1200 Jahre deutsche Sprache in synoptischen Bibeltexten: Ein Lese- und ein Arbeitsbuch 9783111551579, 9783111182094


191 35 21MB

German Pages 150 [152] Year 1969

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

1200 Jahre deutsche Sprache in synoptischen Bibeltexten: Ein Lese- und ein Arbeitsbuch
 9783111551579, 9783111182094

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Tschirch, 1200 Jahre deutsche Sprache

1200 Zrchre deutsche Spracht in synoptischen Bibcltcrten Ein Lese- und ein Arbeitsbuch herausgegeben von

fntz Tfchirch Zweite, durchgesehene Auslage

Walter de Gruhter & Co • Berlin vormals G. I . Göschen'sche Berlagshandlung • I . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl I . Trübner • Veit & Comp.

1969

Archiv-Nr. 45 61 69/1 Prinled in Germany Copyright 1969 by Walter de Gruyter & Co., vormals G.J.Göschen'sche Berlagshandlung — S . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer Karl S .T rübner — Beit se Comp. Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Photokopien und Mkrofilmen, auch auszugsweise vorbehalten Satz: Walter de Gruyter se Co., Berlin

Inhalt Seite

E in fü h r u n g ............................................................................................................................................. VII 1. Aufgabe und A u s w a h l............................................................................................................. V II 2. Die Q u e lle n ................................................................................................................................. IX a) Das G erü st............................................................................................................................. IX b) Die Füllung................................................................................................................................ X III 3. Beispiele .........................................................................................................................................XVI 4. Helfer und Hilfen ........................................................................................................................ X X I Q u e lle n v e r z e ic h n is ...............................................................................................................................X X II D ie T exte (in Klammern die im Apparat mitgeteilten Quellen)...................................................... A u s dem N eu en T estam en t I. Die Verkündigung: Lukas1 ,1 —8 0 ..................................................................................... 1. Griechisches NT. — 2. Vulgata (Vetus Latina). — 3. Tatian (46—55; 68—79 Notker). — 4. Mentel (die übrigen Drucke derBM). — 5. Evangelienbuch. — 6. Luther 1522 (Emser). — 7. Zinzendorf. — 8. Menge.

1 2

II. Die Weihnachtsgeschichte: Lukas2 ,1 —2 0 ...................................................................................24 1. Griechisches NT. — 2. Vulgata (Vetus Latina). — 3.Tatian. — 4.Mentel (die übrigen Drucke der BM). — 5. Evangelienbuch. — 6.Luther 1522 (Luther, Weih­ nachtsposülle; Emser). — 7. Zinzendorf. — 8. Menge. III. Die Geschichte vom verlorenen Sohn: Lukas 15,11—3 2 ............................................. 30 1. Griechisches NT. — 2. Vulgata (Vetus Latina). — 3. Tatian (22—24; 29—32 WienMünchener Fragmente). — 4. Mentel (die übrigen Drucke der BM). — 5. Evangelien­ buch (Bensheimer Fragment). — 6. Luther 1522 (Emser). — 7. Zinzendorf. — 8. Menge. IV. Christus und die Samariterin: Johannes 4 ,5 —4 2 ................................................................. 38 1. Griechisches NT. — 2. Vulgata (Vetus Latina). — 3. Tatian (17—21; 26—29 WienMünchener Fragmente). — 4. Mentel (die übrigen Drucke der BM). — 5. Evangelien­ buch. — 6. Luther 1522 (Emser). — 7. Zinzendorf. — 8. Menge. V. Gleichnisse vom Himmelreich: Matthäus 13,44—53 ........................................................ 1. Griechisches NT. — 2. Vulgata (Vetus Latina). — 3. Tatian. — 4. Monseer Frag­ mente. — 5. Mentel (die übrigen Drucke der BM). — 6. Evangelienbuch. — 7. Luther 1522 (Emser). — 8. Menge.

52

VI. Von der königlichen Hochzeit und vom Zinsgroschen: Matthäus 22,1—22.................... 54 1. Griechisches NT. — 2. Vulgata (Vetus Latina). — 3. Tatian. — 4. 1—13 Monseer Fragmente; 9—22 Wien-Münchener Fragmente. — 5. Mentel (die übrigen Drucke der BM). — 6. Evangelienbuch. — 7. Luther 1522 (Emser). — 8. Menge. VII. Vom Ende der Welt: Matthäus 24,29—3 5 ......................................................................... 60 1. Griechisches NT. — 2. Vulgata (Vetus Latina). — 3. Tatian. — 4. Monseer Frag­ mente. — 5. Mentel (die übrigen Drucke der BM). — 6. Evangelienbuch. — 7. Luther 1522 (Emser). — 8. Menge. VIII. Aus den Briefen des Paulus: a) Römer 1 ,1 —3 2 ..................................................................................................................... 64 b) Epheser 1 ,1 —2 3 ......................................................................................................................76 1. Griechisches NT. — 2. Vulgata (Vetus Latina). — 3. Mentel (die übrigen Drucke der BM). — 4. Gotha-Salzburger Paulinen. — 5. Luther 1522 (Emser). — 6. Zinzen­ dorf. — 7. Bahrdt. — 8. Menge. a*

VI

Inhalt Seite

A us dem A lten T estam e n t IX . Erzählungen aus der Genesis a) die Schöpfungsgeschichte: 1. Mose1,1—3 1 ........................................................................86 b) der Sündenfall: 1. Mose 3,1—2 4 .....................................................................................94 c) Isaaks Opferung: 1. Mose 22,1—1 3 ............................................................................100 1. Vulgata (Vetus Latina). — 2. Mentel (die übrigen Drucke der BM). — 3. Münchener Handschrift. — 4. Luther 1523 (Dietenberger). — 5. Mendelssohn. — 6. Menge. X. Belsazar: Daniel 5,1—3 0 .................................................................................................. 106 1. Vulgata (Vetus Latina). — 2. Mentel (die übrigen Drucke der BM). — 3. Claus Cranc. — 4. Wormser Propheten (Dietenberger). — 5. Luther 1534. — 6. Menge. XI. Aus dem Psalter a) Psalm 16 ( 1 7 ) ..................................................................................................................116 1. Vulgata (Vetus Latina). — 2. Notker. — 3. Windberger Psalmen. — 4. Schleizer Fragmente. — 5. Heinrich von Mügeln. — 6. Luther 1523 (Dietenberger). — 7. Luther 1545. — 8. Menge. b) Psalm 89 (90) . . .................................................................................................... 120 1. Vulgata (Vetus Latina). — 2. Notker. — 3. Windberger Psalmen. — 4. Mentel (die übrigen Drucke der BM). — 5. Heinrich von Mügeln. — 6. Luther 1523 (Dieten­ berger). — 7. Luther 1545. — 8. Menge. c) Psalm 124 ( 1 2 5 ) ........................................................................................................... 126 1. Vulgata (Vetus Latina). — 2. Altalemannisch. — 3. Notker. — 4. Windberger Psalmen. — 5. Mentel (die übrigen Drucke der BM). — 6. Heinrich von Mügeln. — 7. Luther 1523 (—1545; Dietenberger). — 8. Menge.

Einführung 1. Aufgabe und Auswahl Die Zeiten sind endgültig vorbei, in denen die minutiöse Bettachtung des Lautwandels und die systematische Aufordnung des Formenbestandes als erschöpfende Behandlung der Ge­ schichte einer Sprache galt. S o unerläßlich für den Sprachhistoriker die sichere Kenntnis und mühelose Beherrschung dieser Grundlagen ist und bleibt — mit wachsender Aufmerksamkeit richtet sich sein Blick auf jene Bereiche der Sprachgestalt, die während des 19. Jahrhunderts und bis in den Beginn des unseren hinein im Schatten gelegen haben: auf den Wortschatz, die Wort­ bildung, den Satzbau, kurz: auf das Ganze des Sprachausdmcks. Nachdem ein Jahrhundert hindurch alle sprachwissenschaftliche Bemühung im wesentlichen den kleinsten Bestandteilen zu­ gewandt war, aus denen sich Sprache ausbaut, meldet der Drang nach Zusammensicht, nach Beachtung der Bedeutung, des Gehalts immer fordernder seine Rechte an, gilt unsere Arbeit immer entschlossener dem Wort als Sinnttäger, dem Satz als Aussageeinheit, der Rede als geschlossenem Gefüge, mit einem Wort: der lebendigen Sprache in ihrem vollen Umfang. Wenn die Wissenschaft der Sprachgeschichte sich dieser neu in den Gesichtstteis ttetenden Gebiete wirklich wissenschaftlich bemächtigen und aus ihnen zu ebenso einwandfreien wie über­ zeugenden Ergebnissen kommen will, wie sie die vorausgegangenen Generationen der Sprach­ historiker für die Laut- und die Formenlehre erzielt haben, so muß sie dafür eine gleich ttagfähige Grundlage schaffen. Damit ist der methodische Weg für die Lösung dieser Aufgabe vor­ gezeichnet: An entsprechenden sprachlichen Inhalten muß der Wandel ihrer Ausdrucksgestalt beobachtet werden. Sammlungen deutscher Sprachdenkmäler für den gesamten Zeittaum, den die literarische Überlieferung uns übersehen läßt, wie für einzelne geschichtliche Abschnitte gibt es vielerlei, unter ihnen manche sprachgeschichtlich orientierten — den eben bezeichneten Dienst vermögen sie, auch wenn die Absicht ihrer Verfasser darauf zielte, nicht zu tun. Regelmäßig nämlich bieten sie, selbst wenn sie motivisch oder inhaltlich verwandte oder — ein besonderer Glücksfall! — gleiche Vorwürfe zusammenstellen, in bezug auf die sprachliche Einzelgestaltung selbständige, heterogene Texte. Auf diese Weise entbehren sie eben der exakten Vergleichsgrundlage, wie sie der alten Laut- und Formenlehre in der Unzahl von Wörtem und Formen, die sie durch die Geschichte einer Sprache hindurch ununterbrochen nachweisen kann, verschwenderisch zur Ver­ fügung steht. Auf solchen scharfen Einzelvergleich aber kommt gerade alles an. Es gibt nur einen literarischen Vorwurf, der diese entscheidende Bedingung genauer Wortfür-Wort- und Sinn-für-Sinn-Entsprechung bei ausreichend dichter Bezeugung über längere geschichtliche Zeiträume hinweg erfüllt. Die Bibel ist das einzige Buch, das in allen Ländern seit ihrer Christianisierung immer erneut in die Volkssprache übertragen worden ist. Als verbum dei ist ihre Darstellung bis in den Wortlaut hinein jener Freiheit in der sprachlichen Nachgestaltung entzogen, die alle anderen literarischen Vorwürfe für eine derartige Aufgabe unbrauchbar macht. Nur bei ihr paßt man den gleichen Inh alt niemals den zu verschiedenen Zeiten veränderten Anliegen und Auffassungen der Menschen an. Durch diese Sonderstellung erhält die Bibel für die oben umrissene Zielsetzung der Sprachwissenschaft einen einzigartigen Rang, der selbst den Stoffen, die in der Weltliteratur immer wieder aufgegriffen worden sind, schlechterdings versagt ist. Die unaufhörlichen Versuche, die Bibel in das Deutsch der jeweiligen Zeit zu übertragen, bieten das dafür notwendige sprachliche Vergleichsmaterial in erwünschtem Umfange dar. An

ihm läßt sich die geschichtliche Entfaltung der Sprachgestalt des Deutschen im großen wie im kleinen, im ganzen wie im einzelnen genau verfolgen, mag dabei das Augenmerk der forschenden Bemühung auf die herkömmlichen Gebiete des Lautstandes und der Formenlehre wie auf die neuen der Wortbildung, des Wortschatzes und der Satzfügung gerichtet sein. Die hier vorgelegte Auswahl aus der großen Zahl der Bibelverdeutschungen von den An­ fängen unserer literarischen Überliefemng bis in die Gegenwart möchte eine Arbeitsgrundlage schaffen, durch die diese neuen Aufgaben sprachwissenschaftlicher Arbeit nicht nur in ihren Mög­ lichkeiten erwogen, abgetastet und erprobt, sondern ernsthaft angepackt werden können. Um den notwendigen Einzelvergleich von Wort und Wort, Wendung und Wendung, Satz und Satz zu erleichtern, sind die Texte nach dem Beispiel der alten Polyglottenbibeln in Spalten nebenein­ andergesetzt und innerhalb der Verse für gewöhnlich in Sinnabschnitte auseinandergezogen, damit das Auge, unterstützt vielleicht von einem darunter gelegten Streifen, der die Zeile halten hilft, schnell die jeweiligen Entsprechungen zu finden vermag. Bei der Auswahl sind solche Abschnitte bevorzugt, die nach Inhalt wie Darstellung zu den wesentlichsten Stellen der Bibel als eines Buches der Weltliteratur gehören und deshalb auch die nachschaffende Phantasie der Künstler aller Zeiten immer wieder angeregt haben. Die Verkündigungs- und die Weihnachtsgeschichte wie die Erzählungen vom verlorenen Sohn aus Lukas, von Christus und der Samariterin aus Johannes wie ein paar Gleichnisse Jesu aus Matthäus und aus dem Alten Testament die Genesiserzählungen von der Schöpfung, vom Sündenfall und von Isaaks Opferung wie die Geschichte Belsazars aus dem Buch Daniel gehören dazu. Beim Vergleich dieser Stellen, in denen es sich um Wiedergabe von Geschehnissen, um epischen Bericht handelt, wird deutlich, wie nicht nur Luther, sondern auch seine Vorgänger und Nach­ folger sich dem gegebenen Text gegenüber im Alten Testament ungebundener, freier fühlen als im Neuen. Nicht nur, daß die Übersetzer für das Alte Testament in einer kürzeren Tradition stehen — offenkundig kommt ihm überhaupt geringere Schwere zu: es gilt nicht so unmittelbar als Wort Gottes wie das Neue. Daneben mußten die sprachlich so schwierig zu fassenden gedanklichen Darlegungen des Paulus und die hymnisch-kultische Psalmendichtung vertreten sein. Mit Bedacht ist dabei dort auf den berühmten Hochgesang auf die Liebe 1. Kor. 13, hier auf den wegen seiner Nachgestal­ tung durch einen althochdeutschen Dichter besonders interessierenden Psalm 138 verzichtet worden. Für jenen bietet die Veröffentlichungsreihe des Deutschen Bibelarchivs in Hamburg „Bibel und deutsche Kultur" 4 (1934), 54—102 eine Zusammenstellung aus 66, für diesen ebenda 3 (1933), 97—138 das gleiche aus 38 Quellen (die allerdings in beiden Fällen nur bis Luther reichen). I m einzelnen ziehen die Zufälligkeiten der handschriftlichen Überlieferung einer derartigen Auswahl enge Grenzen und entheben den Herausgeber weithin der eigenen Entscheidung. Denn im Blick auf das Ziel dieses Studienbuches mußte darauf gesehen werden, daß die dar­ gebotenen Ausschnitte sich in ungefähr gleicher Streuung über die 1200 Jahre verteilen, die die literarische Überlieferung des Deutschen umspannen. Das ist freilich nur für die Evangelien, die Psalmen und vereinzelte alttestamentliche Stellen zu erreichen; im allgemeinen setzt die literarische Bezeugung erst mit den frühen Drucken der sogenannten vorlutherschen Bibel ein. Daher genügte für die erzählenden Abschnitte aus dem Alten Testament der Paralleldruck von sechs Spalten. Für das Neue Testament und die Psalmen wurden in der Regel Stellen gewählt, die im Mittelalter so häufig überliefert sind, daß hier acht Spalten ein kontinuierliches Bild von den übersetzerischen Bemühungen während des ganzen Zeitraums geben, ohne daß, wie bei den Paulusbriefen und dem Alten Testament unvermeidlich, Spätmittelalter und Neu­ zeit bevorzugt werden müssen. Wo eine gelegentlich dichtere Überlieferung in älterer Zeit die Möglichkeit einer Auswahl bot, ist die Entscheidung im allgemeinen zugunsten schwer zu be­ schaffender oder unzugänglich gewordener Texte getroffen. Falls es eindringende Arbeit er­ forderlich machen sollte, weitere in neuen Ausgaben greifbare Übersetzungen vergleichend heran­ zuziehen, lassen eben sie sich leicht daneben legen. Grundsätzlich ist darauf gesehen, Übersetzungen

zu bieten, die jeweils eine neue Stufe auf dem Anstieg unserer Sprache zu immer größerer Frei­ heit und Eigenwüchsigkeit ihrer Gestalt gegenüber dem fremden Sprachvorbild darstellen. Es kam hier also entscheidend darauf an, die selbständige Auseinandersetzung mit der Überlieferung bis hin zu ihrer Überwindung, nicht ihre Bewahrung aufzuweisen. Wie zäh trotzdem die konser­ vative Kraft der Tradition einmal Gefundenes und Geformtes festgehalten hat, davon zeugt fast jede Zeile. Dies Ringen der rückwärts gewandten bewahrenden mit den vorwärts drängen­ den verändernden Kräften will vornehmlich auch der Apparat zur Geltung kommen lassen.

2. Die Quellen a) D as Gerüst Die vier Tragpfeiler für diese Sammlung ausgewählter Bibelstellen bilden die Vulgata als gewöhnliche Vorlage, die vorluthersche Bibel als Vertreter der Übersetzung ins Mittelhochbeutfche1), die Eindeutschung Luthers zu Beginn der Neuzeit ins Frühneuhochdeutsche und die Übersetzung Hermann Menges von 1926 in das Neuhochdeutsch unserer Tage. Der Wortlaut der Vulgata als Grundlage für fast alle Bibelübersetzungen bis auf Luther mußte mitgeteilt werden, weil nur durch den Vergleich mit ihrem Wortlaut der Grad der sprach­ lichen Abhängigkeit oder der Lösung von ihrer Wortgebung und damit die Leistung des Über­ setzers in der Verwirklichung der deutschen Sprachgestalt sicher beurteilt werden kann. Da sich ihre Geltung erst im Mttelalter durchgesetzt hat, verzeichnet der Apparat die Abweichungen der Vetus Laiina, der altlateinischen Rezension. Dadurch läßt sich erkennen, wie weit Verschieden­ heiten der deutschen Texte untereinander auf verschiedener lateinischer Vorlage beruhen. Die Jtala-Ausgabe der Berliner Akademie beschränkt sich freilich auf die Evangelien, und von der neuen Bearbeitung in Beuron liegen bislang nur die ersten vier Bände des Alten Testaments bis zum Buch Ruth vor. So sieht sich. der Bearbeiter in der Hauptsache noch immer an die drei stattlichen Bände des Petrus Sabatier gewiesen, die in bezug auf Vollständigkeit und Klarheit ihrer Angaben bei ihrem respektablen Alter von über 200 Jahren trotz aller ehemaligen Ver­ dienstlichkeit modernen Anforderungen nicht mehr gewachsen sein können. Für die neutestamentlichen Stellen bietet der Apparat die Jtala-Rezensio Jülichers, soweit sie über bloße ortho­ graphische Varianten hinausgeht; unberücksichtigt sind die mannigfachen Abweichungen der altlateinischen Handschriften untereinander geblieben, da sie für gewöhnlich zum Text der Vul­ gata stimmen oder zwischen diesen beiden Haupttexten liegen. Für alle übrigen Stellen begnügt sich der Apparat damit, aus Sabatier lediglich diejenigen Abweichungen der versio antiqua vom Vulgatatext zu verzeichnen, die zur Textgestaltung einer oder mehrerer der mitgeteilten deutschen Übersetzungen stimmen. Ein Vergleich des Textes der Vetus Latina in Jülichers Jtala-Ausgabe mit den Angaben des Apparats bei Sabatier zeigt nämlich, daß die altlateinische Version aus Sabatiers Angaben nicht aufgebaut werden kann. Daß solche Übereinstimmung bei den Ein­ deutschungen seit Luther zumal in den alttestamentlichen Abschnitten häufig begegnet, beruht natürlich auf indirektem Zusammenhang: die altlateinische Rezension steht dem ursprünglichen griechischen bzw. hebräischen Text allenthalben näher als die Vulgata. Im übrigen läßt der Einzelvergleich nur zu deutlich erkennen, daß den frühesten Übersetzungen oft nicht unbeträcht­ lich von diesen beiden Fassungen abstehende Textrevisionen zugmnde liegen. Weil die Spezial­ forschung in der Aufhellung dieser Zusammenhänge das meiste erst zu leisten hat, ist hier auf weitere Angaben, die notwendig unsicher bleiben mußten, verzichtet. Darüber hinaus bieten die Auswahltexte aus dem Neuen Testament in der ersten Spalte den Wortlaut der griechischen Bibel als der Grundlage für alle deutschen Übersetzungen seit Luther. Damit ist die Möglichkeit für eine unmittelbare Stellungnahme zu der neuerdings auf­ geworfenen Streitfrage gegeben, ob der Reformator für seine Verdeutschung wirklich vom *) Außer aus Raumgründen für Psalm 16 (17).

griechischen Original ausgegangen ist1). Entsprechend hätte zu den alttestamentlichen S tellen der hebräische Text gehört, zumal er insbesondere bei den Psalmen vielfach erheblich vom W ortlaut der V ulgata abweicht. D a aber selbst die Theologen für das exakte Verständnis der hebräischen Gmndlage weithin die Kommentare zu den einzelnen Büchern des Alten Testaments zu R ate ziehen müssen, eine moderne Wort-für-Wort-Übersetzung, an die m an hätte denken können, prekär bleibt, ist, schon aus Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden Raum , von seiner Mitteilung Abstand genommen worden. F ü r jede inhaltliche Abweichung müssen jene Kommen­ tare, die m it ihren subtilen Erläuterungen und Angaben alles Erforderliche bieten, sowieso nachgeschlagen werden. Die S p alte für die vorluthersche deutsche Bibel des M ittelalters (BM ) gibt den W ortlaut des ältesten Drucks, den Johann Mentet(in) 1466*) in Straßburg herausgebracht hat, nach der Kurrelmeyerschen Ausgabe, doch mehrfach in selbständiger Entscheidung gegen deren Text­ gestalt. D er Vergleich m it zeitlich benachbarten Übersetzungen läßt eindrucksvoll deutlich werden, daß M entel eine Handschrift m it einem mindestens anderthalb Jahrhunderte älteren Sprachstand abgedruckt hat (darum ist das trügerische Druckjahr hier eingeklammert). S e in Druck ver­ tritt in Wirklichkeit die erste vollständige Übersetzung der Bibel ins Deutsche, die wir besitzen, und spiegelt Sprachgestalt und Übersetzungstechnik in mittelhochdeutscher Z eit auf der Schwelle vom Hoch- zum Spätm ittelalter wider; deshalb mußte er vor jenen handschriftlichen Zeugen aus der Geschichte der deutschen Bibelübersetzung angeordnet werden, die in ihrem Habitus unverkennbar über diese archaische Druckgestalt hinausgeschritten sind. D er A pparat verzeichnet, wiederum nach Kurrelmeyer, die Abweichungen der auf M entel fußenden späteren 13 Bibeldrucke, soweit sie nicht orthographische Varianten oder offenkundige Druckfehler darstellen. N ur die — wenigen — Besonderheiten der um 1477 bei Jo h an n Sensen­ schmidt in Nürnberg erschienenen, früher sogenannten Schweizerbibel (Kurrelmeyers Sigle A) sind unberücksichtigt geblieben. F ü r den Zielpunkt dieses Arbeitsbuches aber erweist sich Kurrel­ meyers Verfahren, die einzelnen Drucke durch Buchstaben zu kennzeichnen, als ungeschickt. Wenn der Benutzer aus ihnen die Entfaltung der deutschen Sprachgestalt ablesen soll, so muß er auf den ersten Blick ihre zeitliche Folge erkennen können; denn die Änderungen, die besonders gründlich die Verleger G ünther Zainer 1475, Anton K oberger 1483 und, abgeschwächt, Hans O tm ar 1507 in ihren Ausgaben durchgreifend und systematisch vorgenommen haben, stellen nichts anderes als immer weitergehende sprachliche Modernisierungen des veralteten Textes dar. Deshalb habe ich nach dem Vorbild der Bibelbände in der W eimarer Lutherausgabe (WA, Die deutsche Bibel, Bd. 6ff.) an S telle von Kurrelmeyers Siglen die Zahl des (vermutlichen) Druckjahres unter Fortlassung der Jahrhundertbezeichnung angegeben*). Wie in der WA besagt *) Vgl. Hermann Dibbelt: Hatte Luthers Verdeutschung des Neuen Testaments den griechischen Text zur Grundlage? Archiv für Reformationsgeschichte 38 (1941), 300—330; dazu Heinrich Bornkamm: Die Vorlagen zu Luthers Übersetzung des Neuen Testaments; Theologische Literaturzeitung 72 (1947), 23—26; Hans Bolz: Melanchthons Anteil an der Lutherbibel; Archiv s. Reformationsgesch. 46 (1964), 196—233. 2) Die neuerdings üblich werdende Ansetzung des Menteldrucks auf 1461 geht auf Karl Schorbach: Der Straßburger Frühdrucker Johann Mentelin, Mainz 1932, S . 176 und *3 zurück. Er fußt dabei auf Otto Günther: Die.Wiegendrucke der Leipziger Sammlungen, Leipzig 1909, S . IX . Ferdinand Sichler hat in seiner Notiz: Wann wurde Mentelins deutsche Bibel gedruckt? im Gutenberg-Jahrbuch 1935, S . 67 sorgfältig nachgewiesen, daß Günther mit dieser Datierung einem Lesefehler zum Opfer gefallen ist, der dadurch, daß Schorbach ihn ungeprüft übernommen hat, sich jetzt erst verhängnisvoll auszuwirken droht. Dabei ergibt sich aus den Tafeln bei Schorbach im Anhang mit aller wünschenswerten Eindeutig­ keit, daß in der Jahresangabe 1467 des Rubrikatorenvermerks die deutlich dastehende 7 in 1 verlesen worden ist. Unabhängig von Sichler hat das gleiche auch Kurt Ohly in seiner Besprechung Schorbachs in den Bei­ trägen zur Jnkunabelkunde, Neue Folge 1 (1935), 118 festgestellt. Es verbleibt also bei der alten Datierung Mlhelm Walthers. *) Es entsprechen also Kurrelmeyers Siglen folgende Jahresbezeichnungen: M (Johann Mentelin, Straßburg, um 14)66, E (Heinrich Eggensteyn, Straßburg, um 14)70, P (Jodocus Pflanzmann, Augsburg, um 14)73,

das Zeichen < , daß alle folgenden Drucke die gleiche Lesart zeigen. Der Nachteil, daß diese Art der Kennzeichnung mundartliche Unterschiede, die natürlich zahlreiche Anbetungen veranlaßt haben, aus dem Blickfeld rückt, muß gegenüber der Notwendigkeit, von der Aufgabe her die Grundlinien der allgemeinen sprachlichen Entwicklung in ihrem zeitlichen Ablauf erkennen zu können, in Kauf genommen werden. Auch daß auf diese Weise die bei Kurrelmeyer durch S und Zc unterschiedenen beiden Bibeldrucke von 1477 nicht auseinanderzukennen sind, bleibt für den Gesichtspunkt dieser Veröffentlichung unerheblich; für alle Betrachtungsformen, die derartige Unterscheidungen nötig machen, muß ja Kurrelmeyers Apparat in jedem Fall befragt werden. Über die geschichtliche Bedeutung von Luthers Bibelübersetzung, in der alle bisherigen Eindeutschungsversuche zusammenschießen und deren Wirkung in die Jahrhunderte danach, bis heute unvermindert, weiter strahlt, braucht hier nichts gesagt zu werden. Nicht leichten Herzens habe ich der Versuchung widerstanden, die Eigenentwicklung des Lutherschen Textes von den Vorstufen in den Bußpsalmen, in der Kirchenpostille von 1522 und in den handschrift­ lichen Entwürfen und Revisionsprowkollen bis zur „Ausgabe letzter Hand" von 1545 zu ver­ folgen. Der Zwang, den Apparat auch an dieser Stelle nicht ungebührlich anschwellen zu lassen; die Tatsache, daß der Paralleldruck der ersten und letzten Ausgabe in den Bibelbänden der WA mit Angabe aller Zwischenstufen in den Lesarten über diese Entwicklung sorgfältig unterrichtet — wennschon man die in anderen Bänden veröffentlichten Vorstufen und Entwürfe an dieser Stelle vermißt — ; die Überlegung schließlich, daß diese Änderungen zur Hauptsache in die Ge­ schichte des deutschen Ausdrucksstils, nicht eigentlich der deutschen Sprache gehören, haben diesen Verzicht bewirkt. Luthers Text ist regelmäßig in der Gestalt geboten, in der er erstmals in der Bibelübersetzung zwischen 1522 und 1534 erschienen ist — in der die Wirklichkeit natürlich stark vergröbernden Meinung, daß Luther hier der Umgangssprache seiner Zeit am unmittelbarsten verhaftet und am entschlossensten gefolgt ist. Jedenfalls zeigt genaue Beobachtung immer wieder, daß für Luthers ununterbrochenes Feilen an seiner Übersetzung in der Hauptsache stilistisch-künst­ lerische, nicht selten auch theologische Gesichtspunkte maßgebend gewesen sind und vielfach zu einer rückläufigen und vorsichtigeren Behandlung des Wortlauts als zu Anfang geführt haben. Daß zweimal von diesem Grundsatz abgewichen ist, wird man hoffentlich als anregenden Ausweis der Möglichkeiten für diese hier sonst absichtlich ausgeschlossene Betrachtungsweise ver­ zeihlich finden. Zu Lukas 2 ,1 —20 bietet der Apparat die Weihnachtsgeschichte in der sehr viel ungebundeneren Gestalt, die ihr Luther als Predigttext in der Kirchenpostille von 1522 gegeben hat. Da er den Weihnachtsteil auf der Wartburg noch vor dem Beginn der Übersetzungsarbeit niedergeschrieben hat, wirft gerade dieser Wortlaut ein scharfes Schlaglicht auf das immer noch nicht bis ins letzte geklärte Verhältnis Luthers zur deutschen Bibelübersetzung vor ihm, auf seine Einbettung in den Strom der Übersetzungstradition überhaupt. Mir will scheinen, als böte schon der Vergleich der in diesem Studienbuch ausgewählten Texte eine sichere Handhabe für die Beantwortung der geradezu leidenschaftlich erörterten Streitfrage, ob Luther unmittelbar Zainers Ausgabe von 1475/76 benutzt habe1). Am freiesten steht Luther dem Grundtext in der Z (Günther Zainer, Augsburg, 14)75(/76), S (Anton Sorg, Augsburg, 14)77, Zc (Günther Zainer, Augsburg, 14)77, Sa (Anton Sorg, Augsburg, 14)80, K (Anton Koberger, Nürnberg, 14)83, G (Johann Grüninger, Straßburg, 14)86, Sb (Hans Schönsperger, Augsburg, 14)87, Sc (Hans Schönsperger, Augsburg, 14)90, O (Hans Otmar, Augsburg, 15)07, Oa (Silvanus Otmar, Augsburg, 15)18. Vgl. dazu Hans Rost: Die Bibel im Mittelalter, Augsburg 1939, S . 364/65. 1) Dies die These von Gustav Roethe: Luther in Worms und auf der Wartburg; Lutherjahrbuch 4 (1922), 16—24; derselbe: Luthers Septemberbibel; ebenda 5 (1923), 1—18; eingehend entwickelt von A. Freitag: Die Urschrift der Lutherbibel als Dokument für Luthers Benutzung der deutschen Bibel des

Verdeutschung der Psalmen gegenüber, und hier hat er in den späteren Auflagen am weitest­ gehenden geändert. Deshalb ist die erste Niederschrift, wie sie in der Zerbster Handschrift von 1523 erhalten ist, unter Fortlassung aller darin vorgenommenen Verbesserungen, Streichungen und Zusätze bei den Psalmen 17 und 90 in eigener Spalte der Fassung in der letzten von Luther durchgesehenen Vollbibel von 1545 gegenübergestellt, für Psalm 125 in den Lesarten unter Erweiterung der Angaben auf alle in der Zwischenzeit vorgenommenen Änderungen nach­ gewiesen. Der durch diesen Verzicht gewonnene Raum wurde genutzt, um darzutun, wie die katho­ lischen Bibelverdeutschungen, die als ausgesprochene Konkurrenzuntemehmen zu Luthers Werk auf den Büchermarkt geworfen wurden, geradezu sklavisch an Luthers Text gebunden sind. Beide, Hieronymus Emsers Neues Testament von 1527 wie Johann Dietenbergers Vollbibel von 1534, haben sich in ihren Kreisen größter Beliebtheit erfreut: von Emser sind in den ersten vier Jahren mindestens sechs Ausgaben und eine Übertragung ins Niederdeutsche heraus­ gekommen^; von Dietenberger kennt Panzer, dessen Zusammenstellung in Ermangelung einer neueren Bibliographie noch immer ihren Wert besitzt, in dem zweidrittel Jahrhundert bis zum Jahre 1600 17 verschiedene Ausgaben?). Daß dieser Erfolg in Wahrheit ein Triumph Luthers ist, beweist der Apparat, der sämtliche Abweichungen Emsers im Neuen und Dietenbergers im Alten Testament von Luthers Wortlaut verzeichnet (natürlich wieder von den orthographischen Varianten abgesehen). Seine Kümmerlichkeit, zumal bei den Evangelien, macht ohne weiteres Wort eindrücklich, wie Emsers Behauptung im Titel: nach laut der Christlichen kirchen bewertem text corrigiret vnd widerumb zu recht gebracht auf handfeste Irreführung hinausläuft; sie belegt, daß Luther in seiner berühmten Abrechnung mit dem Sudler zu Dresen 1530 im „Sendbrief vom Dolmetschen" nicht zu grob geworden ist und zu viel behauptet hat: D e r . . . sahe wöl, das ers nicht besser machen kundt, vnd wolt es doch zu schänden machen, fu (h )r zu , vnd nam für sich mein New Testament, fast von wort zu wort, wie ichs gemacht hab, vnd thet meine vorrhede, gloß vnd narrten dauon, schreib seinen namen, vorrhede vnd gloß dazu, verkaufst also mein New Testament unter seinem namen. W ann lieben kinder, wie geschach m ir da so wehe, da sein landsfurst m it einer greu> liehen vorrhede verdampt, vnd verbot des Luthers New Testament zu lesen, Doch daneben gebot des Sudelers New Testament zu lesen, welchs doch eben dasselbig ist, das der Luther gemacht hat. — Vnd das nicht yemand hie dencke, ich liege, So n ym beide Testament für dich, des Luthers vnd des Sudelers, halt sie gegen ein ander, so wirstu sehen, wer yn allen beiden der dolmetzscher sey. Denn was er yn wenig orten geflickt vnd geendert hat (w ie wol mirs nicht alles gesellet) So kan ichs doch wol leiden, vnnd schadet m ir sonderlich nichts, so viel es den text betrifft, darumb ich auch nie da wider hab wollen schreiben, sondern hab der grossen weißheit müssen lachen, das man mein New Testament so grewlich gelestert, verdampt, verboten hat, weil es unter meinem namen ist außgangen, Aber doch müssen lesen, weil es unter eines andern namen ist außgangen. Wie wol, was das für ein tugent sey, einem andern sein büch lestern vnd sehenden, darnach das selbige stelen, vnd unter eigenem namen dennoch auß lassen gehen, vnd also durch frembde verlesterte erbeyt eygen lob vnd namen süchen, das las ich seinen richter finden. M ir ist ynn des gnug, vnd bin fro, das meine erbeit (w ie S. Paulus auch rhümet) m uß auch durch meine feinde M ttelalters; Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, phil.-hist. Klasse, 1929, 216—237; derselbe: WA, Die deutsche Bibel 6 (1929), 595—637; 7 (1931), 552—554. Dagegen vor allem Gerhard Bruchmann: Luther als Bibelverdeutsch er in seinen Wartburgpostillen; Lutherjahr­ buch 17 (1935), 111—131; derselbe: Luthers Bibelverdeutschung auf der Wartburg in ihrem Verhältnis zu den mittelalterlichen Übersetzungen; ebenda 18 (1936), 47—82; Heinrich Bornkamm: Die Vorlagen zu Luthers Übersetzung des Neuen Testaments; Theologische Literaturzeitung 72 (1947), 26—28; Arno Schirokauer: Sie brachten auch junge Kindlein zu ihm; Zeitschrift für deutsches Altertum 85 (1954/55), 77. x) Georg Wolfgang Panzer: Versuch einer kurzen Geschichte der römisch-catholischen deutschen Bibelübersetzung; Nürnberg 1781, S . 34—68; Friedrich Jenssen: Emsers Neues Testament in nieder­ deutscher Übertragung; Diss., Rostock 1933. 2) Panzer, S . 77—108.

geföddert, vnd des Luthers büch on Luthers namen, unter seiner feinde narrten gelesen werden. Wie künd ich mich bas rechen?1). Die eingefleischten Gegner Luthers führen so selbst den klaren

Beweis, wie vollmächtig der Reformator die Sprache seiner Zeit beherrschte; wie es ihm gelungen war, bis zum letzten i-Tüpfelchen sein Programm zu verwirklichen, das er in eben diesem Send­ brief mit den geflügelten Worten umschrieben hat: Man mus die mutter jhm hause, die kinder auff der gossen, den gemeinen mann auff dem marckt drumb fragen, vnd den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, vnd darnach dolmetzschen2). Darüber hinaus läßt die vorliegende

Textzusammenstellung erkennen, daß Emser wie Dietenberger an den Stellen, wo sie von Luther abweichen, sich für gewöhnlich an die Übersetzung der BM anlehnen oder ganz auf sie zurück­ greifen, also selbst hier mit fremdem Kalbe gepflügt haben. I n den letzten 75 Jahren ist immer erneut versucht worden, der wachsenden Schwerverständ­ lichkeit der Bibel infolge des Alterns der Luthersprache durch neue Übersetzungen entgegen­ zuwirken. Alle Teilübersetzungen, Übersetzungen mit eingeschobenen Erläuterungen und freiere Nachgestaltungen schieden für diese Textsammlung von vornherein aus. Ebenso ungeeignet sind auch alle Übersetzungen, die das Lutherwerk möglichst schonsam behandeln. Unter der nicht geringen Zahl neuzeitlicher Übersetzungen gibt es nur eine, die sich aufs Ganze gesehen diesem übermächtigen Einfluß zu entziehen vermocht hat. Was die Theologen Hermann Menges Über­ setzung von 1926 für gewöhnlich ablehnen läßt oder sie ihnen zum mindesten verdächtig macht, das gerade läßt sie für den Zielpunkt dieser Textauswahl als allen anderen überlegen erscheinen. Menge ist es gelungen, unabhängig von der Übersetzungsüberlieferung, insbesondere von Luther, das alte Bibelwort in der hochsprachlichen Ausdrucksweise unseres Jahrhunderts neu zu sagen. An ihm läßt sich mühelos ablesen, in welcher Richtung sich die deutsche Sprachgestalt seit Luther weiterentwickelt und entfaltet hat — und das besonders einleuchtend gerade dort, wo nicht nur Theologen mißbilligend den Kopf schütteln, wenn sie der Nüchternheit Menges den dunklen Vollklang des Lutherdeutschs gegenüberstellen, ohne freilich zu bedenken, daß diese starke Wir­ kung der Lutherschen Bibelsprache wesentlich auf zwei geschichtlichen Voraussetzungen ruht: auf dem kanonischen Ansehen des Reformators in der evangelischen Kirche und aus dem ehr­ würdigen Edelrost, mit dem mehr als 400 Jahre kultischen Gebrauchs in Gottesdienst und kirch­ lichen Handlungen das Lutherwort überzogen haben. b) Die F ü llung Die vier Tragbalken Vulgata, BM, Luther und Menge werden durch die Querhölzer solcher Übersetzungen miteinander verbunden, die wesentliche Zwischenstücke in der sprachlichen Ent­ wicklung des Deutschen erkennen lassen. Da die äußere Beschränkung auf höchstens acht Spalten nebeneinander wie die Rücksicht auf den klein zu haltenden Apparat nie aus dem Auge verloren werden durfte, erheischten die Zufälligkeiten der literarischen Überlieferung hier schmiegsame Anpassung an den Einzelfall. Den ersten Pfeiler einer Brücke über die 1200 Jahre unserer schriftlichen Überlieferung müßte ein althochdeutscher Text zum mindesten des 9. Jahrhunderts bilden. Ihn freilich gibt es nur für einen geringen Bruchteil der Bibel. Die Eigenart der Evangelienharmonie des Tatian begrenzt die Auswahl aus ihrer Übersetzung ins Althochdeutsche von vornherein auf solche Ab­ schnitte, bei denen sich Tatian an den Wortlaut eines einzigen Evangeliums gehalten hat. Bei den Stellen aus Matthäus, die zugleich in den ein Menschenalter vorausliegenden Monseer Fragmenten überliefert sind, werden diese dem Tatian nachgeordnet, weil sie eine entwickeltere Stufe in der Übersetzungstechnik, in der Beherrschung selbwachsenen Deutschs darstellen. Über­ haupt habe ich grundsätzlich darauf gehalten, den in der ersten deutschen Spalte gebotenen Text so weit irgend angängig an den Beginn der schriftlichen Überlieferung des Deutschen herauf!) WA 30,2 (1909), 634/35 = Clemen 4,181/82. 2) WA 30,2 (1909), 637 = Clemen 4,184.

zurücken. Psalm 124 etwa empfahl sich zur Aufnahme, weil er in einer frühen Jnterlinearversion erhalten ist; für alle Psalmen und die alttestamentlichen Lobgesänge im Eingangskapitel des Lukasevangeliums liegt wenigstens die spätalthochdeutsche Wiedergabe Notkers vor. Kriedtes dankenswerte Veröffentlichung hat mit llbersetzungsbruchstücken aus dem 12. Jahrhundert bekanntgemacht, deren Vorlage zumindest noch ins Spätalthochdeutsche des 11. Jahrhunderts gehöd1); ihre Erhaltung hat für die Aufnahme der Abschnitte aus Lukas 15, Johannes 4 und Matthäus 22 mit entschieden. Auch für Psalm 16 bietet Kriedte eine gleichaltrige mitteldeutsche Fassung; für alle Psalmen fallen die lange bekannten Psalmen aus dem baltischen Kloster Wind­ berg in die zeitliche Lücke von mnd drei Jahrhunderten zwischen Notker und der BM. Vom Beginn des 14. Jahrhunderts an aber lassen sich die Wachstumsringe des spätmittel­ alterlichen wie des neuzeitlichen Deutschs an den drei regelmäßig gebotenen Übersetzungen der BM, Luthers und Menges wie an zahlreichen zeitlich dazwischen liegenden Übersetzungen ebenso mühelos wie aufschlußreich ablesen. Schon im 14. Jahrhundert zeigen nicht wenige Eindeut­ schungen eine Geschmeidigkeit und Selbständigkeit des Ausdrucks, die sie nicht nur über die un­ gelenke Sprachform der BM hinausheben, sondern sie von der gerade in den Drucken festgehal­ tenen Übersetzungstradition als weitgehend unabhängig erweisen. Für die Evangelien bietet dies fortschrittliche Bild jene für den Hallenser Klosterbruder Matthias von Beheim 1343 ge­ fertigte Abschrift einer Übersetzung, die zu B eginn des 14. Jah rh u n d e rts im Erzbistum M agdeburg entstanden ist. D as durch M au rer mitgeteilte etw a gleichzeitige Evangelien­ bruchstück vermutlich aus dem Kloster Lorsch stellt eine interessante Vorstufe dieser Übersetzung dar, so daß seine neuerliche W iedergabe im Blick auf die entlegene Stelle des Abdrucks nützlich erschien. Diese S tu fe der Übersetzungstechnik vertreten für die P aulusbriefe die durch Newald veröffentlichten P au lin en einer G othaer und einer Salzburger Handschrift, für die Erzählungen aus der Genesis eine M ünchener Hand­ schrift des 14. Ja h rh u n d erts, für die drei Psalm en der W ortlaut im Psalm enkom m entar Heinrichs von M ügeln um 1370. Die Erstveröffentlichung, die hier aus einer Merse­ burger Handschrift geboten wird, möchte zugleich die Aufmerksamkeit auf das Werk eines M annes lenken, über dem trotz seiner von A rthur Hübner vor einem Menschenalter so eindrucksvoll hervorgehobenen B edeutung für die Entwicklung des spätm ittelalter­ lichen deutschen Schrifttums?) ein merkwürdiges Editionsverhängnis schwebt. Für das Belsazar-Kapitel aus dem Buch Daniel schließlich bot die ostdeutsche Propheten­ übersetzung des Kustos des Franziskanerordens in Preußen Claus Cranc die entsprechende spät­ mittelalterliche Gestalt3). I h r folgt in eigener Spalte die Übersetzung der von den Wiedertäufern Ludwig Hätzer und Hans Dengk 1527 nach Hebräischer sprach herausgebrachten sogenannten Wormser Propheten4). Damit ist freilich von dem Grundsatz abgewichen, keine gleichzeitigen Übersetzungen wiederzugeben, sofern sie in ihrer Sprachgestalt nicht merklich voneinander ab­ stehen. Das geschah deshalb, weil hier beim Vergleich mit Luthers Deutsch besonders eindrucks­ voll heraustritt, wieweit eine sprachliche Formung von der in der zeitlichen Entwicklung erreichten allgemein verbindlichen Sprachgestalt und wieweit sie von dem persönlichen Können und dem S til des einzelnen Sprachmeisters bestimmt wird3). Luther, der diese Übersetzung bald nach 1) Hugo S uolahti: Die spätalthochdeutsche Evangelienübersetzung; Neuphilologische M itteilungen 32 (1931), 25—46; besonders S . 38. 2) „Heinrich von M ügeln — der Nam e bezeichnet die größte Lücke, die in der spätmittelalterlichen deutschen Literaturgeschichte klafft" in „Deutsches M ittelaller und italienische Renaissance im Ackermann aus B öhm en"; Zeitschrift für Deutschkunde 51 (1937), 229 — Kleine Schriften zur deutschen Philologie, B erlin 1940, S . 201. 3) Erkki Valli: Die Übersetzungstechnik des Claus Cranc; Diss., Helsinki 1946. 4) Georg B aring: Die Wormser P ropheten; 3. Bericht des Deutschen Bibelarchivs H am burg; P o tsd a m 1933, S . 1—9. G eorg B a rin g : H ans Denck: Schriften I, B ibliographie; G ütersloh 1955. W alter F e llm a n n : I I , Religiöse Schriften, 1956; I I I , Exegetische Schriften, Gedichte und B riefe, 1960. 5) Entsprechendes gilt auch für das Nebeneinander bei den M atthäusstellen aus T atian und den Monseer Bruchstücken, wennschon wegen ihrer verschieden weitgehenden Fesselung an den lateinischen W ortlaut in durchaus anderer Weise.

ihrem Erscheinen kennengelernt h a t1), hat sie in einem B rief an W enceslaus Sink2) wie im „Sendbrief vom Dolmetschen" gerühmt, weil in ihr warlich grosser vleis geschehen, vnd meinem deutschen fast (getreu, genauesten^ nach gangen is t3). Dies Lob wiegt um so schwerer, als Luther sie im Ergebnis ablehnt, weil an ihr Ju d en m itgearbeitet haben, sie also nicht aus dem rechten G lauben heraus geschaffen sei: sonst wem, wie er nochmals betont, kunst (Können, Fähigkeit) vnd vleiß (Sorgfalt) genug da3). D er vorliegende Abdruck erweist, daß diese Übersetzung, auf die wieder aufmerksam gemacht zu haben ein Verdienst der Veröffentlichungen des Vollmerschen Bibelarchivs zu Hamburg ist, sich durchaus ebenbürtig neben Luthers Leistung durch die Sicher­ heit behauptet, m it der sie kühne Satzbögen schwingt, die selbst in dem Geäst abhängiger Neben­ sätze nicht hängen bleiben, wie nicht weniger durch die köstliche N aivität und die erfrischende Drastik, m it der sie die fremden Verhältnisse und Gegebenheiten in die eigene Z eit und Um­ gebung umsieht, und durch die sprachliche Kraft, m it der sie das abrückende Passiv in die un­ m ittelbare B ewegtheit des Aktivs um form t und umständlich-langatmige Nachsätze m it mühe­ loser Eleganz durch geraffte deutsche Fügungen ersetzt. Die Vorliebe für modische Frem dw örter ( Bankett; Palast) wie die wohl theologisch begründete andere Sicht der magi et aruspices unter­ scheidet sie von Luther. Kein W under, daß auch die Z eit diese Übersetzung nach Gebühr geschätzt hat. B is zum Erscheinen von Luthers Prophetenübersetzung im Alten Testament 1532 hat sie mindestens zwölf verschiedene Ausgaben erfahren*). D arüber hinaus hat sie sogar m ittelbar weitergewirkt. S ie nämlich bildet die Vorlage für D ietenbergers Übersetzung der Propheten in seiner Bibel von 1534; an den Stellen, an denen er von ihr abweicht, übernim m t er, von unbedeutenden Resten abgesehen, Luthers Text, wie der A pparat, der wegen dieses Sachverhalts für das Danielkapitel den Wormser Propheten zugeordnet werden mußte, deutlich ausweist. W iederum also hat Dietenberger auch da, wo er Luther zurückhaltender a ß gewöhnlich folgt, E ig en es nicht geleistet (vgl. S . X I I I ) . Weil die Herausbildung unserer neuhochdeutschen Schrift- und Literatursprache noch längst nicht m it wünschenswerter Deutlichkeit vor Augen liegt, glaubte ich auf diese Weise wenigstens an einigen S tellen die Möglichkeit zu vertiefter Einsicht in ihre bedeutsame Werdezeit um 1500 geben zu müssen und deshalb für die Psalm en und das Danielkapitel auf die M itteilung einer Zwischenstufe zwischen ihr und dem heutigen Deutsch verzichten zu dürfen. D aß ich mich für die übrigen Texte auf eine solche Zwischenstufe beschränkt, nur für die schwierigen Paulusbriefe zwei geboten habe, wird durch die Verlangsamung der sprachlichen Entwicklung im neuhoch­ deutschen Z eitraum hinlänglich gerechtfertigt. Auch kamen für diese Textveröfsentlichung n u r solche Übersetzungen in Frage, die sich, wie zuletzt Menge, der starken Wirkung von L uthers einmaliger P rägung bewußt zu entziehen vermocht und der Sprachgestalt der eigenen Z eit weithin R aum geschafft haben. Schließlich mußte versucht werden, Übersetzungen zu finden, die, zeitlich ungefähr in der M itte zwischen Luther und M enge stehend, den charakteristischen Sprachstand der für die Gestalt des Deutschs der letzten 200 Jah re so entscheidend gewordenen Aufklärung spiegeln. D aß es sich bei den Verfassern dieser Übersetzungen zwischen Luther und M enge jedesmal um M änner handelt, die im geistigen Leben unseres Volkes eine wichtige Rolle gespielt haben, kann die B edeutung ihrer Leistung als Ausdruck auch der entscheidenden sprach­ lichen Tendenzen ihrer Z eit nur erhöhen. Die bekannte Wertheimsche Bibel von 1735 schied von vornherein aus, weil sie nicht im strengen S in n des W ortes übersetzt. Dagegen erfüllt diese Aufgabe vorzüglich eine 1739 anonym in zwei Teilen erschienene Übersetzung des Neuen Testaments, die keinen G eringeren als den Begründer der Brüdergem einde, den G rafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf zum Verfasser !) 2) 3) 4)

Brief vom 4. 5.1527 an ©Palatin: WA Briefe 4 (1933), 197. Um den 4.5.1527; ebenda 198. WA 30, 2 (1909), G40 = Giemen 4,187. Vgl. Bering: Anm. 4 auf S . XIV.

hat1). Fällt schon die rationalistische Nüchternheit von Zinzendorfs Sprache auf, so erscheint sie in der Übersetzung von Carl Friedrich Bahrdt, diesem „Schreckenskind der deutschen Aufklärungs­ theologie" ^), auf die Spitze getrieben. Da sie dazu neigt, die Grenze zwischen reiner Übersetzung und verbreiternd-umschreibender Verdeutlichung bauernd zu überschreiten, genügte es, für die beiden Briefkapitel des Paulus eine Probe daraus neben Zinzendorfs Verdeutschung zu stellen. Bei den Erzählungen aus der Genesis teile ich die entsprechenden Stellen aus der Übersetzung der fünf Bücher Mose von Lessings Freund Moses Mendelssohn mit. Sie kehrt, gewiß absichtlich, die Unterschiede der religiösen Auffassung hervor; darin wird besonders deutlich, wie diese Samm­ lung vergleichender Texte nicht nur dem Germanisten, sondern ebenso dem Theologen Auf­ schlüsse zu bieten vermag.

3. Beispiele Wie die Texte gelesen sein wollen, was sie für die Entfaltung der deutschen Sprachgestalt in den 1200 Jahren ihrer literarischen Überlieferung an Erkenntnissen abzuwerfen vermögen, das sei an ein paar Beispielen angedeutet. Lukas 2,13 wird das Adverb e^aicpvris, subito beiTatian durch sliumo, in den drei ältesten Drucken der BM durch ein gech (nhd. jäh), von Zainer ab durch von stund an, im Evangelien­ buch für Matthias von Beheim durch snel ( schnell), von Luther durch alsbald, von Zinzendorf durch ehe sie siehs versahen und schließlich von Menge durch plötzlich übersetzt. I n dem weiten Spannungsbogen von genau 1100 Jahren lebendig gesprochenen Deutschs ist also der sachlich gleiche Inhalt überall da, wo er im literarischen Niederschlag faßbar wird, verschieden wieder­ gegeben. Zum erregenden Problem wird dieser Befund in dem Augenblick, da man ihm den genau umgekehrten Sachverhalt entgegensetzen kann. I m vorangehenden Vers verdeutschen diese selben sieben Quellen das Substantiv ycrrvr), praesepium, einhellig durch K rip p e (wenn auch natürlich in verschiedener Lautform und Schreibung). Hier bewahrt derselbe Inhalt über ein Jahrtausend seine Bezeichnung unverändert; dort wandelt er sie im gleichen Zeitraum un­ unterbrochen von Grund auf. I n diesem äußersten Gegensatz ist die Fülle der Möglichkeiten beschlossen, in denen sich der deutsche Wortschatz in den 1200 Jahren seiner schriftlichen Be­ zeugung verwirklicht. Die Frage drängt sich auf die Lippen: Wo liegen die Hintergründe für ein derartig verschiedenes Verhalten; welche geheimnisvollen Antriebskräfte haben es bewirkt und bewirken es weiterhin unabgeschwächt? Wir steigen vom Einzelwort zur Wortgruppe eines geschloffenen Aussagezusammenhangs auf. I n Daniel 5, 5 heißt es: Vulgata BM Claus Cranc Wormser Propheten Luther Menge

digiti vinger vingir finger finget Finger

quasi als als gleich als als

manus hominis einer hand des menschen einis menschen hant eyner menschen hand einer menschen hand einer Menschenhand

Die älteste Übersetzung bewahrt die Wortfolge des Lateinischen sklavisch. Claus Cranc stellt, der festen Gewohnheit des mittelalterlichen Deutschs gemäß, den Genitiv vor das Wort, von dem er abhängt — eine Wortstellung, die wir heute noch nachfühlen können, wenn wir sie auch als archaisch-poetisch und damit der üblichen Sprache fremd empfinden. Die Wormser Pro­ pheten und Luther lassen erkennen, wie diese typische Wortfolge wegen ihrer gängigen Ver1) Vgl. die pseudonyme Streitschrift von Theophilus ä Beritati: Das Zinzendorffische Bibel-Ärger­ nis; Hildesheim 1740. Zinzendorfs Übersetzung ist 1744 und 1746 in neuer Auflage herausgekommen; vgl. Ferdinand Carl von Lepell: Verzeichnis der Schriften des Grafen Ludwig von Zinzendorf; Stettin 1824, S . 3. 2) Wie ihn Hans Heinrich Schaeder: Goethes Erlebnis des Ostens; Leipzig 1938, S . 35 genannt hat.

Wendung in der Umgangssprache zu einem Gebilde zusammenzuwachsen beginnt: bezieht sich doch hier der unbestimmte Artikel nicht mehr, wie noch bei Cranc, auf Mensch, sondern auf das folgende Hand; damit wird der Genitiv Menschen von beiden Wörtern fest umklammert. Erst verhältnismäßig spät ist aus dieser veränderten Sicht die orthographische Folgemng gezogen, indem diese geläufige Fügung in ein Wort zusammengeschrieben wird — so wie uns das in der zeitgenössischen Übersetzung Menges entgegentritt. Auf diese Weise ist ein neues Wort (in der Form eines Kompositums) entstanden und damit die Möglichkeit zu neuerlicher Genitivfügung gewonnen. An dieser sprachlichen Verwandlung spürt man, wie Schritt für Schritt die Kraft des deutschen Menschen im Ablauf seiner Geschichte erstarkt, seine Wahmehmungen in dieser Sinnen­ welt zu größeren Einheiten zusammenzusehen und sprachlich wiederzugeben. Alles unmittelbare sprachliche Leben verleiblicht sich im Satz. Jene klare Gerichtetheit der Entwicklung, die sich aus der schrittweisen Wandlung einer Wortgruppe zur Zusammensetzung und ihrer fortschreitenden Erweiterung erkennen ließ, läßt sich genau so in der Entfaltung des deutschen Satzbaus während des gleichen Zeitraums aufweisen. Bei der Übertragung eines kleinen Satzgefüges aus Lukas 1,22 gebe ich den jeweiligen Atemeinschnitt, den jede Verdeut­ schung zwischen die beiden Gliedsätze legt, durch / eigens an: Vulgata BM Evangelienbuch Luther Menge

et cognoverunt Vnd sy derkanten und si bekanten vnd sie merckten da merkten sie

quod visionem vidisset in templo daz / er hett gesechen ein gesicht im tempel dazjdaz her ein gesichte gesehn hatte in dem tempele j das er eyn gesicht gesehen hatte ym tempel / daß er eine Erscheinung im Tempel gehabt hatte

Das mittelalterliche Deutsch gibt die lateinische Konstruktion in zwei einander gleichgeordneten Hauptsätzen wieder; das demonstrative daz am Ende des ersten1) weist auf einen sprachlichen Inhalt hin, der dieses daz im folgenden genau zu bestimmen hat. Wir heute würden, um diese Auf­ fassung des Beziehungsverhältnisses der beiden Gliedsätze deutlich zu machen, so interpungieren: sie erkannten das: er hatte eine Erscheinung im Tempel gehabt. Im Evangelienbuch ist der Atem­ einschnitt gleichsam in dieses die beiden Aussageinhalte verbindende daz hineinverlegt, ist dieses daz in zwei Stücke auseinandergesprengt: am Ende des ersten weist es auf eine folgende inhalt­ liche Erläuterung hin; zu Beginn des zweiten knüpft es dessen Aussage zurückverweisend an jenen ersten an. Bei Luther hat diese Entwicklung ihren Zielpunkt erreicht: daz ist endgültig vom Ufer des ersten auf das des zweiten Satzes- hinübergetrieben, aus einem Akkusativobjekt des ersten zur nebensatzeinleitenden Konjunktion des zweiten Satzes umgeprägt worden. Damit zugleich hat dieser zweite Satz seinen Charakter verändert: aus einem dem ersten gleichgeord­ neten Hauptsatz hat er sich in einen jenem untergeordneten Nebensatz verwandelt. Gleichzeitig mit dieser Umgestaltung einer locker gereihten Folge zweier Hauptsätze zu einem fest verzahnten Gefüge aus Haupt- und Nebensatz wächst die Kraft des Deutschen zu sprachlicher Zusammenfassung der einzelnen Gliedstücke dieses Satzes. I n der BM stehen Subjekt und Prädikat als die syntaktischen Herzkammem in unzerteilter Einheit beieinander: er hett gesechen; Akkusativobjekt und adverbiale Bestimmung werden ihnen, jedes für sich, additiv angefügt. Im Evangelienbuch wie bei Luther jedoch ist diese Einheit aufgespalten, indem das Akkusativobjekt ein Gesicht in dieses Herzstück des Satzes unmittelbar hineingenommen ist. Zu ihrem Ende geführt ist diese Entwicklung, wenn bei Menge auch die adverbiale Bestimmung vorgezogen wird: nunmehr umgreifen Subjekt und Prädikat die gesamte Aussage in einem einzigen Spannungs­ bogen vom Anhub bis zum Ende des Nebensatzes. 1) Zur Berechtigung der hier zugrundeliegenden Auffassung vgl. die Zeichensetzung bei der Wieder­ gabe von 1. Mose 3,5 in der Münchener Handschrift des 14. Jahrhunderts v u t cognoscas eorum Thaz thu forstantes das du verkennest die 4 thero uuorto warheit der wort KcrrqxilOTis Xöycov t t ]V verborum, dca^äXEiav. de quibus eruditus es, fon them thü gilerit von den du bist gelert. veritatem. bist uuär. 5 *Eyi Veto tv Tals tjije- F uit in diebus Hero- Uuas in tagun Herodes Ein pfaff w as in den 5 thes cuninges Iudeno tagen herodes des künigs pats *Hpcp8ou ßacn- dis, regis Iudaeae,

in iude Xegos Tfjs ’louSalas lEpEUS Tis övopaTi Za- sacerdos quidam no­ sumer biscof namen bey nam en zacharias von yaplas tl ^ripEpias mine Zacharias de vice Zacharias fon themo dem geschlecht abiaAbia, uuehsale Abiases ’A ßia, yvvf] a v T c o £k t c o v OvyoTEpGov ’AapGov, K a i TÖ övopa aurfjs ’EXiadtßET.

K al

6

f j a a v 8 e B I k o io i ä p 9 Ö T E poi ö v a v T lo v t o u 0e o ü , T T opE uöpE voi ev r r d c a a ts T a l s ö v r o X a ls K a l 81 K a i c o p a a t v t o u K u p lo u Ö pE pT T T O l.

et uxor illius de filiabus Aaron, et nomen eins Elisa­ beth. E rant autem iusti ambo ante Deum,

inti quena imo fon vnd sein eeweip von den Aarones tohterun tLchtern aaron: inti ira namo uuas E li­ vnd ir nam w as elizasabeth. beth. Siu uuärun rehtiu bei- W ann beyde waren sy 6 du fora gote, gerecht vor gott:

incedentes in omnibus gangenti in allem bibomandatis, et iustifica- tun inti in gotes rehttionibus Domini sine festin üzzan lastar, querela,

_________________I

V e tu s L a tin a 1 narrationem rerum. rerum fehlt. 3 Visum est] placuit. a principio omnibus. 5 illius] illi.

sy giengen in allen den gerechtigkeiten vnd in den gebotten des Herren on klag.

BM 1 ernstlich] gewiflich 73; fehlt 83 < . moni^e . . . sich] vil Haben sich geflißen 7 5 < . 2 antwurten . . . wort] gegeben Haben. Die auch sy Haben gesehen, vnd seind gewesen Steuer der predig 75 < . ambechter] diener 73. 3 Ist auch mir gesehen worden der ich fleißigNichen von ansang alle ding begriffen hab ordenlich zeschreiben dir du allerliebster Theophile 75 < . den] Sie 73. 5 Ein pfaff] Ein Priester 73; Es 75 < . herodis 75 < . in iude bey] Judee ein Priester mit 75 < . eeweip] weyb 07 < . 6 giengen] giengen auch 90. allen den] allen 83 < .

Evangelienbuch 1343

Luther 1522

Zinzendorf 1739

Menge 1926

I. D ie V erkündigung: Lukas 1, 1— 80 1 Wan sicherlichen vile habin sich geübit zü ordene di sprechunge der dinge di in uns irfult smt,

SD ntem al sichs viel unter wunden haben zu stellen die rede von den geschichten, so unter vns ergangen sind,

SJntem ahl viele Hand angeleget haben, die Handlungen, so unter uns vollbracht sind, in ein ordentlich verzeichniß zu bringen,

2 Alse si uns selber gigebin habin, di iz von dem be­ ginne fährn und dienere waren des sermünis. 3 Gesehin ist ouch mir näch volgende von dem beginne alle dinc vlizeclichen üz ordenunge dir zL scribene,

wie vnns das geben haben, die von ansang selbsichtige vnd dienet des wortts gewesen sind, hab ichs auch für gutt angesehen, nach dem ichs alles von forne an, m itt fleys erfolget habe, das ichs zu dyr,

wie wir es von denen haben, die es von an­ sang selbst gesehen, und diener des Worts worden sind; S o habe ich auch gut be­ funden, hochedler Theo­ philus, da ich der gantzen sache von ansang ge­ nau (fuß vor fuß) nach­ gegangen,

allir beste Theophile,

meyn guter Theophile, ordenlich schrybe,

4 Ü f daz du bekennis di aufs das du dich erkun­ wLrheit der Worte digest ehnes gewissen grunds, der wort, von den du undirwiset wilcher du vnterrichtet bist. bist.

dis nach der ordnung aufzuschreiben: Auf daß du gewissen gründ bekommest von denen sachen, darinnen du unterrichtet bist.

5 I z was in den tagin Zu der zeyt Herodes, Zu der zeit Herodes, des königes in Judäa, des koniges Judee, Herödis des küniges ein prister in Judea mit namen Zacharias von AbiLs zeche, und sin hüsvrowe was von Aarönis tochteren, und ir name was Eliza­ beth. 6 Und si waren beide ge­ recht vor gote

war eyn Priester von der ordnung Abia, mitt na­ men Zacharias, vnnd seyn weyb von den tochtern Aaron, vnnd yhr name, Elisa­ beth. S ie waren aber alle beyde frum für gott,

war ein Priester namens Zacharias, von der classe des Abia, und seine frau war eine von den töchtern Aaron namens Elisabeth.

Sie waren aber beyder­ seits rechtschaffene leute in den äugen GOttes, unde wandelnde in allen vnd giengen ynn allen und führeten nach allen geboten und gerechtikeit gepotten vnnd satzungen geboten und einrichtundes Herren sunder clage. des Herrn vnthaddelich, gen des HErrn einen unsträflichen Wandel.

_ ___________________ I

E m ser 1527 1 sich. 2 geben] angegeben, von . . . selbsichtige] so es von anbegyn selber gesehen. 3 auch fehlt. nach dem . . . schrybe] das auch ich (der ich alle ding er­ kundet hab) dir solchs von ansang ordenlich vnnd vleyßig beschreybe mein frommer Theophile. 4 dich . . . grunds] erfahrest die warheit. 5 von der Ordnung] an stat. vnnd yhr name] deren nham war. 6 Sie] vnd sie. aber fehlt, frum] gerecht, giengen] wanderten.

Bekanntlich haben schon 1 viele es unternommen, einen Bericht über die vollbeglaubigten Be­ gebenheiten, die sich bei uns zugetragen haben, so abzufassen, wie sie uns von den ur- 2 sprünglichen Augen­ zeugen und Dienern des Wortes überliefert sind. S o habe denn auch ich 3 mich entschlossen, nach­ dem ich allen Tatsachen von Anfang an sorg­ fältig nachgeforscht habe, alles für dich, hochgeehrter Theophi­ lus, nach der geschichtlichen Folge niederzuschreiben, damit du dich von dem 4 sicheren Grund der Leh­ ren, in denen du unter­ wiesen worden bist, über­ zeugen kannst. Es lebte zur Zeit des 5 jüdischen Königs Hero­ des ein Priester namens Za­ charias aus der Abtei­ lung Abia; er hatte eine Frau aus den Töchtern Aarons, die Elisabeth hieß. S ie waren beide recht- 6 beschaffen vor Gott und wandelten in allen Geboten und Satzungen des Herrn ohne Tadel.

I. Die Verkündigung Vulgata

Griechisches NT 7 Kal ovk fjv auTOis T^KVOV, kccOöti fjv fs 'EXiadßeT

arelpa, Kal dpupÖTepoi irpoßeßriKÖTes §v Tals f)p£pats auTcov fjaav. 8 *Eyi Veto bi kV TCO UpCCTEUGlV avrröv iv Trj tö£ei tt)S ^