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German Pages 210 Year 2020
Robert Wunsch Pädagogik der Bildungslandschaften
Pädagogik
Robert Wunsch (Prof. Dr. phil., Dipl.-Päd., Dipl.-Soz., Therapeut) ist Professor für Sozialpädagogik an der Evangelischen Hochschule Berlin. Nach seinem Studium der Philosophie, Sozialwissenschaft und Erziehungswissenschaft in Münster und Essen war er Dozent an der Ruhr-Universität-Bochum und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Neben einem einjährigen Forschungsaufenthalt in Chicago hat er jahrelange Erfahrung in der Forschung, der Praxis- und Angebotsentwicklung und in der Durchführung von Modellprojekten gesammelt.
Robert Wunsch
Pädagogik der Bildungslandschaften Ein Arbeitsbuch
Ich bedanke mich bei allen MitarbeiterInnen des Instituts für pädagogische Beratung für die Materialauswertung und anregende Diskussionen.
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© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Elke Stöver mit Jan, Valentin und Meret Wunsch Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5119-5 PDF-ISBN 978-3-8394-5119-9 https://doi.org/10.14361/9783839451199 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Inhalt
Vorwort .................................................................................. 9 Einleitung: Warum gibt es Bildungslandschaften? ................................ 11 Der Stand der Diskussion ....................................................................... 12 Kritik ................................................................................................. 14 Arbeitsleitendes Interesse und These ...................................................... 18 Vorstellung des Bildungsbüros................................................................ 22 Wofür ist das Bildungsbüro konkret zuständig?.......................................... 23 Wie erfolgt die Auswertung der Erfahrungen, die im Bildungsbüro gesammelt werden konnten? ...................................... 24 Was zeichnet meine persönlichen Erfahrungen aus?................................... 25 Welche Erkenntnisse wurden im Bildungsbüro gewonnen? ........................... 26 Zum Ansatz dieses Buches .................................................................... 26
Teil I: Auswertung von Erfahrungen in einem Bildungsbüro 1 Pädagogische Praxis und Bereichskonnexion.............................. 33 1.1 Vernetzung und Schwierigkeiten mit dem Netzwerkrauschen .......................................................................... 33 Vernetzung ................................................................................. 35 Widerstreit und Netzwerkarbeit ohne »Netzwerkrauschen« .................. 36 Netzwerkarbeit............................................................................ 37 Netzwerken ................................................................................ 40
1.2 Die Kooperation zwischen formellen Bildungseinrichtungen..................................................................... 43 Kooperation ................................................................................ 44 Kooperationen und Widerstreit ........................................................ 51 Erwartungen an eine pädagogische Praxiswissenschaft....................... 54 Weitere Forschungsfragen ............................................................. 55 1.3 Verbesserungen der Übergänge......................................................... 55 Übergänge und der institutionalisierte Dissens................................... 57 Weitere Forschungsfragen ............................................................. 63 Arbeitsfragen .............................................................................. 64 1.4 Lebenslanges Lernen (LLL) und Übergänge in der Phase nach der ersten Ausbildung............................................. 64 Schluss/Entdeckungsmöglichkeiten .................................................. 71 2
Regionalität und Pädagogik vor Ort .......................................... 73 Einführung in das Thema Regionalität aus pädagogischer Sicht............. 73 Die Erfahrungen des Bildungsbüros ................................................. 74 2.1 Standortfaktor und Konkurrenz ......................................................... 75 Regionale Praxis .......................................................................... 75 Kommunale Konkurrenz und Selbstdarstellung, Porträt ........................ 82 Erwartungen an eine regionalpädagogische Praxiswissenschaft ............ 83 Weitere Forschungsfragen ............................................................. 83 2.2 Bund, Land oder Dorf...................................................................... 84 Kommunalisierung und Aufsicht des Staates ..................................... 84 Weitere Forschungsfragen ............................................................. 98 2.3 Beteiligung und Scheindemokratisierung............................................ 98 Beteiligung, Überbeteiligung und Scheinbeteiligung ............................ 99 Beteiligung in der Schule .............................................................. 102 Resümee ................................................................................... 106 Kommunen und direkte Demokratie bzw. Beteiligung in den Subdisziplinen ................................................................... 108 Demokratisierung, Beteiligung ....................................................... 108 Jugendparlamente als Beispiel für die Beteiligung von Heranwachsenden ................................................................... 111
Einwände gegen eine verstärkte Beteiligung...................................... 112 Weitere Forschungsfragen ............................................................ 114 3
Neue Strukturen und Instrumente............................................ 115 Gremien ..................................................................................... 116 Bildungsbüros ............................................................................. 116 Ideen zur Systematisierung............................................................ 117 3.1 Kommunale Bildungskonferenzen und Bildungsbüros ............................. 119 Bildungsbüros ............................................................................ 120 Was sagt die Literatur zu der Frage? ................................................ 121 Erste empirische Erhebung ........................................................... 124 Bildungskonferenzen ................................................................... 125 3.2 Schematische Darstellung der neuen Strukturen und die Leistungsfähigkeit der Pädagogik der Bildungslandschaften................................................................ 129
Teil II: Zur Entwicklung einer Pädagogik der Bildungslandschaften Zielsetzung ................................................................................ 137 4 Reformverlauf.................................................................. 139 4.1 Konkrete Anregungen einer Pädagogik der Bildungslandschaften................................................................ 139 5
Das Gedankenexperiment – Möglicher Nutzen einer Regionalpädagogik ............................................................ 149 5.1 Sinn und Zweck des Gedankenexperiments......................................... 149 Das Experiment .......................................................................... 149 5.2 Die Regionalpädagogik.................................................................... 151 Zum Nutzen der Theorie ................................................................ 151 5.3 Kooperation eigenständiger Arbeitsfelder der Pädagogik....................... 153 Anknüpfungspunkt ...................................................................... 153 Selbstbeschränkung und interdisziplinäre Offenheit der Regionalpädagogik................................................................. 154
6 Einordnung und Anschlussmöglichkeit der Regionalpädagogik ........ 157 6.1 Der Anspruch an die Praxis ............................................................. 157 Weitere Forschungsfragen ............................................................ 159 6.2 Exkurs: Entstehung und Entwicklung von Bereichsdisziplinen in der Erziehungswissenschaft ............................. 160 6.3 Zwischen Subdisziplinen und Allgemeiner Pädagogik ............................ 161 Weitere Forschungsfragen ............................................................ 165
Teil III: Hintergründe der Bildungslandschaften und Näheres zum Vorgehen dieses Arbeitsbuchs 7 Hintergründe der Bildungslandschaften.................................... 169 7.1 Geschichte ................................................................................... 169 7.2 Ziele der Bildungslandschaften ........................................................ 178 7.3 Zum Verständnis von Bildung............................................................ 181 8
Zum Vorgehen dieses Arbeitsbuches ....................................... 189 Ansatz dieses Arbeitsbuches ......................................................... 189 Brauchen wir eine Handlungstheorie für die Bildungslandschaften? ...... 189 Zu den Hintergründen des Verfahrens ............................................. 193 Vorhandene Praxisberichte ........................................................... 194 Hintergründe.............................................................................. 196
Ausblick ............................................................................... 199 Literatur ............................................................................... 201 Grafiknachweis .................................................................................. 208
Vorwort
Die Einführung der Bildungslandschaften wird in erster Linie als politisch-ökonomischer Vorgang verstanden, der zur Stärkung kommunaler Verantwortung und kommunaler Wirtschaft beitragen soll. Dieser Text geht einen anderen Weg und sieht einen wichtigen Impuls und die Ursprünge der Bildungslandschaften in bislang unbeantworteten pädagogischen Praxisfragen. Wer sich diese Praxisfragen ansieht und nach angemessenen Antworten sucht, wird schnell sehen, dass sich diese nicht im Kontext einer Einordnung in bestehende Subdisziplinen und Bereichspädagogiken beantworten lassen. Es ist eine Disziplin erforderlich, die hier Pädagogik der Bildungslandschaften genannt werden soll. Die Entstehung einer solchen neuen pädagogischen Richtung kann nicht verkündet werden, sondern vollzieht sich in einem komplexen Prozess mit ganz eigener Dynamik. Die Pädagogik der Bildungslandschaften wiederum kann aber in ihrer Entstehung nachgezeichnet werden. Ob sie auch von Dauer ist, lässt sich im Moment noch nicht beurteilen. Die Beschäftigung mit der Frage, ob eine Pädagogik der Bildungslandschaften möglich und sinnvoll ist, hat einen ganz besonderen Reiz. Zum einen gibt es nicht so viele Situationen, in denen neue pädagogische Richtungen während des Entstehungsprozesses beobachtet werden können. Zum anderen spricht einiges dafür, dass die vielen gut gemeinten Anstrengungen im Rahmen der Bildungslandschaften nur dann wirken und langfristig sinnvoll sein werden, wenn dabei eine pädagogische Praxis und eine neue pädagogische Richtung entsteht, die
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diese Anstrengungen unterstützt. Denn die Reform der Bildung, die zu den Bildungslandschaften hinführen soll, ist so anfällig und ungewiss, wie jede andere Bildungsreform auch. Es ist also eine pädagogische Legitimation der Bildungslandschaften dringend erforderlich, um die Reform zu begründen. Diese Veröffentlichung versteht sich als Arbeitsbuch, weil ein solcher Beitrag nur durch eine Zusammenarbeit zwischen Praktiker*innen und Forscher*innen erfolgen kann. Daher werden immer wieder Fragen gestellt und Anregungen für eine weitere Arbeit mit diesem Thema gegeben. Von den hier vorgelegten ersten Antworten und weiteren Klärungsversuchen können alle profitieren – so die Hoffnung: 1. Die pädagogische Praxis würde Antworten auf ihre Fragen bekommen und insgesamt als Mitbegründerin der Bildungslandschaften aufgewertet. 2. Forschung und Theorie würden Anregungen bekommen, ihr Selbstverständnis als praktische, gegenwartsbezogene und Allgemeine Pädagogik zu schärfen. 3. Die Bildungslandschaften könnten ihre Fundamente stärken und entsprechend auftreten. Das Arbeitsbuch ist dabei innerhalb von 8 Jahren entstanden. Es wurde entwickelt aus persönlichen Protokollen und den Ergebnissen vieler unterschiedlicher Diskussionen u.a. in einem Bildungsbüro in Westfalen. Das Material wurde am Institut für pädagogische Beratung e.V. Münster ausgewertet und verschriftlicht.
Einleitung: Warum gibt es Bildungslandschaften?
Die Frage, warum es Bildungslandschaften gibt, kann auf ganz unterschiedliche Weise beantwortet werden. Es gibt die einfache Antwort, die in erster Linie das Phänomen Bildungslandschaft als einen Sachverhalt versteht, den es letztlich immer schon gegeben hat. Mit der Entstehung von Kommunen und der Kommunalpolitik hat sich auch der Entwicklungsprozess kommunaler Bildungslandschaften vollzogen. In den Feldern der Erwachsenenbildung und Jugendhilfe sind die Kommunen seit langer Zeit verantwortlich für die Bildungsprozesse. Darüber hinaus mussten sich auch Kommunalpolitiker*innen für die gute oder schlechte Organisation dieser Bildungsfelder verantworten. Für Verfehlungen in der Jugendhilfe und die unzureichende Versorgung von Jugendämtern werden in der Öffentlichkeit kommunale Entscheidungsträger verantwortlich gemacht. Insofern ist es eine logische Folgerung, dass kommunale Bildungslandschaften seit etwa 20 Jahren auch für die schulischen Angebote eine Steuerungsfunktion erhalten wollen. Bei der Suche nach der etwas komplizierteren Antwort auf die Frage, warum es kommunale Bildungslandschaften gibt, ist nicht nur eine quantitative Ausweitung der Zuständigkeit von regionaler Verantwortung oder regionaler Organisation zu beachten. Vielmehr werden auch weitreichende qualitative Veränderungen und letztlich eine völlig neue Sichtweise angeführt. In dieser Sichtweise wird versucht, ein aufwendiges Bildungsmanagement ebenso wie ein Bildungsmonitoring und regionale Steuerungsgremien zu etablieren. Bildung wird zu einer zentralen Angelegenheit aller Entscheidungsträger und letztlich aller Men-
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schen in einer Kommune. Und es wird herausgestellt, dass diese Angelegenheit längst nicht nur in der Schule einen Organisationsrahmen hat, sondern überall und jederzeit stattfindet. In diesem Buch wird die komplizierte Antwortsuche um eine weitere ergänzt, die sich auf der Basis von Erfahrungen und Praxisreflexionen entwickelt. Bevor dieser Wegbeschrieben wird, sollen aber die bekanntesten Diskussionsbeiträge dargelegt werden.
Der Stand der Diskussion Eine erste Definition wird von Thomas Bleckmann angesprochen. Für ihn sind kommunale oder lokale Bildungslandschaften (diese beiden Begriffe werden von ihm wie von vielen anderen synonym verwendet) durch folgende Merkmale bestimmt: • • • • • • •
»langfristige, professionell gestaltete, auf gemeinsames, planvolles Handeln abzielende, kommunalpolitisch gewollte Netzwerke zum Thema Bildung, die – ausgehend von der Perspektive des lernenden Subjekts – formale Bildungsorte und informelle Lernwelten umfassen und sich auf einen definierten lokalen Raum beziehen.«1
Die Autor*innen Thomas Coelen und Jana Croonenbrock weisen auf die Vorläufigkeit der sich mitten im Prozess befindlichen Diskussion hin, und darauf, dass »innovative pädagogische Ansätze fast schon inflationär verwendet« werden, und »keine einheitliche Definition« vorliegt.2 »Zum einen ist das Konzept Bildungslandschaften auf theoretischer Ebene im Rahmen fachlicher Diskurse stetigen Veränderungen un1 Bleckmann, Lokale Bildungslandschaften – Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 2009, S. 12. 2 Coelen/Croonenbroeck, in: Bollweg/Otto: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 338.
Einleitung: Warum gibt es Bildungslandschaften?
terworfen – derzeit besonders stark, da erste praktische Erfahrungen und empirische Erkenntnisse aus aktuellen Projekten in den Diskussionsstand einfließen. Zum anderen entstehen aktuell eine Reihe von Bildungslandschaften, welche – auf regionale Strukturen angepasst – unterschiedlicher nicht sein könnten. Diese Unterschiede berücksichtigend sollen im Folgenden Bildungslandschaften mindestens verstanden werden als: Eine kommunal- und ggf. landespolitisch unterstützte, langfristig angelegte, mindestens z.T. professionellpädagogisch umgesetzte Vernetzung und Abstimmung von formalen und non formalen Bildungsorten bez. formellen und informellen Bildungsprozessen mit Blick auf individuelle Biografien und generationale Lebensläufe auf der Basis eines Institutionen verbindenden Gesamtkonzeptes in einem benannten Raum. In theoretischer Hinsicht umfassen Bildungslandschaften verschiedene formale und non formale Settings, Orte und Gelegenheiten, in denen formelle und informelle Bildungsprozesse zu beobachten sind. Strukturell werden diese beiden Ebenen durch ein in der Praxis sich permanent wandelndes Geflecht verschiedenster Verordnungen und Zuständigkeiten und damit befasster Organisationen verbunden.«3 Die Suche nach Beiträgen, die eine systematische und historische Einordnung vornehmen, gestaltet sich schwierig. An prominentester Stelle meldet sich Jürgen Oelkers. Er sieht in erster Linie pragmatische Gründe für die Entstehung der Bildungslandschaften, die aber auch »mehr sind als Schule und die nicht auf Unterricht reduziert werden können. Die Metapher der Bildungslandschaft lässt sich am besten fassen, wenn man sie als Verkoppelung von brauchbaren Lernanschlüssen konzipiert, bei denen das informelle Lernen Berücksichtigung findet.«4 Die konkreten Auswirkungen werden dann von Oelkers beispielhaft dargestellt: »Die Programme hängen von der Größe der Gemeinden ab und reichen von der VHS über die Museen, die Theater und Konzertsäle bis hin zu den Krippen, der Jugendarbeit und der Senioren3 Coelen/Croonenbroeck, in: Bollweg, Petra, Otto, Hans-Uwe: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 338f. 4 Oelkers, Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim, 2011, S. 3.
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bildung. Unterhalt und Ausbau dieser Angebote sind teuer, aber auch notwendig, wenn von einem »Bildungsstandort« die Rede sein soll. Er ist nicht identisch mit dem Schulangebot vor Ort, schon gar nicht, wenn man noch die Vereine und Ehrenämter der Bildung einbezieht, ganz zu schweigen von den zahlreichen privaten Angeboten. Es ist also ein Irrtum, wenn im Zuge des PISA-Rankings immer wieder behauptet wurde, dass allein die Schulqualität über den Bildungsstandort entscheiden kann. Nur weil die Lehrergehälter in den Bildungshaushalten der deutschen Bundesländer den größten Posten einnehmen, darf nicht vom unbedingten Vorrang der schulischen Bildung gesprochen werden. Für die Bevölkerung ist ›Bildung‹ eine Gesamterfahrung quer zu den Generationen, bei der Erneuerung und Anschlussfähigkeit die entscheidenden Größen sind. Schulen sorgen für die Erstausstattung, und dies nicht im Sinne eines lebenslangen Vorrats, der sich speichern ließe, sondern als stete Beförderung der Lernfähigkeit.«5
Kritik Mit der Ausweitung der Bildung und der Pädagogisierung von Lebenslagen und Lebensphasen wird aber auch Kritik provoziert. Die Expansion wird in vielfacher Weise hinterfragt bzw. es wird auf fehlende Hinterfragungen in den Konzepten hingewiesen. Auf die problematischen Aspekte der »Raummetaphorik« weist Christian Reutlinger6 hin, der die Beiträge zu Bildungslandschaften zum großen Teil als »affirmativ-programmatisch« bezeichnet. »Eine Kritik zur Bildungslandschaft gibt es bisher nicht. Vielmehr scheinen sich alle schulischen und außerschulischen AkteurInnen zukünftig als Teil von Landschaften denken zu wollen und stimmen euphorisch in die Rede von der Landschaft mit ein.«7 Reutlinger spricht auch 5 Oelkers, Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim, 2011, S. 3. 6 Reutlinger, in: Bollweg, Petra, Otto, Hans-Uwe: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 51-69. 7 Reutlinger, in: Bollweg, Petra, Otto, Hans-Uwe: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 53.
Einleitung: Warum gibt es Bildungslandschaften?
die fehlende Systematisierung und Strukturierung in der Diskussion an. Das macht sich vor allem bei der Verwendung des Raumbegriffs bemerkbar. Er spricht vom »Räumen« und vom »Gerede über den Raum«. Es würde »beliebig, meist unreflektiert, mit unterschiedlichen Raumbegriffen gearbeitet, manchmal bewusst damit gespielt, um Handlungsspielräume zu erweitern und strategische Gewinne gegenüber anderen (pädagogischen) Bereichen zu erzielen. Raum bleibt so in der Regel nur metaphorisch. Die dahinterliegenden eigentlichen Interessen sind dagegen doch verdeckt. Dadurch vermischen sich die verschiedenen Bedeutungen und Traditionen vom Raum zu einem diffusen Brei.«8 Für das Feld des Bildungsmonitorings scheinen sich nach Meinung von Jürgen Oelkers die schlimmsten Befürchtungen schon zu bestätigen: Er entlarvt die »maßlose Rhetorik«, die hinter dem Bildungsmonitoring und den dahinter liegenden »Steuerungsphantasien« liegen, »aber es ist gut, wenn diese Phantasien möglichst häufig auf Realitätskontakt stoßen, denn nur so können sie sich selbst zurückstutzen, wenngleich bei ihnen eine Regel gilt, die auf Freud zurück geht, nämlich die Wiederkehr des Verdrängten. Eine neue solche Fantasie ist ›Bildungsmonitoring‹, also die Beobachtung des Systems mit Zahlen. Doch es ist wiederum nur eine Metapher, bei der man heute schon die Abwehr durch List und Tücke erkennen kann«.9 Auf fehlende kritische Auseinandersetzungen und auf ein fehlendes Verständnis von »kritischer Bildung« bzw. deren »Ausblendung« verweist auch Anke Wischmann: »Diese Ausblendung einer kritischen Bildung ist kein zufälliger Nebeneffekt; vielmehr leistet ihre Abwesenheit einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Hegemonie des bisherigen Diskurses um kommunale Bildungslandschaften. Wenn Bildung immer schon mit Effizienz und Employability gleichgesetzt wird, dann 8 Reutlinger, in: Bollweg, Petra, Otto, Hans-Uwe: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 53. 9 Oelkers, Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim, 2011, S. 2.
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wird Kritik als Infragestellung der Programmatik von vornherein zumindest erschwert, wenn nicht unterbunden.«10 Eine umfassende Kritik aller Innovationen, die unter dem Begriff der »neuen Bildung« zusammengefasst werden, kommt von Andreas Gruschka. In einer Art Verabschiedung von anspruchsvollem pädagogischem Denken und Handeln hinterfragt er die Vorgaben von OECD und UNESCO, die er als »Weltagenturen« bezeichnet. »Die Agenda wird im Headquarter Paris bestimmt, das Globalisierung der Bildung als Mittel zum Zwecke der ökonomischen Entwicklung begreift. […] Die Macher der neuen Bildung strotzen vor Unbedarftheit. Sie sind in erschreckendem Sinne handlungsfähig, weil sie kein Bildungsskrupel mehr bremst.«11 Überzogene Erwartungen und Ansätze, die ohne Anschluss an die Praxis entstehen, machen Bildungsreformen unseriös. Auf den Kult des behördlichen Versprechens reagiert die »Basis« auf eigene Weise, nämlich durch Ausbremsen und Schwungverlagerung. Man könnte auch sagen, die Administration unterschätzt die Akteure vor Ort, die sehr geübt darin sind, sich im Falle von rhetorischen Zumutungen erfolgreich taub zu stellen. Sie können jede Innovation bis zur Unkenntlichkeit anpassen, sodass es naiv wäre, nicht mit einer eigenständigen Basis zu rechnen, die über Echos kommuniziert, sich auf die eigene Erfahrung verlässt und sich am Ende keine andere einreden lässt. Die Kunst ist, die Basis für ein Projekt zu gewinnen und mit fremden Ideen Akzeptanz zu erlangen. Die »Basis« ist mehr als die Schule und das ständige Echo der Schulkritik. Entgegen den Medien: Schulen sind nicht alles. Es gibt nicht nur zahlreiche Institutionen außerschulischer Erziehung und Bildung. Auch lässt sich »Bildung« – was man immer darunter verstehen mag – nicht allein auf institutionelle Angebote festlegen. Aus diesem Grunde ist in den vergangenen Jahren verstärkt vom »informellen Lernen« die Rede. Ich werde dieses Konzept verknüpfen mit der Idee der 10 Wischmann, Was haben kommunale Bildungslandschaften mit Bildung zu tun? – In: Pädagogische Korrespondenz, 2014, S. 79. 11 Gruschka, Adeus Pädagogik? – In: Pädagogische Korrespondenz, 2014, S. 47.
Einleitung: Warum gibt es Bildungslandschaften?
»Bildungslandschaften«, die ebenfalls in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt ist. Die Pädagogik der Bildungslandschaft kann nur anspruchsvoll entwickelt werden, wenn sie die Kritik überprüft und soweit mit einbezieht, wie sie berechtigt und begründet ist. Nur dann ist eine vorschnelle »Euphorie« ob der Reform zu vermeiden und es entsteht ein Konzept, das kurzfristige Effekte keiner echten Entwicklung des Denkens und Handelns in der Erziehung und Bildung vorzieht. Zudem muss bedacht werden, dass die Diskussion über die Bildungslandschaften noch jung ist. Gleichwohl gibt es eine große Anzahl an Einzeldarstellungen und Projektbeschreibungen mit ganz unterschiedlichen Gewichtungen. Wer sich systematisch ausrichten will, benötigt Ordnungsmuster oder Kriterien. Auf diesen Sachverhalt verweisen immer wieder Autor*innen und Projektbetreiber*innen12 . Bisher liegt das Augenmerk auf kommunalen Aspekten der Bildung. So heißt es bei Tibussek und Riedt: »Noch steht eine breite systematische Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Gestaltung lokaler Bildungslandschaften aus. […] Betrachtet man aber die dynamische Entwicklung und die zunehmende bundesweite Resonanz zum Thema, so ist zu erwarten, dass sich dies in den nächsten zwei bis drei Jahren ändern wird. Die gewonnenen Erfahrungen aus Entwicklungen vor Ort, landesweiten Modellen, Programmen oder Erprobungsverfahren sollten es dann ermöglichen, dass im Zusammenspiel zwischen der kommunalen Ebene und dem Land eine Gesamtstrategie zur Entwicklung lokaler Bildungslandschaften aufgestellt werden kann.«13 Formal gesehen soll in dieser Studie eben jenem Anspruch aus Sicht einer reflexiven Praxis entsprochen werden, wobei Vorschläge für eine Erarbeitung des Konzepts gemacht werden sollen. Dies gilt auch vor 12 U.a. Stolz, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 21ff. 13 Tibussek/Riedt, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 149.
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dem Hintergrund der Tatsache, dass eine Verlagerung der Verantwortung von der Landesebene auf die kommunale Ebene nicht in Sicht ist. Tibussek und Riedt sprechen von Gestaltungsmöglichkeiten, die sowohl auf oberer Ebene (hier die Bundesländer), als auch auf unterer Ebene gegeben seien. »Dabei muss keine Ebene auf die andere warten, denn Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume sind schon jetzt auf allen Ebenen vorhanden.«14 Es fehlt eine breite Fachdiskussion, die eine sinnvolle und systematisch-historische Berücksichtigung der einzelnen Disziplinen einbezieht. Dem kann auch in diesem Arbeitsbuch nur aus pädagogischer Sicht entsprochen werden. Damit sei auf die angeführten und zitierten Texte der Einleitung verwiesen, um sich einen weiteren Überblick über die Diskussion zu verschaffen.
Arbeitsleitendes Interesse und These Aus pädagogischer Sicht gibt es einen hohen Bedarf an kommunalen Lösungen für Bildungsfragen. Dieser Bedarf hat sich auch aus der Zersplitterung der pädagogischen Arbeitsfelder ergeben; familienpädagogische Angebote existieren neben frühpädagogischen. Von den unzähligen Einzelfeldern der Spezialisierung sind vor allem die Schulpädagogik und die Sozialpädagogik sowie die Angebote der Erwachsenenbildung zu nennen. Diese Zersplitterung ist wahrscheinlich pädagogikgeschichtlich notwendig gewesen. Aber sie führt auch dazu, dass die Zusammenhänge der Einzeldisziplinen zunehmend aus dem Blick geraten. Kinder, Jugendliche und Erwachsenen werden von Institution zu Institution »gereicht«, ohne auf die Einheit ihrer Person, auf ihre Kohärenz zu achten. Sie zersplittern ebenso wie die Einzelfelder der Pädagogik, die sich voneinander abgrenzen wollen und ihre jeweilige Eigenständigkeit betonen. 14 Tibussek/Riedt, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 148.
Einleitung: Warum gibt es Bildungslandschaften?
Die pädagogische Bedeutung der Bildungslandschaften liegt somit darin, dass die beiden Positionen »notwendige Spezialisierung« und »Bereichsdifferenzierung« dem Verlangen nach Einheitlichkeit und Kohärenz in der Praxis gegenüberstehen. Beruft sich die eine Position auf die Ausdifferenzierung der Moderne, die durch Spezialisierung der pädagogischen Praxis begleitet sein muss, so gründet sich die andere Position auf dem Gedanken der Individualität, welche durch eine abgestimmte und systematische Anschlussfähigkeit der Praxisfelder begleitet sein soll. So ist ein Widerstreit zu entdecken, der vielfältige Ausformulierungen und eine Grunddarstellung der Hintergründe erforderlich macht. Das Verhältnis von Spezialisierung und Entspezialisierung, von Differenzierung und Entdifferenzierung sowie von Bereichspädagogik und Bereichsüberwindung müsste sowohl empirisch als auch grundlagentheoretisch beleuchtet werden. Diese Studie kann das nicht leisten. Sie kann nur erste Anregungen für die Forschung liefern und darauf hinweisen, dass sich ein Gespür für den Widerstreit in der Praxis nachweisen lässt und erste Lösungsvorschläge erarbeitet werden. Die pädagogische Praxis – ebenso wie die Ausbildung und die Wissenschaft – haben in den Jahren seit der Entstehung neuzeitlicher Pädagogik einen beispiellosen Expansionskurs erfahren. Diese Expansion wurde vor allem in einer Ausdifferenzierung und Spezialisierung deutlich. Zur wichtigsten zentralen Subdisziplin der Schulpädagogik kam schnell die Sozialpädagogik, die Erwachsenenbildung und die Frühpädagogik (oder auch Vorschulerziehung) hinzu. Diese vier Felder haben sich noch weiter in Pädagogik für Menschen mit Behinderung (mit vielen Unterbereichen wie Angeboten für Menschen mit psychischen Behinderungen und Sinnesbehinderung etc.), in Jugendhilfe, Beratung und Jugendarbeit unterteilt. Wir haben eine Verkehrserziehung, eine Bewegungserziehung und eine Ernährungspädagogik. Hinzu kommen immer ausdifferenziertere therapeutische Angebote für Heranwachsende sowie logopädische Angebote, die Motopädie etc. Die Ausdifferenzierung ist auf ihre Art und Weise erfolgreich und bringt den Vorteil mit sich, dass für vielfältige Schwierigkeiten in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen Spezialist*innen zur Ver-
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fügung stehen. Darüber hinaus wird Lernen als lebenslanger Prozess propagiert. Dass sich eine ganze, entscheidungs- und handlungsfähige Individualität mit Abgrenzungsmöglichkeiten und der Entscheidungsfähigkeit, was sie selbst im Bereich der Bildung für sinnvoll und persönlich notwendig hält, entwickelt, wird bei dieser Fragmentierung allerdings aus den Augen verloren. Diese Ausdifferenzierung steht jedoch immer in einer Spannung zu einer Pädagogik, die sich um Ganzheitlichkeit bzw. die Einheit des Individuums Sorgen macht. Die Förderung von Einzelaspekten steht in der Gefahr, den Heranwachsenden zum Träger von Teilleistungen zu reduzieren. Die Zersplitterung wird unterstützt durch Messungen von Einzelkompetenzen in den Schulleistungsstudien (PISA, Timms etc.). Der Aspekt der Pädagogik, das Individuum als von Beginn an seiner eigenen Entwicklung beteiligt und als entscheidungsfähig anzusehen, gerät aus dem Blick. Hinzu kommen die Belastungen des Bildungsprozesses. Schule soll zu summierter Kompetenzvermittlung führen und die Sozialpädagogik schafft die soziale Integration. Immer weiter gehen die gesellschaftlichen Erwartungen an die Entwicklung von wünschenswerten Bildungsleistungen. Die Möglichkeiten, sich gegen solche Zumutungen für den Entwicklungsprozess zu verwahren, nehmen ab. Die Spannung zwischen der Ausdifferenzierung in Bereichspädagogiken bzw. Subdisziplinen der Pädagogik und der Erinnerung an einen kohärenten Bildungsprozess des handlungs- und abgrenzungsfähigen Menschen nehmen zu – und sie sind nicht theoretischer Art, sondern bestimmen letztlich das Handeln aller Pädagog*innen. Wer sich auf der einen Seite freut, als Spezialist*in für einen Bildungsaspekt zu gelten und darin eine gewisse Expertise erringt, wird immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob die Einzelleistungsförderung nicht auch problematisch ist, wenn es um die Mündigkeit und um einen integrierten Bildungsprozess geht. Die Praxis diskutiert aber auch die Nachteile der Fragmentierung und Zersplitterung. Sie bemüht sich um Kriterien, die der Spezialisierung – so sinnvoll sie im Einzelnen auch immer sein mag – eine Sicht auf Kohärenz und Selbstbestimmung der Klient*innen entgegenstellen.
Einleitung: Warum gibt es Bildungslandschaften?
Das handlungsfähige Individuum entsteht nicht erst nach Durchlaufen aller fragmentierten Einzelförderungen. Es ist eine Erfahrung aus der Praxis, dass die getrennten Fördermaßnahmen den Vorteil haben, dass gesellschaftliche Erwartungen an die Kompetenzbildung und an die Einzelaspekte der Bildung entsprechen. Das Besondere der Bildungslandschaften sehe ich dabei nicht darin, dass die Bildung an der Wirtschaft ausgerichtet wird. Ich sehe den Ursprung auch nicht in der Stärkung von Demokratie (das ist sicher wichtig, trifft aber nicht den Punkt) und auch nicht in der wichtigen Tendenz zum lebenslangen (oder lebensbegleitenden) Lernen. Der Ursprung liegt auch nicht in der Bedeutung des Aufbaus von Bildungsmonitoring oder darin, dass ein kommunales Bildungsmanagement etabliert wird. Alle diese Ansprüche an die Bildungslandschaften sind nicht unwichtig, treffen aber meiner Einschätzung nach nicht den Kern. Sie sind in einem anspruchsvollen Sinne »parapädagogisch«.15 Der pädagogische Kern der Bildungslandschaften wird schon in der Entstehung des modernen Schulwesens und den Analysen dazu gesehen. Es ist Johann Friedrich Herbart, der sich mit den Folgen einer fragmentierten Bildung auseinandersetzt16 und die »Notwendigkeit einer kommunalen Alternative« entfaltet. Herbart konnte freilich nur die Anfänge der Separierung und Fragmentierung beobachten. Aber ihm wurde schon deutlich, dass strukturelle Lösungen für ein aufkommendes Problem der Trennung von Familienerziehung und Schulbildung gesucht werden müssen. Diese Trennung kann nur durch eine Vernetzung und sinnvolle Aufgabenteilung überwunden werden. »Diese Aufgabenteilung unterscheidet sich aber von der traditionellen, bürokratischen Funktionsteilung zwischen Elternhaus und staatlich kontrollierter Schule dadurch, dass sie sich nicht so sehr an den Erwartungen der Eltern und der Gesellschaft, sondern vorrangig an den Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen Heranwachsenden orientiert. […] Die Aufhebung der herkömmlichen Funktionsteilung zwischen Elternhaus und 15 S. Mikhail, Pädagogisch handeln. Theorie für die Praxis, Paderborn, 2016. 16 S. Herbart, Allgemeine Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet, Bochum, 1976.
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Schule zugunsten neuer, kooperativer Formen des Zusammenwirkens, die sich in erster Linie an den Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen orientieren, eröffnet außerdem erst die Möglichkeit, den Heranwachsenden als ganze Person anstelle seiner künftigen beruflich-sozialen Teilfunktionen zur Aufgabe der Erziehung zu machen.«17 Die Diagnose und die strukturellen Lösungsvorschläge lassen sich fast identisch in aktuellen Schriften zu den pädagogischen Aufgaben der Bildungslandschaften finden18 .
Vorstellung des Bildungsbüros In der Pädagogik sind Erziehung und Bildung von zentraler Bedeutung. Im Leben eines jeden Menschen sind beide Punkte in der heutigen Zeit nicht zu überschätzen. Bildung und Erziehung sind nicht nur für das Berufsleben, sondern auch für den sozialen Umgang und die Mündigkeit eines jeden Individuums, entscheidend. Deshalb liegt die Verantwortung insbesondere bei der Politik. Die Bedienung des breiten Spektrums von Früherziehung und Erwachsenenbildung und die Information der Menschen über die Bildungsmöglichkeiten, kann nicht allein vom Schul- oder Jugendamt bewältigt werden. Diese Lücke schließt ein Bildungsbüro, welches u.a. im Münsterland eingerichtet wurde. Bildung sollte auf kommunaler Ebene Raum gegeben werden. Zu Anfang stellte sich jedoch die Frage, wo Bildungslandschaften fachlich einzuordnen sind. In der Geografie? – schließlich geht es um Landschaften und Regionen. 17 Kemper, Schule und bürgerliche Gesellschaft. Zur Theorie und Geschichte der Schulreform von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Rudolstadt und Jena, 1999, S. 121. 18 S. z.B. Oelkers, Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim, 2011.
Einleitung: Warum gibt es Bildungslandschaften?
In der Soziologie? – schließlich spielt die Datenauswertung und -erhebung im Bereich der Bildung für die Rolle der Optimierung kommunale Bildung eine große Bedeutung. In der Kommunalpolitik? – schließlich geht es um Verwaltungsentscheidungen und dem politischen Schicksal der Kommune. Die Lösung des Konfliktes war die Schaffung eines bereichsverbindenden Instituts in dem Expert*innen der verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten. Das Bildungsbüro im Münsterland war folgendermaßen konstituiert: Es gab • • • • •
drei Sozialpädagogen, einen Lehrer, der vom Lehrdienst freigestellt war, einen Geographen und Sozialwissenschaftler für die Daten, eine Kulturwissenschaftlerin für die Karte der Museen und zwei allgemeine Pädagogen für Steuerung und Leitung
Wofür ist das Bildungsbüro konkret zuständig? Zum einen fungiert das Bildungsbüro als eine Art Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis, indem Erfahrungen dokumentiert und ausgewertet werden. Charakteristisch im Münsterland war dafür auch die Organisation von einer Bildungskonferenz für Praktiker, Wissenschaftler und interessierte Bürger, wodurch ein Forum für Austausch geschaffen werden konnte. Die Konferenz fand alle zwei bis drei Jahre statt. Des Weiteren werden regelmäßig Bildungsberichte über die Region erstellt, die z.B. Daten über Jugendarbeitslosigkeit, Analphabetismus, aber auch die Art und Zahl der erreichten Schulabschlüsse enthalten. Außerdem fördert das Bildungsbüro gezielt Kinder, Jugendliche sowie Erwachsene, indem es auf Institutionen und Projekte aufmerksam macht und Kooperation/Vernetzung zwischen den Einrichtungen erleichtert. Im Münsterland gab es z.B. auch eine Kampagne für Erwachsenenbildung. Die Bürger*innen wurden über Plakate und lokale Medien wie Radio oder Zeitung über Angebote aufmerksam gemacht
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und Anbieter der Erwachsenenbildung, wie z.B. die Volkshochschulen (VHS), besser vernetzt. Trotz oder gerade wegen drohender Arbeitslosigkeit sollen Erwachsene auch nach dem Eintritt ins Berufsleben zum Weiterlernen ermutigt werden. Auch Fachkräfte sollen gezielt gefördert und weitergebildet werden, ebenso wie geographische Vernetzung z.B. durch die Erstellung einer Landkarte von Museen in der Region gefördert wird. Ferner übernimmt das Bildungsbüro Verwaltungsaufgaben und steht unter der Leitung von zwei Gremien mit Vertretern aus dem Sozial- und Arbeitsamt, Bürgermeistern der Region sowie der Kreisverwaltung.
Wie erfolgt die Auswertung der Erfahrungen, die im Bildungsbüro gesammelt werden konnten? Die Auswertung der Erfahrungen verfolgt den Anspruch, die Praxis ebenso wie eine wünschenswerte Theorie zu berücksichtigen. Bei der Praxis greife ich auf eigene Protokolle und Notizen sowie auf Erinnerungen an Gespräche und Teamsitzungen zurück. Auch wird auf Interpretationen zu Bildungskonferenzen und Workshops Bezug genommen; vor allem auch die Projektsitzungen im Rahmen des Modellversuchs »Lernen vor Ort« gab in diesem Kontext wichtige Impulse für die Praxisauswertung. Zu Beginn der Erstellung der genannten Notizen und Protokolle war dabei die Frage von zentraler Bedeutung, wie die Aktivitäten, Entscheidungen und Impulse im Bildungsbüro bzw. aus diesem heraus eine pädagogische Begründung finden könnten. Vor allem die starke Berücksichtigung von Daten und Fakten zu den jeweiligen Bildungslandschaften hatte vieles für sich. Ohne Klarheit bezüglich der Besonderheiten einer Region, wären Maßnahmen, die Bildungsfragen betreffen, spekulativ gewesen. Dennoch kam immer wieder die Frage auf, wie genau mit den Daten verfahren werden und in welche Richtung sich die thematisierte Bildungsregion entwickeln soll. Denn die Daten konnten nur bedingt Auskunft dazu geben,
Einleitung: Warum gibt es Bildungslandschaften?
wie die Bildung der Zukunft zu gestalten sei und wie eine Verbesserung eingeleitet werden könnte. Auskünfte gab aber zumindest die Kritik an der Instrumentalisierung. So viel war von kritischer Seite klar: Bildung, die in erster Linie als Instrument lokaler Wirtschaft oder lokaler Politik eingesetzt wird, muss zurecht hinterfragt werden. In dem Zwischenfeld von Theorie und Praxis und in dem Versuch, beiden so weit wie möglich gerecht zu werden, sind Verkürzungen wahrscheinlich unvermeidbar. Aber hier geht es nicht um abschließende und fertige Formen der Erfahrungsauswertung für die Theorie, sondern um erste Annäherungen. Welche Wege kann eine theorieorientierte Praxisreflexion beschreiten?
Was zeichnet meine persönlichen Erfahrungen aus? Wer als Pädagog*in in eine Verwaltungseinheit eintritt, hat natürlich ganz andere Aspekte im Blick als jemand, der direkt in der Erziehungsund Bildungsarbeit mit Heranwachsenden tätig ist. Der direkte Umgang mit Menschen, die in ihrem Lebensweg begleitet werden, fehlt. Vielmehr ist es eine Bürotätigkeit, die sich mit den Rahmenbedingungen und den Strukturen von pädagogischen Maßnahmen beschäftigt. In meiner Wahrnehmung war aber gleichwohl für alle Mitarbeiter*innen von Bedeutung, die Erziehung und Bildung von Heranwachsenden zu verbessern. Verwaltung von Straßenbau und Verwaltung von Pädagogik unterscheidet sich durch andere Prinzipien, ein grundlegend anderes Verständnis von Praxis und vieles andere mehr. So oder so geht um Fachlichkeit und Professionalität in dem entsprechenden Gebiet. Ich betone das deshalb, weil in den allgemeinen Ansätzen zum Aufbau von Verwaltungseinheiten nicht immer berücksichtigt wird, dass pädagogische Prinzipien grundlegend andere Ansätze und Vorgehensweisen notwendig machen. Die Abläufe waren sonst ähnlich wie in anderen Verwaltungseinheiten. Es mussten Zuständigkeiten geklärt werden und es wurden Ziele festgelegt. Wichtig waren die Absprachen und der Austausch im Team.
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Die Bedeutung von eigener pädagogischer Arbeit und damit auch die Unabhängigkeit von anderen Erwartungen war in den Diskussionen innerhalb des Teams durchaus zu bemerken. Es gab eine offene und interessierte Aufnahme von Ansätzen des Bildungsmanagements, aber auch eine Offenheit für Kritik an der zu starken Instrumentalisierung für wirtschaftliche oder politische Zwecke. Das zeigte sich z.B. bei der Diskussion mit Lehrer*innen über datenbasierte Rankings von Abiturnoten. Im Laufe vieler Teamabsprachen stellte sich heraus, dass wir im Bildungsbüro die ganze Person in den Blick nehmen wollen. Hierfür eignen sich das Konzept der Bildungslandschaften und Modelle zu Kooperation, Vernetzung und Übergängen.
Welche Erkenntnisse wurden im Bildungsbüro gewonnen? Wir haben insbesondere gemerkt, dass eine Ausdifferenzierung und Expansion von Angeboten für die Bildung des Individuums von zentraler Bedeutung sind. Gleichzeitig wurden wir mit den bereits beschriebenen Gefahren einer Ausdifferenzierung konfrontiert, und zwar der Zersplitterung, die den Menschen als Ganzen aus dem Blick verliert und den Heranwachsenden auf einen Träger von Teilleistungen reduziert.
Zum Ansatz dieses Buches Mit dem Konflikt zwischen Ausdifferenzierung und Zersplitterung beschäftigt sich die Praxisstudie. Dabei möchte ich meine praktischen Erfahrungen mit theoretischen Erklärungsmustern verknüpfen. Als Praktiker, der wohl ohne seine Erfahrungen im Bildungsbüro gar nicht auf die Bedeutung der Bildungslandschaften aufmerksam geworden wäre, werde ich mit der Praxis anfangen und mich langsam zur Theorie vortasten.
Einleitung: Warum gibt es Bildungslandschaften?
Ein Schlüsselmoment für mich persönlich war die Lektüre eines Textes von Winfried Lohre, welcher von der Kohärenz und dem Zusammenhang der Pädagogik spricht. Das tut er als bedeutende, praktisch erfahrene Person im Bereich der Bildungslandschaften. Die gesamten theoretischen und konzeptionellen Auswirkungen dieses Gedankens sind ihm aber nicht bewusst. Er bleibt im Modus der Praxis. Ich möchte aus der Praxis heraus zeigen, dass die gesamte pädagogische und erziehungswissenschaftliche Grundkonzeption in Praxis und Theorie durch den Erfolg der Bildungslandschaften etwas anders geordnet werden sollte. Diesen Gedanken führe ich dann in einem Gedankenexperiment aus. Dabei bleibe ich vorsichtig, da ich keine eigene Theorie verfassen will, sondern nur Anregungen aus der Praxis herausgeben möchte. In den folgenden Textpassagen wird der Gedanke noch einmal grundlegend formuliert: Die These dieser Studie lautet, dass es in der Praxis der Pädagogik einen Bedarf gibt, der sich als »Bereichsverbindung« bezeichnen lässt. Die Ausdifferenzierung und die Separierung von Spezialisierungen in Feldern der Frühpädagogik, Schulpädagogik etc. bringt Nachteile mit sich, die durch eine Kohärenz der Pädagogik aufgehoben werden. Dieser Bedarf an Bereichsverbindung im Sinne einer ganzen und nicht aufgeteilten Pädagogik wird in kleinen regionalen Einheiten jeweils unterschiedlich ausprobiert. Die Regionalität und kommunale Orientierung ist deshalb so von Bedeutung, weil die Verbindung der ausdifferenzierten Felder nicht von einer Bildungsministerin verordnet werden kann, sondern die Gegebenheiten kommunaler Bildung berücksichtigt werden müssen. Eine bereichsverbinde Regionalpädagogik kann nur aus der Praxis und aus dem Bedarf der jeweiligen regionalen Praxis heraus entwickelt werden, also nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Mit dieser dezidiert pädagogischen Betrachtung, die den Kern der Bildungslandschaften in den Blick nimmt, möchte ich zum einen tiefer auf den Ursprung der Bildungslandschaften schauen und zum anderen viele andere Interpretationen als Folge von einer pädagogischen und gesellschaftlichen Praxis interpretieren. Es handelt sich meiner
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Einschätzung nach, um praktische Erfordernisse, die den Erfolg der Bildungslandschaften ausmachen. Es werden Lösungen im pädagogischen Feld angeboten, die schon seit einiger Zeit als Problem im Raum standen. Die Ausdifferenzierung der pädagogischen Praxis in Unterpraxen und mit ihr die Ausdifferenzierung in Subdisziplinen der Pädagogik als Wissenschaftsdisziplin war sehr erfolgreich. Sie hat aber auch die Tendenz unterstützt, Bildungsbiographien zu zerstückeln, zu fragmentieren und einen Blick auf die Bildung des Menschen zu fördern, der ihn zu Teilleistungen parzelliert. Bildung und Erziehung wurde in Kleinteile und in getrennte Aufgabenfelder fragmentiert.
Teil I: Auswertung von Erfahrungen in einem Bildungsbüro
Das erste Kapitel handelt von den vielfältigen Tätigkeiten innerhalb des Büros, die sich auf die Bildungsangebote direkt bezogen. Wie werden vorhandene Erziehungs- und Bildungsangebote in ein neues Verhältnis zueinander gesetzt? Im zweiten Kapitel soll dann der Aspekt der Regionalität untersucht werden. Lässt sich aus pädagogischer Sicht eine Begründung dafür finden, dass die regionalen Angebote eine höhere Plausibilität für sich beanspruchen können als überregionale Steuerungen von Bildungs- und Erziehungsangeboten? Das dritte Kapitel sucht dann unter der Zusammenführung der Ergebnisse eine Erklärung dafür, dass sich aus den Ergebnissen des ersten Unterkapitels und des zweiten Unterkapitels neue Strukturen und Instrumente in einer Bildungslandschaften finden. Lassen sich die Strukturen wie Steuerungskreise, Bildungskonferenzen oder auch Bildungsbüros auf der Basis einer Pädagogik begründen, die sich als bereichskonnektive und regionale versteht? Vor allem die starke Berücksichtigung von Daten und Fakten zu den jeweiligen Bildungslandschaften hatte vieles für sich. Ohne Klarheit bezüglich der Gegebenheiten einer Region in Bildungsfragen wären Maßnahmen zu spekulativ gewesen. Dennoch kam immer wieder die Frage auf, was mit den Daten gemacht wird und welche Richtung eine Bildungsregion nehmen sollte. Die Daten konnten nur bedingt Auskunft dazu geben, wie die Bildung der Zukunft zu gestalten sei und wie eine Verbesserung eingeleitet werden könnte. An dieser Stelle konnte zumindest die Kritik an der Instrumentalisierung ein paar Auskünfte geben. So viel war von kritischer Seite klar. Bildung, die in erster Linie zu einem Instrument von lokaler Wirtschaft oder lokaler Politik eingesetzt wird, muss zu Recht hinterfragt werden. Bildungsmanagement verfügt über kein Regulativ für die Unabhängigkeit der pädagogischen Praxis, sondern gehorcht politischen oder wirtschaftlichen Maßstäben.
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Pädagogische Praxis und Bereichskonnexion
1.1 Vernetzung und Schwierigkeiten mit dem Netzwerkrauschen Der Begriff Vernetzung ist undeutlich definiert. Sie kann als vielfältige Zusammenarbeit im Sinne des pädagogischen Auftrags verstanden werden: Zum einen wird darunter die Zusammenarbeit unterschiedliche Felder und Institutionen verstanden, zum anderen auch die Einbeziehung oder die Zusammenarbeit von nicht-pädagogischen Institutionen (z.B. mit Betrieben, Politik oder Verwaltung). Von Vernetzung wird darüber hinaus auch dann gesprochen, wenn sich gleiche Institutionen zum Austausch zusammentun, wie z.B. in einem Fortbildungsverbund von Schulen. In unserem Bildungsbüro waren wir vielfältig in Vernetzungsarbeiten tätig. •
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Es gab z.B. ein Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hatte, die Anbieter der Erwachsenen- und Familienbildung besser miteinander zu vernetzen. Ein gemeinsames Auftreten sollte dazu beitragen, dass die Bevölkerung verstärkt Angebote der Erwachsenenbildung wahrnimmt. Auch die Schaffung von Synergieeffekten war angestrebt. Die Vernetzung von Schulen mit Betrieben wurde häufiger thematisiert und wurde insgesamt unterstützt. Ein größeres Projekt war die pädagogische Landkarte. Es sollte gerade für Schulen, aber auch für die Frühpädagogik, einfach
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Teil I: Auswertung von Erfahrungen in einem Bildungsbüro
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erkennbar dargestellt werden, wo kulturelle und museale Angebote im Kreisgebiet vorhanden sind. Schließlich wurde auch eine bessere und pädagogisch ansprechende Führung durch Museen unterstützt. Wenn auch auf einer anderen Ebene, so wurde doch auch über die Vernetzung der Jugendämter und Schulämter nachgedacht; auch hier wurden Schritte eingeleitet.
Insgesamt wurde die Vernetzung unterstützt und es gab einen großen Konsens bei der Frage, ob die Vernetzung der Erziehung und Bildung der Heranwachsenden und Erwachsenen zugutekommt. Doch eine klare, pädagogisch ausgerichtete Argumentation gab es nicht. Es herrschte allgemein die Auffassung vor, dass viele Erziehungsund Bildungseinrichtungen über den Tellerrand schauen sollten und ihnen das gut tun würde. Der Aufwand und der schwer einschätzbare Nutzen von Vernetzungsarbeit wurde aber auch hervorgehoben und es wurden immer häufiger Stimmen aus den Einrichtungen im Bildungsbüro laut, die sich gegen ein kriterienloses Vernetzen richteten. Besonders gut gemeinte, aber letztlich unergiebige Sitzungen, in denen das Postulat der Vernetzung ausgesprochen wurde, ohne klare Vorteile nennen zu können, wurden immer stärker hinterfragt. So kam auch der kritische Begriff des Netzwerkrauschens immer mehr ins Bewusstsein. Wann wird die wahllose Vernetzung zum Selbstzweck und verbraucht unnütz viel Zeit und Energie? Wann ist sie sinnvoll und lässt sich pädagogisch rechtfertigen? Vor diesem Hintergrund habe ich die Literatur betrachtet und nach pädagogischen Begründungen der Netzwerkarbeit Ausschau gehalten. Insgesamt ist die Literatur zum Thema Vernetzung beachtlich und schwer überschaubar. Dabei muss man die Vernetzung in der Erziehung und Bildung von der Vernetzung im Rahmen von Bildungslandschaften unterscheiden.
1 Pädagogische Praxis und Bereichskonnexion
Vernetzung Vernetzung ist ein zentrales Thema in den Bildungslandschaften. Es gibt Autor*innen, die das Thema Vernetzung als wichtigste Neuerung der kommunalen Bildungslandschaften ansehen.1 Die Lösungen sinnvoller Vernetzung lassen sich im Sinne des »Versuchslabors Kommune« für überregionale und allgemeine pädagogische Problemlösungen fruchtbar machen. Von Vernetzung und Netzwerken wird auch im Rahmen der kommunalen Bildungslandschaften immer wieder gesprochen. Im Jahr 2007 erschien das Werk von Claudia Solzbacher und Dorothea Minderop mit dem Titel »Bildungsnetzwerke und Bildungslandschaften«.2 In diesem Buch äußern sich 34 Autor*innen in Einzeltexten zu der Bedeutung von Vernetzungen in den Bildungslandschaften: »In Bildungsnetzwerken vernetzen sich Schulen mit anderen Schulen oder außerschulischen Partnern oder mit beiden. Bildungsnetzwerke bündeln Kompetenzen und Ressourcen, um gemeinsam Ziele zu erreichen, mit denen jeder Partner für sich allein überfordert wäre. Sie sind in der Regel verbindlicher organisiert als Kooperationen. Die Partner stellen ihre jeweilige Autonomie nicht in Frage. Es geht vielmehr darum, den Transfer von Kenntnissen und Kompetenzen zu ermöglichen und zu verbessern und – dies macht die Idee des Netzwerkens heute besonders aktuell – die Kosten zu senken, indem Synergien genutzt werden.«3 In dieser Umschreibung fehlt die Vernetzung mit Partner*innen, die nicht aus der Bildung kommen, also bspw. mit Ausbildungsbetrieben oder Kultureinrichtungen etc. Für unsere Frage stellen die beiden Autorinnen einen Paradigmenwechsel fest, der das Neue vom Alten unterscheidet. Es geht um die Frage, wie Institutionen sich verändern, 1 Z.B. Gnahs, in: Solzbacher/Minderop: Bildungsnetzwerke und regionale Bildungslandschaften – Ziele und Konzepte, Aufgaben und Prozesse, München, 2007, S. 297ff. 2 Gnahs, in: Solzbacher/Minderop: Bildungsnetzwerke und regionale Bildungslandschaften – Ziele und Konzepte, Aufgaben und Prozesse, München, 2007, S. 297ff. 3 Solzbacher/Minderop, Bildungsnetzwerke, München, 2007, S. 3f.
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welcher Antrieb die Entwicklung vorgibt. Sie sehen zwei Formen von Paradigmenwechseln und damit zwei Weisen, wie das Neue das Alte ersetzen soll – ob es das dann auch wirklich tut, könnte jetzt, acht Jahre nach diesen Sätzen, schon eine Untersuchung wert sein. Paradigmenwechsel 1: »community based educational renewal«4 Paradigmenwechsel 2: Nicht die (Schul-)Aufsicht, sondern der Partner im Netzwerk ist der Transmissionsriemen für Veränderung, und zwar durch: • • • •
eine veränderte Sicht eine veränderte Planung und Steuerung veränderte Evaluation und Administration und die gezielte Neuausrichtung von Bildungsbemühungen auf die Anforderungen der Gesellschaft – nicht zuletzt des Arbeitsmarktes – und damit auf die Belange der nächsten Generation.
Widerstreit und Netzwerkarbeit ohne »Netzwerkrauschen« Eine allgemeine Systematisierung und damit verknüpfte Bewertung von Netzwerkarbeit stehen noch aus. Aus pädagogischer Perspektive fehlt die Einordnung nach Prinzipien, die den hohen Aufwand für Netzwerkarbeit legitimiert bzw. klärt, wann sich Netzwerkarbeit als »Netzwerkrauschen« ohne Sinn darstellt. Varianten, Ebenen und Dimensionen der Netzwerkarbeit zu unterscheiden und diese dann aus pädagogischer, soziologischer, politischer und betriebswirtschaftlicher Sicht zu differenzieren, um sie dann in einen Austausch zu bringen, der möglichen Widerstreit nicht übersieht, sondern offenen benennt, um der Praxis Möglichkeiten für Suchbewegungen zu verschaffen – das ist ein ganzes Forschungsprogramm. 4 Eichert, in: Solzbacher/Minderop: Bildungsnetzwerke, München, 2007, S. 6.
1 Pädagogische Praxis und Bereichskonnexion
Netzwerkarbeit Die Vorbehalte und Schwierigkeiten der Netzwerkarbeit werden bei Tibussek angesprochen. Er sieht gerade in der Anfangszeit der Bildungslandschaften die Gefahr des »Netzwerkrauschens«. Das Verhältnis von Aufwand und Nutzen in der Netzwerkarbeit offen zu legen, ist auch für ihn eines der großen Probleme. »Zunächst ist es wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sich die Richtung ebenso wie die Art der Arbeit ändert. Netzwerkarbeit ist in erster Linie nicht als eine zusätzliche Aufgabe zum bestehenden Prozess zu verstehen, sondern als eine andere Ausübungsform der bisherigen Tätigkeiten. […] Nur wenn sich alle beteiligten Akteure darüber bewusst sind, können Überbelastungen und (sich eventuell sogar zuwiderlaufende) Doppelarbeiten vermieden werden. Trotzdem sollte beachtet werden, dass die zentralen Akteure zumindest vorübergehend in kommunalen Bildungslandschaften tatsächlich einen Mehraufwand leisten müssen.«5 Bei den vielen Versuchen, die Spezialisierung auf Teilbereiche, die Probleme zu bearbeiten, die auf Einzelfelder der Unterstützung und auf Einseitigkeiten in der Bildung verweisen, fehlt doch die konkrete Darstellung. Es fehlen Kriterien, die möglicherweise auch empirisch überprüfbar die Vorteile von verbesserten Übergängen, von Kooperation und Vernetzung darstellen. Was lässt sich bei den Heranwachsenden an Vorteilen und Verbesserungen beschreiben, was durch ein Bildungsangebot, das durch Fragmentierung, Spezialisierung und Aufsplitterung in Teilförderungen nicht erreicht wird? Darauf gibt es viele implizite Verweise und es gibt viele Forderungen, die aber meist ungenau und kaum nachprüfbar bleiben. Das Beispiel Newcastle: »Im Haushaltsjahr 2008/09 sollen Kinder und Jugendliche darüber entscheiden, wie die 2,2 Millionen Pfund für Projekte im Bereich der 5 Tibussek, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften – Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 2009, S. 210.
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Teil I: Auswertung von Erfahrungen in einem Bildungsbüro
Jugendarbeit ausgegeben werden sollen. Darüber hinaus sind Bürgerinnen und Bürger eingeladen, in fünf benachteiligten Stadtteilen über die Verwendung von jeweils 20.000 bis 45.000 Pfund für Verbesserungsmaßnahmen im Stadtteil abzustimmen. In Großbritannien wurden Pioniererfahrungen aus Lateinamerika sowie Spanien und Frankreich berücksichtigt. […] Dort taten sich die Verantwortlichen mit dem Bürgerhaushalt zunächst schwer. Deshalb erhalten die Ratsmitglieder in vielen Kommunen ein kleines eigenes Budget, das sie nach Konsultation mit den Bürgerinnen und Bürgern ihres Wahlbezirks für die von ihnen priorisierten Zwecke einsetzen können. Dieses Verfahren wertet die Kommunalpolitiker/innen auf und sie erfahren ganz persönlich, wie ein Bürgerhaushalt im Kleinen funktioniert. Nicht berücksichtigt wurde jedoch eine Lektion der Pioniere im brasilianischen Porto Alegre: […] Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sollten sich nach Möglichkeit nicht nur darauf beschränken, über die Verwendung der Ausgaben mitbestimmen zu dürfen. Vielmehr muss auch die Einnahmeseite thematisiert werden, um alle Beteiligten für haushalterisches Denken zu sensibilisieren. Zudem könnte mit einem solchen Ansatz die Ownership der Stakeholder in kommunalen Bildungslandschaften deutlich erhöht werden.«6 Tibussek verweist darüber hinaus auf die Konfliktpotentiale, die sich ergeben: • • • •
»Unterschiedliche Bildungs- und Qualitätsverständnisse prallen aufeinander, was Koordination und Abstimmung erschwert. Teilweise müssen gegenläufige institutionelle Interessenlagen unter ein gemeinsames Dach gebracht werden. Die verschiedenen Institutionen streben auch in einem Netzwerk danach, ihre jeweiligen Identitäten zu behaupten. Durch Vernetzung erhoffte Synergiepotenziale lassen die Sorge einzelner Akteure – insbesondere kleiner Träger, wachsen, dass die
6 Tibussek, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 211.
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Existenz ihrer Stelle oder gar der gesamten Institution in Gefahr ist. In einem Netzwerk bestehen trotz gemeinsamer Ziele Konkurrenzen zwischen den Akteuren. Für die beteiligten Akteure ändern sich die bisherigen Stellenprofile und erforderlichen fachlichen Qualifikationen. Zusätzlich kommen aber auch neue Stellenprofile hinzu, was ebenfalls mit neuen Anforderungen verbunden ist (z.B. Moderation, Interdisziplinarität, Projektmanagement). Die Projektziele müssen vorhandenen formalen Hierarchien untergeordnet werden […]. Transparenz und Kommunikation im Netzwerk produzieren hohe Transaktionskosten. Die Akteure richten nicht nur eigene Erwartungen an die Kooperationspartner, sondern sie haben auch mit den Zumutungen fertig zu werden, die andere ihnen selbst auferlegen. Die Handlungsspielräume der Beteiligten werden nicht nur erweitert, sondern auch eingeschränkt, »denn in sozialen Netzwerken entstehen Verhaltensregeln, die keiner der Mitspieler exklusiv kontrollieren kann, von der Befolgung jedoch die Möglichkeit der Teilnahme am Netzwerk abhängt.«7 Vormals hoheitliche Kompetenzen werden auf ein Beziehungsgeflecht mehrerer Einflussnehmender Akteure verschoben, was zumindest in der Übergangsphase unklare Kompetenzen respektive Kompetenzstreitigkeiten zur Folge haben kann. Kooperationsnetzwerke integrieren nicht nur, sondern sie wirken zugunsten einer (mengenmäßig) handlungsfähigen Struktur ausgrenzend.«8
Die Frage, wie sich der Nutzen allgemein und gerade aus pädagogischer Sicht darstellt, wird in den Texten von Bleckmann angesprochen: Netzwerkarbeit ohne Netzwerkrauschen ist schwer. 7 Tibussek, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 211. 8 Tibussek, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 205f.
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Die Netzwerkarbeit unterliegt dann ähnlichen Möglichkeiten und Grenzen, wenn wir auf die Förderung und die angemessene Form der Unterstützung zwischen Differenzierung und Kohärenz in seinen aus pädagogischer Sicht positiv zu bewertenden Varianten blicken und als Modularisierung und Geschlossenheit in seinen eher problematischen Varianten. Wer aus Sicht der Pädagogik und den Möglichkeiten einer Regionalpädagogik auf die Netzwerkarbeit schaut und auf Praxisformen, die mit pädagogischen Prinzipien vereinbar sind und sich nach Maßstäben pädagogischer Arbeit als sinnvoll erweisen, der ist auf Unterscheidungen angewiesen.
Netzwerken Tibussek sieht »in einem Verantwortungsnetzwerk, […] die Verbesserung der Aufwachsbedingungen von Kindern und Jugendlichen.«9 Nur wenn die Verbesserung der Bedingungen geschafft ist, kann von einer Zielerreichung gesprochen werden. Es kann eine sprachliche Ungenauigkeit sein, der Fokus scheint aber doch auf den Gegebenheiten, Sozialräumen, Bildungsräumen oder auch Netzwerken zu liegen. Die Netzwerke sagen noch nichts über die direkten Förderungsansätze aus, über die Art des Umgangs mit den Kindern und Jugendlichen und das, was ihnen »gezeigt«, inhaltlich angeboten und zum Gegenstand der Unterrichtung (unabhängig von Schule) gemacht wird. Bevor alle Handlungslogiken zusammengefasst und unter den Appell des Netzwerkens gestellt werden, ohne, dass ihnen der Vorteil eines solchen Handelns ersichtlich ist und ohne, dass die in ihrer Handlungslogik liegenden Prinzipien ein »Netzwerkeln« notwendig macht, sind die Unterschiede und Konflikte klar zu benennen. Eine Regionalpädagogik kann nicht mehr, aber auch nicht weniger, als aus pädagogischer Perspektive zu klären, was den Aufwand einer 9 Tibussek, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 205.
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Vernetzung sinnvoll erscheinen lässt, ohne dass die eigene Handlungslogik zugunsten von wirtschaftlichen oder politischen Fremderwartungen aufgegeben wird. Beim Thema Vernetzung verhält es sich vielleicht ähnlich wie bei dem der Interdisziplinarität. Sie stehen beide hoch im Kurs und haben durchaus Aspekte, denen es lohnt nachzugehen – aber unter hohen Ansprüchen verschwinden die guten Ansätze. Es ist weder klar, wer sich mit wem zu welchem Thema vernetzen soll, noch welche Positionen dabei wichtig sind und wie dann Ziele erreicht werden können. Im Netzwerk wie im Rahmen interdisziplinärer Vorgehensweisen werden Unterscheidungen aufgehoben, die in aufwendigen Prozessen gewonnen wurden. Wer eine pädagogische Begründung und systematische wie grundlegende Argumente für die Vernetzung sucht, wird oft enttäuscht. Vernetzung und Kooperation werden an sich als Wert dargestellt. Dabei wird in der Praxis oft über den hohen Arbeitsaufwand für diese Tätigkeit geklagt. Ohne systematische Begründungen und ohne empirische Begründungen für Vernetzung und Kooperation besteht die große Gefahr, dass die Vernetzung und Kooperation eher als Modethema behandelt wird. Für Praktiker*innen ist es in einer solchen Situation schwer, sich »der Mode« zu widersetzen und diese vor dem Hintergrund knapper Ressourcen kritisch zu hinterfragen. Was könnte aus pädagogischer Sicht eine Vernetzung sinnvoll erscheinen lassen, auf welchen Widerstreit sollte geachtet werden und wie lassen sich Fehlformen vermeiden? Wie lässt sich Vernetzung für eine differenzierte Sicht auf den Klienten nutzen und zur besseren Unterstützung einsetzen? Welche Sichtweisen und welche Arbeitsformen wären dafür notwendig? Wie kann Vernetzung zum Austausch mit der Öffentlichkeit genutzt werden und wo sind die Grenzen der Öffentlichkeitsbeteiligung? Was bringt den Fachkräften Vernetzung und wie müsste ein aus pädagogischer Sicht sinnvoller Austausch von Vorgehensweisen vorgenommen werden, damit ein sichtbarer Nutzen zu verzeichnen ist? Dabei gibt es Grund zum Zweifeln: Die aus pädagogischer Sicht vorhandenen Vorbehalte gegenüber der Kooperationsarbeit gelten auch für
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die Vernetzung. Einerseits muss sie sich der Gefahr der Einengung der Sichtweise wie in der Unterstützungsformen ebenso erwehren, andererseits ist Vernetzung dann erforderlich, wenn Widersprüche und entgegengesetzte Vorgehensweisen in der pädagogischen Arbeit die Klient*innen eher verwirren und »entgegengesetzt binden«, als darin zu unterstützen, selbst zu handeln. Die jeweils eigene Sicht und Vorgehensweise muss erhalten bleiben und die Anschlussfähigkeit gewährleistet sein. Wie kann aus Sicht der pädagogischen Praxis der Nutzen und der mögliche Nachteil von Vernetzung gesehen werden? Auch dabei geht es um die Strukturen, die damit geschaffen werden sollen, und die Frage, ob diese aus pädagogischer Sicht die Mühe und den Aufwand lohnen. Neben den umfangreichen und für die Praxis kaum überschaubaren unterschiedlichen Aktivitäten und theoretischen wie praktischen Anregungen im Feld der Vernetzung sollen hier zwei Aspekte im Vordergrund stehen: Warum wird die Vernetzung in das Oberthema Bildungslandschaften eingebettet? Wie ist die Vernetzung von gleichen Institutionen zu bewerten? Die Menge an Vernetzungserwartungen droht die Beziehungsarbeit, die zeitaufwendige Aufbauarbeit von Vertrauen (körperliche und geistige Präsenz der Erzieher*in) ebenso zu bedrohen, wie sie den Zeitaufwand für die Vermittlung von Inhalten gefährdet. Wie lässt sich die Vernetzung vor dem Problem eines hohen Zeitaufwandes begründen? Was würde der Praxis helfen, um das Thema Vernetzung durch eine Wissenschaft besser anzugehen? •
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Eine pädagogische Praxiswissenschaft müsste vorab ein Bewusstsein für die Möglichkeiten, aber auch für die Gefahren von Vernetzung besitzen. Eine Erforschung des Themas ohne Hinweise auf das pädagogische Kerngebiet wäre unterkomplex. Dann wären gute Beispiele wünschenswert, so aufgearbeitet, dass einzelne Schritte und Kriterien konkret ausgedrückt werden.
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Weitere Forschungen wären sinnvoll, die die Vernetzungsarbeit nach den Feldern unterteilt. So ist die Vernetzung der Schule natürlich etwas anderes als die Vernetzung in der Kita. Welche Kriterien sind wichtig, damit der Vernetzungspartner wertvoll ist? Was sollte einen Bauernhof auszeichnen, der für eine Tagestour der Kita gut geeignet ist? Was wären Ausschlusskriterien? Was könnte aus pädagogischer Sicht eine Vernetzung sinnvoll erscheinen lassen, auf welchen Widerstreit sollte geachtet werden und wie lassen sich Fehlformen vermeiden? Wie lässt sich Vernetzung für eine differenzierte Sicht auf den Klienten nutzen und zur besseren Unterstützung einsetzen? Welche Sichtweisen und welche Arbeitsformen wären dafür notwendig? Wie kann Vernetzung zum Austausch mit der Öffentlichkeit genutzt werden und wo sind die Grenzen der Öffentlichkeitsbeteiligung? Was bringt den Fachkräften Vernetzung und wie müsste ein aus pädagogischer Sicht sinnvoller Austausch von Vorgehensweisen vorgenommen werden, damit ein sichtbarer Nutzen zu verzeichnen ist? Warum wird die Vernetzung in das Oberthema Bildungslandschaften eingebettet? Wie ist die Vernetzung von gleichen Institutionen zu bewerten? Wie lässt sich die Vernetzung vor dem Problem eines hohen Zeitaufwandes begründen? Wie kann aus Sicht der pädagogischen Praxis der Nutzen und der mögliche Nachteil von Vernetzung gesehen werden?
1.2 Die Kooperation zwischen formellen Bildungseinrichtungen Die Vernetzung verschiedener Institute der Regionalpädagogik ist für die Förderung des Individuums in seiner Ganzheit essenziell. Für eine erfolgreiche und sinnvolle Vernetzung sind vor allem zwei Aspekte zu beachten:
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Einerseits sollte die Kohärenz der Regionalpädagogik gewahrt werden, d.h. die einzelnen Institute müssen in ihrem inneren Zusammenhang intern wie extern in Kooperation mit anderen Instituten beständig bleiben. Andererseits ist die Ausdifferenzierung der Regionalpädagogik in ihre einzelnen Institute historisch gewachsen; sie befriedigen unterschiedliche Bedürfnisse, sollten Konkurrenz untereinander jedoch vermeiden.
Kooperation Unter der Vernetzung haben wir im Bildungsbüro eine vielfältige Zusammenarbeit mit Einrichtungen oder Betrieben der formellen und informellen Bildung verstanden, um bestimmte Situationen besser zu meistern bzw. bestimmte Heranwachsende und Klient*innen besser zu erreichen. Unsere Erfahrungen konzentrierten sich hier vor allem auf die bessere Förderung von Kindern und Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen, insbesondere in Bezug auf die Kooperation der Schule und Jugendhilfe und der Jugendhilfe mit den Volkshochschulen (VHS). Thematisch konzentrierte sich die Zusammenarbeit der Schule mit der Jugendhilfe und der Jugendhilfe mit den VHS auf Heranwachsende aus bildungsfernen Kreisen sowie auf Heranwachsende aus sozialen Brennpunkten. Die Schule benötigte für einen angemessenen pädagogischen Umgang die Hilfe und Unterstützung von der Jugendhilfe. Die Sozialpädagogik wurde dabei in der Regel als Krisenintervention eingesetzt. Oft bestand unsere Erwartung darin, dass die Jugendhilfe eine Beschäftigung mit den Jugendlichen und Kindern vornehmen sollte, die eine Beschulbarkeit wieder ermöglichen sollte. Leider konnte diese Erwartung nur zum Teil von den Sozialpädagog*innen erfüllt werden, denn sie wollte sich von der Funktion, eine Art Reparaturdienst darzustellen, distanzieren. Die Kooperation von der VHS mit der Jugendhilfe verlief unserer Einschätzung nach auf Augenhöhe. Die VHS baute – mit Hilfe von Spenden und anderen Fördermitteln – unterschiedliche Bildungsangebote auf, die für Heranwachsende in schwierigen Situationen
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kostengünstig oder sogar völlig kostenfrei besucht werden konnten. Gerade im Feld der künstlerischen und musikalischen Bildung konnte die VHS hier besondere Erfolge verzeichnen. Würde die Jugendhilfe zur Erfüllungsgehilfin der Schulpädagogik, hätte die historisch mit guten Gründen sich verselbstständigte Sozialpädagogik wieder eine untergeordnete Funktion. Das wäre aus Sicht einer systematisch-historischen Pädagogik fatal und würde den Heranwachsenden nicht gerecht. Mit diesen Fragen will ich an die Literatur in den Bildungswissenschaften gehen. Ein Blick in die Literatur bringt die Vielfältigkeit des Themas zum Ausdruck. Dabei scheint eine sinnvolle Systematisierung von Bedeutung. Ich möchte mich in der Vielfältigkeit an dem Beispiel der Kooperation von Schule und Jugendhilfe orientieren. Hier scheint es die meisten Beiträge zu geben und den größten Gewinn durch eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Es gibt viele Hinweise, dass die Kooperation der Felder Schule und Jugendhilfe durch die gesellschaftlichen Erwartungen und die stark gestiegene Nutzung der Ganztagsschule hervorgerufen wurde. Ganztagsschule ist ein Thema, das als Antrieb für die Entwicklung der Jugendförderung und -bildung verstanden werden kann. Viele Publikationen beschäftigen sich damit und betonen die Bedeutung einer Kooperation der Ganztagsschule mit anderen Erziehungs- und Bildungsinstitutionen. Für viele ist das auch der eigentliche Anlass für die Entwicklung der kommunalen Bildungslandschaften bzw. die Anforderungen an die Kommunen im Feld der Ganztagsschule. Es geht dabei um die Zentralstellung der Schule, darum, die Leistungsfähigkeit der Schule zu erhöhen, weil in Bezug auf Bildung die Schule viel stärker gewürdigt wird als andere Instanzen wie bspw. die Jugendhilfe: »Lokale Bildungslandschaften […] bieten für die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule eine erweiterte Perspektive und neue Zugänge […]: Längst geht es nicht mehr nur um eine Schulentwicklung unter Einbeziehung der Jugendhilfe, sondern um die Auswirkungen aktueller Bildungspolitik auf das Jugendhilfesystem und um Wege, wie kommunale Angebote von Bildung, Betreuung und Erziehung inhaltlich
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und strukturell aufeinander abgestimmt werden können. Auch Übergänge und Vernetzungen zwischen den beiden Systemen Schule und Jugendhilfe werden vermehrt in den Blick genommen. Eine große Bedeutung wird der Entwicklung der Kooperation beigemessen, die sich im Kontext lokaler Bildungslandschaften stark wandelt […]. Dieser Wandel zeigt sich vor allem in vier Bereichen: 1) Zentrales Ziel von Kooperation ist nicht mehr die Veränderung von Institutionen, sondern die Gestaltung von Bildungsbedingungen, die auf die Bedürfnisse junger Menschen ausgerichtet sind. Die Kooperation von Jugendhilfe und Schule geht somit über die Orientierung am je eigenen Nutzen und erweitert den Blickwinkel der Beteiligten. 2) Grundlage hierfür ist eine Erweiterung der Referenzen auf konzeptioneller Ebene. Diese zeigt sich vor allem in einer Sozialpädagogisierung von Bildungsverständnissen, einer Bezugnahme von Bildungsbiografie und Sozialraum sowie der Maxime lokaler Bildungslandschaften. 3) Zudem vergrößert sich die Reichweite der Kooperationskontexte und -ziele, unter anderem durch die verstärkte Einführung von Ganztagsschulen, durch die Gestaltung von Übergängen zwischen Bildungsinstitutionen und die Entwicklung einer kommunalen Angebotsstruktur. Die Kooperation von Jugendhilfe und Schule kann dabei zum Kernstück eines abgestimmten Systems von Bildung, Betreuung und Erziehung werden: Hier wird im Kleinen bereits umgesetzt, was im Großen als kommunales System der Vernetzung gedacht ist. Gelingende Kooperationsbeziehungen von Schule und Jugendhilfe können dadurch eine Motorfunktion für lokale Bildungslandschaften übernehmen. 4) Dieser Anspruch kann langfristig nur erfüllt werden, wenn die strategisch-planerische Ebene als Basis der Gestaltung von schulbezogenen Jugendhilfeangeboten als auch lokaler Bildungslandschaften verstanden wird.«10 Weniger angesprochen werden bei Maykus die historischen, strukturellen bzw. systematischen und ökonomischen (Finanzierung der Leistun10 Maykus, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 37f.
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gen und Bezahlung der Fachkräfte) Differenzen zwischen beiden Praxisfeldern. »Neben fachlichen, rechtlichen, methodischen und institutionellen Unterschieden sind es vor allem die jeweils anders gelagerten Verantwortlichkeiten der Trägerschaft, die eine Entwicklung der Kooperation erschweren. Diese Unterschiede setzen sich in den Handlungsspielräumen der kommunalen Schul- und Jugendhilfeverwaltung fort und führen zu getrennten Zuständigkeiten, unkoordinierten Planungen und Budgets. Schule und Jugendhilfe sind zumeist getrennte Ressorts. Doch auf der praktischen Ebene ist Vernetzung gegenwärtig das Mittel der Wahl, um auf Unterstützungsbedarfe junger Menschen und ihrer Familien angemessen reagieren zu können. Inzwischen gibt es eine Reihe von Anstrengungen, um eine möglichst optimale Kooperation der Systeme zu ermöglichen: Dazu gehören Bildungsförderung im vorschulischen Bereich, Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen, erkennbare Öffnungstendenzen von Schulen, die Einführung von Familienzentren etc. Diese Entwicklungen müssen aber auch ihre Entsprechung auf der Ebene von Kommunalverwaltungen haben und Teil einer lokalen Sozial- und Bildungspolitik sein. Es fehlt jedoch weithin eine solche kommunale Gesamtstrategie, die diese Aktivitäten systematisch an Bildungsbiografien ausrichtet und in (fach-)politische Strukturen einbindet, damit nicht nur Teilsegmente in Kooperationsprozesse integriert, sondern strukturelle und systemische Grundlagen für die Überwindung von Separierungen geschaffen werden. Insgesamt kann festgehalten werden: Abgestimmte Systeme von Bildung, Betreuung und Erziehung in Kommunen können nur dann realisiert werden, wenn die strukturellen Bedingungen – in den Bereichen Verwaltung, Planung, Finanzierung, Eigenständigkeit des Trägerhandelns – nachhaltig verändert werden, sodass eine sinnvolle Verzahnung erreicht werden kann.«11 11 Maykus, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 42.
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Als Gründe für die Kooperation gibt Maykus an, dass sich »Schule auf die Entgrenzung der Bildungsprozesse einstellen« muss: »Die Verzahnung unterschiedlicher Bildungsqualitäten auf der Grundlage eines umfassenden Bildungskonzeptes ist eine zentrale Zielsetzung lokaler Bildungslandschaften, um Kinder und Jugendliche in ihren Bildungsbiografien individuell zu fördern und soziale Benachteiligungen im Bildungssystem abzubauen.«12 Der Fahrplan für eine Kommune wird dann vom Autor präzise dargestellt. Er unterteilt die Schritte in vier Indikatoren. Diese fangen mit gemeinsamen Leitzielen und der Schärfung des Konzepts an, daraufhin werden die Rahmenbedingungen genannt, die eine Verzahnung unterstützen. Wie lassen sich gute Gründe für die Kooperation finden? Der Autor konzentriert sich auf Planungsvernunft in der Kommune, die er als Impuls versteht. Als dritten Indikator sieht er eine gemeinsame Kultur und eine wachsende Kooperationsgeschichte. Als letzter Indikator wird genannt, dass die Ergebnisse messbare Erfolge und Vorteile für alle Beteiligten erbringen sollen. Erfolgsfaktoren könnten sein: »… einer größeren Vielfalt von Angeboten, einer höheren Qualität der pädagogischen Arbeit durch Verzahnungen und klar geregelte Übergänge, verbesserten Zugängen junger Menschen zu Bildungsangeboten, einer größeren Zahl an gemeinsamen Aktivitäten der Akteure, an vermehrten Erfahrungen an Flexibilität, Rückhalt und Unterstützung bei der Zusammenarbeit, einem deutlichen Rückgang der Doppelungen von Angeboten. Dazu gehört, dass Schwächen erkennbar kompensiert und Angebotslücken geschlossen werden. Eine wichtige Rolle spielen auch kommunal verankerte Bildungs- und Unterstützungsangebote für verschiedene Zielgruppen, die für Interessenten gut erreichbar sind und die Vielfalt lebensweltlicher Themen und Anforderungen aufgreifen.«13 12 Maykus, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 39. 13 Maykus, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 49.
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Die gegensätzlichen gesellschaftlichen Erwartungen an die Schule und die Jugendhilfe, die einer Kooperation nicht unbedingt im Wege stehen müssen, werden vom Autor nicht angesprochen. Die Wichtigkeit, Heranwachsende aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Blickwinkeln zu fördern, kann aber genau der Grund sein, dass die Jugendhilfe in Schule nicht einfach integriert wird, sondern ein eigenständiger Partner in der Kooperation bleibt. Die antagonistischenAnforderungen könnten auch als Chance für diejenigen Heranwachsenden gesehen werden, die in einem der beiden Systeme nicht zufrieden sind und insofern ein Konkurrenzsystem gut gebrauchen könnten. Maykus bleibt im Modus der Zielperspektiven und der Forderung für eine gute Zusammenarbeit. Auch ist es ein Gewinn, auf die Kosten in vielerlei Hinsicht hingewiesen zu haben, die eine »Versäulung« der pädagogischen Angebote in einer Kommune mit sich bringt. Auch wenn die Sozialpädagogik daran arbeitet, die Schule in ihrer zentralen Stellung und im gesellschaftlichen Ansehen durch die Leistungen der Jugendhilfe zu relativieren, das Thema Kooperation, bei der die Schule im Zentrum steht, bestimmt entgegen der Hoffnungen auf Maykus´ Sozialpädagogisierung die Diskussion. Die von der Sozialpädagogik angestrebte Erwartung von der Relativierung der Bedeutung der Schule in der Kommune erfüllt sich vorerst nicht. Für viele Autor*innen ist es zudem die Ganztagsschule mit ihrem Bedarf an der Einbeziehung vieler anderer kommunaler Partner*innen, die das Thema der kommunalen Bildungslandschaften erst entstehen ließ. Als erster Partner wird die Jugendhilfe genannt, gefolgt von Sportvereinen, Musikschulen und Gesundheitsdiensten (Logopädie, Ergotherapie etc.). Dazu schreibt Mack: »Schule kann Ganztagsangebote nicht alleine und aus eigener Kraft gestalten, sie braucht Kooperationspartner – in der Jugendhilfe, im Sport, in der kulturellen Bildung und vielen anderen Institutionen.
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Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Öffnung von Schule nach innen und außen.«14 Drei Maßstäbe für Kooperationen werden von Mack darüber hinaus genannt: • • •
vielfache und anregende Lernumgebung Abbau von Benachteiligungen Einbeziehung der Eltern
Alle diese Gründe lassen sich durchaus im herkömmlichen Rahmen, unter der Voraussetzung einer Öffnung von Schulen, erreichen. Der Nutzen für die Klient*innen wird von Mack wie folgt herausgearbeitet: »Wir können Bildungslandschaften nur dann gestalten, wenn eine erfolgreiche Kooperation alle erreichen wobei die Nutzer im Mittelpunkt stehen sollten.«15 Eine konkrete Auflistung pädagogischer Fachlichkeit, die einer versteckten Hierarchisierung der Kooperationspartner entgegenwirken könnten wäre für die Praxis an dieser Stelle sehr hilfreich. Die Jugendhilfe, oder besser das Jugendamt, wird u.a. von Alexander Mavroudis thematisiert. Er spricht »drei Stolpersteine« an, die in dem genannten Sinne eine kooperative Gestaltung von Jugendhilfe und Schule bedenken müssen. So werden seiner Meinung nach die Leistungen der Jugendhilfe bisher begrifflich noch nicht eindeutig als Bildungsleistungen gefasst. Insofern hat die vormals starke Abgrenzungsbemühungen der Sozialpädagogik von anderen pädagogischen Disziplinen dazu einiges beigetragen. Der zweite Stolperstein ist die »Trennung von äußeren und inneren Schulangelegenheiten«. Den dritten Stolperstein sieht der Autor in der Trennung von Planungs- und Ressourcenverantwortung. »Die Jugendämter können nur Impulsgeber sein und Ziele und Initiativen zwar vorschlagen, nicht jedoch alleine 14 Mack, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 88. 15 Mack, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 89.
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umsetzen.«16 Mavroudis endet mit einem eindeutigen Votum: »Braucht die Kinder- und Jugendhilfe die Bildung(-slandschaft)? – Ich meine: Ja!«17 Die Sorge um strukturell verhinderte Kooperation wird auch von Böllert geteilt, die es folgendermaßen formuliert: »Die Zurückhaltung der Kinder- und Jugendhilfe erklärt sich auch daher, dass sie befürchtet, fünftes Rad am Wagen der Bildung zu sein bzw. zu werden. Hier werden von der Kinder- und Jugendhilfe diejenigen Dinge reproduziert, die sie in der Schulsozialarbeit als Anhängsel von Schule über viele Jahre erfahren hat.«18 Die Diagnose ist richtig und bedarf der Aufarbeitung. Ebenso bedarf es aber auch der Aufarbeitung, inwiefern die überstarke Abkoppelung von den anderen pädagogischen Disziplinen und damit von der angemessenen Gestaltung von zeitgemäßen Bildungsverständnissen der Sozialpädagogik eher geschadet als genutzt hat. Die Selbstausgrenzung aus der Bildungsdiskussion muss nun aufwendig nachgeholt werden.
Kooperationen und Widerstreit Die Erwartungen von Kooperationen werden zunehmend an die Praktiker*innen herangetragen. Diese müssen abschätzen, wo der Nutzen liegen könnte und ob die Zeit, die sie in die Kooperationsarbeit stecken, gut investiert ist. Das ist Zeit, die dann möglicherweise in der direkten Förderung der Klient*innen verloren geht und sich längst nicht immer als gut investiert erweist. Es stehen aber auch andere Fragen im Raum oder andere sich widerstreitende Vorstellungen zur Bedeutung von Kooperationsarbeit. 16 Mavroudis, in: Bollweg/Otto: Räume mit flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 193. 17 Mavroudis, in: Bollweg/Otto: Räume mit flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 201. 18 Böllert, in Bollweg/Otto, Räume mit flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011 S. 121.
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Kooperation ohne Berücksichtigung der inneren Struktur und Bedeutung der jeweiligen Institution sowie die gesellschaftlichen Erwartungen an das jeweilige Arbeitsfeld ist nicht in nachhaltiger Weise möglich. Für die Bedeutung und den Nutzen der allgemeinen Kooperationsarbeit und den Vorteil der daraus entstehenden Unterstützungsleistungen gibt es kaum empirische Erkenntnisse. Die Forderungen nach Kooperation und Vernetzung müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie empirisch nur unzureichend begründet sind. Eine systematische und historische Begründung, die auf die jeweiligen Eigenheiten verweist, ist zumindest in den praktischen Feldern nicht angekommen bzw. für diese aufbereitet. Vorbehalte der Praxis sind somit durchaus angebracht. Wird sich die »Modebewegung Kooperation« als beständig erweisen oder in einigen Jahrzehnten wie eine Luftblase zerplatzen? Praktische Hinweise auf Kooperationsbeziehungen beinhalten oft Rezepte und anwendbare Verlautbarungen. Diese sind wichtig, verfehlen aber oft den Kern der Problematik. So wird oftmals darauf hingewiesen, dass Kooperationen von Erziehungs- und Bildungseinrichtungen vermieden werden sollten, um die Klient*innen nicht zu verwirren und die Kohärenz der Arbeit mit ihnen zu wahren. Leider fehlt es an empirischen Untersuchungen zu der Frage, wie wichtig die unterschiedlichen Sicht- und Unterstützungsweisen für die Klient*innen von Bedeutung sein können und welche guten Beispiele bessere Ergebnisse erzielen. Der Austausch von Sichtweisen und Förderungspraxen und die Zusammenarbeit ist eine Bedingung der Ermöglichung einer Persönlichkeitsentwicklung und kann Zerrissenheit und Fragmentierungen vermeiden. Ferner riskieren Absprachen und Abstimmungen die Durchsetzung von Meinungsbildern, schaffen Geschlossenheit und bergen die Gefahr des Aufhaltens weiterer Differenzierung: »Dass die Akteure unterschiedlichen Handlungslogiken folgen und unterschiedlich stark in die Handlungsmuster von Institutionen, denen sie angehören, eingebunden sind, ist die Chance, aber auch das Problem der Kooperationen: Welche Akteure dominieren im Hinblick auf die anstehenden Aufgaben (Dominieren z.B. immer die öffentlich-
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rechtlichen Akteure?) Wie weit darf der Konsensanspruch angesichts der Gefahr gehen, dass auf der Ebene des kleinsten gemeinsamen Nenners der innovative Impuls stecken bleibt?«19 Den guten Gründen für die Ausdifferenzierung und Entwicklung von einzelnen Feldern stehen die guten Gründe für Abstimmung, Anschlussfähigkeit und Ganzheitlichkeit entgegen. Die Gefahren und Streitigkeiten bei der Kooperation und Vernetzung liegen in den genannten Bereichen; es kommen aber andere hinzu: so sind die Arbeitszeit, die in Kooperation investiert wird, sowie die Reduzierung von Differenzierung der Felder und damit ein geschlossener Blick als Probleme zu nennen. Wenn nicht unterschiedliche Subdisziplinen ihre Eigenständigkeit behalten, dann können die Klient*innen ihre Interessen möglicherweise nicht mehr angemessen vertreten sehen und/oder ihr Potential an Bildungskritik, Bildungsablehnung und Bildungsverweigerung wird nur dann aufgenommen, wenn es in politisierten Gremien, wie Jugendparlamenten zum Ausdruck gebracht wird. Das widerspricht jedoch der pädagogischen Aufgabe, auch diejenigen Anregungen und Kritikpunkte an der Gesellschaft aufzunehmen, die nicht selbst und gesellschaftlich akzeptiert vorgetragen werden. Es droht eine Überforderung von Jugend, die mit einer Öffnung der Institutionen einhergeht. Kooperationen sind eine pädagogisch zu rechtfertigende Forderung. Wenn man sich in die Perspektive von Einzelinstitutionen begibt, wird dies schnell ein Machtkampf um Stellung, öffentliche Aufmerksamkeit und zu erwartende Finanzierungen. Auch hier hilft es, sich vor Augen zu führen, was die Gründe für die Differenzierung in Jugendhilfe, Sonderpädagogik, Erwachsenenbildung und Schule und andere waren. Wenn diese Differenzierung im Sinne einer »Ganzheit« als Abschluss eines Differenzierungsprozesses beendet werden soll, wird sie kaum Erfolg haben. 19 Solzbacher/Minderop, Solzbacher Bildungsnetzwerke und regionale Bildungslandschaften, – Ziele und Konzepte, Aufgaben und Prozesse, München, 2007, S. 8.
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Eine reflexive Vergegenwärtigung des Widerstreits von Jugendhilfe und Schule ist eine wichtige Voraussetzung für Kooperation, die die jeweiligen Eigeninteressen nicht übersieht oder überdeckt. Unter dieser Voraussetzung ist es möglich, Vorteile für die Heranwachsenden zu entdecken, die auf einem unterschiedlichen Blickwinkel beruhen. Kann die Schule auf die Notwendigkeit der Erreichung von Lernzielen verweisen, so kann die Jugendhilfe auf die Notwendigkeit der sozialen Prozesse und auf Phasen der Entlastung von Lernanstrengungen hinweisen. Der Nutzen und Vorteil für die Heranwachsenden ist aber auch nicht ohne Widerstreit zu sehen, denn multiperspektivische Beobachtungen und Wissen birgt für die Klient*innen auch Gefahren: Einerseits steht eine Kooperation immer dann in der Kritik, wenn sie im Sinne einer lückenlosen und unwidersprochenen Sicht und Unterstützung agiert, andererseits steht sie auch in der Kritik, wenn sie nicht an Formen und Vorgehensweisen, ebenso wie gute Beziehungsarbeit, anknüpft und diese für die jeweils andere Seite nutzbar macht. Es drängt sich bei der starken Betonung der Möglichkeiten und Chancen der Kooperation die Frage auf, aus welchen Gründen die Ausdifferenzierung des Erziehungs- und Bildungsbereichs in Jugendhilfe und Schule derart lange und stark vertreten wurde, und Gemeinsamkeiten und Geschlossenheit übergangen worden sind.
Erwartungen an eine pädagogische Praxiswissenschaft Die Kooperation kann von einer pädagogischen Praxiswissenschaft vor dem Hintergrund der Spannung einer bereichsverbindenden Regionalpädagogik erforscht werden. Eine solche Praxiswissenschaft würde darauf achten, dass der Gedanke der Kohärenz nicht dazu verleitet, dass sich ein Bereich wie der der Sozialpädagogik dem anderen – bspw. der Schulpädagogik – unterordnet. Der gute Gedanke der Kooperation wäre dann unterkomplex, wenn er nicht die historischen und systematischen Gründe für eine Ausdifferenzierung der Pädagogik in Subdisziplinen berücksichtigt. Kooperation steht in der Gefahr einzelne Felder den anderen unterzuordnen.
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Vieles spricht für eine ausführliche und systematische Erforschung der Kooperation von Schule mit Jugendhilfe. Was sind hier die Stärken der einen und der anderen Seite und inwiefern würden die Heranwachsenden da profitieren?
Weitere Forschungsfragen •
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Welche grundlegenden Formen der Vernetzung sind aus pädagogischer Sicht sinnvoll? Gibt es dafür in der Praxis gelungene Beispiele bzw. Modelle? Welche Kriterien sollten die sich vernetzenden Partner*innen in der jeweiligen Situation erfüllen? Mit welchen Partner*innen und in welchen Situationen ist sie sinnvoll? Wie können die Eigenständigkeit von Schule und Jugendhilfe erhalten werden, ohne dass die eine von der anderen »überdeckt« wird? Warum sollen sich die Institutionen und ihre Akteure auf den Weg in Richtung Kooperation begeben? Welche historischen (guten?) Gründe hat es für die Ausdifferenzierung in die Felder Schule und Jugendhilfe gegeben und gelten diese Gründe heute noch oder nicht mehr? Bei der Kooperation ist darauf zu achten, dass es sich um eine Zusammenarbeit handelt, die die jeweilige Eigenständigkeit beachtet. Was kann die jeweils eine Seite in die Kooperation einbringen und damit die Schwächen der anderen ausgleichen? Von welcher Kooperation wären die größten Vorteile für die Heranwachsenden zu erwarten? Welche Kooperationen wären im Sinne der Heranwachsenden/Klient*innen notwendig?
1.3 Verbesserungen der Übergänge Die Übergänge von einer Bildungseinrichtung in die nächste ist seit einiger Zeit ein wichtiges Thema – nicht nur, aber auch in den Bildungs-
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landschaften.20 Der Grund dafür ist, dass für die Heranwachsenden diese Übergänge (Transitionen) mit Belastungen verbunden sind, die durch eine bessere Abstimmung vermeidbar wären. So wären gute Planungen und langsame Vorbereitungen im Übergang von der Kita in die Schule von Bedeutung. Es wäre möglich, die Kinder auf die zukünftigen Erwartungen, auf die veränderten Umgangsformen und die neuen Personen und anderen institutionellen Abläufe vorzubereiten. Übergangsgestaltung spielt in den Bildungslandschaften eine Rolle und ist auch aus Sicht einer bereichsverbindenden Pädagogik von Bedeutung. Neben dem Übergang von der Kita in die Schule als einem sehr wichtigen Thema stehen auch andere Übergänge im Fokus, wie der Übergang von der Familie in die Kita. Auch der Wechsel von der Primarstufe in die Sekundarstufe bzw. Grundschule in die weiterführende Schule ist von Bedeutung. Besonders hervorzuheben ist der Übergang von der Schule in die Berufsausbildung oder das Studium. Auch werden Wechsel der Lebensphasen – wie der Einstieg ins Berufsleben nach einer Arbeitslosigkeit, nach einer Phase der Betreuung der Kinder oder der Pflege von Angehörigen – thematisiert. In unserem Bildungsbüro befassten wir uns vor allem mit dem Übergang von der Schule in den Beruf oder von der Schule in das Studium. So wurde besonders die starke Ausrichtung der Übergangsgestaltung auf die berufliche oder sonstige weitere Ausbildung kontrovers diskutiert. Die anderen Fragen, die bei der Beendigung der Schulphase von Bedeutung sind, wurden leider vermisst. Grundsätzlich stellt sich die Frage, wann eine Vorstufe zu nah an den folgenden Abschnitt »heranrückt« und inwieweit dieses »Heranrücken« förderlich ist. Exemplarisch wird dies auch an der Frage deutlich, inwieweit die Kita auf die Schule vorbereiten kann und soll, ohne dabei selbst zur Schule zu werden, sowie die dort geltenden pädagogischen Prinzipien zu verdrängen. 20 S. Griebel/Niesel, Übergänge verstehen und begleiten. Transitionen in der Bildungslaufbahn von Kindern. Berlin, 2011.
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Übergänge und der institutionalisierte Dissens Die Verbesserung der Übergänge von einem pädagogischen Feld in das andere (beziehungsweise von einer Institution in die andere) nimmt im Rahmen der kommunalen Bildungslandschaften eine bedeutende Stellung ein. Für die Praxis ist es ein Anliegen, die Schwierigkeiten für heranwachsende Klient*innen zu beseitigen, die mit den Übergängen von einer in die andere Bildungseinrichtung entstehen. Schlecht abgestimmte methodische und inhaltliche Brüche oder gar gegensätzliche Vorgehensweisen, sorgen nicht für Förderung, sondern schaffen Probleme und Krisen für die Heranwachsenden. Die Erfahrungen zeigen, dass für HeranwachsendeSchwierigkeiten entstehen, wenn diese in der Bildungsbiographie ihre Institutionen und pädagogischen Felder wechseln. Im Rahmen der Gestaltung von Bildungslandschaften sollten Anschlussfähigkeit sowie die Erleichterung von Übergängen unbedingt thematisiert werden, um genau dieser Problematik entgegenzuwirken. Auch wenn im Rahmen von Bildungslandschaften gefordert wird, dass es sich um datengeschützte Entwicklung und Bildungsmanagement handelt, wird die Forderung nach Verbesserung der Übergänge nicht auf der Basis von Daten begründet: Sie kommt ohne eine tiefgreifende oder datengeschützte Begründung aus und bezieht sich in erster Linie auf einen gewissen gesunden Menschenverstand und implizit werden auch pädagogische Prinzipien angesprochen. Am Beispiel des Übergangs von der Kita zur Grundschulesoll beleuchtet werden, wie das Thema Übergänge thematisiert wird. Frau Reichel-Wehnert bezieht sich auf den Sächsischen Landesplan von 2007: »Es ist dabei eine Spannung zu erkennen zwischen der Bewahrung von Kontinuitäten und der Hervorhebung und Markierung des neuen Lebensabschnittes. Während einerseits das Streben nach einem fließenden Übergang einerKontinuität der individuellen Entwicklung sicher hilft, wollen Kinder andererseits als Schulkinder an den neuen
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Anforderungen und dem damit verbundenen neuen Selbstbewusstsein wachsen.«21 Die Übergangsproblematik wird nicht aus der Ausdifferenzierung der pädagogischen Praxis begründet bzw. auf die historischen Wurzeln verwiesen. Auch finde keine Begründung der jeweils unterschiedlichen gesellschaftlichen oder staatlichen Aufträge beider Institutionen statt. Vielmehr werde neben der Bedeutung von Kontinuität auf den Willen der Kinder Bezug genommen. Bei dem Übergang sind nach Ansichten der Autorin folgende Aspekte zu bedenken: • •
• •
»Übergänge sind wegweisend für jede individuelle Bildungsbiografie. Übergänge gelingen, wenn Erwartungen erfüllt, Sorgen ernst genommen werden, Wohlbefinden geschaffen und Vertrauen aufgebaut wird. Übergänge leiten in eine Qualität über. Übergänge brauchen Begleitung.«22
Die Begründung der Aktivitäten in diesem Bereich bezieht die Autorin also nicht aus Daten, auch nicht aus einem pädagogischen Grundverständnis oder historischen Entwicklungen (möglicherweise implizit), sondern explizit aus einem Verständnis von »Qualität«, und leitet diese aus der »individuellen Bildungsbiografie und aus dem politischen Dokument, in diesem Fall dem Sächsischen Bildungsplan, ab. Die in der gemeinsamen Vereinbarung festgehaltenen grundlegenden Positionen zum Bildungsverständnis, zu den Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Zusammenarbeit, waren leitend für die Erarbeitung des Sächsischen Bildungsplanes und flossen in die Reform des Lehrplans der Grundschule ein. Der Sächsische Bildungsplan ist ein 21 Reichel-Wehnert, in: Bollweg/Otto: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 181. 22 Reichel-Wehnert, in: Bollweg/Otto: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 181.
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verbindlicher Rahmen, thematische und methodische Orientierungshilfe und Instrument der Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte zur Ausgestaltung des Bildungsauftrages von Kindertageseinrichtungen. Damit ist er die Basis für die Arbeit und die Gestaltung des Schulvorbereitungsjahres. Er spiegelt die Ergebnisse des fachlichen Diskurses zu diesem Thema wider und zeigt an verschiedenen Stellen auf, dass • • • •
»die Wertschätzung der kindlichen Persönlichkeit die wesentliche Grundlage für die Entwicklung seiner Potentiale ist, dieser Respekt von den Erwachsenen, die die Entwicklung des Kindes begleiten, bildungswirksam gemacht werden muss, unabhängig von der institutionellen Spezifik ein gemeinsames Bildungsverständnis zu Grunde liegen sollte, die Eltern bei der Zusammenarbeit als gleichberechtigte Partner verstanden werden müssen.«23
Unterschiedliche Institutionen haben unterschiedliche Handlungslogiken und Selbstverständnisse zur Grundlage; diese werden teilweise durch rechtliche Rahmenbedingungen, teilweise durch historische Entwicklungen und öffentliche Erwartungen bestimmt. Die Spezialisierung hat eine Fixierung auf besondere Lernaspekte bzw. Lernphasen mit sich gebracht. Die Abstimmung der Einzelfelder und einzelnen Institutionen kann die Verantwortung für die Entwicklung des Kindes herbeiführen, ohne dass unnötige Brüche im Prozess entstehen. »Ausgangspunkt für die Verständigung zwischen allen am Übergang Beteiligten ist die gemeinsame Verantwortung für die Entwicklung des Kindes. Das Kind in den Mittelpunkt zu stellen bedeutet: • •
Kinder wahrnehmen, unterstützen, stärken, die zunehmende Heterogenität berücksichtigen und anerkennen,
23 Reichel-Wehnert, in: Bollweg/Otto: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 183.
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• • • • • •
an den Potentialen der Kinder, ihren Interessen und Stärken anknüpfen, das Selbstwertgefühl zu fördern, Aufgaben stellen, an denen Kinder wachsen, Lernwege beobachten, dokumentieren und begleiten, individuelle Besonderheiten erkennen und Entwicklungsimpulse abklären. Kontinuität sichern und Erwartungen erfüllen.«24
Die Autorin thematisiert dann aber die Widersprüche, mögliche Spannungen zwischen den Institutionen zu sprechen, wie sie sich in der Praxis zeigen. So verweist sie auf die Eigenlogik der jeweiligen Institutionen, deren »Selbstverständnis« und die unterschiedlichen Bildungsverständnisse. Die Autorin zeigt die Probleme des Verständigungsprozesses auf: »[Der Verständigungsprozess] setzt die Bereitschaft zum Dialog voraus. Dies ist oft leichter gesagt als umgesetzt. Es geht zunächst darum, sich selbst den anderen Akteuren zu öffnen, das eigene Selbstverständnis zu klären und das individuelle Bildungsverständnis offenzulegen. Dabei ist es von Anfang an wichtig, das gemeinsame Anliegen in den Fokus zu stellen und daraus »smarte Ziele« zu vereinbaren. Vor diesem Hintergrund werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der kooperierenden Partner erkannt und als Basis für das gemeinsame Handeln akzeptiert.«25 Frauke Hildebrandt thematisiert die grundsätzlichen Probleme des Übergangs von der Kita in die Schule auf andere Weise. Für die Autorin ist der Übergang durch einen »neuen Lebensabschnitt« gekennzeichnet: 24 Reichel-Wehnert, in: Bollweg/Otto: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 185. 25 Reichel-Wehnert, in: Bollweg/Otto: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 185.
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»Mit dem Übergang in die Grundschule beginnt für die Kinder ein neuer Lebensabschnitt. Sie erfahren veränderte Raum- und Zeitstrukturen und Sozialbeziehungen, müssen mit unbekannten Strukturen des Kompetenzerwerbs umgehen lernen und werden mit neuartigen Verhaltenserfahrungen und Verpflichtungen konfrontiert. Kinder erleben in biografischen Übergängen vor allem die Anforderungen, die an sie gestellt werden. Zum Zeitpunkt der Einschulung verfügen sie jedoch erst über ein sehr begrenztes Handlungsrepertoire zur Übergangsbewältigung.«26 Die Autorin sucht eine Begründung auf der Basis von empirischen Erkenntnissen. Auch sie kann nicht auf Daten zurückgreifen, die einen guten Übergang von einem schlechten unterscheiden. Sie verweist aber auf die Bedeutung der Übergänge: »Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Schnittstellen und Übergänge entscheidende Situationen im Lebenslauf sind. In Übergangssituationen können Selbstkonzepte von Kindern gestärkt oder destabilisiert werden (vgl. Niesel et al. 2006, S. 281ff.). Kindern, deren Selbstkonzept bereits in der KiTa schwach ausgeprägt war, haben ein erhöhtes Risiko, den Übergang in die Grundschule nicht als Stärkung, sondern als Destabilisierung zu erfahren.«27 Der Widerstreit bei den Übergängen lässt sich in der Eigenlogik der jeweiligen Bereiche zusammenfassen. Hildebrandt bringt das mit der Beschreibung von Prinzipien auf den Punkt, die sie mit Schulfähigkeit der Kitas und Kindfähigkeit der Schule zum Thema macht. • • •
»Den Übergang gemeinsam gestalten […] Ein gemeinsames Bild vom Kind entwickeln und pädagogisch umsetzen […] Eine gemeinsame Vorstellung von einer neuen Lernkultur gewinnen […]
26 Hildebrandt, in: Bollweg/Otto: Lokale Bildungslandschaften, S. 192. 27 Hildebrandt, in: Bollweg/Otto: Lokale Bildungslandschaften, S. 192.
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Anschlussfähige Formen von Beobachtung, Dokumentation und Analyse praktizieren […] Professionalität im Bereich von Kita und Grundschule stärken […] Gemeinsame Erziehungs- und Bildungsverantwortung von Eltern, Kita und Schule wahrnehmen.«28
Die Autorin schlägt vor, wie die Institutionen (Kita und Grundschule) einschließlich der beteiligten Akteure mit der Diskrepanz der unterschiedlichen pädagogischen Herangehensweisen und normativen Verständnisse umgehen könnten: »Dissens der Akteure in Kindergarten und Schule institutionalisieren.«29 Der Streit wird also als wichtiger und auszuhaltender Bestandteil des Prozesses gesehen. Es lässt sich vorstellen, dass der Konflikt latent ist und eine Gemeinsamkeit in diesem unterschwelligen Umgang als Gemeinsamkeit erkannt worden ist. Es kann sich eine Form von Spaß am Streit entwickelt haben, der nicht auf der persönlichen Seite besteht, mehr noch: der Widerstreit wird als gute Kultur wahrgenommen, der alle Beteiligten in ihrer Sichtweise, Argumentationsform unterstützt und sie »weiterbringt«. Die trotz und vielleicht durch Unstimmigkeiten errungenen Ergebnisse und tatsächlichen Verbesserungen der Situation (einschließlich einer denkbaren Würdigung durch Öffentlichkeit oder Politik) sind denkbar. Hildebrandt schlägt vor, den Streit zu institutionalisieren, um dessen Vorteile zu nutzen und gleichzeitig die entstehenden Divergenzen zu begrenzen: »Die Kommune kann einen Rahmen schaffen, um den meist unausgesprochenen, aus den differenten sozialen Stellungen resultierenden – also systemisch, nicht persönlich verursachten – Konflikten einen Raum zu geben. Auf diese Weise werden die impliziten Konflikte explizit und damit auch lösbar. Der Hang zum Oberflächenkonsens ist das größte Hindernis einer gelungenen Kooperation. Er kann aber 28 Hildebrandt, in: Bollweg/Otto: »Lokale Bildungslandschaften, S. 193ff. 29 Hildebrandt, in: Bollweg/Otto: »Lokale Bildungslandschaften, S. 201.
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durch Sachdialoge zu Kernfragen des Bildungsverständnisses und seiner praktischen Umsetzung aufgebrochen werden. Erst dann kann eine sinnvolle und fruchtbare Auseinandersetzung mit der je anderen Profession beginnen, die auch einen Reflexionsprozess der eigenen Arbeit in Gang bringen kann und häufig mit der Artikulation von Zweifeln und Kritik an der Sinnhaftigkeit aktueller Bildungspläne einhergeht. Diese Form der Kooperationsarbeit kann zu Verstörungen und Irritationen unter den Akteuren führen, was jedoch unbedingt positiv zu bewerten ist: Lernprozesse nehmen bevorzugt ihren Ausgangspunkt bei irritierenden Erfahrungen des Anderen. Irritationen können als entscheidende Auslöser für intensive kontroverse Diskussionen und Prozesse kritischer Selbstreflexion genutzt werden. Mit einer Institutionalisierung dieser kritischen Auseinandersetzung, des vorhandenen es, hat die Kommune nicht nur die Möglichkeit, das Übergangsgeschehen positiv zu beeinflussen, sondern auch die Entwicklung der pädagogischen Qualität im Kindergarten einerseits und in der Grundschule andererseits zu befördern, ohne dabei direkt einzugreifen. Der Initialansatz an der Schnittstelle zwischen Kindergarten und Grundschule bewirkt nicht nur, dass »zwei Fliegen mit einer Klappe« geschlagen werden, sondern er kann einen Prozess in Gang setzten, in dem die Institutionen durch gegenseitige Irritation und Reflexion in einen Entwicklungsprozess treten, der keine Intervention von dritter Seite mehr erfordert. Durch das sinnvolle In-Bezug-Setzen des Vorhandenen entstehen Veränderungen.«30 Also kann die Institutionalisierung des Widerstreits ein Weg sein, wenn die Prinzipien, die durch die Praxis entdeckt wurden, genauer benannt und somit der Überprüfung zur Verfügung gestellt werden.
Weitere Forschungsfragen •
Welche Form der Vorbereitung ist angemessen, wenn die Schüler*innen das Ende ihrer Schullaufbahn im Blick haben? Geht
30 Hildebrandt, in: Bollweg/Otto: »Lokale Bildungslandschaften, S. 201f.
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es wirklich nur um Beruf oder Studium? Was ist mit politischer Beteiligung und vielen anderen Fragen der gesellschaftlichen Integration? Wie werden die jungen Menschen auf diese Herausforderungen vorbereitet? Sollte die »employability« wirklich so stark in den Vordergrund gestellt werden? Reicht die Verpflichtung auf die gute Gewährleistung von Übergängen aus?
Arbeitsfragen •
Wie sieht die konkrete Arbeit mit Widerstreit aus und wie kann sich ein Gremium am Leben erhalten, das auf Streit aufgebaut ist? Wo liegt das Interesse an der Zusammenarbeit?
1.4 Lebenslanges Lernen (LLL) und Übergänge in der Phase nach der ersten Ausbildung Übergänge neugestalten und damit der Ausdifferenzierung der pädagogischen Arbeitsfelder ein sinnvolles Regulativ im Sinn einer bereichsübergreifenden Pädagogik zur Seite zu stellen, ist auch im Rahmen des Lebenslangen Lernens von Bedeutung. Damit wird die Übergangsproblematik nicht nur im Rahmen der Fragestellung behandelt, wie von einer Bildungsinstitution in die nächste gewechselt werden kann, sondern auch bei der Frage, wann ein Neueintritt in Bildungseinrichtungen notwendig erscheint und wie wir im Laufe unseres Lebens immer wieder in aktive Lernphasen und Fortbildungen einsteigen können. Somit gibt es vielfache Übergänge von einer Berufs- bzw. Bildungsstation oder einer privaten Lebensphase in eine andere. Arbeitslosigkeit, Phasen der Elternschaft oder andere Brüche bzw. Zwischenstationen können von Bildungsinstitutionen begleitet und unterstützt werden. Damit werden in erster Linie die Förderung von Weiterbildungen
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und der Nutzung von Potentialen der persönlichen ebenso wie der beruflichen Entwicklung angesprochen. Es geht um berufliche Neuorientierungen, den Wiedereinstieg in das Berufsleben nach Pausen, aber auch um einen Ausstieg aus gewohnten beruflichen Zusammenhängen, um mittels Auszeit und Bildungsurlaub das Verhältnis zum Beruf und einem selbst zu klären. »Ein solcher Prozess des Lebensbegleitenden Lernen erfordert mehr denn je Eigeninitiative und Eigenverantwortung jedes Menschen für die Gestaltung seiner individuellen Bildungsbiografie. Gleichzeitig sind dafür aber auch entsprechende Rahmenbedingungen und Unterstützungssysteme notwendig, um sich in dem oft unüberschaubaren Dschungel von möglichen Bildungswegen und Bildungsangeboten zurechtzufinden, sich über eigene, bereits erworbene Kompetenzen bewusst zu werden und entsprechend der jeweiligen individuellen Situation die richtigen Entscheidungen für die private und berufliche Lebensgestaltung oder die Berufslaufbahnentwicklung treffen zu können. […] In der modernen Gesellschaft werden Brüche innerhalb der Erwerbsbiografien immer mehr zur Normalität, sei es z.B. im Kontext von Arbeitslosigkeit, Arbeitsplatzwechsel oder Berufsrückkehr. Diese Brüche erfordern oft persönliche Neuorientierungen und sind mit Entscheidungssituationen verbunden. Hier können gezielte Weiterbildungsangebote sinnvoll sein, die auf die individuelle Situation zugeschnitten sind. Zudem werden Beschäftigte zunehmend mit sich ständig wandelnden Anforderungsprofilen seitens des Arbeitsmarktes sowie mit technologischen und sozialen Veränderungen konfrontiert und müssen sich insofern kontinuierlich weiterqualifizieren, um ihre beruflichen Chancen zu erhalten.«31 Regina Gellrich nennt ihren Beitrag zu dieser Frage im Untertitel »Vor Ort Brücken bauen zum erfolgreichen Lebensbegleitenden Lernen«, um zu betonen, dass es um die Erleichterung von Übergängen von einer Institution in die andere geht. 31 Gellrich, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 154f.
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Gellrich verknüpft in ihrem Beitrag das Verständnis vom Lebenslangen Lernen stark mit den Aufgaben einer Bildungsberatung in der Kommune. Für die Autorin ist es wichtig, dass ein angemessenes Verständnis von Lebensbegleitendem Lernen: •
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»die Etablierung eines neuen, erweiterten Bildungsverständnisses, das alle Phasen und alle Bereiche des Lebenslangen Lernens einschließt, und seine Implementierung in das praktische Denken und Handeln auf allen Ebenen, die Überwindung der Fragmentierung in verschiedene Bildungs/Beratungsbereiche mit verschiedenen Zuständigkeiten und Trägern und den jeweils angesprochenen Zielgruppen, die Bereitstellung eines flächendeckenden, öffentlich garantierten, transparenten und aufeinander abgestimmten Bildungs-/Beratungsangebotes, das in der Lage ist, alle Bildungs-, Berufs- und Lebensphasen durchgängig zu begleiten.«32
Nach Ansicht von Gellrich werden diese Ansprüche vor allem in dem Bundesprogramm »Lernen vor Ort« eingelöst. Das sei auch ein wesentlicher Grund dafür, dass es die Unterstützung der Kommunen gebe. Das Programm soll einen »Beitrag dazu leisten, • • •
die Bildungsbeteiligung in Deutschland insgesamt zu erhöhen, die Motivation für das Lernen im Lebenslauf langfristig zu stärken und die Bildungsstrukturen stärker auf die Bedarfe der Nutzerinnen und Nutzer auszurichten«33
Das Ziel der im Lebenslauf abgestimmten und aufeinander bezogenen Bildungsangebote, wird von Holger Kehler am Beispiel der »Dresdner 32 Gellrich, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 153. 33 Gellrich, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 153.
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Bildungsbahnen« beschrieben. Er stellt die Vorteile heraus, welche ein kommunales Bildungsangebot mit Blick auf Lebensbegleitendes Lernen mit sich bringt. »Die Dresdner Bürgerinnen und Bürger werden alters- und zielgruppenübergreifend in fünf Bildungshaltestellen der Stadt professionell, individuell, lebensweltnah und biografieorientiert unterstützt und begleitet, vor allem bei der Bewältigung von Übergängen und zu Fragen, Möglichkeiten und Anerkennungsformen von Bildung im Zuge des Lebenslangen Lernens. Diese Unterstützungsprozesse finden in Abstimmung und Zusammenarbeit mit bestehenden bzw. angepassten und weiterentwickelten Beratungsangeboten der Kommune oder Dritter, wie zum Beispiel der Arbeitsagentur oder freier Träger, statt«34 Diese Darstellung ist überzeugend und Argumente gegen diese Ausrichtung kommunaler Bildungsangebote werden schwerlich zu finden sein. Die Abstimmung und praktische Anschlussfähigkeit, wenn sie nicht zur Geschlossenheit stilisiert wird, kann gute Argumente für sich in Anspruch nehmen. Die Autoren sind sich der Schwierigkeiten bei der Errichtung eines abgestimmten lebensbegleitenden Bildungsangebots durchaus bewusst. »Die formulierte Entwicklungsperspektive verdeutlicht allerdings, dass die Landeshauptstadt Dresden derzeit noch nicht über ein kohärentes und kommunal wirksames Bildungsmanagement verfügt. Auf konzeptioneller Ebene stimmen die Zielstellungen der Akteure häufig überein. Doch ist auf der Handlungsebene auch in Dresden eine Orientierung an der Binnenlogik der Institutionen und den damit verbundenen Sachzwängen vorherrschend. Eine solche Vorgehensweise steht selten mit den individuellen Bedürfnissen und Bedarfslagen der Beteiligten in Einklang und korrespondiert wenig mit den sozialen, kulturellen und politischen Problemlagen sowie Perspektiven des 34 Kehler/Jahn, in: Bleckmann: Bildungslandschaften, – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 171.
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Sozialraums und des Gemeinwesens. Die Schnittstellenprobleme werden in vielen Bereichen zwar wahrgenommen und in Einzelaktivitäten engagiert adressiert, allerdings nicht systematisch erfasst oder aufgearbeitet«35 Für unsere Ausrichtung an einer bereichsübergreifenden Regionalpädagogik ist in diesem Zitat von Bedeutung, dass hier wieder stärker aus Sicht einer kommunalen Systematik als auf der Basis von Daten argumentiert wird. Die Abstimmung ist systematisch von Belang. Praktiker*innen, die im Feld der Erwachsenenbildung, der Familienbildung und der Personalentwicklung aktiv sind, erlangen über die Initiativen der Bildungslandschaften eine hohe Anerkennung und eine Aufwertung ihrer Tätigkeit. Aus Sicht der Praktiker*innen der Erwachsenenbildung gibt es dementsprechend gute Gründe, die Initiativen im Zusammenhang mit Lebensbegleitendem Lernen zu unterstützen. Es ist aber unklar, ob das Lebenslange Lernen für die pädagogische Praxis insgesamt eine angemessene Orientierung darstellt. Die Erkenntnis, dass auch nach dem Schulabschluss wichtige Bildungserfahrungen gemacht werden und sich im Lebenslauf immer neue Anlässe zur Umorientierung ergeben, mag sich in den letzten Jahren etwas verstärkt haben. Insgesamt stellt es aber keine neue Erkenntnis oder Entdeckung dar. Bevor näher betrachtet werden soll, wie sich das Thema in den Bildungslandschaften darstellt, kann noch auf den Sachverhalt hingewiesen werden, dass sich die Belastung von einzelnen Anbietern entzerrt. Wer Bildung als Lebensthema in den Blick nimmt, wird möglicherweise die starke Fokussierung auf die kindlichen und jugendlichen Bildungsphasen relativieren. Bisweilen wird die kindliche Bildung so behandelt, als sei sie wie ein Schicksal zu betrachten. Wer keine frühkindliche Förderung erfährt, wird das nie wieder aufholen können. Auch wenn sich statistisch die Einkommensbenachteiligung nachweisen lässt, ist damit doch noch nicht gesagt, dass es keine Neuorientierungen und wichtigen 35 Kehler/Jahn, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 173.
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Bildungserlebnisse für diejenigen mehr gibt, die wenig Bildungsunterstützung zu Beginn ihres Lebens erfahren haben. Auf der anderen Seite stellt eine zu starke Fokussierung auf Lernund Bildungsmöglichkeiten im Erwachsenenalter die Gefahr dar, dass bestehende Bildungsungerechtigkeit und Chancenungerechtigkeit zementiert werden könnten. Die »Vertröstung« auf das spätere Leben könnte genutzt werden, um bestehende Ungerechtigkeit zu legitimieren. Der Widerstreit im Ansatz des Lebenslangen Lernens lässt sich symbolisch an der Verzerrung zum Begriff ablesen, dass es sich um ein »lebenslängliches Lernen« handelt. Die Entscheidung, im Bereich der Erwachsenenbildung aktiv zu werden, Menschen ein Angebot zu machen, sich persönlich und beruflich zu entwickeln bzw. neue Anregungen und Impulse zu bekommen, wird als Pädagogisierung aller Lebensphasen interpretiert. Lebenslanges Lernen ist eine Bildungsaufforderung, die implizit dem Verdacht unterliegt, eine gewisse Unmündigkeit der Erwachsenen zu unterstützen: Wem Lernbedarf unterstellt wird, ist möglicherweise nicht ernst zu nehmen. »In der Erwachsenenbildung ist vom lifelong learning die Rede, aber mit Bildung muss dieses nichts zu tun haben, dafür allzu oft mit unausgesetzt abverlangtem Verhaltensumbau, Anpassungsbereitschaft und der Entwertung eingebrachter Bildung und Erfahrung. Den »flexiblen Menschen« behindert Bildung und Erfahrung mehr, als dass sie ihm »nutzen« könnte. Weitgehend naiv urteilen die Erben der Pädagogik über Erwachsene, als wären diese Objekte fortgesetzter Erziehung. Die Alten werden nicht als die Lebenserfahrenen, als diejenigen behandelt, von denen es zu lernen gilt, sondern als solche, denen beigebracht werden muss, wo überall sie sich weiterentwickeln können und sollen. Die damit einher gehende Pädagogisierung aller Lebensverhältnisse bedeutet eine unausgesetzte Aufforderung, sich der Führung durch andere anzuvertrauen, im Museum genauso wie bei allen Ratgebern für alle Lebenslagen. Wenn aber auch auf diese Weise Erziehung entropisch wird, sie nie aufhört und sie in immer mehr Lebensbereiche eindringt, so bedeutet Entgrenzung nicht etwa den Sie-
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geszug der Idee, sondern ihr Ende: die Auflösung der Erziehung einmal bestimmenden Vorstellung von Mündigkeit.« 36 Bei aller Kritik an der Pauschalisierung und der sich nah an der Polemik befindenden Argumentation, wird der Widerstreit von Gruschka treffend angesprochen: Wer Arbeitnehmer*innen, ebenso wie Berufsrückkehrer*innen und Menschen, die arbeitslos werden, zu »Objekten« der Weiterbildung degradiert und die gesellschaftliche Diskussion zur permanenten Ausrichtung an »Employability« nicht hinterfragt und lebendig im Widerstreit hält, macht Weiterbildung zu einem reinen Instrument von Politik und Wirtschaft. Die Eigenlogik von Erwachsenenbildung wird dabei nicht berücksichtigt und ihre Aufgabe rein funktional ausgelegt. Dem steht gegenüber, dass es keinen pädagogischen Grund gibt, dem Individuum auch nach Eintritt in die gesetzliche Mündigkeit die weitere Bildsamkeit abzusprechen. Umlernen, Einsicht in falsches Verhalten und berufliche wie persönliche Neuorientierung sind ein Leben lang möglich und werden mit der weiteren Ausdifferenzierung der Moderne ein Potential für Neuanfang und anderer Orientierung. Die Bildsamkeit dürfen wir mit pädagogischen Maßstäben dem Menschen grundsätzlich nicht und zu keiner Zeit absprechen. Die pädagogische Mündigkeit müssen wir anders verstehen und einschätzen als die gesetzliche Mündigkeit. Hinzu kommen Möglichkeiten der Pausen, der Auszeit im privaten wie beruflichen Bereich, die eine Phase der Orientierung und der Vergewisserung ermöglichen. Wer seine Bestimmung in einer Phase des Lebens in einem Beruf gefunden hat, hat die Möglichkeit, dies in einer Auszeit in oder außerhalb einer Bildungsinstitution zu überdenken und sich die Frage zu stellen, worin die persönliche und berufliche Bestimmung liegen könnte. Die möglichen Entdeckungen, ebenso wie die Felder eines sinnvollen Experimentierens, lassen sich vor dem Hintergrund des Widerstreits um das Lebenslage Lernen wie folgt umreißen: Angebote inner36 Gruschka, Adeus Pädagogik? – In: Pädagogische Korrespondenz, 2014, S. 47.
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halb der Kommune für Menschen, die eine Neuorientierung suchen, nach Phasen der Elternschaft oder Arbeitslosigkeit in den Beruf zurückkehren wollen oder sich prinzipiell und allgemein weiterbilden wollen, werden zu Recht im Rahmen von Bildungslandschaften unterstützt. Den Einwänden der Entmündigung ebenso wie den sinnvollen Formen des Bildungswiderstandes wird nicht ausreichend Platz eingeräumt. Das nährt den Verdacht, dass es nicht um ein allgemeines und pädagogisch angeleitetes Verständnis von Weiterbildung geht, sondern um eines, dass in erster Linie der »employability« verpflichtet ist. Pädagogische Praktiker*innen können diese Differenz und den Widerstreit für ihre Einstellung zu dem Thema heranziehen. Genau in der Spannung von subjektiv begründetem Widerstand gegen das Lebenslange Lernen und dem möglichen Nutzen für die Betriebe liegen potenzielle Entdeckungen des Lebenslangen Lernens. Wenn die Praxis um die begründeten Formen des Widerstands weiß, dann kann sie diese auch für die Zukunft der Kommune nutzen. Wenn Bildungswiderstand pädagogisch integriert werden soll, dann wäre es die Aufgabe der Praxis, in Experimenten gute Beispiele dafür zu suchen. Die Person in ihrem Bildungswiderstand ernst zu nehmen, heißt, die »schöne neue Welt« des Lebenslangen Lernens ebenso zu hinterfragen. Andererseits können dem widerständigen Subjekt Wege aufgezeigt werden, seinen Vorbehalten »eine Sprache zu geben« und diese nicht vorschnell als »dumm« abzutun.
Schluss/Entdeckungsmöglichkeiten •
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Die Spannung zwischen einer Erwachsenenbildung, die sich als Rehabilitation für den Arbeitsmarkt versteht, und einem Verständnis vom Lebenslangen Lernen, das sich mit Brüchen und Krisen als einer Chance auseinandersetzt, die eine neue Lebens- und Berufsplanung ermöglicht. Verhältnis von wirtschaftlichem Nutzen und Nutzen im Sinne der Kommune und Eigenlogik in Bildungsprozessen der Erwachsenen. Wir wissen noch viel zu wenig über die mögliche andere Form des Lernens von Erwachsenen und von älteren Menschen.
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Wie stark ist die Abhängigkeit von negativen Erlebnissen? Werden Angebote der Erwachsenenbildung stark von persönlichem oder beruflichem Scheitern abhängig gemacht? Im Sinne einer Bereichsüberwindung können Erfahrungen von Erwachsenen mit Kindern in Bildungsinstitutionen gesammelt werden. Damit können weitere Experimente gemacht werden. So kann es für die Öffnung von Schule von Bedeutung sein, wenn Erwachsene stärker in die Bildungsprozesse der Heranwachsenden eingebunden werden. Diese Tendenzen, die es in Schulen schon gibt, könnten weiter ausgebaut werden. Bereichsüberwindung heißt aber auch, dass die Schule in ihrer Funktion als Bildungsinstitution hinterfragt werden kann. Es gibt gute Gründe, gerade denjenigen Heranwachsenden, die in der Schule kaum Chancen haben, andere Lernorte anzubieten und eine Integration in die Schulbildung für eine gewisse Zeit außer Kraft zu setzen.
2 Regionalität und Pädagogik vor Ort
In einer Regionalpädagogik gibt es das Bestreben, kommunale, regionale und lokale Lösungen für die Bereichskonnexion pädagogischer Praxis zu suchen. Im Zuge dessen finden Experimente statt, die die jeweiligen Wirkkräfte berücksichtigen. Solche Wirkkräfte können aus kulturellen, geographischen, wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten bestehen, die für das Portrait der Region von Bedeutung sind. Insofern hat jede Kommune ihre eigene Pädagogik und ihre eigenen Lösungen zu der Frage parat, wie die Bereichskonnexion verwirklicht wird. Die Praxiswissenschaft wird sich den jeweiligen Eigenheiten der Kommune stellen und doch auf die historischen und systematischen Zusammenhänge verweisen, die es zu berücksichtigen gilt.
Einführung in das Thema Regionalität aus pädagogischer Sicht In den Bildungslandschaften ist der Aspekt der Regionalität von großer Bedeutung. Die Entscheidungen über die Gestaltung der Bildungsangebote sollen vor Ort, also in den Kommunen, geschehen und nicht bei den Landesregierungen oder der Bundesregierung. Wer sich mit historisch-systematischer und explizit pädagogischer Sicht dem Phänomen nähert, wird sich darüber wundern, dass pädagogische Praktiker*innen sich mit solch großer Dynamik der kommunalen und regionalen Themen widmen. Es stellt sich also die Frage, wieso sich Praktiker*innen nun zunehmend der Gestaltung regionaler Angebote widmen sowie gleichzeitig großen Themen eher misstrauisch begegnen, obwohl es dafür wenige historische Vorbilder gibt.
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Teil I: Auswertung von Erfahrungen in einem Bildungsbüro
Offensichtlich ist mit der Gestaltungsmöglichkeit auf regionaler Ebene ein Nerv bei der pädagogischen Praxis getroffen worden. Wer die Frage beantworten will, worum es genau geht und was genau für die Erziehungs- und Bildungsangebote die Verwirklichung in kleinen Maßstäben so interessant macht, muss die Praxis genauer in den Blick nehmen. Für uns im Bildungsbüro war von Anfang an die hohe Identifikation mit gesamtgesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Aspekten verbunden.
Die Erfahrungen des Bildungsbüros Die Erfahrungen in unserem Bildungsbüro bzgl. des Themas Regionalität waren zunächst zufriedenstellend, aber im Laufe der Zeit immer stärker von Vorbehalten geprägt. Am Anfang waren gerade die neuen Mitarbeiter*innen und die Stimmung in dem neu gegründeten Bildungsbüro überaus erfolgversprechend. Es herrschte eine Aufbruchsstimmung, die stark durch eine Identifikation mit den Belangen und Interessen des Kreises und der Kommunen bestimmt war. Die Aussicht an der Gestaltung und direkten Verbesserung der kreisweiten Bildungsangebote beteiligt zu sein, war für die Mitarbeiter*innen ein positives Motivationsmoment. Explizit wurde das Thema der Identifikation mit dem Kreis nicht angesprochen. Dafür standen die inhaltlichen Aspekte zu sehr im Vordergrund. Im Laufe der Zeit tauchten jedoch erste Vorbehalte auf, die vor allem mit der Nähe zur Kommunalpolitik einhergingen. Die großen Erwartungen an die Arbeit des Bildungsbüros wurden zunehmend zur Bürde. Die Ausrichtung der Bildungsangebote nach den kommunalpolitischen Interessen wurde immer stärker. Es sollten sich Erfolgsmeldungen einstellen und man suchte nach Entwicklungen, die dafür in Frage kommen konnten. Bei der Reflexion stellte sich jedoch zunehmend heraus, dass die Einzelkommunen in eine Konkurrenz miteinander traten, wenn es um Schulstandorte und andere attraktive Bildungsangebote ging.
2 Regionalität und Pädagogik vor Ort
In diesem Kapitel sollen einige Aspekte der Regionalität aus Sicht und mit den Erwartungen pädagogischen Praxis in den Blick genommen werden.
2.1 Standortfaktor und Konkurrenz Regionale Praxis Wir arbeiteten mit Elan an der Verbesserung und versuchten Pädagogik in Schulen, in der VHS und der Jugendhilfe einzubeziehen. Es eröffneten sich Wege der kommunalen Lösung von Problemen, die sonst entweder nicht gesehen wurden oder bei denen die Lösungen von Seiten des Landes erwartet wurden. Die Identifikation und die neuen Freiheiten in der kommunalen Bildungsarbeit waren besonders zu Beginn der Arbeit des Bildungsbüros mit Händen zu greifen. Bildung ist mehr als Sonntagsreden, Bildung ist wichtig für eine ganze Region und Bildung ist ein Standortfaktor. Wer über gute Bildungsangebote verfügt, kann wichtige Anreize für die Entwicklung der Region geben, nicht zuletzt dadurch, dass Betriebe auf gut ausgebildete Fachkräfte zurückgreifen können. Wie auch in den anderen Arbeitsfeldern stellten sich für die pädagogisch aufmerksamen Mitarbeiter*innen auch erste Probleme ein, die mit dem Anspruch, dass Bildung ein Standortfaktor ist, im Zusammenhang standen. Wir machten Erfahrungen mit unterschiedlichen Bürgermeistern, die alle für ihren Standort und für Mittel vom Kreis kämpften – Bildung als Standortfaktor war zu großem Teil Bildung als Konkurrenzfaktor: Bildung als Faktor, um sich abzusetzen, stärker zu werden, seine Kommune und seine Angebote in den Vordergrund zu stellen. Wie profiliere ich mich und stelle meine Bildungsangebote besonders heraus? Das waren die zentralen Fragen der kommunalen Vertreter. Innere Qualitätsmerkmale und ruhige kontinuierliche Arbeit mit Klient*innen und Heranwachsenden wurden dabei nicht in der Form Wert geschätzt.
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Für die Kommunen spielt Bildung eine immer wichtigere Rolle und das Thema, wie schon im ersten Kapitel angesprochen, gerade durch die Wahrnehmung des Faktors Bildung in seiner Gesamtheit in den Vordergrund gedrängt worden. »Die Diskussion über Bildungsreformen wird auch im kommunalen Bereich intensiv geführt. In vielen Städten hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen: während die kommunale Rolle in der Bildung seinerzeit auf die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur und -ausstattung beschränkt war (z. B sog. Äußere Schulangelegenheiten), entwickeln viele Städte und Gemeinden zunehmend bildungspolitische Konzepte in Richtung einer kommunalen Bildungspolitik. Der Wandel des kommunalen Aufgabenverständnisses in der Bildung erfolgt nicht nur auf Grund der Aufgabe kommunaler Daseinsvorsorge, sondern auch aus der Erkenntnis, dass ein modernes und funktionierendes Bildungswesen sowie entsprechend qualifizierte Bürger/innen von zentraler Bedeutung für die örtliche Struktur und Wirtschaftsentwicklung sind. Im Wettbewerb der Städte als Standorte, der durch die demografische Entwicklung noch verstärkt wird, wird die Bildung zu einem entscheidenden kommunalen Politikfeld. Zudem erweist sich, dass die Weichenstellungen für erfolgreiche Bildungsprozesse auf der kommunalen Ebene erfolgen. Hier entscheidet sich Erfolg oder Mißerfolg von Bildung, während die Grundlagen für berufliche Perspektiven und gesellschaftliche Teilhabe gelegt. Daher ist jede Investition in die Bildung nicht nur eine Zukunftsinvestition; sie vermeidet vielmehr auch im präventiven Sinne von den Kommunen zu tragenden Folgekosten und gesellschaftliche Desintegration. Schließlich können die komplexen Problemlagen und Anforderungen in der Bildung am ehesten auf der örtlichen Ebene zukunftsorientiert bewältigt werden.«1 Es handelt sich also um einen kommunalen Wettkampf, der durch Bildungsinstitutionen unterstützt wird bzw. für den diese Institutionen 1 Hebborn, in: Bollweg/Otto: Räume mit flexibler Bildung – Bildungslandschaften in der Diskussion; S. 140.
2 Regionalität und Pädagogik vor Ort
eingesetzt werden. Ob dieser Wettkampf den Kommunen insgesamt zum Vorteil gereicht, ist fraglich. Bildung als Standortfaktor beschreibt insbesondere ein Phänomen aus zwei Teilaspekten: Zum einen lässt sich feststellen, dass sich ökonomisches Wachstum auf der Basis von gut ausgebildeten Fachkräften in der Kommune einstellt und Wirtschaftsbetriebe siedeln sich dort an, wo diese Fachkräfte aufgrund von Schulen und Hochschulen stärker vertreten sind. Zum anderen wurde beobachtet, dass sich auch Familien eher dort niederlassen, wo Bildungsinstitutionen – angefangen bei der Frühpädagogik – eine hohe Qualität nachweisen können. Bildung als Standortfaktor ist ein Motiv oder auch eine Begründung, die im Rahmen von Diskussionen um Bildungslandschaften immer wieder auftaucht. Mit diesem Anspruch wird eine Reihe von Forderungen erhoben sowie versucht, dem Thema in seiner Gesamtheit eine hohe Relevanz zuzusprechen. Gleichzeitig werden Ängste geweckt, die mit Wettbewerb und Rankinglisten einhergehen. Was ist also von dem Phänomen der Bildung als Standartfaktor zu halten? Wie kann sich die pädagogische Praxis zu dieser Anforderung verhalten und welche Gegenargumente sind explizit oder implizit zu erkennen? Die Rede von Bildung als einem Aspekt, der für die Region und Kommune in seiner Gesamtheit von Bedeutung ist, ist fast schon banal. Mit dem Begriff Standortfaktor ist aber mehr gemeint. Eichert umreißt die Weite dessen, was gemeint ist: »Unsere Bildung ist ein einzigartiges individuelles wie kollektives Vermögen, das wir besitzen wollen. Es ist Fundament und Mauerstein, Eingangstüre und Dach eines festen Gebäudes, es liefert Stabilität für jeden einzelnen Menschen und seine Entwicklung ebenso wie für die Gesellschaft und ihre Zukunftsfähigkeit.«2 Eichert verweist darauf, dass die Kommune schon lange nicht mehr der Ort sei, in dem die Menschen ihre Zukunft sehen. Dies steht, so Eichert, 2 Eichert, in: Solzbacher/Minderop: Bildungsnetzwerke und regionale Bildungslandschaften – Ziele und Konzepte, Aufgaben und Prozesse. München, 2007, S. 14ff.
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in einem unmittelbaren Zusammengang mit globaler Konkurrenz, aber auch mit Bildungsrankings. »Es stimmt zwar immer noch, dass es ein ganzes Dorf benötigt, um einen Menschen zu bilden. Dessen individuelles Verhalten allerdings wird andere Entwicklungen nehmen, und die Realität zeigt dies längst. Kommunen werden zukünftig weniger denn je einen dauerhaften Ankerplatz für die mobile Gesellschaft der Zukunft sein. Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden sich immer mehr zu einer eigenen Biographie, die mit den Traditionen der Vergangenheit stark brechen wird. Wenn prognostiziert wird, dass jeder Mensch statistisch gesehen in Zukunft mindestens drei Berufe, drei Arbeitgeber, drei Wohnorte und auch drei Lebenspartner haben wird, dann zeigt sich eine völlig neue Dimension der traditionellen Aufgaben bei der Schaffung von Heimat, Sicherheit und Zukunft. Der Begriff der kommunalen Daseinsvorsorge muss deshalb in einer neuen inhaltlichen Ausrichtung verstanden werden; dies ist allerdings für die kommunale Politik eine Chance.«3 Damit kommt die Frage auf, wie denn überhaupt noch Attraktivität der Kommune erreicht werden kann, wenn die Mobilisierung der Individuen weiter voranschreiten wird. »Die generelle Botschaft aus den grundlegenden Veränderungen ist bereits angekommen, gerade bei den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern gibt es einen Bedeutungswandel in der Aufgabenerfüllung, auch beim Thema Bildung. Das hat seine Gründe auch vor allem im demographischen Wandel, seinen unumkehrbaren Folgen. In dem bereits im ganzen Land vorhandenen, jetzt aber angesichts der massiven Verschiebungen in den Bevölkerungsstrukturen voll entbrannten harten Wettbewerb um die gut qualifizierten Fachkräfte und die jungen Familien mit Kindern wird zum Teil schon vor einem »Einwohnerkannibalismus« gewarnt. Bei allgemein sinkender Einwohnerzahl 3 Eichert, in: Solzbacher/Minderop: Bildungsnetzwerke und regionale Bildungslandschaften – Ziele und Konzepte, Aufgaben und Prozesse. München, 2007, S. 16.
2 Regionalität und Pädagogik vor Ort
können Zugewinne der eigenen Größe stets nur zu Lasten der Nachbarn erreicht werden, es wird dafür sehr viel Geld ausgegeben, das bei einem abgestimmten Vorgehen möglicherweise gespart werden könnte. Die Kommunalpolitikerinnen und -politiker gehen aber ungeachtet solcher Warnungen mit vielen Konzepten in diesen Wettbewerb. Dabei sehen sie die Veränderungen als ihre ureigene Aufgabe zum Wohl ihrer Bürgerinnen und Bürger, von denen sie ein politisches Mandat dafür erhalten haben.«4 Das Argument des demographischen Wandels taucht auf, wobei man sich fragt, warum nicht im Kontext der Familienpolitik und im medizinischen Bereich die Frage nach der Fertilitätssteigerung gestellt wird. Das scheint ein unerlaubter Eingriff in die Privatheit zu sein. Es geht vielmehr um »Einwohnerkannibalismus«, um Streit, Konkurrenz um Menschen, aber natürlich nicht um jeden Menschen, sondern den entweder schon gebildeten Menschen oder zumindest den Menschen, der einen hohen Bildungsanspruch mitbringt. »Die Ergebnisse von Befragungen zahlreicher Bürgermeisterinnen deutscher Kommunen durch die Bertelsmann Stiftung zeigen deutlich, dass die Bildung als eines der zentralen Aufgabenfelder angesehen wird, wenn es um die örtliche Zukunftsfähigkeit im Wettbewerb der Kommunen geht. Bei einer repräsentativen Befragung, die die Bertelsmann Stiftung im Frühjahr 2005 in Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern durchgeführt hat, hielten mehr als 70 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zunächst das Thema »demographischer Wandel« für die Herausforderung schlechthin. Die wichtigsten Handlungsfelder aus Sicht der Befragten bei der richtigen politischen Schwerpunktsetzung in einer Liste von dreißig Möglichkeiten waren an erster Stelle die Schulentwicklung, danach das bürgerschaftlich Engagement, die Wirtschaftsförderung, die Stadtplanung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie das altersgerechte Wohnen. Eine zukunftsfähige 4 Eichert, in: Solzbacher/Minderop: Bildungsnetzwerke und regionale Bildungslandschaften – Ziele und Konzepte, Aufgaben und Prozesse. München, 2007, S. 17.
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Kinder- und Familienpolitik wurde in nahezu allen befragten Kommunen als Top-Priorität genannt, wobei in vorderster Linie hierzu eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung und gute Bildungsangebote für die Familien gezählt wurden.«5 Es folgen die Netzwerke und die Argumente gegen »Versplitterung«6 . Ohne dass der Autor es explizit anspricht, wirft er aber mit der Frage nach Standorten für Schulen und deren möglichen Schließung die Frage auf, wie auch über Einzelkommunen hinaus die Vernetzung gelingen kann. Wenn die Kommunen im Wettbewerb sind und gleichzeitig die interkommunale Zusammenarbeit betont, dann ist damit ein impliziter Widerspruch angedeutet. Wie kann angesichts des Konkurrenzkampfes um junge Familien und Wirtschaftsbetriebe interkommunale Zusammenarbeit gelingen? Es bleibt vieles offen. Eigentlich ist es ein Votum für die Bedeutung von Bildung und Pädagogik allgemein. Die Frage, welche Form von Bildungsangeboten für die Kommune von Bedeutung sind und welche weniger, bleibt offen. So würde niemand sich gegen den überregionalen Ruf einer Schule, z.B. eines altsprachlichen Gymnasiums, verwahren, auch eine gute Versorgung mit Kitas oder eines Jugendorchesters sind für den Ruf und die Attraktivität sicher von Belang. Was wäre dann aber das Neue, das sich durch die Thematisierung einer Bildungslandschaft auszeichnen würde und wie sähe eine diesem Ziel entsprechende Praxis aus? Auf diese Frage gibt der Autor wohl hinweisende Antworten, die aber durchaus im Widerstreit stehen. So ist die Integrationskraft von Bildung und damit die Einbeziehung von Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderung von Bedeutung. Doch eine solche integrative Pädagogik steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu einer wirtschaftlich und auf hohe Leistungsfähigkeit ausgerichtete Bildung. Dies alles steht 5 Eichert, in: Solzbacher/Minderop: Bildungsnetzwerke und regionale Bildungslandschaften – Ziele und Konzepte, Aufgaben und Prozesse. München, 2007, S. 17. 6 Eichert, in: Solzbacher/Minderop: Bildungsnetzwerke und regionale Bildungslandschaften – Ziele und Konzepte, Aufgaben und Prozesse. München, 2007, S. 20.
2 Regionalität und Pädagogik vor Ort
noch einmal in einem gewissen Spannungsverhältnis zum bürgerschaftlichen Engagement und der zu erwartenden weiteren Individualisierung der Lebensverhältnisse: »Entlang der individuellen Bildungsbiografien müssen immer wieder flexible Module und Bausteine möglich sein, die den einzelnen in die Lage versetzen, in der ständig sich wandelnden Welt kreative Antworten zu finden und sein Leben lang angemessene Entscheidungen zu treffen. Es liegt letztlich in der Verantwortung jedes Einzelnen, sich in allen Lebensphasen laufend zu bilden. Aber es liegt auch und besonders in der Verantwortung der Bürgergesellschaft, dieses Lernen zu unterstützen. Es gibt eine gesellschaftliche Verantwortung für die gemeinsame Zukunft und damit auch für die Faktoren, die diese Zukunft möglich machen.«7 Bildung wird zur Konkurrenz eingesetzt. Auch wenn Bildung niemals nur Selbstzweck war, ist in der europäischen Bildungstradition die Unabhängigkeit als wichtige Errungenschaft entwickelt und immer wieder verteidigt worden. Wer über die Nutzung von Bildung für die Konkurrenz unter Kommunen nachdenkt, sollte sich diesem Problembewusstsein einschließlich des darin enthaltenden Widerstreits zumindest gegenwärtig sein. Das kann dann durchaus wieder durch experimentelle Praxis neu und immer wieder anders ausgelotet und neuen Suchbewegungen anheimgestellt werden, doch ohne Einsicht in die Folgen einer einseitigen Ausrichtung auf Konkurrenz, wird das in konzeptlosem Experimentieren enden. Wer sich also die Frage stellt, wie über das Thema Bildungslandschaft der Standortfaktor erfüllt werden soll, wird in erster Linie ein allgemeines Votum für bessere Bildung erhalten. Diese wird damit zu einem Instrument für Kommunalpolitik und kommunale Erwartungen der ansässigen Firmen. Somit ist »Standortfaktor« ein Kampfbegriff, der auf Konkurrenz ausgerichtet ist, die gleich wieder negiert wird. Damit sind die alten 7 Eichert, in: Solzbacher/Minderop: Bildungsnetzwerke und regionale Bildungslandschaften – Ziele und Konzepte, Aufgaben und Prozesse. München, 2007, S. 19.
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Spannungen von Bildung zur Steigerung von Macht und Anerkennung einerseits und andererseits einem immer mit dem angesprochenen Zweck von Bildung, der in der Person selbst und seiner Entfaltung zu finden ist. Der Dialog über den Widerspruch zwischen machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen sowie dem Konzept der Bildung als Selbstzweck wird konsequent umgangen, sodass das Problem und die Verwirrung nicht aufgelöst, sondern umso stärker werden.
Kommunale Konkurrenz und Selbstdarstellung, Porträt Eine große Gefahr besteht darin, dass durch die Konkurrenz um finanzielle Hilfe von Bund oder Land denen gegeben wird, die schon haben: Kommunen mit großem und qualitativ-hochwertigem Bildungsangebot erhalten Förderungsmittel für ihre förderungswürdigen Projekte während Kommunen mit weniger bereits bestehenden Ressourcen erst gar nicht an Fördermittel kommen. Folglich ist eine Regulierung kommunaler Unterschiede essenziell, um Bildungsgerechtigkeit zu erreichen. Gleichwohl dürfen aus pädagogischer Sicht der mögliche Nutzen von Unterschieden und von Ungleichheit nicht übersehen werden. Ungleichheit und Bildungsgerechtigkeit müssen aus systematischer Sicht mit den Rahmenbedingungen – und das bedeutet mit den institutionellen und kommunalen Bedingungen – zusammen gesehen werden. Bildungsgerechtigkeit steht auch mit kommunaler Gerechtigkeit in einem Verhältnis. Ein Weg, den Widerstreit von Prinzipien der Eigenheit und Ungleichheit der Menschen mit denen der Gerechtigkeit und Gleichheit der Menschenwürde zu zeigen, wird von Wilhelm Wittenbruch beschrieben8 . Er zeigt auf, dass es Formen des Wettbewerbs gibt, die im Widerstreit von Institutionen aus pädagogischer Sicht einen gewissen Vorteil bringen. In dem Moment, wo Institutionen den Vergleich nicht 8 Wittenbruch, in: Kurth Europa macht Schule – schulen für Europa, Frankfurt a.M. (u.a.), 1998.
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für die Frage von besser oder schlechter ansehen, sondern für die Frage, was uns ausmacht und welche Aspekte für uns besonders sind, dienen sie der Selbstfindung. Dennoch könne es sinnvoll sein, das Porträt einer Schule herauszustellen. Gewisse Formen von Konkurrenz dürfen dabei eine Rolle spielen. Im Sinne der Selbstbildung und Selbstfindung ist auf sinnvolle Formen des Vergleichs zu schauen. Wenn es richtig ist, dass das Individuum sich mit seinen persönlichen Entwicklungsschritten beschäftigt und dafür auch die Konkurrenz mit anderen nutzt, dann lässt sich das auch auf Institutionen und Kommunen übertragen. Wenn Institutionen und Kommunen also die Notwendigkeit sich zu profilieren in die Notwendigkeit übertragen, ein Porträt zu erstellen, das die Geschichte ihres Werdeganges besonders hervorkehrt, dann wäre Konkurrenz sinnvoll übertragen in ein biographisch-geschichtliches Moment. Die anzustrebende Einheit der Bildungsbiographie wäre letztlich anschlussfähig zu der anzustrebenden Einheit der Institution und der Kommune.
Erwartungen an eine regionalpädagogische Praxiswissenschaft Wenn Bildungsangebote nicht zum Streitpunkt und Konkurrenzfaktor werden sollen und wenn gleichwohl die Verbesserung der Angebote und auch die Darstellung der Bildung für die kommunale Öffentlichkeit erstrebenswert erscheint, dann müsste sich eine pädagogische Praxiswissenschaft so ausrichten, dass sie in dieser Spannung vermittelnd ausgerichtet ist.
Weitere Forschungsfragen •
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Wie kann das Profil oder das Porträt einer Kommune auch unter Einbeziehung ihrer individuellen Geschichte sinnvoll geschätzt werden? Wie können die Menschen von der Bedeutung von Bildungsanstrengungen überzeugt werden, ohne sie in Bildungspanik zu versetzen?
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Wie kann die interkommunale Zusammenarbeit am effizientesten gestärkt werden?
2.2 Bund, Land oder Dorf Kommunalisierung und Aufsicht des Staates Das Verhältnis zu den Landesbehörden und der Verantwortung des Bundeslandes in Sachen Bildung wird in den kommunalen Bildungslandschaften neu bestimmt. Wenn die Kommunen mehr Verantwortung übernehmen sollen, dann wird der Einfluss des Landes zurückgehen. Wie man aber am Beispiel der kommunalen Konkurrenz gesehen hat, ist das nicht unproblematisch. Bildung zum Standortfaktor zu machen, bedeutet eben auch, dass die Eigenheiten von Bildungsprozessen in den Hintergrund treten. Konkurrenz kann dazu führen, dass größere Anstrengungen unternommen werden. Konkurrenz führt aber auch dazu, dass Außendarstellung und äußere Qualitätsmerkmale hervorgekehrt werden und starke Kommunen stärker und schwache Kommunen schwächer werden. In dieser Situation war für Mitarbeiter*innen des Bildungsbüros eine übergeordnete und regulierende Instanz wie die Landespolitik von großer Bedeutung. Besonders anschaulich wird dies immer wieder, wenn es um die Frage geht, wie gute Lehrer*innen gewonnen werden konnten. Insbesondere in ländlichen Kreisen besteht nämlich ein enormer ungedeckter Bedarf an ihnen. Die Möglichkeit, kommunale Konzepte für Bildung zu entwickeln, gibt es schon länger, da die Kommune für Angebote in Bereich der Vorschulerziehung, der Jugendhilfe und Erwachsenenbildung immer schon Spiel- und Gestaltungsräume hatte. Wie in der Erklärung der Kommunen ausgedrückt, war es gerade ihre Absicht, in einen Widerstreit mit den höheren politischen Einheiten zu treten, um Gestaltungsmöglichkeiten zu bekommen, die ihnen bisher verweigert wurden.
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Ein nicht ganz so stark verborgener Widerstreit liegt bei der Frage vor, ob die Kommune in Zukunft an Verantwortung für (kommunale) Bildung gewinnen wird. Diese Frage ist eine politisch-administrative, die zwar häufig erwähnt wird, aber deren Lösungsrichtung von vielen vorschnell als gegeben angenommen wird. Wer sich für das Thema einsetzt, wird davon ausgehen, dass die Kommunen immer mehr Verantwortung bekommen werden. Wolfgang Weiß zeigt einen guten Überblick zu den Projekten, die innerhalb unterschiedlicher Bundesländer geschaffen wurden und das Verhältnis von Land zu Kommune treffend umreißt: »Versucht man, trotz dieser schwierig zu erfassenden Gesamtsituation und trotz aller Unterschiede im Detail Entwicklungslinien auszumachen, so kann man folgendes festhalten: •
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Die Zahl der Bildungsregionen, Bildungsnetzwerke, Kommunalen Bildungslandschaften usw. hat sich im Laufe der letzten 10 Jahre deutlich erhöht. Viele neue Modellversuche sind hinzugekommen, meist dank der Unterstützung von Bund, Land und Stiftungen. Dabei wurden von Land zu Land in Detail und Begrifflichkeit zwar unterschiedliche, aber im Grunde doch vergleichbare Strukturen geschaffen, um in ›staatlich-kommunaler Verantwortungsgemeinschaft‹ den Aufbau kommunaler Bildungslandschaften zu steuern. Hierzu zählen, wobei die Begriffe variieren u.a. die Einrichtung von Bildungsbüro, Lenkungskreis, Bildungsbeirat, Leitungsteam und Entwicklungspool. Manche Städte bzw. Regionen haben in dieser Zeit, zum Teil parallel laufend, an bis zu fünf Förderprogrammen zur Entwicklung kommunaler Bildungslandschaften teilgenommen. Manche haben (ggf. zusätzlich) aus eigener Kraft und Bildungsinitiative, eigene Programme dieser Art aufgelegt. In einigen Bundesländern wurden inzwischen – auf Basis der eigenen Modellversuche – Förderprogramme wie ›Impulsprogramm Bildungsregionen‹ (BW), ›Bildungsnetzwerk in der Region‹ (NW) oder ›Neue Lernkultur in Kommunen‹ (TH) aufgelegt, um landesweit kommunale Bildungslandschaften zu entwickeln.
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Generell scheint man auf der Suche nach der optimalen Größe der Bildungsregion zu sein: Häufiger wird davon berichtet, dass sich ›Flächenkreise‹ verkleinern (z.B. Emsland) oder auch untergliedern und dementsprechend Teilregionen gebildet werden (z.B. Ravensburg). Es gibt aber auch Beispiele dafür, dass Bildungsregionen ›in die Fläche‹ gehen (z.B. Göttingen) und sich mit anderen Landkreisen ›in gemeinsamer Bildungsverantwortung‹ zusammenschließen. Letztlich kann man die sinnvolle Größe einer Bildungsregion nur in Abhängigkeit von deren Anspruch bzw. Leitzielen bestimmen. Nimmt man die Grenzen der Gebietskörperschaften (kreisfreie Städte und Landkreise) als ›gegebene‹ Bildungsregion, was die Umsetzung politisch vereinfachen dürfte, dann ist es wohl häufig sinnvoll, Unterregionen mit jeweils eigenen Leitzielen und Programmen zu bilden. Beim Wechsel politischer Mehrheiten ändern sich inhaltliche Akzente und auch Prioritätensetzung beim Aufbau der ›Bildungsregion‹. Dies gilt nicht nur für Landesprogramme, sondern auch für die Kooperation der verschiedenen Träger in der Region. Auch aus diesem Grund ist es sinnvoll, langfristig geltende Kooperationsverträge zwischen den Beteiligten zu schließen. Einige anfangs vielversprechende Bildungsregionen haben mittlerweile ihre Aktivitäten zurückgefahren oder ganz eingestellt. Meist steht dies im Zusammenhang mit ausbleibenden (finanziellen) Unterstützungsmaßnahmen. Oft erhalten gerade jene Kommunen Fördergelder, die schon recht weit in der Entwicklung ihrer Bildungslandschaft sind, während jene, die damit noch eher am Anfang stehen, nicht selten aus dem Bewerbungsverfahren herausfallen oder sich gar nicht erst bewerben, wofür auch eine besonders schwierige Haushaltssituation der Kommune verantwortlich sein kann. Da bislang wenig über die Wirkung von Transferphasen (von geförderten auf nicht-geförderte Kommunen) bekannt ist, besteht hier die Gefahr, dass insbesondere Kommunen unterstützt werden, die über etwas mehr Geld und engagierte Konzepte verfügen, während
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jene außen vor bleiben, die eine Förderung in besonderer Weise nötig hätten.«9 Weiß stellt kommunale Schulen vor und zeigt, dass diese auf eine lange Tradition und somit auch auf einen längeren Diskussionsstand zurückgreifen können. Es gibt widerstreitende Einschätzungen und Erfahrungen im Bereich der Kommunalisierung von Schule. Weiß zeigt die Vorteile der kommunalen Verantwortung am Beispiel von Bremen und Bremerhaven auf. Dann weist er aber auch auf die Risiken der Kommunalisierung von Lehrkräften hin: »So ist das Land Bremen nicht in der Lage, Lehrkräfte nach Bremerhaven zu versetzen bzw. Neubewerber dort einzusetzen, solange es keine Landeslehrer gibt, was vor Ort gerade in Zeiten des aktuellen Lehrermangels zu entsprechender Unterversorgung mit guten schulischen Fachkräften führen kann. Auf dieses Risiko der »Personalgewinnung und Unterrichtssicherung« wurde in der Debatte um die Kommunalisierung der Lehrkräfte bereits 2002 vom schleswig-holsteinischen Gemeindetag hingewiesen, und auch auf die Gefahr ungleicher Schulentwicklung in reicheren und ärmeren Gemeinden. Das Präsidium des niedersächsischen Städte- und Gemeindebunds fasste hierzu im November 2007 einen einstimmigen Beschluss: Aus finanziellen Gründen, zur Sicherung einer landesweit ausgeglichenen Lehrerversorgung und zur Wahrung einheitlicher Bildungsstandards wird eine Kommunalisierung des Lehrpersonals strikt abgelehnt. Allerdings verweisen auch die Gegner einer Kommunalisierung von Lehrkräften auf die Notwendigkeit hin, die Verbindung zwischen Gemeinde und Schulen und damit auch die kommunale Bildungsverantwortung zu stärken und fordern in diese Sinne kommunale Mitsprache u.a. bei der Auswahl von Schulleitungen und bei der Gestaltung der Schullandschaft. Den aktuellen Diskussionsstand könnte man deshalb auf die 9 Weiß, Kommunale Bildungslandschaften, Weinheim, München, 2011, S. 154ff.
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Formel bringen: Kommunalisierung der Schulen: ja – Kommunalisierung der Lehrkräfte: noch in der Diskussion.«10 Ein großer Teil der Reformeuphorie in der kommunalen Bildungslandschaft speist sich von der Hoffnung und Erwartung, dass die Kommune eine wachsende Verantwortung für die Bildungsangelegenheiten und für Gesamtkonzepte der pädagogischen Institutionen bekommt. Die Begründung ergibt sich aus der einfachen Tatsache, dass die tatsächlichen Bedarfe der Menschen an Bildungsangeboten vor Ort viel besser erfahrbar sind als in fernen Landeszentralen. Dies scheint ein Trend zu sein, der plausibel ist, aber als Voraussetzung auch nicht unterschätzt werden darf, denn wie schnell und kontinuierlich dieser Prozess verläuft ist ebenso unklar, wie die Frage, wo die Grenzen sind und welche Form von Zuständigkeit auch gar nicht wünschenswert wäre. Vorsichtiger wird die Zuständigkeitsdebatte von Tibussek und Riedt eingeschätzt: »Noch steht eine breite systematische Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Gestaltung lokaler Bildungslandschaften aus; insbesondere für den ländlichen Raum ist hier eine Lücke zu konstatieren. Betrachtet man aber die dynamische Entwicklung und die zunehmende Resonanz zum Thema, so ist zu erwarten, dass sich dies in den nächsten zwei bis drei Jahren ändern wird. Die gewonnenen Erfahrungen aus Entwicklungen vor Ort, landesweiten Modellen, Programmen oder Erprobungsverfahren sollten es dann ermöglichen, dass im Zusammenspiel zwischen der kommunalen Ebene und dem Land eine Gesamtstrategie zur Entwicklung lokaler Bildungslandschaften aufgestellt werden kann […]. Die wachsenden und damit in der Regel finanzstärkeren Kommunen sind in einer ungleich besseren Ausgangslage, mit zusätzlichen Ressourcen, lokale Bildungslandschaften zu initiieren und zu fördern. Natürlich steht an erster Stelle der Entschluss, der in der Region agierenden Menschen und Institutionen, sich auf den 10 Weiß, Kommunale Bildungslandschaften, Weinheim, München, 2011, S. 158f.
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Weg zu machen. Die Gefahr aber, dass durch die erhöhte Aufmerksamkeit für den Bildungsbereich die Schräglage zwischen armen und reichen Regionen größer wird – getreu dem Motto ›Wer hat, dem gegeben‹ – ist nicht von der Hand zu weisen. Damit würde die Verteilung von Lebenschancen noch stärker durch die regionale Herkunft bestimmt.«11 Dieter Gnahs sieht anhand der Aufgaben von Vernetzung, dass die bisherige kommunale Arbeit »fragil, störungsgefährdet und konfliktträchtig« ist: »So hat sich im Verlauf der Programmarbeit immer mehr herausgestellt, dass die kommunalen Gebietskörperschaften einen zentralen Stellenwert bei der Arbeit regionaler Bildungsnetze besitzen. Sie sind Garant für Kontinuität, akzeptierter und neutraler Koordinator und Financier gerade jenes Teils der Netzwerkarbeit, der nicht oder nur schwer marktförmig zu organisieren ist. Zudem ist zu beobachten, dass sich Bildungspolitik kommunalisiert, dass entscheidende Weichenstellungen in der Stadt oder im Landkreis vorgenommen werden. Außerdem werden nicht mehr große Strukturreformen durchgeführt – wie in den 1970er Jahren prägend –, sondern es dominieren die maßgeschneiderten, auf die regionalen Bedürfnisse und Möglichkeiten ausgerichtete Lösungen.«12 Die Bedeutung von Bemühungen auf kommunaler Ebene, die in der pädagogischen Praxis anfallende Aufgaben im Zusammenhang mit der Verbesserung der Übergänge, der Nutzung der Chancen eines lebenslangen Lernens, der Kooperation und Vernetzung bis hin zur Bildungsberatung werden von Gnahs gewürdigt. Er sieht weitere Aufgaben, die sich in diesem Zusammenhang stellen: 11 Tibussek/Riedt, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 149. 12 Gnahs, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 116.
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»Die Einbindung der Kommunen in die Netzwerkarbeit bzw. sogar die führende Rolle der Kommunen im Netzwerkmanagement wird auch von Bund und Ländern politisch und instrumentell unterstützt. Zu erwähnen sind an dieser Stelle Initiativen wie Hessencampus, der Aufbau von Bildungssektor übergreifenden Lernzentren in mehreren Ländern oder die Entwicklung eines leistungsfähigen Instrumentariums für ein regionales Bildungsmonitoring durch ein BNBF-gefördertes Projekt sowie nicht zuletzt durch die gemeinsame Initiative des BNBF mit deutschen Stiftungen ›Lernen vor Ort‹. Gerade das letztgenannte Beispiel lenkt den Blick darauf, dass regionalisierte Netzwerkarbeit der überregionalen Flankierung bedarf.«13 Die Erwähnung von den notwendigen politischen Rahmenbedingungen fehlt aber. Das mag damals noch vertretbar gewesen sein. Es wird aber immer drängender, sich dieser Frage zu stellen, um die geleistete Arbeit nicht zu gefährden. Von strukturellen Änderungen der Zuständigkeit zwischen Land und Kommune ist aber nichts zu erkennen. Mario Tibussek weist auf die Finanzierungsprobleme hin: »Im Rahmen der zunehmenden Aufgaben auf kommunaler Ebene müssen bei der Aufgabenübertragung auf die Kreise und Kommunen die erforderlichen Finanzmittel gemäß dem Konnexitätsprinzip im Umfang der übernommenen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden. Die Mittel sind an jener Stelle bereitzustellen, an der gesteuert wird. Insbesondere in der Anfangszeit einer kommunalen Bildungslandschaft ist die Gefahr eines sogenannten Netzwerkrauschens: die Transaktionskosten des Netzwerks sind so hoch, dass das Verhältnis von Nutzen und Kosten darunter leidet.«14 Es bleibt die Frage nach den Kriterien, den Orten, an denen über Spielräume der Kommune und Verantwortungsräume der Länder diskutiert wird. 13 Gnahs, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 116. 14 Tibussek, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften – Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 2009, S. 210.
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Der damit angesprochene Widerstreit scheint Freiheitsmöglichkeiten und Fürsorgeaufgaben auf den jeweiligen Ebenen zu erbringen. Nach Weiß wird das Thema der jeweiligen Ebenen von dem Governance-Ansatz berücksichtigt: »Bei der Beantwortung kann die o.g. Governance-Perspektive hilfreich sein: Dieser oft unscharf gebrauchte Begriff ist – ebenso wie der Begriff ›government‹ – von lat. ›gubernare‹ abgeleitet (womit ›das Steuerruder führen‹ bezeichnet wird). Der Unterschied liegt in der unterschiedlichen Betrachtung des Steuerungsprozesses. ›Government‹ bezieht sich auf eine Regierung, die gesellschaftlich vorgegebene Ziele umsetzt bzw. durchsetzt (ggf. ›durchregiert‹, s.o.). Mit dem (im politischen Umfeld alternativ dazu entstandenen) Begriff ›governance‹ verbindet sich eine differenziertere, weiter gefasste Sicht des Steuerungsprozesses, in dem nicht nur der Staat (Erster Sektor), sondern auch Markt bzw. Privatwirtschaft (Zweiter Sektor) und Zivilgesellschaft (Dritter Sektor, z.B. Vereine, Verbände, Stiftungen u.a.) als größtenteils autonome Akteure zusammenwirken und sich gegenseitig beeinflussen. Demnach hätte ›der sich zunächst nahezu omnipotent wähnende Staat […] zur Kenntnis zu nehmen, dass er lediglich einer von vielen Mitspielern ist, die sich mit je eigenen Interessen um Krankenhäuser, Universitäten oder Schulen kümmern.«15 Der Staat wäre also »aus seiner Stellung als ›Ordnungsmacht‹ in die Position eines mehr oder weniger gleichberechtigten Konkurrenten«16 versetzt. Reformprozesse sind offenbar komplizierter geworden, weil sie inzwischen »mehr einem ›Ringen um eine Lösung‹ ähneln als der ›Umsetzung eines Planes‹.«17 . In diesem Sinne bedeutet die »Governance-Perspektive, »dass analytisch eine Pluralisierung der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse nachvollzogen wird«, wobei 15 Schimank, Das Regime der Konkurrenz – gesellschaftliche Ökonomisierungsdynamiken heute, Weinheim, Basel, 2017, S. 237. 16 Emminghausen/Tippelt, ebenda, S. 28. 17 Altrichter, in: Helsper/Böhme: Handbuch der Schuldforschung, S. 250.
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sich in dem Dreischritt Planung → Steuerung → Governance »ein durchaus schmerzhafter Lernprozess politischer Gesellschaftsgestaltung spiegelt.«18 Diese »Pluralisierung der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse« zeigte sich auch beim »Ringen um Lösungen«, wie kommunale Bildungslandschaften zu gestalten und zu steuern sind. Entsprechende Konflikte sind nicht nur in den Spannungsfeldern des »innerstaatlichen« bzw. kommunalen Bereichs zu beobachten (Bund – Land – Kommune – Schule – außerschulische Bildungsinstitution), sondern auch in Bezug auf die drei Sektoren, also Staat, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft. Allerdings treten diese Konflikte weniger zwischen den Vertreter*innen der drei Sektoren auf als zwischen den Befürwortern und Gegnern dieser Entwicklung. Gegner*innen betonen die Gefahr einer »schleichenden Entstaatlichung«, also dass sich der Staat zunehmend aus seiner Gestaltungsverantwortung für das Bildungswesen zurückzieht und es nichtstaatlichen Akteuren überlässt, bislang öffentliche Aufgaben zu übernehmen, und lediglich deren Ergebnisse kontrolliert. Sie verweisen auf denkbare Folgen wie das Auseinanderdriften armer und reicher Regionen und entsprechend unterschiedliche Bildungsbedingungen vor Ort, insbesondere auf die ungesicherte Lehrerversorgung. Sie fragen, inwieweit sich unter solchen Bedingungen allgemeingültige Bildungsstandards halten lassen, nachhaltige Reformen angestoßen werden sollen und ob die föderale Kleinstaaterei noch durch ein »kommunales Durcheinander« ergänzt würde. Insgesamt stellen sie in Frage, ob Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft die demokratische Legitimation haben, bislang staatliche Aufgaben zu übernehmen, und bezweifeln, dass diese die starke Verantwortlichkeit und diesbezüglich hohe Leistungsfähigkeit des Staates aufbringen können. Befürworter*innen sehen in der »Pluralisierung der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse« lediglich einen »Wandel von Staatlichkeit« 18 Schimank, Das Regime der Konkurrenz – gesellschaftliche Ökonomisierungsdynamiken heute, Weinheim, Basel, 2017, S. 237f.
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als notwendige Reaktion auf neue gesellschaftliche Herausforderungen. Gerade aufgrund der immer weiter voran schreitenden Heterogenisierung unserer Gesellschaft, aufgrund wachsender Segregationstendenzen und immer schneller sich wandelnder Rahmenbedingungen, die sich zudem von Ort zu Ort immer mehr voneinander unterscheiden, sei der Zentralstaat nicht mehr in der Lage, die auftretenden Probleme und »die großen Aufgaben in Bildung und Erziehung‹« alleine zu lösen. Hier sei die Unterstützung von Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft gefragt. »Bürgerschaftliches Engagement« sei nicht nur ein wichtiges Korrektiv gegenüber einseitigem wirtschaftlichem Denken und dem oft bürokratisierten Zentralstaatshandeln, sondern auch für eine vitale Demokratie und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft unabdingbar. In dieser Kontroverse helfen deskriptive Governance-Analysen von Steuerungsprozessen nicht weiter, und man könnte mit Hans-Günter Rolff feststellen: »In diesen Jahren wird von der Bildungspolitik zu viel gesteuert und zu wenig gestaltet. Vor allem an umfassender bzw. gesamthafter Gestaltung mangelt es.« Und diese Gestaltungsverantwortung liegt beim Staat, worauf insbesondere das Grundgesetz verweist (Art. 7 Abs. 1 GG). Die dort genannte »Aufsicht des Staates« über »das gesamte Schulwesen« beschränkt sich nicht auf eine Art Überwachungsfunktion gegenüber den Schulen. Vielmehr ist damit die Gesamtheit der Befugnisse »zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens« angesprochen. Demgemäß kann man unterscheiden zwischen: • •
Schulaufsicht im engeren Sinn: kontrollierende Aufgaben des Staates, Schulaufsicht im weiteren Sinn: gestaltende und lenkende Aufgaben des Staates.
Letztere wird traditionell als »Schulhoheit« bezeichnet. Nach früherer Rechtsauffassung waren schulhoheitliche Aufgaben Angelegenheit von Regierung und Verwaltung. Das Grundgesetz hingegen gebietet entsprechend dem demokratischen Prinzip, »dass die Ordnung wichtiger Lebensbereiche wie das Schulwesen zumindest in den Grundzügen vom
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demokratisch unmittelbar legitimierten Gesetzgeber selbst verantwortet«19 wird. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht mit seiner sog. Wesentlichkeitstheorie klargestellt, wonach das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes den Gesetzgeber verpflichten, »die wesentlichen Entscheidungen im Schulbereich selbst zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen.«20 Damit werden die wesentlichen Gestaltungsentscheidungen im Schulbereich dem Parlament zugeschrieben. Demnach ist es nicht rechtens, solche Entscheidungen an die Kultusbürokratie zu delegieren und auch nicht an Kommunen und erst recht nicht an nicht-staatliche Organisationen. »Wesentliche Entscheidungen«, die also gesetzlicher Regelungen bedürfen, betreffen u.a. • • • • • • •
Erziehungs- und Bildungsziele, die Schulverfassung, die Rechtsstellung von Lehrkräften, Eltern und Schüler*innen, die Organisationsstruktur des Schulwesens, Kriterien für die Errichtung, Auflösung und Zusammenlegung von Schulen Die Grundzüge der Behördenorganisation von Schulverwaltung und Abgrenzung der Verantwortungsbereiche zwischen dem Staat und den (kommunalen) Schulträgern.
Hier werden wesentliche Entscheidungen zur Gestaltung des Schulwesens getroffen, und es ist nicht nur rechtlich geboten, sondern auch sachlich notwendig (s.o.), dass der Staat solche Entscheidungen trifft, und sie nicht an untere Behörden delegiert.«21 »Der Staat wäre also »aus seiner Stellung als ›Ordnungsmacht‹ in die Position eines mehr oder weniger gleichberechtigten Konkurrenten« versetzt…« Der Widerstreit von Kritikern der schleichenden Ent19 BVerwG, 15.11.1974, Az.: BVerwG VII C 8.73 20 BVerwG, 15.11.1974, Az.: BVerwG VII C 8.73 21 Weiß, Kommunale Bildungslandschaften, Weinheim, München, 2011, S. 163ff.
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staatlichung und den Befürwortern des Wandels von Staatlichkeit wird von Weiß beantwortet; allerdings mit der Betonung, dass beschreibende Analysen keine Kriterien an die Hand geben, wo das Land Verantwortung übernehmen muss und wo nicht.22 Der Widerstreit unter den Kommunen hat problematische Ergebnisse und einen Wettbewerb gebracht, bei dem die vormals benachteiligten Kommunen weiter ins Hintertreffen geraten könnten. Es hat auch vorschnelle Aktionen in Form von Projektitis herbeigeführt. Durch Landeskonzepte könnten möglicherweise die Nachteile ausgeglichen werden; wie diese allerdings aussehen könnten, ist noch nicht absehbar. Die Entwicklung von Bildungslandschaften, sowohl in den jeweiligen Einzelpraxen als auch im Zusammenspiel von regionalen und überregionalen Zuständigkeiten, ist völlig offen. Auch Tibussek und Riedt gehen von einem Wechselspiel zwischen konkreter Praxis und allgemeinen Vorgaben aus. Außerdem erwarten sie einen Dialog von Region und Land bzw. Bund: »Die Gestaltung lokaler Bildungslandschaften ist im Zusammenspiel zwischen Land und Kommune einerseits und der interkommunalen Zusammenarbeit andererseits eine gemeinsame Herausforderung zum gegenseitigen Nutzen. Dabei muss keine Ebene auf die andere warten, denn Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume sind schon jetzt auf allen Ebenen vorhanden.«23 In der dargestellten Debatte bleibt die Frage unberücksichtigt, ob die Länder einige der Verantwortungsbereiche nicht nur an die Kommunen, sondern auch an den Bund abgeben sollten. Auch dabei wären Kriterien für die Diskussion hilfreich. »Die Kommunalisierungsargumente werden dadurch trotzdem nicht außer Kraft gesetzt. Denn bei der Entwicklung kommunaler Bildungslandschaften geht es nicht um eine verwaltungstechnische 22 Vgl. Weiß, Kommunale Bildungslandschaften, Weinheim, München, 2011, S. 164. 23 Tibussek/Riedt, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 148.
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Neuregelung von Zuständigkeiten, sondern um die Entwicklung neuer Steuerungsstrukturen in staatlich-kommunaler Verantwortungsgemeinschaft, welche die offenkundigen Defizite zentraler top down-Steuerung überwindet. Die Grundsatzentscheidungen des Staates bilden also lediglich den Rahmen, innerhalb dessen sich die auch vor Ort dringend erforderlichen Gestaltungsinitiativen bewegen, um das Schulwesen auch an den regionalspezifischen Erfordernissen zu orientieren. Wie ausführlich erläutert, verfügt die Zentralebene »weder über die Kompetenz noch über die sachlichen Möglichkeiten, Bildung zu einem Thema lokaler und regionaler Sozialräume zu machen, die verfügbaren Bildungsangebote mit dem lokalen Qualifizierungsbedarf der Wirtschaft abzustimmen, Schulen mit außerschulischen Lernorten und flankierenden Betreuungsdiensten – auch aus dem ehrenamtlichen Bereich – zusammenzuführen, geschweige denn, mittels gezielter Information und Beratung für ausreichende Transparenz der lokalen Angebotsstruktur zu sorgen, Übergänge zwischen den Bildungsstufen zu gestalten und Familien als Bezugspunkte von Bildung so zum Thema zu machen, dass sämtliche Milieus hier auch erreicht werden.«24 Wenn eine »umfassende Strukturverantwortung für Bildung auf unterer Staatsebene« entstehen soll, bedarf dies gesicherter Verfahren des Zusammenspiels von staats- und kommunalpolitischer Legitimation. Dann kann »Kommunalisierung« durchaus einen erheblichen Zugewinn an Flexibilität, Praxisorientierung und regionaler Passgenauigkeit bildungspolitischer Entscheidungen und darüber hinaus neue Impulse für gelebte »lokale Demokratie« bringen – allerdings nur dann »ohne unerwünschte Nebenwirkungen«, wenn die Entwicklung Kommunaler Bildungslandschaften in eine »ganzheitlich anzusetzende Bildungsstrukturverantwortung des Staates« eingebunden ist.«25 24 Tibussek/Riedt, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 148. 25 Weiß, Kommunale Bildungslandschaften, Weinheim, München, 2011, S. 166ff.
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Unter diesen Bedingungen ist eine weitere Verlagerung von bildungspolitischer Gestaltungsverantwortung (inklusive der hierfür notwendigen Finanzressourcen) auf die kommunale Ebene durchaus zu begrüßen. Entscheidend dabei ist die Balance von Autonomie und Gesamtverantwortung auf den verschiedenen Entscheidungsebenen; ein Problem, das schon der Deutsche Bildungsrat in seinem »Strukturplan für das Bildungswesen« 1970 im Blick hatte: »Die Überbetonung der zentralen Gestaltung kann ebenso wie die Überbetonung der Autonomie spezifische Gefahren hervorrufen. Es wird Aufgabe der Umsetzung« sein, »die Spannung zwischen zentraler Planung und Autonomie […] im Sinne der Gesamtverantwortung fruchtbar zu machen.«26 Die Gestaltung lokaler Bildungslandschaften ist im Zusammenspiel zwischen Land und Kommune einerseits und der interkommunalen Zusammenarbeit andererseits eine gemeinsame Herausforderung zum gegenseitigen Nutzen. Dabei muss keine Ebene auf die andere warten, denn Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume sind schon jetzt auf allen Ebenen vorhanden. Die kommunale Ebene kann im sog. Bottom-up-Verfahren Impulse setzen, die durch die Landkreise bzw. das Land aufgegriffen werden. Ebenso können im sog. Top-downVerfahren Regelungen durch das Land Ermöglichungsräume eröffnen und Impulse auf kommunaler Ebene setzen. Entscheidend ist, dass die Ebenen gegenseitige Impulse aufnehmen und Entwicklungen im »Gegenstromprinzip« ermöglichen. Kommunalisierung im Bildungsbereich kann von der Pädagogik nicht bestimmt werden. Wer nicht, wie durch den Governance-Ansatz vorgeschlagen, rein deskriptiv vorgehen will, sondern nach Kriterien fragt, die die Aufgaben der Länder mit den Freiheitsspielräumen der Kommunen in ein Verhältnis setzt, wird sorgfältig überprüfen, wo Land und wo Kommune verantwortlich sein sollen. Dabei kann die Pädagogik Hinweise geben und anerkannte und historisch als sinnvoll erwiesene Prinzipien zur Verfügung stellen. 26 Weiß, Kommunale Bildungslandschaften, Weinheim, München, 2011, S. 166ff.
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Weitere Forschungsfragen •
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Wie sollte kommunale Bildung strukturell organisiert werden? Welche vorhandenen Strukturen können genutzt und wo müssen neue geschaffen werden? Welche Entscheidungen im Schulbereich haben als »wesentlich« zu gelten und können daher nicht auf die kommunale Ebene delegiert werden? Was könnte eine angemessene Größe für eine Bildungsregion sein? Wie kann der Gestaltungsauftrag des Staates »von oben« im Zusammenwirken mit den Kommunen auf unterer Ebene weiterentwickelt werden?
2.3 Beteiligung und Scheindemokratisierung In diesem Abschnitt soll es um die Analyse von angemessener und unangemessen Formen der Beteiligung gehen. Bei der Analyse verschiedener Beteiligungskonzepte tun sich einige Divergenzen auf zwischen: • • • • •
Dem, der Geld verwaltet und dem, der dieses erwirtschaftet. Dem Wollen und Nicht-Wollen von Beteiligung. Pädagogischer und politischer Beteiligung. Der Beteiligung von Subdisziplinen anstelle von interdisziplinären, allgemeinen Entscheidungen. Dem Nutzen und der vermeintlichen Überidealisierung von Beteiligung.
Insbesondere im Schulbereich ergeben sich drei Unterscheidungen von beteiligten Akteur*innen: • •
Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Frage nach Bildungsangeboten, Schulentwicklung etc. Beteiligung von Lehrer*innen und Schulautonomie
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Beteiligung der Heranwachsenden an pädagogischen Konzepten, Räumlichkeiten etc.
Beteiligung, Überbeteiligung und Scheinbeteiligung Im Rahmen der Diskussion um die Bildungslandschaften wird immer wieder auf Praxisbeispiele hingewiesen, die in der Kommunalisierung große Gewinne für die Beteiligung bzw. Partizipation sehen. Der Grund ist sicher der, dass in überschaubaren politischen Einheiten, die Bürger*innen direkt angesprochen werden können, sodass die Konsequenzen der Politik auch unmittelbarer erfahren werden. In erster Linie ermöglicht die Kommune als überschaubare politische und administrative Einheit eine stärkere Bürgerbeteiligung und den direkten Kontakt zwischen Staat und Bürger*innen. Die Kommune ist das Gemeinwesen, indem die Menschen für Entscheidungsfindungen direkt und persönlich angesprochen sowie beteiligt werden können. Die dahinterstehende Hoffnung liegt darin, dass sich so eine Öffentlichkeit entwickelt, die auf die Bedürfnisse des einzelnen zugeschnitten ist, sodass in Folge dessen auch der Wunsch nach Individualisierung größer wird. Das gilt sicher auch bei der Möglichkeit für junge Menschen, ihre kommunale Umwelt zu gestalten. Die Diskussion darüber hinaus steht aber vor der Gefahr, dass die Einzelfelder der Erziehung und Bildung das Thema Partizipation an eine bereichsüberwindende Instanz, wie der Regionalpädagogik, abgeben. Welche Aspekte der Partizipation lassen sich sinnvollerweise den kommunalen Konzepten zuordnen und welche nicht? Wer dieser Frage nachgehen will, benötigt erst einmal Unterscheidungskriterien in der Diskussion um Beteiligung. Aus systematischer und historisch aufgeklärter Sicht ist es sinnvoll, die politische von der pädagogischen Beteiligung zu unterscheiden. Außerdem besteht die Gefahr, dass einerseits die Politik pädagogisiert und andererseits die kommunale Pädagogik politisiert wird. Eine solche Grenzverschiebung bietet aber auch die Chance, neue Entdeckungen zu machen und beide Felder weiterzuentwickeln.
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Für die Aufdeckung von Widerstreit sind Unterscheidungskriterien von Bedeutung, die pädagogische von politischer Beteiligung trennen. Eine Grundunterscheidung könnte folgendermaßen aussehen: •
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Die Pädagogische Beteiligung der Heranwachsenden am Erziehungsund Bildungsprozess: Diese Beteiligung könnte einhergehen mit einer Beteiligung an der Gestaltung der Kommune in vielfältigen Formen. Die Beteiligung der Lehrer*innen/Praktiker*innen an den Institutionen und ihren Entwicklungen. Die Beteiligung von Eltern und anderer Angehöriger an den Institutionen und anderen Entscheidungen. Die Beteiligung der kommunalen Öffentlichkeit an der Bildungspolitik.
In der Diskussion um kommunale Bildungslandschaften spielen Möglichkeiten der direkten Demokratie und politischer sowie pädagogischer Beteiligung eine wichtige Rolle. Wenn Tibussek und Riedt über die Möglichkeiten der Beteiligung sprechen, dann ist der hohe normative Anspruch schon enthalten. Bundesweit würden die Potenziale partizipativer Ansätze noch nicht ausreichend durch die kommunalen Akteure gewürdigt und berücksichtigt.27 In vielen Texten und Positionen wird politische Beteiligung mit pädagogischer gleichgesetzt bzw. der Anspruch erhoben, beide gleichermaßen zu erhöhen. Ohne dass eine direkte Verbindung oder systematische Notwendigkeit besteht, wird das Thema pädagogischer Beteiligung mit dem Thema Bildungslandschaften gleichgesetzt. Die Begriffe lokal, kommunal und regional scheinen mit diesem Sachverhalt einherzugehen. Wer von kleinen Einheiten spricht scheint damit immer auch Chancen von Beteiligung zu vertreten. Vieles deutet darauf hin, dass die Idealisierung der Beteiligung sowohl in politischer als auch in pädagogischer Hinsicht in der Zukunft 27 Vgl. Tibussek/Riedt, Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 145f.
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durch negative Beispiele von zermürbenden Entscheidungsprozessen eingeholt wird. Systematische Begründungen und eine historische Einordnung von sinnvollen und sinnlosen Beteiligungskonzepten könnten dann nachgeholt werden, ebenso wie empirisches Material zu gelungenen und weniger gelungenen Beteiligungsverfahren ausgewertet werden könnte. Wie auch immer sich die Beteiligung an politischen und pädagogischen Prozessen entwickelt, der Diskurs zu den Möglichkeiten in diesem Feld steht und eröffnet zumindest einen Widerstreit mit der Ansicht, dass in den kommunalen Bildungslandschaften in erster Linie ein Bedarf der Ökonomie befriedigt wird.28 Die vielen Beiträge in der Debatte können als Indiz genutzt werden, um der Ansicht zu widersprechen, dass es in der Bildungslandschaft ausschließlich um die Ausrichtung an beruflicher Qualifikation geht. Wischmann erklärt in einem Artikel, dass die Bildungslandschaften eine ausschließlich ökonomische Ausrichtung haben, es gehe um Aktivierung im Sinne der »employability« und Beteiligung hätte keinen Platz.29 Dem widersprechen aber einige Ansätze, Projekte und Texte, die im Rahmen der Bildungslandschaften existieren. Es gibt gute Beispiele von Beteiligungslandschaften. Allerdings drohen die durchaus guten Argumente von Wischmann an dieser Stelle nicht ausreichend Beachtung zu finden, wo man auf die Projekteverweisen kann. Die Einwände und der Widerstreit bei der Beteiligung lassen sich also so einfach nicht erfassen. Es gibt aber Einwände und Vorbehalte gegen die Projekte. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Beteiligung von Schüler*innen ein wichtiges pädagogisches Prinzip darstellt. 28 Wischmann, Was haben kommunale Bildungslandschaften mit Bildung zu tun? – In: Pädagogische Korrespondenz, 2014, S. 75-92. 29 Wischmann, Was haben kommunale Bildungslandschaften mit Bildung zu tun? – In: Pädagogische Korrespondenz, 2014, S. 75-92.
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Beteiligung in der Schule Wie könnte eine Beteiligung von Schüler*innen und Jugendlichen an der Bildungslandschaft aussehen und wo sind die möglichen Einwände und Vorbehalte? »Die Quellenlage ist desolat. Wir wissen wenig darüber, wie und was Kinder und Jugendliche bislang dazu beitragen konnten, Ganztagsbildung vor Ort zu gestalten bzw. mitzugestalten. Was gibt es inzwischen schon viele Jahrzehnte lange Erfahrungen der Kinderbüros und Kiezquartiere. Bei der Befragung junger Menschen nach außerschulischen Bildungsorten mit gemeinsamen, oftmals spielerisch angelegten Sozialraumanalysen, etwa Stadtteildetektive oder regionale Bildungsatlanten. Doch bieten diese Untersuchungen keinen unmittelbaren Aufschluss darüber, wie Ganztagsschulen und außerschulische Einrichtungen besser miteinander verknüpft werden können. Vielfach ist das gewonnene Wissen über das Schulumfeld nicht mit den Kindern rückgekoppelt worden und stellt nun – vereinzelt und separiert – einen Schatz dar, der noch gehoben werden müsste.«30 »Schulkonferenzen, Jahrgangsteams, gemeinsame Klassenführung; über Konferenzordnungen, Kommunikationspraxen, Schulentwicklungsformate; über die Gestaltung des Zeitregimes der Schule und dessen Modifikationen, über Entwicklungsformate und Aushandlungsprozeduren, Mitbestimmungsrechte und Kooperationsregeln; über Unterrichtsgestaltung und Verfahren der Leistungsbewertung; über Schul-, Unterrichts- und Elternfeedback. Diese Prozesse laufen an jeder Schule anders ab, sie sind ständig weiterzuentwickelnde Ergebnisse institutionalisierter Aushandlungsprozesse etc.«31 30 Bosenius/Edelstein, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften – Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 2009, S. 179. 31 Bosenius/Edelstein, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften – Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 2009, S. 184.
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Die Autor*innen kommen dazu, dass eine Vernetzung der Schule durch die Einführung eines Klassenrats erreicht werden kann. Ein solcher solle folgendermaßen gestaltet werden: »Der Klassenrat orientiert sich an einem basisdemokratischen Ansatz, bei dem Schülerinnen und Schüler unter Mitwirkung, aber nicht unter der Leitung einer Lehrkraft gemeinsam Verantwortung für das Leben der Klasse übernehmen. Der Klassenrat, wie wir ihn hier beschreiben, unterscheidet sich häufig von der unterbestimmten Figur der Klassenorganisation, die es in manchen Schulen mit Verfügungsstunde und Lehrerkontrolle gibt, vielleicht auch als sozialkooperative Kommunikationsrunde, nicht jedoch – wie hier entworfen – als zentraler Organisationszelle der Selbstbestimmung und der schulischen Mitwirkung der Gruppe. Die Klasse befragt sich in regelmäßigen Abständen und zu festen, dafür vorgesehenen Zeiten im Stundenplan über ihr Handeln und über ihr Verhalten, über Zufriedenheit und Ärger, über Probleme und Ansichten, über Pläne und Absichten, über Vorhaben und Projekte. Konsensuell, oder ggf. auch mit Mehrheit, entscheiden sie über die Regeln, die in der Klasse gelten sollen, über Pflichten und Arbeitsteilung, über Ämter und Aufgaben. Im Klassenrat werden Verantwortlichkeitsrollen eingeübt, Diskussionen geführt, Urteile abgestimmt, Konflikte verhandelt und Probleme gelöst. Der Klassenrat ist basisdemokratische Institution, eine Verantwortungsgemeinschaft sowie ein Handlungs- und Planungszentrum. Gemeinsam trägt die Gruppe Verantwortung nach außen, abwechselnd die einzelnen Mitglieder in den unterschiedlichen Ämtern Verantwortung nach innen. Es gibt gewählte Sprecher/innen, Beauftrage für gemeinsam beschlossene oder auch konventionell zu erfüllenden Aufgaben (sog. »Chefs«), Protokollanten, Zeitnehmen usw.«32 32 Bosenius/Edelstein, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften – Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 2009, S. 186f.
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Es geht den Autor*innen um die Aktivierung im Sinne der Beteiligung nach innen, aber auch die Möglichkeit nach »außen« zu wirken, z.B. Eltern zu beeinflussen. »Auf diese Weise wird die Schule für die engagierten Bürgerinnen und Bürger erst wirklich zu ihrer Schule. Durch das Engagement eröffnet sich die besondere Perspektive der interinstitutionellen Kooperation von Klassenräten über die einzelne Schule hinaus.«33 Das Resümee der Autor*innen lautet wie folgt: »So wie jede Einzelschule haben auch Schulnetzwerke und Schulverbände die Chance, aus ihrer systemischen Isolierung ausbrechen, um zu Bildungslandschaften zusammenzuwachsen. Dabei können – wieder ganz anders als gewohnt und erwartet – Schülerinnen und Schüler eine aktive und aktivierende Rolle spielen, die in den diskursiven und organisatorischen Prozessen des Klassenrats gelernt und aus den Lernprozessen in die soziale und nachbarschaftspolitische Praxis der Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements übertragen werden können. Demokratische Lebensformen, die Schulen nicht nur für sich, sondern in kooperativen Netzwerken entwickeln, können dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche soziale Kompetenzen für bürgerschaftliches Handeln entwickeln: so entstehen wahre Bildungslandschaften mit gesellschaftsveränderndem Potenzial.«34 Um die Beteiligung von Bürger*innen und die damit verbundene Hoffnung einer stärkeren Demokratisierung der Kommune im Gegensatz zu den Gefahren einer geschlossenen und technokratischen Idee von Bildung geht es in dem Interview von Sturzenecker und Warsewa.35 Ebenso werden Tendenzen deutlich, die ein Bildungsverständnis verstärken, dass ein kritisches Verständnis durch Bildungsverweige33 Bosenius/Edelstein, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften – Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 2009, S. 188f. 34 Bosenius/Edelstein, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften – Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 2009, S. 190. 35 Sturzenhecker/Warsewa, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 60ff.
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rung oder auch die Entlarvung von Halbbildung gar keinen Raum mehr lässt. In der scheinbar so logischen Aufteilung in formale, informelle und nicht-formelle Bildung, die den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht, geht im Sinne von Geschlossenheit alles auf. Die Interviewten decken zu Recht die Scheinpartizipation auf und entlarven diese: »Das wird ja gerne so gemacht, wenn Partizipation herausgestellt werden soll: Irgendwelche Zielgruppen werden kurz danach gefragt, was sie denn eigentlich wollen. Doch meist kommt bei solchen Fragebogenaktionen und ähnlichen Umfragen nur wenig heraus. Die Ergebnisse werden in irgendwelche Gremien transportiert, mit denen die Befragten dann nichts mehr zu tun haben. Deshalb ist es an sich Grundfrage, wie eine lokale Entscheidungsstruktur entsteht, der den Betroffenen eine wirkliche Chance auf strukturellen Mitentscheidungsmacht haben, statt nur als Befragte aufzutauchen. Die andere wesentliche Frage ist, wie Personen überhaupt zur Artikulation in der Öffentlichkeit kommen können. In meinen Augen beginnt der demokratische Prozess immer dann, wenn sich Subjekte an die Öffentlichkeit wenden können. Aber dafür braucht es eine Struktur, damit der einzelne der Öffentlichkeit und anderen gegenüber sagen kann: Das will ich oder dem stimme ich zu. Aber auch: Das passt mir nicht. Politische Beteiligung beginnt ja manchmal mit einem Nein. Die Basisfrage ist, wie diese Aspekte realisiert werden können: Mitgliedsstruktur, Artikulation und Berechtigung zur Mitentscheidung.«36 Die Bildungslandschaften können und sollten die Bildungsbereiche ebenso wenig wie die Gesellschaft von der Frage entlasten, wie sie Beteiligung je für sich und je anders unterstützen wollen und die Kritik der nachwachsenden Generation auch dann aufnehmen, wenn diese nicht in Jugendparlamenten oder anderen quasidemokratischen Gremien formuliert wird. Partizipationsverweigerung ist das gute 36 Sturzenhecker/Warsewa, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 60ff.
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Recht der Jugend, wie sich in dieser bisweilen auch Kritik an der Politik ausdrücken kann. Zur Gefahr der Entlastung kommt die Gefahr der Kompensation und Scheinlegitimation. Wer Jugendparlamente einrichtet, ist scheinbar über alle Kritik erhaben. Die vielleicht gut gemeinte Absicht, die Zahl der Schulverweiger*innen zu reduzieren und auch anderen Bildungsverweiger*innen institutionelle Angebote zu machen37 , darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Erwachsenengesellschaft die Kritik durch die junge Generation, wie diese auch immer ausgedrückt wird, als Impuls zur Veränderung aufnimmt. Der Kern der Frage wird so gesehen: Wie kann ich die Schule so »entgrenzen«, dass sie wieder in die Gesellschaft integriert werden kann? Das bedeutet letztlich den pädagogischen Schonraum der Schule völlig für gesellschaftliche Erwartungen frei zu machen und somit den Filter zwischen pädagogische Institution und gesellschaftlichen Erwartungen zu beseitigen. Das wäre tatsächlich eine Revolution!
Resümee Die Grenzen der Politisierung sollen nur in Ansätzen hier aufgezeigt werden. Zum einen ist aus pädagogischer Sicht die Tendenz zur Beteiligung zu unterstützen. Nicht zuletzt hat dies Anke Wischmann in ihrem Aufsatz für die pädagogische Korrespondenz angemahnt. Alle Strukturmerkmale pädagogischer Handlung werden von allen Theoretiker*innen und bekannten Praktiker*innen mit dem Merkmal der Gegenseitigkeit beschrieben. Darüber hinaus ist Erziehung auch immer als Dialog, also als wechselseitiger Prozess, umschrieben. Bleckmann zeigt die Möglichkeiten auf, über Beteiligung den Widerstreit von pädagogischen Grundfragen auflösen zu können. Es geht ihm um die »Paradoxie« der Schule und ihren Doppelauftrag, wie man vielleicht besser sagen könnte: 37 S. Sturzenhecker, in: Dörr/Herz: »Unkulturen« in Bildung und Erziehung, Wiesbaden, 2010, S. 39-52.
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»Einerseits soll Schule dafür sorgen, dass alle Lernenden gesellschaftlich als wichtig definierte Inhalte kennenlernen und die Kompetenzen erwerben, die für die Übernahme einer aktiven Rolle im demokratischen Gemeinwesen notwendig sind. Dieser Auftrag gilt für alle Lernenden, unabhängig davon, welche Anregungen sie in ihren jeweiligen Lebenswelten vorfinden. Andererseits – und mit gleicher Priorität – muss der Prozess des Lehrens und Lernens so eng an die individuellen Vorerfahrungen und damit auch an die Lebenswelten der Lernenden anschließen, dass es als subjektiv bedeutungsvoll erlebt wird. Diese Paradoxie ist für einen großen Teil der Herausforderungen verantwortlich, die Lehrerinnen und Lehrer täglich zu bewältigen haben. Viel ist in den letzten Jahren unternommen worden, um die Qualität des Bildungssystems in Deutschland zu verbessern. Wenn man den paradoxen Auftrag der Schule ernst nimmt, dann ist es sehr fraglich, ob eine Intensivierung von Testverfahren geeignet ist, die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems zu steigern. Tendenzen zu einer verstärkten Vereinheitlichung – etwa durch zentrale Prüfungen – erscheinen ebenfalls als sehr fragwürdige Instrumente. Nur wenn den Lehrenden ein hohes Maß an Flexibilität bei der Wahl eines geeigneten Stoffes gewährt wird, kann überhaupt eine Chance bestehen, den paradoxen Auftrag zu erfüllen. Die Frage der Anschlussfähigkeit an die Interessen und Vorerfahrungen der Schüler/innen müsste dabei mit gleicher Priorität bedacht werden, wie das curricular gesetzte Lernziel. Und diese Interessen und Vorerfahrung sind so vielfältig wie die Schülerinnen und Schüler selbst.«38 Dennoch erscheint es möglich, ein pädagogisches Konzept zu entwickeln, welches den Doppelauftrag der Bildung, der aus dem Widerstreit der Interessen an individueller Bildung und deren gesellschaftlicher Nutzung sowohl von Wirtschaft als auch vom Staat resultiert, auflöst. Um eine tatsächliche Demokratisierung zu bewirken, ist es essentiell, dass die Pädagogik auch den Widerstand des Subjekts respektiert 38 Bleckmann, Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 80.
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und daher keinesfalls vorgibt, die Ergebnisse öffentlicher Meinungsbildung bereits vor der Debatte zu kennen. Wichtig ist es ferner, die Praxis nicht ihrer Freiheiten und Eigendynamik zu berauben, sondern Techniken vorzuschlagen, wie Menschen an der freien demokratischen Gesellschaft teilhaben können.
Kommunen und direkte Demokratie bzw. Beteiligung in den Subdisziplinen Es gibt nur bedingt Gründe dafür, dass die Beteiligung von Heranwachsenden, Schüler*innen und anderen Klient*innen im Rahmen von kommunalen Bildungslandschaften diskutiert wird. Vielmehr besteht die Gefahr, dass es aus den Bereichen bzw. Subdisziplinen in das Thema Bildungslandschaften verschoben wird. Wenn das nicht passiert, müsste sich bspw. die Schulpädagogik fragen, wie sie die zunehmende Ausrichtung an der Wirtschaftmit der Partizipation vereinbaren könnte. Das ist nicht unmöglich, setzt aber doch einige Diskussionen voraus. In dem Moment, wo Schüler*innen über Inhalte und Methoden mitbestimmen können, lassen sich nämlich Kompetenztableaus nicht mehr national festlegen. Wenn der Output auch das Thema von Partizipation wird, lassen sich gleichwohl pädagogisch wichtige Prozesse gestalten.
Demokratisierung, Beteiligung Die Argumente für Demokratisierung werden oft im Zusammenhang mit Regionalpädagogik vorgetragen. Im Grunde fehlt es jedoch am Anlass, die beiden Themen zu verbinden. Regionalpädagog*innen haben ihre Berechtigung, diese steht aber nicht im direkten Zusammenhang von Demokratisierungen. Es scheint eine Form von Ausgleich zu sein, zu der Verdächtigung, dass das Lebenslange Lernen und Bildung als Standortfaktor es notwendig erscheinen lassen, die Beteiligung von Heranwachsenden oder die Unterstützung der Durchsetzung durch das Votum für eine Pädagogik »vom Kinde aus« zu legitimieren. Unabhängig davon ist die Demokratisierung aber nicht eindeutig fachlich
2 Regionalität und Pädagogik vor Ort
bestimmt, wie Brüggelmann es an anderer Stelle belegt.39 Die Frage, wie die Schule auf Demokratie vorbereiten soll und wie die Demokratie in der Schule ihren Raum erlangen sollte, ist im Widerstreit. Widerstreit in der Frage, ob eine stärkere Demokratisierung in Fragen der Bildung in der Kommune erstrebenswert ist und was dafür und was dagegenspricht, wird in einem Interview mit Sturzenhecker und Warsewa angesprochen. Sie weisen auf mindestens drei Aspekte des Widerstreits hin. Zum einen werden Kräfte mobilisiert und Gegensätze entstehen erst dadurch, dass Entscheidungsräume eröffnet werden: »Ich greife das Beispiel Ganztagsschule heraus, um das Prinzip zu verdeutlichen. Hier können wir in enormer Schärfe sehen, dass Eltern bei der Schulentwicklung zwei grundsätzlich unterschiedliche Rollen einnehmen können. Die eine Rolle ist vor allem in typischen wohlhabenden Mittelstandsbereichen vorzufinden und in Gymnasien besonders stark ausgeprägt. Bei dieser Rolle treiben die Eltern die Schule vor sich her mit Ansprüchen, die weit über das hinausgehen, was Schule jemals leisten kann. Bei der anderen Rolle werden Eltern nur als Zielgruppe begriffen. Man will ihnen beibringen zu verstehen, was in der Schule passiert und wie sie mit ihren Kindern vernünftig umgehen können. Diese beiden ganz unterschiedlichen Rollen von Eltern drücken sich in einem vollkommen unterschiedlichen Verhalten der Eltern gegenüber der Schule aus. Die einen Eltern sollen einfach nur möglichst gut mitmachen; die anderen Eltern versuchen, die Schulen im Sinne ihrer hohen Ansprüche zu beeinflussen – oder sie schicken ihre Kinder in Waldorfschulen oder andere Privatschulen und tragen dadurch dazu bei, dass die sozial polarisierende Wirkung des Schulsystems immer mehr zunimmt. Und dennoch – und das ist das demokratische Problem dabei – kann man es diesen Eltern nicht verdenken, dass sie das Beste, ihrer Meinung nach, für ihre Kinder wollen.«40 39 S. Brüggelmann, Vermessene Schulen, standardisierte Schüler – zu den Risiken und Nebenwirkungen der PISA-Studie, Weinheim, 2015. 40 Sturzenhecker/Warsewa, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 67.
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Sturzenhecker und Warsewa setzen sich für eine Entwicklung aus der Demokratisierung ein, weisen aber auch auf den Widerstreit hin. Der liegt ihrer Meinung nach zum einen in der Frage, wann Entscheidungen nicht von den gewählten Repräsentanten getroffen werden sollen und wann doch: »Natürlich muss die Landespolitik etwas tun und kann nicht einfach sagen, wir machen nur das, was auf lokaler Ebene entschieden wird. Das Land sollte auf keinen Fall aus der Verantwortung entlassen werden.«41 Der Widerstreit ist, ob die gewählten Volksvertreter Verantwortung übernehmen und im Sinne des Gemeinwillens Entscheidungen gegen Partialinteressen treffen oder ob Orte geschaffen werden, an denen Entscheidungen durch Vertreter unterschiedlicher Gruppen getroffen oder zumindest vorbereitet werden. Der Widerstreit findet sich aber auch in den Institutionen. »Bei unseren Studien haben wir in Gesprächen mit Lehrkräften und Schulleitungen die Erfahrung gemacht, dass die ganze Frage der Autonomie von Schulen und der damit verbundenen zusätzlichen Verantwortung außerordentlich kritisch und ambivalent gesehen wurde. Natürlich finden es Lehrerkollegien ganz schön, wenn sie selber mehr über das entscheiden können, was in ihrer Schule passieren soll. Aber meistens ist es so: Wenn sie vor die Wahl gestellt werden, ob sie mehr Autonomie wollen oder nicht, dann wollen sie eigentlich nicht mehr Autonomie, weil sie wissen, dass das unter den gegebenen Bedingungen mehr Zeitaufwand, mehr Verantwortung und mehr Zurechenbarkeit bedeutet. Das heißt auch mehr Rechtfertigungsdruck gegenüber Vorgesetzten und der Öffentlichkeit, den Eltern und vielen anderen. Das Ganze bringt mehr Belastungen, mehr Arbeit mit sich. Der überwiegende Teil der Schulleiter vertritt daher eine Position, die etwa so lautet: ›Wir hätten gerne mehr Verantwortung 41 Sturzenhecker/Warsewa, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 70.
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und mehr Entscheidungskompetenzen, aber dann brauchen wir auch mehr Geld, ein zusätzliches Sekretariat und viel mehr Personal, damit wir die vielfältigen Aufgaben delegieren können. Wenn wir das nicht bekommen, dann wollen wir auch nicht die Autonomie und die damit verbundene Verantwortung.‹ Das ist die Ausgangsposition. Dagegen gilt es den Akteuren in den Schulen und Behörden einen wichtigen Gedanken zu vermitteln: die einzige Chance, sich aus den großen Überforderungs- und Überlastungsproblemen zu befreien ist genau das, was wir vorhin theoretisch umrissen haben, nämlich Ressourcen zu kombinieren. Entlastung kann nur erreicht werden, wenn man andere mitentscheiden und bestimmte Aufgaben erledigen lässt, die man sonst selbst erledigen müsste.«42
Jugendparlamente als Beispiel für die Beteiligung von Heranwachsenden Die guten Beispiele für eine Beteiligung der Heranwachsenden sollen in ihrer Bedeutung durchaus anerkannt werden. Die Handlungs- und Beteiligungsfähigkeit der Klient*innen zu erreichen, kann als wichtiger pädagogischer Maßstab verstanden werden. Allerdings birgt die Einrichtung von Jugendparlamenten die Gefahr, dass diejenigen Jugendlichen, die sich möglicherweise mit guten Gründen diesen Parlamenten verweigern, noch stärker ausgegrenzt werden als vorher. Daraus ergibt sich, dass Pädagog*innen die Pflicht haben, auch solche Anregungen aufzunehmen und den Jugendlichen eine Sprache zu geben, die sich nicht in politisierten Gremien ausdrücken wollen und können. 42 Sturzenhecker/Warsewa, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 71.
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Einwände gegen eine verstärkte Beteiligung Beteiligung ist ein wichtiges pädagogisches Prinzip. Erziehung ist letztlich nur dialogisch und in Wechselwirkung zu denken, aber der Grund, warum die Subdisziplinen nicht eine Beteiligung in all ihren Feldern und Institutionen erarbeiten, wird nicht verständlich. Angemessene Beteiligungsformen lassen sich nur experimentell entdecken. Wo die Grenzen sind und sich als Überbeteiligung darstellen, ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich. Es bedarf hoher Sensibilität für die Stimmung bei den Heranwachsenden und anderen Klient*innen, um die Möglichkeiten der Beteiligung an Entscheidungen zu erkennen. Die Pädagog*innen vor Ort können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die angemessene Form zu entdecken; sie können eine höhere Beteiligung im Rahmen ihrer jeweiligen Institutionen erproben und die Grenzen erfahren. Neue Erkenntnisse über Beteiligung werden dann verhindert, wenn die Beteiligungsverweigerung moralisch bewertet wird. Wer sich der Beteiligung widersetzt und die Erwachsenen ebenso wie die gewählten Politiker*innen auf ihre Verantwortung hinweist, kann dafür gute Gründe beanspruchen. Beteiligung und direkte Demokratie werden in der Regel als anstrebenswertes Ziel dargestellt, ohne aber die Grenzen der Mitwirkung zu benennen. Alle Teilhaber*innen an einer demokratischen Debatte haben wohl individuelle und nicht unbedingt mit dem Konsens vereinbare Interessen. Beispiele findet man nicht so leicht, wo die Versuche stärkerer Beteiligung mehr Fronten erzeugt haben, als Lösungen hervorgebracht. Die Kommune kann als Labor für größere Gemeinwesen zu verstanden werden, in dem neue Wechselverhältnisse von Bildung und Demokratie entdeckt werden. Überbeteiligung kann sich darin ausdrücken, dass eine Zerstrittenheit bei den Bürger*innen hervorgerufen wird und den gewählten Vertreter*innen vorgeworfen wird, notwendige Entscheidungen nach unten abzugeben. Es kann sich aber auch darin ausdrücken, dass die Rechte der nachwachsenden Generation, keine Entscheidung treffen zu wollen, nicht gesehen werden. Bil-
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dung kann in diesem Zusammenhang vielleicht als Erhöhung der Beteiligungskompetenz verstanden werden. Der Überblick von Wolfgang Mack zeigt auf, dass Beteiligung ein wichtiger Motor gewesen sein soll.43 Insbesondere das zunehmende pädagogische Interesse der Eltern scheint dabei von Bedeutung zu sein. Nun muss zwischen der Beteiligung bei der Schulentwicklung und Schulstrukturdebatte bzw. der Schulform oder bei Schulschließungen einerseits und der Beteiligung der Schüler*innen oder Heranwachsenden andererseits unterschieden werden. Des Weiteren wird dies oft mit einer zunehmenden Serviceorientierung, die es in der Bildung umzusetzen gelte, gleichgesetzt. Die Vermischung aller drei Ansprüche ist aus pädagogischer Sicht fatal. Die Beteiligung der Eltern ist eine Frage der Kommunalpolitik und kann in die Sorte Bürgerbeteiligung einsortiert werden. Auch wenn es pädagogische Gründe für die Beteiligung der Eltern geben mag, ist davon bisher nicht die Rede. Dies ließe sich auch aus pädagogischen Gründen betrachten; da es aber in erster Linie um Schulstrukturentscheidungen und weniger um eine elternbeteiligte Schulpädagogik geht, soll dieser Aspekt vernachlässigt werden. Die Serviceorientierung, die den Schulämtern empfohlen wird, lässt sich mit einer pädagogischen Diskussion auch nur schwer in Einklang bringen. Pädagogik und Bildung kann nur sehr begrenzt als Serviceleistung verstanden werden. Diese Diskussion wurde in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts geführt und muss hier auch nicht noch mal aufgenommen werden. Nun stellt sich aus pädagogischer Sicht die Beteiligung der Schüler*innen als ein Thema ein, das der näheren Betrachtung lohnt. 43 Mack, in: Bleckmann: Bildungslandschaften in Bleckmann – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 88ff.
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Inwiefern können sich Schüler*innen in Bildungslandschaften einbringen und beteiligen? Wie kann die Schule besser in die Gesellschaft integriert werden? Wie werden die Ergebnisse der Beteiligung bundesweit und bei der Evaluation der Bildungslandschaften kommuniziert? Wer wird über die Bedeutung in Kenntnis gesetzt und wie wird es umgesetzt? Ist es überhaupt lohnenswert, eigene Organisationsstrukturen, Gremien und neuen Verwaltungseinheiten für die kommunalen Bildungslandschaften zu eröffnen? Werden die bestehenden Bereichspädagogiken sinnvoll entlastet und treffen sich bereichsüberwindend zur Beantwortung von Fragen, die innerhalb der Bereiche nicht beantwortet werden können oder sollten? Oder werden sie in einer Form von Fragen der Beteiligung entlastet, die es ihnen erleichtert, in ihrem Feld und ihrer Alltagsarbeit diese Fragen erst gar nicht aufkommen zu lassen und zu delegieren? Sollen »alle« im Bereich der Bildungslandschaften mitreden und ist dies im Zweifel wirklich der Fall? Wer entscheidet nach welchen Kriterien, wenn sich nicht alle einig werden? Handelt es sich bei letzterem nicht eigentlich um eine Machtfrage? Sollen Leitungskräfte wie Schulleiter*innen Entscheidungen treffen oder Lehrer*innen in Gremien?
3 Neue Strukturen und Instrumente
Bei der Einführung der Bildungslandschaften wurde nicht nur eine neue pädagogische Praxis etabliert, die sich vor allem durch Aktivitäten im Bereich der Vernetzung, der Kooperation, der Gestaltung der Übergänge und dem Lebensgleitenden Lernen ausgedrückt hat (Kap. 1), sondern auch eine neue Sicht auf den Aspekt der Regionalität unter bildungspraktischen Gesichtspunkten eingenommen (Kap. 2). Mit der Einführung der Bildungslandschaften wurden außerdem auch neue Strukturen geschaffen. Diese sollen im folgenden Kapitel besprochen und daraufhin untersucht werden, ob sie leistungsfähig sind und sich in die Systematik einer Pädagogik der Bildungslandschaften einordnen lassen. Momentan ist eine solche Systematik für die Bildungslandschaften noch nicht vorhanden. Unter dem Oberbegriff »Neue Strukturen« sollen hier einerseits neue Gremien und Steuerungsgruppen oder auch Lenkungsgruppen (Lenkungsgremien) angesprochen werden; gleichzeitig geht es aber auch um neue Bildungsbüros, Bildungskonferenzen oder auch Bildungskreise. Da solche Institutionen bisher wenig etabliert sind und Rahmenbedingungen, Gremien sowie Instrumente erst geschaffen werden müssen, stehen die Kommunen vor neuen und großen Herausforderungen. Es stellt sich vor allem die Frage, ob der Aufwand, der mit der Institutionalisierung und Systematisierung der Bildungslandschaften verbunden ist, wirklich einen Mehrwert bringt bzw. ob damit den Erwartungen der Kommunen entsprochen werden kann. Denn bisher werden Gremien und Bildungsbüros als neue Strukturen kommunal sehr unterschiedlich eingesetzt. Wie lässt sich weiterge-
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hend ein Mehrwert systematisch so einordnen, dass die Bemühungen nicht nur kurzfristig von Nutzen sind, sondern auch mittel- und/oder langfristig?
Gremien Mit Gremien sind in dieser Studie Entscheidungs- oder Beratungsinstanzen gemeint, die sich mit dem Thema Bildung in der Kommune beschäftigen. Die Namen, Zusammensetzungen und Aufgabenbereiche dieser Gremien unterscheiden sich dabei teils erheblich. So werden beispielsweise Namen wie »Steuerungsrunde für Bildung«, »Lenkungsgruppe«, »Bildungsgruppe« oder auch »Bildungskreis« verwendet. Teilweise sind Gremien nur für Schulen oder die Erwachsenenbildung zuständig, teilweise sogar für alle Bildungsinstitutionen, die von einer Kommune oder einem Kreis verantwortet werden. Ferner werden die Gremien in einigen Kommunen von Vertreter*innen aller genannten Institutionen besetzt, aber auch von Wirtschaftsvertreter*innen oder von Angehörigen der Verwaltung, der Politik und wichtigen Persönlichkeiten der Öffentlichkeit. Der Aufbau der Gremien wurde vor allem von dem Bundesprogramm »Lernen vor Ort« angeregt und war wichtige Voraussetzung, um Bundesgelder zu erlangen. Im weiteren Sinne lassen sich unter dem Begriff Gremium aber auch die (neu entstandenen) Bildungskonferenzen begreifen. Diese Bildungskonferenzen gibt es in bunter Ausführung in vielen Kommunen. Zu beachten ist, dass momentan noch keine systematische Darstellung der Aufgaben, Grenzen und Verantwortlichkeiten der Gremien erfolgt ist. Vielmehr wird ohne erkennbare Struktur innerhalb aller möglichen Themengebiete experimentiert.
Bildungsbüros Neben den Gremien lassen sich auch neue Verwaltungsstrukturen erkennen. Diese gibt es vor allem in Form von Bildungsbüros, die in der Regel in Kreisverwaltungen eingerichtet werden – aber auch in unteren
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Kommunalverwaltungen zu finden sind. Die Aufgaben, Zuständigkeiten und Zusammensetzungen variieren ebenfalls erheblich. Zunächst waren Bildungsbüros vor allem in Nordrhein-Westfalen ansässig, mittlerweile gibt es sie aber in fast allen Bundesländern. Eine Systematisierung und Auflistung der Aufgaben ist nur in Ansätzen zu entdecken, wobei eine Untersuchung mit systematischem, theoretischem sowie empirischem Anspruch bisher nur in Nordrhein-Westfalen existiert. Instrumente zur Dokumentation, Überprüfung und Hinterfragung der Arbeit der Bildungsbüros sind z.B. Bildungsberichte des Bildungsmonitorings der Kommune, die ihrerseits wiederum nach Art und Umfang variieren.
Ideen zur Systematisierung Heinz-Jürgen Stolz fasst das Phänomen von Vielseitigkeit einerseits und Übersichtlichkeit andererseits folgendermaßen zusammen: »Lokale Bildungslandschaften präsentieren sich […] derzeit noch nicht als integriertes Element eines nachhaltig neueren Bildungssystems in Deutschland. Bislang erscheint dem wissenschaftlichen Beobachter […] jede Bildungslandschaft als Unikat, welches pragmatisch auf konkrete lokale Problemstellungen bezogen ist.«1 Wer sich einen Überblick verschaffen will, benötigt für die Gremien und Strukturen neue Ordnungskategorien. Offensichtlich spielt das Argument der Kohärenz der Bildung in der Region eine Rolle. Explizit lässt sich das aber nicht so oft finden; es mangelt an einer Systematik. Dabei wäre gerade das wichtige Prinzip der notwendigen Experimente in diesem Feld für eine Berechtigung und Einordnung notwendig. Eine Systematik könnte die Berechtigung der vielen unterschiedlichen Gremien, Strukturen und Instrumente zumindest auf den Weg bringen und den Eindruck des »Zufälligen« oder des »Wildwuchses von Neuerungen« stellenweise reduzieren. 1 Stolz, in: Bleckmann: Bildungslandschaften in Bleckmann – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 29.
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Becker und Lohre sehen die Notwendigkeit der neuen Strukturen und Instrumente vor allem in der neuen Steuerung von Bildungslandschaften. Unter der Überschrift »Eine Bildungslandschaft braucht Steuerungsstrukturen« rechtfertigen sie die Gremien. Auch wenn es nach Ansicht der Autoren regional unterschiedliche Strukturen geben kann, so sollten »komplexe Kooperations- und Steuerungsstrukturen schrittweise aufgebaut werden«2 . »Wenngleich die regional passenden Steuerungsstrukturen sowie die pragmatische Herausbildung eines organisatorischen Kerns den jeweiligen regionalen Gegebenheiten geschuldet sind, so haben sie doch bei vielfältigen Ansätzen in den Städten und Kreisen Regionale/Kommunale Steuergruppen.«3 Die Idee der »Neuen Steuerung« wird von Radtke/Stosic folgendermaßen verstanden: »Durch dieses Steuerungsinstrument, das in Anlehnung an das internationale New Public Management […] Output, Budgetierung, dezentrale Kontraktmanagement, und vor allem Wettbewerb […] setzt sich ein Prinzip durch, das auf Wettbewerb, und Deregulierung setzt […].«4 Für das Feld des Bildungsmonitoring scheinen sich nach Meinung von Jürgen Oelkers die schlimmsten Befürchtungen schon zu bestätigen: Er entlarvt die »maßlose Rhetorik«, die hinter dem Bildungsmonitoring und den dahinter liegenden »Steuerungsphantasien« liegen, »aber es ist gut, wenn diese Phantasien möglichst häufig auf Realitätskontakt stoßen, denn nur so können sie sich selbst zurückstutzen, wenngleich bei ihnen eine Regel gilt, die auf Freud zurück geht, nämlich die Wiederkehr des Verdrängten. Eine neue solche Phantasie ist ›Bildungsmonitoring‹, also die Beobachtung des Systems mit Zahlen. Doch es ist wiederum nur eine Metapher, bei der man heute schon die Abwehr durch List und Tücke erkennen kann«.5 2 Becker/Lohre, in: Bollweg/Otto: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 290. 3 Stolz, in: Bleckmann: Bildungslandschaften in Bleckmann – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 29. 4 Radtke/Stosic, in: Bollweg/Otto: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 376f. 5 Oelkers, Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim, 2011, S. 2.
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Überzogene Erwartungen und Ansätze, die ohne Anschluss an die Praxis entstehen, machen Bildungsreformen unseriös. Eine Erklärung der Instrumente und Gremien in ihrer Funktion als Steuerungsinstanzen kommunaler Bildung, erteilt Oelkers eine klare Absage: »Auf den Kult des behördlichen Versprechens reagiert die ›Basis‹ auf eigene Weise, nämlich durch Ausbremsen und Schwungverlagerung. Ich könnte auch sagen, die Administration unterschätzt die Akteure vor Ort, die sehr geübt darin sind, sich im Falle von rhetorischen Zumutungen erfolgreich taub zu stellen. Sie können jede Innovation bis zur Unkenntlichkeit anpassen, sodass es naiv wäre, nicht mit einer eigenständigen Basis zu rechnen, die über Echos kommuniziert, sich auf die eigene Erfahrung verlässt und sich am Ende keine andere einreden lässt. Die Kunst ist, die Basis für ein Projekt zu gewinnen und mit fremden Ideen Akzeptanz zu erlangen. Die ›Basis‹ ist mehr als die Schule und das ständige Echo der Schulkritik. Entgegen den Medien: Schulen sind nicht alles. Es gibt nicht nur zahlreiche Institutionen außerschulischer Erziehung und Bildung. Auch lässt sich ›Bildung‹ – was man immer darunter verstehen mag – nicht allein auf institutionelle Angebote festlegen. Aus diesem Grunde ist in den vergangenen Jahren verstärkt vom »informellen Lernen« die Rede. Ich werde dieses Konzept verknüpfen mit der Idee der ›Bildungslandschaften‹, die ebenfalls in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt ist.«6
3.1 Kommunale Bildungskonferenzen und Bildungsbüros Bildungsbüros und Bildungskonferenzen sind wichtige Neuerungen und stehen in direkter Verbindung zu den Bildungslandschaften. Im Folgenden wird daher anhand von Beispielen nach einer Begründung und Legitimation der Bildungsbüros und -konferenzen als Neuerungen gesucht. 6 Oelkers, Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim, 2011, S. 2.
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Bildungsbüros Die Verwaltung von Bildungs- und Erziehungsaufgaben wird in den Kommunen in erster Linie von den Jugend- und Schulämtern geleistet. De facto gibt es eine Trennung zwischen außer- und vorschulischer Erziehung (Jugendamt) und dem innerschulischen Bereich (Schulamt). Mit der Eröffnung von Bildungsbüros wird eine völlig neue Verwaltungseinheit errichtet. Diese Büros fungieren als genuine Stelle zwischen Schule und Jugendamt und bedürfen einer Legitimation. Was können Bildungsbüros erreichen, was nicht auch in einer geteilten, lediglich kooperierenden Art und Weise von Schulämtern und Jugendämtern geleistet werden kann? Das Bildungsbüro als Organisations- und Verwaltungsinstanz musste von Beginn an mit Kritik, stillem Boykott und Widerstand zurechtkommen. Vor allem von Seiten des Jugend- und des Schulamtes wurde sehr klar formuliert, dass sie eine neue Verwaltungsinstanz für überflüssig hielten. Was soll das für einen Nutzen haben, dieses Bildungsbüro – Bildung und Erziehung waren doch gut bei den beiden traditionellen Verwaltungseinheiten aufgehoben? Eine Erweiterung der Aufgaben beider vorhandenen Ämter sei überhaupt kein Problem und könne jederzeit abgesprochen werden. Jugend- und Schulamt hätten sich demnach eher gewünscht, dass sie die neuen Aufgaben übernehmen könnten und damit auch mehr Personal bekommen würden, als das ein neues Amt oder Büro eröffnet würde. Diese Sichtweise ist schwer von der Hand zu weisen, zumal eine klare konzeptionelle Abgrenzung und Bestimmung des Bildungsbüros nicht vorhanden ist. Nach außen könnte es dann so aussehen, dass die Aufgabe in der Veranstaltung von Bildungskonferenzen bestehen und die Erwachsenenbildung im Sinne des »Lebenslangen Lernens« verwaltet würde. Eine echte Begründung, warum die Jugend- oder Schulämter nicht auch die Aufgabe des Bildungsbüros übernehmen können, gibt es nicht. Dabei ist es durchaus möglich, mit beiden Ämtern die übergeordnete Rolle des Bildungsbüros zu besprechen, sodass Übereinstimmungen im Bereich der Vernetzung, Kooperation und dem Übergangsmanage-
3 Neue Strukturen und Instrumente
ment sowie der inhaltlichen Ausgestaltung der Bildungskonferenzen, erreicht werden könnte.
Was sagt die Literatur zu der Frage? Die Suche in der Literatur nach Begründungen für eine neue Verwaltungseinheit, nach einer inhaltlichen und organisatorischen und pädagogischen Begründung für den Aufbau von Bildungsbüros, erbringt nur bedingt Klärung. Für Tibussek und Riedt ergeben sich die Aufgaben des Bildungsbüros aus den jeweiligen kommunalen Anforderungen. Im Elbe-Elster Kreis sieht er folgenden Aufgaben: »Mit der Zunahme an Aktivitäten im Kreis, der Nutzung vielfältiger Förderprogramme des Bundes und des Landes sowie einer zunehmenden Akzeptanz aufseiten der Schule, sich Partnern gegenüber zu öffnen, wurde deutlich, dass es hierfür einer Koordinierung und einer zentralen Anlaufstelle für Schulen, Unternehmen und weiterer regionaler Partner bedarf. Im Jahr 2008 wurde unter dem Dach des Schulverwaltungs- und Sportamtes in der Kreisverwaltung das Bildungsbüro mit einer Personalstelle besetzt. Das Bildungsbüro unterstützt Schulen und Partner bei der Projektfinanzierung, bei der Öffentlichkeitsarbeit, vermittelt Kontakte zwischen Schulen und Unternehmen, entwickelt aber auch eigene Projekte wie Schülerinformationstouren in regionale Betriebe, die wesentlich dazu beitragen, dass Schüler/innen und Lehrkräfte die regionalen Potenziale der Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort kennen lernen. Das Bildungsbüro versteht sich als Dienstleister für die unterschiedlichen Akteure und übernimmt die Funktionen einer Informationsdrehscheibe und der Gesamtkoordination. Die Informationsbündelung und der Überblick über die bestehenden Aktivitäten in der Region im Sinne einer Gesamtschau ermöglichen es dem Bildungsbüro, verbunden mit den entsprechenden Serviceleistungen, die zentralen Bildungsakteure vor Ort zusammen zu führen. Die anspruchsvolle, zeitaufwendige Aufgabe geht über eine reine
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Moderation hinaus, und muss mit ausreichenden und qualifizierten Personalressourcen unterlegt sein.«7 Bei Kehler und Jahn werden die Aufgaben der Büros am Beispiel Dresden folgendermaßen geschildert: »Die Stadt Dresden hat […] ein verbindliches bildungsbereichs- und ämterübergreifendes Handlungskonzept »Dresdner Bildungsbahnen« erarbeitet und setzt dieses konsequent um. »Die inhaltliche Abstimmung und Weiterentwicklung findet im Bildungsbüro bei der Oberbürgermeisterin der Stadt Dresden statt – ein Verfahren, das sich bereits während der dreijährigen Förderungszeit bewährt hat. Beraten und gesteuert wird die Tätigkeit weiterhin durch den Arbeitskreis ›Lernen vor Ort‹ im Kommunalforum für Wirtschaft und Arbeit Dresden, in dem die zentralen Akteure aus Bildung und Verwaltung bedarfsgerecht handeln. Unterstützt wird die Arbeit des Bildungsbüros durch ein kontinuierliches, kommunales Bildungsmonitoring, das sowohl anbieter- als auch nachfragebezogene Daten, Analysen und Studien aufbereitet und Entscheidern aus Politik und Wirtschaft, wie auch Bürgerinnen und Bürgern zugänglich macht. Grundlage ist eine regelmäßige Bildungsberichterstattung, die durch zielgruppenspezifische und thematische Analysen ergänzt wird […] Die Qualität des Bildungsangebots ist deutlich gestiegen. Im Zuge der Entwicklungsarbeit der letzten drei Jahre wurden die verschiedenen Angebote möglichst optimal in sich, untereinander und auf die lokalen Bedarfe abgestimmt, so dass Schnittstellenprobleme minimiert und die Lernenden selbst in den Mittelpunkt gerückt wurden.«8 Die Büros werden mit den Mitteln der Datenerhebung ausgestattet und haben eine Servicefunktion. Inwieweit sie um die Arbeit von Jugendund Schulämtern konkurrieren bzw. ob diese nicht mit den Aufgaben betraut werden könnten, wird von den Autoren nicht behandelt. 7 Tibussek/Riedt, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 145f. 8 Kehler/Jahn, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 170.
3 Neue Strukturen und Instrumente
»Als ein Ergebnis der ersten Bildungskonferenz wurde im Landkreis der Verein zur Förderung von Schule und Wirtschaft gegründet, der unter anderem Projekte am Übergang Schule – Beruf fördern soll und das Ziel verfolgt, die Vernetzung und Weiterentwicklung der regionalen Bildungslandschaft im Landkreis Elbe-Elster voranzutreiben. Mit der Zunahme an Aktivitäten im Kreis, der Nutzung vielfältiger Förderprogramme des Bundes und des Landes sowie einer zunehmenden Akzeptanz auf Seiten der Schule, sich Partnern gegenüber zu öffnen, wurde deutlich, dass es hierfür einer Koordinierung und einer zentralen Anlaufstelle für Schulen, Unternehmen und weiterer regionaler Partner bedarf. Im Jahr 2008 wurde unter dem Dach des Schulverwaltungs- und Sportamtes in der Kreisverwaltung das Bildungsbüro mit einer Personalstelle besetzt. Das Bildungsbüro unterstützt Schulen und Partner bei der Projektfinanzierung, bei der Öffentlichkeitsarbeit, vermittelt Kontakte zwischen Schulen und Unternehmen, entwickelt aber auch eigene Projekte, die Schülerinformationstouren in regionale Betriebe, die wesentlich dazu beitragen, dass SchülerInnen und Lehrkräfte die regionalen Potentiale der Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort kennenlernen. Das Bildungsbüro versteht sich als Dienstleister für die unterschiedlichsten Akteure und übernimmt die Funktionen einer Informationsdrehscheibe und der Gesamtkoordination. Die Informationsbündelung und der Überblick über die bestehenden Aktivitäten in der Region im Sinne einer Gesamtschau ermöglichen es, dem Bildungsbüro, verbunden mit den entsprechenden Serviceleistungen, die zentralen Bildungsakteure vor Ort zusammenzuführen. Diese anspruchsvolle, zeitaufwendige Aufgabe geht über eine reine Moderation hinaus.«9 9 Tibussek/Riedt, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 145f.
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Teil I: Auswertung von Erfahrungen in einem Bildungsbüro
Erste empirische Erhebung10 Zur Arbeit der Bildungsbüros liegt eine Erhebung vor, die sich auf die meisten Kreise und kreisfreien Städte in NRW bezieht. Die darin zum Ausdruck kommenden konzeptionellen Grundgedanken sind als Kontrast zu dem Plan einer Regionalpädagogik von erheblicher Bedeutung. Die Autoren*innen sehen durchaus die Notwendigkeit, dass eine theoretische und konzeptionelle Einordnung der Bildungsbüros erfolgen sollte.11 Der wesentliche Unterschied der Ergebnisse der Autor*innen zu diesem Arbeitsbuch besteht darin, dass sie eine theoretische Ausrichtung der Bildungsbüros als nicht maßgeblich betrachten, sondern sich hauptsächlich mit der tatsächlichen Organisation beschäftigen. Dabei ist das »Konzept der neuen Steuerung«12 eine von großer Bedeutung, ohne aber explizit erwähnt zu werden. Ferner grenzen sich die Autoren sowohl von »Aspekten des Netzwerkmanagements« als auch von »governance-analystischen Ansätzen« ab. Allerdings lässt sich die Leistungs- und Anschlussfähigkeit der Pädagogik der Bildungslandschaften sehr gut durch die Untersuchung aufzeigen. Es sind viele Annahmen und Ansätze zu finden, die der Vorgehensweise der Pädagogik der Bildungslandschaften entsprechen. So werden sowohl die neue Strukturen als auch die Bildungsbüros in den Grundanlagen der Bildungslandschaften eingeordnet und »als zentraler Kontext von Bildungsbüros«13 aufgefasst. Daraus entwickeln die Autoren dann ihr Verständnis von »boundary spanner«: »Das regionale 10 Manitius/Jungermann/Berkemeyer/Bos, Regionale Bildungsbüros als Boundary Spanner. Ergebnisse aus einer Bestandsaufnahme zu den Regionalen Bildungsbüros in NRW, Münster, 2013. 11 Manitius/Jungermann/Berkemeyer/Bos, Regionale Bildungsbüros als Boundary Spanner. Ergebnisse aus einer Bestandsaufnahme zu den Regionalen Bildungsbüros in NRW, 2013, S. 277. 12 Vgl. Radtke/Stosic, in: Bollweg/Otto: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 373f. 13 Vgl. Radtke/Stosic, in: Bollweg/Otto: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 278.
3 Neue Strukturen und Instrumente
Bildungsbüro etabliert sich […] als die zentrale kommunale Stelle, die vor allem die notwendigen Koordinierungsleistungen erbringt […].« Die Autoren verfolgen nicht das Ziel, einen Maßstab für Inhalte und Grenzen der Vernutzung und Kooperation zu entwickeln, sondern gehen konkret auf Arbeitsabläufe ein. Insbesondere sollen vor dem Hintergrund der Pädagogik der Bildungslandschaften die Aufgaben der Fachkräfte in den Bildungsbüros anschlussfähig sein: »Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Boundary-Spanning-Rollen spielen daher eine wichtige Rolle für die Organisation (der Bildungsbüros, R.W.): Durch die Selektion und Übermittlung von Informationen befähigen sie die Organisation, sich an wandelnde Umweltbedingungen anzupassen und Unsicherheiten im Umgang mit der Umwelt zu verringern. Sie leisten einen relevanten Beitrag zur strategischen Entscheidungsfindung innerhalb der Organisation. Außerdem tragen sie neue Konzepte und Anregungen aus der Umwelt in die Organisation hinein und verbessern somit deren Innovationsfähigkeit.«14 Insgesamt werden die Fachkräfte der Bildungsbüros jedoch auf eine höhere Instanz verwiesen, die stärker mit der Entwicklung der Region bzw. der Kommune in Verbindung steht. Diese höhere Instanz könnte z.B. die Bildungskonferenz sein. In ihrem Gesamtbild sind die Ergebnisse der Studie mit der Grundausrichtung der Pädagogik der Bildungslandschaften vereinbar: auch hier wird die besondere Bedeutung der Schnittstellen zwischen Bildungsinstitutionen, politischen Akteuren und Individuen bestätigt.
Bildungskonferenzen Kommunale Bildungskonferenzen nehmen innerhalb der kommunalen Bildungslandschaften eine wichtige Stellung ein. Gerade auch im Rahmen des Projekts »Lernen vor Ort« ein. 14 Vgl. Radtke/Stosic, in: Bollweg/Otto: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 279.
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Teil I: Auswertung von Erfahrungen in einem Bildungsbüro
Inhaltlich, konzeptionell und systematisch gesehen, stellen die Bildungskonferenzen ein Phänomen dar: Es ist noch völlig offen, was auf den Konferenzen verhandelt wird, welche Bedeutung den Themen zukommt, welche Entscheidungsmöglichkeiten gegeben sind und wer an den Konferenzen teilnehmen sollte. Bei aller Schwäche dieser Offenheit, ermöglicht diese Freiheit einen großen Spielraum im Gremium, um die Themen zu diskutieren, die in diesem Moment für die Menschen vor Ort von Bedeutung sind. Bei Manitius werden Bildungskonferenzen als »Vollversammlung aller bildungspolitischen Akteure vor Ort«15 bezeichnet (wobei offen bleibt, wer zu diesem Kreis gehört). Für die Einordnung, die Benennung von Zielen und die Begrenzung der Möglichkeiten und Zuständigkeiten benötigen Konferenzen vor allem Auswertungen praktischer Beispiele. Tibussek zeigt ein solches Beispiel im Landkreis Elbe-Elster: »Hier wurde der Fokus zunächst auf den Übergang Schule-Beruf gelegt. Diese Schwerpunktsetzung hat ihren Grund in den Herausforderungen des demographischen Wandels bzw. einem starken Abwanderungsprozess von überwiegend gut ausgebildeten jungen Menschen in dieser Region. Seit 2005 werden im Kreis zu diesem Thema jährliche Bildungkonferenzen ausgerichtet, die eine zunehmende Resonanz erfahren. Hier wurden gute Modelle der Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft, Maßnahmen der Berufsorientierung, insbesondere der Schulen, oder auch die Arbeit mit dem Berufswahlpass vorgestellt und diskutiert. Als ein Ergebnis der ersten Bildungskonferenz wurde im Landkreis der ›Verein zur Förderung der Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft‹ gegründet, der unter anderem Projekte am Übergang Schule – Beruf fördern soll und das Ziel verfolgt, die ›Vernetzung und Weiterentwicklung der Regionalen Bildungslandschaft im Landkreis Elbe-Elster‹ voranzutreiben.«16 15 Manitius/Jungermann/Berkemeyer/Bos, Regionale Bildungsbüros als Boundary Spanner. Ergebnisse aus einer Bestandsaufnahme zu den Regionalen Bildungsbüros in NRW, 2013, S. 276. 16 Tibussek/Riedt, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 145.
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Obwohl es bisher kaum Darstellung zu Bildungskonferenzen gab, bieten sie insbesondere im Verhältnis von Bildung und Öffentlichkeit enorme Chancen, alle Menschen in Bildungspolitik und -wissenschaft mit einzubeziehen. Die Handreichung17 zeigt einige der Möglichkeiten auf: »Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, welche nur gelingen kann, wenn die Bildungs-institutionen und öffentlichen Entscheidungsträger auch auf kommunaler Ebene eng zusammenwirken und Bürger/innen als Mitgestaltende einbeziehen. Doch wie ist es möglich, alle Akteure zusammen zu holen und in der Kommune neue Impulse für die lokale Bildungslandschaft anzuregen? Ein spannendes Instrument für einen solchen Austausch ist eine Bildungskonferenz. Um das kommunale Bildungsmanagement mit konkreten Maßnahmen zu füllen, bedarf es einer breiten Verantwortungsgemeinschaft, also Menschen, die es im Vorfeld zu pflegen und mitzunehmen gilt. Dieser Aufgabe stellt sich die Bildungskonferenz. Die Bildungskonferenz bringt Verwaltung, Bildungseinrichtungen und weitere Akteure unabhängig von internen Gremien in Kontakt miteinander. Bildungskonferenzen ermöglichen den Akteuren, sich über die Bildungssituation in der Kommune zu informieren. Je nach Zielsetzung der Bildungskonferenz bleibt es jedoch nicht beim Bekanntmachen. Viele Bildungskonferenzen setzen sich das Ziel, Ideen der Akteure aufzunehmen und in das kommunale Bildungsmanagement zu implementieren. Die Partizipation der Akteure ist bei Bildungskonferenzen ein wesentliches Kennzeichen. Das Anhören und das Einbinden der Bildungsakteure schaffen ein lebendiges Bildungsmanagement. Lebenslanges Lernen wird so zum roten Faden der Bildungspolitik in einer Kommune und schafft Identität für die Region.« Diese Handreichung ist insofern in vielerlei Hinsicht von Bedeutung: Man findet von Ministerien (egal ob auf Landes- oder Bundesebene) im Bildungs- und Erziehungsbereich selten ein so offenes und gleichzeitig klares Papier als Handlungsorientierung, das mit Beispielen ver17 BMBF, Bildungskonferenzen erfolgreich durchführen, S. 2
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Teil I: Auswertung von Erfahrungen in einem Bildungsbüro
sehen ist, obwohl für sämtliche Felder, Strukturen und Instrumente der Bildungslandschaften ähnliche Handreichungen von Nöten wären. Die Darstellung ist gut geeignet, sich ein erstes Bild von der Möglichkeit der Konferenzen zu machen. Es ist konkret genug einerseits und offen genug anderseits, um bei der Planung und Durchführung eine gute Vorlage zu haben. Das ist auch deshalb erwähnenswert, weil es der Anlage dieses Buches sehr ähnlich ist und als eine Arbeitsvorlage verstanden werden will.18 Ferner ist nennenswert, wie die Anlage der Handreichung im Verhältnis zu anderen Ausrichtungen der Bildungslandschaften bzw. den Verkündungen der Transferagenturen steht. Hier besteht viel Abstimmungsbedarf: So wird das Bildungsmonitoring in der Handreichung gar nicht mehr erwähnt. Dieses wichtige Instrument wäre allerdings in der Lage, die Bildungskonferenzen mit Daten zur Realität der Bildung in einer Kommune zu versorgen. Die Abstimmung von öffentlichen Diskussionen zu den Fakten in einer Kommune machen doch eigentlich den neuen Ansatz der Bildungslandschaften – zumindest aus Sicht des Ministeriums – aus und wären gerade damit in einen Zusammenhang zu stellen. Vergleichbares gilt auch für das Bildungsmanagement: Wie steht das vom Ministerium so hoch angesiedelte Management in einem Zusammenhang mit der Bildungskonferenz und den Bildungsbüros? Hier wünscht man sich zumindest einige Anmerkungen oder Hinweise. In erster Linie ist die Bildungskonferenz eine wichtige Zusammenkunft fachlicher Vertreter*innen von Bildungseinrichtungen, die dort in den Dialog mit der Öffentlichkeit treten. Über die Darstellung in der Handreichung hinaus, ist die Idee, durch die Konferenzen eine kommunale Kohärenz zu schaffen, von zentraler Bedeutung – insbesondere. für die gegenseitige Aufklärung von Fachkräften, Eltern und der breiten Öffentlichkeit. 18 BMBF, Bildungskonferenzen erfolgreich durchführen, S. 2.
3 Neue Strukturen und Instrumente
3.2 Schematische Darstellung der neuen Strukturen und die Leistungsfähigkeit der Pädagogik der Bildungslandschaften Auch wenn die theoretische, systematische und historische Einordnung der neuen Strukturen in den Bildungslandschaften noch weitgehend aussteht, existiert bereits ein Konzept von J. F. Herbart, in dem Aufgaben und Ziele von Transferagenturen analysiert werden. Es ist zu beachten, dass sich Institutionen wie Schule, Jugendamt oder Kita rein pädagogisch rechtfertigen lassen. Ihre Entstehung verdankt sich einer Vielzahl von Interessen und ganz unterschiedlichen Erwägungen. Auch bei der Gründung von Bildungsbüros und -konferenzen ist also davon auszugehen, dass nicht nur pädagogische, sondern eine Vielzahl anderer Aspekte kommunaler Natur eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Vieles spricht dafür, dass das erste Projekt »Lernende Region« sowie empirische Erkenntnisse, pragmatische Überlegung und vor allem eine durchaus beachtliche Experimentierbereitschaft tatsächlich von großer Bedeutung waren. Ob und wie die möglichen Spannungen der neuen Strukturen mit bestehenden berücksichtigt wurden, wäre für historische Forschung von großem Interesse. Eine systematische und historisch aufgeklärte Praxiswissenschaft müsste sich auch mit dem Zusammenhang der neuen Instrumente und Gremien in den Bildungswissenschaften beschäftigen. Wie lassen sich die neuen Bildungsbüros und die vielfältigen Steuerungsgruppen für Bildung in den Kommunen mit den Aufgaben der Bildungslandschaften erklären? Welche Aufgabe käme dabei dann auch den Bildungsberichten und dem Bildungsmonitoring zu? Und schließlich die Bedeutung der Bildungskonferenzen: Was macht sie so wertvoll und wichtig? Erste Antworten erhalten wir gerade vom Ministerium und der Auswertung der neuen Transferagenturen. Für die Einbeziehung der neuen Strukturen, Gremien und Instrumente wären Vorarbeiten und systematische Klärungen von Bedeutung. Dabei müsste wahrscheinlich grundsätzlich eine Unterscheidung zwischen pädagogischer und politischer (vielleicht auch
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Teil I: Auswertung von Erfahrungen in einem Bildungsbüro
ökonomischer) Steuerung vorgenommen werden. Eine Kommune, die sich im Wettbewerb mit anderen Kommunen befindet, betreibt eine andere Ausrichtung der Bildungsinstitutionen als eine, die der Pädagogik ihre Eigengültigkeit zuspricht und die pädagogische Praxisdynamik respektiert. Die Trennung von pädagogischer und politischer Steuerung würde einiges zum Selbstverständnis der Lenkungskreise und Steuerungsgremien beitragen und vor allem Einfluss auf deren Zusammensetzung haben. Für die Klärung der neuen Strukturen in den Bildungslandschaften wäre ebenso relevant, deren Selbstverständnis zwischen Politik und Pädagogik zu bestimmen. Das gälte vor allem für die Bildungsbüros und Bildungskonferenzen. Dem Bildungsmonitoring und dessen Instrument – die Bildungsberichte – würden bei einer konzeptionellen Rahmung zwischen Politik und Pädagogik klarere Aufgaben zugeschrieben werden. Daten können nur so wertvoll sein, wie ihre Erhebung in einen sinnvollen Beitrag für die Kommune münden kann. Alles andere verstärkt kommunale Konkurrenz, die wiederum kommunale Bildungsverlierer erzeugt. Interkommunale Zusammenarbeit kann nicht auf der Basis von Monitoring vereinbart werden, sondern auf der Basis von pädagogischen und politischen Zielen. Wie könnten eine Bestimmung und konzeptionelle Ausrichtung der neuen Strukturen aus Sicht der Pädagogik der Bildungslandschaften aussehen? Hierzu ein Beispiel für eine pädagogische Steuerung der Strukturen, Gremien und Instrumente: •
Das Bildungsbüro wäre nicht in erster Linie ein Verwaltungsorgan, das als Instrument politischer Steuerung von Bildungseinrichtungen oder als Instrument zur Vernetzung dient. Es wäre eine Verwaltungseinheit, die sich in der Spannung von weiterer Ausdifferenzierung und Kohärenz um eine Entwicklung der pädagogischen Praxis in der Region bemühen würde. Was heißt das? o Die Vernetzung, Kooperation etc. würde so organisiert, dass die pädagogische Fachlichkeit eine zentrale Rolle spielen würde und konkrete Beispiele für gute und weniger gute Formen ge-
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sucht würden. Die möglichen Fragen dazu werden unten dargestellt. o Die Entwicklung der pädagogischen Praxis könnte auch Schulentwicklung und andere Einrichtungen betreffen (entsprechend der Absprachen zu Profilen etc.). Gremien würden daran mitarbeiten und ihre Ideen einbringen. Dabei könnten sie die unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen repräsentieren. Die Bildungskonferenz wäre der Ort der Abstimmung mit einer interessierten Öffentlichkeit Das Monitoring (inklusive Instrumente) könnte hier mitwirken.
Das alles muss sich gar nicht als Konkurrenz zu einer politischen Steuerung (s. Böttcher in Literatur) verstehen, sondern kann als mögliche und denkbare Ergänzung gedacht werden. •
Die Innovation kann viele denkbare Wege für die Politik als Entscheidung zur Verfügung stellen. Sie kann sich als Angebot verstehen, die aber auf die Berücksichtigung von unterschiedlichen Praxisfeldern und Interessengruppen achtet. Eine einseitig ökonomische Ausrichtung würde sie dabei vermeiden. o Die Interessen und Sinnangebote von Geschichte, Kultur und Zukunft der Region. o Die Sinnangebote von Religionen und ästhetischen Betätigungen, Kunst, Musik etc. o Die Sinnangebote von Sport und Gesundheit o Die Sinnangebote von Arbeit und Betätigung innerhalb aber auch außerhalb der Arbeit
Einiges hat sich durch die Darstellung der Transferagentur zu den Aufgaben und Abläufen der Bildungskonferenzen entwickelt. Aber auch bei aller Klarheit der Möglichkeiten, Ziele und Vorgehensweisen, ist eine nähere Bestimmung der neuen Strukturen und Gremien nicht zwangsläufig mit den Eigenheiten der Bildungslandschaften in Einklang zu bringen. Das Schaubild soll ein erster Versuch sein, die neuen Struktu-
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Teil I: Auswertung von Erfahrungen in einem Bildungsbüro
ren in dem Zusammenhang mit den Ergebnissen dieses Arbeitsbuches darzustellen.
Grafik 1. Schaubild »Anregungen für Strukturen, Gremien und Instrumente«
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Die Strukturen bewegen sich zwischen Pädagogik und Politik bzw. zwischen der Bestimmung der pädagogischen Praxis in Institutionen in der Spannung zwischen Kohärenz und Ausdifferenzierung einerseits und der politischen Praxis als Suche nach einem vielfältigen Porträt der Region und Kommune andererseits. Die Bildungskonferenz ist ein Ort des Austausches, der sowohl von der regionalen Öffentlichkeit, der Politik und den pädagogischen Institutionen beeinflusst wird. Das Bildungsbüro hat operationale Aufgaben und setzt Vorschläge der Lenkungsgremien (Steuerkreise) um und bedient sich dazu dem
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Bildungsmonitoring. Hervorzuheben ist hierbei die Steuerung der empirischen Aufgaben innerhalb eines ausgegebenen theoretischen sowie pädagogischen und politischen Spektrums. Auch wenn nicht alle Bereiche in direktem und permanentem Austausch miteinander stehen, befinden sie sich dennoch (oftmals) in Kontakt zueinander: So wird bspw. auch ein Bildungsbüro oder eine pädagogische Institution von politischen Entscheidungen betroffen sein oder die regionale Öffentlichkeit reagiert auf Diskurse, die aus den erhobenen Daten hervorgehen.
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Teil II: Zur Entwicklung einer Pädagogik der Bildungslandschaften
Zielsetzung Dieser Teil des Buches widmet sich den Hintergründen der Praxisstudie. Dabei soll das Vorgehen bei der Erstellung der Studie ausführlicher erklärt werden. Ferner sollen einige Aspekte der Bildungslandschaften in den Blick genommen werden, die den Ansatz der bereichsverbindenden Regionalpädagogik untermauern könnten. Es handelt sich dabei um weitere Bruchstücke für eine Theorie der Bildungslandschaften bzw. um Aspekte, die bei einer solchen Theorie beachtet werden sollten. Denn in der Diskussion zu den jeweiligen Theoriestücken sind teilweise Einseitigkeiten oder Problemverkürzungen zu beobachten. Aufgrund der Tatsache, dass diese Diskussion noch jung ist, muss dies grundsätzlich nicht verwundern, dennoch sollte Unterkomplexität vermieden werden. Mein Ziel ist es daher im Folgenden Methoden aufzuweisen, um eine solche Unterkomplexität zu vermeiden. Im vierten Kapitel soll anhand von drei Beispielen gezeigt werden, wie wichtig es ist, Subdisziplinen der Pädagogik zu differenzieren und in Verhältnis zueinander zu setzen. Außerdem wird ein Augenmerk auf die Geschichte gesetzt werden und so herausgearbeitet, dass die Wurzeln der Bildungslandschaften in kommunalpolitischen Initiativen liegen. Es gibt Hinweise, dass es schon von pädagogischer Seite Überlegungen gegeben hat, auf eine regionale Lösung von Schwierigkeiten in der Erziehung und Bildung zu verweisen. Die Idee der Bildungslandschaften, ohne dass sie explizit so genannt wurde, ist wahrscheinlich so alt wie die neuzeitliche Pädagogik selbst. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass eine Konzentration der Fachdiskussion auf den Aspekt der schulischen Bildung nicht immer vorhanden war. Ein immer wieder vorgebrachtes Argument in der Debatte besagt, dass durch die Bildungslandschaften ein informelles und informales Bildungsverständnis offengelegt wird. Bildung auf Schule zu reduzieren sei überaltert. Dabei wird wahrscheinlich mit guten Gründen übersehen, dass in der allgemeinpädagogischen Diskussion
und vor allem in der klassischen Bildungstheorie Bildung immer auch als allgemeine Menschenbildung verstanden wurde. Problematisch ist jedoch, dass Bildung als überschulisches und allgemeines Merkmal von individueller Entwicklung verstanden wird, dass immer über rein schulische Aspekte hinauszugehen hat. Dadurch besteht die Gefahr der begrifflichen wie theoretischen Vermischung von sozialpädagogischer und schulpädagogischer Bildung und letztlich auch eine große Ungenauigkeit des Bildungsbegriffs.
4 Reformverlauf
4.1 Konkrete Anregungen einer Pädagogik der Bildungslandschaften Wie könnte eine Pädagogik der Bildungslandschaften aussehen und welche andere Sichtweise könnte sich über sie eröffnen? Die Antwort dieser Frage soll mit Vorbehalt gegeben werden. Zum einen versteht sich, dass eine Praxisreflexion nicht die Wissenschaft ersetzten kann. Nur die wissenschaftliche Auseinandersetzung im Sinne einer entwicklungsorientieren Bildungsforschung kann systematisch gesicherte und empirisch überprüfte Aussagen zur Pädagogik der Bildungslandschaften machen. Gleichwohl sollen hier einige Ergebnisse der Praxisreflexion auf ihre Auswirkungen auf die Gestaltung der Bildungslandschaften überprüft werden: Der Gedankengang der Studie besagt, dass die Spannung der Kohärenz und notwendigen Ausdifferenzierung der pädagogischen Arbeitsfelder das Zentralthema der Bildungslandschaften aus pädagogischer Sicht darstellt. Eine Region oder Kommune wird unter diesem Anspruch nicht in erster Linie der Ökonomie zuarbeiten, sondern nach einem Porträt der Landschaft suchen, dass die Geschichte der Region ebenso im Blick hat wie die kulturellen Aspekte. Das Porträt einer Bildungslandschaft zeichnet sich somit durch Vielfältigkeit aus, die jeweils unterschiedlich gestaltet werden sollte. Die Instrumente und Strukturen der Bildungslandschaften orientieren sich an diesen Grundgedanken.
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Teil II: Zur Entwicklung einer Pädagogik der Bildungslandschaften
Eine solche Sichtweise würde keine völlig neuen Aspekte zutage fördern. Aber die Akzente einer pädagogisch ausgerichteten Bildungslandschaft würden etwas andere Aspekte in den Vordergrund rücken. Es bietet sich an, die Bildungslandschaften als Reaktion auf die Ausdifferenzierung der pädagogischen Praxis zu verstehen. Die Spezialisierung in viele Unterdisziplinen und Einzelfelder steht vor der Gefahr, Menschen in Bildungsprozessen zu Maßnahmen der Teilleistungsförderung zu machen. Nicht die Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit des Heranwachsenden steht im Fokus der pädagogischen Arbeit, sondern die gesellschaftlich erwarteten Teilkompetenzen. Wenn nicht die Handlungsfähigkeit des Individuums in den Mittelpunkt gerückt wird, dann bleibt es dabei, dass die Pädagogik nicht als eigenständige Handlungsform respektiert wird, sondern als Instrument für politische oder wirtschaftliche Zwecke. Eine Bildungslandschaft auf der Basis einer Regionalpädagogik würde ihren Fokus auf eine Abstimmung der pädagogischen Arbeitsfelder legen. Dabei würde sie die Eigenständigkeit und die Eigenheiten der jeweiligen Felder und Phasen besonders ins Auge fassen. Im Sinne einer Spannung von Kohärenz und Ausdifferenzierung der Felder würde sie auf der Basis Abstimmung und Anschlussfähigkeit die Vorteile einer relativen Eigenständigkeit mit den Vorteilen einer relativen Kohärenz beachten. Eine Pädagogik der Bildungslandschaft würde sich dem Porträt einer Region verschreiben und die Konkurrenz der Regionen so weit wie möglich in den Hintergrund stellen. Eine solche Bildungslandschaft kann das Augenmerk außerdem darauf richten, wie die Menschen ihre Bildungserfahrungen in der Region reflektieren und dabei die lokale Wirtschaft und den lokalen Arbeitsmarkt einbeziehen. Aber ebenso würde sie die lokale Lebenstradition, die lokale Kunst und Musik, Eigenheiten der Umgangsweisen und der Regeln des Umgangs einbeziehen. Außerdem wird in einer solchen Bildungslandschaft auch Religion und Formen und Stationen der Öffentlichkeit in den Blick genommen. Folgende Fragen würden dabei in den Blick behandelt:
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Was wissen wir von den Lebenstraditionen und wie bekannt sind diese den Bürger*innen? Was wissen wir von wichtigen Situationen, in denen die Menschen zusammengehalten oder auch gestritten haben. Welche historischen Ereignisse (älterer und neuerer Geschichte) sind im kollektiven Bewusstsein, die deutlicher hervorgehoben werden könnten? Wofür hat man sich gemeinsam eingesetzt, welche Merkmale und im weitesten Sinne Denkmäler gibt es in der Vergangenheit und Zukunft, die Streit und Gemeinsamkeit symbolisieren könnten? Was wissen wir von den Formen der Kunst, der Musik, der anderen Merkmale unserer Region?
Die Gremien der Abstimmung von Frühpädagogik mit Schulpädagogik würden unter diesen Titeln tagen. Die Bildungsbüros würden die Koordination dieser Vernetzungsgremien übernehmen. Im Bewusstsein der bedeutenden Handlungsform zwischen Kohärenz und Ausdifferenzierung wäre für die Bildungsbüros hier ein Schwerpunkt. Dieser Schwerpunkt würde auch dazu führen, sich Vernetzungsfelder anzusehen, die bislang noch wenig im Fokus der Bildungslandschaften stehen. Das wäre bspw. die Vernetzung von Familienpädagogik mit anderen pädagogischen Feldern. Wer sich im Sinne einer pädagogisch sinnvollen Entwicklung der Familienpädagogik mit dieser beschäftigt wird in jenem Thema (Vernetzung der Familienpädagogik) viele Gestaltungsmöglichkeiten sehen. Diese sind in Ansätzen durchaus schon vorhanden, aber kaum systematisch und gezielt gestaltet: •
Einbeziehung der Eltern in der Schule, und das in allen Feldern und als wichtige Aufgabe aller Schulen mit ihrem Elternstamm. o Wechselseitig auch von Schule in Familien o Einbeziehung in den Schulalltag o Elternverbünde o Eltern und kollegiale Beratung
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Teil II: Zur Entwicklung einer Pädagogik der Bildungslandschaften
Eine Form zur Beantwortung dieser Frage wären auch wieder die Instrumente und Gremien, das Bildungsbüro und die Bildungskonferenz. Was könnten dabei für Veranstaltungen entstehen? • •
Bildungsmessen im Verhältnis zu den Ausbildungsmessen Kulturmessen und Messen, die den Reichtum und die Vielfältigkeit der jeweiligen Region darstellen und dabei die Menschen ansprechen, sich in einem Bereich zu engagieren. o Diese Veranstaltungen wären Angebotsveranstaltungen, die den Menschen zeigen, welche Angebote sie wahrnehmen können. In diesem Sinne sind die Besucher*innen und Teilnehmer*innen als Rezipienten angesprochen. Dabei wird vor allem auf die Vielfalt und Vielschichtigkeit geachtet, die in allen Regionen ganz unterschiedlich ausgeprägt ist. o Aber die Veranstaltungen sind eben auch Anregungen, sich an der Gestaltung von Vielfalt und den Angeboten zu beteiligen und diese möglicherweise um Aspekte der Kulturlandschaft zu erweitern, die entweder noch nicht vorhanden sind oder, wenn sie vorhanden sind, nicht ausreichend repräsentiert werden.
Zur Kohärenz im engeren Sinne hat Oelkers Vorschläge gemacht, die hier wiedergegeben werden sollen: »Ideen für die vernetzte Entwicklung einer kommunalen Bildungslandschaft gibt es genug. Ich werde abschliessend verschiedene dieser Ideen vorstellen: • • • • • • • •
Fachgebundene, curriculare Verzahnung von schulischen und ausserschulischen Lernerfahrungen. Öffnung der Schule für die Jugendarbeit. Konkurrenz der Lernstudios. Volkshochschule und Jugendarbeit. Integration vor Ort. Demokratische Beteiligung. Nutzung von Chancen der Selbstinstruktion. Neue Kooperationen für die Schnittstellen.
4 Reformverlauf
Ein naheliegendes Beispiel sieht so aus: Kommunal neu organisiert werden könnte die curriculare Verzahnung der Schulen mit den Sportvereinen oder Musikschulen vor Ort. Lernzeit, die im Verein oder in der Musikschule erbracht wird, kann dann in der allgemeinbildenden Schule angerechnet werden, und dies nicht nur, weil auch heute schon die Sportnote davon abhängt, wie viel Trainingseinheiten im Verein absolviert wurden, und die Musiknote davon, wie außerhalb der Schule musiziert worden ist, sondern weil beide Seiten Nutzen davon hätten. Um von meinem Arbeitsbereich zu sprechen: Der Musikunterricht in den Zürcher Volksschulen ist klar unterdotiert. Ein Bildungsziel, dass eigentlich kein Kind die Schule verlassen dürfte, ohne ein Instrument spielen zu können, lässt sich nur in Kooperation mit den örtlichen Musikschulen realisieren, die ohnehin die musikalische Bildung weitgehend tragen. Was also läge näher, als sie am Curriculum der Schule zu beteiligen? Es gibt für die Form der Zusammenarbeit erste Beispiele in Zürcher Gemeinden, in denen Lernleistungen in dem einen Bereich in dem anderen verrechnet werden. Nur so kommt es zu mehr als zu einem unverbindlichen Miteinander. Die offene Jugendarbeit hat ihre Orte außerhalb der Schule, aber nur deswegen, weil die Schule nicht Teil eines gemeinsamen Lern- und Bildungsraumes ist, sondern als didaktisch autonome Größe verstanden wird. Das Umfeld ist für sie ein Zulieferbetrieb, der auch nicht wahrgenommen zu werden braucht. Vielleicht würden ja Lehrkräfte stören, wenn sie plötzlich in der offenen Jugendarbeit auftauchen, aber an beiden Orten darf nicht gegeneinander gearbeitet werden oder anders gesagt, die Jugendarbeit ist nicht dazu da, zu kompensieren, was die Schule anrichtet. Vielmehr muss sich die Schule in den kommunalen Raum öffnen und vernetzen, also wahrnehmen und für sich verwerten, was in der Jugendarbeit geleistet wird, auch wenn der Preis Unordnung ist. In vielen Kommunen bestehen kommerzielle Lernstudios, die von sich sagen, sie würden nicht etwa ›Nachhilfeunterricht‹ erteilen, sondern ›Vorhilfeunterricht‹. Die Investitionen der Eltern sind erheblich. Aber wieso können nicht ältere Schüler die Förderarbeit der Lernstudios übernehmen? Die Gemeinden oder Landkreise müssten nur einen
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Teil II: Zur Entwicklung einer Pädagogik der Bildungslandschaften
kommunalen Pool bilden, einen Service bereitstellen und gegen ein vergleichsweise geringes Entgelt die Leistungen bezahlen. Das wäre eine etwas ungewöhnliche Jugendarbeit, die früher Gang und Gebe war und eine sinnvolle Aufbesserung des Taschengeldes der Jugendlichen darstellte. Warum sollen nur Lehrkräfte, die im Nebenamt für Lernstudios arbeiten, an diesem Geschäft verdienen können? Um nicht ›schullastig‹ zu werden: Volkshochschulen organisieren in allen deutschen Städten einen Großteil der Erwachsenenbildung. Sie kooperieren an vielen Orten schon heute mit Theatern, Museen oder Konzerthäusern etwa im Bereich der pädagogischen Vorbereitung und didaktischen Betreuung von Aufführungen oder Ausstellungen. An anderen Orten organisieren die Volkshochschulen sogar die Seniorenuniversitäten. Wenig verbreitet sind dagegen Kooperationen mit der Jugendarbeit, obwohl – oder weil – Jugendliche für die Volkshochschulen die schwierigste Zielgruppe darstellen. Aber genau das spricht für neue Formen der Kooperation, und zwar über die Erlebnispädagogik hinaus mit kommunalen Aufträgen und Anliegen. Wenn man Kommunen als Bildungsräume versteht, lassen sich auch neue Konzepte der Integration von Kindern und Jugendlichen vorstellen. Warum können zum Beispiel fremdsprachige Schülerinnen und Schüler Deutsch nicht auch temporär in Gastfamilien lernen, die dafür kommunale Unterstützung erhalten? Auch Vereine sind gute Instanzen der Integration, die nicht einfach nur als Aufgabe der Schule verstanden werden darf. Stadtbibliotheken etwa wären gute Anlaufstellen, wenn dort ein ehrenamtlicher Service ›Deutsch am Nachmittag‹ bereitstünde, in dem nicht Unterricht erteilt, sondern Deutsch als Kommunikation angeboten wird. Schließlich könnte man auch Senioren als Sprachlernpartner einsetzen. Demokratien lernt man nicht einmal für immer. Versteht man Demokratie als Lebensform, dann hängt die Akzeptanz sehr stark davon ab, welche Formen der Mitsprache und Partizipation vor Ort gegeben sind. Was ›Stuttgart 21‹ genannt wird, ist ein kommunaler Konflikt, der auf demokratische Weise gelöst werden muss, durch die politische Auseinandersetzung, hohe Transparenz und am Schluss einen Mehrheitsentscheid, mit dem die Minderheit leben kann. Wie immer dieser wie-
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derum sehr spezielle Konflikt ausgehen mag, er zeigt, dass Bildungslandschaften auch als ein Übungsfeld der Demokratie betrachtet werden können. Im Falle von ›Stuttgart 21‹ müssen sich die Regierenden mit den Gebildeten auseinandersetzen, was vor Ort immer geschehen kann. Notwendig dafür sind Twitter und YouTube sowie deren intelligente Nutzung, die Volkshochschule kann hier direkt anschließen. Ausdifferenzierte Bildungsräume kann man auch einfach zur Selbstinstruktion nutzen, ein Bereich, der häufig unterschätzt wird, weil das Bildungsdenken tatsächlich immer auf professionellen Unterricht reduziert wird. • • • •
Selbstinstruktion verlangt Programme, Laptops und Meetingpoints, also Know-how und Orte, virtuelle ebenso wie reale. ›Lernen vor Ort‹ gewinnt so überraschende Varianten, die ›Lernen‹ von ›Unterricht‹ unterscheiden und die bei künftigen Qualifizierungsprozessen eine zentrale Rolle spielen werden.
Laptops ersetzen nicht den Theaterbesuch oder das soziale Lernen, wohl aber manche überflüssige Unterrichtslektion, die es entgegen dem Anschein in der Realität tatsächlich geben soll. Ein zentrales Problem sind die Schnittstellen des Bildungssystems, also der Anfang, die Übergänge und besonders die Integration in den Arbeitsmarkt. • • • •
›Frühförderung‹ ist derzeit ein starkes Thema in der Bildungspolitik. Das damit verbundene Anliegen gewinnt aber erst dann konkrete Gestalt, wenn kommunale Verbünde geschaffen werden und Krippen, Kindergärten sowie Primarschulen ein aufeinander aufbauendes, stark vernetztes und für die Eltern attraktives Programm anbieten.
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Das verlangt Management und dürfte angesichts der kommunalen Finanzen sowie der unterschiedlichen Zuständigkeiten nicht leicht zu realisieren sein. Aber ohne eine solche Organisation vor Ort sollte der Ausdruck ›Frühförderung‹ lediglich als ungleich verteiltes Elternprivileg verstanden werden. Die Frage der Integration in den Arbeitsmarkt stellt sich im Blick auf die Lehrlinge – und somit einem Drittel bis Hälfte aller deutschen Jugendlichen. Das duale System der Berufsbildung bietet weit mehr Möglichkeiten eines besseren ›Lernens vor Ort‹, als es die jährliche Diskussion über die Zahl der Lerstellen ahnen lässt. Auch hier kann kommunal viel getan werden: • • •
Das Ende der Schulzeit kann stärker auf die Anforderungen in den Betrieben abgestimmt werden, Bildungsmaßnahmen der Arbeitsämter müssen nicht in der Form von betriebsfernen Kursen durchgeführt werden und das erforderliche Können kann direkt durch Teilnahme am Arbeitsprozess erworben werden.
Die betriebliche Weiterbildung kann durch neue Kooperationen zwischen den Arbeitsämtern, den Betrieben und den kommunalen Bildungseinrichtungen weiterentwickelt werden. Die Erfolgschancen steigen mit dem konkreten Nutzen für die Betriebe. •
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Den Sprachkurs in ›Business English‹ könnte auch die Volkshochschule übernehmen, die erfahrene Ökonomen anstellt, die anders als viele Englischlehrer diese sehr spezielle Fachsprache auch tatsächlich beherrschen. Und warum könnte man nicht spezialisierte Meisterlehren für Senior*innen öffnen, die umlernen wollen, genügend Geld haben und aber keinen Abschluss mehr benötigen?
Noch etwas zur Kooperation mit den Schulen: Auch ein Theaterbesuch lässt sich auf den Deutschunterricht hin anrechnen, einfach weil eine besondere Form von Sprachgestaltung im Mittelpunkt steht. Auf der
4 Reformverlauf
anderen Seite, wer wirklich Lesen in den Mittelpunkt von Kindern und Jugendlichen rücken will, darf nicht nur an Schulen denken. Hier können kommunale Kampagnen im öffentlichen Raum weiterhelfen. Das gilt für viele Anliegen über die Leseförderung hinaus. • •
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Vielen Kindern fehlen auch Einsichten in gesunder Ernährung, die sich nicht durch abstrakte Belehrungen gewinnen lassen. Vereine und Schulen könnten gemeinsame Ernährungs- und Bewegungsprogramme anbieten, bei denen auch ein Zusammenhang zwischen Fitness und Lernerfolg sichtbar wird. Seniorenheime können Schülerinnen und Schüler zu Projekten des sozialen Lernens gewinnen wie umgekehrt Schulen Senioren als erfahrene Lernpaten anstellen können.
Von der offenen Jugendarbeit bis zur Museumspädagogik lassen sich viele kommunale Einrichtungen mit dem Projekt ›Bildungslandschaften‹ in Verbindung bringen, das dort für Vernetzung sorgt, wo heute noch getrennte Wege beschritten werden. Die Lehrkräfte wissen wenig von der Jugendarbeit, aber diese weiß auch wenig von der Volkshochschule – welche sich wiederum nicht in der Berufsbildung auskennt, weil das nicht zu ihrem angestammten Geschäftsbereich gehört. Aber nur vernetzte Wege bringen für alle Seiten einen Gewinn. Mein Vortrag schließt mit drei Hinweisen zur Gestaltung von Bildungslandschaften. Es geht dort um ein Crossover: Die Jugendarbeit sollte gerade für Senioren attraktiv sein, nicht als Zielgruppe, sondern für den Erfahrungstransfer. Die Theater müssen sich speziell etwas für die Jugendlichen einfallen lassen, wenn sie nicht vergreisen wollen. Die Musikschulen können ihr Angebot für die musikalischen Analphabeten öffnen und auch die ältere Bevölkerung in die Anfangsgründe der Beherrschung eines Instruments einführen. Volkshochschulen könnten ihre Programme der Allgemeinbildung mit dem abstimmen, was die Schule nicht vermitteln konnte, etwa fachgerechtes Zeichnen oder die Kunst des Tanzens. Und demokratische Beteiligung kann es auch in der Museumspädagogik geben. Erst so, als organisierte Landschaft mit
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Teil II: Zur Entwicklung einer Pädagogik der Bildungslandschaften
deutlichem Zielgruppenbezug wäre Bildung mehr als das, was Schulen zu bieten haben. Bildungslandschaften können zweitens nicht nur von den Anbietern her betrachtet werden, auch reicht es nicht aus, das Nutzerverhalten auf die Angebote einzustellen. ›Nutzer‹ oder ›user‹ ist ein Slangausdruck aus der Computerbranche, der vor allem Selbstständigkeit betont. Man surft nicht mit der Volkshochschule durchs Internet, sondern navigiert eigenständig. Das gilt für alle Bereiche, das informelle Lernen im Alltag ist daher die Voraussetzung für jede Bildungslandschaft, die Zugang gewinnen muss für das, was sie nicht steuern kann. Interesse entsteht nur, wenn Anschlüsse gefunden werden an die alltäglichen Formen des Lernens, sei es in beruflicher Hinsicht oder im Blick auf die Allgemeinbildung. Diese Erfahrungen müssen in Bildungslandschaften genutzt werden, wenn sie demokratisch sein sollen. Und wenn drittens das allgemeine Ziel einer Bildungsbeteiligung über die Lebenszeit ernsthaft angestrebt werden soll, ist eine entscheidende Frage, wie die sogenannten ›bildungsfernen Schichten‹ dafür gewonnen werden. Das ist nicht nur eine Frage von Management und Organisation, sondern hat mit der gesamten Strategie zu tun. Es ist extrem schwer, Jugendliche und junge Erwachsene für Bildung zu gewinnen, wenn sie schon in der Schule damit schlechte bis entwürdigende Erfahrungen gemacht haben. Das bedeutet nicht nur, über neue Wege der Förderung vor und in der Schule nachzudenken, sondern kommunale Gesamtprogramme zu entwickeln, die tatsächlich imstande sind, das zu bewirken, was die UNESCO ständig fordert, nämlich: ›No child left behind.‹«1
1 Oelkers, Bildungslandschaften und regionale Bildungsentwicklung, Koblenz, 2011, S. 11-15.
5 Das Gedankenexperiment – Möglicher Nutzen einer Regionalpädagogik
5.1 Sinn und Zweck des Gedankenexperiments Seit Rousseau hat das Gedankenexperiment in der Pädagogik eine wichtige Funktion. Es sucht nach Konstruktionen, die in überspitzter Weise, Widersprüche und Komplexität auflösen könnten. Auch wenn diese Experimente nie verwirklicht werden, bringen sie Lösungsversuche auf den Punkt beziehungsweise verweisen darauf, dass unkonventionelle Ansätze nicht ausgeschlossen werden sollten. Des Weiteren lassen sich die Gedankenexperimente in einen Kontrast zu den dann tatsächlich vorgenommenen Lösungsversuchen stellen. Die Pragmatik des Realitätsbezugs, die im Alltag und bei der Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen unvermeidlich ist, muss sich mit diesen Konstruktionen auseinandersetzen. Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass nicht nur Rousseau so viel Widerspruch und Anfeindungen losgetreten hat. Wertvoll waren seine Anregungen im Emile gleichwohl.
Das Experiment Im Folgenden soll in einem Gedankenexperiment diskutiert werden, welche Auswirkung eine bereichsverbindende Regionalpädagogik haben kann. Die Auswertung der Erfahrungen in einem Bildungsbüro hat gezeigt, dass es aus pädagogischer Sicht gute Gründe dafür gibt, die Bil-
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Teil II: Zur Entwicklung einer Pädagogik der Bildungslandschaften
dungslandschaften als Entwicklung einer bereichsverbindenden Regionalpädagogik quasi als praktische Allgemeinpädagogik zu begreifen. Das Experiment dient dazu, die Auswirkungen einer bereichsverbindenden Regionalpädagogik mit all ihren Vor- und Nachteilen zu erforschen. Untersucht wird vor allem auch die Befürchtung, dass eine Verbindung von Kommunen zu einer gemeinsamen Pädagogik zu Entdifferenzierung und Entspezialisierung führt, weil kommunaler Besonderheiten ggf. weniger stark berücksichtigt würden. Außerdem soll ermittelt werden, inwiefern eine Forschung im Bereich der Regionalpädagogik in Theorie und Wissenschaft eingegliedert werden kann. Durch die Ergebnisse der Praxisstudie konnte ermittelt werden, dass eine bereichsverbindende Regionalpädagogik die unterschiedlichen Aktivitäten und Entscheidungen innerhalb einer kommunalen Bildungslandschaft erklären können. Für die Position einer theorieorientierten Praxis haben Gedankenexperimente eine große Bedeutung. Aufgrund der Lokalisierung zwischen Theorie und Praxis vermeiden sie den Fehlschluss, Praxis sei ohne Vorannahmen, Vorurteilen oder Thesen erkennbar und veränderbar. Andererseits wird den Praktiker*innen unter dem Anspruch des Gedankenexperiments der hohe Druck der Wissenschaft genommen. Danach können Praktiker*innen viel entdecken und viel zu guten Theorien beitragen, wenn sie sich ihrer Vorannahmen ebenso wie ihrer Erfahrungsauswertungen bewusst sind und diese ansprechend dokumentieren. Der subjektive Charakter von Gedankenexperimenten soll ihnen erlauben, den einen oder anderen theoretischen Fehler zu begehen, der von wissenschaftlicher Seite dann erkannt und behoben werden kann. Damit ermuntern und provozieren sie wissenschaftliche Betätigung. Reine Praxisbeschreibungen können das kaum erreichen.
5 Das Gedankenexperiment – Möglicher Nutzen einer Regionalpädagogik
5.2 Die Regionalpädagogik Zum Nutzen der Theorie Wie lassen sich die Erwartungen der Praxis nach Kohärenz in der Regionalpädagogik formulieren? Wer so fragt, wird aber auch damit konfrontiert, was die Praxis leisten kann, um die Erwartungen so klar wie möglich zu formulieren. Denn es versteht sich ja, dass eine Theorie nicht für jede Frage und jede Situation eine Antwort zur Verfügung stellen kann. Es kann nicht Aufgabe der Wissenschaft sein, Handlungsrezepte zu schreiben. Sie benötigt auch die Form von Reflexion, bei der die Praxis aufgrund allgemeiner Kriterien ihre Erfahrungen einordnen und evaluieren. Denn einen einfachen Transfer von Erfahrungen von der einen Kommune auf die andere kann es schon aufgrund der jeweils unterschiedlichen Bedingungen gar nicht geben. Die Hinweise von Projektbetreibern, Praktiker*innen und den hier vielfach benannten Autor*innen in Einzelbeiträgen sind durchaus vorhanden. Es mangelt nicht an Hinweisen, dass sich die Pädagogik ausführlich und systematisch mit der Frage beschäftigen soll, das Thema Bildungslandschaften angemessen zu würdigen wie auch zu kritisieren. Klaus Hebborn sagt diesbezüglich: »In einer Stadt oder Gemeinde können die Bedürfnisse besser identifiziert werden sowie passende Lösungsstrategien entwickelt werden.«1 Wenn es gilt, die besten Lösungen zu finden und die Region oder Kommune dabei an vorderster Stelle steht, dann kann es keinen Grund geben, die Ergebnisse und Lösungswege nicht in veränderter Form für größere Einheiten zu prüfen und als wichtigen Referenzpunkt zu respektieren. Eine übergreifende Pädagogik wie eine Bildungsreform auf nationaler Ebene muss zumindest prüfen, ob die Wege und Vorgehensweisen für sie auch gelten. Insbesondere wenn andere Wege beschritten werden, dann müsste begründet werden, warum die kommunalen Wege nicht als Vorbild berücksichtigt wurden. 1 Hebborn, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 221.
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Eine solche Pädagogik zeichnete sich in der Praxis durch das Bedürfnis nach Kohärenz und guter Zusammenarbeit aus. Die Diskussionen um kommunale Bildungslandschaften sind mannigfaltig und umfassen eine Vielzahl von Themenfeldern mit den dazugehörigen wissenschaftlichen Disziplinen. Der Anspruch dieser Studie ist es nicht, einen Überblick oder gar ein Ordnungsschema für die Themenfelder zu geben. In erster Linie geht es darum, die Sicht einer Pädagogik einzunehmen, die sich bereichsüberwindend versteht und auf der Basis eines geschichtlich-aufgeklärten und systematischen Ansatzes vorzugehen. Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass nicht eine wissenschaftliche Position im engeren Sinne eingenommen wird, sondern eine solche, die die Praxis im Blick hat und aus diesen heraus so weit wie möglich wissenschaftlichen und theoretischen Aspekten einbezieht. Die Studie versteht sich also im guten Sinne als vorwissenschaftlich. Indem sie gleichwohl auf von der Wissenschaft und Theorie zu bearbeitende Felder hinweist, berücksichtigt sie Wissenschaft und bemüht sich um eine wissenschaftliche Anschlussfähigkeit. So haben wir gesehen, dass es in der Praxis der Bildungslandschaft viele praktische Bemühungen gibt, die sich als bereichsüberwindend verstehen lassen. Am Beispiel der Übergänge von einem pädagogischen Feld in das andere trat das wichtige Prinzip der Kontinuität im Lebenslauf zutage. Es wurde darauf hingewiesen, dass es nicht mit pädagogischen Ansprüchen vereinbar ist, wenn Brüche und Krisen durch die Pädagogik selber hervorgerufen werden. Ein weiteres Beispiel ist das des »Lebenslangen Lernens«. Hier wurde deutlich, dass es nur bedingt sinnvoll ist, wenn Bildsamkeit und Potentialentwicklung auf Kindheit und Jugend festgelegt sind. Die Bereichsüberwindung besteht dann darin, dass sich die Institutionen über die Möglichkeiten einer lebenslangen Bildsamkeit durchaus im Klaren sind und sich mit Festschreibung von Begabungen, die möglicherweise zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht vorhanden sind, zurückhalten. Wie sich Menschen entscheiden, welchen Lebensweg sie einschlagen wollen und welche Bildungserfahrungen sie machen, hängt weder vom Alter noch von den Erwartungen des Arbeitsmarktes ab, sondern obliegt der Entscheidung des Individuums.
5 Das Gedankenexperiment – Möglicher Nutzen einer Regionalpädagogik
In einer Regionalpädagogik, die sich bereichsüberwindend versteht, hätte das »Lebenslange Lernen« deshalb eine wichtige Funktion, weil dadurch in der Region Modelle erprobt werden können, durch die Menschen ihren Lebensweg nicht von der Schulbildung abhängig machen, sondern von Entscheidungen.
5.3 Kooperation eigenständiger Arbeitsfelder der Pädagogik Die Kooperation ist als bereichsüberwindende Aktivität zwischen Arbeitsfeldern der Pädagogik eine wichtige Bemühung und setzt vor allem Eigenständigkeit der Bereiche voraus. Wird diese Eigenständigkeit nicht gewahrt, läge schließlich keine Kooperation, sondern eine Integration kleinerer Bereiche zu einem großen Bereich vor. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Teilnehmer*innen der Kooperation die Bedeutung der Ausdifferenzierung der einzelnen Bereiche genau erkennen und verstehen müssen, um eine Verschmelzung zu vermeiden.
Anknüpfungspunkt Mit dem Ziel die Selbstständigkeit der Einzelfelder in Schule, Sozialpädagogik etc. nicht zu bestreiten, stellt sich die Frage, wie man den Spannungen begegnen soll, die aus Kooperation trotz Selbstständigkeit entstehen, kann man eine Antwort in dem Phänomen der Bereichsüberwindung suchen. Wenn die Ausdifferenzierung der Erziehungswissenschaften (EW), die Jürgen Oelkers als sehr erfolgreich bezeichnet hat, auch einen Nachteil mit sich gebracht hat, dann wäre das der, dass ein Blick auf die Einheit und Zusammenhänge der pädagogischen Disziplinen zunehmend verloren gegangen ist. Diese Einheit – oft als Kohärenz bezeichnet – wird in der Praxis der Kommunalen Bildungslandschaften als das wichtige Ziel dargestellt. So entsteht die Ausrichtung dieser Studie. Sie will der Frage nachgehen, ob eine bereichsüberwindende Regionalpädagogik möglich ist und welche Indizien für eine solche Pädagogik sprechen. Diese zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass sie
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die geschichtlichen Erfahrungen der EW und Pädagogik berücksichtigt und problematischen Entwicklungen der Bildungslandschaft damit regulativ begegnet. Das Aufzeigen von Widerstreit will der Praxis ihren Spielraum erhalten oder wieder ermöglichen und der möglichen Entdeckung von neuen pädagogischen Prinzipien beziehungsweise deren Weiterentwicklung Vorschub leisten.
Selbstbeschränkung und interdisziplinäre Offenheit der Regionalpädagogik Eine Regionalpädagogik könnte sich vor dem Hintergrund ihrer Tradition und auf ihre Bereiche spezialisieren. Das soll nicht in Abrede stellen, dass die Bildungslandschaften einen interdisziplinären Zugang sicher benötigen. Jedoch soll nicht vorschnell aufgegeben werden, was an Abgrenzungen errungen wurde. Vielmehr soll eine Selbstbeschränkung auf die pädagogischen Bereiche stattfinden ohne auf politische Notwendigkeiten, auf Entwicklung von sozialen Räumen hinzuweisen. Bildungspolitik ist keinesfalls mit Sozialpolitik gleichzusetzen. Wer aus pädagogischer Perspektive für Lebens- und Entwicklungsräume im Stadtteil hinweist, dann aber die Verantwortung an den öffentlichen Diskurs und die Sozialpolitik übergibt, kann innerhalb seines Feldes bleiben. Dass sich Pädagogik zum Erziehungsinstrument von Gesellschaft erhebt, tut ersterem und letzterem nicht gut. Der Ansatz, der hier vertreten wird, ist ein solcher, der großes Augenmerk auf Begrenzung und Selbsteinschränkung legt. Eine Regionalpädagogik, wie sie hier für sinnvoll gehalten wird, könnte bescheidener auftreten und Vorbehalte gegen eine Selbstüberforderung berücksichtigen. Das heißt eben auch, dass ein Beitrag aus Sicht einer systematischen und geschichtlich aufgeklärten Pädagogik um seine Grenzen in der Debatte um die Bildungslandschaften weiß. Die kommunale, politische sowie die Sichtweise der Verwaltung müssen in praktischen Fragen immer einbezogen werden. Kommunale Bildungslandschaften sind ohne Berücksichtigung dieser Sichtweisen nicht möglich. Auf wissenschaftlicher und theoretischer Ebene sind es sicher die sozialwissenschaftlichen, politischen und geographischen Disziplinen, die
5 Das Gedankenexperiment – Möglicher Nutzen einer Regionalpädagogik
sich an der Diskussion um eine angemessene theoretische und wissenschaftliche Grundlegung des Themas Bildungslandschaften bemühen müssen. Die Regionalpädagogik ließe sich als eine pädagogische Richtung verstehen, mit dem Merkmal, dass sie auf regionaler Ebene Anschlussfähigkeit und Abstimmung der anderen pädagogischen Subdisziplinen anstrebt. Das Thema Region kann darüber hinaus auf ein kommunales Konzept von Erziehung und Bildung verweisen. Dieses Konzept stellt die Eigenheiten und Besonderheiten der örtlichen Gemeinschaft in den Vordergrund und ermöglicht höhere Anteile an Experimenten und Suchbewegungen, die auf das Profil oder Porträt von Region und Kommune ausgerichtet ist. In diesen Suchbewegungen kann Vorbildhaftes für größere Gebietskörperschaften liegen und Beispiele dafür gegeben werden, wie Bildungsporträts aber auch Bildungsreformen gelingen beziehungsweise wie sie scheitern. Über das Beispiel für größere Einheiten hinaus ist es der Kern einer größeren oder allgemeineren Pädagogik und Bildungslandschaft. Das Porträt eines Bundeslands setzt sich aus den Einzelporträts der Regionen zusammen und bildet dann mehr als die Summe ihrer Teile.
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6 Einordnung und Anschlussmöglichkeit der Regionalpädagogik
Wenn es richtig ist, dass die Regionalpädagogik einen zentralen Aspekt der Ausdifferenzierung der Pädagogik in Bereichspädagogik anspricht und auf die notwendige Entspezialisierung und Bereichsüberwindung hinweist, dann sollte sich das auch in der Wissenschaftslandschaft widerspiegeln. Die Regionalpädagogik sollte als eine Pädagogik, die das Grundthema der Spezialisierung und Entspezialisierung behandelt, an Universitäten und Hochschulen aufgenommen werden. Ob sie in den einzelnen Fachbereichen unterkommt, die heute schon bestehen, und damit zu einem verbindendenden Element dieser Fachbereiche wird oder als eigenständiger Fachbereich eingerichtet wird, ist dann weniger von Bedeutung. Mit dem Vorschlag, die Regionalpädagogik als wichtige Neuerung in der Ausdifferenzierung der Fachbereiche und Bereichspädagogik aufzunehmen, stellt sich die Frage, ob eine solche Aufnahme überhaupt möglich ist.
6.1 Der Anspruch an die Praxis Vieles spricht dafür, dass die kommunalen Bildungslandschaften innerhalb des Wissenschaftssystems einen Ort benötigen, an dem die Grundlagen der Bildungslandschaften geklärt und die empirischen Erkenntnisse interpretiert und eingeordnet werden. Dafür muss nicht unbedingt ein neuer Fachbereich oder eine neue Abteilung eingerichtet wer-
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den. Die bereichsübergreifende Aufgabe kann ebenso im Netzwerk vorgenommen werden, was für die Praxis in den Kommunen auch gefordert wird. Von der Wissenschaft kann allerdings gefordert werden, dass sie ihre eigene Anschlussfähigkeit dafür hinterfragt. Wir hatten am Beispiel der Kooperation, Vernetzung und des Übergangsmanagements gesehen, dass die Themen der Anschlussfähigkeit und eine gewisse Form der Bereichsüberwindung durchaus in den bestehenden Zuständigkeiten möglich sind. Der hohe Aufwand für eine disziplinäre Einbindung – ob dieser gerechtfertigt ist oder nicht – ist im Augenblick nicht abzusehen. Die Überwindung des Denkens in Zuständigkeiten1 und die gemeinsame Verantwortung für ein kohärentes Bildungssystem2 muss nicht unbedingt durch neue Strukturen geleistet werden. Hinweise zu der Form der wissenschaftlichen Begleitung aber auch zur systematischen Anleitung der Praxis kommen von Lohre nicht. Es versteht sich aber, dass die Anschlussfähigkeit in der Praxis nicht gelingen kann, wenn nicht geklärt ist, welche Fachbereiche zuständig sein könnten und wie diese ihre eigene Anschlussfähigkeit gewährleisten. Maykus spricht zwar Forschungsfragen an, verbleibt aber in der Evaluation von Einzelprojekten ohne die Frage nach systematischen, historischen und disziplinären Zuordnungen zu stellen, wenn er schreibt: »Die wissenschaftliche Begleitung der Modellkommunen in diesem Projekt könnte erste wichtige Erkenntnisse liefern. Bis dahin muss auf den Diskussionsstand der Netzwerkforschung zurückgegriffen werden.«3 Es wird damit aber auch ein mögliches Missverständnis angesprochen, das wir schon bei den »Leuchttürmen« gesehen hatten. Wenn 1 Vgl. Becker/Lohre, in: Bollweg/Otto: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 287f. 2 Vgl. Becker/Lohre, in: Bollweg/Otto: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 300. 3 Maykus, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften, Wiesbaden, 2009, S. 53; s. das Projekt »ImTransRegio« der Uni Paderborn unter der Leitung von Prof. Dr. Peter F.E. Sloane, https://wiwi.uni-paderborn.de/dep5/sloane/forschung/imtransregio/
6 Einordnung und Anschlussmöglichkeit der Regionalpädagogik
nicht Prinzipien und Maßstäbe dabei herausgearbeitet werden, sondern die Einzelergebnisse allein dargestellt, dann besteht die Gefahr der Nichtwiederholung. Diese Projekte können nur dann transferiert werden, wenn die Möglichkeit der Adaption berücksichtigt wird. Was braucht die Praxis in anderen Kommunen, wenn die Kopie und reine Wiederholung wegen anderer Bedingungen, anderer Prioritäten der Politik, anderem Wissenstand der Menschen und anderen Bildungsschwerpunkten in der Kommune nicht möglich ist. Ist dann die Evaluation nur in Bezug auf die gleichen Kommunen sinnvoll? Das wäre ein Verschenken von Aufwand und Ergebnissen. Es ist noch unklar, wie die Diskussion zur Praxis der Bildungslandschaften weiter verläuft und welchen Stellenwert pädagogisch-systematische und historisch-aufgeklärte pädagogische Erwägungen dabeihaben. Einige Autor*innen sprechen sich für solche Forschungsarbeiten aus, andere erhoffen sich Klärung durch empirische Forschung. Vieles spricht dafür, dass die Diskussion ohne wissenschaftliche Unterstützung zunehmend an Qualität und Aussagekraft sowie Verlässlichkeit verlieren wird. Neben der direkten Erforschung der Bildungslandschaften und dem Nutzen dieser bildungspolitischen und praktischen Neuerung ist eine Zuordnung der Diskussion in den Wissenschaftsbetrieb nötig. Damit ist die Veränderung des Wissenschaftssystems aufgrund von neuen praktischen und bildungspolitischen Konstellationen angesprochen.
Weitere Forschungsfragen • •
•
Kommt den kommunalen Bildungslandschaften tatsächlich eine solche Bedeutung zu oder ist es eine Selbstüberschätzung? Ist es überhaupt realistisch, dass es Veränderungen in der Wissenschaft und dann auch der Ausbildung gibt, die sich dem Thema zuwenden? Oder anders: Wäre die bestehende Bereichspädagogik nicht entlastet von der Frage, wie sie die Vernetzung, die bessere Kooperation, die Verbesserung von Übergängen etc. wissenschaftlich so beglei-
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ten, dass sie an der eigenen Anschlussfähigkeit arbeiten und sich um Kohärenz und Einheitlichkeit im System der Erziehungswissenschaft beziehungsweise der Bildungswissenschaft bemühen?
6.2 Exkurs: Entstehung und Entwicklung von Bereichsdisziplinen in der Erziehungswissenschaft Die Entwicklung des pädagogischen Wissenschaftssystems wird von H. E. Tenorth erforscht. Unter der Überschrift »Erziehungswissenschaft in Deutschland – Skizze ihrer Geschichte von 1900 bis zur Vereinigung 1990« stellt er auch die Reaktion des Wissenschaftsbetriebes auf Veränderungen der gesellschaftlichen und pädagogischen Praxis dar: »Die Konstitution der Erziehungswissenschaft folgt […] nicht etwa primär oder allein innerwissenschaftlichen Gründen, sie verdankt sich in gleicher Weise der gesellschaftlichen Krise der Bildungsorganisation und den Problemen der pädagogischen Berufe […].«4 Auf die unterschiedlichen Krisen und Veränderungsdynamiken können wir hier nicht eingehen. Auch muss festgehalten werden, dass Tenorth nicht die Etablierung der jeweiligen Subdisziplinen erforscht. Sein Anliegen ist es, die wissenschaftliche und wissenschaftstheoretische Entwicklung nachzuzeichnen. Gleichwohl sind Aussagen dazu erlaubt, wie eine mögliche Veränderung durch die neue Praxis in den Bildungslandschaften aussehen könnte. Wenn es (laut Tenorth) richtig ist, dass die »Veränderungen im System des pädagogischen Wissens« für die »Konstitution der Erziehungswissenschaft«5 von Bedeutung sind, dann würde eine sich ausbreitende Praxis mit wachsender Zahl von Fachkräften in den Bildungslandschaften entsprechende Modifikationen in der Wissenschaft nach sich ziehen. 4 Tenorth, Geschichte der Erziehung. Einführung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung. Weinheim, München, 2000, S. 155. 5 Tenorth, Geschichte der Erziehung. Einführung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung. Weinheim, München, 2000, S. 155.
6 Einordnung und Anschlussmöglichkeit der Regionalpädagogik
Ein weiterer Hinweis kommt von ihm bezüglich der Probleme der Ausdifferenzierung der Erziehungswissenschaften. Er weist auf die »Zersplitterung« hin, die letztlich eine Reaktion ist auf die »Vielfalt von Pädagogiken«: »Man darf allerdings die Prognose wagen, dass die Erziehungswissenschaft auf ihrem gegenwärtigen Entwicklungsstand auch ihre Identität letztlich nur als Wissenschaft klären kann, also mit dem Repertoire an Theorien und Methoden, das sie inzwischen ausgebildet hat, oder durch eine Kritik und Erneuerung der Theorie […]. Integration und weitere Differenzierung werden daher das unausweichliche Ergebnis sein.«6 Das könnte auch ein Weg für eine Regionalpädagogik sein, wenn sie sich im System der Wissenschaften ansiedeln will. Mehr noch: Sie könnte für beide Seiten eine verbindende Rolle einnehmen. Steht sie doch für eine weitere Ausdifferenzierung und eine Verbindung beziehungsweise Kohärenz der Subdisziplinen.
6.3 Zwischen Subdisziplinen und Allgemeiner Pädagogik Subdisziplinen als Einzelfelder der Allgemeinen Pädagogik fordern etwas ein, was sie selber nicht einlösen können; sie erwarten von anderen und übersehen, dass sie sich selber dieser Forderung verweigern. Die Einlösung dieser Ansprüche wird nun aber nicht von der Wissenschaft bzw. Theorie verfolgt, sondern von Praxis und Bildungspolitik. Wenn wir das Gedankenexperiment weiterdenken, dass eine Pädagogik der Bildungslandschaften oder Regionalpädagogik eine Anerkennung in der Theorie und im System der pädagogischen Wissenschaften erhält, dann stellt sich die Frage, um welche Form von Pädagogik es sich handelt. Denn eine Einordnung neben den anderen Sub6 Tenorth, Geschichte der Erziehung. Einführung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung. Weinheim, München, 2000, S. 133.
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disziplinen beziehungsweise eine Einordnung neben den anderen Bereichen der pädagogischen Praxis schließt sich eigentlich aus. Die Regionalpädagogik wird hier als eine Pädagogik verstanden, die sich angesichts der wachsenden Differenzierung und Spezialisierung um eine neue Zusammenfassung und Kohärenz der Arbeitsgebiete bemüht. In der Spannung von Spezialisierung und Entspezialisierung versucht sie in überschaubaren und kleinen Gebietskörperschaften oder geographischen Einheiten neue Formen der Zusammenarbeit zu erproben. Dazu lassen sich ganz unterschiedliche Aussagen machen. Die im Augenblick wahrscheinlichste Lösung wäre die, dass die Bereichspädagogik das Thema in sich aufnehmen und zum Unterthema in ihrer Subdisziplin machen. Durchaus denkbar wäre aber auch, dass sich eine Subdisziplin erst herausbildet. Diese hätte dann wahrscheinlich den eigenartigen Charakter, dass sie sich mit anderen Disziplinen in Verbindung bringt sowie die Bereichsüberwindung zu einem ihrer wichtigsten Themen machen müsste. Die dritte Möglichkeit bestände darin, dass der Charakter der Anschlussfähigkeit, Zusammenhang beziehungsweise Kohärenz als Thema der Allgemeinen Pädagogik erkannt und diese den Anspruch erheben würde, dass dieses Thema immer schon für sie eine herausragende Bedeutung gehabt hätte. Die Bildungslandschaften wären dann als praktische allgemeine Pädagogik in der Kommune identifiziert. Nun stellt sich die Frage, wie diese Ansprüche von wissenschaftlicher Seite unterstützt werden könnten und was die Theorie sowie Wissenschaft zur Unterfütterung dieses Anspruchs leisten sollte. In der Regel werden die Anforderungen an Kohärenz als Rezepte gegeben, die nicht immer den unauflösbaren Widerstreit mit der Notwendigkeit und den Erfolgen der Differenzierung in den Blick nehmen. Die Doppelbotschaft, die hinter der Aufforderung zur Zusammenarbeit liegt, bleibt oft unreflektiert. Denn es wird dabei verschwiegen oder übersehen, mit welchen Widerständen die Subdisziplinen ihre Eigenständigkeit und relative Unabhängigkeit erkämpfen mussten und wie häufig ihre Abkoppelung von anderen Professionsfeldern aber auch ihre Abkoppelung von anderen Wissenschaftsfeldern zu kämpfen hatten.
6 Einordnung und Anschlussmöglichkeit der Regionalpädagogik
Die innere Differenzierung und notwendige Spezialisierung werden in der Tradition der Pädagogik nicht oder unzureichend reflektiert. Eine Aufgabenverteilung, die den komplexen Anforderungen an den Menschen der Neuzeit gerecht wird, scheint dabei nicht von Bedeutung zu sein. Allein aufgrund seiner Individualität muss der Mensch alle Ausdifferenzierung skeptisch betrachten. Vielleicht ist dieses Bild des »unzerrissenen Menschen«, mit dem in der Bildungs- und Erziehungsdebatte operiert wurde, der Grund für den Umstand, dass die Frage, wie Differenzierung und Spezialisierung sinnvoll begegnet werden kann, kaum behandelt wurde. So gab es zwar in der Allgemeinen Pädagogik die Diagnose, dass es einen pädagogischen Grundgedanken geben müsse, der um Einheit und systematische Geschlossenheit im Zusammenhang der Praxisfelder bemüht ist. Dass es aber einer praktischen Anstrengung und Abstimmung bedarf, um diesen einheitlichen Grundgedankengang in seiner Realisierung zu verfolgen. Letzteres wird in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft vernachlässigt. Es gehört zu den Besonderheiten der Diskussion um kommunale Bildungslandschaften, dass von der besseren Abstimmung von Bildungsangeboten, von praktischer Anschlussfähigkeit und einem kohärenten Bildungssystem gesprochen wird, ohne auf die Anschlussfähigkeit zu anderen Diskussionen zu schauen. Es muss erstaunen, dass das Thema Bildung so hoch angesiedelt wird, aber die grundlegenden Diskussionen zu diesem Thema in der dafür zuständigen Disziplin, der Erziehungswissenschaft und Allgemeinen Pädagogik, nicht wahrgenommen werden. Dabei sind die Bemühungen um Kohärenz, Abstimmung und Anschlussfähigkeit besonders in der Allgemeinen Pädagogik von großer Bedeutung, da sie sich letztlich nur legitimieren kann, wenn es bei aller Differenzierung und Spezialisierung noch Verbindungen und anschlussfähige Gemeinsamkeiten gibt. Die Diskussion in der Allgemeinen Pädagogik, die immerhin auf eine 200-jährige Geschichte zurückblicken kann, dreht sich immer wieder auch um diese Punkte. Es ist schwer nachvollziehbar, warum nicht zumindest eine kritische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der Allgemeinen Pädagogik stattfindet – erhebt sie doch den Anspruch, den Zusammen-
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halt von praktischen und theoretischen Bemühungen in der Erziehung und Bildung zu bearbeiten. Gleichwohl scheint es eine gewisse Tradition in der Tendenz der Subdisziplinen zu geben, sich um die Allgemeine Pädagogik nicht zu bemühen. Das gilt nach dem Urteil von Krüger vor allem für die außerschulische Pädagogik, die »in der Phase ihrer sozialen Etablierung und Formierung als erziehungswissenschaftliche Teildisziplinen an Universitäten […] nicht die Verbindung zur Allgemeinen Erziehungswissenschaft gesucht«7 haben. Ebenso ist aber der Allgemeinen Pädagogik vorzuwerfen, die den Veränderungen in der Praxis und der jeweiligen Dynamik von Entwicklungsprozessen wenig Aufmerksamkeit widmet. Krüger spricht von »verselbständigten Subkulturen«.8 Weil diese Studie sich nicht in erster Linie als theoretisch-wissenschaftlich versteht, sondern aus der Praxis heraus die möglichen theoretischen und forschenden Bestandteile soweit berücksichtigt, wie sie von praktischer Bedeutung sein könnten, kann hier keine ausführliche Darstellung erfolgen. Gleichwohl sei auf die möglichen konstruktiven Beiträge aus der Allgemeinen Pädagogik zu zentralen Problemen der kommunalen Bildungslandschaften verwiesen wie z.B. Benner, der am deutlichsten auf die Überwindung von Zersplitterung und Fragmentierung hinweist.9 Wer systematisch denkt, wird das Thema Anschlussfähigkeit also nicht nur in praktischer Hinsicht verfolgen. Es bedarf der Einordnung in größere Zusammenhänge, um mögliche Gegenpositionen zu erkennen. Dabei versteht sich, dass ein Denken in Zuständigkeiten langfristig nur aufgehoben werden kann, wenn sich in dem Verhältnis der Wissenschaft ähnliche Strömungen einstellen und wenn die Ausbildung im Sinne einer kohärenten Verantwortung für die Gesamtbiographie 7 Krüger, in: Krüger/Helsper: Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft, Wiesbaden 2002, S. 321. 8 Krüger, in: Krüger/Helsper: Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft, Wiesbaden 2002, S. 321. 9 S. Benner, Allgemeine Pädagogik. Eine systematisch-problemgeschichtliche Einführung in die Grundstruktur pädagogischen Denkens und Handelns. Weinheim und München, 2010.
6 Einordnung und Anschlussmöglichkeit der Regionalpädagogik
übernehmenden und um Anschlussfähigkeit bemühten Richtung verändert wird. Nun ist das Thema Zusammenhalt und Anschlussfähigkeit eigentlich so alt wie die Pädagogik selbst und wurde nur vergessen. Aber die durchaus erfolgreiche Differenzierung und Spezialisierung der Pädagogik in Subdisziplinen konnte sich auf eine Pädagogik, die um Zusammenhalt bemüht ist, kaum beziehen. Da es hier nicht Aufgabe sein kann, der Geschichte einer um Kohärenz und Anschlussfähigkeit bemühten Pädagogik und Erziehungswissenschaft nachzugehen, soll nur auf einen Umstand verwiesen sein. Weder Krüger noch Tenorth – in seiner Nachzeichnung der Erziehungswissenschaft – konnten die praktischen, aber auch bildungspolitischen Entwicklungen voraussehen, die mit den Bildungslandschaften eingetreten sind. Was sie aber kaum für möglich halten würden, ist der Sachverhalt, dass es nicht die Teildisziplinen sind, die nach einer Anschlussfähigkeit und Bereichsüberwindung verlangen, sondern Praxis und Bildungspolitik. Im Augenblick gibt es keine ernstzunehmende Richtung, die konkret und praxisorientier auf die Gefahren hinweist, die eine Zersplitterung von Feldern, Fachgebieten und Subdisziplinen in sich trägt. Theoretisch und wissenschaftsrelevant geschieht das in der Allgemeinen Pädagogik durchaus. Die realen Auswirkungen und konkreten Gefahren werden von ihr mithin nicht hervorgehoben. Dabei wäre die immer wieder in den Bildungslandschaften geforderte Kohärenz eine wichtige Begründung für eine Allgemeine bereichsverbindende Pädagogik. War es doch so, dass die Spezialisierung vor allem von der Praxis als Gewinn an Professionalität und Fachlichkeit gefordert wurde. Eine Verallgemeinerung oder Generalisierung und ein Ruf nach Anschlussfähigkeit und besserer Abstimmung der Subdisziplinen aus der Praxis heraus war bis vor einigen Jahren unvorstellbar.
Weitere Forschungsfragen •
Sollten die pädagogischen Einzelwissenschaften nicht klären, inwieweit ein gemeinsames Arbeiten – trotz aller Unterschiedlichkeit
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und angesichts berechtigter Sorge um die Eigenständigkeit – möglich sein könnte? Sollten die Themen des Übergangs, der Vernetzung und der Kohärenz nicht auch in den Wissenschaftsdisziplinen geklärt werden? Oder anders: Ist eine Überwindung von Einzelzuständigkeiten und von bereichsinternem Denken und Handeln möglich, wenn auf der Ebene von Wissenschaft und Ausbildung gar nicht ausführlich und systematisch über die gleichen Themen nachgedacht und entsprechend gehandelt wird?
Teil III: Hintergründe der Bildungslandschaften und Näheres zum Vorgehen dieses Arbeitsbuchs
7 Hintergründe der Bildungslandschaften
7.1 Geschichte Die Beschäftigung mit der Geschichte und Grundverständnissen von Bildungslandschaften kann im Rahmen dieser aus der Praxis heraus argumentierenden Studie nur begrenzt vorgenommen werden, auch wenn beide Aspekte für die Praxis durchaus von Belang sind. Wie auch immer die Einordnung der Bildungslandschaften im Wissenschaftssystem verlaufen wird, es wird von großer Bedeutung sein, wie das Thema dabei historisch eingeordnet wird. Je differenzierter deutlich wird, dass die Verbindung von Regionalität, Geographie, Kommunalpolitik und Pädagogik sowohl in realgeschichtlicher als auch in ideengeschichtlicher Forschung tiefgreifende Wurzeln haben, desto wichtiger werden diese Zusammenhänge für Gesellschaft und Wissenschaft. Schon ein grober Blick in die Geschichtsschreibung der Bildungslandschaften offenbart, dass in diesem Bereich noch großer Nachholbedarf besteht. Was auch alle Praktiker*innen überraschen muss, ist die Tatsache, dass sehr monokausale Formen der Geschichtsschreibung vorliegen. Es gibt in der Pädagogikgeschichte und im Bereich der Bildungsreformen so viele Themen, die sich schnell als Eintagsfliegen herausgestellt haben, dass die sorgfältige Erforschung der Ursprünge und Grundströmungen ein wichtiges Indiz für Nachhaltigkeit und Ernsthaftigkeit sein sollten. Der auf Fachtagungen des Projekts »Lernen vor Ort« und auch
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Teil III: Hintergründe der Bildungslandschaften und Näheres zum Vorgehen
in vielen Literaturbeiträgen zu findende Duktus des völlig Neuen ist möglicherweise auf eine kurzfristige Euphorie zurückzuführen. Die eigene Geschichte ist für eine Disziplin oder Fachrichtung ebenso wichtig wie die Art und Weise, in der man sich in einer Tradition aufgehoben fühlt. Welcher Geschichtsschreibung man sich selbst verbunden fühlt, sagt viel über das Selbstverständnis und die Ausrichtung des eigenen Handelns aus. Grundsätzlich ist es wahrscheinlich so, dass eine Geschichtsschreibung auch eine Aufwertung des Themas bedeuten würde. Weil es keine Übereinkunft dazu gibt, wie sich das Thema Bildungslandschaften auf die einzelnen Disziplinen verteilt und wie eine angemessene, systematische Einordnung innerhalb der Erziehungsoder Bildungswissenschaften aussehen könnte, gibt es auch viele unterschiedliche Geschichtsinterpretationen. Das allein wäre noch verständlich. Für den*die Praktiker*in ist es ein sehr anstrengender Umstand, dass die Unklarheiten und die unabgeschlossene Diskussionslage nicht erwähnt werden bzw. offen zugestanden wird, dass man eine begrenzte Sichtweise zugrunde legt. Das muss sich für Praktiker*innen als wissenschaftliche Unredlichkeit darstellen. Wer eine vorläufige und ungenaue Geschichtsbetrachtung oder auch Mutmaßungen zu den Ursprüngen der Diskussion um Bildungslandschaften vorlegt, sollte die Begrenztheit seines Ansatzes nicht verschweigen. Leider finden sich dazu bei den Autor*innen, die zur Geschichte der Bildungslandschaften schreiben, keine Ausführungen. Eine gesonderte Geschichtsschreibung zu kommunalen Bildungslandschaften gibt es bislang nicht. Die Suche nach den Ursprüngen führt zu dem Ergebnis, dass historische Darstellungen dieses Themas ausschließlich in Kurzdarstellungen vorgenommen werden. Meist handelt es sich um Einleitungen, die mit kleinen historischen Exkursen beginnen. In den Texten wird dann auf die möglichen Ursprünge, historischen Wurzeln und Anlässe Bezug genommen, die dem Thema Bildungslandschaften zugrunde liegen. Dabei sind ganz unterschiedliche Daten und Situationen als Bezugspunkte zu erkennen. Viele Darstellungen datieren die Entstehung der breiten Diskussion zu Bildungslandschaften auf das Jahr 2007. »Mit einer derartigen
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Resonanz hatte der Deutsche Städtetag nicht gerechnet, als er seinen Kongress Bildung in der Stadt Klante, der im November 2007 in Aachen stattfand: Mehr als 1000 Teilnehmer tauschten dort Erfahrungen und Visionen aus, hörten Fachvorträge und erörterten die kommunale Bildung in Zeiten gesellschaftlichen Wandels. Damit nahmen die Veranstalter ein Klima der Bildungspolitik auf, dessen Aktualität schon durch die ungewöhnlich hohe Teilnehmerzahl dokumentiert wurde. Zugleich setzte man mit der dann einmütig verabschiedeten Erklärung einen besonderen bildungspolitischen Akzent: die Städte forderten eine zentrale Rolle für sich bei der Entwicklung kommunale Bildungslandschaft insbesondere seinen kommunale Steuerungsmöglichkeit im Schulbereich zu erweitern und die Zuständigkeiten im Bereich der inneren und äußeren Schulangelegenheiten zu Gunsten der Kommunen neu zu ordnen.«1 Es ist vor allem eine Sicht, die Schule als kommunalpolitisch gestaltbar versteht. Es geht eigentlich mehr um die kommunalpolitische Autonomie als um die Frage, wie Kommune und Bildung in ein neues Verhältnis eintreten können. Selbstbestimmung ist auch für Thomas Olk und Thomas Stimpel ein wichtiges Thema: Ihnen geht es stärker um die Autonomie der Schule, die sie als Ursprung für die kommunalen Bildungslandschaften identifizieren. »Seit den 1990er Jahren ist eine zunehmende Aufmerksamkeit für Konzepte und Projekte der Regionalisierung im Bildungsbereich zu beobachten. Einen markanten Auftakt stellte die Denkschrift ›Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft‹ der Bildungskommission des damaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau dar, die bereits Mitte der 1990er Jahre die Empfehlung formulierte, ›in den Regionen eine Infrastruktur miteinander vernetzter Bildungsangebote zu entwickeln und zu sichern, die für die Nutzer transparent und als System ökonomisch ist‹. […] Diese Entwicklung zur Regionalisierung konkretisierte sich auch in bildungspolitischen Konzepten auf der Ebene von Bund und Ländern sowie in verschiedenen Programmen der EU und des Bundes – wie bspw. Das Bundesprogramm ›Lernende Region – 1 Weiß, Kommunale Bildungslandschaften, Weinheim, München, 2011, S. 9.
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Förderung von Netzwerken‹ (Laufzeit 2000 bis 2008) sowie neuerdings die Initiative ›Lernen vor Ort‹ die im Herbst 2009 unter Beteiligung von mittlerweile 40 Städten und Landkreisen startete (Laufzeit 2009 bis 2012 und ggf. Verlängerung um 2 Jahre).«2 Die Politik von Land, Bund und EU hat ein explizites Interesse an der Durchsetzung der Ansätze der Bildungslandschaften und hat somit die Erklärung der Kommunen vorbereitet bzw. letztlich in die Wege geleitet. Die Kommunen gehen darauf in ihren Forderungen kaum ein, sondern verlangen mehr Autonomie, die in erster Linie auf mehr Gestaltungsmöglichkeiten für Schulen abzielen. An diesem Gedanken der Kommunalisierung bzw. Autonomisierung von Schule knüpft Wolfgang Weiß an, sieht aber dafür andere, historische Belege.3 Hierbei muss berücksichtigt werden, dass die kommunale Schule wohl dann entstanden ist; die kommunale Versorgung mit Jugendarbeit, Jugendhilfe und Familienhilfe ebenso wie die Erwachsenenbildung würde noch einmal andere historische Wurzeln zutage führen. Es geht Weiß um den Nachweis, dass es schon historische Belege dafür gibt, dass sowohl die inneren als auch äußeren Schulangelegenheiten in einer Hand lagen und es gute Beispiele für ein solches Modell gibt. In der Darstellung der historischen Wurzeln verläuft die Sichtweise der Kulturpädagogik noch einmal quer zu anderen Sichtweisen. Max Fuchs erkennt in der Entwicklung hin zu einer kommunalen Bildung die große Bedeutung von Öffnungen, die er bis in die frühen 70er Jahre des vorherigen Jahrhunderts sieht: »Diese Etappe bei der Entstehung der kulturellen Bildungslandschaften lässt sich wie folgt charakterisieren: Grundlage war ein soziales, demokratisches und emanzipatorisches Verständnis von Kulturpolitik (»Soziokultur«), dem wiederum ein weiterer Begriff von Kultur zugrunde lag (UNESCO: Kultur ist Kunst plus Lebensweise). Kybernetik 2 Olk/Stimpel, in: Otto/Bollweg: Bildungslandschaft – Raum flexibler Bildung, Wiesbaden, 2011, S. 169. 3 Weiß, Kommunale Bildungslandschaften, Weinheim, München, 2011, S. 143 u. 157.
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unterstützte auf Seiten der Wissenschaften den Netzwerkgedanken verbunden mit einer großen Überzeugung in die Planbarkeit gesellschaftlicher Prozesse: Es war zugleich die Geburtsstunde der kommunalen Kulturentwicklungsplanung wie von planmäßiger Stadtentwicklung insgesamt. »Wege zur menschlichen Stadt« war das legendäre Motto der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages im Jahre 1973 als Reaktion auf die kritischen Schriften etwa von Alexander Mitscherlich: Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Bildung und Kultur galten als Motoren einer solchen humanen Stadtentwicklung. Kulturpolitik wurde als kulturelle Bildungspolitik konzipiert: Kultureinrichtungen wurden als Bildungsorte und Bildungseinrichtungen als Kulturorte verstanden, die eng zusammenarbeiten sollten. All diese Ideen wurden dann in der Kulturpolitik in den 1980er und 1990er Jahren gründlich vergessen. Nunmehr waren andere Paradigmen vorherrschend: Kultur als Wirtschaftsfaktor, Kultur als Arbeitsmarkt, die Umwegrentabilität von Kulturereignissen, Kultur als Teil des Stadtmarketings. Es ging also um eine Ökonomisierung von Kultur: In betriebswirtschaftlicher Sicht gab es die Entdeckung des Kulturmanagements als Optimierung der Führung und Leitung von Kulturbetrieben, in volkswirtschaftlicher Sicht machte man sich den Anteil des Kulturbereichs am Bruttosozialprodukt und am Arbeitsmarkt klar. Auch diese nationale Entwicklung war eingebettet in internationale Debatten und Projekte etwa im Europa-Rat. Seither spielt eine ökonomische Betrachtung von Kultur – heute gipfelnd in einer Konjunktur der Kultur- und Kreativwirtschaft und in einem Verständnis von Kultur- als Kulturwirtschaftspolitik – gerade auf der Ebene der Europäischen Union, eine unvermeidliche Rolle in jeder kulturpolitischen Debatte.«4 Ökonomisierung und Verengung oder Instrumentalisierung von Bildung und Kultur scheint mit den Bildungslandschaften einherzugehen. 4 Fuchs, in: Bollweg/Otto: Räume mit flexibler Bildung – Bildungslandschaften in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 127f.
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Es gibt noch einen Ansatz, der die Wurzeln der kommunalen Vernetzung von Übergängen in den Blick nimmt und dafür die Wurzeln bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurückverfolgt. Welche Ideen und systematischen Hintergründe das Thema darüber hinaus haben könnte, wird kaum oder allenfalls implizit erwähnt (s. Oelkers). Auch gibt es keine Darstellung, die versucht, die unterschiedlichen Ursprünge in den gesellschaftlichen, den überregionalen und regionalen politischen und bildungsgeschichtlichen Aspekten auseinanderzuhalten. Die Frage, was kommunalpolitisch und was pädagogisch zur Problematisierung der bisherigen Vorgehensweise in Sachen Bildung geführt hat, wird nicht herausgearbeitet. Eine Offenlegung und Darstellung der unvermeidlichen Selektivität dieses komplexen Themas würde der Diskussion guttun. Geht es um kommunale Aspekte? Wird die Schule oder werden andere Bildungsaspekte in den Vordergrund gestellt? Es wäre wichtig, dass Autor*innen, die historische Betrachtungen anstellen, vorher ihre Referenz klären oder sagen, um welchen Aspekt es ihnen geht. Das hätte den Vorteil, dass die Leser*innen wüssten, dass es sich letztlich um einen Ausschnitt der möglichen Themen handelt. Wird die kommunale Bildungspolitik oder die Verwaltung von Schule und Bildung angesprochen? Geht es um die Ideengeschichte von Bildung in der Kommune oder um die Realgeschichte der kommunalen Bildungsgestaltung? Es gibt sicher noch weitere Varianten. Wichtig ist aber, dass diese Unterscheidungen für eine seriöse Darstellung von Bedeutung sind. Wer sich auf eine Art der Geschichte beziehen will, sollte die anderen möglichen Bezugsaspekte nicht verschweigen. Mit welcher Frage wird welche Geschichtsbetrachtung angegangen? Die Entscheidung für bestimmte Ausschnitte der Bildungslandschaft findet – ausgesprochen oder unausgesprochen – vor dem Hintergrund einer Systematik statt. Die Entscheidung für die Realgeschichte, wie sie im Augenblick noch vorherrscht, beleuchtet zu wenig, dass es schon lange vorher Ideen zu der Verflechtung von Bildung und Kommune gegeben hat, die sich als Regulativ für die realen Abläufe erweisen können.
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Welche Konzepte für die Bildungslandschaften hat es schon einmal gegeben, was ist aus ihnen geworden? Sind diese Konzepte eher der Kommunalverwaltung, der Kommunalpolitik oder der Bildungs- und Erziehungsideen zuzuordnen? Auf der anderen Seite könnte eben auch für die Realgeschichte gefragt werden, ob es um kommunale oder pädagogische Aspekte geht. Werden besonders die Einflüsse der kommunalen Öffentlichkeit betrachtet oder eher gesellschaftliche, kulturelle oder parteipolitische Einflüsse? Je nach Gewichtung der Aspekte »kommunale Politik«, Verwaltung oder Bildung bzw. Schule lassen sich andere Stationen ausmachen, die für die Geschichte bedeutsam sind. Das muss nicht verwundern. Allerdings lässt sich eine Gewichtung erkennbar machen, womit auch die Möglichkeit eröffnet wird, andere Varianten der Geschichtsschreibung zuzulassen. Im Augenblick herrschen Bilder vor, die sich schwerpunktmäßig mit der Kommune beschäftigen und die Entstehung von regionalen Bildungs- und Erziehungskonzepten kaum beachten. So habe ich keinen Text gefunden, der die kommunale Geschichte der Sozialpädagogik oder der Erwachsenenbildung im Rahmen von Bildungslandschaften in den Vordergrund stellt. Die Möglichkeiten der Geschichtsschreibung liegen in der Auseinandersetzung mit der realgeschichtlichen Entwicklung. Wie war es früher, was wurde erreicht und was wurde nicht erreicht? Ohne Maßstäbe für eine Beurteilung lassen sich diese Fragen nicht beantworten. Maßstäbe lassen sich wiederum theoretisch und/oder ideengeschichtlich gewinnen. Die Ideengeschichte stellt problemorientiert Fragen an frühere Theoretiker*innen. Welche Vorschläge gibt es historisch bzgl. der Zuständigkeit für Bildung in kleinen Einheiten und welche Vorschläge gibt es in Bezug auf die Frage, wie eine kommunale Öffentlichkeit die Verantwortung für Bildungseinrichtungen übernehmen würde? Ein Beispiel für eine solche Herangehensweise soll hier gegeben werden. Sie stammt von Herwart Kemper, der sich eigentlich die Frage nach den historischen Wurzeln der Institution Schule stellt. Hier soll eine ganz andere Herangehensweise, die stärker der Ideengeschichte zuzuordnen ist, vorgestellt werden. Dabei geht es weniger um die mehr oder minder guten Problemlösungsvorschläge, als um den
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Nachweis, dass die Suche nach kommunalen Lösungen von Bildungsproblemen viel älter ist, als in den bisherigen Texten suggeriert wird. Die dritte Variante geht einen ganz anderen Weg und ist nicht der Realgeschichte zuzuordnen, sondern vielmehr der konkreten Frage, wann die ersten kommunalen Initiativen zur Gestaltung der Schulund anderer Bildungsangelegenheiten von der Kommune oder einer anderen Verwaltungseinheit unterhalb des Landes geregelt worden sind. Das Problem wird aber vielmehr in der Staatlichkeit der Schule gesehen, die die Gefahr eines Erziehungsstaates mit sich bringt. Wenn der Staat in erster Linie an der Erziehung der Bürger interessiert ist und möglicherweise noch die »employability« im Sinne der Arbeitskräfteerwartung der Wirtschaft als Bildungszweck im Sinne hat, dann stellt sich die Frage nach Alternativen. Diese werden heute in erster Linie in »Alternativschulen« gesehen, die einen deutlichen Anstieg an Anmeldungen verzeichnen können. Der Staat unterstützt solche Schulen und schafft damit sozusagen die eigene Konkurrenz. Das war vor 200 Jahren noch nicht abzusehen und deshalb wurde die Staatlichkeit der Schulen und die »Verzweckung« von Schulbildung für den Staat lebhaft diskutiert. Der Beitrag von Herbart soll kurz beschreiben, wie die Gedankengänge aussahen. Herbart baut seine Konzeption kommunaler Bildung auf einer Erziehungs- und Schulkritik auf, die eine voreilige Instrumentalisierung der Pädagogik für wirtschaftliche und politische Zwecke in Frage stellt. Darauf weist Kemper hin. »Aufgrund ihrer unterschiedlichen praktischen Aufgabenstellung darf folglich die Pädagogik nicht zu einem Mittel der Politik und die Politik nicht zu einem Mittel der Pädagogik verkürzt werden: ›Denn niemals lernt derjenige eine Sache recht kennen, der damit anfängt, sie als Mittel zu etwas anderem zu gebrauchen‹.«5 Dieser Satz wird von Kemper aber auch in die entgegengesetzte Richtung interpretiert: Er weist darauf hin, wie wichtig die relative Autonomie beider gesellschaftlicher Felder ist: »Führt der Weg von der 5 Kemper, Schule und bürgerliche Gesellschaft. Zur Theorie und Geschichte der Schulreform von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Rudolstadt und Jena, 1999, S. 116.
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Politik in die Pädagogik zu einer technischen Verkürzung, der umgekehrte Weg von der Pädagogik in die Politik aber zu einer maßlosen Überspannung pädagogischen Handelns, so müssen die Aufgaben der öffentlichen Erziehung sowohl pädagogisch als auch politisch neu bestimmt werden.«6 Das ist der Hintergrund, den Johann Herbart zu einem grundlegenden Nachdenken über die Strukturen und Gegebenheiten der staatlichen Pflichtschule anregt. Dabei spielen weitere kritische Anfragen eine Rolle. Herbart sucht nach Alternativen zu den »Abhängigkeiten des Hauslehrers von der Familie«, die zu seiner Zeit noch sehr weit verbreitet waren und der »Abhängigkeit des Unterrichtsbeamten vom Staate«. Vor dem Hintergrund des Versuchs, einen Widerstreit zwischen diesen beiden Formen der Abhängigkeit aufzulösen, müssen die Lösungsversuche gesehen werden, nach denen Herbart sucht7 . »Dieses neue ›mittlere‹ Verhältnis zwischen Hauslehrer und Schullehrer erscheint Herbart erreichbar, wenn die Erziehung weder als reine Privatsache der Familie noch als eine öffentliche Aufgabe des Staates, sondern als Angelegenheit der Städte und kleineren Kommunen angesehen wird, die zwischen Staat und Familie stehen: ›So als Kommunalangelegenheit betrieben, würde die Erziehung zugleich öffentlich und häuslich sein und vielversprochenen Vorteile des einen und der anderen Art vereinigen‹«.8 Unabhängig von den Schwierigkeiten, die mit einem solchen Konzept verbunden sind, kann uns die Vorgehensweise und die Identifikation der Problemlage heute durchaus einige Impulse geben. Letztlich überwiegt der utopische Anteil in der Konzeption von Herbart. Auch 200 Jahre danach sind gewisse Erwartungen, wie an die 6 Kemper, Schule und bürgerliche Gesellschaft. Zur Theorie und Geschichte der Schulreform von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Rudolstadt und Jena, 1999, S. 118. 7 S. Herbart, Allgemeine Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet. 8 Kemper, Schule und bürgerliche Gesellschaft. Zur Theorie und Geschichte der Schulreform von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Rudolstadt und Jena, 1999, S. 120.
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institutionelle Erziehung in Schulen, noch nicht Wirklichkeit geworden. »Die konstruktive Wendung, die Herbart seiner pädagogischen Schulkritik durch eine kommunale Erziehungskonzeption zu geben versucht, setzt folglich Veränderungen des staatlichen Verwaltungshandelns im schulischen Bereich voraus, die außerhalb der Reichweite der Pädagogik lagen und letztlich nur politisch durchgesetzt werden konnten.9 Ob es pädagogische klug ist, die Grenze zur Politik heute aufzuheben und sich als politisch-pädagogische Instanz zu verstehen, wird sich zeigen. Aber offensichtlich besteht heute die Hoffnung, mit dem Ansatz der Bildungslandschaft eine Entgrenzung der Pädagogik einzuleiten und sozial- und kommunalpolitisch tätig zu werden. Dieser Gedanke soll hier aber nicht weitergeführt werden. An erster Stelle steht der Hinweis auf eine Geschichte der kommunalen Bildungslandschaften, die auf Anregungen zurückgeht, welche über 200 Jahre alt sind. Es spricht vieles dafür, dass eine Geschichtsschreibung, die sowohl für uns weiterführende Ideen und Problembeschreibungen aufnimmt als auch stärker den realen praktischen Anstrengungen auf kommunaler Ebene gerecht wird, hilft, pädagogische Konzepte umzusetzen. Die schon angesprochenen und auf eine längere Tradition verweisen könnenden Erziehungs- und Bildungspläne der Jugendhilfe und Erwachsenenbildung gehören sicher auch dazu. Gerade die Erfahrungen in der Jugendhilfeplanung sind da von Bedeutung.
7.2 Ziele der Bildungslandschaften Es wird im Zusammenhang immer wieder von Zielen und Zielüberprüfungen gesprochen. Wer sich mit der Frage beschäftigt, was die Ziele der Bildungslandschaften sind, stößt auf eine enorme Bandbreite von Zielkatalogen. 9 Kemper, Schule und bürgerliche Gesellschaft. Zur Theorie und Geschichte der Schulreform von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Rudolstadt und Jena, 1999, S. 125f.
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Lässt sich im Zusammenhang mit Bildung und Erziehung überhaupt angemessen in Zielkategorien und Zielabsprachen diskutieren? Zum einen wird darauf verwiesen, dass Ziele auch überprüfbar sein müssen und somit Kriterien für eine angemessene Überprüfbarkeit benötigen. Wenn es um Kompetenzen und Kompetenzmessungen geht, scheint das umsetzbar. Eine Möglichkeit scheint zu sein, die Differenz von Kompetenzen und Bildung nicht zu unterschlagen und gleichwohl auf einer Überprüfbarkeit von Lernleistungen zu beharren. •
•
Die Bedeutung von Zielnennungen innerhalb der Bildungslandschaften. Dies steht im Widerstreit zu der Frage, was die Einführung der Bildungslandschaften für Ziele verfolgt. Darüber hinaus werden Alternativen nicht in Erwägung gezogen. Welche Ziele auf welchen Ebenen lassen sich erkennen?
Im Zuge der zunehmenden Bedeutung der empirischen Bildungsforschung wird davon gesprochen, dass es wichtig ist, Ziele für bestimmte Maßnahmen zu benennen, die dann auch nachprüfbar sind. Haben Handlungen dazu geführt, diese zu erreichen, die vorher gesetzt wurden? Und: Anhand welcher Kriterien kann sichtbar werden, dass sie erreicht wurden? Dieses Vorgehen hat den großen Vorteil, dass eine Versachlichung der Diskussionen um die Fragen nach Bildung und Bildungszielen erfolgt. Problematisch ist dieses Vorgehen dann, wenn die Entschlüsse keine allgemeine Akzeptanz finden oder sich in den Prozessen erst herauskristallisieren müssen. Die Normativität der Ziele wird hinterfragt, die sowohl wissenschaftlich als auch öffentlich gesetzt und als zu akzeptieren festgelegt wird. Die Zielausrichtung wird innerhalb der Bildungslandschaften immer wieder eingefordert bzw. eine empirische Überprüfung der Zielerreichung angemahnt. Besonders das Bildungsmonitoring, das in dem Modellprojekt »Lernen vor Ort« eine herausragende Stellung einnimmt, aber auch in anderen Zusammenhängen seine Bedeutung bekundet, bezieht sich auf Messbarkeit. Das steht aber im Widerspruch zur Durchsetzung der Gesamtthematik Bildungslandschaften.
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Hier spielen die Zielbenennung und mögliche Überprüfungen der Zielerreichung bislang keine Rolle. Was soll mit der Einführung der kommunalen Bildungslandschaften erreicht werden, welche möglichen Alternativen könnte es geben und wie lassen sich die Ziele empirisch überprüfen? Darüber hinaus wird selten klar formuliert, welche Probleme die Bildungslandschaften lösen wollen und warum die Lösungen in bestehenden Strukturen und mit bestehenden Lösungsmustern nicht möglich sind. Letztlich lassen sich implizit aus den Aufsätzen zu Bildungslandschaften deutlich mehr Zielbenennungen herauskristallisieren. Jörg Fischer10 spricht von einer »anspruchsvollen Zielpalette«. Vor diesem Hintergrund soll hier eine erste und vorläufige Auflistung der Ziele erfolgen. Allgemeine oder übergreifende Ziele:11 • • •
Bildungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit Chancen für alle Demographie
Formale Ziele: • • •
Verbindung von innerer und äußerer Schulverwaltung12 Beteiligung Vernetzung13
Ziele im Sinne einer Verbesserung für die Adressaten/Klienten: 10 Fischer, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012, S. 48. 11 In: Bleckmann, Bildungslandschaften, S 133-151 u. 204. 12 Maykus, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften – Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 2009. 13 Fischer, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012.
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• •
Beseitigung von Kinderarmut14 Ganzheit der Bildung, Kohärenz15
Ziele für die Kommunen: • • •
Standortfaktor16 interkommunale Zusammenarbeit17 Verhältnis zu Ebene der Landesverwaltung18
Eine Systematisierung wäre an dieser Stelle ebenso von Vorteil wie eine Eingrenzung auf pädagogische und politische Ziele unter Einbeziehung gesellschaftlicher Veränderungen. Es besteht eine Gefährdung der Überladung von Bildung, einer Gefährdung durch Instrumentalisierung für Sozialpolitik und einer einseitigen Instrumentalisierung für den regionale Arbeitsmarkt.
7.3 Zum Verständnis von Bildung Die Idee der kommunalen Bildungslandschaften wird häufig damit begründet, dass ein neues Bildungsverständnis erforderlich ist, das den modernen Ansprüchen stärker Rechnung trägt. Eine wichtige Quelle der Möglichkeit ein solches Bildungsverständnis zu erlangen, wird darin gesehen, zu zeigen, dass Bildung nicht auf Schulbildung 14 Fischer, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012. 15 Becker/Lohre, in: Bollweg/Otto: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011; Gellrich, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012. 16 Eichert, in: Solzbacher/Minderop: Bildungsnetzwerke und regionale Bildungslandschaften – Ziele und Konzepte, Aufgaben und Prozesse. München, 2007. 17 Tibussek, in: Bleckmann: Lokale Bildungslandschaften – Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen, Wiesbaden, 2009. 18 Weiß, Kommunale Bildungslandschaften, Weinheim, München, 2011; Tibussek/Riedt, in: Bleckmann: Bildungslandschaften – Mehr Chancen für alle, Wiesbaden, 2012.
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reduziert werden sollte. Der zum Slogan gewordene Anspruch, dass Bildung mehr als Schule ist, durchzieht viele Argumentationen für die Bildungslandschaften. Dabei gibt es keine Klarheit über das Bildungsverständnis dieses Ansatzes. Zur Vielzahl der Auffassungen in Bezug auf die Bildungslandschaften tritt die Vielzahl der »Definition[en] von Bildung selbst«.19 Jürgen Oelkers tritt mit einem Votum für ein Verständnis von Bildung in die Diskussion ein, das über Schulbildung hinausgeht. Er bezieht sich dabei eher auf verbreitete gesellschaftliche Vorstellungen und weniger auf ein Bildungsverständnis, das innerhalb der erziehungswissenschaftlichen Disziplin vorherrscht. »Das Feld der gesellschaftlichen Bildung ist viel größer, als es die Fixierung der öffentlichen Aufmerksamkeit auf die staatlichen Schulen und das, was sie falsch machen, ahnen lässt. Das gilt umso mehr, weil eigentlich nur die Gymnasien für Aufregung sorgen, nachdem die Hauptschulen erfolgreich abgeschrieben worden sind. Berufsschulen scheint es gar nicht zu geben.«20 Oelkers votiert für die Volksbildung, die stärker einer pragmatischen Denkweise dessen entspricht, was tatsächlich in Bildungsprozessen beim Menschen geschieht. Den überzogenen Ansprüchen einer emphatischen Bildung, die dem deutschen Idealismus und den pädagogischen Denker*innen der Sattelzeit verpflichtet ist, will Oelkers ein ubiquitäres Verständnis entgegensetzen. Deshalb ist für ihn besonders eines zentral: die Volksschule. Für ihn war die »Volksschule in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Paradigma der modernen Schulorganisation, die sich auf die Bewältigung großer Zahlen einstellen musste und schon aus diesem Grund gegenüber der Theorie der Bildung immer nur defizitär erscheinen konnte.«21 Die Kehrseite einer überzogenen Erwartung an elitäre Bildung sieht Oelkers in der regelmäßig einsetzenden Bildungspanik. Für ihn ist die 19 Kolleck, in: Fischbach/Kolleck/Haan: Auf dem Weg zu nachhaltigen Bildungslandschaften. Lokale Netzwerke erforschen und gestalten, Heidelberg, 2015, S. 28. 20 Oelkers, Bildungslandschaften und regionale Bildungsentwicklung, Koblenz, 2011, S. 1. 21 Oelkers, Bildungslandschaften und regionale Bildungsentwicklung, Koblenz, 2011, S. 1.
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»hyperkritische Sehnsucht«22 , die sich in Alarmismus ausdrückt und auf die »deutsche Bildungskatastrophe«23 hinweist, nur vor dem Hintergrund einer überzogenen Erwartung der deutschen Öffentlichkeit an eine Bildung, die als »zweckfreie Selbstformung«24 interpretiert wird, erklärbar. Die Volksschule sieht er demnach als ein völlig vernachlässigtes Erfolgsmodell an, das im Bewusstsein der Öffentlichkeit nicht angekommen sei. Oelkers will sich also für Volksbildung und für realitätsnahe Bildungsprozesse einsetzen. Dem stehen seiner Meinung nach überzogene Bildungsansprüche entgegen. »Ein Ausweg wäre die Erdung des Bildungsbegriffs, in einem Land, das bis heute zwischen ›Bildung‹ und ›Ausbildung‹ zu unterscheiden weiß, weil die Gymnasiasten nicht mit den Lehrlingen verwechselt werden sollen. Aber Bildung ist nicht einfach das Hoheitsgebiet des deutschen Gymnasiums, wie die deutschen Eliten bis heute annehmen, woraus folgen würde, alles andere aus der Bildung auszuschließen. Von kommunalen Bildungslandschaften könnte keine Rede sein. Aber man kann den Bildungsbegriff auch erden, nämlich auf seinen Ort beziehen, dorthin wo das Geschehen stattfindet.«25 Oelkers setzt sich also für eine Bildung ein, die nicht idealistisch überladen ist und damit einer Entdeckung von geerdeten Bildungsprozessen nicht im Wege steht. Was Bildung ist, wie sie ermöglicht wird und wie sie den Menschen neue Orientierungen und Selbstwahrnehmungen ermöglicht, sollte unter den jeweiligen Bedingungen, in den jeweiligen Zeiten und an den jeweiligen Orten entdeckt und gewürdigt werden. Die Idealismen und historisch überhöhten Ansprüche ebenso wie die Musealisierung von Bildung verhindern die Sensibilität und Of22 Oelkers, Bildungslandschaften und regionale Bildungsentwicklung, Koblenz, 2011, S. 1. 23 Oelkers, Bildungslandschaften und regionale Bildungsentwicklung, Koblenz, 2011, S. 1. 24 Oelkers, Bildungslandschaften und regionale Bildungsentwicklung, Koblenz, 2011, S. 1. 25 Oelkers, Die Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim. 2011, S. 2
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fenheit für die Realität bzw. tatsächlich stattfindende Bildungsprozesse – so könnte man Oelkers verstehen. Damit gerät eine andere Größe für Oelkers in den Blick, die hinter dem überhöhten und ungeerdeten Bildungsanspruch übersehen wurde. »Die Entwicklung des Bildungssystems hat sich nie global vollzogen, sondern immer kommunal und deshalb mit großen Unterschieden.«26 Als nächste Größe, die mit der Lokalität von Bildungsentscheidungen zusammenhängt, sieht er die »Basis«.27 Das sind für ihn die jeweiligen Einzelinstitutionen, aber auch die Fachkräfte. Für Oelkers wäre es »naiv [,] […] nicht mit einer eigenständigen Basis zu rechnen, die über Echos kommuniziert, sich auf die eigene Erfahrung verlässt und sich am Ende keine andere einreden lässt. Die Kunst ist, die Basis für ein Projekt zu gewinnen und mit fremden Ideen Akzeptanz zu erlangen.«28 Es geht dem Autor um die kleinen Einheiten, die übersehenen Institutionen und die in ihrer Bedeutung vernachlässigten Kräfte in diesen Institutionen. Das ist der Grund für das Engagement des Erziehungswissenschaftlers. Der Bildungsbegriff, den Oelkers im Blick hat, soll sich für die vernachlässigten Prozesse öffnen. Die Berücksichtigung von Pluralität in den Bildungserfahrungen und die Wahrnehmung von ganz unterschiedlichen Situationen, in denen wichtiges für das Leben gelernt wird, gehört dazu. »Die Metapher der ›Bildungslandschaft‹ lässt sich am besten fassen, wenn man sie als Verkoppelung von brauchbaren Lernanschlüssen konzipiert, bei denen auch das informelle Lernen Berücksichtigung findet. ›Informelles Lernen‹ steht für Erfahrungen außerhalb von Lernfeldern, die zu formellen Anschlüssen führen. Früher hieß das ›Lebenserfahrung‹, die nicht durch Unterricht zustande kommt, sondern selbst gesteuert ist.«29 26 27 28 29
Oelkers, Die Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim. 2011, S. 2. Oelkers, Die Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim. 2011, S. 2. Oelkers, Die Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim. 2011, S. 2. Oelkers, Die Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim. 2011, S. 3.
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Ein Verständnis eines realitätsnahen und gesellschaftlich akzeptierten Verständnisses des Bildungsbegriffs sieht er in der Verknüpfung von schulischer Bildung und informellem Lernen: »Kinder und Jugendliche lernen vieles, was für sie bedeutsam ist, nicht innerhalb, sondern außerhalb der Schule und nicht durch Unterricht, sondern durch Erfahrung mit anderen. • • •
• •
Kein Lehrplan vermittelt den Dresscode der Bezugsgruppe, kein Sprachunterricht unterstützt den Slang der Peers, mit dem die Zugehörigkeit geregelt wird, keine Schullektüre gibt Aufschluss darüber, wie ein Liebesgeständnis gestaltet werden soll oder ob so etwas überhaupt noch zeitgemäß ist, kein so genanntes »eigenständiges Lernen« in der Schule löst ein Problem im Alltag und jeder »Förderunterricht« fördert Talente nur im Blick auf schulische Ziele.«30
Oelkers sieht also einen Widerstreit, der sich zwischen einem idealisierten und vor allem gymnasialen Bildungsverständnis (Elite) und einem die breite gesellschaftliche Realität (bildungsferne untere Schichten) darstellenden Bildungsverständnis auftut. Er plädiert dafür, Bildung dort in den Blick zu nehmen, wo sie »stattfindet« – also vor Ort bzw. in den Kommunen. Aus diesem Grund sieht und benennt er viele gute Argumente für das Bundesprogramm »Lernen vor Ort«. Denn es »bezieht sich auf den Bildungsraum. Wichtig ist nicht einfach nur das Lernen, das überall geschehen kann, sondern tatsächlich der Ort.«31 Weitere Aspekte zum Widerstreit zwischen schulischer Bildung und informellem Lernen fügt ein Beitrag von Karin Böllert hinzu.32 Sie sieht gute Gründe für einen sozialpädagogischen Bildungsbegriff. 30 Oelkers, Die Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim. 2011, S. 3. 31 Oelkers, Die Neugestaltung von Bildung vor Ort, Geisenheim. 2011, S. 8. 32 Böllert, in: Bollweg/Otto: Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 113-124.
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Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als ginge es der Autorin auch um die Würdigung von außerschulischen und nicht formalisierten Bildungsprozessen, so wird doch deutlich, dass sie eine Stärkung der Sozialpädagogik wünscht. Mit einem Verweis auf eine Definition von Thomas Rauschenbach macht sie genau das deutlich: »die Frage, die einem umfassenden Bildungsanspruch gerecht wird, muss daher zunächst lauten: Was müssen Kinder und Jugendliche lernen, wissen und können, um ihre je eigene Zukunft bewältigen zu können, welche Bildungsangebote sollten ihnen zur Verfügung stehen?«33 Die Schwierigkeiten eines zeitgemäßen Bildungsbegriffs sieht sie ähnlich wie Oelkers in einer Konzentration auf die Schule, die dann auch auf das Verständnis von Bildungslandschaften Auswirkungen hätte. Sie sieht ein Problem darin, dass zu Beginn der Diskussion »regionale Bildungslandschaften vorrangig, wenn nicht sogar ausschließlich, von [der] Schule aus gedacht wurden: ausgehend von der regionalen Schullandschaft sollte der Weg hin zu einer regionalen Bildungslandschaft erfolgen. Außerdem waren fehlende Aktivitäten der Kinder- und Jugendhilfe mehr oder weniger offensichtlich.«34 Andere Unterscheidungen, wie die zwischen alltäglichen Erfahrungen und Allgemeinbildung, auf welche beispielsweise von Oelkers noch hingewiesen wird, werden von beiden Autoren nicht für wichtig erachtet. Für Böllert ist die »Region« nicht so sehr von Bedeutung, auch wenn diese nur als Metapher (ähnlich wie von Oelkers) verstanden wird. Ein sozialpädagogisches Bildungsverständnis hat eine höhere »Zukunftstauglichkeit«, so könnte man es beschreiben. Die Autorin stellt eine Dreiteilung des Verständnisses von Bildung dar, die in vielen Schriften – so die Autorin – von Bedeutung ist: »Kinder und Jugendliche bleiben heute länger in Institutionen der Erziehung, Betreuung und Bildung als je eine Generation zuvor. Hinzu kommt, dass individuelle, informelle 33 Böllert, Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 115. 34 Böllert, Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 114.
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und selbstgesteuerte Bildungsprozesse zunehmen und zwar sowohl innerhalb wie außerhalb von Institutionen. In internationalen Bildungsdiskussionen hat sich daher die Unterscheidung von informeller, nichtformeller und formeller Bildung durchgesetzt. Bezogen auf die Zuordnung einzelner Bildungsorte zu diesen Bildungsprozessen ist von einer idealtypischen Abgrenzung auszugehen, da informelle, nicht-formelle und formelle Bildungsprozesse in je unterschiedlicher Gewichtung an verschiedenen Bildungsorten zum Tragen kommen.«35 War es die Absicht von Jürgen Oelkers, die berufliche Bildung und die Volksbildung gegenüber der gymnasialen Bildung aufzuwerten, so schließt sich Böllert den »internationalen Bildungsdiskussionen« an.36 Böllert möchte wohl erreichen, dass Praktiker*innen und Öffentlichkeit über das Bildungsverständnis der Schule hinausgehen und sehen, wie in der Kommune und in der Vernetzung der Bildungseinrichtungen ein wichtiges, ohnehin vernachlässigtes Verständnis von Bildung aktuell im Hintergrund steht. Das ist eine nachvollziehbare Absicht, die aus Sicht einer reflexiven Praxis unterstützt werden könnte. Für die Einführung und Begründung von Maßnahmen, die hin zu kommunalen Bildungslandschaften führen, wäre eine Grundlegung wichtig. Ein zeitgemäßes und nicht-elitäres Bildungsverständnis könnte dafür einen wichtigen Beitrag liefern. Im Augenblick dominieren noch die beiden genannten Begründungsformen: Zum einen wird ein erweitertes Bildungsverständnis gegen einen überhöhten und elitären Begriff von Bildung angeführt (Oelkers). Zum anderen wird auf die Bedeutung von Bildungserfahrungen in den anderen pädagogischen und auch nicht-pädagogischen Feldern hingewiesen (Böllert). Was bei diesen Argumentationslinien ausgeblendet bleibt, kann hier nur angedeutet werden. Bei Oelkers wird auf die fachliche und eben nicht-elitäre Diskussion innerhalb der Pädagogik zum Thema 35 Böllert, Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 117. 36 Böllert, Räume flexibler Bildung. Bildungslandschaft in der Diskussion, Wiesbaden, 2011, S. 117.
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Bildung verzichtet. Glaubwürdiger wäre die Argumentation möglicherweise, wenn eine Auseinandersetzung mit dem, was man vormals als Volksbildung verstand, stattgefunden hätte oder mit der Diskussion um die allgemeine Menschenbildung in Auseinandersetzung mit der Schulbildung. Der nicht-elitäre Anspruch von Bildung könnte eben auch vor dem Hintergrund der Entlarvung von Halbbildung geführt werden. Wer auf diese Diskussionstradition verzichtet, setzt sich dem Verdacht aus, die fachliche Diskussion für unnötig zu halten.
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Ansatz dieses Arbeitsbuches Dieses Arbeitsbuch möchte eine Betrachtung der Bildungslandschaften aus pädagogischer Perspektive vornehmen. Es versteht sich als Anregung zur Aufarbeitung von Fragen und Mittel, um erste Antworten zu formulieren. Das Buch basiert dabei auf dem Konzept der reflexiven Praxis und versucht, deren Möglichkeiten Impulsgeber für die Theorie auszuschöpfen. Wer diesen Weg beschreitet, gelangt zu erstaunlichen Ergebnissen. Letztendlich führt er zur Erkenntnis, dass eine Pädagogik der Bildungslandschaften etabliert und dieser an den Hochschulen eine Bedeutung zugesprochen werden sollte. Bei diesen Überlegungen darf nicht übersehen werden, dass es bisher noch keine Theorie der Bildungslandschaften gibt und hier folglich nur Anregungen aus pädagogischer Sicht formuliert werden können und sollen.
Brauchen wir eine Handlungstheorie für die Bildungslandschaften? In der Forschung gibt es keinen Konsens zu der Frage, ob eine Handlungstheorie überhaupt sinnvoll ist und für die Bildungslandschaften erstrebenswert wäre. Aus Sicht der verantwortlichen Entscheider im Bereich der Bildungslandschaften wäre eine solche Theorie allerdings eine wichtige Leistung der Wissenschaft. Denn die Handlungen und strategischen Weichenstellungen könnten dann mit Kriterien überprüft und an diesen ausgerichtet werden.
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Teil III: Hintergründe der Bildungslandschaften und Näheres zum Vorgehen
Beispielhaft für viele denkbare Handlungsfragen sollen einige praktisch relevante angeführt werden: •
Was ist ein kommunales Bildungsmanagement und welche anderen Wissenschafts- und Praxisfelder sollten im Kontext der Bildungslandschaften berücksichtigt werden?
•
Was ist das überhaupt für eine Praxis, die mit Bildungsmanagement umschrieben wird? Üblicherweise meint Management in pädagogischen Einrichtungen, dass es in erster Linie um Wirtschaftlichkeit und ökonomische Aspekte geht. Das trifft aber auf kommunales Bildungsmanagement nur sehr begrenzt zu. Hier geht es allerdings um Verknüpfung und kommunale Steuerung. Was hat das mit Pädagogik zu tun bzw. wie lässt sich das pädagogisch begründen?
•
Wie lassen sich Netzwerkarbeit und kooperative Tätigkeiten sinnvoll begründen? Warum sollten Praktiker*innen darauf wertvolle Zeit verwenden, die nicht mehr für die direkte Erziehungs- und Bildungsarbeit zur Verfügung steht?
•
Damit rücken vielfach denkbare Vorwürfe an die Pädagog*innen heran: Wie entziehen sie sich dem Kerngeschäft, der Erziehung und Bildung, und wie lässt sich das pädagogisch begründen?
•
Was sind die Methoden und Konzepte der Arbeit in den Bildungslandschaften? Welche sollten in bestimmten Situationen eingesetzt werden und welche nicht?
•
Gibt es sinnvolle Verbindungen zwischen den Aktivitäten auf unterschiedlichen Ebenen? Welche Rolle spielt ein Lenkungskreis für Bildung in der Kommune und welche Fall- bzw. Fachverantwortung kommt diesem oder vergleichbaren Gremien zu?
8 Zum Vorgehen dieses Arbeitsbuches
•
Wie viel Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit kann und sollte ein Bildungsbüro haben und wie lässt sich ein solches Büro sinnvollerweise zwischen Schul- und Jugendamt verordnen?
•
Damit treten Fragen auf, die das Verhältnis der Pädagogik zur Kommunalpolitik, aber auch zu anderen Disziplinen betreffen. Wie lassen sich diese Beziehungen sinnvoll einordnen? Kommt der Politik eine höhere Stellung zu als der Pädagogik und wie viel Lenkungsverantwortung kommt dazu?
In dieser Studie wiederum soll der Frage nachgegangen werden, wie es überhaupt möglich ist, verantwortungsvoll zu handeln, wenn es keine oder nur wenige Rahmenbedingungen gibt bzw. kaum geklärt ist, was ein pädagogisches Handeln im Rahmen von Bildungslandschaften ausmachen könnte. Wer sich mit dieser Frage beschäftigt, wird erkennen, dass Alltagstheorien und viele subjektive Reflexionsmuster einer gewissen Logik folgen. Denn die Fragen stehen nicht nur im Raum, sondern werden durch die täglichen Entscheidungen auf die eine oder andere Art beantwortet. Bisweilen werden die Antworten, die die Akteure durch ihre Entscheidungen geben, im kollegialen Austausch problematisiert. Häufig werden besagte Fragen aber auch einfach übergangen und als situative (Einzel-)Entscheidungen behandelt. Das Ziel, Vorstellungen zu den pädagogischen Möglichkeiten zu entwickeln und auch dem Kern dessen, was die Handlungsfähigkeit der Pädagogik erhöht und ihrem eignen Grundgedanken entspricht, war in den Diskussionen in dem mir bekannten Bildungsbüro durchaus zu erkennen. Die Entdeckung, Benennung und Strukturierung davon ist für die Wissenschaft von Belang. Zumal sie dadurch ihre Aufgabe erfüllen kann: »Weil Pädagogik eine praktische Wissenschaft […] d.h. weil sie Theorie einer Praxis ist, ist ihre Erkenntnisperspektive auf die Praxis gerichtet und hat gleichsam nur in und für Praxis ihren Sinn.«1 Eine Theorie oder Wissenschaft, die auf das Handeln von 1 Mikhail, Pädagogisch handeln. Theorie für die Praxis, Paderborn, 2016, S. 11.
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Fachkräften ausgerichtet ist, sollte in diesem Handeln einen zentralen Ausgangspunkt und den Beginn ihres Denkens sehen. »Es kann vorausgesetzt werden, dass sich Menschen immer schon Gedanken darüber gemacht haben, wie unterrichtet und erzogen werden kann, dass man immer schon eine Vorstellung, ein Konzept oder zumindest eine Ahnung davon hatte, wie pädagogisch zu verfahren sei. Auch wenn dazu keine Theorie im engeren Sinne des Wortes notwendig war […], so erfolgte pädagogische Handeln niemals völlig theorielos. Trifft diese Voraussetzung zu, dann erscheint es vermessen, eine Theorie pädagogischen Handelns ›erfinden‹ zu wollen.«2 Eine solche Theorie müsste aus dem historischen und praktischen Wissen entwickelt und aus diesem Wissen und »Können«3 heraus entfaltet werden. Das in gewissen Situationen und auf gewisse Art dann auch Erfindungen eine Rolle spielen können, muss gar nicht bestritten werden. Kurz: Es gibt eine Handlungslogik, der gefolgt wird. Die Fachkräfte handeln offensichtlich – ob ihnen das bewusst ist oder nicht – nach Maßstäben, die ihnen intuitiv einleuchten und letztlich ihr implizites Wissen ausmachen. Wie ließe sich diese Handlungslogik theoretischsystematische übersetzen? Die Verarbeitung dieser Entscheidungen und impliziten Antworten lässt sich systematisieren, womit erste Grundsteine für eine erforderliche pädagogische Theorie der Bildungslandschaften gelegt werden können. Dabei ist herausgekommen, dass eine Pädagogik der Bildungslandschaften mindestens auf drei Grundfragen Antworten geben müsste, die dann den ersten drei Kapiteln entsprechen: 1
Auf grundlegende Fragen der Zusammenfügung und Abstimmung von pädagogischen Bereichen; konkreter auch auf Fragen nach der Vernetzung und Kooperation.
2 Mikhail, Pädagogisch handeln. Theorie für die Praxis, Paderborn, 2016, S. 11. 3 Neuweg, Das Schweigen der Könner. Gesammelte Schriften und implizites Wissen, Münster, 2015.
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Auf Fragen nach der Bedeutung von Regionalität bzw. kommunalen Aspekten. Auf Fragen nach der Bedeutung von Besonderheiten kommunaler oder regionaler Strukturen für Bildungslandschaften.
Zu den Hintergründen des Verfahrens Am Anfang stand nicht eine Methode, aus der die Praxis entwickelt wurde, sondern eine Erfahrung, die mit den bestehenden Forschungsangeboten nicht angemessen eingefangen werden konnte. Dabei gilt auch: »Die Forderung, man solle unvoreingenommen ins Feld gehen, wenn man Neues entdecken wolle, wird vielfach dahingehend interpretiert, man dürfe über den zu erforschenden Gegenstandsbereich nichts lesen, man dürfe so wenig wie möglich wissen. Dem liegt das Missverständnis zugrunde, dass es unvoreingenommene Forschung geben könne. Dies ist nicht der Fall. Vielmehr gehen wir alle mit Wissen und Erfahrungen, mit Vorannahmen und Vorurteilen ins Feld. Erst eine weit gestreute Lektüre, die psychologische und soziologische Theorien und in diesem Sinne eine breite theoretische Bildung ebenso einschließt wie alle Informationen über den Gegenstandsbereich im weitesten Sinne, gibt uns die Möglichkeit, kontrolliert und distanziert mit unseren Annahmen und Vorurteilen umzugehen. Dies kann uns frei dafür machen, offen für neue Erkenntnisse während der Feldarbeit zu sein und in diesem Sinne eine unvoreingenommene Haltung einzunehmen.«4 Insofern ist dieser Text aus einem ständigen Oszillieren zwischen theoretischen Arbeiten und Praxisreflexionen entstanden. •
Am Beginn stand das Erstaunen über die Selbstverständlichkeit, mit der die Fachkräfte in dem Bildungsbüro ihre Arbeit verrichteten (1. bis 2. Jahr). Es entstand zunehmend die Frage, welcher Bereichspädagogik die Praxis in dem Büro zuzuordnen sei.
4 Oswald, in: Friebertshäuser/Langer/Prengel: Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim, München, 2013, S. 198
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•
•
•
Der nächste Schritt (2. Bis 3. Jahr) bestand darin, die implizite Logik der Tätigkeiten im Bildungsbüro ebenso wie die auf den Fachveranstaltungen des Programms »Lernen vor Ort« zu sortieren und zu protokollieren. Der Zeitpunkt, zu welchem die Grundthese entwickelt wurde, lässt sich nicht genau bestimmen (2. bis 4. Jahr). Da dies aber noch während der Zeit im Bildungsbüro geschah, lösten sich viele Aspekte der Orientierungslosigkeit im Alltag damit auf. Die Auswertung (3. bis 8. Jahr) am Institut für pädagogische Beratung war mit der Idee verbunden, eine Pädagogik der Bildungslandschaften für Kommunen anzubieten, die nicht im Programm »Lernen vor Ort« eingebunden waren. Die Gespräche, die in diesem Zusammenhang mit Kommunalpolitiker*innen und anderen Verantwortlichen für die kommunale Bildung geführt wurden, waren wichtig, um die vielen Unterthesen zu falsifizieren.
Vorhandene Praxisberichte Im Bereich der Bildungslandschaften sind viele Praxisbeschreibungen und Erfahrungsberichte zu finden. Es ist eine wichtige Entwicklung, dass Praktiker*innen nun vermehrt zu Wort kommen und ihre Wahrnehmungen und Umsetzungskriterien strukturell berücksichtigt werden. Bei aller Würdigung für diese Entwicklung stellt sich die Frage, wie die Berichte eingearbeitet und für theoretische Arbeiten fruchtbar gemacht werden können. Das wäre nur möglich, wenn eine thematisch eingegrenzte und kategorial abgegrenzte Handlungsforschung vor dem Hintergrund pädagogischer Maßstäbe und Prinzipien vorgenommen würde. Schwierig wird es dann, wenn es keine theoretischen und systematischen Werke zur Praxis gibt. Dann müssen das Alltagswissen, die Erfahrungen und die subjektiven Orientierungen ausreichen. Die Praktiker*innen sind auf sich gestellt und können allenfalls auf gegenseitigen Austausch und auf Erfahrungsvermittlung untereinander zählen. Für pädagogisch Denkende und Handelnde, die im Bereich der kommunalen Bildungslandschaften arbeiten und Entscheidungen treffen, stellt
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sich die Situation aktuell so dar. Sie können nicht auf eine Theorie der Bildung oder eine Theorie der Pädagogik zurückgreifen, um eine Orientierung für ihre Praxis zu bekommen. In einem Gestrüpp von halbtheoretischen Versatzstücken, die größtenteils nicht aus der Pädagogik kommen, müssen sie sich das zusammensuchen, was für ihre Situation zu passen scheint. Ansonsten müssen sie auf ihr Ausbildungswissen zurückgreifen, das in ganz anderen Zusammenhängen entstanden ist. Das hier angewandte Verfahren unterscheidet sich in gewissen Teilen von den Praxisberichten, die im Feld der Bildungslandschaften zu finden sind. So soll in dieser Studie deutlicher als in den Praxisberichten auf die – soweit wie möglich – abgrenzbare pädagogische Praxis sowie auf mögliche pädagogische Praxistheorien Bezug genommen werden. Das heißt, dass die Theorieelemente, die für die Bildungslandschaften erkennbar sind, auf ihre Gültigkeit und Stimmigkeit untersucht werden: Inwieweit sind die theoretischen Erwägungen in diesem Feld für die Praxis von Belang? Auf der anderen Seite soll in dieser Studie besonders der Blick auf wünschenswerte Aspekte einer pädagogischen Praxistheorie der Bildungslandschaften ausgerichtet werden. Damit gibt es also bestimmte systematische Vorentscheidungen, die das weite und schwer einteilbare Erfahrungsfeld vorstrukturieren und Erkenntnismöglichkeiten im Dickicht der Praxis schaffen können. Abgesehen davon soll aber auch vorurteilsfrei und mit so viel Offenheit wie eben möglich auf Neuerungen geschaut werden. Welche Erweiterungen oder Ergänzungen der Pädagogik kann die Praxis in den Bildungslandschaften leisten? Welche Erfahrungen und Entdeckungen im Feld der Bildungslandschaften sind wichtig, um eine zeitgemäße Pädagogik zu bestimmen? Was lässt sich in der Praxis der Bildungslandschaften erkennen und aufspüren, was für die Pädagogik der Zukunft von Wert ist? Es geht auch darum, mit diesen Fragen zu signalisieren, dass die Pädagogik, wenn sie keine Impulse aus der Praxis aufnimmt, ihr Grundverständnis verletzt.
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Hintergründe Das hier verwendete Verfahren ist durch zahlreiche Anregungen entwickelt worden. Es wird dabei an Beschreibungen von Möglichkeiten und Grenzen der Aufarbeitung von Erfahrungen angeknüpft. Dabei geht es um eine Einordnung von Alltagstheorien und dem impliziten Wissen von Praktiker*innen.5 Der Weg von der Theorie in die Praxis ist unvollständig, wenn nicht die Praxiserfahrungen in die Theorie aufgenommen werden. Welche Aspekte vom Wissen der Praktiker*innen bzw. von deren »Könnerschaft«6 lässt sich also für grundlegende Praxistheorien nutzen und was ist dafür weniger von Bedeutung? Das Verfahren einer theorieorientierten Praxisauswertung ist vor dem Hintergrund der Diskussion um eine pädagogische Praxiswissenschaft entstanden. Die Methoden der qualitativen Praxisforschung7 fließen dabei ebenso mit ein wie die Methoden der Fallarbeit und der kollegialen Fall- und Praxisauswertung. Ähnlichkeiten gibt es dabei zum Beispiel zur Pädagogischen Ethnografie: »Denn kennzeichnend für ethnografisches Vorgehen ist das Fremdwerden der eigenen Begrifflichkeiten, des zuvor noch Vertrauten.«8 Wobei das Befremden sich auf die Selbstverständlichkeit bezieht, in der in den Bildungslandschaften von Bildungsmanagement gesprochen wird. Diesem gegenüber wird die Haltung eines »foreign traveller in his own land«9 eingenommen. Es geht darum, »aus dem teilnehmenden Blickwinkel heraus die situativ eingesetzten Mittel zur Konsti5 Z.B. Georg-Hanns Neuweg. 6 Neuweg, Das Schweigen der Könner – gesammelte Schriften und implizites Wissen. Münster, 2015. 7 Z.B. bei Annedore Prengel. 8 Lüders, Pädagogische Ethnographie und Biographieforschung. In: Krüger, HeinzHermann u.a.: Handbuch der erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung, Wiesbaden, 2006, S. 144. 9 Lüders, Pädagogische Ethnographie und Biographieforschung. In: Krüger, HeinzHermann u.a.: Handbuch der erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung, Wiesbaden, 2006, S. 144.
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tution sozialer Phänomene wie Erziehung, pädagogischer Prozess oder Bildung zu rekonstruieren.«10 Ebenso kann diese Reflexion über pädagogische Tagebücher erfolgen. Das ist eine besonders interessante Entwicklung, die sich mit gutem Recht auf Janusz Korczak berufen kann. Ebenso können Blogs wie die von Frau Freitag11 vor dem Hintergrund der Selbst- und Fremdreflexion wertvoll sein. Die Auswertung solcher Blogs vor dem Hintergrund systematischer Fragen kann in seiner Bedeutung für die Wissenschaft und Theoriebildung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es wird auch hier offensichtlich, dass die Einbeziehung von Systematik, Begrifflichkeit und Theorie häufig ausgeklammert wird. Es gibt einen Duktus der Theoriefeindlichkeit. Dabei ergeht man schnell dem Schicksal von Anton Makarenko, der etwas theatralisch davon spricht12 , dass ihm die pädagogische Literatur und die Theorien in seiner besonderen und neuen Situation nicht helfen können und er diese nach Durchsicht als untauglich abgetan hat. Dass er dann selbst eine Theorie (wenn auch in Romanform) aufstellt und den einen oder anderen Holzweg aus der Vergangenheit noch einmal beschreitet, wird von ihm nicht mehr reflektiert. Des Weiteren sind Anregungen der Praxisreflexion13 und durch das Phänomen des impliziten Wissens14 eingegangen. In erster Linie wurde das Verfahren aber in Auseinandersetzung mit dem Theorie-PraxisVerständnis der klassischen Pädagogik und einem dort zu findenden dialektischen Verhältnis15 entwickelt. Vor allem die wichtigen Anregungen durch die ersten Denker neuzeitlicher Pädagogik fließen in das 10 Lüders, Pädagogische Ethnographie und Biographieforschung, Wiesbaden, 2006, S. 145. 11 Siehe z.B. www.fragfraufreitag.ch/. 12 Makarenko, Der Weg ins Leben. Ein pädagogisches Poem, Westberlin, 1985. 13 Siehe Egloff, Praxisreflexion. In: Kade, Jochen u.a. Pädagogisches Wissen. Erziehungswissenschaft in Grundbegriffen, Stuttgart, 2011. 14 Neuweg, Das Schweigen der Könner. Gesammelte Schriften und implizites Wissen, Münster, 2015. 15 Schmied-Kowarzik, Das dialektische Verhältnis von Theorie und Praxis in der Pädagogik, Kassel, 2008.
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Buch mit ein. Neben Johann Friedrich Herbart ist dies auch Friedrich Schleiermacher. Gerade Schleiermachers Verständnis von Praxis ist von Bedeutung. Seine Erkenntnis, dass die Praxis der Theorie vorausgeht, wird hier nicht nur historisch, sondern auch strukturell interpretiert.16
16 Benner/Brüggen, Geschichte der Pädagogik. Vom Beginn der Neuzeit bis zur Gegenwart, Stuttgart, 2011.
Ausblick
Eine systematisch erarbeitete und als Handlungsorientierung ausgerichtete Theorie der Bildungslandschaften und ihrer Pädagogik wäre ein schönes Ideal. Aus einer solchen Theorie könnten wir Antworten auf viele Grundfragen erwarten: Wie verhalten sich die beteiligten Praxisfelder zueinander? Welchen Stellenwert hat die Kommune in der Veränderung der pädagogischen Praxis und welche pädagogischen Grundfragen werden in den Bildungslandschaften angesprochen? Für die Beantwortung ist sehr viel mehr notwendig als die theorieorientierte Verarbeitung von Praxiserfahrungen. Es bedarf theoretischsystematischer Forschung und Erforschung der Praxis mit ihren Bedingungen und Besonderheiten. Dafür gibt es schon Anzeichen. Die Erforschung der Bildungsbüros und ihrer zentralen Aufgaben wäre eine Vorlage.1 Was wäre aus der Perspektive der hier genannten Ergebnisse für die weitere Forschung wünschenswert? Was wären Forschungsfelder? Beispielhaft sollen genannt werden: •
Netzwerke, Übergänge und Kooperationen könnten und sollten in Bezug auf ihre Bedeutung hinterfragt werden. Nach der ersten großen Entdeckung der Möglichkeiten und Bedeutung von Querverbindungen und Bereichsüberwindungen bedarf es sinnvoller Rahmungen. Was kann über Netzwerke und Übergangserleichterungen
1 S. Manitius/Jungermann/Berkemeyer/Bos, Regionale Bildungsbüros als Boundary Spanner. Ergebnisse aus einer Bestandsaufnahme zu den Regionalen Bildungsbüros in NRW, 2013.
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• •
erreicht werden und wie steht der Aufwand im Verhältnis zum Nutzen? Welche empirischen Forschungen wären sinnvoll, um Antworten auf diese Fragen zu bekommen? Öffnung für andere Sichtweisen und Unterstützungsangebote Öffnung für Praxisformen im Rahmen von Konzeptentwicklungen, Vorgehensweisen und Techniken (Fortbildungsverbund, Blick über den Zaun) o Erweiterung der Bildungsangebote und Erfahrungsräume o Verbesserung von Transitionen (Aufnahme und Abgabe der Kinder und Jugendlichen)
Dabei würde die Aufarbeitung von Alltagstheorien oder subjektiven Theorien helfen. Die Praxis in diesen Feldern könnte aufgearbeitet, der Nutzen der Vernetzung, Kooperation und der Übergänge herausgearbeitet und Anregungen ausgearbeitet werden, wie der pädagogische Vorteil einzuordnen ist. Wenn diese Forschung unter dem Label des Widerstreits von Spezialisierung und Generalisierung vorgenommen würde bzw. dem der Differenzierung und Bereichsüberwindung, wären einige wichtige Erkenntnisse zu erwarten. Die Arbeit in der Praxis könnte gezielter erfolgen und es könnten Grundfelder, Grundbereiche und Grundanliegen der Generalisierung und Bereichsüberwindung in den Blick genommen werden. Bildungseinrichtungen und Kommunen hätten einen Fahrplan für ihre Bildungslandschaft und könnten gezielter vorgehen.
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Pädagogik Anselm Böhmer
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