Die Zerstörung der Pfalz von 1689: Im Zusammenhang der französischen Rheinpolitik [Reprint 2918 ed.] 9783486761603, 9783486761597


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German Pages 343 [364] Year 1930

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Table of contents :
Vorwort
INHALT
Erster Teil: Darstellung
Erstes Kapitel: Frankreich, Deutschland und die Pfalz bis zum Jahre 1688
Zweites Kapitel: Auftakt und Anfänge der Zerstörung von 1689 34 Der Pfälzer Krieg
Drittes Kapitel: Zerstörungsplan und Zerstörung von Heidelberg und Mannheim
Viertes Kapitel: Höhepunkt und Ausgang der Zerstörungen
Zweiter Teil: Anmerkungen, Exkurs, Anlagen
ABKÜRZUNGEN
Anmerkungen
Exkurs: Das Kampfmittel der Zerstörung in der Geschichte
Anlagen
Register
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Die Zerstörung der Pfalz von 1689: Im Zusammenhang der französischen Rheinpolitik [Reprint 2918 ed.]
 9783486761603, 9783486761597

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DIE ZERSTÖRUNG DER PFALZ VON 1689 IM ZUSAMMENHANG DER FRANZÖSISCHEN RHEINPOLITIK

VON

KURT VON RAUMER

MIT 6 TAFELN U N D 4 K A R T E N

MÜNCHEN UND BERLIN 1930

VERLAG VON R.OLDENBOURG

MIT UNTERSTÜTZUNG DER P F Ä L Z I S C H E N ZUR F Ö R D E R U N G D E R

GESELLSCHAFT

WISSENSCHAFTEN

Alle Rechte, einschließlich Übersetzungsrecht, vorbehalten

D R U C K VON R . O L D E N B O U R G , M Ü N C H E N UND

BERLIN

MEINEM ZUM SIEBZIGSTEN

VATER

GEBURTSTAG

IN GROSSER UND GEISTIGER

AM 12. MAI

DANKBARKEIT VERBUNDENHEIT

1930

VORWORT

Das e r s t e W o r t des Verfassers ist ein solches des D a n k e s , das sich a n alle die r i c h t e t , welche die E n t s t e h u n g u n d \ o l l e n d u n g dieser Schrift m i t R a t u n d T a t f ö r d e r t e n u n d u n t e r d e n e n W . A n d r e a s , K . A. v . Müller u n d H . O n c k e n a n erster Stelle s t e h e n . Die N o t g e m e i n s c h a f t der d e u t s c h e n W i s s e n s c h a f t sowie die Pfälzische Gesellschaft zur F ö r d e r u n g d e r W i s s e n s c h a f t e n h a b e n d u r c h ihre Beihilfen m i r die V o r a r b e i t e n z u m a l archivalischer N a t u r erl e i c h t e r t ; d e n H e r r e n L . G r o ß , E . Mareks, A. P f e i f f e r , 0 . R i e d n e r , S t a a t s m i n i s t e r a. D. S c h m i d t - O t t , P. S c h m i t t h e n n e r , F. Schnabel, A . Schulte, R . Sillib, L. W a p p e s , P . W e n t z c k e bin ich f ü r F ö r d e r u n g e n m a n c h e r l e i A r t , der Philosophischen F a k u l t ä t d e r Univers i t ä t H e i d e l b e r g f ü r die A n n a h m e der U n t e r s u c h u n g als Habilit a t i o n s s c h r i f t zu e h r e r b i e t i g e m D a n k v e r p f l i c h t e t . Meine Schwester, F r ä u l e i n L u i s e v o n R a u m e r , begleitete die A r b e i t m e h r e r e r J a h r e m i t d e m t ä t i g s t e n , i m m e r a n r e g e n d e n I n t e r e s s e ; desgleichen w u r d e ich v o n d e n H e r r e n H a j o H o l b o r n u n d H a n s H a i m a r J a c o b s in H e i d e l b e r g sowie von der B a r o n i n J u l i a n e v o n B o u t t e v i l l e in E m m e r i n g bei F ü r s t e n f e l d b r u c k , die a u c h die K o r r e k t u r e n mitlasen, in ü b e r a u s f r e u n d s c h a f t l i c h e r Weise u n t e r s t ü t z t . Schließlich d a n k e ich H e r r n s t u d . phil. K u r t B a u m a n n , der die H e r s t e l l u n g des Namen- u n d Sachregisters übernahm. Bezüglich des A u f b a u s meiner Schrift soll b e m e r k t w e r d e n , d a ß d e r u r s p r ü n g l i c h e P l a n eines die D a r s t e l l u n g e r g ä n z e n d e n B a n d e s „ Q u e l l e n u n d F o r s c h u n g e n zur Geschichte der Z e r s t ö r u n g der P f a l z " m i t R ü c k s i c h t auf d e n zur V e r f ü g u n g s t e h e n d e n R a u m u n d auf d r ä n g e n d e r e wissenschaftliche A u f g a b e n z u r ü c k g e s t e l l t w u r d e ; die w i c h t i g e r e n der f ü r diesen B a n d v o r g e s e h e n e n U n t e r s u c h u n g e n u n d Quellenwiedergaben w u r d e n indes in d e n d e m T e x t e angeh ä n g t e n k r i t i s c h e n Teil ü b e r n o m m e n , auf d e n der F o r s c h e r d a h e r besonders verwiesen sei. N u r ein kurzes W o r t m ö c h t e ich der B e g r ü n d u n g meines T h e m a s w i d m e n , die in einem h ö h e r e n u n d t i e f e r e n Sinn freilich aus d e m B u c h e selbst s p r e c h e n m u ß . D e r U n t e r t i t e l „ I m Z u s a m m e n h a n g

VI

Vorwort

der französischen Rheinpolitik" ergab sich zunächst ausschließlich aus dem Bedürfnis der historischen Eingliederung, aus der Voraussetzung, daß die Zerstörung der Pfalz eine Teilerscheinung innerhalb der von den Franzosen im Verfolg jener Rheinpolitik geführten Kriege war, aus denen heraus sie denn auch allein zu verstehen sei. Aber dann zeigten sich doch hinter dem Vordergrund dieses äußeren Zusammenhangs die Spuren einer tieferen, für das Ereignis wichtigeren und für seine Erforschung ungleich akuteren Verflochtenheit, die wir hier nur nach den wichtigsten Richtungen näher bezeichnen wollen. Es wäre eine Aufgabe für sich, zu zeigen, inwiefern das siebzehnte Jahrhundert in der Geschichte der französischen Rheinpolitik einen ganz besonderen Platz beanspruche. Dieses Jahrhundert war für die französische Rheinpolitik so erfolgreich wie keines vorher und keines danach. Ihm allein hat Frankreich zu danken, daß es wenigstens an einer Stelle sein rheinisches Ziel erreicht hat. Was immer an deutschem Volksboden im L a u f der Geschichte an Frankreich verloren ging: dieses Jahrhundert hat es ihm gebracht. Trotz der unbeschreiblichsten Bemühungen sind die Franzosen nirgends mehr wesentlich über das damals Erreichte hinausgekommen; noch heute, hat man sehr treffend bemerkt, sind es im Grunde die Grenzen von Ryswik, in denen sich Deutschlands Dasein abspielt (Robert Holtzmann). Die Tatsache aber, daß dieses Jahrhundert nicht nur der Höhe-, sondern auch Wendepunkt der Rheinpolitik der Franzosen wurde, hat sich nicht nur der ihren, sondern auch der Geschichte Deutschlands und der Menschheit tief eingeschrieben. Mannigfach sind die Auswirkungen und Folgen dieser Wendung: keine war aber zugleich furchtbarer und für das innerste Wesen sprechender als die große Zerstörung der Pfalz. D a s i s t d e r Z u s a m m e n h a n g , a u s d e m m a n s i e v e r s t e h e n m u ß und allein verstehen kann, als einen krisenhaften Reflex jener großen europäischen Machtverschiebung, ein verzweifeltes Sichauflehnen französischen Vormachtsund Expansionswillens gegen das sich sammelnde Europa, das diesem Willen mit überlegener Kraft entgegentritt. So steht dieser Vorgang mitten in dem Komplex europäischer Politik, in keinem andren aber mehr als in dem des französisch-deutschen Machtkampfes, wie er die Jahrhunderte erfüllt, wie er aber hier wohl den übersteigertsten Ausdruck seiner übersteigertsten Phase erlebt. Von hier erhält er sein welthistorisches und epochales Licht, von hier wendet sich das große historische Interesse ihm

Vorwort

VII

zu. Aber welche Fülle an verschiedenartigsten Einzellichtern umspielt ihn. Ein Ubermaß an buntestem Detail, an militärischen, sozialen, kulturgeschichtlichen, lokalen Bezügen, an historischem Leben und Menschenschicksal, an Vordergründen verschiedenster und manchmal verwirrendster Art. Freilich, bei allem historischen Reiz, ein Bild auch der dunkelsten Schatten und grellsten Lichter, einseitig, grausam, ungesund, hinter dessen verzerrten Linien nicht nur die weichen und freundlichen Konturen des strahlenden deutschen Landes, sondern auch die ewigen und wesenhaften Züge der menschlichen Natur zu verschwinden drohen. Werden wir ihm ein gerechter, ein objektiver Interpret sein ? Der Vorgang ist in tieferem Sinn historisch, ein Allgemein-Menschliches in seiner Verkettung von Zwang und Freiheit, Schuld und Schicksal erschütternder aufdeutend, als daß man mit den Mitteln einer billigen Moral oder einer auf ihren Spruch bedachten Staatsanwaltskunst seiner Herr würde, selbst wenn man wollte. Freilich, es sind Fragen, die an das Mark der Nationen reichen und an die die deutsche nur mit Schmerz und Bitterkeit zu denken vermag. Aber noch immer erachten wir es als die vornehmste Aufgabe des Historikers, dem politischen Ressentiment, das allein nichts ist, mit dem strengen Geist wissenschaftlicher Kritik und der ernsten Kontrolle des wägenden Verstands zu Rate zu gehen: eine Arbeit, die für die Politik wichtig, für die Geschichte aber lebenswichtig ist. Heidelberg, März 1930.

K U R T v. RAUM E R .

INHALT

Seite

Vorwort

V

Erster Teil: Darstellung

1

Erstes Kapitel: Frankreich, Deutschland und die Pfalz bis zum Jahre 1688 Anfänge und Grundlagen Burgund und Habsburg Das siebzehnte Jahrhundert

3 3 11 18

Zweites Kapitel: Auftakt und Anfänge der Zerstörung von 1689 Der Pfälzer Krieg Einbruch ins Reich und erste Zerstörungen

34 34 54

Drittes Kapitel: Zerstörungsplan und Zerstörung von Heidelberg und Mannheim 80 Zerstörungs-Plan in seiner ersten Gestalt 80 Entwicklung des Glacisplans 98 Zerstörung von Heidelberg und Mannheim 113 Viertes Kapitel: Höhepunkt und Ausgang der Zerstörungen . . Abwandlung der Zerstörungsidee und Zerstörung von Speier und Worms Das Ende der Zerstörungen: Baden, Pfalz, Moselland Blick auf das Ergebnis der Zerstörung

147 147 166 181

Zweiter Teil: Anmerkungen, Exkurs, Anlagen 199 Anmerkungen 201 E x k u r s : Das Kampfmittel der Zerstörung in der Geschichte . . 271 Anlagen 285 Register 325

ERSTER T E I L

DARSTELLUNG

ERSTES KAPITEL

F R A N K R E I C H , D E U T S C H L A N D U N D D I E PFALZ BIS ZUM J A H R E 1688 ANFÄNGE UND

GRUNDLAGEN

N i c h t i n allen J a h r h u n d e r t e n w a r e n die Ufer des R h e i n s das K a m p f z i e l der d e u t s c h - f r a n z ö s i s c h e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g , der sie i m s i e b z e h n t e n z u m Opfer fielen. E s g a b eine Zeit, d a l a g e n sie i m sicheren Schutz des Reiches da, d a s , n a c h i n n e n gefestigt, n a c h a u ß e n b i s ü b e r die R h o n e u n d Maas sich v o n einem G ü r t e l weita u s g e d e h n t e r G r e n z m a r k e n u m g e b e n w u ß t e , d e m so leicht n i c h t zu w i d e r s t e h e n w a r . D o c h d a n n k a m eine a n d e r e , in der die E i n h e i t des R e i c h s zu zerbröckeln u n d die M a c h t der N a c h b a r n zu w a c h s e n b e g a n n , i n der, w ä h r e n d D e u t s c h l a n d v o n p a r t i k u l a r e n Sonderg e w a l t e n aufgesogen, i n F r a n k r e i c h die u r a l t e E r i n n e r u n g a n ein größeres Gallien lebendig w u r d e , der n u r zu bald der V e r s u c h seiner V e r w i r k l i c h u n g folgte. Bis in j e n e Zeit gelangt der B e t r a c h t e r , der r ü c k w ä r t s den T e n d e n z e n n a c h g e h t , die 1689 in der Z e r s t ö r u n g der P f a l z w i r k s a m w a r e n . M a n k a n n nicht s a g e n , d a ß die L a n d e zu beiden U f e r n des Rheins u n d des Neckars i n n e r h a l b d e r d e u t s c h e n Territorialisierung, die die M a c h t des Reiches a u s h ö h l t e , v o n v o r n e h e r e i n in erster R e i h e g e s t a n d e n w ä r e n . U n d d o c h i s t es ein b e a c h t e n s w e r t e r V o r g a n g , d a ß die, v o r n e h m l i c h i m 13. u n d 14. J a h r h u n d e r t erfolgende H e r a u s b i l d u n g eines b e s o n d e r e n T e r r i t o r i u m s der „ P f a l z " m i t den A n f ä n g e n der f r a n z ö s i s c h e n A u s d e h n u n g s p o l i t i k einigerm a ß e n g e n a u z u s a m m e n f ä l l t . Gleichsam in einem A t e m z u g e r h o b e n sich so a n geopolitisch w i c h t i g e r Stelle die n a t i o n a l e u n d t e r r i t o r i a l e I d e e gegen die Gefüge des m i t t e l a l t e r l i c h e n R e i c h s : w ü r d e a b e r die d e u t s c h e N a t i o n , die es t r u g , das d e u t s c h e T e r r i t o r i u m , das es zu b e e r b e n s u c h t e , schließlich n i c h t a m t i e f s t e n in seinen Z u s a m m e n bruch verwickelt werden ? S t e h e n so T e r r i t o r i u m u n d N a t i o n , N a t i o n u n d R e i c h v o n Anf a n g an i n e i n e m s c h i c k s a l h a f t e n Z u s a m m e n h a n g , so b e d a r f er doch n a c h v e r s c h i e d e n e n Seiten h i n der t i e f e r e n E r k l ä r u n g . D a r i n b e r u h t seine v o r n e h m s t e Schwierigkeit, d a ß n i c h t n u r G e g e n s ä t z e der Völker u n d S t a a t e n i n i h m a u f e i n a n d e r s t o ß e n , s o n d e r n a u c h Gegensätze der W e l t e p o c h e n , die eine einheitliche 1*

4

1. Kap. Frankreich, Deutschland und die Pfalz bis zum Jahre 1688

B e g r i f f s b i l d u n g f a s t unmöglich m a c h e n . N i c h t n u r F r a n k r e i c h e r h o b sich gegen das Deutsche R e i c h : die V o r b o t e n der Neuzeit e r h o b e n sich gegen d a s Mittelalter. N i c h t n u r die französische N a t i o n k e h r t e sich gegen die d e u t s c h e : s o n d e r n die V o r b o t e n einer n e u e n u n d s t a a t l i c h e n I d e e s t a n d e n auf gegen die u n i v e r s a l e u n d kirchliche. N i c h t n u r a u s d e m Schöße der f r e m d e n N a t i o n e n erstieg d e r W i d e r s t a n d gegen das alte I m p e r i u m , in der d e u t s c h e n selbst, auf der es r u h t e , war er n i c h t minder lebendig u n d l e t z t e n E n d e s v e r h ä n g n i s voller wie alle f r e m d e n W i d e r s t ä n d e z u s a m m e n g e n o m m e n . Das i s t die charakteristische V e r w i c k l u n g des P r o b l e m s , die bis in die n e u e r e n Zeiten herein b e s t e h e n b l e i b t . E i n e m e i n d e u t i g e n u n d einheitlichen Willen auf der Gegenseite s t e h t ein zwiespältiger u n d g e b r o c h e n e r auf der eigenen g e g e n ü b e r . W a s bei den F r a n z o s e n u n b e s t r i t t e n in der H a n d des K ö n i g t u m s liegt, ist bei d e n D e u t schen zwischen d e m König u n d den S t ä n d e n zerspältet. W a s bei den F r a n z o s e n wenigstens k r a f t seiner i n n e r e n E n e r g i e n bereits d e u t l i c h n a t i o n a l e G e s t a l t gewonnen h a t , e n t b e h r t bei den D e u t s c h e n dieses F a k t o r s voll a n t r e i b e n d e r u n d g e s t a l t e n d e r K r a f t : bei d e n Einzelgliedern, weil ihre Z u s t ä n d i g k e i t f ü r eine g e s a m t n a t i o n a l e Vert r e t u n g zu klein, b e i m Reich, weil sie f ü r sie zu groß i s t ; j e n e k ö n n e n sich diesen B e r u f nicht a n m a ß e n , dieses will i h n sich n i c h t z u m u t e n . So ist es ein K a m p f m i t ungleichen P a r t n e r n , z e r s p l i t t e r t s t e r K r ä f t e v e r t e i l u n g v o m ersten Augenblick a n : D e u t s c h l a n d a b e r erscheint s c h o n d a m a l s in m e h r als einer H i n s i c h t eher als O b j e k t d e n n als S u b j e k t der A u s e i n a n d e r s e t z u n g . U n d d o c h ist es w i e d e r u m u n m ö g l i c h , diese T e n d e n z e n , i n d e m wir sie f ü r die beiden Gegner in A n s p r u c h n e h m e n , zu allgemeingültigen u n d u n b e d i n g t b e h e r r s c h e n d e n zu m a c h e n . W i e in d e m u n i v e r s a l e n Reich u n d i n den p a r t i k u l a r e n G e w a l t e n t r o t z i h r e n n a t u r g e m ä ß a n d e r s gelagerten R i c h t p u n k t e n doch wieder in s t a r k e m M a ß spezifisch deutsche A n t r i e b e , K r ä f t e , L e i s t u n g e n , A b s i c h t e n w i r k s a m w a r e n , so s t e c k t e n u m g e k e h r t i n der f r a n z ö s i s c h e n Politik die v e r s c h i e d e n s t e n B e s t a n d t e i l e , die m i t d e m Begriff „ n a t i o n a l " nie g e d e c k t w e r d e n k ö n n e n . I n b e s t i m m t e m Sinn k a n n m a n sogar sagen, d a ß sich das französische n a t i o n a l e K ö n i g t u m n u r auf den K r ü c k e n des Universalismus vollenden u n d d u r c h s e t z e n k o n n t e . W e n d e n wir j e d o c h der f r a n z ö s i s c h e n P o l i t i k u n d i h r e n E l e m e n t e n hier einige gesteigerte A u f m e r k s a m k e i t z u ! Mit einer gewissen N o t w e n d i g k e i t m u ß t e sich diese P o l i t i k a n d e m G e g e n s a t z gegen das Reich e n t z ü n d e n , das ihrer M a c h t b i l d u n g so v e r h ä n g n i s v o l l i m N o r d e n , Osten, S ü d e n im W e g s t a n d . M a n k e n n t

Anfänge und Grundlagen

5

die zahllosen historischen, akuten und chronischen, territorialen und nationalen und dynastisch-rechtlichen Konfliktspunkte, die den beiden Teilen des Karolingerreiches mit den Verträgen des 9. Jahrhunderts in die Wiege gelegt waren. Und eine Musterleistung deutschen Forschergeistes hat uns in dem Werke Fritz Kerns mit aller nur wünschenswerten Klarheit die Punkte aufgedeutet, welche die französische Ausdehnungspolitik historisch nicht nur zu erklären, sondern in weitem Umfang zu rechtfertigen geeignet sind. Vor allem das Fehlen eines Kolonisationsraumes, die herausfordernde Diskrepanz zwischen den politischen und nationalen Grenzen, zwischen dem politischen und kulturellen Einfluß und anderes mehr. Aber daneben stehen doch von Anbeginn Motive, die der Historiker zwar ebensowenig perhorreszieren, aber doch als charakteristische Zeugen eines aufs stärkste ausgebildeten politischen Vormachtstriebes bezeichnen wird. Hierher gehört zumal das von den Franzosen mit aller Zärtlichkeit und Leidenschaft eines glühenden nationalen Ehrgeizes genährte Moment der karolingischen Tradition, das mit seinen rein machtpolitischen Untergründen das der Kolonisation ohne Frage weit hinter sich läßt. Man darf diese letztere doch nicht überschätzen. In der Tat waren die Franzosen zu kolonisieren oft gewillt, selten befähigt, nie genötigt; die viel reicheren natürlichen Kräfte des Landes und zahlreiche andere Tatsachen machen eine Parallele mit Deutschland und seiner Ostkolonisation unmöglich. So groß und ununterbrochen die Geschichte der französischen Expansion ist, von einer Expansion des französischen Volkstums über seine alten Grenzen sieht man dabei fast nichts. Nicht so sehr den Lebensraum Frankreichs über seine angestammten Bezirke hinaus auszudehnen, sondern je eher desto besser das gesamte karolingische Erbe anzutreten, als dessen virtuelle Herren sie sich fühlten, waren diese westfränkischen Könige gemeint. Man kann die hier zugrunde liegende Verbindung ideologischer und rechtlicher Bezüge mit rein politischen, welche sich wechselseitig stützen, gar nicht genug betonen: sie wird für die Geschichte der französischen Ausdehnungspolitik ebenso charakteristisch bleiben wie die andere Verbindung von Abwehr- und Vormachtsidee, die ebenfalls in jener Frühzeit schon deutlich ausgebildet ist. Gewiß, die kapetingischen Könige, die von diesem Amt nicht viel mehr als den Namen und Nimbus besaßen, konnten in ihrer Ohnmacht bis zum Ende des 12. Jahrhunderts j a nicht einmal daran denken, sich nun selbst an die Stelle der weltbeherrschenden deutschen Kaiser zu setzen. Aber es ist, wie wenn die französischen

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1. Kap. Frankreich, Deutschland und die Pfalz bis zum Jahre 1688

M a c h t t r ä u m e e n t s p r e c h e n d der g r ö ß e r e n W i r k l i c h k e i t s f e r n e n u r u m so p h a n t a s t i s c h e r e u n d v e r w e g e n e r e F o r m e n a n g e n o m m e n h ä t t e n . M a n hing d e m geheimnisvollen u n d d u n k l e n I d e a l n u r u m so h i n g e g e b e n e r an, d u r c h t r ä n k t e sich m i t j e d e m n e u e n Geschlecht, das es n i c h t erreichte, n u r u m so l e i d e n s c h a f t l i c h e r m i t seinem Geist u n d seiner a u f r e i z e n d e n G l u t . D e r Geist der E x p a n s i o n w a r f r ü h e r d a als i h r e P o l i t i k : als e t w a s F e r t i g e s u n d seiner Gewisses k o n n t e j e n e r diese hinausgeleiten u n d b e f l ü g e l n , als sie z u m e r s t e n Male in die A r e n a t r a t . P r i m ä r politische A n t r i e b e h a t m a n also f ü r d e n f r a n z ö s i s c h e n A u s d e h n u n g s d r a n g in A n s p r u c h zu n e h m e n , u n d z w a r in w e i t e m M a ß e p r i m ä r v o r m a c h t p o l i t i s c h e v o n A n f a n g a n . N i c h t so sehr auf V e r t e i d i g u n g des eigenen Daseins gegen f r e m d e s U b e r g e w i c h t w a r der S i n n gerichtet, e n t s c h i e d e n e r stellte sich h i n t e r diesen der andere G e d a n k e , d u r c h eigenes U b e r g e w i c h t H e r r ü b e r f r e m d e s Dasein zu w e r d e n . I n gewisser K o n t r a s t s t e l l u n g d a z u b e f i n d e n sich n u n , ebenfalls v o n A n f a n g an, die F o r m e n dieser w e i t g r e i f e n d e n Politik. Sie s i n d a u ß e r o r d e n t l i c h vorsichtig, z u r ü c k h a l t e n d , u n k r i e g e r i s c h , geistig. Die Ideologie, die schon die wichtigste G r u n d l a g e f ü r die E n t s t e h u n g des E x p a n s i o n s d r a n g e s gebildet h a t , v e r d i c h t e t u n d e r w e i t e r t sich zu d e m k u n s t - u n d zugleich lebensvollsten Mechanism u s p r a k t i s c h e r E x p a n s i o n s l e h r e n u n d - m i t t e l , der o f t g e n u g d e n g r ö ß e r e n Teil des A u s d e h n u n g s w e r k e s v o n sich aus b e s t r e i t e t . Als H i l f s t r u p p e in v e r s c h i e d e n e m G e w ä n d e , juristischer, religiöser, erdk u n d l i c h e r , historischer, r a t i o n a l i s t i s c h e r , publizistischer, wissens c h a f t l i c h e r N a t u r , wird die T h e o r i e i m D i e n s t d e r n a t i o n a l e n P o l i t i k n i c h t n u r a u f g e b o t e n , s o n d e r n h ö c h s t erfolgreich eingesetzt. E s erfolgt keine E r o b e r u n g , die n i c h t m i t den o f t k o m p l i z i e r t e s t e n T i t e l n b e g r ü n d e t u n d so als zu R e c h t erfolgt hingestellt wird. Das eigene Gewissen wird so n i c h t m i n d e r salviert wie das der W e l t — jenes f ü r d e n G e b r a u c h der G e w a l t , dieses f ü r ihre E r d u l d u n g . Dieser p r o p a g a n d i s t i s c h e u n d auf das Prestige b e d a c h t e C h a r a k t e r der f r a n z ö s i s c h e n Politik e r h e b t sich aus der A n s c h a u u n g s w e i t des Mittelalters u n d l ä ß t sie doch alsbald h i n t e r sich z u r ü c k . Mit d e n Mitteln u n d F o r m e n der i n n e r e n P o l i t i k erfolgen die U s u r p a t i o n e n der ä u ß e r e n , die T e c h n i k , die das K ö n i g t u m i m I n n e r n zur H e r s t e l l u n g seiner P r ä r o g a t i v e ü b e r d e n F e u d a l i s m u s ausgebild e t h a t , p f l a n z t sich s e l b s t t ä t i g n a c h a u ß e n f o r t , es s i n d dieselben B e a m t e n n a m e n , die hier wie d o r t h e r v o r l e u c h t e n . Auf der a n d e r e n Seite n e b e n der h ä r t e s t e n E i n s e i t i g k e i t a u c h wieder eine u n n a c h a h m l i c h e Geschmeidigkeit in der W a h l der M i t t e l : m a n h a t sehr

Anfänge und Grundlagen

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richtig bemerkt, daß das französische Königtum, das den französischen Feudalismus zerstörte, den deutschen planmäßig gefördert hat, um über beide zu herrschen. Selten, daß eine Aneignung auf einmal und mit offenem Visier erfolgt; systematisch werden ihre Konturen verwischt, ihre Absichten und Formen verschleiert, ihre Ziele geleugnet, ihre Motive verklärt, ihre Etappen (um das Aufsehen zu verringern) auseinandergelegt. Bündnissysteme im eigenen Körper des Gegners, ein diplomatisches Einflußnetz von Protektionen (Königsschutz), Lehensabhängigkeiten, Kondominatsverträgen, Verwandtschaften über das ganze Reich hinweg, ein ungemessener Einfluß des französischen Geldes steigern die französische Macht stets noch mehr. Und mit ihr steigert sich und wächst wiederum das Maß und der Einfluß ihrer Theorien, neben das alte Vier-Ströme-Programm tritt die Lehre von der Rheingrenze, neben die karolingische die antike Tradition Francia = Gallia. Und immer noch ist damit nur der erste Appetit angemeldet, immer noch leben dahinter, nicht in der offiziellen Politik, aber in den Tiefen des nationalen Dämons nur um so gefährlicher und unberechenbarer, die Ideen einer gesamten ,,ReVindikation" des alten Frankenreiches. D a s ist das politische Frankreich Philipps des Schönen, wenn wir uns an seine wichtigsten und für unseren Zusammenhang bedeutsamsten Züge halten. E s bleibt, das Bild des Gegenspielers, und insbesondere nach der Seite des Territorialismus hin, zu ergänzen. Das Reich war zwischen den alten und neuen, den unitarischen und zentrifugalen Kräften zersplittert: am schlimmsten waren doch die Zeiten, da sie sich, einander annähernd ebenbürtig, gegenseitig aufhoben. Bereits im ausgehenden 15. Jahrhundert erfolgt mit dem Aufstieg Habsburgs die erste, freilich unvollkommene Überwindung des Partikularismus durch diesen selbst; vorher ist in dem Auf und Ab der Reichsgeschichte und Territorialentwickelung k a u m irgendwo etwas wie eine einheitliche Linie zu erkennen. Jede gesteigerte Leistung auf der einen wird von einer auf der anderen gefolgt, jedem Ansatz, wie etwa der habsburgischen Leistung des 13., dem Werk Karls IV. im 14. Jahrhundert, folgt fast zwangsläufig ein Rückschlag. Eine einheitliche äußere Politik wurde kaum jemals für längere Zeit durchgeführt — und war unter diesen Umständen auch kaum möglich. Es stand den Gegnern des Königs j a jederzeit frei, seine Politik durch eine eigene entgegengesetzte im Schach zu halten; öfter als einmal haben sie die erstere sogar überwunden und ausgeschaltet.

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Der d e u t s c h e W e s t e n m i t der P f a l z w a r v o n der allgemeinen Z e r s e t z u n g a m a l l e r s t ä r k s t e n b e t r o f f e n . Die Pfälzischen L a n d e h a t t e n zur Zeit der Salier u n d S t a u f e r , von d e r n o c h h e u t e d e r K r a n z i h r e r B u r g e n u n d D o m e z e u g t , r e c h t eigentlich des Reiches H e r z s t ü c k d a r g e s t e l l t : n u n w a r keine F r a g e , d a ß des Reiches M i t t e stets weiter n a c h Osten r ü c k t e . Die a l t e n K e r n l a n d e d e r W i t t e l s b a c h e r , die n e u e n der H a b s b u r g e r , das w a r e n z. B. K e i m zellen, u m die sich eine z u k u n f t s v o l l e E n t w i c k l u n g u n t e r U m s t ä n d e n kristallisieren k o n n t e . Wieviel schlechter sah es a b e r hier i m W e s t e n a u s ! Die eigentlichen Grenzgebiete w a r e n schon seit l a n g e m d e m R e i c h e n t f r e m d e t , L o t h r i n g e n ü b e r d i e s , schon seit d e m 10. J a h r h u n d e r t , zerteilt. Die Rheinlinie großenteils in den H ä n d e n geistlicher H e r r e n , deren jeder s t a r k g e n u g w a r , u m seine Stellung zu h a l t e n , keiner, u m sie e n t s c h e i d e n d ü b e r die des a n d e r e n zu e r h e b e n . D a z w i s c h e n die S t ä d t e , einzeln n u r ein H i n d e r n i s zur n a t i o n a l e n K o n s o l i d i e r u n g , zu einer geschlossenen G e m e i n s a m k e i t a b e r , d u r c h die sie A n t r i e b u n d F ö r d e r u n g h ä t t e n werden k ö n n e n , auf l ä n g e r e D a u e r nie zu b r i n g e n . I m S ü d w e s t e n die einzige weltliche M a c h t , die große politische Ansätze zu b i e t e n schien, H a b s b u r g : a b e r s c h o n w a r e n sie d u r c h d e n Sieg W i t t e l s b a c h s u n d L u x e m b u r g s i m R e i c h , d u r c h das A u f k o m m e n der E i d g e n o s s e n , d u r c h den A u s b a u der eigenen Stellung i m Osten wieder völlig in F r a g e gestellt. W i r l e n k e n u n s e r A u g e n m e r k auf die P f a l z , die allein u n t e r den g r ö ß e r e n T e r r i t o r i e n des W e s t e n s als mögliche Keimzelle einer n a t i o n a l e n E n t w i c k e l u n g n o c h übrig ist. E s schien a u s g e m a c h t , d a ß dieser B o d e n voll V e r g a n g e n h e i t u n d i n n e r e r Fülle a u c h eine t e r r i t o r i a l e E n t w i c k l u n g von eigener u n d b e s o n d e r e r K r a f t zeitigen w ü r d e . U n t e r g ü n s t i g s t e n Vorzeichen, n o c h v o n den S t a u f e r n selbst ins E r d r e i c h g e f ü g t , h a t t e n sich die G r u n d l a g e n des T e r r i t o r i u m s gebildet, die i n der V e r b i n d u n g eines A m t s u n d eines Guts, der P f a l z g r a f e n w ü r d e u n d eines Teils des s a l i s c h - s t a u f i s c h e n E r b g u t s , b e s t a n d e n . N u n b e w i r k t e n reiche n a t ü r l i c h e K r ä f t e u n d g u t e B e z i e h u n g e n zu den K a i s e r n , Lage u n d eine Reihe f ä h i g e r R e g e n t e n , R e i c h t u m u n d die V e r b u n d e n h e i t mit d e m m ä c h t i g e n H a u s W i t t e l s b a c h , d a ß sich v o n j e n e n G r u n d l a g e n alsbald eine sehr glückliche Geschichte e r h o b . Die P f a l z wird zu einem der a n g e s e h e n s t e n d e u t s c h e n T e r r i t o r i e n , wie dies in i h r e r K u r w ü r d e , n a c h der b ö h m i s c h e n der e r s t e n u n t e r allen weltlichen, seinen d e u t l i c h s t e n A u s d r u c k f i n d e t . A b e r n e b e n solch p o s i t i v e n E l e m e n t e n , die sich v e r m e h r e n ließen, s t e h e n d o c h v o n A n f a n g an n e g a t i v e , die der vollen A u s w i r k u n g der e r s t e r e n h i n d e r -

Anfänge und Grundlagen

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lieh sind. Sie wurden zum Teil bereits angedeutet. Die Pfalz bot glückliche Ansätze zu größerer territorialer Entwicklung: aber rings waren Kräfte, die dies mit Recht oder Unrecht für sich nicht weniger in Anspruch nahmen. Der Pfalz gelang es, ihre Stellung mehr und mehr über alle andren im Südwesten hinauszuheben, schließlich auch über die habsburgische, aber gerade dieses Beispiel zeigt, daß solche Überlegenheit nichts weniger als einen völligen Sieg bedeutete. Dazu die Menge der geistlichen Herrschaften, die durch ihre verfassungsrechtliche Struktur aller dauernden und zukunftsvollen Machtbildung im Wege standen, vor allem die der drei geistlichen Kurfürstentümer, deren Einfluß im Reich der größte war. Der territoriale Bestand der Pfalz kann andererseits gar nicht klein genug gedacht werden, wie er auch nicht zersplittert genug gedacht werden kann. Fremde Hoheiten allerorts unterbrechend und von ihnen unterbrochen streckte er sich von den Kernlanden zwischen Koblenz und Bingen über die Ufer von Mittelrhein und Neckar, Mosel und Nahe: wie eine Zange umschloß ihn der gefestigte und alte Besitz von Kurtrier und Kurmainz, jede größeren territorialen Ambitionen im Keim erstickend. Es ist das charakteristische und in mannigfacher Beziehung schmerzlichste Bild einer echt deutschen Entwicklung voll gesunder und ursprünglichster Kraft, individueller Prägung, lebensvoller Hervorbringungen, aber in ihren höchsten Auswirkungen, letzten Gestaltungen doch gehindert, tragisch vor dem Ziele abbrechend, krank mehr an ihrem Reichtum denn an ihrem Mangel, an der Überfülle eigenen inneren Lebens und an den zahlreichen Parallelentwicklungen, die alle wieder für sich sehr hohen Anforderungen genügen. Die innere Leistung dieser Territorien in einer Zeit äußeren Niedergangs ist unbestritten: das Maß ihres außenpolitischen Einflusses aber interessiert uns hier näher. Er war außerordentlich unschöpferisch, ohne größere Linie, ohne eigenes Leben, ohne historisches Verdienst. Aber er fiel doch, wenn auch mehr durch das, was er unterließ, als durch das, was er tat, unter Umständen schwer ins Gewicht. Ein Territorium selbst von dem Umfang der Kurpfalz hatte in der großen Politik, vereinzelt, sehr wenig aufzustellen: aber durch Felonie gegen das Reich, Anschluß an die Franzosen konnte es für diese ebenso heilbringend werden wie für jenes verhängnisvoll. Verbindung mit dem Ausland aber war, wie wir sahen, im 14. Jahrhundert schon ebenso gebräuchlich wie Annahme von Geldzahlungen, Abschluß von Freundschaftsverträgen und ähnliches. Es gäbe das bunteste Bild, wenn man auf

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einer K a r t e j e n e r Zeit all die d e u t s c h e n H e r r s c h a f t e n u n d H o h e i t e n , die v o r ü b e r g e h e n d oder l ä n g e r m i t F r a n k r e i c h i n V e r b i n d u n g ges t a n d e n , k e n n z e i c h n e n w ü r d e . D e n n o c h ist h i e m i t das P i o b l e m noch nicht ganz erschöpft. W a s h a t t e n die F r a n z o s e n bisher erreicht ? Sie h a t t e n i n d e m u n e r h ö r t e n A u f s c h w u n g , den sie u n t e r P h i l i p p I V . e r l e b t e n , i h r e n weltpolitischen E i n f l u ß n a c h d r ü c k l i c h gesteigert, h a t t e n v o r allem das moralische A n s e h e n wie des P a p s t t u m s so a u c h des K a i s e r t u m s e n t s c h e i d e n d geschwächt, h a t t e n die westlichen Gebiete des R e i c h s , B u r g u n d , L o t h r i n g e n , N i e d e r l a n d e , demselben w e i t g e h e n d e n t f r e m d e t . J a i h r Umsichgreifen u n d i h r e A u s n u t z u n g der U n o r d n u n g i m Reich w a r so weit gegangen, d a ß sie sich 1299 i n Q u a t r e v a u x d u r c h K ö n i g A l b r e c h t I. h ö c h s t f ö r m l i c h die völlige A b t r e t u n g d e r westlich d e r oberen Maas liegenden R e i c h s l a n d e h a t t e n zusichern lassen k ö n n e n . A b e r d a n n w a r , w e n n n i c h t ein völliger S t i l l s t a n d , so d o c h eine sehr wesentliche V e r l a n g s a m u n g ihres V o r m a r s c h e s e i n g e t r e t e n . Die U r s a c h e n weisen n a c h d e n t i e f s t e n G r ü n d e n der europäischen Lage u n d deren b e s t i m m e n d e n Kräften. E s ist v o n h ö c h s t e m h i s t o r i s c h e n Reiz, die b e i d e n P a r t n e r F r a n k r e i c h u n d das Reich i n d e r Gegensätzlichkeit ihres W e s e n s u n d i h r e r Ziele a n diesem A u s g a n g s p u n k t e zu vergleichen. Minder u n g ü n s t i g f ü r d a s R e i c h als m a n e r w a r t e n m ö c h t e i s t das in m a n n i g f a c h e r B e z i e h u n g ü b e r r a s c h e n d e E r g e b n i s . Gewiß, auf der Seite F r a n k r e i c h s s t e h t ohne Zweifel die größere E n e r g i e , der folgerichtigere politische Wille, der viel s t ä r k e r a u s g e p r ä g t e I n s t i n k t , d e r augenblickliche Erfolg. A b e r auf der Seite des Reichs ist e b e n s o gewiß eine ungleich breitere M a c h t b a s i s , ungleich größerer M a c h t besitz, reicherer M e n s c h e n v o r r a t , sind Erfolge der V e r g a n g e n h e i t , die selbst d e n siechenden K ö r p e r n o c h s c h ü t z e n . D r ü b e n die Z u s a m m e n f a s s u n g eines kleinen die g r ö ß t e n Ziele v e r f o l g e n d e n O r g a n i s m u s , h ü b e n die Gelöstheit eines großen, l e t h a r g i s c h e n u n d ziellosen, a b e r in seiner G e s a m t h e i t doch i m m e r n o c h schwer ü b e r w i n d b a r e n K ö r p e r s . D r ü b e n ein v e r h ä l t n i s m ä ß i g j u n g e s Gebilde, bei allen A n s ä t z e n d a z u d o c h noch n i c h t abschließend konsolidiert, i n seiner Stellung vielfach n o c h v o n a u ß e n i n Zweifel gezogen u n d b e d r o h t , sie selbst b e d r o h e n d d u r c h ein U b e r m a ß politischen T e m p e r a m e n t e s u n d Ehrgeizes, d u r c h das U b e r s c h ä u m e n v e r s c h i e d e n s t e r , n o c h u n g e f e s t i g t e r A m b i t i o n e n ; h ü b e n ein historisches Gebilde voll t r a d i t i o n e l l e r U n t e r b a u u n g e n , a n das die W e l t g e w ö h n t i s t , o h n e ein zu reiches M a ß a n n e u e n u n d w e i t g r e i f e n d e n A s p i r a t i o n e n , das

B u r g u n d und H a b s b u r g

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Ihren Widerstand erregen könnte. Drüben der regste Sinn für den Augenblick, das Gefühl der eigenen Kraft, die größere Zukunft und der Glaube an sie: hüben ein Leben in den größten Zeiträumen und voll verteilter Gewichte und Sicherungen, das Bewußtsein des höheren Nimbus, die reichere Vergangenheit und das Erfülltsein von ihr. Gegensätze und Verschiedenheiten wohin man auch sieht, aber in ihren Wirkungen scheinen sie sich immer wieder aufzuheben und die Entscheidung zu vertagen. E s war keine Frage, die Situation war für diese Entscheidung noch nicht reif. Darin kennzeichnet sich aber ein Hauptinhalt des kommenden Zeitraums, daß die Deutschen nichts taten, die Franzosen nichts unterließen, sie in ihrem Sinne zu gestalten. B U R G U N D UND

HABSBURG.

Da traten indessen Kräfte auf den Plan, die dem Vordringen Frankreichs sich noch einmal von anderer Seite her in den Weg «teilten: England, Burgund und Habsburg. Doch nicht das war das Wesentliche, daß die Franzosen durch sie auf das Empfindlichste in ihrem Vormarsch aufgehalten wurden, sondern daß sie trotzdem an der Idee und zum Teil auch an der Ausführung ihrer Expansion festhielten und sie schließlich über alle Widerstände hinweg zum Sieg führten. Und umgekehrt lag für den deutschen Partner nicht darin das Entscheidende, daß er durch jene Mächte vor den Auswirkungen des französischen Ausdehnungsdrangs für längere Zeit einigermaßen geschützt blieb, sondern daß er trotz der günstigen Gelegenheit nicht die K r a f t fand, sein politisches Dasein durch eine nationale Zusammenfassung auch für die Zukunft sicherzustellen. Das Aufkommen der habsburgischen Großmacht gehört bereits in einen neuen, sehi wesentlich verschieden gearteten Zusammenhang; wenden wir uns zunächst der ersten Epoche zu, die durch ihn gegen Ende des 15. Jahrhunderts ihre Ablösung findet. Ihr Inhalt faßt sich dahin zusammen, daß der deutsche Territorialismus, der sich weiterhin steigert, doch nicht dazu gelangt, dem Ganzen auf neuer Grundlage zurückzugeben, was er ihm auf einer früheren genommen. So schreitet die Entfremdung von Reichsbesitz an das Ausland weiter fort, so erscheint Westdeutschland am Ende des Zeitalters in mehr als einer Hinsicht zum Grenzland herabgedrückt, das sich bereits da und dort, so etwa in der Neußer Fehde, seines nackten Lebens wehren muß. Was die Franzosen nicht fertiggebracht, die Idee der Autonomie vermag die

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1- Kap- Frankreich, Deutschland und die Pfalz bis zum Jahre 1688

Grenzen des Auslandes tief i n das R h e i n g e b i e t v o r z u s c h i e b e n . D e r S t r o m w i r d i n seinem M ü n d u n g s l a n d v o n der b u r g u n d i s c h e n M a c h t e r r e i c h t u n d ü b e r s c h r i t t e n , in seinem U r s p r u n g s l a n d d u r c h eben diese u n d die zweite A u t o n o m i e b e w e g u n g der E i d g e n o s s e n w e i t g e h e n d v e r s e l b s t ä n d i g t u n d d e m Reiche e n t f r e m d e t . Bereits löst sich a u s der großen e r d k u n d l i c h e n E i n h e i t des R h e i n g e b i e t e s etwas wie ein spezifisch deutsches R h e i n l a n d h e r a u s , ein B r u c h s t ü c k , das der wichtigsten A u ß e n t e i l e e n t b e h r t , i n d e m die P f a l z aber r e c h t eigentlich Achse u n d Mitte wird. Noch ist d e r P f a l z in der zweiten H ä l f t e des 15. J a h r h u n d e r t s u n t e r Friedrich d e m Siegreichen eine glückliche P e r i o d e t e r r i t o r i a l e r A b r u n d u n g v e r g ö n n t , die ihre s p ä t e r e n Grenzen e i n i g e r m a ß e n b e g r ü n d e t , wie ihr die zweite H ä l f t e des 14. J a h r h u n d e r t s m i t der R e g i e r u n g R u p r e c h t s I . die erste i n n e r e u n d ä u ß e r e B l ü t e g e b r a c h t h a t t e . Aber das G e s a m t bild h a t sich doch auch hier v e r s c h l i m m e r t . D e r allgemeine Gegens a t z zwischen „ K a i s e r u n d R e i c h " schien seit d e m G e g e n k ö n i g t u m R u p r e c h t s I I I . (1398 — 1410) auf pfälzischem B o d e n n u r n o c h ärger in die H a l m e zu schießen wie a n d e r w ä r t s . U n d es l a g a n der Besonderheit e b e n dieses B o d e n s , d a ß die E n t f r e m d u n g gegen d e n Osten hier i n s t ä r k e r e m M a ß als sonst eine V e r b i n d u n g m i t d e m W e s t e n b e d e u t e t e — eine E r s c h e i n u n g , die gerade seit d e m siegreichen F r i e d r i c h u n d d a n n P h i l i p p d e m A u f r i c h t i g e n i m m e r s t ä r k e r h e r v o r t r i t t . Die Z e r s p l i t t e r u n g u n d d a m i t W e h r l o s m a c h u n g n i m m t rings an d e n Grenzen u n a u s g e s e t z t zu u n d f e i e r t z u m a l i m b e n a c h b a r t e n E l s a ß w a h r e T r i u m p h e . Die P f a l z selbst ist d u r c h ihre u n glückseligen Teilungen v o n d e m K r a n k h e i t s k e i m b e d e n k l i c h bet r o f f e n . K a u m u n t e r b r o c h e n e Kleinkriege, F e h d e n , L a n d v e r w ü s t u n g e n scheinen eigens d a z u e r f u n d e n , das G u t e u n d K r ä f t i g e , das ü b e r a l l i m W a c h s e n i s t , ebenso r a s c h w i e d e r zu z e r s t ö r e n . U n d d a h i n t e r , m i t j e d e m Tage b e d r o h l i c h e r , e r h e b t sich das Schreckbild der ä u ß e r e n G e f a h r e n : in d e m gleichen M a ß , in d e m die V e r s e l b s t ä n digung der westlichen Reichsteile, v o r n e h m l i c h B u r g u n d s u n d L o t h ringens, z u n a h m , m u ß t e die B e w e g u n g s f r e i h e i t u n d t a t s ä c h l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t der Pfalz geringer w e r d e n , so sehr a u c h diese E n t w i c k l u n g d u r c h die kluge A u s n u t z u n g der jeweiligen Zwischenstellung v e r d e c k t w a r . Noch rieben sich die in d e n Ü b e r g a n g s l a n d e n lebendigen S t r ö m u n g e n u n d G e g e n s t r ö m u n g e n a n e i n a n d e r u n d a n den u n i v e r s a l e n Gegensätzen großenteils a u f . A b e r je l ä n g e r d e s t o m e h r b e g a n n e n sie m i t eigener I n i t i a t i v e in die g r o ß e n Z e i t f r a g e n einzugreifen u n d als selbständige G r ö ß e n sich zwischen F r a n k r e i c h u n d d e m Reich zu e r h e b e n : in K a r l d e m K ü h n e n e r f u h r diese E n t w i c k -

Burgund und Habsburg

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lung ihre wo nicht bedeutendste, so doch deutlichste und symptomatischste Ausprägung. Es ist die merkwürdige Verwicklung dieser dem heutigen politischen Denken so fremdartigen burgundischen Frage, daß sie die rheinische Expansion, die sie einerseits aufhielt, von anderer Seite her wieder entschieden zu fördern bestimmt war. Im Gegensatz gegen die Könige waren diese Herzoge emporgekommen: aber sie waren Franzosen wie jene, ihre Gegner nur aus Rivalität, und unter den Erbtiteln, die sie von ihnen überkommen hatten, war ihnen durch Natur und Neigung keiner tiefer in die Seele gebrannt als der der rheinischen Ausdehnung- Sie nährten Haß und Feindschaft gegen ihre königlichen Verwandten und verbanden sich gegen sie mit dem englischen Landesfeind, aber vom Standpunkt des Reiches aus mochten sie als deren noch gefährlichere Nachfolger erscheinen, gerade in dieser Verbindung. Aber, fast möchte man sagen: selbstverständlich, fand dieser Standpunkt des Reichs keine gehörige Vertretung. Statt sich durch weise Ausnützung der Gegensätze selbst zum Gewinner zu machen, begnügte man sich damit, offene Ausbrüche zu verhüten. Und wohl war auf der Grundlage der allgemeinen Zersplitterung gar keine bessere Politik möglich. Die Auflösung war so groß, daß jeder Schritt, der für sich betrachtet zum Vorteil des Ganzen hätte ausschlagen müssen, durch unvermeidliche Gegenwirkung doch wieder zu seinem Nachteil gedieh. Die Aufstellung Habsburgs am oberen Rhein barg einen sehr lebenskräftigen Kern: die deutschen Rivalen haben ihn zerstört. Die Eidgenossen, die unter jenen in erster Reihe standen, bildeten ein lebenstrotzendes, mustergültiges und wehrhaftes Gemeinwesen aus : mit historischer Notwendigkeit mußte es mit dem Hause Habsburg, das trotz jener Einbuße — nun aber, leider, vom Osten aus — zum Führer Deutschlands wird, in schärfste Feindschaft geraten. So entsteht gerade an der gefährdetsten Stelle, im Südwesten, eine Überschneidung deutscher Interessen, deren unheilvolle Rückwirkungen auf unsere nationale Geschichte unabsehbar wurden. Dazu die in den genannten vielfach schon mitenthaltenen zahllosen anderen Gegensätze, vor allem die politisch-sozialen, zwischen Stadt und Land, Fürstentum und Adel, Adel und Demokratie, Städten und Fürstentum, Fürsten und Kurfürsten usw., dazu schließlich die religiösen und kirchlichen, wie sie vorahnend im Schisma, wie sie in voller Reife in der Reformation zum Ausdruck kamen. Und schon blitzt aus all dem Gewölke ein erstes Wetterleuchten mit dem Armagnaken-Einfall von 1441 auf, das die schwere Zukunft

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1. Kap. Frankreich, Deutschland und die Pfalz bis zum Jahre 1688

dieser G r e n z l a n d e j ä h b e l e u c h t e t . M a n k e n n t die g r a u e n v o l l e n Bilder dieses E i n f a l l s , der i n m e h r e r e m V e r s t ä n d e s y m p t o m a t i s c h e r s c h e i n t , eines Einfalls, der auf V e r a n l a s s u n g eines d e u t s c h e n Alliierten (der zufällig zugleich d e u t s c h e r K a i s e r ist) erfolgt, eines K a m p f e s , in d e m einem bis a n die Z ä h n e b e w a f f n e t e n F e i n d ein w e h r loses D e u t s c h l a n d g e g e n ü b e r s t e h t — der e r s t e n großen m i l i t ä r i s c h e n B e r ü h r u n g D e u t s c h l a n d s m i t F r a n k r e i c h , u n d in welchen F o r m e n ! Es w u r d e schon b e m e r k t , d a ß alle W i d e r s t ä n d e , alle A u f e n t h a l t e , die sich d e n F r a n z o s e n in der V e r f o l g u n g ihrer E x p a n s i o n s ziele in d e n W e g stellten, sie d o c h n i c h t h i n d e r n k o n n t e n , t r o t z d e m an i h n e n f e s t z u h a l t e n . J a , m a n darf in e i n e m t i e f e r e n Sinn s o g a r sagen, d a ß sich a n den W i d e r s t ä n d e n ihr politischer Wille n u r v e r s t e i f t u n d m i t u m so l e i d e n s c h a f t l i c h e r e n A n t r i e b e n e r f ü l l t h a t , u n d zwar ihr Wille zur A u s d e h n u n g , wie der zur politischen F ü h r u n g , die beide, wie je, z u s a m m e n h i n g e n . Zu U n r e c h t neigt eine vereinfachende Geschichtsauffassung dazu, den Inhalt französischer A u ß e n p o l i t i k auf ihre rheinpolitischen T e n d e n z e n zu r e d u z i e r e n . I n W a h r h e i t r ü c k t der D r a n g n a c h d e m R h e i n , so gewiß er d e r f r a n z ö s i s c h e n Geschichte f r ü h e s t e r u n d s p ä t e s t e r , i m t i e f s t e n S i n n französischer D r a n g ist, erst a u s der Fülle v o n F r a n k r e i c h s ü b r i g e n A m b i t i o n e n i n sein volles u n d rechtes L i c h t . E r o b e r n d , u m sich greifend, Kriege f ü h r e n d ist dieses Volk aus seiner N a t u r h e r a u s u n d n i c h t aus d e m D r a n g e irgendwelcher geographischer oder a n d e r e r von außen kommender Notwendigkeiten. Und genau in demselben M a ß sind a u c h die Ziele seines Ehrgeizes, die hier f r ü h e r wie bei i r g e n d e i n e m a n d e r e n Volk Ziele des S t a a t e s w e r d e n , n i c h t z w a n g s mäßige, s o n d e r n willkürliche. W i e F r a n k r e i c h n a h e z u d u r c h s ganze Mittelalter in territoriale Kriege m i t E n g l a n d verwickelt ist, so lebt es i n historischer F e i n d s c h a f t m i t S p a n i e n , die sich u m d e n Besitz der diesseitigen P y r e n ä e n l a n d e d r e h t , so f ä h r t es ü b e r die Meere, u m N e a p e l u n d Sizilien zu erobern, zieht ü b e r die A l p e n , u m seine H e r r s c h a f t in N o r d i t a l i e n a u f z u r i c h t e n . J e d e r k e n n t die Z u s a m m e n h ä n g e , die sich m i t d e m N a m e n R o b e r t s v o n A n j o u * Königs v o n N e a p e l , v e r b i n d e n : k a u m h a t t e sich F r a n k r e i c h v o n d e n W u n d e n u n d W i r r e n der g r o ß e n englischen Kriege erholt, d a n a h m es e r n e u t den K a m p f auf, der i n ganz b e s o n d e r e m Sinn m i t d e m K a m p f u m das europäische Ü b e r g e w i c h t v e r b u n d e n i s t : den K a m p f u m Italien. A b e r e b e n in i h m b e g e g n e t e F r a n k r e i c h der W i d e r s t a n d , d e r sich n o c h ungleich gewichtiger, e n t s c h i e d e n e r , s c h i c k s a l h a f t e r als alle bisherigen seinem Wollen e n t g e g e n s e t z t e : das H a u s H a b s b u r g .

Burgund und Habsburg

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Es ist die w i c h t i g s t e E t a p p e auf d e m W e g zu u n s e r e m Ziel, voll der r e i c h s t e n u n d v e r s c h i e d e n a r t i g s t e n B e z i e h u n g e n : n u r ihre b e d e u t s a m s t e n k ö n n e n hier b e r ü h r t w e r d e n . U n m ö g l i c h v o r allem, die H e r a u s b i l d u n g der h a b s b u r g i s c h e n W e l t m a c h t hier n ä h e r zu schild e r n ; m a n k e n n t i h r e wichtigsten M a r k s t e i n e , wie sie v o n der K e i m zelle des d e u t s c h e n H a u s b e s i t z e s ü b e r das K a i s e r t u m bis z u m E r w e r b B u r g u n d s , der Nachfolge i n S p a n i e n u n d i n I t a l i e n , der Zub r i n g u n g B ö h m e n s , Mährens, U n g a r n s h e r a b r e i c h e n . E s w a r eine M a c h t ohnegleichen, die ü b e r ganz E u r o p a u n d schließlich ü b e r Ubersee h i n w e g v o n e i n e m Interesse z u s a m m e n g e h a l t e n w u r d e u n d der g e g e n ü b e r F r a n k r e i c h n o t w e n d i g u n t e r l e g e n w a r — u n d die d e n n o c h die V e r t e i d i g u n g des d e u t s c h e n n a t i o n a l e n Daseins l e t z t e n E n d e s e r s c h w e r t h a t . D e n n sie m u ß t e angesichts ihres e r d r ü c k e n d e n U b e r g e w i c h t e s n i c h t n u r den W i d e r s t a n d F r a n k r e i c h s versteifen, a u c h in D e u t s c h l a n d selbst f ü h r t e n ihre m a ß l o s e n M a c h t a n s p r ü c h e zur E n t s t e h u n g einer Opposition, die die v o r h a n d e n e n Gegensätze n u r a b e r m a l s v e r m e h r t e . E s ließe sich freilich d e n k e n , d a ß sich diese G e g n e r s c h a f t a n d e n segensvollen W i r k u n g e n einer großen spezif i s c h - d e u t s c h e n P o l i t i k , wäre dieselbe n u r v o r h a n d e n gewesen, verm i n d e r t u n d a u f g e r i e b e n h ä t t e . Die i n der h a b s b u r g i s c h e n Politik notwendig stattfindende Vermischung nationaler und übernationaler I n t e r e s s e n a b e r m u ß t e gerade die k r ä f t i g s t e n d e u t s c h e n Territ o r i e n , die in ihrer politischen E n t w i c k l u n g schon a m meisten f o r t g e s c h r i t t e n w a r e n , zu i m m e r e n t s c h i e d e n e r e m W i d e r s t a n d reizen. Gewaltig w a r die U n t e r s t ü t z u n g , die diese T e n d e n z e n d u r c h die geistige u n d religiöse E n t w i c k l u n g der Zeit, d u r c h die R e f o r m a t i o n u n d was mit i h r z u s a m m e n h i n g , e r f u h r e n : d a ß m a n indes a u c h v o n dieser Seite her a n s t a t t zur E i n h e i t n u r zu n e u e m Zwiespalt k a m , gerade dies zeigt die Tiefe der schon v o r h e r b e s t e h e n d e n K l u f t . E s w a r das Schicksal der P f a l z , i m R a h m e n dieser i n n e r d e u t s c h e n , gegen H a b s b u r g g e r i c h t e t e n K ä m p f e a n v o r d e r s t e r Stelle zu stehen. J a , die Pfalz bildete i n dieser Rolle die größte, die vielleicht allein welthistorische L e i s t u n g i h r e r Geschichte aus. Bis ins 14. J a h r h u n d e r t reichen die A n f ä n g e j e n e r b e d e u t u n g s - u n d schicksalvollen W e g e z u r ü c k , die sie s o d a n n ü b e r H u m a n i s m u s , R e n a i s s a n c e u n d Calvinismus zu i m m e r einflußreicherer Sonderstellung in D e u t s c h l a n d f ü h r e n sollten. I n d e s , so Unvergängliches z u m a l auf geistigem Gebiete geleistet w u r d e , es w a r e n doch zugleich Wege, die die P f a l z i m m e r n ä h e r a n d e n westlichen N a c h b a r f ü h r t e n , dessen nie r u h e n d e A u s d e h n u n g s i n t r i g u e n es sogar m i t t e n in der E p o c h e H a b s b u r g s v e r s t a n d e n h a t t e n , sich zu diesem z u m a c h e n .

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l . K a p . Frankreich, Deutschland und die Pfalz bis zum Jahre 1688

Frankreich hielt die 1552 eingenommenen Städte M e t z , T o u l und Y e r d u n selbst durch die dunkelste Periode seiner neueren Geschichte, als es durch seine religiöse und politische Verwirrung den Feind wie in den schlimmsten Zeiten des englischen Kriegs im eigenen Lande schalten und walten sah. Wie ein Wechsel auf eine bessere und in die Grenzen des augenblicklichen Bedrückers hineinwachsende Zukunft nahmen sich damals diese Außenposten aus. Es waren dieselben Jahre, in denen die Pfalzgrafen Johann Casimir und Wolfgang mit ihren reisigen Scharen Frankreich durchzogen und wie ihrem Glauben so doch auch dem pfälzischen und deutschen Namen Ansehen und Einfluß verschafften. Das Gedächtnis an jene Züge ist bis zum heutigen Tag ein stolzes und lebendiges und, da sie einen Anhauch der Größe in einer Zeit nationaler Armut aufweisen, berechtigt. Und doch! Scheinen nicht umgekehrt wie im vorangehenden Fall über diesen Erfolgen von heute schon die Schleier des Unglücks von morgen zu liegen, und, doppelt tragisch, eines Unglücks, dessen feindselige Anstifter die Freunde von heute sind ? Die Problematik der habsburgischen Weltmacht für unseren Fragenkreis war indessen noch eine andere, neben die von innen nach außen wirkenden Momente treten nicht minder wichtige von außen nach innen wirkende, neben die deutschen fremde. Nicht nur daß diese Macht wider ihren eigenen Willen deutsche Kräfte in die Arme des Auslandes trieb, dieses Ausland mußte auf Habsburgs europäisches Ubergewicht ähnlich reagieren wie das Inland auf sein deutsches. Zu leidenschaftlichem Widerstande mußte zumal Frankreich gereizt sein, das durch die habsburgische Weltmacht auf allen Seiten in seiner Auswirkung gehemmt, in seiner Ausdehnung eingeengt, in seinen Zielen getroffen war. War nicht wirklich jenes gewisse „Maß an innerer Berechtigung", das der französischen Ausdehnungspolitik zuerkannt wurde, angesichts des erdrückenden habsburgischen Übergewichts nur noch größer geworden ? Wo immer Frankreich einen historischen Streitgegenstand hatte, in Spanien, Italien, Burgund — Habsburg hatte ihn übernommen und stand einer günstigen Entscheidung im Weg. Wo immer Frankreich eine Grenze hatte, Habsburg stand da und sperrte sie. Indem Habsburg übermächtig war, mußte den Franzosen das Bestreben naheliegen, sich ebenfalls übermächtig zu machen, um zu leben. Indem Habsburg überall stand, mußten die Franzosen bedacht sein, sich überallhin zu wehren, auch gegen den Rhein zu. Und war es andererseits so sicher, daß den von verschiedenerlei Seiten her be-

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stimmten Habsburgern der Rhein, so wichtig und teuer auch immer, die wichtigste und teuerste ihrer Positionen war, die sie vor allen anderen verteidigen und behaupten würden ? War nicht zu fürchten, daß sie, deren Machtansprüche den Widerstand des Auslands so unendlich steigern mußten, Deutschland als erstes Land diesem Widerstand preisgäben ? Und was dann ? So schicksalhaft vereinten sich an dieser Stelle Beziehungen der deutschen und der europäischen Politik, um das Problem der französisch-deutschen Auseinandersetzung zu komplizieren. Aber auch damit ist die Frage noch nicht erschöpft. Mannigfach sind die Formen, Stufen, Ausprägungen jener Auseinandersetzung und die vom Gegenspieler Habsburg bestimmte Etappe wird gewiß immer als eine ihrer größten gelten. Aber so beherrschend sich auch damals die Tatsache des habsburgisch-französischen Gegensatzes über alle anderen stellte, tiefer wurzelten im Innersten der europäischen Geschichte andere Kräfte, keine bleibender und die Jahrhunderte überdauernder als die des französischen Ausdehnungs- und Vormachttriebes, wie er in dem Dasein und Einfluß einer deutschen Nachbarmacht zwar nicht sein einziges, aber tiefstes Kampfziel hatte. Wir sahen diesen Trieb in seinen Keimen schon in der frühesten Geschichte, wir sahen ihn machtvoll hervorbrechen um die Wende des 13. zum 14. und nicht verschwinden in den Ablenkungen des 14. und 15. Jahrhunderts: wir sahen, wie auch der Kampf mit Habsburg nicht an Momenten der Abwehr, sondern an dem stolzen und großen Motiv eines Kampfs um die Vorherrschaft in Italien sich entzündete. Mit aller Entschiedenheit setzte er als Vormachtkampfein — als solcher endete er auch schließlich — und als solcher schlummerte er in den Tiefen französischer Geschichte selbst zu Zeiten, als das äußere Bild der Dinge auch nicht entfernt Anlaß zu solchen Zukunftsphantasien zu geben schien. Aber das ist ja das innerste Geheimnis dieser Geschichte, sie greift nach dem Höchsten selbst in der Ohnmacht, keine Niederlage kann groß und keine Übermacht der Feinde erdrückend genug sein, um ihr den Glauben an sich selbst und ihre politische Mission zu rauben: er bricht aus der Not und Bedrückung nur um so sturmwindartiger und hinreißender hervor. Und darin stellt das Jahrhundert Habsburgs die charakteristische Wiederholung der großen Kaiserzeitjahrhunderte dar, daß jener Glaube, in der glänzendsten Bewährung, beide Male von seinem kleinen, aber glühenden Kern zu einer Umgestaltung der Welt vorschreitet. Sie war, wir wissen es, verhängnisvoll genug für das Deutschland des Mittelalters: inzwischen ließen sich die Dinge v . R a u m e r : Die Zerstörung der Pfalz.

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noch viel gefährlicher an. Die Franzosen waren viel näher herangerückt, die Gegensätze hatten sich versteift, Frankreich war in seinem volklichen und staatlichen Aufbau fortgeschritten wie Deutschland in seiner Auflösung, die deutsche Geschichte hatte sich nicht emanzipiert, sondern das universale Erbe unter nur viel fragwürdigeren Bedingungen neu auf sich genommen. Die Dinge waren zur Überreife gediehen; der Ausgang mußte, das war keine Frage, sehr blutig und ernst werden. DAS S I E B Z E H N T E

JAHRHUNDERT

Zu solchem Umfang waren die ungelösten Fragen, u n a n gefochtenen Gegensätze, notdürftig verdeckten Widersprüche bis zu diesem Jahrhundert gediehen: elementar drängten sie in ihm zum Ausdruck. Das Bild dieses Jahrhunderts ist von dramatischer Bewegtheit und buntestem Wechsel, tief beschattet von Deutschland, blendend erleuchtet von Frankreich her, im Aspekt der universalen Geschichte ein oft verwirrendes Neben- und Gegeneinander, Auf und Nieder der bewegenden Kräfte. Wir sprechen nicht von den mehr abseits von unserem Problem liegenden Fragen, von dem Aufstieg Schwedens und Hollands, von der englischen Revolution und der Türkengefahr, jenes Problem selbst rückt in diesem Jahrhundert recht eigentlich in den Zenit seines Wegs. Der deutschfranzösische Gegensatz ist in ihm in den französisch-habsburgischen eingemündet: aber mit diesem erfährt er seine große und eigentlich welthistorische Entscheidung. Das Jahrhundert erlebt mit den Siegen des Kaisers im Dreißigjährigen Krieg noch einmal einen Gipfelpunkt habsburgischer Weltstellung und sieht wenig J a h r e danach, mit der Situation von 1640, ihren epochalen Zusammenbruch. E s erblickt das Frankreich der Regentschaft noch in der ganzen inneren Zerrissenheil und äußeren Ohnmacht, die das Halbjahrhundert seiner Bürger- und Religionskämpfe gekennzeichnet hatte, und bringt wenig später seine glänzendsten Triumphe. E s zeitigt mit der Lage von 1619, in der Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz den böhmischen Thron besteigt, einen Höhepunkt deutscher territorialer, mit dem Restitutionsedikt von 1629 einen kaum dagewesenen Sieg deutscher kaiserlicher Gewalt, um mit dem Frieden von 1648 erneut den Vorrang der ersteren festzulegen. Schlag und Gegenschlag folgen einander in den kürzesten Abständen und unermeßlich erscheint das Maß der für sie angesammelten Energien. Überblickt man jedoch den Gesamtablauf des Jahrhunderts bis in

Das siebzehnte Jahrhundert

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sein vorletztes Jahrzehnt, so ist es die Linie des französischen Aufstiegs, die sich groß und weit sichtbar über alle anderen hinaushebt. Es wird das ,,grand siècle" der französischen Geschichte ; richten wir das Augenmerk auf die Fragen und die Etappen, die im Zusammenhang des pfälzisch-deutschen Problems die entscheidenden sind. Der Dreißigjährige Krieg hat so ziemlich in jeder Beziehung den Grund gelegt, auf dem sich die unheilvollen Ereignisse der 70 er und 80er J a h r e abspielen konnten. Er hat Habsburg gedemütigt und Frankreich zur Höhe geführt, er hat Deutschland den Gipfelpunkt politischer Zerrissenheit erleben lassen und in die Geschichte der Pfalz einen Bruch gebracht, den sie niemals mehr verwand. So weit war man j a schon in den Jahrzehnten vor seinem Ausbruch gekommen, daß von einer eigentlich deutschen Geschichte nur mehr in einem ganz umschränkten, additionistischem oder passiv gewendeten Sinn gesprochen werden konnte. Wir erinnern uns der pfälzischen Sonderwege ; wenn man will, kann man sie als einen Ansatz zu eigener Gestaltung deutscher Geschichte betrachten, der sich bis an die Schwelle des Dreißigjährigen Krieges immer mächtiger emporhob. Aller Augen blickten damals auf die Pfalz, die überdies in ihrer Verbindung mit dem englischen Königshaus die bedeutsamste europäische Rückendeckung zu besitzen schien. Aber, indem diese Deckung versagte, sollte sich nur um so deutlicher herausstellen, daß der deutsche Territorialismus nicht fähig war, deutsche Geschichte allein aus sich und rein deutschen Elementen heraus zu gestalten : das Opfer dieses Versuchs ward recht eigentlich die Pfalz. Nicht allein, daß die Führerin der Auflehner auch die erste und vornehmlichste Macht der vom Zorn des Siegers Betroffenen wurde. Indem der innerdeutsche Versuch, die übernationale Macht des Hauses Habsburg zu brechen, am Weißen Berg gescheitert ist, erhob sich mit gewisser Zwangsläufigkeit das Ausland gegen dieses Haus. Deutschland aber wird mehr und mehr das Opfer des großen Gegensatzes. Es wird zwischen seinen Fronten erdrückt, kein Teil indes schlimmer als die Pfalz. Von den verschiedensten Seiten her war der Widerstand gegen das Haus Habsburg lebendig und wirksam, er erzielte in dem Schweden Gustav Adolfs seine ersten großen welthistorischen Triumphe, aber je mehr die religiösen Fragen hinter die politischen zurückzutreten begannen, desto mehr spitzte sich der K a m p f auf ein Ringen zwischen Frankreich und Habsburg zu, das in einem Kampf um den Rhein seinen universal-geschichtlich größten Ausdruck fand. In diesem K a m p f steht die Pfalz mitten 2*

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1- Kap. Frankreich, Deutschland und die Pfalz bis zum Jahre 1688

inne. Erscheint doch die alte burgundische Situation, die Quellund Mündungsland von vornherein auf die Seite des Gegners wies, nur wiederholt: mit Neckar- und Mainmündung beherrscht die Pfalz Mitte und Hauptlauf des Stromes. Als Kreuzungs- und Durchgangsland der wichtigsten von Nord nach Süd, von Ost nach West führenden Wege wird die Pfalz, deren selbständige Rolle also gescheitert war, bevor die eigentlich europäischen Kämpfe nur begonnen, zum beklagenswerten Kostenträger dieser Kämpfe. Ein Spielball in der Hand der europäischen Mächte, die das Land, je nach ihren augenblicklichen Mehrheiten und Kräfteverhältnissen, heute zu einem Bollwerk spanischen, morgen antikaiserlichen, heute katholischen, morgen protestantischen Einflusses auszubauen gedenken und sich über diese Frage doch nie einig werden. Und während ihre angestammten Herren, Friedrich V. und Karl Ludwig, im Gefolge der schwedischen Heere als Flüchtlinge durch die Lande ziehen, geht die Heimat der Salier und die blühende Schöpfung der Staufer und Wittelsbacher, geht die Pfalz mit ihren Schlössern und Dörfern, ihren Feldern und Weinbergen, zum ersten Male weithin in Flammen auf. Das war die erste große und schlimme Ernte, die einer jahrhundertealten Geschichte der Zersplitterung und der inneren Gegensätze folgte. Das war aber auch die erste Frucht französischer Vormacht- und Ausdehnungspolitik, die auf deutschem Boden zur Reife kam — wie viele andere sollte die Pfalz noch zu kosten haben! Lange genug hatte der deutsche Partikularismus den wirkungsvollsten und gedankenlosesten Vorspann französischer Expansionspolitik gebildet; nun war der Augenblick gekommen, wo jeder weitere Fortschritt derselben auf die allerpersönlichsten Kosten dieses Partikularismus erfolgen mußte und wohl manchem zumal der linksrheinischen Gebiete um sein nacktes Leben bange wurde. Es ruht etwas Tragisches darin, daß die Pfalz in dem Augenblick, in dem sie den Höhepunkt ihrer selbständigen Geschichte erlebte, sich auch vor deren Tiefpunkt gestellt sah, und daß dieser Tiefpunkt vornehmlich durch eben die Kräfte herbeigeführt wurde, die sie auf den Höhenweg geführt hatten. Gleichsam vom Platz aus wandelte sich die Pfalz von dem bevorzugten Bundesgenossenland zum gepeinigten Ausdehnungs- und Kompensationsobjekt der Franzosen. Aber es lag in der Natur der deutschen Verhältnisse, daß auch jetzt noch dem fortgeschrittenen und zusammengefaßten nationalen Willen der Franzosen kein ebenso zusammengefaßter deutscher gegenüberstehen konnte; zu tief wirkten die Kräfte der

Das siebzehnte Jahrhundert

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Vergangenheit nach, zu charakteristisch prägten sich auch jetzt noch in dem großen Gegensatz nicht nur zwei verschiedene politische Willensmächte, sondern auch zwei verschiedene Zeitalter aus, von denen das eine der nationalstaatlichen Tendenzen, die das andere schon weitgehend besitzt, noch weitgehend ermangelt. Und es war doch auch nicht an dem, daß die Macht Habsburgs durch Frankreich von heute auf morgen, mit einem Schlage überwunden worden wäre, so viele Einbußen sie erlitt, so viele neue Kräfte schienen ihr vielmehr immer wieder zuzuströmen. Und jeder auch nur kleine zeitweilige Glückswechsel zugunsten Habsburgs ließ wieder mit seinen ganzen Hoffnungen auch die ganzen Befürchtungen seiner Gegner, und gerade der innerdeutschen, aufleben. Die internationalen und gleichsam überzeitlichen Machtgrundlagen Habsburgs schienen gegenüber denen des alten Deutschen Reiches nur abermals vergrößert. Ihre Auswirkungen selbst ins innerpolitische Leben Frankreichs, über dessen damals erreichte Einheitlichkeit vielfach übertriebene Auffassungen herrschen, waren bis tief ins 17. Jahrhundert hinein die größten; einen ununterbrochenen K a m p f hatten die auf Frankreichs Aufstieg angespannten Kräfte mit ihnen zu führen. Aber wie je schienen auch in dieser letzten und größten Phase des Kampfes die vervielfachten Widerstände der Gegner bloß dazu da, den Kern des französischen Vormachtsund Einflußwillens nur um so klarer und entschiedener herauszuschälen. Es war doch eine großartige nationale Entwicklung, die das Frankreich des 17. Jahrhunderts genommen hat. Leuchtend und groß steht an ihrem Anfang die Gestalt Heinrichs IV., von allen Lichtern seiner wechselvollen und rasch schreitenden Zeit umspielt, noch mit den herben Zügen des konfessionellen und schon mit den deutlichen Spuren der Beweglichkeit und der Geschmeidigkeit des neuen politischen Zeitalters, von der ganzen Ritterlichkeit und Erdnähe der alten Zeiten erfüllt und doch den kommenden Tag seines Volkes in sich tragend und anbahnend wie kein andrer. Das Frankreich Heinrichs hat den Rhein nicht erreicht, aber wie von selbst und gleichsam lautlos wurde ihm der Strom vom langersehnten Traum zum höchst realen und greifbaren Faktor seiner Politik. Dies vollzog sich bereits im Jahrzehnt von Heinrichs Friedensregierung : und schon schien die Ära des großen Kampfes beginnen zu wollen, in dessen fast phantastischen Umrissen neben uralten Zielen der Italienexpansion, der Welthegemonie, der Erwerbung der Niederlande deutlich die Ideen einer wenigstens mittelbaren Rhein-

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1- Kap. Frankreich, Deutschland und die Pfalz bis zum Jahre 1688

h e r r s c h a f t s i c h t b a r sind. D e r Dolch des Mörders h a t den A u s b r u c h dieses K a m p f e s n o c h einmal v e r z ö g e r t ; a b e r w e n n irgend e t w a s sollte Heinrichs große Nachfolge zeigen, d a ß sein U n t e r n e h m e n n i c h t die r o m a n t i s c h e L a u n e eines A b e n t e u r e r s , s o n d e r n der A u s f l u ß der s t ä r k s t e n u n d lebendigsten n a t i o n a l e n E n e r g i e n war. I m m e r d a r w i r d die G e s t a l t R i c h e l i e u s d e n j ä h e r k l o m m e n e n u n d stolzen H ö h e p u n k t französischer A u ß e n p o l i t i k d a r s t e l l e n : er h a t die P o l i t i k Heinrichs m i t n u r unendlich gesteigertem R e a l i s m u s , T i e f b l i c k , N a c h d r u c k f o r t g e f ü h r t , m i t einer welthistorischen L e i s t u n g , die in der f r a n z ö s i s c h e n Geschichte n u r m i t der Philipps des S c h ö n e n , m i t einer G r ö ß e der S t a a t s k u n s t , die m i t keiner sonst verglichen w e r d e n k a n n . Die R h e i n f r a g e stellt a b e r i m G e s a m t a u f b a u seines W e r k e s einen der b e d e u t e n d s t e n u n d vielleicht den z u k u n f t s vollsten Teil d a r ; ihre g r ö ß t e u n d v o m S t a n d p u n k t F r a n k r e i c h s aus erfolgreichste Epoche ist m i t d e m N a m e n des K a r d i n a l s v e r bunden. I s t es n ö t i g , hier die F o r m e n u n d E t a p p e n einer P o l i t i k zu schildern, u n t e r deren Zügen gerade die e n t s c h e i d e n d e n d e n i m M i t t e l a l t e r a n g e w a n d t e n n a h e z u völlig gleichgeblieben sind ? E s sind die n ä m l i c h e n Antriebe, Mittel, Ziele, d u r c h die j e n e P o l i t i k b e s t i m m t w i r d , v e r ä n d e r t n u r u n d weit v o r g e r ü c k t e r s c h e i n t i h r S t a d i u m . Hier wie dort j e n e einzigartige V e r b i n d u n g v o n A n g r i f f u n d A b w e h r , die a b e r nun, i m Angesicht der überlegenen h a b s b u r g i schen W e l t m a c h t , der a n g e s a m m e l t e n französischen E n e r g i e n , n u r u n g e h e u e r v e r d i c h t e t erscheint. H i e r wie d o r t das engste I n e i n a n d e r v o n Theorie u n d Praxis, R e c h t u n d Politik, A g i t a t i o n u n d G e w a l t t a t , Feinheit und Brutalität, Diplomatie und Kriegführung. In b e i d e n P e r i o d e n u m f a s s e n d e französische A l l i a n z e n s y s t e m e ü b e r u n d u m das Reich, durch die D e u t s c h l a n d u n a u s g e s e t z t a u f g e l o c k e r t wird — i n b e i d e n h i n w i e d e r u m , als W e c h s e l w i r k u n g , eine u n a u f h a l t s a m e französische E x p a n s i o n , d u r c h die j e n e z e r s e t z e n d e n B ü n d n i s s y s t e m e stets neue N a h r u n g e r h a l t e n . Alles h a t i n z w i s c h e n a b e r einen planvolleren, a u s g e p r ä g t e r e n , u n v e r s ö h n l i c h e r e n C h a r a k t e r g e w o n n e n , es g e h t h a r t auf h a r t ; aus d e m H ö c h s t m a ß d e r Abh ä n g i g k e i t e r h e b e n sich die F r a n z o s e n gegen das sie u m k l a m m e r n d e H a u s H a b s b u r g u n d bis in die i n n e r s t e n E i n g e w e i d e des ü b e r w u n d e n e n Gegners k r a l l e n sich die K l a u e n des Siegers, eigene V o r h e r r s c h a f t a n b a h n e n d , bevor n o c h die Folgen der f r e m d e n ü b e r w u n d e n erscheinen. D a s a b e r war das E n d e , d a ß D e u t s c h l a n d in die Niederlage H a b s b u r g s , u m die es sich d o c h z u n ä c h s t e i n m a l h a n d e l t e , tiefer verwickelt w u r d e als H a b s b u r g selbst. Die E p o c h e Richelieus u n d

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Ludwigs X I \ . wird zur eigentlichen Tiefzeit Deutschlands ; die Grenzlandentwicklung der Pfalz, die im 13. Jahrhundert begonnen hatte und im 15. und 16. noch einmal aufgehalten worden war, geht mit Riesenschritten ihrer Vollendung entgegen. Aber nur noch schneller scheint das Verhängnis zu schreiten, das sich mit dieser Entwicklung verbindet. Schon darin war der Westfälische Friede von garnicht abzusehendem Unheil für Deutschland, daß er die Abtretung der Schweiz und Hollands bestätigte und damit endgültig jene ungemein schwierige politisch-militärische Lage des 15. Jahrhunderts festlegte, die ein im engeren Sinne deutsches Rheinland von dem Gesamtstromgebiet, das jenes umschloß und flankierte, loslöste und abgrenzte. Aber neben diese Verschiebungen, die zum Vorteil und doch nicht durch die eigene Kraft Frankreichs erfolgten, traten nicht minder folgenreich rheinische Resitzergreifungen Frankreichs selbst. Es spiegelt den ganzen internationalen Charakter dieser Kämpfe wider und ist doch zugleich für den nachdrücklich hegemonialen Charakter der französischen Politik kennzeichnend, daß dieses Land (mit dem Elsaß) seine Vorposten weit in den Körper der Nachbarnation und über den oberen Rhein vortrieb, bevor es selbst (mit der Franche-Comté, Belgien usw.) in irgendeiner Weise seine eigenen nationalen Grenzen erreicht hatte. Aber die wichtigsten Grundlagen für eine Beherrschung Deutschlands und damit Mitteleuropas waren damit schon gelegt. Und schon auf Grund der unstrittigen und von b e i d e n Parteien anerkannten Münsterer Abtretungsparagraphen war Frankreich nun auch vom Süden her der gefährlichste Nachbar der Pfalz geworden. Die folgenden Jahre sollten diese Entwicklung nur noch krönen. Frankreichs sich häufende Siege über Spanien haben sie nicht minder gefördert als sein aus dieser Höhenentwicklung immer unstreitiger sich ergebendes inneres Ubergewicht, das es ihm möglich machte, auch die z w e i f e l h a f t e n Elsässer Abtretungsparagraphen zu seinen Gunsten auszulegen. So wird die südliche Umklammerung der linksrheinischen Pfalz eine immer vollständigere, so weiß die Politik Ludwigs X I V . , in der sich die Züge der nationalen Eitelkeit, der Eroberung und Weltherrschaft immer krankhafter steigern, in einem ebenfalls sich steigernden Wechselspiel von diplomatischen Ränken und skrupelloser Gewalt auch den Rest der im Westen der Pfalz noch vorhandenen Bollwerke zu beseitigen. Und in dem gleichen Maße mußten auch die Möglichkeiten einer deutschen Gegenwehr immer mehr zusammenschwinden, drohte unter den Wogen der neuen Zeit nicht

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nur die habsburgische Weltmacht zu versinken, sondern auch Deutschland, das j a in ihr seinen letzten und einzigen Schutz gefunden hatte. Freilich, neben den unerhört großartigen und bedeutenden Zügen der französischen Politik finden sich schon frühzeitig andere, die das Bild geschichtlicher Größe empfindlich zu stören vermögen. Das war das Einzigartige Richelieus gewesen, daß er mit einem Höchstmaß an Feingefühl und Beweglichkeit es verstanden hatte, die ganzen noch so widerstrebenden Tendenzen Europas und der Zeit, alle fortschrittlichen, antihegemonialen, freiheitlichen, protestantischen, autonomistischen, nationalen und partikularen Kräfte vor seinen Wagen zu spannen. Ludwig dagegen, von einer weit ärmeren Instrumentation des Geistes, weniger begünstigt überdies von der Zeit, in welche er geboren, geriet immer mehr in Widerspruch mit ihnen. Die Züge des Gewaltsamen, Hemmungslosen, Ubersteigerten werden stets beherrschender und zum Fluche scheinen dem französischen Volke seine durch die Jahrhunderte angesammelten Vormachtsträume auszuschlagen. So gewiß dieser Machtmaterialismus die Keime des Verfalls indes in sich trug, so gewiß war er vor der Hand noch sehr großer Erfolge fähig. Zunehmend gerät Deutschland unter die indirekte Zwingherrschaft der Franzosen; was der Rheinbund (1658) und die ihm folgenden zahlreichen Separatbünde nicht vermögen, bringt nunmehr nackte Gewalt, Krieg und Eroberung, zuwege. Französische Heere ziehen durch deutsches Land wie durch das eigene. 1664 gerät der Mainzer Kurfürst in Krieg mit seiner Stadt E r f u r t : durch halb Deutschland zieht ihm ein französisches Unterstützungskorps zu Hilfe. Um dieselbe Zeit steht der Kaiser Leopold in schwerem Kampfe gegen die Türken r eine zweite Armee Ludwigs bricht nach Ungarn auf, wiewohl sich Leopold gegen diese entehrende Hilfe ausdrücklich gewehrt hatte. Von Franzosen gefällte Urteilssprüche regeln interne deutsche Angelegenheiten als wären es die ihren. Der Kurfürst von der Pfalz befindet sich mit seinen deutschen Nachbarn in dem bekannten,,Wildfangsstreit" über das Recht auf die Heimatlosen und Unehelichen: 1667 findet diese Frage, unter der Leitung eines schwedischen und französischen Bevollmächtigten, zu Heilbronn ihre Entscheidung. Französische Heere und Beamte bemächtigen sich deutschen Landes mitten im Frieden. 1659 einigen sich Spanien und Frankreich auf die Verstümmelung Lothringens, ohne die in erster Linie Zuständigen, den lothringischen Herzog und den deutschen Kaiser, überhaupt zu fragen. Der Herzog weigert sich den Frieden anzu-

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nehmen: aus den neuen Verhandlungen, die ihm Frankreich „zugesteht", geht er nur um so betrogener hervor. Man entlockt ihm die rechtliche Abtretung eines Teils seiner Länder, der Frankreich die Brücke ins Reich herstellt, indem man ihn im Besitz der übrigen anerkennt: 1670, mitten im Frieden, raubt man ihm auch diese. Man wird fragen, warum Deutschland, warum das Reich sich gegen solche Vergewaltigung nicht zusammengeschlossen und geschützt haben. Aber es liegt einmal in dem Wesen historischer Tendenzen, auch dann noch fortzuwirken, wenn die Kräfte, die sie ausgelöst, lange verändert oder verschwunden sind. So mußte die deutsche Zwietracht noch fortwirken, als ihre selbstmörderischen Folgen für jeden einzelnen der Zwieträchtigen offenbar waren. E s ist unglaublich und doch so: das Deutschland der 50er und 60er J a h r e ist noch weitaus überwiegend von dem Schreckbild der habsburgischen und nicht der französischen Gefahr bestimmt. In furchtbarem Anblick drängen sich hier noch einmal gleichsam am Rande des Abgrundes die ganzen Tendenzen, die seit dem verfallenden Mittelalter lebendig waren, gesteigert zusammen. Aber indem jene französische Gefahr — auch eine gesteigerte Zusammenfassung ins Mittelalter weisender Kräfte — tatsächlich mit jedem Tage größer wird, entwickelt sich der Problemkreis immer schneller und unaufhaltsamer seiner Krisis zu. Immer riesenhafter werden seine Spannungen und immer weniger die Monate und Wochen, die ihn von seiner dramatischen Entladung noch trennen. Wie innerlich reich, in seiner innersten K r a f t unverbraucht, wie strotzend und unermüdlich war dabei immer noch dieses Deutschland! Was hatte es alles durchgemacht, und wie war es in eben jenen 50er und 60er Jahren wieder aufgeblüht! Wir denken zumal an die Westmark, an das Rheinland. P o l i t i s c h ein Bild grenzenloser Zersplitterung, ein buntes In- und Durcheinander von den österreichischen Vorlanden und den beiden badischen Markgrafschaften Baden-Baden und Baden-Durlach am Oberlauf, über die Pfalz, Trier, Mainz und Nassau in der Mitte, bis zu den kölnischen und ehemals jülich-bergischen Landen am Unterlauf des Stromes — wobei die zahllosen Hoheiten kleineren oder kleinsten Umfangs, die jene größeren Territorien überall durchzogen, Hochstifter, Grafschaften, Reichsstädte, Abteien, Reichsdörfer, reichsritterschaftliche Gebiete, gar nicht genannt werden. M i l i t ä r i s c h der beklagenswerte Anblick größter Hilflosigkeit: neben der Mehrzahl der Territorien, bei denen von einer ernsthaften Bewaffnung überhaupt nicht gesprochen werden kann und zu denen auch die

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K u r p f a l z g e h ö r t , ein allmähliches Umsichgreifen der „ A r m i e r t e n " , u n t e r d e n e n B r a n d e n b u r g a m n i e d e r e n R h e i n h e r v o r r a g t , u n d , seit d e n 70 er J a h r e n , ein l a n g s a m e r A u f b a u einer auf den K r e i s e n r u h e n d e n W e h r m a c h t , die s p ä t e r v o r allem in S ü d w e s t d e u t s c h l a n d eine gewisse B l ü t e e r l e b t : a b e r alles n o c h so sehr i m W e r d e n , d a ß das G u t e d a r a n sich gegenseitig viel m e h r zu s t ö r e n als zu einer geschlossenen W i r k u n g z u s a m m e n z u s c h l i e ß e n scheint. A b e r n u r u m so b e w u n d e r n s w e r t e r ist es, was das g e d e m ü t i g t e , herabgezogene, a u c h geistig tief g e s u n k e n e , z e r s p l i t t e r t e u n d h a l b v e r b l u t e t e d e u t s c h e Volk d a m a l s an schöpferischer K r a f t n o c h in sich schloß u n d a u c h b e t ä t i g t e . E s k a n n hier n i c h t i n den E i n z e l h e i t e n geschildert w e r d e n , a b e r w e n n wir noch e i n m a l auf die i n n e r s t e Keimzelle u n serer U n t e r s u c h u n g e n z u r ü c k k o m m e n d ü r f e n , welchen R e i c h t u m an neuen Ansätzen, aufbauender Arbeit, unverwüstlicher Gesundheit zeigt allein die P f a l z ! W o h l kein a n d e r e s deutsches L a n d w a r politisch u n d w i r t s c h a f t l i c h g e s c h w ä c h t e r aus d e m D r e i ß i g j ä h r i g e n K r i e g h e r v o r g e g a n g e n als die P f a l z : wohl kein a n d e r e s h a t in den k u r z e n Friedens j ä h r e n n a c h i h m einen solch b e d e u t e n d e n u n d r a s c h e n N e u a u f s c h w u n g g e n o m m e n . Die u n g e m e i n energische, n a c h u n s e r e n Begriffen freilich wenig p l a n v o l l e , a b e r d o c h d u r c h ihre G r o ß z ü g i g k e i t u n d ihre Toleranz b e d e u t e n d e Bevölkerungs- u n d W i r t s c h a f t s p o l i t i k des K u r f ü r s t e n K a r l L u d w i g h a t a n diesem W i e d e r a u f b a u o h n e Zweifel h e r v o r r a g e n d e n Anteil. Aber es ist e b e n s o w e n i g ein Zweifel möglich, d a ß alle Mühe vergeblich h ä t t e sein m ü s s e n , h ä t t e sie n i c h t i n der N a t u r des pfälzischen L a n d e s u n d Volkes die s t ä r k s t e U n t e r s t ü t z u n g g e f u n d e n . Die P f a l z h a t sich zwischen d e m g r o ß e n d e u t s c h e n u n d den f r a n z ö s i s c h e n Kriegen n i c h t n u r w e i t g e h e n d erholt, s o n d e r n eine e r s t a u n l i c h e materielle K u l t u r h e r v o r g e b r a c h t . Überall in S t a d t u n d L a n d regstes L e b e n , r e g s t e r F o r t s c h r i t t , in der L a n d w i r t s c h a f t jene f ü r die fernere E n t w i c k l u n g so b e d e u t s a m e U m s t e l l u n g v o m G e t r e i d e b a u auf die H a n d e l s f r ü c h t e , i m s t ä d t i s c h e n W e s e n die b a h n b r e c h e n d e Überl e i t u n g v o m Z u n f t z w a n g zur G e w e r b e f r e i h e i t , v o n der S t a a t s b e v o r m u n d u n g zur S e l b s t v e r w a l t u n g . Allein in den J a h r e n v o n 1663 bis 1688 ist M a n n h e i m v o n e t w a s m e h r als 3000 auf 12 000 Einw o h n e r a n g e w a c h s e n . Die S u m m e a b e r , die die F r a n z o s e n in den J a h r e n des Pfälzer Krieges, t r o t z d e r Z e r s t ö r u n g e n u n d t r o t z d e m die r e i c h e n Ä m t e r N e u s t a d t a. d. H . u n d G e r m e r s h e i m n i c h t mitg e r e c h n e t sind, bis 1696 d e m L a n d e zu e n t z i e h e n v e r m o c h t e n , b e t r ä g t n a c h den uns e r h a l t e n e n spezifizierten Ausweisen n a h e z u 600000 Gulden.

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A b e r was h a l f doch wieder aller F o r t s c h r i t t , w e n n der A r m f e h l t e , i h n gegen die ä u ß e r e n F e i n d e zu v e r t e i d i g e n ? W e n n d a s a u f b l ü h e n d e L a n d n u r d e m Gegner a u f b l ü h t e , d e r es mit n u r u m so g r ö ß e r e m W o h l b e h a g e n wieder zerstören wird ? Wie F r a n k r e i c h die S u m m e seiner historischen A m b i t i o n e n , seine h e g e m o n i a l e n , rheinischen, italienischen, n i e d e r l ä n d i s c h e n , m a r i t i m e n T e n d e n z e n i m Zeitalter L u d w i g s X I V . zur h ö c h s t e n Steiger u n g b r a c h t e , so zog sich gegen sie v o n allen Seiten a u c h der g r ö ß t e e u r o p ä i s c h e W i d e r s t a n d z u s a m m e n . A b e r wie D e u t s c h l a n d , das d a s e n t s c h i e d e n s t e Interesse a n diesem W i d e r s t a n d h a t t e , i h n d e n n o c h a m ungeschlossensten u n d unwirksamsten zum Ausdruck b r a c h t e , so w a r d es r e c h t eigentlich w i e d e r u m das S c h l a c h t f e l d des i m m e r s t ä r k e r w e r d e n d e n e u r o p ä i s c h e n Gegensatzes. A b e r die F o l g e n dieser T a t s a c h e w a r e n seit d e m D r e i ß i g j ä h r i g e n K r i e g d o c h u m ebensoviel s c h l i m m e r g e w o r d e n , als die l e t z t e n Bollwerke, die D e u t s c h l a n d gegen das v o r d r i n g e n d e F r a n k r e i c h s c h ü t z t e n , gef a l l e n w a r e n u n d sich der K a m p f m e h r u n d m e h r v o n einem K a m p f u m die r h e i n i s c h e n Vorlande a u f einen K a m p f u m d e n R h e i n selbst z u s p i t z t . So e r l e b t m a n das b e k l a g e n s w e r t e Schauspiel, d a ß alle a n t i f r a n z ö s i s c h e M a c h t b i l d u n g sich irgendwie v o r t e i l h a f t a u s w i r k t — n u r n i c h t i n D e u t s c h l a n d . B e k a n n t sind die T r ä g e r jenes e u r o p ä i s c h e n W i d e r s t a n d e s , n e b e n H a b s b u r g n u n besonders H o l l a n d , s p ä t e r E n g l a n d , b e k a n n t seine w i c h t i g s t e n E t a p p e n , das erste v o r a h n e n d e , n o c h weniger planvolle A u f b l i t z e n in der Tripelallianz v o n 1667/68, die e r s t e tiefgreifende u n d epochale K o m p l i z i e r u n g d u r c h die große Allianz v o n 1674. M a n h a t in der l e t z t e r e n die erste g r o ß e B e d r o h u n g v o n F r a n k r e i c h s V o r h e r r s c h a f t auf d e m K o n t i n e n t , die e r s t e große B e i r r u n g auf seinen E r o b e r e r w e g e n : m a n h a t in e n g s t e r V e r b i n d u n g m i t i h r , als einen u n m i t t e l b a r e n A u s f l u ß dieser Krisis, die erste große Z e r s t ö r u n g der P f a l z d u r c h die F r a n z o s e n , welche f u r c h t b a r u n d schreckenvoll i m S o m m e r u n d H e r b s t dieses J a h r e s ü b e r das L a n d h e r e i n b r a c h . Diese Z e r s t ö r u n g d u r c h T u r e n n e l ä ß t sich a n A u s d e h n u n g , politischer T r a g w e i t e u n d geschichtlicher B e d e u t u n g m i t der g r o ß e n v o n 1689 n i c h t vergleichen. Gleichwohl b e d e u t e t sie das d e n k w ü r digste u n d beziehungsreichste Vorspiel f ü r das große Z e r s t ö r u n g s j a h r . E s w a r die letzte u n d p a r a d o x e Ü b e r s p i t z u n g der d u r c h die J a h r h u n d e r t e wirkenden Tendenzen, wenn unter Karl Ludwig, mit d e r V e r h e i r a t u n g der Liselotte a n d e n f r a n z ö s i s c h e n Hof, n o c h einm a l die alte pfälzisch-französische F r e u n d s c h a f t a u f g e l e b t w a r : u n m i t t e l b a r v o n i h r löste sich die b l u t i g s t e F e i n d s c h a f t a b . U m f a n g ,

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Art und Einzelheiten der Zerstörung sind sehr unerforscht, aber mehr noch muß man der deutschen Forschung den Vorwurf machen, daß sie den wesenhaften militärischen und politischen Hintergründen bisher sehr wenig nahegerückt ist. Die ersteren waren ohne Frage bedeutsam vorhanden. Die Franzosen waren in ihrem glänzend begonnenen holländischen Feldzug gescheitert. Drohend erhob sich gegen sie ein überlegener europäischer Widerstand. In dieser Situation des Jahres 1674 mußte es für sie von dem allergrößten Wert sein, wenn sie durch die rückhaltloseste Ausbeutung der in ihrem Besitz befindlichen feindlichen Grenzlande ihre eigenen Mittel ebenso bereichern wie die des Gegners schwächen, vor allem aber den großen Gegenstoß dieses Gegners verlangsamen konnten. Und in der Tat hatte Frankreich mit diesen beiden Absichten einen vollen Erfolg. Aber nicht weniger wichtig erscheinen doch die im Gebiet der Politik, und zwar ganz besonders der französischen Politik ruhenden Ursachenreihen. Wir haben die gefährlichen Züge in der politischen Mentalität der Franzosen j a schon stark herausgehoben. J e und je hatte in ihr nicht nur der Drang zur politischen Vormacht und zur Ausdehnung einen ungewöhnlich breiten R a u m eingenommen; je mehr Widerstände sich ihm entgegenstellten, desto furchtbarere und übersteigertere Gestalt nahmen auch seine Formen und Methoden an. Blutiger und grausamer ist schwerlich die Geschichte eines anderen europäischen Volkes und der ganzen Beweglichkeit, Aufgeschlossenheit und prononzierten Humanität der Franzosen tritt in Momenten nationaler Ekstase — und sie sind dort sehr zahlreich — eine Einseitigkeit, Ausschließlichkeit und Schrankenlosigkeit des politischen Willens gegenüber, auf denen Größe und Grenze dieser Geschichte ruhen, die aber auf alle Fälle etwas Erschreckendes und die menschliche Würde im Innersten Verletzendes haben. E s wäre falsch zu glauben, daß die Franzosen unter dieser Mitgift nicht selbst immer wieder wie unter einem schweren, ihr eigenes Leben zerstörenden Fluche litten. Aber jene oft zum Zynismus gesteigerte, aus einer Art politischer Psychose entspringende Grausamkeit, die in einer Zeit der siegreich vordringenden Toleranz andersgläubige Volksgenossen mit Feuer und Schwert unterdrücken konnte, darf hier nicht verschwiegen werden; sie bildet nicht nur im Rahmen der innerfranzösischen, sondern auch der europäischen Politik ein nicht wegzudenkendes und oft genug gefährliches Element. Denn man muß doch immer wieder sehen, daß die Franzosen den dunklen Trieb zu einer völlig bewußten und dadurch viel furchtbareren Methode steigern. Als

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Kap. Frankreich, Deutschland und die Pfalz bis zum Jahre 1688

d e r französische C h a u v i n i s m u s i m Zeitalter P h i l i p p s des Schönen seine erste B l ü t e erlebte, k o n n t e der Publizist Pierre Dubois eine S c h r i f t „ U b e r die A b k ü r z u n g der Kriege F r a n k r e i c h s " schreiben, die als das p r o b a t e s t e Mittel zu dieser A b k ü r z u n g die e r b a r m u n g s lose V e r w ü s t u n g alles F e i n d e s l a n d e s v o r s c h l ä g t , w o d u r c h der F e i n d M u t u n d Mittel z u m W i d e r s t a n d v o n selbst verlieren werde. Die l e t z t e n J a h r h u n d e r t e h a t t e n , was G r a u s a m k e i t der K r i e g f ü h r u n g i n n e r - u n d a u ß e r h a l b des L a n d e s a n l a n g t , sich bis zu A u s w ü c h s e n gesteigert, die m i t U n r e c h t d u r c h die dazwischenliegende M a u e r des gewiß a u c h u n e r h ö r t grauenvollen D r e i ß i g j ä h r i g e n Krieges verd e c k t w e r d e n . W i r streifen hier n u r n o c h e i n m a l die entsetzlichen A r m a g n a k e n z ü g e . Exzesse wie i m F r a n k r e i c h der Guisen f i n d e n in der R e f o r m a t i o n u n d G e g e n r e f o r m a t i o n keines a n d e r e n L a n d e s i h r e gleich f u r c h t b a r e Parallele. O h n e Zweifel n a h m d a n n i m 17. J a h r h u n d e r t die K r i e g f ü h r u n g ganz allgemein u n d überall ges t e i g e r t b r u t a l e u n d h e m m u n g s l o s e F o r m e n a n . A b e r der U n t e r schied ist doch der, d a ß dieser B a r b a r i s m u s i m F r a n k r e i c h L u d wigs X I V . n u n d e n sorgfältigsten u n d p l a n v o l l s t e n A u s b a u zur e b e n falls sorgfältigen u n d planvollen M e t h o d e e r f ä h r t , d a ß er auf diese Weise zu W i r k u n g e n v o r s c h r e i t e t , wie sie weder v o r h e r n o c h n a c h h e r e t w a s ihresgleichen h a b e n , u n d d a ß er schließlich i m D i e n s t e einer P o l i t i k s t e h t , die, was Skrupellosigkeit u n d Verstiegenheit a n b e l a n g t , noch schlimmer ist als er selbst. I n der Z e r s t ö r u n g d e r P f a l z v o n 1674 f a n d er aber seinen ersten g r o ß e n u n d f u r c h t b a r e n Ausdruck. Die politischen E i n w i r k u n g e n auf diese Z e r s t ö r u n g lassen sich bis i n die E i n z e l h e i t e n verfolgen. V o n der f r a n z ö s i s c h e n G e s c h i c h t s c h r e i b u n g geflissentlich verschwiegen u n d doch v o n d e m g r ö ß t e n B e l a n g ist, d a ß die A u s s c h r e i t u n g e n sich schon 1673 a n b a h n e n , also in einer Zeit absoluter pfälzischer N e u t r a l i t ä t . Der G r u n d : d e n P f ä l z e r K u r f ü r s t e n d u r c h D r u c k d a h i n zu b r i n g e n , aus dieser N e u t r a l i t ä t z u g u n s t e n F r a n k r e i c h s h e r a u s z u t r e t e n . Louvois a b e r s c h r e i b t i m Mai 1674, er h a b e m i t seinen Z e r s t ö r u n g s p l ä n e n weniger d a s Ziel, z u m Vorteil des Königs aus d e n U n t e r t a n e n Seiner K u r f ü r s t l i c h e n H o h e i t Geld zu ziehen, als v i e l m e h r Seine K u r f ü r s t l i c h e H o h e i t selbst „ m a t t z u s t e l l e n " u n d i h n zu zwingen, sich zu F ü ß e n des Königs zu erniedrigen, der i h m gern g n ä d i g sein werde „ à la c o n s i d é r a t i o n de Monsieur et de M a d a m e " . D a n n wieder f ü r c h t e t selbst P a r i s , die allgemeine E m p ö r u n g ü b e r das V o r g e h e n der f r a n zösischen T r u p p e n möchte zu g r o ß w e r d e n , als d a ß sie n i c h t u n t e r d e n e u r o p ä i s c h e n V e r b ü n d e t e n die Glut des W i d e r s t a n d e s gegen

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Frankreich nur noch erhöhen werde. „Pour ce qui est des alliés" beruhigt indes Turenne, „la ruine du pays de M. l'Électeur Palatin les réfroidit bien plus qu'elle ne les échauffe." Und die Zerstörungen schreiten fort wie sie begonnen und keine Gegenorder aus Versailles hindert mehr ihren Lauf und ihre Vollendung. Das sind die Hintergründe — wer beschreibt all das Unmaß an Schrecken und Not, das sich im einzelnen von ihnen abhob ? Wir besitzen nicht einmal ein genaues Bild des Umfangs der damals zerstörten Lande. Von Weinheim an der Bergstraße, das im Juli Mittelpunkt der Verwüstungen war, greifen sie im August mit Turennes Flußübergang auf das linke Rheinufer über, während sie von Philippsburg aus bis in das Spätjahr hinein südlich vom Neckar ihren Fortgang nehmen. Die Not und die Erbitterung der Landleute waren namenlos. Die französische Geschichtsschreibung pocht heute noch darauf, daß im ganzen nur die Dörfer niedergebrannt worden seien, welche die Bezahlung der Kontribution verweigert hätten. Das ist, soweit sich sehen läßt, ganz richtig und doch von verhältnismäßig nebensächlicher Bedeutung. Denn wie menschenunmöglich muß eine Schätzung gewesen sein, der der Bauer die Preisgabe seines ganzen Gutes, mit Haus und Feld und Ernte, vorzog! Aber es darf ebenso als ein Zug französischer Mentalität angesprochen werden, sich durch solch eine Kulisse den Schein des Rechts zu verschaffen wie diesen Schein auch gutgläubigen künftigen Geschlechtern gegenüber, natürlich selbst gutgläubig, aufrechtzuerhalten. Der Schrecken unter den Einwohnern wurde so groß, daß sie es vorzogen, mit Weib und Kind ihre Dörfer zu verlassen und als Heimatlose durch die Lande zu irren oder in den Wäldern und auf den Rheininseln sich zu verbergen. Dreizehn kleine Städte, Burgen und Dörfer, berichtet am 1. September der französische Gouverneur von Philippsburg, habe er seit 14 Tagen verbrannt, ,,mais il n ' y a pas une âme dans aucune". Uberhaupt war das Gemeinsamkeitsgefühl gegenüber der Gefahr, die Verbundenheit auch mit dem Landesherren, unter den Pfälzern recht lebendig; „ni l'Electeur, ni ses sujets n'étaient d'humeur à se soumettre; les paysans du Palatinat partageaient la passion de leur souverain contre la France", sagt ein französischer Historiker. Man kann sich vorstellen, welcher Grad der Verzweiflung erreicht wurde, als sich die Landleute da und dort, wie 230 Jahre vorher ihre Nachbarn im Elsaß gegen die Armagnaken, zur persönlichen Verteidigung ihres Lebens zusammenscharten. Der Kurfürst teilte mit der ganzen lebendigen Aufnahmefähigkeit und mit der ganzen leidenschaftlichen Glut

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1- Kap. Frankreich, Deutschland und die Pfalz bis zum Jahre 1688

seines Herzens das Unglück und die Empörung seiner Untertanen. Es löste die naive Verwunderung Yaubruns aus, als Karl Ludwig einige französische gefangene Offiziere — „ u n procédé tout à fait contre toutes les formes" — bei Wasser und Brot einsperrte und sie, i m Angesicht der brennenden Bergstraße, mit dem Tod bedrohte. Aber was konnten solche Schritte, bei der tatsächlichen Machtlage, viel helfen ? I n hellem Zorn schickte er Turenne, seinem Vetter und ehemaligen Glaubensverwandten, den bekannten Herausforderungsbrief ,,par un désir de vengeance que je dois à m a patrie", dessen Gedächtnis vielfach ein lebendigeres geblieben ist als das an die Zerstörung selbst. Aber was vermochte solch ein Appell an die Ritterlichkeit einer Zeit, die vergangen war, wiederum auszurichten ? Die diesseitige Pfalz lag in Asche und die jenseitige wartete nur darauf, daß das gleiche Schicksal sie träfe. Aber auch damit war das Unheil dieser ersten Zerstörungsphase noch nicht beendet. Wiewohl wir verhältnismäßig gut über sie unterrichtet sind, herrscht doch nur spärlich verbreitete Kenntnis über die großen und planvollen Zerstörungen, denen in den Jahren 1676 und 1677 vor allem die westlichen Teile der Pfalz ausgesetzt waren. U n d doch gehört das Los dieser nicht so i m Mittelpunkt des Interesses stehenden Lande ebenso i n das Bild des erschütternden Gesamtvorganges. Überdies bilden die Zerstörungen dieser Landschaften, da diese v o n dem späteren großen Zerstörungsakt ausgenommen waren, auch räumlich dessen wichtige Ergänzung. Es war nicht weniger als „tout le pays situé entre le Rhin et la Sarre, et toute la vallée de la Sarre jusqu' à la Moselle", dessen Verwüstung, nach dem Verlust von Philippsburg, befohlen und „avec un extrême rigueur" ausgeführt wurde. Genaue amtliche Beschreibungen aus dem Herzogtum Zweibrücken liefern uns bis in die Einzelheiten zuverlässige Angaben über Wesen und Wirkung der Verwüstungen. Bereits hat sich etwas wie eine kunstgerechte Methode der Zerstörungen ausgebildet, Mineure, Einreiß-Kommandos u. a. sind deren notwendige Begleiterscheinungen. Die Hauptstadt Zweibrücken fällt dem Vernichtungswerk mit Schloß und Kirchen zum Opfer. Allein i m Oberamt Lichtenberg zählte m a n in wenig Wochen mehr als fünfzig verbrannte Dörfer und Flecken. Das Oberamt Zweibrücken schloß sich mit einer nur u m wenig geringeren Anzahl an. Kleinere Ämter wie Kirkel u. a. sind großenteils vernichtet, Städte wie Kusel, wie Hornbach, wie Baumholder liegen mehr oder weniger in Asche. Mit A m t und Stadt Bergzabern greift der Brand bereits auf die Vorderpfalz, mit der „Gemeinschaft 4 ,

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Falkenburg auch auf Gebiete über, die nicht oder nur zum Teil zu Zweibrücken gehörten. Dabei muß man in Betracht ziehen, daß das Zerstörungswerk sich in weit größerem Maße auf die zahlreichen kleineren und kleinsten Hoheiten erstreckte, zu deren Wesen es jedoch auch mitgehört, infolge eben dieser Kleinheit keineUberlieferung auszubilden, auf die sich spätere Geschlechter stützen könnten. Eindringenderen Untersuchungen bietet sich jedoch auch hier noch ein lohnendes, wichtiges Feld. Und das alles war nur das Vorspiel der großen Pfalz-Zerstörung und nicht diese selbst. Das eigentliche und große historische Unglück stand noch bevor und eine nochmalige ungeheure Steigerung aller Gegensätze, Feindschaften, Grausamkeiten, Gewalttaten bildete seinen Auftakt. Es ist der umfassendste politisch-militärische Untergrund, den man für die Erklärung des Ereignisses von 1689 in Anspruch nehmen muß. Die politische Mentalität der Franzosen, die französische Geschichte seit den Anfängen, ihre um sich greifende Rheinpolitik seit der Spätzeit des Mittelalters, der Niedergang Deutschlands, das Problem des deutschen Territorialismus und der habsburgischen Weltmacht, die Grenzlandentwickelung der Pfalz, die allmähliche Herausbildung einer antifranzösischen Koalition: alle diese Fragen mußten für die Verdeutlichung des Zusammenhangs herangezogen und vorgestellt werden. Aber die ohnehin großen Gegensätze erleben nun in den 80er Jahren, mit dem weiteren feindlichen Ausgreifen, mit den Reunionen, welche die Franzosen aus Nachbarn der Pfalz zu ihrem Schlaf- und Wohnbruder machen, mit dem Wiederaufstieg Habsburgs anderseits, wie dieser durch Österreichs Türkensiege hervorgerufen war, mit dem machtvollen Wachsen der gegen Frankreich gerichteten Kräfte, die zumal von England her starken Zuzug erfuhren, ihre abermalige und bedeutsame Zuspitzung. Die Geschichte ist unermeßlich in ihren stets neuen Möglichkeiten, Steigerungen, Auswegen, durch die einmal vorhandene Tendenzen immer wieder und bis ins Unwahrscheinliche ausgebildet und verfeinert werden. Aber nun nahte doch der Augenblick heran, wo die der französischen Expansion und Ubermacht, deren Tempo seit Richelieu ein immer unerhörteres gewesen war, ihre Spitze abbrechen sollte. Unmittelbar aus ihm ist die Zerstörung der Pfalz von 1689 erwachsen.

v. R a u m e r : Die Z e r s t ö r u n g der P f a l z .

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ZWEITES

KAPITEL

AUFTAKT U N D ANFÄNGE D E R Z E R S T Ö R U N G VON 1689

Es ist in der Geschichte wie überall im Leben: die Vordergründe scheinen manchmal eher dazu da, das wahre Wesen zu verdecken als seine Künder und Zeugen zu sein. Aber wie könnten wir dieses ergründen ohne die härteste Berührung und Auseinandersetzung mit jenen ? Zwar fehlt der Epoche Ludwigs X I V . die geheimnisvolle und stets in ihren B a n n ziehende Unerschöpflichkeit der Genialität, aber an gleißnerischer Farbenfülle, an Spannungen zwischen Wesen und Erscheinung, an Aufgaben für den, der sich mit ihr beschäftigt, läßt sie sich doch schwer v o n einer anderen übertreffen. Und so mag es nicht nur ein notwendiges, sondern auch ein reizvolles Unternehmen sein, wenn wir der Skizzierung der geschichtlichen Ursachenreihen, die den Vorgang v o n 1689 unterbauten, ein gedrängtes Bild der engeren Vorgeschichte anfügen, aus der er sich erhob. DER PFÄLZER

KRIEG

Über die Grundlinien war kein Zweifel möglich: Frankreich befand sich in einem ununterbrochenen Vormarsch, der in N y m wegen und Regensburg die letzten Vorwerke der Pfalz hinweggenommen h a t t e : der nächste Stoß mußte mit einem gewissen Zwange ihr selbst gelten. Aber zahlreiche Faktoren vereinten sich, diese Entwicklung zu beeinflussen und zu komplizieren. Sie beruhten nicht allein in der Verworrenheit der deutschen Verhältnisse, der Rabulistik der französischen Politik, wichtiger als alles andere wurde die Tatsache des großen europäischen Machtumschwungs, der in den 80er Jahren stattfand. Er erlangte in dem Aufstieg Österreichs, der Erhebung der Seemächte, in den Reformbewegungen Deutschlands einen sehr deutlichen Ausdruck; die letzteren sind es, die an erster Stelle unser Interesse beanspruchen. Es ist ein Gemeinsames dieser Bestrebungen, daß sie alle aus einem Schutzbedürfnis gegen eine Fortsetzung der bisherigen

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Unbilden wenigstens teilweise erwachsen waren. Soviel hatten die deutschen Stände doch jetzt gesehen, daß sie für ihre „ L i b e r t ä t " , ja selbst ihr Leben v o m König von Frankreich weit mehr zu fürchten hatten als von ihrem Herrn und Kaiser: so beginnen die französischen Allianzen in Deutschland sich eine nach der anderen in kaiserliche umzuwandeln. Von den großen Fürsten schwenken 1683 Bayern und Hannover, um dieselbe Zeit Sachsen, 1686 Brandenburg ins österreichische Lager hinüber. Überhaupt schien der Anfang dieses Jahrzehnts bei aller Ubermacht der Franzosen günstige Aussichten für die deutsche Sache zu eröffnen. Wieviele Versuche waren doch seit dem ausgehenden Mittelalter gemacht worden, dem Reiche eine wirksame Wehrmacht zu geben! Nun geschah es, daß der Kaiser auf dem Regensburger Reichstag 1681 die Aufstellung eines Reichsheeres von 40000 Mann durchsetzen konnte 1 ), aufzubauen auf der bestehenden Kreisverfassung, wodurch die gänzlich unbrauchbare und klägliche Basis der Matrikel von 1521 zum ersten Male beseitigt war. Und schon schien dieser Tendenz von oben eine nicht minder beachtenswerte von unten sich anzuschließen und die Vereinigung beider die schönsten Dinge zu versprechen. Diese zweite Tendenz war durch das Assoziationswesen 2 ) gegeben, das in dem Deutschland dieser Jahre eine sehr starke Entwicklung nimmt. Mit den Zusammenfassungs-Bestrebungen des Kaisers vereinten sich Bündnis-Tendenzen der kleinsten Reichsglieder: eine lange Reihe v o n Assoziationen, Bünden, Konventionen erhebt sich in dem Jahrzehnt von 1680 —1690 über das zersplitterte Reich; bald sehen sich auch die größeren Reichsstände genötigt, sich der allgemeinen Bewegung anzuschließen und in Allianzen Aufnahme zu suchen. Ohne Frage lag hierin ein bemerkenswerter Ansatz zu einer inneren und äußeren Zusammenfassung Deutschlands. Aber er darf auch nicht überschätzt werden; er ist aus der Zeit heraus und, insbesondere, im Hinblick auf seine weitere Entwicklung zu würdigen, die vieles von dem aussichtsvoll Begonnenen alsbald wieder zerstörte. Von vorneherein hatten in dieser Bewegung die kleinen, allzu kleinen Gedanken, Hoffnungen und Sorgen der kleinsten Reichstände sich in bedenklichstem Ausmaß vorgedrängt; das Bedürfnis nach Sicherstellung der teuren eigenen Existenz, die Absicht, angesichts der doppelten Bedrohung v o m Ausland und von den aufblühenden Territorien, welch letztere damals immer zahlreicher zur Begründung stehender Heere übergingen, die eigene Stellung zu 3*

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verbessern: solche Antriebe waren bei der Entstehung der Assoziationsbewegung nur zu sehr maßgebend gewesen. Nun hatten in den ersten Jahren Tendenzen der großen Politik, wie sie Holland und der Kaiser vertraten, einen gewissen Ausgleich geschaffen und der Bewegung über die Kirchtuminteressen ihrer Urheber hinweg etwas wie einen höheren Schwung verliehen. Aber dieser Einfluß mußte doch in dem gleichen Maß zurücktreten, in dem die europäische Lage, die bis dahin durch eine verhüllte Gegnerschaft gegen Frankreich gekennzeichnet war, mit dem Neuausbruch des Türkenkriegs im Jahre 1683 sich grundlegend änderte. Die fortan sich selbst überlassene Bewegung zersplitterte und verengte sich zusehends: der geringe Ertrag, den sie trotzdem im Sinne einer verstärkten Wehrmacht noch zeitigte, kam nicht einer gegen die Franzosen, sondern gegen die Osmanen gerichteten Verteidigung zugute. Auf den Schlachtfeldern Ungarns erlebte die in ganz anderen Absichten geschlossene Laxenburger Allianz von 1682 ihre Bluttaufe; was aber die späteren Versuche zu umfassender Bündnisbewegung anlangt, so ist es ihr Kennzeichen, daß sie über kümmerliche und in der Enge der deutschen Verhältnisse steckenbleibende erste Schritte nie mehr hinauskamen. Dies gilt insbesondere von der vielberufenen Augsburger Allianz von 1686, nach der die Franzosen bekanntlich dann später den 1688 ausbrechenden Krieg benannt haben. Sie, die nach französischer Auffassung die Organisation eines großen und europäischen Widerstandes gegen Ludwig XIV. darstellte, war nach der nüchternen Sprache der Quellen nicht viel mehr als der halben Herzens unternommene und nicht ganz ehrliche Versuch der kleineren, vor allem fränkischen Reichsstände, auf eine möglichst passable und nicht zu teuere Art unter den europäischen, weit mehr aber unter den innerreichlichen Spannungen sich Sicherungen zu verschaffen, wobei Quartierfragen, „Assignationen" und womöglich zu reduzierende Römermonate eine weit größere Rolle spielten als die in den Vordergrund gedrängten patriotischen oder gar weltpolitischen Erwägungen 3 ). Weit mehr freilich als mit dem innerdeutschen hatte Frankreich, das auch nach dem Nymweger Frieden ununterbrochen seine Grenzen erweiterte, mit dem wachsenden Widerstande Europas zu rechnen. Hollands wurde bereits gedacht, von dem aus Wilhelm von Oranien mit der ihm eigenen Verbindung von Zurückhaltung und Energie den Amsterdamer Kaufherren zum Trotz die Flamme der Opposition nährte; bereits im Oktober 1681 waren die General-

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Staaten eine Garantieallianz mit Schweden zur Aufrechterhaltung des Nymweger Friedens eingegangen, der sich binnen kurzem auch Spanien und der Kaiser anschlössen. Italien, das gegenüber dem übermächtigen Habsburg gerne mit Frankreich sympathisiert hatte, sympathisierte gegenüber dem übermächtigen Frankreich mehr und mehr mit Habsburg. Der Papst, von Hause aus alles andere als der geschworene Feind der Franzosen, wie uns deren Historiker immer wieder glauben machen wollen 4 ), mußte durch die bis an den Rand des Schisma treibende Kirchenpolitik Ludwigs X I V . geradezu zwangsläufig in das Lager der Gegner getrieben werden. Polen aber, Frankreichs alter Verbündeter, sah sich durch den gleichen Türkenkrieg an die Seite Österreichs gewiesen, der außer dem Papst auch Venedig mit ihm verband. Aber das alles hätte doch für die Franzosen nicht solch weittragende Bedeutung gewinnen können, wäre nicht jene Macht selbst, der all ihr K a m p f galt und gegen die sie groß geworden waren, wäre nicht H a b s b u r g zu neuer Weltstellung emporgestiegen 5 ). Das war vielleicht der bedeutungsvollste Vorgang seit 1640, daß das Haus, dem Frankreich mit den Friedensschlüssen von 1648 und 1659 den Todesstoß versetzt zu haben glaubte, nun nicht nur wichtige Teile seiner alten Machtstellung behauptet hatte, sondern von ihnen aus zu neuer Eroberung vorstieß. Während Ludwig X I V . in sophistischer Rechtsverdrehung sein Land um unbewehrte kleine Herrschaften, Reichstädte, Grafschaften vermehrte, wurde im Osten in ritterlichem K a m p f gegen die Ungläubigen ein Königreich erobert. Nur von diesem Gesichtspunkt aus kann die so mannigfach bestimmte, beunruhigte und beunruhigende, zurückgehaltene und zugleich vorangetriebene Politik Frankreichs dieser Jahre voll verstanden werden, von der so mannigfaltige und vielfach verhängnisvolle Wirkungen für das damalige Europa ausstrahlten. Die osmanische Frage hatte für die Franzosen schon immer große Bedeutung gehabt, weil sie mit ihrer Hilfe auf die einfachste und unauffälligste Weise den Kaiser und Deutschland im Schach halten konnten. Wenn überhaupt, so hatte eine Schwierigkeit nur darin bestanden, daß Ludwig X I V . — bei dem noch sehr lebendig empfundenen christlichen Gemeinschaftsgefühl einerseits und bei seinem Streben Kaiser und Herr dieser Christenheit zu werden anderseits — seiner Sympathie mit dem Großtürken immer wieder Maske und Zügel anzulegen gezwungen war. Daher jene merkwürdigen Uberkreuzungen, Halbheiten und Zickzackzüge, mit

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denen er etwa bei der erwähnten Demarche von 1664 gleichzeitig mit dem Kontingent, das die Türken bekämpfen, einen Gesandten zu ihnen schicken konnte, der sie darüber beruhigen sollte. Nun, im März 1682, hatte der König — unter Hinweis auf die abermalige Türkengefahr und mit großer Geste gegen Europa — die Belagerung von Luxemburg aufgehoben, die er mitten im Frieden begonnen. Aber bereits im Sommer des nächsten Jahres, zur selben Zeit also, als sich die Belagerung von Wien anbahnte, errichtete und besichtigte er ostentativ große Truppenlager an der deutschen Grenze; am 1. September, 12 Tage vor der Schlacht am Kahlenberg, fiel er sengend und brennend in die spanischen Niederlande ein. Jedoch in eben dieser Komplikation sollte sich zum ersten Male weithin und deutlich zeigen, daß es nicht mehr Frankreich allein war, das ihre Fäden in der Hand hielt. Siegreich erhob sich aus dem größten Tiefstand, den es erlebt, das habsburgische Kaisertum zu Erfolg und immer größerem Erfolg. Eine neue Welt der Kriege und Siege, des Ruhms und des europäischen Interesses t a t sich neben der alten auf und Frankreich hatte keinen Anteil an ihr. Und während die nach Waffenruhm lüsterne Jugend Europas selbst von dem Hofe in Versailles weg B ) zu der Armee des Kaisers eilte, fand Deutschland in diesen Kriegen zum ersten Male sich selbst, seine alte Tüchtigkeit und seinen alten Stolz wieder. Der Morgenglanz eines neuen Tages schien den Kolonnen des Lothringers und Badeners, des „blauen K ö n i g s " und bald weit vor allen des Prinzen Eugen voranzuleuchten. Die französische Politik sah sich durch diese Entwicklung zweifellos vor äußerst schwierige Probleme gestellt, aber sie war doch unproblematisch genug, um ihre alten Methoden versuchsweise zunächst einmal fortzusetzen. Darin lag jedoch die größte Gefahr. Denn es handelte sich für Frankreich ja keineswegs um eine augenblickliche Bedrohung seines Lebens, sondern höchstens um eine künftige seiner Expansion, nicht auf sofortige Umkehr kam es an, sondern nur auf Bremsung des dahinjagenden Eroberungswagens, nicht so sehr sachliche Opfer waren geboten, sondern nur eine folgerichtige und entschiedene psychologische Umstellung. Aber gerade sie war ja wohl am schwierigsten zu erzielen. Zweifellos bedeutete der mit großem diplomatischem Geschick herbeigeführte Waffenstillstand vom 15. August 1684, der die Reunionen auf der bestmöglichen Grundlage und dazu den seit Jahresfrist dauernden spanischen Krieg liquidierte, einen beachtenswerten Versuch dazu. Die folgenden Jahre aber stellen ein fortgesetztes Ringen beider

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Tendenzen, der gemäßigten und der offensiven, dar, in dem die letzteren schließlich siegen. Eins ihrer wichtigsten Probleme, an dem sich die Gegensätze mehr als an allen anderen rieben und entzündeten, wurde aber das der Pfalz und ihrer Thronfolge 7 ). Endgültig ist somit das Land an Neckar und Rhein in die Mitte des Gegensatzes gerückt, auf dessen tiefere Erkenntnis bisher all unser Augenmerk gerichtet war. Aber gerade das auch ergab sich aus der vorangegangenen Betrachtung, daß es sich dabei nie um eine Mitte handeln konnte, die von sich aus bestimmt, sondern nur die von außen bestimmt wird, nicht die entscheidet, sondern nur um die entschieden wird. Es ist ein sehr beklagenswertes Schicksal, das sich hierin ausdrückt und das nunmehr seinen Anfang nahm. Die Handhabe zur Einmischung ergab sich den Franzosen, für uns tragisch genug, aus dem Mittel, mit dem man ihr hatte vorbeugen wollen: aus der Heirat der Liselotte mit dem Bruder des Königs, dem Herzog von Orleans. Es war das Schicksal von Karl Ludwigs Sohn Karl, zwar durch sein Leben keine, durch seinen Tod (Mai 1685) aber um so einschneidendere Spuren zu hinterlassen. Ein europäischer Erbfolgestreit mit all seinen Folgen wurde mit diesem Tod heraufbeschworen. Zwar war nach dem Recht des Deutschen Reichs und nach dem Herkommen des Pfälzischen Hauses, nach den Festsetzungen der Goldenen Bulle und den Bestätigungen des Westfälischen Friedens und des Haller Erbrezesses (Mai 1685) kein Zweifel möglich, daß dem Letzten aus dem Mannsstamm der Simmernschen Pfalzgrafenlinie der Nächstberechtigte aus der neuburgischen, also Philipp Wilhelm, zu folgen habe. Gleichwohl erhob nicht nur, was unwesentlich, Pfalz-Veldenz, sondern auch, was höchst folgenreich, Frankreich umfassende Erbansprüche. In der gewohnten Mischung nicht ehrlich gemeinten oder nur vorgeblichen Entgegenkommens und unverhüllter Drohung suchte sie Ludwig geltend zu machen. Er erklärte nach dem Tode Karls, ,,er hätte wohl das Recht, das ganze Land zu besetzen, aber um des heiligen Krieges willen verzichte er darauf und erwarte nur, daß der neue Kurfürst, dem er seine Würde nicht bestreite, die Ansprüche des Herzogs von Orleans befriedige" 8 ). Schon in dem letzten Passus war eine Forderung vorbereitet, die unmittelbar danach deutliche Gestalt gewann. Unter Bezugnahme auf die seiner Schwägerin vertraglich gesicherten A l l o d i a l i e n beanspruchte der König nicht nur des verstorbenen Kurfürsten gesamte fahrende Habe, zu der er auch große Teile des Kriegsmaterials mit Kanonen u. ä. zählte, sondern

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er dehnte diese Forderungen auch auf beträchtliche pfälzische Gebietsteile aus, unter denen das Herzogtum Simmern, die Grafschaft Sponheim und Lautern an erster Stelle standen. Was half es, wenn Philipp Wilhelm, wenn der Kaiser Leopold dieser Ausdehnung des Begriffs „Allodialien" mit aller Entschiedenheit entgegentraten ? Wenn zumal der letztere, als oberster Lehensherr, die Entscheidung dieser Frage für sich allein in Anspruch nahm, in die sich niemand einzumischen habe, wenn er die von Frankreich geforderten Gebiete ausdrücklich als Reichslehen bezeichnete, die der Simmernschen Linie „anheimgefallen" seien, wonach also ein Übergang an Allodialerben rechtlich gar nicht in Frage kommen konnte ? Mehr als auf die Aufklärung des tatsächlichen Rechtszustandes kam es den Franzosen auf die politischen Hintergründe an, für welche auch ein Rechtss c h e i n völlig ausreichte. E s wäre wert, der Frage näher nachzugehen, aber wenn man sich an die vorliegenden Quellenaussagen hält, scheint die Vermutung einer bewußten französischen Verdunkelung des einschlägigen Paragraphen des Heiratsvertrages, der die Erbschaftsfrage regelte, unabweisbar. Liselotte verzichtet einerseits ausdrücklich „ a u f alle Nachfolgerechte für alle Herrschafts- und Lehensgebiete, väterliche wie mütterliche" — ganz analog den Renuntiationen, die auch in den Heiratsverträgen von Karl Ludwigs Schwestern Henriette und Sophie von 1651 bzw. 1658 9 ) ausgesprochen sind. K e i n e Übereinstimmung mit diesen Verträgen besteht jedoch beachtenswerterweise in der ausdrücklichen Einführung des Begriffes „Allodialien" 1 0 ), durch deren Vorbehalt Liselottes Vertrag den Verzicht sofort wieder einschränkt, ohne jedoch zu sagen was unter „Allodialien" eigentlich zu verstehen sei. Anscheinend lagen hier auf den zwei Seiten zweierlei Auffassungen zugrunde, und die Franzosen taten nichts, den pfälzischen Partner über die ihrige aufzuklären. I m Gegenteil, sie fügten, in der Quittung für das empfangene Heiratsgut von 1680, dem obigen Verzicht ausdrücklich noch die Worte „ g e m ä ß der Gewohnheit des kurpfälzischen H a u s e s " bei — wiewohl es doch offenbar ist, daß eine Erbschaftsteilung nach Maßgabe der französischen Auffassung aller Gewohnheit dieses Hauses ins Gesicht geschlagen hätte. Kehren wir indes zu dem politischen Kern des Problems zurück! E r hat seine Verwandtschaft mit dem ebenfalls bewußt dunkel gehaltenen Elsässer Abtretungsparagraphen von 1648 auch darin, daß es dem König hier so wenig wie dort auf eine sofortige Einlösung des Wechsels ankam. Die Voraussetzungen dazu

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k o n n t e n a n g e s i c h t s der o b e n geschilderten Schwierigkeiten a u g e n blicklich n u r als sehr u n g ü n s t i g erscheinen. Die Lage in E n g l a n d f o r d e r t e ü b e r d i e s n i c h t m i n d e r zu V o r s i c h t u n d A b w a r t e n h e r a u s wie der Z u s t a n d des eigenen L a n d e s , das v o n den H u g e n o t t e n v e r f o l g u n g e n w i d e r h a l l t e u n d voll v o n S p a n n u n g e n war. U n d j e erfolgreicher die kaiserlichen W a f f e n in U n g a r n f o c h t e n , d e s t o m e h r m u ß t e sich F r a n k r e i c h h ü t e n , d u r c h eine g e w a l t s a m e E n t s c h e i d u n g der p f ä l z i s c h e n F r a g e die G e f a h r eines Friedensschlusses m i t d e r P f o r t e zu beschleunigen. A u f s klarste g e h t die W i c h t i g k e i t dieses G e s i c h t s p u n k t e s aus d e n B e r i c h t e n sowohl des p ä p s t l i c h e n N u n t i u s R a n u z z i wie des kaiserlichen G e s a n d t e n F . W . L o b k o w i t z in P a r i s h e r v o r . A b e r „ u m jederzeit einen V o r w a n d zu einem kriegerischen Überfall z u h a b e n , u m m i t D r o h u n g e n u n d Schreckschüssen den K u r f ü r s t e n u n d das ganze D e u t s c h e Reich i n steter A n g s t u n d Abh ä n g i g k e i t zu h a l t e n , u m i m m e r den G r o ß m ü t i g e n d a r s t e l l e n zu k ö n n e n , d e r u m des F r i e d e n s willen sich n i c h t m i t G e w a l t aneigne, was i h m m i t U n r e c h t v o r e n t h a l t e n w e r d e " 1 1 ) : d a z u schien diese pfälzische E r b f o l g e f r a g e eine Gelegenheit, wie sie besser k a u m zu wünschen war. I n d e r P f a l z selbst w a r m a n sich inzwischen des E r n s t e s der S i t u a t i o n u n d der v o n W e s t u n d S ü d u n a u f h ö r l i c h d r o h e n d e n G e f a h r d u r c h a u s b e w u ß t . E s ist n i c h t g a n z leicht, i h r e n d a m a l s n e u a u f g e z o g e n e n H e r r e n , d e n K u r f ü r s t e n P h i l i p p Wilhelm 1 2 ), m i t wenigen W o r t e n zu c h a r a k t e r i s i e r e n . E i n e n geschäftigeren Vert r e t e r seiner (freilich reichlich eng v e r s t a n d e n e n ) I n t e r e s s e n k o n n t e m a n sich wohl schwer d e n k e n . B e s a ß er den g a n z e n E i n f l u ß , welchen eine a n g e s p a n n t e A k t i v i t ä t ü b e r T r ä g h e i t u n d Gleichgültigkeit v e r l e i h t , so w a r er zugleich a u c h m ä c h t i g d u r c h seine b e d e u t e n d e territoriale Stellung, die er u n d seine V o r g ä n g e r v o n der k l e i n e n Basis ihres a n g e s t a m m t e n H e r z o g t u m s N e u b u r g aus S c h r i t t f ü r S c h r i t t u m die a u s g e d e h n t e n Gebiete v o n J ü l i c h , Berg, K u r p f a l z e r w e i t e r t h a t t e n . U n d wie i n D e u t s c h l a n d , so h a t t e er a u c h in E u r o p a so ziemlich in einer j e d e n F r a g e , die z u m A u s t r a g k a m , i r g e n d w i e seine H a n d . Von einer gewissen D e v o t i o n u n d p a t r i a r c h a l i s c h e n U m s t ä n d l i c h k e i t der G e b a r u n g , die wohl o f t ans P h i l i s t r ö s e streifte, v e r s t a n d er es d o c h i m m e r wieder, schließlich als d e r E r s t e u n d d u r c h G o t t e s B a r m h e r z i g k e i t i n seinem Vorteil M e i s t b e g ü n s t i g t e aus allen S i t u a t i o n e n h e r v o r z u g e h e n . Ohne F r a g e s t e c k t e i n d e m E n k e l m a n c h e s v o n d e m e c h t f r o m m e n u n d a u f r i c h t i g e n Sinne des a l t e n P f a l z g r a f e n P h i l i p p L u d w i g v o n N e u b u r g , a b e r gegenüber d e m e n t s c h i e d e n e n L u t h e r t u m des

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2. Kap. Auftakt u n d Anfänge der Zerstörung von 1689

l e t z t e r e n h a t t e d o c h der e n t s c h i e d e n e K a t h o l i z i s m u s P h i l i p p Wilhelms einen weit w e l t o f f e n e r e n u n d politischeren C h a r a k t e r . Der K u r f ü r s t w a r b e r e i t s S c h w i e g e r v a t e r des Kaisers u n d sollte n o c h der der K ö n i g e v o n Spanien u n d P o r t u g a l w e r d e n , wie ü b e r h a u p t F a m i l i e n f r a g e n bei w e i t e m d e n g r ö ß t e n R a u m in s e i n e m T u n u n d Lassen b e a n s p r u c h t e n . A b e r w e n n sie sich a u c h u n g e b ü h r l i c h groß ü b e r die I n t e r e s s e n von L a n d u n d Volk e r h o b e n , so h i e ß das doch n o c h n i c h t , d a ß die letzteren f e h l t e n oder n i c h t auch i n m a n c h e n Fällen m i t d e n ersteren z u s a m m e n f a l l e n k o n n t e n . I n gewissem Sinne wird m a n dies f ü r die V o r j a h r e des Pfälzer Krieges sogar a u s g e s p r o c h e n sagen müssen. P h i l i p p W i l h e l m w a r n i c h t n u r der f ü r die u n g e s c h m ä l e r t e A u f r e c h t e r h a l t u n g seiner R e c h t e eifersüchtigste u n d t ä t i g s t e , s o n d e r n , infolge der g e n a n n t e n R e z i e h u n g e n , a u c h ihr einflußreichster u n d b e s t e r V o r k ä m p f e r . Wer weiß, o b sich die pfälzische E r b s c h a f t s f r a g e ohne die H a r t k ö p f i g k e i t des K u r f ü r s t e n n i c h t wesentlich a n d e r s e n t w i c k e l t h ä t t e . W e n n die gegen F r a n k r e i c h eingestellte R i c h t u n g a m W i e n e r H o f e d u r c h d e n T ü r k e n krieg ausgeschaltet worden w a r , so h a t wohl schwerlich ein a n d e r e r m e h r d a z u beigetragen als P h i l i p p Wilhelm, sie aufs n e u e e m p o r zubringen. U n d sein E i n f l u ß wuchs a n a l o g d e n w a c h s e n d e n E r folgen des Kaisers gegen die T ü r k e n ; m e h r u n d m e h r w u r d e die , , n e u b u r g i s c h e " P a r t e i ein F a k t o r , m i t d e m m a n r e c h n e n m u ß t e . Aber sie w a r d e s h a l b doch n o c h nicht die alleinherrschende P a r t e i : wiewohl n a c h d r ü c k l i c h d a r u m b e m ü h t , k o n n t e der K u r f ü r s t doch n i c h t den t ü r k i s c h e n F r i e d e n h e r b e i f ü h r e n , d e n er i m Interesse seiner E r b s c h a f t s s i c h e r u n g d r i n g e n d w ü n s c h t e 1 3 ) . U n d a u c h i n Sachen des A u g s b u r g e r B u n d e s v e r m o c h t e er nicht m e h r als A n t r i e b e zu geben, sie z u m Erfolg zu f ü h r e n w a r i h m n i c h t beschieden. Das M i t t e l Ludwigs X I V . , m i t der Pfälzischen F r a g e den Schlüssel ü b e r Krieg und F r i e d e n E u r o p a s i n der H a n d zu b e h a l t e n , w a r sein Vorschlag einer p ä p s t l i c h e n E n t s c h e i d u n g u n d deren gleichzeitige H i n a u s z ö g e r u n g u n d Sabotage 1 4 ). U n m ö g l i c h u n d u n n ö t i g , hier die Einzelheiten dieser E n t w i c k l u n g wiederzugeben, d e r e n H a u p t z w e c k ein dilatorischer u n d d e k o r a t i v e r w a r . Auf d e m H i n t e r g r u n d der ohne F r a g e ehrliche Vermittelungswille eines P a p s t e s , d e r in d e m ganzen B e w u ß t s e i n seines h o h e n A m t e s a n der V e r s ö h n u n g d e r Christenheit a r b e i t e t u n d v o n den F r a n z o s e n , die i h n i m ü b r i g e n k u j o n i e r e n , d o c h n u r f ü r ihre Zwecke a u s g e n ü t z t wird. Auf der einen Seite die das E r o b e r n u n d Vergewaltigen gew o h n t e französische Monarchie, die schon v o n d e m G e d a n k e n , e i n m a l hierin b e h i n d e r t zu sein, verletzt wird u n d diese B e h i n d e r u n g

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doch nun tatsächlich zunehmend erlebt, die hierüber in eine aus Zurückhaltung und Anmaßung immer seltsamer vermischte Politik gerät und selbst deren einziges Resultat, den Zeitgewinn, schließlich als Verlust buchen muß. Auf der anderen Seite die das Erobert und Vergewaltigtwerden gewohnten Deutschen, die jedoch nicht nur vom Bewußtsein ihres Rechtes, sondern auch von einem lange nicht mehr gekannten Siegesgefühl getragen sind und so eine ebenfalls lange nicht mehr gekannte Festigkeit aufweisen. Während Philipp Wilhelm in den Heidelberger Verhandlungen 1685/86 zwar in die Auslieferung der fahrenden Habe willigt, aber um jedes Zugeständnis mit einer Zähigkeit und rechnerischen Energie ohnegleichen kämpft, bringt es der vereinigte deutsche Widerstand dahin, daß der französische Vorschlag eines päpstlichen Schiedsgerichtes in die viel weniger verfängliche Vereinbarung einer päpstlichen Vermittelung umgewandelt wird. Freilich hatte auch diese Stufe nicht viel mehr als eine taktische und keine praktische Bedeutung: nachdem Kurpfalz nach langem Widerstand für sie gewonnen war, weigerte sich Frankreich, das ihr schon vorher zugestimmt, einen Gesandten nach Rom zu schicken, wodurch die ganze Angelegenheit wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt schien. So weit war man freilich in Paris inzwischen gekommen, daß man eine wirkliche Sicherung der bisherigen Eroberungen der Heimbringung ungesicherter neuer vorgezogen hätte. Aber der Frieden, dessen die Franzosen bisher grundsätzlich gespottet hatten, schien nun, da sie ihn brauchten, gleichsam der Franzosen zu spotten. Und nicht anders war es der Fluch der alten Eroberungspolitik, daß sie auch in dem Moment nicht innezuhalten vermochte, wo ihr in ihrem eigensten Interesse alles daran liegen mußte. Indem Ludwig mit seinem Ziel einer endgültigen Bestätigung der alten Usurpationen auf Widerstände stößt, versucht er es durch neue zu erreichen und entfernt sich dadurch von ihm. Uberhaupt scheint sich mit dem abnehmenden europäischen Einfluß der Franzosen die Gewalttätigkeit ihrer Politik nur zu steigern. Das politische Brevier der Pariser Staatsmänner wurde ein stets robusteres und ärmeres, das Ressort des Außenministers Colbert de Croissy schon im Frieden immer weitgehender durch das des Kriegsministers Louvois ersetzt. Noch immer befand sich dabei die französische Politik durch die Fortdauer des Türkenkrieges, der eine Gefährdung durch das Reich zum mindesten vertagte, in einer vergleichsweise günstigen Lage. Aber wenn die Tendenzen zu einer

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2. Kap. Auftakt und Anfänge der Zerstörung von 1689

Verhütung eines osmanisch-österreichischen Friedensschlusses als richtig bezeichnet werden mußten, so war es doch außerordentlich unangebracht, die darin zum Ausdruck kommende innere Schwäche durch gesteigerte äußere Gewaltmaßnahmen zu verdecken. Gewiß, die Franzosen konnten es sich auf Grund ihrer alten Machtstellung und der noch anhaltenden östlichen Verwickelungen ruhig erlauben, den Abschluß des Augsburger Bündnisses mit der Errichtung von Festungsbauten auf deutschem Grund und Boden — des Brückenkopfes von Hüningen am oberen Rhein und des Fort Louis bei Philippsburg — zu beantworten. Sie durften damit rechnen, daß Kaiser und Reich auch jetzt noch nicht fähig sein würden, gegen solche Herausforderungen gebührend vorzugehen — wie sie diese in der Tat — übrigens in engem Zusammenhang mit der Pfälzer Frage — im Frühjahr 1687 ausdrücklich sanktionierten. J a , die Franzosen mochten sogar ihren Taumel so weit treiben, selbst dieses Zugeständnis nur mit einem neuen Rechtsbruch, den Bau der Festung Mont-Royal auf kurtrierischem Hoheitsgebiet zu beantworten, zu deren Rechtfertigung Louvois gefälschte Urkunden anfertigen ließ 15 ). Die Gewaltpolitik der Franzosen erlebt so, mit der zweiten Hälfte der 80 er Jahre, die auch den Gipfelpunkt der innerfranzösischen Gewaltpolitik darstellen, noch eine weitere Steigerung. All jene Maßnahmen aber mochten wohl die augenblickliche und gleichsam lokale Lage Frankreichs nochmals etwas bessern, in tieferem Sinne konnten sie Frankreich nur schaden. Sie waren die letzten Wegbereiter zur „Großen Allianz" von 1689, zu der mancherlei Kräfte beigetragen haben, niemand aber so sehr als die Franzosen selbst. Freilich, zunächst war es noch die merkwürdigste und in vieler Beziehung ungeklärteste Lage auf beiden Seiten, wobei sich Elemente der Schwäche und Überlegenheit hier wie dort sehr widerspruchsvoll durchdrangen. Diese bereits angedeuteten Überschneidungen, typische Vorboten des heraufziehenden Neuen, nehmen in den letzten Jahren vor dem Krieg nur noch zu. Man muß dazu etwa, was Frankreich anlangt, die Wirkungen beobachten, welche die kaiserlichen Türkensiege in Versailles ausübten, z. B. die des Falles von Budapest. Vorher, schreibt Lobkowitz, sei die Rede nur von Ofen gewesen — jetzt sei mit einem Male alles still 1 6 ). Die Nachricht, daß sich 800 Türken durchgeschlagen hätten, habe am Hofe größere Freude erregt als am selben Tage die Geburt eines Sohnes des Dauphins. Überheblichkeiten und verhüllte Geständnisse der Unterlegenheit wechseln wie das Wetter und Waffenstill-

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stands- und Pfälzer Frage erscheinen oft genug als sein Barometer. Im Dezember 1686 erfolgt ein diplomatischer Gewaltvorstoß ultimativer und höchst säbelklirrender Art zwecks Umwandlung des Waffenstillstandes in einen Frieden 1 7 ). Das einzige und sehr kümmerliche Ergebnis der großen Aktion ist die erwähnte deutsche Sanktionierung der zwei rheinischen Festungsbauten im Frühjahr 1687. Bis zum Anfang des nächsten Jahres schwellen dann wieder die französischen Stimmen bis zur unmittelbaren Kriegsdrohung. Man wolle „in der Wahrheit", schreibt Lobkowitz, „diese pfälzische Sache in die Länge nicht auf diesem Fuß lassen" 1 6 ), und sogleich verbinden sich wieder damit die üblichen Truppenkonzentrierungen an der elsässischen Grenze 19 ). Aber schon a m 1. März kündigt sich der abermalige Rückzug a n ; am zweiundzwanzigsten meldet Lobkowitz, daß Croissy „sich gegen einer gewissen Person" habe vernehmen lassen, „ d a ß man nun guett Freund mit Churpfalz sein wolle". Den Hintergrund dieser Wandlung sieht aber der Gesandte ganz richtig: „ u m b nicht einen Anlas zu einem türkischen Frieden zu geben, . .'. maßen dan jedermänniglich, so alhier, genueg bekand ist, welcher Gestalten sich diese Cron in keine Krieg einlassen könne, obzwar selbe dannoch nicht von ihrem hochmüthigen Beginnen aussetzen, und unzweyffentlich, wan einmalen die Frontiere gäntzlich verfertiget, eben in diesem pfälzischen Wesen desto härter nachsetzen würde . . . " In solch beträchtlichem Maße hatte sich die politische Lage Europas schon v o r dem Ausbruch von 1688 verschoben — und in solch geringem Maße waren die Franzosen bereit, diese Verschiebung anzuerkennen. Während die französische Diplomatie all ihrer Routiniertheit zum Trotz daran scheitert, auch nur Bruchteile der alten Allianzensicherungen aufrechtzuerhalten, macht der militärische Ausbau Frankreichs 2 0 ), der nun der Pariser Staatskunst letzter Schluß wird, immer bemerkenswertere Fortschritte. Freilich verbinden sich auch in ihm schon aufs deutlichste ausgesprochen stagnierende und inferiore Elemente mit lebensvollen und starken. Es ist ein Kennzeichen des von Louvois verkörperten, überaus großartigen französischen Rüstungssystems, daß es in einer beinahe ängstlich anmutenden Weise ganz auf die eigene Sicherung eingestellt ist. Dieses Frankreich, das sich bisher allein mächtiger erwiesen hat als Europa vereint, wandelt sich in eine große Festung um, die gewiß ebenso allbedrohend ist wie selbst unbedrohbar, die jedoch gleichzeitig die eigenen Kräfte in Fesseln schlägt und deren letzte innere Steigerung ins wahrhaft Große verhindert. Bekannt-

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2. K a p . Auftakt u n d A n f ä n g e der Zerstörung von 1689

lieh ist diese Entwicklung mit der Gesamterscheinung des Absolutismus eng verknüpft 2 1 ). E s gehört zu dem Wesen der Kriegführung im 17. und 18. Jahrhundert, den großen Entscheidungen im offenen Feld auszuweichen; Heere sind viel mehr dazu da, den Gegner durch Belagerungen, Märsche u. ä. allmählich zu ermatten als ihn aufs Haupt zu schlagen; die Verminderung des Risikos ist ebenso wichtig wie die Verwendbarkeit der Armee und des Kriegs zur Verherrlichung des Monarchen und seines Hofs. L a g in dieser Einstellung von vornherein die Gefahr einer Wesensverfälschung des Kriegs, so wurde sie von Louvois gewiß nicht vermieden. In mehr als einer Beziehung stellt sein System überdies eine typische Übergangserscheinung dar, die zwar nicht mehr die Tugenden der vorangegangnen, aber auch noch nicht die Vorzüge der kommenden Stufe besitzt. Dies gilt gerade für die uns hier interessierenden Seiten. Gewiß, Louvois wurde, zusammen mit seinem Vater Le Tellier, der Begründer des neuen Magazinsystems, das für die Weiterentwicklung des Kriegswesens im 18. Jahrhunderts solche Bedeutung gewann: aber er war deshalb noch lange nicht der Uberwinder der Schäden des alten Kontributions-Systems, die auf die Landsknechtzeit zurückweisen und nunmehr nur noch gesteigert wurden. Diese Tatsache sollte man doch schärfer ins Auge fassen, bevor man überlieferte Meinungen allzurasch hinnimmt und die Verdienste Louvois' um die Fortbildung des Kriegswesens zu sehr betont 2111 ). Gerade die Tendenz der Magazinierung, der Anhäufung von Vorräten (wie der anderen von Geld) führte unter Louvois zu Mißständen, wie sie Freund und Feind in früheren Kriegen kaum erlebt hatten: indem man jene Vorräte auf dem Weg der Kontributionen beizutreiben suchte, gewannen diese unerträglichere Formen denn je. Die Disziplin der Truppe kam jedoch hierüber nicht weniger zu Schaden als die Pflicht der primitivsten Rücksichtnahme auf die Bevölkerung, die Zucht nicht weniger als die Humanität. Freilich waren diese militärischen Züge, wie bereits angedeutet, letzten Endes nur ein Ausdruck des Gesamtgeistes, dessen Gewaltsamkeit zusammen mit dem Widerstand, den er erfuhr, ständig wuchs. Wenn die geschilderten militärischen Tendenzen der Befestigung und des Magazinwesens mehr und mehr auf eine Bürokratisierung des Kriegs hinausliefen, so zeigt sich umgekehrt unter diesem Kriegsminister, der nie gedient hatte, eine unerhörte Militarisierung der Politik. Wie sich uns das Frankreich Louvois' von innen her betrachtet als ein weitgehend zentralisiertes und militarisiertes, mit autoritativer Gewalt von einer Mitte aus ge-

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leitetes System darstellt, in dem der lebendige Gedanke zugunsten einer sich immer feiner verzweigenden und alles ergreifenden Organisation verdrängt ist, so sucht diese innerpolitische Organisation sich nun gleichsam auf die außenpolitische fortzupflanzen und zu übertragen. Die Grenzen zwischen Krieg und Frieden verschwinden bis zur Unkenntlichkeit; das Land, dessen Innenpolitik mehr und mehr von dem Ressort des Kriegsministers bestritten wird, gelangt auch in seiner Außenpolitik dazu, den primitiven Gedanken der Autorität über alle anderen zu stellen. Der Krieg erscheint schließlich nur noch als das letzte und oberste in einer Reihe an sich wesensgleicher Machtmittel, deren unterschiedliche Anwendung im wesentlichen zu einer Frage der Zweckmäßigkeit und — des Prestiges herabsinkt. Eine höchste Steigerung der eigenen Kräfte, eine großartige Organisation, eine imponierende Willensanspannung : dahin darf man die positiven Züge dieses politischen Systems zusammenfassen, eigentlich großer oder gar heldischer Geist lebt in ihm nicht. Etwas Untergeordnetes haftet an seinen Maßnahmen, selbst wo sie am weitesten ausgreifen, etwas Ängstliches und auf die eigene Sicherung Bedachtes, wo sie der größten Gewalttat dienen. Auch die Eroberungen bleiben, so sehr sich alles um sie dreht und so unausgesetzt an ihnen gearbeitet wird, bei einer gewissen Mittelmäßigkeit stehen: es ist kein Zufall und auch keine Ungerechtigkeit, daß die Geschichte dem Repräsentanten dieses Systems, Ludwig X I V . , den Titel eines großen Eroberers versagt hat. Eine charakteristische Verwischung der Grenze zwischen Krieg und Frieden, eine typische Fortsetzung des ersteren in den letzteren war es, wenn die erwähnten Festungsbauten nur zum kleinsten Teil auf altem französischen und durchaus überwiegend auf neuem eroberten — oder auch nicht eroberten Grund und Boden errichtet wurden. Die Zeiten waren vorbei, wo F r a n z i . , indem jener Festungsgedanke zum ersten Male ganz entschieden Gestalt gewonnen hatte, eine doppelte Fortifikationslinie innerhalb der Grenzen seines Reiches zu errichten beginnen mochte 22 ). Schon anfangs der 1680er Jahre haben wir (um der gegen Italien errichteten Werke ganz zu schweigen) eine Befestigungslinie, die von Dünkirchen über Valenciennes — Maubeuge—Mézières — Metz — Saarlouis — Homburg—Bitsch — Pfalzburg—Straßburg bis Besançon reicht und von Vauban mit allen Feinheiten einer modernen und genialen Festungsbaukunst ausgestattet ist. Dazu tritt nun nach seiner Eroberung das sehr wichtige Luxemburg, dazu treten — da j a die Nordgrenze gesichert sei und nur noch vom oberen und

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2. Kap. Auftakt und Anfänge der Zerstörung von 1689

u n t e r e n E l s a ß her eine G e f ä h r d u n g d u r c h die D e u t s c h e n b e s t e h e — die b e s c h l e u n i g t e Anlage bzw. der A u s b a u v o n Beifort, H ü n i n g e n , Breisach, F r e i b u r g , F o r t - L o u i s , M o n t - R o y a l , L a n d a u . I m m e r beh e r r s c h e n d e r u n d immer ängstlicher zeichnet sich das P r o b l e m des a n t i d e u t s c h e n F e s t u n g s s c h u t z e s i n d e n Briefen L o u v o i s ' a b . A m 18. Mai 1687 t r i u m p h i e r t der K r i e g s m i n i s t e r : „ R i e n n ' e s t plus b e a u , que le p o s t e que j ' a i été visiter s u r la Moselle [ M o n t - R o y a l ] , qui m e t t r a les f r o n t i è r e s du r o i e n telle s û r e t é , et les E l e c t e u r s de Cologne, T r ê v e s , Mayence e t le P a l a t i n en telle d é p e n d a n c e q u e c e t t e f r o n t i è r e - ci sera meilleure et plus aisée à d é f e n d r e q u e n ' e s t celle de F l a n d r e 2 3 ) . " D o c h schon wenige M o n a t e s p ä t e r b e o r d e r t derselbe Minister, aufgeschreckt d u r c h die n e u e n osmanischen Niederlagen, in voller H a s t den gerade i n U r l a u b b e f i n d l i c h e n Y a u b a n ins E l s a ß , d a m i t er der dortigen Grenze schleunigst die d r i n g e n d nötige „dernière p e r f e c t i o n " gebe 2 4 ). D a s O b e r e l s a ß sei zwar e i n i g e r m a ß e n gedeckt, das u n t e r e aber n u r u m so offener u n d zur B e u n r u h i g u n g des Königs der Diskretion des Gegners ausgesetzt, s o b a l d dieser überlegen u n d siegreich w ä r e . Es ist a b e r nötig, wenigstens ganz kurz auf die ü b r i g e n R ü s t u n g e n F r a n k r e i c h s hinzuweisen, die d e n f o r t i f i k a t o r i s c h e n zur Seite gingen. W i r s p r a c h e n bereits o b e n v o n der B e d e u t u n g Louvois' f ü r die E n t w i c k l u n g des f r a n z ö s i s c h e n u n d e u r o p ä i s c h e n Heerwesens. N e b e n d e m A u s b a u des MagazinSystems m i t seinen zahlreichen Begleiterscheinungen der v e r ä n d e r t e n H e e r e s v e r w a l t u n g , eines u m g e s t a l t e t e n u n d a u s g e b a u t e n Munitions-, Verpflegungs- u n d N a c h s c h u b w e s e n s , war es i m einzelnen z u m a l die Y e r s e l b s t ä n d i g u n g der Artillerie- u n d P i o n i e r f o r m a t i o n e n u n d i h r e Zentralisierung in der H a n d des Königs, d u r c h die seine Ä r a vorbildlich w u r d e ; i m allgemeinen wird m a n i h r e n Sinn in d e m ungeheuren F o r t s c h r i t t z u einer V e r s t a a t l i c h u n g des Krieges erblicken d ü r f e n , der in ihr g e m a c h t w u r d e . A b e r so schwer es ist, den Anteil L o u v o i s ' a n diesen N e u e r u n g e n v o n d e m des K ö n i g s u n d Le Telliers a b z u g r e n z e n 2 5 ) , so o f f e n b a r s i n d doch die p o s i t i v e n W i r k u n g e n , die aus i h n e n hervorgingen. E b e n j e t z t h a t t e j e n e r N e u b a u der f r a n z ö s i s c h e n A r m e e mit der B e g r ü n d u n g der Milizregimenter und K a d e t t e n k o m p a n i e n eine K r ö n u n g g e f u n den, die zugleich die l e b e n d i g s t e n H o f f n u n g e n f ü r ein k r ä f t i g e s Weiter- u n d H i n e i n w a c h s e n in die Z u k u n f t zu bringen schien. U n d mochte a u c h die Zeit der g r o ß e n Generale m i t d e m T o d Condés, T u r e n n e s , Créquis v o r ü b e r sein 2 6 ), n o c h i m m e r war die f r a n z ö s i sche A r m e e ein so h e r v o r r a g e n d geschulter, a u s g e r ü s t e t e r u n d zus a m m e n g e f a ß t e r Körper wie sie ein u n e r r e i c h t großer u n d u m f a s -

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sender war. Mit welch kleinen Kontingenten hatte der König noch vor zwanzig Jahren seinen ersten Krieg eröffnet! Nun hatte man, seit dem Regensburger Waffenstillstand, eine F r i e d e n s Präsenzstärke von 150000 Mann erreicht, womit die K r i e g s s t ä r k e von damals um mehr als das Doppelte übertroffen war 2 7 ). Wie war demgegenüber die Lage Deutschlands, des Reiches, der Pfalz ? Ohne Zweifel herrschte zumal auf militärischem Gebiet eine ganz beträchtliche Unterlegenheit 28 ). Denn nicht allein, daß der Großteil der deutschen bewaffneten Macht im K a m p f e gegen die Osmanen stand; ihr ganzer Aufbau und ihre ganze Zusammensetzung mußten sie gegenüber derjenigen der Franzosen ins Hintertreffen bringen. Wir erinnern uns, daß das deutsche Heerwesen, in engem Zusammenhang mit der deutschen Verfassung, sehr wesentlich die Sache einiger größerer Territorien war und ihm so zur Vollständigkeit ebensoviel fehlte wie zur Einheit und Einheitlichkeit. Aber eben die Tendenzen der allgemeinen deutschen Entwicklung hatten auch bewirkt, daß jene Grundsteine einer nationalen Wehrmacht um so zahlreicher und besser wurden, je mehr man sich von der gefährdeten deutschen Westmark entfernte, während diese selbst mehr oder minder ungeschützt dalag. Man hat mit einem gewissen Recht daraufhingewiesen 2 9 ), daß die Grenze zwischen Nichtarmierten und Armierten weitgehend mit der Grenze zwischen Süd- und Norddeutschland zusammenfalle. Noch augenfälliger erfolgte diese Gleichung aber in Bezug auf West- und Ostdeutschland. Die Pfalz aber war nicht nur Süd-, sie war Süd- und Westdeutschland zugleich und erreichte so in der Tat einen kaum zu übertreffenden Zustand der Wehrlosigkeit. Es hat etwas Furchtbares, den circulus vitiosus zu beobachten, in dem sich diese der Grenze Frankreichs vorgelagerten deutschen Territorien in jenen Jahren bewegten: sie leben in dem ununterbrochenen und verzweifelten Gefühl vollkommener Schutzlosigkeit — und sie wagen nicht, sich zu schützen, weil sie in ununterbrochener und verzweifelter Angst sind. Soviele Territorien als Stoßfänger eines französischen Einfalles in Frage kamen, soviele Versager trifft man daher an. Württemberg, Kurmainz, Kurtrier, Kurköln: sie alle waren fast ebenso unbewehrt wie die zahllosen kleinen und kleinsten Territorien, mit denen sie durchsetzt waren. Kurfürst Philipp Wilhelm übertraf aber an militärischer Unzulänglichkeit alle seine Nachbarn. Der Krieg lag j a wohl seiner Natur nicht, der doch immer der Spinnrocken näher gestanden ist als das Schwert. Nun, da er die Siebzig überschritten, holte der alte Mann nicht nach, v . R a u m e r : D i e Zerstörung der P f a l z .

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was der junge versäumt hatte. Zum Teil war es jedoch ganz einfach Philipp Wilhelms europäische Heiratspolitik, deren hoher Preis die Aufrechterhaltung oder Gründung einer eigenen Wehrmacht von einiger Bedeutung unmöglich machte. Noch unter Karl Ludwig hatte die Pfalz ein Kontingent von immerhin 6000 Mann besessen. Unter dem Neuburger setzt eine systematische Reduzierung der Truppenzahl ein, so daß schließlich im Herbst 1688 nicht mehr als 3000 Mann, vielleicht weniger zur Verfügung stehen. Die Qualität blieb aber womöglich hinter der Quantität noch zurück, was allbekannt war 3 0 ). Ein paar kümmerliche Besatzungenin Kaiserslautern, Mannheim, Frankenthal, Heidelberg, die an Verwahrlosung höchstens von den Festungen übertroffen wurden, zu deren Schutz sie bestellt waren. Ganz bewußt hat Philipp Wilhelm mit dem ihm eigenen gottergebenen Egoismus die Verteidigung der Pfalz nicht auf die eigenen Streitkräfte, sondern die der Nachbarn gegründet. Wie verhielt es sich aber mit deren Stärke ? Von einer militärischen Rüstung der Nachbarn im engeren Sinne, der südwestdeutschen Reichstände, kann nur mit größtem Vorbehalt gesprochen werden. Diese Reichstände hatten, mit den genannten Allianzen und dem Reichstagsbeschluß von 1681, einen Anlauf zu einer eigenen Bewaffnung genommen, der immerhin zu einem gewissen Ergebnis geführt hatte. Aber wenn man fragt, wo sich die Früchte dieses Fortschrittes erstmals zeigten, so erstehen vor dem geistigen Auge die tapferen Kreistruppen Ludwig Wilhelms von Baden, die siegreich in Ungarn vordringen, während die schwäbisch-fränkische Heimat, während vor allem die längs dem Oberrhein hingestreckten badischen Markgrafschaften selber jedem französischen Uberfall offen daliegen. So war diese Hilfe in wichtigsten Teilen illusorisch, so lange es nicht gelang, den Türkenkrieg zu beenden oder, was noch besser, die Truppenzahl so zu vermehren, daß der Bekämpfung der Türken die Abwehr der Franzosen zur Seite treten konnte. Aber wie bedürfte es nach dem Gesagten noch eines Hinweises, -welch zahllose Widerstände partikularistischer, außenpolitischer, finanzieller und anderer Art einer solchen Entwicklung im Wege stehen mußten! Es ist nichts lehrreicher, als im Zusammenhang dieser Frage die Verhandlungen der Augsburger Allianz zu verfolgen 3 1 ). Einer der gefährdetsten Kreise, der schwäbische, war aus Angst vor Frankreich dem Bund schon gar nicht beigetreten. Die Pfalz aber, die man im Juli in Augsburg zum Beitritt aufgefordert hatte, stößt bereits im August in Nürnberg mit ihrer Aufnahme auf Widerstand, da ihre Mitgliedschaft

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j a auch die Garantierung der von Ludwig X I V . beanspruchten Gebietsteile in sich schließe. Das kläglichste Beispiel bietet aber die vom Bund zugesagte Truppenhilfe zum Schutz der pfälzischen Garnisonen. Aus den ursprünglichen 1000 Mann werden schon nach wenigen Wochen 500, von denen dann schließlich in der Tat ganze 70 in Heidelberg anlangen. Etwas besser stand es um den Sukkurs durch die norddeutschen Armierten, besser auch um die Unterstützung durch den Kaiser. Bei beiden lagen doch wenigstens geschlossene und altgeschulte Armeekörper zugrunde, von denen freilich die der ersteren durch ihre weite Entfernung vom Mittelrhein, der des letzteren durch diese und durch seinen Einsatz in Ungarn am raschen Eingreifen sehr behindert waren. Aber es bestand immerhin unter jenen etwa beim Kurfürsten von Brandenburg und beim Landgrafen von Hessen-Cassel neben dem allgemein antifranzösischen ein spezifisch rheinisches Interesse, und eben dieses war auch beim Kaiser durch seine österreichischen Vorlande und die kaiserliche Festung Philippsburg 3 2 ) gegeben. Ausdrücklich hatte der brandenburgisch-kaiserliche Vertrag von 1686 den Schutz der Pfalz als eigenen Paragraphen aufgenommen. In Philippsburg aber begegneten sich das kaiserliche und pfälzische Interesse aufs engste. Wohl und Wehe der Pfalz und des Reiches schienen gleichmäßig von dem dieser Festung abzuhängen, die den einzigen festen Punkt nicht nur an der Grenze des bedrohten Kurstaats, sondern an der Süddeutschlands überhaupt darstellte. Die Deutschen besäßen nur ein offenes Tor, Philippsburg, sagt Rousset 3 3 ), und das galt es zu schließen. Waren so die Augen der Franzosen in ganz besonderem Maße auf Philippsburg gerichtet, so die der Deutschen doch auch nicht ganz so wenig, wie dies nach neueren Forschungen scheinen möchte 3 4 ). Vor allem war in dem Kommandanten Maximilian Lorenz 3 5 ) von Starhemberg eine ganz vorzügliche K r a f t an diesem Punkte aufgestellt und man täte ihm sowohl wie dem mit ihm sehr eng verbundenen Philipp Wilhelm sehr unrecht, wenn man nicht der ernsten Bemühungen gedächte, mit denen beide, vornehmlich aber Starhemberg zum Schutze der Festung beitrugen. In fast regelmäßigen kurzen Abständen kamen die Mahnrufe des Offiziers an den Wiener Hofkriegsrat, mit spezifizierten Angaben über die französischen Rüstungen, mit beschwörenden Vorstellungen über die erforderlichen Maßnahmen zum Besten der Festung. So war Philippsburg beim Ausbruch des Kriegs wenigstens mit dem Nötigsten versehen. Mit dem Nötigsten — aber freilich nicht mit dem Mög4»

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liehen und Erwünschten. Mancherlei mochte die Tüchtigkeit des Generals durchsetzen: um noch mehr zu bewirken, dazu hätte der eigene Einsetzungswille Philipp Wilhelms größer und die „lenteurs habituelles" 3 6 ) der Wiener Politik um ein Gutteil kleiner sein müssen, als sie es tatsächlich waren. Damit sind wir wieder am Kernpunkt angelangt: Deutschland verfügte über ein sehr reiches Maß an natürlicher K r a f t , die aber durch den Zustand seiner Verfassung auseinandergehalten wurde; es war durch die Entwicklung der Dinge ohne Frage in eine politisch bessere Lage geführt worden, aber es erschien zweifelhaft, ob es sie ausnützen würde; es hatte sich auch militärisch emporgeschwungen, aber es war zu befürchten, daß es nun in seinen Leistungen wie früher in seinem Versagen von der Vielheit seiner Interessen — der übernationalen habsburgischen nicht minder wie der gleichsam unternationalen der Kleinstaaten — hoffnungslos zerspaltet werde. Das war die Lage der Dinge, wie wir sie zu Anfang des Jahres 1688 antreffen und wie sie in dessen Verlauf — entsprechend der für Frankreich stets ungünstiger werdenden europäischen Lage und seinem um kein Haar nachlassenden Willen zur europäischen Vormacht — eine immer gefährlichere Spannung erreicht. In drei Krisen kam diese Spannung gegen Ende dieses Jahres zur Entladung. Die erste war mit der Entwicklung der englisch-oranischen Frage gegeben: die Lage J a k o b s von England hatte sich so zugespitzt, die Vorbereitungen Oraniens waren so gediehen, daß mit einem Eingreifen des letzteren gegen den ersteren immer mehr gerechnet werden mußte. Die möglichen Folgen für Frankreich waren unabsehbar, drohend erhob sich neben der bereits latenten Gefährdung von Ludwigs kontinentaler Vormachtstellung die Gefährdung seines maritimen Einflusses: gegenüber jener das Prävenire zu spielen, um dadurch auch diese hintanzuhalten — darin wird man einen Hauptgedanken der französischen Politik erblicken dürfen. Die zweite Krisis entstand nun aber durch die Gefahr eines österreichisch-türkischen Friedens, die angesichts der fortgeschrittenen Verhandlungen beider Staaten aufs höchste gestiegen war. Zu allen Hiobsposten, die man vom osmanischen Kriegsschauplatz in Paris schon hatte vernehmen müssen, war nun eben auch noch die der Erstürmung von Belgrad getreten. Bereits sah eine verängstigte Phantasie die gesamte Front der Türkensieger im Aufbruch gegen Frankreich; und da man wohl wußte, „wieviel Rache die Deut-

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sehen ihm schuldeten" 3 6 3 ), erblickte man. in einem Präventivangriff das einzige Auskunftsmittel. Die dritte Krisis schließlich entstand durch die Kölner Sukzessionsfrage, die, zunächst eine rein innerdeutsche Angelegenheit, durch die französische Einmischung zugunsten Fürstenbergs europäische Ausmaße gewann. Darauf ruhte ihre Bedeutung, daß Frankreich wie mit England und der Türkei die letzten seiner europäischen, so mit dem niederrheinischen Erzstift den letzten seiner deutschen Bundesgenossen zu verlieren drohte. Kein Zweifel, die Allianz dieses kölnischen Kurstaates, der den Weg nach Deutschland und Holland gleichmäßig offen hielt, wog außerordentlich schwer — so meinten die Franzosen, zu ihrer Erhaltung kein Mittel unversucht lassen und selbst vor der ultima ratio regum nicht zurückschrecken zu sollen. Aus diesen drei Krisen ist also der Entschluß Frankreichs zum Präventivkrieg hervorgegangen, wiewohl über diesen Schritt von Anbeginn die dunkelsten Vorzeichen geschrieben sein mußten. Wir haben die für Frankreich bestehenden Schwierigkeiten der europäischen Lage stark genug betont: mit einer Art von HegemoniePsychose hat man sich in Paris über sie hinweggesetzt. Es wäre sicher ganz falsch zu sagen, man habe am Hofe Ludwigs X I V . die drohenden Gefahren nicht gesehen, aber man war durch ein nicht näher zu bezeichnendes Selbstgefühl daran gehindert, sie zu Ende zu denken. Man befand sich in den widerspruchsvollsten Stimmungen und Ansichten der Dinge und verstand ihre Widersprüche nicht aufzulösen. Man bedauerte und begrüßte Oraniens englische Pläne zugleich, je nachdem man gerade an die Bedrohung der maritimen oder der kontinentalen Vormachtstellung dachte. Man bebefürchtete vom Reich die unwahrscheinlichsten Bedrohungen und glaubte doch wieder, dieses Reich in einer militärischen Parade von wenigen Monaten niederwerfen zu können. Man war, letzten Endes, über sich selbst im unklaren, man hatte keine der alten Prätensionen aufgegeben und glaubte doch im Innersten nicht mehr an sie; man sah den Festungsgürtel um Frankreich täglich stärker und seine schützenden Arme täglich zahlreicher werden und fühlte sich doch nicht sicherer; man sah sich in uner6chüttertem Besitz aller äußeren Machtpositionen und sah doch nichts mehr hinter ihnen. Was war von Frankreich, dem Schützer aller Kleinen, Unabhängigen, der Protestanten, des Fortschrittes, dem alle Kräfte wie im Spiel zugefallen waren, noch übriggeblieben ? Dunkel erhob sich vor den Augen selbst der Leitenden, indem sie den Brand von 1688 entfesselten, die Erinnerung an die ernstesten Stunden des

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zurückliegenden Holländischen Krieges. Schon damals schien j a die Monarchie zeitweise an den Rand des Abgrundes gedrängt, schon damals war sie nur durch die unerhörtesten Anstrengungen gerettet worden — aber würde das Land, dessen wirtschaftliche und soziale Belastung seitdem nur gestiegen war, das hinter den glänzenden Kulissen von Versailles schreiende Not barg, in einer viel ungünstigeren europäischen Lage jene Probe wiederholen können ? So hat ein fast unerlaubtes Kompromiß von Schwächegefühl und Anmaßung Europa in den Krieg von 1688 geführt. Nicht als ob sich die Auseinandersetzung zwischen Frankreich und der Welt hätte vermeiden lassen. Frankreich hatte durch seine ganze Politik der Vorjahre Europa herausgefordert und Europa konnte ihm die Antwort nicht schuldig bleiben. Aber indem Frankreich diese Antwort gar nicht abwartete, sondern schon vor ihr zu neuer Gewalt schritt, hat es zu der Verschärfung der Krisis und zu der Furchtbarkeit des Ausdruckes, den sie finden sollte, unendlich viel beigetragen und eine schwere Verantwortung auf sich geladen. Es war die letzte Erfüllung, die sich die französische Politik damit gab und die ihr selbst noch ernste Bitternis bringen sollte. Am 24. September erließ Ludwig X I V . ein Manifest 37 ), in dem er seinen gleichzeitig vollzogenen Einbruch in deutsche Lande begründete. Nicht der Angriff, sondern die Abwehr sei die Ursache seines Vorgehens, nicht der Krieg, sondern der Friede sein Ziel. E r hoffe, durch den ersten das Reich für den letzteren zu gewinnen. Nach der Anerkennung des Status von 1684, seines Kölner Kandidaten Fürstenberg und der Sicherung seiner Grenzen durch das Reich werde er nicht nur das bis dahin eroberte Philippsburg, sondern auch das schon vorher innegehabte Freiburg zurückgeben. Und auch in der pfälzisch-orleansschen Sache, die nun tatsächlich dem großen Kampfe den Namen gibt, werde er seine Ansprüche mit einer Geldentschädigung abfinden lassen, sobald das Reich nur seine übrigen Forderungen anerkannt habe.

E I N B R U C H INS REICH UND E R S T E

ZERSTÖRUNGEN

Eine überaus charakteristische Szene hatte sich schon am Tage zuvor, weitab von den Mittelpunkten der großen Politik, an der deutsch-französischen Grenze abgespielt. Dort war, begleitet von zwei Zeugen und einem Notar, ein badischer Beamter bei dem

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Kommandanten von Fort Louis erschienen, um gegen den widerrechtlichen Bau einer Brücke und eines Brückenkopfes auf badischem Hoheitsgebiet zu protestieren, und war von dem Franzosen mit vollendeter Liebenswürdigkeit aufgenommen worden. D a kämen sie, um Einspruch zu erheben, und der König denke doch an nichts als an Schutz, an i h r e n Schutz! Wieviele Wohltaten sei er, der sie so zahlreich schon in der Vergangenheit erwiesen habe, noch in der Zukunft zu erweisen fähig. Mit lächelndem Entgegenkommen wiederholte der liebenswürdige Plauderer seine Worte auf italienisch, um sich deutlich zu machen, und fügte nur beiläufig die Warnung hinzu, gegen jene Bauten auch nur den geringsten Widerstand zu versuchen. In diesem Falle seien die Befehle Seiner Majestät allerdings unerbittlich und ihm bliebe, als deren genauen Vollstrecker, nur eine einzige Wahl : „Vous serez brûlés !" 3 8 ) „Vous serez brûlés" ! Hier begegnet die Parole des Schreckens schon vor dem Kriege und gleichsam in dem Geringsten von Ludwigs Untertanen als etwas Selbstverständliches und Gewöhnliches. Vous serez brûlés ! Wie wird sich dieser R u f steigern und zu unaussprechlichem Grauen verdichten, wenn an die Stelle der ruhigen Erwägung des Friedens die brennende Leidenschaft des Krieges, j a am Ende der Mut des Verzweifelten tritt! Keine Frage, die Taten des Jahres 1689 waren furchtbar. Aber furchtbarer und im eigentlichen Sinne verantwortlich war der Zustand der Geister, aus dem sie hervorgingen und der schon vorher das Ludowizianische Frankreich wie eine schlimme und schwere Krankheit befallen hatte. In Paris war man seit dem letzten Drittel des August zum Kriege entschlossen 39 ). Truppenaushebungen, beginnend mit 16000, steigern sich binnen weniger Wochen auf 58000 Mann. Am 2. Septemberfindet „une vraie promotion du guerre" 4 0 ) statt. Schon vorher waren die Regimenter, die zur Regulierung der Eure um Maintenon versammelt waren, an die Grenze aufgebrochen — vom Versailler Schloßbau in den Krieg, vom Dienst an Ludwigs e i n e r Hauptleidenschaft zum Dienst an seiner a n d e r e n . Am 30. August stand der Feldzugsplan in den Umrissen 4 1 ), Mitte September in den Einzelheiten fest. Worin bestanden aber seine Grundzüge ? Durchaus im Mittelpunkt stand der Belagerungsplan für Philippsburg. Ihm galten die Weisungen Louvois' an die Generäle Duras, Montclar, Catinat u. a., die seit dem 8. September die militärischen, ihm die Befehle Louvois' an die Verwaltungsmänner L a Grange, Chamlay u. a., die seit dem 30. August die wirtschaftlich-verwaltungstechnischen Vorbereitungen ins einzelne regelten 4 2 ). Große Proviant-

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Vorräte g e h e n , bereits in P a r i s verzollt, i n aller H e i m l i c h k e i t ins E l s a ß 4 3 ) : a n d e r e h a t t e m a n , scheinbar h a r m l o s , v o n d e n Grenzf e s t u n g e n a u s d e m wirklich h a r m l o s e n d e u t s c h e n N a c h b a r abgek a u f t 4 4 ) . M a ß n a h m e n zu s t r e n g s t e r G e h e i m h a l t u n g w u r d e n g e t r o f f e n : so erhält C a t i n a t Befehl, seine Reise ins E l s a ß d u r c h eine solche n a c h F l a n d e r n zu verschleiern 4 5 ), D u r a s u n d der D a u p h i n a b e r dürf e n aus d e m s e l b e n G r u n d e i h r e n A u f b r u c h a n die F r o n t erst a m 25. S e p t e m b e r vollziehen 4 6 ). Die Blüte u n d der Glanz des milit ä r i s c h e n u n d höfischen F r a n k r e i c h s w e r d e n zu d e m U n t e r n e h m e n a u f g e b o t e n . U m den D a u p h i n , der den n o m i n e l l e n , u m D u r a s , der d e n t a t s ä c h l i c h e n Oberbefehl h a t , reiht sich ein S t a b der h e r v o r ragendsten Fachleute, von den Taktikern Montclar u n d Catinat über d e n Artilleristen La Frezeliere, d e n Q u a r t i e r m e i s t e r C h a m l a y , den V e r w a l t u n g s m a n n St. P o u e n g e bis zu Y a u b a n 4 7 ) , d e m vielleicht g r ö ß t e n Befestigungs- u n d B e l a g e r u n g s k ü n s t l e r aller Zeiten. Die H a u p t a r m e e sollte am 25. S e p t e m b e r v o n S t r a ß b u r g aus auf d e m r e c h t e n R h e i n u f e r gegen P h i l i p p s b u r g v o r r ü c k e n u n d dies U n t e r n e h m e n so beschleunigen, d a ß die V o r h u t u n t e r Montclar a m 27. die I n v e s t i e r u n g der F e s t u n g b e g i n n e n k ö n n e . N e b e n diesem H a u p t s t o ß , der sich gegen einen b e s t i m m t e n P u n k t des R h e i n e s richtete, s t a n d v o n A n f a n g a n eine R e i h e v o n N e b e n s t ö ß e n i m P r o g r a m m , die d e m g e s a m t e n L a u f des S t r o m e s galten. W i r e r i n n e r n uns des K ö l n e r W a h l s t r e i t e s , der d u r c h F r a n k reichs I n t e r v e n t i o n f ü r F ü r s t e n b e r g a u s g e b r o c h e n w a r : n i c h t allein, d a ß d e r letztere A u s h e b u n g e n b e g a n n , die i n der W i r k u n g A u s h e b u n g e n Frankreichs gleichkamen 4 8 ); F r a n k r e i c h selbst e n t schließt sich, n o c h im A u g u s t , zu der u n t e r Sourdis u n d d'Asfeld zu vollziehenden 4 9 ) Besetzung des d e u t s c h e n E r z s t i f t e s , u n d a m 30. des gleichen M o n a t s ergeht eine A u f f o r d e r u n g zur E r l a u b n i s v o n T r u p p e n d u r c h m ä r s c h e n a u c h a n das K u r f ü r s t e n t u m Trier 5 0 ). Gewiß, beide U n t e r n e h m e n wurden d u r c h die Bedenklichkeit des Kölners 5 1 ), d u r c h die W e i g e r u n g des Trierers u m i h r e n eigentlichen E r f o l g , u m dessentwillen m a n sie geplant h a t t e , g e b r a c h t . O h n e Zweifel w a r hiem i t f ü r den f r a n z ö s i s c h e n F e l d z u g , i n s b e s o n d e r e a b e r f ü r die Belager u n g P h i l i p p s b u r g s in schlimmer Weise p r ä j u d i z i e r t . E s w a r n i c h t geglückt, die l i n k e F l a n k e des P h i l i p p s b u r g e r Belagerungsheeres schon v o r d e m K r i e g s a u s b r u c h sicherzustellen: u m so m e h r w a r m a n d a r a u f b e d a c h t , sie s o f o r t n a c h B e g i n n der K ä m p f e d u r c h eine möglichst restlose E r o b e r u n g des l i n k e n R h e i n u f e r s , v o r allem der linksrheinischen Pfalz, z u e n t l a s t e n . W ä h r e n d a n der f l a n d r i s c h e n Grenze ein O b s e r v a t i o n s k o r p s unter H u m i e r e s aufgestellt w u r d e , bildete an der

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Südgrenze der linksrheinischen Pfalz d'Huxelles, an ihrer Westgrenze Bouffiers je eine Heeresgruppe, die beide ihren Vormarsch zugleich mit der Hauptarmee zu eröffnen hatten 5 2 ). Lautloser und planmäßiger, überraschender und schneller hat sich wohl selten der Überfall eines großen Landes vollzogen. F a s t

hat man seine Geschichte erzählt, wenn man seine Projektierung erörtert hat. Nur an zwei Stellen stießen die Franzosen auf Streitkräfte, die sich wehrten, lässig genug auch hier: vor Offenburg wurden sie um einige Stunden 5 3 ), vor Kaiserslautern um zwei Tage aufgehalten 5 4 ). Die erhabensten Stätten deutscher Vergangenheit, dem Ganzen auch jetzt noch durch zahllose Bande besonders nahe verbunden, Speier 55 ) und Worms 5 6 ), dazu Oppenheim 57 ), Neustadt an der Haardt 5 8 ), Alzei und andere mehr sind binnen wenig Tagen ein Raub

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der F e i n d e . K a u m d a ß einmal, wie in N e u s t a d t 5 9 ) , die A x t a n g e w e n d e t w e r d e n m u ß t e , u m gegen die w i d e r s t r e b e n d e n B ü r g e r die S t a d t t o r e a u f z u h a u e n . W ä h r e n d die E i n s c h l i e ß u n g P h i l i p p s b u r g s schon i n d e n e r s t e n O k t o b e r t a g e n v o l l e n d e t ist, m a r s c h i e r t B o u f f i e r s u n ausgesetzt r h e i n a b w ä r t s : a m 9. ist K r e u z n a c h 6 0 ) , k u r z d a r a u f d a s alte pfälzische B a c h a r a c h in seiner H a n d . Mit J u b e l e m p f ä n g t m a n i m L a g e r v o r P h i l i p p s b u r g die N a c h r i c h t v o n d e r E i n n a h m e v o n Mainz, das sich a m 17. d e m F e i n d e ergeben 6 1 ). V e r w i r r u n g u n d Kleinm u t u n t e r d e n D e u t s c h e n schienen allgemein. Zahllos die H i l f e r u f e u n d Verzweiflungsschreie, die v o n allen Seiten n a c h allen Seiten e r t ö n e n . Aus d e r Kanzlei P h i l i p p Wilhelms ergingen sie bis i n s A u s l a n d , n a c h Schweden u n d E n g l a n d 6 2 ) . Selbst bis tief i n s H e r z S ü d d e u t s c h l a n d s hinein griff die H o f f n u n g s l o s i g k e i t u m s i c h : i n e i n e m Schreiben des f r ä n k i s c h e n Kreisausschusses d r o h t m a n d e m Kaiser, falls P h i l i p p s b u r g k a p i t u l i e r e , m i t d ü r r e n W o r t e n den A b f a l l an 6 3 ). Die M ä n n e r , welche zur R e g i e r u n g d e r L ä n d e r b e s t e l l t sind, überlassen diese m e h r oder m i n d e r g u t b e r a t e n e n , , h i n t e r l a s s e n e n " R ä t e n u n d f l i e h e n . K u r f ü r s t P h i l i p p W i l h e l m f i n d e t , d a ß i h n die ,,Necessitet n a c h N e u b u r g z i e h e t " u n d ü b e r t r ä g t a b r e i s e n d die R e g i e r u n g s e i n e m eifrig w i d e r s t r e b e n d e n S o h n L u d w i g A n t o n , d e r sich mit M ü h e u n d N o t endlich der „ v ä t t e r l i c h e n E r i n n e r u n g subm i t t i e r t " 6 4 ) . K a u m ist j e d o c h der V a t e r f o r t u n d der F r a n z o s e d a , d a v e r t a u s c h t der T a p f e r e den Besitz der H a u p t s t a d t z u m G a u d i u m des Feindes gegen einen f r a n z ö s i s c h e n R e i s e p a ß ins Reich u n d f l i e h t ebenfalls 6 5 ). Weit s c h l i m m e r als diese T a t s a c h e n s i n d freilich die H i n t e r g r ü n d e , v o n d e n e n sie sich a b h o b e n . M a n weiß, wie die F r a n z o s e n allerorts den K ö d e r der „ N e u t r a l i t ä t " a u s l e g t e n . W e n n es i h n e n d e r g e s t a l t g e l u n g e n war, Mainz zu u n t e r w e r f e n , so schien dieses Beispiel n u n a u f s gefährlichste Schule zu m a c h e n . H a l b S ü d d e u t s c h l a n d b e r e i t e t e seine U n t e r w e r f u n g vor, die E r g e b e n h e i t s k u n d g e b u n gen d e u t s c h e r R e g i e r u n g e n l ö s t e n sich n u r so a b . D e r M a r k g r a f v o n B a d e n - D u r l a c h erschien persönlich i m L a g e r v o r P h i l i p p s b u r g 6 6 ) , der L a n d g r a f von H e s s e n - D a r m s t a d t s a n d t e Abgeordnete 6 7 ), d e r A d m i n i s t r a t o r von W ü r t t e m b e r g u n d zahlreiche a n d e r e e m p f a h l e n sich d u r c h Briefe in Paris 6 8 ). Freiheitsstolze R e i c h s t ä d t e r , wie die E ß l i n g e r , erscheinen v o r d e m D a u p h i n , ü b e r m i t t e l n i h m m i t i h r e n G e l d e r n auch ihre E r g e b e n h e i t u n d k ö n n e n ihr W o h l gefallen ü b e r die großartige Weise, m i t der m a n sie a n die T a f e l zog, k a u m u n t e r d r ü c k e n 6 9 ) . A b e r a u c h den W i d e r s t a n d der g r ö ß e r e n S t ä n d e h a b e n die F r a n z o s e n auf diese Weise e m p f i n d l i c h g e l ä h m t ;

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von den Neutralitätsverhandlungen, die sie mit Baiern, Sachsen, Hessen, Kurtrier, Brandenburg anknüpften, dauerten beispielsweise die mit dem letzteren bis weit in das J a h r 1689 hinein 70 ). Was jedoch bisher unbekannt war, ist, daß auch die Bezwingung der P f a l z nicht ohne ein wirksames Mitspielen dieses Faktors erfolgte. Und zwar waren nicht nur von der Seite Jülichs her im Winter die gefährlichsten Intrigen zur Auslieferung der Festungen Jülich und Düsseldorf im Gang, die den Kurfürsten Philipp Wilhelm zu beschwörenden Mahnungen an seinen Sohn Johann Wilhelm veranlaßten 7 1 ): jener Kurfürst Philipp Wilhelm selbst war in ähnliche Verhandlungen verwickelt. Und zwar steht gerade die unvermittelte Übergabe der Hauptstadt Heidelberg, die darin ihre Erklärung findet, damit im genauesten Zusammenhang. I m Verlauf dieser Kapitulationsverhandlungen machte Chamlay an den Vertreter der pfälzischen Regierung Stein-Callenfels ein geheimes Neutralitätsangebot für Pfalz und Jülich, das dieser selbst dem Kurfürsten nach Neuburg überbringt. Philipp Wilhelm scheint — in der Erwägung, daß ihm bisher vom Reich ,,nit die geringste Vertröstung" zuteil geworden 72 ) — nicht abgeneigt, doch kommt alsbald die eindringlichste Warnung seines Schwiegersohns — er werde doch nicht „gleichsamb separiren" wollen und sich so „aller Hülff und sonsten noch etwa zu hoffenden stehender Indemnization verlustig m a c h e n " ! — 7 3 ) , die ihre Wirkung nicht verfehlt. Die ganze Tragweite dieser Schritte erhellt aber jählings, wenn etwa Montclar mit offenbarer Bezugnahme auf die schwebende Verhandlung auch den Widerstand Mannheims, der zweiten pfälzischen Residenz, lähmt, bevor er nur begonnen 7 4 ). Das ist, wenn man näher hinsieht, das Merkwürdige dieses Feldzuges von 1688, daß er nur eine Partei hat. D a ist ein Feind, welcher angreift, belagert, plündert und zerstört, aber da ist kein Partner, welcher abwehrt, sich verteidigt, zum Gegenstoß vorgeht. Insofern schien die Berechnung Louvois' ganz richtig zu sein und der französische Enderfolg außer Zweifel. Aber man darf bei dieser Feststellung nicht stehenbleiben. Nicht allein, daß nach der Natur der europäischen Lage und der deutschen Verhältnisse sich ein Widerstand gegen die französische Politik nur ganz langsam herausbilden konnte und somit die augenblickliche Düpierung noch keine endgültige zu sein brauchte. Auch wenn man in die Tiefen der damaligen deutschen Volksstimmung sieht, so erblickt man in erstaunlicher Nähe neben den Zügen der Schwäche und nationalen Haltlosigkeit Züge der Kampfeslust und des stolzen Mutes, die das bisherige

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Joch nicht länger ertragen wollen 75 ). Gewiß, von einer reinen Ausprägung derselben konnte bei der Gestalt, die Deutschlands Verfassung einmal gewonnen hatte, keine Rede sein, aber nur um so auffallender treten sie im Einzelfall in Erscheinung. E s klingt paradox und ist doch aus dem Wesen der deutschen Geschichte durchaus verständlich: dieselbe Zeit, die jenen Abfall zeitigte, brachte zugleich eine nationale Empörung, wie sie das Land seit vielen Menschenaltern nicht mehr erlebt hatte. Neben den erweichten Stadtvätern sieht man die kampfeslustigen Bürger, die sich1 gegen den Willen jener erheben, das Handwerkszeug mit dem Gewehr vertauschen und unter die Mauern ihrer Befestigungen treten. Die Bauern spüren da und dort, wie noch das alte Blut in ihren Adern rollt und vereinigen sich zu Freikompanien. Die wenigen großen Hüter deutscher Bildung wie Leibniz, Pufendorf schlagen sich zu ihrem Volk und werfen die Schärfe ihres Geistes und Wortes in seine Wagschale. Neben den Fürsten, die fliehen, sieht man etwa in Württemberg eine Landesmutter, die in stillem Heldenmut bei den Ihren ausharrt — von den ungezählten und unzählbaren Beweisen des Opfermutes draußen im Lande gar nicht zu reden. Aber das war das Verhängnisvolle der Lage, daß aller nationale Wille nichts helfen konnte, solange die militärisch-politischen Voraussetzungen fehlten, ihn geltendzumachen. So trat das ganze Übermaß der Belastungen, unter denen die deutsche Geschichte litt, furchtbar in Erscheinung — noch furchtbarer haben indessen die Franzosen es zu ihren Gunsten ausgenutzt. Die erste Stelle, an der sich dies offenbarte, war die Belagerung von Philippsburg 7 6 ). Dort lag eine verhältnismäßig kleine, aus wenig mehr als 2000 Mann bestehende Besatzung, die unter dem obenerwähnten Maximilian von Starhemberg, dem Bruder des Verteidigers von Wien, gegen einen mit allem versehenen und vielfach überlegenen Feind sich bewundernswert gehalten hat. Louvois ist über den unerwartet langen Aufenthalt so beunruhigt und gereizt, daß er von den durch tagelange Regengüsse, unheimlich wirkungsvolles feindliches Feuer, unergründliche Wege ohnehin entmutigten Belagerern nur mit Mühe beschwichtigt werden kann. Seit Vauban Festungen belagere, sei er noch nie vor eine so schwere Aufgabe gestellt worden, schreibt der Chevalier Tilladet an seinen mächtigen Freund Louvois nach Paris 7 7 ). „Alles ist für ihn [Starhemberg], und alles gegen uns ! " , ruft Vauban selbst, in tiefem Unmut, aus 7 8 ). ,,Ein Mann, der keinen einzigen Fehler macht" 7 9 ) — mit diesen Worten kennzeichnete er den deutschen Kommandanten; ..franchement, leurs canoniers

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traitent les notres de maitre ä valet !"80) — mit diesen die deutsche Artillerie. Und doch erlebt man nun, daß die Besatzung schließlich, am 30. Oktober, früher kapituliert, als dies nach der Lage der Dinge unbedingt nötig gewesen wäre. Gewiß waren die Anlässe zunächst militärischer Art. Der Mangel an der nötigen Zahl von Verteidigungsmannschaft, an Ausrüstung, Geld, Trinkwasser bzw. Wein, der von Anfang an bestanden hatte, machte sich je länger, desto lästiger geltend81). Dazu muß es als ein besonderes Unglück bezeichnet werden, daß während der ganzen Belagerung Starhembergs Aktionsfähigkeit durch ein lästiges Viertagefieber 82 ) eingeschränkt war. Die Jahreszeit mit ihren langen Nächten und dem tiefen Wasserstand des Rheins war für den Gegner, der sich ihrer geistvoll bediente82"). Schließlich war, es ist keine Frage, die Rheinseite der Festung, die ihn am wenigsten erwartet hatte, durch den Angriff der Franzosen aufs bedenklichste zermürbt. Aber um den Kommandanten, der vor Beginn der Belagerung auf den Wällen spazierengehend seinem Arzt auseinandergesetzt hatte, an ihm solle es nicht fehlen, den Ruhm, den sein Bruder in Wien erworben habe, aufrechtzuerhalten 83 ) — um diesen Mann zur Ubergabe zu bewegen, dazu mußten doch zu den militärischen Gründen, die wichtig, politische treten, die wichtiger waren. Wir wissen, welche Kämpfe es dem Kommandanten gekostet hatte, um die ihm anvertraute Festung auch nur in den allernötigsten Verteidigungszustand zu setzen. Die Maßnahmen, die der Wiener Regierungsapparat nun aber in der Stunde der höchsten Gefahr traf, haben geradezu etwas Tragikomisches. Brandbrief über Brandbrief hatte Starhemberg bis zum Ausbruch des Krieges nach Wien gesandt, in letzter Minute auf seinen eigenen Kopf noch zwei Kompanien angeworben, sich zu der Werbung eines ganzen Regiments anheischig gemacht84). Am 19. September nun, fünf Tage vor Kriegsbeginn, faßt das Wiener Kabinett umständliche Resolution85), ,,dero löbl. Hoffkriegsrath in Gnaden anzudeuten", er solle „einige taugliche Officiersfordersambstnach Philippsburg abschicken". Drei Tage nach Beginn der Investierung, am 30. September, bewilligt daraufhin der Hofkriegsrat dem Starhemberg, im Hinblick auf die besonderen Umstände noch einen sechsten Offizier um die halbe Gage in die Festung einzunehmen. Am siebten Tage nach Beginn der Investierung aber, am 4. Oktober, setzen sich die kaiserlichen Minister zusammen und empfehlen, unterm 5., dem Kaiser 86 ), er möge die vom Kommandanten vorgeschlagene Werbung eines ganzen Regimentes in kaiserlichen Hulden genehmigen — vorausgesetzt

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freilich, daß die Belagerung des Platzes noch nicht begonnen habe. In diesem Falle bliebe allerdings, da es dann auch mit dem sonst vorgesehenen Sukkurs Hessen-Cassels zu spät sei, „dermalen nichts übrig, als die Conservation dieses Ohrts Gott und dem valor des Commandant anheimb zu stellen, an welchem nicht zu zweiffein, daß er sein Eußerstes thun werde . . . " In dieser Haltung der Regierung hat man den Schlüssel zu der beklagenswerten Übergabe der Festung nach einer rühmenswerten Verteidigung; es war der Mangel eines großen politischen Rückhaltes, der Philippsburg zu Fall gebracht hat. Mit einer gewissen Notwendigkeit mußte ein solch zweifelhafter „valor" der obersten Leitung auch den an sich noch so großen Mut des Kommandanten in Mitleidenschaft ziehen. Gewiß, Starhemberg hat sich mit seiner Verteidigung Verdienste erworben, aber um das Unmögliche möglich zu machen, dazu hätte er nicht das Gefühl haben dürfen, allein auf weiter Flur stehend den Wechselfällen einer noch ungewissen politischen Entwicklung ausgeliefert zu sein, in der sich noch niemand klar entschieden, ohne die „allergeringste Vertröstung . . ., auch nur in etlichen Wochen succuriert zu werden . . ," 8 7 ) Man kann die Verwunderung nicht unterdrücken, wenn man die Zeugnisse liest, welche die Franzosen den in langem Zug ausmarschierenden Besatzungstruppen ausstellen — „ L e u t e , von denen man etwas g a n z anderes erwartete", „des mieux faits que j'aie vu de ma vie" (Vauban) 8 8 ). Dabei war über die für den weiteren Verlauf des Kriegs geradezu entscheidende Bedeutung Philippsburg ebensowenig ein Zweifel wie über die große Verlegenheit, die selbst ein noch so schwacher Entsatzversuch den Belagerern bereitet hätte 89 ). Louvois, der ihn anfangs sehr von Oraniens Seite fürchtete, blies nur um seinetwillen die gleichzeitige Belagerung Frankenthals, die man geplant hatte, ab und betraute Bouffiers mit dem Schutz der linken Flanke. Aus dem nämlichen Grund befahl er auch den Rheinangriff gegen die Festung, der dann für deren Einnahme solche Bedeutung gewann 90 ). Und auch als alle Gefahr vorüber, erhielt Duras noch eine eigene Belobigung, daß er den Dauphin auf die besonderen Schwierigkeiten aufmerksam gemacht habe, die ein Entsatzheer dem Belagerer Philippsburgs in allen Fällen bereite — ein Nachteil, der sich in den nächsten Jahren vielleicht gegen die Deutschen richten werde 91 ). Brauchen wir es eigens auszusprechen, daß dieseUnentschiedenheit der Deutschen doch noch nicht ihr letztes Wort war ? Wir kennen die tieferen Gründe dieses Wesenszuges, wir haben seine schlimmen und selbstzerstörerischen Folgen stets aufs neue beobachten müs-

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sen, aber wir sahen doch auch, wie die Tendenzen der Abwehr gegen Frankreich in den letzten Jahren so gewachsen waren, daß sich wohl auch der laueste und trägste Sinn ihnen nicht länger widersetzen konnte. Langsam und sicher schält sich neben der volkstümlichen Opposition der Mengen auch der Widerstand der Mächte heraus, wie er von Anfang an in der überlegenen Gestalt Wilhelms von Oranien seinen vornehmsten Rückhalt besessen und wie er, nach der Überwindung manch obligater Bedenklichkeit, im Hause Habsburg seine zweite große und europäische Stütze erhält. Indem aber der erstere die protestantische Welt der norddeutschen Armierten, das zweite das katholische Süddeutschland auf seine Seite zieht, stellt sich etwas wie eine gesamtdeutsche Einheitsfront heraus, wie man sie seit langem nicht mehr gekannt. Es war etwas Unerhörtes, als, nach qualvollen und monatelangen Reichstagsverhandlungen, diese Einmütigkeit auch äußerlich durch Erklärung des Reichskrieges 92 ) zum Ausdruck kam. Aber freilich wird man hiergegen doch wieder drei Momente herauszuheben haben. War es denn wirklich eine Einheitsfront, die diese nach Verfassung und Umfang, Lage und Religion, Zielen und Grundlagen so unendlich verschiedenen, j a vielfach entgegengesetzten Glieder verband ? Dunkel verteilen sich über das Bild äußerer Einheit die Schatten heimlicher Feindschaft, unentwegter Spannungen, gefährlicher Intrige, durch die mehr als einmal das Große nahe vorm Ziel verfehlt werden sollte. Und weiter: war diese gemeinsame Front in ihren wesentlichen Zügen eine nationale, war sie nicht in ihren entscheidenden Kräften von Elementen getragen, denen die nationalen Belange sekundär oder feindlich waren ? Das Bild des deutschen Volkes erhebt sich vor uns als das des eigentlich tragischen Helden dieses Krieges. Und schließlich: so sehr man sich jener wenn auch eingeschränkten Einmütigkeit freuen muß, die bis zum J a n u a r 1689 erzielt wurde, schloß es nicht den furchtbarsten J a m m e r in sich, daß man, bei der Eklatantheit des französischen Überfalls, mehr als ein Vierteljahr bis zu diesem Entschluß verstreichen ließ ? Es war nichts Geringeres als das Todesurteil seiner Westmark, mit dem sich das Reich diese Frist erkauft hat und erschütternd leuchten in die „lenteurs solennelles" und die „formalités imperturbables" 9 3 ) seiner Regensburger Beratungen die Zerstörungsfeuer der Rheinlande herüber. Freilich, die das Todesurteil vollzogen haben, waren zugleich diejenigen, die, wie niemand anders, jene Unfähigkeit der Deutschen, sich dagegen zu schützen, verschuldet hatten. Wie sehr sich