Ein Essay über den Transzendentalismus: Zweisprachige Ausgabe 9783787337941, 9783787337934

Anfang des 19. Jahrhunderts kam es in den USA zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der kontinentaleuropäischen Phi

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Ein Essay über den Transzendentalismus: Zweisprachige Ausgabe
 9783787337941, 9783787337934

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Philosophische Bibliothek

Charles Mayo Ellis Ein Essay über den Transzendentalismus Englisch – Deutsch

Meiner

C H ARLE S M AYO ELLIS

Ein Essay über den Transzendentalismus Übersetzt und mit einer Einleitung herausgegeben von

Fabian Mauch

Englisch – Deutsch

FELIX MEINER VERL AG H A MBURG

PHILOSOPHISC HE BIBLIOTHEK BAND 735

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN  9 78-3-7873-3793-4 ISBN E-Book  9 78-3-7873-3794-1

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2020. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: mittelstadt 21, Vogtsburg-Burkheim. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bindung: Josef Spinner, Ottersweier. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

I N H A LT

Einleitung von Fabian Mauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Editorische Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXV Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVI Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVII

C H A R L E S M AYO E L L I S

Ein Essay über den Transzendentalismus Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Fortschritt und Hindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Regierung und gesellschaftliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . 65 Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Moralische Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Anhang Verzeichnis der Emendationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Namen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

EIN LEITU NG

Der amerikanische Transzendentalismus Von einem »Massenexodus der geschlagenen kontinentalen Philosophie«1 spricht Manfred Frank angesichts der heute weithin bestehenden Dominanz der analytischen Philosophie an den Universitäten. Und tatsächlich haben die aus diesen vertriebenen Schulen des deutschen Idealismus und der mit ihm verwandten Strömungen in Deutschland heute oftmals einen schwereren Stand als im vermeintlichen Hort der analytischen Philosophie, den Vereinigten Staaten selbst. Das erscheint zunächst über­raschend, gilt die analytische Philosophie doch weithin als Markenzeichen der angelsächsischen Welt, deren Siegeszug in Europa sich erst allmählich und auf Kosten der dort bestehenden Traditionen vollzogen habe. Dass dies eine verkürzte Sichtweise ist, beweist schon allein die Tatsache, dass deutschsprachige Philosophen (man denke nur an den Wiener Kreis und sein Umfeld) einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Entwicklung leisteten. Vergessen wird umgekehrt aber ebenso, dass die Auseinandersetzung mit der ›kontinentalen Philosophie‹ gerade in den Vereinigten Staaten eine lange und fruchtbare Tradition besitzt, die hierzulande nur wenig bekannt ist, obwohl sie die amerikanische Geistesgeschichte maßgeblich geprägt und beeinflusst hat. Heute wird der ›amerikanische Transzendentalismus‹, der sich aus dieser Auseinandersetzung entwickelte, als die erste eigen­ ständige philosophische Strömung auf amerikanischem Boden betrachtet. In den Augen seiner Gegner jedoch war er gerade dies nicht, sondern vielmehr eine von außen importierte, fremdländische und ›unamerikanische‹ Mode – und überdies gefährlich für die öffentliche Moral, der er bei jeder Gelegenheit nach1  Manfred Frank: Hegel wohnt hier nicht mehr. In: F. A. Z ., 24. 09. 2015.

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Einleitung

stellte. Und doch war der Transzendentalismus gleichermaßen eine im emphatischen Sinn amerikanische Erscheinung, deren philosophische und politische Dimension untrennbar miteinander verbunden waren. Angesichts der sozialen Missstände ­ihrer Zeit beriefen sich die Transzendentalisten auf die Ideale der angeborenen Freiheit und Gleichheit aller Menschen sowie auf das individuelle Recht zur Selbstverwirklichung, das sie aus der natür­lichen Würde und Teilhabe jedes Einzelnen am Göttlichen ableiteten. Im Rückgriff sowohl auf Platon wie den deutschen Idealismus und die indischen Philosophen formulierten sie dabei eine eindringliche Kritik an der Entfremdung des Menschen von sich und seiner Umwelt, die auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution immer drastischere Formen anzunehmen begann. Damit war der Transzendentalismus – im Gegensatz zu seinem folkloristischen Zerrbild als unpolitische Naturschwärmerei – zutiefst in dem krisenhaften Entstehungsprozess der Moderne verwurzelt. Dass der Transzendentalismus mittlerweile eher eine Angelegenheit für Literaturhistoriker geworden ist als für Philosophen, ist indes nur zum Teil auf den späteren Einfluss der analytischen Philosophie zurückzuführen. Vielmehr hängen die Gründe dafür zumindest teilweise mit seinem Charakter (bzw. dem seiner Vertreter) selbst zusammen: So bedienten sich die meisten Transzendentalisten einer essayistischen Schreibweise, die die Grenzen zur Literatur nicht selten überschritt und einer Einordnung in die bestehenden Gattungen im Weg stand. Sie machte es potenziellen Nachfolgern zudem schwierig, an Vorhergegangenes anzuknüpfen, da sich die Transzendentalisten absichtlich und bewusst jeder Art von formaler oder inhaltlicher Systematisierung widersetzten, betrachteten sie das Systematische doch als etwas Mechanisches und Totes. Einzelne Autoren wie Henry David Thoreau pflegten dabei geradezu einen Individualismus und eine Innerlichkeit, die es fast unmöglich machten, Verfasser und Werk voneinander zu trennen. So war es nicht zuletzt der Gestus seiner Anhänger selbst, der eine langfristige Traditions-

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IX

bildung des Transzendentalismus verhinderte. Zwar gab es im späten 19. Jahrhundert durchaus Versuche der Anknüpfung.2 Zu einer Schulbildung, die mit dem Hegelianismus in Deutschland vergleichbar gewesen wäre, kam es jedoch nicht. Das Zentrum der Bewegung war (und blieb) Boston, wo man sich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts besonders intensiv für die neuere europäische, vor allem deutsche Philosophie interessierte, die einer Reihe kritisch eingestellter Unitaristen, aus denen sich die Transzendentalisten überwiegend rekrutierten, willkommene Argumente gegen einen als trocken empfundenen Rationalismus lieferte, der das Göttliche auf das Vernünftige zu reduzieren schien. In seinem umfassenden reformatorischen Anspruch überschritt der Transzendentalismus schon bald die Grenzen der theologischen Debatten, aus denen er hervorgegangen war, was ihn naturgemäß in Konflikt mit den sozialen, politischen und religiösen Institutionen seiner Zeit brachte. Dabei lässt sich keineswegs behaupten, dass die Transzendentalisten dieser 2 In den späten 1850er-Jahren bildete sich in St. Louis (Missouri)

ein Kreis um den Philosophen William Torrey Harris (1835–1909), zu dem hauptsächlich deutsche Emigranten gehörten. Zusammen mit dem Deutschen Henry (Heinrich) Brockmeyer gründete Harris die St. Louis Philosophical Society, die sich besonders dem Studium Hegels widmete, ihren Hegelianismus dabei jedoch vor allem aus den Schriften von Transzendentalisten wie Hedge und Alcott bezog. Zu den direkten Erben des Transzendentalismus gehörte auch der Unitarier und ehemalige Teilnehmer des Transcendentalist Club Cyrus Bartol (1813–1900), der zwar innerhalb der transzendentalistischen Bewegung nur eine nebengeordnete Rolle spielte, nach dem Ende des Bürgerkrieges aber umso mehr Aufsehen erregte, als er 1867 die Free Religious Association gründete, in der transzendentalistische Vorstellungen wie die der Allgegenwart des Geistes in der Welt eine zentrale Rolle spielten. (Vgl. Philip F. Gura: American Transcendentalism. A History. New York 2007, S.  272–276). Anfang des 20. Jahrhunderts war es schließlich der spanisch-amerikanische Philosoph George Santayana (1863–1952), der in seinen Vorlesungen an der University of California (1911 las Santayana über »The Genteel Tradition in American Philosophy«) nunmehr auch für eine ideen­ geschichtliche Aufarbeitung des Transzendentalismus sorgte.

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Einleitung

Konfrontation aus dem Weg gegangen wären. Nahezu unablässig prangerten sie die Falschheit der sie umgebenden Lebens­weise an und neigten dabei nicht selten zu einem missionarischen Eifer, der sie in den Augen ihrer Zeitgenossen zu einer wahlweise lästigen oder aber gefährlichen Erscheinung machte. All das erregte nicht nur das Interesse und die Faszination einer wachsenden Anzahl von Sympathisanten, sondern forderte viel öfter noch den Unmut derer heraus, die darin – nicht zu Unrecht – einen Angriff auf die bestehenden Ordnungen und Systeme sahen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus vorstellbar, dass Ralph Waldo Emerson, als er am 31. August 1837 auf Einladung der Phi Beta Kappa Society in Harvard jene Rede hielt, die heute zu seinen bekanntesten Texten gehört, die historische Bedeutung dieses Ereignisses bewusst gewesen sein mag. Emerson, der erst kurz zuvor mit seinem Erstling Nature (1836) einiges Aufsehen erregt hatte, war kein Gelehrter im engeren Sinn, zumindest qualifizierte ihn seine einjährige Ausbildung zum Pastor kaum für diesen Titel. Umso erstaunlicher war es, dass mit ihm nun ausgerechnet ein Laie und Skeptiker (Emerson hatte sein Pfarramt bereits 1832 niedergelegt), der sich in seinem Werk zudem mehr oder weniger offen zu einer eigenwilligen Spielart des Pantheismus bekannte, in einer der ältesten und ehrwürdigsten akademischen Institutionen der USA über ein Thema sprach, das den Anwesenden als ihr ureigenes Gebiet erscheinen musste: das Gelehrtentum. Dabei ging es in »The American Scholar«, so der Titel der Rede, um weit mehr als ein bestimmtes Gelehrten­ ideal. Nicht ohne Grund bezeichnete der Arzt und Schriftsteller Oliver Wendell Holmes (1809–1894) sie sogar einmal als »the declaration of independence of American intellectual life«3. Der Gelehrte, den Emerson in »The American Scholar« beschrieb, 3  Susan Cheever: American Bloomsbury. Louisa May Alcott, Ralph

Waldo Emerson, Margaret Fuller, Nathaniel Hawthorne, and Henry David Thoreau: Their Lives, Their Loves, Their Work. New York u. w. 2006, S.  34.

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war nicht einfach eine neue Art Forscher – er war ein neue Art Mensch: frei, unabhängig, nur auf seine eigenen, natürlichen Anlagen vertrauend. Herausgefordert wurde damit nicht einfach eine bestimmte Lebensweise; es war vielmehr die bisherige Kultur überhaupt, die auf den Prüfstand gerufen wurde. Beruhte diese darauf, dass sich der Einzelne ihr als Teil einer überlieferten Tradition eingliederte, so sollte der Mensch, den die Transzendentalisten imaginierten, von diesem Ballast befreit und entbunden werden. An Stelle der alten Kultur sollte ein Individualismus treten, der das menschliche Streben nach Selbstverwirklichung nicht länger in Normen und Konventionen erstickte. Wie viele Transzendentalisten war Emerson davon überzeugt, dass Amerika, wo es keine einengende Tradition wie in Europa gab, für dieses Projekt prädestiniert sei. Die Rede, die heute von vielen Autoren als Schlüsselereignis der amerikanischen Geistesgeschichte betrachtet wird, festigte nicht nur Emersons Ruf und seine Bekanntheit – sie machte vor allem eines deutlich: dass der Transzendentalismus kein Nischenphänomen mehr war, dessen Anhänger ein abseitiges ­Dasein am Rande der intellektuellen Szene fristeten. Emersons Auftritt zeigte, dass die Strömung und mit ihr das neue Denken im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit angekommen waren, die mit ihr zu rechnen hatte, ob sie dies wollte oder nicht. Die Rede markiert jedoch auch insofern einen Wendepunkt in der Geschichte der transzendentalistischen Bewegung, als mit ihr eine neue Gattung von Produktionen eingeleitet wurde, der auch der hier erstmals übersetzte Essay on Transcendentalism zuzurechnen ist und die im weitesten Sinn als apologetisch bezeichnet werden kann. So entstand seit Ende der 1830er-Jahre eine kleine Flut von Aufsätzen, Artikeln und Essays, die auf die öffentliche Wahrnehmung einzuwirken versuchten. Ziel war es, den Transzendentalismus gegen Vorwürfe zu verteidigen, laut denen es sich bei ihm um eine von aus dem Ausland eingeführte, die Gesellschaft und Religion zersetzende Strömung handle. Doch was war es, das den Transzendentalismus für die Zeit­

XII

Einleitung

genossen so aufsehenerregend machte und so widersprüchliche Urteile über ihn herausforderte? Aus heutiger Perspektive klingen die Ausführungen Emersons über den amerikanischen Gelehrten nur noch mäßig spektakulär. So sollen an die Stelle einer trockenen Buchgelehrsamkeit die direkte Auseinandersetzung mit Gott und der Natur sowie tätiges Handeln treten. Und doch lag in dieser Forderung nach der Loslösung von überliefertem Ballast und dem Rückgriff auf lebendige persönliche Erfahrung eine Brisanz, die erst vor dem Hintergrund dessen, dass die amerikanische Literatur und Philosophie des frühen 19. Jahrhunderts noch weithin unter dem Einfluss europäischer Vorbilder standen, verständlich wird. Ein Infragestellen dieses Einflusses glich einer Kampfansage, mit der Emerson sich anschickte, die 60 Jahre zuvor errungene Unabhängigkeit des Landes nun auch für dessen Kultur einzufordern, was in seinen und den Augen vieler Transzendentalisten eine noch viel größere und dringlichere Aufgabe darstellte, sollte die einmal erlangte äußere Freiheit nicht ohne dauerndes geistiges Fundament bleiben. Emersons Bestimmung des amerikanischen Gelehrten als eines nicht durch Tradition und Geschichte gebundenen Forschers war damit in Wirklichkeit Teil des Versuchs, eine eigenständige amerikanische Bildungskultur zu begründen und sich damit auch geistig von der Alten Welt zu emanzipieren. Mehr noch: Galt die Abgrenzung anfangs in erster Linie dem kulturellen Einfluss Europas, so richteten sich die Bestrebungen der Transzendentalisten schon bald auf nichts weniger als die Abschaffung einer in ihren Augen falschen und unnatürlichen Lebensordnung selbst. Diese ließ sich nicht mehr einfach in den alten Gesellschaften Europas mit ihren ständischen Strukturen verorten. Sie war vielmehr ein allgemeines Übel, das aus der Korruption der ursprünglichen Anlagen des Menschen entstand. Die Vereinigten Staaten bildeten hierbei keine Ausnahme, waren die Missstände dort – wenn auch aus anderen Gründen – doch kaum weniger zahlreich als jenseits des Atlantik. Eines der ersten Ziele der transzendentalistischen Agitation bildete darum

Fabian Mauch

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wenig überraschend die Sklaverei, verstieß diese doch nicht nur gegen die Grundsätze der amerikanischen Verfassung, sondern vielmehr gegen die menschliche Natur selbst. Dabei profitierte der Transzendentalismus nicht nur von existierenden Strömungen wie dem Abolitionismus oder der Lyzeumsbewegung; er befeuerte diese auch wiederum selbst, indem er widernatürlichen Einrichtungen wie der Sklaverei den Spiegel der ursprünglichen und essenziellen Freiheit jedes Menschen vorhielt. Der Transzendentalismus leistete damit nicht nur einen wichtigen Beitrag zur nationalen Identitätsstiftung in den Vereinigten Staaten; er trug auch maßgeblich dazu bei, die Leitideen der amerikanischen Kultur – Freiheit, Gleichheit und Selbstverantwortung – auf ein allgemeines geistiges Fundament zu heben. Ideengeschichtliche Grundlagen Unitarismus Die Ursprünge des Transzendentalismus hängen eng mit dem Unitarismus, der dominierenden theologischen Strömung in Neuengland um 1800, zusammen. Dieser entwickelte sich im 18. Jahrhundert zunächst in Großbritannien aus der Ablehnung der Trinitätslehre und war hierbei stark von der Philosophie John Lockes, Richard Prices, Samuel Clarks und der schottischen Aufklärung Thomas Reids beeinflusst.4 Vor diesem Hintergrund war es kein Zufall, dass später die Ideen des deutschen Idealismus, der selbst vielfach theologische Wurzeln besaß, ausgerechnet in den unitarischen Gemeinden auf Resonanz stießen und dort fruchtbar aufgenommen wurden. Zunächst war es jedoch vor allem die theologische Aufklärung, die das Interesse der neuenglischen Leser an Deutschland weckte. Ende des 18. Jahrhunderts 4  Vgl. Lydia Willsky-Ciollo: American Unitarianism and the Protes-

tant Dilemma. The Conundrum of Biblical Authority. London 2015, S.  19.

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Einleitung

wurde die Frage nach dem Inhalt der Bibel und dessen korrekter Auslegung unter den amerikanischen Unitaristen intensiv diskutiert. Vielfach bewegten sich die Debatten dabei im Rahmen des aufgeklärten Rationalismus, aus dem der Unitarismus letztlich hervorgegangen war. Eines der Leitprinzipien dieser Diskussionen bestand darin, in erster Linie auf philologischem Weg nach Antworten zu suchen, indem man die biblischen Texte möglichst genau analysierte, sie in Hinsicht auf ihre sprachliche und inhaltliche Komposition untersuchte und zu datieren bzw. einem bestimmten Urheber zuzuschreiben versuchte. So verwundert es nicht, dass die 1774/75 von Johann Jakob Griesbach (1745–1812) besorgte kritische Ausgabe des Neuen Testaments auch unter den amerikanischen Lesern großes Aufsehen erregte und das Interesse an der deutschen Bibelwissenschaft und deren fortschrittlichen Methoden mehr und mehr wuchs. Anfang des 19.  Jahrhunderts schließlich sorgten Madame de Staëls begeisterte Schilderungen des deutschen Geisteslebens in ihrem Buch De l’Allemagne (1813) dafür, dass es eine junge Generation enthusiastischer Unitarier selbst zum Studium in das von der Französin für seine Bildungskultur gepriesene Land zog. Anlaufpunkte für die amerikanischen Studenten bildeten in erster Linie Göttingen, Jena und Berlin mit seiner kurz zuvor gegründeten neuen Universität. In Göttingen lehrte damals der berühmte Orientalist Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827), dessen Ruf sich vor allem auf seine zwischen 1780 und 1783 erschienene Einführung in das Alte Testament sowie seine zehnbändige Allgemeine Bibliothek der Biblischen Literatur (1787–1801) gründete. Eichhorn begriff Inhalt und Sprache der Heiligen Schrift nicht primär als von Gott eingegebene und damit unhintergehbare Inspiration, sondern versuchte, sie auf ihre historischen und genealogischen Zusammenhänge hin zu befragen. Damit stand er ganz im Einvernehmen mit der unitarischen Tradition, weshalb es viele der amerikanischen Hörer vor allem in seine Vorlesungen zog. Zu den ersten Studenten aus der Neuen Welt, die sich in Göttingen einschrieben, gehörten dabei u. a. der spätere ame-

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rikanische Außenminister und Präsident der Harvard University Edward Everett (1794–1865), der Literaturhistoriker George Ticknor (1791–1871) und der Historiker George Bancroft (1800–1891). Bancroft zeigte sich wie viele seiner amerikanischen Kommilitonen jedoch schon bald enttäuscht von Eichhorns Vorlesungen, da diese ihm seicht und einseitig rationalistisch erschienen.5 Anti-Lockeanismus, deutscher Idealismus und englische Romantik Nichtsdestoweniger erwies sich die Zeit in Deutschland für die jungen Amerikaner als fruchtbar und folgenreich, kamen sie so doch unweigerlich mit den vielen neuen Strömungen in Kontakt, die sich dort um die Jahrhundertwende entwickelten. Hatten deutsche Theologen wie Griesbach und Eichhorn eine Vorreiterrolle bei der Begründung einer kritischen Bibelexegese gespielt, so formierten sich nun wiederum im Kraftfeld des deutschen Idealismus und der deutschen Romantik Gegenentwürfe zur Aufklärung, die auf nahezu allen Gebieten von der Philosophie über die Kunst bis hin zur Literatur eine geradezu überwältigende Fülle an Früchten trugen. Die von den deutschen Autoren kultivierte Innerlichkeit stellte für die Besucher aus Neuengland ein anziehendes Gegenmodell zu der kalten Vernunftlehre des Unitarismus mit ihrem unpersönlichen und abstrakten Gottes­ begriff dar. Beeinflusst wurden die ersten Transzendentalisten dabei maßgeblich durch die Schriften des Theologen Wilhelm de Wette (1780–1849). Dieser sorgte als Weggefährte und Anhänger von Jakob Friedrich Fries (1773–1843), des berühmten kantianischen Philosophen und Gegners Fichtes, Schellings und Hegels, für die Popularisierung von dessen Ideen, die de Wette zur Grundlage einer glaubensbetonten Theologie machte, in der die subjektive 5  Vgl. Gura: American Transcendentalism, S.  28.

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Einleitung

Erfahrung des Absoluten im Vordergrund stand. In seinem auto­ biographisch geprägten zweibändigen Bildungsroman Theodor oder die Weihe des Zweiflers (1822) schilderte de Wette die inneren, von einem aufgeklärten Rationalismus verursachten Kämpfe »eines evangelischen Geistlichen« und dessen Rückbesinnung auf persönliche Hingabe und göttliche Gnade. Dem Exilanten Karl Follen (1796–1840), der nach der Ermordung August von Kotzebues in die USA floh, war es als Vermittler und Übersetzer de Wettes wiederum zu verdanken, dass die deutsche Sprache und mit ihr die deutsche Literatur »an object of classical study in our public seminaries«6 wurde, wie sich der Theologe Moses ­Stuart (der sich selbst Deutsch beigebracht hatte) ausdrückte. Eine Bestätigung ihrer Kritik an der rationalistisch verengten Auslegung der Heiligen Schrift fanden die Transzendentalisten auch in Herders großem, unvollendet gebliebenen Werk Vom Geiste der Ebräischen Poesie (1782–1783), dessen Argument einer ursprünglichen Poetizität der Sprache sie eifrig aufgriffen und gegen das in ihren Augen reduzierte Sprachverständnis der aufklärerischen Theologie in Stellung brachten. Herder selbst wurde von James Marsh (1794–1842) ab 1826 ins Amerikanische übersetzt. Neben Herder war es auch Goethe, dessen Wertschätzung des Konkreten und Lebendigen den Transzendentalisten zahlreiche Anknüpfungspunkte bot. So veröffentlichte Edward Everett 1817 den ersten Goethe-Aufsatz7 in den Vereinigten Staaten, was dem Transzendentalismus eine Pionierrolle in der amerikanischen Goethe-Rezeption verleiht. Dabei sollte die transzendentalistische Sicht auf den ›Olympier‹ dessen Bild in den Vereinigten Staaten nachhaltig prägen. Für Emerson exemplifizierte Goethe das Tragische und Unzeitgemäße des romantischen Original­ genies inmitten einer äußerlichen, in Konventionen erstickenden 6  Moses Stuart: A Commentary on the Epistle to the Hebrews, vol. 1.

Andover 1827, S. V. 7  Vgl. Edward Everett: Review of Goethe. In: North American Review 4 (January 1817), S.  217–162.

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Kultur.8 In den Werken der deutschen Autoren suchten und fanden die Transzendentalisten letztlich eine Bestätigung ihrer eige­ nen Anschauungen. Es handelte sich, so Emerson 1842, um die »very oldest of thoughts cast into the mould of these new times«9. Ripley sprach in ähnlicher Weise von »the meaning of life, untrammeled by tradition and convention«10. Wann und wie genau sich der Ausdruck ›Transzendentalisten‹ als Bezeichnung für jene Gruppe von Männern und Frauen durchsetzte, die sich im Boston des frühen 19. Jahrhunderts mit philosophischen Fragen beschäftigten, in denen es – so der Eindruck vieler Beobachter – vorwiegend um das Geistige, Göttliche und Übernatürliche, kurz: um alles das ging, was nur vage mit dem ›wirklichen‹ Leben zu tun hatte, ist bis heute Anlass für Diskussionen. Sicher ist jedoch, dass es sich dabei zunächst um keine Eigenbezeichnung der Gemeinten handelte. So bevorzugten die Mitglieder des von Frederic Henry Hedge (1805–1890) gegründeten ›Transcendentalist Club‹, die sich zwischen 1836 und 1840 in George Ripleys (1802–1880) Haus in Boston trafen und zu denen unter anderem Emerson und Thoreau, Theodore Parker (1810–1860), Orestes Brownson (1803–1876), Amos Bronson ­A lcott (1799–1888), Margaret Fuller (1810–1850) und Elisabeth 8  Vgl. Ralph Waldo Emerson: Representative Men. In: ders.: Essays

and Representative Men. London  /  Glasgow o.  J., S.  540  f.: »Goethe, com­ ing into an over-civilised time and country, when original talent was opposed under the load of books and mechanical auxiliaries, and the distracting variety of claims, taught men how to dispose of this mountainous miscellany, and make it subservient. I join Napoleon with him, as being both representatives of the impatience and reaction of nature against the morgue of conventions […].« 9 Ders.: The Transcendentalist. In: ders.: Collected Works, vol. 1: Nature, Addresses, and Lectures; Historical Introduction and Notes by ­Robert E. Spiller. Text Established by Alfred R. Ferguson. Cambridge 1971, S.  201. 10 Zit. nach George Ripley and George P. Bradford: Philosophic Thought in Boston. In: Justin Windsor (Hrsg.): The Memorial History of Boston, vol. 4. Boston 1881, S.  305.

XVIII

Einleitung

Peabody (1804–1894) gehörten, den Namen ›New School‹11. Andere Bezeichnungen lauten ›Disciples of Newness‹, was sicherlich das historische Sendungsbewusstsein vieler Transzendentalisten unterstrich, oder schlicht ›Eclecticism‹. Etymologisch handelt es sich bei ›Transcendentalism‹ um eine Abwandlung des kantischen Begriffs der Transzendentalphilosophie. In der Einleitung zur Kritik der reinen Vernunft hatte Kant für diese folgende Definition gegeben: »Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unsern Begriffen a priori von Gegenständen überhaupt beschäftigt. Ein System solcher Begriffe würde Tran­szendental-­ Philo­sophie heißen.«12 Obwohl es von hier zunächst wie ein weiter Weg zur transzendentalistischen Lebensphilosophie mit ­ihrer Vorstellung von der Allverbundenheit aller Dinge und der emphatischen Berufung auf die menschliche Intuition anmutet, waren die Elemente hierfür nahezu allesamt in der nachkantischen Philosophie des deutschen Idealismus angelegt. In einem ersten Schritt hatten Fichte und Schelling den erkenntnistheoretischen Dualismus Kants überwunden, indem sie anstelle des unvermittelten Gegenübers von phänomenaler und noumenaler Welt die Einheit der intellektualen Anschauung setzten. War eine solche für Fichte durch die Tathandlung des Bewusstseins verbürgt, so ersetzte Schelling Fichtes absolutes Ich durch das Absolute selbst, das für ihn mit dem unendlichen Schöpfungsprozess der Natur zusammenfiel. »Nicht ich weiß«, so brachte Schelling es im System der gesammten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere (1804) auf den

11  Vgl. Barry Hankins: The Second Great Awakening and the Tran-

scendentalists. Westport, Connecticut  /  London, S.  24. 12  Kant, KrV, A 11–12 (B25: »Ich nenne alle Erkenntnis t r a n s z e n d e n t a l , die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt. Ein System solcher Begriffe würde Tr a n s z e n d e n t a l - P h i l o s o p h i e heißen.«)

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XIX

Punkt, »sondern nur das All weiß in mir.«13 Schelling stellte Fichtes Identitätsphilosophie damit praktisch auf den Kopf, ebnete jedoch zugleich den Weg für eine romantische Aneignung der Transzendentalphilosophie, in der nicht mehr so sehr das erkenntnistheoretische Grundproblem unserer Begriffsbildung im Mittelpunkt stand, sondern vielmehr die Schnittstellen zwischen Philosophie und Poesie in den Vordergrund rückten, die sich aus der engen Verflechtung von Erkenntnistheorie, Psychologie, Ästhetik und Metaphysik bei Kant ergaben. Hatte der kantische Kritizismus die Reflexion unseres Erkennens zum primären Gegenstand der Philosophie gemacht, so eröffneten sich dadurch in den Augen zahlreicher Leser aufregende Möglichkeiten für Literatur und Kunst, dem menschlichen Innenleben – auch dessen unbewusstem Teil – Ausdruck zu verleihen. In der Philosophie war es, wie oben erwähnt, vor allem Jakob Friedrich Fries, der mit seiner ›psychologischen Anthropologie‹ zu einer Interpretation Kants beitrug, in der dieser nicht mehr so sehr als strenger Aufklärer, sondern als Vorläufer einer romantischen Introspektionsphilosophie erschien, die sich ganz der Beschäftigung mit dem eigenen Selbst hingab. Anknüpfungspunkt für die Transzendentalisten bildete dabei in erster Linie Fries’ Versuch, Wissen und Glauben im Prinzip der religiösen Intuition miteinander zu versöhnen. Nur Letztere, so Fries, sei in der Lage, das Absolute zu erfassen. Fries war davon überzeugt, »daß die transzendentalen Bedingungen, auf d ­ enen nach Kant wissenschaftliche Erkenntnis beruht, sich durch innere Selbsterfahrung aufweisen lassen. In der Konsequenz bedeutet dies, daß alle Erkenntnis letztlich Resultat von Intro­ spektion ist. Transzendentalphilosophie wird bei Fries damit zur Lehre von der Bewußtmachung eingeborener, anthropologisch

13 F. W.  J. Schelling: System der gesammten Philosophie und der

Natur­philosophie insbesondere (aus dem handschriftlichen Nachlaß). In: SW, 1. Abtl./6. Bd. (1860), S.  140.

XX

Einleitung

feststehender Vernunft-Wahrheiten.«14 Philosophie war für Fries darum nur als ›philosophische Anthropologie‹ möglich, d. h. als empirische Phänomenologie des menschlichen Geistes. Aus dieser Auffassung ergab sich nicht einfach nur eine neue Art der Erkenntnistheorie: Fries’ Philosophie wurde von den Zeitgenossen vielmehr als emphatische Selbstermächtigung des Subjekts verstanden, genügte das Bewusstsein in seinem Erkenntnisstreben ihr zufolge doch ganz sich selbst und war nicht mehr länger auf äußere Erfahrungen angewiesen. Damit lieferte Fries den Transzendentalisten ein schlagkräftiges Argument gegen den damals noch weithin vorherrschenden Empirismus in der Tradition John Lockes. Dieser erschien ihnen nicht nur deswegen empörend, weil er den menschlichen Geist von äußeren Eindrücken abhängig machte und ihn damit dessen eingeborener Autonomie beraubte. Er bildete, wie eingangs erwähnt, auch eine der Grundlagen der unitarischen Bibelexegese, deren kühler Rationalismus den Transzendentalisten geradezu wie ein Frevel am Göttlichen erschien. Nach Locke besteht die Sprache in einer Reihe äußerer Stimuli, deren Bedeutung sich in deren informationellem Gehalt, also ihrer Zweckmäßigkeit, erschöpft. Auf die Auslegung der biblischen Texte bezogen bedeutete dies, dass diese auf die zahlreichen verschiedenen Einflüsse hin zu befragen waren, ­denen sie seit ihrer Aufzeichnung unterworfen worden waren. War Sprache lediglich Information, dann musste der mit der Zeit immer stärkeren Korruption und Verfälschung der Heiligen Schrift mit philologischen Mitteln beizukommen sein. Sprache, das war der ausschlaggebende Gedanke, war immer etwas Menschliches, die Bibel also Menschenwerk und als solches zu behandeln. Gegen diese Auffassung, die das poetische Moment und die gött­liche 14 Gerald Hubmann: Ethische Überzeugung und politisches Han-

deln. Jakob Friedrich Fries und die deutsche Tradition der Gesinnungsethik. Heidelberg 1997 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik, Bd.  30), S.  14.

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Inspiration der Bibel zugunsten einer tristen Wortklauberei zu vernachlässigen schien, lehnten sich Transzendentalisten wie Orestes Brownson in seinen New Views of Christianity, Society and Church (1836) auf, in denen dieser im Anschluss an Schleier­ macher für einen glaubensbasierten ›Spiritualismus‹ plädierte, wie er in den östlichen Religionen vorherrsche und dem er den ›Materialismus‹ der abendländischen philosophischen Tradition seit der Antike gegenüberstellte. Noch direkter als Brownson bezog sich George Ripley im selben Jahr in seinen Discourses on the Philosophy of Religion, Addresses to Doubters Who Wish to Believe auf Schleiermacher. War Locke der Auffassung gewesen, dass der menschliche Geist bei seiner Entstehung einer tabula rasa gleiche, so verfügte das menschliche Bewusstsein für Ripley über eingeborene Ideen, die ihm einen unmittelbaren Zugang zum Absoluten ermöglichten.15 Vor diesem Hintergrund wäre es verkürzt, »[d]ie kantische Transzendentalphilosophie« nur noch als »Namensgeber für die frühe amerikanische Philosophie« zu betrachten, so, als habe sich der Ausdruck »mehr aus Verlegenheit mangels einer griffigen Bezeichnung als aus Gründen inhaltlicher Natur«16 ergeben. Kant war und blieb für die Transzendentalisten eine wichtige Bezugsgröße, auch wenn er ihnen vor allem durch die Vermittlung seiner Nachfolger entgegentrat. Gleichwohl gab Kant ihnen den entscheidenden Anstoß zur Formulierung eines subjektiven Idea­lis­mus, der den Geist zur Quelle erfahrungsunabhängiger Ideen machte. So schrieb Emerson 1842: What is popularly called Transcendentalism among us, is Idea­ lism […]. [T]he Idealism of the present day acquired the name of Transcendental, from the use of that term by Immanuel Kant, 15  Vgl. Gura: American Transcendentalism, S.  84. 16 Dennis Sölch / Laura Wackers: Die Entwicklung des amerikani-

schen Transzendentalismus. In: Der amerikanische Transzendentalismus. Eine Anthologie. Hg., komm. u. eing. v. dens. Berlin 2018, S.  10–97, hier: 11.

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of Konigsberg, who replied to the skeptical philosophy of Locke, which insisted that there was nothing in the intellect which was not previously in the experience of the senses, by showing that there was a very important class of ideas, or imperative forms, which did not come by experience, but through which experience was acquired; that these were intuitions of the mind itself; and he denominated them Transcendental forms.17

Neben Kant und dem deutschen Idealismus verdankten die Transzendentalisten auch der englischen Romantik wichtige Anregungen. In England setzte im ausgehenden 18. Jahrhundert ähnlich wie in Deutschland eine zunehmende Kritik an den Prinzipien der Aufklärung und deren als abstrakt empfundenen Systementwürfen ein. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Kritik war der Dichter William Wordsworth (1770–1850). Wordsworth betrachtete die zunehmende Rationalisierung der Welt als einen Entfremdungsprozess, in dessen Verlauf der Mensch die ihm noch als Kind selbstverständliche Beziehung zur Natur und zum Göttlichen verloren hatte. Diese Beziehung galt es, durch Anamnesis (in Form von Dichtung, Kunst, Philosophie) wiederherzustellen. Ellis zitiert an drei Stellen aus Wordsworths berühmter Ode (1807),18 in der es um den dreistufigen Prozess dieser Wiederanknüpfung (Verlust, Bewusstwerdung, Versöhnung) geht. Wordsworths eindringliches Bild der Vertreibung aus dem Paradies, angelehnt an Platons Erzählung vom Untergang des goldenen Zeitalters, schien den Transzendentalisten der passende Spiegel einer Epoche, die sich in ihrer Vergötzung von Fortschritt und Wohlstand immer mehr von jener ursprünglichen Natur zu entfernen schien und stattdessen einem geistfeindlichen Materialismus huldigte. Neben Wordsworth war es jedoch vor allem Samuel Taylor Coleridge (1772–1834), der als Vermittler Kants 17  Ralph Waldo Emerson: The Transcendentalist. In: ders.: The Prose

Works of Ralph Waldo Emerson, vol 1. Boston 1870, S.  179, 184. 18  Vgl. S.  60/61, 118/119 der vorliegenden Ausgabe.

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und dessen Nachfolger zu einem der wichtigsten Ideengeber der Transzendentalisten wurde. In seinen Aids to Reflection unterschied Coleridge in Anlehnung an Kant zwischen ›reason‹ und ›understanding‹, womit er die deutschen Begriffe Vernunft und Verstand übersetzte. Während Letzterer lediglich analytisch und urteilend verfahre, sei die Vernunft das Vermögen, mit dem der Geist die Erkenntnisse des Verstandes reflektiere und synthetisiere und uns damit eine Orientierung im Leben ermögliche. Im neunten Kapitel seines Buches prägte Coleridge für dieses Vermögen den Ausdruck ›instinct‹, eine terminlogische Wendung vorwegnehmend, die auch die deutsche Lebensphilosophie in der Tradition Hegels später vollziehen sollte. Stellte die Vernunft bei Kant noch lediglich eine Funktion unseres Erkennens dar, so wurde sie bei Coleridge und dessen Adepten zum Vermögen ­einer ›genialen‹ Einsicht, die sich wiederum gegen das bloß passive und mechanische ›understanding‹ ausspielen ließ. Von den Transzendentalisten wurde Coleridge nicht nur eifrig gelesen; er prägte auch maßgeblich ihre Sichtweise auf die deutsche Philosophie. Eine weitere wichtige Quelle für die Transzendentalisten waren die Schriften des französischen Eklektikers Victor Cousin (1792–1867), der seit 1817 mit Hegel und seit 1818 mit Schelling befreundet war und zu einem der bedeutendsten Vermittler von deren Ideen in Frankreich wurde. Ein wesentliches Verdienst Cou­sins bestand dabei in dem Unterfangen, die Religion wieder in den zeitgenössischen philosophischen Debatten zu verankern, ohne hinter deren einmal erreichten Stand zurückzufallen. Dieser Ansatz erregte vor allem das Interesse des Gründers der Brook Farm, George Ripley. In den Augen Ripleys war es ein Fehler der deutschen Nachfolger Kants gewesen, dessen System in einer einseitig subjektzentrierten Weise zu interpretieren, die letztlich in ­einen ontologischen Subjektivismus münde, ein Vorwurf, der sich vor allem auf Fichte bezog. Darüber hinaus schätzte Ripley an Cousin jedoch vor allem dessen »clarity, in contrast to the often seemingly willful obscurantism of the

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German philosophers«19. Ripley zeigte sich von Cousins Talent beeindruckt, die oftmals nur schwer verständlichen Gedankengänge der deutschen Philosophen in eine allgemeinverständliche Sprache zu übersetzen, eine Eigenschaft, die gerade die amerikanischen Leser ansprechen müsse, da deren nationaler Geschmack sich gegen allen Mystizismus und Obskurantismus richte.20 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb sich der Transzendentalismus bald den Vorwurf gefallen lassen musste, ein trojanisches Pferd ausländischen Ursprungs zu sein, mit dem versucht werde, fremde Ideen auf amerikanischen Boden zu verpflanzen. So sprach der konservative Unitarier Francis Bowen von der »ill-regulated admiration, which seeks to transplant German roots to an English soil, – to cultivate a hot-bed, where plants shall be forced to lose their native character«21. Geradezu wie eine Antwort hierauf klingt Ellis’ Versicherung gleich zu Beginn des Essay, dass es nicht seine Absicht sei, »eine neue anglo-deutsche Schwärmerei zu betreiben«22. Etwas später ist Ellis sogar bereit, zuzugestehen, dass der schlechte Ruf des Transzendentalismus vor allem eine Folge des »Charakter[s] der Deutschen« und ihrer »merkwürdigen Sprache«, dem »neuen und womöglich schlecht gewählten Apparat von Begriffen« sowie »einem Stil, der zu allem eher passt als zur Philosophie«23, sei. Angesichts der tatsächlichen Umstände klingt dies wie eine merkwürdige Selbstverleugnung. Doch es lag sicherlich taktisches Kalkül darin, ging es Ellis doch vor allem darum, zu zeigen, dass die Vertreter des Transzendentalismus keineswegs bloß sklavische Kopisten deutscher Vorbilder, sondern durchaus in der Lage waren, ihre eigenen Quellen kritisch zu hinterfragen. Betrachtet man die 19  Gura: American Transcendentalism, S.  57. 20  Vgl. ebd., S.  58. 21  Francis Bowen: Locke and the Transcendentalists. In: Christian

Examiner 23 (November 1837), S.  170–194, hier: 76. 22  Vgl. S. 9 der vorliegenden Ausgabe. 23  Vgl. S. 37 der vorliegenden Ausgabe.

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Vorwürfe ihrer Gegner, so wird darüber hin­aus klar, dass diese oftmals gar nicht die deutsche Philosophie an sich angriffen, sondern vielmehr den Versuch, diese von ihren kulturellen Rahmenbedingungen zu entkoppeln und in einen Kontext zu verpflanzen, in dem sie notwendigerweise verfälscht und verflacht werden müsse. So schrieb James Marsh 1841, ein Jahr vor dem Erscheinen des Essay, dass die ›Bostoner Transzendentalisten‹ wohl die »prettinesses of the German writers« besäßen, »but without their manly logic and strong systematizing tendency«, weshalb es sich bei ihnen um eine »rather superificial affair« handele.24 Freilich entging Kritikern wie Marsh, der durch seine Popularisierung Coleridges ironischerweise selbst eine der wichtigsten Bezugsgrößen für die Transzendentalisten geworden war, dass gerade in deren unbekümmertem Eklektizismus eine Souveränität lag, die es ihnen ermöglichte, sich das Fremde in einer produktiven Weise anzueignen, ohne dieses einfach bloß zu imitieren. Der Essay on Transcendentalism Obwohl der Essay on Transcendentalism (1842), der hier erstmals in einer modernen Ausgabe und Übersetzung vorliegt, selbst unter Experten zu den eher weniger bekannten Texten des Tranzendentalismus gehört, stellt er in vielerlei Hinsicht einen Schlüsseltext zu dessen Verständnis dar und vermag auch heute noch als bündige Einführung in das transzendentalistische Denken zu dienen. Der Essay, dessen Autorschaft längere Zeit umstritten war,25 wird heute allgemein dem Bostoner Juristen und 24  James Marsh an Henry J. Raymond, 1 März 1841. Zit. nach: John J.

Duffy (Hrsg.): Coleridge’s American Disciples. The Selected Correspondence of James Marsh. Amherst 1973, S.  256. 25 Der Essay on Transcendentalism erschien erstmals 1842 anonym bei Crocker and Ruggles in Boston. Als Autoren wurden im Verlauf der Jahre Ralph Waldo Emerson, Henry Winsor, William Dexter und Charles Mayo Ellis gehandelt. Wie Walter Harding überzeugend

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Abolitionisten Charles Mayo Ellis (1818–1873) zugeschrieben. Er stand, wie bereits erwähnt, im Kontext eines apologetischen Schrifttums, mit dem sich die Transzendentalisten gegen den immer wieder auf sie eindringenden Vorwurf des unamerikanischen Charakters ihrer Philosophie sowie des Atheismus zu wehren versuchten. Vergleicht man ihn mit den bekannteren Schriften Emersons oder Thoreaus, so fällt zunächst sein relativ systematischer Charakter auf. Dies ist kein Zufall, richtete sich Ellis’ Buch doch nicht in erster Linie an einen Zirkel von ›Eingeweihten‹, sondern an ein breites Publikum, das mit dem Transzendentalismus allenfalls in Gestalt von dessen öffentlichen Zerrbildern vertraut war. Dies erforderte nicht nur einen auf das Wesentliche reduzierten Inhalt, sondern vor allem eine eingängige Darstellung. So beeilt sich Ellis auch gleich zu Beginn, den Verdacht zu entkräften, er wolle sich »in irgendeinem geheimnisvollen Jargon […] ergehen«. Vielmehr sei es sein Anliegen, in allgemeinverständlicher Sprache für die Sache des Tranzendentalismus zu werben, indem er den Schleier der Unkenntnis über diesen lüfte und damit das vielfach kursierende Halbwissen über ihn bekämpfe. Schon ein Jahr vor Ellis’ Essay war unter dem Titel »Prophecy – Transcendentalism – Progress« im Dial, der Hauszeitschrift der Transzendentalisten, ein Aufsatz des Farmers und Schriftstellers Jonathan Ashley Saxton erschienen, in dem dieser es sich darlegen konnte, lässt sich die Autorschaft Emersons mit nahezu vollständiger Sicherheit ausschließen; Winsor verneinte die Urheberschaft explizit und Wilson überwarf sich kurz vor Erscheinen des Essay mit den Transzendentalisten und trat der Church of England bei (vgl. Walter Harding: Introduction. In: Charles Mayo Ellis: An Essay on Transcendentalism [faksimilierter Nachdruck der Erstausgabe von 1842]. Gaines­ ville, Florida 1954, S.  X–XII). Der Essay selbst wurde 1843 in der Januar-­ Aus­gabe des Dial von Charles Lane wohlwollend rezensiert (The Dial 3/ III (1843), S.  406–411), allerdings ebenfalls ohne Nennung eines Autors. Scheinbar wusste man auch in transzendentalistischen Kreisen nicht, wer der Verfasser war.

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zur Aufgabe gemacht hatte, zum allgemeinen Verständnis des Transzendentalismus beizutragen.26 Wie Ellis ging es auch Saxton darum, das öffentliche Bild über diesen geradezurücken und zu zeigen, dass es sich bei der transzendentalistischen Philosophie in Wirklichkeit um die »philosophy of common life, and of common experience« handle. »It will be found«, so fährt er fort, »that all men, mostly, perhaps, unconsciously, believe and act upon it; and that even to those, who reject it, and argue against it, it is the practical philosophy of belief and conduct«.27 Ebenso wie Ellis kritisierte auch Saxton die sozialen Zustände in den Vereinigten Staaten scharf und berief sich hierzu auf die individuelle Freiheit und Würde jedes Menschen.28 Anders als bei Ellis spielte die Darlegung der transzendentalistischen Prinzipien und Grundsätze bei Saxton jedoch nur eine untergeordnete Rolle, ging es ihm doch in erster Linie darum, seine politischen und geschichtsphilosophischen Ansichten zu untermauern. Während Saxton einen linearen Geschichtsverlauf konzipierte, den er, ganz hegelianisch gedacht, in der Verwirklichung der Freiheit sich vollenden sah, ist Ellis’ Werk eher panoramistisch angelegt. Zwar spielt auch bei ihm die Vorstellung einer geschichtlichen Entwicklung der individuellen Freiheit eine wichtige Rolle. Hauptzweck des Essay war es jedoch, dem Leser einen möglichst weitgefassten Überblick über den transzendentalistischen Gedankenkreis zu verschaffen. So behandelt Ellis nach der Dar­ legung seiner philosophischen Grundsätze mehrere Großthemen 26  Vgl. J.  A. Saxton: »Prophecy – Transcendentalism – Progress«. In:

The Dial, vol. II (1841), S.  83–121. 27  Ebd., S.  87. 28  Vgl. ebd., S.  101: »It has scarcely a word of reproach for that most ferocious and guilty form of oppression, which exists in this country, whose very existence is transcendental; whose right to be a nation was broadly and unequivocally legitimated upon the intuitive truth of the principle of the equality and brotherhood of universal man. Yet here it sees a system of the most bloody injustice perpetrated […].« (Saxton spielte hier auf die Sklaverei an).

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(Kritik, Kunst, Regierung und gesellschaftliche Ordnung, Religion, moralische Pflicht) und diskutiert diese aus transzendentalistischer Sicht. Damit ermöglicht er es dem Leser, anders als Saxton in seinem eher argumentativ aufgebauten Text, sich dem Transzendentalismus unter verschiedenen Gesichtspunkten zu nähern. Dabei ist es – von dem ersten grundlegenden Kapitel abgesehen – nicht unbedingt nötig, die einzelnen Abschnitte der Reihenfolge nach zu lesen; vielmehr bietet Ellis dem Leser die Möglichkeit, dort einzusteigen, wohin ihn sein Interesse am ehesten zieht, seien dies die Ästhetik oder die Moral. In sieben nicht weiter untergliederten Großkapiteln widmet Ellis sich dabei jeweils einem zentralen Thema, wobei philosophische Fragen im engeren Sinn ebenso eine Rolle spielen wie die Diskussion der sozialen Frage, der öffentlichen Bildung, der Religion oder die Frage nach der gerechtesten Staatsform, hängen diese in Ellis’ Weltbild doch alle aufs engste miteinander zusammen. Ausgangspunkt für Ellis bildet die unmittelbare Evidenz des Selbstbewusstseins. Entscheidend ist für ihn dabei, dass dieses zu seinem ›Beweis‹ nicht erst der Auseinanderlegung in eine logische Schlussform cartesianischer Art bedarf.29 In seiner Selbst­ evidenz ist das Bewusstsein vielmehr an und für sich Quelle eingeborener Wahrheiten, wozu für Ellis in erster Linie die wirkliche Existenz einer nicht-körperlichen Welt des Geistes gehört. Geist und Materie stehen sich für Ellis aber nicht einfach unvermittelt gegenüber; vielmehr strebt der Geist danach, sich in der Materie auszudrücken, sei dies in Form von Kunst oder in moralischen Handlungen. Menschliches Handeln ist für Ellis somit immer auf das Geistige bezogen, an das wiederanzuknüpfen Sinn aller Philosophie, Dichtung und Religion ist. In Handlungen und Anschauungen, die gegen dieses Prinzip verstoßen, sieht 29  »We cannot argue ›I feel,‹ or ›I think, therefore I exist.‹ The best

argument to prove this is the simple statement – I am. We know that we exist. No proof of this can be adduced which is not based on the supposition of our existence.« (Vgl. S. 14 der vorliegenden Ausgabe.)

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Ellis eine Entfremdung des Menschen von seiner eigent­lichen und wahren Natur. Dies betrifft nicht nur den Einzelnen, sondern ebenso den Staat oder die Gesellschaft im Ganzen. Herrschen in diesen ungerechte Zustände vor oder sind sie selbst nach Prinzipien organisiert, die im Widerspruch zur menschlichen Natur stehen (beispielsweise der angeborenen Freiheit und Gleichheit aller Menschen), wie dies für Ellis im Amerika und Europa seiner Zeit der Fall war, dann bedürfen sie der Reformation – oder der Abschaffung. Diese Engführung von Philosophie, Politik und Moral, die typisch für den Transzendentalismus ist und nicht zuletzt ein Erbe seines theologischen Ursprungs darstellt, kommt bei Ellis in allen Zusammenhängen zum Tragen. So richtet sich das Kapitel »Kritik« beispielsweise gegen ein von Formen und Konventionen bestimmtes Werkverständnis, in dem wiederum ein mechanistisches Weltbild zum Ausdruck gelangt, das dem Lebensprinzip selbst widerspricht. Im Vordergrund, so Ellis, müsse vielmehr stets die organische Betrachtung des Ganzen stehen, nicht die kapriziöse und pedantische Fixierung auf einzelne – und oft genug nebensächliche – Aspekte. Ellis leitet daraus auch die Forderung ab, sich von Vorbildern zu lösen, wenn deren Gültigkeit lediglich auf einer überkommenen Tradition beruht, sich aber nicht aus ihrem Gehalt selbst ergibt. Vor allem aber bedarf es zur Beurteilung literarischer oder künstlerischer Werke dann keines einstudierten Kennertums mehr, vermag doch vielmehr jeder selbst nach den ewigen und allgemeinen Grundsätzen des Wahren, Guten und Schönen zu urteilen. Auch ein scheinbar abseitiges Thema wie dieses ist bei Ellis also politisch aufgeladen und mit der Forderung nach allgemeiner Teilhabe an etwas verknüpft, das bislang Privileg einiger weniger selbst­ernannter ­Experten ­gewesen ist. Wer den Essay heute liest, dem wird das Zeitgebundene einiger der darin angesprochenen Themen (wie das der Kinder­arbeit in den britischen Manufakturen) nicht entgehen. Während etwa Thoreaus Essay Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat (1849) oder Walden (1854) noch heute ›Aussteigern‹

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als Inspiration dienen, wird von dem Essay schwerlich eine solche Wirkung ausgehen können. Was ihn trotz dieses Umstandes  – oder vielleicht gerade deswegen – lesenswert macht, ist vielmehr die Mischung aus philosophischer Reflexion, Sozialkritik und politischem Engagement, die in dieser Form und Dichte einzigartig ist. Eben weil sie uns in einem gewissen Sinn zeitlos erscheinen, neigen wir dazu, die Texte Emersons oder Thoreaus aus ihrem Kontext zu lösen. Dabei war der Transzendentalismus weder eine apolitische noch eine gesellschaftsfeindliche Strömung; weder propagierten seine Anhänger eine schrankenlose Anarchie, wie ihnen ihre Gegner unterstellten, noch verloren sie sich in weltabgewandten Schwärmereien. Im Gegenteil: Viele Transzendentalisten mischten sich selbst aktiv in das Tagesgeschehen ein und bezogen in ihren Werken ausdrücklich Stellung zu politischen und gesellschaftlichen Fragen ihrer Zeit. Vor diesem Hintergrund vermag Ellis’ Essay, uns das transzendentalistische Denken in all diesen Dimensionen vor Augen zu führen und so dazu beizutragen, jene wohl doch noch nicht ganz überwundenen Vorurteile über dieses zu beseitigen. Der Autor Charles Mayo Ellis wurde am 23. Dezember 1818 im Bostoner Stadtteil Roxbury als Sohn des Besitzers der späteren Brook Farm geboren.30 Anhaltspunkte zu seiner Biografie müssen den wenigen gesicherten Informationen entnommen werden, die sich weitgehend auf die allgemeinen Eckdaten seines beruflichen 30  Vgl. zu einem Abriss von Ellis’ Biografie die Einleitung von Walter

Harding zum Reprint des »Essay« (S.  V II–XV, hier insb. XII–XV), ferner: Jon Rogers: Eintrag »ELLIS, Charles Mayo (1818–1878)«. In: Dictionary of Early American Philosophers. Hg. v. John R. Shook New York  /  L ondon 2012, S.  349–350 sowie Eintrag »Ellis, Charles Mayo (1818–1878)«. In: Encyclopedia of Transcendentalism. Hg. v. Tiffany K. Wayne. New York 2006, S.  93, Sp.  2.

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Werdegangs beschränken. 1839 verließ Ellis das Harvard College mit einem Bachelorabschluss und studierte ab 1840 an der Harvard Law School, die er allerdings bereits nach einem Jahr wieder verließ. Ungeachtet dessen erfolgte 1842 seine Zulassung als Anwalt in Suffolk County (Massachusetts). Ab dieser Zeit betrieb Ellis in Boston eine eigene Kanzlei. Als offener Gegner der Sklaverei engagierte er sich auf verschiedene Weise für deren Abschaffung und nutzte hierbei auch seine Möglichkeiten als Jurist. So fungierte er 1854/55 als junior counsel in dem landesweit Aufsehen erregenden Prozess um den entlaufenen Sklaven Anthony Burns (1834–1862) und verteidigte hierbei auch Theodore Parker, der sich einer Anklage wegen Missachtung des Gerichts ausgesetzt sah, nachdem er gegen die Behandlung von Burns protestiert hatte. Aus Dank widmete Parker ihm 1855 sein Buch The Trial of Theodore Parker, in dem er die Ereignisse dieses Prozesses rekapitulierte.31 Über Ellis’ weiteres Leben ist nur wenig bekannt. Chronologische Anhaltspunkte bietet immerhin die Liste seiner Veröffentlichungen. So erschien 1847 eine zunächst als mehrbändiges Werk angelegte History of Roxbury Town. In den Folgejahren veröffentlichte Ellis zudem rechtsspezifische und abolitionistische Texte, worunter vor allem seine Memorial Address On Abraham Lincoln (1865) hervorzuheben ist, in der er die Emanzipationsproklamation von 1862 verteidigte, durch die die Sklaverei in den USA offiziell abgeschafft wurde.32 Darüber hinaus setzte Ellis sich auch für auf den ersten Blick etwas skurrile Forderungen wie die sonntägliche Öffnung des Lesesaals der Boston Public Library ein,33 was in Wirklichkeit jedoch einen Angriff auf das 31  Vgl. Harding: Introduction, S.  X IV. 32  Vgl. Rogers: Eintrag »ELLIS, Charles Mayo (1818–1878)«, S.  350,

Sp.  1. 33 Vgl. Charles Mayo Ellis: Argument for Opening the Reading Rooms of the Public Library of the City of Boston on Sunday Afternoons. Boston 1867.

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staatliche Gesetz zur Sonntagsarbeit und damit eine Herausforderung der religiösen Institutionen Bostons darstellte. Sein sozial­reformerisches Engagement machte Ellis zu einem bekannten Bürger der Stadt, dessen Einsatz gegen die Sklaverei bis heute in den Geschichtsbüchern Erwähnung findet. Er starb am 23. Januar 1873 nach langer Krankheit als – wie es im Nachruf heißt – wohlhabender Mann.34 Mit dem Transzendentalismus scheint Ellis schon früh in Kontakt gekommen zu sein. Einer seiner Klassenkameraden war der spätere Pastor und Schriftsteller Edward Everett Hale (1822– 1909), ein Neffe Edward Everetts, der durch seine Vermittlung ausländischer (insbesondere deutscher) Schriftsteller maßgeblich am kulturellen Austausch mit Europa und damit zugleich an der Begründung einer eigenständigen amerikanischen Lite­ ra­tur beteiligt war. Eben in die Zeit, als Ellis in Harvard studierte, fielen auch Emersons Reden über »The American Scholar« (1837) und die »Divinity School Address« (1838). Zwar wissen wir nicht, ob Ellis zu den Hörern Emerson gehörte, noch, wann sich seine ›Bekehrung‹ vollzog und ob diese ein gradueller Prozess war oder durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst wurde. Offensichtlich boten das allgemeine geistige Klima in Harvard sowie ­Ellis’ persönliches Umfeld jedoch zahlreiche Gelegenheiten, mit dem Transzendentalismus in Berührung zu kommen, und so ist es durchaus möglich, dass Ellis schon relativ früh in dessen Sog geriet. Jedenfalls scheint er das Harvard College als überzeugter Transzendentalist verlassen zu haben, wie sein Schulbucheintrag anlässlich seiner Graduierung im Jahr 1839 zeigt: Ich bin aufrichtig davon überzeugt, dass so etwas wie die äußere Welt nicht existiert –, kein Sein eines materiellen Wesens, das der Äußerlichkeit des Stiftes entspricht, mit dem ich schreibe. – Gerade die Überlegungen der Philosophen und Sektierer über die geistige, individuelle Existenz eines unabhängigen Ichs – diese 34  Vgl. Harding: Introduction, S.  XV.

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Lehren, obwohl sie ihre Anhänger ein wenig über die Erde (in die Wolken) erhoben haben, nötigen mich zu der Überzeugung, dass die Ich-heit des einzelnen Menschen oder Geistes eine Nichtheit ist.   Mehr noch, […] diese Überlegungen beweisen, dass es nicht einmal einen Geist gibt, sondern dass Wahrheit, Gutheit und Schönheit das einzige Seiende sind, dass sie in ein endloses Labyrinth verwoben sind, dass sie in einem unauflösbaren Einklang miteinander stehen. Wir sind einige ihrer verschiedenen Ausbildungen  – ebenso ist es die Schöpfung – zusammengebunden durch eine gemeinsame Natur; nicht ein Teilchen von Wahrheit vermag ausgelöscht zu werden, ohne die Harmonie des Ganzen zu vernichten. Daher ist – jedes Ereignis, nicht als Ereignis im gewöhnlichen Sinn betrachtet, sondern als die Entfaltung einer Wahrheit, von Bedeutung. Q. E. D.35

Der Eintrag, der sich geradewegs wie ein transzendentalistisches Glaubensbekenntnis liest, gibt nicht nur Aufschluss über die philosophischen Ansichten des damals 21-Jährigen. Er nimmt auch sprachlich bereits in Vielem den bild- und metaphernreichen Stil 35  »I solemnly believe that there is no such thing as the world with­

out –, no essence of a material entity corresponding to the outness of the pen with which I am writing. – Indeed, the reasonings of philosophers and sectarians about even the spiritual, individual existence of an independent, I, – these doctrines, though they have raised their votaries a little from the earth (into the clouds) only force upon me the conviction that the me-ness of the individual man, or mind is a nonentity. / Yet far­ ther, to my mind! (I beg pardon, I mean to the portion of truth developed by my existence), these reasonings prove that there is not even a mind, but that truth, goodness, & beauty are the only existences, that they are interwoven in an endless maze, that they have an indissoluble sympathy for each other. We are some of their different developments – so is the creation – bound together by a common nature; not a particle of truth can be obliterated without destroying the harmony of the whole. Therefore – every event, considered, not as an event in ordinary, but as the development of a truth, is important. Q. E. D.« (Zit. nach ebd., S.  X III–XIV; Üb. d. Herausgebers).

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des Essay vorweg, ein Hinweis nicht nur auf die Wortgewandtheit des angehenden Juristen, sondern zugleich Dokument dafür, wie eng im Transzendentalismus Philosophie und Rhetorik ineinander verwoben waren. Parallel zu der Kritik an rationalistischen Denkweisen fand im Transzendentalismus eine Aufwertung des Gefühls statt, stellte dieses doch ebenso wie das Verstandesmäßige einen Teil des menschlichen Kosmos dar, den es sprachlich abzubilden galt. Der mitunter hymnische Duktus, dessen Ellis sich bedient, zeigt, dass es ihm nicht nur darum zu tun war, seine Leser auf einer diskursiven Ebene von den transzendentalistischen Argumenten zu überzeugen. Ellis spricht gleichsam selbst als ›Begeisterter‹, der seine Zuhörerschaft mitreißen will. Ellis übernahm zunächst die Verwaltung der etwa 70 Hektar großen dairy farm seiner Eltern in West Roxbury,36 die später auch in seinen Besitz überging. 1841 wurde dieses Gelände von George Ripley gekauft,37 der dort zusammen mit einigen Mitstreitern, darunter Nathaniel Hawthorne (1804–1864), ein sozialutopisches Experiment in die Wege leitete, das trotz fortwährender Schwierigkeiten immerhin sechs Jahre lang bestehen und unter dem Namen »Brook Farm« in die Geschichte eingehen sollte. Die Brook Farm war eine Art transzendentalistische Kommune, die auf den Ideen des französischen Sozialtheoretikers Charles Fourier (1772–1837) basierte und die (zumindest dem Konzept nach) eine streng geordnete, harmonische und autarke Lebensgemeinschaft bilden sollte. Ellis muss während dieser Zeit freundschaftliche Beziehungen zu Ripley unterhalten haben. So hatte dieser bereits den Sommer des Jahres 1840 auf Ellis’ Farm verbracht, 36  Vgl. Rogers: Eintrag »ELLIS, Charles Mayo (1818–1878)«, S.  349,

Sp.  1 37  Wie sich der Verkaufsurkunde entnehmen lässt, war Ellis zu diesem Zeitpunkt mit einer Frau namens Maria verheiratet. Ob das Ehepaar Kinder hatte, ist nicht bekannt. Vgl. Jessica Gordon: Transcendental Ideas: Social Reform. History of Brook Farm. https://archive.vcu.edu/ english/engweb/transcendentalism/ideas/brhistory.html [abgerufen am 07. 08. 2019].

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die zudem kaum eine Meile vom Wohnhaus Theodore Parkers entfernt lag.38 Inwiefern Ellis selbst zu den Besuchern der Brook Farm gehörte, ist nicht bekannt. Vergeblich sucht man im Essay nach entsprechenden Hinweisen, auch die Ausführungen zu den von Ellis angeregten gesellschaftlichen Reformen, die ja immerhin eine Plattform hätten bieten können, um für Ripleys Projekt zu werben, geben diesbezüglich keinen Aufschluss. So tritt für uns der Autor Ellis – in Ermangelung weiterer biografischer Hinweise – weitgehend hinter sein Werk zurück. Doch vielleicht war eben gerade dieses sein eigentliches Selbstbekenntnis. Editorische Bemerkung Der Transkription des englischen Textes liegt die Erstausgabe des Essay on Transcendentalism (Boston: Crocker and Ruggles 1842) zugrunde. Orthografie und Interpunktion entsprechen dem Original. Übernommen wurden in allen Fällen die typographischen Hervorhebungen wie Kursive und Kapitälchen. In wenigen Fällen wurde offensichtliche Schreibfehler korrigiert; diese Emendationen sind im Anhang aufgeführt. Die senkrechten Striche innerhalb des Textes markieren die Seitenumbrüche der e­ nglischen Erstausgabe. Bei der Übersetzung wurde in erster Linie Wert auf Genauigkeit und Sinntreue gelegt. Dies erwies sich in einigen Fällen als schwierig, insbesondere dort, wo Syntax oder Vokabular mehrdeutig sind und sich ihre Bedeutung nicht ohne Weiteres aus dem gegebenen Zusammenhang erschließt. Trotz dieser Schwierigkeiten und des damit verbundenen Risikos erschien es dem Heraus­geber angebracht, dem englischen Original eine deutsche Version an die Seite zu stellen, ist Ellis’ Sprache doch heute nicht mehr ohne Weiteres zugänglich. Alle eventuellen Übersetzungsfehler sind dem Herausgeber geschuldet. 38  Vgl. Gura: American Transcendentalism, S.  153.

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Danksagung Mein herzlicher Dank gilt Adela Sophia Sabban für die aufmerksame Durchsicht der Übersetzung. Ihre zahlreichen Anmerkungen waren mir eine wertvolle Unterstützung und haben wesentlich zur Verbesserung des Manuskriptes beigetragen. Anne-­Sophie Kahnt danke ich für das gründliche Gegenlesen der Transkription, in dessen Zug letzte Übertragungsfehler beseitigt werden konnten. Schließlich danke ich Claus Zittel (Stuttgart) für wertvolle inhaltliche Anregungen zu dem im Winter 2018 an der Universität Stuttgart gehaltenen Vortrag, der die Grundlage für die Einleitung dieses Bandes bildete.

B I B L IO G R A F I E

Ausgaben [Charles Mayo Ellis:] An Essay on Transcendentalism. Boston 1842. Charles Mayo Ellis: An Essay on Transcendentalism [faksimilierter Nachdruck der Erstausgabe von 1842]. Hg. u. eingeleitet von Walter Harding. Gainesville, Florida 1954.

Sekundärliteratur Zu Ellis Harding, Walter: Introduction. In: Charles Mayo Ellis: An Essay on Transcendentalism [faksimilierter Nachdruck der Erstausgabe von 1842]. Gainesville, Florida 1954, S.  V II –XV . Rogers, Jon: Eintrag »ELLIS, Charles Mayo (1818–1878)«. In: Dictionary of Early American Philosophers. Hg. v. John R. Shook New York  /  London 2012, S.  349–350. Wayne, Tiffany K.: Eintrag »Ellis, Charles Mayo (1818–1878)«. In: Encyclopedia of Transcendentalism. Hg. v. ders. New York 2006, S.  93, Sp.  2.

Zum Transzendentalismus Cheever, Susan: American Bloomsbury. Louisa May Alcott, Ralph Waldo Emerson, Margaret Fuller, Nathaniel Hawthorne, and Henry David Thoreau: Their Lives, Their Loves, Their Work. New York u. w. 2006. Malachuk, Daniel S.: Two Cities. The Political Thought of New England Transcendentalism. New York 1968.

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Bibliografie

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C H A R L E S M AYO E L L I S

An Essay on Transcendentalism Ein Essay über den Transzendentalismus

Transcendentalism

Transcendentalismu$

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5–8

I N T RODU C T ION |

»Transcend: to leap over; to go beyond.« DICT. »Transcendental: supereminent; supremely ­excellent.«  DICT. »Transcendentalism: cognition as applied to cognition a priori.«  KANT. |

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I

t seems proper, in this the first number of this short series of papers, to state briefly their object, that the reader may not be disappointed, and the writer may not be censured for not having done that which he never meant to do. It has for some time been pretty generally admitted, at least many have made the assertion and have not yet been compelled to retract it, that there is in the midst of us, beyond the reach of flesh and sense – no part of the material world – somewhat, and what the Lord only knows, – a monster, horrendum, informe, ingens1 – seen only at rare intervals, by few people, in their ­accounts of which no two can agree, of which no one was ever able to give a description which should enable another to form any notion of the idea that was in his own mind; – a spiritual sea-serpent, which has ventured to | the top of the ocean of soul, at which many are terrified as much as if the Father of Lies2 had

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E I N F Ü H RU N G

»Transzendieren: übersteigen; darüber hinausgehen.« WÖRTERB. »Transzendental: überragend; in höchstem Maß hervorragend.«  WÖRTERB. »Transzendentalismus: Erkenntnis, bezogen auf ­Erkenntnis a priori.«  KANT.

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E

s scheint angebracht, in dieser der ersten Folge einer Reihe von kleinen Aufsätzen deren Gegenstand kurz zu umreißen, damit der Leser nicht enttäuscht sein und der Verfasser nicht ­dafür verurteilt werden mag, das nicht getan zu haben, was nie in seiner Absicht lag. Es wird seit einiger Zeit recht allgemein zugestanden, zumindest haben viele diese Behauptung gemacht und haben sich bisher nicht genötigt gefühlt, sie wieder zurückzunehmen, dass es in unserer Mitte, jenseits des Bereiches von Fleisch und Verstand, etwas gibt – kein Teil der stofflichen Welt – etwas, und was allein der Herr kennt – ein Monstrum, schrecklich, abscheulich, gewaltig –, nur in seltenen Abständen erblickt, von wenigen Leuten, von denen nicht zwei in ihren Schilderungen übereinstimmen, von denen keiner je in der Lage gewesen ist, eine Beschreibung zu geben, die es einem anderen ermöglicht hätte, eine Vorstellung von der Idee zu entwickeln, die in seinem eigenen Geist wäre; – eine geistige Seeschlange, die sich an die Oberfläche des Seelenmeeres gewagt hat, wo viele so in Schrecken versetzt sind, als ob der Vater der Lüge leibhaftig in seiner alten Gestalt erschie-

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in reality appeared in his old form, whose head they must bruise; a matter of anxiety to some, of curiosity to all. To this, as something beyond the reach of mortal ken, or at least, beyond what honest men had ever before been deemed cap­ able of attaining to or comprehending, was given the euphonious, significant, and, as the thing was new, new name – Transcendentalism. And as the ancients on their maps only drew the few countries they knew and set down all else as Terra Incognita, and the people there as barbarians; and as we, now-a-days, shade off about the poles, unable to say whether it is land or water, ice or fire, and enlighten the shrewd scholar by compelling him to commit the boundaries of the »unexplored regions« north by the north pole, south by Greenland, &c., – so in the spiritual world they call all beyond the regions already known Transcendentalism. Every new doctrine in philosophy, every new dogma in theo­ logy, is transcendental; and so is every plan for improving man’s religious institutions, or the organization of the social system. No idea can be started for a change in creed or catechism, in government or laws, in | the social relations of men or their individual duties, in teaching or learning, writing or reading, criticising or creating, in art, literature, poetry or philosophy, theology or religion, but it is termed transcendental. If there was ever any shame attached to the term, the censure it bore was not enough to stop inquiry – sheer curiosity makes man go where men do not often venture. The world will not stop, and all ask what this is about which so many are troubled. To give an answer to this question is the object of these papers; not to

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nen wäre und man ihm nun den Schädel einschlagen müsste; ein Grund der Furcht für einige, einer der Neugier für alle. Diesem wurde, als etwas jenseits des Bereiches menschlichen Wissens oder zumindest jenseits dessen, was für redliche Menschen nie zuvor erreich- oder fassbar gehalten wurde, der wohlklingende, bedeutungsvolle und, da der Gegenstand neu war, neuartige Name – Transzendentalismus gegeben. Und so, wie die Alten auf ihren Karten nur die wenigen ihnen bekannten Länder einzeichneten und alles andere als Terra Incognita absetzten und deren Bewohner als Barbaren bezeichneten; und so, wie wir heute den Bereich um die Pole herum abschattieren, unfähig zu sagen, ob es sich um Land oder Wasser, Eis oder Feuer handelt, und so, wie wir den scharfsinnigen Gelehrten dadurch aufklären, indem wir ihn nötigen, die Grenzen der »unerforschten Regionen« im Norden beim Nordpol, im Süden bei Grönland anzusetzen usw., – so bezeichnet man in der geistigen Welt a­ lles außerhalb der schon bekannten Regionen als Transzendentalismus. Jede neue Lehre in der Philosophie, jeder neue Glaubenssatz in der Theologie ist transzendental; und ebenso ist es jedes Vorhaben zur Verbesserung der religiösen Institutionen des Menschen oder der Struktur seiner gesellschaftlichen Ordnung. Es kann keine Idee zur Veränderung des Glaubens oder des Katechismus, der Regierung oder der Gesetze, der gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen oder deren persönlicher Pflichten, des Unterrichtens oder des Lernens, Schreibens oder Lesens, Kritisierens oder Erschaffens, in der Kunst, Literatur, Dichtung oder Philosophie, Theologie oder Religion anheben, ohne dass sie als transzendental bezeichnet wird. Wenn dem Ausdruck jemals irgendeine Schmach anhaftete, so reichte der Tadel, den er auf sich zog, doch nicht aus, um die Unter­suchung zu hemmen – schiere Neugier führt den Menschen dorthin, wohin sich Menschen nicht häufig wagen. Die Welt wird nicht stillstehen und alle fragen sich, was es damit auf sich hat, das so viele beunruhigt. Diese Frage zu beantworten, ist die Absicht der vorliegenden Blätter; nicht, sich in irgend­einem

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deal in any mysterious jargon; not to make a new anglo-german rhapsody; not to advance or support any new philosophy, or puzzle any one with hard terms from the old; not to propagate views which tend to undermine religion, overturn government or disorganize society; but to explain in common language, in the English tongue, without scientific or philosophical terms or words that one cannot comprehend without a dictionary, and cannot find with one, without favor or fear, what Transcendentalism is; that if there be anything good in it, it may be the more readily received, if anything dangerous, the evil may be seen and avoided. As was said, this term is applied to many | things. It might seem to mean all things to all men, or a different one to each. Talk to one of anything foreign, and he will mutter something about Transcendentalism; another thinks the Germans are given to this rather than the French; a third that all Germans even, cannot claim the name. One who has read only Locke, says it means all ideas not innate. He who has not read at all, brings under this category all that forms no part of his week-day philosophy. It seems to bear one meaning when applied to religion; when to style, another; another when to philosophy or art; in short there is a transcendental view of everything. But, look a little at the matter. Man has a body, wherein he is allied to the beasts; reason, which is his peculiar endowment; a soul, which connects him with Deity. As an animal, he has instincts, love for food, pleasure, which we term appetites; as ratio­ nal man, love for truth, intuitions of the understanding, sympa-

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geheimnisvollen Jargon zu ergehen; nicht, eine neue anglo-­deut­ sche Schwärmerei zu betreiben; nicht, irgendeiner neuen Philosophie Vorschub zu leisten oder sie zu befördern oder irgend­ jemanden mit schwierigen Begriffen der alten zu verwirren; nicht, Ansichten zu verbreiten, die darauf abzielen, die Religion zu schwächen, die Regierung umzustürzen oder die Gesellschaft zu zersetzen; sondern in allgemeinverständlicher Sprache, dem Englischen, ohne wissenschaftliche oder philosophische Begriffe oder Wörter, die man ohne ein Wörterbuch nicht verstehen und mit einem nicht finden kann, ohne Gefälligkeit oder Furcht, zu erklären, was der Transzendentalismus ist; sodass, wenn irgendetwas Gutes in ihm steckt, dieses desto bereitwilliger anerkannt und, falls etwas Gefährliches daran ist, das Übel erkannt und gemieden werden kann. Der Begriff wird, wie gesagt, auf viele Dinge angewendet. Es könnte scheinen, als bedeute er allen Menschen alles oder jedem etwas anderes. Sprecht mit jemandem über irgendetwas Fremdartiges und er wird etwas über den Transzendentalismus murmeln; ein anderer meint, dass ihm die Deutschen mehr als die Franzosen hingegeben sind; ein Dritter, dass alle Deutschen gleichermaßen den Titel nicht für sich beanspruchen dürfen. Jemand, der nur Locke gelesen hat, behauptet, dass er sich auf alle nicht eingeborenen Ideen bezieht. Derjenige, der überhaupt nichts gelesen hat, fasst unter diese Kategorie alle Gebilde, die nicht zu seiner Alltagsphilosophie gehören. Er scheint eine bestimmte Bedeutung zu haben, wenn man ihn auf die Religion bezieht; eine andere, wenn damit die Ausdrucksweise bezeichnet wird; wieder eine andere, wenn er sich auf Philosophie oder Kunst bezieht; kurz, es gibt von allem eine transzendentale Sichtweise. Doch betrachten wir die Sache ein wenig. Der Mensch besitzt einen Körper, worin er den wilden Tieren verwandt ist; Vernunft, die seine eigentliche Gabe ist; eine Seele, die ihn mit dem Göttlichen verbindet. Als Tier besitzt er Instinkte, Bedürfnis nach Nahrung, Lust, das, was wir Verlangen nennen; als vernünftiger Mensch Liebe zur Wahrheit, Einsichten des Verstandes, als An-

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thies as a member of the human family, affections of the heart; as a child of God, religious aspirations. He is not merely an animal; nor an animal with reason. His nature is triple – animal, rational, spiritual; and it is to those systems, on whatever subject, which contemplate him as a spiritual being, that we apply the term transcendental. | That belief we term Transcendentalism which maintains that man has ideas, that come not through the five senses, or the powers of reasoning; but are either the result of direct revelation from God, his immediate inspiration, or his immanent presence in the spiritual world. Strictly speaking, then, Transcendentalism is the recognition of this third attribute of humanity, and the inquiry must be into the history of this – the arguments that support it, its effect upon the world, on literature, philosophy, the arts, criticism, religion, and on man in his political, social and moral relations. But a glance can be given at many parts of this subject; many must be passed by altogether. Still, there may be suggestions which will lead others to follow out inquiries which cannot be indulged in here. The object proposed is neither to enter into a discussion of the authenticity or authority of the revealed word of God, nor to attack or defend the matters of reform in church, state or society, which are said to be projected by the transcendentalists. It may be difficult, impossible, to prove the authority of the powers that are set over us; to vindicate the forms of government or society, or the laws by which we are controlled; to prove by abstract reasoning | that yaw and nein are no better than yes and no. It is these governments, imperfect as they are, that secure to us

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gehöriger des Menschengeschlechtes Mitgefühl, Empfindungen des Herzens; als Kind Gottes religiöses Streben. Er ist nicht bloß ein Tier; noch ein mit Vernunft ausgestattetes Tier. Seine Natur ist dreifacher Art – animalisch, vernünftig, geistig; und es sind diejenigen Systeme, die sich, egal in Bezug auf welchen Gegenstand, mit ihm als einem geistigen Wesen befassen, für die wir den Ausdruck Transzendentalismus gebrauchen. Jenen Glauben nennen wir Transzendentalismus, der behauptet, dass der Mensch über Ideen verfügt, die ihm nicht durch die fünf Sinne zukommen oder durch die Kräfte des Verstandes; sondern die entweder das Ergebnis direkter Offenbarung Gottes sind, seiner unmittelbaren Eingebung oder seiner immanenten Gegenwart in der geistigen Welt. Streng gesprochen ist der Transzendentalismus also die Erkenntnis dieser dritten Eigenschaft des Menschlichen und die Untersuchung muss in deren Geschichte eindringen – in die Beweise, die sie stützen, ihre Wirkung auf die Welt, auf Literatur, Philosophie, die Künste, auf Kritik, Religion und auf den Menschen hinsichtlich seiner politischen, gesellschaftlichen und moralischen Verhältnisse. Nur ein flüchtiger Blick kann auf viele Teile dieses Gegenstandes geworfen werden; viele müssen gänzlich übergangen werden. Doch mögen hierdurch Anregungen entstehen, die andere zur Durchführung von Untersuchungen anleiten, denen hier nicht nachgegangen werden kann. Das beabsichtigte Ziel besteht weder darin, uns in eine Diskussion über die Echtheit oder Autorität des von Gott geoffenbarten Wortes einzulassen, noch darin, die Angelegenheiten kirchlicher, staatlicher oder gesellschaftlicher Reformen zu kritisieren oder sie zu verteidigen. Es mag schwer sein, ja unmöglich, die Legitimation der Mächte zu beweisen, die über uns gesetzt sind; die Arten der Regierung oder der Gesellschaft oder die Gesetze zu rechtfertigen, von denen wir beherrscht werden; durch abstrakte Verstandestätigkeit zu beweisen, dass yes und no nicht besser sind als ja und nein. Es sind jene Regierungen, die, unvollkommen, wie sie sind, uns Annehmlichkeit und Schutz

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comfort and protection; these laws which are circulating the lifeblood of the community; these forms which entwine about men and keep them together, cultivate the affections, make the heart warm, kindle our holiest thoughts and waken the most delightful associations. One in a distant land, in the midst of strangers, will find the tear of joy starting at the sound of a single word in the language of his childhood. These things may be caviled at by the worst – perhaps they cannot be fairly vindicated as they are – but the best may use them to their profit. They are no more to be quarreled with than a mother’s kiss, a father’s smile. Every feeling and every thought seeks to express itself in some form; man needs excitement for his feelings, suggestions for his thought, aids to his devotion. With these we need not meddle now; our inquiry is in relation to Transcendentalism and its influences. We ask what it is and how does it appear – not whether it is consistent with the world as it is. |

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g­ ewähren; jene Gesetze, die das Lebensblut der Gemeinschaft zirkulieren lassen; jene Gebilde, die sich um die Menschen ranken und sie zusammenhalten, ihre Empfindungen veredeln, ihr Herz erwärmen, unsere heiligsten Gedanken entfachen und die herrlichsten Vorstellungen wachrufen. Jemandem, der in einem fernen Land, mitten unter Fremden, nur ein einziges Wort in der Sprache seiner Kindheit vernimmt, werden die Freudentränen zu fließen beginnen. Diese Dinge mögen von den Schlechtesten bekrittelt werden – vielleicht lassen sie sich, so, wie sie sind, nicht angemessen rechtfertigen – die Besten aber können sie zu ihrem Vorteil nutzen. Ihnen ist so wenig zu widersprechen wie einem mütterlichen Kuss oder einem väterlichen Lächeln. Jede Empfindung und jeder Gedanke strebt danach, sich in irgendeiner Form auszudrücken; der Mensch benötigt Reize zu seinen Empfindungen, Anregungen zu seinem Denken, Hilfsmittel zu seiner Andacht. In diese brauchen wir uns hier nicht einzumischen; unsere Untersuchung betrifft den Transzendentalismus und seine Wirkung. Wir fragen, was er ist und auf welche Weise er in Erscheinung tritt – nicht, ob er mit der Welt, wie sie ist, übereinstimmt.

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PR I N C I PL E S |

»Nulla gens tam fera, nemo omnium tam sit immanis, cujus mentem not imbuerit deorum opinio.«3 |

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T

he history of a man is not told by the account of the particles of matter of which his body is formed. He has an existence independent on the body – on the understanding – the material world or the spiritual. No logic is required to prove this. We cannot argue »I feel,« or »I think, therefore I exist.« The best argument to prove this is the simple statement – I am. We know that we exist. No proof of this can be adduced which is not based on the supposition of our existence. Any theory which seeks to show that man is a mere »conformation of material particles,« or »of those immaterial ideas the whole of which form the universe,«4 leads to the conclusion that man does not exist. Matter may be in a form called human: there may be such an association of ideas as to form what might be named man, but the existence of the soul such a theory does not recognise. But besides matter and mind there is also man. If there is not there is no immortality, no life. It cannot be that man is merely this, endowed with certain faculties – a sort of instrument; and that the soul is merely the sound of this instrument, which may make discord or harmony, as some philosophers have said.5 For how has this instrument

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G RU N D S ÄT Z E

»Nulla gens tam fera, nemo omnium tam sit immanis, cujus mentem not imbuerit deorum opinio.«

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D

ie Geschichte des Menschen wird nicht durch eine Beschreibung der Stoffteilchen erzählt, aus denen sein Körper zusammengesetzt ist. Er besitzt ein vom Körper – vom Verstand  – von der materiellen oder der geistigen Welt unabhängiges Sein. Um dies zu beweisen, bedarf es keiner Logik. Wir können nicht einwenden »Ich fühle« oder »Ich denke, also bin ich.« Das beste Argument, um dies zu beweisen, ist die einfache Feststellung – ich bin. Wir wissen, dass wir existieren. Es lässt sich davon kein Beweis anführen, der nicht auf der Annahme ­unserer Existenz beruht. Jede Theorie, die zu zeigen versucht, dass der Mensch bloße »Zusammensetzung von Stoffteilchen« ist oder »von jenen immateriellen Ideen, deren Ganzheit das Universum bildet«, führt zu dem Schluss, dass der Mensch nicht existiert. Materie mag in einer Form enthalten sein, die wir menschlich nennen: es mag eine solche Verknüpfung von Vorstellungen geben, welche das bildet, was man als Mensch bezeichnen könnte, doch die Existenz der Seele gesteht eine solche Theorie nicht zu. Jenseits von Materie und Geist jedoch gibt es auch noch den Menschen. Gibt es ihn nicht, so gibt es auch keine Unsterblichkeit und kein Leben. Es kann nicht sein, dass der Mensch nur dies ist, ausgestattet mit bestimmten Vermögen – eine Art Instrument; und dass die Seele nur der Klang dieses Instrumentes ist, das Dissonanz oder Harmonie erzeugen mag, wie einige Philosophen behauptet haben. Denn woher hat dieses Instrument bewusstes Leben? Wie

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conscious life? How can it hear the sounds if the sounds make up its existence? How does it feel the pulse of life beating in its bosom? Whence has it that other part which it uses as well as the body, and feels more called on to obey, which all the logic of perfect reason could not frame from all the matter in the universe? If man is but an instrument and his soul its music, why is not his soul dead when that is dumb? Why does he not cease to be when that is broken? Why does he feel within him longings, impulses, aspirations? How is it that he not only feels that he is – so that he may be associated with other matter, but that he himself possesses will and power – that he is not passive but active; not only is played upon, but plays, and finds within him what he has not gained from the world, what the world cannot get from him? Whence | is he? If he is but body, how has he been produced by this mysterious association? What is he? If his body be himself, how can he use it? If he is matter, how can he know of the existence of God? How can he contemplate that which is not matter, the good, true, beautiful? He is not a book to be read, but he ­records and reads for himself. Starting, then, with these, that man is and God is, which is involved in the first; the inquiry is, what has man? He has body, mind, spirit; affections, bodily, mental, religious; appetite, understanding, religion. And the latter he has and relies on as something distinct from the two former; not a combination of them. It is not because reason tells him that certain things are more for his animal comfort that he deems them right or beautiful, but because they answer the wants of the spiritual part of his nature. Man knows of the existence of this spiritual element in his being as he knows of the existence of his mind or his body. He feels

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kann es die Töne hören, wenn die Töne sein Dasein ausmachen? Wie fühlt es den Puls des Lebens in seiner Brust schlagen? Woher hat es den anderen Teil, den es ebenso wie den Körper gebraucht und dem zu gehorchen es sich mehr verpflichtet fühlt, welchen all die Logik der vollkommenen Vernunft aus sämtlicher Materie des Universums nicht zusammensetzen könnte? Wenn der Mensch nichts als ein Instrument und seine Seele dessen Musik ist, warum ist seine Seele dann nicht tot, wenn jenes stumm ist? Warum hört er nicht auf zu sein, wenn es beschädigt ist? Warum fühlt er in sich Verlangen, Triebe, Strebungen? Wie kommt es, dass er nicht nur fühlt, dass er ist – so dass er mit anderer Materie verbunden wäre, dass er aber selbst Wille und Kraft besitzt – dass er nicht leidend ist, sondern handelnd; dass auf ihm nicht nur gespielt wird, sondern dass er selbst spielt und in sich etwas vorfindet, das er nicht durch die Welt erhalten hat, das die Welt nicht von ihm empfangen kann? Woher kommt er? Wenn er nichts als ein Körper ist, wie ist er dann durch diese geheimnisvolle Verbindung zustande gekommen? Wenn er Materie ist, wie kann er dann von der Existenz Gottes wissen? Wie kann er das denken, was nicht Materie ist, das Gute, Wahre, Schöne? Er ist kein Buch, das zu lesen ist, sondern er macht selbst Aufzeichnungen und liest selbst. Wenn wir also davon ausgehen, dass der Mensch ist und dass Gott ist, was mit Ersterem zusammenhängt; lautet die Frage, was besitzt der Mensch? Er besitzt Körper, Verstand, Geist; Empfindungen körperlicher, seelischer, religiöser Art; Verlangen, Verstand, Glaube. Und Letzteren besitzt und auf Letzteren verlässt er sich als auf etwas von den beiden ersten Verschiedenes; nicht als Mischung beider. Nicht weil die Vernunft ihm eingibt, dass sie seinem animalischen Wohlbefinden zuträglicher sind, erachtet er bestimmte Dinge für richtig oder schön, sondern weil sie dem Verlangen des geistigen Teiles seiner Natur entsprechen. Der Mensch weiß von der Existenz dieses geistigen Grundes in seinem Sein, so wie er von der Existenz seines Verstandes oder seines Körpers weiß. Er fühlt sich seines Besitzes bewusst, fühlt

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conscious of possessing it, feels it to be affected by outward objects, that some of these it loves, some it loathes. Its existence is known as that of the body, through the senses with which it is endowed. What, then, is this part of man? Describe | it. Whence, what, where? For what use? Now ask the same questions about the body. The body, you may call a structure of matter, endowed with senses by which it perceives the material world, with appetites which lead it to incorporate portions thereof with itself, and so to continue its existence. So of reason or the intellect; it is that, by whose senses, we perceive the intellectual world. This, too, has its appetites, and, making food of thought, adds to its strength and perpetuates its existence. It is the same with the religious, that which we call the highest part of our nature. This has the power of perceiving that which is independent of itself – true, good, and beautiful. For this it longs; this gives it strength and vigor. This is not doubted in every day life – all act upon it. We call him whom we find destitute of it an incomplete man, insane. Every one has the idea of God. This leads him to worship. No one can be deprived of it by education. Be where he may; do what he will, good or ill; he knows the right way. The impulses of his soul he may disregard, but he cannot deny them. To call for proof of their correctness is absurd. They are axiomatic. He knows that they are. He knows that it is by their aid alone that be perceives whatever else exists. | We have laws for the body. By exact conformity to them; by giving to each its proper food and exercise, we keep that harmony which is health. If we break these laws we incur pain and disease ensues. The same is true of this other part of our nature. It may be strengthened by use, weakened by abuse. One part may be cul-

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ihn von äußeren Dingen affiziert, sodass er manche davon liebt und andere verabscheut. Seine Existenz wird wie die des Körpers durch die Sinne, mit denen er ausgestattet ist, erkannt. Was also ist dieser Teil des Menschen? Beschreib es. Woher, was, wo? Zu welchem Zweck? Nun stelle dieselbe Frage in Bezug auf den Körper. Der Körper, den Du ein stoffliches Gebilde nennen kannst, ausgestattet mit Sinnen, durch die er die stoffliche Welt wahrnimmt, mit Bedürfnissen, die ihn Teile davon sich einverleiben lassen, um so seine Existenz zu erhalten. Ebenso in Bezug auf den Verstand oder Intellekt; er ist dasjenige, durch dessen Sinne wir die intellektuale Welt wahrnehmen. Er hat ebenso seine Bedürfnisse und, indem er Nahrung aus Gedanken macht, vergrößert er seine Stärke und erhält seine Existenz. Auf dieselbe Weise verhält es sich mit dem Religiösen, das, was wir den höchsten Teil unseres Wesens nennen. Dieser hat das Vermögen wahrzunehmen, was von ihm selbst unabhängig ist – wahr, gut, und schön. Danach verlangt er; das gibt ihm Stärke und Kraft. Dies wird im alltäglichen Leben nicht bezweifelt – jeder handelt danach. Wir nennen den, dem er fehlt, einen unvollständigen Menschen, einen Irrsinnigen. Jeder besitzt die Idee Gottes. Diese führt ihn zur Gottesverehrung. Niemand kann ihrer durch Erziehung beraubt werden. Sei er, wo er ist; tue er, was er will, gut oder schlecht; er kennt den rechten Weg. Die Antriebe seiner Seele mag er missachten, doch er kann sie nicht verleugnen. Nach e­ inem Beweis ihrer Richtigkeit zu verlangen, ist absurd. Sie sind axiomatisch. Er weiß, dass sie es sind. Er weiß, dass er nur mit ihrer Hilfe wahrnimmt, was immer sonst noch existiert. Wir haben Gesetze für den Körper. Indem wir uns genau an sie halten; indem wir jedem seine angemessene Nahrung und Aufgabe zuteilen, erhalten wir jene Harmonie, welche die Gesundheit ist. Wenn wir diese Gesetze brechen, erleiden wir Schmerzen und Krankheit ist die Folge. Dasselbe gilt von diesem anderen Teil unseres Wesens. Er kann gestärkt werden durch Gebrauch, geschwächt durch Missbrauch. Ein Teil kann auf Kosten des Res-

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tivated to an inordinate size at the expense of the rest – and the result will be deformity. But nothing can make that good which is wrong, nor that evil which is right. Nothing can deprive man of the sense of what is right. This is the law of nature – the same in all – the only foundation of practical religion, of government, laws, and the rule of right between man and man. This, then, is the doctrine of Transcendentalism – the substantive, independent existence of the soul of man, the reality of conscience, the religious sense, the inner light, of man’s religious affections, his knowledge of right and truth, his sense of duty, the honestem apart from the utile – his love for beauty and holiness, his religious aspirations – with this it starts as something not dependent on education, custom, command, or anything beyond man himself. These can only add new motives for obedience to that which he feels to be of im | perative obligation; but they do not create and cannot contradict the law within him. This cannot be proved by evidence clearer than that which each man has of himself. Habit and education cannot eradicate it. Things may seem painful or inexpedient, but nothing can be just and true which this condemns. It is plain, to any one who reflects for a moment, that these principles must bring a new philosophy – one new in the facts with which it starts, new in the course of inquiry, in the end which it proposes, in matter, method and results. All the old systems start with the assumption of the reality of man’s body and the material world, and that in the beginning man is nothing but this body. The inquiry then is, as to the ideas which are sub­ sequently found in it, of truth, justice, beauty, God, infinity, the

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tes zu ungehöriger Größe ausgebildet werden – und das Ergebnis wird eine Missbildung sein. Aber nichts kann dasjenige gut machen, was falsch ist, nichts dasjenige schlecht, was richtig ist. Nichts kann den Menschen des Sinnes für das Richtige berauben. Das ist das Gesetz der Natur – dasselbe in allen – die einzige Grundlage praktischer Religion, der Regierung, der Gesetze und der Herrschaft des Rechts unter den Menschen. Das also ist die Lehre des Transzendentalismus – die substantielle, unabhängige Existenz der menschlichen Seele, der Wirklichkeit des Bewusstseins, des religiösen Sinnes, des inneren Lichtes, der religiösen Empfindungen des Menschen, seiner Kenntnis von Recht und Wahrheit, seines Pflichtbewusstseins, des Ehrbaren im Unterschied zum Nützlichen – seiner Liebe zu Schönheit und Heiligkeit, seiner religiösen Strebungen – damit setzt er als etwas an, das nicht von Erziehung, Gewohnheit, Gebot oder irgendetwas außerhalb des Menschen selbst abhängt. Diese können bloß neue Motive des Gehorsams zu demjenigen hinzufügen, dessen notwendige Verpflichtung er empfindet; doch sie bringen das Gesetz in ihm nicht hervor und können in keinen Widerspruch dazu treten. Das kann durch nichts klarer bewiesen werden als durch die Gewissheit, die der Mensch von sich selbst hat. Gewohnheit und Erziehung vermögen sie nicht auszulöschen. Die Dinge mögen bitter oder unzulänglich erscheinen, doch nichts kann recht und wahr sein, das dies bestreitet. Es ist jedem, der sich für einen Augenblick besinnt, deutlich, dass diese Grundsätze eine neue Philosophie hervorbringen müssen – neu hinsichtlich der Tatsachen, von denen sie ausgeht, hinsichtlich des Verlaufs der Untersuchung, hinsichtlich des von ihr beabsichtigen Zweckes, hinsichtlich des Gegenstandes, der Methode und der Ergebnisse. Alle die alten Systeme gehen von der Annahme der Wirklichkeit des menschlichen Körpers und der materiellen Welt aus und davon, dass der Mensch zu Beginn nichts als dieser Körper ist. Die Untersuchung betrifft also die nachträglich in ihm vorgefundenen Ideen der Wahrheit, Gerechtigkeit, Schönheit, Gottes, der Unendlichkeit, des moralischen

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moral sense, his religious affections. What is their origin? How come they in the body? The question ought strictly to be stated in another form, which shows pretty clearly the evil of the whole system. How from the world of matter and the body, which is only matter, comes what we call man? Stated in this form it seems almost absurd; yet this should be done, unless we would introduce an element which was not admitted in the beginning. Now this is | not done. From these data no progress could be made. So it is said, in the beginning the soul is a tabula rasa – a blank sheet, on which these ideas of ours are afterwards written by the outward world. But here we see the first ground is abandoned, which was, that the body is at first an empty box, and an inquiry is presented quite different from that legitimately offered and first proposed. The true course would seem to be to ask what do we find in the body? When that is settled, the question might properly arise, how came it there? If man does indeed find within him a page written out, his first thoughts should be whether it is in a language which he can read; what it says; whether it is the same in all other men; its relations; its use; last of all, its origin. But they are not. The first problem given, nakedly stated, has always been this: Given the dead matter of the universe and the empty bodies made of it, to say how they are filled; and the answer is plain – with dead matter. Yet even this involves a new assumption. There must be a God, either force or Deity, to do even this. Thus this system ends in the denial of God and man. Now this new system takes quite a different ground. In the first place, it says we have an | independent existence, for we are

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Sinnes, seiner religiösen Empfindungen. Was ist deren Ursprung? Wie gelangen sie in den Körper? Die Frage muss streng genommen in einer anderen Form gestellt werden, die ziemlich deutlich das Übel des gesamten Systems aufzeigt. Wie geht aus der Welt der Materie und des Körpers, der lediglich Materie ist, das hervor, was wir den Menschen nennen? In dieser Form gestellt, scheint sie fast abwegig; dennoch sollte sie gestellt werden, wenn wir nicht ein Element einführen möchten, das am Anfang nicht zugestanden wurde. Nun wird dies jedoch nicht getan. Unter diesen Gegebenheiten konnte kein Fortschritt stattfinden. So wird behauptet, dass die Seele zu Beginn eine Tabula rasa sei – ein leeres Blatt, dem diese unsere Ideen nachträglich von der Außenwelt eingeschrieben werden. Aber hier finden wir den ersten Grundsatz aufgegeben, der darin bestand, dass der Körper zuerst ein leeres Gehäuse ist, und es ergibt sich eine Untersuchung, die von der mit Recht vorgebrachten und zuerst angeregten ziemlich verschieden ist. Der richtige Weg scheint in der Frage zu bestehen, was wir im Körper vorfinden? Wenn dies beantwortet ist, kann vernünftigerweise die Frage erhoben werden: Wie ist es in ihn hineingekommen? Wenn der Mensch in seinem Innern tatsächlich ein beschriebenes Blatt vorfindet, sollten seine ersten Gedanken sein, ob es in einer Sprache geschrieben ist, die er zu lesen vermag; was sein Inhalt ist; ob es in allen Menschen dasselbe ist; seine Zusammenhänge; sein Nutzen; zuletzt sein Ursprung. Doch das ist nicht der Fall. Das erste Problem, unverhohlen ausgedrückt, war stets dies: Zu erklären, wie die leeren Körper, die aus der leb­ losen Materie des Universums gebildet sind, gefüllt werden; und die Antwort ist simpel – mit lebloser Materie. Doch selbst das beinhaltet eine neue Annahme. Sogar um dies zu bewerkstelligen, muss es nämlich einen Gott geben, der entweder Kraft oder Gottheit ist. Also läuft dieses System auf die Leugnung Gottes und des Menschen hinaus. Nun steht dieses System auf einem durchaus verschiedenen Boden. Zunächst wird in ihm behauptet, dass wir eine unabhän-

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conscious of it; we have reason, affections, religious sentiments, as well as bodies, whose existence is proved to us in the same manner as that of the bodies, through senses operated upon by that which is without them. Our sense of seeing is not created by the sun, though we are not made conscious of it till we open our eyes to the light. So with our sense of right or beauty, which we feel within us as soon as anything right or beautiful is presented to the organ, which God has given us to perceive these. And as it recognises the existence of the soul as well as that of the body, and supposes the senses of the soul to be nothing introduced into the soul long after it begins to exist, but as original endowments, not effects, but conditions rather, of its existence, not thrown upon it by the world, it presents quite a different field from that of the old system. The existence of men’s bodies and their senses, and the soul and its senses must both be referred to one source – God. Both are appealed to as facts in all reasonings. The old philosophy is sensual; that is, it affirms that all knowledge, the affections and religious sentiments, may be shown to have come into the body through the senses. The new is | spiritual. It asserts that man has something besides the body of flesh, a spiritual body, with senses to perceive what is true, and right and beautiful, and a natural love for these, as the body for its food. The question of the old, was one which, plainly, is not one for man to answer, What is the origin of all things? How were they created? The new seems to follow the course of true philosophy – to classify, arrange and reduce to their simple elements the objects of our contemplation, the organs we have as men, discover the laws by which they are regulated, and so make some

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gige Existenz haben, da wir uns dieser bewusst sind; wir besitzen Vernunft, Affekte, religiöse Empfindungen sowie Körper, deren Existenz uns in derselben Weise bewiesen wird wie die der Körper, vermittels von Sinnen, die von dem betätigt werden, was ohne sie ist. Unser Sehsinn wird nicht durch die Sonne hervorgebracht, obwohl wir uns dessen nicht bewusst werden, bis wir unsere Augen dem Licht öffnen. Ebenso verhält es sich mit unserem Sinn für Recht oder Schönheit, welchen wir ins uns fühlen, sobald etwas Rechtes oder Schönes sich dem Organ darbietet, das Gott uns gegeben hat, um jene zu erkennen. Und indem es die Existenz der Seele wie des Körpers anerkennt und annimmt, dass die Sinne der Seele nicht etwas sind, das in sie gelangt, lange, nachdem sie zu existieren beginnt, sondern als natürliche Anlagen, nicht als Wirkungen, sondern vielmehr als Bedingungen ­ihrer Existenz in ihr, nicht als von der Welt ihr übergeworfen ansieht, stellt es sich als etwas von dem alten System durchaus Verschiedenes dar. Die Existenz der menschlichen Körper und ihrer Sinne sowie die der Seele und ihrer Sinne müssen beide auf einen Ursprung zurückgeführt werden – Gott. Auf beide beruft man sich in sämtlichen Überlegungen als Tatsachen. Die alte Philosophie ist sensualistisch; das heißt, sie behauptet, dass sich zeigen lasse, dass alles Wissen, die Empfindungen und religiösen Stimmungen durch die Sinne in den Körper gelangt sind. Die neue ist geistig. Sie behauptet, dass der Mensch etwas jenseits des stofflichen Körpers besitzt, einen geistigen Körper, mit Sinnen zur Wahrnehmung dessen, was wahr ist und richtig und schön, und einem natürlichen Verlangen hiernach, wie der Körper sie zu seiner Nahrung hat. Die Frage der alten war eine, die vom Menschen, offensichtlich, nicht beantwortet werden kann, nämlich: Was ist der Ursprung aller Dinge? Wie wurden sie erschaffen? Die neue scheint dem Verlauf wahrer Philosophie zu folgen – die Gegenstände unserer Anschauungen zu klassifizieren, anzuordnen und auf ihre einfachen Bestandteile zurückzuführen, auf die Organe, die wir als Menschen besitzen, die Gesetze ausfindig zu machen, nach denen sie funktionieren,

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useful application of them. It proposes no theory to account for their origin, does not suppose that by some process beyond our comprehension spirit may be resolved into matter, but contents itself with the fact that the spirit as well as the body is subject to certain laws – beyond which it seeks not to go. The results of the two systems may show their comparative merits. The old deriving all ideas from sensation, leads to atheism, to a religion which is but self-interest – an ethical code which makes right synonymous with indulgence of appetite, justice one with expediency, and reduces our love of what is good, beautiful, true and divine, to habit, association | or interest. The new asserts the continual presence of God in all his works, spirit as well as matter; makes religion the natural impulse of every breast; the moral law, God’s voice in every heart, independent on interest, expediency or appetite, which enables us to resist these; an universal, eternal, standard of truth, beauty, goodness, holiness, to which every man can turn and follow, if he will. |

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und dadurch einen nützlichen Gebrauch von ihnen zu machen. Sie unterbreitet keine Theorie zur Erklärung von deren Ursprüngen, unterstellt nicht, dass durch einen Vorgang jenseits unseres Fassungsvermögens der Geist in die Materie aufgelöst werden kann, sondern gibt sich mit der Tatsache zufrieden, dass der Geist sowohl wie der Körper gewissen Gesetzen unterworfen ist – über die hinaus sie nicht vorzudringen strebt. Die Folgen, die sich aus den beiden Systemen ergeben, können deren jeweilige Verdienste aufzeigen. Das alte, alle Ideen von sinnlicher Erfahrung ableitend, führt in den Atheismus, zu ­einer Religion, die in nichts als im Eigeninteresse besteht – eine Ethik, die Recht mit dem Nachgeben gegenüber dem Verlangen gleichsetzt, Gerechtigkeit mit Zweckmäßigkeit und unsere Liebe zu dem, was gut, schön, wahr und göttlich ist, auf Gewohnheit, Assoziation oder Interesse zurückführt. Die neue geht von der fortwährenden Anwesenheit Gottes in allen seinen Werken aus, Geist sowohl als Materie; sie macht den Glauben zum natürlichen Antrieb in jeder Brust; das moralische Gesetz, Gottes Stimme in jedem Herzen, unabhängig von Interesse, Nützlichkeit oder Verlangen, was uns ermöglicht, diesen zu widerstehen; ein allgemeines, ewiges Maß für Wahrheit, Schönheit, Tugend, Heiligkeit, nach dem jeder Mensch sich richten und dem jeder folgen kann, wenn er dazu gewillt ist.

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PRO G R E S S A N D OB S TAC L E S |

»And Jupiter says to the carter, ›up with thee, and lay thy shoulder to the wheel. Then venture to call upon the gods to aid thee.‹«6 ÆSOP. |

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new system, imperfectly developed, misunderstood and misrepresented, with few to support and the world to oppose it, seems always to have the least chance of success. Everything is adverse in the world, and men say »the presumption is against anything new.« But this has to meet more than the common obstacles of all novelties. It is hostile to the old systems and subversive of them. It is based on principles which show our old philosophy to be false and hollow; the old systems of metaphysics incomplete and absurd; our moral code unjust; our religion but empty show and idle ceremony, without the principle of vitality. It shows that the old forms of government have no foundation in reason, and are endured only because of man’s respect for anti­ quity, and his natural love for that to which he has long been | accustomed. It proposes to reform the world. Then it must of necessity be unpopular and be fiercely attacked. In other countries, where it is older, its course was at first what it is here now. It was cried out against as subversive of government, morality and religion – as infidel and atheistical; but it spread, and is now, in its various modifications, entertained

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F O RT S C H R I T T U N D H I N DE R N I S S E

»Und Jupiter sagte zu dem Kutscher: ›Hoch mit dir, und lege Deine Schulter an das Rad. Dann wage es, die Götter um Hilfe anzurufen.‹« ÆSOP.

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in neues System, unvollkommen entwickelt, missverstanden und falsch dargestellt, mit wenigen Unterstützern und der Welt gegen sich, scheint stets die geringsten Chancen auf Erfolg zu haben. Alles in der Welt ist ihm feindlich gesinnt und die Menschen sagen, »die Wahrscheinlichkeit ist gegen das Neue.« Aber dieses trifft auf mehr Hindernisse als für Neuheiten üblich. Es tritt den alten Systemen feindlich gegenüber und bringt sie in Gefahr. Es beruht auf Grundsätzen, die unsere alte Philosophie als falsch und hohl entlarven; die alten Systeme der Metaphysik als unzulänglich und widersinnig; unsere Moral als ungerecht; unsere Religion als nichts wie leeres Spektakel und eitle Zeremonie, bar des Prinzips der Lebendigkeit. Es beweist, dass die alten Formen der Regierung keine Grundlage in der Vernunft besitzen und nur der Achtung des Menschen gegenüber dem Altertum wegen und seiner natürlichen Liebe zu dem, an das er lange gewöhnt ist, erduldet werden. Es beabsichtigt, die Welt zu reformieren. Daher muss es notwendig unbeliebt sein und erbittert bekämpft werden. In anderen Ländern, wo es älter ist, war sein Entwicklungsgang zunächst derselbe, wie er es nun hier ist. Es stand im Verruf, die Regierung, Moral und Religion zu gefährden – glaubenslos und atheistisch zu sein; doch es breitete sich aus und wird jetzt, in seinen verschiedenen Abwandlungen, von den religiö-

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by the most religious and best governed portions of the most ­enlightened nations. One reason which retards its progress is found in its very nature. The world at large seldom turn their attention to anything beyond what they can see, feel and taste; and philosophy, even, has not unfrequently been limited to an attempt to classify these and the impressions which they produce. In what are called its higher walks it has busied itself by inquiries into the origin of language or government, society or our ideas of infinity – God; or wearied the world with wrangling on questions consisting in nothing but subtle, verbal niceties, too ridiculous to be repeated. It required men cultivated in a manner of which the world could not show many examples to become zealots in such a cause as this. There have been many with bodies of proper proportion, strong and | vigorous; many of great intellects and cultivated reason; good boxers, runners, wrestlers, fighters, geometers, logicians, metaphysicians. But few, O how few, as earnestly bent on cultivating the heavenly affections, as these are on strengthening the powers of the understanding, and developing the muscles of the body. The circumstances in which men find themselves are not favorable. To do this the principles and motives by which the world are actuated must be rejected. One must either rid himself of the million influences about him or spend life in contending with them. If one had risen five hundred years ago – should one rise now, in the midst of the Christian world, and say I will obey the voice within, and do as it bids, and attempt this, he would be one of the few souls, should he succeed, that the world remembers and reveres; for to do this he must have a keenness of per-

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sesten und am besten regierten Teilen der aufgeklärtesten Länder unterstützt. Ein Grund, der seinen Fortgang verzögert, liegt in seinem eige­ nen Wesen. Die Welt richtet ihre Aufmerksamkeit für gewöhnlich selten auf etwas außerhalb dessen, was sie sehen, fühlen und schmecken kann; und sogar die Philosophie ist nicht selten auf den Versuch beschränkt gewesen, dieses und die Eindrücke zu klassifizieren, die es hervorruft. In dem, was man ihre höheren Wanderungen nennt, hat sie sich mit Untersuchungen über den Ursprung der Sprache oder der Regierung beschäftigt, der Gesellschaft oder unserer Ideen von der Unendlichkeit – mit Gott; oder ermüdete die Welt durch ihre langweilige Auseinandersetzung mit Fragen, die in nichts bestehen als in raffinierten, sprachlichen Feinheiten, die zu lächerlich sind, um sie zu wiederholen. Sie erforderte Männer von einer Bildung, von der die Welt nicht viele Beispiele vorweisen konnte, die zu Eiferern in ­einer solchen Sache wurden. Es waren viele unter ihnen mit wohlgeformten Körpern, stark und kräftig; viele von großem Intellekt und ausgebildeter Vernunft; gute Boxer, Läufer, Ringer, Kämpfer, Geometer, Logiker, Metaphysiker. Aber wenige, O wie wenige, waren der Pflege der himmlischen Empfindungen so ernsthaft zugewandt wie diese der Stärkung der Verstandeskräfte und der Ausbildung der Muskeln des Körpers. Die Umstände, in denen sich die Menschen befinden, sind nicht günstig. Um dies zu erreichen, müssen die Grundsätze und Antriebe, von denen die Welt gelenkt wird, verworfen werden. Man muss sich entweder selbst von der Million Einflüsse freimachen, die auf einen einwirken, oder das Leben damit verbringen, sich gegen sie zu behaupten. Wenn sich jemand vor fünfhundert Jahren erhoben hätte – sollte heute jemand sich erheben, mitten in der christlichen Welt, und sagen, Ich will der inneren Stimme folgen und nach ihrem Gebot handeln und dies versuchen, er würde, sollte er Erfolg haben, eine der wenigen Seelen sein, an die die Welt sich erinnert und die sie verehrt; denn, um das zu erreichen, müsste er eine Schärfe der Wahrnehmung besitzen, die nicht durch den

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ception that is not blinded by the screen that is thrown all around him, a strong intellect to withstand the million influences, prejudices and opinions of men, an almost miraculous purity of character, if unpolluted by the corruptions of education and the world, and strength of mind to renounce things made dear by habit and use and bound to the heart by memories of home and bonds of affect | tion – a complete character. Few have accomplished this in busy life even imperfectly; but their names are on every tongue, their deeds move the world. A few, it may be, poor widows, lone women, or men of toil, have done daily the duties of life, asking praise of no man; their deeds are forgotten here – but only here. One only did this completely. He had aid from on high. It could not be expected, then, that this would be found to make so large a figure in the world as other systems supported by schools and sects. Even now, the world owns itself too blind to comprehend it, or too depraved and prone to sin to believe it possible to live in accordance with its precepts. Still it is no new thing. It is not a dream of to-day. It has been in the world from the beginning. If men have not always seen and advocated its principles they have never denied them. All have adopted some portions of them, and more as their progress has been greater. We read in the first record of our race that sin and death came only by their violation. In the midst of the heathen world we find men who saw the light; such was Plato, who taught this divine doctrine, though imperfectly. Christ appealed to them as facts in man, the only basis of his religion. | The facts and principles are old as the race. But it is only within a short time that they have been collected, analyzed, their phenomena observed, their rela-

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um ihn her aufgeworfenen Schleier getrübt wird, einen kräftigen Intellekt, um der Million Einflüsse zu widerstehen, den Vor­ urteilen und Meinungen der Menschen, eine geradezu wunderbare Reinheit des Charakters, unbeschmutzt von den Verderbnissen der Erziehung und der Welt, und Stärke des Geistes, um sich von den Dingen loszusagen, die er durch Gewöhnung und Gebrauch liebgewonnen hat und die ihm durch Erinnerungen an das Zuhause und durch Bande der Neigung ans Herz gewachsen sind – e­ inen vollkommenen Charakter. Wenige haben dies im geschäftigen Leben und auch nur in unvollkommener Weise erreicht; ihre Namen aber sind in aller Munde, ihre Taten bewegen die Welt. Einige, vielleicht, Witwen, einsame Frauen oder Arbeiter, haben täglich die Geschäfte des Lebens verrichtet, ohne Lob von irgendwem einzufordern; ihre Taten sind hier vergessen – doch nur hier. Nur einer hat dies in vollkommener Weise getan. Er hatte Hilfe von oben. Es war daher nicht zu erwarten, dass dieses in der Welt so groß werden würde wie andere, von Schulen und Sekten getragene Systeme. Selbst jetzt ist die Welt zu blind, um es zu begreifen, oder zu verdorben und zu anfällig für die Sünde, um ein solches Leben nach seinen Grundsätzen für möglich zu halten. Und doch handelt es sich um keine neue Sache. Es ist kein Traum von heute. Es ist von Anbeginn an in der Welt gewesen. Wenn die Menschen es nicht immer gesehen und seine Grundsätze verfochten haben, so haben sie es doch niemals bestritten. Alle haben Teile von diesen übernommen, und zwar je mehr, desto mehr der Fortschritt zunahm. Wir lesen in der ersten Aufzeichnung unserer Gattung, dass Sünde und Tod nur durch ihre Verletzung zustande kamen. Mitten in der heidnischen Welt finden wir Menschen, die das Licht sahen; ein solcher war Platon, der diese göttlichen Lehren, wenn auch unvollkommen, vermittelte. Christus berief sich auf sie als Tatsachen im Menschen, die einzige Grundlage seiner Religion. Die Tatsachen und Grundsätze sind so alt wie die Gattung. Sie sind jedoch erst seit einer kurzen Zeitspanne gesammelt, unter­sucht, ihre Erscheinungen beobachtet, ihre Zusammen-

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tions traced, and all reduced to a philosophical system; within a few years, that they have exercised any influence over the thinking part of the world. Perhaps, even now, their prevalence might be better proved from the tone of thought, the character of institutions, the principles by which they are sustained, their actual, practical introduction in the conduct of the world imperfect as it is, than counting the number of its advocates among the learned of the earth. It seems as if the race, as well as each man, must go through certain points in its growth. To each race in each age is given a problem. Ours solved one when they got the charter from John;7 another when they got the habeas corpus act passed; one when they came to America; one at the revolution: so too the world in every epoch. The one now before it seems to be this: What is the true foundation of governments, and religion, and right? The things which show this cannot be told; each revolution and partial reform, every advance, in art, in government, social organization, or worship, is a step on the inquiry, a sign, an eddy in the rapids of the river that | is rushing to its fall. A few years ago the masters of the world said all, as they existed, were »of divine origin; society, government, all; popes and kings ruled by divine right;« but the world said »no.« They then said »all were based on expediency;« but the world was not satisfied with this answer. Now a new one is given; »they are based on truth, man’s nature, the necessity of things as formed by God.« It is yet to be seen whether this is satisfactory. As a child the world comes to its teachers with its questions. Each answer suggests a new inquiry. So the world is always in one sense, in advance of those who guide its course, and we know less of the progress of this new

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hänge aufgespürt und alle auf ein philosophisches System zurückgeführt worden; erst seit einigen Jahren war es der Fall, dass sie eine Wirkung auf den denkenden Teil der Welt ausübten. Vielleicht lässt ihre allgemeine Geltung sich sogar jetzt eher durch den Ton des Denkens demonstrieren, den Charakter der Institutionen, die Grundsätze, auf denen diese beruhen, ihr unmittelbares, praktisches Eindringen in das Gebaren der Welt, unvollkommen, wie sie ist, als dadurch, dass man unter den Gelehrten der Erde die Menge ihrer Verfechter zählt. Es scheint, als ob die Gattung, sowohl wie jeder Mensch, durch gewisse Punkte seiner Entwicklung hindurchgehen muss. Jedem Geschlecht in jedem Zeitalter ist ein Problem aufgegeben. Unseres hat eines gelöst, als es die Charta von John erhielt; ein weiteres, als der Habeas Corpus Act verabschiedet wurde; eines, als es in Amerika landete; ­eines mit der Revolution: auf dieselbe Weise verhält es sich mit der Welt in jeder Epoche. Das, welches nun vor ihr liegt, scheint das folgende zu sein: Was ist die wahre Grundlage der Regierung und der Religion und des Rechts? Die Dinge, die dies aufzeigen, lassen sich nicht vorhersagen; jede Revolution und Teilreform, jeder Fortschritt, in der Kunst, der Regierung, der gesellschaft­ lichen Ordnung oder dem Gottesdienst ist ein Schritt in der Untersuchung, ein Zeichen, ein Wirbel in den Schnellen des Flusses, der zu seinem Gefälle stürzt. Vor ein paar Jahren behaupteten die Herren der Welt alle, so wie sie waren, sie seien »göttlichen Ursprungs; Gesellschaft, Regierung, alles; Päpste und Könige herrschten nach göttlichem Recht«; doch die Welt sagte »Nein«. Daraufhin behaupteten sie, »alles wäre in der Zweckmäßigkeit begründet«; doch die Welt war mit dieser Antwort nicht zufrieden. Jetzt gibt es eine neue Antwort: »Es gründet in der Wahrheit, der Natur des Menschen, der Notwendigkeit der Dinge so, wie Gott sie schuf.« Es bleibt abzuwarten, ob dies ausreicht. Als Kind kommt die Welt mit ihren Fragen zu ihren Lehrern. Jede Antwort regt eine neue Untersuchung an. Daher ist die Welt in einem gewissen Sinn stets denjenigen voraus, die ihren Lauf lenken, und wir erfahren von dieser neuen Lehre weniger durch ihre tatsäch-

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doctrine, from its actual adoption among the learned, than from the million questions it raises on every side – which they cannot answer. To one who knows how many of these can be traced to one question which has been alluded to, and how many things of the earth there are whose relations are determined or whose existence depends on the answer which is given to this question – it can be no wonder that it is avoided and delayed. The progress of this system among us has been not a little retarded by the character of the Germans of the last century, its first and | chief advocates. Writing in a strange language, with a new and it may be an ill chosen set of terms, in a style fit for anything rather than philosophy, they made so abstruse a matter that it could be encountered by few who were not willing to make it the study of their life. Moreover the effect on the style and belief of some of those who had become its disciples was deemed pernicious. A harsh word or an obscure sentence was set down to the influence of German philosophy. Carlyle’s unutterables and Cole­ ridge’s incomprehensibles must be all German.8 In France, besides philosophers and metaphysicians, it found advocates of a popular character, men to spread abroad its leading ideas and make a practical application of them. It was no longer a matter of the study and closet, but was proclaimed from the pulpit, the forum, the senate, and displayed itself not more in attacks on English philosophy or the old sensual system than in the reforms in government and society. And here we find another reason of the opposition it meets with us. We hear much of the horrors of the French revolution, of the infidelity and atheism of France, of the danger of those principles which sever the

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liche Aufnahme unter den Gelehrten als durch die Millionen von Fragen, die sie auf allen Seiten hervorruft – und die sie nicht beantworten können. Für jemandem, der erkannt hat, wie viele von ihnen auf eine Frage, der man bislang ausgewichen ist, zurückgeführt werden können und wie viele Dinge es auf der Welt gibt, deren Verhältnisse von der auf diese Frage gegebenen Antwort bestimmt werden oder deren Existenz davon abhängt – den nimmt es nicht Wunder, dass man ihr ausweicht und sie aufschiebt. Die Entwicklung dieses Systems bei uns wurde nicht wenig durch den Charakter der Deutschen des letzten Jahrhunderts, ihren ersten und hauptsächlichen Verfechtern, aufgehalten. In einer merkwürdigen Sprache schreibend, mit einem neuen und womöglich schlecht gewählten Apparat von Begriffen, in einem Stil, der zu allem eher passt als zur Philosophie, schufen sie e­ twas derart schwer Verständliches, dass es nur wenigen zugänglich war, die nicht bereit waren, seinem Studium ihr Leben zu widmen. Darüber hinaus wurde der Einfluss auf den Stil und Glauben derer, die seine Anhänger geworden waren, als schädlich betrachtet. Ein hartes Wort oder ein verworrener Satz wurden auf den Einfluss der deutschen Philosophie zurückgeführt. Car­lyles Unaussprechlichkeiten und Coleridges Unverständlichkeiten müssen sämtlich deutsch sein. In Frankreich fand es, abgesehen von Philosophen und Meta­ physikern, Verfechter eines volkstümlichen Charakters, Menschen, die seine Ideen im Ausland verbreiteten und aus ihnen einen praktischen Nutzen zogen. Es war nicht länger eine Angelegenheit der Stube und des Kämmerchens, sondern wurde von der Kanzel aus verkündet, auf dem Forum, im Senat, und entfaltete sich nicht mehr in Angriffen gegen die englische Philosophie oder das alte sensualistische System, sondern in Reformen des Staates und der Gesellschaft. Und hier entdecken wir einen weiteren Grund für die Ablehnung, die ihm mit uns entgegenschlägt. Wir hören viel über die Schrecken der Französischen Revolution, von der Glaubenslosigkeit und dem Atheismus Frankreichs, von den Gefahren jener Prinzipien, welche die Bande der

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bonds of | society. And with these things many associate the idea of transcendentalism. No one doubts that there were atheists and infidels in France, or denies the horrors of the revolution. But their cause is not traced. The revolution is not understood. We have heard its story from men who had to guard the interests of a king and nobility, and been told that Paine9 is the text writer of its doctrines. We might well say we had no taste for one and felt that there was cause for terror and alarm at the other. Yet all this was not the work of leagued madmen, infidels or jacobins. The world is not so easily moved. All christendom seems to have risen and subscribed the declaration of freedom and equality, and joined the song of liberty. He is blind who does not trace the hand of God in all. We shall hear less of the evils when the work is done. But, be this good or evil, the influence of association has retarded the progress of anything bearing the name of transcendentalism. To name what was thought to have caused such evils in another country was to condemn it; though if all the evils ascribed to its influence in France actually happened there, it would by no means follow that there would be danger of their repetition here: for there was a church, | while here is religious freedom; there were king and hereditary estate, here each man’s voice is heard and the magistrates are servants of the people; here we have most of the things for which they contended; and they were gained by a struggle, less horrible, but sprung from principles ­essentially the same. Besides, the system contains in itself the elements of unpopularity. It offends the prejudices and thwarts the interests of men.

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Gesellschaft durchschneiden. Und viele verbinden mit diesen Dingen den Transzendentalismus. Niemand bezweifelt, dass es in Frankreich Atheisten und Ungläubige gab, oder verleugnet die Schrecken der Revolution. Doch ihre Ursache hat man nicht entdeckt. Die Revolution wurde nicht verstanden. Wir haben ihre Geschichte von Menschen ­gehört, die die Interessen eines Königs oder Adels zu wahren hatten, und uns wurde erzählt, dass Paine der Verfasser ihrer Theorien ist. Wir könnten mit Recht behaupten, dass wir keine Vorliebe für das eine hatten, und glaubten, dass bei dem anderen Veranlassung zu Schrecken und Besorgnis bestand. All das war jedoch nicht das Werk verschworener Wahnsinniger, Ungläubiger oder Jakobiner. Die Welt lässt sich nicht so einfach in Bewegung setzen. Die ganze Christenheit scheint sich erhoben und die Erklärung von Freiheit und Gleichheit unterzeichnet und in den Gesang der Freiheit eingestimmt zu haben. Wer darin nicht die Hand Gottes erkennt, ist blind. Wir werden weniger von den Übeln hören, sobald das Werk vollendet ist. Trotzdem hat, sei dies gut oder schlecht, der Einfluss von dem, was man mit ihm verband, die Entwicklung von allem gehemmt, was den Namen Transzendentalismus trägt. Zu benennen, wovon man dachte, dass es solche Übel in anderen Ländern verursacht hätte, war gleichbedeutend mit seiner Verdammung; doch selbst, wenn alle seinem Einfluss zugeschriebenen Übel in Frankreich dort tatsächlich stattgefunden hätten, würde daraus in keiner Weise folgen, dass hier die Gefahr der Wiederholung bestünde: denn dort gab es eine Kirche, während hier Religionsfreiheit herrscht; dort gab es König und erblichen Landbesitz, hier wird jedermanns Stimme gehört und die Amtsträger sind Diener des Volkes; hier sind wir im Besitz der meisten Dinge, für die jene stritten; und sie sind durch einen Kampf errungen worden, der zwar weniger schrecklich war, im Wesentlichen jedoch denselben Grundsätzen entsprang. Darüber hinaus trägt das System in sich selbst den Grund für seine Unbeliebtheit. Es fordert die Vorurteile heraus und

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The present governments of Christendom were founded by Pagan men, and have been built up under any influences but those of Christianity. Of the best we can say no more than that it is an old castle with its battlements, towers, moats and dungeons, which men manage to live in. Our laws have come down to us from lawless men, pirates and plunderers, who set a price on one’s head, – and are confessedly less pure in their principles than the code of Pagan Rome. Our religion we have received at the hands of men who worshiped the relics of the saints, and burned those who taught their children the Lord’s prayer and ten commandments in the English tongue. Not that our governments, laws or religion are to be condemned for this. They have been accommodated to the wants of to-day, but there are yet many traces of | barbarian hands; men are not yet rid of the influences under which they grew. Governments yet help the strong more than the weak; law is not yet justice; religion has not yet parted company with superstition and intolerance. Now this system says, the law of your being is love to God and man – you know what is right. Do it. And who does not see that this must be a stumbling-block and an offence. Carried out it might perhaps end in an Utopia. But judge the best institutions we have by its rule, and they will be found wanting. A child can point out imperfections. And yet, men fight so stoutly for things that they think work for their interest, and look with such an eye of reverence on things old and endeared to them by habit and association, that they will not suffer their faults even to be meddled with or assailed. It is not to be denied that the principles of this system, are those of reform in church, state and society, and for this cause

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kommt den Interessen der Menschen in die Quere. Die gegenwärtigen Regierungen der Christenheit wurden von Heiden begründet und unter allen möglichen Einflüssen außer denen des Christentums aufgebaut. Über die besten können wir nicht mehr sagen, als dass es sich um ein altes Schloss mit seinen Zinnen, Türmen, Wassergräben und Verliesen handelt, in dem die Menschen es schaffen zu leben. Unsere Gesetze sind durch gesetzlose Menschen auf uns gekommen, Piraten und Plünderer, die auf jemandes Kopf ein Preisgeld aussetzten, – und sind zugegebenermaßen in ihren Grundsätzen weniger rein als die Gesetze des heidnischen Roms. Unsere Religion haben wir durch die Hände von Menschen erhalten, welche die Reliquien der Heiligen verehrten und die verbrannten, die ihre Kinder das Vaterunser und die zehn Gebote in der englischen Sprache lehrten. Nicht, dass unsere Regierungen, Gesetzte oder Religion dafür zu verurteilen wären. Sie wurden den heutigen Bedürfnissen angepasst, tragen aber zahlreiche Spuren barbarischer Hände; die Menschen sind die Einflüsse noch nicht los geworden, unter denen sie entstanden sind. Noch helfen die Regierungen dem Starken mehr als dem Schwachen; das Gesetz ist noch nicht gerecht; die Religion hat noch nicht mit Aberglauben und Intoleranz gebrochen. Nun behauptet dieses System, das Gesetz Deines Seins sei die Liebe zu Gott und den Menschen – Du weißt, was richtig ist. Tu es. Und wer sieht nicht, dass dies ein Stolperstein und eine Herausforderung sein muss. Ausgeführt könnte es vielleicht in einem Utopia enden. Doch beurteile die besten Einrichtungen, die wir haben, nach seinem Maßstab, und sie erscheinen mangelhaft. Ein Kind ist in der Lage, hier Mängel aufzuzeigen. Und trotzdem kämpfen Menschen so beherzt für Dinge, von denen sie glauben, dass sie in ihrem Interesse wirken, und schauen mit einem solch ehrfürchtigen Blick auf alte und ihnen durch Gewohnheit und Umgang liebgewordene Dinge, dass das Leiden an deren Fehlern nicht ausreicht, um sich mit ihnen zu befassen oder sie anzugreifen. Es ist nicht zu leugnen, dass die Grundsätze dieses Systems die Reform von Kirche, Staat und Gesellschaft sind und dass dies

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they are unpopular. But the same objection might be urged against our religion. In this point it coincides exactly with the precepts of Christ. What does not conform to this law is wrong and ought to be reformed. If the reform is urged too fast or too far, it is not the fault of | the principles, but the zeal of those who espouse them. It is not to be wondered, then, that with such obstacles, this system has advanced with no more rapidity, but rather that it has found any advocates. We find it working its way everywhere; in governments – we find nations in their intercourse adopt rules less exclusive and more Christian. Individual rights are more respected and protected. Education is provided, the comforts of life secured with less partiality; cruel and sanguinary punishments are dying out. Society shows its influence. Instead of one man born to wealth and education, and ten thousand, his serfs, to ignorance and beggary, the distinctions of rank are fading away, and each is educated, and has a chance in the scramble of life. The work must go on till there shall be no scrambling or snatching, but a fair and equal chance for each. And what wonders have been wrought in the religious condition of the race. Instead of superstition as dark and rites as low as those of barbarians, we have the gospel given into the hands of every one, who is left free to read and judge for himself. The tone of society and literature have changed. There is more that is moral and addressed to man as man, more | that is elevating and ennobling. Reforms are every where going on to ameliorate the physical condition of men, to secure them education, religious instruction, and abolish the countless acknowledged evils of the world. These and like things show that these sentiments of right

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der Grund ist, weshalb sie unbeliebt sind. Aber derselbe Einwand könnte gegen unsere Religion erhoben werden. In diesem Punkt stimmt es vollkommen mit den Geboten Christi überein. Was mit diesem Gesetz nicht übereinstimmt, ist falsch und muss reformiert werden. Wenn die Reform zu schnell oder zu weit vorangetrieben wird, ist es nicht die Schuld der Grundsätze, sondern des Eifers derjenigen, die für sie eintreten. Es darf dann nicht verwundern, dass mit solchen Hindernissen das System sich nicht mit größerer Geschwindigkeit fortentwickelt, stattdessen aber, dass es überhaupt Verfechter gefunden hat. Wir sehen es überall seinen Weg gehen; in Regierungen – wir sehen Nationen in ihrem Verkehr weniger ausschließende und mehr christliche Grundsätze annehmen. Die Rechte des Einzelnen werden stärker geachtet und geschützt. Bildung wird zur Verfügung gestellt, die Annehmlichkeiten des Lebens mit geringerer Parteilichkeit gesichert; grausame und blutige Strafen sterben aus. Die Gesellschaft beweist ihren Einfluss. Anstatt dass ein Mensch in Wohlstand und Bildung hineingeboren wird und Zehntausend, seine Diener, in Unwissenheit und Bettelei, verschwinden die Unterschiede des Ranges und jeder erhält Bildung und hat eine Chance im Gedränge des Lebens. Das Werk muss voranschreiten, bis es kein Drängeln und Reißen mehr gibt, sondern eine gerechte und gleiche Chance für alle. Und welche Wunder wurden in die religiöse Beschaffenheit der Gattung hineingewoben! Anstelle eines Aberglaubens, der so dunkel, und von Riten, die so geschmacklos wie die der Barbaren sind, haben wir das Evangelium in jedermanns Hände gelegt, dem es freisteht, es zu lesen und sich selbst ein Urteil zu bilden. Der Ton der Gesellschaft und der Literatur hat sich verändert. Es gibt mehr, das moralisch ist und sich an den Menschen als Menschen richtet, mehr, das erhebt und veredelt. Überall finden Reformen statt, um das körperliche Befinden der Menschen zu verbessen, ihre Bildung und religiöse Unterweisung sicherzustellen und die zahllosen anerkannten Übel der Welt abzuschaffen. Diese und ähnliche Dinge beweisen, dass diese Empfindun-

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are true, and can have a practical operation. The work can never end, for men can never be so good that they may not see wherein they may be better, and they can never cease to strive while there is room for improvement. |

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gen des Richtigen wahr sind und eine praktische Wirkung haben können. Das Werk darf niemals aufhören, denn die Menschen können niemals so gut sein, dass sie nicht zu sehen vermöchten, worin sie besser sein könnten, und sie dürfen niemals aufhören zu streben, solange es Potenzial zur Verbesserung gibt.

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C R I T IC I SM |

»Taste is to sense as charity to soul, A bias less to censure than to praise: A quick perception of the arduous whole, Where the dull eye some careless flaw surveys. Every true critic from the Stagyrite To Schlegel and to Addison – hath won His fame by serving a reflected light, And clearing vapor from a clouded sun.« E. L. B.10 |

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hose rules which regulate the original composition of works of imagination or art, or enable one to test their propriety, beauty or perfection, are the laws of criticism. It is the science which teaches us to estimate the creations of the mind, and pass judgment on the pictures which man paints of what passes within him. Its end is to enable us to estimate the worth of a poem, a picture, a book, or any work of art. Most obviously it presupposes an intimate knowledge of the principles of human nature. What is it that perceives the beauty of a poem? On what does this depend? With what standard is it to be compared? Whence do we derive our knowledge of this standard? How are we to know when anything conforms to it? These and a thousand similar questions are not | answered with a breath. An Indian, like an animal, might like or hate a picture merely for its color; another more cultivated because it caused in

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KRITIK

»Geschmack ist dem Empfinden was Barmherzigkeit der Seele, Ein Vorurteil, das weniger zu tadeln als zu preisen: Eine rasche Auffassung des komplizierten Ganzen, Wo das trübe Auge einen unbedachten Makel übersieht. Jeder echte Kritiker vom Stagiriten Bis zu Schlegel und zu Addison – erlangte Seinen Ruhm, indem er als ein Auflicht diente, Und die verhangne Sonne von dem Dunst befreite.« E. L. B.

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ene Regeln, welche die Komposition von Werken der Einbildungskraft oder Kunst bestimmen und einem ermöglichen, sie auf ihre Richtigkeit, Schönheit oder Vollkommenheit hin zu prüfen, sind die Gesetze der Kritik. Sie ist die Wissenschaft, die uns anleitet, die Schöpfungen des Geistes zu bewerten und ein Urteil über die Bilder zu fällen, die der Mensch von dem entwirft, was in ihm vorgeht. Ihr Zweck ist es, uns zu ermöglichen, den Wert eines Gedichtes, eines Gemäldes, eines Buches oder eines jeden anderen Kunstwerkes zu ermessen. Am offensichtlichsten setzt sie eine gründliche Kenntnis von den Prinzipien der menschlichen Natur voraus. Was ist es, das die Schönheit eines Gedichts erfasst? Wovon hängt dies ab? An welchem Maßstab soll es gemessen werden? Woher beziehen wir unser Wissen über diesen Maßstab? Wie erkennen wir, dass etwas mit ihm übereinstimmt? Diese und tausend ähnliche Fragen sind nicht in einem Atemzug zu beantworten. Ein Indianer mag, gleich einem wilden Tier, an einem Gemälde bloß seiner Farbe wegen Gefallen finden oder es verabscheuen; ein Anderer,

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his mind pleasing or unpleasant associations; another because he judged it beautiful or not. Thus there would be different systems. One would take no note of what the others most esteemed. So we find several systems saying that we derive our sense of beauty from habit, association, judgment, the study of nature. The old were mere arbitrary, conventional rules, founded in caprice. Works were judged and compared with other works. The ­I liad or Æneid was the standard for a poem: the Venus de ­Medici a perfect form. But nothing was said to be good or perfect in itself. Every thing must stand or fall, not by its actual, but by its comparative merits. Such rules had no foundation in nature. Many of them were irreconcilable with nature and calculated only to trammel and embarrass. But now there is recognised a common, universal, natural standard, which all men possess, by which all can judge. One tries not to write like Homer or Dante, but to produce a poem beautiful in itself. Within himself he finds a standard higher than anything yet produced, an idea of what such ought to be. Thus there is one rule, | uniform, not arbitrary, but natural. Perfection is but conformity with what all seek. Formerly judgment was passed upon parts; whether they were formed according to the most approved fashion; thus the Chinese asked if the feet were small, the Indian looked for rings in the nose. Or the parts were judged in relation to the whole. The whole was never taken together, and the question put, whether it was good or beautiful in itself. It was easy to say, that this cor­ responded with such a model; that violated such a dictum of this

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Kultivierterer, weil es in seinem Geist angenehme oder unangenehme Assoziationen hervorruft; wieder ein Anderer, weil er es als schön beurteilt oder nicht. Folglich würde es verschiedene Systeme geben. Der eine würde dem keine Beachtung schenken, was von anderen am höchsten geschätzt wird. Daher finden wir mehrere Systeme vor, die behaupten, dass sich unser Sinn für Schönheit aus Gewohnheit, Assoziation, Urteilsvermögen und dem Studium der Natur herleitet. Die alten waren bloß willkürliche, konventionelle, auf Launen gegründete Regeln. Werke wurden beurteilt und mit anderen Werken verglichen. Die Ilias oder Æneis waren der Maßstab für ein Gedicht: die Venus Medici eine vollkommene Form. Aber von keinem wurde behauptet, dass es an sich schön oder vollkommen sei. Jedes Ding musste bestehen oder scheitern nicht vermöge seiner tatsächlichen, sondern vermöge seine relativen Vorzüge. Solche Regeln hatten keine Grundlage in der Natur. Viele von ihnen waren unvereinbar mit der Natur und nur darauf ausgelegt, zu fesseln und zu behindern. Nun jedoch erkennt man einen allgemeinen, universellen, natürlichen Maßstab an, den alle Menschen besitzen, nach dem jeder urteilen kann. Jemand versucht nicht, wie Homer oder Dante zu schreiben, sondern ein an sich selbst schönes Gedicht zu erschaffen. Er findet in sich selbst ein Richtmaß vor, das strenger ist als irgendetwas jemals zuvor Geschaffenes, eine Vorstellung davon, was ein solches sein müsste. Folglich gibt es ein Gesetz, das einheitlich, nicht willkürlich, sondern natürlich ist. Vollkommenheit ist nichts als Übereinstimmung mit dem, wonach alle streben. Bislang wurde ein Urteil über Einzelteile gefällt; ob sie nach der am meisten gutgeheißenen Mode gestaltet waren; so fragte der Chinese, ob die Füße klein waren, der Inder suchte nach Nasenringen. Oder es wurden die Teile in Bezug auf das Ganze beurteilt. Niemals wurde das Ganze zusammengenommen und die Frage gestellt, ob es an sich gut oder schön war. Es war leicht zu behaupten, dass dieses mit einem solchen Vorbild übereinstimmte; jenes gegen einen solchen Grundsatz dieses oder jenes

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or that author, that certain words were better suited to describe slow motion, others quick; that certain phrases or figures were better used in a description intended to be sublime, others in one pathetic, some in one ridiculous; these and all else in codes, of which these may serve as examples, were easy enough. And the end was attained. Of such materials a system was framed. The mistake lay in calling it the art of criticism. No doubt, it was an art to judge according to those artificial rules. But if criticism be the art of judging of works of art or imagination, whether they are perfect or faulty, of pointing out their beauties or defects, there was none of it in this method. Things most dull, insipid and worthless, might be judged | faultless, while the things really most precious were rejected altogether. Thus the question was, whether words, sentences, ideas, acts or parts were arranged according to certain established precedents; not what emotions were excited, whether the poem kindled the fire in our breast, the song spoke the language of our hearts, the picture bore resemblance to our imaginings, and represented those glad dreams which sometimes flit through every soul – to give a form that shall wake the remembrance of which bright vision is the perfection of art. It could measure feet, scan lines, detect false rhymes, say this exceeded the length, that had fewer acts than the rules allowed, this history was faulty because it agreed not with such a model, that biography good if only a stale parody on such another. To gain favor with critics, you need only conform to the literary fashion, in bearing and dress – no matter for the man. One would stop you in the midst of a song that set the soul on fire, to see – if

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Autors verstieße, dass bestimmte Wörter besser geeignet wären, um langsame Bewegung zu beschreiben, andere schnelle; dass bestimmte Wendungen oder Phrasen besser in einer Beschreibung, die erhaben sein soll, verwendet würden, andere in einer rührenden, einige in einer lächerlichen; diese und alle anderen in Regelwerken, von denen diese als Beispiele dienen mögen, waren bequem genug. Und das Ziel wurde erreicht. Aus solchen Bausteinen wurde ein System geformt. Der Irrtum lag darin, es die Kunst der Kritik zu nennen. Kein Zweifel, es war eine Kunst, nach diesen künstlichen Regeln zu urteilen. Wenn aber Kritik die Kunst sein soll, Werke der Kunst oder Einbildungskraft danach zu beurteilen, ob sie vollkommen oder fehlerhaft sind, ihre Schönheiten oder Mängel aufzuzeigen, dann war nichts davon in dieser Methode. Die langweiligsten, flachsten und wert­ losesten Sachen konnten als makellos beurteilt werden, während die wirklich edelsten Dinge gänzlich verschmäht wurden. Dem­ entsprechend war es die Frage, ob Wörter, Sätze, Ideen, Handlungen oder Stücke nach bestimmten etablierten Vorbildern gestaltet waren; nicht, welche Gefühle erregt wurden, ob das Gedicht das Feuer in unserer Brust entfachte, das Lied die Sprache unserer Herzen sprach, das Gemälde Ähnlichkeit mit unseren Vorstellungen hatte und jene heiteren Träume widerspiegelte, die hin und wieder durch jede Seele gaukeln – eine Form zu vermitteln, welche die Erinnerung an das wachrufen soll, dessen strahlende Vision die Vollendung der Kunst ist. Es konnte Versfüße messen, die metrische Skandierung bestimmen, falsche Rhythmen erkennen, feststellen, dass dieses die Länge überstieg, jenes weniger Akte besaß, als es die Regeln erlaubten, diese Geschichte fehlerhaft war, weil sie nicht mit einem solchen Vorbild übereinstimmte, diese Biographie gut war, auch wenn sie bloß die schale Parodie einer anderen darstellte. Um das Wohlwollen der Kritiker zu erlangen, genügt es, in Haltung und Tracht mit der literarischen Mode zu gehen – ohne Rücksicht auf den Menschen. Man würde jemanden inmitten eines Liedes, das die Seele entflammt, unterbrochen haben, um zu erörtern, – ob es

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it corresponded with a certain canon of measure or length; instead of following out the train of thought roused by a noble sentiment, stay to remark how likely one would be to feel such ­under the same circumstances in actual life. As if one had nothing besides eyes and ears, as | if the soul were not to be roused and the spirit kindled, as well as the reason convinced, as if one could not read an oration without stopping to see how every part compared with one of Cicero’s, or one who would build a beautiful edifice must go, rule in hand, and measure the Parthenon, or one would or could read Homer with the hope of being pleased with his observance of the laws of critics, and went to see how prettily the fountains played in their marble basin, and would not bathe in the living spring to renew his own life; as well might we complain, that the mighty oak, with its iron arms, and sinews strengthened by the storms of ages, or the magnolia, pride of the earth, or the evergreen pine, in whose high tops you may hear heaven whispering, were not like the trees of Attica, or the shrubs in the gardens of Rome. Formerly men measured but did not contemplate. They read to see how one thing compared with another, not to catch the inspiration. They virtually denied the truth of our schoolroom motto, »what man has done man may do,« which might read better »no man has done what man may do,« and proves the truth of the ­poet’s words, »man praises man – commemoration mad.«11 – All were reduced to one | standard, low and mean. Limits were set to progress, forms prescribed which must be conformed to. None strove for any thing new, all was made to conform with the old. The art was not to invent but imitate, to copy not to create,

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mit einem bestimmten Kanon von Takten oder Längen übereinstimmt; statt dem Zug des von einer edlen Empfindung geweckten Gedankens zu folgen, verharren, um zu erläutern, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass jemand so etwas unter denselben Bedingungen im tatsächlichen Leben fühlen würde. Als ob jemand nichts außer Augen und Ohren hätte, als ob die Seele nicht erregt und der Geist nicht entzündet, ebenso wie die Vernunft nicht überzeugt werden sollte, als ob man keine Rede lesen könnte, ohne innezuhalten, um festzustellen, wie jeder Teil sich im Vergleich mit Cicero ausnimmt, oder jemand, der ein schönes Bauwerk errichten wollte, herangehen und, das Regelwerk in der Hand, das Parthenon vermessen müsste, oder jemand ­Homer lesen würde oder könnte in der Hoffnung, sich an der Einhaltung der Vorschriften der Kritiker zu erfreuen, und herginge, um zu sehen, wie schön die Fontänen im Marmorbecken spielten, und nicht in der lebendigen Quelle badete, um sein Leben zu erneuern; ebenso gut könnten wir uns darüber beklagen, dass die mächtige Eiche mit ihren eisernen Armen und vom Sturm vergangener Zeitalter gestärkten Sehnen oder die Magnolie, Stolz der Erde, oder die immergrüne Pinie, in deren höchstem Wipfel man den Himmel flüstern hören kann, nicht den Bäumen von ­Attika entsprächen oder den Sträuchern in den Gärten Roms. Bislang legten die Menschen Maß an, doch sie machten sich keine Gedanken. Sie lasen, um zu sehen, wie eine Sache sich zu einer anderen verhielt, nicht, um den Geist zu erfassen. Sie verleugneten geradezu unser Motto »Was der Mensch vollbracht hat, können viele vollbringen«, das sich besser verstehen ließe als »Kein Mensch hat vollbracht, was der Mensch vollbringen könnte«, und das die Wahrheit der Dichterworte beweist: »Den Menschen preist der Mensch – nach Andenken verrückt.« – Alle wurden einem – niedrigen und gewöhnlichen – Maßstab unterworfen. Dem Fortschritt wurden Grenzen gesetzt, Formen vorgeschrieben, an die man sich zu halten hatte. Niemand strebte nach etwas Neuem, alles wurde daraufhin ausgerichtet, dem Alten zu entsprechen. Die Kunst sollte nicht erfinden, sondern

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to receive as standards of perfection what were but poor attempts to represent it, to look on the starting point as the goal. Thus all were blind worshipers of the past; the exertions of men were limited to trials to equal what they ought to excel. All this is to be abolished, and genius left as free to obey the voice of nature as on the first day of creation. |

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nachahmen, kopieren, nicht erschaffen, als Maßstäbe der Vollkommenheit anerkennen, was nichts als armselige Versuche waren, sie darzustellen, den Ausgangspunkt als das Ziel betrachten. Auf diese Weise war jedermann ein blinder Verehrer der Vergangenheit; die Bemühungen des Menschen waren auf Versuche beschränkt, dem zu gleichen, was sie übertreffen sollten. All das muss aufgehoben und dem Genie die Freiheit eingeräumt werden, der Stimme der Natur zu folgen wie am ersten Tag der Schöpfung.

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A RT |

»High works are Sabbaths to the Soul.«12 |

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A

nd what was art but the imitation of the outward; its end the perfect cast, the daguerrotype likeness its greatest genius, its perfection – an accurate representation or correct description. Genius could only gather together the most perfect models or forms and copy their beauties – beyond this it could not aspire. But the true artist does not try to make something like that which he sees; that were useless play; but to picture to others what he imagines, to represent the creatures of fancy, rouse feelings the world does not awaken. His only means for this is the instinctive common love for the beautiful, a matter independent on custom, form or fashion. It is not true that education, habit and association are the bonds of humanity. If so, then | what is civilization but a change of the ring from the nose to the ear, a flat head or a high one, a coat, turban, or skin of a wild beast, according to the fashions of men? There is in every one a sense by which he judges of beauty or deformity, as well as of right or truth. It may be uncultivated. He may be so influenced by habit or association that he yields to them the precedence; but it is there, may be cultivated and

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K U NST

»Hohe Werke sind die Feiertage der Seele.«

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U

nd was war die Kunst außer der Nachahmung des Äußer­ lichen; ihr Ziel der vollendete Guss, eine daguerreotypische Ähnlichkeit ihr größtes Genie, ihr Ideal – eine akkurate Wiedergabe oder korrekte Beschreibung. Genialität vermochte lediglich, die vollkommensten Vorbilder und Formen zusammenzutragen und ihre Schönheiten zu kopieren – darüber hinaus konnte sie nichts erstreben. Der wahre Künstler aber versucht nicht, etwas zu erschaffen, das dem gleicht, was er sieht; das wäre sinnloses Spiel; sondern anderen im Bild zu zeigen, was seine Vorstellungskraft hervorbringt, die Schöpfungen der Fantasie wiederzugeben, Empfindungen aufzurütteln, welche die Welt nicht wachruft. Sein einziges Mittel dazu ist die instinktive allgemeine Liebe zum Schönen, die etwas von Gewohnheit, Form oder Mode Unabhängiges ist. Es stimmt nicht, dass Erziehung, Gewohnheit und gesellschaftlicher Zusammenschluss die Bande der Menschheit sind. Falls dem so wäre, was wäre dann die Zivilisation außer dem Wechsel des Rings von der Nase zum Ohr, einem flachen Kopf oder einem hohen, einem Mantel, Turban oder der Haut eines wilden Tieres, je nach den Moden der Menschen? In jedem ist ein Sinn vorhanden, durch den er sowohl über Schönheit oder Hässlichkeit wie auch über Recht oder Wahrheit urteilt. Er kann unausgebildet bleiben. Jemand kann so durch Gewohnheit oder Gesellschaft beeinflusst werden, dass er diesen den Vortritt überlässt; trotzdem ist jener vorhanden, kann ausgebildet werden und alle Menschen können sich auf ihn berufen;

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appealed to by all men; influences all, in some degree. Else how comes it that all exclaim with wonder and admire certain productions? How is it that certain strains of music thrill through every soul? Certain acts or sentiments seem to bring back to every one indistinct recollections of things that he had forgotten, and awaken happy and holy remembrances? Why does a noble, generous, disinterested act create a sentiment of admiration in every one, if there is not in all a common standard, a natural love for things like these. If imitation is the perfection of art, why does man always have in his mind the idea of something more beautiful than any thing he finds in the world? Why is he not satisfied with what he sees? Poetry, music, the plastic arts are the offspring of something in man better than a quick eye, a | true ear, and a cunning hand; they speak to and spring from a beating, feeling heart. They are measured, not by feet or rhymes, beats, the rules of Aristotle, or the models of Rome or Greece, but the universal standard. Thus the pursuits of art are ennobling. Man is made better by them. He is cultivated, as he never could be by other teachers. To this sentiment alone nature addresses itself; without this the instrument from which it wakes celestial music were untuned or unstrung. Without this there could be no poetry. Man could imagine nothing beyond what he sees, utter no feeling so high as those which nature gives. What chance for creations of his fancy; or better or happier hours than nature brings. But there is a vision beyond the sight, a language besides that of words. Souls seem bound together by a tie from heaven, man can quicken his fellows by high thoughts, noble deeds, holy aspirations.

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er wirkt, in einem gewissen Grad, auf jeden ein. Wie sonst käme es, dass alle mit Staunen ausrufen und bestimmte Werke bewundern? Wie kann es sein, dass bestimmte musikalische Weisen jede Seele durchschauern? Dass bestimmte Handlungen oder Empfindungen jedermann unbestimmte Erinnerungen an Dinge zu wecken scheinen, die er vergessen hatte, ein fröhliches und heiliges Andenken wachrufen? Wieso erzeugt eine edle, großzügige, interesselose Handlung in jedem ein Gefühl der Bewunderung, wenn es nicht in allen einen gemeinsamen Maßstab, eine natürliche Liebe zu solchen Dingen gibt? Wenn Nachahmung das Ideal der Kunst ist, warum hat der Mensch dann in seinem Geist stets die Idee von etwas, das schöner ist als alles, was er in der Welt vor­ findet? Warum ist er nicht mit dem zufrieden, was er sieht? Dichtung, Musik, die bildenden Künste sind der Spross von etwas im Menschen, das besser ist als ein scharfes Auge, ein genaues Ohr und eine raffinierte Hand; sie sprechen zu und entspringen aus einem schlagenden, fühlenden Herzen. Sie werden nicht nach Versfüßen oder Rhythmen, Takten, den Vorschriften des Aristoteles oder den Vorbildern Roms oder Griechenlands bemessen, sondern nach einem universellen Maßstab. Auf diese Weise entfaltet die Beschäftigung mit Kunst eine veredelnde Wirkung. Der Mensch wird durch sie gebessert. Er wird auf eine Weise gebildet, wie er es niemals durch andere Lehrer werden könnte. An diese Empfindung allein richtet sich die Natur selbst; ohne diese bliebe das Instrument, aus dem sie himmlische Musik erweckt, ungestimmt und unbesaitet. Ohne diese könnte es keine Dichtung geben. Der Mensch könnte sich nichts jenseits dessen vorstellen, was er sieht, keine so hohen Gefühle äußern, wie sie die Natur verleiht. Welche Möglichkeiten gäbe es für die Schöpfungen seiner Laune; oder besserer oder fröhlicherer Stunden, als ihm die Natur beschert. Doch es gibt ein Sehen jenseits des Sehvermögens, eine Sprache jenseits derer in Worten. Die Seelen scheinen durch ein himmlisches Band miteinander verknüpft, der Mensch vermag seine Freunde durch hohe Gedanken, edle Taten, heilige Bestrebungen zu beflügeln.

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Well does Plato describe the progress, step by step, by which from beauty in its lowest forms, man gradually ascends, and is at last enabled to contemplate the beautiful in itself. To no one, perhaps, has this yet been revealed. Yet every true child of art has felt the inexpressible longing. This is the secret of his enthusiasm, his untiring devotion. For this he is never satisfied with any thing that has yet been done. There is always in his mind a picture fairer than any he has yet painted. This may serve to account for the hours of musing and the rapt moments which are spoken of as characteristic of men of true genius. Their spirits turn in from the world to contemplate something fairer. It is as if man had once been an inhabitant of the heavenly mansion, and there now and then came to him bright thoughts and happy memories, as if he »could not forget the pleasures be had known and the imperial palace whence he came.«13 That which is often termed art is but the clown’s play; what Goëthe calls »a mass, medley, hash, without end or meaning, where many things are crowded together in the hope that each of the dissipating crowd may find something to please him for the moment.« But the true poet moves the heart by that tide of melody, which gushing from his soul, then ebbs and sucks in the world through its sympathy with those heavenly longings; the impulses that are never controlled; the love of truth and beauty; »the first affections, shadowy recollections;«14 the voice of nature, the truest sign of man’s youth, for till this fails he cannot be said to grow old. | There was much truth in the saying, »Non merita nome di creatore, si non Iddio e il Poeta.«15 The true province of art is not by

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Gut beschreibt Platon dieses Voranschreiten, Schritt für Schritt, durch das der Mensch von der Schönheit in ihren niedrigsten Erscheinungen stufenweise emporsteigt und schließlich in die Lage versetzt wird, das Schöne selbst zu schauen. Dieses wurde vielleicht niemandem bisher enthüllt. Dabei hat jedes echte Kind der Kunst schon einmal das unausdrückbare Verlangen danach verspürt. Das ist das Geheimnis seiner Begeisterung, seiner unermüdlichen Hingabe. Deswegen ist er niemals mit etwas zufrieden, das bereits vollbracht worden ist. In seinem Geist ist stets ein noch schöneres Bild vorhanden als irgendeines, das er schon gemalt hat. Dies mag als Erklärung für die Stunden des Nachdenkens und die Augenblicke der Begeisterung dienen, von denen man sagt, dass sie charakteristisch für Menschen von wahrem Genie sind. Ihre Geister wenden sich von der Welt dem Innern zu, um etwas Schönerem nachzusinnen. Es ist, als ob der Mensch einst ein Bewohner der himmlischen Residenz gewesen sei und ihm hier und da helle Gedanken und glückliche Erinnerungen begegnen, als ob er »die Freuden, die er kannte, und den herrschaftlichen ­Palast, aus dem er kam, nicht vergessen konnte.« Das, was häufig Kunst genannt wird, ist nichts als das Spiel des Narren; was Goethe »eine Masse, ein Gemisch, ein Durcheinander ohne Zweck oder Bedeutung« nennt, »wo viele Dinge in der Hoffnung zusammengedrängt sind, dass jeder aus der sich auflösenden Menge etwas finden möge, das ihn für einen Augenblick erfreut«. Aber der wahre Dichter bewegt das Herz durch jene Woge der Melodie, die aus seiner Seele schäumt, dann abebbt und die Welt durch ihren Einklang mit jenen himmlischen Sehnsüchten einsaugt; das niemals beherrschte Drängen; die Liebe zu Wahrheit und Schönheit: »die ersten Empfindungen, schattenhafte Erinnerungen«; die Stimme der Natur, das wahrste Zeichen menschlicher Jugend, denn bevor diese nachlässt, lässt sich nicht sagen, dass er altert. Es lag viel Wahrheit in dem Satz »Non merita nome di creatore, si non Iddio e il Poeta«. Das wahre Gebiet der Kunst ist nicht, die

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imitation to make men think that they are contemplating a work of nature. That is trickery, jugglery. Its rule is ars celare artem.16 It is to produce that which shall answer men’s ideas of the beauty not yet seen, and awaken feelings that have not yet been roused. Thus the true artist will not make a servile copy, nor put every wrinkle in the face, but seizing on the character, make a picture of the man; this requires something more than skill or adroitness; – genius, the perception of higher beauty, nobler thoughts, holier aspirations, than those commonly felt. |

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Menschen durch Nachahmung glauben zu machen, dass sie ein Werk der Natur betrachten. Das ist Betrug, Gauklerei. Ihr Gesetz heißt ars celare artem. Sie soll erschaffen, was der Vorstellung des Menschen von noch ungesehener Schönheit entspricht, und Empfindungen wecken, die noch nicht geweckt worden sind. Daher wird der wahre Künstler keine sklavische Kopie anfertigen, noch jede Falte in das Gesicht legen, sondern den Charakter erfassen, ein Bild des Menschen schaffen; das erfordert mehr als bloßes Können oder Geschicklichkeit; – Genie, die Erkenntnis höherer Schönheit, edlere Gedanken, heiligere Bestrebungen als die gewöhnlich empfundenen.

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G OV E R N M E N T A N D S O C I A L O RG A N I Z AT ION |

Utopia. |

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an finds himself in society, bound by laws and subject to governments, with an acknowledged right to demand assistance and protection for himself, and bound to the performance of certain duties as a subject and a citizen. The questions, What is the origin of society, laws and government? Why, or how far am I bound to respect them? Why must I regard them at all? Can they be changed, and how? Have I the right to renounce them, and when? These, and like problems, the world has, from the beginning, been trying to solve. According to the different results of their inquiries, men have justified tyranny or anarchy. On one answer empires have been built; another has overthrown them. These answers are the basis of the economy of nations. Had these | questions never been asked there would have been no revolutions. But how ought they to be answered? By history, philosophical theories, or by reason? The first only gives a rule to make man degenerate. The second presupposes in us a knowledge of the result desired, and so infers the means of attaining it; or, assuming certain principles, obeys them, regardless of consequences. The third can lead to nothing higher than expediency.

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R E G I E RU N G U N D G E S E L L S C H A F T L IC H E O R DN U N G

Utopia.

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er Mensch findet sich selbst in Gesellschaft vor, gebunden durch Gesetze und Regierungen unterworfen, mit einem ihm zuerkannten Recht, Hilfe und Schutz einzufordern, und gebunden an die Erfüllung bestimmter Pflichten als Untertan und Bürger. Die Fragen: Was ist der Ursprung der Gesellschaft, der Gesetze und der Regierung? Warum oder inwiefern bin ich daran gebunden, sie zu achten? Warum muss ich ihnen überhaupt Aufmerksamkeit schenken? Können sie geändert werden, und wie? Habe ich das Recht, sie abzulehnen, und wann? Diese und ähnliche Probleme hat die Welt von Anbeginn an zu lösen versucht. Den unterschiedlichen Ergebnissen ihrer Nachforschungen entsprechend haben die Menschen Tyrannei oder Anarchie gerechtfertigt. Auf die eine Antwort wurden Reiche gegründet; eine andere hat sie zum Einsturz gebracht. Diese Antworten bilden die Grundlage der Wirtschaft von Ländern. Wären diese Fragen niemals gestellt worden, hätte es keine Revolutionen gegeben. Aber wie sollten sie beantworten werden? Durch die Geschichte, philosophische Theorien oder mittels der Vernunft? Erstere gibt bloß eine Richtschnur ab, um den Menschen verkommen zu lassen. Die zweite setzt in uns ein Wissen über das gewünschte Resultat voraus und schließt damit auf die Mittel, es zu erreichen; oder, unter der Annahme bestimmter Grundsätze, folgt sie diesen, ungeachtet der Konsequenzen. Die dritte vermag zu nichts Höherem zu führen als zur Zweckmäßigkeit.

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The principal theories in relation to the origin of governments take as their several bases for its foundation, force, contract, reason. The first, if it does not deny all obligation of right and justify the uncontrolled exercise of any power that can be gained, does something very like this, assuming that there is not any power which had not its origin in force. The second assumes that there was originally a contract to form society expressly made, or that men, by becoming members of the political body, enter into an implied one. This limits justice to the terms of the agreement. It holds men bound to that as a bargain from which they had never an opportunity of dissenting. Now a contract is a certain agreement to which the parties have beforehand mutually assented. But none | such can be shown to have ever been formed between any parties. Certainly none between those held now to its performance. Moreover, it is not certain. What the contract was no one can tell. Men do not say, »thus we agreed;« but argue, »it ought to be so.« The first is the law of tyrants, the second of traders. The third is of a different character. Man feels that he has certain wants to be supplied, certain faculties to be cultivated, ­a ffections which he cannot extinguish, rights that he cannot surrender, duties not to be neglected. Society and government it regards as means which have been devised to secure him in the possession of these. Such being their objects, they are good or bad, as they answer or defeat this end, and experience and reason must teach men for which of these they are calculated. This makes their end human happiness, and they are good or ill as they increase or lessen the sum thereof. In the words of one of its

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Die hauptsächlichen Theorien in Bezug auf den Ursprung der Regierung nehmen als die verschiedenen Grundlagen ihrer Errichtung Gewalt, Vertrag, Vernunft an. Erstere, sofern sie nicht alle Verpflichtung des Rechts leugnet und die unkontrollierte Ausübung jeder zu erlangenden Macht rechtfertigt, tut etwas diesem sehr Ähnliches, indem sie annimmt, dass es keine Macht gibt, die ihren Ursprung nicht in der Gewalt besitzt. Die zweite nimmt an, dass es ursprünglich einen ausdrücklichen Vertrag zur Bildung der Gesellschaft gab oder dass die Menschen, indem sie Mitglieder der politischen Körperschaft werden, indirekt e­ inen eingehen. Dieser legt das Recht auf die Grenzen der Ver­ein­barung fest. Er hält die Menschen daran gebunden als ein Handel, dem zu widersprechen sie niemals Gelegenheit hatten. Nun ist ein Vertrag eine bestimmte Vereinbarung, dem die Beteiligten im Voraus beiderseitig zugestimmt haben. Es lässt sich jedoch nicht zeigen, dass eine solche jemals zwischen irgendwelchen Gruppen geschlossen wurde. Sicherlich nicht zwischen jenen, die bisher an seiner Ausübung festhielten. Des Weiteren ist sie nicht gesichert. Niemand vermag zu sagen, worin der Vertrag bestand. Menschen sagen nicht: »Also haben wir uns geeinigt«; sondern sie streiten: »So sollte es sein«. Die erste ist das Gesetz von Tyrannen, die zweite das von Händlern. Die dritte hat einen anderen Charakter. Der Mensch spürt, dass er gewisse Bedürfnisse hat, für die gesorgt werden muss, gewisse Fähigkeiten, die ausgebildet werden müssen, Empfindungen, die er nicht auslöschen kann, Rechte, die er nicht aufgeben kann, Pflichten, die er nicht vernachlässigen darf. Gesellschaft und Regierung betrachtet sie als Mittel, die entwickelt wurden, um ihn ihres Besitzes zu versichern. Da dies ihre Ziele sind, sind sie gut oder schlecht, je nachdem, ob sie diesem Zweck entsprechen oder ihm zuwiderlaufen, und Erfahrung und Vernunft müssen dem Menschen zeigen, worauf sie ausgelegt sind. Das macht zu ihrem Ziel das menschlichen Glück und sie sind gut oder schlecht, je nachdem, ob sie dessen Summe vergrößern

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chief advocates, »Government is a contrivance of human wisdom to provide for human wants.«17 Such is the rational system. It is far above the others. It contains the elements of truth. As a theory, it is far beyond any thing that has yet been completely adopted in the world’s | practice, for never yet has there been a government or society conducted with a view to secure the greatest amount of happiness to all. But if there were such an one, its foundation would be false, taking for granted, as it must, that men all agree what is happiness in this world and the next, and know the best mode of securing it. Though this is infinitely better than the others, it is imperfect. For if the justice of the first is that of the robber, and the second that of the Jew, the justice of this is mere expediency, as man can see it, nothing absolute, independent, to which he may appeal, but something unsettled, which he must reason out for himself – on which men can never agree. Now it is absurd to suppose a period antecedent to society and government, when one strong man gained a conquest over the weak; or men met together in a plain to make their contract; or said, »come, let us contrive a plan that shall best secure our happiness.« For man is a social being, by the nature he has from God. Independent on this fact, there are no elements of society. Men cannot live apart, alone, more than they can live without food. Without intercommunion they would cease to be men. It is the hand of God which bas placed them | in society, and implanted the law in their hearts. They did not create and cannot destroy ­either. In this sense government and society are divine institutions.

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oder verkleinern. In den Worten eines ihrer führenden Verfechter: »Die Regierung ist ein Behelf menschlicher Weisheit, um für die menschlichen Bedürfnisse zu sorgen.« Solcherart ist das verstandesmäßige System. Es steht weit über den anderen. Es enthält die Elemente der Wahrheit. Als Theorie steht es weit über allem, was bisher völlig in die Praxis der Welt übernommen wurde, denn bisher hat es niemals eine Regierung oder Gesellschaft gegeben, deren Augenmerk darauf lag, die größte Summe Glückes für alle zu sichern. Falls es aber eine solche gäbe, wäre ihre Grundlage falsch, da sie für selbstverständlich hält, wie sie es muss, dass alle Menschen darin übereinstimmen, was Glück in dieser und der nächsten Welt bedeutet, und die beste Art und Weise kennen, es zu erlangen. Obwohl dieses System unendlich viel besser ist als andere, ist es unvollkommen. Denn wenn das Recht des ersten das des Räubers ist und das zweite das des Juden, so ist dieses Recht bloße Zweckmäßigkeit, wie jeder einzusehen vermag, nichts Absolutes, Unabhängiges, auf das man sich berufen kann, sondern etwas Ungewisses, über das man selbst sich Gedanken machen muss – über das die Menschen niemals übereinkommen können. Nun ist es unsinnig, eine vor Gesellschaft und Regierung liegende Zeit anzunehmen, in der einem starken Menschen die Unter­werfung der Schwachen gelang; oder Menschen auf einem freien Feld zusammenkamen, um ihren Vertrag abzuschließen; oder sagten: »Kommt, lasst uns einen Plan entwerfen, der unser Glück am besten sichert.« Denn der Mensch ist seinem Wesen nach, das er von Gott hat, ein geselliges Wesen. Unabhängig von dieser Tatsache gibt es keine Grundlagen der Gesellschaft. Die Menschen können nicht eher für sich, allein, leben, als sie ohne Nahrung leben können. Ohne Verkehr miteinander würden sie aufhören, Menschen zu sein. Es liegt in der Hand Gottes, der sie in Gesellschaft gesetzt und das Recht in ihre Herzen gelegt hat. Sie haben keines davon erschaffen und können keines davon vernichten. In diesem Sinn sind Regierung und Gesellschaft gött­ liche Institutionen.

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Now if this be true, it overturns at once all the old theories, and applies a brand to the mighty piles which have been forming for ages. Hence the bitterness with which it has been assailed, the condemnation which has been passed upon it without a hearing, and the imperfect and false ideas which have been entertained in regard to it. It has been spoken of as the natural state, and men have been called upon to consider how absurd it would be to reduce all to a state of nature, dissolve the elements of society, and allow each one to pursue the bent of his own inclinations, obey no law but his own will, wander like a beast over the earth, taking without asking, at war with all. This is represented as the necessary result of the principles which assert that government and society are of divine origin, not of man’s devising, and that no human institutions can command our obedience which violate the law of God. But these are appeals to our fears. They assume for facts, what is false. Man can fall back on the universal principles of his na | t ure, and abolish laws which outrage them without bloodshed. It is not for offences against these that men wage war, but to support idle monks and priests, an extorting church, a landed estate, tyrannizing nobility, for taxes, dominion, the gains of trade, for crowns, that they fight, seeking to enrich one class at the expense of the rest. Never yet was blood shed but the quarrel arose from something of this sort. Men do not fight who really seek to obey the law God has written on their hearts. The dissolution of society, the destruction of the present state of things, ridding man of his obligations, and reducing all to a

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Wenn dies aber zutrifft, stößt es mit einem Mal alle die anderen alten Theorien um und drückt den mächtigen Stapeln, die sich seit Ewigkeiten angehäuft haben, ein Brandmal auf. Daher die Bitterkeit, mit der es angegriffen worden ist, das Urteil, das ohne Anhörung über es ausgesprochen wurde, und die unzulänglichen und falschen Vorstellungen, die in Bezug auf es gepflegt wurden. Es ist als der Naturzustand bezeichnet und die Menschen sind aufgerufen worden zu bedenken, wie absurd es wäre, alles auf einen Naturzustand zurückzudrehen, die Grundlagen der Gesellschaft aufzulösen und jedem zu gestatten, der Richtung seiner eigenen Neigungen zu folgen, keinem Gesetz zu gehorchen außer seinem eigenen Willen, über die Erde zu schweifen wie ein wildes Tier, zu nehmen ohne zu fragen, im Kriegszustand mit jedermann. Das wird als die notwendige Folge der Grundsätze dargestellt, die behaupten, dass Regierung und Gesellschaft göttlichen Ursprungs sind und nicht auf menschliche Erfindung zurückgehen und dass keine menschliche Einrichtung, die das Gesetz Gottes verletzt, unseren Gehorsam einfordern kann. Aber das sind Appelle an unsere Ängste. Sie betrachten als Tatsachen, was falsch ist. Der Mensch kann auf die universellen Grundsätze seiner Natur zurückgreifen und Gesetze abschaffen, die ihnen ohne Blutvergießen Hohn sprechen. Es ist nicht wegen der Verstöße gegen diese, dass Menschen Krieg führen, sondern um faule Mönche und Priester auszuhalten, eine auspresserische Kirche, einen Grundbesitz, tyrannischen Adel, um Steuern, Herrschaft, Handelserträge, um Kronen, dass sie einander bekämpfen, mit dem Bestreben, eine Schicht auf Kosten des Restes zu bereichern. Noch nie ist bisher Blut vergossen worden, es sei denn, der Streit entspross aus solchen und ähnlichen Dingen. Menschen, die wirklich danach streben, dem Gesetz zu gehorchen, das Gott in ihre Herzen geschrieben hat, bekämpfen einander nicht. Die Auflösung der Gesellschaft, die Vernichtung des gegenwärtigen Zustandes der Dinge, den Menschen von seinen Verpflichtungen zu befreien und alles auf einen Naturzustand zu-

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state of nature, is not the object or the tendency of these principles. They seek to maintain the supremacy of the society and government which is natural to man and of eternal obligation. Nothing is assailed which is not wrong and unjust in itself. The state of nature they desire is not the wild liberty of beasts, but that state in which wrong and injustice shall be done to no man, in which the law of God shall not be violated, where man shall be held to the performance of those duties which his nature dictates, the practical recognition of those principles of which the world, at length, after a struggle of ages, begins to own the importance, the defence of the | natural, inherent and inalienable rights, the assertion of our freedom and equality, the adoption of the precepts of conscience and christianity as the rule of life – and the end of law, the noble object which the Roman jurist proposes, »voluntas jus suum cuique tribuendi.«18 No doubt this would cause great revolutions, no doubt it would require a state of society far beyond any now existing in order to be fully carried out in practice. A perfect system of this character would require men perfect in their nature, circumstances which could not thwart nor defeat their plans, a sincere and uncompromising devotion to truth and justice, obedience to the impulses of Christian love; in short, it is a perfect plan for perfect beings, one that can never be realized among men as they are. But this, instead of proving that the scheme ought to be abandoned, because it is impracticable, proves quite a different thing, that it ought to be adopted so far as it is practicable; not so far as is expedient merely, but so far as it is capable of being actually realized. Men do not relinquish the pursuit of truth because they cannot

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rückzusetzen, ist nicht Gegenstand oder Absicht dieser Grundsätze. Sie streben danach, die Vorherrschaft der Gesellschaft und Regierung, welche dem Menschen wesentlich und von ewiger Verpflichtung ist, zu erhalten. Nichts wird kritisiert, das nicht an sich falsch und ungerecht ist. Der Naturzustand, den sie ersehnen, ist nicht die ungezügelte Freiheit wilder Tiere, sondern der Zustand, in dem keinem Menschen Unrecht und Ungerechtigkeit zugefügt werden, in dem das Gesetz Gottes nicht verletzt werden, wo der Mensch an die Ausübung jener Pflichten gehalten sein soll, die seine Natur ihm vorgibt, die praktische Anerkennung dieser Grundsätze, denen die Welt, nach ewigem Kampf, endlich Bedeutung beizumessen beginnt, die Verteidigung der natürlichen, angeborenen und unveräußerlichen Rechte, die Behauptung unserer Freiheit und Gleichheit, die Annahme der Gebote des Gewissens und des Christentums als Richtschnur des Lebens – und der Zweck des Gesetzes, des edlen Gegenstandes, den der römische Rechtsgelehrte aufstellt: »Voluntas jus suum cuique tribuendi.« Ohne Zweifel würde dies zu großen Revolutionen führen, ohne Zweifel würde es einen Zustand der Gesellschaft erfordern, von den derzeit vorhandenen Gesellschaften sehr verschieden ist, um in der Praxis vollständig ausgeführt zu werden. Ein vollkommenes System dieses Charakters würde Menschen vollkommenen Charakters erfordern, Umstände, die ihren Plänen weder entgegenwirken noch sie vereiteln könnten, eine ehrliche und kompromisslose Hingabe an Wahrheit und Gerechtigkeit, Gehorsam gegenüber den Regungen christlicher Liebe; kurz, es ist ein vollkommenes Modell für vollkommene Wesen, eines, das niemals unter Menschen, wie sie sind, verwirklicht werden kann. Das, anstatt zu beweisen, dass das Schema aufgegeben werden soll, weil es nicht umsetzbar ist, beweist aber etwas ganz anderes, nämlich, dass es übernommen werden sollte, sofern es praktikabel ist; nicht, sofern es bloß zweckmäßig ist, sondern soweit es sich tatsächlich verwirklichen lässt. Die Menschen geben, weil sie nicht alles Wissen erlangen können, das Streben nach Wahrheit nicht

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attain all knowledge; they do not turn away from beauty because all loveliness is not theirs, and injustice is not to be upheld, | because perfect right cannot be done. Nothing can justify a known wrong to any man. An objection is sometimes urged that this implies a government destitute of coercion, which is an absurdity. That it impeaches much of the coercion of the present governments is not to be denied; but it is by no means true that it denies the right of punishment or coercion. Vindictive, sanguinary, inhuman penalties are indeed adjudged wrong. They shock the natural sense of us all. But there is a system of coercion which all acknowledge to be just; – that any one can be restrained who is seeking to invade another’s right; and a natural punishment established, that, where suffering is to be borne by some one, it is fit that it should fall upon him who is the cause of it rather than on another. So far is this from tending to tear asunder the bonds of society, that it alone makes them certain and of perpetual obligation. For if society or government be founded on force, it must yield where a superior can be mustered; if on contract, it must be limited to the terms of the bargain; if on expediency, it must change with men’s views of expediency and the end of life. But if founded in the nature of man, and | limited by the universal principles of justice and truth, then it must be of universal and eternal obligation. Then all usurped dominion, all tyranny, wrong and injustice must have an end – but true governments, the duties of man as a citizen, can never change. So far, then, from dissolving the community into an uncivil, unsocial, unconnected chaos of elementary principles, it cements

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auf; sie wenden sich nicht ab von der Schönheit, weil ihnen nicht alles Schöne gehört, und Ungerechtigkeit wird nicht hochgehalten, weil vollkommenes Recht nicht möglich ist. Nichts kann ein bekanntes Unrecht gegenüber irgendjemandem rechtfertigen. Gelegentlich wird ein Einwand vorgebracht, demzufolge dies eine Regierung ohne Zwang voraussetzt, was Unsinn ist. Dass es viel von dem Zwang der gegenwärtigen Regierungen infrage stellt, lässt sich nicht leugnen; aber es trifft auf keinen Fall zu, dass es das Recht auf Strafe oder Zwang in Abrede stellt. Rachsüchtige, blutige, unmenschliche Strafen werden tatsächlich für falsch erklärt. Sie erschüttern das natürliche Empfinden in uns allen. Doch es gibt ein System des Zwanges, das jeder als gerecht anerkennt; – dass jedem Schranken auferlegt werden dürfen, der in das Recht eines Anderen eingreift; und eine natürliche Strafe festgesetzt werden darf, dass, wo Leid durch jemanden ertragen wird, es angemessen ist, dass es eher auf den, der sein Verursacher ist, zurückfällt als auf einen Anderen. So weit davon entfernt ist dieses, die Bande der Gesellschaft zu zerreißen, dass es allein sie sichert und ewig verbindlich macht. Denn, sofern Gesellschaft oder Regierung auf Gewalt gegründet sind, muss es ergeben, wo sich eine bessere auftreiben lässt; sofern auf einem Vertrag, muss es auf die Bestimmungen der Abmachung beschränkt bleiben; falls auf Nützlichkeit, so muss es sich mit den Ansichten der Menschen über Nutzen und den Zweck des Lebens verändern. Falls es sich aber auf das Wesen des Menschen gründet und durch die universellen Grundsätze der Gerechtigkeit und Wahrheit bedingt wird, dann muss es von allgemeiner und ewiger Verbindlichkeit sein. Dann müssen jede widerrechtlich angeeignete Herrschaft, alle Tyrannei, alles Unrecht und alle Ungerechtigkeit ein Ende finden – die wahren Regie­ rungen aber, die Pflichten des Menschen als Bürger, können sich niemals ändern. So weit davon entfernt also, die Gemeinschaft in ein unbürgerliches, ungesellschaftliches, unverbundenes Chaos von Ele-

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it together by those natural, social, connected, immutable principles, which are the elements of our nature. To this the world has been gradually advancing. Had the people, not many years ago, pretended to the privileges which they now claim as their dearest rights, it would have been said, that there was danger of disorganizing society; and it may safely be predicted that the work will never be accomplished and never cease till every thing is abolished which violates the natural law of God. That the accomplishment of this is a mighty task, a work for ages, is not to be denied. But it must go on if the world is not to roll back. The states which are now supported for the benefit of a small class called nobility, while the million, whose powers, as noble by nature, are, merely because of the present social system, | prevented from being exercised, whose bodies are worn out with toil, whose intellects are left dead, and the holy affections of the heart smothered as if they would blaze forth with a light that might lead them out of the vale of misery and shame, are doomed to toil and death, – these states must fall, for they are founded on wrong and injustice. And so must, and so ought to fall many social institutions, maxims on which men act in their intercourse with each other, rules of law, which claiming to be framed for securing justice between man and man, actually help them to deal unjustly by each other, and principles on which they pretend to act as religious beings. For instance, the laws for the distribution of property and the provision for education in most of the countries of Europe, where one is born in the lap of wealth, and merely from

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mentarbestandteilen aufzulösen, festigt es sie durch jene natürlichen, gesellschaftlichen, zusammenhängenden, unveränderlichen Prinzipien, welche die Grundlagen unserer Natur sind. Zu diesem ist die Welt allmählich vorangeschritten. Hätten die Leute vor wenigen Jahren Anspruch auf die Privilegien erhoben, welche sie jetzt als ihre teuersten Rechte geltend machen, würde man behauptet haben, dass die Gefahr bestand, die Gesellschaft in Unordnung zu stürzen; und es darf mit Sicherheit vorausgesagt werden, dass die Arbeit niemals an ein Ende kommen und niemals aufhören wird, bis alles abgeschafft ist, was das natürliche Gesetz Gottes verletzt. Es steht außer Zweifel, dass dies zu erreichen eine gewaltige Aufgabe darstellt, eine Arbeit für Generationen. Aber sie muss weitergehen, wenn die Welt keinen Rückschritt machen soll. Die Zustände, die jetzt zum Nutzen einer kleinen Klasse, die man Adel nennt, gefördert werden, während die Million, deren Kräfte, von Natur aus ebenso edel, bloß aufgrund des gegenwärtigen gesellschaftlichen Systems davon abgehalten werden, sich zu entfalten, deren Körper von mühsamer Arbeit ausgezehrt sind, deren geistige Kräfte ungenutzt bleiben und deren heilige Her­zens­regungen erdrückt werden, als würden sie mit einem Licht voranstrahlen, das sie aus dem Jammertal von Elend und Schmach herausführen könnte, zu Mühsal und Tod verdammt sind – diese Zustände müssen untergehen, denn sie beruhen auf Unrecht und Ungerechtigkeit. Und so müssen und so sollen viele gesellschaftliche Einrichtungen untergehen, Maximen, nach denen die Menschen in ihrem Verkehr miteinander handeln, Rechtsbestimmungen, die für sich in Anspruch nehmen, dazu entworfen zu sein, Gerechtigkeit zwischen den Menschen zu sichern, und sie in Wirklichkeit dabei unterstützen, ungerecht miteinander umzugehen, und Grundsätze, durch die sie vorgeben, als religiöse Wesen zu handeln. Nehmen wir zum Beispiel die Gesetze zur Verteilung des Eigentums und zur Bereitstellung von Bildung in den meisten Ländern Europas, wo jemand in den Schoß des Wohlstandes hinein­

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the frame of society, sustained there at the expense of a thousand who, from the same cause, are doomed to worse than death; the rules of trade, which allow one man to take any advantage of another not amounting to positive fraud; the Christian love seen in British manufactories, where five hundred children work under the lash for seventeen hours a day, while their parents starve, and their employers (not owners, for there all | are free,) waste in riot­ous living the gold that is washed from the sands of life by the blood of innocent hearts. These things, and many that could be named, must fall, if it be true that there is in man a sense of what is just and true. Must existing institutions be destroyed, certain classes of society be ruined, trades, hitherto honorable, be abolished, and all be changed? The answer is plain. What is wrong ought not to be. The misery to fall on a few is nothing to that daily endured by many now – is the meet wages of wrong, and is not to be weighed against the common happiness. But the changes required are far less than one might imagine, or the naked statement lead one to suppose. Few things spring from actual evil, but from a perversion of good, an adherence to things after their uses have ended, from interest or habit. Men, individually, are good at heart, and, collectively, act rather from false reasoning and mistaken principles than base and unworthy motives. It is only a few forms that require change. The chief obstacle to be overcome is prejudice. The only danger to be feared, that doctrines shall be extended beyond their legitimate sphere. The best means to further the work, the education, physical,

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geboren und dort, lediglich aufgrund der gesellschaftlichen Bedingungen, auf Kosten von Tausend ausgehalten wird, die, aus demselben Grund, zu Schlimmerem als dem Tod verdammt sind; die Handelsgesetze, die einem Menschen erlauben, jeden Vorteil gegen einen anderen zu ergreifen, der nicht zum aktiven Schwindel beiträgt; die christliche Liebe, die man in britischen Manufakturen beobachten kann, wo fünfhundert Kinder siebzehn Stunden am Tag unter der Peitsche schuften, während ihre Eltern verhungern, und deren Arbeitgeber (nicht Besitzer, denn sie sind alle frei) in zügellosem Lebenswandel das Gold verschwenden, das mit dem Blut unschuldiger Herzen aus dem Sand des Lebens herausgewaschen wird. Diese und viele andere Dinge, die sich benennen ließen, müssen untergehen, wenn es stimmt, dass es im Menschen einen Sinn dafür gibt, was gerecht und wahr ist. Müssen die vorhandenen Institutionen vernichtet, bestimmte Klassen der Gesellschaft zugrunde gerichtet, der Handel, bislang ehrbar, abgeschafft und muss alles umgestaltet werden? Die Antwort ist einfach. Was falsch ist, soll nicht sein. Das Unglück, das einige treffen würde, ist nichts im Vergleich zu dem, das viele jetzt täglich erdulden, – es ist der billige Lohn des Unrechts und es darf nicht gegen das allgemeine Glück aufgewogen werden. Aber die Veränderungen, die nötig sind, sind viel geringer, als man sich vorstellen könnte oder als einen die unverhüllte Darstellung vermuten lässt. Wenige Dinge entspringen aus tatsächlicher Schlechtigkeit, als vielmehr aus einer Perversion des Guten, einem Festhalten an Dingen, nachdem deren Nutzen aufgehört hat, aus Interesse oder Gewohnheit. Die Menschen, als Einzelne, sind im Herzen gut und handeln, in der Gruppe, eher aus falscher Überlegung und falsch verstandenen Grundsätzen heraus als aus niederträchtigen und aus unwürdigen Motiven. Es sind nur einige Verhaltensweisen, die der Veränderung bedürfen. Das hauptsächliche Hindernis, das man überwinden muss, ist das Vorurteil. Die einzige zu fürchtende Gefahr, dass Lehrsätze über ihren legitimen Gültigkeitsbereich hinaus ausgedehnt werden sollen. Das beste Mittel, um das Werk zu fördern, die körper­liche,

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men | tal, moral, of all men. Bloody revolutions are not requisite, nor charters, petitions, nor declarations. Fast as man grows better the holy work goes on. Things accommodate themselves to his wants, silently, but continually. When the only objection urged is, that man is not good enough to receive it, one need not search long to find where lies the fault. |

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geistige, moralische Bildung aller Menschen. Blutige Revolutionen sind nicht nötig, noch Urkunden, Anträge, noch Erklärungen. So schnell wie der Mensch besser wird, schreitet das heilige Werk voran. Die Dinge passen sich seinen Bedürfnissen an, still, aber fortlaufend. Wenn der einzige vorgebrachte Einwand der ist, dass der Mensch nicht gut genug ist, es zu empfangen, dann bedarf es keiner langen Suche, um zu entdecken, wo der Fehler liegt.

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»From this foolish mixture of divine and human things, there results not only a fantastic philosophy, but a heretical religion.«  Bac.19 Squire. »Well, Deacon, how did you like the sermon today?« Deacon. »Why, I thought it was pretty transcendental, ha?« Squire. »Yes, yes, very good indeed; spiritual, what all should live.« Deacon. »Very bad, indeed. Infidel. Dangerous.« Squire’s wife. »La, I could not comprehend a word of it.« Deacon’s daughter. »Why it all seemed as plain as light to me. Every one would believe it if it were not so true.« The Gossip |

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ut it is from the influence of the Transcendental philosophy on religion that the most important results are anticipated. And, as this is a subject of much interest and moment, let us consider what is the true question at issue – that it may have the merit that belongs to it and no more, and may be condemned for no more heresies than it introduces. Transcendentalism is predicated on the reality of the spiritual or religious element in man; his inborn capacity to perceive truth and right, so that moral and religious truths can be proved to him with the same degree of certainty that attends mathematical demonstration; and for the same reason, because they can be

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»Aus der törichten Vermischung göttlicher und menschlicher Dinge entsteht nicht bloß eine fantastische ­Philosophie, sondern eine ketzerische Religion.«  Bac. Gutsherr. »Nun, Diakon, wie hat Euch die Predigt heute gefallen?« Diakon. »Na, also ich fand sie ziemlich transzendental, was?« Gutsherr. »Ja, ja, wirklich sehr gut; geistig alles, was leben soll.« Diakon. »Wirklich sehr schlecht. Irreligiös. Gefährlich.« Die Frau des Gutsherrn. »Sieh an, ich konnte kein Wort davon verstehen.« Die Tochter des Diakons. »Na, mir erschien alles sonnenklar. ­Jeder würde es glauben, wenn es nicht so wahr wäre.« Der klatsch.

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ie wichtigsten Folgen jedoch werden von der Wirkung der transzendentalen Philosophie auf die Religion erwartet. Und lasst uns, da dies ein Gegenstand von großem Interesse und großer Bedeutung ist, bedenken, was die eigentliche Frage ist, um die es geht – dass ihr der gebührende Wert beigemessen werde und nicht mehr und dass sie nicht für mehr Ketzereien verurteilt werde, als sie erzeugt. Der Transzendentalismus beruht auf der Wirklichkeit des geistigen oder religiösen Elementes im Menschen; seinem angeborenen Vermögen, Wahrheit und Recht zu erkennen, so dass moralische und religiöse Wahrheiten ihm mit demselben Grad von Gewissheit bewiesen werden können, die mathematischen Beweisen zukommt; und aus demselben Grund, weil gezeigt

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shown to conform to certain fundamental truths, axioms, which all know, none can prove or deny, beyond which we cannot go. It presents no | question as to the divine origin of the Sabbath or church; none in relation to the authenticity or authority of the old or new testament, their infallible or plenary inspiration. These are for critics, historians, divines, theologians. It has nothing to do with the trinity or unity, the humanity or divinity of the Saviour. In short, it relates to nothing that is in any wise connected with biblical criticism or theology. These are matters intimately connected with and often taken for religion itself; but they are distinct from it, and the most religious man may be entirely ignorant of them. He who can hear the word, believe and obey, is religious. The true inquiry is a question of fact, on which few in their better moments of reflection would hesitate to answer, but which the world practically denies. Now the proofs which Transcendentalism adduces to show the reality of truth, goodness, beauty and man’s natural reliance on a superior being – God, and his innate sense of right and justice, may be summed up briefly as follows: 1. Experience. We have found it in ourselves, and regulated our conduct accordingly. We feel ourselves impelled to obey this natural love as much as the appetite for food. We feel pain when its wants are not satisfied or its | sense violated, as well as from the breach of any other law of our nature. We know that we have this, as we know that we have bodies. We are conscious of having and using them. Through them we derive certain sensations, and gain knowledge of what is not part of ourselves.

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werden kann, dass sie mit bestimmten grundlegenden Wahrheiten übereinstimmen, Axiomen, die allen bekannt sind, kann niemand beweisen oder bestreiten, worüber wir nicht hinauszugelangen vermögen. Er wirft keine Fragen wie die nach dem göttlichen Ursprung des Sabbats oder der Kirche auf; keine hinsichtlich der Echtheit oder Autorität des Alten oder Neuen Testaments, ihrer Unfehlbarkeit oder Verbalinspiration. Diese sind etwas für Kritiker, Historiker, Geistliche und Theologen. Er hat nichts mit der Dreifaltigkeit oder Einheit, der Menschlichkeit oder Göttlichkeit des Erlösers zu schaffen. Kurz, er bezieht sich auf nichts, was in irgendeiner Weise mit Bibelkritik oder Theologie in Verbindung steht. Diese sind Gegenstände, die aufs engste mit der Religion zusammenhängen und oft selbst für sie gehalten werden; aber sie sind von ihr verschieden und der gläubigste Mensch könnte ahnungslos in Bezug auf sie sein. Derjenige, der das Wort vernehmen, glauben und ihm folgen kann, ist religiös. Die wahre Untersuchung besteht in einer Tatsachenfrage, auf die wenige in ihren helleren Augenblicken zu antworten zögern würden, die die Welt jedoch praktisch verneint. Die Beweise nun, die der Transzendentalismus anführt, um die Wirklichkeit von Wahrheit, Tugend, Schönheit und des natürlichen Vertrauens des Menschen in ein höheres Wesen – Gott – zu erweisen, sowie seines angeborenen Sinnes für Recht und Gerechtigkeit, können auf folgende Weise kurz zusammengefasst werden: 1. Erfahrung. Wir haben ihn in uns selbst vorgefunden und unser Handeln nach ihm ausgerichtet. Wir sehen uns gezwungen, dieser natürlichen Liebe ebenso sehr zu folgen wie dem Verlangen nach Nahrung. Wir fühlen Schmerz, wenn seine Bedürfnisse nicht befriedigt werden oder sein Sinn verletzt wird, ebenso wie durch die Verletzung jedes anderen Gesetzes unserer Natur. Wir wissen, dass wir diesen besitzen, ebenso wie wir wissen, dass wir Körper besitzen. Wir sind uns bewusst, dass wir sie besitzen und Gebrauch von ihnen machen. Durch sie empfangen wir bestimmte Sinneseindrücke und erlangen Wissen über das, was kein Teil von uns selbst ist.

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2. All men recognise its existence; act upon it when they are not induced to do otherwise; and then they are conscious of a violation of the law of their nature. All speak of things as good, right, or beautiful in themselves, independently of interest or association. All appeal to the common sense of men. This standard is not varied by education or civilization, but is the same every where and always. 3. If one, is deprived of this he ceases to be a man. The moral sense, the power to distinguish between right and wrong, is the attribute of man. Without this there could be no sin. If man were but a bundle of sensations, there could be nothing to control the animal impulses, the dictates of appetite; there would be no moral freedom or accountability. Without moral sense there could be no moral offence. The Saviour appealed to this, as the foundation of all religion; our innate sense of right and goodness. For this reason he called reli | gion a thing so simple a child can comprehend it all. Obedience to this he made the substance of religion. It does exist, then. And clearly it is the only life of religion. All that is founded on any thing else is false. Any moral argument addressed to aught else than the sense of right, which Christ appealed to; any worship which is not warmed by that natural love implanted in each man by his Creator, is not religion. And here there would be no difference between men; they would not quarrel when told they must do what is right and obey conscience; were it not for the strange anomaly, most of the institutions of the world called Christian are based on a philosophy which logi-

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2. Alle Menschen erkennen seine Existenz an; handeln nach ihm, wenn sie nicht veranlasst werden, es nicht zu tun; und in diesem Fall sind sie sich einer Verletzung des Gesetzes ihrer Natur bewusst. Alle sprechen von Dingen wie gut, recht oder schön an sich selbst, unabhängig von Interesse oder Assoziation. Alle berufen sich auf den gesunden Menschenverstand. Dieser Maßstab wird durch Erziehung oder Kultur nicht verändert, sondern ist überall und immer derselbe. 3. Wenn jemand seiner beraubt wird, hört er auf, ein Mensch zu sein. Der moralische Sinn, das Vermögen, zwischen recht und falsch zu unterscheiden, ist das Merkmal des Menschen. Ohne diesen könnte es keine Sünde geben. Wenn der Mensch nichts als ein Bündel von Sinneseindrücken wäre, gäbe es nichts, um die animalischen Triebe, die Diktate des Verlangens zu kon­ trollieren; es gäbe keine moralische Freiheit oder Verantwortlichkeit. Ohne moralischen Sinn gäbe es keine Verstöße gegen die Moral. Der Erlöser berief sich auf ihn als die Grundlage aller Religion; unseres angeborenen Sinns für Recht und Tugend. Aus diesem Grund nannte er die Religion etwas so Einfaches, dass ein Kind sie ganz begreifen kann. Gehorsam gegen ihn machte er zum ­Inhalt der Religion. Folglich existiert er. Und offenkundig ist er der einzige Lebensgrund der Religion. Alles, was auf etwas anderem beruht, ist falsch. Jedes moralische Argument, das auf etwas anderes abzielt als den Sinn für Recht, auf den Christus sich berief; jeder Gottesdienst, den nicht diese natürliche Liebe erwärmt, die jedem Menschen von seinem Schöpfer eingeprägt ist, ist keine Religion. Und hier gäbe es keinen Unterschied zwischen den Menschen; sie würden nicht in Streit geraten, wenn man ihnen sagte, dass sie tun müssen, was richtig ist, und ihrem Gewissen gehorchen; herrschte nicht die merkwürdige Abnormität, dass die meisten Einrichtungen der Welt, welche man christlich nennt, auf einer Philosophie beruhen, die auf dem Weg der Logik die Wahrheit aller Religion bestreitet. Die Menschen streben danach, ohne das

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cally denies the truth of all religion. Men seek to live without that, without which Christ said no man can live. Christianity cannot exist with sensualism, materialism. They deny the existence of those heaven-born affections and holy aspirations on which it alone relies. These refer all through the mind to the body, but that is the religion of the heart. Christianity is spiritualism applied to life; the cultivation of the divine part of man; the pursuit of goodness, truth, beauty, obedience to right, adherence to duty, not from | pleasure, interest present or future, or habit or fear, but because it is the call of nature, which must be obeyed, for which no reason can be given stronger than that it is right, and God has made it pleasing in our sight. It may be asked, then, if religion was dead for centuries before the rise of this spiritual philosophy. The reply is not easily made. So far as this has been denied, christianity has been rejected. And of those by whom the world is commonly judged, this statement, sad as it seems, is true. They seem to have denied their master. Else forms could not have been deemed so vital, creeds so necessary, popes and priests could not have pardoned, bishops could not have excommunicated, men would not have been burned or stoned for teaching their children the Lord’s prayer in the English tongue, nor been denounced as atheist or infidel for saying that they believed and worshipped, not on the authority of priests or councils, not from fear or interest, but because the truths of religion they knew and felt, and they could not stop the pulse that beats in every soul. Those called the church, perhaps, have never fully adopted the popular philosophy. In its extent it could not be reconciled with

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zu leben, ohne welches, wie Christus sagte, kein Mensch zu leben vermag. Das Christentum kann nicht zusammen mit Sensualismus, Materialismus existieren. Diese verleugnen die Existenz jener himmlischen Empfindungen und heiligen Bestrebungen, auf welchen es allein beruht. Sie richten sich alle über den Geist an den Körper, aber das ist die Religion des Herzens. Das Christentum ist auf das Leben angewandte Geistigkeit; die Kultivierung des göttlichen Teils des Menschen; das Streben nach Tugend, Wahrheit, Schönheit, Ergebenheit gegenüber dem Recht, Einhaltung der Pflicht, nicht aus Lust, gegenwärtigem oder zukünftigem Interesse oder Gewohnheit oder Angst, sondern weil es die Stimme der Natur ist, der man folgen muss, wofür kein überzeugenderer Grund angeführt werden kann, als dass es recht ist und Gott es unseren Augen wohlgefällig gemacht hat. Man kann sodann fragen, ob die Religion vor dem Aufstieg dieser geistigen Philosophie jahrhundertelang tot war. Die Antwort lässt sich nicht leicht geben. Sofern sie abgelehnt wurde, wurde das Christentum abgelehnt. Und bezüglich derer, von denen die Welt üblicherweise beurteilt wird, trifft diese Aussage, so traurig das ist, zu. Sie scheinen ihren Lehrmeister verleugnet zu haben. Andernfalls hätten Förmlichkeiten nicht für so wichtig, Glaubensbekenntnisse für so nötig erachtet werden können, hätten Päpste und Priester nicht vergeben können, Bischöfe nicht exkommunizieren, Menschen nicht dafür verbrannt oder gesteinigt werden können, dass sie ihren Kindern das Vaterunser in der englischen Sprache beibrachten, noch dafür als atheistisch oder ungläubig gebrandmarkt werden können, dass sie sagten, sie würden glauben und beten, nicht wegen der Autorität von Priestern oder Konzilen, nicht aus Angst oder Interesse, sondern wegen der Wahrheiten der Religion, die sie kannten und empfanden, und dass sie den Puls nicht zu hemmen vermochten, der in jeder Seele schlägt. Jene, die man die Kirche nennt, haben die volkstümliche Philosophie wohl niemals völlig gebilligt. In ihrer Gesamtheit

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religion. One was of earth, the other of heaven. Yet | even they have drunk enough of the poisoned pool to cause sickness and death. The evils in the church with which the reformers waged war, sprung from the sensua1 philosophy, and the greatest errors found in the religious systems of this day are those which have been born of the same earthy, sordid, bestial ideas. If it had not been that the religious element in man is a spring that is never dry, christianity might now exist only as the ghost of the church. But let philosophers argue as they will, and prove that there is no right, no God; let governments and society be organized as they may; let divines appeal to our interest instead of our conscience, and sacrifice religion and reason on the altar of flesh and sense, – the great mass of mankind are still governed by the principles of common sense, the inherent knowledge of truth, the natural love of right, the instinctive sense and love of God. Their minds and hearts are their own. They feel within them a power to withstand the influence of things that are false. These facts may serve to account for the common remark that there are more skeptics within the church than without it, and that men have been made infidels by the arguments of christian disciples. They are skeptics only in | relation to the philosophy and morality advocated by men calling themselves christians. They disbelieve the arguments by which christianity is sustained, because they are convinced of the reality of actual religion. They know the truth of their religious nature. Revealed religion is doubted only when men seek to make it something hostile to natural religion; whereas it is only its supplement. And herein they

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konnte sie nicht mit der Religion versöhnt werden. Die eine richtete sich auf irdische, die andere auf himmlische Dinge. Doch sogar sie haben ausreichend aus dem giftigen Tümpel getrunken, um Krankheit und Tod zu verursachen. Die Missstände der Kirche, gegen die die Reformatoren ihren Krieg führten, entsprangen aus der sensualistischen Philosophie und die größten Irrtümer, die sich in den religiösen Systemen von heute finden, sind jene, welche denselben irdischen, erbärmlichen, tierischen Anschauungen entstammen. Wäre nicht das religiöse Element im Menschen eine nie versiegende Quelle gewesen, so wäre es möglich, dass das Christentum heute nur als das Gespenst der Kirche existierte. Doch lasst die Philosophen streiten, wie sie wollen, und beweisen, dass es kein Recht, keinen Gott gibt; lasst die Regierungen und die Gesellschaft eingerichtet sein, wie sie wollen; lasst die Geistlichen an unser Interesse statt an unser Gewissen appellieren und Religion und Vernunft auf dem Altar von Fleisch und Gefühl opfern, – die große Masse der Menschheit wird weiterhin von den Prinzipien des gesunden Menschenverstandes angeleitet werden, der angeborenen Kenntnis der Wahrheit, der natürlichen Liebe zum Recht, der instinktiven Einsicht und Liebe zu Gott. Ihre Geister und Herzen sind ihre eigenen. Sie fühlen in sich eine Kraft, dem Einfluss der Dinge zu widerstehen, die falsch sind. Diese Tatsachen mögen zur Erklärung der verbreiteten Bemerkung dienen, dass es innerhalb der Kirche mehr Skeptiker gibt als außerhalb von ihr und dass die Menschen durch die Streitereien der christlichen Jünger zu Ungläubigen gemacht wurden. Sie sind Skeptiker nur in Bezug auf diejenige Philosophie und Moral, die von Menschen vertreten werden, die sich selbst Christen nennen. Sie glauben nicht an die Beweise, die das Christentum stützen, weil sie von der Wirklichkeit des wahren Glaubens überzeugt sind. Sie kennen die Wahrheit ihrer religiösen Natur. Geoffenbarte Religion wird nur in Frage gestellt, wenn Menschen danach streben, sie zum Feind der natürlichen Religion zu machen; während sie nur ihre Ergänzung ist. Und damit haben sie recht. Es ist

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are right. It is more likely that men should be false, and records erroneous, than that God should contradict himself. There is some truth in the saying that it is among the educated men that disbelief is found. Not that ignorance is better for man, or all he can know is »nothing can be known.«20 It is not knowledge, but belief and study of falsehood that has been his bane. In truth, those for centuries, who were learned at all, have been imbued with principles which strike at the root of all faith; and are not to be reconciled with religion, natural or revealed. Their worship was but superstition. Hence arose a large class who adopted natural religion; men who perceived the errors of the former class, but took no pains to ask their origin. They rejected the mummery of juggling priests and their relics; and seeing that | what they called the revealed word could not be sustained, save by the sacrifice of human nature, they renounced it without inquiry. Those only, who, having made religion a study, have been so free from the prejudices of early education, the principles of the popular philosophy, the influences of the old theology, that they could look at the revealed word with the eye of reason and call conscience and the heart to their aid in its interpretation, they alone have been the true ­believers, though seldom counted such, and but few in number. Now the aim of the spiritual philosophy is to make all men inquirers and true believers. It is no system which may lead men astray. It rests on no arguments which can lead one to question the truth of religion. It forms no creeds, adopts no rules of faith or practice, organizes no body which shall compel men to receive

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wahrscheinlicher, dass die Menschen falsch liegen und Aufzeichnungen fehlerhaft sind, als dass Gott sich selbst widerspräche. Es liegt einige Wahrheit in dem Sprichwort, dass der Unglaube unter den gebildeten Menschen anzutreffen ist. Nicht, dass Unwissen für den Menschen besser ist oder dass alles, was er wissen kann, ist, dass »nichts gewusst werden kann«. Es ist nicht das Wissen, sondern der Glaube und das Einstudieren der Unwahrheit, die sein Verderben wurden. Tatsächlich waren jene, die überhaupt gebildet waren, jahrhundertelang von Grundsätzen durchdrungen, welche die Wurzel alles Glaubens treffen; und die nicht mit Religion, sei es natürlicher oder geoffenbarter, zu versöhnen sind. Ihr Gottesdienst war nichts als Aberglaube. Infolgedessen erwuchs eine große Gruppe, welche sich die natürliche Religion zu eigen machte; Menschen, welche die Irrtümer der früheren Gruppe erkannten, aber keine Mühe auf sich nahmen, ihren Ursprung zu hinterfragen. Sie lehnten den Mummenschanz betrügerischer Priester und Reliquien ab; und da sie erkannten, dass das, was sie das geoffenbarte Wort nannten, nicht aufrechterhalten werden konnte, es sei denn durch das Opfer der menschlichen Natur, sagten sie sich ohne weitere Prüfung davon los. Allein jene, die, da sie aus der Religion einen Gegenstand der Untersuchung gemacht hatten, so frei von den Vorurteilen der frühen Erziehung, den Grundsätzen der volkstümlichen Philosophie, den Einflüssen der alten Theologie waren, dass sie das geoffenbarte Wort mit dem Auge der Vernunft betrachten und für seine Auslegung Gewissen und Herz zur Hilfe nehmen konnten, sie allein waren die wahren Gläubigen, obwohl sie selten als solche galten und nur wenige der Zahl nach waren. Das Ziel der geistigen Philosophie ist es nun, aus allen Menschen Forscher und wahre Gläubige zu machen. Sie ist kein System, das die Menschen in die Irre führen könnte. Sie beruht auf keinen Behauptungen, die jemanden dazu verleiten können, die Wahrheit der Religion infrage zu stellen. Sie formuliert keine Glaubensbekenntnisse, führt keine Glaubens- oder Handlungsvorschriften ein, organisiert keine Körperschaft, welche die

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or reject it. The results to which it leads are identical with those of revelation. It cannot endanger religion, for it is religion. The reality of right and truth, the supremacy of conscience, the eternal obligation of duty, independent on interest, pleasure, or spiritual censures; these belong equally to this and to christianity. The completeness of our being, which is the doctrine of one, and the perfect | life, which the other enjoins, are the same. The end of each is the beauty of holiness. But it is said that these principles lead to doctrines concerning the Saviour, and rules of interpreting the scriptures which utterly destroy the christian religion as a divine revelation; or, at least, lead to views in relation to it which are adapted only to a few pure and cultivated, but which would have no more control over the mass than absolute atheism; for they need some form and must be bound by some rites and observances. Take, as examples, the humanity of the Saviour, and the rational interpretation of the scriptures. The humanity of Christ is no new doctrine, having been held by his immediate followers. It sounds more harshly when stated in this form than another, the divinity of man. No one can doubt that he spoke of man as endowed with an infallible guide in all that relates to his duty. He spoke of him as created in the image of God: he commanded him to be perfect. Let any one consider for a moment, and he will own that it is only because of circumstances, because man does not obey and cultivate the affections of bis heart, that he does not live a perfect blameless life, and not from any incapacity in the nature he is endowed with. If he | is incapable of perfection, what is the limit to

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Menschen dazu nötigen soll, sie anzunehmen oder abzulehnen. Die Ergebnisse, zu denen sie führt, sind identisch mit denen der Offenbarung. Sie kann die Religion nicht gefährden, denn sie ist Religion. Die Wirklichkeit von Recht und Wahrheit, die Herrschaft des Gewissens, die ewige Bindung der Pflicht, unabhängig von Interesse, Lust oder geistlicher Ermahnung; diese eignen ihr und dem Christentum gleichermaßen. Die Vollkommenheit unseres Daseins, welche die Lehre der einen ist, und das vollkommene Leben, welches das andere auferlegt, sind dasselbe. Das Ziel beider ist die Schönheit des Heiligen. Doch es wird behauptet, dass diese Grundsätze zu Lehrmeinungen in Bezug auf den Erlöser und zu Richtlinien für die Auslegung der Heiligen Schrift führen, welche die christliche Religion als eine göttliche Offenbarung gänzlich zerstören; oder dass sie zumindest zu Ansichten über sie führen, die nur für ­einige wenige Reine und Gebildete geeignet sind, die aber über die breite Masse nicht mehr Gewalt hätten als gänzlicher Atheismus; denn diese bedarf irgendeiner äußeren Form und muss durch irgendwelche Riten und Vorschriften gebunden sein. Nehmen wir zum Beispiel die Menschlichkeit des Erlösers und die vernünftige Auslegung der Heiligen Schrift. Die Menschlichkeit Christi ist keine neue Lehre, sie wurde von seinen unmittelbaren Anhängern behauptet. Sie klingt schroffer, wenn man sie in dieser Form ausspricht als in einer anderen, der Göttlichkeit des Menschen. Niemand kann bezweifeln, dass er vom Menschen als mit einer unfehlbaren Richtschnur in Bezug auf alles ausgestattet sprach, was seine Pflicht betrifft. Er sprach von ihm als geschaffen nach dem Ebenbild Gottes: Er gebot ihm vollkommen zu sein. Lasst irgendjemanden für einen Augenblick nachdenken und er wird zugeben, dass es nur der Umstände wegen ist, weil der Mensch nicht den Empfindungen seines Herzens gehorcht und sie ausbildet, dass er kein vollkommenes, schuldloses Leben führt, und nicht wegen eines Unvermögens seiner Natur, mit der er ausgestattet ist. Wenn er zur Vollkommenheit unfähig ist, was

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his attainments? Why is no one so good that he can be no better? Why is there always before each an idea of something higher than what he has yet gained? That it is the duty of man to live in accordance with the dictates of the inner sense, and that it is a correct guide given us by God, can hardly be denied by a Christian. Still, it is said, if it was only this human nature that he possessed, if he was the son of God in no peculiar sense, if he differed from us only in being infinitely better, was endowed with no power which we may not gain, spoke from no special inspiration, there is an end of christianity; man is thrown upon himself again, and may pass judgment on the bible without being bound to obey its commands. These conclusions so violate all that we believe, and desecrate what we have always reverenced, that few will fairly examine, and most reject at once any system from which they are said to result. But the true course of inquiry is not whether the conclusions are unsatisfactory, but whether the premises are true, and they are legitimately deduced from them. Let us then start with these assertions, God made man in his own image; Be perfect as | your Father in heaven, and the like, and take them in their natural sense, and see if they lead to conclusions so absurd as to show that we must have been in error. Now the argument is this; beings having the same natures, have the same powers. If our natures are the same with that of Christ, our powers are the same. Upon the different parts of this, the world has always been divided; and thousands have

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ist dann die Grenze seiner Errungenschaften? Warum ist niemand so gut, dass er nicht besser sein kann? Wieso schwebt jedem eine Vorstellung von etwas Höherem vor als dem, was er bereits erlangt hat? Dass es die Pflicht des Menschen ist, ein Leben in Übereinstimmung mit den Geboten der inneren Vernunft zu führen und dass uns von Gott hierzu eine verlässliche Richtschnur gegeben wurde, kann von einem Christen schwerlich verneint werden. Trotzdem wird behauptet, dass, wenn es nur diese menschliche Natur wäre, die er besäße, wenn er in keinem besonderen Sinn der Sohn Gottes wäre, wenn er sich von uns nur dadurch unterschiede, dass er unendlich viel besser wäre, mit keiner Kraft ausgestattet, die wir nicht erlangen können, er nicht unter dem Einfluss einer besonderen Eingebung spräche, dass dies das Ende des Christentums bedeutete; der Mensch wäre wieder auf sich selbst zurückgeworfen und könnte über die Bibel urteilen, ohne an ihre Gebote gebunden zu sein. Diese Schlussfolgerungen verstoßen gegen alles, woran wir glauben, und entweihen alles, was wir stets verehrten, so sehr, dass wenige ein System, von dem man behauptet, dass sie sich aus ihm ergeben, ernstlich prüfen und die meisten es sofort ablehnen. Das richtige Vorgehen jedoch liegt nicht in der Frage, ob die Schlussfolgerungen unbefriedigend sind, sondern in der, ob die Prämissen wahr sind und ob jene gerechtfertigterweise aus ihnen abgeleitet werden. Lasst uns also von diesen Annahmen ausgehen: Gott hat den Menschen nach seinem Abbild geschaffen; Sei vollkommen wie Dein himmlischer Vater, und dergleichen, und lasst sie uns in ihrem natürlichen Sinn erfassen und schauen, ob sie zu Schlüssen führen, die so unsinnig sind, dass sie zeigen, dass wir falsch ­gelegen haben müssen. Die Behauptung ist nun folgende: Lebewesen von derselben Natur sind mit denselben Vermögen ausgestattet. Falls unsere Naturen dieselben sind wie die von Christus, sind es unsere Vermögen auch. Über die verschiedenen Teilaspekte hiervon war die Welt stets gespalten; und Tausende haben ihr Leben bei der Ver-

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laid down life in defence of one or the other of these propositions. The fallacy seems to be in the word same. In the first proposition it is used generally as implying identity or likeness in all particulars; in the next, it must be received in a limited sense, – of like kind and attributes, not the same in degree. But perhaps this difference in the degree of development will account for all. Every one who reveals to us a new truth, speaks with the voice of authority: we bow before one who points out our faults, and is better than we are; we acknowledge the inspiration of one who advocates what is right and true; we feel our own when we loathe and detest what is base and impure. What shall we say, then, of one who was infinitely our superior? whom God saw fit to make perfect, that man might see of what he was capable? There is no log | ical inconsistency in acknowledging the authority and superior power of one who had a nature similar to our own. But there is an absurdity in calling on us to imitate one of a different nature. It is urged that this annihilates the argument from the evidence of miracles. But, assuming that Christianity rests upon the authority of miracles, it has not been shown that the power of working them is not the result of human perfection. We count nothing miraculous that is done by common men. But were we all in a state of ignorance, and should one come among us, such as we now consider a mere common man, the wonders he would work merely from his knowledge of astronomy, the sciences, arts, mechanics, would seem to us only to be ascribed to miraculous power. And if to this be added the character of a teacher of the present religious principles, we should do homage to him as a

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teidigung der einen oder der anderen dieser Behauptungen gelassen. Der Irrtum scheint in dem Wort ›dieselben‹ zu bestehen. In der ersten Behauptung wird es in der Regel gebraucht, um Identität oder Ähnlichkeit in allen Einzelheiten zu unterstellen; in der zweiten muss es in einem eingeschränkten Sinn verstanden werden, – von ähnlicher Art und ähnlichen Eigenschaften, nicht dieselben dem Grad nach. Aber möglicherweise erklärt dieser Unterschied im Grad der Entwicklung alles. Jeder, der uns eine neue Wahrheit offenbart, spricht mit der Stimme der Autorität: Wir verneigen uns vor jemandem, der unsere Fehler aufzeigt und der besser ist, als wir es sind; wir erkennen die Inspiration von jemandem an, der vertritt, was recht und wahr ist; wir spüren unsere eigene, wenn wir hassen und verabscheuen, was niedrig und unrein ist. Was sollen wir also von einem sagen, der unendlich mal besser ist als wir? den Gott für geeignet ansah, ihn vollkommen zu machen, damit der Mensch sehen mochte, wessen er fähig war? Es ist kein logischer Widerspruch, die Autorität und überlegene Fähigkeit von jemandem anzuerkennen, der eine Natur besaß, die der unseren ähnlich ist. Eine Unsinnigkeit aber ist es, uns aufzurufen, jemandem nachzueifern, der von einer anderen Natur ist. Es wird angemahnt, dass dies den Streit über die Beweise für die Wunder aufhebt. Doch angenommen, dass das Christentum auf der Macht der Wunder beruht, so ist nicht bewiesen, dass die Fähigkeit, sie zu bewirken, nicht das Ergebnis menschlicher Vollkommenheit ist. Wir betrachten nichts, was von gewöhnlichen Menschen verrichtet wird, als wunderbar. Befänden wir uns aber alle in einem Zustand der Unwissenheit und sollte ein solcher unter uns kommen, wie wir ihn jetzt als einen bloßen gewöhnlichen Menschen betrachten, so würden wir die Wunder, die er lediglich durch seine Kenntnis der Astronomie, der Wissenschaften, Künste, Mechanik bewirkt, nur einer übernatürlichen Kraft zuschreiben können. Und wenn man dazu den Charakter eines Lehrers der gegenwärtigen religiösen Grundsätze hinzufügt, so

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­ ivinity. Such, we know, has been the course of the world hithd erto. Now Christ had all the knowledge that man can possess. Consequently, his works must always, to all men, so long as they remain imperfect, appear miraculous; though in themselves they were no violations of God’s laws, but the result of his knowledge and perfect observance of those laws. | This is the only view which gives to his life any significance. If it were the result of different powers, it can be no example to us. He can be no pattern to regulate the conduct of moral beings who was incapable of sin. If he was not human, then was there no merit in that which most claims our admiration; and the life, which we are accustomed to regard as a holy copy for our imitation, was but a deception. He was never tempted, never prayed, never suffered, bore no cross; his resurrection is no proof of our immortality. If, on the other hand, his nature was like ours, all is plain, and there is no room for doubt or distrust. This idea of his humanity does not deny the special interposition of God in miracles, and does not deny the divine authority of the Saviour. It attributes to every one the like kind of inspiration, though incomplete. There is in each the power of seeing the truth; all actual love for it, which, as it is in us, is common sense, conscience, the moral sense, the religious, spiritual part of our nature, to which in its completeness we give the name inspiration. In speaking of all men, then, as in a certain sense inspired, we do not say that they are on an equality with the Saviour, or that he has no authority over them. But only this; that it is | because they are inspired that they can understand him. You cannot talk of colors to a blind man, or reason with one who is insane; nor

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würden wir ihn als eine Gottheit verehren. Solches ist, wie wir wissen, bisher der Gang der Welt gewesen. Christus nun besaß alles Wissen, das der Mensch haben kann. Folglich müssen seine Werke stets allen Menschen, solange sie unvollkommen bleiben, wunderbar erscheinen; obwohl sie an sich keine Verletzung der Gesetze Gottes darstellten, sondern das Ergebnis seines Wissens und vollkommener Einhaltung jener Gesetze waren. Dies ist die einzige Betrachtungsweise, die seinem Leben irgendeine Bedeutung gibt. Wenn es das Ergebnis verschiedener Fähigkeiten war, kann es für uns kein Vorbild sein. Er, der der Sünde unfähig war, kann keine Vorlage für das Verhalten moralischer Wesen sein. Wenn er nicht menschlich war, dann läge kein Verdienst in dem, was unsere größte Bewunderung hervorruft; und das Leben, das wir als ein heiliges Vorbild zu unserer Nachahmung zu betrachten gewohnt sind, wäre nichts als eine Täuschung. Er geriet niemals in Versuchung, betete nie, litt nie, trug kein Kreuz; seine Wiederauferstehung ist kein Beweis für unsere Unsterblichkeit. Wenn andererseits seine Natur der unseren gleich war, ist alles klar und es gibt keinen Raum für Zweifel oder Misstrauen. Diese Ansicht über seine Menschlichkeit leugnet nicht die besondere Fügung Gottes in Wundern und bestreitet nicht die göttliche Gewalt des Erlösers. Sie schreibt jedem dieselbe Art der Inspiration zu, wenn auch in unvollkommener Weise. Es ist in jedem ein Vermögen vorhanden, die Wahrheit zu erkennen; alle wirkliche Liebe zu ihr, die, wie sie in uns ist, der gesunde Menschenverstand, das Gewissen, der moralische Sinn, der religiöse, geistige Teil unseres Wesens ist, dem wir in seiner Vollkommenheit die Bezeichnung Inspiration verleihen. Indem wir also allen Menschen Inspiriertheit in einem gewissen Sinn zusprechen, behaupten wir nicht ihre Gleichheit mit dem Erlöser oder dass er keine Macht über sie besitzt. Sondern nur dies; dass sie ihn verstehen können, weil sie inspiriert sind. Man kann einem Blinden nichts über Farben erzählen oder mit jemandem diskutieren, der wahnsinnig ist; noch kann man mit jemandem, der keine Inspiration besitzt, über Wahrheit, Schön-

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can you speak of truth, beauty, virtue, or appeal to one as a religious being, who has no inspiration. The dangers of this doctrine seem altogether imaginary. It can lead no one to question the truth of religion; at most only inducing a new ground of belief. It makes religion more a matter of the heart than the head, of motives than works, of feeling than reasoning, of duty than interest, of faith than of evidence. Practically, its tendencies are infinitely nobler and higher. Teaching that man has the inborn knowledge of what is right, true and beautiful, a natural love for them; its motto is duty, its path rectitude, its aim perfection. It never suffers man to be content with what he is, saying always that he may be better than he is, bidding him to do his duty and trust in his God. No evil can come of this. The only objection is, that this seeks to introduce a standard too high, a morality too exact, a philosophy too spiritual, a religion too exalted for the world as it is. Alas! for the reason, the world is too bad to be made better; too dead to be raised; too sinful to be saved. But it is | not so. The objection is specious. The world cannot receive this system as it is; it will grow better by receiving it. There is no danger, no mystery to man. The trouble is to do the work. If there is danger in calling on men to be better, from better motives, it is to things not founded in truth. 2. The rational interpretation. – Many confound Transcendentalism with what may be denoted rationalism. The former owns the authority of revelation because of our intuitive perception

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heit, Tugend sprechen oder sich an ihn als ein religiöses Wesen richten. Die Gefahren dieser Lehre erscheinen sämtlich als eingebildet. Sie vermag niemanden dazu zu verleiten, die Wahrheit der Religion infrage zu stellen; höchstens dazu, eine neue Grundlage für den Glauben zu schaffen. Sie macht aus der Religion mehr eine Sache des Herzens als eine des Kopfes, von Motiven anstatt von Werken, des Gefühls anstatt des Verstandes, der Pflicht anstatt des Interesses, des Glaubens anstelle von Beweisen. Praktisch sind ihre Absichten unendlich viel edler und höher. Zu lehren, dass der Mensch ein angeborenes Wissen darüber besitzt, was richtig, wahr und schön ist, eine natürliche Liebe dazu; ihr Motto ist Pflicht, ihr Pfad Rechtschaffenheit, ihr Ziel Vollkommenheit. Sie duldet niemals, dass der Mensch damit zufrieden ist, was er ist, sondern behauptet stets, dass er besser sein könnte, als er ist, gebietet ihm, seine Pflicht zu tun und auf seinen Gott zu vertrauen. Kein Übel kann hieraus entstehen. Der einzige Einwand besteht darin, dass damit ein Maßstab eingeführt wird, der zu hoch, eine Sittlichkeit, die zu streng, eine Philosophie, die zu geistig, eine Religion, die zu erhaben für die vorhandene Welt ist. Ach! für den Verstand ist die Welt zu schlecht, um gebessert zu werden; zu verloren, um aufgerichtet zu werden; zu sündhaft, um gerettet zu werden. Doch so verhält es sich nicht. Der Einwand ist fadenscheinig. Die Welt kann so, wie sie ist, dieses System nicht annehmen; sie wird besser werden, indem sie es annimmt. Hier besteht keine Gefahr, ist kein Geheimnis für den Menschen. Die Herausforderung liegt darin, das Werk zu verrichten. Wenn es eine Gefahr darstellt, den Menschen dazu aufzurufen, sich zu bessern, durch bessere Motive, dann für die Dinge, die ihren Grund nicht in der Wahrheit besitzen. 2. Die verstandesgemäße Auslegung. – Viele verwechseln den Transzendentalismus mit dem, was man als Rationalismus bezeichnen könnte. Dem Ersteren ist aufgrund unserer intuitiven Erkenntnis der Wahrheit die Gewalt der Offenbarung eigen. Der

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of its truth. The latter says, that the Bible is to be taken like any other book, written by and for reasonable beings, and to be rejected or received according as it approves itself to our understanding. The distinction is obvious. That the sacred writings are to receive a rational interpretation none would deny; but few would admit that we are to exercise the same rational interpretation in relation to this which we apply to other works. All feel that this is no common book. None view it as they would another. It is an inspired book. To some, completely, infallibly so; so that to doubt a word is as bad as to deny the whole; accounts must be believed, though science and history show they are not correct; nay, state | ments directly conflicting with each other must be received. Others only regard the New Testament as infallible in religious matters, and receive the Old only as the most ancient of histories, inestimable as a narrative of the olden times, and illustrative or the New, but of no intrinsic authority. But they will not attempt to account for the contradictions and inconsistencies in this. They either say they will not question; they take things as they are; there are figurative expressions; differences on minor points, proofs, rather, of the authenticity of the whole; perhaps, interpolations. One class only is consistent in its action, those who maintain the plenary and infallible inspiration of the whole, and all connected with it. But this is catholicism, most bigoted. Once leave this, and we cannot stop till we apply to this the rules of construction, which address themselves to the common understanding. It can never be understood and vindicated, till tested by the universal principles of evidence. It cannot be read as one work. The inquiries are to

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Letztere behauptet, dass die Bibel wie jedes andere Buch zu behandeln ist, geschrieben von und für vernünftige Wesen, und zu bestreiten oder zu akzeptieren ist, soweit sie mit unserem Verstand zu vereinbaren ist. Der Unterschied ist offensichtlich. Dass die Heiligen Schriften einer verstandesmäßigen Aus­ legung bedürfen, wird niemand bezweifeln; aber wenige würden zugestehen, dass wir in Bezug auf sie dieselbe verstandesmäßige Auslegung vornehmen müssen, die wir auf andere Werke anwenden. Jeder spürt, dass sie kein gewöhnliches Buch sind. Niemand betrachtet sie, wie er ein anderes Buch betrachten würde. Sie ist ein inspiriertes Buch. Für manche daher gänzlich unfehlbar; so dass ein Wort zu bezweifeln so schlimm ist, wie das Ganze zu bestreiten; Erzählungen müssen geglaubt werden, obwohl Wissenschaft und Geschichte zeigen, dass sie nicht stimmen; ja, sogar Aussagen, die in direktem Widerspruch zueinander stehen, müssen akzeptiert werden. Andere betrachten das Neue Testament nur in religiösen Fragen als unfehlbar und erkennen das Alte lediglich als die älteste aller Geschichten an, unschätzbar wertvoll als Schilderung der alten Zeiten und als das Neue veranschaulichend, aber ohne wesentliche Autorität. Doch sie werden keinen Versuch unternehmen, die Widersprüche und Uneinheitlichkeiten darin zu erklären. Sie behaupten entweder, dass sie nicht hinterfragen; sie nehmen die Dinge, wie sie sind; es gibt bildliche Ausdrücke; Abweichungen in kleineren Punkten, die eher Beweise für die Echtheit des Ganzen seien; möglicherweise Inter­pola­tio­nen. Nur eine Gruppe ist konsequent in ihrem Handeln, jene, welche auf der wörtlichen und unfehlbaren Inspiration des Ganzen beharrt und von allem, was damit zusammenhängt. Das aber ist, und zwar in höchstem Maß bigotter, Katholizismus. Sehen wir davon einstweilen ab, so können wir nicht Halt machen, bis wir darauf die Gesetze der Auslegung anwenden, die sich an den gemeinen Verstand richten. Sie lässt sich niemals verstehen und rechtfertigen, bis sie von den universellen Grundsätzen des wissenschaftlichen Beweises auf die Probe gestellt wurde. Sie kann nicht als ein einziges Werk gelesen werden. Die Unter-

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be made of each book, When was it written; where; by whom; for what end; what does it purport to be. An answer to these questions would quiet many. To these questions different answers must be given. All, then, cannot be the word | of God, written for all times and all men. If the whole is presented to one as the infallible word of God, the whole must be rejected. But all can be reconciled All is clear enough if we say that each book is to be received and read according to what it pretends to be, and the circumstances under which it was written. Present the book to any one in this light, and he can have no ground to say it is false. But say, it is more than this, and you give reason for the rejection of all, by claiming more than you can maintain. This is the only view in which the scriptures can safely be presented to any one. This is the only view in which apparent inconsistencies will not lead to disbelief. But under this we should be led to expect to find them, and should thereby be led to question the authenticity of the whole no more than we should doubt the early history of New England because Cotton Mather21 and the rest believed in witchcraft, or doubt there was such a person as Washington, because historians differ in some circumstances and views of his character. Let the bible be presented to ten men of mature minds, cultivated and learned, but who had never examined it, as the infallible word of God, to claim their implicit belief, and they would not finish the first chapter before they | would say, »It cannot be.« But give it to them as a record containing the lives of the best men, the thoughts of inspired ones, the devotion of holy

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suchungen müssen für jedes Buch durchgeführt werden, Wann wurde es geschrieben; wo; von wem; zu welchem Zweck; was gibt es vor zu sein. Eine Antwort auf diese Fragen würde viele zum Schweigen bringen. Auf diese Fragen müssen verschiedene Antworten gegeben werden. Alles kann daher nicht das Wort Gottes sein, festgeschrieben für alle Zeiten und alle Menschen. Wenn das Ganze jemandem als das unfehlbare Wort Gottes vorgelegt wird, muss das Ganze zurückgewiesen werden. Aber alles kann in Einklang gebracht werden. Alles wird ausreichend klar, wenn wir feststellen, dass jedes Buch entsprechend dem aufgenommen und gelesen werden muss, was es zu sein vorgibt, und entsprechend den Umständen, unter denen es geschrieben wurde. Stelle jemandem das Buch in diesem Licht dar und er wird keinen Grund haben zu behaupten, es sei falsch. Behaupte aber, es sei mehr als das, und Du gibst Grund zur Ablehnung des Ganzen, indem Du mehr behauptest, als Du einlösen kannst. Dies ist die einzige Betrachtungsweise, unter der die Schriften jemand anderem sicher vorgestellt werden können. Dies ist die einzige Betrachtungsweise, unter der offenkundige Widersprüche nicht zum Abfall vom Glauben führen. Durch sie jedoch sollen wir der Erwartung entgegengeführt werden, jene zu entdecken, und sollen durch sie dahin gebracht werden, die Echtheit des Ganzen nicht mehr in Frage zu stellen, als wir die frühe Geschichte Neuenglands bezweifeln, weil Cotton Mather und der Rest an Hexerei glaubten, oder daran zweifeln, dass eine Person wie Washington existiert hat, weil Historiker in Bezug auf manche Umstände und Auffassungen über seinen Charakter verschiedener Ansicht sind. Legt die Bibel zehn Menschen reifen Gemüts als das unfehlbare Wort Gottes vor, kultivierten und gelehrten, die sie aber niemals in Augenschein genommen haben, um Anspruch auf ihren bedingungslosen Glauben zu erheben, und sie würden das erste Kapitel nicht fertig gelesen haben, bevor sie sagten: »Das kann nicht sein.« Legt sie ihnen aber als eine Aufzeichnung vor, welche die Lebensbeschreibungen der hervorragendsten Menschen enthält, die Gedanken Erleuchteter, die Hingabe von Hei-

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ones, e­ xamples which all should imitate, the surest guide and best comforter for life, the strongest confirmation of our hopes in death, and all would read and study and not tire, and own »It is this and infinitely more.« These hints may serve to show what influence this doctrine is to have on the popular faith. Religion is to cease to be an outward form, the observance of the sabbath, attendance on church, support of the clergy, the admission of the Bible and the Saviour, the assent of the will. It is to be a personal matter of each man, which each must do for himself; not mere uprightness of conduct, but positive, actual devotion of the spirit and the heart, the strong desire, the earnest endeavor, the hearty will to do what is right and true; not the negative morality of refraining from actual sin, but the positive virtue of acting in obedience to the dictates of Christian love; not doing good because it is better for us, but pursuing virtue for virtue’s sake; the religion of the spirit, not that of the body; in the beautiful language of one, whose life proves that its doctrines can be carried into the daily walks of life, that religion | »whose substance is love to God, whose form is love to man, whose temple is the pure heart, whose sacrifice is a divine life.«22 There can be no danger from the spread of such principles; though men may mistake the means of doing so holy a work. |

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ligen, Vorbilder, denen alle nacheifern sollen, der sicherste Führer und beste Trost für das Leben, die stärkste Bekräftigung unserer Hoffnungen im Tod, und alle würden lesen und studieren und dessen nicht müde werden und zugeben: »Sie ist dies und unendlich viel mehr.« Diese Andeutungen mögen erkennen lassen, welche Wirkung diese Lehre auf den allgemeinen Glauben haben wird. Die Religion wird aufhören, eine äußerliche Manier zu sein, die Einhaltung des Sabbats, der Besuch der Kirche, der Unterhalt des Klerus, die Anerkennung der Bibel und des Erlösers, die Zustimmung des Willens. Sie muss für jeden Menschen eine persönliche Angelegenheit sein, um die sich jeder selbst kümmern muss; nicht bloße Aufrichtigkeit im Verhalten, sondern entschiedene, wirkliche Hingabe des Geistes und des Herzens, das kräftige Verlangen, das ernsthafte Bemühen, der innige Wille zu tun, was recht und wahr ist; nicht die negative Moral des Unterlassens aktiver Sünde, sondern die positive Tugend des Handelns im Gehorsam gegenüber den Geboten der christlichen Liebe; nicht gut zu handeln, weil es besser für uns ist, sondern nach Tugend um der Tugend willen zu streben; die Religion des Geistes, nicht die des Körpers; in der schönen Sprache von jemandem, dessen Leben beweist, dass die Lehren auf die alltäglichen Bereiche des Lebens übertragen werden können, jene Religion, »deren Inhalt die Liebe zu Gott, deren Form die Liebe zum Menschen ist, deren Tempel das reine Herz, deren Opfer ein göttliches Leben ist.« Aus der Verbreitung solcher Grundsätze kann keine Gefahr entstehen; obwohl die Menschen sich hinsichtlich der Mittel, solch ein heiliges Werk zu verrichten, irren mögen.

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»Things right, but not expedient.« |

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he character of a people is said to be determined by its religion. And the character of its religion and its influence will be found ultimately to depend on the answer which it gives to the question, »Why ought I to do right?« Let us see, then, in what the rules of duty set forth in this system differ from others, and whether it recognises any independent on individual inclination. It is not proposed here to attempt to examine into the various theories which have been advanced as the foundation of the law by which we are bound as accountable beings. No one could enumerate the codes of ethics which have flourished for a time and then died, leaving to the world nothing beside the evils attendant on a false philosophy, but a hollow form, a worthless volume, or an empty name. All may be resolved into these: | 1. Right and justice are to be observed by man, because this will promote his happiness. 2. They are to be obeyed, because it is the law. Now, if the low standard, which is fixed by the first rule, for human excellence, and the ruinous consequences which are its ­legitimate results, and to which it has always led where it has been practically adopted, were not sufficient to prove its falsity, there are other considerations which clearly show its absurdity.

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»Rechte Dinge, doch keine nützlichen.«

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er Charakter eines Volkes, sagt man, wird durch seine Religion bestimmt. Und der Charakter seiner Religion und ihres Einflusses hängt letztlich von der Antwort ab, die sie auf die Frage gibt: »Warum soll ich das Richtige tun?« Lasst uns also betrachten, worin sich die in diesem System dargelegten Vorschriften der Pflicht von anderen unterscheiden und ob es eine von der individuellen Neigung unabhängige anerkennt. Es wird hier nicht beabsichtigt, die verschiedenen Theorien zu erörtern, die als Grundlage unseres Rechts, an das wir als verantwortliche Wesen gebunden sind, vorgebracht worden sind. Niemand könnte all die Ethiken aufzählen, die eine Zeitlang florierten und dann ausstarben, der Welt nichts hinterlassend ­außer den auf einer falschen Philosophie beruhenden Übeln, ­außer ­einer hohlen Form, einem wertlosen Buch oder einem leeren Begriff. Sie lassen sich alle in die beiden folgenden Vorschriften zerlegen: 1. Recht und Gerechtigkeit sind vom Menschen zu achten, weil dies sein Glück befördert. 2. Man muss ihnen gehorchen, weil es das Gesetz ist. Wenn nun der niedrige Maßstab, den die erste Vorschrift für die menschliche Vortrefflichkeit ansetzt, und die verderblichen Konsequenzen, die seine folgerichtigen Resultate sind und zu denen er, wo immer er praktische Anwendung erfuhr, stets führte, nicht ausreichten, um seine Falschheit zu beweisen, so gibt es andere Erwägungen, die seine Absurdität deutlich vor Augen ­f ühren.

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It is impossible to say what happiness is, to render this rule uniform. Is it the gratification of the bodily appetites, mere animal enjoyment; or that which we derive as rational beings, the enjoyment derived from a belief that we have contributed to the common good and the approbation of men? Is it limited to this world, or does it look to the next? Things would be right or wrong, as you adopt one or the other of these definitions. Thus right and wrong would depend on man’s idea of happiness. Nor can it he shown that, by adherence to virtue, this happiness, whatever you choose to call it, will be insured. All the arguments amount only to a balance of interests, a choice of gratifications, a calculation of probabilities. But the requisite of a rule of duty is that it | should be certain, known, and fixed. It is not enough to say, the gain of lying or theft is nothing compared with the evils they cause to society, and ultimately to ourselves, the pains of conscience, or the curse of evil habits; or to argue from the analogy of providence that if they are not punished in this world, they will be in another; therefore, we ought not to lie or steal. Duty must be certain, independent on interest. If it were determined by interest, then, to know our duty, we must be able to decide what was most for our interest. Now, apart from any other rule, there is no one who could pretend to do this. The idea of duty comes before, and without any consideration of interest. At most, this would only show, could it prove all that it pretends, that if man acted prudently he would do right. If you point to his interests, he may say he will not regard them. If self

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Es ist unmöglich festzustellen, was Glück ist, diese Vorschrift zu vereinheitlichen. Ist es die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse, bloßer animalischer Genuss; oder das, was uns als vernünftigen Wesen zukommt, der Genuss, die aus dem Glauben entspringt, dass wir zum Gemeinwohl beigetragen haben, und der Beifall der Menschen? Ist es auf diese Welt beschränkt oder blickt es auf die nächste? Die Dinge wären richtig oder falsch, je nachdem, ob man sich die eine oder andere dieser Bestimmungen zu eigen macht. Folglich würden richtig oder falsch von der Ansicht des Menschen über das Glück abhängen. Ebenso wenig kann gezeigt werden, dass, durch Wahrung der Tugend, dieses Glück, wie immer man es nennen will, gesichert wird. Alle die Beweise laufen bloß auf einen Ausgleich der Interessen hinaus, eine Wahl von Befriedigungen, eine Abwägung der Möglichkeiten. Aber Voraussetzung für ein Gebot der Pflicht ist, dass es gewiss, bekannt und unveränderlich ist. Es genügt nicht zu behaupten, dass der Vorteil von Lüge und Diebstahl nichts ist im Vergleich zu den Übeln, die sie der Gesellschaft und letztlich uns selbst verursachen, den Gewissensbissen oder dem Fluch schlechter Angewohnheiten; oder mit dem Vergleich der Vor­ sehung zu argumentieren, dass, wenn sie nicht in dieser Welt bestraft werden, es in einer anderen geschieht; wir deswegen nicht lügen oder stehlen dürfen. Die Pflicht muss unzweifelhaft sein, unabhängig vom Interesse. Wenn sie vom Interesse abhinge, dann müssten wir, um unsere Pflicht zu kennen, in der Lage sein zu entscheiden, was am ehesten in unserem Interesse liegt. Nun gibt es jedoch, von jeder sonstigen Vorschrift abgesehen, keinen, der für sich in Anspruch nehmen dürfte, dazu in der Lage zu sein. Der Begriff der Pflicht steht vor und außerhalb jeder Abwägung des Interesses. Dieses würde, könnte es alles, was es vorgibt, beweisen, höchstens zeigen, dass der Mensch, wenn er klug handelte, das Richtige täte. Wenn man ihn auf seine Interessen hinwiese, könnte er behaupten, dass er ihnen keine Beachtung schenkt. Sofern es nur das eigene Selbst betrifft, könnte er sich entscheiden, der Neigung zu folgen. Das

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alone is concerned, he may choose to follow inclination. Now this is the same as to say there is no duty, no moral obligation. The second class differs from this only in appealing to the scriptures as an additional aid to discover what is duty. In principle it is the same. Its influence is equally debasing. Its results are equally pernicious. Paley23, its great | master, states its doctrines in their most plausible form. Duty is obedience to the law of God. This law is a prescribed rule, enforced by rewards and punishments. In order, then, to inquire whether we ought to do any action or not, we are first to inquire whether we shall be rewarded or punished for it. That is right, which is expedient. Duty is interest. Thus, he says, we may tell an untruth to a madman because no evil comes of it, but rather good. It is expedient. The true reason is, that you do not break the moral law; you tell no lie; and this you know whether it is expedient or not. This, too, is a system based on the desire to gain happiness; no higher, no better than the other, but the same, and received only because it assumes to be based on the Scriptures. But the arguments drawn from the Bible in its support are specious only. The righteous will be rewarded and the wicked punished. Admit it to be so; it does not follow that they are righteous or wicked because they are rewarded or punished; that there is no right without reward, no justice without expediency. Where the Bible speaks of rewards, it is not as conditions, but covenants. We shall have a reward for the good, but we cannot reject it and pay the forfeit. We are bound to it at all events. | So we find man is appealed to as a moral being, not as a selfish one. The Scriptures are addressed to him as possessed of an in-

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ist aber dasselbe, als wenn man behauptete, dass es keine Pflicht gibt, keine moralische Verpflichtung. Die zweite Kategorie unterscheidet sich von dieser nur d ­ arin, dass sie sich auf die Heilige Schrift als auf eine zusätzliche Hilfe zur Auffindung dessen beruft, was Pflicht ist. Dem Prinzip nach ist sie dasselbe. Ihre Wirkung ist gleichermaßen verderblich. Ihre Folgen sind gleichermaßen gefährlich. Paley, ihr Großmeister, legt ihre Lehrsätze in ihrer eingängigsten Form dar. Pflicht ist Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes. Dieses Gesetz ist vorgeschriebene Regel, durchgesetzt mittels Belohnungen und Strafen. Um also herauszufinden, ob man eine Handlung ausführen soll oder nicht, muss man zuerst herausfinden, ob man dafür belohnt oder bestraft werden wird. Richtig ist, was nützlich ist. Pflicht ist Interesse. Darum, sagt er, können wir ­einem Wahnsinnigen eine Unwahrheit erzählen, weil daraus nicht Schlechtes folgt, sondern vielmehr Gutes. Es ist zweckdienlich. Die wahre Vernunft liegt darin, dass man das moralische Gesetz nicht bricht; man erzählt keine Lüge; und das weiß man, ob es nützlich ist oder nicht. Dieses ist ebenfalls ein System, das auf dem Verlangen nach Glück beruht; nicht hochstehender, nicht besser als das andere, sondern dasselbe und nur deswegen akzeptiert, weil es sich anmaßt, auf der Heiligen Schrift zu gründen. Doch die zu seiner Stützung aus der Bibel entnommenen Argumente sind bloß fadenscheinig. Die Gerechten werden belohnt und die Frevler bestraft. Gestehen wir zu, dass es so ist; es folgt daraus nicht, dass sie gerecht oder frevlerisch sind, weil sie belohnt oder bestraft werden; dass es kein Recht ohne Belohnung gibt, keine Gerechtigkeit ohne Nutzen. Wenn die Bibel von Belohnungen spricht, so nicht im Sinn von Bedingungen, sondern von Zusicherungen. Wir werden für das Gute belohnt werden, aber wir können es nicht ablehnen und die Vertragsstrafe entrichten. Wir sind in ­a llen Fällen daran gebunden. Auf diese Weise sehen wir, dass man sich auf den Menschen als ein moralisches Wesen beruft, nicht als ein eigennütziges.

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stinctive and intuitive knowledge of what is right and true, and a love for it for its own sake. It is a spiritual system, not a sensual one. Right is that which the voice within approves, wrong what it condemns. Education cannot eradicate this moral sense without depriving one of an attribute of humanity. A dog may not take meat for fear of being whipped: but man is appealed to not as judging what is most for his interest, but as knowing what his duty is. This philosophy shows the falsity of these old systems, by proving the reality of spiritual existences, what is right, true, just, beautiful, independently of interest, appetite, expediency, or association. We are to love truth because it is truth, do right ­because it is right. It would be strange, indeed, if man were always to act from the lowest and least worthy motives. Strange if God had implanted in the breast the highest affections without an end. Strange if God has given to man no guide in relation to his most important interests, but left him to reason out his duty under the law by arguments which must often lead to its violation. It cannot be so. There are certain things which | could not be justified to us by any arguments of expediency. The principles of right are as eternal as those of truth. Man knows them from his nature, because he is man. They need no proof. |

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Die Heilige Schrift richtet sich an ihn als im Besitz eines in­stink­ tiven und intuitiven Wissens darüber, was recht und wahr ist, und einer Liebe dazu um seiner selbst willen. Es ist ein geistiges System, kein sensualistisches. Richtig ist das, was die Stimme in uns gutheißt, falsch, was sie missbilligt. Diesen moralischen Sinn kann die Erziehung in jemandem nicht ausrotten, ohne ihn ­einer Eigenschaft des Menschlichen zu berauben. Ein Hund mag, aus Angst ausgepeitscht zu werden, kein Fleisch anrühren: Der Mensch aber ist nicht aufgerufen, danach zu urteilen, was am meisten seinem Interesse entspricht, sondern zu wissen, was seine Pflicht ist. Diese Philosophie offenbart die Falschheit jener alten Systeme, indem sie die Wirklichkeit geistiger Daseinsformen beweist, dessen, was richtig ist, wahr, gerecht, schön, unabhängig von Interesse, Bedürfnis, Nützlichkeit oder Assoziation. Wir müssen die Wahrheit lieben, weil es die Wahrheit ist, recht handeln, weil es recht ist. Es wäre in der Tat merkwürdig, wenn der Mensch stets aus den niedrigsten und wertlosesten Motiven handeln sollte. Merkwürdig, wenn Gott ihm die höchsten Empfindungen ohne Zweck ins Herz gelegt hätte. Merkwürdig, wenn Gott dem Menschen keine Richtschnur bezüglich seiner wichtigsten Interessen gegeben hätte, sondern es ihm überlassen hätte, seine Pflicht unter dem Gesetz von Beweisen zu schlussfolgern, die häufig zu ihrer Verletzung führen müssen. So kann es sich nicht verhalten. Es gibt bestimmte Dinge, die uns durch keine Belege ihrer Nützlichkeit gerechtfertigt werden könnten. Die Grundsätze des Richtigen sind so ewig wie die der Wahrheit. Der Mensch weiß von ihnen durch seine Natur, weil er Mensch ist. Sie bedürfen keines Beweises.

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»Oh, joy, that in our embers Is something that doth live; The spirit that remembers, What was so fugitive.«24 Wordsworth.

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uch are some of the tendencies of Transcendentalism. It extends to man in every relation. Proposes a new rule of action wherever he acts as man. Clearly the work to be done is not one of a day, nor of years of ages, but of all time. There is no danger that the world shall be changed in a breath. It is not left to the hands of one or a few. It is the task of the race. Each step of humanity is one towards the goal at which it aims. He who looks forward to see what is to be done, who sees the evils that are in the world which should not be there, the false maxims and principles on which empires are based and the human race actuated, has need of courage and resolution of heart; but he who will look back on the tortuous and dangerous way the child of God has thus far travelled, and see how many that threatened his | life, born of the earth, the children of superstition and sin, have fallen dead about him, will find enough to cheer him, and can never fear that the race will stop or recede. As each man is a tree, its root of sense in the earth, its strong trunk of reason, and the holy affections its flowers, that catch

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»O Freude, dass in unsern Aschen Etwas ist, das glüht; Der Geist, der sich an das erinnert, Was so leicht entflieht.« Wordsworth.

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as sind einige der Absichten des Transzendentalismus. Er erstreckt sich auf den Menschen in allen Beziehungen. Stellt ein neues Gesetz des Handelns auf, wo immer er als Mensch handelt. Gewiss ist die Arbeit, die getan werden muss, nicht die eines Tages noch die von nach Jahren bemessenen Zeitaltern, sondern von aller Zeit. Es besteht keine Gefahr, dass die Welt in einem Atemzug geändert wird. Es liegt nicht in den Händen eines oder einiger weniger. Es ist die Aufgabe der Gattung. Jeder Schritt der Menschheit ist einer in Richtung des Ziels, auf das sie sich richtet. Er, der vorwärts blickt, um zu sehen, was getan werden muss, der die Übel sieht, die in der Welt sind und die nicht in ihr sein sollten, die falschen Maximen und Grundsätze, auf die Reiche gegründet sind und von denen die menschliche Rasse geleitet wird, bedarf des Mutes und der Entschlossenheit des Herzens; der aber, welcher zurückblickt auf den qualvollen und gefährlichen Weg, den das Kind Gottes bisher zurückgelegt hat, und sieht, wie viele, die sein der Erde entsprossenes Leben bedrohten, die Kinder von Aberglaube und Sünde, tot um ihn her fielen, wird genug entdecken, das ihn ermutigt, und wird niemals fürchten können, dass der Lauf zum Stillstand kommen oder ins Stocken geraten wird. So wie jeder Mensch ein Baum ist, mit seinen Sinneswurzeln in der Erde, seinem kräftigen Stamm der Vernunft und

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the genial warmth of the sun, and the bland breath, and drink in the bright light of heaven; so it is with mankind. The ideas of the first races are all from the earth; then from these roots of sense springs the trunk of reason, and sooner or later will come the fragrant blossom that mirrors heaven, and sends new life to the roots that are toiling for it in the earth, and the fruit that bears the seed which secures its immortality. The end proposed is almost too sublime for human conception, the perfection of humanity. The wonder is, that man should think of attaining it, with the limited means at his command, against the obstacles he has to contend with. It is always a task to pull down and build anew, to renounce an old habit, though a bad one. It gives pain to dress a wound though that is the only remedy. A system of philosophy, on which are based our governments, our laws, our religion, our social institutions, whose influence extends to man every where in public | and private, if it could be demonstrated to be false as lies, would not, could not be renounced at once. All institutions, forms, doctrines, become necessary to man from use, and dear from habit and happy and holy associations. He will only see the good in these and die rather than renounce them. They are the growth of time and circumstances, and cannot be abolished at once. Though one could show every branch of our government to be bad, he must go slowly and cautiously to the work of reforming it. But the ground must be broken, the seed sown, or the harvest will be wanting. Now, this system might be engrafted on many things as they exist; but every day adds to the difficulty. »Gold in the morning,

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den heiligen Empfindungen als seinen Blüten, welche die belebende Wärme der Sonne einfangen und den milden Hauch und im strahlenden Licht des Himmels trinken; so verhält es sich mit der Menschheit. Die Vorstellungen der frühesten Rassen entstammen alle der Erde; aus diesen Wurzeln des Sinnes sprießt sodann der Stamm der Vernunft und früher oder später folgt die duftende Blüte, die den Himmel spiegelt und die den Wurzeln, die in der Erde für sie schuften, neues Leben schickt, und die Frucht, die den Samen trägt, der seine Unsterblichkeit sichert. Das beabsichtigte Ziel, die Vervollkommnung der Menschheit, ist fast zu erhaben für das menschliche Fassungsvermögen. Das Wunder ist es, dass der Mensch daran denken sollte, sie mit den beschränkten Mitteln zu erreichen, die ihm zur Verfügung stehen, gegen die Hindernisse, mit denen er sich herumschlagen muss. Es stellt immer eine Aufgabe dar, einzureißen und wiederaufzubauen, eine alte Gewohnheit abzulegen, auch wenn es eine schlechte ist. Es tut weh, eine Wunde zu verbinden, obwohl dies das einzige Heilmittel ist. Ein System der Philosophie, auf das unsere Regierungen gegründet sind, unsere Gesetze, unsere Religion, unsere gesellschaftlichen Institutionen, dessen Einfluss sich überall auf den Menschen sowohl im Öffentlichen wie Privaten erstreckt, würde nicht, könnte nicht, wenn sich zeigen ließe, dass es falsch ist, mit einem Mal aufgegeben werden. Alle Einrichtungen, Formen, Lehrmeinungen werden dem Menschen durch Gebrauch notwendig und wachsen ihm durch Gewöhnung ans Herz und werden ihm zu freudigen und heiligen Gefährten. Er wird in Ihnen nur das Gute sehen und lieber sterben, als sie aufzugeben. Sie sind mit der Zeit und den Umständen gewachsen und können nicht mit einem Mal abgeschafft werden. Selbst wenn jemand die Schlechtigkeit jedes Zweiges unserer Regierung aufzuzeigen vermöchte, müsste er sich langsam und vorsichtig an die Arbeit machen, sie zu reformieren. Aber der Boden muss aufgebrochen werden, die Saat gesät, oder die Ernte wird ausbleiben. Ja, dieses System könnte vielen der bestehenden Dinge eingepflanzt werden; aber jeder Tag vergrößert die Schwierigkeit.

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silver in the middle of the day, lead at night.«25 There are obstacles to its progress, for there are errors which it assails. There is danger to some institutions, for it shows their falsity. There may be danger of too much zeal, which shall rid men of the old before the new is laid hold of, but it is what every mariner runs who starts upon a voyage. There may be danger that the world is not good enough, as it is said, is not yet ready for such elevated truth. Then, in God’s name, let it be made better. There are means at hand for improving the condition of | the mass of mankind, that the world little dreams of, of relieving their wants, lightening their burdens, cultivating their intellects, awakening their religious feelings; so that the world would wear a smile of joy at the thought of the change that might be made in its condition. To make most of these means is the office of religion. To aid this work, enforce universal obedience, to the eternal law on which it is founded, is the duty of man; this task is the end of his life. It becomes not him, who alone is made erect, with his face turned towards the skies, to creep over the earth with his eyes fixed on the dust, the image of despair. He is the child of hope. »Let him look to Heaven, and he will not fail to find his home.«26

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»Gold am Morgen, Silber am Mittag, Blei am Abend.« Seinem Fortschritt stehen Hindernisse entgegen, denn es gibt Irrtümer, die er bekämpft. Er stellt eine Gefahr für manche Einrichtungen dar, weil er deren Falschheit beweist. Es könnte die Gefahr zu großen Eifers bestehen, der die Menschen vom Alten zu befreien trachtet, ehe das Neue gefasst worden ist, aber es handelt sich dabei um das, worauf sich jeder Seefahrer einlässt, der zu einer Reise antritt. Es könnte das Risiko bestehen, dass die Welt, wie man sagt, nicht gut genug ist, noch nicht bereit ist für eine so erhabene Wahrheit. Dann, in Gottes Namen, lasst zu, dass man sie bessert. Es stehen Mittel zur Verfügung, von denen die Welt kaum träumt, um den Zustand der Masse der Menschheit zu verbessern, ihre Nöte zu lindern, ihre Lasten zu erleichtern, ihre Geister zu kultivieren, ihre religiösen Empfindungen zu wecken; so dass die Welt beim Gedanken an den Wandel, der in Bezug auf ihre Lage unternommen werden könnte, ein Freuden­ lächeln aufsetzen würde. Es ist an der Religion, so viel wie möglich aus diesen Mitteln zu machen. Dieses Werk zu fördern, allgemeinen Gehorsam gegenüber dem ewigen Gesetz, auf dem es beruht, durchzusetzen, ist die Pflicht des Menschen; diese Aufgabe ist der Zweck seines Lebens. Es steht dem, der, mit seinem zum Himmel gekehrten Gesicht, allein aufrecht geschaffen wurde, nicht an, seine Augen auf den Staub gerichtet über die Erde zu kriechen, das Bild der Verzweiflung abgebend. Er ist das Kind der Hoffnung. »Lasst ihn zum Himmel blicken und er wird nicht scheitern, seine Heimat zu finden.«

V E R Z E IC H N I S DE R E M E N DAT ION E N

Erstdruck, S.  18, Z. 5 v. u. ED, S.  50, Z. 3 v. u. ED, S.  82, Z. 1

canot  ]  cannot what he sees.«  ]  what he sees? acknowleding  ]  acknowledging

A N M E R K U N G E N DE S H E R AU S G E B E R S

1  Vgl. Virgil, Aen. III, 655–658: »Vix ea fatus erat summo cum monte videmus / ipsum inter pecudas vasta se mole moventum / pastorem Poly­phemum et litora nota petentem, / monstrum horrendum, informe, ingens, cui lumen ademptum.« (»Kaum hatte er dies gesagt, als wir auf dem Gipfel des Berges den Hirten Polyphemus selbst sehen: Inmitten seiner Schafe bewegt er sich mit seinem unförmigen plumpen Leib fort und strebt zu dem ihm vertrauten Strand, ein abschreckendes Monstrum, ungeschlacht, riesig, des Augenlichtes beraubt.« P. Vergilius Maro: Aeneis. Lateinisch  /  Deutsch. Üb. u. hg. v. Edith u. Gerhard Binder. Stuttgart o. J., S.  163). 2  Vgl. Johannes 8,44: »Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt ihr thun. Derselbige ist ein Mörder von Anfang, und ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Eignen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselbigen.« 3  Vgl. Cicero, Tusculanae disputationes I, 30: »Ut porro firmissimum hoc adferri videtur cur deos esse credamus, quod nulla gens tam fera, nemo omnium tam sit inmanis, cuius mentem non imbuerit deorum opinio […]« (»Und dies mag als stärkstes Argument für unseren Glauben an Götter vorgebracht werden, dass kein Volk so wild, noch irgendjemand so roh ist, dass sein Geist nicht irgendeine Vorstellung von Göttern besäße.« Freie Üb. d. Hg.). 4  Vgl. Henry Brougham: Nature of the Science, and its Evidences. In: ders.: Natural Theology. London  /  Glasgow 1856, S.  13–111, hier: 66  f.: »It is true that the body is not destroyed in the sense of being annihilated; but it is equally true that the particular conformation, the particular arrangement of material particles with which the soul is supposed to have been inseparably connected, or in which it is supposed to consist, is gone and destroyed even in the sense of annihilation«. Die von Ellis verwendete Formulierung (»conformation of material particles«) findet sich in einer ausführlichen kritischen Rezension der Natural Theo-

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Anmerkungen

logy (1835) im New-York Review von 1837, vgl. o. A.: Art. III. – A Discourse of Natural Theology, showing the Nature of the Evidence and the Advantages of the Study. By Henry Lloyd Brougham, F. R. S. and Member of the National Institute of France. Philadelphia. Carey, Lee & Blanchard. 1835. 12mo. pp. 190. In: The New-York Review and Quarterly Church Journal, vol. I, no. II (Oct. 1837), S.  298–336, hier: 323. Der liberale englische Politiker, Schriftsteller und Sklavereigegner Henry ­Peter Brougham (1778–1868) wurde aufgrund seiner Ansichten über eine ›natürliche Theologie‹ zuweilen mit den Transzendentalisten in Verbindung gebracht. So las Emerson einige seiner Texte und erwähnte ihn gelegentlich (vgl. The Journals and Miscellaneous Notebooks of Ralph Waldo Emerson. Vol. VII: 1838–1842. Hg. v. A. W. Plumstead u. Harrison Hayford. Cambridge, Ma 1969, S.  294). In dem Londoner Journal The Reasoner wurde Brougham sogar als geistiger Vater der transzendentalistischen Bewegung um Emerson bezeichnet. Vgl. Candidus: On the Materialism of Philosophers and Poets. In: The Reasoner and Utilitarian Record, vol. III, no. 61 (1847), S.  406–411, hier: 409: »There is fashion in all things; and if Emerson and other writers, as we are told, have embraced pantheism, they have only adopted a species of superstition which at present prevails with men who deem it unpolite to frighten full-grown children with the vulgar, worn-out theocracy of Hebrew antiquity. These men belong to a class of philosophers, at the top of which Henry Brougham may be ranked.« Die Vorlage des zweiten Zitates (»of those immaterial ideas the whole of which form the universe«) war nicht zu ermitteln. 5  Vgl. Platon, Phd. 86b–d: »Nun aber glaube ich, o Sokrates, du selbst wirst auch dies schon erwogen haben, daß wir uns die Seele als so etwas vorzüglich vorstellen, wenn doch unser Leib eingespannt ist und zusammengehalten von Warmem und Kaltem, Trockenem und Feuchtem und dergleichen Dingen, daß unsere Seele die Mischung und Harmonie eben dieser Dinge sei, wenn sie schön und im rechten Verhältnis gegeneinander sei, wenn sie schön und im rechten Verhältnis gegeneinander gemischt sind. Ist nun die Seele eine Harmonie, so ist offenbar, daß, wenn unser Leib unverhältnismäßig erschlafft oder angespannt wird von Krankheiten und anderen Übeln, die Seele dann

Anmerkungen

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notwendig sogleich umkommt, obgleich sie das Göttlichste ist, eben wie alle andern Harmonien in Tönen und in allen Werken der Künstler, die Überreste eines jeden Leibes aber noch lange Zeit bleiben, bis sie verbrannt werden oder verwesen. Sieh nun zu, was wir gegen diese Rede sagen wollen, wenn jemand behauptet, daß die Seele als die Mischung alles zum Leibe Gehörigen in dem, was wir Tod nennen, zuerst untergehe!« (Üb v. Fr. Schleiermacher). Die Rede stellt eine Entgegnung des Gesprächsteilnehmers Simmias auf die kurz zuvor von Sokrates gebrauchte Analogie von Leier und Seele dar. 6  Die äsopische Fabel über einen im Schlamm steckengebliebenen Kutscher existiert in verschiedenen Fassungen. Kernaussage aller Versionen ist, dass man erst dann um göttliche (fremde) Hilfe bitten soll, wenn man selbst zuvor bereits etwas geleistet hat. 7  Die 1215 durch König John (1166–1216) verabschiedete Magna Charta räumte dem englischen Landadel politisches Mitspracherecht ein. Sie verhinderte den drohenden Bürgerkrieg und schuf wichtige Voraussetzungen für das englische Verfassungsrecht. Ihre hauptsächliche Bedeutung liegt darin, dass sie Rechte und Pflichten von König und Adel in schriftlicher und verbindlicher Form festlegte, was sie zu einem Modell für das moderne Prinzip der Rechtssicherheit macht. 8  Thomas Carlyle (1795–1881), schottischer Schriftsteller und bedeutender Vermittler der deutschen Philosophie und Literatur in Großbritannien. Bekanntheit erlangte er in Deutschland vor allem für seinen Briefwechsel mit Goethe, seine mehrbändige Geschichte Friedrichs des Großen sowie seine generell germanophile Haltung, die sich zuweilen in Überhöhungen des deutschen Wesens niederschlug. Als Vermittler der deutschen Frühromantik hatte Carlyle zugleich großen Einfluss auf die Transzendentalisten, zu denen er teils persönliche Beziehungen unterhielt (so vor allem zu Emerson, der ihn über die literarische Szene Neuenglands auf dem Laufenden hielt). Samuel Taylor Coleridge (1772–1834), englischer Dichter der Romantik. Auf einer Deutschland­ reise (1798) machte er sich mit den damals aktuellen Strömungen der deutschen Literatur und Philosophie vertraut und übersetzte in der Folge u. a. Schillers Wallenstein. Seinen größten Einfluss auf die geistige Formation des Transzendentalismus übte er jedoch durch seine

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Anmerkungen

1825 erschienenen Aids to Reflection aus, in denen er durch Rückgriff auf Philosopheme des deutschen Idealismus – wie beispielsweise die zentrale Unterscheidung zwischen Vernunft (reason) und Verstand (understanding) – eine neue spiritualistische Weltanschauung zu begründen suchte. Obwohl Coleridge zu den wichtigsten Ideengebern der Transzendentalisten zählt, war sein Einfluss auf diese eher indirekter Natur und erfolgte hauptsächlich durch die Vermittlung des coleridgschen Denkens durch James Marsh (1794–1842), der sich später gleichwohl von den Transzendentalisten distanzierte. 9  Thomas Paine (1736–1809), englisch-amerikanischer Schriftsteller und einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten. Mit seinen Rights of Man (1791) verfasste er eine bedeutende Gegenschrift zu Edmund Burkes (1730–1797) anti-revolutionären Reflections on the Revolution in France (1790), was ihn in manchen Augen verdächtig machte, ein Sympathisant des Jakobinismus zu sein. 10  Edward Bulwer-Lytton, 1. Baron Lytton (1803–1873), englischer Schriftsteller und Politiker. Bei den von Ellis zitierten Versen handelt es sich um den Anfang des Gedichtes The True Critic (1842). Vgl. Edward Bulwer Lytton: The True Critic. In: Eva, A True Story of Light and Darkness, The Ill-omened Marriage, Other Tales & Poems. Leipzig 1842, S.  108 (= Collection of British Authors, vol. XX). Vgl. a. Lyttons Essay »Upon the Spirit of true Criticism« (in: The New Monthly Magazine and Literary Journal I (1832), S.  353–357). Mit dem »Stagyrite« ist Aristoteles, mit Schlegel der Kritiker und Shakespeare-Übersetzer August Wilhelm Schlegel (1767–1845) gemeint. Joseph Addison (1672–1719) war ein englischer Dichter und Journalist, der in Amerika vor allem durch sein monarchiekritisches Stück Cato (1712) Bedeutung erlangte. Er war Mitgründer des Specator (1711–12) und Beiträger des Guardian (1713), zwei der wichtigsten Journalen der Frühaufklärung und bedeutenden Organen einer damals neu entstehenden kritischen Öffentlichkeit. 11 »Man praises man. Desert in arts or arms / Wins public honor, and ten thousand sit / Patiently present at a sacred song, / Commemoration-mad; […]« – Verse aus William Cowpers (1731–1800) Langgedicht The Task (1785). Vgl. Book IV: The Winter Walk at Noon, V. 632–635.

Anmerkungen

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12  15. Vers von The True Critic (vgl. Anm. 10). 13  »The homely Nurse doth all she can / To make her Foster-child, her Inmate Man, / Forget the glories he hath known, / And the imperial palace whence he came«. – Verse aus William Wordsworths (1770– 1850) Ode: Intimations of Immortality from Recollections of Early Childhood (VI, V. 5–8). »Für Emerson und Thoreau wie für die amerikanische Romantik generell wurde Wordsworth in den 1830er Jahren zur zentralen Bezugsfigur. Dabei konzentrierte sich das Interesse neben den für die Amerikaner wichtigen egalitären Zügen von Wordsworths Lyrik vor allem auf seine Haltung gegenüber der Natur […]« (Dieter Schulz: Amerikanischer Transzendentalismus. Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau, Margaret Fuller. Darmstadt 2010, S.  114). 14  Vgl. Wordsworth, Ode, IX, V. 20–24: But for those first affections, / Those shadowy recollections, / Which, be they what they may, / Are yet the fountain-light of all our day, / Are yet a master-light of all our seeing; (vgl. Anm. 13). 15  »Niemand verdient den Namen Schöpfer außer Gott und der Dichter.« – Torquato Tasso (1544–1595) zugeschriebene Äußerung. Ihre Verbreitung erlangte sie durch den englischen Romantiker Percy Bysshe Shelley (1792–1822), der sie u. a. in seinem Essay On Life (1819, erstmals publiziert 1840) zitierte. Vgl. Percy Bysshe Shelley: Essay, Letters from Abroad, Translations and Fragments. Hg. v. Mary Shelley. London 1840, S.  176–181, hier: S.  177: »Non merita nome di creatore, sennon Iddio ed il Poeta.« Eine direkte Quelle für die von Shelley vermutlich aus dem Gedächtnis zitierte Stelle ließ sich nicht ermitteln. 16  ars (est) celare artem = Kunst ist, die Kunst zu verbergen. Wahlweise Ovid, Pseudo-Quintilian oder Cicero (bei dem er an mehreren Stellen begegnet) zugeschriebener, vermutlich jedoch auf einen anonymen Ursprung zurückgehender Grundsatz. 17  Vgl. Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France, and on the Proceedings in Certain Societies in London Relative to that Event. In a Letter Intended to Have Been Sent to a Gentleman in Paris. London: J. Dodsley, in Pall-Mall 41790, S.  88. 18  »Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi« (»Die Gerechtigkeit besteht in dem festen und dauerhaften Wil-

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Anmerkungen

len, jedem sein Recht zuzuteilen.«) – Formulierung aus den Corpus Iuris Civilis des spätantiken römischen Rechtsgelehrten Ulpian (3. Jhdt.); vgl. Digesten 1, 1, 10. Gilt manchmal als Ursprung der Redewendung »Suum cuique« (»Jedem das Seine«). Ähnlich lautende Formulierungen finden sich jedoch bereits früher bei anderen Autoren, z. B. bei Cicero. Der zugrundeliegende Gedanke findet sich bereits bei Platon. 19  Vgl. »Tantoque magis haec vanitas inhibenda venit et coercenda, quia ex divinorum et humanorum malesana admistione non solum educitur philosophia phantastica, sed etiam religio haeretica.« (»Und um so mehr ist dieser Eitelkeit entgegenzutreten und sie in die Schranken zu weisen, da aus einer ungesunden Vermischung des Göttlichen und Menschlichen nicht bloß eine phantastische Philosophie, sondern auch eine ketzerische Religion herauskommt.«) Stelle aus Francis Bacons (1521–1626) Novum Organum (1620). Üb. nach: Wolfgang Krohn (Hg. / Üb.): Francis Bacon: Neues Organon, Bd.  I. Lateinisch – Deutsch. Hamburg 1990, S.  135. 20  Verbreitete Formulierung, die oft zur Charakterisierung des epistemologischen Skeptizismus verwendet wird. Vorlage bildet das berühmte Sprichwort »Ich weiß, dass ich nichts weiß«, das ursprünglich auf Platon, Apol. 21d zurückgeht, wo Sokrates feststellt: »Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er, daß ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen« (Üb. Fr. Schleiermacher). Die verbreitete Variante stellt eine Verkürzung von Sokrates’ Äußerung dar, da dieser seine Behauptung weder als gesichertes Wissen darstellt noch die Möglichkeit sicheren Wissens überhaupt ausschließt, wie es der radikale Skeptizismus tut. Ellis’ Formulierung weist eher in letztere Richtung. 21  Cotton Mather (1663–1728), bedeutender puritanischer Schriftsteller und Politiker, der bis heute vor allem für seine monumentale Geschichte Neuenglands, die Magnalia Christi Americana (1702), bekannt ist. Mather war ein Anhänger der Hexenverfolgung und vertrat in seinen Texten teils wunder- und abergläubische Positionen. 22  Vgl. Theodore Parker: A Discourse of Matters Pertaining to Religion. Boston 1842, S.  145: »Its substance is love of God; its form love of man; its temple a pure heart; its sacrifice a divine life.«

Anmerkungen

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23  William Paley (1743–1805), englischer Theologe. In seinem 1802 erschienenen Hauptwerk, der Natural Theology, entwickelte er ein mechanistisches Weltbild, demzufolge das Universum zwar von Gott erschaffen wurde, in seinen inneren Gesetzmäßigkeiten jedoch dem strengen Ablauf einer aufgezogenen Uhr gleiche. Paleys ›natürliche Theologie‹ ist ein paradigmatisches Beispiel für eine bestimmte Strömung der Aufklärung, die von den Transzendentalisten besonders scharf kritisiert wurde. 24  Vgl. Wordsworth, Ode, IX, V. 1–4: »O joy! that in our embers / Is something that doth live, / That nature yet remembers / What was so fugitive!« (vgl. Anm. 13). 25  Das Sprichwort lautet in seiner gängigsten Form: »Butter is gold in the morning, silver at noon, lead at night.« Es existieren – auch im Deutschen – zahlreiche Variationen, u. a. mit Käse, Apfel, Orange oder Wein anstelle von Butter. 26  Vgl. Hebräer 11,14–16: »Denn die solches sagen, die geben zu verstehen, daß sie ein Vaterland suchen. / Und zwar, wo sie das gemeinet hätten, von welchem sie waren ausgezogen, hatten sie ja Zeit wieder umzukehren. / Nun aber begehren sie eines bessern, nämlich eines himmlischen. Darum schämet sich Gott ihrer nicht, zu heißen ihr Gott; denn er hat ihnen eine Stadt zubereitet.« Vgl. a. Philipper, 2,20: »Unser Wandel aber ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilands Jesu Christi, des Herrn« (engl. »But our citizenship is in heaven. And we eagerly await a Savior from there, the Lord Jesus Christ«).

N A M E N - U N D S AC H R E G I S T E R

Alcott, Amos Bronson  IX , XVII Altes Testament  85 Aristoteles 59 Äsop 29 Atheismus  27, 37, 95 Bancroft, George  XV Bartol, Cyrus Augustus  IX Bewusstsein 21 Bibel  97, 105, 107, 109, 115 Bibelkritik 85 Bildende Kunst  59 Bonaparte, Napoleon  XVII Bowen, Francis  XXIV Brockmeyer, Henry  IX Brownson, Orestes Augustus XVII , XXI Bulwer-Lytton, Edward  47 Burns, Anthony  XXXI Carlyle, Thomas  37 Christentum  41, 73, 89, 91, 95, 97, 99 Cicero, Marcus Tullius  53 Clark, Samuel  XIII Coleridge, Samuel Taylor XXII, XXIII , XXV , 37 Cousin, Victor  XXIII , XXIV Dante Alighieri  49

De Wette, Wilhelm Martin ­Leberecht  XV , XVI Dexter, William  XXV Dichtung  7, 59 Eichhorn, Johann Gottfried XIV , XV Eingeborene Ideen  9 Ellis, Charles Mayo  XXII , XXIV , XXV , XXVI , XXVII , XXVIII , XXIX , XXX , XXXI , XXXII , XXXIV , XXXV Emerson, Ralph Waldo  X , XI , XII , XVI , XVII , XXV , XXVI , XXX , XXXII Entdeckung Amerikas  35 Erkenntnis – a priori  5 – der Wahrheit  103 Everett, Edward  XV , XVI Existenz Gottes  17 Fichte, Johann Gottlieb  XV , XVIII , XIX , XXIII Follen, Karl Theodor Christian Friedrich  XVI Fourier, François Marie Charles XXXIV Französische Revolution  37, 39 Fries, Jakob Friedrich  XV , XIX , XX

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Namen- und Sachregister

Fuller, Margaret  XVII Geist  15, 17, 27, 47, 59, 61, 89, 109 Gerechtigkeit  27, 73, 75, 77, 85, 111, 115 Gesellschaftsvertrag  67, 69 Gesunder Menschenverstand (common sense)  87, 91, 101 Glaube  7, 17, 27, 37, 91, 103, 107, 109 Goethe, Johann Wolfgang von XVI , XVII , 61 Gott  11, 17, 19, 21, 23, 25, 27, 31, 35, 39, 41, 69, 71, 73, 77, 85, 89, 91, 93, 95, 97, 99, 101, 103, 107, 109, 115, 117, 119, 123 Göttliches 9 Göttlichkeit des Menschen  95 Griesbach, Johann Jakob  XIV , XV Gutes, Wahres, Schönes  17 Habeas Corpus Act (1679)  35 Hale, Edward Everett  XXXII Harris, William Torrey  IX Hawthorne, Nathaniel  XXXIV Hedge, Frederic Henry  IX , XVII Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  IX , XV , XXIII Herder, Johann Gottfried von XVI

Holmes, Oliver Wendel  X Homer  49, 53 Idee der Gerechtigkeit  21 Idee der Schönheit  21 Idee der Unendlichkeit  21, 31 Idee der Wahrheit  21 Idee des moralischen Sinnes 23 Idee Gottes  19, 21 Idee, Ideen  11, 15, 23, 27, 59 Jakobiner 39 John, König von England (John Ohneland) 35 Kant, Immanuel  XVIII , XIX , XXI , XXII , XXIII , 5 Katholizismus 105 Kotzebue, August von  XVI Kritik  11, 51 – Gesetze der  47 – Kunst der  51 Kunst  7, 9, 11, 35, 47, 51, 53, 57, 59, 61 Lane, Charles  XXVI Literatur  7, 11, 43 Locke, John  XIII , XX , XXI , XXII , 9 Magna Charta (1215)  35 Marsh, James  XVI , XXV Materialismus 89 Materie  15, 17, 23, 27 Mather, Cotton  107

Namen- und Sachregister

Menschlichkeit Christi  95 Moral  29, 87, 91 – negative 109 Moralische Bildung  81 Moralische Freiheit  87 Moralischer Sinn  21, 87, 101, 117 Moralisches Gesetz  27, 115 Moralische Verantwortlichkeit 87 Moralische Verpflichtung  115 Moralische Wahrheit  83 Musik 59 Natur  49, 59, 63, 97, 99 – Gesetz der  21 – menschliche  11, 17, 35, 47, 71, 73, 77, 85, 87, 93, 95, 97, 99, 117 – Stimme der  55, 61, 89 – Studium der  49 Naturzustand  71, 73 Neues Testament  85, 105 Paine, Thomas  39 Paley, William  115 Parker, Theodore  XVII , XXXI , XXXV Peabody, Elizabeth  XVIII Philosophie  7, 9, 11, 21, 25, 29, 31, 37, 83, 87, 91, 103, 111, 117, 121 – deutsche 37 – englische 37 – geistige  89, 93

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– sensualistische  25, 91 – transzendentale 83 – volkstümliche  89, 93 Platon  VIII , XXII , 33, 61 Price, Richard  XIII Rationalismus 103 Recht  35, 57, 67, 69, 83, 85, 87, 89, 91, 95, 111, 115 – göttliches 35 Rechte – unveräußerliche, angeborene 73 Reid, Thomas  XIII Religion  7, 9, 11, 27, 29, 33, 35, 41, 43, 83, 85, 87, 89, 91, 93, 95, 103, 109, 111, 121, 123 – christliche 95 – des Geistes  109 – geoffenbarte 91 – natürliche  91, 93 – praktische 21 – Wahrheit der  103 Religionsfreiheit 39 Religiöse Wahrheit  83 Ripley, George  XVII , XXI , XXIII , XXIV , XXXIV , XXXV Santayana, George  IX Saxton, Jonatan Ashley  XXVI , XXVII , XXVIII Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph  XV , XVIII , XIX , XXIII

138

Namen- und Sachregister

Schleiermacher, Friedrich ­Daniel Ernst  XXI Seele  9, 15, 17, 19, 23, 25, 47, 51, 53, 57, 59 – Existenz der  15, 21, 25 Sensualismus  37, 89, 117 Staël-Holstein, Anne-Germaine von, geb. Necker  XIV Stuart, Moses  XVI Theologie  7, 85, 93 Thoreau, Henry David  VIII , XVII , XXVI , XXIX , XXX Ticknor, George  XV

Transzendentalismus  5, 7, 9, 11, 13, 21, 39, 83, 85, 103, 119 Universum  15, 17, 23 Vernunft  65, 67, 91, 93, 97, 115, 119, 121 Verstand  5, 9, 11, 15, 17, 19, 103, 105 Winsor, Henry  XXV , XXVI Wordsworth, William  XXII , 119