod inepta nunquam verba locutum est). Drei Strophen ziehen gleichsam das Resüme: Auf Wunder als Zeugnis von Kolomans Unschuld und an seinem Grab wird summarisch verwiesen, ohne dass eines erzählt oder auch nur identifizierbar würde. Wenn es abschließend heißt, dass Tugend ihren Wert durch die Verbindung mit dem christlichen Glauben erhalte (v. 110 dummodo purae fidei comes sit), wird Kolomans Geltung als Märtyrer expliziert – nach der vorausgehenden Gewichtung muss man verstehen: als eines Glaubenszeugen durch sein ganzes Leben, nicht nur dadurch, dass er auf der Pilgerschaft einem falschen Verdacht zum Opfer fiel. Nimmt man Vadians Autorschaft für gegeben, so scheint es verlockend, in den skizzierten Besonderheiten seine spätere Entwicklung vorweggenommen zu sehen, sie würde sich damit freilich sehr früh abzeichnen, da doch eine Entstehung der Ode während Vadians 119 Niederkorn-Bruck, Koloman 264 –278. 120 Princeps apostolorum Petrus audiens a Domino, mundi contemptores centuplo remunerandos hic emolumento et in futuro vitam eternam possessuros cum Christo, multas asseclarum copias sue conversionis acquisivit exemplo. 121 Auch Cuspinian hebt die besondere Religiosität der ,Schotten‘ hervor: Austria (wie Anm. 6) 665 Colomannus natione Scotus, quae natio olim admodum religiosa. 122 Wenn sich hier mit v. 76 forte das casu von Christans Sequenz Letabundus fidelis wiederfindet, so passt dies nicht schlecht zur Akzentuierung, dass der gewaltsame Tod nur ,beiläufig‘ zu einem heiligmäßigen Leben tritt. 123 Robur bezeichnet in der Regel das harte Eichenholz. Die Stockerauer Tradition kennt eine Holunderstaude, die noch heute im Kloster St. Koloman gezeigt wird.
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Zeit in Wien (d. h. bis 1518) am wahrscheinlichsten ist. Das Zurückdrängen des Martyriums – das historisch gesehen ja für Kolomans Stellung in Österreich entscheidend war – lässt sich jedoch auch aus den schon skizzierten Überlegungen zu Kolomans fehlender Sprachkompetenz herleiten: In letzter (freilich weder von Ebendorfer noch von Chaemraer gezogener) Konsequenz müsste sie ja zur Entwertung von Kolomans Tod führen, der sich als bedauerliches Missverständnis erweist. Der Gefahr einer solchen Dekonstruktion des Märtyrers steuert die Ode entgegen: Das Zeugnis im Tod, wie es der gewöhnlichen Auffassung von Martyrium entspricht, wird gleichsam aufgewogen durch ein Lebenszeugnis124. Im Gegensatz zu Stabius wird man die Möglichkeit, dass die Ode Interessen eines Kultortes propagieren sollte, kaum in Betracht ziehen, da der Text weder Stockerau noch Melk nennt. Bestenfalls die Hervorhebung von Kolomans königlicher Herkunft gerade durch die Beschreibung seines asketischen Lebens würde den Melker Bestrebungen um eine Aufwertung ,ihres‘ Heiligen entsprechen. Sonst ist die überlieferte Vita kaum präsent, da weder die Tortur noch die Hinrichtung im Detail ausgeführt wird. Dagegen fügt sich die Ode mit der Betonung der Sprachbarriere gut zu der an der Universität Wien favorisierten Erklärung. Bleibt sie bewusst in einem ,literarischen Raum‘ – zumal sie auch den Landesfürsten nicht einbindet? Da die Priorität einer Poetisierung der aus der gottesdienstlichen Praxis bekannten Vita größere Wahrscheinlichkeit für sich hat als umgekehrt ihre Vernachlässigung, könnte man die Ode auch als Reaktion auf Stabius lesen. Überrascht die Aufnahme der Koloman-Ode in Polzmanns Compendium, so ist umgekehrt verwunderlich, warum der damit prinzipiell leicht auffindbare Text – Polzmanns Compendium musste jedem, der zu österreichischen Landesheiligen forschte, bekannt sein – in späterer Literatur zu Koloman zugunsten des Torsos der Stabius-Ode ignoriert wird. Diese Rezeption, so könnte man mutmaßen, gründet in der Eigenart der jeweiligen Dichtung. Nur Stabius war als poetische Umsetzung der autoritativen Vita in einem Heiligenkompendium brauchbar – selbst in der unvollständigen Form, ohne die Fortführung der narratio bis zur translatio des Leichnams nach Melk. Dagegen konnte Koloman neben Leopold leicht übersehen werden, weil man ihn an dieser Stelle nicht erwartete, – aber auch, weil er sich in dieser spezifischen Gestaltung nur wenig von ihm abhebt: Die Zurückdrängung des Martyriums lässt aus Koloman einen heiligen Bekenner von hohem sozialen Rang werden. Möglicherweise war diese Angleichung an Leopold sogar vom Verfasser beabsichtigt. Während Stabius mit Celtis’ Sebaldus-Ode wetteiferte, könnte der Verfasser dieser Ode (Vadian?) auf Panaetianus geblickt haben. In Koloman werden dieselben Ideale verwirklicht gesehen wie in Leopold:
124 Es ist noch zu prüfen, inwieweit derartige Überlegungen implizit schon Ebendorfers Festpredigt Iustum deduxit Dominus zugrunde liegen, in der die unterschiedlichen Grade bzw. Möglichkeiten des Blutzeugnisses diskutiert werden: Clm 14123, fol. 362v–363v.
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Panaetianus v. 37–44 Inter amfractus varios sub orbe Semitam strictam pedibus secutus Et viam iustam domini capescens pectore toto. Preterit mundi tumidos honores, Querit aeternas habitare sedes, Fata sub celis ubi sunt quieta numine sacro. Zwischen den vielen Irrwegen hier herunten auf der Welt folgt er zu Fuß dem geraden Pfad, schlägt den gerechten Weg des Herrn ein mit ganzem Herzen; er geht vorbei an den aufgeblasenen Ehren der Welt, sucht Wohnung zu nehmen an den ewigen Wohnsitzen, wo unter dem Himmel das Schicksal keine Unruhe mehr stiftet durch Gottes heiliges Walten.
Leopold schlägt im Labyrinth der Welt den geraden Weg der Gerechtigkeit ein, Koloman den der Askese (v. 19f. rigidaeque constans tramite vitae) bzw. den der Apostel (v. 46 solers in semitam apostolorum); Leopold verachtet die Aufgeblasenheit weltlicher Ehren, Koloman weist eitle Ehren zurück (v. 33 reppulit vulgi vacuos honores) und macht vom ererbten Reichtum keinen Gebrauch. Während die Himmelssehnsucht des Fürsten auch eine Sehnsucht nach Ruhe vor den Wechselfällen des Schicksals ist, findet Koloman innere Ruhe bereits auf Erden, im Rückzug in die Einsamkeit einer Einsiedelei, wo er sich geistig zum Himmel aufschwingt (v. 38 Creber abductas petiit recessus / Limpida ut sese super astra ferret / Mente quieta). Auch wenn es sich um Stereotypen heiligmäßigen Lebens handelt, sind die Parallelen auffällig, gerade weil sie in der Überlieferung für Kolomans Heiligkeit nicht zentral sind. Sollten hier alter und neuer Landespatron einander angeglichen werden? Wollte ein Humanist der Aufforderung des Panaetianus in modifizierter Form nachkommen und statt Leopold culcius zu besingen, zeigen, dass die Dichtung des Panaetianus mit einem ,modernisierten‘ Koloman zu übertreffen war? Die Frage muss offen bleiben.
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Abb. 1: Albrecht Dürer (zugeschrieben), Hl. Koloman – Johannes Stabius, Ode auf den hl. Koloman, Einblattdruck, Nürnberg: Weissenburger 1513. (Abb. nach: The illustrated Bartsch, Band 12: Hans Baldung Grien, Hans Springinklee, Lucas von Leyden. Engravings and etchings, woodcuts, ed. James Marrow, New York 1981, Nr. 87).
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Abb. 2: Hl. Sebaldus, aus: Conrad Celtis, Amorum libri, Nürnberg 1502, p8r (Wien, Universitätsbibliothek II-248.435).
Vornbacher und Babenberger Die Beziehungen der Grafen von Vornbach zu Melk im 11. und 12. Jahrhundert
Klaus Lohrmann
Es besteht kein Zweifel daran, dass die sogenannten Grafen von Vornbach vom Ende des 10. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts einen bedeutsamen Machtfaktor in der Mark der Babenberger darstellten. Der Raum der Herrschaftsbildung der Mitglieder des Geschlechtes selbst und ihrer teils einflussreichen Gefolgsleute war das östliche Bayern. Vom Inn ostwärts entstanden Herrschaftszentren, deren Bedeutung im Verhältnis zur markgräflichen Herrschaft der Babenberger noch ungenügend erfasst ist. Hier ist auch nicht der Ort, dazu generell Stellung zu nehmen. Vielmehr geht es darum, am Beispiel des für die Traditionen des Werdens der babenbergischen Herrschaft wichtigen Stift Melk diesem Verhältnis an einem zentralen Punkt nachzugehen. Die schriftliche Entwicklung der Melker Traditionen, die sich mit den herrschaftlichen Beziehungen der Babenberger zu Melk und dem dazugehörigen spirituellen Traditionskern mit der auf Tatsachen beruhenden Legende des heiligen Koloman beschäftigen, begann in intensiver Form nach der Wahl Erchenfrieds zum Abt 1121. Man schrieb die Melker Annalen und die Passio des Heiligen nieder, wobei die uns überlieferte Fassung wohl die Bearbeitung einer älteren Version ist. Ferner entstanden in seiner Zeit als Abt einige Weihenotizen für Pfarrkirchen im Melker Besitz und der sogenannte Stiftsbrief, der auf 1113 datiert ist, die hinsichtlich der Chronologie der Ereignisse in und um Melk zu Beginn des 12. Jahrhunderts einige nach wie vor aufklärungsbedürftige Widersprüche enthalten. Auch die in diesen Urkunden und gleichzeitigen Traditionsnotizen enthaltenen Hinweise auf Schenkungen und Tauschgeschäfte wurden bereits kritisch untersucht. Diese ‚überarbeiteten‘ Berichte und Parallelquellen haben Misstrauen bezüglich der Vorgänge um die Berufung von Benediktinern nach Melk 1089 ausgelöst, vor allem gegenüber der von der Tradition betonten Rolle der Babenberger als Stifter. Karl Lechner hat in zwei Untersuchungen zu den Anfängen Melks und zu seinem ältesten Besitz die Beziehungen der Vornbacher zum Kloster deutlich gemacht und einen
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weitreichenden Schluss gezogen, der hier zitiert werden soll: „… die Beziehungen des Klosters Melk sind in den ältesten Zeiten zu den Grafen von Formbach-Kreuzenstein und von Ratelnberg weit enger als zu den Babenbergern ! Von ihnen stammt die älteste Schichte des nachweisbaren ältesten Besitzes. Ist es nicht doch das Ausstattungsgut des vorbabenbergischen und vorbenediktinischen (1089) Stiftes?“ Ferner meinte er, dass der ursprüngliche Besitz des Eichstätter Bistums in der Mark während des Investiturstreits nicht über die Babenberger an Melk gekommen sei, sondern auf anderem Wege. Im Zusammenhang der Argumentation deutet dieser stillschweigende Hinweis wieder auf die Vornbacher.1 Die Hypothesen haben keine umfassende Diskussion ausgelöst, haben aber kritische bis zustimmende Bemerkungen im Zusammenhang anderer Fragestellungen erhalten, die sich auf die Gründung von Klosterneuburg oder die Diskussion einzelner Urkunden zur Melker Frühgeschichte (Ernestinum bis zu den Weiheurkunden) bezogen.2 Ausgangspunkt der vorliegenden kritischen Auseinandersetzung mit ausgewählten Einzelheiten der Hypothesen Lechners ist der von ihm m. E. unterschätzte Umstand, dass der Melker Babenberger Tradition unbestreitbar Fakten zugrunde liegen und eine in den vergangenen Jahrzehnten entwickelte spezifische Vorstellung des Werdens der landesfürstlichen Herrschaft in der Zeit Leopolds II. und Leopolds III., die einige Fragen zur Geschichte der ersten Äbte von Melk und zur Neugestaltung der Machtverhältnisse in der Mark 1121/22 in ihrer Bedeutung erstmals erkennen lässt.
1
Vorbemerkung: Die Bände der Monumenta Germaniae Historica sind im Folgenden zitiert als MGH (SS = Scriptores, Necr. = Necrologia). Die Bände des Babenberger Urkundenbuches als BUB. Karl Lechner, Beiträge zur ältesten Besitzgeschichte des Klosters Melk, in: JbLkNÖ NF 36/1 (1964), S. 111–141, das hier zitierte Resümee S. 140; die ältere, den sich auf Melk beziehenden Quellenbestand kritisch referierend und überdenkend: ders., Die Anfänge des Stiftes Melk und des St. Koloman-Kultes, in: JbLkNÖ NF 29 (1948), S. 47– 83. 2 Lechners These wurde übernommen bei der Kommentierung von BUB IV/1 Nr. 587. Kritischer in den letzten Jahren: Niederösterreichisches Urkundenbuch, Erster Band 777 bis 1076, bearb. von Maximilian Weltin und Roman Zehetmayer (=Publikationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, St. Pölten 2008), künftig: Niederösterreichisches Urkundenbuch 1, S. 418 ff.: Kommentar zu Nr. +34 (Ernestinum) mit zusammenfassender Darstellung der ältesten Geschichte Melks. Weiters: Niederösterreichisches Urkundenbuch, Zweiter Band (1078–1158), bearb. von Roman Zehetmayer, Dagmar Weltin und Maximilian Weltin (St. Pölten 2013), künftig: Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 412 – 447 Nr. 11 – Zum Fälschungskomplex der Weiheurkunden Günter Katzler, Die Urkunden des Augustiner-Chorherrenstifts St. Georgen a. d. Traisen. Von seinen Anfängen bis 1201. Edition und Kommentar (Magisterarbeit Univ. Wien 2009), S. 54.
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Die Babenberger und Melk – Tradition und Wirklichkeit Schon der erste Markgraf soll eine starke Burg (castrum munitissimum) auf dem Melker Höhenrücken zerstört und nach der Vertreibung des mächtigen Burgherren (homo potentissimus), dessen Name nicht bekannt ist, eine Kirche für zwölf Kleriker errichtet haben, um einen Neubau der Anlage zu verhindern.3 Offenbar verzichtete Leopold I. auf die eigene Befestigung des Berges durch eine Burg. Repräsentation und Schutz konnte ja auch die Kirche bei entsprechender Ausstattung bieten. Es erhebt sich demnach die Frage, ob vor der Berufung der Benediktiner auf dem Melker Berg überhaupt eine Burg bestand und wenn dies der Fall war, wann sie erbaut wurde? Ein castrum existierte nachweisbar 1160.4 Die Grablege der Babenberger und die Verehrung des Koloman in Melk (wohl beides in der Peterskirche) machen aber einen befestigten Wohnsitz der Markgrafen wahrscheinlich. Berichtet wird über die Gründung der älteren Kirche im sogenannten Breve Chronicon Mellicense, in dem der Melker Autor Leopold V. die Bedeutung seiner Vorfahren näher bringt. Die Darstellung reicht bis zum Jahre 1157 und bezieht noch Informationen zu bestimmten Begleiterscheinungen bei der Erhebung Österreichs zum Herzogtum mit ein.5 Der Hinweis von Ursula Peters, dass die Chronik schon bald nach 1157 entstanden sein könnte, deckt sich mit den älteren Datierungsvorschlägen und lässt sich recht gut in die ‚psychischen‘ Folgen einfügen, die das Jahr 1156 in der Familie ausgelöst hat.6 Aus Bemerkungen des Babenbergers Otto von Freising kann man auf die Erbitterung schließen, mit der Herzog Heinrich um seine bayerische Stellung kämpfte.7 Die kleine 3 MGH SS 24, S. 70 Z. 33 ff. In der Erklärung für die Ansiedlung der Geistlichen heißt es, dass damit die neuerliche Anlage einer Burg verhindert werden sollte. Heide Dienst, Regionalgeschichte und Gesellschaft im Hochmittelalter am Beispiel Österreichs (=MIÖG Erg.-Bd. 27, Wien, Köln 1990), S. 87 f.; Max Weltin, Probleme der mittelalterlichen Geschichte Niederösterreichs, in: Maximilian Weltin, Das Land und sein Recht. Ausgewählte Beiträge zur Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, hg. von Folker Reichert und Winfried Stelzer (=MIÖG Erg.-Bd. 49, Wien, München 2006), S. 436 – 486, S. 459 f. Die nunmehrige Lesung Siho ist ebenfalls problematisch, da nur die zweite Silbe „ho“ im 12. Jh. geschrieben wurde. 4 Edmund Kummer, Die St. Peterskirche auf dem Melker Stiftsfelsen, in: Unsere Heimat 36 (1965), S. 8–14, S. 10 mit Bezug auf Willibrord Neumüller, Ein Melker Fragment alter Mönchsgewohnheiten, in: MIÖG 62 (1954), S. 219–237, S. 232. In den Consuetudines-Fragmenten heißt es: At ubi ante castrum venerint, si sit locus ut diximus, incipiant cantores Gloria laus. Etwas fragwürdig erscheint allerdings die Erstellung eines Modells des „fürstlichen Wohnhauses“. 900 Jahre Benediktiner in Melk. Jubiläumsaustellung 1989 (Melk 1989), S. 29 Nr. 4.07. 5 Alfons Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs (=MIÖG Erg.-Bd. 19, Graz, Köln 1963), S. 224 f. 6 Ursula Peters, Dynastengeschichte und Verwandtschaftsbilder. Die Adelsfamilie in der volkssprachlichen Literatur des Mittelalters (Tübingen 1999), S. 101 f. 7 Ottonis et Rahewini gesta Friderici I. imperatoris. Hg. von G. Waitz (MGH Script.rerum Germ. in vs. scol. 46, 3 Hannover, Leipzig 1912) cap. II/7, S. 107. König Friedrich wollte den Streit sine sanguinis effusione beenden. Heinz Dopsch, Die Länder und das Reich. Der Ostalpenraum im Hochmittelalter, hg. von Herwig Wolfram
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österreichische Chronik bietet gewissermaßen als Gegengewicht eine glanzvolle Darstellung der Leistungen der Vorfahren Leopolds V., die im Sinne der von Abt Erchenfried begründeten Tradition abgefasst wurde. Zur Begründung dieser Tradition gehört auch die Entwicklung des Koloman-Kultes. Besonders deutlich wurde die Rolle des Markgrafen Heinrichs I. in der Passio Cholomanni beschrieben. Nachdem er von den Wundern gehört, die Koloman bewirkt hatte, ließ er den Leichnam exhumieren und nach Melk bringen.8 In der Chronik wird die Sache kürzer behandelt – die Erwähnung Markgraf Heinrichs dient vor allem der näheren Datierung der Ereignisse.9 Trotzdem wird dem Empfänger der Schrift, Leopold V., ausdrücklich erklärt, dass Heinrich, sein tritavus, also sein Ur-ur-ur-Großonkel war. Die energische Verbreitung des Koloman-Kultes scheint auf den Melker Abt Erchenfried (1121–1163) zurückzugehen, der als Bearbeiter einer älteren Fassung der Passio gilt.10 Es ist zu vermerken, dass die Melker Annalen im Bericht über das Begräbnis Kolomans in Melk auf eine Beteiligung Markgraf Heinrichs nicht eingehen.11 Kolomans tragisches Schicksal war bereits Anfang des 11. Jahrhunderts bekannt, denn der fast zeitgenössische Bericht des Thietmar von Merseburg enthält einige Einzelheiten, die zum späteren Kult gehörten und vor allem die Nachricht über die Umbettung des Leichnams nach Melk. Heinrich habe den Leichnam in Melk bestattet.12 Die Chronik und die Passio erwecken bei gemeinsamer Betrachtung beider Aufzeichnungen den Eindruck, dass beginnend mit der Zeit Erchenfrieds eine Tradition gepflegt oder ausgebildet wurde, nach welcher die Geschichte Melks mit jener der Babenberger verknüpft wurde. Die Mitwirkung des Abtes Erchenfried an der neuen Ausformulierung der Passio gibt konkrete Anhaltspunkte für die Datierung des gesamten Vorgangs der Traditionsbildung. Denn Erchenfried war auch die treibende Kraft hinter der Abfassung der in Melk entstandenen Annalen. Es spricht einiges dafür, dass er wesentlich an der Produktion von schriftlichen Aufzeichnungen beteiligt war, die uns Auskunft über schwierig zu erfassende Vorgänge um die Melker Besitzverhältnisse zu Beginn des 12. Jahrhunderts geben. (Das scheint mir die korrekte Charakterisierung jener Urkunden zu sein, die man als „Fälschungskomplex“ bezeichnet.) (=Österreichische Geschichte 1122–1278, Wien 1999), S. 141 mit dem Hinweis, dass die Babenberger einen schweren Verlust erlitten hatten. 8 MGH SS 4, S. 676 Z. 44 ff. 9 MGH SS 24, S. 71. Kolomans Martyrium wird 1012 datiert und dabei wird auf die Regierungszeit Heinrichs II. und Markgraf Heinrichs verwiesen. 10 Meta Niederkorn-Bruck, Der heilige Koloman. Der erste Patron Niederösterreichs (=Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 16, Wien 1992), S. 26f. 11 MGH SS 9, S. 497 zum Jahr 1014 12 Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung. Hg. von Robert Holtzmann (MGH Script. rerum Germ. Nova series 9, Berlin 1935), cap. 76 (54) zu 1017: Hoc marchio Heinricus ut comperit, corpus eiusdem in Mezilecun sepelivit.
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Erchenfried wusste über diese Dinge genau Bescheid, da er schon als Prior an Tauschgeschäften mit Klosterneuburg beteiligt war – zumindest wird er als „dabei stehend“ bezeichnet.13 Als Erchenfried 1121 Abt wurde, war sein Vorgänger Engelschalk nicht verstorben, sondern zurückgetreten oder gar abgesetzt worden.14 Mit seiner Wahl und seinem Amtsantritt sind also auffällige Faktoren verbunden: ein unter nicht bekannten Umständen aus dem Amt scheidender Vorgänger und ein ungewöhnlicher Namenswechsel: Es heißt nämlich in der erwähnten Aufzeichnung des Klosterneuburger Schenkungsbuchs, die sich auf das Jahr 1117 bezieht, dass der Melker Prior, der später unter dem Namen Erchenfried Abt wurde, bei einem Geschäft zwischen dem Stift Melk und dem Klosterneuburger Kanoniker Opold anwesend war. Die Namen der dabeistehenden Mönche sind abhängig von der Stilisierung asstante im Ablativ angegeben; entsprechend finden wir auch priore im Text. Im folgenden Relativsatz wird dieser Prior näher identifiziert: qui postea abbas effectus est nomine Erchinfridus. Hätte er schon als Prior so geheißen, wäre priore ... Erchinfrido die korrekte Formulierung gewesen.15 Änderungen des Namens bei der Abtweihe sind selten, aber doch vereinzelt nachzuweisen. Die Annahme des Namens Erchenfried deutet auf ein Vorbild. Zeitlich und räumlich am nächsten steht der Göttweiger Konverse Erchenfried, der es bis zum nomen abbatis gebracht hatte und als Stellvertreter des Abtes Hartmann wirkte, als dieser in Kempten engagiert war.16 War der Melker Erchenfried etwa auch ein erfolgreicher Konverse? Eher möchte ich annehmen, dass die Annahme dieses Namens auf Göttweiger Einflüsse in Melk hindeutet. Hinsichtlich der verfälschten Aufzeichnungen wäre es aufschlussreich zu wissen, ob Erchenfried noch zu Lebzeiten des Passauer Bischofs Ulrich I. (vor dem 7. August 1121) oder danach gewählt wurde. Unstimmigkeiten bestehen hinsichtlich des Amtsantritts von Erchenfrieds Vorgänger, Engelschalk. In den Melker Annalen wird zum Jahre 1116 berichtet: Sigiboldus abbas Medilicensis obiit; Engilschalcus successit.17 Hingegen wird Engelschalk schon 1108 13 Maximilian Fischer, Codex traditionum ecclesiae collegiatae Claustroneoburgensis (=Fontes rerum Austriacarum II. Abtheilung, Band 4, Wien 1851), künftig: FRA II/4, Nr. 21. 14 MGH SS 9, S. 501 Z. 25 zum Jahr 1121 Erchinfridus abbas eligitur, aber erst zu 1131 Engilscalcus Medilicensis abbas obiit. Vgl. dazu die Eintragung im Nekrolog MGH Necr. 4, S. 554 zum 23. Mai. In der Anmerkung der Hinweis 1121 depositus. 15 FRA II/4, Nr. 21. Der Herausgeber Fischer kommentiert den Text auch in diesem Sinne. Einige allgemeine Hinweise zur Namensänderung bei einer Weihe zum Abt gibt Gertrud Thoma, Namensänderungen in Herrscherfamilien der mittelalterlichen Europa (=Münchner historische Studien Abteilung mittelalterliche Geschichte Band 3, Kallmünz 1985), S. 21. 16 MGH SS 12, S. 242; Klaus Lohrmann, Göttweig zwischen Bischof und Adel. Herrschaft im Südosten des Reiches zur Zeit der Bischöfe Altmann und Ulrich I., in: Die virtuelle Urkundenlandschaft der Diözese Passau. Vorträge der Tagung vom 16./17. September 2010 in Passau, hg. von Adelheid Krah und Herbert W. Wurster (=Veröffentlichung des Instituts für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen der Universität Passau Band 62, Passau 2011), S. 105 –129, S. 118. 17 MGH SS 9, S. 501, Z. 15
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als Abt genannt.18 Als Erklärung wird meist angegeben, dass Sigibold mehreren Klöstern als Abt vorstand und er daher einen sozusagen geschäftsführenden Abt in Melk brauchte, wie wir das ja auch am Beispiel des Erchenfried in Göttweig gesehen haben.19 Zugleich mit Erchenfrieds Wahl setzen in Melk literarisch-politische Bemühungen ein, den maßgeblichen Einfluss in der Melker Vergangenheit, insbesondere bei der Gründung des Benediktinerstiftes 1089, den Babenbergern zuzuschreiben. Die von Melk gepflegte Vorstellung von einem freundlichen und günstigen Klima zwischen dem Kloster und den Babenbergern wurde von Karl Lechner und Heide Dienst mit den Problemen konfrontiert, mit denen sich Melk als Folge der Gründung Klosterneuburgs herumschlagen musste.20 Die Verarbeitung dieser Folgen in Melk beginnt in einer Zeit, da es deutliche Hinweise für Veränderungen der Machtverhältnisse in der Mark gibt, die sich zu einem beträchtlichen Teil aus dem Göttweiger Quellenmaterial erkennen lassen. 1122 gaben die nach Radlberg genannten Vornbacher die Vogtei über Göttweig auf und Adalbert, der älteste Sohn Leopolds III., ist von da an in dieser Funktion nachweisbar. Diese Veränderung war vielleicht schon im August 1121 bekannt, als vermutlich Konrad von Radlberg, der Sohn des ersten Göttweiger Vogtes Ulrich starb (Todestag 28. August).21 Um diese Zeit (1120/21) führte Leopold III. einen entscheidenden Prozess um den reichen Besitz des in der Umgebung von Kottes begüterten Waldo. Waldos Gefolgsleute vollzogen nun einen Wechsel zum Babenberger, der sich schon einige Jahre zuvor angedeutet hatte. Auch im südlich davon gelegenen Gebiet um die Wehrkirche von Ranna griffen die Babenberger erstmalig die Herrschaftsstellung der dort dominierenden Herren von Grie an. Teilweise stellt die genaue Datierung dieser Ereignisse ein Problem dar.22 Beide Fälle können als Eingriffe Leopolds III. in Herrschaftsstrukturen gedeutet werden, die unter dem Einfluss der Grafen von Vornbach entstanden waren. Wir können zunächst nur darauf aufmerksam machen, dass der unter auffälligen Umständen verlaufende Wechsel in der Melker Abtswürde von Engelschalk zu Erchenfried zu einem kritischen Zeitpunkt stattfand und mit dem neuen Abt unmittelbar nach seinem Amtsantritt eine umfangreiche Schriftstellerei und nachträgliche Aufzeichnung von Rechtsgeschäften zur höheren Ehre der Babenberger einsetzte. 18 Weiheurkunde Wullersdorf, in: Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 417 ff. Nr. 11,3. 19 Die mehrfache Abtsfunktion Sigibolds erwähnt im Lambacher Abtkatalog der Vita Adalberonis MGH SS 12, S. 136, Z. 15: Sigiboldus abbas eo de medio facto successit, qui plures rexisse abbatias fertur, inter quas et Medeliccam tenuit. 20 Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 3), S. 86 ff. 21 MGH Necr. 3, S. 234. 22 Zu diesen Ereignissen habe ich eine demnächst erscheinende Studie Herrschaftsverhältnisse in der Grie 1070 bis 1170 abgeschlossen.
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Anknüpfen konnte diese Tätigkeit an die Tatsachen, dass Koloman wirklich in Melk begraben war und sich dort eine oder mehrere Grablegen der Babenberger befanden. Die Untersuchung der in der Barockzeit in einem Sarkophag aufbewahrten Knochenreste in den späten sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ergab konkrete Identifizierungen. So wurden zwei etwa 1, 80 Meter große Skelette als die der Markgrafen Adalbert (gest. 1055) und Ernst (gest. 1075) erkannt.23 Das Vorhandensein dieser Skelette in Melk beweist, dass die Babenberger tatsächlich schon vor der Gründung des Kloster 1089 in einem engen Verhältnis zu Melk und zur dortigen Peterskirche standen. Nicht sehr wahrscheinlich klingt die der Skepsis entspringende alternative Möglichkeit, dass Erchenfried die andernorts begrabenen Markgrafen und andere Familienmitglieder im Rahmen eines großangelegten Propagandafeldzuges nach Melk hätte bringen lassen. Gab es auch faktisch gesicherte Anknüpfungspunkte, gibt das 1121–1123 und später entstandene Melker Schrifttum zu denken und lässt eine Sicht der Ereignisse der älteren Geschichte Melks möglich erscheinen, die Karl Lechners Überlegungen noch einmal zur Diskussion stellt. Die Widersprüche von Tradition und historischer Detailforschung lassen es gerechtfertigt erscheinen, sich die Frage vorzulegen, was in Melk um 1100 tatsächlich vorging?
Die ersten Äbte von Melk Zunächst scheint es zweckmäßig, unser Augenmerk auf die ersten Melker Äbte zu richten. Die bereits festgestellten Auffälligkeiten bezüglich der Chronologie und des Abtwechsels 1121 könnten ihre Gründe in der Entwicklung der Herrschaftsverhältnisse haben oder aber in der Organisation des Benediktinerstiftes im Sinne der verschiedenen Formen der Klosterreform. Schon eine oberflächliche Betrachtung der in Melk wirksamen Einflüsse zeigt, dass eine schematische Betrachtung im Sinne von Junggorzern und Jungcluniazensern nur zu realitätsfremden und daher falschen Ergebnissen führen kann. Dazu ein bezeichnendes Beispiel: Abt Erchenfried wird in einer Klosterneuburger Schenkungsurkunde von 1117 als Melker Prior bezeichnet.24 Da er hier im Kreise anderer Mönche aus Melk genannt ist, bekleidete er unter Abt Engelschalk das Amt des Großpriors. Aus den Ausführungen von Kassius Hallinger geht hervor, dass in Hirsau noch vor dem Abschluss der siebziger Jahre des 11. Jahrhunderts die Dekanie (als „Stellvertretung“ des Abtes) abgeschafft und durch die Prioratsverfassung ersetzt wurde. Fraglich bleibt, ob Hal23 1000 Jahre Babenberger in Österreich (=Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, Neue Folge Nr. 66, Wien 21976), S. 231–235. 24 FRA II/4, Nr. 21.
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linger hier vom Großpriorat spricht oder von den Prioren, die den von Hirsau aus erfassten Reformgemeinschaften vorstanden.25 Noch deutlicher formuliert Hallinger in seinen weiteren Bemerkungen, dass die von Gorze geprägten Gemeinschaften zäh an der alten Dekanieverfassung festhielten.26 Aus der Nennung eines Großpriors würde sich der Schluss ergeben, dass die Hirsauer Reform sich zur Zeit des Abtes Engelschalk in Melk entfaltet habe, denn Engelschalk kam aus Admont, wo eingebettet in komplexe Strukturen Hirsauer Einfluss wahrscheinlich zu machen ist.27 Engelschalk traf in Melk auf die von Abt Sigibold vertretene Richtung, die über Münsterschwarzach und Lambach nach Melk gelangt war.28 Dieses schematische Modell geht an den tatsächlichen Problemen vorbei und trägt auch nichts zum Verständnis des Abtwechsels von 1121 bei, denn es lassen sich ja keine Gegensätze zwischen dem resignierenden Engelschalk und dem ihm als Abt nachfolgenden Prior feststellen. Dabei ist festzuhalten, dass in den Melker Annalen über den Tod Engelschalks zehn Jahre nach seiner Resignation berichtet wird und nur erwähnt wurde, dass er Abt in Melk gewesen war.29 Trotzdem wäre es ein Fehler, den ältesten Nachweis für das Großpriorat in Melk zu vernachlässigen. Bei aller Skepsis gegenüber der Möglichkeit, die Verhältnisse in Melk nach 1089 durch Betrachtung etwaiger Reformkonkurrenz zu klären, lohnt es sich, den Persönlichkeiten der ersten drei Äbte nachzugehen. Die der Melker Ausstattung von 1113/1120 und den Weiheurkunden von Niederkirchen im Melker Besitz vorangehenden Tauschgeschäfte mit Klosterneuburg fallen nämlich in die kritische Zeit der ersten Äbte von Melk, Sigibold, Engelschalk und Erchenfried. In diesen Zeitraum fällt auch die Übernahme von Gewohnheiten mönchischen Lebens, die im Entwicklungsfluss der Reformen sich wechselseitig beeinflussten. In Melk waren an den Bemühungen um eine zeitgemäße spirituelle Ausrichtung Lambach und Admont beteiligte. Was auf den ersten Blick wie zwei verschiedene Strömungen abhängig von Münsterschwarzach und Hirsau erscheint, erweist sich bei näherem Zusehen als eine eng verflochtene zusammengehörige Entwicklung. Um zu verstehen, dass es da keinen Reformgegensatz gab, müssen wir die Vorgeschichte näher betrachten. 25 Kassius Hallinger, Gorze-Kluny. Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter (=Studia Anselmiana, Fasc. 22–23, Rom 1950), II, S. 842. 26 Hallinger, Gorze-Kluny (wie Anm. 25), S. 847 f. 27 Hallinger, Gorze-Kluny (wie Anm. 25), S. 385 zu Engelschalk. Überholt erscheinen die Erwägungen von Helmut J. Mezler-Andelberg, Admont und die Klosterreform zu Beginn des 12. Jahrhunderts, in: ZSHVStM 47 (1956), S. 28 –42, S. 33. 28 Elmar Hochholzer, Die Abtei Münsterschwarzach, das Stift Lambach und Bischof Adalbero von Würzburg. Überlegungen zu einer historischen Beziehung von 1056 bis 2010, in: Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 72 (2010), S. 457–492. 29 MGH SS 9, S. 501 zu 1121: Erchinfridus abbas eligitur; S. 502 zu 1131: Engilscalcus Medilicensis abbas obiit. MGH Necr. 4, S. 554 zum 23. Mai Engilscalcus abbas nostrae congregationis mit der Anm. 5: depositus
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1047 berief Bischof Adalbero von Würzburg den Gorzer Mönch Egbert (auch Ekbert) zum Abt von Münsterschwarzach.30 Zu dieser Zeit bestand in Gorze eine Mischform an Gewohnheiten aus Traditionen der anianischen Reform und solchen, die durch den Mönch Arnulf nach Gorze kamen. Arnulf war ein Vertrauter Wilhelms von Dijon, einem der bedeutendsten Vertreter der Richtung von Cluny und wirkte in Gorze, so wie früher in St. Benigne, als Prior.31 Zur Zeit der Berufung des Egbert war Siegfried Abt von Gorze (1031–1055). Die auf Siegfried zurückgehenden und nach Regensburg gelangenden Consuetudines Sigiberti abbatis enthalten alte Gorzer Traditionen aber auch Bräuche, die von Cluny übernommen wurden. Wichtig sind zwei Beobachtungen: Erstens bildeten Sigiberts Consuetudines auch das grundsätzliche Rüstzeug für Wilhelm von Hirsau, der sie in St. Emmeram kennenlernte. Zweitens erhielt sich aber trotz der offenbar kurzfristigen Existenz eines (Groß-)Priors (Arnulf ) in Gorze das alte Schema Abt – Dekan – Propst.32 Diese Mischform führte Egbert in Münsterschwarzach ein. 1056 begannen die Bemühungen Bischof Adalberos um die Gründung eines Benediktinerstiftes anstelle der Burg Lambach, wo sich seit einigen Jahren bereits zwölf Kanoniker zum Gebet versammelten.33 Unter der Führung des Abtes Egbert begannen Mönche aus Münsterschwarzach die Burg zu einem Kloster umzugestalten. 1061 bestätigte König Heinrich IV. Lambach bereits alle Rechte, die es vom Bischof erhalten hatte. Erst 1089 war der Gründungsvorgang abgeschlossen.34 Es sei vermerkt, dass im selben Jahr auch die Berufung der Benediktiner nach Melk erfolgte und der Lambacher Mönch Sigibold als Abt eingesetzt wurde.35 Schon 1077 war nach dem Tod Egberts sein Schüler Becemann aus Münsterschwarzach Abt in Lambach geworden.36 Es ist damit zu rechnen, dass auch bei Berücksichtigung von Entwicklungen in Lambach und Melk jene Gewohnheiten herrschten, die Egbert aus Gorze gebracht hatte. Noch einmal unterstrichen sei, dass es sich dabei um eine Mischung alter Gorzer Regeln mit solchen aus Cluny handelte. Als Egbert nach Münsterschwarzach gekommen war, lebte im Würzburger Stadtkloster St. Burkhard ein ebenfalls aus Gorze stammender Mönch namens Herrand.37 Dieser Herrand trat als Klostergründer im Hildesheimer Gebiet in Sachsen auf. Für 30 Hochholzer, Münsterschwarzach (wie Anm. 28), S. 458. Grundlegend Hallinger, Gorze-Kluny (wie Anm. 25), S. 320 ff. 31 Kurt-Ulrich Jäschke, Zur Eigenständigkeit eines Junggorzer Reformbewegung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 81 (1970), S. 17– 43, S. 23. 32 Jäschke, Zur Eigenständigkeit (wie Anm. 31), S. 24 mit Anm. 51. 33 Hochholzer, Münsterschwarzach (wie Anm. 28), S. 470. 34 Hochholzer, Münsterschwarzach (wie Anm. 28), S. 471. 35 Als Gründungsdatum von Melk gilt der 21. März 1089. Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 10), S. 23. 36 Hochholzer, Münsterschwarzach (wie Anm. 28), S. 473. 37 Jäschke, Eigenständigkeit (wie Anm. 31), S. 25.
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unsere Fragestellung ist bedeutsam, dass er Abt von Ilsenburg war. Und aus Ilsenburg kam ein Mönch Gisilbert, der in Admont Abt wurde. Er übte diese Würde von 1091 bis zu seinem Tod 1101 im Heiligen Land aus.38 In seiner Zeit als Abt prägte er wohl den Admonter Mönch Engelbert, der nach Melk ging und dort seit 1108 zumindest als „stellvertretender“ Abt nachzuweisen ist. Damit lösen sich mehrere ältere Spekulationen auf. Es gab vielleicht verschiedene Varianten in Lambach und Admont, man schöpfte aber aus denselben Quellen. Die Geschichte der Herkunft der Gewohnheiten in beiden Klöstern zeigt, dass für deren Ausprägung die Würzburger/Münsterschwarzacher Verhältnisse prägend waren, wie sie von Abt Egbert, seinem Kollegen Herrand und ihren Schülern gelebt wurden. Damit entstand eine Klosterkultur, die in Konturen sichtbar wird: Diesem Kreis gehörten neben Melk und Admont auch Vornbach/Inn an, das 1094 durch den Ekbert I. neugegründet und ebenfalls mit Mönchen aus Münsterschwarzach besetzt wurde.39 Aus diesem Umfeld fällt Göttweig mit seinen St. Blasianer Traditionen heraus, die mit den bisher geschilderten Gewohnheiten eng verwandt sind, sich aber von der beschriebenen Klosterregel unterscheiden. In den 20 Jahren des Abtregimes von Hartmann (1094 –1114) und seines Vizeabtes Erchenfried, dem ehemaligen Ritter und Konversen, erfolgte der Aufstieg Göttweigs zu einem führenden geistig/geistlichen Zentrum, das seinen Einfluss auch in Vornbach geltend machte, indem Abt Wirnto aus Göttweig (mit dem Umweg über Garsten) kam und ebenso Abt Berthold von Garsten. Wenn es einen Wechsel der reformerischen Nuancen in Melk gegeben hat, dann als Erchenfried mit dem Abtnamen des ehemaligen Vizeabts von Göttweig 1121 in Melk auf Engelschalk folgte. Der Sachverhalt, dass die Melk prägenden Strömungen keine entscheidenden Gegensätze enthalten, könnte auch zur Klärung der Bedeutung der Fragmente von Melker Consuetudines beitragen, die Willibrord Neumüller 1954 veröffentlicht hat.40 Der Text weist Einflüsse aus Trier und aus Cluny auf und wurde von Neumüller als Consuetudo Jung-Gorzer Prägung bezeichnet.41 Seine Schlüsse stehen unter dem Eindruck der damals neuen und überwältigenden Erkenntnissen Hallingers. Die Unterscheidung zwischen dem Einfluss aus Admont/Hirsau und Lambach/Münsterschwarzach, die zur Auffassung führte, dass es um 1160 in Melk zu einer neuerlichen Ausrichtung nach der Jung-Gorzer Observanz gekommen sei, ist etwas gewunden.42 Unter Berücksichtigung der oben geschilderten Einflüsse auf Melk stellen wir fest, dass auch 38 Mezler-Andelberg, Admont (wie Anm. 27), S. 33. 39 Zu den Fragen der Herkunft des ersten Abtes Berengar: Richard Loibl, Der Herrschaftsraum der Grafen von Vornbach und ihrer Nachfolger. Studien zur Herrschaftsgeschichte Ostbayerns im hohen Mittelalter (=Historischer Atlas von Bayern. Teil Altbayern, Reihe II, Heft 5, München 1997), S. 99 mit Anm. 22. 40 Willibrord Neumüller, Ein Melker Fragment alter Mönchsgewohnheiten, in: MIÖG 62 (1954), S. 219 –237. 41 Neumüller, Melker Fragment (wie Anm. 40), S. 222 f. 42 900 Jahre Benediktiner in Melk (wie Anm. 4), S. 29 Nr. 4.06.
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die Fragmente der Aufzeichnungen über die Gewohnheiten die Mischung älterer Observanzen erkennen lassen und sich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts als Melker Gewohnheiten verfestigten. Auf die zu vermutende Gleichzeitigkeit der Niederschrift der Gewohnheiten und der Verschriftlichung der Melker herrschaftsgeschichtlichen Traditionen sei besonders aufmerksam gemacht. Wenden wir uns noch einmal dem ersten Abt Sigibold zu. Sigibold war schon 17 Jahre Abt von Melk, als er aus der Mitte der Lambacher Mönche auch dort zum Abt gewählt wurde.43 Im Lambacher Abtkatalog wird er zur Zeit seiner Wahl ausdrücklich als Inhaber mehrerer Abteien bezeichnet, Melk ist besonders erwähnt. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass Sigibold erst 1106 als Lambacher Abt nachweisbar ist.44 Ab diesem Zeitpunkt wurde es notwendig, einen stellvertretenden Abt in Melk zu ernennen. Engelschalks erstes Auftreten fällt auch nach 1106. In der Weihenotiz Bischof Ulrichs I. für Wullersdorf, angeblich vor dem 10. Oktober 1108, ist er als Abt genannt.45 Das etwas unklare Verhältnis zwischen Sigibold und Engelschalk betrifft auch eine paläographische Auffälligkeit in der Urkunde Papst Paschalis II. vom 21. April 1110. Die im Melker Kopialbuch A aus der Mitte des 14. Jahrhunderts überlieferte Urkunde enthält an der Stelle des Abtnamens eine Radierung oberhalb welcher der Name Sygibold geschrieben wurde. Möglich ist die Korrektur einer Verschreibung aber auch die Löschung eines anderen Namens.46 Auch in der Weiheurkunde für Weikendorf (1115 Februar 10) ist Engelschalk als Abt genannt.47 Es ist also recht wahrscheinlich, dass Engelschalk in Melk ab 1106 in die Entwicklung des Klosters entscheidend eingreifen konnte. Aus dem Auftreten eines Melker (Groß-)Priors im Jahre 1117 ergeben sich hinsichtlich der Oberservanz folgende Überlegungen: Im frühen 12. Jahrhundert ist die Nennung eines Priors bezeichnend für den Einfluss der von Hirsau abzuleitenden „Klosterverfassung“, wie sie aus den Consuetudines Wilhelms von Hirsau zu entnehmen ist. 48
43 MGH SS 9, S. 500 zum Jahr 1089: Constitutio monachorum in loco Medilicensi sub abbati Sigiboldo, in festo sancti Benedicti abbatis. 44 MGH SS 12, S. 136 Z. 15. Sigiboldus abbas eo de medio facto successit, qui plures rexisse abbatias fertur, inter quas et Medeliccam tenuit. Franz Kurz, Beiträge zur Geschichte des Landes Oesterreich ob der Enns II, Linz 1808, S. 440 Nr. 5. Hallinger, Gorze und Cluny (wie Anm. 25), I, S. 366. 45 BUB IV/1 Nr. 601; Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 418 Nr. 11,3: … petente venerabili Medilicensis ecclesie abbate Engilschalcho … 46 Norbert Zeilinger, Die päpstlichen Privilegien für Melk, in: StMBO 82 (1971), S. 426 – 461, S. 432. Im Niederösterreichischen Urkundenbuch 2, S. 414 wird in der Anmerkung b, die sich auf den Abt „Sygibold“ bezieht, dieser wichtige Sachverhalt nicht kommentiert. 47 BUB IV/1 Nr. 616; Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 420 Nr. 11,4. 48 Hallinger, Gorze und Cluny (wie Anm. 25), S. 839 ff.
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Engelschalk förderte offenbar die Reform in Melk nach einer Mischform, die sich nicht wesentlich von Sigibolds Lambacher Vorstellungen unterschied, mit dem Großpriorat aber doch einen deutlichen Hirsauer Akzent setzte. Dafür spricht auch, dass es in dieser Zeit in Admont, im Kloster aus dem Engelschalk nach Melk kam, ebenfalls bereits einen Prior gab, einen gewissen Otto.49 Mit großer Vorsicht lassen sich die Veränderungen in Melk, die auf Engelschalk zurückzuführen sind, auch aus dem Jahr der Nennung des Melker Priors 1117 argumentieren. 1116 war nämlich Sigibold verstorben. Offen bleibt hinsichtlich des überraschenden Rücktritt Engelschalks 1121, ob es in Melk nicht eine Strömung gab, die auf den Einfluss von Göttweig/St. Blasien hinweist. Der angenommene Name von Engelschalks Nachfolger Erchenfried deutet, wie ich oben vermutet habe, auf Göttweiger Einfluss. Aber auch dort spielte der Großprior schon eine Rolle. Mit Hartmann war auch das Amt des Priors aus St. Blasien nach Göttweig gekommen. Zunächst bekleidete es Wirnt bis zu seinem Abgang nach Garsten und an seiner Stelle folgte Berthold, der später Abt von Garsten wurde.50 Ein dramatischer Reformkonflikt in Melk, der als Auslöser für den Rücktritt Engelschalks betrachtet werden könnte, ist sehr unwahrscheinlich. Die unter gegenseitigem Einfluss stehenden Klöster Admont, Göttweig, Melk und Garsten wurden von der Reformwelle aus Hirsau und St. Blasien erfasst. Die Vermischung mit älteren Gewohnheiten, die man gemeinhin auf Gorze zurückführt, ist bereits Jahrzehnte vorher nachzuweisen. Auch die Existenz von Consuetudines in Melk, die auf Trierer Einflüsse und damit auf Gorzer Gewohnheiten zurückgehen und um 1160 geschrieben wurden, sind in diesem Sinne kein zureichender Grund, Streitigkeiten im Zuge der Reformorganisation anzunehmen, da sie ja auch Hirsauer Elemente enthalten. Die Ursachen der auffälligen Vorgänge in den zwanziger Jahren des 12. Jahrhunderts, deren Wurzeln schon etwas früher zu suchen sind, lagen offensichtlich anderswo.
Die Situation vor 1121 Den ersten festen Halt in der unübersichtlichen Lage vor der Erhebung Erchenfrieds gibt die Papsturkunde vom 21. April 1110. Paschalis adressierte das Privileg an den Melker Abt – wie erwähnt ist fraglich, welcher Name (Sigibold oder Engelschalk) im verlorenen Original stand.51 Leopold III. hatte dem Papst angeboten, er möge das Kloster unter päpstlichen Schutz stellen. Das Angebot des Markgrafen bezog sich auf die Peterskirche und das Kloster in Melk, die von seinen Vorfahren errichtet worden waren. 49 Mezler-Andelberg, Admont (wie Anm. 27), S. 32. 50 Josef Lenzenweger, Berthold. Abt von Garsten (Linz 1958), S. 16 f. FRA II/51, S. 37, Nr. 20. 51 Siehe oben S. 355.
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An dieser Stelle wird viele Jahre bevor unter Abt Erchenfried die Klostergeschichte ihre Bearbeitung erfuhr, darauf Bezug genommen, dass die Babenberger als die Gründer des Klosters Melk betrachtet wurden; die Stifter der älteren Kirche, der Peterskirche, bleiben anonym.52 Es heißt nämlich, dass das monasterium von den Vorfahren Leopolds III. gegründet wurde (aedificatum), die ecclesia Sancti Petri offenbar nicht, weil das Partizipium nicht mit der Kirche übereingestimmt ist. Allerdings muss man sich die Frage vorlegen, wie hätte der Diktator der Urkunde in Rom den Sachverhalt anders in Sprache fassen sollen. Die Verwendung des Neutrums hängt von dem zuletzt genannten monasterium ab. Ich halte die Formulierung für eine aus der Not geborene Lösung eines sprachlichen Problems. Auch die Peterskirche war wohl eine babenbergische Gründung. Die Mitteilung aus dem Breve Chronicon, dass Leopold I. bereits eine Kirche auf dem Melker Felsen gebaut habe, ist zwar alles andere als ein sicherer Beweis, bietet aber zumindest den Hinweis, dass diese Tatsache Bestandteil einer Tradition war. Ob die Verwendung des Begriffs parentes in der Bedeutung Vorfahren auch auf Leopolds Mutter Ita bezogen werden kann, ist nicht zu klären und bleibt eine Hypothese.53 Für unsere Fragestellung wichtig scheint die Zuordnung der Ita zu den Vornbachern. Lechner stützt sich dabei auf eine eher unklare Beweisführung von Mitscha-Märheim.54 Wichtiger als dieses doch nicht zu klärende Problem scheint mir die Frage zu sein, welchen Grund hätte man in Melk gehabt zu verschweigen, dass Leopolds Mutter essentiell an der Berufung der Benediktiner 1089 beteiligt war? Frauen spielen bei Klostergründungen oft eine entscheidende Rolle – im näheren Umfeld sei nur an Himiltruds Initiative bei der Gründung von Vornbach erinnert, von der es sogar ausdrücklich heißt, dass sie ihren Onkel Tiemo II. als Vogt akzeptierte.55 Zurück zur Urkunde Paschalis II. Etwas später ist im Text von den bisherigen Schenkungen an Melk die Rede, die von Leopold III., seinem Vater Leopold II. und den übrigen Vorfahren gemacht wurden. Vermerkt sei, dass unter den Schenkungen 52 Kummer, Die St. Peterskirche (wie Anm. 4), S. 11. 53 So nämlich Lechner, Anfänge (wie Anm. 1), S. 51. Er rechnet unter die parentes Leopolds III. auch seine mütterlichen Vorfahren. Dagegen ist nichts zu sagen. Auf S. 64 versucht er aber Leopolds Mutter als Vornbacherin zu erweisen. 54 Lechner, Anfänge (wie Anm. 1), S. 64; Herbert Mitscha-Märheim, Hochadelsgeschlechter und ihr Besitz im nördlichen Niederösterreich des 11. Jahrhunderts, in: JbLkNÖ 29 (1948), S. 416 – 439, S. 423, mit rein spekulativen Schlussfolgerungen. Soweit ich sehe, ist aus dem Quellenmaterial weder auf Itas erste Ehe mit Haderich noch auf ihre Zugehörigkeit zu den Vornbachern zu schließen. Die aus dem KleinMariazeller Necrolog stammende Mitteilung, dass Leopold III. der patruus der Gründer Heinrich und Rapoto von Schwarzenburg gewesen sei, wurde auch von Lechner misstrauisch betrachtet. Karl Lechner, Die Gründung des Klosters Maria-Zell im Wienerwald und die Besitzgeschichte seiner Stifterfamilie, in: JbLkNÖ N. F. 26 (1936), S. 92–118, S. 112. 55 Urkundenbuch des Landes ob der Enns, hg. vom Verwaltungs-Ausschuss des Museums Francisco-Carolinum zu Linz (Wien 1852), Band 1, S. 625 Nr. 1; Loibl, Der Herrschaftsraum der Grafen von Vornbach (wie Anm. 39), S. 95 ff.
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Besitzungen aber auch ecclesiae cum decimarum oblationibus genannt sind. Die Erwähnung der Schenkungen von Kirchen mit den Zehenten ist konkret auf Melk zu beziehen, denn in den Klosterprivilegien Paschalis II. aus diesen Jahren gehört die Bestätigung von Zehenten nicht zum Formular.56 Vor dem 21. April 1110 schenkte Leopold III. nur die zwei Drittel des Zehents, der zur Kirche in Wullersdorf gehörte.57 Die zwei Zehentdrittel, die zu den anderen Kirchen gehörten, die angeblich 1113 an Melk kamen, könnten trotz aller Bedenken schon vor 1110 geschenkt worden sein, denn auch der Wullersdorfer Text legt nahe, dass die Zehentschenkung vor dem Datum der Notiz stattgefunden habe.58 Die Vogtei über Melk sollte in den Händen Leopolds verbleiben und auf den jeweiligen Nachfolger in der Mark übergehen. Die Passagen dieses Privilegs, die sich auf die Konversen und das Begräbnisrecht beziehen, decken sich weitgehend mit jenen aus dem Göttweiger Privileg Urbans II. und der Bestätigung, die Paschalis selbst am 24. Oktober 1104 ausgestellt hatte.59 Es ist also Vorsicht beim Herausarbeiten etwaiger Unterschiede zwischen den Verhältnissen in Melk und Göttweig angebracht. Die päpstliche Kanzlei musste sich bei der Abfassung der Urkunde bezüglich der narrativen Teile auf Informationen verlassen, die aus dem Umfeld des Markgrafen kamen. Man könnte unterstellen, dass auf diesem Wege traditionsbildende tendenziöse Elemente in den Urkundentext gelangt seien. Die Echtheit der Urkunde ist kein zureichender Grund, um ihren narrativen Teilen zu vertrauen. Diese Zweifel an der Stiftungstätigkeit der Babenberger in Melk werden aber aufgewogen durch die Gräber der Dynastie vor Ort. In die Zeit der Bestätigung der Melker Freiheiten durch Paschalis II. gehören die zwischen 1108 bis 1120 datierten Weihenotizen für einige Melker Pfarren, von denen vier (Traiskirchen, Ravelsbach, Wullersdorf und Weikendorf ) im Stiftsbrief von angeblich 1113 erscheinen. Dort ist dann auch die Pfarre Mödling genannt.60 Der Komplex dieser Notizen und Urkunden hat als Vorbild einen Bericht über die zweite Weihe der Kirche in Traiskirchen, die anlässlich ihrer Erweiterung gefeiert wurde und eine Grenzbeschreibung der Pfarre.61
56 Vgl. die Urkundentexte Paschalis II. J.-P. Migne, Patrologiae Series Latina 163, Paris 1893, col. 254 Nr. 273 (1109 März 21) bis col. 286 Nr. 318 (1111 April 15). 57 Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 418 Nr. 11,3. 58 Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 426 Nr. 11,7. Hier ist die Rede von fünf Pfarrkirchen und dem Zweidrittelzehent, der in den beschriebenen Grenzen eingehoben wurde. Bezüglich Wullersdorf wird auf eine Schenkung Leopolds III. in der Vergangenheit Bezug genommen. 59 FRA II/51, S. 25 Nr. 12 (Urban) und S. 29 Nr. 16. 60 Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 425 Nr. 11,7. 61 Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 415 f. Nr. 11,2.
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Die Aufzeichnungen wurden später als zu den im Datum genannten Zeitpunkten hergestellt. Kernstück des Textes für die vier Pfarren waren ihre Grenzbeschreibungen und nicht die Feststellung, dass es sich um Schenkungen der Babenberger an Melk handelte. Allerdings entspricht auch der sogenannte Stiftsbrief dem Schema der Herstellung dieser Urkunden. Die Schenkungen der Pfarren sind allerdings auch hier herausgehoben, erst danach erfolgt die Aufzählung der anderen Gebiete. Im Stiftsbrief wurde die entscheidende Rolle der Babenberger bei der Ausstattung Melks betont. Jüngst wurde eine Erklärung für die Entstehung dieses Fälschungskomplexes gefunden, die durchaus plausibel klingt. Die Absicht der Verfälschungen sei darin gelegen, die Begehrlichkeit Bischof Reginmars von Passau auf die Melker Zehente in den dreißiger Jahren zurückzuweisen.62 Möglich wäre es aber auch, dass der Versuch, die Schenkungen an Melk schriftlich zu fixieren, schon früher begann, vielleicht bald nach der vom Bischof besiegelten Notiz über die Weihe der Traiskirchener Pfarrkirche am 7.Jänner 1120 bzw. nach dem Tod Bischof Ulrichs von Passau am 7. August 1121. Die Zusammenhänge mit der Entstehung der Annalen im Jahre 1123 ergeben sich aus dem Schriftvergleich: Der Stiftsbrief und der Weihebericht über Ravelsbach bzw. die Annalen stammen vom selben Schreiber.63 Damit würde sich für diese Urkunden und Notizen ein Entstehungszeitraum vom Beginn des Jahres 1120 bis zum Jahr 1123 ergeben. Damit passen die Melker Angelegenheiten mit den Bemühungen Leopolds III. um eine neustrukturierte Verteilung der Macht in der Mark chronologisch zusammen. Der Zusammenhang zwischen der Entstehung des Stiftsbriefes mit den Annalen ergibt sich aus der Narratio der Urkunde, die darüber informiert, dass Bischof Ulrich am 13. Oktober 1113 das Kloster weihte und dem Annaleneintrag zu 1113: dedicatio huius monasterii.64 Ebenfalls in dieses Jahr fällt das noch zu besprechende Tauschgeschäft mit Klosterneuburg, mit dem Leopold III. die Verfügungsgewalt über die Kirche in Ravelsbach gewann.65 Dass in Melk über die Aktivitäten Markgraf Leopolds eine gewisse Unruhe entstand, ist bei der knapp bevorstehenden Grundsteinlegung für den Klosterneuburger Baukomplex im Jahre 1114 kein Wunder.66 Das uns aus dieser kritischen Zeit Melks überlieferte Material zeigt zwar, dass das Kloster und der Markgraf mit Nachdruck ihre Interessen verfolgten, doch der gleichzeitig erfolgte Rückzug der Göttweiger Vogtfamilie aus ihrer zentralen Position kann nicht dahingehend interpretiert werden, dass die damit verbundenen Vorgänge und 62 Katzler, St. Georgen (wie Anm. 2), S. 54. 63 Zur Datierung der auf Bischof Ulrich gefälschten Urkunden und die aktuelle Meinung zum Schriftbefund Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 444 f. und die Anmerkungen bei den Datierungen der drei Urkunden Nrn. 11,3,4,5. 64 Niederösterreichisches Urkundebuch 2, S. 425 f. Nr. 11,7 und MGH SS 9, S. 501. 65 Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 425 Nr. 11,6. 66 Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 3), S. 34, zu den Problemen bei der Besitzausstattung S. 38.
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auch Fälschungen die Gründung des Kloster Melk durch die Vornbacher verschleiern sollte. Der von Melk ausgehende Fälschungskomplex hinsichtlich seiner Besitzungen sollte den Markgrafen an seine Verpflichtungen Melk gegenüber erinnern, dass sich die Mönche auch gegen etwaige Ansprüche des Bischofs absichern wollten, ist wahrscheinlich. Allerdings erhebt sich die Frage, wann die Streitigkeiten zwischen Melk und Reginmar begonnen haben? Am 10. März 1122 stellte Papst Calixt II. auf Bitten des Bischofs eine Erneuerung des Privileg Paschalis II. von 1110 aus. Zurstraßen schildert die folgende Zeit den Quellen entsprechend chronologisch unscharf: „Im Verlauf der nächsten Jahre muss Reginmar jedoch versucht haben, sich durch anscheinend ungerechtfertigte Ansprüche auf zu Melk gehörende Zehenten sich zu bereichern.“67 Hinweise auf die Schlichtung dieser Streitigkeiten gibt es aus dem Jahr 1136. Der Streit scheint damals schon eine Zeitlang in Gang gewesen zu sein. Eine Abfassung des Fälschungskomplexes zur Zeit der Annalenniederschrift, also am ehesten im Jahre 1123, schließt nicht aus, dass man schon damals Reginmars Ansprüche abwehren wollte. In Göttweig war ja die Stimmung gegen den Bischof ebenfalls gereizt und führte etwa um diese Zeit zur Anlage des älteren Traditionsbuches.68 Schwierig zu beantworten ist allerdings eine in unserem Zusammenhang zentrale Frage: Wer waren die Gründer der fünf im Stiftsbrief genannten Kirchen? Heide Dienst wies bereits vor längerer Zeit darauf hin, dass Hans Wolf sie als Gründungen der Babenberger ansah, Karl Lechner hingegen vermutete andere Stifter im 11. Jahrhundert.69 Die Reihe der im Nachhinein aufgezeichneten Weihenotizen, Zehentschenkungen und Festlegung der Pfarrgrenzen beginnt mit Wullersdorf – die Quelle stammt angeblich vom 10. Oktober 1108.70 Die Übergabe von zwei Dritteln des Wullersdorfer Zehent erfolgte durch Leopold III. Die Übergabe der Kirche selbst nach dem Wortlaut des Stiftsbriefes erst 1113. Vor 1108 befanden sich die Kirche und zumindest zwei Teile des Zehents in der Hand des Markgrafen. Die genaue Datierung der Urkunde vom 10. Oktober passt auch in das Itinerar des Bischofs. Er war Teilnehmer am Ungarnzug Heinrichs V. Am 6. September wurde neben 67 Annette Zurstrassen, Die Passauer Bischöfe des 12. Jahrhunderts. Studien zu ihrer Klosterpolitik und zur Administration des Bistums (Passau 1989), S. 40. 68 Eine ansprechende These zur Entstehung des Göttweiger Codex A im Zuge der Streitigkeiten des Klosters mit Bischof Reginmar von Christoph Sonnlechner, Landschaft und Tradition. Aspekte einer Umweltgeschichte des Mittelalters, in: Text – Schrift – Codex. Quellenkundliche Arbeiten aus dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung, hg. von Christoph Egger und Herwig Weigl (MIÖG-Erg.-Bd. 35, Wien 2000), S. 123 – 223, S. 139 ff. 69 Heide Dienst, Niederösterreichische Pfarren im Spannungsfeld zwischen Bischof und Markgraf nach dem Ende des Investiturstreites, in: MÖSTA 34 (1981), S. 1– 44, S. 18 mit Anm. 60. 70 Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 417 ff. Nr. 11,3. Bischof Ulrich von Passau weiht die Pfarrkirche in Wullersdorf.
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dem markgräflichen Ehepaar auch auf seine Bitte vom König eine Besitzbestätigung für Göttweig ausgestellt, und am 29. September befindet sich Ulrich unter den Zeugen einer bei der Belagerung von Preßburg ausgestellten Urkunde.71 Am 10. Oktober konnte er die Weihe in Wullersdorf vornehmen. Die Vermutungen, dass man sich in Melk bei der nachträglichen Beurkundung dieser Vorgänge auf Tatsachen stützte, werden durch diese Beobachtungen unterstützt. Der Markgraf sorgte sich schon im Jahre 1108 um das Wohlergehen der Benediktiner in Melk. Wie weit die Klosterneuburger Pläne damals schon ihre Schatten vorauswarfen, entzieht sich unserer Kenntnis. Leopold verfügte über weiteren Besitz in Wullersdorf, wo er eine Schenkung an Klosterneuburg zwischen 1125 und 1136 durchführte. Er schenkte den Markt Wullersdorf und einen Weingarten cum inhabitacione mit Zustimmung und auf Bitten eines Wocho. Die Schenkung sollte nach Leopolds (oder Wochos) Tod wirksam werden.72 Die Zeugen dieser Schenkung – wie Heinrich von Erla und Ekerich von Kuffern – gehören ins Traisental. Daraus Schlussfolgerungen, hinsichtlich Vornbacher Zusammenhänge zu ziehen, ginge zu weit. Wullersdorf lag aber in einem Gebiet, das zur Herrschaftsbildung der Diepoldinger-Rapotonen gehörte. Daher ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass der Gründer von Wullersdorf diesem bedeutenden Geschlecht angehörte.73 Die Wullersdorfer Notiz enthält die Nachricht, dass die Zehentschenkung des Markgrafen an die Peterskirche in Melk gerichtet war. Die Formulierung in den anderen Urkunden und Aufzeichnungen spricht zwar von Schenkungen an das Kloster, nennt aber keinen Patron. Wenn das Datum der Wullersdorf betreffenden Aufzeichnung mit 1108 richtig ist, würde das bedeuten, dass 19 Jahre nach der Berufung der Benediktiner die Baufortschritte in Melk nicht recht vorankamen und die alte Peterskirche das Ziel von Schenkungen war. Die sogenannte Burgkirche, in der sich um 1160 bereits das Melker Kreuz befand stand damals offenbar noch gar nicht.74 Was die Beziehungen von Stift Melk zu den Vornbachern angeht, ist Traiskirchen von gewissem Interesse. Lechner erwähnte eine nach Traiskirchen genannte Familie, die Besitzungen am Wienfluss hatte. Die Aufzeichnungen stammen aus dem Traditi71 Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 380 ff. Nr. +10,1. 72 BUB IV/1 Nr. 644, FRA II/4, Nr. 148. Nicht zu klären ist, ob dieser Wocho mit dem Kaplan Vokkho verwandt war oder mit einem aus den Göttweiger Traditionen bekannten Volchold. Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 3), S. 159 und 169, und dies., Tradition und Realität. Quellenkritische Bemerkungen zu frühen „Kuenringern“, in: Kuenringer-Forschungen, red. von Andreas Kusternig und Max Weltin, JbLkNÖ 46/47 (1980/81), S. 40 –97, S. 91 mit Anm. 192. 73 Vgl. dazu jüngst Tobias Küss, Die älteren Diepoldinger als Markgrafen von Bayern (München 2013), S. 123 f. 74 Kummer, Die St. Peterskirche (wie Anm. 4), S. 14. Das von ihm herangezogene „Ernestinum“ enthält zum Titel des Klosters die Angaben Heiliges Kreuz, St. Peter und St. Koloman. Niederösterreichisches Urkundenbuch 1, S. 416ff., Nr. +34.
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onsbuch Vornbachs, daher mag ein Zusammenhang zwischen einzelnen Bewohnern Traiskirchens und den Grafen von Vornbach bestanden haben. Es gibt überzeugendere Beispiele, dass die Vornbacher Förderer von Melk waren!75 Zu den Melk übergebenen Pfarren des Stiftsbriefs gehört auch Ravelsbach. Gesichert ist die Tatsache, dass in eben diesem Jahr 1113 Leopold III. dem Kloster Melk diese Kirche im Rahmen eines Tauschgeschäftes mit Klosterneuburg überließ.76 Bereits am 28. September 1110 erfolgte die Weihe der Kirche durch Bischof Ulrich und die Festlegung des Sprengels.77 In dieser Aufzeichnung ist keine Rede von einer Mitwirkung oder Schenkung des Markgrafen. Auch sind keine Regelungen betreffend des Zehents erwähnt. Während der langen Gründungszeit von Göttweig schenkte Bischof Altmann den Ravelsbacher Zehent an dieses Stift.78 Leopold III. muss vor 1113 die Verfügungsgewalt über zwei Drittel des Zehents erlangt haben. Die Sieghardinger Besitzungen in Ravelsbach, nachgewiesen durch Schenkungen des Bischof Heinrichs von Freising und der Ita von „Burghausen“, bringen uns in dieser Frage nicht weiter.79 Wichtig könnte aber eine Beobachtung sein: Erster Zeuge der Schenkung Heinrichs ist ein Waldo.80 Waldo oder seine älteren Verwandten waren vermutlich an der Entfremdung von Göttweiger Besitz im desertum ad Grie beteiligt, die von Leopold II. initiiert wurde.81 Es ist möglich, dass im Zuge dieser Aneignung Göttweiger Rechte auch der Zehent in Ravelsbach in die Gewalt der Babenberger kam. Die Besitzgeschichte der anderen Pfarren, soweit sie die Zeit vor den Schenkungen Leopolds III. an Melk betrifft, ist teilweise in weiter zurückliegende Probleme eingebettet, die über eine reine Pfarrgeschichte hinausgehen.
75 Lechner, Beiträge zur älteren Besitzgeschichte (wie Anm. 1), S. 116 mit Anm. 21. 76 Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 425 Nr. 11,6. Über die von Melk stammenden Güter siehe die Ausführungen unten S. 369 f. 77 Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 428f. Nr. 11,8. 78 FRA II/69, S. 150 Nr. 4: decimationem ad Ramuoltisbach. Diese Übergabe bestätigte auch Heinrich V. im Jahre 1108: FRA II/51, S. 34 Nr. 18. Zur Identifizierung von Ramuoltisbach mit Ravelsbach in Auseinandersetzung mit Adalbert Fuchs: Lechner, Beiträge zur älteren Besitzgeschichte (wie Anm. 1), S. 126 f. mit Anm. 53. 79 Zu diesen Schenkungen Lechner, Beiträge zur älteren Besitzgeschichte (wie Anm. 1), S. 126 und Klaus Lohrmann, Ita von Burghausen und das Gut „Quod Azonis vocatur“, in: Kuenringer-Forschungen, hg. von Andreas Kusternig und Max Weltin, JbLkNÖ 46/47 (1980/81), S. 111–119, S. 114 f. 80 FRA II/69, S. 305 f. Nr. 169. 81 FRA II/69, S. 225 ff. Nr. 86. Die Verbindung Waldos in dieser Angelegenheit mit dem Markgrafen wird durch die im Traditionsbuch Göttweigs folgende Eintragung, der Schenkung des Chotiwaldes nachgewiesen.
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Bischof Megingaud – Eichstätt Unter den Nachrichten, die Karl Lechner als Indizien für Vornbacher Einflüsse in Melk interpretierte, betrifft eine die Bestattung des heiligen Koloman durch den Bischof Megingaud von Eichstätt in Melk.82 Die Sache ist jedenfalls bemerkenswert. Wenn man einen Bischof bei einer derartigen Feierlichkeit erwarten würde, dann den Passauer. Aus welchem Grunde leitete aber der Eichstätter Bischof die Zeremonie? Aus der überlieferten Verwandtschaft zwischen Bischof Megingaud und Kaiser Heinrich II. schließt Lechner, dass der Eichstätter auch mit den Babenbergern „zweifellos verwandt“ war. Diese zweifellose Verwandtschaft beruht aber bestenfalls auf diskutierbaren Kombinationen. Immerhin erhält man einen Hinweis, warum Megingaud sich in Melk bei dieser Gelegenheit engagiert haben könnte. Sonst bietet die lebhaft überlieferte aber substantiell eher schwammige Biografie des Bischofs für die Beantwortung unserer Fragestellung nichts.83 Auf die Feststellung der Verwandtschaft mit den Babenbergern folgt nun Lechners Bemerkung, dass Megingaud vielfach für einen Angehörigen des Geschlechts der Grafen von Lechsgemünd-Greisbach gehalten werde. Aus dieser Behauptung zieht Lechner Schlüsse, die auf der Basis weiterer Konjekturen letztlich Verbindungen Megingauds zu den Vornbachern plausibel machen sollen. Franz Heidingsfelder, auf den sich Lechner teilweise beruft, bemerkt dazu, dass die Einordnung Megingauds in das Geschlecht der Lechsgemünder die Behauptung eines humanistischen Geschichtsschreibers sei (Bruschius, Epitome aus dem Jahre 1549) und weist auf einen aussichtslosen (so Heidingsfelder) Versuch vom Beginn des 19. Jahrhunderts hin, Megingaud einen Platz im Stammbaum der Grafen von Lechsgemünd anzuweisen.84 Der Zusammenhang zwischen der Beteiligung des Bischofs an der Translation und Bestattung Kolomans und Melk scheint nicht auf nachvollziehbaren Besitzverhältnissen zu beruhen, sondern auf einem eher zufälligen Aufenthalt des Bischofs in der Mark, der vielleicht mit dem Erwerb eines Jagdgutes an der ungarischen Grenze im Zusammenhang steht.85 Ebenso problematisch erweist sich bezüglich der angeblichen Eichstätter Zusammenhänge die topographische Analyse einer Schenkung Konrads II. aus dem 82 Bericht der Melker Annalen zum Jahre 1014 MGH SS 9, S. 497. Hoc anno sanctus Cholomannus a Megingaudo Heibstatensi episcopo in Medeliccha sepultus est. Lechner, Anfänge (wie Anm. 1), S. 77. 83 Das Bistum Eichstätt 1. Die Bischofsreihe bis 1535, bearb. von Alfred Wendehorst (=Germania sacra N.F. 45, Berlin, New York 2006), S. 48 ff. Wilhelm Störmer, Früher Adel. Studien zur politischen Führungsschicht im fränkisch-deutschen Reich vom 8. Bis 11. Jahrhundert (=Monographien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 6, I, II, Stuttgart 1975), S. 318 –320; Franz Heidingsfelder, Die Regesten der Bischöfe von Eichstätt (Erlangen 1938), S. 51 f. Regest zu 1014 Oktober 13, S. 54 f., Nr. 150. 84 Heidingsfelder, Die Regesten der Bischöfe von Eichstätt (wie Anm. 83), S. 51. 85 Heidingsfelder, Regesten Eichstätt (wie Anm. 83), Nrn. 149 und 150. Etwa so auch im Niederösterreichisches Urkundenbuch 1, Kommentar zur Ernst-Schenkung S. 419.
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Jahre 1033 an das Bistum. Die Schenkung betrifft ein Gebiet zwischen dem Chumberc und der Liesing. Lechner lokalisierte sie im Gebiet Perchtoldsdorf – Brunn – Mödling. Dies war für Lechner von Bedeutung, da er aus diesem Eichstätter Besitz die Melker Lehensherrschaft über Perchtoldsdorf und Mödling herleitete.86 Diese Lokalisierung wurde zwar von Erwin Kupfer korrigiert und in den Raum Kalksburg – Lainzer Tiergarten verlegt;87 trotzdem bleibt es eine Tatsache, dass Melk in Perchtoldsdorf zumindest über einige Güter die Lehensherrschaft ausübte. Die Pfarre Perchtoldsdorf wurde 1217 aus dem Sprengel der Pfarre Mödling herausgeschnitten.88 Das Verhältnis der neuen Pfarre zu Melk wurde in der Gründungsurkunde nicht berührt.89 Es ist nachzuweisen, dass Melk weiterhin über die Einnahmen aus dem Zehent verfügte. Denn am 22. August 1232 bestätigte Friedrich der Streitbare, dass Otto von Perchtoldsdorf dem Kloster sein predium in diesem Ort aus freien Stücken überlassen habe. Dort besaß er die Zehente als Lehen und erhielt nun auch das geschenkte Gut von Melk als Lehen.90 Wir müssen feststellen, dass uns diese Analyse nicht über die bekannte Tatsache hinausführt, dass Melk seit 1113 die Pfarre Mödling als Stiftung Leopolds III. besaß. Lechners doch etwas dunkle Hinweise, dass die Herren von Perchtoldsdorf in einem nicht näher definierten Abstammungsverhältnis zu den Haderichen standen und diese zur Lösung der Frage nach „vorbabenbergischen Besitzverhältnissen“ etwas beitragen, sind mir nicht nachvollziehbar. Damit erübrigt sich aber auch die Frage, ob Ottos Vorfahre Heinrich, der etwa 1140 nachzuweisen ist, etwas mit Melk zu tun hatte. Melker Besitz- und Herrschaftsrechte in Perchtoldsdorf, die auf Eichstätter Rechte dieser Art zurückgehen sollen, sind daher recht unwahrscheinlich. Festzuhalten ist nur eines: Bischof Megingauds Rolle bei der Durchführung der Umbettung Kolomans nach Melk als Leiter der Bestattung ist eine der vielen Auffälligkeiten der älteren Geschichte Melks, die sich nach dem heutigen Stand der Forschung einer überzeugenden Erklärung entziehen.
86 Lechner, Ältester Besitz (wie Anm. 1), S. 113 und die Schlussfolgerung hinsichtlich Eichstätts S. 120. 87 Erwin Kupfer, Frühe Königsschenkungen im babenbergischen Osten und ihre siedlungsgeschichtliche Bedeutung, in: UH 66 (1995), S. 68 – 81, S. 75 f. 88 Der Text der Pfarrerhebungsurkunde Silvia Petrin, Geschichte des Marktes Perchtoldsdorf. Von den Anfängen bis zur Zerstörung durch die Türken im Jahre 1529 (Diss. Univ. Wien 1961), S. 293 ff. nach dem Original im Institut f. Österr. Geschichtsforschung Wien, Urkundensammlung Nr. 2 vom 19. September 1217. 89 Silvia Petrin, Geschichte des Marktes Perchtoldsdorf (wie Anm. 88), S. 244. 90 BUB 2, S. 141 f. Nr. 304. An der Freiwilligkeit dieser Transaktion von Seiten Ottos bestehen Zweifel. Die Angelegenheit gehört wohl in die politischen „Aufräumarbeiten“ nach dem Aufstand gegen den Herzog. Vgl. zur Rolle Ottos die kurze Bemerkung bei Silvia Petrin, Geschichte des Marktes Perchtoldsdorf von den Anfängen bis 1683 (Perchtoldsdorf 1983), Band 1, S. 9.
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During von Radlberg und Landfriedstetten Hingegen lässt die lückenhaft bekannte Geschichte einer Familie, in welcher der Leitnamen During gebräuchlich war und die sich seit dem frühen 12. Jahrhundert nach Radlberg nannte, charakteristische Beziehungen der „Vornbacher“ zu Melk erkennen. Die älteste Erwähnung eines During, der in diesen Zusammenhang gehört, fällt in das Jahr 1066. Am 27. Februar dieses Jahres wurden die Grafen Meginhard und sein Bruder Pilgrim getötet und mit ihnen During, wohl einer ihrer Gefolgsleute.91 Der Tod Meginhards ist in den Melker Annalen verzeichnet, der Tod aller drei Personen im Necrolog von St. Peter in Salzburg.92 Der Bericht über Meginhards Tod aus Melk muss nicht bedeuten, dass der Graf in der Melker Tradition eine besonders gewichtige Rolle spielte. An einen Gedanken Klebels anknüpfend, neige ich zu der Auffassung, dass diese Passage ursprünglich aus den Göttweiger Annalen stammt.93 Dort wirkte Meginhards Sohn Ulrich als Vogt. Klar liegen die Verhältnisse zu Beginn des 13. Jahrhunderts, als ein nach Radlberg genannter During auf einige Vogtrechte gegen Entschädigungszahlungen verzichtete. 1213 wurde er von Leopold VI. als ministerialis noster bezeichnet.94 Die Vogtei, auf die During damals verzichtete, bezog sich auf Güter in Inzersdorf ob der Traisen, die im Besitze des Klosters Klein-Maria Zell waren. Gründer dieses Klosters waren bekanntlich Heinrich und Rapoto von Schwarzenburg-Nöstach.95 Nach Ansicht von Adalbert Fuchs war es dieser Heinrich, der zwischen 1108 und 1114 (?) Stift Göttweig einen Weingarten in Inzersdorf übergab.96 Das Stift besaß schon vorher hier einen Weingarten. Damals könnten die nach Radlberg genannten Leute bereits die Vogtei über Inzersdorfer Güter ausgeübt haben, da wir zahlreiche Verbindungen zwischen ihnen, einer bedeutenden Familie im Traisental und schließlich zu den Vornbach-Radlberger Vögten Göttweigs feststellen können.97 Direkt in die Melker Besitzverhältnisse führt uns eine weitere Erwähnung des babenbergischen Ministerialen During aus dem Jahre 1217. Der dominus During von Radlberg überließ gegen eine Zahlung von 40 Mark die Vogtrechte in Landfriedstetten und sein Recht auf das Burgwerk und das Marchfutter in Zedelmering dem 91 Lechner, Anfänge (wie Anm. 1), S. 58 mit Anmerkung 32; Loibl, Der Herrschaftsraum der Grafen von Vornbach und ihrer Nachfolger (wie Anm. 39), S. 371. 92 MGH SS 9, S. 499 und Necr. 2, S. 110. 93 Ernst Klebel, Die Fassungen und Handschriften der österreichischen Annalistik, in: JbLkNÖ NF 21 (1928), S. 46 –185, S. 159. 94 BUB I, S. 257 Nr. 187. 95 Vgl. die gefälschte oder verunechtete Urkunde BUB I, S. 10 ff. Nr. 9. 96 FRA II/69, S. 412 f. Nr. 272; Lechner, Die Gründung des Klosters Maria-Zell (wie Anm. 54), S. 102. 97 Michael Hintermayer-Wellenberg, Wolfger von Tegernbach, Gründer von Raitenhaslach, und Bischof Wolfger von Passau. Herkunft und Familie, in: Passauer Jahrbuch 52 (2010), S. 105 –123, S. 110 f.
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Herzog Leopold VI.98 Die Ausübung dieser Rechte stand in einem Netzwerk von Lehensbindungen. Die advocatia über Landfriedstetten war ein Lehen des Herzogs. Mit den Rechten und Gütern in Zedelmering, die During vom Herzog innehatte, war er von Melk belehnt worden. Beide Güter sind im sogenannten Stiftsbrief für Melk von angeblich 1113 als Schenkung Leopolds III. genannt. Es ist sorgsam zu unterscheiden, dass es in Landfriedstetten um die Vogtei ging, deren Lehensherr Leopold III. und seine Nachfolger waren (vgl. die besprochene Paschalisurkunde von 1110) und in Zedelmering um Rechte, die an das Kloster übergegangen waren und daher von dort als Lehen vergeben wurden. Die Vogtei übte in Zedelmering Hadmar II. von Kuenring, dessen Einnahmen aus der Vogtei in eben diesem Jahr 1217 durch einen Vertrag mit Melk begrenzt wurden.99 Darunter befand sich auch eine Abgabe, die sich aus dem Marchfutter herleitete. Herzog Leopold VI. bestätigte als Inhaber der Melker Vogtei diesen Vertrag. Die Regelungen von 1217 machen den Eindruck eines Vergleichs zwischen During, der aus Zeiten der Vornbacher offenbar gewisse Rechte seiner Vorfahren bewahren konnte, dem Stift Melk und dem Herzog, dessen Macht und Interessen vor Ort wie gewöhnlich ein Kuenringer wahrnahm. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass ein herzoglicher Ministerialer, nämlich During, diese Herrschaftsrechte mit einem gewissen materiellen Nutzen als Teilvogt ausübte. Allerdings ist es ein Hinweis auf ältere Machstrukturen, dass es sich dabei um einen nach Radlberg genannten Herren handelt. Denn die Herren von Radlberg waren – vorsichtig geschätzt – erst nach 1130 Ministerialen der Babenberger geworden. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts gehören sie als Ministeriale zum Gefolge der „Vornbacher“, d. h. der Vögte von Göttweig. Zwischen 1121 und 1130 schenkte einer der Radlberger Ministerialen Dieprant Stift Göttweig einen Weingarten in Anzendorf im Traisental, den er vor dem Jahre 1114 (Todesjahr des Abtes Hartmann) von Abt Hartmann mit eigenem Geld gekauft hatte.100 Aus einer anderen Traditionsnotiz des Jahres 1133 wissen wir, dass Dieprant Bruder des During war.101 Nach dem Text der Schenkung des Dieprant war er einer von mehreren Ministerialen, die sich nach Radlberg nannten. Zu diesen gehörte wohl auch ein gewisser Hadmar, der zwischen 1110 und 1125 als Ministeriale der Gräfin Mathilde, der Witwe des ersten Vogtes von Göttweig, nachweisbar ist. Dieser hatte von Mathilde einen Weingarten in Talheim an der Perschling gekauft. Er übergab ihn Heidenrich von Au, der ihn an Göttweig 98 BUB II, S. 11 ff. Nr. 208. 99 BUB II, S. 6 Nr. 204; kurz dazu Ignaz Franz Keiblinger, Geschichte des Benedictiner-Stiftes Melk in Niederösterreich, seiner Besitzungen und seiner Umgebungen, 2 Bände (Wien 1851–1869), Band 1, S. 308 f. 100 FRA II/69, S. 423 f. Nr. 284: Dieprant unus de ministrialium Ratilinberge delegavit vineam ..., quam dudum emerat propria peccunia a bone memorie domno Hartmanno abbate ... Erster Zeuge ist Durinc. 101 FRA II/69, S. 379f. Nr. 240. Unter den Zeugen: Dietprant et frater eius Durinc.
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schenkte.102 Unter den Zeugen dieser Übergabe befand sich auch During. Zu diesem Kreis gehörte auch ein Hoholt, der 1133 als Ministeriale der Liutkard von Radlberg, Tochter des Vogtes Ulrich und der Mathilde, nachweisbar ist.103 Auch in der Schenkung der Kirche und des Ausstattungsgutes in Mauer, die Hermann II. von Winzenburg zwischen 1122 und 1130 Göttweig übertrug, fungierte During als Zeuge.104 Der Vater Hermanns II. war der letzte Vornbacher Vogt von Göttweig, Hermann I. von Winzenburg/Radlberg. Spätestens seit der Mitte der dreißiger Jahre sind die Brüder von Radlberg in den Göttweiger Quellen nicht mehr genannt. Erst zwei Generationen später werden sie als herzogliche Gefolgsleute wieder fassbar. Die engen Bindungen Dieprands und Durings an die Vornbacher Vögte von Göttweig und die 1217 nachgewiesene Lehensvogtei eines During von Radlberg zumindest über die Güter in Landfriedstetten machen Lechners Überlegungen zur Rolle der Vornbacher bei Ausstattung des Klosters Melk bedenkenswert. Die lehensweise Übertragung dieser Teilvogtei könnte auf einen Ausgleich zwischen den Babenbergern und der Dieprand/During Familie hinweisen. Ist das richtig, könnten sie diese Vogtrechte auch zu Beginn des 12. Jahrhunderts ausgeübt haben. Damit ist aber die im „Stiftsbrief“ von 1113 mitgeteilte Tatsache zu diskutieren, ob Landfriedstetten aus Babenberger Besitz stammt. Konkrete Nachrichten, die älter sind als die Schenkung Leopolds III., fehlen. Die in der Topographie von Niederösterreich angeführte Nennung von 975/980 ist auszuscheiden. Das dort genannte Landpoldessteti ... iuxta Cholinpah lokalisierte Josef Widemann im Bezirk Landau.105 Die topographische Bezeichnung Landfriedstettens leitet sich von dem Personennamen Landfrit her. Ein Lantfrit schenkte zwischen 1070 und 1100 zwei untertänige Personen dem Passauer Domkapitel. Unter den Zeugen findet sich ein nur mit seinem Namen eigetragener During.106 Etwas später 1090/1120 bezeugt ein Lantfried eine Schenkung des Rapoto von Kilb.107 In diese Region führt auch ein Tauschgeschäft zwischen dem Markgrafen Otakar IV. (II.) von Steyr und Göttweig aus der Zeit 1105–1122. Dieses bezeugen der Sohn des Markgrafen, Walter und sein Bruder Hartwig (von Traisen bzw. Reidling), Pabo von Groß-Sirning und Lantfrit.108 Nach ihm sind noch der Vogt Friedrich und sein Sohn Herbort vermerkt. Weitere Lantfrit-Nennungen im 102 FRA II/69, S.245 f. Nr. 108. 103 FRA II/69, S. 379 f. Nr. 240 und S. 375 f. Nr. 236. 104 FRA II/69, S. 363ff. Nr. 224. 105 Topographie von Niederösterreich, Band 5 (1903), S. 641. Die Traditionen des Hochstifts Regensburg und des Klosters S. Emmeram, hg. von Josef Widemann (=QuE 8, München 1943), S. 184 Nr. 202 und Köllnbach im Register. 106 Die Traditionen des Hochstifts Passau, hg. von Max Heuwieser (=QuE 6, München 1930), S. 107 Nr. 146. 107 QuE 6 (wie Anm. 106), S. 117 Nr. 186. 108 FRA II/69, S. 552 f. Nr. 416.
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Garstener Traditionsbuch bestätigen eine Bindung Lantfrits an die steirischen Markgrafen.109 Diese Zeugnisse für den Namen Lantfrit im Gebiet südlich von Melk reichen nicht aus, um hieb- und stichfeste Beweise für sein herrschaftliches Umfeld vorzulegen. Doch ist einerseits der Zeuge During in einer Lantfrit-Schenkung auffällig, andererseits die Nennung Lantfrits in unmittelbarer Nähe der Traisener. Es handelt sich um Hinweise, dass Landfriedstetten am Ende des 11. Jahrhunderts unter dem herrschaftlichen Einfluss von Familien stand, deren Stellung zu den Babenbergern man am ehesten als Nachbarn definieren könnte. Jedenfalls scheint Lantfrit nicht in einer Abhängigkeit von den Babenbergern gewesen zu sein. Recht wahrscheinlich hängen diese Konturen von Herrschaftsverhältnissen mit den Ergebnissen zusammen, die Heide Dienst für das Umfeld des Diakons Wezelin festgestellt hat.110 Wie Leopold III. die Rechte in Landfriedstetten erwarb oder sich aneignete, um ihre Schenkung an Melk durchführen zu können, wissen wir nicht. Auch die Rolle des Dieprant und des During in den zwanziger und dreißiger Jahren des 12. Jahrhunderts ist bezüglich der Vogtei in Landfriedstetten unklar. Der schwierige Quellenbefund mahnt zur Vorsicht im Urteil: Herrschaftsrechte, die neben jenen der Babenberger im Süden Melks bestanden oder diesen sogar vorausgingen, werden etwas unscharf sichtbar. Ob und wie die Träger dieser Rechte mit den „Vornbachern“ zusammenhängen, ist nur für Dieprant und During festzustellen. Daraus sind aber auch hinsichtlich der weiteren Zusammenhänge mit Lantfrit und den Traisenern Schlüsse zu ziehen, die vor allem auf die Göttweiger Vogtfamilie hinweisen. Schlüsse auf die Rolle der Vornbacher lassen sich aus diesen Verhältnissen, wenn überhaupt, nur im Vergleich mit den Klosterneuburger Tauschgeschäften und der Schenkung der Kirche von Mauer ziehen.
Die Tauschgeschäfte In Lechners Untersuchung zum ältesten Melker Besitz liefert die Herkunft einiger Tauschobjekte, die das Kloster seit 1113 mit dem Markgrafen oder eigentlich mit Klosterneuburg tauschte, wichtige Argumente für eine Schenkungstätigkeit der einzelnen Zweige der Vornbacher an Melk.111 In einzelnen Fällen sind seine Argumente stichhaltig, in anderen basieren sie auf Annahmen, die vor unlösbare Probleme stellen. Es kann nicht Aufgabe der vorliegenden Überlegungen sein, 109 Siegfried Haider, Die Traditionsurkunden des Klosters Garsten. Kritische Edition (=Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Band 8, zugleich als Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs Band 20, Wien, München 2011), besonders aufschlussreich S. 128 Nr. T 60 mit den aufeinanderfolgenden Zeugen Durinc und Lantfrit. Weitere Lantfrit-Nennungen siehe Register. 110 Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 3), S. 129 ff. 111 Lechner, Beiträge zur älteren Besitzgeschichte (wie Anm. 1), 124 ff.
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Lechners gesamte Beweisführung einer detaillierten Kritik zu unterziehen; zwei Beispiele mögen die Ambivalenz seiner Ausführungen illustrieren. Im Jahre 1113 übergab Leopold III. drei Güter an Klosterneuburg, für die er dem Abt von Melk die Kirche in Ravelsbach überließ. Lechners Interpretation, dass Leopold die drei Güter vom Melker Abt erhalten hatte, leuchtet nicht nur ein, sondern findet ihren Beweis im Satzaufbau der betreffenden Stelle: Der Markgraf schenkte tria predia, pro quibus er Ravelsbach an Melk übergab. Daraus ergab sich die Folgerung, dass die drei Güter den ältesten urkundlich nachweisbaren Besitz Melks darstellen. Die besitzgeschichtliche Analyse bezog sich zunächst auf Harmannsdorf, das im Umfeld von Kreuzenstein liegt und daher von den Grafen von VornbachKeuzenstein an Melk gekommen sei. Dies beweist Lechner mit einer Reihe von Schenkungen des Grafen Dietrich an Vornbach, die Siedlungen in der unmittelbaren Umgebung betreffen. Dass Harmannsdorf inmitten einer Landschaft liegt, in der die Herrschaftsbildung der Vornbacher prägend ist, unterliegt keinem Zweifel. Trotzdem ist zu berücksichtigen, dass in der Notiz über den Tausch keine Vornbacher oder einer ihrer Gefolgsleute als Zeugen genannt sind.112 Besitzverschiebungen in diesem Raum konnten demnach auch ohne ihre Mitwirkung stattfinden. Die Verhältnisse in Harmannsdorf und dem benachbarten Rückersdorf waren aber komplizierter. Um 1120 (so Lechner) kaufte der Klosterneuburger Diakon Adalbert ein predium in Harmannsdorf von einem Adalbero, seiner Gattin Ricgard und deren Tochter und übergab es für seinen und seines Sohnes Todesfall an Klosterneuburg. Am Beginn der Zeugenliste sind Graf Dietrich und einige seiner Gefolgsleute verzeichnet, nach ihnen Leute aus dem Kuenringer-Garser Kreis. Leopold III. und sein Sohn Adalbert waren bei der Schenkung mit einer großen Schar aus ihrer Gefolgschaft anwesend.113 Der Hintergrund dieser offenbar Aufsehen erregenden Transaktion ist schwer zu durchschauen. Der Markgraf könnte den Übergang von Besitzungen aus dem Vornbacher Bereich erzwungen haben – die massive Anwesenheit seines Gefolges bzw. Erchenberts und Nizos (von Gars?) spricht für diese Einschätzung und erinnert an die Begleitumstände des Beginns der Auseinandersetzung Leopolds mit Waldo um dessen Besitzungen in der Gegend von Kottes.114 Ein derartiger Vorgang würde für die Einschätzung Lechners sprechen. Der sichtbar werdende Konflikt ist aber zeitgebunden, denn eine Rückersdorf (damals in der direkten Nachbarschaft von Harmannsdorf gelegen) betreffende Schenkung des Markgrafen an Klosterneuburg legt nahe, dass sich Vornbacher und Babenberger Besitzungen in Gemengelage befunden 112 FRA II/4 Nr. 123. Als Zeugen erscheinen Angehörige der „Haderiche“, Wergand (von Plain) und ein Gundalchart. Niederösterreichisches Urkundenbuch 2, S. 425 Nr. 11,6. Es handelt sich um Harmannsdorf, „Birchaa“ und Jedenspeigen. 113 FRA II/4, Nr. 13. 114 FRA II/69, S. 228 Nr. 87.
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haben. In eben dem Jahr 1113 schenkte der Markgraf ein Gut in Rückerdorf an Klosterneuburg.115 Stammte es aus seinem eigenen Besitz oder verfügte er, wie oftmals anderwärts nachgewiesen, über Güter anderer? Es ist auch durchaus möglich, dass Leopold und Dietrich 1113 im Einvernehmen handelten. Die Zeugenliste enthält keine Hinweise auf Drohgebärden Leopolds, sieht man von dem Spitzenzeugen, dem Grafen Wergand, ab, den man wohl dem Markgrafen zurechnen muss. 1113 erhielt Klosterneuburg im Vorbereitungsstadium der Gründung in den Siedlungen Harmannsdorf/Rückersdorf zwei Schenkungen. Rückersdorf betreffend war Dietrich von Kreuzenstein als nachbarlicher Zeuge anwesend. Sein Fehlen beim Birchaa/ Jedenspeigen/Harmannsdorf-Geschäft befremdet ein wenig, kann aber verschiedene Gründe haben. Vorsichtig formuliert kann man feststellen: Noch hielt sich der Markgraf zurück – er und Dietrich vermieden einen Konflikt. Ein wichtiges Element der starken Position der Vornbacher in der Mark war die Ausübung der Göttweiger Vogtei. Doch es scheint, dass sich die Situation seit 1097, als Ulrich von Radlberg gestorben war, gewandelt hatte. Sein Sohn Konrad, nunmehriger Inhaber der Vogtei, scheint in den überlieferten Aufzeichnungen selten auf – von den Radlbergern werden vor allem Ulrichs Witwe Mathilde und seine Tochter Liutkard aktiv. Um 1113 scheint Dietrich von Kreuzenstein bereits in die führende Rolle geschlüpft zu sein, die früher Ulrich innegehabt hatte, zumal seit einigen Jahren auch Ekbert I. von Neuburg/Pitten verstorben war (+ 1109). Die einige Jahre später durchgeführte Transaktion über weiteren Besitz in Harmannsdorf – der Kauf eines prediums daselbst durch den Diakons und Klosterneuburger Bruders Adalbert – lässt ein Zusammenwirken des Käufers mit dem Markgrafen erahnen. Die magna turba der markgräflichen Gefolgsleute, die beim Abschluss des Geschäfts anwesend war, macht es wahrscheinlich, dass der Käufer Adalbert als Strohmann anderer Kräfte diente. Was kann dieser Befund für die ältere Geschichte von Harmannsdorf bedeuten? Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt, vielleicht sogar im Jahre der Berufung der Benediktiner nach Melk 1089, traten auch die in der Gegend von Melk begüterten Vornbacher als Schenker auf. Möglich, dass damals auch Harmannsdorf in den Besitz von Melk kam. Vor Ort nahm anscheinend ein gewisser Adalbero die Melker Interessen wahr. Denn diesem Mann kaufte der Diakon das predium ab. Festzuhalten ist aber: Wenn es Lechner auch gelang, an einzelnen Siedlungen und Regionen zu zeigen, dass Melker Güter wahrscheinlich von den Vornbachern herstammten, ist das noch lange kein Grund die Rolle der Babenberger in Melk zu bagatellisieren. Die Beweisführungen Lechners bezüglich Jedenspeigens und Birchaas sind weit komplizierter und scheinen vor allem auf der Voraussetzung zu beruhen, dass der Be115 FRA II/4, Nr. 121 und 141; BUB IV/1 Nr. 612.
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sitz der Vornbacher weit verbreitet war und daher die auf „Nachbarschaft“ gegründeten Konjekturen nicht ausreichende Beweiskraft für die konkrete Identifizierung der beiden Siedlungen als Vornbacher Besitz bieten. Der abschließenden Zusammenfassung vorgreifend ist aber doch ernstlich zu erwägen, dass Leopold II. und die führenden Vertreter der Vornbacher 1089 bei der Umgestaltung der Melker Verhältnisse zusammengewirkt haben. Um dies plausibel zu machen, bedarf es gar nicht der Konstruktion, die Gattin Leopolds II. zu einer Vornbacherin zu machen.
Vornbacher Besitz in Mauer bei Loosdorf In seiner älteren Studie zu den Anfängen Melks wies Lechner auf den Vornbachischen Besitz in Mauer in der engeren Umgebung von Melk hin.116 Anteil an diesem Besitz hatten alle drei Zweige: die Göttweiger Vogtfamilie, die Ekberte und die Kreuzensteiner.117 Kurz nach der Berufung der Benediktiner nach Melk, als der Einfluss der Vornbacher in der Mark noch in vollem Umfang wirksam war, kam es zwischen 1090 und 1096 zu einer ersten Schenkung aus dem Besitz in Mauer. Schenkerin war Adelheid, die Witwe Graf Heinrichs II. und Mutter des Dietrich von Kreuzenstein. Unter den geschenkten Gütern befand sich auch eine halbe Hufe in Mauer.118 Empfänger war nicht Melk sondern Göttweig. Es ist auffällig, dass die Witwe des Grafen Heinrich von Vornbach bereits zu dieser Zeit Besitz in der Umgebung von Melk nicht dorthin schenkte, sondern nach Göttweig. Ebenso hielt es Pilgrim von Reding, der etwa zur gleichen Zeit zwei Weingärten in Mauer an Göttweig schenkte. Seine Verbindungen zu den Ekberten können wir an der Zeugenliste dieser Schenkung erkennen: Ekbert I. und sein Sohn Eberhard sind als erste Zeugen genannt.119 Es ist allerdings festzustellen, dass die Orientierung nach Göttweig eine Voraussetzung hatte: schon Altmann schenkte den Zehent der Kirche in Mauer an das Stift.120 In der verfälschten Besitzbestätigung Bischof Ulrichs I. für Göttweig, deren Datum auf 1096 manipuliert wurde, wird berichtet, dass Ekbert, Dietrich und die Brüder Ulrich und Hermann (von Winzenburg) die Kirche in Mauer dem Stift geschenkt hät116 Lechner, Anfänge (wie Anm. 1), S. 48 f. 117 Die angebliche Teilhabe Ekberts I. an Mauer geht aus der auf 1096 datierten Besitzbestätigung Bischof Ulrichs I. für Göttweig hervor, die allerdings erst um 1125 entstanden ist. FRA II/51 Nr. 11; Adalbert Fuchs, Der älteste Besitz des Stiftes Göttweig und dessen Verhältnis zu den Göttweiger Geschichtsquellen. Ein quellenkritischer Beitrag zur ältesten Geschichte von Göttweig, in: JbLkNÖ N. F. 9 (1910), S. 1 –100, S. 64. 118 FRA II/69, S. 169 f. Nrn. 22–24. 119 FRA II/69, S. 179 f. Nr. 36. 120 FRA II/69, S. 150 Nr. 4: decimationem ad Mura.
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ten.121 Die Abfassung der Urkunde fällt in die erste Zeit Bischof Reginmars und wird auf etwa 1121–1125 datiert. In diese Zeit fielen die letzten Schenkungs- und Tauschakte mit Göttweig bezüglich Mauers. Ein Tausch zwischen Dietrich von Kreuzenstein und dem Kloster fand zwischen 1108 und 1122 statt.122 Der Zeitraum ist so lang gestreckt, dass sich die konkreten Voraussetzungen dieses Tausches nicht feststellen lassen. Göttweig übergab zwei Hufen in Bayern, die der Konverse Hecil dem Stift geschenkt hatte, zwei Weingärten in Aschach an der Donau, die von Bischof Altmann stammten und zwei und eine halbe Hufe in Enzersdorf – gemeint könnte Langenzersdorf sein, obwohl der Beleg im Ortsnamenbuch von Niederösterreich nicht aufscheint. Diese Hufen hatte Graf Dietrich zwischen 1104 und 1108 Göttweig als Seelgerät für seine Eltern gestiftet, nach dem Text der entsprechenden Schenkungsnotiz für seinen verstorbenen Bruder Gebhard.123 Dagegen übergab Dietrich seinen Besitz in Mauer, d. h. die dortige Kirche mit ihrem Ausstattungsgut und Weingärten mit ihrem Zubehör, quicquid ruris cultum et incultum. Das ganze macht den Eindruck eines Rückzugs des Kreuzensteiners aus der Melker Umgebung unter Sicherung von Besitz in Herrschaftsgebieten der Vornbacher – das gilt nachweisbar für Aschach/Donau und für Langenzersdorf.124 Offenbar bedurfte es aber auch einer entsprechenden Rechtshandlung des Zweiges der Göttweiger Vögte. Zwischen 1122 und 1130 übergab Hermann II., der Sohn des letzten Vornbacher Vogtes Hermann von Radlberg/Winzenburg dem Stift noch einmal die Kirche in Mauer mit seinem gesamten dortigen Eigenbesitz.125 Das für unsere Untersuchung wichtige Ergebnis lautet: Der Besitz der Kirche in Mauer mit allen damit verbundenen und parallelen Rechten vor Ort ging an Göttweig und nicht an Melk. Ich betrachte diesen Befund als einen Hinweis, dass die Vornbacher nicht einfach als Gründer von Melk betrachtet werden können.
121 FRA II/51, S. 24 Nr. 11; Die Regesten der Bischöfe von Passau 1: 731–1206, hg. von Egon Boshof (=Regesten zur bayerischen Geschichte 1, München 1992), S. 136 Nr. 459. 122 FRA II/69, S. 420 Nr. 281. 123 FRA II/69, S. 223 f. Nr. 84. 124 Aschach vgl. z.B. QuE 6 (wie Anm. 106), Nr. 325: Graf Gebhard übergibt dem Passauer Domkapitel ebendort einen Weingarten. 125 Wie Anm. 104.
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Zusammenfassung Ziehen wir unsere Schlüsse und versuchen das Geschehen in Konturen zu erfassen. Noch vor der Berufung der Benediktiner nach Melk 1089 hatten die babenbergischen Markgrafen zu der dort bestehenden Peterskirche Beziehungen – vielleicht waren sie sogar deren Gründer. Die Grablege, die seit der Mitte des 11. Jahrhunderts bestand, spricht dafür, dass die Erinnerung an die verstorbenen Mitglieder des Geschlechts dort gepflegt wurde und dafür eine Gemeinschaft von Säkularkanonikern verantwortlich war. Die Schenkung eines Gutes des Markgrafen Ernst in Weikendorf, die auf 1075 datiert, aber als Bearbeitung oder Verfälschung der sechziger Jahre des 12. Jahrhunderts erkannt wurde, vermischt in der Zeugenliste verschiedene Zeitebenen. Bezüglich der Frage, ob in der Urkunde über eine tatsächliche Schenkung berichtet wird, herrscht keine Einigkeit. In der Melker Tradition ist Ernst als Schenker erwähnt. Im Sinne der Aufhellung der Gründungseinflüsse auf Melk ist es enttäuschend, feststellen zu müssen, dass diese Urkunde nicht geeignet ist, zur frühen Besitzgeschichte von Melk etwas beizutragen.126 Der Einfluss der Markgrafen in Melk ist allerdings durch die Rolle Heinrichs I. (+ 1018) bei der Umbettung von Kolomans Leichnam von Stockerau nach Melk gesichert, zumal die Nachricht nicht nur durch spätere hagiographisch orientierte Berichte, sondern durch den Zeitgenossen Thietmar von Merseburg überliefert wird. In diesem Zusammenhang tritt aber die erste merkwürdige Konstellation ebenfalls noch vor der Gründung des Klosters auf: die Melker Annalen (entstanden 1123) berichten, dass Bischof Megingaud von Eichstätt die Bestattung durchführte. Die Erklärungsversuche für seine Anwesenheit sind alle unzureichend. Thietmar wusste offenbar nichts von Megingauds Anwesenheit in Melk und die Kernfrage muss lauten: Was bewog den Verfasser der Annalen über den Eichstätter zu berichten? Zumindest hob die Anwesenheit eines Bischofs bei Kolomans Begräbnis in Melk die Bedeutung des Ereignisses und damit jene des Klosters. Hingegen bestehen ernste Zweifel am Versuch Lechners, mit Hilfe Megingauds eine Brücke zu den Vornbachern zu schlagen und eine Besitzabfolge Eichstätt-Melk nachzuweisen. Die Vornbacher kommen ins Spiel durch den Bericht in den Annalen, dass Graf Meginhart 1066 ermordet wurde. Lechner interpretiert diesen Eintrag als Hinweis, auf ein besonderes Verhältnis der Vornbachern zu Melk. Meginhart war allerdings ein prominenter Mann – er war der Vater des Ulrich von Radlberg und Hermanns I. von Winzenburg und Vogt von Niederaltaich als der er Herrschaftsrechte im Donauabschnitt zwischen Melk und Spitz bis in die Seitentäler ausübte. Wegen 126 Der Kommentar zu der Urkunde im Niederösterreichischen Urkundenbuch 1, S. 416 Nr. +34 zeigt die Unlösbarkeit der Probleme, die der Text aufwirft.
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der wohl schon auf ihn zurückgehenden Vornbacher Besitzungen im Kamptal und in Hohenwart halte ich es für möglich, dass Meginhart der Namensgeber für den Manhartsberg war. Der Bericht über Meginharts Tod scheint mir an einen bekannten Herrschaftsträger der beginnenden ‚Rodungspolitik‘ in den Seitentälern der Donau zu erinnern. Ferner ist es denkbar, dass die Notiz über Meginharts Ermordung in den Melker Annalen ursprünglich in Göttweig aufgezeichnet wurde. Dass die drei Zweige der Vornbacher Grafen sich an der Ausstattung Melks vor und nach der Berufung der Benediktiner beteiligten, ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Das stärkste Argument dafür ist das Auftreten jener dem Gefolge der Vornbacher zugehörigen Familie, in welcher der Name During dominiert. Die Behauptung der Teilvogtei in Landfriedstetten durch einen During bis an den Beginn des 13. Jahrhunderts ist dafür der deutlichste Hinweis. Der Besitz der Kirche in Mauer bei Melk, an dem die gesamte Dynastie beteiligt war, zeigt die Verankerung der Vornbacher im Melker Gebiet. Dass sich die Vornbacher um das ‚magische‘ Datum 1089 herum mit den Babenberger zusammen an der Förderung und Neuorganisation Melks beteiligten, scheint mir wegen der möglichen Konstellationen in dieser Zeit durchaus wahrscheinlich. Noch zu Lebzeiten Bischof Altmanns (+ 1091) wirkten die gregorianisch gesinnten ‚Fürsten‘ Leopold II., Ekbert I., Ulrich von Radlberg und der Zweig Heinrichs II. und seiner Söhne Gebhard und Dietrich, später nach Kreuzenstein genannt, zusammen. In diesem Jahr 1089 wurde auch die Gründung des Stiftes Lambach abgeschlossen, aus dem der Mönch Sigibold als Abt nach Melk berufen wurde. Welche Rolle der alt gewordene Adalbero von Würzburg dabei spielte, wissen wir nicht. Befremdend ist auch das Schweigen über Altmann. Die Nichte des Bischofs Adalbero, Mathilde, war mit Ekbert I. verheiratet. Die engen Verbindungen zwischen Lambach und Melk lassen sich zwanglos aus diesen Verhältnissen erklären. Auch das Zusammenwirken zwischen den zwei bedeutendsten Kräften in der Mark, den Babenbergern und den Vornbachern war in dieser Zeit der Garant für die Entwicklung des Herrschaftsgebiet im Sinne von Grenzsicherung, Rodung und Gerichtsorganisation samt allen davon abzuleitenden oder verwandten Rechten. Erst Jahrzehnte später, als Leopold III. daran ging, in Klosterneuburg ein neues Zentrum der babenbergischen Herrschaft zu gründen, ergaben sich jene Besitz- und Herrschaftskonflikte, aus deren Beilegung wir wiederum, das inzwischen wohl geringer gewordene Interesse der Vornbacher an Melk ablesen können. Den Höhepunkt dieser Entwicklung können wir in die zwanziger Jahre des 12. Jahrhunderts verlegen, als sich die Radlberger/Winzenburger von der Göttweiger Vogtei zurückzogen. Zu gleicher Zeit verdichten sich die Hinweise auf eine bedeutsame Umgestaltung der Machtverhältnisse unter dem wachsenden Druck Leopolds III. und seines ältesten
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Sohnes Adalbert. Besitzungen, Herrschaftsfunktionen (Vogteien) und Pfarrverhältnisse standen zur Neudisposition und alle Herrschaftsträger vom Markgrafen über den Passauer Bischof, Göttweig, Melk und Klosterneuburg bis zu den edelfreien, adeligen Familien waren an dieser Umgestaltung der politischen Machtverhältnisse beteiligt. Melk gehörte offensichtlich zu den Verlierern des Umbruchs, konnte sich aber materiell schadlos halten und baute auf tatsächlichen historischen Verbindungen mit den Babenbergern eine Tradition Melk – Koloman – Landesfürst auf, die über die Jahrhunderte hinweg wirksam bleiben sollte.
Der Koloman-Altar in der Stiftskirche Melk Typus und Programm
Werner Telesko
Die Ausstattung des Querhauses der Benediktinerstiftskirche Melk ist durch das ungewöhnliche Faktum gekennzeichnet, dass die beiden monumentalen, dort befindlichen Altäre, für Koloman im Norden und für Benedikt im Süden, einander entsprechende und fast identische Aufbauten darstellen. Es handelt sich in beiden Fällen um eine konkave Halbrotunde mit korinthischen Freisäulen und Gebälk über einem zweizonigen Postament, das in der oberen Zone einen Sarkophag enthält. Darüber erheben sich bühnenhafte Arrangements mit der – im nördlichen Altar – kniend gegebenen Statue des heiligen Koloman vor einem Obelisken mit Wolkenspirale und gemalter, Jerusalem und Stockerau1 darstellender Hintergrundlandschaft (Abb. 1). Eine betend gegebene Engelsfigur an der Spitze des von Wolken umhüllten Obelisken leitet unmittelbar zum Volutenaufsatz über, der das von zwei seitlichen Engeln verehrte IHS-Emblem im Zentrum präsentiert. Am oberen Abschluss des Aufsatzes verweisen Engelputti auf eine Nachbildung des Melker Kreuzes, darüber wird von drei Engeln ein Spruchband mit der Aufschrift IVSTVS VT PALMA FLOREBIT. PSAL: 91 gehalten. Die Halbrotunde wird an den Seiten mit stuckierten Vorhangdraperien abgeschlossen, die sich vom Gebälk des Altares bis zu den Eckpilastern der Rückwand spannen und die Heiligen Donatus (links) sowie Florian (rechts) hinterfangen. Einzelne Objekte des Koloman-Altars beziehen sich nicht nur auf die Biographie des Heiligen, sondern können auch allegorisch gelesen werden: So stehen gewissermaßen die Palme und die (seitlich des Sarkophags) abgelegte (die königliche Herkunft Kolomans anzeigende)2 Krone in einer inhaltlichen Verbindung, führt doch Carolus Chrysostomus Oelhans in seiner in Melk 1750 vorgetragenen und in Krems im gleichen Jahr erschienenen unpaginierten Ehren-Rede über die gecrönte und crö1 900 Jahre Benediktiner in Melk. Ausstellungskatalog, Jubiläumsausstellung, Stift Melk (Stift Melk 1989) 259, Nr. 28.21. 2 Zu dieser Frage: Meta Niederkorn–Bruck, Der heilige Koloman. Der erste Patron Niederösterreichs (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 16, Wien 1992) 12.
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Abb. 1: Gesamtansicht des Koloman-Altars im Nordquerhaus der Stiftskirche Melk (© Stift Melk)
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Abb. 2: Gesamtansicht des Benedikt-Altars im Südquerhaus der Stiftskirche Melk (© Stift Melk)
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nende Tugenden Colomanni […] aus: […] ihme [scil. Koloman] an statt der verlassenen Königs-Cron eine Cron von Lorbeer- und Palmen-Reisern auf das Haupt gesetzet.3 Analog zum Koloman-Altar zeigt auch der Benedikt-Altar im Süden des Querhauses (Abb. 2) eine Szene mit einem Obelisken im Zentrum, und zwar den (in den Deckenfresken des Langhauses ausführlich visualisierten)4 Heimgang des Ordensvaters5, flankiert von den Statuen der Heiligen Berthold von Garsten (links) und Scholastika (rechts), während in der Volute Gottvater in einer Strahlenglorie wiedergegeben ist. Auch hier zeigt der obere Abschluss eine stilisierte Wiedergabe des Melker Kreuzes, das von Putti mit dem Schriftband IVSTVS GERMINABIT SICVT LILIVM. Osee. C. 14. V. 6 6 gehalten wird. Die ungewöhnliche Tendenz zur Symmetrisierung geht in der Konzeption der beiden Querhausaltäre soweit, dass die abgelegten Insignien jeweils seitlich des zentralen Obelisken positioniert und auch die Dachflächen der darunter aufgestellten Sarkophage7 in identischer Weise mit Palmenranken und Krone dekoriert sind. Auch wenn die hagiographische Bedeutung der beiden Heiligen im Querhaus eine durchaus unterschiedliche ist, zielt somit die Leitidee auf ähnliche theatralische Konzepte, die in beiden Fällen eine quasi-apsidiale Bühnenarchitektur (mit dem zusätzlich raumschaffenden Obelisken im Zentrum) an den Flanken in malerischer Weise durch Stuckdraperien, vor denen sich Heiligenstatuen befinden, auflösen. Die jeweils zentrale 3 Vgl. zu Oelhans’ Predigt: Lobrede. Katalog deutschsprachiger Heiligenpredigten in Einzeldrucken aus den Beständen der Stiftsbibliothek Klosterneuburg, hg. von Werner Welzig (Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte 518, Wien 1989) 494, Nr. 964; Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 2) 57; Meta Niederkorn-Bruck, unter Mitarbeit von Rainald Dubski, Koloman 1012–2012. Tradition und Wandel in der Verehrung des Heiligen (Stift Melk–Wien 2012) 339. Im Jahr 1750 erschien (in Augsburg) der erste und einzige Band der Publikation Sancta et beata Austria […] des Melker Benediktiners Bertholdus Rizel, eine Zusammenstellung der wichtigsten Landesheiligen, in der eine Erwähnung Kolomans erstaunlicherweise fehlt. 4 Vgl. Werner Telesko, „Sanctus Benedictus triumphans“. Die Langhausfresken der Stiftskirche von Melk (1720/1721) und die Rolle Abt Berthold Dietmayrs. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 117 (2006) 213 –235. 5 Mit großer Wahrscheinlichkeit dürfte die Melker Komposition des Heimgangs Benedikts auf eine (druck-) graphische Vorlage in der Art von Abraham Diepenbecks und Franz Huybrechs’ Kupferstich für ein Widmungsbild (um 1660), vgl. Gregor Martin Lechner OSB, Ikonografie des heiligen Ordensvaters Benedikt von Nursia, in: Benediktinische Kunst. Kultur und Geschichte einer europäischen Erbes, hg. von Roberto Cassanelli–Eduardo López-Tello García (Regensburg 2007) 357–378, hier 371, Abb. 19; ders., Typologie und Gestaltwandel in der Darstellung des hl. Benedikt von Nursia. Alte und Moderne Kunst 25 (1980), H. 170, 22–27, zurückgehen. 6 Siehe als Vers beim Josephsfest (19. März) im Breviarium Romanum ex decreto SS. Concilii Tridentini restitutum S. Pii V. Pontificis Maximi jussu editum Clementis VIII. et Urbani VIII. auctoritate recognitum (Regensburg u. a. 1879), pars verna, 715, sowie (bereits im Mittelalter) als Tropus zum Versus Alleuiaticus in unius Confessoris, vgl. Analecta hymnica medii aevi, XLIX: Tropi graduales (Tropen des Missale, 2. F., hg. von Clemens Blume–Guido M. Dreves SJ, Leipzig 1906) 262. 7 „[…] in der Art der Schreine für Katakombenheilige […]“, vgl. Bernd Euler-Rolle, Form und Inhalt kirchlicher Gesamtausstattungen des österreichischen Barock bis 1720/30 (Diss. phil. Wien 1983) 143.
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und höchst theatralisch aufgefasste Raumbühne wird somit im Sinne eines „malerischen Verfließen[s]“8 an den Bereich des Querhauses angebunden. Die angesprochene Symmetrisierung in der Komposition der beiden Querhausaltäre geht in Melk soweit, dass über die bestimmende Funktion des Obelisken hinaus auch die abgelegten Attribute des jeweiligen Heiligen in ähnlicher Weise (und dies biographisch nur schwer nachvollziehbar) gestaltet sind – beim südlichen (Benedikt-)Altar links vom Sockel Hut, Mantel und Stab, beim nördlichen (Koloman-)Altar Mantel, Pilgerhut, Szepter und (eine auf dem Kopf stehende) Krone des adeligen Heiligen9. Konzentriert man sich auf die als Bühne konzipierte apsidiale Altararchitektur als solche, liegt ein Vergleich mit dem explizit bühnenartig angelegten – im Detail anders gestalteten – Projekt für den Hochaltar im römischen Gesù in Andrea Pozzos berühmter und weit verbreiteter Prospettiva de’Pittori et Architetti […] (1700 –1702)10 nahe. Seit Johann Bernhard Fischer von Erlachs konkavem Mariazeller Hochaltar (1695 –1704) wurde das offene Zentrum des Altarretabels auch als Schauplatz für eine Handlung benützt. Die halbrunde Säulenkolonnade, die seit 1738 (nach einem Entwurf Johann Klebers) als Altaraufbau der Salzburger Kollegienkirche fungiert und dabei Platz für den Tabernakel schafft11, nähert sich schließlich noch stärker einer Apsislösung an. Einem Kontrakt vom 17. Mai 1711 zufolge hatte Antonio Beduzzi unter anderem innerhalb von vier Monaten Risse für die drei Hauptaltäre der Kirche zu liefern12. 8 Euler-Rolle, ebd. 9 Die abgelegten Insignien Kolomans, die sich auf dessen königliche Abstammung und Funktion als Pilger beziehen, sind auch wesentliche Elemente der Melker Kolomani-Monstranz (1752), vgl. Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 158–160, Nr. 18.09. Die im Koloman-Altar der Stiftskirche abgelegten Gegenstände legen nicht zur Zeugnis von einer „Überwindung der Welt“ (Euler-Rolle, Form [wie Anm. 7] 143) ab, sondern ebenso von einer „Überwindung“ der eigenen Herkunft (königliche Insignien, die nun durch die Märtyrerkrone abgelöst werden) – anschaulich in dem in demutsvoller Weise vorgetragenen Knien vor Gott. Auch Justus Ghelen OFM, Tod-zugleich lebendige Frucht Heiliger Oesterreichischer Blut-Zeug Colomannus […] (Wien 1715), o. S., formuliert in seiner Predigt diese Polarität: […] vorhin ein königlicher Printz [sic!], jetzt ein armer Pilger […]. Es existiert insofern hinsichtlich der abgelegten In– signien auch eine Parallele zwischen Koloman und Benedikt, als der Jesuit Petrus Ribadeneira in seinem hagiographischen Kompendium Flos Sanctorum sive vitae Sanctorum […] (Köln 1630 [Madrid 11599]) 153, beim Nachleben des heiligen Benedikt darauf hinweist, dass zahlreiche Fürsten, Könige etc. ihre Insignien, Ämter etc. zurückgelegt hätten (suis coronis, sceptris, regnis, ac fascibus abdicatos), um unter Benedikts Führung das Christentum zu verbreiten. 10 Bd. 2, S. 73, vgl. Rudolf Wittkower–Irma B. Jaffé, Baroque Art: The Jesuit Contribution (New York 1972) fig. 64a. 11 Johannes Hamm, Barocke Altartabernakel in Süddeutschland (Petersberg 2010) 94, Abb. 84. 12 Die Denkmale des politischen Bezirkes Melk (Österreichische Kunsttopographie III), hg. von Hans Tietze (Wien 1909) 192 (mit Hinweis auf die entsprechende Quelle); Ausstellungskatalog Jakob Prandtauer und sein Kunstkreis, Stift Melk (Wien 1960) 115, Nr. 30; Gerhard Flossmann, Der Bau der Melker Stiftskirche (1701–1715), in: Stift Melk. Geschichte und Gegenwart 1 (Melk 1980) 11–36, hier 22; Gerhard Flossmann–Wolfgang Hilger, Stift Melk und seine Kunstschätze (St. Pölten–Wien 21980 [ebd. 11976]) 41; Huberta-Alexandra Weigl, Die Klosteranlagen Jakob Prandtauers (Diss. phil. Wien 2002) 59, Anm. 239;
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Vor Inangriffnahme der Ausführungen war – den Baurechnungen zufolge – noch ein Altarmodell verbindlich vorzulegen13. Nachdem bereits 1722 an einem provisorisch aufgestellten Altar die Messe gefeiert worden war14, folgte ab 1725/1726 die Fertigstellung der Altäre, wobei hinsichtlich der Urheberschaft für die letztgültigen Risse des Hochaltars Giuseppe Galli-Bibiena verantwortlich zeichnete, für die Querhausaltäre aber – auf der Basis einer entsprechenden Entwurfsskizze (1711?) in der Mährischen Galerie in Brünn (Sammlung Grimm, Inv.-Nr. B 14.983)15 – Antonio Beduzzi16 als wahrscheinlicher Urheber angenommen werden darf. Nach der Aufstellung der entsprechenden Altäre konnten am 13. Oktober 1735, dem Festtag des Heiligen, die Gebeine Kolomans nach einer langen Odyssee, die nicht ohne Grund mit dem Pilgerdasein Kolomans verglichen wurde17, in den neuen Querhausaltar übertragen werden18. Wir haben es somit mit einer relativ langen Planungsgeschichte für Bau
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Burkhard Ellegast OSB, Das Stift Melk (Stift Melk 2007) 50; zu Beduzzis Rolle in Melk zusammenfassend: Hellmut Lorenz, Wissenschaftliches Arbeitsgespräch „Die Stiftskirche von Melk – Bau und Ausstattung“, Stift Melk, 19./20. April 1985. Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 39 (1985) 133 –135. Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 258, Nr. 28.20. 1722 ist zugleich das Jahr des durch ein Schreiben des Kaisers vom 18. Februar 1722 (vgl. Ausstellungskatalog Jakob Prandtauer [wie Anm. 12] 119, Nr. 50) bewirkten Endes der Auseinandersetzung zwischen Dietmayr und den gegen dessen Aktivitäten agierenden Mönchen. Bereits 1721 war Melk im Zentrum sensibler kirchenpolitischer Fragen gestanden, als von kaiserlicher Seite der (rasch wieder verworfene und auch von Dietmayr bekämpfte) Plan erwogen wurde, in Melk ein Bistum zu errichten und dem Abt die Bischofswürde zu übertragen, vgl. Ignaz Franz Keiblinger, Geschichte des Benedictiner-Stiftes Melk in Niederösterreich, seinen Besitzungen und Umgebungen 1 (Wien 1851) 952f.; Ausstellungskatalog Jakob Prandtauer (wie Anm. 12) 118, Nr. 47; Flossmann–Hilger, Melk (wie Anm. 12) 24f. Vgl. Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 254 (Abb.), 258, Nr. 28.20; Triumph der Phantasie. Barocke Modelle von Hildebrandt bis Mollinarolo, Ausstellungskatalog, hg. von der Österreichischen Galerie Belvedere Wien (Wien 1998) 153 –155, Nr. 34; zu den Veränderungen gegenüber der Zeichnung durch die Hinzufügung bühnenhaft plastischer Figurenarrangements: Bernd Euler-Rolle, Wege zum „Gesamtkunstwerk“ in den Sakralräumen des österreichischen Spätbarocks am Beispiel der Stiftskirche von Melk. Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 43 (1989), H. 1, 25 – 48, hier 41f. Beduzzis Riss zum Melker Hochaltar aus dem Jahr 1722 kam nicht zur Ausführung, möglicherweise war er zum damaligen Zeitpunkt bereits in Ungnade gefallen; er scheint auch nach 1722 nicht mehr in den Quellen auf, vgl. Euler-Rolle, Wege (wie Anm. 15) 41; Ellegast, Stift Melk (wie Anm. 12) 62; zu Beduzzis Werk zusammenfassend: Dankmar Trier, Art. Antonio Beduzzi. In: Saur Allgemeines KünstlerLexikon. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker 8 (München – Leipzig 1994) 223–225. Für die Altäre des Querhauses war Franz Vital Dräxel der verantwortliche Steinmetz, Peter Widerin führte die figuralen Bildhauerarbeiten aus, vgl. Flossmann–Hilger, Melk (wie Anm. 12) 45; zu Dietmayr und Beduzzi: Weigl, Klosteranlagen (wie Anm. 12) 61f., 64. Vgl. die entsprechenden Quellen bei: Tietze, Melk (wie Anm. 12) 213. Tietze ebd. (unter Zitation des Melker Baujournals aus dem Jahr 1735); Flossmann, Bau (wie Anm. 12) 24; Wilfried Kowarik–Gottfried Glassner–Meta Niederkorn-Bruck, Melk, in: Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol, bearb. von Ulrich Faust OSB–Waltraud Krassnig (Germania Benedictina III/2, St. Ottilien 2001) 526 – 654, hier 613; Niederkorn-Bruck–Dubski, Koloman (wie Anm. 3) 326. Der Eintrag im Wienerischen Diarium am 19. Oktober 1735 (Nr. 84) lautet: Anastasis D. Colomanni M. Luculentissimis honoribus manifestata, Quum Mellicensis Benedictinorum familia
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und Ausstattung zu tun, die für vorliegende Problemstellung vor allem die grundsätzliche Frage aufwirft, ob die ursprünglichen Zielsetzungen Abt Berthold Dietmayrs auch nach den grundlegenden Änderungen des (nicht überlieferten) Klosterrisses (1711)19 noch Gültigkeit besessen haben. Es kann davon ausgegangen werden, dass für beide Querhausaltäre eine wirkungsästhetisch beeindruckende „Erscheinungsarchitektur“ das angestrebte Ziel war, wobei jeweils die Hauptinhalte der vertikalen Sinnachsen (von unten nach oben: Sarkophag – Obelisk – IHS-Emblem [bzw. Gottvater] – Melker Kreuz – abschließendes Inschriftenband) mit jenen der Horizontalen, die den Heiligen in ein hagiographisches Programm einbinden, korrelieren. Unterstrichen wird dieser auffällige Parallelismus durch die Formulierungen (jeweils beginnend mit IVSTVS) sowie die Inhalte der beiden Spruchbänder, die auf Phänomene des Blühens und Wachsens Bezug nehmen. Für entsprechende, mit Koloman kongruierende Zeugnisse des Blühens in der vita des heiligen Benedikt bietet die Hagiographie einen Anhaltspunkt, die darauf hinweist, dass nach der Erhebung der Gebeine des Ordensvaters Bäume und Dornhecken trotz der Winterzeit Blüte getragen hätten20. Nicht zuletzt kommt im ausführlichen Melker Baujournal (Kürchen- und Clostergebäurechnung) anlässlich des Berichts der Fertigstellung des Koloman-Altares im Jahr 1735 deutlich ein bewusst intendiertes Verhältnis (Wettstreit) zwischen Benedikt und Koloman zum Ausdruck, wenn hier von einem […] ad sanctam aemulationem gegenüber gesezte Altar S. Benedicti […]21 die Rede ist. Trotzdem bleibt das markante Problem, dass ein – wie im Melker Querhaus – so konsequent angewendeter Parallelismus zwischen Koloman und Benedikt spezifische Aspekte oder Wirkungsbereiche eines der beiden Heiligen zurückdrängen musste. Ein wichtiger Unterschied in der Funktion der Querhausaltäre besteht jedenfalls darin, dass der Koloman-Altar nicht nur einen beliebigen Altar im Kirchenraum markiert, sondern zugleich das Grab des Heiligen anzeigt. Ist somit diese bewusste Einbeziehung eines Sarkophags beim Koloman-Altar noch verständlich und kultisch begründet, da ein Sarkophag, wie aus einem wahrscheinlich aus dem ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts stammenden Entwurf in der Plansammlung des Stiftes (Nr. 281) deutlich wird, wahrscheinlich von Anfang an (auf Anordnung Dietmayrs?) in die entsprechende Altar-
Sacratissima Athletae lipsana, augustiore tabernaculo locupletata, publicae pietati posteritatique commendaret MDCCXXXV III. Eid. VIIIbres. Qua die gens Hebraea festum palmarum celebrabat. (vgl. Keiblinger, Melk [wie Anm. 14] 1116). Gerade der Hinweis auf das festum palmarum ist dabei hinsichtlich der Erwähnung der palma im Psalmspruchband des Altars nicht ohne Bedeutung. 19 Vgl. Flossmann, Bau (wie Anm. 12) 23; Flossmann–Hilger, Melk (wie Anm. 12) 50. 20 Ribadeneira, Flos (wie Anm. 9) 153; Anonym, Kurtzer in gemeiner Red-Art verfaster [sic!] Lebens-Begriff deß grossen Heiligen Patriarchen und Ertz-Vatters Benedicti […] (Klagenfurt 1737) 54. 21 Zitiert nach: Tietze, Melk (wie Anm. 12) 213.
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lösung zu integrieren war22, wird ein solcher aber im Fall des Benedikt-Altars – da es sich in diesem Fall nicht um eine „echte“ Grabstätte, sondern um die Integration eines „symbolischen Grabes“23 handelt, – höchst erklärungsbedürftig. Leonore Pühringer-Zwanowetz zufolge wird mit dieser Lösung die Vorstellung eines „Montecassino in Melk“ evoziert – ordensorganisatorisch angeblich zusätzlich durch die 1699 erfolgte (also noch vor der Ära Berthold Dietmayrs) Aufnahme Melks in die Cassinenser Kongregation unterstrichen24. Einen wichtigen Hinweis in dieser Frage dürfte hier die Benediktvita in den „Dialogen“ Gregors des Großen (II, 37, 4) liefern, ist doch beim Begräbnis des Ordensvaters davon die Rede, dass dieser im Oratorium des heiligen Johannes des Täufers begraben wurde, das Benedikt auf dem von ihm selbst zerstörten Apolloheiligtum in Montecassino errichtet haben soll25. Die offensichtliche Betonung des Grabes im Querhausaltar des heiligen Benedikt in Melk könnte über diesen Passus der vita die Funktion besessen haben, die solcherart imaginierte symbolische Präsenz Montecassinos im Donaukloster steigern zu helfen. Es stellt sich somit die grundsätzliche Frage, wie es im Kosmos der Melker Stiftskirche auf der Basis der von Abt Berthold Dietmayr durchgesetzten umfangreichen Veränderungen beim Neubau zu einer solchen ungewöhnlichen Konzeption kommen konnte, und – darauf basierend –, welche Aussagen man über den barocken Koloman-Kult in Melk im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts treffen kann. Die skizzierte Nobilitierung des Lokalheiligen Koloman durch die bewusste Gegenüberstellung mit Benedikt im Querhaus und die auffällige Parallelisierung in der Umsetzung der beiden Querhausaltäre werfen entsprechende Fragen auf, die in dieser Weise bisher noch nicht gestellt worden sind. Der angesprochene Problemkreis ist gerade in Hinblick auf die prononcierte Verwendung des Obelisken auch deshalb nicht ohne Interesse für den Gesamtzusammenhang der Melker Barockisierung, da etwa in auffälliger Weise die 1723/1724 gestaltete Ostfassade des Osttraktes, der die Trennung zum sog. Torwartlhof bildet, die Statuen der Apostelfürsten von monumentalen Postamenten mit frei stehenden Obelisken umgeben zeigt. 22 Euler-Rolle, Form (wie Anm. 7) 130; Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 254 (Abb.), 258, Nr. 28.19; Euler-Rolle, Wege (wie Anm. 15) 37f., Abb. 11 (mit dem wichtigen Hinweis, dass Dietmayrs Ziel in einer „einheitlichen Gesamtausstattung“ ohne isolierte Kultobjekte älterer Provenienz bestanden haben dürfte); Ausstellungskatalog Phantasie (wie Anm. 15) 152f., Nr. 33; Weigl, Klosteranlagen (wie Anm. 12), Abb. 80. 23 Leonore Pühringer-Zwanowetz, Zur Planentwicklung des Melker Stiftsbaues unter Abt Berthold Dietmayr (1700–1739), in: Stift Melk. Geschichte und Gegenwart 1 (Stift Melk 1980) 120 –171, hier 147. 24 Keiblinger, Melk (wie Anm. 14) 925 (päpstliches Breve vom 24. September 1699), vgl. Anselm Schramb OSB, Chronicon Mellicense […] (Wien 1702) 968; Pühringer-Zwanowetz, Planentwicklung (wie Anm. 23) 148. 25 Grégoire le Grand, Dialogues II, hg. von Adalbert de Vogüé OSB–Paul Antin OSB (Sources chrétiennes 260, Paris 1979) 244f., Z. 27f. (Sepultus vero est [scil. Benedikt] in oratorio beati Baptistae Iohannis, quod, destructa ara Apollinis, ipse contruxit); vgl. Ribadeneira, Flos (wie Anm. 9) 149, 153.
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Die hier skizzierten Problemkreise betreffen zuallererst die Herleitung des Typus des Altars: Es ist auffällig, dass mit dem Obelisken eigentlich ein – besonders im 18. Jahrhundert in der Plastik verbreitetes – Symbol fürstlichen Ruhmes26 zur Gestaltung beider Altararchitekturen des Querhauses herangezogen wurde, wie es etwa zur gleichen Zeit im Grabmal Schlick im Prager Dom (1725) formuliert wurde und prinzipiell in der Adelskultur weit verbreitet war. Die Kombination von Obelisk und Sarkophag tritt erstmals in den auf Raffael zurückgehenden und schließlich von Bernini modifizierten Chigi-Grabmälern der gleichnamigen Kapelle in der römischen Kirche S. Maria del Popolo auf 27. Im Schlick-Grabmal wurde – wie in vielen anderen vergleichbaren Fällen – auf einen rahmenden architektonischen Aufbau verzichtet, und der Gefeierte ist in Gestalt eines Bildnismedaillons im Obelisken selbst präsent. Neben dieser Verwendung von Obelisken in Sepulkralfunktionen28 sowie bei ephemeren Anlässen muss in besonderer Weise einerseits auf Dreifaltigkeitssäulen verwiesen werden, die häufig ebenfalls auf einem zweigeschossigen Unterbau ruhen (Prag, Kleinseitner Ring, Johann 26 Vgl. Cesare Ripa, Iconologia overo descrittione di diverse imagini cavate dall’antichità, e di propria inventione (Rom 1603). With an introduction by Erna Mandowsky (Hildesheim–New York 1970) 189 –193 (Gloria de’Principi). Darüber hinaus fungiert der Obelisk auch als wesentliches Element barocker castra Doloris, vgl. Liselotte Popelka, Castrum Doloris oder „Trauriger Schauplatz“. Untersuchungen zu Entstehung und Wesen ephemerer Architektur (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Kommission für Kunstgeschichte, hg. von Hermann Fillitz 2, Wien 1994), Abb. 53, 82, 125, 126 (mit einer wohl zu weit führenden, weil zu generellen Interpretation der Obelisken als „Zeichen des sieghaften katholischen Glaubens“ bei Michael Brix, Trauergerüste für die Habsburger in Wien. Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 26 [1973] 208–265, hier 222); besonders deutlich mit flankierender Draperie in einer Zeichnung von Ferdinando Sanfelice, einem Trauergerüst für Kaiserin Eleonora Magdalena von Pfalz-Neuburg, 1720, vgl. Barock in Neapel. Kunst zur Zeit der österreichischen Vizekönige. Ausstellungskatalog, hg. von Wolfgang Prohaska–Nicola Spinosa, Kunstforum der Bank Austria (Neapel 1993) 347, Nr. 123; siehe hier auch das Mausoleum der schwedischen Königin Ulrike Eleonore († 1693), vgl. Mårten Snickare, De la procession à l’œuvre d’Art totale. Les transformations de la cérémonie funéraire royale dans la Suède du XVIIe siècle. In: Les funérailles princières en Europe, XVIe–XVIIe siècle 1: Le grand théâtre de la mort, hg. von Juliusz A. Chrościcki–Mark Hengerer– Gérard Sabatier (Versailles 2012) 335–353, hier 343, fig. 2. Nicht zuletzt ist der Obelisk im Kontext der päpstlichen Symbolik der Frühen Neuzeit auch als ein Zeichen des Bestehens des Ruhmes des Heiligen Vaters (GLORIA PONTIFICIS) anzusehen, vgl. Yvan Loskoutoff, Un art de la réforme catholique. La symbolique du pape Sixte-Quint et des Peretti-Montalto (1566 –1655) (Paris 2011) 257, fig. 79 (mit einem Hinweis auf eine päpstliche Medaillensammlung des Jahres 1586) – ein Umstand, der im Hinblick auf die unübersehbare päpstlich bestimmte Ikonographie mit benediktinischen Vorzeichen in Melk, vgl. Werner Telesko, „Ecclesia militans et triumphans“. Heilsgeschichte und Universalhistorie als Leitmotive in der Ausstattung des Presbyteriums der Benediktinerstiftskirche in Melk. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 121 (2010) 321–348, nicht ohne Interesse sein dürfte. 27 Christina Strunck, Bellori und Bernini rezipieren Raffael. Unbekannte Dokumente zur Cappella Chigi in Santa Maria del Popolo. Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 30 (2003) 131–182. 28 Vgl. hier etwa einen unsignierten Stich mit dem Katafalk zu Ehren König Karls II. von Spanien (Peter Fuhring, Ornament Prints in the Rijksmuseum II. The Seventeenth Century, 3. Teil [Rotterdam 2004] 18f., Nr. 9673), der einen Obelisken auf einem monumentalen Unterbau platziert.
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Meyer und Ferdinand Geiger, 1715)29 bzw. eine von Wolken umgebene Pyramide zeigen (Teplice, Matthias Bernhard Braun, 1718)30, andererseits aber auf ebenfalls im öffentlichen Raum positionierte Gedenksäulen in der Art jener für den heiligen Kajetan (Ferdinand Maximilian Brokoff, 1709)31 auf der Prager Karlsbrücke, die den Heiligen im Inspirationsgestus vor einem wolkenumranken Obelisken wiedergibt. Für einen kirchlichen Zweck, wie er in Melk vorliegt, liegt die Annahme nahe, dass speziell mit dem steil aufragenden Obelisken, der im Kirchenschiff der Stiftskirche in höchst repetitiver Weise motivisch auch die Seiten der volutenartigen Dekorationen mit den Medaillons der heiligen Benediktinerpäpste schmückt, primär transitorische Gesichtspunkte vermittelt werden sollten. Dieser Umstand ist beim Heimgang des Ordensvaters Benedikt durch den Obelisken, der die (malerisch unterstrichene) „Bahn“ zu Gottvater im Auszug unterstützt, inhaltlich ebenso transparent wie beim knienden Koloman, der mit der Rechten auf den Sarkophag weist: Die Gebetsrichtung wird hier durch den von Wolkenbändern umrankten Obelisken angezeigt und ihre Intensität in der Höhe des Gebälks durch einen betenden Putto am unteren Rand der Glorie gleichsam konkretisiert. Eine spezifische inhaltliche Bedeutung erhält der Obelisk in der emblematischen Auslegung der Benediktregel, Quinquagena Symbolorum Heroica […] (Linz-Augsburg 1741), des Lilienfelder Professen und Historikers Chrysostomus Hanthaler OCist, in der die Pyramide für Paupertas corporis & spiritus (SYMBOLUM XVIII) steht und mit dem Motto QVO CELSIOR, HOC RARIOR kombiniert wird32. Auch der mit Emblemen reich illustrierte Coelum Christianum (Augsburg –Würzburg 1749) des Wessobrunner Benediktiners Coelestin Leuthner sieht den Obelisken im Kontext einer wahrhaft christlichen Lebensführung, die schwieriger und gefahrvoller wird, je steiler der Weg hinaufführt (Emblem Altior angustior).33 In Joachim Camerarius’ Symbola et Emblemata (Nürnberg 1590 –1604) schließlich wird die Konnotation des (von Efeu umwundenen) Obelisken als Symbol der Standhaftigkeit durch das 29 Barock in Böhmen, hg. von Karl M. Swoboda (München 1964), Abb. 99. 30 Václav V. Štech, Die Barockskulptur in Böhmen (Prag 1959) 82, fig. 28. 31 Ebd., fig. 74; motivische Verbindungen gibt es hier zur profanen Herrscherrepräsentation, vgl. hier etwa eine Stichansicht des Entwurfs für das Feuerwerk, das 1649 zu Ehren König Ludwigs XIV. von Frankreich vor dem Rathaus in Paris abgehalten wurde und Apoll vor einem Obelisken zeigt (Wien, Albertina, Historische Blätter, Bd. 11, Mappe Ludwig XIV. [o.Nr.]). 32 Chrysostomus Hanthaler OCist, Quinquagena symbolica, in praecipua capita, et dogmata sacrae regulae SS. monachorum patris & legislatoris Benedicti […] (Krems/D. 1741) 35. 33 Coelestin Leuthner OSB, Coelum Christianum in quo Vita, Doctrina, Passio D. N. Jesu Christi, […] Symbolicis figuris expressa, […] proponuntur (Augsburg 1749), Taf. 29. Es ist in diesem Sinn die Spitze eines Obelisken, die eine besondere inhaltliche Bedeutung als Ziel gewinnt, vgl. in diesem Zusammenhang das Emblem Donec attingam (mit einem Herz an der Spitze) bei Anton Ginther, Speculum amoris et doloris […] (Augsburg 1706) 233, sowie bei Hanthaler, Quinquagena (wie Anm. 32) 36: […] Sic tuae colossum Gloriae construes: ita apicem obtinebis virtutis: hoc demum pacto gracile caput tuum nubibus inferes.
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Motto (TE STANTE VIREBO)34 sowie das darin enthaltene Verb virere (kräftig sein, grünen) zusätzlich aufgeladen35. Es ist daher aufgrund dieser dichten Symbolik nicht ungewöhnlich, den Obelisken en miniature auch häufig im Auszug von Märtyreraltären in süddeutschen Klosterkirchen anzutreffen. Die spezifisch vegetabile Symbolik, wie sie mit Palme und Lilie36 aufgrund der Texte in den Spruchbändern der Melker Querhausaltäre verbunden werden muss und bei Koloman aufgrund der spezifischen Umstände seines Todes für eine entsprechende Visualisierung eigentlich besonders naheliegen würde, wurde im Melker Querhaus durch das Zeichen des Obelisken als vergleichsweise starres (und eben nicht vegetabil [etwa in Anlehnung an einen Holunderstrauch?] gestaltetes)37 Symbol einer Bewegungsrichtung von unten nach oben und somit auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des Vergleichsmoments zwischen Koloman und Benedikt reduziert. Dieses Faktum wird bei einem genaueren Vergleich zwischen dem Koloman- und BenediktAltar unterstrichen, der zu zeigen vermag, wie durch die beschriebene Symmetrisierung zwar eine typenmäßige Angleichung der beiden Altäre erzielt wurde – allerdings um den hohen Preis, dass die eigentliche Handlung des vor dem Obelisken knienden Pilgers Koloman zwischen einem Verweis auf (sein eigenes!) Grab und einem Betgestus unscharf bleibt und somit vor dem Hintergrund von dessen vielschichtiger Legende nicht wirklich konkretisiert erscheint. Die damit zwangsweise verbundene Hintanstellung der Visualisierung jeder vegetabilen Symbolik, die nur mehr durch die biblischen Hinweise (Spruchbänder) gegenwärtig bleibt, ist umso auffälliger, als gerade der Psalmvers IVSTVS VT PALMA FLOREBIT in der Exegese eine intensive Ausdeutung erfuhr: So vergleicht Thomas Malvenda bei der Interpretation dieses Psalms in seinem Schriftkommentar fromme Menschen mit Frucht bringenden Palmen und die Kirche 34 Joachim Camerarius, Symbola et emblemata (Nürnberg 1590 bis 1604). Mit Einführung und Registern hg. von Wolfgang Harms–Ulla-Britta Kuechen 1 (Naturalis Historia Bibliae 2/1, Graz 1986), Nr. 73, vgl. Arthur Henkel–Albrecht Schöne, Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts (Stuttgart 1967, Reprint ebd. 1996) 1222. 35 Eine Interpretation des Obelisken im Koloman-Altar als „[…] Symbol des christlichen Triumphs über das Heidentum“ (Ausstellungskatalog Phantasie [wie Anm. 15] 153, Nr. 34) ist zwar grundsätzlich naheliegend, aber aus der inhaltlichen Konzeption des Altars nicht unmittelbar abzuleiten. 36 Zur Liliensymbolik in Bezug auf den heiligen Benedikt grundlegend: Augustinus Erath CanReg, Lilium inter spinas, das ist: Der Heilige Ertz-Vatter und große Ordens-Stiffter Benedictus, als eine under den Dörnern blühende Lilien (Augsburg 1682), o. S. (mit Zitation von Hld 2, 2 und Os 14, 6), allgemein: Cornelius a Lapide SJ, Commentaria in duodecim prophatas minores (Antwerpen 1685) 204. Gerade für Melk ist diesbezüglich auf den Titel der umfangreichen Predigtsammlung des Melker Professen Valentin Larson, Acervus tritici vallatus liliis […] (Augsburg – Graz 1716), zu verweisen, zu Larson: NiederkornBruck–Dubski, Koloman (wie Anm. 3) 308. 37 So berichtet Ghelen, Frucht (wie Anm. 9), o. S., im Rahmen seiner Predigt von einem auf dem Hochaltar der Franziskanerkirche in Stockerau ausgesetzten Holderstamm.
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insgesamt mit einem plantarium amœnissimum38. Ein gewisser Ausgleich kann hier insofern geschaffen werden, als die Exegese für diesen Psalm in Bezug auf die Palme weitere Deutungshorizonte bereithält, die über die Visualisierung der Unsterblichkeit bis zur Veranschaulichung der Differenz zwischen der Baumwurzel und der Spitze unter dem Himmel reichen können39. Da die Altarentwürfe im Querhaus auf eine längere Planungsgeschichte zurückgehen, ist es charakteristisch, dass sich die endgültige Gestaltung aus mehreren Elementen zusammensetzt – zum Einen aus dem erwähnten zentralen Obelisken, zum Zweiten aus den Sarkophagen, die scheinbar von Anfang an zu einem Fixbestandteil in den Planungen gehörten, zum Dritten aus dem Auszug mit zentralem IHS und flankierenden Engeln im Koloman-Altar, wie er auf Konzeptionen in der Art der erwähnten Ignatius-Kapelle im römischen Gesù (Engel mit dem IHS-Emblem oberhalb der Nische mit der Statue des heiligen Ignatius, 1687)40 zurückgeht, und zum Vierten aus Anleihen des ab dem frühen 17. Jahrhundert verbreiteten Typus des „Draperiealtars“ (z. B. Langenzersdorf, Pfarrkirche, Hauptaltar, Matthias Steinl zugeschrieben, 1711–1715; Breslau, Hochaltar der Kirche der Barmherzigen Brüder, 1724 aufgestellt, Matthias Steinl)41. Letzteres Element betrifft vor allem die malerische Einbindung der beiden Seitenfiguren der Melker Querhausaltäre. Hinsichtlich der konkreten thematischen Ausgestaltung des Koloman-Altares ist von Bedeutung, dass zumindest zwei Elemente, die diesen Altar in ikonographischer Weise deutlich auszeichnen, in engstem Zusammenhang mit dem Kult um den heiligen Koloman stehen: Zum einen betrifft dies das Melker Kreuz: Der Melker Historiker Godefridus Deppisch führt in seiner Publikation Geschichte und Wunderwercke des Heiligen Colomanni Königlichen Pilgers und Martyrers […] (Wien 1743)42 (Abb. 3) 38 Thomas Malvenda, Commentaria in Sacram Scripturam unacum nova de verbo ad verbum ex hebraica translatione, 4 (Lyon 1650) 314. 39 Jacobus Tirinus, Commentarius in sacram scripturam […], 1 (Augsburg 1704) 427. 40 Vgl. Robert Enggass, Early Eighteenth-Century Rome Sculpture in Rome. An illustrated Catalogue raisonné, plates (University Park–London 1976), fig. 21. 41 Leonore Pühringer-Zwanowetz, Matthias Steinl (Wien–München 1966) 235 –237, Nr. 36, 40, Abb. 196, 197; Katalin Granasztói, Die Erscheinungen der Theaterhaftigkeit und Stofflichkeit an einer Altargruppe aus Nordostungarn. In: Studien zur Werkstattpraxis der Barockskulptur im 17. und 18. Jahrhundert, hg. von Konstanty Kalinowski (Uniwersytet Im. Adama Mickiewicza w Poznaniu, Poznań 1992) 291–307, hier 292f., Abb. 1. Dieses Phänomen des Draperiealtars kann weiter gefasst werden, zieht man etwa Beispiele wie den Hochaltar der ehemaligen Benediktinerstiftskirche in Füssen heran, vgl. Guido Reuter, Barocke Hochaltäre in Süddeutschland 1660 –1770 (Petersberg 2002) 51f., Abb. 37. 42 Die Publikation von Godefridus Deppisch OSB, Geschichte und Wunderwercke des Heiligen Colomanni Königlichen Pilgers und Martyrers […] (Wien 1743), enthält als gefaltetes Vorsatzblatt einen Kupferstich des ausgeführten Melker Koloman-Altares nach Franz Rosenstingl, vgl. Franz Seraphicus Weber OSB, St. Coloman. Denkschrift zur neunten Jahrhundertfeier des Heiligen Schutzpatrons der Benediktinerabtei Melk (Melk–St. Pölten 1912) 38 (Abb.); Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 259, Nr. 28.21; Ingeborg Schemper-Sparholz, Der Bildhauer Lorenzo Mattielli. Die Wiener Schaffensperiode 1711–1738. Skulptur als Medium höfischer und sakraler Repräsentation unter Kaiser Karl VI. (Habilitationsschrift Universität
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Abb. 3: Kupferstich des barocken Melker Koloman-Altars aus: Godefridus Deppisch, „Geschichte und Wunderwercke des Heiligen Colomanni Königlichen Pilgers und Martyrers […]“ (Wien 1743) (© Archiv des Autors)
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an, dass eine wichtige Ursache dafür, dass die Geschichte dieses Kreuzes seiner Koloman-Publikation beigebunden wurde43, darin bestehe, […] daß Rudolphus der Vierte […] aus Ehrenbietigkeit gegen Gott, und aus besonderer Liebe zu den Heiligen Martyrer Colomannum seye bewogen worden, mit kostbaren Jubelen [sic!] und Edelgesteinen [scil. die Kreuzpartikel] zu zieren.44 Deppisch, der mit anderen Melker Professen wie Hueber, Wertema oder Pliemel unter den Mitgliedern der 1695 in Pöchlarn zur Verehrung Kolomans gegründeten Gebetsbrüderschaft Collegium S. Colomanni verzeichnet ist45, zitiert in diesem Zusammenhang auch den Melker Historiker Hieronymus Pez, wonach von einem unbekannten Mölckerischen Geistlichen um 1362/1363 geschrieben worden sei: Nos Rudolphus quartus [...] ob specialem amorem sanctissimo Martyris Colomanni comparavimus, & c. [scil. das Melker Kreuz]46. Die visuelle Gegenwart des Melker Kreuzes, dessen stilisierter Typus auch auf der Spitze des Benedikt-Altares, am Hochaltar sowie an einigen Seitenaltären aufragt, kann somit in enger Beziehung mit der seit Rudolf IV. dokumentierten Verehrung Kolomans, die im „Kolomanistein“ besonders deutlich wird47, gesehen werden. Der andere Punkt betrifft den Text des Inschriftenbandes am Koloman-Altar, der davon spricht, dass der Gerechte wie eine Palme blühen werde. Obwohl mit der (in Melk in der gesamten Ausstattung motivisch immer wiederkehrenden) Palme letztlich ein genereller Hinweis auf die Funktion des christlichen Märtyrerzeugnisses gegeben wird und genau dieser Psalmvers im Proprium des Melker Koloman-Festes48 sowie später auch im Commune unius Martyris des Breviers aufgenommen werden sollte49, ist der zitierte Psalm besonders für die Legende des heiligen Koloman von Wien 2003), Abb. 524; zu Deppischs Publikation: Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 161, Nr. 18.13; zur Biographie: Keiblinger, Melk (wie Anm. 14) 963f. Hinsichtlich der beigefügten Kupferstiche unterscheiden sich die Exemplare von Deppischs genannter Publikation: So besitzt das Exemplar der Universitätsbibliothek Wien II 186.161 im Gegensatz zu II 146.628 viele – Koloman betreffende – Stichbeigaben. 43 Deppisch, Geschichte (wie Anm. 42) 235–261 (2. Anhang). 44 Ebd., 235. 45 Niederkorn-Bruck–Dubski, Koloman (wie Anm. 3) 303, vgl. in dem Zusammenhang das unter diesem Namen in der Stiftsbibliothek Melk (o. Sign.) existierende Büchlein, das die Nomina Dominorum Collegarum dieser Vereinigung handschriftlich verzeichnet. 46 Deppisch, Geschichte (wie Anm. 42) 235f.; vgl. Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 2) 40, Anm. 188. 47 Vgl. Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 2) 35f. 48 Proprium Festorum Monasterii Mellicensis […] ad usum Breviarii Monastici Ordinis S. Benedicti (Wien 1703) 2–13, hier 12 (Abschnitt Officia Sanctorum ex proprio Mellicensi, pars Autumnalis [Hymnus ad Laudes]). 49 Breviarium Romanum (wie Anm. 6) 36 (pars autumnalis). Zudem ist dieser Psalmvers seit dem Mittelalter mit einer herrschaftspolitischen Deutungskomponente unterlegt, vgl. Ludo J. R. Milis, Justus ut palma. Symbolism as a Political and Ideological Weapon on the Seals of Thierry and Philip of Alsace, Counts of Flanders (1128–1191). In: Ludo J. R. Milis: Religion, Culture, and Mentalities in the Medieval Low Countries: Selected Essays, hg. von Jeroen Deploige u. a. (Turnhout 2005) 249–270; so etwa tritt dieser Vers auch im Zusammenhang der Habsburgerpanegyrik auf, vgl. die Thesenschrift von Adamus Josephus Freiherr von Keller, Quinquennium secundum Imperii Romano-Germanici Caroli VI. […] (Wien
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zentraler inhaltlicher Bedeutung, begann doch der verdorrte Holunderstrauch wieder auszutreiben und zu blühen, nachdem man den Heiligen daran aufgehängt hatte. So nimmt gerade dieser Psalmvers bereits in den Antiphonen und Responsorien der frühen Koloman-Liturgie50 sowie in der vom Melker Abt Erchenfrid verfassten Passio des Heiligen eine besondere Stellung ein. Der Vers Iustus ut palma florebit, der in Erchenfrids Koloman-Passio (und in der Folge in anderen spätmittelalterlichen Martyrologien) beim Bericht des am Holunderbaum hängenden Koloman vorkommt51, wird später auch in Anselm Schrambs Chronicon Mellicense […] (Wien 1702)52, in Hieronymus Pez’ Acta S. Colomanni Regis et Martyris […] (Krems/D. 1713)53 (Abb. 4) sowie in Philibertus Huebers Austria ex archivis Mellicensibus illustrata libri III […] (Leipzig 1722)54 zitiert sowie in barocken Predigten zu Ehren des Heiligen wieder aufgenommen: […] dann wann Justus ut palma florebit, der Gerechte wie ein Palm blühen wird, also geziemet es sich auch, daß dieser Stock [scil. der Holunderstrauch, an dem Koloman hing] gleich einem Palm unversehrt verbleibe.55 1721) 71 (medaillenartiges Rundbild, das einen vor einem Altar mit religiösen Symbolen [Mariazeller Gnadenbild, Kreuz, Kelch etc.] knienden Mann zeigt; in der Umschrift findet sich u.a.: IUSTUS UT PALMA FLOREBIT.), vgl. hierzu: Friedrich Polleross, „Monumenta virtutis Austriacae.“ Addenda zur Kunstpolitik Kaiser Karls VI. In: Kunst, Politik, Religion: Studien zur Kunst in Süddeutschland, Österreich, Tschechien und der Slowakei, hg. von Markus Hörsch–Elisabeth Oy-Marra (Petersberg 2000) 99–122, hier 106f., Abb. 6 (ohne Hinweis auf Keller). Der Psalmvers tritt auch in einem Stich von Johann Andreas Pfeffel, ein Grabdenkmal (mit bekrönender Palme) der Familie Palmana (Esslingen) darstellend (1710), auf, vgl. Wien, Albertina, Ö. K., Pfeffel, Nr. 11. 50 Cod. Mell. 1677 (13. Jahrhundert, mit Zusätzen des 14. Jahrhunderts), vgl. Historiae rhythmicae. Liturgische Reimoffizien des Mittelalters, hg. von Guido Maria Dreves SJ, 2.F. (Leipzig 1892) 97. Daneben wäre hier auch auf die „sieben Tagzeiten“ zu Ehren Kolomans hinzuweisen, vgl. Weber, St. Coloman (wie Anm. 42) 42 (Vers im Hymnus zur Sext: Der Gerechte wird blühen, wie ein Palmbaum), sowie 44 (Der Gerechte wird blühen, wie eine Lilie [vgl. Os 14, 6!]), die bereits 1709 in Wien erschienen sind (Andächtige Verehrung mit den Siben [sic!] Tagzeiten und Litaney deß Heiligen Königs und Martyrer wie auch Patron deß Oesterreich Colomanni […]). In diesem Werk wird die Polarität zwischen Pilgerstab bzw. -flasche und dem Szepter Kolomans (S. 8: Hymnus zur Terz) sowie zwischen irdischer Krone und Märtyrerkrone des Heiligen (S. 9: Hymnus zur Sext) besonders zum Ausdruck gebracht. 51 Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 2) 72, Anm. 325 (mit einer Edition des Textes). 52 S. 23. Schrambs Chronicon bildet noch im Supplementband zu Ribadeneiras Flos Sanctorum, hg. von Joannes à Sancto Felice (Köln 1721) 561–566, hier 561, einen wichtigen Anhaltspunkt für die Kolomanvita. 53 Hieronymus Pez OSB, Acta Sancti Colomanni Regis et Martyris […] (Krems/D. 1713) 72; zu Pez’ Acta: Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 163, Nr. 18.19; Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 2) 57; Thomas Wallnig–Thomas Stockinger, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare 1: 1709–1715 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 2/1, Wien–München 2010) 12f.; Niederkorn-Bruck–Dubski, Koloman (wie Anm. 3) 313 –318. 54 Philibertus Hueber OSB, Austria ex archivis Mellicensibus illustrata libri III […] (Leipzig 1722) 298; zu Hueber: Martinus Kropff OSB, Bibliotheca Mellicensis […] (Wien 1747) 530 –540; Keiblinger, Melk (wie Anm. 14) 937f.; Flossmann–Hilger, Melk (wie Anm. 12) 23f.; Niederkorn-Bruck–Dubski, Koloman (wie Anm. 3) 307–309. 55 Ghelen, Frucht (wie Anm. 9), o. S.
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Abb. 4: Frontispiz aus: Hieronymus Pez, „Acta S. Colomanni Regis et Martyris […]“ (Krems/D. 1713) (© Archiv des Autors)
Wie sehr aber die beiden Querhausaltäre in ihrer Konzeption von Anfang an miteinander verschränkt gewesen sein müssen, zeigt der am Sarkophag des Benedikt-Altars angebrachte Vers: In Pez’ Acta findet sich nämlich in der unpaginierten und mit Jurati Clientes Professor & Discipuli firmierten Vorrede an Abt Berthold ein Hinweis darauf, dass dieser an der Frontseite des Sarkophags am Benedikt-Altar angebrachte Passus ERIT / SEPVLCHRVM EIVS / GLORIOSVM (Jes 11, 10) gerade auch in Bezug auf Koloman Bedeutung besessen haben dürfte. In diesem Lobpreis Hieronymus Pez’ auf den Melker Neubau durch Abt Berthold Dietmayr heißt es: […] utqui postea, quam Magnificae Templi structurae supra omnes Austriae Ecclesias (absit verbo invidia) verticem extollenti,
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supremam manum admoveris, Augustā absidem, quâ sacros COLOMANNI cineres, velut sepulchrô glorioso recondas, excitare apud animum constituisti. Bene est: haec aliaque; quam plurima egregie facta, quibus omnium Antecessorum res gestas superas, […]56. Der markante Terminus des sepulchrum gloriosum findet hier somit textlich auf Koloman Anwendung. Das Phänomen, dass im Rahmen der Koloman-Passio Begriffe und Zitate vorkommen, die im Kontext der Neuausstattung der Melker Stiftskirche eine generelle Bedeutung besitzen, ist auch mit einer anderen Passage von Erchenfrids mittelalterlicher Koloman-Passio zu verbinden: Beim Martyrium des Heiligen heißt es dort unter anderem: […] Nemo coronabitur nisi, qui legitime certaverit. […]57, eine offensichtliche Parallele zur Inschriftenkartusche des Melker Hochaltars (2 Tim 2, 5).58 Dies ist kein Einzelfall, zeigt doch ein Blick in ein Melker Brevier aus dem 13. Jahrhundert (Cod. Mell. 1677), dass In II Nocturno beim Koloman-Fest der Vers einer Antiphon in der zweiten Strophe Martyr certans legitime59 lautet. Die memoria Kolomans ist somit nicht nur in besonderer Weise in der Ikonographie des Querhausaltars selbst präsent, sondern gleichsam an verschiedenen anderen Orten im Inneren der Kirche sowie im täglichen Kultus gegenwärtig. Für die damit verbundene deutliche Anbindung Kolomans an die barocke Benediktinerhagiographie spielt sicher eine Rolle, dass bereits Gabriel Bucelinus 1651 in seiner Aquila imperii Benedictina […] Koloman im Syllabus Sanctorum, Beatorum, […] ex Ordine Divi Patris Benedicti Monachorum, das Imperium Germanicum betreffend, als Märtyrer des Ordens benennt60. In der Monasteriologia […] (Augsburg 1638) des Benediktiners Carolus Stengelius überdeckt überhaupt eine ausführliche Passio Kolomans61 die üblicherweise sonst am Beginn der entsprechenden Nennung des Klosters erwähnte Gründungsgeschichte.
56 Pez, Acta (wie Anm. 53), o. S. 57 Hueber, Austria (wie Anm. 54) 298; vgl. Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 2) 71, Anm. 324. 58 Eduardus Maria Fresacher OSM, Erbauliche Lob-Rede von der Verlassung des Zeitlichen, und vollkommener Nachfolg Christi, so in dem Heiligen Ertz-Vatter Benedicto […] (Krems/D. 1743), o. S., sieht in seiner Melker Predigt des Jahres 1743 die Nachfolge Benedikts ebenfalls im Zusammenhang mit der Rhetorik der ecclesia militans (2 Tim 4, 7). Eben dieser Bibelvers wird auch in der Lesung nach dem Hymnus zur Vesper im Gebetbuch Andächtige Verehrung (wie Anm. 50) 12, verwendet. 59 Historiae rhythmicae (wie Anm. 50) 96. 60 Gabriel Bucelinus OSB, Aquila imperii Benedictina […] (Venedig 1651), o. S. Dies wird in Bucelinus’ Menologium Benedictinum […] (Feldkirch 1655) 707, in dem ebenfalls Koloman, Bucelinus zufolge der tutelaris Austriae, Eingang fand, im Sinne einer besonderen Stellung des Heiligen weiter ausgeführt: […], inter praecipuos Austriae, quam Apostolico sanguine irrigavit, Tutelares celebratus […]. 61 Carolus Stengelius OSB, Monasteriologia […], pars altera (Augsburg 1638), o. S. (in der handschriftlichen Folierung des Exemplars der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien: fol. 47r).
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Für die Neugestaltung des Inneren der Melker Stiftskirche gab es bereits zur Zeit der Planung und Ausführung im frühen 18. Jahrhundert zwei grundsätzliche Lesarten: Die eine versucht mit dem Topos der Überbietung Dietmayrs Leistungen dahingehend zu charakterisieren, dass dadurch alles Bisherige in den Schatten gestellt werde. Die andere Sichtweise kritisiert den Melker Bauabt heftig ob seiner gegen die überlieferten Traditionen und Relikte der (Haus-)Geschichte (Kultgegenstände, Altäre, Paramente etc.) gerichteten „pietätslosen“62 Zerstörungswut63, die wahrscheinlich auch dazu führte, dass die Reliquien Kolomans am 10. August 1720 zu ihrer Sicherung an einen ruhigeren Ort (Füssen) gebracht werden mussten, vielleicht – wie Meta Niederkorn-Bruck vermutet – um dem Unmut mancher Melker Konventualen angesichts der Zerstörungen der Melker Heiligtümer die Spitze zu nehmen64. Die eine Argumentation geht somit letztlich von einer radikalen Neugestaltung aus, in der die vernichteten historischen „Reliquien“ des Klosters in veränderter Ausstattung gleichsam künstlerisch erneuert und ideell ohne Schaden weiterleben65; die gegensätzliche Position beharrt auf einer „antiquarischen“ Sichtweise mit einer Wertschätzung der spezifischen Relevanz von Melker Traditionen und Objekten, war doch das mittelalterliche Kloster im Lauf des 17. Jahrhunderts allmählich durch Neubauten ersetzt worden, also relativ gesehen ein inhomogenes Konglomerat, letztlich aber in durchaus gutem baulichen Zustand66. Das Melker Baujournal zum Jahr 1735 spricht hier eine eindeutige Sprache hinsichtlich der Begründung der endgültigen Entscheidungsfindung im Sinne einer Neuausstattung: […] [es] hat sich die Sach nicht anders schickhen oder thuen lassen, als das eines oder andere auch nuzbahres auf die Seithen müsset geräumet werden, unter welchen das vornembste geistliche Kleinodt ware, nemblich das alt Mausoleum oder Grab, in welchen der hl. Leib S. Colomanni geruhet. […]67 Ähnliche Quellen, die ebenfalls vom Ziel einer „einheit62 Meinrad von Engelberg, „Renovatio Ecclesiae“. Die „Barockisierung“ mittelalterlicher Kirchen (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 23, Petersberg 2005) 126. 63 Zusammenfassend: Hugo Hantsch OSB, Bernhard Pez und Abt Berthold Dietmayr. Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 71 (1963) 128 –139, hier 134; Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 2) 56. Besonderen Ausdruck finden die Bestrebungen der um Bernhard Pez gruppierten Gegner Dietmayrs in einer 45 Kapitel umfassenden und am 26. Jänner 1723 eingereichten Schrift, in der im ersten Hauptabschnitt (unter Pkt. VIII) davon die Rede ist, dass keine Wertsachen, Kleinodien, heiliges Gerät, Altäre etc. entfremdet, vertauscht oder vernichtet werden sollen, vgl. Friedrich Holly, Abt Berthold Dietmayr von Melk (Diss. phil. Wien 1949) 94 –96. 64 Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 2) 57. 65 Einen guten Einblick in das Geschichtsverständnis Dietmayrs gibt dessen Einleitung zu Schramb, Chronicon (wie Anm. 24), o. S., die ganz auf einen mit der Melker Stiftsgeschichte verwobenen Hymnus der Pietas der Habsburgerdynastie konzentriert ist. 66 Burkhard Ellegast OSB, Die baulichen Gegebenheiten des Stiftes Melk vor dem barocken Neubau Abt Berthold Dietmayrs, in: Stift Melk. Geschichte und Gegenwart 3 (Melk 1983) 106 –176, hier 172f. 67 Zitiert nach: Tietze, Melk (wie Anm. 12) 213, vgl. Flossmann–Hilger, Melk (wie Anm. 12) 32; Engelberg, Renovatio (wie Anm. 62) 127, Anm. 406; Niederkorn-Bruck–Dubski, Koloman (wie Anm. 3) 324.
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lichen Gesamterscheinung“68 in der neuen Ausstattung zeugen, sind für das Jahr 1736 überliefert69. Noch die gedruckte und vom nachfolgenden Abt Adrian Pliemel mit 12. Februar 1739 ausgestellte Totenrotel Dietmayrs spricht – unter Verwendung von Mt 24, 2 – von einem völligen Neubau des Klosters, bei dem kein Stein auf dem anderen geblieben wäre (Non relicto lapide super lapidem, / De integro struxit […])70. Gerade der heilige Koloman spielt in dieser die bauliche Gestaltung des gesamten Stiftes betreffenden sensiblen Frage eine entscheidende Rolle, geht es doch in diesem Fall – wie bereits angedeutet – nicht nur um eine neue Altarlösung, sondern auch um den Umgang mit dem alten aus dem Jahr 1363 stammenden, nach Anselm Schrambs Chronicon im dritten Joch des südlichen Seitenschiffes der Stiftskirche aufgestellten und im Jahr 1594 renovierten Heiligengrab71 bzw. um dessen Überführung oder Neugestaltung im barocken Neubau der Stiftskirche. So formuliert einer der Parteigänger Dietmayrs, der Melker Benediktiner P. Josephus de Wertema, in seinem anlässlich der Übernahme der Abtwürde durch Berthold Dietmayr erschienenen unpaginierten Applausus gratulatorius, reverendissimo, perillustri, ac amplissimo domino, domino Bertholdo Mellicensium abbati dignissimo, dum sacra infula decoraretur […] (Wien 1701)72 im Rahmen einer Anrede an den Abt im letzten Teil dieser Broschüre (Hactenus Te […]): […] Hinc enim Divum Constantinum Imperatorem Maximum imitatione reddis, inde Theodosium Pium renovas, augesque monimenta [sic!] antiquorum. Ille Crucis coelitus missae illustrabat gloriam, iste Sanctorum corpora purissimo auro vestiebat. Utrumque Tu praestas, dum firmato ad innovandum templum animo Cruci sanctissimae trophaea statuis, & Colomanni Regio Scotorum e sanguine oriundi sanctissimum Corpus (quod ab Henrico Austriae Marchione Ecclesia haec in donum acceperat) ipsâ ejusdem restauratione & amas & colis. […]. Dietmayr wird hier von Wertema in eine Reihe mit Konstantin dem Großen und Theodosius II. (dem Frommen) gestellt, mit letzterem wohl nicht ohne Grund aufgrund dessen von Pietät gezeichnetem Umgang mit den Überresten von Heiligenleibern. Beide historische Figuren aber – so Wertema – würde Dietmayr übertreffen, da der Abt den 68 Euler-Rolle, Wege (wie Anm. 15) 42. 69 Und weillen […] die zwey Altär aus der alten Kürchen aber, obschon von Marmor, dennoch mehr eine Difformitet macheten, also seyndt diese abgebrochen, und die Uniforme der ganzen Kirchen zu erhalten zwey neue accordirend zu verfertigen gnädigst anbefohlen worden. (Melker Baujournal von 1736), vgl. Tietze, Melk (wie Anm. 12) 214; Euler-Rolle, Wege (wie Anm. 15) 42. 70 Rotula more consueto insinuativa tristissimae mortis […] Domini Domini Bertholdi, […] (Wien 1739), o. S. (Stiftsarchiv Melk, Gruppe 3 [Äbte], Karton 5 [Korrespondenz Abt Dietmayrs, o. Nr.]). 71 Schramb, Chronicon (wie Anm. 24) 695, vgl. Ellegast, Gegebenheiten (wie Anm. 66) 111; zusammenfassend zum alten Koloman-Grab: Ewa Śnieżyńska-Stolot, Die Bedeutung des Grabmals des hl. Koloman für die Entwicklung mittelalterlicher Baldachingrabmäler. Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 26 (1972), H. 1/2, 1–8 (mit Quellenangaben); Flossmann–Hilger, Melk (wie Anm. 12) 31f., fig. 3; Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 161f., Nr. 18.14; Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 2) 39f. 72 Zu Wertemas Applausus: Telesko, Langhausfresken (wie Anm. 4).
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aus königlichem Geblüt stammenden heiligsten Körper Kolomans (Colomanni Regio Scotorum e sanguine oriundi sanctissimum Corpus) gerade durch dessen – später im neuen Querhausaltar der Stiftskirche manifesten – Wiederherstellung (restauratione) [!] lieben und verehren würde. Die angesprochene Auseinandersetzung hinsichtlich der Ausrichtung des Melker Neubaus betrifft somit auch die unterschiedliche Semantik des Begriffs restauratio, worin zugleich der jeweils völlig unterschiedliche Umgang mit der Melker Geschichte zum Ausdruck kommt. Das spätmittelalterliche Grab Kolomans dürfte sich in der Krypta befunden haben, wie aus den entsprechenden Stichen in den Publikationen von Hueber und Deppisch73 hervorgeht, bei denen dieses als vetus sepulchrum bezeichnet wird (Abb. 5). Der von Abt Valentin Embalner im Jahr 1647 hinsichtlich der Mensa erneuerte Koloman-Altar befand sich der am Fuße des Altars eingemeißelten und in Schrambs Chronicon zitierten Inschrift zufolge ad urnam des Heiligen, also an dessen Grab, Ellegast zufolge über der Krypta des heiligen Koloman in der Kirche: Tibi, o Dive Colomanne […] hic ad urnam Tuam hanc ex marmore aram posuit Valentinus Abbas Mellicensis. […]74 bezeichnet als Altarinschrift diese Stiftung Abt Embalners75. Eine in der Sammlung Albrecht Haupt der Bibliothek der Technischen Universität Hannover befindliche Federzeichnung für einen Koloman-Altar (mit einer Klappenvariante)76 dürfte diesen Koloman-Altar der Stiftskirche nicht zuletzt aufgrund der Identität der Inschrift (bei Schramb und auf dem Plan in Hannover) wiedergeben. Das heute in der Wintersakristei des Stiftes befindliche Kupfergemälde von Georg Bachmann (1647) mit der Translatio des Heiligen wurde von Abt Dietmayr von diesem Altar der alten Kirche übernommen77.
73 Hueber, Austria (wie Anm. 54), Stich vor S. 297 (Num. V.); Deppisch, Geschichte (wie Anm. 42); vgl. Tietze, Melk (wie Anm. 12) 179, Abb. 218; Ellegast, Gegebenheiten (wie Anm. 66) 111f., Abb. 4; Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 161, Nr. 18.14. 74 Schramb, Chronicon (wie Anm. 24) 863; vgl. Ellegast, Gegebenheiten (wie Anm. 66) 126–128, 130; Śnieżyńska-Stolot, Bedeutung (wie Anm. 71) 3, Anm. 14; zusammenfassend: Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 162, Nr. 18.14; zum Koloman-Altar in der mittelalterlichen Stiftskirche: Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 2) 43f. 75 Schramb, Chronicon (wie Anm. 24) 32, bezeichnet das Grab Kolomans mit: […] Requiescit vero S. Colomannus Mellicii in parte inferiori ecclesiae penes introitum sub marmoreo altari cum hac inscriptione: […]. Die hier folgende Inschrift bezieht sich auf jene Abt Embalners aus dem Jahr 1647 (o Dive Colomanne […] hic ad urnam Tuam hanc ex marmore aram posuit Valentinus Abbas Mellicensis.). Darüber hinaus fügt Schramb ebd., 33, hinzu: In superiori capitello legitur ¸Justus ut palma florebit. Psalm. 91.’. Damit wird hier genau jener wichtige Psalmvers zitiert, der auch im Auszug des Querhausaltares der neuen Stiftskirche Berücksichtigung fand. 76 Signatur Kl. D Z 22 (freundliche Mitteilung von Hellmut Lorenz, Wien) mit der Inschrift über der Mensa: Tibi, O Dive Colomanne, Regio Scotorum Principi, / Peregrino Sanctissimo, Martyri Gloriosissimo, Patrono Maxi- / mo, hic ad Urnam tuam hanc ex marmore Aram posuit, VALENTINUS ABBAS MELICENSIS [sic!], hinzugefügt: 1647; bzw. seitlich in der Höhe des Auszugs in einer Klappenvariante: Justus ut palma florebit. Psalm. 91. 77 Ellegast, Gegebenheiten (wie Anm. 66) 128, Abb. 11; Ellegast, Stift Melk (wie Anm. 12) 334f.
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Abb. 5: Ansicht des Koloman-Grabes in der Krypta der alten Melker Stiftskirche aus: Godefridus Deppisch, „Geschichte und Wunderwercke des Heiligen Colomanni Königlichen Pilgers und Martyrers […]“ (Wien 1743) (© Archiv des Autors)
Es scheint somit, als ob diese seit Beginn existierende enge „Kulteinheit“ zwischen Grab (in der Krypta) und Altar (in der Kirche) des heiligen Koloman78 von Anfang an in Melk Relevanz besessen haben dürfte und schließlich in dieser Kombination von Grab und Altar auch im Neubau übernommen worden ist, wobei sich aufgrund dieser Tatsache die Dispositionen beider Querhaus-Altäre wahrscheinlich nach dem (wichtigeren) Koloman-Altar und der damit notwendigerweise zusammenhängenden Integration eines Sarkophags in den Altaraufbau richten mussten. Der an der Frontseite des Sarkophags am Benedikt-Altar angebrachte Vers ERIT / SEPVLCHRVM EIVS / GLORIOSVM ist letztlich aufgrund der exegetischen Tradition, die den von Jesaias beschriebenen Sachverhalt auf das Grab Christi zurückführt79, in 78 Unterstrichen wird diese Anordnung wohl dadurch, dass man am 28. März 1702 die Gebeine des heiligen Koloman aus dessen Grab holte (und in der Folge provisorisch auf den Hochaltar übertrug) und es im entsprechenden Bericht dazu heißt, Abt Berthold Dietmayr sei mit einigen Mitbrüdern zum Grab (Kolomans) hinabgestiegen (descendit), vgl. Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 162f., Nr. 18.14 und 18.18; Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 2) 56, Anm. 280; Flossmann–Hilger, Melk (wie Anm. 12) 37, zufolge, fand diese translatio der Gebeine auf den alten Hochaltar am 6. April 1702 statt. 79 Cornelius a Lapide SJ, Commentaria in quatuor Prophetas Maiores (Antwerpen 1654) 168.
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Bezug auf den Ordensvater so unspezifisch, dass dieser Vers eigentlich weniger auf Benedikt denn – wie oben angedeutet – im konkreten Fall auf Koloman anzuwenden ist. Betrachtet man etwa die Auslegung des Verses ERIT / SEPVLCHRVM EIVS / GLORIOSVM genauer, etwa im berühmten Schriftkommentar des Jesuiten Cornelius a Lapide (1567–1637), dann ist es kennzeichnend, dass hier weniger exegetische Traditionen einen Rolle spielen als vielmehr historisch angeleitete Überlegungen zur Kultpraxis und zum Umgang mit Märtyrergräbern. Denn der Jesuit geht vom leitenden Faktum des sepulchrum Christi gloriosum aus, um in der Folge auf der Basis eines Rückblicks auf die Praxis des Frühchristentums (sepulchrum Martyrum erat altare)80 die Notwendigkeit der integra corpora Sanctorum81 zu betonen: Denique gloriosa sunt Sanctorum sepulchra, quae corpora eorum a multis annis, imo seculis emortua, integra adhuc & incorrupta cum carne & membris omnibus conservant.82 Der Jesaias-Vers scheint also bereits in der Exegese eine Verbindung zu den höchst praktischen Fragen des Umgangs mit Märtyrergräbern geliefert zu haben: Umso mehr dürfte Abt Dietmayr aus der spezifischen Situation im Kloster heraus eine visuell-affirmative Lösung angestrebt haben, in deren Kontext der möglichst sichtbaren Platzierung gerade dieses Bibelverses eine wesentliche Propagandafunktion zugedacht war. Der konzeptuelle Anspruch, der mit Dietmayrs Neubau der Melker Stiftskirche verbunden ist, war somit kein geringer: Hier kommt wieder der bereits zitierte Lobpreis des Melker Professen Hieronymus Pez betreffend den Neubau durch Abt Berthold zum Zug, heißt es doch dort in Bezug auf die Aktivitäten des Abtes in vielsagender Weise: […] Augustā absidem, quâ sacros COLOMANNI cineres, velut sepulchrô glorioso recondas, […]83. Ein ähnlicher Aspekt war zudem in der abschließenden Gratulatio der wahrscheinlich vom Melker Benediktinerhistoriker Anselm Schramb mitverfassten und Abt Berthold dedizierten unpaginierten Series Abbatum Mellicensium […] (Wien 1701)84 angesprochen worden: […] Ab illius [scil. Berthold Dietmayr] enim procul abest angustia, / Qui DEI domum reddit augustam. […]. Mit dem Wortspiel angustia – augustam ist einerseits sicher die Überwindung der bedrückenden Enge einer konglomeratartigen Bausubstanz im alten Melker Kloster gemeint, andererseits bezieht sich der zweimalige auffällige Gebrauch des Adjektivs augustus85 auf die Errichtung einer repräsentativen 80 Ebd., 170. 81 Ebd. 82 Ebd. 83 Pez, Acta (wie Anm. 53), o.S. 84 Vgl. Patrick Fiska, Studien zu Leben und Werk Anselm Schrambs OSB (1658–1720). Mit einer Edition der Briefkorrespondenz (Diplomarbeit Universität Wien 2009) 17; ders., Zu Leben und Werk des Melker Benediktiners Anselm Schramb (1658–1720). Mit der Edition seiner Briefkorrespondenz. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 122 (2011) 201–306. 85 Noch in der handschriftlichen Oratio in obitum […] Domini Domini Bertholdi […] anlässlich des Todes Abt Dietmayrs (Stiftsarchiv Melk, Gruppe 3 [Äbte], Karton 5 [Korrespondenz Abt Dietmayrs, o. Nr., S.
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bzw. majestätischen und quasi-imperial verfassten Kirche, die mit Dietmayrs ambitioniertem Melker Neubauprojekt86 verbunden werden muss. Die inhaltliche Relevanz der erwähnten absis augusta wird erst dann wirklich transparent, wenn man berücksichtigt, wie Koloman letztlich in ein Programm einbezogen werden konnte, dessen Konzeption wesentlich durch die (römische) Anciennität der Apostelfürsten Petrus und Paulus (Hochaltar der Stiftskirche) (Abb. 6) sowie durch die Figur des Ordensvaters Benedikt bestimmt war. Die Apostelfürsten und Benedikt gehören ihrerseits nicht zuletzt aus dem Blickpunkt der Benediktinerhagiographie zusammen, gedachte man – Bucelinus zufolge87 – am 29. Juni, dem Festtag von Petrus und Paulus, in besonderer Weise auch des Ordensvaters Benedikt sowie des gesamten Ordens. In diesem Kontext besitzt sicher auch die angebliche Herkunft Benedikts aus dem römischen Geschlecht der Anicier eine zentrale Rolle: Juan Caramuel de Lobkowitz spielt in diesem Zusammenhang nicht ohne Grund in der ersten Kupferstichtafel (Abb. 7) seines ausführlichen typologischen Werkes Sanctus Benedictus Christiformis (Prag 1652) mit dem Leitbegriff Augustissima Domus / ANICIA88 genau auf diesen Aspekt der Herkunft Benedikts an, der weiter unten mit Nascitur Augusto BENEDICTA e sanguine Regum: […] näher ausgeführt wird und letztlich für Melk Vergleichsmomente mit dem aus königlichen Geblüt stammenden Koloman nahelegt89. In einer Freisinger Predigt des Benediktiners Anselm Werblinger aus dem Jahr 1726 ist sogar von Benedikt als dem Nursinischen Printzen die Rede90. Damit wird der Lokalheilige Koloman in einer grandiosen Geste in ein repräsentatives Programm eingegliedert, das mit Hilfe der Apostelfürsten (Hochaltar) und Benedikts (südlicher Querhausaltar) die antik-römische
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22]), deren Verfasser unbekannt ist, aber aus dem Konvent stammen dürfte, wird augustus bewusst im Komparativ in Bezug auf den neuerrichteten Koloman-Altar der Stiftskirche verwendet: […] quanto augustius altare [scil. der Koloman-Altar] Bertholdus adornaverat […]. Auch in den Epistolae Apologeticae des Bernhard Pez (1715) wird dezidiert von der Kirche als augustum gesprochen (S. 3): […] Hic augustum, etsi non omnibus adhuc partibus perfectum, […]. Weigl, Klosteranlagen (wie Anm. 12) 62, kennzeichnet die Rolle Abt Dietmayrs in Bezug auf die Ausstattung der Melker Stiftskirche treffend als „Regisseur“. Bucelinus, Menologium (wie Anm. 60) 458 (Eodem die [scil. der 29. Juni] Commemoratio solemnis, maximorum Sanctissimi Patris & Patriarchae nostri Benedicti, totiusque illius amplissimi Ordnis, & Sanctissimae posteritatis […]). Vielleicht ein Rückgriff auf Bucelinus, Aquila (wie Anm. 60) 1: […] Augustissimam eiusdem familiam Aniciam […]; zu Caramuels Werk: Petra Zelenková, Barokní grafika 17. Století v zemích Koruny české. Seventeenth-Century Baroque Prints in the Lands of the Bohemian Crown (Prag 2009) 30 –33, Nr. 7. Zur Herkunft Benedikts aus dem Geschlecht der Anicier vgl. auch eine Predigt in der Wiener Schottenkirche von Rudolphus a S. Joanne Nepomuceno, Aequinoctium Benedictinum. Das ist: In und durch den Heil. Patriarchen Benedictum gleicher Tag und Nacht […] (Wien 1741), o. S. Vgl. Georg Schrott, Gedruckte Predigten über den hl. Benedikt: Beispiele zwischen Barock und Aufklärung aus bayerischen Abteien. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 117 (2006) 237–283, hier 250, 272; vgl. hier auch Bucelinus, Menologium (wie Anm. 60) 212 ([…] Educatus [scil. Benedikt] in Palatio Nursino, amplitudine & magnificentia vere Regio […]).
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Abb. 6: Gesamtansicht des Hochaltars der Stiftskirche Melk (© Martin Mádl, Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag)
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Abb. 7: Stammbaum der Anicier aus: Joannes Caramuel de Lobkowitz, „Sanctus Benedictus Christiformis“ (Prag 1652, ebd. 11648), (© Archiv des Autors)
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Maiestas im Zeichen der ruhmreichsten Zeugen der ecclesia antiqua erneuert: Einerseits bezeichnete der Weingartner Benediktinerschriftsteller Gabriel Bucelinus (1599 –1681) den heiligen Benedikt in seinem wichtigen Werk Aquila imperii Benedictina […] (Venedig 1651) als Divus Imperator noster bzw. als Augustissimus Imperator noster91, dessen Ableben sämtliche Triumphe antik-römischer Maiestas bei weitem übertroffen habe92, andererseits fungiert das Blutzeugnis der Apostelfürsten Petrus und Paulus seit der berühmten Homilie Leos des Großen (82.1), die in der Folge auch Eingang in das Römische Brevier fand93, im Gegensatz zum heidnischen Gründungsakt von Romulus94 und Remus als das wahre Zeugnis des Ursprungs Roms: […] Isti [scil. die Apostelfürsten Petrus und Paulus] enim sunt viri per quos tibi Evangelium Christi, Roma, resplenduit; […]95. Das Titelkupfer zu Fioravante Martinellis Roma ex ethnica Sacra Sanctorum Petri et Pauli Apostolica Praedicatione profuso sanguine (Rom 1668) illustriert diesen Anspruch einer „Reinigung“ des heidnischen Rom durch die Tätigkeit der Apostelfürsten in besonders anschaulicher Weise. Die in Melk am Scheitel des westlichen Vierungsbogens visualisierte Zerstörung des Apollo-Tempels in Montecassino durch den heiligen Benedikt96 (Abb. 8) lässt sich in dieser Hinsicht als entsprechendes monastisches exemplum bezeichnen, auf das zudem in zahlreichen Barockpredigten ausführlich Bezug genommen wurde97. In diese Bestrebungen einer Steigerung der Anciennität des Lokalheili91 Bucelinus, Aquila (wie Anm. 60) 18, 23. 92 Ebd., 23: […] Vt hac quoque Triumphi gloria, certum sit, omnem omnium Imperatorum, & Romani luxus maiestatem, quam longissime exsuperasse. […], vgl. Telesko, Langhausfresken (wie Anm. 4) 235, Anm. 71. 93 Des Heiligen Papstes und Kirchenlehrers Leo des Großen sämtliche Sermonen. Aus dem Lateinischen übersetzt und mit Einleitung und Inhaltsangaben versehen von Theodor Steeger (Bibliothek der Kirchenväter II, München 1927) 242f. Zudem wurde in den Kapitelreden des Melker Priors Adrian Pliemel, zwischen 1739 und 1746 Nachfolger von Abt Dietmayr in Melk, der Sermo Papst Leos ausführlich am Vigilfesttag der Apostelfürsten zitiert und kommentiert, vgl. hier die handschriftlichen Sermones Capitulares ad Patres et Fratres Mellicenses […] a P. Adriano Pliemel Priore primo Anno Prioratus 1722 (Stiftsbibliothek Melk, o. Sign., o. S.) (Sabbato ante Dominicam V. post Pentecosten in ipsa vigilia SS. Apostolorum Petri et Pauli sermo). 94 Für die Melker Situation ist dies insofern nicht ohne Bedeutung, als die handschriftliche Oratio in obitum […] (wie Anm. 85) 27 in Bezug auf die Leistungen des verstorbenen Abtes bewusst den Vergleich zum legendären „zweiten Gründer“ Roms, Marcus Furius Camillus (um 446–365), zieht und auf dieser Basis Abt Dietmayr als alter Romulus (Melks) erscheint. Dieser Vergleich zu Romulus scheint eine größere Relevanz zu besitzen, als auch in einer weiteren Leichenrede zum Tod Abt Dietmayrs (Aemilianus Daneli OSB, Neuer Himmel zu Moelck. Erleuchtet im Leben: Verfinsteret im Todt [...] [Wien 1739], o. S.) der Prälat in eindeutiger Hinsicht angesprochen wird: […] Man werffe [sic!] nur seine Augen auf diesen herrlichen ClosterBau, dessen dieser neue Romulus [scil. Abt Dietmayr] Urheber; […]. 95 Steeger (wie Anm. 93) 242f.; Leo Magnus, Tractatus (CCSL 138, hg. von Antoine Chavasse, Turnhout 1973) 508; Breviarium Monasticum Pauli V jussu editum, Urbani VIII et Leonis XIII cura recognitum Pii X et Benedicti XV auctoritate reformatum, pars verna (Mecheln 1953) 513; Otto Zwierlein, Petrus in Rom. Die literarischen Zeugnisse (Berlin–New York 22010) 170f. 96 Vogüé–Antin, Dialogues (wie Anm. 25) 169, Z. 103 –126. 97 Vgl. Schrott, Predigten (wie Anm. 90) 253.
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Abb. 8: Zerstörung des Apollo-Tempels in Montecassino durch den heiligen Benedikt, Grisaillemedaillon am Scheitel des westlichen Vierungsbogens der Stiftskirche Melk (© Martin Mádl, Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag)
gen passt auch der im Koloman-Offizium des Proprium festorum Monasterii Mellicensis […] (Wien 1703) nachweisbare Versuch, den verehrten Lokalheiligen in einen direkten Bezug zum frühchristlichen Blutzeugnis zu stellen98. Unter diesen Gesichtspunkten einer spürbaren Annäherung Kolomans an frühchristliche Kulttraditionen auch in dem Sinne, dass der im nördlichen und südlichen Querhausaltar verwendete Typus einer halbierten Säulenrotunde als bewusster Rückgriff auf den „antikischen Memorialbautypus für das Märtyrergrab“99 zu bewerten ist, wird die ideologische und künstlerische Relevanz der Romanitas hinsichtlich der Neugestaltung der barocken Melker Stiftskirche deutlich. In dieser Hinsicht ist die Gestaltung der beiden Melker Querhausaltäre auch unter dem generellen Aspekt der barocken Wiederbelebung der Idee des antiken Mausoleums100 zu sehen, wie sie etwa in der Gruft für Kaiser Ferdinand II. und seine Ge98 Proprium Festorum Monasterii Mellicensis (wie Anm. 48) 2–13 (Abschnitt Officia Sanctorum ex proprio Mellicensi), vgl. Telesko, Ecclesia (wie Anm. 26) 339. 99 Ausstellungskatalog Phantasie (wie Anm. 15) 153, Nr. 34; vgl. Ausstellungskatalog Stift Melk (wie Anm. 1) 259, Nr. 28.21; grundsätzlich zur frühchristlichen Architektursymbolik des Rundbaus und der Kuppel: Louis Hautecœur, Mystique et architecture. Symbolisme du cercle et de la coupole (Paris 1954). 100 Zur mit dem Mausoleum eng verbundenen Vorstellung des als Kuppelrotunde ausgebildeten Ruhmesund Ehrentempels vgl. Franz Matsche, Johann Bernhard Fischers von Erlach Kuppelrotunden mit Ko-
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mahlin in der Grazer Katharinenkirche (Grundsteinlegung 1615)101 oder im PiastenMausoleum im schlesischen Liegnitz (Fertigstellung 1678)102 in architektonisch durchaus unterschiedlicher Weise anzutreffen ist. Die Ausführungen zu Gestaltung und Programm des barocken Koloman-Altars sollten zeigen, wie sehr man letztlich in Melk unter Abt Berthold Dietmayr in höchst ambitionierter Weise danach trachtete, die recht unterschiedlichen Spezifika der drei Patrozinien von Hauptaltar und Querhausaltären103 im Sinne einer nachdrücklichen Integration Kolomans in ein – auf eine aemulatio der römischen Antike durch die ecclesia antiqua – ausgerichtetes Programm zusammenzuführen. Die Apostelfürsten (für das caput mundi, die christianisierte urbs), der Ordensvater Benedikt (für die Anciennität sowie die Universalität des Ordensanspruchs der Benediktiner)104 und Koloman (für die lokale hagiographische Tradition Melks)105 erfüllen in dieser Hinsicht im Kontext der Altarlösungen der neuen Stiftskirche alle Anforderungen im Sinne raffiniert vorgetragener Parallelismen zwischen den Patrozinien und einer darauf basierenden fein abgestimmten inhaltlichen Synthese, die in vereinfachter Weise nochmals um 1782 bei der Ausmalung der Prälaturkapelle des Stiftes106 – wahrscheinlich durch Johann Wenzel Bergl – zur Anwendung kommen sollte: Dort sind Moses und Aaron107, die Apostelfürsten sowie Benedikt und Koloman – mithin die wichtigsten Figuren der Programme von Hochaltar und Querhausaltären – in der Anbetung des Lammes vereint. Dieses in reduzierter Form zu konstatierende malerische Fortleben der Lösungen des lonnadensaal und ihre Rezeption in Österreich und im Reichsgebiet. Symbolarchitektur des fürstlichen Merito und Reichsstil-Architektur alla Romana. In: Barock als Aufgabe, hg. von Andreas Kreul (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 40, Wiesbaden 2005) 39 –71, hier 44 – 46, Abb. 7. 101 Bernd Evers, Mausoleen des 17.–19. Jahrhunderts. Typologische Studien zum Grab- und Memorialbau (Diss. phil. Tübingen 1983) 51–56, Abb. 9, 10. 102 Ebd., 60 – 63, Abb. 12; Kultura artystyczna dawnej Legnicy, red. Jana Harasimowicza (Opole 1991), fig. 47– 49. 103 Als eine andere Melker hagiographische „Trias“ kann jene mit Benedikt, Koloman und Markgraf Leopold verstanden werden, die im Titelkupfer zu Anselm Schrambs Chronicon Mellicense (Niederkorn-Bruck– Dubski, Koloman [wie Anm. 3] 306) dominiert – ganz im Gegensatz zu Hieronymus Pez’ Acta S. Colomanni Regis et Martyris, wo im entsprechenden Titelkupfer Dietmayr und Koloman in das Zentrum rücken. 104 Der heilige Benedikt wird von Gabriel Bucelinus OSB, Annales Benedictini […] (Augsburg 1656) 4, nicht ohne Grund als Apostolus futurus bezeichnet, bei Bucelinus, Aquila (wie Anm. 60) 10, als ultimus Italiae Apostolus. 105 Hinweise auf die barocke Koloman-Liturgie im Stift Melk, die u. a. von einer processio ex oppido [scil. der Stadt Melk] berichten, sind in einem handschriftlichen und unpaginierten Rituale Monasterii Mellicensis […] der Stiftsbibliothek Melk (o. Sign.) unter dem Eintrag In Festo S. Colomanni enthalten. 106 Vgl. Elisabeth Scherzer, Johann Bergl im Benediktiner Stift [sic!] Melk (Diplomarbeit, Universität Wien 2010) 38 – 41, 91f. 107 Moses und Aaron spielen in der Rezeption von Dietmayrs Werk eine besondere Rolle – auch im Sinne eines Überbietungsgestus des Alten durch das Neue, da der Abt einerseits als anderer Moyses Bezeichnung findet, andererseits aber klar gelegt wird, dass Dietmayrs Melker Neuschöpfung über das Alt-Testamentische Heilige, zu dem nur Auserwählte Zutritt hatten, weit hinausging, vgl. Daneli, Himmel (wie Anm. 94), o. S.
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Hochaltars sowie der Querhausaltäre bezeugt einerseits die Existenz einer wichtigen Kultkonstante und unterstreicht andererseits den essentiellen und übergreifenden Gesichtspunkt, demzufolge nach der im Zuge des Neubaus durch Dietmayr erfolgten Zerstörung hochbedeutender realer Objekte aus der Melker Stiftsgeschichte ein Konzept realisiert wurde, das nun die memoria anstelle der Integration realer Überlieferungen dezidiert am Theatralisch-Bildhaften ausrichtete und damit – nach der „Reinigung“ des Klosters von heterogenen Spolien – erst die Grundlage für eine darauf basierende radikale künstlerische Vereinheitlichung des Kirchenraumes schuf. Die Idee einer Wiederherstellung der ecclesia antiqua war letztlich somit untrennbar mit dem Gestus der Überbietung und Ablösung der alten durch neue Kunstwerke verbunden108, zeitlich parallel mit einem spürbaren Aufblühen der Koloman-Verehrung in Melk (Abb. 9)109. Der diesbezügliche spiritus rector aller entsprechenden Unternehmungen war Abt Dietmayr persönlich: Seine Tätigkeit als barocker Kirchenfürst wurde in der emphatischen Diktion einer Leichenrede mit Hilfe eines Zitats nach 1 Petr 2, 9 sogar ins Monarchische verklärt: […] Es wolte [sic!] BERTHOLDUS hierdurch zeigen [scil. durch den Neubau des Klosters Melk], daß dem königlichen Priesterthum auch königliche Wohn-Sitz gebühren. […]110.
108 Grundlegend zu diesem Problemkreis: David Ganz, Rückeroberung des Zentrums, Anschluss an die Vergangenheit und institutionelle Selbstdarstellung. Konfessionalisierung im römischen Kirchenraum 1580–1600. In: Konfessionen im Kirchenraum. Dimensionen des Sakralraums in der Frühen Neuzeit, hg. von Susanne Wegmann–Gabriele Wimböck (Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 3, Korb 2007) 263–283, hier 276, vgl. hier auch: Horst Bredekamp, Sankt Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung. Bau und Abbau von Bramante bis Bernini (Berlin 2000) 111, 123, mit dem Hinweis die Baugeschichte von Neu St. Peter in Rom betreffend, bei der das Zerstörte (die alte Kirche) im neuen Bauwerk bewahrt werde. Wichtig auch der Hinweis von Christian Hecht, Katholische Bildertheologie der Frühen Neuzeit. Studien zu Traktaten von Johannes Molanus, Gabriele Paleotti und anderen Autoren (Berlin 2012) 381, dass mit der Ersetzung alter Werke durch neue auch die fehlerhaften Legenden verschwinden würden, die ihnen anhaften oder zugeschrieben werden. 109 Niederkorn-Bruck–Dubski, Koloman (wie Anm. 3) 310 –312. 110 Daneli, Himmel (wie Anm. 94), o. S.
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Abb. 9: Titelkupfer aus: Matthias Steinhauser, „Königliches Fein-Perl, das ist unschätzbar heiliges Leben und Todt deß heilig-königlichen Martyrers Colomanni deß Klosters Mölck heiligen Patron“ (Wien 1724) (© Archiv des Autors)
Melk-Ansichten aus dem 18. Jahrhundert Signifikanz für eine Epoche
Ralph Andraschek-Holzer
Die folgenden Ausführungen befassen sich mit einer für die Ansichtenproduktion in vieler Hinsicht zentralen Epoche. Sie unternehmen den Versuch, anhand eines prominenten Bildthemas – Abtei und/oder Markt Melk – Kontinuitäten und Innovationen aufzuzeigen, die zumindest bis weit ins 19. Jahrhundert hinein verbindlich werden sollten. Zwar datieren die ältesten Ansichten von Abtei und Marktsiedlung aus dem 15. Jahrhundert;1 das Phänomen systematisch und vor allem kontinuierlich unternommener Ansichtenproduktion gehört jedoch der Neuzeit an. Das hier interessierende 18. Jahrhundert weist bereits eine beachtliche Palette an Abbildungsmodi, -techniken sowie -funktionen auf und rechtfertigt somit eine genauere Analyse.2 Den Beginn unseres Interessenszeitraums markiert die in Anselm Schrambs „Chronicon Mellicense“ publizierte Vogelschau (Abb. 1).3 Sie hat ihren Vorläufer in Merians 1 900 Jahre Benediktiner in Melk. Jubiläumsausstellung 1989 Stift Melk (Melk 1989) 227, Kat.-Nrn. 27.02 und 27.03. – Für das Melker Ordenshaus zeigende Ansichten liegt keine systematisch veranstaltete Sammlung vor, wie sie für Klosterneuburg (s. Anm. 32) oder Göttweig (s. Anm. 33) existiert. Die Publikation Thomas Wenighofer (Hg.), Stift und Stadt Melk in alten Ansichten (Melk o. J. [1991]), greift thematisch weiter aus, stützt sich primär auf fotografisches Material und ist populär gehalten. – Eine jüngst erschienene Spezialpublikation stützt sich u. a. auf etliche hier auch besprochene Melk-Ansichten, allerdings unter anderen Auspizien: Ralph Andraschek-Holzer, Topografische Ansichten und ihr Wert für Fragen der Wahrnehmungsgeschichte. In: Rita Garstenauer–Günter Müller (Hg.), Aus der Mitte der Landschaft. Landschaftswahrnehmung in Selbstzeugnissen (Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes 2011, Innsbruck 2011) 212–234. 2 Soweit ich sehe, liegt zu Ansichten des 18. Jahrhunderts keine Überblicksdarstellung vor, wie sie immerhin für Stadtansichten des 16. Jahrhunderts existiert: Frank-Dietrich Jacob, Zur Entwicklung der Stadtdarstellung von den Anfängen bis Mitte 16. Jahrhundert. In: Angelika Marsch–Josef H. Biller–FrankDietrich Jacob, Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/37 von seinem Ritt von Neuburg a.d. Donau über Prag nach Krakau und zurück über Breslau, Berlin, Wittenberg und Leipzig nach Neuburg, Kommentarbd. (Weißenhorn 2001) 69 – 83. 3 Petrus Angelus Sandri – Johann Andreas Pfeffel d. Ä. – Christian Engelbrecht, Melk, ca. 1700. Kupferstich, 585 x 1030 mm (Blatt 600 x 1045 mm, beschnitten), aus: Anselm Schramb, Chronicon Mellicense seu annales monasterii Mellicensis […] (Wien 1702) (NÖ Landesbibliothek, Topograph, Sammlung
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Vogelschau (Abb. 2) 4 und findet Nachfolger in modernen Luftbildern (Abb. 3) 5. Die Funktionszwecke sind freilich jeweils höchst unterschiedlich: Ziert erstgenannter Kupferstich ein repräsentatives Geschichtswerk, bildet Merians Ansicht einen Teil seiner Österreich-Topographie; moderne Luftbilder wiederum dienen baulicher Dokumentation oder touristischer Vermarktung. Der für das 18. Jahrhundert in vieler Hinsicht schlechthin stehende Friedrich Bernhard Werner 6 hat um 1735 eine Dreierfolge von Melk-Ansichten entworfen. Unser erstes Beispiel konzentriert sich auf die Wiedergabe des Abteibergs. Es handelt sich um eine Vogelschau von Süden (Abb. 4),7 die in der Nachfolge des in Stengels „Monasteriologia“ etwa 100 Jahre zuvor veröffentlichten Kupferstichs (Abb. 5) 8 zu sehen ist (welcher allerdings das Vorhandensein der Marktsiedlung andeutet). Ferner legte er eine Süd-Ansicht mit dem Profil des Abteibergs vor (Abb. 6),9 welche auch der Siedlung zu ihrem Recht verhilft. Sie fand zwar keine direkte Nachfolge; [künftig abgek.NÖLB], Inv.-Nr. 10.808). – Gebhard König, Niederösterreich an der Donau (=Gebhard König [Hg.], Niederösterreich in alten Ansichten,4 Wien 2008) 54f. 4 Matthäus Merian d. Ä., Melk, 1649. Kupferstich, 196 x 309 mm (Plattenrand 200 x 311 mm, Blatt 313 x 38 mm), aus: Topographia provinciarum Austriacarum Austriae Styriae, Carinthiae, Carnioliae, Tyrolis etc: (Nebehay–Wagner 407, Nr. [19] (NÖLB, Inv.-Nr. 11.315). – “Nebehay–Wagner” steht künftig für Ingo Nebehay–Robert Wagner, Bibliographie altösterreichischer Ansichtenwerke aus fünf Jahrhunderten. Die Monarchie in der topographischen Druckgraphik von der Schedel‘schen Weltchronik bis zum Aufkommen der Photographie. Beschreibendes Verzeichnis der Ansichtenwerke. 6 Bde. (Graz 1981– 91). – 900 Jahre Benediktiner in Melk (wie Anm. 1) 227f., Kat.-Nr. 27.05; Ralph Andraschek-Holzer, Das Bild vom Kloster. Ansichten niederösterreichischer Ordenshäuser von 1470 bis 1800 (Beiträge zur Kirchengeschichte Niederösterreichs 13; Geschichtliche Beilagen zum St. Pöltner Diözesanblatt 30, St. Pölten 2004) 13. 5 Österreichische Luftverkehrs-A.G., Wien, Luftbildabteilung, Stift Melk, 1933. SW-Lichtbild, 120 x 168 mm (Blatt 124 x 172 mm) (NÖLB, Inv. Nr. 22.197). 6 Angelika Marsch, Friedrich Bernhard Werner 1690–1776. Corpus seiner europäischen Städteansichten, illustrierten Reisemanuskripte und der Topographien von Schlesien und Böhmen-Mähren (Weißenhorn 2010). 7 Friedrich Bernhard Werner/Johann Georg Merz, Benediktinerabtei Melk, ca. 1735. Kupferstich, 170 x 292 mm (Plattenrand 202 x 307 mm, Blatt 217 x 319 mm), aus: [Ansichtenfolge von Benedictiner Stiften.] (Nebehay–Wagner 836 bzw. 1185, Nr. 1) (NÖKB, Inv.-Nr. 4.630). – Ralph Andraschek-Holzer, Friedrich Bernhard Werner in Niederösterreich. Eine Ausstellung aus den Sammlungen der NÖ Landesbibliothek. Mit einem Beitrag von Angelika Marsch. 1. Mai bis 31. August 2006 […] (Sonder- und Wechselausstellungen der Niederösterreichischen Landesbibliothek 28, St. Pölten 2006) 101, Kat.-Nr. 237. 8 Benediktinerabtei Melk, 1638. SW-Lichtbild nach Kupferstich, 103 x 138 mm (Blatt 126 x 177 mm). Orig. aus: Carl Stengel, Monasteriologia in qua insignium alioquot Monasteriorum Familiae S. Benedicti in Germania, Origines, Fundatores, Clarique Viri […] describuntur […] (Nebehay–Wagner 1167, Bd. 2, Nr. [5]) (NÖLB, Inv.-Nr. 12.250). – 900 Jahre Benediktiner in Melk (wie Anm. 1), 227, Kat.-Nr. 27.04; Andraschek-Holzer, Bild vom Kloster (wie Anm. 4) 31. 9 Friedrich Bernhard Werner–Johann Georg Merz, Melk, ca. 1735. Kupferstich, 170 x 290 mm (Plattenrand 200 x 305 mm, Blatt 217 x 319), aus: [Ansichtenfolge von Benedictiner Stiften.] (Nebehay–Wag-
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eine Art Modifikation derselben liegt jedoch in Gestalt der ca. 1794 geschaffenen Metzburg-Zeichnung (Abb. 7)10 vor. Diese gibt der Landschaft weit größeren Raum und deutet damit einen Wandel in der Objektwahrnehmung an, wie er in jüngeren Ansichten manifest wird. Dass auch hier die Funktionskontexte unterschiedlich sind, verwundert nicht: Werner fertigte im Auftrag seiner Augsburger Verleger Ansichten verschiedenster österreichischer Klöster an, während Georg Ignaz von Metzburg eine kartographische Aufnahmekampagne künstlerisch begleitete. Schon längere Zeit vor dieser Melk-Ansicht, nämlich 1711, hatte Werner eine fernsichtig angelegte Aufnahme von Abtei und Markt aus etwa südöstlicher Richtung versucht (Abb. 8).11 Sie, ungestochen und somit unbekannt geblieben, fand später eine Art Pendant: Leopold Beyers Radierung aus etwa 1835 (Abb. 9).12 Auch in ihr wird die Beschränkung auf das eigentliche Bildthema zugunsten einer die Landschaft emanzipierenden Gesamtschau aufgegeben. Auch für Werners dritte Melk-Ansicht, aus etwa nordwestlicher Richtung (Abb. 10) 13 aufgenommen, kann ein entsprechender Vergleich gezogen werden. Einen ähnlichen Abbildungsmodus und dieselbe Himmelsrichtung hatte schon 1672 Georg Matthäus Vischer für seine Niederösterreich-Topographie (Abb. 11)14 gewählt. Carlo Brioschis ca. 1850 entstandene Ansicht (Abb. 12) 15 bringt weit mehr von der Donaulandschaft ins Spiel, als der nüchtern-dokumentierende Werner (oder seine Auftraggeber) vielner 836 bzw. 1185, Nr. 3) (NÖLB, Inv.-Nr. 4.632). – Andraschek-Holzer, Werner in Niederösterreich (wie Anm. 7) 102, Kat.-Nr. 239. 10 Georg Ignaz von Metzburg – zugeschrieben, Melk, ca. 1794. Lavierte Feder- und Bleistiftzeichnung auf Raster, 240 x 364 mm (NÖLB, Inv.-Nr. 4.637). – Andraschek-Holzer, Werner in Niederösterreich (wie Anm. 7) 102, Kat.-Nr. 240. 11 Friedrich Bernhard Werner, Melk, 1710. Scan-Ausdruck nach Feder-/Sepiazeichnung, 70 x 267 mm. – Orig. aus: [Reiseskizzenbuch, OÖ Landesarchiv, Neuerwerbungen, Hs. 140 (=PA III/35)] (NÖLB, Inv.NR. 29.270). – Andraschek-Holzer, Werner in Niederösterreich (wie Anm. 7) 66, Kat.-Nr. 110. 12 Leopold Bayer, Melk, ca. 1835. – Kolor. Umrissradierung, 266 x 398 mm, aus: Mahlerische und merkwürdige Ansichten der verschiedenen Provinzen der österreich. Monarchie und der benachbarten Länder (Nebehay–Wagner 59, Nr. [85?]) (NÖLB, Inv.-Nr. 4.643). – Andraschek-Holzer, Werner in Niederösterreich (wie Anm. 7) 66, Kat.-Nr. 113. 13 Friedrich Bernhard Werner–Johann Georg Merz, Benediktinerabtei Melk, ca. 1735. Kupferstich, 171 x 289 mm (Plattenrand 200 x 306 mm, Blatt 214 x 317 mm), aus: [Ansichtenfolge von Benedictiner Stiften.] (Nebehay–Wagner 836 bzw. 1185, Nr. 2) (NÖKB, Inv.-Nr. 4.631). – Andraschek-Holzer, Werner in Niederösterreich (wie Anm. 7) 103, Kat.-Nr. 242. 14 Georg Matthäus Vischer, Benediktinerabtei Melk, 1672. Kupferstich, 100 x 158 mm (Plattenrand 107 x 161 mm, Blatt 109 x 169 mm, beschnitten), aus: Topographia archiducatus Austriae inferioris modernae (Nebehay/Wagner 783, Teil 2, Nr. 67) (NÖLB, Inv.-Nr. 4.628). – Andraschek-Holzer, Bild vom Kloster (wie Anm. 4) 36. 15 Carlo Brioschi, Melk, ca. 1850. Tonlithographie, 290 x 396 mm (Blatt 375 x 477 mm) (NÖLB, Inv.-Nr. 4.693). – Andraschek-Holzer, Bild vom Kloster (wie Anm. 4) 51.
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leicht zugestanden hätte. Dass freilich auch er einer großzügigeren Einbeziehung der Umgebung nicht abgeneigt war, zeigt seine bereits erwähnte Zeichnung aus 1711 (Abb. 8). Die Entstehungszusammenhänge – hier die unveröffentlichte Keimzelle einer Topographie/da eine Klöstern gewidmete Stichfolge – sind allerdings denkbar unterschiedlich. Ein Spezialist für Vogelschau-Ansichten mit hoch angesetztem Blickpunkt war der erwähnte Rosenstingl. Von ihm sind mehrere Melk-Ansichten auf uns gekommen,16 darunter die prominente und von Franz Leopold Schmitner gestochene Ansicht aus etwa Südosten (Abb. 13).17 Dieses großformatige Blatt basierte auf einem Auftrag der Abtei zum Abschluss der Bauarbeiten. Hinsichtlich des Abbildungsmodus sind für Rosenstingls Stich prominente Vorbilder wie Salomon Kleiner namhaft zu machen – ein Künstler, der noch in anderem Zusammenhang begegnen wird.18 Die Rosenstingl’sche Melk-Ansicht fand auch für andere Bildaufgaben Verwendung, wenn es etwa die Abtei und den heiligen Koloman darzustellen galt (Abb. 14).19 Die hier maßgebliche Bildtradition wurzelt im 17. Jahrhundert; vergleichbare Beispiele aus unserem Interessensraum – etwa für Retz und den heiligen Placidus – ließen sich ins Treffen führen. 20 Die Wirkung von Rosenstingls Schöpfung (Abb. 13) war übrigens noch um 1800 so stark, dass selbst Lorenz Janscha sich des prominenten Vorbilds bediente (Abb. 15).21 Janscha war jedoch nicht nur rückwärtsgewandt; in seinen Arbeiten überwogen selbst gewählte Perspektiven: Dies beweist auch eine andere nach seiner Vorlage radierte 16 900 Jahre Benediktiner in Melk (wie Anm. 1) 225-227, Kat.-Nr. 27.01. – Für die Übermittlung von Arbeitsaufnahmen danke ich Frau Maria Prüller, Melk, herzlich! 17 Franz Rosenstingl–Leopold Schmitner, Melk, 1736. Kupferstich, 600 x 935 mm (Platte ca. 635 (Höhe beschnitten) x 955 mm) (NÖLB, Inv.-Nr. 15.876). – Peter Weninger, Niederösterreich in alten Ansichten. Österreich unter der Enns (Österreich in alten Ansichten 5, Salzburg 1975) 299, Kat.-Nr. 103; Andraschek-Holzer, Werner in Niederösterreich (wie Anm. 7) 102, Kat.-Nr. 238 18 Er hatte beispielsweise 1728 eine Zeichnung des Schlosses Pommersfelden für den Stich vorbereitet. – Peter Prange, Meisterwerke der Architekturvedute. Salomon Kleiner 1700–1761 zum 300. Geburtstag. […] (Schriften des Salzburger Barockmuseums 24, Salzburg 2000) 198f. 19 St. Koloman und Melk, ca. 1780. Kupferstich, 130 x 83 mm (NÖLB, Inv.-Nr. 4.626). – Vergleichbare Kupferstiche publiziert Meta Niederkorn-Bruck, unter Mitarb. von Rainald Dubski, Koloman 1012– 2012. Tradition und Wandel in der Verehrung des Heiligen (Kontinuitäten und Brüche als Ausdruck der Zeit, Melk –Wien 2012) pass. 20 Leopold Schmitner, St. Placidus und Retz, ca. 1740. Kupferstich, 118 x 68 mm (Platte 124 x 75 mm, Blatt 161 x 99 mm) (NÖLB, Inv.-Nr. 12.531). – Weninger, Niederösterreich (wie Anm. 17) 334, Kat.Nr. 169; Helmut Wieser, Retz in alten Ansichten (Die Damals-Reihe, Zaltbommel/NL 1999) 1. – Tatsächlich fungierte Schmitner hier ebenso als Stecher wie für die Rosenstingl-Ansicht Abb. 13. 21 Lorenz Janscha: Stift Melk, ca. 1810. Kolor. Umrissradierung, 267 x 413 mm (Blatt 330 x 442 mm) (NÖLB, Inv.-Nr. 4.640).
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Melk-Ansicht (Abb. 16).22 Sie hat sich des Ortes aus von etwa Südwesten angenommen und ähnelt dadurch der bereits erwähnten Metzburg-Zeichnung (Abb. 7). Der Unterschied zwischen diesen Blättern besteht lediglich in der Entfernung vom Objekt sowie in einer leichten Standort-Verschiebung, sodass für Janscha auch das DonauUfer mit einzubeziehen war. Auf diese Weise konnte sein Blatt auch traditionsstiftend wirken, wie man bei Jakob Alt nachfühlen kann (Abb. 17).23 Freilich blieb es einem heute weit weniger bekannten Künstler vorbehalten, eine klassisch gewordene Perspektive auf Melk zu kreieren: Anton Spreng. Er schuf um 1800 eine Federzeichnung, welche Abtei und Befestigung aus nächster Nähe vom Donau-Ufer aus präsentiert (Abb. 18).24 Prominente Nachfolge fand Sprengs Blatt in Bildschöpfungen von Thomas Ender, dessen 1841 entstandenes Gemälde im Niederösterreichischen Landesmuseum aufbewahrt wird; als Bildbeispiel möge die jenem Gemälde verdächtig ähnelnden Lithographie von Franz Xaver Sandmann nach Theodor Festorazzo dienen (Abb. 19).25 Zuletzt sollen Melk-Ansichten als Teil der Wasserstraße Donau behandelt werden. Den Anfang macht die „Mutter“ aller Donau-Bildfolgen schlechthin: die ca. 1734 in Augsburg erschienene Stichfolge „Theatrum Danubii“. Sie simuliert eine an prominenten Örtlichkeiten vorbeiführende Donaureise. Zunächst sieht man die Melker Abtei von der Höhe der Burg Weitenegg aus (Abb. 20).26 Mit dieser Ansicht lässt 22 Lorenz Janscha–Johann Andreas Ziegler, Melk, ca. 1810. Kolor. Umrissradierung, 272 x 416 mm (Blatt 320 x 435 mm), aus: Vues de différens Bourgs Villages et Villes de Autriche sup. et inf., de Stirie, de Carinthie (Nebehay–Wagner 578, Nr. 72 [recte 73]) (NÖLB, Inv.-Nr. 4.644). – Weninger, Niederösterreich (wie Anm. 17) 300, Kat.-Nr. 104. 23 Jakob Alt–Adolph Kunike, Melk, 1826. Lithographie, 256 x 352 mm (Blatt 303 x 380 mm), aus: Malerische Ansichten von Österreich, Steyermark, Kärnten, Krain, Salzburg und Tyrol (Nebehay–Wagner 333, Nr. [16]) (NÖLB, Inv.-Nr. 4.645. – Ralph Andraschek-Holzer, Topographische Ansichten als Landschaftsbilder. Architektur und Natur in Niederösterreich 1650–1850. Eine Ausstellung aus den Sammlungen der NÖ Landesbibliothek. 18. Juni bis 29. August 2008 […] (Sonder- und Wechselausstellungen der Niederösterreichischen Landesbibliothek 30, St. Pölten 2008) 66, Kat.-Nr. 78. 24 Anton Spreng, Donaulände bei Melk, ca. 1800. Sepia-lavierte Federzeichnung mit Raster, 224 x 298 mm (NÖLB, Inv.-Nr. 4.638). – Wolfgang Krug, Wachau. Bilder aus dem Land der Romantik. Aus der Sammlung des Niederösterreichischen Landesmuseums und der Topographischen Sammlung der Niederösterreichischen Landesbibliothek (Wien 2003) 94. 25 Theodor Festorazzo–Franz Xaver Sandmann, Donaulände bei Melk, ca. 1865. Tonlithographie, 200 x 272 mm (Blatt 250 x 300 mm), aus: Erinnerungen an Oesterreich (Nebehay–Wagner 598, Nr. [6]) (NÖLB, Inv.-Nr. 4.667). – Vgl. das aus 1841 stammende Ender-Gemälde bei Krug, Wachau (wie Anm. 24) 137 . 26 Christian Schumann, Benediktinerabtei Melk und Burg Weitenegg, ca. 1734. Kupferstich, 173 x 288 mm (Blatt 186 x 294 mm, beschnitten), aus: Theatrum Danubii (Nebehay–Wagner 736, Nr. 52) (NÖLB, Inv.-Nr. 4.629. – Huberta-Alexandra Weigl, Die Klosteranlagen Jakob Prandtauers ([Ungedr.] Geisteswiss. Diss. Wien 2002), schlägt als präzise Datierung „1710/11“ vor (ebd., Abb. 70). – Die Druckfassung dieser Arbeit lag bei Abschluss des Manuskripts noch nicht vor.
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sich, vom Vordergrund abgesehen, sehr gut die ca. 1780 erschienene „Ansicht von dem Kloster Melck“ nach Anton Christoph Gignoux vergleichen (Abb. 21).27 Diese, ebenfalls im Rahmen einer Bildfolge zum Thema Donau entstanden, zeigt den Melker Abteiberg aus größerer Entfernung, transformiert die Architektur jedoch ins Phantastische.28 Als weit realitätsnäher erweist sich Thomas Enders Aquarellskizze, die für eine von mehreren Melk-Ansichten dieses Künstlers stehen soll (Abb. 22).29 Wenige Jahre nach dem Entstehen dieser Skizze erschien der Stahlstich von Varral (Abb. 23).30 Er wurde nach einer weiteren Ender-Vorlage angefertigt, welche die Örtlichkeit ebenfalls vom Strom aus, jedoch weit nahsichtiger darstellt. Auffälliger Weise bedient sich Ender in dieser Ansicht einer überlieferten Vordergrundbühne, wie sie im 18. Jahrhundert häufig Verwendung fand (vgl. unsere Abb. 20 ). Damit schließt sich der hier vorgeführte Bilderkreis. Im 18. Jahrhundert wird nicht nur das Erbe älterer Bildtraditionen verwaltet und verfestigt; zugleich wird ein Tor weit in die nächste Epoche hinein aufgestoßen. Ob Werner in den 1730er Jahren (Abb. 10) oder Janscha in der Zeit um 1800 (Abb. 16) : Die Saat ist gelegt für eine Auffassung vom Ortsbild, in welchem die Architektur zugunsten stimmungsvoll verklärter Natur zurücktreten kann (Abb. 12, 23).
27 Anton Christoph Gignoux–Johann Michael Frey, Donau stromabwärts in Richtung Melk, ca. 1780. Kupferstich, 121 x 192 mm (Plattenrand 146 x 209 mm, Blatt 204 x 285 mm), aus: Hundert mahlerische Ansichten an der Donau (Nebehay–Wagner 200, Nr. [87]) (NÖLB, Inv.-Nr. 4.691). – AndraschekHolzer, Bild vom Kloster (wie Anm. 4) 16. 28 Ungewöhnlich erscheint die zweite im „Theatrum Danubii“ erschienene Melk-Ansicht. Der in ihr sichtbar werdende Wasserweg führt flussabwärts direkt am Abteiberg vorbei und kann diesen somit nah- und untersichtig zugleich zeigen. Solche Abbildungsmodi wurden in unserem Raum selten aufgegriffen. – Vgl. Andraschek-Holzer, Landschaftsbilder (wie Anm. 23) 44, Kat.-Nr. 42. 29 Thomas Ender, Donau stromabwärts in Richtung Melk, ca. 1835. Aquarellskizze, 219 x 336 mm. (NÖLB, Inv.-Nr. 4.674). – Peter Weninger (Bearb.), Thomas Ender (1793 –1875). Niederösterreich in der Biedermeierzeit. Sonderausstellung, 23. Oktober 1981 bis 7. März 1982, Niederösterreichisches Landesmuseum Wien (Katalog des NÖ Landesmuseums NF 112, Wien 1981), Kat.-Nr. 108 (unter Inv.-Nr. 4.774), bzw. Gebhard König, Niederösterreich an der Donau (Gebhard König [Hg.], Niederösterreich in alten Ansichten, 4, Wien 2008) 56f., bzw. Franz Smola – Carl Aigner – Michael Grünwald, Bildschöne Wachau. Weltkulturerbe in Bildern vom Biedermeier bis zur Moderne. Sonderausstellung von 21. März bis 31. Oktober 2011 (Göttweig 2011) 34. 30 Thomas Ender – [John Charles] Varral: Stift Melk, ca. 1839. Kolor. Stahlstich, 97 x 154 mm (Blatt 152 x 202 mm), aus: Panorama der Oesterreichischen Monarchie (Nebehay–Wagner 814, Nr. [62]), Thomas Ender, Malerische Ansichten der Donau in ihrem Verlaufe von Engelhardszell bis Wien (Nebehay–Wagner 163, Nr. [17]), sowie Ders., Die Wundermappe der Donau oder das Schönste und Merkwürdigste an den Ufern dieses Stromes in seinem Laufe durch die österreichischen Staaten (Nebehay–Wagner 164, Nr. [27]), 97 x 154 mm (Blatt 152 x 202 mm) (NÖLB, Inv.-Nr. 28.911).
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Aber eine andere Traditionslinie wirkt gleichfalls nach: Sie weist die umgebende Landschaft in ihre Schranken und ermöglicht der Architektur gleichsam die Wahrung ihrer Rechte. Dies geschieht allerdings nicht selten unter dem Druck neuer Erfordernisse, wenn es etwa bauliche Innovationen effektvoll in Szene zu setzen gilt. Als Beispiel kann ein Blatt aus dem „Album zur Erinnerung an die feierliche Eröffnung der Kaiserin Elisabeth – Westbahn […]“ aus 1860 angeführt werden; es zeigt den Melker Bahnhof mit der Abtei im Hintergrund (Abb. 24).31 Stolz präsentiert man junge Errungenschaften, ohne auf deren Legitimierung durch Rückversicherung auf historisch Gewachsenes zu verzichten. Zu beantworten ist nun die sich aufdrängende Frage, wie der Melker Befund in einen größeren ansichtengeschichtlichen Überlieferungskontext einzuordnen ist. Um diese Aufgabe zu lösen, sollte eine möglichst kompatible Bildüberlieferung überprüft werden, die jedoch alles andere als leicht zu finden ist. So ist man zunächst versucht, das Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg und dessen reiche „Ikonographie“ zu bemühen: Seine Dualität von Kloster und Siedlung und die leicht erhöhte Lage direkt an der Donau versprechen größere Vergleichsmöglichkeiten (Abb. 25).32 Nun wurde Klosterneuburg ebenso wie Melk seit dem Spätmittelalter in zahlreichen Ansichten verewigt, doch liegt zwischen der Zeit um 1700 und dem späten 18. Jahrhundert kaum über Planaufnahmen hinausgehendes Ansichtenmaterial vor.33 Aus diesem Grund muss statt eines vergleichbar situierten Kloster-Siedlung-Ensembles ein kompatibler Überlieferungsbestand gewählt werden – in diesem Fall derjenige zur Benediktinerabtei Göttweig. Ohne ins Detail gehen zu wollen, sei verraten, dass die Zugehörigkeit zum selben Orden der einschlägigen Ansichtenproduktion zuträglich war, nicht hingegen die Tatsache, dass der Abteiberg vom Donautal etwas abgesetzt war und daher in die frühen Bildfolgen zum Thema Donau nicht Eingang gefunden hat. 31 Bahnhof Melk [u. a.], 1860. Tonlithographie, 220 x 290 mm (Blatt 250 x 320 mm), aus: Album zur Erinnerung an die feierliche Eröffnung der Kaiserin Elisabeth-Westbahn von Wien bis Salzburg im Jahre 1860 (Nebehay –Wagner 16, Nr. [4]) (NÖLB, Inv.-Nr. 30.078a. – Eine zeitlich nicht allzu weit entfernte Fotografie zeigt ebenfalls diese Zweiheit von Abtei und Bahnhof: Melk, ca. 1870/80. SW-Lichtbild, auf Karton aufgesetzt, 57 x 92 mm (Blatt 64 x 105 mm) (NÖLB, Inv.-Nr. 4.710). 32 Pieter Schenk, Klosterneuburg, 1702. Kupferstich, 186 x 240 mm (Plattenrand 220 x 265 mm; Blatt 263 x 323 mm), aus: Ders., Hecatompolis sive Totius orbis Terrarum Oppida Nobiliora Centum ; exquisite collecta atque eleganter depicta (Nebehay–Wagner 632, Nr. [6]) (NÖLB, Inv.-Nr. 25.793). – Floridus Röhrig, Klosterneuburg in alten Ansichten (Klosterneuburg 1973) 22f. 33 Röhrig, Klosterneuburg in alten Ansichten (wie Anm. 32); Andraschek-Holzer, Bild vom Kloster (wie Anm. 4), pass.
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Dennoch können Vergleichsmomente ins Treffen geführt werden. Der Dreierfolge an Werner-Ansichten von Melk (Abb. 4, 6, 10) entspricht ein Zyklus von sechs Ansichten zum Thema Göttweig.34 Diese Stichfolge, ebenfalls aus den 1730er Jahren stammend, enthält ebenfalls eine Abfolge von Vogelschau und Profilansichten – in diesem Fall aus allen vier Himmelsrichtungen – des geplanten Neubaus sowie einer den Zustand vor Beginn des Neubaus ausweisenden Vogelschau. Als Beispiel diene hier die Profilansicht von Norden mit Furth am Fuß des Abteibergs (Abb. 26).35 Die große Vogelschau nach Rosenstingl aus 1736 erwähnten wir (Abb. 13); ihr müssten noch die drei ungestochen gebliebenen, in Abteibesitz befindlichen VogelschauAufnahmen aus demselben Jahr zugesellt werden.36 Diesen vier Ansichten kann die Göttweiger Überlieferung immerhin die Sechzehner-Folge des Salomon Kleiner gegenüber stellen.37 Neben drei Planaufnahmen umfasst sie fünf Vogelschau-Ansichten des geplanten Neubaus; dazu kommen sechs Einblicke in Innenräume und zwei Stiche mit je zwei den Bau als solchen dokumentierenden Bildzeugen. Die Ansichten der Innenräume sowie die Bild-„Reportagen“ vom Neubau heben diese Kleiner’sche Aufnahmekampagne ebenso gegenüber vielen anderen österreichischen Klosteransichten hervor wie ihr hohes Qualitätsniveau. Als Bildbeispiel soll hier die Vogelschau aus Südwesten fungieren (Abb. 27).38 Dem etwa 1780 datierten Kupferstich des über Melk wachenden heiligen Koloman (Abb. 14) lässt sich ein in der Literatur publiziertes Spitzenbild mit dem Heiligen Altmann über der – hier allerdings en profil dargestellten – Göttweiger Abtei gegenüberstellen.39 Die wohl 1794 entstandene Melk-Zeichnung Metzburgs (Abb. 7) besitzt in einer zeitgleich geschaffenen Göttweig-Ansichten desselben Künstlers ein
34 Andraschek-Holzer, Werner in Niederösterreich (wie Anm. 7), S. 96f. Gregor Martin Lechner–Michael Grünwald, Göttweiger Ansichten. Graphik – Gemälde – Kunsthandwerk. Ausstellung des Graphischen Kabinetts & der Kunstsammlungen, des Stiftsarchivs und der Stiftsbibliothek Göttweig, 6. April – 15. November 2002, Stift Göttweig, Göttweig 2002) 88–101. 35 Friedrich Bernhard Werner–Johann Georg Merz, Benediktinerabtei Göttweig mit Furth, ca. 1735. Kupferstich, 176 x 290 mm (Blatt 200 x 302 mm), aus: [Ansichtenfolge von Stift Göttweig] (Nebehay– Wagner 835, Nr. [3]) (NÖLB, Inv.-Nr. 1.781). – Lechner–Grünwald, Göttweiger Ansichten (wie Anm. 34) 92f. 36 S. die in Anm. 16 gemachten Angaben. 37 Lechner–Grünwald, Göttweiger Ansichten (wie Anm. 34) 100 –133. 38 Salomon Kleiner, Benediktinerabtei Göttweig aus Südwesten, 1744. Kupferstich, 522 x 706 mm (Platte 507 x 696 mm, beschnitten), aus: Ders., Scenographia Monasterii Gottwicensis (Nebehay–Wagner 983, Nr. 7) (NÖLB, Inv.-Nr. 1.788). – Lechner–Grünwald, Göttweiger Ansichten (wie Anm. 34) 114f.; Andraschek-Holzer, Bild vom Kloster (wie Anm. 4) 47. 39 Ebd. 136f.
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Pendant; dieses zeigt jedoch bei weit kleinerem Format nur den von seinem Umland isolierten Abteikomplex (Abb. 28).40 Die Konfrontation dieser Bildüberlieferungen zeigt auf den ersten Blick die große Dichte der Melker Produktion im 18. Jahrhundert. Mit ihr könnte sich die Göttweiger nicht messen, hätte sie nicht wenigstens die Kleiner‘sche Stichfolge aufzubieten. Unerreicht ist der aus dem 18. Jahrhundert datierende Melker Bilderschatz aber auch in einer weiteren Hinsicht: hinsichtlich des Verhältnisses von Architektur und Landschaft. In diesem Punkt gerät der Göttweiger Überlieferungsbestand ins Hintertreffen, da Göttweig an den frühen Bildfolgen zum Thema Donau nicht teilhat. So sieht sich die Göttweiger Bildtradition in der kuriosen, jedoch keineswegs isolierten Situation, zwischen dem 17. Jahrhundert und der Zeit um 1800 kaum Ansichten bieten zu können, in welchen die den Klosterkomplex umgebende Landschaft wenigstens gleichberechtigt ins Bild gebracht wird. Die hier im Schnellverfahren untersuchten Melk-Ansichten beweisen ihre Signifikanz nicht nur für ein prominentes Baudenkmal, an welchem mehrere Epochen geschaffen haben, sondern auch für eine große Zeit der Ansichtenproduktion schlechthin: das 18. Jahrhundert. Es war Erbe und Verwalter, Experimentierküche und Transformator zugleich; es konnte vor allem hinsichtlich Wahrnehmungsgepflogenheiten und somit Abbildungsmodi schulbildend für die folgende Epoche liefern. Das 19. Jahrhundert konnte mit einer weit größeren Palette an druckgraphischen Abbildungstechniken sowie einer intensiveren Produktion von Ansichtenfolgen aufwarten;41 in Sachen Objektdarstellung aber ist die vom „Chronicon Mellicense“ bis zu Anton Sprengs Bildschöpfung reichende Epoche als grundlegend zu werten. Daraus folgt, dass der hier behandelte Zeitraum bildgeschichtlich in seiner Bedeutung kaum genug gewürdigt werden kann – für Melk im Kleinen wie für ganz Europa schlechthin.
40 Georg Ignaz von Metzburg – zugeschrieben, Benediktinerabtei Göttweig, ca. 1794. Lavierte Feder- und Bleistiftzeichnung auf Raster, 138 x 252 mm (NÖLB, Inv.-Nr. 1.798). – König, Niederösterreich an der Donau (wie Anm. 29) 106f. 41 Zahlreiche Beispiele finden sich in Nebehay–Wagner, in Andraschek-Holzer, Landschaftsbilder (wie Anm. 23), sowie in Andraschek-Holzer, Gesetz der Serie? Ansichtenfolgen aus vier Jahrhunderten. Eine Ausstellung aus den Sammlungen der NÖ Landesbibliothek, 17. Oktober bis 14. Dezember 2012 […] (Sonder- und Wechselausstellungen der Niederösterreichischen Landesbibliothek 34, St. Pölten 2012).
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Abb. 1: Petrus Angelus Sandri–Johann Andreas Pfeffel d. Ä. –Christian Engelbrecht, Melk, ca. 1700 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 2: Matthäus Merian d. Ä., Melk, 1649 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 3: Österreichische Luftverkehrs-A.G., Wien, Luftbildabteilung, Stift Melk, 1933 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 4: Friedrich Bernhard Werner–Johann Georg Merz, Benediktinerabtei Melk, ca. 1735 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 5: Benediktinerabtei Melk, 1638 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 6: Friedrich Bernhard Werner / Johann Georg Merz, Melk, ca. 1735 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 7: Georg Ignaz von Metzburg – zugeschrieben, Melk, ca. 1794 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 8: Friedrich Bernhard Werner, Melk, 1710 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 9: Leopold Bayer, Melk, ca. 1835 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 10: Friedrich Bernhard Werner–Johann Georg Merz, Benediktinerabtei Melk, ca. 1735 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 11: Georg Matthäus Vischer, Benediktinerabtei Melk, 1672 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 12: Carlo Brioschi, Melk, ca. 1850 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 13: Franz Rosenstingl–Leopold Schmitner, Melk, 1736 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 14: St. Koloman und Melk, ca. 1780 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 15: Lorenz Janscha: Stift Melk, ca. 1810 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 16: Lorenz Janscha–Johann Andreas Ziegler, Melk, ca. 1810 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 17: Jakob Alt–Adolph Kunike, Melk, 1826 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 18: Anton Spreng, Donaulände bei Melk, ca. 1800 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 19: Theodor Festorazzo–Franz Xaver Sandmann, Donaulände bei Melk, ca. 1865 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 20: Christian Schumann, Benediktinerabtei Melk und Burg Weitenegg, ca. 1734 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 21: Anton Christoph Gignoux–Johann Michael Frey, Donau stromabwärts in Richtung Melk, ca. 1780 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 22: Thomas Ender, Donau stromabwärts in Richtung Melk, ca. 1835 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 23: Thomas Ender– [John Charles] Varral: Stift Melk, ca. 1839 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 24: Bahnhof Melk [u.a.], 1860 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 25: Pieter Schenk, Klosterneuburg, 1702 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 26: Friedrich Bernhard Werner–Johann Georg Merz, Benediktinerabtei Göttweig mit Furth, ca. 1735 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
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Abb. 27: Salomon Kleiner, Benediktinerabtei Göttweig aus Südwesten, 1744 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Abb. 28: Georg Ignaz von Metzburg – zugeschrieben, Benediktinerabtei Göttweig, ca. 1794 (Repro: NÖ Landesbibliothek)
Heiligenverehrung und Politik Grundsätzliches und Beispielhaftes aus kulturwissenschaftlicher Sicht
kathrin Pallestrang
Eine Beschäftigung mit der Geschichte, dem Ablauf und der Bedeutung des kirchenrechtlichen Verfahrens der Selig- beziehungsweise Heiligsprechung in der römischkatholischen Kirche zeigt, dass dieses Verfahren an sich nicht ein reiner Akt der Glaubensausübung ist, sondern immer auch ein kirchenpolitischer oder machtpolitischer Aspekt mitspielt. Umgekehrt ist die Politik, also die „Steuerung von Staat und Gesellschaft im Ganzen“,1 in mehrerlei Hinsicht mit dem Bereich der Religion und des Glaubens verknüpft. Religiöse Themen und Figuren werden immer wieder für politische Zwecke eingesetzt, und die Politik benötigt zugrunde liegende Referenzwerte, an denen Entscheidungen und Handeln ausgerichtet werden. Diese Referenzwerte können einer Glaubensrichtung entstammen oder damit in Zusammenhang stehen. Außerdem nimmt die Politik selbst mitunter sakrale Züge an oder bringt Idole hervor, die über die reale Person hinaus überhöht werden und eine Strahlkraft und Symbolwirkung haben, die den Heiligen des dezidiert religiösen Umfelds in nichts nachstehen. Im Folgenden soll dieser Themenkomplex anhand von Beispielen illustriert werden. Zunächst stellt sich jedoch die Frage, was eigentlich ein Heiliger/eine Heilige im Sinne der römisch-katholischen Kirche ist. Es ist dies eine Person, die das „Ewige Ziel“ erreicht hat, also nach dem Tode die Nähe Gottes erfährt, umgangssprachlich ausgedrückt „in den Himmel gekommen ist“. Dies gilt für sogenannte Selige in genau dem gleichen Maß. Selige und Heilige unterscheiden sich nicht in ihrem Wesen, sondern nach heutigem römisch-katholischem Kirchenrecht nur im Ausmaß ihrer Verehrung. Es steht den Gläubigen kirchenrechtlich frei, Heilige in der gesamten römisch-katholischen Kirche im Rahmen der Liturgie zu verehren. Die Verehrung von Seligen ist jedoch regional, also etwa auf eine Diözese, beschränkt. Die römisch-katholische Kirche spricht davon,2 dass die Zahl derer, die ihr ewiges Ziel erreicht haben, sehr hoch ist, dass es also ein Heer von – allgemein unbekannten 1 http://de.wikipedia.org/wiki/Politik, 31. August 2010. 2 Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Europa von Papst Johannes Paul II., 28. Juni 2003 (=Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 161, Bonn 2003), S. 19 –20.
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kathrin Pallestrang
– Heiligen gebe, derer zwar ihre engsten Angehörigen und Freunde gedenken, die aber nie allgemein in der Liturgie in der Kirche verehrt werden. Wenn es also zu einer offiziellen Bestätigung des Vorliegens der Heiligkeit, also zur Kanonisation durch die römisch-katholische Kirche, kommt, wird damit ein Zeichen gesetzt, das Bedeutung für die gesamte Kirche hat und meist darüber hinaus. Ein verbindliches kirchenrechtliches Verfahren3 zur Kanonisation wurde erst durch Papst Urban VIII. 1634 im Detail festgeschrieben. Allerdings hatte bereits Papst Alexander III. Ende des 12. Jahrhunderts verfügt, dass das Recht der Heiligsprechung allein beim Papst liegen solle. Seligsprechungen hingegen wurden weiterhin von den Bischöfen in den Diözesen vorgenommen.4 Damit es zu einer Kanonisation kommt, muss – das gilt auch heute noch – eine nachweisbare anhaltende allgemeine Verehrung vorausgehen (Volkskanonisation), die aber nicht ungebührlich stark sein, vor allem nicht im Rahmen des Gottesdienstes stattfinden darf. Als Beweis für die Heiligkeit einer Person wird außerdem, quasi als „Unterschrift des Himmels“ unter das Verfahren, der Nachweis eines Wunders, das durch Fürbitte der betreffenden Person erfolgte, verlangt – außer es handelt sich um einen Märtyrer/eine Märtyrerin –, was sehr problematisch gerade bei heute laufenden Verfahren ist und auch innerkirchlich immer wieder Kritik hervorruft. Der Papst hat mit der Zentralisierung der Heiligsprechung nicht nur Missbrauch einen Riegel vorgeschoben, sondern auch ein Instrumentarium der Kirchenpolitik geschaffen. Seit 1588 ist die Heilige Kongregation für Riten5 mit der Durchführung des Verfahrens betraut. Der Papst ist jedoch nicht verpflichtet, den Beschlüssen der Kongregation zu folgen. Es steht ihm frei, eine empfohlene Kanonisation nicht vorzunehmen oder eine Kanonisation durchzuführen, obwohl die Kongregation sich dagegen ausgesprochen hat. Der Papst nimmt bei seiner Entscheidung immer und ganz offiziell Rücksicht auf die gesamte kirchenpolitische Lage, allerdings ohne die jeweiligen Gründe im Einzelnen offen zu legen. Ein weiterer Umstand verknüpft das Heiligsprechungsverfahren mit der Politik: Das Verfahren kann rechtlich nicht von kirchlichen Stellen gefordert oder vorangetrieben, 3 Eine ausführliche Darstellung der Geschichte und des Ablaufs des Heiligsprechungsverfahrens gibt Andreas Lotz, Das Selig- und Heiligsprechungsverfahren in der katholischen Kirche im Überblick. In: Heilige in Europa. Kult und Politik (=Kataloge des Österreichischen Museums für Volkskunde, 92, Wien ²2013), S. 17–26. 4 Vgl. Bernhard Kötting, Die Anfänge der christlichen Heiligenverehrung in der Auseinandersetzung mit Analogien außerhalb der Kirche. In: Peter Dinzelbacher –Dieter R. Bauer (Hg.): Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart (Ostfildern 1990), S. 67–80, hier S. 74; Joachim Köhler, Die mittelalterliche Legende als Medium christlicher Verkündigung. In: Peter Dinzelbacher–Dieter R. Bauer (Hg.): Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart (Ostfildern 1990), S. 175–200, hier S. 197. 5 1969 wurde sie allerdings in die Heilige Kongregation für den Gottesdienst und die Heilige Kongregation für Selig-und Heiligsprechungsprozesse geteilt.
Heiligenverehrung und Politik
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sondern muss durch einen sogenannten Actor, eine Rechtsperson, eingebracht und forciert werden. Da das Verfahren kostspielig ist, muss der Actor also eine Person (z. B. ein Herrscher, also Herzog, König etc.) oder eine Organisation (z. B ein Kloster, ein Verein) sein, die über entsprechende personelle, zeitliche und vor allem finanzielle Ressourcen verfügen. All diese Überlegungen machen deutlich, dass eine Heiligsprechung immer ein hochpolitischer Akt ist. Es ist also immer zu fragen, wem eine Heiligsprechung oder die besondere Förderung der Verehrung bestimmter Heiligen nützt beziehungsweise wem die Verschleppung eines Verfahrens oder die Vernachlässigung einer Verehrung durch beispielsweise den Landesherrscher dient. Die Heiligenverehrung war aber auch schon vor der Festlegung des Kanonisationsverfahrens nicht von der Staatspolitik zu trennen, genauso wie das Herrschaftsverständnis lange Zeit mit dem Sakralen in Zusammenhang stand.6 Als die erste förmliche Kanonisation gilt die Heiligsprechung des im Jahr 973 verstorbenen Bischofs Ulrich von Augsburg durch Papst Johannes XV. im Jahre 993,7 von der jedoch die Originalakten nicht erhalten sind. Bischof Ulrich spielte eine gewichtige Rolle bei der Abwehr der noch nicht christianisierten Ungarn. Er befehligte angeblich selbst die Truppen, die den Ungarn bei Augsburg 955 eine empfindliche Niederlage zufügten, die vermutlich dazu führte, dass sie in der entscheidenden Schlacht am Lechfeld von Kaiser Otto I. geschlagen wurden. Kaiser Otto I. wiederum trug eine Fahne mit einer Abbildung des Erzengels Michael. Im Anschluss an den Sieg der kaiserlichen Truppen wurde Michael zum Schutzpatron des Heiligen Römischen Reichs ernannt, außerdem gilt er seither als Patron der Soldaten und Krieger und mutierte im Ersten Weltkrieg zum Soldaten für das deutsche Volk.8 Der Begriff des Landes- beziehungsweise Schutzpatrons ist per se ein politisch aufgeladener Begriff. Im Mittelalter war für die Verlobung eines Herrschaftsgebietes an einen bestimmten Heiligen ausschlaggebend, Reliquien von ihm zu besitzen. Durch seine Überreste hindurch, so war die Vorstellung, wirke der Heilige und gewähre Schutz allen, die ihm nahe sind.9 Ein Beispiel dafür sind die Gebeine des heiligen Koloman, den die Babenberger als ihren Schutzpatron ansahen.10 6 Vgl. dazu Kathrin Pallestrang, Vom Sakralen in der Politik. Überlegungen aus kulturwissenschaftlicher Sicht. In: Heilige in Europa. Kult und Politik (=Kataloge des Österreichischen Museums für Volkskunde 92, Wien ²2013), S. 29 – 45. 7 Dietmar Assmann, Hl. Florian bitte für uns. Heilige und Selige in Österreich und Südtirol (Innsbruck u. a. 1977), S. 30 –31. 8 Vgl. Thomas Fliege, „Mein Deutschland sei mein Engel Michael“. St. Michael als nationalreligiöser Mythos. In: Gottfried Korff (Hg.), Alliierte im Himmel. Populare Religiosität und Kriegserfahrung (= Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, 99, Tübingen 2006), S. 159 –199. 9 Ausführlich mit der Reliquienverehrung beschäftigt sich u. a. Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart (München 1997). 10 Edeltraud Ambros, Der heilige Koloman. Der erste Landespatron von Niederösterreich (Dissertation, Univ. Wien 2010), S. 7.
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Reliquien wurden gleichsam selbstverständlich im Machtstreit von Kaiser und Papst eingesetzt, so etwa die Gebeine der heiligen Drei Könige. Ihr besonderer Kult entwickelte sich erst durch die Auffindung ihrer (angeblichen) Leichname in der Kirche Sant’Eustorgio bei Mailand während der Belagerung durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa im Jahr 1158 und ihre anschließende Überführung nach Köln durch Erzbischof und Kanzler Rainald von Dassel. Heute ist sicher,11 dass es sich bei den drei Leichen nicht um die heiligen Drei Könige gehandelt hat, die außerdem weder als Könige noch in ihrer Dreizahl biblisch belegt sind. In Köln jedenfalls wurde die Verehrung der Könige durch Prozessionen, fromme Spiele und Bruderschaften gefördert, so dass sich hier rasch ein für ganz Europa wichtiges Wallfahrtszentrum entwickelte.12 Wie auch immer die sterblichen Überreste nach Sant’Eustorgio gelangt sein beziehungsweise von wem auch immer sie stammen mögen, für Friedrich I. Barbarossa, einem fleißigen Reliquiensammler, war es von großem machtpolitischen Vorteil diese Gebeine in seinem Herrschaftsbereich zu verwahren. Nachdem die Heiligen, gemäß der mittelalterlichen Sozialordnung, hierarchisch gedacht wurden, kam einer Reliquie eines mächtigen Heiligen (etwa eines bereits in der Bibel erwähnten) mehr Kraft und Macht zu, als der eines weniger bedeutenden. Der Besitz vieler oder mächtiger Reliquien steigerte das Ansehen ihres Besitzers gewaltig. Wird dies bedacht, ist klar, welch hohes Ansehen der Besitz der gleich drei, noch dazu unversehrten Leiber der Heiligen Könige dem Kaiser Friedrich I. Barbarossa eingebracht haben. Doch darüber hinaus ist die symbolische Wirkung gar nicht hoch genug einzuschätzen. Durch den Kult wird die Auffassung, dass es sich bei den biblischen Magiern tatsächlich um weltliche Könige gehandelt habe, als Tatsache festgeschrieben. Dass diese laut Bibel unter den ersten waren, die das Jesuskind verherrlichten, lieferte eine starke Stütze für den Kaiser in der Auseinandersetzung mit dem Papst um die weltliche Vormachtstellung – dadurch wurde das gesamte König- beziehungsweise Kaisertum besonders gewürdigt. Der Versuch Friedrich I. Barbarossas, Karl den Großen, den bereits mythisch gewordenen Wiedererwecker des römischen Reichs, heilig sprechen zu lassen, muss ebenfalls als Beitrag zur Aufwertung des Kaisertums eingeschätzt werden, um das sich Barbarossa besonders bemühte.13 Noch eine andere Vorstellung war für die Verbindung von Heiligenverehrung und Realpolitik ausschlaggebend, nämlich die Vorstellung der Ererbung des Königsheils, das letztendlich auf germanische und römische Vorstellungen zurückgeführt werden kann. Wer also einen Heiligen in der eigenen Blutlinie hat, dessen Herrschaftsan11 Hans Hofmann, Die Heiligen Drei Könige. Zur Heiligenverehrung im kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Leben des Mittelalters (=Rheinisches Archiv 94, Bonn 1975). 12 Ingeborg Weber-Kellermann, Das Weihnachtsfest. Eine Kultur- und Sozialgeschichte der Weihnachtszeit (München –Luzern ²1987), S. 192–201. 13 Jacques Le Goff, Das Hochmittelalter (Frankfurt a. M. ²1987), S. 95.
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spruch ist legitimiert und hat bedeutendes Gewicht. Aus diesem Kontext heraus wird verständlich, dass sich die Habsburger bemühten, den aussichtsreichsten Kandidaten unter ihren Vorfahren, der schon hoch verehrt und mit Wallfahrten bedacht war, nämlich den Babenberger Markgraf Leopold III.14 offiziell zum Heiligen erklären zu lassen. Als Erben der Babenberger und tatsächlich – wenn auch weitläufig – verwandt diente ihnen Leopold als Heiliger mehr als der Fremde Koloman, auch wenn man ihn später zum Vorfahren und Königssohn stilisierte. Zu behaupten, dass hinter diesen Vorgehensweisen ausschließlich politisches Kalkül steckte, wäre zu kurz gedacht. Es ist davon auszugehen, dass die Habsburger von der Heiligkeit Leopolds überzeugt waren, weshalb sie es als ihre Pflicht ansahen, für diese und durch diese Politik zu betreiben. Auch für die römisch-katholische Kirche war es eine Selbstverständlichkeit, den Heiligenglauben einzusetzen, um ihre Ziele zu untermauern, so etwa in der Zeit der Gegenreformation. Ein bekanntes Beispiel ist der heilige Johannes Nepomuk,15 kanonisiert 1729, der im Zuge der Gegenreformation zum Patron der Beichte aufgebaut wurde, die bei den Protestanten nicht als Sakrament gilt. Als Mitarbeiter des Bischofs in dessen Streit mit dem böhmischen König verwickelt, war Johannes Nepomuk 1393 in der Moldau ertränkt worden. In seiner Legende wird als Grund jedoch angeführt, dass er dem König nicht verraten wollte, was ihm die Königin, die der Untreue verdächtigt wurde, in der Beichte anvertraut hatte. Er wurde schon bald nach seinem Tod regional hochverehrt, doch seine Heiligsprechung erfolgte erst, als es kirchenpolitisch passte. Eine besondere Note erhielt das barocke Herrschertum durch die enge Verschränkung von Glauben und Realpolitik in der so genannten Pietas Austriaca,16 also der Frömmigkeit des österreichischen Herrscherhauses, die im 17. und 18. Jahrhundert öffentlich und mit Nachdruck demonstriert sowie text- und bildlich propagiert wurde. Besonders verehrt wurden die Dreifaltigkeit und das Kreuz, die als deutlich christliche Merkmale die Abwehr des Osmanischen Reichs unterstützen sollten, und die Immaculata Conceptio, die Unbefleckte Empfängnis der Mutter Jesu, Mariens, also ihr Freisein von Erbsünde und zwar vom Augenblick der Zeugung durch ihre Eltern an. Das Herrscherhaus, der ganze Hof, sollte die Frömmigkeit vorleben, jedoch schloss die Pietas Austriaca auch die Missionierung im Volk mit ein. Die Stoßrichtung, in die die Beförderung des Glaubens gehen sollte, war klar definiert. Im 14 Vgl. Floridus Röhrig, Leopold III. der Heilige Markgraf von Österreich (Wien – München 1985), S. 131–155; Elisabeth Kovács, Der heilige Leopold und die Staatsmystik der Habsburger. In: Der Heilige Leopold. Landesfürst und Staatssymbol. Niederösterreichische Landesausstellung, Stift Klosterneuburg, 30. März – 3. November 1985 (=Kataloge des Niederösterreichischen Landesmuseums, N.F. 155, Wien 1985), S. 69 – 83. 15 Anna Coreth, Pietas Austriaca. Österreichische Frömmigkeit im Barock (Wien ²1982), S. 76 –77. 16 Ebd.
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Zeichen der Gegenreformation sollten besonders all jene Glaubensinhalte angesprochen werden, die Katholiken und Protestanten unterschiedlich auffassen. Das besondere Naheverhältnis der Habsburger zur Gottesmutter Maria verstärkte sich durch zwei wichtige Siege, die ihrem direkten Einwirken zugeschrieben wurden: Don Juan d’Austria glaubte seinen Sieg in der Seeschlacht bei Lepanto über die Türken 1571 dem Rosenkranzgebet zu verdanken, das daraufhin einen beachtlichen Aufschwung erfuhr. In der Schlacht am Weißen Berg 1621 gewann Kaiser Ferdinand II., der die Madonna als „Generalissima“ und „Patrona“ seiner Heere verehrte, gegen die Protestanten angeblich durch die Hilfe eines mitgetragenen Bildes der – von da an so genannten – „Maria vom Siege“.17 Am deutlichsten ist eine siegreiche Muttergottes jedoch im Darstellungstypus der Maria Immaculata beziehungsweise Maria Apocalyptica ausgedrückt. Das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis wurde zwar erst 1854 nach jahrhundertelangen innerkirchlichen Debatten verkündet, doch Ferdinand III. weihte 1647 Österreich der Immaculata Concepta. Zentrum des Marienkults wurde Mariazell mit dem Gnadenbild der Magna Mater Austriae, das nun dem überregional etablierten Marienwallfahrtsort des Heiligen Römischen Reiches, Altötting in Bayern, bald große Konkurrenz machte.18 Nicht nur die Marienverehrung, auch die Verehrung anderer Heiliger wurde von den Habsburgern verinnerlicht und gefördert. 1663 erhob Leopold I. seinen Namenspatron, den heiligen Babenberger Leopold III., zum Landespatron, weil er – wie es in barocken Predigten hieß – „seine Frömmigkeit den Habsburgern vererbt“ habe und das Land vor „Türken und Protestanten“ schütze. Aus Sorge keine „männlichen Leibeserben“ zu erhalten, weihte Leopold I. 1675 Österreich und das Heilige Römische Reich zusätzlich Jesu „Nährvater“, dem heiligen Joseph. Als der ersehnte Erbe schließlich geboren wurde, erhielt er – selbstverständlich – den Namen dieses neuen österreichischen Copatrons. Joseph II. und bereits seine Mutter Maria Theresia standen als aufgeklärte Monarchen nicht nur den Blüten der Barockfrömmigkeit kritisch gegenüber, sondern entwickelten auch ein anderes Herrschaftsverständnis, das sich nicht mehr ausschließlich auf das Gottesgnadentum gründete. Zum Symbol für eine neue Auffassung des Verhältnisses von Volk zu Regierung, der Herrschaftslegitimierung und des Staatsgedankens, deren Angelpunkt in der Aufklärung liegt, wurde die Französische Revolution, die als einschneidende Zäsur jeden-
17 Elisabeth Kovács, Überwindung der Probleme des Hauses Österreich und der österreichischen Monarchie durch die Pietas Austriaca. In: Welt des Barock. Oberösterreichische Landesausstellung 1986 (Linz 1986), S. 157–164, hier: S. 157 u. 158. 18 Coreth (wie Anm. 16), S. 65.
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falls auf der politischen Ebene den Beginn der Moderne anzeigt.19 Moderne politische Bewegungen und Gebilde wie Parteien oder Nationen schaffen sich im Zuge der Säkularisierung, der allmählichen Trennung von Staat und Kirche, ihre eigenen Ritualisierungen, Symbole und Kultfiguren, die nicht selten der christlichen oder genauer der römisch-katholischen Tradition entlehnt sind. Ihr Zweck ist es, eine emotionale Bindung zu schaffen, ein Gemeinschaftsgefühl zu festigen oder zu erzeugen, eine höhere Legitimation herzustellen und Identifikationsmöglichkeiten zu bieten. Dies soll hier nicht weiter ausgeführt werden, erinnert sei lediglich an Lenin, Che Guevara, Dollfuß oder auch Hitler, die alle nicht miteinander zu vergleichen sind, aber politische Symbolfiguren mit Kultcharakter waren beziehungsweise noch sind. Auch die Funktionen der popkulturellen Ikonen des 20. und 21. Jahrhunderts ähneln durchaus jenen des katholischen Heiligenkults. Sie bieten Projektionsflächen zur Identitätsfindung, dienen als Vorbilder und verhelfen zu „kleinen Transzendenzen“20, das heißt, sie heben die BetrachterInnen – zumindest für einen Moment – aus dem Alltag heraus. Gottfried Korff spricht in diesem Zusammenhang mit Hans-Ulrich Gumbrecht vom „Faszinationstyp Hagiographie“21. Als Beispiele seien Elvis Presley, Jim Morrison, James Dean, Lady Diana und Michael Jackson angeführt. Oft erst in der Erinnerung kommt es zur Überhöhung und Idolisierung von Personen, deren Verehrung an den Grabstätten sichtbaren, gleichsam öffentlichen Ausdruck findet. Auch das ist mit Heiligen vergleichbar. Das Grab als letzte Ruhestätte wird zu einem symbolischen Ort der Verbindung mit dem Jenseits. Aber gerade hier findet sich ein großer Unterschied zu den Heiligen der römisch-katholischen Kirche: Ihre Gräber sind als Orte der realen Verbindung mit dem Jenseits gedacht. Papst Johannes Paul II. reformierte 1983 das Kanonisationsverfahren gründlich.22 Unter anderem wurde die Antragstellung erleichtert und den Diözesanbischöfen wieder eine größere Rolle zugewiesen. Dass ihm die Popularisierung von Heiligkeit nach römisch-katholischem Verständnis überaus wichtig war, zeigt sich an der Anzahl der Heilig- und Seligsprechungen während seines Pontifikats (1978–2005), die er durch die Reform erreichen konnte: Mit 482 Heiligen und 1.338 Seligen hat er mehr Men19 Vgl. Hans-Ulrich Thamer, Rituale in der Moderne. In: Barbara Stollberg-Rilinger u. a. (Hg.), Spektakel der Macht. Rituale im alten Europa 800 –1800 (Darmstadt 2008), S. 63 – 67, hier: S. 64. 20 Gottfried Korff, Ersatzheilige? Überlegungen zur imitatio und invocatio im Personenkult der Gegenwart. In: Siegfried Becker u. a. (Hg.), Volkskundliche Tableaus: Eine Festschrift für Martin Scharfe zum 65. Geburtstag von Weggefährten, Freunden und Schülern (Berlin 2001), S. 169 –182, hier: 178 –181. 21 Gottfried Korff, Personenkult und Kultpersonen. Bemerkungen zur profanen „Heiligenverehrung“ im 20. Jahrhundert. In: Walter Kerber (Hg.), Personenkult und Heiligenverehrung (=Fragen einer neuen Weltkultur, 14, München 1997), S. 157–213, hier: S. 182. 22 Nach einem unveröffentlichten Gesprächsprotokoll mit Andreas Lotz vom 10.6.2010; http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/csaints/documents/rc_con_csaints_doc_07021983_norme_en.html, 22.8.2002.
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schen zur Ehre der Altäre erhoben als seine Vorgänger, die seit Beginn der offiziellen Zählung im Jahr 1594 bis 1978 lediglich 302 Heilig- und rund 980 Seligsprechungen durchgeführt haben. Dabei darf man nicht vergessen, dass insgesamt rund 14.000 Heilige in der römisch-katholischen Kirche namentlich bekannt sind,23 auch wenn viele von ihnen nicht mehr verehrt werden. Mit den Selig- und Heiligsprechungen hat die römisch-katholische Kirche ein reiches Arsenal an Devotionsangeboten geschaffen. Und sie signalisiert ihre auch heutige Präsenz in Europa und der ganzen Welt durch eine Inszenierung ihrer Kultfiguren, der eine mediale Aufmerksamkeit zuteil wird, die dem weltlichen Star- und Ikonenkult oft um nichts nachsteht. Unter den „neuen Heiligen“ sind etliche, die ganz allgemein von vielen, auch Nichtkatholiken, als verehrungswürdig eingestuft werden. Allen voran Heilige, die in Zusammenhang mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus stehen und damit auch dezidiert politisch Stellung genommen haben, und durch ihre Kanonisation der Vatikan heute mit ihnen – so etwa Schwester Maria Restituta, Franz Jägerstätter oder Maximilian Kolbe. Wieder andere Heilig- beziehungsweise Seligsprechungen haben große Kritik hervorgerufen, so etwa die von Kaiser Karl I. Die Begründung seiner Heiligkeit war für die Kritiker nicht nachzuvollziehen und die Beatifikation eines Monarchen in der Gegenwart setzte in den Augen vieler – auch vieler Gläubigen – ein problematisches gesellschaftspolitisches Zeichen. Darüber hinaus erschien vielen die Anwesenheit von Politikern der Republik Österreich, wie des damaligen Nationalratspräsidenten Andreas Khol, bei der Zeremonie als unpassend.24 Zur Ausrufung neuer Heiliger gehört das Thema der mittlerweile sechs Europaheiligen: drei Männer und drei Frauen, denen vom Heiligen Stuhl dezidiert Europa zum Schutz anvertraut wurde. Der heilige Benedikt von Nursia, der schon seit langem allgemein als „Vater des abendländischen Mönchtums“ und „Schutzherr des Abendlandes“ verehrt worden ist, wurde im Jahr 1964 von Paul VI. explizit zum Patron Europas ernannt.25 In dieser Funktion wurden ihm 1980 von Johannes Paul II. nicht zufällig Kyrill und Method, die „Patrone der slawischen Völker“, zur Seite gestellt.26 Und im Jahr 1999 wurden drei Frauen, Katharina von Siena, Birgitta von Schweden – beide zu ihrer Zeit, also im Mittelalter, sehr um die Einheit der Katholischen Kirche und um die Stärkung des Papsttums bemüht – und Edith Stein (Teresia Benedicta a Cruce), als weitere „Europaheilige“ verkündet,27 was als Zugeständnis an die Frauenbewegung 23 Zu finden sind sie u. a. im Martyrologium Romanum, das erstmals 1584 veröffentlicht wurde und derzeit in einer Neuausgabe vorliegt, erschienen im Vatikan 2004. 24 http://www.profil.at/articles/0439/560/93714/der-herr-karl-unbehagen-seligsprechung-innenpolitik, 22.5.2013. 25 Acta Apostolicae Sedis 56, 1964/2, S. 966. 26 Acta Apostolicae Sedis 73, 1981, S. 259. 27 Acta Apostolicae Sedis 92, 2000, S. 221.
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gewertet werden kann.Damit setzte Papst Johannes Paul II. kraftvolle Zeichen für jene Sichtweise, die im Christentum Europas Grundfeste sieht. Obwohl bei den Zeremonien und in den Akten keine offiziellen Begründungen für die Wahl dieser Personen geliefert werden. Vor allem die Ausrufung Edith Steins zur Europapatronin beziehungsweise ihre Heiligsprechung rief Kritik hervor. Sie war in einer jüdisch-orthodoxen Familie aufgewachsen und angeblich durch die Lektüre einer Biografie der Teresa von Ávila zum Katholizismus übergetreten. Nach Jahren der Lehrtätigkeit wurde die Philosophin 1933 von den Karmeliterinnen in Köln mit dem Ordensnamen Teresia Benedicta a Cruce aufgenommen. Im selben Jahr erhielt sie von den Nationalsozialisten Lehrverbot und floh schließlich mit ihrer Schwester in einen niederländischen Karmel. 1942 wurden beide von der Gestapo verhaftet und in Auschwitz-Birkenau ermordet. 1987 wurde Edith Stein als Märtyrerin selig- und 1998 heiliggesprochen und zwar in einem Märtyrerprozess, obwohl sie streng kirchenrechtlich gesehen keinen Märtyrertod gestorben war. Daher wurde in diesem Zusammenhang von einer Vereinnahmung der Opfer des Holocaust durch die katholische Kirche gesprochen und von einem Ablenkungsversuch vom Versagen der Kirche im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Die Kirche selbst sah in dem Akt jedoch eine Annäherung des Christentums an die „große Schwester“, das Judentum.28 Hervorzuheben ist, dass im Allgemeinen vom Heiligen Stuhl keine Patronate zugesprochen werden. Umso bedeutungsvoller ist es, wenn dies doch geschieht, wie im Falle des Pfarrers von Ars, des 1905 selig- und 1925 heiliggesprochenen Jean-Marie Baptiste Vianney,29 der schon bald nach seiner Kanonisation aufgrund seines eifrigen Wirkens in der Pfarre Ars-sur-Formans in der nachnapoleonischen Zeit Frankreichs vom Heiligen Stuhl offiziell zum Patron der Pfarrer erklärt wurde. Papst Benedikt XVI. rief anlässlich des 150. Todestages von Vianney das „Jahr des Priesters“ von Juni 2009 bis Juni 2010 aus. In einem Brief 30 über das Priesteramt betonte der Papst dessen Heiligkeit als Sakrament und die vollständige Hingabe, die ein Priester als Verkörperung Christi seiner Gemeinde entgegenzubringen habe – eine deutliche kirchenpolitische Aussage über das Zölibat und die Frauenpriesterschaft. Doch nicht nur aus der Kirchenpolitik, auch aus der Real- und Staatspolitik ist die Heiligenverehrung wie das Sakrale überhaupt auch aus der westlichen Welt keineswegs wegzudenken. Ein kleines Beispiel hierfür ist der Einsatz von religiösen Symbolen und Riten (Kreuze, Bittgänge, Kreuzwege, Andachten) im Kampf gegen die Wie-
28 http://www.heiligenlexikon.de/BiographienE/Edith_Stein.html, 22.5.2013. 29 http://www.heiligenlexikon.de/BiographienJ/Johannes-Maria_Vianney.htm, 22.5.2013. 30 http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/letters/2009/documents/hf_ben-xvi_let_20090616_anno-sacerdotale_ge.html, 30.8.2010.
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deraufbereitungsanlage in Wackersdorf in den frühen 1980er Jahren.31 Eine Kapelle mit dem Bild des heiligen Franziskus wurde nahe dem Baugelände aufgestellt und zum Sammelpunkt für die AktivistInnen verschiedener beziehungsweise auch ohne Konfessionen. Ein anderes Beispiel ist der heilige Precarius, ein im doppelten Sinn des Wortes virtueller Heiliger. Auf einer Website als „Schutzheiliger Aller in ungesicherten Verhältnissen“ bezeichnet: „Erwerbslose verehren ihn ebenso wie Billigentlohnte, werdende Mütter, Wohnungssuchende und Asylbewerber. […] Erstmals erschienen ist der Hl. Precarius am Sonntag, dem 29. Februar 2004, in einer Ipercoopfiliale in Mailand, und auf dem Euromayday.“ San Precarius tritt auch als San Precaria oder in einer hermaphroditen Doppelgestalt auf.32 In Österreich lassen sich ebenfalls Beispiele der Verwobenheit von Politik und Heiligenverehrung finden. So wählte am 17. März 2003 der Oberösterreichische Landtag den heiligen Florian zum Landespatron mit Wirkung vom 4. Mai 2004, an dem sein Martyrium genau 1.700 Jahre zurück lag. Als Begründung wurde angegeben, dass ein Land als Gemeinschaft Identitätsfiguren brauche. Warum gerade der heilige Florian geeignet sein soll, in einer pluralistischen Gesellschaft als Identitätsfigur zu dienen, wurde nicht weiter ausgeführt. Jedenfalls war der Heilige ja schon lange in Oberösterreich hochverehrt und quasi inoffizieller Landespatron. Die Berichterstattung über die Ernennung war gespalten, während der „Kurier“ das Vorgehen eher als anachronistischen Akt spöttisch belächelte,33 feierte das „Neue Volksblatt“ die „glanzvolle Demonstration des katholischen Oberösterreich“.34 Der Politologe Anton Pelinka nennt als einen wichtigen Faktor der Rückkehr von Religion in die Politik unter anderem den „polnischen“, der allgemeiner ein „ost/südosteuropäischer Faktor“ ist.35 Er versteht darunter einerseits das Mitwirken der katholischen Kirche am Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in Polen – hier ist der Beitrag der evangelischen Kirche zur Wende in der DDR ebenfalls zu nennen – und andererseits die Funktionalisierung von Religion für politische Zwecke, die in vielen der neu entstandenen oder umstrukturierten Staaten Ost- und Südosteuropas 31 Alois Döring, Franziskus in Wackersdorf. Christliche Symbolik im politischen Widerstand – religiöse Riten und Formen in ökologischen und friedensethischen Protestbewegungen. In: Rolf Wilhelm Brednich–Heinz Schmitt (Hg.), Symbole: zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur / 30. Deutscher Volkskundekongreß in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995 (Münster u. a. 1997), S. 435 – 449, hier: S. 437. 32 http://www.sanprecario.info, 14.9.2010. 33 Kurier, 27.4.2004, S. 10. 34 Neues Volksblatt, 3.5.2004. 35 Anton Pelinka, Religion und Politik – Versuch einer systematischen Analyse. In: Arnold Konrad u. a. (Hg.), Recht. Politik. Wirtschaft. Dynamische Perspektiven (Wien 2008), S. 461– 475, hier: S. 463.
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ein gewichtiger Faktor ist. Die „Renaissance der Nationalpatrone“36 in Ostmitteleuropa ist ein Symptom dafür. Etwa der Versuch, den heiligen Johannes Sarkander als Nationalpatron von Mähren und damit gleichzeitig eine mährische Identität aufzubauen, um den Befürwortern einer Abspaltung von Tschechien Futter zu geben.37 Als jüngstes Beispiel ist hier Viktor Orbáns Blut- und Bodenrede zu nennen, die er anlässlich der Einweihung einer Turul-Statue am 30. September 2012 in Ópusztaszer in Südungarn, also an einem historisch aufgeladenen Ort, hielt. In seiner Rede nahm er Bezug auf den heiligen Michael, dessen Gedenktag auf den Tag davor fällt. Er zitierte ausführlich aus der Apokalypse des Johannes und betonte, dass der Erzengel das Böse bekämpft und vernichtet habe, wozu er alle Ungarn ebenfalls aufrief.38 Die römisch-katholische Kirche hingegen betonte seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wie wichtig es ist, Politik und Religion voneinander zu trennen. Zum Symbol für die Laizität wurde wiederum ein Heiliger gemacht, nämlich der englische Staatsmann und Humanist Thomas Morus, der 1886 selig- und 1935 heiliggesprochen worden war. Im Jahr 2001 ernannte ihn Johannes Paul II. zum „himmlischen Patron der Regierenden und der Politiker“.39 Der Papst betonte dabei, dass sich „der Mensch nicht von Gott und die Politik nicht von der Moral trennen kann“, dass Thomas Morus aber auch für „die Verteidigung […] der Freiheit der Person gegenüber der politischen Macht“ steht.
Dieser Beitrag fußt auf dem Konzept der von Herbert Nikitsch (Universität Wien) und Kathrin Pallestrang gemeinsam kuratierten Ausstellung „Heilige in Europa. Kult und Politik“, die im Österreichischen Museum für Volkskunde und im Diözesanmuseum Graz zu sehen war, und folgt in weiten Teilen auch textlich dem Ausstellungskatalog.
36 Stefan Samerski (Hg.), Die Renaissance der Nationalpatrone. Erinnerungskulturen in Ostmitteleuropa im 20./21. Jahrhundert (Köln –Weimar–Wien 2007). 37 Petr Lozoviuk, Heiligsprechung als kultureller Text. Das Beispiel des Johannes Sarkander. In: Jahrbuch für Volkskunde (1998), S. 178 –192. 38 Gregor Mayer, Umstrittene Blut-und-Boden-Rede Orbáns. In: Der Standard, 4.10.2012, S. 4. 39 Acta Apstolicae Sedis 93, 2001, S. 76.
Von echten Gräbern und fiktiven Inschriften Die Rolle der Babenbergergrablege für die Selbstvergewisserung des Melker Konvents in Mittelalter und Früher Neuzeit
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In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts manifestierte sich die auch innerhalb der jeweiligen Ordensfamilien bekanntermaßen lebhafte Konkurrenz der österreichischen Klöster auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Formen: neben oder besser ergänzend zur Teilhabe an Prozessen der politischen Entscheidungsfindung, sei es durch Funktionen der jeweiligen Klostervorsteher als kaiserliche Räte bzw. Hofkapläne oder durch Positionen in der ständischen Landesverwaltung – hier knüpften sich Begehrlichkeiten oft an Präzedenzfragen wie etwa die Wahrung bzw. Erlangung des Vorsitzes im Prälatenstand1 –, der symbolisch wichtigen Bau- und Ausstattungstätigkeit2 und der komplementären Anlage oder des Ausbaus ungemein vielfältiger und 1 Der jeweilige Abt von Melk galt seit dem 16. Jahrhundert kraft seines Amtes als Präses des Prälatenstandes unter der Enns, doch unternahm Klosterneuburg immer wieder Versuche, die Position an sich zu bringen, s. Ernst Bruckmüller, Kat.-Nr. 20.39 (a und b): Der Abt von Melk als Präses des niederösterreichischen Prälatenstandes. Bestätigung der Präses-Würde für den Abt von Melk. Ordo praelatorum. In: Ernst Bruckmüller/Burkhard Ellegast/Erwin Rotter (Hg.), 900 Jahre Benediktiner in Melk. Jubiläumsausstellung. Stift Melk, 18. 3. bis 15. 11. 1989. Melk 1989, S. 183 und Ders., Die öffentliche Funktion des Stiftes, in: ebd., S. 372 –378, hier S. 375f. Bezeichnenderweise spielte die (reklamierte) Totalität der Bestattungen der frühen Babenberger in Melk bis zu Markgraf Leopold II. in der von Melk 1631 gegen den Anspruch Klosterneuburgs auf den Vorsitz im Prälatenstand eingebrachten Verteidigung eine argumentative Rolle, s. Bruckmüller, Die öffentliche Funktion S. 376. Es erübrigt sich zu betonen, dass Klosterneuburg seine Präzedenz mit dem analogen Argument der im Haus befindlichen Reliquien des Hl. Leopold zu untermauern versucht hatte. 2 Anstelle erschöpfender Angaben zur überreichen Literatur genüge hier mit Blick auf den genius loci der Tagung der stichwortartige Hinweis auf das Beispiel Melk: Werner Telesko, „Ecclesia militans et triumphans“. Heilsgeschichte und Universalhistorie als Leitmotive in der Ausstattung des Presbyteriums der Benediktinerstiftskirche in Melk, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 121 (2010) S. 321–348; Ders., Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie. Die Langhausfresken der Stiftskirche von Melk und die Visualisierung benediktinischer Tradition, in: Markwart Herzog/Huberta Weigl (Hg.), Mitteleuropäische Klöster der Barockzeit. Vergegenwärtigung monastischer Vergangenheit in Wort und Bild (=Irseer Schriften. Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte N. F. 5, Konstanz 2011) S. 249–267; Ders., Die Deckenmalereien der Stiftskirche
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unterschiedlich ausgerichteter Sammlungen3, ist das ebenso umfehdete Diskursfeld der Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung (samt ihrer medialen Aufbereitung), damals mitten in einem übergeordneten Neuordnungsprozess gelehrter Wissenskulturen begriffen4, zu nennen. Sein identitätsstiftender Beitrag zur Selbstvergewisserung der Melk oder die Visualisierung von Ordensgeschichte als Manifestation kirchenpolitischer Ansprüche, in: Thomas Wallnig/Thomas Stockinger/Ines Peper/Patrick Fiska (Hg.). Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession (Berlin/Boston 2012) S. 169–191; Ders., Kosmos Barock. Architektur – Ausstattung – Spiritualität. Die Stiftskirche Melk (Wien/Köln/Weimar 2013). Vgl. auch Alois Schmid, Kunst und Geschichtsschreibung. St. Emmeram zu Regensburg im Barockzeitalter, in: Mitteleuropäische Klöster (w. o.) S. 225 –247, der die Umgestaltung des Klosters (S. 228) „in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verleihung der Reichsfürstenwürde“ 1732 sieht; ferner Ingeborg Schemper-Sparholz, Barocke Erneuerung im Bewusstsein der eigenen Geschichte: Die Stiftskirche Zwettl in den Annalen des P. Malachias Linck als Beispiel für zisterziensisches Kunstverständnis im 17. Jahrhundert, in: Christian Hecht (Hg.), Beständig im Wandel. Innovationen – Verwandlungen – Konkretisierungen. Festschrift für Karl Möseneder zum 60. Geburtstag (Berlin 2009) S. 306 –319. – Zum enormen Stellenwert der Bauaufgaben und ihrer Betreuung im Alltag barocker („Bau“-)Prälaten vgl. jetzt beispielhaft Helga Penz, Die Kalendernotizen des Hieronymus Übelbacher, Propst von Dürnstein 1710–1710. Edition und Kommentare. Unter Mitarbeit von Edeltraud Kando und Ines Weissberg. Mit einem Beitrag von Harald Tersch, hg. von Brigitte Merta und Andrea Sommerlechner (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 11, Wien 2013). 3 Vgl. knapp Johannes-Wolfgang Neugebauer/Fritz Preinfalk, Klöster als Orte archäologischer Forschungsund Sammeltätigkeiten unter besonderer Berücksichtigung der Stifte Herzogenburg und Göttweig, in: Fundort Kloster. Archäologie im Klösterreich. Katalog zur Ausstellung im Stift Altenburg vom 1. Mai bis 1. November 2000 (Fundberichte aus Österreich, Materialhefte A/8, Wien 2000) S. 94 –11; Georg Schrott, Klösterliche Sammelpraxis in der Frühen Neuzeit. Typologie, Geschichte, Funktionen und Deutungen, in: Georg Schrott/ Manfred Knedlik (Hg.), Klösterliche Sammelpraxis in der Frühen Neuzeit (Nordhausen 2010) S. 7 –70. 4 Vgl. Anna Coreth, Österreichische Geschichtsschreibung in der Barockzeit (1620 –1740). (Wien 1950); Peter Tropper, Die geistlichen Historiker Österreichs in der Barockzeit, in: Karl Gutkas (Hg.), Prinz Eugen und das barocke Österreich. Ausstellungskatalog (Wien/Salzburg 1985), S. 365 –374; Jan und Meta Niederkorn, Hochbarocke Geschichtsschreibung im Stift Melk, in: 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1) S. 399 – 403; Klösterliche Geschichtsschreibung in Niederösterreich 1600 –2000. Bilder und Bücher. Eine Ausstellung aus den Sammlungen der NÖ Landesbibliothek, 15. Mai bis 6. September 2002 (Sonder- und Wechselausstellungen der Niederösterreichischen Landesbibliothek 22, St. Pölten 2002); Stefan Benz, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (=Historische Studien 473, Husum 2003); Thomas Wallnig, Mönche und Gelehrte im Kloster Melk um 1700. Ein Essay über Kontexte und Zielsetzungen von monastischer Wissensproduktion, in: Martin Scheutz/Wolfgang Schmale/Dana Štefanová (Hg.), Orte des Wissens. Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 18/19 (Bochum 2004) S. 325 –336; Merio Scattola, „Historia litteraria“ als „historia pragmatica“. Die pragmatische Bedeutung der Geschichtsschreibung im intellektuellen Unternehmen der Gelehrtengeschichte, in: Frank Grunert/Friedrich Vollhardt (Hg.), Historia litteraria. Neuordnungen des Wissens im 17. und 18. Jahrhundert (Berlin 2007) S. 37 – 63 Huberta Weigl, Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert. Zur Gegenwart der Vergangenheit, in: Mitteleuropäische Klöster (wie Anm. 2) S. 21 – 67; jetzt die Beiträge im Sammelband Europäische Geschichtskulturen (wie Anm. 2), bes. Patrick Fiska/Ines Peper/Thomas Stockinger, Historia als Kultur – Einführung, S. 1 – 20; Thomas Wallnig, Ordensgeschichte als Kulturgeschichte? Wissenschaftshistorische Überlegungen zur Historizität in der benediktinischen Geschichtsforschung des 18. Jahrhunderts,
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Konvente in der Fortführung mittelalterlicher Legitimationsstrategien kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden5, weisen doch Hausgeschichten klösterlicher Gemeinschaften und Hausüberlieferung adeliger Geschlechter bekanntermaßen mehr als nur einzelne Berührungspunkte auf 6. Als im 18. Jahrhundert häufig wieder aufgegriffenes Vehikel prestigeträchtiger Anbindung an die österreichischen Landesfürsten soll im gegenständlichen Beitrag am Beispiel Melk die Inszenierung der alten babenbergischen Grablege im eigenen Haus skizziert werden7. Auf überregionaler Ebene ist als wohl prominentestes druckgraphisches Ergebnis der Konstruktion und Visualisierung von Kontinuitäten in der nicht erst im 18. Jahrhundert als führendes landesgeschichtliches Paradigma8 bedienten landesfürstlichen Herrschaft über Österreich, also der
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S. 193 –212; zuletzt noch Cornelia Faustmann/Gottfried Glassner/Thomas Wallnig (Hg.), Melk in der barocken Gelehrtenrepublik. Die Brüder Bernhard und Hieronymus Pez, ihre Forschungen und Netzwerke (=Thesaurus Mellicensis 2, Stift Melk 2014). Zum technischen wie kulturgeschichtlichen Stellenwert der archivischen Schriftgutverwaltung und der barocken Archivneuordnungen als Movens und Grundlage für die historiographische Produktion in den barocken Klöstern vgl. (eigene ältere Arbeiten fortführend) zuletzt Helga Penz, Erinnern als Kulturtechnik: Klosterarchive im Barock, in: Europäische Geschichtskulturen (wie Anm. 2) S. 91 –106. Zur Überschneidung von monastischer Hausgeschichte und adeliger Hausüberlieferung s. Stefan Pätzold, Adel – Stift – Chronik. Die Hausüberlieferung der frühen Wettiner, in: Nathalie Kruppa (Hg.), Adlige – Stifter – Mönche. Zum Verhältnis zwischen Klöstern und mittelalterlichem Adel (=Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 227 = Studien zur Germania Sacra 30, Göttingen 2007) S. 135 –182. Dass die Vorstellung, die österreichischen Historiographen des Barock hätten letztlich tatsächlich auch den kaiserlichen Landesfürsten als Modellleser vor Augen gehabt, nicht völlig abwegig ist, zeigt die Tatsache, dass auf dem Lesepult des verstorbenen Kaisers Leopold I. Anselm Schrambs Chronicon Mellicense gelegen hatte, s. Thomas Wallnig, Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709 (=Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 48, Wien/München 2007) S. 118. Eine ähnliche postume Honorierung, wie sie Kaiser Karl IV. 1377 dem Geschichtsschreiber Heinrich von Herford durch die Translation seiner Überreste von der ursprünglichen Grabstelle im Kreuzgang des Mindener Dominikanerklosters nahe dem Eingang in den Chor in ein neues Grab im Chor selbst nahe dem Hochaltar erwies (s. Peter Johanek, Karl IV. und Heinrich von Herford, in: Franz J. Felten/Annette Kehnel/Stefan Weinfurter [Hg], Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville zum 65. Geburtstag [Köln/Weimar/Wien 2009] S. 229 –244), wurde meines Wissens allerdings keinem frühneuzeitlichen Historiographen zuteil. – Identitätsstiftung mit klarem Fokus auf den (prätendierten) hochrangigen Grablegen, vor allem den fünf Herrschergräbern im eigenem Haus, betrieb St. Emmeram in Regensburg zwischen dem 11. und dem späteren 17. Jahrhundert, vgl. Alois Schmid, Die Herrschergräber in St. Emmeram zu Regensburg, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 32 (1976) S. 353 –369 (hier, S. 336, die pointierte Charakterisierung des Selbstbildes von St. Emmeram als eines „ostfränkischen St. Denis“, und S. 369 die Kontextualisierung der Pläne, „St. Emmeram zu einem Brennpunkt abendländischer Geschichte zu machen, zu dem neben Heiligen, Seligen und Päpsten auch Herrscher in enger Verbindung standen“) und knapp Schmid, Kunst (wie Anm. 2) S. 237 –247. Vgl. Brigitte Mazohl/Thomas Wallnig, (Kaiser)haus – Staat – Vaterland? Zur „österreichischen Historiographie vor der „Nationalgeschichte“, in: Hans Peter Hye/Brigitte Mazohl/Jan Paul Niederkorn (Hg.), Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs (=Zentraleuropa-Studien 12, Wien 2009) S. 45 –72, hier S. 57f.
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Verlängerung des Hauses Österreich der Habsburger in die babenbergische Herrschaft zurück, das mehrbändige Tafel- und Kommentarwerk des St. Blasianer Benediktiners Marquart Herrgott zu nennen9. Als postum erschienener vierter Band des Werks dokumentiert die von Herrgott und seinem Mitbruder und Mitarbeiter Rustenus Heer erarbeitete und von Abt Martin Gerbert für den Druck redigierte Taphographia principum Austriae10 alle Grablegen und Grabdenkmäler der österreichischen Landesfürsten als gewissermaßen „eherne“ Quellen der dynastischen Memoria in Text und Bild, ganz im Sinne der bekanntlich schon um 1500 unter den Humanisten weitgehend ausgeprägten Hinwendung antiquarischer Gelehrsamkeit11 (nicht eben selten im Zusammenhang höfisch-dynastischer Geschichtsschreibung) zu epigraphischen Quellen. Ganz im Sinne der seit Mabillons folgenschwerer diplomatischer Publikation12 untrennbar mit systematisiertem Quellenstudium verbundenen historisch-kritischen Methode ließ Herrgott im Rahmen seines Unternehmens nach Möglichkeit Grüfte und Gräber öffnen, um detaillierte Angaben bieten zu können. Die entdeckerische Verve des Sepulkralforschers Herrgott bildete sich im Druck in vielen Fällen in Kupferstichen der Grabanlagen ab13. Die durch die bildliche Evidenz manifest unter Be9 Vgl. noch immer Josef Peter Ortner, Marquard Herrgott (1694 –1762). Sein Leben und Wirken als Historiker und Diplomat (=Österreichische Akademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte Österreichs 5, Wien 1972); knapp auch Benz, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 4) S. 447– 454. 10 TAPHOGRAPHIA PRINCIPUM AUSTRIÆ, IN QUA MARCHIONUM, DUCUM, ARCHIDUCUMQUE AUSTRIÆ, UTRIUSQUE SEXUS, MONUMENTA FUNEREA, OMNIS GENERIS, PLERAQUE TYPIS ÆNEIS EXPRESSA, PROFERUNTUR. OPUS IN DUAS PARTES TRIBUTUM, QUOD EST MONUMENTORIM AUG. DOMUS AUSTRIACÆ TOMUS IV. & ULTIMUS. POST MORTEM RR. PP. MARQUARDI HERRGOTT, & RUSTENI HEER, O. S. B. PRINC. CONGREGATIONIS AD S. BLASIUM IN SILVA NIGRA CAPITULL., NEC NON S. C. R. A. MAIEST. CONSILL. & HISTORIOGRAPHORUM. RESTITUIT, NOVIS ACCESSIONIBUS AUXIT, & AD HÆC USQUE TEMPORA DEDUXIT MARTINUS GERBERTUS, EIUSDEM CONGREGATIONIS ABBAS, S. Q. R. I. P. PARS PRIOR CONTINET COMMENTARIUM, QUO TABULÆ ÆNEÆ, ac MONUMENTA CETERA EXPONUNTUR, SUBIECTIS TABULIS NECROLOGICIS. TYPIS SAN-BLASIANIS MDCCLXXII. – Der von Herrgott geplante fünfte Band mit den auf das Haus Österreich bezogenen Inschriften aller Art, Inscriptiones Augustae Domus Austriacae […] (also auch außerhalb der Grabinschriften) kam nie zustande, s. Ortner, Herrgott (wie Anm. 9) S. 65. 11 Zur Sache (der Begriff allerdings hypertroph zu „Antiquarianismus“ verlängert) vgl. Jan Marco Sawilla, Antiquarianismus. Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch (Tübingen 2009); Ders., Vom Ding zum Denkmal. Überlegungen zur Entfaltung des frühneuzeitlichen Aniquarianismus, in: Europäische Geschichtskulturen (wie Anm. 2) S. 405 – 446. 12 Zu Mabillon als dem eigentlichen Schöpfer der Diplomatik als historischer Hilfswissenschaft liegt reiche Literatur vor; vgl. hier nur den auch die älteren Beiträge einbeziehenden rezenten Aufsatz von Mark Mersiowsky, „Ausweitung der Diskurszone“ um 1700. Der Angriff des Barthélémy Germon auf die Diplomatik Jean Mabillons, in: Europäische Geschichtskulturen (wie Anm. 2) S. 447 – 484. 13 Der Stellenwert der klösterlichen Sepulkralkultur und ihrer epigraphischen Quellen als Untersuchungsgegenstand barocker Historiographen ist gegenüber der diplomatischen Forschung keineswegs gering zu veranschlagen; es sei nur darin erinnert, dass das prägende „Erweckungserlebnis“, das den Knaben Meichelbeck zum Ge-
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weis gestellte Förderung der Nachforschungen durch die Prälaten vor Ort14 erhob das Unternehmen in den Rang eines offiziösen landesgeschichtlich-dynastischen Projekts, das die Grenzen von Ordensfamilien anscheinend mühelos überschritt. Freilich musste die konkrete sepulkrale Anbindung der barocken Klöster an die aktuelle landesfürstliche Dynastie gewissermaßen subsidiär abgewickelt werden, denn eine traditionsreiche, mehr als einzelne Verstorbene aufnehmende habsburgische Grablege gab es in keinem österreichischen Kloster. Naheliegender Weise griff man daher – eine Traditionslinie der Selbstvergewisserung der österreichischen Klöster des Hochmittelalters15 aufnehmend – auf die zusätzlich noch den Bonus hohen legitimitätsstiftenden Alters aufweisenden Babenbergergräber zurück. In der Widmung des ersten Bands der Scriptores Rerum Austriacarum an Kaiser Karl VI. strapazierte Hieronymus Pez 1721 die seit Anbeginn des Klosters enge Bindung an die babenbergischen Landesfürsten unter wiederholter Beschwörung der Kontinuität einer beide Geschlechter gemeinsam umfassenden Domus Austriaca als Beleg für die besondere Verbundenheit Melks – als einstige babenbergische Residenz – mit dem habsburgischen Kaiserhaus16. Um den schichtsforscher werden ließ, die Aufdeckung der Stiftergräber in seinem späteren Professkloster Benediktbeuern war, s. Anna Elisabeth Bauer, Die Geschichte enthüllt die Wahrheit. Das Gründungsfresko in der AugustinerChorherrenstiftskirche Baumburg, in: Mitteleuropäische Klöster (wie Anm. 2) S. 71 –96, hier S. 72. 14 Zwischen dem 4. und dem 8. Mai 1739 ließ Herrgott etwa unter Anwesenheit des Abtes alle Grabplatten im Boden des Heiligenkreuzer Kapitelsaals heben, ja nach eigener Aussage „das ganze Kapitelhaus gleichsam umgraben“ (ÖNB Cod. 15181, pag. 16) und die Steine und die darunter gefundenen menschlichen Überreste von Salomon Kleiner bildlich festhalten (Taf. VI). 15 Vgl. treffend Heide Dienst, Regionalgeschichte und Gesellschaft im Hochmittelalter am Beispiel Österreichs (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 27, Wien/ Köln 1990) S. 219: „ Das Interesse der Stiftungen der Babenberger für ihre Geschichte schloß eine Geschichte der Stifter ein. Klösterliche Historiographie wurde im zeitgenössischen Verständnis insofern Landesgeschichte, als sie die Geschichte der Landesfürsten bzw. deren Genealogie beschrieb“. 16 SCRIPTORES RERUM AUSTRIACARUM VETERES AC GENUINI, QUOTQUOT EX AUSTRIÆ VICINIARUMQUE PROVINCIARUM BIBLIOTHECIS ET TABULARIIS, DECUMANO LABORE PERLUSTRATIS, AUT PRIMUM IN LUCEM VINDICARI, AUT EX MSS. CODICIBUS AUCTIORES ET EMENDATIORES EDI POTUERUNT. TOMUS I. QUO POTISSIMUM VETERES AC SINCERI SCRIPTORES CONTINENTUR, QUI RES A PRIMA GENTIS AUSTRIACÆ ORIGINE USQUE AD SÆCULUM XIV. IN REPUBLICA ET ECCLESIA PRÆCLARE AC SANCTE GESTAS, NARRATIONES ETIAM GENEALOGICAS VETERUM AUSTRIÆ MARCHIONUM ET DUCUM STIRPIS BABENBERGENSIS COMPLECTUNTUR. ACCEDUNT ANTIQUA ET ORIGINARIA MONUMENTA, EX LIBRIS MSS. DEPROMPTA, QUIBUS NON SOLUM AUSTRIACÆ, SED ETIAM ADSITARUM PROVINCIARUM HISTORIÆ ANTIQUÆ LUX AMPLIOR ACCENDITUR ET CONCILIATUR. EDIDIT, ET NECESSARIIS NOTIS, OBSERVATIONIBUS; ET ANIMADVERSIONIBUS ILLUSTRAVIT R. D. P. HIERONYMUS PEZ, AUSTRIACUS IPSENSIS, ANTIQUISSIMI ET EXEMPTI MONASTERII MELLICENSIS ORD. S. BENED. IN AUSTRIA INFERIORE PROFESSUS. LIPSIÆ, SUMPTIBUS JOH. FRID. GLEDITSCHII B. FILII, ANNO M DCC XXI, unpag. Widmung: „Accipe igitur, AVGVSTISSIME OPERIS PATRONE, […] non nullum in AVGVSTISSIMAM DOMVM TVAM grati Mellicensium animi monumentum. Fuit omni ævo Monasterium Mellicense PIIS-
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Vorrang in der Frage nach der hochwertigsten Babenbergergrablege stritten de facto ohnehin nur drei österreichische Klöster: zwar war die Benediktinerabtei Melk17 die älteste Grablege der Babenberger, doch boten vor Ort im Barock keine erhaltenen Denkmäler Angreifbares zur materiellen Instrumentalisierung dieser Überreste18; dagegen konnte die Zisterzienserabtei Heiligenkreuz zwar in Summe die meisten Babenbergergräber aufweisen19, doch waren die Überreste des auch für die dynastische Anknüpfung der Habsburger als österreichische Landesfürsten an die Vorgängerdynastie zentralen kanonisierten Markgrafen Leopold III. (des Heiligen)20 samt jenen seiner Frau Agnes und SIMIS MAJORIBUS TVIS in amore ac deliciis [...] Ad hæc Primatus Austriæ prærogativa Id extraordinaria indulgentia cohonestarunt, haud dubie, quod Montem Mellicensium primi Austriæ PRINCIPES in Regiam delegarint [...]”. 17 Zum Benediktinerkloster Melk liegt reiche Literatur vor. Überblicksweise s. Gerhard Flossmann/Wolfgang Hilger (Bilddokumentation Herbert Fasching), Stift Melk und seine Kunstschätze (St. Pölten/ Wien 1976) (bes. Gerhard Flossmann, Geschichte des Stiftes Melk, S. 9 –31); 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1); Wilfried Kowarik/Gottfried Glassner/Meta Niederkorn-Bruck/Waltraud Krassnig, Melk, in: Ulrich Faust/Waltraud Krassnig (Hg.), Germania Benedictina 3/2: Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol (St. Ottilien 2001) S. 526 – 654; Burkhard Ellegast, Das Stift Melk (Stift Melk 2007). 18 In diesem Sinne auch Taphographia (wie Anm. 10) S. IVf.: „Primum, ut a LEOPOLDO Illustri capiatur initium, deposita fuerunt Marchionum Austriæ funera in monasterio Mellicensi, tum vero a tempore LEOPOLDI Sancti in claustro Neoburgensi, & in Abbatia San-Crucensi [...] Mellicii vero qua parte in templo, claustro aut cœmeterio deposita fuerint priorum Marchionum funera , nulla superest apud Scriptores mentio: quin ipse locus sepulturæ, qui quondam fuit in hoc monasterio iam pridem hominum memoria excidit“. 19 Überblicksweise zur Babenbergergrablege Paulus Niemetz, Die Grablege der Babenberger in der Abtei Heiligenkreuz (Heiligenkreuz 1974); Bernhard Zeller, Die Babenberger und das Stift Heiligenkreuz im Wienerwald (Heiligenkreuz 2011), zur Grablege der Babenberger im Kapitelsaal bes. S. 81 und 104f. (mit Farbabb.). Aktuell findet sich auf der Startseite der offiziellen Website der Abtei die inhaltlich durchaus auch in die von uns zu untersuchende Zeit passende Aussage: „Der heilige Markgraf Leopold III. ist zwar in Klosterneuburg begraben. Unser Stifter stammt aber aus der Dynastie der Babenberger, dem ältesten Herrschergeschlecht Österreichs. Und da haben wir einiges zu bieten, denn was die Kapuzinergruft für die Habsburger ist, das ist Heiligenkreuz für die Babenberger: Bei uns sind die meisten Babenberger begraben“, s. http://www.stift-heiligenkreuz.org/ (17.2.2014). Doch hatte eben auch schon im Barock die Auseinandersetzung mit der Babenbergergrablege im eigenen Haus die Möglichkeit geboten, im Sinne der oben umrissenen Konkurrenz den „status monasterii mit dem des status patriae zu verknüpfen“, s. Penz, Erinnern (wie Anm. 5) S. 105. 20 Vgl. etwa das Stemma, das die Abstammung Kaisers Leopolds I. vom Hl. Leopold über die kognatische Verwandtschaft herstellt, in CHRONICON / MELLICENSE, / SEU / ANNALES / MONASTERII MELLICENSIS, / UTRUMQUE STATUM / Imprimis Austriae cum successione / Principum, Regimine, Praerogativis, Elogiis & Rebus memorabilibus è prima mundi aetate usque ad / novissimam anni nimirum saecularis septingentesimi / supra Millesimum. / Deinde Exempti Monasterii Mellicensis, / Ordinis S. Benedicti inferioris Austriae ex vetustissimis / Monumentis ibidem praecipuè M. S. codicibus / Bibliothecae COMPLECTENS. / AUTHORE / P. ANSELMO SCHRAMB / Ejusdem Ordinis & Monasterii Professo. / & Bibliothecario. / VIENNAE AVSTRIAE / Typis Joannis Georgii Schlegel, Universitatis / Typographi, Anno 1702, S. 158f.
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des ältesten Sohnes Adalbert eben doch im Augustiner-Chorherrenkloster Klosterneuburg verblieben21. Weitere Einzelfall gebliebene Grablegen, die mit individuellen Klosterstiftungen babenbergischer Landesfürsten zusammenhingen, konnten kein größeres symbolisches Gewicht geltend machen: Die Einzelbestattung Herzog Leopolds VI. und seiner Tochter Margarete, der Frau König Otakar Přemyls II., in Lilienfeld blieb wohl nicht nur angesichts der politischen Marginalisierung der Zisterze für eine breitenwirksame barocke Instrumentalisierung außer Betracht, verschaffte doch die verkehrsräumliche Nähe zum Wiener Hof schon Klosterneuburg (weniger dem verkehrstechnisch ungünstiger gelegenen Heiligenkreuz) Standortvorteile gegenüber dem weiter entfernten Melk22. Darüber hinaus hatte wohl Chrysostomus Hanthaler als Historiker seines Klosters durch seine um die Mitte des 18. Jahrhunderts allerdings noch nicht in vollem Umfang erkannten Fälschungen gerade die Lilienfelder Babenbergergrablege im Angesicht nachfolgender Historiker des 18. Jahrhunderts als Thema desavouiert23. Doch auch die Grablege Heinrichs II. bei den Wiener Schotten entwickelte keine vergleichbare Strahlkraft. 21 Signifikant für den bis heute hohen Stellenwert der babenbergischen Bestattungen in Klosterneuburg für die Verortung des Konvents ist die Tatsache, dass erst in den letzten Jahren ein naturwissenschaftlicher Neuansatz zur Klärung der Identifikation der Überreste gewählt wurde, s. die entsprechenden Beiträge von Karl Holubar, Walther Parson und Hannsjörg Ubl in Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg N.F. 21 (2011). 22 Doch auch die Bestattung Herzog Heinrichs II. (Jasomirgott) im Wiener Schottenkloster verursachte keinen größeren Widerhall in der kontroversiell geführten Diskussion. Indirekt spiegeln die durchaus unterschiedlich intensiven Versuche der einzelnen Klöster, ihre babenbergischen Grabstätten als Gradmesser ihrer symbolischen Bedeutung zu instrumentalisieren, deren politischen Einflussreichtum wieder. In der 1690 vom Niederösterreichischen Prälatenstand festgesetzten Ordnung über Session und Stimme der Angehörigen des Standes rangierte Melk an erster Stelle, gefolgt von Heiligenkreuz, Klosterneuburg nahm die vierte Position, Lilienfeld erst den achten Platz ein, s. Bruckmüller, Die öffentliche Funktion (wie Anm. 1) S. 376. 23 S. noch immer Michael Tangl, Die Fälschungen Chrysostomus Hanthalers, in: Mittheilungen des Instituts für Oesterreichische Geschichtsforschung 19 (1898) S. 1 –54; vgl. auch Peter Molecz, Die Hanthaler-Fälschungen im Lilienfelder Nekrolog am Beispiel der Schwestern des Heiligen Leopold. Ein Beitrag zur barocken Wissenschaftsgeschichte und Babenbergergenealogie, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 111 (2003) S. 341 –384; zur Korrespondenz Hanthalers mit den Brüdern Pez s. Volker [Alkuin] Schachenmayr, Chrysostomus Hanthalers Briefe an die Brüder Pez (Dipl., Wien 2010); zuletzt Ders.: Chrysostomus Hanthalers Lilienfelder Fälschungen als hermeneutische Grenzgänge, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 124 (2013) S. 261 –287; Ders., Die Zisterzienser – Chryosostomus Hanthalers Fast Campililienses und ihre Vorbilder, in: Melk in der barocken Gelehrtenrepublik (wie Anm. 4), S. 121–127. Dabei hatte man in Lilienfeld ebenfalls offenbar noch vor der Mitte des 13. Jahrhunderts die Babenbergermemoria mit einer Zusammenstellung der männlichen Angehörigen der Familie, der Nennung ihrer Stifterbeziehung zum Kloster und ihren Begräbnisorten zu unterstützen versucht. Bezeichnenderweise sollte eine der von Hanthaler fingierten Quellen, Leupold von Lilienfeld, vorgeblich aus einer bald nach dem Tod Leopolds III. von einem ebenso erfundenen Richard von Klosterneuburg verfassten Erzählung schöpfend, um 1355 im Vorfeld der geplanten Kanonisierung Leopolds entstanden sein, womit die Absicht Hanthalers, in Lilienfeld die Klosterneuburger Deutungshoheit über die Leopoldslegende zu relativieren, gut zu Tage tritt.
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Gerade in Melk, wo man die Reliquien des Hl. Koloman, des ersten österreichischen Landespatrons vor dem Hl. Leopold, aufbewahrte24 und traditionell eine enge Symbiose von 24 Vgl. neben den Beiträgen im vorliegenden Band zuletzt Meta Niederkorn-Bruck (unter Mitarbeit von Rainald Dubski), Koloman 1012 –2012. Tradition und Wandel in der Verehrung des Heiligen (Kontinuitäten und Brüche als Ausdruck der Zeit). ([Stift Melk] 2012). Zum 1735 zugunsten Abt Dietmayrs radikaler Umgestaltungspläne abgebrochenen Grabdenkmal (samt Altar) Kolomans, das unter Herzog Rudolf IV. 1362/65 errichtet (die von Philibert Hueber, AVSTRIA EX ARCHIVIS MELLICENSIBVS ILLVSTRATA. LIBRI III. I. CONTINET NVCLEVM HISTORICO-GENEALOGICVM, DIPLOMATVM, CHARTARVM, PRIVILEGIORVM, ET ALIORVM EIVSMODI VETERVM MONVMENTORVM, CVM MVLTIS INTEGRIS ARCHIVORVM MELLICENSIS MONASTERII TABVLIS, EX QVIBVS ROMANORVM PONTIFICVM, PRINCIPVM, NOBILIVM FAMILIARVM, SACRORVM ANTISTITVM AVSTRIÆ, VICINARVMQVE PROVINCIARVM RES PLVRIMVM ILLVSTRANTVR. II. COMPLECTITVR SIGILLA ROMANORVM PONTIFICVM, PRINCIPVM, SACRORVM ANTISTITVM, NOBILIVM &C. AVSTRIÆ VICINARVMQVE PROVINCIARVM, EX TABVLARIIS MELLICENSIBVS DEPROMPTA; AC ORDINE CHRONOLOGICO COLLOCATA. III. EXHIBET COLLECTANEA PRO TABVLIS QVIBVSDAM GENEALOGICIS PRINCIPVM, SACRORVM ANTISTITVM, NOBILIVM & C. AVSTRIÆ, ET ADIACENTIVM PROVINCIARVM, EX PRIORVM DVORVM LIBRORVM DIPLOMATIBVS ET MONVMENTIS CONFECTA, AC SERIE ALPHABETICA CONCINNATA. ACCESSIT TRIPLEX APPENDIX, QVARVM PRIOR OFFERT PERBREVEM TOPOGRAPHIAM DIPLOMATICO-AVSTRIACAM, IS EST, SYLLABVM OPPIDORVM, CASTELLORVM, VILLARVM, FLVVIORVM, AVSTRIÆ INFERIORIS, QVORVM MENTIO FIT IN ARCHIVORVM MELLICENSIVM TABVLIS, INTERSERTA NONNVLLORVM BARBARORVM VOCABVLORVM EXPLICATIONE. POSTERIOR EXHIBET SPECIMINA DIVERSARVM MEDII ÆVI SCRIPTVRARVM, QVALES IN MONVMENTIS MELLICENSIBVS OCCVRRVNT. POSTREMA QVASDAM SACRAS ET PROFANAS ANTIQVITATES, QVÆ IN MELLICENSI MONASTERIO EXTANT, REPRÆSENTAT. EDIDIT R. D. P. PHILIBERTVS HVEBER, AVSTRIACVS VIENNENSIS, ANTIQVISSIMI ET EXEMPTI MONASTERII MELLICENSIS ORD. S. BENED. IN AVSTRIA INFERIORE PROFESSVS, ET ARCHIVARIVS. LIPSIÆ, SVMPTIBVS JOH. FRID. GLEDITSCHII B. FILII, ANNO MDCCXXII, S. 297 [zu Werk und Autor vgl. übrigens zuletzt Helga Penz , Der Melker Stiftsarchivar Philibert Hueber und seine Austria ex archivis Mellicensibus illustrata, in: Melk in der barocken Gelehrtenrepublik (wie Anm. 4), S. 53 –59] abgedruckte Errichtungsinschrift, die in Prosa als klassischer Setzungsvermerk Rudolf als Auftraggeber des Denkmals nennt, datiert zum Jahr 1365) und unter Abt Kaspar Hofmann 1594 restauriert (am Fußende des Denkmals hielt eine Engelsfigur eine Marmortafel mit zwei Hexametern, die Abt Kaspar als Erneuerer nannten) worden war, s. die einzige Beschreibung und Abbildung bei Hueber, Austria, App. III, Taf. vor S. 297, Num. V; vgl. knapp Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 250; Ignaz Franz Keiblinger, Geschichte des Benedictiner-Stiftes Melk in Niederösterreich, seiner Besitzungen und Umgebungen. Erster Band: Geschichte des Stiftes (Wien 1851) S. 439; Elisabeth Sniezýnska-Stolot, Die Bedeutung des Grabmals des hl. Koloman für die Entwicklung mittelalterlicher Baldachin-Grabmäler, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 26 (1972) S. 1 –29; Wolfgang Hilger, Stift Melk und die bildende Kunst, in: Flossmann/Hilger, Stift Melk (wie Anm. 17) S. 33 –73, hier S. 34 und Hubert Höllebauer/Meta Niederkorn-Bruck, Kat.-Nr. 18.14: Grabmal des hl. Koloman, in: 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1) S. 161f.; Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 24) S. 25 und 130; zuletzt knapp Telesko, Kosmos (wie Anm. 2) S. 158 –162. Bezeichnenderweise ließ Rudolf bei seinem Besuch in Melk am 1. September 1362 (so nach dem Bericht des literarisch tätigen Melker Konventualen, Sakristans und Siechmeisters Bernhard Truchseß im Rahmen seiner „Vita beati Gothalmi“, der die Anwesenheit Rudolfs mit dem Tag des Hl. Paulinus bzw. der Vigil des Ägidiustags [31. August] beginnen lässt – die am Tag des Hl. Märtyrers Vinzenz von Rudolf in Melk aus-
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Hausgeschichte und landesgeschichtlich-dynastischer Historiographie kultivierte, wollte man jedoch sichtlich eine möglichst alte sepulkrale Erinnerung an die Babenberger vorweisen und berief sich dabei auf den durch eine Vielzahl jüngerer historiographischer Zusammenstellungen erweiterten und so bis ins 15. Jahrhundert zum wichtigen hausgeschichtlichen Referenzwerk ausgebauten hochmittelalterlichen Melker Annalencodex25, den zuerst der Melker Konventuale und Historiker Anselm Schramb26 und gestellte Urkunde bezieht sich also offenbar auf dem Hl. Vinzenz, Bf. von Dax [1. September, also Ägidius] und ist nicht zum 22. Januar zu datieren (hinfällig demnach etwa die Annahme bei Keiblinger, Geschichte (w. o.) S. 438, Rudolf IV. habe Melk im Jahr 1362 zweimal besucht), s. das Bild unter http://lehre.hki. uni-koeln.de/monasterium/pics/126/K.._MOM-Bilddateien._~Melkjpgweb._~StAM__13620122.jpg) auch nach weiteren potentiellen Möglichkeiten, die Popularität des Melker Kolomanikultes zu befördern, fahnden. So öffnete man auch die hochmittelalterliche (?) Steinkiste in der Krypta der Melker Stiftskirche, in der die Gebeine des in Melk als selig verehrten Gothalm, eines angeblichen Dieners Kolomans bzw. Kellners von dessen Vater, aufbewahrt wurden, s. die Abbildung der Kiste und Abdruck des Textes des Bernhard Truchseß bei Hueber, Austria (w. o.) S. 303f. und Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 250 –252 sowie Keiblinger, Geschichte (w. o., Lithographie der Steinkiste im Anhang); jetzt Niederkorn-Bruck, Koloman (w. o.) S. 134 –137 (mit Abb. von Cod. Mell. 874, fol. 141r). 25 Cod. Mell. 391; s. Oswald Redlich, Die österreichische Annalistik bis zum Ausgange des 13. Jahrhunderts, in: Mittheilungen des Instituts für Oesterreichische Geschichtsforschung 3 (1882) S. 497 – 538, hier S. 500 –502; Ernst Klebel, Die Fassungen und Handschriften der österreichischen Annalen, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich N. F. 21 (1928) S. 43 –185, hier S. 46 (mit oberflächlicher Qualifizierung der Babenbergerepitaphien als „etliche Nachträge“) und S. 152 –160; Meta Bruck, Codex Mellicensis 391 (Joachim Rössl [Hg.], Descriptiones codicum historicorum medii aevi [2]), in: nöla. Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv 8 (1984) S. 31 –44 (die Hs. [31] charakterisiert als „zusammengesetzte Handschrift komputistischen und historischen Inhalts“); Meta Niederkorn-Bruck, Kat.-Nr. 4.05: Belege zum Benediktinerinnenkloster in Melk, in: 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1) S. 27 –29, Dies., Kat.-Nr. 18.07: „Babenbergerinschriften“ und Inschrift für das Kolomangrab“, in: ebd., S. 137f.; Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 15) S. 31; Christine Glassner (Bearb., unter Mitarb. von Alois Haidinger), Inventar der Handschriften des Benediktinerstiftes Melk. Teil 1: Von den Anfängen bis ca. 1400. Katalogband (=Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Denkschriften 285 = Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters II/8, Wien 2000) S. 183f. – Dass die Handschrift in keinem der alten Melker Bibliothekskataloge zu identifizieren ist und dementsprechend auch keine vorbarocken Signaturen trägt, lässt vielleicht auf eine Separataufbewahrung (außerhalb der Bibliothek) in besonders ausgezeichnetem Zusammenhang (etwa in persönlicher Verwahrung der Äbte?) schließen. Vgl. übrigens zur traditionell als unlösbares Forschungsproblem aufgefassten Überlieferungssituation der österreichischen Annalistik den konzisen Forschungsüberblick bei Dienst, Regionalgeschichte 23 –34; seither ist an nennenswerten Beiträgen lediglich Alexander Beihammer, Die alpenländische Annalengruppe (AGS) und ihre Quellen, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 106 (1998) S. 253 –327, zu verzeichnen. 26 Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 47– 49, die Texte werden allerdings nicht nach der Annalenhandschrift, sondern nach der barocken „tabula appensa“ am Grabdenkmal der Babenberger geboten. Zur Person Schrambs vgl. Patrick Fiska, Studien zu Leben und Werk Anselm Schrambs OSB (1658 –1720). Mit einer Edition der Briefkorrespondenz (Dipl., Wien 2009) bzw. Ders., Zu Leben und Werk des Melker Benediktiners Anselm Schramb (1658 –1720). Mit einer Edition seiner Briefkorrespondenz, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 122 (2011)
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später die Melker Konventualen und (Haus-)Historiker Hieronymus Pez27 und Ignaz Franz Keiblinger28 in dieser Hinsicht präsentierten29. In der Folge wird zu zeigen sein, wie die markante graphische Aufbereitung eines Teils der babenbergischen Memorialnachrichten in der Handschrift einen Ansatzpunkt dafür bot, die Notizen mit fortschreitender Zeit in der Melker Historiographie vom 18. Jahrhundert bis in die österreichische Geschichtsforschung der jüngsten Zeit hinein mit zunehmender Gewissheit als kopiale Überlieferung eines verlorenen „ursprünglichen“ Babenbergergrabdenkmals bzw. mehrerer Melker Grabinschriften des Hochmittelalters zu deuten. Der die Grundlage für diese sich im Lauf der Zeit verdichtende Indizienkette darstellende Text nimmt in der Annalenhandschrift die untere Hälfte von pag. 32 (fol. 15v) ein und schließt hier ansatzlos an ein Gedicht auf den Mongoleneinfall von 1241/4230 an, gehört also mit ziemlicher Sicherheit der Spätzeit Herzog Friedrichs II.
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S. 201 –306; zuletzt Ders., Anselm Schramb als Vertreter einer älteren Gelehrtengeneration, in: Melk in der barocken Gelehrtenrepublik (wie Anm. 4), S. 45 –52. Im ersten Band der Scriptores Rerum Austriacarum; bereits im Register (S. II) wird der Text explizit indiziert als Inscriptio veteris lapidis sepulchralis, quo antiquorum Austriæ Marchionum & Marchionissarum ossa, in Monasterio MELLICENSI condita quondam tegebantur, aditis utrorumque Epitaphiis. In gleichem Sinn auch S. CVI, wo als Beleg für die Bestattung Leopolds I. in Melk (nach Überführung aus Würzburg) die inscriptio lapidis sepulchralis seu Mausolæi, quo Fundatorum nostrorum ossa quondam continebantur mehrfach angeführt wird. In der Hauptsache schließlich S. 312 –314 (INSCRIPTIO LAPIDIS SEPULCHRALIS, QUO VETERUM AUSTRIÆ MARCHIONUM, EORUMQUE CONJUGUM CORPORA, IN MONASTERIO NOSTRO MELLICENSI CONDITA, QUONDAM TEGEBANTUR). Zur Einordnung der drei Bände der Scriptores in den Rahmen der österreichischen Historiographie des 18. Jahrhunderts vgl. knapp Mazohl/ Wallnig, (Kaiser)haus (wie Anm. 8) S. 57– 60; zu Pez als Person und der Forschungstätigkeit der Brüder Bernhard und Hieronymus s. jetzt vor allem Wallnig, Gasthaus (wie Anm. 7), und die im Rahmen des von Thomas Wallnig geleiteten START-Projekts „Monastische Aufklärung und die benediktinische Gelehrtenrepublik“ erarbeiteten Publikationen; s. die Bibliographien auf der Internet-Seite des Projekts http://www. univie.ac.at/monastische_aufklaerung/de/das-start-projekt/; zuletzt erschien der Sammelband Melk in der barocken Gelehrtenrepublik (wie Anm. 4). Keiblinger, Geschichte (wie Anm. 24). Im Haupttext apostrophiert Keiblinger die Texte wie seine barocken Vorgänger als Grabdenkmal, s. etwa S. 139 („der alte gemeinschaftliche Leichenstein der markgräflichen Familie“), S. 163 (Anm. 1), S. 168 (Anm. 1) und S. 188. Auf S. 203 –205 erfolgt die Edition der Texte: „Epitaphien und Inschrift des Leichensteines der im Stifte Melk begrabenen österreichische Markgrafen und Markgräfinnen aus dem Hause Babenberg, aus einem Pergament-Codex der Stiftsbibliothek, von einer Hand des dreizehnten Jahrhunderts“. Die im Folgenden mitgeteilten Beobachtungen beruhen auf den Diskussionen, die ich am 17. November 2011 mit den MitarbeiterInnen des START-Projekts „Monastische Aufklärung und die benediktinische Gelehrtenrepublik“ an der Universität Wien im Rahmen des „1. Colloquium historico-criticum“ geführt habe. Dem Leiter des Projekts, Thomas Wallnig, und den DiskutantInnen Patrick Fiska, Thomas Stockinger und Cornelia Faustmann danke ich für die anregenden Gespräche und die Erlaubnis, eines der dort im Diskurs erarbeiteten Themen hier wieder aufgreifen zu dürfen. Vgl. knapp Alphons Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs (=Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 19, Graz/Köln 1963 [Nachdruck Lisse 1984]) S. 232 und Fritz Peter Knapp, Kat.-Nr. 30.37: Gedicht über den Mongoleneinfall von 1241, in: 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1) S. 283.
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Abb. 1: Cod. Mell. 391, pag. 32 (fol. 15v): Epitaphien auf mehrere Babenberger und zugehörige Prosanotizen in einem Medaillon bzw. einer Scheibenstruktur. – Nachtrag im Melker Annalencodex, Mitte 13. Jh. (Foto: P. Dr. Gottfried Glaßner, Stiftsbibliothek Melk).
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an, in die er nach dem paläographischen Befund jedenfalls passt (Abb. 1). Tatsächlich hatte die Hand, die auch für die Medaillonstruktur samt begleitenden Texten verantwortlich war, schon auf pag. 31 (fol. 15r) die freigebliebene untere Hälfte des Blatts (die obere endet mit dem Ende des 12. Jahrhunderts geschriebenen ebenso identitätsstiftenden Text des Breve chronicon Austriacum Mellicense31) zum Eintrag von zwei nebeneinander stehenden Gedichtblöcken und einer unten abschließenden, durchlaufenden und beide Blöcke verklammernden Hexameterzeile32 benützt (Abb. 2). Schon diese Gedichte – stichische (weit überwiegend33) leoninische Hexameter mit (fast durchwegs) zweisilbigem (reinem) Binnenreim – stellen sich dem Text zufolge als Beschriftung einer tumba dar, die fünf männliche (linker Block mit elf Zeilen34) und sechs weibliche Angehörige (rechter Block mit 13 Zeilen35) der babenbergischen Markgrafen verberge. Im Unterschied zu den Prosazeilen im Binnenfeld des Medaillons der Folgeseite verzichtet das Gedicht jedoch auf die chronologisch korrekte Reihung der Männer (hier: Heinrich I. – Leopold I. – Adalbert – Leopold II. – Ernst36) und referiert auch 31 Lhotsky, Quellenkunde (wie Anm. 30) S. 224; Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 24) S. 24. Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 15) S. 19 und S. 87–91 sieht einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Breve chronicon Austriacum Mellicense und der Endreaktion der Passio Cholomanni und interpretiert beide Quellen als Dokumente des Selbstverständnisses von Melk als bedeutender Ereignisort der Landesgeschichte. 32 Confer eis vitam virtute fideque petitam; vgl. Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 24) S. 110 mit abweichender Transkription. 33 V. 5 – 8 des rechten Blocks weisen auffälligerweise keinen leoninischen Binnenreim auf, sondern reimen (wiederum zweisilbig) jeweils dritten und fünften Vershalbfuß (jambisch) und bilden zudem als versus salientes zweisilbigen Endreim aus. 34 Mors quasi ceca furit, quasi ventus, hiemps rapit, urit, / Cum filiis flores vorat omnis carnis honores. / Quinque sub hac tumba mortis proceres tenet umbra, / Quos redimens gratis deus omnibus adde beatis [folgt eine vegetabil gefüllte Leerzeile] / Hac situs in fossa Cholomani martiris ossa / Fratribus Heinricus dedit hiis princeps et amicus [folgt eine vegetabil gefüllte Leerzeile] / Marchio Liupaldus a verme sit igneque salvus / Huius honor sedis, fons cenobii pater edis. / Dormit Adalbertus hic, surgat luce refertus. / Quem sopor hic urget, Leupaldus gratia purget. / Vita sit Ernusto, pars omnibus in grege iusto. Der mit Hac situs in fossa eingeleitete Vers wurde als Grabinschrift Kolomans missverstanden, doch ist Cholomani martiris ossa eindeutig Akkusativobjekt zu dedit, nennt die Reliquien des Heiligen also bloß als Stiftung Heinrichs, dem die „Grabinschrift“ gilt; vgl. Bruck, Codex 36 (wie Anm. 25) und Niederkorn-Bruck, Kat.-Nr. 18.07 (wie Anm. 25). 35 O dolor, o luctus, heu ve tuus est caro fructus! / Lege pari dominas sex legis hic domitas: / Rihkart et Swaenhilt, Alheit et Frewiza, Mehtilt / Sexta puella ruit, Iudita dicta fuit. / Forma iacens et fama tacens gravium dominarum / Vota movet, dum fata monet miseras miserarum. / Has deus attulit, abstulit ut stellas orienti / Nunc lavet, induat, instruat ut sponso venienti. / Sex celebres domine celebrant hic vota ruine / Rihkart sexta puella datur bene Iudittaque vocatur / Iustus ut ancillas dominus dedit, abstulit illas, / Sacris ergo choris has federe iungat amoris. / Hos cinerum flatus deus excipe solve reatus. Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 48 stellt die Reihenfolge der Verse des rechten Blocks teilweise um und unterschlägt den entgleisten V. 10 sowie den Schlussvers und ordnet die beide Blöcke verklammernde Segensheische ausschließlich den Markgrafen zu. In letzterem Punkt folgt ihm Pez, Scriptores (wie Anm. 16) S. 312. 36 Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 47f. stellt im Abdruck des Gedichts stillschweigend eine chronologische Ordnung her, desgleichen Pez, Scriptores S. CVI im Rahmen des auszugsweisen Abdrucks, dem noch dazu eine pseudo-epigraphische Überschrift vorangestellt wird: MARCHIONES AVSTRIÆ. / LEV-
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Abb. 2: Cod. Mell. 391, pag. 31 (fol. 15r): Epitaphien auf die Babenberger. – Nachtrag im Melker Annalencodex, Mitte 13. Jh. (Foto: P. Dr. Gottfried Glaßner, Stiftsbibliothek Melk).
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nur im Fall Heinrichs I., der im versifizierten Teil die Spitzenposition einnimmt, dessen Stiftung der Kolomansreliquien und nennt Leopold I. als ersten Klosterstifter. Erstaunlicherweise wird das graphisch aufbereitete Babenberger-„Epitaph“37 auf pag. 32 lediglich über den lapidaren Verweis auf den Todestag Leopolds II. (iiii idus octobris obiit Liupaldus marchio) in die Handschrift eingeführt, dem auch die Verse rechts außen exklusiv gelten38. Pez datierte die rechts außen stehenden, von derselben Hand wie die „Inschrift“ des Medaillons ausgeführten Verse zu Recht in das 14. Jahrhundert und bezog sie – wohl aufgrund der Bezeichnung Leopolds als gloria cleri – einer eben in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts gehörenden Haustradition folgend, irrig oder (wahrscheinlicher) vorsätzlich auf Leopold III.39, worin ihm, soweit ich sehe, die Mehrzahl der Stimmen bis in die Gegenwart wenigstens implizit gefolgt ist40. Nach dieser Lesart konnte jedenfalls wiederum Melk den Anspruch erheben, die älteste, wenn auch literarische Grabinschrift auf Leopold III. hervorgebracht zu haben. Doch nimmt die Reihe der Markgrafen, die im Inneren der Scheibe aufgeführt POLDVS PRIMVS FVNDATOR. / Quinque sub hac tumba mortis Proceres tenet umbra, / Quos redimens gratis Deus omnibus adde beatis. / MARCHIO LIVPALDVS a verme sit igneque salvus, / Huius honor sedis, fons Cœobii, pater ædis, ebenso wie im Vollabdruck auf 213 (richtig: 312). 37 Zum Begriff des Epitaphs für eine versifizierte Grabinschrift – unabhängig von einer realen epigraphischen Ausführung – vgl. Fidel Rädle, Epitaphium – Zur Geschichte des Begriffs. (Diskussionsbeitrag), in: Walter Koch (Hg.), Epigraphik 1988. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik, Graz, 10.–14. Mai 1988. Referate und Round-Table-Gespräche (=Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Denkschriften 213, Wien 1990) S. 305–310. 38 Leopold II. ist auch im Annalenteil der Handschrift auffallend blass, nämlich nur über den Todestag greifbar, s. Meta Niederkorn-Bruck, Kat.-Nr. 4.09: Bericht in den Melker Annalen über den Einzug der Benediktiner in Melk, in: 900 Jahre Stift Melk (wie Anm. 1) S. 31. 39 Das Gedicht wurde spätestens im 14. Jahrhundert in Melk vom „Anonymus Mellicensis 1362“ auf Leopold III. bezogen, s. die Edition der Historia fundationis monasterii Mellicensis bei Pez, Scriptores (wie Anm. 16) hier col. 301, vgl. Lhotsky, Quellenkunde (wie Anm. 30) S. 247f. Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 15) S. 91 hält die hier nach der Pezschen Edition der Historia fundationis zitierten Verse – gegen ihre eigene richtige Einschätzung (S. 74, Anm. 7) – für eine Neuschöpfung der Zeit um 1362 („ein wohl aus Anlaß der Abfassung der Historia gedichtetes Epitaphium“). Der Anonymus deutete die zweifelsfrei auf Leopold II. bezogenen Verse explizit auf Leopold III., da er seinen auf die Stiftungen Leopolds III. bezogenen Nachtrag zu den im Inneren des Medaillons genannten Babenbergern rechts unmittelbar an die Verse auf Leopold II. anschloß. So auch unter impliziter Ableitung aus dem „Epitaph“ der Handschrift Keiblinger, Geschichte (wie Anm. 24) S. 188: „Mit Leopold III. schließt die Reihe der in der Stiftskirche zu Melk bestatteten elf Personen aus der Familie des babenbergischen Herrscherstammes in Oesterreich“. 40 Vgl. Leopold Auer, Die Notiz über die Weihe der Garser Burgkapelle, in: Theo Kölzer/Franz-Albrecht Bornschlegel/Christian Friedl/Georg Vogeler (Hg.), De litteris, manuscriptis, inscriptionibus ... Festschrift zum 65. Geburtstag von Walter Koch (Wien/Köln/Weimar 2007) S. 453 – 459, hier S. 454: „Zwar geben die Melker Grabinschriften des 13. Jahrhunderts Melk als Grablege [Leopolds II.] an, doch da sie das fälschlich auch für Leopold III. behaupten, ist der Wert dieser Aussage zumindest zweifelhaft“; zuletzt Karl Brunner, Leopold, der Heilige. Ein Portrait aus dem Frühling des Mittelalters (Wien/Köln/Weimar 2009) S. 206. Korrekt auf Leopold II. gedeutet wird das Gedicht auf pag. 32 bei Bruck, Codex (wie Anm. 25) S. 36.
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werden, mit Leopold I., explizit als Leupoldus primus fundator genannt, ihren Anfang. In den ursprünglichen Textbestand wurde im fortgeschrittenen 14. Jahrhundert eingegriffen, was Pez nicht auswies: Zeile fünf bis sieben innerhalb der Scheibe, die die Melker Stiftungen der Markgrafen Ernst und Leopolds II. thematisieren, stehen – eine Lücke nach unten hinterlassend – auf Rasur, ebenso wie die Namen Alhayt und Juditta in Zeile 8 und 941. Dieselbe Hand – es handelt sich um den produktivsten, besonders an Nachrichten zu den Babenbergern interessierten Nachträger innerhalb der Annalenhandschrift, den sogenannten „Anonymus Mellicensis 1362“42 – erweiterte zudem den bereits innerhalb des Medaillons nachgetragenen Text durch weitere, rechts außen notierte Angaben – nun tatsächlich – zu Leopold III. in Prosa (Stiftungen und Exemption)43. Die zum Originalbestand des 13. Jahrhunderts gehörende Umschrift des Medaillons gibt nun explizit in drei stichischen Hexametern an, dass die elf genannten Personen unter dem vorgeblich als Inschriftenträger fungierenden Stein ruhen sollen: Quinque pii proceres et sex clare mulieres / Semet cum donis nostris tribuere patronis. / Nomina conscripta rota continet et lapis ossa44. Die literarischen Epitaphien der 41 S. auch Niederkorn-Bruck, Koloman (wie Anm. 24) S. 109. Die Tatsache, dass die Stiftung der Lanze des Hl. Mauritius und des Melker Ulrichsbechers erst im Nachtrag des 14. Jahrhunderts auf Ernst bezogen wird (Ernestus lanceam sancti Mauricii et crateram sancti Udalrici), scheint mit der (mutmaßlich) von Herzog Rudolf IV. 1362/63 veranlaßten Neufassung der Kreuzpartikel und der vorgenannten Objekte (s. den von Ignaz Raderer angefertigten Kupferstich der Lanze bei Hueber, Austria [wie Anm. 24] App. III, Taf. vor S. 297, Num. IIf., der Ulrichsbecher als Num. IV sowie S. 297; Schramb, Chronicon [wie Anm. 20] S. 253, Keiblinger, Geschichte [wie Anm. 24] S., 439, Flossmann, Geschichte [wie Anm. 24] S. 17; Hilger, Stift Melk [wie Anm. 24] S. 69f. und Martina Pippal, Kat.-Nr. 5.05: Sogenannter Ulrichsbecher, in: 900 Jahre Benediktiner [wie Anm. 1] S. 38 – 40 sowie Meta Niederkorn-Bruck, Kat.-Nr. 18.08: „Mauritiuslanze“, in: ebd., S. 159; Niederkorn-Bruck, Koloman [wie Anm. 24] S. 93 –96) in unmittelbarem kausalen Zusammenhang zu stehen; zu entsprechenden Adelheid betreffenden Korrekturen des 14. Jahrhunderts, die sie zur Frau Adalberts machen, im Melker Nekrolog vgl. Karl Lechner, Beiträge zur Genealogie der älteren österreichischen Markgrafen, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 71 (1963) S. 246 –280, hier S. 277f. (Anm. 137) und S. 279f. Ursprünglich hatte anstelle des Alhayt der Handschrift ein längerer Name gestanden. Dass die Korrekturen des 14. Jahrhunderts im Inneren des Medaillons anstelle desselben ursprünglichen Textes, lediglich in geringerer Schriftgröße angebracht wurden, wie Keiblinger, Geschichte 205 behauptet (allerdings ohne zu erkennen, dass es sich um einen Nachtrag handelt), kann ich nicht ohne weiteres nachvollziehen. 42 Vgl. knapp Bruck, Codex 32 (wie Anm. 25) und Meta Niederkorn-Bruck, Lesen und Lernen im mittelalterlichen Kloster (dargestellt anhand der Entwicklung der Melker Bibliothek), in: 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1) S. 388 –399, hier S. 393. 43 Dass auch dieser von derselben Hand stammende Nachtrag mit den Kanonisierungsplänen Leopolds zur Zeit Rudolfs IV. in Zusammenhang steht, kann nur Spekulation bleiben. 44 Zu einer anthropologischen Befundung der Melker Babenbergergebeine 1968 s. Johann Jungwirth, Die Babenberger-Skelette im Stift Melk und ihre Identifizierung, in: Annalen des Naturhistorischen Museums Wien 75 (1971) S. 661– 666 und Ders., Die Skelette der Babenberger im Stift Melk, in: 1000 Jahre Babenberger in Österreich. Niederösterreichische Landesausstellung, Stift Lilienfeld, 15. Mai – 31. Oktober 1976 (Kat. des Niederösterreichischen Landesmuseums, N. F. 66, Wien 1976) S. 231 –235 (Kat.-Nr. 254 –261);
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Handschrift wurden mehrfach in verschiedenen jüngeren Handschriften des Klosters rezipiert45. Mit Textvarianten46 druckte diese drei Hexameter auch Anselm Schramb ab47. Die Gedichte auf die männlichen Angehörigen der Stifterfamilie hatte schon eine unter Abt Valentin Embalner 1650 angefertigte (wohl hölzerne) Tafel einbezogen, die in der Stiftskirche bei dem damals noch bestehenden spätgotischen Stiftergrabdenkmal aufgehängt war. Deren barocke Inschrift, nicht die Grabgedichte der Handschrift, referierte Anselm Schramb in seinem Chronicon Mellicense als Hauptquelle der babenbergischen Bestattungen in Melk („quamvis tabula appensa apud tumbam fundatorum sit firmissimus Achilles et incorruptus testis, quoad serenissimos de domo Babenbergensi principes apud nos sepultos [...]“48, „tabula nostra“ bzw. „tabulam appensam ad tumbam, cum antiquis epitaphiis“ und schließlich als Überschrift der Verse selbst: „Marchiones Austriae Mellicii sepulti ex tabula appensa“49). Dagegen apostrophierte Schramb die „Inschriften“ des Codex kurzerhand als Grabdenkmal selbst („specialiter cum lapide sepulchrali inferius referendo“ bzw. „lapideo testimonio“ und
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vgl. auch knapp Meta Niederkorn-Bruck, Kat.-Nr. 18.06: Babenberger-Gebeine, in: 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1) S. 157. So etwa in einer der zentralen Quellen für die Melker Reform, Cod. Mell. 1.398, s. knapp Meta Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform im Spiegel der Visitationen (=Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 30, Wien/München 1994) S. 45. Das Interesse an der alten Babenbergergrablege im Kloster blieb in Melk auch im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts – sichtlich in Zusammenhang mit der populären Leopoldsverehrung – groß: so trug man auf freie Seiten im 1517 vom Konventualen Stephan Burkhardi angefertigten Bibliothekskatalog die „Babenbergerepitaphien“ des Annalenkodex ebenso ein wie ein Epitaph auf den Hl. Leopold und eine Babenbergergenealogie, s. Stiftsbibliothek Melk, Cod. 704/3, fol. 420v –423v; vgl. Meta Niederkorn-Bruck, Kat.-Nr. 30.16: Bibliothekskatalog von 1517, in: 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1) S. 276; knapp Glassner, Inventar (wie Anm. 25) S. 8. Quinque pii proceres, et sex clare mulieres / Sese cum donis, nostris junxêre Patronis, / Nomina scripta liber vitae tenet, hic lapis ossa, 47. Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 47. Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 18. Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 47; weitere Nennungen der barocken Inschriftentafel als Quelle etwa S. 38f., 42 u. ö. Dieses Insistieren auf der Vorzeigbarkeit einer manifesten epigraphischen Quelle ist umso signifikanter, als Schramb selbst etwa in einem Schreiben an René Massuet aus dem Jahr 1710 den völligen Verlust älterer (historiographischer) Denkmäler, mutmaßlich infolge des Klosterbrands von 1297, offenherzig beklagte: „nulla originalia nullaeque tabulae solenniores, nullumque liquidius extat monumentum praeter traditiones scriptas et vetustis chartis bibliothecae exceptas [...] anno 1297, quo fatali incendio libri fere omnes (sine dubio et monumenta et originalia aliaeque tabulae antiquitate venerandae) consumpti sunt“, s. Fiska, Studien (wie Anm. 26) S. 68f. (Nr. 18). An die drei Hexameter schloß Schramb eine kommentierte Fassung der Prosanamenliste an und dann die Verse Mors etc. unter dem Titel „Epitaphium eorundem Marchionum“. Dagegen bietet Schramb auf S. 48 die graphische Kombination der Handschrift zwar unter der Überschrift „Lapis Sepulchralis“, erklärt jedoch korrekt, „prout invenitur in nostra antiquissima Chronica.“
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„monumenta funeralia“50). Die Errichtung einer „epigraphisch“ angereicherten Babenbergergrablege in Melk mit allerdings rein literarischen Mitteln um die Mitte des 13. Jahrhunderts geht der ab dem ersten Drittel des 14. Jahrhunderts sich verdichtenden, im 15. Jahrhundert als umfassendes Phänomen feststellbaren Anfertigung von in der Regel monumentalen und prestigeträchtigen steinernen Stiftergrabdenkmälern voraus51, die durchwegs medialer Kristallisationspunkt einer aktuellen Neuinszenierung des Stiftergedenkens waren52. Offenbar trug jedoch das aufwändig (als Hochgrab aus Rotmarmor) gestaltete spätgotische Grabdenkmal der Babenberger in der Melker Stiftskirche, das dem barocken Umbau 1702 wich, ursprünglich keine eigene (in Stein gehauene) Inschrift, sondern wurde, spätestens unter Abt Reiner Landau (reg. 1623 –37), mit einer auf einer Holztafel aufgemalten erklärenden Inschrift versehen53. Dagegen hatte man die legendenhaft inszenierte Geschichte des zweimaligen fehlgeschlagenen Diebstahls der Melker Kreuzpartikel54 – der zweite Versuch soll während der Umgestaltung der Fassung 1362 stattgefunden haben – 1605 sogar auf „publicis tabulis“55 in Form eines Flügelaltars (Tafelbilder in Temperamalerei als Flügeln, in der
50 Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 42. 51 Walter Koch, Memoriengräber. Darstellung – Text – Schrift, in: Epigraphie et iconographie. Actes du Colloque tenue à Poitiers les 5–8 octobre 1995 (Civilisation Médiévale 2, Poitiers 1996) S. 125–142. 52 S. Andreas Zajic, Hausgeschichte in Inschriften. Formen epigraphischer Memoria in österreichischen Klöstern, in: Christine Wulf/Sabine Wehking/Nikolaus Henkel (Hg.), Klöster und Inschriften. Glaubenszeugnisse gestickt, gemalt, gehauen, graviert. Beiträge zur Tagung am 30. Oktober 2009 im Kloster Lüne (Wiesbaden 2010) S. 23 –50. 53 Vgl. Keiblinger, Geschichte (wie Anm. 24) S. 189f. und S. 206 mit Bezug auf die Beschreibung des Denkmals als „erhebtes schönes grab“ bei Sunthaym. Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 45 schreibt explizit: „in medio [ecclesiae] tumba fundatorum e rubro marmore prominet“. Landau habe nach Philibert Hueber (zitiert bei Keiblinger a. a. O.) eine ältere Tafel beim Grabdenkmal durch eine neue mit ausführlicherer Inschrift ersetzt: „epitaphium antiquum prope sepulchrum fundatorum quia non satis clare ipsorum facta et oblata, nec non nomina expressa erant, in novam formam, ut hodierna die adhuc ibidem conspicitur, ex variis scriptis auxit, et per aliquem Fratrem Novitium, uti apparet, pulchre et artificiose pingi curavit et miniari“. Diese ältere Tafel vermutet Keiblinger als Träger der von Apian/Amantius abgedruckten (angeblichen) Melker Inschrift auf die Babenberger (s. dazu weiter unten). 54 S. Lhotsky, Quellenkunde (wie Anm. 30) S. 248; Martina Pippal, Kat.-Nr. 18.26: Das „Melker Kreuz“, in: 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1) S. 164f. und ebd. S. 154f. (Farbabb.); Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 15) S. 91. Die angebliche erstmalige wundersame Auffindung der gestohlenen Reliquie wird in das Jahr 1170 gesetzt. Die nach einem Diebstahl bei den Wiener Schotten aufgetauchte Partikel, die von jenem Konvent nicht freiwillig ausgeliefert wurde, sei erst durch ein zweifach wundersames Gottesurteil zwischen beiden Klöstern wieder nach Melk gelangt – vielleicht eine Erzählung, die eine Art Kompensation für den drohenden Bedeutungsverlust Melks angesichts der Neustiftung Heinrichs II. darstellen sollte. 55 Der Text der Tafeln geht auf die wohl 1362/63 verfasste handschriftliche Erzählung eines Melker Konventualen zurück, s. den Abdruck bei Hueber, Austria (wie Anm. 24) fol. Oo 2r –v; Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 256; Keiblinger, Geschichte (wie Anm. 24) S. 440 – 444.
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Mitte der kalligraphisch auf Pergament geschriebene erklärende Text) dargestellt, der noch 1702 in der Stiftskirche in der Nähe der Sakristei aufgestellt war56. Bei Keiblinger gerinnt Pez’ These einer Zerstörung des durch den Annalenkodex hinsichtlich der Inschriften kopial überlieferten ersten Babenbergergrabdenkmals im Jahr 1297 schließlich zur geradezu faktischen Gewissheit57. Tatsächlich lassen sich Pez und nach ihm Herrgott/Heer/Gerbert (wohl willentlich und bereitwillig) offenbar durch die scheibenförmige Struktur der Darstellung in der Deutung als – die gestalterischen Elemente der behaupteten steinernen Vorlage rezipierende – Kopie eines verlorenen Grabdenkmals präjudizieren58. Dies scheint etwa daraus hervorzugehen, dass 56 S. Barbara Wild, Kat.-Nr. 18.28: Flügelaltar mit der Geschichte des Melker Kreuzes, in: 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1) S. 165; das Objekt befindet sich heute in der Schatzkammer. 57 Keiblinger, Geschichte (wie Anm. 24) S. 188f.: „Die Inschrift ihres ältesten Leichensteines, welcher höchst wahrscheinlich bei dem verheerenden Brande des Stiftes im Jahre 1297 zu Grunde ging, nebst den in lateinischen Versen verfassten Epitaphien der Markgrafen und Markgräfinnen hat zum Glücke eine Hand des dreizehnten Jahrhunderts in demselben Codex, welcher die so wichtige alte Chronik und das Necrologium von Melk enthält, für die Nachwelt gerettet“. Auf S. 204 untermauert Keiblinger die Annahme einer Abschrift weiter: „Fast möchte man auf die Vermutung kommen, die Verse, welche (vom fünften an) auf den allgemeinen Eingang folgen, und jeden Markgrafen einzeln betreffen, seien von den Särgen oder einzelnen ältesten Leichensteinen copirt und so, wie oben, zusammengestellt“. 58 Dem entsprechenden selektiv rezipierenden und suggestiven Mechanismus unterlag man auch bei Gestaltung des Bildteils des 1976 erschienenen Katalogs zur Niederösterreichischen Landesausstellung in Lilienfeld: Abb. 30 zeigt unter der Bildlegende „Annalenkodex von Melk, Aufzählung der babenbergischen Markgrafen und ihrer Frauen, soweit sie in Melk begraben sind. Kat. Nr. 274“ eine Abbildung des freigestellten (!) Medaillons, s. auch Gerhard Flossmann, Melk und die Babenberger, in: 1000 Jahre Babenberger (wie Anm. 44) S. 240 –245 (mit Kat.-Nr. 274). – Im gegenständlichen Rahmen ist kein Platz, der Frage nachzugehen, ob der Schreiber der Babenberger-Epitaphien in der Mitte des 13. Jahrhunderts durch die äußere graphische Form der Scheibenstruktur bei zeitgenössischen Lesern die Assoziation einer ähnlich gestalteten steinernen Grabplatte erwecken wollte. Grabinschriften, die einer Medaillionform oder Scheibenstruktur eingeschrieben sind, sind wenigstens innerhalb des durch schwer zu quantifizierende Verluste erheblich reduzierten Bestands hoch- und spätmittelalterlicher Grabdenkmäler in Mitteleuropa kein besonders frequentes Gestaltungselement: als im Vergleich zur Annalenhandschrift früheres Beispiel ließe sich immerhin die bekannte Grabplatte mit Gedenkinschriften auf drei Grafen von Vornbach-Neuburg aus dem Vornbacher Kloster anführen, s. Christine Sauer, Fundatio und Memoria. Stifter und Klostergründer im Bild. 1100 bis 1350 (=Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 109, Göttingen 1993) S. 141f. mit Datierung auf das dritte Viertel des 13. Jahrhunderts und S. 343 –346 (Anhang III). Zuletzt wurde der Stein allerdings wieder in das zweite Drittel des 12. Jahrhunderts datiert, s. Ramona Epp (Bearb.), Die Inschriften des Landkreises Passau bis 1650. I. Die ehemaligen Bezirksämter Passau und Wegscheid (Die Deutschen Inschriften 80, Münchener Reihe 14, Wiesbaden 2011) Kat.-Nr. 2 (Taf. I, Abb. 2). Hier umschließen die kurzen Namensinschriften der Verstorbenen ringförmig die ornamental bzw. figural gefüllten, untereinander angeordneten Medaillons im Binnenfeld der Platte. Zwei analoge Beispiele aus dem 13. Jahrhundert werden genannt bei Sauer, Fundatio (w. o.) S. 345 (Anm. 7). Sehr gut mit der Vornbacher Platte vergleichbar ist eine mit vier Medaillons – nur das oberste ringförmig beschriftet – versehene Grabplatte für Propst Konrad von Lichtenau von 1240 in Ursberg, s. Claudia Madel-Böhringer (Bearb.), Die Inschriften des Landkreises Günzburg (Die Deutschen Inschriften 44, Münchener Reihe 9, Wiesbaden 1997) Kat.-Nr. 1 (Taf. I, Abb. 1). Der Typus wurde in Steingaden bis gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts
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Pez die Abfolge der Texte in der Handschrift bewusst umkehrte, also dem Abdruck der Scheibenstruktur die auf pag. 31 vorangehenden (!) Grabgedichte nachreihte, jedoch allen weiteren Text von pag. 32 ignorierte, der sich auf die vorgebliche Inschrift bezieht: den gesamten Freiraum zwischen dem rechten Rand der Scheibe und dem Blattrand nimmt nämlich zunächst eine von derselben Hand wie der Text der Vorderseite und die ursprüngliche Beschriftung des Medaillons eingetragene Erläuterung zur Darstellung ein. Auch diese von Pez hintangehaltenen bzw. (bewusst?) umgedeuteten leoninischen59 Hexameter apostrophieren die Bild-Text-Kombination eindeutig als Visualisierung bzw. Textierung eines titulus bzw. tumulus, der die Babenberger in ihrer besonderen Beziehung zu Melk verortet60. Gegen diese unhinterfragte Melker Tradition meldete erst Herrgott aufgrund seiner Beobachtung, dass vor dem 13. Jahrhundert auch fürstliche Grabdenkmäler in der weitergeführt, s. Mark Merk (Bearb., red. von Ramona Baltolu und Christine Steininger), Die Inschriften des Landkreises Weilheim-Schongau (Die Deutschen Inschriften 84, Münchener Reihe 15, Wiesbaden 2012) Kat.-Nr. 12f. und 15 (Taf. V, Abb. 14 –16). Eine Grabplatte aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in der Würzburger Domkrypta zeigt innerhalb einer Umschrift mehrere kettenartig verbundene „Ringglieder“ übereinander, deren oberstes eine Inschrift trägt, s. Karl Borchardt (Bearb., unter Mitarbeit von Franz Xaver Herrmann), Die Würzburger Inschriften bis 1525 (Die Deutschen Inschriften 27, Münchener Reihe 7, Wiesbaden 1988) Kat.-Nr. 32 (Taf. X, Abb. 19). Das Fragment der Grabplatte eines Abtes und Diakons Konrad aus dem Mainzer Dom aus dem 13. Jahrhundert zeigt im Mittelfeld der Platte eine ringförmig angeordnete Inschrift, s. Fritz Viktor Arens (Bearb., auf der Grundlage der Vorarbeiten von Konrad F. Bauer), Die Inschriften der Stadt Mainz von frühmittelalterlicher Zeit bis 1650 (Die Deutschen Inschriften 2, Heidelberger Reihe 2, Stuttgart 1958) Kat.-Nr. 28. Die Grabplatte des Johannes von Kiel von 1295 in Greifswald zeigt innerhalb einer konventionellen Umschrift ein Scheibenkreuz samt Inschrift, s. Jürgen Herold/Christine Magin (Bearb.), Die Inschriften der Stadt Greifswald (Die Deutschen Inschriften 77, Göttinger Reihe 14, Wiesbaden 2009) Kat.-Nr. 3 (Taf. 18, Abb. 29). Die komplex gestaltete Grabplatte der 1296 verstorbenen Kunigunde von Holzheim in Fürstenzell zeigt zentral ein Medaillon mit einer Agnus-Dei-Darstellung inmitten eines zirklschlagrosettenartigen Schriftbands, s. Epp, Inschriften (w. o.) Kat.-Nr. 3 (Taf. II, Abb. 3. An Scheibenkreuzgrabplatten des 13. Jahrhunderts, bei denen der Scheibenring bzw. die Scheibe als Fläche beschriftet ist, s. zwei Platten aus Wiener Neustadt: Renate Kohn (Bearb.), Die Inschriften der Stadt Wiener Neustadt (Die Deutschen Inschriften 48, Wiener Reihe 3/1, Wien 1998) Kat.-Nr. 1f. (Taf. I, Abb. 1f.) und eine aus Spitz an der Donau, s. Andreas Zajic (Bearb.), Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems (Die Deutschen Inschriften 72, Wiener Reihe 3/3, Wien 2008) Kat.-Nr. 3 (Taf. I, Abb. 3). Erst aus dem fortschreitenden 14. Jahrhundert sind wiederum vermehrt hochreckteckige Grabplatten überliefert, bei denen im Mittelfeld ringförmige Beschriftungen – nicht selten einen gelehnten Wappenschild einschließend – zu beobachten sind. – Insgesamt halte ich jedoch die Medaillon- bzw. Scheibenstruktur der graphischen Darbietung der handschriftlichen Epitaphien in der Annalenhandschrift für ein viel zu universales Ornament bzw. Dekormotiv, um bei Zeitgenossen eine spezifische Assoziation mit einer Grabplatte des 13. Jahrhunderts (oder einer früheren Zeit) herzustellen. 59 V. 1 und 2 reimen nicht leoninisch, sondern bilden als versus concatenati zeilenweise zweisilbige Reimpaare jeweils vor der Penthemimeres und am Versende aus. 60 Iste docet titulus quem nostra ferat caro fructum / Isque monet tumulus quem fata gerant tibi luctum / Marchio laus veri Leupaldus gloria cleri / Hoc iacet indigno quadro sub limite signo / Hic Medelicha suis studuit te comere donis / Hun sociare tuis studeas prece thure patronis; vgl. den Abdruck bei Schramb, Chronicon 61.
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Regel unbeschriftet geblieben seien, und aufgrund der Tatsache, dass in der vorgeblichen Inschrift alle babenbergischen Herzöge als verstorben genannt seien, was das Aussterben des Geschlechts als terminus post quem nahe lege, Zweifel am Alter der vorgeblichen Melker Inschrift als einer Quelle babenbergischer Zeitstellung an61. Vorangegangen war dieser finalen Bewertung der Taphographia ein bezeichnender Brief Herrgotts an Pez vom 17. August 174062. Herrgott ersuchte Pez um nähere Angaben zur Untersuchung der Überreste der babenbergischen Klosterstifter, zur Anlage der Melker Babenbergergrablege und zu jener erst 1735 ausgeführten Gedenkinschrift auf die Babenberger, die nach Herrgott – als im weitesten Sinne eben doch ein Denk61 Taphographia (wie Anm. 10) S. X: „Proinde hæc inscriptio pro fœtu ævi posterioris habenda est“ und ausführlich 1 –17. 62 Abdruck bei Ortner, Herrgott (wie Anm. 9) S. 89f. (Nr. 5).
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465 Abb. 3: Anselm Schramb, Chronicon Mellicense (1702), S. 48: Epitaphien und „Grabstein“ der Babenberger in Melk. Abb. 4: Hieronymus Pez, Scriptores Rerum Austriacarum I (1721), S. 213 (richtig: 312): „Inschrift des Grabsteins der Babenberger“ in Melk. Abb. 5: Marquart Herrgott, Taphographia (1772), S. 3: „Epitaphien“ der Babenberger aus Melk.
mal des Hauses Österreich – in seine Monumenta Eingang finden sollte, allerdings unter Betonung der Tatsache, dass der mit faktischen Fehlern behaftete Text keineswegs die Billigung Pez’ als eines quellenkritischen Historikers gefunden hatte63. Damit und mit dem Abdruck des handschriftlichen Epitaphs auf Leopold I. nach der Edition Pez’ wollte Herrgott offenbar doch Melk in einer Art Kompromiss als Ort einer epi63 Noch stärkere Differenzen mit Abt Berthold Dietmayr hatte bekanntlich Hieronymus’ Bruder Bernhard, s. Hugo Hantsch, Bernhard Pez und Abt Berthold Dietmayr, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 71 (1963) S. 128 –139; zuletzt Thomas Wallnig, Der Konflikt zwischen Bernhard Pez und Abt Berthold Dietmayr, in: Melk in der barocken Gelehrtenrepublik (wie Anm. 4), S. 189 –195. – Die 1735 in Stein ausgeführte Inschrift sei nach Keiblinger, Geschichte 190 und 206 bis auf geringe Varianten textgleich mit der unter Abt Reiner Landau auf eine hölzerne Tafel gemalten gewesen. – Noch die Inschrift von 1735 rezipiert übrigens die drei stichischen Hexameter.
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graphisch aufbereiteten Babenbergermemoria retten64. Dabei zitiert die Taphographia auch Pez’ Annahme, der handschriftlich überlieferte Text des 13. Jahrhunderts könne eben doch ein bis zum Stiftsbrand vom 23. April 1297 bestehendes steinernes Denkmal kopieren65 und legt Wert darauf, dass immerhin die handschriftliche Fassung, die dem 13. Jahrhundert entstamme, ein hohes Alter aufweise („Haec inter cetera antiquitate facile praecedit illud [...]“). Bemerkenswert ist der Befund, dass jene barocken Drucke der Epitaphien, die ihrerseits die Scheibenstruktur der Handschrift graphisch reproduzieren, im Unterschied zu den reinen Textabdrucken darauf insistieren, dass die visuelle Repräsentation des Annalenkodex die Überlieferung eines ursprünglich real existierenden Grabdenkmals darstelle oder wenigstens darstellen könnte (Abb. 3 –5). Zusätzliche Verwirrung um den inschriftlichen Niederschlag der babenbergischen Bestattungen in Melk hatte eine bereits 1534 von Petrus Apianus und Bartholomäus Amantius in deren Inscriptiones Sacrosanctae Vetustatis 66 gedruckte vermeintliche Inschrift in Melk verursacht. Auf pag. CCCCV wurde unter der Überschrift In dicto Monasterio [sc. Melck; der Text schließt an die Wiedergabe einer römischen Spolie in Melk an] sepulti sunt Principes Austriæ ein 14-zeiliger Text abgedruckt, dessen Einrei64 Nach Herrgotts Schreiben hätte ihm Pez zunächst „pauca illa excerpta“ zugesandt. Herrgott wünschte daher eine Abschrift eines offenbar anläßlich der 1735 erfolgten Übertragung der 1702 gehobenen Gebeine der Habsburger in einen neu adaptierten Seitenraum der Stiftskirche angefertigten Notariatsinstruments mit ergänzendem Augenzeugenbericht des am 6. April 1702 bei der Graböffnung anwesenden Pez sowie eine Zeichnung des neuen Denkmals samt Inschrift: „Sat equidem scio, epitaphium istud erroribus scatere; sed quoniam id in templo publice expositum est, jure Suo in censum monumentorum Austriae Principum venit, ac primum quidem in nostra Sepulcrorum recensione locum sibi vindicat“. Die Errichtung des neuen Grabdenkmals 1735 wird schließlich in der Taphographia S. 2f. unter Berufung auf die von Pez sichtlich tatsächlich gelieferte Abschrift des Notariatsinstruments (s. Meta Niederkorn-Bruck, Kat.-Nr. 18.18: Öffnung des Kolomangrabes 1702, in: 900 Jahre Benediktiner [wie Anm. 1] S. 163) referiert, S. 3 folgt in der graphischen Aufbereitung des handschriftlichen Epitaphs ganz der Edition Pez’. Auch auf den Folgeseiten ist durchwegs von einer inscriptio sepulcralis (etwa S. 11) oder einem lapis die Rede (etwa S. 12), auf S. 13 wird sogar noch einmal die Kategorie des hohen Alters als authentizitätssteigernd bemüht: in sæpe laudato Mellicensi veteri marmore. Keiblinger, Geschichte (wie Anm. 24) S. 190, datiert die Wiederbeisetzung der Gebeine im neuen Grabdenkmal auf den 12. Oktober 1735. Damit hatte man das beziehungsvolle Datum des Vortags von Kolomani gewählt, an welchem Tag die Reliquien Kolomans im neuen Kolomanialtar der Stiftskirche beigesetzt wurden. 65 Pez, Scriptores 312: Inscriptio hæc unacum subjunctis epitaphiis habetur ad calcem Chronici Mellicensis, manu sæculi XIII exarata. Lapis vero sepulchralis, unde eam Mellicensium quispiam descripsit, dudum interiit miserabili forsitan incendio illo, quo Monasterium nostrum anno Domini 1297. in pervigilio Assumptionis Beatæ Virginis Mariæ conflagravit. Die von Pez lancierte Erklärung des Verlusts eines angeblichen ursprünglichen Denkmals durch den Brand von 1297 akzeptierte etwa Lhotsky, Quellenkunde S. 28 und 171 nahezu kommentarlos. 66 INSCRIPTIONES SACROSANCATE VETVSTATIS NON ILLAE QVIDEM ROMANAE, SED TOTIVS FERE ORBIS SVMMO STVDIO AC MAXI=mis impensis Terra marique conquisitæ feliciter incipiunt. MAGNIFICO VIRO DOMINO RAYMVNO FVGGERO INVICTISSMORVM CAESARIS CAROLI QVINTI AC FER=dinandi Romanorum Regis a Consiliis, bonarum literarum Mecænati incomparabili Petrus Apianus Mathematicus Ingolstadiensis & Barptholomeus [sic!] Amantius Poeta DEDICABANT. INGOLSTADII IN AEDIBVS P. APIANI. ANNO. M D. XXXIIII.
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Abb. 6: Apianus/Amantius, Inscriptiones sacrosanctae vetustatis (1534), S. CCCCV : Babenberger„Inschrift“ aus Melk.
hung nach einer römischen Inschrift und dessen in gestaffelt zentrierter Kapitalis ausgeführter Satz an eine epigraphische Vorlage denken lassen (Abb. 6). Der Text referiert inhaltlich mit dem Annalencodex übereinstimmend die Bestattung von elf Babenbergern in Melk. Schon Herrgott/Heer/Gerbert meldeten Zweifel daran an, dass die Vorlage tatsächlich eine Inschrift gewesen sei: „[...] merito dubites, an ab APIANO, aut AMANTIO, eius socio, propriis, an lapidis cuiusdam verbis, referantur?“67. Da letztlich tatsächlich nichts darauf hindeutet, dass das literarische Epitaph des Melker Annalenkodex jemals auf ein reales älteres beschriftetes Grabdenkmal von in Melk bestatteten Babenbergern rekurriert hätte68, sind auch alle anhand dieses Textes bzw. anhand seiner Reflexion in der barocken „Grabinschrift“ von 1735 bis in die Gegen67 Lechner, Beiträge 262, vermutet jedoch wiederum eine genuin epigraphische Vorlage, „die wohl nach der Mitte des 14. Jahrhunderts verfaßt wurde“. Keiblinger, Geschichte 189 und 206 vermutet in der bei Apianus/Amantius abgedruckten „Inschrift“ den Vorgänger der von Abt Reiner Landau (reg. 1623 –37) angebrachten Tafel beim Grabdenkmal der Babenberger. 68 Zum Stellenwert (rein) literarischer Grabinschriften in Prosa und Vers als Textbausteine mit Verweisfunktion nekrologischer und chronikalischer Genera vgl. auch Marie Bláhová, Vier Epitaphe aus den böhmischen mittelalterlichen Chroniken und Annalen, in: De litteris, manuscriptis, inscriptionibus, (wie Anm.
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wart angestellten erstaunlich reichen Spekulationen über die realen babenbergischen Bestattungen in Melk hinfällig69. Der Text sollte vor allem die besondere Beziehung 40), S. 271 –278. Selbst die Beteuerung einer realen Ausführung der Texte in Stein gehört nicht selten zum topischen Arsenal, mit denen die Grabinschriften in die Erzählung eingeführt werden. 69 Pez, Scriptores (wie Anm. 16) S. CVI trat mit dieser Quelle für eine Bestattung Leopolds I. und Richardas in Melk ein, qua de re nemo Mellicensium umquam dubitavit, worin ihm noch Keiblinger, Geschichte 138 folgte („[...] keinen bedeutenden Einwurf gegen das Zeugnis des alten Leichensteines und aller österreichischen Chroniken und Geschichtschreiber [...]“, bezogen auf die Überführung Leopolds I. nach Melk). Vgl. zur Annahme, die Epitaphien des Cod. Mell. 391 gingen auf ein reales Grabdenkmal zurück, auch Lechner, Beiträge (wie Anm. 41) S. 262 („[...] die im Laufe der Zeiten geänderten Melker Grabinschriften. Der älteste angebliche Grabstein, dessen Text nur in einer aus den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts stammenden Abschrift in dem bekannten Annalenkodex von Melk überliefert ist“) und S. 266f. (Erwägungen zur Wahrscheinlichkeit einer Überführung Leopolds I. von Würzburg nach Melk: „Als Begräbnisstätte für das erste Markgrafenpaar hat Melk auszuscheiden“) bzw. S. 270 (Anm. 99: „die älteste Melker Grabinschrift aus dem 13. Jh.“); Lhotsky, Quellenkunde (wie Anm. 30) S. 171; Karl Lechner, Die Babenberger. Markgrafen und Herzoge von Österreich 976 –1246 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 23, 4., durchges. Aufl. Wien/Köln/Weimar 1992) S. 45 („der älteste Melker Grabstein, überliefert in einer Handschrift aus den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts“) und S. 54 („Die Überlieferung einer Grabinschrift im Kloster Melk […] irrt in Bezug auf das erste Markgrafen-Paar“), ähnlich auch S. 64, 68 und 116 (Annahme der Bestattung Leopolds II. in Gars); Franz Unterkircher, Die Leopold-Kapelle in Gars, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 71 (1963) S. 281 –283 („Daraus ergab sich, daß dieser Markgraf [Leopold II.] nicht in Melk begraben war, obwohl eine Melker Quelle des 13. Jahrhunderts ausdrücklich besagt, daß ,Leopoldus, qui monasticam vitam hic instituit“, dortselbst begraben sei‘); Jungwirth, Babenberger-Skelette (wie Anm. 44) S. 661; demnach „verzeichnet [die Handschrift] die Inschriften der Einzelgräber sowie die Inschrift der gemeinsamen Gruft , in die die Einzelbestattungen umgebettet worden waren“; weiters Gerhard Flossmann, Kat.-Nr. 262: Epitaph der in Melk begrabenen Babenberger, in: 1000 Jahre Babenberger (wie Anm. 44) S. 235f.: „Die Irrtümer des beim ersten Grabmal angebrachten und abschriftlich erhalten gebliebenen Epitaphs wurden immer wieder übernommen. Von den 11 genannten Familienmitgliedern war Leopold I. sicher nie in Melk begraben, für seine Frau RihkartRichwara, sowie Mgf. Heinrich I. und Leopold II. kann aufgrund der Untersuchungen der Gebeine deren Beisetzung in Melk zwar vermutet, aber nicht schlüssig bewiesen werden.“ oder Flossmann, Geschichte (wie Anm. 24) S. 10: „der abschriftlich erhaltene Wortlaut des bei der ursprünglichen Begräbnisstätte angebrachten Epitaphs“, auf S. 11 Mutmaßungen über die Zuordnung der in Melk befundeten menschlichen Überreste, und 15 („die Abschriften der bei den Babenbergergräbern in der Klosterkirche angebrachten Epitaphien“). Als „Grabinschriften“ werden die Texte auch verstanden bei Bruck, Codex (wie Anm. 25) S. 32 („Abschriften der Epitaphien für die Babenbergergräber“ und „Auf 15v [untere Blatthälfte] Federzeichnung einer Grabplatte mit Um- und Inschrift“) und 36 („Nachzeichnung der Grabplatte“); Meta Niederkorn-Bruck, Kat.-Nr. 4.14: Breve chronicon Mellicense, in: 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1) S. 34 („Abschriften der Babenbergerepitaphien“); Molecz, Hanthaler-Fälschungen (wie Anm. 23) S. 346f. und 378, hier S. 360f. (Anm. 97); Georg Scheibelreiter, Die Babenberger. Reichsfürsten und Landesherren (Wien/Köln/Weimar 2010) S. 78 („Der Markgraf [Leopold I.] wurde in Würzburg bestattet und dürfte trotz anderslautender Grabschriften nicht nach Melk transferiert worden sein“), S. 101 („In den Melker Babenbergergräbern lässt sich ihm [Heinrich] kein Skelett zuordnen, obwohl ihn eine Grabinschrift des 13. Jahrhunderts nennt“) und S. 150 (überholte Annahme der Bestattung Leopolds II. in Gars, „obwohl im Kloster Melk eine Grabschrift aus dem 13. Jahrhundert mit Bezug auf Liutpald II. existiert“), ebenso S. 359; vgl. auch zuletzt zur Frage der Bestattung Leopolds II. in Melk Auer, Notiz (wie Anm. 40) S. 454. Auch das Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich, vorbereitet von Oskar Frh. v. Mitis †. Vierter Band, Erster Halbband: Ergän-
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Melks zum Markgrafen- und Herzogsgeschlecht als dessen Stifterfamilie thematisieren und die Totalität der Bestattungen vor Ort bis zu Leopold II. als eindrücklichsten Ausweis dieser Bindung wenigstens dem Anspruch nach reklamieren bzw. die Versicherung des Melker Gebetsgedenken für das gesamte Geschlecht in schriftliche Form bringen. Die Annahme, das Babenberger-Epitaph sei eine rein literarische Invention gewesen, scheint abgesehen von der Häufigkeit, mit der entsprechende handschriftliche Epitaphia ganz allgemein als Genre monastischer Hausgeschichte des Mittelalters auftreten70, auch angesichts einer offenbar mit dem Melker Gedicht in vorderhand nicht näher aufzuklärende Beziehung zu setzenden, wohl im ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts als Anreicherung eines Nekrologs71 niedergeschriebenen metrischen „Grabinschrift“ der 1157 mit der Wolfratshausener, 1248 in der Andechs-Meranier Linie ausgestorbenen Grafen von Dießen aus deren Familienstiftung, dem bayerischen Augustiner-Chorherrenkloster Dießen wahrscheinlich72. Obwohl bereits Keiblinger auf die am Ende des zende Quellen 976 –1194, unter Mitwirkung von Heide Dienst bearb. von Heinrich Fichtenau (Publikationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Wien 1968 [Nachdr. Wien/München 1997]) S. 6 (Nr. 554) mutmaßt implizit eine wenigstens ältere Textvorlage für die Epitaphien des 13. Jahrhunderts („[...] Haustradition des späteren 12. Jhs. [!], in das die Verse ihrer sprachlichen Gestalt nach gut passen würden [...]“). Hier wird der wohl auf Leopold I. zu beziehende Vers wegen der Apostrophierung des Markgrafen als fons coenobii (hier im engeren Sinn als Mönchskloster verstanden) versuchsweise auf Leopold II. bezogen. 70 Vgl. etwa auch die handschriftlichen „Epitaphia ducum Silesie“, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Leubus verfasst wurden, s. Przemysław Wiszewski, Zwischen Chor und Krypta. Die schlesischen Herzöge, Zisterzienser und Zisterzienserinnen im 12. –14. Jahrhundert, in: Adelige – Stifter – Mönche (wie Anm. 6) S. 225 –260. 71 Gedächnisstiftendes literarisches oder Daten-Material, das sich in mittelalterlichen Nekrologen an die nekrologischen Aufzeichnungen im engeren Sinn anlagert, wird leider meist sehr nachlässig behandelt, vgl. den Negativbefund bei Franz Neiske, Die Ordnung der Memoria. Formen necrologischer Tradition im mittelalterlichen Klosterverband, in: Institution und Charisma (wie Anm. 7) S. 127 –137. 72 Die drei Hexameter des Scheibenrings der Melker Handschrift sind textlich eng verwandt mit den drei ersten Versen des Dießener Stifterepitaphs in clm 1018 (olim 5509 c) der Bayerischen Staatsbibliothek München, fol. 19v, wo sie einen annexartigen Nachtrag zum Nekrolog (A) Liutolds aus dem ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts darstellen: „Dyezzenses proceres et eorundem mulieres / Semet cum donis nostris tribuere patronis; / Interior fossa cunctorum continet ossa, / Nomina sed procerum tenet hic locus et mulierum. / Spiritus illorum quo tendat ad alta polorum / Hec optent iuvenes, cum puerisque senes“, s. De fundatoribus monasterii Diessensis ed. Philippus Jaffé, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 17 (Hannover 1861) S. 328 –331, hier S. 330; vgl. Franz Ludwig Baumann, Bericht über schwäbische Todtenbücher. In: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 7 (1882) S. 21 –41, hier S. 39f.; Waldemar Schlögl (Bearb.), Die Traditionen und Urkunden des Stiftes Diessen 114 –1362 (Quellen und Forschungen zur bayerischen Geschichte N.F. XXII/1, München 1967) S. 11* –33* (jedoch ohne nähere Angaben zu den Versen); knapp Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 15) S. 113 –115; Elisabeth Klemm, Die romanischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek. Teil 2: Die Bistümer Freising und Augsburg. Verschiedene deutsche Provenienzen (Textband und Tafelband) (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München, Band 3: Die romanischen Handschriften, Teil 2, Wiesbaden 1988) hier Textband S. 182 (Kat.-Nr. 273) und Tafelband, Abb. 577f.; zu den Stifterbildern im Traditionsnotizenteil der Handschrift siehe Sauer, Fundatio (wie Anm. 58) S. 42 – 66 und S. 335 –337 (Anhang I);
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Dießener Nekrologs „A“ eingetragenen Verse hingewiesen hatte73, scheint die jüngere Literatur diesen Zusammenhang ignoriert zu haben74. Als Parallele zwischen beide Texten scheint vorerst bemerkenswert, dass die Dießener Verse ihrerseits in die Vorbereitungsphase einer punktuellen Aktion zur knappen Bearbeitung der Hausgeschichte (unter Betonung der Genealogie der Stifterfamilie) in den 1230er und 1240er Jahren gehörten75. Dass man ferner in Dießen ebenso wie in Melk in den 1360er Jahren an eine kompendienhafte Darstellung der Klostergeschichte schritt76, deutet wohl weniger auf konkrete Bezüge zwischen der Melker und der bayerischen Aufarbeitung der jeweiligen Hausgeschichte als vielmehr auf überregionale Konjunkturen hin. Vielleicht lässt sich die mit literarischen Mitteln angelegte babenbergische Grablege in Melk sogar als Parallelaktion bzw. Abwehrreaktion zu einer möglicherweise eben bereits zu jener Zeit auf Befehl Herzog Friedrichs II. initiierten Translation mehrerer Angehöriger der Markgrafenfamilie (etwa aus Klosterneuburg) in den als zentraler Ort der babenbergischen Memoria neu adaptierten Kapitelsaal des schon ursprünglich auf Kosten von Melk eingerichteten (und dotierten) Heiligenkreuz deuten77. Alois Schütz, Die Grafen von Dießen und Andechs, Herzöge von Meranien, in: Armin Wolf (Hg.), Königliche Tochterstämme, Königswähler und Kurfürsten (Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 152, Frankfurt am Main 2002) S. 225 –315. Hier, S. 228, verweist Schütz vage und ohne nähere Nachweise auf eine in Gestalt von „Wappen an Türmen und Grabdenkmälern noch lange“ überdauernde außerliturgische Memoria des Geschlechts. Die Dießener Handschrift ist als Kapiteloffiziumsbuch jedenfalls zentral dem Stiftergedenken gewidmet. Sauer, Fundatio (wie Anm. 58) S. 63 – 65 betont weiters den engen Bezug der Verwendung der Handschrift im Kapitel zu dessen Funktion als Erbgrablege der Stifterfamilie. – Dass die in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts hergestellte Verwandtschaft zwischen den Dießenern und den Babenbergern (Graf Otto II. von Dießen war mit Judith, einer Tochter Leopolds II. verheiratet gewesen, s. Schütz, Grafen [w. o.] S. 252 und 254, Anm. 96) einen Schlüssel zur Verbindung der Melker und Dießener „Grabinschriften“ darstellt, ist eher unwahrscheinlich. 73 Keiblinger, Geschichte (wie Anm. 24) S. 190f. („eine den alten Versen zu Melk auffallend ähnliche Grabinschrift ihrer Stifter“). Allerdings vermutet Keiblinger unter zahlreichen Konjekturen und Spekulationen zeitliche Präzedenz der vermeintlich epigraphischen Verse in Melk und ortet daher in Dießen Nachahmung der Melker Inschrift, deren Entstehung bereits im 12. Jahrhundert er damit untermauert. Offenbar stellte Keiblinger diese Diessener Querverbindung als Zuträger von Joseph Hormayrs Taschenbuch für vaterländische Geschichte auf den Hinweis des Herausgebers her: Hormayr hatte die Diessener Verse in seiner Geschichte der Grafen von Andechs publiziert: Versuch einer pragmatischen Geschichte der Grafen von Andechs nachherigen Herzoge von Meran, aus Urkunden und glaubwürdigen Geschichtschreibern zusammengetragen von J[oseph] F[reiherrn] v[on] H[ormayr] (Innsbruck 1797) S. 57f. 74 Dies gilt für beide Blickrichtungen: auch die durchaus reiche Literatur zu und rund um dem clm 1018 ignoriert offenbar schon das Vorhandensein der Verse an sich, von der Verbindung zu den Babenbergerversen in Melk zu schweigen. 75 S. Schütz, Grafen (wie Anm. 72) S. 298 mit Bezug auf Bayerische Staatsbibliothek clm 5515, fol. 128r. 76 S. Schütz, Grafen (wie Anm. 72) S. 299 zum 1365 abgefassten „Epitaphium prelatorum in Dyezzen“ des dortigen Chorherrn Albert; vgl. auch Schlögl, Traditionen (wie Anm. 72) S. 61*–89*. 77 Vgl. Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 15) S. 36 – 45 und S. 73f: „Melk, die alte Babenberger-Grablege, hat sich sicher gegen den Verlust seiner zentralen Stellung gewehrt“. Eine neuerliche Zurücksetzung
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Eine Bestattung auch Leopolds III. in Melk zu behaupten erschien jedoch wohl auch für die Zwecke der internen Selbstvergewisserung und selbst im Rahmen des imaginierten Epitaphs der Handschrift als zu überzogen78, zumal man wohl nicht erst um 1300 auch außerhalb der Klöster über die Situierung der Grablegen der Babenberger gut Bescheid wusste79. Bezeichnenderweise errichtete man jedoch nach der Kanonisierung Leopolds III. in der Melker Stiftskirche einen Altar zu Ehren des Heiligen gegenüber vom Kolomanigrab, der 1511 geweiht wurde80. Noch 1650 stattete der damalige Melker Abt Valentin Embalner den Leopoldaltar mit einer neuen Steininschrift81 aus und setzte dem in Klosterneuburg bestatteten Leopold III. gewissermaßen kompensierend zusammen mit den in Melk beigesetzten Babenbergern eine ausführliche Inschrift. Solche auf den ersten Blick scheinbar marginalen Aktionen sind in ihrer tatsächlich bedeutenden symbolischen Dimension erst dann richtig verständlich, wenn sie im Licht des seinerseits in den übergeordneten (west-)europäischen Gesamtzusammenhang der Konkurrenz zwischen Augustiner-Chorherren und Benediktinern gehörenden konkreten Rangstreites zwischen Melk und Klosterneuburg betrachtet mögen die Melker anlässlich der Gründung des Wiener Schottenklosters durch Heinrich II. empfunden haben, s. Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 15) S. 91. Lechner, Babenberger (wie Anm. 69) S. 296, Scheibelreiter, Babenberger (wie Anm. 69) S. 357 und Brunner, Leopold (wie Anm. 40) S. 207 nehmen eine Ausgestaltung des Heiligenkreuzer Kapitelsaals als babenbergische Grablege durch Friedrich II. vor 1240 und anschließende Translationen anderswo bestatteter Babenberger dorthin an. Es sei jedoch festgehalten, dass der Zeitpunkt der Translationen der etwa zunächst in Klosterneuburg beigesetzten Babenberger nach Heiligenkreuz aus keiner Quelle hervorgeht, während wenigstens die Aktion der Beschriftung der Platten in Heiligenkreuz eine einzige konzertierte Aktion aus der Zeit der frühen Habsburger war. Die gültige epigraphische Bewertung des Ensembles der beschrifteten Denkmäler stammt von Walter Koch, Zu den Babenbergergräbern in Heiligenkreuz, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich N.F. 42 (1976) S. 193 –215 (mit ausführlicher Diskussion der historiographischen Quellen zu den Bestattungsorten der Babenberger und mit der älteren Literatur); s. weiters Ders., Kat.-Nr. 649 (Grabplatte Herzog Leopolds V. [† 1194]); 650 (Grabplatte Herzog Friedrichs I. [† 1198]); 652 (Grabplatte Heinrichs d. Älteren von Mödling [† 1223] und seiner Gattin Richezza von Böhmen [† 1182]); 655 (Grabmal Herzog Friedrichs II, [† 1246]), in: 1000 Jahre Babenberger (wie Anm. 44) S. 391f. und S. 413 –416. 78 Brunner, Leopold (wie Anm. 40) S. 31 will eine potentielle Bestattung Leopolds III. in Melk – allerdings wiederum unter irrigem Bezug auf das tatsächlich Leopold II. gewidmete Gedicht des Melker Annalenkodex – nicht ausschließen. In St. Emmeram in Regensburg reklamierte man dagegen mit der Errichtung beschrifteter Hochgräber ganz manifest die Bestattung der – zweifellos nicht im Kloster beigesetzten – Luitpoldingerherzöge Arnulf und Heinrich II. (der Zänker) für sich, s. Schmid, Kunst (wie Anm. 2) S. 246. 79 S. etwa die akribischen Vermerke zu den Beisetzungsorten der Nachkommen Leopolds III. und der Agnes im Codex des Pfarrers Albrecht von Waldkirchen (ÖNB Cod. 608 [1305/25], fol. 3r), gute Abb. bei Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 15) Abb. 4. 80 S. die vom Passauer Weihbischof Bernhard ausgestellte Weiheurkunde (1511 Oktober 19, Melk) im Melker Stiftsarchiv bzw. das Digitalfoto unter http://www.mom-ca.uni-koeln.de/mom/AT-StiAM/ MelkOSB/1511_X_19/charter (Februar 2012). 81 S. Schramb, Chronicon (wie Anm. 20) S. 53 und Taphographia (wie Anm. 10) S. 30f.
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werden, polemisch abgehandelt etwa durch Anselm Schrambs 1715 erschienene Antilogia, eine Refutation gegen Augustin Eraths, des Propstes von St. Andrä an der Traisen82, älteren Commentarius theologico-juridico-historicus in Regulam S. Augustini von 1689, der die universale Präzedenz des Chorherrenordens vor den Benediktinern erweisen sollte83. In diesem Sinn mögen die vermeintlichen Babenberger-Grabinschriften aus dem Melker Annalenkodex tatsächlich zu zwei voneinander distanten Zeitpunkten als eine Abwehrreaktion unter heftiger Konkurrenzsituation zwischen den führenden Prälatenklöstern des Landes verfasst bzw. gedeutet worden sein: zunächst in den letzten Jahren Herzog Friedrichs II., als – möglicherweise – ein erster Anlauf zur Ausgestaltung des Heiligenkreuzer Kapitelsaals zum neuen Hauptort der babenbergischen Memoria genommen wurde, schließlich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als es galt, die literarischen Epitaphien zum Bestandteil auch einer materiellen Evidenz der ältesten Babenbergergrablege des Landes zu machen.
82 Zu ihm s. jetzt umfassend Thomas Stockinger, Felix mansurus, si tacuisset, Erath. Augustin Erath CRSA (1648 –1719), Propst von St. Andrä an der Traisen, als Historiograph und historisch-politischer Kontroversist. In: Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg N. F. 20 (2008) 151 –208 und Ders., „Debeat in antiquis recurri ad famam“. Augustin Erath und die vermeintliche Gründungsurkunde von St. Andrä an der Traisen., in: Mitteleuropäische Klöster (wie Anm. 2) S. 163 –181. 83 S. Stockinger, Felix mansurus (wie Anm. 82) S. 157 –159 und S. 178 –190.
Verehrung, Kult und Brauchtum Koloman – ein Heiliger als Forschungsgegenstand der Volkskunde
Edeltraud Ambros
In meiner Dissertation „Der heilige Koloman – der erste Landespatron von Niederösterreich“ untersuchte ich unter dem Aspekt ethnologischer und kulturanthropologischer Fragestellungen, ausgehend vom Wunderbericht, der eine ausgezeichnete Quelle für die soziale Realität seiner Zeit darstellt, die Verehrung, die Wallfahrt, das Brauchtum und deren Träger. Verehrung, Kult, Wallfahrt und Brauchtum, die im Mittelalter ihre historischen Wurzeln haben, finden aber noch heute, nicht nur in der Liturgie Melks, sondern auch in vielfältigen volkstümlichen Formen Ausdruck und sind lebendig gelebte Tradition.1 Mintunter hat die Tradition aber ihren eigentlichen Inhalt verloren und blieb allein in den Formen erhalten.
1. Melk Melk als Begräbnisstätte Kolomans war seit dem 11. Jahrhundert und ist bis heute Zentrum der Verehrung dieses Heiligen. Die Jahrhunderte andauernden Wallfahrten, die sich am Grab ereignenden Wunder, die ihn besonders als Helfer bei Fußkrankheiten, aber auch bei allen den Kopf betreffenden Leiden zeigen, und die beim Grab hinterlegten Votivgaben, veranschaulichen seine Bedeutung für das Kloster und den Ort Melk.
2. Stockerau Das zweite Zentrum der Verehrung ist das Kloster Sankt Koloman in Stockerau, das am Ort seines Martyriums errichtet wurde. 1 Edeltraud Ambros, Der heilige Koloman. Der erste Landespatron von Niederösterreich (Diss. Wien, Institut für Volkskunde, 2010).
Edeltraud Ambros
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Abb. 1: Altes Franziskanertor
Abb. 2: Kloster St. Koloman, Stockerau
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Abb. 3: St. Kolomanstatue an der Außenfassade des Klosters
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Abb. 4: Holunderbaum mit Gedenktafel für den heiligen Koloman an der Außenmauer des Klosters
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An der Stelle der seit dem 12. Jahrhundert bestehenden Kolomankapelle halfen die Bewohner von Stockerau durch zahlreiche Geldstiftungen, aber auch durch Arbeitsleistung, zu Ehren ihres Schutzpatrons im 17. Jahrhundert ein Kloster und eine Kirche zu erbauen, die den Franziskanern übergeben wurden. Die wechselvolle Geschichte dieser Institution spiegelt sich in der Chronik des Klosters wider; nach Aufhebung des Klosters durch Kaiser Jospeh II. im Jahr 1783 folgte eine Zeit der Entfremdung und Verwüstung der klösterlichen Anlagen, bis im Jahr 1912 durch die Dienerinnen des Hl. Geistes (die Steyler Missionsschwestern) das Gebäude übernommen und durch die bischöfliche Weihe ein neues Kloster errichtet wurde. Seit damals sind die Missionsschwestern – unterbrochen durch eine neuerliche Enteignung durch die Nationalsozialisten – bis heute zu Ehren des heiligen Koloman tätig.2 Der Holunderbaum im Garten des Klosters bezeichnet der Überlieferung nach die Stelle, an der Koloman im Jahr 1012 den Martertod erlitt. Durch die Jahrhunderte bis heute soll sich dieser Holunderbaum aus dem Stumpf jenes Baumes stets erneuert haben. Am 8. September 1981 wurden zwei Gedenktafeln für den heiligen Koloman innerhalb und außerhalb des Theresientores an dieser überlieferten Marterstelle errichtet. (2012 wurden diese erneuert). Die Schwestern verehren Koloman in der feierlichen Begehung seines Sterbetages am 17. Juli als Patrozinium mit Oktav und dem Fest einer feierlichen Votivmesse am 13. Oktober, dem Diözesanfest des Heiligen.
3. Weikendorf Ein weiterer Ort in Niederösterreich, wo die Verehrung und der Kult des heiligen Koloman bis heute lebendig geblieben ist, ist die Pfarre Weikendorf im Marchfeld. Durch die exponierte Lage Weikendorfs am Rande des Marchfeldes wurde Koloman hier auch als Retter vor Feinden angerufen. Die Ungarnaufstände des Jahres 1703 versetzten die Weikendorfer dermaßen in Angst und Schrecken, sodass sie Koloman um Hilfe in dieser großen Not anriefen und eine Prozession nach Melk zum Grab des Heiligen samt einer großen Opfergabe versprachen. Nachdem das Unheil abgewendet war, begab sich eine zahlreiche Teilnehmer umfassende Prozession zu Pfingsten nach Melk und brachte dem Heiligen ein großes Silberopfer und eine 50 Pfund schwere Kerze zum Dank für die Errettung dar.3 2 Alfons Pluta, Ein tausendjähriges Kultkontinuum zu Ehren des hl. Märtyrers Koloman in Stockerau. Quellenberichte (Föhrenau 2000) 3 Leopold Gartner, 900 Jahre Weikendorf 1073–1973 (Weikendorf 1973) 9f.
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Abb. 5: Pfarrkirche Weikendorf
In der Gegenwart werden jährlich am 13. Oktober, dem Patroziniumsfest die Reliquien des heiligen Koloman auf dem Hochaltar zur Verehrung ausgesetzt. Die Gläubigen haben die Möglichkeit, diese zu berühren oder zu küssen. Während dieser Anbetung wird von der Gemeinde das eigens für diesen Anlass komponierte Kolomanlied „Sankt Koloman, Dir singt das Lied“ angestimmt. Während des Jahres werden die in einer Monstranz eingeschlossenen Knochenreste des Märtyrers in der Hauskapelle des Pfarrhofes aufbewahrt.
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Abb. 6: Statue des Kirchenpatrons St. Koloman in der Muschelnische des Altaraufsatzes, darunter das Stiftswappen mit dem Wappen des Auftraggebers Abt Dietmayr von Melk
Abb. 7: Monstranz mit Knochensplitter des heiligen Koloman
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4. Eisgarn In Eisgarn im nördlichen Waldviertel ist der Kolomanikult seit dem Jahr 1400 urkundlich belegt.
Abb. 8: Stiftskirche Eisgarn
Die Sage, die sich um diesen Stein rankt, besagt, dass Koloman keine Nachtherberge in Eisgarn fand und das Wasser, das sich in der Schale des Steines befand, zur Labung benutzte.4
4 Othmar Zaubek, Kolomaniverehrung im Waldviertel. In: Waldviertler Heimat 15 (=26. JG, Krems 1966) 137f.
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Abb. 9: Kolomanaltar im südlichen Seitenschiff der Stiftskirche Eisgarn
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Abb. 10: Kolomanistein bei Eisgarn
Der Brauch zum Kolomanistein zu pilgern blieb bis in unsere Zeit erhalten, auch wenn er an Bedeutung verloren hat. Die Prozession findet jeweils an dem Samstag, der dem Kolomanifest näher ist, statt. Die Teilnehmerzahl schwankt zwischen 20 und 25 Personen. Am 10. Oktober 2009 nahmen nur – vielleicht bedingt durch das extrem schlechte Wetter – 8 Menschen an den Feierlichkeiten teil.
5. Breverln und Andachtsbildchen Die Gläubigen wenden sich in einer Vielzahl von Nöten an den heiligen Koloman oder erbitten in besonderen Situationen seinen Schutz. Koloman gilt als Schutzpatron der Reisenden, als Brunnen- und Quellenheiliger, als Wetterheiliger und als Helfer bei Krankheiten des Kopfes sowie bei Fußleiden. Schließlich ist er auch ein vielverehrter
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Viehpatron, besonders für Pferde. Wie kaum ein anderer Heiliger wächst Koloman für die gläubigen Laien aber auch in den Bereich der Magie. Besonders im ländlichen Bereich vertraute man darauf, durch den Kolomanisegen, der in Stoff oder Leder eingenäht und als Amulett getragen wurde, vor Pest, Unwetter, auf Reisen vor allem Ungemach und gegen anderes Übel geschützt zu sein. Das Österreichische Volkskundemuseum in Wien besitzt eine umfangreiche Sammlung an Breverln. Unter den geöffneten ist aber keines, das dem heiligen Koloman zugeordnet werden könnte. Ob sich unter den nicht geöffneten eines für diesen Heiligen befindet, kann nicht festgestellt werden. Eine Öffnung würde zu irreparablen Beschädigungen beziehungsweise zur völligen Zerstörung dieser Devotionalien führen. In der Sammlung ,Religiöse Volkskunst‘ befindet sich eine Wachsfigur des heiligen Koloman unter einem Glassturz. Waren die frühen Wallfahrtsandenken noch ausschließlich im religiösen oder gar magischen Bereich zu finden, so bringt das beginnende 18. Jahrhundert eine gewisse Verweltlichung, an der die Wachszieher einen nicht unerheblichen Anteil hatten. Bedeutend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in Einsiedeln, wo sich das Stift bis 1798 die Herstellung und den Verkauf von Kerzen, Wachsstöcken, Votiven und von aus Wachs geformten Kopien des Gnadenbildes als Monopol vorbehalten hatte, nach diesem Zeitpunkt die Erzeugung wächserner Andenken von den dörflichen Werkstätten übernommen wurde. Zu einem der führenden Betriebe auf dem Gebiet der wächsernen Wallfahrtsandenken konnte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Wachszieherei Weinkramer in Salzburg entwickeln. Zeitweilig gab es wohl kaum
Abb. 11: Wachsplastik unter Glassturz / Ignaz Weinkramer
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Abb. 12: Schwarzweiß-Fotografie eines Kupferstiches von M. Weinmann, erste Hälfte 18. Jh., Wien
Abb. 13: Schwarzweißdruck des gleichen Motivs, zweite Hälfte 20. Jahrhunderts
einen katholischen Haushalt in der Donaumonarchie, der nicht wenigstens eines der in dieser Werkstatt hergestellten Stücke besessen hätte. Von dieser Firma stammt auch die Kolomanfigur, die sich heute im Museum für Volkskunde befindet.5 Ebenfalls in der Sammlung religiöser Volkskunst dieses Museums befinden sich Andachtsbildchen des heiligen Koloman. Auf allen sechs Bildchen, die in unterschiedlichen Druckverfahren und zu unterschiedlichen Zeiten hergestellt wurden, wird Koloman als Pilger mit den ihm zugehörigen Attributen dargestellt. Außerdem finden sich auf allen sechs Bildchen Hinweise auf sein Martyrium, sei es durch den Strick, die Märtyrerkrone oder den Holunderbaum. Diese Andachtsbildchen und die Quellenberichte über deren Gebrauch vermitteln anschaulich die ihnen von Teilen der ländlichen Bevölkerung zugeschriebene „magische Kraft“. Dieses Brauchtum, das von mystischen Impulsen ausging und vom Einbildungsvermögen der gläubigen Hingabe an das Wirken übernatürlicher Kräfte getragen wurde, gehört in das Gebiet des Aberglaubens, wurde aber von der Kirche toleriert. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gefördert durch den aufklärerischen Rationalismus, der die meisten Formen der Volksfrömmigkeit als abwegige Zeichen 5 Ursula Pfistermeister, Wachs. Volkskunst und Brauch Bd. I (Nürnberg 1982) 147f.
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einer primitiven Mentalität erklärte, richtete sich kirchliche Kritik zunehmend auch gegen abergläubischen Missbrauch. (Joseph II. verbot nicht nur Wallfahrten, sondern auch diesen Aberglauben.) Dies wurde von breiten Schichten des gläubigen Volkes zunächst aber nur zögernd akzeptiert, wie die weitere Erzeugung von Andachtsbildchen verdeutlicht. Erst das Zweite Vatikanische Konzil und seine Auswirkungen führten dazu, dass die traditionelle Funktion und die abergläubische Bedeutung auf den rein optischen Wert einer bildlichen Darstellung reduziert wurden.6
Abb. 14: Druck, Kunstanstalt Josef Müller, München, 20. Jahrhundert
6 Christoph Kürzeder, Als die Dinge heilig waren. Gelebte Frömmigkeit im Zeitalter des Barocks (Regensburg 2005) 17f. – Walter Hartinger, Religion und Brauch (Darmstadt 1992) 238f.
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6. Kolomanikirtag in Melk Ein weiteres Brauchtum, das bis heute lebendig blieb, ist der Kolomanikirtag in Melk. Kirchweih‘ oder Kir(ch)tag wird seit dem Mittelalter jährlich als religiöses Fest begangen, oft wird der Jahrestag nicht nur liturgisch besonders gefeiert, sondern dieser Tag auch durch Rahmenprogramme ausgezeichnet. Seit dem 9. Jahrhundert wurde der Jahrestag der Kirchweihe auch zum weltlichen Fest. Es gab Jahrmärkte, dazu Schaustellungen fahrender Leute und volkstümliche Vergnügungen. Im ländlichen Raum, wo die bäuerliche Bevölkerung auf umherziehende Händler angewiesen war, um ihren Bedarf an Dingen, die sie nicht selbst herstellen konnte, zu decken, boten diese Märkte eine Möglichkeit wichtige Gegenstände täglichen Gebrauchs zu erwerben. Verliehen wurde das Privileg, einen Jahrmarkt abhalten zu dürfen, vom Landesfürsten. Anfang April 1451 schrieb Abt Stephan von Spannberg Friedrich III. an den Hof in Wiener Neustadt, um vom Kaiser das Recht zu erbitten, in Melk einen Jahrmarkt abhalten zu dürfen. Anlass für diesen Wunsch um Vergünstigung war die große Brandkatastrophe des Jahres 1447 in Melk, durch die 64 Häuser in Schutt und Asche gelegt wurden. Das Kloster als einer der Grundherren des Ortes konnte die Not der Bewohner zwar mildern, um sie zu beheben, fehlten aber die finanziellen Mittel. Das Recht, einen Jahrmarkt abzuhalten, würde daher Besucher aus der Umgebung anlocken und somit Geschäfte ermöglichen und Geld einbringen. Am 19. April 1451 verlieh Kaiser Friedrich III. Melk das Marktrecht. Somit findet der Kolomanikirtag 2012 zum 561. Mal statt.7 Um der Frage nachzugehen, inwieweit der heilige Koloman gegenwärtig für die Menschen von Bedeutung ist, wurde an dem jährlich am 13. Oktober in Melk stattfindenden Kirtag durch Befragung der Besucher versucht zu klären, ob und in welcher Form ihnen dieser Heilige präsent ist und welche besonderen Vorstellungen die Befragten mit Koloman verknüpfen. 6.1 Methode Dieses Untersuchungsfeld kann mit Hilfe qualitativer Methoden besonders gut bearbeitet werden. Unter qualitativer Sozialforschung wird die Erhebung nicht standardisierter Daten in Form von offenen Interviews, Feldprotokollen oder Dokumenten und deren interpretative, hermeneutische Auswertung verstanden. 7 Franz Würml, Ein halbes Jahrtausend Melker Kolomani-Kirta 1451–1951 (=Schriftenreihe des Kulturamtes der Stadt Melk, 1, Melk 1951) 5.
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Qualitative Forschung erhebt den Anspruch, Lebenswelten – von innen heraus – aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben, um damit zu einem besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit beizutragen. Volkskunde versteht sich als historisch argumentierende gegenwartsbezogene Kulturwissenschaft, deren Gegenstandsbereich die Alltagskultur, das selbstverständliche Handeln, Erleben und Deuten von Subjekten in ihrer Lebenswirklichkeit ist. Deswegen benötigt sie methodische Verfahren mit besonderer Nähe zu den Forschungssubjekten. Die Methodendiskussion im Fach Ende der 70er Jahre und der Ruf nach mehr Lebensnähe und nach einer Fokussierung auf die Alltagskultur, auf das erlebende Individuum im gesellschaftlichen Gefüge, führte zu der Erkenntnis, dass die Relevanzfrage nicht durch Zahlen auszudrücken ist. In Folge erhielten in den 80er Jahren qualitative Forschungsmethoden eine Schlüsselstellung, die sie bis heute im Fach behielten.8 Vielfach hat sich die Kombination qualitativer Interviews mit anderen Methoden wie Analyse von Archivalien, schriftlichen Quellen (Zeitschriften etc.), Rundfunksendungen und anderen Beobachtungsverfahren bewährt. Die teilnehmende Beobachtung ist somit ein wichtiger und für die Analyse unverzichtbarer Bestandteil qualitativen Forschens.9 Als ersten Arbeitsschritt entschied ich mich daher für die teilnehmende Beobachtung an diesem Kolomanikirtag, um mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen zu den Interviews überzugehen, die ich als qualitative Leitfadeninterviews führte. 6.2 Teilnehmende Beobachtung Der Kolomanikirtag am 13. Oktober in Melk ist nicht nur für die Stadt ein Großereignis, sondern auch für die weitere Umgebung, da er Besucher aus dem Raum Oberösterreich bis Wien anlockt. Auch in den Medien findet dieser Kirtag Beachtung. So widmet Radio Niederösterreich in seiner Mittagssendung um 13 Uhr diesem Ereignis einen Beitrag. Die Berichterstattung ist eine Mischung von Information, Schilderung der Verkehrssituation und Parkmöglichkeiten, Reportagen vor Ort und Interviews mit Verkäufern und Besuchern. Gleich zu Beginn der Sendung weist der Moderator darauf hin, dass sich mehr als 10 000 Menschen in der Melker Innenstadt zwischen 8 Brigitta Schmidt-Lauber, Das qualitative Interview oder: Die Kunst des Reden-Lassens. In: Silke Göttsch, u. a. (Hg.), Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie (Berlin 2007) 169 –171. 9 Helmut Kromrey, Empirische Sozialforschung (Opladen 2002) 371.
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Spielzeugverkäufern, Sockenhändlern und Langosständen drängen. Er empfiehlt den Gästen, die mit dem Auto anreisen, bereits in Loosdorf oder Pöchlarn ihr Fahrzeug abzustellen, da es in Melk praktisch keine Parkplätze mehr gibt. Der Reporter vor Ort schildert das Gedränge und führt mit Verkäufern und Besuchern Interviews. Hierbei konzentriert er sich auf Kinder und ihre Begleitpersonen, die gerade im Begriff sind, einen Einkauf zu tätigen. Auffallend ist, dass er bei diesen Gelegenheiten jeweils den Preis des zu erwerbenden Produkts betont, der weder vom Käufer noch vom Verkäufer genannt wird. Dem aufmerksamen Zuhörer entgeht aber nicht, dass diese von ihm als überhöht betrachtet werden, obwohl er dies nur einmal explizit ausspricht: „Gesalzene 4 Euro kostet der Luftballon“. Einstieg und Ausklang dieses Rundfunkbeitrages sind Hinweise auf kulinarische Angebote wie Schaumrollen oder Langos. Letztlich erwähnt der Moderator noch, dass dieser Kirtag bis 18 Uhr dauern wird und weist aber gleichzeitig darauf hin, dass an den Ständen der Vereine bis spät in die Nacht gefeiert werden kann.10 Auch in den Printmedien wird vom Kolomanikirtag in Melk berichtet. So schreiben die Niederösterreichischen Nachrichten: „Am 13. Oktober fand zum 556.Mal der Kolomanikirtag in Melk statt. Auch heuer sorgten viele Kirtagsstandl für ‚stürmisches‘ Treiben in der Stadt. Bei schönem Wetter genossen die Besucher kulinarische Schmankerln wie Langos, Zuckerwatte und ein Gläschen Sturm“.11 Ich kam am 13. Oktober 2007 gegen etwa 10 Uhr vormittags in Melk an. Der Kirtag und Jahrmarkt befand sich im Zentrum Melks auf dem Hauptplatz und den davon abgehenden Radialstraßen. Hier befanden sich die Verkaufsstände und der Großteil der Gastronomieangebote. Um diese Uhrzeit hielt sich das Gedränge der Menschen noch in Grenzen. Das änderte sich aber am frühen Nachmittag schlagartig, sodass ein Fortbewegen zwischen den Ständen sehr mühsam wurde. Ob die im Radio angeführte Zahl von Besuchern, die mit 10 000 angegeben wurde, realistisch war, konnte ich nicht überprüfen. Das Publikum war bunt gemischt, es waren alle Altersgruppen vertreten, junge Familien mit Kleinkindern, ältere Personen und Pensionistenehepaare. Die Angebote an den Verkaufsständen bestanden zu einem großen Teil aus Bekleidung. Man konnte Textilien wie Hosen oder Pullover, Schuhe Gürtel und Lederwaren erwerben. 10 Transkription dieser Sendung von Radio Niederösterreich am 13. Oktober 2007 siehe Ambros, Der heilige Koloman (wie Anm. 1) 282–284. 11 www.noen.at/melk
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Abb. 15: Besucher des Kirtages um etwa 11 Uhr Vormittag
Abb. 16: Besucher am frühen Nachmittag
Abb. 17: Hosen, Pullover und Gürtel
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Abb. 18: Spielzeugstand
Abb. 19: Stand mit Modeschmuck
Abb. 20: Schmuck, Uhren und Münzen
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Abb. 21: Körbe und Haushaltsartikel
Für Kinder gab es eine Vielzahl von Spielzeugständen, die Plastiktraktoren und Autos, Barbiepuppen, aber auch Spielzeugwaffen anboten. Vereinzelt gab es auch Stände, die Schmuck, Körbe und Taschen oder Haushaltsgeräte in ihrer Produktpalette hatten. An einigen wenigen Ständen wurden auch Wellnessprodukte verkauft. Hier war auffallend, dass das Sortiment hauptsächlich Artikel umfasste, die zur Linderung von Schmerzen, die bei schwerer körperlicher Arbeit entstehen, dienten. Dies ist wohl als eine Ausrichtung auf das zu erwartende Käuferpublikum zu verstehen. Abschließend seien noch die zahlreichen Konditorstände mit Backwaren und Süßigkeiten erwähnt, ebenso wie die Stände, an denen Bauernschinken und -wurst, aber auch Käse und Schnaps angeboten wurden. Das Angebot der Gastronomie war äußerst vielfältig. Erwerben konnte man kulinarische Dinge sowohl an Ständen, als auch bei den in den jeweiligen Gassen und Plätzen ansässigen Wirte, die ihren Verkauf auf die Straße verlagert hatten und teilweise auch Sitzgelegenheiten zur Verfügung stellten. Als kulinarischen Schmankerl gab es Schnitzelsemmel, Hot Dog und Brathendl. Außerdem Speisen, die man im Gehen verzehren konnte, wie Langos, Maiskolben und Zuckerwatte.Gut frequentiert waren auch die zahlreichen Stehtische, an denen Getränke wie Sturm oder Wein angeboten wurden. Der Vergnügungsteil dieses Kirtages war nicht im Zentrum Melks, sondern etwas außerhalb auf der Festwiese, die man über eine kleine Brücke erreichte, angesiedelt.
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Abb. 22: Ringelspiel, links dahinter Autodrom
Hier bestand das Publikum am frühen Nachmittag Großteils aus Jugendlichen und Familien mit Kindern. Unterhaltungsangebote waren Ringelspiel, Autodrom, eine Hüpfburg sowie Bungee-Jumping für Kinder. Auch auf der Festwiese gab es eine Vielzahl von gastronomischen Ständen. Allen voran wäre das Festzelt zu nennen, in dem es ein vielfältiges Angebot an Speisen und Getränke gab. Zur musikalischen Unterhaltung spielte eine Band. Außerdem gab es Stände mit Schnitzelsemmeln, Cevapcici, Würsteln, Süßigkeiten und Kaffee.
6.3 Interviews Um etwa 14 Uhr dieses Tages begann ich mit den Interviews. Dazu musste ich den von mir angesprochenen Kirtagsbesucher bitten, mir zu einer Befragung zur Verfügung zu stehen. Aus diesem Grund erklärte ich gleich bei meiner Vorstellung, woher ich komme sowie den Zweck und die Zielsetzung der Interviews. Die Auswahl meiner Interviewpartner traf ich spontan, aber auch unter dem Blickwinkel, ein möglichst breites Spektrum, sowohl Alter als auch Geschlecht betreffend, abzudecken. Dies gelang mir zwar beim Alter, so konnte ich das Spektrum von 16 bis ungefähr 75 Jahre relativ gleichmäßig abdecken. Bei der Auswahl, das Geschlecht betreffend, habe ich mein Ziel aber verfehlt, da ich etwa doppelt so viele Frauen als Männer interviewte.
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Abb. 23: Festwiese, Hintergrund Stift
An dieser Stelle sei angemerkt, dass alle von mir angesprochenen, außer einer jungen Frau, sich freundlich und entgegenkommend bereit erklärten, meine Fragen zu beantworten. Ob diese junge Frau, die einen Kinderwagen schob, in Eile war, oder ob sich ihr striktes und energisches „Nein“ gegen meine Person oder prinzipiell gegen Interviews richtete, konnte ich nicht feststellen. Eine Interviewte hinterfragte allerdings, ob persönliche Daten wie Name oder Adresse veröffentlicht würden. Obwohl ich dies verneinte, bin ich nicht sicher, ob ich alle diesbezüglichen Bedenken ausräumen konnte, da sie als einzige aller Befragten mir ihren Herkunftsort nicht nannte, sondern diffus mit 10 Kilometer entfernt antwortete. Erwähnenswert wäre noch, dass mich einmal Kirtagsbesucher von sich aus ansprachen, sie zu befragen. Sie hatten beobachtet, dass ich Interviews führte und erklärten sich, ohne diesbezüglich von mir angesprochen worden zu sein, bereit, ebenfalls dafür
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Edeltraud Ambros
Abb. 24: Interview beim Verlassen des Jahrmarktes
zur Verfügung zu stehen. Dieser Umstand kann vielleicht auf die Medien, allen voran das Fernsehen, zurückzuführen sein, die ihrem Publikum den Eindruck vermitteln, dass Interviewgeben die Bedeutung der eigenen Person unterstreicht. Zu Beginn meiner Befragung bewegte ich mich im Zentrum des Jahrmarktes auf dem Hauptplatz. Mit fortschreitender Zeit und einer immer größer werdenden Menschenmenge verbunden mit einem ansteigenden Lärmpegel, der ein Abhören der Tonbandaufzeichnungen fast unmöglich machte, verlegte ich meinen Interviewplatz an einen Ort, an dem die Besucher den Jahrmarkt betraten oder auch verließen. Diese Interviewsituation hatte auch den Vorteil, dass die Befragten entspannter antworten konnten, da man nicht Gefahr lief, umgerannt oder gestoßen zu werden. Zielsetzung der Befragung war festzustellen, ob die Kirtagsbesucher wüssten, wer Koloman war und ob sie eine persönliche Beziehung zu diesem Heiligen hätten. Aus diesem Grund nahm ich in meiner Einstiegsfrage Bezug auf den hier gefeierten Kirtag und fragte, ob die Betroffenen wüssten, wer der Namensgeber dieses Festes war. In weiterer Folge und abhängig von der jeweils gegebenen Antwort, versuchte ich zu erkunden, inwieweit sie eine persönliche Verbundenheit zu Koloman hätten.
Verehrung, Kult und Brauchtum
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Abb. 25: Älteres Ehepaar beim Betreten des Kirtages
Um den Aussagewert dieser Antworten zu untermauern, hinterfragte ich anschließend, ob die Interviewten prinzipiell einen Heiligen hätten, den sie als Helfer in schweren Augenblicken und als Fürsprecher ihrer Anliegen sähen. Ich beendete die Interviews mit der Frage nach dem Heimatort des Betroffenen, um mir ein Bild vom Einzugsbereich, aus dem dieser Kirtag besucht wurde, machen zu können.
6.4 Auswertung Ziel meines Besuches des Kolomanikirtages in Melk war, der Frage nachzugehen, ob und inwieweit Koloman im Leben der heutigen Menschen Bedeutung hat. Ausgehend von der teilnehmenden Beobachtung, die sowohl die Berichte in den Medien zu diesem Ereignis berücksichtigte als auch die genaue Analyse der vor Ort angebotenen Waren im Verkauf und der Gastronomie und des Vergnügungsteils einbezog, sollte letztlich durch Interviews mit den Besuchern dieses Kirtages versucht werden, diese Frage einer Klärung zuzuführen.
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Edeltraud Ambros
In der Berichterstattung des Rundfunks wird dieser Kolomanikirtag zwar als traditionell bezeichnet, genauer wird aber nicht auf den Heiligen, der diesem Fest den Namen gibt, eingegangen. Der Schwerpunkt der Reportagen liegt auf den Angeboten im Verkauf und der Gastronomie unterstützt durch Interviews mit Käufern und Verkäufern. Weitere Hinweise erhält der Zuhörer durch eine anschauliche Darstellung des Gedränges und die aufgrund der hohen Besucherzahl eingeschränkten Parkplatzmöglichkeiten.12 In ähnlicher Weise berichten die lokalen Printmedien von diesem Ereignis und schildern hauptsächlich die kulinarischen Schmankerln, die überall Anklang fanden. Bei meinem Rundgang durch den Jahrmarkt konnte ich die Eindrücke der Reporter nur bestätigt sehen. Es gab eine Fülle von Angeboten, sowohl im Verkauf als auch in der Gastronomie, die vom Besucher des Kirtages auch rege genutzt wurden. Wonach ich im Speziellen Ausschau hielt, war, ob es in dieser Vielfalt auch etwas gäbe, das auf den hier gefeierten Heiligen, nämlich Koloman, Bezug nimmt. Dies wäre meines Erachtens ein Devotionalienstand, in der Gastronomie vielleicht eine Speise oder ein Getränk, das nach diesem benannt wurde, oder bei den Wellnessprodukten beispielsweise der Melker Kolomanitee.13 Trotz intensiver Bemühungen fand ich darüber hinaus nichts, was in irgendeiner Form mit dem Heiligen in Verbindung gebracht werden könnte. Ähnlich war die Situation im Vergnügungspark auf der Festwiese. Hier gab es neben den Attraktionen ebenfalls Gastronomiestände, aber auch in diesem Teil des Jahrmarktes war kein Bezug zu Koloman zu finden. Um der Frage nachzugehen, ob der heilige Koloman bei den Besuchern von Bedeutung ist, führte ich 20 Interviews. Die Hälfte der Befragten wusste auf meine Einstiegsfrage zu antworten, dass Koloman ein Heiliger war. Während sich der Großteil mit der Antwort Heiliger begnügte, wurden zwei der Befragten sehr ausführlich: Ja, des is der heilige Koloman, der war ein Märtyrer, der wurde in Stockerau aufgegriffen als Spion und dort zu Tode gebracht. Was i aber net genau wâs, wieso er in Melk g‘feiert wird, da sand zwar die Gebeine dort, aber wieso kann i leider net sagn. Wieso in Melk und net in Stockerau.14
12 Vergl. Transkribierte Rundfunksendung, Ambros, Der heilige Koloman (wie Anm. 1) 282–284. 13 Melker Kolomanitee: Zutaten: Hagebutte, Holunderbeere, schwarze Johannisbeere, Heidelbeere, aromatisiert. 14 Ambros, Der heilige Koloman (wie Anm. 1), 304f.
Verehrung, Kult und Brauchtum
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Ja, natürlich, ein irischer Prinz und ein Wanderprediger und er wurde in Stockerau als Ausländer leider hingerichtet. Ja, aber Gott sei Dank, zu weit weg von uns (lacht). Und er wurde bei uns im Stift begraben und er liegt da scho seit 1400, also scho über 600 Jahr.15 Etwas kurioser war die Antwort im Interview 12, in der Koloman als Heiliger der oben im Kloster begraben ist und als Babenberger bezeichnet wurde. Auf meinen Hinweis, dass die Babenberger Koloman in Melk begraben ließen, Koloman selbst aber kein Babenberger war, wurde vom Befragten weiter ausgeführt: Ja, aber des is a Gschwister, da obnat. Und der Koloman, dem haben die Gschwister was antan.16 Keinem der Befragten war allerdings bekannt, dass Koloman der erste Landespatron von Niederösterreich war. Wussten noch die Hälfte der Interviewten, wer Koloman war, so hatte keiner von allen Befragten eine persönliche Beziehung zu diesem Heiligen. Um den Aussagewert dieser Antworten zu untermauern, erkundigte ich mich, ob andere Heilige von Bedeutung für diese Menschen wären. Erstaunlicherweise bejahten zwölf Interviewpartner diese Frage. An erster Stelle wurde der heilige Antonius und zwar fünfmal genannt, gefolgt von der heiligen Maria, die von vier Menschen als Fürsprecherin gewählt worden war. Darüber hinaus erwähnt wurden noch der heilige Leopold und der eigene Namenspatron eines Befragten, Michael. Einen Sonderfall bildeten die beiden hessischen Touristinnen, die mir erklärten, dass sie protestantisch wären und daher keine Heiligen hätten. Sie nannten mir zwar den heiligen Antonius, aber ohne einen persönlichen Bezug zu ihm zu haben. Auch die Antwort im Interview 2 ist außergewöhnlich: Ja, i bin sehr gläubig, aber eigentlich richt ich mi nach kein. Mir san alle Heilign gleich. Ich muss sagen, ich bitt auf meine Eltern, die vielleicht a dazu g‘hörn. Weil die Mama muss ja net unbedingt vom Papst heilig g‘sprochen sein.17 Grundsätzlich kann somit gesagt werden, dass die Hälfte der von mir Befragten wusste, dass Koloman ein Heiliger ist, aber keiner von ihnen einen persönlichen Bezug zu diesem hatte. Und dies, obwohl ein hoher Anteil der Interviewten einen anderen Hei15 Ebenda 286f. 16 Ebenda 302f. 17 Ebenda 286f.
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ligen als Fürsprecher angab, und man daher von der Annahme ausgehen kann, dass es sich bei den Befragten nicht ausschließlich um kirchenferne Menschen handelte. Interessant ist auch eine Analyse der Antworten im Zusammenhang mit dem Alter der interviewten Personen. Hier wäre festzustellen, je jünger die Ansprechpartner waren, desto weniger wussten sie über Koloman. Dasselbe gilt auch für den persönlichen Bezug zu einem Heiligen. Die beiden Frauen, die eine persönliche Beziehung zu irgendeinem Heiligen strikt verneinten, waren zwischen 20 und 25 Jahre alt. Die Herkunft der Befragten hatte keinen wesentlichen Einfluss auf die Antworten, vermittelt aber ein Bild des Umkreises, aus dem dieser Kirtag besucht wird. Der Großteil der Interviewten stammte aus Melk und der näheren Umgebung. Es gab aber auch Besucher aus Wien, Oberösterreich und Hessen. Abschließend sollte noch auf die Bedeutung des Klosters, in dem die Gebeine des heiligen Koloman ruhen, für diesen Kirtag eingegangen werden. Auch für das Stift ist der 13. Oktober ein Festtag. Aber im Unterschied zu anderen Orten, in denen Kirtage abgehalten und meist mit einem Gottesdienst am Morgen eingeleitet werden, gedenkt man des Heiligen in Melk mit einer feierlichen Vesper. Ob dieser Zeitpunkt für eine Teilnahme der Kirtagsbesucher günstig gewählt ist, sei dahingestellt. Zu diesen Abendstunden erreichen die Stimmung und das Treiben im Ort ihren Höhepunkt und vielen Gesichtern der Besucher ist der doch etwas rege Zuspruch der „flüssigen Schmankerln“ anzusehen. Es dürfte daher schwierig sein, die Menschen um diese Stunde zu einem Besuch der Stiftskirche und zu einer Teilnahme an der Feier anzuregen. Literatur: Ambros, Edeltraud; Der heilige Koloman. Der erste Landespatron von Niederösterreich. Dissertation Wien 2010 Deppisch, Gottfried; Geschichte und Wunderwerke des heiligen Colomanni, königlichen Pilgers und Martyrers. Wien 1743 Gartner, Leopold; 900 Jahre Weikendorf 1073 –1973. Weikendorf 1973 Hartinger, Walter; Religion und Brauch. Darmstadt 1992 Kromrey, Helmut; Empirische Sozialforschung. Opladen 2002 Kürzeder, Christoph; Als die Dinge heilig waren. Gelebte Frömmigkeit im Zeitalter des Barock. Regensburg 2005 Pfistermeister, Ursula; Wachs. Volkskunst und Brauch. Ein Buch für Sammler und Liebhaber alter Dinge. Bd. 1. Nürnberg 1982 Pluta, Alfons; Ein tausendjähriges Kultkontinuum zu Ehren des hl. Märtyrers Koloman in Stockerau. Quellenberichte. Föhrenau 2000 Schmidt-Lauber, Brigitta; Das qualitative Interview oder: Die Kunst des Reden-Lassens. In: Göttsch, Silke, u. a. (Hg.); Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. Berlin 2001, S.169 –188 Würml, Franz; Ein halbes Jahrtausend Melker Kolomanni-Kirta 1451–1951 (=Schriftenreihe des Kulturamtes der Stadt Melk, 1). Melk 1951 Zaubek, Othmar; Die Kolomaniverehrung im Waldviertel. In: Waldviertler Heimat 15. (26.) Jg. Krems 1966
Wallfahrt und Kult Eine Umsetzung im Geschichtsunterricht der Gegenwart
Andrea longoni-Hötschl
Diese schriftliche Version eines im Rahmen des Symposions „Koloman. Unterwegs in Europa – Unterwegs für die Welt“ gehaltenen Referates soll zeigen, inwiefern Themen religiöser Inhalte im Geschichtsunterricht des AHS-Bereichs belegbar, ja sogar vorgesehen sind. In Folge wird dies an einem konkreten Beispiel einer im Zuge des Fachdidaktik-Grundkurses I im WS 2011/12 von Studierenden erstellten und am Lycée français de Vienne gehaltenen Unterrichtseinheit näher verdeutlicht.
1. Die Verankerung der „Religion“ im Lehrplan für „Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung“ Der aktuell gültige Lehrplan von 2004/05, novelliert 2008, für GSKPB ist – wie dies im österreichischen Schulwesen üblich ist – ein Rahmenlehrplan, der den Lehrstoff nach Themenbereichen angibt, allerdings ohne Festlegung der Beispiele, an denen diese Themen erarbeitet werden müssen. Neuerdings ist die Kompetenzorientierung als Unterrichtsleitlinie hinzugetreten, was heißt, dass der Schüler und die Schülerin bestimmte Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben soll. Die zu erreichenden historischen Kompetenzen sind Sach-, Frage-, Methoden- und Orientierungskompetenz, bei den politischen Kompetenzen treten an Stelle der Methoden- und Orientierungskompetenz die Urteils- und Handlungskompetenz. Einleitend werden Bildungs- und Lehraufgaben ebenso wie didaktische Grundsätze angegeben. So heißt es im Lehrplan (LP) für die Sekundarstufe I (Hervorhebungen durch die Verfasserin): „Grundbereiche und Dimensionen: Der Unterricht soll sich mit folgenden Grundbereichen der Geschichte, Sozialkunde und Politischen Bildung beschäftigen: Macht und Herrschaft, Gesellschaft und Individuum, Wirtschaft, Kultur und Religion.
500
Andrea longoni-Hötschl
Im besonderen Maße ist hierbei von der Erlebnis- und Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler auszugehen. Im Bereich des historischen Lernens stellen Neue Kulturgeschichte/Geschlechtergeschichte, Umweltgeschichte oder Globalgeschichte gleichberechtigte Zugänge dar …“1
Der Kommentar zum Lehrplan der AHS-Unterstufe und Hauptschule „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“ von Christoph Kühberger und Elfriede Windischbauer präzisiert: „Die neue Kulturgeschichte hingegen versucht, die Menschen mit ihren Handlungen und Wahrnehmungen besonders zu berücksichtigen, wodurch für Schüler/innen der Zugang erleichtert werden kann, da die Themen Lebensnähe besitzen (Essen, Kleidung, Lebensumstände, Angst, Trauer, Geschlechterrollen etc.). In diesem Bereich sollten vor allem auch historische Quellen und Darstellungen berücksichtigt werden, die die individuellen Lebenserfahrungender Menschen sichtbar machen.“2
Bei den Themen mit Lebensnähe findet in historischer Sicht wohl auch die Religion ihren Platz. Der Lehrplan sieht weiters vor: „Historische und politische Einsichten Verstehen historischer und politischer Handlungsweisen im Kontext der jeweiligen Zeit und Aufbau eines reflektierten und (selbst)reflexiven historischen und politischen Bewusstseins. Gewinnen einer differenzierten Betrachtungsweise durch Begegnungen mit dem räumlich, kulturell und zeitlich Anderen. Erklären gegenwärtiger wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer und kultureller Phänomene, zB aus der historischen Entwicklung… Beitrag zu den Aufgabenbereichen der Schule: Das Verstehen historischer und politischer Entwicklungen, Situationen und Handlungsweisen soll zur Kenntnis, Verteidigung und Weiterentwicklung der den Grund- und Menschenrechten zugrunde liegenden Werte führen. Die Auseinandersetzung mit Religionen, Weltanschauungen und ethischen Normen verstärkt die Fähigkeit zu differenzierter Einschätzung von gesellschaftlichen und kulturellen Phänomenen.“ 3 Betrachtet man die Themenbereiche, so können laut LP religiöse Inhalte eingebracht werden in der „2. Klasse: Der Unterricht soll Einblick geben in die Geschichte des Zeitraumes vom ersten Auftreten der Menschen bis zum Ende des Mittelalters. 1 Lehrplan der AHS-Unterstufe und Hauptschule „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“ im: BGBL. II – Ausgegeben am 12. August 2008 – Nr. 290, S. 11, abrufbar unter www.bmukk.gv.at/medienpool/17041/lp_vs_hs_ahs_nov_08.pdf 2 Christian Kühberger, Elfriede Windischbauer, Kommentar zum Lehrplan der AHS-Unterstufe und Hauptschule „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“, S. 3, abrufbar unter www.gemeinsamlernen.at. 3 Lehrplan Geschichte und Sozialkunde/ Politische Bildung (Unterstufe); (2008), BGLB II, S. 12.
Wallfahrt und Kult
501
Themenbereiche – Das Leben der Menschen in verschiedenen Gemeinschaften und Lebenswelten/-räumen unter Berücksichtigung des Alltags sowie der Generationen- und der Geschlechterverhältnisse (Nomadentum, Bauern und Dorf, ritterliches Leben und höfische Kultur). [Anm. d. Verf.: Hier beschreiben etliche Schulbücher auch das Klosterleben.] – Die Entwicklung von Weltbildern unter Einbeziehung von magischen, mythischen und religiösen Vorstellungen … 3. Klasse: Der Unterricht soll Einblick geben in die Geschichte vom Beginn der Neuzeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Themenbereiche Reform und Revolution als Antwort auf Defizite in Kirche und Staat – von der Reformation über die Reformen Maria Theresias und Josefs II. bis zur Französischen Revolution …“4 Bei den Themenbereichen der 4. Klasse, dem „Zeitgeschichtejahr“, ist kein einziger mit Religionsbezug genannt. Eine Analyse des Oberstufenlehrplans ergibt folgendes Bild: „Bildungs- und Lehraufgaben OS: Durch den Unterricht sollen die Schülerinnen und Schüler befähigt werden, die sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen und Abläufe kritisch zu analysieren und die Zusammenhänge zwischen Politik und Interessen sowie die Ursachen, Unterschiede und Funktionen von Religionen und Ideologien zu erkennen. Schülerinnen und Schüler sollen ihre gesellschaftliche Position und ihre Interessen erkennen und über politische Probleme urteilen und entsprechend handeln können.5 Lehrstoff 5. Klasse/9. Schulstufe: 4. Wechselwirkungen von Religion, Kultur, Staat und Politik in europäischen und außereuropäischen Machtzentren (Geschichte der Weltreligionen; …) 6.Klasse/10. Schulstufe: 1. Die sozioökonomischen und geistig-kulturellen Umbrüche in der frühen Neuzeit (Feudalkrise; konfessionelles Zeitalter, Humanismus und Renaissance; Entdeckungen;… .)6
Meines Erachtens bemerkenswert ist das Fehlen der Religion im Themenbereich. „6. Gestaltende Kräfte des 19. Jahrhunderts in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik und ihre Folgen bis 1918 (Nationalismus; Liberalismus; Konservativismus, Sozialismus; Industrielle Revolution; Ursachen und Folgen des Ersten WK)“.7
4 Lehrplan Geschichte und Sozialkunde/ Politische Bildung (Unterstufe); (2008), BGLB II, S. 13 f. 5 Lehrplan Geschichte und Sozialkunde/ Politische Bildung (Oberstufe) 2005, S. 1 abrufbar unter: http:// www.bmukk.gv.at/medienpool/11857/lp_neu_ahs_05.pdf 6 Lehrplan Geschichte und Sozialkunde/ Politische Bildung (Oberstufe) 2005, S. 3. 7 Ebenda.
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Andrea longoni-Hötschl
Auch im Lehrstoff der 7. und 8. Klasse (Geschichte des 20. und 21 Jh.) findet Religion keine explizite Erwähnung.
2. Die Darstellung von Themen mit Religionsbezug in einigen Schulbüchern Wie oben gezeigt, sieht der Lehrplan der Unterstufe die Beschäftigung mit „religiösen Weltbildern“ in erster Linie in der 2. Klasse/6. Schulstufe vor. So geht es um mystische Vorstellungen in der Urzeit, die antike Götterwelt sowie das Christentum als europäischen Kulturfaktor. Zum Lehrstoff gehören diesbezüglich die Behandlung des Klosters und der Kreuzzüge, was z. B. in folgenden Werken ersichtlich wird: Helmut Hammerschmid, Elfriede Windischbauer, WolfgangPramper, Geschichte live 2, Veritas, Linz 2008. In diesem Schulbuch für die 2. Klasse/6. Schulstufe wird auf vier Seiten das Klosterleben geschildert, davon auf zwei in erzählender, jugendromanhafter Form (Der erste Schultag in einer Klosterschule).8 In Netzwerk Geschichte 2 9 sowie ZeitenBlicke 2 10 – ebenfalls für die 6. Schulstufe – sind wie in einem Kindersachbuch Bilddarstellung der Klosterbereiche zu finden. Im Band „Material für Lehrerinnen und Lehrer“ des letztgenannten Schulbuchs findet sich im Kommentarteil als Begründung: „Klöster sind österreichweit ein bestimmender Kulturfaktor“.11 Zeitbilder 2 beschreibt unter der Überschrift „Priester, Mönche und Nonnen beten zu Gott“ Klöster als „Zentren des Fortschritts“ . Ein „Stiftsplan des Stiftes Melk“ – offensichtlich ein Gemälde der aktuellen Anlage – soll von den Schülerinnen und Schülern zum Einüben der Analyse von Bilddarstellungen untersucht werden.12 Von der Beschreibung des mittelalterlichen Lebensbereichs Kloster abgesehen, gehen Michael Bachlechner, Conny Benedik, Franz Graf, Franz Niedertscheider, Michael Senfter in Bausteine 2 etwas umfassender auf die politische Rolle von Kirche und Religion ein. So auf S. 94 – 96: „Macht und Religion – T 1 die gottgewollte Ordnung“. 8 Helmut Hammerschmid, Elfriede Windischbauer, Wolfgang Pramper, Geschichte live 2 (Linz 2008), S. 117–120. 9 Jutta Dirnberger, Michael Lemberger, Bettina Paireder, Netzwerk Geschichte 2 (Linz 2006), S. 153 f. 10 Karl Vocelka, Andrea Scheichl, Christian Matzka, ZeitenBlicke 2(Wien 2009), S. 140 f. 11 Karl Vocelka, Andrea Scheichl, Christian Matzka, Material für Lehrerinnen und Lehrer zu: ZeitenBlicke 2 (Wien 2009), S. 53. 12 Anton Wald, Alois Scheucher, Josef Scheipl, Ulrike Ebenhoch, Zeitbilder 2 (Wien 2012), S. 124 f.
Wallfahrt und Kult
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Im Absatz T 2: „Wie kommt man in den Himmel“ 13 findet sich die einzige Erwähnung von Pilgerreisen und Wallfahrt. Als Beispiele für Wallfahrtsorte werden Santiago und Mariazell genannt, dazu kommt ein Lexikon mit Begriffsklärungen (Atheist, Inquisition, Ketzer, Reliquien, Synagoge). Es folgt unter dem Titel „Bete und Arbeite“ ebenfalls die Behandlung des Klosters.14 Eine drastische Bezeichnung liefert der Titel auf S. 108 „Kreuzzüge – bewaffnete Wallfahrt“ . Das Lexikon erklärt u. a. die Begriffe: Abendland, Heiliges Land, Passion, Wallfahrt (= “zu einem wichtigen religiösen Ort pilgern“).15 Einst und heute chronologisch 3 für die 3. Klasse/7. Schulstufe zeigt im Zuge des Übens der Methodenkompetenz den Umgang mit einer Bildquelle am Beispiel eines Schnitts von Lucas Cranach, eines Vergleiches der protestantischen mit der katholischen Kirche. Auch hier sind Begriffserklärungen angeführt sowie eine Vergleichstabelle der Unterschiede zwischen protestantischer und katholischer Lehre.16 Wie schon eingangs festgestellt, gehen die untersuchten Schulbücher auf religiöse Themen in erster Linie unter dem kulturellen Aspekt (Klöster als Zentren der Bildung, Kulturstile) sowie der Machtfrage (Kaiser und Papst, Kreuzzüge) ein. Die einzige explizit positive Formulierung ist in GO! Geschichte Oberstufe 5 zu finden: „Christentum – eine Erfolgsgeschichte“.17 Wesentlich für eine geglückte Vermittlung religiöser Themen im Schulunterricht ist m. E. eine Lehrkraft, die selbstverständlich die Sachkenntnis, aber auch das nötige Verständnis aufweist, um wesentliche Begriffe (Ablass, Eucharistie, Wallfahrt, Reliquien etc.) erklären und begreifbar machen zu können, am besten mit Bezug auf die Lebenswelt der jungen Menschen. Religiöse Begriffe kommen ja in den Quellen – deren Analyse zum Erwerb der Methodenkompetenz vorgesehen ist – laufend vor, Schülerinnen und Schüler fragen nach dem Sinn der Wörter „Dreifaltigkeit“, „im Namen Gottes“, „Lamm Gottes“ etc.
13 Michael Bachlechner, Conny Benedik, Franz Graf, Franz Niedertscheider, Michael Senfter, Bausteine 2, ÖBV (Wien 2012), S. 94 – 96. 14 Michael Bachlechner, Conny Benedik, Franz Graf, Franz Niedertscheider, Michael Senfter, Bausteine 2, S.102 f. 15 Michael Bachlechner, Conny Benedik, Franz Graf, Franz Niedertscheider, Michael Senfter, Bausteine 2, S. 108. 16 Gerhard Huber, Einst und heute 3 – chronologisch (Wien 2012), S. 34 f. 17 Franz Melichar, Irmgard Plattner, Claudia Rauchegger-Fischer, GO! Geschichte Oberstufe 5 (Wien 2011), S. 81.
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3. „Religiosität“ als Thema in der LehrerInnenausbildung „Religiosität“ war das Rahmenthema des im Wintersemester 2011/12 von ao. Univ.Prof. Dr. Meta Niederkorn und Mag. Andrea Longoni-Hötschl an der Universität Wien gehaltenen Grundkurses Fachdidaktik I. Nach einer Einführung in fachdidaktische Basisbereiche bereiteten die Studierenden eine Unterrichtsstunde zu einem Rahmenthema in Übereinstimmung mit dem Lehrplan eigenständig vor. Nach dem probeweisen Halten dieser Stunde im Kurs setzten die Studierenden jene in einer Klasse des Lycée français de Vienne um. Wenig verwunderlich ist die Tatsache, dass die selbstgewählten Themen der Studierenden für ihre Unterrichtsstunde am ehesten im Bereich der Wechselwirkung Religion und Herrschaft angesiedelt waren, da die „Nutzung“ der Religion zur Herrschaftslegitimierung für die meisten Studierenden (und SchülerInnen) am ehesten nachvollziehbar ist. Ein religiöses Herrscherverständnis ist nicht sofort ersichtlich ebensowenig wie die Bedeutung des Glaubens für Menschen nicht mehr wahrnehmbar ist. Die von den Studierenden formulierten und verwirklichten Stundenthemen lauteten wie folgt: a) zur Wechselwirkung Politik und Herrschaft: • • • • • •
Herrschaftsrepräsentation am Beispiel des Stephansdoms Die Reformation Luthers Kaiser von Gottes Gnaden (Josef II., Leopold II., Franz II./I.) Das Konkordat von 1855 Religiöse Symbolik im Austrofaschismus Staatskatholizismus im Austrofaschismus
b) zur Religiosität im Sinne der Sozialgeschichte: • • • •
Der Stephansdom als Beispiel für Religiosität im Mittelalter Das mittelalterliche Klosterleben Wallfahrten im Barock Religion und Brauchtum im Biedermeier
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Wallfahrt und Kult
4. Die schulpraktische Umsetzung eines Themas mit Religionsbezug am Beispiel der „Wallfahrten im Barock“ „Wallfahrt – Geschichte, Entwicklung und Stellenwert der Wallfahrt in der Frühen Neuzeit im südbayrisch-österreichischen Raum und die Bedeutung der marianischen Wallfahrt für das Haus Habsburg“18 – so lautet der komplette Titel der von Maria Enzenberger und Elke Huber verfassten und in einer „Seconde“/6. Klasse gehaltenen Stunde. 1.) Einstiegsphase 19 Phase
Inhalte Methoden
Sozialform
Material
Einstieg Vorstellen Brainstorming L-S-Gespräch Begriffsklärung „Wallfahrt“ „Pilgerfahrten“/ andere Kulturen und Wallfahrt
Zeit
5‘
Der Einstieg sah drei im Brainstorming zu behandelnde Grundfragen vor: So sollte durch die Frage „Wer von euch kann sich etwas unter dem Begriff ‚Wallfahrt‘ etwas vorstellen bzw. wer weiß, was eine ‚Wallfahrt‘ ist?“ ermittelt werden, ob die ziemlich säkularisierten SchülerInnen überhaupt wissen, was unter dem Begriff Wallfahrt zu verstehen ist. Die zweite Frage „Gibt es nur die christliche Wallfahrt oder tritt dieses Phänomen auch in den anderen Weltreligionen auf?“ untersuchte, wie viel die SchülerInnen generell über das Thema wissen. In der letzten Grundfrage wurde nach den Motiven einer Wallfahrt gefragt, um einen persönlichen Zugang zur Thematik zu schaffen. Zudem sollte ein breiter Rahmen für 18 Maria Enzenberger, Elke Huber, Wallfahrt – Geschichte, Entwicklung und Stellenwert der Wallfahrt in der Frühen Neuzeit im südbayrisch-österreichischen Raum und die Bedeutung der marianischen Wallfahrt für das Haus Habsburg, schriftliche Arbeit im Grundkurs Fachdidaktik I bei ao. Univ. Prof. Dr. Meta Niederkorn und Mag. Andrea Longoni-Hötschl (Wien 2012). 19 Ebenda, S. 22.
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das Thema geschaffen werden, daher auch die Verbindung zu anderen Kulturen und Religionen, so dass klar wird, dass es sich um eine sehr umfassende Thematik handelt.20 Die Umsetzung durch Impulsfragen ist gut gelungen, die SchülerInnen konnten Santiago, Mariazell, Tschenstochau sowie Lourdes nennen. 2.) Die inhaltliche Erarbeitung 21 Phase
Inhalte Methoden
Sozialform
Material
Zeit
Erarbeitung
Definition Wallfahrt Historisches Umfeld 1650 –1700 Ereignisse in der Frühen Neuzeit: Gegenreformation, Marienverehrung Motive einer Wallfahrt Kirche und Habsburger (Beispiel: Gegenwartsbezug: Begräbnis Otto) Bilderarbeitung Gebet
Kolomanibüchlein L-S-G/ Bild (Gebet) Lehrvortrag Bildinterpretation: Wallfahrer von Wien nach Mariazell (F. Kollarz)
Bild Kolo- manibüchlein Bild Wallfahrer
20’
Hier wurde im Lehrerinnen-SchülerInnen-Gespräch an Unterrichtsinhalte wie Reformation, Stellung Marias im Protestantismus, „Staatskonfession“ durch 1555 angeknüpft ebenso wie die Motive für Wallfahrt erarbeitet wurden. Ein Gebet aus dem Kolomanibüchlein von P. Marian Paradeiser (Krems 1774, S. 70) diente als Text- sowie Bildimpuls. Als Beispiel für die Entwicklung der Wallfahrten wurde die Zahl der in Mariazell gespendeten Kommunionen angegeben (1689 – 61.000 / 1692 – 104.000 / 1725 – 188.000). Das Bild „Wiener Wallfahrer nach Mariazell auf der Rast“ (Zeichnung von Franz Kollarz) regte zur Beschäftigung mit der Frage an, wer auf Wallfahrt ging.22 Im Sinne der Kompetenzorientierung wurde die Methodik der Bildbeschreibung und Bildanalyse (Situation, woran ist Wallfahrer erkenntlich?) vertieft, der historischen Sachkompetenz diente die Wiederholung wesentlicher Personen und Ereignisse des 17. Jh., wie Leopold I. und die Verbindung zu den Kriegen gegen das Osmanische Reich. 20 Ebenda, S. 27. 21 Ebenda, S. 22. 22 Ebenda, S. 28.
Wallfahrt und Kult
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3.) Anwendungsphase 23 Phase
Inhalte Methoden
Sozialform
Material
Anwendung
Bild Reisebeschreibung Gemeinsames Partnerarbeit Bild Original Lesen L-S-G ReisebeReisebeschreibung Textquellen- schreibung Arbeitsauftrag erarbeitung Original Trailer / Arbeitsblatt Vergleich heute/damals Trailer
Zeit
20’
Ein Arbeitsblatt „Reis-Beschreibung von München nacher Murnau in der Steyrmarckt“ (s. Anhang) gab einen Reisebericht von Kapuzinermönchen, die von München nach Murau unterwegs waren, in der Originalsprache wider. Der Arbeitsauftrag lautete: Lies den Bericht noch einmal und versuche, aus dem Text die wichtigsten Ereignisse herauszuskizzieren. Halte die Ergebnisse in zwei bis drei Sätzen fest.
Diese Übung diente dem sowohl dem Methodentraining der Analyse einer Textquelle als auch dem Aufbau der Sachkompetenz durch die Inhaltserfassung, was durch das Deutsch der Zeit erschwert wurde. Im Bild wurde auch die zu heute unterschiedliche Schrift deutlich. 24 Der Trailer des Filmes „Lourdes“ von Jessica Hausner, abgerufen unter www.youtube.com/watch?v=YwPruEa9vml, sollte eine Darstellung der Wallfahrt heute geben, um den Gegenwartsbezug zu gewährleisten und die Möglichkeit der Vergleichsziehung zu bieten. Die SchülerInnen konnten den Reisebericht aus der Frühen Neuzeit dem aktuellen Filmausschnitt direkt gegenüber stellen. Ziel war es, den SchülerInnen die Wallfahrt nicht nur als ein historisches Relikt vorzustellen, sondern auch die gegenwärtige Bedeutung dieser für manche Gläubige zu zeigen.25 Die Stunde zeigte, dass es schwierig für SchülerInnen war, dies nachzuvollziehen, da eine direkte Betroffenheit mangels des persönlichen Zugangs fehlte.
23 Ebenda, S. 23. 24 Ebenda, S. 27. 25 Ebenda, S. 30.
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508 4.) Ergebnissicherung 26
Phase
Inhalte Methoden
Zusammen- Wiederholung Heftmitschrift fassung Was ist Wallfahrt? Ertrags- Motive? sicherung Heute und damals
Sozialform
Material
Zeit
L-S-G
Tafelbild 5’
5. Resümee Auch wenn das oben gezeigte Stundenbeispiel gelungen ist, sind Schwierigkeiten in der Vermittlung religiöser Themen aufgrund der Erosion des Verständnisses der Begriffe und Inhalte festzustellen. Dementsprechend ist eher ein Weglassen und weniger eine verstärkte Auseinandersetzung mit religiösen Inhalten im Unterricht die Folge. Der Geschichtsunterricht kann seinen Beitrag zum Geschichtsbewusstsein, zur Orientierung in der Gegenwart, zum Verständnis von Kultur nur dann leisten und seinen Bildungsauftrag wahrnehmen, wenn auch die Religion als Teil der Lebenswelt des Menschen im Lauf der Zeit weiterhin vermittelt und nicht ausgeblendet wird. Die neue Kulturgeschichte bietet eine Möglichkeit dazu.
6. Anhang Arbeitsblatt Reis-Beschreibung von München nacher Murnau in der Steyrmarckt Den 19. Monaths tag Septembris sind wür beyleifig umb 9 Uhr von München abgereist und hatten unterweegs zu Anzing die Pferd füttern lassen. Als wür aber von da gegen Haag zugefahren, hat der knecht, so auf dem Pferd geschlaffen, die Pferd gehen lassen, welche dan aus den weeg gekhommen. Die Gutschen an einen Pflock angestossen und umbgeworffen, wo aber keiner verletzt worden, ausser dem P. Commissari hatten einen pukl in kopf geschlagen. Inn anderen, das ist den 20ten, sinnd wür umb halben 5 uhr in AltenÖtting ariviert, wo ich also gleich zum ersten mahl nach München brieff geschrieben an verschiedene Orth und Obrigkeiten. Den 21. Haben wür zu Lauffen bey den patres Capucinnorum das Mittag mahl eingenommen und synd auch die tags in Salzburg ankommen. Auf die nacht sind würgekhommen aus Rastatt in ein sehr arm und irregular gebautes Capucinercloster in dem zu merckhen, das dises closter vorhero ein bulverthurm gewesen, zu welchem die Capuciner etwas zugeflickhet und aus ihme daraus ein kloster gemacht. Alda war eben der P. Provinzial der Capuciner aus der Tyrollerprovinz so uns mit andern seinen mitbruedern aufs festlich empfangen und nach arth der capuciner auf die nacht tractiret … (Aus: Maria Enzenberger, Elke Huber, Wallfahrt, S. 46 f.) 26 Ebenda, S. 22.
Anhang Abkürzungsverzeichnis AfD – Archiv für Diplomatik AHS – Allgemeinbildende Höhere Schule Bf. – Bischof BGBL – Bundesgesetzblatt Bl. – Blatt BllDtLdG – Blätter für deutsche Landesgeschichte Bm. – Bistum BSB – Bayerische Staatsbibliothek (München) Cgm – Codex germanicus Monacensis Cod. – Codex Cpg – Codex Palatinus germanicus Clm – Codex latinus Monacensis Cod. Vind. – Codex Vindobonensis DA – Deutsches Archiv Ebf. – Erzbischof Ebtm – Erzbistum ep. – episcopus
LB – Landesbibliothek LMA – Lexikon des Mittelalters LK – Landkreis LP – Lehrplan LThK – Lexikon für Theologie und Kirche Mgf. – Markgraf MGH SS – Monumenta Germaniae Historica, Scriptores MGH Scrip. Rer. Germ. – Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum MIÖG-Erg.-Bd. – Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Ergänzungsband MOOeLA – Mitteilungen des Oberösterreichischen L andesarchivs NÖLB – Niederösterreichische Landesbibliothek OSB – Ordo s. Benedicti ÖNB – Österreichische Nationalbibliothek
FmST – Frühmittelalter Studien Fol. (fol.) – Folium / Folio FS – Festschrift FvSt-GA – Freiherr vom Stein Gedächtnisausgabe
P. – Pater Pf. – Pfarre
Gf. – Graf GSKPB – Geschichte, Sozialkunde, Politische Bildung
SJ – Societas Jesu StMGBO – Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens
Hg. – Herzog HS – Handschrift
UB – Universitätsbibliothek
Jb –Jahrbuch JbAC – Jahrbuch für Antike und Christentum JbLkNö NF – Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. Neue Folge Ks./Ksin. – Kaiser/Kaiserin Kg./Kgin. – König/Königin
QuE – Quellen und Erörterungen
VA – Vita Altmanni Vfl – Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters VuF – Vorträge und Forschungen ZCP – Zeitschrift für celtische Philologie ZS – Zeitschrift ZSHVSt – Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark
Autorenverzeichnis
Edeltraud Ambros, Mag. DDr., Studium der Geschichte und Europäischen Ethnologie. Schwerpunkte: Hagiographie, Heiligenverehrung, Kult und Brauchtum. Ralph Andraschek-Holzer, Mag. Dr. phil., geb. 1963 in Horn, NÖ, leitet die Topographische Sammlung der Niederösterreichischen Landesbibliothek in St. Pölten und lebt in Wien. Rege Ausstellungs- und Publikationstätigkeit. Arbeitsschwerpunkte sind u.a. Topographische Ansichten und das historische Klosterwesen. Andreas Bihrer, geboren 1970 in Heilbronn. Studium der Fächer Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft an der Universität Freiburg. Seit 2102 Professor für Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ernst Bruckmüller, geb. 1945 in St. Leonhard am Forst (Niederösterreich). Studium der Geschichte und Germanistik in Wien, 1969 Promotion zum Dr. phil., 1976 Habilitation für das Fach Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 1977–1999 ao. Univ.-Prof. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, 2000 – 2010 Univ.-Prof. Seit 1991 Vorsitzender des Instituts für Österreichkunde, 2009 bis 2012 Direktor des Instituts ‚Österreichisches Biographisches Lexikon und biographische Dokumentation‘, 2004 bis 2011 Leiter des Instituts für Geschichte des ländlichen Raumes in St. Pölten. Rainald Dubski, geb. 1978 in Wien. Lehramts-Studium Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung, sowie Geographie und Wirtschaftskunde. Leitung und Koordination der Erstellung der Ortschronik von Pama (BH Neusiedl/Burgenland). 2011 Promotion. Lehrbeauftragter an der Universität Wien (Fachdiaktik) und FAP. P. Udo Fischer, geb. am 31.Juli 1952 in Wien. Theologiestudium in Wien mit Promotion. 1974 Eintritt in Stift Göttweig. 1977 Priesterweihe. Seit 1981 Pfarrer der Pfarre Paudorf-Göttweig. Christine Glaßner, Mag. Dr., Österreichische Akademie der Wissenschaften. Leiterin der Abteilung Schrift- und Buchwesen des Instituts für Mittelalterforschung in Wien. Gottfried Glaßner OSB, Dr. phil, Professor für Altes Testament an der Phil.-Theol. Hochschule St. Pölten. Stiftsbibliothekar in Melk.
Autorenverzeichnis
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Michael Grünbart leitete die Fachbereichsbibliothek Byzantinistik und Neogräzistik an der Universität Wien, habilitierte in München und ist seit 2008 Professor für Byzantinistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Elisabeth Klecker, geb. 1960, Studium der Klassischen Philologie an der Universität Wien, Dissertation zu „Homer und Vergil in lateinischen Gedichten italienischer Humanisten“; Lehrbefugnis für das Fach „Neulatein“, seit 2011 a.o. Univ.-Prof. am Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein der Universität Wien. Ernst Lauermann, Dr. phil., geb. 1952 in Wien, lebt in Stockerau. Von 1976 bis 1992 Hauptschullehrer für Deutsch und Leibeserziehung. Studium der Ur- und Frühgeschichte sowie der Mittelalterliche Geschichte an der Universität Wien mit Promotion. 1992 Eintritt in den NÖ Landesdienst, Abteilung Kultur und Wissenschaft. Seit 2006 Landesarchäologe für Ur- Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie des Landes Niederösterreich, wissenschaftlicher Leiter des Museums für Urgeschichte in Asparn/Zaya sowie Sammlungsleiter der ur-frühgeschichtlichen bzw. mittelalterarchäologischen und der numismatischen Sammlungen des Landes. Klaus Lohrmann, a.o. Univ.-Prof., Gründer und von 1988 bis 2004 Direktor des Instituts für Geschichte der Juden in Österreich. Forschungen zur Herrschafts- und Adelsgeschichte des Hochmittelalters. Andrea Longoni-Hötschl, Mag. phil., Studium der Geschichte, Sozialkunde und politischen Bildung, sowie Geographie und Wirtschaftskunde in Wien. Lehrerin am Lycée Français de Vienne, seit 2004 zusätzlich Lehrbeauftragte für Fachdidaktik an der Universität Wien. David Merlin, geb. in Verona. Studium der Komposition am Konservatorium von Verona, ab 2002 auch Musikwissenschaft in Cremona (Universität Pavia). Derzeit ist er Dissertant am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Heiligenoffizien, die liturgischen einstimmigen Melodien in Spätmittelalter und Renaissance sowie der Cantus fractus. Meta Niederkorn-Bruck, geb. 1959 in Wien, Studium der Geschichte, Germanistik und Musikwissenschaft in Wien und Salzburg, Lehrbefugnis für mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften. A.o. Universitätsprofessorin an der Universität Wien und an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Dagmar Ó Riain-Raedel, war Mitglied des Department of History an der Universität Cork, Irland. Ihr Forschungsgebiet sind die mittelalterlichen Verbindungen zwischen Irland und dem Festland mit einem Schwerpunkt auf den irischen Mönchen, Gelehrten, Klostergründern und Pilgern in den deutschsprachigen Ländern. Die meisten ihrer Veröffentlichungen beschäftigen sich mit den ab dem späten 11. Jahrhundert bestehenden sogenannten Schottenklöstern, zu denen auch das Schottenstift in Wien gehört.
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Autorenverzeichnis
Kathrin Pallestrang, Dr. phil, ist Europäische Ethnologin und seit 2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien, wo sie unter anderem zahlreiche Ausstellungen kuratierte: u.a. „Hilf Himmel ! Götter und Heilige in China und Europa“, „Heilige in Europa. Kult und Politik“. Seit 2011 ist sie Kuratorin der Textil- und Bekleidungssammlung des Museums. Thomas Schilp, o. Univ.-Prof., hat in Marburg studiert und dort in mittelalterlicher Geschichte promoviert. Als wissenschaftlicher Archivar war er zunächst am Max-Planck-Institut für Geschichte tätig. Nach seiner Zeit am Hauptstaatsarchiv Düsseldorf ist er seit 1987 am Stadtarchiv Dortmund engagiert (seit 2012 als Leiter). 1994 habilitiert, nimmt er seit 1999 eine außerplanmäßige Professur für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Duisburg-Essen wahr. Alois Schmid, Jahrgang 1945, em. Univ.-Prof., Studium und Promotion an der Universität Regensburg. Habilitation an der Universität München. Professor für bayerische Landesgeschichte an den Universitäten Eichstätt (1988–1994), Erlangen-Nürnberg (1994 –1998) und LMU München (1998–2010). Von 1999 bis 2013 Erster Vorsitzender der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Werner Telesko, Universitätsdozent für Kunstgeschichte und seit 2013 Direktor des Instituts für kunst- und musikhistorische Forschungen (IKM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind: barocke Ikonographie und Historienkunst des 19. Jahrhunderts. Andreas Zajic, Univ.-Doz., Mag. Dr., studierte Geschichte, Klassische Philologie (Latein), Volkskunde und Historische Hilfswissenschaften in Wien. Seit 2002 Mitarbeiter am Institut für Mittelalterforschung der ÖAW, seit Sommer 2012 Leiter der Abt. Editionsunternehmen und Quellenforschung. 2009 Habilitation für Österreichische Geschichte und Historische Hilfswissenschaften. Seit 2008 Lehraufträge für Paläographie der Neuzeit sowie Heraldik, Genealogie und Sphragistik an der Universität Wien.
Orts- und Personenregister Vorbemerkung In diesem Verzeichnis sind Personen- und Ortsnamen aufgeführt. Personen, deren Wirken in die Zeit zwischen 1450 und 1500 fällt, wurden sowohl nach ihrem Vornamen als auch ihrem Familiennamen verzeichnet, da hier beide Suchoptionen einzukalkulieren sind. Aachen 131f. – Marienstift 132 Abdinghof 142 Abraham (Bf. von Freising) 60 Abu Mena/Mina (Menas-Verehrung, in Ägypten) 273 Adalbero (Bf. von Würzburg) 140, 149, 353, 370, 374 Adalbero (Hg.) 142, 147 Adalbero (Diakon von Klosterneuburg) 369 Adalbero (von Luxemburg, Ebf. von Trier) 17 Adalbert von Prag (Hl., Ebf.) 14, 29, 120, 124, 238, 450 Adalbert (Mgf.) 17, 231, 234, 350f., 375, 451, 456 Adam Foreman (Prior von Dumfermeline) 224, 226 Adamnán von Iona (Hy) 16 Adelheid von Kreuzenstein 371 Admont (Kloster, OSB) 352f., 354 –356 Adrian (Hl.) 47 Aeneas 301 Aetheria/ Egeria 16, 265 Afra / Affra (Hl.) 47, 120, 122 Agatha, Hl. 47 Agatha (Kgn., Gemahlin Edwards) 225 Agnes (Hl.) 47, 325 Agnes (Ksin.) 132f., 135f., 139, 141, 151f. Agnes (Gemahlin Leopolds III., Mgfin.) 325, 450 Alba Regia/Stulweissenburg 29, 225 Albanus (Hl.) 120, 258 Albartus (Hl.) 235 Albertus 23 Albert II. (Bf. von Regensburg) 258 Albert II. (Abt von St. Emmeram in Regensburg) 258 Albert (Ehzg.) 295 Albrecht VI. (Hg.) 67 Alexander III. (Papst) 434 Al-Hakim (Kalif ) 233, 264 Alhayt (Babenbergerin) 458
Alt, Jakob 411, 427 (Abb. 17) Altlengbach (Pfarre) 136 Altmann (Bf. von Passau, Hl.) 129 –156, 362, 371, 374, 414 Altmanni, vita 64f., 133, 138, 143f., 150 Altötting 438, 508 Amantius, Bartholomäus 466f. Ambrosius (Hl., Kirchenvater) 47, 120 Amhlaoibh (Olaf; Sohn Sitrics III.) 223 Andechs-Meranien (Herren von) 469 Andreas (Ap.) 36, 47 Andreas (Kg. von Ungarn) 80 Andreas Foreman (Prior von Dumfermeline) 224, 226 Andreas von Regensburg (Historiograph) 251 Andreas Wilsern 225 Anna (Hl.) 47 Anno II. (Ebf. von Köln) 295 Anonymus Burdigalensis (s. Bordeaux, Pilger, 4. Jhdt.) 266 Anonymus Mellicensis 459 Antiochia 271 Antonius (Hl.) 497 Anzendorf (im Traisental) 366 Apianus/Amantius 466 Apoll 302 Apollo-Tempel (Montecassino) 402 Apostelfürsten (Petrus und Paulus) 399, 402 Aquileia 237 Aragon 68 Arbo (Graf ) 130 Arbogast Strub (s. Strub) Ardagger (Can.Reg.) 137 Arn (Bf. von Würzburg) 124, Arnpeck, Veit (Historiograph) 251 Arnolf (Arnulf, Hl.) 47 Arnulf (Mönch von Gorze) 353 Aschbach, Joseph (Historiker) 332 Asing (Gut) 133
514 Asparn/Zaya (Museum f. Ur- und Frühgeschichte) 91f. Attala (Hl.) 120 Augsburg (Bm.) 141, 246f., 435 Augsburg, St. Ulrich und Afra – Translatio Simperti 318 Augustinus 196 Aurelius Prudentius Clemens 319 Auschwitz-Birkenau 441 Aventinus, Johannes (s. auch Turmair) 251, 254 Bachlechner, Michael 502 Bachmann, Johann Georg 199, 201, 208, 211, 396 Bagdon, Friedrich (Bildhauer) 298 Balthasar Merklin von Waldkirch (Bf. von Syron (Sirensis) 34 Balthasar Polzmann (s. Polzman, Propst von Klosterneuburg) Bamberg (Bm.) 63, 195, 231 Barbara (Hl.) 36, 47 Bari (hl. Nikolaus) 212, 214 Barnabas (Hl.) 47 Baronius, Caesar 254f. Bartholomeus (Hl.) 47 Basileios II. (Ks., Byzanz) 263, 270 Bauer, Otto 73 Baumeister, Theofried 182 Bautzen, Friede von 84 Bayer, Leopold (Kupferstecher) 415, 421 (Abb. 9) Becemann (Mönch aus Münsterschwarzach, Abt in Lambach) 353 Beda venerabilis 16 Beduzzi, Antonio 381f. Benedik, Conny 502 Benedikt von Nursia (Hl.) 47, 207f., 210, 377, 380, 383f., 386f., 397, 399, 440 Benedikt-Altar (Stiftskirche) 379f., 386f., 392f. Benedikt XVI. (Papst) 441 Benediktbeuern (Kloster, OSB) 257 Benno II. (Bf. von Osnabrück) 143 Berengar (Kg.) 94 Berg Arafat, 13 Berge (Kloster, OSB) 106 Berghausen (Bm. Regensburg, Pf. Appersdorf ) 243 Bergl, Johann Wenzel 404 Bernhard von Breydenbach 15 Bernhardus Dapifer (OSB, Melk) 212 Bernhard von Clairvaux (Hl.) 47 Bernhard Stencz/ Steincz 26, 40
Orts- und Personenregister
Bernold von St. Blasien (Historiograph) 151 Bernini 385 Berswordt, Segebodo 292–294 Berta von Turin (Ksin., Gemahlin Heinrichs IV.) 147 Berthold von Garsten (Hl.), Abt von Garsten 25, 211f., 354, 356, 380 Berthold von Moosburg (Gegenerzbischof von Salzburg) 148 Berthold (Hg. von Kärnten) 138, 140 Bertolf (Bf. von Konstanz) 142 Bethlehem 211, 270 Beuhaus, Johann Christoph (Chronist) 295 Beyer, Leopold (Kupferstecher) 409 Bieri, Peter, 13 Birchaa 369f. Birgitta von Schweden (Hl.) 440 Bisamberg 59 Bischoflack (Škofja Loka) 60 Black-Veldtrup, Mechthild 137 Blasius (Hl.) 47, 191 Boleslaw Chrobry 59, 80 –84, 109 –112, 114, 119, 121 Boleslaw III. 83 Bordeaux (Anonymus Burdigalensis) 266 Bořivoy II. (Hg. von Böhmen) 144 Boshof, Egon (Historiker) 138 Brant, Sebastian (Humanist) 304 – Onuphriusdichtungen 304f. Breitenbrunn/Breiteneck (Bm. Eichstätt) 245 Breiteneck (Pf. Laibstadt, Bm. Eichstätt) 244f. Breitenwinn 241 Breslau (Bm.) 29 Barmherzige Brüder 388 Brestislaw 83 Briccius (Hl.) 47 Brigida von Iona 221, 227 Brigitta (Breyd) 47 Brian Ború (Kg,) 222, 224 Brioschi, Carlo 409, 423 (Abb. 12) Brixen (Bm.) 175 Brokoff, Ferdinand Maximilian 386 Brügge (Hansekontor) 282 Brünn, Mährische Galerie (Sammlung Grimm) 382 Brüssel, Bibliothèque Royale 253 Brun von Braunschweig 150 Brun, Ebf. von Köln 123 Brun, Ebf. von Querfurt 124 Brunn (am Gebirge) 364
Orts- und Personenregister
Brunner, Otto 64 Bruschius, Casparus (Epitomae) 363 Bucelinus, Gabriel (OSB, Weingarten) 393, 399, 402 Buchhammer, Karl (Bgm. von Gnadendorf ) 91 Buggo (Burchhard von Halberstadt) 152 Burchard (Bf. von Halberstadt) 138, 152 Burgsalach (Bm. Eichstätt) 244 Burkhardi, Stephanus (OSB, Melk) 214 Burkina Faso 15 Byzanz (Konstantinopel) 80, 264 Caecilia (Hl.) 120 Caesar, Caius Iulius 24 Cairrecan Tempuill 229 Calixt II. (Papst) 360 Camerari(n)us (Chaemrer), Wolfgang 321f., 341, 386 Canossa 140, 153 Caspar Hoffmann (Abt von Melk) 213, 215 Caspar Ursinus Velius 303f. Celtis, Conrad (s. Conrad) 302f., 323 –326, 328, 329 –331, 341 – Sebaldus-Ode 331, 341 Chatzidakis 265 Chatzimichael 265 Che Guevara 439 Chlothar I. 267 Cholmáin (Clann) 222 Chmelarz, Eduard (Historiker) 35 Chreine (s. Grein) Christanus von Lilienfeld (Christanus Campililiensis) 319, 322f. Christophorus (Kristophorus), Hl. 47 Chrongraph (von Ravenna) 24 Chun(m)berc (Kaumberg) 364 Clemens (Hl.) 120 Clemens/Candidus (OSB, Konventuale St. Emmeram in Regensburg; Jerusalempilger) 235 Clemens III. (Gegenpapst) 147 Clonard (Kloster, OSB) 224 Clonmacnoise (Kloster) 229 Clonmel/Lismore 253, 255 Cluny 130, 132, 141, 353, 355 Colgan, John (Seán Mac Colgan, Hl.) 221 Colomannus (Colum, Colmán, Koloman) 220 Columba von Iona 120, 220f. Columbanus von Luxeuil und Bobbio (Hl.) 220, 227f., 232
515 Como (Bm.) 152 Conchobar (Sohn Maol Sachnaills und Gormlaiths) 224 Conghalach (Sohn Maol Sachnaills) 224 Corbinian (Korbinian, von Freising, Hl.) 237 Cork (University College Library) 237 Corvey (Kloster, OSB) 107, 113, 123, 143 Cosmas von Prag (Historiograph) 65, 144 Cranach, Lukas 503 Crispin u. Crispinianus (Hl.) 121 Cristanus Campililiensis (s.Christanus) Csanád (Bm.) 29 Cuspinianus, Johannes 35, 254, 302f., 318, 322, 324f., 329f., 331 Cyprian (Hl.) 120 Cyriacus (Hl.) 120 Dál Cais 222 Daim, Falko (Archäologe) 92 Daniel Stylites 271 Danzig 286 Dapifer, s. Bernhardus Dean, James 439 Dempster, Thomas 221 Deotrich (Theotrich, Vasall) 131 Deppisch, Gottfried (OSB; Konventuale in Melk) 199, 202, 204, 212, 248, 388, 396f. Deutinger, Martin von (s. Von Deutinger) Diana, Lady 439 Dienes, István (Archäologe) 98 Dienst, Heide (Historikerin) 62, 350, 360, 368 Diepoldinger-Rapotonen 361 Dieprand(t) (Vogt von Göttweig, von Radlberg) 366 Dießen (Can. Reg.) 469f. – Nekrolog A 469f. Dießen, Grafen von 469 Dietmar (Ebf. von Salzburg) 131 Dietmayr, Berthold (Abt von Melk) 201, 207f., 212, 215, 383f., 392, 394f., 398f., 404f. Dietrich von Kreuzenstein 370, 372, 374 Dillingen (SJ) 253 Dionysius (Hl.) 47, 251 Dollfuß, Englbert 73, 439 Domhnall (Abt von Clonard, Sohn Maol Seachnaills) 224 Donatus (Hl.) 210f., 377 Donegal (Martyrolog, OFM) 221, 224 Donnchadh mac Briain 224
516 Dorfen (Lk. Erding) 240 Dorothea, Hl. 47 Dortmund 279 –280, 282f., 285f., 288f. – Marienkirche 285 – Windmühlenberg 288 Dresden (Bibliothek) 113 Dublin (Christ Church) 229 Dublin (Trinity College) 253 Dürer, Albrecht 26, 32, 35, 304, 306, 324f., 326 Dumfermeline (Kloster, OSB) 226 Dunshaughlin (Kloster) 222, 229 Dunstan (Ebf. von Canterbury, Hl.) 123 During (Graf von Radelberg) 365 –369, 374 Ebendorfer (s. Thomas) Ebran, Hans von Wildenberg (Hist.) 251 Edward Aethling (Vater Margarethes von Essex) 225 Eduard (Hl.) 41– 43, 45 Egbert (Ekbert) (Abt von Münsterschwarzach/Gorze) 353f. Eger (Bm.) 29 Egeria (Pilgerin) 265 Eggenburg, Pfarre 276 Egidius (Gilg, Hl.) 47 Egilbert (Bf. von Passau/Ebf. von Trier) 139, 144 Eginhard (Bf. von Würzburg) 150 Ehbrecht, Wilfried 280 Eichstätt (Bm.) 40, 117f., 126, 235f., 244f., 346, 363f., 373 – Heiligkreuz-Kloster 236 Eila (Ehefrau Mgf. Bertholds) 230 Einsiedeln (Kloster, OSB) 483 Eisgarn (Propstei) 480 – 482 – Kolomanistein 481f. Ekbert I. von Neuenburg/Pitten 370f. , 374 Ekbert (Gf. von Braunschweig) 150 Ekerich von Kuffern 361 Ekkehard (Abt der Reichenau) 142 Elias Hermann (Bielitz) 333 Elisabeth (Hl.) 47 Elisabeth (Ksin.) 427 Ellegast, Burkhard (OSB, Abt von Melk) 396 Elsässische LA (s.v. Passio Colomanni) 189, 194 –196 Embalner, Valentinus (Abt von Melk) 207, 396, 460, 471 Emmeram (Haymram, Hl.) 47, 120, 251, 258 Ender, Thomas 411f., 424f., 429 (Abb. 22), 430 (Abb. 23)
Orts- und Personenregister
Engelbert von Spanheim 148 Engelbrecht (Abt von St. Florian) 192f. Engelschalk (Abt von Melk, Engilschalcus) 349, 350f., 354 –356, 360 Enzenberger, Maria 505, 508 Erasmus (Hl.) 47 Erath, Augustinus (Propst, St. Andrä/Traisen) 472 Erchanfried (Erchenfried, Erchenfridus, Abt von Melk) 58, 125 –128, 160, 162, 173, 193, 212, 214, 235, 315 – 317, 322f., 340, 345, 348 –354, 356, 391, 393 Erchenbert (von Gars?) 369 Erchenfried (Konverse von Göttweig) 349 Erding 240 Erdl, Simon (Richter) 22 Erentrud(is, Hl.) 134 Erfurt, Schottenkloster 227 Erhard (Hl.) 235, 251 Ernst (Mgf.) 17, 27, 62, 146, 236, 351, 373, 456, 459 Ernstbrunn 58 Ethel(d)red (Kg.) 225f. Eusebios von Kaisareia (Hist.) Exenbach (Bm. Passau) 245 Ezechiel 232 Fabian, Hl. 47 Farfa (Benediktiner) 141 Ferdinand II. (Ks.) 69, 403, 438 Ferdinand III. (Ks.) 438 Festorazzo, Theodor 411, 428 (Abb. 19) Fischer von Erlach, Johann Bernhard 381 Flasch, Kurt (Religionswissenschaftler) 48 Flann (Sohn Maol Seachnaills) 224 Florian (Hl.) 25, 32f., 35–37, 47f., 194, 210, 237, 317, 326, 377, 442 Flossmann, Gerhard (Hist.) 236 Formbach (s. Vornbach) Formbacher 144 Frombach-Kreuzenstein, Grafen von 346 Franciscus, Hl. 47, 442 Franz I., Stephan, (Habsburg-Lothringen, Ks.) 38 Franz II./I. (Ks.) 71, 504 Franziskus (Hl.) 442 Freising (Bm.) 63, 175 Freistadt 67 Freud, Siegmund 19 Frey, Johann Michael (Kupferstecher) 429 (Abb. 21) Fridolfing (Lk. Traunstein) 241
Orts- und Personenregister
Fried, Johannes (Historiker) 61 Friedrich I./Barbarossa (Ks.) 66, 436 Friedrich III. (Ks.) 26, 32–34, 40, 67, 213, 303, 316, 333, 486 Friedrich II. (Hg., d. Streitbare) 30, 364, 454, 470, 472 Friedrich (von Hausegg, Pilger) 15 Friedrich (Nausea, Bf. von Wien) 33 Fruttuaria (Benediktiner) 130, 141 Fuchs, Adalbert (OSB Göttweig, Historiker) 365 Füetrer, Ulrich (Historiker) 251 Fünfleutner, Johannes (Probst St. Pölten) 215 Fürstenberg, Ferdinand von 38 Füssen (Kloster, OSB) 394 Furth (b. Göttweig) 414 Galli-Bibiena, Giuseppe 382 Gallner, Bonifazius (OSB Melk) 205f., 207 Gallus (Hl.) 47, 120, 227 Galway 253 Ganges (Hl. Fluss) 13 Gars/Thunau (Burg) 102 Gars am Kamp (Pfarre) 136 Garsten (Kloster, OSB) 356 – Liber traditionum 367 Gebhard (Ebf. von Salzburg) 138, 140, 147f. Gebhard III. (Bf. von Konstanz) 149 Gebhard von Kreuzenstein 374 Geiger, Ferdinand 386 Gelasius von Kaisareia (Historiograph) 268 Georg (Hl.) 36, 47f., 276 Georg von Strassoldo 276 Georgenberg, Handfeste von 66 Georgsorden 317 Gerbert, Martin 448, 462, 467 Gerbirg (Hgin. von Böhmen) 144, 146 Gerdrud (Gertrud, Hl.) 47 Gereon (Hl.) 120, 258 Germia (St. Michael) Gero, Ebf. von Köln 120, 230 Geza 79 Gignoux, Anton Christoph (Kupferstecher) 411, 429 (Abb. 21) Gilg (Egidius, Hl.) 47 Gisela (Kgin. von Ungarn) 79, 231 Gisilbert (OSB Ilsenburg, Abt von Admont) 354 Glanz, Katharina 40 Glassner, Christine 160, 232 Gnadendorf (Gnadendorfer Reiter) 89, 91–94, 97f., 100 –103
517 Gnesen, Akt von 78, 81 Gnesen (Bm.) 29 Gobineau, Arthur de 44 Godehard (Hl.) 251 Göttweig (Can.Reg.; ab 1094 OSB) 65, 129–140, 133f., 136, 142f., 145f., 153f., 235, 350, 354, 356, 358–362, 365–367, 372, 374f., 413 – 415 Göttweig (St. Blasien, Frauenkloster Göttweig) 145f. Gorgonius (Hl.) 150, 153 Gormlaith Inghean Mhurchadha, (Kgin von Dublin) 223 Gorze (OSB Kloster; Reformkreis) 153, 260, 352f., 356 Goslar (Pfalz) 135, 141 Gothalm (Godhalm, Sel.) 21, 31, 212, 214f. – Vita Gothalmi 212 Gottschalk (Bf. von Freising) 60 Graf, Franz 502 Grainet (Pf.) 259 Gran (Bm.) 29 Grasensee (Bm. Passau) 245 Graz (Burg) 67 Graz, Katharinenkirche 403f. Graz, UB 191 Gregor I. (der Große; Papst, Kirchenvater) 47 – Dialogi 384 Gregor VII. (Papst) 134, 137f., 140, 142f., 144, 147, 151 Gregor von Tour (Historiograph) 270 Grie (Herren von) 350 Grossmann, Peter (Historiker) 273 Großwardein (Bm.) 29 Guldinus, Paulus 24 Gumbrecht, Hans-Ulrich 439 Haag 508 Habermas, Jürgen 296 Habsburg, Otto (Begräbnis) 506 Haderiche 364 Hadmar II. von Kuenring 366 Haidinger, Alois (Kunsthistoriker) 160, 163f. Haimon 283 Haller, Franz 43 Hallinger, Kassius 351f., 354 Hamburg–Bremen (Bm.) 138 Hammerschmid, Helmut 502 Hannover, Techn. Universität, Bibliothek 396 Hanthaler, Chrysosthomus (OCist., Hist.) 386, 451 Harald Blauzahn (Kg.) 124
518 Harmannsdorf 369f. Harthewig von Ölsburg 131 Harting (Bm. Regensburg; Pfarre Neutraubling) 243, 247, 259 Hartmann (Propst von St. Nikola in Passau) 153 Hartmann (OSB St.Blasien, Prior, Abt von Göttweig) 349, 354, 356, 366 Hartwig von Traisen (Reidling) 367 Hārūn ar-Rašīd (Kalif ) 266 Haselbach (Nähe Stockerau) 321 Haslach (Ebm. München–Freising) 246, 248 Hathewig von Ölsburg Haunberg (Kapelle; Lk. Altötting) 248 Haupt, Albrecht (Sammlung TU Hannover) 396 Hausner, Jessica (Regisseurin) 507 Hecil (Konverse von Göttweig) 372 Heer, Rustenus 448, 462, 467 Heidelberg, UB 40, 189 Heidelberg (Schicksalsbuch) 40 Heidenrich von Au 366 Heidingsfelder, Franz (Historiker) 363 Heilige Drei Könige 207, 284, 436 Heilige Land 228, 354, 503 Heiligenkreuz (OCist.) 275, 451, 470 Heinrich I. (Kg.) 122 Heinrich II. (Ks.) 27, 59, 79– 81, 83f., 110f., 121, 123, 127, 132, 185, 231, 317, 363 Heinrich III. (Ks.) 59, 79f., 131–135, 137 Heinrich IV. (Ks.) 64, 80, 132–136, 138–140, 143f., 146–149, 353 Heinrich V. (Ks.) 134f., 149, 360 Heinrich I. (Mgf.) 29, 61, 85, 110–113, 117–119, 124–127, 161, 184f. 187f., 225, 231–234, 348, 373, 395, 458 Heinrich II. (Jasomirgott, Mgf. und Hg.) 66, 236, 347, 451 Heinrich der Zänker (Hg. von Bayern) 78, 82 Heinrich (Bf. von Freising) 362 Heinrich (Bf. von Würzburg) 230 Heinrich von Erla 361 Heinrich II. von Radlberg 374 Heinrich von Vornbach 371 Heinrichs ‚Litanei‘ 188, 190f. Helena (Ksin., Byzanz) 267f. Hell, Bodo 48 Herakles 195f. Herbertsfelden (Lk. Passau) 241 Herbort (Zeuge) 368 Hercules 301
Orts- und Personenregister
Heribert (Ebf. von Köln) 223, 230 Hermann (Bf. von Metz) 140, 142 Hermann (Propst von St. Nikola/Passau, Abt von St. Blasien) 141 Hermann von Salm (Gegenkönig) 148 Hermann von Eppenstein (Gegenbisch. von Passau) 147f. Hermann, Elias (Bielitz) 333 Hermann II. von Winzenburg (Vogt von Nieder altaich) 367, 373 Hermann d. Lahme (Reichenau) 237 Herodes 211 Herrand (Mönch aus Gorze) 353 Herrgott, Marquart 447f., 462, 463 – 464, 467 Heuperger, Mattheus 19 Hieronymus, Eusebius (Hl., Kirchenvater) 14 Hiesberg 215 Hildesheim 353 Hillel II. (Patriarch) 24 Himiltrud (Vornbach) 358 Hirsau 260, 351–353, 355 Hitler, Adolf 73, 439 Hochstätt (am Chiemsee) 248 Hoffmann, Caspar (OSB, Abt von Melk) 213, 215 Hohenwart 374 Holtzmann, Robert (Historiker) 233 Huber, Elke 505, 508 Hueb (b. Steyr) 302 Hueber, Philibert (OSB; Hist.) 27f., 390f., 396 Hutthurm (Pf.) 259 Huzmann (Bf. von Speyer) 140 Ida/ Ita 144 Ignatius (Hl.) 388 Ilsenburg (OSB) 354 In Draignén (Schlacht b.) 222 Ingelheim 132 Ingolstadt (Universität) 253 Inisfallen (Mönch von) 216f. Innocenz III. (Papst) 236 Inzersdorf ob der Traisen 365 Iona 226 Isidor von Sevilla 232 Ismaning (Ebm. München–Freising) 246 Ita (von Burghausen, Mutter Leopolds) 357, 362 Iuliana (Hl.) 47 Iustinos II. 267
Orts- und Personenregister
Jackson, Michael 439 Jacobus de Voragine 194 Jägerstätter, Franz (Hl.) 440 Jagiellonen 317 Jakob Mennel (s. Mennel, Jakob) 33 Jakob von Ulm (Hl.) 44 Janscha, Lorenz (Kupferstecher) 410–412, 426 (Abb. 15, Abb. 16) Jaromir 83 Jaroschka, Walter (Historiker) 25 Jedenspeigen 370 Jerusalem 115f., 128, 185f., 188, 193, 199, 219, 229f., 233, 235, 263, 265, 268, 270, 276, 280, 290, 294, 315, 340, 377 Grabeskirche 264 Johann Nederhoff 280 Johannes (Evangelist) 47, 207 Johannes XV. (Papst) 435 Johannes Paul II. (Papst) 439– 441, 443 Johannes (OSB, Regensburg, St. Jakob) 235 Johannes Cuspinianus 33, 254 Johannes Chrysosthomus 270 Johannes Panaetianus (s.Panaetianus) Johannes Stabius (s. Stabius) Johannes Schlitpacher (OSB, Melk) 21 Johannes von Damaskos (Theologe) 269 Johannes von Moosburg (Bf. von Regensburg) 250 Johannes von Pomuk /Nepomuk 437 Johannes Regiomontanus 32 Johannes Sarkander (Hl.) 443 Johannes (OSB St. Emmeram in Regensburg) 235 Johannes, Rektor der Reinoldikirche 292 Joseph (Hl.) 438 Joseph II. (Ks.) 38, 71, 438, 477, 485, 501, 504 Juan d’Austria 438 Judas 135f. Juditta (Babenbergerin) 458 Justinian (Ks., Byzanz) 267 Justinos II. (Ks., Byzanz) 267 Kager, Mathias (Maler und Baumeister) 256 Kaiserin Elisabeth-Westbahn 413 Kaiserswerth (Pfalz) 132 Kaisheim (b. Donauwörth, OCist) 254 Kajetan (Hl.) 386 Kalksburg (Lainzer Tiergarten) 364 Kalocsa (Bm.) 29 Kammern (Pf.) 259 Kapelln (Pfarre) 136
519 Karl d. Große (Hl., Ks.) 47, 96, 266, 281f., 285, 290, 295, 436 Karl I., Ks. von Österreich 43 Seligsprechung 440 Karl II. (Kg. von Spanien) 69 Karl III. (Kg. von Spanien, als Kaiser Karl VI.) 69 Karl IV. (Ks.) 67, 283, 286, 289, 295 Karl V. (Ks.) 68f. Karl VI. (Ks., s. Karl III., Kg. von Spanien) 69f., 449 Karl VII. (Ks., Karl Albrecht, Wittelsbacher) 70 Karl, Alexander (OSB, Abt von Melk) 216 Karnowka, Georg (Musikwissenschafter) 174 Karos (Ausgrabung, Ungarn) 97 Kastilien 68 Kastl-Habsberg 245 Kastl (OSB) 260 Kastulus (Hl.) 251 Katharina von Alexandrien (Hl.) 320 Katharina von Siena (Hl.) 440 Kaumberg (Chun(m)berc) 364 Keiblinger, Ignaz Franz 454, 462, 469 Kempten (Hartmann Abt von Kempten) 349 Keppling, Albert (Bgm. Dortmund) 295 Khol, Andreas 440 Kilb (Pfarre) 136 Kilian (Kylian, Hl.) 47, 114, 120, 123, 187f., 228, 237 – Kiliansmesse 188 Kirchhaunberg (Bm. Passau) 245 Kirchenwinn (St. Koloman) 241 Klebel, Ernst (Historiker) 365 Kleber, Johann 381 Kleidion (Schlacht bei) 263 Kleine, Uta 183 Kleiner, Salomon 414f., 432 (Abb. 27) Kleinmariazell (Mariazell in Österreich) 365 Klepping, Albert (Bürger in Dortmund) 295 Klosterneuburg (Can.Reg.) 301, 318, 332, 346, 349, 352, 359, 361, 368 –370, 374f., 413, 451, 470 – 472 Knapp, Fritz Peter (Germanist) 192 Köln, Dom 223, 285, 287, 293f., 436 – Erzbischof 288 Köln (St. Martin) 223, 229 Köln (St. Pantaleon) 223, 229f. Köln, St. Peter 284 Köln, Schnütgen-Museum 294 Köln, Universität 293 Kolbe, Maximilian (Hl.) 32, 440
520 Kolbenreuth (Dk Hilpoltstein) 244 Kolberg (Bm.) 29 Kollarz, Franz (Maler) 506 Kollbach (Pf. Kollbach; Bm. Regensburg) 243 Kollomann (Bm. Regensburg, Pf. Herbertsfelden) 243 Kollmannsberg 242 Kollmannseck 242 Kollmannshof 242 Kollmannsöd (/Pocking; Lk. Passau) 242 Kollmenzing 242 Koloman (Pf. Rainding, Bm. Passau) 245 Koloman d. Buchkundige (Kg. von Ungarn) 258 Koloman (d. Ä., Bgl. d. hl. Kilian) 120, 123 Koloman von Lindisfarne (Bf.) 254f. Koloman (von Stockerau/Melk) – Ikonographie – Kopfheilige 248 – Mätyrerheilige 248 – Pilgerheilige 248 – Viehpatron 249 Kolomanofficium – Antiphonen 166 –168 – Responsorien 166 –168 – Benediktiner 157, 159, 176 –179 – Breviarium benedictinum Mellicense (1499) 26 – Brevier-Fragment, (1160/1180) 164 – Missa 172f. – Missale benedictinum Mellicense (1499) 26 – Coelestis te laudat chorea 165 – Fons et origo 161–165 – Iustus ut palma florebit (Ps 91) 163, 377, 387 – Laetabundus fidelis 163 Gebet (Heinrichs ,Litanei‘) 190 Grab (barocke Kirche) 199–218 Kolomani-Kirtag 213, 486 –498 Kolomani-Krypta 213 Kolomani-Monstranz 207 Koloman-Ode (Stabius) 307–314 Koloman-Ode (Vadianus?) 333; 334–339 Passio (Struktur) 58, 185, 212, 214, 316, 345, 347f. Pilgerweg 218 Translatio 210, 213, 231, 302 Kolosses (St. Michael) 277 Konon aus Bidana 274 Konrad II. (Ks.) 79f., 137, 363 Konrad III. (Ks.) 66 Konrad von Radlberg 350 Konstantin d. Große (Ks.) 265, 395 Konstantinopel (Konzil) 265
Orts- und Personenregister
Konstantinopel 231, 263, 265, 271 Korbinian (Hl.) Korff, Gottfried 439 Kottes 369 Krakau (Bm.) 29 Krakau, Schreibkalender (Universität) 41, 43f. Kratzer, Niclas 324 Krems (pol. Bez.) 137 Kremsmünster (OSB Kloster) 130, 145 Kreuzensteiner Legendar 25 Krumpenwinn (St. Koloman) 241 Kühberger, Christoph (Schulbuchautor) 500 Kunigunde (Ksin; Gemahlin Kaiser Heinrichs II., Hl.) 230 Kunike, Adolph (Kupferstecher) 427 (Abb. 17) Kupfer, Erwin (Historiker) 364 Kyrill und Method (Hll.) 440 Kyrillos (Bf. von Jerusalem) 268 Ladislaus Sunthaim 35 Lambach (Burg) 67, 130, 149, 153 Lambach (OSB Kloster) 352f., 355, 374 Lambert (Lamprecht, Hl.) 47, 120, 258 Lambert von Hersfeld 140 Landau, Reiner (Abt von Melk) 213, 215, 461 Landelin (Märt.) 228 Landfriedstetten 365f., 368, 374 Langenzersdorf (Pfarrkirche) – Hochaltar, Matth. Steinl 388 Langsham (Pf. Triftern, Bm. Passau) 245 Lantfrid von Großsirning 367f. Lantwich (Adelige, NÖ) 133 Laodikeia (Lokal-Synode von) 271 Lapide, Cornelius a (SJ) 398 Larson, Valentin (OSB, Prior von Melk) 204 Laschitzer, Simon (Historiker) 316 Lauber, Diepold 183 Lauf, Judith (Kunsthistorikerin) 175 Lauffen (Kapuziner) 506 Laurentius (Hl.) 47, 120, 122f. Lazius, Wolfgang 254 Lechfeld (Schlacht, 955) 27, 435 Lechner, Karl (Historiker) 346, 350, 357, 360f., 363, 368, 370, 373 Lechsgemünd/Greifsbach (Grafen von) 363 Legenda Aurea 194, 327 Leitenhausen (Bm. Regensburg, Pf. Sandsbach) 243 Leitha 68 Lemberger, Michael (Schulbuchautor) 502
Orts- und Personenregister
Lenin 439 Lenzing (Bm. Regensburg, Pf. Oberwinkling) 243 Leo I. (Papst) 232, 402 Leo X. (Papst) 318 Leonhard (Hl.) 47 Leopold I. (Ks.) 46, 438, 506 Leopold II. (Ks.) 69, 504 Leopold I. (Liu(t)pald /Mgf ) 60, 188, 211, 214, 231, 347, 357, 456, 458f., 463, 465 Leopold II. (Mgf.) 17, 63f., 143f., 145f., 211, 346f., 357, 360, 362, 371, 456, 458f., 469 Leopold III. (Mgf., Hl.) 32 –34, 36f., 46, 47f., 63f., 69, 208, 211, 213, 216, 251f., 301f., 311, 315, 317, 325f., 332, 341f., 346, 350, 356 –362, 365 –368, 370, 374, 437f., 450, 452, 458f., 471, 497 – Reliquienschrein (Klosterneuburg) 303 – Translatio 301f., 332 – Vita Leopoldi (Cuspinian) 330 Leopold V. (Hg.) 347f. Leopold VI. (Hzg.) 30, 236, 365f., 450 Lepanto 438 Leßner, Franz 202 Leuthner, Coelestin (OSB Wessobrunn) 386 Leuven (Louvain) 220 Libovice 82 Liegnitz (Piastenmausoleum) 404 Lilienfeld (OCist; Christannus von Lilienfeld) 319, 451 Limburg 137 Lindkirchen 243 Linz (Burg) 67, 333 Liutkard von Radlberg 367 Luitold von Znaim 144 Liutpald (s. Leopold I., Mgf.) Luitpold (Luitpald, Leopold I., Mgf.) 188 Liutpoldinger 188 Lobkowitz, Juan Caramuel de 399, 401 London, British Museum 274 London, Victoria and Albert Museum 275 Longoni-Hötschl, Andrea 504 Loosdorf 39, 371, 488 Lorch 236 Lourdes 506f. Lubentius (Hl.) 44 Lucas (Lukas, Hl.) 47f. Lucia, hl. 47 Ludwig das Kind (Kg.) 94, 130 Ludwig (d. Deutsche) 61, 283
521 Luitpoldinger 188 Luther, Martin 504 Mackert, Chistoph 191 Magdeburg (Bm.) 28, 106, 121, 123, 148 Magnum Legendarium Austriacum 25f., 237f. Magnus (Hl.) 120 Mailand (Ebm.) 138 Mailand, Sant’Eustorgio 436 Mailand (Hzgt.) 70 Mailand, Ipercoopfiliale (Hl. Precarius) 442 Mailberg (Schlacht bei) 65, 143f., 146 Maior, Johannes (Mair; schott. Hist.) 226 Mainz (Ebm.) 131 Malachias (Kg. s. Malcolm) Malcolm (Maol Coluim/Maol Seachnaill Mac Domhnaill) III. 222f., 225f., 228f. Malvenda, Thomas 387 Mango, Cyril (Byzantinist) 266 Maolmórdha (Kg. von Leinster) 223 Maol Seachnaill Mac Domhnaill (Máelseachlainn/ Malachias) 222–224 Mannhartsberg 374 Marcellus, Hl. 47 Marchuuard (comes, Eppensteiner) 61 March (Fluss) 59, 68 Marcus (Markus, Hl.) 47, 120 Margarete (Tochter Leopolds VI., Gemahlin Ottokars) 451 Margaretha von Essex (Hl.) 47, 135f., 191, 225f. Maria Magdalena 47, 191 Maria Antonia (Marie Antoinette) 38 Maria Theresia 38, 70f., 438 Marianus Scotus (Muireadach Mac Ronharthaigh) 235 Mariazell (Maria Immaculata; Steiermark) 381, 438, 503, 506 Maria vom Siege 438 Mariani, Vita 235 Marie Antoinette (Maria Antonia) 38 Martin (Hl.) 47, 120, 326 Martinelli, Fioravante 402 Massenhausen (Bm. Regensburg, Pf. Lindkirchen) 243, 247–249 Maßmann, Hans Ferdinand (Germanist) 191 Matthäus (Mattheus, hl.) 47 Mathilde (Kgin., Gemahlin Heinrichs V.) 141, 230 Mathilde von Radlberg (Gemahlin Gf. Ekberts I.) 366, 374
522 Mathilde von Tuszien (Herzogin) 151f. Matielli, Lorenzo 208f. Mauer (b. Loosdorf/Melk) 371f., 374 Mautern 137 Mauritius (Hl.) 27, 120f., 123 Maximilian (Hl.) 32f., 36f., 47, 194 Maximilian I. (Ks.) 25, 30, 32, 34 –36, 68, 72, 214, 301, 315 –318, 324f., 329 –331, 334 Maximilian I. (Kfst. von Bayern) 252 McCormick, Michael 266 Meath (Grafschaft) 222 Mechelen (Bistum) 221 Mediliccha (Melk) 184 Megingaud / Megingoz (Bf. von Eichstätt) 117, 161, 199f., 244, 363f., 373f. Meginhart (Vornbach) 365, 373f. Meginwart (Bf. von Freising) 148, 150 Meinwerk (Bf. von Paderborn) 131 Mekka, Ka’ba 13 Melk 16f., 112–114, 117ff., 124f., 129, 131, 161, 185, 200, 211, 234, 239, 318, 345–369, 341, 363, 371–375, 502 – Benedikt-Altar (barocke Kirche) 208f., 380f., 397 – Castrum (Burg) 234, 347 – Felsen a.d. Bundesstraße (Koloman-Statue) 216 – Hauptplatz (Kolomani-Brunnen) 216f. – Kanoniker (Koloman-Officium) 158 – Kolomani-Hof (Statue) 216f. – Kolomani-Kirtag 473–797 – Leopold-Altar (barocke Kirche) 207f., – Melker Kreuz 235f., 361 (Burgkirche), 377, 380, 383, 388, 390, 461 – Historia de particula sanctae Crucis 214 – Officium 157–179 – Peterskirche 112–114, 118, 124, 161, 185, 211, 347, 356f., 373 – Rathausplatz, Kolomani-Brunnen 215 – Schutzpatron für den Ort 211, 408, 473 Mennel, Jakob (Historiograph) 35f., 316f. – Fürstliche Chronik 316 Merklin, Balthasar (s. Balthasar) 34 Merseburg (Bm.) 28, 57f., 107, 109, 122 Merian, Matthäus d. Ä. 407f., 417, 417 (Abb. 2) Merz, Johann Georg 410, 413, 415, 418 (Abb. 4), 419 (Abb. 6), 422 (Abb. 10), 431 (Abb. 26) Method (Hl.) 440 Metz (Schottenkloster) 2 29, 253 Metzburg, Georg Ignaz von 409, 411, 414, 420 (Abb. 7), 432 (Abb. 28)
Orts- und Personenregister
Meyer, Johann 385f. Mezilecum (Melk) 57f., 184 Michael (Erzengel) 47, 211, 435, 443, 497 – Germia 272 – Kolosses 272 Minden (Bm.) 142 Mitscha-Märheim, Herbert (Historiker) 357 Mittich (Bm. Passau) 245 Mödling (Pfarre) 358, 364f. Mohrmann, Christine 186 Mondsee (Kolomaniberg) 240 Montauban, Renaut de 283 – Burg 283 Montecassino 141, 148, 384, 402 Mor (Tochter des Brian Ború) 222 Morrison, Jim 439 Morus, Thomas (Hl.) 443 Moser, Joseph (Goldschmied; s.Kolomani-Monstranz) 207 Moser, Kolo (Koloman) 49 Mühl (Fluss) 67 Müller, Josef (Drucker) 485 Müller, Richard 61 München 508 München-Freising (Ebtm.) 246 München, BSB 195, 234f. Münster, Westfälische Wilhelmsuniversität 275 Münsterschwarzach (Kloster; Reformkreis) 130, 352–354 Muircheartach 224 Murau (Munau) 507 Murbach (Kloster) 130 Murchadh Ruadh (Sohn Maol Seachnaills) 224 Myra 211f. Napoleon Bonaparte 71 Nausea, Friedrich von (Bf. von Wien) 33f. Nazarius (Hl.) 120 Nederhoff, Johann (Chronist, s.Dortmund) 280 Neidhart 326 Neues Jerusalem (Konstantinopel) 267 Neuhofen/Ybbs (Niuunhova, Pf.) 60 Neuhofen (Bayern) 259 Neukirchen (Lk. Passau) 241 Neumarkt 240 Nequette, Charles (Musikwissensch.) 157, 159f. Neumüller, Willibrord (OSB Kremsmünster, Historiker) 354f. Niclas Kratzer 324
Orts- und Personenregister
Niederaltaich (OSB) 373 – Annalen von 125f. Niedermünster (Damenstift) 235 Niedertscheider, Franz 502 Nikaia (Konzil) 265 Nikolaus (Hl.) 47f., 191, 207, 211f. Niuuanhova (s. Neuhofen) Nizzo (von Gars,?) 369 Nöchling (Yspertal) Nola (Felixbasilika) 268 Norinberga (s.Nürnberg) Nothelfer 48 Nürnberg 195, 301, 327, 329f. Nürnberger Legenda Aurea (Druck) 327 Nürnberg (OP) 195, 241 – Sebalduskirche 327 Oberappenberg (Dek. Wassertrüdingen, Bm. Eichstätt) 244 Obernburg (OSB) 192 Oberschiltern (Ebm. München-Freising) 246 Oberwarngau (Ebm. München-Freising) 246 O’Clery, Michael (Ó Clérigh) 221f. Odilo (Hl.) 44 Odo von Chatillon (Urban II.) 148 Odysseus 196 Ödenburg (Sopron/Bistum) 175 Ölberg 274 Oelhans, Carolus Chrysostomus 207, 377 Ösch (Pf. Pfronten, Bm. Augsburg) 246 Oestrich-Winkel im Rheingau (Walburga, St., Pfarrkirche) 293 O’Hara, Alexander 187 Olaf Cuarán (Kg. von Dublin) 222f. Oldrich 83 Onuphrius (Hl.) 304 Opold (Kanoniker Klosterneuburg) 349 Ópusztaszer 443 Orbán, Victor 443 Osnabrück (Bm.) 121 Ostarîchi 61f. Oswald (Oswalt), Hl. 47 Otakar (s. Ottokar II. Přemysl) Otakar IV. (Hg. Stmk) 66, 367 Otfried von Weissenburg 61 Otto (Hl., Bf. von Freising) 364 Otto I. (Ks.) 61, 121, 230, 435 Otto II. (Ks.) 60, 82, 122 Otto III. (Ks.) 27, 60, 78, 81, 121, 231
523 Otto von Freising (Bf., Hl.) 32f., 36f., 65, 139, 317, 347 Otto Orseolo 234 Otto (Bf. von Konstanz) 140, 142 Otto von Northeim 146 Otto (Prior von Melk) 356 Otto von Perchtoldsdorf 364f. Ottokar II. Přemysl (Kg. von Böhmen) 30f., 67, 451 Pabneukirchen (Pfarre) 136 Pabo von Großsirning 367 Paderborn (Diözese) 131 Paireder, Bettina (Schulbuchautor) 502 Palästina 229 Palting (Pfarre) 136 Panaetianus, Johannes 301, 303f., 325, 332, 342 Pancratius (Pangracius) 258 Pantaleon (Hl.) 120 Paradeiser, Marian (OSB, Melk) 204 – Kolomanibüchlein 506 Paris 226 Parsberg (Koloman-Kapelle i.d. Burg) 245 Paschalis II. (Papst) 355 – 360, 366 Passau (Bm.) 63, 129, 133, 174f., 192, 242, 245, 259f., 315, 375 Passau (Dom, Trennbachkapelle) 248 – Breviarium Pataviense 319f. – Graduale Pataviense 163f. – Missale Pataviense 319f. Passau (St. Nikola) 31 Passler, Jakob (Historiograph) 258 Patrick (Hl.) 221, 227 Paudorf (Pfarre) 130 Pauer, Thomas (OSB, Abt von Melk) 207 Paulus (Apostel) 399 Paul VI. (Papst) 204, 440 Paulinus von Nola 268 Paulus (Hl.) 47, 120, 208 Pavia 135 Pécs (Bm.) 29 Peilstein, Grafen von 64 Pelinka, Anton (Politologe) 442 Perchtoldsdorf 364 Perlach (Ebm. München-Freising) 246 Pernegg (OCist., Frauen) 192 Persenbeug 133 Pest (Lloydkalender) 43 Peter (d. Venezianer, Kg. von Ungarn) 80, 225, 236
524 Peters, Ursula (Historikerin) 347 Petrarca, Franciscus 67 Petritsch (Schlacht bei Kleidion) 263 Petronilla (Hl.) 47, 135f., 141, 258 Petrus (Hl.) 47, 120, 208, 256, 340 Petrus (Abt von Göttweig) 129 Pez, Bernhard 256 Pez, Hieronymus (OSB, Hist.) 204f., 207, 212, 221, 256, 331, 390 –392, 398, 449, 454, 458, 463 – 466 Pfeffel, Johann Andreas (Kupferstecher) 205, 207, 408, 417 (Abb.1) Philipp (Hl.) 47 Philokalos (Chronograph von 354) 24 Pibo (Bf. von Toul) 140 Pilgrim (Ebf. von Salzburg) 130 Pietro Leopoldo (Großherzog der Toskana, s. Leopold II., Ks.) 69 Pilgrim (Ebf.von Salzburg) 130 Pilgrim (von During) 365 Pilgrim (von Reding) 371 Pilsen 82 Pius VI. (Papst) 38 Placidus (Hl.) 410 Pleiskirchen (b. Altötting) 306 Plener, Franz (Komponist) 157, 173 Pliemel, Adrian (Abt von Melk) 204, 390, 395 Packung 242 Pöchlarn 390, 488 Poitiers, Sainte Croix 267 Pollauer Berge 58 Polzmann, Balthasar (Propst von Klosterneuburg) 332f., 341 Pont-à-Mousson 253 Poppo (Ebf. von Trier, Sohn Mgf. Luitpolds I. ) 17, 29f., 32, 34, 36f., 225, 231, 233–235, 317 Poppo (Bf. von Paderborn) 142 Poppo von Schleswig (Hl., Missionar der Dänen) 120, 124 Pozzo, Andrea 381 Prag (Ebm.) 28, 233 – Karlsbrücke 386 – Kleinseitner Ring 385f. – Veitsdom 290, 295 – Grabmal Schlick 385 Pramberger, Richardus (OSB, Melk, Romuald) 216 Pramper, Wolfgang 502 Prandtauer, Jakob 208 Precarius/Precaria (virtuelle/r Hl.) 442
Orts- und Personenregister
Premysl II. Ottokar 67, 307f. Presley, Elvis 439 Pressburg/Bratislava 361 Pressburg (Schlacht bei) 61, 175 Prüfening (OSB) 26 Prüll (OSB) 257 Pucher, Erich (Archäologe) 100 Pühringer-Zwanowetz, Leonore 384 Puzicha, Michaela 15 Qal’at Sem’an (n. Antiocheia) 271 Quedlinburg (Bistum) 82, 106 Quirinus von Siscia (Sissak) 32f., 36f. Quirin von Tegernsee (Hl.) 317 Raabs 102 Radegund(is) (Hl.) 120, 267 Rader, Matthäus (SJ) 252, 254 –261, 331 Radlberg 350, 365 Radstatt (Rastatt, Kapuziner) 508 Rafael 211, 385 Rainald von Dassel (Ebf. von Köln) 436 Rapoto (von Kilb) 367 Rapoto von Schwarzenburg/Nöstach 365 Rassler, Maximilian (Hagiograph) 256 Ratelnberg, Herren von 346 Ravelsbach (Pfarre) 358 –360, 362, 369 Regensburg – Kollegiatsstift, Alte Kapelle 174f., 250 – Bistum 63, 174f. – Regensburg (s. St. Emmeram) – Regensburg (s. St. Jakob, Schottenkloster) – Regensburg (Stadt) 83 Reginmar (Bf. v Passau) 359f., 372 Regiomontanus, Johannes 32 Reichertshausen (Ebm. München-Freising) 246 Reichertswinn (St. Koloman) 241 Renaut de Montauban (Chanson de geste) 282–285 Reinoldus 279 –299 Reinoldi-Gilde 286 Reinoldi-Liturgie 290 Reinoldi-Vita 284 Heidelberger Reimfassung 285 Resch, Thomas 332 Restituta, Maria (Hl.) 440 Retz 410 Révész, Lászlo 93 Ricgard 369 Riedl, Adolf (OSB, Prior von Melk) 217
Orts- und Personenregister
Riga 286 Röhrig, Floridus (Can.Reg., Historiker) 35 Roland, Martin (Kunsthistoriker) 175 Rom 28, 132, 134–136, 141f., 147, 223f., 226, 228f., 242, 402 – Lateransynode 153 – Il Gesù 381, 388 – S. Maria del Popolo (Chigi Grabmäler) 385 – San Stefano 224 – Vatikanische Museen 274 Romanus (Hl.) 120 Rosenauer, Artur 215 Rosenfeld 215 Rosenstingl, Franz 199, 204, 410, 414, 424 (Abb. 13) Roth, Joseph 181 Rottenbuch (Chorherrenstift) 130, 133f. Rudolf IV. (Hzg.) 28, 30f., 67, 69, 201, 212–215, 236, 390 Rudolf von Rheinfelden (Ggenkg.) 140 –142, 153 Rückersdorf 258, 369 Ruhstorf (Pf.) 259 Rumänien 15 Rumaldus (Ruomaldus) 169, 221, 315 Rumoldus (ang. Abt von Mechelen) 221 Rupert (Ruprecht, Hl.) 47, 194, 207, 251 Sadler, Raffael 256 Säusenstein 22 Sainte Croix (b. Poitiers) 276 Salerno 147, 229 Salomo 229, 274 – Wurzel 274 Salzburg (Erzbistum) 61f., 246 – Kapuziner 508 – Kollegienkirche 381 Samuel Abba (Fürst) 80, 263 Sand (Burg bei Raabs) 102 Sandmann, Franz Xaver 411, 423 Sandri, Petrus Angelus (Kupferstecher) 417 Sandsbach (Kolomankapelle) 243 Sanftl, Koloman (OSB, St. Emmeram) 259 St. Andrews (Bm.) 226 St. Blasien (OSB Kloster; Reformkreis) 130, 153, 354, 448 St. Blasien / Göttweig (OSB, Frauen) 141 St. Burkhard (Abtei in Würzburg) 353 St. Emmeram/Regensburg 22f., 257–260 St. Florian (Chorherren) 130, 150, 318
525 St. Gallen 162, 227f., 333 St. Jakob in Regensburg (Schottenkloster) 227, 235 –237, 260 St. Koloman (Dekanat Oberweiling, Bm. Eichstätt) 244 St. Koloman (Wasserburg, Ebm. München-Freising) 244, 246 St. Lambrecht 216 St. Leonhard (am Forst) 64 St. Martin (Köln) 223 St. Nikola (b. Passau) 130, 133, 138, 141, 153 St. Pantaleon (Köln) 223 St. Peter (Köln) 284 St. Peter (Salzburg) 149, 237 St. Pölten (Bistum) 22, 45, 130, 133, 136, 153 St. Pölten (Chorherrenstift) 215 St. Simeon (s. Trier) 34 St. Walburga (s. Oestrich-Winkel, Rheingau) 293 Sand (Burg) 102 Santiago di Compostela 132, 224, 503, 506 Sarkander, Johannes 443 Satan 314 Schaffenrath, Wolfgang von (OCart., dann OSB; Abt von Melk) 213, 226 Schauerte, Thomas (Historiker) 35f., Schenk, Pieter (Kupferstecher) 431 (Abb. 25) Schier, Wilhelm (OSB, Melk) 73 Schiller, Friedrich 42 Schlegel, August Wilhelm von 42 Schlitpacher, Johannes 21 Schmitner, Franz Leopold (Kupferstecher) 199, 202, 410 Scholastica (Hl.) 47, 380 Schramb, Anselm (OSB, Hist.) 207, 391, 395f., 398, 407, 453, 460, 465, 472 Schreyer, Sebald (Kirchenmeister St. Sebald) 326, 329 Schürer, Matthias (Drucker, Straßburg) 332 Schumann, Christian (Kupferstecher) 428 (Abb. 20) Schwangau (Waltenhofen, Bm. Augsburg) 247–249 Schwarzenbach (Pf. Seeg, Bm. Augsburg) 246 Scharzenburg-Nöstach, Heinrich und Rapoto von 366 Schwaiger, Hans Georg 208, 257 Schwaiger, Georg (Historiker) 257 Seachnall (Secundinus, Hl.) 222 Sebaldus (Hl.) 326 –332 – Sebaldus-Ode 329f. Sebald Schreyer (s. Schreyer) Sebastian (Hl.) 36, 47f., 208
526 Sebastian, Sperantius (Dompropst von Brixen) 34 Seckau (Stift) 191 Segebodo Berswordt (legum doctor) 292–294 Senfter, Michael. (Schulbuchautor) 502 Servatius (Hl.) 120 Severin (Hl.) 25, 32f., 36f., 45, 47f., 120, 317 Siegfried (Ebf. von Mainz) 138 Siegfried (Abt von Gorze) 353 Siegfried 230 Sieghardinger 362 Sigehard (Patriarch von Aquileia) 140 Sigibert (Abt von Gorze) 353 Sigibold (Abt von Melk; Sygibold) 349f., 352, 355f., 374 Sigrün (Pf. Winhering, Bm. Passau) 245 Silvester II. (Papst) 231 Simeon (Symeon, Hl., Eins. von Trier) 29f. Simpert (Sintpert; Hl.) 44, 318 Simon et Iudas (Hll.) 135f. Sion 274 Siscia/Sabaria (Bm.) 60 Sisu, Einsiedlerin in Drübeck 122 Sitric III. (Silkebeard, Kg. von. Dublin) 223, 229 Sixtus, Hl. 47 Soest 287 Sophia (Hl.) 47, 120 Sophia (byz. Ksin.) 267 Sopron/Ödenburg (Bm.) 175 Soyen (Ebm. München –Freising) 246 Speyer (Bm.) 135, 137f. Spitz 373 Spreng, Anton 411, 415, 427 (Abb. 18) Springinklee, Hans (Drucker) 32, 34, 304, 324 Stabius, Johannes 35, 254f., 302f., 305f., 315 –319, 323 –328, 329 –331, 341 – Koloman-Ode, 307–314 Stainhauser, Matthäus/Matthias Steinhauser 203f.,406 Starigard/Oldenburg (Bm.) 28 Stederburg (Steterburg) 131 Steinl, Matthias 388 Stengelius, Carolus 393 – Monasteriologia 408 Steichele, Antonius 246 Stein, Edith (Benedicta a Cruce; Hl.) 440f. Steinach 227 Stephanus (Protom.) 33, 47, 120, 137, 314 Stephan (Vajk, Kg. von Ungarn) 78–80, 231 Stephan von Spanberg, Abt von Melk 486 Steyr (Burg) 67
Orts- und Personenregister
Stiborius (Stöberl), Andreas (Humanist) 306, 317f., 327 Stockerau (Stoccherouwe) 16, 28, 58f., 75, 80, 84f., 102, 114, 125f., 130, 175, 184, 200, 210, 234, 251, 254, 275, 306, 315, 341, 373, 377, 496 Stockerau, Kloster St. Koloman (Steyler Missionsschwestern) 45, 130, 175, 315, 473–477 – Ehem. Franziskanerkloster 474 Stöberl, Andreas (s. Stiborius) Stöckelsberg (Dekanat Kastl, Bm. Eichstätt) 244 Stotz, Peter (Altphilologe) 191 Stourzh, Gerald 72 Strassburg (Bm.) 138, 194f. Strassburg, Seminarbibliothek 191 Stretzinger, Thomas 320 Strub, Arbogast 320, 322 Stuhlweissenburg (Alba Regia) 225, 235 Subiaco (Kloster, OSB) 141 Sulpicius Severus (Hist.) 273 Sunthaim, Ladislaus 329 Surius, Laurentius(OCart.) 252, 254, 331 Sygibold (s. Sigibold, Abt von Melk) Symeon Stylites 271 Taiskirchen (Pfarre, OÖ) 136 Talheim (an der Perschling) 366 Tallinn 286 Tegernsee (Kloster, OSB) 22, 193, 234f., 237, 257 Tengling (Lk. Traunstein) 241, 247 Teplice 386 Teresa von Ávila (Hl.) 441 Thaler, Sigismund (OSB, Abt von Melk) 214f. Thaya (Fluss) 59 Theodora (byz. Prinzessin, Frau Hg. Heinrichs II., Jasomirgott) 66 Theodosius I. (Ks.) 268, 395 Theophanu (Ksin.) 122 Therese von Lisieux 181 Thiedrich (Kleriker Magdeburg) 230 Thiemo (Domherr von Würzburg, Gegenbf. Passau) 148 Thiemo (Abt von St. Peter, Ebf. von Salzburg) 149, 151 Thietmar (Bf. von Merseburg) 57f., 83f., 104, 106 – 125, 127, 183, 186f., 189, 219f., 230 –233, 255, 348, 373 Thiofried von Echternach (Abt) 270 Thomas, Apostel 47 Thomas, Hl. (Canterbury) 47
Orts- und Personenregister
Thomas Ebendorfer 25, 321f., 341 Thomas Stretzingers (s. Stretzinger) Thonhausen (Ebm. München-Freising) 246 Thorn 286 Thunau (s. Gars/Thunau am Kamp) 102 Tiburtius (Hl., und Valerianus) 47, 258 Tieck, Ludwig 42 Tiemo II. (Vogt v. Vornbach) 357 Timotheus (Hl.) 47 Tobias (Hl.) 48, 211 Toledo (Dom) 295f. Tongerloo 38 Totman (Märt., s. Kilian, Koloman d. Ä.) 123 Traiskirchen (Pfarre) 136, 358, 361 Trattner, Johann Thomas Edler von 37 Traub, Andreas (Historiker) 20 Traungau 67 Traunkirchen (OSB Kloster) 130 Trautson, Paul Sixtus II. 46 Tremonia (Dortmund/Tre(s)moigne) 283 Tribur (Fürstentag) 135, 140 Trient, Konzil 173 Trier, (Ebtm.) 17, 354 Trier, Simeonstift (s. Poppo) 229, 317, 356 Triest 70 Trithemius, Johannes (OSB) 254, 332 Trudpert (Märt.) 228 Tschenstochau 506 Tulln 64, 143 Turmaier, Johannes (s. Aventin, Johannes) Turul-Statue 443 Tussenhausen (Bm. Augsburg) 246 Ukraine 231 Ulm 140 Ulrich (Hl., Bf. von Augsburg) 27, 30, 47, 122, 435 Ulrich I. (Bf. von Passau) 349, 355, 359, 361, 371 Ulrich (Abt. St. Emmeram/Regensburg) 258 Ulrich (von Radlberg) 350, 373f. Ulrich von Winzenburg Ulrich (Sohn Meginharts, Vogt in Göttweig) 365 Unstrut, Schlacht a.d. 146 Untergrafendorf (Pöndorf, Bm. Passau) 245 Urban I (Hl.) 47, 148–151 Urban II. (Odo von Chatillon, Papst) 148f., 150f., 358 Urban VIII. (Papst) 434 Ursula (Hl., Patronin der Rheinischen Nation der Univ. Wien) 47, 320
527 Uidigernus (Bf. von von Straßburg) 130 Vadianus, Joachim (Joachim Watt) 227, 320 –322, 331–333, 341 Vajk (s. Stephan I.) Valentin (Hl.) 25f., 47 Valerianus (und Tiburtius) 47 Vardius, Hugo (Historiker) 221 Varral, John Charles (Stecher) 412, 430 Velburg (Lk. Neumarkt) 240 Veit s. Vitus (Hl.) 120 Velius, Caspar Ursinus 303f., 332f. Venantius Fortunatus 267 Venedig 80 Veszprém (Bm.) 29 Vianney, Jean-Marie Baptiste (Hl.) 441 Victor III. (Papst) 148 Victricius von Rouen 270 Vigilius von Trient (Hl.) 19 Vincentius, Hl. 47 Vion, Arnoldus 255 Virgilius (Hl.) 19, 47, 194, 237, 251 Vischer, Georg Matthäus 409, 416, 422 (Abb. 11) Vischer, Peter d.J. 324 Vitalis (Hl.) 47 Vitus, Stephan (SJ) 253 –255 Vitus (Clonmel/Lismore) 253, 255 Vladivoij 83 Vösendorf (Pfarre) 136 Vohburger 136 Von Deutinger, Martin (Historiker) 246 Von Fürstenberg, Ferdinand 38 Von Schoenebeck, Mechthild (Autoin) 297 Von Strassoldo, Georg Andreas (Pfarrer von Eggenburg) 276 Vornbach (s. Formbach, Kloster, OSB) 357 Liber Traditionum 361f. Vornbach (Grafen von) 345 –375 Vornbach-Kreuzenstein (Grafen von) 374 Wackersdorf 442 Walbeck (Stift) 106 Walbeck (Grafen von) 106 Walburga (Pfarrkirche, Oestrich-Winkel) 293 Waldo (Zeuge) 362, 369 Walker, Granville (Komponist; Reinoldus-Kinderoper) 297 Walkertswinn (St. Koloman) 241 Waltenhofen (Bm. Augsburg) 247
Orts- und Personenregister
528 Walter (von Traisen) 367 Waltilo (comes) 60 Ward, Hugh (Hugo Vardius, Hist.) 222 Warmersdorf (Bm. Regensburg) 243 Wattenbach, Wilhelm (Historiker) 220 Weber, Franz Seraphicus (OSB Melk) 216 Weiditz, Hans 36 Weih-St. Peter (Schottenkloster) 235f. Weikendorf (Pfarre) 22, 355, 358, 373 – Pfarre St. Koloman 477–479 – Weingarten (Kloster, OSB) 402 Weinman, Marcus (Kupferstecher) 484 Weinkramer, Ignaz (Wachszieher) 483 Weinviertel 101 Weipertshausen 246 Weisflog, Gustav E. 43 Weissenburger, Johann (Drucker, Nürnberg) 304 Weißenkirchen (Pfarre) 136 Weitenegg (Burg/Schloss) 411 Welf IV. (Hg. von Bayern) 130, 134, 140, 149 Welf V. 150 Wels (Burg) 67 Wendehorst, Alfred (Historiker) 25 Wenzel (Hl.) 31, 47 Werblinger, Anselm (OSB, Freising) 399 Wergand (Graf ) 370 Werner, Friedrich Bernhard 408f., 412, 414, 418 (Abb. 4), 419 (Abb. 6), 420 (Abb. 8), 422 (Abb. 10), 431 (Abb. 26) Wertema, Joseph von (OSB Melk) 390, 395 Westhoff, Dietrich (Chronist) 287f. Wezelin (Diakon) 368 Wibert von Ravenna (Gegenpapst Clemens III.) 147 Widemann, Josef (Historiker) 368 Widukind von Corvey (Historiograph) 109 Wien (Bm.1469/Ebm.1722) 45, 236, 315 – Am Hof 235f. – Collegium Poetarum 302 – Dom-und Diözesanarchiv 175 – Konkordat (1855) 504 – KHM, Weltl. Schatzkammer 96 – Lycée français de Vienne 499, 504 – Melkerhof-Kapelle 215 – Museum für Volkskunde 483f. – ÖNB 59, 316, 322 – Platz am Hof 235 – Schottenkloster 219, 235f. – St. Stephan 31, 316, 333, 504
– (Bischofstor) Kolomani-Stein 236, 269, 390 – Virgilkapelle 19 – Stadt 175 – Universität 24, 32, 41, 46, 227f., 261, 302f., 306, 318, 325,329, 332f., 341 Wienfluss 361 Wiener Neustadt (Bistum) 175 Wilczek, Grafen von 275 Wildenberg, Hans Ebran von 251 Wilhelm V. (Hg. von Aquitanien) 132 Wilhelm von Dijon 353 Wilhelm (Abt von Hirsau) 151f., 353, 355 Willigis (Ebf. von Mainz) 83f. Windischbauer, Elfriede 500, 502 Winterburger, Johannes 163f., 301, 361 Wirnto (Abt von Göttweig) 354 Wocho (Zeuge) 361 Wodka, Josef (Hist.) 136, 174 Wörth (Lk. Erding) 240 Wolf, Hans (Historiker) 360 Wolfgang (Hl.) 47, 251 Wolfgang Cameri(n)us (Chaemrer) s. Camerarius Wolfgang Schaffenrath, Abt von Melk 213, 225 Wolfhard von Herrieden (OSB) 23, 50 Wolfratshausen, Herren von 469 Wolgemut, Michael 326 Worms 134, 138 Wratislaw (Hg. von Böhmen) 144 Würzburg (Bm.) 188 Würzburg (St. Burkhard) 354 Würzburg (Schottenkloster) 227 Wullersdorf (Pfarre) 355, 358, 360f. Ybbs 133 Zajic, Andreas 137 Zedelmaring (Zedelmering) 365f. Zeiselmauer, Passauer Hof 151 Zeno (Ks., Byzanz) 271 Ziegler, Johann Andreas (Kupferstecher) 426 (Abb. 16) Zilling, Henrieke Maria 196 Zinnhobler, Rudolf 245 Zöllner, Erich 60 Zurstrassen, Annette (Historikerin) 360 Zürich, Bauernkalender 41 Zwettl (OCist) 321Augsburg (Bm.) 141, 246f., 435