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German Pages 348 [346] Year 2019
Carmen Wurm Doña Marina, la Malinche
Editionen der Iberoamericana Ediciones de Iberoamericana Serie A: Literaturgeschichte und -knükJHistoria y Crítica de la Literatura Serie B: Sprachwissenschaft/Lingtf/ítt'ca Serie C: Geschichte und Gesellschaft/Wistorw y Sociedad Serie D: Bibliographien¡Bibliografías Herausgegeben von/Editado por : Walther L. Bernecker, Frauke Gewecke, Jürgen M. Meisel, Klaus Meyer-Minnemann
A: Literaturgeschichte und -iaiúkJHistoria y Crítica de la Literatura, 8
Carmen Wurm
Doña Marina, la Malinche Eine historische Figur und ihre literarische Rezeption
Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1996
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Iberoamericana / Editionen / A] Editionen der Iberoamericana = Ediciones de Iberoamericana. Serie A, Literaturgeschichte und -kritik = Historia y crítica de la literatura. - Frankfurt am Main : Vervuert. Hervorgegangen aus: Iberoamericana / Editionen / 03 Reihe Editionen, Serie A zu: Iberoamericana NE: Iberoamericana / Ediciones / A; Editionen der Iberoamericana; Ediciones de Iberoamericana; HST 8. Wurm, Carmen: Doña Marina, la Malinche. -1996 Wurm, Carmen : Doña Marina, la Malinche : eine historische Figur und ihre literarische Rezeption / Carmen Wurm. - Frankfurt am Main : Vervuert, 1996 (Editionen der Iberoamericana : Serie A, Literaturgeschichte und kritik; 8) Zugl. : Erlangen, Nürnberg. Univ., Diss., 1995 ISBN 3-89354-860-2 © Vervuert Verlag, Frankfurt / Main 1996 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Michael Ackermann Gednickt auf alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany
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Vorbemerkung Die vorliegende Untersuchung entstand in den Jahren 1990-1994 als Dissertation an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Prof. T. Heydenreich gilt mein besonderer Dank für seine Betreuung der Arbeit und die Unterstützung bei der Bewerbung um Stipendien, ebenso Prof. H. Hudde. Ein Promotionsstipendium der FAU und ein Forschungsstipendium des DAAD für Mexiko haben mir die Forschungsarbeit wesentlich erleichtert. Für hilfreiche Hinweise zu meinem Mexiko-Aufenthalt danke ich Frau Inge Nickel. Ein Dankeschön gilt auch den Mitarbeitern der Universitätsbibliothek Erlangen, die mir sehr große Hilfe bei der Materialbeschaffung geleistet haben. Für die Möglichkeit zu Diskussionen und für Korrekturen danke ich Roland, Gerd, Annette, Jutta und Rolf. Der C. H. Beck'schen Buchdruckerei und meinem Vater danke ich herzlich für die Unterstützung bei der technischen Ausführung.
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Abb. i :
La Malinche — Wandmalerei von Fausto Salazar am Rachaus von Cholula, 1989 (Fotografie C. Wurm)
Meinen Eltern
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Inhaltsübersicht 1. Einleitung
13
2. Kurzbiographie Doña Marinas
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2.1. Marinas Zusammentreffen mit den Spaniern
19
2.2. Herkunft und Vorgeschichte Marinas
21
2.3. Doña Marinas Bedeutung als Dolmetscherin und Vermittlerin zwischen zwei Kulturen
23
2.4. Gründe Marinas für die Unterstützung der Spanier
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2.5. Die Beziehung zwischen Marina und Cortés
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2.6. Der Sohn von Marina und Cortés, Martin Cortés
33
2.7. Marinas Ehe mit Juan Jaramillo
34
2.8. Begegnung zwischen Marina und ihrer Mutter
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2.9. Marinas Tod und die Legenden
37
3. Das Malinche-Bild in der Kolonialzeit
38
3.1. Chroniken und weitere Geschichtswerke des 16. und 17. Jahrhunderts 3 . 1 . 1 . Die Augenzeugenberichte 3.1.2. Zeugnisse der Eroberten 3.1.3. Der Beitrag der Missionare 3.1.4. Versionen der iberischen Halbinsel 3.1.5. Allgemeine Geschiehtswerke 3.1.6. „Cronistas oficiales"
38 39 44 51 53 55 58
3.2. Die Debatte um die Eroberung in der europäischen Literatur
62
3.3. Die Epen und Dramen im 16. und 17. Jahrhundert 3.3.1. Spaniens Siglo de Oro 3.3.2. Die Dichter der Neuen Welt
65 65 76
3.4. Das Bild der Conquista und der Bewohner der Neuen Welt im Jahrhundert der Aufklärung 3.4.1. Europas Bild des edlen Wilden 3.4.2. Die Reaktionen in Spanien
80 80 84
IO
3.4.3. Malinche in der spanischen Literatur des 18. Jahrhunderts 3.4.4. Das 18. Jahrhundert in Mexiko 3.5. Exkurs: Malinche in den „Danzas Indígenas" 4. Das 19. Jahrhundert 4.1. Entwicklungen in Europa
85 97 100 111 111
4.2. Unabhängigkeit und Nationalismus — Auswirkungen auf die mexikanische Literatur 120 4 . Z . I . Politische und ideologische Entwicklungen in Mexiko 120 4.2.2. Geschichtswerke im 19. Jahrhundert 128 4.3. Malinche in der mexikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts . . . . 4.3.1. Jicotétical 4.3.2. Gertrudis Gómez de Avellaneda: Guatimozín 4.3.3. Eligió Ancona: Los mártires del Anáhuac 4.3.4. Ireneo Paz: Amor y suplicio und Doña Marina
133 138 145 148 157
4.4. Die Legende der Llorona
167
4.5. Zusammenfassung
173
5. Das 20. Jahrhundert — Malinche zwischen „malinchismo", „mestizaje" und „feminismo"
176
5.1. Geistes-und sozialgeschichtliche Hintergründe in Mexiko
176
5.2. Die verschiedenen Bilder Malinches im 20. Jahrhundert in Mexiko 5.2.1. Malinche — Geliebte des Cortés 5.2.2. Malinche — Mutter der Mestizen 5.2.3. Malinche - Verräterin ihres Volkes 5.2.4. Malinche als Sklavin 5.2.5. Malinche, „la lengua" 5.2.6. Malinche, „la Chingada" 5.2.7. Malinche aus der Sicht der Frauen 5.3. Exkurs: Malinche in Darstellungen mexikanischer Künstler des Muralismo
180 181 186 195 198 205 209 217 224
5.4. Malinche in der mexikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts . . . . 5.4.1. Ignacio Huertas: „Malinche no traicionó" 5.4.2. Jesús Sotelo Inclán: Malintzin (Medea Americana) 5.4.3. Sergio Magaña: Los argonautas 5.4.4. Celestino Gorostiza: La Malinche 5.4.5. Rodolfo Usigli•. Corona de fuego 5.4.6. Salvador Novo: „Malinche y Carlota" und Cuauhtémoc ... 5.4.7. Carlos Fuentes: Todos los gatos son pardos
230 241 243 249 255 263 270 274
II
5.4. 8. 5.4. 9. 5.4.10. 5.4.11. 5.4.12. 5.4.13.
Rosario Castellanos: „Malinche" und El eterno femenino Sabina Berman: Aguila o sol Willebaldo López: Malinche Show Vicente Leñero: La noche de Hernán Cortés Exkurs: Alejo Carpentier: La aprendiz de bruja Zusammenfassung
5.5. Malinche in der Literatur der Chicanos
286 292 293 294 297 301 301
6. Zusammenfassung und Schluß
320
7. Anhang: Chronologie der Eroberung
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8. Bibliographie
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i . Einleitung [...] Malintzin es la heroína olvidada de la historia, presente siempre en la tradición, en la leyenda y en la sangre de México. (Miguel Angel Menéndez)
Die Präsenz Malinches im mexikanischen Bewußtsein ist im 20. Jahrhundert offensichtlich. Jedem Mexikaner ist ihr Name ein Begriff. Ein kurzer Blick auf die Menge der entstandenen Werke zur Conquista allgemein und zu Malinche im speziellen läßt erahnen, daß die Bedeutung der Protagonisten der Eroberung für ihr Land sehr hoch ist. Von den Frauen, die an der Eroberungsgeschichte teilhatten, ist generell nur wenig bekannt. Marina erfuhr im Vergleich relativ große Aufmerksamkeit, was vor allem dem Chronisten Bernal Díaz del Castillo zu verdanken ist. Die India Marina war Dolmetscherin und Ratgeberin des spanischen Eroberers Hernán Cortés, gebar ihm einen Sohn und stellte somit die Verbindung zwischen den beiden Kulturen her, die in der Eroberung aufeinandertrafen. Ihre Stellung zwischen zwei Kulturen reiht Malinche ein in eine Tradition, die bereits in der Antike begann, mit Frauen wie Helena und Medea. 1 Auch in Nordamerika kam es während der Eroberung zu ähnlichen Konstellationen, z.B. mit den Indianerinnen Pocahontas und Sacajawea. Pocahontas war eine Häuptlingstochter, die im 17. Jahrhundert den weißen Captain Smith vor dem Tod durch die Indianer rettete. Diese Episode lieferte den Stoff für literarische Verarbeitungen, und Pocahontas wurde zum Symbol für die freundschaftliche Begegnung zwischen den beiden Kulturen. Sacajawea, eine Shoshonin, wurde Anfang des 19. Jahrhunderts Führerin einer Expedition von Lewis und Clark. Sie war mit 14 Jahren von einem feindlichen Indianerstamm gefangen genommen und von einem weißen Pelzhändler diesem abgekauft worden. Auf der Expedition kam sie in ihre Heimatregion zurück, wo sie zur wichtigen Informantin und Vermittlerin für Lewis und Clark wurde. 1 Wird Malinche einerseits als Vermittlerin zwischen zwei Kulturen gesehen, so gilt sie seit dem 19. Jahrhundert auch als Verräterin ihres eigenen Volkes. Diese Sichtweise setzt sich im 20. Jahrhundert fort. Dies zeigt u.a. die Entstehung des Begriffes „malinchista", von Octavio Paz definiert als „adjetivo despectivo [...] recientemente puesto en circulación por los periódicos para denunciar a todos los contagiados tendencias extranjerizantes".3 Weitere Bedeutung erlangt Malinche in der „mestizaje"-Diskussion als symbolische Mutter der Mestizen. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, bedeutende Werke für die Darstellung Malinches zusammenzustellen und auszuwerten. Anhand der Texte soll die Entwicklung der Darstellungsweise und Bewertung der Malinche in der Litera1 Die Parallele zu Medea stellen diverse Autoren des 10. Jahrhunderts her, so Jesús Sotelo Inclán, Sergio Magaña und der Italiener Angelo Morino. 2. Sacajawea findet sehr häufig Erwähnung in den Journals of the Expedition Under the Command of Captains Lewis and Clark, hg. von Nicholas Biddle, 8 Bde., New York 1962. 3 Octavio Paz: El laberinto de la soledad, México '1967, S. 78.
14 tur vom 1 6 . Jahrhundert bis heute aufgezeigt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der mexikanischen Literatur, Werke aus anderen Nationen werden aber ebenfalls angesprochen und skizziert. Das Textkorpus setzt sich zusammen aus Chroniken und weiteren Geschichtswerken aus den verschiedenen Jahrhunderten, aus Biographien, Essays, Lyrik, Dramen und Romanen, wobei auch Werke, die wegen ästhetischer Marginalität bisher eher unbeachtet geblieben sind, für die Betrachtung in diesem Rahmen herangezogen werden. Der Versuch einer gewissen Vollständigkeit wird zumindest innerhalb der mexikanischen Literatur unternommen, kann aber im Grunde nie gelingen, da Malinche oftmals Nebenfigur in unzähligen Conquista-Bearbeitungen ist. Der Schwerpunkt wird somit auf die Texte gelegt, die Aussagen zu Marina enthalten, die für ihre Wertung von Bedeutung sind. In diesem Sinne handelt es sich bei dieser Arbeit um eine stoffgeschichtliche Untersuchung, die ausgeht von dem Conquista-Stoff (der als solcher bei Elisabeth Frenzel Aufnahme fand), 4 mit Schwerpunkt auf der Figur der Malinche, und die Rezeption durch verschiedene Autoren in verschiedenen Epochen zum Thema hat. Dieser Stoff enthält wiederum verschiedene Motive, die in unterschiedlicher Weise zur Geltung kommen, eine Verschiebung erfahren oder sogar neu gebildet werden, wie das Motiv der Liebesbeziehung zwischen Cortés und Malinche, das Motiv des Verrats u.v.a. Weshalb ein bestimmter Stoff die Dichter immer wieder anzieht, begründet Frenzel mit darin enthaltenen Situationen, die menschliche Existenzproblematiken gestalten, und die vor allem Rätsel aufgeben bzw. Fragen stellen.5 Dies trifft auf den Stoff der Conquista und im speziellen auf Malinche zu. Die Phantasie der Autoren wurde immer wieder angeregt durch die Leerstellen in ihrer Biographie, die es zu füllen galt. Vor allem gingen viele der Frage nach, weshalb Malinche die Spanier unterstützt hat, und kamen dabei immer wieder zu den unterschiedlichsten Auslegungen. Die Vorgehensweise in dieser Arbeit stimmt auch mit einigen Forderungen der Rezeptionsästhetik von Hans Robert Jauß überein, wenn es z.B. darum geht, zu untersuchen, wie ein Autor einen gegebenen Stoff entsprechend den spezifischen Zeitumständen uminterpretiert. Die Analyse der Texte erfolgt nach unterschiedlichen Gesichtspunkten. Um herauszufinden, weshalb Malinche zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich dargestellt wurde, ist es notwendig, auf die politische, soziale und geistesgeschichtliche Situation in Mexiko zur jeweiligen Zeit einzugehen, und die Texte vor diesem Hintergrund zu betrachten. Ebenfalls Wert gelegt wird auf die Hintergründe der einzelnen Autoren, die sich die Bearbeitung der Conquista zur Aufgabe gemacht haben. Erschwert wird dies Vorhaben dadurch, daß Daten zu unbekannteren Autoren oftmals nicht zu ermitteln sind. Bei bekannten Autoren wird auf grundlegende biographische Daten weitgehend verzichtet; genannt werden Daten, die im Zusammenhang mit dem speziellen Werk von Bedeutung sind. Z u sehen sein wird 4 Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur, Stuttgart ' 1 9 8 8 . 5 Vgl. dazu Elisabeth Frenzel: Stoff-, Motiv- und Symbolforschung, Stuttgart 69.
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entsprechenden Stelle in dem Ritterroman Amadis de Gaula, dem Wiedersehen des Amadis und seiner Mutter, verglichen werden.1* Hier tritt die „literarische" Seite seines Werkes, auf die verschiedene Kritiker verweisen, deutlich zutage. Brody z.B. erforscht die literarische Strategie bzw. die Erzählstruktur des Werkes mit den Mitteln und vor dem Hintergrund des Werkes von Hayden White. 17 Einen Schritt weiter geht Jean Franco in ihrer Analyse der H. V., wenn sie davon spricht, daß in der H. V. bereits Mythen begründet liegen, die in den folgenden Jahrhunderten weiter ausgebaut werden: This wonder at the drama of the conquest gave him a sure touch in his treatment of episodes which have entered into the mythology of Mexico; it is through his account that the main protagonists of the conquest — Cortés, his mistress, doña Marina, Pedro de Alvarado, Moctezuma - have become familiar. 18
In ihrer Historia de la literatura hispanoamericana umschreibt sie dies noch einmal mit anderen Worten, wobei sie sich allgemein auf die Augenzeugenberichte, Chroniken und Geschichtswerke der Zeit bezieht: Libros como éstos fundan los esquemas mítico-poéticos de la literatura latinoamericana, en la cual iban a predominar los temas del viaje y de la búsqueda. Los conquistadores se convirtieron en héroes legendarios. [...] adquirieran como una aureola mágica. En la más famosa de las crónicas de la conquista, la Historia verdadera [...], cada acción y cada hecho es un arquetipo, el molde original de un mito americano. 19
Oder wie es Leonardo Olschki direkt in bezug auf die Darstellung Marinas formuliert: [Bernal Díaz] abbia contribuito più di tutti gli altri cronisti delle Indie a dare alla biografia di Marina il carattere romanzesco e novellistico che la sua leggenda e la sua storia hanno poi mantenuto. 10
An den genannten Beispielen und den Aufsätzen zeigt sich, daß Bemal Díaz nicht nur reale Fakten zu Papier gebracht hat, sondern daß — auch im Zusammenhang mit der Darstellung Marinas - einige seiner Schilderungen lediglich „Beiwerk" nach den Vorstellungen seiner Zeit waren. Er bildet damit jedoch nicht die Ausnahme unter den Geschichtsschreibern, sondern eher die Regel. Deutlich wird, daß im Grunde keine der Quellen als absolut zuverlässige Primärquelle gelten kann - wie schon bei Cortés zu sehen war, der aus diversen Gründen Marina wenig Aufmerksamkeit in den Briefen schenkte. Enrique Pupo-Walker formuliert es so: 16 Dazu und zur Darstellung der Doña Marina bei Bernal Díaz allgemein vgl. Julie Greer Johnson (:Fn. 13), S. 67-77. Vgl. auch Ida Rodríguez Prampolini: Amadises de América. La hazaña de Indias como empresa caballeresca, México 1948. 17 Roben Brody (:Fn. 8), S. 316 ff. Auf genauere Ausführungen wird verzichtet, auf den Aufsatz sei verwiesen. Zwei Titel von Hayden White sind dabei von Bedeutung: Hayden White: Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen, Stuttgart 1986 (Tropics of Discourse, Baltimore, 1978, v.a. S. 52.fi.) und Metahistory, Baltimore/London 1973, v.a. S. 1—41. 18 Jean Franco: An lntroduction to Spanish-American Literature, Cambridge 1 9 7 1 , S. 10. 19 Jean Franco: Historia de la literatura hispanoamericana, Barcelona, ' 1 9 8 ; , S. 1 1 f. 10 Leonardo Olschki: Storia letteraria delle scoperte geografiche, Firenze 1937, S. 68.
44 [...] una apreciación informada de las crónicas americanas debe presuponer, creo yo, que el discurso histórico es, en sí, una esquematización de los valores culturales que nutren y conforman el pensamiento del relator. 21
Zwei weitere Augenzeugen sehen Marina vor allem als Dolmetscherin: Andrés de Tapia 1 1 in seinem Bericht, geschrieben um 1547: Estando para nos partir, una india de esta cibdad de Cherula, mujer de un principal de allí, dijo á la india que llevamos por intérprete con el cristiano, que se quedase allí, porque ella la quirie mucho é le pesaría si la matasen, é le descubrió lo que estaba acordado; 13
Auch Alonso bzw. Fray Francisco de Aguilar (1479—1571), ebenfalls ein Soldat des Cortés, erwähnt Marina in seinem 1560 verfaßten Bericht über die Eroberung, der Relación breve de la conquista de la Nueva España14 häufig namentlich in ihrer Funktion als Dolmetscherin: [...] y así mismo trajeron un presente de mantas y ocho mujeres por esclavas, y entre ellas una que se llamó Marina, a la cual después pusieron Malinche, la cual sabía lengua mexicana y entendía la lengua del dicho Aguilar que habíamos tomado en la Costa
3.1.2. Zeugnisse der Eroberten Die indianischen Dokumente, die zur Eroberung erhalten sind, sind zum Teil spanischen Missionaren zu verdanken, die allgemein einen großen Beitrag zur Geschichtsschreibung in Amerika geleistet haben (vgl. Kap. 3.1.3.), wenn auch einigen von ihnen die Vernichtung altmexikanischer Dokumente anzulasten ist. Indios und Mestizen, die in spanischen Klosterschulen die lateinische Schrift erlernt hatten, waren bald in der Lage, Werke in spanischer oder aztekischer Sprache zu verfassen. Die meisten der rein indianischen Aufzeichnungen sind allerdings verlorengegangen. Eines der wichtigsten Dokumente aus dieser Zeit, die erhalten sind, ist der Florentiner Codex, von dem Franziskaner Fray Bernardino de Sahagún (1499— 1590?) ins Spanische übertragen. Er kam 1529 nach Mexiko und vertrat die Meinung, daß man selbst erst einiges über die Kultur und Weltanschauung der Azteken lernen müsse, bevor man sie zum Christentum bekehren könne. Er verwendete sechzig Jahre auf die Erziehung der Indios und lernte ihre Sprache, versammelte Berichterstatter rein indianischer Abstammung um sich und ließ sich von ihnen in jahrelanger systematischer Arbeit ihre Geschichte, Sitten, Glaubensvorstellungen und auch den Verlauf der Eroberung schildern und auf Nahuatl nieder21 Enrique Pupo Walker: „Primeras imágenes de América: Notas para una lectura mis fiel de nuestra historia", in: Roberto González Echevarría (:Fn. 10), S. 88. 22 Andrés de Tapia: „Relación hecha por el señor Andrés de Tapia, sobre la Conquista de México", in: Joaquín García Icazbalceta (Hg.): Colección de documentos para la historia de México, Bd. i , Nendeln/ Liechtenstein 1 9 7 1 , S. 5 54 fr 23 Ibid., S. 574. 24 Francisco de Aguilar: Relación Breve de la Conquista de la Nueva España, México 1954. 2 ; Ibid., S. 30. Weitere Stellen S. 31 und 37.
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schreiben und illustrieren. Er selbst ordnete diese Berichte und stellte aus ihnen eine spanische Paraphrase zusammen, die Historia General de las cosas de Nueva España,16 aufgeteilt in zwölf „Libros". Das Libro XII behandelt die Conquista. Auffällig ist bei allen Berichten, die von Indios stammen, daß sie der Figur der Malinche häufig eine größere Bedeutung in ihrer Funktion als Dolmetscherin zumessen, als es bei den Spaniern der Fall ist. So wird sie bei fast allen Gesprächen, die zwischen Indios und Spaniern stattfinden, ausdrücklich erwähnt bzw. bildlich (vgl. Abb. 2, 4, 12, 13) dargestellt: „Este juntamente con María eran intérpretes del capitán."17 In diesem Zusammenhang spricht er nicht von Aguilar, sondern von einem Indio namens Tlacochcalcatl, der schon seit einiger Zeit bei den Spaniern lebte. Er könnte Melchorejo meinen, dennoch stimmt der Zusammenhang dann nicht, denn als Marina zu den Spaniern kam, lebte Melchorejo bereits nicht mehr und Aguilar war Dolmetscher. Ebenso erfährt man aus der Sicht Moctezumas von Marina: Fué dicho a Mocthecuzoma cómo los españoles traían una india mexicana que se llamaba María, vecina del pueblo de Teticpac que está a la orilla de la mar del Norte, y que traían ésta por intérprete, que decía en la lengua mexicana todo lo que el capitán D. Hernando Cortés le mandaba. (34f.)
Er spricht noch einmal von ihr, als sich die Spanier bereits in Tenochtitlán befanden, und sie wohl schon die spanische Sprache beherrschte: [...] y luego mandó el capitán D. Hernando Cortés por medio de Marina que era su interprete, la cual era una india que sabía la lengua castellana y mexicana que la tomaron en Yucatán: ésta comenzó a llamar a voces a los tecutles y piles mexicanos para que viniesen a dar a los españoles lo necesario para comer, y nadie osaba venir delante de ellos, ni llegarse a ellos [...] (46)
Marina ist auch dabei, als Cuauhtémoc von den Spaniern besiegt wird: La india que era intérprete que se llamaba Marina, púsose cerca del capitán, y de la otra parte el señor de México Quauhtemoctzín [...] (76)
Auf diese Darstellung beziehen sich die späteren Aussagen von Historikern und Literaten, daß Marina bei der Folterung Cuauhtémocs dabei gewesen sei, als es darum ging, den Ort des Verstecks für das Gold der Azteken zu erfahren: Coino estuvieron juntos los tres señores de México [...] delante de D. Hernando Cortés, mandó a Marina que les dijese dónde estaba el oro que había dejado en México
[.••1(77)
2.6 Bcnardino de Sahagún: Historia General de las Cosas de Nueva España, Bd. IV, México 1956. Beendet hat er sein Werk 1569, überarbeitet 1585. Zu den verschiedenen Fassungen und der Überlieferungsgeschchte vgl. Esteve Barba (:Fn. 1), S. 184 ff. Die Seitenangaben befinden sich im Text. 27 Sahagún (:Fn. 16), S. 36. Die Verwendung des Namens Maria erscheint noch einmal auf S. 34, es scheint siel aber eher um einen Druckfehler zu handeln, da er an anderen Stellen von Marina spricht; vgl. S. 44, 46 ind die weiteren im Text angegebenen Zitate.
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Marina wird im Verlaufe des Gesprächs noch häufig in ihrer Dolmetscherfunktion erwähnt. Insgesamt wird sie in Gesprächswiedergaben mit großer Genauigkeit als die Vermittlerin gezeigt. 18 Die Nahuatl-Version des Textes unterscheidet sich nur insofern von der spanischen, als der Name Malintzin verwendet wird, inhaldich sind die Werke gleich.1»
Abb. I i :
Zusammentreffen von Cortes, Malintzin und Moctezuma Còdice Florentino, 16. Jhdt. (Quelle: Baudot/Todorov: Récits aztèques de la conquête, Paris 1983)
28 Ausschnitte aus Sahagún und den besprochenen indianischen und mestizischen Geschichtswerken finden sich in Visión de los vencidos, herausgegeben von Miguel León-Portilla, México '"1984. 19 Vgl. z.B. S. 1 1 1 der genannten Ausgabe von Sahagún, wo Marina ebenfalls darum bemüht ist, Lebensmittel für die Spanier zu bekommen.
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Abb. 13:
Malintzin wendet sich an die Mexikaner — Códice Florentino, 16. Jhdt. (Quelle: Baudot/Todorov: Récits aztèques de Ut conquête, Paris 1983)
Ebenfalls von großer Bedeutung für die indianische Sicht der Eroberung und die Stellung Marinas, d.h. ihre Einschätzung durch die Indios, ist der Lienzo de Tlaxcala.)0 Diese Bilderhandschrift zeigt den Verlauf des Eroberungszuges nach Tenochtitlán aus der Sicht der Tlaxcaltekcn in achtzig Einzeldarstellungen. Die Tlaxcalteken hatten sich den Spaniern angeschlossen, um die Herrschaft Moctezumas, dem sie unterworfen waren, zu beenden. Sie galten als treue Alliierte der Spanier. Es ging den Tlaxcalteken bei der Anfertigung vor allem darum, ein Zeugnis ihrer Verdienste abzulegen, um so bestimmte Privilegien beim König einzufordern, die ihnen versprochen worden waren. Neben den Illustrationen des Florentiner Codex sind dies die bekanntesten Bilddarstellungen der Eroberung und vor allem die wichtigsten in bezug auf die Darstellung der Doña Marina. Von insge30 Lienzo de Tlaxcala, Mixico 1983. Diese Faksimile-Ausgabe ist mit Kommentaren zu den einzelnen Bildern und einer Zusammenfassung der Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte versehen. Von den drei Originalen, die Ende des 16. Jahrhunderts angefertigt wurden, existiert nach den Informationen keines mehr, das letzte ging während der Intervention der Franzosen im 19. Jahrhundert verloren. Nur Kopien sind erhalten.
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samt 48 Bilddarstellungen des Lienzo de Tlaxcala, die speziell von der Conquista bis zur Einnahme Tenochtitláns berichten, ist Marina auf 2.2 zu sehen, meist in exponierter Stellung an der Seite von Hernán Cortés, oder zwischen den Spaniern und den Azteken in ihrer Funktion als Vermittlerin zwischen den beiden Kulturen (vgl. Abb. 5 - 1 1 , 14-18). 31 Die Indios hatten, so ist anzunehmen, genaue Kenntnis von Marinas Tätigkeiten. Sie trägt die Kleidung der Indios, ihr Haar ist offen, und einzig auffallend ist, daß sie wie die Spanier geschlossene Schuhe trägt, nicht die „cactli" der Indios, und ebensowenig geht sie barfuß, wie andere der dargestellten Frauen. Ihre Handhaltung entspricht der einer Redenden und Vermittelnden. Ein Teil der „láminas" wird in den Abbildungen wiedergegeben, die für sich sprechen. Die Bildunterschriften stammen aus den Kommentaren dieser Faksimile-Ausgabe, die auch Marina immer mit einbezogen haben, so lautet z.B. einer der Kommentare: „[...] fácil a conocer [...] a Marina, cuya omnipresencia se vuelve impertinente."'1
Abb. 14:
Versorgung der Spanier durch die Tlaxcalteken — Lienzo de Tlaxcala, 16. Jhdt. (Quelle: Lienzo de Tlaxcala, Mexico 1983)
31 Es handelt sich um die „láminas" 1 - 9 , n , 1 4 , 1 5 , 1 9 - 2 . 3 , 1 6 - 1 9 . 45.4®3 1 Ibid., S. 51.
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In der Literatur werden die mestizischen und indianischen Autoren von Geschichtswerken oftmals nach ihrer Herkunft unterschieden, Hernando Alvarado Tezozomoc aus Mexiko-Stadt, Alva Ixtlilxóchitl aus Tezcoco und Diego Muñoz Camargo aus Tlaxcala." Es zeigt sich bereits im 16. Jahrhundert, daß die indianischen bzw. mestizischen Historiker durch ihre Bildung stark in die westliche Zivilisation eingebunden und von der klassischen griechisch-lateinischen und der spanischen Geschichte, sowie von der christlichen Lehre geprägt sind. Charakteristika ihrer Werke bleiben dennoch ein gewisser Lokalpatriotismus und der Wunsch, Erinnerungen zu bewahren, aber auch der Wunsch, ihre Rechte auf Land und Titel zu legitimieren: L a ambivalencia de estas obras reflejó la ambigua situación política y social de sus autores. El orgullo en sus abuelos p a g a n o s y el resentimiento p o r la pérdida de sus propiedades y privilegios ante los españoles lucharon con un catolicismo ferviente y una tendencia general a identificarse con la triunfante cultura española. 3 4
Ihre Bedeutung als Dolmetscherin und Mittlerin betont auch Hernando Alvarado Tezozomoc (um 1 5 2 0 - 1 6 0 9 / 1 0 ) , ein Nachkomme Moctezumas, in der Crónica Mexicana," die er zwischen 1598 und 1609 verfaßte. Von den zwei Teilen ist nur der erste erhalten, der bis zur Ankunft des Cortés in Tlaxcala reicht. Von Bedeutung im Zusammenhang mit Marina ist auch die Historia de Tlaxcala*6 des Mestizen Diego Muñoz Camargo (?i^28— I 5 9 j / ? i 6 i 2 ) . Die Spanische Krone hatte bald die Hilfe vergessen, die die Tlaxcalteken für die Spanier geleistet hatten. Die Privilegien, die sie erhalten hatten, waren nicht ausreichend. Immer wieder gingen Gesandte in die Hauptstadt. Ein Geschenk an die Herrschenden war eine Chronik, die die Geschichte des Landes erzählte und erst unter dem Titel Descripción de la ciudad y provincia de Tlaxcala verbreitet wurde, später in der Überarbeitung den Titel Historia de Tlaxcala erhielt. Zum Autor Muñoz Camargo gibt es kaum biographische Angaben, zumal die Suche erschwert wird durch die Existenz mehrerer Personen mit gleichem Namen. Er war der Sohn eines Spaniers und einer India, die wahrscheinlich nicht dessen legitime Ehefrau war. Die Historia de Tlaxcala wurde 1594 fertiggestellt. Der Autor kannte die Werke von Sahagün und Motolinia. Bei ihm fanden auch Ausschnitte aus Francisco de Terrazas' Versepos37 Aufnahme. Zudem bezieht er sich immer wieder auf Bemal Díaz - er kannte wahrscheinlich das Manuskript - und auch auf Codices, die heute nicht mehr vorhanden sind. 33 Vgl. zu dieser Einteilung Manuel Carrera Stampa: „Historiadores indígenas y mestizos novohispanos. Siglos XV1-XV1I", in: Revista española de antropología americana, Bd. 6, Madrid 1 9 7 1 , S. 206. 34 Benjamin Keen: La imagen azteca en el pensamiento occidental, México 1984, S. 88. Das Original in englischer Sprache - The Aztec Image in Western Thought - erschien 1971, New Brunswick. 35 Hernando Alvarado Tezozomoc: Crónica Mexicana, México 1980. Vgl. S. 688—690, 698, 701. 36 Diego Muñoz Camargo: Historia de Tlaxcala, Ausgabe von Germán Vázquez, Madrid 1986. Die Informationen entstammen der Einführung des Herausgebers. Sie wurde erst 1891 von Alfredo Chavero veröffentlicht. Die Seitenangaben befinden sich in Klammern im Text. 37 Vgl. dazu folgendes Kapitel.
50 Er erkennt bereits die Ungenauigkeiten in der Angabe des Herkunftsortes der Malinche: En lo que toca al origen de Malintzin, hay más grandes variedades sobre su nacimiento y de qué tierra era, de lo cual no trataremos [...] (187) Er beschreibt auch die Theorie, daß sie die Tochter eines Händlers gewesen sei, was bisher nirgends so zu lesen war: „Otros quieren decir que fue hija de un mercader" (187). Er spricht den Gedanken der Göttlichkeit im Zusammenhang mit ihrer Sprachfähigkeit und ihrer Schönheit aus: [...] Marina, que por los naturales fue llamada Malintzin y tenida por diosa en grado superlativo [...] (187) Dabei verweist er auf die Bedeutung des Anhängens der Endung -tzin an den Namen: [...] y era que traían consigo una mujer que era hermosa como diosa, porque hablaba la lengua mexicana y la de los dioses, que por ella se entendía lo que querían y que se llamaba Malitzin, porque como fue bautizada la llamaron Marina. (184^) Beachtung verdient Muñoz Camargo aber vor allem aufgrund seiner Behauptung, daß Marina mit Aguilar verheiratet gewesen sei, womit er den Grundstein legt für diese Aussage, die später bei Ixtlilxochitl wieder auftauchen wird, auch im 1 9 . Jahrhundert in dem Geschichtswerk von Alfredo Chavero und Vicente Riva Palacio und in der literarischen Bearbeitung des Stoffes durch Fernando de Zárate. Muñoz Camargo widmet diesem Thema ein ganzes Kapitel: „Que trata de quién era Marina y de su matrimonio con Jerónimo de Aguilar".' 8 Von dem Kaziken, bei dem sie lebte, als Cortés sie fand, war auch Aguilar gefangen genommen worden: Habiendo pues, quedado cautivo Aguilar en aquella tierra, procuró de servir y agradar en gran manera a su amo ansí en pesquerías como en otros servicios, que los sabía bien hacer que vino a ganar tanto la voluntad, que le dio por mujer a Malintzin. (189) Es könnte auch sein, daß Muñoz Camargo hier die Geschichte von Guerrero mit der Aguilars vermischt, denn seine Beschreibung Aguilars („Y fue en tanta manera convertido en indio que se horadó las orejas y narices y se labró y se rayó la cara y carnes como los propios indios", 189) entspricht der, die von anderen Historikern für Guerrero gegeben wird, der mit einer India verheiratet war und sich nicht mehr den Spaniern anschloß, sondern gegen sie kämpfte. Seine Situation war ähnlich wie die Marinas — nur stand er auf der anderen Seite. Im zo. Jahrhundert wird Guerrero deshalb von einigen als der Vater der mexikanischen Nation bezeichnet. Die Situation des indianischen und mestizischen Adels verschlechterte sich ab Anfang des 1 7 . Jahrhunderts. Spanische Großgrundbesitzer und Funktionäre er38 Kapitel 1 , S. 1 8 6 - 1 9 0 .
5i hielten immer mehr Macht. Einige Adelige antworteten auf diese Krise, indem sie auf Spanisch oder Nahuatl Geschichtswerke schrieben, die dazu bestimmt waren, dem König die Abstammung ihrer Familien und die Verdienste der Vorfahren in der Conquista nahezubringen. Zu spüren ist in ihren Werken der Zwiespalt zwischen Verärgerung über die Ungerechtigkeit Spaniens und Nostalgie in bezug auf die soziale Ordnung in präcortesianischer Zeit auf der einen, und dem Katholizismus und dem Schuldgefühl für heidnische Sünden auf der anderen Seite. Beispiel dafür ist die Historia Chichimeca39 von Fernando de Alva Ixtlilxochitl (1569—1648), einem Nachfahren des mit Cortés verbündeten Herrschers von Tezcoco. Er beschreibt die Eroberung vom Standpunkt des mit den Spaniern alliierten Tezcoco, vertritt also die spanische Seite, nicht ohne jedoch die Taten seines Volkes besonders herauszustellen und bisweilen auch Kritik am Verhalten der Spanier zu üben. Inhaltlich umfaßt sie das Geschehen der Conquista bis zum Angriff auf Tenochtitlán. Als Teil seines Compendio histórico del reino de Tezcoco verfaßt er die sogenannte „Relación de la venida de los españoles, y principio de la ley evangélica" (1608). Darin geht er sehr ausführlich auf Marina ein, allerdings findet sich bei ihm der gleiche Fehler wie schon bei Muñoz de Camargo. Aguilar und Marina kannten sich nach seiner Aussage schon vor der Ankunft des Cortés und waren bereits verheiratet. 3.1.3. Der Beitrag der Missionare Der Beitrag der spanischen Missionare zur Geschichtsschreibung in Amerika ist sicherlich einzigartig und auch in diesem Zusammenhang von außerordentlicher Wichtigkeit. Sahagún wurde im Zusammenhang mit den indianischen Zeugnissen genannt. Der Dominikaner Fray Bartolomé de las Casas (1475-1566) hatte mit seiner Historia de las Indias, veröffentlicht erst 182.1, und der Brevísima relación de la destrucción de las Indias, veröffentlicht 1552, 40 die Absicht, auf die Lage der Indios nach der Versklavung durch die Spanier aufmerksam zu machen. Seine Urteile über die Eroberer und ihre Taten sind an Schärfe kaum zu überbieten, was in Spanien zum Teil aufs heftigste verurteilt wurde, da er damit der „Leyenda Negra" das beste Material geliefert hat. Im Disput mit Juan Ginés de Sepúlveda um die Stellung der Indios, bezieht Las Casas sich auf Papst Paul III. (1534—49), der sich in der Bulle Sublimis Deus gegen die Behauptung ausgesprochen hatte, die Indios wären keine Menschen. Sepúlveda*1 dagegen beruft sich auf Papst Alexan39 Alfredo Chavero (Hg.): Obras históricas de Don Fernando de Alva Ixtlilxochitl, i Bde., México 1891. Dieses Werk schließt auch die „Relación de la venida de los españoles y principio de la ley evangélica" mit ein, in dem Ixtlilxochitl sich am genauesten mit Marina beschäftigt. 40 Bartolome de las Casas: Historia de las Indias, 3 Bde., México/Buenos Aires 1951. Zur Eroberung von Mexiko siehe Band III; „Brevísima relación de la destrucción de las Indias", in: Juan Pérez de Tudela Bueso (Hg.): Obras escogidas de Fray Bartolomé de las Casas, Bd. V., Madrid 1958. 41 Seine Schrift, in der er als Quelle v.a. Fernández de Oviedo verwendet, ist: De rebus hispanorum gestis ad Novum Orbem Mexicumque, veröffendicht 1780.
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Abb. i E m p f a n g in Tecoatzinco - Lienzo de Tlaxcala, 16. Jhdt. (Quelle: Lienzo de Tlaxcala, Mexico 1983)
der VI., der die Welt zwischen Spanien und Portugal aufgeteilt und den Auftrag zur Missionierung gegeben hatte. 4 1 Die argumentative Struktur seiner Werke unterscheidet diese von den anderen bisher genannten. Obwohl Doña Marina für Las Casas als Verteidiger der Indios eine interessante Person hätte sein können, berichtet er nur kurz über deren Vorgeschichte und erwähnt sie sonst nur in ihrer Funktion als Dolmetscherin. Auch m dieser Funktion spricht er ihr größere Bedeutung ab, da er bezweifelt, daß Marina in der Lage war, schwierige Gesprächsinhalte zu vermitteln, womit er sicher nicht unrecht hat, bezieht er sich doch vor allem auf die Vermittlung von Gesprächsinhalten über Religion und das Reich der Könige von Kastilien: Y dice Gomara cerca de este punto muchas vanidades y algunas falsedades, para colorar las obras que por aquellas tierras hizo su amo Cortés, como siempre hizo, como decir que con Marina o Malinche les preguntó por los señores que por aquella tierra había, y otras muchas cosas que por no experto intérprete y que apenas sabía hablar en vocablos de aquella lengua comunes, [...] y todo lo demás por señas, no se sufría; 43 4 1 Vgl. ausführlich dazu den Aufsatz von Mario Erdheim: „Anthropologische Modelle des 16. Jahrhunderts. Ober Las Casas, Oviedo und Sahagün", in: Karl-Heinz Kohl (Hg.): Mythen der Neuen Welt, Berlin 1 9 8 1 , S.iif. 43 Bartolome de las Casas: Historia de las Indias (:Fn. 40), S. 149, vgl. auch S. 244 f.
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Er geht vielmehr davon aus, daß die Verständigung mit wenigen Worten und vielen Gesten erfolgte. Er ist damit bis ins zo. Jahrhundert einer der wenigen, der die Problematik erstens erkannt und zweitens ausführlicher thematisiert hat. Für alle anderen Historiker schien die Verständigung zwischen den Völkern keine Schwierigkeit gewesen zu sein, ein Faktum, das sich in der fiktionalen Literatur verstärkt zeigen wird, wenn Spanier und Azteken sich ohne Dolmetscher verständigen. Der Dominikanerbruder Diego Durán (1537-1587), der bereits als Kind nach Mexiko kam, widmete die Kapitel LXIX bis LXXVIII, die letzten der Historia de las Indias de Nueva España e islas de tierra firme, verfaßt 1581, der Eroberung. Veröffentlicht wurde sein Werk erst zwischen 1867 und 1880. Er stützte sich dabei auf Codices und mündliche Quellen. Seine Absicht war es, die Wahrheit zu schreiben, wie sie die Indios erzählten und erinnerten.'*'4 Nach seiner Aussage konnte Marina Spanisch schon vor der Ankunft des Cortés, denn sie war schon Dolmetscherin für Grijalva im Jahr zuvor gewesen.« Fray Toribio de Motolinia (?—1569) kam 1524 mit der ersten Gruppe von Franziskanern nach Mexiko. In einem Brief an Carlos V. berichtet er u.a. über die religiösen Taten des Cortés, und nennt dabei Marina als wichtige Mittelsperson bei der Verbreitung des christlichen Glaubens: [ . . . ] deparóle D i o s en esta tierra dos intérpretes, un Español que se llamava Aguilar i una India que se llamó D o ñ a M a r i n a ; con estos predicaba á los Indios i les d a v a á entender quién era Dios i quién eran sus Idolos, i así destruía los Idolos i quanta idolatría
podía.*6
Seine Historia de los indios de Nueva España enthält nichts Nennenswertes zu Malinche. 3.1.4. Versionen der iberischen Halbinsel Für eine erste Verbreitung der Informationen über die Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt in Europa sorgte Petrus Martyr de Angleria mit seinem Werk De Orbe Novo oder Décadas del Nuevo Mundo,*7 das 1530 veröffentlicht wurde. Der Italiener, der seit 1487 in Spanien und am Hofe lebte, begann bereits ein Jahr nach der Entdeckung Amerikas in lateinischer Sprache die Briefe zu verfassen, die später unter oben genanntem Titel veröffentlicht wurden. Er reiste nicht in die 44 Kap. LXXIV, vgl. dazu José Luis Martínez (:Fn. i), S. 197. Er weist bemerkenswerte Abweichungen zu den Versionen von Cortés oder Bemal Díaz auf. Behauptet wird z.B., daß Moctezuma nach der Steinigung durch Dolchstiche der Spanier getötet wurde. Die Frage, ob Moctezuma durch die Indios oder die Spanier seinen Tod fand, löst bis heute immer wieder Diskussionen aus - vgl. z.B. den Roman Los mártires del Anáhuac von Eligio Ancona aus dem 19. Jahrhundert. 45 Das Original lag nicht vor, die Informationen sind entnommen aus Winston Allin Reynolds: „Hernán Cortés y las mujeres: vida y poesía", in: Nueva Revista de Filología Hispánica, Año 18, México D. F. 1965/66, Nr. 3-4, S. 417-435, hier S. 417. 46 „Carta de Fray Toribio de Motolinia al Emperador Carlos V., Enero 2 de 1 5 5 5 " , in: Joaquín García Icazbalceta (:Fn. 22), Bd. I, S. 175. 47 Petrus Martyr de Angleria: Opera, Graz 1966.
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neue Welt, kannte aber Kolumbus, Vespucci u. a. persönlich. Seine Berichte sind eine Mischung aus Wirklichkeit und Phantasie. Unter den Katholischen Königen wurde er zum Mitglied des „Consejo de Indias" und zum Chronisten berufen. In den letzten vier „Décadas" schreibt er über die Entdeckung und Eroberung Mexikos, als Quelle dienten ihm vor allem Cortés' Bericht, aber auch Gespräche mit Reisenden. Er beschreibt auch die Geschenke, die bereits nach Spanien gelangt waren und liefert ein erstes Zeugnis von den „Codices" der Indios. Da er sich u.a. auf Cortés' Briefe stützt, wird Marina, wie nicht anders zu erwarten, nicht genannt. Er erwähnt aber die zwanzig Sklavinnen, die den Spaniern geschenkt wurden.-»8 Seine Kenntnis von den Vorfällen in Cholula scheint er ebenso aus den Berichten des Cortés zu beziehen. Er berichtet von einem Mädchen aus Cempoala, das ihrem Mann oder ihrem Freund in der Kolonne des Cortés gefolgt war, und bei einer Frau in Cholula Unterkunft erhalten hatte. Diese Frau erzählt ihr von der geplanten Verschwörung. Das Mädchen informiert davon Aguilar, dieser Cortés. Obwohl Cortés in seinen Briefen in diesem Zusammenhang direkt auf Marina Bezug nimmt, spricht Martyr von einem Mädchen aus Cempoala.4' Auch als Dolmetscherin erwähnt er Marina nicht. Zur Gruppe der Historiker, die über die Eroberung schreiben, ohne selbst dabei gewesen zu sein, zählt der schon erwähnte Francisco López de Gomara ( 1 5 1 1 1572?). Er stützt sich bei der Abfassung seiner Historia General de las Indias50 (15 5 2) — die auch eine der ersten umfassenden Nationalhistoriographien war — vor allem auf die Aussagen des Cortés selbst, da er bei ihm und später bei dessen Sohn Hauskaplan war. Der Teil „Conquista de México" muß aus heutiger Sicht fast als Biographie des Cortés bezeichnet werden.'1 Als dessen enthusiastischer Verteidiger spielt er gelegentlich auf die Undankbarkeit Karl V. gegenüber Cortés an. Dies bedingt das zeitweilige Verbot des Werkes (von 1553—1727). Er widmet Doña Marina weniger Aufmerksamkeit, als dies bei Bernal Díaz der Fall ist, doch wird auch hier ihre Bedeutung für den Sieg der Spanier klar. Im Vergleich zu den Aussagen des Bernal Díaz treten einige Unstimmigkeiten auf, die in Marinas Kurzbiographie schon erörtert wurden, wie z.B. der Ort ihrer Herkunft. Er liefert eine negative Schilderung der Ereignisse um die Heirat Marinas und Jaramillos — was den Protest von Bernal Díaz hervorrief-: „[...] Creo que aquí se casó Juan Jaramillo con Marina, estando borracho. Culparon a Cortés, que lo consintió teniendo hijos en ella."' 2 Er spricht außerdem davon, daß Cortés und Marina mehrere Kinder hatten, was sich in anderen Bearbeitungen fortsetzen wird, wobei zutrifft, daß Cortés mehrere Kinder von Indias hatte, nicht aber von Marina. Als 48 49 50 ;1
Ibid., 4. Dekade, Buch 7, S. 154. Vgl. ibid., 5. Dekade, Buch 1, S. 166. Francisco López de Gomara (:Fn. 9). Auch Victor Rico González spricht in seinem Werk Hacia un concepto de la conquista de México, México 1953, S. 2.61 f., davon, daß für López de Gómara Geschichte vor allem aus Biographien großer Männer bestand. 51 Francisco López de Gomara (:Fn. 9), S. 410.
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er über Cortés' Kinder berichtet, spricht er von einem „Martin Cortes, que hubo en una india, [ . . o h n e Marina zu nennen. Ein aufmerksamer Blick auf sein Malinche-Bild ist insofern unabkömmlich, als sich die meisten der Autoren von Epen und Romanzen im 16. und 17. Jahrhundert auf seine Historia als Quelle stützen. Als Begründung für Marinas Unterstützung der Spanier führt er das Versprechen des Cortés auf Freiheit an: [ . . . ] p e r o luego salió della, porque una de aquellas veinte mujeres que le dieron en Potonchan hablaba con los de aquel gobernador y los entendia muy bien, c o m o á h o m b r e s de su p r o p i a lengua; así que Cortés la t o m ó aparte con Aguilar, y le prometió m a s q u e libertad si le trataba verdad entre él y aquellos de su tierra, pues los entendía, y él la queria tener p o r su f a r a u t e y secretaria; 1 4
Sein Bild der Indios ist von Herablassung und Abscheu geprägt, im späteren Disput zwischen Las Casas und Sépulveda unterstützte er die These Sepúlvedas, daß die Indios von Natur aus Sklaven seien. Eine gewisse Verachtung für die Indios zeigt sich vielleicht auch in der Darstellung Marinas, zumal bei ihrer Heirat mit Jaramillo, da für Gomara offensichtlich zu sein scheint, daß diese Heirat für Jaramillo einen gesellschaftlichen Abstieg bedeutete — was in der Realität nicht der Fall sein mußte.55 3.1.5. Allgemeine Geschichtswerke In der zweiten Hälfte des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts wurden in Mexiko enzyklopädische Werke über Geschichte und Kultur der Völker Neuspaniens verfaßt, die meist große Teile zur Eroberung enthielten. Francisco Cervantes de Salazar (1514-1575), der 1 5 5 1 nach Mexiko kam, stützte sich in seiner Crónica de la Nueva España,*6 die um 1560 verfaßt und erst 1914 gefunden und veröffentlicht wurde, und die Teil einer Historia general de las Indias war, an der er seit 1557 arbeitete, hauptsächlich auf die Aussagen des Cortés, den er persönlich kannte, und auf das Werk von Motolinia.57 Zudem kannte er auch das Werk von López de Gomara, an den er sich vor allem bei der 53 Ibid., S. 454. 54 Ibid., S. j 1 1 . 55 Vgl. dazu die Analyse von Ricardo Herren: Doña Marina, La Malinche, Barcelona 1992, S. 144ff. Er vertritt die These, daß Marina Beziehungen auch zu indianischen Männern hatte (S. 139), was in keiner Quelle belegt ist, und nimmt dies als eventuelle Begründung für die doch eher negative Meinung des López de Gómara von Marina, da dieser vielleicht darüber von Cortés erfahren hatte — was reine Spekulation ist, gibt es doch keinerlei Beweise für seine Aussagen (dazu ausführlicher im Kapitel 5.6.1.). 56 Diese Chronik lag nur in Auszügen vor. Am wichtigsten für die Darstellung der Marina ist das Kapitel „Hernán Cortés conoce a Doña Marina", in: Santiago Magariños (Hg.): Hernán Cortés, Estampas de su vida, Madrid 1947, S. 87 f. Die Informationen zum Autor beziehen sich auf die Aussagen von Esteve Barba (:Fn. 1), S. i é i f f . Die Seitenangaben befinden sich in Klammern im Text. 57 Motolinia, eigentlich Fray Toribio Benavente (1495?—1569), einer der ersten zwölf Franziskaner, die in die „Neue Welt" kamen, schreibt 1 5 4 1 die Historia de los Indios de la Nueva España. Dieses Werk ist für die Darstellung der Malinche unbedeutend und wird deshalb im Text nicht eigens erwähnt. Marina erscheint auch nur kurz in der „Carta de Fray Toribio de Motolinia al Emperador Carlos V. Enero z de 1 5 5 5 " , in: Joaquín Garda Icazbalceta (:Fn. 1 1 ) , Bd. I, S. 173ff. Dazu weiter unten.
56 Abfolge der Ereignisse hielt. Man erfährt durch ihn wenig Neues über die Conquista, jedoch erhellt er die Mentalität der Kolonialaristokratie, mit der er sich identifizierte. Die Bücher II und VI handeln von der Eroberung. Der ersten Begegnung zwischen Cortés und Marina widmet er ein eigenes Kapitel, in dem er sich hauptsächlich mit der Herkunft Marinas beschäftigt. Von ihm stammt die Version, daß Marina die Spanier womöglich aus göttlicher Erleuchtung nicht verriet, eine Idee, die später bei Seco5® begeisterte Aufnahme finden sollte:
Abb. 16:
Ankunft in Tlaxcala und Aufstellen des Kreuzes - Lienzo de Tlaxcala, 16. Jhdt. (Quelle: Lienzo de Tlaxcala, México 1983)
Esta india se aficionó en tanta manera a los nuestros, o por el buen tratamiento que le hadan, visto cuánto conveía regalarla, o porque ella de su natural inclinación los amaba, alumbrada por Dios para no hacerles traición, que aunque muchas veces fué persuadida, unas veces por amenazas y otras por promesas de muchos señores indios, para que dixese unas cosas por otras, de todo lo que en secreto le decían daba parte al General y a otros capitanes, y así los hacía siempre vivir rescatados." 58 Vgl. Carlos Seco: „Doña Marina a través de los cronistas", in: Estudios cortesanos deI Instituto Fernández de Oviedo, Bd. 3 1 / 3 1 , Madrid, Enero a Junio 1948, S. 497-504. 59 Francisco Cervantes de Salazar (:Fn. 56), S. 87t. Weitere Seitenangaben befinden sich in Klammern im Text.
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Die Beziehung zu Cortés erwähnt er nicht, berichtet aber über Puertocarrero und über die Heirat mit Jaramillo, die er positiv bewertet: Casóse después esta india, en la prosecución de la conquista, con Joan Xaramillo, conquistador y hombre que en la guerra sirvió valientemente. (88)
Ihrer Rolle als Dolmetscherin mißt er für die Eroberung große Bedeutung bei. Im Mittelpunkt steht der religiöse Aspekt:40 Ya que Dios, para la conversión y bien de tantos infieles, había proveído de Aguilar, quiso que entre las esclavas que estos señores enviaron fuese una Marina, cuya lengua fué en gran manera para tan importante negocio necesaria; y pues se debe della en esta historia hacer notable mención... (87)
Er verweist auch darauf, daß unterschiedliche Meinungen über ihre Herkunft und die Geschichte ihrer Kindheit existieren. Juan Suárez de Peralta (um 1535—?), Sohn eines Encomenderos und Konquistadoren in Mexiko, ging 1579 nach Spanien, wo er seine Noticias históricas de la Nueva España61 aus der Entfernung schrieb. Er gehört bereits zur zweiten Generation, kannte allerdings die Geschichte noch von dem Vater und dessen Zeitgenossen. Seine Darstellung Marinas erscheint sehr phantasievoll. In seiner Version befand sich Marina in Tabasco aufgrund einer Strafexpedition, bei der sie einen aztekischen Führer begleitet hatte, und die von Moctezuma befohlen war. Sie erklärte sich gegenüber Cortés bereit, die Spanier nach Tenochtidán zu führen. Die Bedeutung des Werks liegt vor allem darin, daß der Autor die Sichtweise der Criollos seiner Zeit verkörpert. Er beschreibt u.a. das Leben der Spanier in Mexiko nach der Conquista. Zu sehen ist in seiner Schrift die andauernde innere Debatte über die spanische Herkunft und die Liebe zu Amerika. Er bewundert die vorhergehende Generation der Konquistadoren, der er alles verdankt und richtet sich gegen die Kolonialregierung — ähnlich wie Martín Cortés.61 Er schildert das Zusammentreffen von Marina und den Spaniern folgendermaßen: Cortés bittet Indios an der Küste um Auskunft über das Land und den Weg nach Tenochtidán: Ellos dijeron que por la mar se podía yr y más breue, que ellos conocían una yndia que abía benido de México, que era natural de aquella tierra, la qual abía traydo um capitán que auía enbiado Monte^uma a hazer justicia del señor de aquella probin;ia, a quien pocos días abía que le abían cortado la cabera y llebádola al rey Monteguma por ciertas quexas que del abían ydo al rey. (93)
Cortés wünscht jene India als Begleiterin: 60 Damit entspricht er Motolinia, der ebenso auf Marinas Bedeutung bei der Vermittlung der christlichen Religion zusammen mit Aguilar verweist, S. 275 seiner „Carta". 61 1589 geschrieben, 1878 unter dem Titel Noticias históricas veröffentlicht, später als Tratado del descubrimiento de las Yndias y su conquista, (Transcripción del manuscrito de 1589), Madrid 1990, mit einem Estudio preliminar von Giorgio Perissinotto. Daraus entstammen die Informationen zum Autor. 6 z Dazu ausführlicher ibid., Vorwort S. 1 7 ff. Weitere Seitenangaben befinden sich in Klammern im Text.
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[...] y pidiéronles que cómo podríam aber aquella yndia [...] y trujeror. la yndia, la qual era mexicana y auía benido de allá con aquel capitán. (93)
Sie informiert die Spanier über ihren König, Gold und Silber und wird in diesem Zusammenhang zum ersten Mal Marina genannt: [...] bolbamos a la yndia, la qual fue dando relación de todo y dificultó la jda a México por tierra, diziendo que era muy lejos y que auían de tener munchas guerras y trauajos, y que por la mar le parecía la jornada mejor y más breue [...] Así determinaron de se embarcarse y llebar consigo a la yndia, la qual llamaron Marina, que parece que Dios lo fue todo ordenando de manera que se acertase como llebarlos a aquella tierra donde hallaron aquellos ombres, y con ellos la yndia para que los encaminase a la buena tierra y les siruiese de lengua, y que los hombres Marcos de Aguilar y su compañero fuesen los ymtérpretes [...] (94Í.)
Nach Einschätzung von Juan Suárez de Peralta, der sich ja auf Aussagen von Beteiligten berufen kann, war Marina sehr wichtig: [...] yndia Marina - que no es la peor pie^a del harnés-, con la qual todos benían muy contentos, que momento no la dejaban los unos y los otros de benirla preguntando munchas cosas, que ya Hernando Cortés dio en que nayde la hablase. Malas lenguas dijeron que de celos. Esta duda la quitó el tener della, como tubo, seis hijos, que fueron: don Martín Cortés, caballero de la orden del señor Santiago, y tres hijas, las dos monjas en la Madre de Dios, Monesterio em Sant Lúcar de Barrameda, y doña Leonor Cortés, mujer que fue de Martín de Tolosa. (96 f.)
Suárez de Peralta spricht von sechs Kindern von Marina und Cortés. Sicher ist, daß nur Martín Cortés das Kind der beiden war, Cortés dagegen hatte mehrere illegitime Kinder und weitere Kinder mit seiner zweiten Frau.63 Allein die Tatsache, daß Marina nur wenige Jahre an der Seite des Cortés zubrachte, spricht gegen sechs Kinder. Diese Aussage macht aber wiederum deutlich, daß schon fünfzig Jahre nach der Eroberung verschiedene Versionen über Marinas Leben in Umlauf waren. Trotz diesem und auch einiger anderer Ungenauigkeiten im Gesamtwerk liefert Suárez de Peralta zumindest, was die Bedeutung Marinas in den Augen der Soldaten für ihre Unternehmungen betraf, aufschlußreiche Eindrücke. 3.1.6. „Cronistas oficiales" Es folgte die Generation der „Cronistas oficiales de Indias". Die Existenz dieser offiziellen Historiker in Kastilien geht zurück auf das 15. Jahrhundert. In der Renaissance waren es zumeist Sekretäre von Prinzen, Königen, oft große Humanisten, die diese Stellen einnahmen. Die Position des „Cronista mayor" oder „Historiador de Indias" wurde 1 5 7 1 von Felipe II. begründet, mit der Aufgabe, die offizielle Geschichte der Neuen Welt zu schreiben. Diese Position existierte bis ins 18. Jahrhundert.*4 Die Historiker führten die Modelle der klassischen Antike und der mittelalterli63 Vgl. Josí Luis Martínez: Hernán Cortés, México 1990, S. j i i f f . 64 Roberto González Echevarría (:Fn. z), S. 6z.
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chen Chronik in der Geschichtsschreibung weiter. Einige wurden aus Interesse an den Indios fast zu Ethnographen. In direktem Auftrag des Spanischen Hofes wurde Gonzalo Fernández de Oviedo y Valdés (1478—1557) unter Carlos V. 153z zum „Historiador de Indias". Er war ein Mensch der Renaissance, eignete sich in Italien die Lehren des Humanismus an, und galt als treuer Diener seines Königs. So ging es ihm auch darum, die Rechte des Königs vor Übergriffen, auch aus den Reihen der Konquistadoren, zu schützen. Er konnte deshalb auch Las Casas nicht akzeptieren, der die Rechte der Indios verteidigte und die des Königs einschränken wollte.6' Seit ungefähr 1 5 1 5 hielt er sich immer wieder in der Neuen Welt auf. In seiner Historia General y Natural de las Indias,66 die er 1520 begann und die das Ziel hatte, den Ruhm Kastiliens zu verbreiten, beschreibt er unter anderem die Geschichte der Eroberung Mexikos. Sein Werk basiert hauptsächlich auf den Cartas de Relación von Cortés. Seine Begeisterung für die Taten des Cortés läßt sich nicht leugnen. Er ist der erste, der die Briefe des Cortés mit Caesars Commentarii de bello Gallico vergleicht. Doña Marina bezeichnet er nur als „lengua" oder spricht von ihr als der India, die Cortés ständig mit sich führte. Eine Ausnahme unter den Geschichtsschreibern seiner Zeit bildet er dadurch, daß er genau die Informationsquellen für sein Werk angibt. Seine negative Haltung zu den Indios ist kaum zu übertreffen, er sieht sie als biologisch minderwertig, den Weißen unterlegen an, beschreibt sie als Kannibalen, Sodomiten, Bestien, die nicht zu bekehren sind. Sein Anspruch auf Objektivität zerbricht hier an der Identifikation mit der Herrschaft. Die spanische Haltung gegenüber den Indios wurde auch am Übergang zum 17. Jahrhundert zusehends von Feindseligkeit beherrscht. 1600 war die indigenistische Bewegung mit Las Casas als politische Kraft verschwunden, nur eine Ausgabe seiner Brevísima relación erschien in Spanien im 17. Jahrhundert. Dagegen gewannen Sepúlvedas Doktrinen an Einfluß. So unterstützte z. B. Juan de Solórzano y Pereira in seiner 1647 veröffentlichten Política Indiana Sepúlvedas These von der Inferiorität der Indios und der Notwendigkeit der spanischen Zivilisationsmaßnahmen. Die fortschreitende wirtschaftliche, militärische und politische Dekadenz Spaniens verstärkte die anti-indianische Haltung zusätzlich und verhinderte jegliche Kritik. Spanien versuchte, möglichst viel Geld aus den Kolonien zu pressen. Diese Umstände machten es schwer bis unmöglich für spanische Historiker, objektiv über die Indios zu schreiben, zumal alle Historiker offizielle Chronisten der Krone waren, so daß es ihr Ziel sein mußte, die Politik und Arbeit Spaniens in Amerika zu rechtfertigen, ausländische Kritik zurückzuweisen und den Nationalgeist zu beschwören mit brillanten Geschichten der Eroberer. Nachfolger im Amt des „Historiador de Indias" wurde unter Philipp II. 1596 Antonio de Herrera y Tordesillas (i549?-i6z5) in Madrid. Seine Historia Gene65 Mario Erdheim (:Fn. 42), S. 57-^7. 66 Gonzalo Fernández de Oviedo: Historia general y natural de las Indias, islas y tierra firme del mar océano, 5 Bde., Madrid 1959. Der erste Teil wurde bereits i ; ] 5 veröffentlicht, der Rest 1557. Als Ganzes erschien sie zum ersten Mal 1835. Eine Übersetzung ins Französische erfolgte bereits IJJS, ins Italienische 1556.
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ral de los hechos de los castellanos en las islas y tierra firme del mar Océano,67 veröffentlicht zwischen 1601 und 1615, umfaßt die Zeitspanne von 149z bis 1554. Er ist der erste Historiker, der die Aufgabe bewältigt, eine „Historia general" zu verfassen. Die Eroberung Mexikos wird in den Décadas II und III behandelt. Herrera zieht dafür eine große Anzahl von Informationsquellen heran, die er zu Anfang nennt, allerdings nicht im Text. In der Hauptsache sind dies eine Kopie des Werkes von Bernal Díaz, die Werke von López de Gomara, Las Casas und Cervantes de Salazar. Zudem studiert er in den Archiven die verschiedensten Dokumente und Urkunden. Er ist damit einer der ersten, der eine Geschichte Amerikas wissenschaftlicher Prägung verfaßt, auch mit ethnografischen Informationen versehen, und der gleichzeitig Wert auf den Stil legt. Er unterstreicht das Motiv, die verletzte Ehre Spaniens wiederherstellen zu wollen. Doña Marina erfährt bei Herrera eine relativ genaue Bearbeitung, doch liefert er keine neuen Informationen über sie. In der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, 1684, entsteht die Historia de la conquista de MéjicoÄ8 von Antonio Solís y Rivadeneyra (1610—1686), der 1661 von Felipe IV. zum „Cronista real" ernannt wurde. Sein Werk ist von großem literarischem Wert. Im Geiste des Barock schreibt er in einer pompösen und heute überladen wirkenden Sprache einen weiteren Lobeshymnus auf Cortés und die Taten der Eroberer. Sein Anliegen ist es, die spanische Ehre gegenüber ausländischen Angriffen zu verteidigen. Neben einer uneingeschränkten Parteinahme für die Spanier vertritt er eine zwiespältige Haltung gegenüber den Indios. So fungiert Cortés als Instrument der göttlichen Vorsehung, dagegen werden die Indios als Satans Horden dargestellt, wobei er aus ihnen dennoch würdige Gegner für die Spanier machen muß, und somit Zugeständnisse an deren Mut und Intelligenz nötig sind. Auch verlangen die Konventionen der humanistischen Geschichtsschreibung von ihm, den indianischen Hauptfiguren Würde und eine gehobene Ausdrucksweise zuzuweisen. Er verwendet wörtliche Rede und legt Spaniern und Indios ausgefeilte Reden in den Mund. Er ist der letzte herausragende Vertreter der anti-indianischen Schule von Historikern, die mit Oviedo und Gomara begonnen hatte. Sein Werk war in seinem Jahrhundert und auch später sehr erfolgreich, und diente oft als Grundlage für literarische Bearbeitungen der Conquista. Auch heute wird es noch häufig zitiert. Es wurde noch im 17. Jahrhundert in verschiedene Sprachen übersetzt. Solís stützt sich bei vielen seiner Aussagen auf die mittlerweile veröffentlichte H. V. von Bernal Díaz del Castillo, obwohl er die Sprache und Parteinahme Bernal Díaz' für die Soldaten kritisiert. Solís no f u e un cronista; f u e un historiador que concibió su tarea c o m o inspirada por un pragmatismo ético y a ello, n o a mero prurito panegírico, se debe que h a y a ensalzado a 67 Antonio de Herrera: Historia generaI de los hechos de los castellanos en las islas y Tierra Firme del Mar Océano, 7 Bde., Madrid 1934—47. 68 Antonio Solís: Historia de la conquista de Méjico, México 1978. Der erste Band wurde bereits 1684 veröffentlicht.
6i Cortés y a su hazaña. Pero además y esto es decisivo, no lo hizo según los arbitrarios dictados de una admiración irresponsable e incondicional, sino de acuerdo con los de un ideal que dominaba el ambiente de la sociedad española de aquel tiempo.69
Was die historischen Fakten betrifft, weist das Werk keine Neuerungen auf, auch bei der Darstellung von Marina hält sich Solis vor allem an die Aussagen des Bemal Díaz. In einer ersten Erwähnung verweist Solis auf Marinas Schönheit und ihre Wichtigkeit für die Spanier: Venía con estas mujeres una india principal de buen talle y más que ordinaria hermosura, que recibió después con el bautismo el nombre de Marina, y fue tan necesaria en la conquista como veremos en su lugar. 70
Dieser bleibt auch seine Quelle für die Herkunft Marinas (67Í.), die Ereignisse in Cholula (145f.), die Gefangennahme (189) und den Tod Moctezumas (246). Seiner Meinung nach lernte sie in kurzer Zeit Spanisch (diese Sicht vertritt im 19. Jahrhundert auch Prescott): „[...] hasta que doña Marina aprendió la castellana, en que tardó pocos días" (68). Trotz seiner Heroisierung des Cortés nimmt er eindeutig Bezug auf dessen Verhältnis mit Marina, dem ein Kind entstammt: Fue siempre doña Marina fidelísima intérprete de Hernán Cortés, y el la estrechó en esta confidencia por términos menos decentes que debiera, pues tuvo en ella un hijo que se llamó don Martín Cortés, y se puso el hábito de Santiago, calificando la nobleza de su madre: reprensible medio de asegurarla en su fidelidad, que dicen algunos tuvo parte de política; pero nosotros creeríamos antes que fue desacierto de una pasión mal corregida, y que no es nuevo en el mundo el llamarse razón de estado la flaqueza de la razón. (68)
Die genauesten Informationen zur Biographie Marinas liefert bis zum Ende des 17. Jahrhunderts nach wie vor die Historia verdadera von Bemal Díaz del Castillo. Keiner der späteren Historiker konnte dem Bild Neues hinzufügen. Es sind aber bereits unterschiedliche Versionen in Umlauf, die zum Teil offensichtlich falsch sind, sich aber in weiteren Geschichtswerken fortsetzen. Aus der Debatte um die Stellung der Indios ist Marina weitgehend ausgenommen - ähnlich wie die herrschenden, adeligen Indios jener Zeit —, gerade auch anti-indianisch eingestellte Autoren verweisen auf ihre große Bedeutung für das Gelingen der Eroberung durch die Spanier. Sie scheint damit nicht zu den oftmals als minderwertig bezeichneten Indios zu gehören, sondern nimmt als Alliierte der Spanier eine Sonderstellung ein. Die Debatte um die Indios beschränkte sich nicht nur auf die Historiker, sondern wurde allgemein unter den Intellektuellen in Europa und auch Mexiko geführt. 69 Edmundo O'Gormán im Prolog zu Antonio Solis (:Fn. 68), S. XII. 70 Antonio Solis (:Fn. 68), S. 65 f.
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3.2. Die Debatte um die Eroberung in der europäischen Literatur In Europa wurden verschiedene Berichte über die Eroberung der Neuen Welt und ihre Einwohner allgemein schnell übersetzt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstand durch die Berichte von Cortés und Petrus Martyr das Bild einer wohlgeordneten aztekischen Gesellschaft, die intellektuell und künsderisch der der Europäer gleichgestellt schien, auch wenn die Laster des Heidentums bekannt waren. Die von den Eroberern früh begonnene Debatte über die Einordnung der aztekischen Zivilisation, die die moralische Basis für den Umgang mit ihnen klären sollte, wurde nicht nur in Spanien von Theologen und Juristen, verschiedenen Gruppen und Institutionen geführt, deren bekannteste Widersacher Las Casas und Sepúlveda waren. Auch in anderen Ländern Europas begannen Diskussionen, in denen sich auch das Bild des „Noble Salvaje" festigte. Allgemein belebten die Indios in Europa das utopische Gefühl wieder. Die Reiseliteratur hatte großen Anteil an der Verbreitung des Bildes vom „edlen Wil-
Abb. 17:
Kampf in Tcpotztlán - Lienzo de TIaxcala, 16. Jhdt. (Quelle: Lienzo de Tlaxcala, México 1983)
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den" in Europa vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Die Franzosen begannen ihre Schriften über den „bon sauvage" bereits im 16., erreichten ihren Höhepunkt aber erst im 18. Jahrhundert mit Rousseau und Voltaire. Michel de Montaigne, der in seinen Essays Des cannibales von 1580 und Des coches von 1588 Bezug nimmt auf Amerika, kritisiert z.B., daß Menschen im Namen einer Religion getötet werden. Er verurteilt die europäische Zivilisation, die nicht fähig ist, sich den Indios im Geist der Brüderlichkeit und des Verständnisses zu nähern, da sie nicht das Recht der schwachen Völker auf Leben und Freiheit respektiert. Er vertritt eine positive Sicht der Indios, sein Interesse richtete sich dabei weniger auf die Indios an sich, sondern auf die Unzulänglichkeiten Europas. Die Indios dienen ihm als Instrument, europäische Zivilisation zu kritisieren. Weiteren Niederschlag fand die Entdeckung Amerikas bereits 1 5 1 6 in Thomas Morus' UtopiaJ1 In Italien wurde 1565 die von Girolamo Benzoni verfaßte Historia del Mondo Nuovo veröffentlicht, die ebenfalls eine positive Sicht der Indios vertritt. Benzoni berichtet vor allem über die Grausamkeit der Spanier im Umgang mit den Indios. Er nimmt dadurch Einfluß auf Europa und schafft zusammen mit der Brevísima relación von Las Casas den Grundstein für die Leyenda Negra. Vor allem ab dem 17. Jahrhundert begannen die Autoren, die Azteken als literarisches Thema zu entdecken, und wählten nicht selten Moctezuma als tragischen Helden ihrer Werke. Moctezuma, cuya dignidad real y destino patético convenían a la afición de la época por los hechos heroicos, entró en la novela y el teatro de Europa. 71
Die ersten herausragenden Dramen mit amerikanischem Hintergrund entstanden in England. Der bekannteste Autor ist John Dryden, der zwar seine literarischen Ideen aus historischen Dokumenten gewann, auf historische Authentizität jedoch keinen Wert legte.73 Das heroische Drama bildete sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts heraus, Pierre Corneille's Le Cid (1637) war ein Meilenstein in der Entwicklung. Von Tasso stammte die Theorie der „heroic poetry" und Dryden selbst führte diese Gedanken in seinem Essay über „Heroic Plays" fort: A heroic play ought to be an imitation, in little, of an heroic poem, and consequently, that love and valour ought to be the subject of it. 74
John Dryden (1631-1700) galt als hervorragender Dichter und führender Dramatiker seiner Zeit. Er schrieb vor allem „heroic dramas". Er war ein Bewunderer der spanischen Literatur, v. a. von Autoren wie Lope de Vega. Seine zwei Tragödien The Indian Queen von 1664 und The Indian Emperour von 1665 wurden 71 Eine ausführliche Schilderung der Sicht der Europäer findet sich bei Benjamin Keen (:Fn. 34), S. 148 ff., S. 167 ff. Vgl. auch Frauke Gewecke: Wie die neue Welt in die alte kam, München 199z. 72 Ibid., S. i n . 73 Vgl. dazu José Sánchez: Hispanic Heroes of Discovery and Conquest of Spanish America in European Drama, Madrid 1978 (Estudios de Hispanófila, 47), S. 16 f. 74 Zitiert nach Sánchez (:Fn. 73), S. 36.
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vom Publikum und der Kritik gut aufgenommen, v.a. auch wegen der farbenprächtigen Szenerie, Tänzen, Kostümen und Liedern. Liebe, Mut und Tugend standen im Mittelpunkt. Beide Werke vertreten die Idee des Edlen Wilden. The Indiati Emperour7' war die Fortsetzung von The Indiati Queen, aus dem Dryden bestimmte Charaktere wie Moctezuma und Orazia übernommen hatte. Die Idee der Eroberung steht im Mittelpunkt, Mexiko wird von Spanien erobert, wie auch Moctezuma von Cortés. Das Stück besitzt kein Lokalkolorit, es könnte an diversen Orten spielen. Dryden stellt hier die Goldgier der Konquistadoren dem Edelmut der Indios gegenüber. Malinche hat er keine Rolle zugedacht, die weibliche Hauptrolle wird von Orazia, der Geliebten des Moctezuma übernommen. Er stellt auch weitere Liebesaffären zwischen Indios und Indias aber auch Spaniern und Indias dar, nicht aber Cortés in einer solchen Verbindung. Die relativ wohlwollende Beurteilung des Cortés ist erstaunlich, auch Dryden unterscheidet zwischen normalen Soldaten und ihrem Anführer. Er wird ebenso idealisiert wie die Azteken. Das Thema der Liebesbeziehung zwischen weißen Männern und Indias, nur selten umgekehrt, war in dieser Zeit in der Literatur bereits weit verbreitet, wenn auch spanische Autoren das Thema noch selten bearbeiteten. Gepriesen werden bei den Indios meist Eigenschaften wie Mut, Loyalität, Freundschaft, die sie unter Beweis stellen und die schon früh von Historikern und Reisenden gerühmt wurden und dem philosophischen Exotismus im 18. Jahrhundert entsprechen, wie er von Rousseau populär gemacht wurde. Nach José Sánchez gilt als erstes literarisches Beispiel einer Liebesbeziehung zwischen einem weißen Mann und einer India Voyages von Jean Mocquet aus dem Jahr 1 6 1 6 . Hier gewinnt ein Weißer, der Schiffbruch erlitten hatte, die Liebe einer jungen India. Er verläßt sie später, fährt zurück, und hält seine Versprechen ihr gegenüber nicht ein. Daraufhin tötet sie das gemeinsame Kind, verstümmelt es und wirft eine Hälfte ins Meer. 7 * Das Grundschema findet sich ebenso in einer Reihe von Werken, die die Legende von Inkle und Yarico thematisieren. Im 17. Jahrhundert entstand diese Legende in England, die weite Verbreitung in ganz Europa fand. Das erste Werk zu diesem Stoff schrieb Richard Ligon 1657 True and Exact History of the Islands of Barbados. Die indianische Sklavin Yarico nimmt sich eines reisenden Europäers an, wird von einem anderen Weißen mißbraucht, bekommt ein Kind, und wird von ihrem Schützling in die Sklaverei verkauft. Dieses Grundschema setzt sich in anderen Werken fort. Richard Steele liefert 1 7 1 1 eine Zusammenfassung von Ligon, ändert aber den Inhalt etwas ab. Yarico schützt den Ankömmling vor ihrem Volk und lebt mit ihm in einer Höhle. Er verspricht ihr, daß er sie mit nach England nehmen wird, verkauft sie kurz vor seiner Abreise aber als Sklavin, und als er erfährt, daß sie ein Kind erwartet, erhöht er ihren Preis.77 George Coleman verfaßt 1787 dazu ein Drama, verlegt die Ge75 John Dryden: „The Indian Emperour", in: John Loftís (Hg.): The Works of John Dryden, Bd. IX, Berkeley/Los Angeles 1966. 76 José Sánchez (:Fn. 73), S. 1 3 f. 77 Vgl. ibid., S. 19. Zur Entwicklung des Inkle- und Yariko-Stoffes vgl. Gerd Stein (Hg.): Die edlen Wilden, Reihe Ethnoliterarische Lesebücher Bd. 1 , Frankfurt 1984.
öS schichte aber nach Afrika. In Frankreich entsteht das Werk La jeune indienne, 1764 von Sébastian-Roch Nicolas Chamfort. Ein idyllischeres Bild entwirft August von Kotzebue in Perouse, Ende des 18. Jahrhunderts. Perouse und die junge Wilde Malvina, die sein Leben rettete, leben zusammen, bekommen ein Kind und führen eine friedliche Existenz.78 Italien findet an Cortés und auch Moctezuma Stoff für sein bevorzugtes Genre, das Theater, und im 18. Jahrhundert vor allem für die Oper. In Frankreich wird der Stoff der Conquista noch einmal bearbeitet von Bernard de Fontenelle in seinen Dialogues des Morts von 1684, nach dem Vorbild des Lucian. Der Dialog findet statt zwischen Moctezuma und Cortés. Er zeigt einen gegenüber Europa kritischen Moctezuma. Die Verarbeitung zeigt auch und vor allem den Unterschied zwischen dem Denken in Spanien und dem Rest Europas — in Spanien erschienen zur gleichen Zeit das Werk von Solis und Heldenepen zu Cortés.79
3 . 3 . Die Epen und Dramen im 1 6 . und 1 7 . Jahrhundert 3.3.1. Spaniens Siglo de Oro Neben den Werken von Konquistadoren, die als Chronisten fungierten, kreolischen Nachkommen, Missionaren, Indios, Historikern beider Seiten des Atlantiks, Dokumenten, Briefen und Codices entstanden im 16. und 17. Jahrhundert einige literarische Werke, die in Versen die Conquista erzählen. Viele dieser Texte sind verschwunden, andere unveröffentlicht, nur ein kleiner Teil blieb der Nachwelt erhalten. Als das Hauptwerk spanischer Epik, geschrieben von einem Soldaten, gilt La Araucana (1569—89 veröffentlicht in drei Teilen) von Alonso de Ercilla y Züniga, das vielen anderen Dichtern als Vorbild diente. Allgemein gilt jedoch für das gesamte spanische Siglo de Oro, daß sich von der Conquista vergleichsweise wenige und vor allem keine Dichter der ersten Garde inspirieren ließen. Die Gleichgültigkeit oder das Desinteresse des 16. aber auch 17. Jahrhunderts gegenüber der Neuen Welt wurde von verschiedenen Kritikern thematisiert.80 Dabei ist wichtig zu bemerken, daß sich dies ähnlich auch in der Neuen Welt zeigte, wenn auch aus anderen Gründen. Stattdessen galt die Geschichtsschreibung als überaus geschätzte Form und nahm gerade in der Neuen Welt 78 Dazu González Echevarría (:Fn. i). 79 Vgl. Benjamin Keen (:Fn. 34), S. 127. 80 So z.B. von Winston Allin Reynolds: Hernán Cortés en la literatura del siglo de oro, Madrid 1978, S. loff. Vgl. auch José Sánchez (:Fn. 73); Glen F. Dille: „El descubrimiento y la conquista de América en la comedia del siglo de oro", in: Hispania, Bd. 7 1 , Nr. 3, Mississippi State 1988, S. 491-502. Verschiedene Zitate bei Joaquín Garda lcazbalceta: Terrazas y otros poetas del siglo XVI, Madrid 1962, z.B. von Menéndez Pelayo und Menéndez Pidal, aber auch seine eigene Sicht, S. 88zf. Ingrid Simson: „Das Schweigen der Autoren. Zum Thema Amerika bei den Klassikern des Siglo de Oro", in: Karl Kohut (Hg.): Der eroberte Kontinent, Frankfurt 1991, S. 188-299. u.a.
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auch eine Schlüsselstellung für die Entwicklung der fiktiven Erzählformen ein. 8 ' Für die spanischen Dichter mag gelten, daß das politische Interesse der Krone mehr auf Europa als auf Amerika gerichtet war. Politische Ereignisse, die die Aufmerksamkeit auf sich zogen, waren die Einfälle der Türken bis zur Schlacht von Lepanto 1 5 7 1 . Den Sieg besangen die besten Dichter des Landes in ihren Versen, ebenso den Untergang der Armada 1588. Marcel Bataillon äußerte, daß in dieser Zeit mehr als doppelt so viele Werke über die Türken als über Amerika entstanden seien. 81 Denjenigen, die an den Kriegen in Europa teilnahmen, waren Ruhm und Ehre sicher, im Gegensatz zu jenen, die in der Alten Welt keine Möglichkeiten gefunden hatten und in die Neue Welt aufgebrochen waren. Ein weiterer Grund dafür, daß sich keiner der herausragenden Dichter des 16. und 17. Jahrhunderts des Themas annahm, mag darin zu sehen sein, daß Amerika ein gänzlich neues Land war, wo die Europäer keine historischen Vorläufer hatten, es somit keine Parallelen gab, die Taten schwer einzuschätzen und zu bewerten waren. Horst Baader formuliert, daß Eroberungen neuer Kontinente leichter seien, als neue intellektuelle Kontinente zu betreten: [...] que además para ios hombres es mucho más fácil vivir aventuras en nuevos continentes que pisar nuevos continentes intelectuales, pues la recepción literaria de la conquista - que fué una recepción mitológica - no es otra cosa que la huida al terreno de lo ya conocido, de lo ya pensado en categorías fijas; la huida ante el desafío de lo nuevo en el Nuevo Mundo. Esto sólo pudo ser realidad no mitológica para los hombres del Viejo Mundo cuando Europa ya había pasado por la escuela de la Ilustración. 8 '
Dille erscheint es als Naturgesetz, daß wichtige Ereignisse unter der Bevölkerung der Epoche, in der sie geschehen, nicht unbedingt geschätzt werden, die Distanz sei noch zu gering. Er glaubt zudem, daß keine Nachfrage durch das Publikum bestand.8« Ebenso ließ die zu strenge Nachahmung italienischer Modelle in dieser imitatio-bestimmten Literaturepoche wenig Platz für Originalität. Europa dominierte somit nicht nur die politische und soziale Aufmerksamkeit, sondern monopolisierte auch die Sichtweise der Künstler in Spanien. Selbst wenn ein Dramaturg die Neue Welt kannte, wie Tirso de Molina oder Luis de Belmonte Bermúdez, hinterließ dies nur geringe Eindrücke. Das Szenario, das von Amerika entworfen wurde, war häufig exotisch, Afrika oder Asien, die seit alten Zeiten bekannt waren, dienten als Modell. Authentizität war nicht gefragt. Neben dem fehlenden Ansehen der Neuen Welt bzw. der Eroberer, waren auch die Notizen über das grausame Verhalten der Spanier dort verbreitet. Der schlechte Ruf der Conquista und Kolonisation zwang spanische Autoren 81 dazu González Echcvarn;a (:Fn. i). 82 Marcel Bataillon: Erasmo y España, II, Méjico 1950, S. 444, nota 2.8. 83 Horst Baader: „La conquista de América en la literatura española: mito e ilustradón", in: Romanische Forschungen, H. 1 / j , Bd. 90, Frankfurt 1978, S. 1 7 ; . 84 Dille (:Fn. 8o), S. 49z.
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dazu, eine Verteidigungshaltung gegenüber dem Rest Europas und auch der spanischen Meinung einzunehmen. Deshalb erfolgte eine Konzentration v.a. auf die Verteidigung der Taten der Konquistadoren, nicht thematisiert wurde aber das unglaubliche Drama der Unterwerfung eines riesigen Landes und seiner Einwohner. Im Mittelpunkt der Darstellungen steht immer der Aspekt der Verbreitung des Christentums, die Missionierungsabsicht der Spanier. Kaum ein Stück läßt das Eingreifen göttlicher Kräfte in die Kämpfe gegen die Indios aus. Die literarischen Werke waren meist auch von relativ geringem literarischen Wert, wie vor allem Garcia Icazbalceta und Menéndez y Pelayo betonen: [...] lo indudable es que entre los cantores de aquellas hazañas, ninguno era suficiente para la tarea que tomó a su cargo. Ninguno acertó aprovechar la parte filosófica de aquel gran acontecimiento, ni a realzar el punto capital de su interés: la lucha entre dos civilizaciones, y el triunfo de los pocos dirigidos por la inteligencia contra la muchedumbre de un pueblo decadente que no podía oponer sino la fuerza bruta. Ninguno sacó partido del notable papel de la intérprete y dama de Cortés. Ya que a tanto no alcanzaron, podían siquiera, para salir menos mal del paso, haber levantado el estilo cuando la ocasión lo pidiera, sin ir por eso a perderse entre las nebulosidades culteranas, haber versificado bien [...] haber aprovechado ciertos lances para mover los efectos, y sin aspirar a una epopeya, imposible para la época y para ellos, haber dado decoro, amenidad e interés a la narración. A mi juicio, el que más se acercó a esta honrada medianía fue nuestro Terrazas. 8 '
García Icazbalceta verweist sogar noch eigens darauf, daß keiner die doch beachtenswerte Rolle Marinas in der Conquista berücksichtigte — dies wird erst ab dem 18. Jahrhundert der Fall sein. [...] La principal razón de esto es, sin duda, que la realidad histórica excede aquí a toda ficción, y que por tratarse de un hecho de tiempos tan cercanos, y conocido hasta en sus mínimos detalles, no deja campo abierto a la fantasía para exornarle, transfigurarle ni enaltecerle. Pero otra razón de no pequeño peso ha sido la inferioridad de fuerzas poéticas de que adolecían casi todos los autores que se atrevieron a cargar sus débiles hombros con tal argumento.8*
So lautet die Aussage von Menéndez y Pelayo. Die erste Gattung, die von der Eroberung sprach, war die Romanze. Viele sind während der Eroberung entstanden und von den Soldaten weitergetragen worden.87 Die wichtigste Gattung für die Bearbeitung des Stoffes der Conquista wurde aber die Versepik. Für die gebildeten Spanier war die Eloquenz der „octavas reales" das geeignete Medium für historisch-religiöse Themen. Die großen Ereignisse der zeitgenössischen Geschichte boten genügend Material für die epische Ambition eines jeden Dichters. Die Modelle waren die klassischen Meisterwerke, v.a. die von Vergil und Homer, und die italienischen Renaissancegedichte wie 85 García Icazbalceta (:Fn. 80), S. 882. 86 Marcelino Menéndez y Pelayo: Historia de la poesía hispano-americana, Santander 1948, Bd. I, S. 38. Vgl. auch das bei García Icazbalceta (:Fn. 80), S. 883 angeführte Zitat von Menéndez Pidal. 87 Vgl. dazu: Winston Allis Reynolds: Romancero de Hernán Cortés, Madrid 1967.
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Orlando Furioso von Ariost, Gerusalemme liberata von Tasso, aber auch Os Lusiadas von Camöes.88 In Spanien entstanden vor allem epische Gedichte zu historischen Themen, wie der Reconquista, später zur Schlacht von Lepanto, zur Armada, auch zur Eroberung und zu religiösen Themen. Phantastische Elemente spielten darin eine große Rolle, was auch an den Gedichten zur Conquista zu sehen sein wird. Von Interesse ist dies vor dem Hintergrund der Diskussion um Lyrik und Geschichte, der Frage, ob Versepik von Phantasie oder Geschichte beherrscht sein sollte.8» Die Epen, die dann in geringer Anzahl und oftmals von geringem literarischen Wert, nach und nach in Spanien entstanden, schienen zeigen zu wollen, daß die Taten der Eroberer geleitet waren von der göttlichen Vorsehung, die Mission der Spanier war die der Rettung. Sie wurden geschildert als neue Kreuzfahrer, die gekommen waren, das größte Reich Satans zu zerschlagen. Hernán Cortés wurde darin zum Helden. Auch ein großer Teil der Historiographie über die Entdeckung und Eroberung, z.B. von Autoren wie Petrus Martyr de Angleria und Gonzalo Fernández de Oviedo, ist von dieser Auffassung durchdrungen. Als oberstes Ziel der Ereignisse galt die Rettung des Menschengeschlechts unter dem vereinten Befehl des Christentums und der spanischen Krone. Neu hierbei ist, daß die Mission der Kirche vermischt wird mit den politischen Zielen Spaniens.90 Ein weiteres Charakteristikum der Gedichte ist, daß die Dichter, in einer Vorrede oder im Epos selbst, ihre geschichtliche Treue bei der Gestaltung des Stoffes betonen, ihr Anliegen ist es, eine Chronik in Versform zu verfassen. Es handelt sich dann aber meist um eine idealisierende Darstellung von Handlungen und Charakteren, und auch die Fiktion, ganz im Sinne der Gattung, erhält mit allegorischen Figuren aber auch eingeflochtenen Ereignissen Raum. Das zeigt, daß die Grenzen zwischen Historiographie und Literatur noch nicht so streng gezogen waren. Auch die Dichter fühlten sich der Wahrheit verpflichtet. Zu nennen sind als Autoren von Bearbeitungen des Conquista-Stoffes im Spanien des Siglo de Oro Luis Zapata, in dessen Carlo Famoso,91 zum ersten Mal 1566 in Valencia erschienen, Marina keine Aufnahme fand, und Juan de Castellanos (152z—1607), dessen Elegías de varones ilustres de Indias 1589 erschien. Es handelt sich um das wahrscheinlich längste epische Gedicht in spanischer Sprache. Der historische Inhalt ist von unschätzbarem Wert. Castellanos liefert darin z.T. Informationen und Beschreibungen zu Personen, die er selbst kannte, oder zu denen er Quellen besaß. Seine Informationen zu Cortés bezieht er aus den Chroniken und von López de Gomara.' 1 Doña Marina ist nicht unter den Figuren. 88 Ausführlicher dazu: Winston Allin Reynolds: Hernán Cortés... (:Fn. 80), S. 10. 89 Vgl. dazu ausführlich: José Amor y Vázquez: „Hernán Cortés en dos poemas del siglo de oro", in: Nueva Revista de Filología Hispánica, Año 1 1 , Bd. 3-4, México 1958, S. 369-382., der sich auf Menendez y Pelayos Historia de las ideas estéticas en España, Bd. 2, Madrid 1884, S. 361, nota bezieht. 90 Enrique Florescano: Memoria Mexicana, México 1987, S. i n f . 91 Erst 1916 wurde es von dem Chilenen José Toribio Medina als Auszug wieder veröffentlicht, und erschien 1984 noch einmal in erweiterter Fassung: Winston Allis Reynolds (Hg.): El Primer Poema que trata del Descubrimiento y Conquista del Nuevo Mundo. Reimpresión de las partes correspondientes del „Carlo Famoso" de Luis Zapata, Madrid 1984. Dieses Werk ist wahrscheinlich das erste gedruckte Gedicht, das die Eroberung von Mexiko beschreibt. 92. Vgl. auch hier Winston Allis Reynolds: Hernán Cortés... (:Fn. 80), S. 25 f.
69 Das erste Heldenepos, das Marina nennt, ist das Werk Mexicana von Gabriel Lobo Lasso de la Vega. Er wurde zwischen 1 5 5 3 und 1559 in Madrid geboren, starb 1 6 1 4 oder 1 6 1 5 . Er war nie in Amerika. Er studierte, unternahm Reisen u.a. nach Frankreich und trat später in die Dienste des Königs. Sein Interesse an Literatur und seine Residenz am Hof haben ihn wahrscheinlich mit anderen Gelehrten der Akademien Madrids zusammengebracht. Seine Dichtungen fanden Erwähnung bei Cervantes und Lope, Moratin und Quintana, d.h. er war zu seiner Zeit durchaus bekannt. Er schrieb lyrische und dramatische Dichtungen, war ein guter Historiker und versuchte sich auch an der epischen Dichtung, wofür er Themen wie z.B. die Taten des Cortés wählte. Seine Gedichte gerieten jedoch schnell in Vergessenheit und kamen erst im 20. Jahrhundert wieder ans Licht. Ungeklärt ist, ob die Initiative zum epischen Gedicht zur Conquista von ihm selbst ausging oder von seinem Mäzen. Er stand zumindest mit Martín Cortés, dem Sohn des Hernán Cortés, in Kontakt. Auch der Enkel Fernando Cortés, dem das Werk gewidmet ist, nahm nach Aussage von Lobo Lasso selbst — Einfluß auf die Entstehung. Er gilt als der erste Dichter, der ein episches Gedicht ausschließlich Cortés und der Eroberung widmete. Cortés valeroso erschien 1588, eine erweiterte Form — Mexicana93 - 1594, beide in Madrid. Bei beiden handelt es sich um die ersten Teile eines Gedichts, das unvollendet blieb. Im Mittelpunkt der Dichtung stand, wie der erste Titel zeigt, die Person des Cortés. Mexicana besteht aus 25 Gesängen aus „Octavas Reales" und schließt die Zeit bis nach der „Noche Triste" ein. Cortés wird mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet. In der Mexicana stehen vor allem sein religiöser Idealismus und die Unterordnung unter die göttliche Vorsehung im Vordergrund. Die Indios — die die merkwürdigsten Namen erhalten - werden als würdige Gegner geschildert, ja sogar idealisiert, wie z.B. zu sehen ist an den Beschreibungen ihrer Städte, Anführer, Waffen, aber auch an den eingeschobenen Liebesgeschichten. Diese Art der Darstellung ist für Lobo Lasso Mittel zum Zweck, sie läßt dadurch Cortés' Sieg noch heroischer erscheinen. Als Quelle nennt er selbst häufig López de Gomara. Gründe der literarischen Ästhetik erklären sein Reduzieren und Auswählen von historischem Material und dessen teilweise Neuordnung. Es sind auch phantastische Episoden eingefügt, die bedeutungsvoll sind durch die Länge und den Kontrast, den sie zu den vorwiegend historischen Teilen darstellen. So z.B. die Geschichte der Tabasqueña Clandina, die als ein Schäfferroman in Versform bezeichnet werden kann (Canto XIV). Neben Cortés finden auf spanischer Seite ausführlichere Erwähnung nur Alvarado und Aguilar, die anderen bleiben auf Namen reduziert, die ab und zu auftauchen, wodurch der Held noch besser hervortritt. Cortés bleibt ohne Makel und muß es auch nach Lobo Lassos Vorstellungen, weshalb er auch Marina nicht als seine Gefährtin erwähnt und Episoden wie die Bestrafung der tlaxcaltekischen Spione u. a. Grausamkeiten der Spanier ausläßt. 93 Gabriel Lobo Lasso de la Vega: Méxicana, Madrid 1970. Zu den Unterschieden der beiden Werke vgl. José Amor y Vázquez in der Einleitung, S. X X V I - X L I I - ebenso zur genauen Analyse des Inhalts und Aufbaus, und der Einordnung in die Zeit. Die Seitenangaben finden sich in Klammern im Text.
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Abb. 18:
Erneut in Tlaxcala - Lienzo de Tlaxcala, 16. Jhdt. (Quelle: Lienzo de Tlaxcala, México 1983)
D o ñ a M a r i n a widmet er zwei Strophen im Canto XIII: Los capitanes dos se retiraron con Aguilar (faraute ya nombrado) al pabellón, y largo platicaron sin entenderse bien, que era excusado. Mas en tal confusión hallaron que había el cacique potonchano dado una bella cautiva, que explicaba lo que en su oscura lengua el indio hablaba. (98) Era doncella apuesta, grave, hermosa, nació en Biluta, de Jalisco aldea, y en una alteración escandalosa fue hurtada de cierta gente rea. Era de sangre clara, generosa, dada a Cortés por alta y gran presea, la cual (del agua santa ya lavada) Marina de Biluta fue llamada. (98) Er beschreibt sie, wie so häufig, als außergewöhnlich schöne India und zeigt sie in ihrer wichtigen Funktion als Dolmetscherin. Die Beziehung zu Hernán Cortés und das gemeinsame Kind werden verschwiegen, da dies dem Helden, der verheiratet
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war, nicht zugute gekommen wäre. Er muß dargestellt werden in Übereinstimmung mit den moralischen Idealen der Zeit. Die Anlehnung an López de Gomara wird deutlich, da auch dieser die beiden nicht als Liebende erwähnt, sondern nur en passant von den Kindern spricht. In Cholula findet Marina keine Erwähnung, was wiederum auf die verwendete Quelle zurückzuführen ist. Trotz eingeflochtener Liebesgeschichten und mythologischen Figuren betont auch er, daß er sich nur auf historische Ereignisse bezieht: No pienso con doradas sutilezas Las cosas escribir que no pasaron; Sólo prometo de decir verdades Desnudas de inventiva y variedades. 94
Daß er sich nicht immer daran hielt, hat der kurze Abriß gezeigt und Amor y Vázquez faßt das Ganze mit wenigen Worten zusammen: „Lo histórico, lo que fue, se moldea en lo que debió ser [...]".»'
Abb. 19:
Hernán Cortés und la Malinche - Malerei aus San Andrés Ahuahuaztepec, Tlaxcala, um 1560 (Quelle: Jorge Gurría Lacroix: Hernán Cortés y Diego Rivera, México 1971)
94 So formuliert er es in Cortés Valeroso y Mexicana von 1588. Zitiert nach Joaquín Garda Icazbalceta (:Fn. 80), S. 193. 95 Im Vorwort zu Mexicana (:Fn. 94), S. L.
7* Die wichtigste Gattung im 17. Jahrhundert in diesem Zusammenhang in Spanien war das Drama. Dille spricht von 14 Theaterstücken über die Entdeckung und Eroberung, darunter drei bekannte von Lope de Vega, Agustín de Cordero und Fernando de Zárate. Anstatt jedoch die Problematik der Eroberung aufzugreifen, versorgten die Mehrzahl der Dramatiker ihr Publikum mit Mantel- und Degenkomödien, die zu der Zeit verlangt waren. Von Lope de Vega existierte ein Stück mit dem Titel „La conquista de Cortés" und eines mit dem Titel „El Marqués del Valle", die beide verloren sind, aber in den Verzeichnissen figurieren. W. L. Fichter»6 geht davon aus, daß die beiden Titel sich auf ein und dasselbe Stück beziehen. Nach Aussage von W. A. Reynolds sind die meisten Theaterstücke verloren.97 Er erwähnt noch ein Stück, das in Form eines Manuskripts existiert, „Coloquio de la nueva conversión y bautismo de los cuatro últimos reyes de Tlaxcala en la Nueva España" von Cristóbal Gutiérrez de Luna aus dem Jahre 1 6 1 9 , wobei unter den von Reynolds genannten Personen auch Marina ist.' 8 Genaueres zum Stück ist leider nicht bekannt. Fernando de Zárate y Castronovo veröffentlichte sein Drama „La conquista de México" um 1650, in gedruckter Fassung erschien es 1 6 6 8 . " Zum Autor ist nur wenig bekannt, man weiß nur, daß er sehr viel geschrieben hat, es sind ca. 30 Stücke von ihm überliefert, die als mittelmäßig gelten. 100 Die Quelle, die er wie die meisten seiner Zeit vor allem benützte, ist das Werk Gomaras. Nur die Namen der handelnden Personen erscheinen sehr exotisch und sind oft nur noch schwer mit den wirklichen Namen in Einklang zu bringen. Marina erscheint hier unter dem Namen Mariana. Der Autor bleibt nahe an den historischen Vorlagen, er führt auch keine Personen ein, die nicht Teil der Geschichte sind. Ebensowenig wählt er eine Episode aus, sondern versucht, die ganze Eroberungsgeschichte wiederzugeben. Allegorische Figuren wie die „Providencia Divina", die „Religion Christiana" und die „Idolatría" agieren in seinem Stück. Die Eroberung geschieht im Geiste eines heiligen Kreuzzuges. 101 Das Stück ist aufgeteilt in 3 Jornadas. Es beginnt mit der Landung der Spanier, erwähnt die Begegnung mit Aguilar, die Versenkung der Schiffe und thematisiert 96 Fichter W. L.: „Lope de Vega's ,La conquista de Cortés' and ,E1 Marqués del Valle'", in: Híspante Review 3, 1936, S. 163—164. 97 Reynolds, W. A.: Hernán Cortés en la literatura deI siglo de oro (:Fn. 80), S. 49. 98 Ibid. S. 49-51. 99 Veröffentlicht in Band X X X der Comedias Escogidas, Sevilla 1780, hier wird zitiert aus der Ausgabe Bd. 13, Nr. zi der Comedias antiguas, Sevilla o.J. 100 Adolf Schaeffer: Geschichte des spanischen Nationaldramas, 1 Bde., Leipzig 1890, hier Bd. 1 , S. 130-35. Dille (:Fn. 80) setzt Zárate mit dem Autor Antonio Enríquez Gómez gleich, was Schaeffer mit Nachdruck bestreitet, weshalb auf Dilles Theorie, daß es sich beim Autor um einen Converso handelte, nicht näher eingangen wird. 101 Zu diesem Stück erwähnt Dille die Theorie von Carlos Romero Muñoz, daß Zárate, der sich oftmals eng an Vorbildern orientierte, möglicherweise in seinem Werk das von Lope mit geringen Änderungen wiedergab (Dille, :Fn. 80, S. 498 t. und Fußnote 16). Adolf Schaeffer weist darauf hin, daß er aus dem Lope de Vegaschen „El nuevo mundo descubierto por Cristóbal de Colón" die allegorischen Figuren der Göttlichen Vorsehung, Religion und Abgötterei übernommen habe (Schaeffer, :Fn. 100, Bd. i , S. 130-135).
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die Verschwörung gegen Cortés, den Krieg gegen Moctezuma, die Ankunft von Narváez und die Einnahme von Tenochtitlán. Dabei hält der Autor, bis kurz vor Schluß des Stückes, die Chronologie ein, wenn er auch vieles ausläßt und auslassen muß. Das Stück endet mit der Rückkehr des Cortés nach Tenochtidán, nachdem er Narváez geschlagen hat. Er besiegt die aufständischen Indios in Tenochtitlán, und ihm entgegen kommt die Religion in einem Wagen, mit der gefangenen Idolatrie. Relig.: Este laurel, gran Cortés, es digno de tu cabeza, pues tu viste la fiereza de mi enemiga ä los pies; victoria, y tiempo te lleven ä la fama soberana. Cort.: Santa Religion Christiana; ä Dios las gracias se den. Relig.: Y o seré tu Coronista, sube en el carro ä mi lado. Cort.: Aqui se acaba, Senado, de Mexico la Conquista. (24)
Cortés zieht siegreich in die Stadt ein. Die „Noche Triste", den Rückzug nach Tlaxcala und die Belagerung Tenochtitláns bis zum Sieg über Cuauhtémoc werden weggelassen. Cortés erklärt sich schon im 1 . Akt zum Feind des Goldes und zum Beschützer der Indios. Er ist in erster Linie darauf bedacht, die Indios zu christianisieren und folgt ehrlichen und edlen Idealen. Cort.: Si paz procura, entrad en paz de mi voto; ningún Indio, por mi vida, reciba daño, soldados, ni oro robe, ni oro pida: (1)
Ganz anders dagegen seine Soldaten, die nur an Gold interessiert sind, oro deseo, oro quiero, por esso las armas tomo (2)
brutal, kampfeslustig und habgierig dargestellt werden. Diese Charakterisierungen stellen in der damaligen Zeit eine ungewöhnlich harte Kritik an Spanien dar, nur Cortés ist davon ausgenommen. Die Indios werden zumeist als naiv und sanftmütig charakterisiert, eine Ausnahme bildet die Schilderung Aguilars von seiner Zeit unter den „Kannibalen".
74 Der Autor gibt sich Mühe, auch die Sichtweise der Indios zu erfassen, oftmals wird das Geschehen aus beiden Perspektiven geschildert. Sehr häufig sind die Vergleiche mit Göttern und Helden der klassischen Antike, auch Bezüge auf die Religion — so wird Aguilar bei seinem Auftauchen als „un nuevo Rafael para guiarte" bezeichnet (8). Cortés wird von der Religion verglichen mit einem neuen David (10), die Idolatrie wird gleichgesetzt mit dem Teufel, und so fährt sie auch am Ende der Auseinandersetzung mit der Religion zur Hölle. Moctezuma selbst wendet sich nicht an aztekische Götter, sondern an die Götter der Antike, wie z.B. Apoll, woraus man schließen kann, daß Zárate die heidnischen Götter der Azteken als nichts anderes sieht als die heidnischen Götter der Vorfahren der Europäer, wodurch die Anschuldigungen gegen die Indios abgeschwächt werden. Doña Mari(a)na erscheint zum ersten Mal im 2. Akt. Die Spanier siegen mit Hilfe des Eingreifens Santiagos im Kampf gegen die Indios. Diese bringen Geschenke. Als Gesandte Moctezumas erscheinen, gibt Cortés Jerónimo de Aguilar den Auftrag, unter den Sklavinnen nach einer Dolmetscherin zu suchen, die deren Sprache versteht: Cort.: tu Aguilar mira, y procura, qual de essas Indias entiende esta lengua Mexicana. (13)
Aguilar wendet sich an Arima, die nach der Taufe den Namen Mariana erhalten hatte. A.: De ocho Indias que tomaron agua de bautismo ayer, aqui algunas se quedaron, y entre ellas una muger que las demás me alabaron, Mariana se llama ahora, y antes se llamaba Arima, pero ya que ä Christo adora servirte, Cortés, estima, y es mui principal señora. (13)
Cortés hält es für sinnvoll, da sie aus dem Adel kommt, sie sogleich mit Aguilar zu verheiraten, um sich so ihre Treue zu den Spaniern zu sichern. Cort.: Si es muger tan principal tratemos que te la den sus padres en casamiento. [...] porque no hai fedelidad como muger que amor tiene. (13)
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Aguilar klärt Cortés darüber auf, daß es unter Indios nicht nötig sei, die Eltern um ihre Hand zu bitten: A.: Acá no hai que preguntar (13)
Durch das Wort wird ihre Ehe besiegelt, ohne weitere Zeremonie, auch ohne den Segen der Kirche: A.: Ser yo tuyo, y tu mi esposa, y como solos sabemos la lengua, tercero escuso. M.: Si el mirar si los estremos del alma tu amor dispuso ä que los dos nos paguemos; digo que yo soi tu dichosa, Aguilar, en ser tu esposa. (14)
Damit löst Zárate auf moralische Weise eine Angelegenheit, die ihm sonst hätte Komplikationen schaffen können bei seinem Bild von Cortés. Er kann sich bei dieser Variante auch auf Quellen stützen, wie Muñoz de Camargo und Ixtlilxochitl. Marinas erste Aufgabe ist es, Cortés über Moctezuma und dessen Machtbereich zu informieren. Taudelli, der als Gesandter Moctezumas vor Cortés erscheint, kennt Marina bereits, unter dem Namen Arima. Sie, die sich der friedlichen Absichten der Spanier sicher ist und deren Religion bereits verinnerlicht hat, versucht, Taudelli zu überzeugen und die Indios von den Dämonen zu erlösen. M.: De paz viene... M.: Este es Cortés, que ha venido ä[•••] librarnos (14) del demonio
Taudelli ist sehr angetan von Marina, was sich in seinen Worten äußert: T.: Tu lengua adoro, quanto me dice me agrada. (15)
Dieser Aspekt ist sehr wichtig, zeigt das Zitat doch einen Indio, der Bewunderung für Marina ausspricht und keinerlei Vorwürfe, wie sie im 19. Jahrhundert zu hören sein werden. Im dritten Akt ist Marina mit ihrem Mann („esposo mio", 18, wie sie ihn nennt) als Kundschafterin in Cholula unterwegs. Durch eine Frau erfährt sie von
76 einer geplanten Verschwörung gegen die Spanier und beauftrag Aguilar, Cortés Nachricht zu schicken. Aguilar zeigt sich ihr gegenüber sehr daikbar: A.: [...] la rebelión desta gente fuera nuestro eterno daño ä no ser tu el desengaño: [...] Del Cielo el premio tendrás. Una muger leal no tiene precio, Repara el daño, y el rigor detiene, Al bien muestra el camino, al mal previene, Pompeyo es buen testigo, Bruto, y Decio. [...] Si daños han venido por mugeres, Por ellas tantos bienes han venido, [...] ( i ? )
Sehr feinfühlig und subtil gelingt es Zárate, seine Kritik an Spaiien und auch am Christentum in diesem Stück einzubauen. Im Zusammenhang nit der Aufstellung des Kreuzes, das die Indios untersuchen, wird ganz kurz die Sdaverei erwähnt: „Hoi seremos sus esclavos" (5). Eine offene Kritik war sicher nicht möglich, dennoch wird die kritische Haltung des Autors deutlich. Eine weitere suggestive Passage sind die Klagen des Indio-Gottes gegenüber Moctezuma. Zárate zeigt zwar klar das Götterbild mit der Maske des Teufels, aber man erkennt auch Zweifel an der christlichen Religion as der einzig wahren. 3 . 3 . 2 . Die Dichter der Neuen Welt Die Situation der literarischen Gestaltung des Conquista-Stoifes stellte sich in Mexiko nicht anders dar als in Spanien selbst. Für die Nachkommen der Konquistadoren war das Thema aus der jüngsten Vergangenheit nicht sehr bedeutend: N o es la suya esa edad primitiva donde la poesía épica se incuba > desarrolla. A estos efectos, y no obstante su incipiente criollismo, el ambiente en que viven y escriben no es sino transplante y extensión del europeo, como se infiere de las descripciones de testigos contemporáneos venidos de allende: Cervantes de Salazar, [...] Bernardo de Balbuena. Es más, en la medida en que su criollismo les afecta, sus esfuerzos hacia el ideal épico quedan lastrados. Los novohispanos están todavía más cerca del escenario y de los actores de la conquista. Los intereses, rencillas y pequeñeces tienen tna turgencia que les impide ver la acción épica en toda su grandeza y significación, por encima de lo accidental histórico. Tampoco el hecho de haber nacido en latitudes americanas basta para hacer de los poetas novohispanos los intérpretes mejores del drama y [d]el dolor de las razas vencidas. 1 0 1 i o z José Amor y Vázquez in der Einführung zu Lobo Lasso de la Vega (:Fn. 93), S. L7I.
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José Sánchez sieht für diese Haltung einen Grund in der überwältigenden Macht der Geschichte über die Fiktion, Amerika war für ihn eher ein Land der Chronisten als der Literaten. 103 Die Gründe, die Dichter dazu bewegten, sich dem Stoff zuzuwenden, sind vielmehr darin zu sehen, daß sie mit Hilfe der Dichtung versuchten, auf die Größe der Taten der Konquistadoren aufmerksam zu machen, um somit Privilegien für deren Nachkommen einfordern zu können. Die Ereignisse, die ihren Höhepunkt in der Verschwörung des Martín Cortés fanden, könnten es z.B. gewesen sein, die Francisco de Terrazas ( ? i 5 4 3 - ? i é o o ) dazu bewegten, sein Nuevo Mundo y ConquistaI04 zu schreiben. Denn er formuliert selbst die Unzufriedenheit der Nachkommen der Konquistadoren mit den königlichen Beschlüssen, die ihre Rechte einschränkten. Von seinem nie fertiggestellten Werk sind nur Fragmente erhalten, die Dorantes Carranza überliefert hat. Marina ist in diesen Auszügen nicht enthalten. Ähnlich verhält es sich mit Saavedra Guzmán: [...] en su Peregrino Indiano, llega a torcer la historia para sustentar más sòlidamente la reclamación de derechos que consideraba conculcados y para cuya reparación hizo el viaje a España. 1 0 5
Der in Mexiko geborene Antonio de Saavedra Guzmán nimmt in El peregrino indiano,106 veröffentlicht in Madrid 1599, für sich in Anspruch, nur die reine Wahrheit zu schreiben. No lleva el ornamento de invenciones De ninfas Cabalinas ni Parnaso, De Náyades, Planetas ni Tritones, Que yo tengo por dar el primer paso: No sé quién son los fuertes mirmidones, Ni aun Peloponeso ni el Ocaso, Porque me han dicho, cierto, que es lo fino, Decir pan por pan, vino por vino. 1 0 7
Saavedra Guzmán spricht die Sprache der Azteken und bezeichnet sich als ersten „historiador", der in Mexiko geboren wurde, und hält sich deshalb für die Aufgabe der Abfassung einer Chronik in Versen für besonders geeignet. Er hatte sieben Jahre Material gesammelt und schrieb das Werk während einer siebzig Tage dauernden Überfahrt nach Spanien. Über ihn ist nicht mehr bekannt, als er selbst im Vorwort über sich geschrieben hatte. 108 103 José Sánchez (:Fn. 73), S. 1 4 f f . 104 Francisco de Terrazas: „Nuevo Mundo y Conquista", in: Castro Leal (Hg.): Francisco de Terrazas: Poesías, México 1 9 4 1 . Zu weiteren Informationen vgl. Amor y Vázquez, in Lobo Lasso de la Vega (:Fn. 93), S. LVII, Garcia Icazbalceta (:Fn. 80), S. 305 ff. und Reynolds: Hernán Cortés ... (:Fn. 80), S.32. 105 Ibid., S. LVII. 106 Antonio de Saavedra Guzmán: El peregrino indiano, Madrid 1599, Nachdruck México 1880, mit einem Nachwort von Joaquín García Icazbalceta. 107 Zitiert nach Joaquín García Icazbalceta (:Fn. 80), S. 197. 108 Vgl. den Prolog von Saavedra Guzmán selbst (:Fn. 106), S. 1 3 , und die Einleitung von Garcia Icazbalceta S. 6ff. Ebenso Winston Aliis Reynolds: Hernán Cortés... (:Fn. 80), S. i 8 f . Sein Geburtsjahr ist unbekannt. Er studierte Bellas Letras und indianische Sprachen.
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Auch hier ist eher das Urteil treffend, daß es sich um eine „crónica rimada" handelt, der literarische Wert gilt als nicht sehr hoch. Für Garcia Icazbalceta verkörpert Saavedra Guzmán „la época de fiebre poética que reinó aquí por el último tercio del siglo XVI, en que hasta los hombres de ménos vena sentían comezón de versificar." I0J Das Gedicht umfaßt in zwanzig Gesängen in „Octavas Reales" die wichtigsten Ereignisse ab Cortés' Aufbruch in Cuba bis zur Gefangennahme Cuauhtémocs durch die Spanier. Allegorische Figuren wie Neid, Lüge und auch Luzifer intervenieren. Doña Marina tritt im Canto Sexto auf. Ebenso wie im 1 7 . Jahrhundert bei Zárate ist es auch hier Cortés, der Aguilar mit der Aufgabe betraut, unter den Indias eine Frau zu finden, die die Sprache der Azteken versteht. Dieronle veynte Indias de seruicio, Que fue muy estimado beneficio. (18$) Y estando aquella noche allí aloxado, Considerando el fin de su llegada, Y auiendo alia en su mente fabricado Lo que pensaua hazer en tal jornada: Dixo al buen Aguilar bien descuydado De hallar cosa alli tan estimada, Mirad si entre essas Indias ay alguna Que entienda de la lengua cosa alguna. (190) Aguilar diligente ha procurado Hazer lo que Cortes a el le mandaua, Poniéndolo por obra, y con cuydado El solo en solo aquellos se ocupaua: Y auiendo a muchas dellas preguntado, Vio que vna mo?a atenta le miraua, A la qual se llego con alegría, Porque vio que con el se sonreía. (191)
Als Begründung für ihre Sprachfähigkeit erwähnt der Dichter die Geschichte ihrer Herkunft, mit einigen Abweichungen, denn sie wurde zusammen mit ihrer kleinen Schwester geraubt: Hallo que era gran lengua Mexicana, Porque siendo muy niña fue robada De vn Indio de la tierra Potonchana, Y que era de nación Cacica honrada: Y a ella y a otra mas pequeña hermana, Criauan, y era gente alia estimada, Diole a Cortes de oyrlo tal contento Quanto cabria en tan buen entendimiento. (191) 109 Garda Icazbalceta (:Fn. 8o), S. 305.
79 Auch die Christianisierung stellt kein Problem dar: Pídele que si quiere ser Christiana, Ella dixo que si, y que lo quería De pura voluntad y buena gana, y de mejor que el se lo pedia: Y sintiéndose dello muy vfana, Di muestras de contento y alegría Y a ella, y las demás las bautizaron, Y a esta mo^a Marina la llamaron. (191)
Eine Anspielung darauf, daß Cortés an ihr Gefallen findet, sieht man in den folgenden Versen, doch vertröstet der Autor den Leser auf eine andere Geschichte und kommt im weiteren Verlauf nicht mehr auf Marina zu sprechen: Como quando se cubre el Sol hermoso Que vna muy densa nuue se le opone, Escureciendo el cuerpo luminoso Con el opaco que se le antepone: Y quitada, se muestra mas lustroso, Y a dar luz mas vfano se dispone, Tal se mostró Cortes y tan contento, Como vereys Señor en otro cuento.
Die Haltung des Autors gegenüber Spaniern und Indios entspricht der spanischer Autoren. Die Informationen zu Marina gleichen sich, hier weicht Saavedra Guzmán lediglich in der Herkunft Marinas von bisherigen Darstellungen ab. Wie bereits erwähnt, ließ das Interesse an den Indios und der präkolumbischen Vergangenheit allgemein im 1 7 . Jahrhundert in Mexiko nach. Dennoch begannen Kreolen wie Agustín de Vetancurt, der 1696 eine Schrift zum „Teatro mexicano" veröffentlichte und generell keinerlei Sympathie für die Indios zeigte, ein Interesse für deren Vergangenheit als Ausdruck des kreolischen Nationalismus zu entwikkeln. Er gehört zu denjenigen, die beginnen, ihre Ursprünge zu suchen in einer Vergangenheit, die nicht die Europas war, mit dem Ziel, Europa zu übertreffen. 110 Reynolds erwähnt, daß auch in Mexiko einige Texte zur Conquista erschienen seien, die meisten jedoch verloren sind. Aus dem 17. Jahrhundert ist in Mexiko keine literarische Verarbeitung des Themas der Eroberung bekannt. 111 Die im 16. Jahrhundert entstandenen epischen Gedichte konzentrieren sich auf Cortés als den Helden. Dies begründet auch die Darstellung Marinas. Sie wird zumeist als schöne India, die als Dolmetscherin für die Spanier tätig war, gezeichnet. Die Beziehung zwischen Marina und Cortés sowie deren gemeinsames Kind werden oft verschwiegen. Eine weitere Auseinandersetzung, z.B. mit Marinas Motiven für die Hilfe der Spanier, findet nicht statt. Diese Tendenz, die wahre n o Genaucr bei Keen (:Fn. 34), S. 199ft. H I Vgl. Reynolds Winston Allis: Hernán Cortés en la literatura del siglo de oro (:Fn. 8o), S. 50.
8o Beziehung zwischen Cortés und Marina auf die eine oder andere Weise zu verändern, schuf einen perfekteren Helden für die Leser der Gedichte, später auch für das Publikum der Komödien. Bis zu einem gewissen Punkt handelt es sich um einen bewußten literarischen Kunstgriff, aber es zeigt auch die starke Anlehnung aller an Gomara, dessen Text die Quelle für die Versschreiber des 16. und 17. Jahrhunderts war. Auch López de Gomara präsentierte Marina nicht als Geliebte von Cortés. Dichter und Theaterautoren des Siglo de Oro, in Mexiko wie in Spanien, veränderten zudem die Ereignisse frei, um die Figur des Eroberers in Übereinstimmung mit den herrschenden moralischen Idealen und den Anforderungen der Gattung in der sie schrieben, zu formen. In den epischen Gedichten übt Cortés uneingeschränkte Kontrolle über seine Instinkte aus. Die Keuschheit war eine der grundlegenden Gebote des „codigo de virtud caballeresca", wie es Reynolds nennt. 112
3 . 4 . Das Bild der Conquista und der Bewohner der Neuen Welt im Jahrhundert der Aufklärung 3.4.1. Europas Bild des edlen Wilden 1 1 ' Die Diskussion, die im Europa des 18. Jahrhunderts um die Stellung der Indios, deren Fähigkeiten, Charakter, Errungenschaften und die Rolle der Spanier in der Conquista geführt wurde, hatte schon im 17. Jahrhundert in Frankreich begonnen. Dabei ging es mehr um eine Analyse Europas vor dem Bild der Neuen Welt, als um die amerikanische Wirklichkeit. Voltaire z.B. nützte die Indios vor allem dazu, die Schwächen der europäischen Zivilisation aufzuzeigen. In vielen Schriften jener Zeit kam es auch zu Anklagen gegen das Vorgehen der spanischen Konquistadoren. Die Intensität der „Disputa del Nuevo Mundo"" 4 kann durchaus verglichen werden mit der Debatte zwischen Las Casas und Sepúlveda im 16. Jahrhundert. So gab es einige, die die Indios idealisierten, andere hingegen griffen sie heftig an. Nur selten wurde in den Diskussionen zwischen primitiveren Indios und den fortgeschritteneren Zivilisationen wie Azteken, Mayas oder Inkas unterschieden. Rousseau war der leidenschaftlichste Fürsprecher des „edlen Wilden". Weitere Verteidiger der Indios fand man vor allem unter den Franziskanern und Jesuiten, die aus der Neuen Welt zurückkamen und von ihren Erfahrungen berichteten — bei den Jesuiten vor allem auch unter jenen, die 1767 vom spanischen König aus Mexiko vertrieben wurden, wie z.B. Francisco Javier Clavijero. Abbé Prévost hielt in seiner Histoire générale des voyages, 1 7 4 6 - 1 7 5 9 in Paris zum ersten Mal erschienen, das Bild des „edlen Wilden" aufrecht. Er betonte das 112. Winston Allis Reynolds: „Hernán Cortés y las mujeres: vida y poesía" (:Fn. 4;), S. 435. 1 1 3 Ausführlich bei Benjamin Keen (:Fn. 34), S. 2.28-319, aus dem die hier zusammengefaßte Darstellung weitgehend entnommen ist. 1 1 4 Vgl. dazu Antonello Gerbi: La disputa del nuevo mundo, Mexico 1982.
8i hohe kulturelle Niveau der mexikanischen Zivilisation. Ebenfalls auf die kulturellen Errungenschaften der mexikanischen Zivilisation verwies der Italiener Lorenzo Boturini Benaducci, der in Mexiko verschiedene Dokumente gesammelt hatte, die ihm aber von den Spaniern abgenommen worden waren. Aus dem Gedächtnis verfaßte er die Idea de una nueva historia general de la América septentrional von 1746, 1749 erweitert zur Historia general de la América septentrional. Von ihm stammte die Kritik, daß die bisherigen Historiker, die über Mexiko geschrieben haben, dem Land und seinen Menschen nie gerecht werden konnten, da sie sie nicht zur Genüge kannten. Der bekannteste Vertreter negativer Beurteilung der Indios in jener Zeit war der Holländer Corneille de Pauw, dessen radikales Werk Recherches philosophiques,115 1768 verfaßt, große Verbreitung fand. Er sprach darin von der Minderwertigkeit Amerikas, stellte die Indios näher zu den Tieren als zu den Menschen und vertrat die Meinung, daß die Nachkommen der Spanier unter dem Einfluß des amerikanischen Klimas ebenso degenerierten wie diese. Aus diesen Gründen verurteilte er Conquista und Missionierung. Der Einfluß von de Pauw ist in The History of America von William Robertson, 1777 in London veröffentlicht, zu spüren. Er kritisierte die Beschreibungen der aztekischen Städte, der Künste, der zivilisatorischen Errungenschaften durch Cortés und andere als unwahr und übertrieben. Sein Werk wurde bereits 1778 ins Französische übersetzt. Ein weiteres Echo auf die Schrift von de Pauw findet sich u.a. bei Abbé Raynal. Guillaume Raynal versuchte eine Analyse der Gründe, die zu der schnellen Eroberung weiter Gebiete in Amerika geführt hatten. Diese Art der Betrachtung der Ereignisse der Eroberung wurde im 19. Jahrhundert fortgesetzt und führte vor allem in Mexiko auch zu einer Schuldzuweisung an Marina. Raynal zeigte in der Histoire philosophique116 die Chancenlosigkeit der Indios im Kampf mit den Spaniern auf, die er einmal in den überlegenen Waffen der Spanier, einmal in dem Glauben der Indios, daß sie es mit höheren Wesen zu tun hätten, begründete. Zudem wies er auf die grausame Vorgehensweise der Spanier hin. Er verurteilte das Handeln der Spanier in der Neuen Welt und stellte auch deren zivilisatorische Leistungen in Frage. Allerdings ging er nicht von einem negativen Nationalcharakter der Spanier aus, sondern begründete deren Vorgehen aus den geschichtlichen und zeitlichen Hintergründen. Raynal zog noch ein weiteres Argument für die Niederlage der Indios heran, nämlich die „fureur des femmes Américaines pour les Espagnols"," 7 die — wie Marina — für die Spanier eine unschätzbare Hilfe darstellten. Hier taucht das Argument zum ersten Mal auf, das im 19. Jahrhundert speziell auf Marina angewandt werden wird, daß sie durch ihre Hilfe zur Niederlage 115
Recherches philosophiques sur les Américains ou Mémoires intéressants pour servir à l'Histoire de l'Espèce humaine, in Frankreich 1788 in Obersetzung erschienen. 1 1 6 Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce dans les Deux Indes, veröffentlicht 1770 in Amsterdam. 1 1 7 Dieses Zitat ist einem Aufsatz von Manfred Tietz entnommen: „Amerika vor der spanischen Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts", in: José Manuel Lopez de Abiada u. Titus Heydenreich (Hg.): Hometiaje a Gustav Siebenmann, in der Reihe Lateinamerika-Studien, Bd. 13/II, München 1983, S. 989-1016, hier S. 995. Die angegebene Stelle bei Raynal ist die Ausgabe Maestricht 1775, 7 Bde., Bd. III, S. 15.
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Abb. zo:
Marina und andere Frauen werden Cortés übergeben - Lithographie von C. N. Cochin und C. Pagnoy in Historia General de Viajes, 1754 (Quelle: Michael C. Meyer/William L. Sherman: The Course of Mexican History, New York 1979)
der Azteken beigetragen habe. Dabei wurde auch bei diesen Erörterungen nicht berücksichtigt, daß es sich weniger um „fureur des femmes" handelte, sondern die meisten der Frauen von ihren Vätern, den Herrschern verschiedener Stämme, den Spaniern geschenkt wurden. Die theoretischen Texte und philosophischen Diskussionen beeinflußten auch die fiktionale Literatur, es entstanden einige literarische Bearbeitungen des Conquista-Stoffes, die ebenfalls die verschiedensten Meinungen vertraten. Einige thematisierten wiederum Liebesbeziehungen zwischen Spaniern und Indios, wie das Versepos Le Mexique conquis (1752) von Boesnier und das Theaterstück Cortez ou Moctezuma (1776) von Alexis Piron. 118 Der „noble savage" fand auch Eingang in die englische Literatur. Beispiele dafür sind Henry Brookes „Montezuma" (1778), ein Gedicht, das in Anlehnung 1 1 8 Genauer dazu José Sánchez (:Fn. 73), S. 1 8 - 3 0 .
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an Dryden entstand, und das Werk The Fall of Mexico (1775) von Edward Jerningham. Allgemein gilt auch für das 18. Jahrhundert, daß der Exotismus weiterhin Anreize für die Literatur bot, ebenso der „edle Wilde". Zu sehen ist aber auch, daß die Europäer in der Zeit der Aufklärung sich Amerika nach wie vor weniger auf der Basis der Realität vorstellten, sondern in Übereinstimmung mit ihren eigenen Vorlieben und vor allem in bezug auf die europäischen Probleme der Zeit. O'Gorman prägte rückblickend aus diesem Grund den Begriff der „Invención de América". 11 » Zugleich war die Literatur Frankreichs, Englands und auch Hollands und Italiens geprägt von einer starken Kritik am Vorgehen der Spanier in Amerika. Ein eigenes Genre machten sich Italien, und von dort ausgehend auch andere Länder in der Bearbeitung des Conquista-Stoffes zunutze: die Oper. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts entstanden bereits die ersten Opern zur Conquista, zumeist mit Schwerpunkt auf Moctezuma und Cortés. Die Sympathie war zumindest im 18. Jahrhundert auf Seiten des Moctezuma. Antonio Vivaldi eröffnete diese Operntradition, die sich bis heute fortsetzt, mit der Oper „Motezuma", mit einem Libretto von Girolamo Giusti, die 1 7 3 3 am Teatro Sant'Angelo in Venedig uraufgeführt wurde und ein großer Erfolg war. Diese Oper ist bis heute verschollen. 120 Nach Aussage von José Subirá 1 1 1 gibt es zur Conquista 28 Opern und andere Musikstücke, die zwischen 1 7 3 3 und 1897 entstanden sind. In Mexiko selbst wurde die erste Oper zur Thematik der Conquista erst 1 8 7 1 mit „Guatimozin" von Aniceto Ortega 1 1 1 geschrieben. Auf Vivaldi folgte die deutsche Oper „Montezuma" bzw. „Die Eroberung Mexikos" von Carl Heinrich Graun, nach einem Libretto von Friedrich dem Großen, die am 6. Januar 1 7 5 5 in Berlin uraufgeführt wurde und 1981 erneut zur Aufführung kam in einer Inszenierung von Herbert Wernicke am Berliner HebbelTheater. Eine weitere Auffuhrung fand im August 1994 in Schloß Rheinsberg statt. Als Vorlage diente Friedrich dem Großen das Geschichtswerk von Antonio Solis. Malinche ist dem Namen nach nicht unter den Personen, aus Klüppelholz11-3 wird nicht erkenntlich, ob sie eventuell hinter dem Namen Erissena versteckt ist. Eine weitere Frauengestalt ist Eupaforice, die zukünftige Frau des Moctezuma. Im Mittelpunkt stehen Moctezuma und Cortés, wobei deutlich die Sympathie Friedrichs für Moctezuma zu spüren ist, den edlen Wilden, der als makelloser Held auftritt. Friedrich der Große zeigt geradezu Abscheu vor der Arroganz der spanischen Konquistadoren, die ihre Religion den unterjochten Völkern aufzwangen, was das protestantische Preußen nicht guthieß. Cortés versucht hier, die zukünftige Kaiserin für sich zu gewinnen. Das gelingt ihm nicht. Daraus läßt sich vielleicht schließen, daß Malinche nicht als Person vertreten ist. 1 1 9 Nach seinem Buch La invención de América: El universalismo de la cultura de occidente, M¿xico 1958. 1 1 0 Michael Talbot: Antonio Vivaldi. Der Venezianer und das barocke Europa. Leben und Werk, Stuttgart 1985, S. 104 und 179. Diese Oper kommt in Alejo Carpentiers Concierto barroco zur Aufführung (vgl. Kap. 5.6.2.) 1 1 1 José Subirá: „Hernán Cortés en la música teatral", in: Revista de Indias, Bd. 9, Nr. 1, Madrid 1948, S. 1 0 5 - 1 1 6 . I 2 i José Luis Martínez (:Fn. 63), S. 886f. 1 1 3 Heinz Klüppelholz: „Die Eroberung Mexikos aus preußischer Sicht. Zum Libretto der Oper Montezuma von Friedrich dem Großen", in: Albert Gier (Hg.): Operáis Text, Heidelberg 1986, S. 65-94.
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Die Tradition in Italien setzte sich fort mit Paisiello, Zingarelli, Paganini u.a.11-» 3.4.2. Die Reaktionen in Spanien Öffentliche Reaktionen in Spanien auf die Angriffe aus anderen europäischen Ländern in bezug auf die Eroberung von Mexiko waren zunächst eher gering, da bestimmte Werke von der Inquisition verboten waren und somit nicht verbreitet wurden. Zugänglich für spanische Leser war vor allem die Historia de la conquista de México von Solís, die im 18. Jahrhundert eine hohe Auflagenzahl erreichte und die, wie bereits erwähnt, eine weitgehend triumphalistische Sicht der Ereignisse bot. In den Vordergrund rückte in Spanien im 18. Jahrhundert die Beschäftigung mit der Gegenwart, d.h. mit politischen und ökonomischen Problemen in Amerika. Doch trug auch die Aufklärung in Spanien Früchte, und unter Carlos III. wurde zumindest ab den 80 er Jahren das Problem Amerika diskutiert und die Werke von Raynal u.a. wurden zum Teil zugänglich gemacht. Zum Teil erwachte auch in Spanien wieder der Geist von Las Casas. Für diese intellektuelle Bewegung steht Benito Jerónimo de Feijóo, der in Spanien Gedanken der Aufklärer zu verbreiten versuchte. Er trat ein für rationales Denken anstelle des Aberglaubens und der Vorurteile. Er wandte sich, als Benediktiner, allerdings nicht gegen die katholische Doktrin. Sein Konzept der Einheit der menschlichen Spezies wendete er auf die Indios und Kreolen der Neuen Welt an und verteidigte sie gegen die Anklage der Inferiorität. Er versuchte, die geistigen Fähigkeiten der Indios aufzuwerten und zeigte, daß die spanische Öffentlichkeit von Vorurteilen geprägt war. Allerdings verteidigte er auch die Eroberung und versuchte, das Vorgehen der Spanier zu rechtfertigen. Gleichzeitig verwies er auf die Grausamkeiten anderer Länder in der Neuen Welt, wie z.B. der Welser in Venezuela.115 Ähnlich verfuhr José Cadalso, der in den Cartas marruecas (1789) zum einen die zivilisatorische Mission der Spanier in Amerika verteidigte, zum anderen den Sklavenhandel anderer europäischer Länder anprangerte. Oftmals war der Widerstand gegen de Pauws Ideen von der Minderwertigkeit der Indios aber eher gering, zum Teil wurden sogar seine Argumente als Rechtfertigung für die Vorgehensweise der Spanier herangezogen. Juan Nuix y Perpiña (1740—1783), aus Mexiko ausgewiesener Jesuit, richtete sich in seinen 1780 in Venedig erschienenen Riflessioni sopra l'umanità degli Spagnuoli nell'Indie contro i pretesi filosofi e politici, per servire di lume alle storie dei signori Raynal e Robertson nach de Pauw. Er übernahm von ihm das negative Werturteil gegenüber den Indios, obwohl dies den Ruhm der Eroberer einschränkte, aber die zivilisatorische Mission legitimierte. Die Aussagen, die sich auf die 1 1 4 Im folgenden kommen nur die Opem zur Sprache, die mit Sicherheit Malinche unter den Personen aufführen. Eine genaue Darstellung weiterer Opern findet sich bei José Subirà (:Fn. i n ) . I i ; Ausführlich Benjamin Keen (:Fn. 34), S. 1 3 1 f. Vgl. auch Manfred Tietz: „Der lange Weg des Columbus in die 'Historia del Nuevo Mundo' von Juan Bautista Munoz (1793)", in: Titus Heydenreich (Hg.): Columbus zwischen zwei Welten, Bd. I, Reihe Lateinamerika-Studien 30/I, Frankfurt 1991, S. 357-379-
85 Grausamkeit der Spanier bezogen, lehnte er jedoch strikt ab. Der Ton seines Werkes ist stark polemisch und trug wenig zur sachlichen Klärung der Problematik bei. Er rückte Spanien in die Rolle des unschuldig Verfolgten. Dieser Ansatz war auch richtungsweisend für das Epos von Escoiquiz, wie weiter unten zu sehen sein wird. 3.4.3. Malinche in der spanischen Literatur des 18. Jahrhunderts Die Kritik des Auslandes an der spanischen Eroberung führte auch zu Reaktionen in der spanischen Literatur, die zumeist versuchte, das Vorgehen Spaniens zu verteidigen. Waren die spanischen Autoren des 17. Jahrhunderts noch hauptsächlich damit beschäftigt, die Klassiker zu imitieren und den italienischen Vorbildern zu genügen, weshalb die Ereignisse der Eroberung — neben anderen schon genannten Gründen — wenig Beachtung fanden, begannen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Autoren Stellung zu beziehen, sich gegen die „Diffamierungen" des Auslands zu wenden und ihre Helden der Eroberung zu glorifizieren. Meist entsprach das Bild, das von den Indios entworfen wurde, dem der Historia von Solis: Die Indios sind gute, aber wilde Krieger, abergläubisch und barbarisch, jedoch durchaus ernstzunehmende Gegner. Allgemein galt auch in diesem Jahrhundert, daß sowohl Menge als auch Qualität der Werke zum Thema der Eroberung nicht hoch anzusetzen waren, denn die Krone beschäftigte sich nach wie vor v. a. mit Europa, die Helden der Eroberung waren offiziell nicht anerkannt, das Verständnis für Land und Menschen fehlte. Somit war das Thema nicht gerade populär. Im Vergleich mit anderen Helden der Neuen Welt stand jedoch Cortés, was die literarischen Bearbeitungen betrifft, im Vordergrund, im Rest Europas war dies eher Pizarro. Columbus erfuhr die geringste Aufmerksamkeit. Im 18. Jahrhundert entstanden vorwiegend Tragödien, die schon Elemente der kommenden Romantik enthielten, und in denen Inkas und Azteken zumeist die tragischen Rollen ausfüllten. Eine weiterhin häufig verwendete Gattung blieb die Heldendichtung. Die in dieser Gattung erforderliche strenge Unterwerfung unter die Form brachte den so oft kritisierten Prosaismus hervor. Es gelang den Autoren nicht, bei den relativ langen Stücken über ein rein historisches Thema einen poetischen Ton aufrecht zu erhalten. Die Autoren blieben sehr nahe an der historischen Vorlage, die im 18. Jahrhundert zumeist die Historia von Solis war, wenn auch Bemal Díaz und Herrera weiterhin zugänglich waren. Delgado bezeichnete die entstandenen Werke deshalb als „crónicas rimadas de la Conquista". 116 Selten geschah es, daß Autoren ein Ereignis herausgriffen, meist machten sie es sich zum Ziel, die gesamte Eroberungsgeschichte wiederzugeben. Weitere Merkmale der Bearbeitungen sind - wie schon in den vorangegangenen Jahrhunderten — das Einbringen von Helden und Göttern der klassischen Mythologie. Cortés wird häufig mit Personen der Antike gleichgesetzt. Auch abstrakte Wesen greifen immer wieder in das Geschehen ein. In den Gesprächen der Allego1 1 6 Jaime Delgado: „Hernán Cortés en la poesía española de los siglos XVIII y XIX", in: Revista de Indias, Nr. 8, Madrid 1948, S. 401.
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ríen, z.B. Debatten zwischen „Providencia" und „Demonio" oder „Religión" und „Idolatría", werden immer wieder Gedanken der Conquista-Kritik ausgesprochen. Als Grundmuster bleibt, daß das historische Geschehen der Eroberung als gerechte Tat im Sinne eines göttlichen Auftrags im Kampf gegen die heidnischen Mächte erscheint: Daß die Entdeckung und Eroberung Amerikas mitten im 18. Jahrhundert noch als Fügung göttlicher Vorsehung gedeutet werden konnte, ist nicht nur dem Fortwirken eines von Bossuet klassisch formulierten theologischen Verständnisses der Weltgeschichte als Heilsgeschichte zuzuschreiben, sondern beruht auch auf einem Geschichtsbild, aus dem das Epos seit jeher seine innere Spannung und seinen Anspruch als Begründung und Rechtfertigung von Geschichte bezieht. Aus epischer Sicht stellt sich alles Geschehen als unbeirrbare Verwirklichung eines höheren Auftrags dar. 1 2 7
Zudem war der Einfluß Góngoras spürbar, und gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann bereits die Orientierung an romantischen Idealen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfreute sich das Thema der Conquista in Spanien größerer Aufmerksamkeit in der Literatur. 1778 schrieb die Academia Española einen Lyrikwettbewerb mit dem Thema „Las naves de Cortés destruidas" aus. Herausgegriffen wurde damit nur eine kleine Episode, die Zerstörung der Schiffe. Zwei Gedichte, deren Autoren nicht bekannt sind, enthalten Stellen, die auf Marina verweisen. Im Poema E mit dem Titel „Hernán Cortés echa a pique todas sus naves en las costas de Nueva España" 1 1 8 erfährt Moctezuma von der Landung des Cortés, er hält ihn für den zurückgekehrten Gott Quetzalcóatl. Gesandte Moctezumas treffen mit Cortés zusammen, der dargestellt wird als der bewaffnete Arm der Tugend, des Glaubens und der Vernunft (virtud, fe, razón). Seine Religiosität steht im Vordergrund. Er selbst ist es, der Feuer an die Schiffe legt. Marina ist in der Octava 67 als Dolmetscherin bei einem Gespräch zwischen Cortés und den Gesandten Moctezumas anwesend. Sie wird als wunderschön bezeichnet, zudem erwähnt der Autor, daß ihr Volk sie für göttlich hält. Weiterhin nennt er sie „La Venus de Cortés y la Minerva". 1 1 ' Die Anspielung auf die Liebesgöttin Venus läßt durchaus den Schluß zu, daß der Autor hier auf die Beziehung zwischen Cortés und Marina anspielte, und somit als einer der ersten diese Verbindung, wenn auch verdeckt, erwähnt. Poema H I J 0 beginnt mit einer Inhaltsangabe in Prosa, aus der auch die Rolle Marinas ersichtlich wird. Der Autor weist auf seine Vorbilder Homer, Vergil, Tasso, Ariost, Camöes hin, da es unter den spanischen Werken nach seiner Aussage kein brauchbares Vorbild gab. 1 1 7 Dietrich Briesemeister: „Columbus als »Apostel und Eroberer' im französischen Epos des 18. Jahrhunderts", in: Titus Heydenreich (Hg.): Columbus zwischen zwei Welten, Bd. I, Reihe Lateinamerika-Studien 30/I, Frankfurt 199a, S. 309. 128 Abgedruckt in Jaime Delgado (:Fn. 12Ä), S. 448-469. 129 Ibid., S. 465. 130 Entnommen aus Delgado (:Fn. 116), S. 410 f., der das Gedicht nicht vollständig abdruckt, aber eine genaue Analyse vornimmt. Die Texte konnte er einsehen in der Bibliothek der Real Acadeoia in Madrid.
«7 Die Aufmerksamkeit, die dieser Autor Marina widmet, unterscheidet das Gedicht von allen bisherigen Werken, wenn es auch sonst den anderen ähnlich ist. Es wird eine ganze Geschichte um Marina gesponnen. Sie erhält einen Bruder am Hofe des Moctezuma, durch den sie über den Zustand des Landes genau informiert ist Diese Informationen gibt sie an Cortés weiter, auf dessen Seite sie bereits steht, und der sich sehr dankbar dafür zeigt. Delgado nennt einige Stellen, die auf die Liebe des Cortés zu Marina hinweisen, so spricht der Autor von einem Cortés „apasionado". Die „naturalidad" und „dulzura" 1 ' 1 der India besiegen das Herz des Cortés. Die angesprochene Natürlichkeit der India verweist aufden Gedanken des edlen Wilden, der noch nicht von der Zivilisation negativ beeinflußt ist. Bei jenem Wettbewerb von 1778 reichte auch Nicolás Fernández de Moratín ein Versepos ein mit eben dem Titel „Las naves de Cortés destruidas". 1 * 1 Der Inhalt beschränkt sich auf die Ereignisse in Veracruz, mit einer Beschreibung des Heeres von Cortés, dem Aufbruch von Puertocarrero und Montejo nach Spanien und dem Aufkommen von Uneinigkeit, dem Geist des Bösen unter den Spaniern. Cortés beendet die Auseinandersetzungen um die Forderung einiger Soldaten nach der Rückkehr nach Cuba, indem er die Schiffe zerstört. Eine Taube, die ihren Flug in Richtung Tenochtitlán aufnimmt, steigt in den Himmel. Marina wird der Auslöser oder Aufhängepunkt des Autors für die Beschreibung des spanischen Heeres und seiner Männer. Sie beobachtet den Zug der Spanier und bittet Aguilar um genaue Informationen. Wert legt der Autor wieder auf ihre außergewöhnliche Schönheit: Admira tan lucida cabalgada Y espectáculo tal doña Marina, India noble al caudillo presentada, De fortuna y belleza peregrina, De la injuria del clima reservada, Y del color del alba matutina, Muestra que herir bien puede el pecho humano Cupido con harpon americano. Con despejado espíritu y viveza Gira la vista en el concurso mudo: Rico manto de estrema sutileza C o i chapas de oro autorizarla pudo, Prendido con bizarra gentileza Sobre los pechos en airoso nudo; Reha parece de la indiana zona, Varonil y hermosísima amazona. Elli atónita mira, y asombrada De tanta pompa y tanta gallardía; Y aisiosa no queriendo dudar nada, Informarse de todo pretendía: 131 Ibil., S. 410. 1 3 1 Abgedruckt in Obras de don Nicolás y don Leandro femándei de Moratín, B.A.E. II, Madrid 1944, S. 19-44. Erstmals veröffentlicht wurde es 178;.
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El paso adelantó determinada Acia el casto Aguilar, que allí venia, Primero haciendo en muestras de obedencia, A Cortés su señor la reverencia. E inquieta dice: ¡oh noble compañero! A mí por tus desgracias semejante, Cuéntame de este ejército guerrero Quién son aquellos que se ven delante, Que aun no á todos conozco, y yo no quiero Ignorar ni su nombre ni semblante Di acaba; y Aguilar se sonreia De ella, y con la alta permisión decia: [---] 1 3 3 Der Satz „ D e la injuria del clima reservada" läßt die Theorien von de Pauw anklingen, der von der Degenerierung des Menschen im Klima der Neuen Welt spricht. Jedoch bleibt Marina davon ausgenommen. Nicht nur bei Moratin, sondern auch bei anderen Dichtern liest man, daß sich Marina durch eine relativ helle Hautfarbe von ihren Landsleuten abhebt, was ihren Adel noch betont und sie den Spaniern näherrückt und in Bezug zum Schönheitsideal der Hellhäutigkeit zu setzen ist, wie es vor allem seit dem Petrarkismus formuliert wurde. Damit scheinen die Autoren Marinas Stellung an der Seite der Spanier rechtfertigen zu wollen. Ihre Bezeichnung als „varonil y hermosísima amazona" läßt sich verstehen vor dem Hintergrund der Berichte des Bernal Díaz del Castillo, der immer wieder betonte, daß sie an Tapferkeit und M u t den spanischen Soldaten in nichts nachstand. 1 7 8 0 veröffentlichte Agustín Cordero in Cádiz sein Theaterstück „Cortés triunfante en T l a x c a l a " , das bereits 1 7 6 9 in Madrid uraufgeführt worden w a r . 1 ' 4 Es ist in drei Jornadas aufgeteilt. Wie der Titel zeigt, unterscheidet sich die Betrachtungsweise Corderos von den im folgenden zu besprechenden Texten durch die Beschränkung auf die Darstellung einer Episode, die Kämpfe und den Sieg des Cortés in Tlaxcala. Bei ihm erhält Marina die Rolle, die ihr bisher von den Autoren meist nicht zuerkannt wurde: „Una innovación de este obra es que otorga un papel más consistente y más romántico a Doña Marina que los que anteriormente había g o z a d o . " 1 3 5 „ [ . . . ] y ya se da a Marina el papel novelesco que parece pedir y que se ha eludido en las obras anteriores." 1 3 6 Augustín Cordero bemüht sich zudem in Ansätzen, sich in die Lage der Indios zu versetzen, beschreibt zum Beispiel unbekannte Gegenstände aus ihrer Sicht und 1 3 3 Ibid., S. 40. 1 3 4 Kritiker wie Keen, Delgado und Campos nennen jene Daten. Reynolds dagegen ist der Meinung, daß das Stück bereits Ende des 1 7 . Jahrhunderts entstanden sei. Zum Autor selbst ist nichts bekannt. Der Inhalt und die Art der Bearbeitung dieses Stückes deuten jedoch eher auf das 18. Jahrhundert. Das Stück lag nicht vor. Zitiert wird aus der ausführlichen Besprechung von Jorge Campos: „Hernán Cortés en la dramática española", in: Revista de Indias, 9, 1 , Madrid 1948, S. 1 8 6 - 1 9 0 und Reynolds (:Fn. 45), S. 4 3 o f f . 1 3 5 Reynolds (:Fn. 80) und Reynolds (:Fn. 45). 1 3 6 Jorge Campos (:Fn. 134), S. 187.
89 verwendet z. B. das Bild der schwimmenden Häuser aus Holz. Doch überwiegt auch bei ihm das Unverständnis für die indianische Gesellschaft, was in diesem Fall weniger dem Autor, als seiner Quelle, der Historia von Solis anzulasten sein mag, da dieser Begriffe wie „república", mit Vorbild der römischen Republik, auf die Tlaxcalteken anwendete. Diese Sichtweise wird im 19. Jahrhundert noch verstärkt auftreten, wenn Tlaxcala als ideale Regierungsform dargestellt wird. Die Schilderung beginnt am Hofe des Xicoténcatl in Tlaxcala, wo der Herrscher der Priesterin Alfa lauscht, die Vorhersagen über den Untergang der Tlaxcalteken trifft. Die Spanier treten auf, es erfolgt ein kurzer Rückblick auf die bisherigen Ereignisse, auch eine kurze Anspielung auf Tabasco, die nicht genau zu verstehen ist, und woraus Campos schließt, daß dieses Stück Teil einer Trilogie sein könnte, dem bereits andere Stücke vorausgingen. Auch in Zusammenhang mit Marina erhärtet sich diese Vermutung. In der zweiten Jornada unterbricht der Autor den historischen Ablauf durch den Einschub einer fiktiven Episode. Cortés und seine Männer kommen rechtzeitig, um eine India vor dem Opfertod zu retten. Cortés und die India erkennen sich wieder, man erfährt, daß sie sich in Tabasco kennengelernt hatten, wobei dies nicht weiter ausgeführt wird - verständlich wäre es nur, wenn tatsächlich ein weiteres Stück des Autors zu Tabasco existierte. Bei der India handelt es sich um Marina: -Levántate india infeliz, y ya a tu suerte no temas... ¿Más qué miro? —Agradecida... ¿pero qué veo? —No es esta... - N o es este... - L a noble india... —El brioso joven... - Q u é bella... —Qué clemente... —Allá en Tabasco... -Allá en mi infelice tierra.. . ' 3 7
Bewunderung der beiden für einander spricht aus diesen Zeilen. Im weiteren Verlauf erzählt Marina, wie sie nach Tlaxcala kam. Sie berichtet Cortés, daß sie aufgrund von Beleidigungen, die sie erfahren mußte, da sie als Vermitderin für die Spanier gedient hatte, aus der Region Tabasco geflohen sei — sie ist also nicht mit den Spaniern gezogen. Ansatzweise findet sich hier bereits die Verdammung durch ihr Volk, die sie im 19. Jahrhundert in der Literatur verstärkt erfahren wird. In Tlaxcala sollte sie dann geopfert werden. Der Eroberer tröstet sie daraufhin und garantiert ihr seinen Schutz: 1 3 7 Ibid., S. 189.
90 India hermosa, ya segura estás: no habrá quien se atreva, en mi compañía servida, a maltratar tu belleza. 1 ' 8
Beide empfinden große Zuneigung für einander, widerstehen aber heroisch ihren Gefühlen: C: - Injusta, aleve pasión, ¡apártate de Marina! M: - Aunque es Cortés quien te inclina, ¡resístete, corazón! C: - ¡Logre el triunfo mi entereza! M: - ¡Logre el lauro mi despecho! Los dos: ¡Muera afición en mi pecho! M: - ¡Qué gallardía! C: - ¡Qué belleza! 1 "
Nach den Kämpfen zwischen Indios und Tlaxcalteken erscheint Marina noch einmal, um Xicoténcad Zutritt zu Alfa zu gewähren, die von den Spaniern gefangen genommen worden war. Die Spanier gehen siegreich aus den Kämpfen hervor, Frieden wird geschlossen, Cortés fährt auf einem Triumphwagen ein, der von Indios gezogen wird. Auch das Ende läßt auf eine Fortsetzung schließen: Y aquí, Auditorio, triunfante queda Cortés en Tlaxcala basta que a México pase. 140
Bedeutend ist das Stück insofern, als es die Beziehung zwischen Marina und Cortés offen anspricht, wenn diese auch nur „platonisch" bleibt. Aufmerksamkeit verdient es vor allem aber deswegen, weil der Autor Marina bereits mit Vorwürfen durch ihr Volk konfrontiert. Bisher wurde sie als von den Indios hochgeschätzte Person dargestellt. Manuskripte einer anderen gesicherten Dramentrilogie von Fermín del Rey mit den Titeln „Hernán Cortés en Cholula", „Hernán Cortés en Tabasco" und „Hernán Cortés victorioso y paz con los tlaxcaltecas" befinden sich in der Biblioteca Nacional in Madrid, nur das zweite Stück wurde 1790 veröffentlicht und 1792 in Mexiko-Stadt aufgeführt.* 41 Fermín del Rey diente in „Hernán Cortés en Tabasco" auch Solís als Quelle, dennoch tritt die Geschichte hinter der dramatischen Darstellung in den Hintergrund. Cortés ist hier nicht nur der Held und vor allem religiöse Kämpfer, sondern auch Galan. Das zentrale Thema des Werkes ist die Liebe des Cortés zur India Teler, Doña Marina. Das Stück spielt in der Umgebung von Tabasco, wo das spanische und ein 138 139 140 141
Reynolds (:Fn. 45), S. 4 3 1 . Ibid., S. 4 3 1 . Campos (:Fn. 134), S. 190. Die Ausführungen beziehen sich v.a. auf Campos (:Fn. 134), S. 1 9 0 - 1 9 4 und Sánchez (:Fn. 73), S. 3 1 .
91 indianisches Heer kampieren. Die Indios werden von dem Lärm der Kanonen in Angst versetzt. Teutile, der Anführer, beschließt, den Göttern zu opfern, um den Untergang ihres Volkes abzuwenden. Cortés wird in der Zwischenzeit die indianische Sklavin Teler vorgeführt. Die nächste Szene besteht aus einem Gespräch zwischen der India und Cortés. Sie erzählt ihre Geschichte, und Cortés gesteht ihr seine Liebe, die er plötzlich für sie empfindet. Die India lauscht „confusa y ruborizada" 141 und gesteht, daß sie ebenso fühlt. Im Vergleich zu Cordero geht Fermín del Rey einen Schritt weiter, indem Cortés nicht nur Retter der Sklavin, sondern ihr auch in Liebe ergeben ist. Cortés tritt damit aus der besonnenen Rolle heraus, die er im vergangenen Jahrhundert einnahm. Die India erfährt von einer Verschwörung, sie beschränkt sich aber nicht darauf, die Spanier davon zu unterrichten, sondern zeigt dem Publikum den Kampf, den sie in ihrem Herzen austrägt - auf der einen Seite ihre Liebe, auf der anderen „Fe, patria y sangre" (192). Die Verwendung dieser Begriffe weist auf das 19. Jahrhundert, in dem diese im Mittelpunkt der Diskussion um Malinche stehen werden. Am Ende siegt die Liebe: — ¿Qué importa el resto del mundo con tal que Cortés se salve? ( 1 9 1 )
Teler versucht, die Indios von einem Kampf abzuhalten. Sie wird dabei gefangengenommen und soll geopfert werden. Cortés, der ihr Fehlen bemerkt, läßt sie suchen, wobei dies nicht nur aus Liebe geschieht, sondern auch, weil er die Gefangennahme als Affront gegen seine Macht versteht. Zudem würde die Kirche eine schon gewonnene Seele verlieren — so seine Argumente. Der z. Akt beginnt im Tempel, wo Teler geopfert werden soll. Als der Priester das Messer hebt, erkennt er in Teler seine Tochter, die er verloren glaubte. 143 Der Vater will sich an ihrer Stelle opfern, doch die Indios bleiben hart. Als sich das Messer erhebt, ertönen die Arkebusen. Cortés rettet Teler, es folgt ein „coloquio enamorado", wie es Campos nennt (193). Teler teilt Cortés mit, daß sie trotz ihrer Liebe zu ihm mit ihrem Vater gehen muß. Ihre Bindung zu ihrer Familie ist stärker als die zu Cortés. Es kommt also auch hier nicht zur Erfüllung der Liebesbeziehung. Erst nach dem Tod des Vaters und als auch Telers Bruder, der erbitterten Widerstand gegen die Spanier leistete, von den guten Absichten des Cortés überzeugt ist, finden Cortés und Teler erneut zueinander. Teler soll die Taufe empfangen: Tu, hermosa Teler, ven donde recibas los privilegios, que en el sagrado bautismo el hombre obtiene del cielo. Con el nombre de Marina 1 4 1 Campos (:Fn. 134), S. i j z . Weitere Seitenzahlen befinden sich in Klammem im Text. 143 Fermín del Rey verwendet damit eine typische Situation der antiken Tragödie, die Anagnorisis.
91 por ser tal día el primero en que viste las verdades del sacrosanto evangelio; y después donde tu mano dé a mis finezas el premio, porque se vean brillar a pesar de estrago y riesgo entre los triunfos de Marte, las delicias de Himeneo. (193)
Fermín del Rey spielt hier sogar auf eine Ehe an, wobei nicht klar wird, ob diese zwischen Cortés und Marina stattfinden könnte. Mit der Darstellung der idealisierten Liebe zwischen Cortés und Marina geht er in jedem Fall weiter als alle bisherigen Autoren. Er nähert sich bereits dem Bild, das die Romantik von den beiden zeichnen wird. Der Autor entfernt sich dabei, wie im gesamten Geschehen, sehr weit von der historischen Realität. Er ist bisher zudem einer der wenigen, der Marina einen inneren Konflikt zuschreibt, als sie sich für eine der beiden Seiten entscheiden muß. Am Ende wird ihre Entscheidung dann von der Liebe bestimmt, ein Motiv, das auch in den folgenden Jahrhunderten häufig thematisiert wird. Ein weiteres Versepos, México conquistado,144 wurde 1798 in Spanien von Juan de Escoiquiz (176z—1820), einem Canónigo aus Zaragoza, geschrieben. Die Widmung an den König und das Vorwort, in dem er das Ausland und ebenso Las Casas heftig angreift, weisen auf die Absicht des Autors hin. [...] un Poema, cuyo objeto es el de realzar las hazañas inauditas de los Españoles en la Conquista del Imperio Mexicano, y las felicidades que á los habitantes de este se les han seguido desde la época de su reunión a la Corona de España [...] (Prólogo, 2.)
In einem allgemein gehaltenen Prolog spricht er von dem Ereignis der Eroberung als „el mas grande, el mas maravilloso, el mas noble que quizás habrán visto los siglos [...] se puede asegurar que no se hallará otra mas gloriosa en los anales del género humano" (VI). In diesem Satz offenbart sich seine Einschätzung der Taten der Eroberung und damit auch die Heldenrolle, die er Cortés zuweist, ebenso seine Sicht der Azteken, die seiner Meinung nach Dankbarkeit für die Spanier empfinden müssen über die Wendung ihres Schicksals. Im Prolog verweist er auch darauf, daß die anderen europäischen Staaten in ihren Kolonien nicht anders vorgingen, als die Spanier in Amerika, und weist somit sämtliche Vorwürfe zurück. Seine Kritik an Las Casas formuliert er ganz deutlich: [...] y las indiscretas ponderaciones de un Obispo nuestro llamado Don Fray Bartolomé de las Casas, cuyo zelo hubiera sido muy laudable, si le hubiera acompañado un juicio sano, y no se hubiera dexado muy atras los términos de la verdad, á los que debe 144 Juan de Escoiquiz: México conquistado, Madrid 1798. Die Seitenangaben befinden sich in Klammern im Text. Escoiquiz galt als enger Vertrauter von Fernando VII. Er war auch als Übersetzer tätig, u.a. von Miltons Paradise Lost.
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agregarse lo que los alteradas y fogosas imaginaciones de cada uno de los escritores extrangeros ha ido añadiendo sucesivamente. (VIII, IX) Er entscheidet sich mit dieser Gedichtform für eine ungewöhnliche Art der Replik auf Angriffe u.a. von Robertson und Raynal, die er jedoch zunächst im Vorwort abhandelt: De todo lo dicho se infiere la injusticia con que los extranjeros abultan los excesos de los Españoles en aquellas conquistas, y que la envidia y odio que les tienen son el único origen de semejantes ponderaciones calumniosas, á las que han dado la última mano, como á otras muchas Robertson y Rainal, cuyo objeto principal en sus escritos parece que solo ha sido el de hacernos aborrecibles á los ojos del mundo. (XXVI, XXV) Escoiquiz versteht sein Werk vor allem als Verteidigungsschrift, was der Prolog zeigt. Wie Manfred Tietz bemerkt, greift Escoiquiz auf die Apologie von N u i x zurück, dem es bereits gelungen war, bei vielen seiner Leser die Glaubwürdigkeit von Las Casas zu erschüttern. 1 4 ' Escoiquiz stellt ebenso das Bild des „edlen Wilden" in Frage und rückt die Leistungen von Cortés erneut in ein positives Licht. Er thematisiert in seinem Versepos die Legitimität der Eroberung, die Überlegenheit der Spanier und deren angebliche Greueltaten, die bei ihm meist von barbarischen Indios ausgehen — Angriffe der Spanier dagegen sind ein letztes Mittel der Selbstverteidigung nach der Ablehnung von Friedensangeboten durch die Spanier. Escoiquiz' Sicht der Azteken als Barbaren und wilde Krieger wird im ersten Canto deutlich: Conquistó el vasto Imperio Mexicano De manos de un Monarca astuto y fiero, Rindiendo con pequeños esquadrones Muchedumbre de bárbaras naciones. (I, i) Sie werden als gleichwertige Gegner gezeigt, aber auch als hinterhältig, wortbrüchig, wobei sie lediglich die Bosheit der vom Teufel beeinflußten Nichtgläubigen zeigen. Auffällig ist, daß Escoiquiz in seiner Schilderung zwischen den Indios, die die Spanier unterstützen, und denen, die gegen sie kämpfen, unterscheidet (I, 68). Das erlaubt ihm u. a. auch eine positive Schilderung Marinas. In einer Ansprache des Cortés an das indianische Heer weist er die Indios darauf hin, daß sie immer dem spanischen Beispiel folgen sollen. Escoiquiz erkennt ihre Stärke im Kampf an, hält sie aber sonst für unterlegen: Que no les proponía que igualasen Del Español la ciencia y la fiereza, Pues que no era posible lo alcanzasen Siendo mas débil su naturaleza; Pero sí que imitarle procurasen, Y no solo en el arte y fortaleza Para la guerra, sino en el humano Trato con el mas mísero villano. (I, 69) 1 4 $ Manfred Tietz (:Fn. 1 1 7 ) , S. 1004f.
94 Er beginnt den ersten Canto mit der Beschreibung des Reichs der Azteken und setzt mit der Handlung in Tlaxcala ein. Die bisherigen Ereignisse werden in einem Gespräch wiedergegeben. Das „ p o e m a " endet mit der Gefangennahme Cuauhtémocs. In den insgesamt 26 Gesängen, denen jeweils ein „Argumento", ebenfalls in Versform, vorausgeht, folgt Escoiquiz den Ausführungen von Solis. Im Text bezieht er sich bisweilen auch auf Bernal Díaz (z.B. I, 57). Er liefert einige typische Beispiele für den Gebrauch von abstrakten Figuren, wie „discordia", „desconfianza", „espíritu del m a l " und gerade im Zusammenhang mit Cortés nimmt er Bezug auf die klassischen Helden der Antike, wie Odysseus, Achill, Romulus. Cortés wird gezeigt als vom Himmel gesandter Führer, beispielhafter Krieger, mit Mut, Ausstrahlung, der sehr liebenswürdig ist, und viel bewundert wird und nur um das Wohl Spaniens und der Indios bedacht ist (I, 56). Die Conquista legitimiert er mit der Absicht der Spanier zur Christianisierung. Auf der allegorischen Ebene, dem Kampf zwischen der christlichen Religion und dem Teufel, dienen die Spanier als bewaffneter Arm Gottes. Doña Marina erhält allgemein große Bedeutung und wird von Escoiquiz bei erster Gelegenheit zur Heldin stilisiert. Sie findet zum ersten M a l Erwähnung im Canto II, Strophen 2 5 , 26, als sich das spanische Heer bereit macht, aus Tlaxcala auszuziehen. Marina sitzt bei den mexikanischen Gesandten und beobachtet das Schauspiel:
[...]
La intérprete inmortal Doña Marina. Doña Marina tu, cuya memoria En duro bronce existirá grabada, Miéntras dure de México la historia! De la España jamas será olvidada, Pues tal parte tuvistes en la gloria Que adquirió en su conquista celebrada! Oxalá que mi fuego alcance á tanto, Que pueda eternizarte con mi canto! (I, 45) Escoiquiz stellt damit die historische Bedeutung der Malinche auch für die Zukunft heraus und will sie mit seinem Gesang verewigen. Er betont direkt Marinas Einfluß auf den Sieg der Spanier. Sie wird damit von der vorwiegend negativen Charakterisierung der weiteren beteiligten Indios ausgenommen. In Abweichung von der Darstellung der Historiker ist vor allem die Vorgeschichte der Doña Marina interessant. Er läßt sie diese Geschichte nicht Cortés, sondern Glauco, einem Gesandten des Moctezuma, erzählen. Ihren Geburtsort gibt er mit Coatzacoalco an, ihr N a m e ist Glaura, womit er eine der Leerstellen in Marinas Biographie füllt, den Namen vor der Taufe. Ihre Eltern, Kaziken, starben beide, als sie 1 5 w a r , und sie lebte daraufhin bei ihrem Onkel, der für sie regierte. Im Heiratsalter verliebte sie sich in einen jungen Kaziken, ihr Onkel gab keine Einwilligung in die Heirat, um die Regierung nicht abgeben zu müssen. Er ließ
95 Marina verschleppen und als Sklavin verkaufen. So gelangte sie nach Tabasco, w o sie 6 Jahre als Sklavin lebte, bevor sie den Spaniern geschenkt wurde. Ihren Freund ließ ihr Onkel ermorden und verbreiten, daß er mit ihr geflohen sei und sie Schiffbruch erlitten hätten (I, 46ff.). Marina sieht sich nach eigener Aussage immer noch als Sklavin, betont dabei die gute Aufnahme unter den Spaniern, aber auch ihre Unzufriedenheit, da sie nicht ihre Freiheit erlangen kann (I, 54). La série de mi historia lastimera! Oxalá que la muerte á que yo aspiro, A mi narración triste fin pusiera, [...] (I, 46) [...] Ahora respiro, Gracias al Cielo, en suerte algo distinta; Tratada con decoro aquí me miro, Con libertad de lamentar mi extinta Felicidad, que es lo único á que aspiro; Mas soy esclava, y bien que agasajada Entre gente extrangera desterrada. (I, 54) Diese Fassung findet sich so bei keinem Historiker, wenngleich man vielleicht davon ausgehen kann, daß er damit den Satz bei López de Gomara mit Leben füllt, in dem es heißt, daß Cortés Marina für ihre Hilfe die Freiheit versprach. Escoiquiz verstärkt durch die Version ihrer Herkunft die schwere Vergangenheit der Marina, die sogar ihren Geliebten verloren hat. Liebesbeziehungen stehen bei ihm im Mittelpunkt und sind Auslöser für verschiedene Ereignisse. Escoiquiz nennt Marinas Einfluß in der Verschwörung von Cholula, wie es bei Bernal Díaz zu lesen war, wobei er jedoch von dessen Darstellung abweicht. Escoiquiz gibt Glauco, dem Gesandten Moctezumas, eine wichtige Rolle. Dieser hatte den Überfall mit organisiert und wollte mit Hilfe Marinas, die ihm über ihre Unzufriedenheit und ihren Wunsch nach Freiheit geklagt hatte, die Verbündeten Cortés', die Cempoalaner, zur Mithilfe überreden. Als Belohnung sollte sie ihren Thron zurückerhalten. In der Unterhaltung mit der Kazika betont Escoiquiz Marinas Fähigkeit, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Sie bleibt den Spaniern treu und informiert Cortés über die Pläne (I, 74 ff.). D a f ü r erhält sie Lob und Dank des Cortés: Despues de dar las gracias á Marina Con la mayor ternura, y elogiarla De su arte en descubrir la oculta mina, [-..] (I, 108) Ebenso erscheint Marina bei der Gefangennahme Moctezumas. Die Wortwahl dieser Darstellung entspricht fast der bei Bernal Díaz bzw. Solis. Escoiquiz nennt Marina damit an allen Stellen der Geschichte der Eroberung, an denen sie auch Bernal Díaz, und in Anlehnung daran spätere Historiker gezeigt hatten. Pidió pues á Marina, repitiera Lo que había dicho aquel Español fiero,
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„Señor, respondió astuta, no quisiera, Como vasalla vuestra, y que un sincero Leal afecto os tiene, os sucediera Aun el menor trabajo, y considero Que á no ceder peligra vuestra vida, Si cedeis hallareis digna acogida. Cedió al fin Motezuma amedrentado Al oir á Marina [...] (II, 31) Da dieses Werk an sich sehr ausführlich ist, erstaunt es nicht, daß auch Marina ein gebührender Platz eingeräumt wird. In der Darstellung ihrer Charaktereigenschaften besteht kein großer Unterschied zu den Geschichtswerken. Auch der Blickwinkel des Schreibers ist weiterhin der eines den Spaniern zugetanen Autors. Selbst wenn Escoiquiz oftmals von der historischen Realität abweicht, oft die wörtliche Rede verwendet, um ein lebendigeres Bild entstehen zu lassen und sich nicht den Anschein gibt, als ginge es ihm um die Wiedergabe historischer Realität in Versform, sondern um ein lyrisches Werk auf der Grundlage der historischen Ereignisse, so verfällt er doch häufig in Prosaismus, wie Garcia Icazbalceta urteilt: Este pobrísimo trabajo marca quizá el último punto de prosaísmo á que puede llegar un llamado poema heroico. No se levanta sobre el tono de una narración familiar hecha á un amigo de confianza. No hay entonación, no hay calor, no hay un solo arranque poético. Las rimas son comunes, verbales casi siempre: los versos desmayados, inarmónicos: las comparaciones muchas y triviales: los nombres, más bien araucanos ó estrafalarios, que mexicanos. Ni el triste mérito de la fidelidad histórica tiene, porque falta á ella gravemente y de continuo [.. .]' 4Ä Das steigende Interesse an der Figur Marinas in der Literatur Spaniens im 1 8 . Jahrhundert lag vor allem an der starken Rezeption von Solis, der ihr ähnlich viel Raum einräumte wie Bemal Díaz del Castillo. Oftmals erweckten die Werke aber lediglich den Eindruck, daß Marina zur Ausschmückung der Person des Cortés aufgenommen wurde. Daß bereits von einer Liebe zwischen den beiden die Rede ist, zeigt die Abkehr von der engeren Moral der vorangehenden Jahrhunderte. Cortés kann in Liebe für eine India entflammen - die allerdings nie in einer Liebesbeziehung endet. Marina wird in einigen der Epen selbst zur Heldin stilisiert, so vor allem bei Escoiquiz. Von einem Interesse an der historischen Figur kündet dies jedoch nicht unbedingt. Z u beachten ist auch, daß Marina oft aus der Gruppe der Indios herausgehoben wird, ähnlich den Herrschenden unter den Indios, die immer in ihrer Charakterisierung von den „normalen" Indios unterschieden werden. Marina besitzt sozusagen einen Sonderstatus, einmal als Frau und zum anderen unter den Indios, zu denen sie nicht direkt gerechnet wird, bzw. nur zu den positiv bewerteten Indios, die auf der Seite der Spanier kämpften. Diejenigen Autoren, die die 146 Garda Icazbalccta (:Fn. 80), S. 304.
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Indios als Barbaren beschreiben, preisen Marina oftmals als Helferin der Spanier. Die Verteidiger der Indios, die die Spanier verurteilen, zeigen dagegen bisher keinerlei Interesse an der Dolmetscherin des Cortés. 3.4.4. Das 18. Jahrhundert in Mexiko Die Historia von Solis hatte in Mexiko ebenso große Verbreitung gefunden und diente als Quelle für die literarischen Bearbeitungen des Conquista-Stoffes. Es bestand nach wie vor eine Vorliebe für die Versepen, die die gleiche Form aufwiesen wie im 16. Jahrhundert.'47 Die Literatur brachte im 18. Jahrhundert dennoch kaum eine Entsprechung zu den Dramen und Versepen in Spanien und Europa — vor allem in bezug auf Malinche — hervor. Eines der überlieferten literarischen Zeugnisse zum Thema der Eroberung ist die Hemandina148 von Francisco Ruiz de León, 1683 in Mexiko geboren. Sie wurde 1755 in Madrid veröffentlicht, besteht aus 1 2 Gesängen in „Octavas reales", denen jeweils ein Epilog in Prosa und eine kurze Inhaltsangabe (argumento) in Versform vorangestellt ist. Ruiz de León berichtet darin von den Taten des Cortés, beginnend in Cuba, und erwähnt alle wichtigen Reiseabschnitte von Cortés. Das Epos endet mit der Einnahme Tenochtitláns und dem Sieg des Cortés über Cuauhtémoc. Cortés erscheint mehr als Halbgott denn als menschlicher Held. Er ist ein guter Kämpfer, ein guter Führer seines Heeres, besitzt politisches Talent und ist tief religiös: eine überhöhte Heldenfigur. Wie auch in Spanien dienen antike Mythen, Legenden, Heldenfiguren als Vergleiche.14» Doña Marina tritt nur bei den Ereignissen in Cholula in Erscheinung, bei deren Darstellung Ruiz de León sich an Solis hält. In ihrer Funktion als Dolmetscherin wird sie nur kurz vorgestellt: Entre veinte Doncellas le d à astuta Interprete à M a r i n a , quien desata D e dos Idiomas, que p o r fuerte aprende, lo que A g u i l a r en T a b a s c o entiende. (Canto II, S. 57)
García Icazbalceta stellt dieses Werk über das von Escoiquiz und betont, daß Ruiz de León sowohl ein besserer Dichter als auch ein besserer Historiker als Escoiquiz sei. Seiner Meinung nach gibt Ruiz de Léon ein gutes Zeugnis des mexikanischen Gongorismus, der ihm sogar „más refinado que el español" erscheint.150 147 Ein Drama von Eusebio Vela zum Thema ist dem Titel nach bekannt. Er war eine der herausragenden Autoren des mexikanischen Theaters in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 1 7 3 1 erscheinen einige von ihm verfaßte Artikel in einer mexikanischen Zeitung. Darin wird das Stück „Conquista de México" erwähnt. Vgl. Jefferson Rea Spell und Francisco Monterde (Hg.): Tres Comedias de Eusebio Vela, XVIII, México 1948. 148 Ruiz de León, Francisco: Hemandina, Madrid 1 7 ; ; . 149 Ausführlicher dazu Delgado (:Fn. 116), S. 403 ff. 150 García Icazbalceta (:Fn. 80), S. 304f.
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Al desmayado prosaísmo de Saavedra sustituye el estilo embrollado y gongorino que estaba entonces en su apogeo. Hay muchos trozos de la Hernandía verdaderamente ininteligibles, y hasta dudo que el autor mismo pudiera dar razón de lo que quiso decir, pero en medio de esta insufrible hojarasca, y a pesar de algunos versos duros o mal medidos, muestra Ruiz de León verdaderas dotes de poeta. 1 5 1
Weitere literarische Bearbeitungen aus dem 18. Jahrhundert sind nicht überliefert. Reaktionen anderer Intellektueller auf die Angriffe aus Europa gab es durchaus. In wissenschaftlichen und literarischen Texten reagierten gerade die intellektuellen Kreolen auf die Angriffe, die teilweise Indios und Kreolen gemeinsam verurteilten. Es gab unter ihnen unterschiedliche Haltungen, gemeinsam war ihnen aber ein wachsendes Selbst- und Nationalbewußtsein. Der Kampf mit Europa um die Bewertung der Kultur der Indios führte in Mexiko zu einer intensiven Beschäftigung mit der präkolumbischen Kultur. Deren Wert sollte unter Beweis gestellt werden. Der Impuls zu wissenschaftlichen Forschungen beruhte auf der Verbreitung der aufklärerischen Ideen und dem Wunsch patriotischer Kreolen, die Reichtümer ihres Landes zu erforschen. Vor diesem Hintergrund entstanden die ersten wissenschaftlichen archäologischen Werke zu Mexiko. Es fanden erstmals größere Ausgrabungen statt — Ende des Jahrhunderts wurde in Mexiko-Stadt der sogenannte aztekische Kalender, „la piedra del sol", gefunden. Verteidiger der gemeinsamen Stärke der Indios und Kreolen war der mexikanische Professor für Theologie, Juan José de Eguiara y Eguren. Sein leidenschaftlicher Amerikanismus weist schon auf den Höhepunkt, der mit Clavijeros Historia antigua de México erreicht werden wird. Auch die Tradition von Las Casas lebte unter dem mexikanischen Klerus noch fort. 1 5 1 Einer der glühendsten Verteidiger Mexikos war Fray Servando Teresa de Mier (1765—1827), der in seinen Schriften die präkolumbischen Kulturen verteidigte und die Auseinandersetzung damit auf die Spitze trieb, daß er behauptete, bereits der heilige Thomas habe das Evangelium in die Neue Welt gebracht. Damit stellte er die These auf, daß Amerika den Europäern nicht einmal das Christentum zu verdanken habe. 153 Verteidiger der Neuen Welt waren, wie schon erwähnt, auch unter den Jesuiten zu finden, die 1767 von Carlos III. aus der Neuen Welt verstoßen wurden und sich meist ins Exil nach Italien begaben. Dazu gehörte Francisco Javier Clavijero ( 1 7 1 3 — 1 7 8 7 ) , d e r in Italien verschiedene Schriften über Mexiko veröffentlichte. Eine besondere Färbung erhielten diese Werke der Exilierten meist durch ihre Sichtweise aus der Entfernung, die bisweilen eine gewisse Nostalgie oder Identitätssehnsucht erkennen ließ. Sein Werk war zudem geprägt von einer starken humanistischen Grundhaltung und einer mexikanisch-patriotischen Gesinnung.
151 15z 153 154
Garda Icazbalceta: Obras, Bd. II, S. 301 f., zitiert nach José Luis Martínez (:Fn. 63), S. 878 f. Vgl. Keen (:Fn. 34), S. 299. Zu seiner Bedeutung für die Entstehung der mexikanischen Nation vgl. Kapitel 4.1.1. Einen präzisen Oberblick bietet Antonio Gómez Robledo: „La conciencia mexicana en la obra de Francisco Xavier Clavijero", in: Historia mexicana, Bd. 19, Nr. 3, México 1970.
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In seiner Historia antigua de México,1" die 1780/81 in italienischer Sprache in Cesena veröffentlicht wurde, von ihm aber zuvor in Spanisch verfaßt worden war, wehrte er sich gegen die Vorwürfe aus Europa und rechtfertigte die Eroberung Mexikos, vor allem aus religiöser Sicht. Er hatte sich mit den indianischen Sprachen vertraut gemacht, kannte das einschlägige Material und hatte systematische, vergleichende Quellenforschung betrieben. Er setzte sich in seiner Historia direkt mit de Pauw, Raynal und Robertson auseinander. Den Paganismus der amerikanischen Völker stellte er über den der alten Europäer - er zog damit die Parallele zwischen den alten mexikanischen Zivilisationen und der europäischen Antike. Die oft genannte Inferiorität der Indios hielt er für reine Unwissenheit, der durch bessere Bildung abgeholfen werden könne. Das Werk fand große Verbreitung in Europa, aufgrund der kreolistischen Haltung und der Kritik an der Grausamkeit der Spanier aber nicht in Spanien selbst. Diese neue Strömung, der Clavijero angehörte, wurde in der Forschung als „Neo-Aztequismo" bezeichnet. Diese Ideologie stellte eine Verbindung zu den sozialen Problemen der modernen Indios her und erhielt dadurch eine gegen Spanien gerichtete Betonung, die sich im 19. Jahrhundert noch verstärkte. Clavijero kann aber nicht direkt einer der ab dem 19. Jahrhundert in der Literatur vorgenommenen Einteilung in „hispanistas" und „indigenistas" zugerechnet werden, da er die Conquista prinzipiell verteidigte. Er hob auch Marina aus dem Vergessen heraus, indem er die Informationen von Bemal Díaz, den er als verläßlichen Augenzeugen nennt, aufgriff. Er erläuterte die verschiedenen Versionen ihrer Herkunft, übernahm von Bemal Díaz Urteil, Vorgeschichte und die große Bedeutung Marinas. Selbst das Wiedersehen mit ihrer Familie nahm er in seine Beschreibung auf. In seinem Kapitel „Noticias de la célebre Doña Marina" 1 '* bedauert er ihre Beziehung zu Cortés: Acompompañó a Cortés en todas sus expediciones, sirviéndole siempre de intérprete, muchas veces de consejera y alguna vez, por su desgracia, de amiga. El hijo que en ella tuvo aquel conquistador [...] (300)
Er betonte aber vor allem die Bedeutung der Religion, ihre moralische Größe und sah den wahren Ruhm Marinas in der Tatsache begründet, daß sie die erste Christin des mexikanischen Imperiums war: [...] pero doña Marina los acarició y consoló dando a conocer que su piedad y su generosidad no eran inferiores a las demás prendas de que la dotó el cielo. No hemos podido excusarnos de estas pocas noticias de una mujer que fue la primera cristiana del imperio mexicano, que hace tanto papel en la historia de la conquista y cuyo nombre es tan célebre hasta ahora en aquel reino, no menos entre los mexicanos que entre los españoles. (300)
Er bedauerte, daß so wenig über diese seiner Ansicht nach außerordentlich wichtige Persönlichkeit bekannt sei. Mit dieser Figur wendete er sich auch gegen de Pauw, dem er bewies, daß Indios durchaus moralisch hochgestellt sein können. 15 5 Francisco Javier Clavijero: Historia antigua de México, México 1964. Die erste spanische Fassung wurde 182.6 veröffentlicht. 156 Ibid., S. 199ff. Weitere Seitenangaben befinden sich in Klammern im Text.
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M a r i n a tauchte in diesen Diskussionen zur Verteidigung der Indios damit z u m ersten M a l auf, nicht aber in der Form der Verräterin, w i e es wenige Jahre später der Fall sein w i r d - noch richtete sich das Selbstverständnis der Kreolen nicht gegen Spanien. Sicherlich w u r d e aber durch die Ideen der A u f k l ä r u n g und das Selbstbewußtsein der Kreolen, die W e r t auf die Erforschung und Wertschätzung der Vergangenheit ihres Landes legten, der W e g geebnet für das G e d a n k e n g u t der U n a b h ä n g i g k e i t und das im 1 9 . Jahrhundert entstehende Nationalgefühl in M e x i k o , das zu einem neuen Malinche-Bild beitrug. Ä u ß e r u n g e n der Indios selbst zu den Anschuldigungen der Minderwertigkeit und Degeneration aus Europa gab es in dieser Z e i t nicht. Die meisten Adeligen hatten mittlerweile ihren Stand verloren, b z w . sich mit spanischen Kreolen vermischt, w a r e n bereits v o l l k o m m e n hispanisiert und zeigten k a u m Interesse an der Erhaltung ihres Erbes. Zeugnisse v o n ihnen sind jedoch auf ganz anderem Gebiet erhalten, die ebenfalls Einblick in den U m g a n g mit dem T h e m a Conquista ermöglichen: die T ä n z e der Indios, die bereits im 16. Jahrhundert entstanden w a r e n und bis ins z o . Jahrhundert überliefert w u r d e n , z u m Teil auch in neuen Fassungen im 19. Jahrhundert wiederbelebt w u r d e n . Sie liefern zumindest ein Zeugnis der C o n quista aus der Sicht der Indios in deren „ P o p u l ä r k u l t u r " , w e n n auch vermischt mit spanischen Elementen.
3.5. Exkurs: Malinche in den „Danzas Indígenas" In fast allen Regionen M e x i k o s , w o heute noch indianische G r u p p e n leben, finden sich T ä n z e , die z u m einen auf alte präkolumbische Traditionen zurückgehen, z u m anderen auf spanische Einflüsse nach der C o n q u i s t a . Es ist sehr schwierig, Elemente der T ä n z e in spanische, indianische, mestizische Einflüsse zu trennen, denn die T r a n s k u l t u r a t i o n erfolgte relativ schnell. Die katholische Kirche verbot nach der C o n q u i s t a die autochthonen T ä n z e nicht, die in präkolumbischer Z e i t zumeist bei religiösen Festen aufgeführt w u r den, sondern nützte sie zu didaktischen Z w e c k e n . Die Inhalte w u r d e n gegen christliche ausgetauscht. Fue precisamente en las formas coincidentes de las festividades prehispánicas con las de la cultura occidental donde los evangelizadores se apoyaron para forjar el cambio, aprovechando el hecho de que con sólo ligeras alteraciones formales se podía sustituir la forma anterior por la de la cultura de la conquista, lográndose al mismo tiempo una transformación radical en el contenido doctrinario. 157 Erste Zeugnisse d a v o n finden sich insbesondere in den C h r o n i k e n der Missionare. Bei M o t o l i n i a in seiner Historia
de los indios
de Nueva
España finden sich die
genauesten A n g a b e n zu den T ä n z e n , den sogenannten „bailes d r a m a t i z a d o s " , d . h . T ä n z e mit T e x t , oder auch Theaterstücken im 1 6 . Jahrhundert. T e x t e sind
1S7 Arturo Warman: La danza de moros y cristianos, México 1972, S. 83.
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kaum erhalten, es ist zudem fraglich, ob es jemals Texte gab, oder die Überlieferung nur mündlich vonstatten ging. Die Themen waren hauptsächlich religiöser Art, die Tänze dienten den Missionaren als ein Mittel, den Indios christliche Themen nahezubringen, und wurden zu den Heiligenfesten zur Aufführung gebracht. Daneben gibt es Tänze mit weltlicher Thematik, von denen die meisten auf die „Moros y Cristianos" zurückgehen, die im Mittelalter in Spanien entstanden sind. Das dort vorhandene Kriegsmuster wurde auf andere Bereiche der Geschichte angewendet, und so entstanden z.B. auch die „Danzas de la Conquista". Aus dem 1 7 . und 1 8 . Jahrhundert gibt es keine Dokumente, die von den Aufführungen berichten, erst mit der kulturellen Entwicklung im 1 9 . Jahrhundert entstand ein Bewußtsein dafür. Einige Wissenschaftler bzw. die frühe „literatura costumbrista", machten es sich zur Aufgabe, typische regionale Aspekte aufzuzeigen, um ihre eigene Kultur zu definieren, die ihren nationalistischen Zielen gerecht werden sollte. Ihrem Eifer, das Authentische und Autochthone der alten Kulturen Amerikas zu erforschen, ist die Verschriftlichung einer Reihe von „relaciones" zu den Tänzen zu verdanken, ebenso das Auffinden von Originaltexten und erläuternde Studien: El romanticismo, la doctrina artística del liberalismo, que caracterizó a casi todo el siglo X I X , ofrece la más significativa prueba del muro que ha levantado la conciencia diferencial en las élites. Los pintorescos románticos, entre desmayo y batalla, descubren constantemente y con azoro el exotismo que el país conserva en sus capas populares. El hallazgo los lanza de cabeza a un costumbrismo superficial y a un indigenismo trasnochado, que se obstina, a falta de una Grecia propia, en lamentar el esplendor perdido de las clásicas épocas prehispánicas. Hasta Altamirano, nativo de una comunidad indígena, vive permanentemente asombrado ante los profundos misterios del México indígena. La cultura erudita ha excavado un profundo abismo en el siglo X I X , que se abre entre las élites y las manifestaciones populares entre las que se encuentra la danza de moros y cristianos. 1 5 8
Nicht zurückverfolgen läßt sich allerdings bei den meisten Texten, aus welchem Jahrhundert diese stammen, meist enden die Spuren im 1 8 . Jahrhundert. 1 " Heute werden die Tänze auch von Mestizen aufgeführt. Die „Danzas de Moros y Cristianos", die in ganz Europa verbreitet waren, wiesen ein bestimmtes Schema auf: das Aufeinandertreffen zweier antagonistischer Gruppierungen verschiedener kultureller oder ethnischer Herkunft, welches in Spanien vor allem auf religiöse Differenzen hin ausgelegt wurde.' 6 0 Dieses Schema wurde auch in der „Danza de la Conquista" übernommen, die zu den ältesten, wichtigsten und am weitesten verbreiteten Tänzen mit christlicher Thematik 158 Ibid., S. 1 2 7 . 159 Einen Überblick zur allgemeinen Geschichte der indigenen Tänze bietet John E. Englekirk: „El teatro folklórico hispanoamericano'', in: Folklore Americas, Bd. XVII, Nr. i , Univ. of California, L. A. Juni 1957, S. 1—33 und José G. Montes de Oca: Danzas Indígenas Mejicanas, Tlaxcala 1926. 160 Vgl. dazu Gisela Beutler: La historia de Fernando y Alamar. Contribución al estudio de las danzas de moros y cristianos en Puebla, México, Stuttgart 1984, Prefacio.
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in Lateinamerika gehört. Sie zeigt die Tragödie der Eroberung, die im Tanz meist mit der Konvertierung Moctezumas und der anderen Heiden zum Christentum endet: La danza de moros y cristianos fue también adoptada por los indígenas. También ellos, ante los nuevos amos, tuvieron que reelaborar su cultura. También los indígenas crearon una cultura de conquista para la que seleccionaron de entre su propia tradición y la que ofrecían los conquistadores aquello que era importante para sobrevivir. También en este caso la danza podría ser importante para conocer la otra cara del dominio.' 6 ' A. W a r m a n 1 6 1 berichtet von einer traditionellen Feier mit einer Aufführung der „ M o r o s y cristianos" 1 5 7 2 in Alcalá de los Gazules, Cádiz, Spanien, mit Personen der Eroberung Mexikos. In M e x i k o selbst fand 1 5 9 0 eine Aufführung statt und zwar in Michoacán. Während die Moros durch die Chichimeken ersetzt wurden, die die Ungläubigen verkörperten, übernahmen Tarascos die Rolle der Spanier. Das scheinen die einzigen Hinweise auf das Thema der Conquista in den Tänzen des 1 6 . Jahrhunderts zu sein. Einige Hinweise gibt es auch für das 1 7 . und 1 8 . Jahrhundert, im 1 9 . kann man davon ausgehen, daß diese Tänze aus denselben Gründen stärker wiederbelebt wurden, wie sich Schriftsteller und andere der Geschichte Mexikos und ihren Helden wie Cuauhtémoc zuwendeten. Es ist aber anzunehmen, und folgende Beispiele bestätigen dies zum Teil, daß die Tradition in verschiedenen Regionen immer fortbestand, den Tänzen nur von der Öffentlichkeit und der Wissenschaft wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Warman bezeichnet sogar das 1 7 . Jahrhundert als den Höhepunkt: Entre i6ooy 1650, la danza tiene su periodo de mayor esplendor, que puede caracterizarse por dos fenómenos: la participación y el interés de las autoridades en su celebración, y la aparición de nuevos grupos de sustentadores del festejo. Ié} Englekirk glaubt jedoch nicht, daß die heute bekannten Texte auf das 1 6 . Jahrhundert zurückgehen, denn es gibt keinerlei Dokumentation, die dies bestätigen würde. 1 ® 4 Er fand jedoch zumindest verschiedene Hinweise auf Aufführungen im 1 6 . Jahrhundert, so z.B. bei Juan de la Cueva. Dieser schrieb folgende Verse über Tänze der Indios in M e x i k o , die er 1 5 7 4 - 7 7 gesehen hatte: Dos mil indios (oh extraña maravilla!) bailan por un compás a un tamborino, sin mudar voz, aunque es cansancio oilla; en sus cantos endechan el destino de Moctezuma, la prisión y muerte, maldiciendo a Maltnche y su camino: 161 161 163 164
Warman (:Fn. 157), S. 13 f. Warman (:Fn. 157), S. 40f. und 98f. Ibid., S. 104. Vgl. auch seine Beispiele S. 1 0 4 - 1 0 8 . John E. Englekirk: „El tema de la conquista en el teatro folklórico de Mesoamérica", in: International Congress of Americanists: Actes, Nendeln 1978, 33. session, S. 4 6 1 - 4 7 5 .
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al gran Marqués del Valle llaman fuerte, que los venció; llorando desto, metan toda la guerra y su contraria suerte. 165
Mit Malinche — soviel nur nebenbei — ist hier Cortés gemeint. Englekirk glaubt zudem, daß die Texte der Tänze, die ab dem 19. Jahrhundert aufgefunden wurden, auch ein Produkt des vergangenen Jahrhunderts sind, wie viele Theaterstücke, die zu dieser Thematik entstanden. Form, Sprache und Geist verbinden sie mehr mit dem romantischen, nationalistischen Theater Mexikos bzw. Lateinamerikas als mit dem spanischen des Siglo de Oro: El drama histórico nacido en el calor de crear un espíritu y una cultura nacionales descubre su más perfecta expresión popular a través del molde del antiguo baile de combate. Presénciase en el acto el nacer del moderno baile dramatizado con relación [.. .] 1 6 6
Der Tanz wird in unterschiedlichen Fassungen und unter verschiedenen Bezeichnungen, wie z.B. „Danza de la Pluma", „Danza de los tocotines" u.a. nach wie vor in vielen Regionen Mexikos aufgeführt, von der Pazifikküste, Oaxaca, Guerrero, Jalisco, bis Veracruz, Puebla, Durango, und er ist auch bis nach Guatemala, 167 Santo Domingo und Panama gelangt. Getanzt wird an Festen zu Ehren der Heiligen. In allen Fassungen ist die Personengruppe relativ stabil, die Personen sind historisch, fast immer dabei sind Malinche, Cortés, oftmals mit Alvarado und anderen Soldaten, Moctezuma, z.T. mit weiteren Kaziken und aztekischen Soldaten. Ergänzt werden diese Personen bisweilen durch eine zweite Frauenfigur, ebenfalls mit Namen Malinche, und durch zwei Spaßmacher. Die Erzählstruktur, die die historischen Ereignisse reflektiert, ist meist folgende: Ankunft der Spanier, Verhandlungen, kriegerische Auseinandersetzung, Sieg der Spanier, Konvertierung der Indios zum Christentum. Der Schwerpunkt liegt meist auf der „conquista espiritual", die meisten Tänze enden mit der Bekehrung der Indios. Von den verschiedenen Varianten der „Danza de la Conquista" soll im folgenden nur eine genauer dargestellt werden, weitere werden nur genannt und stellen eine Bestandsaufnahme zum Thema dar. Eine ausführliche Analyse erscheint in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, diese sollte von Fachwissenschaftlern vorgenommen werden. „Danza de los tocotines" in Puebla Unter diesem Namen existiert die „Danza de la Conquista" bei den Indios in Puebla, die zur Fiesta de San Francisco getanzt wird. 168 165 Ibid., S. 470. Hervorhebung im Original. 166 Ibid., S. 473 f. 167 Zur „Danza de la Conquista" in Guatemala gibt es eine Studie von Barbara Bode: The Dance of the Conquest of Guatemala, New Orleans, 1961. 168 Die Aufführung, der die Verf. selbst beiwohnen konnte, am 25. 4. 1992 vor dem Museo de Antropología e Historia zum „Festival del Primer Encuentro de las Razas Indígenas", weicht ein wenig von den Angaben von Mercedes Díaz Roig ab, die sich auf einen Text bezieht, auf den sie bei Forschungen stieß. Dies ist nicht ungewöhnlich, denn die Abwandlungen sind in Abhängigkeit von den Maestros — die die Proben und Auffuhrungen der Tänze leiten - oft sehr groß. Vgl. Mercedes Díaz Roig: „La danza de la conquista", in: Nueva Revista de Filología Hispánica, Bd. 32, Nr. 1, Mexico 1983, S. 176-195.
io4 Die beteiligten Personen sind Moctezuma und aztekische Krieger auf der einen Seite, Cortés, mit der Banderole „Viva España", und Malintzin - dargestellt von einem Jungen in weißem Kleid - auf der anderen Seite. Das ist nicht außergewöhnlich, da traditionell nur Männer an den Tänzen teilnahmen, was sich aber in bestimmten Gegenden, wie Oaxaca, bereits geändert hat. 1 6 9 Zwei nicht genauer zu identifizierende Spaßmacher nehmen ebenfalls teil.
Abb. 1 1 :
„Danza de los rocotines", Mexico-Stadt 1992. (Fotografie C. Wurm)
Die Tänze können insgesamt als monoton charakterisiert werden, es gibt wenig Handlung. In dieser am 2 5 . 4 . 1992. aufgeführten Fassung gab es zudem kaum Dialoge. Charakteristisch ist sicherlich, daß Cortés meist allein tanzt, abseits von der Gruppe der Azteken, doch an seiner Seite ist immer Malinche zu sehen, die ihm überallhin folgt. Nach einem Tanz von Cortés und Moctezuma nimmt Cortés auf einem Stuhl Platz, Malinche steht rechts neben ihm. Er empfängt Geschenke. Es folgt die Unterwerfung Moctezumas und seine Gefangennahme. Der abschließende Tanz zeigt Cortés als Herrscher. Der Text zur „Danza de los tocotines" (Tocotines sind nach Téllez Girón die Heere der zentralen Personen, d.h. die von Cortés und Moctezuma), den Téllez Girón veröffentlichte, stammt von Anselmo Perdomo, dem Direktor der damaligen Tanzgruppe Pueblas. 1 6 9 Vgl. dazu Warman (:Fn. 1 5 7 ) , S. 1 4 9 und 1 5 8 .
ios Eine Stelle beschreibt, wie Alvarado mit Hilfe von Malinche Botschaften mit Moctezuma austauscht, um ihn von dem Ansinnen der Spanier zu informieren. Nach der Umschrift von Díaz Roig enthält der Text folgendes: y entre tanta gente, os digo, como su prosapia es fina, tráe de intérprete que aclare a aquella hermosa Marina. Ella dirá los motivos de haber llegado a esta tierra y el intento que tenemos para volvernos sin guerra. Ahora espero tu respuesta, [.. . ] , 7 °
Z u Beginn des Fragments steht die Jahreszahl 1 6 9 2 , über die Téllez Girón nichts aussagt, so daß unklar bleibt, ob es sich um das Datum der „Relación" handelt oder dies der Hinweis auf ein älteres Manuskript ist. Die Verbindungen zur Geschichte sind gekennzeichnet durch Unexaktheiten, Idealisierungen, eigene Erfindungen, die allerdings jeder literarischen Erzählung, die auf historischen Ereignissen basiert, eigen sind. „La danza de la conquista" spiegelt dennoch in groben Zügen die Realität wieder. Da es sich für die Gruppe der Tänzer um ein Stück aus der eigenen Geschichte handelt, ist klar, daß von vornherein Partei ergriffen wird für die Seite der Verlierer, aber ihre Religion erlaubt es ihnen auch nicht, allzu hart gegen die Glaubensbringer anzugehen. Darin zeigt sich die Schwierigkeit der Darstellung des Themas für die Mexikaner - die Spannung zwischen Religion und Nationalismus. 171 In diesem Fragment kommt die religiöse Absicht derSpanier allerdings nicht zum Ausdruck, es finden nur kriegerische Auseinandersetzungen statt. „Danza de la Pluma"/„Danza de la Conquista" in Oaxaca Ein Zeugnis aus dem Jahre 1900 erwähnt Englekirk.' 7 2 Auf einem Amerikanistenkongress in Paris stellt der Duque de Loubat die „Danza de la Pluma" vor, die am 1 7 . Februar 1 9 0 0 in Oaxaca aufgeführt wurde. Als genauen Titel nennt Loubat: „Letra de la ,Danza de pluma' de Moctezuma y Hernán Cortés con los capitanes y reyes que intervinieron en la Conquista de México." Heute wird die „Danza de la Pluma", die zeitweise auch „Danza de la Conquista" genannt wird, in Teotitlán del Valle, Oaxaca, anläßlich zweier Marienfeste getanzt: am 7-/8. September zur Virgen de la Natividad und am 3. Oktober zur Virgen del Rosario. Sie wird insgesamt an mindestens sechs Orten des Hochtals von Oaxaca aufgeführt: darunter Cuilapán, Zaachila, Zimatlán, Tlacochahuaya und Santa Ana. Von Lang und Thode-Arora wurde der Tanz folgendermaßen beschrieben: Cortés, Alvarado, Soldaten, Dauzantes de la Pluma, Moctezuma, Marina, Malinche, Güero und Negro traten als Figuren auf. Moctezuma und seine Männer trugen in diesem Tanz wunderschöne Gewänder aus glänzendem Material, einen 1 7 0 Díaz Roig (:Fn. 168), S. 1 8 1 . 1 7 1 Ibid., S. 1 7 6 - 1 9 5 . 1 7 1 Englekirk (:Fn. 164), S. 462. Vgl. dazu auch Sabine Lang und Hilde Thode-Arora: „Einige Bemerkungen zur ,Danza de la Pluma' in Teotitlán del Valle, Oaxaca", in: Mexicon, Berlin 1988, Bd. 10, Nr. 3, S. 5 5 60, auf die sich die folgende Beschreibung bezieht.
io6 Haarschmuck aus bunten Federn mit Spiegeln. Die spanischen Soldaten wurden bis auf Cortés und Alvarado von kleinen Jungen dargestellt. Sie waren gekleidet in unattraktiven blauen Uniformen und Kappen. Die Darstellerinnen von Marina und Malinche waren zwei Mädchen, mit schönem Haarschmuck ausgestattet, Malinche trug eine Federkrone, Marina ein goldbetreßtes Kleid mit passendem Federhut. Die Aufspaltung der Person Malinches in zwei Personen ist insofern nicht so unverständlich, als die beiden widersprüchlichen Aspekte ihrer Persönlichkeit — Verbündete der Spanier zum einen, mexikanische Adelige zum anderen hier greifbare Gestalt angenommen haben. Die Hinwendung Marinas zu den Spaniern ist nach Aussage der Autorinnen in der Schilderung viel deutlicher als in der Aufführung. Warum sie von Kindern dargestellt werden, w a r nicht zu ermitteln. Die Doppelung Marinas findet man in verschiedenen Tänzen unterschiedlicher Regionen. Von weiteren Auslegungen soll aber abgesehen werden. Malinche und Marina leben bei Moctezuma. Marina trifft einen Boten, der zu Moctezuma unterwegs ist, und der sie auf ihr Bitten zu Cortés mitnimmt. Die Spanier treten auf, Moctezuma und die Malinches befinden sich in der Mitte der Tanzfläche, ein Kreis wird um sie gebildet, der erste Bekehrungsversuch findet statt. Es folgt eine Kampfszene. Marina gibt Moctezuma die Federkrone zurück, die er ihr vor dem Kampf gegeben hatte. Moctezuma wird gefangengenommen und stirbt. 1 7 ' Eine weitere Variante der „Danza de la Conquista" aus Cuilapan, Oaxaca, bietet Francés Gillmor.' 7 * In dieser Version ist Malinche die Frau von Moctezuma, die seinen Untergang in ihren Träumen vorhersieht und ihn zu retten versucht. Unter dem Namen Sehuapila verbirgt sich Doña Marina, die ebenfalls am Hof Moctezumas lebt und ihn vor den Ereignissen warnt. Sie bewacht seinen Schlaf und seine Krone. Dem Gesandten Alvarado teilt sie mit, daß sie für Cortés Partei ergreifen und zum christlichen Glauben übertreten will: S.: Y asi avísale a Cortes Que me quiero ver a su lado Que la nobleza y el honor Son prendas de estimación A Cortes en la ocacion Quiero darle a entender Que aunque soy muger gentil Su noblez y su poder Pues intento ser su esposa Bautizándome despues Para llamarme dichosa. 173 Musik bzw. Noten dazu aus Frances Toor: A Treasury of Mexican Folkways, New York 1947, S. 437. 174 Frances Gillmor: „Spanish Texts of Three Dance Dramas from Mexican Villages", in: University of Arizona Bulletin, Humanities Bulletin, Tucson/Arizona Oct. 1, 194z, Bd. XIII, Nr. 4. Die Seitenangaben befinden sich in Klammern im Text. Er nennt auch eine „Danza de Pluma", die sich aber auf den Kampf der Mexikaner gegen die Franzosen unter Juárez bezieht.
I07 Que si me quiere escribir Mi nobre [sie] es Doña Marina Para que mejor lo crea Dame a vesar a esa imagen. [...] Mil abrasos le diera yo Y mil vidas que tubiera Los diera para adorarle Y por ver su gloria eterna. Alv: Pues quedeis con Dios Señora Que sois la luz de la fe Y que asegurada quedeis Bajo de esta vandera Y en este cuartel me aguardas Que bajo de este armamento Queda tu honor resguardado. [...] S: Siempre soy tuya Y firme hasta el morir. (57) Alvarado berichtet Cortés vom Treffen mit ihr und bringt sie zu ihm. Die als „hermosa" beschriebene Malinche (38/59) berichtet Cortés von den Vorhaben Moctezumas, den Fallen, die er vorbereitet (59). Im weiteren Verlauf wird sie nicht mehr genannt. Eine ähnliche Darstellung der Malinche findet sich auch in der Region von Veracruz, w o Malinche sogar im Titel des Tanzes erscheint: „ L a Danza de la Malinche" in Veracruz Im Zusammenhang mit dem „Proyecto de Técnicos Bilingües en cultura Indígena de la Dirección General de Culturas Populares" wurde die „Danza de la Malinche" in Veracruz genauer erforscht. Marina Anguiano und Guido Münch gaben eine kommentierte Ausgabe des Textes heraus. 1 7 5 V o r allem im Süden von Veracruz scheint der Tanz sehr wichtig zu sein, was damit zusammenhängen könnte, daß Malinche aus dieser Region stammte. Die Gelegenheiten, zu denen der Tanz aufgeführt wird, variieren je nach Ort, meist sind es die Fiestas für den jeweiligen Schutzpatron. In Sayula de Alemán wird er am 1 4 . und 1 7 . M a i getanzt, zu San Isidro Labrador. Es findet eine Prozession statt, in der San Isidro zur Kirche gebracht wird. Die Prozession wird angeführt von den Teilnehmern der „Danza de la Malinche". Der Tanz wird auf Wunsch in Häusern der prominenten Personen von Sayula aufgeführt. Wenig ist auch hier über den Ursprung des Tanzes bekannt. Z w e i Bewohner des Ortes geben unterschiedliche Auskünfte: einmal wird 1 6 8 5 als Beginn der Darstellung genannt, und zwar in dem Ort Sayultepec, in der Küstenregion. Der 175 Marina Anguiano y Guido Münch: La danza de la Malinche, D. G. C.P., México, o.J.
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andere berichtet, daß der Tanz ursprünglich aus Oaxaca kam — was durch den ähnlichen Inhalt und Schwerpunkt auf Malinche bestätigt werden könnte - und 1 9 1 8 zum ersten Mal getanzt wurde. Dies erscheint in bezug auf die MalincheDarstellung wahrscheinlicher, da davon auszugehen ist, daß sie im 16. und 1 7 . Jahrhundert in jenen Tänzen eine geringere Rolle spielte. Da die Tradition mündlich erfolgte, haben sich die Texte von Ort zu Ort verändert. Heute existieren einzelne Papiere, auf denen die Dialoge bzw. „relaciones" stehen. Das Anliegen der Evangelisierung steht im Mittelpunkt, dadurch wird die Conquista auch ideologisch gerechtfertigt. Die Zerschlagung des aztekischen Reiches zeigt sich als hervorgerufen durch ganz konkrete Gründe: schlechte Waffen im Vergleich zu den Spaniern und die Schwäche Moctezumas. Die Darstellung beginnt mit einem Traum der Frau Moctezumas, die den Fall des Reiches vorhersieht. Die anderen Herrscher wollen kämpfen. Marina lebt am Hof von Moctezuma, wohin Alvarado als Botschafter des Cortés kommt. Marina sucht das Gespräch mit ihm und informiert ihn über die Vorhaben Moctezumas und darüber, daß der Herrscher Tlaxcalas Cortés helfen wolle, und auch sie auf deren Seite stehe: A tu general dirás, este importante secreto: he visto que Moctezuma tiene varios reyes por cierto, bien cuidados los caminos, que en ellos hay grandes riesgos; que el rey de la Tlaxcala, lo tiene por seguro y cierto. Les dará favor y ayuda, sin que tenga duda en esto. N o sé qué oculta afición, me ha inclinado a querer, a la española nación. Mi nombre es doña M a r i n a . 1 7 6
Alvarado teilt dies in einem Gespräch Cortés mit, in dem er Malinche als „mujer muy honesta" tituliert. 177 Es folgt ein Kampf und die Gefangennahme Moctezumas. Der Tanz endet mit dem „Canto de las Malinches", in dem die Schwäche Moctezumas beklagt, bzw. das ganze Geschehen zusammengefaßt wird und mit „coplas" an San Isidro endet. Weitere Rollen Malinches in Tänzen Ein Text zur „Danza de la Conquista", wie sie in Juchitlán, Jalisco, aufgeführt wird, wurde von José Cornejo Franco aufgefunden und veröffentlicht. 178 Dieser Tanz wird am z. Februar, 5. Oktober und 8. Dezember getanzt und stammt aus der Hacienda de Camichines. Die Anrede Malinchis durch Cortés erfolgt auf folgende Weise: „Señora, reina y princesa". Er überzeugt sie sehr schnell von der christlichen Religion. Malinchi wird so dargestellt, daß sie dennoch Angst hat und Schmerz über den Sturz Moctezumas empfindet. Sie bezeichnet Moctezuma als „fino amante". Doch sie, Malinchi, als „pilar de f e " , will die Begleiterin und „compañera" von Cortés sein. 1 7 6 Ibid., S. i i . 1 7 7 Ibid., S. 22. 178 José Cornejo Franco: „La Danza de la conquista [...] de Juchitlán w , in: Anuario de la Sociedad de México, IV, México 1943, S. 1 5 5 - 1 8 6 .
Folklórica
109 Cortes: ¿Cierto es, Malinchi, que me amas? M : Después de mi Dios a t i . 1 7 9
Die Hauptfiguren der „Danza de la Conquista" in Colima sind: Cortés, Alvarado, Moctezuma, Rey de Tlaxcala, Malinche oder Marina. In dieser Gegend werden auch regionale Figuren mit einbezogen, z.B. Sandoval und Olid, die beide eine wichtige Rolle bei der Eroberung eben dieser Region spielten. Die Gruppen unterscheiden sich auch nach der Farbe der Kleidung, hier sind die Konquistadoren in blau, die Indios in grün und rot oder rosa gekleidet. Malinche, meist von einem Mädchen dargestellt, ist in weiß gekleidet.180 In der „Danza de la Conquista" aus der Region um Guadalajara 181 stehen Cortés und Cuauhtémoc im Mittelpunkt. Cortés wird meist von einem unscheinbaren Mann dargestellt. Es gibt zwei Malinches, aztekische Krieger und spanische Soldaten. Die aztekischen Krieger tragen Sandalen, Federschmuck mit Spiegeln. Die Malinches, junge Mädchen, tragen Kleider aus weißem Stoff. In nichts ähneln die Malinches „a la famosa mujer fuerte que acompañó al Conquistador en sus guerreras correrías" — so der Autor.' 81 Malinche ist auch der Name einer Figur in Tänzen bei den Pueblo-Indianern in den USA. Eine Analyse, wie sie als Figur dorthin gelangte, soll nicht gewagt werden, zumal nicht klar ist, ob es dort ein älterer Tanz ist - bei einem jüngeren könnte man davon ausgehen, daß die in den USA lebenden Mexikaner ihre Tradition dort mit eingebracht haben. Ein weiterer Tanz, mit dem Malinche oft assoziiert wird, ist der Matachine, der bei den Pueblos in Rio Grande, den Yaqui in Arizona und in Sonora, Mexiko, getanzt wird. Ebenfalls als Figur genannt wird sie in Negritos, Santiaguitos, Voladores. Eine Malinche-ähnliche Figur existiert zudem in vielen anderen Tänzen mit unterschiedlichen Namen. Gillmor nennt sie eine „female figure appearing in nearly all Mexican Indian dances". 183 Der Matachine wurde in Mexiko eingeführt als Dramatisierung des Triumphes der Christen über die Azteken durch Malinche, die erste zum Christentum Konvertierte in diesem Land. Ebenso gibt es die sogenannten „bailes de las congregaciones", die Tänzer sind bekannt als „concheros" und tanzen unterschiedliche Tänze, die sich alle um die 179 Ibid., S. 177. Vgl. dazu auch Juan Carlos Reyes: Danzas y pastorales en Colima, Colección Ameyalli, Nr. 6, Colima 1990, S. 27. 180 Reyes (:Fn. 179), S. 25. 181 Vgl. Montes de Oca (:Fn. 159). Die Darstellung ist noch bedeutend unwissenschaftlicher, als die später erfolgten. 182 Ibid., S. 13. 183 Zitiert nach Nancy Saldana: „La Malinche: Her Representation in Dances of Mexico and the United States", in: Ethnomusicology, Bd. 10, Nr. 3, Middletown 1966, S. 298-309, hier S. 298.
no Idee der „conquista espiritual" ranken. Auch hier sind Malinches dabei. Es handelt sich aber um reine Tänze ohne „relaciones". 184 Es gibt auch die „Danza de la Conquista de Guatemala", mit Quiché-Konigen, die gegen Alvarado kämpfen. Als Personen sind mit dabei: Malinches, die zwei Quiché-Prinzessinnen sind, wozu Barbara Bode anmerkt: „Malittche [...] has come to mean any women in a dance-drama".'85 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Malinche in fast allen Tänzen, die sich mit der Conquista auseinandersetzen, dabei ist, meist als Frau, die am Hofe Moctezumas lebt, und sich bei der Ankunft der Spanier auf deren Seite stellt. Die Liebe zwischen Cortés und Marina wird thematisiert in der Version von Sayula und denen von Jalisco, betont wird zumeist ihre Rolle als erste Christin. Nicht selten gibt es eine zweite Frauenfigur mit demselben Namen, meist handelt es sich dabei um die Frau des Moctezuma. Dadurch wird die doppelte Stellung Malinches deutlich gemacht. Weitere Gründe für die Doppelung der MalincheFigur bedürfen näherer Beschäftigung. In der Fassung von Mezcala, Jalisco, wird sie von Moctezuma als Verräterin beschimpft, dies ist die einzige Version dieser Art. Weitere Analysen zu den Tänzen wären wünschenswert. Es bleibt der Frage nachzugehen, weshalb gerade Malinche mit ihrem Namen in vielen Tänzen Mexikos auftaucht, die nicht direkt mit der Conquista in bezug stehen. Auch die oft zweigeteilte Malinche bietet Stoff für Untersuchungen. Aufschlüsse über die Entstehungsgeschichte der Tänze wären ebenfalls von großem Wert. 184 Englekirk (:Fn. 164), S. 465. 1 8 ; Barbara Bode (:Fn. 167), S. 1 1 3 , Fn. 3.
4. Das 1 9 . Jahrhundert 4 . 1 . Entwicklungen in Europa Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa — wie auch in Mexiko — war geprägt durch die Romantik. Innerhalb dieser Strömung wurde in Europa dem Indio neuer Glanz verliehen. Kritik an den alten indianischen Völkern wurde nur in bezug auf deren Theokratie und Despotismus geübt. Alexander von Humboldt steht für eine Generation von Wissenschaftlern, die zunächst von Europa aus und nach der Unabhängigkeit Mexikos auch verstärkt dort selbst mit genauer wissenschaftlicher Arbeit die Vergangenheit Mexikos wiederentdeckten. Die Forschungen erstreckten sich auf Archäologie, Geschichte und aridere Bereiche. Weitere nennenswerte Forscher in Europa — die zum Teil durch die Arbeit Humboldts angeregt wurden - sind J.-M. A. Aubin, Abt Brasseur de Bourbourg, Lord Kingsborough und im späteren Verlauf des 19. Jahrhunderts Franz Boas und Eduard Seier.1 Von Europa ausgehend prägten die Romantik und die Gattung des historischen Romans, der in Europa entstanden war und fast ohne Verzögerung die Neue Welt erreichte, die Gestaltung des Conquista-Stoffes und das Malinche-Bild in der mexikanischen Literatur. In Mexiko wird zu sehen sein, daß auch Legenden auf die Darstellung der Conquista Einfluß nahmen, denen Delgado insgesamt im 19. Jahrhundert wachsende Bedeutung zuweist.1 Großen Einfluß auf die mexikanische Literatur hatte vor allem ein Werk der französischen Romantik: Atala (1801) von François René de Chateaubriand.) Die Naturschilderungen, die eine exotische Atmosphäre wecken, und die Thematik der Liebe zwischen zwei „edlen Wilden" - zwischen Atala, der Tochter eines Weißen und einer Indianerin, und dem Indianer Chactas — erlangten Vorbildfunktion in der Schilderung der indianischen Vergangenheit des eigenen Landes. Atala verkörperte zudem ein christliches Idealbild von Weiblichkeit. Das Thema der Conquista fand innerhalb der Gattung des historischen Romans auch in Europa Beachtung. 1873 entstand in England der Roman The Fair God von Lew Wallace, der in der aztekischen Zivilisation ein mögliches Vorbild für Europa sah. Als Grundlage sollte jedoch auch der christliche Glaube gelten. H. Rider Haggards Montezuma's Daughter von 1893 schließt die Figur der Marina mit ein, gänzlich von ihrer ursprünglichen Rolle entfernt, die einen schiffbrüchigen Engländer vor dem Opfertod rettet. Dieses Motiv stellt den Roman in die Nähe des Inkle-Yariko-Stoffes.4 1 Vgl. dazu ausführlich die Kapitel zum 19. Jahrhundert bei Benjamin Keen: La imagen azteca en el pensamiento occidental, México 1984, S. 320-470. 2 Jaime Delgado: „Hernán Cortés en la poesía española de los siglos XVIII y XIX", in: Revista de Indias, 8, 1948, S. 394—469, hier S. 43 2 ff. 3 Atala erschien zum ersten Mal 1801, zusammen mit René in Le génie du christianisme 1802, und in letzter Fassung 180;. Verwendet wurde die Ausgabe der Oeuvres complètes. Bd. XVI, Paris 1826. 4 Vgl. Benjamin Keen (:Fn. 1), S. 461 ff.
Zum Thema der Conquista entstanden auch historische Dramen, u.a. von August Klingemann: Ferdinand Cortez oder Die Eroberung von Mexiko (1818). 5 Dieses historische Drama in 5 Akten bildet Teil einer Trilogie, die sich im weiteren mit Columbus und Pizarro beschäftigt. Das Stück ist sehr frei gestaltet und hält sich nur geringfügig an historische Vorlagen. Marina erscheint als die Tochter Cuauhtémocs (hier in der Schreibweise Guatimozin), der seinerseits Kazike von Cempoala ist, mit dem historischen Cuauhtémoc also kaum etwas gemeinsam hat. Cortés und Marina sind in diesem Stück die Protagonisten und Helden. Geht es Cortés in erster Linie um die Verbreitung des wahren Glaubens, so geht es Marina um die Rettung ihres Landes vor der Herrschaft der Azteken. Sie ist im Grunde diejenige, die das Geschehen leitet und vorantreibt. Klingemann weist ihr damit eine Funktion zu, die ihr in der Literatur Mexikos erst im 20. Jahrhundert zugesprochen wird — ein durchaus patriotisches Ansinnen: die Rettung ihrer Heimat. Im Gegensatz zu mexikanischen Darstellungen dieser Art im 20. Jahrhundert, die meist mit der Ernüchterung Marinas angesichts der von den Spaniern begangenen Grausamkeiten enden (vgl. Carlos Fuentes, Celestino Gorostiza in Kap. 5), beurteilt Klingemann die Taten der Spanier als positiv und sieht damit auch Marinas Wünsche erfüllt, die sie allerdings mit dem Tode bezahlen muß. Ihre Heirat mit Cortés ist ein außergewöhnlicher Aspekt in der Darstellung, der vor allem dadurch an Bedeutung gewinnt, daß damit gelten kann, daß die Heirat eines Weißen mit einer India zumindest in der Literatur nicht mehr negative Beurteilung erfährt, sondern im Gegenteil zu einer idealen Verbindung führt. An diesem Stück läßt sich bereits erkennen, daß das Hauptanliegen der Autoren des 19. Jahrhunderts nicht mehr wie das ihrer Vorgänger in einer wahrheitsgemäßen, strikt an die Chroniken und Geschichtswerke angelehnten Wiedergabe des Stoffes zu suchen ist, sondern in einer Interpretation der Ereignisse, ausgerichtet an bestimmten Bedürfnissen ihrer Zeit. 6 Weitergeführt wurde in Europa ebenfalls die Tradition der Oper zum Thema der Eroberung von Mexiko mit Spontinis Oper Fernand Cortez, die 1809 in Paris zur Uraufführung kam, mit einem Libretto von Jouy. Die Oper beginnt mit einer Opferfeier der Azteken, bei der u. a. spanische Gefangene geopfert werden sollen. Amazily, die Schwester des Télasco, ein Neffe Moctezumas, ist bereits Christin geworden und steht auf der Seite der Spanier. Sie bittet Moctezuma, die Opferungen zu beenden und den spanischen Gefangenen Alvar zu verschonen. Im Gespräch mit ihrem Bruder, der sie zu überzeugen versucht, wieder zu den Azteken zurückzukehren, gesteht sie die Liebe, die Cortés und sie verbindet. Cortés hatte sie selbst vor einem aztekischen Priester gerettet, der sie opfern wollte. Amazily tritt als Vermittlerin auf. Sie versucht, auch Cortés von einem Kampf gegen ihr 5 Klingemann, August: „Ferdinand Cortez oder Die Eroberung von Mexiko", in: Dramatische Werke, Bd. 3, Wien 1819. 6 Daß auch andere Sichtweisen zur Eroberung im 19. Jahrhundert in der deutschen Literatur existierten, zeigt das Gedicht „Vitzliputztli" von Heinrich Heine, entstanden zwischen 1846 und 1851. Er bringt darin seine Abscheu für Cortes und die Spanier zum Ausdruck, zeigt ihre Gier nach Reichtum und stellt dem die Gastfreundschaft und Unschuld der Azteken gegenüber.
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Volk abzuhalten. Noch vor dem Kampf gelingt es ihr, Moctezuma zur Aufgabe zu überreden und die Oper endet in einem gemeinsamen Triumphmarsch. Spontini, der sich allgemein bei den Namen nicht an historische Vorlagen hält, zeichnet die Figur der Malinche, unter dem Namen Amazily, vor allem als Vermittlerin, die versucht, beiden Seiten zu helfen, aber Cortés in Liebe verbunden ist.7 Die Conquista-Rezeption in Spanien In Spanien wurden mit der Romantik Formen wiederentdeckt, die im 18. Jahrhundert in Vergessenheit geraten waren, so z. B. der „romance", der „octosílabo" und die „octavas reales". „Romance" und Versepos beschäftigten sich auch mit der Conquista — weniger wichtig war der historische Roman innerhalb des Themenbereichs. Die Vorherrschaft des Gefühls vor der Vernunft als ein Charakteristikum der Romantik kommt in den folgenden Textbeispielen ebenfalls zum Tragen. Antonio Hurtado greift den Stoff der Conquista in seinem Romancero de Hernán Cortés (1847) 8 auf, Juan Nepomuceno Justiniano y Arribas in dem Versepos Hernán Cortés (1887). 9 Der „Romancero" beginnt mit dem Auslöser für Cortés' Aufbruch nach Mexiko: Catalina, die Frau, die er liebt, erscheint nicht zu einer Verabredung. Velázquez fungiert als Intrigant, der versucht, Catalina und Cortés auseinanderzubringen, um Catalina für sich zu gewinnen. Er schlägt deshalb Cortés vor, auf Entdekkungsfahrt zu gehen, und Cortés bricht nach Mexiko auf mit dem einzigen Wunsch, Distanz zwischen sich und seine Geliebte zu bringen. Bei der Ankunft in Mexiko werden die Spanier für Götter gehalten. Cortés zerstört die Götzen, befreit Opfer und bekehrt die Indios. Seine christliche Mission steht im Vordergrund. Eine Gesandtschaft Moctezumas - nicht wie nach der Geschichtsschreibung der Kazike von Tabasco — bietet Cortés Geschenke an. Darunter sind zwanzig wunderschöne, halbnackte Indias. In eine der Indias verliebt sich Cortés auf den ersten Blick, was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß sie Catalina gleicht: Dios te guarde, mejicana, que eres la imagen de aquella que mató mis esperanzas. Iguales son esos ojos, iguales son tus miradas; indiana, vente conmigo, serás ángel de mi guarda. (114) 7 Die Inhaltsangabe zur Oper bezieht sich auf die Ausführungen in der Ausgabe: Gasparo Spontini: Fernand Cortez, o.O. 1809. 8 Hurtado, Antonio: Romancero de Hernán Cortés, Barcelona 1904, erschienen zum ersten Mal 1847. Ein besonderer Hinweis gilt den reichen Illustrationen der Ausgabe von 1904, deren Künstler jedoch nicht genannt ist. Zum Autor konnten leider keine biographischen Daten ermittelt werden. Die Seitenangaben werden nach den Zitaten in Klammern im Text angegeben. 9 Justiniano y Arribas, Juan Nepomuceno: Hernán Cortés, Libro 1 y z, Badajoz 1887.
ii4 Die schöne India, die seine Sprache nicht versteht, antwortet ihm mit den Augen, „que son las lenguas del alma" ( 1 1 4 ) . Ohne Gründe dafür zu nennen, wendet sich im nächsten Augenblick Aguilar ihr zu, um sie als Mittlerin zwischen den Gesandten und den Spaniern einzusetzen. In ihrer Funktion als Dolmetscherin wird sie noch einmal am Hofe des Moctezuma gezeigt: La hermosa doña Marina lleva en la mesa la voz, y á Motezuma transmite lo que cuenta el Español del poder de Carlos Quinto, que es de su patria señor. (170)
Im Mittelpunkt steht aber die Liebesbeziehung zwischen Cortés und Marina. Dem Paar ist der „Romance X I V " mit dem Titel „Hernán y Marina" gewidmet. Der Autor beschreibt — sehr zurückhaltend — die erste Liebesnacht der beiden, „Bajo una tienda de seda" (127). Er nützt die Gelegenheit zu Betrachtungen über die Liebe im Vergleich mit der Natur, zieht Venus und Apoll heran, beschreibt Marina als schüchtern und Cortés als respektvoll. Embriagado con su dicha, trémulo de amor y asombro, sujetando el preso aliento del corazón en el fondo, los encantos de la Indiana contempla Cortés absorto. Al fin á sus plantas llega del aire libre, celoso, y estrechándole una mano la dice. ¡Cuánto te a d o r o ! . . . ( 1 3 1 )
Nach der Liebesnacht greift Cortés am Morgen zu den Waffen und stürzt sich in den Kampf gegen die Tlaxcalteken, der mit Hilfe Santiagos mit einem Sieg der Spanier endet. In chronologischer Reihenfolge folgen die weiteren Ereignisse. Cuauhtémoc greift ins Geschehen ein, nachdem er sich mit Moctezuma überworfen hat, der nach seiner Aussage das Volk unterdrückt, gegen die Fremden nichts unternimmt und ihnen zwanzig Indias geschenkt hat, darunter auch Marina (Romance XVI). Bereits in dem „Romance XIII a weist der Autor auf die Liebe Cuauhtémocs zu einer India hin, die sich später als Marina herausstellen wird. Auch seine Motivation, zu den Waffen zu greifen, ist somit u. a. von seiner Liebe zu Marina bestimmt. Amaba el mozo á una indiana, hechicera como circe, cuyos ojos son dos rayos, que con los del sol compiten. De seda son sus cabellos, que juegan al aire libres;
"5 redes que el amor le puso para que amantes cautive: (12.0)
Marina erscheint nicht als die schüchterne India, sondern als eine von der Natur mit allen Reizen ausgestattete Frau, die alle Männer in sich verliebt macht. Als die Spanier von den aufständischen Indios, angeführt von Cuauhtémoc, erfahren, berichtet Marina in dem „Romance XXI: Doña Marina a Hernán" Cortés über die Gründe Cuauhtémocs für sein Verhalten: Atiende, español bizarro, atiende mi amante ruego, que bien puede quien te adora darte prudentes consejos. ( 1 8 5 ) [...] Escucha: en medio el combate, ¿no has visto acaso un guerrero de gigantesca estatura, cuya mirada es de fuego, cuyas plantas son de bronce, cuyos brazos son de a c e r o ? . . . ¿No le has visto en la pelea siempre lanzarse el primero, iracundo como el tigre, de espuma y sangre cubierto, [...] ¿ S í ? . . . pues por mi amor te pido que evites, Hernán, su encuentro, que siempre ha seguido el rayo al estampido del trueno. Húyele, Hernán, por tu vida, porque á su empuje tremendo, siempre de los altos montes se ha estremecido el asiento. Ese caudillo valiente, tan valiente como fiero, que hoy es la sola columna en que se afirma el imperio, sé que ha jurado tu muerte, porque le matan los celos. Amábame desde niño con un amor tan violento, que hasta del sol envidiaba los purísimos reflejos, y al aire que mansamente jugaba con mis cabellos. (186/187)
Marina gelingt es, Cortés dazu zu bewegen, die Stadt zu verlassen. Doch stehen sich am Ende die beiden Rivalen um die Liebe Marinas in der Schlacht von Otumba gegenüber. Dabei tötet Cortés Cuauhtémoc. Indirekt erfährt man jedoch, daß
il 6 auch Marina in dieser Schlacht ihren Tod gefunden hat. Damit macht der Autor seinem Helden den Weg zur Rückkehr frei, und in Cuba schließlich bittet Velázquez Cortés um Verzeihung und gibt ihm Catalina zurück, die ihm immer treu geblieben war. In einem Brief an den Kaiser schwärmt Cortés, noch vor seiner Abreise nach Cuba, entgegen der Historie von Marina: de aquel ángel sin ventura, que fué imán de mis sentidos. Allí estaba... mustia, ajada como flor en el estío, con los ojos en el cielo que dió palma á su martirio, Marina, la bella Indiana, ¡mi luz, mi gala, mi hechizo!... ¡Oh! perdonad, Rey valiente, perdonadme este extravío, que en el pecho de quien ama siempre el corazón es niño. (214)
Und selbst nach seiner Hochzeit mit Catalina gedenkt er ihrer noch einmal: . . . y Hernando alzando al cielo la vista, exclamó: „Perdona, Indiana; perdona, sombra querida, que es Catalina el trasunto de tu imagen peregrina. (240)
Hurtado ging es weniger um eine Bearbeitung des Stoffes der Conquista, die auf realen historischen Ereignissen basiert, als vielmehr darum, eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der Eroberung von Mexiko zu konstruieren, mit all der Tragik, wie sie innerhalb der Romantik oft zu finden war. Dabei werden auch die Vorzüge des Helden Cortés herausgestellt. Sämtliche Aktionen der Eroberung, vom Aufbruch des Cortés nach Mexiko bis zum Kampf Cuauhtémocs gegen die Spanier, sind von der Liebe geleitet. Bewunderung für den Helden Cortés und die Thematisierung seiner Liebe zu Marina bestimmen auch das Versepos von Justiniano y Arribas, Hernán Cortés.10 1861 veröffentlichte er bereits den ersten Teil des Gedichts mit dem Titel „Invocación". Der Autor ist Medellin sehr verbunden und wendet sich in der Widmung an die Extremeños und das Volk von Medellin: 1 0 (:Fn. 9). Der Autor ist geboren in Sevilla, war korrespondierendes Mitglied der Real Academia Española und der Academia de Buenas Letras, ebenso „Coronel de Caballería". Weitere biographische Daten konnten nicht ermittelt werden. Die Seitenangaben befinden sich in Klammern im Text. Hervorhebungen in den Zitaten entsprechen dem Original.
ii7
Abb. i l : Cortés und Malinche - Lithographie von Maurin, i. Hälfte 19. Jhdt. (Quelle: José Tudela: „La Conquista de Méjico en la pintura", in: Cuadernos hispanoamericanos, Nr. 1 3 1 , Madrid i960) La cuna del héroe del mismo rodó en Medellín: su nombre volará siempre de boca en boca, y su gloría, que ilustra y orgullece á nuestra patria, es asombro del mundo. (I, VI)
Er beginnt sein Gedicht mit einer „Invocación" des Glaubens, berichtet über sein geliebtes Spanien, die Reyes Católicos, den Fall von Granada, Velázquez auf Cuba und die erste Fahrt von Grijalva. Y tú, mi dulce España, patria mia, madre de egregia estirpe, y alto ejemplo de valor, de heroísmo y de hidalguía, y de virtudes sin iguales templo, perdona si hoy, que muerta tu alegría y abatido tu espíritu contemplo, la voz levanto de entusiasmo llena, en vez de unir mis ayes á tu pena! (I, 1)
Das Gedicht ist sehr umfangreich, es setzt bereits vor der Zeit des Cortés ein und endet mit dessen Sieg. Justiniano y Arribas hält sich sehr genau an die Chronologie der historischen Ereignisse. Seine Absicht wurde im Zitat deutlich: auch in schlechten Zeiten — womit er auf die liberale aber politisch wirre Regierungszeit unter Isabel II anzuspielen scheint — noch einmal der Heldentaten des Cortés zu gedenken. Im Canto VII kommt es zum ersten Auftritt Marinas, die Cortés in Tabasco mit anderen Frauen geschenkt wird.
n8 Dotada de estimables prendas, una en gracia y majestad resalta entre ellas, como en la noche de argentada luna del cielo entre las nítidas estrellas. Lo relevado de su noble cuna, la gallardía de sus formas bellas, los atractivos que en su rostro lucen con dulce magia el corazon seducen. (1,192) Ein erster Hinweis gilt der verführerischen Schönheit Marinas und ihrer adeligen Abstammung. Ternura sin igual, bondad divina que el mal ageno como el propio siente; lealtad, que á obrar con rectitud inclina; resolución enérgica y prudente; vivaz inteligencia peregrina que en el mirar irradia y en la frente, tales las dotes son que en sí atesora, y realzan su gracia encantadora. Es su nombre Marina. La nobleza contempla y la alta fé del haz cristiano, y de su Dios le pasma la grandeza, que le dotó de aliento sobrehumano. Ya adora su alma la infinita alteza, que mil mundos sustenta con su mano, y vé que en todo su poder sublime sello de eterna majestad imprime. (I, 19z) Parallel dazu richtet sich Marinas Bewunderung auf Cortés, auf die Religion und zivilisatorische Errungenschaften der Spanier. Schnell lernt sie die spanische Sprache, um Cortés in seinem Unternehmen zu unterstützen, denn sie liebt ihn und steht ihm immer zur Seite (I, 1 9 2 ) , w a s auch Cortés anrührt ( 1 , 1 9 3 ) . Doch die beiden Helden unterdrücken ihre aufflackernde Leidenschaft und ihre Liebe um des Ruhmes willen: Marina es á su lado: fresca, hermosa cual la flor en que Abril su encanto imprime, velar intenta la pasión fogosa que el noble y tierno corazon le oprime. Mas ay! en su faz bella y candorosa, del deseo de amor creación sublime, vése del pecho la tenáz batalla, que el labio virginal discreto calla. Ama solo á Cortés! Cuando él la mira, aparta al punto de él los ojos de ella, y él, absorto, el matiz vivido admira con que santo pudor su rostro sella,
119 De Hernán el corazon de amor suspira: de amor suspira la gentil doncella. Al fin se encuentran con los de él sus ojos, y ella y él son de su pasión despojos. (I, 202) Sie besiegen ihre Leidenschaft — w a s auch der spätere Satz: „càndida y pura virgen" (I, 244) belegt. Erst als alle Gefahren überstanden sind, Cortés Cuauhtémoc im Kampf besiegt hat, schließt Cortés Marina in die Arme. Sein Ruhm ist ihm gewiß, und so scheint der Weg für die Liebe der beiden frei: Marina, la infeliz que presa en lazos de amorosa pasión se agita y vive, voló al lado de Hernán, que la recibe y estréchala en sus brazos. (II, 183) Marina erhält weitere Bedeutung als Informantin des Cortés: sie berichtet ihm über die Geschichte ihres Volkes, die verschiedenen Stämme, über Moctezuma, den sie „el C é s a r " (I, 2 1 0 ) nennt, Tlaxcala und die Vorhersagen bei den Azteken. Als Dolmetscherin erwähnt Cortés sie lobend vor seinen Soldaten, gemeinsam mit Aguilar. Er betont ihre Treue und Verläßlichkeit und auch im weiteren Verlauf ist sie häufig an seiner Seite zu sehen, sie teilt Gefahren mit ihm und beschützt ihn vor Verrat (II, 34). Marina!... la fiel Marina! [...] Le sigue, le da le sigue [sic...] al dulce esposo á quien ama! Va tras él, porque es su anhelo, y su amor, y su esperanza y única gloria en el mundo! (I, 251/252) In Cholula gibt sie Cortés die entscheidenden Hinweise auf die Verschwörung. Allerdings zeigt sie sich entsetzt darüber, daß Cortés die Frau, durch die sie von dem geplanten Verrat erfahren hat, töten läßt. Schon an anderen Stellen zeigte sich, daß Marina zur Jungfrau Maria für den Schutz des Cortés im Kampf betet, aber auch f ü r ihre toten Brüder. Ihre schwierige Stellung wird dadurch verdeutlicht (I, 2 7 7 , 283). Von spanischer Seite handelt es sich hier um ein Dokument, das in einzigartiger Weise Marinas Wichtigkeit in den Kämpfen betont, da sie Cortés immer wieder durch Rat zu richtigen Entscheidungen verhilft. Heroische Stellung erlangen beide durch den Verzicht auf ihre Liebe um der Sache und des Ruhmes willen. Weitere Werke des 1 9 . Jahrhunderts - mit Schwerpunkt auf Cortés — nennt Salvador Bernabeu Albert. 1 1 Er betont allgemein, daß die Schriftsteller die Grausamkeiten der Konquistadoren nicht aussparen, aber sie als notwendiges Übel jeden Krieges ansehen. 1 1 Vgl. Salvador Bernabeu Albert: „Hernán Cortés en el siglo XIX: Proceso al Conquistador", in: Actas del Congreso „Hernán Cortés y su tiempo1 Bde., Extremadura 1987, Bd. I, S. 4 1 5 - 4 3 1 .
I20 Esta misma apreciación la encontramos en las novelas de aventuras históricas: [...] Son producto de la conjunción de la tendencia novelesca de origen romántico y una técnica editorial, la de las entregas. En su mayor parte se dictaron este tipo de obras y su trama se alarga y complica, multiplicándose el número de personajes, pero sin olvidar ciertos hechos, como la quema de las naves o la „Noche triste", necesarios para no perder el hilo de la historia. [...] En uno u otro caso, lo cierto es que se repiten las obras con los mismos estereotipos, sin descubrir nada, ni discutir, ni dudar. La fuente principal a lo largo de todo el siglo es la „Historia de la conquista de México", de Antonio de Solís,
Das Heldenbild des Cortés wird — wie ersichtlich — auch im 1 9 . Jahrhundert in Spanien aufrechterhalten. Neu ist, daß der Heldentnythos jetzt auch Marina erfaßt. Sie wird in ihrer Bedeutung für die spanische Eroberung hervorgehoben, und auch ihre Beziehung zu Cortés wird erstmals ganz offen zur Sprache gebracht dabei zumeist im Sinne beiderseitiger Liebe.
4.2. Unabhängigkeit und Nationalismus — Auswirkungen auf die mexikanische Literatur 4 . 2 . 1 . Politische und ideologische Entwicklungen in M e x i k o Das 1 9 . Jahrhundert begann in M e x i k o mit den Unabhängigkeitskämpfen. Hand in Hand damit ging die Entstehung eines starken Nationalgefühls, dessen Wurzeln bereits im vergangenen Jahrhundert zu finden waren. Die Unabhängigkeitsbewegung - von Kreolen und Mestizen gleichermaßen getragen — wurde begünstigt durch die Entwicklungen in Spanien mit der napoleonischen Invasion, die Beispiele gelungener Revolutionen in Nordamerika und Frankreich. Die Ideen der Aufklärung, die sehr schnell ihren Weg in die Neue Welt gefunden hatten, förderten das Verlangen v . a . der Kreolen nach Autonomie, da sie bisher von der höchsten Macht ausgeschlossen waren. Als den „primer historiador de la insurgencia mexicana y su ideólogo más o r i g i n a l " 1 ' bezeichnet David A. Brading Fray Servando Teresa de Mier (1765— 1 8 2 7 ) , der gemeinsam mit seinem Schüler und Freund Carlos Maria de Bustamante (1774—1848) viel zum ideologischen Gedankengut von Unabhängigkeit und Nationalgefühl beitrug. Ins Zentrum des Geschehens rückten mit Mier auch religiöse Aspekte' 4 und die Virgen de Guadalupe, die im Kampf um die Unabhängigkeit zu symbolischer Bedeutung gelangte, als ihre Standarte von Hidalgo mit dem Ruf ins Feld geführt wurde: „ V i v a la religión, viva nuestra señora de Guadalupe, viva Fernando 7 0 , i z Ibid., S. 417. 13 David A. Brading: Los orígenes del nacionalismo mexicano, México 1973, S. 60. Dieses Werk behandelt grundlegend die Entstehung des Nationalismus in Mexiko und wurde auch hier als Informationsquelle herangezogen. 14 Vgl. seine Predigt 1794 über den Apostel Thomas. Dazu Brading (:Fn. 13), S. 66 ff.
121 viva la América, y muera el mal gobierno!" 1 5 Die Virgen de Guadalupe war bereits im 1 6 . Jahrhundert, 1 5 3 1 , dem Indio Juan Diego auf dem Hügel Tepeyac, auf dem von den Azteken die Göttin Tonantzin verehrt wurde, erschienen und entwickelte sich bald zur Nationalheiligen Mexikos. Sie wird von allen Rassen und Schichten der Gesellschaft gleichermaßen verehrt. Auch als ideale Frauenfigur, Mutter und Beschützerin der Mexikaner, fand sie Eingang in das mexikanische Gedankengut. 1 6 In diesem Zusammenhang entwickelte sie sich zur komplementären Figur zu Malinche, die im 1 9 . Jahrhundert von vielen als Verräterin an ihrem Volk gesehen wurde (dazu weiter unten). Immer wieder wurde an die aztekische Vergangenheit erinnert, wenn z.B. Bustamante auf die Ähnlichkeit des Schicksals von Moctezuma und Cuauhtémoc mit dem von Hidalgo und Morelos verwies. 1 7 Die Aufständischen sahen sich als die Erben des Cuauhtémoc - und damit auch der prähispanischen Kultur—, die kämpften, um die mexikanische Nation von den Fesseln der Eroberung zu befreien. Die negative Beurteilung der Eroberung und Kolonialzeit wird hier schon deutlich und kennzeichnet ab diesem Zeitpunkt einen Teil des mexikanischen Denkens. Mier z.B. stellte noch einmal die von den spanischen Eroberern verübten Grausamkeiten dar: No hablemos del tiempo de los conquistadores, que no eran Españoles sino demonios encarnados en España para ir á hacer ver hasta donde puede llegar la crueldad y la alevosía.18 Die Vorwürfe Miers erstreckten sich auch auf die von den Spaniern verbreitete Geschichtsversion. Durch die Inquisition ließ Spanien Darstellungen wie die von Las Casas verbieten und solche von Solis verbreiten: Desde el principio ya tuvo ciudado [sie] España de que nada se imprimiese en America tocante á su historia, ni que se nos llevase lo que se publicara en ella. Esto fue poco, lo mas verídico y exacto no se dió á luz; aquello poco casi todo fue mutilado en lo que ofendía á los Españoles; si no pudo serlo, como la Breve relación de Casas, estaba prohibido por la Inquisición como si atacase la fé. Solo se nos dexaban leer romances épicos en elogio de los conquistadores como la llamada historia de Solís; 19 Hier klingt zum ersten Mal die Kritik an der „Geschichtsschreibung der Sieger" an, ein Thema, das im zo. Jahrhundert verstärkt diskutiert wird. Das Verhältnis zu Spanien in der Sicht jener Gruppe von Intellektuellen läßt sich unter den Begriff des „antiespañolismo" fassen, die Wurzeln der Nation werden nicht in der Kolonialzeit, sondern in den alten mexikanischen Völkern 15 Fray Servando Teresa de Mier: Historia de la Revolución de Nueva España, 1 Bde., México 1986, Bd. I, S. 301. Der Wortlaut wird in verschiedenen Texten unterschiedlich wiedergegeben. 16 Dazu Jacques Lafaye: Quetzcalcóatl et Guadalupe. La formation de la conscience nationale au Mexique, Paris 1974. Er erwähnt Malinche in diesem Zusammenhang nicht. Juana Armanda Alegría charakterisiert die Virgen folgendermaßen: „La virgen de Guadalupe, ademís de mestiza y virgen, es la madre de todos los mexicanos, la protectora de nuestro país, y la máxima figura relig¡osa;"(Juana Armanda Alegría: Sicología de las mexicanas, México '1979, S. 101). 17 Brading (:Fn. 13), S. 1 1 7 t . 18 Mier(:Fn. is),Bd.II, S. 387. 19 Ibid., Bd. 1, S. XV.
122 gesucht. Dieses Charakteristikum ist Zeichen des so genannten „indigenismo". Eine Wertschätzung des Indianischen existierte bereits in der Kolonialzeit. Luis Villoro faßt diese unter den Begriff des „Indigenismo".10 In der Literatur spricht man bis zur Romantik von Indianismus, ebenso von indianistischer Literatur, erst im Realismus wird der Begriff des Indigenismus angewendet. Unter „indigenismo", wie er hier verstanden wird, läßt sich damit die pro-indianische Haltung fassen, die vom 16. bis zum 20. Jahrhundert immer in gewisser Weise vorhanden war, verstärkt aber ab dem 19. Jahrhundert auftrat. Diese Haltung wirkte sich auch auf die Beurteilung historischer Figuren wie Cortés, Marina und Cuauhtémoc aus. Eine entsprechende Entwicklung fand in ganz Lateinamerika statt. So gab es kritische Betrachtungen der Vergangenheit in Simón Bolívars La Carta de Jamaica (1815) und José Martís Nuestra América (1891), die zur Bewertung der Conquista und der spanischen Kolonisation als Epochen der Barbarei und Tyrannei führten. Por una conversión mental, explicable por la doble corriente nacionalista y antiespañola vigente en la época, lo colonial se convierte en una especie de Edad Media, a la que se rechaza, mientras lo indio se eleva a la categoría de pasado clásico. 1,1
Cortés wurde für einen Teil Mexikos und mexikanischer Autoren zur Negativfigur. Zur gleichen Zeit wurde Cuauhtémoc, der letzte Herrscher der Azteken, der als einziger den Spaniern Widerstand geleistet hatte, zum Nationalhelden erhoben: El nacionalismo que emerge funda en Cuauhtémoc la nacionalidad (Cortés, la señal más afrentosa de una existencia colonial y colonizada, es propiedad de los conservadores). 1 1
Mit der Ablehnung Spaniens als „madre patria" der Mexikaner verwies schon Mier darauf, daß sich viele der Kolonisatoren mit Indias verbunden hatten, und er spricht damit das — auch für diese Arbeit - bedeutsame Thema des „mestizaje" an: Los criollos tampoco podran matar á los Indios, ayudando á los Europeos, porque aquellas colonias Españolas fueron de hombres y mui raras mugeres: tomaron las suyas en las familias Reales y nobles, y sería mui difícil a un criollo, probar que no corre en sus venas la sangre pura de los aborígenes. 1 '
Die Mestizen wurden vor allem bei Justo Sierra (1848—1912) und im 20. Jahrhundert bei José Vasconcelos (1882—1959) in den Mittelpunkt gerückt und als wichtigste Bevölkerungsgruppe hervorgehoben, auf die sich eine Neuorganisation der lateinamerikanischen Staaten zu begründen hat. Die Mestizen machen in Mexiko heute die größte Bevölkerungsschicht aus. Justo Sierra hält die Mestizen für die 1 0 Zum Thema des „Indigenismo" siehe Luis Villoro: Los grandes momentos del indigenismo en México, México 1979. 1 1 José Luis Martínez: La Emancipación Literaria de México, México 195$, S. 53. 11 Carlos Monsiváis: „La revisión de los vencidos", in: El País Extra, Sábado 1 2 de octubre de 1985, S. 4Í., hier S. 4. 1 3 Mier (:Fn. 15), Bd. I, S. 3 1 1 .
113 fähigste Gruppe, um Fortschritt und soziale Veränderungen herbeizuführen, „de él ha de surgir la burguesía liberal positivista". 14 Malinche erfährt in diesem Zusammenhang eine Neubewertung: Sie wird zum Symbol der „mestizaje", da sie als Begründerin der Mestizen gilt. Dies wird aber explizit erst in der Literatur des 20. Jahrhunderts thematisiert. Bei Theoretikern und Philosophen der Unabhängigkeit, aber auch in späteren literarischen Darstellungen, z.B. in den historischen Romanen, findet das Wort „americano" häufige Verwendung, denn dadurch wird erleichtert, Kreolen, Mestizen und Indios, die alle die mexikanische Nation ausmachen, zu vereinen. Ein weiterer Begriff ist „Anáhuac" als Bezeichnung für das alte Mexiko. Daß es Mier wie auch Bustamante weniger um ein objektives Geschichtsverständnis als vielmehr um die Suche nach einem Mythos ging, der die mexikanische Unabhängigkeit rechtfertigen und ein Nationalbewußtsein begründen kann, wird ebenso deutlich. Es entstand ein romantischer Kult für das alte Mexiko, der u. a. schon von Ixtlilxochitl, Sigüenza y Góngora und Boturini begonnen wurde. Die hier angesprochenen Themen — „neoaztequismo, guadalupanismo y el repudio de la conquista" 15 — sind nach Brading Themen, die bereits den „patriotismo criollo" der vorangegangenen Zeit charakterisiert hatten und das Nationalgefühl prägten. Der historische „indigenismo" überlebte nach Meinung Bradings dank Bustamante und verwandelte sich in einen Teil nationaler Mythologie, da Bustamante in seinen Schriften immer wieder auf die indigene Vergangenheit verwiesen hat mit ihrem Glanz und ihren Errungenschaften. Ebenso überlebte der Kult der Guadalupe und der Helden der „patria", zu denen neben Cuauhtémoc auch Hidalgo u.a. zu rechnen sind. 16 Neben den Vertretern des „indigenismo" gab es immer auch Intellektuelle, meist dem konservativen Lager zuzurechnen, — die Unterscheidung zwischen Liberalen und Konservativen wurde für die Politik Mexikos ab den 20er Jahren immer bedeutender - , die unter dem Begriff des „hispanismo" gefaßt wurden. Sie wendeten sich gegen den sogenannten „indigenismo", wie er von kreolischen Intellektuellen ausgeübt wurde, die sich mit der aztekischen Zivilisation beschäftigten, Moctezuma gegen Cortés unterstützten und Spanien verurteilten. Die Vertreter des „hispanismo" sahen den Ursprung der mexikanischen Nation in der Kolonialzeit, bzw. in Cortés und den Spaniern und dem Entstehen des neuen Staates. Diese Haltung ging oft einher mit einem strengen Katholizismus. Zu dieser Gruppe ist Lucas Alamán (1792-1853) zu rechnen, der sich stolz auf seine spanische Abstammung zeigte und die These der Überlegenheit spanischer Kultur vertrat, ohne sich aber gegen die Indios zu richten. Er wurde kurz vor seinem Tod Außenminister unter Santa Anna, war konservativer Politiker und zeichnete sich auch als Historiker aus, v.a. mit seinen Disertaciones sobre la Historia de la República Megicana (1844—49, 3 Bde.). In der Eroberung Mexikos sahen die sogenannten „hispani14 Manuel Alvar u.a. (Hg.): Historia de la Literatura Hispanoamericana, i Bde., Madrid 1981, hier Bd. II, S. 64. 1 5 Wie sie Brading zusammenfaßt (:Fn. 13), S. 58. 16 Ibid., S. 183.
124 st as" den wahren Ursprung der mexikanischen Nation, Cortés als den Gründer der mexikanischen Nationalität, wie es später José Vasconcelos ganz deutlich vertreten wird. Carlos Pereyra ( 1 8 7 1 - 1 9 4 2 ) , offensichtlicher Vertreter des Hispanismus in Mexiko, 1 7 faßt die Haltung folgendermaßen zusammen: Falsas concepciones, generalizadas por todos los países americanos en los primeros años del siglo XIX, pudieron hacer de Cuauhtémoc el representante de la nacionalidad, y de Cortés un dominador extranjero. Según esto, los hijos de la tierra reconquistaron su soberanía, contra los sucesores de Cortés. La independencia nacional era la restauración de Cuauhtémoc. [...] Cuauhtémoc no fué vencido por los centenares de españoles que acompañaban a Cortés, sino por los millares de indios que pusieron toda su saña en la destrucción de un poderío brutal. La Nueva España se formó, [...] con territorios desconocidos para los aztecas y con otros habitados por pueblos que siempre les resistieron tenazmente. Sin embargo, al efectuarse la independencia de la nacionalidad fundada por Cortés, el nombre del conquistador fué entregado a las maldiciones de la oratoria y de la prensa. Era el símbolo de la dominación extranjera, y Cuauhtémoc fué el héroe de aztequistas que no sabían una palabra del idioma de aquel señor indígena y que no tenían con él nada en común. La furia del fanatismo político ensayó sus manifestaciones contra los restos del conquistador [.. .] l 8 Diese Spaltung in „hispanismo" und „indigenismo" setzt sich bis heute fort. Daß auch Marina von den Vertretern des „indigenismo" in negativem Sinne der Seite der Spanier zugerechnet wird, zeigt deutlich ein Ausspruch des liberalen Politikers und Denkers Ignacio Ramírez in einer Rede am 16. September 1 8 6 1 in der Alameda von Mexiko-Stadt, zum Gedenken an die Ausrufung der Unabhängigkeit: Es uno de los misterios de la fatalidad que todas las naciones deban su pérdida y su baldón a una mujer, y a otra mujer su salvación y su gloria; en todas partes se reproduce el mito de Eva y de María; nosotros recordamos con indignación a la barragana de Cortés, y jamás olvidaremos en nuestra gratitud a Doña María Josefa Ortiz, la Malintzin inmaculada de otra época, que se atrevió a pronunciar el fíat de la independencia para que la encarnación del patriotismo lo realizara/ 9 Es kommt hier zu einer direkten Schuldzuweisung an Marina für den Untergang der Azteken durch ihre Taten, als „barragana" von Cortés. Diese Schuldzuweisung und der Vorwurf des Verrats an ihrem Volk durch die Unterstützung der Spanier wird charakteristisch für einen Teil der im 1 9 . und auch noch im 20. Jahrhundert entstehenden Literatur zur Eroberung, und ist in engem Zusammenhang mit der Strömung des „indigenismo" und „antiespañolismo" zu sehen. Ramírez verwendet in seiner Rede explizit die christliche weibliche Dualität in 1 7 Pereyra war Schriftsteller, Anwalt, Professor für Geschichte, Soziologe, zeitweilig Diplomat in Europa und Amerika und verfaßte verschiedene Werke zur Conquista: Hernán Cortés, Buenos Aires ' 1 9 5 3 , Erstveröffentlichung 1931 und Las huellas de los conquistadores, Madrid 1941. Pereyra starb 1941 in Madrid, wo er vor allem in den Archiven arbeitete. 18 Pereyra: Hernán Cortés (:Fn. 17), S. 186f. 19 Ignacio Ramírez: Discursos y artículos, México 1 9 1 7 , S. 5.
1*5 dem Gegensatzpaar Eva und Maria, hier in der Gegenüberstellung von Malintzin und Maria Josefa Ortiz. Er dürfte der erste sein, der Malintzin in einer offiziellen Rede mit Eva — und damit dem Verrat — gleichstellt. Im 20. Jahrhundert wird der Vergleich Malintzins mit Eva noch einmal nachvollzogen im Wandbild „Cortés y Malinche" von José demente Orozco aus dem Jahre 1 9 2 6 an der Escuela Nacional Preparatoria, w o sie als Adam und Eva gezeichnet sind — von ihm jedoch als Gründerpaar der mexikanischen Nation gemeint. Noch charakteristischer für Mexiko wird aber die weibliche Dualität Malinche und Virgen de Guadalupe. Es ist eine Gegenüberstellung von negativem und positivem Frauenbild, von Verrat und Schutz des Volkes. Die Rede von Ramírez weist noch weitere untersuchenswerte Aspekte auf. Ramírez hebt darin Maria Josefa Ortiz mit ähnlichen Worten hervor, mit denen zu seiner Zeit Bernal Díaz Marina bedacht hatte, was deutlich auf die Verschiebung von Werten und Urteilen durch die veränderte politische und historische Situation hinweist. So heißt es bei ihm: „¡Honor a esa mexicana en cuyo noble pecho se adunaban las virtudes varoniles con las virtudes más dulces que decoran el sexo a que pertenecía! ¡Qué ánimo tan generoso [. . . ] " 3 ° Bernal Díaz, der ebenso die weibliche Schönheit und Eigenschaften Marinas betonte, hob auch ihr männliches Verhalten in schwierigen Situationen hervor: „qué esfuerzo tan varonil tenía" (H. V. 182). Die Äußerung von Ramírez zeigt einen sehr starken Nationalismus, läßt sich doch der Vorwurf des Verrats gegen Marina nicht real begründen, durch deren Hilfe allein die Spanier nie zum Ziel gekommen wären, hätte es nicht genügend indianische Stämme gegeben, die die Spanier gegen die Azteken unterstützten und viele weitere Faktoren, die die Spanier begünstigten. Aber auch ihm geht es nicht um historische Genauigkeit, sondern um die Schaffung von Mythen zur Bildung eines Nationalbewußtseins. Sein Denken charakterisiert Maciel u. a. folgendermaßen: Un sector importante del pensamiento político del Nigromante fue su acendrado nacionalismo, el cual en muchos casos tomó la forma de un rechazo abierto a España y la herencia colonial. Antihispanista apasionado, situándose en la tradición de Fray Servando Teresa de M i e r y de Carlos M a r í a Bustamante [.. . J ' 1
Roger Bartra hebt im 20. Jahrhundert rückblickend auf das 1 9 . ebenfalls die enge Verbindung zwischen der Verurteilung Marinas als Verräterin und der Bildung einer mexikanischen Nation hervor. Er spricht in diesem Zusammenhang von der „leyenda negra de la Malinche": 3 1 El nacionalismo mexicano del siglo X I X [ . . . ] tuvo necesidad de inventar una patria originaria: y esta nación primigenia debía tener sus héroes y sus traidores. A Malintzin le fue asignada la obligación de encarnar la infidelidad y la deslealtad. 3 3 30 31 32 33
Ibid., S. ;f. David R. Maciel: Ignacio Ramírez. Ideólogo del liberalismo social en México, México 1980, S. 140. Roger Bartra: La jaula de ¡a melancolía. Identidad y metamorfosis del mexicano, México 1987, S. 216. Ibid., S. 216.
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Ähnlich wie Ramírez urteilt José Olmedo y L a m a über Malinche, für den sie als Verräterin ihrer „ p a t r i a " nur durch Geschichtsfälschung zu einer bedeutenden Figur werden konnte: Pero Malintzin casi siempre aparece repugnante, y creemos que solo prestándole proporciones fantásticas é imaginarías, es decir, falseando la historia, se le podría hacer grande.34
Abb. 23:
La Malinche - Skulptur in Gips von Manuel Vilar, México 1 8 5 1 (Quelle: Salvador Moreno: El escultor Manuel Vilar, México 1969)
34 José Olmedo y Lama: „Malintzin" in: Eduardo Gallo: Hombres ilustres mexicanos, México 1874, Bd. II, S. 2.1.
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Ramírez selbst sieht in Hidalgo den Schöpfer der mexikanischen Nationalität, nicht in den Azteken und nicht in den Spaniern: [...] nosotros venimos del pueblo de Dolores, descendemos de Hidalgo, y nacimos luchando como nuestro padre, por los símbolos de la emancipación, y como él, luchando por la santa causa desapareceremos de sobre la tierra." Kennzeichnend für Ramírez wie auch für die Liberalen der 2.. Hälfte des 1 9 . Jahrhunderts allgemein, u. a. Benito Juárez und Ignacio Manuel Altamirano, war eine realistischere Betrachtung des indianischen Erbes im Vergleich zu den Mythisierungen bei Mier und Bustamante. Sie richteten ihr Hauptaugenmerk auf die Indios ihres Jahrhunderts und setzten sich für bessere Bildung und zweisprachige Erziehung ein. Sie erkannten die Inhomogenität der mexikanischen Bevölkerung als einen Reichtum ihres Landes. Sicher betonten sie den Glanz der aztekischen Zivilisation, aber sie verwiesen auch auf die Fähigkeiten der zeitgenössischen Indios und legten damit den Grundstein für eine neue Art des „indigenismo", wie er zur Z e i t der Revolution 1 9 1 0 entstehen sollte, w o es u.a um Rechte für die Indios und deren Integration in die mexikanische Nation ging. 36 Auf politischem Gebiet bestimmten in jener Zeit die Debatten um Liberalismus bzw. die Kämpfe zwischen Konservativen und Liberalen das Geschehen. Iturbide gelangte an die Macht, es kam zum Krieg gegen die USA, zur Invasion durch die Franzosen und zur Einsetzung Maximilians, zu einem neuen Aufleben des Liberalismus mit Juárez und zum Konservativismus unter Porfirio Díaz. Porfirio Díaz griff wieder in die weit entfernte Vergangenheit zurück. Unter seiner Herrschaft wurde die Statue Cuauhtémocs des Künstlers Miguel Noreña auf dem Paseo de la Reforma in M e x i k o Stadt 1 8 8 7 aufgestellt. Bereits 1 8 5 2 hatte Manuel Vilar einen Gipsvordruck für eine Malinche-Statue geschaffen, die aber nie aufgestellt wurde (vgl. Abb. 23 und 24). 3 7 Der Spanier Vilar, der nach M e x i k o geholt wurde, um die Kunstakademie neu aufzubauen, hatte sich zunächst mit mythologischen Themen befaßt, ging dann zu religiösen und historischen über. Es existieren neben Zeichnungen für den Entwurf einer Malinche-Statue auch solche für eine des Moctezuma. Pelegrín Clavé, ein spanischer Freund Vilars, hat 1 9 6 1 die Statue Malinches abgezeichnet, als er in einem Brief an die Kunstakademie in Barcelona dafür warb, Kunstwerke Vilars nach Spanien zu überführen (vgl. Abb. 25). Porfirio Díaz interessierte sich nicht für die Situation der Indios im ausgehenden 1 9 . Jahrhundert. Unter seiner Regierung fand —vor allem aus wirtschaftlichen Gründen — wieder eine Annäherung an Spanien statt. Die verschiedenen, im 1 9 . Jahrhundert vorherrschenden geistigen Strömungen spiegeln sich auch in den Geschichtswerken und der Literatur jener Zeit wider, was in folgenden Kapiteln zu sehen sein wird. 35 Ignacio Ramírez, ed. Francisco Monterde, Mexico 1975, S. 19, zitiert nach Maciel (:Fn. 31), S. 141. 36 Keen (:Fn. i), S. 445. 37 Für den Hinweis auf die Statue danke ich herzlich Gerd Wawor. Die folgenden Informationen sind entnommen aus: Salvador Moreno: El escultor Manuel Vilar, México 1969.
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4-2..Z.
Geschichtswerke im 19. Jahrhundert
Kennzeichnend für die Historiographie des 19. und des 20. Jahrhunderts ist die kritische Auseinandersetzung mit bereits vorhandenen Geschichtswerken, die analysiert und verglichen werden. Die Geschichtsschreibung in Mexiko wurde jedoch nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch politischer, d.h. die Autoren suchten nach Gründen für den Verlauf der dargestellten Ereignisse und nach Interpretationen. Anhand von Dokumenten aus Archiven versuchten sie auch, verschiedene Sichtweisen zu Marina zu begründen. Vier Historiker und ihre Werke sind dabei von besonderem Interesse: Manuel Orozco y Berra, Vicente Riva Palacio, Alfredo Chavero und Joaquín García Icazbalceta. 1880/81 wurde die Historia antigua y de la Conquista de México38 von Manuel Orozco y Berra ( 1 8 1 6 - 1 8 8 1 ) veröffentlicht. Neben Geschichte und Geographie beschäftigte er sich auch mit Ethnologie und Philologie. Er war u. a. Direktor des Museo Nacional. Er zieht für seine Historia die wichtigsten Quellen heran, nennt sie im Text und bemerkt dabei auch die Ungenauigkeiten bzw. Unstimmigkeiten der Werke des 16. Jahrhunderts. Die oben genannte Historia antigua in 4 Bänden erschien unter Porfirio Díaz. Die Sympathie des Autors, trotz meist großer Objektivität, ist auf der Seite der Azteken, er befürwortet jedoch die Einführung des christlichen Glaubens als wichtigen Schritt in der Entwicklung der mexikanischen Zivilisation. Er ist einer der ersten Historiker, der die Unklarheiten über Marinas Leben erkennt und versucht, möglichst plausible Lösungen zu finden, z.B. in bezug auf den Ort ihrer Herkunft, wo er sich am Ende Bernal Díaz anschließt.39 Er forscht nach dem Ursprung ihres Namens, ihrer Aufgabe als Dolmetscherin und ihrem gesamten Lebenslauf. Die Beziehung zwischen Cortés und Marina charakterisiert er als einseitig: „Cortés no la quiso nunca sino como a india, según se desprende de la conducta constante con ella observada" (104). Er geht davon aus, daß sie Cortés geliebt hat — was reine Vermutung ist. Ihre Bedeutung als Dolmetscherin unterschätzt er keinesfalls und beschäftigt sich auch mit der Frage, ob sie immer richtig übersetzt haben mag: En pocos meses se cumplieron tan profundas transformaciones, que debieron trastornar por completo el corazón de la mujer. Entregada en cuerpo y alma a los extranjeros; con desconocidas ideas despertadas por el orgullo, colocada, según se imaginaba, en encumbrada posición, rompió toda liga con los pueblos de Anáhuac, desconoció su raza; a mengua debía tener el color bronceado. Por un extraño capricho de la suerte, venía a ser árbitra de los destinos de las naciones invadidas. Pasaban por su boca los discursos de los embajadores, las quejas de los oprimidos, la sumisión de las ciudades, todo linaje de relaciones y noticias; no existía otro medio de comunicación; en estas comunicaciones no había medio de corregir el abuso; en manera alguna podían ser contradichas las 38 Manuel Orozco y Berra: Historia antigua y déla Conquista de México, 4 Bde., México 1960. 39 lbid., Bd. IV, S. 1 0 1 .
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palabras de la intérprete. Se comprende que por amor y por miedo traduciría de buena fe, en cuanto pudiere alcanzar, los dichos de don Hernando; pero nada nos asegura tomara el mismo empeño respecto de los indígenas. Por torpeza en medir y concertar las palabras, ya que no quiera suponerse desprecio por los vencidos, cariño por su amante, influjo de los aliados de los invasores, bastaba suprimir una frase, cambiar una idea, para hacer de lo blanco negro, disponiendo de esta manera a su antojo de hombres y ciudades; sobrada ocasión le daba la íntima comunicación con don Hernando para influir sospechas, predisponer con buenos o malos consejos. (104^)
In diesem Abschnitt formuliert er zwar nicht expressis verbis den Vorwurf des Verrats, zieht aber durchaus in Erwägung, daß Marina — zugunsten der Spanier — falsch übersetzt haben könnte. Nach seiner Ansicht hat sie sich ganz von ihrem Volk abgewendet. Dies zeigt sich verstärkt in Orozco y Berras Darstellung der Vorkommnisse in Cholula. Er geht davon aus, daß die Verschwörung inszeniert war von den Tlaxcalteken, die gegen Cholula vorgehen wollten. Dabei wurden sie von Marina unterstützt: [ . . . ] ayudó en ello Doña Marina, no sólo haciendo decir a los indios cuanto le placía, sino inventando la historia de la vieja que la quería dar a su hijo por esposa, historia encaminada tal vez a encender los celos de don Hernando. (220)
Marina wird dadurch mit dem Bild der Schlange mit der gespaltenen Zunge aus der christlichen Ikonographie in Verbindung gebracht. Dieses Bild wird in verschiedenen Romanen des 19. Jahrhunderts, wie in Jicoténcal und Los mártires del Anáhuac, formuliert.'*0 Joaquín García Icazbalceta (1825-1894), mexikanischer Historiker und Philologe, verdanken Historiker und Literaten sehr viel. Er bemühte sich durch Neuveröffentlichung literarischer und historischer Werke und Dokumente, ebenso durch Biographien, eine Grundlage für Studien zu schaffen. Er war zudem mit vielfältigen Aufgaben im Kultur- und Museumsbereich betraut. In seinem Werk Opúsculos y biografías41 widmet er Marina ein Kapitel. Darin setzt er sich vor allem mit ihrem Namen, ihrer Herkunft, dem Todesjahr und anderen unklaren Aspekten ihres Lebens auseinander — wobei er allerdings auch zu keinen neuen Schlüssen gelangt. Er kommt aber auch nicht zu einer negativen Wertung, wie z.B. Orozco y Berra. Ebenfalls im 19. Jahrhundert entstand das erste Geschichtswerk in Mexiko, das alle Perioden mexikanischer Geschichte einschließt und die indianische und spanische Vergangenheit als Grundlage für die Entstehung der mexikanischen Nation ansieht, México a Través de los Siglos (1884-1889), herausgegeben von Vicente Riva Palacio, Alfredo Chavero u.a. 41 Die beiden Autoren, die die Eroberung bearbeitet haben — Alfredo Chavero (1841—1906) Band I, Vicente Riva Palacio 40 Siehe Kap. 4.3.1. und 4.3.3. 41 Joaquín Garda Icazbalceta: „Doña Marina", in: J.G.I.: Opúsculos y biografías, México 1941, S. 67-73. 41 Alfredo Chavero, Vicente Riva Palacio (Hg.): México a Través de los Siglos, 5 Bde., México 1958. Erschienen ist das Werk 1884-89.
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3°
Abb. 14: La Malinche — Skulptur in Gips von Manuel Vilar, México 1852 (Quelle: Salvador Moreno: El escultor Manuel Vilar, México 1969)
(1832—1896) Band II —, vertreten die These, daß Marina eine Beziehung mit Aguilar und sogar ein Kind von ihm hatte, vor allem aber bestreiten sie, daß Marina von Bedeutung für die Conquista war: Y a dijimos que se ha equivocado su papel en la Conquista: no tuvo ninguna influencia en ella; fué sólo una intérprete. [ . . . ] Marina estaba considerada porque era útil; más tarde porque fué madre de un hijo de Cortés; pero su papel histórico no pasó del de simple intérprete. 4 '
Chavero ist Liberaler und vertritt Indigenismus und Antiklerikalismus. Seine Kritik an den Azteken beschränkt sich auf deren Unfähigkeit, die Völker zu vereinen 43 Ibid., Bd. 1, S. 850.
131 und einen Nationalgeist zu entwickeln, d.h. seine Kritik ist gänzlich geprägt von zeitgenössischen Wünschen und Vorstellungen. Ähnlich verhält es sich in den historischen Romanen, die zum Thema erschienen sind, wo aufgrund ihrer Regierungsform immer wieder die sogenannte „Republik" Tlaxcala hervorgehoben wird, und diejenigen in den Vordergrund rücken, die sich für eine Vereinigung der verfeindeten Stämme einsetzen. In diesem Werk kommt vor allem zum Ausdruck, daß sowohl die indianische, als auch die spanische Vergangenheit als Grundlagen für die Entstehung der Nation betrachtet werden müssen. Die genannten Historiker bemühten sich durch genaues Quellenstudium um Objektivität in bezug auf Marina, was ihnen nicht immer gelang, wie es gerade bei Orozco y Berra und Chavero zu sehen war — und im folgenden bei Prescott zu sehen sein wird. Dennoch wird sie nirgends so explizit wie in der Rede von Ramírez als Schuldige am Untergang des Aztekenreiches genannt. Daß auch in den USA das Interesse an den südlichen Nachbarn stieg, zeigt die große Zahl wissenschaftlicher Studien und Literatur zu Mexiko, die im 19. Jahrhundert entstanden. Das bedeutendste Werk des 19. Jahrhunderts aus den USA ist das Geschichtswerk von William Hickling Prescott (1796—1859), der mit The Conquest of Mexico** (1843) einen wichtigen Beitrag zur Geschichtsschreibung der Eroberung geleistet hat. Sein mit stilistischer Brillanz verfaßtes Werk gewann großen Einfluß in Mexiko und Europa. 4 ' Allerdings schafft auch er keine menschliche Figur des Eroberers, sondern erneut eine heroische. Er spricht von dem Recht auf Eroberung, betont die religiösen Absichten der Spanier und nimmt eine oft sehr negative Haltung gegenüber den Azteken ein, die er zwar einerseits als hochzivilisiert, andererseits immer wieder als Barbaren bezeichnet, was ihm die Kritik z.B. von Lucas Alamán einbringt.46 In reichen Farben beschreibt er jedoch den Glanz des aztekischen Imperiums. Sein romantischer Glaube an Vorsehung und Fortschritt bringt ihn allerdings dazu, den Untergang dieses reichen aber barbarischen Volkes als unausweichlich zu betrachten, vor allem auch wegen der vielen moralischen Fehler. Die Zivilisation triumphiert über die Semizivilisation, das Christentum über den Kannibalismus. Sein Werk ist in dramatischen Kontrasten organisiert: Auf der einen Seite steht Cortés, Instrument der Vorsehung und des Fortschritts, auf der anderen Seite Moctezuma, korrumpiert durch Macht, Luxus und Aberglauben. Heutige 44 William Hickling Prescott: The Conquest of Mexico, 1 Bde., London/New York ' 1 9 3 3 , Erstveröffentlichung New York 1843. Seitenangaben befinden sich in Klammern im Text. 4 ; Literarische Verarbeitungen finden sich bei Robert Montgomery Bird: Calavar or the Knight of the Conquest von 1834 und The Infidel or The Fall of Mexico, die Fortsetzung aus dem Jahr 1 8 3 5 . Heldin ist hier allerdings eine Spanierin. Fußend auf Prescotts Werk entstand 1845 Montezuma, the Last of the Aztecs von Edward Maturin, das nicht zugänglich war. Nach Aussage von Keen (:Fn. 1), S. 3 86 ff. sind seine Hauptfiguren Indios. Auch Malinche ist vertreten, an ihrer Seite ihre Mutter, eine alte Priesterin, und ihre Schwester, eine heldenhafte Zwergin. Wohl aus Gründen der Moral heiratet hier Cortés am Ende die Heldin Malintzin — ähnlich Klingemanns Verarbeitung. 46 Vgl. Keen (:Fn. 1), S. 365 ff.
132 Kritiker erwähnen vor allem den Aspekt, daß es Prescott nicht gelang, tatsächlich in die Mentalität und Gesellschaftsstruktur der Azteken vorzudringen. In seiner Zeit wurde das Werk, als typisches Konstrukt der Romantik, sehr positiv aufgenommen. Darin wird zudem die dünne Trennungslinie zwischen Geschichtsschreibung und fiktionaler Verarbeitung in der Epoche der Romantik deutlich. Marina wendet er sich ausführlich zu. Bei den Angaben zu ihrer Herkunft hält sich Prescott an die Aussagen des Bemal Diaz del Castillo. Neu ist seine Formulierung, daß sie sehr schnell Spanisch lernte, und dies, weil es für sie die Sprache der Liebe war (Bd. I., S. 185). Er geht konsequent davon aus, daß Cortés Marina geliebt hat — wie er zu diesem Schluß kommt ist nicht ersichtlich: „Cortés, who appreciated the value of her services from the first, made her his interpreter, then his secretary, and, won by her charms, his mistress" (Bd. I, 185). Er glaubt auch, daß sie der Nachwelt ewig in positiver Erinnerung bleiben wird: From this time the name of M a r i n a disappears from the page of history. But it has been always held in greatful remembrance by the Spaniards, for the important aid which she gave them in effecting the Conquest, and by the natives, for the kindness and sympathy which she showed them in their misfortunes. (Bd. II, S. 3 2 7 )
Abb. 25: La Malinche - Zeichnung von Pelegrín Clavé, México 1861 (Quelle: Salvador Moreno: El escultor Manuel Vilar, México 1969)
133 Diese Äußerung entspricht kaum der tatsächlichen Situation, war Marina doch in Spanien weitgehend in Vergessenheit geraten - von offizieller Seite fand sie keine Erwähnung, und heute ist sogar ihr Name vielen Spaniern unbekannt - , und in Mexiko begann gerade im 19. Jahrhundert ihr Bild zu dem einer Verräterin zu werden.
4.3. Malinche in der mexikanischen Literatur des 1 9 . Jahrhunderts Die politische Autonomie in Mexiko begründete auch den Wunsch nach einer Autonomie des Geistes. Dieser Wunsch ließ sich in allen lateinamerikanischen Staaten erkennen und führte u. a. aus politischen Gründen dazu, daß diese Staaten wie nie zuvor im Bewußtsein einer Einheit lebten, was sich in gemeinsamen Diskussionen gerade auf dem Gebiet der Literatur und Kultur zeigte. Für alle Länder blieb das Problem, daß mit der politischen Unabhängigkeit das Denken noch lange nicht frei von spanischen Traditionen und Einflüssen war. Ziel gerade der liberalen Intellektuellen war deshalb die „emancipación mental". 47 Auf kulturellem Gebiet sahen die Mexikaner Spanien als Unterdrückerin und Symbol für Rückständigkeit und Tyrannei. „Antiespañolismo" bzw. „desespañolización" waren als Grundzüge des Denkens vertreten. Es ging darum, sich auf eigene, nationale Werte und Themen zu besinnen, um eine Loslösung von der kolonialen Literatur zu erreichen. Hatte schon im 18. Jahrhundert das Interesse an Studien der eigenen Kultur zugenommen und das Bewußtsein geschärft, so erhielt dieses Interesse mit der Unabhängigkeit neue Impulse. Ein besonderes Kennzeichen der Intellektuellen in Mexiko war es, daß sie sich in erster Linie den Problemen der Politik zuwandten anstatt der Literatur. Sie schrieben politische Essays und waren nicht selten an der Regierung beteiligt (Zavala, Mora, Alamán). 48 So entstanden im ersten Drittel des 1 9 . Jahrhunderts auch keine Doktrinen über die literarische Emanzipation. Erst ab 1 8 3 6 widmete sich eine ganze Schule, die Academia de Letrán, der Aufgabe, die Literatur zu mexikanisieren. Z u den beteiligten Autoren gehörten Guillermo Prieto, Andrés Quintana Roo, Ignacio Rodríguez Galván, Ignacio Ramírez u. a. Altamirano war einer der ersten Schriftsteller, die sich theoretisch damit auseinandersetzten, wie Nationalliteratur auszusehen hat. Er veröffentlichte seine Doktrinen in den „Revistas literarias". Nachdem Mexiko noch zweimal von außen angegriffen wurde - durch Frankreich und die USA - , besann es sich verstärkt auf sich selbst. Altamiranos Aufforderungen an die Autoren lauteten folgendermaßen: „ L a poesía y la novela mexicanas deben ser vírgenes, vigorosas, originales, como lo son nuestro suelo, nuestras montañas, nuestra vegetación." Seiner Meinung nach trage auch die „poesía heroica" dazu bei, „a formar la verdadera nacionalidad por la fusión de los recuerdos gloriosos, y a dar a las masas el 47 José Luis Martínez (:Fn. 1 1 ) , S. 1 7 . Auf dieses Werk bezieht sich auch im folgenden ein großer Teil der Aussagen. 48 Vgl. dazu ibid., S. 55.
134 conocimiento de su verdadero valor en los futuros conflictos de su patria." 49 Neben die Forderung nach Nationalliteratur trat auch die nach einer „literatura popular", Literatur für das Volk, die didaktische Funktion erfüllen und dem Volk Patriotismus lehren sollte. Ein weiteres Konzept der Nationalliteratur stammt von José María Vigil, der die Entwicklung des 19. Jahrhunderts sehr treffend zusammenfaßt: La poesía entonces empleó sus acentos más terribles para inculcar el odio a los tiranos, para ponderar las dulzuras de la libertad, para enaltecer los derechos del h o m b r e . . . Se evocaron las sombras gloriosas de los antiguos aztecas, las inhumanidades cometidas en la conquista, los más bellos episodios de nuestra historia antigua, no porque se creyera posible restablecer las cosas tales como se hallaban en el tiempo de Moctezuma, sino porque en tales circunstanias se busca todo aquello que halaga el amor patrio. 5 0
Vigil deutete in seinen Schriften aber auch schon ein Hindernis für den nationalen Ausdruck an: [ . . . ] un sentimiento de inferioridad — que hoy llamamos complejo — heredado de la colonia, y que engendra en los mexicanos una timidez que se atreve a expresar lo nuestro y nos lleva a las imitaciones serviles y al estudio exagerado de las literaturas extranjeras. 5 1
Er nimmt damit bereits die Aussagen eines Samuel Ramos im zo. Jahrhundert vorweg, indem er auf das Gefühl der Inferiorität verweist, wie das noch später auch Octavio Paz tun wird in seiner Essaysammlung El laberinto de la soledad. Neben dem Streben nach eigener nationaler Literatur nahm auch die Romantik Einfluß auf die mexikanische Literatur. Emancipación y romanticismo eran, en efecto, corrientes paralelas y parecían alimentarse mutuamente. Ambas participaban de las mismas ideas de libertad y el mismo deseo de incrementar las peculiaridades distintivas de los pueblos. 5 1
Die Romanautoren suchten ihren Weg häufig in einer Art romantischer Rebellion, in der sie einmal den Liberalismus vertraten, aber sie zeigten in ihren Werken auch sehr emotionale Reaktionen und eine unvergleichliche Sentimentalität. Durch die Romantik, die José Luis Martínez als parallele Strömung zur Emanzipation der mexikanischen Literatur ansieht, gewann Malinche noch auf andere Art an Aufmerksamkeit. Die Vorherrschaft des Gefühls in der Romantik wirkte sich vor allem auf die Darstellungsweise der Beziehung zwischen Marina und Cortés aus. Die Liebe wurde häufig zum Auslöser für heroische Taten - auch das wird in fast allen Romanen zu sehen sein. Die Themen, denen sich die Autoren zuwandten, waren historischer, patriotischer, indigener und kostumbristischer Natur. Der französische Einfluß war dabei 49 50 51 51
Zitiert nach ibid., S. 7 1 . Zitiert nach ibid., S. 80. Ibid., S. 84. Ibid., S. 3 2 .
1
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nach wie vor am größten - wie z.B. der des schon erwähnten Chateaubriand. Bei den indigenistischen Themen wurde die Epoche der prähispanischen Zeit aus neuer Perspektive bearbeitet: Die Helden der Geschichte Mexikos waren die der indianischen Welt, sie wurden als Wurzeln der Nationalität angesehen, die in der Kolonialzeit unterdrückt waren und mit der Unabhängigkeit wiedergewonnen wurden. Die historischen Themen blieben entweder in der nahen Vergangenheit der Kolonialzeit, oder sie reichten zurück bis zur Zeit der alten mexikanischen Völker und zur Conquista. Die Ablehnung der Kolonialzeit kam in den Werken zum Tragen, ebenso wie die Erhebung der prähispanischen Zeit zur klassischen Periode der Geschichte Mexikos. Die Indios wurden im Gegensatz zu den Konquistadoren idealisiert. Als Helden, auch in der Literatur zur Conquista, wurden Cuauhtémoc und Xicoténcatl stilisiert, Cortés und Marina entwickelten sich zu Antihelden. Zu sehen ist dies an Werken wie José María Rodríguez y Cos' El Anáhuac (1853), dem anonym veröffentlichten Jicoténcal (1826) u.a. Allerdings muß immer bedacht werden, daß nicht alle Autoren diese Sicht vertraten. In vielen Werken kommt in der Hervorhebung bestimmter Helden die liberale Gesinnung zum Ausdruck, so bereits in Jicoténcal und in Eligio Anconas Los mártires del Anáhuac (1870), wo jeweils die Republik Tlaxcala aufgrund ihrer Regierungsform als Ideal hervorgehoben wird, mit einem jugendlichen Helden, Xicoténcatl, der sich insgesamt für die Versöhnung und Bildung einer Nation mit den Azteken einsetzt. [ . . . ] la exageración romántica se relaciona con la esperanza de reforma social. Heroínas llorosas y héroes que se desmayan no parecen tener mucho que ver con los ideales del liberalismo. Sin embargo, los escritores reformistas expresaron estos ideales en medio de algunos de sus momentos sentimentales más exagerados, porque la tendencia a agrandar la realidad visible a través de la imaginación fue el fundamento tanto del héroe idealizado como de la esperanza de reforma.
Eine Funktion der Argumentation, republikanische oder demokratische Prinzipien bei den Indios verwirklicht zu sehen, war es auch, durch den Hinweis auf eine funktionierende indianische Gesellschaft die Unrechtmäßigkeit der Conquista zu unterstreichen. Den tragischen Aspekt der Romane erläutert Brushwood folgendermaßen: [ . . . ] elevada frecuencia de la tragedia (circunstancia indeseada) en las novelas del periodo romántico, es expresión, en parte, de la angustia provocada por el miedo de que el ideal no se realice. 54
Mit der Entwicklung des lateinamerikanischen Romans im 19. Jahrhundert, als dessen Vorläufer El Periquillo Sarniento (1816) von José Joaquín Fernández de Lizardi gilt, entstand auch eine neue Gattung im Zusammenhang mit der Bearbeitung historischer Stoffe. Mit der „novela romántica", die u.a. durch eine Idealisierung der Indios charakterisiert wird, entstand die „novela histórica" in Lateinamerika. Der historische Roman, geschaffen von Walter Scott in Schottland in den 53 John S. Brushwood: México en su novela, México ' 1 9 8 7 , S. u o . 54 Ibid., S. 2.2.3.
1)6
ersten Jahren des 1 9 . Jahrhunderts, erfuhr einen großen Aufschwung in ganz Europa im weiteren Verlauf des Jahrhunderts. In Lateinamerika, w o der Roman insgesamt erst im Entstehen war, waren viele der wichtigen frühen Romane historische Romane oder Liebesromane in der Tradition von Scott, wichen an bestimmten Stellen allerdings auch davon ab. Der historische Roman hatte seinen Höhepunkt in der Romantik. Seine Attraktivität dauert bis heute an und erhielt in der Mitte des 20. Jahrhunderts neuen Aufschwung. Die historischen Romane können als Akt imaginativen Schaffens einer nationalen Vergangenheit gelten, der offensichtlich mit den Anliegen der nationalen Organisation verbunden ist. Die bevorzugten Momente, die herangezogen wurden, waren Eroberung und Unabhängigkeit. 5 5 Der historische Roman der romantischen Epoche hat insofern immer auch zu tun mit der Suche nach einer Identität, die ihre Quelle und ihren Ursprung in den alten Völkern hat. Während sich in Europa die Suche oftmals auf eine soziale oder Klassenidentität richtete, ging es in Lateinamerika zumeist um die Suche nach einer nationalen Identität, einer Legitimierung der Nationen und einer Abgrenzung gegenüber den anderen. Dazu wurden die alten Helden der Nation herangezogen, womit ein weiterer Unterschied zu den historischen Romanen in Europa begründet wurde, nämlich jener, daß die Personen keine sekundären waren, sondern Hauptfiguren der eigenen Geschichte. Die Helden waren, wie bereits erwähnt, Cuauhtémoc, Xicoténcatl, Cortés — v.a. als Antiheld, ebenso Marina —, die damit auch in die Identitätsdiskussion des Landes eingeschlossen wurden. Überwog in den Romanen eine realistische Haltung im Versuch der Rekonstruktion einer Epoche und historischen Situationen, so schloß dies dennoch die Imagination nicht aus, mit deren Hilfe die verlorenen Teile der Geschichte rekonstruiert wurden - was auch an der Ausgestaltung der Figur der Malinche zu sehen sein wird. Als Vorläufer des historischen Romans in Lateinamerika werden oftmals auch die Chroniken der Entdeckung und Eroberung genannt, die einerseits trotz Subjektivität historische Dokumente sind, andererseits auch romanhafte Situationen schildern. Das Interesse der Autoren für die Zeit der Eroberung wird bei Alvar folgendermaßen begründet: Los jóvenes narradores se sienten fascinados por la poderosa nostalgia del pasado lejano. La nueva mentalidad liberalizada, inquietada por las impresiones de la independencia conseguida, reacciona contra el dilatado periodo de dominio colonial y busca el más lejano punto de conflictividad en la época de la conquista.' 6
So wurde die Eroberung zur Inspiration für den historischen Roman, allerdings nicht ausschließlich, denn viele historische Romane befaßten sich mit der näheren 55 Bisher existieren nur wenige Arbeiten zum mexikanischen historischen Roman des 19. Jahrhunderts. Genaue Analysen vor dem Hintergrund neuer Theorien stehen noch aus. 56 Alvar (:Fn. 14), Bd. II, S. 100.
137 Vergangenheit, den Unabhängigkeitskriegen. Jean Franco sieht die historischen Romane auch insofern als nationales Projekt, da bei der Umwandlung von Geschichte in Fiktion eine neue Interpretation im Licht der Unabhängigkeit stattfinden konnte,57 oder wie es Russell formuliert: „La novela histórica es el vehículo idóneo para aproximar al lector promedio al conocimiento del pasado humano." 5» Diese neue Sichtweise wirkte sich auch auf Marina aus. Daran läßt sich wiederum erkennen, daß gerade historische Figuren und Ereignisse keine objektive Darstellung erfahren, da sie immer vor dem Hintergrund der herrschenden Ideologie beurteilt werden. Die Autoren historischer Romane haben immer auch ihre Gegenwart vor Augen — wie dies von Georg Lukács treffend formuliert wird: Wir wiederholen: die Beziehung des Schriftstellers zur Geschichte ist nichts Spezielles, nichts Isoliertes, sie ist ein wichtiger Bestandteil seiner Beziehung zur gesamten Wirklichkeit und speziell zu der der Gesellschaft. Wenn wir alle Probleme überschauen, die im R o m a n und im Drama sich aus der Beziehung des Dichters zur historischen Wirklichkeit ergeben, so sehen wir kein einziges wesentliches Problem, das der Geschichte allein eigen wäre. Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß die Beziehung zur Geschichte sich einfach und mechanisch mit der Beziehung zur gegenwärtigen Gesellschaft gleichsetzen ließe. Es besteht, ganz im Gegenteil, eine sehr komplizierte Wechselwirkung zwischen der Beziehung des Schriftstellers zur Gegenwart und der zur Geschichte. Aber eine nähere theoretische wie historische Untersuchung dieses Zusammenhanges zeigt, daß in dieser Wechselwirkung die Beziehung des Schriftstellers zu den Problemen der Gesellschaft seiner Gegenwart ausschlaggebend ist. Dies haben wir sowohl bei der Entstehung des historischen R o m a n s wie bei der eigenartigen ungleichmäßigen Entwicklung des historischen Dramas und seiner Theorie beobachten können. 5 9
Bei allen Romanen, die im folgenden näher besprochen werden, läßt sich dieser enge Bezug zur zeitgenössischen Gesellschaft und deren Problemen erkennen. Der erste historische Roman, der die Zeit der Conquista thematisierte, war auch der erste historische Roman in spanischer Sprache überhaupt: der anonym i8z6 in Philadelphia veröffendichte Roman Jicotétical. Weitere wichtige historische Romane im 19. Jahrhundert zu diesem Stoff, der in ganz Lateinamerika bearbeitet wurde, sind Guatimozttt (1846) von Gertrudis Gómez de Avellaneda (Kuba), Los mártires del Anáhuac (1870) von Eligio Ancona (Mexiko) und Amor y suplicio (1873) und Doña Marina (1883) von Ireneo Paz (Mexiko).60 57 58 59 60
Vgl. Jean Franco: Historia de la literatura hispanoamericana, Barcelona '198s, S. 57 und 97ff. Bertrand Russell: „Presentación", in: Nuestra América, Año VII, Nr. 19, México Enero—Abril 1987, S. 8. Georg Lukács: Der historische Roman, Berlin 1965, S. 204. Die Tliematik der geschichtlichen Ereignisse, wie sie in der Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts zu finden ist, wird auch im Drama übernommen. Erwähnt werden kann José Peón y Contreras (1843—1907), der verschiedene historische Dramen verfaßt hat, u.a. Un amor de Hernán Cortés (1883), wobei schon im Titel die romantische Prägung sichtbar wird. Er folgt genau den Chroniken und gibt in seinen Dokumenten Hinweise auf Seitenzahlen. Das Stück war für eine Besprechung nicht zugänglich.
13« 4-3-I-
Jicotétical
Jicoténcal ist 1826 in 2 Bänden anonym in Philadelphia erschienen.61 Die Frage der Autorschaft ist bis heute nicht geklärt.61 Einige Kritiker gehen davon aus, daß es sich um ein spanisches Werk handelt. Allerdings spricht sehr viel für eine mexikanische Autorschaft, wie z. B. der Grundtenor des Werks, das Angriffe auf die Spanier enthält und die Indios glorifiziert. Zudem war Philadelphia in jener Zeit einer der wichtigsten Orte für mexikanische Intellektuelle in den USA. Aufgrund der für Mexiko in jener Zeit fast typischen Behandlung des Stoffes im Vergleich mit später folgenden Romanen wird auch hier die Ansicht vertreten, daß es sich um ein mexikanisches Werk handelt. Bedeutung erlangt Jicoténcal v. a. durch die Tatsache, daß er der erste historische Roman in spanischer Sprache ist, was in diesem Rahmen von zusätzlichem Interesse ist, da es sich auch um den ersten historischen Roman zum Thema Conquista mit Einbeziehung Malinches handelt. Er ist sicher auch eines der frühesten Zeugnisse des entstehenden „indigenismo", bzw. einer der ersten indianistischen Romane. Der Begriff des „indigenismo" in der Literatur wird zumeist erst ab dem Roman Aves sin nido (1889) von Clorinda Matto de Turner angewendet. Leal weist darauf hin, daß 1828, bedingt durch das Erscheinen des Romans, der in Mexiko bekannt war und auch als Vorbild für spätere Romane diente, ein Literaturwettbewerb in Puebla ausgeschrieben wurde zur Person des Xicoténcatl, Heerführer der Tlaxcalteken, die sich den Spaniern im Kampf gegen die Azteken anschlössen. Daraus gingen drei weitere Werke hervor.6' Der Autor stellt in den Mittelpunkt die Allianz der Spanier mit den Tlaxcalteken. Im 19. Jahrhundert folgen ihm darin auch Eligio Ancona und Ireneo Paz. Wie schon erwähnt, hängt dies in erster Linie damit zusammen, daß die Regierungsform der Tlaxcalteken ähnlich der war, die heute als Republik bezeichnet würde, was für die aktuelle politische Situation Mexikos von Interesse war. Häufig finden sich in Jicoténcal Bezüge darauf, welch großer Anstrengungen es bedarf, damit ein Volk seine Freiheit erreichen und sich gegen die Tyrannei stellen 61 Jicoténcal, Philadelphia 1 8 1 6 (vorhanden in der Benson Latin American Collection der University Austin, Texas), vorliegend als Mikrofilm. Der Roman wurde später noch einmal veröffentlicht in der Anthologie La novela del México colonial, ed. Antonio Castro Leal, Bd. I, Madrid 1986, hier mit der veränderten Schreibweise Xicoténcal. Die Seitenangaben befinden sich in Klammern im Text. Sie beziehen sich auf die Ausgabe von Castro Leal. 6z Vgl. dazu Luis Leal: „Jicoténcal, Primera Novela Histórica en Castellano", in: Revista Iberoamericana, Bd. X X V , Nr. 49, enero-junio i960, S. 9, ebenso John Lloyd Read: The Mexican Historical Novel 18261 9 1 o, New York 1959, S. 16, Ralph E. Warner: Historia de la novela mexicana en el siglo XIX, México 1 9 5 3 , S. 1 0 und das Vorwort zur Ausgabe von 1964, S. 75 f. Salvador Bernabeu Albert (:Fn. 1 1 ) , S. 4 1 7 berichtet von einer Ausgabe: Xicotencal, principe americano von Salvador Garcia Bahamonde, erschienen 1 8 3 1 in Valencia, von der nicht sicher ist, ob es sich um eine Adaptation des in Philadelphia anonym erschienenen Romans handelt. Auch der Autor Garcia Bahamonde ist unbekannt. Die Personenkonstellation scheint nach der kurzen Charakterisierung durch Bernabeu Albert die gleiche zu sein, ebenso der Inhalt. 63 Leal (:Fn. 62), S. 1 1 und Sandra M. Cypess: La Malinche in Mexican Literature, Austin 1 9 9 1 , S. 44 bzw. Fn. 1 1 : José Maria Moreno y Buenvedino: Xicohtencatl, Puebla 1 8 1 8 , Ignacio Torres Arroyo: Tentila, Puebla 1 8 1 8 , José María Mangino: Xicoténcatl, Puebla 1 8 1 9 . Bei allen dreien handelt es sich um Theaterstücke.
139 kann, was vor allem die Haltung des Autors zu den Unabhängigkeitskämpfen seiner Zeit verdeutlicht. Z u Beginn des „Libro Quarto" richtet er direkt einen Aufruf zur Einigkeit der Völker an den Leser: ¡Pueblos! Si amáis vuestra libertad, reunid vuestros intereses y vuestras fuerzas y aprended de una vez que, si no hay poder que no se estrelle cuando choca contra la inmensa fuerza de vuestra unión, tampoco hay enemigo tan débil que no os venza y esclavice cuando os falta aquella. ( 1 2 6 )
Diese Aussage kann sowohl auf das Schicksal Tlaxcalas und des alten Aztekenreiches angewendet werden, wie auch auf die damalige Situation in Mexiko. Der Autor beginnt verschiedene Kapitel des Romans mit kurzen politischen oder philosophischen Diskursen, in denen er den Lesern seine Haltung und sein Urteil verdeutlicht - ein Mittel, das sich im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. Das werden auch weitere Textbeispiele belegen. Ebenso läßt er die Personen des Romans seine Gedanken ausführen. Der „Libro Tercero" beginnt z.B. mit einem Gespräch zwischen Jicoténcal und dem Spanier Diego de Ordaz über die jeweiligen Regierungsformen ihrer Länder: auf der einen Seite die Republik, die von Xicoténcatl verteidigt wird, auf der anderen Seite die spanische Monarchie. Xicoténcatl kritisiert zudem die Herrschaft Moctezumas, der ebenfalls die Monarchie vertritt, und es ist eindeutig, daß die Sympathie des Autors bei Xicoténcatl liegt. Im letzten Kapitel des Romans greift der Autor die Historiker und andere an, die Cortés für seine Taten gelobt haben: £1 ojo perspicaz del filòsofo sabe distinguir, entre el fango y basura que ensucian el papel de las historias, algunas chispas de verdad que no han podido apagar ni el fanatismo ni la servil adulación [...] ( 1 6 1 )
In seinen Ausführungen richtet sich der Autor ganz offensichtlich nach Antonio de Solls, was aufgrund der konträren Einstellung gegenüber Spaniern und Azteken etwas erstaunt, jedoch diente v. a. der Stil von Solis als Vorbild. Des öfteren gibt der Autor wörtliche Zitate aus Solls wieder - kursiv im Text abgehoben —, häufig sogar wörtliche Reden, d.h. Dispute zwischen den Helden. An anderen Stellen bezieht er sich auch explizit auf Las Casas. Der Roman behandelt nur einen Teil der Conquista — nicht ohne in Rückblenden auf vorausgegangene Ereignisse zu verweisen—, und zwar die Ankunft der Spanier bei den Tlaxcalteken, deren Widerstand bis zu ihrer Allianz mit den Spaniern, den gemeinsamen Aufbruch nach Tenochtitlán, die Rückkehr nach der Noche Triste, den erneuten Aufbruch und die Belagerung der Stadt. Schauplatz ist zumeist Tlaxcala. Vieles, was in Tenochtitlán geschieht, wird durch Botschafter mitgeteilt. Daran läßt sich erkennen, daß sich der Anspruch im Vergleich zu vorangegangenen Jahrhunderten auch insofern geändert hat, daß nicht die gesamte Eroberungsgeschichte wiedergegeben werden muß. Die Conquista wird in all ihren Aspekten verdammt. Die Spanier handeln brutal, ohne jegliches Gefühl für Moral und Gerechtigkeit. Sie sind nur an Macht
140 und Gold interessiert. Die Indios dagegen erscheinen als edel, höchst moralisch, als Vertreter zivilisatorischer Normen. Auf beiden Seiten gibt es jeweils eine Figur, die aus der allgemeinen Charakterisierung herausfällt: Magiscatzin unter den Tlaxcalteken, der als Komplize von Cortés zum Verräter seines Volkes wird, und unter den Spaniern Diego de Ordaz, der als sehr menschlich, großzügig, würdig gezeichnet wird. Im Mittelpunkt steht die Figur des Helden Xicoténcatl, Anführer der tlaxcaltekischen Truppen, der als einziger die von den Spaniern ausgehende Gefahr nicht nur für seine Heimat, sondern für ganz Mexiko erkennt, und der seinen Heroismus mit dem Leben bezahlt. Er erscheint als Vordenker eines mexikanischen Nationalgefühls, als er eine Allianz mit den Todfeinden der Tlaxcalteken, den Azteken anstrebt, um gemeinsam für Freiheit und Unabhängigkeit zu kämpfen, was allerdings durch eine hier so bezeichnete „Senatsentscheidung" der Tlaxcalteken vereitelt wird. (Man erkennt an den Begriffen „Senat" und „Republik", daß es für den Autor nicht von Bedeutung war, die damaligen Regierungsformen wirklich zu verstehen, sondern er übertrug bekannte Muster auf die Zeit.) Die Ideen, die Xicoténcatl vertritt, ähneln denen des modernen Liberalismus. Cortés erkennt von Anfang an die rebellische Haltung des Xicoténcatl, lebt ständig in Angst vor Verrat und lockt ihn deshalb vor der Belagerung Tenochtitláns in eine Falle, die es rechtfertigt, ihn hinrichten zu lassen. Der Vater Xicoténcatls, Xicoténcatl el Viejo, zeichnet sich durch seine gänzlich integre Persönlichkeit aus. Er glaubt an Gerechtigkeit, unterwirft sich aber in gewohnter Manier, ohne die Neuartigkeit der Situation zu erkennen, den Senatsbeschlüssen. Magiscatzin ist ein Feind beider Xicoténcatls aus persönlichen Gründen, der vor allem aus Rache Hernán Cortés unterstützt, um so den Einfluß des jungen Xicoténcatl zu hintertreiben. Er ist derjenige, der das Volk spaltet und in den Untergang treibt. Die Erkenntnis seiner Schuld kommt zu spät. Erst im Angesicht des Todes quält ihn der Verrat, den er an seinem Volk begangen hat. Schon kurz erwähnt wurde Diego de Ordaz als positive Ausnahme in den Reihen der Spanier, der vor allem im Zusammenhang mit den beiden wichtigsten Frauengestalten des Romans, Marina und Teutila, eine Rolle spielt. Die Frauen stehen im Mittelpunkt der Liebesintrigen, die die Handlung zu einem großen Teil bestimmen. Ein beliebtes Motiv, das hier wie auch in den späteren Romanen angewendet wird, ist die schwierige bis unmögliche Liebe von Personen verfeindeter Stämme. Hier sind es Xicoténcatl, der Tlaxcalteke, und Teutila, die aus einer mit den Azteken verbündeten Region stammt. Dieses Motiv wiederholt sich mit Cuauhtémoc und Otila bei Ancona. Teutila erscheint als Beispiel an Kraft, Mut, Aufrichtigkeit und Großzügigkeit, die das Liebeswerben von Diego de Ordaz ablehnt und ihn lediglich als Freund akzeptiert. Sie hält Xicoténcatl die Treue. Sie wehrt sich zudem strikt gegen Cortés' Annäherungsversuche und äußert ihm gegenüber ihre negative Meinung von den Spaniern deutlich. „¡Monstruo!... Más inhumano que un tigre y más vil y traidor que una serpiente [...] (97). Das Bild der Schlange im Zusammenhang mit Verrat und Betrug taucht in verschiedenen Romanen des 19. Jahrhunderts auf, auch Marina wird hier wie in Anconas Los mártires del Anáhuac von Xicoténcatl
I4i mit diesem Bild belegt. Das negative Bild der Schlange stammt aus dem Bereich der christlichen Symbolik. Hier werden ähnliche Worte jedoch den Indios in den Mund gelegt, obwohl in deren Traditionen die Schlange ein positives Bild ist, wie man z.B. an der Gefiederten Schlange Quetzalcóatl erkennen kann. Der Autor greift damit auf eine Symbolik zurück, die nicht die der Indios ist. Nach der Ermordung ihres Mannes Xicoténcatl - den sie nach vielen Schwierigkeiten doch heiraten konnte - plant Teutila, Cortés zu töten und danach selbst zu sterben. Doch wird dieser Plan vereitelt, da Cortés zu spät zu dem vereinbarten Treffen erscheint, und das Gift, das sie selbst genommen hat, bereits seine Wirkung zeigt, als sie Cortés gegenübertritt. Sie stirbt, bevor sie Cortés töten kann. Cortés wird im Roman zumeist mit den Worten „monstruo", „bárbaro", „asesino" belegt. Seine Erfolge sind nur auf Intrigen, Glück, seine Grausamkeit und die Unterstützung durch das Schicksal zurückzuführen. Auch Versuche Marinas, die sich am Ende von seinen Taten distanziert, und die des Padre Olmedo, Cortés auf den Weg der Tugend zurückzuführen, scheitern. Der religiöse Vertreter während der Conquista und auch hier im Roman ist Fray Bartolomé de Olmedo. Im Zusammenhang mit seinen Missionierungsversuchen, in Gesprächen mit Teutila und Xicoténcatl dem Älteren zeigt der Autor, daß die Glaubensgrundsätze und Verhaltensregeln des Christentums von den Indios natürlicherweise gelebt werden, ohne diese als Gesetze festgeschrieben zu haben. Und vor allem leben sie danach, wohingegen die Spanier, die im Namen Gottes zu handeln vorgeben, diese nicht berücksichtigen. Der einzige, der sich - außer Marina — taufen läßt, ist dann auch der verräterische Magiscatzin. Marina, die in ähnlicher Rolle handelt, legt am Ende des Romans, als sie die Fehler der Spanier erkennt, die christliche Religion wieder ab ( 1 3 4 f.). Abjuro para siempre de una religión que me habéis enseñado con la mentira, con la intriga, con la codicia, con la destemplanza y, sobre todo, con la indiferencia a los crímenes más atroces. La doctrina se predica con el ejemplo, y, cuando éste se ha ganado el respeto, el entendimiento se sujeta a la convicción. Di a Hernán Cortés que su esclava amasará su pan, que lavará sus ropas, pero que no volverá a ser la cooperadora de sus planes ambiciosos ni su cómplice en sus desórdenes. (153) Kritik an der christlichen Religion wird zudem durch Ordaz geäußert, der nicht glauben mag, daß im Namen der Religion solche Grausamkeiten verübt werden können. Er stellt in Frage, daß Religion mit Eisen und Feuer, Intrigen, Lüge und Raub verbreitet werden kann (85). Er, der zu Beginn Cortés unbedingten Gehorsam leistete, wird immer mehr zu seinem Kritiker und verläßt am Ende das Land, um nicht weiterhin an den schrecklichen Taten der Spanier beteiligt zu sein. „ [ . . . ] tomaron por pretexto de sus aventuras la propagación de una creencia que casi no conocían y que insultaban con su conducta" (95): dies ist die Ansicht des Autors, die er zu Beginn des „Libro Segundo" äußert. Olmedo setzt sich im Gegensatz dazu bis zur letzten Szene des Romans immer für Cortés ein, dieser ist für ihn von Gott zu diesen Taten auserwählt. Erst am Ende versucht er gemeinsam mit Marina, ihn davon zu überzeugen, daß Gewalt nicht das richtige Mittel ist.
142 Der Autor sieht damit die Conquista nicht einmal durch die Einführung des neuen Glaubens gerechtfertigt. Marina, die an der Seite des Cortés gegen ihr eigenes Volk kämpft, wird im größten Teil des Romans als leidenschaftlich, sinnlich, aber vor allem falsch und intrigant dargestellt. Sie besitzt jedoch auch einige edle Züge, die gegen Ende des Romans in den Vordergrund treten. Der Roman beginnt mit dem Hinweis auf den „libro fatal del destino" (79), in dem der Untergang des Imperiums von Moctezuma bereits festgeschrieben steht. Auch das Schicksal der Tlaxcalteken wird vom Autor auf den ersten Seiten schon vorweggenommen, wenn er auf die Uneinigkeit hinweist, heraufbeschworen durch Magiscatzin, die dort zur Zeit der Ankunft der Spanier herrschte: „los tlaxcaltecas fueron al fin víctimas de su discordia" (80). Teutila, in Cortés' Gefangenschaft geraten, erfährt etwas Trost durch die Gesellschaft Marinas, die in diesem Zusammenhang zum ersten Mal genauer vorgestellt wird: Esta doña Marina era una americana, natural de Guazacoalco, que, después de varios accidentes de fortuna, vino a ser esclava del cacique de Tabasco. [ . . . ] Los buenos talentos y las gracias de esta esclava llamaron la atención de su amo, el que, después de haberla hecho bautizar con el nombre de Marina, puso en ella su amor y su confianza, de manera que en pocos días pasó de su esclava a su concubina y confidenta. Este último oficio lo desempeñó con grandes ventajas para Hernán Cortés, pues, no sospechando en ella los naturales las artes y el dolo de los europeos, supo emplear con más efecto la corrupción y la intriga, en que hizo grandes progresos. (99)
Der Autor geht nicht näher auf die „accidentes de fortuna" ein, so daß nicht die Möglichkeit besteht, Marina aufgrund ihrer tragischen Vorgeschichte zu entschuldigen, oder Mitleid mit ihr zu empfinden. Auch verweist er sofort auf ihre Liebesbeziehung zu Cortés und ihre Unterstützung der Spanier mit Hilfe von Intrigen und Korruption, ohne auf ihre Dolmetscherfunktion, die durchaus eine neutrale hätte sein können, einzugehen. Diese Funktion wird ihr im ganzen Roman abgesprochen, es gibt kein Verständigungsproblem zwischen Spaniern und Indios im Roman. Auch in den weiteren Romanen wird diese Problematik nicht thematisiert. Die genannten Charaktereigenschaften Marinas, wie Falschheit und Intrigantentum, zeigen sich im Verlauf des Romans fast ausschließlich in Marinas Verhalten gegenüber den Männern, ihrem Willen, diese zu verführen, und weniger auf politischem Gebiet. Sie wird damit über ihre sexuellen Aktivitäten definiert. Marina, so erfährt man weiter, ist von Cortés beauftragt, mit Teutila Freundschaft zu schließen, um diese aushorchen zu können: „Teutila cayó en las redes de su astuta y falsa amiga" (99). Marina ist nicht nur der Liebe zu Cortés verfallen, sondern möchte auch Ordaz, der sich eigentlich um Teutila bemüht, für sich gewinnen, was sie mit allen Verführungskünsten versucht. Sie stellt sich ihm gegenüber als Sklavin des Cortés dar, die sich nicht freiwillig für Cortés entschieden hat. Als Ordaz sie abweist, versucht sie auch, Teutila zu beeinflussen, indem sie diese darauf hinweist, daß die
143 Spanier die Indias nur verführen wollen, um sie dann wieder zu verlassen. Bei passender Gelegenheit gelingt es Marina dennoch, Ordaz mit sich in einem kleinen Zimmer einzuschließen. Was dann geschieht, führt der Autor nicht weiter aus. Doch als sich einige Zeit später, als bekannt wird, daß Marina schwanger ist, Ordaz darüber beunruhigt zeigt, daß er der Vater sein könnte, weiß der Leser, daß es Marina tatsächlich gelungen ist, Ordaz zu verführen. Dieser bereut dies jedoch sogleich und beschimpft Marina als „¡Intriganta y seductora mujer! [...] Al fin has abusado de la honradez de Diego de Ordaz [ . . . ] " (106). Bei der Niederkunft wird klar, daß Cortés der Vater des Kindes ist. Marina erfährt damit zum ersten Mal eine Charakterisierung als „puta". Cortés und Marina, die sich ja auch gegenseitig betrügen, erscheinen sehr negativ. Marina beläßt es nicht bei der Verführung des Ordaz, sondern versucht es ebenso bei Xicoténcatl, den sie glauben macht, daß Cortés sie zu all ihren Taten zwinge. Dieser ist zu Beginn durchaus skeptisch, auf welcher Seite sie steht, und fragt sie direkt danach: ¿Eres — le dijo él - todavía americana? ¿Arde aún en tu pecho la llama del amor patrio? ¿O bien te han corrompido y contaminado las artes mágicas de esos hombres que trastornan todas las ideas de lo justo y de lo injusto, de lo bueno y de lo malo? Respóndeme con franqueza. (114) Ihre Antwort erregt sein Mitleid, sie gibt sich als die arme Sklavin, die keine Freunde und keine Familie hat. Xicoténcatl glaubt sogar, sich in sie verliebt zu haben und er berichtet darüber seinem Vater. Dieser sieht in diesem Fall jedoch klarer und warnt seinen Sohn vor ihr mit den Worten: „Esa Marina está muy querida entre los extranjeros, lo que en verdad no es la mejor recomendación [ . . . ] " ( 1 1 6 ) . Ais Xicoténcatl dann erfährt, daß sie schwanger und die Geliebte von Cortés ist, das Kind die Frucht ihrer Liebe, ist er über ihre Falschheit entsetzt. Er bezeichnet sie als Giftschlange: „Es posible tanta perfidia, y tanta doblez, y tanta falsedad, y tanto arte, y tanta infamia? [...] una serpiente venenosa" ( 1 1 7 ) . Nach all diesen Geschichten verdammt der Autor Marina jedoch nicht gänzlich, sondern gibt ihr die Chance, auf den Pfad der Tugend zurückzukehren, die sie dann auch ergreift. Dies geschieht bei der Geburt ihres Kindes, als sie Reuegefühle wegen ihres schlechten Verhaltens empfindet. Sie beichtet Olmedo: [...] le confiesa toda su pasada conducta, sin ocultarle ni la galante escena con Ordaz, ni su guardianía de Teutila, ni la persecución de ésta por Hernán Cortés, ni las intrigas y embustes políticos; [...] (138) Die Mutterliebe hat sie geläutert: Violenta en sus pasiones, y viva y traviesa en sus talentos, esta americana hubiera podido ser una mujer apreciable sin la corrupción a que se la adiestró desde que se reunió a los españoles. (139) Der Autor verwendet den Begriff „americanos", unter dem sich alle vereinen lassen — und nun auch wieder Marina. In der Zukunft verbringt sie viel Zeit mit
144 Teutila, lernt aus deren Verhalten und schwört dann der Liebesbeziehung zu Cortés und auch der christlichen Religion ab: „[...] mi corazón ha vuelto irrevocablemente a la virtud" (155). Sie verweigert Cortés ihre weitere Hilfe, doch der Versuch, auch ihn zur Umkehr zu bewegen, scheitert. Marina übernimmt dennoch nicht die Hauptschuld für den Untergang der Mexikaner, sondern diese liegt bei Menschen wie Magiscatzin, der persönliche Gefühle vor die Interessen des Volkes stellt, und auch explizit als „traidor tlaxcalteca" bezeichnet wird (104). Aber es ist klar, daß sie als Kollaborateurin einen Teil der Verantwortung trägt. Sie ist auch ein Beispiel dafür, daß die Komplizenschaft einiger Indios mit den Spaniern den wahren Grund für den Erfolg der Conquista ausmacht. Die sexuelle Eroberung, die stattfindet, steht dabei auch für die militärische Eroberung. Cortés denkt im Angesicht seines Kindes nur daran, Teutila zu verführen, d.h. die Frau kann als Symbol für das Land allgemein gesehen werden, nach und nach werden Teile erobert. Dies entspräche auch der Ansicht, die Octavio Paz in seiner Essaysammlung El laberinto de la soledad vertreten wird, der allerdings mehr von der Eroberung des Landes durch die Vergewaltigung der Frauen spricht. Offensichtlich ist, daß der Autor damit arbeitet, einen Sündenbock für Mexikos Untergang zu suchen. Marina vereinigt in ihrer Person einige Charakteristika, die sie dafür geeignet erscheinen lassen. Sie wird Teutila gegenübergestellt — ein Mittel, das auch andere Autoren anwenden und das wiederum an die Dualität Eva und Maria oder auch Malinche und Virgen de Guadalupe erinnert. Teutila hat ihren indianischen Namen, verweigert sich der Taufe, bleibt ihrem Volk treu, obwohl auch sie ein ähnliches Schicksal wie Marina erlitten hat, indem sie von den Gegnern der Azteken als Sklavin gefangengehalten wurde. Sie ist die Patriotin. Im Gegensatz dazu steht Marina für alles Schlechte, das einen „Amerikaner" befällt, wenn er sich auf die europäische Art einläßt. Sie wird auch als „puta" gesehen — extrem noch einmal im 20. Jahrhundert bei Margaret Shedd vertreten. Das Ende des Romans klingt eher pessimistisch und entspricht damit auch dem Geschichtsverlauf, denn die Despoten bleiben am Leben, Xicoténcatl stirbt ohne Erben, Ordaz verläßt das Land. Es bleibt Cortés, der zudem mit Marina auch seine Nachkommen gezeugt hat, die jedoch die Möglichkeit zur Befreiung haben, wenn sie wie Marina am Ende oder die anderen positiv belegten Figuren die Handlungsweisen der Spanier ablehnen. Ein Hoffnungsschimmer findet sich hier schon in den Mestizen. Das Porträt der Malinche in Jicoténcai trägt bei zum Kult der Malinche als böse Versucherin, Eva bzw. Schlange, als Verräterin der „patria", die es in diesem Sinne nicht gab. Positiv erscheint sie nur im Hinblick auf ihre Rolle als Mutter eines Mestizen. Ricardo Herren bezeichnet den Roman als „un hito material en la fabricación del mito de la Malinche",é* der den Kult um Malinche als Versucherin, Verräterin, Malinchista und Chingada unterstütze. 64 Ricardo Herren: Doña Marina, la Malinche, Barcelona 1991, S. 161.
MS
Eine andere Einschätzung Xicoténcatls gibt José María Rodríguez y Cos in seinem Versepos El Anáhuac (I853). 6 s Hier wird hauptsächlich die Sicht der Azteken zur Darstellung gebracht. Xicoténcatl erscheint als der Verräter, da er sich den Spaniern anschließt. Marina spielt nur eine sehr untergeordnete Rolle, sie wird erst bei der Gefangennahme Moctezumas erwähnt: Le habló Doña Marina: (azteca noble Intérprete traída de Tabasco, Mas hermosa que el sol; pero ligada Ya con Cortés por ilegales tratos.) (109)
Die Betonung liegt hier auf der, wie er es nennt, illegalen Beziehung zu Cortés und ihrer Dolmetscherfunktion — ohne daß dies weiter ausgeführt würde. 4.3.2. Gertrudis Gómez de Avellaneda:
Guatimoztn
Wenn es auch nicht das Anliegen dieser Arbeit sein kann, alle lateinamerikanischen Texte heranzuziehen, die in der einen oder anderen Weise Malinches Rolle in der Eroberung thematisieren, so soll mit dem Blick auf den historischen Roman Guatimoztn (1846) von Gertrudis Gómez de Avellaneda ( 1 8 1 4 - 1 8 7 3 ) " dennoch ein kleiner Exkurs nach Kuba unternommen werden. Der Roman bietet die einzige weibliche Sichtweise des Eroberungsgeschehens in Romanform im 19. Jahrhundert. In anderen Ländern Lateinamerikas wirkten Autoren wie José Fernández Madrid (Kolumbien), mit seinem Werk Guatimoc von 1825 und José María Heredia (Kuba) mit den Dramen Moctezuma o los mexicanos (1819) und Xicoténcatl o los Tlascaltecas (1823), die beide nur in Bruchstücken erhalten sind.67 Insgesamt scheint Avellanedas langer Aufenthalt in Spanien nicht zu einer anderen Einschätzung der Spanier der Zeit der Conquista geführt zu haben, denn ihr Roman weist eine zur damaligen Zeit typische Verklärung der prähispanischen Zeit eher noch verstärkt auf. Als ein Verdienst von ihr wird bisweilen von der Kritik genannt, daß sie die indianische Dimension der Geschichte des Kontinents als geeigneten Stoff für Romane salonfähig gemacht habe. Daß dieses Verdienst nicht ganz ihr zuzusprechen ist, zeigen Beispiele wie Jicoténcal und auch europäische Texte. In ihre gesammelten Werke hat sie nur den Epilog des Romans, nicht aber den gesamten Roman aufgenommen - was auf eine spätere Unzufriedenheit mit diesem Roman schließen läßt.68 Hugh Harter6» betont in seiner Monographie zu Avellaneda ihre Vorliebe für Chateaubriand: 65 José María Rodríguez y Cos: El Anáhuac, ensayo épico en trece cantos en romance heróico, México 1853. 66 Gertrudis Gómez de Avellaneda: Guatimoztn, La Habana 1979, mit einem Prolog von Mary Cruz, erstmals veröffentlicht 1846. 67 Vgl. Alvar (:Fn. 14), Bd. II, S. 361 ff. 68 Siehe den Prolog von Mary Cruz zur Ausgabe von 1979, S. 17. 69 Hugh Harter: Gertrudis Gómez de Avellaneda, Boston 1981.
146 She devoured the vivid and emotionally dramatic tales of Chateaubriand with their descriptions of the vast panoramas of the New World in Atala, the neurasthenic and quasi-incestuous loves of René, and Victor Hugo's medieval Our Lady of Paris.70
Das Hauptinteresse im Roman und die Sympathie liegen bei den Indios. Es gibt zwei antagonistische Hauptfiguren: Cuauhtémoc (in seiner spanischen Schreibweise Guatimozin) und Cortés. Cuauhtémoc zeichnet sich durch Eigenschaften wie Liebe zu Freiheit und Vaterland und Respektierung der Menschenwürde aus, Cortés ist voll Ehrgeiz und Habsucht und ohne jegliche moralische Skrupel. Er erscheint als kalt, kalkulierend und pragmatisch, allerdings nicht als die Bestie, als die wir ihn in jicoténcal kennengelernt haben. John Lloyd Read stellt für seinen Teil fest, daß es keinem Autor besser gelang, „making more noble and poetic the soul of his Amerind ancestors than did Gertrudis Gómez de Avellaneda in her Guatimozin." 7 1 Die Niederlage der Azteken begründet Avellaneda mit dem Schicksal, gegen das kein Sterblicher ankämpfen könne. Wichtig sind auch in ihrem Roman die Liebesintrigen oder idyllischen Darstellungen von Liebespaaren. Ihr Anliegen, dem Roman besondere Authentizität zu verleihen, wird deutlich in den vielen Fußnoten, die sie im Roman anbringt, in denen sie zum Teil Bezug auf ihre Quellen nimmt — die wichtigsten darunter sind Cortés' Cartas de Relación, die Werke von Bernal Díaz, Clavijero, Solís und Boturini. Trotzdem fügt sie den historisch verbürgten Ereignissen fiktive hinzu, wie zum Beispiel die Beschreibungen des Familienlebens von Cuauhtémoc mit Frau und Kind (Cuauhtémoc war zu der Zeit nicht verheiratet), die Liebe zwischen der aztekischen Prinzessin Tecuixpoca und dem Spanier Velázquez de León u.a. Neben den Fußnoten schiebt Avellaneda immer wieder Kommentare ein, um ihre eigenen Ansichten deutlich zu machen. Marina weist sie nur eine Nebenrolle zu, die dennoch ein wenig über die Beurteilung erkennen läßt. Sie trägt ihren christlichen Namen Marina, findet im Roman nur dreimal Erwähnung und ausführlicher im Epilog. Zum ersten Mal genannt wird sie in Kapitel 7 bei Moctezumas Gefangennahme, als sie ihn zu überreden versucht, sich den Spaniern zu beugen. Sie bewegt sich damit ganz im Rahmen der Darstellung, wie wir sie bei Bernal Díaz finden. Ihre Geschichte wird entweder als bekannt vorausgesetzt oder ist der Autorin nicht wichtig. Man erfährt von ihrer Funktion nur, daß sie „seguía al caudillo con el carácter de intérprete en público y con otro más íntimo en secreto" (107 f.). An anderer Stelle heißt es: „mujer de gran talento y hermosura que gozaba el afecto de Cortés y era apreciada entre sus capitanes" (152). Des weiteren ist sie es, die Tecuixpoca, die sich in Velázquez de León verliebt hat, Spanisch beibringt, bis sie als Mittlerin zwischen den beiden nicht mehr nötig ist (12.0/121). Die Verbindung der beiden Rassen in diesem Paar wird jedoch durch den Tod von Velázquez de León vereitelt. Marina wird also noch eine weitere India an die Seite gestellt, die eine Verbindung mit den Spaniern eingehen will. 70 Ibid., S. 1 2 . 7 1 John Lloyd Read (:Fn. 61), S. 79.
147 Im Epilog (432-442) berichtet Avellaneda über die Hinrichtung Cuauhtémocs unter den Augen und Kommentaren von Doña Marina und einer Andalusierin, die als Zuschauer zugegen sind. Marina ist europäisch gekleidet. Sie äußert Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gegen Cuauhtémoc, da sie von der Anklage der Verschwörung nicht überzeugt ist. Sie nimmt eher an, daß Cortés politische Gründe für die Hinrichtung hatte, womit sie nicht unrecht haben mag, was wohl auch Avellaneda ausdrücken wollte. Dennoch zweifelt Marina nicht an der Entscheidung des Cortés. Im Epilog rückt Gualcazintla, die Frau Cuauhtémocs, als die ideale Gestalt einer India in den Mittelpunkt. Seit der Belagerung der Stadt und dem Tod ihres Kindes auf der beschwerlichen Expedition nach Honduras gilt sie als geistig verwirrt. Angesichts des Todes ihres Mannes plant sie jedoch, wieder im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, diesen zu rächen. Sie nimmt das Angebot Marinas, bei ihr Trost zu suchen, an, aber nur, um nachts zu versuchen, Cortés zu töten. Dabei wird sie von Marina überrascht und von dieser getötet. Gualcazintla ist somit die Rächerin und Patriotin, aber ohne historisches Vorbild. Die Autorin zog es vor, diese Rolle, die sonst meist in den Händen von Xicoténcatl oder Cuauhtémoc selbst lag, in die Hände einer Frau zu legen. Sie konstruiert die dafür nötige Person. Von Marina erfährt man im Epilog, daß sie bereits mit Jaramillo verheiratet ist und dennoch die Nacht bei Cortés verbracht hat. Ihre leidenschaftliche Liebe zu Cortés und ihre Ergebenheit werden erst auf diesen letzten Seiten deutlich. So scheut sie nicht davor zurück, eine Frau zu töten, um Cortés zu schützen: - Es que os amo, os adoro cual nunca sabrán amar mujeres que no hayan nacido bajo el sol ecuatorial que alumbró mi cuna - dijo apasionadamente la indiana-. Eres, ¡oh dueño mío, más hermoso que el cielo!, ¡es que tú eres mi Dios, y el foco de grandeza, sabiduría y heroísmo de donde yo tomo todos mis pensamientos y adonde dirijo todos mis afectos! N o digas más que esto: ¡di que te amo con todas las fuerzas de mi alma! Con esto me retratas; yo no soy más que eso: una mujer loca de amor por ti. (442)
Dieser letzte Satz könnte stellvertretend für Avellanedas Einschätzung von Marina stehen. Sicher ist, daß sie ihr im Eroberungsgeschehen keine große Macht einräumt. Sie wird eindeutig der Seite der Spanier zugeordnet, erscheint ebensowenig wie Tecuixpoca unsympathisch, sondern lediglich als leidenschaftlich liebend. Weitere Erwähnungen gelten ihrer Dolmetschertätigkeit. Sie sieht Marina prinzipiell als Sklavin, Geliebte und Dolmetscherin ohne weitere Auswirkungen. Selbst ihr Ehebruch und die Ermordung der Frau Cuauhtémocs lassen sie nicht gänzlich negativ erscheinen, da ihre Gründe offensichtlich sind. 71 Erstaunlich scheint, daß Avellaneda, wie in obigem Zitat gesehen, das Image bzw. Klischee verwendet, daß lateinamerikanische Frauen die europäischen in ihrer Liebesfähigkeit übertreffen wie es später noch einmal bei Ireneo Paz angesprochen wird. 7 1 Der Prolog von M a r y Cruz verdient noch etwas Aufmerksamkeit. Nicht vergessen werden darf dabei, daß es sich hier um ein Urteil aus dem 20. Jahrhundert handelt. Sie fällt ein härteres Urteil über Malinche, als es Avellaneda im Roman formuliert hat. Sie sieht Marina als „espía contra los de su raza", verweist auf den „malinchismo" und wendet sich in einer Fußnote gegen das zu positive Malinche-Bild einer weiteren Avellaneda-Kritikerin (:Fn. 66, S. i 8 f . und Fußnote 3 1 zu S. 28).
148 Im Roman wird von Gómez de Avellaneda fast als selbstverständlich hingenommen, daß sich Beziehungen zwischen Spaniern und Indias entwickeln, wodurch letztere nicht gleich zu Verräterinnen werden. Marina spricht sie weniger Bedeutung im Gesamtgeschehen zu, als dies ihre männlichen Kollegen tun. 4.3.3. Eligió Ancona: Los mártires del Anáhuac Cuauhtémoc steht neben Xicoténcatl auch im Mittelpunkt des Romans Los mártires del Anáhuac (187o) 73 von Eligió Ancona (1836—1893). Ancona studierte Recht und hatte diverse öffentliche Ämter inne. Während der französischen Invasion kämpfte er auf Seiten der Liberalen, verbrachte auch einige Zeit im Gefängnis und im Exil. 74 Sein literarisches Werk besteht aus Geschichtswerken, Zeitungsartikeln und verschiedenen historischen Romanen. Er zeigt vor allem stetiges historisches Interesse an seiner Heimat Yucatán und verfaßt u.a. eine Historia de Yucatán desde los tiempos más remotos hasta nuestros días (1878—81). Seine Absicht, Nationalliteratur zu schaffen, indem er die Themenvielfalt der Geschichte Amerikas heranzieht, wird in seinen Romanen deutlich, in denen er sich einmal mit der Eroberung auseinandersetzt, in El filibustero (1864) mit einer Familiengeschichte im Yucatán des 18. Jahrhunderts und in La cruz y la espada (1864), ganz im Geiste Chateaubriands, mit der tragischen Liebe einer indianischen Prinzessin zu einem Spanier. 7 ' Los mártires del Anáhuac wird wie Jicoténcal auch zu den indigenistischen Romanen gezählt. Schon im Titel ist dies in der Verwendung des Begriffs „Anáhuac" zu erkennen und im Wort „mártires", das auf die Indios anspielt, die heroisch ihr Leben für ihr Land ließen. Ancona thematisiert, ähnlich wie der Autor von Jicoténcal, die von den Konquistadoren verübten Grausamkeiten, aber auch den Verrat unter den Indios selbst, der ihren Niedergang herbeiführte, indem Cortés dies zu seinem Vorteil ausnützte. Ancona greift aus dem Geschehen verschiedene Ereignisse heraus, und sein Roman zeugt von großer Vertrautheit mit dem Thema. Als Quellen dienten ihm verschiedene Geschichtswerke, u. a. auch die Aufzeichnungen Sahagüns, was zeigt, daß die Sichtweise der Indios in diesem Roman wichtig ist. Er legt weniger Wert auf die Ästhetik der Schreibweise — wie bei den meisten historischen Romane des 19. Jahrhunderts in Mexiko, die hier zur Sprache kommen —, doch gelingt es Ancona, einige Charaktere, wie Cortés und Moctezuma, überzeugend zu zeichnen. Auch wenn Ancona auf beiden Seiten — bei Spaniern und Indios — Schwächen und Fehler aufzeigt, überwiegen doch der Verrat und die Grausamkeit auf der Seite der Spanier, zumal Cortés sogar zum Vergewaltiger der Tochter Moctezumas wird. 73 Eligió Ancona: Los mártires del Anáhuac, x Bde., Mérida ' 1 9 5 1 . Der zweibändige Roman ist 1870 erschienen. Hier sind die wunderschönen Illustrationen zu beachten. Die Seitenangaben befinden sich in Klammern im Text. 74 Vgl. Patricia Escandón: „Eligió Ancona: El Yucatán histórico y literario", in: Nuestra América (:Fn. 58), S.41. 7? Zur Biographie von Ancona vgl. Diccionario de escritores mexicanos, México 1967, S. 18.
149 Bevor auf den Roman selbst eingegangen wird, lohnt der Blick auf einen der Prologe zu den beiden Bänden in der Ausgabe von 1951. Der Prolog zum ersten Band stammt von Vicente Calero Quintana, trägt den Titel „Aguilar y la Malinche" und ist nicht ein Prolog im eigentlichen Sinne, sondern es handelt sich um einen Artikel, der 1845 in einer Literaturzeitschrift in Mérida veröffentlicht wurde, also lange vor Erscheinen des Romans. Die Tatsache, daß diesem Artikel eine bildliche Darstellung Marinas aus Gustavo A. Rodríguez' Doña Marina von 1935 folgt, läßt darauf schließen, daß es sich dabei um Zusätze des Verlags handelt, z.T. erst in die zweite Auflage eingefügt.76 Dafür spricht auch, daß der Artikel im Grundtenor dem des Romans völlig widerspricht. Er ist absolut prospanisch. Calero Quintana bezeichnet die Eroberung als „una de las empresas más arduas, más heroicas y más célebres en la historia del mundo [...] (V). Aufgrund dieser und weiterer Äußerungen kann Calero Quintana durchaus als „Hispanista" bezeichnet werden. Man erfährt in seinem Artikel von den Anstrengungen des Cortés, Aguilar und Guerrero aus der Sklaverei zu retten, und von der Freundschaft zwischen Cortés und Aguilar. Marina wird mit folgenden Worten vorgestellt: [...] varios regalos. Fué uno de ellos, y sin duda el de más estimable importancia, el de la célebre Da. Marina, que vino entre veinte esclavas que le dieron para hacer tortillas. Esta mujer, conocida vulgarmente con el nombre de la Malinche, fué una de las personas que más ayudaron a Cortés en la grande obra de la conquista. (VII)
Er berichtet im Anschluß über ihr bisheriges Leben, wobei er sich auf Bernal Díaz stützt. Um das erste Zusammentreffen von Cortés-Aguilar-Marina zu charakterisieren, greift er auf das Versepos von Nicolás Fernández de Moratín zurück und zitiert die einschlägigen vier Strophen (IX). Aguilar und Marina schwören sich ewige wahre Freundschaft. Marina hat sich bereits in Cortés verliebt, die Gefühle werden erwidert. Ihr Ziel ist es, nicht mehr als Sklavin zu leben, sondern ihre Fähigkeiten zu nutzen: pues ella no deseaba otra cosa que la elevada posición en que pudieron brillar sus talentes. Ella y Aguilar se juraron desde ese instante verdadera amistad, franca y desinteresada [...] Cortés [...] no era indiferente a los atractivos de Da. Marina, ni a su feliz ingenio, dispuesto a salvar los lances más complicados. Los dos se conocieron lo suficiente para amarse, y este mismo amor favoreció o, más bien, hizo que llegasen a su realización las sublimes y bellas esperanzas de Hernán Cortés. (X)
Calero Quintana verweist auch auf die Tatsache und zitiert dabei Prescott, daß Marina ihren Brüdern immer treu war und sie vor vielen Gefahren gerettet hat. Er betont auch, daß sie von Spaniern und Indios gleichermaßen geschätzt wurde. Nebenbei gesteht er noch ein, daß sie bei ihren Taten wohl auch Fehler gemacht habe, die aber jeder Mensch mache. Mit diesem Artikel eines „Hispanista" liegt eine im Vergleich zu den bisherigen Texten für das 19. Jahrhundert ungewöhnliche Sicht der Ereignisse um die Erobe76 Leider ist der Verf. nicht bekannt, wie die erste Auflage von 1870 gestaltet war.
ijo rung vor, in bezug auf Cortés und vor allem auch auf Marina, die als bedeutende Frau in der Geschichte Mexikos geschildert wird — fast klingt es wie eine erste Verteidigungsschrift Marinas gegenüber den Vorwürfen der Zeitgenossen des Autors. Der Roman Anconas setzt ein vor der Küste von San Juan de Ulua, am 2 1 . April 1 5 1 9 , als bereits Aguilar zu den Spaniern gestoßen war und die ersten Kämpfe in Tabasco für die Spanier siegreich geendet hatten. Auch die Geschenke, darunter zwanzig Sklavinnen mit Marina, haben die Spanier bereits erhalten. Ancona berichtet in chronologischer Folge bis zum Sieg über Cuauhtémoc, im Epilog wird noch auf die Expedition nach Honduras und den Tod Cuauhtémocs hingewiesen. Eine kurze Szene am Hofe Spaniens zeigt am Ende Cortés alt und unzufrieden, immer noch auf eine gerechte Belohnung für seine Taten hoffend, die ihm aber nicht gewährt wird, was der Autor als gewisse Art der Bestrafung für seine Taten ansieht: „¡La ingratitud proverbial de los reyes vengaba, hasta cierto punto, la sangre de tintos mártires, sacrificados a su ambición y crueldad!" (II, 207). Als Quelle verweist der Autor bereits auf den ersten Seiten seines Romans auf Bernal Díaz, den er sehr schätzt: Entre estos últimos venía Bernal Díaz del Castillo, valiente soldado y sincero historiador, que medio siglo después debía escribir con tanta verdad como prolijidad, las peripecias de la campaña extraordinaria que forman el asunto principal de este libro. (I, 1 5 )
Im folgenden bezieht er sich des öfteren, wie bereits erwähnt, auf Sahagún. Politische Stellungnahmen stehen bei Ancona, im Vergleich zu Jicotétical, eher im Hintergrund. Seine Einstellung wird nur einmal deutlich, als er sich für eine Regierungsform ausspricht, wie sie die Tlaxcalteken hatten: „aristocrática y federativa" (1,125). Ancona weist Spaniern und Indios gleichermaßen positive und negative Eigenschaften zu, wobei insgesamt aber eine deutlich indigenistische, pro-indianische Haltung spürbar wird. Die Conquista scheint er für unumgänglich zu halten, klagt aber die brutale, unmoralische Vorgehensweise der Spanier an, wenn auch die erste Charakterisierung des Cortés noch keine negative Wertung andeutet. Er ist von angenehmem Äußeren und zeichnet sich aus durch „energía y firmeza de voluntad" (I, 16). Doch folgt bald, was die Indios von ihm zu erwarten haben: „[...] aquellas gentes sencillas, a quienes había de esclavizarse muy pronto [...] (I, 23). Er stellt zudem die Gier nach Gold in den Mittelpunkt der Bestrebungen der Spanier (1,42, 46). Auch die Brutalität des Cortés kommt früh zum Ausdruck, was Ancona zu der Bemerkung veranlaßt, daß man es bei den Spaniern mit „semicivilizados europeos" (I, 109) zu tun habe. Ein Hinweis auf die Frauengeschichten des Cortés erfolgt ebenfalls, und Cortés stellt seine Haltung bereits im ersten Zusammentreffen mit Marina unter Beweis. Marina tritt in den Mittelpunkt des Geschehens bei der Ankunft der Gesandten Moctezumas — ganz nach Bernal Díaz - , die sie als einzige versteht. „ [ . . . ] ruborizada y temblando" (I, 21) tritt sie vor Cortés, der etwas lüstern erscheint und aufgrund ihrer Schönheit und Jugend wie verzaubert ist:
IJI El caudillo español, cuya virtud dominante no era, por cierto, la continencia, a la vista de esta esclava que rebosaba de juventud y de belleza, que se hallaba a dos pasos de su silla con los ojos bajos, las mejillas encendidas y en actitud temblorosa, pareció olvidar por un instante el arduo asunto para que había sido llamada, y se dejó arrastrar, en mayor grado acaso que todos los circunstantes, del dulce encanto que la joven esparcía en rededor de su persona. (I, 22)
Malintzin, so gibt Ancona ihren ursprünglichen Namen an, hat bereits die Taufe empfangen und den Namen Marina erhalten, mit dem sie in Zukunft im Roman genannt wird. Ancona verwendet ebenfalls den europäischen Namen und stellt sie damit eindeutig auf die Seite der Spanier. Marina, so erfährt man von Aguilar, wurde bereits Puertocarrero geschenkt, hatte sich diesem jedoch durch vorgetäuschte Krankheit entzogen — womit Ancona mit dieser Aussage Marina als rein und jungfräulich in ihrer Begegnung mit Cortés schildern will. Cortés beschließt, für Puertocarrero eine andere Frau zu suchen und Marina an seiner Seite zu behalten. Marina erzählt Cortés und Aguilar ihre Lebensgeschichte. Ancona hält sich dabei weitgehend an die Vorlage von Bernal Díaz, dramatisiert ihre Geschichte aber durch ein neues Element, das im folgenden immer wieder in Romane eingeflochten wird. Ancona könnte somit als Quelle für diesen Aspekt in Marinas Biographie gelten, vielleicht existiert aber gerade in Yucatán noch ein Text, der seine Aussagen schon vorher belegt. Er berichtet von negativen Vorhersagen durch die Priester bei ihrer Geburt: Cuando esa niña llegue a la adolescencia, amará al mayor enemigo de nuestra raza. Este amor la arrastrará a renegar de los dioses, a vender a sus hermanos y a entregar su patria al extranjero. (I, 29)
Diese Angaben gehen auf keinen Historiker zurück, finden aber gerade in der Zeit der Schicksalsgläubigkeit häufige Anwendung und tauchen auch noch im zo. Jahrhundert auf (z.B. bei Carlos Fuentes, dem Biographen Federico Gómez de Orozco u.a.). Ein Effekt dieser Geschichte ist, daß Marina insofern keine direkte Schuld an ihrem Handeln trifft, als ihr dieses Schicksal bereits in die Wiege gelegt wurde. Des weiteren erklärt dies die Haltung der Eltern, die das Kind aus dem Haus geben, damit sich das Schicksal nicht erfülle. Damit erscheinen auch sie in positiverem Licht als in anderen Fassungen. Die Tragik ihres Lebens setzt sich fort mit dem Tod des Vaters. Der Stiefvater haßt sie und beschwört immer wieder das „signo fatal" herauf und beschließt schließlich, sie bei einer Festlichkeit zu opfern. Um sie zu retten, gibt die Mutter Marina an einen Händler. Cortés läßt sich durch diese Vorhersage beeindrucken und sieht das Schicksal ihm gewogen. Der Aberglaube, bzw. die Schicksalsgläubigkeit, die hier bei Cortés zutage tritt (I, 40), ist ein verbindendes Element zwischen Spaniern und Indios. Cortés wird von den Indios wiederum in Verbindung mit ihrem Gott Quetzalcóatl gebracht. Ein Kommentar des Autors zu einem allgemeinen Vergleich der christlichen Religion und dem Glauben der Azteken macht seine Meinung deutlich, daß beide - hier aus der Sicht der Indios betrachtet — nicht so unterschiedlich sind:
152.
No había para ellos [los indios] más diferencia respecto de ésta que los templos al aire libre, y la monstruosa grandeza de los ídolos. Por lo demás, si los americanos sacrificaban víctimas humanas en los altares, los cristianos introducían a fuego y sangre su culto en el Nuevo Mundo y la inquisición quemaba a los herejes en nombre de la religión. (1,44)
Er verweist darauf, daß die Indios zwar sehr viele unterschiedliche Gottheiten hätten, die Spanier dafür aber ebensoviele Heilige, die für bestimmte Anliegen zuständig sind. Ähnlich äußert sich auch bei anderen Autoren die Kritik an der Religion der Spanier, wie schon bei Jicoténcal. Eligió Ancona nimmt mit dem Hinweis auf die Ähnlichkeit der Religionen bzw. dem Zweifel daran, ob die christliche Religion die bessere sei, den Spaniern diese Rechtfertigung für die Eroberung des Landes. Er geht so weit, den Spaniern sogar jegliche religiösen Gefühle abzusprechen und kritisch anzumerken, daß für sie das Christentum nur als Rechtfertigung für ganz andere Interessen herhalten mußte: „ [ . . . ] el Dios de los cristianos que probablemente no miraría con muy buenos ojos aquella cruzada de terror y destrucción [ . . . ] " (I, 1 4 1 ) . Nachdem der erste Teil des Romans, den Ancona mit einem Rückblick auf die Geschichte des Cortés abschließt, aus der Sicht der Spanier geschildert wurde, wechselt im Kapitel 7 die Perspektive und es wird nun vom Hof des Moctezuma berichtet. Moctezuma wird von Ancona als schwacher Herrscher beschrieben, der wie viele seiner Untertanen glaubt, daß sich die Götter von seinem Volk abgewendet haben - wie Cortés und die Spanier im Gegensatz dazu glauben, daß Gott sie unterstützt. Im Kontrast zu Cuauhtémoc, der ebenso wie der Held Tizoc für ein geeintes Vaterland kämpft, kommt Moctezumas Schwäche noch stärker zum Vorschein (I, 158). Dieser schreckt nicht davor zurück, nach alter Tradition seine liebste Tochter Gelitzli Cortés als Geschenk zu geben, und während er sich in Cortés' Gefangenschaft befindet, auch seine Macht abzugeben und ihm die von den Spaniern als Verräter bezeichneten Anführer befreundeter Stämme zur Bestrafung auszuliefern. Sie werden auf dem Scheiterhaufen verbrannt, wodurch die Grausamkeit des Cortés unterstrichen wird und Moctezuma an dieser Stelle der Vorwurf des Verrats zuteil wird: No sólo entregaba traidoramente a sus vasallos, inspirado por un sentimiento de cobardía, sino que abdicaba su soberanía en favor de sus indignos huéspedes. (II, 17) Ancona nützt die Gelegenheit, auf die heldenhaften Märtyrer Anáhuacs hinzuweisen: ¡Nobles mártires del Anáhuac, sacrificados a la cobardía de un rey y al canibalismo de vuestros enemigos! Vuestro cadalso fué, como el de otros muchos que ha levantado en todo el ámbito de la tierra la injusticia de los hombres: ¡El eterno pedestal de vuestra gloria! (II, z6) Vor seinem Tod wird Moctezuma gemeinsam mit Cortés von seinem eigenen Volk als Feigling, Schwächling, unwürdig, Anáhuac zu regieren, beschimpft (II, 1 1 5 ) , Cortés als falsch, „sin fe y sin palabra" (II, 1 1 6 ) .
153 Parallel zur Geschichte um Cortés und Marina entwickelt sich eine zweite Liebesgeschichte zwischen Gelitzli, der Lieblingstochter Moctezumas und Tizoc, einem jungen Priester, der erst im Verlauf des Romans von seiner Herkunft erfährt. Sein Schicksal ist ähnlich tragisch wie das Marinas. Sein Vater war Gefangener der Azteken und lebte nach aztekischem Brauch ein Jahr, verehrt wie ein Gott, unter ihnen, zeugte in der Zeit ein Kind mit einer Aztekin und wurde dann geopfert. Die Mutter gab vor ihrem Tod den Sohn in die Obhut eines Priesters (I, 96 f.), da sie verhindern wollte, daß er als Krieger ein ähnliches Schicksal erleiden müsse. Tizoc jedoch, ein großer Patriot des gesamten Landes, will Krieger werden und den Spaniern gegenübertreten. Er verkörpert den Nationalismus, das Gefühl, daß alle Indios gemeinsam gegen die Eindringlinge kämpfen müßten, auch dadurch, daß er zunächst auf der Seite Xicoténcatls mit den Tlaxcalteken gegen die Spanier kämpft und nach deren Niederlage sich in die Reihen des aztekischen Heeres eingliedert. Tizoc, beschrieben mit den Worten „belleza salvaje" (I, 71), wie später auch Cuauhtémoc und ebenfalls Xicoténcatl, der hier ähnlich charakterisiert ist wie in dem anonym erschienenen Roman, sind davon überzeugt, daß die Spanier die größten Feinde Anáhuacs sind (I, 80, 84). Xicoténcatl ist auch in diesem Roman derjenige, der den Senat, darunter auch Magiscatzin, der die Spanier für Götter hält, überzeugt, gegen die Spanier in den Kampf zu ziehen (I, 133). Gelitzli, die Tochter Moctezumas, glaubt zu Beginn des Eroberungszuges, daß die Spanier Nachfahren des Gottes Quetzalcóatls seien, und die Götter aufgrund der negativen Vorzeichen, die sich in Tenochtitlán ereignet hatten, zudem auf deren Seite stünden. Zu den negativen Vorzeichen gehört die Geschichte Papantzins, einer Schwester Moctezumas, die nach ihrem Tode wiederauferstanden war, um ihr Volk darüber zu informieren, daß Fremde kommen werden, die den wahren Glauben bringen, und sie solle die erste sein, die getauft wird (I, 83). Diese Legende um Papantzin verwendet erstmals Ancona im Zusammenhang mit der Eroberungsgeschichte. Sie wird dann von Ireneo Paz wiederholt, der in einer Fußnote bis ins Detail darüber berichtet, und sie wird in José María Marroquís La Llorona sogar in den Mittelpunkt gerückt.77 Erst später erkennt Gelitzli, daß Tizoc mit seinen Aussagen recht hatte und unterstützt die Sache der Indios. Sie wird das positive Gegenstück zu Doña Marina. Marina trifft mit Cortés zum ersten Mal allein zusammen, als sie ihm von tlaxcaltekischen Spionen im spanischen Lager berichtet. Hier zeigt Ancona sie 77 Die Formulierungen entsprechen sich zum Teil fast wortwörtlich, so daß man entweder annehmen kann, daß Paz und Marroquí die Stelle aus Anconas Roman übernahmen, oder daß zu jener Zeit ein Buch über diese Legende - denn um eine solche handelt es sich wohl, da kein Historiker davon sprach - existiert haben muß. Woher die Legende jedoch stammt, ist nicht nachzuvollziehen. Die Autoren I. Paz und Marroquí begnügen sich damit, darauf hinzuweisen, daß es sich um eine „fábula que refieren los autores" (Ireneo Paz: Amor y suplicio, Bd. II, México 1873, S. 90) handelt. In einem kurzen Nachwort zum ersten Band von Anconas Roman (:Fn. 73) thematisiert J. Ignacio Rubio Mañé in einem Aufsatz aus dem Jahre 1951 die Bedeutung von Legenden. Er spricht darin von deren nur geringem Wert für wissenschaftliche Studien, betont aber, daß sie v.a. die Möglichkeit liefern, den sogenannten „espíritu popular", der diese Legenden erschafft, zu analysieren. Er lobt daher die Anstrengung, „de salvar del olvido esas entretenidas declaraciones del alma popular" (I, 213).
154 bereits als den Spaniern treue Verbündete. Sie spricht die spanische Sprache, die ihr „ E l dios de los cristianos" (I, 1 4 1 ) beigebracht hat. Ancona kommentiert, daß es wohl eher der griechische Gott Amor war: [...] por ese dios niño que la mitología griega representaba con los ojos vendados y a que se da el nombre de amor. Porque Marina amaba, y como mujer de corazón y de talento, puso todos sus esfuerzos en comprender hasta donde le fuese posible, al hombre a quien había entregado su albedrío. (1,141) Cortés ist darüber erstaunt, sieht er sie doch als „ [ . . . ] una mujer salvaje, criada en la ignorancia y la esclavitud [ . . . ] " (I, 1 4 1 ) . Doch als Cortés bemerkt, daß sie ihn auf verschiedene Weise unterstützt — auch indem sie ihm von der Uneinigkeit unter den indianischen Stämmen berichtet —, glaubt er, daß die Vorsehung sich erfüllen wird. Er sieht in ihr ein Instrument der Vorsehung: „El instrumento de la Providencia estaba más bello que nunca" (I, 1 4 3 ) . Doch während er ihr ihre Hilft dankt: La España que es tu patria adoptiva, - le dijo, - te estará eternamente reconocida al servicio que acabas de prestar a sus hijos (I, 144) spricht eine Stimme in ihrem Inneren aus, was sie schon bald erfahren wird: Y el Anáhuac te maldecirá eternamente por la traición con que acabas de mancharte. (I, 144) Hält sich Ancona mit seinen Aussagen über das Erlernen der Sprache und die Dankbarkeit fast wortwörtlich an Prescott, so fällt sein Urteil aus Sicht der Indios ganz anders aus, und er bewegt sich damit auf der Linie, die Ignacio Ramírez in seiner Rede offiziell vorgezeichnet hat: Marina als Verräterin ihres Volkes. Cortés überzeugt sie jedoch davon, daß sie sich gegen das Schicksal nicht auflehnen kann (I, 1 4 5 ) , und es folgt eine „noche de a m o r " . Damit enden die Beschreibungen der Liebesbeziehung zwischen Cortés und Marina, die sehr einseitig geschildert wird, ist Marina für Cortés doch nur eine von vielen. Sie kann ihm allerdings hilfreich sein. In Cholula erwähnt Ancona Marina nicht, allerdings weist ein späterer Vorwurf Gelitzlis gegen Marina und eine weitere Formulierung des Autors auf eine Beteiligung hin. Ancona spricht seine Vorwürfe gegen Marina deutlich aus: ¡Marina!, ¡Marina, la que por amor a Hernán Cortés había vendido a sus hermanos de Haxcala y de Cholula, y estaba dispuesta a vender a todos los hijos del Anáhuac! ( 1 , 1 8 1 ) Und sie verrät auch Moctezuma: Y Marina, la que había vendido a tantos de sus hermanos, creyó que también debía vender al gran señor del Anáhuac, en obsequio de los españoles. (I, 186) Auch vom Priester der Azteken wird sie als „la mala hija del Anáhuac" (II, 38) bezeichnet.
155 Marina als Dolmetscherin ist auch bei der Bekehrung der Indios hilfreich, wie zum Beispiel bei Gelitzlis Taufe, nachdem diese von Moctezuma den Spaniern als Geschenk übergeben worden war. An dieser Stelle weist Ancona - und bleibt damit fast allein in der Literatur - auf mögliche Übersetzungsschwierigkeiten hin (I, 1 6 8 ) .
Die Liebe zwischen Cortés und Marina unterscheidet Gelitzli sehr streng von der zwischen ihr und Tizoc: T e engañas, Malinche 79 te ama porque le has sacrificado tu honor y tu patria; y el amor que Tizoc me tiene, es más puro que una oración a los dioses en la boca de un niño. (1,
199) Marina muß erfahren, was womöglich ganz Anáhuac über sie denkt. Daß auch Tizoc Marina nicht traut, zeigt folgende Stelle aus einem Gespräch mit Gelitzli: ¿Te atreves a fiarte de la que se complace en vender a sus hermanos? —¡No! no me fío de la que vende a sus hermanos; pero sí de la mujer celosa. (I, 205)
Das Gespräch mit Gelitzli war die letzte Szene, in der Marina ausführlicher beteiligt ist. Im 2. Band rückt sie gänzlich in den Hintergrund, im Mittelpunkt steht Gelitzli, die „heroína de nuestra historia" (II, 1 3 5 ) , wie Ancona sie nennt. Gelitzli, die von Cortés begehrt wird, erwartet ein schweres Los. Erst versucht Cortés eines Nachts, sie zu überwältigen (I, 205), was ihm nicht gelingt. Dann wird Gelitzli vom aztekischen Priester, der als Fanatiker gezeichnet ist, überredet, Cortés zu einem Essen zu treffen, bei dem sie ihn mit einem Getränk einschläfern soll, so daß er geopfert werden kann. Cortés bemerkt das Vorhaben, und so nimmt sie das Getränk zu sich. Cortés wird dabei von einem Soldaten begleitet, dem er Gelitzli zur Frau versprochen hat, um sie zu erniedrigen. Die Gespräche, die die beiden am Tisch führen, entsetzen Gelitzli und stehen ironischerweise unter der Überschrift „Civilización europea", womit der Autor auf den moralischen Verfall eben jener Zivilisation verweist. Gelitzlis Vorhaben wird überschrieben: „ L a Judith del Anáhuac". Doch ist sie nicht erfolgreich, für sie wiederum ein Zeichen, daß die Götter auf Cortés* Seite stehen (II, 67). Daß Gelitzli in diesem Zustand von Cortés mißbraucht wurde, erfährt der Leser erst nach der Flucht in der Noche Triste, als Gelitzli von Tizoc befreit wird (II, 1 3 1 ) . Gelitzli ist schwanger und schämt sich, Tizoc gegenüberzutreten, bzw. ihm davon zu berichten, doch drängt er sie, bis sie ihm berichtet: „El infame abusó de mi s u e ñ o . . . no tardé en conocer que era madre..." (II, 140). Sie fühlt sich der Liebe Tizocs nicht mehr würdig, doch er heiratet sie, um sie vor Schande und vor dem Volk zu schützen (II, 1 4 7 ) . Er berichtet ihr von einer India, die für die Spanier gearbeitet hatte, schwanger wurde und auf der Straße von den Indios zu Tode gesteinigt wurde: Repentinamente se alzó una voz que la acusaba de haber amado a un enemigo del Anáhuac y de llevar en su seno el fruto de aquel amor criminal. (II, 1 4 3 ) 78 M i t Malinche ist in diesem Fall Cortés gemeint.
I56
Ancona lehnt diese Verhaltensweise des Volkes zwar ab, er versäumt es aber auch, noch einmal explizit darauf hinzuweisen, daß die meisten Indias von den Führern ihrer Stämme selbst an die Spanier gegeben worden waren, daß auch Gelitzli von ihrem Vater Cortés geschenkt wurde gegen ihren Willen. Als das Kind geboren wird, fühlt sie - als gute Patriotin - nur Schrecken und Ablehnung, sie erkrankt schwer. Das Kind ist das Abbild des Feindes der „patria", des Räubers ihrer Ehre, des eventuellen Mörders ihres Vaters - dieser Punkt wird bei Ancona ausführlich diskutiert, existieren doch zwei Meinungen zum Tode des Moctezuma: einmal, daß er von den Steinen der Indios getötet wurde, einmal, daß die Spanier ihn getötet hätten, wobei Ancona bei der ersten Möglichkeit bleibt.79 So entschließt sie sich, das Kind zur Erziehung dem Priester anzuvertrauen (II, 176). Dieser jedoch opfert das Kind, da es Mestize ist und ein Nachkomme des verhaßten Eroberers. Gelitzli, die zu spät dazu stößt und als Mutter des Kindes erkannt wird, wird unter Rufen des Volkes ebenfalls auf den Opferstein geschleppt, wo sie ein Angriff der Spanier und wiederum Tizoc retten. Auf der Flucht vor den spanischen Truppen wird Gelitzli erschossen, Tizoc stirbt heldenhaft im Kampf (II, 204). Die Geburt eines Mestizen behandelt Ancona in sehr eigener Weise. Nicht Marina wird Mutter eines Mestizen, sondern Gelitzli, für die das Kind Symbol ihrer Vergewaltigung und Degradierung ist. Auch hier ist die sexuelle Eroberung wiederum der Eroberung des Landes gleichgestellt. Das Kind wird zudem von beiden Kulturen abgelehnt, womit der Autor auf das Schicksal der Mestizen in der Kolonialzeit verweist. Er spricht sich auch nicht für die positiven Aspekte der Rassenvermischung aus, wie sie im 19. Jahrhundert bereits formuliert wurden. Tizoc drückt mit seinen starken nationalistischen Idealen wohl am ehesten Anconas eigene Gefühle für ein Mexiko ohne fremde Herrschaft aus. Marina ist kein Mittelpunkt im Geschehen, sondern nur ein Zusatz für seine Botschaft. Er zeigt sie im Gegensatz zu Jicoléncal nicht als grundsätzlich negativ, sondern stellt ihr Schicksal voran. Der Autor hält sich in dieser Determiniertheit des Menschen durch sein Schicksal an die romantische Ideologie, ebenso wie mit dem Glauben an die Liebe, für die Marina und Tizoc bereit sind, alles zu opfern und auf ewig verdammt zu sein. Marina, der Verräterin ihres Volkes, wird wieder79 Z u dieser Fragestellung ist im zweiten Band der genannten Ausgabe wierderum eine Art Prolog aufgenommen, ein Aufsatz von Gral. Rubén Garda, in der Academia Nacional de Ciencias de México 1 9 5 1 als Vortrag gehalten, unter dem Titel „Como murió Moctezuma". Ihm geht es darin v.a. darum, zu zeigen, daß einiges dafür spricht, daß Moctezuma von den Spaniern selbst getötet wurde. In diesem Zusammenhang erörtert der Artikel auch die Problematik der Geschichtsschreibung zur Conquista — der Autor spricht von der Historiographie der Sieger, ein Thema, das im 1 0 . Jahrhundert viel diskutiert ist und schon von Teresa de Mier angesprochen wurde - und erörtert die Notwendigkeit, neue Untersuchungen anzustellen und Urteile zu revidieren: „ [ . . . ] en México, en donde se ha deformado la verdad a costa nuestra, y la han escrito los vencedores sobre el silencio de nuestros ancestros vencidos, o bien, con una educación colonialista de siglos en que menudeaban las versiones y los textos iberos, se nos ha venido enseñando a despreciamos a nosotros mismos para exaltar hasta la excelsitud a quienes siempre han ocultado la realidad y arrojado fango sobre la estupenda civilización aztecatl" (II, V). Er spricht sogar vom „complejo de inferioridad", den die Spanier den Mexikanern damit anhängen wollten: „[...] los textos llegan mutilados y los relatos alterados, para sostener el complejo de inferioridad y para tenemos eternamente niños;" (II, V), wobei er Cicero zitiert, der geäußert hatte: „los pueblos que no conocen su verdadera historia, toda su vida serán niños." (II, V)
157 um die positive weibliche Heldin gegenübergestellt. Ancona zeigt damit eine Haltung, die eine Frau wie Marina hätte einnehmen können. Das Paar Tizoc-Gelitzli steht als positives Symbol für Patriotismus. 4.3.4. Ireneo Paz: Amor y suplicio und Doña Marina Eine andere Haltung zu Cortés und Marina und vor allem zum „mestizaje" nimmt Ireneo Paz (1836-1924) — der Großvater von Octavio Paz - ein. Er war ebenso wie Ancona liberaler Politiker, der gegen die Franzosen kämpfte, dann aber auch im Porfiriat öffentliche Posten innehatte. Er schrieb für Zeitungen und verfaßte „leyendas históricas" und eine Reihe historischer Romane. In diesen beschäftigte er sich vornehmlich mit der Zeit der Conquista.80 Sein Stil verweist auf den Einfluß von Chateaubriand, er ist geprägt von lyrischem, romantischem Enthusiasmus. Für die Arbeit von Interesse sind die beiden Fortsetzungsromane: Amor y suplicio (1873) und Doña Marina (1883). 81 Zum Thema der Unabhängigkeit und über einige Personen der Geschichte Mexikos verfaßte er Schriften in der Art von „episodios nacionales". Insgesamt schien es ihm ein Anliegen zu sein, dem Publikum Geschichte in angenehmer Form nahezubringen, und auch in der Betonung des „colorido real" scheinen Altamiranos Doktrinen Beachtung zu finden. Er liefert, wie schon seine Vorgänger, eine liberale, patriotische Version der Conquista und zielt damit auch auf den erzieherischen Wert von Literatur ab. Die Liebesaffären in seinen Romanen - die Gefühlsausbrüche der Helden erscheinen bisweilen übertrieben — rücken zum Teil das eigentliche Geschehen gänzlich in den Hintergrund, wie z. B. in Doña Marina. Er zeigt die Conquista als eine Reihe sexueller Begegnungen und verwendet die Beziehungen zwischen Spaniern und Indias, um militärische, politische und kulturelle Dimensionen der Conquista zu repräsentieren. In beiden Werken läßt sich erkennen, daß es Paz im Gegensatz zu den bisher genannten Autoren darum geht, alle Bevölkerungsgruppen mit in die Definition der mexikanischen Nation einzubeziehen, d.h. Indios, Spanier und Mestizen. Er zeichnet Malinche und die anderen indianischen Frauen, Otila im ersten Roman und Tecuichpotin im zweiten in einer positiven Weise und vor allem in den Beziehungen zu spanischen Männern und, wie bei Marina, den aus dieser Beziehung hervorgehenden Kindern. Aus der Union der Spanier und Indias ging für ihn das mexikanische Volk hervor. Deshalb ist es auch wichtig, beide — die indianische Mutter und den spanischen Vater — in bestmöglichem Licht zu zeigen. Ireneo Paz kann als erster Autor gesehen werden, der damit Marina Bedeutung als Mutter der mexikanischen Nation zuschreibt. Damit erhält sie auch im 19. Jahrhundert eine positive symbolische Funktion — symbolisch in dem Sinne, als sie nicht, wie es oft heißt, die erste Mutter eines Mestizen auf mexikanischem Boden, wohl aber die bedeutendste ihrer Zeit ist. 80 Vgl. Ralph E. Warner (:Fn. 6i), S. 41Í. 81 Ireneo Paz: Amor y suplicio, 2 Bde., México 1 8 7 3 ; Doña Marina, 1 Bde., México 1883. Beide Romane enthalten wunderschöne Illustrationen von einem unbekannten Künstler. Seitenangaben befinden sich jeweils in Klammern im Text.
15« Paz, das darf nicht unberücksichtigt bleiben, schreibt in der Zeit kurz vor und während des Porfiriats, in der man bemüht war, die Kontakte zu Spanien wieder zu verstärken, bzw. in der auch Spanien Versöhnung mit Mexiko suchte. Dies wird ganz deutlich in einem Kommentar von Paz, mit dem er sich in y suplicio direkt an den Leser wendet:
Amor
Antes de seguir adelante también, nos vemos precisados á hacer una ligera esplicacion á nuestros lectores. Como mexicanos podríamos conservar algún rencor á nuestros conquistadores, y al evocar recuerdos que poco á poco van desapareciendo en el olvido, seria fácil que nos impresionáramos al grado de desconocer la verdad histórica y espresarnos apasionadamente. Pero por fortuna hace tiempo que nos pasaron las primeras impresiones, se ha calmado el hervor de la sangre y hoy podemos hablar de la conquista con toda imparcialidad. La primera lectura de nuestros historiadores, nos produjo un malestar doloroso y llenó de resentimientos nuestro corazon, no podemos negarlo; pero el estudio de la filosofía y el conocimiento de otros sucesos que tuvieron lugar en otras naciones del mundo en los siglos pasados tan atroces y bárbaros como los de la conquista de México, nos ha hecho ver este acontecimiento como indeclinable para la marcha de la humanidad. Y si tenemos una palabra de perdón y de olvido para los españoles de hace tres siglos que vinieron á martirizar á nuestros abuelos, «cómo no la hemos de tener de fraternidad para los republicanos de ahora que nos instruyen con sus obras, que nos electrizan con su palabra y que se colocan á la cabeza de la civilización europea? Esperamos por lo mismo que nadie se sienta herido al leer esta obrita que escribimos con la historia en la mano. Nada mas lejos de nosotros que resucitar rencores que ya están estinguidos desde que el ilustre general Prim vino á decir á México que España no era su madrastra sino su digna madre. (I i J 7 f . ) Durch diese direkte Hinwendung an den Leser bringt er seine Geschichte auch direkt in Zusammenhang mit seiner Zeit. Sein Anliegen könnte charakterisiert werden als die Suche nach einer Identität, mit der die Mexikaner leben können, und nach einer allgemeinen Kontinuität in der Geschichte Mexikos, auch durch die Kolonialzeit.
Amor y suplicio In einem kurzen Vorwort wendet sich der Autor direkt an seine Leserschaft und formuliert darin seine Vorgehensweise und die Absicht, die er mit diesem Roman verfolgt: El autor de este libro, no ha tenido, ni tiene, ni tendrá pretensiones de ningún género. Cuando hacia un estudio de la historia de México, reunió los episodios de la conquista que le parecieron de mas interés y se dió á formar con ellos una novela: concluyó su trabajo y lo sepultó por mucho tiempo en su papelera, en virtud de que las circunstancias azorosas de su vida, no le prestaron oportunidad para publicarlo: hoy que puede hacerlo, no espera ni desea mas recompensa, sino que sus bellas compatriotas al pasar sus ojos por esas líneas, viertan siquiera una lágrima á la triste memoria de nuestros antepasados. (I, 6) Der politische Aspekt, der bei Jicoténcal
und in Anconas Roman oftmals im Vor-
dergrund stand, tritt bei Paz zurück. M a n erfährt dennoch, daß auch er die Orga-
159 nisation der tlaxcaltekischen Nation der aztekischen vorzieht, was aber nicht heißt, daß er seine Helden nicht unter den Azteken sucht. Moctezuma und seine Regierungsform erfahren eine negative Wertung, ganz anders dagegen Cuauhtémoc (auch Paz verwendet die eigentlich spanische Schreibweise Guatimozin, wie Gertrudis Gómez de Avellaneda), der für den Willen nach Veränderung, Liberalität, Toleranz und eine Verbrüderung der Nationen steht. Als Quellen verweist Ireneo Paz auf Prescott, Bemal Díaz und Clavijero. Mit Prescott entscheidet er sich für das historische Werk, das auch im Geist der Romantik geschrieben ist. So entnimmt er aus Prescott in weiten Teilen die Beschreibung des Hofes von Moctezuma: „Las curiosas noticias que damos á continuación están tomadas en su mayor parte de Prescott, que es el historiador que con mas brillantez y mas estensamente habla sobre el asunto" (II, 49). Im selben Kapitel erwähnt er Bernal Díaz und Clavijero (II 54, 55). Aus Clavijero z.B. greift Paz eine Stelle heraus, die die Kämpfe in Tenochtitlán vor der Noche Triste schildert (II z 65). Die Eroberungsgeschichte wird ab dem Zeitpunkt des Eintreffens der Spanier in Tlaxcala erzählt — auch darin ähneln sich die historischen Romane zum Thema im 19. Jahrhundert — und endet mit der Gefangennahme Cuauhtémocs. In der „Conclusión" wird noch — ähnlich wie bei Ancona — über dessen Tod in Honduras berichtet. Prinzipiell ließe das Thema wohl verschiedene Bearbeitungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu. Dennoch greifen alle Autoren ähnliche Ereignisse heraus. Das mag daran liegen, daß sich diese besonders für die Anliegen der Autoren eignen, kann aber auch damit zusammenhängen, daß die Autoren sich aneinander orientierten — in diesem Fall ist davon auszugehen, daß Paz die Romane Jicoténcal und Los mártires del Anáhuac kannte. Insgesamt treten die historischen Ereignisse in diesem Roman zurück, ausführlicher geschildert werden nur einige Kämpfe, in denen die Hauptpersonen - Xicoténcatl und Cuauhtémoc - vertreten sind. Die Haupthandlung des Romans dreht sich um die Liebe zwischen Cuauhtémoc und Otila, der Tochter Magiscatzins aus Tlaxcala — eine aufgrund der Feindschaft zwischen beiden Staaten schwierige bis unmögliche Liebe. Diese Liebesgeschichte wird verwickelter durch die Liebe des jungen Heerführers der Tlaxcalteken, Xicoténcatl zu Otila, der von ihr rüde abgewiesen wird und sie bis zu ihrem Tode mit Haß verfolgt. Bei Ankunft der Spanier verliebt sich Otila in Velázquez de León und heiratet ihn, trotz des Versprechens, das sie Cuauhtémoc gegeben hatte. Otila und ihre Liebhaber, ihre Entscheidung für den Spanier, übernehmen die Funktion, die bisher dem Paar Cortés und Marina zugekommen war, die erst in Doña Marina in den Mittelpunkt rücken. Cortés tritt nur sehr selten auf und erfährt deshalb auch keine eingehende Charakterisierung. Hartes Durchgreifen ist nach Paz nur das Ergebnis seiner Angst vor Verrat. Selbst seine Entscheidung, Cuauhtémoc hinrichten zu lassen, verfolgt ihn ewig: ¡Siempre ante mis ojos la sombra vengadora de Guatimozin que me hiela con sus miradas!... Siempre la memoria de ese pobre rey en todos mis ensueños y hasta en medio de mis alegrías!... ¡Siempre oyendo aquellas palabras que me dijo en el momento de ahorcarlo: no seas cruel con mi pueblo... ¡te perdono! (II, 388f.)
IÖO Auch Marina spielt in diesem ersten Roman nur eine Nebenrolle. Sie wird zum ersten M a l erwähnt, als Velázquez de León in einem Gespräch mit einem anderen Soldaten seine Beziehung zu Otila mit der zwischen Cortés und Marina vergleicht: — Creo que no habrá ningún conquistador con mejor fortuna. Doña Marina, la querida de Cortés, es una mujer de pocas gracias. — Pero tiene un talento asombroso. (1,193) M a n erfährt, daß Marina die Geliebte des Cortés ist, zwar nicht so schön wie Otila, aber mit anderen Fähigkeiten ausgestattet. Die Verbundenheit von Cortés und Marina wird an anderer Stelle noch deutlicher: „ D a . Marina siempre á su lado, no perdia una sola de sus miradas y adivinaba todos sus pensamientos" (I, 2.2.0f.). Was Cortés für sie empfindet, erfährt man nicht, der Autor selbst läßt dies offen, was in Cholula erkennbar wird, wo er ihre Rolle in der Aufdeckung der Verschwörung wie üblich zeichnet, sie aber so handeln läßt, um die Liebe des Cortés als Belohnung zu erhalten: — ¿Con que has hecho todo eso, Marina mia?... -Sí. — Y por mí, solo por m í ? . . . — ¡Sólo por ti! — ¡Ah! ¿con qué podré pagarte tantos y tan heroicos sacrificios? . . . — Amándome como yo te amo. — ¡Oh sí! Marina mia, cada vez te haces mas merecedora de mi mayor estimación. Y estrechándola en sus brazos con cierta ó fingida pasión, la dió un beso en la frente [...] (11,8) In ihrer Tätigkeit als Dolmetscherin sieht man Marina beim Gespräch des Cortés mit Magiscatzin und später mit Moctezuma. Cortés braucht sehr lange, bis er ihr ganz vertraut. Er fürchtet Verrat von Seiten der India: „Marina me engaña todos me engañan... ¿qué significa esto?... [ . . . ] ¿ M e estará vendiendo la misma M a r i n a ? " (II, 32). Marina wird eine der besten Freundinnen Otilas, sie verstehen sich aufgrund ihrer ähnlichen Situation sehr gut. Sie lernen sich kennen bei Otilas Hochzeit mit Velázquez de León. An dieser Stelle stellt der Autor Marina auch kurz vor (I, 2 1 3 ) . Moctezuma wird als schwacher (I, 1 2 f f . ) , aber despotischer und tyrannischer Herrscher geschildert, „ [ . . . ] ninguno de los reyes anteriores de los aztecas habia sido tan tirano como este ultimo emperador" (I, 1 8 ) , der zudem abergläubisch ist und fanatisch seiner Religion ergeben: Este rey tan apocado de espíritu como perverso de corazon, era fanático y supersticioso en cuanto á sus creencias religiosas, al grado de humillarse y ser un niño en manos de los sacerdotes. (1,19) Er bleibt in seiner Charakterisierung durch Paz sehr blaß. M a n erfährt, daß er nichts gegen die Spanier unternehmen will, da er sie für Götter hält. Paz spricht auch von einer „afeminación" des Herrschers, der sich weniger um die Kriege, als vielmehr um die Künste kümmerte und deshalb in dieser Situation vollkommen überfordert ist. Er bezeichnet ihn als „débil gigante" (II, 56f.). Nach seiner Gefan-
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gennahme sieht er die Prophezeiungen von Papantzin erfüllt. Auch hier findet diese legendäre Gestalt Aufnahme. In einer Fußnote verweist Paz auf ihre Geschichte (II, 90). Zur gänzlich tragischen Herrscherfigur wird Moctezuma, als er von Cuauhtémoc während der Kämpfe in der Stadt als Feigling bezeichnet wird, und er zudem erkennen muß, daß auch Cortés, den er für seinen Freund hielt, ihn verachtet. Bei Paz stirbt Moctezuma eindeutig durch die Hand der Indios, als er mit Steinen beworfen wird (II, 265). Cuauhtémoc, der für Einigkeit unter den mexikanischen Stämmen eintritt und kämpft, ist der eindeutige Held dieses Romans. Er wird beschrieben als „joven y hermoso" und in der Manier des edlen Wilden bekleidet mit Raubtierfell (I, 8). Sein Antlitz ist gezeichnet von Melancholie, zurückzuführen auf seine unglückliche Liebe zu Otila, wie der Leser bald erfährt (I, 16). Cuauhtémocs Liebe zu Otila ist grenzenlos und endet auch nicht, als sie ihn dadurch verrät, daß sie sich mit dem Spanier Velázquez de León verheiratet. Als er sich bei den Tlaxcalteken einschleicht, um Otila zu sehen, kommt es zu einem Gespräch mit deren Vater Magiscatzin, in dem Cuauhtémocs versöhnliche Haltung bereits deutlich wird. Sie vereinbaren, sich gemeinsam für Versöhnung einzusetzen. In diesem Gespräch wird zwischen den beiden ausgehandelt, so kann man es fast nennen, daß nach der Versöhnung der beiden Staaten Cuauhtémoc Otila zur Frau bekommen soll. Das weist wiederum darauf hin, daß sich Otila zwar selbst ihren Geliebten aussuchte, daß der Austausch aber ein politischer ist, daß Frauen somit Objekte sind, die für Politik eingesetzt werden (I, 106): „¡Es el precio de nuestra alianza!" ( 1 , 1 2 7 ) . Magiscatzin verrät jedoch Cuauhtémoc, als er doch Cortés' Forderung nachkommt, sich mit den Spaniern gegen die Azteken zu verbünden. In der Noche Triste verliert Cuauhtémoc Otila, die durch die Hand Xicoténcatls getötet wird, während Cuauhtémoc siegreich gegen Velázquez kämpft. Xicoténcatl, der erst der Rivale Cuauhtémocs ist um die Liebe Otilas, den mit Cuauhtémoc aber die gleiche Ideologie, die gleichen Hoffnungen für das Land und die feindliche Haltung gegen die Spanier verbinden, wird der beste Freund dessen und rettet ihm mehrmals das Leben (z.B. II, 190). Xicoténcatl wird ähnlich wie Cuauhtémoc als jung, schön, mutig beschrieben und ist der beste Krieger der Tlaxcalteken. Seine liberale Gesinnung und die Liebe zu seiner Heimat lassen ihn von Anfang an die Gefahr durch die Spanier erkennen. Er ist es auch, der Cuauhtémoc nach der Enttäuschung durch Otilas Bruch des Versprechens daran erinnern muß, daß die Liebe zur „patria" wichtiger ist als die zu einer Frau: Pero aun te queda una cosa de qué ocupar tu pensamiento: la patria. Recuerda que hay unos estranjeros dentro de ella que acaso pretenden esclavizarla; aprovéchate de lo que ha pasado en la mia: es un triste ejemplo que te servirá de lección para conducirte en lo sucesivo. (II, 40) Seine religiöse Haltung ist nicht die seiner Väter, er ist nicht gottesfürchtig, interessiert sich aber auch nicht für die Religion der Spanier — anders als Cuauhtémoc, der sich taufen läßt, nachdem Otila, als bereits überzeugte Christin, ihn darum bat, um nach dem Tode mit ihm vereint sein zu können (II, 385 f.).
i6z Xicoténcatl wird einer der härtesten Kritiker von Otilas und auch Marinas Verhalten gegenüber den Spaniern. Er kritisiert bereits, daß Otila sich mit Cuauhtémoc für einen Feind des Volkes entscheidet: „Aborreces á los que han nacido á tu lado, á los que han respirado una misma brisa... Odias á tus hermanos ¡y amas á un estranjero!" (I, 99), vielmehr aber noch mit dem Spanier: „¡Pérfida! habiendo tantos hombres en su patria, busca estranjeros á quienes entregarles el corazon" (I, 187). Und er bedenkt sie mit dem Ausspruch „serpiente venenosa" (II, 168), ebenso in dem Sinne gebraucht wie schon bei Ancona. Xicoténcatl, dessen Gefährlichkeit Cortés erkennt, stirbt am Ende durch Cortés. Er läßt ihn hängen. Otila, die weibliche Heldin des Romans, wird als außergewöhnlich schön beschrieben, ist mit positiven Charaktereigenschaften ausgestattet, besitzt Stolz, der manchmal an Hochmut grenzt - was Xicoténcatl in der Behandlung durch Otila erfahren muß — und sie besitzt eine Vorliebe für das Schöne: „Poseia una sensibilidad esquisita y era apasionada de todo lo bello" (1,41). Mit dieser Vorliebe erklärt der Autor Otilas Entscheidung erst für Cuauhtémoc, den schöneren und besseren Krieger im Vergleich zu Xicoténcatl, dann die für Velázquez de León, womit er auf die Überlegenheit der weißen Rasse zu verweisen scheint, wie sie im 19. Jahrhundert vom Comte de Gobineau in seiner Schrift Essai sur l'inégalité des races humaines ( 1 8 5 3 - 1 8 5 5 ) propagiert wurde. Otila stellt die Liebe über ihre Heimat, was schon zu Anfang im Gespräch mit Cuauhtémoc zum Ausdruck kommt: „por tí abandonaría padre, parientes, patria, deberes y cuanto hay de mas santo en este suelo" ( 1 , 1 2 3 f.). Otila erhält nach der Taufe den Namen Elvira, auch Magiscatzin läßt sich taufen, nur Xicoténcatl weigert sich. Otila wird sehr gläubig und verinnerlicht die Regeln des Christentums, auch was ihre Ehe betrifft. Denn schon kurz nach der Hochzeit lernt sie den wahren Charakter von Velázquez de León kennen, der als lüsterner Spanier gilt. Die Desillusion erfolgt bei Otila und Velázquez de León, die beide von der Schönheit des anderen geblendet waren, sehr bald. Hatte anfangs Velázquez Otila noch vor den Worten der Spanier verteidigt, als sie z.B. von Cortés als „salvaje" (I, 199) bezeichnet wurde, so kommen ihm schon nach der Hochzeit erste Zweifel an seiner Entscheidung, nachdem er immer wieder von den Soldaten verspottet wird und sich nun vorstellt, daß er nicht in den spanischen Adel einheiraten kann und auch dort nicht auftreten kann mit einer India als Frau: Amaba á . . . ¿qué estoy diciendo? yo amar á una salvaje! yo amarla... mentira... estaba hechizado tal vez por esos brujos del demonio: el rey nos llamará á la corte [...] Y yo. [...] tendré que presentarme con una salvaje á mi lado, con una india [...]
(1,131) ¡Cómo se me reirán en las barbas mis compatriotas! (I, 23 i f . )
Als er auch noch erfährt, daß Otila Cuauhtémoc weiterhin sieht, plant er, sie zu töten, doch am Ende ist es Cuauhtémoc, der ihn im Kampf tötet. Otila nimmt eine ähnliche Stellung im Eroberungsgeschehen ein wie Marina. Zu Beginn schwankt sie sehr stark zwischen den Spaniern und ihrem Volk, zwischen Velázquez de León und Cuauhtémoc. Marina unterstützt ihre Entscheidung,
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da auch sie die Spanier über die Indios stellt. An politischen Aktionen ist sie jedoch gänzlich unbeteiligt, bringt aber Cuauhtémoc bei verschiedenen Gelegenheiten dazu, die Spanier zu schonen, um sie zu schützen. Doña Marina Eine Fortsetzung des Romans Amor y suplicio bildet Doña Marina. Dieser Roman ist der erste, der Marina im Titel trägt und sie zur Hauptfigur eines literarischen Werkes erhebt. Indirekt geschieht dies noch einmal im 19. Jahrhundert im Roman von José María Marroquí, La Llorona, da auch mit dieser Bezeichnung Marina gemeint ist (siehe unten 4.4.1.). Der Roman setzt 1522 ein, als bereits mit dem Wiederaufbau von MexikoStadt begonnen wird. Er berichtet von den diversen Intrigen unter den Spaniern, die vor allem gegen Cortés gerichtet sind - und thematisiert damit einen Zeitabschnitt bereits nach der siegreichen Eroberung, der bisher nie angesprochen war. Im Mittelpunkt dieses Romans stehen Marina und ihre Liebe zu Cortés. Sie lebt, so auch in der Geschichtsschreibung, in einem Palast in Coyoacán. Eine weitere Liebesgeschichte spielt sich zwischen Isabel de Moctezuma82 und dem Spanier Pedro Gallego ab. Am Rande wird auch zum ersten Mal berichtet von einer Liebesgeschichte zwischen einer Spanierin — Violante — und einem Indio — Quecolli —, die einen Skandal unter den Spaniern auslöst. Diese Konstellation war bei den Spaniern sehr lange Zeit verpönt und nimmt auch hier ein tragisches Ende mit dem Selbstmord der Spanierin, die von Catalina, der Frau des Cortés, gezwungen wird, einen Spanier — mit dem Catalina selbst ein Verhältnis hat — zu ehelichen (II, 241, 255). Es wird nicht der einzige Selbstmord aus Liebe bleiben. Weitere Themen sind der Besuch der Frau des Cortés, Catalina, die Geburt des Kindes von Marina und Cortés, Marinas Heirat mit Jaramillo auf der Expedition nach Honduras, wo auch das Zusammentreffen mit ihrer Mutter stattfindet, wie es Bemal Díaz berichtet hatte, die Rückkehr des Cortés nach Spanien und dessen Heirat dort. Der Roman endet mit dem Selbstmord Marinas, nachdem sie von Cortés* erneuter Heirat erfahren hat. Der Autor ergreift in seinem Werk Partei für Cortés gegen die Vorwürfe der anderen. Nur wenn es um die Beziehung Marina—Cortés geht, stellt er sich auf Marinas Seite. Cortés y Marina son, en efecto, las dos más grandes figuras que se destacan, que tienen que destacarse siempre en aquel cuadro histórico. (I, 29 f.)
Marina widmet er sich zu Beginn des Romans sehr ausführlich. Erst nimmt er Bezug auf ihre Schönheit, die sie unter ihresgleichen herausstechen läßt: En efecto, Marina descollaba entre todas las mujeres de su raza como un portento de belleza. Refiérese que tenia unos ojos tan negros como el azabache, sombreados por unas 8 i Eine historisch belegte Gestalt, zu der Sara Garcia Iglesias eine Arbeit veröffentlicht hat: Sara Garcia Iglesias: Isabel Moctezuma, Xalapa 1986. Nach der Geschichtsschreibung wurde sie mit einem Spanier verheiratet, nachdem sie eigentlich Cuauhtémoc versprochen war. Sie hatte auch ein Kind von Cortés.
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largas pestañas que les imprimían la más dulce melancolía; que sus miradas eran apacibles, produciendo destellos de luz en que iban significadas la malicia ó la inteligencia; que en sus ojos principalmente era en donde se leia la perspicacia, la vivacidad, la astucia y la energía, que eran otros tantos distintivos del carácter de nuestra heroina. A la vez que sus ojos eran negros, y grandes, y rasgados, y vivos, y cariñosos, y llenos de bondad, despedían chispas de inteligencia y de audacia, encubriendo á veces, bajo sus pobladas pestañas, rencorosos sentimientos que no se podían percibir porque pasaban por allí como pasa un relámpago por la superficie de un espejo. Su boca era con más propiedad, según la expresión que muchas veces usan inconscientemente los novelistas, un nido de perlas. [...] ¡Parece una diosa! (I, 25) Sie w i r d bei P a z z u m Idealbild der F r a u , d a m i t in die N ä h e der positiven M u t t e r M e x i k o s g e r ü c k t - ein Platz, der v o n d e r V i r g e n de G u a d a l u p e e i n g e n o m m e n w i r d — u n d dieser nicht m e h r gegenübergestellt. A u c h ihr C h a r a k t e r zeichnet sich durch h e r a u s r a g e n d e E i g e n s c h a f t e n a u s . P a z v e r s t ä r k t hier d a s , w a s B e m a l D í a z bereits geäußert hatte: Marina era de un carácter resuelto y varonil: en diversas épocas de su vida había manifestado con sus hechos, que ni la detenían los obstáculos, ni la intimidaban los peligros, ni la hacían retroceder las oposiciones, ni la obligaban á variar de pensamiento las contrariedades.. .(I, 26) Sobre todo, la cualidad más remarcable de Marina, era la astucia, el arte casi de adivinación. (I, 27) D a d u r c h liest sie C o r t é s ' W ü n s c h e a b , rettet ihn a b e r auch o f t v o r V e r s c h w ö r u n gen. Marina no sólo tenia el corazon sino la fuerza de un hombre, y con esas dos cualidades era muchas veces más fuerte, resistía mejor las fatigas que los más endurecidos soldados. (1,17) Marina estaba dominado por un corazon grande y generoso. (I, 29) In den M i t t e l p u n k t ihrer C h a r a k t e r i s i e r u n g stellt er jedoch die L i e b e , die sie a m meisten beeinflußt u n d bestimmt: £1 amor, sobre todo, era el que ejercía en ella la mayor influencia. Podía decirse que estaba hecha para el amor. En este respecto era arrebatada, celosa, implacable. Cuando ella amaba, quería ser amada de la misma manera, esto es, con dedicación extrema, con ardor sin límites, con locura. Criada en climas cálidos, su pecho era una hoguera de sentimientos volcánicos, dispuesto á estallar siempre. (1, 29) H i e r t a u c h t w i e d e r d a s K l i s c h e e der V o r z ü g e indianischer L i e b e n d e r a u f , das s c h o n v o n G e r t r u d i s G ó m e z de A v e l l a n e d a v e r w e n d e t w u r d e . Allerdings schildert P a z M a r i n a eher als sexuell z u r ü c k h a l t e n d u n d bescheiden, C o r t é s ist die treibende K r a f t (I, 2 8 1 f.). P a z zeigt a u c h M a r i n a s E r w a r t u n g e n a n C o r t é s , die dieser j e d o c h n i c h t e r f ü l l t . E r respektiert sie z w a r u n d ist ihr außerordentlich d a n k b a r f ü r ihre T r e u e u n d H i l f e : „ A m i g a leal, la m á s fiel de las a m i g a s , ¡bendita seas u n a y mil v e c e s , M a r i n a h e r m o s a , reina de m i a l m a ! " (I, 1 8 6 ) , d o c h scheint er sie nicht zu lieben, z u m i n d e s t nicht in d e m M a ß e , w i e M a r i n a f ü r ihn e m p f i n d e t . E r gesteht i h r
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