214 112 11MB
German Pages 132 [124] Year 2002
Helmut C. Jacobs Divisiones philosophiae
Editionen der Iberoamericana Ediciones de Iberoamericana Serie A: Literaturgeschichte und -kritikJHistoria y Crítica de la Literatura Serie B: Sprachwissenschaft/Lmgüiifica Serie C: Geschichte und Gesellschaft///i'ííona y Sociedad Serie D: Bibliographien/Bibliografías H e r a u s g e g e b e n v o n / E d i t a d o por : W a l t h e r L. Bernecker, F r a u k e G e w e c k e , Jürgen M . M e i s e l , Klaus M e y e r - M i n n e m a n n
A: L i t e r a t u r g e s c h i c h t e und - k r i t i k / H i s t o r i a y Crítica
de la Literatura,
10
Helmut C. Jacobs
Divisiones philosophiae Spanische Klassifikationen der Künste und Wissenschaften im Mittelalter und Siglo de Oro
Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1996
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Iberoamericana / Editionen / A] Editionen der Iberoamericana = Ediciones de Iberoamericana. Serie A, Literaturgeschichte und -kritik = Historia y crítica de la literatura. - F r a n k f u r t am Main : Vervuert. Hervorgegangen aus: Iberoamericana / Editionen / 03 Reihe Editionen, Serie A zu: Iberoamericana NE: Iberoamericana / Ediciones / A; Editionen der Iberoamericana; Ediciones de Iberoamericana; HST
10. Jacobs, Helmut C.: Divisiones philosophiae. - 1996
Jacobs, Helmut C. : Divisiones philosophiae : spanische Klassifikationen der Künste und Wissenschaften im Mittelalter und Siglo de Oro / Helmut C. Jacobs. - Frankfurt am Main : Vervuert, 1996 (Editionen der Iberoamericana : Serie A, Literaturgeschichte und -kritik ; 10) ISBN 3-89354-861-0
© Vervuert Verlag, Frankfurt / Main 1996 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Michael Ackermann unter Verwendung des Deckenfreskos der Astrologia in der Bibliothek des Escorial in Madrid Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany
INHALT Vorwort
7
1. Die Herausbildung und Kanonisierung der artes liberales und artes mechanicae in Antike und Mittelalter 1.1 Die artes liberales 1.2 Die artes mechanicae
9 10 12
2. Die spanischen Klassifikationen der Künste und Wissenschaften im Mittelalter 2.1 Lateinische Klassifikationen bis zum 12. Jahrhundert 2.2 Volkssprachliche Klassifikationen des 13. Jahrhunderts 2.2.1 König Alfons X. der Weise 2.2.2 Ramon Llull 2.3 Klassifikationen des 15. Jahrhunderts 2.3.1 Enrique de Villena 2.3.2 Alonso de Cartagena 2.3.3 Der Tratado de astrologia 2.3.4 Alfonso de la Torre 2.3.5 Pero Guillén de Segovia 2.3.6 Die Emanzipation der Dichtung zur eigenständigen Disziplin .
16 16 19 19 23 26 26 39 39 40 44 47
3. Die spanischen Klassifikationen des Siglo de Oro 50 3.1 Die Erweiterung der artes liberales zu den studia humanitatis . 50 3.2 Juan Huarte de San Juan 54 3.3 Juan de Pineda 58 3.4 Gaspar Gutiérrez de los Ríos 61 3.5 Diego Saavedra Fajardo 62 3.6 Die Aufwertung der bildenden Künste zu den artes liberales . . 64 4. Bildliche Darstellungen der artes liberales 4.1 Die europäische Bildtradition 4.2 Die Anfänge der spanischen Bildtradition im Mittelalter 4.3 Die spanischen Abbildungen der artes liberales im Siglo de Oro 4.4 Die Deckenfresken in der Bibliothek des Escorial
77 77 77 80 84
5. Ausblick - Die Neuordnung und Systematisierung der Künste und Wissenschaften im 18. Jahrhundert
87
Zusammenfassung
91
Abkürzungen
95
Bibliographie
97
Primärliteratur
97
Sekundärliteratur
101
Personenregister
115
VORWORT Die Theorie der Künste und Wissenschaften in der spanischen Literatur vor 1700 ist bisher nur in sporadischen Ansätzen erforscht worden und wird hier erstmals im größeren Zusammenhang systematisch dargestellt. Hinsichtlich des ausgewerteten Korpus der spanischen Texte über die artes liberales und artes mechanicae, die insgesamt einen Teilbereich der sogenannten Artesliteratur ausmachen, kann angesichts der spärlichen Vorarbeiten kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. In vielen Bereichen können keine endgültigen Lösungen angeboten werden, aber zumindest wird auf Desiderate der Forschung aufmerksam gemacht. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Analyse der in Spanien vor 1700 entstandenen Klassifikationen der Künste und Wissenschaften (divisiones philosophiae), wobei ihre geistesgeschichtliche Dimension im europäischen Zusammenhang ausgelotet wird. Es werden nicht nur die tiefgreifenden Wandlungen in der jeweiligen Auffassung von den Künsten und Wissenschaften gezeigt, sondern auch die Traditionslinien und Überlieferungsstränge bei der Herausbildung der verschiedenen Systeme. Als in ein Netz vielfältiger Einflüsse früherer Autoren eingebunden erweisen sich so etwa auch die beiden markanten, sehr eigenwilligen Klassifikationen von Enrique de Villena im 15. Jahrhundert, der außer den artes mechanicae auch magische Disziplinen in die divisio philosophiae integriert. Im besonderen wird der große Einfluß nachvollzogen, den Spanien durch eine Reihe herausragender Persönlichkeiten auf die europäische Literatur, in der die Theorie der artes behandelt wird, hatte. Hervorzuheben sind vor allem die Vermittlung arabisch-jüdischer Einflüsse im Mittelalter und die in Spanien selbst kaum, aber in England und Frankreich bis ins 18. Jahrhundert wirksame Rezeption der im Siglo de Oro entstandenen Klassifikation von Juan Huarte de San Juan, der die Disziplinen erstmals entsprechend den geistigen Fähigkeiten des Menschen anordnete. Die Herausbildung und Kanonisierung der artes liberales und artes mechanicae in Antike und Mittelalter bilden die Grundlage für die Entwicklung der verschiedenen spanischen Klassifikationen, die bis zum 12. Jahrhundert in Latein und seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in
8 der Volkssprache abgefaßt wurden. Als besondere Entwicklung im 15. Jahrhundert wird die Emanzipation der Dichtung zur eigenständigen Disziplin behandelt. Vorgestellt werden des weiteren die spanischen Klassifikationen der Künste und Wissenschaften im Siglo de Oro (16. und 17. Jahrhundert), in denen die artes liberales zu den studia humanitatis erweitert wurden. Besondere Aufmerksamkeit wird den von italienischen Künstlern angeregten Bemühungen spanischer Autoren um die Aufwertung der Malerei zur ars liberalis geschenkt, die in Spanien unter anderen Rahmenbedingungen als in Italien zur eigenständigen Wirkung gelangten. Ein wichtiges Pendant zur Theorie der Künste und Wissenschaften sind die Bilddarstellungen der artes liberales. Vor dem Hintergrund der europäischen ikonographischen Entwicklung werden die Anfänge der spanischen Bildtradition im Mittelalter und die Bildprogramme mit artes liberales im Siglo de Oro untersucht, deren Höhepunkt die Deckenfresken in der Bibliothek des Escorial darstellen. Im abschließenden Ausblick werden die Rezeption der spanischen Klassifikationen und theoretischen Texte in Spanien selbst während der Epoche der Aufklärung dargestellt und in den Grundlinien die Neuordnung und Systematisierung der Künste und Wissenschaften im 18. Jahrhundert skizziert, die von den im Mittelalter und Siglo de Oro ausgeprägten Anschauungen ausgingen. Die Kenntnis der vor 1700 entstandenen Literatur über die artes liberales und artes mechanicae erweist sich als Voraussetzung für das Verständnis der im 18. Jahrhundert geführten Diskussion über die Theorie der Künste und Wissenschaften. Zitate werden stets unverändert wiedergegeben, unter genauer Wahrung von Orthographie und Interpunktion der Originale. Die Buchtitel werden oft verkürzt aufgeführt, ohne Angaben von Unter- und Reihentitel. Reihentitel werden im Hauptteil nur ausnahmsweise berücksichtigt, wenn sie - wie im Falle der BAE - zur besseren Orientierung beitragen. Die vollständigen Angaben finden sich in der Bibliographie am Schluß der Untersuchung.
1. DIE HERAUSBILDUNG UND KANONISIERUNG DER ARTES LIBERALES UND ARTES MECHANICAE IN ANTIKE UND MITTELALTER
Die Kanonisierung der sieben freien Künste (artes liberales) in Trivium (sprachliche Disziplinen Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und Quadrivium (mathematisch-naturwissenschaftliche Disziplinen Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) fand in einem mehrere Jahrhunderte umfassenden Zeitraum statt, der von der Antike bis zum 6. Jahrhundert reicht. Im Frühmittelalter wurde die Tradition der artes liberales unter dem Primat der Theologie wieder aufgenommen. Die artes liberales stellten zunächst eine eigenständige Wissenschaftsklassifikation dar, die später erweitert wurde. Ihre Disziplinen wurden auch in umfassendere Klassifikationen (divisiones integriert, von denen sich zwei Haupttypen herausbildeten, philosophiae) die man variierte oder miteinander kombinierte. Im platonischen Einteilungstyp wird das Wissen in Logik, Ethik, Physik gegliedert. Das Trivium wird der Logik, die vier Kardinaltugenden der Ethik, das Quadrivium der Physik zugeteilt. Der aristotelische Einteilungstyp geht von einer Zweiteilung in Theorie und Praxis aus. Der Theorie entsprechen Physik, Mathematik, Theologie bzw. Metaphysik, der Praxis entsprechen Ethik, Ökonomik, Politik 1 . Die handwerklichen Künste (artes mechanicae), die erst im Mittelalter unter systematischen Gesichtspunkten geordnet wurden, verfestigten sich im Gegensatz zu den artes liberales nie zu einem allgemein anerkannten Fächerkanon und umfaßten im Wandel der Zeiten unterschiedliche Disziplinen. Während die artes liberales im 12. Jahrhundert zu Unterrichtsfächern der neugegründeten Universitäten avancierten, wurden die artes 1
Augustinus und Isidor von Sevilla verbreiteten den platonischen
Einteilungstyp,
B o e t h i u s führte den aristotelischen Einteilungstyp in die abendländische Literatur ein. V g l . D o m i n i c u s Gundissalinus: De divisione
philosophiae,
Baur, Münster 1903, S. 194-202; Martin Grabmann: Die stischen
Methode,
2. Bd., Freiburg
Sternagel: Die artes mechanicae bis zum Ende des 13. Jahrhunderts,
1911, Nachdruck Berlin
im Mittelalter.
Begriffs-
hrsg. von L u d w i g
Geschichte
und
Kallmütz 1966, S. 17-18.
der
schola-
1956, S. 30; Peter Bedeutungsgeschichte
10
mechanicae
zu keiner Zeit als G e s a m t h e i t in einer institutionalisierten A u s -
bildungsstätte gelehrt.
1.1 Die artes
liberales
D i e Ursprünge der artes
liberales
l a s s e n sich bis in die g r i e c h i s c h e A n t i k e
2
z u r ü c k v e r f o l g e n . S c h o n d i e S o p h i s t e n b e m ü h t e n sich i m S i n n e ihrer utilitaristischen A u f f a s s u n g v o n den W i s s e n s c h a f t e n u m eine z w e c k d i e n l i c h e S y s t e m a t i s i e r u n g d e s Unterrichts. D e r r ö m i s c h e Gelehrte Varro ( 1 1 6 - 2 7 v. Chr.) faßte als erster die v e r s c h i e d e n e n D i s z i p l i n e n z u s a m m e n in seiner z w i s c h e n 3 3 und 31 entstandenen, nur n o c h fragmentarisch durch E x z e r p t e n a c h f o l g e n d e r Autoren erhaltenen E n z y k l o p ä d i e Disciplinarum
libri
Er behandelt neun D i s z i p l i n e n ,
Rhetorik,
außer Grammatik, Dialektik,
IX*.
G e o m e t r i e , Arithmetik, A s t r o l o g i e , M u s i k auch M e d i z i n und Architektur. C i c e r o ( 1 0 6 - 4 3 v. Chr.) unterscheidet in De officiis die er als liberales
z w i s c h e n Tätigkeiten,
b e z e i c h n e t , v o n s o l c h e n , die er inliberales
oder
sordidae
2
Vgl. Joseph Mariétan: Problème de la classification des sciences d'Aristote à StThomas, Paris 1901; Paul Abelson: The Seven Liberal Arts, New York 1906; Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern/München ['1948] 9 1978, S. 46-55, 71-88; Paul Oskar Kristeller: "The Modern System of the Arts: A Study in the History of Aesthetics", in: Journal of the History of Ideas, 12 (1951), S. 496-527; 13 (1952), S. 17-46; u.d.T. Das moderne System der Künste libers, und wiederaufg. in: id.: Humanismus und Renaissance II, hrsg. von Eckhard Keßler, München o.J., S. 164-206, 287-312; Josef Dolch: Uhrplan des Abendlandes, Ratingen 1959; Josef Koch (Hrsg.): Artes liberales von der antiken Bildung zur Wissenschaft des Mittelalters, Leiden/Köln 1959; Hans Joachim Mette: "Enkyklios Paideia", in: Gymnasium, 67 (1960), S. 300-307; James A. Weisheipl: "Classification of the Sciences in Medieval Thought", in: Mediaeval Studies, 27 (1965), S. 54-90; Arts libéraux et philosophie au Moyen Age. Actes du Quatrième Congrès International de Philosophie Médiévale, Montréal/Paris 1969; Hans Martin Klinkenberg: "Artes liberales/artes mechanicae", in: Joachim Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, 1. Bd., Darmstadt 1971, Sp. 531-535; HenriIrénée Marrou: Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, hrsg. von Richard Harder, Freiburg/München 1957; David L. Wagner (Hrsg.): The Seven Liberal Arts in the Middle Ages, Bloomington 1983; Ilsetraut Hadot: Arts libéraux et philosophie dans la pensée antique, Paris 1984; Reinhold Hammerstein: "Musik und bildende Kunst. Zur Theorie und Geschichte ihrer Beziehungen", in: Imago Musicae, 1 (1984), S. 1-28.
3
Vgl. M. Terentius Varro: II. Fragmenta operum de grammatica litteris philosophia scientiis. Logistoricon libri. Antiquitates, hrsg. von Francesco Semi, Venedig 1965, S. 36-48.
11 nennt 4 . Seneca der Jüngere (4-65 n. Chr.) übernimmt im 88. Brief seiner Epistulae morales ad Lucilium diese Unterscheidung und weist die artes liberales dem freien Mann zu 5 . Augustinus (354-430) verwendet in seinen Retractationes von 427 zum ersten Mal die Siebenzahl für die artes liberales, die er disciplinae nennt 6 . Er beabsichtigte, ein christliches Lehrwerk der artes liberales zu verfassen, von dem im Jahre 387 die Grammatik und sechs Bände über Musik zustande kamen und nur letztere erhalten blieben. Augustinus nennt außer Grammatik und Musik noch Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Philosophie. In De ordine steht anstelle der Arithmetik die Astronomie 7 . Die endgültige Systematisierung der artes liberales erfolgte durch Martianus Capella in De nuptiis Mercurii et Philologiae, einer zwischen 410 und 439 in Karthago verfaßten allegorischen Enzyklopädie in Form eines Prosimetrons 8 . Geschildert wird die Hochzeit der Philologie als Repräsentantin aller Wissenschaften mit dem Gott Merkur. Die sieben artes liberales sind das Hochzeitsgeschenk des Bräutigams. Sie treten als weibliche Personifikationen mit Attributen und bestimmten Gesten auf, in Begleitung von griechischen und römischen Gelehrten. In ihrer Abfolge entsprechen sie derjenigen Varros, doch verzichtet Martianus Capella ausdrücklich auf die Behandlung von Medizin und Architektur. Seit Martianus Capella wurde die Siebenzahl der artes liberales allgemein verbindlich. Boethius (um 480-524) verwendet im Prolog zu De arithmetica den Begriff quadruvium - später als quadrivium tradiert - zur Zweiteilung der artes liberales, die sich seit Beginn des 9. Jahrhunderts allgemein
4
V g l . Marcus Tullius Cicero: Vom rechten Zürich/Stuttgart
5 6
2
Handeln,
V g l . L. A n n a e u s Seneca: Philosophische 4. Bd., Darmstadt 1984, S. 2 9 6 - 3 2 5 .
Schriften,
V g l . Aurelius Augustinus: Die Retractationen bri duo,
hrsg./übers. von Karl Büchner,
1 9 6 4 , S. 1 2 6 - 1 2 9 ( 1 , 150-151). hrsg. von Manfred R o s e n b a c h ,
in zwei Büchern.
Retractationum
li-
hrsg. von Carl Johann Perl, Paderborn 1976, S. 2 4 - 2 7 (I, 6); vgl. ibid.,
5. 5 4 - 6 1 . - Mariétan, op. cit. 1901, S. 5 4 - 6 2 ; G u y - H . Allard: "Arts libéraux et lang a g e c h e z saint Augustin", in: Arts libéraux
et philosophie
1969, S. 4 8 1 - 4 9 2 ; Henri-Irénée Marrou: Augustinus
au Moyen
Age,
op. cit.
und das Ende der antiken
Bil-
dung, Paderborn u.a. 1982, S. 163-236. 7
V g l . Aurelius Augustinus: De ordine,
in: id.: Opera,
Pars II, 2, Turnhout
1970,
S. 8 7 - 1 3 7 , hier S. 1 2 7 - 1 3 3 (II, XII, 35-11, X V I , 4 4 , und II, XVIII, 4 7 ) . 8
V g l . Martianus Capella: De nuptiis
Philologiae
et Mercurii,
hrsg. von James Willis,
L e i p z i g 1983. - W i l l i a m Harris Stahl/Richard Johnson/E.L. Bürge: Martianus pella
and the Seven Liberal
Arts, 2 Bde., N e w York 1971/77.
Ca-
12
durchsetzte 9 . Cassiodor (um 485-um 580) legte in seinen Institutiones die Reihenfolge der artes liberales als Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie endgültig fest und ordnete sie wie Augustinus als profane Wissenschaften der Bibelexegese und Theologie unter, zu deren Propädeutikum sie dienen sollten 10 . Damit war der Kanon der artes liberales grundsätzlich ausgebildet. Nach dem Zerfall des antiken Bildungssystems übernahmen die frühmittelalterlichen christlichen Autoren die artes liberales, wobei sie sich darum bemühten, sie unter den Primat der Theologie zu stellen. Ab dem 12. Jahrhundert wurden die artes liberales in den neu gegründeten Universitäten zum Lehrgegenstand in der sogenannten Artes- oder Artistenfakultät (facultas artium), die auf das Studium in den Disziplinen der drei höheren Fakultäten Medizin, Jurisprudenz, Theologie vorbereitete.
1.2 Die artes
mechanicae
In der Antike war der Begriff artes mechanicae unbekannt". Die älteste Belegstelle für artes mechanicae findet sich in dem zwischen 335 und 337 entstandenen Astrologielehrbuch Mathesis des Syrakusers Julius Firmicus Maternus, bezogen auf die besondere Begabung und Erfindungsgabe auf dem Gebiet der Mechanik seines Landsmanns Archimedes, der mit seinen Kriegsmaschinen den Römern viele militärische Niederlagen beigebracht hatte 12 . Das Wort mechanica wurde zum ersten Mal von Bischof Isidor von Sevilla (um 560-636) verwendet als Abstraktum für das Prinzip eines belie9 Vgl. Anicii Manlii Torquati Severini Boetii De institutione arithmetica libri duo. De institutione musica libri quinque, hrsg. von Gottfried Friedlein, Leipzig 1867, S. 7, Z. 25; S. 9, Z. 28 (I, 1). - Pio Rajna: "Le denominazioni Trivium e Quadrivium (con un singolare accessorio)", in: Studi Medievali, 1 (1928), S. 4-36; Michael Masi (Hrsg.): Boethius and the Liberal Arts, Bern u.a. 1981. 10 Zwischen 543 und 555 als Unterweisung und Studienprogramm für die Mönche seines Klosters in Vivarium entstanden, ist das erste Buch den theologischen Wissenschaften, das zweite den artes liberales gewidmet. Die vier Disziplinen des Quadriviums faßt Cassiodor unter dem Oberbegriff mathematica zusammen. Vgl. Cassiodori Senatoris Institutiones, hrsg. von R.A.B. Mynors, Oxford 1937, Nachdruck London 1961/63, S. 92. - Marietan, op. cit. 1901, S. 77-87; Grabmann, op. cit., 1. Bd., 1909, S. 176-177. 11 Das griechische Wort mechane List.
bedeutet Werkzeug, Maschine, Hilfsmittel oder
12 Vgl. Iulii Firmici Materni Matheseos Leipzig 1913, S. 148 (VI, 30, 26).
libri VIII, 2. Bd., hrsg. von W. Kroll u.a.,
13 bigen handwerklich-technischen Herstellungsprozesses, allerdings nicht in seinen Etymologiae, sondern in seinem Werk Differentiarum sive de proprietate sermonum libri duon. Entsprechend dem platonischen Schema teilt er das Wissen (philosophia) hier in physica, ethica, logica ein. Die physica besteht aus dem Quadrivium (arithmetica, geometria, musica, 14 astrologia), das er durch mechanica und medicina erweitert . Gegen Ende des 8. Jahrhunderts bezeichnete mechanica nicht mehr das abstrakte Prinzip, sondern den konkreten Begriff der Handwerkskunst als "die Kenntnis im künstlerischen und technischen Handwerk" 15 . Erst fünf Jahrhunderte nach Julius Firmicus Maternus wurde der Begriff artes mechanicae wieder verwendet von dem irischen Gelehrten Johannes Scottus Eriugena (um 810-nach 877) in seinen 859 verfaßten Annotationes in Marcianum, einem Glossar bzw. Kommentar zu Martianus Capellas De nuptiis Mercurii et Philologiae. Ohne die artes mechanicae zu spezifizieren, legt er ihre Anzahl in Analogie zu den artes liberales auf sieben fest. Den wesentlichen Unterschied zwischen beiden Bereichen sieht der vom Neuplatonismus beeinflußte Autor darin, daß die artes liberales um ihrer selbst willen als geistiges Gut erworben werden und im menschlichen Verstand, der für sie von Natur aus disponiert ist, ihren Platz finden. Die artes mechanicae hingegen sind dem Menschen nicht von Natur aus zueigen und müssen vom Verstand erst ersonnen werden 16 . Im 10. Jahrhundert wurden die artes mechanicae häufig mit Astrologie oder Magie gleichgesetzt, was zeigt, wie unklar der Begriff zunächst lange Zeit blieb 17 . Ein Beispiel für ein solches auch auf der Iberischen Halbinsel verbreitetes Mißverständnis stellen einige in der zweiten Jahrhunderthälfte eingetragene Interlinearglossen in einem lateinischen Passionar aus dem Kloster San Pedro de Cardena dar, das Märtyrerviten enthält, die in der mozarabischen Liturgie vorgetragen wurden 18 . Eine Glosse zu mecanicum 13 Vgl. Sancti Isidori Hispalensis Episcopi Opera omnia, 5. Bd., hrsg. von Jacques Paul Migne, Paris 1850, Sp. 9-98, hier Sp. 94: "Mechanica est quaedam peritia, vel doctrina, ad quam subtiliter fabricas omnium rerum concurrere dicunt". 14 Vgl. ibid., Sp. 93-94. 15 Sternagel, op. cit. 1966, S. 23. 16 Vgl. Johannis Scotti Annotationes in Marcianum, hrsg. von Cora E. Lutz, Cambridge (Massachusetts) 1939, S. 74 und 86 (79, 12 und 170, 14). 17 Vgl. Sternagel, op. cit. 1966, S. 37-47. 18 Es wird in der British Library in London aufbewahrt (Sign.: Ms. Add. 25.600). Das Glossar wurde zweimal veröffentlicht. Zit. n. Angel Fäbrega Grau: "Un glosario del siglo X", in: Archivum Latinitatis Medii Aevi, 22 (1952), S. 217-237, hier S. 230,
14
heißt astrologeticum. Ganz ähnlich lautet diejenige zu mathematicum, nämlich astrologismum. Das Wort mathesis wird durch das Wort astronomia erläutert. Seit dem 12. Jahrhundert lassen sich in der Verwendung des Begriffs artes mechanicae zwei gegenläufige Tendenzen feststellen: einerseits ihre Abwertung gegenüber den anderen Disziplinen, andererseits ihre gleichberechtigte Zuordnung zu den artes liberales. Honorius Augustodunensis (um 1080-um 1137) entwickelte in seinem zwischen 1115 und 1120 entstandenen Werk De animae exsilio et patria alias de artibus eine hierarchische Stufenfolge von zehn weltlichen Wissenschaften, die außer von den artes liberales von der Physica, womit er die Medizin meint, die mechanica und die Oeconomica, worunter er Politik und Rechtswissenschaft versteht, konstituiert wird. Unter der mechanica als Lehrmeisterin aller handwerklichen Künste versteht er nicht nur die Arbeit der künstlerischen und technischen Handwerke, sondern jegliche Handarbeit 1 9 . Indem er die philosoartes mechanicae als selbständiges Wissensgebiet in die divisio phiae integriert und ihr zudem noch den zweithöchsten Rang zubilligt, erweitert er nicht nur die Bedeutung des Begriffs, sondern wertet ihn entscheidend auf. Die erste inhaltliche Bestimmung der artes mechanicae leistete der Frühscholastiker Hugo von St. Victor (Ende des 11. Jahrhunderts-1141), sowohl in seinem kurzen Dialogtraktat Epitome Dindimi in philosophiam20 als auch in seiner vor 1137 verfaßten Enzyklopädie Didascalicon21. Nach logica, ethica, theorica integriert er die mechanica als vierten Teilbereich der Philosophie in das System der Wissenschaften. Die artes mechanicae bzw. adulterinae sind wie die artes liberales in sieben Disziplinen aufgeteilt: lanificium, die Handwerke, die organisches Material außer Bauholz
bzw. id.: Pasionario hispánico S. 393-407, hier S. 401.
(siglos
Vll-XI),
2. Bd., Madrid/Barcelona
1955,
19 Vgl. Honorii Augustodunensis Opera omnia, hrsg. von Jacques Paul Migne, Paris 1854, Sp. 1241-1246, hier Sp. 1245: "Nona civitas est mechanica, per quam subeunda est patria, haec doces viantes omne opus metallorum, lignorum, marmorum, insuper picturas, sculpturas, et omnes artes, quae manibus fiunt". Er nennt als herausragende Beispiele für die Leistungen der mechanica die Erbauung von Nemrods Turm, von Salomons Tempel und der Arche Noah. 20 Vgl. Hugonis de Sancto Victore Opera propaedeutica, Notre Dame (Indiana) 1966, S. 165-247.
hrsg. von Roger Baron,
21 Vgl. Hugonis de Sancto Victore Didascalicon de studio legendi, hrsg. von Charles Henry Buttimer, Washington 1939, S. 38-44 (2. Buch, Kap. 20-27).
15
bearbeiten, armatura, neben Waffenherstellung und Architektur die Malerei und die Bildhauerei, navigatio als Handel im weitesten Sinne, agricultura als Landwirtschaft, Viehzucht, Weinbau, Gartenbaukunst, venado als Jagd und Fischfang zur Nahrungsmittelbeschaffung, medicina als Heilkunst und theatrica als Theaterwesen. Er unterscheidet zwischen Praxis (administratio) und Theorie (ratio) der jeweiligen ars. Durch diese Begriffsklärung nimmt er der Mechanik den Nimbus des Fremdartigen und entwickelt aus verschiedenen vorhandenen Auffassungen ein stimmiges System, innerhalb dessen er die einzelnen Disziplinen darstellt. Sie sind nicht begrenzt auf spezielle Fertigkeiten, sondern umfassen sämtliche körperlichen Tätigkeiten und alle Arbeiten, die der Deckung der Grundbedürfnisse (necessitas) und der Annehmlichkeit (commoditas) dienen 22 . Der schottische Theologe und Philosoph Richard von St. Victor ( f l l 7 3 ) übernahm die von seinem Lehrer Hugo erstellte Einteilung in seinem vor 1159 entstandenen Liber exceptionum und trug damit entscheidend zu ihrer Verbreitung bei 23 . Albertus Magnus (um 1200-1280) und Thomas von Aquin (1225-1274) verzichteten auf eine strenge Systematik und unterschieden Tätigkeiten, durch die Dinge hergestellt werden, von solchen, mittels derer sie benutzt werden 24 .
22
Vgl. Grabmann, op. cit., 2. Bd., 1911, S. 2 3 5 - 2 4 9 ; Roger Baron: Science chez Hugues scienza
e la classificazione
Vallin:
"Medianica
d'Histoire 23
de Saint-Victor,
delle
scienze
et Philosophia
de la Spiritualité,
in Ugo di S. Vittore,
sagesse
Turin 1956; Pierre
selon H u g u e s de Saint-Victor",
in:
Revue
4 9 ( 1 9 7 3 ) , S. 2 5 7 - 2 8 8 .
Vgl. Richard de Saint-Victor: Liber
exceptionum,
1958, S. 109-111. 24
et
Paris 1957, S. 6 0 - 6 4 , 8 2 - 8 3 , 95; Luigi Calonghi: La
Vgl. S t e m a g e l , op. cit. 1966, S. 103-117.
hrsg. von Jean Châtillon, Paris
16
2. DIE SPANISCHEN KLASSIFIKATIONEN DER KÜNSTE UND WISSENSCHAFTEN IM MITTELALTER
In Spanien blieb das Bildungs- und W i s s e n s c h a f t s s y s t e m der artes les,
libera-
die der T h e o l o g i e untergeordnet waren, u n g e w ö h n l i c h lange maß-
geblich und bildete die Grundlage für den praktischen Lehrbetrieb bis zum 16. Jahrhundert 25 . D i e ältesten spanischen Klassifikationen der Künste und Wissenschaften waren in lateinischer Sprache abgefaßt. Erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden volkssprachliche Klassifikationen.
2.1 Lateinische Klassifikationen bis zum 12. Jahrhundert Isidors v o n Sevilla Enzyklopädie Etymologiae
aus der ersten Hälfte des 7.
Jahrhunderts hatte auf der Iberischen Halbinsel einen weit größeren Einfluß als De nuptiis Mercurii die sieben artes
liberales
et Philologiae
von Martianus Capella 2 6 . Isidor zählt
zwar zunächst in derselben R e i h e n f o l g e w i e Cas-
siodor auf, behandelt aber dann die Geometrie vor der Musik. D a s erste Buch ist der Grammatik g e w i d m e t , das z w e i t e der Rhetorik und der Dialektik, das dritte den übrigen vier Disziplinen, die er unter d e m Oberbegriff Mathematica
b z w . doctrinalis
scientia
zusammenfaßt. A u f die artes
libe-
25 Vgl. Karl Kohut: "La posición de la Literatura en los sistemas científicos del siglo XV", in: Iberoromania, 1 (1978), S. 67-87, hier S. 69; wiederaufg. in Deutsch, ohne Anmerkungsapparat, u.d.T. Der Platz der Literatur in den Wissenschaftssystemen des XV. Jahrhunderts. Ein Abriß der Entwicklung in Spanien, in: Rolf Kloepfer u.a. (Hrsg.): Bildung und Ausbildung in der Romania, 3. Bd., München 1979, S. 32-49. 26 Vgl. Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive Originum libri XX, hrsg. von William M. Lindsay, 2 Bde., Oxford 1911. Erhalten ist eine aus dem 15. Jahrhundert stammende Abschrift einer spanischen Übersetzung der Etymologiae, die vermutlich aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt. Der Text umfaßt die ersten fünf Bücher über die sieben artes liberales, Medizin, Jurisprudenz, das neunte Buch über ethnologische und die gesellschaftlichen Institutionen betreffende Themen und Auszüge aus dem zehnten Buch, in dem in alphabetischer Reihenfolge verschiedene Begriffe erklärt werden. Ausgelassen sind die Bücher über religiöse und theologische Themen, was auf einen Übersetzer bzw. Kopisten deutet, der vorwiegend an den profanen Inhalten der Etymologiae interessiert war. Vgl. Joaquín González Cuenca: Las Etimologías de San Isidro romanceadas, 2 Bde., Salamanca/León 1983 (mit Edition der spanischen Übersetzung).
17 rales folgen im vierten Buch die Medizin, im fünften die Jurisprudenz, in den drei darauf folgenden Büchern die Theologie, also genau die Fächer, die später in den Artesfakultäten der Universitäten gelehrt wurden. Der Erzdiakon von Segovia Dominicus Gundissalinus (um 1110-nach 1181), der dem Übersetzerkollegium des Erzbischofs Raimundo von Toledo (1126-1152) angehörte 27 , schrieb zwischen 1140 und 1150 eine auf die spezielle Studiensituation in Toledo zugeschnittene Einführung in alle Wissenschaften mit dem Titel De divisione philosophiae, in der er lateinische und arabische Quellen verwertete. Nach Dominicus' grundsätzlich aristotelischem Einteilungsschema der Wissenschaften resultieren diese aus zwei Antrieben: die theoretischen Wissenschaften aus dem Geist, die praktischen aus dem Körper. Die "Fabriles autem siue mechanice artes" 28 ordnet er der Ökonomik als Teil der praktischen Philosophie zu, ohne sie im einzelnen zu spezifizieren 29 . Dominicus zählt die Materialien auf, die von den Handwerkern benutzt und verarbeitet werden, und bezeichnet als Zweck der artes mechanicae, daß sie dem Lebensunterhalt dienen 30 . An einer anderen Stelle seines Traktats nennt Dominicus als Handwerker (fabri) den carpentarius, den ferrarius und cementarius und bezeichnet die artes mechanicae in der Tradition hellenistisch-arabischer Anschauungen als Anwendungsgebiete der Geometrie, womit er als erster auf ihre mathematischen Grundlagen hinweist 31 . Durch die Übertragung von De scientiis und De ortu scientiarum des arabischen Philosophen Abu Nasr Muhammad Alfarabi (um 873-um 950) wurde Dominicus Gundissalinus zum Vermittler arabischen Gedankenguts, nicht nur für die Iberische Halbinsel, sondern für Europa insgesamt. In De scientiis definiert und ordnet Alfarabi die Wissenschaften, beschreibt ihre
27 Vgl. Angel González Palencia: El arzobispo don Raimundo de Toledo, u.a. 1942; zu Dominicus Gundissalinus vgl. ibid., S. 138-143.
Barcelona
28 Dominicus Gundissalinus, ed. cit. 1903, S. 139. Vgl. Manuel Alonso: "Notas sobre los traductores toledanos Domingo Gundisalvo y Juan Hispano", in: Al-Andalus, 8 (1943), S. 155-188, wiederaufg. in: id.: Temas filosóficos medievales (Ibn Däwüdy Gundisalvo), Comillas 1959, S. 15-60; id.: "Las fuentes literarias de Domingo Gundisalvo", in: Al-Andalus, 11 (1946), S. 159-173; id.: "Hugo de San Víctor, refutado por Domingo Gundisalvo hacia el 1170", in: Estudios Eclesiásticos, 21 (1947), S. 209-216. 29 Dies geht wohl auf Dominicus selbst zurück, da sie in seinen arabischen Quellen nicht zu finden ist. Vgl. Baur, in: Dominicus Gundissalinus, ed. cit. 1903, S. 313. 30 Vgl. ibid., S. 139-140. 31 Vgl. ibid., S. 109.
18 Inhalte und Zielsetzungen und verweist auf Werke bedeutender Fachvertreter 32 . Seine Einteilung der Wissenschaften besteht aus fünf hierarchisch angeordneten Klassen: erstens die Wissenschaft von der Sprache, zweitens Logik, drittens Mathematik einschließlich Arithmetik, Geometrie, Optik, Astronomie, Musik, Mechanik als Kunde von den Gewichten und Hebemaschinen, Ingenieurtechnik im weitesten Sinne, viertens Physik und Metaphysik, fünftens Politik, Jurisprudenz, Theologie. Alfarabis kurze Schrift De ortu scientiarum enthält eine andere Wissenschaftseinteilung 33 . Die vier sprachlichen, auf Lehren und Lernen bezogenen Disziplinen sind die Wissenschaft von den Bezeichnungen ("scientia de lingua, id est de impositione nominum rebus" 34 ), Grammatik, Logik, Poetik 35 . Sie bilden die Grundlage für die vier propädeutischen und zwei höheren Wissenschaften, die sich auf die Realia beziehen. Die propädeutischen Wissenschaften ("scientiae disciplinales" bzw. "domatrices" 36 ) sind Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik, also die Disziplinen des Quadriviums der artes liberales. Die beiden höheren Wissenschaften sind die Physik, die von den veränderlichen Substanzen handelt ("scientia de naturis, quae est scientia de actione et passione" 37 ), und Metaphysik oder Theologie. Die Physik unterteilt Alfarabi in eine sublunare und eine supralunare. Die sublunare Physik, deren Objekte aus den vier Elementen Feuer, Luft, Wasser, Erde bestehen und in jeder Hinsicht veränderlich sind, wird von folgenden Disziplinen
32 Er arbeitete den arabischen Text gründlich um, kürzte ihn stellenweise und resümierte ganze Abschnitte. Die Passage über die Theologie fehlt ganz. Um ¡ 2 3 0 entstand eine andere, komplette lateinische Übersetzung des Textes von Gerard von Cremona. Vgl. Alfarabi: Catálogo de las ciencias, hrsg. von Angel González Palencia, Madrid 2 1 9 5 3 (Die Ausgabe enthält die spanische Übersetzung des Herausgebers, die beiden lateinischen Fassungen von Dominicus Gundissalinus und Gerard von Cremona sowie den arabischen Text). - Baur, in: Dominicus Gundissalinus, ed. cit. 1903, S. 342-345; Weisheipl, art. cit. 1965, S. 68-70; Joaquín Lomba Fuentes: "Sentido y alcance del Catálogo de las ciencias de al-Fârâbî", in: Arts libéraux et philosophie au Moyen Age, op. cit. 1969, S. 509-516. 33 Der vollständige Titel lautet Epístola de assignanda causa ex qua ortae sunt scientiae philosophiae et ordo earum in disciplina. Vgl. Alfarabi: Über den Ursprung der Wissenschaften (De ortu scientiarum), hrsg. von Clemens Baeumker, Münster 1916. - Baur, in: Dominicus Gundissalinus, ed. cit. 1903, S. 345-346, Anm. 1. 34 Alfarabi, ed. cit. 1916, S. 22. 35 Alfarabi behandelt sie am Schluß seiner divisio 36 Ibid., S. 19. 37 Ibid., S. 20.
philosophiae.
19 konstituiert: Prognostik ("scientia de iudiciis" 38 ), Medizin, Nigromantie, die Wissenschaft von den Bildern ("scientia de imaginibus" 39 ), Ackerbaukunde, Nautik, Alchimie und die Wissenschaft von den Spiegeln ("scientia de speculis" 40 ). Die supralunare Physik betrifft die himmlischen Sphären, die nur dem Ortswechsel, nicht aber dem Wandel der Formen unterliegen.
2.2
Volks sprachliche Klassifikationen des 13. Jahrhunderts
2.2.1
König Alfons X. der Weise
Zu Lebzeiten und noch in der nachfolgenden Generation war König Alfons X. der Weise (1221-1284) berühmt aufgrund seiner Beschäftigung mit den artes liberales. Der Franziskaner Juan Gil de Zamora (vor 1241-vor 1318) weist in seiner vor 1278 entstandenen kurzen Biographie des Königs im Zusammenhang mit dessen Übersetzertätigkeit auf seine Beschäftigung mit den sieben artes liberales hin: Adeo quoque animum suum transtulit ad investigandas et perscrutandas mundanas scientias et divinas, quod omnes fere scripturas triviales et quadriviales, canonicas et civiles, scripturas quoque theologicas seu divinas transferri fecit in linguam maternam 4 1 .
Auch der Infant Don Juan Manuel (1282-1348) erwähnt in seinem zwischen 1320 und 1329 entstandenen Libro de la caza ausdrücklich die Übersetzertätigkeit seines Onkels im Bereich der artes liberales: Et tanto cobdi?cio quelos de los sus reynos fuessen my sabidores, que fizo tralladar eneste lenguaje de Castiella todas las s£ien;ias, tan bien de thelogia coramo la logica, e todas las siete artes libertales c o m m o toda la arte que dizen mecanica 4 2 .
38 Ibid. 39 Ibid. 40 Ibid. 41 Zit. n. Fidel Fita: "Biografías de San Fernando y de Alfonso el Sabio por Gil de Zamora", in: Boletín de la Real Academia de la Historia, 5 (1884), S. 308-328, hier S. 321. 42 Don Juan Manuel: Libro de la caza, hrsg. von José María Castro y Calvo, Barcelona 1945, S. 11.
20 Auf welchen Text von König Alfons sich beide Autoren bei der Erwähnung der artes liberales beziehen, läßt sich nicht eindeutig klären 43 . In seinen Schriften finden sich zwei Klassifikationen der Künste und Wissenschaften, die zwar beide von den artes liberales ausgehen, sie aber in unterschiedlicher Weise erweitern. Er behandelt die sieben artes liberales zuerst in seinem Setenario, einem Fragment gebliebenen enzyklopädischen Werk über juristische, moralisch-didaktische, religiöse Themen, zu dem er von seinem Vater Ferdinand III. (1217-1252) beauftragt wurde, um die Gesetzgebung seines Landes zu vereinheitlichen 44 . Alfons begann mit der Abfassung des Textes unter der Regierungszeit seines Vaters und setzte sie vermutlich noch nach seiner Amtsübernahme 1252 fort. In seinen juristischen Teilen ist der Setenario ein Vorläufer der Siete Partidas. Der gesamte hier dargebotene Wissensstoff wird in eine symbolische Beziehung zur Zahl Sieben gesetzt und entsprechend gegliedert. Alfons benutzt für die Wissenschaften nicht den Begriff artes liberales, sondern bezeichnet sie als "los siete ssaberes, a que llaman artes" 45 . Er definiert sie als [...] maestrías ssotiles e nobles que ffallaron por ssaber las cosas çiertamientre et obrar délias ssegunt conuiniese, tan bien en las çelestiales c o m m o en las terrenales 4 6 .
Demnach beinhalten sie nicht nur das theoretische Wissen (ssaber), sondern auch die Umsetzung der Theorie in die Praxis (obrar). Das Trivium, bestehend aus gramática, lógica, rretórica, wird als eine einzige ars gezählt. Die sechs anderen artes sind diejenigen des Quadriviums, nämlich in der den Etymologiae Isidors von Sevilla entsprechenden Reihenfolge arismetica, geometría, música, astrologia, mit der die Astronomie gemeint ist, sowie die ffisica, womit Alfons die Medizin bezeichnet, und die meta43 Vermutlich meinen sie den Setenario. Oxford 1951, S. 5.
Vgl. Evelyn S. Procter: Alfonso X of
Costile,
44 Vgl. Alfonso X el Sabio: Setenario, hrsg. von Kenneth H. Vanderford, Buenos Aires 1945, S. 29-39. - Fray Martín Sarmiento: Memorias para la historia de la poesía y poetas españoles, Madrid 1775, S. 288-289; José Amador de los Ríos: Historia crítica de la literatura española, 3. Bd., Madrid 1863, Nachdruck Hildesheim/New York 1970, S. 556-663; Kenneth H. Vanderford: "El Setenario y su relación con las Siete Partidas", in: Revista de Filología Hispánica, 3 (1941), S. 233262; Walter Mettmann: "Stand und Aufgaben der alfonsinischen Forschungen", in: Romanistisches Jahrbuch, 14 (1963), S. 269-293, hier S. 276; N o e Zevallos Ortega: "Alfonso X y las artes liberales", in: Arts libéraux et philosophie au Moyen Age, op. cit. 1969, S. 627-629. 45 Alfonso X el Sabio, ed. cit. 1945, S. 29. 4 6 Ibid.
21 jfísica, die sowohl die weltliche als auch die theologische Erkenntnislehre beinhaltet. Die Abfolge der artes entspricht einer hierarchischen Rangfolge. Das Trivium, auf dem ersten Platz zusammengedrängt, nimmt als Propädeutikum für die folgenden artes den untersten Rang ein. Die metaffisica auf dem siebten Platz steht an höchster Stelle als "más noble e más ssotil que todas ellas" 47 . Jede einzelne ars wird nochmals in je sieben Einheiten unterteilt, die ihre verschiedenen Anwendungs- und Wirkungsbereiche bzw. die sie konstituierenden Elemente bezeichnen. In einem weiteren Schritt werden diese sieben Unterabteilungen in ihren spezifischen Eigenschaften auf Gott und seine verschiedenen Erscheinungsweisen bezogen und damit in einen theologisch-heilsgeschichtlichen Zusammenhang eingebettet 48 . Alle artes vermitteln nicht nur weltliches Wissen, sondern auch die Kenntnis der himmlischen, jenseitigen Dinge. Mit der Grundannahme, daß sich einerseits Gott in den artes liberales offenbart und man andererseits durch sie Gott und seine Schöpfung erkennt, stellt Alfons eine so enge Verbindung zwischen weltlichem und theologischem Wissen her, daß beide Bereiche untrennbar verwoben sind. In einer traditionelleren Weise als im Setenario stellt Alfons die artes liberales etwa zwei Jahrzehnte später in seiner um 1272 begonnenen General estoria vor, einer Fragment gebliebenen Weltgeschichte von den Anfangen bis in die Gegenwart 49 . Das Trivium nimmt mit gramatica, dialetica - nicht Logik, wie im Setenario - und rectorica die drei ersten Plätze ein. Das Quadrivium umfaßt arismetica, música, geometría, astronomía, die an anderer Stelle auch astrologia genannt wird, in der seit Cassiodor traditionellen Abfolge. Jede ars wird kurz erläutert. Auf die Einbettung in den theologisch-heilsgeschichtlichen Zusammenhang wird verzichtet. Das Trivium handelt von den sprachlichen Bezeichnungen der Gegenstände. Die Grammatik bildet die Grundlage des mündlichen und schriftlichen 47 Ibid., S. 38. 48 Die artes des Triviums werden mit der Trinität in Korrespondenz gesetzt, wobei die Grammatik dem Vater, die Logik dem Sohn, die Rhetorik dem Heiligen Geist entsprechen. 49 Vgl. Alfonso X el Sabio: General estoria. Primera parte, hrsg. von Antonio G. Solalinde, Madrid 1930, S. 193-197 (VII. Buch, Kap. XXXV-XXXIX); vgl. ibid., S. 320. - Ottavio Di Camillo: El humanismo castellano del siglo XV, Valencia 1976, S. 45-46; Francisco Rico: Alfonso el Sabio y la "General estoria", Barcelona 2 1984, S. 135-156. - Zur Datierung vgl. Fernando Gómez Redondo: "Historiografía medieval", in: Carlos Alvar u.a.: La prosa y el teatro en la Edad Media, Madrid 1991, S. 11-83, hier S. 24.
22 Ausdrucks, die Dialektik ermöglicht die Unterscheidung von Wahrem und Falschem, die Rhetorik dient der Verschönerung der Rede, so daß die Zuhörer von der Wahrheit einer Aussage überzeugt werden können. Das Quadrivium wird auf die Quantität bezogen, denn die vier Disziplinen "fablan delas cosas por las quantias dellas" 50 . Das Quadrivium zielt auf die Erkenntnis der realia, die sich in ständiger Bewegung befinden. Eine Hierarchisierung der artes entsprechend ihrer Abfolge als Einzelwissenschaften wird nicht vorgenommen, doch das Trivium als ganzes dem Quadrivium untergeordnet und als unverzichtbares Propädeutik vorangestellt. Alfons erweitert die Siebenzahl der artes liberales auf die vollendete Zahl Zehn, indem er noch die folgenden drei Wissenschaften hinzufügt: erstens die methafisica [sie], die alles Himmlische und Überirdische betrifft, zweitens die Wissenschaft von der Natur, für die Alfons keinen eigenen Terminus verwendet 51 , drittens die ethica, die die Sitten und das menschliche Verhalten betreffen. Erst die Beherrschung aller zehn artes führe den Menschen zur Vollkommenheit 52 . Alfons hielt die traditionelle Konzeption der artes liberales offensichtlich für nicht ausreichend, denn in beiden Konzepten erweitert er die sieben Disziplinen durch andere Wissenschaften. In beiden Systemen ordnet er die sprachlichen Disziplinen des Triviums den objektbezogenen des Quadriviums unter. Das weltliche Wissen wird eng mit dem theologischen verbunden. Die Konzeption der artes liberales wird von Alfons als Fundament der Erziehung und Bildung des Menschen angesehen. Der König vertritt damit in seiner Zeit eine eher konservative Richtung, die auch in seinem Engagement für die Universität Salamanca deutlich wird, in der alle Fächer außer der Theologie vertreten sein sollten 53 . In anderen Universitäten, bei50 Alfonso X el Sabio, ed. cit. 1930, S. 194. 51 Vgl. ibid., S. 196: "El segundo saber es el delas naturas pora connoscer todas las cosas que an cuerpos [...]". 52 Vgl. ibid., S. 197: "Et las tres artes del triuio como dixiemos ensenna a omne seer bien razonado, et las quatro del quadruuio le fazen sabio, et estos otros tres saberes, con aquellos, le fazen complido e acabado en bondad ele aduzen a aquella bien auenturanga empos la que non a otra". 53 Ferdinand III. unterzeichnete im April 1243 den Stiftungsbrief der Universität von Salamanca, die unter der Regierung seines Sohnes Alfons X., der am 9. November 1252 ihre Privilegien bestätigte, einen bedeutenden Aufschwung nahm. Vgl. Heinrich Denifle: Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885, Nachdruck Graz 1956, S. 481-487; Alberto Jiménez: Historia de la Universidad española, Madrid 1971, S. 66-105; Anthony J. Cárdenas: "Alfonso X and the Studium Generale", in: Indiana Social Studies Quarterly, 33 (1980), S. 65-75.
23
s p i e l s w e i s e in Paris, w u r d e n d i e s i e b e n artes
liberales
seit der Mitte d e s 13.
Jahrhunderts z u n e h m e n d vernachlässigt 5 4 . A l f o n s hält a l s o f e s t an e i n e m zu seiner Zeit bereits antiquierten W i s s e n s c h a f t s k o n z e p t , aber er aktualisiert e s durch E r g ä n z u n g e n und die B e r ü c k s i c h t i g u n g neuer D i s z i p l i n e n .
2.2.2 R a m o n Llull Der Dichter, T h e o l o g e , P h i l o s o p h R a m o n Llull ( 1 2 3 2 / 3 3 - 1 3 1 5 / 1 6 ) w i d m e t e den artes
liberales
e i n e n längeren Abschnitt in s e i n e m in katalanischer
Sprache verfaßten, für seinen S o h n D o m i n g o b e s t i m m t e n Erziehungstraktat Doctrina
pueril55,
der innerhalb der Zeitspanne v o n 1 2 7 3 bis 1 2 8 7 ent-
standen ist 5 6 und durch mehrere Ü b e r s e t z u n g e n über d e n katalanischen Sprachraum h i n a u s w e i t e Verbreitung fand 5 7 . Llulls W i s s e n s c h a f t s k o n z e p t
54 Vgl. Philippe Delhaye: "La place des arts libéraux dans les programmes scolaires du XIII e siècle", in: Arts libéraux et philosophie au Moyen Age, op. cit. 1969, S. 161-173. 55 Vgl. Ramon Llull: Libre de Doctrina Pueril, hrsg. von Mateo Obrador y Bennassar, Barcelona 1907, S. 183-211. - Maurice de Gandillac: "Place et signification de la technique dans le monde médiéval", in: Archivio di Philosofîa, 1/2 (1964), S. 265275, hier S. 265-266; Eusebio Colomer: "Las artes liberales en la concepción científica y pedagógica de Ramón Llull", in: Arts libéraux et philosophie au Moyen Age, op. cit. 1969, S. 683-690; Miguel Cruz Hernández: El pensamiento de Ramon Llull, Valencia 1977, S. 224-230; Armand Llinarès: "Le travail manuel et les arts mécaniques chez Raymond Lulle", in: Raymond Lulle et le Pays d'Oc, Toulouse 1987, S. 169-189. 56 Die Entstehungszeit ist in der Forschung umstritten. Vgl. Obrador y Bennassar, in: Llull, ed. cit. 1907, S. XVII (zwischen 1273 und 1275 in Mallorca); Wolfgang Schleicher: Ramón Lulls "Livre de Evast e Blanquerna", Genf/Paris 1958, S. 19 (zwischen 1273 und 1276); Erhard Wolfram Platzeck: Raimund Lull, 2. Bd., Düsseldorf 1964, S. 14*, Anm. 34 (zwischen 1282 und 1287 in Montpellier); Sebastián Garcías Palou: "¿Qué año escribió Ramon Llull la Doctrina pueril?", in: Estudios Lulianos, 12 (1968), S. 33-45 (um 1282); Armand Llinarès, in: Raymond Lulle: Doctrine d'enfant. Version médiévale du ms. fr. 22.933 de la B.N. de Paris, hrsg. von Armand Llinarès, Paris 1969, S. 9-10, Anm. 11 (zwischen 1275 und 1283 in Palma oder Montpellier); Emilio Blanco Gómez: "La fecha de composición de la Doctrina pueril", in: Estudios Lulianos, 29 (1989), S. 147-154 (zwischen März 1275 und November 1276). 57 Zu den provenzalischen Übersetzungen vgl. V. de Bartholomaeis: "Il testo provenzale del Libre de la doctrina pueril", in: Rendiconti della Reale Accademia dei Lincei, 11 (1902), S. 448-463; Diego Zorzi: "Un frammento provenzale della Doctrina pueril di Raimondo Lull", in: Aevum, 28 (1954), S. 345-349; Marcel Dando: "Deux traductions provençales partielles du Libre de Doctrina pueril, de Raymond Lulle, associées à des remaniements de la Somme le Roi", in: Romania, 85
24 umfaßt sieben Kapitel der insgesamt einhundert des Buches 58 . Die beiden ersten Kapitel sind den artes liberales gewidmet. Im 73. Kapitel, in dem er das Trivium vorstellt, definiert Llull ars als Ordnung des Wissens über den Zweck einer Sache 59 . Die Begriffe art, doctrina, sciencia benutzt er synonym. Die Grammatik, die er als "dretament parlar e escriure" 60 definiert, ist als die erste ars die Voraussetzung für alle anderen. Mittels der logica unterscheidet man Wahres von Falschem, die retorica ist "parlar bellament e ordonadament" 61 . Im 74. Kapitel beschreibt er das Quadrivium in der traditionellen Reihenfolge. Die geometria bezieht Llull nicht wie Alfons der Weise auf bewegte, sondern auf unbewegte Formen 62 . Die Musik sollte als sakrale Kunst zum Lob Gottes dienen, sie wird aber durch die "juglars" 63 mißbraucht, die aus Eitelkeit vor den Fürsten musizieren. Sein Begriff der estrolomia impliziert außer der Astronomie auch Elemente der Astrologie, denn sie betrifft nicht nur die Kenntnis vom Lauf der Gestirne, sondern auch deren Einfluß auf die irdischen Belange. Im Gegensatz zu Alfons dem Weisen bewertet Llull das Trivium höher als das Quadrivium. Abgesehen von der Musik warnt er vor den Disziplinen des Quadriviums. Die Astrologie lehnt er grundsätzlich ab, da sie zu Irrtümern und zur Geringschätzung Gottes verleite. Trotz ihres unbestreitbaren Nutzens hält er Geometrie und Arithmetik für ungeeignet zur Erziehung, weil sie den Menschen, indem sie von ihm vollen Besitz ergreifen, von Gott ablenken 64 . Der Titelheld von Llulls zwischen 1283 bis 1285 entstandenem Roman Libre de Evast e Blanquerna wird nach den Prinzipien der Doctrina pueril unterrichtet, deren Titel ausdrücklich genannt wird. Demgemäß erlernt er im Alter von acht
(1964), S. 17-48. - Zur Ende des 13. Jahrhunderts entstandenen französischen Übersetzung vgl. Llull, ed. cit. 1969. 58 73.-79. Kap. 59 Vgl. Llull, ed. cit. 1907, S. 183: "Art es ordonament e establiment de conexer la fi daquella cosa de la qual hom vol aver conexensa". 60 Ibid. 61 Ibid., S. 185. 62 Vgl. ibid., S. 186: "Geometria es doctrina de formes immovables montiplicades en nombre en humana pensa". 63 Ibid., S. 187. 64 Vgl. ibid., S. 188. Als einzige nennenswerte Erweiterung ist in der französischen Übersetzung die Warnung vor Geometrie und Astronomie noch ausführlicher als in der katalanischen Vorlage. Vgl. Llull, ed. cit. 1969, S. 29 und 157.
25 Jahren das Trivium, vom Quadrivium aber nur die Musik, um in der Messe gut mitsingen zu können 65 . Die artes liberales bilden die Voraussetzung für die vier höheren Disziplinen Theologie, Jurisprudenz, Naturkunde bzw. Philosophie 66 und Medizin, die in den folgenden vier Kapiteln besprochen werden. Die Theologie ist die höchstrangige Wissenschaft. Die Jurisprudenz unterteilt er in kanonisches und ziviles Recht. Zur Medizin entwickelt er die Vier-SäfteLehre auf der Basis der vier Elemente. Das 79. Kapitel ist den artes mechanicae gewidmet 67 . Ihre positive Bewertung bringt Llull schon in seiner Definition zum Ausdruck: "Art mecanica es sciencia lucrativa manual por donar sustentacio a vida corporal" 68 . Zu den Handwerkern zählt er Landarbeiter, Schmiede, Zimmerleute, Schuster, Schneider, Händler. Ohne die körperliche Arbeit könnte die soziale Ordnung nicht existieren, denn die Handwerker schaffen die Lebensgrundlage für alle anderen Stände. Die artes mechanicae sind an keinen bestimmten Stand gebunden. Llull illustriert die soziale Mobilität mit dem Rad der Fortuna: Die Handwerker streben danach, Bürger zu werden. Andererseits können wohlhabende Bürger durch Untätigkeit wieder verarmen. Das Handwerk ist mehr wert als materieller Reichtum. Als Vorbild betrachtet Llull die Sarazenen, bei denen selbst die Reichen ein Handwerk erlernen, um überleben zu können, wenn sie durch die Unbill des Schicksals ihren Besitz verlieren. Bemerkenswert ist, wie vorurteilsfrei Llull, immerhin in der Endphase der Kreuzzugsbewegung, Gedanken der arabischen Welt für die Christen nutzbar zu machen sucht. Er übt deutlich Kritik am Dünkel der oberen Stände, nicht nur an
65 Vgl. Ramon Llull: Obres essencials, l . B d . , Barcelona 1957, S. 111-307, hier S. 126-127 (1. Buch, 2. Kap.). - Zur Datierung vgl. ibid., S. 116-117. Schleicher geht davon aus, daß der Roman 1273 bis 1276 begonnen und im genannten Zeitraum fertiggestellt wurde. Vgl. Schleicher, op. cit. 1958, S. 21. 66 Llull weist auf die enge Verbindung zwischen Theologie und Philosophie hin und definiert letztere als Naturkunde, vgl. Llull, ed. cit. 1907, S. 190: "La Philosofia, qui es sciencia natural". An anderer Stelle bezeichnet er die Philosophie als "la sciencia de Natures" (ibid., S. 193). 67 Sie werden von Llull schon in seiner 1272, also vor der Doctrina pueril, in Mallorca entstandenen umfangreichen mystisch-theologischen Abhandlung Libre de contemplaciö behandelt. In einem Abschnitt über die verschiedenen Stände werden auch die Tätigkeitsbereiche der Händler, Seeleute, Schäfer, Maler, Bauern, Handwerker beschrieben und unter moralisch-didaktischen Aspekten beurteilt. Vgl. Obres essencials, 2. Bd., Barcelona 1960, S. 85-1269, hier S. 334-369. 68 Llull, ed. cit. 1907, S. 208.
26 Adel und Klerus, sondern auch an der sich neu herausbildenden Schicht des reichen Bürgertums. Llulls enzyklopädisches Werk Arbre de ciència von 1296, das entsprechend dem Symbol des Baumes mit seinen Wurzeln, dem Stamm, den Zweigen, Blättern, Blüten und Früchten gegliedert ist, enthält im fünften Baum ("De l'arbre humanal") eine systematische, hierarchisch angeordnete Wissenschaftseinteilung 69 . Auf die sieben artes mechanicae folgen die sieben artes liberales, danach Jurisprudenz, Medizin, Philosophie, Theologie. Für die sieben artes mechanicae berücksichtigt er zum Teil andere Tätigkeiten als Hugo von St. Victor. Llull beschreibt das Handwerk des Schmieds (ferreria), Schreiners (fusteria), Schneiders (sartoria), Bauern (agricolia), Händlers (mercaderia), Seefahrers (marineria), Ritters (cavalleria). Ihre Abfolge entspricht dem Grad ihrer jeweils größeren Komplexität, impliziert aber keine unterschiedliche Bewertung, denn jedes Handwerk ist notwendig, da es die Voraussetzungen für die nächsthöheren Tätigkeiten schafft. Llull integriert die artes mechanicae nicht bloß in die divisio philosophiae, sondern propagiert sie als notwendiges Fach für jedermann, das in schlechten Zeiten das Überleben gewährleistet. Seine utilitaristisch-pragmatische Sicht der artes mechanicae und ihre hohe ökonomische und pädagogische Bewertung sind für seine Zeit außergewöhnlich 70 .
2.3
Klassifikationendes 15. Jahrhunderts
2.3.1
Enrique de Villena
Zwei originelle, sehr eigenwillige volkssprachliche Klassifikationen der Künste und Wissenschaften stammen von Enrique de Villena (1384-1434). Am 6. September 1423 beendete dieser seine auf Bitten des königlichen Metzgers Sancho de Jarava verfaßte Abhandlung Arte cisoria über die Kunst des Fleischzuschneidens am Tisch des Königs 71 . Sie ist in zwei 69 Vgl. Llull, ed. cit., 1. Bd., 1957, S. 547-1046, hier S. 629-633. - Armand Llinarès: "Le système des sciences de Ramon Llull, d'après l'Arbre de ciència", in: A das del IV Seminario de historia de la filosofla espanola, Salamanca 1986, S. 535-545, hier S. 540-542; id., art. cit. 1987, S. 177-182. 70 Er wurde deswegen sogar eingeschätzt als "précurseur des Encyclopédistes" (Llinarès, in: Llull, ed. cit. 1969, S. 12). 71 Vgl. Russell Vernon Brown: Enrique de Villena's "Arte cisoria". A Critical Edition and Study (University of Wisconsin 1974), Ann Arbor 1975; Enrique de Villena:
27 Handschriften erhalten72 und wurde erstmals 1766 veröffentlicht73. Die Arte cisoria ist nicht nur eine Beschreibung von manuellen Tätigkeiten und der dafür notwendigen Instrumente, sondern auch ein Handbuch höfischer Umgangsformen zur Belehrung der Adeligen. Hinsichtlich der Bedeutung, die der richtigen Essenszubereitung für das Wohlergehen des Menschen zukommt, ähnelt der Text einem medizinischen Traktat. Im ersten Kapitel ordnet Enrique de Villena die Arte cisoria in den Zusammenhang der übrigen Wissenschaften ein. Er erzählt eine phantastisch anmutende Geschichte, die die translatio artium von der vorsintflutlichen Zeit bis zur Gegenwart symbolisiert74. Noahs jüngster Sohn Cham, von einigen Zoroaster genannt, ist "fallador, ordenador e dador de las artes e s^iencjias"75, Arte cisoria. Arte de trinchar o cortar con cuchillo carnes y demás viandas, hrsg. von Enrique Díaz-Retg, Barcelona 1948; The Text and Concordance of Escorial Manuscript f.iv.l. Arte Cisoria. Enrique de Villena, hrsg. von John O'Neill, Madison 1987; Enrique de Villena: Obras completas, 1. Bd., hrsg. von Pedro M. Cátedra, Madrid 1994, S. 131-218. - Emilio Cotarelo y Mori: Don Enrique de Villena, Madrid 1896, S. 64-68; Marcelino Menéndez Pelayo: Antología de poetas líricos castellanos, 2. Bd., hrsg. von Enrique Sánchez Reyes, Santander 1954, S. 40-41, 43-46; Doris King Arjona: "Enrique de Villena and the Arte cisoria", in: Hispania, 43 (1960), S. 209-213; Russell V. Brown: "Ceremony and Stilistic Awareness in Enrique de Villena's Arte cisoria", in: Revista de Estudios Hispánicas, 15 (1981), S. 75-83; Elena Gascón Vera: "La ceremonia como ciencia: El arte cisoria de Enrique de Villena", in: A. David Kossoff u.a. (Hrsg.): Actas del VIH Congreso de la Asociación Internacional de Hispanistas, 1. Bd., Madrid 1986, S. 587-595. 72 Die in Santander aufbewahrte Handschrift ist die vollständigste, wohingegen die des Escorial Lücken aufweist. Vgl. Brown, in: Enrique de Villena, ed. cit. 1975, S. 60-69; Charles B. Faulhaber u.a.: Bibliography of Old Spanish Texts, Madison 3 1984, S. 18, Nr. 244 (Escorial), und S. 244, Nr. 2941 (Santander). 73 Die Erstausgabe wurde von der Biblioteca Real de San Lorenzo del Escorial herausgegeben. Der dortige Bibliothekar Padre Francisco Núñez, der nicht genannt wird, war der Herausgeber. Erhalten ist eine Abschrift der im Escorial aufbewahrten Handschrift (in der Biblioteca Nacional in Madrid, Sign.: Ms. 7843), die der toledanische Paleograph und Bibliothekar Francisco Javier de Santiago Palomares (1728-1796) für eine von ihm geplante Edition anfertigte, die er aufgegeben hat, sobald die Ausgabe von Núñez erschienen war. Vgl. Arte Cisoria ó Tratado del arte del cortar del cuchillo, que escrivió don Henrique de Aragón, Marqués de Villena, Madrid 1766, Nachdruck ibid. 1981. - Brown, in: Enrique de Villena, ed. cit. 1975, S. 69-80; id.: "El Arte cisoria de Enrique de Villena: borrador de una desconocida edición del siglo XVIII", in: Romance Notes, 18 (1978), S. 398-403. 74 Zur translatio artium vgl. Franz Josef Worstbrock: "Translatio artium. Über die Herkunft und Entwicklung einer kulturhistorischen Theorie", in: Archiv für Kulturgeschichte, 47 (1965), S. 1-22. 75 Zit. n. Enrique de Villena, ed. cit. 1994, S. 137. Vgl. id., ed. cit. 1975, S. 101; id., ed. cit. 1987, S. 4.
28 denn er ordnete die von verschiedenen einzelnen Menschen erfundenen Wissenschaften noch vor der Sintflut und faßte sie als erster zusammen 76 . Er schrieb sie auf sieben Säulen aus Kupfer, dann zur Sicherheit nochmals auf sieben Säulen aus gebrannter Tonerde, damit sie weder durch Feuer noch durch Wasser vernichtet werden könnten. Vier der kupfernen Säulen wurden alsdann von der Sintflut in die Bibliothek von Athen getragen, von wo man sie später nach Rom brachte 77 . Die insgesamt einhundert Disziplinen wurden dort in den öffentlichen Schulen gelehrt. Sobald das Christentum Rom in Besitz nahm, verbot die Katholische Kirche vierzig von ihnen als abergläubische Wissenschaften, und diese wurden nur noch an den Universitäten von Salamanca und Oxford unterrichtet. Enrique de Villena unterteilt sie in die drei Klassen "liberales, naturales e mecánicas" 78 . Den artes mechanicae ordnet er die Arte cisoria zu. Daß er eine ars mechanica als Thema einer längeren Abhandlung wählt und als eigenständige Disziplin in den Kontext der übrigen Wissenschaften einordnet, bedeutet nicht nur eine Aufwertung der Arte cisoria, sondern der artes mechanicae insgesamt 79 . Außer der Arte cisoria nennt er von den erlaubten Wissenschaften jede einzelne der sieben artes liberales in der traditionellen Reihenfolge, ohne daß er sie ausdrücklich unter diesem Oberbegriff subsumiert, des weiteren Philosophie (philosofia), Dichtung (poetria), Theologie (theologia),
76 In der Genesis wird Cham zusammen mit seinen Brüdern Sem und Japhet im Zusammenhang mit Noahs Stammbaum erwähnt. Des weiteren wird erzählt, wie Cham von seinem betrunkenen Vater Noah verflucht wird, weil er ihn vor seinen beiden Brüdern bloßgestellt hat. Vgl. Gen. 5, 32; 9, 18-26; 10, 6-20. 77 Über den Verbleib der übrigen drei kupfernen und sieben tönernen Säulen schreibt Enrique de Villena nichts. 78 Zit. n. Enrique de Villena, ed. cit. 1994, S. 138. Vgl. id., ed. cit. 1975, S. 102; id., ed. cit. 1987, S. 5. 79 In diesem Zusammenhang muß auch sein Verweis auf die Autorität des Theophilus gesehen werden, der mit seiner Abhandlung Diversarum artium schedula aus dem 12. Jahrhundert ein umfassendes Werk über die artes mechanicae verfaßt hat. Dort wird allerdings entgegen den Angaben von Enrique de Villena die Arte cisoria nicht erwähnt. Vgl. Enrique de Villena, ed. cit. 1987, S. 5, bzw. ed. cit. 1994, S. 138. Technik des Kunsthandwerks im zwölften Jahrhundert, des Theophilus Presbyter Diversarum artium schedula, hrsg./übers. von Wilhelm Theobald, Düsseldorf 1933, Nachdruck ibid. 1984; Theophilus: The Various Arts. De diversis artibus, hrsg./übers. von C.R. Dodwell, London 1961, Nachdruck Oxford 1986.
29 Militärtaktik bzw. Nautik (estratagemata bzw. estragematä), Jurisprudenz (iderecho)%0. Es stellt sich die Frage, auf welche Quellen Enrique de Villena für seine Ursprungsgeschichte der Wissenschaften rekurriert. Vermutlich hat er verschiedene Geschichten miteinander verschmolzen. Die Angaben über die Bibliothek von Athen stammt aus der Kompilation Noctes Atticae von Aulus Gellius (um 125-170), den Enrique de Villena als Gewährsmann nennt 81 . Die Erzählung von Cham als Erfinder der Wissenschaften und Künste ist eine von zahlreichen Legenden, die sich schon in frühchristlicher Zeit um den Sohn Noahs, als Ergänzung der kargen Angaben der Genesis, gebildet haben 82 . In den Recognitiones, die dem römischen Bischof Klemens I. (Clemens Romanus) aus dem 1. Jahrhundert zugeschrieben werden, wird lediglich erzählt, daß Cham, der Zoroaster genannt wird, die magischen Wissenschaften erfunden und überliefert habe 83 . Die Collationes von Johannes Cassianus (f um 435) enthalten eine detailliertere Schilderung, die mit der Sintflutsage verknüpft wird 84 . Demnach habe Cham die "scelestas artes ac profana" 85 vor der Zerstörung durch die Sintflut bewahrt, indem er sie auf Metall- und Steinplatten geschrieben habe. Der Pariser Chorherr Petrus Comestor (um 1100-1179), der die Geschichte in seiner Historia scholastica ebenfalls in gedrängter Kürze erzählt, schreibt, Cham habe die
80 Vgl. Enrique de Villena, ed. cit. 1975, S. 106-107; ed. cit. 1994, S. 139-140. Diese Wissenschaften, die den Kanon der artes liberales erweitern, finden sich aufgrund eines fehlenden Blattes nicht in der Handschrift des Escorial. 81 Vgl. A. Geliii Noctes Atticae, hrsg. von P.K. Marshall, 1. Bd., Oxford 1968, S. 272273. Dort werden die kupfernen Säulen nicht erwähnt. Aulus Gellius nennt im Gegensatz zu Enrique de Villena nur die freien Künste und berichtet von der Zerstörung der Bibliothek von Alexandria, nicht von der in Athen. Vgl. Brown, in: Enrique de Villena, ed. cit. 1975, S. 41-42. 82 Vgl. Francis Lee Utley: "Noah's Ham and Jansen Enikel", in: The Germanic Review, 16 (1941), S. 241-249, hier S. 248; Jack P. Lewis: A Study of the Interpretation of Noah and the Flood in Jewish and Christian Literature, Leiden 1968, S. 178-179. 83 Vgl. S. Clementis I, Pontificis Romani, Opera omnia, Paul Migne, Paris 1857, Sp. 1157-1474, hier Sp. 1326.
l . B d . , hrsg. von Jacques
84 Vgl. Joannis Cassiani Opera omnia, cum amplissimis Commentariis Alardi Gazaei, 1. Bd., hrsg. von Jacques Paul Migne, Paris 1846, Sp. 477-1328, hier Sp. 758-759. 85 Ibid., Sp. 759.
30
W i s s e n s c h a f t e n auf vierzehn Säulen, nämlich sieben eherne und s i e b e n tönerne, e i n g e t r a g e n 8 6 . Enrique de V i l l e n a erwähnt in seiner Arte
cisoria,
er habe die Eintei-
lung der W i s s e n s c h a f t e n in der E x p o s i t i o n e i n e s anderen seiner W e r k e , e i n e m Brief b z w . einer A b h a n d l u n g i m Z u s a m m e n h a n g mit d e m Physiker A l f o n s o Chirino de Guadalajara, d e s W i d m u n g s t r ä g e r s s e i n e s Tratado lepra,
n o c h e i n g e h e n d e r erörtert 8 7 . Leider ist der in der Arte
cisoria
de la er-
wähnte T e x t v e r s c h o l l e n , aber e i n e ausführliche Einteilung der W i s s e n schaften findet sich in einer der G l o s s e n zu seiner i m Auftrag v o n K ö n i g Johann II. v o n Navarra angefertigten ersten s p a n i s c h e n Ü b e r s e t z u n g v o n V e r g i l s Aeneis.
Enrique de V i l l e n a verfaßte sie z w i s c h e n d e m 28. S e p t e m -
ber 1427 und d e m 10. Oktober 1428, stellte ihr als P r o ö m i u m e i n e L e b e n s beschreibung V e r g i l s voran 8 8 und versah sie mit zahlreichen G l o s s e n 8 9 . 86 Vgl. Magistri Petri Comestoris Historia Scholastica, hrsg. von Jacques Paul Migne, Paris 1855, Sp. 1053-1722, hier Sp. 1090. 87 Vgl. Enrique de Villena, ed. cit. 1975, S. 43 und 120. 88 Damit knüpft er an die Tradition der Vergil-Viten (vitae vetustiores) von Sueton, Donat, Servius an. Vgl. Vitae Vergilianae, hrsg. von Iacobus Brummer, Leipzig 1912; Hollis Richie Upson: "Medieval Lives of Virgil", in: Classical Philology, 38 (1943), S. 103-111; Vitae Vergilianae Antiquae, hrsg. von Colin Hardie, Oxford 2 1966; Werner Suerbaum: "Hundert Jahre Vergil-Forschung: eine systematische Arbeitsbibliographie mit besonderer Berücksichtigung der Aeneis", in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung, hrsg. von Hildegard Temporini/Wolfgang Haase, Bd. 11.31.1, Berlin/New York 1980, S. 3-358, hier S. 301-308; id.: "Von der Vita Vergiliana über die Accessus Vergiliani zum Zauberer Vergilius. Probleme - Perspektiven - Analysen", in: ibid., Bd. 11.31.2, 1981, S. 1156-1262 (Suerbaum erwähnt Enrique de Villena nicht); Publius Vergilius Maro: Landleben. Catalepton, Bucólica, Geórgica, hrsg. von Johannes und Maria Götte. Vergil-Viten, hrsg. von Karl Bayer, München/Zürich 5 1987, S. 211-259, 407-469, 539. 89 Vgl. La Vida de Virgilio de Enrique de Villena en su traducción de la Eneida, hrsg. von Feliciano Delgado, Córdoba 1979 (Edition der Vita Vergils des Proömiums samt der Glossen); Ramón Santiago Lacuesta: La primera versión castellana de La Eneida, de Virgilio. Los libros 1-111 traducidos y comentados por Enrique de Villena (1384-1434), Madrid 1979 (Edition des Prologs und der ersten drei Bücher, ausschließlich der Glossen); Jean Lamartinel: "Marquis de Villena, Carta-Prohemio (Edition)", in: Cahiers de Linguistique Hispanique Médiévale, 13 (1988), S. 35-51 (Edition des Proömiums und einiger ausgewählter Glossen, allerdings ohne die Glosse mit der Klassifikation der Wissenschaften); Enrique de Villena: Traducción y glosas de la "Eneida", 1. Bd., hrsg. von Pedro M. Cátedra, Salamanca 1989 (textkritische Ausgabe). - Cotarelo y Mori, op. cit. 1896, S. 87-98; Pedro Urbano González de la Calle: "Contribución al estudio de la primera versión castellana de la Eneida", in: Anales de la Universidad de Madrid, 2 (1933), S. 131-157, 259-284; 3 (1934), S. 1-20; Carla De Nigris: "La classificazione delle scienze nella Eneida ro-
31
D i e s e dienten dazu, d e m L e s e r d e n v e r b o r g e n e n a l l e g o r i s c h e n S i n n d e s T e x t e s ( i n t e g u m e n t u m b z w . involucrum90) Eneida
zu o f f e n b a r e n 9 1 . D i e G l o s s e n zur
sind nur in z w e i Handschriften erhalten, w o b e i die e i n e d e n T e x t
der ersten drei B ü c h e r samt der G l o s s e n , d i e andere nur d i e G l o s s e n enthält 9 2 . D i e K l a s s i f i k a t i o n v o n einhundert W i s s e n s c h a f t e n , d i e Enrique d e V i l l e n a in der Arte
cisoria
P r o ö m i u m der Eneida
nur andeutet, führt er in einer der G l o s s e n z u m
als Ordnung mit v e r s c h i e d e n e n K l a s s e n u n d Eintei-
l u n g s s t u f e n g e n a u aus, i n d e m j e d e e i n z e l n e W i s s e n s c h a f t n a m e n t l i c h g e nannt wird. D i e G l o s s e bezieht sich auf f o l g e n d e A u s s a g e über V e r g i l s A u s b i l d u n g in d e n W i s s e n s c h a f t e n :
mangada di Enrique de Villena", in: Annali della Facoltà di Lettere e Filosofia dell'Università di Napoli, 21 (1978/79), S. 169-198; id.: "La classificazione delle arti magiche di Enrique de Villena", in: Quaderni Ibero-Americani, 53/54 (1979/80), S. 289-298; Marcella Ciceri: "Enrique de Villena traduttore e t/j ü s l i l i s > 0s •s oo 2 SP2 » OJ rt 0.C-0 U 8.a e I Tt Tt TT
2 «s
II
1111111111111111
s
—
>Ö
u •o u vi 3 S g* c «o tu c c c u O U > c £ u E Q 03 C J= C J t« C c u U op
•oc S -3 = o 2 O i 3 S — « o "w 2 S 'C 0 « 2 Sfi c35 u »Sä» S •gSEj-S 2 C o t> N C Clcj-OX» WÍ vo r- oo _L
t i .2,2 i cs1 1 N—
*
tUi 3 IS c o J _
So» «í « u >> € í 3 ÍN u K-e s o c geoc SïLsi -rt i/», T 1
O •s ra ra u .a S Si » â K 2 1= Cl a -5 s eQ =• a 5c S=2o— .2 Ü c « « ¿s í3 a 8 ~ o.2TLS P «s« 3'û-S.u C ri O — ra =2euE s | S S f ä 5ë.3 ' B l - S l iu-c S ÎT> 2f>s G fi S t>U
37
2 o ^t o*'—' « J l S -S c g e = a g o » t x £ E _ O O o o c -o c i: o o. V rt E C3 'J
a '5 °I
'C o « c §.
OO OS OS
l i
e s 2 H e cl o c ab « .. « es y § .g S IP -3 32 I C 1 2 o » rt t/-, so r- oo © so SO i i i i s s
L (3 a Ë § 1 i l - tí m Tt J_l j J J
a .2 ö
'i »' SS ì E1 T« !! S Ë «a i .2 ¡ S &-§ S .2-g. 3 g g a s i i &. 3 i — a - 2 i i i
. « « ' i g e • i l l i §
S a 2 Ü ' C 'C a ° 2 u 3 « o c