Dissonanz und Harmonie: in Romantik und Moderne 3770553098, 9783770553099

Musik, einst Inbegriff von Harmonie, wird seit der Romantik zunehmend dissonanter. In der Hinwendung zu okkultistischen

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German Pages 348 [349] Year 2012

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Table of contents :
Dissonanz und Harmonie: in Romantik und Moderne
Inhaltsverzeichnis
AHNUNG
versus e. Kreisförmige Strukturen in der Musik
DISSONANZ
Dissonanz und Fragment
Adornos Dissonanzen
HARMONIE
„Ersichtlich gewordene Thaten der Musik“ – Zum Schluß von Wagners Götterdämmerung
Die Harmonie der Welt – ZurWiederbelebung pythagoreischer Vorstellungen im 19. und 20. Jahrhundert
Theosophie und Gnosis als okkulteWurzeln der Neuen Musik im frühen 20. Jahrhundert
ERINNERUNG
Adrian Leverkühns Teufelspakt
Die Stimme aus dem Jenseits
Die Trivialisierung von Musik
Leonores Flaschenpost
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Personenregister
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Dissonanz und Harmonie: in Romantik und Moderne
 3770553098, 9783770553099

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Werner Keil Dissonanz und Harmonie

Werner Keil

Dissonanz und Harmonie in Romantik und Moderne

Wilhelm Fink

Umschlagabbildung: Franz von Stuck, Dissonanz, 1910

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. c 2012 Wilhelm Fink Verlag, München  Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co KG, Paderborn ISBN: 978–3–7705–5309–9

Vorwort Als Musikwissenschaftler habe ich mich im Laufe der letzten 25 Jahre eher an den Rändern meines Faches aufgehalten, da, wo die Musikwissenschaft sich mit Ästhetik und Literatur, mit Philosophie und Mathematik berührt. Dabei galt mein Interesse lange Zeit der Romantik, erst später kamen Aspekte der jüngeren Kulturgeschichte hinzu. In meinen Augen ist die Romantik jene Phase der europäischen Geschichte, mit der die Moderne im eigentlichen Sinn beginnt und deren zentrales Paradigma im Bewußtsein einer allgegenwärtigen ,Dissonanz‘ liegt: deshalb besitzen Ästhetik und Kulturtheorie der letzten zwei Jahrhunderte eine unverkennbar gnostizistische Grundfärbung. Gleichzeitig verzehrt sich die Romantik nach Harmonie. Die Musik, Referenzpunkt für beides, erfuhr seither eine beispiellose ästhetische Überhöhung, die seit etwa 50 Jahren in Trivialisierung umgeschlagen ist. Diesen Gedankengang entfalte ich in zehn Kapiteln, die einzelnen Aspekten romantischer Musikästhetik bei Schopenhauer und E. T. A. Hoffmann gelten, Adornos Dissonanzbegriff und Thomas Manns Doktor Faustus streifen, okkultistische, gnostizistische und theosophische Bezüge der neuen Musik um 1900 im Schönbergkreis und bei dem englischen Komponisten Cyril Scott untersuchen, sich mit den Wiederbelebungsversuchen pythagoreischer Harmonielehre befassen und in eine neue Deutung der tacet-Stücke John Cages münden. Ich greife teilweise auf Gedankengänge zurück, die, als ich sie vor Jahren erstmals vortrug, auf Unverständnis und Widerstand gestoßen waren, so beispielsweise meine Dissonanzthese, vorgestellt 1992 anläßlich einer Romantiktagung in Berlin. Auch die Idee, daß das, was um 1800 geschah, unsere Geschichte bis heute entscheidend prägt, daß also, formelhaft gesagt, ,Romantik‘ und ,Moderne‘ nahezu synonyme Begriffe sind, wurde noch vor zwanzig Jahren von vielen mit Skepsis aufgenommen; Adorno als Romantiker aufzufassen ärgerte manchen unter den selbsternannten Gralshütern seiner philosophischen Lehren. Inzwischen scheint die Kulturgeschichte mit dieser Sichtweise im Großen und Ganzen einverstanden zu sein; an die Stelle skrupulöser, letztlich unfruchtbarer terminologischer Haarspaltereien um die Begriffe ,romantisch‘ bzw. ,Romantik‘ sind pragmatische Darstellungen getreten, die, wie jüngst diejenige des Cambridger Historikers Tim Blanning, umstandslos von einer „romantic revolution“ sprechen, die sich in allen Ländern Europas und

in allen Bereichen des kulturellen und geistigen Lebens zwischen Rousseau und Wagner ereignet und einen beispiellosen „triumph of music“ nach sich gezogen hätte. Insofern erscheint es mir gerechtfertigt, die Ergebnisse meiner früheren Untersuchungen zusammenfassend aufzugreifen, dagegen auf manche zeitbedingt polemisch ausgefallene Absicherung zu verzichten. Ein Forschungsfreisemester im Sommer 2011 gab mir die Möglichkeit, dieses Buch mit der hierfür nötigen Muße zu schreiben; ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen im Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold, allen voran Dr. Stefanie Rauch, für fruchtbare Anregungen und lebhafte Diskussionen; der Universitätsbibliothek Paderborn, der Bibliothek der Hochschule für Musik, der Lippischen Landesbibliothek in Detmold sowie Dr. Roman Salyutov für ihre Hilfe bei der Beschaffung von Literatur und Noten; schließlich Margarita Gross und Alexander Niemeyer für das Korrekturlesen. Heiligenkirchen, im Herbst 2011

Inhaltsverzeichnis AHNUNG π versus e. Kreisförmige Strukturen in der Musik . . . . . . DISSONANZ

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Dissonanz und Fragment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Adornos Dissonanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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HARMONIE

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„Ersichtlich gewordene Thaten der Musik“ – Zum Schluß von Wagners Götterdämmerung . . . . . . . . . . . . . 115 Die Harmonie der Welt – Zur Wiederbelebung pythagoreischer Vorstellungen im 19. und 20. Jahrhundert . . . . 133 Theosophie und Gnosis als okkulte Wurzeln der Neuen Musik im frühen 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 173 ERINNERUNG

215

Adrian Leverkühns Teufelspakt . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Die Stimme aus dem Jenseits . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Die Trivialisierung von Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Leonores Flaschenpost . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

AHNUNG

π versus e. Kreisförmige Strukturen in der Musik

(Nein, bei Ihm, der die ,Heilige Vier‘ unsrer Weisheit erfunden, Quell der Wurzelkräfte des immerströmenden Werdens.) Jambl. Vit. Pyth. 150

I. unktlich ¨ mittags von 12 bis ein Uhr pflegte Arthur Schopen-

P hauer jeden Tag alleine für sich Flöte zu spielen, ohne daß ihm

jemand zuhören durfte. Ihn begeisterte die Musik Rossinis: „Wenn er von Rossini sprach, schlug er die Augen andächtig zum Himmel auf“1 , berichtete Robert von Hornstein, ein Besucher des alten Schopenhauers in Frankfurt am Main. „Er besaß sämtliche Opern Rossinis für eine Flöte arrangiert. Das spielte er alles von Jahr zu Jahr einmal durch“2 . Abends fand man den Philosophen im Frankfurter Opernhaus, wo er einen festen Abonnementsplatz inne hatte. Vormittags indessen saß der Junggeselle, der vom ererbten Vermögen seines Vaters lebte, am Schreibtisch und betätigte sich als Autor philosophischer Schriften. In ihnen entfaltete er eine lebensverneinende, pessimistische Weltsicht, nach der das Leben als endlose Kette immer neuen Leidens aufzufassen sei, als ein sinnloses, ewig fortdauerndes Entstehen und gegenseitiges Sich-Vernichten zahlloser Gestalten, dem das Nicht-Leben ganz entschieden vorzuziehen sei. In diesem philosophischen System mußte schon der Vollständigkeit halber auch die geliebte Musik ihren Platz finden. Von ihr handelt der berühmt-berüchtigte § 52 im ersten Band der Welt als Wille und Vorstellung, am Ende einer Erörterung der schönen Künste, bei der es um deren Rang und philosophischen Erkenntniswert geht. Die Musik, so ist in diesem § 52 zu lesen, stehe ganz abgesondert von den anderen Künsten da: Sie sei grundsätzlich und wesensmäßig von diesen verschieden. Urgrund all dessen, was ist, so hatte Schopenhauer es zuvor entwickelt, sei der ‚Wille‘, der begrifflich weder zu fassen noch über-

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haupt rational zu verstehen sei, da er sich außerhalb unserer Vorstellungswelt, außerhalb von Raum, Zeit und Kausalität befände. Die Welt, dem erkennenden Subjekt nicht anders als in seiner Vorstellung gegeben, sei in Wahrheit nichts anderes als die Objektivation dieses Willens, sein In-die-Erscheinung-Treten in der Vorstellung des Subjekts. Einmal in die Erscheinung getreten, etwa in dem, was sich dem Subjekt als die Welt des Lebendigen, als Pflanze, Tier oder Mensch darbiete, äußere sich der Wille als ‚Wille zum Leben‘, als eine Kraft, die in allem, was lebt, bewirke, daß es leben und sich vermehren wolle. Dies führe zwangsläufig zu einem fortwährenden Lebenskampf aller gegen alle, bei dem sich das Leben des einen auf Kosten der anderen zu erhalten suche. Selbst auf der niedrigsten Stufe des Seins, der anorganischen, beobachtete Schopenhauer diesen ewigen Kampf aller Kräfte gegeneinander, etwa im Widerspiel von Fliehkraft und Anziehungskraft zwischen Mond und Erde: beide Kräfte seien Objektivationen des Willens und wirkten gegeneinander. Bekäme die Fliehkraft das Übergewicht, flöge der Mond davon, im anderen Fall stürze er auf die Erde; nur das (zufällige) Gleichgewicht beider Kräfte veranlasse seine die Erde ewig umkreisende Bahn. Der Wille entzweie sich also, wann immer er in die Erscheinung trete, notwendig mit sich selbst in allen seinen Objektivationen. Doch objektiviere der Wille sich nicht einfach so – er nehme sozusagen einen Umweg. Denn er bringe zunächst die Welt der Platonischen Ideen hervor; und erst aus dieser ‚virtuellen‘ Welt entstehe die dem erkennenden Subjekt als ‚wirklich‘ vorkommende. Die schönen Künste, so legte Schopenhauer im dritten Buch seiner Welt als Wille und Vorstellung dar, brächten, indem sie die ‚wirkliche‘ Welt nachahmten, diese Platonischen Ideen zur sinnlichen Anschauung. (Beispielsweise könnte in einem Alpenbild die Idee des Erhabenen hervortreten.) Ganz anders die Musik. Sie ahme nichts nach. Sie und nur sie unter den schönen Künsten sei nämlich unmittelbares Abbild des Willens selbst, unter Umgehung der Platonischen Ideen. Aus dieser, wie Schopenhauer selbst gestand, mehr intuitiv gewonnenen als rational begründeten Einsicht in das Wesen der Musik zog er weitreichende Konsequenzen. „Man könnte“, folgerte er, „die Welt ebensowohl verkörperte Musik als verkörperten Willen nennen“3 ; da die Musik die Ideen übergehe, sei sie von der erscheinenden Welt „ganz unabhängig“ und „könnte gewissermaßen, auch wenn die Welt gar nicht wäre, doch bestehn“4 . Schopenhauer kam sogar der Gedanke, „eine vollkommen richtige, vollständige und

Kreisformige ¨ Strukturen in der Musik

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in das einzelne gehende Erklärung der Musik“ könne eine „genügende Wiederholung und Erklärung der Welt in Begriffen“ liefern, wäre also „die wahre Philosophie“5 . Und im Vergleich mit den anderen Künsten konstatierte er von der Musik, jene redeten „nur vom Schatten, sie aber vom Wesen.“6 Seine Vorstellung von einer Sonderstellung der Musik unter den Künsten hatte Schopenhauer schon früh entwickelt. Bereits um 1814 stand das grundsätzliche Konzept einer Musik fest, die als Analogie zur Welt angesehen werden müsse: Jede vollstimmige M u s i k ist ein Analogon der Welt. Dabei scheint mir der Baß die u n o r g a n i s c h e Natur, auf der alles ruht und aus der sich alles erhebt, vorzustellen: die höhern Stimmen aber die Organisationen, und so immer aufwärts bis zur hohen, leitenden, d i e M e l o d i e singenden Hauptstimme, welche der Mensch ist.7

Alle Künste, die Musik aber ganz besonders, bewirken nach Schopenhauer für eine gewisse Zeit – solange man sich mit ihnen befaßt bzw. während sie aufgeführt werden – eine Bewußtseinsveränderung: Sie reißen „das Objekt ihrer Kontemplation heraus aus dem Strome des Weltlaufs“8 und verwandeln das rezipierende Subjekt in ein erkennendes, dem das Ichgefühl schwindet und dem Raum und Zeit vergehen. Dieses „rein erkennende Subjekt“9 , das sich nicht mehr vom „Schleier der Maja“10 täuschen lasse, werde zum „klare[n] Weltauge“11 . Die an der Kunst erfahrbare Bewußtseinsveränderung bezeichnete Schopenhauer auch als das „b e s s r e B e w u ß t s e y n“12 , als den „lichterlohe[n] Augenblick, in dem der Wille erlischt“13 . Diese wohl durchaus angenehme Selbsterfahrung darf aber für den radikalen Nihilisten Schopenhauer nicht das letzte Wort bleiben. Sein Welthaß, sein Pessimismus hätte sonst an der Kunst, insbesondere an der Musik, einen Gegenhalt; er könnte, wie es später Nietzsche tat, das an der Erfahrung von Kunst, am Umgang mit Musik gewonnene ‚ästhetische Bewußtsein‘ gegen die Widrigkeiten und Sinnlosigkeiten der Welt in Stellung bringen. Und so mußte Schopenhauer noch etwas finden, was auch die Musik, seine tägliche Junggesellenfreude, in einen gewissen Mißkredit brachte: Er entdeckte eine weitere Analogie der Musik zur Welt, die ihm selbst „[s]ehr merkwürdig“14 vorkam: Wir haben im vorigen Buche gesehn, daß [. . .] ein nicht aufzuhebender Widerstreit [. . .] die Welt zu einem beständigen Kampfplatz aller jener Erscheinungen des einen und selben Willens macht, dessen innerer Widerspruch mit sich selbst dadurch sichtbar wird. Auch diesem sogar ist etwas Entsprechendes in der Musik. Nämlich ein vollkommen

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reines harmonisches System der Töne ist nicht nur physisch, sondern sogar schon arithmetisch unmöglich. Die Zahlen selbst, durch welche die Töne sich ausdrücken lassen, haben unauflösbare Irrationalitäten: keine Skala läßt sich auch nur ausrechnen, innerhalb welcher jede Quinte sich zum Grundton verhielte wie 2 zu 3, jede große Terz wie 4 zu 5, jede kleine Terz wie 5 zu 6 usw. Denn sind die Töne zum Grundton richtig, so sind sie es nicht mehr zueinander; indem ja z. B. die Quinte die kleine Terz der Terz sein müßte usw.: denn die Töne der Skala sind Schauspielern zu vergleichen, welche bald diese, bald jene Rolle zu spielen haben. Daher also läßt eine vollkommen richtige Musik sich nicht einmal denken, geschweige ausführen; und dieserhalb weicht jede mögliche Musik von der vollkommenen Reinheit ab: sie kann bloß die ihr wesentlichen Dissonanzen durch Verteilung derselben an alle Töne, d. i. durch Temperatur, verstecken.15

Jede mögliche Musik kann bloß die ihr wesentlichen Dissonanzen verstecken: Wie der Schopenhauersche Wille, wenn er in die Erscheinung tritt, sich mit sich selbst entzweien muß, kann auch die Musik, kaum daß sie erklingt, ihrem Wesen nach nicht anders sein als durch und durch dissonant. Was Schopenhauer hier darlegte, hatte er in der Akustik des berühmten Physikers Ernst Florens Chladni, des Entdeckers der Klangfiguren, auf den als Quelle er in Die Welt als Wille und Vorstellung auch hinwies, gelesen. Der in Musik dilettierende Laie war dabei auf Eigenheiten des ‚abendländischen‘ Tonsystems und das Problem der ‚Stimmung‘ gestoßen, mit denen sich Musiktheoretiker seit der Antike auseinandergesetzt hatten und für die er nun eine folgenreiche Deutung entwickelte: nämlich die, daß nicht etwa ‚Harmonie‘, sondern ‚Dissonanz‘ das ‚Wesen‘ der Musik ausmache und sie deshalb zu einer Idealmetapher für die Welt werde. Diese Einsicht war eine charakteristisch romantische, die um 1800 offenbar in der Luft lag, denn auch der Musiker und Schriftsteller E. T. A. Hoffmann, der zwischen 1814 und 1820 mit Musikerzählungen und einem Roman um die Figur des halbwahnsinnigen Kapellmeisters Kreisler außergewöhnlichen literarischen Erfolg hatte, hat dieser ‚Dissonanzthese‘ gehuldigt; bereits Novalis entwickelte bei seiner Fichte-Lektüre eine „Theorie des ‚dissonanten Keims‘“, und das zwanzig Jahre vor Schopenhauer und Hoffmann.16 Schopenhauer hat die von ihm als merkwürdig beobachtete Analogie aus der Welt der musikalischen Akustik im knapp 30 Jahre später entstandenen zweiten Band der Welt als Wille und Vorstellung

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um ein weiteres Beispiel ergänzt, das den Gedanken einer Analogie zwischen dem mit sich selbst entzweiten Willen und seinem musikalischen Pendant illustriert: Werfen wir jetzt einen Blick auf die bloße Instrumentalmusik; so zeigt uns eine Beethovensche Symphonie die größte Verwirrung, welcher doch die vollkommenste Ordnung zum Grunde liegt, den heftigsten Kampf, der sich im nächsten Augenblick zur schönsten Eintracht gestaltet: es ist ›rerum concordia discors‹ [. . .], ein treues und vollkommenes Abbild des Wesens der Welt, welche dahinrollt im unübersehbaren Gewirre zahlloser Gestalten und durch stete Zerstörung sich selbst erhält.17

Hier fällt zwar nicht explizit der Begriff ‚Dissonanz‘, doch ist mit den Wendungen von der „größten Verwirrung“, von dem „heftigsten Kampf“ und von „discors“ (Zwietracht) offensichtlich die Dissonanzhaltigkeit Beethovenscher Musik gemeint, die dem „unübersehbaren Gewirre“ und der „steten Zerstörung“ der Welt getreulich entspreche. Die Wirkung der hier am Beispiel Schopenhauers skizzierten Auffassung von Musik als Dissonanz reichte über mehrere Zwischenstationen bis zu Theodor W. Adorno, der eine 1956 zum ersten Mal erschienene Sammlung von Musikessays nicht ohne Grund „Dissonanzen“ nannte.18 Um Schopenhauers Gedankengang in seiner ganzen Tragweite zu verstehen, muß man indessen noch etwas weiter ausholen. II. Musik zählte seit der Antike zu den mathematischen Wissenschaften; dies war schon bei den Pythagoreern der vorchristlichen Jahrhunderte der Fall und setzte sich fort beispielsweise im System der septem artes liberales, der sieben freien Künste, die an mittelalterlichen Klosterschulen und Universitäten gelehrt wurden: Hier war die Musik im Quadrivium vertreten, den vier mathematischen Disziplinen, zu denen außer ihr noch Arithmetik, Geometrie und Astronomie gehörten. Ähnlich, wie man die Astronomie als eine Art gesteigerter Geometrie begriff – jene hatte es mit fixen Punkten, die man zur Veranschaulichung in den Sand zeichnen konnte, zu tun, diese, am Himmelszelt, mit bewegten –, verstand man Musik als gesteigerte Arithmetik: Töne unterscheiden sich hauptsächlich ihrer Tonhöhe nach, und diese Unterschiede lassen sich mittels Intervallen genau

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angeben; Intervalle aber sind nichts anderes als Proportionen (die Quinte beispielsweise die Proportion 2 : 3), und das bedeutet, modern gesprochen, Brüche: Die Musik des mittelalterlichen Quadriviums erweiterte die Arithmetik, die sich damals noch im Raum der natürlichen bzw. ganzen Zahlen bewegte, um die Menge der rationalen Zahlen. Zugleich kannte die Antike aber auch die Vorstellung eines nach musikalisch-mathematischen Prinzipien geordneten Kosmos; Platon brachte im Dialog Timaios die ‚Weltseele‘ mit einer Art ‚Tonleiter‘ in Verbindung. Es kann offen bleiben, ob der nach Maß und Zahl geordnete antike Kosmos ein harmonisches Ganzes darstellte, weil sein Ordnungsprinzip ein musikalisches war, oder ob umgekehrt die Musik für das Harmonische zuständig wurde, weil sie einen kosmologischen Bezug besaß: Jedenfalls gehörte zum antiken Überlieferungsbestand die Überzeugung einer Zusammengehörigkeit von einfachen Zahlenverhältnissen, Musik und kosmologischer Wohlordnung. Es fand sich hierfür ein eindrucksvolles, Jahrhunderte lang wirksames Bild: die auf die Pythagoreer zurückgehende Vorstellung einer Harmonie der Sphären, mit deren Untersuchung sich noch Johannes Kepler in seinem Hauptwerk, den „Fünf Büchern zur Harmonie der Welt“ (Harmonices mundi libri V, Linz 1619), befaßte. In christlichen Zeiten konkurrierte mit der Sphärenharmonie der Glaube an die fortwährend zum Lobe Gottes singenden und musizierenden Engel. In beiden Fällen war der Weltraum von Musik erfüllt, jenem Element, dem er seine Wohlordnung zu verdanken schien. Wissenschaftsgeschichtliche Darstellungen bzw. Klassifikationen der wissenschaftlichen Disziplinen rechneten noch bis in das 18. Jahrhundert die Musik den mathematischen Fächern zu. Lange blieb die Vierteilung der Mathematik entsprechend dem Quadrivium in Gebrauch; 1630 erweiterte Johann Heinrich Alsted die vier klassischen quadrivialen Disziplinen um Kosmographie, Geographie und Optik. 1661 vermehrte Gaspar Schott in seinem weit verbreiteten Cursus Mathematicus die Teilgebiete der Mathematik sogar auf 22, wobei der Musik die Harmonielehre zufiel. Vereinzelt ließ man schon im 17. Jahrhundert die Musik aus den Darstellungen des mathematischen Wissens heraus – so z. B. der englische Mathematiker William Leybourn in seinem 1690 erschienenen Cursus Mathematicus –, doch erst 1778 plädierte der französische Mathematiker Alexandre Théophile Vandermonde derart überzeugend dafür, die Musik als Kunst aufzufassen und nicht als mathematisches Teilgebiet, daß die französische

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Akademie der Wissenschaften daraufhin entschied, die Musik aus ihrem Zuständigkeitsbereich zu streichen und sie einer ihr besser entsprechenden Institution zuzuordnen. Das war damals die Académie de musique, aus der durch Zusammenlegung mit den Akademien der Architektur sowie der Malerei und Bildhauerei 1816 die bis heute dem Institut de France unterstehende Académie des Beaux-Arts hervorging.19 Als Schopenhauer sich mit Intervallen und den Inkongruenzen des Musiksystems befaßte und die Musik als treuestes Abbild des Willens beschrieb, ja als eigene Welt, deren vollständige Erklärung einem vollständigen Weltverstehen gleichkäme, stand er unverkennbar auf dem Boden eines quadrivialen Musikverständnisses. Und in der Tat verweist er auch in seinen Ausführungen zur Musik auf Pythagoras und die „Möglichkeit einer Zahlenphilosophie“20 . Auch in den späten Fragmenten zur Geschichte der Philosophie stellte Schopenhauer die unmittelbare Verwandtschaft seiner „Metaphysik der Musik“ mit der antiken pythagoreischen Zahlenphilosophie heraus: Nun aber ist die Musik als solche nur in unserm Gehörnerven und Gehirn vorhanden: außerhalb oder an sich (im Lockeschen Sinne verstanden) besteht sie aus lauter Zahlenverhältnissen [. . .]. Hienach also ist das ganze Wesen der Welt, sowohl als Mikrokosmos, wie als Makrokosmos allerdings durch bloße Zahlenverhältnisse auszudrücken, mithin gewissermaßen auf sie zurückzuführen: in diesem Sinne hätte dann Pythagoras recht, das eigentliche Wesen der Dinge in die Zahlen zu setzen.21

Überhaupt ist für Schopenhauer das ‚Quadriviale‘, das Viergeteilte, in seinem philosophischen System wesentlich: Er verstand als Essenz der Musik den vierstimmigen Satz aus Baß, Tenor, Alt und Sopran, dem er eine vierstufige Welt aus anorganischer Materie, Tieren, Pflanzen und Menschen gegenüberstellte. Er gliederte sein Hauptwerk in vier Teile und beschrieb den Lebenslauf eines Menschen als aus vier Phasen bestehend (Kind, Jüngling, Mann, Greis). Dieses eigentümliche Festhalten am Prinzip der ‚Vier‘, das man historisch zurückbeziehen kann auf die als heilig verehrte Tetraktys der Pythagoreer, die Vierheit der ersten vier ganzen Zahlen 1, 2, 3, 4 – die zugleich ihr Musiksystem aus Einklang (1 : 1), Oktave (1 :2 ), Quinte (2 : 3) und Quarte (3 : 4) konstituiert – entspricht dem antiken [tetragrammein t¯en epist¯em¯en], dem Vierteilen der Wissenschaft. In seiner Dissertation von 1813 (Über die vierfache [!] Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde) stellte Schopenhauer den Bezug

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zu den Pythagoreern direkt her, indem er der Darstellung die pythagoreische Schwurformel als Motto voranstellte: „ “ [Nai ma ton hametera psycha paradonta tetraktyn pagan aenau ¯ rizomat ¯ physeos echusan – ,Bei Ihm, der einpflanzte die Vierzahl unserem Geiste, Sie, die Quelle und Wurzel der ewig strömenden Schöpfung.‘]22 Man könnte vielleicht von einem naturwissenschaftlichen Vorverständnis sprechen und dabei im Blick haben, daß der in unseren Tagen bekannt gewordene, alles Leben kennzeichnende genetische Code gerade aus vier verschiedenen Bausteinen besteht. Dieser gewissermaßen zugleich antiken wie naturwissenschaftlichen Erkenntnisstruktur nach Maßgabe der ‚Vier‘ steht eine dreigliedrige gegenüber, die am prominentesten Schopenhauers Widersacher Hegel mit seinem dialektischen Dreischritt aus These, Antithese und Synthese vertrat. Dessen triadisches Modell wäre, in Anlehnung an die Idee der Trinität, eher als christlich-modern denn als antik zu bezeichnen, und es liegt häufig einem geisteswissenschaftlichen, historischen Vorverständnis von Erkenntnis zugrunde, insofern dabei ein dreischrittiges Denken in Kategorien wie Anfang – Mitte – Ende, Geburt – Leben – Tod, Enstehen – Aufblühen – Vergehen etc. vorherrscht. Die gleichzeitige Bedeutung der „Dreyzahl“ und der „Vierzahl“ für die Musik betonte seinerzeit, offenbar ohne Schopenhauer oder Hegel gekannt zu haben, auch der Schweizer Komponist und Musikverleger Hans Georg Nägeli, als er 1826 in einer Vorlesung über „Theorie der Instrumentalmusik“, für damalige Verhältnisse originell und einmalig, die rhythmische Struktur jedes Musikstücks dem Prinzip der Drei, seine formale Struktur – er spricht von „Eurythmie“ – dem Prinzip der Vier unterstellte: [D]ie D r e y z a h l und die V i e r z a h l sind in ihrer durchgeführten Gegenseitigkeit die Trägerinnen unserer Kunstwerke. Die Dreyzahl ist die Repräsentantin des W e r d e n s und G e s t a l t e n s; die Vierzahl ist die Repräsentantin des S e y n s und B e s t e h e n s. Das Prinzip der Dreyzahl erklärt sich so: Es giebt in aller Musik nicht mehr und nicht weniger als d r e y e r l e y G r u n d rythmen, anlaufende, gleichlaufende, auslauf e n d e. [. . .] Rythmischer Anlauf, Gleichlauf, Auslauf bewirkt: E r h e b u n g , S c h w e b u n g , N i e d e r s e n k u n g des Gefühls. Nun besteht in diesem Erheben, Schweben, Niedersenken unser ganzes ästhetisches Tonleben. [. . .] Dieses bewegliche Rythmenspiel be-

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kommt aber erst seinen Halt, seine Stetigkeit und Faßlichkeit, indem es nach dem Grundgesetz der V i e r z a h l abgegliedert wird. So wie die Dreyzahl durch die rythmischen Bewegungen der e i n z e l n e n T o n r e i h e n sich hindurch spielt, so bildet die Vierzahl diese Tonreihen zu r y t h m i s c h e n G l i e d e r n aus, und gestaltet so eine E u r y t h m i e der Theile. Dieses theilgestaltende Grundgesetz der Eurythmie durch die Vierzahl wurde zwar nie erkannt, aber längst g e f ü h l t. Es herrscht in allen wohlgeordneten Compositionen wirklich so vor.23

III. Daß die Musik am Ende des 18. Jahrhunderts aus dem quadrivialen Kontext der mathematisch-physikalischen Wissenschaften in den der Kunst und der Geisteswissenschaften wechselte, vom System der septem artes liberales her gedacht also in das Trivium, das Gebiet der Sprachwissenschaften (Dialektik, Rhetorik, Grammatik), war als ästhetischer Paradigmenwechsel von enormer Bedeutung. Die Musik eines Haydn, Mozart oder Beethoven, Inbegriff der musikalischen Klassik – und im Begriff ‚Klassik‘ schwingt mit, was seit jeher dem ‚klassischen Altertum‘, der Antike, zugerechnet wurde: Einmaligkeit und Vorbildlichkeit – wurde, als sie entstand, nicht mehr als klingende Mathematik gehört, sondern als ‚schöne Kunst‘; erst am Ende des 18. Jahrhunderts trat also die Musik als ,jüngste Schwester‘ in den Reigen der schönen Künste ein, und fortan waren es die den Künsten geltenden Wissenschaften, insbesondere das neue Gebiet der Ästhetik, die sich mit ihr befaßten. Hegel beispielsweise widmete sich ihr und ihren Schwestern in seinen Vorlesungen über die Ästhetik und entfaltete dort die These vom Ende der Kunst. Auch in Schopenhauers Hauptwerk erfolgt die Beschäftigung mit der Musik im Kontext einer umfassenden und systematischen Erörterung aller Künste, zu denen neben Malerei, Skulptur, Poesie, Epos und Drama beispielsweise auch die Garten- und Wasserleitungskunst gezählt wurden. Da aber das Schopenhauersche Musikverständnis, der Sache nach, quadrivial war, mußte ihm die Musik im Gefolge all dieser Künste deplaziert erscheinen, und genau das war auch sein Eindruck, denn er stellt am Beginn des § 52 fest, es sei „eine schönste Kunst von unserer Betrachtung ausgeschlossen geblieben“ und es hätte sich „im systematischen Zusammenhang unserer Darstellung gar keine Stelle für sie passend“ gefunden: „[E]s

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ist die Musik. Sie steht ganz abgesondert von allen andern.“24 Das philosophische Konstrukt aus Wille, Vorstellung und Platonischen Ideen, aus adäquater und nicht adäquater Objektivation des Willens in den Ideen und der Welt, dient hauptsächlich dem Zweck, einen fundamentalen Unterschied zwischen den Künsten auf der einen und der Musik auf der anderen Seite herauszuarbeiten: jene bilden nur die Ideen ab, diese aber den Willen selbst. Genau diese Sonderstellung der Musik kam aber bereits im antiken, quadrivialen Musikverständnis zum Ausdruck. Was Schopenhauer und mit ihm einige Romantiker wie E. T. A. Hoffmann aber von der antiken Musikvorstellung unterscheidet, war keineswegs, wie man glauben könnte, der im 18. Jahrhundert vollzogene ästhetische Paradigmenwechsel zur ‚trivialen‘ Musikauffassung. Es war die Einsicht, daß aus dem innigen Verhältnis zwischen Musik und Kosmos, zwischen musica mundana und musica instrumentalis, keineswegs folge, die Musik repräsentiere als Harmonie eine harmonisch gefügte Welt. Vielmehr desavouiere sie als Dissonanz eine häßlich-disharmonische, in sich selbst zerstrittene und von fortwährendem Leid geprägte Welt. Konsequent vertrat Schopenhauer daher eine grundsätzlich pessimistische Position, nach der die Nichtexistenz dieser Welt ihrem Bestehen vorzuziehen sei. Die Vorstellung, die Musik gehöre zu den Künsten und nicht zu den mathematischen Wissenschaften, ist bis heute gängig geblieben. Vorgearbeitet hatten dem im 18. Jahrhundert vollzogenen Paradigmenwechsel bereits Autoren wie Descartes oder Mattheson. In seinem 1618 entstandenen Jugendwerk Musicae Compendium, das allerdings erst nach seinem Tod im Druck erschien, hatte Descartes auf einen kosmologischen ‚Überbau‘ der Musik verzichtet und gleich im ersten Satz den Grundgedanken eines neuen Musikverständnisses formuliert: „Der Zweck des Tones ist letzten Endes, zu erfreuen und in uns verschiedene Gemütsbewegungen hervorzurufen.“25 Nur wenige Zeilen später hält die erste „Vornotiz“ den entscheidenden neuen Grundsatz fest: „Alle Sinne sind zu irgendeinem Vergnügen fähig.“26 Es geht seither im Musikverständnis der damaligen Zeit zunehmend um sinnliches Vergnügen, um Affekte, sei es deren Erregung oder deren Darstellung, nicht aber um Proportionen, in denen sich eine Harmonie zwischen dem Ebenmaß der Welt und dem der Musik spiegelt. Wie einst dem Atlas durch Herakles wurde durch diesen ästhetischen Paradigmenwechsel der Musik eine gewaltige Last von den Schultern genommen.

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Doch schon Mattheson, jener Musikschriftsteller des frühen 18. Jahrhunderts, der am heftigsten gegen die quadriviale Musikauffassung der Alten gewettert hatte und in seinem Vollkommenen Capellmeister behauptete, „die gantze harmonicalische Rechne- und MeßKunst, wenn wir auch gleich die Algebra mit einschliessen, kan allein nicht einen eintzigen tüchtigen Capellmeister hervorbringen“27 , sah bereits, daß eine als „Klangrede“ verstandene Musik, der es wesentlich um die Darstellung von Affekten zu tun sei, in der Gefahr stünde, nichtig zu werden: „Singen und Spielen“, „angenehme Noten, liebliche Klänge“, ohne daß dabei das „Nachdencken rege gemacht“ würde, seien, „nach dem Ausspruch des Horatz, nugae canorae, und nach Pauli Worten klingende Schellen; auf gut Frantzösisch, des niaiseries harmonieuses, welches ich mich nicht zu verteutschen unterfange, aber wol verstehe.“28 Dem Verdacht, ein leerer Sinnenkitzel zu sein, blieb die Musik fortan immer ausgesetzt; es war nur konsequent und streng gedacht, wenn Kant in seiner Kritik der Urteilskraft den ‚Wert‘ der Musik gering veranschlagte und sie als angenehmes Geräusch in die Nähe von Schnupftabak und gutem Essen rückte oder wenn Hegel bei Betrachtung des in der Geschichte fortschreitenden Weltgeistes den Gedanken vom Ende der Kunst entwickelte, was lediglich besagen sollte, die Künste seien nicht mehr der Bereich, in dem der Weltgeist sein adäquates Ausdrucksgebiet fände. Kant riet seinen Studenten davon ab, ihre Zeit damit zu verschwenden, ein Musikinstrument zu erlernen; Hegel langweilte sich bei Bachscher Musik, konnte mit Beethoven nichts anfangen und vergnügte sich nur in der italienischen Oper Rossinischer Prägung – ganze Generationen Musikliebhaber und Musikforscher haben daher ihm und Kant Unmusikalität vorgeworfen, während doch in Wahrheit beide bloß die in ihrer Zeit vollzogene Trivialisierung der Musik ernst genommen hatten. Der ästhetische Paradigmenwechsel am Ende des 18. Jahrhunderts, den man in der Musikforschung meist mit der Entstehung der romantischen Musikästhetik gleichsetzt, war also mehr als lediglich eine ‚Metaphysik der Instrumentalmusik‘, als die die Musikforschung ihn im Gefolge von Carl Dahlhaus aufzufassen pflegt, und mehr als der Gedanke, Musik sei, als begriffslose Sprache, eben deshalb die eigentliche Sprache der Transzendenz, in der sich ein ‚Absolutes‘ offenbare.29 Es ging in Wahrheit um nichts weniger als darum, die trivialisierte Musik wieder mit ihrer alten quadrivialen Würde zu versehen, ohne sie als ‚Kunst‘ preiszugeben, ihre schon in

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der Antike selbstverständliche Sonderstellung erneut, aber anders zu begründen. Aus dem Kreis der mathematischen Wissenschaften ausgeschlossen, als Kunst dem Verdacht der Nichtigkeit ausgesetzt, mußte die trivial gewordene Musik im 19. Jahrhundert geradezu den Weg in die Transzendenz einschlagen und sich, wie Richard Wagner es als einer der ersten ausgedrückt hat, zur absoluten Kunst entwickeln. Neuerdings hat Jin-Ah Kim versucht, die Entstehung des Konzepts absoluter Musik in der Frühromantik auf andere Weise zu erklären, nämlich durch das Nachlassen der bis dahin gültig gewesenen Mimesis-Ästhetik: „In der Geschichte der ästhetischen Theorie ist bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und darüber hinaus die in der Antike formulierte Grundposition, Kunst sei Mimesis bzw. Kunst entstehe durch einen mimetischen Akt, niemals aufgegeben worden.“30 Platonisch gedacht, hätten die Künste als Abbilder von Gegenständen dieser Welt, die ihrerseits auf den Ideen beruht, am wahren Sein nicht teil und müßten entsprechend als defizitär angesehen werden; erst Kants Ermächtigung des Subjekts, das die ,Wahrheit‘ über die Welt zur Angelegenheit des Erkenntnisvermögens der menschlichen Vernunft reduziere, habe die Vorstellung von Kunst als mimetischem Akt soweit relativiert, daß die Frühromantiker die subjektiven Hervorbringungen eines Künstlers absolut setzen und Novalis beispielsweise von der Musik behaupten konnte, der Musiker nehme „das Wesen seiner Kunst aus sich – auch nicht der leiseste Verdacht von Nachahmung kann ihn treffen.“31 Problematisch ist an Kims Ansatz, daß die Sonderstellung der Musik, die bis in die Neuzeit eben nicht als ,Kunst‘ angesehen wurde, unberücksichtigt geblieben ist; ihre Studie bringt jedoch ins Gedächtnis zurück, welchen geringen Stellenwert im allgemeinen die Künste seit alters besaßen, wenn es um ,Erkenntnis‘ und ,Wahrheit‘ ging. IV. Seit der Aufklärung war die Zeitvorstellung im wesentlichen geprägt von einem physikalisch-philosophischen Modell, das auf Newton und Kant zurückging: Zeit wurde hiernach aufgefaßt als ein linearer Zeitpfeil in einem kartesischen Raum-Zeit-Koordinatensystem. Im All existiert, so könnte man es vereinfacht mit Newton formulieren, die Zeit seit jeher und in alle Zukunft, sie verrinnt gleichförmig und unabhängig von uns, und sie ist unumkehrbar; zusätzlich kann man,

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nach Kant, gar nicht anders, als (neben Raum und Kausalität) in der Kategorie von Zeit denken. Eine solche Zeitvorstellung liegt (ausgesprochen oder nicht) einigen Theorien zugrunde, die sich im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreuten: 1. der Idee von Geschichte als Prozeß, insbesondere als Fortschrittsprozeß, 2. der Idee von Musik als Zeitkunst, d. h. einer prozeßhaft sich entwickelnden Kunst und 3. der Idee vom Kunstwerk als einem Organismus, den u. a. die Fähigkeit auszeichnet, im Laufe der Zeit wachsen zu können. Philosophen des 19. Jahrhunderts, die sich dem Idealismus verpflichtet fühlten, wie beispielsweise Arthur Schopenhauer, haben aus Kants Vorstellung, die Zeit gehöre unserem (subjektiven) Anschauungsvermögen an, Konsequenzen gezogen, die dem sonst vorherrschenden naturwissenschaftlichen Zeitverständnis diametral entgegenlaufen. Schopenhauer folgerte beispielsweise in seinen Fragmenten zur Geschichte der Philosophie aus Kants „Lehre von der Idealität des Raums und der Zeit“: Da fällt zunächst die Frage hinsichtlich der Zukunft nach dem Tode weg. Denn ich bin nicht; so ist auch keine Zeit mehr. Es ist nur ein täuschender Schein, der mir eine Zeit zeigt, die fortliefe, ohne mich, nach meinem Tode: alle drei Abschnitte der Zeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sind auf gleiche Weise mein Produkt, gehören mir an; nicht aber ich vorzugsweise dem einen oder dem andern von ihnen. – Wiederum eine andere Folgerung, die sich aus dem Satze, daß die Zeit dem Wesen an sich der Dinge nicht zukommt, ziehn ließe, wäre diese, daß in irgendeinem Sinne das Vergangene nicht vergangen sei, sondern alles, was jemals wirklich und wahrhaft gewesen, im Grunde auch noch sein müsse; indem ja die Zeit nur einem Theaterwasserfall gleicht, der herabzuströmen scheint, während er als ein bloßes Rad nicht von der Stelle kommt [. . .].32

An Beethovens fünfter Symphonie ließe sich die angedeutete naturwissenschaftliche Zeitvorstellung mit ihren Konsequenzen für die Musik und ihre Geschichte leicht nachvollziehen: Man kann erstens diese Symphonie, wie es E. T. A. Hoffmann in seiner berühmten Besprechung für die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung 1810 getan hat, für einen Organismus halten, da sich die gesamte musikalische Struktur aus dem zu Anfang vorgegebenen Themenmaterial entwickelt. Hoffmanns folgenreiche Metapher war die eines Baumes, der mit seinem Stamm, seiner Krone, seinen Blüten und Früchten aus einem einzigen Samenkorn hervorgesprossen sei33 – er hätte ebenso gut Goethes Ausführungen zur Metamorphose der Pflan-

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zen heranziehen können, die er vermutlich gekannt hat. Es durchzieht zweitens ein Entwicklungsprozeß nach dem Schema per aspera ad astra die vier Sätze der Symphonie, analog der Vorstellung des 19. Jahrhunderts, der Zeitpfeil weise aufwärts, in Richtung einer Höher- bzw. Weiterentwicklung. Wenn man den Verlauf der Musikgeschichte als einen zeitgerichteten Prozeß auffasst, befindet sich drittens Beethovens fünfte Symphonie innerhalb der Entwicklungsgeschichte der Musik an einer irgendwie ‚höheren‘ oder ‚weiterentwickelteren‘ Stelle als beispielsweise die einige Jahre ältere JupiterSymphonie Mozarts, und ein Komponist der nach-Beethovenschen Ära würde, wenn er ernst genommen werden will, bei diesen vielleicht anknüpfen, auf jeden Fall aber über sie ‚hinausgehen‘ müssen. Allgemeiner gesprochen ist es innerhalb der Musik die Sonate bzw. die Sonatenform, die der im 19. Jahrhundert vorherrschenden Zeitvorstellung am genauesten zu entsprechen scheint. Die von dem Musikwissenschaftler Hugo Riemann erstmals vollzogene Analogiesetzung von Sonatenschema und Hegelscher Dialektik betonte eine lineare Zeitvorstellung, nach der These, Antithese und Synthese nicht anders als im zeitlichen Nacheinander denkbar seien; noch Adorno bemühte sich lebenslang um ein Verständnis der Beethovenschen Sonatenform nach Maßgabe der Hegelschen Dialektik.34 Und es war gewiß kein Zufall, wenn Adolph Bernhard Marx, derjenige Theoretiker, der die Sonatenform als erster ausführlich und im Rekurs auf Beethoven dargestellt hat, sie nicht nur als Organismus beschrieb, sondern die Redeweise vom ‚männlichen‘ ersten und ‚weiblichen‘ zweiten Thema aufbrachte, womit der Organismus der Sonate aus der Welt der Goethe-Hoffmannschen Pflanzenmetaphern in die vom Geschlechterdiskurs geprägte Sphäre des Menschlichen versetzt wurde. Die lineare Zeitvorstellung und ihr Korrelat, ein Denken in den Kategorien Prozeß, Weg, Fortschritt, herrschte noch bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert hinein. Arnold Schönberg etwa stimmte dem Gedanken seines Freundes Wassily Kandinsky lebhaft zu, als dieser 1911 in seiner vielbeachteten Schrift Über das Geistige in der Kunst den geschichtlichen Entwicklungsgang der Kunst mit nach oben schwebenden Dreiecken verglich: Unten, an der breiten Basis, stehe die Masse, oben, an der Spitze, die Avantgarde, oder, mit Kandinskys eigenen Worten: „An der Spitze der obersten Spitze steht manchmal allein nur ein Mensch [. . .]. Und die, die ihm am nächsten stehen, verstehen ihn nicht. So stand beschimpft zu seinen Lebzeiten auf der

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Höhe Beethoven allein.“35 Schönberg sah sich durchaus gerne selbst an dieser Spitze eines Entwicklungsweges, und Kandinsky brachte das auf den Punkt, als er in seinem ersten Brief an Schönberg, unter dem Eindruck eines Konzerts mit Schönbergscher Musik in München, schrieb: „Dieser Weg ist der der ‚Dissonanzen in der Kunst‘, also auch in der Malerei ebenso, wie in der Musik. Und die ‚heutige‘ malerische und musikalische Dissonanz ist nichts als die Consonanz von ‚morgen‘.“36 Die für viele noch immer als zutreffend angesehenen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts von Zeit, geschichtlichem Prozeß und Musik als Zeitkunst beruhen indessen auf fragwürdigen Voraussetzungen. Um bei dem Beispiel der Beethoven-Symphonie zu bleiben: Es ist nicht ausgemacht, daß sie angemessen oder auch nur im Sinne des Komponisten verstanden wird, wenn man ihre Struktur als Organismus auffaßt; aus der Tatsache, später als Mozarts JupiterSymphonie entstanden zu sein, muß nicht folgen, daß sie ‚höher‘ oder ‚weiter‘ fortgeschritten ist: Selbst bei grundsätzlicher Beibehaltung eines Fortschrittskonzepts im Großen kann es im mikrohistorischen Bereich noch Phasen des Auf- und Abschwungs oder, um die alten Metaphern der Geschichtsschreibung zu bemühen, von Blüte und Verfall geben, wodurch ein späteres Werk unter Umständen als rückschrittlicher oder weniger gelungen angesehen werden kann. Noch grundsätzlicher in Frage zu stellen wäre, ob denn eine BeethovenSymphonie in einer Universalgeschichte der Musik überhaupt ein exemplum von hinreichender Bedeutung sei; und schließlich, vor allem, wäre zu bezweifeln, ob man Musik tatsächlich als ‚Zeitkunst‘ angemessen begreift. Beide Bestandteile dieses Wortes ‚Zeitkunst‘ werden nämlich bei näherer Betrachtung unscharf: Daß die Musik eine Kunst sei, ist eine moderne, bestenfalls 300 Jahre alte Vorstellung, für die Alten war sie in der Regel scientia, eine Wissenschaft, und zwar eine mathematische; daß sie etwas mit ‚Zeit‘ zu tun habe, ist ebenfalls eine moderne Vorstellung, und weder die Alten noch die heutige Physik teilen die skizzierte Newton-Kantsche Auffassung. Einsteins Relativitätstheorie beraubte die Zeit aller ihrer noch im 19. Jahrhundert fest geglaubten Eigenschaften: Sie verrinnt nicht gleichförmig, sie ist sehr wohl umkehrbar und vor allem ist sie keine absolute, unabhängige Größe mehr. Der skizzierte Vorstellungskomplex von ,Zeit‘ und von Musik als ,Zeitkunst‘ gehört in den größeren Kontext einer Veränderung des europäischen Denkens in der Neuzeit; was am Ende des 18. Jahrhun-

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derts wie ein relativ rasch vollzogener Paradigmenwechsel wirkte, nämlich der angedeutete Wechsel der Musik vom (mathematischphysikalischen) Quadrivium in das an der Sprache orientierte Trivium, ihre „Trivialisierung“, um es mit einem Wort von Helmut Müller-Sievers zu sagen,37 vollzog sich in einem Zeitraum von etwa anderthalb Jahrhunderten, parallel zum Prozeß einer zunehmend empirisch und rational vorgehenden Wissenschaft; dieser Wechsel war, vereinfacht gesagt, eine Folge der Aufklärung. Um so befremdlicher aber mußte dann die am Ende des 18. Jahrhunderts auftretende romantische Musikästhetik erscheinen, die zu einer noch nie dagewesenen und im ganzen 19. Jahrhundert noch zunehmenden ästhetischen Aufwertung der Musik führte, so daß sich am Ende eine ganze Nation, die deutsche nämlich, als ‚Kulturnation‘ verstehen und im Zentrum ihres Kulturbegriffs die Musik sehen konnte. Die Frage, auf die eine überzeugende Antwort zu geben keineswegs leicht ist, lautet, weshalb das 19. Jahrhundert, insbesondere in Deutschland, so außerordentlich musikbesessen war, zumal nach eingetretener Trivialisierung der Musik im 18. Jahrhundert. Die in jüngster Zeit vorgetragene These,38 Deutschland, als ‚verspätete‘ Nation, als – bis zur Reichsgründung – loses Kleinstaaten-Konglomerat, habe sich an der Musik sozusagen seiner Identität vergewissert, wie es eine Äußerung Robert Schumanns nahelegt, nach der Italien sein Neapel, der Franzose seine Revolution, der Engländer seine Schiffahrt, der Deutsche aber seine Beethovenschen Symphonien habe, beantwortet die Frage nicht: Denn dann wäre einfach weiterzufragen, warum in einem derartigen Nationenvergleich überhaupt die Musik bemüht werden mußte. (Zumindest heutigentags kann, wie es scheint, weltweit das ‚Deutsche‘ ausreichend Sinn stiftend mit Autos und Fußballstars assoziiert werden.) V. Man kann möglicherweise die im 19. Jahrhundert von der Musik ausgehende Faszination besser verstehen, wenn man den Gründen nachgeht, weshalb sie im späten 18. Jahrhundert aus dem Katalog der mathematischen Teilgebiete entfernt wurde, nachdem noch 50 Jahre zuvor der damals bedeutendste Mathematiker, Leonhard Euler, sich intensiv mit musiktheoretischen Fragen befaßt hatte.39 Was im 18. Jahrhundert die meisten Mathematiker interessierte, war kaum noch jener musikalisch-mathematische Teilbereich der Proportionen

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oder der Skalenberechnung, der mit den rationalen Zahlen auskam, sondern vielmehr die Wahrscheinlichkeits- sowie die Infinitesimalrechnung, die Welt des unendlich Großen und Kleinen, darunter die Exponentialfunktion, deren zentrale Größe, die Eulersche Zahl e, einem Laien noch heute vergleichsweise rätselhaft vorkommt. Ohne Wahrscheinlichkeitsrechnung konnte kein Versicherungswesen entstehen, ohne die Exponentialfunktion kein kreditbasiertes Wirtschaftssystem, denn alle Formen des Wachstums, voran das eines Kapitals durch Zins und Zinseszins, basieren auf ihr. Das im 18. Jahrhundert entstandene moderne Wirtschaftssystem, repräsentiert durch Banken und Versicherungen, prägte den Zeitgeist nachhaltiger, als man sich das heute klarzumachen pflegt. Es war, einfach gesagt, die Herrschaft des Papiergelds, der Aktie, der Anleihe angebrochen, ein dynamisches Verständnis von Reichtum löste das alte statische ab, für das ruhendes Kapital, ein ‚Schatz‘, Grundbesitz etc. charakteristisch waren. Eine aufschlußreiche musikalische Metapher bietet Wagner im Ring des Nibelungen mit dem Riesen Fafner, der als Drache den Nibelungenhort hütet und im Vorspiel zum zweiten Aufzug des Siegfried zu Wotan und Alberich singt, „Ich lieg‘ und besitz‘: – lasst mich schlafen!“: die Stelle versinnbildlicht treffend das inzwischen überholte alte Verständnis von Besitz als eines ruhenden (und in Ruhe zu lassenden) Hortes. Moderne kreditbasierte Wirtschaftssysteme dagegen reinvestieren Kapital und sind beständig in Bewegung, in veloziferischer Eile, um eine originelle Wortschöpfung Goethes zu verwenden. Ein moderner Fafner, ein Multimilliardär unserer heutigen Zeit, wäre nie in der Lage, auch nur einen Bruchteil seines in den Bilanzen der Börsen und Kreditinstitute ausgewiesenen Vermögens in Hartgeld, als ‚Schatz‘, in die Hand zu nehmen. Wachstum, Entwicklung, Zinseszins, in der Zeit dynamisch verlaufende Prozesse prägen die moderne Welt. Ihre mathematische Metapher ist die Zahl e. Kapital, als Kredit verliehen, ‚arbeitet‘, und zwar in – und sozusagen dank – der ablaufenden ‚Zeit‘. Das Wesen der modernen, kapitalistischen Wirtschaftswelt ist demnach flüchtig, virtuell, die ungeheuren Gewinne und Verluste an den Börsen sind zunächst nichts als Zahlen in den Bilanzen, als Zeichen auf den Bildschirmen. Dieser eigenartig fiktionale Charakter der modernen Wirtschaft, ihre auf Wachstum in der linear verstreichenden Zeit basierende Dynamik, lassen die Musik als Zeitkunst hierzu in besonderer Weise affin erscheinen: Wie ein kleines Anfangskapital im Laufe der Zeit

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durch Zins und Zinseszins zu einem riesigen anwachsen kann, so entwickeln sich in den Symphonien des 19. Jahrhunderts aus kleinen Motivkeimen zu Beginn im Verlauf einiger immer länger werdender Sätze gewaltige Schlußapotheosen; aus dem zierlichen, hölzernen, mit kleinem Ton ausgestatteten Fortepiano der Mozartzeit wird binnen hundert Jahren der mit gußeisernem Rahmen armierte, eine halbe Tonne wiegende und mehrere Meter lange Koloß eines Konzertflügels, aus der Handvoll Sänger in den Chören der Renaissance und den kleinen Ensembles des Rokoko werden die Riesenorchester und -chöre der Kaiser-Wilhelm-Zeit, die sich zu einer Symphonie der Tausend zusammenschließen. Und die Kathedralen der Moderne bergen neben Banken, Versicherungen oder Postämtern eben auch Konzertsäle. Ähnlich wie das flüchtige Wesen der Musik, ihr Nurin-der-Zeit-Sein, bei allen Erhabenheitsstürmen, zu denen sie im 19. Jahrhundert fähig wird, am Ende doch ihr Publikum mit leeren Händen zurückläßt, erleben auch kreditbasierte Wachstumssysteme jederzeit Insolvenzen und Börsenstürze: Der Spekulant steht nicht selten nach dem Verlauf erlebnis- und spannungsreicher Zeit in ähnlicher Weise mittellos da wie der Musikhörer. Kurz, die herstellenden Künste, insbesondere wenn sie Bilder, Skulpturen oder Texte erzeugen, die sich in Museen und Bibliotheken aufbewahren lassen, besitzen eine natürliche Affinität zum alten Verständnis von Besitz und Reichtum: mit ihnen lassen sich die alten wie die modernen Schatzhäuser füllen. Wenn Wachstum in der Zeit, wenn Zins und Zinseszins, also die Zahl e zur Signatur einer Epoche werden, ist die Musik, sofern man sie in der eingangs angedeuteten Art und Weise auffaßt, die ‚passendere‘ Kunst. VI. Erstaunlicherweise gibt es musikalische Phänomene, die nicht in die hier (zugegebenermaßen stark verkürzt dargestellte) Vorstellungswelt des 18. und 19. Jahrhunderts passen, Phänomene, die dem Zeitlichkeitsaspekt von Musik, ihrer prozessualen bzw. ‚organischen‘ Struktur zuwiderlaufen. Diese Phänomene können, wie im folgenden näher erläutert werden wird, als ‚kreisförmig-symmetrische‘ beschrieben werden. Möglicherweise handelt es sich dabei um eine Art Nachklang älterer Musikvorstellungen oder vielleicht auch um eine absichtliche Rückwendung zu ihnen. Die christlichen Jahrhunderte im Mittelalter mißbilligten die moderne Zeitauffassung und betrach-

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teten sie als Gotteslästerung. Das bekannte Verbot, für verliehenes Geld Zins zu nehmen, hing mit der religiösen Überzeugung zusammen, die Zeit ‚gehöre‘ Gott, und es sei deshalb ein unzulässiger Übergriff in dessen Machtbereich, wenn man von einem Schuldner nach dem bloßen Ablauf einer bestimmten Zeitspanne mehr Geld zurückverlange, als man ihm geliehen hatte. Viele Stellen in der Bibel und der sonstigen schriftlichen Überlieferung des Christentums machen deutlich, daß die Vorstellung einer Zeit, die gewissermaßen autonom und objektiv existiere, unbekannt war; stattdessen betonte man den Unterschied zwischen dem menschlichen Zeitbegriff und demjenigen Gottes – „Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist“ (Ps. 90, 4) –, ging ferner davon aus, daß ‚unsere‘ Zeit einen von Gott gesetzten Anfang und ein Ziel habe (das Jüngste Gericht) und war obendrein davon überzeugt, Gott könne in den Verlauf der Zeit verändernd eingreifen: Die in mancherlei Variante überlieferte Geschichte eines Mönches, der im Garten seines Klosters für einige Augenblicke einschläft, um beim Erwachen zu seinem Erstaunen zu bemerken, daß während seines Nickerchens Jahre, gar Jahrzehnte verstrichen seien, popularisiert diese Vorstellung eines dem Willen Gottes unterworfenen Zeitverlaufs, der sich jederzeit und unerwartet ändern könne.40 Ein charakteristisches Musikbeispiel findet sich in der 1650 erschienenen Musurgia universalis des Jesuitenpaters und barocken Universalgelehrten Athanasius Kircher (1602–1680), einer Schrift, die in ihren kompendienhaften Ausführungen zur Musik auf der Schwelle zwischen alter und neuer Musikauffassung steht. Sie enthält im siebten Buch, De Musica Antiqua, & Moderna, die erste ausführliche Darstellung der barocken Affektenlehre. Fast 60% des 126 Seiten langen Abschnitts werden von Notenbeispielen bestritten, mit denen die acht von Kircher unterschiedenen und durch Musik darstellbaren Affekte (Liebe, Traurigkeit, Freude, Wut, Mitleid, Furcht, Mut und Verzweiflung) illustriert werden. Hier geschieht die Untersuchung der Affekte im Kontext einer Gegenüberstellung von antiker und moderner Musik: Zunächst wird abgehandelt, wie die Musik der Griechen beschaffen und ob ihre Musik besser als die heutige gewesen sei, ferner, welche Noten und Instrumente benutzt worden seien; es geht zudem um den „Cantus Gregoriani“41 , seine Würde wie die der Kirchenmusik überhaupt sowie um den Mißbrauch heutiger figurierter Musik. Eingebettet in diese Überlegungen sind zwei Abschnitte, die der Frage nachgehen, „cur et quomodo Musi-

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ca vim habeat ad animos hominum commouendos“42 [„warum und auf welche Weise die Musik die Kraft habe, die Seelen der Menschen zu bewegen“] und wie der „numerus harmonicus“ die Affekte bewege.43 Hiernach muß jedem Leser klar sein, daß in den nun folgenden Textpartien ein begrenzter Ausschnitt der musikalischen Wirklichkeit zur Sprache kommen werde, nämlich die Musik der moderni, der Zeitgenossen, deren Musik Kircher als musica pathetica, als eine Affekte darstellende und auf Affekte bei den Zuhörern zielende mit zahlreichen Beispielen vorführt.44 Dabei entwickelt er neben einer Systematik der Affekte und einer Art Hörertypologie eine physikalisch-physiologische Theorie, die erklären soll, wie bloßer Schall vokalen oder instrumentalen Ursprungs im ‚Innern‘ des Menschen zu auch äußerlich beobachtbaren Affekten führe. Zu der auch von Descartes vertretenen Theorie der Lebensgeister, der spiritus animales, treten noch die Lehre von den Temperamenten, basierend auf den vier unterschiedlichen ‚Säften‘ (humores), die Einbildungskraft (vis phantastica) und die Nerven. Die Proportionen der Schwingungen erklingender Musik teilen sich den Lebensgeistern mit, die ihrerseits, modifiziert durch körperliche Konstitution und Einbildungskraft, den Blutkreislauf teils beschleunigen oder verlangsamen, teils das Blut dicker oder dünner werden lassen, es mit den Säften der inneren Organe vermischen und so ganz charakteristische körperliche Symptome zeitigen, die als ‚Affekte‘ wahrgenommen werden können. Von dieser Auseinandersetzung mit der Musik und ihren psychophysischen Möglichkeiten im Sinne der moderni gänzlich unterschieden ist aber das berühmte Frontispiz am Beginn der Musurgia universalis (vgl. Abb. 1). Es stellt eine Allegorie der Musik dar und vermischt christliche mit antiken Vorstellungen. Für unseren Zusammenhang sind zwei Einzelheiten von Bedeutung:45 Einmal die als Kugel im Zentrum dargestellte ‚Welt‘ mit den zwölf Tierkreiszeichen, um die sich ein den Autor und den Titel seines Werkes wiedergebendes Spruchband rankt; hier kommt es auf das kleinere Spruchband am oberen Rand der Tierkreiszeichen an, das ein biblisches Zitat aus dem Buch Hiob enthält: „Quis concentum coeli dormire faciet“46 [„Wer kann den Wohlklang des Himmels zum Schlafen bringen?“]. Kircher stellt hier den Wortlaut der lateinischen Vulgata geringfügig um; die beiden Verse 37 und 38 lauten dort: „quis enarravit caelorum rationem et concentum caeli quis dormire faciet // quando fundebatur pulvis in terram et glebae conpingebantur“, was in der

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Abb. 1: Frontispiz von Athanasius Kirchers Musurgia universalis (1650).

Lutherschen Übersetzung (Fassung von 1984) lautet: „Wer ist so weise, dass er die Wolken zählen könnte? Wer kann die Wasserschläuche am Himmel ausschütten, wenn der Erdboden hart wird, als sei er ge-

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gossen, und die Schollen fest aneinander kleben?“ Luther verwendet also eine völlig andere Metapher und überträgt „ratio caelorum“ mit „Wolke“ und das den himmlischen Wohlklang („concentum caeli“) zum Schlafen bringen („dormire faciet“) mit „die Wasserschläuche am Himmel ausschütten“. Der von Kircher bemerkte ‚musikalische‘ Bezug der Textstelle geht in der Übersetzung verloren. Sodann ist der Engelschor im oberen Drittel interessant, denn ein Spruchband birgt ein Notenbeispiel, das den Gesang der Engel wiedergibt: Es handelt sich um einen 36-stimmigen Kanon, dessen Auflösung in der Musurgia ausführlich behandelt wird. Er besteht aus drei mal drei Mensuren, so daß pro Stimme neunmal das Wort „sanctus“ erklingt; die Notenwerte umfassen (siehe NB 1), die beiden Pausen mitgezählt, neun unterschiedliche Dauern (zwischen punktierter Brevis und Fusa, modern gesprochen zwischen Dreiviertelnote und Sechzehntel). Der Kanon selbst, gesungen von jeweils vierstimmigen Chören, die im Abstand einer Mensur (eines ‚Taktes‘) einsetzen, ist insofern vier mal neun, also 36-stimmig; er entfaltet, von dem einzigen Durchgangston c an drittletzter Stelle abgesehen, nichts als den G-Dur-Dreiklang.

NB 1: Der Sanctus-Kanon aus Kirchers Musurgia universalis, Teil I, S. 584, und seine Übertragung in moderne Notation.

Dieser Kanon ist nun aber kein Stück Musik, wie das 19. Jahrhundert sich Musik vorgestellt hat; die einzelnen Stimmen singen ihren Part und beginnen, ans Ende gekommen, wieder von vorne, in unbegrenzter Wiederholung. Die polyphone und polyrhythmische Struktur dieses Kanons besitzt weder einen wirklichen Anfang, noch einen auf eine zielgerichtete Entwicklung folgenden Schluß; dieser Kanon

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der Engel im Himmel besteht in nichts anderem als in einem endlos erklingenden, polyphon schillernden G-Dur-Akkord, einem auf musikalische Weise Gottes Ewigkeit allegorisierenden Wohlklang. Jede einzelne Stimme dieses 36-stimmigen Kanons, insofern sie am Ende ihres Notentextes wieder von vorne beginnt und sich so in fortwährender Dauer erhält, kann als kreisförmig beschrieben werden: Die einzelnen Kanonstimmen verhalten sich wie die Zeiger einer Uhr, die sich nach einem Stunden- oder Tageslauf von neuem drehen. Das Symbol für Gottes Ewigkeit, für die Wohlordnung des Kosmos, war nach antiker und christlicher Vorstellung der Kreis bzw. die Kugel. Als Kugel ist auf diesem Frontispiz die ‚Welt‘ dargestellt, im ‚Kreis‘ verläuft der abgebildete Engelskanon. In kreisförmigen Bahnen zogen nach antiker Vorstellung die Planeten um die Erde, und manche Autoren, darunter die Pythagoreer, glaubten sogar, daß dabei eine harmonische Musik entstünde, die Harmonie der Sphären. Selbst die Kopernikanische Wende vom ptolemäischen zum heliozentrischen Weltbild hatte die Ordnung des Kosmos nach Maßgabe des Kreises noch nicht erschüttert; und sogar noch Keplers Erkenntnis, daß die Bahnen der Himmelskörper keine Kreise, sondern Ellipsen bildeten, setzte die alte Vorstellung eines in sich geschlossenen, harmonisch aufgebauten Kosmos noch nicht außer Kraft. Immerhin hatte Kepler in seinem frühen Mysterium Cosmographicum (1596) noch behauptet, die Bahnen der Planeten um die Sonne entsprächen den In- und Umkreisen der fünf ineinandergeschachtelten Platonischen Körper (siehe Abb. 4 auf S. 149). Als Symbol für den Kreis bzw. für kreis- oder kugelförmige Gebilde, die ihrerseits als Metapher für die alte Vorstellung eines in sich ruhenden, wohlgeformten Kosmos standen, mag hier die Zahl π gelten. Die geschlossene Gestalt von Kreis, Kugel (oder Ellipse) gegenüber der offenen einer Wachstumskurve (oder eines linearen Zeitpfeils) sei hier durch die als Metapher aufzufassende Formel „π versus e“ charakterisiert. Damit wird ein Unterschied von ‚Altertum‘ und ‚Moderne‘ (aufgefaßt im weitesten Sinn) benannt, der sich weitgehend mit den von Peter Sloterdijk entfalteten Polarisierungen zwischen antikem und modernem Menschen deckt.47 VII. Der Jurist, Komponist und Schriftsteller E. T. A. Hoffmann griff seit 1798, seinem ersten Aufenthalt als Referendar in Berlin, und insbe-

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sondere seit 1804, seiner Zeit als Regierungsrat in Warschau, vermittelt durch seinen Freund und Amtskollegen Julius Eduard Hitzig, den frühromantischen Diskurs auf, wie er u. a. von Wackenroder, Tieck, Novalis und den beiden Schlegel-Brüdern geführt worden war; Hoffmann verschlang Wackenroders Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders und Novalis’ Heinrich von Ofterdingen und setzte sich lebhaft mit den neuen kunsttheoretischen, philosophischen und musikästhetischen Reflexionen seiner Zeit auseinander. Die Frühromantiker hatten die neue Orchestermusik der Symphonien, der Schauspiel- und Opernouvertüren als „bunt, grell oder grottesk“48 beschrieben, ihre Unabhängigkeit und Freiheit gelobt und in einer Ouvertüre etwa aus der Feder des preußischen Hofkapellmeisters Johann Friedrich Reichardt, ein „mannigfaltiges, verworrenes und schön entwickeltes Drama“49 gesehen; sie stellten einen Zusammenhang her zwischen dem Künstlichen als typischem Kennzeichen der Moderne, dem Roman als Paradigma romantischer Kunst und der Instrumentalmusik mit ihrer thematisch-motivischen Arbeit. Friedrich Schlegel bezweifelte im 444. Athenäums-Fragment den „platten Gesichtspunkt der sogenannten Natürlichkeit“, nach dem „die Musik nur die Sprache der Empfindung“ sein sollte und setzte dem „eine gewisse Tendenz aller reinen Instrumentalmusik zur Philosophie“ entgegen, da sie ihr Thema „so entwickelt, bestätigt, variiert und kontrastiert, wie der Gegenstand der Meditation in einer philosophischen Ideenreihe“50 . Das Moment des Künstlichen offenbarte sich für Hoffmann auch auf einem zunächst ganz anderen Gebiet, nämlich dem der Erfindung neuer Instrumente und (mechanischer) Musikautomaten. Im Januar 1814 verfaßte er eine Erzählung Die Automate, die in Teilen erstmals in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung erschien, bevor er sie 1819 in den zweiten Band seiner Serapions-Brüder aufnahm. Eingebettet in eine hier nicht weiter interessierende Handlung ist die Beschreibung zahlreicher Musikautomaten, darunter etwa Flöte oder Klavier spielende Puppen in Menschengröße, Spieluhren, ein Orchestrion usw. Die von Hoffmann behandelten Musikautomaten wurden alle mechanisch betrieben, durch Uhrwerk-ähnliche Apparaturen. Als Symbol für das Mechanische, das Uhrwerksartige, hatte Kant in seiner Kritik der Urteilskraft das Rad gewählt und ihm den Baum als Metapher für das Organische gegenübergestellt. Mathematisch gesehen entspricht dem Rad als wichtigstem Bauteil einer Uhr beziehungsweise eines mechanisch betriebenen Automa-

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ten der Kreis. Strukturen kreisförmiger Art musikalisch zu verwirklichen scheint zunächst paradox zu sein – denn wenn die Musik eine in der Zeit verlaufende Kunst ist, wäre sie das genaue Gegenteil kreisförmiger Vorgänge. Für die herkömmliche Vorstellung ist Zeit das, was eine Uhr mißt und in Stunden, Minuten und Sekunden einteilt. Die Linie des (unendlichen) Zeitpfeils wird dabei zum (endlichen) Kreis des Ziffernblatts gebogen, den die Zeiger, solange das Uhrwerk läuft, regelmäßig beschreiben. Natürlich ist jeder Zeitpunkt einmalig und kehrt nie wieder; auf dem Ziffernblatt einer Uhr aber sieht es so aus, als stünde der Zeiger, wenn er beispielsweise von der Zwölf des einen Tages vorrückend wieder auf der Zwölf des folgenden Tages ankommt, erneut am Ausgangspunkt. Schnitte man den Kreis des Ziffernblatts bei der Zwölf auseinander und zöge ihn längs einer Linie gerade, stünde am ‚Beginn‘ und am ‚Ende‘ die Zwölf. In diesem Sinn kann man eine musikalische Struktur, die mit einem Ereignis A beginnt (einem Thema etwa) und mit der Wiederholung dieses Ereignisses schließt, ‚kreisförmig-symmetrisch‘ nennen. Es kommt dabei jedoch auf den Abstraktionsgrad an, auf die Wahl der als angemessen empfundenen graphischen Symbole, mit denen man eine musikalische Struktur beschreibt. Viele in Liedform gehaltene Musikstücke folgen einem schematischen Aufbau in drei Teilen, also der Form A − B − A. Dabei mag der A-Teil aus mehreren Phrasen bestehen, beispielsweise dreien, die man mit a, b, c bezeichnen könnte. Schreibt man nun statt A − B − A genauer a − b − c − B − a − b − c, kann von kreisförmiger Struktur kaum mehr die Rede sein, wohl aber dann, wenn der Aufbau nach dem Schema a − b − c − B − c − b − a verliefe. Denn hier kehrt tatsächlich nach einigen formal abgrenzbaren Abschnitten die Anfangsphrase zurück. Symmetrie der Teile und kreisförmige Struktur existieren, genau betrachtet, eigentlich nur auf der Ebene der als äquivalent angesehenen Zeichen. In einem literarischen Text wird man unterscheiden, ob etwas in chronologischer Reihenfolge (‚linear‘) dargestellt wird oder beispielsweise mittels einer Rückblende; wenn etwa a, b, c, d, e . . . die fortlaufend erzählten Episoden eines biographischen Textes bildeten, könnte mit R − a − b − c − d − e − . . . − R angedeutet sein, daß eine rahmende Erzählsituation um die Biographie gelegt wird; nach dem Durchmessen möglicherweise jahrzehntelanger Zeiträume innerhalb der Episoden kehrt der Text am Ende wieder zu der Erzählsituation zurück, von der er ausgegangen war.

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Eine kreisförmige Struktur in einem zeitlich verlaufenden Medium liegt demnach dann vor, wenn auf der Ebene der ihren Verlauf abstrahierenden Zeichen, genauer: bei ihrer Übersetzung in eine räumliche Anordnung graphischer Zeichen, Spiegelsymmetrie vorliegt, zumindest in Bezug auf die äußersten Zeichen. In Hoffmannschen Kompositionen fallen derartige kreisförmigsymmetrische Strukturen in unterschiedlichsten Gestaltungsbereichen auf. Relativ einfach liegt der Fall in den (wenigen) Instrumentalwerken, denen die damals übliche Sonatenform zugrunde liegt: Hier vertauscht Hoffmann zum Beispiel zwei Formteile, um den Verlauf stärker symmetrisch zu gestalten. Während in den meisten Sonatensätzen Haydns, Mozarts und Beethovens die Reihenfolge des Auftretens von Haupt- und Seitensatz – von erstem und zweitem Thema – in der Exposition und der Reprise gleich bleibt, geht in der Reprise des Schlußsatzes von Hoffmanns Grand Trio in E-Dur das zweite Thema, der Seitensatz, dem ersten Thema voran.51 Wenn man Hauptund Seitensatz mit a und b bezeichnet sowie die Durchführung mit D, ersetzt Hoffmann also die übliche Abfolge a − b − D − a − b durch a − b − D − b − a und verleiht damit diesem Satz eine im obigen Sinn ‚kreisförmige‘ Struktur. Die dichte motivisch-thematische Arbeit, die Hoffmann seinen Instrumentalwerken angedeihen läßt, veranlaßt ihn, in den jeweiligen Sonatensatzexpositionen das Motivmaterial des Hauptthemas sowie des Seitensatzes mehrfach zu wiederholen. Das von ihm dabei bevorzugte Schema, zum Beispiel im ersten Satz seiner Es-Dur-Symphonie,52 besteht, wenn wieder a und b erstes und zweites Thema bezeichnen sowie V eine verarbeitende Binnenepisode, in der Abfolge a − b − V − b − a; im genannten Symphoniesatz besteht zudem das Hauptthema aus drei Motiven a1 − a2 − a3 , die hintereinander in den Violinen (4 Takte), den Flöten (2 Takte) und im Orchestertutti (2 Takte) erklingen (vgl. NB 2). Bei der Wiederholung des Hauptsatzes am Ende der Exposition treten sie in umgekehrter Reihenfolge, also a3 − a2 − a1 , auf.53 Vergleichbares findet sich in zahlreichen seiner Kompositionen, eine kleine Auswahl weiterer Beispiele mag das näher belegen. In einer 1807/08 in Warschau entstandenen Oper Liebe und Eifersucht, die zu Hoffmanns Lebzeiten nie zur Aufführung gelangte, die er jedoch für sein gelungenstes Bühnenwerk hielt – es handelt sich um ein buffoneskes Singspiel auf Calderóns Lustspiel La Banda y la Flor in der Übersetzung August Wilhelm Schlegels, in dem vier Liebespaare in turbulente Verwicklungen geraten –, finden sich zahlreiche Momen-

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NB 2: Hauptthema des ersten Satzes von E. T. A. Hoffmanns Sinfonia Es-Dur (AV 23). Motiv a1 in den Violinen, T. 1–4; Motiv a2 in der Flöte, T. 5–6; Motiv a3 im Tutti, T. 7–8.

te eines auf sorgfältige, gelegentlich kreisförmig-symmetrische Anordnung der Teile achtenden Komponierens.54 Hoffmann versah die drei Aufzüge mit 19 Musiknummern, je sechs im ersten und dritten, sieben im mittleren. Die Grundtonart des Werkes ist D-Dur, in dieser Tonart schließen die großen Finali des ersten und letzten Aufzugs. Der mittlere dagegen steht in Es-Dur; seine sieben Musiknummern folgen einem symmetrischen Tonartenplan: Nr. 7 (Es) 

Nr. 8 (B) 

Nr. 9 (F) 

Nr. 10 (G) 

Nr. 11 (d) 

Nr. 12 (g) 

Nr. 13 (Es) 

In demselben Werk kommen mehrere Ensembles vor; gleich das erste, ein Quintett (Nr. 3), ist ein symmetrisch angelegtes Stück, das Hoffmann textlich für seine Zwecke nachgebessert hat. Es setzt mit den drei weiblichen Hauptfiguren ein, zwei Schwestern und ihrer Tante, die einen fünfzeiligen Text singen: Wie so lieblich steht im Freien Dieser Blumenhof des Lenzen! Bunte Farben, frisches Glänzen Sieht man schon die Hand des Maien Allen Gegenständen leihen.

Diese fünf Zeilen beschließen auch das Quintett, das insofern bereits textlich eine kreisförmige Struktur aufweist. Bei der Vertonung gliedert Hoffmann das Quintett in fünf Teile nach dem Schema A − B − C − B − A und gestaltet sogar Tempo, Takt und Tonarten symmetrisch, dergestalt nämlich, daß der erste und der fünfte Teil, eben die Vertonung des Fünfzeilers, in C-Dur und im 34 -Takt

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stehen sowie beide Andante überschrieben sind, während der Mittelteil, Es-Dur, im 44 -Takt steht und die Tempoangabe Allegro con moto trägt.55 Dieses Quintett wird seinerseits von jeweils einer Arie und einem Duett umrahmt56 , so daß die ersten fünf Nummern des ersten Aufzugs in einer gewissen Analogie zu dem fünfteiligen Quintett in ihrer Mitte stehen. Und genau im Zentrum dieses Quintetts passiert jener Vorgang, der dem Lustspiel seinen ursprünglichen Namen La Banda y la Flor (,Die Schärpe und die Blume‘) gegeben hat: Enrico, die Hauptfigur, erhält von den beiden Schwestern eine blaue Schärpe und eine Blume zum Geschenk. In einem großen kirchenmusikalischen Werk, einem Miserere in b-Moll für Soli, Chor und Orchester, komponiert 1809 in Bamberg, korrespondieren tonartlich und thematisch die erste und die letzte Nummer: Es sind jeweils zweiteilige Stücke, deren erster Teil fünf , deren zweiter dagegen zwei  vorgeschrieben hat (b-Moll – B-Dur beim ersten Mal, Des-Dur – B-Dur beim zweiten Mal). Das Miserere-Thema (vgl. NB 3), das nach Art einer Fugenexposition durch alle Stimmen wandert, erklingt dabei in Nr. 1 in b-Moll, in der Schlußnummer Benigne fac dagegen in Des-Dur.57

NB 3: Das Hauptthema in E. T. A. Hoffmanns Miserere b-Moll (AV 42) bei seinem ersten Auftreten (Nr. I) und am Werkende (Nr. XI).

Diese motivisch-tonartliche Umklammerung eines gesamten, aus mehreren Sätzen bestehenden Werkes fand ihren Höhepunkt in Hoffmanns letzter Oper Undine, entstanden 1813/14 in Leipzig und Dresden, zuerst aufgeführt am Geburtstag des preußischen Königs, dem 3. Juli 1816, im Königlichen Schauspielhaus Berlin: Hier greift der Schlußchor am Ende des dritten Aktes die Ouvertüre wieder auf.58

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Carl Maria von Weber, der die Undine im März 1817 für die Allgemeine Musikalische Zeitung rezensierte, wies auf diesen Umstand bewundernd hin: Am gelungensten und wirklich gross gedacht erscheint Ref. der Schluss der Oper, wo der Componist noch als Krone und SchlussStein alle Harmonienfülle rein achtstimmig im Doppelchore ausbreitet, und die Worte „gute Nacht aller Erdensorg’ und Pracht“ mit einer herzlich andächtig, und im Gefühl der tiefen Bedeutung mit gewisser Grösse und süsser Wehmuth erfüllten Melodie ausgesprochen hat; wodurch der eigentlich tragische Schluss doch eine so herrliche Beruhigung zurücklässt. Ouverture und Schlusschor geben sich hier, das Werk umschliessend, die Hände. Erstere erregt und eröffnet die Wunderwelt, ruhig beginnend, im wachsenden Drängen dann feurig einherstürmend und hierauf gleich unmittelbar, ohne gänzlich abzuschliessen, in die Handlung eingreifend; letzterer beruhigt und befriedigt vollkommen. Das ganze Werk ist eines der geistvollsten, das uns die neuere Zeit geschenkt hat.59

Weber stellte als ein charakteristisches Beispiel für Hoffmanns Stil, „als ein[en] kleine[n] Vorgeschmack des Ganzen“60 , eine Arie der Undine heraus („Wer traut des laun’gen Glückes Flügeln“, 2. Akt, Nr. 10), deren musikalische Besonderheit darin besteht, tonal instabil zu sein, womit der schwebende Zustand Undines, von dem sie singt, treffend charakterisiert wird. Auch diese zweiteilige Arie (Andantino – Allegretto) wird symmetrisch eingerahmt (wie die gesamte Oper im großen), diesmal von einem vier- bzw. fünftaktigen Oboen-FagottMotiv.61 Hoffmann hatte die kreisförmig-symmetrischen Gestaltungsmittel nicht erfunden, sondern konnte sich an Vorbildern orientieren. Sein Miserere sah schon Friedrich Rochlitz, der Herausgeber der Allgemeinen Musikalischen Zeitung, als von Mozarts Requiem inspiriert an; in der Tat greift dort am Ende die Musik der Communio auf Material der Anfangsstücke (Introitus und Kyrie) zurück. Am stärksten beeinflußt haben dürfte Hoffmann sein zeitweiliger Lehrer Johann Friedrich Reichardt, der seinen zahlreichen Ouvertüren seit den 1780er Jahren gerne eine kontrastierende Einleitung in langsamem Tempo voranstellte, die am Ende des Sonatenallegros wieder aufgegriffen wird oder sogar zur Strukturierung der Teile des Allegros mehrfach verwendet wird, so daß formale Abläufe nach dem Schema A − B − C − D − C − B − A oder A − B − A − C − A − B − A entstehen. Ein wichtiges Vorbild war schließlich Johann Sebastian Bach, des-

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sen Goldberg-Variationen, nachdem sie 1804 bei Nägeli in Zürich im Druck erschienen waren, Hoffmann zu einer berühmten Erzählung, Johannes Kreislers, des Kapellmeisters, musikalische Leiden, inspirierten, die zunächst 1810 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung erschien und dann in den ersten Band der Fantasiestücke in Callots Manier aufgenommen wurde. Ulrike Brütting hat jüngst das Bach-Bild Hoffmanns einer eingehenden Analyse unterzogen und in diesem ersten Kreislerianum ein kreisförmiges „Textorganisationsmodell“62 dingfest gemacht, das die auffälligste Eigenschaft der Bachschen Goldberg-Variationen, die Wiederkehr der das Thema der Variationen bildenden Aria am Ende, nach 30 Variationen, literarisch nachbildet. Nicht nur beginnt die Erzählung mit dem am Klavier sitzenden Kreisler, der soeben die Goldberg-Variationen gespielt hat und schließt, nachdem er die Begebenheiten des Abends beim Geheimen Rat Röderlein geschildert hat, mit seinem erneuten Musizieren, diesmal dem der „Sonaten von Corelli“, gemeinsam mit dem Bediensteten Gottlieb; Brütting kann zeigen: „Die Textaufteilung erfolgt nach dem Schema: Bach/Kreisler/Gottlieb – schlechte Musik und Gesellschaftskritik an gehobenen Kreisen (Röderlein) – Bach/Kreisler/Gottlieb – schlechte Musik und Gesellschaftskritik an Dilettanten und unteren Kreisen – Bach/Kreisler/Gottlieb.“63 Das bislang als ,kreisförmig‘ bzw. ,kreisförmig-symmetrisch‘ beschriebene Phänomen würde sich einfacher als ,zyklisch‘ benennen lassen, doch ist dieser Begriff in der musikwissenschaftlichen Literatur bereits belegt, und zwar in einer Art und Weise, die dem hier Gemeinten nur bedingt entspricht.64 Schon das 19. Jahrhundert benutzte den Begriff in Werktiteln, in Musiklexika oder in Kompositionslehren. Verstanden wurden darunter meistens kompositorische Maßnahmen, mit denen eine Gruppe einzelner Sätze oder Lieder zu einem ,Ganzen‘ verbunden werden sollten. Dazu zählen Anordnungspläne, etwa von Tonarten für die einzelnen Sätze oder Lieder, die Orientierung an ,Leitmotiven‘ oder der Rückgriff auf Themenmaterial des ersten Satzes im Finale. Wenn beispielsweise Robert Schumann in op. 98a eine Auswahl aus den in Goethes Roman Wilhelm Meister vorkommenden Liedeinlagen (Mignons, des Harfners, Philinens etc.) zu einem geschlossenen Gesangswerk fügt (Lieder und Gesänge aus J. W. v. Goethes „Wilhelm Meister“) oder Hector Berlioz in seiner Symphonie fantastique das Hauptthema des ersten Satzes, die idée fixe, in allen weiteren Sätzen (modifiziert) auftreten läßt oder

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wenn schließlich César Franck in seiner Violinsonate ganze Teile aus früheren Sätzen in späteren wiederholt, spricht man in der Musikliteratur von Liederzyklus, Zyklusgestaltung oder gar von einer Sonate cyclique, ohne daß das genau dem hier Gemeinten entspräche.65 Um begriffliche Verwechslungen zu vermeiden, bleibt im folgenden die umständliche Formulierung ,kreisförmig-symmetrisch‘ beibehalten. In seinen letzten Lebensjahren schuf Hoffmann sein bedeutendstes literarisches Werk, den Doppelroman Lebens-Ansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Kreisler in zufälligen Makulaturblättern, der unvollendet blieb. Er exemplifiziert explizit das kontradiktorische Verhältnis zwischen linearer und kreisförmiger Zeitgestaltung, denn er enthält zwei ineinander verflochtene höchst unterschiedliche Biographien: Die eine ist die längs der linearen Chronologie der Ereignisse geschriebene Autobiographie eines des Lesens und Schreibens kundigen Katers, in der Hoffmann den bürgerlichen Bildungs- und Entwicklungsroman seiner Zeit karikiert; ein Text voller witziger Zitate und Anspielungen auf die Werke anderer Dichter. Die Kater-Biographie wird jedoch ständig unterbrochen: Der Romanfiktion nach hat der Kater nämlich gelegentlich Löschpapier benötigt („Makulaturblätter“) und sich dieses verschafft, indem er einzelne Blätter aus einem Manuskript herausriß, das die Biographie eines Musikers, des Kapellmeisters Kreisler nämlich, enthielt. Diese herausgerissenen Makulaturblätter wurden dann ‚versehentlich‘ mit der Katerautobiographie abgedruckt. Die 17 Fragmente der Kapellmeisterbiographie geben nicht nur kein chronologisches Bild, sondern sind sinnigerweise kreisförmig angelegt. Nach der Lektüre des letzten biographischen Fragments befindet man sich chronologisch gerade an dem Punkt, an dem das erste Fragment begann. Kreisler selbst gibt im Roman eine Ableitung seines ohnehin schon sprechenden Namens: Erzeigen Sie mir die Güte, Verehrungswürdigste, betrachten Sie meinen schlichten Namen im gehörigen Licht, und Sie werden ihn, was Zeichnung, Kolorit und Physiognomie betrifft, allerliebst finden! [. . .] Es ist ganz unmöglich, Vortreffliche! daß Sie meines Namens Abstammung in dem Worte Kraus finden, und mich, nach der Analogie des Wortes Haarkräusler, für einen Tonkräusler, oder gar für einen Kräusler überhaupt halten können, da ich mich alsdann eben Kräusler schreiben müßte. Sie können nicht wegkommen von dem Worte Kreis, und der Himmel gebe, daß Sie denn gleich an die wunderbaren Kreise denken mögen, in denen sich unser ganzes Sein bewegt, und aus denen wir

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nicht herauskommen können, wir mögen es anstellen wie wir wollen. In diesen Kreisen kreiselt sich der Kreisler [. . .].66

VIII. Kreisförmig-symmetrische Strukturen, wie sie am Beispiel Hoffmanns gezeigt wurden, finden sich bei zahlreichen Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts. Dem Einfluß der in Berlin noch bis ins 19. Jahrhundert häufiger gespielten Reichardtschen Ouvertüren dürfte es geschuldet sein, wenn der junge Mendelssohn Bartholdy seine Konzertouvertüre zu Shakespeares Sommernachtstraum op. 21 am Beginn und am Schluß mit den berühmten vier ‚magischen‘ Akkorden einrahmt. (Darüber hinaus erklingen die vier Akkorde noch beim Eintritt der Reprise.) Mendelssohn kannte vermutlich Kompositionen Hoffmanns aus dessen handschriftlichem Nachlaß; jedenfalls brachte er 1839 in einem Konzert im Leipziger Gewandhaus drei Nummern aus dessen Schauspielmusik zu Das Kreuz an der Ostsee sowie der Oper Undine zur Aufführung.67 Ebenfalls noch in zeitlicher Nähe zu Hoffmann, aber sicher ohne Kenntnis seiner musikalischen Werke, stehen die Symphonien Schuberts. Das Seitenthema im ersten Satz der Unvollendeten beispielsweise (Takte 42–62) ist durch Motivvertauschung so konzipiert, daß es am Ende nahtlos in seinen Anfang zurücklaufen kann (vgl. NB 4); aus dem ‚Kreisen‘ dieses Themas kommt der Komponist nicht anders heraus als durch den Abbruch mittels einer Generalpause (Takt 62).

NB 4: Franz Schubert, Symphonie h-Moll (D 759), ‚Unvollendete‘, 1. Satz, Seitenthema.

Den ersten Satz der großen C-Dur-Symphonie (D 944) beschließt Schubert ähnlich wie Hoffmann mit dem Wiederaufgreifen des Einleitungsthemas. Die Einleitung ist damit nicht mehr Vorspiel zu einem danach ablaufenden Prozeß, wie in allen Beethoven- oder Haydnsymphonien mit Einleitung, sondern Ausgangs- und zugleich Zielpunkt des vom ersten Satz durchmessenen Weges.

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NB 5: Franz Schubert, Klaviertrio Es-Dur (D 929), Themen des ersten Satzes.

Weitere bemerkenswerte Beispiele kreisförmiger Anordnung finden sich in Schuberts Kammermusik, z. B. in dem späten Klaviertrio in Es op. 100 (D 929), mit dessen Komposition er im November 1827 begann, das am Jahrestag von Beethovens Tod, am 26. März 1828, in Schuberts einzigem ‚Privat Concert‘ im Wiener Musikverein mit großem Erfolg zur Aufführung gelangte und das nach seinem Erscheinen im Druck von Gottfried Wilhelm Fink enthusiastisch in der Allgemeinen musikalischen Zeitung rezensiert wurde.68 Dieses Klaviertrio wird in der Schubertliteratur gerne in einen Vergleich mit Beethovens Kammermusik gerückt, wobei dann die satztechnischen und formalen Unterschiede, je nach Standpunkt, zugunsten einer Überwindung des Beethovenschen Vorbilds durch Schubert ausgelegt oder als Beleg dafür angesehen werden, daß Schubert dem Meister auf dem Terrain der Instrumentalmusik eben bis zuletzt nicht ebenbürtig gewesen sei. Volker Kalisch hat diese Kontroverse unlängst noch einmal thematisiert und dabei herausgearbeitet, inwiefern Schubert dem Beethovenschen Sonatenmodell bewußt zuwider handele: Er durchbreche „die einer dualistischen Formvorstellung entspringende polare Zweithematik (Beethovens)“ und gestalte den ersten Satz „mit drei thematisch-melodischen Einfällen“69 (vgl. NB 5), von denen aber, erneut im Unterschied zu Beethoven, lediglich

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das dritte Thema in der Durchführung verarbeitet würde; offenbar interessiere Schubert sich nicht für „motivische Zerlegung und Umbau oder synthetische Verknüpfung [. . .], wie wir das von den dialektischen und vor allem formgenerierenden kompositorischen Verfahrensweisen Beethovens gewohnt sind [. . .].“70 Vor allem aber fällt Kalisch die eigenartige Coda des Satzes auf, bei der – und das ist das hier Interessierende – alle drei Themen der Exposition noch einmal aufgegriffen werden, jedoch in umgekehrter Reihenfolge: Thema III ab Takt 571, Thema II ab Takt 585 und Thema I ab Takt 623. „Der Kopfsatz kehrt also am Schluß zu sich selbst, zu seinem Anfang und damit zu seinem Ausgangspunkt zurück.“71 Kalisch sah nicht den Zusammenhang dieser ungewöhnlichen formalen Satzanlage mit den hier herausgestellten kreisförmig-symmetrischen Strukturmerkmalen, sondern hielt Schuberts Satztechnik lediglich für eine (bewußte) Abweichung vom Beethovenschen Vorbild, das für Kalisch den Prototyp eines prozessualen, dialektischen Komponierens darstellt; deshalb wertet er Schuberts Verfahren als „unverbindlich“ und „austauschbar“ sowie aus Beethovens Sicht als ein „undialektisches und damit ‚unsonatisches‘“72 : Wie schon die Durchführung unter Verzicht auf alle dialektischen Anstrengungen eine besondere Form des Bei-sich-bleibens ausgetragen hatte, so wird jetzt in der ‚Coda‘ sogar die vermeintliche formale Logik des Ganzen in Frage gestellt, indem sie nämlich als austauschbar und sogar umkehrbar vorgeführt wird. [. . .] Schuberts Formvorstellungen sind an diesem Punkt wohl am weitesten von denen Beethovens entfernt, ihnen recht eigentlich entgegengesetzt. Betreibt Beethoven die Idee der Form aus dem Gedanken der dialektischen Fortentwicklung heraus, die zu Neuem oder zu neuen Einsichten führt, scheint Schubert am Fortschrittsdenken wenig Gefallen zu finden [. . .].73

Schuberts Symphonien haben vermutlich Anton Bruckner beeinflußt, der in den seinen ebenfalls gern das Einleitungsthema am Ende wiederholt, nun jedoch nicht nur am Schluß des ersten Satzes, sondern noch einmal im Finale der gesamten Symphonie. Am interessantesten ist in dieser Hinsicht die vierte Symphonie, die ‚Romantische‘. Von ihrem Finalsatz gibt es vier Fassungen; erst in der Fassung von 1879/80, für die das Finale neu komponiert wurde, kam Bruckner auf die Idee, das Eingangsthema des ersten Satzes, das auch an dessen Schluß Verwendung findet (wie in Schuberts C-Dur-Symphonie), zum Zielpunkt des Finales und damit der gesamten Symphonie zu machen: Nach einem mehrtaktigen melodi-

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schen Steigerungs-Anstieg ab Buchstabe X (Takt 517), ausgehend vom c’ der Posaunen im pianissimo bis hinauf zum dreigestrichenen es, das im dreifachen forte des gesamten Orchesters bei Buchstabe Z (Takt 533) erreicht wird, nach einer, wenn man so möchte, musikalischen Himmelfahrt, erklingt das aus lediglich vier Tönen bestehende Quintmotiv vom Beginn des ersten Satzes (vgl. NB 6), von vier Hörnern und drei Trompeten in den stehenden Schlußakkord hinein geblasen.

NB 6: Anton Bruckner, Beginn des ersten Satzes der vierten Symphonie.

Bruckners Symphonien rücken ihr Gestaltungsproblem in ein neues Licht. Es ist oft mit Verwunderung registriert worden, daß alle seine Symphonien nach dem gleichen Formschema aufgebaut sind – um es radikal zu formulieren: Die Ecksätze sind trithematische, die langsamen Sätze bithematische und die Scherzi monothematische Sonatensätze. Geläufig wurde die Redensart von der einen und einzigen Symphonie, die Bruckner immer wieder neu komponiert habe. Noch irritierender mutet die Existenz verschiedener Fassungen seiner Symphonien an, die alle vom Komponisten autorisiert worden sind: Er hatte bekanntlich der Österreichischen Nationalbibliothek alle seine Symphoniemanuskripte vermacht, damit sie der Nachwelt erhalten blieben. Die Existenz einer Symphonie in drei oder gar vier Fassungen, wie im Falle von Bruckners dritter und vierter Symphonie, stellt den traditionellen Werkbegriff in Frage. Faßt man eine Symphonie als Prozeß, als Entwicklung, als Weg auf, so gibt es einen Ausgangsund einen davon verschiedenen Zielpunkt; ein neues Werk bedeutet ein neues Ziel und einen anderen Weg dorthin. Bei einer eher dem Kreisförmigen zuneigenden Zeitvorstellung, wie sie in den beiden

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vorigen Abschnitten entwickelt wurde (vgl. S. 33 und S. 35), sowie einer entsprechenden satztechnischen Gestaltung ist man dagegen am Ende wieder dort angekommen, von wo man ausgegangen ist: Was spräche dagegen, denselben Weg noch einmal zu durchmessen, mit kleineren oder größeren Abweichungen vom vertrauten Pfad? Ließen sich die Abweichungen nicht mit den Epizykeln vergleichen, die die Astronomen des Altertums wie Klaudios Ptolemaios postulierten, um die Unregelmäßigkeiten der Planetenbahnen genauer erfassen zu können? Das Postulat größerer oder kleinerer Epizykel, die die Bahnunregelmäßigkeiten der Planeten erklären sollten, entspräche dann gewissermaßen den verschiedenen Fassungen ein und derselben Symphonie, die Bruckner immer wieder in Angriff nahm. Dagegen wäre eine ‚neue‘ Symphonie einem ‚neuen‘ Kreis mit anderem Radius analog. Ein gänzlich anderes Beispiel für eine kreisförmige Gestaltung eines symphonischen Werks bietet die 1915 vollendete Alpensinfonie von Richard Strauss, die eine über zehnjährige Entstehungsgeschichte besitzt und zunächst als ein viersätziges Werk unter dem Titel Der Antichrist. Eine Alpensinfonie konzipiert war. Der Nietzschekenner und Nietzscheanhänger Strauss wollte hier ein heidnisches NaturPoem im Anschluß an Nietzsches spätes, 1895 im Druck erschienenes Werk Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum vorlegen. Im ersten Satz, aus dem die ein kolossales Orchester erfordernde einsätzige Symphonie schließlich hervorging, werden Szenen einer Bergbesteigung musikalisch wiedergegeben. Wie in der Partitur selbst vermerkt, beginnt das Werk in der Nacht; im Pianissimo und bei sehr langsamem Tempo durchmessen die Streicher über einem Orgelpunkt auf b eine abwärts gehende b-Moll-Tonleiter; nach etwa fünfzig erlebnisreichen Minuten erreicht die Musik bei Ziffer 142 wieder das Anfangstempo, und sieben Takte nach Ziffer 144 steht erneut „Nacht“ in der Partitur: Mit eben jenem Orgelpunkt über b und dem Skalenmotiv des Anfangs in b-Moll schließt die Symphonie. Daß diese Takte das Werk nicht nur eröffnen, sondern auch beschließen, ist vordergründig mit der Gleichheit der Stationen zu erklären („Nacht“). Doch ging es Strauss ja nicht um Widerspiegelung realer Vorkommnisse, sondern um künstlerische Sublimierung seelischer Reflexe, die er zu einem individuellen „poetischen Programm“ erweiterte [. . .]. Sehr bald jedoch ließ die an Selbstfindung (Antichrist) und Naturgeschehen (Alpen) orientierte Erlebniskurve den Komponisten zu einer Formbehandlung finden, die als Modell nun ihrerseits

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das einer Kurve wählte: Aufstieg und Abstieg in der Landschaft des Lebens.74

Möglicherweise war Strauss aber außerdem auf Nietzsches späte Lehre von der ewigen Wiederkehr, von der „Wiederkunft aller Dinge“ gestoßen: „Mensch! Dein ganzes Leben wird wie eine Sanduhr immer wieder umgedreht werden und immer wieder auslaufen – eine große Minute Zeit dazwischen, bis alle Bedingungen, aus denen du geworden bist, im Kreislaufe der Welt, wieder zusammenkommen.“75 In den Kontext einer kreisförmigen Zeitvorstellung gehört im Grunde jede Form von Reprise; man versteht sofort, weshalb in der zweiten Wiener Schule, im Umkreis von Schönberg, bereits die Wiederholung eines Formteils zum Problem werden konnte: War es noch für Schönberg hauptsächlich das Moment der Redundanz und die Beleidigung der Intelligenz eines guten Musikers, so für Adorno, den Apostel der zweiten Wiener Schule, die Störung und Unterbrechung, ja Infragestellung des dialektischen, zeitlich unumkehrbaren Prozesses. Denn bereits die Wiederholung der Exposition in einer klassischen Sonate läuft der Vorstellung eines Prozesses in der Zeit zuwider – und entspricht auch nicht dem herkömmlichen Bild eines Organismus. Arnold Schönberg wurde in den einleitenden Überlegungen als Vertreter des fortschrittsgläubigen 19. Jahrhunderts angeführt; in der Tat war es gerade seine Schule, die für sich in Anspruch nahm, an „der Spitze der obersten Spitze“76 zu stehen, wie es Kandinsky formuliert hatte. Doch es lassen sich bereits in Schönbergs Vorträgen und in seiner Essaysammlung Stil und Gedanke Bemerkungen finden, die sich mit einem naiven Fortschrittsglauben nicht ohne weiteres vertragen. Zwar betont Schönberg in seinem in dieser Hinsicht wichtigsten Aufsatz, Neue Musik, veraltete Musik, Stil und Gedanke, der auf einen in Prag gehaltenen Vortrag von 1930 zurückgeht, es sei „in der höheren Kunst nur dasjenige darstellenswert, was nie zuvor dargestellt worden“ sei, und es stelle einen „Ehrenkodex aller Großen“ dar, in jedem großen neuen Werk „jene Neuheit“ vorzulegen, „die niemals vergeht“77 . Doch offenkundig ging er in seiner Geschichtsvorstellung von einer Art Pulsieren zwischen zwei verschiedenen musikalischen Stilen, einem kontrapunktischen und einem harmonischen aus. In jeder gegebenen Epoche herrsche eines von beiden vor, werde von Generation zu Generation komplexer gestaltet, bis

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dann „in jüngeren Komponisten eine Sehnsucht“ aufsteige, „sich all dieser Kompliziertheiten zu entledigen.“78 Nun komme es zum Epochenumschwung, und im neuen Stil setze wieder eine Entwicklung vom Einfacheren zum mehr und mehr Ausgearbeiteten an, bis erneut ein Umschwung eintrete usf. Als Komponist schuf auch Schönberg dem hier entwickelten Gedanken eines kreisförmigen Gestaltens nahekommende Werke, darunter beispielsweise in den drei Jahren seiner engen Freundschaft mit Kandinsky das Bühnenwerk Die Glückliche Hand op. 18. Hier finden sich sogar unmittelbar Analogien zu Hoffmanns Kreislergestalt.79 Bei Schönberg ist es ein (namenloser) Mann, wie Kreisler ein Künstler, der zu Beginn wie am Ende des Dramas als Leidender vorgeführt wird. Die Bühnenanweisung zum ersten Bild lautet: „Die Bühne ist fast ganz finster. Vorn liegt der Mann, das Gesicht am Boden. Auf seinem Rücken sitzt ein katzenartiges Fabeltier (Hyäne mit fledermausartigen großen Flügeln), das sich in seinen Nacken verbissen zu haben scheint.“80 Dazu singt ein Chor (Takte 3–19): „Still, o schweige; Ruheloser! Du weißt es ja; du wußtest es ja [. . .] immer wieder überläßt du dich den Lockungen deiner Sinne [. . .] Irdisches Glück! Du Armer! [. . .] Du, der das überirdische in dir hast, sehnst dich nach dem irdischen!“81 Vergebens trachtet der Mann danach, das ebenfalls namenlose schöne Weib für sich zu gewinnen, das sich ihm im zweiten Bild zeigt. Doch verwandelt ihre Berührung seine Hand, die im folgenden dritten Bild von oben hellblau beleuchtet wird; mit ihr, der glücklichen Hand, formt er vor den Augen der Arbeiter in den Felsgrotten ein Stück Gold mit einem einzigen Schlag in ein mit Edelsteinen geschmücktes Diadem. Die Botschaft des Textes ist klar und einfach: Die Berührung des liebenden Mannes durch das Weib setzt seine schöpferischen Kräfte frei, doch darf er es weder besitzen, noch vermag er, der Außenseiter, mit der ‚Welt‘ im Einklang zu leben. Der Künstler hat zu sublimieren und zu leiden. In Hoffmanns Kreisler-Roman wird ebenfalls diese sogenannte Künstlerliebe diskutiert, und Hoffmann benutzt ebenfalls das Bild der Hände: Nur geistige Hände dürfe der Künstler seiner Geliebten entgegenstrecken, nicht aber dürften seine Kreise sich zuletzt zum Trauring schließen, was das Ende der künstlerischen Schaffenskraft und das Wahnsinnigwerden des Künstlers nach sich zöge, erklärt Kreisler im zentralen Fragment der in ihn verliebten Prinzessin Hedwiga.82 Der amerikanische Komponist John C. Crawford machte wohl

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als erster auf die symmetrische Struktur der Szenenanordnung in der Glücklichen Hand aufmerksam, eine Anordnung, die wegen der starken Ähnlichkeit von erster und achter Szene sowie ähnlicher Entsprechungen zwischen zweiter und siebter, dritter und sechster sowie vierter und fünfter Szene auch als kreisförmig angesehen werden kann.83 Am Ende der Glücklichen Hand sieht man wieder den Mann, das Gesicht am Boden, mit dem Fabeltier im Nacken. In einem weiter gefaßten Sinn könnte man schließlich auch in dodekaphoner Musik, wie Schönberg und seine Schüler sie seit Anfang der 1920er Jahre zu komponieren begannen, krebsgängige Wendungen dem hier beschriebenen kreisförmig-symmetrischen Prinzip zuordnen, zumindest dann, wenn etwa auf das Erklingen der Reihentöne 1–12 unmittelbar die Krebsgestalt mit den Reihentönen 12–1 folgt. Besonders eindrucksvoll geschieht dies in einigen Werken Anton Weberns, etwa seinen Klaviervariationen op. 27, deren siebentaktiges Thema so komponiert ist, daß die Sechzehntelpause in der Mitte des dritten Taktes eine Symmetrieachse bildet, von der rechts und links in notengetreuer Entsprechung der Tonsatz spiegelbildlich verläuft: die Thementakte ergeben, mit anderen Worten, vorwärts wie rückwärts gespielt die gleiche Musik (vgl. NB 7). Ähnlich verhält es sich im zweiten Satz von Weberns Symphonie op. 21: Hier ist wie die zugrundeliegende Reihe selbst der ganze Satz eine Transposition des ˙ es gibt keine nach ‚vorwärts‘ weisende Richtung der Krebses, d.h. Musik mehr.

NB 7: Anton Webern, Thema der Klaviervariationen op. 27. (Gerade gesetzte Ziffern bezeichnen die regulären, kursiv gesetzte die krebsförmigen Reihentöne.)

Auch Weberns und Schönbergs Zeitgenosse Béla Bartók operierte mit kreisförmigen Strukturen. Man findet sie einmal in seinem Achsensystem, einer Neuordnung der zwölf temperierten Tonstufen, dergestalt, daß sich wie auf einem Kompaß c und fis bzw. a und

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es als Norden-Süden bzw. Osten-Westen gegenüber stehen.84 Vor allem aber gehört in diesen Kontext Bartóks sogenannte Brückenform, ein Schema nach der Formel A − B − C − B − A, das zu fünfsätzigen Kompositionen geführt hat, beispielsweise dem vierten und fünften Streichquartett: Hier werden um einen zentralen Mittelsatz (C) der zweite und vierte (B) bzw. der erste und fünfte Satz (A) aufeinander bezogen. Auch in der Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta ist ein Satz, der dritte, besonders eindrucksvoll kreisförmigsymmetrisch angelegt. Ein Xylophonsolo auf einem einzelnen Ton eröffnet und beschließt den Satz, die einzelnen Satzteile folgen dem Brückenform-Schema A − B − C − B − A, obendrein erklingt quasi als Scharnier an den vier Nahtstellen der Teile jeweils ein Abschnitt des Fugenthemas aus dem ersten Satz. Zuletzt sei noch der Webern-Schüler Bernd Alois Zimmermann erwähnt. Er benannte 1957 in einem kleinen Aufsatz Intervall und Zeit einige Autoren, deren Zeitvorstellung von derjenigen Newtons und Kants abwichen und die seine eigene pluralistische Konzeption von Zeit beeinflußt hätten:85 Darunter befinden sich beispielsweise Bergson, Heidegger und Joyce. Die von Zimmermann beschriebene Zeitkugel sollte als Metapher für den Umstand dienen, daß es auf der Oberfläche einer Kugel oder in ihrem Inneren keine Richtung, kein Vorher und Nachher gebe, daher alles sozusagen gleichberechtigt nebeneinander bestehen könne. Mit einem Wort von James Joyce ging es Zimmermann um den Stundentanz der Simultaneität, um das „put allspace in a nutshell“86 , um die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Wenn die Zimmermannsche Kugel auch kein Hoffmannscher Kreis ist, so gehört sie doch in den hier erörterten Zusammenhang. Zimmermann vertonte in seiner Oper Die Soldaten ein Drama von Jakob Michael Reinhold Lenz, geschrieben 1774/75. Was Zimmermann an Lenz faszinierte, waren dessen Anmerkungen übers Theater, die sich, wie Lenz es formulierte, von der „jämmerlich berühmten Bulle der drei Einheiten“87 lossagten und gegen die aristotelische Einheit von Handlung, Ort und eben Zeit richteten. Lenz, ein Stürmer und Dränger, gehörte jener Generation an, die den Frühromantikern unmittelbar vorausging. Nur wenig älter als Lenz war einer der erklärten Lieblingsschriftsteller Hoffmanns, der Engländer Laurence Sterne. In seinem Tristram Shandy, einem Kultbuch des späten 18. Jahrhunderts, mißlingt auf witzige Weise die Erzählung einer Autobiographie. Das akribische

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Bemühen des Icherzählers, auch alle Umstände vor seiner Geburt umfassend darzustellen, unvermeidbare Vorausgriffe, Rückblenden, Exkurse etc. lassen das Unternehmen einer akkurat dem linearen Zeitpfeil folgenden Biographie kläglich scheitern. In unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Newton und Kant hat demnach schon das 18. Jahrhundert Zeitvorstellungen entwickelt und künstlerisch fruchtbar gemacht, die dem sogenannten gesunden Menschenverstand zuwiderlaufen. So gern die Frühromantiker sich von ihren Vätern, den Aufklärern, zu distanzieren pflegten, so sehr haben sie sich doch aus dem Ideenvorrat dieser Zeit bedient. Noch Zimmermann empfand eine unmittelbar gegebene Nähe zu den antiaristotelischen Überlegungen des von ihm vertonten Lenz: „Der Schritt von der Dramaturgie des Sturm und Drang zur Jetztzeit“, so schreibt er, „ist erstaunlich klein: Aufhebung der drei Einheiten führt stracks zur Aufhebung von Raum und Zeit, befindet sich im Inneren der »Kugelgestalt der Zeit«“88 . IX. Die vorstehenden, nahezu beliebig vermehrbaren Beispiele aus der Musikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts dürften das Vorhandensein eines Formungsprinzips erhärtet haben, das der ‚in der Zeit‘ unumkehrbar verlaufenden Musik ein entgegenwirkendes, unzeitliches, irgendwie räumliches Moment aufzwingt. Es sind Prinzipien der Baukunst, der Gruppierung und harmonischen Anordnung von Teilen, die ins Zeitliche ausgelegt werden, vornehmlich so, daß am ‚Ende‘ eines Musikstückes sein ‚Anfang‘ erklingt; dieses Prinzip wurde hier „kreisförmig-symmetrisch“ genannt. Wenn man mit weitem Blick die kulturhistorische Entwicklung zweier Jahrtausende zusammenfassen will, könnte man vielleicht von einer älteren und einer neueren Zeitauffassung, von einer antiken und einer modernen Weltdeutung sprechen: Die eine würde vom Kreis und mit ihm von der Kreiszahl π als Symbol repräsentiert, insofern damit die Vorstellung eines statisch geordneten, seine Bewohner umhegenden Kosmos vermittelt wird; für die andere Vorstellung, die im Prozeßhaften, sich ständig Verändernden bzw. in eine Richtung Verlaufenden das eigentliche Wesen der Welt erkennt, wurden hier symbolisch die Zahl e und die Exponentialfunktion vorgeschlagen. Wesentlich dabei ist zum einen der Umstand, daß die neuere die ältere Vorstellung nicht einfach abgelöst hat, sondern daß beide Betrachtungs-

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weisen bis heute nebeneinander existieren; zum anderen zeigte sich, daß die Musik der einen wie der anderen Auffassung von Zeit und Welt entsprechen konnte: Als quadriviale Wissenschaft, zuständig für die Proportionen, zählte sie bis in die Neuzeit zu den Naturwissenschaften, als triviale wandelte sie sich seit dem 18. Jahrhundert zu einer der Schönen Künste, unter denen sie wie keine zweite das ‚Innenleben‘ des Menschen, seine seelischen Regungen und Emotionen anzusprechen und zum künstlerischen Ausdruck zu bringen und insbesondere dem modernen Grundgefühl für Wachstum, Fortschritt und Entwicklung in der Zeit ein adäquates Medium abzugeben vermochte. Beide Einstellungen können sich wechselseitig durchdringen: Wenn vor allem die Musik Beethovens und die von ihm idealtypisch entwickelte Sonate zum Paradigma für prozessuale, ‚dialektische‘ Verläufe erklärt werden konnte, sollte man nicht vergessen, daß ein so scharfsichtiger Analytiker wie sein Zeitgenosse E. T. A. Hoffmann in seinen epochalen Rezensionen Beethovenscher Werke von ‚Dialektik‘, vom ‚Kampf zweier Prinzipe‘, vom Ansteuern eines finalen Höhepunktes und dergleichen nichts bemerkte. Seine im Kontext der fünften Symphonie entwickelte Metapher vom Baum sollte im Gegenteil gerade die nicht-dialektische Satzstruktur der Symphonie belegen: Alles sei hier aus einem Motiv hervorgegangen und verdanke sich einer Grundidee. Einen Kontrast zwischen erstem und zweitem Thema oder zwischen dem ersten und zweiten Satz hat Hoffmann nicht gesehen. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß in Kants Kritik der Urteilskraft das Rad als Metapher für das Mechanische angesehen wurde und daß Uhrwerke, mechanische Apparaturen, aus lauter ‚Kreisen‘ zusammengesetzte künstliche Geräte wie die damals beliebten Musikautomaten (Spieluhren, Orchestrion etc.) auf Hoffmann eine außerordentliche Faszinationskraft ausübten. Seine Erzählung Die Automate fußt in wesentlichen Teilen auf Einsichten eines heute kaum noch beachteten Autors, den Hoffmann zuvor gelesen hatte, auf den er in der Erzählung explizit hinweist und den er wörtlich zitiert: Die Rede ist von Gotthilf Heinrich Schubert (1780–1860) und dessen 1808 veröffentlichte Vorlesungen Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft.89 Schubert hatte mit seinen öffentlichen Vorträgen zu naturphilosophischen und religiösen Themen in Dresden für Furore gesorgt; Hoffmann lebte, als er die Erzählung verfaßte, selber in Dresden und verschlang mit vielleicht noch größerer Be-

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geisterung auch Schuberts vielbeachtete Symbolik des Traumes, die 1814 in Bamberg bei Kunz erschienen war, jenem Freund, der auch Hoffmanns literarischen Erstling, die Fantasiestücke in Callots Manier, 1813/14 herausgebracht hatte. Schubert wird heute als christlicher Erweckungsautor gelesen, der eine Synthese aus naivem Bibelverständnis und Schellingscher Naturphilosophie angestrebt habe; der in seiner Zeit hochangesehene Mann, Autor von etwa 80 teilweise über ein Dutzend mal aufgelegten Büchern, war 1819 Professor für Naturgeschichte an der Universität Erlangen geworden und wurde nach Hoffmanns Tod, 1827, zusammen mit Schelling von König Ludwig I. an die bayerische Landesuniversität nach München berufen. In den Ansichten vertritt Schubert allerdings kein ‚gewöhnliches‘ christliches Weltbild; es ist ihm einerseits um ein Verständnis des „Weltgebäudes“90 zu tun – so der Titel der fünften Vorlesung –, weshalb weite Teile seines Buches der Astronomie gelten (und astronomische Forschung, die Himmelsbeobachtung, vollzieht sich nachts, daher – vordergründig – der Titel der Schrift); andererseits will er Phänomene ins Zentrum seiner Darstellung rücken, die im Lichte der Aufklärung vernachlässigt wurden – Phänomene, die heute unter dem Stichwort ‚Esoterik‘ zusammengefaßt werden; hierzu zählen für Schubert u. a. die Mysterien der Alten, Träume, rätselhafte Naturerscheinungen, vor allem aber der animalische Magnetismus, in dessen Umfeld Hellsehen, Telepathie, Sprechen in fremden Zungen u. ä. auftreten; auch hierauf spielt die Wahl des Buchtitels an. In unserem Zusammenhang von Interesse ist der von Schubert durchgängig behauptete Ganzheitsaspekt, wonach die wissenschaftlich erforschbaren Gesetzmäßigkeiten im Kosmos mit solchen in der Welt des Menschen in Verbindung gebracht werden können. Schubert vertritt damit das alte pythagoreische Weltbild. Seltsam mutet ferner seine Vorstellung vom zeitlichen Verlauf der Geschichte an, da Schubert, ähnlich wie Rousseau, eine zunehmende Verschlechterung konstatiert. Die Menschheit habe in mythischer Vorzeit zwar in einem naiven Naturzustand gelebt, sei jedoch damals mit bis heute nicht mehr erreichtem Wissen und übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet sowie die Natur als solche fruchtbarer und freundlicher als heute gewesen.91 Explizit schließt er sich der antiken Vorstellung eines ehemals Goldenen Zeitalters an, auf das ein zunehmender Verfall gefolgt sei.92 Die Weltgeschichte sei aber in gewisser Weise auch eine Art Emanzipationsgeschichte: Jüngere Geschlechter besäßen zwar immer weniger ‚Wissen’ und ‚Weisheit’ als ihre

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Vorfahren, doch habe andererseits auch ihre Abhängigkeit von der Natur ständig abgenommen, selbstbewußter Geist sei erwacht, die (modernen) Wissenschaften seien aufgekommen und bis heute kontinuierlich fortgeschritten. Als älteste Kultur- bzw. Wissenschaftsleistungen sah Schubert, wiederum gut pythagoreisch, Astronomie und Musik an;93 beide Disziplinen dienen ihm zum Beweis seiner Grundannahme eines generellen Verfalls: Das astronomische Wissen ältester Kulturen sei allen späteren Zeiten überlegen gewesen, und die Wirkungen der Musik in mythischer Vergangenheit hätten schon für Autoren der Antike wie unerreichbare Wunder gewirkt. Ausführlich behandelt er in den ersten Vorlesungen den Aufbau des Weltalls, um zu zeigen, daß es unter den zahllosen Sonnensystemen solche gebe, die im Entstehen, andere, die im Untergange begriffen seien. Die Erde geht für Schubert allmählich ihrem Ende zu, weshalb ihre verschwenderische, den Menschen vollständig umsorgende Fülle nachließe; auf anderen Planeten könnte derzeit ein glücklicheres Geschlecht höherer Wesen beheimatet sein etc. Der Sinn des Fortgangs der Weltgeschichte, der menschlichen Emanzipation, sei das Erreichen eines höheren Daseins, das dem Menschen ermögliche, dereinst über seinen Heimatplaneten hinauszuwachsen. Schubert behauptete ferner, noch bis heute existierten ‚Spuren’ der einstigen integralen Symbiose des Menschen mit der Natur; das seien zum Beispiel akustische Naturerscheinungen wie die „Luftmusik“ oder die „Teufelsstimme“ auf Ceylon, ein Hinweis, den Hoffmann direkt bei Schubert abgeschrieben hat.94 Schubert diskutiert auch die antike Sphärenmusik und erwägt eine physikalische Erklärung, nach der dank einer geringfügig anderen Zusammensetzung der Atmosphäre seinerzeit die Bewegungsgeräusche der Planeten als ‚musikalisches’ Tongemisch auf die Erde gelangt und hörbar gewesen sein könnten.95 Er faßte aber auch eine eigenartige Zeitumkehrung ins Auge: Beim Übergang eines niederen in ein höheres Dasein vermöge letzteres gleichsam Vorboten abzusenken, in denen sich das Kommende andeute; dies sei offenkundig der Fall bei den Phänomenen des animalischen Magnetismus, dem er seine letzte Vorlesung widmete mit dem Bemühen, nur das wissenschaftlich am besten Gesicherte zusammenzutragen. Schubert war davon überzeugt, daß in Phänomenen wie Clairvoyance, Telepathie, Selbstdiagnose bei Krankheiten, Sprechen in fremden Sprachen etc. ein höheres Dasein, das erst noch kommen werde, in Erscheinung trete, weshalb es sich vorwiegend Kranke und magnetisierte Somnambule zum Me-

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dium wählen müsse. Schuberts naturphilosophische Überlegungen, in die auch gnostische Vorstellungen einflossen, laufen der üblichen Zeitauffassung des 19. Jahrhunderts, die sich die Geschichte als einen von der Vergangenheit in die Zukunft verlaufenden Fortschrittsprozeß vorstellte, auf doppelte Weise entgegen: Erstens, weil er genau umgekehrt einen Verfallsprozeß diagnostizierte, zweitens, weil er mit diesem einen Emanzipationsvorgang korrelierte, der mit einer Art Umkehr des Verlaufs der Zeit einhergeht. In unsere Gegenwart reichen einerseits zu gleicher Zeit Relikte der Vergangenheit hinein (z. B. die Sphärenmusik), andererseits senkt die (noch gar nicht eingetretene) Zukunft eines höheren Daseins bereits Vorboten (z. B. in Gestalt der esoterischen ‚Wunder‘ wie Telepathie und Hellsehen) in unsere Alltagswelt hinab. Hoffmann griff Schuberts Beschreibung „jener Urzeit des menschlichen Geschlechts, als es [. . .] in der ersten heiligen Harmonie mit der Natur lebte,“96 in schwärmerischer Begeisterung auf und ließ in der Erzählung Die Automate den Protagonisten Ludwig, einen Musiker, „mit inbrünstiger Andacht“ von der Sphärenmusik schwärmen und davon berichten, wie er als Kind „oft in stillen mondhellen Nächten lauschte, ob nicht im Säuseln des Windes jene wunderbaren Töne erklingen würden.“97 Ludwig fügt ein Beispiel aus seinen Kindheitserinnerungen an, das, wie Hoffmann in einem Brief an Friedrich Rochlitz, den Herausgeber der Allgemeinen musikalischen Zeitung, betont, auf eigener autobiographischer Erfahrung beruhte: Ja ich habe selbst in früherer Zeit eine ganz ähnliche Naturerscheinung, und zwar in der Nähe des Kurischen Haffs in Ostpreußen erlebt. Es war im tiefen Herbst, als ich mich einige Zeit auf einem dort gelegenen Landgute aufhielt, und in stillen Nächten bei mäßigem Winde deutlich lang gehaltene Töne hörte, die bald gleich einer tiefen gedämpften Orgelpfeife, bald gleich einer vibrierenden dumpfen Glocke erklangen. Oft konnte ich genau das tiefe F mit der anschlagenden Quinte C unterscheiden [. . .].98

Bis hierhin, so könnte man diese Stelle deuten, sind Ludwig (und Hoffmann) ganz dem Zauber einer quadrivialen musica mundana verfallen; doch es geht an dieser Stelle auf höchst bezeichnende Weise weiter: Der Protagonist hört außer der Quinte aus den Tönen F und C, dem antiken Urintervall schlechthin, noch einen weiteren Ton. Diesen hätten die Pythagoreer nicht gehört, und wenn doch, dann nicht zur Sprache gebracht. Im Zitat heißt es nämlich weiter: „[O]ft

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erklang sogar die kleine Terz Es, so daß der schneidende Septimenakkord in den Tönen der tiefsten Klage meine Brust mit einer das Innerste durchdringenden Wehmut, ja mit Entsetzen erfüllte.“99 Was der auf die Harmonie der Sphären erpichte Erzähler hier tatsächlich hört, ist also eine Dissonanz, der „schneidende“ Septimenakkord, und er ist mit „tiefster Klage“, mit „Wehmut“ und sogar mit „Entsetzen“ erfüllt. So hatten sich die Alten die Sphärenmusik gewiß nicht vorgestellt. Ganz analog zu Schopenhauer, dessen quadriviales Musikbild doch nur konstatieren konnte, daß die Musik ein getreues Abbild eben jenes Willens sei, der sich stets mit sich selbst entzweie, vernahm der junge Hoffmann am Kurischen Haff als Naturphänomen, als Schubertsches Relikt aus dem Goldenen Zeitalter, das Signum der Moderne: eine Dissonanz.

DISSONANZ

Dissonanz und Fragment I. in und Yang, das chinesische Gegensatzpaar, ist mitsamt seiner

Y bildlichen Darstellung zweier sich zu einem Kreis fügender in-

einander verschlungener Flächen heute jedermann geläufig. Es steht für eine ins chinesische Altertum zurückreichende polare Sichtweise, die unterschiedlichste Erscheinungen der Welt zwei Prinzipien zuordnet, dem Yang etwa den Himmel, das Aktive, die ungeraden Zahlen oder das Männliche, dem Yin dagegen die Erde, das Passive, die geraden Zahlen oder das Weibliche. Auch im europäischen Altertum war eine vergleichbare polare Anordnung unterschiedlichster Eigenschaften bekannt, und zwar bei den Pythagoreern des fünften vorchristlichen Jahrhunderts, von denen Aristoteles (Metaphysik A 5, 986a) schreibt:100 Andere aus derselben Schule meinen, daß es zehn Prinzipien gibt, die sie in einer Reihe von Paaren einander gegenüberstellen: Grenze Ungerades Eines Rechtes Männliches Ruhendes Gerades Licht Gutes Quadrat

– – – – – – – – – –

Unbegrenztes Gerades Vielheit Linkes Weibliches Bewegtes Krummes Dunkel Schlechtes Rechteck

Innerhalb der Musik ließen sich zahlreiche ähnliche Gegensatzpaare bilden, etwa ,hoch‘ und ,tief‘, ,laut‘ und ,leise‘, ,Dur‘ und ,Moll‘, ,vokal‘ und ,instrumental‘ etc., doch abgesehen davon, daß diese Gegensatzpaare historischem Wandel unterworfen sind, wirken sie nicht ähnlich gewichtig, wie das bei Yin und Yang oder den pythagoreischen Prinzipien der Fall ist. Nur ein Gegensatzpaar innerhalb der Musik ist von vergleichbarer grundsätzlicher Bedeutung, und es wird von den allerersten überlieferten Äußerungen der Antike bis

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heute diskutiert: das ist der Gegensatz von Dissonanz und Konsonanz. In diesem Kapitel wird es freilich darum gehen, Dissonanz und Fragment zueinander in Beziehung zu setzen, und zwar dergestalt, daß beide einer gleichartigen Einsicht, einer neuen Art zu denken entspringen, die zur romantischen Wende um 1800 entscheidend beigetragen hat. Um dies nachvollziehen zu können, werden zunächst die Phänomene ,Dissonanz‘ und ,Fragment‘ separat behandelt. II. Die Terminologie hat sich im Verlaufe von zweieinhalb Jahrtausenden mehrmals gewandelt, aber unter einem ,symphonen‘ oder ,konsonanten‘ oder ,konkordanten‘ oder ,harmonischen‘ Klanggebilde, etwa einem aus zwei Tönen bestehenden Intervall, wird seit jeher etwas Wohlklingendes, Angenehmes verstanden, unter ,Dissonanz‘ das Gegenteil. Für die Pythagoreer folgte das ,Wohlklingend-Sein‘ eines Intervalls aus der Struktur seiner zahlenmäßigen Proportion, und zwar dergestalt, daß Proportionen, die aus den ersten vier positiven ganzen Zahlen 1, 2, 3, 4 gebildet waren, der Einfachheit dieser Zahlen wegen als besonders ,schön‘, als ,symphon‘ angesehen wurden. »Pythagoras fand«, heißt es in einem Fragment des Platon-Schülers Herakleides Pontikos (4. Jahrhundert v. Chr.), »daß die Intervalle in der Musik nicht ohne Zahl entstehen; denn sie bestehen im Verhältnis einer Größe zu einer anderen. Er untersuchte ferner, unter welchen Bedingungen die symphonen Intervalle zustande kommen und die nicht-symphonen und alles Harmonische und Unharmonische.«101

Aus den Zahlen 1, 2, 3 und 4 lassen sich sieben Proportionen gewinnen, nämlich 1 : 1, 1 : 2, 1 : 3, 1 : 4, 2 : 3, 2 : 4 und 3 : 4. Sie entsprechen sechs musikalischen Intervallen, nämlich dem Einklang (1 : 1), der Oktave (1 : 2 bzw. 2 : 4), der Duodezime (1 : 3), der Doppeloktave (1 : 4), der Quinte (2 : 3) und der Quarte (3 : 4). Offenbar hatten die Pythagoreer diese als symphon angesehenen Proportionen, und damit die entsprechenden musikalischen Intervalle, mit kosmologischen Bezügen zu den Planeten verknüpft (die Antike ging zumeist von sieben sich um die Erde bewegenden Himmelskörpern aus: Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn), was allerdings heute (und vermutlich schon damals) nicht eindeutig nachvollziehbar ist. Hierzu später, im Kapitel zu den Pythagoreern, mehr. Es reicht an dieser Stelle, festzuhalten, daß die symphonen Intervalle

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innerhalb einer Oktave, also Einklang (Prim), Quarte, Quinte und Oktave, in der Musiktheorie seit alters her als vollkommene Konsonanzen aufgefaßt werden. Erst im ausgehenden Mittelalter traten die Terzen der Gruppe der Konsonanzen hinzu, so daß schließlich einer der bedeutendsten Musiktheoretiker der Renaissance, Gioseffo Zarlino, in seinen Istitutioni harmoniche 1558 die pythagoreische Tetraktys, die Vierheit aus den Zahlen 1, 2, 3, 4, durch den Senario, die Sechsheit aus den Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, 6, ersetzen konnte, was die zusätzlichen Proportionen 4 : 5 (große Terz), 5 : 6 (kleine Terz) und 3 : 5 (große Sext) lieferte (die sogenannten unvollkommenen Konsonanzen). Etwas Sophistik war bei Zarlino noch nötig, um auch die kleine Sexte (5 : 8) als Konsonanz aufzufassen, bis schließlich im Frühbarock das Phänomen der musikalischen Konsonanzen weitgehend geklärt war. Als erstes muß der Zusammenhang von Dissonanz und Konsonanz mit der sogenannten Ober-, Natur- oder Teiltonreihe erwähnt werden, einer Tonfolge, die auf Blasinstrumenten hervorgebracht oder als Flageolett-Töne auf Saiteninstrumenten gespielt werden kann; die unterschiedliche Mischung der Obertöne charakterisiert zudem die spezifische Klangfarbe eines musikalischen Tons. Die Obertonreihe wurde im frühen siebzehnten Jahrhundert – womöglich sogar schon in der Antike – eingehend erforscht, und man fand heraus, daß die ersten fünf Obertöne eines Ausgangstons nacheinander gerade diejenigen Intervalle bilden, die sich ergeben, wenn man in Zarlinos Senario von links nach rechts je zwei Zahlen herausgreift: 1 : 2, die Oktave, ist die Proportion eines Ausgangstons zu seinem ersten Oberton (der früher auch der erste Harmonische oder der erste Aliquot-Ton hieß); 2 : 3, die Quinte, ist das Intervall von hier bis zum nächsten Oberton, 3 : 4, die Quarte, entsteht als Intervall zum übernächsten Oberton, dann folgen große (4 : 5) und kleine Terz (5 : 6) und allgemein gesprochen Proportionen der Form n : n+1 mit n ∈ {1, 2, 3, . . .}. Wenn man den Grundton, dem die ,1‘ zugeordnet ist, terminologisch ungenau als ,ersten Teilton‘ bezeichnet, so daß dann sein erster Oberton zum ,zweiten‘ Teilton wird, lassen sich aus der Folge der Ordinalzahlen der Obertonreihe die jeweiligen Proportionen direkt ablesen: Vom dritten zum fünften Oberton entsteht beispielsweise das Intervall 3 : 5, also die große Sexte, und ebenso leicht ergibt sich nun auch die kleine Sexte 5 : 8 als das Intervall, das zwischen fünftem und achtem Oberton erklingt (der Doppeloktave zum Ausgangston). Mißlich ist allerdings bei der Orientierung an der Obertonreihe, die noch

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im 20. Jahrhundert Hindemith in seiner Unterweisung im Tonsatz zur Entwicklung eines zwölfstufigen Tonsystems heranzog, daß der siebte Oberton, dessen Proportion zu seinem Vorgänger (6 : 7) zwischen der Größe einer kleinen Terz und derjenigen eines normalen Ganztons liegt, in unserem Musiksystem traditionellerweise ausgelassen wird. Eine weitere Überlegung bezieht sich darauf, durch Oktavierungen entstandene Intervalle nicht als ,neue‘ Gebilde aufzufassen, sondern als Varianten ihrer innerhalb einer Oktave befindlichen, mit den gleichen Tonnamen benannten Grundintervalle anzusehen. Die Duodezime ist demnach eine Quinte (+ Oktave), und das Intervall 1 : 12 ist ebenfalls eine Quinte (+ 2 Oktaven). Reduziert man auf diese Weise den unbegrenzten Vorrat an Intervallen auf diejenigen, die innerhalb einer Oktave vorkommen und mit unterschiedlichen Tonnamen benannt sind, kann eine dritte Überlegung Platz greifen, die als einer der ersten Descartes in seinem 1618 verfaßten Compendium musicae angestellt hat, nämlich, daß man zu jedem Intervall seine ,Umkehrung‘ bilden kann, die als Restintervall bis zur vollen Oktave definiert wird. Ausgehend beispielsweise von einem Ton D (einem Ton in der sogenannten großen Oktave), wäre D-F eine kleine Terz, und der ,Rest‘ bis zum d (in der kleinen Oktave) ergäbe das Intervall F-d, das Umkehrungsintervall zur kleinen Terz, also die große Sext. Diese Betrachtungsweise ermöglicht nun, Prim und Oktave, Quinte und Quarte, kleine Terz und große Sext sowie große Terz und kleine Sext wechselseitig als Umkehrungsintervalle aufzufassen, da, rechnerisch gesehen, ihre jeweiligen Proportionen, miteinander multipliziert, 1 : 2 ergeben; und mit diesen acht Intervallen ist die Menge der Konsonanzen, bestehend aus vier vollkommenen (Prim, Quart, Quint, Oktave) und vier unvollkommenen (kleine und große Terzen bzw. Sexten), vollständig erfaßt. Betrachtet man die Obertonreihe etwas genauer, sieht man zudem, daß der sechste Ton (1 : 6) lediglich eine Oktavverdopplung des dritten (1 : 3) und der achte (1 : 8) eine des vierten (1 : 4) sowie dieser seinerseits eine des zweiten (1 : 2) ist; mithin werden, wenn man unser übliches Tonsystem auf die Obertonreihe bezieht, nur der zweite, dritte und fünfte Oberton (sowie ihre Oktavierungen) verwendet. Lakonisch gesagt, beschränkt es sich auf die ersten drei Primzahlen 2, 3 und 5, die Descartes in seinem Compendium deswegen auch „harmonische Zahlen“ nennt.102 Fügt man jeweils zwei Konsonanzen zu einem aus drei Tönen bestehenden Akkord zusammen oder betrachtet man zwei Interval-

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le hintereinander, können wiederum konsonante Klänge oder Rahmenintervalle, zum Beispiel Dur- und Molldreiklänge und deren Umkehrungen, entstehen; es können jedoch, und dies ist meistens der Fall, unzählige neuartige, mehr oder minder dissonante Klanggebilde auftreten, die von den acht Konsonanzen verschieden sind. Besonders verwirrend ist dabei, daß mehrere konsonante Intervalle derselben Art, hintereinander oder übereinander, nie mit anderen konsonanten Intervallen zusammenfallen können. Zwei große Terzen hintereinander, etwa c-e und e-gis, führen zu einem Rahmenintervall c-gis, das der Proportion 16 : 25 (nämlich 45 · 45 ) entspricht, die zwar nahe bei 5 : 8, der kleinen Sexte c-as, liegt, aber mit dieser nicht identisch ist. Ähnlich ergeben vier Quinten übereinander, also etwa C-G-d-a-e’, die Proportion 16 : 81, was nur ungefähr einer großen Terz plus zwei Oktaven entspricht (16 : 80). Diese „Irrationalitäten“, wie Schopenhauer sie im Musikkapitel seiner Hauptschrift Die Welt als Wille und Vorstellung bezeichnet hat, sind dem einfachen mathematischen Umstand geschuldet, daß Vielfache zweier Primzahlen wie diese selbst stets voneinander verschieden sind. Dies ist in etwa der ,Sachstand‘, wie ihn am Ende des 18. Jahrhundert Ernst Florens Chladni bei seinen berühmt gewordenen akustischen Untersuchungen vorfand und im ersten, der „allgemeinen Tonlehre“ gewidmeten Teil seiner 1830 erschienenen Akustik rekapitulierte.103 Oktaven-, Quinten- oder Terzzirkel müssen demnach untereinander inkompatibel bleiben; das führte zu dem von Schopenhauer klar beschriebenen Befund, daß ein ,reines‘ Musiksystem, also eines aus lauter reinen Oktaven, Quinten und Terzen, unmöglich sei: „Daher also läßt eine vollkommen richtige Musik sich nicht einmal denken, geschweige ausführen“, wie er in der im vorigen Kapitel näher behandelten Textpassage (S. 14) formuliert hat. In den Kontext von Dissonanz und Konsonanz gehört noch das Phänomen der Stimmung, oder, musikalisch genauer formuliert, das der Temperierung, der kunstvollen Verstimmung einzelner oder aller Töne eines Tonsystems, um die Unvereinbarkeit der auf Primzahlen beruhenden ,reinen‘ Intervalle aufzuheben. Diesem Vorgang kommt die psychophysische Disposition des menschlichen Gehörs entgegen dank seiner Fähigkeit des ,Zurechthörens‘: Leichte Verstimmungen werden von unserem Ohr nicht nur toleriert, es tritt sogar ein Effekt der Gewöhnung ein, so daß nach einiger Zeit Verstimmungen (innerhalb bestimmter Grenzen) nicht mehr wahrgenommen werden. Wer sich an den Klang eines herunter gekommenen Wirtshausklavie-

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res erinnern kann oder an historische Schallplattenaufnahmen, die darunter litten, daß nicht nur aufnahmetechnische Mängel, sondern auch Gleichlaufschwankungen des Plattenspielers die Wiedergabe verzerrten, weiß, was gemeint ist. Und wer heutzutage das, was aus einem MP3-Player dringt, als ,Gesang‘ oder als ,Orchestermusik‘ genießt, setzt den außerordentlichen Unterschied dieses akustischen Vorgangs zu einem ,echten‘, leibhaftig vor unseren Ohren und Augen musizierenden Sänger oder Orchester ebenfalls nonchalant beiseite. Seit im späten Mittelalter artifizielle Mehrstimmigkeit aufkam, stellte sich das Problem der Temperierung immer dringender; im Laufe mehrerer Jahrhunderte entstanden zahlreiche Lösungsversuche, die im einzelnen zu verfolgen hier unterbleiben kann.104 Entscheidend dabei ist die Haltung, die die einzelnen Musiktheoretiker bzw. Musiker und Denker zum Phänomen der Temperierung eingenommen haben: Man kann hier ,Fundamentalisten‘ von Pragmatikern unterscheiden. Erstere findet man zumeist im Lager der Gegner der gleichschwebend temperierten Stimmung, jenes Stimmungssystems, das sich im 18. Jahrhundert durchzusetzen begann und das heute, insbesondere bei aller synthetisch produzierten Musik, nahezu ausschließlich vorherrscht. Sie verdammen den Kompromiß, alle Intervalle außer der Oktave so zu verstimmen, daß zwölf gleichgroße Halbtöne genau in eine Oktave passen, also in den obigen Terzenbeispielen die Unterschiede zwischen einem gis und einem as oder zwischen einer reinen großen Terz und einer aus übereinandergelagerten Quinten gewonnenen nivelliert werden zugunsten von Tönen, die weder terz- noch quintenrein sind. Stattdessen versuchen sie, wenn nicht alle, so doch wenigstens einige Intervalle, etwa die Terzen und Quinten einiger Dreiklänge, rein zu erhalten – freilich auf Kosten einiger dann um so mehr verstimmter Intervalle, etwa der in mitteltönigen Stimmungssystemen unvermeidbaren ,Wolfsquinten‘. Für die Pragmatiker hingegen löst die gleichschwebend temperierte Stimmung das skizzierte Inkompatibilitätsproblem der Musik auf elegante Weise, indem sie fragt, wie groß ein Intervall (ein temperierter Halbton) sein müsse, damit er, zwölfmal hintereinander gesetzt, d. h. zwölfmal mit sich selbst multipliziert, gerade eine Oktave  ergibt. Das leistet die irrationale Größe 12 12 , denn diese Zahl, zwölfmal mit sich selbst multipliziert, ergibt gerade 1 : 2, die Proportion einer Oktave. Da schließlich das Multiplizieren von Zahlen durch das

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Addieren ihrer Logarithmen ersetzt werden kann, führt die gleichschwebende Temperierung zu einem logarithmischen Maßstab, mit dem man den Tonraum von einem bestimmten Ausgangston zu seiner Oktave durch zwölfmalige Addition des gleichen logarithmischen Wertes ausfüllen kann, was der naiven Anschauung etwa eines Klavierspielers, für den die zwölf Halbtonschritte durch zwölf Klaviertasten repräsentiert werden, sehr entgegenkommt.

III. Fragen der Temperierung wurden in Musiktraktaten oder sonstigen mit Musik befaßten Texten des 18. Jahrhunderts ausgiebig erörtert. Was sich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert änderte, war die Bewertung des Phänomens: Der Umgang mit Dissonanzen und Temperierungen war im 18. Jahrhundert eine Aufgabe, zu deren Bewältigung konkurrierende Lösungsvorschläge diskutiert wurden; das romantische Denken dagegen sah erstens in der Dissonanz die entscheidende Metapher zur Beschreibung der Welt und begann zweitens, an Dissonanzen Gefallen zu finden. Exemplarisch deutlich machen läßt sich das an zwei Musikromanen, die im Abstand von zweieinhalb Jahrzehnten entstanden sind, nämlich einerseits an Wilhelm Heinses Hildegard von Hohenthal, in drei Bänden 1795/96 in Berlin erschienen, und an E. T. A. Hoffmanns unvollendet gebliebenem Murr-Kreisler-Roman, dessen erste zwei Bände 1819 und 1821 ebenfalls in Berlin herauskamen.105 In Heinses enzyklopädischem Roman, der das gesamte musikalische Wissen seines Autors in zahlreichen fiktiven Unterrichtsgesprächen eines Kapellmeisters namens Lockmann mit seiner Schülerin Hildegard zum Besten gibt, werden auch Fragen der Stimmung ausgiebig erörtert. Heinse sieht die Diskrepanz zwischen dem Quinten- und dem Oktavenzirkel, also den Umstand, daß zwölf übereinander geschichtete reine Quinten, etwa vom Kontra-C bis zum viergestrichenen his, geringfügig von sieben Oktaven (bis zum fünfgestrichenen c) abweichen, als etwas durchaus Positives, nämlich, wie das folgende Zitat zeigt, als „erhabnen Trieb alles Lebendigen“ an und erkennt im Gebrauch der gleichschwebenden Stimmung eine Art unvermeidlicher bürgerlicher Gesellschaftsordnung. Wörtlich heißt es schon relativ am Beginn des Romans, bei Gelegenheit des Stimmens eines Klaviers:

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Der Fortschritt von zwölf Quinten, woraus alle Accorde unsers musikalischen Systems entstehen, muß gleichfalls eine reine Oktave ausmachen. Wenn sie aber alle rein sind: so kommt ein Abstand hervor in dem Verhältniß von 531441 zu 524288 [dies ist der Unterschied von ( 23 )12 , zwölf Quinten, zu ( 12 )7 , sieben Oktaven, das sogenannte Pythagoreische Komma; Anm. WK]. So beschwerlich dieß für die Polizey der eingeführten Ordnung unsrer neuen Harmonie ist: so muß Sinn und Verstand, von dem erhabnen Trieb alles Lebendigen, nirgendwo stehen zu bleiben, doch dabey zur Bewunderung hingerissen werden. Die Quinten der Natur gleichen den Monaten der Sonne; sie läuft in einem Jahre immer etwas weiter, als die zwölf Gestirne des Thierkreises. Alles Wesen strebt ewig fort nach dem Unendlichen. Um diese Kinder der Natur, die reinen Quinten, großen und kleinen Terzen nach dem schlechterdings nothwendigen bürgerlichen Gesetz unsrer Kirchen, Theater und Konzertsäle zu modeln und zu erziehen: haben Philosophen und Meister der Kunst verschiedne Methoden angegeben; und die gleichschwebende Temperatur hat so ziemlich die Oberhand gewonnen. Man hat in der Verzweiflung den Knoten aufgehauen, nicht gelöst, und alles muß in das Bett des Prokrustes passen. Man theilte die Oktave mit dem Maaßstab in zwölf halbe vollkommen gleiche Töne ein; und die reinen Quinten, großen Terzen, kleinen Terzen und Sexten in Kehlen und Instrumenten mögen sehen, wie sie sich dazu fügen. Mit dem Unkraut, den Dissonanzen, macht man vollends gar keine Umstände. Kein Accord ist mehr oder weniger als der andre. [. . .] Wer ein zartes Gefühl für Schönheit in ihrer ganzen Reinheit hat, möchte wohl den geringen Umfang der Kunst beym Pythagoras oder Plato zurück wünschen, und sich an der Melodie von wenigen reinen Quinten, Quarten, Terzen in dem abwechselnden mannigfaltigen Takt der Griechischen lyrischen Versarten [. . .] begnügen.106

Hoffmann kannte Heinses Roman gut, hat allerdings die Verquickung von Darstellungen erotischer Tändeleien zwischen Lehrer und Schülerin mit seitenweiser musiktheoretischer Belehrung mißbilligt: Nichts ist langweiliger, als derlei Abhandlungen [. . .], zumal in dem Stil, wie sie etwa in der Hildegard von Hohenthal der Held des Romans gibt, der seiner vornehmen Schülerin, in die er obenein auf eben nicht sehr anständige Weise verliebt ist, den mathematischen Teil der Musikwissenschaft in solcher Art doziert, daß man nicht begreift, wie sie es aushält mit dem Pedanten!107

In seinem eigenen Roman inszeniert Hoffmann den ersten ,Auftritt‘ Kreislers im dritten Kreisler-Fragment in einer Szene, die im „an-

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mutigen Park zu Sieghardtshof“108 spielt, in dem eines Abends Julia, in die er sich verlieben wird, und ihre Freundin, die Prinzessin Hedwiga, die sich in Kreisler verlieben wird, lustwandeln. Die beiden Mädchen hören, ohne jemanden zu sehen, „ganz in der Nähe Akkorde“, die „so stark und wild angeschlagen wurden, daß das Instrument kaum eine gewöhnliche Gitarre zu sein schien“, und darauf „eine Weise nach der andern, verbunden durch die seltsamsten Übergänge, durch die fremdartigste Akkordenfolge.“109 Dann auch „eine sonore männliche Stimme“, die „bald alle Süßigkeit des italienischen Gesanges erschöpfte, bald, plötzlich abbrechend, in ernste düstere Melodien fiel“. Die Gitarre wird gestimmt, „heftige, wie im Zorn ausgesprochene Worte“110 sind zu vernehmen, nun schleichen sie sich, neugierig geworden, näher heran und werden, von hinten, eines schwarz gekleideten Mannes ansichtig: Eben hatte er die Gitarre ganz und gar umgestimmt, auf ungewöhnliche Weise, und versuchte nun einige Akkorde, dazwischen rufend: „Wieder verfehlt – keine Reinheit – bald ein Komma zu tief, bald ein Komma zu hoch! [. . .] Sage mir, du kleines eigensinniges Ding, wo ruht eigentlich dein Wohllaut, in welchem Winkel deines Innersten hat sich die reine Skala verkrochen? – Oder willst du dich vielleicht auflehnen gegen deinen Meister und behaupten, sein Ohr sei totgehämmert worden in der Schmiede der gleichschwebenden Temperatur, und seine Enharmonik nur ein kindisches Vexierspiel? [. . .] Und, liebes Ding, daß du es nur weißt, willst du den unisonierenden Dualismus von Gis und As oder Cis und Des – oder vielmehr sämtlicher Töne durchaus nicht verstatten, so schicke ich dir neun tüchtige teutsche Meister auf den Hals, die sollen dich ausschelten, dich kirre machen mit enharmonischen Worten. [. . .] Die Gitarre [. . .] ist doch das miserabelste, unvollkommenste Instrument von allen Instrumenten, nur wert von girrenden liebeskranken Schäfern in die Hand genommen zu werden [. . .]. Aber ernsten Männern von leidlicher Bildung, von vorzüglicher Erudition, die sich abgegeben mit griechischer Weltweisheit und wohl wissen, wie es am Hofe zu Peking oder Nanking zugeht, aber den Teufel was verstehen von Schäferei und Schafzucht, was soll denen das Ächzen und Klimpern? [. . .] Pfui Teufel!“ – Damit schleuderte der Mann das Instrument weit von sich ins Gebüsch, und entfernte sich raschen Schrittes, ohne die Mädchen zu bemerken.111

Die Gitarre, mit der sich Kreisler in dieser Szene abmüht, war um 1800 ein typisches Dilettanteninstrument, und als Kreisler sich dessen inne wird, wirft er sie beiseite: Er, der professionelle Musiker, vermag nicht einmal ein Amateurinstrument zu stimmen. Eine ähnlich

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unselige Rolle spielt die Gitarre auch in einem älteren Textfragment Hoffmanns, Der Freund (1814), in dem es um eine Art musiktherapeutisches Experiment an dem wahnsinnig gewordenen Kreisler geht, der als jeder menschlichen Zuwendung unzugänglicher Kranker in ein Zimmer gesperrt wird und von dem der Erzähler, der ihn sorgfältig beobachtet, bemerkt, daß er positiv auf Musik zu reagieren scheint: Der Gedanke, daß ein von ihm selbst zufällig erweckter Ton vielleicht die beabsichtigte Wirkung hervorbringen könne, brachte mich darauf, ihm eine Guitarre ins Zimmer legen zu lassen. Es geschah auch wirklich, daß er von ungefähr mit der Hand über die Saiten fuhr; [. . .] er ergriff die Guitarre und gab kräftig und rein den vollen C dur-Akkord an, dann aber stieß er einen fürchterlichen Schrei aus, [. . .] warf die Guitarre auf die Erde und zertrat sie in tausend Stücke. [. . .] Von nun an war sein ganzes Wesen verändert, [. . .] bald heulte er vor gräßlichem Schmerz, [. . .] bald schien ein grausenerregendes Röcheln die letzten Zuckungen des Todeskampfes zu verkünden. [. . .] Wie sehr bereute ich die unglückliche Idee ihm eine Guitarre in die Hände zu spielen [. . .].112

Dieser Vorgang bestätigt indirekt die Dissonanzthese. Der heftige Anfall des Wahnsinnigen wird, umgekehrt, als es bei einem Gesunden der Fall sein müßte, ausgerechnet durch eine Konsonanz, den reinen C-Dur-Akkord, ausgelöst. Im Murr-Kreisler-Roman kommen noch wenigstens zwei weitere Szenen vor, aus denen ein neues Bewußtsein für ,Dissonanz‘ spricht, die nun nicht mehr bloß ein musikalischer terminus technicus ist. So etwa stoßen Julias Mutter, die Rätin Benzon, die für ihre Tochter eine andere Partie als ausgerechnet einen Musiker vorgesehen hat, und Kreisler selbst mit folgendem Wortwechsel aufeinander: „Und immer werden Sie“, erwiderte die Benzon, „mit dieser fantastischen Überspanntheit, mit dieser herzzerschneidenden Ironie, nichts anstiften als Unruhe – Verwirrung – völlige Dissonanz aller konventionellen Verhältnisse wie sie nun einmal bestehen.“ „O wundervoller Kapellmeister“, rief Johannes Kreisler lachend, „der solcher Dissonanzen mächtig!“113

Und in einer abendlichen Musizierszene im Schloß, als Kreisler in höchster Inbrunst zusammen mit Julia sein Duett Ah che mi manca l’anima singt, reagiert Prinzessin Hedwiga verstört: [I]st es billig, daß man im gemütlichen Zirkel, wo freundliche Unterhaltung obenanstehen soll, [. . .] extravagante Sachen auftischt, die

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das Innere zerschneiden, deren gewaltsamen zerstörenden Eindruck man nicht verwinden kann? Ich habe mich bemüht, mein Ohr, meine Brust zu verschließen dem wilden Schmerz des Orkus, den Kreisler mit, unser leicht verletzliches Inneres verhöhnender Kunst in Tönen aufgefaßt hat [. . .]. Gern [. . .] will ich gestehen, daß der üble Eindruck Ihres Duetts mich ganz krank gemacht hat.114

Bei dem Duett handelt es sich um eine eigene Komposition Hoffmanns (das sechste der Duettini italiani, AV 67), das 1812, auf dem Höhepunkt seines eigenen Julia-Erlebnisses, in Bamberg entstanden war; 1819 erschienen diese Duette bei Schlesinger in Berlin im Druck, die damaligen Leser des Romans konnten also durchaus wissen, daß es sich bei Kreislers Kompositionen nicht um fiktive Werke handelte.115 IV. Bis hierhin könnte man ,Dissonanz‘ noch als einen von Hoffmann häufiger angewendeten poetologischen Kunstgriff auffassen. Das Medium Musik bzw. die Welt von Musikern diente dann als eine Art Projektionsfläche, um Mißstimmungen, menschliche Nöte, gesellschaftliche Verwerfungen etc. künstlerisch abbzubilden. Dazu würde passen, daß Hoffmanns Musikszenen in seinen Erzählungen oft in unerquickliche Situationen münden, wie es beispielsweise der Fall ist, wenn Kreisler im ersten Kreislerianum Johannes Kreislers, des Kapellmeisters, musikalische Leiden mit den Bachschen GoldbergVariationen eine beim Geheimen Rat Röderlein versammelte Abendgesellschaft in die Flucht schlägt oder wenn, wie in der Erzählung Der Musikfeind, ein Kind, das auf dem Klavier ein Scherzo vorspielen soll und sich seine Aufgabe erleichtert, indem es statt in E-Dur in F-Dur spielt, geschlagen wird.116 Neben skurrilen Musikergestalten wie dem Ritter Gluck117 , dem Rat Krespel oder dem Baron von B.118 wäre auch an die früh zu Tode kommende Sängerin der Donna Anna in der Erzählung Don Juan119 oder an Krespels singende Tochter Antonie, die an einer rätselhaften inneren Krankheit zugrunde geht, zu erinnern. Doch ,Dissonanz‘ ist auch ein außerhalb des Hoffmannschen Erzählkosmos anzutreffender Sachverhalt, den bereits die Zeitgenossen mit ,Romantik‘ in Verbindung gebracht haben, vor allem dann, wenn es um neuartige Musik ging. Die kam seit den 1790er Jahren aus Frankreich, dem Land der Revolution, und beeinflußte beispiels-

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weise Beethoven besonders stark. Zu nennen wären hier die französischen Revolutions- und Rettungsopern, insbesondere Cherubinis Medée, ein Werk, dessen tragisch-krasser Schluß mit dem Flammentod Medeas 1797 beim Publikum größte Bestürzung auslöste. Zu den auffälligen äußeren Merkmalen der französischen Musik nach der Revolution von 1789 zählten unter anderem ihre moderne Orchesterbehandlung mit instrumentalen Überraschungseffekten, auffällige Tonmalereien und eine extreme Lagen aufsuchende, oft regelwidrige Behandlung der vokalen Stimmen.120 Zeitgenössische Berichte bestätigen diese Sichtweise. In den Rezensionen Carl Maria von Webers findet sich nur selten das Wort ‚romantisch‘. Die aufschlußreichste Stelle steht in seiner Besprechung der Oper Lodoiska, deren Schöpfer, Luigi Cherubini, für Weber den „ersten Rang unter den Komponisten [. . .] in Frankreich“121 behauptet: Die Tendenz seiner Geisteskraft gehört [. . .] dem in unserer Zeit Vorherrschenden, dem Romantischen an. Ernst, oft bis zum düstern Brüten – stets die schärfest-bezeichnendsten Mittel wählend, daher glühendes Kolorit – gigantisch groß im Auffassen des Ganzen und der einzelnen Situationen – kurz und energisch – manchmal scheinbar abgerissen, die Ideen hingeworfen, die aber, in dem tiefgedachtesten innern Zusammenhange stehend, mit dem üppig gewürztesten harmonischen Reichtume geschmückt [. . .] die Tiefe seines Gemütes [. . .] beurkunden: das ist seine Weise.122

Was Hoffmann 1810 in seiner berühmten Besprechung der fünften Symphonie Beethovens für die Allgemeine musikalische Zeitung an diesem hervorhob, war nicht nur, ein „rein romantischer“123 Komponist zu sein; es ist aufschlußreich, auch die Steigerung gegenüber Haydn und Mozart bei der Wahl der den jeweiligen Komponisten charakterisierenden Züge zu beachten: Der Ausdruck eines kindlichen, heitern Gemüths herrscht in Haydns Compositionen. Seine Symphonie führt uns in unabsehbare, grüne Hayne, in ein lustiges, buntes Gewühl glücklicher Menschen. [. . .] In die Tiefen des Geisterreichs führt uns Mozart. Furcht umfängt uns: aber, ohne Marter, ist sie mehr Ahnung des Unendlichen. Liebe und Wehmuth tönen in holden Stimmen [. . .]. So öffnet uns auch Beethovens Instrumental-Musik das Reich des Ungeheueren und Unermesslichen. Glühende Strahlen schiessen durch dieses Reiches tiefe Nacht [. . .]. Haydn fasst das Menschliche im menschlichen Leben romantisch auf; er ist commensurabler für die Mehrzahl. Mozart nimmt das

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Uebermenschliche, das Wunderbare, welches im innern Geiste wohnt, in Anspruch. Beethovens Musik bewegt die Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes, und erweckt jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist. Beethoven ist ein rein romantischer (eben deshalb ein wahrhaft musikalischer) Componist [. . .].124

Andere Rezensenten der Allgemeinen musikalischen Zeitung beurteilten wenige Jahre zuvor Beethovensche Symphonien (nämlich die zweite und die dritte) drastischer und unmißverständlicher als voll „seltsamer Modulationen“, hielten sie „für allzu bizarr, wild und grell“125 , beschrieben die Eroica als eine „sehr weit ausgeführte, kühne und wilde Phantasie“, die sich „ganz ins Regellose“ verliere und glaubten darin, trotz grundsätzlicher Beethovenverehrung, „des Grellen und Bizarren allzuviel zu finden.“126 Beethoven wurde, daran kann hiernach kein Zweifel bestehen, von seinen Zeitgenossen als radikal moderner Komponist empfunden, der bizarre, komplexe, überlange, laute, in einem Wort: dissonante Musik schrieb, was die meisten Rezensenten zugleich verstörte und faszinierte, wofür er aber von Hoffmann bewundert und für „rein romantisch“ ausgegeben wurde. Beethoven selbst war, wie ein kurzer Dankesbrief aus dem Jahre 1820 nahelegt, mit Hoffmanns Rezensionen und dessen Interpretation seiner Musik einverstanden: [A]uch über meine wenigkeit haben sie geschrieben, [. . .] H r : S t a r k e zeigte mir in Seinem Stammbuche einige Zeilen Von ihnen über mich, Sie nehmen also, wie ich glauben muß, einigen Antheil an mir; Erlauben Sie mir zu sagen, daß dieses, von einem mit So ausgezeichneten Eigenschaften begabten Manne ihres gleichen, mir sehr wohl thut.127

Hoffmanns dissonante Weltsicht hat gewiß auch mit seinen teilweise traumatischen Erfahrungen in den Zeiten der Napoleonischen Kriege zu tun, die seinen Lebensweg nachhaltig beeinflußten. Napoleons Eroberungskrieg beendete zunächst 1808 sein vergleichsweise idyllisches Leben als Regierungsrat im preußisch besetzten Polen, vier glückliche Jahre in Warschau, in denen er, vom Verwaltungsdienst nur wenig in Anspruch genommen, mit einer Polin verheiratet und Vater einer kleinen Tochter, reichlich Muße fand, um erfolgreich komponieren, eine musikalische Gesellschaft in Gang bringen und als Dirigent ihres Orchesters fungieren zu können. Der Einmarsch französischer Truppen mit Napoleon an der Spitze beendete

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die polnische Episode; die folgenden fünf Jahre, während der die Tochter starb, ließen Hoffmann so ziemlich alle Untiefen einer zum Scheitern verurteilten Künstlerexistenz erleiden. Er schlug sich, unter anderem, mit dem Anfertigen von Karikaturen, mit Gesangsund Klavierstunden, mit kleineren Theatermusikaufträgen, mit dem kommissarischen Verkauf von Noten und Klavieren sowie mit Hilfsaufgaben am Theater, sei es als Bühnendekorateur, Regieassistent oder Billettverkäufer, durchs Leben. 1813/14 schließlich, als die Napoleonischen Kriege ihrem finalen Höhepunkt zustrebten, befand er sich als Kapellmeister einer Operntruppe abwechselnd in Leipzig und Dresden; gespielt wurde immer da, wo es die militärische Lage gerade zuließ. Monate voller entsetzlicher Kriegsgreuel durchlitt er während der Belagerung Dresdens durch französische Truppen; eine Armee aus 254 000 Soldaten der Alliierten sperrte wochenlang die Lebensmittelzufuhr ab und bombardierte die Stadt blindlings mit Granaten; Krankheiten, Seuchen, Hunger und Granatexplosionen kosteten damals tausende Menschenleben unter der Zivilbevölkerung. In Hoffmanns Auszug aus meinem Tagebuch für die Freunde schilderte er in bestürzender Ausführlichkeit und mit erschreckendem Zynismus den Einschlag einer Granate: [W]ir sahen ganz gemütlich mit einem Glase Wein in der Hand zum Fenster heraus, als eine Granate mitten auf dem Markte niederfiel und platzte – in demselben Augenblick fiel ein Westfälischer Soldat, der eben Wasser pumpen wollte, mit zerschmettertem Kopfe tot nieder – und ziemlich weit davon ein anständig gekleideter Bürger – Dieser schien sich aufraffen zu wollen – aber der Leib war ihm aufgerissen, die Gedärme hingen heraus, er fiel tot nieder (Zu bemerken: fünf Minuten später ritt der Kaiser über den Neumarkt, gerade wo der Bürger getroffen, nach dem Pirnaer Tor) – noch drei Menschen wurden an der Frauenkirche von derselben Granate hart verwundet – Der Schauspieler K[eller] ließ sein Glas fallen – ich trank das meinige aus und rief: „Was ist das Leben! nicht das bißchen glühend Eisen ertragen zu können, schwach ist die menschliche Natur!“128

Am 29. August 1813 besichtigte er das Schlachtfeld, auf dem tags zuvor 50 000 Soldaten umgekommen waren und notierte Beobachtungen wie etwa diese: Hier hatten die russischen Jäger unter dem wütenden Feuer der franz[ösischen] Kanonen gestürmt, das Feld war daher überdeckt mit Russen, zum Teil auf die schrecklichste Weise verstümmelt und zerrissen – So z. B. sah ich einen, dem gerade die Hälfte des Kopfes weg-

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gerissen – ein scheußlicher Anblick – [. . .] Ein russischer Offizier, ein herrlicher schöner Jüngling (höchstens 23 Jahr) hielt noch den Säbel über dem Kopfe geschwungen in der rechten Hand und war so zum Tode erstarrt – Eine Kano[nen]kugel hatte ihn gerade auf der Brust am linken Arm getroffen, diesen weggerissen und die Brust zerschmettert – sein Tod war leicht!129

Auf dieses äußere Elend, auf den Druck der Kriegsereignisse, reagierte Hoffmann mit drastisch gesteigerter ästhetischer Produktion; binnen sechs Monaten brachte er als Kapellmeister der Secondaschen Operntruppe inmitten der Kämpfe dreißig verschiedene Opern in achtzig Vorstellungen zur Aufführung130 , komponierte nachts in fieberhafter Arbeitswut an seiner eigenen Oper Undine, verfaßte die meisten seiner Musikrezensionen und arbeitete an den Fantasiestücken, darunter seinem berühmtesten Kunstmärchen Der goldene Topf. Die im äußeren Leben gemachten traumatischen Erfahrungen gingen in die ästhetische Produktion unmittelbar ein. Seine Tagebuchaufzeichnungen beispielsweise bot er seinem Verleger Kunz in Bamberg am Jahresende als eine „auf pittoreske Weise“ erzählte Broschüre an; den vorgesehenen Schluß des Ganzen, die berüchtigte Vision auf dem Schlachtfelde bey Dresden, legte er dem Brief bei und beschrieb sie zynisch mit einer musikalischen Metapher als „Fortissimo Tutti“131 . Kunz druckte die Vision als selbständige antinapoleonische Flugschrift ohne Namensnennung des Autors. Unter Hoffmanns Erzählungen ist es der musikästhetische Dialog über die romantische Oper, betitelt Der Dichter und der Komponist, der im Pulverdampf einer Kanonade beginnt, die den Musiker zwingt, im Keller seines Hauses Zuflucht zu suchen.132 In den oben erwähnten, zum Teil in Dresden entstandenen Fantasiestücken steht der folgende, oft zitierte Satz: „Welcher Künstler hat sich sonst um die politischen Ereignisse des Tages bekümmert [. . .]; aber eine verhängnisvolle schwere Zeit hat den Menschen mit eiserner Faust ergriffen, und der Schmerz preßt ihm Laute aus, die ihm sonst fremd waren.“133 Kreisler selbst schließlich wurde als eine Figur entwickelt, bei deren Organisation die Natur einen neuen, aber mißlungenen Versuch unternommen habe, weshalb seinem überreizbaren Gemüte, seiner bis zur zerstörenden Flamme aufglühenden Fantasie zu wenig Phlegma beigemischt und so das Gleichgewicht zerstört worden, das dem Künstler durchaus nötig sei, um mit der Welt zu leben und ihr Werke zu dichten, wie sie dieselben [. . .] brauche.134

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In sein Inneres würden gelegentlich recht widrig „unaufgelöste Dissonanzen“ hineinschreien, die als „schlangenzüngige Septimen“ in „eine ganze lichte Welt freundlicher Terzen“135 herab zu schweben suchten. Septakkorde werden von Hoffmann auch schon einmal mit der Metapher des Dolchstichs belegt: „[L]ehrt ihnen, daß der Dreiklang aus nichts andern bestehe, als aus drei Klängen, und niedergestoßen werde durch den Dolchstich der Septime“136 , heißt es etwa im Murr-Kreisler-Roman; zum Bedeutungsumfeld des Begriffs „Dolchstich“ gehören noch die gelegentlich verwendeten Vokabeln ,herzdurchbohrend‘ und ,schneidend‘. Auch im fernen Wien war der Nachhall der berüchtigten Congreveschen Raketen zu hören. Von André-Ernest-Modeste Grétry, einem sehr erfolgreichen Komponisten der Revolutionsjahre, der Opern und Operetten, Lieder und Märsche sowie brillante Musikessays hinterließ, stammt die auf Beethoven gemünzte Bemerkung, seit dem Sturm auf die Bastille könne man „nur noch Musik mit Kanonenschlägen komponieren“137 , und Beethoven selbst notierte sich 1815/16 zu einem Opernprojekt: „Dissonanzen vielleicht in der ganzen Oper nicht aufgelöst oder ganz anders da sich in diesen wüsten Zeiten unsere verfeinerte Musik nicht denken lässt.“138 In seiner Rezension von Beethovens Fünfter Symphonie bemerkte Hoffmann zu einer von ihm registrierten Dissonanz, einem im Fortissimo des Tutti erklingenden verminderten Septakkord in der Durchführung des ersten Satzes, das seien „Laute, womit sich die Brust, von Ahnungen des Ungeheuren gepreßt und beängstet, gewaltsam Luft“139 mache. Den Kriegslärm, den Grétry in der zeitgenössischen Orchestermusik vernahm, erzeugten gleichermaßen die Steigerung der Dissonanzhaltigkeit im Tonsatzgefüge wie die Vergrößerung des Orchesterapparats, wie sie schon äußerlich die Musik des 19. von der des 18. Jahrhunderts unterscheidet. Auch Hoffmann stellte einen Zusammenhang zwischen der Erweiterung des Instrumentariums und der Zunahme von Dissonanzen her: Wahr ist es, zu der Feuer- und Wasserprobe des guten Geschmacks gehört jetzt aber das ganze Arsenal hölzerner und messingner Waffen, und wird täglich vermehrt durch seltsame Erfindungen, als da sind Klapphörner, Flügelhörner etc., die ihres Dissonierens halber sehr artig hervorstechen, [. . .] [d]a kann man denn nicht sagen, was gerade mehr wirke, das ganze Ungewitter von Pauken, Trommeln, Becken, Posaunen, Trompeten, Hörnern etc. oder der Sonnenstrahl eines einzigen Tons der Hoboe oder sonst eines Instruments von guter Art.140

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Wie man an dem Vergleich mit dem „Sonnenstrahl“ eines einzelnen Oboentons sehen kann, hat Hoffmann die Erweiterung des Instrumentariums eher skeptisch verfolgt, hierin seinem Vorbild Heinse ähnlich, der in seinem Musikroman die Häufung von Septakkorden in Opern Glucks bemängelte und seinen Kapellmeister lieber eine italienische Oper im althergebrachten (Metastasianischen) Stil komponieren läßt: „[W]ieder eine neue reine Keuschheit nach dem immerwährenden Französischen Lärmen.“141 V. Bei den ,lärmenden‘ Franzosen stand – wie zu erwarten – die Musik Beethovens in höchstem Ansehen; nirgends in Europa, in keinem der deutschsprachigen Länder, wurden die Beethovenschen Symphonien so oft und so gut aufgeführt wie im Paris der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit dem Orchester des Konservatoriums, das in der Revolutionszeit gegründet worden war, besaß Frankreich eines der besten europäischen Orchester, in dem Studenten und Professoren Seite an Seite spielten. Es stand unter der Leitung von François Antoine Habeneck (1781–1849), der von 1807 bis 1848 die Konzerte der Société des Concerts du Conservatoire dirigierte. Bis zu seinem Tod spielte man in 187 Aufführungen Beethovensche Symphonien, allein die fünfte erklang über vierzig mal. Es war Robert Schumann, der 1835 im zweiten Jahrgang seiner Neuen Zeitschrift für Musik als erster auf ein junges Genie aufmerksam machte und seinem wichtigsten Werk eine umfangreiche Besprechung widmete. Ein französischer Medizinstudent, gerade erst 18 Jahre alt, hätte es, schrieb Schumann, unternommen, Beethovens neunte Symphonie zu überbieten, schon rein äußerlich durch die größere Orchesterbesetzung und den größeren Umfang mit fünf statt vier Sätzen, aber auch im inhaltlichen Anspruchsniveau. Franz Liszt, ein Freund des Komponisten, hätte das kolossale Werk für Klavier bearbeitet und feiere damit landauf, landab Triumphe. Und in diesem Lisztschen Klavierauszug lag Schumann das Werk zur Rezension vor. Die Rede ist von der Symphonie fantastique Hector Berlioz’, der 1830 bei der Pariser Uraufführung allerdings schon 27 Jahre alt war. In der Tat bot der Komponist für seine fünfsätzige Symphonie einen noch nicht dagewesenen Orchesterapparat mit ungewöhnlichen Instrumenten wie Ophikleiden, Glocken, Harfen, Es-Klarinette etc. auf. Obendrein aber war dieses Kolossalwerk Programmusik: Bei

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den Aufführungen der Symphonie war nach dem Willen des Komponisten ein Blatt mit Inhaltsangabe auszuhändigen. In diesem Programm geht es um ‚Episoden im Leben eines jungen Künstlers‘, der sich verliebt hat und dem die Gestalt seiner Geliebten stets verbunden mit einem musikalischen Thema erscheint, das Berlioz als idée fixe bezeichnete. Im ersten Satz gibt sich der Künstler seinen Träumen und Leidenschaften hin, im zweiten besucht er einen Ball und erlebt ‚sie‘ beim Tanzen; im dritten Satz zieht er sich aufs Land zurück, um in idyllischer Natur, umgeben von den Klängen zweier Schalmei spielender Hirten, Ruhe zu finden. Den Höhepunkt der Symphonie bilden der vierte und fünfte Satz. Der Künstler, überzeugt, nicht wiedergeliebt zu werden, hat mit Opium einen Selbstmordversuch unternommen, jedoch die Dosis zu gering gewählt, so daß er, statt zu sterben, im Drogenrausch zwei albtraumartige Begebenheiten erlebt: Im vierten Satz glaubt er, seine Geliebte ermordet zu haben, und träumt, wie er als Mörder zur Guillotine geführt und hingerichtet wird; das Programm des fünften lautet wörtlich: Er sieht sich beim Hexensabbat inmitten einer abscheulichen Schar von Geistern, Hexen und Ungeheuern aller Art, die sich zu seiner Totenfeier versammelt haben. Seltsame Geräusche, Stöhnen, schallendes Gelächter, ferne Schreie, auf die andere Schreie zu antworten scheinen. Das Motiv seiner Liebe erscheint noch einmal, doch es hat seinen noblen und schüchternen Charakter verloren; es ist nichts mehr als ein gemeines Tanzlied, trivial und grotesk; sie ist es, die zum Sabbat gekommen ist. . . Freudengebrüll begrüßt ihre Ankunft. . . Sie mischt sich unter das teuflische Treiben. . . Totenglocken, burleske Parodie des Dies irae, Sabbat-Tanz. Der Sabbat-Tanz und das Dies irae zusammen.142

Schumann schauderte vor dieser ‚schwarzen‘ Romantik zurück, er sah das Groteske und Kranke darin als dem umstürzlerischen Zeitgeist geschuldet an. „Die Poesie“, heißt es am Ende seiner Rezension, „hat sich, auf einige Augenblicke in der Ewigkeit, die Maske der Ironie vorgebunden, um ihr Schmerzensgesicht nicht sehen zu lassen“.143 Die ästhetischen Wurzeln des Stückes führen zu E. T. A. Hoffmann, dessen Werke schon zu Lebzeiten ins Französische übersetzt worden waren und in Frankreich eine Welle romantischer Begeisterung ausgelöst hatten. Hoffmanns Fantasiestücke waren (ungenau) übersetzt worden als Contes fantastiques, woraus Berlioz, ein begeisterter Hoffmannleser, den Titel seiner Symphonie fantastique ableitete.

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Das Programm besaß zudem einen autobiographischen Bezug, denn Berlioz hatte 1827 zum ersten Mal die irische Schauspielerin Harriet Smithson gesehen, die mit einer englischen Kompanie im Odéon-Theater in Shakespeares Hamlet spielte. Der Eindruck, den Shakespeare einerseits, Harriet Smithson andererseits auf Berlioz machten, war überwältigend; hinzu kam in diesen Jahren noch die Entdeckung des Goetheschen Faust. 1829 schrieb der von Shakespeare, Goethe, Beethoven und Harriet Smithson in Erregung versetzte Komponist von sich selbst: „Noch bin ich unbekannt. Aber wenn ich eine kolossale Instrumentalkomposition fertiggeschrieben habe, mit der ich jetzt beschäftigt bin, habe ich vor, nach London zu gehen und sie dort aufzuführen. Lasst mich einen Erfolg erringen, vor ihren eigenen Augen!“144 Heinrich Heines Briefe über die französische Bühne überliefern eine farbige Schilderung des Komponisten, der Aufführung der Symphonie fantastique und des Anlasses zu ihrer Entstehung; Heine hatte zwar nicht die Uraufführung am 5. Dezember 1830, wohl aber die zweite Aufführung am 9. Dezember 1832 unter der Leitung Habenecks besucht: Seine Geistesrichtung ist das Phantastische, nicht verbunden mit Gemüt, sondern mit Sentimentalität; er hat große Ähnlichkeit mit Callot, Gozzi und Hoffmann. Schon seine äußere Erscheinung deutet darauf hin. Es ist schade, daß er seine ungeheure, antediluvianische Frisur, diese aufsträubenden Haare, die über seine Stirne, wie ein Wald über eine schroffe Felswand, sich erhoben, abschneiden lassen; so sah ich ihn zum erstenmale vor sechs Jahren, und so wird er immer in meinem Gedächtnisse stehen. Es war im Conservatoire de Musique, und man gab eine große Symphonie von ihm, ein bizarres Nachtstück, das nur zuweilen erhellt wird von einer sentimentalweißen Weiberrobe, die darin hin- und herflattert, oder von einem schwefelgelben Blitz der Ironie. Das Beste darin ist ein Hexensabbat, wo der Teufel Messe liest und die katholische Kirchenmusik mit der schauerlichsten, blutigsten Possenhaftigkeit parodiert wird. Es ist eine Farce, wobei alle geheimen Schlangen, die wir im Herzen tragen, freudig emporzischen. Mein Logennachbar, ein redseliger junger Mann, zeigte mir den Komponisten, welcher sich, am äußersten Ende des Saales, in einem Winkel des Orchesters, befand und die Pauke schlug. Denn die Pauke ist sein Instrument. „Sehen Sie in der Avant-scene“, sagte mein Nachbar, „jene dicke Engländerin? Das ist Miß Smithson; in diese Dame ist Herr Berlioz seit drei Jahren sterbensverliebt, und dieser Leidenschaft verdanken wir die wilde Symphonie, die Sie heute hören.“ In

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der Tat, in der Avant-scene-Loge saß die berühmte Schauspielerin von Coventgarden; Berlioz sah immer unverwandt nach ihr hin, und jedesmal, wenn sein Blick dem ihrigen begegnete, schlug er los auf seine Pauke, wie wütend. Miß Smithson ist seitdem Madame Berlioz geworden, und ihr Gatte hat sich seitdem auch die Haare abschneiden lassen.145

Besonders interessant sind der vierte und der fünfte Satz; jener hat die Gestalt eines von Blechbläsern dominierten Marsches, der an die Revolutionsmusik der 1790er Jahre erinnert; hier erklingt die idée fixe unmittelbar vor dem coup fatal, dem Herabstürzen des Fallbeils. Der fünfte Satz bot Berlioz die Gelegenheit, eine ‚Teufelsmesse‘ musikalisch darzustellen und hierfür ein Stück aus der katholischen Liturgie einzusetzen: Er parodierte, für gläubige Christen zweifelsohne ein Sakrileg, das dies irae, die Sequenz zur Totenmesse, und kombinierte obendrein diese Melodie mit der idée fixe sowie dem Rondothema der folgenden Hexen-Orgie. Schumann stellte in seiner Rezension hauptsächlich die harmonischen Kühnheiten des Komponisten heraus und bewunderte die instrumentationstechnischen Neuerungen in dem Werk. Mit vielen Notenbeispielen und Taktangaben weist Schumann auf Stellen hin, an denen Berlioz gegen satztechnische Regeln verstößt, unerhörte Orchestereffekte erfindet und, um mit Weber zu sprechen, „üppig gewürztesten harmonischen Reichtum“ entfaltet.146 Man stoße „oft auf platte und gemeine Harmonien, – auf fehlerhafte, wenigstens nach alten Regeln verbotene, von denen indes einige ganz prächtig klingen [. . .] man probiere nur, irgend etwas zu ändern oder zu verbessern [. . .] und sehe zu, wie matt sich alles dagegen ausnimmt!“147 Am wichtigsten dürfte an diesen Beobachtungen der Satz sein, daß in einem Werk von eigentlich abzulehnender radikaler Neuheit ausgerechnet Dissonanzen, Regelverletzungen – „platte und gemeine Harmonien“ also – „ganz prächtig klingen“ können. Man kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, daß die Romantiker mit einer gewissen Lust in die Abgründe geblickt haben, die sich ihnen boten, sei es im realen Leben, sei es in den künstlerischen Neuerungen eines Hoffmann, Beethoven oder Berlioz. Man wird also zusammenfassend konstatieren können, daß einerseits am Beginn der Romantik als elementare Daseinserfahrung das von Lothar Pikulik herausgearbeitete „Ungenügen an der Normalität“148 steht, das Leiden an dieser Welt und die Sehnsucht nach einer besseren, die sich im Erleben der Kunst gleichsam vorschmecken läßt. Anderer-

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seits kommt in der Geschichte der Musik zugleich ein im revolutionären Frankreich beginnender, parallel verlaufender Prozeß der zunehmenden Erweiterung der kompositorischen Mittel in Gang, den man als ein fortschreitendes Überhandnehmen der Dissonanzen, als eine Art Entdeckung der Dissonanz, beschreiben kann und der in letzter Konsequenz zur Atonalität der neuen Musik zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts führt – hierzu im folgenden Kapitel mehr. Den entscheidenden Gedanken bildet die Erkenntnis, Musik und romantische Welterfahrung ließen sich quasi paßgenau miteinander verbinden: So verstimmt und dissonant es, genau besehen, in der Musik zugeht, so verstimmt und dissonant steht es um die Welt. – Soviel fürs erste zur Dissonanz. VI. Wer sich mit der Romantik näherhin befaßt und nicht musikalisch vorbelastet ist, stößt über kurz oder lang auf das Phänomen des ‚Fragments‘ als einem wesentlichen, vielleicht sogar dem zentralen Element jener Zeit. Häufig datiert man deshalb den Beginn der Frühromantik auf das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, in dem die berühmten Schlegelschen Fragmente-Sammlungen erschienen waren, namentlich die sogenannten Lyceums- und die AthenäumsFragmente von 1797 und 1798.149 Wenn man zunächst unter einem literarischen ‚Fragment‘ ein relativ kurzes Textstück versteht, kann man auch die sehr knappen Künstlerviten, die Wackenroder und Tieck 1797 unter dem Titel Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders erscheinen ließen, ebenso ihre zwei Jahre später herausgekommenen Phantasien über die Kunst, für Freunde der Kunst, hinzurechnen; ferner die BlüthenstaubFragmente des Novalis von 1797/98 und, deutlich später, die Höchst zerstreuten Gedanken E. T. A. Hoffmanns in dessen erstem Band mit Erzählungen, den Fantasiestücken in Callots Manier von 1813. Hinzu kämen noch die zahllosen Notizen, Exzerpte und fragmentarischen Aufzeichnungen Schlegels und Novalis’, die nach deren Tod im 19. und 20. Jahrhundert publiziert wurden: „Die nie verzagenden Editoren haben zweitausendeinhundertundsiebzig Fragmente der sogenannten Literary Notebooks publiziert, und manches wird vielleicht noch das Licht der Öffentlichkeit eines Tages erblicken.“150 Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war es zu einer regelrechten Mode ge-

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worden, Fragmente zu publizieren, und zwar in ganz Europa. Zu denken wäre beispielsweise an Hamanns Brocken von 1758, in denen er sein Londoner Bekehrungserlebnis mitteilt, an die folgenreichen Ossian-Fragmente Macphersons (Fragments of Ancient Poetry, Collected in the Highlands of Scotland, and Translated from the Galic or Erse Language, 1760), an Lavaters Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe, 1775–1778, an den Fragmentenstreit Lessings mit Johann Melchior Goeze (seit 1777), an Klopstocks Fragmente über Sprache und Dichtung (1779) oder an die 1794 anonym erschienenen Aesthetischen Fragmente über das Schöne, besonders in den bildenden Künsten; Justus Fetscher erinnert in seinem Fragment-Artikel im Historischen Wörterbuch ästhetischer Grundbegriffe daran, daß das „Jahrzehnt der ästhetischen Fragmentaristik“ im Jahre 1790 mit Goethes Faust. Ein Fragment eröffnet worden war.151 Zu erwähnen wären auch Sammlungen wie Chamforts Maximes et pensées, caractères et anecdotes von 1795, die zwei Jahre später in Leipzig in deutscher Übersetzung als Maximen, Charakterzüge und Anekdoten erschienen waren, von August Wilhelm Schlegel rezensiert wurden und auf die sich Friedrich Schlegel in zweien seiner LyceumsFragmente ausdrücklich bezieht152 ; und schließlich nahm fast ein Jahrhundert später Kierkegaard mit seinen Philosophischen Brocken von 1844 nicht nur den Hamannschen Werktitel wieder auf. Man kann das gewaltige Textgebirge der damals entstandenen literarischen ,Fragmente‘ noch um entsprechende Erscheinungen der Bildenden Künste vermehren, um die bewunderten oder sogar eigens neu angefertigten Ruinen, Torsi und Skizzen (und dabei auf die Begeisterung für das non-finito hinweisen), und man kann das alles zusammen terminologisch differenziert benennen und katalogisieren. Es geht hier jedoch, wie bei der Diskussion von ,Dissonanz‘, nicht um Begriffskasuistik, nicht einmal darum, was genau unter einem ,Fragment‘ zu verstehen sei, sondern um die am Ende des 18. Jahrhunderts aufkommende neue Einstellung zum Fragmentarischen an sich. Die neue Haltung, Ästhetik, ja Weltanschauung, die man seither als spezifisch modern auffaßt, wird in der jüngeren Forschung von allen Autoren, die sich mit dem Fragment und dem Fragmentarischen befassen, als etwas begriffen, das als Gemeinsamkeit die letzten zwei Jahrhunderte auszeichnet. So stellt beispielsweise Eberhard Ostermann in seiner 1991 im ersten Band des Romantik-Jahrbuchs Athenäum erschienenen Untersuchung den Begriff des Fragments „als Leitmetapher der ästhetischen Moderne“ dar und spannt einen

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Bogen von Friedrich Schlegel bis zu Jacques Derrida, von Schiller und Goethe bis zu Adorno, Benjamin und Foucault.153 Die romantischen Fragmente waren eine Art Variante der Aphorismen älterer Zeiten, in denen Lehrsätze, Lebensregeln, allgemeine Betrachtungen oder bedeutende Zitate unsystematisch und unverbunden gereiht zu Textsammlungen zusammengestellt wurden. Friedrich Schlegel besaß offenbar eine eigene Theorie der Fragmente und genaue Vorstellungen von einer in ihnen sich darstellenden neuen poetischen Gattung. Zum Beispiel ist es eine Eigenschaft seiner Fragmente, über sich selbst zu reflektieren; ferner, nicht Ergebnisse, sondern Tendenzen, Möglichkeiten, zu Resultaten zu gelangen, in ihnen zur Geltung kommen zu lassen. Andererseits gilt aber auch: „Ein Fragment muß gleich einem kleinen Kunstwerke von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet sein wie ein Igel.“ (206. Athenäums-Fragment)154 „Weil dieses Tier elliptisch rund, in sich zurückgezogen, verletzlich und gefährlich, ausgesetzt, aushäusig, stumm und blind ist, wird Derrida den (Schlegelschen) Igel zum Wappentier der Literatur machen.“155 Eine wichtige Feststellung macht ferner das 24. Athenäums-Fragment: „Viele Werke der Alten sind Fragmente geworden. Viele Werke der Neuern sind es gleich bei der Entstehung.“156 Damit ist auf die Zukunftsorientierung der Fragmente verwiesen; im „retrospektiven Sinne ist das Fragment Relikt, im prospektiven Sinne ist es Projekt.“157 Wenn, um den Gedankengang Ostermanns nachzuvollziehen, der mimetische Bezug von Kunst auf eine ihr vorangehende metaphysische oder rationale Wahrheit wegfällt und wenn die Eigendynamik des Poetischen zu möglicherweise unerwarteten Entfesselungen und Entgrenzungen führt, dann entsteht das Problem der Trivialisierung, und das Ästhetische ändert seine Gestalt: Von „Schlegel bis Adorno, von Nietzsche bis Derrida und De Man“ taucht dann der gleiche „Gedanke einer notwendig fragmentarischen Gestalt des Ästhetischen“158 auf. Die Metapher des Fragments „fungiert gleichsam als verdeckte Totalitätskategorie, da sie die Vorstellung des Ganzen auf latente Weise mitreflektiert.“159 Bei Schlegel wird der fragmentarische Zustand der Poesie als Überbietung von Ganzheit angesehen und als höherwertige Totalität gedeutet; im berühmten 116. Athenäums-Fragment, das im ersten Satz die romantische Poesie als „progressive Universalpoesie“160 definiert, heißt es weiter von ihr, sie könne „ewig nur werden, nie vollendet sein“161 ; an anderer Stelle (im 22. Athenäums-Fragment) bezeichnet Schlegel „Projekte“ als

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„Fragmente aus der Zukunft“ und sieht in ihnen den subjektiven „Keim eines werdenden Objekts“162 . „Durch freiwillige Selbstbeschränkung soll die Abwesenheit des Unendlichen in das fragmentarische Werk eingehen“163 . Bei Nietzsche werde später, so Ostermann in einem Parforceritt durch die Geschichte der Ästhetik des 19. und 20. Jahrhunderts, „das Ästhetische vollständig im Anderen der Vernunft“ verankert, das Fragmentarische sei hier nicht mehr Überbietung einer irgendwie gearteten Ganzheit, sondern „nur noch deren Destruktion“164 ; Ernst Bloch, der jedes Werk als Fragment betrachte, „da die Wirklichkeit, auf die es Bezug nimmt, selbst noch fragmentarisch“165 sei, habe den Fragmentbegriff zu einer „Ästhetik der Utopie“ fortentwickelt; das hätte schließlich, zusammen mit Walter Benjamins „Gedanken einer allegorischen Zerstückelung des Kunstwerks“, zu Adornos Ästhetischer Theorie und ihrer „Depotenzierung des Schönen“ geführt:166 „Das Wahre ist dann freilich nicht mehr das Hegelsche Ganze, sondern eine noch ausstehende und damit transästhetische Möglichkeit der Geschichte, auf die das Fragment als authentisches Bruchstück eines gescheiterten Synthetisierungsversuchs verweist und deren Realisierung es ex negativo einklagt.“167 Und weiter: Um die Schuld seiner eigenen Verdinglichung zu tilgen, verzichtet das Werk auf den Schein vollkommener Integration und kehrt statt dessen seinen Vermittlungsprozeß als unvollkommenen nach außen. Als Relikt eines Scheiterns erinnert es in seiner fragmentarischen Gestalt an die Möglichkeit von Versöhnung, die in ihm selbst nicht anwesend ist.168

VII. Es fiel immer schon auf, daß es neben den tatsächlichen Fragmenten der Bildenden Kunst, den Skizzenblättern und zeichnerischen Entwürfen, insbesondere aber den aus der Antike überlieferten Torsi, die sich seit der Renaissance wachsender Beliebtheit erfreuten, sowie dem gewaltigen Textkorpus literarischer Fragmente der Romantik keine damit vergleichbaren musikalischen Fragmente gibt. Natürlich haben auch Komponisten Unfertiges hinterlassen oder Entwürfe und Skizzen angefertigt; doch im Schlegelschen Sinne absichtlich verfertigte Fragmente scheint es in der Musik nicht zu geben. Das ist jedenfalls die Ansicht des Musikwissenschaftlers Peter Benary, der

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in der Musik in Geschichte und Gegenwart, der umfangreichsten Enzyklopädie des Faches, den einschlägigen Artikel Skizze – Entwurf – Fragment verfaßt hat. Bis in die 1960er Jahre hinein gelte: „Als Fragment beabsichtigte Kompositionen gibt es innerhalb des genannten zeitlichen und geographischen Rahmens, in dem das Werk eine ästhetisch normative Geltung besitzt, nicht.“169 Könnte es sein, daß der Musik die Fähigkeit zur Andeutung, zur aphoristischen Verdichtung oder zur Paradoxie unmöglich ist? Daß Komponisten nur ‚Werke‘ zu schaffen vermögen, die selbst dann, wenn sie, wie ein Lied, vom Umfang her eine Art Miniatur darstellen, doch ‚vollständig‘ und von zwingender innermusikalischer Logik geprägt sind? Über musikalische Fragmente nachzudenken, und zwar jenseits der Banalität von (zufällig) erhalten gebliebenen Bruchstücken ansonsten verloren gegangener Werke, überlieferter Skizzen und Entwürfe sowie sei es mit oder ohne Grund abgebrochener Kompositionen, führt jedoch zu interessanten Entdeckungen. Zunächst treten ja auch die Fragmente Schlegels nicht als einzelne, sondern als Sammlung auf – die Lyceums-Fragmente umfassen 127, die Athenäums-Fragmente 451 Nummern.170 Nicht alle bestehen aus nur einem einzelnen, aphoristisch formulierten Satz; zahlreiche Fragmente umfassen mehr als ein Dutzend Textzeilen. Hiermit vergleichbar wären vielleicht Sammlungen besonders kurzer Klavierstücke, wie sie etwa in Chopins Préludes op. 28, vollendet 1838 auf Mallorca, vorliegen. Schumann besprach sie ein Jahr später in seiner Neuen Zeitschrift für Musik: Von neuen Kompositionen C h o p i n s haben wir, außer einem Heft Mazurken und drei Walzern, eine merkwürdige Sammlung von Präludien zu erwähnen. Er gestaltet sich immer lichter und leichter, – oder ist’s Gewöhnung an seine Weise? [. . .]. Gesteh’ ich, daß ich mir sie anders dachte und wie seine Etuden im größten Stil geführt. Beinahe das Gegenteil; es sind Skizzen, Etudenanfänge, oder will man, Ruinen, einzelne Adlerfittige, alles bunt und wild durcheinander. Aber mit feiner Perlenschrift steht in jedem der Stücke: „Friedrich Chopin schrieb’s“; man erkennt ihn in den Pausen am heftigen Atmen. Er ist und bleibt der kühnste und stolzeste Dichtergeist der Zeit. Auch Krankes, Fieberhaftes, Abstoßendes enthält das Heft; so suche jeder, was ihm frommt, und bleibe nur der Philister weg.171

Wenn hier Chopin als „Dichtergeist“ beschrieben wird, der „mit feiner Perlenschrift“ schreibe und „bunt und wild durcheinander“ gehende „Skizzen“, „Ruinen“ bzw. „Adlerfittige“ vorlege, liegt die

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Assoziation zu Schlegels Fragmenten ziemlich nahe, und ganz ähnlich könnte man auch Schumanns eigene Klaviersammlungen, etwa die nur wenige Jahre älteren Papillons op. 2, in diesem Sinne deuten. Dennoch hat eine solche Entsprechung etwas Unbefriedigendes. Es rührt von dem auffälligen Unterschied hinsichtlich des Umfangs und der zeitlichen Ausdehnung der im Vergleich stehenden Werke her. Ein einzelnes Musikstück, ein einzelner Sonatensatz etwa, ein Lied, ein Tanzsatz, eine einzelne Arie etc. dauern, wenn sie aufgeführt werden, keine halbe Stunde lang. Selbst mehrsätzige Werke, ganze Symphonien, Messen oder Opern überschreiten einen nach Stunden zählenden Zeitraum nicht; auch die umfangreichsten Opern des 19. Jahrhunderts, Wagners Musikdramen, sind nach spätestens sechs Stunden (inklusive Pausen) zu Ende. Das Vorlesen eines Dramas oder eines Romans, sogar das einer durchschnittlich langen einzelnen Erzählung nimmt zumeist erheblich mehr Zeit in Anspruch. Im Vergleich zu einem aus mehreren hundert Seiten bestehenden Roman sind selbst die längsten Schlegelschen Fragmente von äußerster Kürze; man liest sie in Sekundenfrist. Derart groß ist der Unterschied des Umfangs selbst angesichts der kürzesten Klavierstücke Chopins oder Schumanns gegenüber anderen Einzelwerken der Musik nicht; hier bleibt im Großen und Ganzen alles im Bereich von Minuten. Andererseits umfassen wieder Orchesterpartituren, je größer die Besetzung ist, desto mehr Seiten; man kann hier aus der Textmasse des Notenmaterials nicht ohne weiteres auf die zeitliche Ausdehnung bei der Aufführung schließen. Die bei einer Aufführung mitunter nur Sekunden dauernden Kompositionen Anton Weberns, vielleicht die kürzesten der jüngeren Musikgeschichte überhaupt, basieren im Falle orchestraler Besetzung auf erheblich mehr ,Textmasse‘ als das längste aller Schlegelschen Fragmente. Insofern erscheint ein Vergleich von zu einer Sammlung gefügten musikalischen Charakterstücken, von musikalischen Miniaturen, wie sie das 19. Jahrhundert in großer Menge hervorgebracht hat, zu den Fragmentsammlungen Schlegels oder etwa auch denjenigen Nietzsches unangebracht.

VIII. Um einen anderen Weg zum musikalischen Fragment zu finden, sei noch einmal an die beiden Athenäums-Fragmente 24 und 206 erinnert, in denen unterschieden wurde nach aus der Vergangenheit

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überlieferten oder in die Zukunft weisenden Fragmenten – ,Relikten‘ und ,Projekten‘ – und in denen das Fragment mit einem Igel verglichen wurde, der sich mit seinen nach außen gewendeten Stacheln von seiner Umgebung abgrenzt. Rüdiger Bubner hat in diesem Kontext auf die ältesten überlieferten Fragmente Europas hingewiesen, nämlich die der sogenannten Vorsokratiker; bereits die späte Antike kannte nicht mehr den ursprünglichen Textzusammenhang, dem die meist tiefsinnig-rätselhaften Sinnsprüche ältester Autoren wie Anaximander, Thales, Parmenides oder auch Pythagoras entstammten. Daß ,alles fließt‘ und man ,nicht zweimal in denselben Fluß‘ steigen kann sind solche Sprüche, diesmal Heraklits, die seit über zwei Jahrtausenden überliefert worden sind. Ein weiteres Beispiel in unserem Zusammenhang wäre die Eidformel der Pythagoreer, die dem ersten Kapitel dieses Buches als Motto vorangestellt wurde in der Fassung des Jamblichos von Chalkis, eines neupythagoreischen Autors, der über achthundert Jahre nach Pythagoras gelebt hat. Die Pythagoreer vermieden es, ihr Oberhaupt namentlich zu nennen, und wählten daher die Formulierung von „Ihm, der uns die Tetraktys gegeben hat“, wobei noch einmal daran erinnert sei, daß unter ,Tetraktys‘ die ersten vier ganzen Zahlen 1, 2, 3, 4 gemeint waren, aus denen die Pythagoreer eine eigene Zahlentheorie, Kosmologie und Musiktheorie entwickelten (hierzu weiter unten mehr). In vielen Fassungen dieses Fragments aus der Vergangenheit steht am Beginn ein ominöses „Nein“ ( ), das die Pythagoreer vielleicht an ihr Geheimhaltungsgebot erinnern sollte; aber in manchen Überlieferungen fehlt auch dieses initiale Nein, so etwa in der Version des Sextus Empiricus, die wiederum Schopenhauer seiner Dissertation Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde als Motto vorangestellt hat und die bereits im ersten Kapitel (Seite 18) zitiert wurde. Jamblichos selbst gibt die Eidformel zweimal in geringfügig voneinander abweichendem Wortlaut wieder, und van der Waerden, in einer umfangreichen Untersuchung zu den Pythagoreern, diskutiert noch drei weitere Fassungen dieser Eidformel; er hält die Version des Kirchenlehrers Hippolytus von Rom, der in seiner um 200 n. Chr. gegen die Gnostiker gerichteten Streitschrift Refutatio omnium haeresium (,Widerlegung aller Häresien‘) auf deren Verwandtschaft zu den Pythagoreern zu sprechen kam, für die sprachlich und inhaltlich präziseste, sie lautet dann in deutscher Übersetzung: „Nein, bei dem, der unserer Seele die Tetraktys übergeben hat, welche Quelle und Wurzel der ewigen Natur enthält.“172

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Die Fragmente der Vorsokratiker wurden ,dunkel‘, weil der Kontext, dem sie einst entstammten, nicht überliefert ist; in einer beispiellosen philologischen Meisterleistung hat sie am Ende des 19. Jahrhunderts Hermann Diels in drei Bänden zusammengetragen, indem er die gesamte aus der Antike überlieferte Literatur, die einen Zeitraum von über einem Jahrtausend umfaßt, nämlich von Platon bis zu den Kirchenvätern des vierten und fünften nachchristlichen Jahrhunderts, durcharbeitete.173 Von einem solchen im Umfeld eines anderen Autors und Textes überlieferten Fragment schreibt Bubner: Als Bruchstück fehlt ihm der angemessene Rahmen, der also woanders her erborgt werden muß. Man denke nicht, Fragmente vagabundierten gleichsam selbständig durch die Geschichte, bis sie aus ihrer frei schwebenden Isolation erlöst und mit dem Schmetterlingsnetz des Philologen eingefangen werden. Fragmente sind zumeist eingeschlossen in heterogene Verbindungen. [. . .] Fragmente stehen im merklichen Kontrast zu ihrer Umgebung. Sie stören in gewisser Weise notwendig den Zusammenhang. Wäre das nicht so, würden sie als Fragmente gar nicht auffallen.174

Die entscheidende Klärung bringt Schlegels Aufsatz Über die Unverständlichkeit, in dem er sich mit den Verstehensproblemen und Mißverständnissen auseinandersetzt, die seine bis dahin erschienenen Fragmente ausgelöst haben. Er hält es darin für das Beste, „es immer ärger zu machen; wenn das Ärgernis die größte Höhe erreicht hat, so reißt es und verschwindet, und kann das Verstehen dann sogleich seinen Anfang nehmen.“175 Im Unverständlichen, so könnte man folgern, liegt also der gesuchte Sinn: [U]ns wird seit langem vorexerziert, daß Provokation, Verfremdung, Anstoß, Chiffrierung und so weiter zu den bevorzugten Strategien der Kunst gehören. Bei den Literaturwissenschaftlern und Ästhetikern der Gegenwart trägt die neueste Variante der von Schlegel entworfenen Linie den Titel des Dekonstruktivismus: man denke an Jacques Derrida, Paul de Man, Harald [sic!] Bloom.176

Die Frage wäre hiernach, ob es Igel-artige Einschlüsse heterogener, unverständlicher Art innerhalb von Musikstücken gibt, Relikte, eingebettet in andere Zusammenhänge und diese zugleich störend. Man könnte an musikalische Zitate denken, wie sie zu allen Zeiten in allen Arten von Musik eine große Rolle gespielt haben. Aber man muß noch berücksichtigen, daß es hier nicht um Zitate an sich gehen kann, so wenig es bisher um Dissonanzen oder das Fragmentarische

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an sich ging, sondern um eine mit der Romantik einsetzende emphatische Hinwendung zu diesen Phänomenen. Zu erwägen wäre, ob nicht Richard Wagners sogenannte Leitmotivtechnik mit dieser Art von Fragmentaristik in Verbindung gebracht werden könnte. Beispielsweise der Beginn des Tristan (NB 8).

NB 8: Richard Wagner: Beginn der Einleitung von Tristan und Isolde (1859).

Dieses auch als Blickmotiv bekannte Gebilde in den ersten vier Takten des Tristan gehört zu den am intensivsten untersuchten Stellen der Musikgeschichte, ohne daß in den inzwischen mehr als hundert musikwissenschaftlichen Analysen dieser Handvoll Noten eine Einigung über die harmonische Deutung des Akkords im zweiten Takt, des Tristanakkords, bestehend aus den vier Tönen f-h-dis-gis, erzielt worden wäre. Eine gewisse Unverständlichkeit ist also gegeben, und auch die Abgrenzung gegen den weiteren musikalischen Kontext liegt vor, denn dieses Motiv ist mehr als nur ein Stück Melodie: Abgesetzt vom Nachfolgenden durch eine Pause kombiniert es einen Melodiebogen mit einem rätselhaften Akkord, besitzt eine individuelle rhythmische und dynamische Physiognomie und ist durch eine eigentümliche spezifische Klangfarbe aus in hoher Lage geführten Violoncelli und sieben Holzbläsern gekennzeichnet (je zwei Oboen, A-Klarinetten und Fagotte sowie ein einzelnes Englisches Horn). Im Verlaufe des Werkes wird es in mancherlei Varianten auftreten, aber doch immer erkennbar sich selbst ähnlich bleiben, besonders auffällig am Schluß des ersten Aufzuges, wenn Isolde und Tristan den von Brangäne verabreichten Liebestrank zu sich genommen haben und der erste Teil der Einleitung noch einmal erklingt. Erst hier wird die semantische Bedeutung des Motivs offenbar, denn es heißt in Wagners Regieanweisungen in der Partitur an dieser Stelle: „Beide,

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von Schauer erfasst, blicken sich mit höchster Aufregung, doch mit starrer Haltung, unverwandt in die Augen, in deren Ausdruck der Todestrotz bald der Liebesgluth weicht.“177 Wenn es zu den Eigenschaften eines Fragments gehört, auf dichtest gedrängtem Raum, durch Zuspitzung, Paradoxie, Andeutung etc. ein Maximum an über sich selbst hinausweisendem Sinn zu generieren, wenn es etwas bezeichnet, das immer nur im Werden begriffen ist, wenn es Tendenz, Möglichkeit zu einem Resultat, aber nicht dieses selbst ist, dann könnte man das mutatis mutandis auch von Wagners ,Leitmotiven‘ sagen, besonders von diesem, mit dem Tristan und Isolde anfängt. Dem Fragment aus der Vergangenheit, dem Relikt, und demjenigen aus der Zukunft, dem Projekt, entsprechen unmittelbar Wagners eigene Formulierungen, der ja den Begriff ,Leitmotiv‘ vermied und stattdessen von Erinnerungs- und Ahnungs-Motiven sprach. Ganz am Ende der Oper, wenn Tristan, sein Knappe Kurwenal und sein Gegner Merlot bereits tot auf der Bühne liegen und Isolde mit den Schopenhauerischen Worten „In des Welt-Athems wehendem All, ertrinken, versinken, unbewusst, höchste Lust“178 stirbt und „wie verklärt, in Brangäne’s Armen sanft auf Tristan’s Leiche“179 sinkt, erklingt ein letztes Mal das Blickmotiv mit dem rätselhaften Tristanakkord, worauf unmittelbar der finale H-Dur-Schlußakkord der Oper folgt – ohne Beteiligung des Englisch Horns, was Richard Strauss zu der schönen Bemerkung veranlasste, jetzt sei das Gift heraus. Nicht nur liegt damit erneut ein Beispiel für eine kreisförmig-symmetrische Umklammerung eines musikalischen Riesenwerks vor, das gewissermaßen in seinen Anfang zurückläuft; hier ist dieses Motiv für die Zuhörer und Zuschauer der Oper auch mit der Erinnerung an das gesamte soeben erlebte Musikdrama beladen, ein ungeheuer verdichtetes Fragment, eine Abbreviatur der Oper in einem einzigen dissonanten Klang, eingebettet wie ein Ammonshorn, ein Petrefakt in die Sterbearie Isoldes. IX. Vielleicht ist es eine allzu gewagte Analogie, die in Jahren, teilweise sogar Jahrzehnten zusammengeschmiedeten Musikdramen Wagners, Inbegriff dessen, was Adorno unter einem ,runden Werk‘ verstand, mit der Idee des Fragmentarischen in Zusammenhang zu bringen. Nicht alle Leitmotive haben eine derart ausgeprägte Physiognomie wie das Hauptmotiv im Tristan. Und womöglich hat die

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kollektive Klugheit aller Musiker recht, wenn sie kaum das Blickmotiv, wohl aber den Tristanakkord als Wagners Geniestreich erkennt. Er bildet eine Dissonanz, eine der rätselhaftesten noch dazu, und damit liegt auf der Hand, worauf der in diesem Kapitel zu entfaltende Gedanke hinaus will: Wenn für die literarisch-ästhetische Moderne das Fragment als Leitmetapher angesehen werden kann, für die Musik des 19. und 20. Jahrhunderts aber die Dissonanz, sind womöglich beide Phänomene unmittelbar miteinander verwandt: Was in der Literatur das Fragment, ist in der Musik die Dissonanz. Sie ist ganz analog zu den Bestimmungsstücken eines Fragments ,Tendenz‘, eine Art Fremdkörper im musikalischen Gefüge, sie treibt es im historischen Verlauf „immer ärger“, lädt sich zunehmend mit Sinn auf, bis schließlich in der sogenannten atonalen Musik Schönbergs und seiner Schüler am Beginn des 20. Jahrhunderts die „Emanzipation der Dissonanz“ (Adorno) bis zu dem Punkt geführt wird, da in einem Musikstück alles zur Dissonanz wird. Tatsächlich scheint gerade Adorno, der musikalischste unter den Philosophen des 20. Jahrhunderts, in seinen der Musik und der Ästhetik gewidmeten Schriften, wenn er auch die direkte Ineinssetzung von Dissonanz und Fragment nicht ausgesprochen hat, etwas in diesem Sinn gemeint zu haben. Dem wird sich das nun folgende Kapitel eingehender widmen.

Adornos Dissonanzen I. heodor W. Adornos Kompetenz in musikalischen Fragen steht

T außer Zweifel; er hat nicht nur über Musik im Rahmen phi-

losophisch-ästhetischer Diskurse nachgedacht, sondern in erheblichem Umfange auch eigentliche Musikbücher, Monographien etwa über Wagner, Berg und Mahler verfaßt und sich als Musikkritiker betätigt. Dazu war er, als Schüler von Bernhard Sekles in Frankfurt und Alban Berg in Wien, ein begabter Komponist. Erhalten sind heute über ein Dutzend Musikbücher, gut 200 Musikaufsätze, mehr als hundert Konzertkritiken sowie etwa 30 Kompositionen, darunter überwiegend Lieder und Kammermusik.180 Seine 1947 erschienene, zusammen mit Max Horkheimer geschriebene Dialektik der Aufklärung trägt den Untertitel Philosophische Fragmente; 1956 erschienen sechs Essays zur Musik unter dem Titel Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt. Die im vorigen Kapitel enggeführten Begriffe Dissonanz und Fragment tauchen bei Adorno also bereits in den Titeln seiner Bücher auf. Fragment blieb auch seine Ästhetische Theorie, über der er starb und zu der ihre Herausgeber im editorischen Nachwort schrieben: „Adornos Metapher für Werke der Kunst gilt buchstäblich für das letzte philosophische, an dem er arbeitete: ,Das Fragment ist der Eingriff des Todes ins Werk. Indem er es zerstört, nimmt er den Makel des Scheins von ihm.‘“181 Wenn Adorno sich mit neuer Musik auseinandersetzte, ging es eigentlich nur um einen einzigen Namen, nämlich den des Komponisten Arnold Schönberg, dessen Werke aus seiner sogenannten atonalen Phase, etwa das Monodram Die Erwartung op. 17 von 1909, er zeitlebens uneingeschränkt bewunderte. So sehr Adorno, von der Historizität aller Kultur überzeugt, sich darüber im klaren war, daß die Entwicklung der Musik unentwegt fortschreite, so skeptisch stellte er sich zu allen Richtungen zeitgenössischer Musik, die auf die atonale Musik im Zeichen des Expressionismus folgten. Bereits die Philosophie der neuen Musik (1949) enthält eine deutliche Abrechnung mit der in den 1920er Jahren von Schönberg entwickelten Dodekaphonie: Vom unterdrückenden „Moment der Naturbeherrschung“,

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das sich „gegen die subjektive Autonomie und Freiheit selber“182 wende, vom „Aberglauben“ der „Zwölftonrationalität“183 ist da die Rede, davon, daß keine Regel „sich als repressiver denn die selbstgestellte“184 erweise und ferner, daß die „totale Organisation“ nur um „den Preis ihrer Freiheit“ gelinge – „und damit mißlingt es.“185 Jüngere Komponisten des 20. Jahrhunderts, etwa Britten oder Schostakowitsch, hielt er schon in der Philosophie der neuen Musik für Epigonen, die sich „in schwächlichen Mixturen aus Versiertheit und Hilflosigkeit“186 ähnelten, und am Lebensende machte er sich in der Ästhetischen Theorie sogar lustig über den Begriff der Avantgarde, der „etwas von der Komik gealterter Jugend“187 an sich habe. Vollends suspekt war ihm neue Musik, die Anleihen welcher Art auch immer bei Formen, Spielweisen oder auch nur dem Milieu der populären Musik machte; eine regelrechte Idiosynkrasie hegte er lebenslang gegenüber dem Jazz. Der Komponist Hans Werner Henze erinnert sich in seiner Autobiographie an eine Begegnung mit Adorno 1960 anläßlich einer Inszenierung seines Prinz von Homburg in Frankfurt, bei der Adorno sagte, es gefalle ihm soweit recht gut, aber es sei ihm nicht chaotisch genug. Neue Musik müsse chaotisch sein, meinte er. So, so, dachte ich. Konnte ihn ja nicht leiden, besonders seit er mir eines Tages seine Lieder vorgesungen hatte und dazu Klavier gespielt, in Frankfurt, in seiner von Häkeldeckchen verzierten Wohnung. Es hatte sich angehört wie eine intelligente Fälschung, aber keineswegs wie das Werk eines [. . .] Komponisten.188

Solche Sottisen und Gehässigkeiten sind, seitdem Adorno nicht mehr lebt, an der Tagesordnung; Musikwissenschaftler wie etwa Giselher Schubert haben sogar zu zeigen versucht, Adorno hätte von Schönbergs Kompositionstechnik wenig verstanden.189 Gleichwohl sah dieser sich gewissermaßen als Apostel der von ihm so genannten Zweiten Wiener Schule, die er im öffentlichen Bewußtsein wie niemand sonst – abgesehen von Schönberg selbst – durchgesetzt hat. Dies geschah in zahlreichen Essays, Kritiken und Vorträgen, hauptsächlich jedoch durch sein Buch zur Philosophie der neuen Musik, dessen erster Teil, Schönberg und der Fortschritt, bereits 1941 im amerikanischen Exil entstanden war; das Buch erschien dank der Vermittlung Thomas Manns nach Adornos Rückkehr 1949 in Frankfurt am Main.

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II. Adornos zentrales Kriterium ist zunächst das der Wahrheit. Wie ein Fanal steht der Philosophie der neuen Musik ein Hegelwort als Motto vor: „Denn in der Kunst haben wir es mit keinem bloß angenehmen oder nützlichen Spielwerk, sondern . . . mit einer Entfaltung der Wahrheit zu thun.“ Adorno hat hier einen langen Satz, der am Ende von Hegels Ästhetikvorlesung fällt, auf seine Quintessenz verkürzt. Hegel hatte geschrieben: Denn in der Kunst haben wir es mit keinem bloß angenehmen oder nützlichen Spielwerk, sondern mit der Befreiung des Geistes vom Gehalt und den Formen der Endlichkeit, mit der Präsenz und Versöhnung des Absoluten im Sinnlichen und Erscheinenden, mit einer Entfaltung der Wahrheit zu tun, die sich nicht als Naturgeschichte erschöpft, sondern in der Weltgeschichte offenbart, von der sie selbst die schönste Seite und den besten Lohn für die harte Arbeit im Wirklichen und die sauren Mühen der Erkenntnis ausmacht.190

Auch in der Musik, wenn sie eine Kunst ist, kann es demnach nicht um Unterhaltung, Spiel oder Vergnügen gehen, sondern, wie in der Philosophie, um ,Wahrheit‘. In der modernen, spätkapitalistischen Welt vermag aus Adornos Sicht Kunst aber nur noch wahr zu sein, wenn sie die Häßlichkeit dieser Welt in sich aufnimmt. In der Ästhetischen Theorie, seinem letzten, nicht mehr vollendeten Hauptwerk, heißt es zunächst: „Dissonanz ist der technische Terminus für die Rezeption dessen durch die Kunst, was von der Ästhetik sowohl wie von der Naivetät häßlich genannt wird.“191 Und wenige Seiten später: „Kunst muß das als häßlich Verfemte zu ihrer Sache machen, [. . .] um im Häßlichen die Welt zu denunzieren [. . .].“192 Schönbergs historische Tat war für Adorno eine Revolution, nämlich die Entfesselung des Häßlichen, die Emanzipation der Dissonanz. Offensichtlich sah er hier einen Zusammenhang mit marxistischen Ideen. Wie Peter Bürger in seiner Theorie der Avantgarde dargelegt hat, hatte Marx in der Einleitung seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie am Beispiel der Religion ein widersprüchliches Verhältnis von ideellem Gehalt und gesellschaftlicher Situation vorgeführt: Religion sei falsches Bewußtsein, enthalte jedoch zugleich Wahrheit. Denn einerseits sei Religion Illusion, da der Mensch doch nur in den Himmel projiziere, was er auf Erden verwirklicht sehen wolle und sich seinen Gott aus der Vergegenständlichung menschlicher Eigenschaften bilde. Andererseits deute die bloß ideelle Verwirklichung

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von Humanität im Himmel auf den offenkundigen Mangel an realer Humanität auf Erden hin, und insofern wohne Religion ein Moment der Wahrheit inne: Sie sei, mit den Worten von Marx, „Ausdruck des wirklichen Elendes“ und „Protestation“193 dagegen. Auch in ihrer entfremdeten Gestalt seien die religiösen Ideale Maßstab dessen, was in der Wirklichkeit zu sein hätte. Diesen Gedanken hat Herbert Marcuse 1937 in einem berühmten Aufsatz in der Frankfurter Zeitschrift für Sozialforschung auf die Rolle der ,affirmativen‘ Kultur im bürgerlichen Zeitalter übertragen. Deren Aufgabe bestehe darin, die konkrete Ungleichheit der Klassengesellschaft im Schein einer höheren Harmonie verschwinden zu lassen: „Auf die Not des isolierten Individuums antwortet sie mit der allgemeinen Menschlichkeit, auf das leibliche Elend mit der Schönheit der Seele, auf die äußere Knechtschaft mit der inneren Freiheit“.194 Im Zeitalter des Bürgertums stünde zwar auch die Kunst im Dienst der Unterdrückung und verschleiere die leibliche und seelische Not der Individuen, enthalte jedoch, wie die Religion bei Marx, auch ein Moment von Wahrheit: Indem die große bürgerliche Kunst das Leid und die Trauer als ewige Weltkräfte gestaltet hat, hat sie die leichtfertige Resignation des Alltags immer wieder im Herzen der Menschen zerbrochen; indem sie die Schönheit der Menschen und Dinge und ein überirdisches Glück in den leuchtendsten Farben dieser Welt gemalt hat, hat sie neben dem schlechten Trost und der falschen Weihe auch die wirkliche Sehnsucht in den Grund des bürgerlichen Lebens gesenkt.195

Sich von der Kunst so anrühren zu lassen, daß dieser Zwiespalt zum Bewußtsein kommt, hieße revolutionäre Kräfte zu mobilisieren. Anders gesagt: „Den ästhetischen Sinnenreiz aus einem Narkotikum in einen Stimulus zur Überwindung der Misere zu verwandeln, gehört zu den materialistischen essentials der kritischen Theorie.“196 Die politische Entwicklung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ließ Horkheimer und seine Mitarbeiter resignieren; sie zogen sich auf die wissenschaftlich-empirische Untersuchung der spätkapitalistischen Gesellschaftsformen zurück. Einzig in der Musik, so war es dem jungen Adorno erschienen, hatte jemand alle Fesseln der Konvention abgestreift und das dort bestehende ,Herrschaftsgefüge‘ durchbrochen, also das der Tonalität und der Regeln des musikalischen Satzes. Als er aber, kaum daß er mit 22 Jahren Studium und Promotion in Frankfurt abgeschlossen hatte, begeistert nach Wien aufbrach, um sozusagen an der Quelle Komposition zu studieren, mußte er die schmerzliche Erfahrung des Zuspätgekommen-

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seins machen: Der, der die völlige Entfesselung des musikalischen Materials vollbracht hatte, Schönberg, hatte eben wieder ein neues musikalisches Herrschaftssystem errichtet, nämlich das der Methode mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen, der Dodekaphonie. Auch Schönbergs Schüler Alban Berg und Anton Webern befaßten sich 1925, als Adorno nach Wien kam, mit ersten Zwölftonkompositionen. Die Dodekaphonie hat Adorno als Komponist nur zögernd angenommen; vom ersten Tag seines Wienaufenthaltes an stand er schon deswegen innerhalb des Schönbergkreises als Außenseiter da und wurde vom ,Meister‘ beargwöhnt. Das stets gespannte persönliche Verhältnis zwischen Adorno und Schönberg nahm von hier seinen Ausgang.197 Adornos „Absage an die Hoffnung auf Befreiung durch den Fortschritt der Naturbeherrschung“, wie sie in der Dialektik der Aufklärung entwickelt wurde, zu der die Philosophie der neuen Musik „als ein ausgeführter Exkurs“198 gedacht war, basierte demnach „nicht auf einer Enttäuschung durch die Arbeiterbewegung und ihre Niederlagen [. . .], sondern auf einer Enttäuschung durch Schönberg.“199 Wenn Adorno fortan für sich die Rolle übernahm, die ,Revolution‘ sogar gegen ihren ,Vater‘ zu verteidigen, mußte es ihm darum gehen, den Riß, der seither die jüngere Musikgeschichte durchzieht, sichtbar zu machen und die Erwartung von Schönheit, Wohlklang und Anknüpfung an Vertrautes in der Musik als im Marxschen Sinn ,falsches Bewußtsein‘, das noch dazu die Wahrheit verfehle, zu entlarven. In der Ästhetischen Theorie wendet er sich gleich zu Beginn gegen eine herkömmliche Betrachtungsweise der Musikgeschichte, die auf „das undialektische, sprunglose Kontinuum geruhiger Entwicklung“200 blicke, als ob in „ewigen Stafettenläufen eine Generation, ein Stil, ein Meister dem nächsten die eigene Kunst in die Hand gäbe.“201 Das radikal Neue bei Schönberg erweise seine Wahrheit auch in der eruptiven Plötzlichkeit seines Auftretens, musikalisch erfahrbar etwa im letzten der Drei Klavierstücke op. 11. III. Adornos zentraler Begriff in den Reflexionen über neue Musik war derjenige der Dissonanz. Den Gedanken aus der Ästhetischen Theorie, wonach Dissonanz das Häßliche sei und wahre Kunst, um wahrhaft zu sein, häßliche Kunst sein müsse, entwickelte er bereits in der Philosophie der neuen Musik, in der Sätze stehen wie dieser:

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Der dissonante Akkord ist nicht nur gegenüber der Konsonanz der differenziertere und fortgeschrittenere, sondern klingt auch wiederum, als habe das zivilisatorische Ordnungsprinzip ihn nicht ganz gebändigt, gewissermaßen, als wäre er älter als die Tonalität. [. . .] Fortschritt selber hat im Aufbegehren gegen die Konventionen etwas vom Kind, ein Regressives.202

Adorno verstand den Dissonanzbegriff sowohl musikalisch als auch metaphorisch. In einem in seinem Nachlaß erhaltenen Text zur Theorie der neuen Musik bezeichnet er die Dissonanz als „Kristallisationspunkt aller neuen Tendenzen der Harmonik“. Sie sei „der wesentlichste Ausdrucksträger, Symbol für Schmerz und Leid“, und ihre Bedeutung bestünde darin, „die Einmaligkeit des musikalischen Augenblicks durch ein einmaliges, konkretes, nicht clichéhaftes Mittel zu realisieren.“203 Adorno untersucht im einzelnen die Dissonanzentwicklung bei Wagner, Strauss, Ravel, Schreker und Strawinsky und erkennt, daß mit der schließlich eingetretenen Universalität des Dissonanzbegriffs dieser selber seine Geltung verlöre: „Es gibt nur noch Dissonanz und damit gar keine mehr [. . .]. Die Totalität der Dissonanz ist vorab durch Arnold Schönberg erzwungen worden, der zugleich mit der expressiven Entwicklung der Dissonanz diese rein musikalisch aus der Konstruktion entwickelte“; und damit war das Prinzip der Dissonanz als verbindliches endgültig statuiert.204 An Schönbergs Monodram Erwartung bewunderte Adorno vor allem die Ausdrucksgewalt, die das unverklärte Leid des Menschen erkenne und radikal protokolliere: Es sind nicht Leidenschaften mehr fingiert, sondern im Medium der Musik unverstellt leibhafte Regungen des Unbewußten, Schocks, Traumata registriert.205 Die Triebkonflikte, an deren sexueller Genesis Schönbergs Musik keinen Zweifel läßt, haben [. . .] eine Gewalt angenommen, die es ihr verwehrt, sie tröstlich zu besänftigen. [. . .] Das Monodram »Erwartung« hat zur Heldin eine Frau, die nachts ihren Geliebten sucht, allen Schrecken des Dunklen preisgegeben, um ihn schließlich ermordet zu finden. Sie wird der Musik gleichsam als analytische Patientin überantwortet. Das Geständnis von Haß und Begierde, Eifersucht und Verzeihung und darüber hinaus die ganze Symbolik des Unbewußten wird ihr abgedrungen; [. . .] [d]ie musikalische Sprache polarisiert sich nach Schockgesten, Körperzuckungen gleichsam, und dem gläsernen Innehalten dessen, den Angst erstarren macht.206

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Adornos auf Wahrheit zielende und deshalb um Dissonanz und Häßlichkeit kreisende Musikauffassung hing ohne Zweifel mit den traumatischen Erfahrungen des Nationalsozialismus, des Exils und des Zweiten Weltkriegs zusammen. Hier zeigt sich bei ihm eine durch die eigene Biographie bedingte Affinität zur Dissonanz, wie sie in vergleichbarer Weise hundert Jahre früher E. T. A. Hoffmann inmitten der blutigen Wirren der Napoleonischen Kriege erlebt hatte. In einem Brief an Ernst Bloch schrieb Adorno einmal, „erst von einem gewissen Schockmoment an, der mit dem Ausbruch des Hitlerischen Reiches zusammenfallen dürfte, glaube ich eigentlich recht getan zu haben, was ich tat.“207 Es sind genau die parallel zur Dialektik der Aufklärung entstandenen Schönberg-Studien der Philosophie der neuen Musik, die auf diesen „Schockmoment“ reagierten; in ihnen ist Adornos Musikdenken, wie er selbst kurz vor seinem Tod in einer Notiz zur fünften Auflage der Philosophie bemerkte, vollständig enthalten.208 Schönberg war allerdings nicht mit Adornos Interpretationen seiner Musik einverstanden. In einem im Nachlaß befindlichen handschriftlichen Entwurf zu einem Aufsatz über neue Musik vom 29. September 1923 steht der berühmte Satz: „Ich war nie Revolutionär!“ Schließlich ginge es nur darum, die Form zu finden, in der die Gesetze der früheren Kunst anwendbar sind auf die neue. Es werden 5 Töne auf bisher nicht verfügte Art in die Komposition einbezogen – das ist alles. Deswegen braucht man noch keine neuen Gesetze. [. . .] Man wird allmählich die Anwendung des erweiterten Tonmaterials auf die alten Formen versuchen. Dabei ergeben sich gewiß anfangs und wohl auch später gewisse Modifikationen. Ich bin aber überzeugt und habe Beweise dafür, daß nichts Wesentliches sich dabei ändert!209

Auf Adornos Philosophie der neuen Musik reagierte Schönberg verstimmt. In einem Brief vom 5. Dezember 1949 an den Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt heißt es: „Er attackiert mich darin ganz vehement. [. . .] [J]etzt weiß ich es ja auch, daß ihm meine Musik offenbar niemals gefallen hat“210 . Am selben Tag schrieb er an Josef Rufer, einen Kompositionsschüler: „Das Buch ist sehr schwer zu lesen, denn es verwendet diesen quasi-philosophischen Jargon in dem die heutigen Philosophie-Professoren die Abwesenheit eines Gedankens verbergen. [. . .] Er weiß natürlicherweise alles über Zwölf-Ton-Musik, hat aber keine Ahnung von dem schöpferischen

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Vorgang.“211 Rufer hat außerdem die folgenden Sätze seines Lehrers überliefert, die Adornos Vorstellung von einer durch Schönberg verursachten musikalischen Revolution direkt widersprechen: Ich bin überzeugt, daß man einmal in diesem Neuen erkennen wird, wie innig es mit dem Besten verbunden ist, was uns als Vorbild gegeben war. Ich maße mir das Verdienst an, wahrhaft neue Musik geschrieben zu haben, welche, wie sie auf der Tradition beruht, zu Tradition zu werden bestimmt ist.212

IV. Viele Einsichten zur Musik verdankte Adorno dem etwas älteren Ernst Bloch, dessen Schriften er gut gekannt hat und mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. In seinen Noten zur Literatur findet sich eine einfühlsame Rezension von Blochs nach dem Krieg in zweiter Auflage erschienener Sammlung Spuren. Dort heißt es: „Die Spuren stammen aus dem Unsäglichen der Kindheit, das einmal alles sagte.“ Und: „Der erzählende Ton bietet das Paradoxon einer naiven Philosophie; Kindheit, unverwüstlich durch alle Reflexionen hindurch, verwandelt noch das Vermittelteste in Unmittelbares, das berichtet wird.“213 Blochs Lieblingskomponist war freilich nicht Schönberg, sondern Beethoven, seine Lieblingsoper dessen Fidelio, und im Trompetensignal in der ursprünglich für diese Oper geschriebenen Leonoren-Ouvertüre sah Bloch eine geradezu idealtypische musikalische Metapher für sein utopisches Denken. Auch für Adornos Musikästhetik bildete Beethoven, ähnlich wie Schönberg, einen zentralen Bezugspunkt. Er arbeitete, mit Unterbrechungen, fast 30 Jahre lang an einer Beethoven-Monographie, konnte dieses Buch aber nie vollenden. Im Laufe der Zeit sammelte sich lediglich ein Berg von Notizen, Plänen und fragmentarischen Ansätzen an. Rolf Tiedemann gab 1993 aus dem handschriftlichen Nachlaß sämtliche auf dieses Beethoven-Projekt bezogene Skizzen Adornos heraus;214 sie datieren von 1937 bis 1966, 370 Fragmente an der Zahl, manche nur aus einem Satz bestehend, andere ein bis zwei Buchseiten umfassend. Tiedemann vertritt den Standpunkt, Adorno habe das Buch nicht schreiben können, da, nach seinem eigenen Bekenntnis, eine ,Philosophie der Musik‘ (im Sinne Blochs) heutzutage, nach den Greueln und Schrecken der Revolutionen und Weltkriege dieses Jahrhunderts und insbesondere nach dem Holocaust, nicht mehr geschrieben werden könne. Adorno hätte den Tonfall von Hu-

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manität thematisieren müssen, doch könnte das Zeitalter, in dem ein Florestan von besseren Welten sang, uns heute keine Antworten mehr geben.215 Untersucht man diese Fragmente auf die Frage, inwieweit Spuren Blochs darin wiederzufinden seien, und daraufhin, weshalb es möglicherweise aus inneren Gründen nicht vollendet werden konnte, ergeben sich die folgenden drei Aspekte: 1. Die von Adorno an Blochs Spuren konstatierte Herkunft aus dem Unsäglichen der Kindheit kommt in den Beethoven-Fragmenten in dem Versuch zum Ausdruck, seine eigenen Kindheitserfahrungen fruchtbar zu machen. Gleich das erste Fragment lautet: „Rekonstruieren wie ich Beethoven als Kind gehört habe.“216 So glaubte Adorno als Kind auch, „die Waldsteinsonate stelle gleichsam den Namen Waldstein dar, wobei ich mir beim Anfang das ritterliche Betreten eines dunklen Waldes vorstellte. Ob ich hier nicht der Wahrheit näher war als je wenn ich später das Stück auswendig spielte?“217 2. Von zentraler Bedeutung für Beethoven und damit auch für Adorno war, was man das Prinzip der Sonate nennen könnte. Der dreiteilige Bau eines Sonatensatzes aus Exposition, in der das Themenmaterial kombiniert mit einem Tonartenkontrast vorgestellt wird, Durchführung, in der es ,verarbeitet‘ und Reprise, in der die Exposition, ohne tonalen Kontrast, wiederholt wird, geriet im Laufe des 19. Jahrhunderts in den Bann der Hegelschen Dialektik, etwa indem die drei Teile der Sonate dem dreiteiligen Schema aus These, Antithese und Synthese parallelisiert wurden oder zumindest die Reprise als ein Äquivalent zur Synthese, der Aufhebung der Gegensätze, angesehen wurde. Den Begriff der Sonatenform als solchen verwendete wohl als erster 1824 der Musiktheoretiker Adolf Bernhard Marx in einem Aufsatz in der Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung. Er bezeichnete dort „die Sonate als das dienlichste Mittel, seine Gedanken reich, mannigfaltig und doch einheitsvoll zusammenzustellen“ und betrachtete sie als „Vorbereitung zur Symphonie [. . .].“218 Das Bedürfnis nach Musik während einer „Festlichkeit“ habe es nahe gelegt, „in der herrschenden, als befriedigend empfundenen Sonatenform die Macht des ganzen Orchesters und zwar reiner Instrumentalmusik zu erproben [. . .] und so entstand die Symphonie [. . .].“219 Gegen die bis dahin allgemein verbreitete Auffassung einer zweiteiligen Form mit dem obligatorischen Doppelstrich nebst Wiederholungszeichen als mittlerer Trennstelle definierte Marx in seiner Kompositionslehre die Sonatenform als dreiteilig, wobei ihm besonders der ,mittlere

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Teil‘, die Durchführung, wichtig erschien: Hier gerate nämlich der „Ruhe“ verkörpernde erste Teil in „Bewegung“, um erst danach, im dritten Teil (der Reprise), wieder zur Ruhe zurückzukehren.220 Ferner propagierte er für die Exposition den Kontrast zwischen erstem und zweitem Thema, wobei er, in vermeintlicher Anlehnung an Beethoven, das erste Thema als das „Herrschende“, „Männliche“, das zweite dagegen als das „Nachgeschaffne“, „Weibliche“ bezeichnete.221 Der seither als verbindlich festgeschriebene Themendualismus und die dreiteilige formale Anlage mit einem kontrastierenden, das Themenmaterial der Exposition in „Bewegung“ bringenden Mittelteil veranlaßte schließlich 1889 Hugo Riemann, und zwar explizit in Bezug auf Beethoven, von einer „Dialektik der Sonatenform“222 zu sprechen. Den dann letztlich naheliegenden Schritt, die ‚Dialektik‘ der Beethovenschen Sonatenform mit der Hegelschen Philosophie in Beziehung zu setzen, insbesondere mit der Prozessualität des in der Logik entfalteten dialektischen Dreischritts, vollzogen in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts mehrere Autoren unabhängig voneinander, in Rußland etwa Boris Assafjew, in Deutschland Ernst Nobbe223 und eben auch Adorno, dessen Gedankengang nun näher dargestellt werden soll. In der Einleitung in die Musiksoziologie galt ihm Beethoven als „Prototyp des revolutionären Bürgertums“, dessen Werk „das Schema willfähriger Adäquanz von Musik und Gesellschaft“ sprenge. Seine „Stellung zur gesellschaftlichen Objektivität“ gliche eher „der Philosophie – der Kantischen in manchem und im Entscheidenden der Hegelschen [. . .].“224 Nachdem er die thematische Arbeit und entwickelnde Variation als „Nachbild gesellschaftlicher Arbeit“ definiert hatte, behandelte Adorno die Beethovensche Reprise, das „auffälligste formalistische Residuum“, die, „was einmal war, als Resultat des Prozesses“ rechtfertige.225 Hier kam erneut Hegel ins Spiel: Überaus erhellend, daß die Hegelsche Philosophie, deren Kategorien ohne Gewalt bis ins einzelne auf eine Musik sich anwenden lassen, bei der jeder geistesgeschichtliche »Einfluß« Hegels unbedingt ausscheidet, die Reprise kennt wie Beethoven: das letzte Kapitel der Phänomenologie, das absolute Wissen, hat keinen anderen Inhalt als die Zusammenfassung des Gesamtwerks [. . .].226

In vielen Fragmenten zu seinem ungeschrieben gebliebenen Beethovenbuch hob Adorno Ähnlichkeiten zwischen Beethoven und Hegel hervor:

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In einem ähnlichen Sinn wie dem in welchem es nur die Hegelsche Philosophie gibt, gibt es in der Geschichte der abendländischen Musik nur Beethoven.227 Beethovens Musik ist die Hegelsche Philosophie: sie ist aber zugleich wahrer als diese [. . .].228 Wahr aber ist, daß seine Musik dieselben Erfahrungen ausspricht, die den Hegelschen Begriff des Weltgeistes inspirieren.229 [Zur Klaviersonate op. 101] Die ganze Sonate eminent Hegelisch. Der 1. Satz das Subjekt, der 2. »entäußert« (objektiv zugleich und zerrüttet), der 3. – schämte man sich nicht es niederzuschreiben – die Synthesis [. . .].230 Die Beethovensche Musik stellt in der Totalität ihrer Form den gesellschaftl[ichen] Prozeß vor und zwar derart, daß jedes einzelne Moment, mit anderen Worten: jeder individuelle Produktionsvorgang in der Gesellschaft verständlich wird nur aus seiner Funktion in der Reproduktion der Gesellschaft als ganzer. [. . .] Die besondere Beziehung des Beethovenschen Systems zum Hegelschen liegt nun darin, daß diese Einheit des Ganzen lediglich als eine vermittelte zu begreifen ist. Nicht nur ist das Einzelne nichtig, die einzelnen Momente sind auch einander entfremdet. [. . .] Die Beethovensche Einheit ist demgegenüber eine, die sich in Gegensätzen bewegt [. . .]. Dieses Verhältnis ist aber als ein gesellschaftliches historisch aufzuweisen durch den Gegensatz von Tutti und Solo als dem Ursprung des Beethovenschen Themendualism[us] und des Themendualism[us] der Sonatenform überhaupt.231

Es fällt auf, daß Adorno keine seiner Analogien näher ausgeführt, geschweige begründet hat. Hegels eigene Ästhetik im Ganzen wie in dem der Musik gewidmeten Teil blieb völlig unbeachtet. Hegel selbst wußte mit der Musik Beethovens herzlich wenig anzufangen und bevorzugte, wie Schopenhauer, die italienische Opernmusik Rossinischer Prägung (hierzu im Kapitel Die Trivialisierung von Musik mehr). Gerade der letzte Satz im obigen Zitat macht zudem deutlich, wie sehr Adorno der suggestiven Wirkung jenes von Marx und Riemann herrührenden Gedankens erlag, der die Sonatenform als prozessuale ausschließlich aus dem ‚Themendualismus‘ ableitete; er brauchte nur noch auf die ‚gesellschaftlichen Verhältnisse‘ projiziert und auf Hegel bezogen zu werden. Man gewinnt den Eindruck, Beethoven habe noch hundert Jahre nach seinem Tod auf Adorno ähnlich befremdlich und verstörend gewirkt wie auf seine Zeitgenossen; der verzweifelte Versuch, ihn auf den vertrauten Boden der Hegelschen Systemphilosophie zu ziehen, wirkt, als solle das Disso-

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nantische dieses romantischsten aller Komponisten um jeden Preis gebannt werden. Die schiefe Grundkonzeption eines Beethovenbuches, das zugleich ein Hegelbuch sein sollte, mußte fast zwangsläufig zum Scheitern führen. 3. Das in den weitaus meisten Überlegungen zur Musik Beethovens behandelte Phänomen ist jedoch das der Tonalität: »Das Absolute« bei Beethoven – das ist die Tonalität.232 Beethoven verstehen heißt, die Tonalität verstehen. Sie liegt nicht nur als »Material« seiner Musik zugrunde sondern ist sein Prinzip, sein Wesen: seine Musik spricht das Geheimnis der Tonalität aus [. . .]. Der Zusammenhang bei Beethoven kommt immer dadurch zustande daß der jeweilige Formteil die Tonalität verwirklicht [. . .]. Zugleich aber umschreibt die Tonalität und ihre Darstellung den gesellschaftlichen Gehalt Beethovens. Sie ist das bürgerliche Urgestein. Die ganze Arbeit muß eine über die Tonalität werden.233 Wie die Tonalität, historisch, mit der Ära des Bürgertums zusammenfällt, so ist sie dem Sinne nach die musikalische Sprache des Bürgertums.234

Damit war die entscheidende Formel gefunden: Beethoven, Hegel und die Tonalität entsprachen der Ära und Sprache des Bürgertums. Diese Ära und diese Sprache aber existierten nicht mehr: politisch-gesellschaftlich nicht wegen der Revolutionen und Weltkriege, künstlerisch nicht, weil nach Beethoven ein Bruch stattgefunden hatte in Gestalt der Schönbergschen ,Revolution‘, die die ,Herrschaft‘ der Tonalität beendete. V. Im tonalen Tonsatz der Neuzeit lassen sich mit drei oder vier verschiedenen Tönen eine Unzahl von Akkorden bilden; lediglich zwei davon, der Dur- und der Molldreiklang nebst ihren Umkehrungen, gelten, wie im vorigen Kapitel ausgeführt wurde, als konsonant, sind schlußfähig und dienen jeder musikalischen Kadenz als Gerüstakkorde. Alle anderen, die große namenlose Mehrheit, um deren Emanzipation es Schönberg ging, gelten als Dissonanzen. Ihre Schlußfähigkeit verdanken die Konsonanzen jedoch in gewisser Weise erst den vorangehenden Dissonanzen. Die ,Süße‘ und die entspannende Wirkung folgt aus der vorherigen Klangschärfung, wofür Ernst Kurth in seiner viel beachteten Untersuchung zur Romantischen Harmonik die physikalischen Begriffe der potentiellen und kinetischen

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Energie bemühte: Die in der Dissonanz aufgestaute potentielle Energie entlade sich beim Übergang in eine Konsonanz und bewirke dadurch beim Zuhören eine Art kinetischer, zielgerichteter Strömung zur ihr folgenden Konsonanz hin.235 Man kann diesen Sachverhalt auch so fassen: Ein konsonanter Akkord kommt selten unerwartet; er geht aus den Leittonspannungen der vorherigen Dissonanzen (mehr oder minder) zwingend hervor. Stimmführungsregeln, deren Gesamtheit den sogenannten strengen Satz ausmacht, sind im Prinzip Auflösungsregeln, die festlegen, wie man einen dissonanten Akkord korrekt in einen konsonanten oder wenigstens einen weniger dissonanten auflöst. Überraschungen, unerwartete Tonfolgen, neue Klangreize etc. gehen daher im Prinzip immer von den Dissonanzen aus, die das eigentliche Salz in der Suppe sind. Eine Geschichte des musikalischen Satzes, womöglich sogar eine Geschichte der Musik, ließe sich schreiben als eine Geschichte der Dissonanzbehandlung: Waren im Mittelalter nur die vollkommenen Konsonanzen schlußfähig, in der Renaissance auch Terzen und Sexten; traten im 18. und 19. Jahrhundert, vor allem seit dem Tristan, Septimenakkorde in den verschiedensten Ausprägungen in den Vordergrund, so verhalf schließlich der freie, atonale Satz, Schönbergs ,Revolution‘, noch den kleinen Sekunden, Quartklängen und sonstigen aus mehr als drei oder vier Tönen gefügten Akkordballungen zu ihrem Recht. Zunehmend ,schärfere‘ Dissonanzen stellten innerhalb des musikalischen Flusses stets Augenblicke der Überraschung, des Fremden, des Unerwarteten dar, sie waren die Attraktionspunkte, die den musikalischen Effekt machten; Adorno hatte ja sogar geschrieben, der dissonante Akkord sei gegenüber dem konsonanten der differenziertere und fortgeschrittenere. Einem musikalisch geschulten Bewußtsein erscheint daher ein von Dissonanzen durchsetzter musikalisch-zeitlicher Verlauf völlig natürlich, obwohl er eigentlich diskontinuierlich und nicht vorausberechenbar ist, insofern nur die konsonanten Passagen aus dem zeitlich davor liegenden Zustand resultieren, nicht aber die dissonanten. Ein solcher Verlauf entspricht auch nicht der Alltagserfahrung eines natura non facit saltus. Erst am Beginn des 20. Jahrhunderts erfuhr das musikalische Vertrautsein mit diskontinuierlichen Verläufen dank der neuen Physik Albert Einsteins und Max Plancks auch naturwissenschaftliche Bestätigung, und es war gewiß kein Zufall, wenn der französische Komponist Claude Debussy, ein überaus wacher Beobachter des Musiklebens, 1912 bei Betrachtungen zur musikalischen Avantgarde den

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französischen Mathematiker Henri Poincaré zitierte,236 der heute als der geistige Vater der sogenannten Chaos-Theorie gilt.237 ,Dialektik‘ ist hier das Schlüsselwort; dialektisch denken zu können hängt gleichsam mit der musikalischen Erfahrung von Diskontinuität zusammen, die ihrerseits auf dem Verständnis der Rolle der Dissonanz beruht. VI. Zu den Dissonanzen und den Widersprüchen innerhalb des Adornoschen Denkens selbst, zu dem, was Rolf Wiggershaus mit seiner Formel von einer „Philosophie des Nichtidentischen“238 zum Ausdruck gebracht hat, gehört der Umstand, daß Adorno trotz aller lautstark geäußerten Vorbehalte gegenüber der Kulturindustrie und ihrer Produkte für bestimmte Spielarten trivialer Kunst Verständnis aufzubringen schien; ebenso das merkwürdige Phänomen, daß er 1941, im amerikanischen Exil, als er gerade den ambitionierten Schönberg-Teil der Philosophie der neuen Musik verfertigte, sechs der 40 Klavierstücke des Schumannschen Jugendalbums op. 68 für ein kleines Orchester instrumentierte und zu einem Zyklus Kinderjahr zusammenstellte. Die harmlos-tonale Musik kleiner Stücke für Klavieranfänger, darunter der berüchtigte Fröhliche Landmann oder Knecht Ruprecht, bildete gleichsam den Kontrapunkt zu den komplizierten Gedankengängen der Philosophie, die sich mit der radikalen Fortschrittlichkeit ,atonaler‘ Musik auseinandersetzte, was seinerseits wiederum Eingang fand in den ebenfalls in diesen Jahren im amerikanischen Exil entstandenen Doktor Faustus Thomas Manns, für den Adorno seinerzeit als musikalischer Ratgeber fungierte. Vielleicht läßt sich das besser verstehen, wenn man Adorno etwas vom Typus des Dandys unterstellt, wie ihn Charles Baudelaire um 1860 beschrieben hat. Reiche Männer, des Zwangs zum Geldverdienen enthoben, blasierte, im Luxus aufgewachsene Müßiggänger, dem Ästhetischen und der Eleganz hingegeben, vereine, so Baudelaire, bei aller Verschiedenheit ihrer individuellen Charaktere, eine Mischung aus Opposition und Revolte; sie alle seien Vertreter des besten Teils des menschlichen Stolzes, nämlich des Bedürfnisses, die Trivialität zu bekämpfen und zu zerstören – „de combattre et de détruire la trivialité“239 . Der Dandy durchschaue und verachte die bürgerliche Welt sozusagen aus einer Perspektive von oben, hierin den Aristokraten ähnlich, die, wie der auf seinen mütterlichen

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Adel stolze Adorno 1967 schrieb, ihr Leben nicht „unterm Bann des Tauschprinzips“240 führen. Kampf und Revolte des Dandys bleiben freilich im Ästhetischen stecken, weder steigt er auf die Barrikaden der Revolution noch verbrüdert er sich mit dem Proletariat. Am wohlsten fühlt er sich unter seinesgleichen: unter Aristokraten und Künstlern, im ästhetischen Gespräch, beim Kunstgenuß, also kurz gesagt, im Salon, den das Paris der Jahrhundertwende zur höchsten Reife entwickelt hatte. Theodor Wiesengrund-Adorno, aus reichem Elternhaus stammend, in enger Bindung an die Mutter und deren Schwester wohlbehütet aufgewachsen, von Musik umgeben, war es nicht beschieden, diesen Lebensstil für sich zu verwirklichen. Eine Musikerlaufbahn hat er, wenn er sie überhaupt angestrebt hatte, nach seiner erfolgreichen Habilitation 1931 nicht mehr ernsthaft verfolgt, die akademische Karriere wurde wegen des 1933 im nationalsozialistischen Deutschland verhängten Berufsverbots auf Jahrzehnte blockiert. Mit dem „Schockmoment, der mit dem Ausbruch des Hitlerischen Reiches“241 zusammenfiel, war der Lebensentwurf eines Dandys unmöglich geworden. Leiderfahrung wurde nun zum Maß der Erkenntnis, der Klagelaut zum Urphänomen des ästhetischen Ausdrucks und das Kunstwerk hatte „das Leid und die Sünden der Welt auf sich“242 zu nehmen, wie es Norbert Bolz einmal formuliert hat. Wehmütig erinnerte sich Adorno 1967 auf einer Wienreise an die verlorene Kindheit, an die mütterliche Fürsorge von bis zur Selbstaufgabe hilfsbereiten Aristokraten, denen „der Erwerb für unehrlich oder beschämend“ galt und mit denen der Umgang leicht und frei „von psychologischem Gift“ war.243 Aber trotz des durch Weltkrieg und Holocaust geknickten Lebens focht Adorno den Kampf gegen die Trivialität lebenslang unverdrossen weiter, und desto heftiger, je verlorener der Posten war, auf dem er stand. 1925 trat in Frankfurt der 50jährige Fritz Kreisler auf, damals einer der größten Geiger der Welt, so berühmt wie der Entfesselungskünstler Houdini, der Filmstar Chaplin oder der Tenor Caruso. Kreisler, noch persönlich bekannt mit Brahms, befreundet mit Mahler und Schönberg, Busoni und Rachmaninow, war einer der ersten Medienstars, der zwischen 1910 und 1946 einige hundert Stücke für die Victor Talking Machine Company aufnahm, die später mit RCA, der Radio Corporation of America, zur RCA-Victor fusionierte, quasi der Mutter der amerikanischen Kulturindustrie. Kreisler spielte für ein Millionenpublikum überwiegend kleine, von ihm selbst oder für ihn komponierte Stückchen oder selbst gefertigte Arrangements bekann-

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ter Melodien – längere Sätze paßten noch nicht auf die damaligen 78er-Schellack-Platten. Viele dieser aufs Schlagerformat zurechtgestutzten Stückchen beschworen das Ambiente seiner Heimatstadt Wien, unter ihnen als vielleicht bekanntestes eine Caprice viennois, die 1925 schon zum dritten Mal neu aufgenommen wurde, in dem Jahr also, in dem Adorno seinen Unterricht bei Berg aufnahm und Kreislers Konzert in Frankfurt für die Zeitschrift für Musik besprach. Obwohl alle Kriterien für einen Verriß gegeben wären und der Spott über kitschige Terzenseligkeit, wie er in den Musikalischen Warenanalysen zehn Jahre später über Dvoˇráks Humoreske ausgegossen wurde,244 hier nicht weniger angebracht gewesen wäre, findet Kreislers Konzert Adornos Zustimmung: „Von den Solisten erinnere ich mich an Kreisler, dessen Geigenton immer noch schöner ist als aller Geschmack, der dagegen rebelliert“245 . In ähnlicher Weise nahm Adorno gegen alle Verachtung, die er sonst dem Kino und seinen Stars entgegenbringen konnte, Charlie Chaplin aus, für den er sogar ausgesprochen warmherzige Worte zu finden imstande war. ,Trivial‘ kann Musik an und für sich sein oder in bestimmten Situationen werden; in anderen kann sie auch ihre ursprüngliche Trivialität wieder verlieren. Kaum wäre ein trivialeres Motiv zu ersinnen als die ersten vier Töne des Themas der fünften Symphonie Beethovens; doch schon E. T. A. Hoffmann bewunderte in seiner berühmten Rezension dieses Werkes, was Beethoven aus diesem Motiv zu machen imstande war. Triviales Material, Volks- und Kinderlieder, Märsche, Tänze, Posthorn- und Militärsignale, das „Untere als Schicht des Komponierens“246 begegnen einem in Mahlers Symphonik zuhauf, und doch ist das Resultat keineswegs trivial, denn es wird in Mahlers Grundgeste eingeschmolzen, dem „durch und durch Gebrochenen“, dem „Weltschmerz“247 . Mahlers Musik, das ist für Adorno ihre entscheidende „Signatur“, „mißlingt“ und spricht durch ihr Mißlingen hindurch „ein Notwendiges“ aus; denn „authentischen Künstlern wird der subjektive Defekt zum Ort eines objektiv geschichtlichen Scheiterns“248 . Kreisler, Chaplin oder Mahler wären also, trotz aller Trivialitäten, authentische Künstler, Telemann, Tschaikowsky oder Werner Egk offenbar nicht, denn Adorno wurde nicht müde, bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Musik dieser Komponisten der Banalität und Trivialität zu überführen. Die Begründung folgte stets dem gleichen Schema. Zu einer bestimmten historischen Zeit existiere ein bestimmter avantgardistischer Stand in der Beherrschung des musikalischen Materials, hinter dem nicht-authentische Kom-

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ponisten zurückblieben: Telemann hinter Bach, Tschaikowsky hinter Wagner, Egk hinter Schönberg; jeder regrediere gewissermaßen auf infantilere Stufen künstlerischer Gestaltung und verfalle eben darum dem Fluch des Banalen und Trivialen. Die Kulturindustrie, deren Erzeugnisse Waren sind, muß sich am Geschmack eines mittleren Publikums, ihrer Kundschaft, orientieren, der sich in der Vergangenheit herausgebildet hat; schon deshalb könnte sie den avanciertesten Stand der künstlerischen Materialbeherrschung nur um den Preis der Unverkäuflichkeit in den Blick nehmen. Antibürgerliches Ressentiment, Oppositionslust und Hybris des Dandys lieben es gleichermaßen, ein solches mittleres Publikum, die middle-brow-class, die sich nach oben, zur Avantgarde, ebenso abgrenzt wie nach unten, zur Trivialmusik, und die das überlieferte Kulturgut mehr auf Treu und Glauben hin verehrt denn aus eigener Einsicht, zu erschrecken: einmal sozusagen von oben, mit einem atonalen Schönberg, dann wieder von unten, mit einem ,authentischen‘ Kreisler. Besonders reizen aber muß es, den braven Bildungsbürger hinsichtlich seiner vermeintlichen Kulturschätze zu verunsichern, etwa den Freunden der Symphonik ihren Tschaikowsky oder den Freunden hausmusikalischen Instrumentalspiels ihren Telemann als trivial zu vermiesen. Den langsamen Satz der fünften Symphonie Tschaikowskys beschrieb Adorno in den erwähnten Musikalischen Warenanalysen so, als handele es sich um Filmmusik: Sonnige Mondnacht in der Krim. Garten des Generals, helle Wolken, Bank unter Rosen. Die Aufnahmen sind grün getönt. Ein junger praller Offizier, mit dem edlen, aber runden Gesicht eines Tenors, in voller Uniform. Über und über mit Orden bedeckt, auf denen die Kamera spielt. Zuweilen blitzt ein Stein auf seiner Brust auf. Die Hornmelodie meint den Duft und das heiße Werben des Offiziers. Eine keusche, zarte Mädchenstimme antwortet. Es ist die Oboe, die Tochter des Generals.249

Indem Adorno den Satzverlauf als Musik zu einem imaginären Film beschreibt und ihn überdies in den Kontext von Schlageranalysen stellt, weist er sarkastisch auf dessen Trivialität hin; wenn nach dem in der Mitte eintretenden Tod des Helden das Ganze wieder von vorne beginnt, zeigt die filmische Nacherzählung auch die Absurdität einer Musik auf, die aus ihren thematischen Setzungen zu Beginn nicht wirklich kompositorische Konsequenzen zieht. Doch dann erfolgt eine dialektische Volte. Noch der trivialste Komponist des 19.

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Jahrhunderts sei jedem Produkt kulturindustrieller Herstellung vorzuziehen: Wenn jene Musik vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts [. . .] die Funktion des Kinos schon vor dessen Erfindung genau erfüllte; wenn sie bis in Einzelheiten [. . .] die kinematographische Technik in sich beschließt; wenn die Zurückgebliebenheit Tschaikowskys hinter Wagner sich zugleich als ihrer Zeit voraus erweist, weil sie Kulturindustrie war, noch ehe es deren eigentliche Konsumenten gab – dann ist ihr, zum Lohn für ihr Verhalten, doch ein Versöhnliches beigesellt aus der Kindheit des Hörers.250

Denn diese Symphonien glichen, so Adornos Einsicht, den längst vergangenen Kintopps, dem Non-Stop-Stummfilm-Kino, als man mitten hineinkam, nichts ganz verstand und doch alles [. . .] und wo nach der Katastrophe der versäumte Anfang wiederkehrte [. . .]. Kitsch kennt so viel Hoffnung, wie er die Zeit umzukehren vermag [. . .]. Erst wenn der Kitsch in ein parasitäres Verhältnis zur Geschichte tritt, ihre Verdikte imitiert und es sich verbieten muß, diese sogleich wieder gutzumachen, verliert er sein Recht. Die Massenkunst von heute ist eben darum schlechter als das Andante, ihr Modell, weil sie nichts mehr von der Art des Wiedereintritts der Hornmelodie nach der tragischen Generalpause erlaubt.251

Was also ist es, was für die „unbeholfene Naivetät“ Tschaikowskys gegenüber einer beholfenen der Kulturindustrie spricht? Es sind die Erinnerungen an die Kindheit, als es noch authentischen Kitsch gab und kindliche Unglücksfälle wie im Märchen reversibel waren. VII. Um solche Erinnerungen an die Kindheit ging es vermutlich auch bei den erwähnten Instrumentationen Schumannscher Klavierstücke. Heinz-Klaus Metzger, ihr Herausgeber, sprach von „klingender Analyse“, von Heimweh und verwies auf einen Aphorismus Adornos aus den Minima Moralia, nach dem in der Emigration „jeder deutsche Rehbraten“ schmecke, „als wäre er vom Freischütz erlegt.“252 Im Kinderjahr verteilt Adorno den Klaviersatz pointillistisch auf die Orchesterinstrumente, ohne jedoch, wie er ausdrücklich vermerkt, Oktaven zu verdoppeln oder die originale Oktavlage zu verändern. Seine Instrumentation ist von Stück zu Stück im Charakter verschieden. So gemahnt die Bearbeitung von Schumanns Nr. 39, Winterszeit,

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stellenweise an Mahler, besonders dort, wo im dritten Teil des Schumannschen Stücks der Umschlag nach Dur erfolgt und der Komponist ein Selbstzitat aus seinen Papillons op. 2 anbringt (Takt 59 f.). Adornos Zyklus enthält als vielleicht gelungenste Bearbeitung die Orchestrierung von Nr. 28, Erinnerung, von Schumann komponiert zum Gedenken an den 4. November 1847, den Todestag Mendelssohn Bartholdys. Hier klingt die Instrumentation eher nach Webern. Die zehntaktige Klaviermelodie, sehr gesangvoll zu spielen, wie Schumann vorschreibt, wandert nacheinander durch die Instrumente: Der Bratsche fallen die Töne 1–7 zu, der Oboe die Töne 8–10, der Klarinette 11–15, der Flöte 16–25, der zweiten Violine 26–31, das Horn spielt den 32. Ton und die ersten und zweiten Violinen die letzten 13 Töne. Diese Melodie, deren absteigendes Melos und deren Harmonisierung an ein Mendelssohnsches Lied ohne Worte erinnert, beispielsweise an op. 19 Nr. 1, wird demnach in genau sieben Stücke zerbrochen und eben nicht, was doch viel näher gelegen hätte, einem einzelnen Solo-Instrument zugewiesen. Ähnlich wird auch die schlichte Begleitung der linken Hand aus arpeggierten Dreiklängen auf mehrere Instrumente verteilt, die vier Sechzehntel des ersten Taktes etwa auf Kontrabaß (1. Sechzehntel), Violoncello (2. Sechzehntel), Fagott (3. und 4. Sechzehntel) und die beiden nachfolgenden Achtel auf Violoncello nebst Fagott. Kurz vor Schluß, im 20. Takt, erklingt ein verminderter Septakkord mit Vorhalt, Mendelssohns Lieblingsdissonanz, der als einzige Tutti-Stelle im fortissimo hervorgehoben ist, eine Akzentuierung, die bei Schumann fehlt. Der angedeutete Prozeß der Fragmentarisierung demontiert sozusagen die Vorlage, er legt sie, zumindest im Notenbild, in ihrer Zerbrechlichkeit bloß. Zur gleichen Zeit schreibt der Komponist in der Philosophie der neuen Musik den berühmt gewordenen Satz: „Die Formen der Kunst verzeichnen die Geschichte der Menschheit gerechter als die Dokumente.“253 Das doppelt gebrochene Gedenken des aus Deutschland vertriebenen Sohnes eines Juden an den von den Nazis verfemten Mendelssohn, eingebettet ausgerechnet in einen Zyklus Kinderjahr, erinnert zudem an eine Stelle aus der vierten Meditation zur Metaphysik in der Negativen Dialektik. Was metaphysische Erfahrung sei, so heißt es dort, könne man an dem Glück sich vergegenwärtigen, das Namen von Dörfern verheißen wie Otterbach, Watterbach, Reuenthal, Monbrunn. Man glaubt, wenn man hingeht, so wäre man in dem Erfüllten [. . .]. Dem Kind ist selbstverständlich, daß, was es an seinem Lieblingsstädtchen entzückt, nur dort, ganz allein und nirgends sonst

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zu finden sei; es irrt, aber sein Irrtum stiftet das Modell der Erfahrung, eines Begriffs [. . .].254

Adorno hat seinen eigenen, ähnlich glücksverheißenden Namen ,Wiesengrund‘, dem Thomas Mann im Doktor Faustus den Beginn der Arietta aus Beethovens op. 111 melodisch unterlegt hat, im Exil gegen den Mädchennamen seiner Mutter ausgetauscht. Der für Adorno mit der neuen Musik Schönbergs eingetretene Bruch in der Musikgeschichte, die jedem Kind widerfahrende Entzauberung der Welt, der Schockmoment, der mit dem Ausbruch des Hitlerischen Reiches zusammenfiel: Dies alles hat sich in erschreckender Weise gleichsam in Adornos namentliche Identität eingeschrieben. Seine SchumannInstrumentationen, von denen heute niemand weiß, aus welchem äußeren Anlaß sie entstanden sein mögen, legen Zeugnis ab für eine Musikauffassung, die sich sozusagen in die Romantik zurücksehnt, obwohl sie weiß, daß es dorthin keinen Weg mehr gibt. In der Ästhetischen Theorie heißt es geradezu bekenntnishaft: „Indem Kunstwerke da sind, postulieren sie das Dasein eines nicht Daseienden und geraten dadurch in Konflikt mit dessen realem Nichtvorhandensein.“255 Genau das wollten Schlegels Fragmente aus der Zukunft: auf ein noch nicht Daseiendes hinweisen, wie auch ,Konflikt‘ die beabsichtigte Wirkung einer Dissonanz ist. Authentische Kunstwerke waren für Adorno daher solche, „die den versöhnenden Schein ihrer Geschlossenheit abwerfen und zum Fragment zerfallen“, denn der Bruch mit den Kontexten reicht bis in ihre Faktur hinein; die „bildende Kunst zerbricht die Gegenstände, die Musik die Tonalität.“256 Das Fragmentarische wirkt sogar noch verstörender als die Dissonanz und erhöht den Erkenntnischarakter von Kunst: Durch Kunstfeindschaft nähert das Kunstwerk sich der Erkenntnis. [. . .] Das geschlossene Kunstwerk erkannte nicht, sondern ließ in sich Erkenntnis verschwinden. [. . .] Erst das zerrüttete Kunstwerk gibt mit seiner Geschlossenheit die Anschaulichkeit preis und den Schein mit dieser. [. . .] Die neue Musik nimmt den Widerspruch, in dem sie zur Realität steht, ins eigene Bewußtsein und in die eigene Gestalt auf. [. . .] Ihre Tiefe ist die des Urteils über das Schlechte.257

Adorno gebrauchte jedoch auch wiederholt die Metapher von der Flaschenpost, als welche seine Werke eines Tages aufgefaßt werden würden. Die Zerstörungen durch die „mörderisch geschichtliche Kraft der Moderne“258 sollten nicht das letzte Wort behalten. Hier deutet sich ein erst in jüngster Zeit näher untersuchtes gnosti-

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sches Element in der Philosophie Adornos an: Er wußte sehr wohl um die Nähe Schönbergs, seines Lehrers Berg oder seines Freundes Bloch zu okkultistischen und theosophischen Strömungen der Jahrhundertwende; davon wird nun im nächsten Teil zu reden sein.

HARMONIE

„Ersichtlich gewordene Thaten der Musik“ – Zum Schluß von Wagners Götterdämmerung eutzutage darf, wer über Wagner spricht, zu Hitler nicht schwei-

H gen. Dies scheint, auf eine Formel gebracht, die Maxime der

jüngeren Wagnerliteratur geworden zu sein. Sie räumt auf mit der naiven Vorstellung, es gehe doch nur um Musik, der Komponist könne kaum für den späteren Mißbrauch seiner Musik bzw. für seine unselige Rezeption verantwortlich gemacht werden. Nur vereinzelt haben sich Musikforscher in den letzten Jahren unmittelbar mit Wagners Musik auseinandergesetzt, etwa, indem sie anhand erhaltener Skizzen den Entstehungsprozeß des Tristan nachvollzogen oder sich mit der Deutungsgeschichte seines legendären Anfangsakkords befaßt haben.259 Ansonsten ist Wagner ein beliebter Untersuchungsgegenstand geworden für die Literatur- und Theaterwissenschaft, für gender studies oder für die allgemeine Kultur- und Sozialgeschichte. Die sozusagen zeitgemäße Perspektive, die dabei durchgehend eingenommen werden muß, engt jedoch den Blick auf den wohl wirkungsmächtigsten Komponisten des 19. Jahrhunderts ein: Man blickt, mit Hitler und dem Holocaust im Hinterkopf, stets von heute aus, mit dem heutigen historischen und politischen Wissen auf Wagner, seine Zeit und seine Erben in Bayreuth zurück. Will man „der Forderung nach einer Rückbesinnung auf den eigentlichen Gehalt des Werkes“ nachkommen und eine „wie auch immer zu bewerkstelligende [. . .] Befreiung des Wagnerschen Gesamtkunstwerks aus den Klauen seiner kompromittierenden Geschichte“260 versuchen, kann es aufschlußreich sein, einmal die umgekehrte Perspektive einzunehmen und nach dem zu fragen, was Wagner zu seiner Zeit vorgefunden hat, was ihn geprägt und worauf sich sein Denken und Komponieren gestützt haben mag. Dabei können Verstehenskategorien wie Erinnerung und kulturelles Gedächtnis auf Wagner selbst angewandt werden. Die Konzeption seines Musiktheaters wird sich dabei als Synthese zweier großer abendländischer Erzählungen ergeben, mit der seine spätere Lektüre Schopenhauers in Konflikt geriet.

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„Ersichtlich gewordene Thaten der Musik“

I. Die erste große Erzählung, mit der der junge Wagner aufwuchs, war die von der Antike, darunter, als ihr wesentlichster Teil, die ihres republikanisch-freiheitlichen Vermächtnisses. Das Pathos Schillerscher Gedichte (von Hölderlin zu schweigen), Goethes und Heinses italienische Reisen, die Selbstinszenierung der Französischen Revolution, der Freiheitskampf der Griechen, Hegel als Aristoteles redivivus, die Vossischen Homerübersetzungen, dazu die damalige Kleidermode, Möbel, Gartenpavillons und vieles mehr: Das alles, was man heute Klassik bzw. Klassizismus nennt, eine Orientierung an antiken Vorbildern, stand um 1800 in höchster Blüte, bildete seit Jahrhunderten, nämlich seit der Renaissance, einen Hauptbestandteil des kulturellen Gedächtnisses, nahm im 18. Jahrhundert an Intensität noch zu (während die christlichen Überlieferungen abnahmen) und wurde von einem bildungsbeflissenen jungen Mann wie Wagner begeistert assimiliert. Den vielleicht deutlichsten Ausdruck seiner Faszination durch die Antike findet man in der frühen kunsttheoretischen Schrift Die Kunst und die Revolution von 1849. Dort wird ein großer geschichtsphilosophischer Bogen von der Antike bis in die Gegenwart gezogen, der, bezogen auf die Kunst, einer fortlaufenden Verschlechterung entspricht: Das antike Drama sei im Laufe der Geschichte untergegangen, einmal, weil sich die daran beteiligten Künste ausdifferenziert und damit sozusagen auseinandergelebt hätten; sodann wegen des modernen kapitalistischen Wirtschaftssystems, in dem Kunst und Künstler sich den ‚neuen‘ Göttern Geld und Industrie unterworfen hätten; vor allem aber wegen des sinnenfeindlichen monotheistischen Christentums. Enthusiastisch schwärmt Wagner vom antiken Drama, dem „höchsten erdenklichen Kunstwerk“; in ihm feiere das griechische Volk, wenn es „zu Dreißigtausend das Amphitheater“ erfüllte, die Thaten der Götter und Menschen, ihre Leiden, ihre Wonnen, wie sie ernst und heiter als ewiger Rhythmus, als ewige Harmonie aller Bewegung, alles Daseins in dem hohen Wesen Apollon’s verkündet lagen [. . .]. Solch’ ein Tragödientag war ein Gottesfest, denn hier sprach der Gott sich deutlich und vernehmbar aus: der Dichter war sein hoher Priester, der wirklich und leibhaftig in seinem Kunstwerke darinnen stand, die Reigen der Tänzer führte, die Stimme zum Chor erhob und in tönenden Worten die Sprüche göttlichen Wissens verkündete.

Zum Schluss von Wagners Götterdämmerung

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Das war das griechische Kunstwerk, das der zu wirklicher, lebendiger Kunst gewordene Apollon, – das war das griechische Volk in seiner höchsten Wahrheit und Schönheit.261

Ein ausführlicher Exkurs zum Christentum wiederholt die Feuerbachsche Religionskritik und fußt auf Gedanken, wie sie bereits Schiller in seinem 1788 erstmals erschienenen Gedicht Die Götter Griechenlands entwickelt hatte. Dort wird der Verlust beklagt, der mit dem Untergang der antiken Mythologie einherging; Schiller schwärmte von einer vergangenen Welt, in der Flora und Fauna, die Gestirne, der Wandel der Jahreszeiten etc. mit Gottheiten ausgestattet waren, die den zyklischen Ablauf allen Geschehens gewährleisteten, so daß der Mensch sich im Mythos geborgen fühlen konnte: Da ihr noch die schöne Welt regiertet, An der Freude leichtem Gängelband Glücklichere Menschenalter führtet, Schöne Wesen aus dem Fabelland! Ach! da euer Wonnedienst noch glänzte, Wie ganz anders, anders war es da! [. . .] Schöne Welt, wo bist du? – Kehre wieder, Holdes Blütenalter der Natur! Ach! nur in dem Feenland der Lieder Lebt noch deine goldne Spur. [. . .] Einen zu bereichern, unter allen, Mußte diese Götterwelt vergehn. [. . .] Da die Götter menschlicher noch waren, Waren Menschen göttlicher.262

Wagners revolutionäre Grundhaltung, seine Nähe zu kommunistischen Vorstellungen, nährte sich, nicht anders als es bei Rousseau, Hegel oder Marx der Fall war, von der großen Erzählung Antike. Doch dies ist eben nur eine von zwei Erzählungen, die den jungen Wagner und seine Zeit nachhaltig beeinflußt haben. Die andere ist jünger und gehört zum Kernbestand der Romantik: Es ist die Erzählung vom Mittelalter. Das am Ende des 18. Jahrhunderts aufbrechende Interesse an alten Drucken und Handschriften, etwa der überlieferten Minnelieder des 12. bis 14. Jahrhunderts und insbesondere des Nibelungenlieds, die zu Wagners Lebzeiten in philologisch ambitionierten Ausgaben von Friedrich Heinrich von der Hagen, Karl Lachmann und Moritz Haupt im Druck erschienen, die Romane Walter Scotts um Ivanhoe und Robin Hood, die Erzählungen Tiecks, den Wagner in Dresden mehrfach beim Vorlesen hörte, die

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„Ersichtlich gewordene Thaten der Musik“

nordischen Stoffe de la Motte-Fouqués, E. T. A. Hoffmanns Sängerkrieg auf der Wartburg, die Ritter und Burgfräuleins, die in den ersten romantischen Opern auftraten, dazu das ‚Kultbuch‘ der Frühromantik, Wackenroders Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, der Heinrich von Ofterdingen des Novalis oder die Bewegung der Nazarener: Dies alles bildete einen anderen kulturellen Anknüpfungsstrang, der zurückreichte bis zu Tassos La Gerusalemme liberata, 1781 übersetzt von Wilhelm Heinse, einem zeitweiligen Lieblingsschriftsteller Wagners. Man sagt wohl nichts Falsches, wenn man die Konzeption des Wagnerschen Musikdramas, namentlich die des Rings des Nibelungen, als den Versuch ansieht, beide Erzählungen zu synthetisieren, also im Stoff und Kolorit mittelalterlicher Epen das antike Gesamtkunstwerk in seiner verloren gegangenen Würde neu zu installieren. Relativ rasch entstanden die weiteren kunsttheoretischen Schriften, Das Kunstwerk der Zukunft und Oper und Drama (1850/51) und parallel dazu die Textgrundlage des Rings; von 1851 bis 1856 vertonte Wagner die beiden ersten Teile der Tetralogie, Rheingold und Die Walküre. Nietzsche, einst Wagners glühendster Verehrer, dann sein schärfster Kritiker, hat im Fall Wagner den Vorgang sarkastisch, aber das Wesentliche treffend, folgendermaßen zusammengefaßt: Ich erzähle noch die Geschichte des „Rings“. Sie gehört hierher. Auch sie ist eine Erlösungsgeschichte: nur dass dies Mal Wagner es ist, der erlöst wird. – Wagner hat, sein halbes Leben lang, an die R e v o l u t i o n geglaubt, wie nur irgend ein Franzose an sie geglaubt hat. Er suchte nach ihr in der Runenschrift des Mythus, er glaubte in S i e g f r i e d den typischen Revolutionär zu finden. – „Woher stammt alles Unheil in der Welt?“ fragte sich Wagner. Von „alten Verträgen“: antwortete er, gleich allen Revolutions-Ideologen. Auf deutsch: von Sitten, Gesetzen, Moralen, Institutionen, von Alledem, worauf die alte Welt, die alte Gesellschaft ruht. „Wie schafft man das Unheil aus der Welt? Wie schafft man die alte Gesellschaft ab?“ Nur dadurch, dass man den „Verträgen“ (dem Herkommen, der Moral) den Krieg erklärt. D a s t h u t S i e g f r i e d. Er beginnt früh damit, sehr früh: seine Entstehung ist bereits eine Kriegserklärung an die Moral – er kommt aus Ehebruch, aus Blutschande zur Welt . . . N i c h t die Sage, sondern Wagner ist der Erfinder dieses radikalen Zugs; an diesem Punkte hat er die Sage c o r r i g i r t . . . Siegfried fährt fort, wie er begonnen hat: er folgt nur dem ersten Impulse, er wirft alles Ueberlieferte, alle Ehrfurcht, alle F u r c h t über den Haufen. Was ihm missfällt, sticht er nieder. Er rennt alten Gottheiten unehrerbietig

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wider den Leib. Seine Hauptunternehmung aber geht dahin, d a s W e i b z u e m a n c i p i r e n, – „Brünnhilde zu erlösen“ . . . Siegfried u n d Brünnhilde; das Sakrament der freien Liebe; der Aufgang des goldnen Zeitalters; die Götterdämmerung der alten Moral – d a s U e b e l i s t a b g e s c h a f f t . . . Wagner’s Schiff lief lange Zeit lustig auf d i e s e r Bahn. Kein Zweifel, Wagner suchte auf ihr s e i n höchstes Ziel. – Was geschah? Ein Unglück. Das Schiff fuhr auf ein Riff; Wagner sass fest. Das Riff war die Schopenhauerische Philosophie; Wagner sass auf einer c o n t r ä r e n Weltansicht fest. Was hatte er in Musik gesetzt? Den Optimismus. Wagner schämte sich.263

Das „Riff“, Schopenhauers Philosophie, bewirkte eine Unterbrechung der „lustigen“ Schiffahrt Wagners; es sollte nun noch fünfzehn Jahre lang dauern, bis der Ring vollendet werden konnte. Was sich in wenigen Sätzen anscheinend klar und unmißverständlich berichten läßt, war in Wahrheit erheblich komplizierter. Manche Wagnerforscher haben den Einfluß Schopenhauers auf den Fortgang des Rings erheblich relativiert; es ging auch keineswegs so „lustig“ und reibungslos zu bei der anfänglichen Konzeption des Werks und der Vertonung seiner ersten Teile. Um das kaum noch zu durchdringende Gestrüpp, das Wagnerforschung und -philologie um die Entstehungsgeschichte des Rings angelegt haben, weiträumig zu umgehen, sei hier zunächst ein anderer, in der Wagnerliteratur unbeachtet gebliebener Komponist ins Spiel gebracht, von dem aus sich aber, wie sich bald zeigen wird, eine aufschlußreiche Perspektive auf Wagner insgesamt und auf die Vollendung des Rings im besonderen ergibt. II. 1879, kurz nach der ersten Aufführung des Rings, kam der heute nur noch wenig bekannte englische Komponist Cyril Scott zur Welt. Er erhielt seine musikalische Ausbildung am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main, geriet als Schüler dieser Anstalt in den Kreis um Stefan George, errang dessen Gunst, wurde von ihm gefördert, vertonte auch als einer der ersten Georgesche Lyrik und übersetzte sie ins Englische; vor allem aber befreundete er sich mit Melchior Lechter, einem aus dem Rheinland stammenden Künstler, Georges Buchgestalter, der ein fanatischer Wagnerianer war. Scott und Lechter teilten eine eigenartige Vorliebe, und zwar für den Okkultismus, speziell in der Gestalt der Theosophie. Scott hat nicht nur rund 500 Musikwerke komponiert, darunter mehrere Opern; er verfaßte auch

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über 40 Bücher zu den verschiedensten Themen: Musik, Homöopathie, alternative Medizin, Erziehung und Okkultismus. Und genau in den Büchern zum Okkultismus kommt Wagner vor, in einem höchst befremdlichen Kontext. Wenn sich beispielsweise in einem seinerzeit anonym erschienenen Buch mit dem Titel The Initiate die Adepten auf eine spiritistische Sitzung vorbereiten, hören sie Wagners Karfreitagszauber aus dem Parsifal; oder die ,Meister‘ erklären, Wagner habe unter dem Einfluß von Devas, von hinduistischen Halbgöttern, komponiert. Am erstaunlichsten aber ist eine These Scotts, die er 1933 in einer Darstellung der Musikgeschichte, Music – It’s Secret Influence Throughout the Ages, entwickelte. Während man üblicherweise davon ausgeht, daß der Gang der Geschichte die Entwicklung der Musik beeinflusse, daß also, gut marxistisch gesprochen, mit einer Veränderung der materiellen Basis auch der kulturelle Überbau sich verändere, behauptete Scott das Gegenteil: Die Entwicklungen in der Musik hätten in Wahrheit soziale und gesellschaftliche Veränderungen der Geschichte erst hervorgerufen, so habe beispielsweise die durchdachte, mathematisch geprägte Musik Bachs die Entstehung der modernen Wissenschaften und Denksysteme, die Musik Beethovens die Demokratisierungsschübe im 19. Jahrhundert und die Entstehung der Psychoanalyse ausgelöst. Es seien in Wahrheit die verborgenen Meister, eine Bruderschaft, die auf dem Weg über die Musik die Geschicke der Menschheit beeinflußten. Wagners Musik nimmt in dieser Entwicklung einen zentralen Platz ein, denn durch sie wurde den Menschen das Prinzip der Kooperation zuteil: „Als Folge davon ist in ihre Herzen das Ideal der Bruderschaft eingepflanzt worden“, und insbesondere die Entstehung der Theosophie brachte Scott mit Wagners Musik in Verbindung: Sozialistisch gesehen war Wagners Musik prototypisch für das Grundprinzip von Kooperation und Zusammenarbeit, im Gegensatz zu Konkurrenz und Gegnerschaft; spirituell gesehen, stand sie sinnbildlich für die mystische Wahrheit, daß jede Individualseele mit der All-Seele, mit dem alles-durchdringenden Bewußtsein vereint ist.264

Das in über einem Dutzend Neuauflagen noch heute vertriebene, in esoterischen Kreisen recht populär gewordene Werk, in dem Scott auch einräumte, seinerseits lebenslang durch einen tibetanischen Meister des 19. Jahrhunderts, Koot Hoomi, angeleitet worden zu sein (Scott starb 1970!), kann man natürlich als wissenschaftlich unmaßgeblich beiseite schieben. Aber am Ende des 19. Jahrhunderts

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schossen sektiererische, pseudowissenschaftliche, neoreligiöse und sonstige Systeme und Glaubensvorstellungen wie Pilze aus dem Boden; die Gründung der Theosophischen Gesellschaft wenige Monate vor der Uraufführung von Wagners Ring war hier nur ein Phänomen unter vielen. Fast alle, seien es Lebensreformer oder Vegetarier, Tierschützer oder Rassisten, Nudisten, Sozialisten oder Spiritisten, beriefen sich gerne auf den charismatischen Komponisten. Auch in der seriöseren Wagnerforschung bietet der Ring bis heute Anlaß zu nicht enden wollenden Deutungen, wie Ulrich Schreiber es einmal zusammengefaßt hat: [A]ls Apotheose eines im Sinne Feuerbachs auf seine Immanenz verwiesenen Menschentums [. . .], als anarchische Zerstörungslust im Sinne Bakunins, als Allegorie auf Proudhons These, daß Eigentum Diebstahl sei, als Philosophie der Entsagung im Sinne Schopenhauers, als künstlerische Vorwegnahme von Freuds Deutung des Unbewußten, als Analogie zur Gründung des Deutschen Reichs samt dessen Götzendämmerung, als politisch-soziale Kritik an Kapitalismus und Industriegesellschaft [. . .] oder als tiefenpsychologische[r] Exkurs über die Anima-Theorien C. G. Jungs.265

Ihren Grund haben die teilweise fragwürdigen Bezugnahmen auf den Komponisten und die divergierenden Deutungen des Werks in Wagner selbst, der sich, ähnlich wie Scott, ebenfalls als Schriftsteller zu den verschiedensten Gebieten äußerte und mit dem Anspruch seines Gesamtkunstwerks auch als Person eine messianische Haltung einnahm. III. Die Götterdämmerung, das Schlußwerk der Ring-Tetralogie, hieß ursprünglich Siegfrieds Tod und war eine Oper, deren Plan 1848 gefaßt wurde; ihren Stoff entnahm Wagner dem mittelalterlichen Nibelungenlied. Siegfrieds Tod überlagerte sich schon bald mit einem Göttermythos aus der Edda: Der Fluch eines Ringes gefährdet die alte Weltordnung. Die Verschränkung des Heldendramas mit dem Göttermythos gelang jedoch nicht zufriedenstellend, über eine Kompositionsskizze zur ersten Szene mit den drei Nornen kam Wagner zunächst nicht hinaus.266 In den folgenden fünf Jahren, zwischen 1848 und 1853, ging aus diesem Anfang die Textfassung des Rings des Nibelungen hervor. Das waren zugleich die dramatischsten Jahre im Leben Wagners, die

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Jahre des revolutionären Umbruchs, der Beteiligung an den Dresdner Aufständen, der Flucht aus Sachsen in die Schweiz, der begeisterten Lektüre der Schriften Feuerbachs und Proudhons, der Freundschaft mit dem Anarchisten Bakunin und der gesprächsweise gemachten Bekanntschaft mit den Theorien von Karl Marx. Am ursprünglichen Plan von Siegfrieds Tod störten zu viele erzählende Partien den theatergerechten Fortgang, Wagner begriff, daß er ein Doppeldrama schreiben mußte, das zu Siegfrieds Tod die Vorgeschichte lieferte in einem zweiten Drama, Der junge Siegfried. Schließlich wurden daraus vier Dramen, denn auch dem jungen Siegfried mußte noch die mythische Vorgeschichte szenisch vorangestellt werden. In der Zeit zwischen dem ersten Entwurf von Siegfrieds Tod und der Endfassung der vier Dramen, die den Ring des Nibelungen bilden und 1853 im Druck erschienen (und in denen Siegfrieds Tod in Götterdämmerung umbenannt wurde), verfaßte, wie bereits erwähnt wurde, Wagner eine größere Zahl kunsttheoretischer Schriften, darunter Die Kunst und die Revolution, Das Kunstwerk der Zukunft und Oper und Drama, worin er hauptsächlich seiner Begeisterung für das Drama der klassischen Antike Ausdruck verlieh und kommunistische Utopien entwarf. Ein aufschlußreiches Zitat aus dem Kunstwerk der Zukunft mag das noch einmal verdeutlichen: [A]uf die herrliche griechische Kunst blicken wir hin, um aus ihrem innigen Verständnisse zu entnehmen, wie das Kunstwerk der Zukunft beschaffen sein müsse! Die Natur hat Alles gethan, was sie konnte, – sie hat den Hellenen gezeugt, an ihren Brüsten genährt, durch ihre Mutterweisheit ihn gebildet: sie stellt ihn uns hin mit Mutterstolz und ruft uns Menschen allen aus Mutterliebe nun zu: „Das that ich für Euch, nun thut Ihr aus Liebe zu Euch, was Ihr könnt!“ So haben wir denn die h e l l e n i s c h e Kunst zur m e n s c h l i c h e n Kunst überhaupt zu machen [. . .].267

In Oper und Drama, der wichtigsten dieser Schriften, konzipierte er konkret die neuartige Machart seiner zukünftigen Bühnenwerke: Stabreim und unregelmäßige Versfüße im Text, weitgehend syllabische Stimmführung in der Musik, dem Text folgende unregelmäßige Takteinheiten anstelle der herkömmlichen musikalischen Periodenstruktur und ein von Leitmotivik durchwirkter symphonischer Orchestersatz, im Verständnis Wagners das Gegenstück zum antiken Chor; das alles unter Verzicht auf herkömmliche Formen wie Arie, Rezitativ, Ensemble oder Chorsatz. Will man diesen spezifi-

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schen Wagner-Stil in einem Wort charakterisieren, spricht man heute meist von musikalischer Prosa. Wagner lernte zu dieser Zeit Schopenhauers Philosophie kennen, dessen Hauptwerk, Die Welt als Wille und Vorstellung, er viermal hintereinander durchlas, und zwar Ende 1854, als er Rheingold und Walküre bereits komponiert hatte. Seit Nietzsche gilt es als ausgemacht, daß die Beschäftigung mit Schopenhauer das Denken des Komponisten nachhaltig verändert habe. So wurde z. B. der Schluß der Götterdämmerung umgeschrieben und der sozialrevolutionäre Impetus wich einer resignativen, auf Erlösung setzenden Haltung. Vor allem aber wurde die Arbeit am Ring des Nibelungen für mehr als ein Jahrzehnt unterbrochen. Martin Gregor-Dellin hat die überzeugende These entwickelt, in den Schriften Wagners aus dieser Gärungs- und Umbruchszeit artikuliere sich eine Art verkappter Religion, eine sektiererische Gesinnung, in der ein philosophischer Dilettant, ein politischer Feuerkopf und ein neuerungssüchtiger Komponist zusammenfänden. Wagner hätte nicht nur beweisen wollen, daß seine Kompositionsmethode die bessere, modernere sei, daß sie den Erfordernissen der Artikulation entgegenkomme, psychologisch mehr leiste oder zum Verständnis des menschlichen Wesens beitragen könne, sondern daß sie unwillkürlich und unausweichlich aus einer Art Weltwillen hervorgehe, sich aus der menschlichen Natur ableite und mit der Erneuerung der Gesellschaft in innigstem Zusammenhang stehe.

Diese Behauptungen gäben ihm fortan das Recht, die Mitwelt vor die Frage zu stellen: Entweder ihr seid für das Gute und Wahre, für den Fortschritt der Menschheit, das Heil und die Menschenliebe oder was auch immer – dann seid ihr für mich. Oder ihr entscheidet euch gegen mich und mein Werk, dann seid ihr für das Schlechte in der Welt.268

Als Wagner die Arbeit am Ring wieder aufnahm, hatten sich sein Leben und seine Lebensumwelt erheblich geändert. 1872 arbeitete er an der Komposition des zweiten Aktes der Götterdämmerung; kurz zuvor war der Plan gefaßt worden, in Bayreuth ein Festspielhaus errichten zu lassen; das erforderliche Grundstück bekam er von der Stadt geschenkt. Der erste von bald allerorten entstehenden Wagnervereinen war gegründet worden, deren Mitglieder über Patronatsscheine, die zum Besuch der Aufführungen berechtigten,

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das Errichten des Festspielhauses und die Aufführung des Rings finanzieren sollten. Das inzwischen entstandene Deutsche Reich unter Kaiser Wilhelm I. war Wirklichkeit geworden, und der bayerische König Ludwig II., der das Festspiel-Unternehmen finanziell unterstützte, fürchtete eifersüchtig, Wagner würde sich fortan nach Preußen orientieren, zumal dieser für den Kaiser sogleich einen Kaisermarsch komponiert und in Berlin vor dem Hof dirigiert hatte. Der inzwischen auf die Sechzig zugehende Komponist hatte in der Götterdämmerung das älteste Stück Text aus der Tetralogie zu vertonen, das noch vor seinen Turbulenzen in den Revolutionsjahren entstanden war, vor der Schopenhauer-Lektüre und vor der in Oper und Drama niedergelegten neuen Opernkonzeption. Die Götterdämmerung ist daher in der Tat, wie schon 1898 Bernard Shaw geschrieben hat, eine im Grunde konventionelle Oper, mit einem klassischen Sopran-Tenor-Liebespaar im Zentrum (Brünnhilde und Siegfried), mit Intrige, Mord und Liebestod, mit einem finsteren Bösewicht (Hagen), sowie mit Duetten, Terzetten und Chorsätzen. Deshalb vertrat Shaw mit einer gewissen Berechtigung die Ansicht, daß nach Rheingold und Walküre die restliche Tetralogie vollständig hätte umgeschrieben werden müssen, wenn es Wagner um eine konzeptionell und ästhetisch geschlossene Gesamtgestalt des Rings gegangen wäre. Shaw bemängelte insbesondere das unbefriedigende Ende der Götterdämmerung, denn es erschiene doch einigermaßen rätselhaft, daß im Schlußbild der Oper die Götterburg Walhall sichtbar werde und mit den in ihr versammelten Göttern in Flammen aufginge, obwohl Götter in der gesamten Oper überhaupt nicht aufgetreten waren, die Götterdämmerung insofern sogar irreführend betitelt sei.269 Der Weltenbrand am Ende der Oper will auch nicht recht zu dem doch eigentlich glücklichen Umstand passen, daß der von Alberich verfluchte Ring wieder in den Rhein zurückfindet. Tatsächlich ist aus der Sicht des erzählten Göttermythos die Oper eigentlich überflüssig. Der Untergang der alten Welt ist schon in den vorherigen Teilen des Rings unmißverständlich klar geworden. Shaw bedauerte, daß Wagner die geniale Allegorie des Rheingold und der Walküre nicht dramaturgisch und inhaltlich zwingender fortgesetzt hatte und entschuldigte den Komponisten mit seinem Alter, mit seiner Unlust, ein so gewaltiges Werk, das ihn ein Vierteljahrhundert begleitet hatte, noch einmal zur Hälfte neu zu schreiben; er sah insbesondere, daß der kairos, der rechte Augenblick, für eine Revolution im gerade entstandenen Deutschen Reich definitiv vorüber war und

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eine adäquate Neufassung der Götterdämmerung ein Drama geworden wäre, das man dem zu erwartenden Bayreuther Publikum nie und nimmer hätte vorsetzen können. IV. Der Schluß der Götterdämmerung wurde insgesamt fünfmal neu konzipiert.270 Man hat das Bekenntnis der in den Freitod gehenden Brünnhilde zur Liebe in der vorletzten Fassung („selig in Lust und Leid // lässt – die Liebe nur sein!“271 ) als Schopenhauerische Resignation interpretiert und Carl Dahlhaus hat darauf hingewiesen, daß einer „Deutung des Ring im Sinne der Schopenhauerschen Metaphysik“ kaum Widerspruch zuteil wurde, „da sie zum Bilde des abgefallenen Revolutionärs paßte, das die Anhänger mit den Gegnern teilten.“272 Er hielt jedoch diese Interpretation für „brüchig“, schon deshalb, weil Siegfrieds und Brünnhildes Liebe „vor ihrer Verblendung und Verwirrung, Wirklichkeit gewesen“ sei und „daß sie es war, bedeutet ein Versprechen für die Zukunft.“273 Zu bedenken wäre aber freilich, daß Schopenhauer nicht nur der Autor eines resignativen philosophischen Systems, dessen Spuren sich im Ring vielleicht tatsächlich nur gewaltsam aufzeigen ließen, sondern der wichtigste Denker des 19. Jahrhunderts für die Sache der Musik gewesen ist; seine eigenartige Musikästhetik beeinflußte Wagner nachhaltiger als sein philosophischer Pessimismus. Schopenhauers Musikauffassung, um das hier noch einmal zu wiederholen, ging von einer Sonderstellung der Musik innerhalb des Kanons der Künste aus: [S]o ist die Musik, da sie die Ideen übergeht, auch von der erscheinenden Welt ganz unabhängig, ignoriert sie schlechthin, könnte gewissermaßen, auch wenn die Welt gar nicht wäre, doch bestehn: was von den andern Künsten sich nicht sagen läßt. Die Musik ist nämlich eine so unmittelbare Objektivation und [ein] Abbild des ganzen Willens, wie die Welt selbst es ist, ja wie die Ideen es sind, deren vervielfältigte Erscheinung die Welt der einzelnen Dinge ausmacht.274 Denn die Musik ist, wie gesagt, darin von allen andern Künsten verschieden, daß sie [. . .] unmittelbar Abbild des Willens selbst ist und also zu allem Physischen der Welt das Metaphysische, zu aller Erscheinung das Ding an sich darstellt. Man könnte demnach die Welt ebensowohl verkörperte Musik als verkörperten Willen nennen [. . .].275

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„Ersichtlich gewordene Thaten der Musik“

Musik

„Wille“        tritt   adäquates  in adäquates Abbild Abbild        die (Platonischen) „Ideen“    die intuitive philosophische Erkenntnis

Erscheinung

 

 „Welt“

Kunst

Wissenschaft

Erkenntnis





Philosophie

Abb. 2: Schematische Darstellung des Schopenhauerschen Systems.

Es mag zum besseren Verständnis des folgenden Gedankens helfen, sich das ,System‘ Schopenhauers anhand einer graphischen Skizze (Abb. 2) noch einmal klar zu machen. Wenn der Schopenhauersche „Wille“ in das, wie Schopenhauer sich ausdrückt, principium individuationis eingeht, wenn er, einfach gesagt, in der Welt ,in die Erscheinung tritt‘, nimmt er eine Art Umweg über die (Platonischen) Ideen. In ihnen objektiviert er sich vollständig und adäquat, sie sind daher gewissermaßen eine vollständige Welt für sich. Diesen Vorgang deuten in der Skizze die senkrechten Pfeile in der Mitte an. Kunst, Wissenschaft und Philosophie sind Angelegenheiten der Welt. Die Wissenschaft ist gewissermaßen auf das ,Gebiet‘ dieser Welt beschränkt, sie erforscht es im dauernden Bezug zum Satz vom Grunde. Nur Kunst und Philosophie ermöglichen transzendente Erkenntnis, was bei Schopenhauer heißt, Erkenntnis vom „Willen“; die Philosophie vermag das auf abstrakt-intellektuellem Weg, die Kunst auf intuitivem. Beide Erkenntnisweisen müssen dabei den umgekehrten Weg über die Ideen nehmen. Anders aber verhält es sich mit der Musik. Sie überspringt gewissermaßen die (Platonischen) Ideen und ist ihrerseits ein unmittelbares, vollständiges und adäquates Abbild des Willens. Deshalb kann Schopenhauer sie auch als eine Welt für sich verstehen, die existieren könnte, selbst wenn es die reale Welt nicht gäbe; „deshalb eben ist die Wirkung der Musik so sehr viel mächtiger und eindringlicher als die der anderen Künste: denn diese reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen.“276 Man erlebt also im Musikerlebnis den „Willen“ unmittelbar, ohne den Zwischenschritt

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der Ideen. Weder Kunst noch Philosophie vermögen das, und die Wissenschaften erst recht nicht. Man könnte nun aus Schopenhauers Sonderstellung der Musik einen Schluß ziehen, den er im obigen Zitat auch andeutet („Man könnte die Welt [. . .] verkörperte Musik [. . .] nennen“), wenn man den Weg des In-die-Erscheinung-Tretens des „Willens“ betrachtet: Die ,Gleichwertigkeit‘ der Musik, die ihn ebenso adäquat abbildet wie die Ideen und die deshalb, genau wie sie, eine eigene Welt für sich ausmacht, müßte es zumindest denkbar erscheinen lassen, daß der Weg des In-die-Welt-Tretens statt über die Ideen über die Musik verliefe. Dann ginge die Welt noch immer aus dem „Willen“, aber vermittelt über die Musik und nicht über die Ideen hervor, und Veränderungen dort führten zu entsprechenden Konsequenzen hier. Genau das hatte der englische Komponist und Theosoph Cyril Scott in seiner Musikgeschichte auch behauptet, und einen ähnlichen Schluß muß Wagner aus Schopenhauers Musikästhetik gezogen haben. 1870, unmittelbar vor der Aufnahme der Komposition der Götterdämmerung, entstand aus Anlaß des hundersten Geburtstags ein Aufsatz zu Beethoven, in dem Wagner sich intensiv mit Schopenhauers Musikphilosophie auseinandersetzte. Er referiert dessen „tiefsinnige Erklärung“, „i n d e r M u s i k a b e r s e l b s t e i n e I d e e d e r W e l t erkennen zu müssen, da Derjenige, welcher sie gänzlich in Begriffen verdeutlichen könne, sich zugleich eine die Welt erklärende Philosophie vorgeführt haben würde.“277 Diese „hypothetische Erklärung der Musik“ stelle Schopenhauer als „Paradoxon“ hin, da er „als Laie nicht mächtig“ genug gewesen sei, „jenes tiefste Geheimnis der Musik“ zu erschließen.278 Unter Berücksichtigung der Schopenhauerschen Erklärungen esoterischer Phänomene wie Hellsehen, Telepathie, Geistererscheinungen etc. in dessen Versuch über das Geistersehn und was damit zusammenhängt279 zieht Wagner das (hypothetische) Konstrukt eines „Traumorgans“ zur Erklärung schöpferischer Vorgänge heran und führt aus, es werde im Musiker „universeller Wille“ wach und seine „entzückende Hellsichtigkeit“ führe zu einem „Zustand der Begeisterung“, der ihn einem Heiligen annähere: „Denn seine Kunst verhält sich in Wahrheit zum Komplex aller Künste wie die R e l i g i o n zur K i r c h e.“280 Nach längeren Ausführungen zu Beethoven und seiner Musik fallen schließlich Sätze, die den Überlegungen in Oper und Drama, zwanzig Jahre früher geschrieben, diametral entgegen laufen: „Die Musik, welche nicht die in den Erscheinungen der Welt enthaltenen Ideen

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darstellt, dagegen selbst eine, und zwar eine umfassende Idee der Welt ist, schließt das Drama ganz von selbst in sich, da das Drama wiederum selbst die einzige der Musik adäquate Idee der Welt ausdrückt.“281 Zwei Jahre später, während der Arbeit an der Götterdämmerung, stehen in einem kleinen Aufsatz Über die Benennung „Musikdrama“ die oft zitierten Worte, er hätte seine „Dramen gerne als e r s i c h t l i c h g e w o r d e n e T h a t e n d e r M u s i k bezeichnet [. . .].“282 Kurz vorher wird das hierarchische Verhältnis ,Drama‘ zu ,Musik‘, einst (in Oper und Drama) als das von (überlegenem) ,Mann‘ und (ihm hingegebener) ,Frau‘ definiert, neu justiert. Die Musik faßt Wagner nun als „Mutterschooß“ auf und sie sei daher „weder vor, noch hinter das Drama zu stellen: sie ist nicht sein Nebenbuhler, sondern seine Mutter. Sie tönt, und was sie tönt, möget Ihr dort auf der Bühne erschauen [. . .].“283 Ähnlich hatte diese neue Einsicht bereits im Beethoven-Aufsatz anläßlich der Leonoren-Ouvertüre gelautet: „Wer wird dieses hinreißende Tonstück anhören, ohne nicht von der Überzeugung erfüllt zu werden, daß die Musik auch das vollkommenste D r a m a in sich schließe?“284 Hatte also Wagner in Oper und Drama geschrieben, die „M u s i k i s t e i n W e i b“285 und die herkömmliche Oper kritisiert, weil sie in ihrer italienischen Version „sehr treffend eine L u s t d i r n e“286 genannt zu werden verdiene, die französische Opernmusik „mit Recht als K o k o t t e“, die deutsche dagegen als „P r ü d e“287 gelten müsse; und forderte er damals von der Musik, ein liebendes, und das heißt, ein dienendes Weib zu sein, nämlich gegenüber dem Mann, dem Drama: So ist die Musik jetzt, zur Zeit, da die Götterdämmerung komponiert wurde, zwar immer noch ein Weib, aber ein gebärendes: Die Musik wird vom älter gewordenen Wagner in seinen späten Schriften als Mutter aufgefaßt, sie wird zum „Mutterschooß“, aus dem alles hervorgeht. V. Mit dieser vermutlich durch Schopenhauer verursachten neuen, metaphysischen Musikanschauung verändert sich Wagners Position in Richtung auf das Rein-Musikalische. Das bedeutet konkret für die Götterdämmerung, daß die kompositorische Bewältigung der Leitmotive, der, wie Wagner sich ausdrückt, „melodischen Momente“, der „Erinnerungs- und Ahnungsmotive“, zur Hauptsache wird, wäh-

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rend der Text und mit ihm die inhaltlichen Ungereimtheiten an Bedeutung verlieren. Äußerlich ist das daran zu erkennen, daß der Träger des leitmotivischen Beziehungszaubers, das Orchester, immer größere Anteile erhält, insbesondere an den dramatisch wichtigen Stellen, beim Tod Siegfrieds etwa oder demjenigen Brünnhildes. Die Anzahl der in der Götterdämmerung verarbeiteten Leitmotive übersteigt die der vorherigen Ring-Dramen bei weitem. In den bei Wagner-Aufführungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts beliebten Textbüchern mit am Rande vermerkten Leitmotiven sind für die drei Akte der Götterdämmerung 169 Motive aufgelistet (vgl. Abb. 3).288 Das für den gesamten Ring bedeutsamste Geschehen, der finale Untergang der Götter, der Weltenbrand am Ende des Werks, wird nur vom Orchester begleitet; er wird nicht mit handelnden und singenden Personen vorgeführt. Ähnlich war es zuvor nach dem Mord an Siegfried bei dem berühmten Trauermarsch, dem umfangreichsten Orchesterstück in der Götterdämmerung. Die reine Orchestermelodie aber zwingt gewissermaßen das Publikum, das Gewünschte zu imaginieren, weil sie ausschließlich aus semantisch determiniertem Material, eben aus dem Geflecht der Leitmotive, gefügt ist. Bernard Shaw und nach ihm viele andere bemängelten die Beliebigkeit bei der Wahl der Leitmotive am Schluß der Götterdämmerung, insbesondere das unerwartete Auftauchen eines Motivs aus der Walküre, das mit Sieglinde in Zusammenhang steht und zuletzt unmittelbar vor dem Schlußakkord erklingt (vgl. NB 9).

NB 9: Das „Erlösungs-Motiv“ aus dem 3. Aufzug von Wagners Götterdämmerung.

Es sei wie bei Rossini, meinte Shaw, der schon einmal eine Kirchenmusik mit einem Galopp beendet habe, und es handele sich bei diesem Motiv um die „wohlfeilste Phrase der ganzen Tetralogie“289 . Ganz anders dagegen sah es Ernst Bloch, der „die seligmachende Melodie in den letzten Takten“ der Götterdämmerung als „tönend dargestelltes Wunschland“ und als „Gegenland zum bombastischen Einzug in Walhall“ bewunderte.290 Das Motiv ist jedenfalls musika-

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Abb. 3: Die erste Seite der dem Textbuch der Götterdämmerung beigegebenen Notentafeln (Wagner (1913), nach S. 348).

lisch ungemein vielsagend gewählt. Wenn Musik der Mutterschoß ist, aus dem alles hervorquillt, wäre zu fragen, wo denn in Wagners Opern überhaupt Mütter vorkommen. Dies ist im Ring einzig und allein mit eben dieser Sieglinde der Fall, die am Ende der Walküre schwanger geht mit Siegfried und von Brünnhilde beschützt wird. Die dort erklingende, in der Wagnerliteratur unpassender-

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weise Erlösungs-Motiv genannte Melodiewendung – die treffender Mutter-Motiv genannt werden könnte –, ist es gerade, auf die der Schluß der Götterdämmerung musikalisch zurückgreift. Erinnert man sich hier an das Zitat aus dem Kunstwerk der Zukunft, wonach die Natur als nährende Mutter uns den antiken Menschen, den Hellenen, zum Vorbild geschenkt habe und an die Mutter- bzw. MutterschoßMetaphorik in den späten Aufsätzen zu Beethoven und zum Musikdrama, so ergibt sich die seltsame Gleichung gebärende Mutter = Natur = Musik. Mit neuer Mythologie oder mythisch-esoterischem Denken hat das wenig zu tun. Wohl aber mit der im Laufe seines Lebens zur Gewißheit gewordenen Einsicht, daß das, was er am besten konnte, nämlich Musik zu komponieren, auch das Wichtigere war. Denn im Grunde wird am Ende der Götterdämmerung musikalisch verschleiert, was man auf der Bühne sieht: Der triumphale Blechbläserklang, der in einer erhabenen plagalen Kadenz im Des-Dur-Dreiklang verklingt, zwingt ein Publikum zur Akklamation, obwohl doch gerade die in Bayreuth nicht nur in der ersten Aufführung vorzugsweise anwesenden Zuhörerinnen und Zuhörer, unter ihnen seinerzeit der deutsche Kaiser, gerade zu jener bürgerlich-adeligen Klasse gehörten, deren Untergang das Bühnengeschehen allegorisch vor Augen führt. Rund 100 Takte, vom Schlußakkord zurückgerechnet, ist kein Gesang mehr zu vernehmen; das Untergangsspektakel ist von Orchestermusik unterlegt, die in verklärtem Dur endet und in der außer Sieglindes Erlösungs-Motiv die zentralen Leitmotive aus dem Rheingold wiederkehren. In musikalischer Hinsicht wirkt das schlüssig und sinnvoll: Am Ende des Rheingolds wurde ebenfalls das WalhallMotiv intoniert, zum ersten Mal erklang dort das Schwert-Motiv, Wotans „großer Gedanke“291 , und in den Jubel der Götter beim Einzug in Walhall mischte sich die Klage der Rheintöchter. Die gleichen musikalischen Zutaten formen nun den Schluß der Götterdämmerung. Darüber hinaus beginnen und schließen Rheingold und Götterdämmerung, Anfangs- und Schlußteil der Tetralogie, in analogen Tonarten: Beide eröffnet das sogenannte Natur-Motiv, bei den Rheintöchtern im Rheingold in Es-Dur, bei den Nornen in der Götterdämmerung nach es-Moll verdüstert. Beide Musikdramen schließen in Des-Dur. Die musikalische Großform ist tonartlich und motivisch symmetrisch, also ringförmig angelegt. Wieder liegt ein imposantes Beispiel für eine kreisförmige musikalische Struktur vor. Die Logik des Dramas wird jedoch durch diese kreisförmige Struktur unterlaufen, denn die

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ganze Tetralogie ist chronologisch konzipiert, die Mehrzahl der handelnden Figuren, Götter, Riesen, Zwerge, Drachen und Menschen, sind am Ende tot. Das Verhältnis Drama zu Musik entspricht gewiß nicht dem von Mann und Frau, sondern eher dem von Dissonanz und Harmonie. Seine „H a r m o n i e der Töne“, das „eigentlichste Element der Musik“, war offenbar etwas, wie Wagner hellsichtig in seinem Beethoven-Aufsatz notierte, das „weder dem Raume noch der Zeit“ angehörte.292

Die Harmonie der Welt – Zur Wiederbelebung pythagoreischer Vorstellungen im 19. und 20. Jahrhundert I. ls uberzeugter ¨ Anhänger der Theosophie verfaßte der englische

A Komponist Cyril Scott eine Reihe von Büchern zu okkultisti-

schen Themen. In seiner Trilogie The Initiate („Der Eingeweihte“) beginnt der Schlußband mit folgenden Worten: In einer Zeit, da gewaltige, kosmische Veränderungen in den unsichtbaren Welten stattfinden – und diesen entsprechende Veränderungen und Umwälzungen auf der physischen Ebene –, haben mir die Meister der Weisheit nahe gelegt, diesen zweiten Folgeband zu »Der Eingeweihte« zu schreiben. Es ist ihre Absicht, einer verwirrten Menschheit Wissen und Erleuchtung zu geben, insbesondere jenen, die sich mit der höheren Esoterik beschäftigen und sich seit einiger Zeit Problemen gegenübergestellt sahen – und noch sehen –, die zu lösen sie nicht imstande sind.293

Am Ende des Buches und damit als Zielpunkt einer in drei Bänden geschilderten Entwicklung wird eine imaginäre Begegnung mit zwei tibetanischen Meistern geschildert; einen der beiden, Koot Hoomi, bezeichnete Scott als seinen persönlichen Guru und behauptete u. a. von ihm, er habe schon Beethoven zum Komponieren angeleitet. Jedenfalls handelt es sich bei Koot Hoomi um einen jener geheimnisvollen tibetanischen Meister, die Helena Blavatsky zur Gründung der Theosophischen Gesellschaft und zur Abfassung ihrer Schriften angeregt haben sollen. Es geht zunächst um ein Gespräch über Musik: Musik, eine sehr wichtige Kraft in der Evolution [. . .]. Schlechte Musik – schlechte Moral. Alte Musik – alte Gedanken und Mangel an Fortschritt. Kirchenmusik von heute, beispielsweise, was ist sie schon? [. . .] Lieder, die eine Beleidigung der musikalischen Intelligenz sind, aber der Gottheit sollen sie gefallen! Gregorianische Gesänge – gut, schön, erfreulich und malerisch; aber keine Wirkung auf die Auren der gegenwärtigen Generation; nie gedacht für das zwanzigste Jahrhundert. Etwas anderes ist erforderlich.294

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Dann hören die Initianden, der Icherzähler und ein Musiker, das Spiel des Meisters selbst: Von weit her hörte ich feine Orgeltöne, die vermischt waren mit dem Klang von Stimmen, so rein und ätherisch, als rührten sie von einem himmlischen Engelschor her, dessen sanfte Töne von einer leichten Abendbrise an meine Ohren getragen wurden. Die Musik war anders als alle Musik, die ich je zuvor gehört hatte; sie war zart, doch melodisch, süß, doch bar jeder sentimentalen Überladenheit, im einen Moment machtvoll und Ehrfurcht gebietend, im nächsten wieder weich und sanft wie die Liebkosung von Engelshand. »Mein Bruder Koot Hoomi spielt auf seiner Orgel . . ., und die Stimmen, die du hörst, sind jene der Gandharvas . . . Höre gut zu, und merke es dir, denn eines Tages wirst du solche Musik der Welt schenken« [. . .]. Die Musik hielt noch eine Zeit lang an, um dann allmählich zu verklingen, und wieder herrschte Stille. [. . .] Plötzlich nahm ich den süßen Duft verschiedener Blumen wahr, und dann, obwohl meine Augen geschlossen waren, erschienen die Gestalten zweier Wesen durch einen Schleier der feinsten und schönsten Farbtöne, die ich je gesehen hatte. Und in diesem Moment erkannte ich, dass ich Meister Koot Hoomi erblickte [. . .]. [Sein] christusähnliches Antlitz leuchtete auf in einem Lächeln, so unbeschreiblich liebevoll, dass es wie die Essenz jener Worte erschien, die er vor langer Zeit [. . .] gesprochen hatte: »Die Liebe, die ich für jeden von euch empfinde, das ist Gott. . .«295

Daraufhin offenbart Koot Hoomi seine Identität: Meister Koot Hoomi streckte uns seine Arme in liebevollem Willkommen entgegen, und in seinen Augen war ein Blick des Wiedererkennens, als wollten sie sagen: »Haben wir nicht schon früher einmal miteinander gesprochen?« Dann bewegten sich seine Lippen, und ich glaubte, ihn sagen zu hören: »Vor vielen Jahren in Griechenland, als ich Pythagoras war, wart ihr beide meine Schüler, und jetzt heiße ich euch abermals willkommen bei mir. Ihr, die ihr wünscht, der Menschheit zu dienen, sollt größere Kraft zum Dienen bekommen – du mit deiner Feder, und du [. . .] mit deiner Musik. Wir wollen einer leidenden und verwirrten Welt einige der antiken Weisen, Kranke zu heilen, zurückbringen; und eine davon ist die Heilung durch den Klang der Musik.«296

Was hier in eine Art Erlebnisbericht eines spirituellen Suchers gekleidet ist, popularisiert einige charakteristische Überzeugungen der Theosophie, so vor allem diejenige von der Existenz ,höher‘ entwickelter Meister, die die Menschheit seit Jahrtausenden fördernd

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und lenkend begleiten. Einer der wichtigsten und ältesten namentlich bekannten ,Meister‘ ist hierbei nach theosophischer Vorstellung Pythagoras, jener Gründer einer Bruderschaft in Unteritalien, der als Ahnvater der europäischen Wissenschaft gilt und mutmaßlich im sechsten vorchristlichen Jahrhundert gelebt hat. Jedes Schulkind lernt im Mathematikunterricht jenen Lehrsatz am rechtwinkligen Dreieck, der seinen Namen trägt; für Musiker ist seine Name verbunden mit den Begriffen pythagoreisches Komma und pythagoreische Stimmung: Jenes bezeichnet den Unterschied zwischen sieben aufeinander gestapelten Oktaven bzw. zwölf Quinten, ein Mikrointervall von der Größe eines Achteltons, dem der Bruch 524288 531441 entspricht und den die Pythagoreer als erste ermittelt haben sollen; als ,pythagoreisch‘ bezeichnet man eine auf reinen Quinten basierende Stimmung, die zu einem Tonsystem führt, dessen Intervalle sowohl gegenüber denen der Naturtonreihe wie denjenigen der gleichschwebenden Temperierung (geringfügig) abweichen. Da die pythagoreische Bruderschaft einerseits relativ elitär auftrat, andererseits ihr Wissen weitgehend geheim hielt, ging von ihr seit jeher auf alle an okkultistischen Phänomenen interessierte Menschen eine bemerkenswerte Faszination aus. Die meisten sich um Pythagoras rankenden Legenden stammen erst aus der Zeit des Neupythagoreismus, der mehrere Jahrhunderte nach dessen Tod im spätrömischen Reich florierte; einer der wichtigsten Neupythagoreer war Jamblichos von Chalkis, der von etwa 245 bis 325 n. Chr. gelebt und am Ende der griechisch geprägten Antike die umfangreichste, auf älteren, größtenteils nicht mehr erhaltenen Quellen gestützte Darstellung des Lebens Pythagoras’ und der Lehre der Pythagoreer verfaßt hat.297 Sie wird in der zünftigen Altertumsforschung ihres blumigen Stils und ihrer mitgeteilten Wunder wegen geringgeschätzt, aber es waren gerade diese Wunder, die Pythagoras’ esoterischen Nachruhm in der Theosophie begründeten: Zum Beispiel soll er laut Jamblichos die Fähigkeit besessen haben, mit Tieren zu reden, was ihm ermöglichte, eine gefährliche Bärin zu besänftigen und einen Stier zum Verzicht auf das Essen von Bohnen zu bewegen.298 Dieser Eigenschaft wegen sehen Theosophen in Franz von Assisi, der ebenfalls mit Tieren zu kommunizieren verstanden haben soll, eine spätere Wiedergeburt des Pythagoras’. Dem ganzen Mittelalter galt Pythagoras in erster Linie als ,Erfinder‘ der Musik, und in zahlreichen Musiktraktaten wird die berühmte Schmiedelegende erzählt, derzufolge er vom unterschiedlichen Klang mehrerer Hämmer, die

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er vernahm, als er einst an einer Schmiede vorbeikam, zu seinen elementaren akustischen Untersuchungen angeregt wurde, Experimente, die dann zu den ersten empirisch begründeten musikalischmathematischen Gesetzmäßigkeiten der europäischen Wissenschaft führten. Diese Schmiedelegende steht bei Jamblichos299 und fand von hier, bzw. von seinem Gewährsmann Nikomachos von Gerasa, einem Mathematiker, ihren Weg in den grundlegenden, nun lateinisch geschriebenen Musiktraktat des Boetius300 aus dem fünften Jahrhundert, auf dem alle weiteren Musiktheoretiker des Mittelalters fußen. Cyril Scott, als ,Schüler‘ Koot Hoomis, der in Wahrheit Pythagoras ist, stellt sich mithin in einen bis in die älteste antike Zeit zurückreichenden musik- und kulturgeschichtlichen, auf pythagoreischer Tradition beruhenden Kontext. In der wissenschaftlichen Erforschung der antiken Musiktheorie, die im wesentlichen eine Leistung der Pythagoreer war, findet allerdings diese esoterische Beschlagnahmung seitens der Theosophie keinerlei Beachtung oder auch nur Erwähnung. II. Während im ganzen Mittelalter und auch noch während der Renaissance die meisten Musiktheoretiker auf den von den Pythagoreern gewiesenen Pfaden wandelten, setzte mit Vincenzo Galilei, dem Vater des Astronomen, vor allem aber mit Johann Mattheson, dem fruchtbarsten Musikschriftsteller der Bachzeit, ein Umdenken ein, das einem anderen antiken Musiktheoretiker, nämlich dem Aristoteles-Schüler Aristoxenos von Tarent (4. Jahrhundert v. Chr.) und seiner Musiktheorie den Vorzug gab. Im Unterschied zu Pythagoras haben sich unter den 453 Büchern, die Aristoxenos verfaßt haben soll (die allerdings schon in der Antike größtenteils verloren gingen), zwei Traktate zur Musik erhalten, die heute als die ältesten antiken Quellen zu diesem Thema angesehen werden.301 Aristoxenos definierte Intervalle pragmatisch als Größen, die man, wie geometrische Längen, additiv aneinander fügen oder voneinander abziehen könne. Dies ist mathematisch offenkundig inkorrekt, dafür aber anschaulich und praktisch zu handhaben; er liefert eine einfache Definition des Ganztons, den er nämlich als Rest einer Subtraktion der Quarte von einer Quinte begreift. Schon in der Antike schieden sich die Geister in Pythagoreer und Aristoxener; heute setzen Musikforschung und Altphilologie, wie die Darstellungen bei Albrecht

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Riethmüller und Andrew Barker zeigen, ganz auf Aristoxenos,302 und nur ein einziger Außenseiter, der weder Musikwissenschaftler noch Mathematiker noch Altphilologe ist, nämlich der Kultur- und Medienwissenschaftler Friedrich Kittler, verteidigt noch voller Emphase die Pythagoreer303 und lehnt Aristoxenos als „Totengräber“ antiker Harmonik, als „Irren“, ja als „historisches Verhängnis“304 radikal ab: „Es gibt Musik nicht mehr, um Liebe zu erregen, Götter anzurufen und eine ganze Nacht lang durchzutanzen. Es gibt Musik nicht mehr, um in das Wunderreich der Zahlen einzuführen. Sie wird zur Einzelwissenschaft, die endlos leer um einen ungedachten Ganzton kreist.“305 Dort, wo die wissenschaftlichen Leistungen der Pythagoreer sine ira et studio untersucht wurden, standen neben ihren eminenten Beiträgen zur Entwicklung der Mathematik drei musiktheoretische Aspekte im Vordergrund: 1. ihre auf Teilungsverfahren beruhende Gewinnung eines Musiksystems, veranschaulicht im Symbol der Tetraktys, 2. ihre Vorstellung von der Sphärenharmonie und 3. ihr ,geheimes Wissen‘, symbolisiert im rätselhaften Lambdoma. III. Mit den Pythagoreern ist „die Ausbildung eines Lehrsystems verbunden, das, an geschichtlicher Wirkung und Dauerhaftigkeit unübertroffen, die Musiktheorie auf europäischem Boden wesentlich bestimmt hat.“306 Offenbar befaßte sich die pythagoreische Musiktheorie intensiv mit der Messung von Saiten; ob dabei, wie es die Legende will, von Anfang an Monochorde als Experimentiergeräte zum Einsatz kamen, ist heute nicht mehr mit Sicherheit zu ermitteln. Auf einem Monochord kommt das Prinzip der Saitenteilung zur Anwendung: Ausgehend von einer in ganzer Länge schwingenden Saite werden Saitenverkürzungen durch Unterstellen eines Steges an verschiedenen Stellen bewirkt. Man kann so beispielsweise einer Saite bei dreiviertel ihrer Länge einen Steg unterstellen; das größere der beiden auf diese Weise abgeteilten Saitenstücke mit 34 -Länge der ursprünglichen Saite erklingt dann als höhere Quarte, bezogen auf den Ton der ganzen Saite; das kleinere Saitenstück mit 14 -Länge der ursprünglichen Saite ergibt im Verhältnis zur ganzen deren obere Doppeloktave. Frieder Zaminer hat nun aber darauf hingewiesen, daß Pythagoras anders, nämlich mit Saitenverlängerungen operiert haben muß, „wie die wohl von ihm geprägte Terminologie unmiß-

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verständlich verrät“307 . Denn die griechischen Termini, mit denen [epitriman Intervalle bezeichnete, lauteten beispielsweise ton], „ein Ganzes und ein Drittel“ für die Quarte (4 : 3 = 43 = 1 + 13 ) [epogdoon], „ein Ganzes und ein Achtel“ für den oder Ganzton (9 : 8 = 98 = 1 + 18 ), eine Formulierung, die im Zusam[epogdoos menhang mit dem Wort für Zins, also tokos] 12,5% Zins bedeutete, nämlich das Kapital (1) und 18 davon (= 12,5%) als Zins dazu. Entsprechend hieß die Oktave einfach [diplasion]) und die Quinte ,Anderthalb‘ ,das Doppelte‘ ( [h¯emiolion]). Bei der Saitenverlängerung war also der Aus( gangston – wenn man so will, der Grundton – anders als heute, der höherklingende, durch die Verlängerung der Saite werden die gebildeten Intervalle zu tieferen Tönen, was im Einklang mit der Tatsache steht, daß die Antike ihre Tonleitern von oben her konzipierte. „Ist das Einheitsstück abgegrenzt, werden die jeweils ,hinzukommenden‘ Teilstücke der Reihe nach markiert: ,ein Drittel dazu‘ (um eine Quarte tiefer klingend), ,die Hälfte dazu‘ (um eine Quinte tiefer) und ,das Doppelte‘ (eine Oktave tiefer).“308 Erst beim Übergang zur Betrachtung von Intervallen, entstanden aus Saitenteilungen, wie es offenbar von Hippasos von Metapont, einem Pythagoreer der zweiten Generation (frühes 5. Jahrhundert v. Chr.), eingeführt und von Archytas von Tarent, dem mit Platon befreundeten Pythagoreer (4. Jahrhundert v. Chr.), gelehrt wurde, bekamen bestimmte Arten der Teilung einen besonderen Stellenwert. So heißt es beispielsweise in einem Textfragment des Archytas (Diels/Kranz 47 B 2):

Es gibt aber drei Proportionen in der Musik: einmal die arithmetische, zweitens die geometrische, drittens die entgegengesetzte, sogenannte harmonische.309

Die drei unterschiedlichen Weisen, eine ,Mitte‘ zu bilden, werden dann ausführlich beschrieben: Die arithmetische [Proportion liegt vor], wenn drei Zahlbegriffe analog folgende Differenz aufweisen: um wieviel der erste den zweiten übertrifft, um soviel übertrifft der zweite den dritten. Und bei dieser Analogie trifft es sich, daß das Verhältnis der größeren Zahlbegriffe kleiner, das der kleineren größer ist. Die geometrische: wenn der erste Begriff zum zweiten, wie der zweite zum dritten sich verhält. Die größeren von ihnen haben das gleiche Verhältnis wie die geringeren. Die

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entgegengesetzte, sogenannte harmonische Proportion, wenn sich die Begriffe so verhalten: um den wievielten Teil der eigenen Größe der erste Begriff den zweiten übertrifft, um diesen Teil des dritten übertrifft der Mittelbegriff den dritten. Bei dieser Analogie ist das Verhältnis der größeren Begriffe größer, das der kleineren kleiner.310

In heutiger Ausdrucksweise lassen sich das arithmetische, geometrische und harmonische Mittel folgendermaßen definieren: Das arithmetische Mittel zweier Zahlen a und b ist a+b 2 . Wählt man als Beispiel = 9; für a = 6 und b = 12, ergibt sich als arithmetisches Mittel 6+12 2 die drei Zahlen 6, 9, 12 gilt dann: 9 übertrifft 6 um so viel, wie 12 9 Mittel die 9 übertrifft (nämlich um 3), und 12 9 < 6 . Das geometrische √ zweier (positiver) Zahlen a und b wird definiert als a · b. Wählt man √ etwa a = 3 und b = 12 ergibt sich 3 · 12 = 6 und für die drei Zahlen 6 . Das harmonische Mittel zweier Zahlen a und b 3, 6, 12 gilt: 36 = 12 schließlich wird definiert als 2 : ( 1a + 1b ). Wählt man hier für a = 6, für 1 ) = 8, und b = 12, ergibt sich das harmonische Mittel zu 2 : ( 16 + 12 von den Zahlen 6, 8, 12 gilt, wie Archytas schreibt, daß 8 die 6 um 2 übertrifft, also um ein Drittel von 6; ein Drittel von 12 ist 4, und um 8 dieses Drittel übertrifft 12 die 8; außerdem gilt 12 8 > 6. Überträgt man das Ganze auf die Musik und auf Saitenteilungen, und nimmt man beispielsweise die Länge einer Saite zu 12 Einheiten an, sieht man, daß die Oktave einer Halbierung entspricht, also einer Saitenlänge von 6 Einheiten, die Quinte, 3 : 2, einer Saitenlänge von acht, die Quarte, 4 : 3, einer von neun Einheiten. Man hat mithin 12 12 6 8 9 für die ganze Saite, 12 für die Oktave, 12 für die Quinte und 12 für die Quarte. Da der Nenner immer der gleiche ist, reicht es, die Zahlen im Zähler miteinander zu vergleichen: 6, 8, 9, 12. Dabei entspricht, wie oben bereits gezeigt wurde, 6, 9, 12 einer arithmetischen, dagegen 6, 8, 12 einer harmonischen Teilung; 6 und 12 sind Teil einer geometrischen Teilung, wie deutlich wird, wenn man die Oktavierung fortsetzt, also die halbe Saite der Länge 6 noch einmal halbiert (3, 6, 12). Den drei Teilungen entsprechen folglich die drei fundamentalen, vollkommenen Konsonanzen Oktave, Quinte und Quarte. Das Quadrupel 6, 8, 9, 12 wird auch als Tetraktys bezeichnet; es umschreibt die drei vollkommenen Konsonanzen der Oktave, Quinte und Quarte, die sich auch als die Proportionen 2 : 1, 3 : 2 und 4 : 3 schreiben ließen; mit gleichem Recht können daher auch die ersten vier ganzen Zahlen 1, 2, 3, 4 als Tetraktys aufgefaßt werden. Ihre Summe bildet gerade zehn, die grundlegende Zahl unseres (und des griechischen)

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Zahlensystems. Man lasse sich nicht von der umständlichen Schreibweise der Zahlen bei den Griechen und noch mehr bei den Römern darüber täuschen, daß beim praktischen Rechnen, etwa mithilfe des Abakus oder der sogenannten Fingerzahlen, bereits seinerzeit das dekadische Stellensystem zur Anwendung kam.311 Man kann diese vier Zahlen auch in einem Schema anordnen, das zeigt, daß 10 eine sogenannte Dreieckszahl ist (Abb. 4); mit derartigen Dreieckszahlen wie 3, 6, 10, 15, 21 etc. haben die Pythagoreer viel gerechnet.312





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Abb. 4: Die pythagoreische Tetraktys als Dreieckszahl.

IV. Die Tetraktys, die ersten vier ganzen Zahlen 1, 2, 3, 4 und die ihnen entsprechenden fundamentalen Intervalle Oktave, Quinte und Quarte, veranschaulicht im Zahlenquadrupel 6, 8, 9, 12, das arithmetisches, geometrisches und harmonisches Mittel in sich vereint, begründete für die Pythagoreer sowohl das System der Zahlen wie das der Töne; darüber hinaus verbanden sie diese beiden Systeme mit der Astronomie und schufen dadurch die Idee einer Harmonie der Welt, die zu einer der wirkungsmächtigsten Metaphern des Abendlandes überhaupt wurde. Erst von hier aus wird die ganze Bedeutungstiefe der pythagoreischen Eidesformel offenbar, in der die Tetraktys als Quelle und Wurzel der ewigen Natur dargestellt wird. Allerdings ermöglichen die überlieferten Texte kein genaues Bild antiker, die Sphärenharmonie betreffender Vorstellungen. Zaminer hat erwogen, daß Pythagoras selbst die Verhältnisse des ältesten griechischen Tonsystems auf die Anordnung der Planetenbahnen übertragen hat, vielleicht, aufgrund seiner zumindest legendenhaft überlieferten mehrjährigen Reisen nach Ägypten und Babylonien, als eine Idee, die sich „im Sinne der damaligen Zeit als Mythos, möglicherweise sogar als Schöpfungsmythos nach altiranischem Vorbild, hier aber in einmaliger Weise verknüpft mit der Vorstellung von ,genau passenden‘ Bau-

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teilen“ manifestierte.313 Die griechische Bezeichnung der Tonnamen [n¯et¯e] hieß leitete sich von den Namen der Saiten einer Leier her; [mes¯e] die mittlere, [hypat¯e] die oberste die unterste Saite, Saite.314 Hiernach würde von einem Ausgangston n¯et¯e, dem die Entfernung Erde-Mond entspräche, durch einfache Oktavierung (mes¯e = Sonne) und zweifache Oktavierung (hypat¯e = Saturn) der klassische Doppeloktavenrahmen abgesteckt, in dem eingefügte Quinten und Quarten der Position der restlichen Himmelskörper, also Merkur, Venus in der unteren bzw. Mars und Jupiter in der oberen Oktave entsprächen.315 Problematisch ist hieran von vorneherein, daß die Anordnung der Himmelskörper in antiken Überlieferungen uneinheitlich ist; die nach orientalischen Bezeichnungen mit den Namen von Göttern benannten fünf Planeten Venus, Merkur, Mars, Jupiter und Saturn, ergänzt um Sonne und Mond, wurden in der Regel so angeordnet, daß der entfernteste Planet, Saturn, als langsamster den tiefsten Ton, der Mond, als schnellster, den höchsten ergab und die Sonne in der Mitte angeordnet erschien. Voneinander abweichend in den Quellen war jedoch die Position von Merkur und Venus. Ferner hatte wenig später Hippasos gezeigt, daß innerhalb einer Doppeloktave, im sogenannten ,vollkommenen harmonischen System‘, nur fünf ,reine‘ Konsonanzen vorkämen, nämlich Quarte, Quinte, Oktave, Duodezime und Doppeloktave: „Damit fehlte die Analogie zur Siebenzahl der Planeten. Auch fehlten die symmetrischen Verhältnisse innerhalb der Oktave und innerhalb des Zweioktavenraums.“316 So wurden denn auch in anderen antiken Systemen nicht die Konsonanzen, sondern einfach die sieben Stufen der Tonleiter mit den sieben Himmelskörpern assoziiert (zum Beispiel bei dem Neupythagoreer Nikomachos von Gerasa). Einen ungewöhnlichen Ausweg suchte im ausgehenden vierten Jahrhundert v. Chr. der Pythagoreer Philolaos, von dem freilich van der Waerden meinte, er sei „kein echter Mathematiker und kein logisch denkender Mensch“, gewesen, „sondern ein Wirrkopf.“317 Aristoteles hat dessen System, das ihm allerdings nicht einleuchtet, als das der Pythagoreer in seiner Schrift Vom Himmel (II, 3) überliefert. Philolaos entwarf hiernach als einer der wenigen Autoren der Antike eine Kosmologie, in der nicht die Erde im Zentrum stand, sondern ein sogenanntes ,Zentralfeuer‘, eine Art hypothetisches Zentrum des Kosmos, um das sich Erde und Himmelskörper drehten. Da sich die Erde beim Umlauf um dieses Zentralfeuer ihrerseits gegenläufig um ihre eigene Achse drehe, könnten die Erdbewohner das Zentralfeuer nicht sehen, da sie

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alle auf der von ihm abgewandten Seite lebten. Ebenfalls aus demselben Grund unsichtbar bliebe ihnen ein zwischen der Erde und dem Zentralfeuer kreisender Himmelskörper, die sogenannte Gegenerde. Fünf Planeten, Sonne und Mond drehten sich außerhalb der Erdbahn um das Zentralfeuer, ganz außen sei die Sphäre der Fixsterne. Auf diese Weise ergab sich ein System aus zehn um das Zentralfeuer kreisenden Gebilden, nämlich Gegenerde, Erde, Mond, Sonne, fünf Planeten und die Fixsterne, entsprechend der den Pythagoreern als Summe der Tetraktys so wichtigen Zehnzahl. Philolaos nahm zudem einen kugelförmigen Aufbau des gesamten Kosmos an. Am stärksten gewirkt haben aber wohl die Darstellung Platons in seinem Timaios und der Bericht des Jamblichos. Platons Kosmologie, einem Pythagoreer namens Timaios in den Mund gelegt, beruht nach van der Waerden auf zwölf Merkmalen: 1. Der Kosmos ist ein lebendes, beseeltes Wesen. 2. Der Kosmos ist ein geordnetes Ganzes, in dem jeder Teil seine Aufgabe zu erfüllen hat. 3. Dieses Ganze wird von mathematischen Gesetzen beherrscht. 4. Die Erde ist kugelförmig. 5. Sie schwebt frei in der Mitte. 6. Der ganze Himmel dreht sich nach rechts um eine Achse, die durch die Erde hindurchgeht. 7. Die Sonne, der Mond und die Planeten drehen sich außerdem nach links in Kreisen, die zum Kreis der ersten, allen gemeinsamen Bewegung schief liegen [. . .], aber von dieser Bewegung mitgenommen werden. 8. Sie haben verschiedene Entfernungen von der Erde. 9. Ihre Reihenfolge ist von der Erde aus: Mond Sonne Venus Merkur Jupiter Saturn; dann kommen die Fixsterne. 10. Ihre Umlaufszeiten verhalten sich wie ganze Zahlen. 11. Es gibt ein gemeinsames Vielfaches aller Umlaufszeiten, das ,große Jahr‘, nach dessen Ablauf alle Planeten wieder genau an derselben Stelle stehen. 12. Jeder von ihnen erzeugt bei der Bewegung einen Ton, und diese Töne bilden eine Harmonie (d. h. eine wohlgeordnete Tonleiter).318

Nach Jamblichos soll Pythagoras in der Lage gewesen sein, die durch den Umlauf der Himmelskörper hervorgebrachte ,Harmonie‘ direkt zu hören. Seinen Anhängern habe er, quasi als Ersatz, die Musik geschenkt: [F]ür seine Gefährten stellte er sinnvoll die sogenannten Zurüstungsund Zurechtweisungsmusiken zusammen, indem er mit dem Geschick eines Daimons Mischungen diatonischer, chromatischer und enharmonischer Weisen ersann, durch die er die Affekte der Seele leicht umkehren und ins Gegenteil verwandeln konnte [. . .]. Abends, wenn seine Jünger schlafen gingen, befreite er sie von dem verwirrenden Nachhall des Tages [. . .]. Beim Aufstehen befreite er sie von der

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Schlaftrunkenheit, Schlaffheit und Benommenheit durch bestimmte eigentümliche Gesänge und Melismen, die in ungemischter Besetzung – also entweder nur auf der Lyra oder rein vokal – ausgeführt wurden. Für sich selbst brachte Pythagoras derartige Wirkungen freilich nicht mehr auf solche Weise – durch Instrumente oder mit Hilfe der Stimme – hervor, vielmehr richtete er kraft eines unsagbaren und schwer vorzustellenden göttlichen Vermögens sein Gehör und seinen Geist fest auf das erhabene Zusammenklingen der Welt. Dabei hörte und verstand er – wie er erklärte – ganz allein die gesamte Harmonie und den Wettgesang der Sphären und der Gestirne, die sich darin bewegen. Diese Harmonie ergab eine vollkommenere und erfülltere Musik als die irdische, denn aus ungleichen und sich mannigfach unterscheidenden Geschwindigkeiten, Tonstärken und Schwingungsdauern von Klängen, die aber doch in einer klaren, überaus musikalischen Proportion aufeinander abgestimmt sind, werden Bewegung und Umlauf zugleich überaus wohlklingend und in ihrer Farbigkeit unaussprechlich schön gestaltet. Von dieser Musik ließ er sich gleichsam durchtränken, ordnete seinen Geist in diesen reinen Verhältnissen und übte ihn darin – wie ein Athlet seinen Körper trainiert. Davon gedachte er seinen Jüngern, so gut es ging, Abbilder zu geben, indem er die Sphärenmusik auf Instrumenten und durch die bloße Stimme nachahmte. Glaubte er doch, ihm allein unter allen Irdischen seien die Weltraumklänge verständlich und hörbar, und er hielt sich für würdig, unmittelbar an der natürlichen Quelle und Wurzel etwas zu lernen [. . .].319

Diese Vorstellung einer Harmonie der Sphären beflügelte für Jahrtausende Dichter, Philosophen und Naturforscher. Heinz Schavernoch ist der Geschichte dieser Idee an Beispielen von Platon bis Heisenberg nachgegangen; es mag hier genügen, an E. T. A. Hoffmann zu erinnern, der, wie im ersten Kapitel dargestellt wurde, am Kurischen Haff in Ostpreußen „in stillen Nächten bei mäßigem Winde deutlich lang gehaltene Töne hörte“ (vgl. S. 55), die ihm seine jugendliche Lektüre von Ciceros Traum des Scipio (Somnium Scipionis, aus dessen De re publica) in Erinnerung riefen, eine der wirkungsmächtigsten Darstellungen der antiken Sphärenharmonie, die, was Hoffmann gewußt haben könnte, seinen Lieblingskomponisten Mozart 1772 zu einer Serenata Il sogno di Scipione (KV 126) auf ein Libretto Metastasios inspiriert hatte. Bei Cicero waren es acht um die Erde kreisende Himmelskörper, zwischen denen sieben Zwischenräume zu sieben eine Tonleiter bildenden Intervallen führten, wobei (umgekehrt zu Pythagoras) der nächstliegende Mond den tiefsten, der am

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weitesten entfernte Saturn den höchsten Ton verursachte.320 Ebenfalls erwähnt wurde bereits der christliche Naturforscher Schubert (vgl. S. 54), Hoffmanns Gewährsmann, der vermutet hatte, es seien, bei einer andern Zusammensetzung der Atmosphäre, in fernen Urzeiten die Sphärenharmonien der Planeten vielleicht tatsächlich auf Erden hörbar gewesen. Hingewiesen sei auf die drei großen Dichter Dante, Shakespeare und Goethe, die alle der Idee der Sphärenharmonie zugetan waren: Goethe schreibt im Prolog des Faust „Die Sonne tönt nach alter Weise // In Brudersphären Wettgesang“, Shakespeare läßt im Kaufmann von Venedig am Beginn des fünften Aufzugs Lorenzo (in der Übersetzung August Wilhelm Schlegels) sagen: Wie süß das Mondlicht auf dem Hügel schläft! Hier sitzen wir und lassen die Musik Zum Ohre schlüpfen; sanfte Still’ und Nacht, Sie werden Tasten süßer Harmonie. Komm, Jessica! Sieh, wie die Himmelsflur, Ist eingelegt mit Scheiben lichten Goldes! Auch nicht der kleinste Kreis, den du da siehst, Der nicht im Schwunge wie ein Engel singt, Zum Chor der hellgeaugten Cherubim. So voller Harmonie sind ew’ge Geister: Nur wir, weil dies hinfäll’ge Kleid von Staub Ihn grob umhüllt, wir können sie nicht hören.321

In Dantes Göttlicher Komödie findet man zunächst die für christlich geprägte Texte typische Kombination aus pythagoreischer Zehnzahl und Trinität mithilfe der Formel 3 · 3 + 1 = 10; der Dreizahl verpflichtet sind der Versaufbau in Terzinen sowie die Dreiteilung des Gesamtwerks in dreimal 33 Gesänge. Schavernoch schreibt dazu: Die Hölle hat mit der Vorhölle dreimal drei Stufen, der Läuterungsberg mit dem Vorpurgatorium neun Simse und das himmlische Paradies dreimal drei Sphären. Die Summe der heiligen pythagoreischen Tetraktys, zehn, schließt die Stufen und Simse und Sphären ab: in der Hölle als Höllenmitte mit dem Urbösen Luzifer, am Läuterungsberg mit dem irdischen Paradies und im himmlischen Paradies als das Empyreum, der Ort Gottes.322

Im 30. Gesang des Läuterungsberges, im Erlösungswald des irdischen Paradieses, begegnet Dante Beatrice und hört erstmals den Gesang der Engel: „So war ich ohne Seufzer, ohne Tränen, // Bevor ich jene singen hört’, die immer // Gemäß dem Ton der ewigen Kreise

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singen.“323 Beim Aufstieg ins himmlische Paradies vernimmt Dante schließlich die Sphärenharmonie Gottes: Als mich das Rad, das du in Ewigkeiten, Ersehnter, dort bewegst, ergriffen hatte Mit seinem Wohllaut, den du selber anstimmst, Erschien mir soviel von dem Himmel, glühend Im Licht der Sonne, daß nicht Fluß noch Regen Von solcher Größe einen See geschaffen. Des Klanges Schönheit und das große Leuchten Entflammten mich mit Sehnsucht nach dem Grunde, Wie ich sie nie mit solcher Schärfe fühlte.324

Athanasius Kircher, dessen Frontispiz zur Musurgia universalis (vgl. Abb. 1 auf S. 31) im ersten Kapitel untersucht wurde im Blick auf einen dort abgebildeten vier mal neunstimmigen Engelskanon, beschließt sein Werk mit einem Corollarium in Gestalt eines Gebetes, in dem sich folgende Worte finden: „O magne rerum Harmo[ni]a, qui omnia in numero, pondere & mensura disponis; dispone animæ meæ ennearchordon iuxta diuinæ voluntatis tuæ beneplacitum“ (,O großer Einklang der Dinge, der Du alles nach Zahl, Gewicht und Maß ordnest; ordne auch die neunsaitige Harfe meiner Seele zum Wohlgefallen Deines göttlichen Willens‘).325 Besonderes Interesse unter den mehr als hundert Autoren, die Schavernoch im Zusammenhang mit der Idee der Sphärenharmonie behandelt, verdient Cusanus (Nikolaus von Kues, 1401–1464), bei dem sich neben der pythagoreischen Vierheit, dem „quaternar“, die eigenartige Vorstellung findet, Gott selbst sei Harmonie; das Wort harmonia wird von ihm unter Rückgriff auf seine alte Bedeutung im Griechischen als Vereinigung von Gegensätzen verstanden, wie ja auch in der antiken Mythologie Harmonia als Tochter des Ares und der Aphrodite, des Gottes des Krieges und der Göttin der Liebe, angesehen wurde. Die Vereinigung der Gegensätze heißt bei Cusanus coincidentia oppositorum. Die Vorstellungen des Philolaos und anderer antiker Autoren aufgreifend entwickelte Cusanus ein Weltbild, bei dem das Universum als unendliche Kugel gedacht ist, als „die einzige vollkommene Kugel, die es wirklich gibt“, mit Gott zugleich im Mittelpunkt wie als unendlicher Umfang von allem.326 Diese paradoxe Metapher ähnelt einem bis in die Antike zurückreichenden Topos, der das Harmonische im Dissonanten, Eintracht in der Zwietracht (concordia discors) zusammendenkt, ein Bild, wie es Jahrhun-

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derte später Schopenhauer zur Beschreibung der Musik Beethovens erneut benutzt hat (vgl. S. 15). V. Eine Ausnahmeerscheinung in der Geschichte der Harmonie der Welt bildet der Astronom und Mathematiker Johannes Kepler (1571– 1630), der für den Pythagoreischen Harmonikalismus des 19. und 20. Jahrhunderts, von dem der nächste Abschnitt handeln wird, zu einer Art Hausheiligem geworden ist. Schlägt man in älteren oder neueren Lexika, etwa der Encyclopædia Britannica, den Kepler-Artikel auf, findet man in der Regel eine mehr oder minder ausführliche Würdigung seiner astronomischen, physikalischen und mathematischen Leistungen. Gestützt auf das seinerzeit noch durchaus umstrittene, von den Kirchen angefeindete kopernikanische Weltbild, wonach nicht die Erde, sondern die Sonne im Mittelpunkt unseres Kosmos stünde, fand Kepler die drei nach ihm benannten Planetengesetze, deren erstes besagt, daß die Umlaufbahnen der Planeten nicht Kreise, sondern Ellipsen beschreiben; daß sie dabei nicht gleichförmig, sondern mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durchs All fliegen, aber so (zweites Keplersches Gesetz), daß die Verbindungslinie zwischen Sonne und Planet in gleichen Zeiträumen gleiche Flächen überstreicht; und daß drittens die Quadrate der Umlaufszeiten zweier Planeten sich wie die dritten Potenzen ihrer mittleren Entfernung von der Sonne verhalten. Hingewiesen wird dann meist auf Keplers weitere Leistungen in der Optik (Theorie der Linsen), auf seine Entdeckung zahlreicher Archimedischer Körper, auf seine Untersuchungen der Struktur von Schneeflocken und Kristallen, auf seine Erfindung einer wartungsfreien Pumpe usw. Eher selten findet man den Hinweis, daß namentlich das dritte seiner Planetengesetze in einem Musikbuch veröffentlicht wurde, nämlich in seiner Harmonice mundi (1619), in der es ihm darum ging, die pythagoreische Tradition einer Harmonie der Welt mit neuzeitlichen wissenschaftlichen Methoden und Entdeckungen in Übereinstimmung zu bringen. Keplers ,Planetenmusik‘, von der die Harmonice mundi in ihrem fünften Buch handelt, ist häufig mißverstanden worden, weshalb es nun nötig ist, etwas weiter auszuholen. Kepler war wegen seiner schwachen Augen nicht selbst in der Lage, Himmelsbeobachtungen durchzuführen und mußte sich daher auf die Beobachtungsdaten Tycho Brahes, des genauesten Astrono-

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men seiner Zeit, dessen Assistent er zeitweilig war, verlassen. Es gehört zur Ironie der Geschichte, daß ausgerechnet der schlecht sehende Kepler eine ausgesprochen geniale visuelle Anschauungskraft besaß. Die Harmonice mundi ist voller veranschaulichender Abbildungen von bemerkenswerter suggestiver Kraft. In dem der Musik gewidmeten dritten Buch setzt er sich eingangs mit der Musiktheorie der Pythagoreer auseinander – „Excursus de Tetracty Pythagorico“327 – und erklärt, seine Darstellung sei „contra veteres“, gegen die Alten, gerichtet. Das, wogegen er sich wandte, war das im Laufe der Zeit in den Vordergrund getretene arithmetische Element in der Behandlung musiktheoretischer Fragen. Die rationalen Zahlen, die allen Proportionalitäts-Überlegungen zugrunde liegen, versagten bereits bei einfachen Sachverhalten, wie etwa bei der Aufgabe, die Proportion zu bestimmen, die die Länge der Diagonale eines Quadrats zu dessen Seitenlänge besitzt. Kepler bevorzugte stattdessen geometrische Lösungen, denn der Geometrie machten Gebilde √ wie 2 oder π keine Schwierigkeiten. Größen, die geometrisch mit Lineal und Zirkel konstruierbar sind, nannte Kepler ,wißbar‘ (scibilis). Besonders eine geometrisch leicht zugängliche Größe interessierte ihn, seit der italienische Mathematiker Luca Pacioli 1509 einen Traktat darüber verfaßt hatte, und das war, gegenüber der arithmetischen, geometrischen und harmonischen, eine vierte Art der Teilung einer gegebenen Strecke, nämlich die Divina Proportione (wie der Titel der Paciolischen Schrift hieß), die ,Göttliche Proportion‘, heute unter dem Namen ,Goldener Schnitt‘ bekannt.328 Der Goldene Schnitt, eine irrationale, meist mit dem Buchstaben φ abgekürzte Zahl, ist geometrisch leicht konstruierbar; bereits Euklid hatte ihn in seinen Elementen, die auf der Mathematik der Pythagoreer fußen, behandelt.329 Er wird benötigt, um ein regelmäßiges Fünfeck zu konstruieren, in dem die Diagonalen sich im goldenen Schnitt teilen.330 Aus Fünfecken wiederum besteht der Dodekaeder, jener regelmäßige Körper, den der Pythagoreer Hippasos als erster entdeckt hatte, jener Hippasos, der als Verräter galt, da er seine Entdeckungen, darunter die der irrationalen Zahlen, veröffentlichte (und damit in der community zur Diskussion stellte, wie es jeder ernstzunehmende Wissenschaftler bis heute tut); jener Hippasos aber auch, auf den die Unterscheidung in Mathematiker und Akusmatiker zurückging, in solche Pythagoreer, die, wie er selbst, wissenschaftliche Forschung betrieben und ihre Resultate zu beweisen suchten, und solche, die den einmal gege-

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benen Sprüchen des Meisters ohne nähere Begründung, sozusagen auf Treu und Glauben, blind Folge leisteten. Das Dilemma zwischen Hypothesen bildender, kommunizierender und sich ständig selbst verbessernder Wissenschaft und blindem Glauben an ewige, göttlich offenbarte Wahrheiten durchlitt Kepler, der als gläubiger Christ alle überlieferten kosmischen Vorstellungen umstürzen mußte, in besonderer Weise; es führt, wie gleich gezeigt wird, unmittelbar zur Idee seiner Harmonie der Welt. Wenn, wie Kopernikus herausgefunden hatte, die Erde, nicht anders als Venus, Merkur, Mars, Jupiter und Saturn, ein weiterer um die Sonne rotierender Planet war, ergab sich die Frage, weshalb es denn gerade sechs Planeten sein mußten, die um die Sonne kreisten, und nicht vier oder hundert. Dieser Frage nachgehend, mit dem Hippasosschen Dodekaeder im Hinterkopf, überkam Kepler in jungen Jahren eine erste, grandiose visuelle Idee. Die Pythagoreer hatten gezeigt, daß es genau fünf sogenannte Platonische Körper gab, regelmäßige, völlig ebenförmige Gebilde, neben dem Dodekaeder noch den Tetraeder, den Würfel, den Oktoeder und den Ikosaeder. Sie setzen sich jeweils aus symmetrisch-regelmäßigen Flächen zusammen, der Tetraeder und der Oktoeder aus Dreiecken, der Würfel aus Quadraten, der Dodekaeder aus den erwähnten, mit dem goldenen Schnitt zusammenhängenden Fünfecken und der Ikosaeder aus Sechsecken. Ihres regelmäßigen Aufbaus wegen kann man jeden Platonischen Körper in eine Kugel setzen dergestalt, daß alle seine Ecken die Innenseite dieser sogenannten Umkugel berühren, und ebenso kann man in jeden Platonischen Körper eine Kugel hineinsetzen, die sogenannte Inkugel, deren Äußeres alle Flächen des jeweiligen Körpers von innen berührt. Kepler kam nun auf die Idee, diese fünf Platonischen Körper so ineinander zu stecken, daß die Inkugel des größten Körpers gerade die Umkugel des nächst kleineren bildete, dessen Inkugel wieder die Umkugel des noch kleineren, und so fort. Damit entstanden sechs Kugeln, deren Abstände von den Platonischen Körpern vorgegeben wurden. Seine ,Vision‘ bestand nun darin, dieses Modell, im astronomischen Maßstab, auf das Planetensystem zu übertragen: Die sechs Planeten sausten quasi in den Hüllen von Um- bzw. Inkugeln nach Maßgabe der fünf Platonischen Körper durchs All, mit der Sonne im Mittelpunkt des Ganzen. Und weil es eben nur fünf solcher Körper gibt, mußten es gerade sechs um und in ihnen sich bewegende Pla-

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Abb. 5: Keplers Modell des Planetenaufbaus im Mysterium Cosmographicum; aus: Kepler, GW VIII, Tafel III, nach S. 49.

neten sein. Diesen Befund veröffentlichte er 1596 in seinem ersten Buch, dem Mysterium Cosmographicum (vgl. Abb. 5). Bei Tycho Brahe hatte sich Kepler in den nächsten Jahren mit der Bahn des Mars zu befassen, und er mußte einsehen, daß die Vorstellung, dieser Planet bewege sich auf einer Kreisbahn, mit den Beobachtungsdaten nicht in Einklang zu bringen war, auch nicht, wenn er in der Tradition des großen Ptolemaios zusätzliche Epizykel in

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allen nur denkbaren Kombinationen in Betracht zog. Der Mars, das wurde ihm schließlich klar, lief in der Bahn einer Ellipse, das Modell aus dem Mysterium war nicht zu halten. Es zeichnet Kepler als Wissenschaftler aus, daß er sich schließlich genötigt sah, für alle Planeten elliptische Umlaufbahnen anzunehmen, und damit sein visuell und ästhetisch so eindrucksvolles altes Modell zu verwerfen und zugleich auch noch gegenüber allen überlieferten kosmischen Vorstellungen in Opposition zu treten: Die Planeten wurden von Kepler, im Vergleich zu den Pythagoreern, entgöttlicht und bestanden wieder, wie die Erde, aus bloßer unvollkommener Materie; sie liefen außerdem in ungleichförmiger Bewegung auf unvollkommenen Bahnen. Es mußte einfach noch ein anderes, unentdecktes göttliches Prinzip geben, das diese Irregularitäten rechtfertigte. Kepler vermutete es in der Musik. Das wurde das Motiv hinter seiner Harmonice mundi: Zu zeigen, daß der von Gott geschaffene Kosmos eben doch vollkommen sei, indem sich die Irregularitäten der tatsächlichen Planetenbahnen gegenüber dem idealen Modell des Mysteriums wegen eines zweiten, mit diesem interferierenden Prinzips wieder als gottgewollt und notwendig erklären ließen. Im ersten Buch, dem geometrischen, behandelt er zunächst regelmäßige Vielecke in der Ebene; im zweiten, dem architektonischen, aus Vielecken zusammengesetzte Körper und originelle Versuche zu Parkettierungen, wie auf Abb. 6 zu sehen ist. Das umfangreichste und zentrale dritte Buch, das harmonische, gilt der Musik. Wieder war es eine ähnliche Frage wie seinerzeit bezüglich der Planeten im Mysterium, die Kepler eine geometrische Vision eingab, nämlich die Frage, warum es in der Musik nur sieben Konsonanzen gebe, Oktave, Quinte, Quarte sowie jeweils große und kleine Terz und Sext, und nicht mehr oder weniger. Wenn man, wie es seit den Pythagoreern üblich war, Intervalle mittels Saitenteilung ermittelte, war schwer einzusehen, weshalb man nicht mit Halbierung, Drittelung, Viertelung, Fünftelung einer Saite und so immer fort ein ,unendliches‘ Netz von Intervallen sollte erzeugen können. Kepler kam auf die Idee, eine Saite einfach zum Kreis zu biegen und diesem Kreis regelmäßige Vielecke – mit deren Theorie er sich ja im ersten Buch ausgiebig befaßt hatte – einzubeschreiben. Die Schnittpunkte der Ecken einer eingeschriebenen Figur würden dann die Saitenteilungspunkte abgeben. Das scheint zunächst trivial zu sein: Ob eine Saite in fünf gleich große Teile zerlegt wird, oder ob ihr als zu einem Kreis gebogen ein Fünfeck einbeschrieben wird, um auf

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Abb. 6: Eine Seite aus Keplers Harmonice mundi mit Parkettierungen der Ebene durch regelmäßige Vielecke (Kepler, GW VI, S. 73).

diese Weise fünf Teilungspunkte zu erhalten, macht für den Vorgang an sich keinen Unterschied (vgl. Abb. 7). Kepler konnte aber nun seine Untersuchung auf sechs regelmäßige Vielecke beschränken, das Zweieck (= der Durchmesser), Dreieck, Viereck, Fünfeck, Sechseck

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4 5

1 5

A 1 5

E

B

F

4 5

D

C

Abb. 7: Herkömmliche Saitenteilung: Die Saite wird durch eine Strecke repräsentiert und in fünf Teile geteilt (oben), ein ausgewählter Teilungspunkt zerlegt sie in 15 und 45 ihrer Länge; Keplers Saitenteilung: Die Saite wird zum Kreis gebogen und durch die Eckpunkte eines einbeschriebenen Fünfecks geteilt, der Kreisbogen von A bis B und der Restbogen von B über C, D, und E bis A verhalten sich ebenfalls wie 15 zu 45 .

und Achteck. Das ausgelassene Siebeneck ist geometrisch nämlich nicht konstruierbar, daher fallen Siebenerteilungen weg. Hier wird in Keplers Argumentation das geschilderte Dilemma des gläubigen Christen gegenüber dem modernen Wissenschaftler besonders deutlich: Im 45. Satz des ersten Buches stellt er zunächst fest, das Siebeneck, der zugehörige Stern und alle von ihm abgeleiteten Klassen seien nicht „wißbar“. Dann hält er fest: „Es handelt sich hier um eine wichtige Sache. Denn hierin ist der Grund beschlossen, warum Gott das Siebeneck und die anderen Figuren dieser Gattung nicht wie die im vorausgehenden aufgeführten erkennbaren Figuren zum Schmuck der Welt verwendet hat.“331 Was mathematisch nicht möglich ist, kann auch Gott nicht verwirklichen, also bleiben das Siebeneck und mit ihm die Siebenerteilung einer Saite aus dem „Schmuck der Welt“ fort. Wie es nur sechs Planeten geben kann, weil zwischen ihnen nur fünf Platonische Körper Platz finden können, kann es nur einige wenige musikalische Konsonanzen geben, weil es nur eine endliche Zahl konstruierbarer, für die Gewinnung musikalischer Intervalle relevanter Vielecke gibt, eben jene angegebenen

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sechs, aus denen, wie Abb. 7 am Beispiel des Fünfecks demonstriert, die sieben musikalischen Konsonanzen gewonnen werden können. Leider hat sich Keplers origineller geometrischer Ansatz, mit dem er die Nöte, in die eine arithmetische Betrachtung des Tonsystems führen muß – man erinnere sich an Schopenhauers Diktum, „ein vollkommen reines harmonisches System der Töne“ sei „nicht nur physisch, sondern sogar schon arithmetisch unmöglich“ (vgl. S. 13) –, umgehen wollte, nicht durchsetzen können. Zum einen mußte er, mit wenig überzeugender Argumentation, das durchaus konstruierbare 15-Eck ausschließen, das zu dissonanten Intervallproportionen wie 11 : 4 oder 7 : 8 geführt hätte; 1796 konnte zudem der erst neunzehnjährige Friedrich Gauß zeigen, daß auch das regelmäßige 17-Eck geometrisch konstruierbar ist, womit sich Keplers Methode vollends erübrigt hat. Für Kepler war es aber entscheidend, auch die Musik, und zwar in ihrer modernen Gestalt, das heißt, gegenüber der Antike, mehrstimmig und mit reinen Terzen und Sexten als Hauptkonsonanzen, aus demselben geometrischen Prinzip, das zu den Platonischen Körpern und zu seiner Planeten-Vision aus dem Mysterium geführt hatte, ableiten zu können. Mit diesen Voraussetzungen ausgestattet, konnte das fünfte Buch, genannt das astronomische und metaphysische, die finale Vision bringen: Nicht in der Wirklichkeit, realiter, wohl aber virtuell, für den Verstand, ergibt sich eine ,Musik‘ der sechs Planeten, wenn man sich einen Beobachter auf der Sonne denkt, der zu bestimmten Momenten die Winkel, unter denen er die Planeten sieht, zueinander in Beziehung setzt. Dann entstehen bestimmte Proportionen, und diese bilden, wie Kepler gefunden zu haben glaubte, wohlklingende, nämlich konsonante Akkorde, ausgefaltet in einem sich über fünf Oktaven erstreckenden Klangraum. Zwar kommen diese Momente teilweise in sehr großen zeitlichen Abständen vor, so „liegen die Apsiden von Saturn und Jupiter ungefähr 81o auseinander. Bis dieser ihr Abstand in bestimmten Sprüngen von je 20 Jahren den ganzen Tierkreis durchmißt, verstreichen 800 Jahre“332 . Aber in seltenen Augenblicken ergeben sich doch Gesamtharmonien aller sechs Planeten, und in vier Schaubildern führt Kepler solche Momente mit Notenbeispiel vor (vgl. Abb. 8): Sie geben am linken Rand die Planetensymbole an, rechts die (von der Sonne aus) ermittelten Winkelgrade an bestimmten Tagen (in der linken Tabelle auf Abb. 8 befinden sich z. B. Saturn und Erde im Aphel, dem sonnenfernsten Punkt ihrer Umlaufbahn, zwischen 3.–6. Juli), dazwischen in Tonbuchstaben

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Abb. 8: Joannis Keppleri Harmonices mundi libri V, Linz 1619, S. 209.

und Noten die entsprechenden Töne. In der linken Tabelle auf Abb. 8 entsteht zwischen Saturn, Erde, Venus, Jupiter und Merkur ein eMoll-Sextakkord (g-h-e), rechts durch das Dazutreten des Mars ein C-Dur-Quartsextakkord (g-c-e). Voller Enthusiasmus schreibt Kepler: Folgt mir, ihr Musiker von heute, und bildet euch selber ein Urteil nach euren Kunstregeln, die dem Altertum noch nicht bekannt wa-

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ren. Euch hat als die ersten, in denen sich das Weltall wahrhaft spiegelt, die allzeit verschwenderische Natur nach zweitausendjährigem Brüten endlich in den letzten Jahrhunderten hervorgebracht. Durch eure mehrstimmigen Melodien, durch Vermittlung eurer Ohren hat sie dem menschlichen Geist, dem Lieblingskind des göttlichen Schöpfers, ihr innerstes Wesen zugeraunt.333

Um es salopp zu sagen: Würden die Planeten auf Kreisbahnen und mit regelmäßiger Geschwindigkeit um die Sonne ziehen, kämen die von Kepler ermittelten Momente, da ihre Winkelpositionen zueinander musikalischen Dur- und Molldreiklängen entsprechen, nicht zustande. Die einzelnen Planeten müssen sich gewissermaßen beeilen, um im rechten Moment an der richtigen Stelle zu sein. Ihre raschere Bewegung verursacht notwendig eine Abflachung ihrer Bahn zur Ellipse. Während die verschiedensten Systeme der musikalischen Temperaturen zugunsten der Geschlossenheit des Systems die Reinheit der Intervalle preisgaben (am radikalsten die gleichschwebend temperierte Stimmung), hatte Gott, nach Keplers Entdeckung, zugunsten der Reinheit (virtueller) konsonanter Intervalle das makellose planetarische System aus ebenmäßigen Kreisbahnen modifiziert. Und so konnte Kepler zusammenfassend schreiben: Es sind also die Himmelsbewegungen nichts anderes als eine fortwährende, mehrstimmige Musik (durch den Verstand, nicht das Ohr faßbar), eine Musik, die durch dissonierende Spannungen, gleichsam durch Synkopen und Kadenzen hindurch (wie sie die Menschen in Nachahmung jener natürlichen Dissonanzen anwenden) auf bestimmte, vorgezeichnete, je sechsgliedrige (gleichsam sechsstimmige) Klauseln lossteuert und dadurch in dem unermeßlichen Ablauf der Zeit unterscheidende Merkmale setzt. Es ist daher nicht mehr verwunderlich, daß der Mensch, der Nachahmer seines Schöpfers, endlich die Kunst des mehrstimmigen Gesangs, die den Alten unbekannt war, entdeckt hat. Er wollte die fortlaufende Dauer der Weltzeit in einem kurzen Teil einer Stunde mit einer kunstvollen Symphonie mehrerer Stimmen spielen und das Wohlgefallen des göttlichen Werkmeisters an seinen Werken soweit wie möglich nachkosten in dem so lieblichen Wonnegefühl, das ihm diese Musik in der Nachahmung Gottes bereitet.334

Kepler beließ es jedoch nicht bei einer auf geometrische Weise gewonnenen Musikalisierung des Himmels; in seine Harmonie der Welt mußten auch so unterschiedliche Dinge wie die Gerechtigkeit einer Staatsverfassung oder die menschliche Lust beim Geschlechtsakt ih-

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ren Platz und ihre musiko-mathematische Erklärung finden. Ein Exkurs zu den drei antiken Mitteln, dem arithmetischen, geometrischen und harmonischen, führt am Ende des dritten Buches zu der Beobachtung, daß die Demokratie der arithmetischen, die Aristokratie der geometrischen, dagegen die (von Kepler im Anschluß an seinen Gewährsmann Bodinus am meisten geschätzte) Monarchie der harmonischen Teilung entspräche.335 Die besondere Divina proportione, der Goldene Schnitt, steht dagegen auf bemerkenswerte Weise mit der sexuellen Lust in Beziehung. Der umständliche Gedankengang läßt sich etwa folgendermaßen nachvollziehen: Mit dem Goldenen Schnitt hängen zunächst die Terzen zusammen, da Kepler sie aus dem Fünfeck ableitete, in dessen Gestalt der Goldene Schnitt allgegenwärtig ist (zum Beispiel schneiden sich die Diagonalen im Verhältnis des Goldenen Schnitts; in Abb. 7 teilt der Punkt F auf diese Weise die Diagonale von E nach B wie auch die von D nach A). Kepler kannte aber auch die sogenannte Fibonaccifolge, die Zahlenreihe 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, . . ., bei der das n-te Glied aus der Addition der Glieder n − 1 und n − 2 gebildet wird. Die Zahlen der Fibonaccifolge approximieren den Goldenen Schnitt, und zwar um so genauer, je weiter man in der Folge fortschreitet. Der Goldene Schnitt wird ja als Teilung einer gegebenen Strecke dergestalt definiert, daß das Verhältnis der ganzen Strecke zum größeren Teilstück demjenigen des größeren zum kleineren gleich ist (setzt man in Abb. 7 den Wert d für die Länge der Diagonalen von E bis B, M für die Länge des größeren Teilstücks von F bis B und m für die Länge des kleineren Teilstücks von E bis F, besagt der Goldene Schnitt d : M = M : m = φ). Will man, um wieder zu den Fibonaccizahlen zurückzukommen, eine Strecke von 34 Einheiten im Goldenen Schnitt teilen, wird dieser sich ziemlich nahe bei 21 befinden; denn 34 : 21 ≈ 1, 619 und 21 : 13 ≈ 1, 615, das Verhältnis der Teilstücke ist also fast gleich. Tatsächlich liefert die Fibonaccifolge mit ihren ganzen Zahlen die größtmögliche Approximation an den Goldenen √ 1 1 Schnitt; der genaue Wert von φ beträgt 2 + 2 5. Kepler entdeckte nebenbei einen Sachverhalt, der heute als Simpson-Identität bekannt ist: Quadriert man ein beliebiges Glied der Fibonaccifolge und vergleicht es mit dem Produkt aus der vorausgehenden und der nachfolgenden Zahl, so zeigt sich im Ergebnis jedesmal eine Differenz um 1: Bei den drei Zahlengliedern 5, 8, 13 ist beispielsweise 8 · 8 = 64, aber 5 · 13 = 65; bei den Zahlengliedern 8, 13, 21 ist einerseits 13 · 13 = 169, aber 8 · 21 = 168. Die Zahl 64 ist

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eine Quadratzahl, die Zahl 65 hat eine zusätzliche Einheit; dagegen hat im zweiten Beispiel die Zahl 168 gegenüber der Quadratzahl 169 eine Einheit weniger. Dieser Sachverhalt wird in einer Abbildung veranschaulicht und Kepler schreckte nicht davor zurück, das zusätzliche Glied im einen Fall für etwas Männliches, sein Fehlen im anderen für etwas Weibliches zu halten. Die Fibonaccifolge hat daher mit dem Vorgang der geschlechtlichen Vermehrung zu tun, während der (geometrisch gefaßte) Goldene Schnitt, die stetige Teilung, mit der ungeschlechtlichen Vermehrung in Verbindung gebracht werden kann. So heißt es denn auch: Nun hat aber Gott der Schöpfer die Gesetze der Zeugung jener Teilung entsprechend gestaltet. Und zwar entsprechen der wirklichen und in sich selbst vollkommenen Proportion der unaussprechbaren Zahlenglieder [also dem Goldenen Schnitt; Anm. WK] die Fortpflanzungsverhältnisse bei den Pflanzen, die nach Gottes Gebot ja den Samen in sich selber tragen, während der Verbindung je zweier Zahlenproportionen (wobei die bei der einen fehlende Einheit durch den Überschuß bei der anderen ausgeglichen wird) die Verbindung von Mann und Frau entspricht.336

Und wenn man sich nun noch erinnert, daß unter den Intervallen gerade die Terzen ebenfalls mit dem Goldenen Schnitt zu tun haben, weil sie aus dem Fünfeck abgeleitet werden (die große Terz direkt, als 5 : 4, die kleine indirekt, über ihr Umkehrungsintervall der großen Sexte 5 : 3, ein etwas sophistischer Erklärungsversuch, der die Musikforschung in Verwirrung versetzt hat337 ), wird die sich unmittelbar an das vorige Zitat anschließende Folgerung verständlich: Ist es also verwunderlich, wenn die Abkömmlinge des Fünfecks, die Durterz 4 /5 und die Mollterz 5 /6 die Seelen, die Ebenbilder Gottes, in Stimmungen versetzen, wie sie beim Zeugungsakt auftreten? [. . .] Steht es nun fest, daß der Bund der beiden Terzen den Bund von Mann und Frau darstellt, so macht es keine Mühe zu bestimmen, welche der Terzen den einzelnen Geschlechtern zuzuordnen ist. Die größere wird sich als männlich erweisen, die kleinere als weiblich, entsprechend dem Verhältnis der Körpergröße und der körperlichen und seelischen Kräfte bei den beiden Geschlechtern. Und da die große Terz von einer Figur mit ungerader Seitenzahl, nämlich vom Fünfeck, die kleine ursprünglich von einer solchen mit gerader Seitenzahl, dem Zehneck, stammt, stimmt es auch mit der Pythagoreischen Lehre überein, wenn man die erstere für männlichen, die letztere für weiblichen Geschlechts hält; denn Pythagoras nennt die ungeraden Zahlen männlich, die geraden weiblich [. . .].338

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Mit diesen Bemerkungen lieferte Kepler als wohl erster so etwas wie eine mathematisch begründete Affektenlehre, jedenfalls was den Affekt der Freude, das der sexuellen Lust gleichende „liebliche Wonnegefühl“ beim Hören von Musik anbelangt. Mit seinen Ausführungen zur Staatskunst und zur geschlechtlichen Fortpflanzung, denen sich eine Menge weiterer zu den Pflanzenblüten, dem Wetter, den Einflüssen der Gestirne auf unser Schicksal usw. anschließen, stellte sich Kepler in eine allgemeinere pythagoreische Tradition, denn die Pythagoreer waren stets mehr als nur eine an Musik und Astronomie interessierte Gemeinschaft aus Mathematikern: Pythagoras selbst hatte neben Prinzipien der Staatsführung solche des täglichen Lebens formuliert, angefangen bei einer vegetarischen Lebensweise über tägliche Gedächtnisübungen bis zu Verhaltensregeln im Umgang miteinander; die Pythagoreer besaßen ferner von den übrigen Griechen abweichende religiöse Vorstellungen, indem sie beispielsweise an die Unsterblichkeit der Seele glaubten, die nach dem Tod des Individuums in einen anderen Körper überginge. VI. Nach der Entmathematisierung der Musik im ausgehenden 18. Jahrhundert, nach ihrer Trivialisierung zur Schönen Kunst, sollte, wie man erwarten müßte, die Zeit für pythagoreisches Denken, für ein Suchen nach musikalisch-mathematisch fundierter Harmonie dieser Welt, vorüber gewesen sein. Einem Zeitalter, das π durch e ersetzt hatte, den beschaulichen Kreis antiker Muße durch die Dynamik moderner Wachstums- und Zinseszinskurven, einem Zeitalter, das an Dissonanzen und Fragmenten aller Art Gefallen gefunden und das antike, mythologische Weltbild ebenso wie die christliche Ausrichtung auf ein Jüngstes Gericht zugunsten von Evolutionstheorie und Materialismus zu den Akten gelegt hatte, mußte die Harmonie der Welt wie ein Märchen aus den Kindertagen der Menschheit vorkommen. Und doch entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erneut eine an pythagoreische Vorstellungen anknüpfende Bewegung, die es mit ihrem letzten größeren Vertreter, Rudolf Haase, sogar zur Einrichtung eines Hochschulinstituts und zu einem wissenschaftlich-akademischen Namen brachte: Denn 1968 gründete Haase an der damaligen Akademie für Musik und Darstellende Kunst in Wien, der heutigen Wiener Universität für Musik und Darstellende Kunst, sein Hans-Kayser-Institut für harmonikale

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Grundlagenforschung, benannt nach Hans Kayser (1891–1964), dem zentralen Vertreter dieses auch unter dem Namen ,Harmonikaler Pythagoreismus‘ bekannten neuen Forschungsgebiets. Haase und sein Lehrer Kayser fußen in ihren Untersuchungen auf einem eigenartigen Außenseiter des an skurrilen Gelehrtengestalten wahrlich reichen 19. Jahrhunderts, nämlich auf dem Freiherrn Albrecht von Thimus (1808–1878), einem katholischen Juristen und Appellationsrat aus Köln, der auch als zur Fraktion des Zentrums gehörender Parlamentarier im Preußischen Abgeordnetenhaus bzw. im Deutschen Reichstag saß und sich in seiner Freizeit der harmonikalen Symbolik des Altertums widmete.339 Die Grundidee in den zahlreichen Darstellungen vor allem Kaysers und Haases ist die einer ursprünglichen Fundierung nahezu aller Phänomene dieser Welt durch einfache ganzzahlige Verhältnisse, die sie in Analogie zu musikalischen Intervallen als ,harmonisch‘ bezeichnen. Kayser schlug zeitweilig den Begriff ,Akróasis‘ vor und erklärte ihn im Vorwort seiner diesen Titel tragenden kleinen Einführung in die „Harmonik = die Anhörung, im Geder Welt“: „[V]om griechischen = die Anschauung gensatz bzw. Ergänzung zur Aisthesis = [. . .].“340 Die Akróasis sei „eine Kunde von der uralten und ewig neuen Lehre vom ,Klang der Welt‘“341 , es gehe ihr um Maß und Wert, „geistige Kategorien, innerhalb deren sich seit Urzeiten eine ganz bestimmte Denkungsweise bewegt: die Harmonik.“342 Haase trug u. a., wie vor ihm Kayser, mit großem Fleiß „Intervallproportionen in der Natur“343 zusammen und untersuchte beispielsweise den harmonikalen Bezug des chemischen Periodensystems, der Kristalle oder bestimmter Blattstellungen bzw. Blütenbildungen von Pflanzen. Das Unbehagen, das einen ziemlich bald bei der Lektüre dieser Autoren ankommt, das Gefühl, es hier mit etwas Sektiererischem, in erster Linie ,Antimodernem‘ zu tun zu haben, rührt wohl daher, daß die alten Pythagoreer in ihrer Zeit als die besten Mathematiker des Altertums berühmt waren und Kepler bei seinen astronomischen Berechnungen noch vor Newton und Leibniz in Bereiche der Infinitesimalrechnung vordrang, daß die Vertreter des harmonikalen Pythagoreismus aber weit hinter dem Stand des mathematischen Könnens ihrer Zeit zurückgeblieben sind und glauben, mit einfacher Schulmathematik (Bruchrechnung) die Welt aus ihren (vermeintlichen) Urgründen verstehen zu können. Im Zentrum ihrer Überlegungen befindet sich nämlich eine Art Zahlentafel, die als erster von Thimus vorgestellt und nach allen Richtungen untersucht hat;

160

Die Harmonie der Welt

Kayser, dessen Lehrbuch der Harmonik344 die graphisch eindrucksvollsten Handzeichnungen dieser Tafel enthält, Haase und andere Autoren wie der Musikwissenschaftler Martin Vogel haben dieser ursprünglichen ,Entdeckung‘ nichts Neues mehr hinzugefügt. Gerade an diesem Kernstück der harmonikalen Grundlagenforschung läßt sich ein Sachverhalt demonstrieren, den man nicht anders denn als Pferdefuß bezeichnen kann: Das rätselhafte Lambdoma, die wichtigste Entdeckung der neuzeitlichen Pythagoreisten, bringt deren ganzes harmonisches Denken in Verruf. Man betrachte einmal das folgende Anordnungsschema aller positiven rationalen Zahlen (Abb. 9): 1 1



|

1 2



2 2



2 3

2 4



2 5

|

1 5

.. .

3 2



3 3



3 4



3 5

2 6

.. .



4 2



4 3



4 4



4 5

.. .



5 2



5 3



5 4



5 5

.. .



6 2



6 3

.. .

... ...

|



6 4



6 5

...

|

|

5 6

...

|

|



6 1

|

|

|

4 6



|

|



5 1

|

|

|

3 6



|

|



4 1

|

|

|





|

|

|

1 6



|



3 1

|

|

|

1 4



|

|

1 3

2 1

...

|



6 6

...

.. .

Abb. 9: Anordnungsschema aller positiven Brüche.

Hier stehen in den Zeilen jeweils Brüche mit gleichem Nenner, beginnend in Zeile 1 mit dem Nenner 1, so daß mit anderen Worten diese erste Zeile gerade die natürlichen positiven Zahlen darstellt; in den folgenden Zeilen erhöht sich der Nenner jeweils um 1. Von den Spalten gilt mutatis mutandis dasselbe, es stehen also in der ersten Spalte die Stammbrüche mit jeweils einer 1 im Zähler, dann erhöht sich von Spalte zu Spalte die Zahl im Zähler um 1. Dieses Anordnungsschema der (positiven) rationalen Zahlen war, wie von Thimus behauptete,

Die Harmonie der Welt

161

Teil des (geheimen) pythagoreischen Wissens. Einen Beweis hierfür glaubte er in einem Kommentar des mehrfach erwähnten Neupythagoreers Jamblichos zur Arithmetik des Nikomachos gefunden zu haben;345 Haase steuerte später die folgende Abbildung bei, die er in einer gedruckten Boetius-Ausgabe von 1546 gefunden hatte:

Abb. 10: Arithmetische Zahlenfolgen aus einer Boetius-Ausgabe, Basel 1546, nach Haase (1969a), S. 22.

Der Umriß dieser Figur erinnert an den griechischen Buchstaben Lambda ( ), daher die Bezeichnung ,Lambdoma‘. Die Figur des Boetius soll zwei Zahlenreihen andeuten:

1 6

1 5

1 4

1 3

1 2

1 1

2 1

3 1

4 1

5 1

6 1

Füllt man diese sinngemäß auf und dreht man sie um 45o , entsteht die Tafel in Abb. 9. Für einen Musiker lassen sich diese Brüche auch als Anweisung auffassen, um wieviel eine gegebene Saite oder eine schwingende Luftröhre verkürzt oder verlängert werden muß, damit ein bestimmtes Intervall entsteht. Halbiert man beispielsweise die Länge einer Saite, die einen Ausgangston d hervorbringt, erzeugt jede Saitenhälfte ein d1 , also einen Ton, der eine Oktave höher klingt. Wendet man auf einen Ton wie dieses d die Teilungen oder Vervielfa-

162

Die Harmonie der Welt

chungen obiger Tafel an, erhält man für die ersten sechs Zeilen und Spalten das in Abb. 11 wiedergegebene Tonnetz. 1 [d] 1



2 [D] 1



2 [d] 2



2 [a] 3



2 1 [d ] 4



2 [ f is1 ] 5



2 1 [a ] 6

|

1 1 [d ] 2



3 [g] 4



3 [h] 5



3 1 [d ] 6

4 [D1 ] 1



4 [D] 2



4 [A] 3



4 [d] 4



4 [ f is] 5



4 [a] 6

5 [B2 ] 1



5 [B1 ] 2



5 [F] 3



5 [B] 4



5 [d] 5



5 [f] 6



6 [G1 ] 2



6 [D] 3



6 [G] 4



6 [H] 5



6 [d] 6

| |

|

|

|

6 [G2 ] 1

|

|

|



|

|

|

|



|

|

|

|

1 2 [a ] 6



3 [d] 3



|

|

|

1 [ f is2 ] 5



3 [G] 2

|

|

1 2 [d ] 4

3 [G1 ] 1

|

|

1 1 [a ] 3



|

|

|

|

|

|

Abb. 11: Das Tonnetz 1–6, ausgehend vom Ton d.

Wie man sieht, entstehen in jeder Spalte von oben nach unten Obertonreihen (Teiltonreihen) des in der ersten Zeile befindlichen Tones, während in jeder Zeile, ausgehend vom ersten Ton, streng symmetrisch Untertonreihen entstehen. Die Tafel enthält also sämtliche Teiltonkoordinaten, ausgehend von einem Ursprungston, hier dem d. Die Tafel mit diesen Teiltonkoordinaten ist offensichtlich zu derjenigen der positiven rationalen Zahlen isomorph. Würde man die positiven rationalen Zahlen (in Gedanken) der Größe nach anordnen, ergäbe sich eine ‚lückenlose‘ Menge, die man graphisch in einer Ebene durch einen Strahl darstellen könnte, wie es etwa in einem kartesischen Koordinatensystem mit der positiven X-Achse der Fall ist. Daß dieser Strahl ‚lückenlos dicht‘ ist, ist seit der Antike bekannt und bewiesen: Zwischen zwei noch so nah beieinander liegenden rationalen Zahlen a und b befinden sich stets unendlich viele weitere rationale Zahlen, die größer als a und zugleich kleiner als b sind. Für die musikalische Entsprechung der Teiltöne bedeutet dies, daß die Tafel in Abb. 11 sämtliche Töne unter- und oberhalb des Ausgangstones enthält, daß also das Netz der Teiltöne, würde man es aufsteigend anordnen, den gesamten Tonraum von beliebiger Tiefe

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163

bis zu beliebiger Höhe vollständig abdeckt. Beispielsweise befände sich in der 64. Spalte der ersten Zeile ein d, das fünf Oktaven unter dem großen D läge (seine Frequenz wäre kleiner als 5 Hz) sowie in der ersten Spalte der 64. Zeile ein d, das sechs Oktaven über dem kleinen d läge (seine Frequenz läge knapp unter 19.000 Hz), beide Töne lägen bereits an den äußersten Rändern des unserem Gehör zugänglichen Tonraums; die weiteren Spalten und Zeilen würden Töne hervorbringen, die unserem menschlichen Hörvermögen ,unhörbar‘ erschienen. Bekanntlich bilden die positiven rationalen Zahlen hinsichtlich der Multiplikation eine kommutative Gruppe: Es gibt ein neutrales Element (die 1), die Multiplikation zweier Elemente der Tafel führt stets auf ein anderes Tafelelement, und es gibt zu jedem Element ein inverses Element: jedes ba wird, multipliziert mit seiner Umkehrung b a , zu 1. Man kann das an der Tafel in Abb. 9 direkt sehen: Die Diagonale von links oben nach rechts unten enthält lauter Brüche, die 1 ergeben, und die Tafel ist bezogen auf diese Diagonale symmetrisch: Zum Beispiel befindet sich 21 ,gegenüber‘ von 12 oder 42 von 24 usw. Der Multiplikation der Brüche entspricht musikalisch das Hintereinanderausführen von Intervallbildungen. Verkürzt man eine Saite, die dem Ton d entspricht, von drei Drittel auf zwei Drittel, erhält man, wie in der dritten Zeile von Abb. 11 zu sehen ist, die obere Quinte a. Verkürzt man die Saite d von vier Viertel auf drei Viertel, erhält man gemäß Zeile 4 ein g, die obere Quarte. Fügt man Quinte und Quarte zusammen (gleichzeitig oder hintereinander), ergibt sich, da 2 3 2 1 3 · 4 = 4 , die obere Oktave d , gemäß der vierten Zeile. Da man in der Musik Verdopplungen oder Halbierungen, die zu Oktaven führen, mit dem gleichen Tonnamen bezeichnet, hat dies zur Folge, daß zu jedem Intervall ein sogenanntes Umkehrungsintervall existiert, so daß sich beide Intervalle zur Oktave ergänzen, wie es in diesem Beispiel der Fall war. Zieht man zu der Hauptdiagonalen von links oben nach rechts unten Parallelen, liegen auf diesen z. B. die Brüche 2 3 4 3 4 5 1 , 2 , 3 usw. Eine Parallele weiter nach rechts liegen 1 , 2 , 3 usw. Das sind zwei der vielen Proportionen, mit denen sich die mittelalterliche Musiktheorie im Anschluß an die Arithmetik des Nikomachos auseinandergesetzt hat, nämlich die Proportio superparticularis (Brüche n der Art n+1 n ) und die Proportio superpartiens (Brüche der Art 1 + n+1 ): „Aus dem Lambdoma lassen sich auf einfachste und müheloseste Weise alle nur denkbaren musikalischen Intervallproportionen in ihrer

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Die Harmonie der Welt

wechselseitigen Beziehung und Zusammengehörigkeit ablesen.“346 Von Thimus ging davon aus, daß das Wissen der Alten, wie bei den Pythagoreern, auf wenige Eingeweihte beschränkt und zudem nach Kräften geheimgehalten worden sei. Teils sei es daher im Verlaufe der Geschichte verloren gegangen, teils habe sich der Sinn mancher erhaltenen Aussprüche verdunkelt, teils seien Verfälschungen in Umlauf gekommen. Jedenfalls unterstellte von Thimus den Pythagoreern mit der Kenntnis dieser Tafel bereits die Kenntnis der Obertonreihe sowie der modernen Terzen und Sexten; im Gegensatz zur Fachwelt, die bis heute gänzlich anderer Meinung ist, nahm er zudem an, die Antike habe ihre Skalen, wie die heutigen Musiker, von unten nach oben konstruiert und das antike Dorisch sei identisch mit dem Dorischen der mittelalterlichen Musiktheorie gewesen, also mit dem sogenannten ersten Kirchenton auf d, und nicht, wie es die Musikwissenschaft bis heute lehrt, mit dem dritten Kirchenton, der (mittelalterlichen) phrygischen Skala von e bis e’.347 Der Grund für diese Diskrepanz liegt darin, daß die Fachwissenschaft, im 19. nicht anders als im 20. Jahrhundert, sich auf Aristoxenos beruft, den von Thimus ähnlich vehement abgelehnt hat wie in unseren Tagen Friedrich Kittler (der von Thimus allerdings nicht zu kennen scheint). Albert von Thimus vertrat einen Außenseiter-Standpunkt: Er vermutete, gestützt auf entsprechende Quellen, die er außer in griechischer und lateinischer auch in hebräischer, arabischer, chinesischer und Hieroglyphenschrift zu lesen verstand, daß diese Tafel und mit ihr das pythagoreische Musiksystem auch bei den alten Chinesen, Ägyptern und Israeliten in Gebrauch gewesen sei: Gott selbst, so muß man hieraus folgern, habe es ,seinem‘ Volk, den Israeliten des Alten Testaments, vermacht, von dort habe es sich zu den alten Griechen, Chinesen und anderen Völkern des Orients verbreitet, und trotz aller Verluste, Fälschungen und Irrungen habe sich im Gregorianischen Choral, in der katholischen Kirchenmusik des Mittelalters und schließlich in der darauf fußenden heutigen Musik eine Spur davon erhalten. Es ist hier nicht der Ort, diesen Überlegungen im einzelnen nachzugehen, zumal Kayser, Haase und andere ihm auf diesen spekulativen Gedankengängen nicht gefolgt sind. Die Tafeln aus Abb. 9 bzw. Abb. 11 geben Anlaß zu einer weiteren Überlegung. Der Mathematiker und Begründer der Mengenlehre Georg Cantor (1845–1918), ein etwas jüngerer Zeitgenosse des von Thimus, zeigte mithilfe seines sogenannten Diagonalisierungsverfahrens, daß die Menge der rationalen Zahlen abzählbar unendlich

165

Die Harmonie der Welt

ist, daß man also eine bijektive Abbildung zwischen den rationalen und den natürlichen Zahlen bilden kann. Man muß hierzu lediglich die Tafel aus Abb. 9 von 11 ausgehend diagonal durchlaufen, jeden kürzbaren Bruch überspringen und die verbleibenden Brüche abzählen. Es entstünde eine Tabelle, die etwa folgendermaßen beginnt: 1 1

2 1

1 2

1 3

3 1

4 1

3 2

2 3

1 4

1 5

5 1

↓ 1

↓ 2

↓ 3

↓ 4

↓ 5

↓ 6

↓ 7

↓ 8

↓ 9

↓ 10

↓ 11

... ... ...

Die negativen rationalen Zahlen würde man leicht in diese Tabelle integrieren können, indem man jeden einzelnen Bruch zweimal schreibt, einmal mit positivem, einmal mit negativem Vorzeichen, und die Null stellt man einfach an den Anfang. Dann werden beim Abzählen lediglich mehr natürliche Zahlen ,verbraucht‘. Man kann sich nun folgendes Gedankenexperiment ausdenken: Jeder Bruch in der Tafel aus Abb. 9 – was gleichbedeutend wäre mit jedem Ton aus der Tafel in Abb. 11 – möge einen ,Platz‘ repräsentieren, und auf diesen Plätzen der Tafel würden Elemente irgendeiner Menge von Dingen ,abgeladen‘. Beispielsweise die Buchstaben des lateinischen Alphabets oder die Bücher einer bestimmten Bibliothek oder alle Bücher aller existierenden Bibliotheken oder alle Buchstaben aller Bücher sämtlicher Bibliotheken usw. Wie groß auch immer die Anzahl der auf den Plätzen abzuladenden Elemente sein mag: Die ,unendlich‘ große Tafel böte stets ausreichenden Platz. Wenn man will, könnte man, zumindest in Gedanken, alles Existierende auf dieser Tafel abladen und das sogar noch auf geordnete, rational nachvollziehbare Weise; jedes Element auf dieser Tafel hätte einen wohldefinierten Platz. Der alte, den Pythagoreern zugeschriebene Satz, wonach alles der Zahl gleiche, und die bekannte Bibelstelle „Omnia in mensura et numero et pondere disposuisti“ (Alles hast du nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet) aus dem Buch der Weisheit (Kap. 11, Vers 22) hätten hiernach ihre geradezu wörtliche Berechtigung. Aber jedem heutigem Schulkind sind sehr wohl ,Dinge‘ bekannt (oder sollten es zumindest sein), die auf der Tafel fehlen müssen: es sind die irrationalen Zahlen, die nicht nur im Netz der rationalen nie auftauchen, sondern deren Menge, wie Cantor ebenfalls bewiesen hat348 , nicht-abzählbar unendlich ist, was nichts anderes heißt, als daß die Menge der irrationalen Zahlen nicht auf die Tafel paßt, wie

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Die Harmonie der Welt

groß man diese auch immer wählen mag: Das ,Abladen‘ der irrationalen Zahlen auf den Plätzen der Tafel ist, wie Cantor gezeigt hat, prinzipiell unmöglich, denn es gibt nicht einfach nur ,mehr‘, sondern ,unendlich mehr‘ irrationale als rationale Zahlen. Die Entdeckung der irrationalen Zahlen geht auf die Pythagoreer, und zwar auf ihren ersten ,echten‘ Mathematiker Hippasos, zurück. Schon Kepler wählte, wie gezeigt wurde, mit seinem geometrischen Ansatz ein Verfahren, das zumindest teilweise auch irrationale Zahlen, die einer geometrischen Behandlung zugänglich sind, einbezog. Irrationale Zahlen sind sozusagen ,virtuelle‘ Wesen, die es nur in der Welt der Mathematik gibt. Die Realität, das Reich der Physik, muß mit rationalen Approximierungen vorlieb nehmen. Immerhin vermögen die rationalen Zahlen jede irrationale beliebig genau anzunähern. √ Man kann zwar 2 nicht als ,Zahl‘ hinschreiben und daher auch nicht ohne weiteres die gleichschwebende Temperatur ausrechnen, √ aber man kann angeben, daß 2 zwischen 1 und 2 liegt oder, genauer, zwischen 1 und 32 oder, noch genauer, zwischen 75 und 32 ; in unserer Alltagswelt wäre 1,414214 schon eine vorzügliche Näherung, denn die Abweichung eines mit dieser Näherung gestimmten gleichschwebenden Halbtons gegenüber dem ,richtigen‘ Wert von √ 2 würde unser Gehör nicht mehr wahrnehmen. Die zentrale ,Entdeckung‘ durch von Thimus bestand nun darin, in der Teiltonfafel (Abb. 11) Töne gleicher Tonhöhe miteinander zu verbinden.349 Sie liegen auf einer Geraden, und wenn man die Tafel wieder zurückdreht, wie es bei der überlieferten Darstellung des Lambdoma in Abb. 10 der Fall war, entsteht ein Bild wie in Abb. 12 angedeutet. Die Linien, die Töne gleicher Tonhöhe miteinander verbinden, nennt man Gleichtonlinien, und offensichtlich schneiden sie sich in einem Punkt X, der allerdings ‚außerhalb‘ des Systems liegt. Analog zu den in dieser Tafel miteinander verbundenen Tönen gleicher Tonhöhe könnte man natürlich auch in der Tafel mit den Zahlenbrüchen (Abb. 9) gleichwertige Brüche mit Linien verbinden. Hier geht es nur um den eigenartigen Sachverhalt des Punktes X. Eine einfache Anordnung der rationalen Zahlen bzw. ihrer Tonäquivalente, das Verbinden gleicher Zahlenwerte bzw. gleicher Töne, die auf Strahlen liegen, welche aus einem Punkt X hervorzugehen scheinen, den es eigentlich nicht geben kann: Das bedeutet zunächst, daß das System der rationalen Zahlen in Bezug auf diesen Punkt quasi unvollständig ist. Von Thimus, Kayser und Vogel nahmen offenbar wenig Anstoß daran, diesen Punkt mit dem mathematisch sinnlosen Symbol 00 zu

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X

a2

           d    1      d D  1      a   d   G1       d2   a G   D1  1     f is2  d  d  D  B2  1     A  f is   g  B1        d G1 a1 F   h   1  d f is B  D    a

d f

G2

G H

d Abb. 12: Das Lambdoma mit den Gleichtonlinien.

versehen. Kayser ging sogar so weit, links und oberhalb der Tafel in Abb. 9 jeweils eine weitere Spalte bzw. Zeile hinzuzufügen, und zwar mit den Werten 10 , 02 , 03 . . . bzw. 10 , 20 , 30 . . ., die dann im Punkt X zu besagtem 00 zusammenlaufen.350 Er deutet dann den Punkt X, sein 00 , als „Gott“ und schreibt unter anderem: Das Johannesevangelium beginnt mit den Worten: «Im Anfang war der Logos, und der Logos war bei Gott und Gott war der Logos.» Wenn diese Stelle überhaupt einen Sinn haben soll – die Übersetzung Luthers von Logos mit «Wort» ist zum mindesten einseitig – dann nur mit der harmonikalen prototypischen Substitution: Gott 0 /0  1 /1 Logos

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Die Harmonie der Welt

Dies würde auch mit der üblichen Auslegung übereinstimmen, die mit «Logos» den «personifizierten Gott» bezeichnet.351

Mit weiteren Quellenzitaten, die auch schon bei von Thimus zu finden sind352 , versucht Kayser zu belegen, daß ähnliche Formulierungen in Platons Timaios, in Lao-Tses Tao-Te-King oder im altpersischen Avesta auf eine gemeinsame harmonikale Wurzel im Altertum schließen ließen – der Nachweis der Existenz eines musikalischmathematischen Symbolwissens im ältesten Dunkel der menschlichen Kulturgeschichte war ja schon das zentrale Anliegen der Schrift von Thimus’. Martin Vogel schließlich bringt das Lambdoma in Beziehung mit einer durch mündliche Überlieferung in Bruchstücken bekannten, von Aristoteles erwähnten Vorlesung Platons Über das Gute, wobei Vogel dann eben diesem Punkt 00 besagtes „τ`ο ἀγαθόν“ [to agathon – ,das Gute‘] zuordnet (vgl. Abb. 13): Die beiden Schenkel des Lambdoma, auf denen die arithmetische und die harmonische Teilungsreihe liegen, sind Platons „unbegrenzte ). Sie sind das weibliche Prinzip, sie sind Zweiheit“ ( die ὕλη, der Stoff, die Materie. Das auf der Zeugertonachse liegende , die το` ἔν „das Eine“ ist das männliche, phallische Prinzip, die Wesenheit. Auf dem einen Schenkel der unbegrenzten Zweiheit liegt die harmonische Teilungsreihe 1/1, 1/2, 1/3, 1/4 . . . , von Platon gekennzeichnet als das μικρον ´ „das Kleine“, unbegrenzt in Bezug auf die Abnahme (ἐπὶ τὴν καθαίρεσιν). Auf dem anderen Schenkel liegt die arithmetische Teilungsreihe 1/1, 2/1, 3/1, 4/1 . . . ; sie ist das μεγ´α „das Große“, unbegrenzt in Bezug auf die Zunahme (ἐπὶ τὴν αὔξην).353

(Vogel wählt in Abb. 13 statt eines d ein c zum Ausgangston.) – Es bleibe dahin gestellt, ob es sinnvoll ist, hier aufgrund zweier „Schenkel“ vom „weiblichen“ oder wegen einer senkrecht nach unten verlaufenden Linie vom „männlichen Prinzip“ zu sprechen. Das Rätselhafte an dem Punkt X ist jedenfalls, um die Tonbezeichnungen aus Abb. 11 aufzugreifen, daß es sich bei ihm gleichzeitig um ein d, ein G, ein G1 bzw. ein a1 und ein a handeln müßte und infolgedessen bei entsprechender Vergrößerung der Tafel um ein (unmögliches) simultanes Zugleich sämtlicher Töne. Man kann durchaus nachvollziehen, daß bei einer solchen Betrachtung dem Punkt X ein gewisser Nimbus zuwächst, und man wird vielleicht verstehen, weshalb Kayser, Haase oder Vogel hier zu einer gewissen Mystifizierung neigten. Kayser bezeichnete den Punkt in Anlehnung an Jakob Böhme auch als „Ungrund“ und versuchte „Bezüge zu anderen (vor allem fernöstlichen) Religionen und

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Abb. 13: Das Lambdoma in der Darstellung Martin Vogels (Vogel (1975), S. 70.)

Geheimlehren (Kabbalistik) herzustellen“354 . Aber statt sich mit dem Paradox eines Punktes zufrieden zu geben, der auf unerklärliche Weise ,außerhalb‘ des Systems liegt und sich auch nicht, wie die irrationalen Zahlen, durch Werte der Tafel approximieren läßt, könnte man die Teilton-Tafel und ihren ominösen Punkt X mit einem Phänomen in Beziehung setzen, das in der jüngeren Geschichte der Mathematik für erhebliche Unruhe gesorgt hat, nämlich mit dem berühmten Unvollständigkeitssatz des Logikers und Mathematikers Kurt Gödel (1906–1978). Seine 1931 erschienene Schrift Über formal unentscheidbare Sätze der Principia mathematica und verwandter Systeme beendete den Hilbertschen Traum einer von einfachen Axiomen ausgehenden, systematisch aufgebauten Mathematik. In einer für mathematische Laien aufbereiteten Version Douglas R. Hofstadters lautet Gödels Satz: „Alle widerspruchsfreien axiomatischen Formulierungen der Zahlentheorie enthalten unentscheidbare Aussagen.“355 Das bedeutet, noch umgangssprachlicher formuliert: Wenn

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man streng logisch aus Axiomen und daraus abgeleiteten Folgerungen ein (Zahlen-)System aufbaut, wird es, sofern man auf Widerspruchsfreiheit achtet, unvollständig bleiben; das heißt, es wird wahre oder sinnvolle oder mögliche Sätze bzw. Aussagen im System geben, die mit konstruktiv aufbauenden Verfahrensschritten unerreichbar sind. Die Vollständigkeit des Systems erhielte man nur um den Preis von inneren Widersprüchen (Paradoxien). Man hätte, vereinfacht gesagt, bloß die Wahl zwischen einem vollständigen, aber mit inneren Widersprüchen behafteten System oder einem widerspruchsfreien, aber eben nicht vollständigen. Genau dieses Phänomen läßt sich anhand der harmonikalen Tafel mit ihren Gleichtonlinien leicht nachvollziehen: Der Schnittpunkt aller Strahlen, die gleiche Töne miteinander verbinden, liegt außerhalb des ,Systems‘. So leicht er zu konstruieren ist, so paradox ist er zugleich, denn ihm, auf den alle Gleichtonlinien weisen, kann kein konkreter Ton entsprechen. Nur wenn man, wie Kayser und Nachfolger, der Tafel eine Absurdität hinzufügt, nämlich eine 0-Spalte und eine 0-Zeile, gehört auch der Punkt X zum ,System‘; dies ist jedoch nur um den Preis eines logischen Widerspruchs möglich, da Bildungen wie 10 , 20 etc. mathematisch sinnlos sind. Cusanus konnte noch das Paradox einer unendlichen Kugel, bei der Gott zugleich ihr Mittelpunkt wie ihr alles umfassender Rand ist, als Harmonie, als coincidentia oppositorum, zusammendenken. Der Gott Keplers war bereits nicht mehr in der Lage, das, was sich mathematisch nicht konstruieren läßt, das Siebeneck, zum „Schmuck“ dieser Welt zu verwenden. Der Katholik von Thimus, der die Tafeln mit dem ominösen Punkt 00 anders als Kayser und Nachfolger quer angeordnet hat, damit von vorneherein klar war, daß dieser Punkt nicht ,oben‘ liegt, tröstete sich mit der Hoffnung, nach der Auferstehung dieses Rätsel verstehen zu können: D r e i Primzahlen nur sind es, welche in ihren Multiplicationen und Divisionen mit sich selbst und untereinander die Zahlenformen liefern, für deren musikalische Auffassung das hienieden in gar enge Gränzen eingeschlossene Intuitionsvermögen unserer Seele empfänglich ist. Für Wesen einer höheren Art (ohne Zweifel auch für unsere Seele nach ihrer einstigen Vereinigung mit den Chören heiliger, zur Anschauung Gottes berufener Geister) ist die unmittelbare intuitive Erfassung der in Zahlen ihren Ausdruck findenden Gesetze symmetrischer Schönheit sicherlich nicht an so enge Gränzen gebunden. Als sinnbildlicher Ausdruck für die unendlichen Maasse

Die Harmonie der Welt

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der in den Tiefen der Gottheit selbst verborgenen Harmonien finden die Zahlenreihen der wachsenden und der sich verkleinernden Grösse und der beschleunigten und verlangsamten geordneten Bewegung nur in den Begriffen des Unendlich-Grossen und des UnendlichKleinen nicht sowohl ihre Schranke als ihren einheitlichen Ausgangspunkt. Vor Gott dem Herrn ist das Unendlich-Grosse N u l l und das Unendlich-Kleine A l l e s, sind beide Formen dieser unendlichen Zweiheit E i n s.356

„Pythagoreismus“, so sah es Walter Burkert in seiner umfassenden Untersuchung zur Pythagoreischen Schule, sei „Religionsersatz im Gewande einer Pseudowissenschaft; die stetige Grenzüberschreitung zwischen Religion und Wissenschaft, Irrationalem und Rationalität“ scheine „für Pythagoreisches charakteristisch zu sein.“357 Für alle, die anders als von Thimus im späten 19. Jahrhundert nicht mehr so recht an die christliche Offenbarungsreligion glauben mochten, konnte der Punkt 00 zum Symbol für das ganz und gar ,Andere‘ werden, für den ,fremden Gott‘. Das ist das Stichwort für das nächste Kapitel.

Theosophie und Gnosis als okkulte Wurzeln der Neuen Musik im frühen 20. Jahrhundert I. nostizismus, Spiritismus, Magnetismus und Okkultismus wurden im ausgehenden 19. Jahrhundert zu Schlüsselwörtern mit einer ganz bestimmten Aura. Je mehr die europäischen Länder als Industrienationen wirtschaftlich vorankamen, je mehr sie militärisch aufrüsteten, je rascher der naturwissenschaftliche und technische Fortschritt sich vollzog, desto intensiver nahm das Interesse an esoterischen Glaubensvorstellungen, an alternativen Lebensentwürfen und an sozialistischen Utopien zu. 1892 erschien in sechster Auflage bei Cotta in Stuttgart ein Longseller der esoterischen Literatur, Justinus Kerners Seherin von Prevorst, dessen vollständiger Untertitel Eröffnungen über das innere Leben des Menschen und über das Hereinragen einer Geisterwelt in die unsere lautet. Kerner publizierte die Seherin erstmals 1829 in zwei Bänden und behandelte darin Friederike Hauffe (1801–1829), die er zeitweilig in seinen Haushalt aufgenommen hatte. In somnambulem Zustand, einer Art Hypnose oder Trance, die der als Arzt praktizierende Dichter herbeiführte, entwickelte das ungebildete junge Mädchen erstaunliche parapsychologische Fähigkeiten (Hellsichtigkeit, Geistersehen, Gedankenlesen etc.). Schon Schopenhauer hatte 1851 in seinem Versuch über das Geistersehn und was damit zusammenhängt mehrfach auf Kerners Buch als verläßliches Zeugnis für die in Rede stehenden außersinnlichen Phänomene rekurriert.358 Schopenhauer stützte sich auch auf das Archiv für thierischen Magnetismus, von dem zwischen 1817 und 1824 zwölf Bände erschienen waren, herausgegeben von dem angesehenen Mediziner Dietrich Georg von Kieser (1779–1862), der seit 1816 ordentliches Mitglied der Leopoldina war und in seinen letzten Lebensjahren deren Präsident wurde. Der von Franz Anton Mesmer in den 1770er Jahren begründete Animalische Magnetismus verlor jedoch nach seiner Blütezeit während der Romantik gegen Ende des 19. Jahrhunderts an Bedeutung; größere Verbreitung erfuhr der aus Amerika kommende Spiritismus, seit 1848 in New York vor einigen hundert geladenen Gästen die beiden Schwestern Margaret und Kate Fox per Klopfzei-

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chen Kontakt zu den Geistern Verstorbener aufgenommen hatten. Das millionenfach praktizierte Tischeklopfen und -rücken wurde auch in Europa zu einem regelrechten Gesellschaftssport. Der Spiritismus, die Vorstellung, man könne mit den Toten sinnlich-konkret in Verbindung treten, setzte dem überhand nehmenden Materialismus eine tröstliche Jenseitsperspektive entgegen und befriedigte das Bedürfnis „nach einer neuen, das christliche Welt- und Menschenbild ersetzenden Weltanschauung, bedingt durch die zunehmende Säkularisierung und ein dennoch vorhandenes metaphysisches Bedürfnis.“359 Die halböffentlichen spiritistischen Séancen, in denen einschlägig begabte Medien außer Geistererscheinungen auch Levitation und Telekinese, die Überwindung der Schwerkraft und die berührungslose Bewegung von Gegenständen, vorführten, stießen teils auf Skepsis, teils zogen sie mannigfache Spekulationen und Theorien über die vierte Dimension des Raumes nach sich, dem, wie man mutmaßte, bevorzugten Aufenthaltsort von Geistern. Die folgenreichste und vielleicht mächtigste esoterische Bewegung des 19. Jahrhunderts war die von der russischdeutschen Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891) Ende 1875 in New York ins Leben gerufene Theosophische Gesellschaft. Madame Blavatsky, die zahllose Reisen in Europa, Asien und Amerika unternommen hatte und 1880 in Sri Lanka zum Buddhismus konvertiert war, publizierte 1888 ihr theosophisches Hauptwerk, The Secret Doctrine (Die Geheimlehre) in ursprünglich zwei Bänden (Kosmogenesis und Anthropogenesis) – nach ihrem Tod ergänzte Annie Besant das Werk aus nachgelassenen Schriften um einen weiteren Band Esoterik und einen Indexband –, worin bis heute die maßgeblichen Lehren der Theosophie niedergelegt sind.360 Es gehört zu den wahrscheinlich systembedingten Eigenheiten derartiger Bewegungen, daß sie sich bald in einander heftig befehdende Gruppierungen zersplittern; die Theosophie spaltete sich nach Blavatskys Tod in einen amerikanischen und einen indischen Zweig; die Leitung des letzteren hatte die Engländerin Annie Besant (1847–1933) inne, vielleicht die faszinierendste unter den vielen Frauengestalten, die in der Theosophie reüssieren konnten. In jungen Jahren, vor ihrem Bekehrungserlebnis 1889 und ihrer Begegnung mit Madame Blavatsky, war sie eine energische Vorkämpferin der englischen Frauenrechtsbewegung, eine glühende Sozialistin, die einige Jahre mit George Bernhard Shaw liiert war; ihr Sekretär und Leiter der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, Rudolf Steiner, trat 1912 aus dem inzwischen stark hinduistisch gepräg-

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ten Verein aus und gründete die Anthroposophie. Besant beeinflußte maßgeblich die Hinwendung des im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts hochgeschätzten Komponisten Cyril Scott, des ,englischen Debussy‘, zur Theosophie; Steiner besaß eine ähnliche Strahlkraft für Alban Berg.

Abb. 14: Titelblatt des ersten Bandes der Zeitschrift Sphinx, erschienen von 1886–1896.

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Zu den bekanntesten Erforschern okkulter Phänomene, die sich nicht dauerhaft einer der etablierten Richtungen anschließen mochten und zudem die Nähe zu den seriösen Wissenschaften, namentlich zur Evolutionstheorie Darwins, suchten, zählte der Philosoph und Spiritist Carl Freiherr du Prel (1839–1899). Er lebte in München, dessen Künstlerszene um die Jahrhundertwende auf Esoteriker aller Richtungen magnetische Anziehungskraft ausübte. Unter den Münchener Okkultismusforschern sind neben ihm der Parapsychologe Albert von Schrenck-Notzing und Wilhelm Hübbe-Schleiden zu nennen, ein Theosoph der ersten Stunde, der 1884 Präsident der theosophischen Sozietät Germania wurde, 1892 eine neue Theosophische Vereinigung in Berlin gründete, aus der die Deutsche Theosophische Gesellschaft hervorging, die sich dem indischen Zweig unter der Leitung von Annie Besant und ihrem Generalsekretär Rudolf Steiner zurechnete, und der zehn Jahre lang, von 1886 bis 1896 die Zeitschrift Sphinx herausgab, das wichtigste Organ der deutschen Okkultismusforschung. Die Münchener Spiritisten und Okkultisten waren eng mit der Münchener Künstlerszene vernetzt, sie zählten zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis unter anderem Franziska zu Reventlow, Alfred Schuler und Ludwig Klages, ihrerseits Mitglieder der Kosmiker um Stefan George, sowie, um nur die vielleicht bekanntesten zu nennen, Thomas Mann, Gustav Meyrink und Lou AndreasSalomé. Für die Sphinx schrieben unter anderen Richard Dehmel, Peter Hille oder Franz Evers.361 Man kann alle diese esoterischen und okkultistischen Richtungen, die sich häufig von den etablierten Wissenschaften fernhielten, als eine dritte abendländische ,Erzählung‘ ansehen, vergleichbar den im Wagner-Kapitel erwähnten von der Antike oder dem Mittelalter. In dieser Erzählung werden älteste hermetische Traditionen aufgegriffen und häretische oder esoterische Lehren, von den Pythagoreern und Gnostikern über die Katharer, Alchimisten und Rosenkreuzer bis zu den Geheimgesellschaften des 18. Jahrhunderts, mit religiösen Versatzstücken aus dem Buddhismus und Hinduismus verschmolzen. Die meisten Anhänger dieser dritten Erzählung waren Monisten. Sie verspürten ein Bedürfnis nach einer integralen Erzählung von der Welt, nach einem Urgrund, der hinter der Vielfalt aller Erscheinungen walten sollte. Der Begriff ,Monismus‘ bedarf einer kurzen Erklärung und Abgrenzung gegenüber den Begriffen ,Dualismus‘ und ,Pluralismus‘. Dualismus ist die natürlichste Art, sich das, was einen umgibt, zu erklären. Man erlebt täglich dualistische

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Phänomene: Rechts und Links, Oben und Unten; Mann und Frau; Tag und Nacht; Himmel und Erde; Ebbe und Flut; Einatmen und Ausatmen; An und Aus. Aber auch: Gut und Böse, Hell und Dunkel, Paradies und Hölle, d. h. die dualistischen Erfahrungen lassen sich verallgemeinern und transzendieren: Man nimmt beispielsweise ein gutes und ein böses ‚Prinzip‘ an, zwei antagonistische, miteinander ringende Mächte, die für den Wechsel in der Fülle der Erscheinungen verantwortlich gemacht werden können. Bei zunehmender Differenzierung registriert man Zwischentöne und Zwischenstufen wie etwa die Übergänge zwischen den Jahreszeiten oder zwischen Tag und Nacht; Abstufungen zwischen Gut und Böse; Wesen, die weder ‚echte‘ Männchen noch ‚echte‘ Weibchen sind. Eine solche Differenzierung führt zum Pluralismus. Man konzediert, daß es, um die Vielfalt der Erscheinungen erklären zu können, viele und vielerlei Gottheiten geben muß, daß man zu einer Beobachtung unterschiedliche Erklärungsmöglichkeiten in Erwägung ziehen kann. Aber auch: Daß es vielerlei Arten gibt, sein Leben zu führen, daß es andere Menschen mit anderem Aussehen, anderer Religion und anderen gesellschaftlichen Konventionen gibt. In den sogenannten freien Gesellschaften herrscht heute ein grundsätzlicher und sie als freie geradezu charakterisierender Pluralismus vor, nach dem es eben keine einzelne, universal geltende Wahrheit, keine für alle passende Lebensform, keine allein seligmachende Religion gibt, sondern eine Vielheit der Lebensformen und Lebensweisen sowie der Erklärungen der Welt. Pluralismus kennzeichnet das Wesen der aufgeklärten Moderne: anything goes. Dem nun steht als gleichzeitig antiquiert wie provokant wirkend der Monismus gegenüber. Er tritt mit dem Anspruch auf, die alleinige richtige Erklärung von ,Allem‘ zu besitzen, das sich auf ein einziges, von ihm erkanntes Prinzip zurückführen läßt. Gegenwärtig vertritt kein ernstzunehmender Philosoph einen konsequent monistischen Standpunkt, seine letzten Verfechter findet man nur noch in esoterischen Kreisen, bei den Anhängern jener dritten Erzählung. Als Monist trat seinerzeit freilich auch der angesehene Zoologe Ernst Haeckel auf, der im Jahre 1899 seine Welträtsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie veröffentlichte, einen Bestseller, der bis zum Ende des Ersten Weltkrieges elf Auflagen erlebte, in 24 Sprachen übersetzt wurde und sich allein in Deutschland über 300.000 mal verkaufte. Haeckel, ein früher Anhänger der Evolutionstheorie, vertrat die Überzeugung von der Unvereinbarkeit der Darwinschen Lehren mit dem christlichen Dogma und entwickelte

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eine geschlossene materialistische Weltanschauung, für die ,Religion‘ nichts anderes war als „eine verbindliche Ethik auf naturwissenschaftlicher Grundlage“362 . Haeckel stand um 1900, auch wegen der heftigen Kontroversen, die seine Schriften auslösten – über 5000 Briefe erhielt er binnen weniger Monate nach Erscheinen der Welträtsel – etwa da, wo sich heute der Evolutionsbiologe Richard Dawkins befindet, dessen Buch Der Gotteswahn die Haeckelsche Sicht der Dinge fortschreibt.363 Haeckel bekämpfte ein Prinzip, das vor allem die Kirchen vertraten, wenn sie neben der Materie etwas wesensmäßig von ihr Verschiedenes, es heiße ,Geist‘, ,Seele‘ oder ,Lebenskraft‘, propagierten. Dieses ,falsche‘ Prinzip nannte er Dualismus. In tabellarischen Übersichten stellte er zentrale Aussagen seines naturwissenschaftlich begründeten Monismus diesem falschen Dualismus gegenüber. Aus seiner naturwissenschaftlich-monistischen Sicht galt zum Beispiel: „Die Erkenntnis ist ein natürlicher Vorgang, kein Wunder“, während der (falsche) Dualismus behauptete: „Die Erkenntnis ist ein übernatürlicher Vorgang, ein Wunder.“364 Sein Monismus ging davon aus, daß „[m]aterielle Körperwelt und immaterielle Geisteswelt“ ein „einziges, untrennbares und allumfassendes Universum“ bildeten, wohingegen der Dualismus annahm, „[m]aterielle Körperwelt und immaterielle Geisteswelt“ seien „zwei völlig getrennte Gebiete (voneinander ganz unabhängig).“365 Ähnlich versuchte Haeckel nachzuweisen, daß Kant zeitlebens zwischen einer richtigen, nämlich kritischen, atheistisch-physikalischen und damit monistischen Haltung und einer falschen, nämlich metaphysischen, theistisch-unvernünftigen und damit dualistischen Ansicht hin und her geschwankt habe und insofern als Philosoph maßlos überschätzt worden sei; der eigentliche „Newton der organischen Natur“ sei Darwin, durch dessen „Selektionstheorie“ die „teleologische Naturerklärung von Kant vollkommen widerlegt worden“ sei.366 Einem solchen naturwissenschaftlichen Monismus stand ein „philosophischer“ entgegen, der, wie Carl du Prel in seiner Monistischen Seelenlehre schrieb, „den Geist an die Spitze stellte und die Natur aus ihm herausfliessen liess. Dieses Streben hat in H e g e l seinen Gipfel erreicht, dem die ganze Welt zur ,Phänomenologie des Geistes‘ wurde.“367 Für Hegels Zeitgenossen und Rivalen Schopenhauer stand dagegen über und hinter allem der eine blinde Wille, das Kantsche „Ding an sich“. Eduard von Hartmann, um die Jahrhundertwende der angesehenste deutsche Philosoph, hatte, nach du Prel wenig überzeugend, in seiner Philosophie des Unbewussten den

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Versuch unternommen, „H e g e l s ,Idee‘ mit S c h o p e n h a u e r s ,Willen‘ zu einem ,Unbewussten‘“ zu vereinen.368 Hartmann vertrat ebenfalls einen monistischen Standpunkt und schrieb: „Wo wir uns auch umblicken unter den genialen philosophischen oder religiösen Systemen ersten Ranges, überall begegnen wir dem Streben nach Monismus, und es sind nur Sterne zweiten und dritten Ranges, die in einem äusserlichen Dualismus oder noch grösseren Zersplitterung Befriedigung finden.“369 Fraglich ist, ob das bereits von Mesmer als Agens seiner magnetischen Behandlungen postulierte ,Fluidum‘ im menschlichen Körper, das zugleich das gesamte All und sämtliche Organismen durchfluten sollte, eine noch nicht genauer erkannte unsichtbare physische Kraft (wie die Elektrizität) oder eine immaterielle, rein geistige sei; die Theosophen nennen diese universale Lebenskraft Prana. Cyril Scott, der theosophische Komponist, betonte in Übereinstimmung mit den Lehren Blavatskys als Fundamentalsatz seiner Weltanschauung die Überzeugung, „that from the Occult viewpoint the basic truths of all the great religions are the same“, eine Aussage, die sein Sohn Desmond Scott, ebenfalls bekennender Theosoph, auf der von ihm eingerichteten und betreuten Cyril-Scott-Homepage im Internet plakativ hervorgehoben hat.370 Man erinnere sich hier an das Lambdoma aus dem vorigen Kapitel, das für einige Autoren Anlaß gab, den ominösen Punkt 00 mit einem transzendentalen Ursprung in Verbindung zu bringen. Carl du Prel hat in seiner Monistischen Seelenlehre nach etwas gesucht, das weder einseitig „Spiritualismus“ noch „Materialismus“ sei, sondern das Geistige und das Materielle gleichermaßen transzendiere, und fand es ansatzweise in den Untersuchungen Adolf Zeisings zum Goldenen Schnitt: Zunächst erbrachte er den Beweis, dass Natur und Kunst von einem gemeinschaftlichen Gestaltungsprinzip beherrscht sind, dem des goldenen Schnittes. Es lässt sich dieses Einteilungsprinzip nachweisen in der menschlichen Gestalt, im Bau der Tiere, der Pflanzen, Krystalle, in den chemischen Mischungen, ja sogar in der Anordnung des Planetensystems, also in der unorganischen wie organischen Natur. Im Reiche des Bewusstseins manifestiert es sich in der Architektur, Musik, Poesie und Malerei. Teilweise berufe ich mich dabei auf noch ungedruckte Abhandlungen Z e i s i n g s, für welche einen Verleger zu finden mir nicht gelungen ist. Mit Schriften, die den bloss scheinbaren, nämlich materialistischen Monismus behandeln, werden wir überschwemmt, während solche, die monistisch im echten Sinne des

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Wortes sind, beim sogenannten Volke der Denker nicht einmal einen Verleger finden!371

Hartmanns „Sterne zweiten und dritten Ranges“, nämlich die Begründer eines Pluralismus, wie er seit den wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Überlegungen Poppers, Cassirers und Goodmans heute unangefochten vorherrscht, regten sich freilich auch schon vor dem Ersten Weltkrieg, etwa 1909 mit William James und seinem den Begriff etablierenden Werk A pluralistic universe, das 1914 in deutscher Übersetzung erschien.372 Bereits seit den 1870er Jahren hatte der nach Bertrand Russell „größte amerikanische Denker“, Charles Sanders Peirce (1839–1914), dessen Stern heute alle Hartmanns, du Prels, Blavatskys oder Steiners überstrahlt, in seinen Überlegungen zur Semiotik und zum Pragmatismus monistische Ansätze verworfen; freilich erschienen seine Schriften erst lange nach seinem Tod.373 Jedenfalls kann man von den Debatten um „spiritualistischen“, materialistischen und transzendentalen Monismus, um Dualismus und Pluralismus, sagen, daß sie keine hintereinander ablaufende Bewegungen, keine zu bestimmten Zeiten vorherrschende Moden waren, sondern in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende gleichzeitig für eine kaum zu überblickende Vielfalt miteinander ringender und gegeneinander konkurrierender, das Denken der Zeit in Atem haltender Meinungen sorgten. II. Blavatskys synkretistische Theosophie hatte auch Einflüsse der antiken Gnosis amalgamiert; seit der Darstellung des Kirchenhistorikers Ferdinand Christian Baur aus dem Jahre 1835 war man über diese von der frühen Kirche heftig bekämpften Richtungen unterschiedlichster häretischer Gruppen in frühchristlichen Zeiten im Bilde. Um 1900 erschienen mehrere Bücher zur Gnosis, allein in Deutschland etwa Eugen Heinrich Schmitts zweibändige Darstellung Die Gnosis. Grundlagen der Weltanschauung einer edleren Kultur und Wilhelm Boussets Hauptprobleme der Gnosis.374 Schon dem Freiherrn von Thimus war bei seinen harmonikalen Untersuchungen aufgefallen, daß pythagoreische Vorstellungen offenbar auch von den Valentinianern, einer gnostischen Sekte des ersten und zweiten Jahrhunderts in Rom, gelehrt wurden, wie er in der Schrift Refutatio omnium haeresium (,Widerlegung aller Häresien‘) des Kirchenlehrers Hippolytus von Rom

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entdeckt hatte.375 Gnostische Vorstellungen erfuhren in der Philosophie und Ästhetik des 19. und 20. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Renaissance, wie die jüngere Kulturgeschichte wiederholt konstatiert hat, etwa Peter Sloterdijk in seinem gnostischen Lesebuch, vor allem aber Michael Pauen in seiner stupenden Untersuchung zum Gnostizismus in der Moderne.376 Pauen hebt hervor, daß die „Verwandtschaft zwischen den antiken Gnostikern und ihren modernen Nachfahren struktureller Natur“ sei und es nicht um „die Identität de[r] Gehalte, sondern den Rückgriff auf eine gemeinsame Denkfigur, eine Grammatik des Denkens“ ginge; er zieht es daher vor, von „Gnostizismus der Moderne“ zu sprechen.377 Als Hauptmerkmal dieser Denkfigur gilt: „Die Welt wird diskreditiert als Werk von Finsternis und Ignoranz, dem die Abgesandten des Guten und die Inhaber eines höheren Wissens gegenüberstehen: das gnostische Denken betreibt somit eine Selbstermächtigung des Subjekts.“378 Pauen kann mit seiner Gnostizismus-These außer dem Konstatieren einer gewissen, oft wohl nur topologisch zufälligen Affinität von Künstlern, Wissenschaftlern und Philosophen zu esoterischen Kreisen um 1900 auch einen handfesten Grund dafür angeben, daß gerade die Avantgarde in allen ihren künstlerischen Ausprägungen entscheidende Impulse aus der skizzierten dritten Erzählung ziehen konnte. Die Künste müßten sich, wenn sie gnostischen Traditionen verpflichtet seien, „von der Nachahmung der armseligen Schöpfung emanzipieren und eine eigene, ,andere‘ Welt schaffen.“379 Denn nicht nur ist, wie bereits in der Romantik, der Zwang zur Mimesis von ihren Schultern genommen: Wenn diese Welt, wie Gnostiker glauben, das Werk eines bösen Demiurgen ist, bestehe sogar die Pflicht der Kunst, sich von der Welt abzuwenden und, in Adornos Worten, „das als häßlich Verfemte zu ihrer Sache“ zu machen, um „im Häßlichen die Welt zu denunzieren“ (vgl. S. 93).380 Pauens Untersuchung nimmt ihren Ausgang bei Schopenhauer und befaßt sich dann mit Autoren „im Spannungsfeld von Ästhetik, Kulturkritik und Philosophie“, nämlich mit Bloch, Klages, Heidegger und Adorno. Die Dissonanzen, von denen der erste Teil im vorliegenden Buch handelte, erhalten unter gnostizistischer Perspektive einen Legitimitätszugewinn, und der im letzten Kapitel erörterte ominöse Punkt 0 0 der harmonikalen Pythagoreer kann nun als Metapher für den gnostischen ,fremden Gott‘ herhalten, der nicht von dieser Welt ist.

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Die Gnosis nimmt zudem einen wichtigen Topos der modernen Kunstphilosophie vorweg, indem sie das ›Unsagbare‹, das sich dem rationalen Zugriff entzieht, zum Gegenstand der ästhetischen Evokation macht: Im Gegensatz zu anderen ›Kunstreligionen‹ geben die gnostischen Mythen nicht einfach eine Erzählung von Geschehnissen, die nur durch die Zeit vom Erfahrungsbereich des Hörers getrennt sind. Sie berichten aus einer Sphäre jenseits der trügerischen Erscheinungswirklichkeit und erheben damit den Anspruch, eine tiefe kosmologische und erkenntnistheoretische Kluft zu überwinden: Bereits hier zeichnet sich eine Tendenz ab, die schließlich Nietzsche dazu führt, die Kunst zur ›eigentlich metaphysischen Tätigkeit‹ zu erheben.381

Seit der spektakulären Kunstausstellung Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian 1900–1915 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt (1995) darf die enge Verflechtung neuer Strömungen avantgardistischer Kunst und Literatur mit der hier in Rede stehenden dritten Erzählung als gut dokumentiert und erforscht gelten. Pauen selbst gab bereits einen ersten Überblick über Gauguin, Mondrian, Kandinsky bzw. Baudelaire, Mallarmé und George; die Untersuchungen von Priska Pytlik behandeln unter anderem Rilke, Döblin und Thomas Mann.382 In der Musikforschung stößt dagegen die Erkenntnis, Hauptvertreter der radikalen Moderne wie etwa Schönberg müßten mit Esoterik, Theosophie, Geisterspuk und ähnlichem in Verbindung gebracht werden, bis heute auf große Skepsis. Zulange galt als ausgemacht, was Adorno zur Kapitelüberschrift in seiner Philosophie der neuen Musik gewählt hatte, nämlich daß Schönberg und der Fortschritt zusammengehörten (während Strawinsky der „Reaktion“ zugerechnet wurde): Seit dieser Darstellung bildete die Schönbergschule gewissermaßen exklusiv die musikalische Avantgarde, die mit den Zumutungen einer dritten Erzählung nichts zu tun haben könne. Bevor es im folgenden um Schönberg und zwei weitere Musiker im frühen 20. Jahrhundert geht, die sich in den hier untersuchten Kontext stellen lassen, sei eines älteren Komponisten gedacht, der wohl zu den frühesten gehört, in deren Schaffen die Beschäftigung mit okkultistischen Phänomenen, in diesem Fall spiritistischen, Spuren gezeitigt hat: Die Rede ist von Robert Schumann (1810–1856). Am 18. April 1853 vermerkte er zum ersten Mal in seinem Tagebuch das „Tischrücken“, zwei Tage später: „Tischrücken bei uns. Wunderbare Erscheinung.“383 Er versuchte demnach über Klopfzeichen und

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Bewegungen eines Tisches in Kontakt zu Geistern Verstorbener zu treten und geriet dabei in Exaltation. Nach wenigen Tagen notierte er, einen Aufsatz über das ,Tischrücken‘ verfaßt zu haben, der aber verschollen ist. Am 1. Mai 1853 wurde das abendliche Tischrücken mit den Kindern praktiziert, am 1. August 1853 auch einmal mit anwesenden Gästen, dazwischen war (am 6. Mai) sein Arzt Dr. Hasenclever dabei, der allerdings wenig überzeugt war (Schumann nennt ihn „Antipode“), dennoch lief es auch an diesem Tag „[w]underbar.“384 Dann lassen die Hinweise auf das Tischrücken nach; am 17. Oktober, einem der vier Tage, an denen er seine Gesänge der Frühe op. 133 für Klavier komponierte, heißt es: „Versuch d. Geisterklopfens nicht gelungen.“385 Am 10. Februar des folgenden Jahres notierte Schumann lapidar: „Abends sehr starke u. peinliche Gehöraff[ek]tion.“386 In den folgenden sieben Tagen werden diese Leiden regelmäßig festgehalten. Was es mit ihnen auf sich hat, erfährt man aus den sehr viel ausführlicheren Tagebuchaufzeichnungen seiner Frau Clara, die Berthold Litzmann in seiner dreibändigen Biographie der Künstlerin überliefert hat: Freitag, den 17., nachts, als wir nicht lange zu Bett waren, stand Robert wieder auf und schrieb ein Thema auf, welches, wie er sagte, ihm die Engel vorsangen; nachdem er es beendet, legte er sich wieder und phantasierte nun die ganze Nacht, immer mit offenen, zum Himmel aufgeschlagenen Blicken; er war des festen Glaubens, Engel umschweben ihn und machen ihm die herrlichsten Offenbarungen, alles das in wundervoller Musik [. . .]. Der Morgen kam und mit ihm eine furchtbare Änderung! Die Engelstimmen verwandelten sich in Dämonenstimmen mit gräßlicher Musik; sie sagten ihm, er sei ein Sünder, und sie wollen ihn in die Hölle werfen [. . .]. Montag, den 20., verbrachte Robert den ganzen Tag an seinem Schreibtisch, Papier, Feder und Tinte vor sich, und horchte auf die Engelstimmen, schrieb denn wohl öfter einige Worte, aber wenig, und horchte immer wieder.387

Auch andere Zeugen, etwa Ruppert Becker, der Konzermeister des von Schumann geleiteten Düsseldorfer Orchesters, berichteten von Schumanns ,höheren‘ Eingebungen: 14. Februar 1854: Schumann sprach sich heute über eine eigentümliche Erscheinung, die er seit mehreren Tagen wahrgenommen, aus. Es ist dies: Das innerliche Hören von wunderschönen, in der Form vollkommenen Musikstücken! Der Klang ist ihm wie ferne Blasmusik; die herrlichsten Harmonien zeichnen diese noch besonders aus. [. . .] Er

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sprach davon: so müßte es sein in einem anderen Leben, wenn wir unsere körperliche Hülle abgelegt hätten. [. . .] 24. Februar: Ich besuchte ihn nachmittags, und Frau Schumann forderte mich auf, mit ihm spazieren zu gehen. Während einer Stunde, die ich mit ihm zubrachte, unterhielt er sich ganz vernünftig – mit Ausnahme, daß er mir erzählte, die Gestalt Franz Schuberts habe ihm eine herrliche Melodie geschickt, die er auch aufgeschrieben und über die er Variationen komponiert habe.388

Die hier erwähnte Melodie mit Variationen sind die sogenannten Geistervariationen für Klavier, ein Es-Dur-Thema mit fünf Variationen, im Werkverzeichnis der Neuen Schumann-Ausgabe als F 39 geführt.389 Am Rosenmontag des Jahres 1854, einem 27. Februar, „war Schumann nach Claras Tagebuch gerade dabei, die Variationen ,aufs Reine‘ zu schreiben und bei der fünften und letzten angelangt, als er [. . .] zur Rheinbrücke lief und sich in den Fluß stürzte.“390 Der Selbstmordversuch endete glimpflich, da man ihn noch rechtzeitig aus dem Wasser fischen konnte; tags darauf beendete er die Variationen und ließ sie seiner Frau bringen mit der Bitte, sie zu spielen. Drei Tage später erfolgte (auf eigenen Wunsch) seine Einweisung in die Heilanstalt Endenich, in der er zweieinhalb Jahre später, nach völligem Verfall seiner mentalen Fähigkeiten, in geistiger Umnachtung verschied. Die Obduktion ergab „Knochenwucherungen an der Schädelbasis und anormale Neubildungen von Knochenmassen [. . .], die zum Teil in die harte Hirnhaut eindrangen“, ferner „eine Verdickung und Entartung der beiden inneren (weichen) Häute des Gehirns und eine Verwachsung der inneren (Gefäß-)Haut mit der Rindensubstanz des Großhirns“ sowie „Schwund der Hirnsubstanz.“391 Schumanns geistige Umnachtung dürfte mithin organische Ursachen gehabt haben; er hatte sich um 1831 als Klavierschüler Friedrich Wiecks in Leipzig mit Syphilis angesteckt und litt wohl auch deshalb lebenslang unter Schuldgefühlen. Die Nachwelt und ihr folgend die ältere Schumannforschung haben allerdings den Ausbruch seiner psychischen Krankheit und seine Beschäftigung mit Geistern seit 1853 miteinander in Verbindung gebracht und das Interesse am ,Tischrücken‘ als erstes Zeichen seines beginnenden ,Verrücktwerdens‘ gedeutet. Vielleicht deshalb wurden seine Kompositionen dieses letzten, relativ fruchtbaren Schaffensjahres entweder wenig beachtet, wie die Gesänge der Frühe oder die dritte Violinsonate in a-Moll, blieben lange unveröffentlicht, wie das Violinkonzert, das erst 1937, oder die Geistervariationen, die 1939 im Druck erschienen; oder sie wurden,

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wie die fünf Romanzen für Violoncello, von Clara sogar vernichtet (1893). Es bleibt jedoch zu beachten, daß Schumanns spiritistische Erfahrungen von ihm überwiegend positiv empfunden wurden; Clara vermerkte in den Tagen der Gehörshalluzinationen vor dem Selbstmordversuch am Rosenmontag sowohl „einen Blick voll Seligkeit, den ich nie vergessen kann“ wie auch eine erstaunliche „Klarheit des Geistes“392 ihres Mannes, und Schumann selbst hielt im Haushaltsbuch eine Mischung aus negativen und wundervollen Gefühlen fest: ¯ „Noch schlimer, aber auch wunderbar“ (12. Februar 1854) oder einen Tag später: „Wunderbare Leiden.“393 Die Musiker, um die es nun im Kontext okkultistisch-theosophischer Einflüsse gehen soll, sind 1. Arnold Schönberg, von dem bereits Walther Klein in einem Beitrag zu einer Festschrift anläßlich des 50. Geburtstags des Komponisten geschrieben hatte, wenn „man nun auf dem Globus der geistigen Welt den Punkt angeben will, wo Arnold Schönberg seine Heimat hat, so kann das mit einer höchst einfachen Feststellung geschehen: S c h ö n b e r g i s t T h e o s o p h .“394 2. Cyril Scott, der sich selbst als Theosophen bezeichnete und mit einer ganzen Reihe von Büchern zur Theosophie und zum Okkultismus hervorgetreten ist und 3. Heinrich Schenker, ein Wiener Musiktheoretiker, der mit seiner eigentümlichen Schichtenlehre und seinem elitären Antimodernismus in den hier dargestellten Kontext gehört, auch wenn direkte Beziehungen zur esoterischen Szene fehlen. III. Am Ende des ersten Kapitels der Philosophie der neuen Musik ist in bezug auf die Musik Schönbergs vom ,Niegewesenen, vom „Schock des Unverständlichen“395 die Rede, und Adorno entwirft das Bild einer unverstandenen, absichtsvoll unmenschlichen Kunst: Die integrale Technik der Komposition [. . .] ist ein Versuch, der Wirklichkeit standzuhalten und jene panische Angst zu absorbieren, welcher der integrale Staat entsprach. Die Unmenschlichkeit der Kunst muß die der Welt überbieten um des Menschlichen willen. Die Kunstwerke versuchen sich an den Rätseln, welche die Welt aufgibt, um die Menschen zu verschlingen. [. . .] Die Schocks des Unverständlichen, welche die künstlerische Technik im Zeitalter ihrer Sinnlosigkeit austeilt, schlagen um. Sie erhellen die sinnlose Welt. Dem opfert sich die neue Musik. Alle Dunkelheit und Schuld der Welt hat sie auf sich ge-

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nommen. [. . .] Keiner will mit ihr etwas zu tun haben [. . .]. Sie verhallt ungehört, ohne Echo. [. . .] Auf diese letzte Erfahrung hin [. . .] ist die neue Musik spontan angelegt, auf das absolute Vergessensein. Sie ist die wahre Flaschenpost.396

Im Wien der 1920er Jahre, in das Adorno kam, um bei Alban Berg Komposition zu studieren, konnte man eine Art moderner Gegenkultur konstatieren, und zwar auf ziemlich allen Gebieten der Wissenschaft, der Philosophie und der Kunst. Zu ihr gehörten beispielsweise der Wiener Kreis um Hans Schlick und Rudolf Carnap, Sigmund Freud, das Haus Wittgenstein, in dem die Komponisten Schönberg und Gustav Mahler ein- und ausgingen oder die mit Schönberg befreundeten Karl Kraus und Adolf Loos, denen der Komponist noch 1950 seine Schrift Stil und Gedanke widmete. Diese Gegenkultur opponierte gegen alles typisch Wienerische: angefangen bei der Art, wie man seine Wohnungen einrichtete über den gesellschaftlichen Umgangston bis zum Kulturkonsum der gehobenen Kreise. Diese Wiener Gegenkultur strebte nach dem, was Schönbergs Schüler Webern unter Erziehung zur äußersten Wahrhaftigkeit gegen sich selbst verstand; sie focht einen Kampf aus gegen das Ornament in der Kunst (Loos), gegen das niveaulose Feuilleton in der Zeitung (Kraus), gegen die metaphysische Spekulation in der Philosophie (Wittgenstein), gegen die sogenannte Kapellmeistermusik (Schönberg) oder gegen die sexuelle Doppelmoral der Wiener Gesellschaft (Freud): Gerade weil die wienerische Kultur wie ein Äther das gesamte Leben durchdrang; weil dort Kultur selbst, insgeheim dem zuwider, was Kultur meint, als Luft des Bestehenden, als stillschweigendes Einverständnis sich sedimentiert hatte, begehrten die Begabtesten gegen sie auf, brachen aus, indem sie der Kultur dartaten, sie sei in Wahrheit nicht kultiviert genug. Darin waren Schönberg, Karl Kraus und Adolf Loos eines Sinnes; Feinde des Ornaments, des Behagens am unverpflichtend Ästhetischen, das allzu viel sich selber als gesichert vorgibt und notwendig ins Phäakische ausartet. Ihre Polemik galt dem Schmock aller Bereiche [. . .].397

Den Anspruch, radikal avantgardistisch zu sein, vertraten die Komponisten der Zweiten Wiener Schule auch selbst. Webern und Berg etwa versicherten sich in Briefen, wenn sie Konzerte neuer Musik besucht hatten, wie mittelmäßig die Erzeugnisse anderer Komponisten im Vergleich zu den Werken ihrer, der Schönbergschen Schule, seien. Berühmt wurde Schönbergs Diktum gegenüber Josef Rufer, mit der

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Erfindung der Dodekaphonie habe er die Führungsrolle deutscher Musik auf mindestens ein Jahrhundert gesichert.398 Äußerer Beweis künstlerischer Wahrhaftigkeit und radikaler Modernität waren die regelmäßigen Aufführungsskandale; Handgreiflichkeiten, Gelächter, massenhafte Flucht des Publikums und höhnische Verrisse in der Presse gehörten zu den vertrauten Erfahrungen der Zweiten Wiener Schule, und schließlich folgten das Brandmal ,Entartete Kunst‘ sowie Aufführungsverbote im nationalsozialistischen Deutschland. Am ersten Januar 1911 erklangen in München in einem dieser Skandalkonzerte unter anderem die drei Klavierstücke op. 11, die zu Schönbergs ersten Werken in reiner Atonalität gehören. Namentlich das dritte dieser kurzen Klavierstücke vermag in seiner dissonanten Radikalität, den extremen Kontrasten zwischen äußerster Lautstärke und leisestem Piano, höchster und tiefster Lage noch heute ein gewöhnliches Konzertpublikum zu irritieren. Bei seiner ersten Aufführung am 14. Januar 1910 in Wien hatte Schönberg im Programmheft notiert, er sei sich bewußt, „alle Schranken einer vergangenen Ästhetik durchbrochen zu haben“; der dem Komponisten bis dahin wohlgesonnene Kritiker Richard Batka hatte damals im Wiener Fremden-Blatt von „Perversitäten“ und „Exzentritäten“ geschrieben; er hielt die Stücke für „auf den Flügel übertragenes körperliches Übelbefinden“ und sah Schönberg auf dem „Gipfel seiner Tollheiten“ angekommen.399 Im Münchener Konzert vom Januar 1911 saß nun Wassily Kandinsky, der von Schönbergs Musik derart hingerissen war, daß er sich spontan in einem Brief an den Komponisten wandte. Die sich daran anschließende Künstlerfreundschaft des Malers mit dem Musiker, die mit einem lebhaften Briefwechsel begann und eine gemeinsame Ausstellung nach sich zog, ist allgemein bekannt. Schönberg, der sich damals intensiv der Malerei widmete, sowie seine beiden Schüler Berg und Webern beteiligten sich an Kandinskys und Franz Marcs Almanach Der blaue Reiter, man tauschte die Vorabdrucke der gerade verfaßten Lehrwerke aus und entwarf synästhetisch konzipierte Bühnenwerke, Schönberg seine Glückliche Hand, Kandinsky den Gelben Klang. Auf die Parallelität ihrer Kunstentwicklung ist früh hingewiesen worden, hier der Schritt in die Atonalität, da derjenige in die abstrakte Malweise. Doch zeigten genauere Untersuchungen, daß beide Künstler jeweils unabhängig voneinander dies schon vor ihrer Begegnung vollzogen hatten.400 Es liegt nahe zu vermuten, Schönberg sei durch Kandinsky in eine theosophisch-spiritistische Richtung gezogen worden und habe

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seine bisherige, eher romantisch geprägte Haltung, sein aus dem ,Unterbewußtsein‘ schöpfendes Komponieren, angeregt durch Kandinsky, theosophisch vergeistigt, woraus sich sogar die Entstehung einer neuen geistig-musikalischen Ordnung, der Dodekaphonie, herleiten ließe. Dem widerspricht jedoch eine Studie Wolfgang Gratzers aus dem Jahre 1993, in der die esoterisch-okkulten Vorstellungen aller drei Hauptvertreter der Schönbergschule herausgearbeitet werden.401 Auffällig war ihre intensive Rezeption des schwedischen Mystikers Emmanuel Swedenborg, den Balzac in seinem Roman Louis Lambert als „Buddha des Nordens“ bezeichnet hatte, der aus den „vier großen Religionen“, nämlich „dem Magismus, dem Brahmaismus, dem Buddhismus und dem christlichen Mystizismus“ das Gemeinsame entnommen und mathematisch fundiert hätte.402 Schönberg besaß auch zwei Bücher Carl du Prels, nämlich dessen Rätsel des Menschen. Einleitung in das Studium der Geheimwissenschaften und sein Buch über den Spiritismus.403 Esoterisches Wissen wurde außerdem durch die Lektüre Balzacs und durch die Schriften August Strindbergs vermittelt. Strindberg war – zumindest zeitweise – geradezu der Abgott der Zweiten Wiener Schule. Webern etwa schrieb Berg zu Weihnachten 1910: „Ich bin überzeugt, daß Strindberg alles überragt, was je auf der Welt war.“404 Bereits 1909 entdeckte Schönberg die Identität der Initialen zwischen sich (ARNOLD SCHÖNBERG) und Strindberg (AUGUST STRINDBERG).405 Allein Alban Berg besaß über 60 Bücher mit Werken Strindbergs; sie sind voller Lesespuren und Anstreichungen, und zwar immer da, wo Strindberg okkultistische oder mystische Themen behandelte.406 Schönberg besaß laut eigenem Bibliotheksverzeichnis 1913 bereits 28 Bände mit Werken Strindbergs sowie zwölf Bände Balzacs.407 Als 1909 Mahler aus New York heimkehrte und einen Abend mit Schönberg, dessen Schülern und Freunden verbrachte, kam die Rede auf Dostojewsky: Mahler wunderte sich, daß die jungen Menschen nichts von dem russischen Romancier wußten und rief Schönberg zu, er solle mit ihnen Dostojewsky lesen, das sei wichtiger als Kontrapunkt. Worauf Webern, wie in der Schule, aufgestanden sei und geantwortet habe: „Bitt’, wir haben den Strindberg.“408

Schönberg, Berg und Webern trugen sich damals mit dem Gedanken, Strindberg zu vertonen, und zwar in Form eines (in Schönbergs Worten) Weltanschauungs-Oratoriums. In Frage standen Strindbergs autobiographische Texte Inferno und Jakob ringt.

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Strindberg schilderte darin seinen Paris-Aufenthalt der 1890er Jahre, als er eine schwere psychische Krise durchlebte und von Aberglauben und esoterischen Wahnvorstellungen geplagt wurde. Er vermeinte Dämonen, Geister und Engel zu sehen, die um ihn rängen, ihn verfolgten und ihn peinigten; so heißt es beispielsweise einmal in Jakob ringt: Endlich sehe ich wieder klarer, und da stehe ich in der Fleurus-Allee und lehne den Kopf gegen einen Kastanienbaum. [. . .] Plötzlich nähert sich mir unter den entlaubten Bäumen eine Lichtkugel, die von zwei Vogelschwingen getragen wird. Sie bleibt in Augenhöhe vor mir schweben, und in dem klaren Schein, der die Kugel umgibt, sehe ich ein weißes Blatt Papier, das wie eine Speisekarte verziert ist. Oben auf der Karte lese ich in rotfarbigen Buchstaben: Iß! Und unten entrollt sich in einer einzigen Sekunde mein verflossenes Leben wie in einer mikrographischen Reproduktion eines ungeheuer großen Plakates. Alles ist aufgezeichnet! Alle Entsetzlichkeiten, die geheimsten Sünden, die widerlichsten Szenen, in denen ich die Hauptrolle spiele [. . .]. Mein Blut erstarrt, und verzehrt vom Feuer der Gewissensqualen, falle ich mit dem Ausruf: Gnade! Gnade! zu Boden. Ich will davon abstehen, mich vor dem EWIGEN zu rechtfertigen [. . .].409

Diese körperlichen und seelischen Krisen, zu denen auch die Bewältigung einer Ehescheidung gehörte, mündeten in eine synkretistische, von theosophischen Elementen durchsetzte Religiosität, die Strindberg vor allem der Lektüre der Schriften seines schwedischen Landsmannes Emmanuel Swedenborg verdankte. Dessen achtbändige Arcana coelestia, erschienen 1749–56, eröffneten dem gepeinigten Dichter himmlische Geheimnisse, eine Welt der Engel und Geistererscheinungen und leiteten eine Wende ein, die in den Schoß der Kirche zurückführte. Es verdient Beachtung, daß Strindbergs übersinnliche Erfahrungen ausgerechnet im Paris der letzten Jahre des 19. Jahrhunderts erfolgten. Dort gab es, ähnlich wie im München Carl du Prels, mehrere von den unterschiedlichsten Künstlern mitgetragene okkultistische Bewegungen, so etwa die um den Literaten Joséphin Péladan (1858– 1918), die katholische Mystik, Magie, Kabbala und Gedankengut der Rosenkreuzer zusammenführte; Péladan, der sich ,Sar Péladan‘ nannte und ein fanatischer Wagnerianer war, gründete 1888 zunächst einen Ordre Kabbalistique de la Rose-Croix und vier Jahre später den bis heute bestehenden Ordre de la Rose-Croix Catholique et esthétique du Temple et du Graal. Claude Debussy und Erik Satie waren hier

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Mitglieder, und Satie komponierte 1892 für den Péladanschen Salon de la Rose+Croix einige Klavierstücke, seine Trois Sonneries de la Rose+Croix. Debussy und Satie verkehrten auch in den Kreisen der sogenannten Gnostiker und Satanisten um Jules Bois (1868–1943), für dessen Theaterstück Les Noces de Sathan Debussy die Bühnenmusik schreiben sollte. Am 8. März 1892 kündigte die esoterische Zeitschrift Le Saint-Graal die Aufführung dieses Stückes im Théâtre d’art an, doch zog sich Debussy in letzter Minute zurück, die Musik schrieb schließlich der César Franck-Schüler Henry Quittard. Jules Bois, mit dem Debussy und Satie längere Zeit befreundet waren, verfaßte mehrere Werke okkultistischen Inhalts, darunter 1895 Le Satanisme et la Magie mit einer detaillierten Beschreibung der Rituale einer Schwarzen Messe; das Vorwort dieses Buches stammte von Joris-Karl Huysmans, dem berühmten Verfasser des ästhetizistischen Bestsellers A Rebours um den Dekadent Jean Florissac des Esseintes. Auch Huysmans war Mitglied in Péladans Orden; Satie hat für Bois’ Erzählung La Porte héroïque du ciel von 1894 ein Prélude komponiert. Die atmosphärische Nähe der Noces de Sathan, in denen allegorische Figuren wie Psyche, Ennoia, Adam und Eva, Mephistopheles und Faust sowie Hexen, Engel und Teufel auftreten und in denen es um die Erlösung des Menschen durch das Weibliche geht, zu anderen Werken Debussys, namentlich zu seinem Le Martyre de Saint-Sébastien nach Gabriele d’Annunzio (1911), ist bereits der älteren Debussyforschung aufgefallen.410 Es scheint jedoch so, als ob die französischen esoterischen Bewegungen im Paris der 1890er Jahre mehr den Phänomenen Dekadenz, fin de siècle, Ästhetizismus und Dandyismus geschuldet und weniger, wie in den deutschsprachigen und angelsächsischen Ländern, von emanzipatorischen, auf gesellschaftliche Veränderungen hinstrebenden Motiven verursacht waren. Vor allem mündeten diese Bewegungen in Rekatholisierungstendenzen, wie ja auch Strindbergs Protagonist in den Schoß der Kirche zurückfand. Fasziniert hatten Strindberg auch zwei Romane Balzacs, die ihrerseits von Swedenborg inspiriert waren, nämlich Seraphita und Louis Lambert; Balzac nahm sie 1846 in die Philosophischen Studien der Comédie humaine auf.411 Die in Balzacs Seraphita vermittelte Swedenborgsche Himmels- und Engelswelt zählte lebenslang zu Schönbergs Lieblingslektüre; er verwies, zum Beispiel in Stil und Gedanke, wiederholt auf diesen Roman. Er zitierte daraus u. a. die Charakterisierung des Protagonisten Wilfrid, wobei es ihm auf die Besonderheit eines kurzen Halses ankam („sein Hals kurz wie der von Leuten,

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deren Herz dem Kopf nahegerückt ist“), eine physiognomische Beobachtung mit Hintersinn, da Schönberg auch für sich in Anspruch nahm, sein „Herz und Hirn“ lägen nahe beieinander.412 Auch Seraphita kam für eine Vertonung in Betracht. Insbesondere der Schluß, mit der Himmelfahrt Seraphitas und dem Einblick in die Engelswelten, die sich den ihr Nachschauenden öffnen, hatte es Schönberg angetan: [Seraphita/Seraphitus] schlug an die heilige Pforte. – »Was willst du?« antwortete ein Chor, dessen Frage in den Welten widerhallte. »Zu Gott eingehen.« – »Hast du gesiegt?« – »Ich habe das Fleisch besiegt durch Enthaltsamkeit; ich habe das falsche Wort besiegt durch Schweigen; ich habe das falsche Wissen besiegt durch Demut [. . .]«. Keine Antwort ließ sich vernehmen. »Gott sei gesegnet«, antwortete der Geist und glaubte sich verworfen. Seine Tränen rannen und fielen als Tau auf die beiden knieenden Zeugen, die ob der Gerechtigkeit Gottes erschauerten. Plötzlich erschollen die Trompeten des Siegs, den der Engel in dieser letzten Prüfung davon getragen hatte; die Klänge gelangten in die Raumesweiten wie ein Hall im Echo, erfüllten sie und ließen das Universum erbeben, das Wilfried und Minna klein unter ihren Füßen fühlten.413 Jener Engel kniete vor dem Allerheiligsten nieder, das er endlich von Angesicht zu Angesicht betrachten konnte, deutete auf die beiden und sagte: »Verstatte ihnen, noch mehr zu erschauen; sie werden den Herrn lieben und sein Wort verkünden.« Auf diese Bitte hin sank ein Schleier. [. . .] Das wahre Licht erschien, es erhellte die Schöpfungen, die ihnen öde und dürr vorkamen, als sie die Quelle erblickten, aus der die irdischen, geistigen und göttlichen Welten die Bewegung schöpften.414 Wilfried und Minna verstanden jetzt einige der geheimnisvollen Worte dessen, der ihnen beiden auf Erden in der Gestalt erschienen war, in der sie ihn zu erfassen vermochten [. . .]. Das Licht erzeugte die Melodie, die Melodie erzeugte das Licht, die Farben waren Licht und Melodie, die Bewegung war eine mit dem Wort begabte Zahl; kurzum, es war dort alles gleichzeitig klangvoll, durchscheinend und bewegt: so daß, da alle Dinge einander durchdrangen, die Weite ohne Hindernis war und von den Engeln in der Tiefe der Unendlichkeit durcheilt werden konnte.415

Schönberg erwog zunächst, Balzacs Roman und Strindbergs Autobiographie miteinander zu kombinieren, dann sollte es nur Seraphita alleine sein; das Ganze hätte ein kolossales Oratorium, aufzuführen an drei Abenden, werden sollen.416 Zeitweilig dachte er daran, Strindberg anzuschreiben und um eine Textvorlage zu bitten.

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Doch dieser starb 1912 nach längerer Krankheit. Schönberg verfaßte schließlich selbst einen theosophischen Text, den er 1917 publizierte: Die Jakobsleiter. Ursprünglich sollte im Titel noch stehen: „mit Benutzung einiger Ideen aus Balzacs ,Seraphita‘“. Inhaltlich werden in der Jakobsleiter spiritistische, gnostische und theosophisch-religiöse Elemente miteinander verbunden. Der Erzengel Gabriel zum Beispiel nimmt in einem himmlischen Zwischenreich Seelen, unter ihnen „ein Berufener“, „ein Auserwählter“, „ein Gerichteter“ oder „ein Erlöster“, in Empfang; ihnen stehen ein Läuterungsweg, die Himmelsleiter hinauf, und ihre Reinkarnation auf Erden, die Himmelsleiter wieder hinab, bevor.417 Wesentliche Elemente des Textes sind unmittelbar aus Balzacs Darstellung entlehnt.418 Das Oratorium Die Jakobsleiter blieb unvollendet; bis 1922 entstanden etwa 600 Takte Skizzen zum ersten Teil sowie etwa 100 Takte eines zum zweiten Teil überleitenden symphonischen Zwischenspiels. Beeindruckend ist vor allem die für dieses Werk vorgesehene Riesenbesetzung mit knapp 900 Musikern, die größte Besetzung, die es je in einem Musikwerk gegeben hätte, einschließlich mehrerer Fernorchester, deren Musik durch ein Röhrensystem von außerhalb des Konzertsaals dem Publikum hätte zugeleitet werden sollen. Die Jahre unmittelbar vor der Entstehung der Jakobsleiter, 1908–1911, bezeichnen den Zeitraum des Durchbruchs zur Atonalität, also das Verlassen der funktionsharmonischen Dur-Moll-Tonalität und den Schritt in die freie Welt beziehungslos gefügter Töne, eine Welt voller ,Dissonanzen‘. Genau in dieser Zeit bewegten sich Schönberg und seine wichtigsten Schüler Webern und Berg also in der Welt des Okkulten, lasen entsprechende Texte, wurden Mitglieder entsprechender Zirkel oder freundeten sich mit Theosophen unterschiedlichster Couleur an. Hinter diesem Phänomen steht eine moderne Form der Gnosis, die nun, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, in einigen ihrer Bestimmungsstücke im Anschluß vor allem an die Arbeiten von Hans Jonas, Wilhelm Bousset, Michael Pauen und Franz Schupp vorgestellt werden soll, soweit dies die unübersichtliche Vielfalt gnostischer Systeme und Vorstellungen überhaupt zuläßt.419 1. „Die Gnosis“, so Franz Schupp, der als erster vorgeschlagen hat, Schönberg mit gnostischem Denken in Beziehung zu setzen, „beruht auf einer Haltung, in der sich das Subjekt der Welt gegenüber total fremd erfährt.“420 „Das Fremde ist das Anderswoher-stammende, nicht Her-gehörige.“421 Der Gnostiker ist zwar in, jedoch nicht von dieser Welt. Denn diese Welt ist eine verfallene, dem Untergang geweihte.

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Sie ist, so lehren alle gnostischen Systeme, eine mißglückte Schöpfung, das Werk eines Demiurgen oder eines der Archonten (Jaldabaoth) oder auch des als Dämon, bei Marcion sogar als „Ahriman, Satan“422 vorgestellten Gottes des Alten Testamentes. Über ihr, außerhalb von ihr, gibt es das Andere, das „Jenseits von Allem“,423 den fremden Gott, den wahren himmlischen Vater, eine der kosmischen Finsternis gegenüberstehende absolute Lichtwelt. – Die Wiener Gegenkultur sah sich, wie Schupp ausgeführt hat, zunächst in die verhaßte Franz-Joseph-Welt Kakaniens geworfen, eine Welt, deren Ende unabsehbar schien, „und jedenfalls würde nach ihr nur eine andere Franz-Joseph-Welt, ganz gleich ob monarchischer oder republikanischer Art, kommen“;424 dann folgte insbesondere für Schönberg die traumatische Erfahrung eines Weltkriegs und der Vertreibung durch die Nazis. 2. Begreift das Subjekt, daß es nicht von dieser Welt ist, zerreißt ein Verblendungszusammenhang und es kann die sogenannte Kehre eintreten, der Rückweg zu Gott, zum Anderen; das Fünklein Licht, das sich plötzlich im Subjekt entzündet hat, strebt zurück in das jenseitige Licht. Auf diesem Weg müssen Widerstände überwunden werden. Der Demiurg, die Archonten, die Herren dieser Welt, stellen sich dem Rückweg entgegen. Daraus kann der Gedanke von schrittweise zu überwindenden Läuterungsstufen entstehen. Die Theosophie geht davon aus, daß jedes menschliche Individuum zahlreiche Reinkarnationen durchläuft, Etappen eines nach Jahrtausenden zählenden allmählichen Aufstiegs hin zum Göttlichen. 3. Das Subjekt bedarf einer Hilfe von Außen, eines Boten jener anderen Sphäre, einmal, um überhaupt aus dem Verblendungszusammenhang zu erwachen, sodann als Helfer auf dem Rückweg. Diese Boten sind meistens Engel oder bereits Erleuchtete. Strindberg behauptet in Jakob ringt, einer solchen Gestalt nächtens im Jardin du Luxembourg begegnet zu sein.425 Swedenborg hatte sozusagen permanenten Umgang mit Engeln, Balzac schickt mit Seraphita, die zugleich Seraphitus ist, Mann und Frau in einer Person, ein solches Engelswesen in die Eiswelt Norwegens. 4. Bereits der Gnostiker Marcion, neben Valentinus und Basilides einer der bedeutendsten Gnostiker der Frühzeit, kennt neben der verbreiteten Licht- und Fünkchen-Metaphorik eine analoge Rolle der Musik als Abkömmling jenes anderen göttlichen, außerkosmischen Bereichs. Hieran knüpfte beispielsweise Ernst Bloch an, der sich selbst als Marcioniten bezeichnete. Pauen gibt aus den als Typo-

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skript im Ernst-Bloch-Archiv, Ludwigshafen, vorliegenden Gesprächen mit Michael Landmann ein von Bloch zitiertes Gleichnis Marcions wieder: Danach hört die „von Jahwe eingesperrte Seele“ eines Tages auf der Straße das nie gehörte und ihr doch vertraute Lied eines Jünglings und geht hinunter (sie brennt gewissermaßen durch wie die Mädchen in der Jugendzeit). Der Vater erschlägt den Jüngling, dieser aber gibt ihr sterbend einen Ring als Pfand, damit sie ihn nie vergißt. Der Jüngling ist Christus, der gekreuzigt wird, das Pfand das Neue Testament.426

Die jüngere Gnosisforschung bezweifelt zwar inzwischen, ob man Marcion den Gnostikern zurechnen dürfe, hält aber doch dessen Lehre vom fremden Gott für wesentlich: „So berichtet Tertullian, der fremde Gott Marcions besitze eine eigene Schöpfung (,conditio‘) oder – anders ausgedrückt – eine eigene Welt, einen Ort oder, wie es meistens heißt, einen eigenen Himmel. Dieser ist durch einen ,unendlichen Abstand‘ von der Welt des Schöpfergottes getrennt.“427 Man erinnere sich an dieser Stelle an das im vorigen Kapitel behandelte Lambdoma und die mit ihm verbundenen Metaphern, nach denen aus dem ,Zeugerton‘ 11 und den beiden infinitesimalen Reihen n1 bzw. n1 die ,Welt‘ – oder zumindest die Welt der rationalen Zahlen und musikalischen Töne – hervorgeht, während wie der Marcionsche ,fremde Gott‘ der Punkt X (Kaysers 00 ) ,außerhalb‘ der Welt, in seinem „eigenen Himmel“ liegt. Blochs Geist der Utopie von 1918, in dessen Zentrum eine Philosophie und eine Theorie der Musik stehen, hat Pauen überzeugend als die Schrift einer musikalisch inspirierten Neognosis gedeutet, und man darf wohl vermuten, daß Adorno, der Blochs Geist der Utopie bewunderte, mit seiner „Philosophie der neuen Musik“ an Blochs „Philosophie der Musik“ anknüpfen und sie gewissermaßen historisch fortschreiben wollte. 5. „Die gnostische Gemeinde ist elitär.“428 Nur Wenige gelangen zur Erkenntnis, nicht in jedem ruht ein zu erweckender Funke. – Die elitäre Haltung der Schönbergschule war sprichwörtlich. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich, soll Schönberg gesagt haben, und nicht minder berühmt ist sein Diktum: „Denn wenn es Kunst ist, ist sie nicht für alle, und wenn sie für alle ist, ist sie keine Kunst.“429 6. Erwacht das Subjekt aus dem Verblendungszusammenhang, wird es seines inneren Lichts gewahr, entsteht ein innerpsychischer Konflikt zwischen diesem Licht, das als Geist, als Pneuma, verstanden wird, und der Seele, der Psyche. Die Gnostiker nannten sich deshalb auch Pneumatiker. Bei Swedenborg, in der Darstellung Balzacs

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zumindest, besitzt der Mensch in sich eine zweite, eine Engelsnatur.430 Diese Engelsnatur, sofern sie durch geistige Beschäftigung ernährt wird, bleibt nach dem Tod des Menschen lebendig und tritt dann in jenes Zwischenreich unter der Herrschaft des Erzengels Gabriel ein, von dem Schönbergs Jakobsleiter ihren Ausgangspunkt nimmt. Aus diesen stichwortartigen Andeutungen gnostischer Vorstellungswelt ergeben sich konkrete musikalische Folgerungen: 1. Wenn diese Welt mißraten, das Werk eines niederen Demiurgen ist, entfällt das Gebot der künstlerischen Mimesis: Denn es ist nicht nötig, eine Welt künstlerisch nachzuahmen, die als schlecht und verloren aufgefaßt wird. Die Gesetze der Tonalität (in der Musik) oder der Zentralperspektive (in der Malerei) verlieren damit ihren normativen Anspruch. Kunst kann sich dem Anderen widmen, zumal man an ihm selbst Anteil hat. Daher sollte sich für einen Gnostiker Kunst eher ,nach innen‘ als ,nach außen‘ orientieren, denn im Inneren des Subjekts (des Künstlers) ist das Andere am ehesten zu finden. Schönberg hat um 1909, in den entscheidenden Jahren des Weges in die Atonalität, intensiv zu malen begonnen. Seine Bilder dieser Zeit vermitteln den Eindruck einer solchen Suche im eigenen Inneren; es sind Bilder, die Visionen, Blicke, Hände oder eigenartig verzerrte Selbstporträts darstellen. Das Wiener Arnold Schönberg Center hat alle erhaltenen Schönbergschen Bilder auf seiner Internetseite versammelt, so daß man hier (ebenso in den beiden Ausstellungskatalogen von 2000) etwa folgende Bilder anschauen kann: ChristusVision, Hände, Der rote Blick, Vision, Grünes Selbstportrait, Blauer Blick und Blick.431 Die Wiener Presse war anläßlich der ersten Ausstellung solcher Bilder im Oktober 1910 höchst irritiert. So schrieb etwa das Wiener Illustrierte Extrablatt am 9. Oktober 1910: „Nun malt er. Auf den ersten Blick ist es schrecklich. Man fährt entsetzt zurück. Der grauenvollste Dilettantismus tut sich auf. Ein unsicheres Tasten in den ersten Anfängen gibt sich kund“, attestierte aber auch ein „tief zugrundeliegendes Talent“, das lediglich auf „schlammige Irrwege“ geraten zu sein schien.432 Der musikalische Weg führte Schönberg und Webern zur gleichen Zeit fort von der herkömmlichen Tonalität in den freien musikalischen Raum des Atonalen. Bei beiden Komponisten stand dieser Schritt im Zusammenhang mit der Vertonung von Gedichten Stefan Georges, den Pauen in seiner Studie zum Gnostizismus in der Ästhetik der Moderne in einem bezeichnenderweise „Avantgarde

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und Okkultismus“ überschriebenen Kapitel als Musterbeispiel eines neognostischen Dichters abhandelt.433 Schönberg und Webern vertonten Gedichte aus Georges Buch der Hängenden Gärten bzw. dem Zyklus Der siebente Ring. Zentrales Motiv der Texte ist das der Entrückung. Bereits im Streichquartett op. 10, das ebenfalls in dem oben erwähnten Münchener Skandalkonzert zu hören war, das Kandinsky besucht hatte, hatte Schönberg die Verse des George-Gedichts Entrückung eingesetzt: „Ich fühle luft vom anderen planeten – ich löse mich in tönen kreisend“ und „ich bin ein funke nur vom heiligen feuer.“ 2. Die gnostische ,Kehre‘ könnte ihr musikalisches Gegenstück in der symmetrischen Anlage von Musikstücken haben, etwa den beiden Teilen der Jakobsleiter. Die besondere Eignung der dodekaphonen Reihe für symmetrische Prozeduren, Krebsgänge und Umkehrungen von oben und unten hat Schönberg selbst in Verbindung gebracht mit Swedenborgs Vorstellung eines Himmels, in dem das irdische Gerichtetsein von Zeit und Raum fehlten: „In diesem [musikalischen] Raum gibt es wie in Swedenborgs Himmel (beschrieben in Balzacs Seraphita) kein absolutes Unten, kein Rechts oder Links, Vor- oder Rückwärts.“434 3. Aus der Aufhebung des Verblendungszusammenhangs resultiert für einen Gnostiker die Umwertung aller Werte. Denn was hienieden als gut gilt, ist nur gut aus der Sicht der diese Welt beherrschenden (negativen) Mächte. Daher sahen die Gnostiker beispielsweise in der Schlange das weiseste aller Tiere und drehten ihre Rolle im Paradies ins Positive um: Sie galt ihnen nicht als Symbol für die satanische Verführung, die mit der Vertreibung aus dem Paradies bestraft wurde, sondern im Gegenteil als Bote des wahren Gottes, der durch sie Erkenntnis, denn nichts anderes heißt Gnosis, anbietet. Nach gnostischer Vorstellung wurden Adam und Eva daher aus dem Paradies von eben den Archonten und finsteren Mächten vertrieben, die diese schlechte Welt geschaffen hatten und die die ersten Menschen in geistiger Schlaftrunkenheit gefangen halten wollten. Eben deshalb ist auch Satan in Jules Bois’ okkultistischem Theaterstück Les Noces de Sathan der Erlöser, und Rudolf Steiner, der von der reinen Lehre der Theosophie abgefallene Begründer der Anthroposophie, wählte dessen Namen als Titel einer von ihm heraugegebenen Zeitschrift (Lucifer Gnosis, 1904–1908). Dem entspräche in der neuen Musik die veränderte Rolle von Dissonanz und Konsonanz: Was Jahrhunderte lang als scheußlich,

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in manchen Ausprägungen gar als teuflisch denunziert war, die Dissonanz, steht nun im Zentrum der Musik. Die Dissonanz galt nicht nur Adorno als der differenziertere, ausdrucksstärkere musikalische Zusammenklang. 4. Ein musikalisches Beispiel. Um 1900 begann Schönberg einen Zyklus von Liedern, anfangs mit Klavierbegleitung, später orchestriert, der die Gedichte des Dänen Jens Peter Jacobsen mit dem Titel Gurrelieder vertont, Gedichte, die die Sage von König Valdemar I. und seine Liebe zu seiner Mätresse Tove, die Eifersucht der Königin und schließlich Toves Tod behandeln. Schönberg brach nach etwa dreiviertel Weg die Komposition 1903 ab. Erst 1910, nachdem er in einem Schaffensrausch ohnegleichen seine ersten atonalen Werke geschrieben hatte, nahm er die Gurrelieder wieder auf und komponierte sie zuende. 1911 waren sie abgeschlossen.435 Aus dieser Zeit stammt das stilistisch und instrumentatorisch deutlich vom Vorhergehenden sich unterscheidende Schlußstück, ein Melodram Des Sommerwindes wilde Jagd. Das idyllisch zu nennende Melodram handelt vom morgendlichen Wind, der über Feld und Flur weht und die Natur aus dem nächtlichen Schlaf erweckt: „Herr Gänsefuß, Frau Gänsekraut, nun duckt euch nur geschwind, denn des sommerlichen Windes wilde Jagd beginnt“. Am Ende dieses Melodrams geht die Sonne auf, und nun steigert Schönberg die musikalischen Mittel ins Kolossale und läßt einen achtstimmigen Chor und ein Riesenorchester aus rund 140 Musikern einen ekstatischen Sonnenhymnus anstimmen: Seht die Sonne, Farbenfroh am Himmelssaum, Östlich grüßt ihr Morgentraum! Lächelnd kommt sie aufgestiegen Aus den Fluten der Nacht, Läßt von lichter Stirne fliegen Strahlenlockenpracht!

Eine musikalische Anbetung der Sonne, des hellsten Lichts in unserem Kosmos. Dieser Hymnus an die Sonne bildet in musikalischer Hinsicht ein Werk jener gnostisch-theosophischen Intensivphase, in der die Balzac- und Strindberglektüre, die Begegnung mit dem Theosophen Kandinsky und die zu Gemälden verarbeiteten inneren Gesichte und Visionen konvergieren. Schönberg komponiert wieder tonal, mehrere Dutzend Takte am Beginn und am Ende des Hymnus beschränken sich auf die sieben Töne der C-Dur-Tonleiter.

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Schönberg hatte offenbar mit dem Wechsel von atonalem zu tonalem Idiom kein Problem und sah im Übergang zur Atonalität keinen unumkehrbaren Fortschritt. Die kolossale Besetzung korrespondiert mit den gigantomanischen Besetzungsplänen der geplanten Weltanschauungsoratorien der folgenden Jahre. Und schließlich findet sich auch eine musikalische Analogie zur gnostischen Kehre: das Thema des Hymnus

NB 10: Arnold Schönberg: Melodram Des Sommerwindes wilde Jagd (Gurrelieder), Schlußthema.

leitet Schönberg musikalisch aus der augmentierten Umkehrung der instrumentalen Einleitung des Liederzyklus ab. Was zunächst von oben nach unten verlief (die Tonfolge C–Es–B–B im unteren System von NB 11), richtet sich am Ende von unten nach oben, zur Sonne hin, auf (G–E–A–A in NB 10). Erneut liegt eine kreisförmige Umklammerung eines mehrsätzigen Werkes vor, jedoch modifiziert durch die melodische Umkehrung des Themas.

NB 11: Arnold Schönberg: Gurrelieder, Thema der Einleitung.

IV. Cyril Scott, 1879 in Birkenhead nahe Liverpool zur Welt gekommen, erhielt seine musikalische Ausbildung in Deutschland. Der begabte Pianist kam bereits als Zwölfjähriger in Begleitung seiner Mutter 1891 ans Hochsche Konservatorium in Frankfurt am Main,

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wo er von Engelbert Humperdinck und Lazzaro Uzielli unterrichtet wurde; nach anderthalb Jahren kehrten Mutter und Sohn nach Liverpool zurück; 1895 kam der inzwischen Sechzehnjährige erneut nach Frankfurt, diesmal alleine, und setzte seine Ausbildung am Konservatorium fort, nun in der Absicht, Komponist zu werden. Sein Lehrer wurde Iwan Knorr, der spätere Direktor des Konservatoriums, zu dessen Schülern auch Hans Pfitzner und Ernest Bloch zählten. Über seinen Kommilitonen Clemens von Franckenstein, der in Wien aufgewachsen und mit Hugo von Hofmannsthal befreundet war, kam Scott in Kontakt mit Stefan George, der sich heftig in den bemerkenswert gut aussehenden Jüngling verliebte und ihn in seine Kreise zog. Noch als Konservatoriumsschüler vertonte er einige Lieder Georges aus den Sängen eines fahrenden Spielmanns; George seinerseits ermöglichte dank seiner guten Beziehungen zu Willem de Haan, dem Darmstädter Hofkapellmeister, die Uraufführung der ersten Symphonie Scotts, die am 8. Januar 1900 in Anwesenheit beider in Darmstadt stattfand. 1910 gab Scott eine von ihm selbst übersetzte Anthologie mit 47 Gedichten Georges heraus, die erste Ausgabe einer englischen Übersetzung Georgescher Lyrik. Bis zum Beginn des ersten Weltkrieges verbrachte Scott jedes Jahr mehrere Monate im Winter in Deutschland und traf mit George und seinem Kreis zusammen, manchmal in Georges Heimatstadt Bingen, meistens in Berlin. Hier befreundete er sich auch mit dem Künstler, Theosophen und Wagnerianer Melchior Lechter, der für den Dichter die eigenwillige Gestaltung seiner Bücher vom Jahr der Seele (1897) bis zum Siebenten Ring (1907) gestaltet hatte. Der Einfluß des Georgekreises auf Scott dürfte beträchtlich gewesen sein; insbesondere die Kunstauffassung Georges war konventionell, sein Urteil über Malerei apodiktisch streng und ablehnend. Am radikalsten war George in seiner Ablehnung der Zeitgenossen. Naturalismus, Impressionismus und Expressionismus empfand er gleichermaßen als Zumutung. Bereits 1897 schimpfte er auf die »kecken farbenkleckser« [. . .]. Mit der Malerei der Moderne sei er erstmals in Paris konfrontiert worden, wo man schon in den neunziger Jahren das Gesudel der »Kandinsky und Kokoschka« habe bewundern können. Schon damals sei ihm klar gewesen, dass dieser Weg nicht weiterführe. Mit dem Hinweis auf die angebliche Antiquiertheit der Avantgarde war das Thema vom Tisch. Besuchte er Freunde, die sich für moderne Kunst begeisterten, bat er, die Scheußlichkeiten vorher abzuhängen.436

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Scotts Musikauffassung geht aus seiner Musikgeschichte, seinen zahlreichen Musikkritiken und seiner 1917 entstandenen Schrift The Philosophy of Modernism: Its Connection with Music unmißverständlich hervor.437 Im ersten Kapitel dieses Buches behandelt er „Classicism, Romanticism and Futurism“, wobei er Überlegungen aus seinem ein Jahr zuvor verfaßten gleichlautenden Aufsatz im Monthly Musical Record aufgreift.438 Klassizismus sei „a gigantic misconception“, denn kein Komponist „of the first rank has ever adhered to traditions“.439 Nur der romanticist strebe danach, etwas zugleich Schönes wie Neues zu erschaffen, wobei jedoch die Betonung auf ,schön‘ liege, denn „the true romanticist is an inventor in all directions, though, at the same time, an honest inventor (a point needful to be emphasised) who strives to invent a beautiful thing“440 – anders als „the futurists, cubists, motionists, and others of the same tendency“, die Scott samt und sonders für „monsterists“441 hielt: Futuristen erstrebten nicht, wie der romanticist, Neuheit innerhalb von Grenzen, sondern grenzenlose und damit zugleich häßliche Neuheit. Sie seien Fußgängern vergleichbar, die ihr Glück ausschließlich abseits der Straßen suchten, während ein Klassizist stets auf dem Bürgersteig bliebe, der wahre Künstler, „the true romanticist“, dagegen losginge „with a perfect freedom of choice to follow or leave the road whenever he thinks fit“442 . Die beiden (in seinen Augen) größten Komponisten aller Zeiten, Bach und Wagner, seien solche romanticists gewesen: Neuerer in jeder Hinsicht, aber ohne Radikalität und immer im Kontakt mit dem Schönen. Scott war als Komponist um die Jahrhundertwende, stilistisch mit Debussy, Strawinsky oder Skrjabin vergleichbar, an der Überwindung Dur-Moll-tonaler Funktionsharmonik interessiert, experimentierte mit modalen Satztechniken (Parallelakkordik, Liegestimmen, Ostinati etc.) oder mit Metrumswechseln und vermied gewöhnliche Dreiklangsbildungen, gab jedoch nicht, wie die Schönbergschule, den Bezug zu einem tonalen Zentrum auf und achtete bei aller Neuheit des Tonsatzes auf Wohlklang. Die Wiener Lust an der Dissonanz war ihm fremd, ja zuwider. Seine schon mehrfach angesprochene Affinität zur Theosophie offenbarte sich bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, nicht nur indirekt, durch den Kontakt beispielsweise mit Melchior Lechter, sondern auch durch den direkten Umgang mit ,Adepten‘: Laurie Sampsel verweist in diesem Zusammenhang auf einen Brief Robert Legges an den Komponisten Frederick Delius aus dem Jahre 1907, in dem es heißt, Scott „is devoted now to ,occultism‘ – & is seen eve-

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rywhere with a black Yogi who is supposed to hold in his head all the secrets of the Universe. Scott is a whole-hogger in the matter.“443 In seiner Autobiographie Bone of Contention erwähnt Scott Vorträge von Annie Besant, die er gehört habe; 1914 trat er der Theosophischen Gesellschaft bei.444 In den 1920er Jahren verfaßte er einige Bücher zum Okkultismus, darunter die Trilogie The Initiate, von der bereits die Rede war. Während des Zweiten Weltkriegs trennte sich Scott von seiner Frau, der in Wien geborenen jüdischen Schriftstellerin Rose Allatini, einer Vorkämpferin der Lesbenbewegung, die er auf Geheiß seines „Masters K. H.“, also des legendären Mahatmas Koot Hoomi, 1921 geheiratet hatte, da sie medial begabt und ebenfalls Theosophin war. Rose zog zu ihrer Freundin Melanie Mills; Scott, inzwischen über sechzig Jahre alt, beschloß, mit dem Komponieren aufzuhören und widmete sich dem Verfassen von Büchern zur Homöopathie und alternativen Medizin.445 Er sah wohl auch seine Zeit als Komponist für abgelaufen an; die große Popularität, die er in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als führender englischer Komponist genossen hatte, war abgeklungen. Er verbrachte sein restliches Leben mit Marjorie Hartston (1910–1997) in Eastbourne;446 sie war ebenfalls medial begabt und ermöglichte ihm die erneute ,Kontaktaufnahme‘ zu Koot Hoomi, der ihn aufforderte, mit dem Komponieren fortzufahren. Scott komponierte daraufhin nach Kriegsende (1947) einen groß angelegten Hymn of Unity für Soli, Chor und Orchester auf einen eigenen Text, der bis heute allerdings keine Aufführung erfahren hat, und in den folgenden zwei Jahrzehnten bis zu seinem Tod 1970 entstanden zahlreiche neue Kompositionen, darunter beispielsweise seine vierte Symphonie von 1951/52 und klangschöne Kammermusikwerke wie ein Klarinettenquintett von 1953 oder die dritte Violinsonate von 1955, Werke, die jüngst in guten Aufnahmen auf dem Tonträgermarkt erschienen sind.447 Bei der Durchsicht seiner Kompositionen lassen die Werktitel kaum auf einen der Theosophie verpflichteten Komponisten schließen: Symphonien, Streichquartette, Konzerte, Klavierwerke etc. sind in dieser Hinsicht eher unspezifische Gattungen. Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann aber Scotts erste Oper, The Alchemist, 1917/18 entstanden, 1925 in Essen uraufgeführt und verlegt bei Schott in Mainz. Das einaktige Werk, eine Parabel in drei Bildern, dessen Libretto Scott selbst geschrieben hatte, entstand in jenem Jahrzehnt atonaler, aber noch nicht dodekaphoner Musik vor und um den Ersten Weltkrieg, vier Jahre nach Schönbergs Kurzoper Die glückliche Hand

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(op. 18), drei Jahre nach Strawinskys Skandalballett Le sacre du printemps, aber noch vier Jahre vor der ersten abendfüllenden atonalen Oper Wozzeck von Alban Berg. Das separat in deutscher Übersetzung erhältliche, in Fraktur gesetzte Textbuch wirkt sprachlich nicht gar so verquast wie Schönbergs Jakobsleiter. Es geht, in mittelalterlichem Ambiente, um einen Weisen, den im ersten Bild ein junger Mann bedrängt, ihm zu verraten, wie er einen gefährlichen Geist beschwören könne, der ihm alle Reichtümer der Welt herbeischaffen solle. Das geschieht im mittleren Bild, geht naturgemäß schief, und der Weise muß im dritten Bild den anfänglichen Frieden wiederherstellen, wobei er den jungen Mann als geläuterten Schüler annimmt. Man kann auf der Ebene des Textbuches gewiß manchen theosophischen Gedanken erkennen, allein schon die Figur des Weisen, der gutmütig hilft, aber den jungen Mann nicht daran hindert, die gefährliche (und mißlingende) Geisterbeschwörung vorzunehmen, hat offensichtliche Ähnlichkeit mit den theosophischen Vorstellungen von den in zurückgezogener Einsamkeit lebenden Adepten, die den Gang der Menschheit positiv beeinflussen, aber ihrem unklugen Tun nicht in den Arm fallen dürfen. Die Frage ist hier aber, ob es in der Oper eine konkrete musikalische Beeinflussung durch theosophische Ideen gibt. Das ist in der Tat der Fall, wenn man einen kleinen Aufsatz Scotts heranzieht, der unter dem Titel Some Occult Aspects of Music 1915 im Monthly Musical Record erschien und eine Leserbrief-Debatte im Musical America auslöste, auf die Scott schließlich in einem Anhang zu seinem in dieser Zeit entstandenen Buch The Philosophy of Modernism einging: Scott hatte auf die in der Theosophie behaupteten Zusammenhänge von Farben und Tönen hingewiesen, darauf, daß für medial begabte Menschen die unterschiedlichen ,Auren‘ von Lebewesen und Kunstwerken, ihre Äther-, Astral- und Kausalkörper etc., in einer Art farblicher Wolke sichtbar seien. Davon handelte ein von ihm zitiertes Buch von Annie Besant und Charles Leadbeater über Thought-forms, Gedankenformen, in dem am Schluß auch Musikstücke von Gounod, Mendelssohn Bartholdy und Wagner mit den von ihnen ausgelösten, farblich-abstrakt dargestellten ,Wolken‘ gezeigt werden.448 Diese theosophischen Farbspekulationen stehen wohl auch am Beginn der abstrakten Kunst, wie sie die schwedische Malerin Hilma af Klint (1862–1944), die sich intensiv mit Spiritismus und Theosophie befaßt hatte, und etwas später auch der ebenfalls theosophisch beeinflußte Wassily Kandinsky entwickelten. Schönberg, der

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NB 12: Cyril Scott: The Alchemist, 1. Szene (6 Takte vor Ziffer 8).

ja selbst malte, hatte in seiner Glücklichen Hand eine genau überlegte Farbregie entwickelt; der russische Komponist Alexander Skrjabin, ebenfalls der Theosophie verbunden, entwickelte für sein symphonisches Werk Prométhée – Poème du feu von 1911 ein Farbenklavier; und Joseph Matthias Hauer, der mit Schönberg darum konkurrierte, die Dodekaphonie erfunden zu haben, entwarf einen zwölfteiligen

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Farbenkreis der „Intervalle der zwölfstufigen Temperatur“.449 Der komplexe Bereich synästhetischer Vorstellungen soll hier aber nicht weiter thematisiert werden. Es ging Scott nicht um eine künstlerische Verbindung von Malerei und Musik, der ehemalige Georgeschüler besaß keinerlei Ambitionen, als ,Farbenkleckser‘ aufzutreten, und vor allem interessierten ihn nicht ,private‘ Synästhesien, mehr oder minder willkürliche Zuordnungen von Tönen zu Farben. Es ging ihm um das, was medial begabte Okkultisten tatsächlich beobachtet hatten, was in theosophischer Hinsicht als wahr anzusehen sei und was daher auch mit den Schriften der Madame Blavatsky übereinstimmte. Um allen Mißverständnissen aus dem Weg zu gehen, druckte er in dem Anhang zu seinem Buch die folgende Tabelle ab: C–Red: D–Orange E–Yellow F–Green G–Blue A–Indigo B–Violet

This note and colour corresponding to „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

Power. Energy. Intellect. Sympathy. Devotion. Selfless Love. Psychism.450

Zusätzlich zitierte er aus der Geheimlehre Blavatskys: The best psychics . . . can perceive colours produced by the vibrations of musical instruments, every note suggesting a different colour. As a string vibrates and gives forth an audible note, so the nerves of the human body vibrate and think in correspondence with the various emotions under the general impulse of the circulating vitality of Prana (cosmic energy), thus producing undulations in the psychic aura of the person, which results in chromatic effects.451

Da Scotts Tonsatz nicht atonal ist und trotz aller modalen Satztechniken und ungewöhnlicher Akkordbildungen erkennbare tonale Zentren ausbildet, kann man prüfen, inwieweit das Satzbild im Alchimisten dieser Farb-Charakter-Ton-Tabelle entspricht. Gleich die erste Szene führt laut Bühnenanweisung (vgl. NB 12) eine „Waldhütte mit Bänken und einer Laube, in blumiger Aue gelegen“ vor; dort sitzt die junge Maid, die freundliche Tochter des Weisen, und singt bei der Arbeit. Gemäß der Tabelle wäre die hier passende Farb-TonCharakter-Beziehung wohl am ehesten die vierte, F und grün. Wie im NB 12 (S. 203) zu sehen, ist ein längerer Klang auf F, genauer eine Art mixolydisch auf f, in der Tat das tonale Zentrum dieses ersten Bildes. Der Kontrast zum voraufgehenden Prelude (NB 13), das mit parallel verschobenen, tonal indifferenten Akkordketten und einer von

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NB 13: Cyril Scott: The Alchemist, Beginn des Prelude.

Quarten bestimmten unisono-Melodie beginnt, verstärkt den Eindruck eines absichtsvoll neuen tonalen Zentrums auf f am Beginn der ersten Szene. Der Figur des Weisen müßte nach dem Gesagten der Ton der Macht, C, zugeordnet sein, was bei seinem Auftreten wenig später, bei Ziffer 24, tatsächlich der Fall ist (NB 14). Man kann in diesem Beispiel auch gut die bewußt altertümelnde englische Sprache erkennen: „I tell thee higher food Ay, gems of wisdom canst thou ask from my hands“, was in der deutschen Übersetzung nicht beibehalten wurde. Das mittlere Bild bietet in erheblichem Umfang Chromatik und dissonanzenreiche Passagen, entsprechend der Geisterbeschwörung und der bunten Fülle an zauberisch-bedrohlichen Ereignissen, die auf der Bühne zu sehen sind. Am Ende des dritten Bildes, nachdem der anfängliche Friede wiederhergestellt wurde und der Weise, der seinen Arm um des jungen Mannes Schulter gelegt hat, mit diesem in die Klause tritt, schließt die Oper in strahlendem C-Dur, der Tonart des Alchemisten. Doch wenige Takte zuvor, nämlich drei Takte vor

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NB 14: Cyril Scott: The Alchemist, 1. Szene, 4 Takte vor Ziffer 24.

Ziffer 55 (NB 15), beginnt noch ein Chor der Blumenpflückerinnen zu singen; sie singen ohne Text ein langes, mehrere Takte fortgesetztes Melisma auf „Ah“, ähnlich wie die Sirenen in Debussys drittem Nocturne für Orchester. Hier wird man unwillkürlich an den Gesang der Gandharvas erinnert, den der Erzähler in der okkultistischen Trilogie The Initiate am Ende vernahm (vgl. S. 134). Gandharvas sind in den hinduistischen Veden halbgöttliche Sänger und Musiker, die göttliche Wahrheiten offenbaren. Ihnen müßte nach der Farb-Ton-Tabelle

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NB 15: Cyril Scott: The Alchemist, 3. Szene, 6 Takte vor Ziffer 55; im vierten Takt des Beispiels der Einsatz der Blumenpflückerinnen auf einem singulären A-Dur-Akkord.

das von selbstloser Liebe geprägte A zugeordnet sein, und eben das ist an dieser Stelle auch der Fall: Auf den Einsatz des „Ah“ der Blumenpflückerinnen erklingt ein reiner, in seiner Isolation deutlich auffallender A-Dur-Akkord, bevor die Schlußtakte in C ausklingen.

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V. Zu Heinrich Schenker (1868–1935) reicht es an dieser Stelle, ein paar Bemerkungen in Bezug auf seine Schichtenlehre anzufügen. Der bedeutende und zugleich umstrittene Musiktheoretiker des 20. Jahrhunderts, Zeitgenosse Schönbergs in Wien, polarisierte von Anfang an die Musikwelt, sowohl im Hinblick auf sein ungewöhnliches Konzept musikalischer Analyse wie auch wegen seines strikten Antimodernismus und seiner ungeniert zur Schau gestellten erzreaktionären, deutschnationalen Gesinnungen, die ihn, den galizischen Juden, dessen Ehefrau die Nazis 1945 im Konzentrationslager Theresienstadt ermorden sollten, zu einem Parteigänger Hitlers werden ließen, der sich als „Hakenkreuzler“ unter Wiener „jüdischen Neutöner[n]“ fühlte.452 „Meisterwerke“ der Musik, denen sein ausschließliches Augenmerk galt – lag in ihrer Unkenntnis doch einer „der Gründe des musikalischen ,Verfalls‘, den Schenker allenthalben konstatiert[e]“453 –, hatten in seinen Augen überwiegend deutsche Komponisten von Bach bis Brahms geschaffen, schon von Wagner und seinem eigenen Lehrer Bruckner hielt er wenig, von Debussy, Schönberg oder Hindemith gar nichts. Er sah sich, wie alle Gnostiker, in einer dem sicheren Verfall zustrebenden Welt, in der niemand mehr außer ihm das ,wahre‘ Wissen um die große Kunst der deutschen Meister der Musik besitze. Es ist seinen in die USA emigrierten Schülern zu verdanken, daß die Substanz seiner theoretischen Einsichten, von weltanschaulich-politischen Zumutungen befreit, zur heute maßgeblichen Musiktheorie in den angelsächsischen Ländern werden konnte.454 Das in seinem späten, die älteren Bände seiner Neuen musikalischen Theorien und Phantasien (Harmonielehre, 1906 und zwei Bände Kontrapunkt, 1910 und 1922) abschließenden Hauptwerk Der freie Satz entwickelte Konzept von ,Urlinie‘, ,Ursatz‘, ,Zug‘ und ,Prolongation‘ paßte erstaunlich gut in den Kontext theosophischer Glaubensinhalte, obwohl Schenker nach allem, was man von ihm weiß (er führte über 39 Jahre minutiös Tagebuch), keinerlei Kontakt zu esoterischen Kreisen besaß.455 In seinen Tagebüchern finden sich allerdings gelegentlich pantheistisch anmutende Überlegungen: Sicher ahnt Göttlichkeit auch der Wurm ebenso wie der Mensch, nur ist gleichsam die Teilnahme an Gott im Wurm nach Maßgabe der vom Schöpfer zugewiesenen Organe beschränkt, während sie bei den stärker differenzierten Menschen nach Maßgabe der stärker differenzierten Organe sich eben auch stärker erweist. Unter allen Umständen

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aber bleibt der Teil Gottes auch im Wurm göttlich, und er muß davon, daß er zu Gott gehört, irgendwie Kunde haben. Es überhebe sich also der Mensch nicht und glaube nicht, nur er allein habe in den Religionen seiner Gott-Ahnung Ausdruck gegeben, die Tieren fremd wäre. Wie man die Jugend, Liebe u. s. w. fühlt, so muß jedes Lebewesen das Wunder des Lebens fühlen. Und so ist alles Lebendige vom Göttlichen buchstäblich durchwoben, und daß Gott in Allem ,gegenwärtig‘ ist, darf nicht als bloße Phrase hingestellt werden.456

Schenkers Ausgangspunkt ist der reine Durdreiklang, gewissermaßen der Uranfang der Musik. Drei archetypische Melodiebewegungen werden durch ihn möglich: die stufenweise Abwärtsbewegung von seiner Terz zum Grundton (,Terzzug‘) sowie analog von der Dreiklangsquinte und -oktave zum Grundton (,Quint‘- bzw. ,Oktavzug‘). Hinzu tritt eine Baßstimmenbewegung, eine ,Brechung‘, von der Tonika über die fünfte Stufe zurück zur Tonika, wie in NB 16 zu sehen.

NB 16: Drei Ursätze (Terz-, Quint- und Oktavzug) aus Schenker (1956), Figurentafeln Nr. 9–11, (Anhang, S. 2.)

Ein solcher zweistimmiger Fundamentalsatz heißt ein „Ursatz“.457 Alle tonale Musik, sofern sie ,gut‘ komponiert ist, besteht in der melodischen Ausfaltung, der „Prolongation“ eines solchen Ursatzes. Der Ursatz wird vom Komponisten sozusagen „nach den im strengen Satz kodifizierten Kunstmitteln auskomponiert.“458 Die musikalische Analyse kann das sichtbar machen, indem sie in einzelnen Schritten das Notenbild eines Stückes Schicht für Schicht reduziert, Oberflächenphänomene wie Rhythmus, Dynamik, Artikulation, Besetzung, formaler Aufbau, Modulationen etc. peu à peu ausblendet und so vom „Vordergrund“ zum „Mittelgrund“ zurückfindet und von da, in immer weiteren Abstraktionen, schließlich zum Ursatz gelangt. In NB 17 ist ein Beispiel aus dem Lehrwerk des Schenkerschülers Felix Salzer zu sehen, das in drei Schritten einen ,hinter‘ den ersten acht Takten einer Chopinschen Mazurka befindlichen Quintzug aufdeckt.

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NB 17: Beispiel eines prolongierten (auskomponierten) Quintzugs (Chopin, Mazurka op. 41 Nr. 4); aus Salzer (1960), Bd. 2, Beispiel 250, S. 81.

Wichtig erscheint dabei erstens, daß der Ursatz gleichsam durch alle Schichten hindurch immer ,da‘ ist, ähnlich wie das „Göttliche“ im obigen Zitat alles Lebendige durchdringt; zweitens, daß sämtliche Werke beispielsweise in C-Dur, sei es eine Bachsche Fuge, eine Beethovensche Klaviersonate oder eine Brahmssche Symphonie, im Kern ,dasselbe‘, nämlich die jeweils andersartige, individuelle Ausfaltung des einen einzigen C-Dur-Dreiklangs sind. Schenkers Ansatz ist mithin monistisch und hierarchisch und damit dem theosophischen Denken verwandt: Auch dort abstrahiert man von der ,Oberfläche‘ des physischen Körpers, unter oder hinter dem bzw. durch den hindurch ,höhere‘ „Äther-“, „Astral-“, „Mental-“, „Kausal-“ oder „Buddhikörper“ aufscheinen, die nur dem Eingeweihten, zum Beispiel der Madame Blavatsky oder Koot Hoomi, sichtbar sind.459 Die physisch-seelischen Gewänder, die nach theosophischer Vorstellung den innersten göttlichen Wesenskern des Menschen umhüllen, ähneln den Schichten, die Schenker als Mittel- und Vordergrund eines im Hintergrund wirkenden Ursatzes ansieht. Seine Schichtenleh-

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re bringt insofern „die unterschiedlichen ,Seinsebenen‘ eines Werkes zur Anschauung [. . .].“460 Auf den monistischen Grundzug seiner Lehre hat Schenker in Worten, die auch aus dem Munde eines Esoterikers stammen könnten, selbst hingewiesen: Alles Organische, aller Zusammenhang gehört Gott und bleibt sein Geschenk auch in dem von Menschen Geschaffenen, das als organisch empfunden wird. Die Summe allen Vordergrundes, von den Menschen Chaos benannt, leitet Gott von seinem Kosmos als Hintergrund ab: in diesem Zusammenhang ruht die unendliche Harmonie seines unendlichen Wesens. [. . .] Indem ein Werk, werdend und geworden, im Hintergrunde nur eine Ursache bekennt, ist es wie monotheistisch gerichtet: Gleichsam Heiden sind deshalb jene, die schaffend oder nachschaffend nur den Vordergrund des Werkes gelten lassen und sich an seine Einzelheiten verlieren, Bekenner eines wahrhaft Göttlichen dagegen jene, die den Hintergrund verehren. Auch im Kunstwerk bleibt die eine Ursache im Hintergrund unwandelbar; eine Abweichung nach den Gelüsten der Vordergrund-Heiden ist Sünde wider den Geist des Monotheismus.461

Aus der Vorstellung eines im Hintergrund jedes Meisterwerks wirkenden Durdreiklangs heraus stand Schenker allem Dissonanten (und damit ganz besonders der Schönbergschen Emanzipation der Dissonanz) ablehnend gegenüber. Im zweiten Band seines Jahrbuchs Das Meisterwerk in der Musik (1926) heißt es dementsprechend: „Musik-Ethisches: Die Dissonanz ist unfruchtbar, weil unauskomponierbar; sie dient nur der Konsonanz, die allein fruchtbar ist. Diese goldene Wahrheit der Musik sollte die Menschheit für ihre Lebensführung nutzen!“462

ERINNERUNG

Adrian Leverkühns Teufelspakt Für Wolfgang Braungart

I. hne Holl’ ¨ und Teufel kann es nach dem okkultistischen Aller-

O lei des letzten Kapitels nicht weitergehen. Wer das Bisherige

aufmerksam gelesen hat, erinnert sich an Satan als Erlöser in dem okkultistischen Theaterstück Les Noces de Sathan von Jules Bois, an Steiners theosophische Zeitschrift Lucifer-Gnosis, an die Teufelsmesse in der Symphonie fantastique von Hector Berlioz, vielleicht auch daran, daß der Gott des Alten Testaments von Marcion als Satan bezeichnet wurde; möglicherweise ist ihm auch gegenwärtig, daß im Mittelalter der für die scheußlichste Dissonanz gehaltene Tritonus, das Intervall der übermäßigen Quarte, diabolus in musica genannt wurde. Nun wird es um den Teufel selbst gehen, genauer um einen Teufelspakt, von dem Thomas Manns in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs im amerikanischen Exil geschriebener Roman Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde handelt. Ich las diesen Roman zum ersten Mal 1974 während meiner Studienzeit an der Hochschule für Musik in Frankfurt am Main, und ich war von ihm zutiefst fasziniert. Am stärksten beeindruckten mich die Passagen, in denen Wendell Kretzschmar seine Beethoven-Vorträge hält; es ging mir, wie ich heute weiß, ähnlich wie dem Dirigenten Bruno Walter, als ihm während der Entstehungszeit des Romans dieser Teil bekannt wurde: Er „fand die Abschnitte über op. 111 großartig und betonte, daß nie Besseres über Beethoven gesagt wurde, er habe nicht gewußt, daß Mann so vertraut mit Beethoven sei.“463 Ich habe diese Beethoven-Interpretationen manches Mal mit meinen Studenten gelesen; aber erst ein Seminar zum Doktor Faustus, gemeinsam durchgeführt mit dem Germanisten Wolfgang Braungart von der Universität Bielefeld, nötigte mir eine ernsthaftere wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Roman ab. Wir benutzten die Neuausgabe des Doktor Faustus in der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe mit dem umfänglichen Kommentar Ruprecht Wimmers464 , lasen

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Adrian Leverkuhns ¨ Teufelspakt

allerlei Sekundärliteratur, darunter Angelika Abels Studie zur Musikästhetik der klassischen Moderne, die die Entstehungsgeschichte des Romans minutiös nachzeichnet, und die Schriften Hans Rudolf Vagets, vor allem sein inhaltsreiches Buch zu Thomas Mann und die Musik.465 Als ich schon die ersten Kapitel des vorliegenden Buches geschrieben hatte, erschien die Untersuchung Tim Loerkes zu vier Faust-Bearbeitungen des 20. Jahrhunderts, bei denen es um die Verteidigung der Kultur und um Mythos und Musik als Medien der Gegenmoderne geht.466 Der beeindruckende germanistische Gelehrtenfleiß, der in Jahrzehnten den Roman mit einem Beziehungszauber ganz eigener Art überzogen hat, hätte mich völlig entmutigt, hier ein kurzes Kapitel zum Doktor Faustus einzufügen, wenn nicht dieser Roman in einzigartiger Weise zu meinem Thema passen würde: Teils, weil er in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg spielt und jene Schwabinger Künstlerszene, zu der die Okkultisten Carl du Prel und Wilhelm Hübbe-Schleiden, aber auch die Reventlow und die Kosmiker um Stefan George gehörten, im Roman selbst breiten Raum einnimmt; teils, weil es inhaltlich um die Entstehung neuer Musik im Umkreis Schönbergs geht; teils, weil an der Entstehung des Romans vor allem Adorno beträchtlichen Anteil hatte; teils, weil Thomas Mann mit der Doppelstruktur seiner Musikerbiographie bewußt an den Murr-Kreisler-Roman E. T. A. Hoffmanns angeknüpft und schließlich, weil er die Welt der Musik transzendiert und die Frage einer authentischen Künstlerexistenz in den Kontext der Zeitgeschichte und den Untergang der Kulturnation Deutschland während der Naziherrschaft und des Krieges eingebettet hat. Ich fühle mich auch durch eine Äußerung Vagets ermutigt, der einmal vermisst hat, „dass die Musikwissenschaft Thomas Mann als einen wortmächtigen und bedeutenden Exponenten der deutschen Musikkultur überhaupt wahrnimmt, was sie bisher, von Ausnahmen [. . .] abgesehen, zu tun sich geweigert hat.“467 Aus seiner Sicht hätte kein anderer Autor des zwanzigsten Jahrhunderts derart differenziert eine Verbindung zwischen der deutschen Kulturnation und den zwei Weltkriegen hergestellt und die Frage diskutiert, inwieweit die spezifisch deutsche Affinität zur Musik mit den spezifisch deutschen Katastrophen zusammenhänge. Es war mir immer ein Rätsel, das mich seit meiner ersten Lektüre dieses Romans geplagt hat, und das ich in der Sekundärliteratur bislang nicht zufriedenstellend beantwortet fand, wieso nämlich Leverkühn, dieser zurückgezogen und still seiner Musik lebende Künstler,

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einen Teufelspakt sollte abgeschlossen haben. Ich versuche im folgenden hierüber einige Überlegungen anzustellen, im Bewußtsein, mangels vollständiger Kenntnis des germanistischen Forschungsstandes womöglich Eulen nach Athen zu tragen. – Den Inhalt des Romans, wenigstens in groben Zügen, setze ich im Folgenden als bekannt voraus.

II. Im Gespräch mit dem Teufel erfährt Adrian Leverkühn, dass er bereits vor Jahren, ohne es zu wissen, einen Teufelspakt eingegangen sei, als er nämlich mit einer Prostituierten geschlafen und sich dabei mit Syphilis angesteckt habe. Dass dem Teufel Macht über das Sexuelle gegeben sei, wird im Roman selbst erörtert und erklärt offenbar für die meisten Leser und Interpreten, und seien sie auch nur entfernt mit der christlichen Vorstellungswelt vertraut, hinreichend das Zustandekommen des Teufelspaktes. Dass jedoch, nüchtern überlegt, in einem Roman des 20. Jahrhunderts der Bordellbesuch eines unverheirateten jungen Mannes derartige Folgen zeitigen könnte, erscheint wenig überzeugend. Hier muß noch anderes im Spiel sein. Zu vermuten ist, daß Mann bei seinen Lesern auf bestimmte frauenfeindliche Gedankengänge vertrauen konnte, die bis auf das 1903 erschienene, über 30 mal neu aufgelegte einschlägige ,Standardwerk‘ Otto Weiningers, Geschlecht und Charakter, zurückgehen.468 Dieses Buch wie auch Weiningers Schrift Über die letzten Dinge (1904) besaß im Schönbergkreis, wie Annegrit Laubenthal betont hat, regelrechten Kultstatus.469 Zu Weiningers Anhängern zählten u. a. Karl Kraus und August Strindberg, der in der von Kraus herausgegebenen Fackel einen Nachruf auf den Philosophen veröffentlicht hat. Weininger hatte sich nach dem Erscheinen seines Buches im Alter von 23 Jahren erschossen und durch diesen Selbstmord seiner Schrift zu ungeahnter Popularität verholfen. Er entwickelt darin eine Bisexualitätstheorie, nach der in allem Lebendigen männliche und weibliche Anteile gemischt seien; das übertrug er in ein dualistisches Weltbild, in welchem dem Aktiven das Passive, dem Subjekt das Objekt, der Form die Materie oder dem Etwas das Nichts gegenübersteht. Aktives, Subjekt, Form und Etwas entsprechen dem Männlichen, Passives, Objekt, Materie und Nichts dem Weiblichen. Hier schloß sich der zentrale Gedanke an, das Weibliche müsse prin-

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zipiell zurückgedrängt werden, auch als Anteil im Mann, denn es sei das weniger Wertvolle. So heißt es: Der reine Mann ist das Ebenbild Gottes, des a b s o l u t e n E t w a s, d a s W e i b , a u c h d a s W e i b i m M a n n e , i s t d a s S y m b o l d e s N i c h t s: d a s i s t d i e B e d e u t u n g d e s We i b e s i m U n i v e r s u m , u n d s o e r g ä n z e n u n d b e d i n g e n s i c h M a n n u n d We i b . [. . .] Der S i n n des Weibes ist es also, N i c h t - S i n n zu sein.470

Er ging sogar so weit, das Jüdische mit dem Weiblichen zu assoziieren und wurde folgerichtig, obwohl selbst von jüdischer Abstammung, zu einem der heftigsten Antisemiten seiner Zeit. Er predigte Keuschheit und empfahl dem Mann, sein nur ihm gegebenes Potential zu höherem Leben auszubauen, statt sich mit dem Weib, dessen Wesen reine Sexualität und sonst nichts sei, abzugeben. Bis hierhin könnte man also aus Weiningers Schrift den Gedanken ableiten, daß es dem Mann, insbesondere dem zu Höherem berufenen, abträglich sei, sich (sexuell) auf eine Frau einzulassen – ein Gedanke, der dem homosexuellen George und seinen Jüngern, die das ,Übergeschlechtliche‘ als mystische Kraft beschworen, wie auch dem homoerotisch veranlagten Verfasser des Doktor Faustus, der den Georgekreis stets neugierig-argwöhnisch beäugt hatte, nicht fremd gewesen sein dürfte – und Leverkühn, der es dennoch tut, erlitte insofern Einbuße an seinem Ingenium, wodurch er dem Teufel eine Handhabe böte, sich seiner zu bemächtigen. Weininger sah jedoch noch anderes. Wenig später schreibt er: Der b e j a h t e P h a l l u s ist das A n t imoralische. Darum wird er als das Häßlichste empfunden; darum wurde er stets in einer Beziehung zum Satan gedacht: den Mittelpunkt der D a n t e s c h e n H ö l l e (das Zentrum des Erdinneren) bildet der G e s c h l e c h t s t e i l L u c i f e r s. [. . .] Die Kirchenväter drückten dasselbe pathetischer aus, als sie das Weib das Instrument des Teufels nannten.471 D a ß d a s We i b d a i s t , h e i ß t a l s o n i c h t s a n d e res, als daß vom Manne die Geschlechtlichk e i t b e j a h t w u r d e . D a s We i b i s t n u r d a s R e s u l tat dieser Bejahung, es ist die Sexualität selb e r . [. . .] D a s W e i b i s t d i e S c h u l d d e s M a n n e s .472

Jetzt ist es heraus: Bereits Weininger hatte in seiner misogynen Theorie Sex, Frau und Teufel enggeführt, zwar mit neuen Argumenten, aber im Ergebnis ganz auf der alten christlichen Linie, die die Erbsünde des Menschengeschlechts auf Eva zurückführte.

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Mit derlei Vorstellungen im Hinterkopf scheint der Teufelspakt schlüssiger zu werden. Ist er es aber wirklich? Reichen die altchristlichen und die Weiningerschen Vorurteile aus, um einen Teufelspakt im 20. Jahrhundert motivisch zwingend zu begründen? Daran kann man zweifeln, denn diese Erklärung liegt zu sehr an der Oberfläche; das, was jedermann einleuchtet, kann nicht der innere Kern des Paktes sein. Leverkühn besitzt als Mensch wenig ‚Faustisches’ und noch weniger ‚Deutsches’ an sich. Als Musiker hat er weder eine WunderkindBiographie aufzuweisen, noch tritt er als Virtuose in Erscheinung, er schreibt keine musikästhetischen Pamphlete in eigener Sache und er vermag nicht einmal seine eigenen Werke zu dirigieren. Von den Migräneattacken abgesehen (einem typischen ,Frauenleiden‘) ist er frei von Künstlerallüren. Als still vor sich hin schaffender Komponist orientiert er sich nicht an deutscher, sondern u. a. an französischer Musik, deren Bedeutung im Roman von Vaget überzeugend herausgestellt wurde,473 und er vertont beispielsweise Texte von Verlaine und Baudelaire, wie auch solche von Blake, Keats und Shakespeare. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs gerät Leverkühn nicht, wie sein Freund und späterer Biograph, der philiströse Lateinlehrer Serenus Zeitblom, in einen vaterländischen Taumel. Seine distanzierte, kühle und ironische Art ist frei von Pathos, und man bekommt als Leser eher Mitleid mit dem von Kopfschmerzen geplagten, in Liebesdingen so schwer geschlagenen Mann. Wieso sollte dieser Komponist dem Teufel verfallen sein? Gelegentlich ist zu lesen, mit dem Pakt habe sich der schöpferisch nicht ausreichend begabte, all zu intellektuelle Leverkühn sein kreatives Potential, seine geniale, zum Ruhm führende Begabung erhandelt. Er habe sich absichtlich mit Syphilis infiziert, um durch Krankheit Genie zu erlangen. Aber es kommt im Roman ja nie zu einem diesbezüglich expressis verbis geschlossenen Deal mit dem Teufel, der Pakt wird unwissentlich vollzogen. Man müßte zudem einen großen Teil hochgeschätzter Komponisten des 19. Jahrhunderts als Teufelspaktierer ansehen allein deshalb, weil sie – wie Brahms – gelegentliche Bordellbesucher waren, oder – wie Schumann – sich mit Syphilis angesteckt hatten. Daß Leverkühn Züge Schumanns trägt, der sich ebenfalls in Leipzig infiziert, ein Universitätsstudium abgebrochen und privat Musikunterricht genommen hatte, um 24 Jahre später in geistiger Umnachtung zu enden, sei hier nur am Rande vermerkt. Leverkühn hat sich schuldig gemacht, daran bestehen keine

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Zweifel, aber vielleicht doch nicht nur wegen des Aufsuchens einer Prostituierten. Liest man das 25. Kapitel unbefangen von Anfang an, ohne sich gleich auf die Ausführungen des Teufels zu stürzen, dessen Musikästhetik den Theorien Adornos aus dem Schönbergkapitel der Philosophie der neuen Musik eng folgt, findet sich in einem kleinen, unscheinbar wirkenden Detail vielleicht der Schlüssel zur tieferen Erklärung des Pakts mit dem Teufel. Beschrieben wird der Moment, da an einem Sommertag in Italien der ins Lesen vertiefte Leverkühn vom Teufel besucht wird: Saß allein hier im Saal, nahendt bei den Fenstern, die mit den Läden vermacht, vor mir die Länge des Raums, bei meiner Lampe und las Kierkegaard über Mozarts Don Juan. Da fühl ich mich auf den Plotz von schneidender Kälte getroffen, so als säße Einer im winterwarmen Zimmer und auf einmal ginge ein Fenster auf nach außen gegen den Frost.474

Worauf es hier ankommt, ist nicht die Kälte, mit der Thomas Mann in Umkehrung der gewohnten Erwartungen den Teufel ausgestattet hat, sondern die Lektüre: Leverkühn liest Kierkegaard, genauer gesagt: er liest in Kierkegaards Hauptwerk Entweder/Oder, in dem ein langer Abschnitt von Mozarts Oper Don Giovanni und seiner titelgebenden Hauptfigur handelt. In Wimmers Kommentar findet man den ersten Entwurf der Stelle; Mann paraphrasierte in einem längeren, später gestrichenen Absatz noch einige Passagen aus Kierkegaards Entweder/Oder, und zwar aus dem ersten Teil, der mit Die unmittelbaren erotischen Stadien oder das Musikalisch-Erotische überschrieben ist.475 Kierkegaard war im frühen 20. Jahrhundert ein viel gelesener Philosoph; vor allem aber hatte sich Adorno, Thomas Manns wichtigster Berater für die musikalischen Angelegenheiten des Romans, 1933 mit einer Arbeit zu Kierkegaard habilitiert; er war derjenige, der Mann auf den dänischen Philosophen, einen jüngeren Zeitgenossen Hegels und Schopenhauers, aufmerksam gemacht hat.476 Es geht am Beginn von Entweder/Oder um die Figur Don Juans, um die Gestalt des Verführers, und insbesondere um Mozarts Oper Don Giovanni. Drei Überlegungen Kierkegaards sind hier wichtig. Erstens bringt er Don Juan und Faust in einen Zusammenhang miteinander: Beide seien aus dem Mittelalter stammende, volkstümliche Symbolgestalten, die auf unterschiedliche Weise die Macht des Teufels verkörperten: Im Fauststoff gehe es um die Verführung des Geistes,

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im Don-Juan-Stoff um die des Fleisches: „D o n J u a n ist mithin der Ausdruck für das Dämonische, das als das Sinnliche bestimmt ist, F a u s t ist der Ausdruck für das Dämonische, das als jenes Geistige bestimmt ist, welches der christliche Geist ausschließt.“477 Zweitens behauptet Kierkegaard, der Fauststoff könne immer wieder neu literarisch bearbeitet werden, der Don-Juan-Stoff dagegen entzöge sich der Literarisierung: Kongenial erfasst sei er nur in der Musik, und zwar derjenigen Mozarts, dessen Don Giovanni daher für ihn an der Spitze aller Musik stehe und Mozart unsterblich gemacht habe. Drittens entfaltet Kierkegaard den zunächst paradox erscheinenden Gedanken, „das Christentum habe die Sinnlichkeit in die Welt gebracht“478 , da es nämlich die Sinnlichkeit verneine und sie damit „erst richtig in Erscheinung“ trete. Weil das Christentum aber „Geist“ sei und den Geist als „positives Prinzip“ ansehe, solle die Sinnlichkeit ausgeschlossen werden, was sie dieser versuchten Unterdrückung wegen erst „als Macht“ etabliere.479 Die dem „Geist“ feindliche Macht drücke sich am unmittelbarsten in der Musik aus, denn „die Musik ist das Dämonische“480 , ja sogar das „absolute Medium“481 des Christentums. Worauf Kierkegaard hinauswill, ist, einfach gesagt, daß Musik, wie es sich die ältesten Kirchenlehrer bereits klargemacht hatten, eine Sache des Teufels sei, allerdings eine vom Christentum durch die Einbindung in den Gottesdienst gleichsam gebändigte. Diese Einsicht hatte es Thomas Mann offenkundig angetan. Denn, wie Wimmers im Kommentar anmerkt, hatte er, als er im Dezember 1944 Kierkegaard las, genau diese Stellen angestrichen und mit Ausrufezeichen am Rand versehen. Im ursprünglichen Text des Doktor Faustus fanden sich im Anschluß an das obige Zitat – „las Kierkegaard über Mozarts Don Juan“ – unter anderem noch folgende Sätze: „Die Musik, sagt er, ist die Sprache des vom Geiste ausgeschlossenen Unmittelbaren, der sinnlichen Unmittelbarkeit. Diese ist christliche Conception und die Musik eine höchst christliche Kunst – im Sinne der Dämonie. Musik ist Dämonie“. Ein paar Zeilen später: Musik sei eine „Kunst, die das Christentum zwar einsetzt, aber nur einsetzt, um sie als Medium dessen, was es nicht anders als negierend zur Sprache bringt, gerade von sich auszuschließen und zu verwerfen!“482 Thomas Mann hatte demnach mit seinem Roman das aus Kierkegaards Sicht Unmögliche zu leisten versucht, nämlich die Figur des (deutschen) Faust und diejenige des (spanischen) Don Juan miteinander zu verschmelzen, indem er den Fauststoff gleichsam um

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die erotisch-sinnliche Komponente des Don-Juan-Stoffes erweiterte. Damit wurden zwei Gegensätze zusammengeführt, ganz im griechischen Sinn des Wortes ,Harmonie‘. Ähnlich wie Faust, der „weitbeschreyte Zauberer und Schwartzkünstler“483 , bereits in der Historia von Doktor Johann Fausten, dem von Kierkegaard und Mann benutzten Volksbuch von 1587, wegen seiner curiositas, seiner (wissenschaftlichen) Neugier, ein potenzieller Kandidat für den Teufelspakt war, wäre es Leverkühn bereits deshalb, weil er, nach einem Theologiestudium, sich als Komponist der Musik verschrieben hat. Wer, wie Kierkegaard, Hegels These vom Ende der Kunst verinnerlicht hat; wer zu Beginn des 20. Jahrhunderts Spengler rezipiert hat und weiß, daß die faustische Kulturepoche, in deren Zentrum die Musik stand, unwiederbringlich untergegangen und im Tristan „die letzte der faustischen Künste“,484 die Musik, gestorben ist; wer obendrein mit so eminenten Geistesgaben ausgestattet ist wie Leverkühn, darf einfach nicht mehr Musiker werden: Er muss sich, wie Adorno, der Kompositionsschüler Alban Bergs, gegen die Musik entscheiden, sonst ist er des Teufels. Der Teufelspakt wird bereits vollzogen, indem Leverkühn sich der Musik verschreibt. Wendell Kretzschmar mit seinen Beethoven-Vorträgen war, wie sich im Teufelsgespräch herausstellen wird, eine der Gestalten, in die der Teufel geschlüpft war, um den Jungen zu verführen. Musik selbst ist, woran Kierkegaard erinnert hat, Teufelswerk, das höchstens christlicher Glaube quasi neutralisieren kann. Es gehört zu den subtileren Botschaften Thomas Manns, im Doktor Faustus die Problematik eines bloßen Künstlerdaseins als ,deutscher Tonsetzer‘ in der Moderne erkannt und mit dem Untergang der deutschen ‚Kulturnation’ in Zusammenhang gebracht zu haben. Man muß lange in der deutschsprachigen Literatur über Musik suchen, bis man einen ähnlichen im Grundsatz der Musik so skeptisch wie Kierkegaard gegenüberstehenden Autor findet. An der Spitze der Künste zu stehen, wie es die Romantik, voran E. T. A. Hoffmann formuliert hatte, als einzige unter den Künsten den ,Willen‘ direkt abzubilden, wie Schopenhauer es sah, gar das Medium zu sein, durch das hindurch höhere Mächte den Gang der Geschichte lenken, wie Scott behauptete, so daß, mit Nietzsches spöttischen Worten, „der Musiker selbst unerhört im Preise“ stieg, „eine Art Mundstück des ,An-sich‘ der Dinge, ein Telephon des Jenseits“, ja ein „Bauchredner Gottes“ wurde;485 alles das, was Tim Blanning mit seiner Formel vom „Triumph der Musik“486 zusammengefaßt hat, bekam einen ersten Dämpfer, lange vor Thomas Mann und allen

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Dithyramben auf die Musik, in einem kurzen Text, nämlich in dem fingierten Brief eines virtuellen Musikers, den 1797 Wilhelm Heinrich Wackenroder erfunden hatte: Gemeint ist der Kapellmeister Joseph Berglinger, dessen „merkwürdiges Leben“ der fiktive Geistliche, der die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders verfaßt hat, beschreibt und an den ein Brief gerichtet ist, der sich unter den nachgelassenen „musikalischen Aufsätzen“ Berglingers befand, die den zweiten Teil der nach Wackenroders eigenem Tod 1799 erschienenen Phantasien über die Kunst, für Freunde der Kunst bilden. Wackenroder läßt Berglinger daran zugrunde gehen, sich über die Grundeigenschaft von Musik nicht klar werden zu können: Ist sie göttlichen Ursprungs oder teuflischer Trug? Daß man sie „für die Sprache der Engel“ halten müsse, hatte er in dem Aufsatz Die Wunder der Tonkunst zuvor geschrieben.487 Im Brief Joseph Berglingers aber stehen die erschütternden Selbstanklagen eines Komponisten, der dem dörflichen Elternhaus eines wohl- und mildtätigen Arztes entlaufen war, angelockt vom bunten Zauber der Musik am Hofe einer nahegelegenen Residenzstadt, und nun völlig verzweifelt ausruft: Die Kunst ist eine verführerische, verbotene Frucht; wer einmal ihren innersten, süßesten Saft geschmeckt hat, der ist unwiederbringlich verloren für die thätige, lebendige Welt. Immer enger kriecht er in seinen selbsteignen Genuß hinein, und seine Hand verliert ganz die Kraft, sich einem Nebenmenschen wirkend entgegenzustrecken. – Die Kunst ist ein täuschender, trüglicher Aberglaube; wir meynen in ihr die letzte, innerste Menschheit selbst vor uns zu haben, und doch schiebt sie uns immer nur ein schönes W e r k des Menschen unter, worin alle die eigensüchtigen, sich selber genügenden Gedanken und Empfindungen abgesetzt sind, die in der thätigen Welt unfruchtbar und unwirksam bleiben. Und ich Blöder achte dies Werk höher, als den Menschen selber, den Gott gemacht hat. Es ist entsetzlich, wenn ich’s bedenke! Das ganze Leben hindurch sitz’ ich nun da, ein lüsterner Einsiedler, und sauge täglich nur innerlich an schönen Harmonieen, und strebe den letzten Leckerbissen der Schönheit und Süßigkeit herauszukosten. – Und wenn ich nun die Botschaften höre: wie unermüdet sich dicht um mich her die Geschichte der Menschenwelt mit tausend wichtigen, großen Dingen lebendig fortwälzt, – wie da ein rastloses Wirken der Menschen gegen einander arbeitet, und jeder kleinen That in dem gedrängten Gewühl, die F o l g e n, gut und böse, wie große Gespenster nachtreten, – ach! und dann, das Erschütterndste, – wie die erfindungsreichen Heerschaaren des Elends dicht um mich herum, Tausende mit tausend verschiedenen Quaalen in Krankheit, in

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Kummer und Noth, zerpeinigen, wie, auch außer den entsetzlichen Kriegen die Völker, der blutige Krieg des Unglücks überall auf dem ganzen Erdenrund wüthet, und jeder Sekundenschlag ein scharfes Schwerdt ist, das hier und dort blindlings Wunden haut und nicht müde wird, daß tausend Wesen erbarmenswürdig um Hülfe schreyen! – – Und mitten in diesem Getümmel bleib’ ich ruhig sitzen, wie ein Kind auf seinem Kinderstuhle, und blase Tonstücke wie Seifenblasen in die Luft: – obwohl mein Leben eben so ernsthaft mit dem Tode schließt.488

Die Musik als „verbotene Frucht“, also als teuflische Verführung, das Nichtbeachten des Mitmenschen, seiner „Quaalen in Krankheit, in Kummer und Noth“, der Rückzug auf den „Kinderstuhl“, von dem aus „Seifenblasen“ – „Tonstücke“ (also musikalische Werke) – in die Luft geblasen werden: Wackenroder nahm anderthalb Jahrhunderte vor Thomas Mann bereits in den Blick, was auch das Bedenkliche an Leverkühn ist: Sein Abseitsstehen, sein fehlendes Engagement und ein gewisser Hochmut, mit dem er sein Anderssein spüren läßt. Ein solches Verhalten war durch Schopenhauer und Nietzsche, Manns Hausphilosophen, legitimiert worden, deren Philosophie eine GeniePhilosophie war. Beide hatten es vermieden, mit ‚gewöhnlichen’ Menschen, mit der „Fabrikware der Natur“489 Umgang zu haben, beide lebten unverheiratet und kinderlos als Außenseiter der bürgerlichen Gesellschaft. Es war viel Schopenhauer und Nietzsche in Thomas Mann, und er hat ohne Zweifel den beiden Hauptprotagonisten seines Romans, Leverkühn und Zeitblom, wesentliche Züge seiner selbst verliehen. Dass aber die meisten deutschen Intellektuellen seit dem neunzehnten Jahrhundert dem gesellschaftlich-politischen Bereich fernstanden und sich nicht engagierten; daß sie Parlament und Presse, Kontor und Kommerz verabscheuten und stattdessen für das Wahre, Schöne und Gute schwärmten, das, was ihnen ,deutsche Kultur‘ zu sein schien, gehört in die Geschichte des deutschen Sonderweges, auf dem neben Schopenhauer und Wagner auch Schönberg, Schenker und Weininger gelaufen waren und in deren Bahnen, als er in jüngeren Jahren die Betrachtungen eines Unpolitischen schrieb, auch Mann sich eine Zeitlang bewegt hatte. Schon Wagner hatte behauptet, eine Sache nach Nützlichkeitserwägungen zu betreiben, sei „undeutsch“, Nietzsche hatte zu bedenken gegeben, es würde das „Quantum Verstand, Ernst, Wille, Selbstüberwindung“, wenn man es „für Macht, für große Politik, für Wirtschaft, Weltverkehr, Parlamentarismus, Militär-Interessen“ verausgabe, auf der „andern

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Seite“, derjenigen der Kultur, schmerzlich fehlen.490 Die autonom entfaltete Musik konnte, wie Tim Loerke ausgeführt hat, eine (deutsche) Gegenwelt zur äußeren der Politik, der Gesellschaft oder der Wirtschaft darstellen, sie konnte im Sinne einer säkularisierten lutheranischen Zwei-Reiche-Theorie anstelle einer Versenkung in die Heilige Schrift zu musikalisch inspirierter Begeisterung führen, zu einer Anverwandlung des Göttlichen, zu einer Erfahrung der sinnvollen Ordnung der Welt.491 Das alles war aber nach dem Ersten Weltkrieg, vollends mit dem Beginn der Naziherrschaft, obsolet geworden. Thomas Mann, beim Abschluß des Romans 70 Jahre alt, war vom deutschen Sonderweg abgekommen, seit die Musik im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einer Sache des Teufels geworden war.

Die Stimme aus dem Jenseits I. ossinis Tancredi, seine erste ernste Oper, ein Melodramma eroico,

R basiert auf der gleichnamigen Tragödie Voltaires von 1760, die

ihrerseits Elemente aus Tassos La Gerusalemme liberata verarbeitet. In der ersten Fassung, aufgeführt am 6. Februar 1813 in Venedig, bekam sie, abweichend von der Vorlage, aber dem Brauch der italienischen opera seria folgend, ein lieto fine, ein Happy-End; in der zweiten Fassung, einen Monat später für Ferrara geschrieben, schuf Rossini ein tragisches Finale, das aber dem Publikum mißfiel.

NB 18: Beginn der Kavatine Di tanti palpiti aus Rossinis Tancredi (1813), 1. Akt Nr. 3; nach Edizione critica delle opere di Gioachino Rossini, Bd. 10/I, S. 118.

Die Handlung spielt in Sizilien um das Jahr 1000, als die Stadt Syrakus in Auseinandersetzungen zwischen moslemischen Sarazenen und christlichen Byzantinern geriet und obendrein von internen Konflikten zwischen den führenden Adelsfamilien erschüttert wurde. Tankred ist aus Syrakus verbannt und in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden; er kommt inkognito zurück wegen Amenaide, der Tochter des Herrschers der Stadt, die aber aus politischem Kalkül mit dem Kommandanten der Sarazenen verheiratet werden soll. Seine

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Auftrittsarie Di tanti palpiti, eine Kavatine, die auf das Rezitativ Oh patria! – dolce, e ingrata patria! (,Mein Land! Süßes, undankbar’ Vaterland!‘) folgt, wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem der europaweit beliebtesten und bekanntesten Musikstücke; sie ist ein Ohrwurm, ein ,Schlager‘, dessen musikalische Faktur von provozierender Einfachheit ist und die zu dem ernsten Inhalt der Tragödie einen verblüffenden Kontrast bildet (NB 18). In diesem vielfach parodierten ,Hit‘ der jüngeren Musikgeschichte kulminiert in gewisser Weise das im ganzen 18. Jahrhundert dominierende Interesse am Klang der solistisch geführten und artifiziell ausgebildeten menschlichen Stimme. Rossini lenkte das romantische Interesse an Klangfarbe auf die menschliche Stimme und kostete deren Stimmklang in einzigartiger Weise aus; im Orchestersatz verzichtete er auf motivisch-thematische Arbeit zugunsten einfacher, periodisch aufgebauter Reihungen, die ganz der Freude am bloßen Klangkolorit dienen. Seine Musik war eine Art Lebensgefühl, was Heinrich Heine gut begriff, wenn er in Rossini den typischen Komponisten der Restaurationszeit sah, während der das politisch unterdrückte Publikum nichts als bloßen Sinnestaumel und pures Vergnügen im Genuß schöner Stimmen gesucht hätte. Höhnisch merkte Wagner in Oper und Drama zu Rossini, seinem Hauptgegner, an, dessen Opern seien frivol, er habe sich den Publikumswünschen untergeordnet, vor allem aber habe der Italiener ausschließlich auf das Melodische gesetzt: Über den pedantischen Partiturenkram sah er hinweg, horchte dahin, wo die Leute ohne Noten sangen, und was er da hörte, war Das, was am unwillkürlichsten aus dem ganzen Opernapparate im Gehöre haften geblieben war, die n a c k t e , o h r g e f ä l l i g e , a b s o l u t m e l o d i s c h e M e l o d i e, d. h. die Melodie, die eben nur M e l o d i e war und nichts anderes, die in die Ohren gleitet – man weiß nicht warum, die man nachsingt – man weiß nicht warum, die man heute mit der von gestern vertauscht und morgen wieder vergißt – man weiß auch nicht warum, die schwermütig klingt, wenn wir lustig sind, die lustig klingt, wenn wir verstimmt sind, und die wir uns doch vorträllern – wir wissen eben nicht warum.492

Rossinis Opernkunst wird mitunter als altmodisch-konservativ angesehen, insofern er die dem Ancien Régime und dem Habsburgerreich zugehörige ältere italienische Oper auch noch nach den Napoleonischen Kriegen weiterpflegte und zu einer letzten Blüte brachte. In der Epoche Beethovens und Rossinis verkörpere jener mit sei-

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ner romantisch-dissonanten Instrumentalmusik die Zukunft, Rossini dagegen, wegen seines Festhaltens an der Oper, die Vergangenheit. Diese Gegenüberstellung übersieht allerdings die Modernität der Rossinischen Auseinandersetzung mit dem Stimmklang und dem Phänomen ,Stimme‘. Hegel, wie Schopenhauer ein Liebhaber italienischer Musik, sah das Zentrum der italienischen Oper nicht in deren „Produktion“, im komponierten Werk, sondern in der „Exekution“, der realen Aufführung. Ihm galten die Sängerinnen und Sänger, die Interpreten einer Oper (und nicht deren Komponist) als die eigentlichen Künstler. Hegel hat sich in seinen Vorlesungen zur Physik und zur Ästhetik ausführlich mit den damaligen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen über das Wesen der Phänomene Ton, Klang und Stimme befaßt. Es war schwer nachvollziehbar, wie bloße akustische Schallwellen, mechanisch involvierte Schwingungen von Luftmolekülen, in der Lage sein sollten, die Stimme, die für ihn die „reine Innerlichkeit“493 des Subjekts, „in die Äußerlichkeit des Leibes ausgelegt“494 darstellte, so zu transportieren, daß sie beim Hören ,richtig‘ verstanden wird. Den einzelnen Ton faßte Hegel als „die physikalisch gewordene Zeit“ auf, als das „Zeitlichgesetztwerden der Körperlichkeit, die Bewegung, das Schwingen des Körpers in sich selber, ein Erzittern“495 . Insofern nun Rossini die Klangfarbe der menschlichen Stimme in das Zentrum seines Komponierens rückte, so daß sie sich optimal im Moment der Aufführung entfalten konnte, stand er den deutschen Romantikern, die zur gleichen Zeit den Klangfarben der Instrumente im Orchester gesteigerte Aufmerksamkeit schenkten, durchaus nahe. Tankred, die Hauptfigur aus Tancredi, wird von einer in Männerkleidung auftretenden Sängerin mit tiefer Stimme, einem Contralto musico, einem Kontra-Alt, gesungen. Es ist keineswegs so, daß die Sängerin im Verlaufe des Stückes die Männerkleidung ablegt und ihre ,wahre‘ Identität als Frau offenbart, wie es in manchen Filmkomödien des 20. Jahrhunderts geschieht, wenn alle im Publikum sehen und wissen, daß hier eine lediglich als Mann verkleidete Frau agiert und nur die anderen Protagonisten im Film, jedenfalls für eine bestimmte Zeit, sich täuschen lassen. Die Sängerin ist Tankred. Die Besetzung mit einer Sängerin war vermutlich ein Kompromiß; im ganzen 18. Jahrhundert wäre die Partie von einem Alt-Kastraten gesungen worden, dessen Stimmlage und Timbre sie entspricht. Kastratenstimmen wurden am Ende der Napoleonischen Ära nur noch von einer rasch kleiner werdenden Minderheit goutiert. Für einige

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Jahre feierten Sängerinnen mit tiefen Stimmen wie Adelaide Malanotte, die die erste Aufführung sang, Maria Malibran, Giuditta Pasta oder Pauline Viardot-García mit diesen Rollen Triumphe.

Abb. 15: Die Sängerin Pauline Viardot-García als Tankred im Théâtre Italien, Paris 1840.

Einen Eindruck vom Klang solcher Stimmen vermitteln heute beispielsweise Aufnahmen mit der polnischen Altistin Ewa Podles, die einige charakteristische Kontra-Alt-Arien Rossinis, darunter Di tanti palpiti, auf CD aufgenommen hat.496 Die besondere Leistung der Kastraten bestand in ihrer Fähigkeit zum Singen hoher und höchster Partien. Soprankastraten wie Caffarelli oder Farinelli waren im 18. Jahrhundert die größten aller Gesangsstars. Während seines mehrjährigen Aufenthaltes in Italien hörte Wilhelm Heinse 1780 in Venedig den Sopran-Kastraten Gasparo Pacchiarotti (1740–1821) und die junge Sopranistin Anna Pozzi als Kreuzritter Rinaldo und als sarazenische Zauberin Armida in einer ebenfalls auf Tassos Kreuzfahrerepos La Gerusalemme liberata beruhenden Oper Armida des Komponisten Ferdinando Bertoni (1725–1813). Er war von dem Gesang der beiden Hauptdarsteller

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aufs Höchste entzückt, übersetzte noch in Venedig das Tassosche Epos als Das Befreyte Jerusalem ins Deutsche (die zweisprachige Ausgabe erschien 1781–83 in vier Bänden in Mannheim) und vermerkte in seinem Tagebuch, „wie alle Zuhörer hier von der Pozzi und dem Pacchiarotti bis zu Thränen entzückt“ gewesen seien; seinen Freunden in Düsseldorf schrieb er voller Begeisterung, er möchte sich „eine kleine Fußzehe abschneiden lassen“, wenn er damit machen könne, daß sie nur die einzige Scene von Pacchiarotti und der Pozzi hören und sehen könnten, wo Rinald von der Armida sich trennen muß. Eine solche Quintessenz von Entzücken ist noch bey keiner andern Vorstellung in Musik weder in mein Ohr, noch in meine Augen und meine Seele gekommen. Die ganze Zeit, daß die Scene dauert, trift ein concentrierter Brennpunkt von unendlich süßer wehmüthiger Wonne das Herz. Welche Stimmen! [. . .] welch eine Declamation! welch ein Seelenleben!497

Es störte hiernach im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert kaum jemanden, wenn in einer Oper eine Frau mit tiefer Stimme die Rolle eines Mannes übernahm oder wenn ein Kastrat einen Helden verkörperte, dessen Stimme ebenso hoch klang wie die seiner Geliebten. In ihrer ausführlichen Untersuchung zum historischen Wandel der Stimmfächer konstatiert Rebecca Grotjahn: „In der Barockoper steht die hohe Stimme für Göttlichkeit, Status und Jugend. Soprane und Alte stellen ebenso oft männliche Götter, Helden und Liebhaber dar wie Frauenrollen. Dies gilt für weibliche Soprane oder Alte in derselben Weise wie für Kastraten; weibliche und männliche Sängerinnen waren durchaus austauschbar, etwa bei Aufführungen ein und desselben Stückes.“498 In Heinses Musikroman Hildegard von Hohenthal geht es nach der Besprechung zahlreicher (realer) Opern, darunter allein acht Armida-Vertonungen des 18. Jahrhunderts, am Ende um eine fiktive Oper Achille in Sciro, auf ein Libretto Metastasios, die sich um den versteckt unter Frauen auf der Insel Skyros lebenden antiken Helden Achilles dreht, der sich als Mädchen verkleidet hat, um seinem drohenden Schicksal, vor Troja fallen zu müssen, zu entgehen. Heinses Kapellmeister Lockmann hat diese italienische Oper für die von ihm geliebte sangeskundige Adelige Hildegard, seine Schülerin, komponiert; sie wird während ihrer Italienreise als Sängerin brillieren, indem sie sich als Kastrat maskiert und unter anderem den als Mädchen verkleideten Achilles darstellt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts – der Roman entstand 1795 – deutet sich, trotz Hein-

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ses virtuosem Spiel mit den Geschlechter- und Rollenmasken und bei aller Begeisterung für den Gesang der Kastraten, die er seinem alter ego, dem Baumeister Reinhold, in den Mund legt, doch bereits ein „Paradigmenwechsel im Geschlechterdiskurs“499 an, wenn es zur Konzeption dieser Oper heißt: „Achilles in weiblicher Kleidung muß noch die Sopranstimme haben; sonst würde alle Täuschung verloren gehen. Die Rolle desselben kann bey uns in Deutschland nur eine Sängerin machen, deren Gestalt und Charakter dafür paßt.“500 Von der Faszination einer Sopranstimme handelt auch eines der Kreisleriana E. T. A. Hoffmanns mit dem Titel Ombra adorata. Der reichlich deprimierte Icherzähler gerät in ein Konzert und hört Gesang: Wer vermag die Empfindung zu beschreiben, die mich durchdrang! – Wie löste sich der Schmerz, der in meinem Innern nagte, auf in wehmütige Sehnsucht, die himmlischen Balsam in alle Wunden goß. – Alles war vergessen und ich horchte nur entzückt auf die Töne, die wie aus einer andern Welt niedersteigend mich tröstend umfingen. [. . .] Aber was soll ich von dir sagen, du herrliche Sängerin! [. . .] Wie holde Geister haben mich deine Töne umfangen, und jeder sprach: „Richte dein Haupt auf, du Gebeugter! Ziehe mit uns, ziehe mit uns in das ferne Land, wo der Schmerz keine blutende Wunde mehr schlägt, sondern die Brust, wie im höchsten Entzücken mit unnennbarer Sehnsucht erfüllt!“501

Unnennbare Sehnsucht sei das Wesen der Romantik, hatte Hoffmann in den Kreisleriana geschrieben, unnennbare Sehnsucht in eine andere Welt, aus der Sopranstimmen locken. Nur waren das in Wahrheit gar keine Frauenstimmen: Ombra adorata ist nämlich eine Komposition des italienischen Soprankastraten Girolamo Crescentini, den Napoleon selbst 1805 als Gesangslehrer der kaiserlichen Familie nach Paris berufen hatte. Diese Arie war als Einlagearie in der Oper Giuletta e Romeo von Nicola Antonio Zingarelli eine Zugnummer Crescentinis, die den Ruhm der Oper, sehr zum Ärger Zingarellis, schon bald nach der ersten Aufführung 1796 in den Schatten stellte. Die Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung, zu deren eifrigen Lesern und Mitarbeitern Hoffmann zählte, berichtete ausführlich von einer Wiederaufnahme der Oper am 28. April 1804 in Wien und lobte die „unbeschreiblich angenehm, rund, rein und biegsam“ klingende Stimme des Kastraten.502 Hoffmann verschleierte in seinem Text den Umstand, daß hier eine Kastratenstimme erklingt, indem er den Protagonisten zu Beginn der Erzählung sich in den „äußersten Winkel des Saales“503 zurückziehen und wenig später die Augen schließen

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läßt: Er hört lediglich jene Stimme aus einer andern Welt und hält sie deshalb für die einer Sängerin, doch kommt sie gerade nicht aus einem weiblichen Körper. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts fand eine Entwicklung statt, die laut Grotjahn dem „unausgesprochenen Bedürfnis, Frauen und Männer grundsätzlich als unterschiedlich zu denken“504 entsprach und eine Kongruenz zwischen Stimmlage und Erscheinungsbild herzustellen versuchte: Das heute auch an Opernhäusern vorherrschende und allgemein akzeptierte System der Stimmfächer sehe üblicherweise je drei weibliche und drei männliche Lagen vor, Sopran, Mezzosopran und Alt bzw., jeweils eine Oktave tiefer, Tenor, Bariton und Baß. Die tiefe Kontra-Alt-Lage einer Sängerin wie umgekehrt die hohe Sopranlage eines falsettierenden Sängers werde im Kunstgesang und der professionellen Gesangsausbildung des 20. Jahrhunderts als unweiblich bzw. unmännlich tabuisiert. Grotjahn rechnet das aus der Perspektive der Gender-Forschung dem männlichen Blick und patriarchalischer Dominanz zu und sieht darin eine „mentale Konstruktion“505 , die auch nicht davor zurückschrecke, die Vorstellung zu bilden, „Männer seien größer als Frauen“ (was Grotjahn bezweifelt)506 , verkürzt damit allerdings den kulturgeschichtlichen Vorgang ausschließlich auf die Gender-ästhetische Perspektive, statt eine übergeordnete Entwicklung wahrzunehmen, die mehr betrifft als gender trouble und Stimmfächer. II. Es geht ganz allgemein um die Frage, ob frühere Zeiten, etwa diejenige Heinses, reicher oder ärmer als unsere heutige gewesen sind, wobei ,reich‘ im Sinne von reichhaltig, mannigfaltig, bunt, ausgestattet mit Optionen und Varianten verstanden werden soll. Auf den ersten Blick scheint es klar, daß die heutige Gegenwart ,reicher‘ ist als alle früheren Epochen. Man muß sich bloß in Gedanken ausmalen, was man alles aus der heutigen Lebensumgebung entfernen müßte, weil es damals noch nicht existiert hat. Um alle elektrifizierten und motorisierten Segnungen der Moderne entleert, werden privater und öffentlicher Raum erschreckend arm: Keine Autos, keine Fernseher, keine Flugzeuge, keine Computer, Telefone, Kühlschränke, Elektroherde und was auch immer sonst noch wären in einer solcherart ausgeräumten Welt anzutreffen. Heutigentags gibt es offensichtlich von allem, was die Menschheit hervorzubringen vermag, schon rein

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quantitativ sehr viel mehr, die Menschen von heute sind zudem gesünder, der Wohlstand der Nationen ist gestiegen usw. Doch das ist hinsichtlich des Tatbestands ,reich‘ (im obigen Sinne) eine Selbsttäuschung, die nicht leicht zu durchschauen ist. Dieser Selbsttäuschung erliegt fast jede Generation aufs Neue. Es ist die Hybris der jeweiligen Gegenwart, die beim Blick zurück übersieht, was alles dem Neuen hat weichen müssen, was untergegangen, verloren und vergessen worden ist. In Wahrheit waren die früheren Zeiten mindestens so reich wie die Gegenwart, nur auf andere Weise. Der Preis für den Fortschritt der Moderne, insbesondere die Globalisierung, besteht in einer Verarmung hinsichtlich des früheren Reichtums an Varianten und Bedeutungen. Die alte Welt war mannigfaltiger, bunter, unerwarteter und abwechslungsreicher als die heutige, die so erschreckend normiert und egalisiert ist. Der zunehmende Verlust an Variantenreichtum zeigt sich zum Beispiel hinsichtlich der Sprache. Das Altgriechische besitzt, wie jeder weiß, der noch die Humaniora in der Schule gelernt hat, eine erheblich komplexere Grammatik als das Lateinische. Außer dem Passiv und dem Aktiv kennt das Griechische noch das ‚Medium‘; außer dem Indikativ und dem Konjunktiv den ‚Optativ‘; zu den Vergangenheitsformen Plusquamperfekt, Imperfekt und Perfekt gibt es im Griechischen noch einen ‚Aorist‘, und alle diese Unterschiede werden durch jeweils eigene Wortformen gebildet. Ein einzelnes griechisches Verb kann hunderte verschiedener Endungen annehmen, die jeweils genau unterschiedene Bedeutungen besitzen. Im Lateinischen reduzierte sich diese Komplexität bereits erheblich, in den modernen europäischen Sprachen schließlich so drastisch, daß etwa im Englischen die Verben überhaupt nur noch drei bis fünf verschiedene Formen kennen. Diese Beobachtung einer im Verlaufe von Jahrhunderten zunehmenden Simplifizierung der Sprachgrammatik von auseinander hervorgegangenen Sprachen hat schon Schopenhauer angestellt; er verwies auf das gegenüber dem Altgriechischen noch erheblich komplexere, aber eben auch ältere Sanskrit und vermutete – wie sich zeigen sollte, zu Recht –, es werde in Zukunft bei fortschreitender Modernisierung der Welt das Englische zur lingua franca werden: „Bekanntlich sind die Sprachen, namentlich in grammatischer Hinsicht, desto vollkommener, je älter sie sind, und werden stufenweise immer schlechter – vom hohen Sanskrit an bis zum englischen Jargon herab, diesem aus Lappen heterogener Stoffe zusammengeflickten Gedankenkleide.“507 Heute stehen der Hand-

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voll Menschen, die diese Sprache immerhin noch auf dem Niveau eines Samuel Johnson lesen und sprechen können, die Milliarden Nicht-Muttersprachler gegenüber, die daraus das vereinfachte Kauderwelsch einer internationalen Minimalkommunikation gemacht haben. Aus unserem Schulsystem ist das Altgriechische verschwunden, weil es heute dort, mit Schopenhauer zu sprechen, nicht mehr auf „ein tief eingreifendes geistiges Bildungsmittel“ ankommt und weil mangels unmittelbarer Nützlichkeit und angesichts der Komplexität der Arbeitsaufwand zu groß wäre. Ein zweites Beispiel erörterte Ernst Bloch. Er fragte sich vor mehr als einem halben Jahrhundert, weshalb Antiquitäten, Möbel aus älteren Zeiten, so ungleich schöner seien als die industriell gefertigten Produkte der Gegenwart.508 Er wies über den Unterschied von Hand- und Maschinenarbeit hinaus darauf hin, daß die alten Möbel entstanden seien, nachdem ein individuelles Bedürfnis ihre Herstellung veranlaßt hatte, weshalb dann auch Sitzmöbel oder Tische der Körpergröße dessen, der sie bestellte, individuell angepaßt waren. Heutigentags jedoch würde im Voraus und massenhaft auf Vorrat produziert, was die Gleichförmigkeit der Produkte, ihre industrielle Normierung, mit sich brächte, und erst nachträglich würde mittels Reklame der Bedarf nach den Produkten geweckt. Diese Umkehrung des Produktionsvorgangs erkläre den Unterschied. Bloch konstatierte eine geradezu unglaubliche Artenvielfalt in Zeiten handwerklicher Güterproduktion: Zum Unterschied von der eintönigen und immer eintöniger werdenden Maschinenware geht ein ungenormter Reichtum im Antiquitätenland auf, ein stets aufs Neue verblüffender. Die einfachsten Fayenceteller sind bereits verschieden, wenn ihre Herstellungsorte fünf Wegstunden voneinander getrennt waren. Kein Orientteppich, mit Ausnahme des Buchara und Afghan, ist dem anderen gleich; zwischen einem Frankfurter und einem Danziger Schrank, obwohl sie beide barock sind, bestehen Unterschiede wie zwischen Hoftor und Schloßportal. Das alles ist getrennt durch Lokalität, Auftrag, Überlieferung, doch alles ist unwiederholbar geeint im soliden Handwerk, Stück für Stück eigens angefertigt, und alles verband eine geschlossene, langsam gewachsene Kultur.509

Ähnliche Beobachtungen lassen sich auf zahllosen anderen Gebieten machen. Es geht nicht um konservative Modernekritik, sondern nur um den Umstand, daß Wohlstand für alle Normierung und Egalisierung für den einzelnen nach sich zieht. Zu Heinses Zeiten war

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jede Kutsche von jeder anderen verschieden. Heutzutage würde sich kaum jemand, der stolzer Besitzer eines Autos ist, eine in Handarbeit gefertigte Kutsche samt Pferden leisten können, muß dafür aber hinnehmen, daß es ,sein‘ Auto in hunderttausendfacher Ausfertigung exakt gleicher Bauweise gibt: Je moderner, desto normierter und einander angeglichener werden nicht nur die Produkte, sondern alles, was zum Leben des Einzelnen gehört. Der Rationalisierungsfortschritt der Moderne ist eben an die Zunahme von Selbstdisziplinierung, an einen Rückgang der Artenvielfalt auf jedem Gebiet, es handele sich um Tiere, Pflanzen, Volksgruppen, Sprachen, Kleidungsstücke oder Möbel oder was auch immer gekoppelt. Die mit der Moderne ähnlich zwangsläufig eintretende immer grotesker werdende Bürokratisierung der Welt trägt ein weiteres Mal zu einer massiven Verarmung im obigen Sinne bei. Wem es heute beim bloßen Nennen des Namens der Stadt Brüssel kalt den Rücken hinunterläuft, weil er damit an die alles und jedes normierende und vereinheitlichende Verwaltungszentrale der EU erinnert wird, weiß, was gemeint ist. Vor allem die Bedeutungsvielfalt und -offenheit in vielen Bereichen nimmt ständig ab. Wenn ein Mensch im Mittelalter in der Abenddämmerung etwas undeutlich eine Gestalt vor sich sah, konnte er sich nicht sicher sein, ob es sich um einen Mann oder einen Eunuchen oder eine Frau, vielleicht aber auch um einen Engel, einen Teufel, einen Dämon oder einen Magier handele. (Womöglich auch um einen Zwerg, einen Riesen oder einen Hobbit.) Zwar glauben bis heute die Theosophen an die Existenz von Adepten, die mehrere hundert Jahre alt werden können, von Menschen außerhalb der westlichen Zivilisation und ihren Vorstellungen von Zombies und Geistern Verstorbener zu schweigen. Für die aufgeklärte Moderne des 19. Jahrhunderts waren solche Uneindeutigkeiten aber nicht mehr erträglich (das zwanzigste Jahrhundert wurde wieder etwas ,offener‘): Was wie ein Mann aussieht, sollte auch einer sein, mit allen zugehörigen ,maskulinen‘ Merkmalen hinsichtlich Körpergröße, Stimme etc. Und wenn es kein Mann war, mußte es eine Frau sein, mit dementsprechend weiblichen Eigenschaften, tertium non datur. Ein anschauliches Beispiel für den Verlust von Bedeutungsvielfalt bietet die Musikgeschichte. Die musikalische Notation zwischen etwa 1300 und 1600, die sogenannte Mensuralnotation, besaß einige Notenzeichen für kurze und lange Tondauern, beispielsweise die Brevis für einen kurzen Ton und die Semibrevis für einen kürzeren.

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Die Bezeichnung ‚Semi‘ legt nahe, diese kürzere Note müsse gerade halb so lang gewesen sein wie die Brevis, ähnlich wie heutzutage eine halbe Note halb so lang wie eine ganze Note ist. Aber so einfach ging es in der Mensuralnotation nicht zu. Am Beginn einer Stimme (die einzelnen Stimmen eines Stückes wurden separat notiert) und, wenn erforderlich, auch im Verlaufe eines Stückes, konnte mit graphischen Zeichen, die die Regeln der Ausführung einer Stimme kodifizierten, das Gefüge der Tondauern erheblich verändert werden. Stand dort ein kleiner Kreis, so zerfiel die Brevis in drei Semibreven, stand dagegen ein kleiner Halbkreis da, waren es nur zwei. Befand sich in dem Kreis noch ein kleiner Punkt, zerfiel die Semibrevis ihrerseits in drei kleinere Untereinheiten, die sogenannten Minimae, sonst in zwei. Verschiedene, gleichzeitig erklingende Stimmen konnten mit unterschiedlichen Anfangszeichen versehen sein, so daß die in den einzelnen Stimmen gleich aussehenden Notenzeichen völlig verschiedene Dauern bezeichneten. Und obendrein gab es weitere Möglichkeiten wie die sogenannte Kolorierung, das schwarze Ausfüllen von sonst ‚weißen’ Notenköpfen bzw. das farbige, meist rote Ausfüllen von sonst schwarzen, die die Tondauer ein weiteres Mal modifizierten. Und damit noch immer nicht genug: Spezielle Proportionszeichen konnten innerhalb einer Stimme auftreten, etwa 3/4, die festlegten, daß drei Zeichen einer Art vor diesem Proportionszeichen gerade so lange dauern sollten wie vier Zeichen derselben Art danach. Kurz gesagt: Die Mensuralnotation war, was die Bedeutungsvielfalt eines Zeichens angeht, erheblich komplexer als unsere moderne Musiknotation, nur noch Spezialisten der Musikwissenschaft verstehen heutzutage ihre Schreibweise und für ‚normale‘ Musiker muß die in ihr überlieferte alte Musik in moderne, und das heißt erheblich einfachere Notation umgeschrieben werden. Die alte Mensuralnotation erlaubte rhythmisch äußerst komplexe Strukturen, die sich teilweise in modernen Noten gar nicht ausdrücken lassen. Über mehrere Jahrhunderte gesehen wurde das Notationssystem der Neuzeit teils vereinfacht, teils vereindeutigt, d. h. die Anzahl der Zeichen wurde vermehrt, um die Mehrdeutigkeit der einzelnen Zeichen zu verringern. Nicht der wechselnde Kontext entscheidet von Fall zu Fall, wie lang ein Notenwert erklingen soll, sondern jeder unterschiedliche Fall bekommt heute ein eigenes, eindeutiges Zeichen. Anders gesagt: Die Komplexität der Regeln in Kombination mit wenigen ,Bedeutungsträgern‘, in diesem Fall Tondauernzeichen, wurde verringert, dafür waren mehr und eindeutigere Zeichen erforderlich.

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Dasselbe gilt natürlich auch im Falle der Sprachen, was Schopenhauer bei seiner gegen das Englische gerichteten Polemik verschwiegen hat: Die Grammatik des Englischen ist zweifelsohne gegenüber dem Altgriechischen erheblich einfacher, dafür besitzt es jedoch einen außerordentlich reichen Wortschatz, hierin seinerseits dem Altgriechischen weit überlegen. Bei dem Normierungsprozeß im Bereich der musikalischen Notation gingen aber, anders als beim Sprachenvergleich, auch zahlreiche Möglichkeiten rhythmischer Vielfältigkeit für immer verloren. Denn heute gilt: Was wie eine halbe Note aussieht, muß auch eine sein, und darf nicht anders als in zwei Viertelnoten aufgeteilt werden – es wäre unerträglich, wenn sie, ohne daß man es ihr direkt ansehen könnte, auf einmal in drei Viertelnoten zerfiele (hierfür benutzt man stattdessen eine spezielles Zeichen, die Triole). Ebenso unerträglich wurden dem 19. Jahrhundert dann natürlich Frauen, die ,wie Männer‘, oder Männer, die ,wie Frauen‘ singen. Diese zunehmende Reduktion an zu ertragender Bedeutungsvielfalt, die man zum Beispiel auch im heutzutage immer mehr sich ausbreitenden Unwillen daran erkennen kann, unklare aber pragmatisch-bequeme Termini zu akzeptieren, hat auch die ,Schubladisierung‘ der Stimmfächer auf dem Gewissen. Man kann vermutlich sogar machtpolitische Aspekte ins Spiel bringen: Der moderne Staat nimmt ,seine‘ Bürger – im 19. Jahrhundert wohl eher ,Untertanen‘ – immer umfassender in den Blick; jene Jahrzehnte um 1800, in denen das Interesse am Stimmklang der Kastraten nachließ, waren auch jene, in denen in den europäischen Staaten, gegen den oft erbitterten Widerstand der Bevölkerung, Straßennamen und Hausnummern eingeführt, die Landschaft topographisch vermessen und ein lebhaftes Normierungswesen hinsichtlich Längen- und Gewichtsmaßen in Gang gesetzt wurden. Was für die Steuerbehörden der eindeutige Name und die Adresse eines ,Untertanen‘, war für das Militär die topographische Landkarte, für die Physiker der Pariser ,Urmeter‘ und für die Musiker der Kammerton a, den man in Paris auf Anlaß Napoleons III. durch eine Sachverständigenkommission auf 435 Doppelschwingungen pro Sekunde festlegte, was internationale Konferenzen (z. B. in Wien 1885) einmütig übernahmen, bis schließlich 1939 die International Federation of the National Standardizing Associations in London als bis heute gültige, aber keineswegs zwingend zu beachtende Norm für den Ton a’ die KammertonFrequenz auf 440 Doppelschwingungen bei 20 o C anhob.510 Den von Grotjahn weiter oben konstatierten Paradigmenwechsel

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im Geschlechterdiskurs unterlief andererseits eine bemerkenswerte Neugier des ganzen 19. Jahrhunderts bezüglich verschiedener Spielarten des Bisexuellen bzw. Hermaphroditischen. Weiningers weiter oben angesprochene Bisexualitätsthese traf 1903 auf vorbereiteten Boden. Der Teufel in Jules Bois Les Noces de Sathan war natürlich ein in blaue Farben gewandeter Hermaphrodit, in Balzacs Seraphita erscheint dieses Engelswesen dem Protagonisten Wilfrid als Frau (Seraphita), dagegen seiner Schwester Minna als Mann (Seraphitus). Die Vorstellung von Wesen, die zweigeschlechtlich sind, geht bis auf die Antike zurück. Locus classicus und jedem in den alten Sprachen Bewanderten bekannt war Platons Symposion mit der Rede des Aristophanes (189a–193d), der von ursprünglich drei Menschengeschlechtern berichtet: Nämlich unsere ehemalige Natur war nicht dieselbe wie jetzt, sondern eine ganz andere. Denn erstlich gab es drei Geschlechter von Menschen, nicht wie jetzt nur zwei, männliches und weibliches, sondern es gab noch ein drittes dazu, welches das gemeinschaftliche war von diesen beiden, dessen Name auch noch übrig ist, es selbst aber ist verschwunden. Mannweiblich nämlich war damals das eine, Gestalt und Benennung zusammengesetzt aus jenen beiden, dem männlichen und weiblichen [. . .]. [D]ie ganze Gestalt eines jeden Menschen [war] rund, so daß Rücken und Brust im Kreise herumgingen. Und vier Hände hatte jeder und Schenkel ebensoviel wie Hände, und zwei Angesichter auf einem kreisrunden Halse einander genau ähnlich, und einen gemeinschaftlichen Kopf für beide einander gegenüberstehende Angesichter, und vier Ohren, auch zweifache Schamteile, und alles übrige [. . .].511

Diese Kugelmenschen, an „Kraft und Stärke gewaltig“, wurden den Göttern gefährlich, weshalb Zeus sie, um sie zu schwächen, in zwei Hälften zerschnitt, „wie wenn man Früchte zerschneidet, um sie einzumachen“.512 Nachdem nun die Gestalt entzweigeschnitten war, sehnte sich jedes nach seiner andern Hälfte, und so kamen sie zusammen, umfaßten sich mit den Armen und schlangen sich ineinander, und über dem Begehren zusammenzuwachsen starben sie aus Hunger [. . .]. Da erbarmte sich Zeus und gab ihnen ein anderes Mittel an die Hand, indem er ihnen die Schamteile nach vorne verlegte, denn vorher trugen sie auch diese nach außen und erzeugten nicht eines in dem andern, sondern in die Erde wie die Zikaden. [. . .] Von so langem her also ist die Liebe zueinander den Menschen angeboren, um die ursprüngliche Natur

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wiederherzustellen, und versucht aus zweien eins zu machen und die menschliche Natur zu heilen. [. . .] Welche Männer nun von einem solchen Gemeinschaftlichen ein Schnitt sind, was damals Mannweib hieß, die sind weiberliebend, und die meisten Ehebrecher gehören zu diesem Geschlecht [. . .]. Welche Weiber aber Abschnitte eines Weibes sind, die kümmern sich nicht viel um die Männer, sondern sind mehr den Weibern zugewendet [. . .]; die aber Schnitte eines Mannes sind, suchen das Männliche auf, und so lange sie noch Knaben sind, lieben sie als Schnittstücke des Mannes die Männer, und bei Männern zu liegen und sich mit ihnen zu umschlingen ergötzt sie, und dies sind die trefflichsten unter den Knaben und heranwachsenden Jünglingen, weil sie die männlichsten sind von Natur.513

Im vierten Buch von Ovids Metamorphosen wurde zudem der Mythos von Hermaphroditus erzählt, einem Sohn von Mercur und Cythera, in den sich die Nymphe Salmacis verliebte, die in heißem Begehren den nackt Badenden umschlang und von den Göttern mit ihm zu einem Wesen verschmolzen wurde: „nec duo sunt sed forma duplex, nec femina dici // nec puer ut possit, neutrumque et utrumque videtur.“ (Vers 379/80: „zwei sie nicht mehr, eine Zwiegestalt doch, nicht Mädchen nicht Knabe weiter zu nennen, erscheinen so keines von beiden und beides.“)514 Selbst der Freiherr von Thimus war bei seinen harmonikalen Untersuchungen auf den Umstand gestoßen, daß die Valentinianische Gnosis eine zweigeschlechtliche Gottheit verehrte: „Die Tiefe der Gottheit selbst, B y t h u s, wird mannweiblich gesetzt“, und dieses Wesen werde „als Monas aufgefasst und aus der Reihe der Zweiheiten ausgeschlossen gedacht“515 . Die Frage, wie die Stimme eines Platonischen Kugelmenschen, eines Hermaphroditen, eines Engels wie Seraphita oder einer Gottheit wie Bythus geklungen haben könnte, mußte naheliegen, und ohne Zweifel kam der Stimmklang von Kastraten oder Kindern ihr nahe. Das Phänomen der ,Stimme‘ beschäftigte ein ganzes Jahrhundert. Überlegungen hierzu gewannen an Interesse, seit die Musik aus dem Quadrivium eliminiert worden war, seit ihrer Entmathematisierung sozusagen, denn das hatte die Aufmerksamkeit vom Strukturellen, zahlenmäßig Erfaßbaren auf ihre sinnlich wirkenden Eigenschaften gelenkt und damit den Blick auf den Bereich der Klangfarbe überhaupt erst freigelegt. Heinse, der ähnlich wie Schopenhauer halb in der alten und halb in der neuen Welt steht, einerseits ein gerüttelt Maß an hergebrachtem mathematisch-musiktheoretischen Wissensstoff zu vermit-

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teln sucht, andererseits einer Sturm-und-Drang-Ästhetik spontansinnlicher Ausdruckskunst verpflichtet ist, beschreibt in einer wundervollen Metapher in einem frühen Brief vom August 1776 an seinen Gönner Johann Wilhelm Ludwig Gleim das Phänomen des reinen Klangs: Wenn ich das tiefe C auf dem Flügel anschlage, so klingt bloß die zwote Quint (Duodecime) und die dritte Terz nach, und es entspringt für sich der schöne schwache einfache Dreyklang, der Keim der Harmonie, wenn ich so reden darf. Wenn ich hingegen den Urton der reinen herrlichen Erfurter großen Glocke, in gehöriger Ferne höre, so klingen alle Quinten und Terzen und Oktaven bis in die höchste feinste Terz nach, und dieß ist derselbe schöne Dreyklang, allein in seiner höchsten Stärke; und der Stamm der Harmonie breitet seine schattichten Zweige aus, wie die große Eiche der Edda, und berührt mit dem Wipfel die Sterne – In dieser Eiche der Edda des Dreyklangs liegt das ganze Geheimniß der Natur. Jedes Tönchen, von den unendlichen, die aus dem Erzte quellen, hat wieder seinen Dreyklang in sich.516

20 Jahre später, in der Hildegard von Hohenthal, wird Heinse insbesondere die Instrumentation Gluckscher Opern aufmerksam untersuchen und Gluck zubilligen, „die Gewalt der blasenden Instrumente weit besser gekannt, und zu gebrauchen gewußt“517 zu haben als jeder andere. Zu Heinses und Hegels Lebzeiten wurde das mathematische und akustisch-physikalische Rüstzeug entwickelt, um den Phänomenen ,Klang‘ und ,Klangfarbe‘ wissenschaftlich auf den Leib zu rücken; erwähnt seien nur Chladnis bereits 1787 veröffentlichte Entdeckungen über die Theorie des Klanges mit den berühmt gewordenen Experimenten an Metallplatten, die die Schwingungen von Teiltönen sichtbar machten, die sogenannten Chladnischen Klangfiguren518 . Jean Baptiste Joseph Fourier, seit 1797 Professor für Analysis und Mechanik an der École polytechnique in Paris, zeigte, daß sich periodische Schwingungskurven aus der Überlagerung einfacher Sinusschwingungen ableiten und berechnen lassen und begründete damit die Fourier-Analysis, auf die sich u. a. die heutige digitale Klangerzeugung stützt.519 Für ein dermaßen auf den Klang musikalischer Phänomene aufmerksam gewordenes Publikum waren die zahllosen Erfindungen neuer Instrumente von größter Faszination, und man erinnert sich vielleicht an die um 1800 legendäre Glasharmonika und das hieraus weiterentwickelte Instrument Chladnis, den Euphon, die beide Töne aus rotierenden Glaskörpern gewannen und eine ganze Epoche

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in ihren Bann schlugen. Reisende Virtuosen, oft Frauen, traten europaweit als Sensationen auf, der Klang dieser Instrumente, für die zu komponieren sich auch ein Mozart nicht zu schade war, sollte angeblich die Nerven angreifen und deshalb für Frauen besonders gefährlich sein. Einer der bedeutenderen Virtuosen war ausgerechnet jener Mediziner Franz Anton Mesmer, der auch den animalischen Magnetismus begründet hatte, von dem im Zusammenhang einer dritten Erzählung im Kontext von Esoterik und Okkultismus bereits die Rede war. Auch die Frage nach der synthetischen Herstellung der menschlichen Stimme wurde bereits am Ende des 18. Jahrhunderts gestellt, als Euler in seiner Funktion als Sekretär der Petersburger Akademie der Wissenschaften ein Preisausschreiben veranlaßte, „das den ersten strikt mechanischen Nachbau der fünf mundwerklichen Vokale prämieren sollte.“520 Nach der Erfindung des Edisonschen Phonographen, des Telefons und des elektrischen Grammophons war die Zeit reif für eine Entdeckung, die mit dem Phänomen ,Stimme‘ in all ihrem Facettenreichtum noch einmal das Publikum rund um die Welt in Erstaunen versetzen sollte. III. Im Jahre 1922 erhielt der russische Ingenieur Lew Sergejewitsch Termen (1896–1993) eine Privataudienz im Kreml. Termen, aus hugenottischem Adelsgeschlecht stammend, eine der schillerndsten Gestalten des 20. Jahrhunderts, Grenzgänger zwischen Ost und West, Wissenschaftler, Techniker, Musiker und Geheimagent in einer Person, spielte Wladimir Iljitsch Lenin auf einem von ihm erfundenen Instrument bezaubernde Melodien vor, darunter das berühmte Violoncello-Stück Der Schwan aus Camille Saint-Saëns’ Karneval der Tiere (1886) und ein Lied von Michail Glinka, Die Feldlerche. Das von ihm erfundene elektroakustische Instrument erzeugt Töne mittels zweier Frequenzoszillatoren, die in einem Holzkasten untergebracht sind, aus dem zwei Antennen hervorragen (Abb. 16). Keine Tastatur oder sonstige Vorrichtung zum Spielen ist sichtbar. Einzig Handbewegungen in der Luft über dem Kasten, genauer gesagt: in der Nähe der Antennen, erzeugen auf rätselhafte Weise Töne unterschiedlicher Dauer, Stärke und Höhe. Samuel Hoffman, einer der späteren Virtuosen auf diesem Instrument, pflegte ironisch zu sagen: „[T]echnically speaking, you hypnotize it by waving the

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Abb. 16: Lew Termen führt sein Theremin vor (1928). Aus Glinsky (1999), S. 5.

hands in front of it, and out comes the music“521 . Der Eindruck einer Tonerzeugung durch Handbewegungen in der Luft gab dem Instrument seinen Namen: Äthervox oder Ätherphon, die Stimme aus der Luft. Später wurde das Instrument nach seinem Erfinder Termenvox oder kurz Theremin genannt. Lenin war von Termens Äthervox beeindruckt; man schickte den Ingenieur ins Ausland, um mit seiner Erfindung die technische Überlegenheit der sozialistischen Sowjetunion zu demonstrieren. Zugleich fungierte Termen auch als Agent mit dem Auftrag, technische Neuerungen des Westens auszuspionieren.522 1928 erhielt Lew Termen, der sich nun Leon Theremin nannte (wie das Instrument), in Deutschland und in den USA ein Patent auf seine Erfindung. RCA (Radio Corporation of America), die amerikanische Rundfunkanstalt, vermarktete das Theremin in Lizenz und baute davon in den zwanziger und dreißiger Jahren fünfhundert Exemplare. Termen, der bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs in den USA blieb, und seine Schülerin Clara Rockmore, eine ehemalige Geigerin, traten als Virtuosen in einer Reihe sensationeller Konzerte auf. Rockmore (1911–1998), geborene Reisenberg, die bedeutendste Thereministin des zwanzigsten Jahrhunderts, stammte aus Litauen und spielte zusammen mit ihrer älteren Schwester Nadia, einer Pianistin. Sie bewältigte auf dem Instrument anspruchsvolle Literatur für Violine oder Violoncello, und Termen konstruierte für sie persönlich 1937 ein gegenüber dem RCA-Theremin technisch verbessertes Instrument. Dem Faszinosum einer Künstlerin, die in vollendeter Körperbeherr-

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Abb. 17: Clara Rockmore auf dem Plakat zu ihrem ersten Recital in der New Yorker Town Hall, 1934. Aus Glinsky (2000), nach S. 202.

schung mit minimalen Bewegungen der Hände betörende Klangwirkungen hervorrief, konnte sich kaum einer entziehen (Abb. 17). Schon Termens erster (privater) Auftritt in New York am 24. Januar 1928 im großen Ballraum des Hotel Plaza, vor ausgewähltem Publikum, darunter Rachmaninoff, Fritz Kreisler und Toscanini, evozierte enthusiastische Kritiken, zum Beispiel im New York Herald Tribune: It was as close to a miracle as anything we have ever witnessed [. . .]. There were tones produced last night . . . that were of so mysterious and otherworldly a beauty, a musical quality so alembicated and enchanting, that one’s imagination leaped wildly in contemplating their possibilities.523

Rockmores erstes Konzert am 30. Oktober 1934 in New Yorks Town Hall, in dem sie neben Werken von Tschaikowsky, Rachmaninoff und

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Glasunow das Andante aus Lalos Symphonie espagnole op. 21 und die Berceuse aus Strawinskys Feuervogel spielte, brachte ihr in den New Yorker Blättern auf Anhieb größte Anerkennung: From her deft and dainty fingers [. . .] over the ghostly box, came dulcet and lovely sounds, shaded, diminished and swelled with musical intention and result . . . which was more than Mr. Theremin achieved [. . .]. She gave evident pleasure to a large audience and received numerous rounds of warm applause. [. . .] Miss Rockmore’s success [. . .] gave a prophetic indication of a future not too distant. No violin or human voice ever was made to give forth such smooth and delicate legati nor was capable of such evenly graduated portamenti.524

Clara Rockmore konzentrierte sich in ihrem Repertoire auf Transkriptionen und Arrangements der Literatur für Streichinstrumente; zu ihren Lieblingsstücken gehörten Werke wie Wieniawskis Romance, Tschaikowskys Sérénade melancolique oder der auch von Termen selbst oft gespielte Schwan von Saint-Saëns. Termen spielte zudem häufig Transkriptionen Schubertscher Lieder. Zum Klang der Violine (in tieferen Lagen dem des Violoncellos) wie zu dem der menschlichen Stimme besitzt das Theremin eine auffällige Affinität, die sich auch durch physikalische Klanganalysen belegen läßt. Sein Klang weist im mittleren und höheren Bereich eine deutliche Ähnlichkeit mit einer Sopranstimme auf. Rockmores einzigartiger Umgang mit dem Instrument wird eindrucksvoll dokumentiert auf einer von Robert Moog 1975 produzierten Schallplattenaufnahme, die als CD 1987 neu erschienen ist; auch auf Youtube und einer von der Nadia Reisenberg & Clara Rockmore Foundation eingerichteten Internetseite kann man Aufnahmen mit ihr hören und sehen, was zum Verständnis der folgenden Ausführungen unerläßlich ist.525 Wie die Violine oder die menschliche Stimme verfügt das Theremin über eine stufenlose Tonskala, kann einen Ton an- und abschwellen lassen und Vibrato erzeugen. Insofern man beim Spielen keinen haptischen oder optischen Anhaltspunkt für die Tonhöhe hat, gleicht es der Gesangsstimme; da die Töne aber nicht aus dem eigenen Körperinneren kommen, sondern mit Handbewegungen erzeugt werden, entspricht es eher dem Spiel auf einer Geige. In Tonumfang und der Möglichkeit einer beliebigen Tondauer übertrifft es beide. In den frühen dreißiger Jahren entdeckten sowjetische Komponisten wie Schostakowitsch (1931) oder Gavriel Popov (1934) das

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Instrument für den Film und setzten es seiner eigenartigen Klangfarbe wegen bei unheimlichen, makabren oder schrecklichen Szenen ein. Max Steiner verwendete es 1933 in der Filmmusik für King Kong, Franz Waxman 1935 für Bride of Frankenstein. Berühmt wurde das Instrument durch einen Film Hitchcocks, Spellbound von 1945, mit Ingrid Bergman und Gregory Peck in den Hauptrollen. Miklós Rósza, der die Filmmusik schreiben sollte, war auf das Theremin aufmerksam geworden und suchte jemanden, der auf dem Instrument gut vom Blatt spielen konnte. Clara Rockmore lehnte ab; sie fürchtete um ihre künstlerische Reputation. In einem Interview mit Albert Glinsky äußerte sie viele Jahre später: Spellbound happened to be a very charming melody. [. . .] I wouldn’t hesitate to play it today. [. . .] But at that time, to play in a movie – nobody gave it to me to hear first – I thought it again would be this frightening people, ghosts coming. They were using the theremin for effects of scaring people, of this woo, voodoo thing. That wasn’t my approach, so I thought, let anybody else do that.526

Rósza fand über die Musikergewerkschaft den Arzt Dr. Samuel Hoffman (1904–1967), einen ausgebildeten Geiger, der ein Doppelleben führte: Tags betrieb er eine Fußpraxis, nachts trat er als ThereminSolist in Tanzbars und Nachtclubs auf. Hoffman spielte, anders als Clara Rockmore, im Ensemble, anfangs mit einer von ihm gegründeten Tanzband, später auch mit Orchester und Chor. Wenn die in New York lebende Clara Rockmore sich selbst der ernsten Musik zurechnete und als größter Thereminstar der Ostküste gelten konnte, gehörte Hoffman in die Welt der ,Popmusik‘ und war der bedeutendste Thereminist der amerikanischen Westküste; bis in die späten fünfziger Jahre, dank zahlreicher Auftritte in Fernsehen und Rundfunk, war er wohl der bekannteste Spieler dieses Instruments in Amerika. In Hitchcocks Spellbound, in dem es um einen psychisch verwirrten Arzt geht, wird das Theremin diskret eingesetzt; ein normaler Kinobesucher, der nicht auf die Filmmusik achtet, wird es kaum bemerken. In der Regel verdoppelt es lediglich die Violinstimmen und bewirkt auf diese Weise eine subtile klangliche Verfremdung, die immer dann angewandt wird, wenn der Hauptdarsteller in abnorme Bewußtseinszustände gerät. Eindrucksvoll ist dies in der berühmten Szene mit dem ersten Kuß zu sehen und zu hören, im Anschluß an eine surreale, von Salvador Dalí ersonnene Sequenz mit sieben sich öffnenden Türen.

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Spellbound erhielt für seine Filmmusik einen Oscar und Hoffman war ein gemachter Mann. Er konnte seinen Arztberuf an den Nagel hängen und als Thereminist zwischen 1945 und 1958 in 23 Hollywoodfilmen mitwirken, darunter zum Beispiel einem der ersten Science-fiction-Filme, The Day The Earth Stood Still von 1951, für dessen Musik der Filmkomponist Bernhard Herrmann neben elektrischen Gitarren, Klavieren und Streichern zwei Theremins einsetzte. Hoffman konnte nun auch seine Schlager- und Tanzmusik erfolgreich vermarkten und eine Reihe von Schallplatten herausbringen. Ende der 1950er Jahre ließ das Interesse am Theremin nach; bis zu seinem Tod 1967 praktizierte Hoffman wieder als Arzt. Termen wurde gleich nach seiner erzwungenen Rückkehr in die Sowjetunion bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vom Geheimdienst verhaftet, 50 Jahre lang vernahm die westliche Welt so gut wie kein Lebenszeichen mehr von ihm. Verschleppt in geheime Lager, mußte Termen während des Kalten Krieges elektronische Such- und Abhörgeräte entwickeln; er gilt als der Erfinder der Wanze. Eine kleine Liebhabergemeinde in den USA hielt dem Instrument die Treue. Darunter befand sich Robert Moog, der 1964 den ersten Synthesizer entwickelt und bis dahin vom Verkauf selbstgebastelter Theremins gelebt hatte. Moog organisierte 1989 eine internationale Konferenz zu elektronischer Musik in Bourges, zu der dank Gorbatschows ,Perestroika‘ der über neunzigjährige Termen die Sowjetunion verlassen durfte. Es zeigte sich an dieser Konferenz, an der eine bunte Fülle elektronischer Musikinstrumente vorgestellt wurde, in welchem Maße das Theremin die Entwicklung künstlicher Klangerzeugung im 20. Jahrhundert beeinflußt hatte. Termens Auftritt brachte der Äthervox neue Aufmerksamkeit, der Erfinder gab zahlreiche Interviews, Filme wurden gedreht und CDs produziert. Als Termen 1993 im Alter von 97 Jahren starb, hatte Moog eine Weiterentwicklung des Instruments auf den Markt gebracht: Statt der alten Radiotechnik verwendet sein neues Theremin Etherwave digitale Klangprozessoren. Lediglich die Spieltechnik mit zwei Antennen, deren elektrisches Feld die Prozessoren steuert, blieb erhalten. Dieses digitale Theremin ist aus der jüngsten Popmusik kaum noch wegzudenken und Komponisten einer neuen Generation wenden ihm seit einigen Jahren ihre Aufmerksamkeit zu. Ein originelles Beispiel neuerer Thereminmusik komponierte 1996, zum hundertsten Geburtstag Lew Termens, der russische Komponist Vladimir Komarov mit seinem Werk Voice of Theremin.527

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Das Werk besteht aus Klängen des Theremins und der auf Band aufgenommenen Sprechstimme des 95jährigen Erfinders. Die Klänge wurden mittels Computer verarbeitet und teilweise bis zur Unkenntlichkeit verändert. Am Ende erklingen Stimme und Theremin so zusammen, daß die manipulierte Sprechstimme wie eine Walzerähnliche Instrumentalbegleitung klingt, die Äthervox dagegen eine Melodie, Glinkas Lied Die Feldlerche, singt – jenes Stück, das Lew Termen 1922 Lenin vorgespielt hatte. Stimme und Instrument vertauschen insofern in dieser Komposition ihre Funktion; die menschliche Stimme wird zur Instrumentalbegleitung, das Instrument singt ein Lied. Der Titel des Stücks erweist sich als Wortspiel: Voice of Theremin kann die Stimme Termens/Theremins, des Erfinders, meinen oder diejenige des Instruments oder beides. In Termens Äthervox, der Stimme aus dem Jenseits, fand die jahrhundertelange Faszination durch das Phänomen ,Stimme‘ einen gewissen Abschluß. Was stets verschieden war, weibliche oder männliche, vokale oder instrumentale Stimme, war zum ersten Mal künstlich zusammengefügt worden: Je nach Tonhöhe vermag das Theremin so oder so zu klingen. Die Synthetisierung des menschlichen Stimmklangs hat seither rasche Fortschritte gemacht: Jeder kennt heutzutage die künstlichen Computerstimmen in Anrufbeantwortern oder Navigationsgeräten; in der Regel kann man sogar beliebig zwischen Männer- oder Frauenstimme wählen. Am Beginn dieser Entwicklung stand Termens Erfindung, jenes elektronische Gerät, das zufällig entdeckt wurde, als der junge Ingenieur einen Bewegungsmelder konstruieren wollte. Das Theremin ist ein Instrument, das wie eine Vokalstimme klingen kann; seine Töne entstehen ohne körperlichen Zugriff auf eine Apparatur und scheinen aus der Luft zu kommen. Physikalisch betrachtet basiert es auf Sinusklängen, der reinsten Form eines Tones überhaupt. Der von ihm erzeugte vokalinstrumentale, mannweibliche Klang, der den irdischen Dualismus, Yin und Yang, die pythagoreischen Gegensatzpaare oder Grotjahns Paradigmenwechsel des Geschlechterdiskurses transzendiert, müßte im wörtlichen Sinn die absolute Musik ermöglichen, von der die Romantiker träumten. Hat man sich so vielleicht die Musik der Sphären vorzustellen, die einzig Pythagoras zu hören imstande war? Das dürfte kaum der Fall sein. Vielmehr hat die erfolgreiche Synthetisierung aller Klänge, darunter auch der menschliche Stimmklang, das Phänomen ,Stimme‘ entzaubert und trivialisiert. Der Reichtum an Vielfalt, der sinnliche Reiz, den zahllose Instrumente und die unter-

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schiedlichsten Arten menschlicher Stimmen boten, wurde reduziert auf einen elektronischen Chip mit eingebauter Software, bei der die Veränderung einiger Parameter jeden gewünschten sound hervorbringen kann. Im Theremin und allen ihm folgenden elektronischdigital erzeugten künstlichen Stimmen sind wohl eher die romantischen Sehnsüchte nach einer Stimme aus dem Jenseits trivialisiert und zu Grabe getragen worden. Sie wurden, um Benjamins Wort vom „Werk“ aufzugreifen, das die „Totenmaske der Konzeption“ sei, zur Totenmaske der Romantik.528 Wohl deshalb stimmte Lew Termen so gern und oft Saint-Saëns’ Schwan an: Der elektronisch erzeugte Gesang des Theremins ist der Schwanengesang der Musik.

Die Trivialisierung von Musik I. ls in den Jahren um 1900 das junge Fach Musikwissenschaft ge-

A rade erst aus einem halben Dutzend Lehrstühlen an deutschen Universitäten bestand, begann bereits eine Auseinandersetzung mit dem, was verächtlich ,Philosophen- oder Laienästhetik‘ hieß: die selbstbewußten Fachvertreter der jungen Musikwissenschaft wie beispielsweise Guido Adler in Wien oder Hermann Kretzschmar in Berlin grenzten sich ab einerseits gegenüber ausübenden Musikern und Künstlern, den ,Laien‘ in Fragen der Musikwissenschaft, andererseits gegenüber solchen Philosophen, die, wie Schopenhauer, Hegel oder Nietzsche, über Musik geschrieben hatten, ohne wirklich etwas von Musik zu verstehen. Den Philosophen warf man vor, keine ,richtigen‘ Musiker zu sein, den Musikern, nicht philosophisch bzw. wissenschaftlich denken zu können. Die erste Generation Musikwissenschaftler bestand ihrerseits zumeist aus promovierten Altphilologen oder Juristen mit solider musikalischer Ausbildung. Adler beispielsweise, Schüler Bruckners am Wiener Konservatorium, war promovierter Jurist und habilitierte sich an der Wiener Universität mit einer Studie zur Geschichte der Harmonie, Kretzschmar, Schüler des berühmten Leipziger Konservatoriums, lebenslang ein angesehener Dirigent, hatte Klassische Philologie studiert und seine Dissertation zur mittelalterlichen Musiknotation sogar in lateinischer Sprache verfaßt. In seinem Versuch, eine musikalische Hermeneutik zu entwickeln, griff er Philosophen und Pianisten gleichermaßen an: Weil die Musiker die Hermeneutik vernachlässigt haben, ist die Musikästhetik in die Hand von Dilettanten gekommen, vorwiegend in die von musikalisch unzureichenden Philosophen und diese gerieten darauf: den Inhalt von Instrumentalkompositionen ins Unbestimmte, Unbewußte zu verlegen oder ihn ganz abzuleugnen. Hätten sie recht, dann täten wir besser nach dem Muster von Altertum und Mittelalter die selbständige Instrumentalmusik als eine Volksgefahr zu behandeln. Glücklicherweise werden sie von der musikalischen Praxis widerlegt. Bei einem Pianisten ist’s allerdings möglich, daß er

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stundenlang mechanisch, ohne zu fragen: was die Noten wollen und sagen, dahinmusiziert; bei einem Orchester nicht.529

Die von Kretzschmar gemeinten „musikalisch unzureichenden Philosophen“ waren vornehmlich solche des 19. Jahrhunderts, darunter Hegel, Schopenhauer, Nietzsche oder Hartmann. Die Beschäftigung der Philosophie mit Musik reicht bis in die früheste Antike zurück; wenn man so will, war Pythagoras, der den Begriff ,Philosophie‘ als erster geprägt haben soll, noch vor Platon und Aristoteles der älteste Philosoph, der sich mit Musik befaßt hat. Seit in der Mitte des 18. Jahrhunderts durch Alexander Gottlieb Baumgarten die Ästhetik als philosophische Disziplin der Beschäftigung mit dem Schönen aufgekommen war, hatte praktisch jeder Philosoph, wenn er sich den Künsten zuwandte, die Pflicht, auch zur Musik zu schreiben, der sich höchstens ein so redlicher Mann wie der Linksdemokrat Friedrich Theodor Vischer (1807–1887) entzog, indem er in seiner sechsbändigen, 1857 vollendeten Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen den der Musik geltenden fünften Band von einem ghostwriter, nämlich von Karl Reinhold von Köstlin (1819–1894), verfassen ließ. Doch auch der erntete nur Ablehnung seitens der Musikwissenschaft, wenn immerhin Carl Dahlhaus, einer der führenden deutschen Musikologen in der Nachkriegszeit, befand: Man wird das musikästhetische Hauptwerk Köstlins, den Band Musik aus Vischers Ästhetik, trotz der Größe der Konzeption einer durchgängigen spekulativen Theorie des Tonsystems, der KompositionsTechniken, Formen und Gattungen zur toten Vergangenheit zählen müssen. Die beharrliche »Anstrengung des Begriffs«, der Reichtum an ästhetischen Beobachtungen und die Kunst anschaulicher Charakteristik können den Mangel an historischen und theoretischen Kenntnissen nicht ausgleichen.530

Überblickt man die Beiträge der Philosophie zur Musik von etwa Rousseau an bis heute, also im Zeitraum nach dem Paradigmenwechsel vom quadrivialen zum trivialen Musikverständnis, fallen drei oder vier Aspekte auf, die von modernen Philosophen wiederholt ins Auge gefaßt wurden, aber den Vorstellungen zünftiger Fachvertreter meistens zuwider liefen: Bei Rousseau war es das vehemente Eintreten für den Parameter Melodie gegenüber dem Musiktheoretiker Rameau, der in der Harmonie den zentralen Aspekt von Musik sah; daß ,Melodie‘ das „Feldgeschrei der Dilettanten“ sei, vermerkte bereits Schumann grimmig in seinen Musicalischen

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Haus- und Lebensregeln.531 Bei Hegel war es die Vorliebe für italienische Opernmusik im Gegensatz zur unter Kennern obwaltenden Liebe zu Beethovens Instrumentalmusik; bei Nietzsche stand Bizet gegen Wagner; in der analytischen Philosophie der letzten drei, vier Jahrzehnte ist es die einmütige Ablehnung des Hanslickschen Formalismus gegenüber der vorrangigen Beschäftigung mit den Phänomenen ,Emotion‘ und ,Expressivität‘, namentlich in den jüngeren Arbeiten Peter Kivys und Peter Rinderles. Dabei kümmert es diese Philosophen wenig, daß schon Arnold Schering, ein Schüler Kretzschmars und einer der bedeutendsten Musikwissenschaftler der Vorkriegszeit, Hegel vorgeworfen hatte, als „Verherrlicher der laienhaften Gefühlsästhetik“ auf „Jahrzehnte hinaus unübersehbaren Schaden angerichtet und einer Entfaltung sachlich analytischer Methoden schwere Hemmungen bereitet“ zu haben.532 II. Die Vorliebe des preußischen Staatsphilosophen Hegel für Rossini war im Berlin der 1820er Jahre sprichwörtlich, ebenso seine Ablehnung Beethovens, sein Unverständnis für Instrumentalmusik und die Langeweile, die ihn in den berühmt gewordenen Berliner Wiederaufführungen Bachscher Musik erfaßte. Viermal las Hegel in seinen Berliner Jahren über Ästhetik oder Philosophie der Kunst; beim letzten Mal, im Wintersemester 1828/29, befand sich unter den Zuhörern Mendelssohn Bartholdy, der an Goethe wie an seine Schwester vom Besuch der Vorlesung berichtete: Aber toll ist es doch, daß Goethe und Thorwaldsen leben, daß Beethoven erst vor ein paar Jahren gestorben ist und daß H[egel] behauptet, die deutsche Kunst sei mausetot. Quod non. Schlimm genug für ihn, wenn es ihm so zumute ist; aber wenn man ein Weilchen über das Raisonnement nachdenkt, kommt es einem doch sehr schal vor.533

Auch ein anderer Hörer der Ästhetikvorlesung, Theodor Mundt, berichtete von der Irritation, die die Rede vom ,Ende der Kunst‘ und der ,Gedankenlosigkeit der Musik‘ auslöste: Sah man doch [. . .] den Mann, sobald die Universitätsglocke sechs geschlagen und er eben seinen Satz beendigt hatte: „daß die Musik die Kunst des leeren Träumens“, nun hastig in das geradüberliegende Opernhaus hinüberschweifen, wo eine Oper von Gluck gegeben wurde und er die Sängerin Milder enthusiastisch beklatschte. Oder er

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nahm sich wohl eine Droschke und fuhr nach dem Königstädtischen Theater hinaus, um die Sontag zu hören.534

Gut und in den Quellen umfassend dokumentiert ist Hegels 17tägige Wienreise 1824, die ihm Gelegenheit bot, die dort gastierende Operntruppe Domenico Barbajas mit sieben verschiedenen Rossinischen Opern zu hören; Barbaja bespielte mehrere neapolitanische Opernhäuser und zeitweilig auch das Pariser Théâtre-Italien sowie das Wiener Kärntnertor-Theater und hatte außer Rossini selbst eine Reihe italienischer Gesangsstars, darunter Isabella Colbran, Giuditta Pasta und Giovanni Battista Rubini, unter Vertrag. In Berlin war allerdings zu Hegels Zeit die Musik Rossinis, zumindest unter Kennern, wenig gelitten. Heinrich Heine, der zwischen 1821 und 1823 in Berlin studiert hatte, und auch persönlich mit Hegel in Kontakt getreten war, erinnerte sich zehn Jahre später an eine Begegnung mit dem jungen Meyerbeer in Berlin: [I]ch traf ihn in der Gesellschaft des Dr. Marx, welcher damals zu einer gewissen musikalischen Regence gehörte, die [. . .] beständig dem Sebastian Bach huldigte. Der Enthusiasmus für Sebastian Bach sollte [. . .] auch die Reputation von Rossini vernichten, den die Regence am meisten fürchtete und also auch am meisten haßte.535

Mit „Dr. Marx“ ist der Musiktheoretiker Adolf Bernhard Marx gemeint, der anhand Beethovenscher Werke als einer der ersten das Prinzip der Sonatenform dargestellt hat. Zu der „Regence“ wird man auch E. T. A. Hoffmann rechnen müssen, der 1821 mit einer heftigen Attacke gegen Rossini hervorgetreten war, von „entartetem Geschmack“, „fratzenhaften Sprüngen und Rouladen“, „holperichten Violinpassagen“ und „widerwärtigem Getriller“ Rossinis „und anderer seines Gelichters“536 schrieb und voller Ironie Di tanti palpiti in seinem Murr-Kreisler-Roman von Katzen singen läßt: „Miesmies sang nun mit seltner Geläufigkeit, mit ungemeinem Ausdruck, mit höchster Eleganz das bekannte: Di tanti palpiti etc. etc. Von der heroischen Stärke des Rezitativs stieg sie herrlich hinein in die wahrhaft kätzliche Süßigkeit des Andantes. Die Arie schien ganz für sie geschrieben“537 . Gerechterweise muß man daran erinnern, daß die Berliner erst mit einiger Verspätung Gelegenheit bekamen, Rossinische Opern zu hören: Während Wien schon 1816 dem Rossini-Fieber erlegen war, kam z. B. Tancredi (mit Di tanti palpiti) erstmals am 5. Januar 1818 auf eine Berliner Bühne, Otello am 16. Januar 1821 und der Barbier von Sevilla erst am 18. Juni 1822, acht Tage vor E. T. A. Hoffmanns

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Tod. Das öffentliche Meinungsbild von Rossini war also eher von Vorurteilen geprägt als von konkreten Theatererfahrungen. In diesem Rossini-feindlichen Klima stand Hegel gegen die vorherrschende öffentliche Meinung: „Ich verstehe nun vollkommen“, schrieb er von seiner Wienreise, „warum die Rossinische Musik in Deutschland, insbesondere Berlin, geschmäht wird, – weil, wie der Atlas nur für Damen, Gänsleberpasteten nur für gelehrte Munde, so sie nur für italienische Kehlen geschaffen ist“538 . Der zentrale musikalische Parameter bei Hegel ist die Melodie. Er schreibt in seiner Ästhetik: Das Poetische der Musik, die Seelensprache, welche die innere Lust und den Schmerz des Gemüts in Töne ergießt und in diesem Erguß sich über die Naturgewalt der Empfindung mildernd erhebt [. . .] und dem Herzen eben dadurch die Befreiung von dem Druck der Freude und Leiden gibt – das freie Tönen der Seele im Felde der Musik ist erst die Melodie.539

Später heißt es knapp und klar: „[D]ie Melodie, dies reine Ertönen des Inneren, ist die eigenste Seele der Musik.“540 Harmonie, Takt und Rhythmus dagegen seien nicht eigentliche Musik, sondern nur die substantielle Basis, der Grund und Boden, auf dem sich die Melodie als die „wahrhaft freie Entfaltung und Einigung der Töne“541 erhebe. Hegel unterscheidet ferner ein strukturell einfaches Melos, etwa in Liedermelodien, das sich „auf einen ganz einfachen Kreis von Akkorden und Tonarten“ beschränkt und nur „in den einfachsten Verhältnissen der Harmonie“542 hin und her geht, von einem komplexen Melodieprinzip: Hier können einmal – Hegel nennt als Beispiel vierstimmig gesetzte Choräle – Melodie und der Gang der Harmonie so eng miteinander verwoben sein, „daß keine solche bestimmtere Unterscheidung einer sich für sich auslegenden Melodie und einer nur die begleitenden Haltpunkte und den festeren Grund und Boden abgebenden Harmonie mehr zu machen ist.“543 Es kann sich aber auch „ein und dieselbe Melodie mehrstimmig so verweben, daß diese Verschlingung einen Harmoniegang bildet“ – Hegel denkt hier wohl an Kanons – „oder es können auch selbst verschiedene Melodien in der ähnlichen Weise harmonisch ineinandergearbeitet werden, [. . .] wie dies z. B. häufig in Kompositionen Sebastian Bachs vorkommt.“544 Jetzt erst tritt das Prinzip der Dissonanz auf den Plan. Denn die Kühnheit der musikalischen Komposition verläßt [. . .] den bloß konsonierenden Fortgang, schreitet zu Gegensätzen weiter, ruft alle stärksten Widersprüche und Dissonanzen auf und erweist ihre eigene

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Macht in dem Aufwühlen aller Mächte der Harmonie [. . .]. Es ist dies ein Kampf der Freiheit und Notwendigkeit: ein Kampf der Freiheit der Phantasie, sich ihren Schwingen zu überlassen, mit der Notwendigkeit jener harmonischen Verhältnisse, deren sie zu ihrer Äußerung bedarf [. . .].545

Dieser Kampf ist freilich ein ungleicher: „In jeder Melodie nämlich [. . .] muß sich das eigentlich Melodische, Sangbare, in welcher Art von Musik es sei, als das Vorherrschende, Unabhängige zeigen, das in dem Reichtume seines Ausdrucks sich nicht vergißt und verliert.“546 Hegels Eintreten für die Melodie hängt natürlich mit seiner Vorliebe für die italienische Oper zusammen. Hierin gleicht er ganz dem älteren Heinse, der ganz ähnlich für die italienische Oper schwärmte und in der Melodie das innerste Wesen der Musik erkannte. Bei Heinse, dem Sturm-und-Drang-Dichter des späten 18. Jahrhunderts, kommt noch eine stärkere und deutlicher ausgesprochene sinnliche Komponente hinzu: „Wenn ein Mensch singt; so ist es, als ob er auf einmal seine Kleider abwürfe, und sich im Stande der Natur zeigte: so etwas Inniges, Himmlisches liegt in dem Kontrast von abgemeßnen Tönen.“547 Die „Hauptquelle der Musik“ liege „im Herzen“, „[v]ortrefliche Melodien“ seien „wiederhergestellte Töne der Natur“548 , Vokalmusik daher „verstärkte und verzierte Aussprache“549 , dagegen Instrumentalmusik „oft nichts mehr, als ein leerer Ohrenkitzel, wie Taback für Nasen und Zungen“550 . Der „Vorzug der guten Italiänischen Musik“ bestehe deshalb „in dem edlen leichten Gang der Melodie“, jede Melodie sei „Darstellung von Person“ und zeige „vorzüglich den Charakter.“551 Vor allem die „Neapolitanische Musik“ liebe „von den mittlern Zeiten Jomelli’s an“ (also etwa seit den 1760er Jahren) „einen edlen freyen Gang [. . .]. Man kann dieß wohl das klassische Zeitalter der Musik nennen; die Schönheit der Melodie drückt das höchste Ideal edlen freyen Lebens aus.“552 Daß schon Rousseau sich gegen die in Paris unter Kennern vorherrschende Meinung auf die Seite der italienischen Musik geschlagen und das Prinzip des Melodischen gegen den Harmoniebegriff Rameaus verteidigt hatte, berichtete Hegel selbst in seiner Vorlesung zur Ästhetik.553 Rousseau war nun keineswegs mehr als „musikalisch unzureichender Philosoph“ anzusprechen. Ohne rechte Schul- oder sonstige Ausbildung war er als Sechzehnjähriger aus Genf davongelaufen, nachdem sein Vater ihn bei Verwandten zurückgelassen hatte. Er traf in Annecy in Savoyen auf Françoise-Louise de La Tour, eine dreizehn Jahre ältere, zum katholischen Glauben übergetretene

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Schweizerin, die als Madame de Warens, ausgestattet mit einer Pension des Herzogs von Savoyen, nahe der Grenze zu den Gebieten der Calvinisten für den katholischen Glauben warb. Sie nahm Rousseau mütterlich auf, bewirkte seinen Übertritt zum Katholizismus (er wechselte später wieder zum Calvinismus zurück), machte ihn zu ihrem Geliebten, verbesserte seine Bildung und förderte seine musikalische Entwicklung: Er erlernte u. a. das Spielen von Blockflöte und Cembalo, studierte Rameaus Traité d’harmonie und erwies sich bald als äußerst musikalisch, begann zu komponieren und zu dirigieren, entwickelte eine eigene Notenschrift und erteilte Musikunterricht. In den 1740er Jahren ging Rousseau nach Paris und freundete sich mit Diderot, einem der Herausgeber der Encyclopédie, und mit dessen intellektuellen Mitstreitern an. Binnen weniger Monate verfaßte er 380 Musikartikel für das Lexikon, ergriff im sogenannten Buffonistenstreit, der Auseinandersetzung um die damals in Paris bekannt werdende italienische opera buffa an der Seite der Enzyklopädisten Partei für die italienische Oper und machte sich damit Rameau, den Altvater der französischen Oper, zum Feind, der sich über die Musikartikel der Encyclopédie abschätzig äußerte. Rousseau unterzog sie in den 1750er Jahren einer umfassenden Revision und publizierte sie schließlich 1768 in seinem auf 900 Artikel angewachsenen Dictionnaire de musique, das in der „Tradition der vollwertigen wissenschaftlichen Fachlexika“554 des 18. Jahrhunderts steht, im Unterschied zu den damals aufkommenden, den Schönen Künsten gewidmeten Liebehaberlexika. Etwa zu dieser Zeit komponierte er auch ein kurzes Bühnenwerk Le Devin du village, das mit großem Erfolg vor dem königlichen Hof in Fontainebleau, dann im Pariser Opernhaus aufgeführt wurde und sich dort noch über 70 Jahre lang, bis 1829, im Spielplan hielt. Zur Zeit des Buffonistenstreits in den 1750er Jahren entstand sein Essai sur l’origine des langues (‚Versuch über den Ursprung der Sprachen‘), der jedoch erst nach seinem Tod (1781) veröffentlicht wurde. Rousseau entfaltet darin den Gedanken, Sprache und Musik seien ursprünglich eines gewesen, entsprungen dem Bedürfnis des Menschen, seinen Gefühlen Laut und Ausdruck zu geben. Die Geschichte von Sprache und Musik sieht Rousseau wie alle Kulturentwicklung als eine Geschichte des Niedergangs. Ursprünglich waren Verse, Gesänge und Rede eines: „Es gab zunächst weder eine andere Musik als die Melodie noch eine andere Melodie als den veränderten Klang des gesprochenen Wortes“555 . Im Zuge des

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zivilisatorischen Verfalls habe sich erst das Singen vom Sprechen abgekoppelt, später sei mit der Mehrstimmigkeit, der ‚Harmonie‘, ein weiterer Verfallsschritt hinzugekommen, schließlich mit der Entstehung eigenständiger Instrumentalmusik ein dritter. Bei Rousseau kommt dem Melodischen eine besondere geschichtsphilosophische Qualität zu: Es verkörpert das Ursprüngliche, Natürliche und Vorzivilisatorische; von ihm übernahm auch Heinse, der sich als ,feinen Rousseauisten‘ sah, die Emphase im Eintreten für die Melodie. Rousseau widmete in seinem Essai sur l’origine des langues zwei Kapitel der Harmonie bzw. Melodie. Der Harmonie in der Musik entsprach in seinen Augen die Farbe in der Malerei. Wie diese könne sie nicht das Wesentliche sein, zumal die Schönheiten der Harmonie nur „auf Übereinkunft“ beruhten und es einer langen Gewöhnung bedürfe, um sie zu empfinden und zu genießen. So wie in der Malerei erst die Zeichnung, das Umrißhafte, die erkennbare Gestalt, also die Nachahmung, den Farben „Leben und Seele“ verleihe, sei in der Musik einzig die Melodie in der Lage, „die Modulationen der Stimme“ nachzuahmen: Wie also die Malerei nicht die Kunst ist, die Farben auf eine Weise zu kombinieren, die dem Auge angenehm ist, so ist die Musik ebensowenig die Kunst, die Laute auf eine dem Gehör angenehme Weise zusammenzusetzen. Sollte es nämlich darum zu tun sein, wäre die eine wie die andere den Naturwissenschaften und nicht den schönen Künsten zuzuordnen. Allein die Nachahmung hebt sie in den Rang der Kunst. Was aber macht aus der Malerei eine Kunst der Nachahmung? Die Zeichnung. Was in der Musik macht auch aus ihr eine solche Kunst? Die Melodie.556

Und diese Melodie „drückt die Klagen, die Leidens- oder Freudenschreie, die Drohungen und die Seufzer aus; alle stimmlichen Zeichen der Leidenschaft sind ihr zugehörig.“557 An dem Gewicht, das Rousseau der Nachahmung beilegt, erkennt man seinen vorromantischen Standpunkt; wenn ihm andererseits die Auseinandersetzung mit den (sinnlichen) Phänomenen ,Farbe‘ bzw. ,Klang‘ nicht mehr ausreicht, um Malerei und Musik als Künste charakterisieren zu können, greift er der noch zu seinen Lebzeiten vollzogenen Verschiebung der Musik vom naturwissenschaftlich-mathematischen Quadrivium in das Gebiet der Künste unmittelbar vor. Hegel hielt seine Berliner Ästhetikvorlesungen 70 Jahre nach dem Pariser Buffonistenstreit und Rousseaus Parteinahme für die italienische Oper. Wer in Deutschland noch in den zwanziger Jahren des

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19. Jahrhunderts, nach dem Sieg der Alliierten über Napoleon, für die italienische Musik und den Primat des Melodischen plädierte, gehörte dem Lager der Konservativen an. In Berlin hieß dies, den Geschmack des Hofes zu teilen und nicht den der Straße, der einerseits für den deutschen Freischütz, andererseits für die Instrumentalmusik Beethovens schwärmte. Zur Hofpartei gehörte, was den mu˙ A. Hoffmann, trotz seiner sikalischen Geschmack anging, auch E.T. enthusiastischen Beethovenrezensionen und obwohl er am Lebensende als Angehöriger des Kammergerichts wegen seines Festhaltens an rechtsstaatlichen Prinzipien bei der innenpolitisch fragwürdig agierenden Staatsführung in Ungnade fiel. Sein heftiger, allerdings einmaliger Ausfall gegen Rossini wird daher von Friedrich Schnapp überzeugend damit erklärt, daß „der jugendliche italienische Maestro“ mit Werken wie Tancredi und Otello zu unbekümmert gegen das Hoffmannsche Ideal der wahren italienischen Oper, nämlich der opera seria, verstoßen habe, als deren „hohen herrlichen Meister des Gesanges“ Hoffmann den 1820 als Generalmusikdirektor nach Berlin berufenen Gasparo Spontini begrüßte.558 Mit der Parteinahme für Spontini, für den er das Libretto zur Oper Olimpia, die am 14. Mai 1821 zum ersten Mal im Königlichen Opernhaus zu Berlin gegeben wurde, ins Deutsche übertragen hatte und mit dem Schweigen zu dem triumphalen Erfolg der Uraufführung des Freischütz im selben Jahr, womit er ganz auf Hegels Linie lag, hat sich Hoffmann am Lebensende bei den Deutsch-Gesinnten, den Beethovenanhängern und Spontini-Gegnern, sogar noch Feinde gemacht. Hegel formulierte in seiner Ästhetik wiederholt klassizistisch anmutende Bedenken, Mißbilligungen und Warnungen. Er kritisierte an der „sogenannten romantischen Poesie“, daß sie sich neuerdings in „schlechthin gehaltlosen Leidenschaften, Neid, Liederlichkeit, teuflischer Bosheit und dergleichen mehr“ verlöre und an diesen „Schnödigkeiten eine selbstgefällige Freude“ habe,559 er mißbilligte den Typus des durchkomponierten Liedes, bei dem jeder neue Vers mit einer neuen, in Takt, Rhythmus und Tonart abweichenden Melodie anhebe,560 und er warnte, wohl gegen Beethoven gerichtet – den beim Namen zu nennen er jedoch konsequent vermied – vor Musik, bei der Jubel in wüstes Toben ausarte oder die bloß den Naturausbruch der Leidenschaften wiederhole.561 Konrad Schüttauf kam daher in seiner Untersuchung zu Hegels Begriff der Oper zu dem Ergebnis, „daß Hegel sich von dem, was sich in der Musik als zukunftsträchtig erweisen sollte, abwandte und Partei für eine Musik

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ergriff, die objektiv Züge des Epigonalen und Rückwärtsgewandten trug.“562 Zum Teil gehen diese Ausführungen in der Ästhetik allerdings auf ihren Herausgeber, Hegels Schüler Heinrich Gustav Hotho, zurück. Der musikalisch gebildete, über Jahrzehnte als Musikberichterstatter für Cottas Morgenblatt tätige und damals mit einer Publikation über Mozarts Don Giovanni befaßte Hotho konnte mit Hegels Musikauffassung wenig anfangen und glaubte, dessen ‚laienhaftem‘ Musikgeschmack aufhelfen zu müssen. Als Herausgeber der Hegelschen Ästhetikvorlesungen redigierte er insbesondere die Ausführungen zur Musik und interpolierte in erheblichem Maß eigene Passagen, so daß der Umfang des Musikkapitels in der gedruckten Ästhetik gegenüber der tatsächlich gehaltenen Vorlesung, den Untersuchungen der Hegelforscherin Annemarie Gethmann-Sieferts zufolge, „um ein Vielfaches das, was die Quellen der Vorlesungen hergeben“,563 übersteigt. Anders als der von einer klassizistischen Grundhaltung geprägte Hotho soll Hegel selbst, wenigstens nach den Untersuchungen Gethmann-Sieferts, „eine bewußt antiklassizistisch-moderne Version der Kunst und des Kunstverständnisses zu entwickeln“564 versucht haben. Hotho, insoweit denn doch getreuer Schüler, wagte es jedoch nicht, Hegels Rossini-Begeisterung ganz aus der Ästhetik zu tilgen. Eine charakteristische Äußerung steht am Ende des Musikkapitels, im Abschnitt über die „künstlerische Exekution“. Sie hebt den Anteil der Sängerinnen und Sänger an der italienischen Oper hervor: So ist z. B. in der italienischen Oper dem Sänger immer vieles überlassen worden; besonders in Ausschmückungen hat er einen freieren Spielraum; und insofern die Deklamation sich hier mehr von dem strengen Anschließen an den besonderen Inhalt der Worte entfernt, wird auch dieses unabhängigere Exekutieren ein freier melodischer Strom der Seele, die sich für sich selber zu erklingen und auf ihren eigenen Schwingen zu erheben freut. Wenn man daher sagt, Rossini z. B. habe es den Sängern leicht gemacht, so ist dies nur zum Teil richtig. Er macht es ihnen ebenso schwer, da er sie vielfach an die Tätigkeit ihres selbständigen musikalischen Genius verweist. Ist dieser nun aber wirklich genialischer Art, so erhält das daraus entstehende Kunstwerk einen ganz eigentümlichen Reiz. Man hat nämlich nicht nur ein Kunstwerk, sondern das wirkliche künstlerische Produzieren selber gegenwärtig vor sich. In dieser vollständig lebendigen Gegenwart vergißt sich alles äußerlich Bedingende, Ort, Gelegenheit, [. . .] der Inhalt und Sinn der dramatischen Situation, man braucht, man

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will keinen Text mehr, es bleibt nichts als der allgemeine Ton der Empfindung überhaupt übrig, in deren Elemente nun die auf sich beruhende Seele des Künstlers sich ihrem Ergusse hingibt, ihre Genialität der Erfindung, ihre Innigkeit des Gemüts, ihre Meisterschaft der Ausübung beweist und sogar, wenn es nur mit Geist, Geschick und Liebenswürdigkeit geschieht, die Melodie selbst durch Scherz, Kaprize und Künstlichkeit unterbrechen und sich den Launen und Einflüsterungen des Augenblicks überlassen darf.565

Die Musikwissenschaft hat es mit Hegels Rossini-Begeisterung ähnlich gehalten wie sein Sohn Karl, der in seinem Buch Leben und Erinnerungen die Liebe seines Vaters zu Rossinis Opern verschwiegen und statt dessen betont hat, sein Vater habe „keine Glucksche Oper“566 versäumt. Adolf Nowak beispielsweise erwähnt in seiner Monographie zu Hegels Musikästhetik Rossini lediglich im einleitenden Teil, wo es um eine Auflistung aller Musik geht, die Hegel mutmaßlich gekannt hat; an keiner Stelle sonst geht er auf dessen besondere Beziehung zu Rossini und zur italienischen Oper ein.567 GethmannSiefert versieht dessen Rossini-Liebe mit dem Zweifel, ob sich hier nicht „ein Großer zu Unmaßgeblichem“568 äußere, konstatiert seine „Vorliebe für das Banale in der Kunst“569 und schreibt, Hegel greife „in seiner Begeisterung für die Musik nicht das Maßgebliche, das Geniale und Große heraus“570 , sondern interessiere sich „ausgerechnet für die banale Oper, jene Form der Dramatik wie der Musik, die der heutigen Gebrauchskunst am nächsten steht.“571 Was Hegel an der italienischen Oper offensichtlich am meisten faszinierte, war, wie das längere Zitat aus der Ästhetikvorlesung belegt, weniger die Musik als vielmehr die Aufführung, genauer gesagt, es waren die Sängerinnen und Sänger, die ausübenden Künstler, die nicht nur im Akt der Aufführung ein Kunstwerk erst entstehen, sondern die dank ihrer Kunst der Darstellung, der Improvisation, der spontanen Variation, Auszierung und Ornamentierung ihrer Stimmen das „Produzieren selber gegenwärtig“ werden ließen. Man vergißt heute leicht, daß es in der italienischen Oper zu Hegels Zeiten keinen Regisseur oder Dramaturgen im heutigen Sinne gab, kein ,Regietheater‘ mit einem zusammenhängenden Inszenierungskonzept, und oft auch niemanden, der die Opernaufführung auf der Bühne koordinierte. Dies leisteten häufig die Sängerinnen und Sänger selbst, die auch nicht einfach sangen, ,was in den Noten stand‘, sondern ihren jeweiligen Part mehr oder weniger kunstvoll ausgestalteten, oft eigene Fassungen ihrer jeweiligen Partie boten und gelegentlich

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sogar einzelne Stücke, die ihre persönlichen ,Hits‘ waren, seien sie selbstkomponiert oder aus einer anderen Oper stammend, in die jeweilige Aufführung einbauten. In der situativ-einmaligen, von improvisatorischen Elementen durchsetzten konkreten Aufführung bestand der eigentliche Reiz einer italienischen Oper, nicht unbedingt in der Musik selbst (wenn man davon absieht, daß ein Komponist erst die Grundlage für eine solche Aufführung liefern mußte). In dem weiter oben mitgeteilten Zitat Mundts (vgl. S. 253 f.) wird zu Recht hervorgehoben, daß Hegel in die Oper ging, um „die Sängerin Milder enthusiastisch“ zu beklatschen oder eigens zum Königstädtischen Theater aufbrach, „um die Sontag zu hören.“ Aus den Wiener Briefen an seine Frau, in denen er begeistert von der italienischen Oper schwärmte, erfährt man nichts Konkretes zu Inhalt oder Musik der jeweils besuchten Aufführung; um so mehr von den Sängerinnen und Sängern, die er allesamt mit Namen kennt: Donzelli [. . .]! In der Opera seria ist er unübertrefflich, – er und Lablache – bärtig mit schwarzen Locken, welch antike Köpfe! jener ein beginnender, dieser ein reifer Mann, man könnte sie jeder antiken Statue aufsetzen!572 Lablache, welch ein Figaro! – Mde. Fodor, welch eine Rosine! Das ist eine vollendete Sängerin; welche Schönheit, Anmut, Kunst, Freiheit, Geschmack des Gesanges!573 Sgra. Dardanelli wie liebreizend – und David – wie haben diese zusammen gesungen! [. . .] Wenn David und die freundliche Dardanelli so zusammen singen, dann soll noch einer kommen und Foderungen an die Komposition machen.574

Die Begeisterung über die Sängerinnen und Sänger übertönt sogar, daß „die Rossinische Musik“ Hegel „zuweilen als Musik Langeweile macht“,575 ja sogar eine Oper (Zelmira) ihn „im ersten Teile besonders sehr ennuyiert“576 habe. Mitgeteilt wird von den Sängerinnen und Sängern, sie seien „Künstler, Compositeurs, so gut als der die Oper in Musik gesetzt“577 , und zu einer lebendigen Aufführung gehört natürlich auch das Publikum: Aber auch welchen Anteil nehmen wir Publikum! Drei bis vier Akteurs werden jedesmal beim ersten Auftreten applaudiert, dann jede Passage applaudiert – oder bravo! bravi! gerufen, dann nach jeder Szene unmäßig applaudiert, der Sänger dankt und geht ab, – aber das Applaudieren dauert mit anhaltender Stärke fort, auf daß er oder sie nicht beklatscht, sondern herausgeklatscht sei.578

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Es dürfte hiernach klar geworden sein, wie sich Hegels These vom Ende der Kunst und seine Begeisterung für die italienische Oper miteinander vertrugen. Von wesentlicher Bedeutung ist der Unterschied zwischen einem ,fertigen‘ Kunstwerk, einem komponierten opus wie etwa einer Beethovenschen Klaviersonate und dem work in progress einer Opernaufführung. Von den Noten eines Beethovenschen opus könnte man mit gewisser Berechtigung sagen, sie seien bereits das Werk, selbst wenn es nicht gespielt würde; die Noten zu einer italienischen Oper dagegen sind kaum mehr als ein Konglomerat von Anweisungen, das erst im Moment der Aufführung, wenn es seitens der Interpreten um wesentliche, nicht notierte Elemente ergänzt wird, zum Leben erwacht. Die Beethovensonate entspräche, in Hegels Worten, einem Kunstwerk als ,Produktion‘, die italienische Oper einem als ,Exekution‘. Adorno hat in einer seiner Hegel gewidmeten Studien dessen Nachlässigkeit in sprachlichen Dingen, seine Verachtung gegenüber Verbaldefinitionen, sein Festhalten am schwäbischen Dialekt und sein Mißtrauen gegenüber dem geschriebenen Wort thematisiert: „So wie man heutzutage von Anti-Materie spricht, sind die Hegelschen Texte Anti-Texte [. . .]. [D]aß das meiste, selbst die ausführliche Gestalt des Gesamtsystems, einzig in Kollegheften von Hörern oder als entwurfartiges Manuskript vorliegt, das erst aus den Niederschriften ganz sich konkretisiert – solche Züge sind seiner Philosophie inhärent.“579 Und Adorno bringt nun in voller Länge die berühmte Beschreibung des vorlesenden Hegel, die Hotho überliefert hat: Abgespannt, grämlich saß er mit niedergebücktem Kopf in sich zusammengefallen da, und blätterte und suchte immerfort sprechend in den langen Folioheften vorwärts und rückwärts, unten und oben; das stete Räuspern und Husten störte allen Fluß der Rede, jeder Satz stand vereinzelt da, und kam mit Anstrengung zerstückt und durcheinander geworfen heraus; jedes Wort, jede Sylbe lößte sich nur widerwillig los, um von der metalleeren Stimme dann in Schwäbisch breitem Dialekt, als sey jedes das Wichtigste, einen wundersam gründlichen Nachdruck zu erhalten . . . Eine glatthinströmende Beredsamkeit setzt das in- und auswendige Fertigseyn mit ihrem Gegenstande voraus [. . .]. Jener aber hatte die mächtigsten Gedanken aus dem untersten Grunde der Dinge heraufzufördern, und sollten sie lebendig einwirken, so mußten sie sich, wenn auch jahrelang zuvor und immer von neuem durchsonnen und verarbeitet, in stets lebendiger Gegenwart in ihm selber wieder erzeugen.580

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Hegel besaß hiernach eine ganz eigene Affinität zum ,offenen‘ Kunstwerk, als das man die italienische Oper auch auffassen kann, zugleich eine gewisse Aversion gegen alles Vollendete, Abgeschlossene, wie es die Beethovensche opus-Musik bietet. Gethmann-Siefert hat anhand einiger Mitschriften der späten Berliner Ästhetikvorlesung herausgearbeitet, für Hegel habe die Oper die Rolle der antiken Tragödie übernommen, müßte aber als Preis für ihre äußere Schönheit inhaltliche Belanglosigkeit in Kauf nehmen;581 demgegenüber gelte für das Schillersche Drama, das Hegel ebenfalls als mögliche moderne Entsprechung der antiken Tragödie erörterte, daß sein belangvoller, von „wahrer Sittlichkeit“ geprägter Inhalt mit mangelnder äußerlicher Schönheit einherginge. Daß nicht mehr, wie in der Antike, beides zugleich zu haben sei, Sittlichkeit und Schönheit, sei der eigentliche Sinn seiner These vom Ende der Kunst. Erinnert werden muß in diesem Zusammenhang an die Herauslösung der Musik aus dem Verbund des Quadriviums im Verlaufe des 18. Jahrhunderts; den Schönen Künsten zugeordnet, war sie nicht mehr die Wissenschaft von der Harmonie, formte weder (wie bei Platon) als Tonleiter die Weltseele noch regulierte sie (nach Kepler) im Bund mit der Geometrie den Lauf der Planeten. Als Kunst wurde sie trivial, und da Hegel den romantischen Versuchen, sie als Dissonanz zur Weltmetapher aufzuwerten, mißtraute, blieb ihm nur, sich ihr gegenüber so zu verhalten, wie es eben ein relativ banales Vergnügen verdient: Sein Musikverständnis war dem eines heutigen ,Popmusikhörers‘ analog. Die ,Exekution‘, die Akteure als Stars standen im Zentrum seines Interesses. Das event, an dem er als aktives Publikum beteiligt war, wurde wichtiger als die Musik selbst, die ihn, für sich betrachtet, eher langweilte. III. Ich hörte gestern – werden Sie es glauben? – zum zwanzigsten Male B i z e t ’ s Meisterstück. [. . .] Wie ein solches Werk vervollkommnet! Man wird selbst dabei zum „Meisterstück“. – Und wirklich schien ich mir jedes Mal, dass ich C a r m e n hörte, mehr Philosoph, ein besserer Philosoph [. . .]. Darf ich sagen, dass Bizet’s Orchesterklang fast der einzige ist, den ich noch aushalte? [. . .] Diese Musik scheint mir vollkommen. Sie kommt leicht, biegsam, mit Höflichkeit daher. Sie ist liebenswürdig, sie s c h w i t z t nicht. „Das Gute ist leicht, alles Göttliche läuft auf zarten Füssen“: erster Satz meiner Aesthetik [. . .]. Und nochmals: ich werde ein besserer Mensch, wenn mir dieser Bizet

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zuredet [. . .]. [D]ies Werk erlöst [. . .]. Mit ihm nimmt man Abschied vom f e u c h t e n Norden [. . .]. Diese Musik ist heiter; aber nicht von einer französischen oder deutschen Heiterkeit. Ihre Heiterkeit ist afrikanisch [. . .], sie hat [. . .], was zur heissen Zone gehört, die Trockenheit der Luft, die l i m p i d e z z a in der Luft. Hier ist in jedem Betracht das Klima verändert [. . .]. Sie sehen bereits, wie sehr mich diese Musik v e r b e s s e r t?582

Diese Sätze aus dem zu Lebzeiten erfolgreichsten Werk Nietzsches, seinem Brief Der Fall Wagner, wurden im Frühjahr 1888, im letzten Lebensjahr vor dem geistigen Zusammenbruch, niedergeschrieben. Nietzsche stellte in diesem Essay scharf kontrastierend Bizet und Wagner einander gegenüber, um den Letzteren mit allen Mitteln anzugreifen und seinem ,Norden‘ einen musikalischen ,Süden‘ entgegen zu halten. Der ehemals glühende Wagner-Jünger stilisierte sich zum radikalen Antipoden des Bayreuther Meisters, dessen Musik in allen Punkten das Gegenteil der Bizetschen bilde, demnach also ‚unvollkommen’, ‚schwer’ und ‚unhöflich’ sei, die ‚schwitze’ etc. Nachdem ihn dies die Freundschaft seiner meisten Anhänger gekostet hatte, legte er am Jahresende in Nietzsche contra Wagner noch einmal nach: Was man deutsche Musiker nennt, die grössten voran, sind A u s l ä n d e r, Slaven, Croaten, Italiäner, Niederländer – oder Juden [. . .]. Ich selbst bin immer noch Pole genug, um gegen Chopin den Rest der Musik hinzugeben [. . .]. Ich würde Rossini nicht zu missen wissen, noch weniger m e i n e n Süden in der Musik [. . .]. Wenn ich ein andres Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig. [. . .] Auch jetzt noch ist Frankreich der Sitz der geistigsten und raffiniertesten Cultur Europa’s [. . .]. In diesem Frankreich des Geistes [. . .] ist heute schon Schopenhauer mehr zu Hause als er es je in Deutschland war [. . .], so dass ich es jetzt vorziehe, Schopenhauer französisch zu lesen [. . .]. Gar nicht zu reden von Heinrich Heine [. . .]. Was wüsste deutsches Hornvieh mit den délicatesses einer solchen Natur anzufangen!583

Nietzsche, der hier Wagner und alles Deutsche nach Kräften schmähte, hielt sich selbst lebenslang für einen Musiker, dem ein Leben ohne Musik als Irrtum erschien; er rechnete sogar seinen Zarathustra „unter die Musik“ und schrieb an Peter Gast (in dem er den Mozart seiner Zeit bewunderte): „Unter welche Rubrik gehört eigentlich dieser ,Zarathustra‘? Ich glaube beinahe, unter die Symphonien.“584 Das hat die Musikwissenschaft veranlaßt, Nietzsche als Musiker näher

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in den Blick zu nehmen, seine erhaltenen Kompositionen zu untersuchen und sein Musikverständnis kritisch zu prüfen. Die bereits 1965 vorgenommene Bilanz des Musikwissenschaftlers Martin Vogel, auf die sich die folgende Darlegung stützt, fiel verheerend aus. „Nietzsche gehörte zu jenen Musikfreunden, die sich weniger in schriftlich niedergelegten Kompositionen als durch Improvisieren am Klavier schöpferisch betätigten.“585 Seine „Akkorde waren am Klavier zusammengesucht. Ähnlich stand es mit seinen Liedern.“586 Im bürgerlichen Salon der damaligen Zeit boten sich improvisierte Stimmungsbilder an wie „das Näherkommen oder Verklingen der Hornsignale einer Jagdgesellschaft, das Herannahen eines Gewitters, Vogelrufe, Glockenklänge“ und ähnliches.587 Nietzsche konnte stundenlang selbstvergessen am Klavier ,phantasieren‘, auch noch in seinen letzten Lebensjahren, als er, geistig verwirrt, von seiner Mutter gepflegt wurde. In der Öffentlichkeit zog das peinliche Auftritte nach sich: In Basel [. . .] erzählt man sich noch von der seltsamen Selbstvergessenheit, die sich des phantasierenden Nietzsche bemächtigten konnte: wie er auf einer Basler Wintergesellschaft, bei der musiziert werden sollte, – der städtische Kapellmeister ist zugegen – zunächst in seiner gewohnten Weise zurückhaltend und vornehm-schüchtern nur ungern der Höflichkeitsbitte der Geladenen um ein wenig Musik nachgibt, wie sein Spiel wärmer-werdend alsbald in freies Phantasieren von immer kühnerem improvisatorischen Schwunge übergeht. Er [. . .] vergißt [. . .] die Gelegenheit, den Ort, die Zeit, er phantasiert und phantasiert, die Gesellschaft ist betreten, der Kapellmeister, den man eigentlich zu hören wünschte und der sich hören zu lassen wünscht, wird spöttisch, ungeduldig, wird beleidigt – Nietzsche bemerkt nichts, er phantasiert fort, er ist mit sich allein – und der befremdeten Gesellschaft bleibt nichts übrig, als ihn mit sich allein zu lassen.588

Nietzsche komponierte bereits als Schüler Lieder und Klavierstücke, meist auf ungarisch inspirierte Sujets; mit 17 plante er eine Ermanarich-Symphonie, aus der alsbald eine dreiaktige Oper werden sollte. „Der greise Ermanarich freit um die liebliche Swanhild; während des Hochzeitsfestes, zwischen Hochzeitsmarsch und Nationalhymne, reißt sein Sohn Randwe die Braut des Vaters an sich; Ermanarich wirft seinen Dolch nach dem Sohn.“589 Unter dem Einfluß Symphonischer Dichtungen Liszts sollte es darum gehen, „die Gefühlswelt eines slavischen Volkes in einer Komposition“590 zu umfassen. Eine

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Notiz hält den musikalischen Ablauf fest: „Das Fürcherliche übermannt (Ermanarich) plötzlich, ozeanartig tost er auf; der Rhythmus der Hochzeitsklänge klingt verzerrt, wie aus wildem Traume auftauchend, in seiner Seele Tiefe. Ein Geiger nimmt das Thema wehmütig, doch slavisch trotzig auf. Ein letzter Aufschrei Ermanarichs – voll ungarischer Wildheit – und der erste Teil des Dramas ist ausgespielt, alles ist stumm, tot, harrend auf Erlösung.“591 Mangels Kenntnissen in Harmonielehre, Kontrapunkt, Formenlehre und Instrumentation kam Nietzsche innerhalb eines halben Jahres nicht zu mehr als zu einem Bruchstück für zwei Klaviere. Erst Jahre später, 1871, faßte er erneut eine Komposition ins Auge. Er stand inzwischen Wagner nahe, den er einerseits zutiefst verehrte, als dessen Konkurrent er sich aber auch sah. Nachdem dieser für seine Frau zu ihrem Geburtstag das Siegfriedidyll komponiert hatte (Weihnachten 1870), entschloß sich Nietzsche, sie ein Jahr darauf mit einem vierhändigen Klavierstück zu beglücken: Silvesterklänge. Nachklang einer Silvesternacht, mit Prozessionslied, Bauerntanz und Mitternachtsglocke. „Es wäre ihm nicht darauf angekommen, in diesen ,lustigen Titel‘ auch noch ,Punschbowle und Neujahrsgratulationen‘ aufzunehmen.“592 In musikalischer Hinsicht war das Werk eine Überarbeitung einer Komposition aus seiner Schülerzeit, die damals einfach Silvesternacht hieß. Die private Aufführung in Tribschen verlief desaströs; Wagner soll sich vor Lachen geschüttelt haben. Im Jahr darauf erlebte Nietzsche den berufliche Konsequenzen nach sich ziehenden Mißerfolg seiner Geburt der Tragödie, und er begann erneut zu komponieren, diesmal eine Manfred-Meditation. Auch dieses Werk ging aus der Silvesternacht des Schülers hervor: „Als [. . .] die Silvesterklänge keinen Anklang fanden, machte er aus ihnen Manfred-Klänge. Die Manfred-Meditation mit ihrem düsteren Pathos und ihren Beschwörungsformeln war also keine Neukomposition, sondern nur eine Umarbeitung der Silvesterklänge.“593 Seinem Verleger bot er das Werk sicherheitshalber als dasjenige eines von Wagner begeisterten Engländers namens George Chatham an, der lehnte jedoch den Druck ab. Im Sommer 1872 lud Hans von Bülow Nietzsche zu zwei von ihm dirigierten Aufführungen des Tristan nach München ein. Nietzsche erlebte sie „als das ,Ungeheuerste, Reinste und Unerwartetste‘, was er bis dahin kennen gelernt hatte; er ,schwamm in Erhabenheit und Glück‘“.594 In einem Brief voll tiefst empfundener Bewunderung sandte er von Bülow zum Dank seine ManfredMeditation. Bülows Antwortbrief, der in den Kreisen Wagners die

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Runde machte und Nietzsche schwer kränkte, „enthielt die schärfsten Worte, die wohl jemals einem Dilettanten mit künstlerischen Ambitionen entgegengeschleudert wurden.“595 Bülow sprach von einem „musikalischen Fieberprodukte“, die Meditation sei „das Unerquicklichste und Antimusikalischste“, was ihm je untergekommen sei, er nannte sie eine „Aberration ins Komponiergebiet“ und bemängelte das gänzliche Fehlen jeglicher „ersten Elemente“ der Musiksprache. Derlei Musik zu schreiben sei sogar schädlich für Nietzsche selbst, der einen „etwaigen Überfluß an Muße nicht schlechter totschlagen“ könne als „in ähnlicher Weise Euterpe zu notzüchtigen.“ Am Ende des Briefes räumte Bülow seine eigene Schuld ein, durch die Aufführung des Tristan den Herrn Professor „in so bedauerliche Klavierkrämpfe gestürzt zu haben.“596 Den Rat des Bonner Musikdirektors Brambach, musiktheoretischen Unterricht zu nehmen, hatte Nietzsche als junger Student abgelehnt und lieber für sechs Jahre zu komponieren aufgehört. Nach Bülows Kritik schwor er sich erneut, nie wieder zu komponieren, wurde aber, wie beim ersten Mal, wenige Jahre später erneut wortbrüchig. Obwohl Wagner und auch der stets hilfsbereite Liszt die Heftigkeit der Bülowschen Kritik etwas milderten, dürfte mit den Vorfällen um die Silvesterklänge und die Manfred-Meditation die Wandlung Nietzsches vom Wagnerjünger zu dessen entschiedenstem Gegner eingeleitet worden sein. Fortan ging es darum, Wagner und seine Frau zu provozieren. Die Antithese Bizet – Wagner war, wie Nietzsche später in einem Brief an Carl Fuchs zugab, nicht ernst gemeint. „Von einem Musikliebhaber, der auf seinem Dilettantismus beharrt und keine Anstalten trifft, sich die notwendigen Kenntnisse anzueignen, wird man keine Aufschlüsse über die Musik erwarten dürfen“ – dies ist das Resümee Vogels.597 Doch ist das wirklich so? Ließ nicht möglicherweise der Wagnerhaß Nietzsche etwas sehen, für das ein gewöhnlicher Bayreuth-Pilger blind geblieben wäre? Nach der Antithese Bizet – Wagner, dem nicht ernst gemeinten Gegenüber von musikalischem Süden und Norden, griff Nietzsche Wagner noch als „K ü n s t l e r d e r d é c a d e n c e“ an, der „d i e M u s i k k r a n k g e m a c h t“ habe, eine Attacke, die in den Gedanken mündete, „W a g n e r e s t u n e n é v r o s e“, Wagner sei eine Nervenkrankheit,598 vertrete den modernen Künstlertyp par excellence, ja er gebe geradezu einen „Cagliostro der Modernität“ ab.599 Dann aber wird es ernst. Die Rede kommt auf „das Bild eines Verfalls der Kunst, eines Verfalls auch der Künstler“600 , und nun folgt

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Nietzsches hellsichtige Einsicht in das innerste Prinzip der modernen Medienwelt, noch bevor es sie im eigentlichen Sinne gab, denn er erkennt, was Wagner in seinen Augen wirklich war: „[E]in unvergleichlicher Histrio, der grösste Mime, das erstaunlichste TheaterGenie“601 – ein Schauspieler also, dessen Gabe darin bestünde, stets als erstes „eine Scene von unbedingt sichrer Wirkung, [. . .], eine Scene, die u m w i r f t“602 erfinden zu können. Wagner bedeute hiernach in der Geschichte der Musik die „H e r a u f k u n f t d e s S c h a u s p i e l e r s“603 , er marschiere „mit Trommeln und Pfeifen an der Spitze aller Künstler des Vortrags, der Darstellung, des Virtuosenthums“ und habe „zuerst die Kapellmeister, die Maschinisten und Theatersänger überzeugt.“604 In „Niedergangs-Culturen“ wie der Moderne, überall da, „wo den Massen die Entscheidung in die Hände“ falle, werde die „Echtheit überflüssig“, ja „nachtheilig“,605 so daß Nietzsche mit der von seinem „Ingrimm“ und seiner „Liebe zur Kunst“ eingegebenen Forderung schließt, daß „d a s T h e a t e r n i c h t H e r r ü b e r d i e K ü n s t e“ und „d e r S c h a u s p i e l e r n i c h t z u m V e r f ü h r e r d e r E c h t e n“ werden möge.606 War bei Hegel eine Verschiebung von der Musik zu den ausübenden Musikern, den Interpreten hin zu beobachten, konstatierte Nietzsche eine weitergehende Verschiebung zur Inszenierung von Musik und Musikern. Inszenierung und Schauspielerei aber sind Pose und Trug. „Dieselbe Art Mensch, die für Hegel geschwärmt, schwärmt heute für Wagner [. . .]. [E]s ist Wagner’s Genie der Wolkenbildung, sein Greifen, Schweifen und Streifen durch die Lüfte, sein Überall und Nirgendswo, genau Dasselbe, womit sie seiner Zeit Hegel verführt und verlockt hat!“607 Es dürfte dem Altphilologen Nietzsche klar gewesen sein, welcher Bedeutungshintergrund mitschwang, wenn er Wagner als „Histrio“ und als „Mimen“ bezeichnete. Ein Schauspieler und Musikant (lat. histrio) war in der Antike in der Regel ein Sklave, dem man wenig Achtung entgegenbrachte. Gewiß kannte Nietzsche Platons Dialog Ion, in dem Sokrates mit einem berühmten und mit Preisen gekrönten, aber eitlen Rhapsoden dieses Namens, einem Spezialisten für Homerische Verse, heftig ins Gericht geht. Er, der da so pathetisch von den Kämpfen der Griechen vor Troja singe, sei doch weder einer der Helden, von deren Taten er berichte, noch derjenige, der die Verse geschaffen habe, die diesen Helden unsterblichen Ruhm sicherten. Der Schauspieler wie überhaupt der Interpret ist ein eitler Lügner, das ist eine Botschaft

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des Dialogs Ion. Allerdings enthält er auch das Gleichnis vom Magnetstein: Die Götter versetzen die (guten) Dichter in Begeisterung, in eine Art Wahnsinn, die sie zum Dichten befähigt; sie stecken ihrerseits wie ein Magnet die Rhapsoden und diese die Zuhörer an: Denn auch dieser Stein zieht nicht nur selbst die eisernen Ringe, sondern er teilt auch den Ringen die Kraft mit, daß sie eben dieses tun können wie der Stein selbst, nämlich andere Ringe ziehen, so daß bisweilen eine ganze lange Reihe von Eisen und Ringen aneinander hängt; allen diesen aber ist ihre Kraft von jenem Steine angehängt. Ebenso auch macht zuerst die Muse selbst Begeisterte, und an diesen hängt eine ganze Reihe anderer durch sie sich Begeisternder. Denn alle rechten Dichter alter Sagen sprechen nicht durch Kunst, sondern als Begeisterte und Besessene all diese schönen Gedichte, und ebenso die rechten Liederdichter [. . .].608

Tim Blanning hat in seiner Darstellung des Triumphs der Musik seit der Romantik ausführlich auf die Selbstinszenierungen namentlich Paganinis und Liszts hingewiesen, die ihr Publikum, heutigen Popstars vergleichbar, in erster Linie durch ihr dämonisches Charisma und sorgfältig geplantes Sich-in-Szene-Setzen verzaubert hätten. Paganini umgab eine Aura von besonderer Suggestivkraft, in der die Gerüchte, er habe seine Technik im Lauf der zwanzig Jahre perfektioniert, „die er wegen des Mordes an seiner Geliebten im Gefängnis gesessen habe“ (die G-Saite seiner Geige soll aus einem Teil ihres Darms gefertigt gewesen sein) oder er habe „einen faustischen Pakt mit dem Satan geschlossen“ mit seiner Kunst der Selbstinszenierung und seinem zur Schau gestellten Sexappeal konkurrierten.609 „Der berühmteste seiner zahlreichen Kniffe und Tricks war, die Bühne mit einer Violine in Händen zu betreten, von der drei oder vier Saiten nutzlos herunterbaumelten – um dann mit einem Bravourstück auf der einzigen verbliebenen Saite loszulegen.“610 (Als Musiker fragt man sich an dieser Stelle, welche „verbliebene Saite“ Blanning wohl meint, wenn „vier Saiten nutzlos“ herunterbaumeln.) Liszts noch erheblich größerer Ruhm stellte selbst Paganini in den Schatten. Wo er auch hinging – und seine Reisen führten ihn durch ganz Europa, von Galway bis zur Ukraine –, rissen sich gekrönte Häupter und ihre Höflinge darum, ihm zu begegnen, ihm zu schmeicheln und ihn auszuzeichnen. Als er 1842 Berlin verließ, tat er das in einer von sechs Schimmeln gezogenen Kutsche, begleitet von einer Prozession aus dreißig Vierspännern mit studentischem Ehrengeleit. Selbst König Wilhelm IV. und seine Gemahlin »waren in die Stadt gefahren, um

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den Jubel zu sehen.« Der Musikkritiker Rellstab schrieb: »Nicht gleich einem Könige, sondern als König zog er aus.« Liszt reiste mit einem österreichischen Pass, der die schlichte Angabe Celebritate sua sat notus trug: »Hinreichend durch seine Berühmtheit bekannt.«611

Die Kernthese von Blannings Buch müßte richtig statt vom Triumph der Musik von dem der Musiker handeln, denn eben darum geht es bei ihm: von Mozart, der darunter litt, als angestellter Musiker beim Salzburger Erzbischof auf der Stufe eines Kammerdieners oder Kochs zu stehen und den der Oberstküchenmeister Graf Arco mit einem, wie Mozart seinem Vater schrieb, „Tritt im Arsch“612 zur Tür hinaus beförderte, geht Blannings historischer Überblick bis zu den englischen Popmusikern der Gegenwart, die am 3. Juni 2002 das „grandiose Open-Air-Popkonzert“ bestritten, das aus Anlaß des Goldenen Thronjubiläums der englischen Königin auf dem Gelände des Buckingham-Palastes veranstaltet wurde und in dem Blanning den „Höhepunkt von dreihundert Jahren Entwicklung“613 der Musik sieht: Überwiegend in den Adelsstand erhobene Popgrößen wie Sir Elton John, Sir Paul McCartney, Sir Cliff Richards oder Sir Tom Jones gehören heute zu den reichsten Männern des britischen Empires und sind zugleich Personen öffentlichen Interesses, wie es in dieser Konsequenz noch nie zuvor Musikern widerfahren ist – mit der Ausnahme Wagners, der, wie Blanning hervorhebt, bei der Eröffnung des Bayreuther Festspielhauses neben zahlreichen gekrönten Häuptern sogar den deutschen Kaiser Wilhelm I. huldvoll empfing: Nicht der Musiker kam zum Herrscher, sondern dieser zu ihm, was die mit vier Dutzend Journalisten vertretene internationale Presse in alle Welt verbreitete.614 Die bei Hegel beobachtete Verlagerung des Interesses von der Musik zu den Ausführenden, den Musikerpersönlichkeiten hin, die schon zu Händels Zeiten, bei den international agierenden Kastraten und Primadonnen der italienischen Oper, etwa bei Farinelli, einsetzte, hat in der heutigen Welt der Popularmusik ein geradezu groteskes Ausmaß angenommen. Die Affinität der Musik zum modernen Wirtschaftsleben, zum Kommerz, zu dem, was in der Einleitung dieses Buches bei der Rede von ,π versus e‘ unter e verstanden worden ist, hat in denjenigen Ländern, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ohne Unterbrechung einem radikalen Kapitalismus huldigten, nämlich in den angelsächsischen, zu einer entsprechenden Blüte jener Spielarten von Musik geführt, die Adorno unter dem Begriff ,Kulturindustrie‘ letztlich vergeblich zu bekämpfen versucht hat.

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Es gehört zu den großen Verdiensten von Sloterdijks Buch über „Anthropotechnik“, Du mußt dein Leben ändern, daß er die enorme asketische Leistung ausübender Musiker des 19. Jahrhunderts bei allem zirzensischen Rummel, der um sie gemacht worden ist, richtig erkannt und als einen Versuch beschrieben hat, sich in „einer Zeit, in der die Normalen sich dem Wahnsinn verschrieben haben“, „an die besseren Möglichkeiten des Menschseins“ zu erinnern.615 Er führt diesen Nachweis an einem beklemmenden Beispiel, nämlich einem Virtuosen des Violinspiels, der am Leipziger Konservatorium studiert hatte, aber von Geburt an körperlich behindert, nämlich ohne Arme, war und deshalb mit den Füßen geigte: Carl Hermann Unthan (1848–1929), der sogar imstande war, mit seinen Zehen Doppelgriffe auszuführen und der in allen großen Konzerthäusern der Welt, vermutlich aber noch häufiger in allen suspekten Varietébühnen auftrat. Man muß auch an den stets auf verlorenem Posten und lebenslang im Schatten seiner als Klaviervirtuosin international erfolgreichen Frau stehenden Komponisten Robert Schumann erinnern, der in seine Musikalischen Haus- und Lebensregeln den lapidaren Satz aufnahm: „Die Kunst ist nicht da, um Reichtümer zu erwerben.“616 Gerechterweise sollte dann aber auch insbesondere zugunsten Wagners angeführt werden, daß dieser, nachdem er 1848/49 die frühsozialistischen Schriften Proudhons und Feuerbachs gelesen und sich an der Seite des mit ihm befreundeten Anarchisten Bakunin an den Dresdner Aufständen beteiligt hatte, in seiner ersten großen kulturgeschichtlichen Abhandlung Die Kunst und die Revolution als größtes Übel der gegenwärtigen Musik ihre kommerzielle Ausrichtung brandmarkte: In Merkur, dem Gott des Handels, verehre die Musik den Gott der modernen Welt, den heilig-hochadeligen Gott der fünf Procent, den Gebieter und Festordner unserer heutigen – Kunst. Leibhaftig seht ihr ihn in einem bigotten englischen Banquier, dessen Tochter einen ruinirten Ritter vom Hosenbandorden heirathete, vor euch, wenn er sich von den ersten Sängern der italienischen Oper, lieber noch in seinem Salon, als im Theater (jedoch auch hier um keinen Preis am heiligen Sonntage) vorsingen läßt, weil er den Ruhm hat, sie hier noch theurer bezahlen zu müssen, als dort. Das ist M e r k u r und seine gelehrige Dienerin, die m o d e r n e K u n s t. Das ist die Kunst, wie sie jetzt die ganze civilisirte Welt erfüllt! Ihr wirkliches Wesen ist die Industrie, ihr moralischer Zweck der Gelderwerb, ihr ästhetisches Vorgeben die Unterhaltung der Gelangweilten. Aus dem Herzen unserer modernen Gesellschaft, aus dem Mittelpunk-

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te ihrer kreisförmigen Bewegung, der Geldspekulation im Großen, saugt unsere Kunst ihren Lebenssaft, [. . .] entnervend, entsittlichend, entmenschlichend überall, wohin sich das Gift ihres Lebenssaftes ergießt.617

Wagner entfaltete in dieser Schrift das Konzept einer Kunst, die nach erfolgter Revolution und der Etablierung einer menschenwürdigen, demokratisch verfaßten Gesellschaftsordnung, in die Obhut des Staates zu geben sei: Von ihm müßten Theater betrieben werden, in denen die Kunst vor außerkünstlerischen, insbesondere kommerziellen Interessen geschützt sei, deren Organisation ganz in den Händen der Künstler selbst läge und zu denen das Publikum unentgeltlichen Zutritt erhielte: Dies war Wagners Utopie, und dort, wo sie zumindest teilweise verwirklicht worden ist, existiert bis heute eine der globalen angelsächsischen Kulturindustrie standhaltende andere Musikkultur. IV. Zu den ältesten Themen, die Philosophen in den Kopf kommen, wenn sie sich mit Musik beschäftigen, zählt jener rätselhafte Zusammenhang mit dem, was zu Hegels Zeiten ,Gefühl‘ oder ,Gemüt‘, in der deutschen Musikwissenschaft ,Affekt‘, bei heutigen Philosophen analytischer Richtung anglizistisch ,Emotion‘ genannt wird. Bereits Kepler war bei seinen Untersuchungen zur Weltharmonik der Zusammenhang von Goldenem Schnitt, Terzenseligkeit und Geschlechtslust aufgefallen; die intensive Hinwendung zu den Affekten, wie sie das frühe 18. Jahrhundert auszeichnet, steht, wie gezeigt wurde, in direktem Zusammenhang mit der Verabschiedung der Musik aus dem antiken Umfeld des Quadriviums. Ein Autor wie Mattheson, der besonders heftig gegen die mathematische Seite der Musik gewettert hat, war zugleich derjenige, der seitenlange Anweisungen geben konnte, mit welchen Mitteln ein Komponist welche Affekte ausdrücken bzw. beim Publikum auslösen könne. Für Rousseau waren es die Gefühle, die sich nicht anders als durch Töne äußern konnten. Eine lediglich der Kommunikation dienende Sprache hätte stumm bleiben und sich auf Gesten und Zeichen beschränken können. Auch Wackenroder sah die Musik im Zusammenhang mit einem elementaren emotionalen Ausdrucksbedürfnis: Der Schall oder Ton war ursprünglich ein grober Stoff, in welchem die wilden Nationen ihre unförmlichen Affecten auszudrücken strebten,

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indem sie, wenn ihr Inneres erschüttert war, auch die umgebenden Lüfte mit Geschrey und Trommelschlag erschütterten, gleichsam um die äußere Welt mit ihrer inneren Gemüthsempörung in’s Gleichgewicht zu setzen.618

Daraus seien die heutige Musik und „alle schönen Künste“ entstanden als der „Aufbewahrung der Gefühle“ dienende „verschiedene schöne Erfindungen“: „Die Musik aber halte ich für die wunderbarste dieser Erfindungen“619 . Hegel schließlich bestimmte die Musik als die „Kunst des Gemüts, welche sich unmittelbar an das Gemüt selber wendet.“620 Wenn ihm deshalb der Vorwurf seitens der Musikwissenschaft gemacht worden ist, auf „Jahrzehnte hinaus unübersehbaren Schaden angerichtet“ zu haben (vgl. S. 253), muß im Verlaufe des 19. Jahrhunderts etwas eingetreten sein, das den neben dem quadrivialen Musikverständnis ebenfalls bis in die Antike zurückreichenden Zusammenhang zwischen Musik und Gefühl unterbrochen hatte. Das war Eduard Hanslicks Schrift Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst, erstmals erschienen 1854, bis zum Jahrhundertende ein gutes Dutzend mal neu aufgelegt mit kleineren oder größeren Modifikationen des Autors. Hanslicks Schrift war konzipiert als „Mauerbrecher gegen die verrottete Gefühlsästhetik“ (Vorwort) und entwickelte, kurz gesagt, die These, wonach die Frage nach dem, was Musik ihrem innersten Wesen nach sei, mit dem Verweis auf Gefühl, Affekt oder Emotion, in welcher Konstellation auch immer, nicht beantwortet werden könne. Ohne an dieser Stelle näher auf Hanslicks Argumentation einzugehen, kann fürs erste konstatiert werden, daß seine aufsehenerregende und heftig umstrittene Schrift letztenendes die Musikwelt in zwei Lager spaltete: Unter Fachleuten und Berufsmusikern wurde fortan die Rede von Gefühlen oder Affekten im Zusammenhang mit ,hoher‘ Musik obsolet; Gefühle zu haben oder sich auf sie zu berufen war das Stigma von Dilettanten, das Kennzeichen der Laien bzw. derer, die sich mit ,niederer‘ Musik zufrieden gaben. Namentlich in der Musikwissenschaft wurde im Anschluß an Hanslick, der wenige Jahre nach seiner Schrift den ersten Lehrstuhl für Musikgeschichte an der Wiener Universität erhielt und insofern für sich in Anspruch nehmen kann, die Historische Musikwissenschaft als akademische Disziplin begründet zu haben, auf Jahrzehnte hinaus alles Mögliche an Musik untersucht, von der Satz- und Formstruktur einzelner Werke über die Geschichte einzelner Gattungen, die Biographien

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herausragender Komponisten bis zu Länder vergleichenden historischen Betrachtungen – das ,Emotionale‘ blieb als nicht Objektivierbares, als wissenschaftlich nicht genau Beschreibbares, als historisch unarchivierbares Phänomen ausgeklammert. Vor diesem Hintergrund ist das erneute Interesse an den Phänomenen ,Expression‘ und ,Emotion‘, wie es sich in den Schriften vorwiegend von Autoren der analytischen Philosophie der letzten 30 Jahre zeigt, erklärungsbedürftig. Es reicht wohl nicht, wie es Peter Rinderle tut, einfach nur zu konstatieren, daß im „Mittelpunkt der Debatte in der analytischen Philosophie der Musik“ die Frage „nach dem Verhältnis von Musik und Emotionen“ stünde.621 Natürlich hat Hanslick bei analytischen Philosophen keinen guten Stand. Rinderle glaubt „das gedankliche Herzstück“ seiner Streitschrift auf zwei Thesen reduzieren zu können, deren erste den ästhetischen Wert von Musik allein auf deren Schönheit zurückführe, während die zweite bestreite, daß die Darstellung eines Gefühles oder Affektes im Vermögen der Tonkunst läge.622 Das Schöne habe nach Hanslick „überhaupt keinen Zweck“, denn es sei „bloße Form“, Hanslick formuliere also „den Grundgedanken einer formalistischen Kunstauffassung“, und diesbezüglich seien sich „die meisten Autoren heute einig: Hanslicks These, die Bedeutung eines Musikstücks gehe in seiner formalen Gestalt auf“, lasse sich nicht halten.623 Einmal abgesehen davon, daß hier Hanslicks Position unzutreffend wiedergegeben wird – hierzu im nächsten Kapitel mehr –, begründet das noch nicht den neuerdings wieder gestiegenen Stellenwert der Gefühlswelt angesichts der Versuche von Philosophen, Musik zu verstehen. Es gibt zumindest plausible Verdachtsgründe dafür, daß das neu erwachte Interesse an einer Gefühlsästhetik der Musik mit den Veränderungen des kulturellen Klimas in den westlichen Ländern während der 1960/70er Jahre zusammenhängt. Es war, pauschal gesagt, die Zeit eines Aufbegehrens jener in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs geborenen Generation gegen den überlieferten musikalischen Wertekanon. Die sich global ausbreitende Popmusikkultur wollte und sollte nicht mehr hinter der vom ,establishment‘ umhegten Hochkultur, der europäisch geprägten, historisch gewachsenen Welt aus Symphoniekonzert, Lieder- oder Klavierabend, Oper und Oratorium zurückstehen. In allen Musikarten außerhalb dieses etablierten Bereichs spielen aber Ausdruck (expression) und Gefühl (emotion) eine wesentliche Rolle. Während im Bereich der sogenannten ,klassischen Musik‘ ästhetische Konstrukte wie das einer ,absoluten

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Musik‘ eine gewisse Bedeutung erlangt haben, die sich, insofern hat Peter Kivy recht, am ehesten negativ beschreiben läßt – „absolute music does not possess semantic or representational content. It is not of or about anything; it represents no objects, tells no stories, gives no arguments, espouses no philosophies“624 –, ist Popmusik überwiegend song-Kultur: Fast immer singt irgendjemand von seinen Schmerzen, seiner Traurigkeit, seiner Wut, seinem Begehren, seiner Liebe oder von was auch immer. Bezeichnend, daß Rinderle als eines seiner Beispiele den Blues heranzieht und behauptet: „Ein Hörer, dem die Melancholie eines Blues entgeht, ist – zumindest was die expressiven Eigenschaften des Blues angeht – inkompetent. Er hat das betreffende Stück dann einfach nicht richtig verstanden; man kann ihn insofern mit einem Farbenblinden vergleichen.“625 Daß einem Hörer, dessen musikalischer Horizont von ,klassischer Musik‘ geprägt ist, angesichts eines banalen zwölftaktigen Kadenzschemas mit vertauschten Dominanten nichts anderes einfallen könnte als der Gedanke, von derlei musikalischen Banalitäten doch bitte verschont zu bleiben, kommt Rinderle nicht in den Sinn. Unter den vielerlei theoretischen Erörterungen analytischer Philosophen überwiegend amerikanischer Provenienz zu Expression und Emotion in der Musik, die Rinderle erörtert, darf die von Peter Kivy und Stephen Davies vorgeschlagene kognitive Konturtheorie Anspruch auf nähere Beachtung erheben. Kivy entwickelte diese Theorie erstmals 1980 in seinem folgenreichen Buch The Corded Shell. Reflections on Musical Expression. Rüdiger Bittner beschreibt sie folgendermaßen: Kivys Gedanke ist: Wir hören Musik oft als ausdrucksvoll, zum Beispiel als traurig, fröhlich, versonnen oder beschwingt, und das läßt sich im Grundsatz als ein sachgemäßes Verständnis der Musik begreifen. Denn wer Musik so hört, meint darum nicht, der Komponist sei seinerzeit traurig, fröhlich, versonnen oder beschwingt gewesen, und die Komposition sei von diesen Empfindungen des Komponisten der Ausdruck. Es mag so gewesen sein oder auch nicht, das Ausdrucksvolle der Musik bleibt davon unberührt. Auch meint, wer Musik so hört, darum nicht, die Musik mache ihre Hörer immer oder auch nur regelmäßig traurig, fröhlich, versonnen oder beschwingt. Vielleicht tut sie es, vielleicht tut sie es nicht, der ausdrucksvolle Charakter der Musik hängt davon nicht ab. Was Musik in der einen oder anderen Weise ausdrucksvoll macht, ist vielmehr an erster Stelle ihre Ähnlichkeit zu den Verhaltensweisen, die oft Menschen zeigen, bei denen die entsprechenden Gefühlsregungen tatsächlich vorhanden

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sind. Warum ist eine Trauerweide eine Trauer-Weide? Weil sie die Zweige hängen läßt, wie traurige Menschen ihre Köpfe hängen lassen. Warum ist das Ploeni sunt coeli aus Johann Sebastian Bachs Messe in h-Moll (BWV 232) eine jubelnde Musik? Genauso: weil die Melodie hier springt und läuft, wie es Menschen tun, die vor Freude jubeln.626

Kurzgesagt, in den Worten von Davies: „[J]ust as happy people move in a fashion that is energetic, fast, and sprightly, so does happy music, and just as sad people move slowly, as if weighed down with care, so does sad music.“627 Sieht man von den weitreichenden Ergänzungen und Modifikationen dieses Grundgedankens ab, der auf eine Ähnlichkeit „zwischen bestimmten Eigenschaften eines Musikstücks und dem menschlichen Ausdrucksverhalten“ abzielt, und läßt man einmal die Kritik beiseite, wie sie Bittner vorgebracht hat, der bemängelt, Kivys Theorie beschränke das Verstehen von Musik auf „ein Erkennen von Ausdruckscharakteren“628 , so bleibt im Grunde wenig anderes übrig als das, was schon der alte Schopenhauer konstatiert hatte, als er 1858 in einem Zusatz zur dritten Auflage seines Hauptwerkes von der Musik festhielt, sie drücke nicht diese oder jene einzelne und bestimmte Freude, diese oder jene Betrübnis oder Schmerz oder Entsetzen oder Jubel oder Lustigkeit oder Gemütsruhe aus; sondern die Freude, die Betrübnis, den Schmerz, das Entsetzen, den Jubel, die Lustigkeit, die Gemütsruhe selbst, gewissermaßen in abstracto, das Wesentliche derselben ohne alles Beiwerk, also auch ohne die Motive dazu. Dennoch verstehn wir sie in dieser abgezogenen Quintessenz vollkommen.629

Rinderle schlägt nun seinerseits eine Art gesteigerter Personentheorie zum Verstehen von ,Expression‘ und ,Emotion‘ in der Musik vor: „Gesten und Gebärden sind das primäre Mittel des Ausdrucks unserer Emotionen, und ein expressives Musikstück kann als eine Geste verstanden werden, mit der eine fiktive, in der Vorstellung des Hörers entstehende Person ihre Emotionen zum Ausdruck bringt.“630 Ein Musikhörer entdecke hiernach in einem Musikstück eine imaginäre persona, mit der er sich identifiziere und deren ,Emotionen‘ er empathisch mitverfolge. „In Analogie etwa zu einem Roman könnte man ein musikalisches Thema als den Protagonisten eines Musikstücks betrachten; und die formale Gestaltung des Stücks [. . .] käme dann einer emotional gefärbten Reflexion dieses ,Charakters‘ durch die imaginäre persona gleich“631 . Dieser Gedanke ist auch nicht neu. Er war bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert bekannt, entwickelt

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von Christian Gottfried Körner in seinem Aufsatz Über Charakterdarstellung in der Musik, der 1795 in Schillers Zeitschrift Die Horen erschienen war und den die führenden Köpfe in Weimar zustimmend zur Kenntnis nahmen. Im Mittelpunkt eines Musikstücks stand für Körner der Mensch als Individuum, dem Thema eines Instrumentalstücks entsprach nach seiner Auffassung dessen Charakter. Wie aus diesem der Lebensweg eines Menschen hervorginge, entfalte sich aus dem Thema als Keim das ganze Musikstück. Anders als Rinderle war Körner aber noch in der Lage, vom bloß Emotionalen abzusehen und beispielsweise auch die in den Motiven eines Themas vorgebildeten gegensätzlichen Momente als die unterschiedlichen Facetten eines Charakters wahrzunehmen, was ihm ermöglichte, für die Mannigfaltigkeit eines klassischen Instrumentalstücks, das sich von dem in der Barockzeit vorherrschenden Ideal eines stile d’une teneur verabschiedet hat, eine plausible Erklärung zu bieten. Der in seinem Anwendungsbereich schon damals nur eingeschränkt gültige, nämlich auf die Instrumentalmusik der sogenannten Wiener Klassik bezogene Gedanke wird nicht besser, wenn man ihn im Gewande amerikanischer College-Gelehrsamkeit wiederholt. Zu fragen wäre, ob selbst dann, wenn es Rinderle und seinen Gewährsmännern gelänge, beispielsweise in Palestrinas Missa Papae Marcelli, in Bachs Kunst der Fuge oder in Weberns Symphonie op. 21 eine fiktive persona samt ihrer Emotionen ausfindig zu machen, deren personenzentrierte Darstellung gegenüber einer strukturellen oder formalen Untersuchung des jeweiligen Werkes stringentere Ergebnisse zeitigen könnte. Die von den Vertretern der analytischen Philosophie so gerne bemühte Alltagssprache, Alltagserfahrung und Alltagsanschauung dürfte wohl einfach zu unterkomplex sein, um den besseren unter den Musikwerken des 18. bis 20. Jahrhunderts mehr als banale Einsichten abgewinnen zu können. Oder, um es abschließend doch einmal ins Polemische zu wenden: Es mag ja sein, daß der Mensch vom Affen abstammt und mit ihm 99% seiner Gene und seiner im Verlaufe der Evolution, diesem neuen Götzen der Wissenschaft, erworbenen Verhaltensweisen teilt; gleichwohl ist er kein Affe, und dieser kleine Unterschied zieht nach sich, daß mit äffischen Begriffen und Maßstäben, in Affensprache sozusagen, Wesentliches an menschlichen Kulturleistungen nicht verstanden werden kann. Und ebenso mag es ja sein, daß 99% der Starallüren heutiger Popgrößen denen von Virtuosen des 19. Jahrhunderts gleichen – was herauszustellen Tim Blanning nicht müde

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wird –; und dennoch ist der Unterschied zwischen dem besten Musikstück eines in den Adelsstand erhobenen englischen Popstars und dem schwächsten eines Liszt noch immer um ein Vielfaches größer als jener. Wenn etwas die zunehmende Trivialisierung von Musik in den letzten Jahrzehnten beweist, dann ist es das Unverständnis selbst der Gebildeten gegenüber dieser schlichten Tatsache.

Leonores Flaschenpost I. chopenhauer, der täglich ein Stündlein Flöte zu spielen pflegte,

S fehlte im vorigen Kapitel, das in der Musikästhetik dilettieren-

den Philosophen galt. Hatte er nicht in seinem philosophischen System der Musik einen ganz außerordentlichen Rang zuerkannt als der einzigen unter den Künsten, die imstande sei, den ,Willen‘ unmittelbar abzubilden? Die sogar bestehen könnte, selbst wenn es die Welt nicht gäbe? Ist er nicht in den ersten Kapiteln dieses Buches als entscheidender Wegbereiter einer Auffassung von Musik dargestellt worden, die sich der musikalischen Metapher der ,Dissonanz‘ bedient, die, im Zusammenspiel mit dem Begriff des Fragmentarischen, geradezu zur Signatur der ästhetischen Moderne wurde? Und haben sich ihm nicht alle kleinen und großen Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts nach dem Vorbild Wagners dankbar angeschlossen, da er dem Musiker, mit Nietzsche zu reden, den Rang eines „Bauchredners Gottes“ zubilligte und in der Musik „eine Art Mundstück des ,An-sich‘ der Dinge, ein Telephon des Jenseits“ sah (vgl. S. 222)? Schopenhauer gehört in Wahrheit ebenfalls in den Kontext einer Entwertung der Musik seit ihrer Vertreibung aus dem Paradies des Quadriviums. Was er da täglich vor sich hin flötete war, man erinnert sich, Musik Rossinis; wie für Hegel war auch für Schopenhauer Rossini das Höchste in der Musik. Und wie sein gehaßter Gegner sah auch er in der Melodie den entscheidenden musikalischen Parameter, den er folgendermaßen beschrieb: Die Melodie besteht aus zwei Elementen, einem rhythmischen und einem harmonischen: jenes kann man auch als das quantitative, dieses als das qualitative bezeichnen, da das erstere die Dauer, das letztere die Höhe und Tiefe der Töne betrifft. [. . .] Beiden liegen rein arithmetische Verhältnisse, also die der Zeit zum Grunde: dem einen die relative Dauer der Töne, dem andern die relative Schnelligkeit ihrer Vibrationen. Das rhythmische Element ist das wesentlichste; da es für sich allein und ohne das andere eine Art Melodie darzustellen vermag, [. . .] die vollkommene Melodie verlangt jedoch beide. Sie

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besteht nämlich in einer abwechselnden Entzweiung und Versöhnung derselben [. . .].632

Daß die Musik ein „Analogon der Welt“ sei und demnach in ihrem Aufbau der Welt gleiche, daher die oberste ,Instanz‘ der Welt, der Mensch, der obersten Stimme eines Musikstückes, der Melodie, entsprechen müßte, war eine Einsicht, zu der Schopenhauer bereits einige Jahre vor Abfassung seines Hauptwerkes gekommen war.633 Da der Schopenhauersche Wille erst in seiner höchsten Erscheinungsform, nämlich im Menschen – dessen Analogon die Melodie ist – zu seiner eigenen Erkenntnis gelangt, vermag sich nur in ihr der Wille adäquat auszusprechen, und nur sie drückt das An-Sich aller Erscheinungen aus. Die Sonderrolle der Musik als einziger Kunst, die den Willen selbst abbildet, zieht logischerweise nach sich, daß in Schopenhauers Augen jede Verbindung der Musik mit einer anderen Kunst, etwa der Poesie, einer Mesalliance gleichkommt: „Musik und Worte sind die Vermählung eines Prinzen mit einem Bettlermädchen.“634 Die Musik bedarf eigentlich nicht der Worte, und ein Komponist braucht sich nicht vermeintlichen Forderungen des Textes zu beugen, denn die Musik redet eine sehr viel deutlichere ,Sprache‘ als alle anderen Künste. Das höchste Lob, das Schopenhauer Rossini machen konnte, war insofern die Feststellung, dieser mißachte den Text sosehr, daß seine Musik sich auch rein instrumental spielen lasse, ohne an Qualität einzubüßen: Wenn also die Musik zu sehr sich den Worten anzuschließen und nach den Begebenheiten zu modeln sucht, so ist sie bemüht, eine Sprache zu reden, welche nicht die ihrige ist. Von diesem Fehler hat keiner sich so rein gehalten wie Rossini: daher spricht seine Musik so deutlich und rein ihre eigene Sprache, daß sie der Worte gar nicht bedarf und daher auch, mit bloßen Instrumenten ausgeführt, ihre volle Wirkung tut.635

Man kann die Vorliebe für Rossinische Musik, wie man es auch bei Hegel getan hat, als private Marotte Schopenhauers übergehen; dann bliebe immer noch seine metaphysische Sicht auf die Musik als einziger transzendenzfähiger Kunst. Ihre Analogie zum Willen eröffnet die Chance, jede spezifizierende Aussage zum Wesen des Willens direkt auf sie zu beziehen. In der Welt als Vorstellung geht, so der Gedankengang im vierten Buch der Welt als Wille und Vorstellung, dem eigentlichen Kernstück der Schopenhauerschen Lehre, dem Willen sein Spiegel auf, „in welchem er sich selbst erkennt mit zunehmenden Graden der Deutlichkeit und Vollständigkeit, deren höchster der

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Mensch ist“636 . Tatsächlich kann sogar im Menschen „der Wille zum völligen Selbstbewußtsein, zum deutlichen und erschöpfenden Erkennen seines eigenen Wesens [. . .] gelangen.“637 Der Wille, an sich betrachtet, ist erkenntnislos und nur ein blinder, unaufhaltsamer Drang. Wenn er sich im Menschen seiner selbst bewußt wird, erhält er Kenntnis von dem, was es sei, daß er will: „diese Welt, das Leben, gerade so, wie es dasteht.“638 Es ist mithin der Wille nichts anderes als Wille zum Leben. Als solcher entbehrt er eines letzten Zieles und Zweckes, vielmehr ist sein Wesen stetes Streben: „Denn alles Streben entspringt aus Mangel, aus Unzufriedenheit mit seinem Zustande, ist also Leiden, solange es nicht befriedigt ist; keine Befriedigung aber ist dauernd, vielmehr ist sie stets nur der Anfangspunkt eines neuen Strebens.“639 Überträgt man diesen Gedanken auf die Musik, käme man zu einer Art der Musikbetrachtung, wie sie vor allem Ernst Kurth am Beispiel Wagnerscher Musik vorgenommen hat.640 Auch hier ist von einem steten Fließen des Tonstroms die Rede, von nie erreichter Befriedigung, von sich aufstauender potentieller und ihrer Entladung in kinetischer Energie, deren erneutem Stocken, Streben nach Auflösung, etc. Schopenhauers Gedankengang geht aber noch weiter. Es ist nämlich der Wille zum Leben geradezu identisch mit dem Leib, denn dieser ist nichts anderes, „als eben der in der räumlichen Anschauung des Gehirns sich darstellende Wille selbst.“641 Schopenhauers gesamte Philosophie verdankt sich gerade der Einsicht, daß die Erfahrung der eigenen Körperlichkeit, die elementaren Triebe wie Hunger oder Durst, einen unmittelbar erfahren lassen, was es mit dem ,Willen‘ auf sich hat. Den Willen zum Leben bejahen heißt daher nichts anderes, als seinen Leib zu bejahen; dies geschieht aber am intensivsten und weit über die bloße Erhaltung des Leibes durch dessen eigene Kräfte hinaus durch den Geschlechtstrieb, der das Leben sogar über den Tod des Individuums hinaus bejaht. Daher „sind die Genitalien der eigentliche Brennpunkt des Willens und folglich der entgegengesetzte Pol des Gehirns“642 . Unmittelbares Abbild dieses Willens aber ist die Musik. Sie ist gleichsam die körpernaheste, die am unmittelbarsten dem Sexuellen zugehörige Kunst. Es ist hiernach unmittelbar einsichtig, weshalb Schopenhauer als Quintessenz seiner Philosophie zu dem Schluß kommen mußte, es sei besser, diesen Willen zum Leben zu verneinen. Seine Philosophie trägt in der Tat gnostizistische Züge, wenn ihm die Welt nicht anders denn als steter Kampf und stete Vernichtung allen Lebens unterein-

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ander vorkommt, eingefaßt in die musikalische Metapher der Dissonanz, und wenn der ,Wille‘ und mit ihm die ihn adäquat abbildende Musik ihre intensivste Ausprägung in jener Sphäre des Sexuellen erfahren, die seit alters her dem Teufel zugeordnet wurde. Einer solchen Welt ist das Nichts vorzuziehen. Entsagung, Rückzug in die Askese eines indischen Heiligen, Verneinung des Willens zum Leben wurde zur abschließenden Konsequenz seiner Philosophie. Auf dem Weg ins Nichts mag einen für Momente die ästhetische Kunsterfahrung vom Joch des Willens befreien, insofern das Bewußtsein von Zeit, Raum und Kausalität zeitweilig aussetzt: Abends, im Frankfurter Opernhaus, blickte Schopenhauer mit schaudernder Lust in den dunklen Abgrund, ein „Dithyrambiker des Untergangs“643 , und als solcher wohl doch kein geeigneter Anwalt der Musik. II. Markus Gärtner hat in einer Untersuchung zur Kontroverse um Hanslicks Schrift Vom Musikalisch-Schönen darauf hingewiesen, daß es, so lange Musik existiere, Kontroversen um ein theoretisches Verständnis der Musik gegeben habe; „seit den Pythagoreern und Aristoxenikern“ durchzöge eine Streitkultur „die gesamte Musikgeschichte.“644 Zwei Anschauungsmodelle befänden sich von Anfang an in Opposition: Auf „der einen Seite steht der Topos einer universellen ,Sprache der Gefühle‘, auf der anderen, befeuert durch die musikalischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, der einer ,tönenden Mathematik‘. Die Dichotomisierung der Musik bleibt bis heute bestehen.“645 Dissonanz und Harmonie sind im bisherigen Verlauf dieses Buches ähnlich konträr aufgefaßt worden, insofern das der Antike und dem Mittelalter zugehörige quadriviale Verständnis von Musik, das den Aspekt der Harmonie hervorhob, eher der logisch erfaßbaren, rationalen Seite der Musik entsprach, dagegen das moderne triviale, vor allem seit es die Metapher von Musik als Dissonanz entwickelt hatte, eher der irrational wirkenden Seite der Musik zuneigte. Auf ähnliche Weise vertrat der Musiktheoretiker Rameau gegenüber dem das Melodische favorisierenden Rousseau nicht bloß den Parameter ,Harmonie‘, sondern verstand seine Position gegenüber der gefühlshaft-philosophischen, letztlich irrationalen Haltung seines Gegners als eine wissenschaftliche, rational argumentierende, auf akustisch-physikalischen Erkenntnissen beruhende. Auch Hanslick betonte vor allem Opponieren gegen das ,Ge-

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fühl‘ sein Bestreben, gegenüber der Musik einen wissenschaftlichen Standpunkt einnehmen zu wollen, der notwendig Einschränkungen gegenüber einer Betrachtung ,an sich‘ in Kauf nehmen müsse. Das Verständnis der Hanslickschen Schrift wird grundsätzlich erschwert, wenn man, wie Rinderle und andere Vertreter der analytischen Philosophie, von Anfang an im ,anderen‘ Lager steht; eine zusätzliche Schwierigkeit bildet der Umstand, daß der Text seiner Schrift in den zehn Auflagen, die zu Lebzeiten ihres Autors bis zum Ende des 19. Jahrhunderts erschienen, immer wieder Veränderungen erfuhr, deren Tendenz, da das Buch seit seinem ersten Erscheinen zumindest in Deutschland eine der am längsten andauernden und heftigsten Kontroversen in der Geschichte der Musik auslöste, diejenige zwischen den Konservativen und den Neudeutschen, zu einer Zuspitzung des formalistischen Standpunktes führte, den Hanslick in dieser Schärfe ursprünglich gar nicht eingenommen hatte. Man muß daher, um ihn wirklich zu verstehen, die unterschiedlichen Textfassungen der zu Lebzeiten vom Autor betreuten zehn Auflagen synchron lesen, was seit der historisch-kritischen Ausgabe durch Dietmar Strauß auch problemlos möglich ist,646 während Rinderle sich bloß auf die gegenüber dem Erstdruck erheblich veränderte 21. Auflage bezieht.647 Hanslicks Versuch, die Ästhetik der Tonkunst zu verwissenschaftlichen, mußte einige Hindernisse überwinden, die für eine philosophische Betrachtung irrelevant gewesen wären. Die heutige Unterscheidung der Geistes- von den Naturwissenschaften übersieht leicht, daß die Arbeitsweise eines Musikforschers im 19. Jahrhundert sich von der eines Naturforschers nur wenig unterschieden hat. Beide erkundeten unbekanntes Terrain, sammelten Fakten, ordneten diese und entwarfen Systematiken und Erklärungsmodelle. Der Koleopterenspezialist, der die rund 350 000 existierenden Arten von Käfern durch eine Expedition in einen entfernten Erdteil um eine neue, bisher der Wissenschaft unbekannt gebliebene Spezies zu vermehren hoffte, glich bis in nebensächliche Details dem Musikforscher, dessen Expeditionen in Archiven und Bibliotheken vonstatten gingen. Beide erinnern in ihrem induktiven, positivistischen Vorgehen an Eddingtons ,Ozeanisten‘, der sein Netz ins Wasser wirft, einige Fische zutage fördert, seinen Fang in der gewohnten Art eines Wissenschaftlers prüft, konstatiert, daß kein Seegeschöpf weniger als zwei Zoll lang sei und daß sie alle Kiemen hätten, und dabei hofft, sooft er den Fang wiederhole, werde dies wahr bleiben.648 Was für ihn ein Seestern, wäre für einen Musikforscher eine Oper Bachs: Ein Ereig-

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nis, das seine auf Induktion beruhenden Theorien falsifiziert, Anlaß zu mannigfachen Kontroversen liefert, die einschlägige Forschungsliteratur revidiert und auf diese Weise den Wissenschaftsbetrieb in Gang hält. Es ist die von Karl Popper in Anlehnung an den Skeptizismus David Humes formulierte Einsicht in die Unzulänglichkeit induktiver Schlüsse, die zu einem Wissenschaftsverständnis führt, das stets nur vorläufige Hypothesen formuliert und diese einem bessere Hypothesen generierenden Falsifizierungsprozeß unterwirft. Nun hat kein Philosoph im frühen 19. Jahrhundert die Wissenschaft mit solcher Konsequenz von der Kunst abgegrenzt wie Schopenhauer. Während dem Alltagsbewußtsein Religion, Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Politik und manches mehr lediglich als unterschiedliche Ausprägungen menschlicher Kultur und menschlichen Geistes gelten und man allenfalls ihren Wert oder ihr Verhältnis zu- und untereinander verschieden auffaßt, hat Schopenhauer Wissenschaft und Kunst einander unversöhnlich gegenübergestellt. In Anspielung auf den Titel seiner Hauptschrift gehört nämlich die Wissenschaft der Welt als Vorstellung, die Kunst der Welt als Wille an; jene, dem Satz vom Grund unterworfen, führt zur immanenten Auffassung der Dinge, diese zur transzendentalen: Während die Wissenschaft, dem rast- und bestandlosen Strom vierfach gestalteter Gründe und Folgen nachgehend, bei jedem erreichten Ziel immer wieder weitergewiesen wird und nie ein letztes Ziel noch völlige Befriedigung finden kann, so wenig als man durch Laufen den Punkt erreicht, wo die Wolken den Horizont berühren; so ist dagegen die Kunst überall am Ziel. Denn sie reißt das Objekt ihrer Kontemplation heraus aus dem Strome des Weltlaufs und hat es isoliert vor sich: und dieses Einzelne, was in jenem Strom ein verschwindend kleiner Teil war, wird ihr ein Repräsentant des Ganzen, ein Äquivalent des in Raum und Zeit unendlich Vielen: sie bleibt daher bei diesem Einzelnen stehn: das Rad der Zeit hält sie an; die Relationen verschwinden ihr: nur das Wesentliche, die Idee, ist ihr Objekt.649

Während Schopenhauer also die Kunst geradezu als die Betrachtungsart der Dinge, unabhängig vom Satz des Grundes, bezeichnet, gehen Erfahrung und Wissenschaft eben diesem immerfort nach. Insofern könnte man aus der Sicht der Schopenhauerschen Philosophie Hanslicks Unternehmen einer wissenschaftlichen Betrachtung von Musik von vorneherein für unsinnig erklären, weil es mit dem falschen Instrumentarium operiert. Läßt man sich jedoch auf diesen Versuch unvoreingenommen ein, sieht man, daß ein Exkludieren der

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emotionalen Sphäre dem gewohnten Modell wissenschaftlicher Fokussierung auf einen praktikablen Ausschnitt der ,Welt‘ entspricht, ohne weiter nach dem Wesen dessen, was da ausgeschlossen wurde, zu fragen. Wilhelm Matejka, der bereits in den 1970er Jahren die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Musikwissenschaft untersucht hat, wies darauf hin, auch die neuzeitliche Naturwissenschaft wisse nicht, „was Natur ist, und will es auch gar nicht wissen. Ihr kommt es vielmehr darauf an, diese manipulierbar zu machen. Dieses Vorgehen [. . .] legitimiert sich in der Naturwissenschaft durch seinen Erfolg: Es gelingt, die Natur technisch zu manipulieren.“650 Ähnlich gleiche die Musikwissenschaft, wenn sie die Frage auslasse, was Musik sei, der Geschichtswissenschaft, die ebenfalls nicht danach frage, was Geschichte sei, sondern ermittele, wie sie verlaufen ist und insofern von einem vergleichbaren naturwissenschaftlichen Wissenschaftsverständnis geprägt werde. Hanslicks Ansatz geht von folgender Prämisse aus: Der Muth und die Fähigkeit, den Dingen selbst an den Leib zu rücken, zu untersuchen, was losgelöst von den tausendfältig wechselnden Eindrücken, die sie auf den Menschen üben, ihr Bleibendes, Objectives, wandellos Giltiges sei, - sie charakterisiren die moderne Wissenschaft in ihren verschiedensten Zweigen. Diese objective Richtung konnte nicht ermangeln, sich auch der Erforschung des S c h ö n e n alsbald mitzutheilen [. . .] Die T o n k u n s t allein hat diesen wissenschaftlichen Standpunkt noch nicht zu erringen gewußt, und ist in ihrer Aesthetik hinter den übrigen Künsten entschieden zurückgeblieben.651

Diese am Anfang seiner Schrift stehenden Sätze änderte Hanslick ab der zweiten Auflage in die folgenden: Der Drang nach einer möglichst objectiven Erkenntniß der Dinge, wie er in unserer Zeit alle Gebiete des Wissens bewegt, muß nothwendig auch an die Erforschung des S c h ö n e n rühren [. . .]. Sie wird, will sie nicht ganz illusorisch werden, sich der naturwissenschaftlichen Methoden wenigstens so weit nähern müssen, daß sie versucht, den Dingen selbst an den Leib zu rücken, und zu forschen, was in diesen, losgelöst von den tausendfältig wechselnden Eindrücken, das Bleibende, Objective sei. Die Poesie und die bildenden Künste sind in ihrer ästhetischen Erforschung und Begründung dem gleichen Erwerb der Tonkunst weit voraus.652

Er mildert, wie man sieht, etwas die Zurückgebliebenheit der Musikästhetik gegenüber den anderen Kunstästhetiken und spricht statt

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von „Wissenschaft“ im Allgemeinen jetzt genauer von „naturwissenschaftlichen Methoden“. Im zentralen dritten Kapitel, in dem der viel zitierte und noch öfter mißverstandene Satz von den „tönend bewegten Formen“ steht, rückt das Moment des Schönen in den Mittelpunkt, das „unabhängig und unbedürftig eines von Außen her kommenden Inhaltes, einzig in den Tönen und ihrer künstlerischen Verbindung“ liege.653 Dieser Satz blieb in allen zehn Auflagen unverändert und hat Anlaß gegeben, Hanslicks Musikästhetik auf eine Wissenschaft vom sich selbst genügenden ,Schönen‘ zu reduzieren, die unfähig sei, andere Kategorien von Kunst wie das Erhabene oder das Wahre in sich aufzunehmen. Die Betonung muß aber gar nicht auf dem ,Schönen‘ liegen. Es mag Hanslicks persönlichem Geschmack entsprochen haben, an Musik in erster Linie das Wohlklingende gesucht zu haben – für seine Ästhetik würde sich nicht viel ändern, wenn statt des ,Schönen‘ beispielsweise das ,Dissonante‘ als zentrale Kategorie der Musik ausgegeben würde. Worauf es vielmehr ankommt, ist die Betonung der Unabhängigkeit und Unbedürftigkeit der Musik gegenüber außermusikalischen Momenten. Hanslicks Musikästhetik war vor allem eine Defensivästhetik: Ihr vorrangiges Anliegen bestand darin, namhaft zu machen, was nicht zum Wesen von Musik gehöre. Allein sechs der sieben Kapitel des Buches dienten der Abwehr von Vorurteilen und irrigen Ansichten. Wenn die Musik „nicht durch Begriffe den Verstand unterhalten“ könne, so müsse sie „den Beruf haben, auf die Gefühle des Menschen zu wirken“654 . Die beiden ersten Kapitel sollten aufzeigen, daß dem nicht so ist: Gefühle seien weder Zweck noch Inhalt der Musik. Auch mit der Natur und dem Naturschönen habe die Musik nichts zu schaffen (Kap. VI): „Die Natur gibt uns nicht das künstlerische Material eines fertigen, vorgebildeten Tonsystems, sondern nur den rohen Stoff der Körper, die wir der Musik dienstbar machen.“655 Daher gilt: „Es gibt kein Naturschönes für die Musik.“656 Bei der Untersuchung des „subjectiven Eindrucks der Musik“ (Kap. IV) traf Hanslick eine Unterscheidung zwischen der musikalischen Komposition, dem Kunstwerk als solchem, und seiner Aufführung, wodurch es ihm gelang, das Subjektive, Gefühlsentäußernde von jener zu dieser zu verlagern: Der Act, in welchem die unmittelbare Ausströmung eines Gefühls in Tönen vor sich gehen kann, ist nicht sowohl die Erfindung eines Tonwerkes, als vielmehr die Reproduction desselben [. . .]. Dem Spieler

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ist es gegönnt, sich des Gefühls, das ihn eben beherrscht, unmittelbar durch sein Instrument zu befreien [. . .]. Das Tonwerk wird geformt, die Aufführung erleben wir. So liegt denn das Gefühlsentäußernde und erregende Moment der Musik im Reproductionsact [. . .].657

In ähnlicher Weise lenkte Hanslick im fünften Kapitel die Aufmerksamkeit vom Tonwerk weg zum Hörer und unterschied hier das ästhetische vom pathologischen Hören: Die elementarische Gewalt der Musik, die Aufpeitschung der Sinne seien nicht der Musik selbst, sondern ihrer unangemessenen, nämlich pathologischen Aufnahme zuzurechnen. Die Fragen, um deren Beantwortung es in diesem Kontext gehen muß, lauten: Wozu diente diese Defensivästhetik und unter welchen Bedingungen konnte sie Erfolg haben? Überzeugend beantwortet hat dies Bernd Sponheuer in seiner Habilitationsschrift zur Musik als Kunst und Nicht-Kunst von 1987. Er arbeitet heraus, daß der bürgerliche deutsche Idealismus die Kunst und das „wahre Begreifen des Kunstschönen“ (Hegel) als ,Mitte‘ gedacht habe, in dem sich versöhne, was bei Schiller, Hegel und deren Nachfolgern mit dem Begriff der Entzweiung bzw. der Entfremdung bezeichnet worden sei. Es gehe, platt gesagt, um die Mitte zwischen ,oben‘ und ,unten‘, zwischen Gott und Himmel auf der einen und Teufel und Hölle auf der anderen Seite, zwischen Freiheit und Notwendigkeit in der Terminologie Schillers oder Geist und Natur in der Hegels (oder vielleicht auch Seele und Körper in derjenigen Descartes). Der Sonderstatus des Schönen als ,Mitte‘ hängt mit der Entstehung der klassischen Autonomieästhetik zusammen, die wesentlich auf dem Prinzip der Ausgrenzung beruht: Bezeichnet die Idee der ästhetischen Versöhnung den konzeptionellen Kern der klassischen Kunstphilosophie im positiven Sinne, so akzentuiert der Terminus ,ästhetische Autonomie‘ denselben Zusammenhang unter dem wesentlich „negativen“ Gesichtspunkt seiner limitierenden Sicherstellung nach außen: als ein System von Ausgrenzungsregeln übernimmt das Autonomieprinzip die Garantiefunktion für jenen Freiraum, deren die Kunst zur Aufrechterhaltung ihres privilegierten Status notwendig bedarf.658

Autonomie erlangt die Kunst vor allem durch ihre prinzipielle ästhetische Distanz zu Alltag, Leben, Realität und Praxis sowie durch ihre Nutzlosigkeit und Zweckfreiheit, wobei die Balance namentlich bei Schiller gelegentlich unter einer „zumindest tolerierte[n] oder sogar

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offen favorisierte[n] Hegemonie des Geistigen (Moralischen, Intellektuellen), die die physische Präsenz des Schönen als bloßen Repräsentanten metaphysischer Instanzen in ihren Dienst nimmt“659 , leide. Für die klassische Autonomieästhetik besaß allerdings gerade die Musik als schöne Kunst einen höchst ambivalenten Charakter. Weder Kant noch Hegel erkannten ihr im Kanon der schönen Künste einen bevorzugten Platz zu. Wenn die Musikästhetik den Anschluß an die große Systemphilosophie des deutschen Idealismus suchen wollte, reichte es nicht, wie die Frühromantiker in gnomischen Sätzen von ihren Vorzügen zu schwärmen oder ihr wie Schopenhauer einen Sonderstatus unter den Künsten zuzubilligen. Es waren die klassischen Einwände gegen die Musik aus der Welt zu räumen, wie sie beispielsweise auch in der Diskussion Kierkegaards um das „Musikalisch-Erotische“ im Kontext des Mozartschen Don Giovanni zur Sprache kamen (und in Thomas Manns Doktor Faustus wieder aufgegriffen wurden): Danach könne 1. die Musik nicht als geistige Macht anerkannt werden; 2. werde ihre elementarische Gewalt als fremd und Autonomie-gefährdend empfunden; 3. mache die Dominanz des sinnlichen Anteils die Musik moralisch bedenklich und 4. sei sie inhaltsleer. So hatte (nach Sponheuer) Hanslicks Musikästhetik sich überhaupt erst einmal als solche zu rechtfertigen und mußte dann aus der Musik als Totalität einen Teil als minderwertig, nicht eigentlich zur Musik als Kunst zugehörig, ausgrenzen, auf den nun die Einwände quasi abgelenkt werden konnten. Dabei hätte Hanslick die Mängel der Musik in Vorzüge umgewandelt, so daß beispielsweise aus dem Fluch der Inhaltsleere die Idee des Formalschönen wurde, ähnlich wie E. T. A. Hoffmann aus Kants ,angenehmem Geräusch‘ der Instrumentalmusik die Sprache eines unbekannten Reiches werden ließ. Hanslick als Musikästhetiker hat mit der Ausgrenzung der emotionalen Sphäre wie ein Schachspieler ein Damenopfer gebracht, um überhaupt noch weiterspielen zu können. Das funktionierte jedoch nur solange gut, wie eine Bedingung gegeben war, die im Zentrum der Sponheuerschen Untersuchung steht, die bei Hanslick aber unausgesprochen bleibt. Es ist die Dichotomie der Musik in hohe und niedere Kunst. Nur wenn es diese Dichotomie wirklich gibt, hat ein zentraler Satz seiner Schrift einen konkreten Sinn, nämlich der, das „Componiren“ sei „ein Arbeiten des Geistes in geistfähigem Material.“660 In der ersten Auflage gab Hanslick seiner Schrift einen Schluß, der die Musik in gut pytha-

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goreischer Manier an die Harmonie der Welt anschließt. Die letzten Worte lauteten nämlich ursprünglich: Dieser geistige Gehalt verbindet nun auch im Gemüth des Hörers das Schöne der Tonkunst mit allen andern großen und schönen Ideen. Ihm wirkt die Musik nicht blos und absolut durch ihre eigenste Schönheit, sondern zugleich als tönendes Abbild der großen Bewegungen im Weltall. Durch tiefe und geheime Naturbeziehungen steigert sich die Bedeutung der Töne hoch über sie selbst hinaus und läßt uns in dem Werke menschlichen Talents immer zugleich das Unendliche fühlen. Da die Elemente der Musik: Schall, Ton, Rhythmus, Stärke, Schwäche im ganzen Universum sich finden, so findet der Mensch wieder in der Musik das ganze Universum.661

Auf die Kritik seines Freundes Robert Zimmermann hin, des Verfassers einer Allgemeinen Ästhetik als Formwissenschaft, tilgte Hanslick – leider, wie man sagen muß – ab der zweiten Auflage die letzten drei Sätze (ab „Ihm wirkt . . .“), und schließlich, ab der dritten Auflage, auch noch „den an Hegel orientierten Satz, der die Musik mit allen anderen großen und schönen Ideen in Verbindung brachte, so daß die Definition des Komponierens als der freien Schöpfung des Geistes aus geistfähigem Material [. . .] als endgültiger Schluß des Traktats Vom Musikalisch-Schönen feststand.“662 Die Dichotomie von hoher und niederer Kunst durchzog die gesamte abendländische Musikgeschichte, ja auch diejenige des alten Chinas, das in seiner Musikauffassung, wie schon der Freiherr von Thimus und vor ihm Schopenhauer registriert hatten, den Pythagoreern so ähnlich war. Um hier nicht erneut Platons in der Politeia vorgenommene Reinigung der Musik von den lärmenden Instrumenten des Marsyas und den weichlichen und schlaffen, nicht einmal für Frauen nützlichen Tonarten zu zitieren, sei eine Begebenheit aus dem alten China erzählt, die diese Dichotomie drastisch zum Ausdruck bringt. Im Denken des Konfuzius (Kungfutse), nach Karl Jaspers einem der vier „maßgebenden Menschen“663 (nämlich Sokrates, Buddha, Konfuzius und Jesus), nahm die Musik einen zentralen Platz ein, sie bedeutete ihm das gleichermaßen den Charakter Veredelnde wie das schlechthin Staatstragende. So heißt es in den Gesprächen des Kungfutse, den Lun Yü, in der Übersetzung von Ching-Wen Lin: „Der Meister sprach: »Der Mensch wecke seinen Geist im Umgang mit Oden, festige ihn an Formen des Rituals und vollende ihn bei der Beschäftigung mit Musik.«“664 In dem der Legende nach von Konfuzius selbst redigierten Buch der Sitte, dem Li

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Chi, steht zu lesen (wobei im folgenden kung, shang, chiao, chih und yü die Haupttöne der chinesischen Pentatonik bedeuten): kung ist der Fürst, shang der Minister, chiao das Volk; chih sind die Werke und yü die Dinge. Wenn diese fünf (Töne) nicht in Verwirrung sind, herrscht Ordnung im Lande. Wenn kung unrein ist, herrscht Not, weil der Regent hochmütig ist. Wenn shang unrein ist, entsteht Unordnung, weil die Beamten korrupt sind. Wenn chiao unrein ist, entsteht Unrast, weil das Volk grollt. Wenn chih unrein ist, entsteht Kummer, weil die Werke mühevoll sind. Wenn yü unrein ist, droht Gefahr, weil es an Gütern mangelt. Wenn alle fünf (Töne) unrein sind und auseinanderklaffen, dann bedeutet dies allgemeine Verwirrung; dann steht der Untergang von Staat und Volk unmittelbar bevor.665

Wie noch jeder gebildete Chinese weiß, war es Konfuzius in vorgerücktem Alter vergönnt, in seinem Heimatstaat Lu als Minister gemäß seinen eigenen Grundsätzen von der Lenkung eines Staates zu wirken. Das Tonsystem blieb intakt, die Sitten erhielten sich rein, und Lu wurde so erfolgreich, daß es die Mißgunst angrenzender Länder erregte, insbesondere im Nachbarstaate Tsi. Die Lun Yü berichten in drakonischer Kürze von dem abrupten Ende der politischen Laufbahn Kungfutses: „Die Leute von Tsi sandten (dem Fürsten von Lu als Geschenk eine Truppe von) weiblichen Musikanten. Freiherr Gi Huan nahm sie an. Drei Tage wurde kein Hof gehalten. Meister Kung ging.“666 Mit Konfuzius verließen zugleich seine acht Hofmusiker, die unter ihm mit der rechten Art, Musik zu machen, bekannt geworden waren, das Land. Der Zerfall des Staates Lu ließ nun nicht mehr lange auf sich warten. Das Problem der Dichotomisierung von Musik hängt mit dem größeren und problematischeren einer Dichotomisierung der zugehörigen Menschen zusammen: Es kennzeichnet die alte Welt, sei es in der griechischen oder römischen Antike, im fernen China oder im Mittelalter, und erst recht die Welt des Okkulten und Esoterischen, von den Gnostikern bis zu den modernen Theosophen, daß die Menschheit in zwei Gruppen gespalten zu sein scheint: Hier die Könige, die Freien, die Helden, die Genies, die Eingeweihten, die Ausgezeichneten und die Erleuchteten, da die „Fabrikware der Natur“, wie Schopenhauer sich verächtlich auszudrücken beliebte, Otto Normalverbraucher, der zu Recht argwöhnt, die Differenzen in der Sache würden auf unstatthafte Weise mit solchen der Personen vermengt. Die Dichotomisierung der Musik ist in einer auf universelle Gleichheit aller Menschen Wert legenden Gegenwart, zu-

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mindest in den freiheitlich-demokratischen Ländern, eine mißliche Sache geworden: Daher die Wut, die ihren entschiedenen Vertretern wie Hanslick oder Adorno entgegenschlägt. Man mag den hierarchischen Gewißheiten alter Zeiten nachtrauern; hier und heute sind Alternativen gefragt. III. Es ist daher an der Zeit, ein letztes Mal an Robert Schumann zu erinnern, dem die Einsicht in den Reiz von musikalischen Dissonanzen gekommen war, als er die prächtig klingenden Regelwidrigkeiten des Berliozschen Orchestersatzes registrierte und der sich wohl als erster Komponist von Rang mit dem Spiritismus befaßt hatte. In eben diesen letzten Lebensmonaten, als das Tischerücken in Schumanns Familie Einzug fand, beschäftigte sich der von neuer Schaffenskraft beflügelte Komponist mit einem Dichtergarten für Musik, einer Anthologie für Freunde der Literatur und Musik, in der in enzyklopädischer Fülle von Homer bis in die Gegenwart dichterische Zeugnisse über Musik versammelt werden sollten. Er arbeitete daran „buchstäblich bis in die letzten Tage vor seinem Zusammenbruch und Selbstmordversuch im Februar 1854“.667 Die bis zu ihrem ersten Erscheinen im Jahre 2007 kaum bekannt gewordene Textsammlung umfaßt Manuskripte von Schumanns und von Kopistenhand; zu den Exzerpten, die Schumann selbst anlegte, gehört eine umfangreiche Zusammenstellung von Jean Paul-Zitaten; seinen Lieblingsdichter las er, beginnend im Mai 1853, noch einmal umfassend durch und exzerpierte dabei aus 22 Romanen und sonstigen Schriften Jean Pauls, darunter auch aus der späten, fragmentarischen und mystisch-spiritistische Fragen erörternden Schrift Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele, über der Jean Paul, niedergeworfen vom Leid durch den Tod des geliebten Sohnes Max, gestorben war. Das Exzerpt aus diesem letzten Werk Jean Pauls, das seinerseits am Schluß des Schumannschen Jean-Paul-Manuskripts steht, hält eine seltsame Einsicht fest, die auch Schumann teilte: Dieses Innere der menschlichen Natur fängt besonders vor einer Kunst wach und laut zu werden an, deren Eigenthümlichkeit und Auszeichnung vor jeder andern Kunst noch nicht recht erkannt wird; ich spreche eben nicht von Dichtkunst und Malerei, sondern von der Tonkunst. Warum vergißt man darüber, daß die Musik freudige und traurige Empfindungen verdoppelt [. . .] eine höhere Eigenthümlich-

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keit von ihr? Ihre Kraft des Heimwehes, nicht ein Heimweh nach einem alten verlassenen Lande, sondern nach einem unbetretenen, nicht nach einer Vergangenheit, sondern nach einer Zukunft.668

Die paradoxe Vorstellung eines Heimwehs nach der Zukunft, die Musik heraufzubeschwören vermag und die mit der gewöhnlichen linearen Zeitvorstellung des 19. Jahrhunderts inkompatibel ist, findet sich am Beginn des 20. Jahrhunderts bei einem ebenfalls schon mehrfach erwähnten Autor wieder, der mit der okkultistischen Literatur seiner Zeit bestens vertraut war, seinen Carl du Prel und die Schriften der Madame Blavatsky gelesen (und geschätzt) hatte, aber zugleich ein überzeugter Marxist gewesen ist: Die Rede ist von Ernst Bloch und seinem utopischen Musikkonzept, niedergelegt in einer Philosophie der Musik im Geist der Utopie sowie in den Musikkapiteln des Prinzips Hoffnung. Der etwas jüngere Adorno verdankte seinem Freund Bloch, dessen Schriften er gut gekannt hat, wesentliche Einsichten in die Musik. Die Festschrift zu Blochs 80. Geburtstag eröffnete ein Aufsatz Adornos Henkel, Krug und frühe Erfahrung, in dem es um Blochs Geist der Utopie geht, ein Buch, das Adorno als Abiturient kennengelernt hatte: Ich stürzte mich auf das Buch, bis zum Erscheinen des ›Prinzips Hoffnung‹ Blochs chef d’œuvre. [. . .] Der dunkelbraune, auf dickem Papier gedruckte, über vierhundert Seiten lange Band versprach etwas von dem, was man von mittelalterlichen Büchern sich erhofft [. . .]. Der ›Geist der Utopie‹ sah aus, als wäre er von des Nostradamus eigener Hand geschrieben. Auch der Name Bloch hatte diese Aura. Dunkel wie ein Tor, gedämpft dröhnend wie ein Posaunenstoß, weckte er eine Erwartung des Ungeheuren, die mir rasch genug die Philosophie, mit der ich studierend bekannt wurde, als schal [. . .] verdächtig machte. Als ich sieben Jahre danach Bloch traf, fand ich in seiner Stimme denselben Ton.669

Adornos Anspielung auf den französischen Astrologen und Hellseher Nostradamus (1503–1566) bezieht sich nicht nur inhaltlich auf den prophetischen Gehalt einer Philosophie der Utopie, sondern auch auf das starke Sendungsbewußtsein ihres Autors, der 1963 sein Werk im Nachwort zur zweiten Auflage als „revolutionäre Gnosis“670 bezeichnet hatte und in einem Brief an seinen Freund Georg Lukács 1911 Sätze wie diese schreiben konnte: „Georg [. . .], alle Menschen [. . .] werden sich wie an der Hand genommen fühlen, sie werden weinen müssen und erschüttert und in der großen bindenden Idee erlöst sein [. . .]. Ich bin der Paraklet und die Menschen, denen

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ich gesandt bin, werden in sich den heimkehrenden Gott erleben und verstehen.“671 Als Paraklet, als der vom fremden Gott gesandte Engel, der die gnostische Kehre auslöst, spielte der junge Bloch vorzüglich Klavier und war ein ausgezeichneter Musikkenner, der während seiner Studienzeit in Würzburg auch Musikwissenschaft studiert hatte. Waren Gäste bei Blochs zu Besuch, setzte er sich nach dem Essen regelmäßig an den Flügel. In den Erinnerungen Friedrich Burschells an die Heidelberger Jahre kurz vor Kriegsausbruch liest sich das so: Wenn er Wagner spielte, donnerte es, bei Beethoven und Mozart vibrierten die Saiten. Seine Zuhörer sollten zu spüren bekommen, wie große Musik überwältigen könne. Er unterbrach sich häufig, wiederholte und erläuterte die Passagen, auf die es ihm besonders ankam. [. . .] Von einem der Lieder des jungen Richard Strauß oder einem Satz aus einer Mahler-Symphonie ging er unvermittelt und mit größtem Gusto zu ordinären Schlagern und Märschen über, wie man sie als Begleitung zu den zappelnden Streifen des damaligen Kinematographen zu hören bekam.672

Die Philosophie der Musik innerhalb des Geistes der Utopie erwähnt im ersten, historischen Teil fast 50 Komponisten, von Guido von Arezzo und Franko von Köln über Dufay, Josquin, Willaert und Lasso in der Renaissance, gefolgt von Keiser, beiden Scarlattis, Bach und Pergolesi (neben zahlreichen anderen) im 17. und 18. Jahrhundert, die Wiener Klassik und nahezu alle bekannteren und weniger bekannten Namen des 19. Jahrhunderts einschließlich etwa Zelter, Silcher, Marschner oder E. T. A. Hoffmann bis zu den Zeitgenossen der Jahrhundertwende, darunter Debussy, Strauss, Pfitzner, Reger, Mahler, Schönberg, Puccini und Busoni. In späteren Schriften setzte sich Bloch unter anderem auch mit Strawinsky, Berg und Weill auseinander; noch am Lebensende, mit über 90 Jahren, hörte er sich Wolf Biermann an und gab dem Liedermacher konkrete musikalische Ratschläge. An theoretischer Lektüre gingen in die Philosophie der Musik neben den Schriften Wagners unter anderem Hanslick, von Hausegger, Riemann, Hauptmann, Kurth, Halm sowie Busonis Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst und Schönbergs Harmonielehre ein. Blochs Stärke war also neben seiner bemerkenswerten Belesenheit und umfassenden eigenen Musikerfahrung seine Offenheit gegenüber allen Arten von Musik, ältester wie neuester, ,hoher‘ wie ,niederer‘. Das ist ihm jedoch eher verargt denn als Vorzug ausgelegt worden. 1965, in derselben Festschrift zu seinem 80. Geburts-

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tag, die Adornos anrührende Worte zum Geist der Utopie eröffneten, registrierte der Musikwissenschaftler Tibor Kneif, Blochs Musikphilosophie sei irrational und in sich widersprüchlich, entstamme dem Ungeist eines solipsistisch-dekadenten Expressionismus und stelle gleichsam eine unglückliche Potenzierung der Musikphilosophie Schopenhauers und reaktionärer Romantiker dar. Bloch, der lebenslang fest überzeugte Marxist, habe sich mit einem solcherart unorthodoxen Denken in allen Lagern nur verdächtig machen können.673 „Musik ist die utopisch überschreitende Kunst schlechthin, ob sie uns zieht oder baut.“674 Dieses Zitat aus Das Prinzip Hoffnung bringt Blochs Musikästhetik auf die knappeste Formel. Musik „baut“, wenn sie sich in geschlossenen Formen äußert, sie tut dies, nach Bloch, überwiegend in älteren Epochen, kulminierend in der Fuge Bachscher Prägung; Musik „zieht“, wenn sie sich in offenen Formen äußert, prozessual aus sich herausschreitet, überwiegend seit dem späten 18. Jahrhundert, kulminierend in der Sonate Beethovenscher Prägung. Dabei sind die Tongestalten „Grenzüberschreiter zum absoluten Augenblick“, wie keine andere Kunst nehme die Musik das „Prometheische“ auf, und in Beethoven werde „alle Musik zur PrometheusOuvertüre“.675 Das 51. Kapitel im Prinzip Hoffnung, das eigentliche Musikkapitel, 20 Jahre nach dem Geist der Utopie im Exil in Amerika entstanden, holt in seinem Musikteil noch erheblich weiter aus, als es der musikgeschichtliche Teil im Geist der Utopie tat. Bloch beginnt in grauer Vorzeit, bei der Erfindung der Hirtenflöte, bringt eine anrührende Deutung der in Ovids Metamorphosen überlieferten Geschichte von der Nymphe Syrinx, diskutiert weitläufig Musikanschauungen des Mittelalters und der Renaissance, verweilt länger bei Bach und setzt sich ausführlich mit zeitgenössischer Musik Schönbergs und Bergs, für die er tiefes Verständnis zeigt, auseinander. Beethoven bildet in beiden Büchern den Angel- und Mittelpunkt der jeweiligen Musikkapitel. Seine Symphonik charakterisierte er im Geist der Utopie: Was uns daran so sehr erschüttert: die blitzartig wechselnden Tonstärken, das Wunder der Hörner, diese blühenden, sättigenden, hallenden, dem Pedal vergleichbaren Füllungen des Klangs, bittere Kälte – ablösende Wache und Nachterzählungen – Glaube und Unglaube – der Stern – und nun erscheint’s, das Gespenst oder der Geist, mit allen Mitteln des Schlagzeugs, der Posaunen, der Orgel und des vollen, im äußersten Fortissimo ausgehaltenen Orchesters: es ist eine neue Daseinsweise des instrumentalen und dynamischen Ausdrucks, die

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gleichsam aus der Farbe und Beleuchtung heraus die neue Zeichnung erfinden, harmonisch dramatisch erfinden läßt und derart Windessausen, venezianische Glut in das zuerst so dünne und volumenarme Wesen des thematischen Wandels hereintreibt.676

Beethoven, die „Faust der Kunst“, der „Weltgeist der Musik“, treibt ruhelos, er läßt verloren gehen, um darin zu laden, er ballt still und unmerklich zusammen, um es später desto furchtbarer zu entzünden. Er führt, zerrt, schickt hin und her, er behandelt die kleinen melodischen Gebilde wie leblose Wesen, er sieht Massen von Musik vor sich und unter sich, der ungeheure Stratege der Zeit, aus denen er die tauglichsten für seine Absichten auswählt. Ganze Gruppen von Noten folgen aufeinander wie eine einzige dürre, aufsparende, spannende Geschlechterfolge: aber nun, beim Jetzt, bei einem einzigen rhythmisch-dominanthaft überbegnadeten Genietakt erfolgt der Blitz der Verschwendung, und die riesigen Massen schütten sich aus. Indem Beethoven das tut, indem er keine Themen komponiert, sondern einen ganzen Satz, eine ganze Sonate, läßt er die wechselnden Zustände unserer Kraft mitspielen, jagt er die Zeit in den bislang gelassenen Kontrapunkt und erzeugt mittelst dieser Ereignisform das Abbild einer Geschichte, in der sich nicht nur die Folge unserer innersten Lebensalter wiederfindet, sondern eben auch das vordem so gespenstische Dasein der Zeit selbsttätig sein Haupt erhebt.677

Im Anschluß an Hegels Philosophie glaubte Bloch eine Art Dialektik der musikalischen Entwicklung zu erkennen und sah in der Sonate Beethovenscher Prägung den Inbegriff einer dialektischen Ereignisform, weil sie dank ihrer Mehrthematik These und Antithese in sich selbst verkörpere und in der Reprise nicht nur zur Synthese finde, sondern über sich hinausweise und einen utopischen Überschuß enthalte. „Erst in der Sonate also bricht das Wirre, Reiche, Barocke auch extern, als extern, als offene Gotik hervor; Freiheit, Person, Luzifer regieren in ihr, nicht Jesus mit fertig geschlossener Theokratie.“678 Dennoch bestritt Bloch einen historischen Fortschritt in der Musik; sie gehorche einem anderen Rhythmus als dem des ihr zugehörigen Kulturkörpers. Seit dem späten 16. Jahrhundert, den Werken eines Willaert oder Lasso, werde „das wahre Sosein der großen Musiker [. . .] durch die Geschichte der musikalischen Technik nicht bestimmt“679 , jeder wahrhaft große Meister baue sich „als Geist utopischen Grades [...] sein eigenes Haus, das Gefüge seiner eigenen Entdeckungen und inneren Seinsebenen“680 . So kann Bloch ganz unhistorisch von einem ,griechischen‘ Mozart, einem

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,gotischen‘ Bach oder einem ,barocken‘ Beethoven sprechen: „Um eine genauere Chronologie ist Bloch nicht bekümmert [. . .]. [D]as Ausscheren aus dem Gänsemarsch der Musikgeschichte geschieht, um dem Geist der Geschichte und dem Wesen der Musik näher zu kommen.“681 Neben dem Harmonischen und der Klangfarbe nimmt Bloch vor allem den Rhythmus und dessen Zeitgestaltung in den Blick, dem er formbildende Qualitäten zuspricht: Wir brauchen zudem dem Zeitlichen nicht mehr unbedingt zu fluchen, wenn wir es segnen; nicht nur, daß bereits Beethoven und die Synkope gekommen sind [. . .]. Sondern wir gehen auch philosophisch einer Arbeitsweise entgegen, der die Zeit etwas anderes bedeutet als unbedingte Diesseitigkeit [. . .]. Derart kann sich in einem neuen Gedränge, in einem an Beethoven und Wagner immer tiefer geschulten intuitiven Rubato, in einem geheimnisvoll bewegten und synkopisierten Adagio als dem organisch abstrakten Rhythmus gerade das tiefere sich Selbstzählen der Seele zutragen [. . .].682

Das 15. Kapitel des Prinzips Hoffnung behandelt das Kernstück der Blochschen Philosophie, die „Entdeckung des Noch-NichtBewußten oder der Dämmerung nach Vorwärts“.683 Es gebe, heißt es dort, ein abendliches und ein morgendliches seelisches Leben, den Nacht- und den Tagtraum. Das Freudsche Unbewußte entspreche dem Nachttraum, dem Abendlichen, in dem Vergangenes und Verdrängtes hause; dem Noch-Nicht-Bewußten entspreche das Morgendliche, der Tagtraum, in dem das noch Zukünftige schlummere. Das ist die Utopie. „Sucht man musikalische Einweihungen in die Wahrheit der Utopie, so ist das erste, alles enthaltende Licht Fidelio, das zweite – mit verhängtem Schein, in gemäßem Abstand – das Deutsche Requiem, das singt »Denn wir haben hier keine bleibende Statt, aber die zukünftige suchen wir« [. . .].“684 Beethovens Fidelio war Blochs Lieblingswerk, er hielt Fidelio für die bedeutendste aller Opern und kam immer wieder darauf zurück. Am Ende seines Musik-Kapitels im Prinzip Hoffnung befaßte er sich mit der Nähe aller Musik zum Tod und speziell mit den großen Requiem-Vertonungen von Mozart bis Verdi und Brahms. Bei einem Requiem spiele eigentlich der Text keine Rolle, weil Musik immer schon mit dem „dauernd präsenten Tod-, Contratod-Utopie-Problem“ zusammenhänge.685 Daher könne der Fidelio als Beethovens Requiem angesehen werden, „ein völlig unzweideutiges, mit Dies irae für Pizarro, mit Tuba mirum spargens sonum für Florestan“.686 Dem Fidelio widmete Bloch seine hymnischsten

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Sätze, zweieinhalb Seiten, die das Musik-Kapitel des Prinzips Hoffnung beschließen. Alles im Fidelio spanne sich auf einen Augenblick hin, da Leonore im Kerker die Pistole auf Pizarro hält: [A]us dem Geist [. . .] dieser Musik [. . .] wäre der Schuß das Symbol wie der Akt der Rettung, seine Tonika wäre die Antwort auf das Gerufene und den Ruf von Anfang an. Aber diese Tonika findet, auf Grund des notwendig apokalyptischen Geists und Handlungsraum dieser Musik, ein Symbol aus dem Requiem: [. . .] es ist das Trompetensignal. Dieses Signal [. . .] kündet buchstäblich nur die Ankunft des Ministers an [. . .], doch als tuba mirum spargens sonum kündet es bei Beethoven eine Ankunft des Messias an. So tönt es in den Kerker herunter, in [. . .] die namen-, namenlose Freude, worin Beethovens Musik keinen Vorhalt mehr setzt, in das »Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde« [. . .]. Es war eine große Eingebung Mahlers, die dritte Leonorenouvertüre zwischen Kerker und dem Schlußakt der Freiheit spielen zu lassen, die Ouvertüre, die in Wirklichkeit eine utopische Erinnerung ist, eine Legende der erfüllten Hoffnung, konzentrisch um das Trompetensignal. [. . .] Und nun zurück in den Freiheitsakt, in die Marsellaise über der gefallenen Bastille. Der große Augenblick ist da, der Stern der erfüllten Hoffnung im Jetzt und Hier. [. . .] Trägt die Musikgestalt Pizarro nicht alle Züge des Pharao, Herodes, Geßler, des Winterdämons, ja des gnostischen Satans selber, der den Menschen in den Weltkerker brachte und darin festhält? Wie nirgends sonst wird aber Musik hier Morgenrot [. . .].687

Bloch hat im Prinzip Hoffnung eine Art selbstreferentiellen Subtext versteckt. Was hier im 51. Kapitel zum Fidelio ausgeführt wird, hat eine genaue Entsprechung 1000 Seiten früher in dem Kapitel über die Entdeckung des Noch-Nicht-Bewußten, als das Trompetensignal im letzten Akt des Fidelio als „Archetypus höchsten utopischen Ranges“ erwähnt wurde.688 Dieses Kapitel, das das Noch-Nicht-Bewußte behandelt, trägt die Nummer 15; es benennt als seine genaueste musikalische Entsprechung das Trompetensignal in der dritten LeonorenOuvertüre. Die umgekehrte Ziffernfolge führt zu 51, dem MusikKapitel, und dieses schließt mit der Sinnentfaltung des Fidelio als Requiem, hergeleitet durch das entsprechende Trompetensignal im Schlußakt. Weil Bloch das Wesentliche an der Musik im Rhythmischen und im Ausdruck fand, in Kategorien, die in tonaler wie in atonaler, in ,hoher‘ wie ,niederer‘ Musik tragfähig sind, brauchte er keinen Bruch zwischen Beethoven und seiner eigenen Zeit zu konstruieren, wie es Adorno tat, für den Beethovens Musik nicht wie für Bloch vom

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,Noch-Nicht‘, sondern vom ,Nicht-Mehr‘ kündete. Adornos Rückzug in die Dissonanz der neuen Musik ließ ihm als einzige Metapher die einer Flaschenpost (vgl. S. 186), während für Bloch der utopische Charakter von Kunst in einer Ästhetik des ,Vor-Scheins‘ mit dem Trompetensignal aus der Leonoren-Ouvertüre, einer utopischen Erinnerung, ein hoffnungsvolles Symbol findet. Beim Hören stellt sich in der Tat der Eindruck ein, man erinnere sich einer Heimat, die in der Zukunft liegt, wie Jean Paul und Schumann übereinstimmend von der Musik annahmen. IV. Um Bloch und seine Musikphilosophie, vielleicht die eigenartigste, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, ist es recht still geworden. Das liegt wohl gerade an ihrem utopischen Gehalt, bei dem offensichtlich ist, daß die marxistische Utopie einer versöhnten Menschheit dahinter steht, von der heute, nach einem Jahrhundert marxistischer Untaten und millionenfachem Leiden, aber niemand mehr wissen will. Vielleicht bietet einer der großen amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, John Cage, Schönbergs Schüler in der Neuen Welt, eine zeitgemäßere Vision. Er begann 1948 an der Columbia University in New York indische Philosophie bei Gita Sarabhai und ZenBuddhismus bei Daisetz T. Suzuki zu studieren, was zu einer Wende in seinem kompositorischen Schaffen und seinen Vorstellungen von Musik führte. Cage erkannte als ein aller westlichen Musik seit Beethoven zugrundeliegendes Prinzip die Absichtlichkeit, den Willen des jeweiligen Komponisten, die ,Gewalt‘, die jeder Musik durch ein sie bestimmendes künstlerisches Subjekt widerfährt; er sah ein, daß alle Musik irgendwie ,determiniert‘ sei und suchte fortan nach Wegen zu einer Musik der Absichtslosigkeit, der Indetermination, bei der jeder subjektive Ausdruck, jeder gewollte Sinnzusammenhang und jegliche Dichotomie fortfiele, die Klänge innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen gewissermaßen von selbst entstünden und nichts als Klänge blieben, die gegebenenfalls von Zuhörern passiv wahrgenommen werden könnten. Cage ersann eine Fülle von Werken, für deren Entstehung er Zufallsoperationen anwandte, um jede Absichtlichkeit zu vermeiden; das konnte der Einsatz des chinesischen Orakelbuchs I Ging sein oder, in Erinnerung an die pythagoreische Sphärenmusik, ein astro-

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nomischer Himmelsatlas mit seinen ,zufälligen‘ Sternenpunkten, ein Blatt weißes Papier mit seinen natürlichen Unebenheiten und manches mehr. Als ein Schlüsselwerk gilt sein 1957/58 entstandenes Concert for Piano and Orchestra. Der konventionelle Titel trügt, denn mit einem herkömmlichen Klavierkonzert hat das Werk nichts zu tun. Es gibt neben dem Klavierpart Stimmen für dreizehn weitere Instrumente, jedoch keine Partitur; das Konzert kann mit oder ohne Dirigent aufgeführt werden, sogar mit oder ohne Solist und ebenso mit oder ohne Orchester. 63 Blätter mit einer Fülle graphisch oder konventionell notierter ,Anweisungen‘ stehen zur Verfügung, aus denen sich die Instrumentalisten je eines auswählen. Die Freiheit der Musiker, sich aus einem immensen Fundus an Vorgegebenem etwas auszuwählen, ist beinahe grenzenlos. Auch der vollständige Verzicht auf Dirigent, Solist und Orchester, also die Nicht-Aufführung, gehört zu den Möglichkeiten des Stückes: „Any sounds may occur in any combination and in any continuity“, vermerkte Cage im Programmheft der Erstaufführung am 15. Mai 1958 in der New Yorker Town Hall.689 Die (mögliche) Nicht-Aufführung des Klavierkonzerts entspräche einer Gruppe weiterer sogenannter tacet-Stücke, unter denen eine Fassung für Klavier, 1952 in Woodstock von Dan Tudor aufgeführt, am berühmtesten geworden ist: Der Pianist verharrte vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden lang stumm vor seinem Instrument sitzend auf der Bühne, was dem Werk den Titel 4’33” einbrachte. Der Berliner Musikwissenschaftler Hermann Danuser schrieb hierzu: Der Sinn dieser konzertmäßig präsentierten Nicht-Aufführung von Musik lag wohl weniger in der Provokation des Publikums, das sich um seine Erwartungen betrogen sieht, als in der Absicht, durch das Schweigen des Interpreten die Zuhörerschaft zur bewußten ästhetischen Wahrnehmung der akustischen Umwelt anzuregen, die – üblicherweise als bloße Störung empfunden – von Cage als ein Muster intentionsfreier Zufallsklänge begrüßt wird. Welche Reaktionen beim Publikum damals auch überwogen – ob philosophische Gelassenheit (im Sinne Cages), spaßhafte Heiterkeit oder tumultuarische Aggressivität [. . .] –, die historische Bedeutung jener viereinhalb Minuten, in denen Tudor stumm vor dem Flügel saß, läßt sich schwerlich ermessen. Sie bildeten einen Ausgangspunkt für die avantgardistische Environment-Kunst im Bereich der ,Musik‘, und insbesondere haben sie die Vorstellung davon, was gegenwärtig überhaupt zur Musik gehören könne, zutiefst verändert.690

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Daß 4’33” die „bewußte ästhetische Wahrnehmung der akustischen Umwelt“ anregen sollte, ist die allgemein verbreitete Auffassung bezüglich dieses tacet-Stückes. Diese Interpretation richtet sich auf das, was da ,gespielt‘ wird – nichts – und von da weiter auf alles, was dennoch zu ,hören‘ sein könnte. Damit ist jedoch die philosophische Lektion des Stückes noch nicht ausgereizt. Man könnte, wenn man die Frage bejaht, ob das, was in diesem Stück ,gespielt‘ wird, noch ,Musik‘ sei, weitergehen und fragen, wie etwas aussehen müsse, das weniger ,Musik‘ sei als 4’33”. Musik ist nach unserer gewöhnlichen Vorstellung eingebunden in gewisse Rituale wie zum Beispiel das eines Konzerts. Alle Bedingungen, die einen ,richtigen‘ Konzertbesuch und damit eine ,richtige‘ Aufführung von Musik ausmachen, waren bei der Aufführung von 4’33” gegeben: Der Raum war da mit den Plätzen für das Publikum, ferner die Bühne nebst Instrument für den Ausführenden; Publikum und Pianist waren anwesend und ,bereit‘; Noten standen auf dem Pult, d. h. Anweisungen, was der Pianist, nachdem er sich spielfertig gemacht hatte, tun sollte. Genau das tat er auch. Die Anweisung, eine Zeit lang zu pausieren, ist nichts Ungewöhnliches. Jeder Musiker kennt ein halbes Dutzend Zeichen, die ihn beim Spielen aus ,normalen‘ Noten dazu auffordern, für eine bestimmte Zeit still zu sein. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, daß 4’33” ein Stück ,Musik‘ ist. Der Rekurs auf die ,akustische Umwelt‘ ist nicht zwingend nötig; 4’33” wäre auch dann Musik, wenn in dem Konzertsaal absolute Stille herrschte, ähnlich wie ein eingerahmtes Bild, das in einem Museum hängt, mit den üblichen Angaben zum Künstler, seinem Titel und dem Entstehungsjahr beschriftet ist und von Museumspersonal bewacht wird, ein richtiges Bild wäre, auch wenn auf ihm ,nichts‘ zu sehen sein sollte. Nach landläufiger Vorstellung gehört zur Musik jemand, der sie macht und jemand, der sie vernimmt. Zum Beispiel machen die Planeten nach der Vorstellung der Pythagoreer ,Musik‘, genauer gesagt, sie erzeugen bei ihrem Umlauf Töne, besonders schöne sogar, und wenigstens ein Zuhörer, Pythagoras selbst, konnte sie vernehmen. Ein anderes Beispiel aus der Antike wären die Sirenen, von denen Homer in der Illias berichtete, und deren betörende Musik ebenfalls wenigstens ein Sterblicher, nämlich der von seinen Kameraden an den Schiffsmast gefesselte Odysseus, hören und daher von ihr berichten konnte. Sogar diese extremen Beispiele setzen also, selbst wenn sie frei erfunden sein sollten, voraus, daß die Rede von Musik

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nur da einen Sinn hat, wo jemand existiert, der sie macht und ein anderer, der sie hört. Vergegenwärtigt man sich nun, eine Überlegung Adornos aktualisierend, die Situation eines in einem leeren Zimmer laufenden DVDSpielers mit Klaviermusik. Auf der Silberscheibe befinden sich nichts als einige Millionen Bytes – Nullen und Einser –, die durch einen Prozeß, an dem u. a. elektrischer Strom, Laserlicht und Software beteiligt sind, die Schallmembranen von Lautsprechern in Schwingungen versetzen. Da ist niemand im Raum, der Klavier spielt und auch niemand, der zuhört. Wäre es womöglich hier angebracht zu sagen, was da geschehe, sei keine Musik? Allgemeiner gesagt: Produzieren die technischen Medien Musik? Die analogen geben zumindest ein Abbild von ihr; man kann den Rillen einer Schallplatte ansehen, ob eine Stelle laut oder leise ist. Aber die digitalen? Denkt man hierüber fünfzig Jahre nach Tudors Aufführung von 4’33”, in Zeiten von Computer, i-Pod und aus dem Internet heruntergeladener Musikdaten, länger nach, kommt einem der Verdacht, Cage habe mit 4’33” daran erinnern wollen, daß nur der reale Vollzug von Musik, dargeboten von Menschen für Menschen, wirklich Musik sei. Man könnte dagegen einwenden, daß Musik von den Ritualen, in denen man mit ihr umgeht, unabhängig und daß der Konzertsaal mit Publikum und Solisten eine zeitbedingte, lediglich akzidentielle Angelegenheit sei, die mit dem ,Wesen‘ von Musik nichts zu tun habe. Es spiele auch keine Rolle, ob jemand dem DVD-Spieler zuhöre oder nicht, in jedem Fall ,befände‘ sich doch ,auf‘ der Scheibe Musik, selbst dann noch, wenn alle Menschen schlagartig ausgestorben wären. So ähnlich argumentierte, man erinnert sich, bereits Schopenhauer, wenn er schrieb, Musik sei „von der erscheinenden Welt ganz unabhängig“ und „könnte gewissermaßen, auch wenn die Welt gar nicht wäre, doch bestehn“. Dann müßte man allerdings auch die Sphärenmusik der Pythagoreer und den Gesang der Sirenen gelten lassen, selbst wenn niemand sie je gehört hat. Man käme dann zu dem paradoxen Schluß, in 4’33” ,erklinge‘ eine Art unhörbarer Musik. Cage hatte bei Suzuki von den Gedankenübungen des ZenBuddhismus gehört, den sogenannten koans. Diese Aphorismen und Anekdoten von berühmten Zen-Meistern stellen Paradoxa dar, mit denen sich ein Zen-Schüler meditierend auseinandersetzt, um günstigenfalls zu einer Einsicht zu gelangen, die sich dem gewöhnlichen Alltagsverstand und der ,normalen‘ Sprache verweigert. Suzuki schreibt in Die große Befreiung, seiner klassischen Einführung in den

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Zen-Buddhismus: „Hakuin pflegte eine Hand emporzuhalten und seine Schüler aufzufordern, ihren Ton zu hören. Gewöhnlich gibt es nur dann einen Ton, wenn beide Hände zusammengeschlagen werden, und in diesem Sinn kann von einer Hand allein kein Ton herkommen.“691 Sind womöglich Cages tacet-Stücke eine Art musikalisches koan, zenbuddhistische Rätsel, die auf rationalem Wege nicht zu lösen sind? Erinnert sei ein letztes Mal an das ominöse Lambdoma der Pythagoreer, das Albert von Thimus wiederentdeckt zu haben glaubte (vgl. S. 167). Die harmlos wirkende Tabelle mit der schematischen Anordnung aller positiven rationalen Zahlen, die man auch als Tafel aller Ober- und Untertonreihen zu einem gegebenen Ausgangston ansehen kann, führte, wenn man Töne gleicher Tonhöhe miteinander verband, zu einem Bündel von Linien, die sich in einem rätselhaften Punkt außerhalb der Tafel schneiden. Alle Töne dieser Tafel sind auf solchen Gleichtonlinien mit dem außerhalb befindlichen Punkt verbunden. Könnte ein einzelner Ton sprechen, würde er vielleicht sagen: ,Ich, wie alle meine Geschwister, bin mit etwas verbunden, das außerhalb meiner Welt liegt, das wir alle nicht sehen, nicht hören und von dem wir uns keine Vorstellung machen können, von dem wir aber wissen, daß es existiert.‘ Der außerhalb liegende, mit dem (mathematisch sinnlosen) Symbol 00 benannte Schnittpunkt kann, da ihm keine rationale Proportion zugeordnet ist, keinem hörbaren Ton entsprechen. Und doch muß er, als Schnittpunkt aller Gleichtonlinien, irgendwie ,klingen‘. Soll vielleicht das Stillsein von Stücken wie 4’33”, ähnlich wie Hakuins einzelne Hand, auf diesen ,unhörbaren‘ Ton verweisen? Die Pythagoreer erlegten denen, die ihrer Bruderschaft beitreten wollten, ein mehrjähriges Stillschweigen auf. Wer nicht für Jahre gänzlich verstummen konnte, durfte nicht dazugehören. Schon der bloße Gedanke, es könnten heutzutage, und seien es nur für vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden, die millionenfachen Geräusche unzähliger Musikapparate, Handys und Computer, die Musik, das Singen und Sprechen von Milliarden Menschen und der unendliche Lärm, den hunderttausende Maschinen ohne jede Pause in einem fort erzeugen, verstummen, läßt einen erschaudern, als ob der Welt, wenn sie nur einmal ihren Atem anhielte, ein Wunder widerfahren müßte. Die Pythagoreer hielten ihrem Bund die Treue durch einen beginnt, dem griechischen Wort für ,Nein‘. Schwur, der mit einem Nein, wir wollen nicht über das reden, was wir in unserem Bund er-

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fahren haben. Wir wollen dem Lärmen dieser Welt, das längst kein bloß französisches mehr ist, unsere Stille entgegensetzen. Nein, bei Ihm, der die ,Heilige Vier‘ unsrer Weisheit erfunden, Quell der Wurzelkräfte des immerströmenden Werdens.

Anmerkungen 1 Schopenhauer,

Gespräche, S. 220. S. 221. 3 Schopenhauer, WWV I, S. 366. 4 Ebd., S. 359. 5 Ebd., S. 369. 6 Ebd., S. 359. 7 Schopenhauer, Nachlaß I, S. 183. 8 Schopenhauer, WWV I, S. 265. 9 Ebd., S. 266. 10 Ebd., S. 481. 11 Ebd., S. 266. 12 Schopenhauer, Nachlaß I, S. 87. 13 Safranski (1987), S. 311. 14 Schopenhauer, WWV I, S. 370. 15 Ebd., S. 370 f. 16 Vgl. Naumann (1990), S. 162 ff. 17 Schopenhauer, WWV II, S. 577. 18 Adorno (1956). 19 Vgl. Folkerts (2001), S. 8 ff. 20 Schopenhauer, WWV I, S. 369. 21 Schopenhauer, PP I, S. 53. 22 Schopenhauer, KS, S. 5. 23 Nägeli (1826), S. 41 f. 24 Schopenhauer, WWV I, S. 357. 25 Renatus Descartes: Musicae Compendium. Zitiert nach: Basistexte, S. 86. 26 Ebd., S. 87. 27 Mattheson (1739), S. 43. 28 Ebd., S. 20. 29 Vgl. Dahlhaus (1978), insbesondere das Eingangskapitel „Absolute Musik als ästhetisches Paradigma“, S. 7–24. 30 Kim (2011), S. 25. 31 Ebd., S. 42. 32 Schopenhauer, PP I, S. 108 f. 33 Vgl. Hoffmann, Werke V, S. 34–51. 34 Vgl. dessen aus dem Nachlaß zusammengestellte Beethoven-Fragmente in Adorno (1993). 35 Kandinsky (1952), S. 29. 36 Hahl-Koch (1980), S. 19. 37 Müller-Sievers (1989). 2 Ebd.,

38 Vgl.

Grotjahn (2009). seiner 1739 erschienenen Schrift Tentamen novae theoriae musicae. 40 Vgl. zum Beispiel die bei den Zisterziensern verbreitete Legende vom Mönch von Heisterbach in Gath (1955), S. 178 ff. 41 Kircher (1650), 1. Teil, Lib. VII, Cap. III (S. 561 f.). 42 Ebd., Eroth. VI (S. 549 ff.). 43 Ebd., Eroth. VII (S. 551 f.). 44 Vgl. die 12 „Paradigmata musicae patheticae“ ab S. 573. 45 Eine ausführlichere Deutung der Bildeinzelheiten bei Dammann (1967), S. 406 ff. 46 Hiob 38, 37. 47 Vgl. etwa Sloterdijk (1987) oder Sloterdijk (2009). 48 Wackenroder, HKA I, S. 240. 49 Ebd., S. 244. 50 Schlegel, KSA 2, S. 254. 51 Vgl. Grand Trio E-Dur für Klavier, Violine und Violoncello, AV 52, in: Hoffmann, AMW 12b, S. 60–126. – Exposition: Hauptsatz Takt 26 ff., Seitensatz Takt 82 ff. Reprise: Seitensatz Takt 248 ff., Hauptsatz Takt 328 ff. 52 Vgl. Sinfonia Es-Dur, AV 23, in: Hoffmann, AMW 11, S. 1–20. 53 Takt 112–139. – Vgl. Keil (1988). 54 1981 erschien das Textbuch in Hoffmann, Werke VI; eine ausführliche Untersuchung in Keil (1986), S. 78–154. Die Partitur erschien erst 1999 (Hoffmann, AMW 6–8), die erste Aufführung fand am 27. Juli 2008 anläßlich der Ludwigsburger Schloßfestspiele unter der Leitung von Michael Hofstetter statt, ein CDMitschnitt des Südwestrundfunks hiervon bei cpo 777 435–2. 55 Vgl. Hoffmann, AMW 6–8, S. 38–59. Teil A: Takte 1–28; Teil B: Takte 29–55; Teil 39 In

308

Anmerkungen

C: Takte 56–145; Teil B’: Takte 146–154; Teil C’: Takte 155–173. Man sieht schon an den bloßen Taktzahlen, daß C der Hauptteil ist, umrahmt von A und B. 56 Duett Enrico/Ponlevi und Arie des Enrico (Nr. 1 und 2) sowie Duett Celia/Ponlevi und Arietta des Herzogs (Nr. 4 und 5). 57 Vgl. Hoffmann, AMW 10b. Nr. I: S. 1,Takt 9 ff.; Nr. XI: S. 89, Takt 13 ff. 58 Vgl. Hoffmann, AMW 1–3, Bd. 1, S. 1 ff. (Ouvertüre) und Bd. 3, S. 466 ff. (Schlußchor). 59 Zitiert nach Schnapp (1981), S. 479. 60 Ebd., S. 478. 61 Vgl. Hoffmann, AMW 1–3, Bd. 2, S. 201, Takte 1 ff. und S. 209, Takte 96 ff. – Als Notenbeispiel auch in Keil (2009), S. 437 f. 62 Brütting (2006), S. 77. 63 Ebd. 64 Vgl. Finscher (1998), dessen Beispiele aus Bruckner-Symphonien am ehesten in den hier dargestellten Kontext passen. 65 Vgl. hierzu insbesondere Seidel (1984) sowie Schneider (1995). 66 Hoffmann, Werke II, S. 352. 67 Eine anonyme Besprechung des Konzerts in der AMZ Nr. 15 vom 10. April 1839. 68 AMZ 30 (1828), Sp. 837–842. 69 Kalisch (2000), S. 117. 70 Ebd., S. 118. 71 Ebd., S. 120. 72 Ebd., S. 120 f. 73 Ebd., S. 120 f. 74 Kohler (1996), S. VII f. 75 Nietzsche, KSA, Bd. 9, S. 498. 76 Kandinsky (1952), S. 29. 77 Schönberg (1992), S. 42. 78 Ebd., S. 43. 79 In Schönbergs Bibliothek befanden sich, nach Auskunft des Wiener Arnold Schönberg Centers, auch zwei Bände mit Hoffmanns Schriften (Meyers Klassiker-Bibliothek, erschienen 1890); (28. 3. 2010). 80 Schönberg (2000), S. 111. 81 Ebd., S. 111–117.

82 Hoffmann,

Werke II, S. 430 f. (1963), S. 164 ff. 84 Lendvai (1972), S. 106. 85 Zimmermann (1974), S. 11–14. 86 Ebd., S. 96. 87 Ebd. 88 Ebd. 89 Schubert (1808). 90 Ebd., S. 102 ff. 91 Ebd., S. 3 f. 92 Ebd., S. 7. 93 Ebd., S. 29 ff. 94 Ebd., S. 64; zitiert in Hoffmann, Werke III, S. 349. 95 Ebd., S. 63. 96 Hoffmann, Werke III, S. 349. 97 Ebd. 98 Ebd. 99 Ebd., S. 349 f. 100 Zitiert nach van der Waerden (1979), S. 76. 101 Zaminer (1989), S. 182. 102 Vgl. den Textauszug aus dem Compendium musicae in Basistexte, S. 95; der ganze Traktat, lateinisch und deutsch, in Descartes (1978). 103 Chladni (1830), S. 1–44. 104 Ein guter Überblick bei Auhagen (1998). 105 Vgl. Heinse, Hildegard und Hoffmann, Werke II. 106 Heinse, Hildegard, S. 41 f. 107 „E. T. A. Hoffmann: „Zufällige Gedanken bei dem Erscheinen dieser Blätter“, in: Hoffmann, Werke V, S. 345. 108 Hoffmann, Werke II, S. 336. 109 Ebd., S. 337. 110 Ebd. 111 Ebd., S. 338 f. 112 Hoffmann, Werke VI, S. 47 f. 113 Hoffmann, Werke II, S. 351. 114 Ebd., S. 414. 115 Vgl. Allroggen (1970), S. 101 ff. 116 Vgl. Hoffmann, Werke I, S. 27–32 und S. 305–312. 117 Vgl. Hoffmann, Werke I, S. 14–24. 118 Vgl. Hoffmann, Werke III, S. 31–51 und S. 743–753. 119 Vgl. Hoffmann, Werke I, S. 67–78. 83 Crawford

309

Anmerkungen 120 Vgl. hierzu z. B. Dent (1976), Schwarz (1987), Knepler (1959) und Dahlhaus (1985). 121 Weber, Schriften, S. 278. 122 Ebd., S. 297. 123 Beethoven (1987), S. 101. 124 Ebd. 125 Ebd., S. 35 f. 126 Ebd., S. 50. 127 Hoffmann, Briefwechsel II, S. 245. 128 Hoffmann, Werke VI, S. 329. 129 Ebd., S. 331. 130 Vgl. die detaillierte Auflistung in: Schnapp (1981), S. 668–671. 131 Vgl. hierzu neben den Anmerkungen Friedrich Schnapps in Hoffmann, Werke VI, das Nachwort Hartmut Steineckes in dessen Faksimile-Ausgabe der Vision auf dem Schlachtfelde bei Dresden (Hoffmann, Vision). 132 AmZ 15, 1813, Sp. 793–806 und 809– 817. Der Dialog wurde auch in den 1819 erschienenen ersten Band der SerapionsBrüder aufgenommen, vgl. Hoffmann, Werke III, S. 76–96. 133 Hoffmann, Werke I, S. 55. 134 Ebd., S. 25. 135 Ebd., S. 290. 136 Hoffmann, Werke II, S. 339. 137 Zitiert nach Handschin (1981), S. 350. 138 Nottebohm (1887), S. 329. 139 Hoffmann, Werke V, S. 40. 140 Ebd., S. 346. 141 Heinse, Hildegard, S. 305. 142 Berlioz (1977), S. XXII f. 143 Schumann, Berlioz, S. 110. 144 Berlioz (1977), S. XII. 145 Heine, Bühne, 10. Brief, S. 131. 146 Vgl. dessen Zitat auf S. 70. 147 Schumann, Berlioz, S. 98 f. 148 Vgl. Pikulik (1979). 149 Vgl. vor allem Schlegel, KSA 2. 150 Bubner (1993), S. 295. 151 Fetscher (2001), S. 556. 152 Schlegel, KSA 2, S. 154 und S. 161. 153 Ostermann (1991). 154 Schlegel, KSA 2, S. 197. 155 Fetscher (2001), S. 565. 156 Ebd., S. 169. 157 Pikulik (1992), S. 127.

158 Ostermann

(1991), S. 190.

159 Ebd. 160 Schlegel,

KSA 2, S. 182. S. 183. 162 Ebd., S. 168. 163 Ostermann (1991), S. 195. 164 Ebd., S. 197. 165 Ebd., S. 198. 166 Ebd., S. 197. 167 Ebd. 168 Ebd., S. 200. 169 Benary (1998), Sp. 1512. 170 Dazu kommen noch, mit neuer Zählung, 156 Ideen; vgl. Schlegel, KSA 2, S. 147–272. 171 Schumann (1888), Bd. 2, S. 198 f. 172 van der Waerden (1979), S. 104. 173 Vgl. Diels/Kranz, Fragmente. 174 Bubner (1993), S. 294. 175 Schlegel, KSA 2, S. 367. 176 Bubner (1993), S. 297. 177 Wagner, Tristan, S. 111. 178 Ebd., S. 440 ff. 179 Ebd., S. 443. 180 Vgl. das chronologisch geordnete Verzeichnis der musikalischen Schriften in Paddison (1993), S. 333–349 und das Werkverzeichnis in Adorno (1989), S. 144–146. 181 Adorno, GS, Bd. 7, S. 537. 182 Adorno, GS, Bd. 12, S. 66 f. 183 Ebd., S. 67. 184 Ebd., S. 69. 185 Ebd., S. 69 f. 186 Ebd., S. 16. 187 Adorno, GS, Bd. 7, S. 44. 188 Henze (1996), S. 208 f. 189 Schubert (1989). 190 Hegel, Werke, Bd. 15, S. 573. 191 Adorno, GS, Bd. 7, S. 74. 192 Ebd., S. 78 f. 193 Vgl. Bürger (1974), S. 11 f. 194 Marcuse (1937), S. 66. 195 Ebd., S. 67. 196 Türcke (1994), S. 32. 197 Vgl. Levin (1989), S. 75. 198 Adorno, GS, Bd. 12, S. 11. 199 Steinert (1989), S. 7. 200 Adorno, GS, Bd. 7, S. 36. 201 Ebd., S. 38. 161 Ebd.,

310

Anmerkungen

202 Adorno,

249 Ebd.,

203 Adorno,

250 Ebd.

GS, Bd. 12, S. 46. GS, Bd. 18, S. 73. 204 Ebd., S. 74. 205 Adorno, GS, Bd. 12, S. 44. 206 Ebd., S. 47. 207 Zitiert nach Sziborsky (1979), S. 13. 208 Adorno, GS, Bd. 12, S. 199. 209 Wiederabdruck des Aufsatzes in Blumröder (1981), S. 151. 210 Stuckenschmidt (1989), S. 462. 211 Ebd. 212 Rufer (1959), S. 139. 213 Adorno, GS, Bd. 11, S. 233 und S. 235. 214 Adorno (1993). 215 Ebd., S. 15 f. (Vorrede des Herausgebers). 216 Ebd., S. 21. 217 Ebd., S. 22. 218 Marx (1824), S. 167. 219 Ebd. 220 Zitiert nach Hinrichsen (1997), S. 17. 221 Ebd., S. 14. 222 Ebd. 223 Vgl. ebd., S. 13 und S. 15. 224 Adorno, GS, Bd. 14, S. 411. 225 Ebd., S. 412. 226 Ebd. 227 Adorno (1993), S. 31. 228 Ebd., S. 36. 229 Ebd., S. 59. 230 Ebd., S. 186. 231 Ebd., S. 34 f. 232 Ebd., S. 45. 233 Ebd., S. 82. 234 Ebd., S. 83. 235 Vgl. Kurth (1920), S. 1–40. 236 Debussy, Croche, S. 215. 237 Vgl. etwa Briggs/Peat (1990), S. 34–38. 238 Wiggershaus (2006), S. 32 ff. 239 Baudelaire (1961), S. 1179. 240 Adorno, GS, Bd. 10.1, S. 429. 241 Vgl. den oben, (S. 97) zitierten Brief an Bloch. 242 Bolz (1999), S. 124. 243 Adorno, GS, Bd. 10.1, S. 429 f. 244 Adorno, GS, Bd. 16, S. 286 ff. 245 Adorno, GS, Bd. 19, S. 59. 246 Adorno, GS, Bd. 16, S. 328. 247 Ebd., S. 327. 248 Ebd., S. 340.

S. 288.

251 Ebd.,

S. 289. (1989), Bd. 2, S. 123, bzw. GS, Bd. 4, S. 54. 253 Adorno, GS, Bd. 12, S. 47. 254 Adorno, GS, Bd. 6, S. 366. 255 Adorno, GS, Bd. 7, S. 93. 256 Fetscher (2001), S. 584. 257 Adorno, GS, Bd. 12, S. 118 f. 258 Adorno, GS, Bd. 7, S. 58. 259 Vgl. Bartels (1995), Vogel (1962) und Houy (2008). 260 Bartels (1999), S. 118. 261 Wagner, Schriften, Bd. 3, S. 11. 262 Schiller, Werke, Bd. I, S. 163 ff. 263 Nietzsche, KSA, Bd. 6, S. 19 f. 264 Scott (1991), S. 125. 265 Schreiber (1991), S. 507. 266 Dahlhaus (1996, S. 118 ff. 267 Wagner, Schriften, Bd. 3, S. 62. 268 Gregor-Dellin (1980), S. 342. 269 Vgl. Shaw (1973), S. 126–142. 270 Dahlhaus (1996), S. 138. 271 Wagner (1913), S. 346. 272 Ebd., S. 148. 273 Ebd., S. 149. 274 Schopenhauer, WWV I, S. 359. 275 Ebd., S. 366. 276 Ebd., S. 359. 277 Wagner, Schriften, Bd. 9, S. 65. 278 Ebd., S. 66 f. 279 Schopenhauer, PP I, S. 273–372. 280 Wagner, Schriften, Bd. 9, S. 72 f. 281 Ebd., S. 105. 282 Ebd., S. 306. 283 Ebd., S. 305. 284 Ebd., S. 105. 285 Wagner, Schriften, Bd. 3, S. 316. 286 Ebd., S. 317. 287 Ebd., S. 318. 288 Wagner (1913), nach S. 348, listet 66 Motive für den ersten, 41 für den zweiten und 62 für den dritten Aufzug im Notenbeispiel auf. 289 Shaw (1973), S. 129. 290 Bloch (1959), S. 974. 291 Wagner, Ring, S. 78. Vgl. auch Wapnewski (2008), S. 99. 292 Wagner, Schriften, Bd. 9, S. 76. 252 Adorno

Anmerkungen 293 Scott

(2007), S. 9. S. 149. 295 Ebd., S. 152. 296 Ebd., S. 153. 297 Vgl. Jambl. Vit. Pyth. 298 Ebd., 60/61 (S. 65). 299 Ebd., 115–121 (S. 120–127). 300 Vgl. Boetius (1867) bzw. Boetius (1872). 301 Vgl. Aristoxenos (2009). 302 Vgl. Riethmüller (1989), S. 237–285, und Barker (2007). 303 Kittler (2006), S. 214–337. 304 Kittler (2009), S. 208 f. und S. 218 f. 305 Ebd., S. 219. 306 Sachs (2005), S. 31 f. 307 Zaminer (1989), S. 184. 308 Ebd., S. 185. 309 Diels/Kranz, Fragmente, 47 B 2 (Bd. 1, S. 435 f.) 310 Ebd., S. 436. 311 Vgl. die Unterscheidung einer strengen von einer argumentativ laxen, dafür fruchtbareren mathematischen Schule bei Struik (1967), S. 45 und die Beschreibung der Fingerzahlen bei Menninger (1958) am Beginn des 2. Bd. 312 Vgl. Pickover (1999), S. 49–53 und van der Waerden (1979), S. 393–401. 313 Zaminer (1989), S. 182. 314 Vgl. Pöhlmann (1995), Sp. 1650. 315 Ebd. 316 Ebd., S. 188. 317 van der Waerden (1979), S. 385. 318 Ebd., S. 434. 319 Jambl. Vit. Pyth. 64–66 (S. 69–73). 320 Vgl. Schavernoch (1981), S. 77. 321 Shakespeare, Werke, Bd. 1, S. 629. 322 Ebd., S. 113. 323 Dante, Komödie, II, 30. Gesang, Vers 91–93 (S. 252). 324 Dante, Komödie, III, 1. Gesang, Vers 76–84 (S. 271). 325 Kircher (1650), Teil 2, S. 462. 326 Schavernoch (1981), S. 123 f. 327 Kepler, GW VI, S. 95–101. 328 Vgl. Pacioli (1974). 329 Euklid, Elemente, Bd. II, S. 72. 294 Ebd.,

311

330 Vgl. zur Konstruktion und den entsprechenden Beweisen etwa Beutelspacher/Petri (1996), S. 31 ff. 331 Kepler, Weltharmonik, S. 45. 332 Ebd., S. 311. 333 Ebd., S. 310. 334 Ebd., S. 315. 335 Ebd., S. 178 ff. 336 Ebd., S. 166. 337 Vgl. Walker (1987), S. 99. 338 Ebd. 339 Thimus, Symbolik. 340 Kayser (1946), S. 6. 341 Ebd., S. 7. 342 Ebd., S. 10. 343 Haase (1976), S. 29–111. 344 Kayser (1950). 345 Thimus, Symbolik, Bd. I, S. 132 f. 346 Hüschen (1956), Sp. 1607; gleichlautend Naredi-Rainer (1996), Sp. 123. 347 Vgl. Pöhlmann (1995), Sp. 1649 f. 348 Der Beweis findet sich leicht zugänglich im Internet, beispielsweise unter dem Stichwort „Cantors zweites Diagonalargument“ in der deutschen Wikipedia. 349 Thimus, Symbolik, Bd. I, S. 136 f. Im Anhang ist eine ausklappbare, mehrfarbige Tafel beigefügt (Fig. I.), die das Netz bis zum 16. Teilton wiedergibt. 350 Vgl. Kayser (1950), Tafel 106 und 108 sowie die §§ 24 und 25 zu den Gleichtonlinien (S. 77–90). 351 Ebd., S. 89. 352 Thimus, Symbolik, Bd. I, S. 129–205. 353 Vogel (1975), S. 70. 354 Holzer (2005), S. 85. 355 Hofstadter (1986), S. 19. 356 Thimus, Symbolik, S. 177. 357 Burkert (1962), S. 11. 358 Schopenhauer, PP I, S. 311, 344 f. und öfter. 359 Pytlik (2005), S. 54. 360 Vgl. Blavatsky, Geheimlehre. 361 Vgl. Pytlik (2005), S. 88 ff. 362 Fetscher (1984), S. VII. 363 Vgl. Dawkins (2008). 364 Haeckel (1984), S. 487. 365 Ebd., S. 491. 366 Ebd., S. 496 f. 367 Du Prel (1888), S. 48.

312 368 Ebd.,

Anmerkungen

S. 49.

369 Hartmann

(1869), S. 455 f. 370 (15. 5. 2011). 371 Du Prel (1888), S. 76. 372 Vgl. ausführlich Sandkühler (1996), S. 8–26. 373 Vgl. Peirce (1931–35). 374 Vgl. Bousset (1907) und Schmidt (1903/07). 375 Thimus, Symbolik, Bd. 1, S. 165–168. 376 Vgl. Sloterdijk (1991) und Pauen (1994). 377 Pauen (1994), S. 11 f. 378 Ebd., S. 13. 379 Ebd., S. 14. 380 Adorno, GS, Bd. 7, S. 78 f. 381 Ebd., S. 41. 382 Vgl. Pauen (1994), S. 95–127 und Pytlik (2005), S. 115–194. 383 Schumann (1982), S. 622. 384 Ebd., S. 624. 385 Ebd., S. 639. 386 Ebd., S. 648. 387 Zitiert nach Schumann (2006), S. 280 f. 388 Burger (1998), S. 314. 389 Schumann (2003), S. 691 ff. 390 Schumann (2006), S. 281. 391 Edler (1982), S. 301. 392 Schumann (2006), S. 281. 393 Schumann (1982), S. 648. 394 Klein (1924), S. 273 f. 395 Adorno, GS, Bd. 12, S. 126. 396 Ebd., S. 125 f. 397 Adorno, GS, Bd. 16, S. 435. 398 Reich (1974), S. 139. 399 Zitiert nach Reich (1974), S. 58 ff. 400 Vgl. hierzu etwa Hahl-Koch (1980) und Teichmann (1990) sowie den Ausstellungskatalog Reifenscheid (2000). 401 Gratzer (1993). 402 Balzac, Komödie, Bd. 12, S. 550. 403 Du Prel (1892) und Du Prel (1893). Vgl. die Auflistung der in Schönbergs Nachlaß erhaltenen Bücher im Arnold Schönberg Center Wien, (12. 5. 2011). 404 Zitiert nach Gratzer (1993), S. 25. 405 Stuckenschmidt (1989), S. 213.

406 Vgl.

Gratzer (1993), S. 33 ff. Stuckenschmidt (1989), S. 168. 408 Stuckenschmidt (1989), S. 213. 409 Strindberg (1959), S. 214 f. 410 Vgl. Lockspeiser (1978), Bd. 1, S. 109 und Bd. 2, S. 272–277. 411 Balzac, Komödie, Bd. 12, S. 471–759. 412 Vgl. Schönberg (1992), S. 147. 413 Balzac, Komödie, Bd. 12, S. 748. 414 Ebd., S. 749 f. 415 Ebd., S. 751. 416 Vgl. zum folgenden Stuckenschmidt (1989), S. 213 ff., Bock (1999) und Johnson (2002). 417 Schönberg (1917), S. 7 ff. 418 Vgl. insbesondere Bock (1999), S. 155–164. 419 Vgl. Jonas (1964), Jonas (1999), Bousset (1907), Pauen (1994) und Schupp (1999). 420 Schupp (1999), S. 138. 421 Jonas (1964), S. 96. 422 Bousset (1907), S. 109. 423 Jonas (1964), S. 96. 424 Schupp (1999), S. 138 f. 425 Strindberg (1959), S. 190 ff. 426 Pauen (1994), S. 237. 427 Aland (2009), S. 295. 428 Schupp (1999), S. 140. 429 Schönberg (1992), S. 53. 430 Balzac, Komödie, Bd. 12, S. 504. 431 Vgl. die Reproduktionen in Reifenscheid (2000) und Meyer (2000), S. 53–57 bzw. S. 143–157 und (28. 5. 2011). 432 Zitiert nach Hiller (2002), S. 25. 433 Pauen (1994), S. 106–117. 434 Schönberg (1992), S. 115. 435 Vgl. Maegaard (2002). 436 Karlauf (2007), S. 219. 437 Vgl. Scott (1917), Scott (1991) und Sampsel (2000), S. 115–144. 438 Vgl. Sampsel (2000), S. 119. 439 Scott (1917), S. 2. 440 Ebd., S. 4. 441 Ebd., S. 6. 442 Ebd., S. 9. 443 Sampsel (2000), S. 12. 444 Scott (1969), S. 132. 407 Vgl.

Anmerkungen 445 Vgl. die Auflistung in Sampsel (2000), S. 151 ff. 446 Mit der er, auch wenn sie sich „Hartston-Scott“ nannte, nicht verheiratet war; vgl. Sampsel (2000), S. 15. 447 4. Symphonie 2008 auf CHAN 10452 (BBC Philharmonic, Martyn Brabbins); Klarinettenquintett 2010 auf CHAN 10575 (Robert Plane); Violinsonate 2008 auf Naxos 8.572290 (Clare Howick). 448 Vgl. Leadbeater (1901). 449 Abbildung in Reifenscheid (2000), S. 93; dort zur Synästhesie bei Skrjabin, Schönberg und Kandinsky S. 9–22. 450 Scott (1917), S. 115. 451 Ebd. 452 Federhofer (1985), S. 316 f. – Vgl. auch Eybl (1995), Kap. I zu „Grundzüge eines autoritären Weltbilds“, S. 11–29. 453 Schwab-Felisch (2005), S. 338. 454 Vgl. Boenke (2005). 455 Vgl. Federhofer (1985). 456 Federhofer (1985), S. 336 f. 457 Schenker (1956), S. 48 ff. 458 Holtmeier (2005), Sp. 1291. 459 Vgl. Flemming (1987/88), Bd. 2, S. 230–244 und Blavatsky (1999), Bd. 3, S. 553–561. 460 Holtmeier (2005), Sp. 1293 f. 461 Schenker (1956), S. 18. 462 Schenker (1974), Bd. 2, S. 206. 463 Abel (2003), S. 171. 464 Vgl. Mann (2007). 465 Vgl. Abel (2003) und Vaget (2006). 466 Vgl. Loerke (2010). 467 Vaget (2006), S. 14. 468 Vgl. Weininger (1903). 469 Laubenthal (1999), S. 183 f. 470 Weininger (1903), S. 398. 471 Ebd., S. 400 f. 472 Ebd., S. 401. 473 Vaget (2006), S. 122–142. 474 Mann (2007), Bd. 10.1, S. 326. 475 Mann (2007), Bd. 10.2, S. 535 f. und S. 990 f. 476 Vgl. Adorno: „Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen“, in: Adorno, GS, Bd. 2. 477 Kierkegaard (1956), S. 96. 478 Ebd., S. 64.

479 Ebd.,

313

S. 65. S. 68. 481 Ebd., S. 75. 482 Mann (2007), Bd. 10.2, S. 990 f. 483 Historia (1975), S. 5. 484 Spengler (1924), S. 372. 485 Nietzsche, KSA, Bd. 5, S. 346. 486 Vgl. Blanning (2010). 487 Wackenroder, HKA I, S. 207. 488 Ebd., S. 225. 489 Schopenhauer, WWV I, S. 268. 490 Zitiert nach Loerke (2010), S. 36 und S. 44. 491 Loerke (2010), S. 45. 492 Wagner, Schriften, Bd. 3, S. 251 f. 493 Hegel, Werke, Bd. 10, S. 105. 494 Hegel, Werke, Bd. 9, S. 430. 495 Hegel, Werke, Bd. 10, S. 105. 496 Naxos 8.553543, mit Arien aus L’italiana in Algeri, Semiramide, Tancredi, La donna del lago, Maometto II und La Cenerentola. 497 Heinse, Hildegard, S. 655. 498 Grotjahn (2005), S. 41. 499 Ebd., S. 44. 500 Heinse, Hildegard, S. 288. 501 Hoffmann, Werke I, S. 34 f. 502 Zitiert nach Ortkemper (1995), S. 332. 503 Hoffmann, Werke I, S. 33. 504 Grotjahn (2005), S. 54. 505 Ebd., S. 38. 506 Ebd. 507 Schopenhauer, PP II, S. 663. 508 Bloch (1959), S. 442 f. (Kap. 28, Aura antiker Möbel etc.). 509 Ebd., S. 442 f. 510 Vgl. Meyers Konversations-Lexikon, Art. „Stimmung“, 5. Aufl., Bd. 16, Leipzig und Wien 1897, S. 451 und Haynes (1998). 511 Platon (1957), Bd. 2, S. 221. 512 Ebd., S. 221. 513 Ebd., S. 222 f. 514 Ovid (1992), S. 142 f. 515 Thimus, Symbolik, Bd. 1, S. 166. 516 Zitiert nach Heinse, Hildegard, S. 654. 517 Ebd. 518 Vgl. Chladni (1787) und Chladni (1830). 519 Vgl. Barkowsky (1996) und Kittler (2000), insbesondere S. 150 f. 480 Ebd.,

314

Anmerkungen

520 Kittler

562 Schüttauf

521 Zitiert

563 Gethmann-Siefert

(2000), S. 153. nach Glinsky (1999), S. 9. 522 Vgl. zu Termens Doppelrolle als Ingenieur und Spion Glinsky (2000). 523 Zitiert nach Glinsky (2000), S. 78. 524 Zitiert nach Glinsky (2000), S. 160. 525 The Art of the Theremin, Delos DE 1014, (11. 6. 2011) und (11. 6. 2011). 526 Glinsky (2000), S. 253. 527 CD Music from the Ether. Original Works for Theremin, mode records 76 (1999). 528 Benjamin (1955), S. 49. 529 Kretzschmar (1911), hier zitiert nach Basistexte, S. 268. 530 Dahlhaus (1958), Sp. 1394. 531 Schumann (1888), S. 173. 532 Schering (1951), S. 88. 533 Hegel (1970), Nr. 669, S. 430. 534 Ebd., Nr. 460, S. 301. 535 Heine, Bühne, 9. Brief, S. 121. 536 Hoffmann, Werke V, S. 365. 537 Hoffmann, Werke II, S. 469. 538 Hegel (1969), S. 64. 539 Hegel, Werke, Bd. 15, S. 185. 540 Ebd., S. 196. 541 Ebd., S. 185. 542 Ebd., S. 187. 543 Ebd., S. 188. 544 Ebd. 545 Ebd., S. 189. 546 Ebd. 547 Heinse, Hildegard, S. 165. 548 Ebd. 549 Ebd., S. 166. 550 Ebd., S. 167. 551 Ebd., S. 173. 552 Ebd., S. 174. 553 Hegel, Werke, Bd. 15, S. 210. 554 Bandur (1997), Sp. 1393. 555 Rousseau (1981), S. 202. 556 Ebd., S. 206. 557 Ebd., S. 208. 558 Hoffmann, Werke V, S. 338 und S. 416. 559 Hegel, Werke, Bd. 15, S. 206. 560 Ebd., S. 201. 561 Ebd., S. 197 f.

(1986), S. 191. (1992), S. 188. 564 Ebd., S. 189. 565 Hegel, Werke, Bd. 15, S. 220 f. 566 Hegel (1970), Nr. 708. 567 Vgl. Nowak (1971), S. 21 f. 568 Gethmann-Siefert (1992), S. 165. 569 Ebd., S. 172. 570 Ebd., S. 175. 571 Ebd., S. 176. 572 Hegel (1969), S. 69. 573 Ebd., S. 59. 574 Ebd., S. 64. 575 Ebd., S. 60. 576 Ebd., S. 55. 577 Ebd. 578 Ebd., S. 59. 579 Adorno, GS, Bd. 5, S. 351. 580 Ebd., S. 351 f. 581 Gethmann-Siefert (1992), S. 213 ff. 582 Nietzsche, KSA, Bd. 6, S. 13–16. 583 Ebd., S. 420 f. und S. 427. 584 Zitiert nach Vogel (1965), S. 195. 585 Ebd., S. 196. 586 Ebd., S. 218. 587 Ebd. 588 Ebd., S. 197 f. 589 Ebd., S. 199. 590 Ebd. 591 Ebd. 592 Ebd., S. 200. 593 Ebd., S. 204. 594 Ebd., S. 209. 595 Ebd., S. 210. 596 Ebd., S. 210 f. 597 Ebd., S. 213. 598 Nietzsche, KSA, Bd. 6, S. 21 f. 599 Ebd., S. 23. 600 Ebd., S. 26. 601 Ebd., S. 30. 602 Ebd., S. 32. 603 Ebd., S. 37. 604 Ebd., S. 38. 605 Ebd., S. 37. 606 Ebd., S. 39. 607 Ebd., S. 36 f. 608 Platon, Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 102 f. 609 Blanning (2010), S. 62. 610 Ebd., S. 64. 611 Ebd., S. 67.

315

Anmerkungen 612 Ebd.,

653 Ebd.,

613 Ebd.,

654 Hanslick (1854), S. 3; gleichlautend in

S. 44. S. 15. 614 Ebd., S. 74 f. 615 Sloterdijk (2009), S. 79 f. 616 Schumann (1888), Bd. 3, S. 175. 617 Wagner, Schriften, Bd. 3, S. 19. 618 Wackenroder, HKA I, S. 216. 619 Ebd., S. 207. 620 Hegel, Werke, Bd. 15, S. 135. 621 Rinderle (2010), S. 20. 622 Ebd., S. 15 ff. 623 Ebd., S. 16. 624 Kivy (2002), S. 67. 625 Rinderle (2010), S. 114. 626 Bittner (1999), S. 31. 627 Zitiert nach Rinderle (2010), S. 94. 628 Bittner (1999), S. 35. 629 Schopenhauer, WWV I, S. 364 f. 630 Rinderle (2010), S. 118. 631 Ebd., S. 120 f. 632 Schopenhauer, WWV II, S. 580 f. 633 Vgl. das Zitat auf S. 13. 634 Schopenhauer, Gespräche, S. 220 f. 635 Schopenhauer, WWV I, S. 365. 636 Ebd., S. 379. 637 Ebd., S. 396 f. 638 Ebd., S. 380. 639 Ebd., S. 425. 640 Vgl. Kurth (1920). 641 Schopenhauer, PP II, S. 684. 642 Schopenhauer, WWV I, S. 452. 643 So der Titel von Pauen (1994). 644 Gärtner (2005), S. 11. 645 Ebd., S. 11. 646 Vgl. Hanslick (1990). 647 Siehe sein Literaturverzeichnis in Rinderle (2010), S. 195. 648 Vgl. Eddington (1939), S. 28 ff. 649 Schopenhauer, WWV I, S. 265. 650 Matejka (1976), S. 24. 651 Hanslick (1854), S. 1 ff. 652 Hanslick (1990), Bd. 1, S. 22.

S. 74.

allen weiteren Auflagen. 655 Ebd., S. 89; gleichlautend in allen weiteren Auflagen. 656 Ebd., S. 91. 657 Ebd., S. 57. 658 Sponheuer (1987), S. 59. 659 Ebd., S. 70. 660 Hanslick (1854), S. 35; gleichlautend in allen Auflagen. 661 Ebd., S. 104. 662 Hanslick (1990), Bd. 2, S. 113. 663 Vgl. Jaspers (1957). 664 Zitiert nach Oesch (1984), S. 88. 665 Ebd., S. 90. 666 Kungfutse (1974), S. 179. 667 Schumann (2007), S. 10. 668 Ebd., S. 272. 669 Adorno, GS, Bd. 11, S. 556 f. 670 Bloch (1964), S. 347. 671 Zitiert nach Pauen (1994), S. 224. 672 Zitiert nach Zudeick (1985), S. 58. 673 Vgl. Kneif (1965). 674 Bloch (1959), S. 1242. 675 Ebd. 676 Bloch (1964), S. 80 f. 677 Ebd., S. 165 f. 678 Ebd., S. 171 f. 679 Ebd., S. 55. 680 Ebd., S. 58. 681 Riethmüller (1995), S. 58 ff. 682 Bloch (1964), S. 164 f. 683 Bloch (1959), S. 129. 684 Ebd., S. 1293. 685 Ebd., S. 1292. 686 Ebd., S. 1293. 687 Ebd., S. 1295 ff. 688 Ebd., S. 186. 689 Zitiert nach Danuser (1984), S. 334. 690 Ebd., S. 332. 691 Suzuki (1990), S. 146.

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Personenregister Abel, Angelika 216, 313, 317 Adler, Guido 251 Adorno, Theodor W. 5, 15, 24, 47, 81 f., 89, 91–101, 103–111, 181 f., 185 f., 194, 197, 216, 220, 222, 263, 271, 293 ff., 299 f., 307, 309 f., 312–315, 317, 329, 331, 335, 337, 339 Aland, Barbara 312, 317 Albrecht, Michael von 326 Allatini, Rose 201 Allroggen, Gerhard 308, 317 Alsted, Johann Heinrich 16 Anaximander 85, 320 Andreas-Salomé, Lou 176 d’Annunzio, Gabriele 190 Apollon 116 f. Archimedes 146 Archytas 138 f. Arco, Karl 271 Aristophanes 239 Aristoteles 116, 136, 141, 168, 252 Aristoxenos 136 f., 164, 311, 317 Arndt, Jürgen 318 f., 329, 336 Assafjew, Boris 100 Auhagen, Wolfgang 308, 317 Bach, Johann S. 21, 39 f., 69, 107, 120, 136, 200, 208, 210, 253 ff., 277 f., 285, 295 f., 298, 319, 326 Badal, Yvonne 319 Balzac, Honoré de 188, 190–195, 197, 239, 312, 317 Bakunin, Michail A. 121 f., 272 Bandur, Markus 314, 317 Barbaja, Domenico 254 Barck, Karlheinz 322 Barker, Andrew 137, 311, 318 Barkowsky, Johannes 313, 318 Bartels, Ulrich 310, 318 Bartók, Béla 49, 329 Basilides 193 Batka, Richard 187

Baudelaire, Charles 104, 182, 219, 310, 318 Baumgarten, Alexander G. 252 Baur, Ferdinand Ch. 180, 318 Becker, Ruppert 183 Beethoven, Ludwig van 15, 19, 21, 23–26, 36, 42 ff., 52, 70 f., 74 f., 77 f., 98–102, 106, 120, 127 f., 131 ff., 146, 210, 215, 222, 228, 253, 259, 263 f., 295–300, 309, 317 f., 330, 336 Benary, Peter 82, 309, 318 Benjamin, Walter 81 f., 249, 314, 318 Berg, Alban 91, 95, 106, 111, 175, 186 ff., 192, 202, 222, 295 f., 323 f., 329 Bergman, Ingrid 246 Bergson, Henri 50 Berlioz, Hector 40, 75, 77 f., 215, 293, 309, 318, 336 Bertoni, Ferdinando 230 Besant, Annie 174 ff., 201 f., 329 Beutelspacher, Albrecht 311, 319 Biermann, Wolf 295 Bill, Max 327 Bingmann, Anke 327 Bitter, Christof 339 Bittner, Rüdiger 276 f., 315, 319 Bizet, Georges 253, 264, 268 Blake, William 219 Blanning, Tim 6, 222, 270 f., 279, 313 f., 319 Blavatsky, Helena P. 133, 174, 179 f., 204, 210, 294, 311, 313, 319 Bloch, Ernst 82, 97 ff., 110, 129, 181, 193 f., 235, 294–300, 313, 315, 319, 328, 332, 339 Bloch, Ernest 199 Bloom, Harold 86 Blume, Friedrich 326, 334 Blumröder, Christoph von 310, 319 Bock, Sabine 312, 319 Bodsch, Ingrid 335 Böhme, Jakob 169 Boenke, Patrick 313, 319

342

Personenregister

Boetius 136, 161, 311, 319 f. Bois, Jules 190, 196, 215, 239 Bolte, Gerhard 338 Bolz, Norbert 105, 310, 320, 328 Bonin, Tabhita von 337 Bono 319 Bousset, Wilhelm 180, 192, 312, 320 Brabbins, Martyn 313 Brahe, Tycho 146, 149 Brahms, Johannes 105, 208, 210, 219, 298 Brambach, Carl J. 268 Brandenburg, Sieghard 336 Braungart, Wolfgang 215 Briggs, John 310, 320 Britten, Benjamin 92 Brockt, Johannes 321 Bruckner, Anton 44 ff., 208, 251 Brütting, Ulrike 40, 308, 320 Bubner, Rüdiger 85 f., 309, 320 Bülow, Hans von 267 f. Bürger, Peter 93, 309, 320 Burger, Ernst 312, 320 Burghold, Julius 338 Burkert, Walter 171, 311, 320 Burschell, Friedrich 295 Busoni, Feruccio 105, 295, 329 Caffarelli 230 Cage, John 5, 300 f., 304 Cagliostro 269 Calderón, Pedro 36 Callot, Jacques 40, 77, 79 Cantor, Georg 164 ff., 311 Carnap, Rudolf 186 Caruso, Enrico 105 Caspar, Max 327 Cassirer, Ernst 180 Chamfort, Nicolas 80 Chaplin, Charlie 105 f. Chatham, George 267 Cherubini, Luigi 70 Chladni, Ernst F. 14, 63, 241, 308, 313, 320 Chopin, Frédéric 83 f., 209 f., 265 Cicero 143 Colbran, Isabella 254 Colli, Giorgio 331 Cotta, Johann F. 260 Crawford, John C. 48, 308, 320 Crescentini, Girolamo 232 Cusanus (Nikolaus von Kues) 145, 170

Dahlhaus, Carl 21, 125, 252, 307, 309 f., 314, 320 f. Dalí, Salvador 246 Dammann, Ralf 307, 321 Dante, Alighieri 144 f., 218, 311, 321 Danuser, Hermann 301, 315, 321 Dardanelli, M. 262 Darwin, Charles 176 ff. David, Giovanni 262 Davies, Stephen 276 f., 315 Dawkins, Richard 178, 311, 321 Debussy, Claude 103, 189 f., 200, 206, 208, 295, 310, 321, 329 Dehmel, Richard 176 Delius, Frederick 200 Dent, Edward J. 309, 321 Derrida, Jacques 81, 86 Descartes, René 20, 30, 62 f., 289, 307, 321 Diderot, Denis 257 Diels, Hermann 86, 138, 309, 311, 321 Döblin, Alfred 182 Donzelli, Domenico 262 Dostojewsky, Fjodor M. 188 Dufay, Guillaume 295 Du Prel, Carl 176, 178 f., 188 f., 216, 294, 311 f., 321 Dvoˇrák, Antonín 106 Edison, Thomas A. 242 Eddington, Arthur 285, 315, 322 Edler, Arnfried 312, 322 Eggebrecht, Hans H. 325 Egk, Werner 106 f. Eichendorff, Joseph von 332 Eichner, Hans 334 Einstein, Albert 25, 103 Eisler, Hanns 329 Escher, Maurits C. 326 Euklid 147, 311, 322 Euler, Leonhard 26, 242 Evers, Franz Eybl, Martin 313, 322 Fahlbusch, Markus 331 Farinelli (Carlo Broschi) 230, 271 Federhofer, Hellmut 313, 322 Fetscher, Iring 311, 322 Fetscher, Justus 80, 309, 322 Feuerbach, Ludwig 117, 121 f., 272 Fichte, Johann G. 14 Fink, Gottfried W. 43

Personenregister

Finscher, Ludwig 308, 317 f., 322, 324, 326, 331 f., 334 Flemming, Beatrice 313, 322 Fodor, Josephine 262 Folkerts, Menso 307, 322 Foucault, Michel 81 Fourier, Jean B. J. 241, 318 Fox, Kate 173 Fox, Margaret 173 Franck, César 41, 190 Franckenstein, Clemens von 199 Franco von Köln 295 Franz von Assisi 135 Franz Joseph I. 193 Freud, Siegmund 121, 186, 298 Friedemann, Hermann 324 Friedlein, Gottfried 319 Froebe, Robert 319 Fuchs, Carl 268 Gärtner, Markus 284, 315, 322 Galilei, Vincenzo 136 Gast, Peter 266 Gath, Goswin P. 322 Gauguin, Paul 182 Gauß, Friedrich 153 George, Stefan 119, 176, 182, 195 f., 199, 204, 216 f., 327 Gethmann-Siefert, Annemarie 260 f., 264, 314, 322 f., 335 Glasunow, Alexander 245 Gleim, Johann W. L. 241 Glinka, Michail 242, 248 Glinsky, Albert 246, 313 f., 323 Gluck, Christoph W. von 75, 241, 261 Gmelin, Hermann 321 Gödel, Kurt 169, 326 Goethe, Johann W. von 23 f., 27, 40, 77, 80 f., 116, 144, 253 Goeze, Johann M. 80 Goodman, Nelson 180 Gorbatschow, Michail 247 Gounod, Charles 202 Gozzi, Carlo 77 Grassi, Ernesto 332 Gratzer, Wolfgang 188, 312, 323 Gregor-Dellin, Martin 123, 310, 323 Grétry, André-E.-M. 74 Gross, Margarita 6 Grotjahn, Rebecca 231, 233, 238, 248, 307, 313, 323

343

Gruber, Gerold W. 326, 330 Guido von Arezzo 295 de Haan, Willem 199 Haase, Rudolf 158–161, 164, 169, 311, 323 Habeneck, François A. 75, 77 Haeckel, Ernst 177 f., 311, 322 f. Häusler, Josef 321 Hahl-Koch, Jelena 307, 312, 323 Händel, Georg 271 von der Hagen, Heinrich 117 Hakuin 304 Halm, August 295 Hamann, Johann G. 80 Hammer, Franz 327 Handschin, Jacques, 309, 324 Hanslick, Eduard 253, 274 f., 285–291, 293, 295, 315, 322, 324, 337 Hartmann, Eduard von 178 f., 312, 324 Hartshorne, Charles 332 Hartston, Marjorie 201, 313 Hasenclever, L. 183 Hauer, Joseph M. 203 Hauffe, Friederike 173 Haupt, Moritz 117 Hauptmann, Moritz 295 Hausegger, Friedrich von 295 Haydn, Joseph 19, 36, 42, 70 Haynes, Bruce 313, 324 Hegel, Georg F. W. 18 f., 21, 24, 82, 93, 99–102, 116 f., 178 f., 220, 222, 229, 241, 251–256, 258–264, 269, 271, 273 f., 281 f., 289 ff., 297, 309, 313 ff., 322, 324, 331, 335 Hegel, Karl 261 Heiberg, Johann L. 322 Heidegger, Martin 50, 181 Heine, Heinrich 77, 228, 254, 265, 309, 314, 324 Heinse, Wilhelm 65 f., 75, 116, 118, 230–233, 235, 240 f., 256, 258, 308 f., 313 f., 324 Heisenberg, Werner 143 Henze, Hans W. 92, 309, 324 Herakleides Pontikos 60 Heraklit 85 Herodes 299 Herrmann, Bernhard 247 Hilbert, David 169 Hille, Peter 176 Hiller, Egbert 312, 324 Hindemith, Paul 62, 208, 326

344

Personenregister

Hinrichsen, Hans-J. 310, 325 Hippasos 138, 141, 147 f., 166 Hippolytus 85, 180 Hirsch, Emanuel 327 Hitchcock, Alfred 246 Hitler, Adolf 97, 110, 115, 208 Hitzig, Julius E. 34 Höfner, Harald 332 Hölderlin, Friedrich 116 Hörner, Karl F. 336 Hoffman, Samuel 246, 323 Hoffmann, E. T. A. 5, 14, 20, 23 f., 33 f., 36–42, 48, 50, 52–56, 65 f., 68–79, 97, 106, 118, 143 f., 216, 222, 232, 254 f., 259, 290, 295, 307 f., 313 f., 317, 320, 325 ff., 330, 332, 334 Hoffmann-Erbrecht, Lothar 327 Hoffmeister, Johannes 324 Hofmannsthal, Hugo von 199 Hofstadter, Douglas R. 169, 311, 326 Hofstetter, Michael 307 Holtmeier, Ludwig 313, 326 Holzer, Andreas 311, 326 Homer 116, 293, 302 Horaz 21 Horkheimer, Max 91, 94 Hornstein, Robert von 11 Hortschansky, Klaus 327 Hotaki, Leander 335 Hotho, Heinrich G. 260, 263 Hottmann, Katharina 323 Houdini, Harry 105 Houy, Constantin 326 Howick, Clare 313 Hübbe-Schleiden, Wilhelm 176, 216 Hübscher, Arthur 334 Hüschen, Heinrich 311, 326 Hume, David 286 Humperdinck, Engelbert 199 Huysmans, Joris-K. 190 d’Indy, Vincent 334 Jacobsen, Jens P. 197 Jamblichos 5, 85, 135 f., 142, 161, 311, 326 James, William 180 Jaspers, Karl 291, 315, 326 Jean Paul 293, 300 Jesus (Christus) 297 John, Sir Elton 271 Johnson, Julian 312, 326 Johnson, Samuel 235

Jommelli, Niccolò 256 Jonas, Hans 192, 312, 326, 333 Jones, Sir Tom 271 Josquin de Prez 295 Joyce, James 50 Jung, Carl G. 121 Kaiser, Georg 339 Kaiser, Stefan I. 317 Kalisch, Volker 43 f., 308, 327 Kandinsky, Wassily 25, 47 f., 182, 187 f., 196 f., 199, 202, 307 f., 313, 323, 327, 330, 332, 337 Kant, Immanuel 23, 25, 34, 50, 52, 100, 178, 290, 337 Karlauf, Thomas 312, 337 Kayser, Hans 159 f., 164, 166, 168 ff., 194, 311, 327 Keats, John 219 Keil, Werner 307, 318 f., 324, 327, 329, 336 Keiser, Reinhard 295 Kepler, Johannes 16, 33, 146–159, 166, 170, 264, 273, 327, 311, 338 Kerner, Justinus 173 Kierkegaard, Sören 80, 220 ff., 290, 313, 327 Kieser, Dietrich G. von 173 Kim, Jin-Ah 22, 307, 328 Kindermann, Jürgen 325 Kircher, Athanasius 30 ff., 145, 307, 311, 328 Kittler, Friedrich 137, 164, 311, 313 f., 328 Kivy, Peter 253, 276 f., 328 Klages, Ludwig 176, 181 Klein, Walther 185, 312, 328 af Klint, Hilma 202 Klopstock, Friedrich G. 80 Kneif, Tibor 296, 315, 328 Knepler, Georg 309, 328 Knobloch, Eberhard 322 Knorr, Iwan 199 Köstlin, Karl R. von 252, 320 Körner, Christian G. 278 Koch Eckhart 333 Kohler, Stephan 308, 328 Kokoschka, Oskar 199 Kolleritsch, Otto 328 Komarov, Vladimir 247 Konfuzius (Kungfutse) 291 f., 315, 329 Koot Hoomi 120, 133 f., 136, 201, 210 Kopernikus, Nikolaus 33, 148

Personenregister

Kranz, Walther 138, 309, 311, 321 Kraus, Karl 186, 217 Kreisler, Fritz 105 ff., 244 Kremer, Detlef 327 Kretzschmar, Hermann 251 ff., 314, 329 Kunz, Carl F. 53, 73 Kunze, Stefan 318 Kurth, Ernst 102, 283, 295, 310, 315, 329 Lablache, Luigi 262 Lachmann, Karl 117 Landmann, Michael 194 Lalo, Édouard 245 Lao-Tse 168 Lasso, Orlando di 295, 297 Laubenthal, Annegrit 217, 313, 329, 334 de La Tour, Françoise-L. (Madame de Warens) 257 f. Lavater, Johann C. 80 Leadbeater, Charles 202, 313, 329 Lechter, Melchior 119, 199 f. Legge, Robert 200 Leibniz, Gottfried W. 159 Lendvai, Ernö 308, 329 Lenin, Wladimir I. 242 f., 248 Lenz, Jakob M. R. 50 f. Lessing, Gotthold E. 80 Levin, Walter 309, 329 Lewald, August 324 Leybourn, William 16 Lin, Ching-Wen 291 Liszt, Franz 75, 266, 268, 270, 279, 322, 329 Littlejohns, Richard 338 Litzmann, Berthold 183 Locke, John 17 Lockspeiser, Edward 312, 329 Löhneysen, Wolfgang Freiherr von 335 Loerke, Tim 216, 224, 313, 329 Loers, Veit 330 Loewenthal, Erich 336 Loos, Adolf 186 Loos, Helmut 336 Luetjohann, Sylvia 336 Lukács, Georg 294 Ludwig I. 53 Ludwig II. 124 Luther, Martin 31 f., 167, 225 Macho, Thomas H. 337 Macpherson, James 80 Maegaard, Jan 312, 330

345

Mahler, Gustav 91, 105 f., 109, 186, 188, 295, 299 Malanotte, Adelaide 230 Malibran, Maria 230 Mallarmé, Stephane 182 de Man, Paul 81, 86 Mann, Thomas 5, 92, 104, 110, 176, 182, 215 ff., 220 ff., 224 f., 290, 313, 317, 329 f., 338 Marc, Franz 187 Marcion 193 f., 215, 317 Marcuse, Herbert 94, 309, 330 Marschner, Heinrich 295 Marx, Adolph B. 24, 99, 101, 254, 310, 330 Marx, Karl 93 ff., 117, 122 Matejka, Wilhelm 287, 315, 330 Mattheson, Johann 21, 136, 273, 307, 330 McCartney, Sir Paul 271 Meine, Sabine 323 Mendelssohn Bartholdy, Felix 42, 109, 202, 253 Menninger, Karl 311, 330 Mesmer, Anton 173, 178, 242 Metastasio, Pietro 75, 143, 231 Metzger, Heinz-K. 108, 317, 329 Meyer, Christian 312, 330 Meyerbeer, Jakob (Giacomo) 254 Meyrink, Gustav 176 Michel, Karl M. 324 Milder(-Hauptmann), Anna 253, 262 Mills, Melanie 201 Moldenhauer, Eva 324 Mondrian, Piet 182, 330 Montinari, Mazzino 331 Moog, Robert 245, 247 de la Motte-Fouqué, Friedrich 118 de la Motte-Haber, Helga 326, 333, 336 Mozart, Wolfgang A. 19, 24 f., 28, 36, 39, 70, 143, 220 f., 242, 260, 266, 271, 290, 297 f., 327 Müller-Seidel, Walter 325 f. Müller-Sievers, Helmut 26, 307, 330 Munch, Edvard 182, 330 Mundt, Theodor 253, 262 Nägeli, Hans G. 18, 40, 307, 330 Napoleon III. 238 Napoleon Bonaparte 71 f., 228 f., 232, 259 Naredi-Rainer, Paul von 311, 331 Nauhaus, Gerd 335 Naumann, Barbara 307, 331

346

Personenregister

Newton, Isaac 22, 25, 50, 159, 178 Nicolin, Günter 324 Niemeyer, Alexander 6 Nietzsche, Friedrich 13, 47, 81 f., 84, 118, 123, 182, 222, 224, 251 ff., 265–269, 281, 308, 310, 313 f., 331, 338 Nikomachos 136, 141, 161, 163 Nobbe, Ernst 100 Nostradamus 294 Nottebohm, Gustav 309, 331 Novalis 14, 22, 34, 79, 118 Nowak, Adolf 261, 314, 331 Oesch, Hans 315, 331 Ortkemper, Hubert 313, 331 Ostermann, Eberhard 80 f., 309, 331 Otto, Walter F. 332 Ovid 240, 296, 313, 331 Pacchiarotti, Gasparo 230 f. Pacioli, Luca 147, 311, 331 Paddison, Max 309, 331 Pätzold, Detlev 331 Paganini, Niccolò 270 Palestrina, Giovanni P. 278 Parmenides 85 Pasta, Giuditta 230, 254 Pauen, Michael 181 f., 192–195, 312, 315, 332 Paul, Oscar 320 Paulus 21 Peat, F. David 310, 320 Peck, Gregory 246 Peirce, Charles S. 180, 312, 332 Péladan, Joséphin 189 f. Pergolesi, Giovanni B. 295 Petri, Bernhard 311, 319 Pfitzner, Hans 199, 295, 329 Philolaos 141 f., 145, 320 Pickover, Clifford A. 311, 332 Pikulik, Lothar 78, 309, 332 Plamböck, Gert 332 Planck, Max 103 Plane, Robert 313 Platon 12, 16, 60, 86, 126, 138, 141 ff., 168, 239 f., 252, 264, 269, 291, 313 f., 332 Podles, Ewa 230 Pöggeler, Otto 335 Pöhlmann, Egert 311, 332 Poincaré, Henri 104 Popov, Gavriel 245 Popper, Sir Karl R. 180, 286

Post, Brigitte 332 Pozzi, Anna 230 f. Proudhon, Pierre-J. 121 f., 272 Ptolemaios, Klaudios 46, 149 Puccini, Giacomo 295 Pythagoras 17, 60, 66, 85, 134–137, 140, 142 f., 157 f., 248, 252, 302, 320 Pytlik, Priska 182, 311 f., 332 Quittard, Henry 190 Rachmaninow, Sergei W. 105, 244 Ramann, Lina 329 Rameau, Jean-Ph. 252, 256 f., 284 Ratsimar, Anton 6 Ravel, Maurice 96 Rauch, Stefanie 6 Reger, Max 295 Reich, Karin 322 Reich, Willi 312, 322 Reichardt, Johann F. 34, 39, 42 Reifenscheid, Beate 312 f., 322 Reimann, Margarete 330 Reisenberg, Nadia 243, 245 Reventlow, Franziska zu 176, 216 Richards, Sir Cliff 271 Riehn, Rainer 317, 329 Riemann, Hugo 24, 100 f., 295 Riethmüller, Albrecht 136 f., 311, 315, 322, 332, 339 Rilke, Rainer M. 182 Rinderle, Peter 253, 275–278, 315, 322, 333 Rochlitz, Friedrich 39, 55 Rockmore (geb. Reisenberg), Clara 243–246 Rösch, Erich 331 Rossini, Gioacchino 11, 21, 101, 129, 227 ff., 253 ff., 259–262, 265, 281 f. Rósza, Miklós 246 Rousseau, Jean-J. 6, 53, 117, 252, 256–259, 273, 284, 314, 333 Rubini, Giovanni B. 254 Rufer, Josef 98, 186, 310, 333 Russell, Bertrand 180 Sachs, Klaus-J. 311, 333 Safranski, Rüdiger 307, 333 Saint-Saëns, Camille 242, 245, 249 Salmen, Walter 338 Salyutov, Roman 6 Salzer, Felix 209 f., 333 Sampsel, Laurie 200, 312, 333

Personenregister

Sander, Ernst 317 Sandkühler, Hans J. 312, 332 f. Sarabhai, Gita 300 Satie, Erik 189 f. Sawicki, Diethard 333 Scarlatti, Alessandro 295 Scarlatti, Domenico 295 Scharlau, Ulf 328 Schavernoch, Heinz 143 ff., 311, 333 Scheideler, Ullrich 334 Schelling, Friedrich W. J. 53 f. Schenker, Heinrich 185, 208–211, 224, 313, 319, 322, 326, 333, 336 Schering, Arnold 253, 314, 334 Schick, Hartmut 325 Schiller, Friedrich 81, 116 f., 264, 278, 289, 310, 334 Schlegel, August W. 34, 36, 80, 144, 311, 336 Schlegel, Friedrich 34 f., 79–84, 86, 110, 307, 309, 320, 334 Schleiermacher, Friedrich 332 Schlesinger, Adolph M. 69 Schlick, Hans 186 Schmitt, Eugen H. 180, 312, 334 Schnapp, Friedrich 259, 308 f., 325 f., 334 Schneider, Herbert 308, 334 Schönberg, Arnold 25, 47 ff., 89, 91 ff., 95–98, 102–105, 107, 110 f., 182, 185–188, 190–198, 200–203, 208, 211, 216 f., 220, 224, 295 f., 308, 312 f., 317, 319 f., 323 f., 326, 328, 330, 332 ff., 337 Schopenhauer, Arthur 5, 11–15, 17–20, 23, 56, 63, 85, 88, 101, 115, 119, 121, 123–128, 146, 153, 173, 178 f., 181, 220, 222, 224, 229, 234 f., 238, 240, 251 f., 265, 277, 281–284, 286, 290 ff., 296, 307, 310 f., 313, 315, 333 ff. Schostakowitsch, Dmitri 92, 245 Schott, Gaspar 16 Schottlaender, Felix 337 Schreiber, Ulrich 121, 310, 335 Schreker, Franz 96 Schrenck-Notzing, Albert von 176 Schubert, Franz 42 ff., 245, 327 Schubert, Giselher 92, 309, 333, 335 Schubert, Gotthilf H. 52–56, 144, 308, 335 Schüttauf, Konrad 259, 314, 335 Schuler, Alfred 176 Schulze, Herbert 325

347

Schumann, Clara 183 ff. Schumann, Robert 26, 40, 75 f., 78, 83 f., 104, 108 ff., 182–185, 219, 252, 272, 293, 300, 309, 312, 314 f., 320, 322, 335 Schupp, Franz 192 f., 312, 336 Schwab-Felisch, Oliver 313, 326, 333, 336 Schwarz, B. Boris 309, 336 Schwarz, Hans 337 Scott, Cyril 5, 119 ff., 127, 133, 136, 175, 179, 185, 198–207, 222, 310–313, 333, 336 Scott, Desmond 179 Scott, Walter 117 Seconda, Franz 73 Seidel, Wilhelm 308, 336 Sekles, Bernhard 91 Sextus Empiricus 85 Shakespeare, William 42, 77, 144, 219, 311, 336 Shaw, Bernard 124, 129, 174, 310, 336 Silcher, Friedrich 295 Simon, Heinrich 335 f. Skrjabin, Alexander 200, 202, 313 Sloterdijk, Peter 33, 181, 272, 307, 312, 315, 336 f. Smithson, Harriet 77 f. Sokrates 269 Sontag, Henriette 254, 262 Spengler, Oswald 313, 337 Sponheuer, Bernd 289 f., 315, 337 Spontini, Gasparo 259 Starke, Friedrich 71 Steinecke, Hartmut 309, 325 Steiner, Max 246 Steiner, Rudolf 174 ff., 180, 196, 215 Steinert, Heinz 309, 337 Sterne, Laurence 50 Strauß, Dietmar 285, 324 Strauss, Richard 47, 88, 96, 295, 328 Strawinsky, Igor 96, 182, 200, 202, 245, 295 Strindberg, August 188 f., 190 ff., 197, 217, 312, 337 Struik, Dirk J. 337 Stuckenschmidt, Hans H. 97, 310, 312, 337 Suchsland, Peter 325 Suzuki, Daisetz T. 300, 315, 337 Swedenborg, Emmanuel 188 f., 193 ff. Szabolcsi, Bence 329 Sziborsky, Lucia 310, 337

348

Personenregister

Tadday, Ulrich 335 Tasso, Torquato 118, 227, 230 f. Teichmann, Anke 312, 337 Telemann, Georg Ph. 106 f. Temperley, Nicholas 318 Termen (Theremin), Lew (Leon) S. 242 f., 245, 247 ff., 314, 323 Tertullian 194 Thales von Milet 85 Thimus, Albrecht von 159 f., 164, 166, 168, 170, 180, 240, 291, 304, 311 ff., 338 Thorwaldsen, Bertel 253 Tieck, Ludwig 34, 79, 311, 332, 336 Tiedemann, Rolf 98, 317 Toscanini, Arturo 244 Tudor, Dan 301 Türcke, Christoph 309, 338 Tschaikowsky, Peter I. 106 ff., 244 Unseld, Siegfried 328 Unthan, Carl H. 272 Uzielli, Lazzaro 199 Vaget, Hans R. 216, 219, 313, 338 Valentinus 193 Vandermonde, Alexandre Th. 16 Verdi, Giuseppe 298 Verlaine, Paul 219 Viardot-García, Pauline 230 Vietta, Silvio 338 Vischer, Friedrich Th. 252 Vogel, Martin 160, 166, 168 f., 266, 268, 310 f., 314, 338 Vogel, Sebastian 321 Vojtech, Ivan 334 Voltaire 227 Vondenhoff, Bruno 336 Voss, Johann H. 116 Wackenroder, Wilhelm H. 33, 79, 118, 223 f., 273, 307, 313, 315, 338 van der Waerden, B. L. 85, 141 f., 308 f., 311, 338

Wagner, Richard 6, 22, 27, 84, 87 ff., 91, 96, 108, 115–125, 127–130, 132, 189, 200, 202, 208, 224, 228, 253, 265, 267 ff., 271 ff., 281, 283, 295, 298, 309 ff., 313, 315, 318, 321, 323, 329, 336, 338 f. Walker, Daniel P. 311, 338 Walter, Bruno 215 Wapnewski, Peter 339 Warens (siehe de La Tour) Waxman, Franz 246 Weber, Carl M. von 39, 70, 78, 309, 339 Webern, Anton 49 f., 84, 95, 109, 186 ff., 192, 195 f., 278, 324 Weill, Kurt 295 Weininger, Otto 217 f., 224, 239, 313, 339 Weiss, Paul 332 Wieck, Friedrich 184 Wieniawski, Henri 245 Wiese, Christian 326 Wiggershaus, Rolf 104, 310, 339 Wilhelm I. 28, 124, 271 Wilhelm IV. 270 Wilhelm, Richard 329 Willaert, Adrian 295, 297 Wimmer, Ruprecht 215, 220 f., 330 Winterberg, Constantin 331 Wittgenstein, Ludwig 186 Wolf, Hans 333 Zaminer, Frieder 137, 140, 308, 311, 332, 338 f. Zarlino, Gioseffo 61 Zeising, Adolf 179 Zelter, Carl F. 295 Zimmermann, Bernd A. 50 f., 308, 339 Zimmermann, Robert 291 Zingarelli, Nicola A. 232 Zons, Raimar 328 Zudeick, Peter 315, 339