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German Pages 574 [576] Year 1997
K. v. Delhaes und U. Fehl (Hg.) Dimensionen des Wettbewerbs: Seine Rolle in der Entstehung und Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen
Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft
Herausgegeben von Prof. Dr. Gernot Gutmann, Köln Dr. Hannelore Hamel, Marburg Prof. Dr. Klemens Pleyer, Köln Prof. Dr. Alfred Schüller, Marburg Prof. Dr. H. Jörg Thieme, Düsseldorf
Unter Mitwirkung von Prof. Dr. Dieter Cassel, Duisburg Prof. Dr. Hans-Günter Krüsselberg, Marburg Prof. Dr. Ulrich Wagner, Pforzheim
Redaktion: Dr. Hannelore Hamel
Band 52:
Dimensionen des Wettbewerbs: Seine Rolle in der Entstehung und Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen
Dimensionen des Wettbewerbs Seine Rolle in der Entstehung und Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen
Herausgegeben von
Karl von Delhaes und Ulrich Fehl
Mit Beiträgen von Leszek Balcerowicz, Kornelia van der Beek, Herwig Brendel, Dieter Cassel, Läszlo Csaba, Frank Daumann, Karl von Delhaes, Ulrich Fehl, Cornelius Graack, Helmut Gröner, Gernot Gutmann, Carsten Herrmann-Pillath, Peter Hertner, Günter Hesse, Wolfgang Kerber, Werner Klein, Hans-Günter Krüsselberg, Helmut Leipold, Peter Oberender, Ingo Pies, Hans-Georg Reuter, Carsten Schreiter, Alfred Schüller, Paul J.J. Weifens
35 Abbildungen und 17 Tabellen
er
LUCIUS LUCIUS
Anschriften der Herausgeber: Dr. Karl von Delhaes Herder-Institut Gisonenweg 7 35037 Marburg Prof. Dr. Ulrich Fehl Philipps-Universität Marburg FB Wirtschaftswissenschaften Universitätsstraße 24 35032 Marburg
- Gefördert von der Volkswagen-Stiftung -
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Dimensionen des Wettbewerbs: Seine Rolle in der Entstehung und Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen/ hrsg. von Karl von Delhaes und Ulrich Fehl. Mit Beitr. von Leszek Balcerowicz ... - Stuttgart: Lucius & Lucius, 1997 (Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft; Bd. 52) ISBN
3-8282-0033-8
NE: Delhaes, Karl von (Hrsg.); Balcerowicz, Leszek; GT
© Lucius & Lucius Verlags-GmbH • Stuttgart • 1997 Gerokstraße 51 • D-70184 Stuttgart Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Einband: ROSCH-BUCH Druckerei GmbH, 96110 Scheßlitz Printed in Germany
ISBN ISSN
3-8282-0033-8 1432-9220
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Vorwort zur Schriftenreihe Im Jahre 1954 hat K. Paul Hensel, seinerzeit Dozent an der Universität Freiburg i.Br., mit seiner Habilitationsschrift „Einführung in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft - Eine vergleichende Untersuchung idealtypischer wirtschaftlicher Lenkungssysteme an Hand des Problems der Wirtschaftsrechnung" die Reihe Schriften zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme begründet. Dies war zugleich die Bezeichnung der von ihm errichteten Forschungsstelle, die 1957 - mit der Berufung Hensels als ordentlicher Professor - an der Philipps-Universität Marburg etabliert wurde. Von seinem Lehrer Walter Eucken geprägt, war das Erkenntnisinteresse von K. Paul Hensel vor allem darauf gerichtet, die Beschaffenheit und Wirkungsweise alternativer Wirtschaftsordnungen zu erforschen. Schon bald erkannte er, daß hierbei - im Sinne der Euckenschen Interdependenz - die praktische Verflochtenheit wirtschaftlicher und rechtlicher Fragen eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlern erforderte. So gewann er den Marburger Juristen Klemens Pleyer als Mitherausgeber seiner Schriftenreihe, die er mit dem 1965 erschienenen Band 5, der Habilitationsschrift seines Schülers Gernot Gutmann, in Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen umbenannte. Bis zu Hensels Tod im Jahre 1975 waren 26 Bände über wirtschafts- und rechtswissenschaftliche Fragen der Wirtschaftsordnungen in der Schriftenreihe erschienen, darunter Dissertationen, Habilitationen, aber auch Sammelwerke, in denen die Herausgeber mit ihren Mitarbeitern spezielle Fragen des Systemvergleichs untersucht haben. Nach Hensels Tod wurde die Reihe von Klemens Pleyer, den Hensel-Schülern Gernot Gutmann und Hannelore Hamel sowie dem Hensel-Nachfolger in Lehramt und Forschungsstelle, Alfred Schüller, fortgeführt. 1995 wurde das Herausgeber-Team durch H. Jörg Thieme, der ebenfalls aus der Hensel-Schule hervorgegangen ist, erweitert. Die Themen der inzwischen erschienenen 51 Bände belegen, daß der Systemvergleich weiterhin im Vordergrund stand und seit 1990 durch Ordnungsfragen ergänzt wurde, die sich sowohl mit der Transformation der sozialistischen Wirtschaftssysteme als auch mit der europäischen Integration befaßten. Diese politischen Ereignisse wie auch die Weiterentwicklungen der Ordnungstheorie haben zu einer thematischen Akzentverschiebung der Reihe geführt. Der Vergleich von Wirtschaftsordnungen ist nicht mehr allein auf Ost-West-Probleme bezogen. Alte grundlegende Ordnungsfragen erfordern neue Antworten: Welche Einflüsse haben politische Entscheidungsträger und bürokratische Verwaltungen sowie unterschiedliche Wertvorstellungen in den Regionen der Welt auf die Beschaffenheit von Wirtschaftsordnungen und deren Entwicklung in der Zeit? Wie wird menschliches Verhalten dadurch verändert, und welche Wirkungen entstehen daraus für das Geflecht von Teilordnungen in einer Gesellschaft? Solche und andere Fragen werden heute in verschiedenen Ansätzen der Ordnungstheorie untersucht: in der Institutionen- und Verfassungsökonomik, der Ökonomischen Theorie der Politik und des Rechts, der Entwicklungs- und Evolutionsökonomik.
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Um diese Problem- und Methodenvielfalt in der Schriftenreihe zum Ausdruck bringen zu können, haben sich die Herausgeber entschlossen, die Reihe mit diesem Band 52 unter dem Titel Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft fortzuführen. Die Titeländerung ist zugleich mit einem Verlagswechsel und demzufolge mit einer neuen äußeren Gestalt verbunden. Der Grund hierfür ist, daß der Gustav Fischer Verlag sein gesamtes wirtschaftswissenschaftliches Programm, darunter auch diese Schriftenreihe, seinem langjährigen geschäftsführenden Gesellschafter, Dr. W. D. von Lucius, und dem von ihm neugegründeten Verlag Lucius & Lucius übertragen hat. Die Schriftenreihe wird daher künftig in diesem Verlag fortgesetzt, über den auch die früheren Bände der Reihe noch erhältlich sind. Die Herausgeber hoffen, daß die Schriftenreihe auf der Basis ihrer bisherigen Tradition neue Impulse erfährt und damit weiterhin erfolgreich ist.
November 1996
Die Herausgeber der Schriftenreihe: Gernot Gutmann • Hannelore Hornel • Klemens Pleyer Alfred Schüller • H. Jörg Thieme
vn Vorwort zu diesem Band Das vorliegende Buch ist aus dem 28. Radeiner Seminar, das im Februar 1995 stattfand, hervorgegangen. Dieses Seminar hatte die neueren Entwicklungen in der Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik sowie deren Bezüge zu Ordnungsfragen zum Gegenstand. Eingeschlossen waren damit jene Prozesse, die man als „institutionellen Wettbewerb" zu bezeichnen sich angewöhnt hat. Aus dieser thematischen Abgrenzung resultiert auch die Zweiteilung des vorliegenden Bandes. So wird im ersten Teil der Wettbewerb auf der Marktebene untersucht, während der zweite Teil Wettbewerbsprozessen in anderen Interaktionssphären gewidmet ist. Der Einleitungsaufsatz legt dar, daß Wettbewerb heute nicht zuletzt als ein evolutorischer Vorgang interpretiert wird, der am besten durch die Kategorie des Marktprozesses im Sinne der neo-österreichischen Schule zu erfassen ist. Zugleich betont man den engen Zusammenhang zwischen Wettbewerb und der Schaffung neuen Wissens, sieht Wettbewerbsprozesse aber auch stärker unter dem Gesichtspunkt der Institutionen und des institutionellen Wandels. Damit ist bereits der zweite Teil des Buches angesprochen, in dem es um die Bedeutung des Wettbewerbs für eben diesen institutionellen Wandel geht sowie um die Rückwirkungen, die sich hieraus wiederum für den Marktwettbewerb ableiten lassen. Während bei der Diskussion des Marktwettbewerbes in erheblichem Umfange an überlieferten Fragestellungen und Erkenntnissen angeknüpft werden kann und sich deshalb auf diesem Felde die Diskussion eher kontinuierlich entwickelt hat, ist der Wettbewerb bezüglich anderer Interaktionssphären in stärkerem Maße eine Neu- oder Wiederentdeckung, so daß sich hier neue Ideen in stärkerem Maße geltend machen und eher kontroverses Denken die Szenerie beherrscht. Demgemäß ließ der erste Teil am ehesten thematische Eingrenzungen zu. Für die Themen, die sich mit Problemen jenseits der marktlichen Interaktionssphäre beschäftigen, existiert eine ungebrochene Tradition wie in der überlieferten Wettbewerbstheorie nicht, obwohl gewisse Ansätze durchaus nachweisbar sind. Diesbezügliche Traditionen sind jedoch vielfach für Jahrzehnte verschüttet gewesen oder nur vereinzelt fortgeführt worden. Deshalb werden in der aktuellen Diskussion nicht nur die Merkmale einer allgemeinen Aufbruchstimmung mit zum Teil noch sehr individuell geprägten Ansätzen sichtbar, es macht sich zugleich auch das Fehlen eines breiten terminologischen Konsenses geltend. Dies zeigt, daß der Ideen-Wettbewerb hier noch voll im Gange ist. Auf eine Vereinheitlichung der Terminologie ist daher auch bewußt verzichtet worden. Auch die Entstehung des Buches selbst weist Merkmale eines evolutorischen Prozesses auf. So kam der eine oder andere geplante Beitrag nicht zustande. Auf der anderen Seite entwickelten sich aus bestimmten Diskussionsvoten eigene Beiträge. Dies gilt namentlich für Läszlö Csaba, der sein Korreferat zu einer eigenständigen Abhandlung ausgebaut hat. Leszek Balcerowicz hingegen war durch sein Engagement in der praktischen Wirtschaftspolitik verhindert, den ursprünglich zugesagten Beitrag zu liefern. Gern haben die Herausgeber seinen Vorschlag aufgegriffen, einen Aufsatz von ihm aufzunehmen, der sich zum Ziel gesetzt hat, einer dem Wettbewerb gegenüber noch ängstlichen, ja mißtrauischen Gesellschaft im Übergang zur Marktwirtschaft darzulegen,
vm daß wettbewerbliche Verhaltensweisen zwar unter unterschiedlichen Bedingungen auftreten, aber nicht immer positive Auswirkungen für die Betroffenen haben, vielmehr hier eine Abhängigkeit von der Art dieser Bedingungen besteht. Die Herausgeber danken der Volkswagen-Stiftung, die im Rahmen ihres Schwerpunktes „Transformation von Wirtschaftssystemen" das Seminar wie auch das Entstehen des vorliegenden Bandes großzügig gefördert hat. Eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen des Projektes war die selbstlose Art, in der Frau Dr. Hannelore Hamel ihre reiche organisatorische und editorische Erfahrung eingebracht hat. Dank gebührt ebenfalls Frau Diplom-Kauffrau Astrid Engels für die Herstellung der Druckvorlage sowie den Herren Diplom-Volkswirten Peter Engelhard und Heiko Geue für das Korrekturlesen sowie die Erstellung des Registers. Auch Frau Renate Böttner sei für ihre tatkräftige Hilfe gedankt.
Marburg, im November 1996
Karl von
Delhaes
Ulrich Fehl
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Inhalt A.
Einführung Dimensionen des Wettbewerbs: Problemstellungen Karl von Delhaes, Ulrich Fehl
B.
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Wettbewerb in der Marktsphäre I.
Grundlagen
Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs Wolfgang Kerber Wettbewerbspolitische Konzeptionen Herwig Brendel
29
79
II. Wettbewerb über mehrere Marktstufen hinweg Die Koordination von Wissen über mehrere Wirtschaftsstufen Carsten Schreiter
103
Humanvermögen in evolutionären Wettbewerbsprozessen Hans-Günter Krüsselberg
139
Der Wettbewerbszusammenhang zwischen Kapital- und Gütermärkten Alfred Schüller
177
III. Ausgewählte Märkte mit spezifischen Wettbewerbsproblemen Technische Restriktionen als Wettbewerbsproblem - Das Beispiel des Marktes für elektrische Energie Helmut Gröner
217
Der Arzneimittelmarkt im Spannungsfeld seiner institutionellen Umgebung Frank Daumann, Peter Oberender
235
Funktionsbedingungen und Funktionsprobleme des Wettbewerbs im System der deutschen Krankenversicherung Kornelia van der Beek, Dieter Cassel
285
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C.
Wettbewerb in anderen Interaktionssphären I.
Theoretische Aspekte
Wettbewerb als ontologische Universalie: Natürliche Arten, wettbewerbliche Interaktionen und Internalisierung Carsten
321
Herrmann-Pillath
Wettbewerb und Demokratie - Zur Problemstellung einer institutionenökonomischen Ordnungstheorie
357
Ingo Pies II. Befunde der langen und mittleren Frist Effiziente Institutionen und wirtschaftlicher „Rückschritt" Günter Hesse
379
Der Zusammenhang zwischen der Entstehung und dem Wettbewerb von Ordnungen Helmut Leipold
397
Die Entwicklung der Gewerbeordnung in Deutschland von 1731 bis 1897 Hans-Georg Reuter
429
Das Zusammenspiel von Wirtschaftsordnung, Unternehmensorganisation und Industrialisierung: Vergleichende Betrachtungen zur Wirtschaftsentwicklung Deutschlands und der USA 1850 - 1914 Peter Hertner
449
III. Die kurze Frist: Die Bedeutung von Wettbewerb im Transformationsprozeß Wettbewerb in verschiedenen Wirtschaftssystemen Leszek Balcerowicz
471
Instituting Compétition as a Spontaneous Element in Transformation Lâszlô Czaba
479
Probleme der sichtbaren Hand bei der Herstellung von Wettbewerb: Zur Rolle der Treuhandanstalt Gernot Gutmann, Werner Klein
499
Deregulierungspolitik und Wettbewerb in Netzindustrien: Bedeutung und Optionen für osteuropäische Transformationsländer Cornelius Graack, Paul J.J. Weifens
521
Sachregister
555
Autoren und Seminarteilnehmer
563
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K. von Delhaes und U. Fehl (Hg.): Dimensionen des Wettbewerbs Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 52 • Stuttgart • 1997
A.
EINFÜHRUNG
Dimensionen des Wettbewerbs: Problemstellungen Karl von Delhaes, Ulrich Fehl
1. Wettbewerb auf der Marktebene
2
1.1. Wettbewerb als evolutionärer Prozeß: Allokation versus Innovation als Ansatzpunkt
2
1.2. Wettbewerb als wissenschaffender Prozeß: Innovationen, Wissen und Institutionen
7
1.3. Wettbewerb als Marktstufen übergreifender Prozeß
10
1.4. Wettbewerbsprozesse auf Märkten mit besonderem Regulierungsbedarf
13
2. Wettbewerb in anderen Interaktionssphären
15
2.1. Gründe für die Ausweitung der Analyse
15
2.2. Wettbewerb in Organisationen - Voraussetzungen und Besonderheiten
16
2.3. Zu den Beziehungen zwischen Interaktionssphären
18
2.4. Wettbewerb zwischen Regelsystemen
19
2.5. Prüfung des evolutorischen Ansatzes an der Empirie
23
Literatur
26
2
Karl von Delhaes,
Ulrich Fehl
1. Wettbewerb auf der Marktebene (1) Das Phänomen Wettbewerb ist am gründlichsten in der Markttheorie analysiert worden. Dies hat zwar zu einer gewissen Vereinheitlichung der Auffassungen, wie der Wettbewerbsprozeß zu erklären und zu bewerten sei, geführt, doch gehen in einzelnen Punkten die Meinungen nach wie vor nicht unerheblich auseinander. Dies wiederum hängt aufs engste mit der Komplexität und Vielschichtigkeit wettbewerblicher Vorgänge zusammen. Es ist daher kaum möglich, einen Begriff von Wettbewerb verbindlich vorzugeben. Bekanntlich liegt hier ohnehin die Gefahr allzu nahe, sogenannte "Begriffsnationalökonomie" (W. Eucken) zu betreiben oder aber in einen Essentialismus zu verfallen, der zumindest den zeitgenössischen wissenschaftstheoretischen Überzeugungen nicht entspricht. Angesichts dieses Sachverhaltes scheint es angebracht, sich darauf zu beschränken, das Phänomen Wettbewerb von verschiedenen Seiten her gleichsam einzukreisen, um dadurch ein Bezugssystem zu schaffen, das den Zwecken der Kommunikation genügt.
1.1. Wettbewerb als evolutionärer Prozeß: Allokation versus Innovation als Ansatzpunkt (2) Wettbewerb hat es in der einen oder in der anderen Form immer mit dem Phänomen der Knappheit zu tun, gehe es nun um die Knappheit an Gütern, Faktoren oder gesellschaftlichen Positionen. Dieser Zusammenhang zwischen Knappheit und Wettbewerb kann sich direkt zeigen, wenn es beispielsweise darum geht, den Sieger eines Wettlaufes zu bestimmen, oder er kann durch ein ganzes Netz von Beziehungen vermittelt sein, wie es etwa beim Marktwettbewerb der Fall ist. Die Knappheit der Produktionsfaktoren und Güter kann prinzipiell auf zwei Wegen gemindert werden, nämlich einmal dadurch, daß man vorhandene Mittel auf der Basis gegebenen Wissens "zweckmäßiger" gegebenen Zielen und Wirtschaftssubjekten zuordnet oder indem man die vorhandenen Mittel auf neue und überlegene Weise nutzt. Beide Strategien sind prinzipiell unabhängig voneinander, treten aber im realen Wettbewerbsprozeß gleichzeitig auf, weshalb man auch von der Allokations- und der Innovationsfunktion des Wettbewerbs gesprochen hat. Und es ist gerade diese Koinzidenz, welche der begrifflichen Erfassung des Wettbewerbs - wie die Theoriegeschichte offenbart - enorme Probleme bereitet hat. Der Grund hierfür ist ein sehr einfacher: Je nachdem nämlich, ob man den ersten oder den zweiten Aspekt des Wettbewerbs akzentuiert, erhält man ein gänzlich anderes Bild vom Wettbewerb. Betont man den "zweckmäßigeren" Einsatz der Produktionsfaktoren bei gegebenem Wissen, so wird Wettbewerb letztendlich als Maschinerie zur Herbeiführung der sogenannten optimalen Allokation betrachtet. Will man neues Wissen nicht direkt ausschalten, so muß angenommen werden, daß dieses Wissen gleichsam "von außen" kommt, also für den Wettbewerb etwas Exogenes darstellt. Ist ein derart exogenes neues Wissen gegeben, arbeitet der Wettbewerb in gleicher Weise wie bei konstantem Wissen. Mit anderen Worten, es macht prinzipiell keinen großen Unterschied für die Analyse, ob exogene Änderungen des Wissens in der Betrachtung zugelassen werden oder nicht; zumindest dann nicht, wenn diese Änderungen nur von Zeit zu Zeit, jedenfalls nicht kontinuierlich erfolgen. Dann liegt es nahe, den Wettbewerb von seinem Ergebnis,
Einführung
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nämlich vom Endzustand der optimalen Allokation, her zu beurteilen und somit vom Wettbewerb als Prozeß abzusehen. In methodischer Hinsicht ermöglicht es dieses Vorgehen, sich auf die Gleichgewichtsbetrachtung zu stützen. Zugleich wird die historische Zeit aus der Analyse verbannt. Hebt man hingegen hervor, daß gerade durch Wettbewerb neue und überlegene Methoden der Nutzung von Produktionsfaktoren geschaffen werden, so wird neues Wissen als endogen aufgefaßt. Dies bedeutet aber, daß man bei der Analyse des Wettbewerbs von diesem neuen Wissen nicht absehen kann, da es dann sozusagen ständig auf den Plan tritt. Damit aber wird es unzweckmäßig, die Frage nach der optimalen Allokation in den Vordergrund zu stellen, weil der Prozeß das Ansteuern einer solchen durch die ständige Produktion neuen Wissens immer wieder stört. Ob ein solcher statischer Optimalzustand angenähert wird, wird außerdem zu einer zweitrangigen Frage, weil es viel wichtiger ist, ob und wie neues und überlegenes Wissen entsteht und verbreitet wird. Damit verliert die Gleichgewichtsbetrachtung aber viel von ihrer Attraktivität. Außerdem kommt die historische Zeit ins Spiel, also die Zeit, in welcher sich der Wettbewerbsprozeß konkret vollzieht. Die Analyse muß hier prozeß- statt gleichgewichtsorientiert sein. (3) Bekanntlich hat man in der Wettbewerbstheorie lange Zeit den Allokationsaspekt (im Sinne eines Optimalzustandes) in den Vordergrund gerückt, und zwar in der Theorie der vollkommenen Konkurrenz und in der klassischen Preistheorie. Letztere stellt gewiß eine Verallgemeinerung im Vergleich zur Theorie der vollkommenen Konkurrenz dar, fußt aber ebenso auf der Annahme exogen bestimmten Wissens und ist daher methodisch ebenfalls Gleichgewichtsanalyse. Die Innovationsfunktion hingegen stellt Schumpeter in den Mittelpunkt und wird damit zum Vater der evolutionären Wettbewerbstheorie. In dieser Sicht wird der Wettbewerb als ein gleichgewichtsfernes Geschehen unter Ungewißheit aufgefaßt. Zwischen diesen beiden extremen Varianten des theoretischen Ansetzens gibt es eine Reihe von Zwischenformen, in denen z.B. bestimmte Faktoren, die im Prozeß durchaus veränderlich sind - wie beispielsweise die Anzahl der Marktteilnehmer oder die Marktformen -, als konstant vorausgesetzt werden, also teils preistheoretisch-gleichgewichtsorientiert, teils prozeßorientiert sind. Wenn auch der Preistheorie und den "Zwischenformen" ihre Verdienste im Erkenntnisfortschritt nicht abgesprochen werden sollen - der Fehler lag hier eher in der voreiligen praktischen Anwendung bei Nichtbeachtung der Komplexität des Wettbewerbs -, so spricht aus der gegenwärtigen Perspektive doch alles für die Überlegenheit der Theorie des evolutionären Wettbewerbs. Das sei im folgenden kurz begründet. Zunächst erscheint es wichtig, eine wesentliche Schwäche der allokationsorientierten Theorien festzuhalten. Weil sie dem "Neuen" in seinen verschiedenen Erscheinungsformen keinen adäquaten Stellenwert einräumen, sind sie nicht in der Lage, die für Wettbewerbsprozesse so zentrale Kategorie der Ungewißheit zu erfassen. Es ist die endzustands- oder gleichgewichtsorientierte Betrachtungsweise, die ihnen hierzu den Weg verbaut. So kann allenfalls stochastisch faßbare, aber eben nicht echte Ungewißheit berücksichtigt werden. Läßt man hingegen zu, daß "Neues" im Wettbewerbsprozeß endogen hervorgebracht wird, so wird deutlich, daß das Argumentieren mit Optimalzu-
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Karl von Delhaes,
Ulrich Fehl
ständen im statischen Sinne nicht mehr haltbar ist, wenn eine Vielzahl von kreativen Subjekten gegeben ist und damit echte Ungewißheit ins Spiel kommt. Dies muß zwangsläufig die perfekte Koordination im Sinne einer statisch aufgefaßten Optimalallokation verhindern. Um dies zu zeigen, sei ein kurzer Rückgriff auf das Robinson-Modell erlaubt. Wenngleich auch im Robinson-Fall die Ziele um die vorhandenen Mittel gleichsam "konkurrieren", so kann dennoch von Wettbewerb keine Rede sein, weil es an der interaktiven Beziehung zwischen verschiedenen Wirtschaftssubjekten mangelt. Das Problem der Allokation wird Robinson bei rationalem Verhalten in der Weise meistern, daß er den gewünschten Zielen die entsprechenden Mittel nach einem einheitlichen Gesamtplan zuordnet. Er stellt - mit anderen Worten - ein Gesamtgleichgewicht her. Auch im Falle Robinsons können gewisse Unsicherheiten ins Spiel kommen, weil er sich hinsichtlich der ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen und Fertigkeiten irren kann. Von ganz anderer Art sind jedoch die Unsicherheiten, die bei gesellschaftlicher Produktionsweise ins Spiel kommen. Letztere erfolgt in aller Regel in hohem Maße arbeitsteilig, so daß neben dem soeben skizzierten Allokationsproblem, vor dem auch Robinson steht, zusätzlich die Schwierigkeit der Koordination von Wirtschaftssubjekten ins Spiel kommt, das für Robinson eben noch nicht existiert.1 Nun ist grundsätzlich mit dem Auftreten von Arbeitsteilung noch nicht unbedingt Wettbewerb impliziert. Dieser bleibt so lange außen vor, wie die Arbeitsteilung in der Weise organisiert wird, daß keine parallelen Aktivitäten von Wirtschaftssubjekten auftreten. Kommen diese jedoch in einzelnen oder allen Bereichen ins Spiel, so ist zumindest die Chance2 für Wettbewerb gegeben und insoweit sie realisiert wird, tritt augenblicklich interaktive Ungewißheit auf den Plan.3 Die im statischen Sinne optimale Zuordnung von Mitteln auf Zwecke und Personen im Sinne eines allgemeinen Gleichgewichtszustandes wird durch die interaktiv bedingte Ungewißheit zumindest dann unmöglich gemacht, wenn die Begabung der Menschen für "Neues" vorausgesetzt wird. Damit zeigt sich noch einmal, daß das im statischen Sinne aufgefaßte Gleichgewicht und der Wettbewerbsprozeß in einer Spannungsbeziehung zueinander stehen. Des weiteren ist zu beachten, daß die moderne Interpretation der Welt durchgängig vom Evolutionsgedanken bestimmt ist, und zwar bezüglich der unbelebten, der belebten 1
Es ist dieses Koordinationsproblem, das Marx unterschätzt hat, wenn er feststellt: "Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte sebstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben. Alle Bestimmungen von Robinsons Arbeit wiederholen sich hier, nur gesellschaftlich statt individuell." ( M a r x 1960, S. 84). Marx stellt hier bekanntlich gerade nicht auf Marktkoordination ab, hat also eine Variante der (optimalen) Allokation im Auge.
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Eine solche "Chance" wird nicht realisiert, wenn es zu einer Abstimmung zwischen den beteiligten Wirtschaftssubjekte, z.B. in Form eines Kartells, kommt. "Voraussetzung für das Auftreten marktlicher Wettbewerbsprozesse ist eine Mehrzahl selbständig Handelnder, die mittels eines wenigstens teilweise gemeinsamen Bestandes von Aktionsparametern unter einem Mindestmaß an Unsicherheit nach gleichartigen Zielen oder Zwischenzielen streben, wobei der Erfolg des einen die Erfolgsmöglichkeiten der übrigen beeinflußt." ( von Delhaes 1987, S. 551).
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Einführung
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und der gesellschaftlichen Sphäre (o.V., NZZ 1994). Daraus ergibt sich, daß der Mensch als ein Produkt dieses langen Evolutionsprozesses sich sozusagen auf den evolutionären Charakter der Welt "eingestellt" hat. Neuere Erkenntnisse sprechen dafür, daß der gesamte Erkenntnis- und Denkapparat des Menschen als Folge der Interaktion mit der Umwelt so beschaffen ist, daß er gleichsam für Neuerungen prädestiniert ist. So scheint der Erkenntnisapparat des Menschen von der Art zu sein, daß er immer wieder neue Interpretationen der Wirklichkeit liefert oder - wenn man dies verallgemeinert - durch "kognitive Kreation" ständig neue Lösungsalternativen anbietet (vgl. Hesse 1990). Daraus aber folgt sofort, daß die Aktivitäten der Wirtschaftssubjekte, die zueinander in Wettbewerb treten, für die jeweils anderen immer von Überraschungen geprägt sein können. Mit anderen Worten, die Akteure speisen beständig neue Ideen in den Marktprozeß ein. Letztere müssen den alten Ideen nicht immer überlegen sein in dem Sinne, daß sie zu besseren Lösungsstrategien führen. Das muß und kann erst durch Versuch und Irrtum herausgefunden werden. Gerade dieses Einspeisen von Neuerungen und deren Überprüfung im Marktprozeß führen aber genau zu dem, was von Hayek mit "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" bezeichnet hat. Wettbewerb wird als ein wissensverwertender und damit letztlich auch als wissenschaffender Prozeß interpretiert. Dieser Prozeß kann mit den Mitteln der Gleichgewichtsökonomik nur schwer erfaßt werden, weil diese das Wissen der Beteiligten zu einer konstanten Größe, zu einem Datum, machen muß, um die von ihr anvisierten Gleichgewichtszustände überhaupt aufweisen zu können. Wenn aber in Form einer anthropologischen Konstante davon auszugehen ist, daß der Mensch dazu neigt, ständig neue Ideen in den Marktprozeß einzuspeisen, dann erscheint dieses "Anhalten" in der Wissenserzeugung nicht mehr als eine adäquate Vorgehensweise. (4) Die ältere Variante der Markttheorie wird, wie oben bereits angedeutet, auch als Preistheorie bezeichnet. Darin wird sinnfällig, daß man sich ursprünglich primär um die Rolle der Preise im Marktgeschehen Gedanken machte. Wenn man sich aber, wovon auszugehen ist, nicht nur hinsichtlich der Preisstrategien Neues einfallen lassen kann, sondern grundsätzlich für alle Aktionsparameter, also im Hinblick auf Produktgestaltung, Werbung, Kapazität, Qualität, Service, Forschung und Entwicklung usw., so wird erst richtig einsichtig, wie stark sich das Bild von Wettbewerb wandeln muß, wenn man diesen als einen wissenschaffenden und wissensverwertenden Prozeß interpretiert. Preistheoretische oder preistheoretisch orientierte Modelle, die solche anderen Aktionsparameter ganz oder teilweise als konstant voraussetzen und damit aus der Analyse ausklammern, obwohl sie im Prozeß tatsächlich ständig bewegt werden, reichen dann eben nicht mehr zur Erfassung von Wettbewerbsprozessen aus, weil entscheidende Triebkräfte des Entdeckungsverfahrens "Wettbewerb" auf der Strecke bleiben. Wenn es auch unbestreitbar ist, daß durch eine zweckmäßige Allokation einerseits und durch Arbeitsteilung andererseits die Knappheit gemindert werden kann, so tritt doch mit der Betonung des Wettbewerbs als eines wissenschaffenden und wissensverwertenden Prozesses, der durch Neuerungen vorangetrieben wird, gerade diese Wissensschaffung als die entscheidende Knappheitsminderungsstrategie in den Vordergrund. Die Funktionsweise dieses durch Wettbewerb angetriebenen, anhaltenden
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Wissensschaffungsprozesses kann indessen nur dann richtig verstanden werden, wenn man nicht nur die Neuerungsaktivität, sondern auch das Nachahmungsverhalten in Rechnung stellt, also neben die Innovation die Imitation stellt. Gerade die Imitation ist es aber, die zur Verbreitung von Wissen im Marktsystem beiträgt. Bei der Imitation kann es um die schlichte Replikation gehen, doch darf nicht übersehen werden, daß eine vermeintliche Reproduktion infolge Irrtums durchaus bereits Varianten hervorbringen kann. Darüber hinaus wird der Imitator oft nicht eine schlichte Kopie der Aktivitäten des Innovators, sondern gleichzeitig eine Verbesserung derselben anstreben. So kommt in aller Regel ein Überflügelungsverhalten ins Spiel: Der Wettbewerbsdruck erzeugt damit durch das Zusammenspiel von Innovation und Imitation eine anhaltende Motivation, neues Wissen zu suchen mit der Intention, ein prozessuales Monopol aufzubauen, wodurch jedoch objektiv Knappheiten reduziert werden. Der Wettbewerbsprozeß zeichnet sich deshalb nicht nur als ein Verfahren aus, das durch Versuch und Irrtum bestimmt ist, sondern auch durch Vorstoßen (des Innovators) und Nachstoßen (des Imitators), wobei letzteres die Erfahrungen des Innovators bereits in Rechnung stellen kann. Damit kommt die zeitliche Charakteristik von Wettbewerbsprozessen als wichtiges Kennzeichen ins Visier. Bekanntlich war es Schumpeter, der dieses Zusammenspiel der Akteure in der Zeit als erster gründlich analysiert hat, so daß die seine Theorie und deren weitere Entwicklung in der neueren Innovationstheorie als integrale Bestandteile einer Theorie des evolutionären Wettbewerbs anzusehen sind. (5) Die Schumpetersche Theorie und ihre Weiterentwicklungen stellen indes nur einen Bestandteil der Theorie des evolutionären Wettbewerbs dar. Wie bereits mit der Bezeichnung "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" angedeutet worden ist, muß als ein weiterer integraler Bestandteil dieser Theorie das Gedankengut der Österreichischen Schule betrachtet werden. Es hebt auf den Marktprozeß, also auf Gleichgewichtsfeme und auf die Subjektivität von Präferenzen, Perzeptionen und Erwartungen ab. Mit der Herausstellung der Subjektivität kommen aber Kategorien wie Verschiedenartigkeit (Heterogenität) und Vielfalt ins Spiel. Gerade letztere sind im Prozeß der Wissensschaffung von besonderer Bedeutung, weil sie unterschiedlich geprägte Parallelprozesse des Vor- und Nachstoßens, von Versuch und Irrtum, erlauben. Zusammen mit dem Wettbewerbsdruck, der aus Innovation und Imitation resultiert, werden durch Verschiedenartigkeit dem Knappheitsminderungsverfahren Wettbewerb wichtige Dimensionen erschlossen, die auch auf der theoretischen Ebene zu berücksichtigen sind. Nun hebt aber bekanntlich von Hayek den Wettbewerb nicht nur als Entdeckungsverfahren hervor, sondern betont in der Nachfolge der Klassiker, insbesondere von Adam Smith, daß dieser Wettbewerbsprozeß nur innerhalb eines bestimmten Systems von allgemeinen, abstrakten und für unbestimmte Zeit gültigen Regeln ablaufen kann. Dieses Regelsystem ist nach von Hayeks Auffassung selbst das Ergebnis eines evolutorischen Prozesses, der sich allerdings einer vollständigen, rationalen Rekonstruktion entzieht. Es sind diese rechtlichen und moralischen Regeln, welche den Wirtschaftssubjekten überhaupt erst Anhaltspunkte für ihr Verhalten geben, weil diese Regeln für den einzelnen Komplexität reduzieren, das heißt, bestimmte Verhaltenserwartungen möglich machen. Dadurch werden gleichsam Wegweiser aufgestellt, ohne daß die oben betonte Ungewißheit, die typisch für Marktprozesse und notwendig für Wettbewerb ist, dadurch
Einführung
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grundsätzlich beseitigt würde.4 Man kann dies auch so ausdrücken, daß die Österreicher, insbesondere aber von Hayek, die Institutionen, welche Voraussetzung für den Ablauf von Wettbewerbsprozessen sind, von vornherein mit in die Analyse einbringen und sich damit deutlich von der herkömmlichen Preistheorie oder der auf ihr fußenden Wettbewerbstheorie absetzen, die solche Institutionen weitgehend ignoriert hat (siehe hierzu beispielsweise Jorde und Teece 1991). Die Berücksichtigung von Regelsystemen oder ganz allgemein von Institutionen bedeutet zugleich, die jeweiligen Handlungsrechte der Wirtschaftssubjekte im Wettbewerbsgeschehen als bedeutsam herauszustellen. Mit den Handlungsrechten wird nämlich festgelegt, welche Handlungen die Wirtschaftssubjekte vornehmen dürfen, das heißt, welcher Einsatz der Aktionsparameter zulässig ist und welcher nicht. Mit der Fixierung der Handlungsrechte wird es dann möglich, den Wettbewerbsprozeß in bestimmter Weise wettbewerbspolitisch zu kanalisieren, ohne daß auf eine essentialistische Definition dessen, was Wettbewerb ausmachen solle, zurückgegriffen werden muß. Mit anderen Worten, sind die Handlungsrechte wohl definiert, sind zugleich die Selektionskriterien für Handlungen in diesem Prozeß gegeben, und es läuft der Wettbewerbsprozeß gleichsam relativ zu diesen wettbewerblichen Regeln ab. Dies bedeutet, daß der Wettbewerbsprozeß je nach den vorgegebenen Regelsystemen unterschiedlich ablaufen kann und wird. (6) Handlungsrechte spielen aber nicht nur im Rahmen der positiven Analyse von Wettbewerbsprozessen eine wichtige Rolle, die gerade in letzter Zeit zunehmende Beachtung findet, sondern auch in normativer Hinsicht. Die normative Festlegung von Regeln und ihre Zusammenfügung zu ganzen Regelsystemen führen zu sogenannten wirtschaftspolitischen Konzeptionen. Hierbei geht es um ein wichtiges Gebiet der praktischen Wettbewerbspolitik, denn bei der Ausarbeitung von Wettbewerbskonzeptionen kommt es nicht nur auf Werturteile an, auf denen die Normen fußen können, es müssen diese auch hinsichtlich ihrer Wirkungen bedacht werden, das heißt, es sind auch die Erkenntnisse positiver Wettbewerbsökonomik zu berücksichtigen.
1.2. Wettbewerb als wissenschaffender Prozeß: Innovationen, Wissen und Institutionen (7) Insgesamt läßt sich aus den vorstehenden Bemerkungen der Schluß ziehen, daß Innovationen, Wissen und Institutionen gegenwärtig im Zentrum der wettbewerbstheoretischen Auseinandersetzung stehen. Bezüglich der Innovation ist dies insofern nicht überraschend, als sie seit Schumpeter immer wieder als die entscheidende Triebkraft des Wettbewerbsprozesses hervorgehoben worden ist. Hier sei nur, stellvertretend für viele, an Clarks Konzeption der Workable Competition, im deutschen Sprachgebiet an die Arbeiten von Arndt und Heuß, aber auch an die Fortschrittsfunktion des Wettbewerbs im System von Kantzenbach erinnert. Jochen Röpke hebt die Bedeutung der Neuerungsaktivität für wettbewerbliche Prozesse bereits mit seinem Buchtitel "Zur Strategie der Innovation" deutlich hervor. Dennoch ist in den neueren Arbeiten gegenüber der
Bekanntlich werden die Regeln negativ formuliert, d.h., sie verbieten bestimmtes Verhalten.
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früheren Literatur eine deutliche Akzentverschiebung festzustellen, wobei dies allerdings für die angefühlten Autoren in unterschiedlichem Maße zutrifft. In den früheren Arbeiten zum Innovations- und Wettbewerbsprozeß steht die Schumpeter-Dynamik des Vorstoßens von Pionierunternehmern und des Nachstoßens von Imitatoren in ihrer zeitlichen Charakteristik im Zentrum der Analyse. Primäre Frage ist hier, von welchen Voraussetzungen es abhängt, ob dieser Prozeß in Gang kommt oder bleibt, welche Wirkungen sich daraus für die Marktstruktur oder die Verhaltensweisen ergeben und schließlich, zu welchen Marktergebnissen es dabei kommt. Auch die Fragen von Freiheit und Macht werden eingehend diskutiert. Die allgemeine Markttheorie von Ernst Heuß kann als klassisches Beispiel für diese Art der Analyse angesehen werden. Nun ist der gesamte Neuerungsprozeß aufs engste mit der Erzeugung, Verarbeitung und Übertragung von neuem Wissen verschwistert. Es ist daher nur folgerichtig, daß Innovationsprozesse verstärkt auch unter diesem Wissensaspekt analysiert werden. Insofern hat sich durchaus zu Recht eine Verschiebung der wettbewerbstheoretischen Fragestellung ergeben, doch sollte man sich klar bewußt sein, daß diese Verschiebung des Interesses keineswegs bedeutet, daß die früheren Untersuchungen zum SchumpeterProzeß bedeutungslos würden. Sie werden durch die stärkere Berücksichtigung des Wissens lediglich in einen umfassenderen Argumentationszusammenhang gestellt. Im Grunde sind es zwei Anstöße, die zu dieser Entwicklung geführt haben. So ist zunächst von Hayeks klassischer Aufsatz "Die Verwertung von Wissen in der Gesellschaft" (1945, hier 1976) zu nennen. Bekanntlich ging es von Hayek darum, die besonderen Umstände von Ort und Zeit hervorzuheben, die in einem marktwirtschaftlichen Koordinationsprozeß von erheblicher Bedeutung sind, die aber in einem rein preistheoretischen Analyserahmen nicht adäquat erfaßt werden können. Von Hayek hebt hervor, daß es auf sogenanntes Überlappungswissen ankommt, das heißt, es sei zwar nicht notwendig, daß alle Wirtschaftssubjekte über alles informiert sind; damit jedoch Wissen um die besonderen Umstände von Ort und Zeit fruchtbar gemacht werden könne, müsse es zumindest eine Art Interaktionskette geben, die durch Überlappungswissen Informationen in das marktliche System einspeist und weiterleitet. Nun hat sich von Hayek in seinen frühen Arbeiten zwar in erster Linie auf Informationen über Preise oder Verfügbarkeiten von Gütern und Dienstleistungen konzentriert, doch gilt die gleiche Argumentation a fortiori für technisches und organisatorisches Wissen. Auch hier kommt es auf eine Überlappung von Kenntnissen an, oder anders gewendet, damit die abgebende Stelle Wissen übertragen kann, muß die übernehmende Stelle sozusagen über ein Anschlußwissen verfügen, um insbesondere technische Neuerungen adäquat verwerten zu können. Durch diese Ausweitung der relevanten Wissenskategorien wird der von Hayeksche "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" erst zu einem wahrhaft wissenschaffenden Prozeß. Es liegt auf der Hand, daß die Analyse dieser Art von Wettbewerbsprozessen wesentlich komplexer ist als die Untersuchung desjenigen Prozesses, in dem primär auf Preisinformationen abgehoben wird. Es überrascht daher nicht, daß die Analyse solch schwieriger Vorgänge noch keineswegs befriedigend oder gar abgeschlossen ist. Der zweite Anstoß, der zur Ausweitung des Analysegegenstandes geführt hat, kommt eher von der empirischen Seite. So ist in den vergangenen Jahren eine Fülle von Material bereitgestellt worden, aus dem im einzelnen hervorgeht, wie sich in der Vergangen-
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heit und in der Gegenwart die Kreation neuen Wissens, dessen Verarbeitung und dessen Übertragung vollzogen haben. Dies ist in zahlreichen Fallstudien dokumentiert, und zwar in bezug auf einzelne Erfindungen, deren Umsetzung und Diffusion, aber auch soweit es um ganze Innovationssysteme in verschiedenen Volkswirtschaften geht. (8) Die Erzeugung neuen Wissens stellt sich ähnlich wie die Güterproduktion als ein arbeitsteiliger Prozeß dar. Die damit angesprochene Wissensteilung erheischt aber, wie soeben angedeutet, entsprechende Koordinationsleistungen. Hier kommen nun auch die Institutionen ins Spiel, und zwar sowohl die äußeren Institutionen wie die inneren Institutionen im Sinne Ludwig Lachmanns. In diesem Kontext sind nochmals die rechtlichen und moralischen Spielregeln anzuführen, doch sind diese allein keineswegs hinreichend. Von Belang sind auch die Arbeitsteilung zwischen dem Produktions-, dem Bildungs-, dem Forschungs- und dem Finanzsystem einer Gesellschaft sowie die Art und Weise, in der diese Systeme miteinander kommunizieren. So kann es beispielsweise für Innovationen und durch diese getragene Wettbewerbsprozesse von erheblicher Bedeutung sein, ob die Arbeitskräfte eine breite und allgemeine berufliche Ausbildung erhalten oder der Erwerb von Fertigkeiten erst im Betrieb erfolgt, was wiederum nicht ohne Auswirkung auf die Art der erforderlichen Organisation in der Unternehmung sein wird. Ein ähnlicher Zusammenhang besteht im Hinblick auf die Art der Arbeitsteilung zwischen Staat und Unternehmungen, wenn es um die Produktion von Grundlagenwissen geht. Hier wird insbesondere die zeitliche Charakteristik von Schumpeter-Prozessen betroffen sein, was nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Aneignungsbedingungen zurückgeht, die durch die jeweiligen alternativen institutionellen Lösungen bedingt sind. Die je unterschiedliche Verzahnung von Produktions-, Bildungs-, Forschungs- und Finanzsystem in einer Gesellschaft kann dazu führen, daß es, wie sich dann im internationalen Wettbewerb zeigt, zur Überlegenheit oder Unterlegenheit bei bestimmten Produktionsprozessen kommt. Wettbewerbspolitiker, die einem etwaigen Rückstand abzuhelfen versuchen und auf eine Strategie aus sind, die Unternehmen im eigenen Land entsprechend zu fördern, setzen dann oft zu kurzschlüssig nur an einem Teilbereich des Gesamtsystems an, ohne die Vernetzung mit den anderen Teilsystemen entsprechend zu berücksichtigen. Aber selbst dann, wenn man eine solche Kurzschlüssigkeit vermeiden kann, ist es schwierig, die Art und Weise, in der die genannten Teilsysteme der Gesellschaft verkoppelt sind, ohne weiteres zu ändern. Abgesehen davon, daß diese meist nicht einer bewußten Gestaltung entspringen, haben sich in aller Regel die Verhaltensweisen auf das jeweils überlieferte System eingestellt. Mit anderen Worten, die Art der Wissensentwicklung ist historisch geprägt, es liegt eine Pfadabhängigkeit vor. Dieser Sachverhalt ist auch für die weiter unten diskutierte Konkurrenz von Institutionen beachtlich. (9) Aus dem Gesagten erhellt, daß sich die neben dem Markt wohl wichtigste Institution des Wettbewerbs, nämlich die Unternehmung, an ein ganzes Geflecht institutioneller Regelungen anpassen muß, um im Markt überleben zu können. Umgekehrt ist es von höchster Relevanz, wie die Unternehmung mit ihrer je verschiedenen Organisation der intern ablaufenden Produktions- und Wissensschaffungsprozesse in den Markt hineinwirkt. Beide Aspekte sind in den vergangenen Jahren sowohl theoretisch als auch empirisch gründlich erforscht worden. So dürfte die Theorie der Unternehmung zu den
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Gebieten gehören, die sich in den letzten Jahren am stärksten entwickelt haben. Dies geht nicht zuletzt auf die Arbeiten von Coase und Williamson zurück. Beide Autoren haben versucht, die Existenz und die Reichweite, sprich die Grenzen der Unternehmung, auf der Basis von Transaktionskostenüberlegungen zu bestimmen. Als Konsequenz der intensiven Forschung auf diesem Gebiet zeigt sich gegenwärtig allerdings der Niedergang des transaktionskostenorientierten Paradigmas. Immer deutlicher rücken Wissensproduktion und Wissensverwertung in den Vordergrund, wenn es darum geht, unternehmerische Organisationsprozesse und unternehmerisches Verhalten zu erklären. 5 Rückt man den Wissensaspekt in das Zentrum der Theorie der Unternehmung, so werden neben den Kosten nicht nur zusätzlich die Erträge berücksichtigt, also Gewinnüberlegungen zum Angelpunkt der Erklärung gemacht, sondern es entsteht auch eine Theorie, die den evolutorischen Bedingungen des Markt- und Wettbewerbsprozesses angepaßt ist. Dies gilt sowohl für die Interpretation der Abläufe innerhalb einer Unternehmung, als auch für deren Verhalten im Markt. Erzeugung und Anwendung von Wissen sind nicht kostenlos. Beides zwingt zum Ökonomisieren, ganz gleichgültig, ob sich dieses Wissen auf Präferenzen, Produkte, Verfahren oder Organisationsmethoden bezieht. Bezüglich der Unternehmensorganisation bedeutet dies, daß diejenigen Stellen festgelegt werden müssen, an denen Wissen entsteht, wo also gelernt wird und wo man das so gelernte Wissen über Routinen für andere verfügbar machen kann. Damit eröffnen sich für die Interpretation der Vorgänge, die in einem Unternehmen organisatorisch ablaufen, völlig neue Perspektiven, auf die hier naturgemäß im einzelnen nicht eingegangen werden kann. 6 Was das Marktverhalten der Unternehmung betrifft, so kommt nun das ins Spiel, was oben als Überlappungswissen im Verhältnis zweier aufeinanderfolgender Marktstufen angeführt worden ist. Damit wird die Unternehmensgrenze im Prinzip dort verlaufen, wo unter Berücksichtigung der Aneignungsbedingungen Wissen relativ problemlos übertragen werden kann. Auch diese Zusammenhänge können hier nicht im einzelnen erörtert werden. Es sei jedoch vermerkt, daß unter Bezugnahme auf das technische und organisatorische Wissen die horizontalen und vertikalen Unternehmensgrenzen jedenfalls grundsätzlich theoretisch bestimmt werden können, was unter anderem neues Licht auch auf die Frage der vertikalen Integration einerseits und der unternehmerischen Kooperationen andererseits wirft.
1.3. Wettbewerb als Marktstufen übergreifender Prozeß (10) Berücksichtigt man, daß Innovationsprozesse in der Regel mehrere, hintereinander liegende Marktstufen gleichzeitig berühren, so zeigt sich, daß die damit gegebene Arbeits- und Wissensteilung nur dann wieder zu einem Ganzen werden kann, wenn die getrennten Aktivitäten aufeinander bezogen werden. Hier setzt die Vorstellung v o m technologisch-ökonomischen Paradigma an. Bezüglich dieses Paradigmas gilt sozusagen im Kleinen, das heißt über mehrere Marktstufen hinweg, das Gleiche, wovon oben Vgl. in diesem Zusammenhang den Beitrag von C. Schreiter in diesem Band. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, daß sich von hier aus bestimmte Bezüge zur Theorie von Nelson und Winter (1982) einerseits und zu den Auffassungen Chandlers (1990) andererseits ergeben.
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im Großen die Rede war, als es um die Vernetzung des Produktions-, des Bildungs-, des Forschungs- und Finanzsystems ging. Ein gleichgerichtetes Interpretations-, Sprach- und Bewertungssystem grenzt gleichsam für die aufeinander folgenden Branchen die Möglichkeitsbereiche ein, so daß eine gewisse Koordination sichergestellt wird. Auch hier liegt im Prinzip wieder eine Art der Pfadabhängigkeit vor. Dabei kann es durchaus vorkommen, daß selbst das technologisch-ökonomische Paradigma für sich genommen keine ausreichende Abstimmung liefert, sondern eine sogenannte Innovationsführerschaft über die Stufen hinweg hinzukommen muß (Kerber 1989, S. 238). (11) Wenn oben von der je spezifischen Verzahnung der Subsysteme - Produktions-, Bildungs-, Forschungs- und Finanzsystem - die Rede war, so ist damit im Prinzip auch der Zusammenhang zwischen den Güter- und den Faktormärkten angesprochen. Es liegt somit eine verkürzte Betrachtungsweise vor, wenn man sich, wie es in der traditionellen Wettbewerbstheorie oft geschieht, auf die Untersuchung der Wettbewerbsprozesse auf einem einzelnen Gütermarkt konzentriert oder zwei aufeinander folgende Gütermarktstufen in der Analyse verbindet. Der Schumpetersche Bewegungsprozeß von vor- und nachstoßendem Wettbewerb kann offenbar dann nicht vollständig von seinen Voraussetzungen her erfaßt werden, wenn man die zwischen Güter- und Faktormärkten bestehenden Beziehungen außer acht läßt. Es sind daher die Beziehungen, die zwischen den Arbeits- und Kapitalmärkten einerseits und den Gütermärkten andererseits bestehen, in die Betrachtung zu integrieren. In Ansätzen ist dies teils in der sogenannten Deregulierungsdebatte geschehen, aber noch nicht systematisch in der Wettbewerbstheorie verankert worden. Daß ein Zusammenhang zwischen der Bildung von Humanvermögen und dem Wettbewerb auf den Gütermärkten besteht, läßt sich leicht erkennen. Will etwa ein Schumpeterscb&r Pionierunternehmer einen Vorstoß machen, so kann er dies nur, wenn er auf entsprechend ausgebildete Arbeitskräfte, die mit der Neuerung umgehen können, zurückgreifen kann. Nun wird der Innovator im allgemeinen dadurch, daß in seinem Unternehmen das neue Wissen produziert und angeeignet, also gelernt wird, automatisch zur Bildung von Humanvermögen beitragen. Bildung und Verwendung von Humanvermögen fällt dann gleichsam als Kuppelprodukt des wettbewerblichen Prozesses auf dem Gütermarkt an. Es wird aber im allgemeinen die Bildung dieses Humanvermögens erleichtert, wenn die Arbeitskraft bereits bei ihrer Einstellung über einen Fundus an Fähigkeiten verfügt. Damit ist das Bildungssystem angesprochen. Die soeben aufgezeigte Beziehung zwischen dem Wettbewerb auf dem Gütermarkt und dem Bildungssystem bzw. dem Arbeitsmarkt gilt auch in bezug auf den imitatorischen Akt des Wettbewerbsprozesses. Sollen prozessuale Monopolstellungen nicht über Gebühr zeitlich ausgedehnt werden, bedarf es des nachstoßenden Wettbewerbs. Da hierzu aber wieder entsprechendes Wissen notwendig ist, bedeutet dies, daß der Imitator in der Lage sein muß, nicht nur das Wissen selbst in Erfahrung zu bringen, sondern es auch seinen Arbeitskräften zu vermitteln. Nur dann aber, wenn auch der Imitator auf entsprechend ausgebildete Arbeitskräfte zurückgreifen kann - diese also hinreichend schnell mit dem neuen Wissen vertraut gemacht werden können -, wird ein die Monopolstellung grundsätzlich bedrohender Wettbewerbsprozeß auf dem Gütermarkt ablaufen können. Es zeigt sich also, daß bestimmte Voraussetzungen für den Wettbewerb auf den Gütermärkten
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vom Bildungssystem sichergestellt werden müssen, weil nur dann ein entsprechend reichhaltiger Arbeitsmarkt gegeben ist. Bedenkt man, daß die Anforderungen seitens der Unternehmungen auf den verschiedenen Märkten recht unterschiedlich sein werden, ergibt sich hieraus ein erhebliches Problem bezüglich der inhaltlichen Gestaltung des Humanvermögensprofils über den gesamten Arbeitsmarkt hinweg. Auch hier sollte man auf die spontanen Kräfte des Wettbewerbs setzen, weil die Wirtschaftssubjekte je nach unterschiedlichen Begabungen, Einschätzungen und Erwartungen unterschiedliche Arten von Humanvermögen aufbauen werden. (12) Wichtig ist auch ein weiterer Zusammenhang zwischen den Gütermärkten und dem Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt des Humanvermögens. So kommt es entscheidend darauf an, daß die Anreize zur Bildung und auch zur Nutzung von Humanvermögen richtig gesetzt werden. Werden beispielsweise durch die Tarifvertragsparteien die Lohnsätze auf zu hohem Niveau vereinbart, so mindert oder verhindert die dadurch ausgelöste Arbeitslosigkeit die Nutzung von Humanvermögen. Es sinkt dann nicht nur der Wert des betreffenden Humanvermögens, sondern es nimmt unter Umständen auch die Motivation ab, entsprechende Veränderungen im Humanvermögensaufbau vorzunehmen. Weiterhin wird verhindert, daß Unternehmen auf den Gütermärkten in die Lage versetzt werden, auf billigere Arbeitskräfte zurückgreifen zu können, wodurch der Wettbewerbsprozeß auf den Gütermärkten eindeutig vermindert wird. Ganz analog können sich bestimmte Bestimmungen des Arbeitsrechtes und des Tarifrechtes auswirken. Umgekehrt steigt die Chance für die Nutzung bereits bestehender und für den Aufbau neuer Potentiale von Humanvermögen, wenn auf den Gütermärkten Wettbewerb existiert, weil dies zur Vielfalt und tendenziell auch zur Qualitätssteigerung und damit zur Attraktivität von Arbeitsplätzen beiträgt. Dem Zusammenspiel von Bildungssystem, Arbeitsmarkt und Wettbewerb auf den Gütermärkten ist folglich in der Wettbewerbstheorie ein zentraler Platz einzuräumen. (13) Der Wettbewerb auf den Gütermärkten wird aber nicht nur vom Arbeitsmarkt, sondern in gleicher Weise auch vom Kapitalmarkt beeinflußt, denn der Spielraum zum wettbewerblichen Vor- oder Nachstoß wird entscheidend von der Möglichkeit zur Kapitalbeschaffung geprägt, und zwar gleichgültig, ob es um die Beschaffung von Eigenoder Fremdkapital geht.7 Die institutionelle Ausgestaltung des Kapitalmarktes, wozu im weiteren Sinne auch das Bankensystem gehört, wird somit zu einem Schlüsselfaktor der auf den Gütermärkten ablaufenden Wettbewerbsprozesse. Auch in diesem Kontext spielen Innovationen und Wissen eine zentrale Rolle. Wie bereits wiederholt hervorgehoben worden ist, implizieren Neuerungsprozesse notwendig Ungewißheit, woraus auch bei der Kapitalhergabe Bewertungsprobleme resultieren. Diese Unsicherheit kann nur durch Versuch und Irrtum bewältigt werden. Hierzu ist es aber unabdingbar, daß auf den Gütermärkten Heterogenität vorliegt und unterschiedliche Versuche, also Vorstöße unterschiedlicher Art, unternommen werden können. Diese Art der Verschiedenartigkeit darf jedoch von der Kapitalmarktseite her nicht bedroht sein. Gäbe es beispielsweise auf dem Kapitalmarkt ein Monopol für einen Kapitalgeber oder existierte dort ein kartellartiges Arrangement, so bestünde die Gefahr, daß alle Investitionsobjekte einer Branche nach dem gleichen Raster beurteilt würden. Vorstöße in Neuland mit unterHier ist nur an die diesbezüglichen Ausführungen Schumpeters
(1952) zu erinnern.
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schiedlicher Stoßrichtung würden auf diese Weise zumindest weniger wahrscheinlich. Daraus folgt aber, daß die institutionelle Gestaltung des Kapitalmarktes so geartet sein muß, daß Wettbewerb auch dort stattfindet, um nämlich die Wettbewerbskräfte auf den Gütermärkten zu unterstützen. Umgekehrt ist der Wettbewerb auf den Gütermärkten von erheblicher Relevanz für die Akteure auf dem Kapitalmarkt. Die Suche der Wettbewerber auf den Gütermärkten nach besseren Alternativen führt letztlich dazu, daß die Kapitalgeber in der Tendenz eine höhere Rendite erwirtschaften können, weil sie vielfältigere und interessantere Alternativen zur Finanzierung vorfinden als ohne einen solchen Wettbewerb. In diesem Zusammenhang ist weiter zu bedenken, daß die Kapitalgeber und Banken nicht nur die Investitionsobjekte einer Branche beurteilen und vergleichen, sondern über die Branchen hinweg Vergleiche anstellen. Dadurch kommt das ins Spiel, was man als den wa/rarianischen Aspekt des Wettbewerbsprozesses bezeichnen kann. Der Kapitalmarkt stellt in diesem Sinne einen Markt der Märkte dar und kann in seiner Bedeutung für die Wettbewerbsprozesse auf den Gütermärkten kaum überschätzt werden. (14) Für die auf den Gütermärkten ablaufenden Wettbewerbsprozesse ist der Kapitalmarkt indessen noch in anderer Hinsicht bedeutsam, und zwar unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Kapitalmarktkontrolle. Darunter versteht man üblicherweise die Aufpasserfunktion der Akteure auf dem Kapitalmarkt im Hinblick auf das Verhalten der Handelnden auf dem Gütermarkt. Diese Funktion steht in enger Verbindung mit der Hergabe bzw. dem Einsatz von Eigenkapital. Eine erste Variante der Kapitalmarktkontrolle steht damit in engster Beziehung mit der Finanzierungsfunktion als solcher. Kapitalmarktkontrolle kann sich aber auch auf die Ausschüttungspraxis beziehen. Dabei geht es um die Frage, ob die Verfügung über die Gewinne primär in der Hand der Kapitalgeber (die Aktionäre als Publikum) liegen soll oder primär in den Händen der Vorstände der Unternehmen bzw. der Hauptversammlungen. Eine weitere Variante der Kapitalmarktkontrolle liegt vor, wenn es darum geht, ein nicht leistungsfähiges Management auszuwechseln, was nur möglich ist, wenn man zuvor die entsprechende Kapitalmehrheit erwirbt oder gar ein ganzes Unternehmen zunächst aufkauft. Es liegt aber auf der Hand, daß die Wirksamkeit der derart skizzierten Kapitalmarktkontrolle stark von den institutionellen Regelungen abhängt, die wiederum den Spielraum der Kapitalmarktakteure fesüegen. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Unternehmensverfassung. Auch diesen Zusammenhängen gilt es also nachzugehen, wenn man verstehen will, in welcher Weise der Kapitalmarkt für die Wettbewerbsprozesse auf den Gütermärkten relevant wird.
1.4. Wettbewerbsprozesse auf Märkten mit besonderem Regulierungsbedarf (15) Wenn Innovationen, Wissen und Institutionen immer stärker als die entscheidenden Aspekte von Wettbewerbsprozessen in den Vordergrund rücken, so werden hieraus auch neue Sichtweisen und Erkenntnisse für die Analyse einzelner Märkte entstehen. Die daraus resultierenden Hypothesen müssen aber empirisch überprüft werden, wenn die Wettbewerbstheorie als Erfahrungswissenschaft aufgefaßt werden soll. Daraus entspringt die Bedeutung von Marktstudien, die sich auf einzelne Innovationsvorgänge,
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auf einzelne Firmen oder ganze Branchen beziehen, die aber auch wettbewerbsrechtliche Fälle zum Gegenstand haben können. Von besonderem Interesse sind dabei solche Märkte, die seit je als Problemfälle gelten, denn hier müßte sich insbesondere zeigen lassen, daß neue Sichtweisen sich auch praktisch bewähren. Noch aus einem anderen Grunde sind jedoch solche Problemmärkte für die wettbewerbstheoretische Forschung nicht unerheblich: Auf solchen Märkten wird nämlich auch mit institutionellen Regelungen experimentiert, was wiederum neue Erkenntnisse erwarten läßt. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen die Märkte für elektrische Energie, für Arzneimittel und für Versicherungen exemplarisch. Sie besitzen alle ein besonderes Gewicht und weisen jeweils spezifische Besonderheiten auf. Was den Markt für elektrische Energie betrifft, so sind die hier ablaufenden Marktprozesse durch technische Unteilbarkeiten und economies of scale bestimmt. Man hat daraus früher den Schluß gezogen, daß es Gebiets- und Leitungsmonopole geben müsse, um diesen technischen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Diese Monopole waren dann allerdings einer bestimmten Aufsicht unterstellt. In der Wissenschaft haben freilich seit längerem die Zweifel daran zugenommen, ob es sich hierbei um eine zweckmäßige Form der Regulierung handelt, weil diese den Wettbewerb nicht so weit zum Zuge kommen läßt, wie dies nach alternativen Vorschlägen der Fall sein könnte, etwa durch Lockerung der Monopolrechte oder durch "Wettbewerb um den Markt", wenn der "Wettbewerb im Markt" nur eingeschränkt möglich ist. (16) Von gänzlich anderer Art sind die Restriktionen, unter denen die Marktprozesse auf dem Arzneimittelmarkt ablaufen. Hier sind es in erster Linie rechtliche Einschränkungen, die aus der Art und Weise der Regulierung des Gesundheitssystems und des Versicherungswesens resultieren. Dies veranschaulicht nicht nur in höchst interessanter Weise die Bedeutsamkeit rechtlicher Beschränkungen für den Ablauf von Wettbewerbsprozessen, sondern hat in der Vergangenheit auch zu einer Fülle von Vorschlägen geführt, auch in diesem Bereich mehr Wettbewerb zuzulassen. De facto jedoch haben hier die Regulierungen eher noch zugenommen. (17) Durch eingeschränkten Wettbewerb ist auch der Markt für Krankenversicherungen gekennzeichnet, wobei es zu differenzieren gilt zwischen den privaten Krankenversicherern einerseits und der gesetzlichen Krankenversicherung andererseits. Auf diesem Sektor kommt eine Regulierung ins Spiel, die zum einen durch Dienstleistungen mit teilweisem Kollektivgutcharakter und zum anderen durch Solidaritätsbewußtsein oder Umverteilungsdenken geprägt ist. Wegen der steigenden Kosten im Bereich der sozialen Sicherungssysteme setzt sich zunehmend die Auffassung durch, daß man durch die Verstärkung des Wettbewerbs in diesen Bereichen neue Lösungskonzeptionen entwickeln und damit zur Kostenentlastung beitragen sollte. Es ist daher eine wichtige Aufgabe, den Funktionsbedingungen und Funktionsproblemen des Wettbewerbs in der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung nachzugehen und dabei auch den Wettbewerb zwischen beiden Bereichen mit in die Überlegungen einzubeziehen. Die Systeme der sozialen Sicherung, von denen das Krankenversicherungswesen nur einen Teil darstellt, haben auf den ersten Blick mit dem Wettbewerb auf den Güter- und Faktormärkten wenig zu tun. Berücksichtigt man jedoch, daß in einer vom Wettbewerb bestimmten Welt die Wirtschaftssubjekte primär auf ihr am Markt verdientes Einkorn-
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men angewiesen sind, so ist ein soziales Sicherungssystem wünschenswert, um ihnen für den Fall der Krankheit oder der Arbeitslosigkeit eine entsprechende Sicherheit zu gewähren. Erst dies gibt den Wirtschaftssubjekten die Möglichkeit, auf den Faktor- und Gütermärkten entsprechend frei zu agieren und den mit dem Wettbewerbsprozeß einhergehenden Strukturwandlungen und Faktorumsetzungsprozessen standzuhalten. Das schließt aber nicht aus, den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren auch in diesen Sektoren nutzbringend einzusetzen. Es steht zu erwarten, daß die Notwendigkeit hierzu in der Zukunft zunehmen wird.
2. Wettbewerb in anderen Interaktionssphären 2.1. Gründe für die Ausweitung der Analyse (18) Im Verlaufe der Entwicklung der Wettbewerbstheorie wurde, wie oben bereits dargelegt, das Gesamtgeschehen unter sehr unterschiedlichen Aspekten und in zum Teil recht restriktiven Modellen analysiert. Positiv interpretiert läßt sich rückschauend konstatieren, daß dies ein unvermeidliches und wohl auch zweckmäßiges Vorgehen zur Erschließung eines Gegenstandes von hoher Komplexität war. Schließlich ist die Feststellung von Hayeks (z.B. 1969, S. 33,35,42) plausibel, daß solche Komplexität die Möglichkeiten des menschlichen Verstandes übersteigt. Freilich kann der Fortgang der Theorie in diesem Bereich nicht als Ergebnis einer bewußten heuristischen Strategie gedeutet werden. Vielmehr hat er sich aus den immanenten Bewegungsmomenten des Erkenntnisprozesses einerseits und dessen selektiven Umfeldes andererseits entwickelt, welch letzteres vornehmlich durch die jeweils drängendsten Probleme der zeitgenössischen wirtschaftlichen Situation mitgeprägt wurde. Berücksichtigt man dieses letzte Moment, läßt sich verständlich machen - wenn auch nicht rechtfertigen -, daß aus dem jeweiligen Stand der Preis- und Wettbewerbstheorie in ihrer durch restriktive und sehr partielle Modelle verengten Sicht umfassende ordnungs- und speziell wettbewerbspolitische Regeln abgeleitet wurden. Erscheint es schon bedenklich, Teileinsichten, die auch seinerzeit prinzipiell als solche erkennbar gewesen wären, auf diesem Wege im "sozialen Experiment" gleichsam zu testen, ist es womöglich nur mit den Eigentümlichkeiten politischer Mechanismen oder auch der Sozialisierung im wissenschaftlichen Milieu zu erklären, daß Gesamtkonzepte aus verschiedenen Phasen der theoretischen Entwicklung seit geraumer Zeit in der Wirtschaftspolitik nahezu gleichberechtigt miteinander konkurrieren können. Man geht wahrscheinlich nicht weit fehl, wenn man unterstellt, daß auch diese Sachlage von Hayek veranlaßte, seine Warnung vor konstruktivistischem Vorgehen in der Gestaltung von Wirtschaftsordnungen so nachdrücklich zu wiederholen. Dies zeigt ja auch seine Herleitung dieses Caveat aus der begrenzten Kapazität des menschlichen Verstandes. Sicherlich aber war von ihm nicht gemeint, daß auf vorbedachtes Gestalten in diesem Bereich deshalb zu verzichten sei - ein Mißverständnis, das der Tendenz nach in der gegenwärtigen Diskussion zuweilen anzutreffen ist. Als fatalen Dünkel kritisiert er vor allem den Versuch der abschließenden Regelung eines nur unvollständig begrif-
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fenen, da nur unvollständig begreifbaren Gegenstandes.8 Gerade dadurch wird die Aufmerksamkeit auf Wege und Prinzipien der Regelung in entsprechenden Bereichen gelenkt, die gleichwohl der Regelung bedürfen. Neben dem Prinzip, die Entwicklung solcher Regelungen grundsätzlich offenzuhalten, ist wohl die Maxime bedeutsam, daß die Regeln im Grad ihrer Allgemeinheit und Abstraktheit der Komplexität des geregelten Gegenstandes zu folgen haben. Dies stellt in gewissem Sinne zugleich eine Anwendung des Prinzips des Offenhaltens dar. (19) Es leuchtet ein, daß auf diese Weise die Anpassung der Wirtschaftsordnung einer Gemeinschaft an die sich beständig in unvorhersehbarer Weise ändernden Umweltbedingungen, das sich entwickelnde Wissen und die variierenden Präferenzen ihrer Mitglieder gewährleistet werden soll. Sowohl auf der Suche nach Regeln, die diesen Anforderungen genügen, als auch zur Erklärung des Zustandekommens gegenwärtiger Wirtschafsordnungen erscheint sonach eine Betrachtungsweise dienlich, die die Ordnungsbedingungen des Wettbewerbs auf der Marktebene selbst als Ergebnis eines evolutorischen Wettbewerbsprozesses interpretiert. Das in den Wettbewerbsprozessen erzeugte Wissen und die daraus entspringenden Innovationen sprengen so gesehen den institutionellen Rahmen, innerhalb dessen sie entstehen, und verweisen somit auf institutionellen Wettbewerb, der dann wiederum auf den Marktwettbewerb zurückwirkt.
2.2. Wettbewerb in Organisationen - Voraussetzungen und Besonderheiten (20) Vor einem weiteren Eingehen auf die Evolution von Wirtschaftsordnungen lohnt sich ein Blick in andere Interaktionssphären mit spezifischen Wettbewerbsvorgängen. Von der Warte der Marktebene bieten sich grundsätzlich zwei Richtungen zur Ausweitung der Untersuchung: Zum einen kann der Blick in Richtung ganzer Volkswirtschaften gehen, die auch und vor allem hinsichtlich ihrer Wirtschaftsordnungen miteinander im Wettbewerb stehen. Diese mögen sich wiederum in Gemeinschaften oder Blöcken organisieren, bei denen sich z.B. das unter den Mitgliedern geltende Außenhandelsregime von den Regeln der Abwicklung des übrigen Außenhandels unterscheidet, wodurch Wettbewerb zwischen den Blöcken geschaffen wird. Denkbar ist außerdem, daß wirtschaftspolitische Kompetenzen an - z.B. territoriale - Gemeinschaften innerhalb einer Volkswirtschaft abgegeben werden, die mit diesen Parametern dann ihrerseits untereinander konkurrieren. Zum anderen aber sind die Wettbewerber an den Märkten selbst nur zum Teil Individuen - etwa als Anbieter am Arbeitsmarkt oder als Nachfrager auf Gütermärkten. Bei den übrigen handelt es sich um Organisationen. Für bestimmte analytische Zwecke hat man diese zwar zum Modell der "klassischen Firma" stilisiert, in der wiederum nur ein An anderer Stelle betont von Hayek (1976, S. 121): "Ich bin weit davon entfernt zu leugnen, daß in unserem System die Gleichgewichtsanalyse eine nützliche Funktion auszuüben hat. Aber wenn sie dazu führt, daß sie einige unserer führenden Denker [gemeint ist hier vor allem J. A. Schumpeter mit seinem Werk 'Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie'] dazu verleitet zu glauben, daß die Situation, welche sie beschreibt, direkten Bezug auf die Lösung politischer Probleme hat, ist es an der Zeit, daß wir uns daran erinnern, daß sie sich mit dem sozialen Prozeß überhaupt nicht befaßt und daß sie nicht mehr ist als eine Vorstufe zum Studium des Hauptproblems."
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Individuum - der Unternehmer - agiert, weil die Probleme der kollektiven Entscheidungsprozesse und der Durchsetzung ihrer Ergebnisse mittels Information, Motivation und Kontrolle ausgeblendet wurden. In der Theorie der Firma und in den Untersuchungen zu der mit der Industrialisierung einhergehenden "managerial revolution" sind diese Probleme aber thematisiert worden. Es wurde sichtbar, daß innerhalb der am Markt als Einheit auftretenden Unternehmung Unvollkommenheiten der Information der Beteiligten mit unterschiedlichen Gefällen auftreten, daß die individuellen Interessen nur bedingt und nur teilweise dem "Unternehmensziel" entsprechen und daß die dadurch nötige Kontrolle mit Kosten verbunden ist, die ihr ökonomische Grenzen setzen. Ähnlich liegen die Dinge bei anderen Kollektiven, die ebenfalls am Marktverkehr teilnehmen. Man denke nur an öffentliche Auftragsvergabe oder das Angebot privater Güter durch Vereine. Schließlich sind auch für rein öffentliche Güter marktanaloge Allokationsverfahren denkbar und auch bereits beschrieben und getestet worden. Es geraten also nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern nahezu sämtliche Organisationen, die in einer Volkswirtschaft agieren, in den Blick. Dem entsprechen die seit etwa fünfzig Jahren andauernden Versuche eines vereinheitlichten Ansatzes zur ökonomischen Erklärung des Geschehens in Organisationen, wie sie z.B. die Club-Theorie anstrebt. (21) In unserem Zusammenhang interessieren allerdings vornehmlich die bei der Beschäftigung mit dem "Innenleben" von Organisationen sichtbar gewordenen Freiheitsspielräume, weil sie Voraussetzung wettbewerblicher Interaktionen von Individuen und/oder Teilorganisationen auch in dieser Interaktionssphäre sind. Damit stellt sich hier wie bei der Ordnung von Marktwirtschaften die Frage nach den Regeln - in diesem Fall den Organisationsregeln -, die im Zusammenwirken mit anderen spezifischen Umweltbedingungen die Selektion von Ideen, Personen etc. bewirken. Ihre Abstimmung auf die Selektionskriterien des Marktwettbewerbes entscheidet schließlich mit über das Überleben und den Erfolg der Organisation in der gewählten Umgebung und so über ihren Beitrag zum Gedeihen der Volkswirtschaft. (22) Organisationsregeln schaffen nach von Hayek (1969, S. 42 ff.) eine konkrete, im voraus ausgedachte Ordnung, die durch Zuweisung von Aufgaben und Anordnungen wirkt. Sicherlich sind die Systeme, auf die sie sich beziehen, weniger komplex als das Gesamtsystem einer Volkswirtschaft, deren Teil sie sind. Ob der geringere Grad ihrer Komplexität freilich in jedem Fall nach den oben angestellten Überlegungen konkrete und vollständig detaillierte Regelungen rechtfertigt, scheint eher zweifelhaft. Sicherlich ist etwa ein kleines handwerkliches Produktionsunternehmen, wie es für die Frühphase der Industrialisierung typisch gewesen sein mag, durchaus von einer Einzelperson in seiner inneren Funktionsweise vollständig zu verstehen, jederzeit zu überblicken und zu kontrollieren. Die Literatur zur Theorie der Firma und zu Managementtechniken läßt jedoch vermuten, daß eine solche Situation heute nicht als Regelfall unterstellt werden darf. Vielmehr zeigt z.B. das für viele Organisationen nachweisbare Trittbrettfahrerphänomen, daß dort der Freiraum für wettbewerbliches Verhalten nicht ohne weiteres "wegorganisiert" werden kann. In ihren Ausgangsbedingungen entspricht die Zurückhaltung von Leistung und Wissen im Wettbewerb um den aus der Organisation zu
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ziehenden Vorteil d e m polypolistischen Verhalten der Anbieter an einem Markt. In beiden Fällen gehen die Akteure davon aus, daß ihre Aktionen in der Menge der Teilnehmer nicht auffallen. Die unterschiedlichen Ergebnisse sind allein den unterschiedlichen Regelungen geschuldet, die im einen Fall zulassen, daß sich Zurückhaltung von Leistung und Information für den einzelnen lohnt, während sie im anderen Fall die Belohnung gerade mit der Weitergabe beider Ressourcen verknüpfen. W e n n man davon ausgeht, daß die Komplexität von Organisationen im Zuge der ständigen Ausdifferenzierung von Wirtschaftssystemen ebenfalls wächst, ist nicht auszuschließen, daß auch sie zunehmend die Kompetenz des einzelnen menschlichen Verstandes übersteigt. Es wären dann auch an die auf dieser Ebene zu treffenden Regelungen die Anforderungen der Nichtabgeschlossenheit und hinreichenden Abstraktheit entsprechend zu stellen, 9 und zwar mit der gleichen Begründung wie bei Wirtschaftsordnungen. 1 0
2.3. Zu den Beziehungen zwischen Interaktionssphären (23) Die Modellierung wettbewerblicher Differenzierungs- und Selektionsprozesse als Abläufe in verschiedenen Interaktionssphären ist nicht zuletzt wegen der Analogie zu Vorstellungen der biologischen Evolution (vgl. etwa Brandon 1988 oder Hüll 1988) suggestiv. Es muß jedoch im Auge behalten werden, daß eine Ordnung der Kategorien von interaktiven Subjekten etwa in der Form Individuen - Organisationen - Wirtschaftsordnungen nach dem Prinzip der Inklusivität eine starke Vereinfachung ist: Nicht nur konkurrieren Individuen auf einer bestimmten Ebene mit Organisationen und auf einer anderen möglicherweise Organisationen mit Wirtschaftsordnungen, sondern es gehören auch Teile der Regelbestände, die dem selektiven Umfeld einer spezifischen Sphäre zugeordnet sind, zugleich zu den Beständen anderer Ebenen (entsprechend auch von Hayek 1969, S. 42). (24) Typischerweise gehören auf diese Weise Vertrags-, Haftungs- oder Strafrecht ebenso zum selektiven Umfeld konkurrierender Organisationen, wie sie auch - innerhalb derselben Jurisdiktion in gleicher Form - Bestandteil ansonsten unterschiedlicher Kombinationen von Organisationsregeln sind. In der Verfassung des jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus wiederum wurde für große Bereiche wirtschaftlicher Aktivitäten ein derart umfassendes Bündel von Organisationsregeln festgeschrieben, daß hier neue Kombinationen solcher Regeln als Gegenstand der Selektion an Märkten nahezu ausgeschlossen und damit die Evolution auf dieser Ebene weitgehend eingeschränkt war. Die Zentralverwaltungswirtschaften sowjetischen Typs schließlich hatten sich zunächst durch ideologische Vorgaben und in der Folge durch Sachzwänge der
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So kommt auch v. Hayek (1969, S. 42) zu dem Schluß: "In Organisationen komplexester Art wird kaum mehr als die Zuweisung bestimmter Funktionen an bestimmte Personen durch spezielle Entscheidungen bestimmt werden, während die Ausübung dieser Funktionen nur von Regeln gesteuert werden wird." Insoweit ließe der Ausdifferenzierungsprozeß Tendenzen der Organisation nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit erkennen. Neuere Überlegungen zur Unternehmensorganisation, unter dem Stichwort "fraktale Fabrik" bekannt geworden, scheinen ähnlichen Gedankengängen zu folgen (vgl. Seifritz 1994, S. 16).
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Machterhaltung für die Partei der Möglichkeit begeben, im offiziellen Bereich ökonomische Selektion auf mehreren Ebenen zuzulassen. Im Ergebnis führte dies dazu, daß die Wirtschaftsordnung gleichsam zu einer Ansammlung von Organisationsregeln degenerierte, die in ihrer relativen Konkretheit die Komplexität der Koordination einer ganzen Volkswirtschaft nicht hinreichend bewältigen konnten. (25) Wie oben bereits angedeutet, wird auch eine Wirtschaftsordnung marktwirtschaftlicher Prägung nicht ohne teilweise Normierung von Organisationsregeln auskommen, insonderheit um Kompatibilität mit Regeln für andere Bereiche zu gewährleisten. Augenfällig wird dies bei der Gestaltung der Kapitalmarkt- und der Arbeitsmarktverfassung. Es darf aber nicht übersehen werden, daß auch hier mit jeder Normierung zukünftige Differenzierungsmöglichkeiten, an die eine Selektion anknüpfen könnte, mit anderen Worten: Organisationsformen als Aktionsparameter im Wettbewerb der Unternehmen, wegfallen (vgl. von Delhaes 1986). Geschieht dies in einem Ausmaß, daß wechselnde Umweltbedingungen durch Entwicklung neuer Formen nicht mehr bewältigt werden können, verlagert sich der Selektionsdruck auf die anderen Ebenen; das heißt, die Wettbewerbsfähigkeit der betreffenden Wirtschaftsordnung nimmt durch die Einschränkung des Wettbewerbs auf der in dieser Hinsicht nachgeordneten Ebene ab. Eine Strategie, sich diesem Druck zu entziehen, wäre dann, den anderen im Wettbewerb stehenden Wirtschaftsordnungen eine entsprechende Normierung aufzudrängen. Versuche eines solchen Vorgehens sind z.B. im Verlauf der europäischen Integration allenthalben zu beobachten.
2.4. Wettbewerb zwischen Regelsystemen (26) Beobachtungen dieser Art legen den Versuch nahe, Einsichten, die aus der traditionsreichen Analyse des Wettbewerbs auf der Marktebene gewonnen werden, analog auf die anderen hier anvisierten Interaktionssphären zu übertragen. Sollte sich eine solche Übertragung als möglich erweisen, wäre dies allein schon ein Argument für die Ausweitung der Betrachtung. Dazu wäre etwa für die Interaktionssphäre der Regelsysteme nach dem Rahmen des hier ablaufenden Wettbewerbs, nach seinen Subjekten, deren Aktionsparametern, nach anderen selektionsrelevanten Differenzierungsmöglichkeiten und - vor dem Hintergrund möglicher Zielsetzungen - nach sphärenspezifischen Wegen der Selektion sowie nach etwaigen Ausweichstrategien zu fragen. (27) Der wichtigste Unterschied zu anderen Interaktionssphären findet sich zweifellos im Rahmen des Wettbewerbs zwischen Wirtschaftsordnungen: Anders als dort fehlen hier als Restriktionen die Regeln einer mit Sanktionsmöglichkeiten ausgestatteten übergeordneten Instanz. Dies ergibt sich aus der Art der "Subjekte" des Wettbewerbs, die auf dieser Ebene in Betracht kommen: Es sind souveräne Gemeinschaften von Individuen und Gruppen, die sich einer bestimmten Wirtschaftsordnung mit - zumindest heute - stets territorial abgegrenztem Geltungsbereich unterworfen haben. (Deshalb wäre es womöglich korrekter von "Wettbewerb mittels Regelsystemen" zu sprechen. Vgl. hierzu auch Kerber und Vanberg 1994, S. 4 f.). Alle Mitglieder haften gleichsam für die Folgen dieses Wettbe-
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werbs, auch wenn sie, willentlich oder unwillentlich, in einem wichtigen Ausschnitt seiner Ausübung durch ihre ordnungspolitischen Instanzen vertreten werden. Für Adam Smith waren solche Gemeinschaften bei der Entwicklung seiner Ordnungsvorstellungen Nationen. Termini wie "Volkswirtschaft" im Deutschen oder "international trade" im Englischen weisen in die gleiche Richtung. Allerdings hat sich auch seit der Durchsetzung des Nationalstaates ordnungspolitische Souveränität nicht immer an dessen Grenzen gehalten. Neuere Entwicklungen kennen Delegation von Kompetenzen an breitere Vereinigungen. Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und die Europäische Union sind hierfür nur zwei Beispiele von vielen. Andererseits ist Ordnungspolitik in Ländern mit föderativer Verfassung nicht ausschließlich Sache zentraler Instanzen. So haben etwa US-amerikanische Einzelstaaten Ansiedlungswettbewerb mit unterschiedlich normierten Unternehmensverfassungen betrieben, und in australischen Teilstaaten variieren unter anderem die Zulassungsbedingungen für bestimmte Professionen. Dies sollte jedoch nicht hindern, für analytische Zwecke zunächst von Wettbewerbssubjekten gleicher Souveränität auszugehen. (28) Bekanntlich ist jedoch Ordnungspolitik keineswegs die einzige Quelle des Entstehens und von Veränderungen der Regelsysteme, die wir Wirtschaftsordnung nennen. Nur ein Teil besteht aus gesetztem Recht, hinzu kommen Regeln und Normen, die auf anderem Wege Anerkennung gefunden haben. Selbst die gesetzten Regeln sind, worauf von Hayek nachdrücklich hinweist, größtenteils nicht mit Vorausblick auf die Gestaltung einer bestimmten Wirtschaftsordnung entworfen worden, "sondern es haben jene Menschen, die zufällig geeignete Regeln annahmen, infolgedessen eine komplexe Zivilisation entwickelt, die sich anderen als überlegen erwies" (von Hayek 1969, S. 42). Auch Eucken impliziert ein solches Zustandekommen, wenn er von "gewachsenen Ordnungen" spricht (z.B. 1968, S. 253, 373 f.). Liegt hierin ein grundsätzlicher Unterschied zum Wettbewerb am Markt? Ist dies nicht etwas gänzlich anderes als das geläufige Bild, das wir uns von Unternehmen machen, die sich zielbewußt mittels verschiedener Aktionsparameter wie Werbung, Qualität, Preis, Technologie und eben auch Organisationsregeln gegenseitig zu überflügeln suchen? Man wird diese Frage vor allem für den letztgenannten Aktionsparameter verneinen müssen. Keineswegs ist hier immer die Suche nach Leistungssteigerung auslösendes Motiv: Z.B. können statutarische Vorzugsaktien dem Willen der Gründer einer Firma entsprechen, ihren Nachkommen Einfluß zu sichern, Mitbestimmungs- und andere Beteiligungsformen der Belegschaft entspringen verschiedentlich altruistischen Motiven der Eigner, und Kompetenzverteilungen wie ganze Organisationsmuster können die historische Personalsituation, auf die sie zugeschnitten wurden, überdauern und sich verfestigen. Auch für die übrigen Aktionsparameter ist es angebracht, einen stets rational zielgerichteten Einsatz zu bezweifeln. Dies hat beispielsweise in seinem richtungsweisenden Beitrag Alchian (1950, insbes. S. 213 ff.) in anschaulicher Weise deutlich gemacht. (29) Es ist gerade diese Mischung aus zielbewußten und, wenn nicht zufälligen, so doch nicht aus ökonomischer Ratio herzuleitenden Veränderungen, die die evolutorische Sichtweise für verschiedene wettbewerbliche Interaktionsebenen fruchtbar macht. Mit Modellen rationalen Verhaltens hat die Preis- und Wettbewerbstheorie überwiegend nur
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die sich ständig vollziehende Erosion von Verschiedenartigkeit näher beleuchten können," während die evolutorische Ökonomik darüber hinaus die Quellen der Differenzierung zum Ausgangspunkt ihrer Analyse nimmt und sich um die Beschreibung der Umstände bemüht, die ihre Offenhaltung, die Intensität ihrer Nutzung und die Art der Selektion ihrer Ergebnisse bedingen. Soll es nicht bei einer bloßen Beschreibung bleiben, müssen freilich die Möglichkeiten zielbewußter Veränderungen - auch unter unvollkommener Information und Unsicherheit - sowie systematischer Such- und Lernprozesse besondere Aufmerksamkeit erfahren. Sie begründen ja eben die Besonderheit der sich beim Menschen der biologischen überlagernden sozialen Evolution und rechtfertigen die Forderung nach Ordnungspolitik. Auch hier treffen sich Eucken und von Hayek im wesentlichen. Aus der "Tatsache der Industrialisierung und der weitgespannten Arbeitsteilung" folgert Eucken (1968, S. 184): "Dem wirtschaftlichen Ordnungsproblem können wir nicht mehr entgehen". Seine Lösung sieht er in der Gestaltung einer Wirtschaftsverfassung, d.h. in einem System von Regeln des Rechts, die - so von Hayek (1969, S. 40) - "weil wir sie absichtlich formen können, das Hauptwerkzeug darstellen, durch das wir den allgemeinen Charakter der Ordnung beeinflussen ...". (30) Zielbewußte Gestaltung auch nur im Sinne der Beeinflussung des allgemeinen Charakters eines Regelsystems setzt aber die Festlegung von Zielen voraus. Kerber und Vanberg (1994, S. 20) beispielsweise ziehen in Entsprechung zur Konsumentensouveränität, die sie als Kriterium des von den Ordoliberalen geforderten "Leistungswettbewerbs" konstatieren, Bürgersouveränität als Ziel des institutionellen Wettbewerbs in Betracht. Auch diese freiheitlich-individualistische Maxime ist nicht ohne Probleme, da sie beispielsweise nicht spezifiziert, wie weit die Souveränität der Bürger bei Verfassungsentscheidungen zu begrenzen ist, falls die Bürger sich ihrer Souveränität begeben wollen. Ergänzend wäre hier zur Beurteilung der instrumentale Aspekt der individuellen Freiheit heranzuziehen.'2 Nur ausreichende Handlungsspielräume auf allen Interaktionsebenen sichern die Vielfalt, die es erlaubt, in einem wettbewerblichen Entdeckungs- und Selektionsverfahren jene Regeln zu entwickeln, welche die Anpassung an eine gegenwärtig undurchschaubar komplexe Umwelt und ihre unvorhersehbaren Veränderungen gewährleisten. Hiernach lassen sich die mangels einer übergeordneten Instanz fehlenden Restriktionen des ordnungspolitischen Wettbewerbs in weitgehender Analogie zu denen des Marktwettbewerbs formulieren, wenn auch offenbleiben muß, wie sie durchzusetzen wären. Hier wie dort steht die Wahrung von Handlungsspielräumen der Akteure im Mittelpunkt aller Maßnahmen zur Erhaltung des Wettbewerbsprozesses. Gegeneinander abzugrenzen und zu schützen sind allerdings nicht nur die Handlungsrechte der 11
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Vergegenwärtigt man sich, daß Imitationsvorgänge regelmäßig auf der Grundlage vollständigerer Information und geringerer Unsicherheit stattfinden als Innovationen, kann das kaum überraschen. Dies geschieht beispielsweise auch im neoklassischen Wettbewerbskonzept (vgl. etwa Hoppmann 1967). Eucken (1969, S. 179) spricht diesen Aspekt an, wenn er feststellt: "Zwischen Freiheit und Ordnung besteht auch noch eine weitere Beziehung: Aus der Freiheit heraus entstehen spontan Ordnungsformen", Radnitzky (1993, S. XLII) konstatiert: "Freedom evolved in Europe because of its instrumental value."
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ordnungspolitischen Instanzen als der Anbieter von Regeln und Institutionen. Auch die Freiheitsräume der einzelnen Mitglieder der von ihnen vertretenen Gemeinschaften sind gegen Einengung durch die Organe des Kollektivs zu sichern, da diese Individuen zugleich als Nachfrager fungieren. (31) Aus der "Doppelrolle" der Bürger als "Souverän" der anbietenden Instanzen wie auch als Nachfrager ergeben sich zwei Wege, auf denen Auswahl zwischen ordnungspolitischen Angeboten getroffen werden kann. Mit den beiden von Hirschman (1970) verwendeten Begriffen Abwanderung und Widerspruch sind sie hinreichend gekennzeichnet. Die erste Alternative weist die größte Ähnlichkeit mit Vorgängen auf der Marktebene auf. Die durch Tiebout (1956) ausgelöste Diskussion hat eine Fülle von Beiträgen zur spezifischen Problematik dieser Dimension des Wettbewerbs zwischen Jurisdiktionen, meist allerdings unterhalb der Ebene ordnungspolitischer Instanzen, erbracht. Wichtigstes Handikap ist die durch die territoriale Bindung bedingte Abgeschlossenheit des "Marktes" für die Anbieter. Denkbar ist das Auftreten neuer oder das Verschwinden bisheriger Jurisdiktionen heute allenfalls im Wege der Abspaltung, des Verschmelzens oder der Übernahme 1 3 - mit entsprechenden wettbewerblichen Implikationen. Trotz dieser und anderer Probleme ist gerade in der Gegenwart augenfällig, daß sich Wettbewerb auf solchem Wege vollzieht. (32) Die zweite Alternative gleicht den Nachteil des für die Anbieter geschlossenen "Marktes" in gewissem Maße aus. Durch Widerspruch verschwindet zwar in der Regel nicht die anbietende Organisation, es wird jedoch quasi das "Management" ausgewechselt oder zumindest beeinflußt. Die ökonomische Theorie der Politik hat aber trotz der von ihr verwendeten suggestiven Begriffe wie "politischer Unternehmer" und "Wählerstimmenmarkt" deutlich gemacht, daß selbst unter anerkannt demokratischen Verhältnissen eine Steuerung der Politik durch Präferenzen der Betroffenen nicht entfernt die Qualität der Abstimmung des Angebotes privater Güter auf die Wünsche der Nachfrager an Wettbewerbsmärkten erreicht. Dabei sollte nicht vergessen werden, daß demokratische Legitimation historisch selten Voraussetzung von legislativer und exekutiver Gewalt war und selbst heute kaum als selbstverständlich angesehen werden kann. Da es jedoch noch krassere Möglichkeiten des "Widerspruchs" als kodifizierte demokratische Prozeduren gibt, kann wohl unterstellt werden, daß sich aus beiden hier angesprochenen Reaktionsparametern ein Wettbewerb gespeist hat, der genügend Innovations- und Imitationsdruck auf dem Feld der Ordnungspolitik erzeugte, u m einen Beitrag zur Entwicklung der Regelsysteme zu leisten (so auch Jones 1981). Jedenfalls mangelt es nicht an Beispielen für Versuche, diesen Wettbewerb zu unterdrücken. Es sei an dieser Stelle nur angedeutet, daß die Durchsetzung der Menschenrechte mit ihren individuellen Freiheitsgarantien für Information, Meinungsäußerung, Mobilität etc. einen direkten Bezug zur Funktionsfähigkeit des hier betrachteten Wettbewerbs hat. Dies gilt nicht unbedingt für alle öffentlichen Güter. Vielfach ist Angebotswettbewerb spezialisierter Gemeinschaften (Zweckverbände) auf demselben Territorium diskutiert (vgl. u.a. Frey und Eichenberger 1994) und teilweise auch erprobt worden. Ob dies ebenso für das öffentliche Gut Ordnungspolitik praktikabel ist, muß wegen der damit verbundenen Probleme für die Rechtssicherheit zweifelhaft erscheinen.
Einflihrung
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(33) Insoweit sich in den Regierungsorganisationen souveräner Gemeinschaften Eigeninteressen gegenüber ihrem Auftrag verselbständigen - etwa auf dem Wege, den die Bürokratietheorie beschreibt - können generell Strategien erwartet werden, die den angebotsseitigen Maßnahmen zur Wettbewerbsbeschränkung am Markt entsprechen. Durch Verhinderung der Wahlmöglichkeiten für die Nachfrager im Wege der Expansion oder Fusion von Jurisdiktionen, mittels erzwungener oder freiwilliger Absprachen wird versucht, den Selektionsdruck zu vermindern. Freilich wird es auf den Inhalt solcher Absprachen oder Konventionen ankommen. Denn sie sind als Mittel der Selbstbindung, wie sie z.B. im Völkerrecht angestrebt wird, der einzige Weg, auf dem versucht werden kann, Freiheitsspielräume souveräner Gemeinschaften gegeneinander abzusichern. Entscheidungskriterien zur jeweiligen Wettbewerbskonformität könnte hier das Subsidiaritätsprinzip liefern.
2.5. Prüfung des evolutorischen Ansatzes an der Empirie (34) Im vorhergehenden Abschnitt galt das Hauptaugenmerk den kollektiv formbaren Regeln als bewußt eingesetzten Aktionsparametern. Es wäre nun zu fragen, welches Gewicht dieser Kategorie von Regeln in der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen zukommt und ob es sich in deren Verlauf verschoben hat. Eucken (1968, S. 253) scheint dieser Auffassung gewesen zu sein, als er feststellte: "Frühere Zeiten, welche die Wirtschaftsordnung wachsen lassen konnten, hatten es einfacher". Sichtet man die historische Evidenz, so scheint in der Perspektive der langen Frist ein Zusammenhang zwischen Gestaltungswillen und Entwicklungsrichtung zurückzutreten. Etwas überspitzt ließe sich das sich bietende Szenario so beschreiben: Aufgrund einer anthropologischen Konstante (vgl. Hesse 1992) kommt, gleichsam wie aus einem Zufallsgenerator, ein nicht abreißender Strom von Regel- und Nonninnovationen in Vorschlag. Manche davon werden von Gemeinschaften angenommen, und unter diesen läßt das selektionsrelevante Umfeld diejenigen überdauern und sich ausbreiten, die die beste Anpassung an das Umfeld beziehungweise die Bewältigung seiner Veränderung erlauben. Eine Eigenart sozialer Evolution gegenüber der biologischen ist hier schwer erkennbar. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, daß dieses Bild stark durch die eingenommene Perspektive bestimmt sein könnte. Mit zunehmender Gegenwartsferne werden die historischen Quellen im Prinzip spärlicher, die Umstände von Zeit und Ort erschließen sich in geringerem Detail, und Belege ökonomisch rationalen Handelns sind kaum beizubringen. Ein solches Handeln würde ja bei den jeweiligen Zeitgenossen auch eine Vorstellung über zukünftig mögliche Entwicklungen implizieren, und solche Vorstellungen wechseln spätestens jenseits der mittleren Frist in das Reich der Prophetie. So müßte eine Betrachtungsweise, die auf größere Zeiträume abstellt, notwendig das Zufallselement stärker in den Vordergrund rücken lassen.14 Schon weil die einzelnen Elemente einer "gewachsenen" Wirtschaftsordnung eine sehr unterschiedliche Tradition, das heißt Altersstruktur, aufweisen, kann deshalb von Hayek (1969, S. 33) zu Recht feststellen, daß diese Ordnung insgesamt "... obzwar das Ergebnis der Tätigkeit der Menschen - nicht in dem Sinne von Menschen geschaffen worden ist, daß sie die Elemente nach einem vorgefaßten Plan bewußt angeordnet haben.".
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(35) Wenn eine zeitlich weniger weit ausgreifende historische Untersuchung deutliche Elemente eines aktiven, ökonomisch rational motivierten ordnungspolitischen Wettbewerbs nachweisen könnte, müßte deshalb dennoch weiter die Frage offenbleiben, ob es sich um eine "Stiländerung" gegenüber früheren Perioden handelt. Sollte aber, wie dies Eucken (1968, S. 25) andeutet, die u.a. durch Industrialisierung und weltweite Arbeitsteilung beschleunigt gestiegene Komplexität des Problems tatsächlich neue Anforderungen an seine kollektive Bewältigung stellen, ist zu vermuten, daß diesen nicht eine größere Quantität zielgerichteter wirtschaftspolitischer Maßnahmen, sondern eine neue Qualität gerecht wird, die im Grad der Abstraktheit ihrer Regelungen zu suchen ist. Wie schwierig jedoch diese neue Qualität zu bestimmen und zu implementieren ist, zeigt beispielsweise die Entwicklung der Wettbewerbsgesetzgebung in modernen Marktwirtschaften. (36) Anders liegen die Dinge, wenn man sich der gegenwärtigen Transformation in den vormals sozialistischen Ländern zuwendet. Ihr technisches Entwicklungsniveau und der Grad der dort erreichten Arbeitsteilung - mögen sie vor den jetzt hereinbrechenden Weltmarktanforderungen auch ineffizient erscheinen - liegen der heute im Westen erreichten Front der Entwicklung viel näher als dem Stadium der frühen Industrialisierung. Die angestrebte neue Wirtschaftsordnung müßte also geeignet sein, sogleich einen hohen Grad von Komplexität zu bewältigen. Für den auch in einem offenen System politisch zu gestaltenden Teil der Wirtschaftsordnung bietet sich zu diesem Zweck die Imitation erfolgreicher Modelle an und wird auch allenthalben betrieben. 15 Zugleich aber fehlen wichtige Elemente des polyzentrisch vermittelten, spontan gewachsenen Teils der konkreten Ordnung dieser Vorbilder. Sie wurden in Jahrzehnten sowohl durch bewußte Umerziehung wie auch durch eine spontaneitätsfeindliche Umgebung überformt oder verschüttet (vgl. von Delhaes 1994, insbes. S. 373, 375 378). Nimmt man die Verwerfungen und Schocks durch den notwendigen radikalen Umbau der realwirtschaftlichen Struktur hinzu, so wird einsichtig, daß das Problem durch Imitation allein nicht zu lösen ist. Um die übernommenen Muster den jeweils spezifischen Bedingungen anzupassen, bedarf es darüber hinaus eines Entdeckungs- und Selektionsverfahrens, das nur der ordnungspolitische Wettbewerb bieten kann. Die Voraussetzungen hierfür durch Gewährleistung von Freizügigkeit und Pluralismus im Umgang mit den betroffenen Ländern zu schaffen, ist nicht zuletzt Aufgabe der traditionellen Marktwirtschaften und womöglich der wichtigste Beitrag, den sie zur Transformation leisten können. (37) Speziell wird sich dieser ordnungspolitische Wettbewerb auf kollektive Maßnahmen zu erstrecken haben, die dem Wettbewerb auf der Marktebene Handlungsspielräume eröffnet, indem er die Möglichkeit zum Übergang von konkreteren zu abstrakteren Regelungen des Wirtschaftsgeschehens schafft. Methoden, Umfang und Tempo der Deregulierung und Privatisierung sind hier die wichtigsten Aktionsparameter. Wegen des Umfanges dieser Aufgabe in den Transformationsländern und des unumgänglichen staatlichen Engagements hierbei ist - im Unterschied zu parallelen Vorgängen in etablierten Marktwirtschaften - Kritik über konstruktivistisches Vorgehen Für eine eingehende Beschreibung von Transmissionsprozessen im Bereich der Ordnungspolitik vgl. Fehl (1990, S. 17 - 24).
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laut geworden. Zweifellos kann die direkte Einflußnahme einer politisch eingesetzten zentralen Instanz auf die Allokation von Handlungsrechten die Qualität der Allokation durch Marktprozesse nie erreichen. Um die Folgen des vorausgegangenen Konstruktivismus zu beseitigen, scheint sie aber ohne Alternative. Zur Anpassung nach Fehlentwicklungen, die staatliches Eingreifen erfordern, erweist sich somit das Vorhandensein verschiedener wettbewerblicher Interaktionssphären als Vorteil, da die zeitweilige Insuffizienz spontaner Faktoren in der einen Sphäre durch wettbewerbliche Prozesse in der anderen abgefangen werden kann.
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B . WETTBEWERB IN DER MARKTSPHÄRE I.
GRUNDLAGEN
Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs Wolfgang
Kerber
1. Einführung
31
2. Wettbewerb und Wissen - Zu den Wurzeln eines evolutorischen Konzepts wissenschaffenden Wettbewerbs
33
2.1. Österreichische Ansätze
33
2.2. Schumpetersche
37
Ansätze
2.3. Variations-Selektions-Argumentationen 3. Ein evolutorisches Konzept wissenschaffenden Wettbewerbs
43 49
3.1. Einleitung
49
3.2. Wettbewerb als Wissensschaffungsprozeß
50
3.2.1. Das Wissen der Wirtschaftssubjekte
50
3.2.2. Das Grundmodell eines wissenschaffenden Wettbewerbsprozesses
52
3.2.3. Wettbewerb als Forschungsprozeß
55
3.2.4. Wettbewerb als Variations-Selektions-Prozeß
56
3.2.5. Probleme von Wissensschaffungsprozessen
56
3.2.6. Erweiterungen
58
3.3. Zur Rolle des institutionellen Rahmens für den evolutorischen Prozeß wissenschaffenden Wettbewerbs
61
3.3.1. Einführung
61
3.3.2. Zur Wirkung von Regeln auf die evolutorischen Wettbewerbsprozesse
62
3.3.2.1. Neuerungen und Regeln
62
3.3.2.2. Zur Regelung des Inhalts des Wettbewerbs
63
30
Wolfgang Kerber
3.3.2.3. Zur Regelung der Dynamik des Wettbewerbs
65
3.3.2.4. Fazit
66
3.3.3. Folgerung: Der institutionelle Rahmen als Teil der Selektionsumgebung für evolutorische Wettbewerbsprozesse
68
4. Abschließende Überlegungen
69
Literatur
71
Wettbewerb als Hypothesentest
31
1. Einführung Die Industrieökönomik beziehungsweise Wettbewerbstheorie befindet sich seit längerem in einer tiefen Krise. So sind die traditionellen wettbewerbstheoretischen Ansätze wie die neoklassische Preistheorie und die auf dem Struktur-VerhaltenErgebnis-Paradigma basierenden Ansätze des funktionsfähigen Wettbewerbs (workable competition) bzw. der empirischen Industrieökonomik von verschiedenen neueren Ansätzen (u.a. Österreichische und Schumpetersche Marktprozeßansätze beziehungsweise Chicago Schule und Contestable Markets) erfolgreich angegriffen worden. Gleichzeitig aber ist es auch diesen neuen Ansätzen bisher nicht gelungen, in überzeugender Weise an die Stelle der traditionellen Konzeptionen zu treten. Die Situation ist vielmehr durch die parallele Existenz einer breiten Vielfalt verschiedener Wettbewerbstheorien gekennzeichnet.1 2 Eine vergleichbare Entwicklung ist auch für die ökonomische Theorie als Ganze zu beobachten. Denn die von der neoklassischen Gleichgewichtstheorie geprägte traditionelle MikroÖkonomik ist ebenfalls längst überzeugend kritisiert worden. Insbesondere von neueren - sich als evolutorisch verstehenden - theoretischen Ansätzen ist das Problem der Neuerungen und der prinzipiellen Offenheit von ökonomischen Entwicklungsprozessen innerhalb des bisherigen, neoklassischen, allokationstheoretisch orientierten Gleichgewichtsdenkens als unlösbar charakterisiert worden,3 ohne daß jedoch bisher eine überzeugende, genügend ausgearbeitete theoretische Alternative entwickelt worden wäre. In der Markt- und Wettbewerbstheorie als Kernstück jeder MikroÖkonomik haben sich diese Grundlagenprobleme der theoretischen Ökonomik bereits früher und deutlicher als in anderen mikroökonomischen Teilbereichen gezeigt. Nicht nur wurde gerade in der Markttheorie schon seit den vierziger und fünfziger Jahren versucht, zur neoklassischen Preistheorie alternative wettbewerbstheoretische Ansätze zu entwickeln - wie z.B. die auf Schumpeter basierende Tradition des dynamischen Wettbewerbs sowie die von von Hayek ausgehenden Österreichischen Ansätze - , sondern es wurde auch bereits damals der paradigmatische Charakter des Problems erkannt, d.h.,
Für allgemeine Überblicke über wettbewerbstheoretische Ansätze vgl. im deutschsprachigen Bereich C.W. Neumann (1982), Ruffner (1990) und Mantzavinos (1994) und für die angelsächsische Literatur Scherer/Ross (1990), Davies/Lyons/Dixon/Geroski (1989), Schmalensee/Willig (1989), Carlton/Perloff (1990), Tirole (1990), Martin (1993), Singleton (1986), Shepherd (1991), Adams/Brock (1991); für einen breiten Überblick über alle Ansätze vgl. Kerber (1994a, S. 8-128). In der wettbewerbspolitischen Praxis ist aufgrund der erfolgreichen Kritik an den traditionellen theoretischen Grundlagen und dem gleichzeitigen Fehlen einer überzeugenden Alternative eine gravierende Verunsicherung zu beobachten, auf die die Praxis in der Weise reagiert, daß sie weiter an den traditionellen Konzepten festhält und lediglich pragmatischer und weniger restriktiv bei deren konkreter Umsetzung wird. Vgl. bezüglich der in der europäischen wettbewerbsrechtlichen Praxis verwendeten wettbewerbstheoretischen Konzepte ausführlich Kerber(1994b). Vgl. zu den Grundideen der Evolutorischen Ökonomik z.B. Röpke (1977, 1990a), Nelson/Winter (1982), Witt (1987a, 1991, 1994), Hesse (1987, 1990), Dosi/ Freeman/Nelson/Silverberg/Soete (1988), Hodgson (1993), Dosi/Nelson (1994) sowie neuerdings Nelson (1995).
32
Wolfgang Kerber
daß der anzustrebende wettbewerbstheoretische Neuanfang nicht innerhalb des traditionellen Ansatzes neoklassischer Gleichgewichtsökonomie verwirklicht werden kann.4 Ausgehend von diesen alternativen wettbewerbstheoretischen Konzepten und unter Einbeziehung weiterer, neuerer evolutorischer Ansätze sollen in diesem Beitrag die Grundlinien eines neuen wettbewerbstheoretischen Konzepts vorgestellt werden, das gerade durch die Kombination von Elementen verschiedener bisheriger Ansätze bessere Perspektiven für die Entwicklung eines zu traditionellen neoklassischen Wettbewerbskonzepten alternativen Ansatzes bieten soll.5 Die Grundidee dieses "evolutorischen Wettbewerbs" besteht darin, Wettbewerb vor allem als einen Prozeß der Schaffung und Verbreitung von neuem Wissen aufzufassen. Wettbewerb wird damit vor allem als ein Prozeß gesehen, in dem laufend neue Hypothesen über die Lösung von Problemen generiert und getestet werden, was die Möglichkeit der Akkumulation von Wissen und somit wirtschaftliche Entwicklung impliziert. Es geht folglich darum, ein neues, an Wissen, Neuerungen und Entwicklung orientiertes Wettbewerbskonzept zu entwerfen, das eine Alternative zu den neoklassischen Ansätzen darstellen kann, die Preiswettbewerb und effiziente Allokation in den Mittelpunkt stellen.6 Hierfür werden zunächst im folgenden Abschnitt 2 drei Gruppen von theoretischen Ansätzen, die bisher bereits Wettbewerb unter dem Blickwinkel der Schaffung neuen Wissens gesehen haben, daraufhin untersucht, welche ihrer zentralen theoretischen Elemente als Bausteine für ein umfassenderes Konzept wissenschaffenden Wettbewerbs geeignet sein könnten. Neben den als eigenständige Traditionen bekannten Österreichischen und Schumpeterschen Theorien werden dabei Ansätze, die mit Variations-Selektions-Überlegungen arbeiten, als eigene Argumentationsströmung begriffen. Darauf aufbauend wird in Abschnitt 3 gezeigt, wie Wettbewerb als evolutorischer Prozeß der Wissensschaffung konzipiert werden kann, und in welcher Weise der institutionelle Rahmen auf die Richtung und Dynamik dieser Wissensschaffungsprozesse einwirkt, d.h., welche Funktion ihm innerhalb dieser Wettbewerbskonzeption zukommt. Insofern wird auch eine Integration von wettbewerbstheoretischen und institutionenökonomischen Argumentationen angestrebt. Abschließend sollen einige weitere theoretische Perspektiven aufgezeigt werden (Abschnitt 4).
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Vgl. bspw. die Einleitungskapitel in Arndt (1952, S. 11 ff.) und Heuß (1965, S. 6 ff.). Für eine ausführlichere Darstellung dieser Konzeption vgl. Kerber (1994a, S. 129-325). Es wäre allerdings ein Mißverständnis, das folgende Wettbewerbskonzept in der Weise zu verstehen, daß "Wettbewerb" hier mit der Schaffung und Verbreitung von neuem Wissen in eins gesetzt wird. Preiswettbewerb, effiziente Allokation sowie die machtbegrenzende Wirkung von Wettbewerb sind weitere wichtige Aspekte von Wettbewerbsprozessen. Was jedoch notwendig ist, ist eine theoretische Neuorientierung bezüglich dessen, was als die eigentlich zentrale Funktion von Wettbewerbsprozessen anzusehen ist, nämlich ihren wissenschaffenden und -verbreitenden Charakter.
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2. Wettbewerb und Wissen - Zu den Wurzeln eines evolutorischen Konzepts wissenschaffenden Wettbewerbs 2.1. Österreichische Ansätze Als eine der bedeutendsten Gegenbewegungen zur neoklassischen Ökonomie gilt heute die moderne Österreichische Schule. Ihr zentraler Theoretiker ist zweifellos F.A. von Hayek mit seinen grundlegenden Arbeiten über Wissen, Wettbewerb, Institutionen, spontane Ordnung und Evolution.7 Eine weitere Strömung, die erhebliche Aufmerksamkeit gefunden hat, stellt der im Anschluß an Ludwig von Mises vor allem von Kirzner und seinen Schülern in den USA entwickelte marktprozeßtheoretische Ansatz der "Austrian Economics" dar, innerhalb derer die sich an Lachmann und Shackle orientierende Gruppe der sog. "radikalen Subjektivisten" besondere Erwähnung verdient.8 In Deutschland war es vor allem Hoppmann, der mit seinen Arbeiten die Rezeption und Verbreitung der Gedanken von Hayeks und Kirzners vorantrieb und damit den Boden bereiten half für die im deutschsprachigen Raum inzwischen existierende breite Auseinandersetzung mit Österreichischem Denken.9 Die zentrale Neuerung, die die Österreichischen Ansätze in die ökonomische Theorie einführten, ist die systematische Berücksichtigung des Problems des Wissens - und zwar sowohl auf der Ebene des einzelnen Wirtschaftssubjekts als auch auf der Ebene der Wirtschaftspolitik beziehungsweise der Rechtsregeln. Ausgehend von der Differenzierung zwischen den "objektiven realen Tatsachen" und "jenen Tatsachen, die der Kenntnis der handelnden Person gegeben sind" (von Hayek 1937, S. 56), können die Wirtschaftssubjekte ihre individuellen Pläne nur auf die ihnen "subjektiv gegebenen Daten" gründen, die wiederum ausdrücklich als Ergebnis einer subjektiven Interpretation der Außenwelt verstanden werden.10 Das Wissen von Wirtschaftssubjekten ist aber nicht nur immer subjektiv, sondern teilweise auch nicht kommunizierbar (tacit knowledge). Weiterhin verlaufen nach von Hayek viele Handlungen "regelhaft", d.h., sie können als von den Individuen gelernte Gewohnheiten oder Handlungsdispositionen begriffen werden, die sich in der Gesellschaft verbreitet haben, da sie erfolgreiche Anpassungen an bestimmte Umstände darstellen. Auch solche, die Wirtschaftssubjekte entlastenden Verhaltensregeln (Routinen), die ihnen zum großen Teil gar nicht bewußt sind, stellen für von Hayek Wissen dar (von Hayek 1967). Insofern ist es nicht erstaunlich, daß für von Hayek das in einer Gesellschaft existierende Wissen "never exists in concentrated or integrated form, but solely as the dispersed bits of incomplete and frequently contradictory knowledge which all the separate individuals possess" (von Hayek 1945, S. 519).
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Vgl. von Hayek (1937, 1945, 1952a, 1968, 1969, 1973, 1976, 1979, 1988, 1996). Vgl. Kirzner (1973, 1992), O'Driscoll/Rizzo (1985); vgl. speziell zu den radikalen Subjektivisten Shackle (1972, 1979), Lachmann (1977, 1986), Littlechild (1979); vgl. allgemein zu dieser Strömung auch Caldwell/Boehm (1992) und Boettke (1994). Vgl. Hopptnann (1972, 1981, 1988, 1993), Kunz (1985), Schmidtchen (1983) sowie Streit (1995). Lachmann (1943, S. 73) hat die Einführung dieser Idee des "subjectivism of interpretation" als explizite Erweiterung des Programms der alten Österreichischen Schule (Menger u.a.) mit ihrem "subjectivism of want" verstanden.
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Mit der Ablehnung der von der traditionellen neoklassischen MikroÖkonomik implizit unterstellten Prämisse, daß die Wirtschaftssubjekte über ein objektives Wissen über die "äußeren Umstände" verfügen, haben die Österreichischen Ansätze dem Wissen der Wirtschaftssubjekte einen eigenen theoretischen Stellenwert zugeschrieben. Insofern wird es zum zentralen Problem, wie sich das individuelle Wissen verändert beziehungsweise in welcher Weise das verstreut existierende Wissen der verschiedenen Wirtschaftssubjekte am besten genutzt werden kann. Ob es beispielsweise eine "Tendenz zum Gleichgewicht" gibt, wird folglich für von Hayek zu einer empirischen Frage darüber, wie Wirtschaftssubjekte in ökonomischen Prozessen Wissen erwerben, und ist nicht mehr nur formal-logisch zu entscheiden (von Hayek 1937). Von Hayeks radikale Kritik, daß "[a]ny approach, ..., which in effect starts from the assumption that people's knowledge corresponds with the objective facts of the Situation, systematically leaves out what is our main task to explain (von Hayek 1945, S. 530; Hervorhebung im Original), ist nun auch die Grundlage seiner Kritik an der neoklassischen Konzeption von Wettbewerb. So wirft von Hayek der neoklassischen Theorie der vollkommenen Konkurrenz ihren völlig verfehlten theoretischen Ausgangspunkt vor, da sie nämlich vollständiges Wissen bei den Marktbeteiligten immer schon voraussetzt, während dagegen bei von Hayek "der Prozeß des Wettbewerbs" gerade den Sinn hat, "jenen Zustand" erst zu schaffen (von Hayek 1952b, S. 122).11 Was beispielsweise die niedrigsten Kosten sind, zu denen ein Gut hergestellt werden kann, oder welche Wünsche die Konsumenten haben, kann "nicht mit Recht als Tatsachen betrachtet werden, sondern [sollte] vielmehr als Probleme angesehen werden, die durch den Wettbewerbsprozeß zu lösen sind" (ebd., S. 127). Das diesbezügliche Wissen wird folglich erst im und durch den Wettbewerbsprozeß selbst herausgefunden.12 Diese Auffassung, Wettbewerb "einmal systematisch als ein Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen [zu] betrachten, die ohne sein Bestehen entweder unbekannt bleiben oder doch zumindest nicht genutzt werden würden" (von Hayek 1968, S. 3), muß als die eigentliche Grundidee der von Hayekschen Wettbewerbskonzeption angesehen werden. Diese von Hayeksche Vorstellung vom "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" zieht verschiedene Konsequenzen nach sich. So versteht von Hayek den Wettbewerbsprozeß als einen trial and error-Prozeß, der Parallelen zum wissenschaftlichen Forschungsprozeß aufweist. Während letzterer aber auf die Entdeckung von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten abzielt, würde der Wettbewerbsprozeß auf die Entdeckung von "besonderen Umständen von Raum und Zeit" abstellen (ebd., S. 4 f.). Eine weitere zentrale Implikation ist darin zu sehen, daß niemand vor dem Wettbewerbsprozeß wissen kann, welche Tatsachen in diesem Prozeß entdeckt werden. Die daraus folgende Unvoraussagbarkeit der Ergebnisse von Wettbewerbsprozessen hat zur Konsequenz, daß keine hypothetischen Wettbewerbsverläufe konstruiert werden können, woraus Hoppmann die wettbewerbspolitische Folgerung der Unmöglichkeit von 11
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Wichtig ist, daß diese Kritik von Hayeks sich eben nicht speziell auf die Marktform der vollkommenen Konkurrenz bezieht, sondern gleichermaßen für alle anderen Marktformen gilt, d.h., es wird die preistheoretische Vorgehensweise an sich kritisiert. Insofern zeichnet sich auch die Figur des Unternehmers in Kirzners marktprozeßtheoretischem Ansatz durch "Findigkeit" ("alertness") aus (vgl. Kirzner 1973, S. 54).
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Marktergebnistests zog. 13 Und da wir ohne den Wettbewerb nicht wissen, welche besonderen Umstände zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegen, können wir empirisch auch nie feststellen, wie "wirksam er zur Entdeckung aller relevanten Umstände führt, die hätten entdeckt werden können" (von Hayek 1968, S. 4). 14 Das Wissensproblem tritt bei von Hayek aber auch auf der wirtschaftspolitischen Ebene auf. Nicht nur müssen Planwirtschaften daran scheitern, daß das auf viele Individuen verstreute Wissen nicht an einer Stelle zentralisierbar ist, vielmehr würden auch die vielfältigen Versuche von Regierungen, in Marktwirtschaften durch interventionistische Maßnahmen spezifische Ziele zu erreichen, ein Wissen der wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger voraussetzen, das diese nicht besitzen können (von Hayeks Vorwurf der "Anmaßung von Wissen"). 15 Von Hayeks, Herangehensweise ist dagegen eine institutionenökonomische, d.h., er fragt nach den institutionellen Bedingungen dafür, daß das verstreute Wissen der Individuen möglichst gut genutzt werden kann. Seine Antwort besteht in der Forderung nach allgemeinen Regeln des Rechts ("rule of law"), die in Form von Verhaltensverboten "einen Bereich freien Handelns abgrenzen" (von Hayek 1969, S. 173) und auf diese Weise einerseits stabile Erwartungen darüber ermöglichen, mit welchen Verhaltensweisen andere Wirtschaftssubjekte nicht zu rechnen brauchen, und andererseits Freiheitsspielräume schaffen, innerhalb derer die Individuen frei sind, ihr jeweils spezifisches Wissen für ihre j e eigenen Ziele einzusetzen. Insofern sieht es von Hayek (1952a, S. 145) auch für notwendig an, nach dem richtigen "gesetzlichen Rahmenwerk" zu suchen, um "den Wettbewerb so wirksam und wohltätig wie möglich zu machen". Von Hayeks Kritik am "konstruktivistischen Rationalismus", die zwar schrittweise Verbesserungen des Regelsystems, aber nicht dessen Neukonstruktion ex nihilo für möglich hält, gründet in seiner Theorie der kulturellen Evolution, in der er den Prozeß der Entstehung und Veränderung der in einer Gesellschaft geltenden Regeln als Ergebnis eines im Prinzip mit dem biologischen Evolutionsprozeß vergleichbaren VariationsSelektions-Prozesses begreift. 16 Da jene Regeln den Menschen helfen, mit ihren Problemen erfolgreich umzugehen, kann dieser Prozeß der Regelevolution nach von Hayek als Anpassungsprozeß verstanden werden, in dem die sich herausbildenden Regeln zu einer immer wirksameren spontanen Ordnung der Aktivitäten der Mitglieder der Gesellschaft führen. 17 Für das Verständnis von von Hayeks Wettbewerbskonzeption ist nun die Unterscheidung zwischen diesen evolutorischen Prozessen auf der
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Vgl. beispielsweise Hoppmann (1976, S. 171 ff.). Hieraus folgert von Hayek auch die wichtige methodologische Konsequenz, "daß die Gültigkeit der Theorie des Wettbewerbs für jene Fälle, in denen sie interessant ist [d.h. in denen wir die Tatsachen noch nicht kennen, W.K.], nie empirisch nachgeprüft werden kann" (von Hayek 1968, S. 4; Hervorhebung im Original). Vgl. hierzu von Hayek (1945, 1975) mit seiner Kritik des "konstruktivistischen Rationalismus". Vgl. von Hayek (1967, 1973, 1988) sowie weiter unten Abschnitt 2.3. Vgl. von Hayek (1967, S. 67; im Original teilweise hervorgehoben): "... what may be called the natural selection of rules will operate on the basis of the greater or lesser efficiency of the resulting order of the group". Insofern können wir davon sprechen, daß in tradierten Regeln die Erfahrungen vergangener Generationen gespeichert sind und in solchen Regeln insofern "Wissen" enthalten ist.
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Regelebene und den aus den Handlungen der Wirtschaftssubjekte entstehenden spontanen Prozessen auf der Marktebene notwendig. 18 Im folgenden wird hier die These vertreten, daß von Hayek zwar auf der Regelebene von einem evolutorischen Prozeß ausging, auf der Ebene des Marktes aber eher einen sogenannten koordinationstheoretischen Ansatz vertrat. Den koordinationstheoretischen Marktprozeßansatz hat bisher Kirzner am klarsten formuliert. 1 9 Ausgehend von seiner Unterscheidung in sogenannte underlying variables und induced variables 20 versteht er unter dem (von findigen Unternehmern getragenen) Marktprozeß diejenigen Kräfte, die die induced variables an die jeweiligen underlying variables anpassen. Damit grenzt sich Kirzner z u m einen vom neoklassischen Gleichgewichtsdenken ab, in dem dieser Anpassungsprozeß schon immer als abgeschlossen unterstellt wird, womit der Marktprozeß von vornherein ausgeblendet wird, und z u m anderen von den sogenannten radikalen Subjektivisten wie Shackle und Lachmann, die auch die Veränderungen der underlying variables als Teil des Marktprozesses berücksichtigt sehen wollen. Dadurch, daß Kirzner aus dem Marktprozeß alle Veränderungen der underlying variables hinausdefiniert, versucht er zu zeigen, daß der Marktprozeß sich immer auf einen (wenn auch unbekannten) Gleichgewichtszustand zubewegt, indem er noch bestehende Koordinationslücken schließt und insofern gleichgewichtsbildenden Charakter hat. Der Kirznersche Marktprozeß zielt somit auf ein Koordinationsgleichgewicht ab. Es kann gezeigt werden, daß es gute Gründe dafür gibt, von Hayeks Wettbewerbskonzept nicht wie den Prozeß der Regelentwicklung als evolutorisch zu interpretieren, sondern eher in diesem Kirznerschen koordinationstheoretischen Sinne. 21 Die durch den "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" auf der Marktebene zu erfüllende Aufgabe würde dann darin liegen, die jeweilig bestehenden objektiven Umstände zu entdecken, d.h., zu einer Übereinstimmung von subjektiven und objektiven Daten zu kommen, um auf diese Weise die Koordination der Pläne der Wirtschaftssubjekte herbeizuführen. Denn der Kern der von Hayekschen Idee von "spontaner Ordnung" auf der Marktebene ist die möglichst weitgehende Erfüllung der Erwartungen der Wirtschaftssubjekte bei der Realisierung ihrer Pläne. Mit dieser Interpretation konfligiert nicht die Charakterisierung dieses Wettbewerbsprozesses als trial and error-Prozeß, dessen Ergebnisse nicht
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Bezüglich der Unterscheidung zweier verschiedener Prozesse spontaner Ordnung bei von Hayek vgl. Vanberg (1981, S. 8) sowie Barry (1982, S. 11): "In one sense we speak of spontaneous order to refer to a complex aggregate structure which is formed out of the uncoerced actions of individuals, whereas in another sense we speak of the evolutionary growth of laws and institutions through a kind of Darwinian 'survival of the fittest' process
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Vgl. zum folgenden Kirzner (1992) sowie Kerber (1993b). Unter den "underlying variables" versteht Kirzner (1992, S. 41 ff.) Präferenzen, technologische Möglichkeiten und Ressourcenbestände, d.h. Größen, die in der üblichen neoklassischen MikroÖkonomik als exogen gegebenen Daten unterstellt werden, während er die in neoklassischen Modellen normalerweise endogen bestimmten Größen wie Preise, verwendete Technologien und Mengen als "induced variables" bezeichnet. Für eine ausführlichere Begründung dieser koordinationstheoretischen Interpretation des von Hayekschen Wettbewerbskonzepts vgl. Kerber (1994a, S. 142-158).
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vorab bekannt sein können, denn diese Eigenschaften kennzeichnen auch den Kirznerschen Marktprozeß. Diese bei vielen Österreichischen Marktprozeßtheoretikern mehr oder minder explizit formulierte koordinationstheoretische Ausrichtung wird hier deshalb so stark hervorgehoben, da gerade dieser Aspekt als eines der zentralen Probleme dieser theoretischen Strömung angesehen werden muß. Eine kleine Gruppe innerhalb dieser Ansätze, die sogenannten radikalen Subjektivisten, haben genau an diesem Punkt ihre Kritik angesetzt.22 Denn für sie ist die Kreativität der Menschen als Quelle von Neuem ein wesentlicher Bestandteil des subjektivistischen Wissenskonzepts, so daß in Marktprozessen nicht nur bereits vorher vorhandene (aber unbekannte) Daten "entdeckt" oder "gefunden" werden, sondern Neues kreiert wird, d.h., daß die "äußeren Umstände" durch den Marktprozeß verändert werden. Werden jedoch Kreativität und Neuerungen wie bei Lachmann und Shackle - explizit als endogener Teil des Marktprozesses gesehen, so kann der Marktprozeß weder als ausschließlich koordinierend noch als gleichgewichtsbildend gekennzeichnet werden, sondern "competitive market forces will cause discoordination as well as coordination of agents' plans".23 Der entscheidende Punkt besteht darin, daß die Idee, den Marktprozeß als Koordinationsprozeß zu begreifen, in einem (zumindest begrenzten) Konflikt mit der Idee der Kreation von Neuem und damit mit einem evolutorischen Wettbewerbsverständnis steht.24 Zusammenfassend kann als zentraler Beitrag der Österreichischen Ansätze für ein Konzept wissenschaffenden Wettbewerbs zunächst die klare Herausarbeitung der Bedeutung des Wissensproblems für die ökonomische Theorie begriffen werden. Es ist das letztlich nicht aufhebbare Problem des Auseinanderfallens von subjektivem Wissen und objektiven Gegebenheiten sowie die Verstreutheit des individuellen Wissens, das es nahelegt, Wettbewerbsprozesse im von Hayekschca Sinne als Verfahren zum Erwerb neuen Wissens zu begreifen. Diese bezüglich ihrer Ergebnisse nicht antizipierbaren trial and error-Prozesse sollten jedoch nicht als ausschließlich koordinierend und damit zu einem Gleichgewicht strebend verstanden werden, sondern aufgrund der Kreativität der Menschen als auf die Zukunft hin offene Prozesse. Einen weiteren zentralen Baustein stellt von Hayeks Betonung der Bedeutung der institutionellen Bedingungen für die Funktionsfähigkeit von spontanen Marktprozessen dar.
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Vgl. allgemein Lachmann (1976, 1986), Littlechild (1979) sowie insbesondere auch Buchanan/Vanberg (1991). Lachmann (1986, S. 5); er spricht auch von "an image of the market as a particular kind of process, a continuous process without beginning or end, propelled by the interaction between forces of equilibrium and the forces of change" (Lachmann 1976, S. 61). Denn die Kreation von nichtantizipierbar Neuem führt definitionsgemäß zu Erwartungsenttäuschungen bei anderen Wirtschaftssubjekten. Insofern werden in evolutorischen Wettbewerbsprozessen mit den Neuerungen auch laufend endogen Erwartungsenttäuschungen produziert. Das Verhältnis von Koordination und Evolution stellt folglich ein komplexes Problem dar, was bisher von vielen Österreichischen Autoren nicht ausreichend herausgearbeitet wurde und auch hier nicht weiter vertieft werden kann. Vgl. etwas ausführlicher Kerber (1994a, S. 167 f., insbes. Fn. 85).
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2.2. Schumpetersche Ansätze Im Vergleich zu den Österreichischen Ansätzen stellen die in der Schumpeterschen Tradition stehenden Theorien eine wesentlich heterogenere Gruppe dar.25 Auch wenn diese teilweise weit über Schumpeter hinausgegangen sind, so stellt für diese Ansätze Schumpeters "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" immer noch den zentralen Bezugspunkt dar.26 Gerade für die Wettbewerbstheorie ist hierbei vor allem die in Deutschland entstandene Tradition des "dynamischen Wettbewerbs" hervorzuheben,27 die - auch unter Rückgriff auf Clark28 - den Wettbewerb durch ihre Betonung von Neuerungen systematisch im Kontext einer Schumpeterschen Konzeption wirtschaftlicher Entwicklung begriff. Insofern entstanden aus dieser Tradition auch neuere, explizit evolutorische Ansätze wirtschaftlicher Entwicklung.29 Völlig unabhängig hiervon hat sich im angelsächsischen Raum seit Anfang der achtziger Jahre eine breite, evolutorisch ausgerichtete Innovationsforschung entwickelt ("evolutorische Neo-SchumpeterAnsätze"), die sich ebenso wie die traditionelle theoretische und empirische Innovationsforschung als in der Schumpeterschen Tradition stehend sieht.30 Charakteristisch für alle Schumpeterschen Ansätze ist, daß "Neuerungen" und "wirtschaftliche Entwicklung" als eigenständige Phänomene angesehen werden, die mit dem Instrumentarium der neoklassischen Gleichgewichtsökonomie prinzipiell nicht adäquat erfaßt werden können. Bekanntlich machte Schumpeter die grundlegende Unterscheidung zwischen einer sich "in jahraus jahrein wesentlich gleicher Bahn" bewegenden Wirtschaft ("Kreislauf') und einer in "Entwicklung" befindlichen Wirtschaft, die sich dadurch auszeichnet, daß "das wirtschaftliche Leben selbst seine eigenen Daten ruckweise ändert" (Schumpeter 1952, S. 94; im Original teilweise hervorgehoben). Kern seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung ist, daß die neoklassische Gleichgewichtsökonomie sich zwar für die Analyse des "Kreislaufs" und dessen Veränderungen durch exogene Datenveränderungen eignen würde, nicht aber für die Untersuchung des Entwicklungsphänomens als Folge derjenigen Datenveränderungen, "die die Wirtschaft aus sich selbst heraus zeugt" (ebd., S. 95), d.h. für die Analyse des endogenen Wandels der Wirtschaft. Die auf Schumpeter rekurrierenden wettbewerbsund entwicklungstheoretischen Ansätze haben deshalb auch ihre Bemühungen immer in 25
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Breite Überblicke über die verschiedenen Strömungen innerhalb der Schumpeterschen Tradition sind rar; vgl. am ehesten noch Behrens (1988, S. 9-135) sowie Rahmeyer (1993). Schumpeter (1950, 1952); vgl. auch die zusammenfassende Darstellung in Elliott (1983). Vgl. z.B. Arndt (1952), Heuß (1965, 1980), Krüsselberg (1969), Hoppmann (1977, 1988), Oberender (1973), Kaufer (1980), Herdzina (1981), Eickhof (1982), C.W. Neumann (1983), Helmstädter (1986), Wieandt (1994); auch Kantzenbach (1967) und Schmidt (1993) verwenden Argumentationen des dynamischen Wettbewerbs. Vgl. Clark (1954, 1961). Vgl. hierzu die Arbeiten von Röpke (1977, 1983, 1990a), Fehl (1980, 1983), Hesse (1987, 1990, 1992) sowie Witt (1987a, 1993). Vgl. Nelson/Winter (1982), Dosi (1988), Silverberg (1988), Metcalfe (1989), Dosi/Nelson (1994), Nelson (1995) sowie die Sammelbände von Dosi/Freeman/Nelson/ Silverberg/Soete (1988), Saviotti/Metcalfe (1991), Magnusson (1994) und Andersen (1994). Es sei darauf hingewiesen, daß gerade diese Literatur durch ihre explizite Verwendung von Variations-Selektions-Argumentationen auch im folgenden Abschnitt 2.3 noch einmal aufgegriffen wird.
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direktem Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Entwicklung eines alternativen theoretischen Paradigmas zur neoklassischen Gleichgewichtstheorie gesehen.31 Auf der Ebene der Konzeption des einzelnen Wirtschaftssubjekts hat sich die Suche der Schumpeterschcn Ansätze nach einem prinzipiell über den (durch ein einfaches Optimierungsverhalten gekennzeichneten) neoklassischen homo oeconomicus hinausgehenden Handlungsmodell zunächst im Begriff des Unternehmers niedergeschlagen. Bereits Schumpeter hatte mit dem "Unternehmer" besondere kognitive und motivationale Eigenschaften verbunden und ihn über seine Funktion der Durchsetzung von Neuerungen definiert. Damit hat er ihn methodisch in bewußten Gegensatz zu dem im "Kreislauf' agierenden "Wirt" gesetzt und damit den Weg freigemacht, auch verhaltenswissenschaftliche Untersuchungen über die kognitiven und motivationalen Grundlagen von Neuerungsaktivitäten miteinzubeziehen.32 Im Rahmen der Theorie des dynamischen Wettbewerbs wurde bereits früh die Kreativität als die entscheidende Eigenschaft des Unternehmers hervorgehoben.33 Die zentrale Bedeutung der menschlichen Kreativität für den endogenen und offenen Charakter von wirtschaftlichen Entwicklungsprozessen ist auch von den anderen Ansätzen innerhalb der Schumpeterschen Tradition wie beispielsweise der evolutorischen Innovationsforschung betont worden.34 Im Rahmen dieser neueren Ansätze innerhalb der Schumpeterschen Tradition sind verschiedene Konzeptionen für ein evolutorisch orientiertes Handlungsmodell des einzelnen Wirtschaftssubjekts entwickelt worden. So haben Nelson/Winter (1982) mit ihrer Grundidee, das Verhalten von Firmen als Folge einer (sich evolutorisch über die Zeit verändernden) Menge von Verhaltensroutinen zu deuten, explizit an der Kritik der verhaltenswissenschaftlich orientierten Ansätze des "managerialism" und "behaviorism" an der Konzeption der neoklassischen, gewinnmaximierenden Firma angeknüpft.35 Die dabei benutzte Vorstellung, Routinen als in Verhaltensregeln inkorporiertes Wissen zu verstehen, geht parallel mit entsprechenden von Hayekschtn Überlegungen. Ein anderes (prinzipiell damit kompatibles) Handlungsmodell stellt das Konzept von Hesse (1990) dar, der menschliches Handeln in zwei analytisch streng zu unterscheidende Teile zerlegt, nämlich erstens in die kreative Konstitution der von den Wirtschaftssubjekten wahrgenommenen Handlungsalternativen ("Prinzip der kognitiven Kreation") und zweitens in die rationale Auswahl aus diesen dann gegebenen Handlungsalternativen ("Rationalprinzip"). An diesem Handlungsmodell wird deutlich, wie sich die Kreativität
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Vgl. nochmals Arndt (1952, S. 11 ff.), Heuß (1965, S. 6 ff.) sowie ausführlich Röpke (1977) und Witt (1987a). Vgl. Schumpeter (1952, S. 111 ff.; 1928), Röpke (1977) sowie insbesondere das in Witt (1987a) formulierte Forschungsprogramm; vgl. auch die Differenzierung in verschiedene Unternehmertypen von Heuß (1965, S. 9 ff.). Vgl. z.B. den "schöpferischen Wirtschaftsmenschen" bei Arndt (1952, S. 43) sowie Heuß (1965, S. 7 f.). Vgl. Nelson/Winter (1982, S. 216 f.), Metcalfe (1988, S. 568 f.) und Dosi (1988, S. 1125 f.). Hesse (1987, 1990) sieht die Kreativität als eine anthropologische Konstante und hat gerade aus ihrem steten Wirken die Notwendigkeit einer evolutorischen ökonomischen Theorie abgeleitet. Insofern sind auch die innerhalb des "bounded rationality"-Konzepts (Simon 1957) entwickelten Argumentationen in diese Überlegungen miteingeflossen.
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("Prinzip der kognitiven Kreation") mit dem Prinzip der (subjektiven) Rationalität verbinden läßt. 36 Auch in dieser Schumpeterschen Tradition wurde nun der Begriff des Wettbewerbs aus seiner neoklassisch-preistheoretischen Einbindung gelöst. Zwar wurde die Dimension des Preiswettbewerbs nicht negiert, aber als eigentlichen Kern des Wettbewerbsphänomens wurde die Kreation und Verbreitung von Neuerungen gesehen. Wettbewerb ist aus Schumpeterschei Sicht somit vor allem NeuerungsWettbewerb, d.h., es geht u m "die Konkurrenz der neuen Ware, der neuen Technik, der neuen Versorgungsquelle ...".37 Wettbewerb wird in dieser Tradition als ständiger Prozeß von Innovation und Imitation begriffen, der durch die Kreativität der Wirtschaftssubjekte (Unternehmer) vorangetrieben wird. Und dadurch daß dem Wettbewerb hier vor allem die Aufgabe der Hervorbringung und Verbreitung technischen Fortschritts zukommt, wird er gleichzeitig zum Motor der als endogen gedachten wirtschaftlichen Entwicklung. Neuerungen, Wettbewerb, Unternehmer und wirtschaftliche Entwicklung sind deshalb die eine theoretische Einheit bildenden Zentralbegriffe eines der neoklassischen Gleichgewichtsökonomie bewußt entgegengesetzten evolutorischen Paradigmas. D e m entspricht es, daß Wettbewerb - gespeist durch die menschliche Kreativität - als ein ständig in Bewegung befindlicher und offener Prozeß verstanden wird, der sich fern von neoklassischen Gleichgewichtszuständen abspielt. Zu einem im eigentlichen Sinne wettbewerbstheoretischen Ansatz ist jedoch die Schumpetersche Idee von Wettbewerb erst im Rahmen der Theorie des dynamischen Wettbewerbs ausgebaut worden. Arndt, Clark und andere haben hierbei insbesondere mit der ursprünglichen Schumpeterschen Konzeption des vollständigen Durchlaufens von ganzen Innovations-Imitations-Zyklen gebrochen und den "dynamischen Wettbewerb" als einen rivalisierenden Prozeß des ständigen Vorstoßens, Nachziehens und Überholens zwischen den Wettbewerbern konzipiert, so daß Innovations- und Imitationsprozesse im Wettbewerb gleichzeitig ablaufen. 38 Auch haben sie dabei nicht nur wie Schumpeter die großen revolutionären Neuerungen berücksichtigt, sondern gleichermaßen auch die vielen mittleren und geringen innovativen Verbesserungen. Dies geht einher mit dem Versuch der Theorie des dynamischen Wettbewerbs, alle in realen Marktprozessen eingesetzten Aktionsparameter in ihre wettbewerbstheoretische Konzeption einzubeziehen, d.h. neben dem Preis auch Rabatte, Werbung, Produktdifferenzierung usw. und eben insbesondere auch Produkt- und Verfahrensinnovationen.
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Vgl. zu einer solchen Zweiteilung des menschlichen Entscheidungsprozesses auch Röpke (1977, S. 97): " ... müssen wir kognitive Prozesse auf zwei hierarchisch verbundenen Ebenen unterscheiden: den Primärprozeß der Imagination, Inspiration und Ideenfindung und den Sekundärprozeß des Urteils, der rationalen Auswahl und Entscheidung innerhalb eines durch primäre intuitive Akte aufgebauten oder kreierten Problemrahmens." Röpke wie Hesse greifen dabei wiederum auf Shackle (1972, 1979) mit seiner Vorstellung der "imagination" als "unverursachter Ursache" zurück. Schumpeter (1950, S. 140); und er macht deutlich, daß im Vergleich zu dieser Art von Konkurrenz "es verhältnismäßig gleichgültig wird, ob die Konkurrenz im gewöhnlichen Sinne mehr oder weniger rasch funktioniert" (ebd.). Vgl. beispielsweise Arndt (1952), Clark (1954), Heuß (1965, 1980) sowie Hoppmann (1977).
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Wettbewerb wird in dieser Konzeption folglich mit allen den Unternehmen zur Verfügung stehenden Aktionsparametern betrieben. 39 Ein wichtiges Charakteristikum des Schumpeterschen Wettbewerbs, das vor allem von der Theorie des dynamischen Wettbewerbs herausgearbeitet wurde, ist der Rivalitätscharakter von Wettbewerb. Zum einen verbindet sich damit die Vorstellung, daß Wettbewerbsprozesse aus vorstoßenden, nachziehenden und überholenden Aktionen der Wettbewerber bestehen. Zum anderen impliziert dies auch, daß Gewinne und Verluste Folge der relativen Leistungen von Wettbewerbern im Vergleich zu ihren Konkurrenten sind. Gewinne machen diejenigen Unternehmen, die aus der Sicht ihrer Marktpartner relativ besser als ihre Mitwettbewerber sind. Die Gewinne von Wettbewerbern, die in diesem Rivalitätsprozeß durch bessere Leistungen ihren Konkurrenten überlegen sind, sind deshalb als "Vorsprungsgewinne" bezeichnet worden, während Verluste dann als Folge eines "Zurückfallens" in diesem Wettlauf um bessere Leistungen interpretiert werden können. Gewinne und Verluste werden damit in der Theorie des "dynamischen Wettbewerbs" nicht als Resultat von marktmächtigen Positionen in Gleichgewichtszuständen interpretiert, sondern als prozessuale Phänomene in dem dynamischen Prozeß von Vorstoß, Nachziehen und Überholen. Prozesse des Entstehens und des Abbaus von Marktmacht sind folglich normale Phänomene in Schumpeterschen Wettbewerbsprozessen.
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Wichtiger ist jedoch noch eine andere Implikation des rivalisierenden Charakters von Wettbewerbsprozessen. Es ist gerade die Aussicht auf die Realisierung von Vorsprungsgewinnen bzw. die Furcht, durch das Zurückfallen im Wettbewerb Marktanteile zu verlieren und dadurch Verluste zu erleiden, die den Wettbewerbern in diesem dynamischen Prozeß enorme Anreize gibt, ihre Leistungen im Wettbewerb zu verbessern beziehungsweise die überlegenen Leistungen anderer zu imitieren. 41 Bereits Schumpeter (1950, S. 138) hatte mit seiner Kennzeichnung des Innovationswettbewerbs als "schöpferische Zerstörung" darauf hingewiesen, daß der innovatorische Vorstoß eines Wettbewerbers, beispielsweise in Form von Produktinnovationen, die Produkte seiner Konkurrenten entwerten kann, so daß sich wettbewerbliche Vorstöße negativ auf die Vermögensposition der Mitwettbewerber auswirken. 42 Hieraus folgt jedoch nicht nur die Existenz eines in diesen dynamischen Wettbewerbsprozessen inhärenten Anreizund Sanktionsmechanismus, sondern dies impliziert darüber hinaus eine immanente Eigendynamik, bei der sich die Wettbewerber mit ihren vorstoßenden, nachziehenden und überholenden Wettbewerbsaktionen wechselseitig vorwärtstreiben. Die Theorie des dynamischen Wettbewerbs hatte es deshalb auch immer als ein zentrales Problem angesehen, ob dieser dynamische Wettbewerbsprozeß nicht zum Erliegen 39 40 41
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Vgl. z.B. Heuß (1965) und Oberender(\916). Vgl. hierzu insbesondere Hoppmann (1977). Auch in den evolutorischen Neo-Sc/jumpefer-Ansätzen ist dieser Rivalitätscharakter und die von ihm ausgehende Anreizstruktur für die Wettbewerber gesehen worden (vgl. Dosi 1988, S. 1158; Nelson/Winter 1982, S. 276; Metcalfe/Gibbons 1989, S. 159). Diese in Wettbewerbsprozessen ständig stattfindenden Umverteilungen sind in der Literatur auch als "pekuniäre externe Effekte" bezeichnet worden; vgl. hierzu Witt (1987a, S. 184 f.), Streit/Wegner (1989, S. 195 ff.), Sälter (1989, S. 74 ff.) sowie ausführlich zu dieser Problematik Willgerodt (1992).
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kommen könne, beziehungsweise von welchen Determinanten die Aufrechterhaltung dieses eigendynamischen Prozesses abhängig ist. Im Mittelpunkt stand dabei die Überlegung, daß einerseits die im Wettbewerb durch einen innovatorischen Vorstoß erzielbaren Vorsprungsgewinne groß genug sein müßten, um einen genügend hohen Anreiz für solche risikobehafteten wettbewerblichen Aktionen abzugeben, andererseits aber die diesen Vorsprung wieder eliminierenden Reaktionen der Konkurrenten notwendig seien, u m die Vorteile der Innovation an die Marktgegenseite weiterzugeben und gleichzeitig den ursprünglich vorgestoßenen Wettbewerber wieder unter Druck zu setzen. Diese Diskussion ist z u m einen in Richtung auf die Frage nach der optimalen Patentdauer als zeitlich begrenzten rechtlichen Schutz vor der Imitation der Konkurrenten geführt worden. 43 Z u m anderen wurde diese Frage im Kontext oligopoltheoretischer Überlegungen behandelt. So hat z.B. Heuß gezeigt, daß bestimmte Marktunvollkommenheiten wie endliche Reaktionsgeschwindigkeit, Ungewißheit, mangelnde Markttransparenz sowie Heterogenität das Erkennen der oligopolistischen Interdependenz zwischen rivalisierenden Wettbewerbern und damit den Übergang zu einem den Wettbewerb einschränkenden oligopolistischen Verhalten erschweren, so daß sich solche Determinanten als positiv für die Aufrechterhaltung der Eigendynamik von Wettbewerbsprozessen erweisen. 44 Diese Überlegungen verweisen auf altbekannte Thesen von Schumpeter und Clark, nach denen sich gerade die Bedingungen der vollständigen Konkurrenz als hinderlich für die Hervorbringung von Innovationen erweisen. Die Schumpeterschen Ansätze sind deshalb auch immer von einem trade off zwischen statischer Effizienz und wirtschaftlicher Entwicklung ausgegangen: "An economic system which is better off in terms of productivity and innovativeness will have to operate in conditions of (neo-classical) allocative inefficiency" 4 5 An dieser Stelle zeigt sich erneut, daß die Schumpetersche Tradition sich bewußt von der neoklassischen Gleichgewichtsökonomie mit ihrer ausschließlichen Orientierung an der effizienten Allokation absetzt und ihre Wettbewerbskonzeption in direkte Beziehung zur wirtschaftlichen Entwicklung bringt, die sie weitgehend auf die Generierung und Verbreitung von Neuerungen zurückführt. 4 6 Betrachtet man die Schumpetersche Wettbewerbskonzeption aus dem Blickwinkel von "Wettbewerb und Wissen", so steht die Erzeugung und Verbreitung von Neuerungen als neuem, bisher noch unbekanntem Wissen über die Gestaltung von Produkten bzw. deren möglichst kostengünstige Produktion im Mittelpunkt dieser Wettbewerbskonzeption. Damit wird auf der einen Seite wesentlich pointierter als bei den 43 44
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Vgl. Clark (1954), Kaufer (1970) sowie C.W. Neumann (1983, S. 185 ff.). Vgl. Heuß (1965, S. 90 ff. u. S. 215 ff.; 1980, S. 681 ff.), Fehl (1978) sowie Kerber (1989, S. 186 ff.). Röpke (1990a, S. 116); vgl. auch Schumpeter (1950, S. 138), Clark (1954, S. 329) sowie Lutz (1956, S. 31 f.) mit seiner bekannten Charakterisierung der vollständigen Konkurrenz als "Schlafmützenkonkurrenz". In diesem Zusammenhang wird der "statischen Effizienz" auch oft der - allerdings recht unklare - Begriff der "dynamischen Effizienz" entgegengesetzt. Vgl. hierzu bereits die klare Unterscheidung von Arndt (1976, S. 37 ff.) zwischen einem Innovationen hervorbringenden "Entwicklungswettbewerb" und einem der Überwindung von Ungleichgewichtslagen auf dem Markt dienenden "Anpassungswettbewerb" sowie die im Rahmen einer Theorie wirtschaftlicher Entwicklungsprozesse stehende Marktphasentheorie von Heuß (1965).
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Österreichischen Ansätzen der technische Fortschritt als Hauptursache für die Steigerung des Lebensstandards thematisiert, gleichzeitig aber geraten die Schumpeterschen Ansätze damit in die Gefahr, zu sehr auf technologisches Wissen fixiert zu sein. Ökonomisch relevantes Wissen ist jedoch - wie bei der Herausarbeitung des "Wissensproblems" bei von Hayek gezeigt - wesentlich breiter zu verstehen. Schwerer noch wiegt jedoch ein anderes Defizit in den Schumpeterschen Wettbewerbsansätzen, nämlich die fehlende Integration von Institutionen. Zusammenfassend läßt sich somit festhalten: Die Schumpeterschen Ansätze brechen konsequenter als die Österreichischen Ansätze mit der neoklassischen Gleichgewichtstheorie und postulieren die Notwendigkeit eines eigenen theoretischen Paradigmas für das Phänomen der wirtschaftlichen Entwicklung. Wettbewerb wird hierbei als ein aufgrund der Kreativität der Wirtschaftssubjekte offener und permanenter Prozeß begriffen, in dem die Schaffung und Ausbreitung von Neuerungen im Mittelpunkt steht und der insofern die wirtschaftliche Entwicklung vorantreibt. Von besonderer Bedeutung ist weiterhin das im Rahmen der Schumpeterschen Ansätze entwickelte Handlungsmodell mit seiner expliziten Thematisierung der kognitiven und motivationalen Dimensionen des Wirtschaftssubjekts sowie die Vorstellung, Wettbewerb als einen aus Vorstößen, Nachziehen und Überholen bestehenden Rivalitätsprozeß einschließlich des damit verbundenen eigendynamischen Charakters dieses Prozesses zu sehen.
2.3. Variations-Selektions-Argumentationen Sowohl innerhalb der Österreichischen als auch der Schumpeterschen Ansätze haben Variations-Selektions-Argumentationen im Sinne von Analogien zu Erklärungsmustern biologischer Evolution eine zunehmende Bedeutung erlangt. Im Mittelpunkt steht folglich der evolutorische Prozeß von (zufälliger) Variation und anschließender Selektion als Modell für Entwicklungsprozesse. Solche Argumentationsmuster gehörten ursprünglich jedoch nicht zum paradigmatischen Kern der Österreichischen bzw. Schumpeterschen Ansätze gehörten, sondern sind erst nachträglich über von Hayeks Theorie der Regelevolution beziehungsweise die zu den evolutorischen NeoSchumpeter-Ansätzen gehörenden Nelson- Winter-Modelle in diese Traditionen eingebracht worden. Außerdem haben sich diese Variations-Selektions-Argumentationen gleichzeitig zunehmend verselbständigt und sich zu einem eigenen Kern evolutorischer Ökonomik entwickelt. Deshalb erscheint es zweckmäßig, sie als eine eigenständige Denkströmung zu behandeln.47 Es ist jedoch von vornherein zu betonen, daß es hier nicht um eine bloße Analogiebildung zur biologischen Evolution geht. Die Idee, ökonomische Prozesse als Variations-Selektions-Prozesse aufzufassen, soll vielmehr als methodologisches Analyseinstrument verstanden werden.48
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Vgl. beispielsweise Hodgson (1993), Dosi/Nelson (1994), Nelson (1995) sowie die Übersicht bei Witt (1987a, S. 33). Insofern steht der Autor der Bezeichnung "biologische Analogien" bzw. den "natural selection"-Argumentationen kritisch gegenüber und präferiert die neutralere Bezeichnung "Variations-Selektions-Argumentationen". Zur Idee, das Variations-Selektions-Schema vor allem als Methodik zu begreifen, vgl. auch ausführlicher Kerber (1996).
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Eine wichtige Strömung der Anwendung von Variations-Selektions-Argumentationen innerhalb der Ökonomie begann 1950 mit Alchians expliziter "natural selection"-Argumentation, woraus dann Friedman und später die Chicago Schule ihre Verteidigung der neoklassischen Gewinnmaximierungshypothese und ihre survivorArgumentationen entwickelten.49 Von wesentlich größerer Bedeutung ist jedoch eine zweite Gruppe von Ansätzen, die ursprünglich als Kritik an Friedmans These, daß nur gewinnmaximierende Unternehmen im Markt überleben, begann (Winter 1964), sich dann aber über die konkrete Modellierung von Variations-Selektions-Prozessen zu den bekannten Nelson- Winter-Modellen entwickelten (Nelson/Winter 1982), die wiederum den Ausgangspunkt für die moderne, evolutorisch orientierte Innovationsforschung bilden, in der Variations-Selektions-Argumentationen zum zentralen Kern theoretischen Denkens gehören.50 Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung eines auf evolutorischer Grundlage beruhenden Konzepts wissenschaffenden Wettbewerbs ist auch die Verwendung von Variations-Selektions-Argumentationen in Theorien kultureller Evolution sowie der im Rahmen der Philosophie entwickelten Evolutionären Erkenntnistheorie.51 Die Grundidee des Denkens in Variations-Selektions-Prozessen kann mit Hilfe der Modellvorstellung des "population approach" verdeutlicht werden. Ausgegangen wird dabei von einer Population im Sinne einer Menge von Einheiten mit bestimmten Eigenschaften, wobei im Zentrum des Interesses die Häufigkeitsverteilungen dieser Eigenschaften innerhalb einer solchen Population stehen, die nun im zeitlichen Ablauf durch zwei verschiedene Mechanismen verändert werden: Zum einen werden laufend Variationen generiert, so daß Einheiten mit neuen Eigenschaften auftreten, wobei das "Neue" als prinzipiell nicht antizipierbar angesehen werden muß. Zum anderen wirkt die Selektion, die sich in unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten für die Reproduktion von Einheiten mit bestimmten Eigenschaften ausdrücken läßt (différentielle Reproduktion). Evolutorische Prozesse lassen sich somit von diesem Ansatz her als Folge der Kombination von Variations- und Selektionsprozessen interpretieren, die sich in der Dynamik der Häufigkeitsverteilungen der Eigenschaften der Einheiten in der Population manifestieren.52 49
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Vgl. beispielsweise Friedman (1953), Stigler (1958) sowie Bork (1978, S. 192 ff.). Einen Überblick über weitere, ähnliche ökonomische Verwendungen solcher "natural selection"Argumentationen gibt Hodgson (1993, S. 28 ff.). Vgl. weiterhin Winter (1971) sowie u.a. die folgenden Überblicke und Sammelbände: Dosi (1988), Dosi/Freeman/Nelson/Silverberg/Soete (1988), Saviotti/Metcalfe (1991), Dosi/Nelson (1994) und Nelson (1995); diese evolutorischen Neo-Schumpeter-AnsäVze verwenden Variations-Selektions-Argumentationen und stehen gleichzeitig in der Schumpeterschen Tradition. Vgl. hierzu beispielsweise Campbell (1965), von Hayek (1967, 1973) und Boyd/Richerson (1985) sowie Popper (1973), Campbell (1987) und Irrgang (1993). Der hier beschriebene Variations-Selektions-Mechanismus findet sich in der Literatur in verschiedenen Varianten dargestellt. Vgl. bspw. Campbell (1965, S. 27): "The three essentials are these: 1. The occurrence of variations: heterogeneous, haphazard, 'blind', 'chance', 'random', but in any event variable. ... 2. Consistent selection criteria: selective elimination, selective propagation, selective retention, of certain types of variations. ... 3. A mechanism for the preservation, duplication, or propagation of the positively selected variants ... Given these conditions, an evolution in the direction of better fit to the selective
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Gerade die sich assoziativ aufdrängende biologische Interpretation solcher Variations-Selektions-Prozesse, die sich in Ausdrücken wie "natural selection" niederschlägt, legt nahe, solche Prozesse als Prozesse zunehmender Anpassung an die Umwelt zu verstehen, in denen sich die jeweils "besser angepaßten" Eigenschaften durchsetzen und vermehren, während die "schlechter angepaßten" durch die Selektion eliminiert werden ("survival of the fittest"). Solche Vorstellungen beschwören verschiedene Gefahren herauf. Zunächst entsteht das Tautologieproblem, weil die Aussage, daß das an die jeweiligen Selektionsbedingungen besser Angepaßte überlebt, lediglich eine logische Folgerung des angewandten Variations-Selektions-Denkmusters selbst ist und folglich keine empirisch gehaltvolle Aussage darstellt.53 Des weiteren besteht die Gefahr von normativen Fehlinterpretationen der Ergebnisse von Variations-SelektionsProzessen ("naturalistische Fehlschlüsse"), denn aus einer solchen "besseren Angepaßtheit" an die jeweils bestehenden Selektionsbedingungen lassen sich keinerlei Schlußfolgerungen bezüglich der Frage ziehen, ob solche Prozesse auch zu "besseren Ergebnissen" im Sinne eines unabhängigen normativen Maßstabs führen.54 Bereits aus der Diskussion zwischen Alchian und Penrose in den frühen fünfziger Jahren werden zentrale Möglichkeiten und Probleme der Anwendbarkeit von "natural selection"-Argumentationen in der ökonomischen Theorie deutlich. Das Ausgangsproblem von Alchian ist auch heute noch eine Schlüsselfrage moderner evolutorischer Ökonomik, nämlich wie es trotz der Nichtvorhersehbarkeit individuellen Verhaltens möglich sein kann,55 Aussagen über das Verhalten von ökonomischen Systemen zu machen. Um eine Lösung zu finden, interpretiert Alchian in expliziter Anlehnung an die "principles of biological evolution and natural selection ... the economic system as an adoptive mechanism which chooses among exploratory actions generated by the adaptive pursuit of 'success' or 'profits'" (Alchian 1950, S. 211). Ausgehend von der Überlegung, daß nur diejenigen Wirtschaftssubjekte im Markt überleben, deren Handlungen zu positiven Gewinnen führen, folgert Alchian, daß aufgrund dieses Selektionsprozesses die Ökonomen nur die "survival conditions and criteria" des ökonomischen Systems zu kennen brauchen, um Aussagen über die zu erwartenden Verhaltensweisen und damit
system becomes inevitable." Auf Campbell (1965) geht deshalb auch die häufig verwendete Charakterisierung dieses Prozesses als "Variation and selective retention" zurück. Allgemeine abstraktere Darstellungen dieses Populationsansatzes finden sich beispielsweise in Kieser (1988, S. 604 ff.), Witt (1987a, S. 83 ff.) und Metcalfe (1989, S. 56). Entscheidend ist, daß der Begriff "besser angepaßt" nicht unabhängig definiert und festgestellt werden kann, sondern identisch mit "Überleben" ist und somit das, was "besser angepaßt" ist, nur aus der Tatsache des Überlebens gefolgert werden kann. "Survival of the fittest" bedeutet folglich nichts anderes als "survival of the survivor"; vgl. hierzu beispielsweise Engels (1989, S. 131 ff.), Kieser (1988, S. 615), Vanberg (1994, S. 29 ff.) und Kerber (1994a, S. 211 ff. u. 336 ff.). Zum naturalistischen Fehlschluß bzw. "panglossianism" vgl. Moore (1993, S. 84 ff.), Hodgson (1993, S. 197 ff.) und Langlois/Everett (1994, S. 37 ff.). Alchian (1950) begründet dies damit, daß er angesichts von Ungewißheit und mangelnder Voraussicht der Wirtschaftssubjekte nicht mehr von der Gewinnmaximierungshypothese als Verhaltensannahme ausgehen kann. Die moderne Evolutorische Ökonomik verweist dagegen direkt auf die menschliche Kreativität als Ursache für die Nichtantizipierbarkeit der Handlungen einzelner Wirtschaftssubjekte.
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die Richtung des evolutorischen Prozesses machen zu können.56 Auch wenn sich aus der Kritik von Penrose (1952) ein zentrales Problem für eine solche Verwendung von Variations-Selektions-Argumentationen ableiten läßt, nämlich, daß durch den trial and error-Prozeß nicht wiederum die Selektionsumgebung verändert werden darf, so könnte sich dadurch doch die Möglichkeit bieten, über die Kanalisierungswirkung der Selektionsumgebung Aussagen über die Richtung evolutorischen Wandels machen zu können.57 Die im Rahmen der evolutorischen Neo-Schumpeter-Ansätze entwickelten NelsonWmfer-Modelle und die sich daran anschließende Literatur setzen andere Schwerpunkte bei der Verwendung des Variations-Selektions-Schemas. Nicht die Selektion als eine dem evolutorischen Prozeß richtunggebende Kraft steht hier im Mittelpunkt, sondern es geht darum, die technologische Entwicklung selbst zu modellieren. Firmen können in diesen Modellen sowohl nach neuen, besseren Produktionstechniken suchen (Innovation) als auch diejenigen anderer übernehmen (Imitation). Beide Prozesse werden stochastisch modelliert, wobei bei der Innovation - ausgehend von der bisher verwendeten Technik - der als gegeben unterstellte Raum möglicher Techniken schrittweise erforscht wird. Durch das vom Zufall bestimmte "Ziehen" besserer Techniken in Innovationsprozessen (Variation) und deren Imitation durch andere Firmen (Selektion) generieren solche Modelle einen Pfad der Entwicklung immer besserer Produktionstechniken, mit dem - eingebaut in ein Wachstumsmodell - wirtschaftliche Entwicklung modelliert werden kann. Nelson/Winter (1982) beanspruchen mit solchen Variations-Selektions-Modellen, eine Alternative zu traditionellen Wachstumstheorien zu bieten, ohne dabei auf neoklassische Optimierungs- und Gleichgewichtsansätze zurückgreifen zu müssen. Die Grundidee besteht folglich darin, technischen Fortschritt als Folge eines Variations-Selektions-Prozesses bezüglich der Population von Produktionstechniken zu erklären. Insofern können diese Variations-Selektions-Prozesse auch als trial and errorProzesse über die besseren Techniken verstanden werden, die über Lernprozesse zu einer Akkumulation von Wissen führen. Verschiedene Autoren stellten dabei die zentrale Rolle von Varietät bzw. Heterogenität für solche Lernprozesse heraus.58 Denn in einem trial and error-Prozeß kann nur dann gelernt werden, wenn unterschiedliches Verhalten ausprobiert wird und damit verschiedene Erfahrungen gesammelt werden. Insofern kommt nun der Innovation als Quelle von neuem Verhalten, die die Varietät und Heterogenität zwischen den Wirtschaftssubjekten erhöht, eine Schlüsselrolle zu, weil hierdurch das "Material" vergrößert wird, an dem die Selektion ansetzen kann.
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"As circumstances (economic environment) change, the analyst (economist) can select the types of participants (firms) that will now become successful" (Alchian 1950, S. 215). Vgl. zu dieser Analysemethode wesentlich ausführlicher Kerber (1996), wo auch auf die Parallelen zur Methodologie von Hesse (1987) hingewiesen wird. Vgl. Röpke (1977, S. 64 ff.), Fehl (1983, S. 76 ff.) sowie Metcalfe (1989, S. 55) und Eliasson (1994, S. 176 f.); vgl. auch bereits Heuß (1965, S. 110 ff.) und Krüsselberg (1969, S. 280 f.).
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Wichtig ist, daß damit die Varietät zu einem eigenen zentralen Input für den Prozeß der Wissensakkumulation wird.59 Innerhalb der evolutorischen Neo-Schumpeter-Ansälzz ist im Anschluß an die Nelson- Winter-Modelle eine breite Literatur entstanden, die Innovations- und Diffusionsprozesse als Ausdruck kumulativen Lernens zu erklären versucht und dabei auf Variations-Selektions-Argumentationen zurückgreift. Hierzu gehört zum einen das auf Dosi (1982) zurückgehende Konzept des "technological paradigm" einer Industrie, das in expliziter Analogie zu Kuhns wissenschaftlichen Paradigmen - der auf ihm basierenden kumulativen technologischen Entwicklung eine Richtung gibt ("technological trajectory"). Metcalfe (1989, S. 78 ff.) hat mit seiner engeren Konzeption von "design configurations" diese Vorstellung weiter differenziert und konnte damit auch den Wettbewerb zwischen solchen paradigmenartigen Konfigurationen thematisieren.60 Einen breiten Raum bei der Analyse technologischer Entwicklungen aus dem Blickwinkel von Variations-Selektions-Argumentationen wurde auch dem Problem eingeräumt, daß beispielsweise durch dynamische Skalenvorteile über kumulative Lernprozesse oder Netzeffekte Pfadabhängigkeiten entstehen können, wodurch es möglich wird, daß sich auch relativ schlechtere Technologien trotz der Existenz besserer Alternativen durchsetzen und lange Zeit "überleben" können ("lock-in"-Effekte). Das wirft die Frage nach "Fehlern" bei der Selektion von Technologien auf.61 Die Idee, gegenwärtiges Wissen als Resultat vergangener Prozesse von Variation und Selektion aufzufassen, ist völlig unabhängig hiervon und in einer gleichzeitig wesentlich grundsätzlicheren Weise sowohl in der Evolutionären Erkenntnistheorie als auch in der Theorie der kulturellen Evolution entwickelt worden. Als Ausgangspunkt für beide kann Poppers These dienen, daß die Vorstellung des Lernens als eines permanenten Prozesses des Experimentierens und der Fehlerelimination ("darwinistische Theorie des Wachstums des Wissens", Popper 1973, S. 312) sowohl auf die biologische Evolution als auch auf die Entwicklung menschlichen Wissens angewendet werden kann: "Alle Organismen sind ständig, Tag und Nacht, mit dem Lösen von Problemen beschäftigt..." (ebd., S. 289; Hervorhebung im Original). Und: "Problemlösen geht immer nach der Methode von Versuch und Irrtum vor: Neue Reaktionen, neue Formen, neue Organe, neue Verhaltensweisen, neue Hypothesen werden versuchsweise entwickelt und durch Fehlerelimination kontrolliert" (ebd.). Insofern kann man auch davon sprechen, daß in den jeweils existierenden Organismen Wissen in Form von für das Überleben zweckmäßigen Eigenschaften und Verhaltensdispositionen "verkörpert" ist, wobei das bishe59
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"Economic change is driven by variety in economic Performance between competing, alternative ways of meeting specific needs" ( M e t c a l f e 1989, S. 55). Vgl. auch Dosi (1988, S. 1158; Hervorhebung im Original): "... technological asymmetries and technological and behavioral variety are both the outcome and a driving force of technological and organizational change". Heterogenität stellt somit keine Störung dar, sondern wird zur positiven Ressource für Entwicklungsprozesse. Da Metealfe/Boden (1992, S. 66) die Firma als "specialized with respect to design configurations" verstehen, können sie nun auch zwischen "competition within a design configuration and competition between design configurations" (ebd., S. 61; Hervorhebung im Original) unterscheiden; vgl. auch Metcalfe/Gibbons (1989, S. 160 ff.). Vgl. hierzu die Beiträge von David (1985), Arthur (1988) sowie den Überblick in Dosi/Nelson (1994, S. 166 ff.).
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rige Überleben als Indikator für die "Bewährung" dieses Wissens angesehen werden kann (vgl. ebd., S. 91 f.). Dieses Prinzip der Entwicklung zunehmenden Wissens und damit wachsender Anpassung durch trial and error-Prozesse ist in der Theorie der kulturellen Evolution auch auf die Entwicklung der Regeln des menschlichen Zusammenlebens und damit auf die sozio-kulturelle Evolution übertragen worden. Versteht man wie von Hayek Verhaltensregeln als "multi-purpose instruments developed as adaptations to certain kinds of environment because they help to deal with certain kinds of situations"62 und geht von einem langen Prozeß des Experimentierens und der Selektion von Regeln aus, so können tradierte Verhaltensregeln in der Weise verstanden werden, daß sie das Resultat eines jahrhundertelangen Erfahrungsprozesses sind und insofern einen akkumulierten Bestand an Wissen verkörpern.63 Innerhalb der Philosophie war es die Evolutionäre Erkenntnistheorie, die, ausgehend von solchen Überlegungen, einen radikalen Bruch mit der traditionellen philosophischen Erkenntnistheorie vollzogen hat, indem sie die menschliche Erkenntnis als Produkt eines biologischen und kulturellen evolutorischen Anpassungsprozesses begreift.64 Popper hat diese Idee der Wissensakkumulierung über Variations-Selektions-Prozesse jedoch auch unmittelbar in seiner Methodologie des Kritischen Rationalismus verwendet.65 Die Grundidee des Popperschen Falsifikationismus, daß wissenschaftlicher Fortschritt dadurch entsteht, daß Forscher immer wieder empirisch gehaltvolle (nomologische) Hypothesen aufstellen, an der Realität testen, widerlegte Hypothesen eliminieren und neue ausprobieren, stellt nichts anderes dar als die bewußte Anwendung des Prinzips des Lernens durch die Elimination von Fehlern. Poppers wissenschaftlicher Forschungsprozeß stellt deshalb einen bewußten trial and error-Prozeß und damit einen Variations-Selektions-Prozeß dar, wobei sich wissenschaftlicher Fortschritt und damit die Akkumulation von Wissen in der sich über die Zeit verändernden Population der noch nicht durch die Empirie widerlegten Hypothesen manifestiert. Von zentraler Bedeutung ist jedoch der Ausgangspunkt dieser Popperschen Überlegungen, nämlich daß sicheres Wissen nicht möglich ist, weil nomologische Hypothesen nie verifiziert werden können, sondern bestenfalls bisher nicht widerlegt worden sind. Hieraus folgt, daß wissenschaftliches Wissen letztlich immer fallibel bleiben muß, also nur "Vermutungscharakter" haben und sich somit jederzeit als falsch herausstellen kann.66 Dies impliziert jedoch ebenfalls, daß auch das Wissen der einzelnen Wirtschaftssubjekte, das diese ihren wirtschaftlichen Handlungen zugrundelegen müssen, immer nur fallibles und damit fehlbares Wissen sein kann. Insofern kann das von den Österreichischen Ansätzen herausgestellte subjektive Wissen der Wirtschaftssubjekte 62 63
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Von Hayek (1976, S. 4; im Original teilweise hervorgehoben). Vgl. kritisch zu von Hayeks Theorie der kulturellen Evolution Vanberg (1984, 1994) und Hodgson (1993, S. 152 ff.). Vgl. zur Evolutionären Erkenntnistheorie Popper (1973, 1987), Campbell (1987) sowie Vollmer (1983), Engels (1989) und Irrgang (1993). Vgl. hier allgemein Popper (1973, 1984). "... daß wir alle Gesetze oder Theorien als Hypothesen oder Vermutungen betrachten müssen" (Popper 1973, S. 20; im Original teilweise hervorgehoben), und "... es kann keine absolute Gewißheit geben" (ebd., S. 63).
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auch nur Vermutungswissen im Sinne von Popper sein. Und Popper ist der Auffassung, daß der Wissenserwerb beim einzelnen Menschen ("subjektive Erkenntnis") in der gleichen Weise nach der Methode von Versuch und Fehlerelimination und damit als Variations-Selektions-Prozeß funktioniert, wobei er auch beim "vorwissenschaftlichen Wissen" von der "natürlichen Auslese von Hypothesen" (Popper 1973, S. 312) spricht. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Variations-Selektions-Argumentationen verschiedene wichtige Überlegungen zur Thematik "Wettbewerb und Wissen" beisteuern können. Schon das Populationsdenken mit seinem Variations-SelektionsMechanismus, das impliziert, daß sich über die Zeit die Einheiten mit jenen Eigenschaften durchsetzen, die den jeweiligen Selektionsbedingungen relativ besser angepaßt sind als andere, drückt nichts anderes als Wettbewerb aus. Noch wichtiger ist die Erkenntnis, daß solche Variations-Selektions-Prozesse als kumulative Prozesse zunehmender Angepaßtheit an die jeweiligen Selektionsbedingungen auch verstanden werden können als Prozesse der Wissensakkumulation im Sinne des Findens immer besserer Lösungen für die Probleme, die die jeweilige Selektionsumgebung präsentiert. In diesem Sinne können sowohl die Modelle technologischer Entwicklung als auch die Wissensakkumulationsprozesse, wie sie von der Evolutionären Erkenntnistheorie und der Theorie der kulturellen Evolution postuliert werden, interpretiert werden. Ein anderer Aspekt stellt die Idee von Alchian dar, durch Untersuchung der Selektionsbedingungen Aussagen über die Richtung solcher evolutorischen Prozesse machen zu können. Als weitere zentrale Ideen, die im folgenden eine wichtige Rolle spielen werden, läßt sich zum einen die Poppersche Erkenntnis der prinzipiellen Fallibilität allen Wissens (Vermutungswissen) und zum anderen seine Vorstellung des Erkenntnisprozesses als eines Prozesses des Aufstellens und Testens von Hypothesen kennzeichnen.
3. Ein evolutorisches Konzept wissenschaffenden Wettbewerbs 3.1. Einleitung Nach diesem Herausarbeiten der zentralen Argumentationen jener theoretischen Ansätze, die bisher bereits Wettbewerb unter dem Blickwinkel des Problems des Erwerbs neuen Wissens gesehen haben, sollen in der zweiten Hälfte dieses Beitrags die Grundlinien eines neuen Konzepts wissenschaffenden Wettbewerbs skizziert werden. Ausgehend von der Überzeugung, daß die oben analysierten bisherigen Ansätze jeweils alleine nicht als ausreichend anzusehen sind, jedoch zentrale Bausteine für ein solches Wettbewerbskonzept beitragen können, werden bei der folgenden Darstellung zentrale Argumentationen dieser Strömungen mitverwendet und in ein (hoffentlich) konsistentes Konzept integriert.67 Die Grundidee dieses evolutorischen Konzepts wissenschaffenden Wettbewerbs besteht darin, Wettbewerb vor allem als einen Forschungsprozeß zu sehen, in dem die Wettbewerber sich bemühen, ihr immer beschränktes und fallibles Wissen darüber zu verbessern, wie sie ihre Leistungen für die Lösung von Problemen (bzw. Befriedigung von Bedürfnissen) anderer Wirtschaftssubjekte verbessern und im Austauschprozeß Vgl. zum folgenden ausführlicher Kerber (1994a, S. 236-325); vgl. für Vorarbeiten aber auch bereits Kerber{1991a, 1991b).
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verwerten können. Wettbewerb kann deshalb als ein trial and error-Prozeß gesehen werden, in dem die Wettbewerber ihre Hypothesen über die Attraktivität ihrer Leistungen für andere Wirtschaftssubjekte auf dem Markt ausprobieren, über Rückkopplungsprozesse Erfahrungen machen, wessen Hypothesen sich als überlegen erwiesen haben, und auf diese Weise wechselseitig voneinander lernen können. In diesem Sinne können Wettbewerbsprozesse dann auch als ständige Prozesse des Generierens und Testens von neuen Hypothesen (Variation) interpretiert werden, wobei der Markt als die "Realität" verstanden werden kann, die über "Bewährung" oder "Widerlegung" dieser Hypothesen entscheidet (Selektion). Insofern kann man solche Wettbewerbsprozesse auch als wissenschaffende Prozesse bezeichnen. Um ein evolutorisches Konzept handelt es sich, weil diese Wettbewerbsprozesse aufgrund der Kreativität der Wirtschaftssubjekte offene Prozesse sind.68
3.2. Wettbewerb als Wissensschaffungsprozeß Im Abschnitt 3.2. soll gezeigt werden, wie Wettbewerb als ein Prozeß des Generierens und Testens von Hypothesen und damit als ein Prozeß der Schaffung und Verbreitung neuen Wissens aufgefaßt werden kann. In einem ersten Schritt wird zunächst kurz auf das zugrundegelegte Handlungsmodell eingegangen. Anschließend wird die Funktionsweise des wettbewerblichen Wissensschaffungsprozesses an Hand eines einfachen Konsumgütermarktes verdeutlicht, in dem mehrere Anbieter mit ihren PreisLeistungs-Kombinationen um eine Vielzahl von Konsumenten konkurrieren. Dabei wird sich zeigen, daß diese Wettbewerbsprozesse sowohl als permanente Forschungsprozesse als auch als Variations-Selektions-Prozesse interpretiert werden können. Abschließend werden exemplarisch einige Probleme bezüglich des wissenschaffenden Charakters dieser Prozesse aufgezeigt sowie verschiedene mögliche Erweiterungen des Grundmodells skizziert. Im darauf folgenden Abschnitt 3.3. wird dieser wettbewerbstheoretische Ansatz dann um die institutionelle Dimension erweitert, d.h., es wird gezeigt, wie der institutionelle Rahmen systematisch in diesen Ansatz integriert werden kann und auf welche Weise diese wissenschaffenden Wettbewerbsprozesse durch die Rechtsordnung beeinflußt werden können.
3.2.1. Das Wissen der Wirtschaftssubjekte Im Zentrum des hier zu skizzierenden Handlungsmodells69 steht das Problem des Wissens der Wirtschaftssubjekte. Wirtschaftssubjekte können ihre Entscheidungen 68
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Das entscheidende Kriterium für den evolutorischen Charakter wird hier in der Nichtantizipierbarkeit (vgl. Kerber 1989, S. 71) der in diesen Wettbewerbsprozessen geschaffenen Neuerungen gesehen, d.h., die von den Wirtschaftssubjekten in der Zukunft kreierten neuen Hypothesen können aus prinzipiellen Gründen nicht vorhergesehen werden. Vgl. hierzu auch Witt (1987a, S. 13 u. S. 21 ff.) sowie Hesse (1990). Vgl. hierzu ausführlicher Kerber (1989, S. 38 ff.) mit umfangreichen Literaturnachweisen. Dieses Handlungsmodell ist unter Einbeziehung von Poppe rschcn Vorstellungen weitgehend geprägt von Überlegungen, die im Rahmen der Österreichischen und Schumpeterschen Ansätze entwickelt worden sind. Für ein anderes parallel entwickeltes Modell endogenen Lernens von Unternehmern, das konsequent von Poppers "growth of knowledge"-Konzept ausgeht und deshalb wohl mit vielen der folgenden Überlegungen kompatibel sein dürfte, vgl. Harper (1994).
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immer nur auf ein subjektives, beschränktes und fallibles Wissen über ihre Umwelt (Realität) gründen. Das Problem besteht folglich in der letztlich nie vollständig aufhebbaren Kluft zwischen der "objektiven" Realität einerseits und deren subjektiver Wahrnehmung durch die Wirtschaftssubjekte andererseits. Insofern kann man davon sprechen, daß die Wirtschaftssubjekte über subjektive Umweltmodelle verfügen, die die Gesamtheit ihrer Hypothesen über gegenwärtige und zukünftige Umweltzustände und den in ihnen bestehenden Kausalbeziehungen umfassen. Das subjektive Wissen ist folglich als hypothesenartiges Wissen im Sinne von Popper (Vermutungswissen) zu verstehen.70 Dagegen wird kein prinzipielles Problem darin gesehen, Wirtschaftssubjekte weiterhin als zweckrational handelnd zu begreifen. Wichtig ist vielmehr, daß Wirtschaftssubjekte nur aus den von ihnen subjektiv wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten die für sie jeweils günstigste auswählen können (subjektive Rationalität). Der entscheidende Unterschied zu neoklassischen Handlungsmodellen liegt in den Veränderungen des subjektiven Wissens über die Zeit. Die Wirtschaftssubjekte werden hier als informationsmäßig offene Systeme gesehen, die aus Erfahrungen lernen, mit anderen kommunizieren und kreativ sein können. Sowohl durch Erfahrungen aus Handlungen als auch durch Beobachtung der Umwelt werden die jeweiligen Hypothesen der Wirtschaftssubjekte einem laufenden Test bezüglich ihrer Bewährung unterzogen und entsprechend weiterentwickelt. Die Wirtschaftssubjekte probieren folglich in einem ständigen trial and error-Prozeß neue Hypothesen aus, um über die dabei gewonnenen Erfahrungen ihr subjektives Wissen über die Umwelt zu verbessern, um zukünftig erfolgreicher handeln zu können. Aufgrund ihrer Kreativität können sie hierbei auch völlig neue Hypothesen generieren und testen. Da Beobachtungen und Erfahrungen selbst wieder subjektive Wahrnehmungen darstellen, die von dem "Filter" bisherigen subjektiven Wissens geprägt werden, werden verschiedene Wirtschaftssubjekte dieselben Ereignisse oft unterschiedlich wahrnehmen und folglich zu unterschiedlichen Schlüssen bezüglich der Weiterentwicklung ihrer Hypothesen gelangen. Die subjektiven Umweltmodelle der Wirtschaftssubjekte bleiben somit über die Zeit nicht konstant, sondern befinden sich in einer ständigen Weiterentwicklung, die sich als ein permanenter Prozeß der Variation und Selektion von Hypothesen kennzeichnen läßt, der gleichzeitig aber in seinem konkreten Ablauf und Inhalt nicht antizipiert werden kann.71 Zusammenfassend impliziert dieses Handlungsmodell, daß das Wissen der Wirtschaftssubjekte immer fallibel ist, daß verschiedene Wirtschaftssubjekte meist über unterschiedliche Hypothesen verfügen und folglich oft unterschiedliche Handlungsentscheidungen treffen und daß aufgrund des kreativen Charakters kognitiver Prozesse das Hierbei kann es sich auch um nichtbewußtes und/oder nichtverbalisierbares implizites Wissen (tacit knowing) handeln. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die auf Stigler (1961) zurückgehende neoklassische Informationsökonomie, die den jeweiligen Informationsstand von Wirtschaftssubjekten wiederum vollständig auf Optimierungsentscheidungen bezüglich der Suche nach Informationen zurückführen will, keine adäquate Lösung für das Problem der Erklärung von Wissensänderungen über die Zeit darstellt; vgl. zur diesbezüglichen Kritik an der Informationsökonomie Kunz (1985), Kirzner (1992, S. 155 ff.) und Streit/Wegner (1992, S. 134 ff.).
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zukünftige subjektive Wissen von Wirtschaftssubjekten und damit auch deren Handlungen als nicht antizipierbar anzusehen ist. Es wird weiterhin für den hier verfolgten Zweck kein prinzipielles Problem darin gesehen, dieses Handlungsmodell gleichermaßen für die Erklärung des Verhaltens von Unternehmen anzuwenden.72 3.2.2. Das Grundmodell eines wissenschaffenden Wettbewerbsprozesses Ausgegangen wird von mehreren Wirtschaftssubjekten Aj, A2,... A n , die bestimmte Leistungen erstellen und den Konsumenten anbieten. Die von den Anbietern offerierten Preis-Leistungs-Kombinationen bestehen normalerweise aus einer komplexen Mischung von Teilleistungen, deren Erbringung von einer ganzen Anzahl von unterschiedlichen Aktionsparametern abhängig ist. Da eben nicht vorgegeben ist, welche technischen Eigenschaften, welche Qualität und welches Design ein Produkt haben soll, mit welchen Produktionstechnologien und welchen Organisationsformen es produziert, mit welchem Einsatz von Marketinginstrumenten einschließlich Beratung und Service es über welche Absatzkanäle vertrieben werden soll usw., stellen alle diese Dimensionen der Gestaltung und Erstellung der angebotenen Preis-Leistungs-Kombinationen Aktionsparameter dar, über deren Einsatz die Wettbewerber zu entscheiden haben. Ob ein Anbieter im Wettbewerb Erfolg hat, ist folglich von dem Einsatz einer Fülle von Aktionsparametern abhängig.73 Die Vielfalt der relevanten Aktionsparameter wird deshalb hier besonders hervorgehoben, weil dadurch erst das ganze Ausmaß des Wissensproblems deutlich wird, vor dem die Wirtschaftssubjekte bei der Gestaltung und Erstellung ihrer Preis-LeistungsKombinationen stehen. Denn ausgehend von unserer oben skizzierten Konzeption des Wissens von Wirtschaftssubjekten können die Anbieter über kein sicheres Wissen darüber verfügen, welche die jeweils aktuellen Präferenzen der Konsumenten sind, mit welchen Preis-Leistungs-Kombinationen sie diese am besten befriedigen oder mit welchem Einsatz welcher Aktionsparameter sie diese Leistungen mit den geringsten Kosten erstellen können. Vielmehr können die Wirtschaftssubjekte bezüglich des Einsatzes jedes einzelnen Aktionsparameters nur über ein fallibles Wissen verfügen, d.h., die Anbieter haben nur mehr oder minder bewährte Hypothesen, welche Möglichkeiten des Einsatzes von Aktionsparametern es überhaupt gibt und in welcher Weise sich deren spezifischer Einsatz auf den eigenen Erfolg im Wettbewerb auswirkt. Dieses Problem, daß die Anbieter ihre Entscheidungen immer nur auf der Basis von Vermutungswissen treffen können, wird zusätzlich dadurch weiter verschärft, daß sich die Umwelt laufend verändert, so daß bisher auch gut bewährtes Wissen - beispielsweise mit welchem Produktdesign der Geschmack bestimmter Konsumentenschichten gut befriedigt werden kann - jederzeit obsolet werden und damit zu einem erfolglosen Aktionsparametereinsatz führen kann. Vgl. hierzu nochmals die Konzeption der Firma von Nelson/Winter (1982), die mit dem hier vorgestellten Handlungsmodell kompatibel ist. Da alle der hier angeführten Aktionsparameter sich in Wirklichkeit - wie aus jedem betriebswirtschaftlichen Lehrbuch hervorgeht - wieder in eine Anzahl weiterer (Teil-) Aktionsparameter aufspalten lassen, muß realistischerweise je nach Größe und vertikaler Integration eines Unternehmens von Hunderten oder Tausenden von Aktionsparametern ausgegangen werden.
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Hauptsächlich aber ist es die Konkurrenzsituation, durch die der erfolgreiche Umgang mit diesem Wissensproblem für die Wirtschaftssubjekte von existenzieller Bedeutung wird. Denn da es im Wettbewerb für die Realisierung von (Vorsprungs-) Gewinnen - vom Zufall abgesehen - entscheidend ist, über ein besseres Wissen als die Mitwettbewerber zu verfügen, genügt es für die Wettbewerber nicht, sich mit ihrem Aktionsparametereinsatz im Bereich von inzwischen gut bewährten Hypothesen zu bewegen. Vielmehr ist es notwendig, in den Bereich des neuen - und damit auch des noch unsicheren - Wissens vorzustoßen und neue, bisher noch nicht getestete Hypothesen aufzustellen und auszuprobieren. Im Wettbewerb stehende Wirtschaftssubjekte müssen folglich im Grenzbereich zwischen dem bereits bewährten Wissen und dem neuen, noch unbekannten agieren. Denn Wettbewerbsvorsprünge lassen sich auf Dauer nur durch Neuerungen erzielen, d.h., daß man als Pionier in den noch unbekannten Bereich von neuem Wissen vorstößt. Insofern ist es für das Überleben im Markt unverzichtbar, das eigene Wissen laufend auf dem neuesten Stand zu halten, was entweder durch eigene Neuerungsaktivitäten oder zumindest durch ständiges kritisches Beobachten der Aktivitäten von Konkurrenten - mit der Möglichkeit der schnellen Imitation - geschehen kann. Auf der anderen Marktseite werden nun die Nachfrager (hier: die Konsumenten) aus der Palette der ihnen angebotenen Preis-Leistungs-Kombinationen diejenigen auswählen, die sie für die Lösung ihrer Probleme bzw. Befriedigung ihrer Bedürfnisse am geeignetsten halten. Wichtig ist jedoch, daß auch die Nachfrager nur über ein subjektives, hypothesenartiges Wissen darüber verfügen können, inwieweit die ihnen angebotenen Leistungen tatsächlich ihre Präferenzen erfüllen. Das diesbezügliche Wissen von Konsumenten befindet sich ebenfalls in einem ständigen Prozeß der Weiterentwicklung, sowohl durch eigene (Konsum-)Erfahrungen (über trial and errorProzesse) als auch durch Kommunikationsprozesse seitens anderer Konsumenten oder der Medien. Die Berücksichtigung des subjektiven, falliblen Charakters des Wissens bei Konsumenten impliziert, daß unterschiedliche Konsumwahlentscheidungen von Konsumenten nicht nur auf die Heterogenität der individuellen Präferenzen, sondern auch auf die Verschiedenartigkeit des subjektiven Wissens über die Eignung der Konsumgüter für ihre Bedürfnisbefriedigung zurückgeführt werden können. Die Nachfrageentscheidungen der Konsumenten haben nun in diesem Konzept wissenschaffenden Wettbewerbs die Funktion, daß durch sie den Anbietern vermittelt wird, von welchen Angeboten die Konsumenten glauben, daß sie ihre Bedürfnisse besser befriedigen. 74 Begreift man die offerierten Preis-Leistungs-Kombinationen als Hypothesen der Anbieter über eine möglichst gute Befriedigung der Bedürfnisse, so können die Kauf- oder Nichtkaufentscheidungen der Konsumenten als Akte der Bestätigung oder Widerlegung dieser Hypothesen verstanden werden. Insofern als ein Nachfrager das Gut X statt Y oder Z kauft, wird den Produzenten von X, Y und Z rückgekoppelt, daß die sich in dem Gut X ausdrückenden Hypothesen über eine möglichst adäquate Bedürfnisbefriedigung sich als zutreffender erwiesen haben als die entsprechenden Hypothesen der Produzenten von Y und Z. Folglich wird in diesen Wettbewerbsprozessen in der Weise Wissen geschaffen und verbreitet, daß durch die 74
Vgl. hierzu auch Streit/Wegner
(1992, S. 195 ff.) und Wegner (1992, S. 51 ff.).
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Wahl der Konsumenten herausgefunden wird, welche der verschiedenen Hypothesen überlegen sind, womit gleichzeitig auch die Möglichkeit der Übernahme dieser Hypothesen durch die weniger erfolgreichen Konkurrenten eröffnet wird (Imitation). Von entscheidender Bedeutung für das Ausmaß der durch die Kaufentscheidungen der Nachfrager zurückfließenden Informationen über ihre Präferenzen ist, daß die Nachfrager zwischen einer Anzahl unterschiedlicher Preis-Leistungs-Kombinationen wählen können. Stehen die Nachfrager nur einem Angebot gegenüber oder bieten alle Anbieter identische Leistungen an, so haben die Nachfrager keine Möglichkeit, mit ihrer Wahl den Anbietern anzuzeigen, welche Preis-Leistungs-Kombinationen ihre Präferenzen besser getroffen haben, da sie keine Auswahl zwischen verschiedenen Alternativen haben. Damit der hier beschriebene, über Rückkopplungen laufende Wissenschaffungsprozeß funktionieren kann, ist es notwendig, daß die Wettbewerber den Nachfragern unterschiedliche Preis-Leistungs-Kombinationen anbieten, was gleichzeitig bedeutet, daß sie über verschiedene Hypothesen verfügen und somit ihre Aktionsparameter unterschiedlich einsetzen. Da Heterogenität damit eine zentrale Bedingung für den wissenschaffenden Charakter von Wettbewerbsprozessen ist, ist es aufgrund des laufenden Abbaus von Heterogenität durch Imitationsprozesse erforderlich, daß diese über Innovationen auch immer wieder neu erzeugt wird. Die Vorstellung, daß es nur die Kaufentscheidungen der Nachfrager sind, die über die Bewährung der Hypothesen der Anbieter entscheiden, ist jedoch zu vordergründig. Denn entscheidend für den Erfolg auf dem Markt ist letztlich nur der erzielte Gewinn, der aber nicht nur von der Attraktivität der angebotenen Preis-Leistungs-Kombination für die Konsumenten, sondern auch von den Kosten der Erstellung dieser Leistung abhängig ist. Da der Gewinn vom Einsatz aller Aktionsparameter abhängig ist, wird folglich in diesem Wettbewerbsprozeß das gesamte Bündel von Hypothesen, das diesem Aktionsparametereinsatz zugrundeliegt, getestet. Was somit der Markt in Form von Gewinnen/Verlusten den Anbietern anzeigt, ist die Information, wie gut ihre Hypothesen im Verhältnis zu denen ihrer Konkurrenten sind. Verbunden ist damit jedoch das schwierige Problem, daß der Gewinn/Verlust immer nur eine Bewertung des gesamten Hypothesenbündels der Anbieter darstellt, d.h., allein hierdurch erfahren die Anbieter nicht, auf welche der vielen Hypothesen dieses Bündels nun der Gesamterfolg oder mißerfolg zurückzuführen ist, was aber von zentraler Bedeutung für die Verbesserung des Wissens wäre, gleichgültig ob durch eigene Weiterentwicklung oder durch Übernahme fremder Hypothesen. Von gravierender Bedeutung für die wissenschaffenden Wettbewerbsprozesse ist, daß diese Gewinn/Verlust-Rückkopplung eine Doppelfunktion hat: Denn hierdurch wird den Anbietern nicht nur vermittelt, welche der ausprobierten Hypothesen die überlegenen sind, vielmehr stellt diese Gewinn/Verlust-Rückkopplung auch einen unmittelbar wirkenden Anreiz- und Sanktionsmechanismus dar, d.h., sie erfüllt simultan eine Motivationsfunktion. Den Wettbewerbern, die über die besseren Hypothesen verfügen und damit im Wettbewerb vorgestoßen sind, werden durch die Realisierung von Vorsprungsgewinnen zusätzliche Ressourcen zugewiesen, die weitere Aktivitätsspielräume eröffnen, während zurückbleibenden Wettbewerbern über Verluste automatisch Ressourcen entzogen werden, bis hin zum Extremfall der Illiquidität. Gerade die Doppel-
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funktion der Gewinn/Verlust-Zuweisung, nämlich gleichzeitig sowohl Informationen zur Identifikation überlegener Hypothesen als auch die Motivation für deren Verbesserung bzw. Imitation rückzukoppeln, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit dieser wissenschaffenden Wettbewerbsprozesse. 3.2.3. Wettbewerb als Forschungsprozeß Aufgrund dieses Anreiz- und Sanktionsmechanismus sind die Wettbewerber ständig gezwungen, nach neuem, besseren Wissen über den erfolgreichen Einsatz ihrer Aktionsparameter zu suchen und diesbezüglich neue Hypothesen zu kreieren und auszuprobieren bzw. schnell genug von anderen zu lernen. Im Mittelpunkt dieses rivalisierenden Wettbewerbs steht deshalb die Suche nach neuem, besseren Wissen. Die im Wettbewerb stehenden Wirtschaftssubjekte können insofern als Forscher verstanden werden.75 Dabei handelt es sich um einen permanenten Prozeß der Schaffung und Verbreitung neuen Wissens, der ein auf die Zukunft hin offener Prozeß ist und nicht als Annäherung an einen wie auch immer gearteten Gleichgewichtszustand interpretiert werden kann. Denn die Ergebnisse dieses Wettbewerbsprozesses werden erst durch seinen Ablauf manifest und sind folglich in ihrer konkreten Gestalt nicht voraussagbar. Die Wissensschaffung in diesen Wettbewerbsprozessen bezieht sich sowohl auf allgemeines - d.h. von Raum und Zeit unabhängiges - Wissen über Wirkungszusammenhänge, wie es sich bspw. in neuen Technologien etc. niederschlägt, als auch auf vorübergehende, spezifische Umstände, wie Wissen über die nur für einen begrenzten Zeitraum konstanten Präferenzen von bestimmten Konsumentenschichten. Insofern bezieht sich dieser Wissensschaffungsprozeß sowohl auf das Wissensproblem im Sinne der Österreichischen Ansätze, bei denen vor allem das Wissen über spezifische Umstände von Raum und Zeit im Mittelpunkt steht, als auch auf die Generierung von neuem Wissen im Sinne der Schöpfung neuer Produkte, Produktionsverfahren, Organisationsformen etc. (Neuerungen), was den Typ neuen Wissens darstellt, der vor allem von den Schumpeterschen Ansätzen herausgestellt wurde. Durch das ständige Generieren und Testen neuer Hypothesen und das wechselseitige Lernen der Wettbewerber entsteht prinzipiell die Möglichkeit einer kumulativen Entwicklung des Wissens. Eine solche, über einen schrittweisen Lernprozeß stattfindende, Wissensakkumulation ist aber nur bezüglich der Teile der Umwelt möglich, die konstant bleiben. Denn insoweit sich die Umwelt verändert, wird das bisher darüber akkumulierte Wissen falsch und damit wertlos.76 Insofern kann nicht davon gesprochen werden, daß der wissenschaffende Bei Loasby (1993) findet sich bereits die Idee, das Marktsystem als "a means of organizing the search for knowledge, [which] operates by a system of conjecture, criticism (voice, as well as exit) and testing ..." (ebd., S. 213) zu sehen und die Menschen als "scientists, who use, test, and sometimes replace hypotheses" (ebd., S. 203); vgl. auch Loasby (1986, S. 45 ff.) sowie Lachmann (1977, S. 90). Vgl. für die Idee, die Poppersche Konzeption des Testens von Hypothesen auf das Marktsystem zu übertragen, ohne hieraus allerdings ein wettbewerbstheoretisches Konzept entwickeln zu wollen, auch Baumann (1993) sowie insbesondere Harper (1994). Insofern ist es auch nicht erstaunlich, daß die Österreichischen Ansätze, die mehr das Wissen über vorübergehende, spezifische Umstände betont haben, weniger auf diesen wissensakkumulierenden Effekt eingegangen sind, als die Schumpeterschen Ansätze, die durch die Betonung von technologischem Wissen mehr das Wissen über technische
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Wettbewerb zu einer permanenten Akkumulation von Wissen führt, gar im Sinne einer schrittweisen Annäherung an "die" Wahrheit. Auf was der wissenschaffende Wettbewerb vielmehr abzielt, ist pragmatisches Wissen, d.h. Wissen, wie Wirtschaftssubjekte ihre jeweiligen Probleme lösen und damit erfolgreich handeln können. 3.2.4. Wettbewerb als Variations-Selektions-Prozeß Betrachtet man diesen wissenschaffenden Wettbewerbsprozeß als Variations-Selektions-Prozeß, so besteht die betrachtete Population von Einheiten, die variiert und selektiert wird, aus den von den Wirtschaftssubjekten verwendeten Hypothesen über einen möglichst erfolgreichen Einsatz der Aktionsparameter im Wettbewerb. Das Generieren und Ausprobieren neuer Hypothesen ließe sich dann als Variationsprozeß und die aus den Gewinn/Verlust-Rückkopplungen resultierenden Veränderungen der Anwendungshäufigkeit von Hypothesen als Selektionsprozeß interpretieren, wobei diese Änderungen sowohl auf die Imitation anderer, überlegener Hypothesen als auch auf das gänzliche Ausscheiden von Wirtschaftssubjekten aus dem Markt zurückgeführt werden können. Insofern läßt sich somit der aus Vorstößen, Nachziehen und Überholen bestehende dynamische Schumpetersche Innovations-Imitations-Prozeß verbinden mit der Vorstellung eines Variations-Selektions-Prozesses, in dem neue Hypothesen ausprobiert, Erfahrungen gemacht, gelernt und insofern schrittweise Wissen akkumuliert werden kann. Was sind nun die relevanten Selektionsbedingungen für ein Wirtschaftssubjekt? Für das erfolgreiche Überleben eines Unternehmens sind nicht nur die Konsumenten mit ihren Konsumentscheidungen relevant, sondern ebenfalls die Lieferanten, die Arbeitnehmer, die Banken, der Staat in seinen verschiedenen Funktionen, das Rechtssystem usw. Die relevante Selektionsumwelt eines Unternehmens besteht folglich aus einer komplexen Vielfalt von Faktoren. Um innerhalb dieser Umwelt und den von ihr präsentierten Problemen erfolgreich wirtschaften zu können, muß das Unternehmen über alle Bereiche dieser relevanten Umwelt über ausreichendes Wissen verfügen, um die entsprechenden Aktionsparameter erfolgreich einsetzen zu können. Aus der VariationsSelektions-Perspektive wird somit deutlich, daß in evolutorischen Wettbewerbsprozessen Wissen über die relevanten Selektionsbedingungen und deren möglichst erfolgreiche Bewältigung geschaffen wird, d.h., daß die Population der angewendeten Hypothesen in Richtung auf eine bessere Angepaßtheit an die gesamte jeweils relevante Selektionsumwelt verändert wird. Aus dieser Einsicht, daß der Inhalt des geschaffenen Wissens von den Selektionsbedingungen abhängig ist, werden später in Abschnitt 3.3 noch weitere Folgerungen gezogen. 3.2.5. Probleme von Wissensschaffungsprozessen Innerhalb von solchen wissenschaffenden Wettbewerbsprozessen können eine Fülle von Problemen auftreten, die diesen Wissensschaffungsprozeß behindern oder ihn in Zusammenhänge und damit letztlich über die natürliche, d.h. die nichtmenschliche Umwelt thematisiert haben. Vgl. hierzu auch Heuß (1965, S. 212 ff.), der mit seiner Unterscheidung zwischen "Zeit als Iteration" und "Zeit als Mutation" klar herausstellt, daß Lernprozesse eine gewisse Konstanz der Umwelt voraussetzen.
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Sackgassen führen können. Diesbezüglich kann hier nur ein erster, knapper Eindruck vermittelt werden. Bereits erwähnt wurde, daß auch die Nachfrager nur über ein subjektives, fallibles Wissen verfügen und daher bei der Beurteilung der ihnen offerierten Preis-Leistungs-Kombinationen insofern falsche Konsumwahlentscheidungen treffen können, als sie nicht immer diejenigen Angebote wählen, die für ihre Präferenzen am geeignetsten wären. Zwar besteht bei dem üblicherweise nach einer gewissen Zeit anstehenden Wiederholungskauf die Möglichkeit, solche - sich nach der konkreten Bedürfnisbefriedigung als falsch erweisenden - Konsumentscheidungen wieder zu korrigieren, dies ändert aber nichts mehr daran, daß bis zu diesem Zeitpunkt die Gewinn/Verlust-Rückkopplungen an die Anbieter falsche Informationen über die relative BeWährung/Widerlegung ihrer Hypothesen vermitteln und insofern falsche Signale bezüglich des überlegenen und folglich zu imitierenden Wissens aussenden. Auf ein anderes Problem wurde bereits hingewiesen. Da die Gewinn/Verlust-Rückkopplung immer nur eine pauschale Bewertung des gesamten Bündels von Hypothesen darstellt, stehen die Anbieter immer vor dem Problem zu erkennen, in welchen Bereichen nun ihre "Stärken" bzw. "Schwächen" gegenüber den Hypothesen der Konkurrenten liegen. Ein Wettbewerber, der einen höheren Gewinn als ein anderer macht, kann hieraus immer nur ableiten, daß er mindestens in einer Hinsicht über ein besseres Wissen als jener verfügt, jedoch nicht, daß er bei allen Hypothesen, die seinem Aktionsparametereinsatz zugrundeliegen, überlegen ist. Vielmehr ist im allgemeinen davon auszugehen, daß der unterlegene Wettbewerber bei bestimmten einzelnen Aktionsparametern über ein besseres Wissen verfügt.77 Sowohl der vorstoßende Wettbewerber, der sein Wissen weiter verbessern will, als auch sein nachzuziehen beabsichtigender Konkurrent stehen so vor dem schwierigen Problem, die "richtigen" Hypothesen zu verbessern bzw. zu imitieren.78 Probleme bei der Verbreitung neuen Wissens können auch dadurch auftreten, daß eventuell nicht jeder Aktionsparametereinsatz von Wettbewerbern imitierbar ist, entweder aufgrund mangelnder Beobachtbarkeit oder aufgrund von spezifischem, nicht kommunizierbarem Wissen (tacit knowing).79 Eine weitere Gruppe von Problemen solcher Wissensschaffungsprozesse sind im Grunde bereits ausführlich von den evolutorischen Neo-Schumpeter-Ansätzen herausgearbeitet und analysiert worden. Hierbei handelt es sich um die bereits erwähnten Pfadabhängigkeiten aufgrund von dynamischen Skalenvorteilen und Netzwerkexternalitäten, die zu schwer einholbaren "first-mover advantages" führen und die Gefahr von "lock-ins" heraufbeschwören können.80 77
78
79 80
So kann der Markterfolg eines Produkts A gegenüber einem Konkurrenzprodukt B beispielsweise auf eine bessere Marketingstrategie zurückzuführen sein, die diesem Produkt ein attraktiveres, zeitgemäßeres Image verleiht, während die technische Qualität von Produkt B der von Produkt A überlegen ist. Dieses Problem wurde auch von Harper (1994, S. 62 ff.) herausgearbeitet und als Beispiel für die sog. "Duhem-Quine irrefutability thesis" gekennzeichnet. Vgl. Nelson/Winter (1982, S. 117 ff. u. 123 f.) und Dosi (1988, S. 1140). Vgl. nochmals David (1985), Arthur (1988) und als Überblick Dosi/Nelson (1994, S. 165 f.). Diese Probleme können auch in der Weise ausgedrückt werden, daß bei Suchprozessen, die von einem gegenwärtigen Punkt aus schrittweise nach neuen, besseren Lösungen suchen, eventuell nur lokale Maxima gefunden werden, während das globale Maximum verfehlt wird.
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3.2.6.
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Erweiterungen
Das oben anhand eines Konsumgütermarktes skizzierte einfache Grundmodell wissenschaffenden Wettbewerbs kann nun ohne Probleme in verschiedener Hinsicht erweitert und damit verallgemeinert werden. Zunächst ist der potentielle Wettbewerb miteinzubeziehen, der in diesem evolutorischen Konzept wissenschaffenden Wettbewerbs anders wirkt als in neoklassischen Wettbewerbskonzepten. Der zentrale Gegensatz zu der Theorie der Contestable Markets, die als Vervollkommnung neoklassischen Wettbewerbsdenkens gelten kann, besteht darin, daß in diesem evolutorischen Konzept die Wettbewerber nicht über gleiches Wissen verfügen,81 sondern daß hier ein wesentlicher Ausgangspunkt gerade die Unterschiedlichkeit des Wissens ist, was für aktuelle und potentielle Wettbewerber gleichermaßen gilt. Dies impliziert zum einen, daß potentielle Wettbewerber jederzeit genauso wie aktuelle Wettbewerber neue (und auch gegenüber den bisherigen überlegene) Hypothesen kreieren und damit erfolgreich in den Markt eintreten und insofern den Wissensschaffungsprozeß vorantreiben können. Insofern üben die potentiellen Wettbewerber auch einen Wettbewerbsdruck auf die aktuellen aus. Gleichzeitig aber leisten die potentiellen Wettbewerber, solange sie potentielle bleiben, keinen Beitrag zum laufenden Wissensschaffungsprozeß, da sie im Gegensatz zu den aktuellen Wettbewerbern keine Hypothesen ausprobieren und insofern keine Erfahrungen in den Wissensschaffungsprozeß einbringen, von denen andere lernen können. Insofern ist der potentielle Wettbewerb kein vollständiges Substitut für den aktuellen Wettbewerb. In unserem Grundmodell wissenschaffenden Wettbewerbs wurde nur der Wettbewerb von Produzenten gegenüber Konsumenten betrachtet. Nicht berücksichtigt wurde jedoch, daß die den Konsumenten auf diesem Letztverbrauchermarkt angebotenen PreisLeistungs-Kombinationen das Ergebnis von sich über mehrere vertikal verbundene Wirtschaftsstufen erstreckenden Leistungserstellungsprozessen sind (Rohstoffe, Vorund Zwischenprodukte, Fertigprodukte, Groß- und Einzelhandel), an denen dementsprechend auch eine ganze Reihe unabhängiger Wirtschaftssubjekte beteiligt sind. Die den Konsumenten angebotene gesamte Preis-Leistungs-Kombination kann man sich so auch als Ergebnis einer Menge von Einzelleistungen (Aktivitäten) denken, wobei verschiedene Unternehmen auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen jeweils bestimmte Teilmengen dieser für jene Gesamtleistung notwendigen Aktivitäten ausführen. Bei der dabei zwischen den Wirtschaftsstufen oder Unternehmen stattfindenden Arbeitsteilung ist jedoch zu beachten, daß die von ihnen zu erbringenden Einzelleistungen eine in sich abgestimmte Gesamtleistung ergeben müssen, d.h., daß sie in einem Komplementaritätsverhältnis zueinander stehen.82 In einem solchen, sich über mehrere Wirtschaftsstufen erstreckenden Leistungserstellungsprozeß kann nun eine ganze Reihe verschiedener wissenschaffender Wett81
82
Zur Kritik dieser Bedingung der Theorie der Contestable Markets vgl. Fehl (1985); allgemein zu dieser Theorie vgl. Baumol/Panzar/Willig (1982). Als Beispiel mag hierfür die Produktion eines Kraftfahrzeuges dienen, das aus Tausenden von Einzelteilen besteht, von denen die meisten von selbständigen Zulieferfirmen produziert werden, deren Spezifikationen aber gleichzeitig vollständig aufeinander abgestimmt sein müssen.
Wettbewerb als Hypothesentest
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bewerbsprozesse, in denen jeweils Hypothesen getestet und ihre "relative" Bewährung/Widerlegung über Gewinne/Verluste rückgekoppelt wird, unterschieden werden, die ineinandergreifend jeweils Wissen über verschiedene Sachverhalte schaffen und folglich unterschiedliche Wissensprobleme lösen helfen.83 Ausgehend von unserer obigen Charakterisierung der Gesamtleistung als Ergebnis einer Menge von einzelnen Aktivitäten, deren Ausführung auf verschiedene Wirtschaftsstufen verteilt ist, können wir nun drei verschiedene Arten von Wissensproblemen unterscheiden: 1)
Es ist nicht bekannt, welche die für die Konsumenten möglichst attraktive Gesamtleistung ist. Durch den Wettbewerb zwischen verschiedenen solcher Gesamtleistungen gegenüber den Konsumenten kann hierüber Wissen geschaffen werden.
2)
Ausgehend von einer bestimmten Gesamtleistung, die zu erstellen ist, ist Wissen darüber zu schaffen, welche Teilung der Arbeit, d.h. Zerlegung der Gesamtmenge von Aktivitäten in einzelne Teilmengen, die jeweils von einer Wirtschaftsstufe ausgeführt werden sollen, am günstigsten ist. Ergebnis dieses Wissensschaffungsprozesses ist, in wieviele vertikal verbundene Wirtschaftsstufen und damit Marktstufen der Leistungserstellungsprozeß am besten unterteilt wird und wie diese Stufen abzugrenzen sind.
3)
Weiterhin kann nun auf jeder einzelnen der so definierten Wirtschaftsstufen ein wissenschaffender Wettbewerb um die günstigere Erstellung dieser jeweiligen Teilmengen von Einzelleistungen stattfinden.
Zur Vereinfachung mögen in einem ersten Schritt zunächst nur die Wissensschaffungsprozesse bezüglich dieser dritten Art des Wissensproblems betrachtet werden, d.h., sowohl die Gesamtleistung als auch die Aufteilung der Gesamtmenge an Aktivitäten in einzelne Wirtschaftsstufen wird als gegeben vorausgesetzt. Auf jeder der vertikal miteinander verbundenen Wirtschaftsstufen versuchen nun die Wirtschaftssubjekte, ihr Wissen über die möglichst günstige Erstellung der auf diese Wirtschaftsstufe entfallenden Menge von Teilleistungen innovativ zu verbessern. Wichtig ist, daß hierbei die von diesen Unternehmen erstellten Preis-Leistungs-Kombinationen nicht nur von den Unternehmen auf der nachgelagerten Stufe bewertet und folglich selektiert werden, sondern auch von den Unternehmen auf der vorgelagerten Stufe. So wie der Handel mit seinen Sortimentsentscheidungen Bewertungen der Produkte von Produzenten vornimmt und insofern eine Selektionsfunktion ausübt, so bewerten auch die Produzenten die verschiedenen Absatzkanäle ob ihrer relativen Geeignetheit für den Vertrieb ihrer Produkte. Insofern können auch nachfragende Unternehmen in ihrer Eigenschaft als Abnehmer innovativ tätig sein und beispielsweise ihre Attraktivität als Nachfrager verbessern, so daß es in gleicher Weise nicht nur einen wissenschaffenden Anbieter-, sondern auch einen wissenschaffenden Nachfragerwettbewerb gibt.84
83
84
Eine ausführlichere Darstellung der folgenden Überlegungen, in denen konkret auf die Wettbewerbsprozesse auf den Stufen "Industrie - Handel - Konsumenten" abgestellt wurde, findet sich in Kerber (1991b); vgl. zu diesem Problembereich aus evolutorischer Sicht auch Schreiter (1994, S. 81 ff.) sowie Gerybadze (1982). Vgl. hierzu ausführlicher Kerber (1989, S. 222 ff. u. 369 f.).
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Während in diesen Wettbewerbsprozessen Wissen darüber geschaffen wird, wie die jeweiligen Teilleistungen besser erstellt werden können, finden gleichzeitig auch laufend wettbewerbliche Wissensschaffungsprozesse darüber statt, wie die Aufteilung der Gesamtmenge von Leistungen auf einzelne Wirtschaftsstufen oder Unternehmen verbessert werden kann (die o.a. zweite Art des Wissensproblems). Faktisch geschieht dies dadurch, daß Unternehmen auf den einzelnen Stufen auch immer wieder Hypothesen darüber ausprobieren, ob nicht die Übernahme oder die Auslagerung von Teilleistungen von oder an vor- oder nachgelagerte Stufen günstiger ist. Betriebswirtschaftlich handelt es sich um "make or buy"-Entscheidungen, aus volkswirtschaftlicher Sicht geht es um Prozesse vertikaler Integration oder Desintegration. Diese Prozesse, die in gleicher Weise als aus Vorstößen und Nachziehen bzw. Innovation und Imitation bestehende wissenschaffende Wettbewerbsprozesse angesehen werden können, führen zu einem ständigen trial and error-Prozeß darüber, welche Abgrenzungen zwischen Wirtschaftsstufen möglichst günstig ist. Da in diesen Wettbewerbsprozessen gerade Wissen darüber geschaffen wird, wieviele und welche Teilleistungen in den einzelnen Unternehmen der verschiedenen Wirtschaftsstufen erstellt werden, wird damit gleichzeitig auch die "Größe" der Unternehmen bestimmt. An dieser Stelle wäre in unserer Konzeption evolutorischen Wettbewerbs folglich eine "Theorie der Unternehmung" zu integrieren mit der seit Coase (1937) bekannten Frage, weshalb es überhaupt Unternehmen gibt, die die Erstellung von Teilleistungen hierarchisch statt über den Markt koordinieren, und welche Determinanten den Umfang dieser hierarchisch koordinierten Teilleistungen und damit die Größe der Unternehmen bestimmen. Williamson (1975, 1985) hat versucht, diese Frage mit seinem transaktionskostentheoretischen Ansatz zu beantworten, der jedoch aus evolutorischer Sicht aufgrund seiner Monokausalität zu kurz greifen muß. Denn da die Höhe der Transaktionskosten im Sinne von Williamson nur eine von einer ganzen Reihe möglicher Heterogenitäten zwischen verschiedenen Unternehmen ist, kann der Ansatz von Williamson die Existenz und Größe von Unternehmen nur unzureichend erklären. 85 Vielmehr ist zu vermuten, daß gerade die Unterschiedlichkeit des Wissens, d.h. ihr firmenspezifischer Charakter, auch für die Theorie der Unternehmung eine zentrale Rolle spielt. 86 Darüber hinaus - und dies führt zur oben erwähnten ersten Art des Wissensproblems - sind diese wissenschaffenden Prozesse immer auch mit der laufend stattfindenden innovativen Weiterentwicklung der erstellten Gesamtleistung verknüpft. Letztere wirft jedoch insofern ein besonderes Problem auf, als aufgrund der Komplementarität der Teilleistungen die einzelnen Wirtschaftssubjekte nicht unabhängig voneinander ihre jeweiligen Teilmengen innovativ verbessern können. 87 Vielmehr ist in bezug auf die Weiterentwicklung der Gesamtleistung eine Koordination über alle an ihr beteiligten Unternehmen notwendig. Insofern kann es zweckmäßig sein, daß ein Unternehmen auf 85
86 87
Vgl. die Kritik von Schreiter (1994, S. 180 ff.) an dem Ansatz von Williamson; entscheidend ist, daß Williamson von homogenen Unternehmen ausgeht. Vgl. hierzu ausführlich aus evolutorischer Sicht Schreiter (1994, S. 221 ff.). Allerdings können sie innerhalb von genau spezifizierten Schnittstellen innovieren, aber es darf hierdurch zu keinen Auswirkungen auf die Kompatibilität von Teilleistungen anderer Unternehmen kommen.
Wettbewerb als Hypothesentest
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diesen vertikal verbundenen Wirtschaftsstufen diese Aufgabe der innovativen Weiterentwicklung und damit gleichzeitig die entsprechende Koordination der Gesamtleistung übernimmt, was sich als "vertikale Innovationsführerschaft" bezeichnen ließe.88 Es finden folglich laufend wissenschaffende Wettbewerbsprozesse um die innovative Verbesserung der Gesamtleistung statt, was auch einen Wettbewerb zwischen Unternehmen um die Übernahme der Aufgabe der vertikalen Innovationsführerschaft impliziert. Es ist hier nicht möglich, diese verschiedenen wissenschaffenden Wettbewerbsprozesse über mehrere Wirtschaftsstufen im einzelnen zu untersuchen. Vielmehr sollten nur grundsätzlich die dabei auftretenden Problemstellungen aufgezeigt und ein knapper Eindruck von der Komplexität von Wettbewerbsprozessen über mehrere Wirtschaftsstufen und gleichzeitig von den Erweiterungsmöglichkeiten unseres obigen Grundmodells wissenschaffenden Wettbewerbs vermittelt werden. Besonders wichtig ist dabei, daß alle diese verschiedenen wissenschaffenden Wettbewerbsprozesse über mehrere Wirtschaftsstufen gleichzeitig stattfinden und auf komplexe Art miteinander kombiniert und verwoben sind.
3.3. Zur Rolle des institutionellen Rahmens für den evolutorischen Prozeß wissenschaffenden Wettbewerbs 3.3.1. Einführung Nachdem im letzten Abschnitt Wettbewerb als ein evolutorischer Prozeß konzipiert wurde, in dem die Wettbewerber durch Generieren und Testen von Hypothesen nach neuem, erfolgreichen Wissen über den adäquaten Einsatz ihrer Aktionsparameter suchen, soll in dieses Konzept nun systematisch der institutionelle Rahmen integriert werden, innerhalb dessen diese Wettbewerbsprozesse stattfinden. Da die institutionelle Dimension zum theoretischen Kern dieses evolutorischen Konzepts wissenschaffenden Wettbewerbs gehört, handelt es sich folglich nicht nur um ein evolutorisches, sondern auch um ein institutionenökonomisches Wettbewerbskonzept. Unter dem institutionellen Rahmen soll hier die Gesamtheit der für alle Wirtschaftssubjekte verbindlichen Regeln verstanden werden, die diese bei ihren wirtschaftlichen Aktivitäten beachten müssen und sich auf den Ablauf von Markt- und Wettbewerbsprozessen auswirken. Im wesentlichen handelt es sich hierbei um die Menge der rechtlichen Regeln, d.h. die Rechtsordnung.89 Diese grundlegende Unterscheidung in eine Ebene der Handlungen von Wirtschaftssubjekten und eine hierarchisch darüber liegende Ebene der Regeln, in denen festgelegt ist, welche Handlungen die Wirtschaftssubjekte auf der darunter liegenden Handlungsebene (nicht) durchführen dürfen, steht im Zentrum des Denkens sowohl des Ordoliberalismus als auch der Constitutional Economics.90 Man könnte alternativ auch von einem Spiel sprechen, in dem durch die Spielregeln bestimmt 88
89
90
Vgl. hierzu ausführlicher Kerber (1991b, S. 339 ff.). Zur Idee, daß die Grenzen der Unternehmen als "Koordinationsscharniere" begriffen werden können und für die Abstimmung zwischen den Unternehmen ein "Überlappungswissen" (von Hayek 1945) notwendig ist, vgl. Schreiter (1994, S. 81 ff.). Nicht einbezogen werden hier informelle Regeln in Form von Sitten, Gebräuchen und Gewohnheiten; zu solchen "informal constraints" vgl. North (1990). Vgl. Eucken (1952), Brennan/Buchanan (1985), Vanberg (1988).
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wird, welche Spielzüge den Spielern erlaubt oder verboten sind. Diese rechtlichen Regeln erfüllen ihre Aufgabe der Konfliktregelung dadurch, daß durch sie den einzelnen Wirtschaftssubjekten Handlungsrechte zugewiesen werden, durch die festgelegt ist, wer welche Handlungen durchführen darf bzw. wer die Handlungen anderer zu dulden hat." Folgenden Fragen soll in diesem Abschnitt nachgegangen werden: Wie lassen sich rechtliche Regeln in diese evolutorische Wettbewerbskonzeption integrieren, und in welcher Weise wirken sich solche Regeln auf die in diesem Wettbewerb stattfindenden Wissensschaffungsprozesse aus? Wie ließe sich folglich die Funktion des institutionellen Rahmens für diese evolutorischen Wettbewerbsprozesse charakterisieren? 3.3.2. Zur Wirkung von Regeln auf die evolutorischen Wettbewerbsprozesse 3.3.2.1.
Neuerungen und Regeln
Die Neue Institutionenökonomik, die die traditionelle MikroÖkonomik um Institutionen zu erweitern sucht, stellt bei ihrer Analyse der Wirkung von Institutionen bzw. rechtlichen Regeln vor allem auf die effiziente Allokation ab (Transaktionskostenökonomisierung) und bleibt damit im wesentlichen innerhalb des neoklassischen Paradigmas. Aus evolutorischer Perspektive steht nun jedoch weniger die Funktion von Regeln für einen möglichst friktionslosen Tausch gegebener Ressourcen und Güter zur Erreichung der optimalen Allokation im Mittelpunkt, sondern vielmehr ihre Wirkung auf die Kreation und Ausbreitung von Neuerungen - und damit von neuem Wissen.92 Regeln interessieren hier folglich hauptsächlich unter dem Aspekt, inwiefern sie zur Kreation, Realisierung und Verbreitung von Neuerungen positiv oder negativ anreizen. Die zentrale Bedeutung von Innovationsrechten ergibt sich daraus, daß ohne das Recht der Realisierung von neuen Handlungen die laufende endogene Kreation neuer Handlungsmöglichkeiten nicht in reale Entwicklung umgesetzt werden kann.93 Unverzichtbar für das Verständnis von Regeln für evolutorische Wettbewerbsprozesse ist die Erkenntnis, daß sich innovative wettbewerbliche Vorstöße, d.h. die Kreation und Realisierung von Neuerungen, negativ auf die Vermögensposition der Konkurrenten auswirkt, oder anders ausgedrückt: Neues Wissen entwertet bisheriges Wissen, so daß es im
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"Handlungsrechte sind in menschlichen Populationen erlaubte Handlungsmöglichkeiten. Handlungsrechte fixieren die erlaubte Beeinträchtigung anderer, die durch eigenes Handeln entstehen kann." (Hesse 1983, S. 80; im Original teilweise hervorgehoben). Hierdurch werden gleichzeitig die Grenzen zwischen den Handlungsspielräumen von Individuen gezogen, so daß damit "geschützte individuelle Sphären" definiert werden. Vgl. zur Konzeption solcher "protected domains" von Hayek (1974), Hoppmann (1993) und Schmidtchen (1988). Die Versuche, die Kreation von Neuerungen auf ein reines Allokationsproblem zu reduzieren, nämlich z.B. durch Optimierungskalküle bezüglich F&E-Ausgaben, sind aufgrund der prinzipiellen Nichtantizipierbarkeit von Neuerungen zum Scheitern verurteilt. Vgl. hierzu Kamien/Schwartz (1982) und die Kritik von Witt (1987a, S. 56 ff.). Zur Bedeutung dieser Rechte vgl. Hoppmann (1966, S. 289), Röpke (1983, 1990a) und Witt (1987b, 1993).
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rivalisierenden Wettbewerb zu ständigen Umverteilungen zwischen den jeweilig mit Neuerungen vorstoßenden und nachziehenden Wettbewerbern kommt.94 Die Regeln, unter denen Wettbewerb abläuft, - im folgenden vereinfachend "Wettbewerbsregeln" genannt - können sich nun auf zwei verschiedene Weisen auf den wettbewerblichen Wissensschaffungsprozeß auswirken. Da Regeln die Menge der den Wirtschaftssubjekten zur Verfügung stehenden faktischen Handlungsmöglichkeiten in die beiden Teilmengen erlaubter und nichterlaubter Handlungen unterteilen,95 wird damit - wettbewerbstheoretisch gesehen - gleichzeitig die Menge der in Wettbewerbsprozessen zulässigen Aktionsparameter festgelegt. Im folgenden wird gezeigt, daß mit solchen Regeln der "Inhalt" des Wettbewerbs definiert wird. Davon zu unterscheiden ist ein zweiter Typ von Wettbewerbsregeln, die die Anreize für die Suche nach neuem Wissen oder die Sanktionen für das Zurückbleiben im wettbewerblichen Wissenschaffungsprozeß beeinflussen, wodurch vor allem die Umverteilungen zwischen den Wettbewerbern geregelt werden, was sich wiederum auf die "Dynamik" der im Wettbewerb stattfindenden Innovations- und Imitationsprozesse auswirkt. 3.3.2.2.
Zur Regelung des Inhalts des Wettbewerbs
In Abschnitt 3.2. wurde betont, daß der Gewinn von Wettbewerbern letztlich von allen ihren Aktionsparametern abhängig ist und daß sie dementsprechend breit auch nach erfolgreichem Wissen zu suchen haben. In konkreten Rechtsordnungen findet sich nun eine Fülle von Regeln, die festlegen, welche Handlungen Wirtschaftssubjekten im Wettbewerb nicht erlaubt sind. Nur einen kleinen Teil stellen hierbei die Regeln des Kartellrechts (z.B. Behinderungswettbewerb) oder - schon etwas weiter gedacht - des Unlauterkeitsrechts (z.B. vergleichende Werbung, Bestechung von Angestellten, Ausspähen von Geschäftsgeheimnissen) dar. Ausgehend von unserem breiten Regelkonzept, das alle Regeln umfaßt, die sich auf wirtschaftliche Aktivitäten im Wettbewerb auswirken können, ist hierfür gleichermaßen das gesamte Zivilrecht einschließlich des Handels- und Gesellschaftsrechts (z.B. delikts- oder gesellschaftsrechtliche Haftung, Anfechtungsmöglichkeiten und Informationspflichten) bis hin zu strafrechtlichen Tatbeständen (z.B. Diebstahl, Sachbeschädigung, Betrug) relevant. Von besonderer Bedeutung für die den Wirtschaftssubjekten bei ihren wirtschaftlichen Aktivitäten verbleibenden Handlungsspielräume ist auch der weite Bereich öffentlich-rechtlicher Regulierungen. Dadurch, daß durch alle diese Bereiche rechtlicher Regeln festgelegt wird, welche Handlungen erlaubt oder verboten sind, wird gleichzeitig die Menge der zulässigen und nichtzulässigen Aktionsparameter bestimmt. Die Integration von Institutionenökonomie Eine Analyse der Wirkung unterschiedlicher Regeln auf die Anreize zur Kreation von neuen Handlungsmöglichkeiten, die sich positiv oder negativ auf andere auswirken, findet sich in Kerber (1992, 1993a, 1994c). Dabei wird gezeigt, daß die von Neuerungen ausgelösten umverteilenden Effekte bei diesen Anreizanalysen systematisch zu berücksichtigen sind. Zu den Umverteilungswirkungen von Neuerungen vgl. allgemein auch Witt (1987a, S. 184 f.). Dies kann in der von von Hayek (1976, S. 38 ff.) geforderten Weise geschehen, nach der Regeln nur negativ bestimmte Handlungen verbieten, so daß damit alle anderen erlaubt sind. Das Recht kann diese Unterteilung jedoch auch anders vornehmen.
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und Wettbewerbstheorie wird in diesem evolutorischen Wettbewerbskonzept folglich dadurch erreicht, daß durch die Regeln die Menge der im Wettbewerb zulässigen Aktionsparameter definiert wird. Dies bedeutet, daß die Wettbewerber nicht durch den Einsatz von verbotenen Aktionsparametern vorstoßen und mit ihnen Vorsprungsgewinne erzielen können sollen, sondern nur durch den Einsatz von erlaubten Aktionsparametern. Unter der Prämisse, daß diese rechtlichen Regeln auch faktisch durchgesetzt werden,96 so daß den einzelnen Wirtschaftssubjekten die Regeln als nichtveränderbare Restriktionen für ihre Handlungen erscheinen, ist es für die Wettbewerber rational, ihre innovativen Bemühungen der Generierung und des Testens von Hypothesen vollständig auf den Bereich der zulässigen Aktionsparameter zu konzentrieren und vergleichbare Aktivitäten in bezug auf die nichterlaubten Aktionsparameter zu unterlassen. Durch diese Regeln wird folglich der wettbewerbliche Prozeß der Suche nach neuem Wissen in eine bestimmte Richtung gelenkt. Wäre in einer Rechtsordnung beispielsweise das Ausspionieren von Betriebsgeheimnissen erlaubt, so würde die Betriebsspionage zu einem normalen Aktionsparameter im Wettbewerb werden, wenn das frühzeitige Wissen, z.B. über technische Neuerungen der Mitwettbewerber, von erheblicher Bedeutung im Wettbewerb ist. Erfolg bei der Wissenssuche im Wettbewerb könnte folglich nicht nur durch eigene Forschung, sondern auch durch die Entwicklung besonderer Fähigkeiten beim Einsatz des Aktionsparameters Betriebsspionage erreicht werden. Nicht nur würden in diesem Fall die Wettbewerber neues Wissen darüber suchen, wie Betriebsspionage gegenüber den Konkurrenten erfolgreich betrieben werden kann, sondern gleichzeitig würde auch nach Wissen darüber gesucht werden, wie die Betriebsspionageaktivitäten der Konkurrenten erfolgreich abgewehrt werden könnten. Wenn folglich die Rechtsordnung den Aktionsparameter Betriebsspionage erlaubt, würde sich der wettbewerbliche Wissensschaffungsprozeß auch auf die Durchführung und Abwehr von Betriebsspionageaktivitäten beziehen, und es würden in diesen evolutorischen Prozessen entsprechende Fähigkeiten entwickelt und Wissen akkumuliert.97 Dagegen findet bei einem Verbot dieses Aktionsparameters ein solcher Wissensschaffungsprozeß nicht statt.98 In diesem Sinne kann man davon sprechen, daß durch solche rechtlichen Regeln der "Inhalt" von wettbewerblichen Wissensschaffungsprozessen und damit auch deren Richtung beeinflußt wird.
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Nur wenn die Kosten der Nichtbeachtung einer Regel in jedem Einzelfall für alle Wirtschaftssubjekte prohibitiv hoch wären, würde eine vollständige Rechtsdurchsetzung vorliegen. Das Problem der faktisch jedoch immer nur begrenzten Durchsetzung von rechtlichen Regeln, die wie die Ökonomische Analyse des Rechts zeigt, auch effizient sein kann (vgl. Cooter/Ulen 1988, S. 535 ff.), macht deutlich, daß hier immer auch die mit den Regeln verbundenen Sanktionen berücksichtigt werden müssen. Bestimmte Arbeitskräfte würden sich auf die Lösung solcher Probleme spezialisieren, so daß die Zulassung eines solchen Aktionsparameters im Wettbewerb zu einer weiteren Differenzierung der Arbeitsteilung (einschließlich der Herausbildung eigener Berufe) führen würde. Daß faktisch trotzdem in begrenztem Umfang dieser Aktionsparameter eingesetzt und Wissen darüber geschaffen wird, liegt an der nicht vollständigen Durchsetzung des Verbots solcher Aktivitäten. Zweifellos führen jedoch ein solches Verbot und die mit ihm verbundenen Sanktionen in jedem Fall zu einer erheblichen "Verteuerung" des Einsatzes dieses Aktionsparameters, wodurch das Interesse an seinem Einsatz stark sinkt.
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3.3.2.3.
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Zur Regelung der Dynamik des Wettbewerbs
Die Intensität der Suche nach neuem Wissen oder der Übernahme erfolgreichen Wissens von anderen (Imitation) ist entscheidend von den Anreizen und Sanktionen abhängig, die mit Wissensvorsprüngen oder dem Zurückbleiben im wettbewerblichen Wissensschaffungsprozeß verbunden sind. Es wurde oben gezeigt, daß evolutorische Wettbewerbsprozesse über einen inhärenten Anreiz- und Sanktionsmechanismus verfügen, der das Finden neuen, überlegenen Wissens durch Vorsprungsgewinne belohnt, während die Weiterverwendung veralteten Wissens negativ sanktioniert wird. Es sind die in dem aus Vorstößen, Nachfolgen und Überholen bestehenden Wettbewerb laufend auftretenden Umverteilungen zwischen den Wettbewerbern aufgrund von Veränderungen ihrer relativen (Wissens-)Position zueinander, die hohe Anreize schaffen, nach neuem Wissen zu suchen oder besseres Wissen anderer zu übernehmen. Die Größe dieser Anreize ist jedoch selbst von rechtlichen Regeln abhängig, die unterschiedlich ausgestaltet sein können. So stellt sich zunächst die Frage, ob Wirtschaftssubjekte überhaupt das Recht besitzen, aufgrund eigener Entscheidung neue Handlungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Es können auch Regelsysteme existieren, die einzelnen Wirtschaftssubjekten solche Rechte prinzipiell nicht zugestehen." Der oben beschriebene Anreiz- und Sanktionsmechanismus setzt voraus, daß Wirtschaftssubjekte solche Rechte auf Realisierung von Neuerungen besitzen. Zudem wird in ihm aber auch impliziert, daß Wettbewerber ihre Konkurrenten nicht für die Verluste kompensieren müssen, die sie ihnen durch Kreation neuen Wissens zufügen. Würde man diesbezüglich eine Haftungsregel (mit der Folge der Kompensation) einführen, so wären die Anreize zur Suche nach neuem Wissen wesentlich geringer, da geringere Vorsprungsgewinne auftreten würden. Wesentlich bedeutsamer wäre jedoch, daß durch den (durch die Kompensation bedingten) Wegfall der negativen Sanktion für das Zurückbleiben im Wettbewerb kein Anreiz mehr bestünde, sein Wissen auf dem neuesten Stand zu halten, so daß dadurch der Anreiz zur schnellen Verbreitung neuen Wissens stark verringert würde. Letztere Gefahr besteht insbesondere auch dann, wenn die Regeln zulassen, daß die negativen Sanktionen beim Zurückbleiben im wettbewerblichen Wissensschaffungsprozeß durch Subventionen und/oder protektionistische Maßnahmen abgefedert oder gar eliminiert werden. Aber auch dann, wenn solche Rechte zur Realisierung von Neuerungen (ohne Kompensationsregelung) etabliert sind, stellt sich die Frage, ob die Eigendynamik dieser wettbewerblichen Prozesse erhalten bleibt oder zum Erliegen kommt. Patentrecht und andere gewerbliche Schutzrechte haben ihre Begründung gerade darin erfahren, daß unter bestimmten Umständen eine zu schnelle Verbreitung des Wissens den Pionier nicht genügend Vorsprungsgewinne realisieren läßt, um einen genügenden Gewinnanreiz für die risikoreiche Suche nach neuem Wissen zu bieten. Regeln zur Beschränkung der Imitation von Wissen können sich folglich auf den Anreiz zur Generierung von neuem Wissen auswirken und damit Anreize für wettbewerbliche Vorstöße erhalte., 100 ten. 99
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Dies ist beispielsweise der Fall in der Zentralverwaltungswirtschaft oder auch in eingeschränkterer Form in Zunft Verfassungen. Vgl. nochmals Clark (1954) und Kaufer (1970).
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Die in Wettbewerbsprozessen bestehenden Anreize und Sanktionen können jedoch auch durch ex- und implizite Abstimmungen zwischen den Wettbewerbern, d.h. durch kollusives Verhalten, beeinflußt werden. Horizontale Koordinationen zwischen Wettbewerbern über den Einsatz ihrer Aktionsparameter, wie z.B. oligopolistisches Verhalten oder Kartelle, können als Versuche verstanden werden, die von wettbewerblichen Vorstößen ausgehenden negativen externen Effekte auf die Vermögenspositionen der Konkurrenten zu "internalisieren". Durch solche Verhaltensweisen können die Wettbewerber ihren wechselseitig bewirkten Druck, nach neuem Wissen zu suchen, weil sie wettbewerbliche Vorstöße von anderen befürchten, abmildern oder gar beseitigen. Insofern können Kartelle die Funktionsfähigkeit des Anreiz- und Sanktionsmechanismus beschränken und dadurch die Eigendynamik und die Schnelligkeit der wettbewerblichen Suche nach neuem Wissen vermindern. Weiterhin beeinflussen Kartelle aber auch den Inhalt der Wissensschaffungsprozesse, da der Prozeß des Generierens und Testens von Hypothesen und des wechselseitigen Lernens nicht bezüglich derjenigen Aktionsparameter funktionieren kann, die durch Kartellvereinbarungen horizontal koordiniert wurden.101 Dies bedeutet, daß je nachdem, ob das Regelsystem Kartelle zuläßt oder nicht, sowohl die Schnelligkeit als auch der Inhalt von wettbewerblichen Wissensschaffungsprozessen beeinflußt wird.102 3.3.2.4.
Fazit
Es wurde gezeigt, daß Regeln, die sich darauf beziehen, welche Aktionsparameter im Wettbewerb eingesetzt werden dürfen und damit die Menge der Aktionsparameter in erlaubte und nichterlaubte unterteilen, die Bemühungen der Wirtschaftssubjekte zur Verbesserung ihres Wissens auf den Bereich der erlaubten Aktionsparameter lenken. Insofern können solche Regeln die Richtung der wettbewerblichen Suche nach neuem Wissen beeinflussen. Während diese Regeln somit Einfluß darauf haben, nach welchem Wissen in evolutorischen Wettbewerbsprozessen gesucht wird, wirken sich andere Regeln auf die Höhe der Anreize aus, überhaupt mit neuen Hypothesen im Wettbewerb vorzustoßen oder erfolgreiche Hypothesen anderer zu übernehmen und dieses Wissen damit zu verbreiten. Diese Regeln beeinflussen folglich die Schnelligkeit der Suche nach neuem Wissen und dessen Diffusion. Der institutionelle Rahmen, innerhalb dessen diese evolutorischen Wettbewerbsprozesse verlaufen, wirkt sich somit sowohl auf die Richtung als auch die Dynamik der Schaffung neuen Wissens aus und folglich auch auf die Richtung und Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung. Die traditionelle Wettbewerbstheorie und -politik hat mit ihrem Begriff der Wettbewerbsbeschränkungen nur auf diese zweite Dimension, nämlich die Möglichkeit der Beschränkung der Dynamik des Wettbewerbs beispielsweise durch Kartelle oder Kon-
Denn durch die horizontale Abstimmung bezüglich kein voneinander unabhängiges Experimentieren Hypothesen mehr möglich. Nicht eingegangen wird hier auf die zum Teil Wirkung der Untemehmenskonzentration auf den prozeß (vgl. hierzu aber Röpke 1990b).
des Einsatzes der Aktionsparameter ist und Ausprobieren verschiedenartiger parallelen Argumentationen über die wettbewerblichen Wissensschaffungs-
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zentration, abgestellt.103 Die erste hier herausgearbeitete Dimension, nämlich daß Regeln über die Definition der erlaubten und nichterlaubten Aktionsparameter auch die Richtung der wettbewerblichen Suche nach neuem Wissen beeinflussen, ist dagegen sowohl in der wettbewerbstheoretischen als auch in der wettbewerbspolitischen Diskussion weitgehend ausgeblendet geblieben.104 Auf zwei Autoren soll jedoch kurz hingewiesen werden. So hat der in der ordoliberalen Tradition stehende Franz Böhm (1933) mit seinem Konzept des Leistungswettbewerbs Wettbewerb als eine "geordnete Kampfveranstaltung" (ebd., S. 212) charakterisiert, auf die das Recht nur "mittelbar" Einfluß nimmt, nämlich "dadurch, daß es bestimmt, welche Waffen, welche Qualitäten in diesem Kampf eingesetzt werden dürfen und welche Kriterien für den Kampferfolg ausschlaggebend sein sollen" (ebd., S. 266), d.h. durch die Festlegung der "Kampfregeln" (ebd., S. 260 ff.). Demsetz (1989, S. 229 ff.), der Wettbewerb ebenfalls als einen Experimentierungsprozeß sieht, bei dem es um die "dissemination and production of knowledge" geht, verweist dann darauf, daß es die "institutional arrangements" sind, die darüber entscheiden, welche Arten der wettbewerblichen Rivalität erlaubt werden und welche verboten sind.105 Folglich: "The importance of the private property system is not in furthering or reducing rivalry generally but in the direction it gives to rivalry" (ebd., S. 230). "The question is not whether to compete, it is what kind of competition to sanction" (ebd., S. 229; Hervorhebung im Original). Aus diesen Überlegungen wird nochmals deutlich, daß der Begriff der Wettbewerbsregeln - verstanden als die Menge aller Regeln, die solche Wettbewerbsprozesse beeinflussen - wesentlich breiter zu verstehen ist als das, was üblicherweise unter Wettbewerbspolitik verstanden wird. Faktisch umfaßt er den gesamten ökonomisch relevanten Teil der Rechtsordnung. Der Ordoliberalismus hatte - ähnlich wie später von Hayek und der Property Rights-Ansatz - die Notwendigkeit einer solchen breiten Sichtweise gesehen und für diesen das gesamte wirtschaftliche Geschehen umfassenden institutionellen Rahmen den Begriff der "Wettbewerbsordnung" geprägt (Eucken 1952). Entsprechend ließe sich dann eine wirtschaftspolitisch motivierte Gestaltung des institutionellen Rahmens als "Wettbewerbsordnungspolitik" bezeichnen.106 103
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Während neoklassische Wettbewerbskonzepte dies aber immer auf das Problem des Preiswettbewerbs reduziert haben, hat man in der Tradition des dynamischen Wettbewerbs sowohl den eigendynamischen Charakter des rivalisierenden Wettbewerbs als auch dessen Bezug zur Suche nach Neuerungen und deren Verbreitung klar erkannt. Dies zeigt sich auch darin, daß der weite Bereich des "unlauteren Wettbewerbs" mit seiner höchst differenzierten Rechtsprechung zur Generalklausel des § 1 UWG, die sich fast ausschließlich mit der Frage nach den im Wettbewerb erlaubten oder verbotenen Aktionsparametern befaßt (vgl. Baumbach/Hefermehl 1991), in der wettbewerbstheoretischen und -politischen Diskussion fast keine Rolle spielt. "The private property system ... is a broad institutional arrangement that encourages competition of certain types and dissuades others. It offers protection from many types of rivalry by penalizing competitors who resort to violence in carrying on their rivalry, by protecting patents and copyrights, and by penalizing impersonation. But it gives little protection from most forms of price and product competition." (Demsetz 1989, S. 230). Aus ordnungstheoretischer Sicht wäre eine solche Wettbewerbsordnungspolitik eben gleichzeitig auch "Ordnungspolitik".
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3.3.3. Folgerung: Der institutionelle Rahmen als Teil der Selektionsumgebung für evolutorische Wettbewerbsprozesse Es wurde gezeigt, daß rechtliche Regeln über ihre Anreizwirkungen sowohl die Dynamik als auch die Richtung von wissenschaffenden Wettbewerbsprozessen beeinflussen. Ausgehend von dem Blickwinkel einer Variations-Selektions-Interpretation dieser Wettbewerbsprozesse läßt sich nun die Funktion dieses institutionellen Rahmens noch genauer bestimmen. So wirkt sich die zweite Art von Wettbewerbsregeln, die sich auf die Höhe der Anreize beziehen, mit neuen Hypothesen vorzustoßen oder die erfolgreichen Hypothesen anderer zu übernehmen, auf das Ausmaß der Generierung neuer Hypothesen (und damit der Produktion von Varietät) aus wie auf die Schnelligkeit, mit der nicht mehr dem aktuellen Stand des Wissens entsprechende Hypothesen aus der Population der angewendeten Hypothesen eliminiert werden. Mit diesen Wettbewerbsregeln wird folglich die Schnelligkeit der Variations-Selektions-Prozesse beeinflußt. Wettbewerbsregeln der ersten Art, die den Bereich der zulässigen von den verbotenen Aktionsparametern abgrenzen und damit die Richtung beeinflussen, in der nach neuem Wissen gesucht wird, üben dagegen eine direkte Selektionswirkung darauf aus, welche Hypothesen in evolutorischen Wettbewerbsprozessen generiert und getestet werden. Dies soll im folgenden noch genauer verdeutlicht werden. Regeln, die den Einsatz bestimmter Aktionsparameter verbieten, implizieren gleichzeitig eine Reduktion von Ungewißheit für andere Wirtschaftssubjekte, weil jene nun nicht mehr mit solchen Handlungen zu rechnen brauchen. Wird etwa Betriebsspionage als Aktionsparameter im Wettbewerb verboten, so brauchen sich Unternehmen bei tatsächlicher Durchsetzung dieses Verbots nicht mehr selbst mit der Lösung dieses Problems zu beschäftigen, sondern können ihre innovativen Problemlösungsbemühungen auf andere Felder konzentrieren. Durch die Unterteilung von Aktionsparametern in erlaubte und in verbotene, üben diese Wettbewerbsregeln folglich eine Selektionsfunktion bezüglich der Probleme aus, die den Wirtschaftssubjekten im Wettbewerb präsentiert werden und für die sie Lösungen finden müssen, wenn sie im Wettbewerb mithalten wollen.107 Je nach den Regeln, unter denen solche Wettbewerbsprozesse ablaufen, sind folglich von den Wettbewerbern unterschiedliche Probleme zu lösen, was wiederum nichts anderes impliziert, als daß sie in unterschiedlicher Richtung nach neuem Wissen zu suchen haben. Je nachdem, welche Regeln für Wettbewerbsprozesse gelten, ist deshalb ein anderes Wissen oder sind andere Fähigkeiten relevant, um sich in diesen Wettbewerbsprozessen durchzusetzen. Sind beispielsweise Märkte stark reguliert oder sind umfangreiche und langwierige Genehmigungen für das Betreiben von Produktionsanlagen erforderlich, so können ein umfangreiches Spezialwissen in bezug auf technische und juristische Feinheiten von Genehmigungsverfahren und/oder gute Kontakte zu den relevanten Entschei107
Werden Regeln nicht vollständig durchgesetzt, so folgt hieraus, daß auch diese Selektionswirkung bezüglich der präsentierten Probleme nur eingeschränkt funktioniert. Je weniger ein solches Verbot bestimmter Aktionsparameter durch Sanktionen abgesichert ist, desto schwächer ist die aus den Regeln folgende Selektionswirkung und desto mehr müssen die Wettbewerber den Wissensschaffungsprozeß auch in diesem Bereich vorantreiben.
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dungsträgern in Politik und Verwaltung wesentlich wichtiger für den Erfolg im Wettbewerb sein als attraktive Produkte oder niedrige Produktionskosten. Insofern könnte man auch davon sprechen, daß je nach den geltenden Regeln die Wettbewerber auf dem Markt unterschiedlichen "Überlebenstests" unterzogen werden. Oder anders ausgedrückt: Die Regeln beeinflussen die Selektionskriterien, die auf dem Markt herrschen. Welche Hypothesen oder welche Leistungen sich im Markt als die "besseren" oder "überlegeneren" durchsetzen, ist folglich immer als relativ zu den jeweils geltenden Regeln anzusehen, die den institutionellen Rahmen für diese Wettbewerbsprozesse bilden.108 Insofern als sich die Regeln auf die Selektionskriterien in diesen Wettbewerbsprozessen auswirken, übt folglich der institutionelle Rahmen eine kanalisierende Wirkung auf die evolutorischen Prozesse der Schaffung und Verbreitung neuen Wissens aus. Der institutionelle Rahmen kann somit als Teil der Selektionsumgebung für die evolutorischen Wettbewerbsprozesse verstanden werden, die - in Parallelität zu den Überlegungen von Alchian - dem Prozeß der Variation und Selektion von Hypothesen und (über die dadurch bewirkte Akkumulation von Wissen) folglich auch der wirtschaftlichen Entwicklung eine Richtung verleiht.109 Umgekehrt könnte dann auch Wettbewerbsordnungspolitik, im oben erläuterten Sinne der Gestaltung der Regeln für Wettbewerbsprozesse, als bewußte Beeinflussung der Selektionsumgebung und damit der Dynamik und Richtung wirtschaftlicher Entwicklungsprozesse verstanden werden.
4. Abschließende Überlegungen Ausgangspunkt dieses Beitrags war die Krise in der Wettbewerbstheorie oder Industrieökonomik. Gerade im deutschsprachigen Raum gibt es auf dem Gebiet der Markt- und Wettbewerbstheorie bereits seit längerem verschiedene Ansätze, um die traditionellen neoklassisch-preistheoretischen Wettbewerbskonzepte zu überwinden. Sowohl von Österreichischen als auch von Schumpeterschcn Ansätzen ist - wenn auch auf unterschiedliche Weise - das Wissensproblem in den Mittelpunkt ökonomischen Denkens gerückt worden und Wettbewerb als ein Prozeß der Erzeugung neuen Wissens und damit als ein Mittel verstanden worden, mit diesem ubiquitären Problem unzureichenden Wissens erfolgreicher umzugehen. Das zentrale Kennzeichen beider Strömungen ist, daß Wettbewerb nicht statisch-gleichgewichtsorientiert als Preiswettbewerb und als Mittel zur Realisierung effizienter Allokation unter der Bedingung eines gege108
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Vgl. Röpke (1977, S. 374 f.): "Wettbewerb ist nur sinnvoll zu deuten, wenn man ihn auf ein bestimmtes Regelsystem bezieht. Wettbewerbliche Aufstiegs- und Abstiegsprozesse und somit auch die Qualitäten der Auf- und Absteiger beziehen sich immer auf bestimmte verhaltensbeschränkende Normen. Im Gegensatz zur biologischen Evolution werden in einem Marktsystem die 'Tüchtigsten' oder 'Fähigsten' nicht vollständig opportunistisch ausgewählt. Vielmehr besteht die Möglichkeit, durch bewußte Einflußnahme auf die Setzung von Verhaltensregeln des Marktes indirekt zu bestimmen, welche Überlebenstests das System für seine Elemente bereithält." Vgl. hierzu auch Vanberg/Kerber (1994). Durch eine Analyse der vom institutionellen Rahmen ausgehenden Anreize auf die Stärke und die Richtung der Suche nach neuem Wissen (Neuerungen) könnte dann auch die methodologische Idee von Alchian, aus der Kenntnis der Selektionsumgebung Rückschlüsse auf die Richtung von evolutorischen Prozessen zu ziehen, realisiert werden. Vgl. hierzu wesentlich ausführlicher Kerber (1996).
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benen und konstantgesetzten Wissens verstanden wird, sondern daß Wettbewerb als ein Prozeß der Schaffung und Verbreitung neuen Wissens begriffen wird, mag man dies nun als "Neuerungswettbewerb" oder als "Entdeckungsverfahren" bezeichnen. Die Vorgehensweise bei der Erarbeitung dieses hier nur skizzenhaft vorgestellten evolutorischen Konzepts wissenschaffenden Wettbewerbs bestand darin, ausgehend von dem von diesen beiden Gruppen von Ansätzen bereits erreichten Forschungsstand unter Hinzunahme der Erkenntnisse weiterer, damit kompatibler Ansätze ein neues Konzept wissenschaffenden Wettbewerbs zu entwickeln, das besser als die bisherigen einzelnen Ansätze geeignet ist, ein fruchtbares und tragfähiges Wettbewerbskonzept abzugeben. Es wurde hier bewußt nicht in der Weise vorgegangen, die Probleme der verschiedenen bisherigen Ansätze im einzelnen herauszuarbeiten, sondern vielmehr umgekehrt jeweils gerade nach jenen positiven Elementen gefragt, die als geeignete Bausteine für ein solches neues Wettbewerbskonzept verwendet werden können. In diesem Sinne haben sich zusätzlich zu den Schumpeterschen und Österreichischen Ansätzen insbesondere solche Ansätze als interessant erwiesen, die mit Variations-Selektions-Argumentationen arbeiten. Als Grundidee dieses evolutorischen Konzepts wissenschaffenden Wettbewerbs wurde herausgearbeitet, daß Wettbewerb vor allem als ein Forschungsprozeß zu sehen ist, in dem die Wettbewerber sich bemühen, ihr immer nur beschränktes und (im Popperschca Sinne) fallibles Wissen über einen erfolgreichen Einsatz ihrer Aktionsparameter zu verbessern. Insofern konnte der Wettbewerb als ein laufender Prozeß des Aufstellens und Testens von neuen Hypothesen gekennzeichnet werden, wobei der Markt über die relative Bewährung oder Widerlegung dieser Hypothesen entscheidet. Es wurde gezeigt, daß es über einen solchen Variations-Selektions-Prozeß von Hypothesen zu Prozessen der Akkumulation von Wissen und damit zu wirtschaftlichen Entwicklungsprozessen kommen kann. Von besonderer Bedeutung ist, daß der institutionelle Rahmen - durch die von den rechtlichen Regeln ausgehenden Anreize, nach neuem Wissen zu suchen - sowohl die Richtung als auch die Dynamik dieser evolutorischen Wissenschaffungsprozesse beeinflussen kann. Dieses hier skizzierte evolutorische Konzept wissenschaffenden Wettbewerbs kann nur ein erster Anfang sein. Es ist in vielerlei Hinsicht weiter zu vertiefen und mit theoretischen und empirischen Untersuchungen zu fundieren. Gerade aufgrund seines Versuchs, verschiedene theoretische Strömungen auf eine konsistente Weise zu integrieren, eröffnet es jedoch die Perspektive, nicht nur verschiedene fruchtbare wettbewerbstheoretische Ansätze wie die Schumpetersche Tradition und die Österreichischen Ansätze zu verbinden, sondern darüber hinaus auch zu einer stärkeren Integration von Wettbewerbs- und entwicklungstheoretischen Ansätzen einerseits und institutionenökonomischen oder ordnungstheoretischen Ansätzen andererseits zu kommen.
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Wettbewerbspolitische Konzeptionen Positive Theorie in normativer Einbindung* Herwig Brendel
1. Wettbewerbspolitische Konzeptionen: Begriff und Elemente
80
2. Markttheoretische Grundlagen
81
3. Die markttheoretischen Elemente in wettbewerbspolitischen Konzeptionen
84
3.1. Wettbewerbspolitische Konzeptionen in der Diskussion
84
3.2. Die Zieldimension
87
4. Gestaltung des institutionellen Rahmens für Wettbewerbsprozesse
88
4.1. Allgemeine Anforderungen an den institutionellen Rahmen
88
4.2. Regelebenen und Regelarten: die Bedeutung der Rechtsordnung
89
4.2.1. Die konstitutionelle Ebene
92
4.2.2. Die legislative Ebene
92
4.2.3. Die Ebene der Handlungseinheiten
94
5. Wettbewerbspolitische Konzeptionen und Wirtschaftsordnung
96
5.1. Regelbedarf einzelner wettbewerbspolitischer Konzeptionen
96
5.2. Die Interdependenz der Ordnungen
99
Literatur
100
Herrn Dipl.-Volkswirt Heiko Geue danke ich für die Unterstützung bei der Vorbereitung.
80
Herwig Brendel
Menschen handeln stets in Ordnungen, seien diese evolutionär entstanden oder bewußt gestaltet. Auch wirtschaftliches Handeln vollzieht sich in Ordnungen, die grundsätzlich stärker zentralplanwirtschaftlich oder eher marktwirtschaftlich ausgerichtet sein können. Hinsichtlich der Marktwirtschaft herrscht sowohl in der Wissenschaft als auch in der politischen Praxis Konsens, daß Wettbewerb das konstitutive (systembegründende) Element dieser Wirtschaftsordnung darstellt. Als kontrovers erweist sich jedoch die Frage, unter welchen Bedingungen Existenz und Erhaltung von Wettbewerb gewährleistet sind. Bei rationaler Politik bedarf das Handeln der für die Aufrechterhaltung von Wettbewerb politisch Verantwortlichen einer Grundlage. Hier ist die Wissenschaft gefordert, durch die Entwicklung wettbewerbspolitischer Konzeptionen den politischen Entscheidungsträgern Grundsätze für die Gestaltung einer Wettbewerbswirtschaft vorzuschlagen. Daß in der Regel mehrere Konzeptionen miteinander konkurrieren, ist ein die Gestaltung der praktischen Wettbewerbspolitik erschwerender Umstand. U m das politische Entscheidungsproblem zu verdeutlichen, sollen einige dieser Konzeptionen, die Gegenstand ausgedehnter Diskussionen waren oder es bis heute sind, hinsichtlich ihrer Implikationen für die Wirtschaftsordnung untersucht werden. U m zunächst ihren jeweiligen wissenschaftlichen Kernbereich zu kennzeichnen, sollen ihre grundlegenden positiven und normativen Aussagen herausgearbeitet werden. Weiter soll geprüft werden, welche institutionellen Anforderungen bei ihrer politischen Umsetzung erfüllt sein müssen und in welcher Form sie zu erfüllen sind. Durch die Verweisung auf die Bedeutung des institutionellen Rahmens wird ein besonderes Augenmerk der Ordnungsdimension gewidmet.
1. Wettbewerbspolitische Konzeptionen: Begriff und Elemente Wettbewerbspolitische Konzeptionen 1 spielen immer dann eine Rolle, wenn der Politik die Verantwortung f ü r Schutz und Aufrechterhaltung des Wettbewerbs zugewiesen wird und eine ganzheitliche Konzeption Grundlage des politischen Handelns (einschließlich der Gesetzgebung) sein soll. Diese Konzeptionen stellen ein Verbindungsglied zwischen der wissenschaftlichen Analyse des Wettbewerbs und dessen praktischer Gestaltung durch die wettbewerbspolitischen Entscheidungsträger dar. Wettbewerbspolitische Konzeptionen werden als wissenschaftlich fundierter, längerfristiger Orientierungsrahmen für die Träger der praktischen Wettbewerbspolitik entwickelt (Willeke 1993, S. 74). Sie müssen Kriterien für die Beurteilung des Geschehens auf Märkten bereitstellen sowie Handlungsempfehlungen bei der Lösung aktueller Probleme anbieten; sie sollten so offen angelegt sein, daß sie neue Entwicklungen in Praxis und Theorie des Wettbewerbs berücksichtigen können. Eine vollständige wettbewerbspolitische Konzeption erfordert die Darlegung (a)
eines Bündels wettbewerbspolitischer Ziele (Zielfunktion),
(b)
der Bedingungen für den Ablauf von Marktprozessen, die zur Realisierung der vorgegebenen Ziele führen (Referenzsituation), Die Begriffe „Konzeption" und „Leitbild" werden weitgehend synonym verwendet. Es sollte von einem Leitbild jedoch nur dann gesprochen werden, wenn eine wettbewerbspolitische Konzeption zur Grundlage politischen Gestaltungswillens geworden ist.
Wettbewerbspolitische
Konzeptionen
81
(c)
von Kriterien für die Lösung von Problemen, die sich aus dem aktuellen Verhalten der Handlungseinheiten im Marktsystem ergeben, sowie
(d)
der Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen der Handlungseinheiten gegen die politisch gesetzten Normen, die für das Marktsystem Geltung haben (Herdzina 1988, S. 60). Schließlich kann
(e)
die anzustrebende Verteilung der Entscheidungskompetenzen auf die verschiedenen Träger der Wettbewerbspolitik ein weiterer Bestandteil der Konzeption sein (Willeke 1993, S. 74 f.).
Wettbewerbspolitische Konzeptionen enthalten demnach positive und normative Elemente. - Die positive Komponente wird durch den Komplex von Wenn-dann-Sätzen gebildet, der den Ablauf von Marktprozessen erfaßt. Mit diesem theoretischen Kern, der sich aus den Erkenntnissen der Markttheorie speist, werden die Faktoren benannt, auf die sich die politische Gestaltung der Voraussetzungen für Wettbewerb beziehen muß. Die normative Komponente einer Konzeption stellen die durch das Zielsystem gesetzten Werte dar. Deren Praxisrelevanz besteht nicht zuletzt in einer Beschränkung auf diejenigen Ziele, deren Erfüllung durch wettbewerbliche Marktprozesse aufgrund markttheoretischer Analyse angenommen werden kann. Damit ist gesagt, daß hinsichtlich der Ziele keine Beliebigkeit gegeben ist. Sie müssen das umfassen, was sinnvollerweise von Wettbewerbsprozessen erwartet werden kann. Die Rivalität zwischen den Konzeptionen ist wesentlich durch die Tatsache bedingt, daß sich die Art des Marktgeschehens, das als wettbewerblich angesehen wird, je nach den gewünschten Zielen unterscheidet. Mit der Definition der Ziele wird über die Rolle entschieden, die Wettbewerb nach der jeweiligen Konzeption einnehmen soll.
2. Markttheoretische Grundlagen Das Nebeneinander unterschiedlicher wettbewerbspolitischer Konzeptionen ist gewiß eine Folge dessen, daß im Laufe der Geschichte entwickelter Industriegesellschaften jeweils unterschiedliche Probleme einer Marktwirtschaft im Mittelpunkt des wissenschaftlichen bzw. politischen Interesses standen und Konzeptionen im Hinblick auf diese Problemstellungen aufgebaut wurden. Daraus resultierte jedoch kein Prozeß einer kontinuierlichen Weiterentwicklung einer wettbewerbspolitischen Konzeption 2 , was nicht zuletzt durch die Vielzahl unterscheidender Adjektive (vollkommen, wirksam, funktionsfähig, dynamisch usw.) augenfällig wird. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß es bei den verschiedenen Konzeptionen Überschneidungen gibt, weil in der Analyse und Erklärung von Marktprozessen das Gewicht einer Reihe von Elementen unstrittig ist; diese können als Grundstock einer positiven Theorie des Wettbewerbs angesehen werden. Es zeigt sich eine bemerkenswerte Breite der für die Analyse von Marktprozessen verfügbaren Ansätze und Konzepte.
2
Zohlnhöfer (1991, S. 71 f.) beklagt zwar, daß „eine Integration im Sinne einer Weiterentwicklung der relevanten Theorie ... kaum versucht" wird, aber auch sein „Erkenntnisinteresse gilt ausschließlich (einer Weiterentwicklung) der [von ihm vertretenen; Anm. d. Verf.] Theorie des funktionsfähigen Wettbewerbs."
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Das Geschehen auf Märkten ist durch komplexe Prozesse gekennzeichnet. Zur Erklärung sowohl dieser Komplexität als auch zur Identifikation von wettbewerblichen Marktprozessen bedarf es der Beachtung vieler Variablen. Da Unternehmen und Unternehmensumwelten letztlich einem permanenten Wandel unterliegen, stellt sich die Entwicklung der Markttheorie als ein diskursiver Prozeß dar, der wechselnde Schwerpunkte der theoretischen Analyse und Auseinandersetzung aufweist. Einige der ,3austeine", die - ungeachtet der wettbewerbspolitischen Folgerungen der jeweiligen Ansätze - m.E. zum Bestand der Markttheorie zählen (siehe Schaubild 1), sollen im folgenden ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne strenge theoriegeschichtliche Abfolge zusammengetragen werden. Dabei ist ein Tatbestand besonders hervorzuheben: Grundsätzlich ist ein Wandel des dominierenden Aspekts, unter dem Wettbewerb untersucht wird, zu konstatieren. Der Weg, den die Geschichte der Lehrmeinungen nahm, begann mit dem breit angelegten, erst in der Gegenwart wieder voll aufgedeckten Denkansatz von Adam Smith. Er verengte sich in der Neoklassik zu einem (statischen) Konzept der optimalen Faktorallokation in einem stationären System und erweiterte sich wieder mit der Wende zur Ebene der Innovation. Schaubild 1: Elemente der Markttheorie zur Erfassung der Determinanten und Wirkungen von Wettbewerb Aufgabe (Funktion) von Wettbewerb: Wettbewerb als rivalisierender Prozeß der Wissensnutzung, der Gewinnerosion und der Gewinnneubildung durch dynamische Unternehmer zur Verbesserung der Ressourcenallokation durch permanenten Zwang zur Kostensenkung und Leistungsverbesserung (allokative, produktive, innovativ-adaptive Effizienz) Verfahren nicht-autoritärer Koordination individueller, selbstinteressierter Handlungen Analytische Behandlung: Prozeß- (Ungleichgewichts-) theorie Handlungsgrundlagen: Heterogenität von Personen, Handlungseinheiten (Organisationen), Ressourcen und Produkten Handlungsrechte und Verfügungsrechte über Ressourcen Handeln unter Ungewißheit; Erwartungen, Risikoneigung Historische Zeit Handlungsorientierung: Gewinn bzw. individuelle ökonomische Vorteile Handlungsfeld: Märkte mit Handlungsbeschränkungen durch Regeln (institutionelle Einbindung des Wettbewerbs) Reaktionsverbundenheit der Marktteilnehmer (parametrische Interdependenz) mit Unterschieden in der Reaktionsgeschwindigkeit Einsatz von Aktionsparametern Innovation und Imitation Substitutionskonkurrenz Marktein- und -austritt: offene, „umkämpfbare" Märkte Wettbewerbsintensität: Beeinflussung durch persönliche, sachliche, zeitliche und örtliche Differenzierungen
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Die mit der nationalökonomischen Klassik einsetzende Diskussion faßt Wettbewerb von vornherein als prozessuales Phänomen auf. Wettbewerb kann danach den Rang eines gesellschaftlichen Ordnungsprinzips einnehmen, wenn die Freiheit individuellen Verhaltens durch moralische und rechtliche Regeln sowie durch wirtschaftliche Zwänge begrenzt und kontrolliert wird. Hierzu bedarf es einer staatlichen Rahmenordnung. Bereits am Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Wettbewerb steht also die Erkenntnis, daß individuelles Verhalten durch institutionelle Rahmenbedingungen zu steuern ist. Freiheit und Evolution werden als die charakteristischen Merkmale von wettbewerblichen Marktprozessen herausgestellt, deren Ergebnis zu einer Erhöhung des „Wohlstands der Nationen" führt. Lange Zeit nahm dann das Problem der optimalen Ressourcenallokation in der zur Preistheorie verengten Theorie der vollkommenen Konkurrenz eine zentrale Rolle ein. Zugleich aber machten die Modelle deutlich, daß - bei relativer Gleichverteilung der Macht unter den Marktteilnehmern - Wettbewerb immer wieder ein Prozeß der Gewinnerosion ist. In Schumpeters Entwicklungstheorie wurde der Evolutionsgedanke mit der herausragenden Stellung des Innovators (nicht des Inventors) wieder eingebracht; dieser treibt als (Pionier-) Unternehmer die wirtschaftliche Entwicklung durch Wettbewerb mit technischen Fortschritten voran. Im weiteren wurde bei der Entwicklung der Theorie der sogenannten „unvollständigen" Konkurrenz eine Reihe von Faktoren als bedeutsam für das Wettbewerbsgeschehen erkannt: Das Handeln unter Ungewißheit, die Bedeutung von Erwartungen, der Tatbestand der Heterogenität (von Ressourcen und Handlungseinheiten), die Reaktionsverbundenheit der Marktteilnehmer, der Einfluß der historischen Zeit, die Notwendigkeit der Erfassung von Wettbewerb in Prozeß- (Ungleichgewichts-) Analysen. Auch die empirische Fundierung der Wettbewerbstheorie durch Fallstudien trug zur Erweiterung der Einsicht in das Wettbewerbsgeschehen bei; zudem wurde das Interesse auf das Phänomen der Marktmacht gelenkt. Allerdings führte die Anwendung des streng kausal interpretierten Struktur-Verhalten-Ergebnis-Schemas zu einer gewissen Starrheit der wettbewerbstheoretischen Forschung. Die Theorie des Pleiopols 3 (Machlup) lenkte das Augenmerk auf die Prozesse der Gewinnerosion. Damit wurde deutlich, daß nicht nur der aktuelle Marktraum von Belang f ü r den Ablauf von Wettbewerbsprozessen ist, sondern auch vom potentiellen Wettbewerb (durch die Möglichkeit der Neugründung von Unternehmen oder „cross entry", d.h. branchenüberschreitenden Markteintritt) kontrollierende Wirkungen auf das Marktgeschehen ausgehen. Unmittelbar kontrolliert wird das Unternehmensverhalten durch den aktuellen Wettbewerb auf den Güter- und Faktormärkten sowie durch das Finanzsystem. Für die deutsche Tradition der Wettbewerbstheorie erlangte der Ordoliberalismus mit seiner Idee der Schaffung einer funktionsfähigen und menschenwürdigen Wettbe-
Griech. „pleion" (mehr) und „polein" (verkaufen): Wettbewerb durch das Auftreten neuer Anbieter (Machlup 1966, S. 101).
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werbsordnung, deren Grundprinzip in der Errichtung eines funktionsfähigen Preissystems besteht, aus mehreren Gründen erhebliche Bedeutung: In der Parametertheorie des Wettbewerbs wird der breite Fächer an Nichtpreis-Aktionsparametern hervorgehoben, der einem Unternehmer zur Stabilisierung bzw. Verbesserung seiner Marktposition zu Gebote steht. Das allerdings hat gelegentlich zu einer Minderschätzung des Aktionsparameters Preis geführt. Das je nach Marktkonstellation unterschiedliche Gewicht einzelner Parameter darf nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß unter dem Aspekt der Funktionsfähigkeit der Planungsordnung und damit des marktwirtschaftlichen Systems der Aktionsparameter Preis stets im Rang eines systemkonstitutiven Aktionsparameters verbleibt. Preise als gesellschaftliches Bewertungsverfahren bilden die Grundlage jeglicher Wirtschaftsrechnung in diesem System. Das gesellschaftliche Urteil über die Leistungen der Unternehmen drückt sich in deren Gewinnen aus. Prozesse des strukturellen Wandels laufen in Orientierung am Gefüge der relativen Preise ab. - Zum anderen wurde durch den Ordoliberalismus das gewichtige Problem der institutionellen Grundlagen für Wettbewerbsprozesse durch die Betonung der Interdependenz von Rechts- und Wirtschafts- bzw. Wettbewerbsordnung wieder thematisiert. Als neuere theoretische Entwicklung ist die Theorie des evolutorischen Wettbewerbs zu nennen, die auf die Bedeutung des Wissens und seiner Veränderung abstellt. Mit diesem Ansatz wird die Vorstellung vom Wettbewerb als Entdeckungsverfahren (von Hayek), die auf die Nutzung des weit verstreuten Wissens in der Gesellschaft abhebt, konkretisiert und weiterentwickelt, indem insbesondere die Schaffung neuen Wissens akzentuiert wird. Das Interesse ist somit auf die Innovation als zentraler Kraft der wirtschaftlichen Entwicklung gerichtet.
3. Die markttheoretischen Elemente in wettbewerbspolitischen Konzeptionen Die markttheoretischen Erkenntnisse dienen der Fundierung wettbewerbspolitischer Konzeptionen. Durch die Auswertung von Ergebnissen der Markttheorie im Hinblick auf die Ziele, die durch Wettbewerb realisiert werden sollen, erfolgt die normative Einbindung der positiven Theorie. Der Tatbestand verschiedener Wettbewerbsziele in Verbindung mit der vom jeweiligen Wertsystem abhängigen Interpretation der Aussagen der Markttheorie erklärt, „daß die Umsetzung der Aussagen der Markttheorie nicht zwingend zu einer einzigen, geschlossenen und widerspruchsfreien wettbewerbspolitischen Konzeption führt" (Herdzina 1988, S. 21).
3.1. Wettbewerbspolitische Konzeptionen in der Diskussion Wissenschaftliche und politische Diskussionen über wettbewerbspolitische Konzeptionen wurden und werden im wesentlichen nur in den Vereinigten Staaten und in Deutschland geführt (Kantzenbach/Krüger 1994, S. 196). Aus diesem Bereich sollen
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Konzeptionen vorgestellt werden, die zu je verschiedenen Zeiten einen Einfluß auf die praktische Wettbewerbspolitik ausgeübt haben:4 [1] Das Modell der vollkommenen Konkurrenz resultiert aus dem Bemühen, die „unsichtbare Hand" (Smith) des Wettbewerbs in Gleichungen zu erfassen. Referenzsituation der Konzeption ist die Marktstruktur der vollkommenen Konkurrenz mit einer großen Anzahl von Anbietern und Nachfragern, in der sich die Anbieter bei Abwesenheit von persönlichen oder sachlichen Präferenzen als Mengenanpasser verhalten. Im Gleichgewicht befindet sich der Markt sowohl im Produktions- als auch im Tauschoptimum und zeichnet sich durch eine optimale Faktorallokation, eine marktleistungsgerechte Einkommensverteilung sowie durch Gewährleistung der Konsumentensouveränität aus (Schmidt 1993, S. 6 f.). Das Modell der vollkommenen Konkurrenz ist eine der Preistheorie verpflichtete Konzeption, die allein durch Preis-Mengen-Beziehungen bestimmt wird (stationäres Gleichgewichtsmodell der Neoklassik). Lange Zeit wurde die vollkommene Konkurrenz als Leitbild propagiert, weil sie unter den gegebenen Annahmen zu einem Zustand maximaler wirtschaftlicher (allokativer) Effizienz führt. Das Erreichen dieses Zustands mit dem Pareto-Optimum als normativem (Marktergebnis-) Kriterium ließ das Herbeiführen der zugrundeliegenden Marktstruktur, durch die Marktverhalten und Marktergebnis bestimmt werden, zur Hauptaufgabe der Wettbewerbspolitik werden. [2] Konzepte des funktionsfähigen Wettbewerbs entstammen dem Kreis der Harvard School (Bain, Caves, J.M. Clark, Markham, Mason, Shepherd, Wilcox u.a.), die auf der Grundlage von Fallstudien mit Hilfe des Struktur-Verhalten-Ergebnis-Schemas Kriterien für die Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auf bestimmten Märkten („workable competition") erarbeitete. Bedeutsam ist der Beitrag von J.M. Clark, der die in der Neoklassik verengte Wettbewerbsauffassung aufbrach und Wettbewerb als dynamischen, von Innovationen ausgelösten Prozeß des Vorstoßens, Nachziehens und Überholens charakterisierte. In der workable competition-Tradition steht das von Erhard Kantzenbach entworfene Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität, das in Deutschland bei der zweiten Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen einen maßgeblichen Einfluß ausübte. Kantzenbach entwickelte sein wettbewerbspolitisches Konzept von den ökonomischen Aufgaben des Wettbewerbs her. Im wesentlichen sieht er fünf Funktionen des Wettbewerbs, deren Erfüllung zu gewährleisten Aufgabe der Wettbewerbspolitik ist. Er unterscheidet drei sogenannte statische Funktionen (leistungsgerechte Einkommensverteilung, Konsumentensouveränität und optimale Faktorallokation) von zwei sogenannten dynamischen Funktionen (Anpassungsflexibilität der Produktion sowie Beschleunigung und Durchsetzung des technischen Fortschritts) (Schmidt 1993, S. 11 f.). Im Hinblick auf diese Funktionen leitet Kantzenbach eine bestimmte Marktstruktur als Situation optimaler Wettbewerbsintensität ab; sie sei im weiten Oligopol mit mäßiger Produktheterogenität und beschränkter Markttransparenz (Referenzsituation) gegeDarstellungen der wichtigsten wettbewerbspolitischen Konzeptionen sind enthalten u.a. in:
Bartling (1980), Grossekettler (1985), Aberle (1992), Herdzina (1993), Schmidt (1993), Emmerich (1994), Tolksdorf (1994), Berg (1995), Ölten (1995).
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ben. Damit vollzieht diese Konzeption eine modellmäßige Verengung des Wettbewerbsprozesses. [3] Der Ordoliberalismus {Böhm, Eucken, Lenel u.a.) verbindet ökonomische mit gesellschaftspolitischen Zielsetzungen: Wettbewerb soll sowohl zu einer Minderung der Knappheit führen als auch die persönliche Freiheit vor der Willkür privater oder staatlicher Machtstellungen schützen. Die breite Streuung von Macht unter einer Vielzahl von Anbietern war es vor allem, deretwegen die Marktform der vollständigen Konkurrenz 5 zur Referenzsituation erhoben wurde: Nicht eine Machtposition, sondern die Leistung am Markt solle im Wirtschaftsprozeß entscheidend sein. Deshalb bestehe die wettbewerbspolitische Aufgabe darin, im Rahmen eines funktionsfähigen Preissystems Leistungswettbewerb zu verwirklichen, der sowohl als Verfahren der Kostenminimierung als auch der Machtkontrolle fungiert. [4] Das Konzept der Wettbewerbsfreiheit wurde in Deutschland vor allem von Erich Hoppmann in Auseinandersetzung mit Kantzenbachs Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs unter Rückgriff auf die klassische Nationalökonomie und unter Einbeziehung von Ansätzen der Österreichischen Schule (von Mises, von Hayek, Kirzner u.a.) entwickelt. Dieses Konzept setzt an der persönlichen Freiheit als Ziel an. Dem Handeln der Menschen werden nur durch allgemeine Verbotsregeln („freiheitssichernde Regeln") Beschränkungen auferlegt. Aus der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit entstehen Marktprozesse, in denen die Kenntnisse und Fähigkeiten der einzelnen Wirtschaftssubjekte umfassend genutzt werden und so gute ökonomische Ergebnisse hervorbringen. Wettbewerb ist ein Such- und Entdeckungsverfahren, dessen Ergebnisse nicht im einzelnen, sondern nur in Form von Musterprognosen voraussagbar sind. Regelgebundener freiheitlicher Wettbewerb wird als „Ziel an sich" aufgefaßt. Wettbewerbspolitik habe daher allein die Aufgabe, gegen Einschränkungen der Wettbewerbsfreiheit vorzugehen. Eine ausschließlich an Verhaltensverboten orientierte Wettbewerbspolitik wird allerdings von einzelnen Autoren für nicht ausreichend gehalten. Ihnen erscheint es bedenklich, „wenn jedwede Möglichkeit zu Marktstruktureingriffen ausgeschlossen wird", sie fordern als Ergänzung eine Politik gegen „marktstrukturell bedingte Wettbewerbsbeschränkungen" (Bartling 1980, S. 108 f.; Cox/Hübener 1981, S. 31). Inzwischen hat Herdzina (1988, S. 48 ff.) eine Erweiterung des Konzepts vorgeschlagen und bezieht „freiheitsgefährdende Marktstrukturen" als weiteren Tatbestand der Wettbewerbsbeschränkung neben „freiheitsbeschränkendem Marktverhalten" ein. [5] Die Konzeption der Chicago School ofAntitrust {Bork, Brozen, Demsetz, Posner, Stigler u.a.) steht aufgrund ihrer markttheoretischen Fundierung in engem Zusammenhang mit dem Gleichgewichtsmodell der vollkommenen Konkurrenz. Nach Ansicht der Vertreter der Chicago School reicht die neoklassische Gleichgewichtstheorie mit ihrer Dichotomie von vollkommener Konkurrenz und Monopol für die Analyse des realen Marktgeschehens aus (Approximationshypothese). Entstanden als Bewegung einer Gruppe von Chicagoer Ökonomen und Juristen gegen das Konzept der Vertreter der „Heute wissen wir, daß die von Eucken angestrebte Ordnung nicht die Verwirklichung jenes Modells zur Voraussetzung hat" {Hoppmann 1995, S. 51).
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Harvard School, erlangte diese Schule während der Präsidentschaft von Ronald Reagan (1981-1989) erheblichen Einfluß auf die amerikanische Wettbewerbspolitik. Die Chicago School postuliert die Maximierung der Konsumentenwohlfahrt als einziges Ziel, das durch Wettbewerb verwirklicht werden soll. Dieses Ziel wird dann am besten erreicht, wenn auf die Selbststeuerungs- und Selbstheilungskräfte des Marktes vertraut wird. Das Marktgeschehen zeichnet sich dann durch allokative und produktive Effizienz aus, wobei vorrangig die produktive Effizienz interessiert. Wettbewerb als Ausleseprozeß läßt in der langen Sicht nur effiziente Unternehmen überleben („survival of the fittest"). Das setzt wettbewerbspolitische Zurückhaltung seitens des Staates voraus, weil staatliche Eingriffe häufig zur Errichtung von Marktzutrittsschranken führen (staatliche Monopole werden grundsätzlich abgelehnt). Übt der Staat keinen direkten Einfluß aus, kann (temporär) private Marktmacht auftreten. Hier setzt die Chicago School auf den potentiellen Wettbewerb und den Abbau von Monopolstellungen im Zeitablauf durch neu in den Markt eintretende Unternehmen. Wird empirisch auf ausgewählten Märkten längerfristig eine Konzentration festgestellt, dann wird sie als Ergebnis überlegener Unternehmensfähigkeiten und -aktivitäten interpretiert (survivor test). Damit kann unter der Voraussetzung einer weitgehenden Abwesenheit staatlicher Eingriffe in das Marktgeschehen voll auf die Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus vertraut werden. [6] In den hier vorgestellten Konzeptionen wird von den in Schaubild 1 aufgezeigten Elementen der Markttheorie sehr unterschiedlich Gebrauch gemacht. Konzeptionen, die den Prozeßcharakter von Wettbewerb vernachlässigen, entsprechen nicht dem gegenwärtigen markttheoretischen Erkenntnisstand. Die Konzepte der vollkommenen Konkurrenz sowie der optimalen Wettbewerbsintensität, die auf bestimmte Marktstrukturen und die mit ihnen verknüpften Verhaltensweisen abstellen, sind mehr oder weniger geschlossene, dem statischen Denken verhaftete Modelle und verfehlen den prozessualen Charakter von Wettbewerb. Durch die Konzentration auf die Erforschung der im Sinne des Konzepts effizientesten Marktstruktur wird die Bedeutung des institutionellen Rahmens für marktliche Prozesse ausgeblendet. Der Ordoliberalismus bleibt zwar mit seiner Forderung, die Marktform der vollständigen Konkurrenz zu realisieren, dem deutschen wettbewerbstheoretischen Stand seiner Zeit verhaftet, vertraut grundsätzlich aber auf die Dynamik des Wettbewerbsprozesses: Konkurrenz „unterwirft den einzelnen der Kontrolle des Marktes, entmachtet ihn weitgehend, zwingt zur Leistungssteigerung, nötigt zu dauernden Anpassungen und besitzt in der Verlustgefahr und im Konkurs unangenehme Zwangsmittel" (Eucken 1960, S. 237).
3.2. Die Zieldimension Über den Stellenwert von Wettbewerb als Gegenstand der Politik entscheidet nicht zuletzt die normative Komponente einer Konzeption: Soll Wettbewerb als Instrument dienen oder im Rang eines Ordnungsprinzips stehen? Der hier gegebene Überblick zeigt: In der Regel werden in der Diskussion wettbewerbspolitischer Konzeptionen wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktionen des Wettbewerbs unterschieden. In einer gängigen Einteilung, die sich am Zielsystem orientiert, werden Konzeptionen, die den Aspekt wirtschaftlicher Effizienz in den Vordergrund stellen (wohlfahrtsökonomischer
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Ansatz), von solchen unterschieden, die - ohne Vernachlässigung des Wohlstandsaspekts - der individuellen Freiheit einen hohen Stellenwert zumessen (systemtheoretischer Ansatz) (Herdzina 1988). Die in Deutschland intensiv geführte Debatte, ob der Zielkomplex wettbewerbspolitischer Konzeptionen neben den unstrittigen wirtschaftlichen Funktionen des Wettbewerbs auch gesellschaftspolitische Funktionen (Wettbewerbsfreiheit, Gleichmäßigkeit in der Machtverteilung) enthalten solle, scheint inzwischen zu einer Annäherung der Standpunkte geführt zu haben: „... ein wettbewerbspolitisches Leitbild, das der politischen Praxis Orientierungshilfe leisten will, (muß) den für die zu gestaltende Realität geltenden normativen Vorgaben Rechnung tragen. Da die Freiheit des Individuums unteilbar ist, kann sich auch der Wettbewerbstheoretiker nicht auf die bloße Betrachtung der ökonomischen Funktionen des Wettbewerbs zurückziehen. ... [D]er (verfassungsrechtlich) gebotene Schutz der Wettbewerbsfreiheit ist nicht durch einen einmaligen Akt der Gesetzgebung gewährleistet, sondern nur durch eine kontinuierliche Kontrolle auch jener wirtschaftlichen Macht, die Marktteilnehmer einzeln oder als Gruppe prinzipiell erlangen können" (Zohlnhöfer 1991, S. 73 f.).
4. Gestaltung des institutionellen Rahmens für Wettbewerbsprozesse Die politische Umsetzung wettbewerbspolitischer Konzeptionen erfolgt mit dem Ziel der Institutionalisierung von Wettbewerb bzw. der Schaffung der Grundlagen für praktische Wettbewerbspolitik. Die „Gesamtheit aller Institutionen ..., die der Verwirklichung von wettbewerbspolitischen Zielen dienen", wird als Wettbewerbsordnung bezeichnet (Grossekettler 1985, S. 298). Der Fall, daß eine konzeptionelle Grundlage für eine vollständig neue Gesetzgebung zur Etablierung einer Wettbewerbswirtschaft gesucht wird, ist selten.6 In der Regel bildet sich der institutionelle Rahmen in einem evolutorischen Prozeß: Neue Entwicklungen am Markt (z.B. Ausbildung neuer Verhaltensstrategien oder institutioneller Arrangements) zwingen den Gesetzgeber immer wieder zur Änderung oder Ergänzung bestehender Regelungen und fordern auf diese Weise auch die eventuell notwendige Überarbeitung wettbewerbspolitischer Konzeptionen heraus.
4.1. Allgemeine Anforderungen an den institutionellen Rahmen Für Wettbewerbstheoretiker, die einem „Denken in Ordnungen" verpflichtet sind, ist die „ordnungstheoretische Hypothese (grundlegend), daß Marktprozesse nicht von ihren institutionellen Rahmenbedingungen zu trennen sind". Sie gehen davon aus, daß zwischen den institutionellen Rahmenbedingungen, der Akzeptanz einer Wettbewerbsordnung und dem wirtschaftlichen Verhalten der Marktteilnehmer eine Verbindung besteht (Streit 1992, S. 90). In diesem Zusammenhang geht es um die „äußeren Institutionen" als „das notwendige Rahmenwerk der marktwirtschaftlichen Ordnung" CLachmann 1963, S. 67).
Ausnahmen stellen z.B. die Verabschiedung des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie die Einführung von Wettbewerbsgesetzen in einigen Transformationsländern Osteuropas dar.
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Konzeptionen
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Um wettbewerbliche Marktprozesse zu sichern, muß zunächst das gewährleistet sein, was eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung etabliert, Privatautonomie (Vertragsund Gewerbefreiheit) sowie Privateigentum: „Wettbewerb kann nur zustande kommen, wenn Bedingungen erfüllt sind, die als Wettbewerbsvoraussetzungen bezeichnet werden. Zu diesen gehört eine Rechtsordnung, die den Privaten Verfügungsrechte (property rights) über Güter und Dienste zuerkennt, die die Möglichkeit eröffnet, unternehmerisch tätig zu werden (Gewerbefreiheit), die die freie Wahl des Tauschpartners zuläßt (Vertragsfreiheit), ein funktionsfähiges Währungssystem gewährleistet und den Wettbewerb vor Beschränkungen schützt" (Berg 1995, S. 243). Zu den Voraussetzungen zählt auch, daß Menschen mit Initiative, Kreativität und Wagnisbereitschaft vorhanden sein müssen, um die eingeräumten Handlungsspielräume zu nutzen. Wenn sich Marktprozesse in der Weise entwickeln sollen, daß sie zur Erreichung eines vorgegebenen Zielsystems führen, muß wettbewerbspolitisches Handeln darauf gerichtet sein, mit verbindlichen Regelungen die weiteren Bedingungen zu schaffen, die für den Ablauf der erwünschten Prozesse als notwendig erachtet werden. Die zwecks Institutionalisierung von Wettbewerb zu treffenden Regelungen müssen es erlauben, die den jeweiligen Konzeptionen zugrunde liegenden Wettbewerbsvorstellungen zu realisieren, und zwar müssen es Regelungen sein, denen möglichst viele Gesellschaftsmitglieder prinzipiell zustimmen können. Für Wettbewerbsprozesse sind zwei Umstände typisch: die Ungewißheit der Zukunft und die Unsicherheit über das Verhalten der Konkurrenten sowie der Marktgegenseite. Nicht zuletzt aus Gründen der Stabilität der Gesamtordnung ist das bei allen Marktbeteiligten bestehende Interesse an einer Reduktion dieser Unsicherheit bei der Gestaltung des institutionellen Rahmens zu berücksichtigen. Es müssen Möglichkeiten des Umgangs mit dem Phänomen der Ungewißheit angeboten werden, ohne die individuelle Freiheit einzuschränken. Dieser Forderung wird am ehesten durch einen dauerhaften und einheitlichen Regelrahmen entsprochen, d.h. durch Regeln, die stabil sind und für alle gleichermaßen gelten (Leschke 1993, S. 117). Damit kann Vertrauen in die Rahmenbedingungen geschaffen und zur Stabilisierung der Erwartungen beigetragen werden. Einheitlichkeit, Verläßlichkeit und Akzeptanz der Rahmenbedingungen sind Voraussetzungen, um Wettbewerb zu institutionalisieren. Der Privatautonomie, d.h. der Vertragsfreiheit, inhärent ist jedoch die Gefahr einer Beschränkung des Wettbewerbs. Das Regelsystem muß folglich imstande sein, unerwünschte Wirkungen individuellen Handelns zu verhindern und Handlungen zu unterbinden, die Wettbewerb beschränken oder zerstören. Wettbewerb bedarf der Sicherung durch das Recht.
4.2. Regelebenen und Regelarten: die Bedeutung der Rechtsordnung Im Hinblick auf die Gestaltung des institutionellen Rahmens, d.h. der Rechtsordnung, zur Durchsetzung der wettbewerbspolitischen Prinzipen und Kontrolle ihrer Einhaltung besteht ein hoher politischer Handlungsbedarf. Je nach wettbewerbspolitischer Konzeption kann das Spektrum von der Herstellung eines allgemeinen Verhaltensrahmens für eine Vielzahl von Fällen bis zu sehr konkreten Bestimmungen (mit ebenso
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genau bestimmten Eingriffsmöglichkeiten seitens der Träger der Wettbewerbspolitik) reichen. In jedem Fall ist eine politische Grundsatzentscheidung zu treffen, die sich anhand eines Mehr-Ebenen-Schemas verdeutlichen läßt (Schaubild 2). Bei der rechtlichen Zuordnung des Rahmenwerks für Wettbewerbsprozesse werden zumeist lediglich zwei Ebenen unterschieden, nämlich die Ebene, auf der die Regeln fixiert werden (konstitutionelle Ebene: Wahl der Spielregeln; Rechtsordnung), und die Ebene des wirtschaftlichen Geschehens, das unter diesen Regeln abläuft (postkonstitutionelle Ebene: Handlungen innerhalb der Spielregeln; Handelnsordnung). In Anlehnung an Kiser und Ostrom sollen hier hinsichtlich des Systems der Regeln für die Errichtung eines Rahmens für Wettbewerbsprozesse drei Ebenen unterschieden werden, die in hierarchischer Beziehung zueinander stehen (Kiser/Ostrom 1982; Ostrom 1986): (1)
die konstitutionelle Ebene,
(2)
die legislative Ebene und
(3)
die Ebene der einzelnen Handlungseinheiten, die häufig eine kollektive Ebene einschließt.
Explizit werden hier bei der Rechtsordnung konstitutionelle und legislative Ebene unterschieden. Die Verfassung als Niederschlag einer gesellschaftlichen Einigung auf bestimmte Grundrechte und rechtlicher Bindungen der Staatsgewalt steht über allen anderen Rechtsnormen. Sie ist grundlegend für das Ordnungsgefüge einer Gesellschaft, eröffnet ihren Mitgliedern Bereiche möglichen Handelns und setzt zugleich die Grenzen. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an ihre Veränderung. Die Legislative ihrerseits ist in ihrer Gesetzgebung an die Verfassung gebunden; Gesetze und Gesetzesänderungen sind jedoch in einem gegenüber Verfassungsänderungen einfacheren Verfahren zu verabschieden. Hinsichtlich der Regeln werden mit von Hayek zwei Arten unterschieden: abstrakte und konkrete Regeln. „Die abstrakten und allgemeinen Regeln des Gesetzes im engeren Sinne ... zielen nicht auf die Schaffung einer Ordnung durch Anordnung, sondern auf die Schaffung der Bedingungen, unter denen sich eine Ordnung von selbst bilden wird" (von Hayek 1969, S. 44). Konkrete Regeln sind bewußt gestaltete Gebotsregeln (Anweisungen) zur Erfüllung bestimmter Zwecke oder Ziele. Aufgabe der allgemeinen Regeln ist es, individuelle Handlungsspielräume negativ festzulegen und zu schützen, indem bestimmte Verhaltensweisen von vornherein ausgeschlossen werden. Sie schränken die eigenen Handlungsmöglichkeiten ebenso ein wie die anderer und erlauben Erwartungen über deren Verhalten. Damit wird den Handlungseinheiten zum einen ermöglicht, innerhalb der durch die Regeln gesetzten Grenzen ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Zum anderen reduziert diese Abgrenzung das Konfliktpotential zwischen den Einheiten; allerdings muß durch zusätzliche Regeln die Lösung auftretender Konflikte sichergestellt werden. Um diese Funktionen erfüllen zu können, müssen die Regeln den Anforderungen der Abstraktheit, Offenheit und Bestimmtheit genügen (Streit 1992, S. 90 f.): Sie müssen (a) abstrakt sein, d.h. für eine unbekannte und unbestimmte Zahl von Personen und Fällen gelten; sie müssen (b) offen sein, d.h. eine unbekannte Zahl auch völlig neuer Handlungsmöglichkeiten zulassen und nur spezifische Handlungen untersagen; sie müssen (c) bestimmt sein, d.h., „nur solche
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Handlungen untersagen, die von Umständen abhängen, welche zu kennen oder festzustellen vernünftigerweise von den Betroffenen erwartet werden kann". 4.2.1. Die konstitutionelle Ebene Die Grenzen, innerhalb derer jegliche Ordnung einer Gesellschaft, also auch die Wirtschaftsordnung, gestaltet werden kann, sind durch die Verfassung abgesteckt. An diesen Rahmen sind auch wettbewerbspolitische Konzeptionen gebunden, die keinen ausdrücklichen Bezug zur Verfassung herstellen, weil auf der konstitutionellen Ebene die Mindestanforderungen an die Rahmenbedingungen festgelegt werden. Allerdings sagt die Ebene der konkreten Einbindung einer Konzeption etwas darüber aus, welcher Stellenwert Wettbewerb innerhalb der Wirtschaftsordnung zukommen soll. Die Verankerung von Wettbewerb bereits auf der konstitutionellen Ebene wird unter dem Aspekt der Interdependenz von Teilordnungen bedeutsam, hier: der Interdependenz von wirtschaftlicher, politischer und rechtlicher Ordnung, angesichts der Forderung, „Teilordnungen in einer einheitlichen Verfassung zu integrieren" (Krüsselberg 1989, S. 237). Demokratie und freiheitliche Wirtschaftsordnung stehen komplementär zueinander, bedingen sich gegenseitig. Wenn es aber zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung bedarf, kommt dem Wettbewerb eine zentrale Bedeutung zu. Zu den für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland konstitutiven Grundrechten zählen sowohl die Würde des Menschen und dessen Freiheit als auch der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz. Die Verfassungsprinzipien, die der wirtschaftlichen und damit der Wettbewerbsordnung einen Rahmen vorgeben, gebieten folglich ebenfalls eine Gestaltung der Regeln unter Wahrung der grundrechtlichen Garantie von Freiheit, Würde und Gleichheit der Menschen. Darüber hinaus ist eine Reihe wirtschaftlicher Freiheiten verfassungsrechtlich abgesichert (Entfaltung der Persönlichkeit, wirtschaftliche Betätigung, Berufs- und Arbeitsplatzwahl u.a.). Den Wirtschaftssubjekten vermittelt dieser Schutz individueller Rechte auf konstitutioneller Ebene aufgrund der relativen Dauerhaftigkeit der Regeln Verhaltenssicherheit, Erwartungsstabilität und Vertrauen. Dazu trägt gleichfalls das Verfassungsprinzip der Rechtsstaatlichkeit bei, nach dem Maßnahmen und Entscheidungen der Träger der Wettbewerbspolitik einer richterlichen Nachprüfbarkeit unterliegen. Schließlich ist die Ebene der Einbindung einer Konzeption Ausdruck für die Ernsthaftigkeit der Grundsatzentscheidung und für die Selbstbindung des Staates. 4.2.2. Die legislative Ebene Die Grundlagen für die praktische Wettbewerbspolitik werden auf der legislativen Regelebene geschaffen.7 Dieser Ebene zuzuordnen sind Exekutive und Judikative mit ihren ausführenden und auslegenden Funktionen.
7
Zum Bereich der Wettbewerbspolitik gehören neben den gesetzlichen Grundlagen die auf ihnen aufbauende Rechtsprechung (in Deutschland Urteile der Oberlandesgerichte bzw. des Kammergerichts in Berlin, des Bundesgerichtshofs sowie des Europäischen Gerichts-
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Die Gesetzgebung muß die Umstände und Bedingungen benennen, unter denen der Wettbewerb einen solchen Schutz erfährt, daß die mit den Konzeptionen verfolgten Ziele realisiert werden können. Es müssen Kriterien für die Beurteilung der Wettbewerblichkeit von Marktprozessen benannt werden; es muß festgelegt werden, was als wettbewerbsbeschränkend gelten soll, welche Verhaltensweisen und/oder Marktstrukturen als nichtwettbewerblich eingestuft werden. Das setzt Kenntnisse über Wettbewerb fördernde und beschränkende Faktoren voraus, um Hinweise zur Identifikation vor allem deijenigen Wettbewerbsbeschränkungen geben zu können, von denen der Wettbewerbsordnung besondere Gefahren drohen. Gleichzeitig ist für Verfahren zur Durchsetzung der Gesetze und die rechtliche Behandlung von Verstößen Sorge zu tragen. Die mit den Gesetzen erlassenen „Spielregeln" und deren Kontrolle sind maßgeblich für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs im Sinne der jeweiligen Konzeption. Versteht man Märkte als offene und komplexe Systeme, dann können sie nur über allgemeine Regeln Wohlstands- und freiheitsfördernd gesteuert werden. Durch die Legislative sind Gesetze in Form allgemeiner, abstrakter Regeln, die weitgehend unabhängig von Person, Zeit und Ort gelten, zu schaffen. Insgesamt kann durch allgemeine, abstrakte Regeln der Dynamik wettbewerblicher Prozesse, die permanent Wandel hervorbringen und in denen sich ständig neue Formen der Wettbewerbsbeschränkung herausbilden können, eher entsprochen werden als durch einzelne, auf spezifische Tatbestände hin ausgelegte Gesetze. Während eng gefaßte Tatbestände sich im wesentlichen nur auf die bekannten Mittel und Formen der Wettbewerbsbeschränkung beziehen können, und Unternehmen ihre Findigkeit darauf richten,,.Lücken" im Gesetz zu entdecken und für sich auszunutzen, lassen sich abstrakte Regeln im Sinne weit gefaßter Gesetzesbestimmungen schwerer umgehen (und damit außer Kraft setzen). Mit ihnen können in Grenzen auch noch unbekannte zukünftige Entwicklungen erfaßt werden, weil neue Fälle im Rahmen der allgemeinen Regeln verfolgt werden können. Die Rechtsprechung kann vergleichsweise unabhängig von eng bindenden Gesetzesbestimmungen nach den tatsächlichen Wirkungen einer bestimmten Handlung fragen; 8 es bedarf keiner sofortigen anpassenden Gesetzesänderung. Allgemeinen, abstrakten Regeln haftet jedoch auch ein Moment der Rechtsunsicherheit an, mit der diejenigen Unternehmen konfrontiert werden, die neue Strategien (zum Beispiel „strategische Allianzen") entwickeln. „Da sich in einer offenen Gesellschaft ständig neue Handlungsmöglichkeiten für die Individuen ergeben und kein Regelrahmen sämtliche mögliche Verhaltensweisen berücksichtigen kann, ist es die Aufgabe des Richters, die bewährten Prinzipien des Regelrahmens bei Streitigkeiten zwischen Individuen auf die neue Situation anzuwenden" (Leschke 1993, S. 59). Dabei entscheidet der Richter „nicht, als ob er Gesetzgeber wäre. Er entscheidet in der Rolle eines an Rechtsregeln gebundenen 'unparteiischen Zuschauers'" (Mestmäcker 1985, S. 17). Mit allgemeinen, abstrakten Regeln ist das Problem verbunden, daß die Beurteilung und
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hofs bzw. dessen Kleiner Kammer) sowie Verwaltungsentscheidungen (Landeskartellbehörden, Bundeskartellamt, Kommission der Europäischen Union). „Wie allgemein anerkannt, hat die Rechtsprechung gerade mit ... Generalklauseln erfolgreich gearbeitet und sie als wesentliche Elemente einer Rechtsentwicklung ausgebaut, die die Meisterung neuer Tatbestände erlaubt" (Deutscher Bundestag 1958, S. 1173).
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Sanktionierung von Markthandlungen Gerichten (und Verwaltungsbehörden) übertragen wird, die damit über einen Ermessensspielraum verfügen. Die Rechtsauslegung im Wege der Rechtsprechung erfordert eine ökonomisch sinnvolle Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe. In diesem Bereich hat die Wettbewerbstheorie die Aufgabe, die Entscheidungsgrundlagen theoretisch zu fundieren und Beurteilungsmaßstäbe operational (justiziabel) zu definieren. Die Bewertung und Beurteilung konkreter Sachverhalte (Tatbestände) ist Aufgabe der Rechtsprechung; Rechtsbegriffe, die auf das Marktgeschehen bezogen sind, erhalten ihren Inhalt durch die Wirtschaftswissenschaften, das heißt, die Wissenschaft liefert die für die Rechtsprechung erforderlichen theoretischen Erkenntnisse. Die Regelbildung ist kein abschließbarer Prozeß: Auf Normsetzungen seitens der Legislative sind Versuche der Betroffenen zu erwarten, diese Normen zu umgehen. Aufgrund des Auftretens immer neuer regelungsbedürftiger Tatbestände kann die legislative Arbeit dem realen Marktgeschehen nur hinterherhinken. Es kann vorkommen, daß alte Regeln, die neuen Gegebenheiten nicht mehr genügen, abgeändert oder neue Regeln hinzugefügt werden müssen (Leschke 1993, S. 59). Rechtsentwicklung und -Weiterbildung erfolgen deshalb auf zwei Wegen: durch Gesetzesänderungen und seitens der Rechtsprechung. Wenn eine Weiterentwicklung des Rechts durch Rechtsprechung nicht möglich ist, müssen die entsprechenden Rechtsgrundlagen durch Gesetz(esänderung) geschaffen werden (wie beispielsweise im Falle der abgestimmten Verhaltensweisen). Von der legislativen Ebene müssen auch die Zuständigkeiten für die Anwendung der relevanten Gesetze festgelegt werden. In einem Rechtsstaat ist die Verfahrens- und materiell-rechtliche Überprüfung der wettbewerbspolitischen Entscheidungen zu gewährleisten. Dabei können zwei Verfahrensregelungen zur Anwendung kommen (Bartling 1980, S. 62): (a) Die juristische Verfahrenslösung umfaßt „alle institutionellen Regelungen ..., die der Judikative die endgültige Entscheidungskompetenz bei der Durchsetzung wettbewerbspolitischer Maßnahmen übertragen." (b) Bei der ökonomisch-politischen Verfahrenslösung trifft eine politische Institution - nach Analyse der Auswirkungen einer vorgesehenen Maßnahme durch unabhängige Sachverständige - die endgültige Entscheidung über eine wettbewerbspolitische Maßnahme. - Hinsichtlich Unabhängigkeit (und möglicherweise Zeitbedarf) der Entscheidungen ist der juristischen Verfahrenslösung der Vorzug gegenüber dem politischen Entscheidungsprozeß zu geben. 4.2.3. Die Ebene der Handlungseinheiten Der durch die Verfassung und/oder durch die legislative Ebene vorgegebene Ordnungsrahmen erfährt auf der Ebene der Handlungseinheiten, insbesondere der Unternehmen, seine konkrete Ausfüllung. Es wird erwartet, daß die durch die Zuweisung von Handlungsrechten und Abgrenzung von Handlungsspielräumen möglichen Marktprozesse sich als Wettbewerbsprozesse entfalten. Das System von Verhaltensregeln wird praktisch einem (permanenten) empirischen Test unterworfen. Im Mittelpunkt des Marktverhaltens von Unternehmen steht der Einsatz ihrer Aktionsparameter, das heißt sowohl der zugelassenen als auch der bisher noch nicht
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„geregelten" Handlungsmittel zur Sicherung und Verbesserung ihrer Position am Markt. Der Wunsch bzw. der Zwang zur Präsentation anderer, neuer Problemlösungen führt immer wieder zur Anwendung neuer Strategien hinsichtlich des Produkts, des Verfahrens sowie der Leistungskomponenten, die den Nachfragern angeboten werden. Die positive Sanktionierung von Unternehmensstrategien in Form von Gewinnen veranlaßt andere Unternehmen zur Reaktion und führt zum Abbau der individuellen Vorteile, die aus diesen Strategien gezogen werden können. Dieser Druck, der durch Wettbewerb auf die Marktteilnehmer ausgeübt wird, muß von den Unternehmen zur Sicherung ihrer Überlebensfähigkeit umgesetzt werden in die Suche nach neuen Handlungsmöglichkeiten. In einer Wirtschaft, die auf die innovativen Kräfte und damit auf Entwicklung setzt, wird es ständig zu Veränderungen kommen. Das konfrontiert die praktische Wettbewerbspolitik stets mit neuen Situationen und Tatbeständen. Bei einer Vielzahl von Unternehmen besteht die Tendenz, sich den Zwängen zur Kostensenkung und Leistungsverbesserung, denen sie unter dem Druck des Wettbewerbs ausgesetzt sind, zu entziehen. Sie suchen sich auf Verhaltensweisen zu verständigen, die diese Zwänge mildern oder ausschalten, aber von der Wettbewerbsordnung verboten sind. Zu diesem Zweck differenziert sich häufig auf der Ebene der Handlungseinheiten eine kollektive Ebene der in einem Markt, einer Branche, einer Industrie oder Region tätigen Unternehmen aus; diese Ebene kann ebenso durch vom Staat eingerichtete „neutrale Institutionen" (Lachmann 1963, S. 68) mit der Möglichkeit freiwilliger Vereinbarungen im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung (z.B. Standardisierung der Transaktionen) gefördert werden. Es ist eine Ebene der Kontaktaufnahme, der Verständigung und eventuell der Aushandlung von Absprachen. Es ist letztlich diejenige Ebene, auf der der Konflikt ausgetragen wird zwischen dem Recht der Wirtschaft auf Selbstordnung im Rahmen des gegebenen Regelsystems und der durch Verfassung oder Gesetze gewollten Ordnung der Wirtschaft durch Wettbewerb. Hier ist das Augenmerk auf Tendenzen zur Aushöhlung des Wettbewerbs durch die Wettbewerber zu richten. Es besteht die Gefahr eines freiwilligen gemeinsamen Verzichts auf wettbewerbliche Auseinandersetzungen bzw. ein gemeinsames Interesse an wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen, um sich dem Wettbewerbsdruck zu entziehen. Gleichzeitig ist das Streben der Unternehmen nach Absicherung formeller und informeller Wettbewerbsbeschränkungen zu beobachten. Diese Ebene der Handlungseinheiten ist für die Träger der Wettbewerbspolitik aus einem weiteren Grund bedeutsam: Wegen der ständigen Suche der Unternehmen nach neuen Handlungsmöglichkeiten aufgrund des Wettbewerbsdrucks ist es nicht zuletzt diese Ebene, auf der sich institutioneller Wandel anbahnt durch die Evolution neuer Arrangements zwischen den Handlungseinheiten, durch die Herausbildung sogenannter ,.innerer Institutionen" (Lachmann 1963, S. 67). Regelsysteme müssen deshalb offen sein, d.h. flexibel gegenüber neuen Entwicklungen im Unternehmenssystem. Evolutorische Veränderungen, aus denen Institutionen erwachsen, die sich als wettbewerbsfördernd erweisen, sollten legislativ bestätigt werden.
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5. Wettbewerbspolitische Konzeptionen und Wirtschaftsordnung Die vorgestellten wettbewerbspolitischen Konzeptionen hatten einen je verschiedenen Einfluß auf die praktische Wettbewerbspolitik, keine von ihnen wurde jemals politisch vollständig umgesetzt und somit allein bestimmend für die Gestaltung einer Wirtschaftsordnung. Das muß jedoch nicht von Schwächen der zugrunde liegenden Konzeptionen herrühren. Die praktische Wettbewerbspolitik folgt in der Regel keiner einheitlichen wettbewerbspolitischen Konzeption, weil sie den stets vorhandenen interessenbedingten wirtschaftlichen und politischen Widerständen Rechnung zu tragen versucht. Zudem ist der Rückgriff auf Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung abhängig von der jeweiligen politischen Interessenlage (Fehl 1988, S. 165). Andererseits beklagt Jens (1981, S. 185 f.) den begrenzten wissenschaftlichen Rat für die politische Entscheidungsfindung, weil die Wissenschaft selten „eine konkrete und einheitliche Meinung zu einem konkreten Problem" anzubieten habe. „Als Folge der von den Wissenschaftlern vertretenen unterschiedlichen wettbewerbstheoretischen Konzeptionen ergibt sich für den Politiker der Zwang zu einer normativen Entscheidung zwischen mehreren Möglichkeiten." Wettbewerbspolitische Konzeptionen weisen unterschiedliche Reichweiten auf: Sie können sich als Bestandteil von Ordnungsvorstellungen für Wirtschaft und Gesellschaft verstehen, sie können aber auch so ausgearbeitet sein, daß sie durch Herauslösung der Wirtschaft aus dem interdependenten gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang ein geschlossenes System bilden und so zu einer Abtrennung der Wirtschaft von der Gesellschaft führen. Wenn eine Konzeption die Grundlage für die Gestaltung einer Wirtschaftsordnung bilden soll, dann ist zu bedenken, daß sich die Wirtschaftsordnung als eine Teilordnung in die Gesamtordnung einer Gesellschaft einfügen muß. Das heißt: die Gesamtheit der Regeln und Einrichtungen, die das Verhalten der wirtschaftlichen Handlungseinheiten steuert, muß mit den Regelsystemen anderer Teilordnungen der Gesellschaft vereinbar sein bzw. diese ergänzen.
5.1. Regelbedarf einzelner wettbewerbspolitischer Konzeptionen Die notwendigen institutionellen Vorkehrungen, die das Eintreten der entsprechend der jeweiligen Zielfunktion erwünschten und durch die markttheoretische Fundierung geforderten Umstände ermöglichen sollen, variieren bei den einzelnen wettbewerbspolitischen Konzeptionen. Diese unterschiedlichen Anforderungen an das Regelsystem lassen sich anhand des Regelebenen-Schemas darstellen. Grundsätzlich berührt die Institutionalisierung einer wettbewerbspolitischen Konzeption alle drei Ebenen der Regelhierarchie. Auch ohne ausdrücklichen Bezug auf die Verfassung bedürfen wettbewerbspolitische Konzeptionen einer verfassungsmäßigen Garantie der Wettbewerbsvoraussetzungen Privatautonomie und Privateigentum. Es macht jedoch einen Unterschied, ob sich eine wettbewerbspolitische Konzeption ausdrücklich auf die Verfassung bezieht oder nicht. Zur letzteren Kategorie zählt vor allem das Konzept der vollkommenen Konkurrenz, für das eine Orientierung der Wettbewerbspolitik an Marktstrukturen zentral ist. Das Konzept fordert einen Rahmen, der die Anbieter auf dem Markt zu einem Verhalten als
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Mengenanpasser führt. Da die Bestimmung des Verhaltens (und damit der Marktergebnisse) durch die Marktstruktur unterstellt und dieses Verhalten bei vielen kleinen Anbietern auf dem Markt erwartet wird, muß im Mittelpunkt des wettbewerbspolitischen Interesses eine relative Homogenität der Unternehmensgrößenstruktur in den einzelnen Branchen stehen. Die wettbewerbspolitische Aufgabe besteht folglich darin, mit Hilfe einfacher Gesetze eine bestimmte Marktform festzuschreiben (und eventuell auf Art, Zahl und Größe der Unternehmen auf einzelnen Märkten Einfluß zu nehmen). Der legislativen Ebene obliegt dann die Aufgabe, die Märkte sowohl offen zu halten für den Zutritt neuer Anbieter als auch dafür Sorge zu tragen, daß sich auf einem Markt keine Unternehmen in ihrer Größe nennenswert von anderen abheben. Den wettbewerbspolitischen Entscheidungsträgern muß folglich die Möglichkeit zur Zusammenschlußkontrolle bzw. Entflechtung zu Gebote stehen. Wegen der Ausrichtung auf eine bestimmte Marktstruktur kann Wettbewerbspolitik hier interventionistische Züge erhalten. Dieser Gefahr ist auch das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs ausgesetzt, weil Hauptaufgabe der Wettbewerbspolitik die Herbeiführung einer optimalen Wettbewerbsintensität ist, und zwar ebenfalls durch eine Einflußnahme auf die Marktstruktur. Kantzenbach instrumentalisiert damit den Wettbewerb zur Erreichung bestimmter gesamtwirtschaftlicher Ziele; Wettbewerbspolitik hat sich dabei primär an ökonomischen Zielen zu orientieren. Eine Einbindung auf konstitutioneller Ebene ist nicht erforderlich; bedeutsam ist deshalb allein die legislative Ebene. Die gesetzgeberische Aufgabe besteht darin sicherzustellen, daß die Transformation polypolistisch strukturierter Märkte, die vor allem den sogenannten dynamischen Funktionen des Wettbewerbs nicht genügen, durch Kooperation und Fusion in Richtung eines weiten Oligopols möglich ist. Mit Hilfe der Fusionskontrolle bzw. durch Entflechtungsmaßnahmen wiederum ist die Bildung enger Oligopole zu verhindern; gegebenenfalls sind sie einer Verhaltenskontrolle (Mißbrauchsaufsicht) zu unterstellen. Gefordert wird also eine an „optimalen" Marktstrukturen orientierte Wettbewerbspolitik mit entsprechenden wettbewerbspolitischen Forderungen. Solche Forderungen wurden teilweise in der zweiten Novelle des GWB durch die Einführung einer Fusionskontrolle und die Erweiterung der Kooperationsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen erfüllt. Beiden Konzeptionen wohnt eine Tendenz inne, Fall-zu-Fall-Entscheidungen nach politischen Zweckmäßigkeitserwägungen zu begünstigen; sie können zu einer hohen Eingriffsintensität seitens der wettbewerbspolitischen Entscheidungsträger führen. Mit „optimalen Marktstrukturen" als Referenzsituation verstoßen diese Konzeptionen zudem gegen einen anerkannten wettbewerbspolitischen Grundsatz: Kennzeichnend für Wettbewerb ist sein Prozeßcharakter, folglich darf er nicht an die Erfüllung bestimmter Strukturmerkmale gebunden sein (Ölten 1995, S. 106). Vielmehr müssen Bedingungen gegeben sein, die Wettbewerb als Prozeß der Wissensschaffung und -Verwertung, der Innovation und Imitation, der Gewinnbildung und Gewinnerosion sichern. Die Chicago School ofAntitrust setzt wegen ihres Vertrauens auf die Selbstheilungskräfte im Markt ganz auf die Selbststeuerung des Marktgeschehens durch das Zusammenspiel der Handlungseinheiten. Für die legislative Ebene ist daher eine weitgehende wettbewerbspolitische Zurückhaltung geboten. Die Aufgaben des Staates sind beschränkt, weil vertikale und konglomerate Zusammenschlüsse kein wettbewerbspoli-
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tisches Problem darstellen, horizontale erst bei hohen Marktanteilen. Eine Fusionskontrolle berge die Gefahr eines Verbots effizienzsteigernder Zusammenschlüsse und damit eines Verstoßes gegen das Effizienzziel. Im wesentlichen habe sich die staatliche Wettbewerbspolitik auf die Bekämpfung von künstlichen Marktzutrittsschranken und Preiskartellen (Verhinderung horizontaler Kartellabsprachen durch per se-Verbot) zu beschränken. Diese wettbewerbspolitische Konzeption nimmt keine Einbindung von Wettbewerb in eine Gesamtkonzeption für Wirtschaft und Gesellschaft vor, sie betrachtet Wettbewerb aus der Perspektive des einzelnen Unternehmens unter dem alleinigen Aspekt der Effizienzsteigerung. Eine enge Verbindung zwischen Verfassung und Wirtschaftsordnung stellt dagegen die wettbewerbspolitische Konzeption des Ordoliberalismus her. Als Integration von Ansätzen der Ökonomie und des Rechts im Rahmen einer umfassenden gesellschaftspolitischen Konzeption betont der Ordoliberalismus vor allem die Interdependenz von Rechtsordnung und Wirtschaftsordnung. Von ausschlaggebender Bedeutung für den Ablauf von Marktprozessen ist der institutionelle Rahmen. Das drückt sich in der Forderung nach Setzung einer den Wettbewerb sichernden Ordnung aus. Es ist ein stabiler institutioneller Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen der Wirtschaftsprozeß weitgehend ohne direkte staatliche Eingriffe und unter Wahrung der in der Verfassung garantierten individuellen Freiheit abläuft. Diese Ordnung muß durch den Staat aufgebaut werden und darf in der Folge nicht sich selbst überlassen bleiben. Sie ist so auszugestalten, daß weder Träger politischer Gewalt noch privater wirtschaftlicher Macht die Regeln zu ihren Gunsten ändern können. Nach Eucken (1960, S. 254 ff.) hat eine „Politik der Wettbewerbsordnung", deren Grundprinzip die Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems sein muß, folgende „konstituierenden Prinzipien" zu realisieren: Primat der Währungspolitik, offene Märkte, Privateigentum, Vertragsfreiheit, Haftung, Konstanz der Wirtschaftspolitik; zur Erhaltung der Wettbewerbsordnung bedarf es ergänzend „regulierender Prinzipien" (u.a. Monopolkontrolle). Auch das Konzept der Wettbewerbsfreiheit nimmt ausdrücklich Bezug auf die konstitutionelle Ebene. Die wettbewerbliche Marktwirtschaft wird als Teil einer „Gesellschaft freier Menschen" gesehen. Diese muß durch eine Rahmenordnung, die aus der Verfassung abgeleitet ist, gesichert werden. „Dabei zeigt sich eine 'Interdependenz der Ordnungen', weil der freiheitlichen Verfassung Rechtsstaat und Marktwirtschaft zugeordnet sind" (Hoppmann 1993, S. 33 f.). Konstitutiv für das Marktsystem ist der durch allgemeine, abstrakte Regeln gesteuerte Wettbewerb: „Freiheitlicher Wettbewerb ist ... 'regelgebunden', er erfordert ein adäquates System von Verhaltensregeln" (Hoppmann 1995, S. 48). Die zentrale und einzige Aufgabe der Wettbewerbspolitik, die Wettbewerbsfreiheit der Individuen vor Beschränkungen zu sichern, soll vorzugsweise im Wege einer Verhaltenskontrolle wahrgenommen werden, und zwar sollen Beschränkungen der Wettbewerbsfreiheit allein mit Hilfe von Kriterien in Form verbotener Verhaltensweisen, d.h. per se-Normen, umschrieben werden. Per se-Regeln setzen allerdings voraus, daß klar umschreibbare Tatbestände als eindeutig wettbewerbsbeschränkend eingestuft werden können.
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5.2. Die Interdependenz der Ordnungen Der Stellenwert, den eine Gesellschaft wettbewerblichen Marktprozessen einräumt, läßt sich an der institutionellen Verankerung von Wettbewerb ablesen. Wettbewerb hat ein um so stärkeres wirtschaftliches und gesellschaftliches Gewicht, je höher er in der Regelhierarchie verankert wird. Wenn die Wettbewerbsordnung von der Ebene der Verfassung her bestimmt wird und die Institutionen, welche die Rahmenbedingungen für eine marktwirtschaftliche Ordnung darstellen, Ausdruck eines Grundwertes, nämlich der individuellen Freiheit, sind, dann muß sich dieser Grundwert auch im System der Regeln zur Gestaltung von Wettbewerbsprozessen niederschlagen. Der Ordnungsrahmen einer Wettbewerbswirtschaft muß dann auf die Einbindung von Handlungsfreiheiten in Institutionen zielen, die diese Freiheiten garantieren und kontrollieren. Die institutionellen Rahmenbedingungen des Marktprozesses spiegeln ein Basiswerturteil wider und erlauben deshalb keinen Pragmatismus (Streit 1992, S. 89). In einer Wirtschaftsordnung, die Wettbewerb von der Verfassung her legitimiert, hat Wettbewerb den Rang eines Ordnungsprinzips. Wettbewerb hat bei der Verwirklichung seiner ökonomischen und gesellschaftlichen Funktionen allerdings nur dann eine Chance ausreichender Entfaltung, wenn eine wirtschaftspolitische Gesamtentscheidung für eine Wettbewerbsordnung getroffen wurde. Diese Idee eines ganzheitlichen Konzepts ist der Interdependenz von Gesellschafts-, Wirtschafts- und Rechtsordnung verpflichtet: „Die Interdependenz der Ordnungen ist unentrinnbar", weil „freiheitliche Ordnung als Ganzes unteilbar ist" (Hoppmann 1995, S. 53,49). Wettbewerb darf aus dem interdependenten gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang auch deshalb nicht herausgelöst werden, weil er aus sich heraus kein Verfahren der Ordnung der Wirtschaft ist, aus dem eine integrative Kraft erwächst; diese „muß den Rahmenbedingungen des 'Marktrandes', dem eigentlichen Lebensbereich des Menschen, zugeordnet werden" (Krüsselberg 1992, S. 52). Deshalb erfordert Wettbewerb „ein Eingebettetsein in eine Sozialordnung, von deren Werten er sein eigentliches Rollenverständnis erhält, und zwar von den Grundrechten in allen Lebensbereichen" (Heuß 1980, S. 696). Auf Walter Eucken geht die Erkenntnis zurück, daß die moderne Wirtschaft allein im Rahmen einer einheitlichen Verfassung funktionsfähig sein kann, und „nur von der Verfassungsidee her läßt sich ... erschließen, worin die Bedeutung der Wettbewerbsordnung besteht.... Wissenschaft muß die Menschen sensibilisieren für den Wert einer Verfassung der Freiheit", weil gerade Wissenschaftler die Möglichkeit haben, „die Bedingungen sowohl für eine funktionsfähige Wirtschaft, ... die die Freiheit von Not zu erreichen vermag, als auch die für eine menschenwürdige Gesellschaftsordnung zu erkennen" (Krüsselberg 1989, S. 238).
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II.
WETTBEWERB ÜBER MEHRERE MARKTSTUFEN HINWEG
Die Koordination von Wissen über mehrere Wirtschaftsstufen Carsten Schreiter
1. Das Integrationsproblem
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2. Die Koordination von Wissen zwischen Unternehmungen
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2.1. Die Koordination von Wissen mittels Produkten
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2.2. Dynamische Aspekte der Wissenskoordination mittels Produkten
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2.2.1. Der Ansatz Silvers
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2.2.2. Das Marktscharnier zwischen Produzent und Anwender
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2.2.3. Modulare Produkte
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2.2.4. Systemführerschaft
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2.2.5. Historischer Prozeß, finnenspezifische Wissensbasis und dynamische Unternehmensfähigkeiten
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2.3. Die Koordination von produktungebundenem Wissen zwischen Unternehmungen: Hybridformen
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2.4. Faktormärkte und Koordination von Wissen
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2.4.1. Der Arbeitsmarkt
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2.4.2. Das Finanzsystem im Prozeß der Wissenskoordination
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3. Die Systemperspektive der Wissenskoordination
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Literatur
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1. Das Integrationsproblem Wissen - und insbesondere technisches Wissen - ist ein ganz zentraler Produktionsfaktor. Boulding beispielsweise bringt dies mit der gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion Y = F (Wissen, Energie, Materie) zum Ausdruck (vgl. Babe 1994, S. 363). Es handelt sich aber um einen ganz besonderen Faktor, weil die Nutzung von Wissen dieses nicht im herkömmlichen Sinne verbraucht. Ferner ist die Produktion dieses Faktors auf sehr unterschiedlichen Wegen möglich und läßt sich nicht einfach mit einer Produktionsfunktion erfassen. Arrow (1994, S. 9 ff.) hat jüngst bei einer Durchsicht der makroökonomischen Wachstumstheorien auf die unterschiedlichen Produktionsweisen von Wissen aufmerksam gemacht, die in den verschiedenen Wachstumsmodellen unterstellt werden. Zum einen erfordert die Produktion von Wissen den Inputfaktor Wissen. Zum anderen wird Wissen direkt durch Aufwendung von Ressourcen erzeugt und ist dann intendierter Output solcher Prozesse. Wissen kann aber auch als Kuppelprodukt anfallen, was mit den Kategorien des learning by doing oder using zum Ausdruck gebracht wird. Wissen ist eine komplizierte Kategorie, weil es nicht einfach eine Quantität darstellt. Seine Qualität hängt von einem besonderen Umstand ab, nämlich von der "Integration" heterogener Wissenspartikel zu einer Wissensstruktur.1 Diese Integration bzw. Koordination und Kombination machen das Wissen aus.2 Wissenspartikel können auf verschiedene Weise zu etwas vollkommen Neuem kombiniert werden. Wissen als wirksamer Faktor ist somit abhängig von der Verschiedenartigkeit und von seiner Koordination. Dieser Umstand macht die Koordination zu einem zentralen Problem der Ökonomie. Bezogen auf die oben erwähnte Produktionsfunktion gilt daher genauer Y = F [Wissen (Heterogenität, Organisationsstruktur, Institutionen), Energie, Materie], Beide Gesichtspunkte - Menge und Integration oder Koordination - sind auf das engste miteinander verknüpft, wie von Hayek (1945, S. 526) deutlich gemacht hat. Wissensteilung in der Gesellschaft erfordert ein "Überlappungswissen", ein gemeinsames Wissen,3 um die Koordination dezentralen Wissens zu gewährleisten. Dieses Überschneidungs- oder Koordinationswissen erfüllt dabei dieselbe Funktion wie die "gemeinsamen äußeren Umstände", die den Plänen der Wirtschaftssubjekte zugrundegelegt werden. Dieses gemeinsame Wissen ist aber mehr als die Sprache, gemeinsame Zeichen oder Kultur, sondern umfaßt auch ein gemeinsames technisches Wissen. Denn im Gegensatz zu von Hayek bezieht sich die Nichtzentralisierbarkeit von Wissen nicht allein auf das Wissen über die besonderen Gelegenheiten (den anderen Teil be-
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Die Integration von Wissen findet dabei grundsätzlich zwischen Wirtschaftssubjekten statt. Schließen sich diese zu korporativen Akteuren mit einem gemeinsamen Wirtschaftsplan zusammen, so erfordert dies ebenfalls eine Integration ihres Wissens, das sie dann in den gesamtwirtschaftlichen Koordinationsprozeß einbringen. Daß diese unternehmensinterne Integration von Wissen (vgl. Loasby 1976, Kap. 8; 1991, S. 33 ff., 43 ff., 59 ff.; 1994, S. 255 ff.) auf anderem Wege als zwischen den Unternehmungen erfolgt, ist für das hier zu behandelnde Thema von großer Bedeutung. Hierin mag man eine Analogie zur Österreichischen Kapitaltheorie sehen, in der heterogene Kapitalgüter in einer sachlich-zeitlichen Struktur diskutiert werden. Vgl. Lachmann (1956, Kap. 1). Vgl. Arrow (1974, S. 39 f.); Demsetz (1988, S. 158); Cremer (1990, S. 55 ff.).
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von Wissen über mehrere
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zeichnet er als wissenschaftliches Wissen), d.h. das Wissen über die besonderen Umstände von Ort und Zeit, sondern auch auf einen erheblichen Teil des technischen oder firmenspezifischen Wissens. Dieser Umstand verschärft das Kommunikationsoder Koordinationsproblem und deutet auf eine komplexere Wissensteilung hin. Geht man davon aus, daß die Individuen begrenzte kognitive Kapazitäten, Lernpotentiale und Wissensverwertungskapazitäten besitzen, so sind sie einem trade-off ausgesetzt. Sie können entweder mehr spezielles oder mehr gemeinsames Wissen besitzen und handhaben.4 Dieser Umstand wirkt sich unmittelbar auf die Wissensmenge der Gesamtwirtschaft aus. Betrachtet man die Ökonomie als ein sich entwickelndes System in einem komplexeren Umsystem, so beruht die Überlebensfähigkeit der Akteure auf der Steigerung der Eigenkompetenz und dem Versuch, das Komplexitätsgefalle durch Wissensproduktion zu reduzieren (Röpke 1977, S. 21 ff.). Der Wettbewerb zwingt zu einer Wissenssteigerung und stellt gleichzeitig als Entdeckungsverfahren ein Mittel zur Schaffung von Wissen bereit.5 Gesellschaften steigern zunächst die Wissensmenge (Verschiedenartigkeit der Wissenspartikel) grundsätzlich durch Wissensteilung. Ferner wird das notwendige Koordinationswissen dadurch verringert, daß ein Wissen dieser Art teilweise nicht mit allen Wissensträgern unterhalten wird, sondern nur mit bestimmten Gruppen. Obgleich das allgemeinste Koordinationsmittel, die Sprache, für alle Wirtschaftssubjekte relevant ist, besitzen deswegen keineswegs alle den gleichen Sprachschatz. Schließlich haben sich Koordinationsmechanismen herausgebildet, die das erforderliche gemeinsame Wissen direkt verringern und dadurch unmittelbar zur Steigerung des speziellen Wissens und zur Spezialisierung beitragen. Bekanntlich hat von Hayek das "Wunder des Preismechanismus" als ein solches Koordinationsmittel identifiziert, dessen Funktionstüchtigkeit allerdings - infolge der Vernachlässigung des technischen Wissens - überschätzt worden ist; dies hat dazu geführt, daß andere Koordinationsmechanismen (und insbesondere die Hierarchie) lediglich als Folge von Marktversagen bzw. Marktnachteilen (aufgrund höherer Transaktionskosten) aufgefaßt worden sind, was in der Tat zu kurz greift.6 Für den hier zu betrachtenden Themenkomplex ist die Hierarchie ein nicht weniger bedeutsamer Koordinationsmechanismus, der in erheblichem Umfang zur 4
Die Kategorie des speziellen oder spezialisierten Wissens bezieht sich auf die vertikale Anordnung arbeitsteiliger Stufen oder vertikal vor- und nachgelagerter Unternehmungen sowie auf die Unterscheidung des Wissens zwischen horizontal spezialisierten Stufen oder Anbietern verschiedener Branchen. Der Begriff des spezifischen Wissens meint dagegen die Verschiedenartigkeit des Wissens von Unternehmungen innerhalb einer Branche. Es bringt die Wettbewerbsvor und -nachteile zum Ausdruck. Der Übergang zum spezialisierten Wissen von Unternehmungen anderer Branchen kann im Grenzbereich fließend sein, wie diversifizierte Unternehmungen deutlich machen. Gemeinsames Wissen besteht zwischen vertikalen Stufen und ist für die Koordination erforderlich.
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Es sei kurz angemerkt, daß es sich hier um keine intentionale Erklärung handelt, sondern um eine funktionale, was an dieser Stelle nicht ausgeführt werden kann (vgl. hierzu Elster 1983, S. 57; Langlois 1986, S. 241 ff.; Schreiter 1994a, S. 231 ff.). Vgl. Demsetz (1988, S. 148 ff.); Lazonick (1991, S. 169, 229 f.). Sie betonen den Vorteil der Organisation, Fähigkeiten auszubilden. Loasby (1976, S. 74) hebt die Entscheidungskostenökonomisierung hervor. Er (1994, S. 252 f.) führt ferner die Unternehmung auf unvollständige Zukunfts- oder Versicherungsmärkte zurück und versteht die Unternehmung als Bündel von Fähigkeiten im Sinne von Optionen gegen die Unsicherheit.
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Steigerung und Koordination des Wissens in der Gesellschaft beiträgt. Dieser Beitrag erfolgt durch eine Ökonomisierung des gemeinsamen Wissens und damit (zunächst durch Schaffung der Möglichkeit einer) Erhöhung des speziellen Wissens, wobei die Wissens- und Arbeitsteilung unternehmensintern weiter getrieben werden kann, als es über Märkte möglich wäre. Hierarchien besitzen (begrenzte) Vorteile bei der Verarbeitung von Informationen und Wissen sowie bei der Entwicklung von Fähigkeiten. 7 Sie können nicht nur mehr Wissen verarbeiten und speichern, sondern sie senken auch die Reproduktionsaktivitäten für den Erhalt des vorhandenen Wissens durch die Form, in der das Wissen gespeichert wird (vgl. Schreiter 1994a, Kap. IV, V). Die Organisationsstruktur der Unternehmungen ist demzufolge für die Wissensnutzung von zentraler Bedeutung. Sie wirkt der mit dem Wachstum von Wissen einhergehenden Tendenz relativ sinkender Koordinationsleistung entgegen. Technisches Wissen wird bei relativ sinkender Koordinationskapazität nicht voll genutzt und kann so nicht zur Gänze in die gesamtwirtschaftliche Produktionsfunktion eingehen. In diesem Zusammenhang weist Gerybadze (1982, S. 27 f.) darauf hin, daß das vorhandene technische Wissen einer Gesellschaft nicht vollständig ausgenutzt werde, es daher stets einen "Bodensatz" potentieller Techniken gäbe. Dies weist auf das Problem der Koordination von Wissen hin, seine mithin unvollkommene Lösung durch den Wettbewerbsprozeß und letztlich auf das Vorhandensein eines persistenten Ungleichgewichts sowie die Notwendigkeit von Unternehmertum. 8 Diese Unvollkommenheit beruht insbesondere auf der permanenten Kreation neuen Wissens und dem Versuch, dieses in ökonomische Leistungen zu transformieren. In Marktwirtschaften erfolgen die Lernprozesse verstreut und oftmals am bereits vorhandenen Wissen orientiert. Neues Wissen in neue ökonomische Leistungen zu transformieren, ist im arbeits- und wissensteiligen Kontext gerade über mehrere Wirtschaftsstufen hinweg deshalb problematisch, weil a)
auf den einzelnen selbständigen vertikalen Stufen unterschiedliches, aber nicht notwendig komplementäres Wissen entsteht,
b)
neues Wissen das auf anderen vertikalen Stufen benutzte Wissen entwerten oder dort Bedarf nach neuem Wissen auslösen kann,
c)
Erträge der Verwertung neuen Wissens einerseits und Anpassungskosten über die vertikalen Stufen andererseits auseinanderfallen können (Teece 1988, S. 269),
d) durch die Entstehung neuen Wissens sich der gesamte vertikale arbeitsteilige Zusammenhang verändern kann.
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8
Vgl. Arrow (1974, Kap. 2, 3, insbes. S. 53 f.; 1991, S. 1 ff.); Nelson/Winter (1982, S. 96 ff.); Demsetz (1988, S. 158 f.); Loasby (1976, S. 74 ff., 131, 134; 1991, S. 59 ff.; 1994, S. 254 ff., 261). Dabei sind sowohl der Kirznersche Arbitrageur als auch der Schumpetersche Innovator angesprochen. Der erstere ist in Ökonomien besonders wichtig, die zu viel Wissen in den Selektionsprozeß einbringen. Letzterer dürfte insbesondere dann wichtig sein, wenn das ökonomische System zu wenig Wissen in den Prozeß bringt bzw. produziert.
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Diese Ursachen hat Frankel (1955) mit der Kategorie der "interrelatedness" eingefangen, die allerdings mehr umfaßt als nur technische Interdependenzen, weil Technologie mehr beinhaltet als nur Maschinen (ebenda, S. 309). Vielmehr geht es um alle Faktoren, die auf die Schaffung, Verteilung und Verteilbarkeit von Quasirenten über mehrere Wirtschaftsstufen Einfluß nehmen. Alle vertikalen Stufen stellen Selektionsinstanzen dar, die auf der Grundlage ihres Wissens und der auf sie einwirkenden Spektren oder Staffeln von Selektionskriterien ihrerseits Selektionskriterien ableiten, mit denen sie Neuerungen vorgelagerter Stufen bewerten (vertikale Wirkung horizontalen Wettbewerbs), wobei sie ihre eigenen Handelnsmöglichkeiten berücksichtigen. Das Aufgreifen der Innovation kann aus folgenden Gründen erschwert werden: Es kann dabei das Wissen fehlen, um die Innovation zu erkennen oder anzuwenden. Die Innovation kann auch komplementäre Investitionen und die Beschaffung zusätzlichen Wissens erforderlich machen. Sie kann unter Umständen die Suche eines gänzlich neuen Marktscharniers bedingen oder einen ganz neuen, erst zu entwickelnden Arbeitsteilungsprozeß voraussetzen. Das Aufgreifen und die Durchsetzung einer Innovation sind von den zu erwartenden Gewinnen oder der Steigerung des Überlebenswertes abhängig, und zwar auf allen am Diffusionsprozeß beteiligten Stufen. Damit eine Innovation überhaupt Quasirenten erzeugt, müssen die komplementären Anpassungsprozesse mehr oder weniger simultan auf den vertikalen Stufen erfolgen. Je stärker die Wertentstehung von einer koordinierten und simultanen Anpassung der vertikalen Stufen abhängig ist, um so systemwirksamer ist sie (Teece 1988, S. 268). Sie kann zumindest in gewissen Grenzen aber auch autonom sein, wodurch sequentielle Anpassungsprozesse über vertikale Stufen möglich sind und den Wert noch erhöhen können. Das Ausmaß, in dem die Vorteilhaftigkeit einer Innovation von externen, nicht vom Innovator beeinflußbaren Faktoren, wie etwa dem Verhalten der selbständigen vertikalen Stufen (vgl. hierzu Frankel 1955, S. 310 ff.) abhängt, kennzeichnet das Koordinationsproblem von Wissen über mehrere Wirtschaftsstufen. Dabei hängt seine Lösung unter anderem von der Verteilung des Wissens über die vertikalen Stufen, vom Vorhandensein gemeinsamen Wissens, geeigneten Koordinationsstrukturen und auch der Möglichkeit ab, durch vertikale Integration externe Interdependenzen zu kontrollieren (vgl. Loasby 1990, S. 225 f., 230). Vertikale Integration kann bis zu einem gewissen Grade eine systemwirksame Innovation autonom werden lassen. Diese knappen Bemerkungen deuten die Koevolution von technischen und organisatorischen Innovationen an. Chandlers (1977, 1990, 1992) Interpretation der branchenspezifischen Entwicklung von Unternehmungen und ihren Organisationsstrukturen, d.h. die Erklärung des Auftretens vertikal integrierter, später divisionalisierter (geographisch und produktorientiert) Formen, zeigen in diese Richtung wie auch die Entwicklung erst selbständiger, dann zunehmend in Unternehmungen integrierter Forschung- und Entwicklungslabors.9 Mit anderen Worten: Die Koevolution der Koordinationsmechanismen Markt und Hierarchie10 deutet darauf hin, daß zu viel Integration in gleicher 9
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Vgl. Dosi (1988a, S. 1132); Teece (1988, S. 358 ff.); Nelson (1992, S. 170 ff.); Kay (1988, S. 284 f., 287 ff.).
Vgl. von Hayek (1988, S. 37); Simon (1991, S. 28).
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Weise die Wissensnutzung beeinträchtigt wie zu wenig Integration (vgl. Teece 1988, S. 268 ff.)." Es kommt also auf das "richtige" Mischungsverhältnis von "Kosmos und Taxis" an, um von Hayeks (1973, S. 35 ff.) prominentes Begriffspaar zu verwenden. Daß dieses Mischungsverhältnis von der Verteilung des Wissens und dem institutionellen Kontext abhängt, sollte nicht überraschen. Die nachfolgenden Abschnitte befassen sich mit der Frage, wie Wissen in Marktwirtschaften zwischen Unternehmungen koordiniert wird. Auf die Behandlung der nicht weniger wichtigen Koordination von Wissen innerhalb von Hierarchien muß dagegen an dieser Stelle aus Raumgründen weitestgehend verzichtet werden (vgl. Schreiter 1994a, Kap. IV, V; 1994b, S. 207 ff.).
2. Die Koordination von Wissen zwischen Unternehmungen Die Spezialisierung von Wissen erfordert gleichzeitig seine (Re-)Integration, wenn es mit anderen Wissenspartikeln genutzt werden können soll. Demsetz (1988, S. 158 ff.) weist nun darauf hin, daß die Koordination speziellen Wissens auf gemeinsamem Wissen beruht und demzufolge dieses Koordinationswissen die Spezialisierung notwendig beeinträchtigt. Denn Spezialisierung und Arbeitsteilung setzen Wissen über die Fähigkeiten und das Wissen anderer voraus. Dieser trade-off zwischen gemeinsamem und spezialisiertem Wissen spielt dabei innerhalb (vgl. Cremer 1990, S. 58 f.) und zwischen den Unternehmungen eine Rolle. Im Kern geht es also um die Frage, wie eine spezialisierte Wissensnutzung möglich gemacht werden kann, ohne diese Spezialisierung gleichzeitig aufzuheben, oder wie Wissen anderer genutzt werden kann, ohne es selbst (vollständig) zu besitzen. Demsetz arbeitet zwei grundlegende Mechanismen heraus, mit denen der Übertragungsaufwand von Wissen erheblich reduziert werden kann. Zum einen handelt es sich um die Anweisung,12 zum anderen um das Produkt als geronnenes, leicht anwendbares Wissen.
2.1. Die Koordination von Wissen mittels Produkten Die Wissensteilung läßt sich mit produktgeronnenem Wissen erhöhen, weil der Anwender weniger Wissen benötigt als der Produzent des Gutes. Er benötigt lediglich ein gemeinsames Wissen für diese Nutzung, nicht aber das für die Produktion erforderliche knowhow. Die Senkung des Lernbedarfs auf der Marktgegenseite senkt die Opportunitätskosten. Unter Berücksichtigung der Funktionsprobleme des Marktes für Informationen ist ferner das Produkt ein wichtiges Mittel zur Aneignung der Erträge des 11
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In diesem Zusammenhang ist auf eine empirische Untersuchung der Kausalbeziehung zwischen dem (innovativen) Verhalten großer Unternehmungen und dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum durch Rondi und Sembenelli (1991, S. 258) hinzuweisen. Im Gegensatz zu Demsetz! (1988, S. 159) Ausführungen wird hier die Anweisung oder Direktive als Koordinationsinstrument innerhalb von Hierarchien und nicht als ein Kommunikationsmittel zwischen den Marktstufen betrachtet. Auch wenn Demsetz sicherlich zuzustimmen ist, daß Gebrauchsanweisungen diese Funktion übernehmen, so soll nachfolgend die Anweisung nicht weiter betrachtet werden. Die Sicht von Demsetz beruht auf der bereits früher vertretenen Auffassung, die Direktive (bzw. der Arbeitsvertrag) sei kein Unterscheidungsmerkmal von Hierarchie und Marktbeziehung (vgl.
AIchian/Demsetz 1972, S. 777, 783).
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Wissens und motiviert daher die private Produktion von Wissen. Damit stellt sich die Frage, wie das Wissen zwischen den vertikalen Marktstufen aufgeteilt wird. Demsetz (1988, S. 160) zufolge wird die Produktabgrenzung durch den Aufwand bestimmt, der mit der Speicherung, Anwendung und dem Erlernen verbunden ist. Die Produktion werde intern so weit vorangetrieben, bis das Produkt übertragbar sei, d.h., von anderen, die das Wissen selbst nicht besitzen, verstanden und genutzt werden könne. Mit zunehmender Produktkomplexität bzw. steigender Zahl integrierter arbeitsteiliger Elementarprozesse nehme die Zahl der Anwendungen drastisch zu, 13 so daß die mit der Wissensbeschaffung und -handhabung verbundenen Kosten einer Integration stark steigen müßten. Die weiteren, darauf folgenden Anwendungen oder Weiterverwendungen, die ein substantiell verschiedenartiges Wissen erforderten, könnten spezialisierte Anbieter billiger durchführen. Demsetz (1988, S. 160) sieht also die vertikalen Unternehmensgrenzen durch eine Ökonomisierung der Wissenskosten bestimmt, ohne allerdings die Wissensverteilung oder die damit verbundenen Lernpotentiale, den Wettbewerbsprozeß und so die Grenzen dieser Ökonomisierung zu berücksichtigen. 14 Demsetz betrachtet mit anderen Worten den Zustand, der sich in einem Gleichgewicht nach Ablauf des Wettbewerbsprozesses ergeben würde. 15 Daß die Ergebnisse dieses Prozesses aber auch v o m Verlauf abhängen, wird nicht berücksichtigt.
2.2. Dynamische Aspekte der Wissenskoordination mittels Produkten Während Demsetz letztlich noch eine gleichgewichtsorientierte Perspektive einnimmt und sich nicht um Veränderungen des Wissens kümmert, steht die Produktinnovation im Mittelpunkt der Überlegungen von Lundvall (1988, S. 349 ff.; 1993a, S. 280 ff.; 1993b, S. 54 ff.) und Andersen (1991, S. 118, 130 ff.). Sowohl Lundvall als auch Andersen gehen aber kaum oder gar nicht auf die Bestimmung der vertikalen Unternehmensgrenze ein, sondern konzentrieren sich auf das "producer-user-interface". Die Veränderung des Wissens innerhalb der Unternehmungen wirkt sich aber auch auf deren Grenzen aus und bringt so die Marktscharniere in Bewegung. Letzterer Gesichtpunkt soll zunächst anhand des Modells von Silver (1984) aufgezeigt werden, weil damit zugleich die Marktphasen in den Blick kommen, die in anderer Form bereits Stigler (1951, S. 187 ff.) mit der Entwicklung der vertikalen, aber produktionskostenbestimmten Unternehmensgrenze zu verknüpfen sucht. Stigler unternimmt es, die vertikalen Grenzen mit der 13
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So integrieren beispielsweise Papierhersteller in der Regel nicht in die Verwendungsstufe von Papier hinein. Der Transistor oder der Mikrochip gehen in zahlreiche, nicht von einer einzigen Unternehmung integrierbare, Anwendungsbereiche ein. Das Marktscharnier stellt sich jeweils so ein, daß ein möglichst großer Absatz möglich wird. Das Wissen wird dadurch häufiger verkauft. Im Fall von Innovationen ist eine Ökonomisierung nur auf der Basis eines subjektiven Wissens denkbar. Aufgrund der Unsicherheit werden jedoch Regeln benutzt. Damit bleibt bei Demsetz die Frage offen, ob die Wirtschaftssubjekte tatsächlich die Kosten des Wissens ökonomisieren. Dies führt dann zu der Frage, ob der Wettbewerbsprozeß diese Als-ob-Ökonomisierung herbeiführen kann bzw. ob Individualrationalität durch eine Systemrationalität ersetzbar sei. Vgl. hierzu ausführlich Langlois (1986, S. 235 ff.). Zum Selektionsmodell und seinen Ergebnissen vgl. Nelson/Winter (1982, Kap. 6).
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Arbeitsteilung zu erklären, deren Ausmaß wiederum von der Größe des Marktes bestimmt sei. Folglich starten Unternehmungen stark vertikal integriert. Im Zuge der Marktentwicklung ergeben sich Möglichkeiten, durch die Verselbständigung horizontaler Stufen Größenersparnisse zu erzielen, so daß die vertikale Integration verringert werde. Erst in der Stagnations- und Rückbildungsphase sei eine Umkehr dieser Entwicklung zu erwarten. Abgesehen davon, daß Stigler von einem gegebenen Produkt ausgeht, lassen sich die Unternehmensgrenzen bekanntlich nicht allein auf die Arbeitsteilung zurückführen, wie letztlich schon Coase oder Williamson deutlich gemacht haben. Jüngere konkurrierende Erklärungsansätze versuchen dagegen, das Wissen und dessen Veränderung sowie die damit verbundenen Koordinationsprobleme zum Kern der Produkt- bzw. Grenzbestimmung zu machen. 2.2.1. Der Ansatz Silvers Das Modell von Silver ist grundsätzlich gleichgewichtsorientiert. Es erzeugt, rein statisch betrachtet, ein den Überlegungen von Coase sehr ähnliches Resultat, wenngleich die Produktionskostenunterschiede explizit berücksichtigt werden. Die Aufteilung und Aneignung von Quasirenten werden durch die Annahme vollkommener Konkurrenz vereinfacht. Trotz dieser Einschränkungen wird das Modell hier deshalb angeführt, weil es erheblichen heuristischen Wert besitzt und die Rolle der relativen Fähigkeiten und der Lernprozesse in den Mittelpunkt rückt. Ausgangspunkt der Bestimmung der optimalen vertikalen Unternehmensgrenze ist ein Unternehmer, der eine Produktinnovation X durchführen will. Er verfügt über überlegene Fähigkeiten bezüglich dieses neuen Produkts X im engeren Sinne, d.h. über eine gewisse Zahl von Kernaktivitäten, nicht aber bezüglich vieler anderer komplementärer Operationen. Bei der Aufnahme solcher Operationen entfernt sich der Unternehmer von seinen eigentlichen Kernfähigkeiten, X zu produzieren, während andere Unternehmer hier Vorteile besitzen. Demzufolge lohnt sich für den Unternehmer eine Arbeitsteilung über den Markt. Es besteht daher ein grundsätzlicher Anreiz für den Unternehmer, sein Wissen über die Profitabilität seiner Innovation zu veröffentlichen, damit die anderen diese benötigten Leistungen tatsächlich auch erzeugen und am Markt anbieten. Es müssen zu diesem Zweck aber Informationsübertragungs- und Überzeugungskosten aufgewendet werden, um in den Genuß des vorteilhafteren Fremdbezugs zu kommen. Dem Unternehmer entstehen jedoch auch bei der Eigenproduktion interne Informationsübertragungskosten sowie Kosten durch Kontrollverluste. Diese Kosten seien, so Silver, insgesamt aber geringer als die externen Informationsübertragungskosten. Die optimale vertikale Unternehmensgrenze oder Zahl der in der Unternehmung durchgeführten Operationen ist folglich dann erreicht, wenn der letzte integrierte Elementarprozeß zu einem Produktionskostennachteil führt, der gerade durch die Einsparung an Informationsübertragungskosten ausgeglichen wird (vgl. die folgende Abbildung). Der Grad der vertikalen Integration ist (ceteris paribus) um so höher, je größer der Bereich überlegener Fähigkeiten des innovierenden Unternehmers ist, je geringer der Vorteil externer Anbieter ausfällt und je größer die Differenz zwischen externen und internen Informationsübertragungskosten ist.
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Die Veränderung des so bestimmten Integrationsgrades in der Zeit hängt von den relativen Lernprozessen ab. 16 Lernen die potentiellen Vertragspartner, so sinken die Überzeugungskosten und mithin der Integrationsgrad. Lerneffekte des Innovators erhöhen ihn dagegen tendenziell.
(Vor-und nachgelagerte Operationen nach abnehmender technischer Ähnlichkeit zu Gut X angeordnet) MIPC:
Grenzkosten der Eigenproduktion minus Grenzkosten des Fremdbezugs.
MRITC: (Marginale) Einsparung an Informationsübertragungskosten durch interne Koordination (externe minus interne Kommunikationskosten). Quelle: Silver (1984, S. 45, 49.)
Silver unterstellt, daß der erste Effekt dominiere, also im Zeitverlauf die vertikale Unternehmensgrenze weniger vertikale arbeitsteilige Stufen umspannen werde. Wenn auch das Modell keineswegs befriedigend ist, 17 so bringt es doch die Veränderlichkeit der Marktscharniere deutlich zum Ausdruck. Des weiteren wird deutlich, daß es immer u m das Wissen in Relation zum Wissen der anderen Marktstufen geht. Bezüglich Stiglers Ansatz kritisiert Silver (1984, Kap. 13), daß das Ausmaß der anfänglichen vertikalen Integration unbestimmt sei, weil die Produktion anderer Güter einer stärkeren vertikalen Integration vorgezogen werden könne. W a s die Phase der Desintegration betrifft, so weist er auf die diesem Trend entgegengerichteten Lern-
Die Lernprozesse beziehen sich auf das spezielle Wissen, wodurch sich das Koordinationswissen mit den Marktgegenseiten verbessern oder verschlechtern kann. Eine wesentliche Schwäche ist die Voraussetzung einer Innovation als ein bereits definiertes Produkt und damit die Unterstellung einer Nachfragefunktion. Diese muß im Wettbewerbsprozeß aber erst gefunden werden (vgl. Schreiter 1994a, S. 207). Allerdings berücksichtigt Silver auch die Vorwärtsintegration in den Vertrieb.
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effekte hin, die in ruhigen Zeiten via Freisetzung von Managementpotentialen sogar eine Zunahme der vertikalen Integration verursachen könnten (ebenda, S. 48 f.). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang eine etwas anders gelagerte Erklärung der vertikalen Integration von Langlois (1988, S. 646 ff.), der einen Zusammenhang von vertikaler Integration und Marktwachstumsrate herstellt, wobei die Marktwachstumsrate wiederum von den Innovationstypen und der Auftretensgeschwindigkeit abhängig ist. Im Ergebnis hält er Stiglers Überlegungen allenfalls für den Fall geringen Wachstums bei geringeren Innovationen für zutreffend (ebenda, S. 647). 2.2.2. Das Marktscharnier zwischen Produzent und Anwender Die Schnittstelle zwischen Produzent und Anwender kann ein wesentliches Scharnier sein, über das Wissen direkt ausgetauscht wird. Lundvall und Andersen betonen dabei die Rolle der Anwender als Quellen von Wissen. Damit Wissen zwischen den Unternehmungen ausgetauscht werden kann, bedarf es der Organisation einer Schnittstelle, d.h. organisierter Märkte (Lundvall 1988, S. 350 ff.; 1993a, S. 281 ff.). Organisierte Märkte seien insbesondere deshalb erforderlich, weil erstens entsprechende Informationskanäle, Codes und Standards etabliert und zweitens zwischen den Unternehmungen ein Vertrauensverhältnis und damit langfristige Verbindungen geschaffen werden müßten. Organisierte Märkte, so Lundvall, seien die Voraussetzung für Produktinnovationen und interaktives Lernen. Hierauf wird zurückgekommen. Andersen geht dagegen (stärker als Lundvall) davon aus, daß Produktinnovationen das Interface aufbrechen und die bestehenden Standards obsolet werden lassen. Das Problem besteht folglich in der flexiblen Anpassung des Koordinationsscharniers und der Definition eines neuen Standardprodukts. Es wirken zwei Prinzipien auf die Schnittstellenbildung ein, und zwar das Prinzip der Güterabstraktion und das des interaktiven Lernens (Andersen 1991, S. 130 ff.). Das Prinzip der Güterabstraktion betrifft unmittelbar die Standardisierung der Marktschnittstelle bzw. stellt gewissermaßen die Vereinbarung eines abstrakten, reproduzierbaren und wiederkehrenden Gutes dar, wobei gewisse Eigenschaftsmerkmale oder Dimensionsbündel eine Signalfunktion ausüben. Diese Indikatoren verringern bekanntlich die Informationsübertragungs- und Beschaffungskosten, reduzieren die Meßkosten und erleichtern daher den Gütertransfer. Die Güterabstraktion steckt gewissermaßen den Rahmen ab, innerhalb dessen sich das Gut verändern kann, ohne seinen Charakter als Standardgut gänzlich zu verlieren. Interaktives Lernen führt zu der Herausbildung eines Standardgutes (im obigen Sinne) oder einer standardisierten Schnittstelle. Eine Produktinnovation muß sich erst einen Markt und eine Schnittstelle im Interaktionsprozeß erkämpfen. Andersen hebt hervor, daß eine Produktinnovation nicht als fertiges Gut auf den Markt komme, sondern aus dem Stadium eines sog. "Proto-Gutes" erst zu einem Standardgut geformt werden müsse. Dieser Warenwerdungsprozeß (commodification) erfolge durch den Wettbewerbsprozeß sowie einen vertikalen Interaktionsprozeß {Andersen 1991, S. 134), der Wissen schafft und verwertet. Während neues Wissen des Produzenten unmittelbar
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in die Produktinnovation einfließen könne, müsse Wissen aus Lernprozessen der Anwender unter Umständen erst auf die Produzenten übertragen werden, wenn sie nicht in der Lage sind, dieses Wissen selbst zu verwerten. (Auf damit verbundene Gesichtspunkte wird weiter unten zurückgekommen.). Für die Produzenten sei dieses Anwenderwissen deshalb wichtig, weil bestimmte Erfahrungen mit dem Produkt nur von den Anwendern gemacht werden oder aber die Anwender die eigentlichen Innovatoren sein könnten, so daß sie unter diesen Bedingungen als Wissensquelle von strategischer Bedeutung seien. Nun sind erstens nicht alle Anwender von gleicher Relevanz für die Produzenten,18 so daß eine Selektion der Anwender erfolgt. Zweitens sind Sektor- und branchenspezifische Unterschiede hinsichtlich der grundsätzlichen Bedeutung des Anwenderwissens bzw. der Beteiligung der Anwender am Innovationsprozeß festzustellen.19 Die Selektion bestimmter Anwender führt zu unterschiedlichen Einflußmöglichkeiten der Anwender während des Interaktions- und Herausbildungsprozesses eines neuen Gutes und damit zu unterschiedlicher (endgültiger) Anpassung an die Bedürfnisse der Anwendergruppen einerseits bzw. zu unterschiedlich gut angepaßten Marktscharnieren andererseits (Andersen 1991, S. 136). Auf beide Gesichtspunkte soll nachfolgend etwas näher eingegangen werden. Die Notwendigkeit zur Selektion von bestimmten Anwendern, welche die Agenda der Produzenten beeinflussen können, folgt in Anlehnung an Arrow (1974, Kap. 2, 3) daraus, daß nicht mit allen Anwendern kostspielige Informationskanäle und CodeSysteme unterhalten werden könnten.20 Ferner sind die Anwender von unterschiedlicher Bedeutung oder verschieden "zugänglich" oder "erreichbar", so daß entsprechende Kosten- und Nutzenunterschiede zu berücksichtigen sind. Andersens Selektionskriterium für die Auswahl von Anwendern seitens der Produzenten ist anscheinend deren Lernfähigkeit (vgl. Andersen 1991, S. 138, 140). Die Selektion von innovativen Anwendern anhand ihrer Lernpotentiale ist aber nicht unproblematisch, da dies grundsätzlich deren Willigkeit, ihr Wissen zu übertragen, voraussetzt. Folglich ist eine Orientierung an der tatsächlich übertragenen Wissensmenge sinnvoll, zumal das Lernpotential an sich gar nicht wahrnehmbar sein muß. Das Lernpotential kann bei fehlender Übertragungsbereitschaft nur durch vertikale Integration genutzt werden. Vertikale Integration kann zwar externe Wissensquellen internalisieren, gleichzeitig aber auch andere externe Quellen unverfügbar oder weniger ergiebig werden lassen. Sie kann mit einem Verzicht auf Marktschnittstellen bzw. auf den Kontakt mit einer Vielzahl anderer Anwender oder aber mit einer Zurückhaltung anderer Anwender gegenüber der integrierten Unternehmung verbunden sein.21 Die Integration führt nicht nur zu weniger Marktkontakten, sondern schlägt sich auch in der Nutzbarkeit und dem Entwicklungspotential des gesamten Koordinationswissens der übernommenen oder übernehmenden Unternehmung nieder, weil mit einer geringeren Zahl von Marktpartnern nur noch gemeinsames Wissen aktiv unterhalten wird. Ist dagegen der Produzent auch
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Vgl. Lundvall (1988, S. 354); Andersen (1991, S. 136). Vgl. Pavitt (1984, S. 348 ff.); Lundvall (1988, S. 353, 363). Lundvall (1993a, S. 285); Andersen (1991, S. 138). Lundgren (1990, S. 118 f.); Lundvall (1988, S. 355; 1993a, S. 283 f.).
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der Innovator, so sucht er ein Koordinationsscharnier nach anderen Kriterien, wenngleich das Anwenderwissen, d.h. gemeinsames Wissen am Marktscharnier und komplementäres Verwendungswissen, eine zentrale Position einnimmt. Zum einen muß der Innovator sein Wissen schützen, um sich die Erträge aneignen zu können, zum anderen ist ein entsprechender Absatz erforderlich, der seinerseits von der Qualität des Koordinationsscharniers und der Anpassung an die Anwender abhängt. Dabei ist zu beachten, daß nicht unbedingt die viel lernenden Anwender einen großen Absatz zulassen müssen, so daß gerade dann - und entgegen der These Andersens (1991, S. 136) - keine gute Anpassung an sie erfolgt. Des weiteren müssen die viel lernenden Anwender keineswegs auch die erfolgreichen ihrer Marktstufe sein, wenn sie selbst nach Koordinationsscharnieren suchen. Ferner ist bei Produktinnovationen zu erwarten, daß anfänglich eher ein "mittleres Koordinationsniveau" bei mittlerer Marktgröße angestrebt wird, da einerseits ein großer Markt mit schlechter Anpassung und entsprechenden Absatzrisiken oder andererseits eine enge Koordination mit geringen, aber sicheren Absatzmöglichkeiten spezifische Risiken aufweist (vgl. Schreiter 1994a, S. 470 ff.). Was die unterschiedlichen Grade der Anpassung an die Anwenderbedarfe angeht, so greift Lundvall in Anlehnung an Freeman (1982, S. 203 ff.) sog. "unbefriedigende" Innovationen auf (Lundvall 1988, S. 356 f.). Dabei spricht er von Innovationen als unbefriedigend, wenn deren schlechte Anpassung weder auf fehlende technische Möglichkeiten noch auf die fehlende Zahlungsbereitschaft der Anwender zurückzuführen ist. "Unbefriedigende" Innovationen könnten durch folgende Umstände zustande kommen (vgl. ebenda): a) Macht und überlegene technologische Kompetenz; b) Trägheit der Schnittstelle; c) fehlende Kohärenz des sozio-ökonomischen Systems. Auf der anderen Seite kann die schlechte Anpassung marktphasenspezifisch sein und ergibt sich unmittelbar aus dem Innovationsprozeß oder aus der Heterogenität von Produzenten- und Anwenderwissen. Die Auswahl einer bestimmten Zielgruppe und die Anpassung an ihre Selektionskriterien führen ganz automatisch zu einer schlechten Anpassung an die Bedürfnisse anderer, eben nicht zur Zielgruppe gehörender Anwender. Verschiedenartige Koordinationsleistungen zwischen den heterogenen Produzenten und heterogenen Nachfragern sind eine Ursache unbefriedigender Innovationsanpassung, die aus dem Marktprozeß resultiert. In diesem Prozeß lernen beide Marktseiten, wobei mit der Diffusion des Wissens einerseits und der Wahrnehmung der verschiedenen Selektionskriterien andererseits eine zunehmende Produktdifferenzierung die Anpassung und Koordination des Wissens verbessert. Während dieses Prozesses unternehmen auch die Anwender unterschiedliche Anstrengungen im Rahmen ihrer kreativen oder "entdeckenden Selektion".22 Andererseits machen die Vielzahligkeit der Selektionskriterienbündel und die "doppelseitige Heterogenität" (Kerber 1989, S. 88 ff.) einen Diffusionsprozeß von 22
Vgl. Röpke (1977, S. 72 f.); Kerber (1991, S. 326 ff., 328).
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Produktinnovationen und damit von neuem Wissen wahrscheinlicher, da die Verschiedenartigkeit sicherstellt, daß ein breites Feld abgesucht wird und viele Neuerungen oder Produkte in den Selektionsprozeß einbezogen werden. Aufgrund der Heterogenität des Wissens der Marktakteure ergeben sich, vertikal betrachtet, unterschiedliche Marktscharniere, d.h. unterschiedliche Wissens- und Arbeitsteilungsmuster über die Stufen hinweg und mithin unterschiedlich verlaufende vertikale Unternehmensgrenzen. 2.2.3. Modulare Produkte Während die vorgenannten Beiträge stärker das Produkt durch die vertikale Beziehung der aufeinanderfolgenden Marktstufen bestimmt sehen, wird nunmehr die horizontale Komponente des vertikal gestuft wirkenden Wettbewerbs ergänzt, wodurch die Koordinationsscharniere durch Konkurrenz und lernende Nachfrager verändert werden. Langlois und Robertson (1992) diskutieren die Voraussetzungen des Zustandekommens sog. modularer Produkte und des Aufbrechens von Standardprodukten in Unterproduktkategorien. Es geht also um die Rolle der Nachfrager bei der Produktdefinition, d.h. um die Auswirkungen auf die Struktur des Angebots. Konkret geht es Langlois und Robertson um die Frage, weshalb z.B. Komponenten von Stereoanlagen einzeln vertrieben werden und dem Nutzer der Zusammenbau überlassen wird. Die Nachfrager betrachten nicht mehr die Stereoanlage als Produkt, sondern deren Komponenten. Normalerweise böten Hersteller eine begrenzte Zahl bereits definierter Komponentenzusammenstellungen an. Den Grund hierfür sehen Langlois und Robertson in der Existenz von economies of scale oder scope bei der Kombination von Produktion und Montage. Ohne diesen Vorteil könnten selbständige Intermediäre die Montagestufe übernehmen und maßgeschneiderte Komponentenzusammenstellungen anbieten. Modulare Produktsysteme erfüllten nun deshalb das Ideal der Maßanfertigung, weil die Montagekosten für die Konsumenten sehr niedrig, also nicht oder nur mit sehr geringen Skalenvorteilen verbunden seien. Die Nutznießer modularer Systeme sind offenbar die Nachfrager, während die Produzenten an sich gar kein Interesse daran besitzen, daß die Nachfrager die Komponenten verschiedener Hersteller kombinieren können. Denn durch diese Möglichkeit erhöht sich die Wettbewerbsintensität. Nicht mehr das Gesamtprodukt muß mindestens durchschnittlich gut sein, um im Wettbewerb zu überleben, sondern jede einzelne Komponente. Den Anstoß zu dieser Entwicklung gibt der Wettbewerbsprozeß. Neue Produzenten werden u.U. in den Markt eindringen, wobei sie ihre innovativen Produktkomponenten dann leichter absetzen können, wenn sie die Kompatibilität zu den im Markt befindlichen Produkten suchen. Da die Entwicklungspotentiale unterschiedlicher Komponenten recht verschiedenartig sind und gänzlich neue Komponenten auftreten können (CD-Player), bringt die Kompatibilität zu diesen Wettbewerbsvorteile mit sich. Es kann also zur Herausbildung modularer Systeme oder von Netzwerken durch den Wettbewerbsprozeß kommen (Langlois/Robertson 1992, S. 300). Das Herausbilden modularer Systeme setzt allerdings eine bestimmte Verteilung des technischen Wissens und dessen eigenständige Entwickelbarkeit voraus, wobei ferner unterstellt werden muß, daß eine Integration des gesamten Prozesses keine überlegenen
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Lernvorteile mit sich bringt, da die Art der Koordination der Arbeitsteilung Einfluß auf die Lernpotentiale und ihre Verteilung nimmt. Langlois und Robertson unterscheiden des weiteren zentralisierte und dezentrale Netzwerke, die definitionsgemäß autonomen und systemwirksamen Innovationen in unterschiedlichem Maße zugänglich sind. Netzwerke beruhen auf der Definition oder Standardisierung von Schnittstellen, wobei zu unterscheiden ist, ob diese sich im Marktprozeß bilden oder aber in der Hand einer Marktstufe liegen. Der erste Fall der dezentralen Netzwerke ist bereits behandelt worden. Der zweite Fall wird mit der Kategorie der Systemführerschaft oder vertikalen Innovationsführerschaft erfaßt. Beide Netzwerktypen unterscheiden sich in der Art der Wissensverteilung und der Verteilung der Innovationspotentiale. 2.2.4. Systemführerschaft Im Gegensatz zu den dezentralen Netzwerken weisen die zentralisierten Netzwerke die Institution der sog. Systemführerschaft auf (vgl. Kerber 1991, S. 339 ff.), die insbesondere systemwirksame Innovationen zu koordinieren hilft. Eines der Hauptprobleme bei der Diffusion von Innovationen bildet die Koordination neuen Wissens über mehrere Marktstufen, wenn diese unbedingt komplementäre Anpassungen vornehmen müssen, damit die Innovation in eine vertikal abgestimmte Gesamtleistung transformiert werden kann. Solange die Innovationen gewissermaßen autonom sind und nicht die Schnittstellen und das Wissen auf den vertikalen Stufen gravierend verändern, ist eine Koordination der Teilleistungen relativ unproblematisch. Sobald sich Wissen und Schnittstellen aber ändern, ist die rasche Diffusion nicht mehr gewährleistet, so daß der Leistungsprozeß im vertikalen Zusammenhang gravierend gestört wird. Ein Verzicht auf eine solche Innovation kann aber andererseits den Verzicht auf die Nutzung eines überlegenen Wissens bedeuten. Kerber (1991) stellt den hypothetischen Alternativen einer vollkommenen vertikalen Integration und einer multilateralen Verhandlungslösung die Lösung des Koordinationsproblems durch die vertikale Innovationsführerschaft gegenüber. Der vertikale Innovationsführer übernehme "die Aufgabe der innovativen Weiterentwicklung der Gesamtleistung" (ebenda, S. 340) und setze den anderen vertikalen Stufen Standards. Letztere leiten sich aus dem Kernprodukt des Systemführers ab, der die relevanten Schnittstellen in seinen Händen hält. Wer vertikaler Innovationsführer auf welcher Marktstufe ist, werde, so Kerber, im Wettbewerbsprozeß bestimmt.
Die Koordination
von Wissen über mehrere
Wirtschaftsstufen
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2.2.5. Historischer Prozeß, firmenspezifische Wissensbasis und dynamische Unternehmensfähigkeiten Die vorangegangene Darstellung sollte die Rolle des Produkts als Vehikel der vertikalen Wissensübertragung oder -koordination verdeutlichen, wobei die Bestimmung dessen, was als übertragbares Produkt gilt, von der (sich dabei verändernden) Wissensund der daran anknüpfenden Arbeitsteilung abhängt. Wovon ist aber die Wissens- und Arbeitsteilung bestimmt? Weshalb gibt es unterschiedliche Grade der vertikalen Integration sowohl zwischen Sektoren oder Branchen als auch zwischen Unternehmungen einer Branche? Nachfolgend können nur einige knappe Bemerkungen gemacht werden, um die Grundzüge der Argumentation zu verdeutlichen. Unternehmungen verfügen über eine Wissensbasis, die sich im historischen Prozeß kumulativ, d.h. vom Vorwissen geprägt, durch lokale und selektive Lernprozesse herausgebildet hat und erheblich firmenspezifische Züge zeigt.23 Diese spezifische Wissensbasis ist eine wesentliche Ursache für die Heterogenität der Unternehmungen nicht nur verschiedener, sondern auch gleicher Branchen. Das, was eine Unternehmung lernen kann, hängt davon ab, welches Erfahrungswissen sie gesammelt hat, welche Such- und Problemlösungsverfahren sie besitzt (Nelson/Winter 1982, S. 171 f., 247 ff.), welche Lernpotentiale mit ihrer Technik verbunden sind,24 welche Möglichkeiten zur Wissenskoordination bestehen oder erreicht werden können und welche Wissensquellen ihr mit welchem Aufwand zugänglich sind. Von besonderer Bedeutung ist dabei, wie schnell gegenüber den vertikalen Marktstufen neues Wissen erworben werden kann, um die Unternehmensgrenze aufrechtzuerhalten bzw. auszudehnen. Eine Unternehmung ist um so stärker vertikal integriert, je mehr Wissen sie in Relation zu anderen Marktstufen besitzt und weiterentwickeln kann, wie weit und wie schnell entlang von Trajektorien gelernt werden kann.25 Letzterer Gesichtspunkt ist dabei von dem Ausmaß der Integration der Lernpotentiale abhängig, die mit einem technologischen Paradigma26 verbunden sind. Je stärker die Entwicklung des Wissens in der Hand einer Marktstufe liegt, um so leichter gelingt es ihr, die Arbeitsteilung entsprechend diesem Wissen hierarchisch zu verändern und zu koordinieren. Dies ist der Fall, der sich insbesondere bei der vertikalen Innovationsführerschaft zeigt. Verteilen sich die Lernpotentiale über mehrere vertikale Stufen, so entsteht insbesondere dann ein Koordinationsproblem, wenn das Erlernte stark rivalisiert, also neue Arbeitsteilungsmuster entsprechend der neuen Wissensteilung auf die Stufen verteilt bzw. abgestimmt werden müssen oder, wie Loasby (1976, S. 77 f., 81; 1990, S. 226, 230; 1991, Kap. 3; 1994, S. 258 ff.) es 23
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Vgl. Dosi (1988a, S. 1130 ff., 1137; 1988b, S. 225); Teece (1988, S. 263 ff.); Winter (1991, S. 184 ff., 189 f.); Dosi et al. (1992, S. 191 ff., 197 ff.); Eliasson (1990, S. 275 ff.). Dosi (1982, S. 153 ff.; 1988a, S. 1128 ff., 1131; 1988b, S. 223 ff., 228 ff.); Dosi et al. (1992, S. 196 ff.). Dosi et al. (1992, S. 200) gehen dagegen davon aus, daß vertikale Integration bei langsamem Lernen, hoher Pfadabhängigkeit und spezialisierten Aktiva auftrete. Sehr schnelles Lernen rufe spezialisierte Unternehmungen hervor, wie Boeing oder Intel. Nun sind diese Unternehmungen aber auch vertikal integriert. Die Spezialisierung bezieht sich jedoch offensichtlich auf die Breite des Leistungsangebots und nicht auf die vertikal integrierten arbeitsteiligen Elementarprozesse. Vgl. Dosi (1982, S. 151 ff.; 1988a, S. 1125 ff., 1128 ff.; 1988b, S. 223 ff.); Dosi et al. (1992, S. 196 ff., 200 ff.).
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ausdrückt, Koordinationsprobleme durch fehlende interne Kohärenz und bislang unbeachtete Interdependenzen mit der Umwelt spürbarer oder wahrscheinlicher werden. Es kann in solchen Fällen zu Wettbewerb um die vertikale Innovationsführerschaft kommen. Koordinationsprobleme geringeren Ausmaßes treten dann auf, wenn überwiegend komplementäres Wissen über die Stufen entsteht oder neue Anwendungen für bestehende Zwischenprodukte gefunden werden. Des weiteren sind Koordinationsprobleme von Wissen dann zu registrieren, wenn durch Wettbewerbsprozesse Wissensbedarf besonders auf einigen Stufen entsteht. Vorausgesetzt, es fehlen die Möglichkeiten oder Fähigkeiten zur Eigenproduktion, muß Wissen direkt bezogen werden. Damit kommt die stärker produktungebunde Koordination von Wissen in den Blick.
2.3. Die Koordination von produktungebundenem Wissen zwischen Unternehmungen: Hybridformen Kann Wissensbedarf nicht mit produktgebundenem Wissen gedeckt werden, so wird die direkte Übertragung von Wissen erforderlich. Der Grund hierfür liegt zum einen in einer Inkongruenz von Produktions- und Innovationssystem (Lundvall 1988, S. 362), zum anderen in dem Fehlen von entsprechenden Produkten, gemeinsamem Koordinationswissen oder von speziellem Wissen. Während erstere Ursache auch vom institutionellen Kontext mitbestimmt wird, beruht fehlendes Wissen auf dem Umstand, daß im Wettbewerb durch Innovationen altes Wissen entwertet wird oder neues Wissen Bedarf nach Komplementärwissen auslöst. Fehlendes Wissen muß nun entweder selbst produziert oder erworben werden. Sieht man von der Eigenerzeugung ab, so kann erstens das Wissen insbesondere von vertikal vorgelagerten Stufen stammen. Es wird in der Regel als spezielles Wissen in Form von Zwischenprodukten "erworben". Dieses Wissen ist für die Erwerber speziell und ist ihnen im Prinzip gleichermaßen zugänglich,27 so daß Wettbewerbsvorteile auf der Stufe der Erwerber von der Diffusionsrate abhängen. Wird der Wettbewerbsdruck durch innovative Anbieter (Etablierte oder Neulinge) der gleichen Marktstufe erzeugt, die neue Produkte oder Techniken hervorbringen, so kann bei den übrigen Anbietern zweitens ein Mangel an spezifischem Wissen entstehen. Dieses spezifische Wissen ist aber nicht ohne weiteres zugänglich, weil es entweder von Anbietern der gleichen Stufe bezogen werden müßte oder weil seine Übertragung auch vertikal kontrolliert werden kann und aus der Sicht der Wissensbesitzer auch kontrolliert werden muß. Dieses spezifische Wissen verschafft einen Wettbewerbsvorteil, was seinem Verkauf entgegensteht. Drittens kann Wissen fehlen, um an ein bestimmtes (evtl. sich erst herausbildendes) Marktscharnier anzuschließen, weil das vorhandene Wissen nicht ausreicht. In dieser Situation fehlt Unternehmungen dann ein Koordinationswissen oder auch spezielles, aber prinzipiell beschaffbares Wissen. Dieses Koordinationswissen ist selbst mit keinem 27
Kompetenzunterschiede, verschiedene, unterschiedlich leistungsfähige Suchtechniken und die Verfügbarkeit oder Beschaffbarkeit eines komplementären Wissens schränken den Zugang allerdings ein.
Die Koordination von Wissen über mehrere Wirtschaflsstufen
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Wettbewerbsvorteil gegenüber den Konkurrenten der gleichen Marktstufe verbunden, weil diese es bereits besitzen. Dieses Wissen läßt sich in der Regel nicht als Produkt beziehen, weil es hierfür keinen Markt und kein Marktscharnier gibt. Der direkte Wissenstransfer führt zu Hybridorganisationen und zwar nicht nur im Sinne sog. "organisierter Märkte" nach Lundvall (1988, 1993a), d.h. zu Netzwerken, sondern verursacht auch Franchising-Arrangements, Genossenschaften, Joint Ventures, Patentpools, Lizenzen oder strategische Allianzen usw. Die Unterschiede dieser Hybride lassen sich auf a) Art und Menge des zu übertragenden Wissens, b) die Produktion und Aneigenbarkeit sowie c) die Nähe des Wissens zu konkreten Anwendungen zurückführen. Allen Hybridformen liegt dabei eine Wissensökonomisierung zugrunde, die sich in unterschiedlicher Gestalt, d.h der Hybridausgestaltung, niederschlägt. Wissen ist bekanntlich ein problematisches Gut, nicht nur weil seine Handelbarkeit mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist (vgl. Casson 1990, S. 203 ff.), sondern auch, weil Wissen, wenn es diffundiert, positive externe Effekte verursacht und seine sozialen Erträge daher höher als die privaten sind. Dies hat bekanntlich Diskussionen einerseits über die Beteiligung des Staates an der Wissensproduktion oder andererseits über die Vor- und Nachteile des Patentsystems angeregt. Ohne auf diese Diskussionen hier näher einzugehen,28 soll lediglich auf die Theorie der Netzwerke und die darin aufscheinende These einer - hier überspitzt formuliert - Generalkompensation kurz eingegangen werden. Damit ein Anreiz für die private Produktion von Wissen gegeben ist, müssen die damit verbundenen Erlöse wenn auch nicht vollständig, so doch in ausreichendem Maße angeeignet werden können (Rosenberg 1990, S. 167), wobei Eigentumsrechte oder Diffusionsbremsen helfen. Auf der anderen Seite beziehen die Unternehmungen aber auch Wissen von anderen auf diese Weise, wodurch sie gewissermaßen entschädigt werden. Mit anderen Worten kann es sich lohnen, Wissen zur Verfügung zu stellen, wenn dies auch alle anderen machen. In diesem Zusammenhang sollen einige Aspekte aus der Diskussion um die Netzwerke herausgegriffen werden, soweit sie die Koordination von Wissen betreffen. Zunächst scheint die Entwicklung der Netzwerke davon abhängig zu sein, in welchem Maße und wie schnell das Wissen der Unternehmungen unkontrollierbar diffundiert. Hiervon hängt die Stärke des negativen Anreizes auf die private Wissensproduktion ab. Nelson (1990, S. 202 ff.; 1992, S. 174 f., 177) geht davon aus, daß (generisches oder allgemeines technisches) Wissen grundsätzlich nicht dauerhaft geschützt werden könne. Er weist auf die vielfältigen Diffusionskanäle hin. Davon ist aber nicht notwendig die Aneigenbarkeit privat produzierten Wissens im Sinne der Amortisation der Aufwendungen betroffen, weil der Schutz dafür zeitlich ausreichen kann und Wissen eine private (firmenspezifische) Komponente besitzt. Nelson (1990, S. 200 ff.) weist in diesem Zusammenhang auf die verschiedenen Varianten der Aneignungsmechanismen und ihre insbesondere branchen-, produkt- und innovationsspezifische Bedeutung hin. Cohendet et al. (1993, S. 70 ff.) gehen - nicht notwendig entgegen den Vorstellungen Nelsons - davon aus, daß das Wissen aufgrund seiner firmenspezifischen Natur (Lokalität, Geschichte) in hohem Maße aneigenbar sei und bleibe, spill-overs durch techno28
Vgl. Arrow (1994, S. 13); Cohendet et al. (1993, S. 67 ff., 72 ff.); Nelson (1987, S. 77 ff., 94 ff.; 1990, S. 200 ff.); Dosi (1988a, S. 1139 f.).
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logische "partnerships" genutzt und oftmals kontrolliert würden. Gerade aus der Diffusion des Wissens zwischen den Branchen - horizontal und vertikal - erwüchsen erhebliche Vorteile, weil dadurch komplementäre Innovationen induziert würden. Folglich sei der Anreiz für mehr private Wissensproduktion nicht notwendig mit einem stärkeren Wissensschutz verbunden, sondern eher mit einem geringeren. Die unkontrollierbaren spill-overs würden durch die hohen Transaktionskosten des Aufgreifens und Verstehens in ihrer Wirkung gebremst. Letztere führten zu expliziten Kooperationen, die auch die Anreizkompatibilität sicherstellten, um das zunehmende Wissen zu verwerten. 29 Für die Stabilität oder das Zustandekommen dieser organisierten Märkte oder Netzwerke seien die Ausprägungsform der Rationalität sowie die geographische, ökonomische und kulturelle Distanz im Zusammenhang mit verschiedenen Stufen des technischen Wandels von Bedeutung (Lundvall 1993a, S. 286 ff.). Gut 80 % aller Kooperationen zwischen Produzenten und Anwendern fänden auf nationaler Ebene statt. 30 Z u m einen deute dies auf Schwierigkeiten internationaler Kooperationen hin, z u m anderen zeige sich hier eine Rechtfertigung für eine Abgrenzung nationaler Innovationssysteme. Schwierigkeiten seien insbesondere durch die kulturelle Distanz und damit durch fehlendes oder unzureichendes gemeinsames, teils implizites Wissen sowie verschiedene Rationalitätsformen bedingt (vgl. Lundvall, 1993a, S. 286 ff.). Die Grenzen internationaler Netzwerke erklärten die starke Verbreitung vertikal integrierter multinationaler Unternehmungen, die allerdings nur eine Second-best-Lösung darstellten (ebenda, S. 296 f.). 31 Aus dieser Sicht stellen sich Netzwerke als gewissermaßen loseste und anonymste Hybridform dar. Produktion, Wissensübertragung und Aneigenbarkeit sind bei den anderen Hybriden enger gekoppelt bzw. mit unmittelbarerer Kompensation verbunden. Hybridformen weisen um so mehr organisationsstrukturelle Elemente auf, j e mehr Wissen übertragen werden muß, das nicht substitutiv, sondern zusätzlich v o m Wissensbezieher aufzunehmen ist. Dieser Umstand weist darauf hin, daß insbesondere die Übertragung von zusätzlichem Wissen problematisch ist und daß dieses Wissen zwar auch speziell sein kann, dennoch den Charakter von gemeinsamem Wissen besitzen müßte und in erster Linie dem Anschluß an ein Marktscharnier dient. Handelt es sich um ein spezifisches Wissen, so muß es zunächst einen Anreiz für seinen Besitzer geben, es zu übertragen. Zweitens würde es das bereits vorhandene Wissen des Beziehers substituieren, was ein geringeres Problem hinsichtlich der Aufnahmekapazität bedeutet. 32 Mit anderen Worten, es sind Art und Menge des zu übertragenden Wissens für den Organisationsgrad der Hybride relevant (vgl. Schreiter 1994a, S. 320 ff.).
30 31
32
Kooperation ist nur dann unproblematisch, wenn die individuellen Anreize eindeutig kompatibel sind und sich Opportunismus nicht lohnt (vgl. Lazonick 1991, S. 225 f.). Lundvall (1993a, S. 293 f.) untersucht in diesem Zusammenhang die möglichen Folgen des Zusammentreffens ehrlicher oder kollektiv-rationaler und opportunistischer Unternehmungen. Lundvall (1993a, S. 292); Kogut et al. (1993, S. 77). Kogut et al. (1993, S. 90) sehen dagegen in der multinationalen Unternehmung einen "Broker", der die verschiedenen Netzwerke verklammert. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Wissensaufnahme selbst unproblematisch ist.
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Mit der Art des Wissens hängt ferner seine Erzeugung zusammen. Je spezifischer das Wissen ist, um so mehr Wettbewerbsvorteile lassen sich damit gegenüber anderen Konkurrenten erzielen, um so eher wird folglich dieses Wissen nicht übertragen, sondern selbstgenutzt. Franchising-Arrangements sind durch die Übertragung spezifischen Wissens 33 gekennzeichnet, wobei dieses Wissen primär Teile des speziellen und spezifischen Wissens des Franchise-Nehmers ersetzt (z.B. nimmt ein Getränkehersteller die Produktion eines Markengetränks auf oder Händler übernehmen den Vertrieb für ein technisch komplexes Produkt, über das sie ein spezifisches Wissen benötigen). Zum einen ist die Menge des übertragenen Wissens relativ gering, gemessen am bereits vorhandenen und weiter nutzbaren Wissen des Vertragsnehmers. Zum anderen handelt es sich um ein relativ gut bestimmbares und abgrenzbares Wissen, das zudem vom FranchiseGeber kontrollierbar ist. Des weiteren dürften kaum Lernpotentiale mit diesem übertragenen Wissen verbunden sein, wodurch die Aneigenbarkeit der mit diesem Wissen verbundenen Erlöse erhöht wird. Diese und andere Gründe machen deutlich, daß es sich für den Franchise-Geber lohnen kann, spezifisches Wissen zu übertragen. Insbesondere beim Verkaufsfranchising wird das spezifische und spezielle Wissen einer selbständig bleibenden Absatzstufe für den Geber wissensteilig nutzbar. Minkler (1992, S. 242 ff.) führt dagegen das Franchising auf die niedrigeren Suchkosten der FranchiseNehmer zurück, die ihr lokales und latentes, eben nicht zentralisierbares, Wissen einsetzen und so dem Gesamtarrangement einen Vorteil gegenüber einer vertikalen Integration verschaffen sollen. Anders ist es bei einem Wissen, aus dem keine unmittelbaren Wettbewerbsvorteile erwachsen, sondern das erforderlich ist, um so das vorhandene spezielle und spezifische Wissen zu ergänzen, um an das Marktscharnier heranzukommen. Dieses Wissen ist zwar aus der Sicht des Empfängers (auch) speziell, nicht aber aus der Sicht des Marktes. Es verschafft seinem Erwerber keinen unmittelbaren Vorteil und kann deshalb kollektiv genutzt werden, vorausgesetzt es fehlt mehreren Unternehmungen. Da es sich um Koordinationswissen handelt, muß dieses Wissen selbst erzeugt werden, so daß eine gemeinsame Produktion erforderlich ist.34 Nun ist es aber nicht allein mit der Produktion selbst getan. Zusätzlich muß seine Anwendbarkeit gewährleistet sein. Wissen muß erst aufgenommen und erlernt sowie in den Produktionszusammenhang mit dem bereits vorhandenen Wissen gestellt werden, wodurch die Wissensverwertungsrestriktionen der Wissensnutzer ins Spiel kommen. Die Nutzung eines solchen Wissens läßt sich dadurch "ökonomisieren", daß es gar nicht von den Mitgliedern des Kollektivs erlernt wird, sondern von einem Gemein33 34
Vgl. die Definitionen in Fußnote 4. Da aus diesem Wissen kein unmittelbarer Wettbewerbsvorteil resultiert (die Erlöse beruhen auf dem Erhalt des vorhandenen speziellen und spezifischen Wissens), ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß der Nutzen für eine Unternehmung geringer ist als die Kosten. Das Wissen kann dann als Club-Gut gemeinschaftlich erzeugt werden. Die Bereitstellung durch einen selbständigen Intermediär ist unwahrscheinlich, da ein Gemeinschaftsbetrieb eine billigere Lösung erlaubt. Denn ein selbständiger Anbieter muß mindestens die marktübliche Verzinsung erwirtschaften. Da es sich um die Bereitstellung von Koordinationswissen handelt, muß er die Quasirente der Abnehmer anzapfen.
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schaftsunternehmen. Diese Funktion übernimmt der (genossenschaftliche) Organbetrieb, der an das spezielle und spezifische Wissen seiner Mitglieder anknüpft, das benötigte Wissen durch seine Leistungen hinzufügt und so zum Marktadapter oder Lernvehikel wird. Der Organbetrieb lernt gewissermaßen für seine Mitglieder, woraus sich allerdings wiederum Probleme ergeben können, wenn er schneller und mehr lernt als die Mitglieder (vgl. Schreiter 1994a, S. 331 ff., 520 ff.). Das, was hier für die "traditionellen" Genossenschaften (herkömmliche Beschaffungs- und Absatzkooperative) ausgeführt worden ist, findet in ähnlicher Form auch bei einigen Kooperationen im Bereich der Forschung und Entwicklung zwischen Konkurrenten statt, wie z.B. Peck (1986) anschaulich beschreibt (vgl. hierzu Nelson 1987, S. 81 ff., insbes. 84 f.). Dabei handelt es sich um ein abstrakteres und produktferneres Wissen, dessen Produktion von einem Gemeinschaftsunternehmen übernommen wird und die Grundlage für die eigenständige Forschung und Entwicklung der Mitglieder darstellt. Auch strategische Allianzen, sowohl die rein vertraglichen als auch die mit Gemeinschaftsunternehmen, lassen sich in den Kategorien des Wissens interpretieren.
2.4. Faktormärkte und Koordination von Wissen In den vorausgegangenen Abschnitten ist die Koordination von Wissen zwischen den Unternehmungen betrachtet worden. Nunmehr soll der Versuch unternommen werden, herauszustellen, auf welche Weise der Arbeitsmarkt und das Finanzsystem bzw. der Kapitalmarkt auf diesen Koordinationsprozeß einwirken.35 Da der Einfluß dieser Märkte von ihrer konkreten institutionellen Ausgestaltung abhängt, ist es erforderlich, auf die prägnanten Strukturunterschiede einzugehen, welche die verschiedenen Arbeitsmarktregime und Finanzsysteme charakterisieren. Dabei wird die These vertreten, daß mit den hier darzustellenden Faktormarktsystemen jeweils ein bestimmtes Mischungsverhältnis der Wissensübertragungsmechanismen Produkt und produktungebundene Wissenskooperation zwischen den Unternehmungen korrespondiert bzw. verträglich ist.
2.4.1. Der Arbeitsmarkt Die Bedeutung des Arbeitsmarktes als Wissenslieferant für Unternehmungen ist offensichtlich. Die Möglichkeiten der Einbindung von Arbeit in den Arbeitsteilungszusammenhang innerhalb und zwischen den Unternehmungen ist von der Fähigkeit und dem Wissen der Arbeitskräfte sowie dem Koordinationswissen oder gemeinsamem Wissen über diese Fähigkeiten abhängig. Arbeits- bzw. Wissensteilung setzt stets voraus, daß man weiß, was der andere weiß oder was dieser mit seinem Wissen zu leisten vermag. Eine unternehmensübergreifende Institutionalisierung standardisierter Ausbildungs- und Berufsstandards schafft dieses Koordinationswissen und erlaubt es Unternehmungen, die Stellenbeschreibungen an den signalisierten Kern- oder Durchschnittsfähigkeiten zu orientieren. Ein solches System impliziert das Vorhandensein 35
Vgl. in diesem Zusammenhang den Versuch von Kogut et al. (1993, S. 77 ff.), die Unterschiede nationaler Netzwerke (Japan, Deutschland, USA) zu erklären. Sie stellen die Unterschiede des Finanz-, Produktions- und Wissenschaftsnetzwerks heraus, ohne allerdings den Bezug zwischen diesen Teilnetzwerken herzustellen.
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relativ unspezifischer Arbeitskräfte,36 was wiederum eine Voraussetzung für Mobilität von Arbeitskräften zwischen den Unternehmungen ist. Bezogen auf die Koordination von Wissen innerhalb von Unternehmungen erlauben externe Berufsstandards eine stärkere Wissensteilung bzw. ein geringeres unternehmensinternes Koordinationswissen sowie den stärkeren Einsatz der Weisung. Gleichzeitig wird der Lernprozeß in den Unternehmungen tendenziell zentralisiert, um die Standardisierung des Wissens der Arbeitskräfte nicht zu unterlaufen und um neues Wissen überhaupt zu lernen und nutzen zu können. In Wirtschaftssystemen mit unternehmensexternen Standards sind in Unternehmungen daher lernende "Eliten" zu beobachten (vgl. Kagono et al. 1984, S. 26 f., 33 f.), die die ex-ante-Planung vornehmen, die zentralen Entscheidungen treffen und ihr Wissen in Form von Anweisungen übertragen. Geht man davon aus, daß das zentralisierte Lernen die Lernprozesse bündelt und die Selektionsfilter der Arbeitnehmer reduziert werden,37 so kann diese Form zu einem radikaleren Innovationsverhalten der Hierarchie führen. Die Möglichkeit einer zentralisierten, abgestimmten Koordination erlaubt zudem eine höhere Anpassungsfähigkeit an stark volatile Umwelten, zumal die Arbeitskräfte relativ leicht freisetzbar sind und Arbeitskräfte mit neuem Wissen relativ schnell verfügbar gemacht werden können. Radikaleres Innovationsverhalten führt bedingt durch das Koordinationsproblem neuen Wissens bei systemwirksamen Innovationen - tendenziell zu einer stärkeren unternehmensinternen Koordination von Wissen, zu mehr Koordination mittels Produkten und zu weniger Kooperationen. Durch die Zentralisierung des Lernprozesses und auch des spezifischen Wissens oder der Wissensbasis der Unternehmung dürfte gerade die durch das Produkt mögliche Wissensteilung von besonderer Bedeutung sein. Diese Thesen dürften allerdings in dieser undifferenzierten Form am ehesten auf das US-amerikanische System zutreffen. Arbeitsmärkte im eigentlichen Sinne gibt es dann nicht, wenn keine berufsbezogenen Standards existieren, wie z.B. in Japan, wodurch eine Ermittlung der Fähigkeiten allenfalls mit hohen Kosten möglich wäre. In solchen Systemen erfolgt eine Orientierung an den Schul- und Universitätsabschlüssen (anfänglich waren es Empfehlungsschreiben und die Orientierung an den Kasten bzw. ihren Verhaltensnormen (vgl. Hirschmeier/ Yui 1981, S. 324 f.)), so daß berufsrelevantes Humanvermögen deshalb in hohem Maße in den Unternehmungen gebildet wird. Durch Job-Rotation müssen die Arbeitskräfte permanent lernen, wodurch gleichzeitig ein gemeinsames Wissen hergestellt wird, das für die unternehmensinterne Koordination erforderlich ist. Diese unternehmensspezifische Ausbildung führt zu hohen Wechselkosten der Arbeitnehmer bzw. zu Investitionsverlusten der Unternehmungen, so daß folglich beide Seiten kein Interesse an der Faktormobilität besitzen.38
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Das Merkmal der Spezifität richtet sich auf die allgemeine Verwertbarkeit oder Anwendbarkeit des Wissens und nicht auf das Ausmaß des Humanvermögens. Für eine spieltheoretische Behandlung der Anreizstrukturen von Arbeitnehmern, Innovationen durchzuführen vgl. Carmichael/MacLeod (1993). Vgl. Aoki (1986, S. 982; 1990a, S. 10 ff.); zur Arbeitsorganisation in Japan vgl. Imai/ltami (1984, S. 290 ff.).
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Zunächst ist in diesem Zusammenhang die von Imai und Itami (1984, S. 306) geäußerte These zu erwähnen, japanische Unternehmungen wiesen ein weniger radikales Innovationsverhalten als US-amerikanische Unternehmungen auf und würden in höherem Maße kleinere Innovationen durchführen, ja, hätten diesbezüglich gegenüber den US-Firmen Vorteile. 39 Ausgangspunkt der Argumentation sind die für japanische Unternehmungen konstatierten hohen Kompetenzen der Mitarbeiter im Produktionsbereich (shop-floor-Bereich), die Fähigkeit zu kooperieren und Eigeninitiative zu entwickeln sowie der Koordinationsmechanismus der gemeinsamen Abstimmung, der durch ein breites gemeinsames Wissen möglich wird. Aoki (1990a, S. 3 ff., 8 ff., 11; 1990b, S. 27 ff.) betont in diesem Zusammenhang das "knowledge sharing" innerhalb japanischer Unternehmungen und daraus erwachsende Anpassungsvorteile an sich verändernde Umstände, die unter bestimmten Bedingungen der reinen ex-ante-Planung überlegen sein könnten. Aufgrund der nur geringen Mobilität würden unternehmensinterne Arbeitsmärkte eingesetzt und zu einem wichtigen Allokationsmechanismus, wobei der Beschäftigungsdruck durch permanente Innovationen und durch als Puffer fungierende Subuntemehmen aufgefangen werde. Neben diesen Mechanismen besteht das Problem, nicht durch den Zugriff auf externe Arbeitsmärkte schnell an gänzlich neues Wissen heranzukommen, so daß drastische Neuerungen nicht ohne weiteres durchgesetzt werden können (Imai/Itami 1984, S. 307), weil die Arbeitnehmerschaft nicht einfach ersetzt werden kann und folglich neues Wissen von diesen erst in ihr Fähigkeitsrepertoire aufgenommen werden muß. Dies könnte dazu führen, daß die japanischen Unternehmungen stärker an ihrem Kernwissen bleiben und dieses entsprechend den Arbeitnehmerfahigkeiten kumulativ weiterentwickeln. Unter dem Gesichtspunkt, die Beschäftigung nicht zu gefährden, dürften gerade größere Innovationen zu erheblichen internen Anpassungsproblemen führen. Bezogen auf die hier zu behandelnde Fragestellung läßt sich feststellen, daß japanische Unternehmungen mehr Schwierigkeiten haben, wenn Anpassungen an große Umweltveränderungen erforderlich sind (vgl. Aoki 1986, S. 973, 975 f.; 1990a, S. 8 f.). Der Grund hierfür liegt in der horizontalen Koordination. Schnelle und koordinierte Anpassungen erfordern dagegen vertikale Hierarchie, die wiederum ein zentralisiertes Wissen und Lernen bedingt. Das Vorhandensein eines stärker ausgeprägten gemeinsamen Wissens in japanischen Unternehmungen und ceteris paribus eines geringeren speziellen Wissens könnte eine stärkere horizontale Aufteilung des Arbeitsteilungszusammenhangs und damit weniger vertikal integrierte Unternehmungen begünstigen. Weniger radikale Innovationen und eine stärkere Aufteilung des Wissens auf die einzelnen Marktstufen führen ceteris paribus zu mehr Marktschnittstellen. Dies wiederum verringert das Potential unternehmensinterner Lernprozesse und externalisiert Wissensquellen, so daß die Lernpotentiale "gleichmäßiger" über die vertikalen Stufen verteilt sein könnten. Demzufolge sind in höherem Maße organisierte Märkte zwischen den Unternehmungen erforderlich. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, daß dieses Ergebnis lediglich unter der ceteris paribus-Bedingung zu erwarten ist. In dynamischen
Vgl. zum japanischen Innovationssystem Freeman (1988, S. 330 ff., 335, 345 f.).
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Wachstumsbranchen zeigen japanische Unternehmungen auch höhere vertikale Integrationsgrade als in den USA (vgl. Langlois 1988, S. 652 ff.). 2.4.2. Das Finanzsystem im Prozeß der Wissenskoordination Das Finanzsystem bildet einen Teil der Selektionsumwelt der Unternehmungen, wobei die Selektionsleistung unter anderem von den konkreten institutionellen Rahmenbedingungen abhängt. Es wirkt sich auf das Produktions- und Innovationssystem insoweit unmittelbar aus, wie der Bedarf an Mitteln nicht aus dem Cash Flow oder aus Gewinnen bestritten werden kann. Bekanntlich hat insbesondere Schumpeter die besondere Bedeutung des Bankenkredits für den Durchsetzungsprozeß von Innovationen herausgestellt. Das Finanzsystem ist damit grundsätzlich eine komplementäre Determinante der Koordination neuen Wissens zwischen den Unternehmungen und beeinflußt die Vorgänge, die alte Wissenskombinationen aufbrechen und neue Wissensintegrationsprozesse in Gang setzen. In welchem Maße dies aber geschieht, hängt davon ab, ob und in welchem Maße die private Produktion von Wissen bzw. daran anknüpfende Investitionen finanzierbar sind. Die Finanzierbarkeit hängt vom Verhältnis von Anforderungen seitens der Industrie und den Möglichkeiten der Bedarfsbefriedigung seitens des Finanzsystems ab. Die Anforderungen sind wiederum davon abhängig, in welchem Ausmaß innovative Handelnsmöglichkeiten und damit verbunden Investitionsbedarfe vorhanden sind und in welchem Umfang diese aus Mitteln der Industrie gedeckt werden können. Die Möglichkeiten, die Investitionsnachfrage zu alimentieren, hängt vom Entwicklungsstand des Finanzsystems, den Möglichkeiten der Risikodiversifizierung oder der Risikoneigung sowie der Sparquote der Volkswirtschaft und den Geldschöpfungsmöglichkeiten ab. Die Möglichkeiten, Risiken zu übernehmen, sind mitunter davon abhängig, ob die Investitionsprojekte bewertet werden können oder ob Risiken diversifizierbar sind. Finanzsysteme dürften insbesondere dann Einfluß auf die Struktur und den Wettbewerbsprozeß der Unternehmungen ausüben, wenn Kapital besonders knapp ist. Mit Innovationen ist ein Bewertungsproblem verbunden, weil sie unsicher sind und nicht sogleich Gewinne erwarten lassen. Gerade Investitionen in Wissen und insbesondere in die Grundlagenforschung oder anwendungsfernes Wissen sind, so Rosenberg (1990, S. 165), wahrhaft langfristige Investitionen. Hohe (reale) Zinssätze verkürzen nicht nur die Länge der eingeschlagenen Produktionsumwege und den zeitlichen Aufbau der Produktionsstruktur, sondern auch die "Forschungstiefe".40 Dieser Effekt, den Böhm-Bawerk auf das Realkapital bezieht, muß auch das intangible Vermögen betreffen. Daraus folgt, daß der Zeithorizont des Finanzsystems und seine Orientierung an Gegenwartsgewinnen auch vom Zinssatz abhängen. Steigt der Zinsfuß, müßten insbesondere die Aktienkurse derjenigen Unternehmungen unter Druck geraten, die in langfristig verwertbares Wissen investiert haben. Die Konsequenz einer solchen Veränderung der Produktionsperiode bezieht sich daher auf die Koordination von Wissen (seine Integration) über mehrere Wirtschafts40
Dies dürfte der Fall bei privater Finanzierung der Forschung sein. Ob der Staat zinsempfindlich reagiert, ist eine andere Frage.
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stufen und kommt in Veränderungen des vertikalen Arbeitsteilungszusammenhangs zum Ausdruck. Eine Verkürzung bedeutet, daß bestimmte Wissenspartikel nicht mehr genutzt werden oder produziertes Wissen ökonomisch nicht mehr verwertbar ist. Eine Kapitalknappheit könnte kapitalsparende Innovationen anregen, die kürzere Produktionsumwege ermöglichen. Eine andere Möglichkeit könnte aber auch darin bestehen, Kapital durch den Aufbau einer geringeren Anzahl von Parallelprozessen einzusparen (Leijonhufvud 1986, S. 210 f.), aber dafür längere Produktionsumwege einzuschlagen. Unternehmungen könnten versuchen, den Amortisationsprozeß durch vertikale Integration insbesondere in den Vertrieb zu beschleunigen - Chandlers (1977, S. 281 ff.; 1990, S. 24, 26, 28 ff.) economies of speed bei hohen Fixkosten und Massenmärkten -, um die Rendite anzuheben.41 Dies führt zu einer Oligopolisierung dieser Märkte, wodurch der vielzahlige Experimentierprozeß eingeschränkt werden könnte. Diesem Effekt steht aber gleichzeitig eine Einsparung von "Verschwendungen" entgegen, die mit dem Parallelprozeß verbunden sind, wodurch ebenfalls Kapital eingespart werden könnte.42 Neben diesen mehr allgemeinen Einflüssen des Finanzsystems auf die Koordination von Wissen zwischen den Unternehmungen, stellt sich als weiteres die Frage, ob es finanzsystemspezifische Auswirkungen auf die Koordination von Wissen gibt, die unmittelbar auf das Mischungsverhältnis der Finanzinstitutionen und der daraus resultierenden Funktionsweise zurückgehen könnten. Zu diesem Zweck werden die Finanzsystemtypen grob in bank- oder kreditdominierte und marktdominierte unterschieden. Diese Unterscheidung bezieht sich hier auf die Finanzstruktur der Unternehmungen innerhalb des jeweiligen Systems.43 In bankdominierten Systemen (Deutschland 44 , Japan) finanzieren sich Unternehmungen in einem hohen Maß mit langfristigen Bankkrediten, während in marktdominierten Systemen (USA, Großbritannien) der Aktienmarkt die zentrale Kapitalquelle darstellt. In beiden Systemen haben sich verschiedene Institutionen mit unterschiedlichen Finanzdienstleistungen etabliert und an der Finanzierung der Industrie beteiligt, wobei die Entwicklung pfadabhängig verlaufen ist.45 Ein möglicher Ansatzpunkt, Funktions41
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Zur Strategie von Unternehmungen, hohe Fixkosten in economies of scale umzuwandeln, vgl. Lazonick (1991, Kap. 3; 1992, S. 122 ff.). Dies geschieht freilich um den Preis einer ceteris paribus sinkenden Innovationsrate. Rybczynski (1986, S. 386 f.) bezieht die Systemtypen dagegen auf verschiedene Entwicklungsstadien des Finanzsystems, wobei das marktdominierte eine "Höherentwicklung" darstelle. Die Unterscheidung von markt- und kreditorientierten Finanzsystemen ist vermutlich in erster Linie eine historische Unterscheidung, die in jüngster Zeit an Bedeutung eingebüßt haben könnte, was unzweifelhaft auf die Internationalisierung der Finanzmärkte zurückzuführen sein dürfte. So weisen Bond und Jenkinson (1996, S. 12) Zahlen aus, die zeigen, daß die deutschen Unternehmungen im Zeitraum 1970-1992 nur 10,8 % des fixen Kapitals mit Bankkrediten finanzieren (UK 14,6 %, USA 11,1 %, Japan 26,8 %). Mit anderen Worten: Das Finanzsystem in Deutschland sei keineswegs in diesem Zeitraum bankdominiert gewesen, während dies für Japan zutreffe. Diese Feststellung ändert jedoch grundsätzlich nichts an den nachfolgenden Erwägungen. Inwieweit sich diese, aus der pfadabhängigen Entwicklung resultierenden Unterschiede infolge der Globalisierung der Finanzmärkte nivelliert haben, sei hier dahingestellt. Ein Wandel des Finanzsystems müßte sich in einer Veränderung der Wissensverarbeitung, z.B.
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unterschiede aufzudecken, besteht in der Betrachtung der Wissensverwertung bei der Projektselektion innerhalb der Systeme (vgl. hierzu ausführlich Dosi 1990). Im Fall des bankdominierten Systems kann davon ausgegangen werden, daß die Banken eine entsprechende Wissensbasis mit ihrer Klientel akkumuliert haben und demzufolge die Investitionschancen und Innovationsmöglichkeiten der Tiefe nach einschätzen können. Dies wird durch Universalbanken noch insofern begünstigt, als diese sich auf Kunden und Branchen und nicht auf Finanzinstrumente spezialisieren, wodurch gleichzeitig ein gewisser Ausschlußeffekt44 erzeugt wird.47 Diese Banken selektieren Projekte auf der Basis eines "Tiefenwissens" in Form von branchen- und unternehmensspezifischen Detailkenntnissen der Investitions- und Innovationsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite arbeiten Unternehmungen in marktdominierten Systemen in nur geringem Umfang mit langfristigen Bankkrediten. Sie finanzieren sich vornehmlich mit Eigenkapital. Das gerade in marktdominierten Systemen auftretende Trennbankensystem führt darüber hinaus zu einer Spezialisierung auf die Instrumente und damit auf allgemeine unspezifische Leistungen. Es ist davon auszugehen, daß diese Banken keine branchen- und unternehmensspezifischen Wissensbasen entwickelt haben und daher kein Tiefenwissen über die Entwicklungs- und Investitionsmöglichkeiten besitzen. Auch wenn Investitionsbanken Qualitätsnormen setzen mögen (vgl. Mowery 1992, S. 13), so arbeitet der Kapitalmarkt mit einem relativ oberflächlichen Breitenwissen über die Branchen und Unternehmungen. Dieses Breitenwissen verknüpft Williamson mit dem Versagen des externen Kapitalmarktes und der Herausbildung korrigierender unternehmensinterner Kapitalmärkte in den USA. Letztere nutzten ihr Tiefenwissen über Investitionschancen als Ergänzung des externen Breitenwissens aus (vgl. Williamson 1975, S. 147 f.; 1985, S. 289). Um die unterschiedlichen Kompetenzen bzw. Kompetenzverteilungen mit der Koordination von Wissen zu verknüpfen, ist es notwendig zu wissen, welche Auswirkungen die Finanzsystemtypen auf den Innovations- und Experimentierprozeß sowie die Selektion besitzen. Spielt es eine Rolle, daß das marktdominierte System ceteris paribus stärker in Richtung allokativer Effizienz selektiert und deshalb den Unternehmungen einen geringeren Spielraum für X-(In-) Effizienzen und privat finanzierte Experimente beläßt? Müßte dies nicht ceteris paribus zu einer "besseren" gesamtwirtschaftlichen Wissensintegration bei geringerer Innovationsdynamik führen als in bankdominierten Systemen?
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bei der Kreditvergabe, niederschlagen. Tatsächlich gibt es auch hierfür Hinweise in bezug auf die Kreditvergabetechnik deutscher Banken (Steltzner 1996, S. 11), die andeuten, daß das "intime" Tiefenwissen in Deutschland (mit dem in der vorangegangenen Fußnote angemerkten Wandel) an Bedeutung verloren haben könnte. Zumindest müssen international operierende Banken in einem vormals kreditorientierten Finanzsystem nun zu anderen Techniken greifen, um nicht auf die ihnen bekannten Unternehmungen beschränkt zu bleiben. Gerschenkron (1966, S. 15); Mowery (1992, S. 22.). Daß dieser Ausschlußeffekt das Aufkommen von Kreditgenossenschaften begünstigt hat, sei hier nur am Rande erwähnt.
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Beide Systemtypen, so Dosi (1990), lösten das Problem des trade-off zwischen statischer und dynamischer Effizienz, und zwar im Prinzip gleich gut. Allerdings zeigten sich Unterschiede in der Funktionsweise, wie dies geschehe. Dosi vertritt die These, die unterschiedliche Funktionsweise beider Systemtypen bestehe darin, daß das "Lernen" in bankdominierten Systemen wichtiger sei als "Selektion", während in marktdominierten Systemen das Umgekehrte gelte. 48 Die Leistung beider Mechanismen ist aber an bestimmte Voraussetzungen gebunden, die sich aus der Art des trade-off der Effizienzkategorien ableiten. Das Dilemma des trade-off zwischen statischer und dynamischer Effizienz liegt darin begründet, daß die durchschnittliche Leistung eines Systems in der Zukunft nicht von der gegenwärtigen durchschnittlichen Leistung abhängen muß, sondern von der Varianz der Leistungen in der Gegenwart (Dosi 1990, S. 307). Es kommt auf die Verteilung bzw. Wahrscheinlichkeiten folgender Konstellationen an: 1.
Unternehmungen, die heute Erfolg haben, sind auch zukünftig überlegen.
2.
Unternehmungen, die heute Erfolg haben, sind zukünftig nicht mehr ökonomisch relevant.
3.
Unternehmungen, die heute keinen Erfolg haben, sind die Gewinner in der Zukunft.
4.
Unternehmungen, die heute keinen Erfolg haben, haben auch zukünftig keinen.
Eine Selektion anhand der Gegenwartsgewinne schränkt die dynamische Effizienz dann nicht ein, wenn die Fälle 1 oder 2 dominieren. In diesem Fall ist sicherlich kein Tiefenwissen erforderlich (Fall 1) bzw. ökonomisch sinnvoll (Fall 2). 49 Dies dürfte zunehmend wichtiger werden, je mehr die Fälle 3 und 4 eine Rolle spielen. Das eigentliche Problem besteht darin, daß man diese Fälle nicht ex ante kennt und auch ihre Verteilung unbekannt sein dürfte. Je unsystematischer die Zusammenhänge zwischen d e m Gegenwarts- und Zukunftserfolg einerseits oder j e häufiger die Fälle 1 und 2 andererseits sind, u m so sinnvoller dürften eine Orientierung an den Gegenwartsgewinnen und "blinde" Selektion sein. Das Ausfindigmachen systematischer Zusammenhänge (wenn der Gegenwartsgewinn kein gutes Selektionskriterium darstellt) erfordert dagegen ein Tiefenwissen, insbesondere u m die Fälle 3 herauszufiltern. Gerade unter den Bedingungen der aufholenden Industrialisierung in Deutschland könnte Fall 3 besonders relevant gewesen sein, weil hier die Banken die Einführung neuer Techniken finanziert haben. 50 Die Unternehmungen litten teilweise unter Wettbewerbsnachteilen und niedrigen Profitraten und mußten vermutlich auch Anfangsverluste hinnehmen, was eine gewisse Orientierung der Banken an Fall 3 erklären könnte (Dosi 1990, S. 311 f.).
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Beide Systemtypen müssen selektieren. "Lernen" kennzeichnet Auswahl anhand des entstehenden Wissens, während "Selektion" gewissermaßen eine "blinde" Risikodiversifizierung bezeichnet (Dosi 1990, S. 309 f.). Da im zweiten Fall nicht bekannt ist, welche Unternehmung in Zukunft erfolgreich sein wird, ist der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren sowie das Zulassen eines breiten Experimentierens besonders wichtig. Der trade-off zwischen dynamischer und statischer Effizienz ist in diesem Fall am stärksten ausgeprägt. Zum Verhältnis von Bankwesen und Industrialisierung vgl. Gille (1985).
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Im Zusammenhang mit dieser Argumentation könnten auch die zwischen den U S A und Europa unterschiedlichen wettbewerbspolitischen Vorstellungen Auswirkungen auf das Funktionieren des Finanzsystems entfaltet haben. Folgt man den Ausführungen zur Unternehmensgeschichte, so haben der Sherman Act und in dessen Folge weitere Maßnahmen wichtige Anpassungsreaktionen verursacht, während in Europa noch Kartelle erlaubt waren. 51 Grundsätzlich benötigen Selektionsinstanzen Wissen und Selektionskriterien, u m ihre Aufgabe zu erfüllen. Dabei dürfte von Bedeutung sein, ob der Selektionsmechanismus Finanzsystem seine Aufgabe gewissermaßen auf sich gestellt durchführen muß, oder o b er sich an zuverlässigen Kriterien orientieren kann, die durch andere Selektionsmechanismen kontrolliert werden. Wenn der Gütermarktwettbewerb funktioniert und Innovationen schnell diffundieren können, so könnte das Wissen der am Gütermarkt agierenden Selektionsinstanzen einen gewissen Ersatz für eine geringere Selektionskompetenz des Finanzsystems bieten. Wenn ein funktionierender Wettbewerb für eine schnelle Diffusion von Innovationen sorgt, so zeigen die Gewinne auch eine gewisse dynamische Effizienz an. Dies deutet nicht nur eine Verschränkung der verschiedenen Wettbewerbsebenen an, sondern könnte einen Weg aufzeigen, wie das Finanzsystem auf die Marktscharniere wirkt. So könnte sich hieraus eine Tendenz ergeben, geeignetere Marktscharniere auf dem Gütermarkt insbesondere für eine schnelle Diffusion zu finden und den Selektionsprozeß durch vertikale Integration auf eine Marktstufe zu verlagern, mit der ein entsprechendes Überlappungswissen besteht. Gleichzeitig werden dadurch eine Vielzahl von Zwischenmarktstufen und Diffusionshemmnisse vermieden und die unternehmensinterne Kontrolle ausgedehnt. Des weiteren könnte der geringere Spielraum für eine privat finanzierte Wissensproduktion zu einer stärkeren Ausnutzung von Wissen und so zur Diversifizierung führen. 5 2 Unter dem Gesichtspunkt der zuverlässigeren Bewertbarkeit durch das marktdominierte System könnten sich gerade divisionalisierte Unternehmungen entwickeln, weil sie durch die Zuordenbarkeit des Erfolgs zu den einzelnen Sparten für den Markt transparenter werden. Die Vorteile der multidivisionalen Unternehmung sind aber an eine gewisse Unternehmensgröße und an einen gewissen vertikalen Integrationsgrad geknüpft, was wiederum für eine stärker produktgebundene Wissensübertragung in marktdominierten Systemen spricht. Während man für marktdominierte Finanzsysteme zumindest gewisse Indizien finden kann, die für eine stärker produktgebundene Wissenskoordination sprechen, ist das für bankdominierte Finanzsysteme nicht ohne weiteres möglich, wie die Unterschiede zwischen Deutschland, Frankreich und Japan indizieren (vgl. Mowery 1992, S. 2 f.). Z u m einen lassen sich Unterschiede zwischen bankdominierten Systemen feststellen, 51 52
Chandler (1990, S. 72 ff., 78 f.); Mowery (1992, S. 6.). Dosi geht dagegen davon aus, daß die Unternehmungen in marktdominierten Systemen ceteris paribus spezialisierter seien als die in bankdominierten Systemen. Dyas und Thanheiser (1976, S. 101) halten es dagegen für zweifelhaft, daß die Universalbanken in Deutschland (1950-1970) Einfluß auf die Diversifizierung genommen haben. Des weiteren ist zu beachten, daß die multidivisionalen Organisationen und die Konglomerate gerade in marktdominierten Systemen aufgetreten sind, was zumindest auf weitere und wichtigere Determinanten hinweist.
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z u m anderen wirken sich weitere institutionelle Unterschiede aus, die teilweise mit den verschiedenartigen historischen Ausgangsbedingungen zu tun haben. Aufgrund der Verflechtung der Institutionen zu einem Wirkungsgefüge besteht grundsätzlich das Problem, die Auswirkungen einzelner Institutionen isoliert zu erfassen.
3. Die Systemperspektive der Wissenskoordination Die Betrachtung der Koordination von Wissen über mehrere Wirtschaftsstufen wäre unvollständig, würde der institutionelle Kontext, der sich bei der Betrachtung der Arbeits- und Kapitalmärkte bereits andeutete, ausgeblendet werden. Gesellschaften weisen ein System komplementärer Institutionen auf, die zusammen das Funktionieren oder auf das Wirtschaftssystem bezogen - die ökonomische Leistungsfähigkeit bestimmen. Dies mag zunächst an die Definition Nelsons (vgl. Pelikan 1987, S. 42 f.) oder Norths (1990, S. 92) errinnern, nach der die Effizienz von Institutionen am Wirtschaftswachstum meßbar sein soll. Hier geht es jedoch darum, daß Systeme, die Wachstum aufweisen, dieses mehr oder weniger effizient erzeugen können, nämlich in Abhängigkeit davon, ob und wie sich die Institutionen ergänzen. Imai und Itami (1984, insbes. S. 301 ff.) haben das Ineinanderfassen und die konsistente Funktionsweise verschiedener Institutionen in den USA und in Japan aufgezeigt. 53 Dieses konsistente Ineinandergreifen muß allerdings auf die Koordination von Wissensproduktion und Verwertung bzw. die Koordination von Innovations- und Produktionssystem der Volkswirtschaften bezogen werden, um ein Bild von der Effizienz der Institutionen zu bekommen. Nelson versteht die Marktwirtschaft als "engine of progress", wobei sein Augenmerk d e m Innovationssystem 5 4 gilt. Er hebt einerseits den von von Hayek herausgearbeiteten Verschwendungsaspekt im Zusammenhang mit einer ineffizienten Wissensproduktion hervor. Andererseits weist er darauf hin, daß sich die Verschwendung in Grenzen halte, weil das Wissen diffundiere und auf diese Weise seine Wirkung voll entfalten könne. Den privaten Verschwendungen stehe daher ein sozialer Ertrag gegenüber. Verschwendung kann aber auch auf schlecht funktionierende Anreizmechanismen und damit wenig effiziente Handlungen zurückgeführt werden (vgl. Pelikan 1987, S. 43 f.). Pelikan hat in diesem Zusammenhang zwei Kriterien für ein überlegenes System mit effizienten Organisationsstrukturen angeführt:
Sie diskutieren allerdings nicht den pfadabhängigen Entwicklungsprozeß, der zu den jeweiligen Konstellationen geführt haben könnte. Vgl. hierzu Schreiter (1994a, Kap. VI). Es existiert kein einheitlicher Sprachgebrauch, so daß mit dem Begriff recht unterschiedliche Vorstellungen über Elemente und Zusammenhänge erfaßt werden. Für eine Übersicht vgl. McKelvey (1991). Eine Rechtfertigung für eine nationale Abgrenzung von Innovationssystemen gibt Lundvall (1988, S. 360 f.; 1993a, S. 279 f.). Hier wird primär Nelson (1987, 1990, 1993) gefolgt, der mit dem nationalen Innovationssystem nicht nur die Forschung und Entwicklung im engeren Sinne vor Augen hat, sondern die vielfältigen Quellen von Neuerungen und von Wissen und deren Wechselwirkungen, die den technischen Wandel vorantreiben und unterstützen. Ferner werden die verschiedenen Selektionsinstanzen oder selektiven Umwelten, die Diffusion von Innovationen sowie die verschiedenen Arten des Wissens und deren Aneignungsmöglichkeiten berücksichtigt.
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1. Das Überleben von Fehlern durch einen zu toleranten Selektionsmechanismus und/ oder 2.
das Ausbleiben von Erfolgen, weil die Versuchsmechanismen fehlerhaft sind oder erfolgreiche Versuche negativ selektiert werden.
Ein System sei dann eindeutig überlegen, wenn es hinsichtlich einer der Fehlerquellen bessere Ergebnisse erziele. Da im vorhinein weder Erfolg noch Fehler bekannt sind, sind die von Pelikan vorgeschlagenen Kriterien allerdings problematisch. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive läßt sich das Koordinationsproblem von Wissen auf das Verhältnis von Innovations- und Wissensproduktionsmechanismen sowie Selektionsmechanismen beziehen, wobei es letztlich um die Frage geht, ob und inwieweit Wettbewerb als Entdeckungsverfahren ein verschwenderisches Verfahren darstellt. Die "Verschwendung" resultiert bekanntlich aus dem Parallelprozeß oder trial and error-Verfahren. Sie ist für das Funktionieren von Wettbewerb notwendig und deshalb keine Verschwendung im eigentlichen Sinne. Verschwendung tritt eigentlich erst dann auf, wenn das System mehr Wissen produziert als es selektieren kann, mithin Wissen brach liegt und nicht getestet wird.55 Aus der Systemperspektive bedeutet Koordination von Wissen ein bestimmtes Verhältnis von Selektion und Wissensproduktion auf "mittlerem Niveau" beziehungsweise eine mit steigender Zahl der Experimente zunehmende Selektionskapazität des Systems. Dabei sollten sich für unterschiedliche Volkswirtschaften verschiedene Effizienz-trade-off auf der Unternehmensebene feststellen lassen, die das Resultat unterschiedlicher Mischungsverhältnisse von staatlicher, kollektiver oder privater Wissensproduktion und deren Finanzierung sind.56 Dieser auf die gesamtwirtschaftliche Sicht bezogene trade-off muß sich nun nicht in gleicher Weise auf der einzelwirtschaftlichen Ebene zeigen. In welchem Maße er sich hier zeigt, hängt davon ab, wer das Wissen produziert und finanziert. Wenn Wissen ausschließlich privat erzeugt wird und auch die Kosten dafür privat getragen werden, dann muß sich der trade-off auch auf der Unternehmensebene in hohem Maße zeigen. Unter dieser Bedingung können innovative Unternehmungen nicht statisch effizient sein. Auf der anderen Seite könnte das Wissen vollkommen öffentlich bereitgestellt werden. Wäre dies möglich, so gibt es keinen Grund, weshalb die dynamisch effizienten Unternehmungen nicht zugleich auch statisch effizient sein sollten.57 Diese von der Ebene Freilich ist dies in jeder Volkswirtschaft bis zu einem gewissen Grad der Fall. Dennoch zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften in bezug auf die Umsetzung von Wissen. Vgl. zu den Wissensquellen und ihrer Institutionalisierung Pavitt (1984, S. 346 ff.); Carlsson/Stankiewicz (1991, S. 109 f.); Nelson (1987, Kap. 4, 5; 1990, S. 198 ff.; 1992, S. 170). Es handelt sich um ein reines "Gedankenexperiment", weil davon ausgegangen werden kann, daß das privat produzierte Wissen nicht durch öffentliche Produktion vollständig substituierbar ist, während das öffentlich "produzierte" Wissen in höherem Maße ersetzbar sein soll als bislang angenommen (vgl. Cohendet et al. 1993, S. 71). Es besteht jedoch auch eine Komplementarität zwischen öffentlicher und privater Erzeugung von anwendungsfernem Wissen. Des weiteren ist für die Nutzung des öffentlich bereitgestellten Wissens ein Anschlußwissen erforderlich, das privat hergestellt werden muß (Lundvall
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der nationalen Innovationssysteme her eingenommene Perspektive birgt einige Implikationen für den Wettbewerbsprozeß und die Wissenskoordination. So ließe sich vermuten, daß die M-Form-Strukturen58 in den USA gerade deshalb so erfolgreich gewesen sind, weil sie ein an der statischen oder allokativen Effizienz orientiertes Verhalten begünstigen und gleichzeitig der Staatsanteil an den gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben fast 50% beträgt. In Richtung allokativer Effizienz wirkt zudem der Markt für Unternehmensübernahmen auf die Unternehmungen und ihr Verhalten ein. Das US-amerikanische Innovationssystem zeigt einen vergleichsweise geringen Anteil privat finanzierter Wissensproduktion und deutliche Selektionsinstanzen, zu denen auch das Antitrust-Gesetz zu zählen ist. Jorde und Teece (1991, S. 121 ff.) kritisieren, daß dieses Gesetz sich zu sehr an der statischen Effizienz ausrichte und demzufolge innovationsfeindlich sei. Dies muß aus der hier eingenommenen Position nicht notwendig der Fall sein. Insbesondere verweisen Jorde und Teece (1991, S. 135 f.) auf das japanische System mit seinem sehr großzügigen Wettbewerbsgesetz. Allerdings muß auf der anderen Seite auch beachtet werden, daß die Unternehmungen in Japan Wissen fast ausschließlich privat finanzieren müssen59 und deswegen die Selektionsintensität nicht so hoch sein darf. Anders ist das britische System zu beurteilen, das eine enge institutionelle Verwandtschaft mit dem USamerikanischen System aufweist, ohne daß aber der Staat in größerem Ausmaß Wissen finanziert60 und so die hohe Selektionsintensität in Richtung statischer Effizienz ausgleicht. Neben vielen Faktoren, die die geringe Leistungsfähigkeit des britischen Systems erklären (schleppende Entwicklung eines Managerkapitalismus, das Versäumnis, organisatorische Fähigkeiten zu entwickeln, oder eine zu große Zahl von Marktstufen), könnte ein weiterer Grund in einer zu geringen öffentlichen Finanzierung der Wissensproduktion liegen.61 Aus dieser Sicht läßt sich daher der Schluß ziehen, daß die Wettbewerbsintensität zwischen den Unternehmungen nur vor dem Hintergrund der Wissensproduktion und der Gesamtwirkung aller Selektionsmechanismen zutreffend beurteilt werden kann und 1988, S. 364; Rosenberg 1990, S. 170 ff.; Nelson 1990, S. 203). Ferner entsteht mit der Verwertung von Wissen ganz automatisch Wissen (learning by doing oder using). Die M-Form bezeichnet die multidivisionale Organisationsstruktur oder Spartenorganisation. Die Divisionen werden nach Märkten, Produktgruppen oder Regionen abgegrenzt. Sie bilden quasi-autonome Profit Centers. Zentral ist die strenge Trennung zwischen strategischen und operativen Entscheidungen respektive die Trennung von General-oder Topmanagement und mittlerem Management. Die M-Form soll das Top-Management von operativen Entscheidungen entlasten und eine effizientere Ressourcenallokation (aus der Perspektive der gesamten Unternehmung) erlauben. Für eine ausführliche Darstellung Schreiter 1994, S. 17 ff. Der Anteil des Staates an den industriellen Forschungs- und Entwicklungsausgaben beträgt in Japan 1,2 % (vgl. Odagiri/Goto 1993, S. 104). Der Anteil der Staatsausgaben für Forschung und Entwicklung an den gesamten industriellen Forschungs- und Entwicklungsausgaben beträgt in Großbritannien 16,5 % und in den USA 34,3% (vgl. Odagari/Goto 1993, S. 104). Pavitt (1984, S. 346) ermittelt für Großbritannien, daß der durchschnittliche Anteil des Wissensinput, der aus der öffentlichen Infrastruktur (höhere Schulen, staatliche Laboratorien, Forschungsgesellschaften) stammt, 7,4 % beträgt. Der höchste Wert wird mit 23% in der elektronischen Kapitalgüterbranche erreicht.
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keineswegs auch dynamische Effizienz indizieren muß. Die Systemperspektive macht des weiteren deutlich, daß die Koordination von Wissen über mehrere Marktstufen nicht ohne simultane Betrachtung des gesamten institutionellen Kontexts behandelt werden kann. Um die Wirkung einzelner Institutionen zutreffend zu erfassen, ist es erforderlich, das Zusammenspiel und die Abstimmung aller Institutionen vor Augen zu haben.
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Humanvermögen in evolutionären Wettbewerbsprozessen Hans-Günter Krüsselberg
1. Der Problembereich: Dynamik des Wettbewerbs, Ungewißheit und wirtschaftliches Handeln
140
2. Basisprämissen einer dynamischen Wettbewerbstheorie: Der Ansatz Schumpeters
143
3. Die "inhärente Ruhelosigkeit" des Evolutionsprozesses
148
4. Die vermögenstheoretische Perspektive in ihrer Bedeutung für wettbewerbstheoretische Analysen - oder: Der menschliche Faktor im Evolutionsprozeß: Humanvermögen
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5. Humanvermögen und der Wettbewerb auf den Gütermärkten
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6. Innovative Entscheidungen über die Verwendung von Aktiva: die Öffnung des Evolutionsraums
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7. Schlußbemerkung
170
Literatur
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Hans-Günter
Krüsselberg
1. Der Problembereich: Dynamik des Wettbewerbs, Ungewißheit und wirtschaftliches Handeln Trotz vieler Kontroversen läßt sich meines Erachtens der Objektbereich wettbewerbstheoretischer Analysen eindeutig ausmachen. Er kann von drei Seiten her eingegrenzt werden. Die erste Referenzebene ist zu bestimmen durch die Antwort Schumpeters auf die Frage nach der relevanten Wettbewerbshypothese. Für ihn ist es "eine Tatsache, daß das, was wir (unter Konkurrenzwirtschaft) verstehen, ein Schema von Motiven, Entscheidungen und Handlungen ist, welches der Unternehmung durch die Notwendigkeit aufgezwungen wird, Besseres zu leisten oder zumindest erfolgreicher zu sein als der Konkurrent nebenan". Diese Situation sei es, auf die wir "die technische und kommerzielle Leistungsfähigkeit" der "Konkurrenz"-Wirtschaft zurückführen. Bei der Suche nach einem "brauchbaren" Wettbewerbsbegriff müsse man zudem davon ausgehen, daß eine dieser Situation entsprechende Verhaltensstruktur am ehesten in Marktformen anzutreffen sei, die sich im Bereich zwischen dem Fall des reinen Monopols und dem des vollkommenen Wettbewerbs ansiedeln (Schumpeter 1965, S. 1186). Die zweite Referenzebene bezieht sich auf die Denkanstöße, die insbesondere F.A. von Hayek gegeben hat. Seine kritische Auseinandersetzung mit jenen Vertretern der Wirtschaftswissenschaften, die im "Spätklassischen Formalismus" ein statisches, geschlossenes System der vollständigen Konkurrenz zur sozialökonomischen Norm erhoben, gipfelte in seinem Vorschlag, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren zu bezeichnen. Hier wird unterstellt, daß jeder seine eigenen Kenntnisse nutzt, um seine Zwecke zu verfolgen. Dabei ist er jedoch genötigt, sich Umständen zu stellen, die für ihn nicht voraussehbar sind. Gelingt es gleichwohl, sich im Markt so zu verhalten, daß die Bedürfnisse anderer Menschen besser befriedigt werden als zuvor, wird "die zur Verteilung verfügbare Gesamtmenge (an Gütern und Dienstleistungen) vergrößert". Damit könne jeder "zumindest darauf rechnen ..., daß das, was er für seinen ungewissen Anteil bekommt, so viel wie möglich ist". Das ist die "Chance", die eine marktwirtschaftliche Ordnung "unbekannten Menschen" bietet (von Hayek 1969, S. 167 ff. sowie S. 249 ff.). Vor diesem Hintergrund entfaltete sich Schritt für Schritt eine marktwirtschaftliche Prozeßtheorie. Sie will zeigen, daß unter Wettbewerbsbedingungen die verantwortlichen Entscheidungen von Einzelakteuren zu einer höheren Leistungsfähigkeit des volkswirtschaftlichen Systems führen. Dieses Handeln auf der Basis von Kenntnissen über verfügbare Ressourcen und von Visionen über individuelle Marktchancen ist allerdings ein Handeln unter den Bedingungen der Ungewißheit. Es ist damit der Intuition, dem Wagnis und zugleich der Bereitschaft zur Verantwortung unterworfen, nicht zuletzt der Verantwortung zur Aufrechterhaltung des historisch gegebenen Standes an Ressourcen (Krüsselberg 1969, S. 15 ff.). Damit wird die dritte Referenzebene benannt, die hier von Bedeutung ist. Bislang wurde sie meines Erachtens zu wenig beachtet, wenngleich sie sowohl in der Schumpeter- als auch in der von /fayefc-Analyse eine beachtliche Rolle spielt. Es geht um das Phänomen des Umgangs mit einem Wissen, das stets unvollkommen ist, weil sich Wissen im Prozeß der Evolution nicht-prognostizierbar verändert. Wenn sich die Wirtschaftswissenschaft aber nicht ständig dem Vorwurf der "Anmaßung von Wissen" (von Hayek 1989, S. 3) aussetzen will, muß sie den
Humanvermögen in evolutionären Wettbewerbsprozessen
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menschlichen Umgang mit dem Tatbestand der inhärenten Ungewißheit der Zukunft ebenfalls zu einem Kernbereich ihrer Anforderungen an eine Theorie dynamischer Wettbewerbsprozesse machen. Es kann gewiß kein Zweifel darüber bestehen, daß über Wettbewerbsprozesse nicht gesprochen werden kann ohne die Einbeziehung handelnder Menschen. Gleichwohl ist in der wissenschaftlichen Debatte weder eine Übereinstimmung erzielt worden über das Menschenbild, von dem die Wirtschaftstheorie ausgehen soll, noch über die Form, in der sich ein handlungsorientiertes Wissenschaftsgebäude zu entfalten vermag. Das aber dürfte vor allem dann zu einigen Engpässen in der Argumentation führen^ wenn evolutionstheoretische Forschungsprogramme an Bedeutung gewinnen, was im folgenden unterstellt wird. Wenn an dieser Stelle nun das Wagnis unternommen wird, den Spuren von Humanvermögen in evolutionären Wettbewerbsprozessen nachzugehen, muß von vornherein auf die Bedingtheit dieses Procedere aufmerksam gemacht werden. Zwei Prämissen sind die Grundlage der Betrachtungen, auf die wir uns hier einlassen. Die erste läßt sich ausdrücken in Form einer Generalisierung der für das Werk von Theodore W. Schultz fundamentalen Beschreibung wirtschaftlichen Handelns. Er meint, auf der ganzen Welt befaßten sich Menschen mit Kosten, Erträgen und Risiken und seien so quasi von Hause aus Wirtschaftssubjekte, die rechnen können. Im Rahmen ihres alltäglichen Allokationsbereiches seien sie Unternehmer, die sich in der Regel sehr geschickt auf die wirtschaftlichen Bedingungen einstellen, so geschickt, daß manche vermeintliche Experten die Effizienz ihrer Tätigkeit verkennen. Auf der Basis ihrer jeweiligen Ausbildung und ihrer Erfahrungen entwickelten sie mannigfache Fähigkeiten, Neuerungen wahrzunehmen, aufzunehmen, auszuwerten und richtig auf sie zu reagieren. Diese Fähigkeiten stellten die unentbehrliche menschliche Ressource des Unternehmertums dar (Schultz 1986, S. 10 f.). Mit dieser Umschreibung ist jeder Mensch potentieller Unternehmer, in welcher Rolle, in welch kleinem Allokationsbereich er auch immer wirtschaftlich tätig sein mag. Die zweite Prämisse dieser Betrachtung besteht in der Annahme, daß alles wirtschaftliche Handeln auf den Umgang mit Ressourcen bezogen ist. Die Verfügungsgewalt über Ressourcen ist jedoch in jeder Gesellschaft Personen übertragen. Der Begriff Vermögen grenzt ab, wer in jedem Einzelfall über solche Aktiva verfügungsberechtigt ist. Durch die Verwendung des Begriffs Vermögen wird somit für alle Teilnehmer an einem Wirtschaftsprozeß klargestellt, daß die Entscheidung über den Einsatz dieses Vermögens nur sehr konkret benannten Personen (oder sonstigen Handlungseinheiten) obliegt. Da solche Entscheidungen in entwickelten Wirtschaftsgesellschaften stets aber institutionell, d.h. durch Regeln und Normen, geleitet werden, muß ein Versuch, humanvermögenstheoretisch zu argumentieren, unabdingbar das Handlungsfeld von Personen und Organisationen als ein Feld institutioneller Verknüpfung von Humanvermögen mit materiellem Vermögen ansehen. Wirtschaftliche Aktivität erwächst somit stets aus einer auf Humanvermögen zentrierten Bündelung von Aktiva zum Zweck der Schaffung wirtschaftlicher Werte in institutionell strukturierten Handlungsfeldern, z.B. Unternehmen. Diese Aussage gilt uneingeschränkt für die Perspektive Schumpeters, die das Programm einer evolutorischen Ökonomik stark beeinflußt hat. Es empfiehlt sich somit,
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Hans-Günter Krüsselberg
einleitend jene Elemente seines Werkes zusammenzustellen, die nach wie vor als für unsere oben genannte Problematik grundlegend anzusehen sind. Wir meinen, daß hier vor allem zu erkennen ist, welch hohe Bedeutung dieser Autor der Erörterung des institutionellen Gerüsts einer Marktwirtschaft für die Entfaltung evolutorischer Prozesse zumißt (Abschnitt 2). Gleichwohl wird selbst im Schumpeteransatz das eigentlich unternehmerische Element der Entscheidungen bei Ungewißheit zu wenig thematisiert. Daß die Debatte über die ökonomische Theoriebildung dieses Thema jedoch nicht völlig ausgespart hat, möchten wir zeigen, indem wir insbesondere jene Ideen und Gedanken ansprechen, die sich mit den handlungstheoretischen Konsequenzen der Einsicht beschäftigen, daß in einer inhärent ruhelosen Welt alles Wissen nicht mehr als Vermutungswissen sein kann (Abschnitt 3). Danach folgt eine Betrachtung der Relevanz der vermögenstheoretischen Perspektive für die Abgrenzung der Handlungsdimension in wettbewerbstheoretischen Analysen unter der nicht aufhebbaren Bedingung von Ungewißheit im Evolutionsprozeß. Argumentiert wird dort, daß Menschen im Umgang mit ihrem Vermögen Ungewißheit zu bewältigen suchen. Dabei können sie auf unterschiedliche institutionelle Arrangements zurückgreifen, die sich im historischen Prozeß - wie in Abschnitt 2 skizziert wird durchgesetzt haben. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Fähigkeit, trotz Ungewißheit zu handeln, für die Funktionsweise wettbewerblicher Systeme haben sich im Evolutionsprozeß institutionelle Regelungen entfaltet, die so beschaffen sind, daß sie zum einen den Einzelnen und die wirtschaftlichen Entscheidungsträger der Gesellschaft daran hindern, bereits existierende Vermögenspotentiale aufzuzehren, daß sie zum anderen aber oberhalb dieses Bestandserhaltungsniveaus Anreize schaffen für Such- und Entdeckungsprozesse, deren Ergebnisse wohlfahrtsfördernde Aktivitäten, im wesentlichen Investitionen, auslösen (Abschnitt 4). Wie solche Aktivitäten beschaffen sind, wird exemplarisch im Abschnitt 5 erörtert, wo die Konturen einer wettbewerblichen Theorie der Unternehmung dargestellt werden. Als überragendes Merkmal einer wettbewerblich-evolutionären Perspektive wird die Tatsache bezeichnet, daß Wettbewerbsvorteile Resultat einer an Leitbildern orientierten Kombination unternehmensspezifisch gebundener Aktiva sind. Damit erhalten Unternehmen ihr singuläres Profil - ein Profil, das wir als von Humanvermögen dominiert bezeichnen. Unternehmen erlangen ihre marktwirtschaftliche "Individualität" vor allem vermittels der im Vergleich zu anderen Unternehmen spezifischen marktbezogenen Ansammlung von Vermögen unter dem Dach ihrer ureigenen Organisation in einer zweckorientierten Bündelung von Human- und Produktiv vermögen. Wie sich jenes Profil verändert, wie innovative Entscheidungen über die Verwendung von Aktiva zu einer - wie wir sagen wollen - Öffnung des Evolutionsraums führen, ist Thema des Abschnitts 6, dem einige abschließende Bemerkungen über die Effizienzmerkmale der Unternehmensstruktur in einer marktwirtschaftlichen Ordnung folgen (Abschnitt 7). Mit dieser Themenübersicht soll zugleich auf eine grundsätzliche Restriktion aufmerksam gemacht werden, die diesen Beitrag prägt: Es ist die schwerpunktmäßige Beschränkung unserer Diskussion auf jene Institution, die im Wettbewerb wesentliche Akzente setzt, die privatwirtschaftlich geleitete Unternehmung. Gleichwohl klingt hoffentlich - durchgängig an, was im Abschnitt 4 so grundsätzlich, wie es uns hier mög-
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lieh ist, diskutiert wird: Die Qualität des Humanvermögens einer Gesellschaft ist in evolutionären Wettbewerbsprozessen auch in anderen Ebenen als der Welt der Unternehmen ein entscheidendes wohlstandsförderndes Element.
2. Basisprämissen einer dynamischen Wettbewerbstheorie: Der Ansatz Schumpeters In diesem Band wird nach einem Bezugssystem gefragt, das es erlaubt, das Phänomen Wettbewerb von mehreren Dimensionen her "einzukreisen" (von Delhaes/Fehl, S. 1). Zugleich wird auf die Bedeutung des Phänomens der historischen Zeit verwiesen, der Zeit also, in welcher sich der Wettbewerbsprozeß konkret vollzieht. Außerdem wird die Zweckmäßigkeit eines Übergangs von einer gleichgewichtsorientierten Analyse zu einer prozeßorientierten erörtert. Das sind Gedanken, die sich immer dann aufdrängen, wenn nach einer Theorievariante gesucht wird, die die Schaffung einer Wettbewerbsordnung im Sinne Walter Euckens (1968, S. 254 ff.) als einer Bündelung marktwirtschaftlicher Institutionen zur Lösung des Knappheitsproblems in das Zentrum der Betrachtung rückt und dabei den Prozeß des Wettbewerbs als einen historischen Prozeß sieht (s. Krüsselberg 1969, S. 13 f., 19, 50 ff., 167 ff.). In den hier vorgestellten Bemühungen, solchen Erwägungen nachzugehen, um einen für Wettbewerbsthemen adäquaten humanvermögenstheoretischen Unterbau zu entwickeln, verknüpfen sich die Ansätze der von //a;yefc-Schule und der Schumpeter-Schule. Rosenberg empfiehlt jenen, die den Schumpeter-Ansatz nicht mit "Ungleichgewichtsanalyse" beschrieben wissen wollen, statt dessen den von Schumpeter in seinem Kapitalismus-Buch häufig verwendeten Begriff "evolutionär" zu benutzen (Rosenberg 1994, S. 45; Schumpeter 1950, S. 132 bzw. 136 ff.). Das ist ein Begriff, mit dem man inzwischen gleichfalls nahezu uneingeschränkt die Blickrichtung des von Hayekschzn Denkens charakterisiert. Diesen Kern evolutionären Denkens findet man - so betonte meines Erachtens Müller-Armack (1932) in seinem Buch über die "Entwicklungsgesetze des Kapitalismus" zu Recht - bei Schumpeter mit den Vorstellungen verknüpft, daß den Kapitalismus insbesondere seine offene Form auszeichne; ein fixierter "sozialer und technisch organisatorischer Aufbau" sei genau das Gegenteil kapitalistischer Formbildung; "erst im Prozeß der Entwicklung" bilde sich "die Struktur der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung" aus. Spontaneität und Freiheit der Aktion gelten hier als grundlegende Elemente des historischen Ablaufs. Durch die Anerkennung der Spontaneität der gesellschaftlichen Entwicklung und ihrer Offenheit in bezug auf die jeweils zu realisierende Zielstruktur stelle sich diese Theorieform in ihrer Handlungs- und Entscheidungsorientierung in einen bewußten Gegensatz zu geschichtsdeterministischen Theorien des Ablaufszwanges. In ihrer Perspektive sei ein Wandel der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Struktur das notwendige Resultat eines allgemeinen gesellschaftlichen Antagonismus, der Bewegungsdimension der Geschichte (Müller-Armack 1932, S. 46 ff., 121 ff., 164 ff.). Das Thema einer evolutionären Theorie wirtschaftlicher Prozesse ist mit diesen Hinweisen markiert. Zu erörtern ist, inwieweit der in der Realität marktwirtschaftlicher Systeme zu beobachtende stetige Wandel in der Wirtschafts- und Sozialstruktur durch die Notwendigkeit ausgelöst wird, nicht antizipierbar auftretende Impulse wirtschaftli-
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eher Aktivität zu verarbeiten, die einerseits eine Folge der Offenheit des Systems sind, zum anderen dessen Offenheit wiederum stabilisieren. Offenheit des Systems bedeutet hier Wandlungsfähigkeit, wozu stets auch die Wandlungsfähigkeit menschlicher Entscheidungsträger zählt. Zu untersuchen ist deshalb der Prozeß, "der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich die neue schafft". Zu analysieren und zu erklären ist der "evolutionäre Charakter des kapitalistischen Prozesses" (Schumpeter 1950, S. 137 f.). Was aber ist die Grundlage für die Initiierung wirtschaftlicher Impulse und für deren Inkorporation in das System auf dem Wege über dessen Wandel? Was sind die charakteristischen Merkmale jener Ordnung, die Schumpeter "kapitalistische Ordnung" nennt? Für Schumpeter verkörpern sich die Wesensmerkmale dieser Ordnung - handlungsorientiert - in der Einrichtung der Privatunternehmung. Diese ist für ihn als Träger des technischen Fortschritts dominant. Als konstitutive Ordnungselemente des gesellschaftlichen Rahmens, in dem diese Unternehmer tätig sein sollen, gelten Privateigentum an den Produktionsmitteln, Regelung des Produktionsprozesses durch Privatvertrag, Finanzierung der Unternehmungen durch Bankkredite. Notwendig ist zudem ein Mechanismus sozialer Selektion, der "die befähigende und auswählende Funktion" miteinander verbindet und eine Motivationsstruktur formt, durch die "eine maximale Produktion und minimale Kosten zu erreichen" sind. Es sind - so meint er - vornehmlich die Großunternehmen, die in diesem institutionalisierten Ordnungsrahmen ein Handlungsmuster entstehen lassen, "innerhalb dessen ein sich fortwährend in Wandlung begriffener Personenkreis von Innovation zu Innovation schreitet" (Schumpeter 1950, S. 267 ff., 22 ff., 29). Intensiv setzte sich Schumpeter mit einem - wie er meinte - im Hinblick auf entwickelte Industriegesellschaften besonders wichtigen institutionellen Problem auseinander. Das Problem der Unternehmenskonzentration erschien ihm als Evolutionstatbestand, den er im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung vor allem als einen Prozeß wohlfahrtsfördernden Wettbewerbs zwischen Großunternehmen zu analysieren suchte. Seine Lösung basierte auf der generellen Hypothese, die hohe Innovationsfähigkeit des Systems sei eine Konsequenz des institutionell zu sichernden offenen Zugangs zu dynamischen Wettbewerbsmärkten. In diesem System löst sich dann das in der Theorie bis dahin äußerst kritisch beurteilte Allokationsverhalten von Unternehmen im (Monopol und) Oligopol wohlfahrtsfördernd auf. Ins Hintertreffen gerät die früher dominierende theoretische Unterstellung, in einer Welt gegebener Produkte könnten bei einer historisch entstandenen, relativ konstanten Aufteilung der Märkte unternehmerische Absichten, diese Aufteilung zu verändern, nur mit einem hohen Aufwand an unproduktiven "Kampfkosten" durchgesetzt werden. Aus dem Versuch, solche zu vermeiden, resultiere die mangelnde Dynamik in diesen Märkten infolge einer Präferenz der Oligopolisten für die Bewahrung des status quo. Schumpeter setzt gegen diese Auffassung seine These vom "oligopolistischen Wettbewerb". Evolution wird hier ohne direkte unproduktive Konfrontation auf bestehenden Märkten möglich, weil sich der Wettbewerb auf die Ebene der Innovation verlagert. Notwendig wird in der Volkswirt-
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schaftlichen Perspektive nach Schumpeter nicht wesentlich mehr als eine Neudisposition über bereits vorhandene Ressourcen. Jenen "sich fortwährend in Wandlung begriffenen Personenkreis, der von Innovation zu Innovation fortschreitet", jene Personen also, die solche Neudisposition über vorhandene Ressourcen initiieren, nannte Schumpeter in seinen Untersuchungen stets "dynamische Unternehmer". Sie sind für ihn die entscheidenden Akteure im Prozeß der schöpferischen Zerstörung und damit diejenigen, durch deren Aktivität die bestehenden Strukturen "mutieren". Ohne eigens dieses Thema zu diskutieren, geht Schumpeter mit diesen Perspektiven deutlich über eine heute weitgehend verwendete Definition von Institutionen hinaus, die deren Bedeutung für Handlungsbeschränkungen markiert. Prinzipiell verlautet hier bislang: Jede Institution ließe sich als ein Bündel von Handlungsbeschränkungen in rekurrenten mehr-personalen Entscheidungssituationen definieren, für die die Individuen reziproke Verhaltenserwartungen besitzen (so z.B. Eisner 1987, S. 5, aber auch North 1990, S. 3 ff.). Schumpeters konkrete Analyse des kapitalistischen Prozesses betont hingegen die Relevanz insbesondere jener Variante der Evolution von Institutionen, die neue Handlungsspielräume eröffnet und damit das gesellschaftliche Handlungspotential erweitert. Das gilt einmal für die moderne "kapitalistische" Großunternehmung. In Reflexionen über die Entwicklung völlig neuartiger monetärer Institutionen während der Ausgestaltung des kapitalistischen Systems werden aber auch speziell jene institutionellen Innovationen aufgelistet, die wie die Institution des Kredits vornehmlich darauf zielen, Zukunft zu gestalten, weil visionäre Vorgriffe auf neue Produktionsstrukturen durch die Bereitstellung von Finanzierungsmitteln möglich werden. In seinen Untersuchungen über Konjunkturzyklen geht Joseph A. Schumpeter davon aus, daß die Innovation die überragende Tatsache in der Wirtschaftsgeschichte der kapitalistischen Gesellschaft sei. Kapitalismus ist für ihn allerdings "jene Form privater Eigentumswirtschaft, in der Innovationen mittels geliehenen Geldes durchgeführt werden, was im allgemeinen, wenn auch nicht mit logischer Notwendigkeit, Kreditschöpfung voraussetzt" (Schumpeter 1961, S. 234; Hervorhebung H.G.K.). Kreditschöpfung ist das "monetäre Ergänzungsstück zur Einführung einer Innovation" und der Zins "- genauer die Kapitalsumme zuzüglich Zins -" der Preis, den ein Darlehensnehmer einer sozialen Gemeinschaft für die Erlaubnis zahlt, Waren und Leistungen zu erwerben, "ohne vorher die Bedingung erfüllt zu haben, die in der kapitalistischen Wirtschaftsform normalerweise mit der Ausstellung einer solchen Erlaubnis verbunden ist, d.h. ohne vorher andere Waren und Leistungen zum volkswirtschaftlichen Kreislauf beigetragen zu haben". Schumpeter ist sich darüber klar, daß sein Modell bzw. seine Definition des Kapitalismus auf eine ganz bestimmte institutionelle Struktur abstellt: Kapitalismus gibt es, soweit das Element der Kreditschöpfung reicht - seitdem "übertragbare Kreditinstrumente auftreten" (Schumpeter 1961, S. 119, 132, 235). Eine der charakteristischen Eigenschaften der finanziellen Seite der kapitalistischen Entwicklung sei es, alle, selbst die längsten Fälligkeiten so zu "mobilisieren", daß jedes Versprechen, geliehenes Geld aus später verfügbaren Guthaben zurückzuzahlen, der Finanzierung durch jede Art von Mitteln und insbesondere von solchen Mitteln
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zugänglich wird, die nur für kurze Zeit, ja nur bis zum nächsten Tag verfügbar sind. "Das ist keine bloße Technik. Es ist ein Teil des Kerns des kapitalistischen Prozesses" (,Schumpeter 1961, S. 630 f.). Systemtheoretisch formuliert geht es hier um eine bedeutende Erhöhung der Komplexität des Systems - mit effizienzsteigernden Folgen - durch eine neuartige funktionale Ausdifferenzierung im Wirtschaftssystem in Gestalt einer "Vereigenständigung" des Finanzsektors. Es bildet sich eine neue Stufe im System der Wettbewerbswirtschaft durch eine "Verlängerung der Handlungsketten" - ein Phänomen, das die Wirtschaftstheorie bereits im Rahmen der Kapitaltheorie beschäftigte. Ähnlich argumentierte auch Fisher - bereits 1906. Für ihn war es nur eine spezielle Variante der fortschreitenden Arbeitsteilung innerhalb der Wirtschaft, daß zwischen "property rights" und den ihnen zugrundeliegenden Aktiva "several layers of property", und zwar "several intermedíate layers" (Hervorhebung H.G.K.) treten, die über Märkte vermittelt werden (Fisher 1965, S. 22 ff., S. 31 f.). Das aber bedeutet, daß neuartige institutionelle Zwischenglieder in Gestalt von Märkten für Finanzinnovationen eine intensivere Nutzung weit verstreuten Wissens fördern, wenn es ihnen gelingt, potentielle Neuerer und Risikoträger an Finanzquellen heranzuführen. Die Entwicklung eines umfassenden Netzes des Kreditund Kapitalverkehrs mit seinen Spezialinstitutionen stellt sich als eine neuartige "Veranstaltung zum Transfer von Risiken und zur Transformation von Unsicherheitsstrukturen in andere Formen" dar (Stützel 1964, S. 39). Jenes Netz zu schaffen, ist ein wesentlicher Beitrag dazu, daß "such an order" - Schumpeter würde sagen: die kapitalistische - "will utilize the separate knowledge of all its several members, without this knowledge ever being concentrated in a single mind, or being subject to those processes of deliberate coordination and adaptation which a mind performs" (von Hayek 1973, S. 42, siehe hierzu ausführlicher Krüsselberg 1984b, S. 83 ff.). Hier zeigt sich ein für das Verständnis der Entstehung von Institutionen ungemein bedeutsamer Aspekt. Im Feld der Finanz- und Kapitalmarktinnovationen institutioneller Prägung werden immer dann neuartige Experimente von dynamischen Unternehmern auf den Weg gebracht, wenn es darum geht, Handlungsbeschränkungen, die als die wirtschaftliche Dynamik behindernde Elemente empfunden werden, zu überwinden. Das war übrigens eine Auffassung, die schon von J.R. Commons 1924 sehr dezidiert vertreten wurde. Dabei betont jedoch auch er, wie wichtig die explizit im Hinblick auf die Entwicklung des Kreditsystems begleitende Kontrolle solcher Entwicklungen durch ein übergeordnetes (Verfassungs-) Recht ist, sollen Mißbräuche und Fehlentwicklungen ausgeschlossen werden (Commons 1924, hier 1968, S. 378). Mit dieser Analysetechnik - das ist die These 1 dieses Beitrags - begründete Schumpeter - oder antizipierte zumindest - eine für jede Evolutionstheorie zentrale Aufgliederung der gesellschaftlich relevanten Ebenen menschlichen Handelns. Deutlich wird hier bereits unterschieden zwischen drei Ebenen menschlichen Handelns: der konstitutionellen Ebene, auf der das institutionelle Rahmenwerk einer Gesellschaft und ihrer Wirtschaft bestimmt wird (verbindliche Festlegung der Ordnungselemente);
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der "collective choice "-Ebene der Verkörperung der institutionellen Arrangements in den unterschiedlichen rechtlich möglichen Organisationen (nicht zuletzt von Unternehmen) und den nach den konstitutionellen Regeln ausgerichteten unterschiedlichen Märkten (auf denen sie tätig werden) sowie der operationalen Ebene legitimer, d.h. verfassungskonformer, individueller Entscheidungen (siehe hierzu Kiser, Ostrom 1982, S. 184, 206 ff.), vor allem der "dynamischen Unternehmer". Das Zusammenspiel dieser drei Ebenen, die menschliches Handeln konstituieren, gewährleistet in diesem Ansatz die empirische Relevanz folgender Thesen: Die Marktwirtschaft ist ein offenes System, charakterisiert durch den Marktprozeß als Folge von Ungleichgewichtslagen, in dem Preis-Kosten-Unterschiede einen ständigen Anreiz zum Handeln schaffen. Die Verteilung des wirtschaftlich relevanten Wissens wandelt sich kontinuierlich als Konsequenz dieses Handelns (Informationsfunktion des Wettbewerbs). In diesem Prozeß sind die Erwartungen hinsichtlich der Zukunft ungewiß. Diese Tatsache beeinflußt unmittelbar jedes auf die Zukunft gerichtete Verhalten, denn die Bewegung des Systems kann nur in die Zukunft gerichtet sein. Markierungspunkte dieser Bewegungen in die Zukunft sind menschliche Entscheidungen im Kontext des institutionellen Rahmens. Auf diese Weise wird eine regelgebundene, wenngleich von bewußten menschlichen Entscheidungen getragene Anpassung an sich ständig wandelnde Bedingungen der Umwelt wirksam, die Commons wegen dieser die Richtung des Prozesses kontrollierenden Elemente in Abweisung der These von der "natürlichen Selektion" als "artificial selection" bezeichnet (Commons 1968, S. 375 f.). Diese gewährleiste - so wird vermutet - die Stabilität des marktwirtschaftlichen Systems in der "historischen" Zeit! Wir folgern: Wenn die "evolutionäre" Wettbewerbstheorie wirtschaftliche Dynamik zu erklären beabsichtigt, muß sie bestrebt sein, den institutionellen Rahmen wettbewerblicher Strukturen ausdrücklich zu berücksichtigen (s. Krüsselberg 1969, S. 21-24, speziell S. 155-161). Gewiß ist jedes Marktsystem durch seine Unternehmensstruktur geprägt, die sich nach Größe und Segmenten erheblich differenziert: Unternehmen hinterlassen ihre Spuren im Marktsystem und im Wettbewerbsprozeß sicherlich durch ihre Ausbringungsmengen und deren Preise (zum Thema "Spuren und Spurendeutung: ökonomische Erfahrung und ökonomische Theorie" s. Meyer 1979, S. 269 ff.). Wo aber zeigt sich hier der handelnde Mensch? Und wie bewältigen Menschen den Umgang mit jenen permanenten Umbrüchen, die ihnen der Evolutionsprozeß aufzwingt? Wie geht die Theorie zudem mit der Tatsache um, daß die wohlstandssteigernden Potentiale des marktwirtschaftlichen Prozesses zu einer ständigen Vermehrung wirtschaftlich relevanter Aktiva geführt haben? Wer ist Unternehmer in dieser turbulenten, weil evolutorischen Umwelt? Welche institutionellen Raster begünstigen Unternehmertum? Das sind die Themen der folgenden beiden Abschnitte. Die Welt der Wirtschaft, auf die dabei Bezug genommen wird, ist charakterisiert durch jenes "Netzwerk" von Unternehmens- und Marktverfassung(en), die in diesem Abschnitt diskutiert wurden.
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3. Die "inhärente Ruhelosigkeit" des Evolutionsprozesses Ich bin davon überzeugt, daß ein Versuch, diese Problematik wissenschaftlich anzugehen, sich ganz wesentlich ausrichten muß an Diagnosen, theoretischen Studien und Ideen, die das Werk von G.L.S. Shackle in Fülle bereitstellt. Das gilt nicht nur für die Auseinandersetzung mit dem "kognitiven Problem der mentalen Erzeugung von Neuigkeit", der Erklärungsbedürftigkeit der "Fähigkeit, Neuigkeit zu schaffen," (s. dazu Witt 1992, S. 30 f.). Ebenso bedeutsam sind die Gedanken, die Shackle bezüglich des Wandels in der theoretischen Perspektive äußert, der letztlich auf theoretische Entwicklungen zurückzuführen ist, die Shackle der Zeit von 1926 bis 1939, den "Years of High Theory", zuordnet. Damals revolutionierte sich die Wirtschaftstheorie durch die Aufgabe der Annahme, ökonomisches Handeln entwickle sich in einer grundsätzlich geordneten und ruhigen Welt, und die Hinwendung zu der nahezu gegenläufigen Position, es herrsche ruhelose Anarchie und Unordnung, die durch menschliches Handeln aufzulösen sei. An die Stelle der Annahme vollkommenen Wissens und vollkommener Märkte trat die Betonung von Erwartungen und Ungewißheit. Bis hin zu den dreißiger Jahren betrachtete sich - so meint Shackle - die Wirtschaftswissenschaft als Wissenschaft über den Umgang mit grundlegenden Knappheiten. Danach ging es in dieser Disziplin um die noch weitaus anspruchsvollere Auseinandersetzung mit der Frage, wie Menschen mit Knappheit und Ungewißheit fertig werden. Als "natürliche Bedingung" effizienten Wirtschaftens werde nicht länger ein statisches Optimum der bestmöglichen Verwendung gegebener Ressourcen angesehen, sondern ein Wachstumsprozeß im Sinne kontinuierlich sich verbessernder Nutzun'g ständig wachsender Bestände an Ressourcen (Shackle 1967, S. 4 ff.). "Inhärent ruhelos" sind in der Shacklesda.cn Terminologie Tatbestände, die darauf zurückzuführen sind, daß die Ungewißheit über die Zukunft eine autonome, d.h. also eine eigenständige Ursache für Wandel darstellt (Shackle 1958, S. 88). Das ist meines Erachtens die These, an die jegliche evolutionstheoretische Argumentation anzuknüpfen hat. Gesucht wird nach einer endogenen Erklärung des Prozesses wirtschaftlicher Entwicklung, der wirtschaftliches Wachstum bewirkt. Zu Recht vermerken Biervert und Held, im Mittelpunkt der Untersuchungen im Rahmen der evolutorischen Ökonomik stünden endogen erzeugte Neuerungen. Das Spannende sei, "daß genuin Neues und Unerwartetes 'zugelassen' wird und damit der Ereignisraum nicht mehr länger als bekannt vorausgesetzt wird". Evolution sei als prinzipiell offener Prozeß mit Potential zu Neuem zu verstehen. Das darin enthaltene schöpferische Element mache "seine Faszination aus" (Biervert, Held 1992b, S. 9). Schöpferisch ist der Mensch je nach Maßgabe des Herausforderungspotentials seines historischen Umfelds - das ist die Botschaft evolutorischer Ökonomik. Zwar ist - wie insbesondere Popper immer wieder hervorgehoben hat - alles, was an Wissen existiert, lediglich "Vermutungswissen". Es ist "unsere Interpretation dessen, was wir sehen ... Wir haben (ständig) Vermutungen, die von uns geschaffen werden. Diese Vermutungen versuchen wir dauernd mit der Wirklichkeit irgendwie zu konfrontieren, (um) sodann unsere Vermutungen zu verbessern und sie der Wirklichkeit näher zu bringen". Entscheidend ist, "daß wir nicht behaupten zu wissen, wenn wir nicht wissen". Gleichwohl strebt der Mensch trotz all seiner Unwissenheit stets nach einer Verbesserung seiner
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Lebensbedingungen. Alles, was hier getan werden kann, ist, aktiv zu sein "auf der Suche nach einer besseren Umgebung, nach einer besseren Welt". "Das ist die einzige Methode, die wir haben" {Popper 1994, S. 139 f., S. 143 f.). Wie geht die Wirtschaftswissenschaft mit dieser Botschaft um? Meines Erachtens ist sie voll enthalten in der These Müller-Armacks: Erst im Prozeß der Entwicklung bilde sich die Struktur der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung aus! Den Tatbestand des "genuin Neuen" umschreibt Schumpeter bekanntlich mit dem Begriff der "industriellen Mutation". Dabei betont er nachdrücklich, die Geschichte zeige, daß in der Neuzeit der Prozeß des Auftretens solcher Mutationen "als ganzer ununterbrochen" verläuft: "Immer (ist) entweder Revolution oder Absorption der Ergebnisse der Revolution im Gang" (Schumpeter 1950, S. 137 Fn. 2). Wenn es richtig ist, in der Perspektive der historischen Zeit das Heute als einen Bruch in der Zeit zwischen einer unbekannten Zukunfl und einer unabänderlichen Vergangenheit zu bezeichnen (Robinson 1963, S. 26), dann bezieht sich jede evolutionstheoretische Interpretation wirtschaftlichen Handelns auf die Einleitung von Transformationsprozessen, deren Markierungspunkte menschliche Entscheidungen darstellen. "Das Individuum kann Situationen und Ereignisse in Imagination" schaffen. Sein Versuch, diese durchzusetzen, verändert diese Welt, so wie sich auch die Imaginationen verändern, wenn sie sich aktualisieren. Das ist der Ansatzpunkt Shackles für ein komplettes neuartiges Forschungsprogramm, das die Bestimmungsgründe für dieses Handeln in einer "inhärent ruhelosen" Welt aufzudecken sucht (Shackle 1958, S. 15 f.; 1988, S. 210, 230). Mit solchen Perspektiven vollzieht sich aber - wie es Keynes einst formulierte - eine Abkehr von der "simplifizierten Propädeutik" ökonomischen Denkens, das die Zukunft als fixiert und in jeglicher Hinsicht verläßlich betrachtet. Die Wissenschaft wendet sich statt dessen der Anschauung von einer "realen Welt" zu, "in der unsere bisherigen Erwartungen enttäuschungsanfällig sind und allein unsere Zukunftserwartungen das beeinflussen, was wir heute tun" (Keynes 1936, S. 293 f.). Keynes klagte die orthodoxe Theorie an, mit der Hypothese einer kalkulierbaren Zukunft zu einer falschen Interpretation ökonomischer Verhaltensprinzipien zu gelangen. Er meinte, die Menschen seien gezwungen, geeignete Verhaltensprinzipien zu entwickeln, wenn sie in einer Welt der Ungewißheit handlungsfähig bleiben möchten (Keynes 1937, S. 213 f., 222). Zu suchen sei nach "Verbindungsgliedern zwischen Gegenwart und Zukunft". Und er vermutete, solche Verbindungsglieder seien am ehesten zu entdecken im Bereich der monetären Institutionen und in Einstellungen der Menschen in bezug auf den Umgang mit "dauerhaften Aktiva" (Keynes 1936, S. 294). Eine Forderung wiederholt sich durchgängig in der evolutionstheoretischen Forschung: Die Analyse von Verhaltensweisen muß an die Stelle der Bestimmung von Gleichgewichtsbedingungen treten; Verhaltensmuster sind Leitregeln menschlichen Handelns (Alchian 1950, S. 218). Gleichgewichtsbetrachtungen liegen nicht auf einer Ebene, aus der Hypothesen entwickelt werden können, welche sich anhand von Tatsachen überprüfen lassen. Tatsachen findet man niemals im Zusammenhang mit Gleichgewichtszuständen (Robinson 1962, S. 81). Wo aber zeigen sich Ansätze, die geeignet sind, jenes Entscheidungsdilemma der Evolutionsökonomik in empirisch relevanter Sicht anzugehen?
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Schon Knight hatte 1921 festgestellt: "Es ist eine Welt der Veränderung, in der wir leben, und eine Welt der Ungewißheit. Wir leben nur, weil wir etwas über die Zukunft wissen; daß wir so wenig wissen, beschert uns unsere Verhaltensprobleme." Deshalb sei es notwendig, die Bedeutung von Ungewißheit unmißverständlich zu benennen. Knight verweist den Analytiker auf das Phänomen menschlichen Bewußtseins mit seinem Merkmal der Zukunftsbezogenheit und meint, der Mensch reagiere mit Bewußtsein; er baut sich dazu ein 'image' of a future State of affairs" auf. Anpassungen sind somit nicht nur passiver Art, sondern "spontan" und zukunftsgerichtet. "Wir nehmen die Welt wahr, bevor wir auf sie reagieren, und wir reagieren nicht auf das, was wir wahrnehmen, sondern immer auf das, was wir daraus folgern. Die universelle Form bewußten Verhaltens ist somit Aktion, dazu bestimmt, eine zukünftige Situation zu ändern, auf die man von einer gegenwärtigen aus schließt." Darin sind Prozesse der Wahrnehmung und der Projektion auf eine Zukunftslage mit und ohne Berücksichtigung einer eigenen Aktion wie auch Fehlerquellen der Wahrnehmung und Folgerung enthalten (Knight 1921, S. 200 ff.). Knight folgert: "It is this true uncertainty which by preventing the theoretically perfect outworking of the tendencies of competition gives the characteristic form of 'enterprise' to economic Organisation as a whole and accounts for the peculiar income of the entrepreneur" (Knight 1921, S. 232). Wichtig an dieser Argumentation von Knight ist, daß Ungewißheit als nicht kalkulierbares Phänomen behandelt, gleichwohl aber nach institutionellen Regelungen gefragt wird, die ermöglichen, daß geordnetes menschliches Handeln trotz Ungewißheit erfolgen kann. Das ist ein Vorschlag, auf den sich theoretische Bemühungen insbesondere deshalb einlassen sollten, weil damit nach Kompetenzen im Umgang mit Ungewißheit gesucht wird, nach menschlichen Handlungskompetenzen. In den Sozialwissenschaften wurde man sich hier erfreulicherweise einig. Im Fünften Familienbericht akzeptierten die Autoren folgende Begriffsbestimmung: "Humanvermögen umfaßt vor allem die Befähigungen zur Bewältigung des Alltagslebens, den Aufbau von Handlungsorientierungen und Werthaltungen in der Welt zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Anforderungen, die die moderne Gesellschaft an das Wissen, an die Verläßlichkeit, an die Effizienz und Kreativität des Handelns ihrer Menschen stellt, sind in erster Linie Ansprüche an die Qualität der Bildung und der Erhaltung des Human Vermögens. Gefordert ist sowohl der Aufbau sozialer Daseinskompetenz (Vitalvermögen) als auch die Vermittlung von Befähigungen zur Lösung qualifizierter gesellschaftlicher Aufgaben in einer arbeitsteiligen Wirtschaftsgesellschaft, der Aufbau von Fachkompetenz (Arbeitsvermögen im weiten Sinne). Der Begriff des Humanvermögens bezeichnet zum einen die Gesamtheit der Kompetenzen aller Mitglieder einer Gesellschaft. Zum anderen soll mit diesem Begriff in einer individualisierenden, personalen Wendung das Handlungspotential des Einzelnen umschrieben werden, d.h. all das, was ihn befähigt, sich in unserer komplexen Welt zu bewegen und sie zu akzeptieren" (Fünfter Familienbericht 1994, S. 28). In der wissenschaftlichen Diskussion zeichnet sich damit - so finde ich - ein breiter Konsens ab. Auch die sogenannte Österreichische Schule meint schließlich, angesichts dessen, daß Realität nicht an sich gegeben ist, sondern stets zu schaffen sei, enthielte menschliches Handeln in signifikanter Ausprägung jeweils ein unternehmerisches Ele-
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ment. Ganz nachdrücklich äußerte sich Ludwig von Mises zu dieser Position: Wenn die Nationalökonomen von Unternehmern sprächen, meinten sie nicht Personen oder bestimmte Gruppen und Klassen von Menschen. Sie bezögen sich darauf, daß jede Handlung notwendigerweise immer einen zukünftigen Zustand zu beeinflussen beabsichtigt (selbst wenn es oft nur um die unmittelbare Zukunft des nächsten Augenblicks ginge). Da aber zu unterstellen sei, daß in einer konkreten Realität von vielen Menschen permanent gehandelt werde, müsse jeder Akteur davon ausgehen, daß sich die Dinge, so wie sie sich ihm gegenwärtig darstellten, schon geändert haben könnten. "Damit ist das Ergebnis des Handelns immer ungewiß. Eine Handlung ist immer spekulativ.... In jeder realen und lebendigen Wirtschaft ist jeder Akteur stets ein Unternehmer und Spekulant." Diese Funktion sei jeder Handlung inhärent und von jedem Akteur wahrzunehmen (von Mises 1949; siehe dazu auch Kirzner 1982a und 1982b; Krüsselberg, U. 1993). Mit ähnlicher Begründung lehnt - meines Erachtens zu Recht - Theodore W. Schultz die Verwendung des Begriffs "human resources" ab: Natürliche und andere materielle Ressourcen sind passive ökonomische Faktoren; sie sind auch frei von Präferenzen. Menschliche Handlungseinheiten sind aktiv nicht zuletzt in der Entwicklung von Fähigkeiten und Präferenzen. "Humanvermögen" umfaßt "alle Attribute eines Menschen - die physischen, biologischen, psychologischen und kulturellen -, die sowohl die sozialen Werte", zu denen er sich bekennt, "als auch die ökonomischen Werte", die er schafft, zu begründen und zu erklären helfen (Schultz 1972, S. 9). Schultz folgert: In dynamischen (oft turbulenten) Umwelten wird der individuelle und gesellschaftliche Erfolg durch die Fähigkeit der Akteure bestimmt, Handlungspotentiale in einer Welt, in der sich die Rahmenbedingungen permanent verändern, so wahrzunehmen und zu bündeln, daß ein angestrebtes Niveau der Lebenslage nicht nur erreicht, sondern möglichst sogar überschritten wird. Erforderlich sind die Fähigkeiten zu lernen, "sinnvolle" Arbeit zu verrichten, Neues zu schaffen und Probleme zu lösen. Der Wert des Humanvermögens entspricht dem "Wert der Fähigkeit, mit Ungleichgewichten fertigzuwerden" (Schultz 1975, S. 827 ff.). Hier schließt sich die Argumentation: Der Politische Ökonom muß sich zentral für all das interessieren, was aus den Gedanken des menschlichen Individuums werden kann. Weil das Universum offen ist, muß auch der Analytiker bereit sein, für sein Gebiet "ein grenzenloses Potential für Neuheiten und Noch-nie-Dagewesenes" zu akzeptieren. Angesichts dessen erfordert das Verständnis menschlichen Handelns die Beantwortung der Frage nach dessen Charakteristika (Shackle 1988, S. 187, S. 189 f.). Erneut steht die Frage zur Beantwortung an: Was sind die Charakterista menschlichen Handelns bei Ungewißheit? Unser humanvermögenstheoretisch angelegter Vorschlag zur Erörterung dieses Problems folgt einer Basisthese, die lautet: Der Umgang des Menschen mit dem Phänomen der Ungewißheit ist geprägt durch seinen Umgang mit den ihm verfügbaren verschiedenen Varianten von Vermögen.
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4. Die vermögenstheoretische Perspektive in ihrer Bedeutung für wettbewerbstheoretische Analysen - oder: Der menschliche Faktor im Evolutionsprozeß: Humanvermögen Schon in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts hatte K.E. Boulding (1950, hier 1962) Vorschläge für eine "Rekonstruktion" der Wirtschaftswissenschaften unterbreitet. Enthalten waren hier bereits die Grundideen für seine spätere "neue Theorie der gesellschaftlichen Evolution", die als Theorie der Evolution menschlichen Wissens angelegt ist (siehe hierzu Boulding 1981, S. 5-37). Deren Basisaussage lautet: Niemals können wir dessen sicher sein, die Wahrheit zu wissen; wir vermögen nur unsere Irrtümer zu korrigieren. Weiter heißt es: Insbesondere soziale Systeme sind durch unreduzierbare Ungewißheit und inhärent unvorhersagbare Veränderungen in ihren Parametern gekennzeichnet. Gleichwohl ist die Zukunft nicht völlig ungewiß. Zumindest zum Teil bleiben im Prozeß permanenten Wandels Strukturen erhalten. Das sind einmal solche Tatbestände der Umwelt, die sich dem direkten verändernden Einfluß des Menschen entziehen. Zum anderen sind es solche, die der Mensch selbst aufbaute. Im Evolutionsprozeß lernte nämlich der Mensch, "Artefakte" zu schaffen: Sie nehmen nicht nur die Gestalt von Produkten und Organisationen an. Aus dem Evolutionsprozeß gingen ebenfalls (und gehen zudem immerzu) Menschen mit neuartigen Wissens- und Wertstrukturen, mit bisher unbekannten Handlungs-, Anpassungs- und Sprachpotentialen hervor. So entstand (und entsteht) nicht nur Produktiv- und Gebrauchsvermögen, sondern stets auch Humanvermögen. Wir fügen hinzu, all das geschah zum Zweck der Bewältigung von Ungewißheit und zur Schaffung von Ordnungen als Leitbilder des Handelns. Das ist ein Forschungsprogramm, auf dessen Bedeutung wir bereits aufmerksam machten mit Knights Hinweis, Ungewißheit bewältigen zu wollen, veranlasse den Menschen zur Organisation. Auch von Hayek greift dieses Problem auf, wenn er davon spricht, in den Sozialwissenschaften müßten wir uns mit Vorgängen vom Typ "organisierter Komplexität" befassen (von Hayek 1989, S. 4). Wie Boulding hatten schon die klassischen Ökonomen Wohlstandssteigerungen auf die Akkumulation von menschlichem und nichtmenschlichem Vermögen, das heißt, auf Investitionen in Human- und Realvermögen zurückgeführt. Sie wußten, daß jeder Prozeß der Akkumulation unter Berücksichtigung der historischen Zeitkomponente zu analysieren ist und sehr wahrscheinlich mit ungewissen Folgen bezüglich des wirtschaftlichen und sozialen Wandels behaftet ist. Deshalb billigten sie insbesondere jene Veränderungen im Bereich "organisierter Komplexität", welche zum Aufbau von Institutionen führten, die die Menschen zur Akkumulation ermutigten und gleichzeitig jene Prozesse unterstützten, welche die Erhaltung des Wertes gegebener Ressourcen im evolutionären Prozeß zu gewährleisten schienen. Ich habe in meinen Studien über das Werk von Adam Smith darauf aufmerksam gemacht, daß im Gegensatz zu vielen landläufigen Meinungen die Smithsche Theorie der Wohlstandsmehrung als eine Theorie der Akkumulation von Vermögen zu interpretieren ist und nicht lediglich als eine Theorie zunehmender Arbeitsteilung, "die sich im Tausch objektiviert". Für Smith stellt die Akkumulation ohne Zweifel die Essenz der ökonomischen Dynamik dar, was etwa Autoren wie Riese (1975, S. 69 f.) leugnen. - Das heißt: Das Volumen der Produktion hängt von der Existenz von Beständen an
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Produktiv- und Humanvermögen ab, die geeignet sind, bei effizienter Kombination im Produktionsprozeß jene Güter und Dienstleistungen zu erstellen, die in Form von Investitionen (in Produktiv- bzw. Human vermögen) das Produktionspotential aufstocken oder im Konsumakt untergehen (Krüsselberg 1984a, S. 195 f.). Aber erst über die explizite Berücksichtigung der handlungstheoretischen Komponente gelingt es Smith, die klassische Theorie von der Annahme zu befreien, die menschliche Arbeit sei als Ware zu betrachten. Arbeit wird deshalb zu einem Aktivum eigener Art, weil in jeder Transaktion, in jeder ihrer unterschiedlichen Rollen - als Arbeiter, Unternehmer, als Bürger oder Eltern - Individuen danach streben, im persönlichen Engagement ihre Ziele zu verwirklichen. Daher bilden sich in ihren Aktivitäten ihre Erfahrungen, ihre Erwartungen und die Optionen ab, denen sie gegenüberstehen (Ginzberg 1976, S. XIV, 4). Immer dort, wo es um Handlungsmöglichkeiten zum Aufbau von Humanvermögen geht, ob im Bereich der Schul- oder Berufsausbildung bzw. des Arbeitslebens, stets setzt Smith auf ein "learning by doing", den Erfahrungszuwachs bei der praktischen Anwendung vorhandenen Wissens mit der Konsequenz der Wertsteigerung oder zumindest Erhaltung des akkumulierten Vermögens. Selbst Forschung und Entwicklung sind davon betroffen. Schließlich sind viele der technischen Verbesserungen im Bereich produktiver Anlagen das Resultat von Erfindungen einfacher Arbeiter und nicht allein des Entdeckungspotentials von vermeintlichen Experten. "Jeder sammelt Erfahrung und wird Fachmann in seiner Disziplin, alles in allem wird mehr geleistet, und der Wissensstand wächst beträchtlich" (Smith 1974, S. 14). Der Aufbau und der Erwerb solcher Fähigkeiten vollzieht sich in einem komplexen historischen Prozeß, in einem "anthropologisch-soziologischen Rahmen" (IV. Röpke), über dessen Bedeutung für den Marktprozeß sich Autoren wie L. Erhard, A. MüllerArmack und A. Rüstow schon geäußert hatten, bevor diese Elemente in der ökonomischen Evolutionstheorie wieder aufgegriffen wurden (siehe dazu Krüsselberg 1994, S. 37-44). Zu Recht wird gleichwohl betont, wie wichtig im marktwirtschaftlichen Evolutionsprozeß "the skill of the players and the knowledge they possess", aber auch der Unterschied zwischen "kommunizierbarem" und "unterbewußtem" (tacit) Wissen ist CNorth 1990, S. 74). Jegliche Chance zur Wohlstandsmehrung erwächst einmal aus der Ausstattung des Menschen mit Hilfsmitteln zum Zwecke der Produktion (Produktivvermögen), zum anderen aus seinem Wissensstand und seinen persönlichen Fähigkeiten (Humanvermögen). Schumpeter umschrieb die besonderen Eigenschaften von Humanvermögen mit dem Begriff "dynamischer Unternehmer". Ihm verdanke Evolution ihre Impulse. Keynes fragte nach den Bedingungen für die Schaffung von "new wealth" und meinte, daß zusätzlicher Wohlstand nur durch Arbeit entstehen könne, die unterstützt werde durch den Zugang zu natürlichen Ressourcen und den Ergebnissen vergangener Arbeit, "embodied in assets", sowie von Kenntnissen, welche bislang "used to be called art and (are) now called technique". Die persönlichen Dienstleistungen des Unternehmers und "seiner Assistenten" seien der allein entscheidende Produktionsfaktor, der in einem Umfeld operiert, das durch den Bestand an Ressourcen und Verhaltensmustern begrenzt sei (Keynes 1936, S. 212 ff.).
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Aus alledem folgt - was auch Preiser (1961, S. 111 Fn. 12) sehr nachdrücklich betonte -, daß handlungstheoretisch (nicht statistisch) gesehen der Begriff des Vermögens nur einzelwirtschaftlich einen Sinn hat. Bislang ist es wohl kaum gelungen, die damit verbundene Forderung nach einer Kurskorrektur wirtschaftswissenschaftlichen Denkens im Bewußtsein der Fachwelt und der Öffentlichkeit zu verankern. Deshalb soll an dieser Stelle versucht werden, jenes Paradigma ein wenig zu erläutern. Generell stellt Vermögen "Vorschüsse" zur Nutzung im Prozeß der Daseinsvorsorge durch Individuen und Organisationen dar. Als Geld oder Güter zum Zweck der Versorgung (Geld- oder Sachvermögen), als Produktivgüter (Anlage- und Produktionsvermögen) sowie als erworbene und natürliche Fähigkeiten von Menschen (Humanvermögen) vor Beginn der in Frage stehenden Produktion angesammelt, ist ihre Existenz die Voraussetzung für jegliche wirtschaftliche und soziale Aktivität. Das hatte wohl auch Samuelson (1963, S. 53) im Sinn, als er formulierte, in der wirtschaftlichen Realität seien letztlich alle Entscheidungen "decisions about wealth", Entscheidungen vom Typ einer Investition. Menschen sind somit im wirtschaftlichen Handeln grundsätzlich Investoren und damit Gestalter zukünftiger Handlungsstrukturen. Evolution ist das Ergebnis von Sequenzen der Umschichtung von Vermögen unter den Bedingungen eines gegebenen institutionellen Umfelds und deshalb gilt: Die Wohlfahrt einer Gesellschaft ist eine Funktion ihrer totalen Vermögensstruktur sowie ihrer Gesetze und Institutionen (Krüsselberg 1984b, S. 4). Vermögen ist jenes durch konkret verfügbare produktive Faktoren verkörperte Handlungspotential in den Händen von privaten Haushalten, Unternehmen oder des Staates, welches maßgeblich über die Lebenschancen, den Platz und Einfluß von Menschen in ihrer Gesellschaft bestimmt. Nach Boulding besteht die sinnvollste Möglichkeit, Evolution empirisch zu erfassen, in einem Versuch, Zustandsänderungen zu registrieren. Zu jedem Zeitpunkt läßt sich in einem System ein bestimmter Bestand und eine bestimmte Struktur von Aktivitäten ausmachen. Institutionen legen deren Zuordnung zu unterschiedlichen Handlungseinheiten, Personen und Organisationen fest. Nur so läßt sich ein Bild der Struktur von Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen vermitteln. Es ist nicht selbstverständlich, daß sich solche Strukturen ändern, aber: Evolution ist stets das Ergebnis der Transformation gegebener Aktiva. Den Schlüssel zur Erfassung des dynamischen Pfades, den eine Organisation wie z.B. die Unternehmung im Zuge der Erzeugung wirtschaftlichen Wachstums durchläuft, liefern Lernprozesse im Wechselspiel von Enttäuschungen und Erfolgen. Um Lernprozesse (rational) bewältigen zu können, bedarf es eines Verfahrens, mit dessen Hilfe man die Spuren des Wechselspiels von Enttäuschungen und Erfolgen lesen kann. Das Verfahren heißt "Bilanzierung". Es zeichnet die Konturen des Evolutionsprozesses nach: Schritt für Schritt, konkret: In einer institutionell festgelegten Folge von Stichtagen wird die jeweilige Unternehmensposition (in einer Bilanz-Rechnung) durch die Gesamtheit der Aktiva (Vermögen) und Passiva (Kapital) und das daraus resultierende "Reinvermögen" (als Nettowert) bestimmt. Positionsveränderungen vollziehen sich nach Maßgabe der Bilanzgewinne oder -Verluste. Gewinne und Verluste, im Budget ausgewiesen, bewirken für die jeweils folgende Periode des Entscheidungsprozesses eine Neubewertung aller unternehmensrelevanten Vermögenskategorien. Diese
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Neubewertung äußert sich in Form von Auf- bzw. Abwertungen von Geld-, Real- und Humanvermögen. Halten wir fest: Für diesen Ansatz gilt grundlegend, daß die Ungewißheit der Zukunft in der Gegenwart "nur im ungewissen Wert" der den Wirtschaftssubjekten verfügbaren bzw. bewußt von ihnen ausgewählten Aktiva zum Ausdruck kommen kann. Insofern spiegelt sich unternehmerisches Handeln ebenso wie das Ergebnis von Prozessen in der Umwelt der Organisation in den Wertveränderungen der Einzelelemente wider, die in der Bilanz erscheinen. Welche Tatbestände hier von Belang sind, zeigt Abbildung 1. Abbildung 1: Klassifikation von Ereignissen, die den Bilanzwert ändern
Auswirkungen auf den n. Nettowert (d.h. das Reinvermögen) n. einer \Organisation Auswirkungen auf das Gesamtvermögen (d.h. die Größe der Organisation)
Ertragstatbestand Tauschtatbestand
Aufwandstatbestand
(Nettowert nimmt zu)
(Nettowert bleibt unverändert)
(Nettowert nimmt ab)
(A)
(B)
(C)
Ny AI Vermögen + Nettowert +
Expansiver Fall (Gesamtvermögen nimmt zu)
Neutraler Fall (Gesamvermögen bleibt unverändert)
B1 \ Vermögen + Verbindlichkeiten +
c
i
B2 A2 C2 Vermögen + und Verbindlichkeiten Verbindlichkeiten + Nettowert Nettowert + B2'
Kontraktiver Fall (Gesamtvermögen nimmt ab)
Verbindlichkeiten + und B3 Vermögen Verbindlichkeiten -
C3 Vermögen Nettowert -
Quelle: Boulding (1966, S. 311). Auf der Basis dieses Konzepts der Betrachtung konkreter Handlungen und Entscheidungen im Rahmen institutioneller Arrangements (siehe Abschnitt 2) - so meine ich nun - und nur auf dieser Grundlage läßt sich eine theoretisch befriedigende Lösung für eine handlungstheoretische Zuordnung der Entscheidungen bei Ungewißheit finden. Zu leisten ist weiterhin lediglich die Verknüpfung der hier erörterten These von der bewußten Selektion von Aktiva, die sich in der Bilanz ausdrückt, mit der von uns oben bereits genannten Verhaltenshypothese, der Umgang des Menschen mit dem Phänomen
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der Ungewißheit sei geprägt durch seinen Umgang mit den verschiedenen ihm zur Verfügung stehenden Kategorien von Vermögen. Erinnert sei dazu an jene Feststellung von Shackle (1988, S. 194), Ungewißheit sei jenes Wissensdefizit hinsichtlich der "time-tocome", "from which we can escape only in thought". Der Gedanke über die Möglichkeiten, sich aus dieser Ungewißheit zu befreien, bezieht sich aber - das ist der Kern des Arguments - auf die Entscheidung des Menschen, seine Disposition über verfügbare Aktiva heute bewußt einzuschränken, um in einer ungewissen Zukunft handlungsfähig zu sein. Ungewißheit als existentielles Phänomen anzuerkennen bedeutet für die Theorie, daß sie auf die Annahme verzichtet, Menschen könnten die Zukunft voraussagen, menschliches Verhalten sei prognostizierbar. Mit der Entwicklung einer Theorie über die bewußte Disposition über "Verfügbarkeiten" wird unseres Erachtens jedoch eine empirisch tragfähige Theorie ökonomischen Handelns aufgebaut werden können. Obwohl er Vorgänger hatte, muß zugestanden werden, daß Keynes mit der Einführung seines Konzepts der Liquiditätspräferenz eine Perspektive wies, nach der Entscheidungen trotz aller Eingeständnisse gegebener Unkenntnis von Menschen im Einzelfall vollzogen werden können. In Übereinstimmung mit dem verhaltensorientierten Denkansatz bei Keynes und Shackle formulieren wir unsere These 2: Wegen der durch Ungewißheit gegebenen existentiellen Restriktion menschlichen Wissens entwickeln potentielle Akteure individuelle Verhaltensmuster, die die Entscheidung über den Umgang mit Ressourcen angesichts Ungewißheit in die Ebene des Aufbaus eines wohlausgewogenen Portefeuilles an Aktiva verlagern. Das ist die sicherlich wichtigste Einsicht der hier beschriebenen Variante evolutorischen Denkens: Vermögenspositionen aufzubauen und in ihrem Bestand zu bewahren ist die fundamentale Strategie der Bewältigung von Ungewißheit. Sie gilt, das sei am Rande vermerkt, für alle Handlungseinheiten - nicht nur für Unternehmen! Humanvermögen, Geldvermögen, Produktivvermögen und soziales Sicherungsvermögen sind die modernen Quellen der Erzielung von Einkommen zur Sicherung und Entfaltung menschlicher Existenz. Sie stellen die Auswahlmöglichkeiten dar für individuelle Arrangements bewußten Umgangs mit dem Phänomen der Ungewißheit der Zukunft. Daß solche Wahlmöglichkeiten bestehen, ist bereits ein Ergebnis dessen, daß Gesellschaften Institutionen entwickeln, die den Umgang mit Ungewißheit erträglich machen. Das gilt für Einrichtungen der Sozialen Sicherung ebenso wie für die Entwicklung von Institutionen vom Typ des Privatunternehmens oder von Märkten jeglicher Art, insbesondere von Kapital- bzw. Vermögensmärkten. Nur der zuletzt genannte auf die Institutionalisierung von Vermögensmärkten ausgerichtete Sektor konnte - wie einleitend gesagt wurde - in unserer Studie näher erörtert werden. Wenn diese Hypothese - wie wir meinen - ein zentraler Tatbestand der Verhaltensmuster in entwickelten Industriegesellschaften ist, führt dies zu einer für die Analyse ökonomischer Prozesse fundamental wichtigen These. Angesichts der Vielfalt der Wahlmöglichkeiten bezüglich der Bündelung von Vermögen müssen wir alle Annahmen über etwaige Uniformitäten der Handlungsstrukturen aufgeben. Nicht Personen und irgendwelche Varianten von "Kapital oder Vermögen" determinieren wirtschaftliche
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Entscheidungen, sondern ein personenspezifisches Bündel von Humanvermögen mit den der Person verfügbaren Zugriffsmöglichkeiten auf Aktiva. Da die Anzahl der personenspezifischen Vermögenskombinationen mit der Zahl der potentiellen Entscheidungsträger identisch ist, muß angesichts der Verschiedenheit von Menschen jegliche Vermutung etwaiger Homogenität in den Entscheidungsstrukturen aufgegeben werden. Mannigfaltigkeit und Vielfalt sind daher die Muster, die ein marktwirtschaftliches System prägen. Die fundamentale Heterogenität der Handlungspotentiale ist Quelle von Wettbewerb ebenso wie eine Chance zur Kooperation im Evolutionsprozeß. Dieser evolutionäre, vermögenstheoretisch fundierte Ansatz wendet sich gegen die durch die Neoklassik verbreitete These, die Marktdynamik vollzöge sich lediglich im Bereich der (Güter-) Mengen und (Güter-) Preise. Bekanntlich verleitete diese Sicht dazu, das wirtschaftliche Leben als eine Welt der Beziehungen zwischen Gütern zu betrachten und die hier handelnden Menschen aus der Perspektive auszuklammern. Damit verschwand nicht nur die Unternehmung, sondern auch der Haushalt und jede andere wirtschaftlich relevante "Organisation assoziierter Individuen" als Handlungseinheit aus dem Blickfeld der Analyse. Eliminiert wurde das eigentliche unternehmerische Problem der Organisation "dynamischer" Aktivitäten. Die Bedeutung dieser hier thematisierten theoretischen alternativen Perspektive für eine Evolutionstheorie betonte bereits J.R. Commons (1924/1968, S. 6, 143 ff.), als er darauf verwies, daß in entwickelten Wirtschaftsgesellschaften vor allem das Studium des Verhaltens und der Verhaltensregeln für sich herausbildende neuartige Assoziationen zum Verständnis der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse immer unentbehrlicher werde. Die Grundthese eines evolutionstheoretischen Ansatzes - das ist unsere These 3 - muß also lauten: Der für die dynamischen Prozesse in einer Volkswirtschaft entscheidende Sachverhalt ist folgender: Wir müssen alle Annahmen über etwaige Uniformitäten der Handlungsstrukturen deshalb aufgeben, weil jede wirtschaftliche Handlungseinheit durch die andersartige Bündelung ihrer Aktiva gekennzeichnet ist. In der Realität moderner Industriegesellschaften herrscht "Vielfalt", Vielfalt in den Organisationsmustern z.B. der Familienhaushalte und deshalb der Nachfragestrukturen, in den Entwicklungen im Hinblick auf Kosten und Größe von Unternehmen (mit all ihren Persönlichkeitselementen - einschließlich des Geschicks und der Fähigkeiten der Belegschaften), bei den Produkten und deren Preise, in der Art und im Ausmaß der Beziehungen zwischen Unternehmen und somit in Marktprozessen. All dies erscheint als "das natürlichste und selbstverständlichste Ergebnis" einer Prozeßanalyse (Chamberlin 1962, S. 303; grundlegend dazu Krüsselberg 1969, S. 224 ff.; zum Thema "Vielfalt von Unternehmensgrößen" ebd. S. 226 ff. sowie Krüsselberg 1983, S. 90 und Fehl 1988, S. 343 ff.).
5. Humanvermögen und der Wettbewerb auf den Gütermärkten Wie einleitend bereits gesagt wurde, kann und soll diese Perspektive hier allein anhand einer verhaltenstheoretischen Analyse erläutert und vertieft werden, die die
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marktwirtschaftliche Theorie der Unternehmung betrifft. Exakt jene oben erwähnte neoklassische Ausblendung der Handlungskomponenten aus der Prozeßanalyse gilt es zu verhindern durch eine Betrachtung der Unternehmung als Organisationsbasis für die Bündelung marktrelevanter Vermögensbestände. Problem ist, daß in einer Welt ständigen Wandels und in der Konkurrenz um die Erzielung von Einkommen unternehmensspezifische Kombinationen immer wieder aufgelöst und neu begründet werden. Ob dabei die Bestandserhaltung von Vermögen gewährleistet ist, bleibt fraglich. In der Welt des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs herrscht kein Gesetz der Konservierung von Vermögen, wohl aber ein ständiges Streben der über Vermögensteile Verfügungsberechtigten, jene Aktiva zu verkaufen, die der Markt höher bewertet als sie selbst, und jene zu erwerben, bei denen die Eigeneinschätzung der Nutzbarkeit höher liegt, als es bei anderen der Fall ist (Shackle 1972, S. 195 f.). Da aber jede Veränderung in der Art der Bündelung von Ressourcen deren Wert beeinflußt, werden Kapitalgewinne und -Verluste entstehen (Lachmann 1977, S. 311 ff.), die ihre Spuren in den Bilanzen hinterlassen. Wettbewerb auf den Gütermärkten - so registrierten wir mit Schumpeter - wird unter bestimmten Rahmenbedingungen Unternehmungen "aufgezwungen". Grundsätzlich gilt Buchanans These: "A market is not competitive by assumption or by construction. A market becomes competitive, and competitive rules come to be established as institutions emerge to place limits on individual behavior patterns.... A general Solution, if there is one, emerges as a result of a whole network of evolving exchanges, bargains, trades, side payments, agreements, contracts which, finally at some point, ceases to renew itself" (Buchanan 1979, S. 29). Diese These Buchanans erinnert einmal an die Ordnungsgebundenheit von Wettbewerb, wie sie durch die Diskussion über die "konstituierenden" und "regulierenden" Prinzipien im Werk von Walter Euchen (1968, S. 254 ff.) konstatiert wurde. Sie betont jedoch ebenfalls - und das ist in unserem Zusammenhang weitaus gravierender - die prozessuale Vielfalt des Wettbewerbsprozesses und die daraus erwachsende "organisierte Komplexität" marktwirtschaftlicher Systeme. Verwiesen wird hier auf jene grundsätzlich handlungs- und entscheidungstheoretisch angelegte Perspektive von Marktwirtschaft, die uns in unserer Auffassung bestärkt, nur jene Handlungseinheiten als Träger wirtschaftlicher Aktivitäten anzusehen, in denen jeweils typische institutionelle Verknüpfungen von Humanvermögen mit sonstigem Vermögen zum Zweck einer Entfaltung spezifischer wirtschaftlicher Aktivitäten erfolgen. In diesem Abschnitt soll deshalb auf der eben dargestellten Linie vermögenstheoretisch-evolutionstheoretischer Argumentation gezeigt werden, welche Konsequenzen sich daraus für eine wettbewerbliche Theorie der Unternehmung ergeben. Evolutionstheoretisch dürfte es hilfreich sein, von der Annahme auszugehen, daß "die moderne Unternehmung ein Geschöpf des Marktes und des Rechts ist" (Krüsselberg, U. 1993, S. 247 ff.; siehe ebenfalls Krüsselberg 1986, S. 83 ff.). Entscheidend ist auch hier, den Tatbestand hervorzuheben, daß die ökonomische Handlungseinheit durch eine spezifische Bündelung von Humanvermögen mit anderen Vermögenskategorien entsteht. Angedeutet wurden diese Ideen in der Theorie schon mehrfach. In diesem
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Rahmen erscheint dann auch der Aufbau einer Unternehmung als Ergebnis eines Prozesses der Wahl von Aktiva. Die Entstehung der Unternehmung als Institution ist von Coase als Verdrängung eines Produktmarktes durch einen Faktormarkt dargestellt worden, die zu Einsparungen bei den Transaktionskosten führt. Unternehmungen sind jene speziellen Einrichtungen, welche produktive Faktoren durch vertragliche Vereinbarungen an sich binden, um Märkte rascher und besser durch gezielte Angebote bedienen zu können. Das Hauptinteresse von Coase gilt dem Vertragstyp, bei dem der Eigentümer eines Produktionsfaktors einem anderen Akteur sein Recht, diesen Faktor ökonomisch zu nutzen, gegen die Zusage einer Einkommensleistung überträgt. Träger der marktwirtschaftlichen Prozesse - so läßt sich sagen - sind Unternehmen, deren Unternehmensorganisation durch die Summe und Struktur (Hierarchie) bestehender Faktorbeschäftigungsverhältnisse geprägt wird. Kern eines jeden Faktorbeschäftigungsverhältnisses ist aber eine soziale Beziehung, eine Beziehung zwischen Personen (oft auch im Hinblick auf eine Sache), eine "Transaktion zwischen zwei oder mehr Menschen, die in die Zukunft blicken", um zu einer Vereinbarung zu gelangen, die ihnen als wechselseitig vorteilhaft erscheint. Meines Erachtens gibt es nur eine - wenngleich recht komplexe - Definition von Transaktionen, die humanvermögenstheoretisch gesehen voll befriedigt. Sie lautet: "The transaction is two or more wills giving, taking, persuading, coercing, defrauding, commanding, obeying, competing, governing, in a world of scarcity, mechanism and rules of conduct" (Commons 1968, S. 4, 7 (Zitat), 65 ff.). Es empfiehlt sich, diese Definition mit der Buchanan-These über die Vielfalt der Tatbestände zu vergleichen, die in wettbewerblichen Marktprozessen eine Rolle spielen. Dann dürfte verständlich werden, was vor allem Commons als Botschaft zu vermitteln bemüht war: " ... economic theory has passed from commodities to feelings, and finally to a process, and from principles of mechanism to principles of scarcity, and then of working rules that apportion the conduct of individuals ... in a going concern", in einer sich ständig wandelnden Form wirtschaftlicher Initiativen (Commons 1968, S. 8). Die Frage lautet hinfort: Weshalb wird die Bündelung von Aktiva in Organisationen wie z.B. den Unternehmen effizient? Die Beantwortung folgt wiederum unserem Denkmuster von der Notwendigkeit einer institutionellen Verknüpfung von Humanvermögen und sonstigem materiellen Vermögen als Voraussetzung für wirtschaftliche Aktivitäten. In einer Organisation vom Typ einer marktwirtschaftlich orientierten Unternehmung beschäftigen "zentrale Agenten" von ihnen angeworbene Faktoren zu speziellen Bedingungen, die sie mit den jeweiligen Verhandlungspartnern ausmachen, und verkaufen nach abgeschlossenem Produktionsprozeß das Endprodukt nach eigenem Ermessen (s. Abbildung 2).
Hans-Günter Krüsselberg
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Die Handlungsmöglichkeiten einer zentralen Agentur beginnen mit der Bereitstellung eines Budgets zur Finanzierung des Produktionsprozesses. Hinsichtlich der Ausrichtung des Produktionsprozesses gilt grundsätzlich bei Ungewißheit bezüglich der Produktionsergebnisse sowie der Absatzchancen, daß sowohl für die Marktpreise als auch - z.B. bei Teamarbeit - für die Faktorentlohnung lediglich auf der Grundlage von Erwartungswerten kalkuliert werden kann. Ungewißheit gilt also auch für den Umgang mit dem Produktionsfaktor Arbeit. Arbeitsverträge spiegeln ebenfalls nur die Erwartungen über das spezifische Leistungspotential von Beschäftigten wider. Diese werden angeworben, um im Produktionsprozeß arbeitsteilig Spezialaufgaben wahrzunehmen, wobei sie - nahezu routinemäßig - stets eine Kontrolle über die ihnen zur Nutzung anvertrauten Arbeitsmittel in Form von Produktivvermögen und Materialeinsatz ausüben. Der Grad ihrer je spezifischen Qualifikation entscheidet maßgeblich über das Gesamtergebnis, das die Unternehmung im Marktprozeß erzielt. Das Gesamtergebnis, welches eine Unternehmung im Marktprozeß erzielt, der Bruttoerlös also, ist ebenfalls durch Ungewißheit gekennzeichnet. Die Gruppe der Käufer ist ebensowenig homogen wie andere menschliche Gruppen. Qualitätsansprüche, Testbereitschaft u.ä. sind gleichfalls wesentliche Merkmale des HumanVermögens. Die von Fritz Machlup vorgelegte volkswirtschaftliche Analyse der Elemente, in die der Bruttoerlös aufgegliedert werden kann, ist meines Erachtens immer noch deshalb besonders interessant, weil sie die Möglichkeit bietet, Erlöspartien handlungsbezogen zuzurechnen. Vor allem mit der Unterscheidung zwischen den Renten spezifischer Faktoren und dem reinen Profit macht er auf zentrale Elemente des dynamischen Prozesses aufmerksam. Abbildung 3: Volkswirtschaftlicher Verteilungsmodus Bruttoerlös ./.
direkte Kosten
./.
fixe Kosten
1 Überschuß I
i
Überschuß II ./.
Opportunitätskosten der eigenen Ressourcen (= kalkulatorische Kosten)
1 Überschuß III
Renten • spezifischer Faktor aus
reiner Profit aus
natürlicher Knappheit
künstlicher Kanppheit
Ungewißheit
Quelle: Machlup (1952, S. 257); Krüsselberg (1969, S. 205).
Unteilbarkeiten
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Hans-Günter Krüsselberg
Nach wie vor meine ich, es sei sinnvoll, von einer organisations- und vermögenstheoretischen Grundposition her auf eine handlungsorientierte Analyse von Wettbewerbsprozessen hinzuarbeiten. Um zu verdeutlichen, daß Unternehmungen in einer Welt des Wettbewerbs nie homogen sein können (Krüsselberg 1965, S. 11 ff.), hatte ich bereits 1958/59 in einem Bericht über ein Forschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema "Theoretische und empirische Studien zum Verhalten der Investoren" (siehe dazu auch Krüsselberg 1963, S. 34 f., insbes. Fn. 3) ein "DreiPhasen-Schema der Produktion" entwickelt, das Evolutionsprozesse in der Unternehmung abbilden sollte. Mit Hilfe dieses Drei-Phasen-Schemas - so finde ich - lassen sich leicht bestimmte Strategiephasen der Unternehmenspolitik veranschaulichen. Die Produktionsphase dürfte als der Zeitraum der Unternehmensexpansion anzusehen sein. In ihr sind die Bedingungen der kostengünstigen, risikoarmen Expansion mit bereits bekannten Produkten gegeben, zumal dann auch mit einer wachsenden Nachfrage zu rechnen sein wird. Verschärft sich später der Wettbewerb, der zu Rationalisierungen zwingt, mögen die damit verbundenen Enttäuschungen der Erwartungen zunächst die Expansionspläne beschneiden. Die beginnende Rationalisierungsphase ist aber zugleich eine Phase der Besinnung auf die Möglichkeiten bislang ungenutzter Ressourcen. Hier scheint der Ansatz für eine neue Entwicklungsphase zu liegen und der Anstoß zur Innovation, die wiederum - allerdings bei unter Umständen weitreichenden Veränderungen in der Komposition der Erzeugnisse - in die Expansion führt (Krüsselberg 1965, S. 145). Aus einer Kombination der Darstellung des Phasenzyklus mit den erlösbildenden Faktoren ergibt sich Abbildung 4. Hier wird der Lebenszyklus eines Produktes oder einer Industrie in Verbindung mit typischen Konstellationen der Quellen, aus denen sich Gewinne rekrutieren, präsentiert unter expliziter Bezugnahme auf die Aufgliederung nach Maßgabe der unterschiedlichen Erlösüberschüsse. Es ist nicht zu übersehen, daß der Grundtatbestand des Sich-Annäherns oder der Übereinstimmung von Kosten und Erlösen, von dem her die neoklassische Preistheorie argumentierte, lediglich ein Tatbestand der Rationalisierungsphase ist. Exakt diese Phase ist jedoch für den wirtschaftlichen Prozeß unter Wettbewerbsbedingungen ein Bereich, in dem Evolution nur dann stattfindet, wenn man eben diese Phase verläßt. Für dynamisch planende Unternehmensführungen müßte dies ein Anlaß sein, bereits vorher aus solchen Märkten, die dorthin abgleiten, auszusteigen, um unter Besinnung auf die Möglichkeiten einer wiederum wertsteigernden Umstrukturierung verfügbarer Vermögen erneut eine expansive Phase in einem neuen Produktionssegment einzuleiten. Wenn davon ausgegangen werden kann, daß moderne Unternehmen in einem sehr wesentlichen Umfang als Mehr-Produkt-Unternehmen tätig sind, wird die Entscheidung, jeweils nur in bestimmten Marktphasen präsent sein zu wollen, stark divergierende Unternehmensprofile entstehen lassen. Abhängig sind diese sowohl von den Ideen über das, was man mit den akquirierten Aktiva zu leisten vermag, als auch von den Vorstellungen über die gewünschte Position des eigenen Unternehmens im Feld der Wettbewerber.
Humanvermögen
in evolutionären
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Wettbewerbsprozessen
Abbildung 4: Lebenszyklus eines Produktes oder einer Industrie Bruttoerlöse und Gesamtkosten pro Periode
t 0 Entwicklungsphase
t, Expansions(oder Produktions-) phase
t2
Rationalisierungsphase
Quelle: Krüsselberg, H.-G. (1969, S. 282). Diese Betrachtungsweise ist für die Wettbewerbstheorie von erheblicher Bedeutung, was zu häufig in der Theoriediskussion übersehen wird. Deshalb lautet meine These 4: Mit der Existenz von Unternehmungen in entwickelten Industriegesellschaften hebt sich unter Wettbewerbsbedingungen die Trennung zwischen "Wettbewerb auf den Gütermärkten" und "Wettbewerb auf den Faktormärkten" prinzipiell auf. - Die Nachfrage nach Produktionsfaktoren ist nicht länger - wie es die neoklassische Perspektive zu vermuten nahelegt - eine von den Preisen für Güter, besser: für Endprodukte, abgeleitete Nachfrage. Sie ist vielmehr das Ergebnis von Unternehmensentscheidungen angesichts der Wahl zwischen einer bestimmten Anzahl von "images of possible future events". Weil Unternehmen durch Enttäuschungen lernen, beschafft dieser Lernprozeß ihnen sowohl Informationen bzw. "Visionen" über mögliche Zukunftslagen als auch Leitbilder für den Entscheidungsprozeß. Nicht - wie auch immer beschaffene - Informationen über die Kosten von Produktionsfaktoren oder Vorstellungen über bestimmte Transaktionskosten lenken den Entscheidungsprozeß. Ertragsprofile, also Vorstellungen über erreichbare Ziele einerseits und Kalküle über die dazu notwendigen und zugleich verfügbaren Ressourcen (Aktiva) andererseits, bestimmen Uber die Ausprägung der Bilanzstruktur und damit über das Unternehmensprofil. Über zukunftsträchtigere Vermögenspotentiale als die Konkurrenten
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Krüsselberg
verfügen zu können, wird als die eigentlich bestimmende dynamische Kraft im Wettbewerbsprozeß gesehen. Daraus folgt These 5: In einer Welt dynamischen Wettbewerbs, in der Ungewißheit existentiell nicht aufhebbar ist, konzentriert sich das Entscheidungspotential in Unternehmen auf Bemühungen, jene Kombination von Aktiva zu realisieren, die das höchste Innovationspotential besitzt und damit den Erwartungswert des Portefeuilles maximiert. Eine in Wettbewerbsprozessen führende Unternehmung zeigt folglich das Bild einer Organisation, die "a) einen Fonds spezialisierter Aktiva verkörpert, der b) ein Netzwerk komplementärer Interaktionsbeziehungen zwischen materiellen und immateriellen Ressourcen begründet, (ein Netzwerk) das c) durch die Humanvermögenskomponente gesteuert wird" (Krüsselberg, U. 1993, S. 83; Hervorhebung H.G.K.).
6. Innovative Entscheidungen über die Verwendung von Aktiva: die Öffnung des Evolutionsraums Wie wir in Abschnitt 4 zu zeigen versuchten, macht die Aufgabe, "to account for the course" eines in historischer Zeit ablaufenden Prozesses, die Verwendung vermögenstheoretischer Ansätze unentbehrlich. Dabei werden, was Shackle immer wieder angeführt hat, mit dem Rückgriff auf die Idee der historischen Zeit folgende Elemente der Realität unmittelbar theorierelevant: Erwartungen und Ungewißheit; Wandel und Wachstum; Hoffnungen und Furcht; Entdeckungen, Erfindungen und Innovationen; Neuheit und Information (Shackle 1958, S. 93). Sie alle bündeln sich in der laufenden Bewertung und Umbewertung von Gütern und spiegeln sich in den jeweils individuellen Bewertungen solcher Aktiva, die in den Verfügungsbereich einzelner Entscheidungsträger fallen (Shackle 1972, S. 178 ff., 195 ff.). Solche Prozesse abzubilden, war Ziel der Ungleichgewichtsmethode der Stockholmer Schule, der Sequenzanalyse (siehe hierzu Krüsselberg 1969, S. 46 ff., 167 f.). Die Leitidee dieses theoretischen Ansatzes besteht darin, die wirtschaftliche Entwicklung zu interpretieren als Ergebnis der Bemühungen von Wirtschaftssubjekten, ihre Pläne zu realisieren. Diese Wirtschaftspläne werden durch Zukunftserwartungen bestimmt, welche wiederum durch die wirtschaftliche Entwicklung beeinflußt werden und von Zeit zu Zeit revidiert werden müssen. Zudem sind nicht alle Pläne der Wirtschaftssubjekte kompatibel. Notwendigerweise folgen daraus Enttäuschungen bei gewissen Akteuren, welche ebenfalls zu Planrevisionen Anlaß geben müßten. Mit jeder Planrevision wird jedoch in diesem Ansatz eine neue Periode begründet. Gesucht werden "chains of causation" (siehe hierzu Krüsselberg 1969, S. 47). Diese Ketten der Verursachung von Wandel tragen - so läßt sich die Botschaft dieses Ansatzes formulieren - das Merkmal "strategischer Investitionen . Das nicht-aufhebbare Faktum unvollkommener Voraussicht, das stets gegebene Moment einer "begrenzten Ungewißheit" (Shackle 1969, S. 271 ff.) bietet die Erklärung für die Existenz von "Lücken", in die die Unternehmungen mit "strategischen In-
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vestitionen" hineinzustoßen vermögen, also für die Existenz eines Evolutionspotentials. Nach Lundberg und Myrdal ist der Investitionsprozeß nur zu verstehen, wenn als Bezugsbasis eine Wirtschaft gewählt wird, die ständig jenseits des statischen Gleichgewichts liegt. Ein mehr oder weniger kontinuierlicher Fluß von Störungen durch technischen Wandel und Veränderungen in den Angebots- und Nachfragekonstellationen schaffe über die daraus resultierenden partiellen Ungleichgewichtspositionen Investitionschancen (Myrdal sprach hier von "Marktvacua"). Jeder Investitionsprozeß führe kontinuierlich zu neuen Ungleichgewichten. Die Unternehmer als Experten für die 'technical-progress function1 (Kaldor) auf der Mikroebene der individuellen Firma nehmen solche Möglichkeiten in realen Märkten jedoch stets in unterschiedlichem Umfang und nach Maßgabe unterschiedlich strukturierter Unternehmungen wahr, was sich in den Rentabilitätskalkulationen und den Ertragserwartungen für verschiedene Investitionsarten niederschlägt. Dabei bildet eine wichtige Expansionsbasis die Existenz noch ungenutzter oder neuartig miteinander verknüpfter Ressourcen (siehe hierzu im einzelnen Krüsselberg 1965, S. 197 ff.). - In dieser Sicht besteht die Funktion einer ökonomischen Organisation vom Typ der Unternehmung darin, das fragmentierte produktionsrelevante Wissen bestmöglich zu nutzen. Zur Erörterung steht nicht lediglich eine Logik der Allokation, sondern das empirische Phänomen von "search and discovery". An dieser Stelle soll unser Versuch einsetzen, "die bisher wenig konkretisierte von Hayeksche Vorstellung vom 'Wettbewerb als Entdeckungsverfahren' inhaltlich aufzufüllen". Mit Streit und Wegner (1989), auf die diese Forderung zurückgeht, sind wir uns einig, daß dies voraussetzt, seine Vorbehalte gegenüber den theoretisch bislang verwendeten "Wissensannahmen" zum Ausgangspunkt weiterer Betrachtungen zu machen. Für die Praxis des Wettbewerbsprozesses ist in der Tat davon auszugehen, daß ein konstitutioneller Wissensmangel der Marktakteure unterstellt werden muß, dem sich auch der (wissenschaftliche) Beobachter des Marktgeschehens nicht entziehen kann; daß die Menge dessen, was von einem Marktakteur in Erfahrung gebracht werden kann, grundsätzlich auch als offen gelten muß, das betrachtete System also evolutionsfähig ist; daß der Wissenserwerb selbst als ein Problem betrachtet werden muß, das zwar der konventionellen Entscheidungslogik allein nicht zugänglich ist, von dessen individuellen Bewältigungsversuchen jedoch Markt- bzw. Wettbewerbsfolgen zu erwarten sind (Streit, Wegner 1989, S. 183). Diese Annahmen stehen unseres Erachtens in keinem Punkt unseren obigen Ausführungen entgegen. Unsere Analyse des "Wissenserwerbs als Wettbewerbs Voraussetzung" (ebd., S. 197) unterscheidet sich jedoch in einem wesentlichen Bereich vom Ansatz der genannten Autoren. Sie bedarf nicht der Transaktionskosten-Argumentation. Ihre Grundlage ist in den vorangegangenen Abschnitten entwickelt worden mit der These, das Wettbewerbspotential einer Unternehmung sei als das Ergebnis einer unternehmensindividuellen Bündelung spezifischer Aktiva anzusehen, in die die Nutzung des Wissens aller Beschäftigten, d.h. des Teamwissens, sowie der organisatorischen und unternehme-
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rischen Befähigung eingegangen ist. Nur kurz deuten Streit und Wegner an, daß Auslöser eines Prozesses der Wissenserschließung "pekuniäre externe Effekte" sein "dürften". Soweit sie über Märkte vermittelt würden, informierten sie jedoch nicht "über konkrete Handlungen, die sich daraus im Interesse der Unternehmensziele ergeben könnten" (ebd., S. 195). Genau diese Frage nach den Hintergründen für konkrete Handlungen, insbesondere Investitionsentscheidungen von Unternehmen, im Wachstums- und Entwicklungsprozeß hatte mich bereits früher veranlaßt zu prüfen, ob monetäre externe Effekte einem einheitlichen theoretischen Ansatz zuzuordnen seien, der so beschaffen ist, daß er den Unternehmensbereich in eine Theorie der volkswirtschaftlichen Produktion einbezieht (Krüsselberg 1967, S. 272 ff.). Pekuniäre (monetäre) externe Effekte waren bis dahin vorrangig in entwicklungstheoretischer Perspektive erörtert worden. Meine These 6 ist nun die, daß der Weg der Wissenserschließung im konkreten Kontext von Vermögensstrukturen über die Entdeckung pekuniärer externer Effekte geht. Gefragt wird nach komplementären Aktiva zu bereits verfügbaren, die es einem Akteur ermöglichen, in einer neuartigen Bündelung bislang externe Gewinne in einer umfassenderen Handlungs- bzw. Entscheidungseinheit zu internalisieren. Im folgenden möchte ich die Grundargumente dieses Gedankens zumindest so weit darstellen, daß sie weiter diskutiert werden können (zum weitaus ausführlicher angelegten Gesamtkonzept siehe Krüsselberg 1967, S. 271 f.). Mein Ausgangspunkt war eine Studie von Scitovsky (1954, S. 69 ff.) über externe Effekte. Dort betonte er, in der Theorie der Industrialisierung messe man externen Vorteilen die Aufgabe zu, als Allokationsindikator für Investitionen zu dienen. Dabei unterstelle man zunächst, daß die private Rentabilität der Investitionen als guter Index für ihre gesellschaftliche Bedeutung anzusehen sei; im übrigen erweitere man die Bezugsbasis dadurch, daß man externe Gewinne einbezieht. Die Bedeutung dieser erweiterten Definition besteht darin festzustellen, daß die Gewinne einer Unternehmung A (P^) nicht nur von ihrer eigenen gesamten Produktionsmenge G ^ und ihren Faktoreinsätzen (1^, ...), sondern auch von den Mengen und Einsätzen anderer Unternehmen (Gj\j, 1^, cjy ...) abhängen: P A = F P (°A' U ' CA •••' GN. IN- c N •••)• Zu registrieren ist, daß monetäre externe Effekte das Ergebnis dynamischer Prozesse sind. Sie begründen monetäre Vor- und Nachteile, die bei einzelnen Unternehmungen in Abhängigkeit von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung, jedoch unabhängig von deren individuellen Produktionsakten anfallen. Aktionen in einem Teil der Wirtschaft, mit dem sie durch Interdependenzbeziehungen verbunden sind, führen zu Rückwirkungen auf ihre Positionen in Form von Geldgewinnen und Geldverlusten. Mit der Zusammenfassung außermarktmäßiger und marktmäßiger Interdependenzen in dieser Kategorie der externen Effekte strebt Scitovsky - so möchten wir ihn interpretieren - die unmittelbare Hinwendung zu den kalkulatorischen Grundlagen der Wirtschaftspläne und Entscheidungen der Einzelwirtschaften an. Als entscheidendes Faktum unternehmerischer Disposition erscheint für ihn hinfort die Beeinflussung der individuellen Gewinnposition durch monetäre Interdependenzen der oben genannten Art. Auch wir werden im folgenden den Begriff der externen Effekte nur in diesem Sinne verwenden.
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Wiederholt haben wir betont, daß Wissenserwerb als Wettbewerbsvoraussetzung stets im Kontext der Bedeutung von Investitionen als Träger der Veränderung der wirtschaftlichen Struktur zu sehen ist. Deshalb ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, daß Investitionen nicht nur einen Einkommens- und einen Kapazitätseffekt, sondern auch einen Komplementaritätseffekt zeitigen. Nicht zuletzt bedeutet das, daß die volkswirtschaftlichen Investitionen einer Vorperiode wie "Entwicklungsblöcke" (Dahmen 1956, S. 129 f.) wirken, wenn und weil sie komplementäre Investitionen in der Nachperiode induzieren. Daraus folgt ähnlich den bereits bekannten Multiplikatoreffekten ein - wie ich sagen möchte - Multiplikatoreffekt der Investitionspropagation. Mit diesem Bezugspunkt der Investitionspropagation drängt sich die Vorstellung, wirtschaftliche Entwicklung sei eine Folge von Ungleichgewichtslagen, als konstitutive Grundkonzeption einer Evolutionstheorie des Wissens, die den Kontext zur marktwirtschaftlichen Kapitalstruktur sucht, geradezu auf. Ungleichgewichte sind damit gekennzeichnet als eine Folge von Lücken in der Struktur der Kombination produktiver Aktiva, also: der Struktur unternehmerisch genutzter Vermögen, oft "Kapitalstruktur" genannt. Evolutionstheoretisch bedeutsam ist, daß - wie in der Einleitung zu diesem Abschnitt gesagt wurde - nicht zuletzt infolge des Tatbestandes "strategischer", d.h. inhärent der Ungewißheit unterworfener Investitionen diese "Kapitalstruktur" konzeptionell "ständig jenseits (der Idee) eines statischen Gleichgewichts" anzusiedeln ist. Unser Anknüpfungspunkt zur Vertiefung dieser Vorstellung sind Gedanken von L.M. Lachmann (1956) über die Bedeutung einer "Structure of Capital", d.h. der strukturellen Verknüpfung von produktiven Aktiva. Geht man mit L.M. Lachmann von der Annahme aus, die Komplementarität von "Kapital", gemeint ist von Aktiva, also von Vermögen, sei ein typisches Merkmal der Realität, folgt daraus, daß jedes Aktivum als ein Teilstück einer Gesamtstruktur produktiver Aktiva anzusehen ist. Mit dem Hinweis auf die Existenz einer solchen Struktur soll unter anderem betont werden, daß Güter, die sich in keine allgemeine Produktivkombination einfügen, mit ihrer Ertragslosigkeit auch ihre Eigenschaft verlieren, Renten zu erzielen. Für Lachmann ist diese universelle Komplementarität das konstituierende Merkmal der Produktionsstruktur einer Volkswirtschaft: Der Vermögensbestand als "heterogener Bestand materieller Ressourcen" ist kein homogenes Aggregat; viel eher stellt er als strukturelles Muster das koordinierende Gefüge für die Heterogenität ("die multiple Spezialität") der produktiven Aktiva dar. Das Konzept des volkswirtschaftlichen Produktivvermögens zielt somit auf die Erfassung einer komplexen Struktur, welche funktional in der Weise differenziert ist, daß verschiedene Aktiva erst in ihrer unterschiedlichen Verwendung sinnvoll kombiniert sind. Im Investitionsakt vollzieht sich die Bindung liquider Mittel nur an ganz bestimmte Nutzungsmöglichkeiten. Daher sind alle unternehmerischen Entscheidungen spezifizierende Entscheidungen. Durch sie wird der konkrete Charakter eines jeden neuen Aktivums fixiert. Jedes einzelne von ihnen fügt sich wiederum in einen Gesamtzusammenhang ein: Es muß einfach in eine Kombination produktiver Aktiva passen, soll die Investition rentabel sein. Erscheinen alle Vermögensformen als homogen, muß ein neues Aktivum in einer vollkommenen Substitutionsbeziehung zum alten stehen: Es konkurriert mit ihm und
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mindert dessen Rentabilität. Gilt es als heterogen, hängt der Anreiz zur Investition von den Rentabilitätseffekten ab, die man für die Kombination aus alten und neuen Aktiva erwartet. Jede Investitionsentscheidung ist somit zumindest auf das Faktum der Komplementarität ausgerichtet. Der Unternehmer wird sich von den Erwartungen hinsichtlich der Entstehung komplementärer Vermögens Varianten innerhalb seiner Investitionsperiode leiten lassen. Er wird jegliche komplementäre Kapazität zu registrieren suchen und annehmen können, daß sich mit dem Grad der Entwicklung auch der Grad komplementärer Kapazität vervielfacht. Mit wachsendem Vermögensbestand verstärkt sich nämlich die Tendenz fortschreitender Ausdifferenzierung neuer Funktionsbereiche in Form von Spezialisierungen. Vor diesem Hintergrund bildet sich ein Verhaltensmuster folgender Art aus, das den Unternehmer bei der Suche nach wohlstandssteigernden Aktiva leitet: Ihm erscheint die Möglichkeit der Ergänzung der Produktionsstruktur immer dann als unternehmerische Chance, wenn die jeweilige Investition Lücken in einer im Detail noch unvollständigen Struktur zu schließen verspricht. Im Systemablauf sorgen nach Lachmann die marktwirtschaftlichen Kräfte dafür, daß am Ende alle von den Unternehmungen erworbenen Aktiva die notwendigen Komplementärfaktoren finden und somit zumindest eine Tendenz zur lückenlosen Komplementarität des Produktivvermögens gegeben ist. Plankomplementarität als Komplementarität der Aktiva im Rahmen eines individuellen Plans wird durch unternehmerische Aktion erzielt. Die Entscheidungen auf dem Weg zu einer hinreichend umfassenden Komplementarität der Aktiva im ökonomischen System folgen den Signalen des Marktes, der jene Aktiva ständig neu bewertet. Das Preissystem der Märkte schafft die Komplementarität der Einsatzfaktoren und erhält sie im Zeitablauf. An den Unternehmen liegt es, lediglich solche Kombinationen zu wählen, die zumindest konstante, wenn nicht steigende Erträge erwarten lassen. In diesem System ist kein Platz für eine determinierte Profitrate. Schwankungen und Divergenzen in den Gewinnen zeigen im Kommunikationssystem des Marktes den Grad der Inkonsistenz unternehmerischer Planung auf, welche aus der Dynamik der Märkte unabwendbar folgt. Solche Dynamik verlangt ständig Bemühungen der Entscheidungskorrektur. Hirschman (1958, S. 98 ff.) konzipiert auf der Basis dieser - wie ich sagen möchte komplementaritätsorientierten Ansätze eine Theorie der Industrialisierung, die meines Erachtens zeigt, daß die Akzeleration des industriellen Wachstums nicht ohne Rückgriff auf die Aktivitäten von Unternehmen erklärt werden kann (Krüsselberg 1967, S. 385 ff.). Völlig zu Recht war dazu von Hirschman festgestellt worden, daß Entwicklungseffekte Konsequenzen der Marktchancen, d.h. der erwarteten Gewinne, sind. Unter diesen Bedingungen verlagert sich die gesamte Fragestellung in das Gebiet der Investitionsrechnung. Sie reduziert sich auf das Problem der Notwendigkeit, den Komplementaritätseffekt von Investitionen bzw. die Interdependenzbeziehungen zwischen Investitionen zu berücksichtigen. Das bedeutet: Externe Vorteile, die ein jedes Einzelprojekt im Rahmen einer Faktorkombination bewirkt, müssen in die Investitionsrechnung einbezogen werden. Für die Unternehmenstheorie handelt es sich um die Einfügung heterogener Aktiva in eine vorgegebene Produktionsstruktur, wobei die
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gelungene oder mißlungene Erfüllung des Komplementaritätsgebotes über die Höhe des zu erzielenden Gewinns entscheidet. Was uns in diesem Zusammenhang als besonders beachtenswert erscheint, ist die sich nunmehr anbietende Möglichkeit, das Problem der Marktstruktur auf der Basis von Komplementaritätsblöcken zu veranschaulichen. Unterstellen wir zum Zwecke der Erläuterung, das Repartitionsproblem (das Problem also, einen gegebenen Gesamtertrag aufzuteilen) könne für den Faktoreinsatz pro Projekt I, (i=l,2,..., n) gelöst werden, dann könnte pro Periode jedem Ii der Betrag des zurückfließenden Gewinns Pi (i=l,2 ..., n) zugerechnet werden. Angesichts der eben erfolgten Unterstellung der exakten Zurechenbarkeit ließen sich die aus dem Komplementaritätseffekt resultierenden externen Gewinne beim empfangenden Projekt Ii ebenfalls ausweisen (dies wäre mit dem Argument zu rechtfertigen, daß erst nach vollzogener Investition die effektive Höhe des Komplementaritätsgewinns als Überschuß über den unmittelbar kalkulierten Gewinn sichtbar wird). Hier sind es nur noch die Investitionseinheiten Ii, I2, ..., In, welche als Grundeinheit für die Einteilung des Tableaus dienen. Angesichts unserer Annahmen würde Ii bei Ii selbst, d.h. in direkter unabhängiger Zurechnung, einen unmittelbaren Gewinn jtn und etwa bei I2 einen (mittelbaren) externen Gewinn pi2 entstehen lassen. I2 läßt wiederum I2 den unmittelbaren Gewinn 7122 zufließen, während externe Gewinne z.B. bei Ii als P21 oder bei I3 als P23 anfallen usw. Auf der Hauptdiagonalen der quadratischen Matrix wird dann stets der unmittelbare Gewinn 7tü des Projektes sichtbar, während die ausgewiesenen externen Gewinne p^ den Grad der profitmäßigen Interdependenz zwischen den Projekten veranschaulichen. Hier gilt also: PB = Jtii + X Pij, d.h. die durch ein Investitionsprojekt I, erzielten Gesamtgewinne Pu ergeben sich aus dem unmittelbaren Gewinn Jtü und der Summe der bei den anderen Investitionsprojekten hervorgerufenen externen Gewinne pij. Wir folgern: Die strategische Komponente des Entdeckungsprozesses ist der "externe Gewinn"; durch seine Existenz wird der Prozeß des Wissenserwerbs in übersehbare Bahnen gelenkt. Das Wissen um dessen "Möglichkeit" schafft Anreize, Konstellationen zu entdecken, die ihn zu einem "Realphänomen" werden lassen. Auf die Bedingungen einwirken zu wollen, die konkrete Chancen im Evolutionsraum öffnen, das ist das Feld, in dem Kreativität gefordert ist. Nicht zuletzt geht es hier wiederum um die Bündelung von Aktiva mit speziellen Aktivitätsprofilen in konkreten Unternehmen. In einem einfachen Grundschema der oben beschriebenen Art könnte man unter der Annahme, daß jeder Investitionseinheit ein gleicher Wert zukommt, unterschiedliche Unternehmensgrößen durch unterschiedliche Grade der Gewinninterdependenz begründet sehen (s. Abbildung 5). Hier könnte man z.B. die Kombination Ii -13 als Großunternehmung, I4 -15 als mittelgroße Unternehmung und le als kleine Unternehmung ansprechen. Die These 7 dieses Beitrags lautet also: In der Realität marktwirtschaftlicher Systeme wird der Prozeß des Wissenserwerbs als Wettbewerbsvoraussetzung vornehmlich als Prozeß der Entdeckung sogenannter externer Gewinne zu verstehen sein. Auch massive Umstrukturierungen in Märkten und bei Unternehmen lassen sich damit begründen.
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Hans-Günter Krüsselberg
Abbildung 5: Gewinninterdependenzen in einem Investitionsmodell
7. Schlußbemerkung Im Abschnitt 5 wurde die These vorgestellt, nur in der "Verkörperung von Wissen" in den Aktiva von Organisationen, z.B. von Unternehmen, sei die Quelle des wirtschaftlichen Fortschritts zu suchen. Folgt man unserem dort vorgestellten Forschungsvorschlag, müßte es möglich werden, Unternehmensgeschichten als "konsekutive Positionsbeschreibungen" zu präsentieren. Sie sind das Ergebnis von Unternehmensentscheidungen angesichts der Wahl einer bestimmten Anzahl von "images of possible future events". Unternehmen "lernen durch Enttäuschungen". Dieser Lernprozeß beschafft Informationen über mögliche Zukunftslagen und auch über Leitbilder für die Entscheidungsträger (siehe hierzu Boulding 1966, S. 302 ff.). Wie auch immer gehandelt wird, jede Entscheidung hinterläßt ihre "Spuren" in der Positionsrechnung, eben in der Unternehmensbilanz. Hier wird der jeweils aktuelle Wert des Handlungsvermögens erfaßt - sowohl für alle Aktionseinheiten eines wirtschaftlichen Systems als auch für das System insgesamt. Dabei ist insbesondere die Heterogenität der Individualstrukturen im aggregierten Vermögensbestand (der Unternehmen - und auch der Haushalte) als eigentlich bestimmende dynamische Potenz eines Wirtschaftssystems anzusehen. In der Bilanz erscheint das Bild der produktiven Potentiale eines Handlungssystems. Für eine dynamische Theorie der Marktwirtschaft ist das Phänomen des Eintritts in den Markt konstitutiv. Aber: Eintrittsmöglichkeiten werden bestimmt durch die Fähigkeiten in Unternehmen, spezifische Kombinationen von Aktiva zu vollziehen, die wettbewerbsfähig sind (Krüsselberg 1969, S. 224 ff.). Die Voraussetzung also für die "Umkämpfbarkeit von Märkten" ist die Existenz eines Unternehmenssystems mit einer ziemlich genau beschreibbaren Struktur. Wenn der Anspruch Chamberlins als begründet akzeptiert wird, daß die Heterogenität des Angebots selbst als Wohlfahrtsideal anzusehen ist, hängt die Effizienz eines marktwirtschaftlichen Systems entscheidend von dessen Fähigkeit zur Differenzierung
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und Funktionsteilung in der Marktstruktur ab. Aufgabe von Wettbewerb (Krüsselberg 1980, S. 98 ff.) ist es, die Prozesse der Produktkreation und der Produktentwicklung sowie des Wandels in den technischen Verfahren so zu steuern, daß die Zahl der konkret in einer Volkswirtschaft erreichbaren, differenzierten Kostenminima maximiert wird. Damit ist die Industrie ebenso wie die optimale Unternehmensgröße eine theoretische Fiktion. Dann kann aber auch nur noch eine realitätsrelevante Frage gestellt werden, die nach einer optimalen Verteilung der Unternehmen, die nach der effizientesten Struktur der industriellen Organisation. Sie wird dann erreicht sein, wenn es infolge der Offenheit des Marktzugangs und wegen der Heterogenität der Unternehmen stets eine Unternehmensgröße gibt, welche die Marktchancen, die sich angesichts der Wandelbarkeit der Bedingungen in einer Marktwirtschaft immer wieder neu eröffnen, wahrzunehmen vermag. Diese Tendenz ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine bestmögliche Marktversorgung. - Mit der Konzeption eines Kontinuums effizienter Unternehmens großen, "from pygmies to giants", bietet sich deshalb meines Erachtens eine theoretisch voll ausgereifte Alternative zu den bisherigen miteinander konkurrierenden Ordnungsideen für den Wettbewerb an (siehe dazu Krüsselberg 1969, S. 224 ff.; 1983, S. 90 ff.; Herdzina 1986, S. 529 f.; Fehl 1991, S. 120; Wagner 1995, S. 151 f.). Wie jede theoretische Konstruktion bietet auch dieses Leitbild zunächst einen Projektionshintergrund für in der Realität ablaufende Prozesse der Bewegungen innerhalb dieses Kontinuums. Daraus folgt jedoch: Es wäre ein grobes Mißverständnis anzunehmen, hier werde ein politikfreier Raum eröffnet. Dazu ist der institutionelle Rahmen zu bedeutsam. Die harte Realität von heute, die der neunziger Jahre, mit Arbeitslosigkeit, Innovationshemmnissen und einer Politik, die das Gewicht von Großunternehmen in einer Wettbewerbsordnung weitaus zu überschätzen scheint, zeigt, daß eine - wie auch immer bedingte - Erosion des Kontinuums in der Unternehmensstruktur erhebliche Wohlfahrtsverluste zur Folge hat.
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Hans-Günter
Krüsselberg
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Der Wettbewerbszusammenhang zwischen Kapital- und Gütermärkten Alfred Schüller 1. Problemaufriß
178
2. Marktsystem und Kapitalmarkt: Grunddimensionen des Wettbewerbs
178
3. Zur Bedeutung des Kapitalmarktes für den Wettbewerb auf den Gütermärkten
180
3.1. Das Konzept der statischen Kapitalmarkteffizienz
180
3.2. Das Konzept der dynamischen Kapitalmarkteffizienz
181
3.3. Zur These von der destruktiven Eigendynamik der Kapitalmärkte
183
3.4. Die Grunddimensionen des Wettbewerbs als Ansatzpunkte zur Beurteilung der Kapitalmarkteffizienz
187
3.4.1. Die Wissenssphäre
187
3.4.2. Die Sphäre der Handlungsrechte
188
3.4.3. Die Anreizsphäre
189
3.4.4. Die Ebene der Haftung
190
4. Verkümmerte Wettbewerbsdimensionen des Kapitalmarktes: Ursachen und Wirkungen
192
4.1. Die Sphäre der privaten Haushalte als Sparer
192
4.2. Die Sphäre der Unternehmen auf den Gütermärkten
195
4.3. Die Sphäre der Banken und des Staates
199
5. Zur Wiederbelebung der Wettbewerbsdimensionen des Kapitalmarktes
202
5.1. Mehr Wettbewerb durch Investivlohn-Regelungen?
202
5.2. Abbau und Begrenzung der Staatsverschuldung
205
5.3. Reform der Finanzierung der Sozialversicherung
205
5.4. Aktienrechtlich induzierte Wettbewerbswirkungen
206
5.4.1. Stärkung des Dividendenbezugsrechts der Aktionäre - weniger Innenfinanzierung, mehr Kapitalmarktkontrolle
206
5.4.2. Wettbewerbskonforme Gestaltung der Stimmrechtsfähigkeit von Kapitalgesellschaften als juristische Person
208
5.4.3. Die "Kleine AG" nach dem Gesetz vom 2.8.1994
209
6. Schlußbemerkungen
210
Literatur
212
Alfred Schüller
178
1. Problemaufriß "Bestimmte Voraussetzungen für den Wettbewerb auf den Gütermärkten müssen v o m Kapitalmarkt sichergestellt werden" (von Delhaes/Fehl in diesem Band). Mit den Voraussetzungen sind hier die Grunddimensionen des Wettbewerbs gemeint, wie sie in Kapitel 2. erläutert werden. Wegen des Spar- und Investitionsaspektes reflektiert der Kapitalmarkt 1 als "Markt der Märkte" gleichsam die Zukunftsdimension der übrigen Märkte (Fehl 1994, S. 358). Diese Seite des Kapitalmarktes ist im vorliegenden Beitrag unter Wettbewerbsgesichtspunkten zu beurteilen, zunächst in einem allgemeineren Kontext (Kapitel 2.), dann im Hinblick auf Maßstäbe der wettbewerblichen Effizienz des Kapitalmarktes (Kapitel 3.). Einwände gegen das statische Beurteilungskonzept legen es nahe, dem Konzept der dynamischen Kapitalmarkteffizienz zu folgen und hierbei den institutionellen Bedingungsrahmen möglicher Wettbewerbswirkungen, die bei der Übermittlung von Spargeldern hin zu den Gütermärkten entstehen können, durch Rückgriff auf die Grunddimensionen des Wettbewerbs weiterzuspannen. Auf dieser Grundlage wird dann wettbewerblichen Defiziten des Kapitalmarktes Aufmerksamkeit geschenkt (Kapitel 4.). Abschließend wird gefragt, wie die Wettbewerbsdimensionen des Kapitalmarktes wieder stärker belebt werden können (Kapitel 5. und 6.).
2. Marktsystem und Kapitalmarkt: Grunddimensionen des Wettbewerbs Im Marktsystem werden Gelegenheiten für vorteilhafte Austauschbeziehungen im Hinblick auf Ziele entdeckt und genutzt, die an Vorstellungen über zukünftige Zustände orientiert sind. Zukunftsorientiertes Handeln ist für das Überleben der Wirtschaftssubjekte notwendig. Deshalb ist auf allen Märkten die Zukunft Verhandlungsgegenstand besonders auf dem Kapitalmarkt. Entsprechende Entscheidungen setzen auf beiden Marktseiten (siehe hierzu Streit/Wegner 1989, S. 183 ff.) Wissen, also Orientierungsmöglichkeiten im Rahmen der jeweiligen Handlungs- und Sachzusammenhänge, voraus. Dies geschieht in der Regel in einem Prozeß "kollektiven Lernens" (Vanberg 1994, S. 178). Hierbei geht es u m die Entstehung eines gemeinsamen Reservoirs an "Fähigkeiten, Technologien, Vorschriften, Überzeugungen, Bräuchen, Organisationsstrukturen und ähnlichem" (Campbell 1975, S. 1104). Hierzu gehört auch die Entwicklung von Vorstellungen über einen zweckmäßigen zeitlichen Aufbau der Wirtschaftspläne; dabei ist das Verhältnis von Gegenwartskonsum und Investitionen für eine zukünftige Existenzsicherung und Besserversorgung zu bestimmen.
Unter dem Kapitalmarkt wird die Gesamtheit der Märkte für längerfristig disponible Finanzierungsmittel (Spargelder) verstanden. Zu den Akteuren zählen einerseits die dem nicht-finanziellen Sektor zugerechneten Anbieter von und Nachfrager nach Finanzierungsmitteln (private Haushalte, der Staat, die Unternehmen, das Ausland), andererseits die Unternehmen, die die Vermittlung von Spargeldern zwischen den Anbietern und Nachfragern sowie komplementäre Dienstleistungen organisieren. Zu diesen Finanzintermediären gehören Banken, Versicherungen, Investment- und Kapitalbeteiligungsgesellschaften, Börsen und ergänzende Vermittlungseinrichtungen (Makler usw.). Die Fülle dieser Tatbestände zwingt dazu, eine Auswahl zu treffen.
Der Wettbewerbszusammenhang zwischen Kapital- und Gütermärkten
179
Die Knappheit von Wissen und Zeit ist konstitutiv für menschliches Handeln. Wissen für verbesserte wirtschaftliche Bedürfnisbefriedigungen in der Zukunft bei Unsicherheit und begrenzten Zeitbudgets nutzbar zu machen und zu verbreiten ist eine erste Grunddimension wettbewerblicher Prozesse. Hierbei wird angenommen, daß diese Prozesse spontan aus Wissensvorsprüngen und vielseitigen Bemühungen entstehen, diesen Wissensstand zu vermarkten, ihn einzuholen und zu verbessern. Wenn Friedrich A. von Hayek Arbeitsteilung als Wissensteilung begreift, so wird damit auch ausgedrückt, daß es nur durch die Mitnutzung des Wissens anderer gelingt, die eigenen Handlungsmöglichkeiten wirkungsvoller auszuschöpfen. Die Pläne der an diesem Prozeß des gemeinsamen Lernens beteiligten Personen werden - auch hinsichtlich ihrer zeitlichen Präferenzen - über den Preismechanismus koordiniert und durch den Wettbewerb kontrolliert. Zum Wissen, wie für die Zukunft vorgesorgt werden kann, muß als zweite Grunddimension des Wettbewerbs ein Recht kommen, das zukunftsorientiertes Handeln ermutigt. Damit dann aus Wissen und Dürfen Handlungen entstehen können, muß als dritte Grunddimension des Wettbewerbs das Wollen hinzukommen. Die Einstellungen zur Gestaltung der Zukunft - etwa des Verhältnisses von Konsumieren, Sparen und Investieren - sind bekanntlich unterschiedlich. Geht man mit Eugen von Böhm-Bawerk davon aus, daß weiter ausholende Produktionswege bei "kluger" Auswahl zwar ergiebiger sind, allerdings auch der Finanzierung bedürfen, so erhöhen diejenigen, die durch Sparen zur Finanzierung beitragen, je nach den Ordnungsbedingungen die Chancen für wirtschaftlich bessere Zustände in der Zukunft. Zins-, Dividenden- oder Gewinnerwartungen legen als intertemporales Bindeglied "die Opportunitätskosten zeitverschiedener Handlungswirkungen offen" (Tietmeyer 1994). Der Bereich lohnender Zukunftsvorsorge ist unter anderem davon abhängig, daß die im jeweiligen Handlungs- und Sachzusammenhang entstehenden Transaktionskosten den erwarteten Nutzen nicht aufzehren. Für die meisten Sach- und Handlungszusammenhänge ist in modernen Volkswirtschaften das sog. Principal-Agent-Problem kennzeichnend. Die Auftraggeber können vom "delegierten Handeln" (von Weizsäcker 1994, S. 121) Spezialisierungsvorteile erwarten, müssen aber auch wegen der begrenzten Kontrollierbarkeit der Agenten damit rechnen, daß das angestrebte Handlungsergebnis mehr oder weniger unsicher ist. Die Frage liegt deshalb nahe, ob aus bestimmten Formen und Umständen des delegierten Handelns mit relativ hohen Transaktionskosten nicht verstärkte Neigungen zu erklären sind, mit hoher Zeitpräferenz im Sinne einer "Minderschätzung künftiger Güter" zu handeln. In gesamtwirtschaftlicher Konsequenz könnte sich darin eine Minderschätzung der zukunftsorientierten Wissensschaffung und -Verbreitung manifestieren. Sowohl am Problem des "delegierten Handelns" als auch an der Frage der Zeitpräferenz wird erkennbar, daß der wettbewerbliche Prozeß der Wissensgewinnung und nutzung ordnungsabhängig verläuft, oder, wie man heute sagt, von der Handlungsrechtsstruktur bestimmt wird. Die Richtung und die Dynamik der Wissensschaffung und -Verbreitung (s. hierzu Kerber 1995, S. 349) werden - auch hinsichtlich der Zukunftsorientierung - entscheidend durch den Charakter der Handlungsrechte, die das Verhältnis von Auftraggebern und Auftragnehmern in direkter oder indirekter Weise beeinflussen, geprägt. Die hierfür bestimmende "Anreizlandschaft" (Kerber ebd.) ist außer
180
Alfred
Schüller
von den wettbewerblichen Dimensionen des Wissens, Dürfens und Wollens wesentlich von den Haftungsregeln abhängig, also von Art und Ausmaß der Verpflichtung, für Verbindlichkeiten (einschließlich eventueller Verluste) mit eigenen und/oder fremden Mitteln einstehen zu müssen. Damit werden die drei schon genannten Grunddimensionen des Wettbewerbs um den Bereich der Haftung erweitert. Art und Ausmaß der individuellen Haftung bestimmen über die Eigen- und Fremdkontrolle und über das Präventivverhalten die Vorteilhaftigkeit von Principal-Agent-Verhältnissen, die Qualität der Wirtschaftsrechnung, die Risikobereitschaft und insgesamt die Art der intertemporalen Selektion und Allokation von Ressourcen im Wettbewerb. Von den Regeln zur Ordnung des Wissens, Dürfens (Handlungsrechte), Wollens (Anreize) und der Verantwortung (Haftung) hängen die Wettbewerbsbeziehungen zwischen allen Märkten, also auch zwischen Kapital- und Gütermärkten, ab.
3. Zur Bedeutung des Kapitalmarktes für den Wettbewerb auf den Gütermärkten Der Kapitalmarkt bietet Möglichkeiten zur Anlage von Spargeldern und zur Finanzierung von Investitionen. Die Transaktionen können sich erstens auf Beteiligungskapital von Eigentümern oder Anteilseignern (Eigenfinanzierung) und Kreditkapital von Gläubigern (Fremdfinanzierung) beziehen. Die Transaktionen können zweitens den Primärmarkt oder den Sekundärmarkt betreffen. Auf dem Primärmarkt werden neue Titel der Eigenfinanzierung (Emission von Aktien und anderen Beteiligungsformen) und der Fremdfinanzierung gehandelt und bewertet. Der Anreiz, am Primärmarkt als Kapitalgeber aufzutreten, hängt von der Möglichkeit und den Kosten ab, Titel nach der Erstemission auf dem Primärmarkt am Markt für Alttitel (Sekundärmarkt) verkaufen zu können. Beide Märkte sind Quellen "wertsteigernden Wissens" (Krüsselberg 1986, S. 78). Der Wirkungsgrad, mit dem der Kapitalmarkt den Wettbewerb auf den Gütermärkten beeinflußt, ist Gegenstand unterschiedlicher Effizienzbetrachtungen:
3.1. Das Konzept der statischen Kapitalmarkteffizienz Hiernach ist der Kapitalmarkt erst dann effizient, wenn die Preise der Finanzierungstitel auf dem Sekundärmarkt zu jedem Zeitpunkt voll den jeweils bestmöglichen Informationsstand reflektieren. Die Dimensionen des Wissens, Dürfens, Wollens und Verantwortens gelten als kostenlos gelöst. Demzufolge müßten sich die Preise bei jeder veränderten Informationslage, etwa bei der Entstehung von individuellen Wissensvorsprüngen, unverzüglich auf dem Niveau einstellen, "das sich ergäbe, wenn alle Investoren diese Information gleichzeitig erhielten und unverzüglich ihre Disposition träfen... Auf einem informationseffizienten Markt... kann es keine Unter- oder Überbewertung geben; hier kann deswegen auch kein Kapitalanleger aufgrund seines Informationsstandes eine Fehlbewertung des Marktes erkennen und Vorteile daraus ziehen" (Franke/Hax 1990, S. 315). In dieser Welt der vollständigen Gewißheit, Voraussicht und Transparenz ist kein Platz für wettbewerbliche Prozesse. Durch Idealisierung der Sekundärmarktsignale und ihrer Umsetzbarkeit wird eine geradezu reflexartige Abhängigkeit des Gütermarktgeschehens vom Kapitalmarkt unterstellt - und umgekehrt. Diese
Der Wettbewerbszusammenhang zwischen Kapital- und Gütermärkten
181
entscheidungslogische Vorstellung vom vollkommenen Lenkungseinfluß des Kapitalmarktes entsteht - wie Schmidt (1993, S. 176) kritisch bemerkt - unter anderem durch die Annahme, "Unternehmen finanzierten sich ganz oder überwiegend durch Wertpapieremissionen" . Dies alles trifft ebensowenig zu, wie es eine Welt ohne Transaktionskosten gibt. Transaktionskosten repräsentieren hier den Ressourcenaufwand, der sich aus dem Umgang mit der konstitutionellen Ungewißheit, Subjektivität und Verstreutheit menschlichen Wissens (s. hierzu Kerber 1995, S. 23) und aus der daraus zu erklärenden Komplexität wirtschaftlicher Handlungs-, Anreiz- und Haftungsstrukturen ergibt. Diese sind unter anderem bestimmt von dynamischen Marktprozessen (s. Heuß 1965), von den Lösungen des Problems des delegierten Handelns, von Spielräumen des Managements für opportunistisches Verhalten, für die Ausnutzung asymmetrischer Informationsverteilungen - kurz: für alle Bemühungen der Marktteilnehmer um leicht erfüllbare ("weiche") Pläne. Diese und andere Umstände sind in der Realität prinzipielle Voraussetzungen für die Entstehung wettbewerblicher Gütermarktprozesse. Zugleich können diese Umstände aber den Wettbewerb be- oder verhindern. Sie legen deshalb ordnungspolitische Vorkehrungen nahe, wie sie zum Beispiel Walter Euckens (1952/1990) Konzept der "Wirtschaftsverfassung des Wettbewerbs" entsprechen. Der Kritik am Konzept der statischen Kapitalmarkteffizienz (s. hierzu auch Krag 1995, S. 11 ff.) kann auch nicht dadurch der Boden entzogen werden, daß ihm durch Zulassung von Beschränkungen der Kapitalmarktkontrolle gleichsam ein Gegengift verabreicht wird. Von diesem Ansatz her wird z.B. empfohlen (s. Krahnen 1994, S. 229 ff.), das Vorsprungswissen des Managements auf dem Gütermarkt dadurch zu sichern, daß der Anspruch der Anteilseigner auf Gewinnausschüttung zugunsten der Innenfinanzierung der Unternehmen beschränkt wird. Hierbei wird unterstellt, daß der bevorrechtigte Gewinnzugriff der Manager eher zu dynamischen Wettbewerbsergebnissen führt als Entscheidungen, die uneingeschränkt der wettbewerblichen "Kritik der Kapitalmärkte" unterworfen sind. Das Konzept der statischen Kapitalmarkteffizienz ist hier - wie dies auch bei anderen entscheidungslogischen Effizienzkonzepten der Fall ist - offensichtlich anfällig für Deutungen, die für Zwecke der Wettbewerbsbeschränkung mißbraucht werden können, hier als Möglichkeit der Manager, ihre Marktposition unabhängig von der Kontrolle des Kapitalmarktes zu sichern (s. Kapitel 4.2. und 5.4.).
3.2. Das Konzept der dynamischen Kapitalmarkteffizienz Die Wettbewerbswirkungen, die vom Kapitalmarkt auf die Gütermärkte ausgehen, werden als dynamischer (prozeßhafter) Vorgang verstanden und analysiert: (1)
Im Hinblick auf die Wettbewerbsverhältnisse am Kapitalmarkt selbst etwa unter folgenden Aspekten: Findigkeit des Kapitalmarktes: Hierbei geht es um Wettbewerbsverhältnisse, die gewährleisten, daß Anlagemittel den jeweils ertragreichsten Anlagealternativen zugeführt werden, das heißt weniger ertragreichen Verwendungen vorenthalten oder entzogen werden.
182
Alfred Schüller
Sicherheit des Kapitalmarktes, herbeigeführt durch Wettbewerbsbedingungen, die den Wirtschaftssubjekten Anlageformen mit größtmöglichem Schutz vor Irreführung, Betrug und Täuschung und mit Ausstattungsmerkmalen bieten, anhand derer ein Maßstab für eine aus individueller Sicht optimale Vermögensstruktur gewonnen werden kann. Billigkeit des Kapitalmarktes durch Wettbewerbsbedingungen, die es ermöglichen, daß sich die Kosten der Anlagevermittlung und Kapitalbeschaffung in Richtung auf die kostengünstigsten Anbieter anpassen. (2)
Im Hinblick auf die Wettbewerbsverhältnisse am Gütermarkt, etwa unter folgenden Gesichtspunkten (s. Krüsselberg/Brendel 1980, S. 94 ff.): Unternehmerische Gründungs- und Entwicklungsdynamik: durch Finanzierung von Investitionen in neue oder etablierte Unternehmungen. Hiervon werden der Marktzutritt, die Marktexpansion, insgesamt die Offenheit und Dehnungsfähigkeit der Märkte, ihre Dynamik aus vorstoßenden und nachahmenden Wettbewerbshandlungen bestimmt. Sicherung der Zahlungs- und Überlebensfähigkeit der Unternehmen: (bei Liquiditätsengpässen, Leistungsschwächen der Unternehmen sowie bei nichtwettbewerbsbedingten Gefährdungen ihrer Handlungsmöglichkeiten durch Brand, Streik, Katastrophen, nicht kalkulierbaren Risiken aus einer extern bestimmten Unvollständigkeit der Verträge oder Unübersichtlichkeit von Drittansprüchen, z.B. des Steuerstaates, seitens Umweltschutzinstanzen usw.). Mit finanziellen Überlebenshilfen kann die Widerstandsfähigkeit der Akteure auf den Gütermärkten gestärkt und mit der Verstetigung der Marktprozesse die gesellschaftliche Akzeptanz der Wettbewerbsordnung verbessert werden. Laufende Bewertung der untemehmensbezogenen Handlungsrechte: Hierin manifestieren sich (etwa in den Börsenkursen, Kaufpreisen für Unternehmen) Informationen über den inneren Zustand der Unternehmen, ihre Ertragsaussichten, die Leistungsfähigkeit des Managements im Wettbewerb auf den Gütermärkten und insgesamt die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte über die Zukunft (s. Fehl 1994, S. 349 ff.). Durch die Preissignale der Sekundärmärkte werden knappheitsorientierte Kapitalumschichtungen zwischen den Unternehmen und Branchen induziert sowie das Präventivverhalten und die Anpassungsflexibilität der Akteure im Wettbewerb auf den Gütermärkten herausgefordert.
Die Wettbewerbswirkungen des Kapitalmarktes können zusammengefaßt darin gesehen werden, daß die Entscheidungen über die Anlage der Ersparnisse den Gewinnerwartungen auf den Gütermärkten folgen. Unter Gesichtspunkten der wettbewerbsfördernden Wissensentdeckung und -Verbreitung interessiert vor allem, inwieweit über die Kapitalumschichtung eine präventive Reallokation der Ressourcen zwischen stagnierenden und schrumpfenden Unternehmen und Wirtschaftszweigen einerseits und innovativen und expandierenden Firmen und Branchen andererseits entsteht.
Der Wettbewerbszusammenhang zwischen Kapital- und Gütermärkten
183
3.3. Zur These von der destruktiven Eigendynamik der Kapitalmärkte Die wettbewerblichen Struktureffekte der Kapitalmärkte werden heute vielfach in Abrede gestellt. Insbesondere durch die weltweite Liberalisierung des Kapitalverkehrs sei eine Ablösung der Finanzsphäre vom güterwirtschaftlichen Geschehen entstanden. Bei ständig günstigeren Gewinnaussichten auf den Finanzmärkten schreite die Abkopplung vom Gütermarktgeschehen rasch fort. Vor allem die kurzfristigen Devisenund Finanztransaktionen werden verdächtigt, ein investitions- und beschäftigungsfeindliches Eigenleben entwickelt und zur Krise der westlichen Volkswirtschaften beigetragen zu haben. Um der negativen Allokationsfunktion der Finanzmärkte Einhalt zu gebieten, wird vorgeschlagen, vor allem die kurzfristigen Kapitalbewegungen - z.B. durch deren Besteuerung - unattraktiv zu machen und die Steuereinnahmen zu nutzen, um bestimmten (armen) Ländern der Dritten Welt zu helfen. Sind solche Einwendungen und Empfehlungen gerechtfertigt? (1)
Jede Finanztransaktion beruht auf einem Geldvermögenstitel, der seinerseits einem Sparakt, also dem Entschluß entspringt, auf aktuell mögliche Güterkäufe zu verzichten. Dieser Kaufverzicht repräsentiert einen realen Güterwert oder Kapitalbetrag. Der Staat kann durch knappe Geldemission und eine solide Budgetpolitik sowie rechtliche Verkehrungen (s. Kap. 4) sicherstellen, daß dieser Sparvorgang nicht inflatorisch aufgebläht ist und im Dienste wettbewerbsaktiver GütermarktStrukturen steht. Die vertragliche Bindungsdauer (Fristigkeit) der Geldvermögenstitel hängt von den Anlage- und Finanzierungspräferenzen ab. Kurzfristige Bindungen können genauso investiven Zwecken dienen wie langfristige Anlagen. Rechtlich langfristige Titel können kurzfristig gehalten werden und umgekehrt. Wollte man das von den Finanzinstituten betriebene Geschäft der Fristentransformation unterbinden, "müßte ein umfangreiches Antrags- und Bewilligungssystem für Kapitalbewegungen eingeführt werden, in dem Beamte nach ihnen vorgeblich bekannten Gesichtspunkten volkswirtschaftlicher Dringlichkeit jede einzelne Kapitalbewegung auf ihre Motive und ihre Notwendigkeit und Nützlichkeit hin überprüfen" (Willgerodt 1972, S. 49). Mit dieser Freiheitsbeschränkung würde auch die Investitionstätigkeit behindert.
(2)
Die internationalen Kapitalbewegungen sind im wesentlichen beeinflußt von Erwartungen hinsichtlich der Veränderung des internationalen Renditegefälles (in Verbindung mit branchen- und länderspezifischen Wachstumsaussichten),
Unternehmens-,
der Kaufkraftparitäten, also des Inflationsgefälles, des Steuer- und Regulierungsgefälles. Entsprechende Erwartungen haben - wegen der Interdependenz zwischen Kreditund Wertpapiermärkten sowie den Märkten für Direktinvestitionen einerseits und den Devisenmärkten andererseits - auch entscheidenden Einfluß auf die Wechselkursentwicklung (s. Gemeinschaft zum Schutz der deutschen Sparer 1994/1995). Dies läßt sich empirisch immer wieder feststellen. Bei flexiblen Wechselkursen wirken auch kurzfristige Kapitalbewegungen grundsätzlich stabilisierend. Infla-
184
Alfred Schüller
tionsneigungen und staatliche Interventionen in das Finanzmarktgeschehen, vor allem auf den Devisenmärkten, sind dagegen die wichtigsten Ursachen für starke Schwankungen der Wechselkurse. Über- und Untertreibungen sind im übrigen mit marktwirtschaftlichen Suchprozessen verbunden, die auf unvermeidlich unsicheren Erwartungen beruhen. Allein aus diesen unterschiedlichen Einschätzungen, aber auch aus Bemühungen um nutzenstiftende Fristen-, Losgrößen- und Risikotransformationen resultieren vielfältige Finanztransaktionen mit entsprechenden Arbitragegelegenheiten. Hierbei gibt es keine risikolosen Renditen. Wer dies übersieht und im Wellengang des Kapitalverkehrs nicht die zugrundeliegenden Triebkräfte und Risiken erkennt, erliegt leicht dem Fehlschluß, als würde die Finanzsphäre gegenüber dem Gütermarktbereich ein üppiges Eigenleben entwickeln und in gewinnseliger Selbstgenügsamkeit jegliche Bemühung um eine investitions- und beschäftigungsfreundliche Wirtschaftspolitik zum Scheitern verurteilen. Freilich ist nicht zu übersehen, daß sich die wettbewerbsintensivierende Globalisierung der Finanzmärkte (wie auch der Gütermärkte) nicht isolieren läßt, sondern unausweichlich von den Bildungs- und Arbeitsmärkten schmerzhafte Anpassungen verlangt, wenn diese nicht rechtzeitig vorgenommen werden. (3)
Die Motive von Finanztransaktionen lassen direkt oder indirekt immer wieder Kontakte zum Gütermarktgeschehen erkennen, wenn man genauer hinschaut: Ein Unternehmen soll einen Vorteil darin sehen, die Tochter einer ausländischen Muttergesellschaft zu erwerben oder eine Direktinvestition in anderer Form zu tätigen. Der Kauf wird mit Mitteln aus einer weltweit beschafften Erhöhung des Eigen- und Fremdkapitals finanziert. Man wird nicht übersehen können, daß der Vorteil dieser Finanztransaktionen letzüich von der Rentabilität von Gütermarktinvestitionen abhängt. Freilich kann es für die ausländische Muttergesellschaft vorteilhaft sein, auf einen günstigen Zeitpunkt zu warten, um den Kauferlös für die Finanzierung einer Diversifikations- und/oder Expansionsstrategie auf bestimmten Gütermärkten einzusetzen. In der Zwischenzeit können mehrfach wechselnde Anlagen mit unterschiedlichen Fristen, Losgrößen und Risiken auf den internationalen Finanzmärkten (z.B. Euromärkten) vorteilhaft sein. Auch aus diesem Beispiel folgt: Ein Vergleich der unterschiedlichen Transaktionsvolumina im realen und monetären Sektor läßt nicht erkennen, ob und inwieweit sich die Finanzsphäre vom Gütermarktgeschehen abgekoppelt hat. Auf welchen Gütermärkten der Kauferlös für die Finanzierung einer Direktinvestition schließlich "landet" und welche Beschäftigungswirkungen davon ausgehen, hängt von den jeweiligen Standortbedingungen (etwa dem Verhältnis von Arbeits- und Kapitalkosten) ab. Hierbei steht die nationale Ordnungspolitik auf dem Prüfstand der internationalen Beurteilung.
(4)
Freilich sind betrügerische Handlungen und Geschäfte mit unverantwortlich hohen Positionen an offenen Kontrakten nicht auszuschließen, wenn die Geschäftsführung der Finanzintermediäre ihre Prüf- und Aufsichtspflicht vernachlässigt. Auch bei Unternehmen auf Gütermärkten kommen solche Unsicherheiten
Der Wettbewerbszusammenhang
zwischen Kapital- und Gütermärkten
185
vor. Kettenreaktionen (Folgepleiten) können auch hier eine Art von Systemrisiko auslösen. Allerdings gelten die schnell expandierenden Finanzinnovationen als besonders anfällig für exzessive Spekulationen, abrupte Stimmungsumschwünge und aufwallende Fehleinschätzungen. Daraus mögen verstärkte Preisfluktuationen entstehen; die Gefährdung der Sicherheit des Kapitalmarktes im Sinne eines Systemrisikos kann jedoch durch angemessene Eigenkapital-, Rechnungslegungsund Publizitätsvorschriften sowie durch Einrichtungen der Selbstkontrolle auf der Ebene der Finanzintermediäre ausgeschlossen werden. Der Systemgewinn durch Finanzinnovationen besteht in "zusätzlichen Möglichkeiten der Risikotransformation und -reallokation sowie der Liquiditätsbereitstellung zu niedrigen Kosten" (Tietmeyer 1996, S. 3). Freilich verschwinden wegen der Kurzfristigkeit der Anlage- und Finanzierungstitel die Grenzen zwischen den Geld- und Kapitalmärkten. Hierdurch mag sich die Aufgabe der Bundesbank, bestimmte Geldmengenaggregate wie zum Beispiel M3 abzugrenzen, schwieriger gestalten; ein Risiko für das System der nationalen Geldpolitik ist damit jedoch nicht verbunden. Besonders eindrucksvoll zeigt sich die Findigkeit der Akteure auf den Finanzmärkten in der zunehmenden Anzahl und Verbreitung von Derivaten (Optionen, Financial Futures, Swaps). Damit werden - im Unterschied zu klassischen Geschäften der Risikotransformation - Risikoabsicherungen auf der Grundlage eines vergleichsweise geringen Mitteleinsatzes möglich; denn die Basistitel (Aktien, Devisen, Anleihen etc.) müssen selbst nicht umgesetzt werden. Die Vermutung, dies alles habe mit dem Gütermarktgeschehen (mit Investitionen, Produktion und Beschäftigung) nichts mehr zu tun, beruht auf einer Täuschung: "Die zunehmende Wettbewerbsintensität an den Finanzmärkten, neuartige Finanzinstrumente und Finanzierungstechniken sowie gesunkene Transaktionsund Informationskosten haben die Fähigkeit des Finanzsystems, seine Intermediationsleistung zu erfüllen, erheblich verbessert. ... Gesamtwirtschaftlich verbessert dies die Rahmenbedingungen für Investitionen und für eine stetigere Kapitalbildung" (Tietmeyer 1996, S. 3). Über die Billigkeit des Kapitalmarktes wird der Wettbewerbszusammenhang mit den Gütermärkten enger. Dies wird vielfach als unangenehm empfunden. Denn die Frage, wo die Senkung der Finanzierungskosten zu einer nachhaltigen Steigerung des Sozialprodukts führt und ob hierdurch mehr Beschäftigung entsteht, hängt wiederum von der Qualität der Ordnungspolitik ab, insbesondere von der wettbewerbsgerechten Gestaltung des Bewertungszusammenhangs zwischen den Produkt- und Faktormärkten. Wer der Meinung ist, die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik müsse weitgehend "eigenständig" gestaltet und als Bereichsausnahme von der Wettbewerbsordnung behandelt werden, wird dazu neigen, in der Liberalisierung von Devisen- und Finanztransaktionen einen destabilisierenden Einfluß auf die nationale Wirtschaftpolitik zu sehen. (5)
Die Absicht, mit einer Steuer die Rendite-Differenz, die eine Währungsumschichtung im internationalen Finanzverkehr (etwa durch Zinsarbitrage) attraktiv
Alfred
Schüller
machen kann, wegzusteuern und damit das Sparvermögen für langfristige Investitionen zu reservieren, beruht auf Fehlschlüssen: Kurzfristige Finanztransaktionen als "unsolide" (spekulativ) und langfristige Anlagen als "solide" zu bezeichnen, ist zwar populär, doch schon wegen der Vorteile der genannten Fristen- und Risikotransformation verfehlt. Im übrigen sind Finanzanlagen wie alle wirtschaftlichen Entscheidungen, die mit Unsicherheit behaftet sind, spekulativ. Der Versuch, "gute" von "schlechten" Spekulationen zu unterscheiden, verliert sich deshalb in einem willkürlichen Interventionismus. Eine Steuer, die bestimmte Finanztransaktionen unattraktiv machen soll, würde die erwünschte Wirkung - wenn überhaupt - nur haben, wenn sie von allen Ländern erhoben, also international (unter Einschluß potentieller Steueroasen) vereinbart würde. Der Vorwurf eines gefährlichen willkürlichen Interventionismus bliebe aber bestehen. Die Steuerausweichung über steuerfreie Devisenschwarzmärkte dürfte sich aber schon wegen des administrativen Kontrollaufwands und der Attraktivität von Umgehungsgeschäften nicht vermeiden lassen. Die Akteure auf den Gütermärkten, die auf den entsprechenden Devisenhandel ausgewiesen sind, würden insoweit in die Illegalität gedrängt. Hier bliebe der Wettbewerbszusammenhang zwischen Kapital- und Gütermärkten mit allerdings höheren Kosten und mit wahrscheinlich erheblichen Nachteilen für kleine und mittlere Produzenten weiterhin wirksam. Eine sehr hoch angesetzte Steuer ohne Umgehungsmöglichkeit käme einer effektiven Kapitalverkehrskontrolle gleich. Diese würde die Binnenorientierung nicht nur im Finanzmarktbereich, sondern wegen der oben geschilderten Verknüpfungen zum Realsektor auch im Gütermarktbereich begünstigen. Die damit verbundenen erheblichen Wohlfahrtsverluste würden auch die vielen Entwicklungsländer treffen, die heute bei ihrem Kapitalimport von den Vorzügen der freien internationalen Finanzmärkte profitieren, die diese gegenüber einer Finanzierung durch Weltbank und Internationalen Währungsfonds haben. Bei einer weitgehenden, effektiven Unterbindung dieser Finanztransaktionen käme aus der Steuererhebung auch nicht viel heraus, was an bestimmte Entwicklungsländer - etwa über die internationalen Finanzinstitutionen verteilt werden könnte. Freilich wäre dies kein Nachteil; denn in den fraglichen Ländern sind die Banken und die Finanztransaktionen überwiegend staatlich reguliert. Hierdurch wird die inländische Ersparnisbildung behindert, die Investitionsfinanzierung politisiert und die innere und äußere Kapitalflucht begünstigt. Der Kapitalmangel dieser Länder ist also ganz überwiegend ordnungsbedingt. Der Versuch, dem durch Zuteilung von Einnahmen aus der Spekulationssteuer entgegenzuwirken, würde dazu beitragen, die Ursachen der Kapitalarmut zu festigen.
Der Wettbewerbszusammenhang
zwischen Kapital- und
Gütermärkten
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Die geschilderten Mißverständnisse hinsichtlich der Erschließung wertsteigernden Wissens im Wettbewerbszusammenhang zwischen Kapital- und Gütermärkten legen es nahe, im folgenden Kapitel eine weiter ausgreifende Betrachtung der Grunddimensionen des Wettbewerbs anzustreben. Eine solche Analyse ist hier freilich nur ansatzweise möglich.
3.4. Die Grunddimensionen des Wettbewerbs als Ansatzpunkte zur Beurteilung der Kapitalmarkteffizienz Art und Stärke der Wettbewerbseffekte, die vom Kapitalmarkt auf die Gütermärkte ausstrahlen, hängen von den Ordnungsbedingungen ab, die zur Entstehung und Ausbreitung wettbewerblicher Prozesse führen: von der Ordnung der Wissens-, der Handlungsrechts- sowie der Anreiz- und Haftungssphäre.
3.4.1. Die Wissenssphäre Einfluß auf den Kapitalmarkt als Quelle wertsteigernden Wissens haben unter anderem folgende Ordnungsbedingungen: (1)
Verfälschungen der Informationsfunktion des Preissystems durch staatliche Interventionen (Regulierungen, Subventionen) auf den Güter- und Faktormärkten, durch private und hoheitliche Wettbewerbsbeschränkungen sowie durch Inflationsprozesse. Damit werden die Knappheitsverhältnisse und Erwartungen der Wirtschaftssubjekte (Zeitpräferenzen), die in die Preisbildung einfließen, verzerrt - mit entsprechenden Fehlinformationen für die Akteure auf dem Kapitalmarkt. Durch eine so verzerrte, knappheitswidrige Steuerungsfunktion des Marktzinses gehen vom Kapitalmarkt auf den Arbeits- und Bodenmarkt sowie die Gütermärkte Fehlanreize aus. Inflationäre Prozesse lösen auf den Gütermärkten langfristig negative Allokations- und Wachstumswirkungen aus. Insgesamt kommt es dazu, daß mit der Schwächung des Preissystems, der marktwirtschaftlichen "Sehmaschine", wichtige Quellen wertsteigernden Wissens versiegen (s. hierzu Schüller 1994, S. 466 ff.).
(2)
Die Regeln des Bilanzrechts (Rechnungslegung, Qualität des Ausweises der Reserven, Gewinne, des Vermögensstatus, der Marktrisiken; Aufgaben und Haftung der Rechnungsprüfer; Reichweite der Publizitätspflicht der Unternehmen) und das Recht des Insidertrading. Von diesen Regeln hängt die Findigkeit auf dem Kapitalmarkt ab.
(3)
Die Qualität der Informationsverarbeitung auf den Sekundärmärkten, insbesondere die Organisation und die Handlungsrechtsstruktur der Börsen (im Eigentum der Banken oder unabhängig von diesen); hiervon kann es abhängen, ob das Publikum direkten Zugang zu den Börsen hat oder nur über die Banken. Davon werden die Bedingungen der Kursfeststellung, die Pflege des Handels großer und kleiner Werte beeinflußt.
(4)
Die Möglichkeit der Anleger, über die Qualität des Wissens, das von Anlageberatern vermittelt wird, zu urteilen. Diese Wissensquelle ist um so wichtiger,
Alfred Schüller
188
je weniger die Bewertungsvorschriften und Gewinnrechnungen (Cash flowAusweise) etwas über die Finanz- und Marktlage der Unternehmen aussagen, z.B. je mehr Kapitalgesellschaften dem Prinzip der kontinuierlichen Ausschüttung (unabhängig von der aktuellen Gewinnentwicklung) folgen können; je weniger die Jahresabschlüsse und Geschäftsberichte der Unternehmen in anderer Hinsicht Anhaltspunkte für Zukunftseinschätzungen bieten; je weniger auf den Sekundärmärkten marktorientierte Unternehmensbewertungen ("Börsenkapitalisierungen") möglich sind und Aktienkurse festgestellt werden, die frei von Handlungsblockaden sind (s. Kapitel 4. und 5.). Damit ist bei einem relativ hohen Anteil von Festbesitzern (Alteigentümern, Banken, Versicherungen, Investmentfonds) zu rechnen, wenn also nur geringe Margen des Aktienkapitals auf den Sekundärmarkt gelangen. Dies ist auch zu erwarten, wenn die Manager dem Eigentümereinfluß entzogen sind oder wenn kleinere Aktiengesellschaften mit günstigen Wachstumsperspektiven wegen der Handlungsrechtsstruktur der Börsen auf dem Sekundärmarkt überhaupt nicht auftauchen. Diese und andere Aspekte der Wissenssphäre beziehen sich auf die Findigkeit des Kapitalmarktes. Hierbei ist zweierlei zu berücksichtigen: Erstens ist der subjektiv verschiedene Umgang mit der unsicheren Wissensbasis und mit der Zeitpräferenz die Ursache für unterschiedliche Zukunftserwartungen und Risikobereitschaften. Darin wird mit Recht eine wichtige Voraussetzung gesehen, um das Risiko von Fehlinvestitionen zu mindern (s. hierzu Fehl 1983, S. 80 ff.). Zweitens sind alle hier genannten Quellen wertsteigernden Wissens in ihrer Ergiebigkeit offensichtlich zunächst ordnungsbedingt und - davon bestimmt - prozeßabhängige Ergebnisse. 3.4.2. Die Sphäre der Handlungsrechte (1)
Die Wettbewerbswirkungen des Kapitalmarktes sind auch davon bestimmt, wie weit die Unternehmen bei der Finanzierung von den Ersparnissen der Nichtunternehmer abhängig sind. Für das Verhältnis von Innen- und Außenfinanzierung, von firmeninternen und firmenexternen Kapitalmärkten sind z.B. ausschlaggebend die Unternehmensverfassung, das Ausmaß der Eigentumsverflechtung der Akteure auf den Gütermärkten (Dominanz von Groß- oder Kleinaktionären) sowie mit den Finanzintermediären und staatlichen Einrichtungen, der Zugang zu subventionierten Krediten und staatlichen Überlebensgarantien. Hiervon hängt die Reaktionsverbundenheit der Gütermärkte mit dem Kapitalmarkt im allgemeinen und die "Börsenkapitalisierung" der Unternehmen im besonderen ab.
(2)
Unterschiedliche Wettbewerbswirkungen entstehen je nach der Ausstattung der Eigen- und Fremdfinanzierungstitel (Transformier- und Transferierbarkeit, Liquiditätsgrad, Laufzeit, pekuniäre Ertragsperspektiven, steuerliche Behandlung, Weitbeständigkeit - s. Kath 1983, S. 249). Die jeweils gewählte Vermögensstruktur spiegelt die Anlagepräferenzen der Sparer wider, ihre Vorstellung, wie der Vermögenswert erhalten und gesteigert, wie zugleich auch dem Bedürfnis nach Liquidität Rechnung getragen werden kann. Im Nutzenkalkül von indivi-
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duellen oder institutionellen Vermögenshaltern sind wettbewerbliche Wirkungen auf die Gütermärkte direkt nur in bestimmten Fällen (Aufkauf von Konkurrenten, Übernahmestrategien) intendiert. Um so entscheidender ist es im übrigen, daß die Handlungsrechte an den Finanztiteln so beschaffen sind, daß sie im jeweiligen Handlungs- und Sachzusammenhang ungewollt die Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes begünstigen. (3)
Die Wettbewerbsbedingungen der Finanzintermediäre haben Einfluß auf die "Findigkeit" und "Billigkeit" des Kapitalmarktes. So kann der Wettbewerb zwischen in- und ausländischen, zwischen staatlichen und privaten Banken durch wettbewerbsbeschränkende Kooperationsmöglichkeiten und Niederlassungsbestimmungen eingeschränkt sein. Wie weit die Akteure der internationalen Finanzmärkte die nationale Kapitalmarkteffizienz beeinflussen können, hängt vor allem von der Freiheit des grenzüberschreitenden Kapital Verkehrs, damit von den Möglichkeiten der Umgehung nationaler wettbewerbsbeschränkender Regulierungen ab.
3.4.3. Die Anreizsphäre Die Ebene der Handlungsrechte bestimmt wesentlich die vom Kapitalmarkt auf die Unternehmen, die Sparer und die Finanzintermediäre ausgehenden Anreize, etwa hinsichtlich der Anpassung der Portfolios an veränderte Ertragserwartungen auf den Gütermärkten oder hinsichtlich der Höhe der Rendite für Risikokapital gegenüber der Rendite risikoarmer, festverzinslicher Finanztitel (u. a. von der steuerlichen Behandlung von Fremd- und Eigenkapital abhängig). Die Anreize der Sparer sind in diesem Kontext von ihrer Zeitpräferenz abhängig. Normalerweise profitieren die Anleger von einem intertemporalen Risikoausgleich. Deshalb müßten sie daran interessiert sein, zumindest einen Teil des Geldvermögens längerfristig anzulegen. Tatsächlich präferieren die privaten Haushalte diese Möglichkeit im Interesse höherer Renditen. Die Zeitpräferenz kann jedoch durch fehlende Anlagetitel mit attraktiven Ausstattungsmerkmalen, durch Inflationserwartungen, aber auch durch die Verhaltensweise der Anlageberater und Vermögensverwalter entgegengesetzt beeinflußt werden. So legen nach von Weizsäcker (1994, S. 130) die meisten Vermögensverwalter die Gelder ihrer Kunden lieber in Papieren mit weniger Risiko, aber auch geringerer Renditeerwartung an, weil sie glauben, ihre Mandanten durch relativ schnelle Anlageerfolge besser an sich binden zu können. Daraus kann eine "delegationsinduzierte Risikoaversion des Anlegerpublikums" (von Weizsäcker) entstehen. Hierdurch können die Sparer daran gehindert werden, langfristige Anlagedispositionen im Bereich der Beteiligung am Produktivkapital einzuüben, eine wesentlich höhere durchschnittliche Jahresrendite zu erzielen, unternehmerische Kompetenz auf diesem Gebiet zu entwickeln und diese gewollt oder ungewollt in den Wettbewerbsprozeß einzubringen (s. hierzu Fehl 1994, S. 356 f.). Die geschilderte Risikoaversion des Anlegerpublikums dürfte auch als Kehrseite jener Verkümmerung des Prozesses "kollektiven Lernens" auf dem Gebiet der individuellen Vermögensbildung zu erklären sein, auf die weiter unten hingewiesen wird (s. Kapitel 4.1.).
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3.4.4. Die Ebene der Haftung (1)
Die Haftungspflicht der Eigentümer (Anteilseigner) von Unternehmen auf den Güter- und Finanzmärkten erstreckt sich erstens auf die Zuständigkeit für die Erfüllung der in den Verträgen der Unternehmensleitung begründeten Verbindlichkeiten - gegenüber den Arbeitnehmern, den Abnehmern, den Lieferanten, den Fremdkapitalgebern, dem Staat usw. Aus der Haftungspflicht resultiert zweitens das Leitungsrecht, also die Zuständigkeit für die Vermarktung des unternehmensspezifischen Vermögenskomplexes. Dies schließt das Recht ein, die im Unternehmen als Gegenstück zu den Verbindlichkeiten begründeten Leistungsansprüche (vor allem aus den Verträgen mit den Arbeitnehmern, Kunden, Lieferanten, Banken usw.) zur Geltung zu bringen. Dies bezieht sich auch auf die Möglichkeit, das Leitungsrecht zu delegieren und die Art des delegierten Handelns zu bestimmen. Die Haftungspflicht der Eigenkapitalgeber bezieht sich drittens auf die Zuständigkeit für die Aneignung der Gewinne und die Übernahme der Verluste des Unternehmens als summarisches Ergebnis der Bemühungen um eine wertsteigernde Wissensnutzung. Dieses Haftungsverständnis steht im Mittelpunkt der Idee einer präventiven Wettbewerbspolitik. Hierbei wird dem Eigenkapital deshalb eine besondere Bedeutung beigemessen, weil es ergebnisabhängig "bedient", also nicht wie Fremdkapital mit festen Sätzen verzinst und zu bestimmten RückZahlungsterminen getilgt werden muß. Eigenkapital befähigt in Verlustphasen, aber auch bei risikoreichen Wettbewerbsvorstößen, zu eigenständigem unternehmerischen Handeln. Haftungsvermögen als Grundbedingung unternehmerischen Handelns wirkt erzieherisch und motivierend, wenn es darum geht, erfüllbare Wirtschaftspläne aufzustellen. Dies verstärkt die Eigenkontrolle, erhöht die präventive Anpassungsflexibilität der Unternehmen und verbessert die Berechenbarkeit wettbewerblicher Marktprozesse. Die gesellschaftliche Akzeptanz des Marktgeschehens wird auch durch die machtbegrenzende Wirkung der Haftung erleichtert: Unternehmen können nämlich nach diesem Haftungsverständnis nur in dem Maße wachsen und dadurch Vorteile im Wettbewerb gewinnen, wie ihre Haftungsgrundlage erweitert wird. Hierfür kommen auch Ersatzformen in Frage: Die Abgabe von Rechten der Geschäftsleitung seitens der Kreditnehmer. In diesem Fall erhalten die Gläubigerbanken zur Minderung der Risiken aus einem unzureichend einschätzbaren Vermögensstatus bestimmte Mitentscheidungsrechte zuerkannt. Diese Vorkehrung kann - etwa gegenüber einer GmbH - durch Bildung eines Beirats, Verwaltungs- oder Aufsichtsrats, durch persönliche Haftungsübernahme seitens der Geschäftsführer oder ein Mitspracherecht der Kreditgeber bei Personalentscheidungen institutionalisiert werden. Bei der Kreditsicherung durch Erwerb von Leitungsrechten kann die Entscheidungsteilung für den Gläubiger allerdings mit schwer kalkulierbaren Transaktionskosten verbunden sein. Vor allem aber kann durch eine gespaltene Geschäftsführung der Verantwortungsbereich der kreditnehmenden Unternehmensleitung in einem Maß unbestimmt werden, daß die Fähigkeit und die Bereitschaft abnimmt, unternehmerisch erfolgreich tätig zu werden.
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Die Besicherung des Fremdkapitals: Hierfür kommen Pfand- und Übereignungsrechte, Eigentumsvorbehalte oder andere privatrechtliche Vereinbarungen der Kreditsicherung, die im Konkursfalle Anspruch auf Absonderung oder Aussonderung haben, in Frage. Hierdurch kann die Kreditgewährung an Berechenbarkeit gewinnen, so daß infolge abnehmender Transaktionskosten auch die Kreditkosten gesenkt werden können. Damit wird allerdings der unternehmerische Dispositionspielraum des Schuldners eingeengt. Freilich gibt es Fälle, in denen erst auf diesem Weg der Zugang zu Fremdkapital möglich wird. Dies gilt vor allem für den Markteintritt solcher Unternehmen, die in ihrer Startphase weitgehend auf besichertes Fremdkapital angewiesen sind, weil es ihnen an Eigenkapital mangelt oder weil die Banken nicht bereit sind, unternehmerische Ideen zu kreditieren. Sicherungsrechte sind geeignet, diese Handlungsrechtsbarriere zu überbrücken, was besonders für unbekannte junge Unternehmen eine wichtige Starthilfe sein kann. Institutionen der Informationsvermittlung (z.B. Auskunfteien, Kreditinformationssysteme der Banken) sowie die Kreditversicherung. (2)
Die Bereitschaft der Sparer, Eigentümerhaftung zu übernehmen, dürfte von folgenden Faktoren abhängen: von der Höhe der Risikoprämie für Haftungskapital gegenüber alternativen Anlagen;
risikofreien
von den Kosten für die Lösung des Principal-Agent-Problems: in Abhängigkeit vom Ausmaß der Kapitalbeteiligung am Unternehmen und damit vom Einfluß der Geldkapitalgeber auf die Unternehmenskontrolle; von der gesetzlichen Zuweisung von Leitungsrechten ohne Mithaftung; von der Kalkulierbarkeit der Verbindlichkeiten (etwa gegenüber den Arbeitnehmern - z.B. durch Kündigungsschutz, Sozialplan- und Mitbestimmungskosten; gegenüber den Abnehmern - z.B. in Form der Produzentenhaftung; gegenüber dem Staat - z.B. aufgrund von Umweltschutzauflagen, steuerlicher Rechtsunsicherheit); von der Möglichkeit, die Beteiligung auf den Finanzmärkten zu kapitalisieren; vom Angebot anreizkompatibler Beteiligungsmöglichkeiten. (3)
Die Haftung der Finanzintermediäre, etwa in Form des Einlagenschutzes, ist im Bereich der Finanzmärkte wegen des Dominoeffektes besonders wichtig. Diese Vertrauenssicherung erleichtert die kontinuierliche Mobilisierung von Sparkapital, damit auch die Verläßlichkeit der Außenfinanzierung von Investitionen auf den Gütermärkten. Im Zusammenhang mit diesem Argument der "Sicherheit des Kapitalmarktes" stellt sich die Frage: Wie kann der Einlagenschutz wettbewerbsfördernd gestaltet werden? Dies kann geschehen:
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durch Eigenkapital-, Rechnungslegungs- und PublizitätsVorschriften; Normen der Kreditvergabe, Vorschriften über die Art der Fristen-, Risiko- und Mengentransformation, Markteintrittskontrollen bis hin zur Staatsaufsicht über die Finanzintermediäre. Entsprechende Regulierungen sind dagegen für hoheitlich organisierte Wettbewerbsbeschränkungen besonders anfällig; durch Einlagensicherung auf dem Versicherungswege; diese wirkt eher wettbewerbsfördernd. Die vom Wissen, den Handlungsrechten, den Anreizen und Haftungsregeln beeinflußten Dimensionen des Wettbewerbs, die vom Kapitalmarkt aus zum Gütermarkt hin wirksam werden können, knüpfen sehr stark an Gewinnerwartungen an. Doch ist zu berücksichtigen, daß Wettbewerbsprozesse und Gewinnaussichten von vielen Faktoren abhängen. Ob auf dieser Grundlage die Dynamik des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs, die Überlebensfähigkeit sowie die Bewertung der Unternehmen verbessert werden können, ist also nicht nur von den Finanzierungsmöglichkeiten bestimmt, sondern von der Gesamtauswahl "jener Aktiva aus dem Gesamtpotential verfügbarer Ressourcen, die die Unternehmung zu effizienten Komplementaritätsblöcken bündelt" (.Krüsselberg 1986, S. 80 mit Verweis auf 1967, S. 288-293).
4. Verkümmerte Wettbewerbsdimensionen des Kapitalmarktes: Ursachen und Wirkungen 4.1. Die Sphäre der privaten Haushalte als Sparer Prinzipiell können die Unternehmer nicht unabhängig von den Entscheidungen der Sparer investieren (Willgerodt 1957, S. 191). Heute gilt dies bei einem hohen Offenheitsgrad der Finanzmärkte und einer entsprechend gestiegenen Kapitalmobilität mehr denn je auch international. Damit haben auch die Sparer eine größere Auswahl von Anlagen und Finanzdienstleistungen. Die Sparer werden bei der Daseinsvorsorge durch Vermögensbildung darum bemüht sein, Anlagen entsprechend ihren Risiko- und Zeitpräferenzen mit den international günstigsten Ertragseigenschaften zu wählen. Die Frage ist: Wie werden durch diese Erwartungen - etwa über die Sachkapitalbildung - Wettbewerbswirkungen auf den Gütermärkten ausgelöst? Hierbei ist auszuschließen, daß die Sparer dafür, daß dem Wettbewerb (also einem öffentlichen Gut) gedient wird, besondere Anstrengungen unternehmen. Wettbewerbseffekte im Sinne der Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes entstehen durch die Sparer nur unbewußt und ungewollt (s. Kapitel 3.3.). Sparer können die privaten Haushalte, die Produktionsunternehmen, die öffentliche Hand und das Ausland sein. Hier werden im wesentlichen nur die privaten Haushalte und - im Kontext des nächsten Abschnitts - die Produktionsunternehmen behandelt. Die privaten Haushalte sind in Deutschland die zweitwichtigste Quelle von Finanzkapital für die volkswirtschaftliche Vermögensbildung (s. Horn 1994, S. 38). In der Bundesrepublik entfiel davon vor 1990 der größte Teil auf die Finanzierung der Versorgungsansprüche gegen die Privat- und Sozialversicherung und auf die Finanzierung von Haus- und Grundvermögen (rd. 65%; für die Sozialversicherung allein 30%). 17%
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entfielen auf das Geldvermögen (einschließlich Aktien), auf Sachvermögen 7% - 8% und auf Betriebs- und Produktivvermögen 6,5% - 7% (s. Lantpert 1993, S. 247 f.). Lediglich 5% bis 6% des Geldvermögens der privaten Haushalte waren in Aktien angelegt (1960 waren es noch 24,2%; 1970 11,3%). Insofern sind die meisten Sparer an den Unternehmen im Gütermarktbereich überwiegend nur indirekt über die Finanzintermediäre "beteiligt". Während im Bereich des Haus- und Grundbesitzes sowie des Geldvermögens zunehmend breitgestreute Eigentumsverhältnisse festzustellen sind, wird bei der Beteiligung am Betriebsvermögen nach wie vor eine hohe Eigentumskonzentration vermutet. Es gibt nämlich keine amtliche Statistik der Vermögensverteilung. Im Ausmaß und in der Streuung der Geldvermögensbildung sowie in der seit längerem beobachtbaren abnehmenden Zeitpräferenz im Anlageverhalten wird vielfach eine günstige Voraussetzung für eine breitere Beteiligung der Bevölkerung am Produktivvermögen gesehen. Es müsse allerdings, so wird gefordert, staatlicherseits nachgeholfen werden, weil bei den privaten Haushalten eine "risikoaverse Anlegermentalität" mit einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis bestehe. Dieses wird mit Kriegs- und Inflationserfahrungen erklärt. Vor allem wird auf der Anlegerseite die fehlende "Aktienkultur" in Deutschland beklagt. Gewiß gibt es im Verhalten der Sparer Mechanismen des Lernens, der Nachahmung und der Bekräftigung von Erfahrung und Wissen durch komplementäre Institutionen. Dadurch entstehen im wettbewerblichen Bewährungstest Verhaltensroutinen. Dieser Vorgang ist allerdings ordnungsbedingt. Er hat z.B. in den USA unter den dort bestehenden Ordnungsbedingungen dazu geführt, daß die Sparer als Anteilseigner im Mittelpunkt des Kapitalmarktes stehen. Dies wird dadurch ständig bestätigt, daß die Unternehmen sich in hohem Maße über den Kapitalmarkt finanzieren. Auch in Großbritannien, der Schweiz und in Japan ist die Eigenkapitalfinanzierung der Unternehmen und damit ihre Börsenkapitalisierung sehr viel höher als in Deutschland. Daß bei uns keine entsprechenden Lern- und Handlungsmuster entstehen, kann z.B. folgende Gründe haben: (1)
In Deutschland ist eine weit fortgeschrittene Entpersonalisierung der Rechte am Privateigentum an den Produktionsmitteln entstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese sozialstaatlich motivierte Entwicklung in seinem Mitbestimmungsurteil von 1.3.1979 bekräftigt. Seine sozialethischen Überlegungen laufen darauf hinaus, Vermögensrechten in der direkten Nutzung von Einzelpersonen einen höheren "sozialen Rang" und weitergehenden Schutz des Grundgesetzes einzuräumen als Eigentum in der unternehmerischen (vor allem kapitalgesellschaftlichen) Nutzung (s. Schüller 1980a, S. 110 ff.). Die verstärkte Sozialbindung von unternehmensgebundenen Eigentumsrechten drückt sich seit den 70er Jahren in der Mitbestimmungsgesetzgebung, der Arbeitsmarktpolitik und in anderen, vor allem steuerpolitischen Diskriminierungen der Risikokapitalbildung gegenüber der Fremdkapitalfinanzierung aus. Nicht nur in der DDR, sondern auch in Westdeutschland hat die marxistische Theorie vom ausbeuterischen Charakter des Eigentums an den Produktionsmitteln weit ausgreifende Wurzeln geschlagen. Es ist verständlich, wenn bei vielen Sparern (die ja als Arbeitnehmer die Windrichtung kennen, aus der die eigenkapi-
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talfeindliche Haltung in Gesetzgebung und Rechtsprechung kommt) eine Art von verborgener Teilhaberflucht entstanden ist. Kapitalflucht entsteht bekanntlich immer dann, wenn die freie Verfügbarkeit über eine Anlage aufgrund tatsächlicher oder erwarteter Eingriffe für den Kapitalanleger nicht mehr sicher genug erscheint. Solange es für diese Diskriminierungen keine ausgleichende Risikoprämie gibt, ist es verständlich, wenn Vermögensanlagen in Deutschland bevorzugt werden, die für eine politisch verursachte Ausdünnung der Ertragserwartungen weniger anfällig sind. Die entsprechenden Anlagen erzielen im Wettbewerb um das international bewegliche Finanzkapital einen Vorteil. Das negative Vorzeichen bei allen unter 3.4.4. genannten Faktoren ist zu bedenken, wenn darüber nachgedacht wird, wie die Aktie als Finanzierungsinstrument auch für eine Gesellschaft von Teilhabern - und dadurch die Wettbewerbsdimensionen des Kapitalmarktes in Deutschland gestärkt werden können. (2)
Das System der dynamischen Rente nach dem totalen Umlageprinzip schränkt die Handlungsfreiheit der privaten Haushalte in Deutschland hinsichtlich ihrer Daseinsvorsorge für das Alter durch Sparen ein. Mindestens ein Drittel der durchschnittlichen individuellen Vermögensbildungskapazität wird allein von der gesetzlichen Alterssicherung absorbiert; die entsprechenden individuellen Ansprüche werden meist nicht in der Vermögensstatistik ausgewiesen. Dieser Teil des laufenden Sparens entzieht sich zudem in breiten Bevölkerungsschichten der bewußten individuellen Eigentumsdisposition; er geht der volkswirtschaftlichen Kapitalbildung verloren, weil das vorherrschende Umlageverfahren ein kapitalbildungsfeindliches Umverteilungsinstrument ist (s. Willgerodt 1979, S. 205). Ein Vergleich der Zahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem, was der Kapitalmarkt den Rentnern bieten würde, zeigt, "daß alle durchgerechneten Alternativen den treuen Zwangsversicherten erheblich schlechter stellen, als es der Kapitalmarkt getan hätte" (Glismann/Hom 1995, S. 333 f.). Die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung reichen nicht einmal aus, "um in einer Welt ohne Zinsen und Wachstum mit dem Sparstrumpf des Beitragszahlers zu konkurrieren". Weil diesen Vermögensansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung die "Kapitalfundierung" (Issing 1992, S. 8) fehlt, dürfte eine "bestimmte geistige und moralische Haltung, die einen Teil individueller und selbstverantwortlicher Lebensgestaltung ausmacht" (Willgerodt 1957, S. 197), in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Aus Handlungsrechtsbarrieren sind Wissens-, Anreiz- und Verantwortungsbarrieren mit vielfältigen Einladungen zum moralischen Fehlverhalten entstanden. Diese hätten beim Kapitalstocksystem keine Chance. In der gesetzlichen Alterssicherung wird deshalb vielfach eine Ursache für die mangelnde Markttiefe des Kapitalmarktes bei der Koordination intertemporaler Wirtschaftspläne und für den Umstand gesehen, daß das stärkste Motiv zur Vermögensbildung überhaupt in Mitleidenschaft gezogen worden ist (s. Willgerodt 1980, S. 14 ff.; Horn 1994, S. 45 f.).
(3)
Eine freiwillige risikokapitalorientierte Umschichtung in der Vermögensbildung der sog. Kleinanleger erfordert Anlageformen mit entsprechenden Anreizen. Daran mangelt es. Die durchschnittliche Aktiendividende lag zwischen 1965 und
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1992 erheblich unter der Umlaufrendite festverzinslicher Wertpapiere der öffentlichen Hand (s. Horn 1994, Tabelle 14); wird auf die tatsächliche Aktienrendite (also auf die Wertentwicklung einer Aktienanlage unter Berücksichtigung der Kursgewinne) abgestellt, so stellt Horn für den Zeitraum 1965 bis 1993 am deutschen Aktienmarkt ebenfalls ein Zurückbleiben hinter der Wertentwicklung von Rentenanlagen fest, wenn von den Jahren 1965 bis 1970 und 1982 bis 1986 abgesehen wird. Es ist also schon deshalb verständlich, wenn in Deutschland der Aktienbesitz in der Struktur der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte im internationalen Vergleich extrem unterentwickelt ist. Freilich schneiden international gestreute Aktienportfolios bei hinreichend langfristigem Anlagehorizont sehr viel besser ab (s. FAZ 1995b). Die Frage ist: Wer ist im politischen Prozeß daran interessiert, daß Haftungskapital auch in Deutschland mit einer attraktiven Risikoprämie rechnen kann? Viele (Groß-)Unternehmen sind nicht allzu sehr auf publikumswirksame Formen der Risikokapitalbeschaffung angewiesen; und der zinsrobuste Staat kann sich am reich mit Sparkapital gedeckten Tisch den jeweils gewünschten Teil relativ leicht beschaffen. Die Sparer haben auf die Verwendungsqualität des Kapitalmarktes kaum Einfluß.
4.2. Die Sphäre der Unternehmen auf den Gütermärkten Die Finanzierung der Unternehmen umfaßt die Innenfinanzierung und die Außenfinanzierung. Die Innenfinanzierung besteht aus Abschreibungen, Gewinnzuführungen und Rückstellungen (einschließlich solcher für Pensionsansprüche). Die Außenfinanzierung umfaßt die externe Eigenkapitalzuführung und die Fremdfinanzierung mit unterschiedlichen Formen der Kreditaufnahme. Hier stellt sich die Frage nach der Wettbewerbsrelevanz der Bemühungen um eine für das Unternehmen vorteilhafte Kapitalstruktur. Zunächst ist zu beobachten, daß der Anteil der Innenfinanzierung der Unternehmen an den Bruttoinvestitionen in Westdeutschland im internationalen Vergleich sehr hoch ist: 1970 74%, 1980 71%, 1990 91%, 1992 und 1993 rund 77% (s. Horn 1994, S. 34 ff.). Allein die (verdienten) Abschreibungen machen an der gesamten Innenfinanzierung zwischen 65% und 70% aus. Auch der Umstand, daß die Produktionsunternehmen insgesamt mit einer erheblich anwachsenden Geldvermögensbildung selbst als Finanzintermediäre tätig geworden sind (durch Anlagen bei Banken, in festverzinslichen Wertpapieren, in Form von Beteiligungen jeweils im In- und Ausland), läßt vermuten, daß über die gewachsene Bedeutung der Innenfinanzierung, also der sog. "internen Kapitalmärkte", die Abhängigkeit der güterwirtschaftlichen Prozesse vom externen Kapitalmarktgeschehen in Deutschland abgenommen hat. Dies drückt sich bei den großen deutschen Aktiengesellschaften auch in extrem hohen Anteilen der "sonstigen Erträge" am Gewinn aus (s. FAZ 1995a). Die Unabhängigkeit der Unternehmen von der Außenfinanzierung ist allerdings vor allem ein Privileg großer Unternehmen mit einer Rechtsform, die den Zugang auch zum internationalen Kapitalmarkt erleichtert. Kleinere Unternehmen sind dagegen vor allem auf die Finanzierung durch Banken angewiesen.
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Hieraus läßt sich eine prinzipielle Wettbewerbsrelevanz der Eigenkapitalbasis folgern: (1)
Soweit Unternehmen auf Fremdkapital angewiesen sind, stammt dieses in Deutschland zu fast 85% von den Banken (s. Issing 1993, S. 30 ff.). AVenn es nun zutrifft, daß der Eigenkapitalanteil für die Banken eine "unverzichtbare Kennziffer" bei der Kreditwürdigkeitsprüfung ist, sind die auf Fremdkapital angewiesenen (meist kleineren) Unternehmen daran interessiert, einen möglichst hohen Eigenkapitalanteil auszuweisen. Um diesen Anteil vergleichsweise hoch erscheinen zu lassen, liegt es nahe, Vermögenswerte, die eigentlich betrieblichen Zwecken dienen und für die Sicherung der Unternehmensliquidität wichtig sind, außerhalb des Unternehmens zu halten und nicht zu bilanzieren ("geleastes" oder gepachtetes Vermögen) oder als Aufwendungen zu verbuchen (Werbeinvestitionen, Kosten der Anwerbung und Einarbeitung von Personal).2 Wenn sich Banken aber andererseits weniger am Eigenkapitalanteil als an der Vermögensposition von Unternehmen orientieren, so kann sich die Tatsache, daß geleaste Vermögenswerte nicht unter den Vermögenspositionen in der Bilanz auftauchen, ungünstig auf die Entwicklung und die Wettbewerbschancen von Firmen auswirken, die in vergleichsweise hohem Maße auf Bankkredite angewiesen sind (zu den vorstehenden Feststellungen s. Interfmanz 1994, S. 19 f.). Solche Unternehmen dürften auf den maßgeblich von Banken beeinflußten Kreditmärkten, deren Wirkung bisweilen den Märkten für Unternehmenskontrolle gleichgestellt wird, nur eher geringe Chancen haben.
(2)
In den Fällen, in denen durch haftungsbeschränkende Unternehmensrechtsformen (z.B. die GmbH) der Marktzutritt erleichtert wird und sich die Banken die unzureichende Haftungsgrundlage für Kredite durch Leitungsrechte und persönliche Bürgschaften zusichern lassen, "(schlägt) die Haftungsbeschränkung ... aus zu Lasten von Lieferanten, Handwerkern und sonstigen kleinen Geschäftspartnern" (Möschel 1992, S. 65), die nicht über eine entsprechende Marktstellung verfügen, um solche Absicherungen durchzusetzen. Was über die Haftungsbeschränkung an Erleichterung des Marktzutritts gewonnen werden mag, wird also zugleich bei anderen Unternehmen an Widerstandsfähigkeit im Überlebenskampf verspielt.
(3)
Die Möglichkeit, Investitionsrisiken auf eine größere Zahl von Anteilseignern zu verteilen, müßte prinzipiell die Bereitschaft erhöhen, riskantere Investitionsprogramme zu realisieren. In dieser Hinsicht wird deshalb der Aktiengesellschaft (AG) eine besondere Bedeutung beigemessen. Dies gilt besonders für die börsennotierte AG. Sie wirkt normalerweise auf potentielle Anteilseigner besonders anziehend, weil - wegen der Fungibilität der Aktie und des besonderen Anlegerschutzes - Aussicht auf eine (kosten-)günstige Marktkapitalisierung der Beteiligung besteht. Hinzu kommt, daß die AG unter allen Unternehmensrechtsformen Anders als bei Kapitalgesellschaften werden von Einzel- und Personenunternehmen Finanzanlagen aus steuerlichen Gründen bevorzugt dem Privatvermögen zugeordnet. Die wirtschaftliche Lage der privaten mittelständischen Nichtkapitalgesellschaften mag auch deshalb den Banken als vergleichsweise ungünstig erscheinen (s. Deutsche Bundesbank 1993, S. 33).
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die höchste Überlebenswahrscheinlichkeit aufweist, gefolgt von den Personengesellschaften. Diese weisen eine größere "intergenerationelle Kontinuität" als die GmbH und die GmbH & Co KG auf. Für letztere wird von allen Unternehmensformen die höchste Ausfallquote zwischen dem 1. und 35. Lebensjahr festgestellt CWoywode 1993, S. 458).3 Tatsächlich hat jedoch die AG als Kapitalsammelstelle in Deutschland an Bedeutung verloren. Die Zahl der Aktiengesellschaften betrug 1914 5.000, 1924 immerhin 17.000, 1938 noch 5.500, 1941 dann 2.700, Ende 1959 noch 2.650. Die heute bestehenden rd. 3.000 deutschen Aktiengesellschaften (in Frankreich sind es etwa 135.000 und in Japan 1,2 Mill.) beschaffen Eigenkapital nur in einem vergleichsweise geringen Ausmaß durch die Ausgabe von Aktien an der Börse. Der Aktienmarkt ist extrem eng und besteht im wesentlichen aus dem PortefeuilleHandel; 90% der börsennotierten Aktiengesellschaften sind im Mehrheitsbesitz eines Großaktionärs oder mehrerer Großaktionäre. Allenfalls 40 Aktiengesellschaften befinden sich im Streubesitz. Aus der Aktie ist ein "Mittel der Beherrschung" - vor allem durch die Banken (s. Kapitel IV, 3) - geworden. Die GmbH - auch als Konzern-GmbH - ist inzwischen (wegen der vergleichsweise günstigen Mindestkapitalvorschrift und aus anderen Gründen) zur dominierenden Rechtsform der Unternehmen geworden. Dieser Trend hat sich nach 1989 in ganz Deutschland noch verstärkt. Die hohe Präferenz für die GmbH mag auf die zunehmende Unkalkulierbarkeit wichtiger unternehmerischer Verbindlichkeiten in Deutschland zurückzuführen sein [s. Kapitel 3.4.4.(2)]. Die Möglichkeit, sich an Aktiengesellschaften zu beteiligen, ist insgesamt in Deutschland unterentwickelt. Dies ist die Folge einer handlungsrechtlichen Struktur der AG im allgemeinen und der Aktie im besonderen, die im Hinblick auf die wettbewerbliche Kapitalmarktkontrolle als verfehlt bezeichnet werden muß. Das Aktienrecht läßt nämlich das Management großer Unternehmen, vor allem von Konzernen, alle möglichen Interessen vertreten, nur nicht die der Anteilseigner (s. FAZ 1995a). Zusammen mit den "Mitbestimmungsträgern" ist das Management häufig Arm in Arm mit den Hausbanken und dem Aufsichtsrat - in der Lage, die Innenfinanzierung der Außenfinanzierung vorzuziehen und damit die Kontrolle des Kapitalmarktes weitgehend auszuschalten, so z.B. die Hälfte des Jahresüberschusses ohne eine von den Aktionären zu billigende Begründung einzubehalten. Über die thesaurierten Mittel kann die Unternehmensleitung verfügen. Die Unabhängigkeit des Managements vom Kapitalmarkt wird noch verstärkt, wenn die Größe der Unternehmen im politischen Raum im Notfall zur Überle-
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Hohe Überlebenswahrscheinlichkeit ist im Hinblick auf die hier interessierende Wettbewerbsfrage kein Wert an sich. Nach Wenger (1992, S. 81) wünschen die Kleinaktionäre oft genug "eben nicht den langfristigen Fortbestand des Unternehmens; stattdessen würden sie eine kurz- oder mittelfristige Teil- oder Totalliquidation vorziehen, die einem unfähigen oder in die eigene Tasche wirtschaftenden Management die Möglichkeit nimmt, eine unrentable Investitionspolitik auf Kosten der Aktionäre langfristig fortzusetzen".
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bensgarantie wird. Aus dem privatrechtlichen Prinzip des delegierten Handelns wird der öffentlich-rechtliche Grundsatz einer dem Staat übertragenen Haftung. Auf diesem Weg rücken entsprechende Unternehmen in die Nähe von staatlichen Einrichtungen mit "gesellschaftspolitischer Ordnungsmacht" (Rühli 1994, S. 14). Die Rolle des "gesellschaftsbewußten Seiltänzers" (ebd.), der viele begehrliche Augen auf sich gerichtet sieht, dürfte allerdings leichter zu bewältigen sein, wenn das Überleben des Unternehmens aus eigener Kraft gesichert werden kann. Dies mag unter anderem erklären, warum große Unternehmen auf der einen Seite bestrebt sind, Leistungsbereiche auszugliedern und die Unternehmensstruktur zu dezentralisieren, sich auf der anderen Seite aber bemühen, den Finanzierungssektor zu zentralisieren und um Funktionen und Institutionen zu erweitern, die traditionell bankmäßigen Charakter haben. Diese Art von finanzwirtschaftlicher Verselbständigung der Unternehmen im Sinne des "Inhouse-Banking" geht über den Ausbau der Hauptfinanzabteilungen weit hinaus und reicht bis zur Erlangung einer Banklizenz (s. Krahnen 1994, S. 300 ff.). Auf diese Weise kann das Management nicht nur gegenüber den Interessen der Shareholder und anderer Akteure des Kapitalmarktes, sondern auch gegenüber allzu widersprüchlichen Stakeholder-Begehrlichkeiten, die meistens mit sozialstaatlichen Ansprüchen geäußert werden, an Souveränität gewinnen. Die Kapitallenkung nach firmeninternen Kalkülen zu organisieren, bietet die Möglichkeit der Quersubventionierung und Ansatzpunkte für eine zutrittsbehindernde strategische Marktpolitik. Ein extremes Beispiel für die aktienrechtlich verursachte fehlende Reaktionsverbundenheit von Gütermarkt- und Kapitalmarktgeschehen ist der VEBA-Konzern: Dieser kann bis 1999 nicht nur Investitionen in Höhe von 30 Mrd. DM aus seiner Innenfinanzierung durchführen, es bleibt ihm auch noch eine Finanzreserve in Höhe von 7 bis 8 Mrd. DM für "noch nicht planbare strategische Projekte". Dabei ist wohl vor allem an weitere Unternehmenskäufe gedacht, also an die externe Unternehmenskonzentration, durch die häufig substantielle Wahl- und Handlungsmöglichkeiten im Marktgeschehen verlorengehen. Das geltende Aktienrecht erlaubt es dem Vorstand und dem Aufsichtsrat, unabhängig vom Wissen, Wollen und Verantworten der 486.000 VEBA-Aktionäre zu entscheiden (s. FAZ 1994). Die Kapitalmarktunabhängigkeit wird in diesem Fall wie in vielen anderen Fällen (s. FAZ 1995a) zum einen durch das Zugriffsrecht des Managements auf den Gewinn und andere Möglichkeiten der Innenfinanzierung, zum anderen durch den besonderen Vorteil aus dem unzulänglichen Informationsgehalt der deutschen Rechnungslegungspraxis (etwa im Vergleich zu den amerikanischen Vorschriften) und aus der staatlichen Regulierung (hier der Elektrizitätswirtschaft) erreicht. Wenn es generell zutrifft, daß in der Präferenz der Unternehmensmanager die Innenfinanzierung vor der Fremdfinanzierung und diese vor der externen Eigenfinanzierung rangiert und daß auch günstige Möglichkeiten bestehen, nach dieser Vorliebe zu handeln, dann stellt sich die Frage: Warum sollen den Managern noch weitere "regelgebundene" Gewinnzugriffsrechte eingeräumt werden? Krahnen (1994) erwartet vom Schutz des Managements vor dem "informations- und gewinnhungrigen" Kapital-
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markt eine Förderung des vorstoßenden Wettbewerbs, also einen positiven externen Effekt. Hierbei wird den Aktionären eine im Vergleich zu den Managern prinzipiell höhere Zeitpräferenz unterstellt. Gegen dieses Argument spricht, daß der Gewinnanspruch der Aktionäre schon heute beachtlich eingeschränkt ist; allein schon deshalb entstehen auch keine starken Anreize für längerfristige Orientierungen, die bei uneingeschränktem Dividendenanspruch zu erwarten wären. Die Zeitpräferenz der Aktionäre ist nicht als etwas Gegebenes zu betrachten. Sie ist von den Ausstattungsmerkmalen der Aktie abhängig. Es würde sich z.B. lohnen, mehr Wissen über Aktiengesellschaften zu erlangen und mehr in diese zu investieren, wenn Gewinnzuführungen Zug um Zug in Beteiligungen mit Stimmrecht verwandelt und dadurch Vermögens- und Kontrollrechte nach Maßgabe der tatsächlichen Risikobeteiligung erworben werden könnten (s. Schüller 1980b, S. 118 ff.). Die Unternehmensleiter hätten sich dann präventiv auf das Aktionärsverhalten einzustellen und durch ihre Geschäftspolitik Gewinnerwartungen zu begründen, die die Aktionäre veranlassen könnten, die Wettbewerbsvorstöße über ein langfristiges Engagement der Geschäftsleitung finanzieren zu helfen. Im übrigen dürften neben anderen Faktoren die heute vorherrschenden Prinzipien der Gewinnermittlung dem Wunsch der Manager nach finanzieller Unabhängigkeit ohnehin schon weit entgegenkommen. Nach diesen Prinzipien werden "Ausgaben für gewisse zukunftsorientierte Projekte ... vom Gewinn abgezogen ..., während andere Projekte, deren Ergebnisse rasch vorliegen, keine Belastung für den nach diesen Grundsätzen ermittelten Gewinn der nahen Zukunft darstellen" (von Weizsäcker 1994, S. 127), Die Methode des "Inhouse-Banking" hat offensichtlich gegenüber der Findigkeit, der Sicherheit und der Billigkeit des deutschen Kapitalmarktes Vorteile, jedenfalls aus der Perspektive der Manager der Produktionsunternehmen. Die Konsequenzen für die Wettbewerbsdimensionen des Kapitalmarktes bedürfen noch einer näheren Betrachtung. Worauf könnte der Wettbewerbsvorteil des "Inhouse-Banking" wie auch derjenige ausländischer Anbieter von Finanzmarktleistungen zurückzuführen sein?
4.3. Die Sphäre der Banken und des Staates In Deutschland entfallen auf die Banken rund vier Fünftel aller finanziellen Aktiva der inländischen Kapitalsammelstellen. Entsprechend wichtig sind die Banken als Mittler auch im Prozeß der Geldvermögensbildung, zumal sie über die Erweiterung ihrer Geschäftsbasis hin zu "Allfinanz-Unternehmen" am stark aufkommenden Versicherungs- und Wertpapiersparen beteiligt sind (s. hierzu Issing 1993, S. 30 ff.). Von daher könnte einiges dafür sprechen, daß von den Banken starke Impulse auf den Wettbewerb im Gütermarktbereich ausgehen, zumal ein relativ hoher Prozentsatz (rund 85%) der Fremdmittel der Produktionsunternehmen von den Banken stammen. Freilich relativiert sich dieser Eindruck entscheidend, wenn die geschilderten Möglichkeiten der Innenfinanzierung bestimmter Unternehmen und die Entwicklung zum "Inhouse-Banking" berücksichtigt werden. Ist vielleicht sogar zu vermuten, daß die Banken immer mehr an wettbewerblicher Strahlkraft verlieren?
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Im Hinblick auf die Wissens- und Anreizdimension des Wettbewerbs ist vorauszusetzen, daß der Umgang mit Finanzierungsrisiken im Bereich der Produktionsunternehmen einer ständigen Übung bedarf. Die Intensität dieser Bemühungen dürfte davon abhängen, wie stark die Banken in dieser Hinsicht gefordert und auf solche Engagements angewiesen sind; dem könnten folgende Umstände entgegenstehen: (1)
Die hohe Bedeutung der firmeninternen Kapitalmärkte.
(2)
Die erheblichen Anstrengungen staatlicher Stellen, gewerbliche Investitionen mit Sonderkrediten anzustoßen und entsprechende Einrichtungen (wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Deutsche Ausgleichsbank) auszubauen. Je mehr die mitfinanzierenden Banken über diese Subventionen von der Haftung freigestellt werden, desto mehr wird sich die Betriebsamkeit auf die Vermittlung von und die Beteiligung an solchen Finanzierungshilfen konzentrieren. Allein der Bund bietet über 40 spezielle Kreditförderungsmaßnahmen an. Hinzu kommen zahlreiche Hilfsprogramme der Länder. Der Anteil der nicht oder wenig zinsreagiblen Kredite an der gesamten Außenfinanzierung der inländischen nicht-finanziellen Sektoren hat nach Feststellung der Deutschen Bundesbank (1992, S. 23) die Steuerungsfunktion des Marktzinses fühlbar eingeschränkt und das Rentabilitätsdenken auch bei den Kreditgebern insgesamt aufgeweicht. Neben Fehlinformationen des Kapitalmarktes [s. Kapitel 4.1.(1)] ist der Staat damit (vor allem auch nach 1989 in den neuen Bundesländern) indirekt in die Rolle des Eigenkapitalgebers gerückt, nachdem er diese Position für Private zunehmend unattraktiv gemacht hat. Mit dieser Art von Verstaatlichung der Finanzierung der Unternehmen mag zwar deren Kreditbasis erweitert worden sein, doch könnte hierdurch die Ansammlung von Fähigkeiten auf dem Gebiet der bankmäßigen Wagnisfinanzierung Schaden genommen haben. Statt dessen sind Methoden der versteckten Investitionslenkung vorgedrungen. Hierbei versuchen Politiker, sich gönnerhaft als Schutzherren der Eigenkapitalbildung zu profilieren.
(3)
Der Anspruch, das Marktgeschehen möglichst einheitlich als Wettbewerbsordnung zur Entfaltung zu bringen, ist schon deshalb schwer einlösbar, weil es neben privaten auch staatliche Anbieter von Gütern gibt. Die privaten und staatlichen Güteranbieter sind bekanntlich meist verschiedenen Spielregeln unterworfen. So besteht auch für die Banken ein verständlicher Anreiz, staatliche Kreditnehmer zu bevorzugen und sich mit sicheren Gewinnaussichten auf die "wählerinduzierte Kurzsichtigkeit der Politiker" (Brennan/Buchanan 1993, S. 124 f.) einzustellen. Diese ziehen es seit den 70er Jahren auch in Deutschland unter Berufung auf "strukturelle" Handlungszwänge vor, öffentliche Ausgaben durch Kredite statt durch Steuern zu finanzieren; dies auch dann, wenn es sich um Konsumausgaben und Fehlinvestitionen handelt, die typisch für ein weitläufig entwickeltes wirtschaftspolitisches Interventionssystem sind. Es erfordert von den Banken keine besondere unternehmerische Leistung, sich mit Aussicht auf Gewinn darauf einzustellen, zumal der Gesetzgeber dem Staat als Schuldner einen privilegierten Zugang zum Bankkredit verschafft hat. Sparer wie Banken leisten auf diese Weise ungewollt einer volkswirtschaftlich mangelhaften, ja häufig verschwenderischen Verwendung des Kapitals Vorschub.
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Wettbewerbsverzerrende Effekte können auch dadurch entstehen, daß die Banken die Regeln einer strengen ertragsorientierten Finanzierung der Unternehmen auf den Gütermärkten vernachlässigen können. Diese Gefahr ist um so größer, je vielfältiger Banken gegenüber einem Kreditnehmer engagiert sind (als Kreditgeber und Kontenverwalter, durch Dauerbeteiligung, Wahrnehmung der Vollmacht für Stimmrecht und Depotverwaltung, von Aufsichtsratsmandaten und Emissionsgeschäften). Die Kreditinstitute können dann wichtige Beschlüsse, etwa die Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern, die Auslese der Unternehmensleitung und die an Kreditsicherungsinteressen orientierte Verwendung des Bilanzgewinns, maßgeblich beeinflussen. Vor allem aber können sie die Übernahme eines Unternehmens verhindern. Der sogenannte Kontrollwechsel ist in Deutschland durch den vergleichsweise hochkonzentrierten Anteilsbesitz strukturell erschwert 4 . Es ist durchaus verständlich, wenn das Management von Produktionsunternehmen im Aufsichtsrat gerne Vertreter von Banken hat und über wechselseitige Verflechtungen (Überkreuzverflechtungen) einen von den Aktionären unabhängigen finanziellen Rückhalt und eine wirksame Abwehr gegen eine drohende "feindliche Übernahme" zu erlangen versucht.5 Die daraus entstehende Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen ist vor allem darauf zurückzuführen, daß die gegenwärtigen Amtsinhaber im Wettbewerb um Führungspositionen weitgehend dem direkten Kontrolleinfluß der Aktionäre entzogen sind. Hierdurch werden abgestimmte Verhaltensweisen erleichtert und potentielle Wettbewerber abgeschreckt (s. Adams 1994, S. 28). Die Banken stehen mit ihrem Beteiligungsbesitz und mit Hilfe des Depotstimmrechts im Dienste der Aufrechterhaltung etablierter Kontrollverhältnisse. Diese werden zusätzlich durch das Mitbestimmungsgesetz stabilisiert; es immobilisiert nicht nur den Aufsichtsrat, sondern erschwert auch die Abberufung unfähiger Vorstandsmitglieder im Falle einer Übernahme. Auch wegen der Politisierung der unternehmerischen Kontrollverhältnisse, die über die Mitbestimmungsregelung entsteht, kann sich in Deutschland kein nennenswerter Wettbewerb auf dem Markt für Unternehmenskontrollen entwickeln. Es ist deshalb schwieriger als etwa in den USA, aufgeblähte Unternehmensverwaltungen "schlank" zu machen, unproduktive Unternehmensstrukturen aufzulösen, den volkswirtschaftlichen Strukturwandel zu fördern und die Anpassung von Unternehmensgrößen an sich ändernde Marktbedingungen zu unterstützen (s. hierzu auch Immenga 1991, S. 13). Es überrascht deshalb auch nicht, wenn eine Untersuchung der 110 umsatzgrößten deutschen Konzernunternehmen (mit Börsennotierung) zu dem Ergebnis kommt, daß - gemessen an den üblichen Erfolgskennziffern - Unternehmen mit schwa-
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"To get 25% of the owners of GM, you need a small auditorium. To get 25% of most German large firms, you need only a conference call. To get 25% of Daimler Benz, you need only a single stockholder" (Roe 1994, S. 191). Über das Ausmaß der Überkreuzverflechtungen der wichtigsten deutschen Finanz- und Industrieunternehmen informiert Ekkehard Wenger in: Süddeutsche Zeitung vom 14.02.1995, S. 22.
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chem Bankeneinfluß deutlich erfolgreicher wirtschaften als Unternehmen mit starkem Bankenengagement (s. Perlitz/Seger 1994, S. 49 ff.). Der geschilderte Bankeneinfluß schwächt die dynamische Kapitalmarkteffizienz. Ähnlich wie im Falle von staatlichen Bürgschaften und von Erhaltungssubventionen kann durch diesen Wettbewerbsfaktor der Ausscheidungsprozeß vor allem auf stagnierenden und schrumpfenden Märkten verzerrt, verzögert und schließlich dann kostspieliger werden. Die Vorschläge, den Kreditinstituten den Eigenerwerb von Anteilen an Nichtbanken zu untersagen, sofern die Beteiligung einen bestimmten Prozentsatz der Summe der Kapitalanteile (zum Beispiel 5%) übersteigt, verdienen deshalb Beachtung. Für eine Stärkung des Wettbewerbs auf dem Kapitalmarkt dürfte dies aber nicht ausreichen. (5)
Zur Entstehung der eher wettbewerbsfeindlichen Handlungsrechtsstruktur der Banken trägt das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen bei.6 Es ist nach Adams (1994, S. 2) bei der Herausgabe, Sammlung und Veröffentlichung wettbewerbsrelevanter Informationen - etwa hinsichtlich wechselseitiger Unternehmensverbindungen - nicht "sonderlich hilfreich". Insgesamt sind solche Regulierungsbehörden im Sinne der "Capture-Theorie" im Einvernehmen mit den regulierten Unternehmen um Entscheidungen bemüht, durch die wettbewerbsfeindliche Angebotssituationen und kostentreibendes, rentensuchendes Verhalten faktisch begünstigt werden.
5. Zur Wiederbelebung der Wettbewerbsdimensionen des Kapitalmarktes Im Verhalten der Sparer gibt es ordnungsabhängige Mechanismen des Lernens, der Nachahmung und der Bekräftigung durch komplementäre Institutionen. Dadurch entstehen im wettbewerblichen Bewährungstest Verhaltensroutinen. Wie können nun vor dem Hintergrund der kritischen Beurteilung jener Umstände, die die Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes verschlechtern, wettbewerbsfördernde Verhaltensgewohnheiten entstehen?
5.1. Mehr Wettbewerb durch Investivlohn-Regelungen? Um der Gefahr wettbewerbsbeschränkender wirtschaftlicher Machtballung, die mit der hohen Konzentration von Produktivvermögen verbunden sein kann, entgegenzuwirken, wird die Einführung des Investivlohns empfohlen. Häufig wird damit auch eine breitere Beteiligung am Produktivvermögen der Arbeitnehmer angestrebt, wobei unterstellt wird, daß Vermögensbeteiligungspolitik "primär Aufgabe der Tarifpartner" sei. Hierzu sollen die Tarifparteien das Recht erhalten, zwangsweise einen Teil des Tariflohns für die Anlage im Unternehmen einzubehalten. Erwartet werden eine Initialzündung zum freiwilligen Weitersparen, eine Stärkung der Eigenkapitalbasis und ein Beitrag zur Dekonzentration und zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Welche Wirkungen sind tatsächlich zu erwarten?
Gleiches gilt für das Bundesaufsichtsamt für Versicherungen.
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(1)
Die Macht der Tarifparteien, also auch ihre bisherige Möglichkeit, auf dem Arbeitsmarkt zum Nachteil der Outsider und der gesamten Gesellschaft den Wettbewerb zu beschränken, würde gestärkt. Statt der von vielen Sachverständigen dringend geforderten Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsmarktverhältnisse würde über die Stärkung des Verbändekartells auf dem Arbeitsmarkt ein weiteres Kapitel der tarifvertraglichen Bevormundung der Arbeitnehmer aufgeschlagen.
(2)
Im Kern würde die tarifvertragliche Regelung ein Element des Zwangssparens enthalten. Deshalb müßte wohl das Risiko der entsprechenden Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer, wenn diese betriebsgebunden wäre, durch Ausfallbürgschaften des Staates aufgefangen werden. Sonst wäre die aufgezwungene, gegen das Prinzip der Risikostreuung verstoßende Kumulation von Beschäftigungs- und Vermögensrisiken nicht zumutbar.
(3)
Der Kapitalbeteiligungsschutz wird im politischen Prozeß eine Art von Folgezwang für staatlichen Schutz der Arbeitsplätze auslösen: Bei schlechter Ertragslage der Unternehmen wäre nämlich neben dem Arbeitsplatz und dem Einkommen auch der Vermögensanspruch gefährdet. Deshalb ist - auch zur Verhinderung des Eintritts des Bürgschaftsfalles - mit einem starken Druck auf die Politiker zu rechnen, den betreffenden Betrieben notfalls mit Subventionen zu helfen. Wenn diese dann an die Bedingung geknüpft werden, daß die Unternehmen ihren Belegschaften weitere Kapitalbeteiligungen einräumen, so wird insoweit auch die Investivlohnbeteiligung aus dem Steueraufkommen finanziert. Der Kreis subventionierter Betriebe wird größer. Die Sanierung der Staatsfinanzen durch Subventionsabbau wird erschwert. In dem Maße, in dem die den Beschäftigten übertragenen Kapitalanteile einen staatlichen Schutz erhalten, sehen sich die Beschäftigten auch nicht veranlaßt, das zu tun, was vielfach von ihrer Kapitalbeteiligung erwartet wird, nämlich im Interesse der Werterhaltung der Anteile mäßigend auf die Gewerkschaften bei den Lohnverhandlungen einzuwirken, also das zumindest bisher häufig beschäftigungsfeindlich wirkende Lohnkartell zu entschärfen.
(4)
Der geschilderte Weg führt auch deshalb nicht zum angestrebten Ziel, weil diese Art der Beteiligung im Einzelfall zwar die erhoffte sozialpädagogische Wirkung einer freiwilligen Weiterbeteiligung auslösen mag; sie wird jedoch kaum auf breiter Linie einen dynamischen Prozeß des Lernens und Nachahmens in Gang setzen können. Sperrfristen wie auch Ausfallbürgschaften lassen bei den Anhängern dieser Lösung erkennen, daß diese dem Erfolg der Zwangssparaktion und der davon erwarteten Initialzündung für ein freiwilliges Weitersparen nicht so recht trauen. Die Arbeitnehmer dürften in der Weiterveräußerungssperre eine zeitweilige Blockade von Lohnbestandteilen sehen.
Der Tarifzwang dürfte schließlich den Weg zu einer wettbewerbsfeindlichen Investitionslenkung weisen. Allein die genannten Begleiterscheinungen einer Tarifzwanglösung dürften diese für eine betriebsgebundene Vermögensbeteiligung unannehmbar machen. Um so mehr wird, wenn es gleichwohl zu einer tarifvertraglichen Investivlohnregelung kommen sollte, nur eine Lösung mittels Einrichtung von Fonds konsensfähig
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sein, an deren Verwaltung die Tarifparteien paritätisch beteiligt sind. Auf diesem Wege lassen sich aber weder eine Gesellschaft von Teilhabern noch eine Stärkung der Wettbewerbsdimensionen des Kapitalmarktes erreichen: (1)
Die Tariffonds bieten neue, pfründenartige Beschäftigungsmöglichkeiten für "versorgungsbedürftige" Verbandsfunktionäre. Die Fonds werden - je nach dem Ausmaß der zufließenden Lohnanteile - einen gewichtigen Sonderkapitalmarkt bilden und die ohnehin wettbewerbsfeindliche Konzentration von Verfügungsmacht in der Hand von Managern weiter verstärken. Die Fondsmanager, die über die Anlage der aufkommenden Mittel verfügen, stehen unter dem Einfluß konkurrierender verbandspolitischer Interessen und sozialstaatlicher Rücksichtnahmen. Solche Gebilde sind auf das Vielfältigste politischen Einwirkungen ausgesetzt. Zur Verhinderung von Blockaden im Entscheidungsprozeß werden die Manager bestrebt sein, durch weitere Mittelzuweisung und durch Aufgabenexpansion die Fonds zu vergrößern, um allen Anforderungen, vor allem aber denjenigen der Gewerkschaften entgegenkommen zu können, die auch sonst - z.B. durch die Mitbestimmung - bestrebt sind, wettbewerbliche Einflüsse auf die Kapitallenkung zurückzudrängen. Für die dringend verbesserungsbedürftige Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes dürfte angesichts einer gestärkten Verfügungsmacht der Verbände über Sparvermögen nichts gewonnen sein.
(2)
Wirkliche Teilhaberschaft der Arbeitnehmer wird wegen der Bindung der Handlungen der Fondsmanager an die Interessen der Tarifparteien nicht erreichbar sein. Für die Anlage werden die gewerkschaftsgebundenen Fondsmanager darauf bestehen müssen, daß die Mittel nach struktur- und regionalpolitischen Prioritäten vergeben werden, und zwar nach dem Grundsatz: Die Lösung der wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Probleme in Deutschland ist nur in einer gemeinsamen Anstrengung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen möglich. Gemeinsame Anstrengung ist zu verstehen als zentrale Steuerung im Vollzug einer konzertierten Abstimmung zwischen den Tarifparteien über die Mittelverwendung. Der gesellschaftspolitische Anspruch dieser Vermögenspolitik bezweckt eine korporatistisch-syndikalistische Form der Investitionslenkung, die hinsichtlich der Wissens-, Handlungsrechts-, Anreiz- und Haftungsgrundlagen als weiterer Beitrag zur Marginalisierung des Kapitalmarkteinflusses auf das Gütermarktgeschehen in Deutschland anzusehen ist.
(3)
Wird der Investivlohn nicht zusätzlich gewährt, dürfte man den Arbeitnehmer, den man mit mehr oder weniger vorteilhaft erscheinenden Tarifengagements zur "Tugend der Beteiligung" zwingen will, nicht daran hindern können, das freiwillige Sparen, das er bisher ausgeübt hat, entsprechend einzuschränken. Für das Ziel, den Arbeitnehmern eine zweite Einkommensquelle zu verschaffen, wäre nichts gewonnen. Ist der Investivlohn aber zusätzlich von den Unternehmen aufzubringen, dürfte sich deren Investitionsneigung vermindern.
Die beste Beteiligungsform ist nicht bekannt. Um geeignete Formen in Erfahrung zu bringen, sind hinreichende betriebliche Handlungsspielräume erforderlich. Verbindliche tarifvertragliche Investivlohnvereinbarungen schränken den Handlungsspielraum für die
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individuelle Vermögensbildung zugunsten einer kollektiv entschiedenen Einkommensverwendung der Arbeitnehmer weiter ein. Diese Art der wirtschaftlichen Entmündigung der Bürger ist in Deutschland ohnehin weit fortgeschritten. Der Anteil der Nettolohn- und -gehaltssumme an den Arbeitseinkommen ist (nach Abzug der Arbeitnehmerabgaben insgesamt und der Sozialversicherungsabgaben der Arbeitgeber) von 63% im Jahre 1970 auf 44% im Jahre 1995 zurückgegangen. Ohne größere Beweglichkeit in den Personalzusatzkosten dürfte der Spielraum für unternehmensgebundene Beteiligungen der Arbeitnehmer sehr begrenzt bleiben. Davon abgesehen werden kartellförmige Einheitslösungen der unterschiedlichen Wettbewerbs- und Interessenlage der Unternehmen und der Beschäftigten nicht gerecht.
5.2. Abbau und Begrenzung der Staatsverschuldung Die westdeutsche Nachkriegspolitik widerspricht dem heute verbreiteten Argument vom "strukturellen" Verschuldungszwang des Staates. Der Wiederaufbau wurde weitgehend schuldenfrei erreicht. Möglicherweise war das "Wirtschaftswunder" auch dem Umstand zu verdanken, daß der Kapitalmarkt vor allem für private Nachfrager da war. Zum Komplex einer Verbesserung der Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes gehört deshalb eine enge Begrenzung der Staatsverschuldung - etwa durch eine konstitutionelle Selbstbindung des Staates (s. hierzu Wentzel 1995) und dessen Verzicht auf die Anmaßung einer wettbewerbswidrigen "Zinsrobustheit". Dies setzt in der Politik die Bereitschaft voraus, mehr Eigenvorsorge und Vorkehrungen der freiwilligen Solidarität zu verlangen und auf allen Gebieten mehr Güter durch den Markt statt durch staatliche Einrichtungen bereitstellen zu lassen.
5.3. Reform der Finanzierung der Sozialversicherung Das in der Sozialversicherung vorherrschende Umlageprinzip ist vom Denken in Stromgrößen bestimmt. Wenn es richtig ist, daß hierin eine der Ursachen für den unterentwickelten Kapitalmarkt liegt (s. etwa Horn 1994), so wäre auch aus diesem Grunde im System der Alterssicherung eine stärkere Betonung des Denkens in Bestands- oder Vermögensgrößen erstrebenswert. Das setzt allerdings Politiker voraus, die dem Leitbild des mündigen, nicht des versorgten Bürgers folgen. Der mündige Bürger wird wissen, daß die Funktionsfähigkeit des Umlageverfahrens von der Entwicklung des Altersquotienten abhängt, also vom Verhältnis der Zahl der Erwerbstätigen im Alter von 20 bis 64 Jahren zur Zahl der Menschen, die 65 Jahre und älter sind. Dieses Verhältnis betrug 1950 in Deutschland und in den USA 6:1, in Frankreich und Großbritannien mehr als 5:1. Seit 1990 ist die Relation in allen diesen Ländern unter 5:1 gesunken, bis 2025 wird sie zeitweise erheblich weniger als 3:1 betragen (s. Becker 1994, S. 14). Der mündige Bürger sollte auch wissen, daß "bei der privatwirtschaftlichen Altersvorsorge nach dem Kapitaldeckungsverfahren ... Beiträge von 10% des jeweiligen Lohnes während einer Erwerbszeit von 40 Jahren (genügen), um bei einer realen Verzinsung von nur 3% jährlich eine Rente von rund zwei Dritteln des Durchschnittseinkommens während 15 Jahren sicherzustellen" (ebd.). Obwohl angesichts der Krise des Umlageverfahrens die Umstellung der Altersvorsorge auf eine verstärkte Kapitalbildung
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unerläßlich ist, haben die politischen Repräsentanten des Wohlfahrtsstaates in Deutschland keine Hemmungen, das kapitalfeindliche Umlageverfahren mit weiteren Umverteilungselementen "wählerfreundlich" auszugestalten und auf neue Aufgabengebiete zu übertragen, nämlich die Pflegefallfürsorge. Warum soll ein Arbeitnehmer, der sich nun auch in dieser Hinsicht - losgekoppelt von der Kapitalbildung - durch das Umlageverfahren gesichert fühlt, Interesse für die volkswirtschaftliche Kapitalbildung im allgemeinen und für die Eigenkapitalbildung der Unternehmen und ihre verbesserte Wettbewerbsfähigkeit im besonderen entwickeln? 5.4. Aktienrechtlich induzierte Wettbewerbswirkungen Private Eigentumsrechte sind die Wurzeln der marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung. Folglich ist zur Untersuchung der Wettbewerbsdimensionen des Kapitalmarktes bei den entsprechenden Handlungsrechten anzusetzen (s. Kapitel 4.2.). Hierbei ist festzustellen, daß das heutige Aktienrecht die Entstehung einer eigentumsinduzierten wettbewerblichen Kontrolle des Produktmarktgeschehens behindert. Um dies zu ändern, ist eine grundlegende Reform des Aktienrechts im Hinblick auf eine Stärkung der individuellen Handlungsrechte an der Aktie erforderlich, durch die die Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes verbessert wird. Der Gesetzgeber der 1965er Aktienrechtsreform hat die handlungsrechtlichen Voraussetzungen für eine eigentumsinduzierte Kontrolle der Unternehmen durch den Kapitalmarkt weitgehend mißachtet. Dagegen wurde die Position des Managements in einer Weise gestärkt, durch die die oben genannten Grunddimensionen des Wettbewerbs erheblich geschwächt worden sind. Um die aktienrechtlichen Bedingungen für ein wettbewerbliches Marktsystem im Bereich der Gütermärkte zu verbessern, bieten sich folgende Ansatzpunkte: 5.4.1. Stärkung des Dividendenbezugsrechts der Aktionäre - weniger Innenfinanzierung, mehr Kapitalmarktkontrolle Regelmäßig stellen nach § 58 AktG Vorstand und Aufsichtsrat den Jahresabschluß fest. Dabei kann bis zur Hälfte des Jahresüberschusses in andere Gewinnrücklagen eingestellt werden. Die Hauptversammlung entscheidet dann über eine etwaige noch höhere Dotierung der Gewinnrücklagen durch Mehrheitsbeschluß. Über das Depotstimmrecht können die Banken im eigenen (Kreditsicherungs-)Interesse und im Interesse der Verwaltung für eine zusätzliche Gewinneinbehaltung stimmen. Durch solche Gewinnrücklagen gelangen Gewinnanteile, die, von der ordnungspolitischen Bedeutung des Gewinns (als Residuum) her gesehen, den Aktionären zustehen, direkt in die Verfügungsmacht der angestellten Manager. Der durch das Aktienrecht und das Arbeitsrecht ohnehin eingeschränkte Eigentümereinfluß der Aktionäre wird, soweit diese nicht als Großaktionäre einen bestimmenden Einfluß ausüben können, zusätzlich geschwächt.7 Demgegenüber wäre im Hinblick auf eine Stärkung der Wettbewerbsdimensionen des Kapitalmarktes anzustreben: 7
Die verbreitete Politik der Einheitsdividende unterstreicht diesen Sachverhalt, durch den der Kapitalfluß zwischen unterschiedlich rentablen Unternehmen behindert wird.
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(1)
Ausweis der im Laufe des Jahres eingetretenen Erhöhung des Reinvermögens als Gewinn: Dies setzt nach Dieter Schneider (1987, S. 107) die Verbesserung der betrieblichen Ergebnisrechnung auf der Grundlage einer Reform der Rechnungslegung voraus, die von den Aktionärsinteressen bestimmt ist. Die internen Kapitalmärkte mit vielfältigen unkontrollierten Freiräumen des Vorstands müßten zugunsten der Kontrolle der Aktionäre und damit der Kritik des allgemeinen Kapitalmarktes aufgelöst werden. Konsequent wäre es deshalb, dem Anteilseigner einen individuellen Anspruch auf Verwendung seines Ertragsanteils bei Einschränkung der bestehenden Möglichkeiten der Gewinneinbehaltung einzuräumen. Im Zusammenhang mit dem "Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts" vom 2.8.1994 wurde bei nicht börsenzugelassenen Gesellschaften die Verwaltungsbefugnis zur Rücklagendotierung stärker den Aktionären zugewiesen. Darin könnte ein Vorgriff auf eine große Aktienrechtsreform gesehen werden.
(2)
Verstärkte Verwendungskontrolle des Kapitalmarktes über die Innenfinanzierung: Der Vorstand könnte durch seine Geschäftspolitik in Konkurrenz zu den Plänen anderer Unternehmen versuchen, die Voraussetzungen für günstigere Gewinnerwartungen zu schaffen, um die Aktionäre nicht nur an der Abwanderung zu hindern, sondern an einer wachsenden und dauerhaften Beteiligung zu interessieren. Für das Prinzip "Schütt-aus, Hol-zurück" könnte das Angebot, Gewinnzuführungen Zug um Zug in Aktien umwandeln zu können, ein besonderer Anreiz sein. Nach der Herabsetzung des Mindestnennbetrags einer Aktie auf DM 5,- dürfte dies auch technisch nicht schwierig sein. Der personale Charakter und der ökonomische Gehalt des Teilhaberrechts wären ebenso gestärkt wie die Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes. Auf diese Weise würden auch das unternehmerische Engagement der Aktionäre und damit die Wissenskomponente des Kapitalmarktes gestärkt; dann könnte auch mit einem verstärkten Anreiz für die Aktionäre gerechnet werden, eine verantwortliche Rückstellungs- und Ausschüttungspolitik zu unterstützen.
(3)
Reform des Depotstimmrechts: Heute werden die Hauptversammlungen der 30 größten börsennotierten Aktiengesellschaften in Deutschland nicht nur durch Beteiligungen, sondern auch durch das Depotstimmrecht von deutschen Finanzinstituten beherrscht. Deshalb ist der Vorschlag von Adams (1994, S. 8 f.) nur folgerichtig, die Depotstimmrechte, die von den Banken ohne ausdrückliche Weisung geltend gemacht werden können, für Zwecke der Fusionskontrolle wie Beteiligungen zu behandeln. Ebenso sollten die Stimmrechtsvertreter verpflichtet werden, mit der Einholung der Stimmrechtsvollmacht die personelle und kapitalmäßige Verflechtung mit der Gesellschaft und verbundenen Unternehmen mitzuteilen. Darüber hinaus ist an eine grundlegende Reform des Depotstimmrechts zu denken. Hierzu hat Jürgen Böhm (1992, S. 213 f.) folgenden Vorschlag gemacht: Die Kleinaktionäre erhalten die Gelegenheit, per Briefwahl abzustimmen. Alle nicht abgegebenen Stimmen werden auf die persönlich bei der Hauptversammlung anwesenden Kleinaktionäre verteilt, und zwar proportional zu dem
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von den Kleinaktionären gehaltenen Aktienbesitz. Damit wird die Stimmenmacht eines jeden anwesenden Kleinaktionärs um den gleichen Faktor erhöht (Kleinaktionär könnte derjenige sein, dessen Aktienbesitz einen bestimmten Anteil des Grundkapitals -1%, 0,5%, 0,1% - nicht überschreitet). Alle anderen Aktionäre müssen ihre Stimmen persönlich oder durch einen Bevollmächtigten bei der Hauptversammlung abgeben. 5.4.2. Wettbewerbskonforme Gestaltung der Stimmrechtsfähigkeit von Kapitalgesellschaften als juristische Person Das Recht der "juristischen Person" erlaubt es Großaktionären mit qualifiziertem Mehrheitsbesitz und dem Vorstand von Aktiengesellschaften, Anteils- und Stimmrechte an anderen Gesellschaften zu begründen und diese Rechte im Wettbewerb zu nutzen. Hierdurch können mit begrenztem Kapitaleinsatz weitläufig vernetzte Systeme von Beteiligungen entstehen, worüber nach dem geltenden Recht (§131 AktG) die anderen Eigentümer nur ein begrenztes Auskunftsrecht haben. Die verflochtenen Unternehmen sind über gegenseitige Aufsichtsrats-Mandate dem starken Verdacht der Kungelei ausgesetzt. Dadurch wurde dem geltenden Aktienrecht ein "Konzernierungsmotor" (Fehl/Oberender 1986, S. 137 ff.) eingebaut. Die davon ausgehende Konzentrationswirkung hat wesentlich dazu beigetragen, den personalen Charakter der Aktie, vor allem im Eigentum von Kleinanlegern, auszuhöhlen und den Eindruck zu erwecken, in der modernen Kapitalgesellschaft würden die Eigentumsrechte von der Verfügungsmacht über Investitionen abgekoppelt. Wie kann den natürlichen Personen zu mehr Eigentümerrechten verholfen und über diese die Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes gestärkt werden? (1)
Man könnte Kapitalgesellschaften die Möglichkeit der Beherrschung anderer Gesellschaften dadurch nehmen, daß sie zwar Aktien kaufen, aber damit kein Stimmrecht8 erwerben können. Dieses Recht bliebe damit natürlichen Personen vorbehalten. Damit erhielte der Aktienerwerb durch eine AG oder eine GmbH den Charakter einer reinen Kapitalanlage. Für Beherrschungsabsichten wäre diese Beteiligung jedenfalls uninteressant. Allenfalls könnte der Vorstand versuchen, den Aktienerwerb nachträglich den eigenen Aktionären anzudienen; diese übernähmen dann gegebenenfalls mit der individuellen Beteiligung auch das Stimmrecht. Ob sie dann die Rechte an den so erworbenen Aktien entsprechend der vom Management verfolgten Strategie nutzen würden, bliebe offen.
(2)
In diesem Zusammenhang wäre es notwendig, den Vorstand einer wesentlich verschärften Haftungspflicht zu unterwerfen. Schon 1952 hat Walter Eucken für Fälle einer Angliederung von Unternehmen empfohlen, daß die beherrschende UnterDie Stimmrechtsfähigkeit juristischer Personen könnte ausnahmsweise als Privileg verliehen werden, wie dies in den Anfängen des Aktienwesens der Fall war. Ausnahmen ließen sich z.B. für bestimmte (nicht primär erwerbsorientierte) Stiftungen begründen.
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nehmung für die übernommene Firma die volle Haftung übernimmt. In der Tat schließt die Angliederung von Unternehmen bei voller Haftung "ein weit größeres Risiko in sich als bisher, und der Anreiz zur Verschachtelung und Konzernbildung wird wesentlich vermindert... Eine abhängige juristische Person, die faktisch nur eine Filiale darstellt, sollte auch rechtlich als Filiale der herrschenden Firma behandelt werden. Daß ein Konzern, der faktisch ein einheitlich geleitetes Unternehmen ist, in viele juristische Personen zerfällt, erweist sich als unerträglich" (Eucken 1952/1990, S. 283). Hieran anknüpfend könnte man sich mit Fehl/Oberender (1986, S. 137 ff.) auch vorstellen, daß in den Fällen, in denen Großaktionäre mit qualifiziertem Mehrheitsbesitz Beherrschungsverhältnisse begründen, die Aktiengesellschaft durch die KGaA zu ersetzen ist. (3)
Die Mitbestimmungsgesetzgebung vermittelt ebenfalls ein Stimmrecht ohne Haftung, das die Ablösung von Vorstandsmitgliedern "selbst bei schwerwiegendem Versagen" erschwert (Adams 1993, S. 18 f.) bzw. das ausländische Übernahmeinteresse mindert. Eine verbesserte Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes erfordert daher den Abbau der bestehenden Mitbestimmungsregelung bzw. deren Ersetzung durch solche Formen der Mitbestimmung, die individuelles "Mitwissen, Mitwirken und Mitverantworten" (Wilhelm Röpke) zu kombinieren vermögen.
(4)
Auch andere Formen der faktischen Mitbestimmung ohne Mithaftung sind mit einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung nicht vereinbar und sollten zur Vermeidung von Interessenkonflikten verboten sein. Hierzu zählen z.B. Beraterverträge von Aufsichtsräten mit den von ihnen zu kontrollierenden Unternehmen oder von diesen abhängigen Unternehmen. Aus dem gleichen Grund sollte es auch verboten sein, Aufgaben der Unternehmensverwaltung in miteinander konkurrierenden Unternehmen durch dieselbe Person wahrzunehmen. Es verstößt ebenso gegen die Wettbewerbsordnung, wenn Bankenvertreter im Aufsichtsrat eines Unternehmens mitwirken können, für das die Bank Aufträge von dritter Seite zum Erwerb einer Beteiligung erhalten hat. "Es handelt es sich hier um einen klaren Interessenkonflikt, der strafrechtlich als Parteiverrat erfaßt werden sollte" (s. Adams 1994, S. 23).
5.4.3. Die "Kleine AG" nach dem Gesetz vom 2.8.1994 Mit der "Kleinen AG" wird versucht, Klein- und Mittelbetrieben den Zugang zur Rechtsform der AG zu erleichtern und die Position der Aktionäre zu stärken. Damit soll die Eigenkapitalbasis mittelständischer Unternehmen gestärkt werden. Zugleich soll ein gesellschaftsrechtlich vereinfachtes Übungsfeld entstehen, auf dem Erfahrungen für den Übergang zu börsengängigen Aktiengesellschaften gesammelt werden können. Es handelt sich nicht um eine neue Rechtsform, sondern um Modifikationen des bestehenden Aktienrechts. In diesen Abwandlungen wird eine Angleichung an das GmbH-Recht gesehen. So wird auf eine Mindestgründerzahl verzichtet; auch sind die Gründungsvorschriften (etwa in der Frage der Mitbestimmung oder des Gründungsberichts) und die Tätigkeit der Hauptversammlung vereinfacht. Besonders hervorzuheben ist das bereits erwähnte erweiterte Gewinndispositionsrecht der Aktionäre. Gegenüber der GmbH-Beteiligung besteht eine größere Fungibilität der Anteilscheine. Allerdings bleibt
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der Nachteil der fehlenden Marktbewertung gegenüber den börsennotierten Aktiengesellschaften ebenso bestehen wie das Manko der steuerlichen Diskriminierung entsprechender Beteiligungen. Ohne die angesprochenen unerläßlichen Reformen dürfte deshalb die "Kleine AG" zu jenen therapeutischen Mitteln gehören, bei denen es sich nach Rittner (1984) um den Versuch handelt, einem Patienten, der an hochgradiger Anämie leidet, "mit einer Änderung des Diätplans" zu helfen. Möglicherweise werden vor allem Konzerne auf die "Kleine AG" zurückgreifen, um Tochterunternehmen oder andere Teilbereiche für eine spätere Börsengängigkeit vorzubereiten. Damit könnte allerdings der Kreis der Unternehmen beträchtlich erweitert werden, die für eine Mitarbeiterbeteiligung in Form von Belegschaftsaktien prinzipiell in Frage kommen; für die Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes wäre ohne die anderen Reformen nichts gewonnen. In Verbindung mit diesen Reformen wäre es wünschenswert, wenn die ca. 5000 Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die in Deutschland für die Umwandlung in eine AG in Frage kommen, den Weg zur Publikumsgesellschaft über die "Kleine AG" einschlügen.
6. Schlußbemerkungen Ohne substantielle Aufwertung der materiellen Ausstattungsmerkmale von unternehmensgebundenen Eigentumsrechten und der Stärkung ihres personalen Charakters dürfte das Ziel nicht erreichbar sein, den Anteil der Ersparnisse, die über den Kapitalmarkt in die Unternehmen gelenkt werden, zu erhöhen und so die Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes zu verbessern. Hierzu ist zweierlei erforderlich: Erstens: Die Sozialbindung des Eigentums am Risikokapital darf nicht länger als Aufforderung an den Gesetzgeber gedeutet werden, die Handlungsrechte der Eigentümer zu verdünnen. Diese Praxis beruht nicht auf einem zeitgemäßen Wandel des Eigentumsbegriffs, sondern auf einer politisch-syndikalistischen Entwicklung unserer Eigentums- und Wettbewerbsordnung. Zweitens: Die Verbesserung der Gütermarkteffizienz des Kapitalmarktes setzt die Beseitigung der gesetzgeberisch verursachten Internalisierungsdefekte hinsichtlich der individuellen Wissens-, Wollens-, Dürfens- und Verantwortungsbasis unserer Eigentumsordnung voraus. Vor allem die in den Großunternehmen vorherrschende, weitgehende Entmachtung der Eigentümer durch das Management und durch Bankeneinflüsse behindert den Wettbewerb auf dem Markt für Unternehmenskontrolle. Hierdurch werden wettbewerbsfeindliche Gütermarktstrukturen begünstigt. Eklatante Fehlentscheidungen von Banken und anderen Großunternehmen unter dominierendem Managereinfluß sind Ausdruck dieser Situation, ebenso der Umstand, daß das Kapital, vor allem das neugebildete, statt über den Kapitalmarkt autonom von angestellten Managern - frei von substantiellen Haftungsverpflichtungen - gelenkt werden kann. Die "Teilhaber" ohne Eigentümerstatus sind von der heutigen Eigentumsordnung und Wirtschaftspolitik begünstigt. Sie haben im politischen Prozeß bislang eine wettbewerbsfreundliche Neuverteilung der unternehmensbezogenen Eigentumsrechte und damit eine verbesserte Verwendungsqualität des Kapitals verhindern können.
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Dies wird nicht durchzuhalten sein, wenn die Globalisierung der Finanzmärkte, von der entscheidende Impulse auf den internationalen Standortwettbewerb ausgehen, fortschreitet. Der Verlauf der Diskussion über das Shareholder Value-Konzept ist ein bemerkenswerter Anhaltspunkt hierfür.
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217
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III. AUSGEWÄHLTE MÄRKTE MIT SPEZIFISCHEN WETTBEWERBSPROBLEMEN
Technische Restriktionen als Wettbewerbsproblem - Das Beispiel des Marktes für elektrische Energie Helmut Gröner
1. Branchenbesonderheiten und Marktverhältnisse in der Elektrizitätsversorgung
218
1.1. Grundstruktur der Elektrizitätswirtschaft
218
1.2. Die wettbewerbspolitische Diskussion
221
2. Ansätze für mehr Wettbewerb in der Elektrizitätsversorgung
226
2.1. Marktöffnung durch Ausschreibungsverfahren
227
2.1.1. Ausschreibung der Stromerzeugung
227
2.1.2. Deckung des Strombedarfs abgegrenzter Versorgungsgebiete
227
2.1.3. Ausschreibung lokaler Versorgungsgebiete
228
2.2. Aufhebung des Gebietsschutzes
228
2.3. Einführung einer Durchleitungspflicht
229
2.4. Entflechtung des vertikalen Verbundes
230
Literatur
234
218
Helmut Gröner
1. Branchenbesonderheiten und Marktverhältnisse in der Elektrizitätsversorgung 1.1. Grundstruktur der Elektrizitätswirtschaft Beim elektrischen Strom handelt es sich um eine Sekundärenergie, die aus Primärenergieträgern gewonnen wird. Über die Stromproduktion und über die Elektrizitätslieferungen an die Letztverbraucher gibt das Flußbild der 'Gesamten Elektrizitätsversorgung' [für das Jahr 1981] Aufschluß. Aus Abbildung 1 lassen sich zunächst die für die Stromerzeugung typischen Strukturmerkmale ablesen, die für die Elektrizitätsversorgung kennzeichnend sind. So besteht die gesamte Elektrizitätswirtschaft aus: - der öffentlichen Elektrizitätsversorgung, die nach § 2 Abs. 2 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) alle Unternehmen umfaßt, die 'andere' mit elektrischer Energie versorgen [Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU)], - der industriellen Kraftwirtschaft, die ganz oder teilweise den eigenen Strombedarf deckt und regelmäßig Liefer- und Bezugsbeziehungen zu EVU unterhält, sowie - der eigenständigen Stromversorgung der Bundesbahn, die fortan wegen ihres wirtschaftlichen Eigendaseins nicht weiter berücksichtigt wird. In den letzten zwanzig Jahren erhöhte sich das Gewicht der öffentlichen Versorgung gegenüber der industriellen Kraftwirtschaft, doch stabilisierte sich in jüngster Zeit der Anteil der industriellen Stromerzeugung an der Gesamterzeugung. Nach wie vor ist der Außenhandel mit Strom gering und dient im wesentlichen dem Zweck, einen Ausgleich der von Land zu Land unterschiedlichen Verbrauchsspitzen zu bewirken. Die Marktprozesse in der Elektrizitätsversorgung sowie vor allem deren wirtschaftspolitische Steuerung hängen eng mit folgenden spezifischen Besonderheiten dieses Wirtschaftszweiges zusammen: - Elektrische Energie läßt sich als solche grundsätzlich nicht speichern. Allenfalls läßt sie sich zu diesem Zweck in sehr begrenztem Umfang durch äußerst kostspielige Verfahren in andere Energieformen umwandeln, die bei Bedarf wieder in Elektrizität zurückgeführt werden. Deshalb muß sich die Versorgungskapazität an der maximalen Spitzenlast ausrichten. - Der Transport elektrischer Energie ist leitungsgebunden und bedarf weiträumiger Netzsysteme. - Der Einsatz von Elektrizität erfordert einen Energiewandler, so daß eine Substitution elektrischer Energie durch andere Energieträger nur bei gleichzeitiger Substitution der Energiewandler möglich ist. - Die Elektrizitätsversorgung ist gekennzeichnet durch eine außergewöhnlich hohe Kapitalintensität und durch lange Ausreifzeiten der Investitionen mit einem entsprechend weitgespannten Planungshorizont. Das verzögert Anpassungsvorgänge.
Technische Restriktionen als Wettbewerbsproblem
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