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German Pages 188 [190] Year 2008
UDO TWORUSCHKA (HG.)
Die Weltreligionen und wie sie sich gegenseitig sehen Mit Beiträgen von Ulrich Dehn, Johann Figl, Ernst Fürlinger, Detlef Görrig, Eva Hellmann, Manfred Hinterleitner, Friedrich Huber, Markus Ladstätter, Vasilios N. Makrides, Gianfranco Miletto, Andreas Nehring, Rafael Shoji, Andreas D’Souza, Monika Tworuschka, Udo Tworuschka, Frank Usarski, Richard Fox Young
UDO TWORUSCHKA (HG.) Die Weltreligionen und wie sie sich gegenseitig sehen Mit Beiträgen von Ulrich Dehn, Johann Figl, Ernst Fürlinger, Detlef Görrig, Eva Hellmann, Manfred Hinterleitner, Friedrich Huber, Markus Ladstätter, Vasilios N. Makrides, Gianfranco Miletto, Andreas Nehring, Rafael Shoji, Andreas D’Souza, Monika Tworuschka, Udo Tworuschka, Frank Usarski, Richard Fox Young
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© 2008 by Primus Verlag, Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Redaktion: Britta Hübener, Heidelberg Gestaltung und Satz: Satzpunkt Ursula Ewert, Bayreuth Printed in Germany www.primusverlag.de ISBN: 978-3-89678-290-8
Inhalt Rudyard Kipling und ein Missverständnis (Udo Tworuschka) Praktische Religionswissenschaft und die wechselseitige Wahrnehmung der Religionen Interreligiöser Dialog und wechselseitiger Blick Zur Vorgeschichte dieses Buches Der katholische Blick auf andere Religionen (Johann Figl, Ernst Fürlinger, Manfred Hinterleitner, Markus Ladstätter) Enterbte Synagoge oder unverzichtbarer Partner? Der Blick auf das Judentum (Markus Ladstätter) Vorläufer der Endzeit oder Anbeter des alleinigen Gottes? Der Blick auf den Islam (Manfred Hinterleitner) Ansammlung von Aberglauben oder bewundernswerte Askese? Der Blick auf den Hinduismus (Ernst Fürlinger) „Apersonale“ Alternative oder Dialogpartner christlicher Spiritualität? Der Blick auf den Buddhismus (Johann Figl) Der orthodoxe Blick auf andere Religionen (Vasilios N. Makrides) Wurzel oder Bedrohung der Orthodoxie? Der Blick auf das Judentum Ketzer oder Verbündete gegen den Westen? Der Blick auf den Islam Gefährliche Mischung oder Bereicherung der Spiritualität? Der Blick auf den Hinduismus Angriff auf die Wahrheit oder Beispiel der Erleuchtung? Der Blick auf den Buddhismus Der evangelische Blick auf andere Religionen (Ulrich Dehn, Detlef Görrig, Friedrich Huber) Verstockt und verworfen oder bleibend erwählt? Der Blick auf das Judentum (Detlef Görrig) Gescheiterte Beziehungen oder abrahamitische Gemeinschaft? Der Blick auf den Islam (Ulrich Dehn) Welt- und Lebensverneiner oder Anhänger der „Gnadenreligion“? Der Blick auf den Hinduismus (Friedrich Huber) Unvereinbare Erlösungslehre oder vergleichbarer Liebesgedanke? Der Blick auf den Buddhismus (Ulrich Dehn)
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Inhalt
Der jüdische Blick auf andere Religionen (Gianfranco Miletto) Heidnische Religion oder Teilhaber des biblischen Erbes? Der Blick auf das Christentum Nachahmer der wahren Religion oder wahre Monotheisten? Der Blick auf den Islam Gefangene des Naturgesetzes oder Mitstreiter für die Heiligkeit des Lebens? Der Blick auf den Hinduismus Unvereinbare Traditionen oder buddhistische Blüten auf jüdischen Wurzeln? Der Blick auf den Buddhismus
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Der islamische Blick auf andere Religionen (Monika Tworuschka) Leute der Schrift oder Verräter des Monotheismus? Der Blick auf das Christentum Kinder Abrahams oder Verfälscher der Lehre? Der Blick auf das Judentum Verehrer der Götterbilder oder Mystiker der Einheit? Der Blick auf den Hinduismus Schriftbesitzer oder Götzendiener? Der Blick auf den Buddhismus
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Der hinduistische Blick auf andere Religionen (Andreas Nehring, Richard Fox Young, Eva Hellmann, Andreas D’Souza) Anti-vedische Materialisten oder Nachfolger des Khrishtadharma? Der Blick auf das Christentum (Richard Fox Young) Feinde schaffen oder Versöhnung fördern? Der Blick auf den Islam (Andreas D’Souza) Vereinnahmen oder ausgrenzen? Der Blick auf den Buddhismus (Eva Hellmann)
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Der buddhistische Blick auf andere Religionen (Frank Usarski, Rafael Shoji) Ethische Diskrepanzen oder spirituelle Gemeinsamkeiten? Der Blick auf das Christentum Fixierung auf Gott oder kompatible Konzepte? Der Blick auf das Judentum Dominante „Orthodoxie“ oder mystische Inspiration? Der Blick auf den Islam Um die rechte Tradition rivalisieren oder gemeinsame Wurzeln pflegen? Der Blick auf den Hinduismus
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Anhang Abkürzungen: Biblische Bücher Anmerkungen Literatur Personenregister Die Autoren
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Rudyard Kipling und ein Missverständnis Oh, East is East, and West is West, and never the twain shall meet, Till Earth and Sky stand presently at God’s great Judgment Seat; But there is neither East nor West, Border, nor Breed, nor Birth, When two strong men stand face to face, though they come from the ends of the earth!
„Oh, Ost ist Ost und West ist West – nie werden die beiden einander begegnen“ – so lautet die wohl berühmteste und am meisten zitierte Eröffnungszeile des Gedichts „The Ballad of East and West“ (1889). Dieselben vier Zeilen beschließen auch das Gedicht. Schon ein flüchtiger Blick auf die religiöse Weltlage beweist, dass sich der Verfasser der Ballade, der Dschungelbuch-Autor und Literaturnobelpreisträger Rudyard Kipling (1865–1936), geirrt hat. Sind die Religionen auf allen Kontinenten nicht schon lange zu einer Herausforderung geworden? Haben nationale Minderheiten und unterdrückte Völker die Religion(en) nicht als Bewahrerin ihrer Identität entdeckt? In der Spanne von Fundamentalismus und postmodernem Anything goes wird der Blick frei auf das sich in vielfältigen Formen abspielende Wiedererwachen der Religionen. Wohin man blickt: Religion scheint auf dem Vormarsch. Dass das 20. und 21. Jahrhundert religiös boomen, davon können Religionswissenschaftler viel berichten. In das öffentliche Bewusstsein getreten sind solche Einsichten aber erst allmählich, durch die fälschlich sogenannten „Jugendreligionen“, durch „New Age“-, Esoterik- und Okkult-Welle, durch die Problematik unserer früher als Gastarbeiter romantisch verklärten Arbeitsmigranten, durch Samuel Huntingtons Clash of Civilizations, den 11. September. Aber hat sich Ruddy, wie Kipling mit Kosenamen hieß, wirklich komplett geirrt? Muss man seinen Vierzeiler auf der Grundlage seiner Abenteuerballade nicht vielleicht doch anders lesen? Dann nämlich relativiert sich die steile Aussage der Eröffnungszeile, dann erscheint sie nicht mehr in dem für uns mittlerweile so unerträglichen rassistisch-imperialistischen Licht. Zusammengefasst mag sich Kiplings „Botschaft“ vielleicht eher so lesen: Auf der Grundlage gemeinsamen Menschseins – verkörpert durch die beiden Kämpfer an der NordWest-Grenze Indiens, dem pure-bred Englishman and dem pure-bred Afghan – zerbrechen die Grenzen zwischen Ost und West. Hermeneutisch gesprochen, haben wir es hier im Unterschied zu einer Hermeneutik der Identität bzw. totaler Differenz mit der von Ram Adhar Mall so genannten „analogischen Hermeneutik“ zu tun, die von „Überlappungen“ der Kulturen und Religionen ausgeht, die vom Biologisch-Anthropologischen bis hin zum Politischen reichen.1
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Rudyard Kipling und ein Missverständnis
Die Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigkeit haben im Gefolge der Dialektik der Aufklärung längst ihre Attraktion eingebüßt. Das verbreitete Unbehagen an der Kultur hat zur Wiederentdeckung von Religion(en) geführt. Dabei hebelten Modernisierung und Technisierung die Suche nach religiösen Sinnangeboten nicht etwa aus, sondern intensivierten sie. Die großen Religionen, allgemein unscharf als „Weltreligionen“2 bezeichnet, erlebten Renaissancen. Es entstanden neue Religionen sowie Individualisierungen traditioneller Religionen, auch Politisierungen, Fundamentalismus, nationalistische Instrumentalisierungen. Der Islam mit weltweit 1,5 Milliarden Bekennern ist, nachdem er noch in den 1950er und 60er Jahren totgesagt war, zu einer bedeutenden Lebensmacht geworden, die aus dem heutigen Europa nicht mehr wegzudenken ist. Jeder fünfte Europäer glaubt an Seelenwanderung / Wiedergeburt.3 In diesem „Supermarkt“ von Glaubens- und Weltanschauungen ist die Kenntnis anderer Religionen eine Forderung der Zeit. Praktische Religionswissenschaft und die wechselseitige Wahrnehmung der Religionen Religionswissenschaft vermittelt Kompetenz im Umgang mit Religionen, religiösen Strömungen und ihren Wertvorstellungen. Von einer gegenwartsorientierten Religionswissenschaft erwarten viele heute Informationen und Analysen, die einer Neuschaffung von Feindbildern und gegenseitiger Polemisierung entgegenwirken. Die Religionswissenschaft liefert die von vielen erhofften Beiträge zur Toleranz in der Begegnung mit dem „Fremden“. Dem Religionswissenschaftler tritt Religion immer als ein Ganzes mit verschiedenen Dimensionen entgegen: Gemeinschaft, Handlungen, Lehren, Erfahrungen. Die Erforschung der Religion(en) erfordert – zumindest von einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt an – die angemessene Berücksichtigung der Beziehungen der Religionen zueinander, ihrer Vorstellungen voneinander, der politisch-ökonomisch-sozialen Determinanten sowie ihrer vielfältigen Vermittlungen. Diese wechselseitige Wahrnehmung zu erkennen, ist ein Ziel des vorliegenden Buches, das damit zugleich das Gespräch der Religionen miteinander befördern möchte. Im Entstehen begriffen ist derzeit eine „Praktische Religionswissenschaft“4, von manchen auch als „engagierte“ bzw. „angewandte“ bezeichnet.5 1959 benutzte der jüdische Religionswissenschaftler R. J. Zwi Werblowsky den Terminus „angewandte Religionswissenschaft“ – allerdings um das dahinter sich verbergende Wissenschaftsverständnis rundweg abzulehnen: „Soweit ich es beurteilen kann, gibt es für eine ‚angewandte Religionswissenschaft‘ weder einen Anlass noch eine Rechtfertigung“.6 Weitsichtiger äußerte sich 1965 der Marburger Kirchenhistoriker Ernst Benz (1907–1978): „Diese Zurückhaltung der Religionswissenschaft, an der Lösung aktueller religiöser Fragen mitzuwirken, ist in manchen
Interreligiöser Dialog und wechselseitiger Blick
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Fällen so betont, dass man bei manchen Religionswissenschaftlern den Eindruck hat, es wäre ihnen lieber, es gäbe nur tote, das heißt ausgestorbene Religionen, da diese sich besser für eine rein phänomenologische Betrachtung und eine kritische Analyse und Vergleichung eigneten als die lebenden Religionen.“7 Bei der Suche nach Vordenkern der Praktischen Religionswissenschaft im 20. Jahrhundert stößt man auf Persönlichkeiten wie Rudolf Otto (1869–1937), Friedrich Heiler (1892–1967), Gustav Mensching (1901–78), Mircea Eliade (1907–86) und Wilfred Cantwell Smith (1916–2000). Diese Gelehrten sind die namhaftesten, aber wohl nicht die einzigen in der noch ungeschriebenen bzw. umzuschreibenden Disziplingeschichte. Angesichts der zum Teil dramatischen gesellschaftlich-politischen Verwerfungen weltweit und „vor Ort“ befindet sich die Praktische Religionswissenschaft in neuartigen Entdeckungszusammenhängen. Sie begreift sich als Teil des gesellschaftlichen Kommunikations- und Reflexionsprozesses und versucht, auf den durch die Religionen mit verursachten anschwellenden Problemdruck mit religionswissenschaftlichen Mitteln zu reagieren. Soweit sie die nötigen Grundlagenkenntnisse – zum Beispiel in der Aufarbeitung der wechselseitigen Wahrnehmung der Religionen – liefern kann, beteiligt sie sich an der Lösung dieser Probleme, vermittelt ihre Überlegungen den in diesen Praxisfeldern tätigen Personen. Manche Forschungsbereiche (Sozialpolitik, Mediation, Politologie, Konfliktforschung, Familienplanung, Bioethik, Migrationsfragen, Management, internationale Beziehungen, Religionsrecht, interkulturelle Ethik) lassen ein wachsendes Interesse der Sozialwissenschaften an Religion, Religiosität, Frömmigkeit, Spiritualität erkennen. Der religiöse Anteil an den genannten Problemfeldern und Konflikten wird stärker veranschlagt. Dadurch wachsen der Praktischen Religionswissenschaft neue Anwendungsfelder zu. „In diesen aktuellen Kontexten wird sie zu einer Zubringerwissenschaft, zeigt historische Zusammenhänge auf, stellt kulturvergleichende Perspektiven heraus, durchleuchtet soziologische Prozesse“8. Interreligiöser Dialog und wechselseitiger Blick Einer der sich herauskristallisierenden Schwerpunktbereiche der Praktischen Religionswissenschaft – neben der Lösung von durch Religion(en) (mit) bedingten Problemen, Religionsvermittlung, Religionskritik, aktiv-sozialem Erfahrungslernen – ist der interreligiöse Dialog. Statt einander die Kompetenzen an diesem von Religionswissenschaftlern oft beargwöhnten Geschäft zu bestreiten, sollten Theologen, Religionswissenschaftler und „Betroffene“ ihre unterschiedlichen Kompetenzen einbringen. Die Begegnungsgeschichte der Religionen hat sich in unserem Jahrhundert dramatisch beschleunigt, und die Religionskarte der Welt muss an vielen Stellen neu gezeichnet werden. Mission ist nicht länger eine Einbahnstraße; denn lange
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schon haben die Religionen der Welt sich darangemacht, ihre Heilsangebote im Westen zu kommunizieren. Ein einschneidendes Datum ist das World Parliament of Religions (1893) in Chicago. „Dialog“ ist Signalwort für bestimmte Einstellungs- und Verhaltenstendenzen, emotional hoch besetzt, mit einem allerdings diffusen Bedeutungsfeld. In dem hier zu behandelnden Problemzusammenhang bezeichnet der Begriff wechselseitige kommunikative Prozesse auf mehreren Ebenen: interdisziplinäre Zusammenarbeit mit theologischen und nicht-theologischen Wissenschaften; die Relation von Religionswissenschaft und Religion(en); das Verhältnis der Religionen zueinander. Von bestimmten historischen Zeiten an ereignen sich Wechselbeziehungen zwischen den Religionen „in Herausforderungen und Antworten, Konvergenzen und Abhängigkeiten, Missionen und Verschmelzungen, Rezeptionen und Metamorphosen“9. Auf verschiedene Weise trägt Praktische Religionswissenschaft dazu bei, das Verhältnis der Religionen zueinander zu analysieren und ggf. zu verbessern. Zum Beispiel in der von der Religionswissenschaft weitgehend ausgeklammerten Schulbuchanalyse.10 Es ist wichtig, die gegenseitigen Einstellungen, Vorurteile und Stereotype11 wahrzunehmen. Die Religionswissenschaft kann die Entstehung und Weitergabe von durch Religionen bewirkten oder begünstigten, oft verhängnisvollen Einstellungs- und Wahrnehmungsmustern analysieren; sie kann darüber hinaus Hilfestellungen für Dialoge (auf unterschiedlichen Ebenen) leisten, indem sie allen Beteiligten ein umfassendes und differenziertes Bild der Religionen zur Verfügung stellt. Dieses Bild muss das Selbstverständnis der Religionen ernst nehmen, muss sich bemühen, das in ihnen begegnende Fremde nach Kräften vorurteilsfrei wahrzunehmen. Die im vorliegenden Buch zitierten unterschiedlichen Quellen setzen sich aus ganz verschiedenen Textsorten zusammen und transportieren Eindrücke, Bilder, Vorstellungen, Meinungen, Urteile über andere Religionen. Dabei liegen nicht selten geschichtliche Strukturen „langer Dauer“ (longue durée) vor, die sich nur langsam oder gar nicht ändern. Aber auch von „Konjunkturen“ bestimmter Motive und Formulierungen kann gesprochen werden. Zu den im vorliegenden Band häufiger anzutreffenden Textsorten gehören: „Heilige Schriften“, Kommentarliteratur, theologische Kritiken, (fiktive) Dialoge, Widerlegungen, Apologien (Verteidigungsschriften) und Polemiken, Streitgespräche und Streitschriften, Zwangspredigten, Verwünschungen, Reiseliteratur, Briefe. Die Urteile bzw. Urteilsmuster sind nicht selten vorurteilshaft geprägt. Dabei muss genau hingeschaut werden, ob es sich dabei um echte Vorurteile handelt. Die Vorurteilsforschung unterscheidet verschiedene vom (echten) Vorurteil abzugrenzende Urteilsformen: Da gibt es Falschurteile, die auf einem leicht beweisbaren Irrtum über die andere Religion beruhen, verallgemeinernde Urteile und persönliche Werturteile. Mit Stigmatisierung bezeichnet man einen Vorgang, bei dem einer Person bzw. Gruppe eine negative, als sozialer oder kultureller Makel geltende Eigenschaft (Stigma) zugeschrieben wird.
Zur Vorgeschichte dieses Buches
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Von einem Vorurteil spricht man erst dann, wenn ein falsches, generalisierendes, bewertendes und behauptendes Urteil als falsch bestimmt und sein Anspruch, wahr zu sein, als hinreichend widerlegt gelten kann, trotzdem aber an ihm festgehalten und es auch weiterhin mit einem Wahrheitsanspruch vertreten wird. Auf der Basis dieser Beschreibung sind zahlreiche Aussagen einer Religion A über eine Religion B tatsächlich Stigmata, Vorurteile bzw. Stereotype. Sie werden auch als emotional negativ/positiv besetzte Einstellungen bzw. Attitüden gegenüber bestimmten Handlungen, Gegenständen, Lehrmeinungen oder Mitmenschen verstanden, die sich weniger auf Erfahrungen (Informationen) als auf Generalisierungen stützen und relativ überdauernder Natur sind.12 Einstellungen bestehen aus kognitiven, emotional-affektiven und pragmatischen Komponenten. Ein Vorurteil13 erweist sich als stereotyp, wenn Personen bei ihren Urteilen über fremde Gruppen immer wieder auf bestimmten Vorstellungen und Wertungen beharren. Im Gegensatz zum Vorurteil, das sich nicht unbedingt sprachlich niederschlagen muss, sich daher auch nur in einem bestimmten Verhalten äußern kann, handelt es sich bei einem Stereotyp gewöhnlich um eine verbale Äußerungsform von Überzeugungen. Ähnlich wie das Vorurteil hat diese Überzeugung die logische Form eines Urteils, das ungerechtfertigt vereinfacht und mit einer emotional wertenden Tendenz einer Klasse von Personen Verhaltensweisen zu- oder abspricht. Zur Vorgeschichte dieses Buches Obwohl die Frage nach dem wechselseitigen Blick der Religionen aufeinander aktuell und reizvoll ist, wurde sie bisher in der Forschung nur eingeschränkt behandelt. Gustav Mensching analysierte 1969 in seiner engagierten Abhandlung Der Irrtum in der Religion grundlegende Formen dieses Phänomens, wie es zum Beispiel auch in den Urteilen der Religionen übereinander vorkommt. Eine Relecture dieser Abhandlung vierzig Jahre später aus der Perspektive der Praktischen Religionswissenschaft lässt die starke Praxisorientierung erkennbar werden. Mensching nimmt Gegenstände menschlichen Handelns ins Visier – mit Aristoteles gesprochen die „menschlichen Angelegenheiten“ im Unterschied zu den „von sich aus vorliegenden Dingen“ – um nicht nur einen akademischen Beitrag im Sinne einer l’art pour l’art zu schreiben. Er machte vielmehr auf Missstände aufmerksam, deren Berücksichtigung „auch dem Läuterungsprozess der Religionen dienen [mag]“14. Mensching unterstreicht einleitend „dass hier keine Urteile über die Wahrheit der einzelnen Religionen [...] abgegeben werden können. Ob eine Religion [...] den Kontakt mit jener Wirklichkeit des Heiligen wirklich vermittelt oder nicht, das vermag der Religionswissenschaftler nicht festzustellen. Wohl aber wird die Rede sein davon, dass Religionen solche Urteile ihrerseits über andere Religionen fällen.“15 Immer wieder hat Mensching seinen Blick auf die Folgen innerhalb der „menschlichen Angelegenheiten“ hingewiesen und
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Rudyard Kipling und ein Missverständnis
nicht mit Lob, vor allem aber Tadel gespart. Dieselbe aufklärerisch-religionskritische Grundeinstellung bildete schon den Grundton seiner Toleranz-Untersuchung.16 Vor der Planung des vorliegenden Buches hatte ich zunächst daran gedacht, Menschings Pionierwerk Der offene Tempel. Die Weltreligionen im Gespräch miteinander (1974), versehen mit kritischen Anmerkungen und Ergänzungen, neu herauszugeben, wie schon seinen Toleranz-Klassiker vorher. Der offene Tempel ist die erste größere Untersuchung im deutschsprachigen Raum, welche die Frage, wie sich die Religionen gegenseitig wahrnehmen und beurteilen, durch alle großen Religionen (Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam, Judentum) dekliniert. Mit dem Verhältnis von Christentum und Religionen hatte sich Mensching übrigens bereits 1927 in seiner Antrittsvorlesung (an der Universität Riga) „Das Christentum im Kreise der Weltreligionen. Grundsätzliches über das Verhältnis der Fremdreligionen zum Christentum“ auseinandergesetzt.17 In den letzten 30 Jahren ist aber so immens viel neues Wissen, insbesondere vonseiten der Missionswissenschaft und Interkulturellen Theologie angehäuft worden, dass eine Bearbeitung und Aktualisierung schwierig geworden wäre. Daher entschloss ich mich zu dem hier vorgelegten Neuentwurf. Selbstverständlich kann kein Wissenschaftler mehr im Alleingang einen solchen angesichts der differenzierten Forschungslage über die einzelnen Religionen wagen. Dazu bedarf es der Versammlung erfahrener Spezialisten aus unterschiedlichen Fachgebieten.18
Der katholische Blick auf andere Religionen
Nach einer langen Geschichte der Missionierung anderer Völker, die weithin – besonders im Gefolge des Kolonialismus – von einer Geringschätzung nichtchristlicher Religionen geprägt war, hat erst das Zweite Vatikanische Konzil eine große Wandlung in der Beurteilung und Sichtweise der anderen Weltreligionen gebracht, insbesondere des Judentums, des Hinduismus, des Buddhismus und des Islams sowie anderer Religionen im Generellen. Die vier genannten Religionen werden auch namentlich in der Konzilserklärung Nostra aetate (In unserer Zeit) angeführt. Im Folgenden sollen sie gemäß der historischen Reihenfolge, in denen das Christentum den genannten Religionen begegnet ist, dargestellt werden. Infolge des Konzils war der Weg zum interreligiösen Dialog offen, und es kam in den Jahrzehnten danach zu vielfältigen interreligiösen Begegnungen mit Repräsentanten der römisch-katholischen Kirche. Maßgeblich dafür war die Einrichtung des vatikanischen Sekretariates für die Nichtchristen, das später in Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog umbenannt wurde. Eine wichtige Etappe war das erste Gebetstreffen in Assisi (27. Oktober 1986), wo sich auf Einladung von Papst Johannes Paul II. Vertreter der großen Weltreligionen sowie weiterer Religionen zu Gesprächen und Gebeten (aber jeweils an verschiedenen Orten) getroffen haben. Die Möglichkeiten und Grenzen solcher Begegnungen werden in der Schlussansprache des Papstes treffend angesprochen, in der das alle Menschen verbindende Anliegen des Friedens genannt wird: Mit den Weltreligionen teilen wir eine gemeinsame Achtung des Gewissens und Gehorsam ihm gegenüber, das uns alle lehrt, die Wahrheit zu suchen, die Einzelnen und die Völker zu lieben und ihnen zu dienen und deshalb unter den einzelnen Menschen und unter den Nationen Frieden zu stiften.
Und es wird eine gemeinsame Dimension des Gebetes angesprochen: „Ja, es gibt die Dimension des Gebetes, die sogar in der tatsächlichen Verschiedenheit der Religionen eine Verbindung mit einer Macht über allen menschlichen Kräften auszudrücken versucht.“ Dies sollte jedoch nicht zu einer Vermengung oder Vermischung der Religionen führen – vielmehr bleibt es die Aufgabe, unter Beachtung der Unterschiede zwischen den Religionen die gemeinsame Basis des Dialogs stets neu zu suchen und zu wahren.
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Der katholische Blick auf andere Religionen
Enterbte Synagoge oder unverzichtbarer Partner? Der Blick auf das Judentum Eine blinde Frau (bzw. eine Frau mit verbundenen Augen) als synagoga (Synagoge), eine sehende als ecclesia (Kirche) – dieses aus der Kunstgeschichte bekannte Motiv vermag die über Jahrhunderte herrschende Einschätzung sprechend wiederzugeben. Die neuere theologische Diskussion bedient sich dagegen zunächst der Metapher Mutter-Tochter aus dem familiären Beziehungsgefüge. Inzwischen wird die Rede von zwei Geschwistern bevorzugt, da erst dieses Bild dem Umstand Rechnung trägt, dass sowohl das heutige Judentum als auch das heutige Christentum sich einem gemeinsamen jüdischen Nährboden verdanken, den sie jeweils in unterschiedlicher Weise aufgenommen und weiterentwickelt haben. – Was hier über die katholische Seite zu sagen ist, gilt natürlich für die Zeit vor den Kirchenspaltungen für das gesamte Christentum. Eine erste Vorbemerkung lenkt den Blick auf die historische Entstehungsreihenfolge der monotheistischen Religionen Judentum, Christentum, Islam (und evtl. auch Bahai): Aus religionsgeschichtlicher Perspektive hat sich die jeweils jüngere auf der Basis der älteren entwickelt – und damit viele von deren Vorgaben übernommen, einige modifiziert. Aus diesem Faktum folgt, dass die jeweils jüngeren Religionen in ihrem Selbstverständnis auf ihre Vorgängerinnen vielfach angewiesen sind und ihnen gegenüber ein argumentatives Legitimationsbedürfnis aufweisen, während umgekehrt für die jeweils älteren Religionen dieser Bedarf nicht in gleichem Maße besteht; sie können in ihrem Selbstverständnis durchaus ohne die späteren auskommen und diese auch als irrelevante Häresien (Ketzerei) aus ihrem Blickfeld ausgrenzen. Es ist hier nicht der Ort, diese These ausführlich zu belegen, es geht vielmehr darum, den Mechanismus als solchen zu benennen. Eine zweite These thematisiert den Zusammenhang zwischen den vielen Konflikten im jüdisch-christlichen Verhältnis und der besonderen Nähe dieser beiden Religionen: Wie im persönlichen oder auch politischen Leben, so liegt auch in der Beziehung zwischen den Religionen das größte Konfliktpotenzial nicht zwischen möglichst weit voneinander entfernten Akteuren, sondern umgekehrt: Je näher, vertrauter man sich ist, je mehr einem mit dem anderen gemeinsam ist, umso mehr gibt es auch Stoff und Motivation für Auseinandersetzungen – mit meinen Nachbarn und Verwandten habe ich mehr Kämpfe ausgefochten als mit Herrn X aus Y, mit Frankreich hat Deutschland mehr Kriege geführt als mit China, mit dem Judentum hat das Christentum intensivere Konflikte ausgetragen als mit dem Buddhismus. Diese letzte provokante These wird im Fall der Fragestellung zum Verhältnis von Christentum und Judentum nochmals dadurch verschärft, dass innertheologische Positionen in beiden Religionen infrage stellen, ob es sich bei Christentum und Judentum überhaupt um zwei verschiedene Religionen handelt. Natür-
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lich ist die Frage der Trennung zwischen beiden Größen religionsphänomenologisch durchaus positiv zu beantworten – aber dennoch bleiben die Gegenargumente bestehen, und zwar interessanterweise auf beiden Seiten. Wem diese Überlegungen als überzogene Spekulationen erscheinen, dem sollte zu denken geben, dass die katholische Kirche auf struktureller Ebene ihre Beziehungen zum Judentum nicht, wie man erwarten könnte, im Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog angesiedelt hat, sondern im Bereich des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Jesus und die ersten Christen Die enge Verbindung zwischen Judentum und Christentum zeigt sich am deutlichsten in den Anfängen, auch wenn dieser Sachverhalt über weite Strecken der Kirchen- und Theologiegeschichte paradoxerweise kaum Beachtung gefunden hat: Jesus von Nazareth, die zentrale Gestalt des christlichen Glaubens, ist selbst nicht der erste Christ, sondern durch und durch Jude. Seine Mutter ist die Jüdin Miriam. Seine Heilige Schrift ist die jüdische Bibel. Seine Feste sind die jüdischen Feste. Seine Anhänger und Freunde, die späteren Säulen der Kirche, sind Juden. Über diese bloßen Fakten hinaus erscheint es als bedeutsam, dass die genannten Personen keinerlei Absicht erkennen ließen, eine neue, eigene Religion zu gründen. Das Judentum in den neutestamentlichen Schriften Schon in den Schriften des Neuen Testaments schlägt nach und nach die Enttäuschung durch, dass ein großer Teil der Juden das Bekenntnis zu Jesus als dem verheißenen Messias nicht teilt. Der Bruch vertieft sich, als die junge christliche Gemeinde ihre Türen auch für Interessenten aus dem Heidentum öffnet (Apg 15). Nachdem mit dem Tempel die zentrale religiöse Instanz des Judentums im Jahr 70 zerstört ist, reagieren die verschiedenen jüdischen Gruppen unterschiedlich: Identität und Fortbestand liegt für die einen in der Autorität des anwachsenden rabbinischen Schrifttums, für andere im Glauben an Jesus von Nazareth. Die Nichtbeteiligung der Judenchristen an dem letzten großen Aufstand der Juden Palästinas gegen die Römer unter der Führung von Bar Kochba (132–135, zur Zeit des Kaises Hadrian) vertieft schließlich auch die politische Seite der wachsenden Distanz. Diese Entwicklungen finden ihren Reflex in den neutestamentlichen Schriften: Das Johannesevangelium etwa verwendet durchgehend den Begriff „die Juden“ für diejenigen, die seinen Christusglauben nicht teilen – ungeachtet der Tatsache, dass neben den zentralen Gestalten des frühesten Christentums auch viele der Christgläubigen damals Juden gewesen sind. In Mt 27,25 („Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“) findet sich die Stelle mit der wohl fatalsten Wirkungsgeschichte. Der 2. Korintherbrief (2 Kor 3,14) und
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der Hebräerbrief (Hebr 8,13) werden (zwar nicht unumstritten) als Zeugen für die Auffassung von einem Ende des Alten Bundes durch den Neuen ins Feld geführt. Gleichzeitig findet sich jedoch im Römerbrief, der ausdrücklichsten neutestamentlichen Bezugnahme zur Thematik (Röm 9–11), ein vielschichtiges Ringen des Paulus, der seinen Mitchristen unmissverständlich ihre eigene (bloße) Teilhabe an der bleibenden Berufung Israels ins Stammbuch schreibt. Von der Antike ins Mittelalter Die römische Staatsmacht beginnt etwa mit Kaiser Nero, das Christentum als eigenständige Religion wahrzunehmen, wodurch die Betroffenen (anders als das restliche Judentum) den Status der religio licita (erlaubten Religion) verlieren und staatlichen Verfolgungen ausgesetzt werden. Im inneren Verhältnis der beiden Gruppen resultiert daraus eine Verschärfung der Polemik, vor allem aufseiten der nun rechtlich schlechter gestellten Christen: Die Frage nach der richtigen Schriftinterpretation und nach der Identität des wahren Israel wird mit immer größerer Härte ausgetragen. Vorwürfe wie die Beschimpfung der Juden als „Gottesmörder“ durch Meliton von Sardes (gest. ca. 190) sind traurige Höhepunkte dieser Entwicklung. Dramatische Auswirkungen zeigen sich freilich, als sich die politischen Rahmenbedingungen durch die Wende Kaiser Konstantins zum Christentum ab dem 4. Jahrhundert grundlegend ändern: Ab nun droht die bislang primär verbale Polemik in die Tat umzuschlagen. Theologische Formulierungen dieser Epoche spiegeln durchaus den zunehmend minderwertigen Rechtsstatus der Juden in einem Reich wider, welches das Christentum immer mehr auch für seine politische Identität in Anspruch nimmt. So kann etwa Bischof Fulgentius von Ruspe um 500 formulieren, dass „nicht nur alle Heiden, sondern auch alle Juden, alle Häretiker und Schismatiker, die außerhalb der gegenwärtigen katholischen Kirche sterben, ins ewige Feuer gehen werden …“1 Das Konzil von Florenz hat 1442 diese Auffassung mit seiner Autorität allgemein kirchlich bestätigt. Mit der Aberkennung der Heilsmöglichkeit für die Juden geht die Auffassung einher, dass die Synagoge aufgrund ihrer Verstockung zugunsten der Kirche enterbt sei. Ein beliebtes Medium, um die Überlegenheit des Christentums zu erweisen, sind öffentlich angeordnete Disputationen, für welche etwa in Spanien staatliche und kirchliche Autoritäten sowohl die Themen als auch mitunter das Ergebnis vorgeben. Zwangstaufen sowie Legenden von Hostienschändungen und Ritualmorden an christlichen Knaben durch jüdische Gemeinden ergänzen dieses Bild. Freilich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es parallel zu dem Geschilderten auch freundschaftliche Beziehungen zwischen Christen und Juden gegeben hat. Auch ist darauf hinzuweisen, dass sich die höchsten Autoritäten von Staat und Kirche (Kaiser und Papst) durchaus konstruktiv für den Schutz von Juden eingesetzt haben – allerdings nicht immer mit genügend Durch-
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schlagskraft bei Adel und Klerus, deren Übergriffe nicht immer verhindert werden konnten. Auch das grausame Gemetzel an den rheinländischen Juden im Vorfeld des ersten Kreuzzuges ist in diesem Kontext zu sehen. Durch die Neuzeit in die Katastrophe des 20. Jahrhunderts Da es in diesem Text vorrangig nicht um die geschichtlichen Entwicklungen geht, sondern um die theoretischen Positionen der katholischen Kirche, sind für die Neuzeit keine wesentlichen Veränderungen zu vermerken. Entwicklungen wie Rassenwahn und Endlösungsstrategien liegen jenseits direkter kirchlicher Verantwortung, auch wenn es bisweilen Versuche gibt, diese Differenzierungen zu verwischen. Bei der Diskussion um die Rolle der Kirche(n) in der Zeit des Nationalsozialismus geht es heute seriöserweise einerseits um die Frage, inwieweit die geschilderten theologischen Positionen Anteil an einem Klima hatten, in welchem solche Perversionen wie der Versuch der totalen Judenvernichtung entstehen konnten; andererseits ist zu fragen, warum es nicht die Kirche(n) als solche, sondern lediglich einzelne Christen gewesen sind, die den Mut zum Widerspruch glaubhaft gelebt haben. Das 20. Jahrhundert hat nicht nur die Schrecken der Schoah, sondern auch eine radikale Neubesinnung der katholischen Kirche im Blick auf das Judentum gebracht. Ohne hier alle wichtigen Elemente und Stationen im Einzelnen nachzeichnen zu können, sei auf folgende Entwicklungen hingewiesen: Der wohl bedeutendste Meilenstein liegt in der 1965 veröffentlichten „Erklärung zum Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ (Nostra aetate) des Zweiten Vatikanischen Konzils2. In diesem Basistext wird in bahnbrechend neuer Weise über das Judentum gedacht und gesprochen. Der offene Geist dieses für die gesamte katholische Kirche verbindlichen Textes wird von vielen, aber längst nicht allen späteren lehramtlichen Äußerungen erreicht; daher wird diese Erklärung noch längere Zeit als richtungsweisender Maßstab von Bedeutung sein. Das zweite auffällige Ereignis liegt im liturgischen Bereich: Hatte bislang die katholische Kirche in ihren Fürbitten am Karfreitag regelmäßig pro perfidis Judaeis („für die treulosen Juden“) gebetet, so wurde dieser Text 1970 folgendermaßen geändert: Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott unser Herr zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.3
Welche Wegstrecken an Bewusstseinsentwicklung bis zu dieser Formulierung zurückzulegen waren, lässt sich erahnen. Das dritte Zeichen besteht in der von Papst Johannes Paul II. veranlassten Vergebungsbitte, die er in ganz spezifischer Form am 26. März 2000 an der West-
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mauer in Jerusalem vorgetragen hat4. Wenn auch Kritiker in diesem Text sowie in den vorbereitenden Dokumenten zu Recht bedauern, dass im Wortlaut nicht von einer Schuld der Kirche, sondern nur von der einzelner Christen die Rede ist, so dürfen dennoch die Tragweite dieses Schrittes sowie seine überaus positive Aufnahme seitens der Adressaten nicht unterschätzt werden. Kirchenamtliche Äußerungen sind eingebettet in die Reflexion der Theologen über die Kernfragen der thematisierten Beziehung: den Bund Gottes mit seinem Volk, Jesus als Messias und Gottessohn, seine universale Heilsbedeutung. Im Prozess dieser Besinnung und Begegnung entdeckt die Kirche neu, dass der – im Gegensatz zu der skizzierten Enterbungstheorie – niemals gekündigte Bund Gottes mit Israel für ihre eigene, christliche Identität tiefste Bedeutung hat. Sie denkt darüber nach, was es bedeutet, dass nach ihrem Bekenntnis Gott nicht nur abstrakt ein Mensch, sondern konkret ein Jude geworden ist. Jüdische Einwände gegen die Messianität und die Gottessohnschaft Jesu werden von seriöser Theologie nicht mehr triumphalistisch als objektiv defizitäre Irrmeinungen herabgewürdigt, sondern als Anfragen an die noch ausstehende Dimension der Erlösung ernst genommen. In diesem Sinne kann die gesamte Frage, wie der gegenwärtige Katholizismus das Judentum sieht, dahingehend beantwortet werden, dass das Judentum für die katholische Kirche heute nicht weniger als einen unverzichtbaren Partner darstellt. Vorläufer der Endzeit oder Anbeter des alleinigen Gottes? Der Blick auf den Islam Die christliche Wahrnehmung des Islams ist bis weit in das 20. Jahrhundert hinein durch Stereotype gekennzeichnet: Der Islam ist eine falsche Religion, Mohammed ein falscher Prophet und der Koran eine falsche Schrift. Angesichts des christlichen Anspruchs, die endgültige Offenbarung zu ‚besitzen‘, muss sich eine nachchristliche Religion fast notwendigerweise einer angemessenen theologischen Verarbeitung entziehen. Dies gelingt katholischerseits erst auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965). Auf diese ‚Kopernikanische Wende’ ist im zweiten Abschnitt einzugehen. Der erste Abschnitt soll zunächst einen groben Überblick über die davor liegende ‚Geschichte des Blicks‘ auf den Islam geben. Den Abschluss bildet in einem dritten Abschnitt ein Blick auf nachkonziliare Entwicklungen. Die Wahrnehmung des Islams im Mittelalter Die ersten Versuche des lateinischen Christentums, den Islam theologisch ‚einordnen‘ zu können, sind biblisch inspiriert. Zunächst wird die scharfe Trennung zwischen dem Christentum und den „Sarazenen“ dadurch gemildert, dass man sie als Söhne Hagars, einer der beiden Frauen Abrahams, betrachtet. So sind sie
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etwa bei Beda Venerabilis (672–735) in das damals maßgebliche Weltbild integriert. Daneben tritt schon früh im Spanien des 9. Jahrhunderts eine apokalyptische Interpretation: die Sarazenen als Vorläufer des endzeitlichen Antichrist. Ab der Zeit der Kreuzzüge (1096) entsteht im christlichen Westen nach und nach ein konturiertes Islam-Bild, das allerdings nur in Ausnahmen der Realität nahekommt; insbesondere das volkstümliche Bild etwa vom Propheten lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen: „Man kann ruhig über jemanden schlecht reden, dessen Bosheit alles übertrifft, was an Schlechtem geredet werden kann.“5 Mitte des 12. Jahrhunderts setzt eine zunehmend rationale Auseinandersetzung mit dem Islam ein. Der Abt von Cluny, Petrus Venerabilis (1094–1156), lässt auf eigene Kosten durch den englischen Gelehrten Robert von Ketton die erste und über Jahrhunderte maßgebliche lateinische Übersetzung des Korans anfertigen, und zwar, um durch das Aufdecken der Schwächen ihres heiligen Buches die Muslime bekehren zu können. Obwohl ihm der Islam als „Senkgrube aller Häresien“ gilt, kann er sagen: „Ich greife euch nicht, wie einige von uns es oft tun, mit Waffen an, sondern mit Worten; nicht mit Gewalt, sondern mit der Vernunft; nicht im Hass, sondern in Liebe.“6 Die rationalen, ‚wissenschaftlichen‘ Ansätze des Umgangs mit dem Islam im 12. Jahrhundert bleiben weitgehend wirkungslos. Mit dem Ziel eines friedlichen Wettstreits der Religionen inszenieren Gelehrte wie Raimundus Lullus (1232– 1316) und Nikolaus von Kues (1401–1464) im Medium der Literatur fiktive Religionsgespräche; reale Religionsgespräche in größerem Stil finden, anders als im christlichen Osten, in Westeuropa nicht statt. Der auf Mallorca geborene Raimundus Lullus entwirft in seinem Werk Vom Heiden und den drei Weisen ein philosophisches Streitgespräch zwischen den Religionen Christentum, Judentum und Islam, das zur Eintracht (concordantia) führen soll. Visionär lässt er einen der drei Weisen sagen: „Ach Gott! Welch ein hohes Gut wäre es doch, wenn wir uns […] in einem einzigen Gesetz und einem einzigen Glauben zusammenfinden könnten!“7 Nikolaus von Kues zielt über die Eintracht hinaus auf eine Einheit der Religionen. Auf einem Konzil, wie es ihm vorschwebt, gelte es die Übereinstimmung der Religionen in ihrem Wesenskern aufzuweisen. Diesem Vorhaben dient auch seine „Sichtung des Korans“ – eine Deutung des Korans vom Evangelium her, näherhin ein ‚Durchsieben‘ des Korans auf seinen biblischen Gehalt hin. In schroffem Gegensatz zu den – zumindest – verständnisorientierten Bemühungen der angeführten Gelehrten steht das Islam-Bild in Katechismen von der gegenreformatorischen Zeit an, die allerdings den Mainstream der Theologie spiegeln. Neues Licht auf den Islam fällt im Zuge der Aufklärung und besonders dann durch die sich im 19./20. Jahrhundert entwickelnden Wissenschaften wie Religionswissenschaft, Orientalistik, Arabistik; sie ebnen den Weg zu einem adäquateren Islamverständnis und führen schließlich auch in der Kirche zu einer Revision des Jahrhunderte prägenden Bildes.
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Das Zweite Vatikanische Konzil Einen ‚Neuanfang‘ seitens der höchsten Lehrautorität der Kirche stellen die Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils dar, welches in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche (Lumen gentium/LG) in Artikel 16 und in der Erklärung über die Beziehungen der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate/NA) in Artikel 3 explizit auf den Glauben der Muslime zu sprechen kommt. In LG 16 heißt es: Diejenigen endlich, die das Evangelium noch nicht empfangen haben, sind auf das Gottesvolk auf verschiedene Weise hingeordnet. […] Der Heilswille umfasst […] auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.
Zunächst ist hier das ‚inklusive’ Modell der Hinordnung der Religionen auf das Gottesvolk thematisiert. Am nächsten stehen die Juden, gefolgt von den Muslimen und schließlich den übrigen religiösen bzw. suchenden Menschen. Sie alle können „das ewige Heil erlangen“ – auch ohne explizites Bekenntnis zu Jesus Christus. Im Hinblick auf den Islam werden fünf wesentliche Übereinstimmungen im Glauben genannt: die Anerkennung des Schöpfers, das Bekenntnis zum Glauben Abrahams, die gemeinsame Anbetung des einen Gottes, die Barmherzigkeit Gottes sowie die Erwartung des Gerichtes am Jüngsten Tag. Nach Ansicht des Konzils sollten diese Gemeinsamkeiten unstrittig sein und als Basis dafür dienen können, was das Konzil in NA 3 wünscht: Da es jedoch im Laufe der Geschichte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslimen kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.
Die folgenden Ausführungen aus NA 3 zeigen in ihrer recht behutsamen wie kenntnisreichen Art der Darstellung des Glaubens der Muslime, dass man um eine wertschätzende Haltung bemüht ist: Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die mit uns den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle
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Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten.
Die gemeinsame Anbetung des einen bzw. alleinigen Gottes weist wie schon in LG 16 auf die strikt theozentrische Perspektive des Konzils hin. Eine Anspielung auf den für muslimischen Glauben hochbedeutsamen „Thronvers“ (Vers 255 der zweiten Sure) liegt vor, wo Gott als „lebendig“, „in sich seiend“ und „allmächtig“ beschrieben wird. „Der zu den Menschen gesprochen hat“ spricht vorsichtig das brisante Thema der Offenbarung an und scheint den Islam als eine Religion göttlichen Ursprungs zu charakterisieren. Dass Muslime „seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen (mühen)“ ist eine treffende Umschreibung der Wortbedeutung von Islam. Ein Nebensatz („Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen“) thematisiert vorsichtig die zentrale Differenz. Die Verehrung Gottes „besonders durch Gebet, Almosen und Fasten“ greift drei der „fünf Säulen des Islam“ auf. Schließlich kann auch das Bemühen der Muslime um eine sittliche Lebensführung gewürdigt werden. Kritisch betrachtet werden kann die ‚Leistungsfähigkeit‘ der Konzilstexte. Der Islam wird ausschließlich selbstreferenziell wahrgenommen: Was an ‚Eigenem‘ beim ‚anderen‘ da ist, wird gewürdigt; was ‚den Islam zum Islam macht‘, bleibt in der Darstellung ausgespart. Ganz grundsätzlich ist zunächst einmal nicht ausdrücklich vom Islam die Rede, sondern von den Muslimen bzw. vom islamischen Glauben. Die darin liegende Abstrahierung von der Religion des Islam als sozial verfasster, von Gott zur Überwindung aller Spaltungen gestifteten Gemeinschaft (umma), die einen integralen wie universalen Letztgültigkeits- und mithin Geltungsanspruch für die ‚eigene’, das Christentum ‚überholende‘ Offenbarung reklamiert, schlägt bei mehreren Einzelthemen durch: Die Sharia, das islamische Gesetz, bleibt unerwähnt; desgleichen die Wallfahrt mit ihrem – in symbolischer Abgrenzung nicht zuletzt gegenüber den Christen gewählten – Zentrum Mekka als eindrucksvolle Manifestation der weltweiten umma sowie der zweite Teil des Glaubensbekenntnisses des Islam („… und Mohammed ist sein Prophet“); es fehlt jede Bezugnahme auf den Propheten sowie auf die fundamentale Glaubensurkunde, den Koran. Dies relativiert die oben zitierte Rede von Gott, „der zu den Menschen gesprochen hat“, dahingehend, dass die Gültigkeit der Offenbarung Gottes im Islam in Frage steht. Nach dem Konzil Die Aussagen des Konzils werden in päpstlichen Stellungnahmen vertieft. Schon während des Konzils wird unter Papst Paul VI. 1964 das Sekretariat für die Nichtchristen (seit 1989: Päpstlicher Rat für den interreligiösen Dialog) eingerichtet. Damit wird der offizielle Dialog institutionalisiert und die theologische For-
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schung forciert. Die durch das Sekretariat 1969 veröffentlichten Richtlinien für den Dialog mit Muslimen werden später in einem weiterführenden Dokument aufgegriffen und 1985 in deutscher Übersetzung zugänglich.8 Erstmals nimmt hier ein offizielles katholisches Dokument ausdrücklich zur Person Mohammeds Stellung, der als „großes literarisches, politisches und religiöses Genie“ mit „gewisse(n) prophetische(n) Besonderheiten“ (79) beschrieben wird; der Koran habe „teil am Inhalt der biblischen Botschaft des Alten, ja sogar des Neuen Testaments“ (66); insgesamt sei der Islam einer der „zahlreichen und großen Versuche einer Suche nach Gott“ und als solcher als „Vorbereitung zur geistigen Annahme des Gottes Abrahams, Mose und Jesu“ (89) zu qualifizieren. Papst Johannes Paul II. kann 1985 anlässlich der Eröffnung eines katholisch-islamischen Symposions in Rom sagen: „Euer und unser Gott ist ein und derselbe und wir sind Brüder und Schwestern im Glauben Abrahams“9; im selben Jahr spricht er vor muslimischen Repräsentanten in Belgien vom gemeinsamen Streben der Christen und Muslime, „Gottes Willen entsprechend den Aussagen unserer jeweiligen Heiligen Schriften zu erfüllen“10; wiederholt ruft dieser Papst die Muslime zum gemeinsamen Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden sowie zum gemeinsamen Kampf gegen den Geist des Materialismus auf; inständig mahnt er zum gemeinsamen Dialog. Dass bei den wiederholt herausgestellten Gemeinsamkeiten die Unterschiede respektvoll anzuerkennen sind, bringt das abschließende Zitat aus einer Rede Johannes Pauls II. 1985 vor Zehntausenden muslimischen Jugendlichen in Casablanca/Marokko zum Ausdruck: Ich glaube, dass wir, Christen und Muslime, mit Freude die religiösen Werte, die wir gemeinsam haben, anerkennen und Gott dafür danken sollten. […] Die Loyalität verlangt aber auch, dass wir unsere Unterschiede erkennen und respektieren […].11
Ansammlung von Aberglauben oder bewundernswerte Askese? Der Blick auf den Hinduismus Bis zur Öffnung des Seewegs nach Indien am Ende des 15. Jahrhunderts haben Indien und der Hinduismus in der europäischen Vorstellung nur schattenhafte Züge. Die christliche Antike übernimmt das Indienbild der griechisch-römischen Bildungstradition, das bestimmt ist von fünf Motiven: den indischen Yogis und Brahmanen, der Witwenverbrennung, der sozialen Schichtung (später als „Kastensystem“ verstanden), den Schätzen Indiens sowie Wunder- und Fabelwesen wie die hundeköpfigen Menschen und Kopflose oder merkwürdige Tiere wie die goldproduzierenden Ameisen. Yogis und Brahmanen werden von den griechisch-antiken Autoren vor allem im Rahmen der Diskussion über die Ursprünge der Philosophie angeführt. Im Mittelalter ist Europa von Indien durch die islamische Welt abgeschnitten, ein direkter Kontakt ist über Jahrhunderte fast vollständig unterbunden. Die
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Stereotype von Indien und seinen Religionen verfestigen sich, vor allem die Legenden von indischen Fabelvölkern. Die europäischen Reiseberichte des Mittelalters unterstreichen den Reichtum Indiens; gleichzeitig wird seine religiöse Unterlegenheit betont. Typisch für die Sichtweise des Spätmittelalters ist der Bericht des franziskanischen Missionars Odorico de Pordenone (gest. 1331),12 der zwischen 1318 und 1330 nach Asien reiste. Er berichtet von der Witwenverbrennung, ebenso von den hundeköpfigen Bewohnern der Nikobaren, von Kannibalen auf den Andamanen, sowie von der Verehrung eines Götzen, der halb Mensch, halb Ochse ist und das Blut von vierzig Jungfrauen verlangt. Es sind jene sensationellen (Medien-)Bilder von Indien, die das europäische Publikum dieser Zeit erwartet. Ab der Wiedereröffnung des Seewegs nach Indien durch Vasco da Gama 1497/98 vermehren sich zwar die Kontakte mit der Region, aber nicht zugleich die Kenntnisse über die hinduistischen Religionen. Nachdem Vasco da Gama 1498 in Calicut (Südindien) gelandet ist, kann er die Hindus nicht wahrnehmen: Er glaubt, dass die Bewohner Christen seien. „Wir suchen Christen und Gewürze“13 – dieses Ziel der Expedition bestimmt die Wahrnehmung. Die Haarzipfel der Brahmanen werden als Erkennungszeichen der Christen interpretiert, hinduistische Tempel als christliche Kirchen, die dämonentötende Göttin Durga als Jungfrau Maria. Die Europäer des 16. Jahrhunderts glauben, dass die Hindus zu einer frühen Form des Christentums gehören, das sie unter dem Druck des Islams entweder verändern oder aufgeben mussten. Erst im Lauf der Jesuitenmission ab Mitte des 16. Jahrhunderts wird langsam versucht, die einheimischen Sprachen zu lernen und die Hindu-Religionen zu verstehen – um besser missionieren zu können. Zu dieser Zeit dominiert die traditionelle christliche Sicht der „Heiden“ und ihrer Rituale: Sie sind nichts als Götzen- und „Teufelsdienst“ – so der heilige Francisco de Xavier (1506–1552), der apostolische Nuntius in Indien, über die religiöse Praxis der Hindus (vgl. S. 121 f.). Über die Brahmanen sagt er: Diese Heidenpriester betreuen die Götzentempel. Sie sind die abgefeimtesten Schurken der Welt. […] Diese Brahmanen haben nur eine Scheinbildung, aber was ihnen an Bildung mangelt, das ersetzen sie durch Schlauheit und Tücke.14
Bei der Verfolgung der hinduistischen Traditionen arbeiten die Missionare Hand in Hand mit der portugiesischen Administration in Südindien. Ab 1541, dem Jahr der Ankunft portugiesischer Jesuiten in Indien, kommt es zur Zerstörung von Tempeln in Goa. Eine andere Form des Kampfes gegen den Hinduismus bildet das königliche Gesetz ab 1559 für das portugiesische Gebiet, dass Waisenkinder dem Kolleg S. Paulo in Goa zur Taufe und christlichen Erziehung zu übergeben seien. Aus den Briefen der Jesuitenmissionare im 16. Jahrhundert zeigt sich, dass sie keinen Zugang zu hinduistischen Lehren bekommen – einerseits wegen der
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Sprachprobleme, andererseits wegen der unzuverlässigen Informationen, die sie von den Konvertiten, den zum Christentum übergetretenen Hindus, erhalten. Aus den Jesuitenbriefen ist die Spannung ersichtlich, die sich zwischen der Erfahrung der Religiosität der Hindus, der Großartigkeit ihrer Tempel und der Überzeugung der Missionare, es handle sich um nichts als Aberglauben und Teufelswerk, bildet. Der Missionar Luis Fróis schreibt 1558 aus Goa: Manchmal verbringen wir unsere Zeit, indem wir Späße machen über ihre Götter, ihre Essens- und Trinkgewohnheiten, und über die Irrtümer in ihrer Religion, so dass wir weniger angezogen werden von ihnen.15
Der jesuitische Humanist Giovanni Maffei bewundert die Hindutempel, „die sich an Prächtigkeit mit den feinsten [Bauten] des alten Rom messen können“, zugleich verurteilt er die hinduistischen Lehren als Ansammlung von Aberglauben und Fabeln. Die architektonische Kunstfertigkeit der Hindutempel wird so erklärt, dass sie von Alexander dem Großen oder von den Römern geschaffen worden seien.16 Bei einigen Jesuiten geht die Verachtung für die Brahmanen einher mit Bewunderung für die Askese und Spiritualität der Yogis; der flämische Priester Barzaeus schlägt vor, dass sich die Missionare wie sie kleiden und mit ihnen leben sollen.17 Von Beginn an sind die Christen von der Dreiheit der hinduistischen Hauptgötter Brahma, Vishnu, Shiva fasziniert und provoziert. Dieses Phänomen wird verschieden interpretiert: Der portugiesische Gouverneur Alfonso de Albuquerque, der 1510 Goa erobert, stellt fest, dass die Brahmanen „ein Wissen von der Trinität besitzen, wodurch erscheint, dass sie ursprünglich Christen waren“18. Fróis zieht den Schluss, „dass sie nur deshalb von drei Personen sprechen, weil sie es von den Christen gelernt haben“.19 Der Missionar Diego Gonçales nennt die drei Götter eine „monströse Dreiheit“; sie weisen nur einen „Schein oder Schatten der heiligsten Dreifaltigkeit auf, nicht einen wirklichen, sondern nachgemachten und nachgeäfften“20. Durch die Entwicklung einer wissenschaftlichen Indienforschung ab dem Ende des 18. Jahrhunderts, verbesserte Sprachkenntnisse, durch die Sammlung von Manuskripten und die Übersetzung hinduistischer Schriften in europäische Sprachen – die Bhagavadgita in der Übersetzung von Charles Wilkins erscheint 1785 – kommt es ab dem 18. Jahrhundert zu einer stärkeren Differenzierung des Hinduismus-Bildes. Dazu treten die hinduistischen Reformbewegungen ab den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts, u. a. gegen soziale Phänomene wie die Witwenverbrennung, das Kastenwesen und die Kinderehe. Es wird nun schwieriger, den Hinduismus im Ganzen als „Teufelsverehrung“ und als amoralische Verirrung zu verdammen. Eine vorsichtige Öffnung der katholischen Theologie zeigt sich exemplarisch in einem Werk wie Im Kampfe mit der Zauberwelt des Hinduismus (1928) des Jesuiten
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Alfons Väth (1874–1937). Nach der Darstellung der Volksreligion und der philosophischen Systeme des Hinduismus zieht Väth das Fazit: Es gibt wohl keine andere so entartete, verwilderte, lüsterne Religion wie den Hinduismus, die Religion eines der begabtesten Völker der Erde. Und doch! Durch all den Wirrwarr, auch durch die abscheulichsten Verirrungen zieht sich wie ein goldener Faden der Glaube an eine geistige Macht, die alles durchdringt und belebt […]. So ist der Hinduismus auch die geistigste aller Heidenreligionen.21
Die aus europäischer Sicht hochstehenden Elemente in der „Heidenreligion“ zu erklären, bildete schon immer ein Problem für die Christen. Väth interpretiert sie so: Was im Christentum als Wahrheit voll erschlossen sei, habe „der Hindugeist dunkel geahnt“ und entsprechende religiöse Formen entwickelt. Tatsächlich enthielten aber die christlichen Begriffe von Gott, Seele, Sünde die volle Wahrheit, während die hinduistischen „mit Irrtum gemischt“ seien. Auch die Schriften des Benediktiners und Missionswissenschaftlers Thomas Ohm (1892–1962) schwanken zwischen Bewunderung und Ablehnung. Er plädiert in Indien und Gott (1932) zwar für eine gerechte Beurteilung des Hinduismus, sagt aber im gleichen Atemzug, dass der Hinduismus Indien nicht zu Gott führen konnte: Und ich glaube, man kann alles Wahre und Schöne am Hinduismus ruhig anerkennen. Denn es ist und bleibt auch dann noch möglich, die Einzigartigkeit des Christentums und die Unzulänglichkeit des Hinduismus überzeugend nachzuweisen. […] Wir meinen wohl, die tiefen Schattenseiten des Hinduismus müssten seine Anhänger überzeugen, dass er nicht von Gott ist.22
Einen gewissen Schritt hin zu einer neuen Haltung des Christentums zu den Hindu-Traditionen bedeuten die Ansätze einer „Erfüllungstheologie“, ursprünglich auf der Seite des liberalen Protestantismus von dem schottischen Missionar John Nicol Farquhar (The Crown of Hinduism, 1913) entwickelt, zwanzig Jahre später auf katholischer Seite aufgenommen von dem belgischen Missionar Pierre Johanns (Vers le Christ par le Vedanta, 1932/33). Hier werden die verschiedenen Religionen als eine Abfolge zum Höherstehenden betrachtet; danach gilt der Hinduismus als Vorstufe zum Christentum – nur in Christus könnten die tiefsten Sehnsüchte, die sich in der hinduistischen Geschichte gezeigt haben, erfüllt werden. Gleichzeitig mit der Erfüllungstheologie wird ein anderer, offenerer religionstheologischer Zugang entwickelt, der von der lebendigen Präsenz Christi in den anderen Religionen ausgeht (Karl Rahner: „Anonymes Christentum“). Raimon Panikkar wendet diesen Zugang auf die Hindu-Religionen an (The Unknown Christ of Hinduism, 1964): Im Hinduismus sei das Geheimnis Christi auf verborgene Weise präsent; Christentum und Hinduismus seien Fragmente der „einen, einzigen Religion“.
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Der Hinduismus ist Ausgangspunkt einer Religion, die im Christentum ihren Höhepunkt erreicht. […] Der Hinduismus ist eine Art Christentum in Potenz, denn er trägt schon den christlichen Samen in sich, das Verlangen nach der Fülle nämlich, und diese Fülle ist Christus.23
Fünfzehn Jahre später wird Panikkar eine Neufassung des Buches vorlegen, in der er sich vom christlichen Überlegenheitsanspruch gegenüber dem Hinduismus ausdrücklich löst. „Christus“ ist für ihn nicht beschränkt auf den historischen Jesus, sondern ein Symbol der Welt, Gott und Mensch umgreifenden Wirklichkeit, des einen, unteilbaren Geheimnisses, das auch andere Namen wie Rama, Krishna etc. haben könne.24 Mit dem Ende des Kolonialismus bricht im kirchlichen Lehramt ein Bewusstseinswandel im Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen durch. So sagt Papst Paul VI. vor Repräsentanten der Religionen in Bombay am 3. Dezember 1964: Ihr seid ein Land alter Kultur, die Wiege großer Religionen, die Heimat einer Nation, die Gott mit schonungsloser Sehnsucht gesucht hat, in tiefer Meditation und Stille, und in Hymnen inbrünstigen Gebets. […] Wir müssen deshalb enger zusammenkommen, nicht nur durch die Mittel der modernen Kommunikation, durch Presse und Radio, durch Dampfschiffe und Flugzeuge – wir müssen zusammenkommen mit unseren Herzen, in gegenseitigem Verständnis, Achtung und Liebe.25
Die Konzilserklärung Nostra aetate (1965) sagt zum Hinduismus: So erforschen im Hinduismus die Menschen das göttliche Geheimnis und bringen es in einem unerschöpflichen Reichtum von Mythen und in tiefdringenden philosophischen Versuchen zum Ausdruck und suchen durch aszetische Lebensformen oder tiefe Meditation oder liebend-vertrauende Zuflucht zu Gott Befreiung von der Enge und Beschränktheit unserer Lage. (Artikel 2)
Das Zweite Vatikanische Konzil drückt hier zwar den Respekt vor den hinduistischen Traditionen aus, gelangt aber nicht zu einer theologischen Qualifizierung des Hinduismus, den es in der Konstitution Lumen Gentium Nr. 16 nur unter jene Religionen subsumiert, die „in Schatten und Bildern den verborgenen Gott suchen“. Damit bleibt das Konzil hinter den Ergebnissen des tatsächlichen religiösen Dialogs zurück, der zur gleichen Zeit in Indien von den Benediktinern Henri Le Saux, Dominique van Rollenghem, Bede Griffiths und anderen gelebt wird. Sie kommen als Missionare nach Indien, aber je länger sie unter den Hindus leben, desto mehr wächst die Überzeugung, dass sie es sind, die von der hinduistischen Spiritualität und Theologie lernen können. Bereits 1954 schreibt Le Saux in sein Tagebuch:
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Hindu advaita [Nichtdualität] muss das Christentum integrieren, und das Christentum muss advaita integrieren. Beide verneinen den anderen, und dennoch wartet jede von ihnen auf den anderen, ist jede schwanger mit der anderen. […] Christentum, Hinduismus, Buddhismus etc. sind weder parallele Wege noch sind sie länger eine Reihe von Stufen zur Wahrheit, mit dem Christentum als endgültiger Stufe. Jede von ihnen ist darśana [Schau] des Jenseitigen. Jede ‚wahr‘ auf ihre eigene Weise, nicht überlappend, dennoch einander rufend in geheimnisvollen ‚Korrespondenzen‘. 26
Auf der Ebene des theologischen Dialogs repräsentiert die „Komparative Theologie“ ein Ernstnehmen der hinduistischen Theologien auf gleicher Augenhöhe; einer der führenden Vertreter dieses Ansatzes ist Francis X. Clooney (Hindu God, Christian God, 2001). Parallel mit diesen Aufbrüchen zu einer Anerkennung der theologischen und spirituellen Richtungen der Hindu-Religionen finden sich nach wie vor die alten Muster: mangelnde Kenntnis wird in Abwertung übersetzt. Die Denkmuster der Erfüllungstheologie leben weiter, wenn z. B. die christliche Mystik als höhere Form schroff von hinduistischer Mystik abgegrenzt wird. Stereotype, die sozialkulturelle Phänomene wie Witwenverbrennung und Kaste als essenziellen Bestandteil der Hindu-Religionen auffassen, erweisen sich als langlebig, wie sich am Artikel „Hinduism“ in der New Catholic Encyclopedia (2003) zeigt: Die Verwurzelung des Hinduismus in Mythologie kann leicht zu einem unwürdigen Konzept der göttlichen Natur und zu praktischem Polytheismus führen. Auch das Kastensystem mit seinem Konzept der Unberührbarkeit, Kinderehe und Polygamie, der Bilderkult, der leicht zu Idolatrie führt, und solche Bräuche wie die rituelle Prostitution und die Witwenverbrennung (satī) haben in der Praxis oft zu einem Niedergang geführt.27
Es scheint, dass es sich bei den Bildern des Hinduismus innerhalb des katholischen Christentums um ein hartnäckiges mentalitätsgeschichtliches Phänomen handelt, das sich nur langsam ändert. Stereotype des religiös anderen befriedigen nach wie vor wichtige Bedürfnisse: nach kognitiver Entlastung durch Vereinfachung, nach Aufwertung der eigenen personalen und kollektiven Identität durch ein negativ konturiertes Gegenüber und im Fall der Religionen als Legitimierung des jeweiligen Anspruchs, die „einzig wahre Religion“ zu sein. „Apersonale“ Alternative oder Dialogpartner christlicher Spiritualität? Der Blick auf den Buddhismus Die Beantwortung der Frage, wie der Katholizismus den Buddhismus sieht, setzt konfessionell die römisch-katholische Kirche, wie sie sich seit der Reformation als eigene Konfession von anderen christlichen Konfessionen unterscheidet,28 voraus. Bei allen christlichen Kirchen ist freilich auch auf die Gesamtgeschichte
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des Christentums Bezug zu nehmen, angefangen von den ersten Jahrhunderten. Deshalb soll auch hier kurz auf diese früheren Epochen verwiesen werden. Die älteste Nennung Buddhas in einem griechischen Text findet sich bei dem Kirchenschriftsteller Klemens von Alexandrien (ca. 150–215). In Stromateis („Teppiche“) I 71, 3–6 heißt es: Demnach war die Philosophie ein überaus wertvolles Gut […] In ihre Obhut nahmen sie […] bei den Baktrern die Samanäer […], bei den Indern die Gymnosophisten […] Von ihnen gibt es zwei verschiedene Zweige; die einen heißen Sarmanen, die anderen Brahmanen […] Zu den Indern gehören die Anhänger der Lehre des Buddha, den sie wegen seiner alles überragenden Heiligkeit wie einen Gott geehrt haben.29
Die hier genannten Sarmanen sind die indischen Shramanas (Asketen). Wichtig ist die positive Würdigung, die Buddha in diesem Text erfährt. Ein weiterer Aspekt ist die Nennung der Baktrer, die für die Übermittlung buddhistischer Kenntnisse eine große Rolle spielten, wenngleich die Rückführung des christlichen Mönchtums auf das buddhistische heute in Frage gestellt wird.30 Eine weitere wichtige Station in der Begegnung zwischen Christentum und Buddhismus war durch die Nestorianer-Mission in China gegeben. Alopen, ein nestorianischer Wandermönch, war 635 von Mesopotamien aus zu einer Missionsreise nach China aufgebrochen. Die bekannte Stele von Sian-Fu aus dem Jahr 751 bezeugt dies.31 Die christliche Begegnung mit dem Buddhismus vollzog sich auch in der Neuzeit insbesondere auf missionarische Weise. Da ist zunächst die Jesuiten-Mission in China zu nennen; Matteo Ricci (1552–1610) und seine Gefährten passten sich anfangs stark an die neue Umgebung an: „Sie kleideten sich wie buddhistische Mönche, bezeichneten sich selbst mit dem Wort für buddhistische Mönche (seng) und ließen sich in buddhistischen Klöstern oder in deren Nähe nieder.“32 Später wendete sich Ricci dem Konfuzianismus zu. Es kam auch zu christlich-buddhistischen Debatten. Ricci sah „den wesentlichen Gegensatz beider Religionen darin, dass die Buddhisten (und Konfuzianer) den Wesensunterschied von Gott und Mensch verwischen würden, sich selbst mit dem Höchsten Wesen identifizieren wollten“33. Eine Differenz wurde auch in der Frage des Tötens von Tieren deutlich.34 Etwa zur gleichen Zeit begann die christliche Missionierung durch Jesuiten in Japan; vor allem ist hier die Tätigkeit Franz Xavers (1506–1552) zu nennen, die zu raschen Erfolgen führte. Die folgende Zeit war geprägt durch die Vermischung der Missionstätigkeit mit kolonialistischen Interessen, was zu großen Spannungen, zu Verfolgungen und schließlich zum Verbot des Christentums in Japan führte.35 Eine neue Situation brachte die Öffnung zum Westen hin; im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts kam es zu christlich-buddhistischen Gesprächen. Die Dialogsituation in Japan am Ende des 19. Jahrhunderts kann von christlicher Seite in folgenden Fragen zusammengefasst werden: Die Frage, ob es mög-
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lich ist, in einem „nicht-moralischen und impersonalen Universum“ zu leben; wie man ohne einen „wohlwollenden Schöpfer“ glücklich sein könne, und wie der Glaube an Vor- und Wiedergeburten zu verstehen sei, warum es Fixierung auf Leiden anstatt auf Sünde gebe.36 Das 19. Jahrhundert führte auch in anderen Ländern (wie in Sri Lanka) zu einer Reihe von Disputen, in denen das Christentum angefragt war. Zu einem Dialog im heutigen Sinn ist es aber nicht gekommen, auch nicht zu einer umfassenden Wahrnehmung der anderen Religion – insbesondere wurde der Aspekt der Meditation nicht in seiner Bedeutung erfasst. Das Zweite Vatikanische Konzil Zu einem wesentlichen Wandel in der Würdigung der Religion des Buddhismus vonseiten des Katholizismus kam es erst auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Obwohl der einschlägige Text in der Erklärung Nostra aetate nur sehr kurz über den Buddhismus (Artikel 2) spricht, erfasst er doch wichtige Aspekte: In den verschiedenen Formen des Buddhismus wird das radikale Ungenügen der veränderlichen Welt anerkannt und ein Weg gelehrt, auf dem die Menschen mit frommem und vertrauendem Sinn entweder den Zustand vollkommener Befreiung zu erreichen oder – sei es durch eigene Bemühung, sei es vermittels höherer Hilfe – zur höchsten Erleuchtung zu gelangen mögen.37
Es wird also zuerst auf die Grundlehre vom Leiden Bezug genommen, das mit dem „radikalen Ungenügen der veränderlichen Welt“ umschrieben wird; im Buddhismus entsprechen dieser Charakterisierung am ehesten die Merkmale Vergänglichkeit (anicca) und Leid (dukkha).38 Allgemein wird von einem „Weg“ gesprochen, dessen Ziel auf zwei Weisen erreicht werden kann: nämlich einerseits als „Zustand vollkommener Befreiung“ und andererseits als „höchste Erleuchtung“ – hierin können die beiden Hauptrichtungen des Buddhismus erkannt werden, nämlich Theravada- und Mahayana-Buddhismus; bei der Letzteren wird eine weitere Differenzierung vorgenommen, die den Wegen des Zen- (jiriki: mit eigener Kraft) bzw. des Amida-Buddhismus (tariki: mit fremder Kraft) entspricht.39 Im Anschluss an den konziliaren Neuaufbruch kam es zu vielen Begegnungen zwischen Buddhismus und katholischem Christentum. Wichtig war die Rezeption buddhistischer Meditationsformen, insbesondere Zen, bei der Heinrich Dumoulin (1905–1995) und Hugo M. Enomiya-Lassalle (1898–1990) wegweisend waren. Der positive Beitrag dieser buddhistischen Meditationsform für christliche Spiritualität wird gewürdigt und aufgenommen. Viele Laienkreise, aber auch Klostergemeinschaften übernahmen diese Form der Meditation in ihr christliches spirituelles Leben. Eine weitere Ebene der Begegnung war die theologische Auseinandersetzung und insbesondere auch der Dialog mit der Kyoto-Schule.
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Ein zentraler Gedanke, der hier als eine Basis für die Begegnung betrachtet wurde, war die paulinische Aussage von der Kenosis, von der Selbstentäußerung Christi, der Knechtsgestalt angenommen hat (vgl. Phil. 2, 5 ff.) – diese wird in Parallele zur buddhistischen „Leere“ gesehen. Westliche Theologen wie auch buddhistische Philosophen der Kyoto-Schule haben Gemeinsamkeiten zwischen christlicher Mystik und buddhistischer Erfahrung des Nichts herausgestellt, wie es z. B. Shizuteru Ueda im Hinblick auf Meister Eckehart getan hat. Das katholische Lehramt sah und sieht noch immer auch die Gefahren der interreligiösen Begegnung, die sich besonders im Gespräch mit den östlichen Religionen, speziell mit dem Buddhismus zeigen würden. Schon im Anschluss an das Friedenstreffen in Assisi (1986) gab es vor allem vonseiten verschiedener, großteils konservativer katholischer Kreise Kritik an möglichen negativen Auswirkungen dieses „Modells“40. Eine weitere Gefahr, die aus der Sicht des Vatikans auf jeden Fall vermieden werden sollte und gegen die sich der damalige Kardinal Ratzinger, der jetzige Papst Benedikt XVI., als Vorsitzender der Glaubenskongregation entschieden ausgesprochen hat, wird in Relativismus und Synkretismus gesehen. Diese wurden vor allem in der unkritischen Rezeption östlicher Meditationsformen gesehen. Partiell offener für solche Meditationsmethoden ist die römische Verlautbarung über einige Aspekte der christlichen Meditation, die ebenfalls von Kardinal Ratzinger unterzeichnet ist. Unter den „östlichen Methoden“ werden „Zen“, „transzendentale Meditation“ und Yoga verstanden, die sich von Hinduismus und Buddhismus inspirieren lassen41. In deutlichem Unterschied zum buddhistischen Verständnis von sunyata (Leerheit) soll aus christlicher Sicht das „Entleeren“ des Geistes so verstanden werden, dass „eine liebevolle Aufmerksamkeit für Gott bleiben soll, so dass im Beten eine Leere ist, die dann vom göttlichen Reichtum ausgefüllt werden kann. Die Leere, die Gott braucht, ist jene des Entsagens gegenüber dem eigenen Egoismus […]“ (Nr. 19). Es soll nicht verschwiegen werden, dass es auch Irritationen im buddhistischchristlichen Dialog gab. Die Sicht des Buddhismus, wie sie Papst Johannes Paul II in seinem Buch Die Schwelle der Hoffnung überschreiten vertritt, das im Jahr 1994 erschienen ist, provozierte zahlreiche Proteste vonseiten buddhistischer Mönche und Laien. In diesen ursprünglich in einem Interview gemachten Aussagen wendet sich der damalige Papst gegen „negative“ Aspekte des Buddhismus wie die „Weltverneinung“ und dessen „Atheismus“; diese Äußerungen sind religionswissenschaftlich als einseitig zu betrachten und gehören eher einer vorkonziliaren Sichtweise an. Dialog mit dem Buddhismus in Europa42 Nachdem sich im 20. Jahrhundert die Missionsrichtung von Osten nach Westen umgekehrt hat und der Buddhismus ein wichtiger Teil des Religionsspektrums in
Der Blick auf den Buddhismus
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Europa ist, ist zu dem Dialog mit dem Buddhismus in den Ursprungsländern der Dialog mit europäischen Buddhisten hinzugetreten. So fand 2002 in Straßburg eine Konsultation zum Thema „Die Antwort der Seelsorge auf die Ausbreitung des Buddhismus in Europa“ statt, die vom Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog sowie vom Rat der Europäischen Bischofskonferenzen veranstaltet wurde. Die Literatur zum christlich-buddhistischen Dialog ist in letzter Zeit fast unüberschaubar geworden. Die folgenden Überlegungen möchten einige Aspekte näher erörtern, die sich speziell auf den Buddhismus in Europa und nicht primär auf diese Religion in ihren Ursprungsländern beziehen. Diese Einschränkung ist freilich nur eine relative, weil de facto alle großen Richtungen des Buddhismus heute in Europa anzutreffen sind: Theravada-Mönche ebenso wie tibetische Lamas, japanische Zen-Meister in gleicher Weise wie andere Repräsentanten und Anhänger des Mahayana-Buddhismus. Insofern ist auch der Dialog mit westlichen Buddhisten ein Gespräch mit den verschiedenen Richtungen dieser Weltreligion in ihren vielfältigen Ausprägungen. Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass das kulturelle Umfeld, in dem dieser Diskurs stattfindet, eine besondere Ausprägung des Dialogs mit sich bringt: einerseits durch das Faktum, dass die Menschen, die sich hier zum Buddhismus bekennen, durch die hier vorherrschende Kultur ebenso wie durch die Religion des Christentums oft von Kindheit an geprägt sind, und andererseits durch die Tatsache, dass das interreligiöse Gespräch mehr oder weniger ausdrücklich stets vor dem Hintergrund der Voraussetzungen des neuzeitlichwestlichen Selbstverständnisses stattfindet. Von diesem doppelten Tatbestand her ergeben sich meiner Meinung nach Aspekte, die für den christlich-buddhistischen Dialog in Europa charakteristisch sind und die eine neue Verhältnisbestimmung zwischen beiden Religionen zur Folge haben, die zu einer wechselseitigen Vertiefung der Kenntnis der anderen Religion sowie der eigenen führt. Im Gespräch zwischen Christentum und Buddhismus wird unschwer deutlich, dass im Hinblick auf die zentralen Grundlagen der jeweiligen Religion wesentliche Differenzen bestehen, wie insbesondere in der Frage nach der letzten Realität (Gott bzw. Nirvana), dem Wesen des Menschen (Nichtseelenlehre oder personales Selbst) und der auf den Tod folgenden Existenzform (ewiges Leben bzw. Wiedergeburtslehre). Trotz dieser Differenzen in der Lehre kann z. B. die Praxis ursprünglich buddhistischer Meditationsformen eine für den christlichen Glauben vertiefende und bereichernde Bedeutung bekommen, da gerade die meditative Erfahrung den Zugang zum Absoluten ermöglicht. Heute ist dies vielen Menschen Anliegen und eigene Erfahrung geworden. Die Begegnung mit dem Buddhismus mag so für den Christen eine inspirierende Möglichkeit eröffnen, das Zentrum des eigenen Glaubens in neuer Weise zu erleben.
Der orthodoxe Blick auf andere Religionen
Wie sieht – und sah – das orthodoxe Christentum die nichtchristlichen Religionen Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus? Feststellen lässt sich zunächst, dass der interreligiöse Dialog seit den 1970er Jahren von orthodoxer Seite intensiviert wurde, dies auch unter dem Einfluss früherer römisch-katholischer und protestantischer Initiativen. Orthodoxe Theologen suchten zunächst eine eigene Theologie der Religionen zu entwerfen und dabei die orthodoxen Besonderheiten herauszuarbeiten. So haben die Orthodoxen Kirchen 1976 und 1986 auf der ersten und dritten Vorkonziliaren Panorthodoxen Konferenz in Chambésy/Schweiz betont, dass der Dialog zwischen den Religionen notwendig sei für ein besseres gegenseitiges Verständnis wie auch im Interesse einer Zusammenarbeit für Frieden und Gerechtigkeit zwischen den Völkern. Daraus ergaben sich konkrete Initiativen zum Dialog mit Judentum und Islam. Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel war zudem an der „Bosporus-Declaration“ (Istanbul, Februar 1994) im Rahmen einer Konferenz zu Frieden und Toleranz beteiligt und hat auch selbst interreligiöse Konferenzen einberufen (z. B. die „Conference on Interreligious Dialogue“, Istanbul, 7. März 1998). Der orthodoxe Metropolit der Schweiz, Damaskinos Papandreou, gründete 1999 in Genf eine „Stiftung für interreligiöse und interkulturelle Forschungen und Dialoge“. Auch an der Basis fanden interreligiöse Gespräche statt. Hier ist z. B. auf den einflussreichen Priester Aleksandr Men’ (1935–1990) in Russland hinzuweisen, der das Christentum als die inklusivste Religion von allen betrachtete, da es die Elemente anderer Religionen aufnehme und zur Vervollkommnung führe.1 Daneben gibt es jedoch eine scharfe orthodoxe Kritik an solchen Dialogen und Öffnungsinitiativen, die mit einer Preisgabe der Rechtgläubigkeit und der christlichen Wahrheit gleichgesetzt werden.2 Und schließlich ist auf orthodoxe religionskritische Diskurse hinzuweisen, die eine Differenzierung zwischen Religion und Orthodoxie vornehmen, wobei Letztere als Kirche und nicht als Religion eingestuft wird.3 All dies verdeutlicht die besonderen Merkmale der orthodoxen Welt sowohl gegenüber den anderen christlichen Kirchen als auch gegenüber Nichtchristen. Auch die historischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen des Gesprächs mit nichtchristlichen Religionen sind beim orthodoxen Christentum teilweise anders als bei Katholiken und Protestanten. Beispielsweise ist das Ver-
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hältnis der Orthodoxie zum Islam in Geschichte und Gegenwart ein anderes als das des westlichen Christentums. Orthodoxe Christen haben über Jahrhunderte mit Muslimen zusammengelebt, etwa auf dem Balkan, im Nahen Osten oder in Zentralasien. Die Idee einer orthodox-muslimischen „Allianz“ oder auch Phänomene der Vermischung beider Traditionen sind daher keine Seltenheit. Die besondere „religiöse Toleranz“ im Osmanischen Reich war zudem eine Realität, die in diesem Maße in den westlichen Gesellschaften und Religionskulturen jener Zeit nicht zu finden war. Auf der anderen Seite ließen sich jedoch Spannungen zwischen orthodoxen Christen und Muslimen nicht völlig vermeiden, was immer wieder zu heftigen Konflikten führte, wie während der Kriege in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo in den 1990er Jahren. Interessant ist nun, dass die Frage nach der christlichen Wahrheit und den damit verbundenen Exklusivitäts- und Absolutheitsansprüchen des Christentums von den Orthodoxen Kirchen anders beantwortet wird als von den westlichen Kirchen. Viele Orthodoxe gehen noch von einem normativen Wahrheitskonzept aus, das nicht nur Nichtchristen, sondern auch westliche Christen weitestgehend ausschließt. Die Orthodoxie, wörtlich übersetzt und verstanden als Rechtgläubigkeit, gilt als die treueste Form des Christentums, von der sowohl Katholiken als auch Protestanten abgewichen sind. Trotz einer gewissen Offenheit nichtchristlichen Religionen gegenüber – sie werden als unvollständige Wege zur Wahrheitsfindung gesehen – werden diese ebenfalls nicht als ernsthafte Konkurrenten der Orthodoxie betrachtet. Ihre Authentizität und Ausschließlichkeit stehen somit außer Frage. Von einem solchen normativen Wahrheitsbegriff haben sich die Kirchen des Westens inzwischen erheblich distanziert. Hauptgrund dafür ist die unterschiedliche Begegnung und Erfahrung dieser Kirchen mit der Neuzeit und der Moderne, die das orthodoxe Christentum nicht in gleichem Maße tangierten. Nicht zufällig konnte im Westen eine pluralistische, nichtchristliche Traditionen positiv aufnehmende Theologie der Religionen fruchtbaren Boden finden, wohingegen eine solche Öffnung in der orthodoxen Welt – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ausgeblieben ist. All dies kann eine Erklärung liefern für die heutigen Probleme orthodoxer Kulturen im Umgang mit Andersgläubigen. Beispielsweise signalisierte der griechische Erzbischof Christodoulos (1998–2008), dass das heute propagierte Modell eines „Marktes von Religionen“, nach dem alle Religionen miteinander frei in Konkurrenz treten können, für die Mehrheit der griechischen Bevölkerung nicht in Frage komme, weil diese über mehrere Jahrhunderte hinweg durch ihre orthodoxe Tradition geprägt worden sei.4 Und schließlich sind zwei weitere Faktoren zu berücksichtigen: zum einen die besondere Struktur der gesamtorthodoxen Welt, zum anderen die enorme Vielfalt, die die verschiedenen Orthodoxen Kirchen in ihren lokalen Ausprägungen zeigen. Derzeit existieren 14 selbstständige (autokephale) und von der Gesamtheit der orthodoxen Welt als kanonisch anerkannte Kirchen; daneben gibt es
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Der orthodoxe Blick auf andere Religionen
autonome kanonische Kirchen und eine große Zahl von Kirchen, deren kanonischer Status noch nicht endgültig geregelt ist. Diese Kirchen sind nicht mehr ausschließlich in Ost- und Südosteuropa sowie im Nahen Osten, d. h. an ihren ursprünglich historischen Orten, zu finden. Orthodoxe Diasporagemeinden finden sich heute in der ganzen Welt. Diese (auch geografische) Vielfalt der gesamtorthodoxen Welt bedeutet, dass orthodoxe Christen unterschiedliche Erfahrungen mit nichtchristlichen Religionen gemacht haben und demgemäß unterschiedliche Positionen zu ihnen eingenommen haben. In einem pluralistischen Umfeld wie in den USA haben die Orthodoxen insofern nicht dieselbe Einstellung zu nichtchristlichen Religionen wie die Orthodoxen in einem ehemals kommunistischen Land. Selbst in einem mehrheitlich orthodoxen Land wie Griechenland, das mit dem Westen seit mehreren Jahrzehnten eng verbunden und seit 1981 Mitglied der Europäischen Union ist, gibt es bis heute auf verschiedenen Ebenen Probleme mit religiösen Minderheiten. Diesen regionalen Unterschieden unter den verschiedenen orthodoxen Kirchen und Kulturen sollte deshalb besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Schließlich gibt es weitere Kirchen hauptsächlich im Orient, die mit den Orthodoxen Kirchen zwar historisch verbunden, aber dennoch eigenständig sind und mit ihnen nicht in kirchlicher Gemeinschaft stehen. Diese sind unter verschiedenen Namen bekannt wie orientalisch-orthodoxe Kirchen (die Syrische Orthodoxe Kirche von Antiochien, die Koptische Orthodoxe Kirche usw.). Sie befinden sich als Minderheitskirchen im nichtchristlichen Umfeld, was vermehrt zu Kontakten, gegebenenfalls aber auch zu Spannungen mit anderen Religionen führt. Wurzel oder Bedrohung der Orthodoxie? Der Blick auf das Judentum Das Urchristentum erhielt bekanntlich seine erste Gestalt innerhalb des Judentums. Vor seiner Verselbstständigung durch die missionarische Öffnung zur außerjüdischen Welt war das Judentum die allererste Religion, mit der das Christentum konfrontiert war. Trotz seiner jüdischen Wurzeln und der gemeinsamen Merkmale, z. B. des Monotheismus, differenzierte sich das Christentum früh von der jüdischen Umwelt, ohne jedoch seine jüdische Vergangenheit vollständig zu verwerfen. Die Christen bedienten sich freilich des – ihrer Meinung nach – Alten Testaments, das sie aus eigener Perspektive deuteten und zur Interpretation des Neuen Testaments heranzogen. Grundsätzlich argumentierten die ersten kirchlichen Autoren (z. B. Justin der Märtyrer Mitte des 2. Jahrhunderts), das Christentum sei die Erfüllung der jüdischen Verheißungen und Erwartungen, und Jesus Christus sei der seit Langem erwartete Messias. Auch wenn die anfängliche christliche Mission unter den Juden heute als erfolgreich gilt, war die Trennung und stufenweise Entfremdung zwischen Juden und Christen früh deutlich. Dies verfestigte sich im Laufe der Zeit und brachte dauerhafte Spannungen mit sich, insbesondere nach der Institutiona-
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lisierung des Christentums im 4. Jahrhundert. Von dieser Spannung zeugen Schriften von Kirchenvätern und anderen christlichen Autoren jener Zeit. Auf der anderen Seite verhinderte dies jedoch nicht eine (teilweise produktive) Interaktion zwischen den beiden Religionen, auch wenn diese meist inoffiziell und auf lokaler Ebene funktionierte, wie z. B. bei der Entwicklung der allegorischen Interpretationsmethode der Bibel. Was insbesondere die orthodox-christliche Haltung gegenüber dem Judentum anbelangt, so ist zuerst die Zeit des Oströmischen bzw. Byzantinischen Reiches von Bedeutung. Obgleich es bis zum 11. Jahrhundert keine formelle Trennung der Kirchen in Ost und West gab, lassen sich dennoch seit der Spätantike Differenzierungen in beiden Teilen des Römischen Reiches und nicht zuletzt im kirchlichen Bereich beobachten, die besonders das Judentum betreffen. Im Oströmischen Reich war das Judentum präsent und galt rechtlich als erlaubte Religion. Jedoch wurden die Juden von Staat und Kirche tatsächlich weitestgehend isoliert, Kontakte zu den Orthodoxen waren für sie eingeschränkt oder verboten. Antijüdische Stimmen in der Bevölkerung waren verbreitet, was nicht selten zu Diskriminierungen führte. Diese Stimmen lassen sich auch in der Zeit der Osmanenherrschaft über Südosteuropa finden, auch wenn der rechtliche Status der Juden dort deutlich besser war. Historisch gesehen gab es zahlreiche Fälle von negativen und feindlichen Haltungen gegenüber den Juden in orthodoxen Kulturen (beispielsweise in Russland), und dasselbe lässt sich bis heute in Russland und Serbien in unterschiedlichen Ausprägungen beobachten. Diese Haltung beschränkte sich nicht allein auf theoretische Kritik am Judentum und an den Juden, sondern führte nicht selten zu negativen praktischen Maßnahmen (Pogrome). In Osteuropa gab und gibt es noch viele Juden (in Russland heute ca. 233 000), was notwendigerweise zu Kontakten häufig auch zu Konflikten mit Orthodoxen führt. Der berüchtigte antisemitische Text Die Protokolle der Weisen von Zion, zu dessen Entstehung politische und kirchliche Kreise in Russland gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entscheidend beitrugen, spricht von einer jüdischen Weltverschwörung.5 In vielen, großenteils radikal eingestellten orthodoxen Kreisen herrscht heute noch die Angst vor einer weltweiten jüdischen Verschwörung, die u. a. die Vernichtung der Orthodoxie zum Ziel habe.6 Sicher ist zudem, dass die Orthodoxen viel weniger als Katholiken und Protestanten nach dem Holocaust über den christlichen Antisemitismus reflektiert und Konsequenzen daraus für ihre gegenwärtige Theologie gezogen haben. Dies hat zur Folge, dass alte, aus dem Mittelalter stammende antijüdische Vorurteile innerhalb orthodoxer Kulturen immer noch aktuell sind. Darüber hinaus gibt es heute eine Diskussion über antijüdische Passagen in byzantinischen liturgischen Texten (insbesondere der Karwoche), die entfernt werden sollen. Auf der anderen Seite lässt sich auch eine gegenläufige Tendenz beobachten. Immer wieder kam es zu positiven Interaktionen – wenn auch zahlenmäßig ge-
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Der orthodoxe Blick auf andere Religionen
ringer – zwischen orthodoxen Christen und Juden. So verfasste Metrophanes III., Patriarch von Konstantinopel, 1568 eine Enzyklika über die Christen auf der Insel Kreta, die gegen die Verfolgung von Juden Stellung bezog und denjenigen mit Exkommunikation drohte, die Juden unterdrückten. Während der deutschen Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg rettete Erzbischof Damaskinos (1941–1949) mehrere Juden in Athen vor der Deportation, indem er ihnen gefälschte christliche Taufscheine und Papiere besorgte – eine Leistung, die später große Anerkennung fand. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch die offiziellen orthodoxjüdischen interreligiösen Dialoge.7 Hier liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf der orthodoxen Missionierung der Juden, sondern auf der Überwindung historischer Missverständnisse, der Beseitigung von gegenseitigen Vorurteilen und der Bildung einer tragfähigen künftigen Beziehungsebene zwischen beiden Religionen. Darüber hinaus werden die Gemeinsamkeiten thematisiert, die das orthodoxe Christentum und das Judentum verbinden. Solche Initiativen gingen besonders vom Orthodoxen Zentrum des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel (Chambésy-Genf) in Zusammenarbeit mit einflussreichen jüdischen Organisationen (z. B. dem International Jewish Committee on Interreligious Consultations) aus. Bisher gab es fünf Treffen (Luzern 1977, Bukarest 1979, Athen 1993, Jerusalem 1998 und Thessaloniki 2003) zu unterschiedlichen Themen wie der Begegnung der Orthodoxie und des Judentums mit der Moderne. Es gibt weitere Initiativen auf bescheidenerer Basis, insbesondere dort, wo beide Religionen in Nachbarschaftsbeziehungen stehen – z. B. im Heiligen Land, wo orthodoxe Christen unterschiedlicher Provenienz aktiv sind; oder in den multikulturellen Vereinigten Staaten, wo mehrere orthodoxe Diasporagemeinden und einflussreiche jüdische Gemeinden existieren. Insgesamt kann man den orthodox-jüdischen Dialog als Konsequenz der nach dem Holocaust erfolgten Aufwertung der jüdischen Frage sehen, ein Phänomen, das überall in der christlichen Welt zu beobachten ist. Das hat auch Konsequenzen für die heutige Bewertung des Judentums in der orthodoxen Theologie. Während in byzantinischer und nachbyzantinischer Zeit der Schwerpunkt auf der Widerlegung des Judentums sowie auf der Bekehrung der Juden lag, verlagerte sich das Interesse in der Moderne auf andere Aspekte: auf die geschichtlichen Gemeinsamkeiten und wechselseitigen Einflüsse zwischen Christentum und Judentum, auf die jüdischen Wurzeln der christlichen Liturgie, und insgesamt auf die Bedeutung der Religion des antiken Israel für das Christentum. Auch Vergleiche zwischen orthodoxer und jüdischer Mystik stießen auf Interesse. Bemerkenswert ist auch, dass die Bedeutung des Alten Testaments für das Christentum besonders hervorgehoben wird, um Angriffen vonseiten eines Neuheidentums (z. B. in Griechenland) entgegenzuwirken: Das Christentum sei eine jüdische Religion, die mit der hellenischen/griechischen Tradition nichts zu tun habe. Diese Argumentation zielt jedoch nicht unbedingt
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auf eine Bejahung der Selbstständigkeit des Judentums, sondern letztlich auf eine christliche Vereinnahmung jüdischer Traditionen. Ketzer oder Verbündete gegen den Westen? Der Blick auf den Islam Der Islam, im Nahen Osten entstanden und sehr schnell verbreitet, stellte ab dem 7. Jahrhundert eine große Herausforderung für die Christen in den benachbarten Regionen (Syrien, Palästina, Ägypten) und insgesamt für das byzantinische Christentum dar. Aufgrund der räumlichen Nachbarschaft sind sich orthodoxes Christentum und Islam über einen langen Zeitraum immer wieder begegnet.8 Im Laufe dieser Geschichte treten Besonderheiten des orthodoxen Ostens in den Beziehungen zum Islam zutage, die bis heute von Bedeutung sind. Angesichts der Tatsache, dass der Islam sich als die Erfüllung der Erwartungen der jüdischen und christlichen Heilsgeschichte durch die endgültige Offenbarung an Mohammed versteht, ist es verständlich, dass die ersten byzantinischen Reaktionen auf die neue Religion recht negativ ausfielen. Das Aufkommen des Islam wurde meist endzeitlich-apokalyptisch interpretiert: Man deutete es als Beginn des großen Kampfes zwischen dem Reich Gottes und dem Reich des Teufels, wie es in der Offenbarung des Johannes beschrieben wird. Dabei wurde der Islam als eine christliche Häresie in der langen Reihe anderer Ketzereien gehandelt, etwa bei Johannes von Damaskus (ca. 675–753/4), der engen Kontakt zu Muslimen hatte und deren Texte (z. B. den Koran) lesen konnte. Für ihn waren die Ismaeliten (= die Muslime) die letzte christliche verführerische Häresie und damit das Vorzeichen der Ankunft des Antichrist. Auch sein Schüler Theodoros Abu Qurrah (ca. 750 bis ca. 825) kritisierte die Ketzerei der „Sarazenen“ (= der Muslime) sowie ihren Pseudopropheten Mohammed. Mit der siegreichen Ausbreitung des islamischen Glaubens wurde auch die orthodoxe Kritik härter, wie dies u. a. die Texte von Bartholomäus von Edessa, Niketas von Byzanz, Efthymios Zigabenos und Niketas Choniates bezeugen. Auch für byzantinische Kaiser wie für Johannes VI. Kantakuzenos (ca. 1295–1383) war der Islam ein ernsthaftes Thema. Neben diesen theologischen Abgrenzungstendenzen ist jedoch auch die Möglichkeit eines Zusammenlebens von Orthodoxen und Muslimen charakteristisch für die byzantinische Orthodoxie. Trotz des politischen Niedergangs von Byzanz und der ständigen Expansion der Seldschuken und der Osmanen gab es Regionen in Kleinasien und anderswo, in denen Orthodoxe und Muslime ohne große Spannungen miteinander auskamen. Eine Moschee und andere islamische Bauwerke gab es sogar in Konstantinopel. In der Zeit der Kreuzzüge gewann das Motiv einer „orthodox-islamischen Allianz“ gegen den Westen allmählich an Bedeutung. Nach dem „Großen Schisma“ zwischen den Kirchen in Ost und West 1054 und insbesondere nach der Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer 1204 stellten die „Lateiner“ für viele Byzan-
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tiner eine ernsthaftere Bedrohung für die Beibehaltung des richtigen Glaubens (Orthodoxie) dar als der Islam. Die antiwestliche Partei im späten Byzanz war stark, einflussreich und populär. Es ist deshalb kein Zufall, dass viele Byzantiner der Ansicht waren, dass es viel besser wäre, wenn der türkische Turban und nicht die lateinische Tiara in Byzanz herrschen würde. Pro-islamische Stimmen unterschiedlicher Provenienz und Prägung (z. B. theologisch-politische Einigungsvorwürfe), wie die von Georgios von Trapezunt (1395/96–ca. 1484) und Georgios Amiroutzes (ca. 1400–nach 1468/70), zeigen, dass das Verhältnis der Orthodoxen zum Islam ein durchaus anderes war als im Westen. Eine positivere Haltung gegenüber dem Islam lässt sich auch den späteren byzantinischen Versuchen entnehmen, einen Dialog bzw. eine Disputation mit Muslimen zu führen. Aus der Sicht christlicher Autoren wurde die Sache in solchen Fällen zugunsten des Christentums entschieden. Kaiser Manuel II. Palaiologos (1350–1425) führte einen solchen Dialog in Ankara mit einem gebildeten Perser. Aus dem Text dieses Kaisers zitierte Papst Benedikt XVI. in seiner Rede an der Universität Regensburg am 12. September 2006, was allerdings in der islamischen Welt missverstanden wurde und zu großer, teils gewalttätiger Empörung führte.9 Auch der Erzbischof von Thessaloniki, Gregor Palamas (1296– 1359), führte eine Disputation mit Muslimen während seiner Gefangenschaft bei den Türken. Diese dialogfreundliche Haltung behielt der erste Patriarch nach der Eroberung Konstantinopels (1453), Georgios-Gennadios Scholarios (1400 bis ca. 1472), bei. Die Etablierung des Islams in Südosteuropa im 15. bis 19. Jahrhundert markierte eine neue Epoche in den Beziehungen zwischen Orthodoxen und Muslimen: von der eingeschränkten „religiösen Toleranz“ über die Zwangsislamisierung oder den selbst gewählten Übertritt und den „verborgenen“ Christen (Kryptochristen) bis zu den Verfolgungen und den christlichen Märtyrern der Neuzeit. Auch in dieser Epoche wurde der Islam apokalyptisch gedeutet. Interessant ist die Sichtweise, die die Orthodoxe Kirche über lange Zeit in ihrem Verhältnis zu den Osmanen beibehielt. Trotz gelegentlicher Spannungen und Repressalien dominierte bei vielen Orthodoxen die Ansicht, dass eine osmanische Herrschaft über Byzanz und den Balkan viel besser sei als eine religiöse Unterwerfung unter den Papst und die westliche Christenheit. Diese Tendenz, die auch öffentlich von manchen Patriarchatskreisen vertreten wurde, zeigt die Intensität der antiwestlichen Gefühle der Orthodoxen in der damaligen Zeit. Die Befreiungskämpfe balkanischer Völker gegen die Osmanen im 19. Jahrhundert änderten dieses Bild schlagartig und führten zu einer zunehmenden Nationalisierung der Orthodoxie und zur stärkeren Opposition gegenüber dem Islam. Die Tatsache jedoch, dass viele Orthodoxe noch in osmanischen Gebieten lebten, wirkte diesen Tendenzen entgegen und war wiederum der Vorstellung eines möglichen Zusammenlebens förderlich. Dieser Traum ging jedoch zu Ende, als mit der Gründung des Nationalstaates Türkei 1923 der türkische Nationalismus besonders virulent
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wurde, was sich für die christlichen Minderheiten (Assyrer, Armenier, Griechen) letztendlich verhängnisvoll auswirkte. Anders war die Situation in Russland. Dort gab es zunächst die Zeit der langen Mongolenherrschaft (1223–1502). Die Mongolen, die ab 1313 zum Islam übergetreten waren, übten allgemein religiöse Toleranz, insofern konnte sich die Russische Orthodoxe Kirche während dieser Zeit in vielen Bereichen weiterentwickeln. Im frei gebliebenen Nordwesten konnte der damalige Fürst von Novgorod, Aleksandr Nevskij (ca. 1220–1263), gegen die Schweden und Deutschen kämpfen, die als Gefahr für die russische Orthodoxie galten. Interessanterweise hat Nevskij 1248 das Angebot des Papstes Innozenz IV. zurückgewiesen, gemeinsam gegen die Mongolen vorzugehen, und versuchte stattdessen, geschickt mit diesen zu verhandeln. Auch hier war also der orthodoxe Gegensatz zum lateinischen Westen von großer Bedeutung.10 Mit der territorialen Expansion nach Sibirien ab dem 18. Jahrhundert begann eine neue Phase der Begegnung mit dem Islam. Zusammenleben und Kooperation zwischen Orthodoxen und Muslimen waren aus pragmatischen Gründen nicht ausgeschlossen, was sich auf die Beziehungen der russischen Orthodoxie zum Islam insgesamt niederschlug und bis heute erkennbar ist. Nicht zu vergessen sind jedoch andererseits die umfangreiche IslamMission der Russischen Orthodoxen Kirche. Heute bildet der Islam die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Russland mit ca. 14 Millionen Anhängern unterschiedlicher Richtungen, denen die Tendenz zur Politisierung und zur Wiedergewinnung der öffentlichen Sphäre gemeinsam ist. In Dagestan und Tschetschenien ist die radikal-konservative wahhabitische Richtung mit politischen Akzenten prägend, die eine Rückkehr zum authentischen Islam fordert. Der Zerfall des Kommunismus im ehemaligen Ostblock führte zu einer Wiederbelebung des Islams, der in diesem Kontext in vielerlei Hinsicht Besonderheiten aufweist. Das lange Zusammenleben mit den Orthodoxen führte zum Beispiel auf dem Balkan unweigerlich zum religiösen und kulturellen Synkretismus, zur Vermischung unterschiedlicher Traditionen. Hier lassen sich etwa in manchen Fällen Phänomene wie Marien- oder Ikonenverehrung beobachten, die von orthodoxen Einflüssen zeugen. Dass manche Muslime zu orthodoxen Wallfahrtsorten pilgern oder Heilige verehren, ist ebenfalls bekannt. All dies verweist auf Interaktionen zwischen Orthodoxen und Muslimen in konkreten lokalen Kontexten. Selbst in einem mehrheitlich muslimischen Land wie Albanien lebten sie traditionell friedlich miteinander. Dort ist heute der Beitrag von Erzbischof Anastasios (seit 1991/92) zur interreligiösen Verständigung von enormer Bedeutung. Nichtsdestoweniger sollten jedoch die vielen auch blutigen Auseinandersetzungen zwischen Orthodoxen und Muslimen nicht verschwiegen werden – jüngstes Beispiel: Bosnien-Herzegowina während des Krieges 1992–1995. Dort wurde der Gegensatz von orthodoxen Serben und muslimischen Bosniaken zu einem nationalen Thema, da es sich laut der serbischen Nationalmythologie bei den
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Bosniaken um islamisierte und abtrünnige Glaubensbrüder handelte. Die Lage auf dem Balkan hatte sich damals dahingehend verändert, dass der Islam in der Gestalt eines langen „islamischen Bogens“ von Zentralasien bis zum Balkan als die größte Gefahr für die Orthodoxie dargestellt wurde. Dem könne nur die Konstruktion eines „orthodoxen Bogens“ durch die Solidarisierung und Kooperation der orthodoxen Kirchen und Länder entgegengewirkt werden – so der griechische Erzbischof Christodoulos. Solche Visionen erwiesen sich eher als unrealistisch. Die Konfliktdimension zwischen Orthodoxie und Islam spielte auch in anderen Fällen eine Rolle, wie in dem Konflikt Russlands mit Tschetschenien oder in den Spannungsbeziehungen zwischen Griechenland und der Türkei. Darüber hinaus zeigt der noch andauernde Konflikt zwischen den orthodoxen Griechischzyprioten und den muslimischen Türkischzyprioten auf ihrer geteilten Insel die lokal bedingten Schwierigkeiten der gegenseitigen Beziehungen auf. Trotzdem existierten auf Zypern – historisch gesehen – verschiedene Koexistenzmodelle zwischen den Religionen, die nicht unbedingt auf Konflikte ausgerichtet waren. Und selbst im Kosovo war die friedliche Koexistenz von diversen Religionsgemeinschaften früher der Normalfall. Eine ähnliche Situation existiert in den mehrheitlich muslimischen Ländern des Nahen Ostens oder Afrikas, in denen orthodoxe Christen historisch verankert sind. Neben Perioden der Wirren finden sich immer wieder auch solche des eher friedlichen Zusammenlebens. Der Minderheitsstatus zwang die dortigen Christen, bestimmte Strategien zu verfolgen, um sich einerseits innerhalb der muslimischen Mehrheitsgesellschaft behaupten zu können und sich andererseits vor feindlichen Maßnahmen und Aktionen zu schützen. Einen solchen Fall stellt die Koptische Orthodoxe Kirche in Ägypten dar, die nicht selten unter muslimischen Angriffen gelitten hat und ein breites Netz von Aktivitäten auf vielen Ebenen entwickelt hat, um ihre Existenz zu sichern. Der orthodox-islamische Dialog wird heute auf offizieller Ebene geführt. Begonnen hat er bei einem Treffen von Orthodoxen und Muslimen in den USA am Hellenic College/Holy Cross Greek Orthodox School of Theology in Brookline/ Massachusetts unter Beteiligung des Patriarchats von Konstantinopel (1985). Heute wird der Dialog vom Orthodoxen Zentrum des Patriarchats von Konstantinopel in Zusammenarbeit mit der Al-Albait-Stiftung (Amman, Jordanien) geführt. Aus dieser Initiative sind bisher viele bilaterale Treffen entstanden (Chambésy 1986, Amman 1987, Chambésy 1988, Istanbul 1989, Amman 1993, Athen 1994, Amman 1996, Istanbul 1997, Amman 1998, Manama/Bahrein 2002) und zwar zu sehr unterschiedlichen Themen, von den Modellen der historischen Koexistenz zwischen Orthodoxen und Muslimen bis zum Beitrag der Religionen zur friedlichen Koexistenz der Völker. Die Diskussionsthematik der letzten Jahre wurde selbstverständlich vom Aufstieg des islamischen Extremismus und der daraus entstandenen Gefahr für den Westen geprägt, insbesondere nach dem
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11. September 2001. Die Griechische Orthodoxe Kirche Griechenlands hat ebenfalls eine Reihe von Symposien zu den Beziehungen zwischen Orthodoxie und Islam (Athen 1990 und 1992, Teheran 1994 und Athen 1997) in besonderer Zusammenarbeit mit dem Iran organisiert. Orthodoxe beteiligen sich auch an weiteren interreligiösen Treffen in Konfliktregionen wie im ehemaligen Jugoslawien.11 Die Bewertung des Islams in der gegenwärtigen orthodoxen Theologie unterscheidet sich wesentlich von den in der Vergangenheit dominierenden polemischen Richtungen und versucht dabei einerseits die Eigenart dieser weltweit sehr starken Religion angemessen und pragmatisch zu begreifen und theologisch zu würdigen; andererseits möchte sie die neuen Bedingungen der Koexistenz ergründen und über die Gemeinsamkeiten beider Religionen nachdenken. Als wichtig wird dabei der mögliche Beitrag des Islams für eine Neubesinnung der Orthodoxie selbst erachtet. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Parallelen im Bereich der Mystik, der asketischen Praktiken und der Erfahrungen (Herzensgebet) im islamischen Sufismus und im orthodoxen Hesychasmus, einer mystischen Bewegung im orthodoxen Mönchtum, zu. Christen, so heißt es, sollten im Islam nach verschiedenen Ausdrucksformen der Liebe zu Gott sowie der Wege zur Vereinigung mit Gott suchen. Dies könnten sie am besten im Rahmen einer orthodox-christlichen Theologie des religiösen Pluralismus. Diese Bestrebungen vertragen sich allerdings nicht mit einer Leugnung der Differenzen zwischen den beiden Religionen. Gefährliche Mischung oder Bereichung der Spiritualität? Der Blick auf den Hinduismus Der Hinduismus stellte sicherlich keine große Herausforderung für die orthodoxen Kirchen und Christen in dem Maße wie der Islam oder zum Teil das Judentum dar. Dies ist hauptsächlich auf historische und geografische Gründe zurückzuführen, denn das Zusammenleben von Orthodoxen und Hindus unterschiedlicher Provenienz und Richtungen war mehr oder weniger begrenzt und lokal bedingt. Besonders hinzuweisen ist jedoch darauf, dass auf dem indischen Subkontinent einige orientalisch-orthodoxe Kirchen historisch eine Rolle gespielt haben. Der Legende nach missionierte der Apostel Thomas in Indien, deshalb werden die dortigen Christen Thomaschristen genannt. Sicher ist, dass es enge Verbindungen zu der Assyrischen Kirche des Ostens gab. Von daher war es naheliegend, dass es in Indien zu Kontakten zwischen orthodox-orientalischen Christen und Hindus kam. Erwähnenswert ist hier der Beitrag des Metropoliten von Neu-Delhi und ganz Nordindien, Paulos Mar Gregorios (Verghese) (1922– 1996), einer besonders gebildeten, einflussreichen und in religiösen und anderen Kreisen weltbekannten Persönlichkeit. Er war u. a. Präsident des Weltkirchenrates (1983–1991). Geboren in Indien im christlichen Kontext der Thomaschristen, beschäftigte er sich mit der Pluralität der Religionen Indiens und entwickelte
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dabei eine besondere Sensibilität gegenüber den Hindus und nichtchristlichen Religionen. Seine Devise im interreligiösen Dialog war einerseits die Transparenz der Motive seitens der Christen, die Liebe zu allen Menschen und die Ehrlichkeit gegenüber den Andersdenkenden und andererseits die Gleichheit aller Religionen im Dialog, auch wenn man vom Wahrheitsanspruch der eigenen Religion überzeugt sei. Wichtig sei, so Mar Gregorios, daraus keinen Überlegenheitsanspruch abzuleiten. Diese Strategie entwickelte er, nachdem er mit Hindus zahlreiche Gespräche geführt hatte und ihre Kritik am Christentum und dessen Missionierungsmethoden gehört und verinnerlicht hatte. Darüber hinaus gab es weitere Kontakte zwischen Orthodoxen und Hindus in kleinerem Rahmen. Zwei Beispiele aus der Geschichte: Demetrios Galanos (1760–1833), ein orthodoxer Grieche aus Athen, der sich von 1786 bis zu seinem Tod in Indien aufhielt, erlernte dort u. a. Sanskrit und weitere lokale Sprachen und übersetzte heilige Texte des Hinduismus ins Griechische, die jedoch erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden. Allerdings ist nicht bekannt, ob Galanos sich theologisch mit dem Hinduismus auseinandersetzte. Zur selben Zeit hielt sich in Indien zeitweise eine abenteuerliche Figur auf, der griechische Kapitän und Seemann Nikolaos Kephalas (1763–1850), der u. a. später ein Buch in italienischer Sprache zum indischem Polytheismus, seiner Lehre und seinen Ritualen publizierte. Das spezifische Interesse orthodoxer Theologen an der Lehre und den Praktiken des Hinduismus reicht weit zurück, was Studien von Leonidas J. Philippidis (1898–1973), dem ersten Professor für Religionsgeschichte an der Universität Athen, zeigen. Dabei wird immer wieder auf die Unterschiede zum Christentum hingewiesen. Der Vergleich zwischen der hinduistischen Yoga-Tradition und der orthodoxen Mystik und Askese zog ebenfalls die Aufmerksamkeit westlicher Gelehrter auf sich. Aus orthodoxer Sicht wurden dabei jedoch mehr die Unterschiede und die verschiedenen Voraussetzungen betont, die bei aller oberflächlichen Ähnlichkeit nicht verwischt werden dürften. Der Hinduismus erlebte – wie auch der Buddhismus – mit seinen verschiedenen Angeboten (Meditationspraktiken, Yoga) in den letzten Jahrzehnten eine nennenswerte Verbreitung in verschiedenen orthodoxen Kulturen wie auch in der westlichen Welt. Diese Praktiken sind in den meisten Fällen vom ursprünglichen kulturell-religiösen Kontext gelöst und haben eher therapeutische Funktionen. Dabei wurden verschiedene indische Gurus für Konsultations- und Therapiezwecke besonders attraktiv und einflussreich. Der Besuch von Ashrams, d. h. von klosterähnlichen Meditationszentren (z. B. von Sri Aurobindo oder von Sai Baba) in Indien zu solchen Zwecken war früher und ist noch heute keine Seltenheit. Die ostasiatische Literatur erlebte weite Verbreitung. Auch die Tatsache, dass sich Prominente für eine „Bekehrung“ zum Hinduismus entscheiden, zeugt von diesem wachsenden Interesse. In Griechenland erregte zum Beispiel vor einigen Jahrzehnten die Nachricht Aufsehen, dass Königin Friederike (1917–
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1981), die orthodox getauft war, später die indische Spiritualität entdeckte, dem Hinduismus folgte und mehrmals nach Indien reiste, wo sie auch einige Zeit lebte. Als der bekannte indische Philosoph und Spirituelle Jiddu Krishnamurti (1895–1986) nach Griechenland reiste und in Athen Vorlesungen hielt, stieß er auf großes Interesse, das auch später weiter anhielt. Insbesondere seit den 1970er Jahren haben jedoch in orthodoxen Ländern verschiedene religiöse Bewegungen und Gruppen hinduistischen Ursprungs (z. B. die Hare-Krishna-Bewegung/ISKCON, die „Transzendentale Meditation“ von Maharishi Mahesh Yogi) für negative Schlagzeilen gesorgt. Als der Guru Bhagwan Rajneesh sich 1986 kurz in Griechenland aufhielt, waren die kirchlichen Reaktionen besonders stark und zwangen ihn schließlich, das Land zu verlassen. Die Griechische Orthodoxe Kirche rief ein Komitee zur Verteidigung gegen solche gefährlichen „Para-religionen“ und „zerstörerischen Kulte“ ins Leben. Ein ähnlicher Zuwachs hinduistischer Gruppen lässt sich auch im postkommunistischen Russland beobachten und führt dort ebenfalls zu kirchlichen und anderen Reaktionen. Eine sehr scharfe Kritik am Hinduismus und seinen Traditionen sowie an der orthodoxen Beteiligung an entsprechenden Dialogen kam auch aus dem pluralistischen Milieu der USA, insbesondere von Mönch Seraphim Rose (1934–1982), der ursprünglich dem Hinduismus gefolgt war, bevor er die Orthodoxie entdeckte. Für ihn stellte vor allem die Popularisierung und Verbreitung hinduistischer Praktiken weltweit und ihre Verbindung mit dem Christentum eine große Gefahr dar, die von vielen Christen nicht nur toleriert, sondern gefördert werde. Man vergesse dabei, dass die Absicht des Hinduismus letztlich die Konstruktion einer universellen Religion für alle Menschen sei; dies richte sich jedoch gegen die christlichen Wahrheitsansprüche und führe zum religiösen Synkretismus. Trotz solcher Probleme gibt es vereinzelt auch produktivere Interaktionen zwischen den beiden Religionen. Zu erwähnen ist hier die Griechin Aurelia Papayianni (1897–1992), die u. a. einige Zeit im Ashram von Swami Sivananda in Indien verbrachte. Sie übte indische asketische Praktiken aus und initiierte einen Annäherungsversuch zwischen indischer und orthodoxer Spiritualität. Dies hatte zur Folge, dass Swami Chindananda, Sivanandas Nachfolger, später die Mönche auf dem Berg Athos besuchte. Aurelia Papayianni reiste durch ganz Indien, entwickelte umfangreiche karitative Aktivitäten und wurde in der indischen Öffentlichkeit bekannt und beliebt. Während ihrer Reisen kam sie in Kontakt mit zahlreichen Persönlichkeiten Indiens, von Gurus bis zu Politikern und Denkern, mit denen sie sich auch über religiöse Themen austauschte. Später verließ sie Indien, um unter dem Ordensnamen Gavriilia orthodoxe Nonne zu werden. Dessen ungeachtet betrachtete sie zeitlebens ihre Erlebnisse in Indien als wichtige Bereicherung ihrer christlichen Identität, die sie in der Hilfe gegenüber Armen und Kranken zu verwirklichen suchte. Einer ihrer Haupteinwände gegenüber dem Hinduismus war jedoch die Verehrung des Gurus als Gott.
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Andere Stimmen zum Hinduismus in der zeitgenössischen Orthodoxie sehen zwar die Schwierigkeiten eines direkten interreligiösen Dialogs zwischen den beiden Religionen, nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Strukturen und Organisationsformen, doch erkennen sie auch bestimmte Aspekte des Hinduismus (z. B. die Entwicklung und den Fortschritt des Menschen durch verschiedene Lebensstufen), die für die Orthodoxen eventuell von Nutzen sein könnten. Angriff auf die Wahrheit oder Beispiel der Erleuchtung? Der Blick auf den Buddhismus Für die buddhistisch-orthodoxen Beziehungen gilt in etwa das Gleiche wie beim Hinduismus, denn diese sind wiederum durch historische und geografische Faktoren bestimmt. Hier spielten die Ausdehnung orientalisch-orthodoxer Kirchen und ihre Missionsarbeit in Zentral- und Ostasien eine Rolle. Die Assyrische Kirche des Ostens entwickelte sich, abgesehen von Indien, ab dem 7. Jahrhundert in Zentralasien, so dass es im 8. Jahrhundert auch für die Tibeter einen Metropoliten in Samarkand gab. Schon im Jahr 635 erreichten Missionare die chinesische Hauptstadt, wo sie ihre Lehre mit königlicher Genehmigung und Empfehlung verbreiten konnten. Im Mongolenreich des 13. und 14. Jahrhunderts bekam diese Kirche verschiedene Privilegien, die jedoch später wieder entzogen wurden – das führte zu Verfolgungen.12 Die historischen Beziehungen zwischen Christentum und Buddhismus sind am besten durch einen indischen Buddha-Roman zu veranschaulichen, der später christianisiert wurde und in Byzanz wie auch im Westen unter dem Titel Die Legende von Barlaam und Joasaph rasch Verbreitung fand. Der indische Königssohn Bodhisattva wurde nach dieser Geschichte durch den Mönch Barlaam bekehrt, bekam den Namen Joasaph und trat später verschiedene Missionsreisen an. All dies erinnert an das Leben Buddhas. Interessanterweise fand Joasaph Eingang in den orthodoxen Festkalender und wurde auch auf Bildern dargestellt. Später intensivierte die russische Orthodoxie ihre Beziehungen zum Buddhismus, indem sie vom 18. Jahrhundert bis 1917 systematische Missionsarbeit (z. B. in Transbaikal) betrieb, wo u. a. buddhistische Gruppen existierten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es die „Kasaner Geistliche Akademie“, die besonders mit Missionsaufgaben betraut war. Außerdem missionierte die Russische Orthodoxe Kirche in benachbarten Ländern, speziell in China, Japan und Korea, wo sich später auch die griechisch-orthodoxe Mission unter der Jurisdiktion des Patriarchates von Konstantinopel engagierte. In der Russischen Föderation lebt heute eine beträchtliche Zahl von Buddhisten. Diese haben sich seit dem 17. Jahrhundert von Tibet, der Mongolei und von China aus verbreitet und etablierten sich in Sibirien, der Wolga-Region und insbesondere unter den Kalmücken in der Westmongolei. Zu Beginn des 20. Jahr-
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hunderts erlebte der Buddhismus einen Belebungs- und Verbreitungsschub. Trotz eines Rückgangs unter dem Kommunismus blieb er wichtiger Bestandteil der religiösen Landschaft Russlands mit heute ca. 900 000 Anhängern. Im russischen Religionsgesetz von 1997 wird er als eine der vier „traditionellen Religionen“ in Russland namentlich erwähnt. Auch anderenorts gab es Kontakte zwischen Orthodoxen und Buddhisten, z. B. in den USA. Dort wird auch von Übertritten vom Buddhismus zur Orthodoxie berichtet, wobei wohl auch der umgekehrte Fall vorkommt. Es fehlt heute nicht an verschiedenen orthodoxen Perspektiven zum Buddhismus, die sowohl auf Analogien wie auch auf Differenzen zwischen den beiden Religionen hinweisen, so auch in Studien orthodoxer Theologen, die sich z. B. mit Aspekten des japanischen Buddhismus befassen. Dabei wird die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen orthodoxem und lateinischem Christentum in ihrem jeweiligen Verhältnis zum Buddhismus hervorgehoben. Parallelen zwischen den beiden Religionen lassen sich in anderen Bereichen beobachten (z. B. Ikonographie, Heiligen- und Reliquienverehrung, Spiritualität, Weltablehnung). Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei den Vergleichen zwischen den orthodoxen und buddhistischen Formen der Askese und des Mönchtums (z. B. Beten, Meditation, Fasten) sowie den entsprechenden Erfahrungen zu. So stellte George Sioris einen Vergleich an zwischen der mönchischen Disziplin im orthodoxen Mönchtum (von der alten Kirche bis zur Mönchsrepublik vom Berg Athos) und der Vinaya des Theravada-Buddhismus (insbesondere in Thailand). Dabei fand er sowohl Unterschiede als auch Parallelen. Im Buddhismus kennt man zum Beispiel nicht die Endgültigkeit des mönchischen Gelübdes. Das orthodoxe Mönchtum weist zudem insgesamt eine rigidere Struktur und Disziplin auf. Andererseits gibt es interessante Parallelen wie die Bedeutung der individuellen oder gemeinschaftlichen Beichte oder Vorschriften zum angemessenen Verhalten der Mönche. Nach Sioris weist zudem die mystische Theologie von Evagrios Pontikos (ca. 345–399) nennenswerte Ähnlichkeiten mit der buddhistischen Mystik auf. 13 Andere Studien untersuchen den Zen-Buddhismus im Vergleich zum Christentum und stoßen auch dort auf Unterschiede und Parallelen – Letztere insbesondere in der Mystik und bei bestimmten Praktiken, die auf den Erleuchtungsprozess ausgerichtet sind. Dabei wird der Illuminationsprozess im Zen-Buddhismus mit der Erfahrung des göttlichen Lichts bei den Mystikern im orthodoxen Mönchtum (Hesychasten) verglichen. Insgesamt betonen jedoch viele orthodoxe Theologen eher die unterschiedlichen Voraussetzungen der Religionen Ostasiens gegenüber der Orthodoxie. Das gilt auch für die Differenzen zwischen orthodoxer Gebetspraxis und buddhistischer Meditation – so der griechische Religionshistoriker, Japanologe und Theologe Stelios Papalexandropoulos. Die isolierte Betrachtung mancher Parallelen zwischen Orthodoxie und ostasiatischen Religionen könne irreführend sein, denn der gesamte Kontext, in dem die beiden
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Religionstraditionen existierten, weise erhebliche Differenzen auf. Dem müssten auch interreligiöse Vergleiche Rechnung tragen. Buddhistische Gruppen oder davon beeinflusste religiöse Bewegungen im Rahmen des New Age fanden während der letzten Jahrzehnte auch in mehrheitlich orthodoxen Ländern zunehmend Eingang; in manchen Fällen führte das zu Spannungen oder Problemen mit den Orthodoxen Kirchen oder den staatlichen Behörden dieser Länder. Da diese Bewegungen im Zusammenhang mit der allgemeinen Aufwertung der ostasiatischen Spiritualität in Europa und der USA gesehen wurden, wo die Suche nach neuartigen und attraktiveren Religions- und Sinnangeboten sich verstärkt hatte, stieß die Gründung buddhistischer Zentren in vielen Fällen auf Skepsis und Ablehnung. Ähnliche orthodoxe Reaktionen gegen die „Annäherung“ von populären buddhistischen (Zen) und orthodoxen asketischen Praktiken, die als Gefahr für die orthodox-christliche Wahrheitsexklusivität und Glaubensreinheit empfunden werden, sind auch aus dem multikulturellen Kontext der USA bekannt, so etwa bei dem bereits erwähnten Mönch Seraphim Rose.
Der evangelische Blick auf andere Religionen
Wie allgemein die Wahrnehmung des Fremden und anderen sich durch die Geschichte hindurch erheblich gewandelt hat, so auch der evangelische Blick auf die anderen Religionen. Ablehnung des als bedrohlich Empfundenen, Schwimmen im Strom von zeitgenössischen Vorurteilen, große Betroffenheit im Blick auf tiefe Weisheit der anderen Religion, Respekt vor dem anderen Glauben, Freude an Gemeinsamkeiten bis hin zu synkretistischen Vorschlägen – all dies ist vorgekommen und spiegelt sich bis in heutige Stellungnahmen hinein. Verstockt und verworfen oder bleibend erwählt? Der Blick auf das Judentum Der Protestantismus hat über weite Teile seiner Geschichte die theologisch negative Einordnung des Judentums, wie sie bereits aus der Zeit der alten Kirche und des Mittelalters vorgeprägt war, fortgesetzt. Demnach galt Israel, das Gottesvolk des ersten Bundes, als von der Kirche überholt, abgelöst und ersetzt. Die fehlende Zustimmung zum christlichen Bekenntnis, das Jesus als verheißenen Messias bezeugte, wurde dem Judentum als Zeichen seiner Verstockung und Verwerfung ausgelegt. So habe es Schuld auf sich geladen und sich den Zorn des göttlichen Gerichts zugezogen. Die Folgen dieses Gerichts meinte man schon in den Lebensumständen eines in der Diaspora (in weltweiter Zerstreuung) lebenden Judentums erkennen zu können. Erst nach der Schoah, der millionenfachen Ermordung jüdischen Lebens in den Konzentrationslagern und Gaskammern des nationalsozialistischen Terrorregimes, hat Mitte des 20. Jahrhunderts ein Prozess des Umdenkens begonnen. Nicht nur im deutschen Protestantismus, sondern in vielen europäischen Ländern und auch weltweit sahen sich Kirchen vor die Frage gestellt, inwiefern eine antijudaistische Theologie den Antisemitismus auch in seiner rassischen Variante mit verursacht, ermöglicht oder befördert habe. In evangelischen Landeskirchen und Dachorganisationen kam es deshalb zu einem bislang unabgeschlossenen Prozess der theologischen Neuorientierung im Verhältnis zum Judentum. In einer Vielzahl kirchlicher Verlautbarungen wurden theologische Aussagen und die Begegnungshaltung von Christen gegenüber Juden insgesamt auf den Prüfstand gestellt.1 Es zeigt sich, dass in der Verhältnisbestimmung der Kirche zum Judentum heute eine nahtlose und unreflektierte Anknüpfung an protestantische Positionen vor der Schoah nicht mehr möglich
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ist. Das gilt auch für solche Positionen, die sich vergleichsweise positiv vom Boden einer traditionell antijudaistischen Theologie abgehoben haben, wie es beispielsweise bei einigen Verfechtern einer Mission an den Juden der Fall war. Martin Luther und die Juden Die Haltung des Reformators (1483–1546) gegenüber dem Judentum seiner Zeit ist ambivalent. Das zeigt sich exemplarisch in den beiden Schriften Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei (1523) und Von den Juden und ihren Lügen (1543). 2 In der früheren Schrift empfiehlt Luther im Kontrast zu spätmittelalterlichen antijüdischen Zwangsmaßnahmen einen freundlichen Umgang mit den Juden, die dem Fleische nach Christus näher stünden als die Heiden. Er verspricht sich davon nicht zuletzt, etliche von ihnen bekehren zu können. In der Spätschrift greift er dagegen auf antijüdische Stereotype und Polemik zurück, um der christlichen Obrigkeit drastische Maßnahmen gegenüber den Juden vorzuschlagen, u. a. die Zerstörung ihrer Synagogen, Häuser und Bücher. Dieser Stimmungsumschwung macht deutlich, dass Luthers Theologie nicht gefeit war vor antijüdischen Ausbrüchen. Seine frühere Unterstützung des Humanisten Johannes Reuchlin (1455– 1522) für den Erhalt rabbinischer Literatur, seine lebenslange Hinwendung zur hebräischen Sprache des Alten Testaments sowie seine durchgängige Ablehnung von Zwangsmissionierungen drohen zu verblassen angesichts dieser Äußerungen, die sich nahtlos an die mittelalterliche Dämonisierung des Judentums anfügen. Sie wurden weder verhindert noch überwunden mit der von Luther geteilten theologischen Einschätzung, wonach im Judentum nach der Kreuzigung Jesu Christi die verstockten, dem Zorn Gottes überlassenen Feinde der Christenheit zu sehen seien, die im besten Falle als typische Vertreter des gottfremden Menschen gelten und vereinzelt durch Mission den Weg zum Heil finden konnten. Lutherschüler und Reformatoren Die theologische Beurteilung des nachchristlichen Judentums, wie Luther sie vornahm, wurde in der Folgezeit von den meisten seiner Schüler geteilt. Philipp Melanchthon (1497–1560) etwa meinte noch, Luthers antijüdischer Spätschrift etwas Nützliches abgewinnen zu können. Zwar würdigte er die Verdienste der Juden um die Verbreitung der hebräischen Sprache, doch forderte er wie Luther die Deutung des Alten Testaments auf Jesus Christus hin. Der lutherische Pfarrer Andreas Osiander (1498–1552) distanzierte sich dagegen von Luthers antijüdischen Schriften, studierte die Kabbala, den Talmud und die jüdischen Ausleger des Alten Testaments und setzte sich auch in der Praxis für seine jüdischen Zeitgenossen ein. Sebastian Münster (1489–1552) suchte das Streitgespräch mit jüdischen Theologen, war aber von der Vergeblichkeit aller apologetisch-missionarischen Bemühungen überzeugt. Der Schweizer Reformator Ulrich Zwingli
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(1484–1531) deckt sich in seiner theologischen Beurteilung der Lage des jüdischen Volkes mit der verbreiteten Vorstellung, wonach die Juden Christus gekreuzigt hätten, ihm bis heute mit Hass begegneten und deshalb unter Gottes Strafzorn stünden. Johannes Calvin (1509–1564) stimmt mit Luthers auf Christus bezogener Auslegung des Alten Testaments und manch antijüdischer Polemik überein. Die rabbinische Exegese lehnt er ab. In seiner Prädestinationslehre, der Lehre von der Vorausbestimmung eines jeden Menschen zu Heil oder Verwerfung, sieht er den Strafzorn Gottes auf dem ganzen jüdischen Volk liegen, dessen Verwerfung und Erwählung dagegen nur den Einzelnen treffe. Das Reformationszeitalter knüpft mit Luther weitgehend an die spätmittelalterliche Apologetik und Polemik gegenüber Juden an. Deren Unterdrückung in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht hat sich auch in den evangelischen Gebieten nicht verbessert. Protestantische Orthodoxie Das Nebeneinander von Kirche und Synagoge in der Zeit unmittelbar nach der Reformation, im sogenannten Zeitalter der Orthodoxie (wörtlich: Rechtgläubigkeit) blieb in geistlicher und kultureller Hinsicht weitgehend beziehungslos. Vorherrschend waren die wechselseitige Abgrenzung und die in Judenordnungen auferlegten Bewegungs-, Handlungs- und Äußerungsbeschränkungen für die in christlichen Territorien geduldeten Juden. Auch diese Duldung ging christlichen Pfarrern wie Georg Nigrinus (1530–1602) noch zu weit: „Gott hat sie verworfen. Die Christen wollen sie erheben. Gott hat sie aus ihrem Lande verstoßen und vertrieben. Wir hegen und pflanzen sie in unserem Land. Gott straft sie in seinem ernsten Zorn. Bei uns beweist man ihnen die größte Gnade.“3 Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt (1605–1661) empfahl dagegen, die Juden nicht zu vertreiben, sondern sie möglichst zum Christentum zu bekehren. Daneben gab es aber auch vereinzelt Missbilligung der Bedrückung der Juden. Elias Schadäus (1540–1593), dem ebenfalls die Missionierung der Juden am Herzen lag, empfahl die Auflösung der Ghettos und offenen Zugang zu allen Berufen. In der theologischen Einschätzung des Judentums setzten sich in der protestantischen Orthodoxie weitgehend die Vorstellungen der Reformatoren fort. Die Zerstreuung der Juden wurde als Strafe Gottes für die Verwerfung des Messias gedeutet, die Weigerung, sich zum Christentum zu bekehren, entweder mit göttlicher Verstockung oder störrischer bzw. hochmütiger Unbußfertigkeit erklärt. Die Juden wurden so zum abschreckenden Beispiel christlicher Erbauung. Im Gegenüber zum Judentum wurde die Einheit der Bibel aus Altem und Neuem Testament in ihrer Deutung auf Christus hin bekräftigt, die göttliche Dreieinigkeit und die Messianität Jesu wollte man schon aus dem Alten Testament herleiten. Die Missionsbemühungen gegenüber den Juden gründeten sich vor allem auf den Missionsauftrag (Mt 28, 19) sowie auf die Vorstellung, dass die Heiden-
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welt weitgehend christlich geworden sei und nun noch die Bekehrung des ehemaligen Gottesvolkes fehle. In der Praxis lag die Verantwortung für die Judenmission in den lutherischen Landeskirchentümern bei der Obrigkeit, die diese nicht selten mit Zwangspredigten durch christliche Pfarrer wahrzunehmen suchte. Pietismus und Judenmission Eine Veränderung der Wahrnehmung und Begegnungshaltung gegenüber dem Judentum lässt sich im Pietismus feststellen. Schon Johann Christoph Wagenseil (1633–1705) erhob die Forderung nach Toleranz aus christlicher Liebe und dem Kennenlernen der jüdischen Schriften um ihrer selbst willen, um so eine echte, geduldige und verständnisvolle Judenbekehrung zu erreichen. Philipp Jakob Spener (1635–1705) erneuerte die Erwartung der Heimkehr des ganzen Israel zu Gott und seinem Sohn Jesus Christus mit einer gegenüber der Orthodoxie hoffnungsvolleren Haltung. Spener sah die besondere Verbundenheit von Christen und Juden aufgrund göttlicher Erwählung, wenngleich die Juden „in gegenwärtigem Stand in Gottes Gericht liegen“.4 Er sah die Juden nicht ausschließlich als potenzielle Christen, sondern als Menschen, als die von Gott den Christen zugeordneten Nächsten. So verband er Judenmission mit Judenrespekt. Mit dem Institutum Judaicum in Halle suchte Johann Heinrich Callenberg (1694– 1760) das Programm der pietistischen Judenmission vor allem durch den Druck und die Verbreitung von Schriften umzusetzen. Die Achtung vor der Andersartigkeit und Eigenständigkeit der jüdischen Tradition kam hier in den Blick. Unter dem Einfluss der pietistischen Mission stand auch noch Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700–1760), Begründer der Herrnhuter Brüdergemeine, die in Samuel Lieberkühn (1710–1777) ihren klassischen Judenmissionar fand: „Die Juden müssen fühlen, dass man selbst eine brennende Liebe zu seinem Heilande und eine aufrichtige Liebe zu seinem Volke Israel habe.“5 Aufklärung und Emanzipation Im Zuge der Aufklärung, die von gesellschaftlichen und geistigen Strömungen außerhalb der Religionen ausging, verbesserte sich das Verhältnis des Christentums zum Judentum. Der Universalismus stellte beide Religionen auf eine natürliche, auf menschlicher Vernunft basierende Grundlage, von der aus die Begegnung mit dem Judentum (Moses Mendelssohn, 1729–1786; David Friedländer, 1750–1834) in Respekt, Sachlichkeit und der Frage nach Wahrheit erfolgen konnte (Gotthold Ephraim Lessing, 1729–1781). Dennoch prägten antijüdische Vorurteile und der Wunsch nach Judenbekehrung auch weiterhin die Haltung vieler Christen. Trotz zunehmender Emanzipation der Juden glaubten viele, dass das Judentum aus sich heraus nicht zur Modernisierung und somit zum Verschwinden verurteilt sei (so auch der Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleier-
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macher, 1768–1834). Dem Judentum wurde auch weiterhin Gesetzlichkeit unterstellt (Immanuel Kant, 1724–1804) oder eine überwundene Stufe in der Geschichte attestiert (Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 1770–1831). Es bildeten sich vor allem in Deutschland auch antiemanzipatorische Strömungen, und Judenfeindschaft existierte unter manchen Denkern weiter (Ernst Moritz Arndt, 1769– 1860; Johann Gottlieb Fichte, 1762–1814; Arthur Schopenhauer, 1788–1860).6 Der Protestantismus im 19. und 20. Jahrhundert In der lutherischen Theologie wirkten Vorbehalte und Kritik am Judentum ebenso weiter wie die durch den Pietismus geprägten Vorstellungen einer Judenmission (z. B. bei dem Erweckungstheologen Franz Delitzsch, 1813–1890). Der Hofprediger Adolf Stöcker (1835–1909) trug durch sein politisches Engagement dazu bei, den Antisemitismus gesellschaftsfähig zu machen, Heinrich von Treitschke (1834–1896) löste den Berliner Antisemitismusstreit aus. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstand sich das liberale Christentum, an seiner Spitze Adolf von Harnack (1855–1930), nicht länger aus dogmatischen, sondern aus moralischen Gründen als dem Judentum überlegen. Nach dem Ersten Weltkrieg verschärfte sich das Klima gegenüber den Juden weiter und erschwerte auch die Verständigungsversuche einer christlichen Judenmission. Karl Barth (1886–1968) griff die Frage nach Israel und der Kirche noch einmal dogmatisch auf. In der Erwählungslehre seiner Kirchlichen Dogmatik interpretierte er die doppelte Prädestinationslehre Calvins (vgl. S. 49) auf die göttliche Erwählung und Verwerfung Jesu Christi hin, in welchem die Gemeinde, Israel und die Kirche, zusammengehalten und verbunden werde.7 Inzwischen aber war der Nationalsozialismus in Deutschland an die Macht gekommen und steuerte auf Krieg und Schoah zu. Die theologische Neuorientierung nach 1945 Unmittelbar nach Kriegsende stand in Deutschland zunächst nicht die theologische Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Judentum im Mittelpunkt, sondern die Frage kirchlicher Mitverantwortung und Schuld angesichts von Nationalsozialismus und Schoah. Angefangen beim Stuttgarter Schuldbekenntnis (1945) bis hin zu den landeskirchlichen Verlautbarungen der achtziger und neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts ist es daraufhin zu einer zunehmend differenzierteren Schuldeinsicht gekommen. Wurde zunächst vor allem das Unterlassen und Schweigen der Kirche als Schuld bekannt, rückte bald auch der kirchlich überlieferte Antijudaismus christlicher Theologie ins Bewusstsein. Dadurch ergab sich die Notwendigkeit einer theologischen Revision und Neuformulierung der kirchlichen Wahrnehmung des Judentums. Ein erster Ansatz war bereits in einem Wort der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Berlin-Weißensee (1950) erkennbar: „Wir glauben, dass Gottes Verheißung über dem von ihm er-
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wählten Volk Israel auch nach der Kreuzigung Jesu Christi in Kraft geblieben ist.“8 30 Jahre später ist dieser Satz von der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland weitergeführt worden: „Wir glauben die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes als Gottes Volk und erkennen, dass die Kirche durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen ist.“9 Der ungekündigte Bund Gottes mit seinem Volk und die bleibende Erwählung Israels gehören bald zum theologischen Konsens innerhalb der evangelischen Landeskirchen, wie die 1991 vorgelegte zweite Studie der Studienkommission Kirche und Judentum der EKD feststellt.10 Die traditionell christliche Vorstellung einer Verwerfung, Enterbung und Ersetzung Israels durch die Kirche wird so überwunden. Wichtige Impulse hat dabei auch die Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden beim Deutschen Evangelischen Kirchentag gesetzt, die seit 1961 das christlich-jüdische Gespräch voranbrachte. Auf der Ebene des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) war der Ausschuss für Kirche und Jüdisches Volk (CCJP) bereits im sogenannten Bristol-Report (1967) bemüht, die stereotype kirchliche Wahrnehmung Israels in den Schemata von Verwerfung und Ersetzung zu überwinden. Die theologische Neuorientierung, die nicht nur in Deutschland, sondern auch auf europäischer Ebene, etwa in der Lutherischen Europäischen Kommission Kirche und Judentum (LEKKJ), begonnen hat, stellt die evangelische Theologie und Kirche allerdings vor Fragen, die mit dem Bekenntnis zur bleibenden Erwählung Israels allein nicht beantwortet sind. Während gegenwärtig die Absage an jeden Antisemitismus, das Eingeständnis kirchlicher Mitverantwortung und Mitschuld an der Schoah sowie die bleibende und unaufgebbare Verwurzelung des christlichen Glaubens in der Glaubensgeschichte Israels weitgehend geteilt werden, ist strittig, welche Konsequenzen sich aus der neu gewonnenen theologischen Wahrnehmung etwa für das missionarische Selbstverständnis der Kirche gegenüber dem Judentum ergeben. Ist Judenmission legitim? Im Raum der EKD zeichnet sich dabei zunehmend ein Verzicht auf judenmissionarische Aktivitäten ab.11 Die Studienkommission „Kirche und Judentum“ der EKD hat in ihrer dritten Studie aus dem Jahr 2000 ihren Missionsverzicht bekräftigt: „,Gott hat sein Volk nicht verstoßen‘ (Röm 11,1). Diese Einsicht lässt uns – mit dem Apostel Paulus – darauf vertrauen, Gott werde sein Volk die Vollendung seines Heils schauen lassen. Er bedarf dazu unseres missionarischen Wirkens nicht.“12 Es wird sich zeigen, inwieweit die aus der theologischen Neuorientierung nach der Schoah gewonnene Haltung gegenüber dem Judentum alle Strömungen im Protestantismus zu erreichen vermag. Gescheiterte Beziehungen oder abrahamitische Gemeinschaft? Der Blick auf den Islam Sowohl im Bereich einzelner protestantischer Autoren als auch bei offiziellen kirchlichen Stellungnahmen ist die Bandbreite der Sichtweisen auf den Islam groß.
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Leider muss mit Ludwig Hagemann weithin von einer „Geschichte gescheiterter Beziehungen“13 gesprochen werden, selbst wenn die verbesserte Kenntnis des Korans und der Geschichte des Islams sowie die zunehmende religiöse Pluralisierung auch westlicher Gesellschaften eine Klimaveränderung mit sich gebracht haben. Reformation und Aufklärung Die treibenden Motive Martin Luthers, sich abschätzig über den Koran und den Islam zu äußern, waren das osmanische Vordringen in Südosteuropa bis Wien und seine zunächst sehr oberflächliche Kenntnis des Korans, den er gemeinsam mit vielen Zeitgenossen für das Dokument einer christlichen Häresie hielt. Es scheint, dass Luther bereits früh Exzerpte des Korans in lateinischer Übersetzung zur Verfügung standen, die er gerne selbst ins Deutsche übersetzt hätte, um zu veranschaulichen, „welch faul schendlich buch es [der Koran] ist“.14 Am 11. Oktober 1541 erschien seine Vermanunge zum Gebet Widder den Tuercken, wenig später schien er den Koran auf Lateinisch gelesen zu haben, was allerdings seine Polemik verstärkte. Bekannt waren ihm die Werke des Ricoldus de Monte Crucis (Contra legem Sarracenorum, Ende des 13. Jahrhunderts) und des Nikolaus von Kues (Cribatio Alkorani, 1460/61), Ersterer zur Koranwiderlegung angelegt, Letzterer mit der Absicht des Brückenbaus zwischen Christentum und Islam. Luther wählte Ricoldus’ Schrift zur Übersetzung ins Deutsche, die Linie des Kusaners war ihm suspekt, Koran und Islam schienen ihm zunehmend ein Machwerk in der Nähe der römischen Werkgerechtigkeit, d. h. die Auseinandersetzung mit dem Koran stand für ihn unter dem Vorzeichen seines innerkirchlichen Konflikts. Für die Veröffentlichung der lateinischen Koranübersetzung von Robert von Ketton (1110?–1160?) von 1143 setzte er sich 1542 ein mit den Worten, sie werde den Christen zeigen, „wie gar ein verflucht, schendlich verzweivelt buch es sey, voller lugen, fabeln und aller grewel …“. Der Druck wurde daraufhin freigegeben. Die Aufklärung als Aufforderung zur freien Benutzung der eigenen Vernunft ohne geistige Fremdbestimmung stellte eine Herausforderung an die Kirche wie auch an den Islam dar, von beiden bis heute nur unzureichend eingelöst und nichtsdestoweniger von christlicher Seite gerne als kritische Waffe gegenüber dem Islam benutzt. Gotthold Ephraim Lessing definierte mit seiner Ringparabel in Nathan der Weise (1779) das Verhältnis der monotheistischen Religionen neu, indem er den Erweis des Geistes und der Kraft der Religionen nicht an apriorischen Offenbarungsansprüchen maß, sondern an der Glaubwürdigkeit gelebter Solidarität, Friedfertigkeit und Toleranz. Stimmen des 20. Jahrhunderts Das 20. Jahrhundert konnte auf eine größere Kenntnis der islamischen Religionsgeschichte und der koranischen Philologie und Theologie zurückgreifen.
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Insbesondere evangelische Missionare und Missionswissenschaftler hatten die Möglichkeit, in muslimischen Lebenswelten ihr Verständnis zu vertiefen. So ist die evangelische Sicht des Islams zwar immer noch apologetisch geprägt, die ausdrückliche Polemik jedoch tritt nach und nach zurück. Dem niederländischen Theologen Hendrik Kraemer (1888–1965) erschien der Islam in den 1930er Jahren „oberflächlich“, er beschreibt ihn als ein „großes synkretistisches Gebilde, in welchem theokratischer und legalistischer Islam, Mystizismus und verschiedene Arten von Volksreligion, in der die naturalistische Ader der primitiven Wahrnehmung der Existenz durchscheint, in einem System verwebt sind.“15 Er beobachtet eine fanatische Tendenz des Islam, die dazu führe, dass der „durchschnittliche Muslim“ (im englischen Original „Moslem“) bereit sei, um des Islams willen zu sterben oder auch einen Menschen zu töten, den er als Verunreiniger des Islams betrachtet. Der Islam stelle von medinensischen Zeiten an eine durch und durch säkularisierte Form der Gottesherrschaft (Theokratie) dar, ein Problem, das nirgendwo in der islamischen Theologie- und Rechtsgeschichte reflektiert werde. Insofern sei der Islam die Religion des „natürlichen Menschen“. In seiner Evangelischen Religionskunde (1951) sieht Gerhard Rosenkranz (1896–1983) den Islam zuvorderst durch einen freiheitsberaubenden gläubigen Unterwerfungsgestus des Menschen unter Gottes Willen und Gestaltungskraft geprägt. Das Handeln verliere seine Bedeutung gegenüber dem Glauben. Selbst die Gerechtigkeit Gottes sei seiner Willkür unterzuordnen, ein echtes personhaftes Gegenüber von Mensch und Gott gebe es nicht. Erst der Sufismus, die islamische Mystik habe sich frei machen können von dem Gedanken an Himmel und Hölle, Belohnung und Strafe; an seiner Haltung, die Rosenkranz als dem indischen Bhakti und dem japanischen Buddhismus des Reinen Landes nahe sieht, findet er Gefallen.16 Der Hamburger Theologe Walter Freytag (1899–1959) sieht den Islam in erster Linie als missionstheologische Herauforderung einer nachchristlichen Religion, die wachsen konnte, weil das Christentum ihr in schlechter Façon gegenübertrat. Das Christentum Arabiens im 7. Jahrhundert war introvertiert und sah die Zeichen der Zeit nicht, aus der verkürzten Botschaft des Evangeliums entstand die nachchristliche Religion (der Islam), deren Wachstum durch die fehlende Klarheit der christlichen Botschaft vom Kreuz bedingt und begünstigt wurde. Insofern hatte die „Mohammedanermission“ (sic!) ein schwieriges Feld zu beackern. Freytag nimmt den Islam und sein Erstarken in erster Linie als Botschaft über ein Defizit christlicher Mission wahr. Es geht ihm nicht um ein religionswissenschaftliches Durchdringen oder genuines Verstehen einer fremden und eigenwürdigen Religion, sondern um die Suche nach wirksamen Methoden der Konversionsmission unter Muslimen.17
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Stellungnahmen im Zeitalter der Migration Seit den 1960er Jahren wurden in den Stellungnahmen aus Theologie und Kirche zunehmend die Bedingungen berücksichtigt, die durch die Migration muslimischer Bevölkerungsteile in westliche Gesellschaften und durch die verbesserten Beziehungen zwischen religiösen Repräsentanten auf internationaler Ebene entstanden waren. Auf theologischer Ebene trat an vielen Stellen die Frage nach der Selbigkeit des einen Gottes von Juden, Christen und Muslimen in den Vordergrund. Im Anschluss an die heilsgeschichtlich vereinnahmenden Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, u. a. in Lumen gentium (1964), formulierte ein Dialogtreffen des Ökumenischen Rates der Kirchen mit Vertretern des Islam 1969: „Judentum, Christentum und Islam gehören nicht nur historisch zusammen, sie sprechen von demselben Gott, Schöpfer, Offenbarer und Richter.“18 Diese auf ökumenischer Dialogebene an mehreren Stellen bestätigte theologische Einsicht fand auch in einigen kirchlichen Äußerungen in Deutschland ihren Widerhall. Die Evangelische Kirche im Rheinland formulierte 1997 auf der Basis der christlichen Gotteslehre: Zwischen Gott und Gottesbildern ist zu unterscheiden. Auch wenn Menschen und Religionen verschieden von Gott reden, schafft die Vielzahl von Gottesbildern und Religionen keine Vielzahl von Göttern. Gott ist nach christlichem Bekenntnis einer und einzig (Dtn 6,4.5; Mk 12,28). Neben ihm gibt es keine anderen Götter. Es ist ein Gott, der an Christen und Muslimen, ja an allen Menschen handelt, auch wenn sie ihn verschieden verstehen und verehren, ihn ignorieren oder ablehnen.19
Der Text bezieht sich für diese interreligiöse Entfaltung der Gotteslehre auf die von der Arnoldshainer Konferenz und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) getragene Studie Religionen, Religiosität und christlicher Glaube (1991), die auf der Basis eines theozentrischen Ansatzes das Handeln des einen Gottes an Angehörigen vieler Glaubenstraditionen entziffert, das zugleich unterschiedliche Erfahrungen auslöst. Deutlich andere Akzente setzt der evangelikale Zweig des deutschen Protestantismus, der 1997 die Unvereinbarkeit von Christentum und Islam betonte und den Glauben „an den von der Heiligen Schrift bezeugten einen allmächtigen Schöpfer und Vater Jesu Christi“ der Unterwerfung „unter den vom Koran gemeinten Gott“ entgegensetzte.20 Auch in anderen Hinsichten zog die Erklärung der Lausanner Bewegung/Deutscher Zweig klare Linien: Sie riet von der Ehe zwischen christlichen und muslimischen Partnern und der Überlassung von kirchlichen Räumen für muslimische Veranstaltungen ab. Offizielle kirchliche Stellungnahmen von den 1970er Jahren bis in die 1990er Jahre waren von dem Bemühen um ein konstruktives Verständnis der fremden Kulturen und Religionen geprägt, die nun in Deutschland präsent wurden und heimisch werden wollten. In der gemeinsamen Migrationsschrift der beiden großen Kirchen Deutschlands hieß es 1997:
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Mit Juden und Christen stehen sie [die Muslime] in einer gemeinsamen abrahamitischen Tradition. Aufgrund dieser fundamentalen Gemeinsamkeit im monotheistischen Gottesglauben sollte das Verhältnis zwischen den Mitgliedern dieser Religionen in besonderer Weise von gegenseitiger Achtung und Toleranz geprägt sein.21
Im Folgenden wird die gleiche Religionsfreiheit für Christen wie Muslime betont, jedoch auch auf die Rahmenbedingungen des deutschen Rechts, Gleichberechtigung der Geschlechter u. a. hingewiesen. Diese Mahnung zur Passungsfähigkeit in Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit wird nunmehr zum stetigen Bestandteil evangelisch-kirchlicher Äußerungen gegenüber Muslimen, während gleichzeitig die theologische Einsicht in die abrahamitische Gemeinschaft, kaum von den deutschen Kirchen erworben, sich auch schon abzuschleifen beginnt. Der Migrationsdiskurs, die Menschenrechtsdebatte und die ethnografische Argumentation überlagern zunehmend den Islamdiskurs, was auch dazu führt, dass muslimische Migranten unterschwellig als Stellvertreter der Zustände ihrer Herkunftsländer betrachtet wurden und werden. Die EKD nimmt in ihren beiden größeren Stellungnahmen von 2000 und 2006 eine ausdrücklichere Formulierung des evangelisch-theologischen Profils vor, empfiehlt aber in ihrer Handreichung von 2000 eine konstruktive und kooperative Haltung gegenüber muslimischen Anliegen, die zur Ermöglichung freier Religionsausübung führen sollen. Auf die Formulierung eines christlichen Missionsansinnens wird verzichtet, der theologische Satz von dem einen und selben Gott ist allerdings nur noch indirekt zu spüren hinter der vereinnahmenden Formulierung, dass sowohl die Gebete der Muslime als auch die der Christen vom dreieinen Gott erhört würden.22 Seit der Migrationsschrift zieht sich durch die kirchlichen Äußerungen die Ansicht, die Sharia bzw. das islamische Strafrecht sei grundsätzlich nicht mit dem deutschen Recht vereinbar und deshalb seine Einführung in Deutschland nicht wünschenswert. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 wurden weithin zu einer Verschärfung des Tons gegenüber Muslimen genutzt, und auch die EKD folgte diesem Trend und legte 2006 gegenüber der früheren Handreichung „weitergehende und vertiefende Orientierungen“ vor, die diesmal insbesondere den Missionsauftrag den Muslimen gegenüber schon zu Beginn der Schrift entfalten. Die Frage der Selbigkeit Gottes in beiden Religionen wird mit großer Vorsicht behandelt: „Ihr Herz werden Christen […] schwerlich an einen Gott hängen, wie ihn der Koran beschreibt und wie ihn Muslime verehren.“23 Weite Teile kirchlicher Äußerungen sind weniger theologische Auseinandersetzungen als Beiträge zum zivilgesellschaftlichen Diskurs über Islam und Integration, aber auch Fragen wie die Anerkennung Mohammeds als Prophet, die koranische Leugnung des Kreuzestodes Jesu oder die islamische Anthropologie (Sünden- und Gnadenverständnis) sind immer wieder Gegenstand evangelischer Autoren, in je unterschiedlichen Richtungen. Die Genfer Ökumene ist der theologischen Begegnung treu geblieben; in diesem
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Sinne greift der frühere ÖRK-Dialogbeauftragte Stuart Brown Sure 5,82 („… diejenigen, die den Gläubigen in Freundschaft am nächsten stehen…“) programmatisch positiv als Titel eines Buches zum Islam auf.24 Welt- und Lebensverneiner oder Anhänger der „Gnadenreligion“? Der Blick auf den Hinduismus Vielfältig wie der Hinduismus selbst sind auch die Darstellungen und Beurteilungen, die er im Raum des Protestantismus erfuhr. Dies liegt u. a. an den verschiedenen Erfahrungsfeldern, an den unterschiedlichen leitenden Interessen und nicht zuletzt auch an der größeren oder geringeren Lernfähigkeit und Bereitschaft, vorgefasste Haltungen zu modifizieren. Ein indischer Christ, der im Hinduismus „seine spirituelle Mutter“25 sieht, wird diesen anders beurteilen als ein Betrachter, der vor allem danach fragt, „wie weit sich die christliche Religion ihr [der indischen Religion] überlegen erweist“26 oder ein Europäer, der eine im Westen aktive hinduistische Bewegung vor Augen hat. Einige Aspekte der in sich vielgestaltigen Sicht des Hinduismus durch protestantische Christen sollen im Folgenden kurz umrissen werden. Vom ‚Indischen Heidentum‘ zum ‚Hinduismus‘ Als die ersten protestantischen Missionare mit indischen Religionen in Kontakt kamen, waren diese in ihren Augen Ausprägungen des Heidentums. Entsprechend gab Bartholomäus Ziegenbalg (1682–1719), der erste protestantische Missionar in Indien, einer Darstellung der Religion der dort lebenden Bevölkerungsmehrheit den Titel Malabarisches Heidenthum (vgl. S. 122 f.). Die generalisierende Bezeichnung ‚Hinduismus‘ entstand vermutlich erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Als die Bewahrer und zugleich die Nutznießer dieser Religion sah man häufig die Brahmanen, die die große Menge des Volkes in einer religiös begründeten Abhängigkeit und Unterwerfung festhalten. Für manche war der Hinduismus ein Werk des Teufels, von diesem „zur Verblendung vieler Millionen wahrheitsbedürftiger Menschenherzen“ ersonnen, und die hinduistischen Priester waren „Teufelsdiener“, in deren Nähe es sogar dem lutherischen Missionar Wörrlein „öfter sehr unheimlich vorgekommen“ ist.27 Persönlicher Kontakt und eingehendere Kenntnis des religiösen Schrifttums weckten bei manchen Missionaren Zweifel an dem negativen Pauschalurteil. So fand Ziegenbalg in den von ihm studierten hinduistischen Werken „viel Gutes und Vernünftiges“.28 Pantheismus Der „Durchschnitts-Hindu“ ist nach Ansicht des methodistischen Missionars Haigh Pantheist. Als solcher finde er das Göttliche überall in der Natur und
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könne alles zu einem Gegenstand religiöser Verehrung machen. Die Charakterisierung des Hinduismus als Pantheismus trat von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an stark in den Vordergrund. Sie begegnet nicht nur bei Missionaren, sondern auch bei Indologen und Philosophen wie Hegel, Schlegel und Schopenhauer. In dieselbe Richtung – wenn auch mit umgekehrter Akzentuierung – geht es, wenn Hilko Wiardo Schomerus (1879–1945) im Anschluss an Rudolf Otto (1869–1937) den Hinduismus als ‚Theopanismus‘ bezeichnet.29 Schon im Jahr 1840 freilich hatte Robert Caldwell (1814–1891), der spätere Coadjutor Bischof von Madras, darauf hingewiesen, dass manche Europäer eine Einheit sähen, wo es sich in Wirklichkeit um „völlig verschiedene Religionen“ handle.30 Welt- und Lebensverneinung Den Pantheismus verstanden viele christliche Beobachter als Ursache für eine weltabgewandte Haltung, die sie bei den Hindus meinten diagnostizieren zu können. Für wen die Realisierung der Einheit mit dem hinter der Welt stehenden Einen und Göttlichen das alles bestimmende Lebensziel sei, der verliere das Interesse an der Welt. Passivität und Fatalismus, zusätzlich genährt aus der Karma-Vorstellung, bestimmten das Leben in der Welt. Eine aktive Gestaltung des Volkslebens könne daraus nicht erwachsen. In der Missionsliteratur wurde die These von der Welt- und Lebensverneinung des Hinduismus durch eindrückliche Bilder illustriert, etwa durch Asketen, die auf einem Nagelbrett liegen. Auf höherem Niveau und in differenzierterer Weise hat auch Albert Schweitzer (1875–1965) die Welt- und Lebensverneinung als einen Grundzug hinduistischer Lebenseinstellung dargestellt.31 Es konnte freilich auf die Dauer nicht verborgen bleiben, dass es auch im Hinduismus aktive Lebensgestaltung gab und dass auch das Christentum eine Welt- und Lebensrelativierung kennt, also allenfalls eine unterschiedliche Gewichtung vorliegt, worauf Rudolf Otto hinwies.32 Sittlicher Indifferentismus Die Empörung über die sittlichen Verhältnisse in Indien, für die man die Religion verantwortlich machte, wurde vor allem in der Missionsliteratur oft in drastischer Weise zum Ausdruck gebracht. „In der Sünde wälzt sich der Heide; seiner Lüste und Begierden Sklave ist er; mit ehernen Fesseln hat ihn der Lügner von Anfang umgarnt; ... Der religiöse Bankerott war gefolgt von einem sittlichen Bankerott.“33 Die am häufigsten genannten Beispiele waren die Witwenverbrennung, Aussetzung von Mädchen, die Verheiratung von Kindern und die Behandlung Sterbender. Moralische und soziale Missstände wurden oft auf den Pantheismus zurückgeführt, der – wie man annahm – die Unterscheidung von Gut und Böse verwische und das Verantwortungsbewusstsein lähme. Demgegenüber
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hatte Ziegenbalg den Eindruck gewonnen, dass die Malabaren, d. h. die Inder in seinem Erfahrungsbereich, „ein sehr stilles, ehrliches und tugendhaftes Leben“ führten.34 Irrationalität und Unwissenschaftlichkeit Vielen protestantischen Beobachtern bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts schienen die Hindus in Vorstellungen befangen zu sein, die angesichts westlicher Bildung und Wissenschaft unhaltbar waren. In ihren Mythen war von Menschen die Rede, die 30 000 Jahre alt wurden. Die geografischen Vorstellungen waren mit der modernen Erkenntnis der Welt unvereinbar. Julius Richter (1862–1940), Missionswissenschaftler in Berlin, war der Ansicht, dass jeder Hindu, der eine Missionsschule besuche, „in seinem Glauben tief erschüttert, wenn nicht gar an ihm irre“ werden müsse.35 Diese Erwartung erwies sich allerdings als Irrtum. Der Hinduismus als Vorbereitung auf das Christentum Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wichen im Großen und Ganzen die generalisierenden, abwertenden Gesamturteile einer differenzierteren, teilweise auch positiven Sicht. Sprach schon Ziegenbalg von einer allgemeinen Gotteserkenntnis der Tamilen, so vertrat Frederick Denison Maurice (1805–1872) die Ansicht, dass in Christus die anderen Religionen zu ihrer Erfüllung kämen. Diese Vorstellung gewann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Bedeutung und fand ihren klassischen Ausdruck im Titel des Buches The Crown of Hinduism (1913) von John Nicol Farquhar (1861–1929). Eine Überlegenheit des Christentums wird auch hier noch festgehalten: Es bringt den Hinduismus zu seiner Erfüllung, die er selber offenbar nicht erreicht. Der Hinduismus weist über sich hinaus. Aber er ist nicht mehr negatives Kontrastbild zum Christentum. Er ist nicht mehr ein Weg zur ewigen Verdammnis, sondern ein Stück des Weges zum richtigen Ziel. Die Schwäche des Hinduismus wurde dabei vor allem in der Ethik und der aktiven Gestaltung von Gesellschaft und Welt gesehen. Anregung und Bereicherung durch den Hinduismus Anregung und Bereicherung fanden manche indische und westliche Christen in der hinduistischen Spiritualität, z. B. im Yoga. Sadhu Sundar Singh (1889–?), der wohl bekannteste indische Christ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, stand zwar den Lehren des Hinduismus kritisch gegenüber, übernahm aber die Lebensform des Sadhu. Beeindruckend und anregend waren einzelne hinduistische Persönlichkeiten, unter denen Mahatma Gandhi (1869–1948) herausragt, von dem der methodistische Missionar Stanley Jones (1864–1973) sagte: „Niemals in der menschlichen Geschichte wurde auf das Kreuz so viel Licht geworfen wie durch diesen Mann.“36
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Parallelen Schon im 19. Jahrhundert stellten indische Christen und westliche Autoren die Nähe der indischen Bhakti-Frömmigkeit der liebenden Hingabe an die Gottheit zum Christentum fest. In Bezug auf diese hat Rudolf Otto von der „Gnadenreligion Indiens“ gesprochen.37 Das Heil des Menschen wird ausschließlich als das Werk Gottes verstanden, zu dem der Mensch nichts beiträgt. So jedenfalls in der südindischen „Katzenschule“: Während sich die kleinen Affen an die Mutter klammern müssen, damit diese sie in Sicherheit bringt, wenn Gefahr droht, tun die kleinen Katzen gar nichts. Vielmehr packt die Mutter sie am Genick und rettet sie. So handelt der Gott Shiva mit seinen Verehrern. Trotz dieser Parallele zu reformatorischem Denken stellt Otto eine „Achsenverlagerung“, eine „Geistesverschiedenheit“ fest beim Vergleich der indischen Bhakti-Frömmigkeit und dem Christentum. Während die Nähe der Bhakti-Frömmigkeit zum Christentum unübersehbar ist, hat Michael von Brück auch die Philosophie des Advaita-Vedanta zum Christentum in Beziehung gesetzt, und zwar zur Trinitätslehre, die er in einem nichtdualistischen Sinn versteht.38 Eine Nähe zur Botschaft Jesu findet der Methodist William Henricks Wiser (1890–1981) erstaunlicherweise in der Kastenordnung, die seiner Ansicht nach illustriert, „dass kein Mensch ein Recht hat, nur für sich selbst zu leben, und dass die Starken die ethische Verpflichtung haben, die Bürde der Schwachen zu tragen.“39 Der Hinduismus als geistiger Rahmen des Christusverständnisses Am entschiedensten hat K. P. Aleaz, der am Bishop’s College in Kolkata (Kalkutta) Religionswissenschaft unterrichtet, den christlichen Glauben in den Kontext der indischen Philosophie, und zwar konkret in die Advaita-Philosophie, gestellt. Jesus wird hier verstanden als „der Prototyp derer, die das Selbst kennen“.40 Hier bietet eine Ausprägung indischer Philosophie den geistigen Rahmen, in dem und von dem her der christliche Glaube verstanden wird. Überblickt man die Haltung protestantischer Christen zum Hinduismus seit Beginn des 18. Jahrhunderts, dann lässt sich eine Entwicklung von einer pauschalen Verurteilung und aggressiven Bekämpfung hin zu einer auf Verständnis und Gemeinschaft ausgerichteten Haltung feststellen. In diesem Zusammenhang sind auch die hinduistisch-christlichen Dialoge zu sehen, die in Indien und – unter Vermittlung des Ökumenischen Rates der Kirchen – an verschiedenen anderen Orten stattfanden.
Der Blick auf den Buddhismus
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Unvereinbare Erlösungslehre oder vergleichbarer Liebesgedanke? Der Blick auf den Buddhismus Dank der Vielfalt des Protestantismus wie auch des Buddhismus sind die Perspektiven und Dialogorte der evangelisch-buddhistischen Begegnung zahlreich, unterschiedlich und schwer zusammenzufassen. So hat die Meditationspraxis einiger Zweige des Buddhismus viele evangelische Christen und Theologen angeregt zu einer Vertiefung ihrer eigenen Spiritualität, die Gnadenphilosophie des ostasiatischen Buddhismus des Reinen Landes hat zum Dialog mit der Rechtfertigungstheologie geführt, und das Entstehen und sprunghafte Anwachsen von buddhistischen Laienbewegungen in Japan hat den evangelischen Theologen Werner Kohler (1920–1984) in den 1960er Jahren Reformimpulse auch für die westliche Kirche sehen lassen. Tonangebend für weite Teile des evangelischen Christentums in der Mitte des 20. Jahrhunderts war Karl Barths Haltung zu den Religionen. In seiner Kirchlichen Dogmatik formulierte er 1938 das Auseinandertreten der Offenbarung Gottes in Jesus Christus einerseits und der eigenmächtigen Religiosität des Menschen andererseits. Barth wendet sich dem japanischen Amidismus zu, in dem er eine mögliche Parallele zur reformatorischen Theologie und diese jedenfalls ihrer Originalität entkleidet sieht. Bei aller Ablehnung der Erlösungsfähigkeit durch gute Werke und aller Betonung des reinen Gnadenerweises des Bodhisattva Amida durch Shinran (1173–1262) kann Barth hier jedoch in Anbetracht des Fehlens des Namens Jesu Christi auch in dieser „Gnadenreligion“ keine wahre Religion erkennen. Unter dem Einfluss dieses Denkens stand der niederländische Missionstheologe Hendrik Kraemer, der den Amidismus in enge Nähe zum indischen bhakti, der Frömmigkeit der innigen Hingabe zu Krishna, rückt. Er sieht die Zentralität des menschlichen Glaubens, der die Errettung erwirken soll und für den Amida nur das Mittel der Erlösungsbedürftigkeit darstelle. Es fehle der historische Akt der Errettung durch Gott in Jesus Christus. Zu anderen theologischen Einsichten gelangten manche Missionare, die dem Glaubensleben von Buddhisten in Ostasien begegneten. Der norwegische Lutheraner Karl Ludwig Reichelt (1877–1952), seit 1903 Chinamissionar, war der Meinung, dass der Mahayana-Buddhismus frühchristlich beeinflusst sei, und entwickelte eine vereinnahmende christlich-buddhistische Anknüpfungstheologie. Der chinesische Amida-Buddhismus des Reinen Landes mit der Anrufung des Amida-Mantras korrespondierte für ihn mit der christlichen unio mystica, der Vereinigung von Gott und Mensch als Höhepunkt mystischer Versenkung. Reichelt führte buddhistische Elemente in seine Liturgie ein und benutzte das aus dem Lotos emporwachsende nestorianische Kreuz. Mittelbar knüpfte er dabei an den jesuitischen Chinamissionar Matteo Ricci (1552–1610) und dessen Versuche einer christlichen Einbindung der chinesischen Geisteswelt an.
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Der evangelische Blick auf andere Religionen
Asiatische Entwürfe Während Reichelt in Europa in einem durch Barth und Kraemer geprägten Klima scharfen Angriffen ausgesetzt war – in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war der Marburger Theologe Rudolf Otto mit seiner positiven Verbindung der Religionen (also auch des Buddhismus) über das Thema der Mystik ein Einzelgänger –, nahmen sich asiatische Theologen, selbst wenn sie im Westen studiert hatten, zunehmend die Freiheit, ebenfalls positiv auf den Buddhismus zuzugehen. Der taiwanesische Presbyterianer Choan-Seng Song (geb. 1929) greift in seinen Büchern Themen aus Daoismus, Konfuzianismus und Buddhismus auf, oft in sich vermischender Weise und ohne einen systematisierenden Entwurf. Sein Werk stellt er in den Dienst einer asiatischen Spiritualität des Lotos, mit dem er Einklang mit der Natur, Anpassung an das Wehen des Windes und tiefen inneren Frieden assoziiert, während das Kreuz „mächtig, quälend und trotzig“, ja „abstoßend“ auf den Betrachter wirke.42 Die Geburtsgeschichte des Buddha ist für Song mit ihrer Fülle an wunderhaften Elementen ebenso wie die Geburtsgeschichte Jesu in Lk 2 für Christen ein Ausdruck des tiefen Glaubens der Buddhisten an die errettende Kraft des Buddha, die deshalb auch wunderhaft sein darf. An Joh 9 sowie an einem Dialog zwischen dem Buddha und seinem Schüler Kassapa zeigt Song, dass es sowohl Jesus als auch dem Buddha um eine fundamentale Reform des Leidensverständnisses ihrer Zeit gegangen sei. Songs Begegnung mit dem Buddhismus wie auch mit anderen ostasiatischen Traditionen ist erzählend und gelegenheitsorientiert; ähnlich der japanischen evangelischen Theologen Yoshio Noro (geb. 1925), der in biografischen Episoden seine Begegnungen mit volksreligiösen Elementen des japanischen Buddhismus rekapituliert und theologisch reflektiert. Noro ist insbesondere von dem Kult und der Philosophie um den Bodhisattva Kannon (Sanskrit Avalokiteshvara) fasziniert, dessen Barmherzigkeitskonnotationen (Lotos-Sutra Kap. 25) er in der Nähe zur Rechtfertigungstheologie Luthers ansiedelt. Er sieht aber keine direkte Vergleichbarkeit Christi und Amidas, sondern vertritt ein religionstheologisches Modell der konzentrischen Kreise, in dem Christus im Zentrum steht und sich mit den religiösen Angeboten der Umgebung in Begegnung und Dialog befindet. Im Konzept von agape (Liebe) nach Reinhold Niebuhr (1892–1971) und Paul Tillich (1886–1965) könnten sich ein christlicher und ein auf Kannon und die shintoistische Gottheit Benzaiten bezogener buddhistischer Liebesgedanke miteinander vermitteln lassen. Auch der evangelische japanische Theologe Kosuke Koyama arbeitet sich an einzelnen Themen des Buddhismus ab und entscheidet sich mal für Vergleichbarkeit, mal für Unvereinbarkeit mit christlicher Theologie: Der Lehre des an-atta, der Einsicht von der Vergänglichkeit des Ich/ Selbst in der buddhistischen Lehre, stellt er die Ich-Stabilisierung, die Wiederherstellung des Ich in der Botschaft Jesu gegenüber, der A-Pathie und coolness des buddhistischen Heiligen (arahant) stellt er die Hitze und das Leiden des
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christlichen Gottes gegenüber, der in der Geschichte ist und an ihr und den Menschen „anhaftet“ und sie eben so errettet. Zugleich beschreibt er nirvana als eine „Leerheit, die die Leerheit entleert“, somit sei es nicht nichts, sondern „wunderbares Sein“ und komme damit dem christlichen Gottesbegriff etwa des Nikolaus von Kues sehr nahe. Im Unterschied zu Koyama meinte der srilankische Methodist Lynn A. de Silva (1919–1982), die buddhistische Nicht-Ich-Lehre und die paulinische Anthropologie („nicht ich, sondern Christus lebt in mir“, Gal 2,20) als Gedanken von einem Ich in Beziehungen miteinander ins Gespräch bringen zu können: Von einer unsterblichen Seele könne im Christentum ebenso wenig wie im Buddhismus die Rede sein. Während bereits bei de Silva ein systematisches Zugehen auf die Vereinbarkeit und Vergleichbarkeit von Gedankengängen zwischen Christentum und Buddhismus zu sehen ist, ist dies umso stärker der Fall bei den beiden japanischen Grenzgängern Katsumi Takiwaza (1906–1984, 1958 evangelisch getauft) und Seiichi Yagi (geb. 1932), die christlich-buddhistische Theologien entwickelten.43 Deutsche protestantische Theologen zum Buddhismus Die gegenwärtige theologische Auseinandersetzung mit dem Buddhismus ist auch in Deutschland geprägt von guter, z. T. auch auf Begegnungen und/oder Auslandsaufenthalten beruhender Kenntnis und einer weit fortgeschrittenen religionswissenschaftlichen Materiallage. Der Marburger Dogmatiker HansMartin Barth (geb. 1939) hat in seiner Dogmatik (2001) erstmalig den Versuch unternommen, den evangelischen Glauben „im Kontext der Weltreligionen“ darzustellen. Auf feingliedrige Weise werden die Themen der evangelischen Dogmatik an entsprechenden Glaubenselementen der anderen Weltreligionen gespiegelt. Als Matrix legt Barth das grundlegende Auslegungsmuster des trinitarischen Denkens an: Er sieht die Dreiheit als „Struktur-Modell für das Verständnis der Begegnung zwischen dem Absoluten und dem Relativen, wo immer sie stattfindet“.44 Für den Mahayana-Buddhismus seien das Nirvana und die Bodhisattvas das Korrespondenzthema. Barth verzichtet auf den sonst häufig unternommenen Versuch, die Trinitätslehre der buddhistischen Dreileiberlehre (trikaya) zu parallelisieren, und pflegt die Begegnungen behutsam ohne Vereinnahmungen auf der Basis buddhismuswissenschaftlicher Literatur. Er will weder Religionsphilosophie treiben noch eine Vorlage für „praktische Missionstätigkeit“ liefern. Der Hamburger systematische Theologe Jörg Dierken (geb. 1959) legt in seiner Begegnung mit der dem Zen-Buddhismus nahe stehenden Kyoto-Schule ein religionsphilosophisches Interesse an den Tag. Er arbeitet die Gedankengänge der wichtigsten „Kyoto-Philosophen“ Nishitani, 1900–1990; Nishida, 1870–1945 und Tanabe, 1885–1962, heraus, gestaltet die christliche Begegnung mit ihnen jedoch mit der Absicht, mit Unter-
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schieden umzugehen und nicht mit dem Bedürfnis einer Synthese bzw. Vogelperspektive. Christliche Selbstklärung im Gespräch mit buddhistischem Denken bedeutet daher, das unauflösliche Ineinander dieser Entsprechung [des Selbstbewusstseins des Nichts gegenüber dem Selbstbewusstsein individueller Freiheit] und dieses Widerspruchs [des Letzteren gegen das Erstere] zu verstehen.45 Im Unterschied dazu, wenn auch mit einem vergleichbaren religionsphilosophischen Anliegen wie Dierken, geht es Fritz Buri (1907–1995, Basel) ebenfalls in Auseinandersetzung mit der Kyoto-Schule einerseits zwar um eine gegenseitige Profilierung buddhistischen und christlichen religiösen Selbstverständnisses, andererseits aber auch um die Zusammenführung auf der Ebene von dialogischen Symbolen. Anhand einer Reihe von Symbolpaaren (Erleuchtung und Heiliger Geist, das Nichts als das Geheimnis des Seins und der Buddha-Christus als der Herr des wahren Selbst, die Buddha-Natur und die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, das Bodhisattva- und das In-Christus-Sein, das Schweigen des Buddha Shakyamuni und das Kreuz Jesu Christi) weist Buri auf ihre Kapazität als jeweils „möglicher Ausdruck eines sinngebenden Selbstverständnisses“ hin; in einer Zeit, in der konkurrierende exklusive Heilsansprüche von Christentum und Buddhismus zum Anachronismus geworden seien, sei es sinnvoll, sich anhand solcher symbolischer Vermittlungen im Dialog neu zu besinnen.46 Michael von Brück (geb. 1949) als evangelischer Religionswissenschaftler beschreibt Christentum und Buddhismus als fließende Größen, die sich je in der Interaktion der gläubigen Menschen konstituieren. Religiöse Traditionen sind unter je spezifischen Umständen entstanden und pflegen ihren je eigenen Herkunftsmythos, können aber im Sinne der buddhistischen Lehre des „Entstehens in gegenseitiger Abhängigkeit“ in Interaktion treten, sich im Dialog neu definieren, gegenseitig spiegeln und kreativ sich selbst und den anderen neu interpretieren, ohne deshalb zu verschmelzen oder zu einer vermischenden Neubildung zu gelangen.47 Die kurz skizzierten Vorschläge der letzten Jahre zeigen, dass die apologetischmissionarische bzw. „neo-orthodoxe“ Auseinandersetzung mit dem Buddhismus (K. Barth, Kraemer) einer religionswissenschaftlich und religionsphilosophisch informierten Begegnung gewichen ist: Dialogische Annäherungsbereitschaft und Formulierung des eigenen Profils werden je nach Ausrichtung der Autoren unterschiedlich gewichtet. Buddhismus wird zunehmend als eine zeitgeistlich-spirituelle und geistige Herausforderung wahrgenommen, die über Missions- und Religionswissenschaft hinaus auch zum Thema der systematischen Theologie wird.
Der jüdische Blick auf andere Religionen
Das rabbinische Judentum ist von der Vorstellung geprägt, eine einzigartige Kultur zu sein, die mit der biblischen Erwählungsgeschichte des Volkes Israel als Volk Gottes untrennbar verknüpft ist. Zeichen dieser Erwählung ist die Tora, die Gott bei der Sinaioffenbarung seinem Volk in schriftlicher (Pentateuch) und mündlicher (Talmud und rabbinisches Schrifttum) Form gegeben hat. Für die Juden wurde die Tora kulturell, gesellschaftlich und politisch Grundlage ihres Seins, ihrer Identität. Die Befolgung der Toranormen, die das Leben des Einzelnen wie der Gemeinde regeln, zeigt nach außen die Verbundenheit des jüdischen Volkes mit Gott. Dies führte in biblischer Zeit zu einem stark theokratisch ausgerichteten Staat mit Jerusalem und seinem Tempel als dem politischen und geistigen Zentrum aller Juden. Der Tempel, laut Tradition von Gott selbst entworfen und als sein irdischer Sitz gewählt (vgl. 1 Chr 28,11–19), um seine Präsenz mitten in seinem Volk zu zeigen, hatte als einziger zugelassener Kultort eine vereinende Funktion und stärkte das Gefühl der religiösen Zugehörigkeit. Der Verlust der politischen Unabhängigkeit und die Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) konnten diese Verbundenheit nicht aufheben, sondern erhöhten vielmehr die Sehnsucht nach der Wiederkehr alter Zeiten, als der Tempel in Jerusalem noch Mittelpunkt des jüdischen Lebens war. Die völlig veränderten politischen Rahmenbedingungen, das Leben als Minderheit unter fremden Kulturen, die aufkommende Konkurrenz des Christentums und des Islams ließen das Judentum noch stärker um die Tora zusammenrücken, um seine Identität zu bewahren. Die strikte Einhaltung der Toranormen wurde als Mittel empfunden, sich von der fremden Umwelt abzugrenzen, und vermittelte das Gefühl einer religiösen, moralischen und kulturellen Überlegenheit. „Macht einen Zaun um die Tora“ lautet ein bekannter rabbinischer Spruch (Avot I,1). Dieser Zaun wurde (und wird) aber von den Rabbinern je nach den historischen und sozialen Umständen enger oder weiter gesetzt. Die geforderte Abgrenzung von der Außenwelt hat aber nie − auch nicht zur Zeit der Ghettos – eine totale Ausgrenzung bedeutet, auch wenn historisch und lokal bedingt verschiedene Akzentuierungen zu beobachten sind. Die Konfrontation mit der Kultur und der Religion der Mehrheit zwingt zu einer Reflexion über die eigene Identität. Der Kulturkontakt führte zwar zu einer Ausgrenzung fremder Elemente, aber auch, bis zu einem gewissen Grade, zu ihrer Aneignung und ihrer
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Integration in die jüdische Tradition, solange die eigene theologische Weltanschauung bewahrt oder dadurch sogar gestärkt werden konnte. Im Folgenden werden im Sinne einer theologiegeschichtlichen Betrachtungsweise die Reaktionen aufgezeigt, die durch die Begegnung mit dem Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus im Judentum entstanden sind. Heidnische Religion oder Teilhaber des biblischen Erbes? Der Blick auf das Christentum In einem Interview, das Paula Hirth 1971 mit dem Philosophen Yeshayahu Leibowitz geführt hat, bezeichnete dieser das Christentum als pagan religion, d. h. eine heidnische Religion, weil das Christentum Gott Attribute zuschreibe. Eine solche Aussage mag dem christlichen Leser zwar befremdlich erscheinen, jedoch war dies lange Zeit die geläufige Auffassung jüdischer Gelehrte vom Christentum, und sie findet noch heute ihre Anhänger. Wie konnte (und kann) aber das Christentum, das aus dem streng monotheistischen Judentum entstanden ist, als „polytheistisch“ aufgefasst werden? Ein historischer Rückblick kann dabei helfen, die apologetischen und religionsphilosophischen Hintergründe zu klären. Die jüngste Forschung über die Geschichte des Frühjudentums (vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis 2. n. Chr.) hat mehrfach betont, dass man in diesem Zeitraum nicht von einem „orthodoxen“ Judentum sprechen kann. Das Judentum war vielmehr bis etwa Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. von mehreren Strömungen und Gruppierungen mit unterschiedlichen Auffassungen über den Kult und durch variierende religiös-gesetzliche Vorschriften geprägt, so dass ein Forscher wie Jacob Neusner provokativ von Judaisms im Plural spricht.1 Infolge des monopolistischen Anspruchs der Rabbinen ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. und ihrer Traditionsauswahl und Geschichtsdarstellung hat sich allerdings das Bild eines normativen, einheitlichen Judentums ergeben, wobei die Spuren anderer Traditionen weithin verwischt wurden. Nur aus rabbinisch nicht mehr überlieferten Quellen wie Philo und Josephus und aus dem Neuen Testament war eine Unterscheidung von drei bzw. vier – allerdings recht schematisch dargestellten – Richtungen erkennbar: Sadduzäer, Pharisäer, Essener, und Zeloten. Die Entdeckung der Schriften vom Toten Meer und aus der Wüste Juda mit der dadurch verursachten neuen Bewertung der bisher bekannten Quellen hat in der modernen Forschung den Blick für den frühjüdischen Pluralismus geschärft. Auch die moderne Erforschung des Frühchristentums hat das traditionelle Bild von einer ursprünglichen unlösbaren Spaltung von Judentum und Christentum, die schon in dem Neuen Testament belegt sei, infrage gestellt. Die kritischen Aussagen Jesu und der Apostel gegen die „Juden“ werden heute meist als Teil einer innerjüdischen Auseinandersetzung angesehen. Zu Recht wird heute zunehmend erkannt, dass diese Aussagen erst später, als die Trennung von Chris-
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tentum und Judentum vollzogen war, von christlichen Exegeten als Belege einer deutlichen Ablehnung und Verurteilung des gesamten jüdischen Volkes interpretiert wurden. Der Vergleich mit dem Alten Testament und den Schriften von Qumran zeigt, dass scharfe Vorwürfe wie „Prophetenmörder“ oder Bezeichnungen wie „Söhne Belials“ oder „des Teufels“, die im Neuen Testament gegen die „Juden“ gerichtet werden, in Wirklichkeit als literarische Redewendungen zu verstehen sind, die zum üblichen Sprachgebrauch im Streit zwischen den rivalisierenden jüdischen Gruppen gehörten.2 Da im Frühjudentum verschiedene Vorstellungen in der Ausübung der religiösen Vorschriften (hebräisch: halakha) und in den messianischen Erwartungen herrschten, waren nicht die religiös-ethische Lehre oder der Glaube an Jesus als Messias entscheidend für die endgültige Trennung des Christentums vom Judentum, sondern ethnische und politische Faktoren und unterschiedliche Praktiken. Was das Christentum von den anderen jüdischen Sekten grundsätzlich unterschied, war die Aufnahme von Mitgliedern nichtjüdischer Abstammung, ohne von ihnen den Übertritt zum Judentum zu verlangen, d. h. ohne sie zur Beschneidung und zur Einhaltung der Reinheitsvorschriften zu verpflichten. Diese Entscheidung fiel in dem sogenannten Apostelkonzil (zwischen 44 und 49 n. Chr.) und löste eine heftige Diskussion unter den Aposteln (Apg 15,1–33) aus. Die Folgen dieser Entscheidung waren ein wachsender Anteil von Nichtjuden unter den Christen und ihre zunehmende Entfremdung von der jüdischen Torapraxis. Die frühen (Juden)-Christen blieben jedoch eine Randgruppe innerhalb des Judentums, von der die Rabbinen kaum Notiz nahmen. Selbst Jesus und seine Kreuzigung hatten im damaligen Judentum nicht jene Bedeutung, die man dem später beimaß. Der erste jüdische Autor, der Jesus erwähnte, war der Historiker Flavius Josephus in zwei Abschnitten seiner Antiquitates Judaicae („Jüdische Altertümer“ um 90 n. Chr.). In dem ersten Abschnitt (Ant. XVIII, 63–64) wird Jesus als ein tugendhafter, weiser Mann beschrieben, der durch seine Lehre viele Anhänger gewinnen konnte; diese glaubten, Jesus sei von Pontius Pilatus zum Kreuzestod verurteilt worden und seinen Jüngern am dritten Tage wieder lebendig erschienen, und er sei der Messias gewesen, den die Propheten verkündet hatten. Die Echtheit dieses Abschnitts ist jedoch umstritten. In dem zweiten Abschnitt (Ant. XX, 200), dessen Echtheit meist nicht angezweifelt wird, berichtet Josephus, dass der Hohepriester Ananos den Apostel Jakobus zur Steinigung verurteilt habe; dabei wird Jakobus als „der Bruder Jesu, des sogenannten Christus“ bezeichnet. Aus etwa derselben Zeit datiert die zwölfte „Benediktion“ (euphemistisch für Verwünschung) „der Ketzer“ (hebräisch: birkhat ha-minim) im Achtzehnbittengebet, dem dreimal täglich zu rezitierenden Pflichtgebet. Der ursprüngliche Text ist nicht erhalten geblieben. Die zahlreichen Textvarianten beweisen, dass die minim nicht das Hauptziel der Verwünschung waren. Unter den minim waren alle
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von der rabbinischen Lehre abweichenden Gruppen inbegriffen, zu denen auch (aber nicht nur) Judenchristen hätten gehören können. Auch wenn es fraglich ist, ob unter den minim tatsächlich auch Judenchristen zu verstehen sind, ist auf jeden Fall zu dieser Zeit (Ende des 1. Jahrhunderts) der Anfang der allmählichen Trennung von Juden und Judenchristen zu datieren. Mitte des 2. Jahrhunderts konnte Justin der Märtyrer (gest. um 160) die christliche Gemeinde als verus Israel („das wahre Israel“) bezeichnen, um sich von den ungläubigen Nichtjuden, die jetzt „Heiden“ genannt werden, und von den Juden, die Jesus nicht als Messias erkennen, abzusetzen. In seiner Streitschrift Dialogus cum Triphone Judaeo („Dialog mit dem Juden Tryphon“) verkündete Justin stolz: „Wir sind es, das wahre Israel, das geistige, das Geschlecht von Juda, Jakob, Isaak und Abraham“ (Dialogus cum Triphone Judaeo 11,5) und behauptete damit die Ablösung des jüdischen Volkes durch das neue christliche „Volk“ in der Erwählungsgeschichte. Als Theodosius I. (379–394) in dem Edikt Cunctos populos („Alle Völker“) (380) die Beschlüsse des ersten Nicänischen Konzils (325) für alle Untertanen des Kaiserreiches als verbindlich erklärte und das Christentum de facto zur Staatsreligion machte, wurde das Christentum eine politische Größe, die auch für das Judentum relevant war. Das Judentum, das seit der vorchristlichen Zeit im römischen Kaiserreich den Status einer religio licita („staatlich zugelassene Religion“) besaß, wurde in der Gesetzgebung ab dem 5. Jahrhundert in seinen Rechten stark eingeschränkt. Mit dem Codex Theodosianus (438) und dem Codex Iustinianus (529) verschlechterte sich die Rechtslage der Juden erheblich. Der Status als religio licita wurde zwar formal nie abgeschafft, antijüdische Maßnahmen führten jedoch zur Verdrängung der Juden aus der Mitte der societas christiana („christlichen Gesellschaft“), die bis zur Emanzipation im 19. Jahrhundert Bestand haben sollte. Die ersten Reaktionen in der jüdischen Literatur dieser Zeit (Talmudim und Midraschim) datieren ab der Mitte des 5. Jahrhunderts. Oft handelt es sich dabei um spätere Einfügungen oder Umarbeitungen, die zum ursprünglichen Kontext der Textstelle nicht passen und das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum in der ausgehenden Antike und im Frühmittelalter dokumentieren. Das Christentum wurde zuerst nur als Bestandteil des Römischen Reiches wahrgenommen, das das Judentum unterdrückte. Mit „Edom“3 bzw. „Esau“ bezeichneten die Rabbinen die christliche Religion als Fortsetzung der alten Weltmacht Rom. Ab dem 6. Jahrhundert entstanden zahlreiche polemische Volkserzählungen über Jesus und den Apostel Paulus, die ihre Herkunft und Taten in satirischer Weise darstellten. Diese Erzählungen beschreiben mit unterschiedlichen Varianten Jesus als illegitimen Sohn eines römischen Soldaten namens Panther(as), als Magier und Betrüger, der schließlich hingerichtet wurde. Eine jüdische Beschreibung des christlichen Glaubens unter religionsphilosophischen Gesichtspunkten erfolgte erst im 10. Jahrhundert. Saadja Gaon (882–
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942) war der Erste, der die Trinitätslehre beschrieb und diese als absolut unverträglich mit der Einheit Gottes zurückwies. In seinem Buch der Glaubensgrundsätze und Meinungen (Kitab al-Amanat wa’l-I`tiqadat, arabisch im Jahre 933 verfasst), das seit der hebräischen Übersetzung durch Jehudah ibn Tibbon (im Jahre 1186) unter dem hebräischen Titel Sefer Emunot we-deot bekannt ist, leitete Saadja seine Widerlegung der Trinität folgendermaßen ein: Ich bemerke nunmehr, dass diesbezüglich [d. h. der Trinität] die Christen sich geirrt haben, indem sie in ihm [Gott] eine Verschiedenheit angenommen haben, was sie dazu führte, ihn zu Dreien zu machen und dadurch in eine Religionswidrigkeit zu verfallen. Ich behaupte nun, dass es von der Seite der Spekulation eine Widerlegung gibt, möge der wahrhaft Eine mir darin helfen. Ich habe mit dieser meiner Widerlegung nicht den gemeinen Haufen im Auge, der von einer grobsinnlichen Trinität allein etwas weiß, […] vielmehr will ich die Denker unter ihnen widerlegen, die sich einbilden, in tiefspekulativer und subtiler Erkenntnis an eine Dreiheit glauben zu sollen. Diese sind nämlich zu den genannten Attributen gekommen und haben sich daran angeklammert, indem sie sagten, es kann doch nur ein Weiser ,Lebender Schöpfer‘ sein, glaubten also, dass Leben und Weisheit zwei von seinem Wesen verschiedene Dinge seien, so dass diese [mit dem Schöpfer] bei ihnen zu Dreien wurden. Was die Widerlegung vor allem klarzustellen hat, ist das, dass sie diesen [dreieinigen Gott] sich entweder körperlich oder unkörperlich denken müssen. Denken sie sich ihn körperlich, dann irren sie wie die Dummen des gemeinen Haufens und werden damit von all den Einwänden getroffen, die wir wider jede Verleiblichung Gottes erhoben haben. Denken sie sich ihn aber unkörperlich, so behaupten sie mit der Annahme, es finde in ihm eine Differenzierung statt, so dass ein Attribut nicht wie das andere sei, in der Tat eine Körperlichkeit, nur dass sie sich dabei anderer Ausdrücke bedienen, da ja dasjenige, worin Verschiedenheit stattfindet, ganz ohne Zweifel ein Körper sein muss.4
Nach Saadja war also die Trinität die Folge einer Hypostasierung (Personifizierung) göttlicher Attribute, und zwar des Wesens, Lebens und Wissens, und setzte notwendigerweise eine Verleiblichung Gottes voraus. Daher war es für Saadja unmöglich, das Christentum als monotheistische Religion zu betrachten. Eine weitere Darstellung des christlichen Glaubens findet sich ein Jahrhundert später in dem Sefer ha-Kuzari des Jehudah ha-Levi (um 1075–1141). In dem fiktiven Dialog, der die Bekehrung des Khazarenkönigs (daraus wird der Titel des Buches abgeleitet) zum Judentum erzählt, legen ein Aristoteliker, ein Muslim, ein Christ und ein Jude dem König ihre Philosophie bzw. Religion dar. Der christliche Gelehrte erklärt dem König, dass das Christentum an einen ewigen Gott glaubt, welcher die Welt in sechs Tage geschaffen hat und die Schöpfung mit seiner Vorsehung weiter lenkt, wie es in der Tora und in den Schriften Israels geschrieben steht. Die Christen seien die legitimen Erben Israels und hätten die Offenbarung vervollständigt. Nach dem christlichen Glauben gebe es eine einzige göttliche Natur, diese aber entfalte sich in den drei Personen, Vater, Sohn
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und Heiliger Geist, und sei in Jesus Fleisch geworden. Jehudah ha-Levi spricht zwar der Trinitätslehre und der göttlichen Herkunft Jesu jede logische Grundlage ab, erklärt aber, dass das Christentum so wie der Islam eine vorbereitende Funktion auf die messianische Endzeit erfüllt. Die Trinitätslehre war auch der Grund für Maimonides (Rabbi Moshe ben Maimon 1135–1204), die monotheistische Natur des Christentums zu widerlegen und dieses als götzendienerisch zu bezeichnen. Maimonides schreibt in seinem Mischna-Kommentar zu Avodah-Zarah I,3 in Bezug auf die Feste und Feiertage der Nichtjuden: Diese Feiertage waren damals bei den Christen und ihren Freunden sehr gut bekannt. Ebenso in Bezug auf alle Feiertage irgendwelches Volkes, in allen Ecken der Welt, wenn es sich um Götzendiener handelt, soll man sich zu ihnen verhalten, wie erwähnt wurde [d. h. keine Geschäfte mit ihnen betreiben und keinen Umgang mit ihnen haben]. Wisse, dass das christliche Volk, das den Messias für sich in Anspruch nimmt, in allen Varianten seiner Sekten Götzendienst treibt und dass alle seine Feiertage verboten sind; man soll sich ihnen gegenüber entsprechend den Tora-Vorschriften verhalten, die den Umgang mit den Götzendienern betreffen.5
In den Hilkhot Melakhim 11,4 schreibt Maimonides über Jesus und das Christentum noch Folgendes: Auch über Jesus aus Nazareth – getilgt werde sein Name und sein Andenken! – welcher sich eingebildet hatte, der Messias zu sein und der vom Gericht zum Tode verurteilt wurde, hatte schon Daniel prophezeit, denn es heißt [Dan 11,14]: Auch Gewaltmenschen aus deinem Volk werden sich erheben, um eine Weissagung zu erfüllen, aber sie werden zu Fall kommen. Gibt es etwa einen größeren Fall als diesen? Denn alle Propheten haben gesagt, dass der Messias Erlöser und Retter Israels sein wird, der seine Verstoßenen zusammenführen und seine Gebote in Kraft setzen wird; aber dieser [d. h. Jesus] führte zur Vernichtung Israels durch das Schwert, zur Zerstreuung seiner Reste und ihrer Erniedrigung, zur Änderung der Tora und zur Verirrung vieler Menschen, indem diese eine Gottheit verehren, die aber nicht Gott ist. Der Mensch aber ist nicht in der Lage, die Gedanken des Schöpfers der Welt zu erfassen, denn unsere Wege sind nicht Seine Wege und unsere Gedanken sind nicht Seine Gedanken. Alle Worte des Jeschu haNotzri und dieses Ismaeliten, der nach ihm auftrat [d. h. Mohammed], dienen dazu, den Weg für den Messias-König zu ebnen und die ganze Welt vorzubereiten, Gott gemeinsam zu verehren, wie es heißt: „Dann werde ich die Lippen der Völker in reine Lippen verwandeln, damit alle den Namen des Herrn anrufen und ihm zusammen dienen“ [Zeph 3,9].
Mit ähnlichen Worten hatte sich Maimonides auch schon acht Jahre zuvor in dem Brief an den Jemen (verfasst 1172) über das Christentum geäußert.6 Die Ansichten des Maimonides wurden maßgeblich für die jüdisch-sephardischen (spanisch-portugiesischen) Gemeinden, die in Spanien und Nordafrika bis zum
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Jemen lebten, nicht aber für die aschkenasischen (deutsch-osteuropäischen) Juden von Nordfrankreich und Deutschland. In diesen Ländern war die Diskussion über die monotheistische Natur der christlichen Religion nicht nur von theoretischer Relevanz. Sofern Christen als Götzendiener zu betrachten waren, musste man nach der Halakha mit ihnen ganz anders umgehen als mit Nichtjuden, die eine monotheistische Religion ausübten. Nach jüdischem Recht ist zwar die Toraverpflichtung eine Exklusivität Israels, alle Menschen aber sind zu den „sieben noachidischen Geboten“, zu denen auch das Verbot des Götzendienstes zählt, verpflichtet. Nur wer diese Gebote auf sich nimmt, ist „ein Frommer der Weltvölker“, der mit den Israeliten wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen mit einigen Einschränkungen unterhalten darf. Alle anderen sind Götzendiener, von denen Juden Abstand halten müssen. Maimonides hat dieses Konzept juristisch in Hilkhot Melakhim 8,10–11 folgendermaßen definiert: Unser Meister Mose hat die Tora und die Gebote nur Israel hinterlassen, denn es heißt: Erbteil der Gemeinde Jakobs (Dtn 33,4). Aber jeder aus den anderen Völkern, der es will, kann Proselyt werden, denn es heißt: wie ihr als Proselyt (Num 15,15). Wer aber nicht will, den zwingt man nicht, die Tora und die Gebote anzunehmen. Doch gebot unser Meister Mose als Befehl Gottes, alle Erdbewohner zu zwingen, die Gebote anzunehmen, die den Noachiden befohlen worden sind. Und wer sie nicht nimmt, soll getötet werden. [...] Jeder, der die sieben Gebote auf sich nimmt und darauf achtet, sie zu erfüllen, der ist einer von den Frommen der Weltvölker und er hat einen Anteil an der kommenden Welt.7
In islamischen Ländern, wo es Christen nicht gab oder sie nur einen kleinen Teil der Bevölkerung bildeten, verursachten solche Normen bis auf „die Vernichtung der Götzendiener“ keine großen Probleme. In den europäischen Ländern aber, wo Christen die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten und den direkten Handelspartner für Juden darstellten, waren derart strenge religiöse Vorschriften kaum auszuführen. Die talmudischen Gesetze mussten also den veränderten Verhältnissen angepasst werden. Die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, zwischen Norm und Alltagsverhalten konnte nur durch eine neue Interpretation der Norm überwunden werden. Denn wenn man davon ausgeht, dass die mündliche Tora Gesetz Gottes ist, können ihre Vorschriften nicht als veraltet abgeschafft werden. Sie sind unveränderlich und bleiben bestehen in Ewigkeit. Wenn „die Tora Gottes vollkommen ist“ (Ps 19,8), ist alles darin enthalten, alle möglichen zukünftigen Situationen und neuen Umstände vorgesehen. Es ist Aufgabe des Toragelehrten, durch eine „richtige“ Auslegung den tiefen Sinn des Gesetzes aufzuzeigen. Nach solchen Vorstellungen ist die Anpassung des Gesetzes an die veränderten Lebensumstände eigentlich keine Änderung des Gesetzes. Vielmehr handelt es sich um eine neue Erkenntnis, die bis jetzt in der Tora verborgen war. Dementsprechend konnte Rabbi Gerschom ben Jehudah (um 950/60–1028/40) in einer seiner Rechtsentscheidungen den Handel zwischen Juden und Christen
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erlauben, indem er sich auf die talmudische Bestimmung berief, „die Nichtjuden außerhalb Israelland seien keine Götzendiener (im Sinn der antiken Heiden), sondern hielten nur an den Gebräuchen ihrer Vorfahren fest.“8 Rabbi Gerschom widerlegt nicht, dass Christen Götzendiener seien, sondern beschränkt sich darauf, hervorzuheben, dass die götzendienerischen Handlungen der Christen außerhalb des Landes Israel relativiert werden können. Später suchten die aschkenasischen Rechtsgelehrten solidere Erklärungen, um die Beziehungen zwischen Juden und Christen zu rechtfertigen. Unter dem Druck des tatsächlichen Alltagsverhaltens zwischen Juden und Christen ist im 11./12. Jahrhundert im aschkenasischen Judentum (also in Nordfrankreich und Deutschland) ein Umdenken über den polytheistischen Charakter des Christentums festzustellen. So grenzten Raschi (Rabbi Salomo ben Isaak 1040–1105) und seine Schule das Christentum von der polytheistisch-heidnischen Religion deutlich ab. In dem Kommentar zu bAvodah Zarah 2a wird die Bestimmung der Mischna (einer im 2. Jahrhundert n. Chr. schriftlich fixierten Sammlung rabbinischer Tora-Auslegungen) erörtert, welche Zeitfrist einzuhalten sei, um mit Götzendienern zur Zeit ihrer Feste Geschäftsbeziehungen pflegen zu können. Nach Ansicht von Rabbi Ismael ist drei Tage vor und drei Tage nach den religiösen Feiertagen der Götzendiener kein Handel erlaubt.9 In christlichen Ländern, die pro Woche einen Feiertag kennen, hätte es bedeutet, dass während der ganzen Woche jedes Geschäft zwischen Christen und Juden untersagt gewesen wäre! Die Raschi-Schule erklärt, dass solche Vorschriften im Blick auf Christen nicht gelten, weil „wir die Natur der Nichtjuden, die unter uns leben, sehr gut kennen und wissen, dass sie keinen Götzen anbeten“. Das ist eine kurz formulierte Aussage ohne religionsphilosophische Darlegungen, die nur durch Verweis auf die Talmud-Erzählungen von einigen Rabbinen, die mit diesem Satz ihren Handel mit Nichtjuden rechtfertigen, belegt wird. Rabbi Menachem ben Shlomo ha-Meiri (1249–1316) war einer der ersten Halakhisten, die versuchten, auf einer religionsphilosophischen Basis das Christentum von den Heiden deutlich zu unterscheiden. In seinem Kommentar zum talmudischen Traktat Bava Qamma („Erste Pforte“) schreibt er z. B: Aber jeder, welcher zu den Weltvölkern gehört, die von religiösen Normen geleitet sind [wörtlich: „die durch religiöse Bräuche eingeschränkt sind“] und die Gottheit in welcher Form auch immer anbeten, selbst wenn ihr Glaube von dem unseren sehr verschieden ist, wird in diese Regeln nicht eingeschlossen, vielmehr ist er in solchen Angelegenheiten vollkommen ganz wie ein Jude [zu betrachten], nämlich bezüglich [der Verpflichtung], verlorene Gegenstände zurückzugeben und [des Verbots], ihre Fehler auszunutzen, und bezüglich aller anderer Dinge ohne jeden Unterschied. 10
Seine Aussagen blieben jedoch unbeachtet und wirkungslos. Unabhängig von ihm wurden ähnliche Überlegungen von den Halakhisten (Gesetzesgelehrten)
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des 16./17. Jahrhunderts formuliert. Man betonte, dass das Christentum wegen des Glaubens an die Existenz Gottes, an die Offenbarung der Tora und wegen der ethischen Lehre nicht einer heidnischen Religion gleichgesetzt werden könne. Rabbi Josef Karo (1488–1575), dessen halakhische Autorität bis heute im orthodoxen Judentum hoch geschätzt wird, schrieb in Bet Josef („Haus Josefs“), seinem Kommentar zum Gesetzeskodex Arba’a Turim („Die vier Spalten“) des Jakob ben Ascher (um 1270–1340) über das Verhalten von Juden gegenüber Christen in Bezug auf Fundgegenstände: Verlorene Gegenstände von Götzendienern darf man behalten:[...] Es ist klar, dass diese Bestimmung alle Nichtjuden – seien es Götzendiener oder nicht – betrifft, die nicht unter den Begriff „dein Bruder“ (Dtn 22,3)11 fallen. Was unser Meister [d. h. Rabbi Jakob ben Ascher] in Bezug auf die Götzendiener geschrieben hat, soll nicht wortwörtlich genommen werden. Es mag sein, dass jüdische Abtrünnige in christlichen Ländern aufgrund dieser und anderer ähnlicher Bestimmungen die Herrscher gegen die Juden aufhetzen. Darauf sollen jüdische Gelehrte erwidern, dass alle diese Gesetze nur die Götzendiener der talmudischen Zeit betreffen, welche Statuen anbeteten und den Schöpfer der Welt nicht anerkannten. Deshalb werden sie als Götzendiener bezeichnet. Die Nichtjuden unserer Zeit aber, welche den Schöpfer der Welt anerkennen, sie werden nicht als Götzendiener in Bezug auf diese und andere Gesetze wie diese angesehen.
Wegen seiner Trinitätslehre bleibt allerdings das Christentum von einem schittuf (d. h. der Assoziation der göttlichen Natur mit anderen Wesen) belastet, und sein monotheistischer Charakter ist dadurch fragwürdig. Rabbi Mose Isserles („Rama“, ca. 1520–1572) erklärte in einer Glosse über den Paragraph 156 von Orah. Hajjim („Lebensweise“), den ersten Teil der Arba’a Turim . des Jakob ben Ascher, den Schwur der „Nichtjuden“ (d. h. Christen) als zulässig, weil sie auf den Namen Gottes schwören; und obwohl sie dabei nicht nur „den allmächtigen Schöpfer“, sondern auch andere Seinsformen meinen, ist diese „Assoziation“ (hebräisch schittuf) für Nichtjuden nicht verboten. Ab dem 17. Jahrhundert begann man das biblische Erbe als gemeinsamen Bestandteil des jüdischen und christlichen Glaubens zu betonen. Rabbi Mose Rivkes (gest. 1671/2) schrieb in Be’er ha-golah („Brunnen des Exils“, um 1660), seinem Kommentar zum Shulhan . Arukh des Josef Karo, Folgendes: Die Weisen, ihr Andenken zum Segen, haben nur in Bezug auf die Götzendiener ihrer Zeit gesprochen, welche die Gestirne und Sternzeichen anbeteten und an den Auszug aus Ägypten oder an die creatio ex nihilo nicht glaubten. Die Völker aber, unter deren Schatten wir, das Volk Israel, als Exilierte leben und unter denen wir zerstreut sind, glauben an die creatio ex nihilo, an den Auszug aus Ägypten und an die Hauptgrundsätze der Religion, und das einzige Ziel [ihrer Anbetung] ist der Schöpfer des Himmels und der Erde, wie die Halakhisten bestimmt haben. Daher ist es nicht nur erlaubt, sie in Lebensgefahr zu retten, sondern auch für ihr Wohl zu beten.
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Die Betonung der gemeinsamen biblischen Wurzeln und der ähnlichen ethischen Zielsetzungen erleichterten die Aufwertung des Christentums gegenüber dem Islam und die Aufnahme manch christlichen Brauchtums. So erklärte Jehudah del Bene (um 1618–1678 in Ferrara) in seinem religionsphilosophischen Werk Kissot le-Veit David („Throne des Hauses David“, Verona 1646), das Christentum sei trotz der Trinitäslehre dem Islam überlegen und bereite durch seine Missionierung die Weltvölker auf die messianische Endzeit vor. Besonders im italienischen Judentum dienten katholische Katechismen und christliche erbauliche Literatur als Modell für die jüdischen Handbücher der moralischen und religiösen Unterweisung. Abraham Jagel (eigentlich Abraham ben Hananiah Gallico 1553 bis ca. 1623) verfasste z. B. sein Moralbuch Leqah. tov („Eine gute Lehre“, Venedig 1595) nach der Vorlage des Katechismus von Peter Canisius; und der Tzemah. tzaddiq („Gerechter Spross“, Venedig 1600) des Leone da Modena ist praktisch eine Übersetzung des moralisch-erbaulichen Traktates Fior di Virtù von einem unbekannten christlichen Autor ins Hebräische, wobei die christlichen Beispiele von Tugenden aus den Heiligenlegenden durch Beispiele aus der rabbinischen Literatur ersetzt wurden. Eine weitere Annäherung zwischen beiden Religionen vollzog sich im 18. Jahrhundert. Rabbi Jakob Israel Emden (1697–1776) versuchte, die Unterschiede zwischen den beiden Religionen zu mindern; so behauptete er, Jesus habe nie die Abschaffung der Tora gewollt. Sein Ziel sei es vielmehr gewesen, die jüdischen Glaubensgrundsätze und die noachidischen Gebote unter den Nichtjuden zu verkünden. Die späteren Auseinandersetzungen seien nur durch fatale Missverständnisse verursacht worden. Unter dem Einfluss der Aufklärung wollte man sodann rationale Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Christentum entdecken. Seit Moses Mendelssohn (1729–1786) trat die zeremonielle, brauchtumsbezogene Tradition des Judentums in den Hintergrund und man stellte das Judentum als die vollkommene Vernunftreligion dar, die sich in der recht verstandenen biblisch-prophetischen Botschaft widerspiegelt. Dabei betonte man auch die Überlegenheit des Judentums gegenüber dem Christentum – insbesondere gegenüber dem Katholizismus, der sich wegen seiner Dogmen nicht vollkommen zu einer Vernunftreligion entfalten konnte. Während Mendelssohn noch an der Vorstellung der Tora als geoffenbartes Gesetz Gottes festhielt, sprachen seine Nachfolger (wie z. B. Saul ben Ascher) im Namen der Gedankenfreiheit der Tora jeglichen Anspruch auf eine ewige Gültigkeit ab. Die Tora-Vorschriften seien nur als zeitgebundene Maßnahmen anzusehen, die den sozialen modernen Verhältnissen nicht mehr angemessen seien. Das Wesen des Judentums beruhe nicht auf den Bräuchen des Talmud (der rabbinischen Auslegung der Tora), sondern auf „Vernunftwahrheiten“, auf „einer wahren Autonomie des Willens“, wie Saul ben Ascher in seinem Leviathan erklärte. Diese Vorstellungen zogen Assimilation und Übertritt zum Protestantismus nach sich.
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Unter dem späteren Einfluss des Idealismus wurde das Christentum –freilich nicht das traditionelle – als höchster Ausdruck des kulturell-moralischen Fortschritts der Menschheit angesehen. Von jüdischer Seite versuchte man das Erbe der Aufklärung, die rational geprägte jüdische Philosophie des Mittelalters (vor allem Maimonides) und die biblisch-prophetische Botschaft miteinander zu vereinbaren und das Judentum als authentischen Träger der Wahrheit darzustellen. Salomo Formstecher (1808–1889) und Samuel Hirsch (1815–1889) sahen in dem von der Lehre der Erbsünde belasteten Christentum nur eine Vorstufe zum jüdischen Ethos, zu jener Religionsfreiheit des Geistes, die sich nur im Judentum entfalten kann. Heute, nach der traumatischen Erfahrung des Holocaust, wird auf verschiedenen Ebenen und durch verschiedene Institutionen der interreligiöse Dialog gefördert. Dabei werden die Differenzen zwischen Judentum und Christentum teilweise ignoriert und Gemeinsamkeiten gesucht und hervorgehoben. In der im September 2000 veröffentlichten Erklärung einiger jüdischer Wissenschaftler und Rabbiner aus den USA (The National Jewish Scholars Project), die den Titel Davru emet („Redet Wahrheit“) trägt, lautet die erste ihrer acht Thesen: „Jews and Christians worship the same God“. Dieser Satz sollte zum grundlegenden Prinzip des jüdisch-christlichen Dialogs erhoben werden. Das entspricht aber nicht den historischen Tatsachen, und so verwundert es nicht, dass diese Aussage heftige Reaktionen auf der jüdischen Seite ausgelöst hat. Denn bis heute ist keine endgültige halakhische Entscheidung über den monotheistischen Charakter des Christentums getroffen worden – und sehr wahrscheinlich wird eine solche Entscheidung wegen der Trinitätslehre und der katholischen Verehrung von Heiligen und der Maria als „Gottesmutter“ nie möglich sein. Vielmehr wird der jüdisch-christliche Dialog zum Scheitern verurteilt sein, wenn man über diese theologischen grundlegenden Fragen leichtfertig hinwegsehen will. Nachahmer der wahren Religion oder wahre Monotheisten? Der Blick auf den Islam Die arabische Zivilisation zeichnet sich durch ihren erstaunlichen Synkretismus aus, d. h., es werden verschiedene religiöse Traditionen aufgenommen. Die Araber verfügten über die außergewöhnliche Gabe, verschiedene Elemente von fremden Religionen und Kulturen zu integrieren. Entscheidend war die Assimilation der griechischen Philosophie und Wissenschaft, die durch christliche syrische Gelehrte in die arabische Welt eingeführt worden waren. Während der islamischen Expansion geriet auch Syrien unter arabische Herrschaft. Die erste Kalifendynastie der Omaijaden (661–750) bestimmte Damaskus zu ihrer Hauptstadt, und so wurden Syrien und Damaskus zu politischen und kulturellen Zentren des arabischen Reiches und zu Ausgangspunkten des intellektuellen Austausches zwischen hellenistischer und arabischer Kultur. Griechisches Gedan-
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kengut fand vor allem durch die Übersetzung der griechischen Schriften Eingang in die arabische Welt. In der Regel wurde zunächst kaum direkt vom Griechischen ins Arabische übersetzt. Man griff primär auf syrische Übersetzungen zurück, um diese dann in arabischer Sprache wiederzugeben. Etwa ab dem 5. Jahrhundert wurden Schriften der griechischen Philosophen (insbesondere Aristoteles und Porphyrios) von syrischen Mönchen und Theologen ins Syrische übersetzt, um sich eine philosophische Basis für ihre Theologie zu schaffen. Darüber hinaus verfassten die syrischen Gelehrten entsprechende Kommentare und eigene Traktate über Philosophie und Astronomie. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts begann man mit der Übersetzung ins Arabische, das unter der Omaijaden-Dynastie zur offiziellen Sprache in Syrien wurde. Anfangs waren es vorwiegend Texte der Medizin und Astronomie, bis man Mitte des 8. Jahrhunderts dazu überging, Texte aller Fachrichtungen zu übersetzen, darunter auch philosophische und theologische Schriften. Zahlreiche Übertritte von Christen zum Islam veranlassten die Theologen der syrisch-melkitischen Kirche, Werke zu verfassen, die zum einen auf den Einfluss des Islams reagieren und zum anderen eine systematische Ordnung in die komplizierte christliche Dogmatik bringen sollten. Damit sollte die Rationalität des Christentums anhand der griechisch-aristotelischen Philosophie ausgewiesen werden. Auf diesem Gebiet war Johannes von Damaskus (um 670–749) von besonderer Bedeutung. Sein auf Griechisch verfasstes Meisterwerk Quelle der Erkenntnis, das auch ins Arabische übersetzt wurde, regte in der Zeit der Omaijaden auch islamische Gelehrte an, sich für theologische Fragen zu interessieren. Gefördert von den omaijadischen Kalifen, die einer ideologischen Rechtfertigung ihrer Machtübergreifung bedurften, entstand ab der Mitte des 8. Jahrhunderts eine grundsätzlich rational ausgerichtete islamische Theologie, der sogenannte Kalam („Rede“, „Gespräch“), deren Vertreter mutakallimun („die Redenden“, „die Disputanten“) heißen. Die den Omaijaden folgende Dynastie der Abbasiden (750–1258) stärkte durch ihr Mäzenatentum die wissenschaftliche Arbeit der Syrer. Die neuen Herrscher verlegten die Hauptstadt nach Bagdad (763) und machten aus ihrem Kalifenhof ein Kulturzentrum. Sie stellten Übersetzer ein, überwiegend nestorianische Syrer, und besorgten ihnen wertvolle Handschriften. Zu erwähnen sind der Kalif Harun ar-Rashid (785–809) und sein Sohn, der Kalif Abdallah alMa’mun (813–833), der 830 in Bagdad das Haus der Weisheit gründete, ein offizielles Übersetzungs- und Forschungsinstitut, dem eine Bibliothek angegliedert war. Durch die Erschließung der philosophischen Schriften der Griechen wollte al-Ma’mun die philosophische Auslegung des Korans unterstützen, die die theologische Schule der „Mutaziliten“ („die Neutralen“ bzw. „die Dissidenten“) eingeleitet hatte. Diese regen kulturellen Aktivitäten ließen das Judentum nicht unberührt. Angeregt von internen Auseinandersetzungen zwischen Rabbaniten und Karäern12 und von der Konfrontation mit Islam und Christentum, fingen auch jü-
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dische Gelehrte ab dem 9. Jahrhundert an, sich mit der griechischen und arabischen Philosophie zu beschäftigen und ihre religiöse Vorstellungswelt danach zu sichten und zu ordnen. In Mesopotamien bildete sich allmählich ein jüdischer Kalam heraus, der sowohl unter Karäern als unter Rabbaniten seine Vertreter hatte, und zwar nach dem Vorbild der islamischen theologischen Schule der „Mutaziliten“. Weil die Meinungsverschiedenheiten im Blick auf Lebensführung und Kult zwischen Juden und Muslimen nicht so ausgeprägt waren, verlief der Disput zwischen beiden Religionen weniger zugespitzt als mit dem Christentum. Anders als beim Christentum stand der monotheistische Charakter des Islams außer Frage, und dieser galt darum nach jüdischem Recht nicht als Götzendienst. Nicht das Wesen Gottes oder gegensätzliche Auffassungen über den rechten Kult (z. B. die Frage, ob es Bilder geben darf) waren hier Thema der Debatte. Die Auseinandersetzung mit dem Islam betraf mehr äußerliche Aspekte wie die Weigerung der Juden, Mohammed als den endgültigen Propheten und den Koran als die letzte Offenbarung Gottes anzuerkennen. Der strenge Monotheismus und die vielen Gemeinsamkeiten in der Kultpraxis zwischen Islam und Judentum erleichterten, sei es aus Interesse, sei es aus innerer Überzeugung, den Übertritt zum herrschenden Glauben. Einem Juden fiel es sicher leichter zu bekennen, Mohammed sei Prophet Gottes, als zuzugeben, Jesus sei Sohn Gottes. Neben der zunehmenden Konkurrenz des Islams war das rabbanitische Judentum auch den internen heftigen Angriffen der Karäer ausgesetzt. Diese wetteiferten mit den arabischen Theologen, der rabbanitischen Tradition die gröbsten Anthropomorphismen bei der Darstellung Gottes zuzuschreiben. Solche Übertragungen menschlicher Merkmale auf Gott in der jüdischen Tradition wurden von den arabischen Theologen als zusätzlicher Beweis angesehen, dass die authentische göttliche Offenbarung in den jüdischen (wie auch christlichen) Schriften nicht in ihrer Reinheit bewahrt worden sei. Die echte Offenbarung Gottes sei daher endgültig Mohammed zuteil geworden und finde sich im Koran unverfälscht niedergeschrieben. Judentum wie Christentum seien also als mittlerweile abgelöste Vorläufer des Islams zu betrachten. Die bedeutendste rabbanitische Reaktion auf diese Herausforderungen zeigte Saadja Gaon. In seinem religionsphilosophischen Hauptwerk Sefer ha-kuzari („Buch der Glaubensgrundsätze und Meinungen“) wandte er die Argumentationsmethode der mutazilitischen Schule an, um die rabbanitische Tradition rational-philosophisch zu rechtfertigen. Ohne seine Gegner zu erwähnen, erklärt Saadja die Sinai-Offenbarung als ein einmaliges historisches Ereignis. Der göttliche Ursprung der mosaischen Lehre lässt sich demnach durch die zahlreichen Wunder beweisen, die Mose vor den Augen des ganzen israelitischen Volkes vollbracht hat und deren Beschreibung glaubwürdig und zuverlässig überliefert wurde. Wenn Gott in der Bibel und im Talmud mit menschlichen Eigenschaften versehen werde, sei das allegorisch zu verstehen.
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In den Schriften des Saadja wird der Islam nicht ausführlich beschrieben. Der Verfasser setzt bei seinen Lesern die Kenntnis des Islams voraus und greift direkt die Themen auf, die Gegenstand der Polemik waren. Eine erste kurze Beschreibung der islamischen Religion ist dagegen im Sefer ha-Kuzari des Jehudah ha-Levi (um 1075–1141) zu lesen: Hierauf rief er [der König von Kusar] einen von den Weisen Jischmaels und befragte ihn über seine Glaubenslehre und seine Handlungsweise. Dieser sagte: Wir glauben fest an die Einheit und Ewigkeit Gottes – Er sei gepriesen! – an die Schöpfung der Welt und an die Abstammung [der Menschen] von Adam und Noah. Wir halten alle Körperlichkeit [von Gott] fern, und wenn in unseren Schriften etwas Derartiges vorkommt, so deuten wir es dahin, dass wir sagen, es sei im übertragenen und figürlichen Sinn aufzufassen. Wir bekennen, dass die Worte unseres Gesetzbuches Worte Gottes sind, und dass es an sich ein solches Wunder ist, dass wir aufgrund dessen die Pflicht haben, ihn anzuerkennen, weil kein Mensch ein Buch wie dieses, ja auch nur einen Abschnitt wie dessen Abschnitte verfassen kann; ferner, dass unser Prophet das Siegel aller Propheten ist, dass er alle Gesetzbücher, die vor ihm waren, aufhebt, und dass er alle Völker zum ismaelitischen Gesetz ruft. Der Lohn des Gehorsamen ist, dass sein Geist in das Paradies kommt und an keiner Annehmlichkeit, Essen, Trinken, Liebesgenuss und was seine Seele begehrt, Mangel leide. Die Strafe des Widerspenstigen, dass er in ein Feuer kommt, das nicht verlöscht und dass seine Schmerzen kein Ende nehmen13.
Maimonides hat die Einstellung des Judentums gegenüber dem Islam halakhisch präzisiert. Für ihn ist der Muslim kein Götzendiener (vgl. Hilkhot Ma’akhalot ’asurot = „Vorschriften über die verbotenen Speise“ XI,7), und in der Regel ist die Ausübung der jüdischen Religion in einem islamischen Land leichter als unter christlicher Herrschaft. In seiner Antwort an einen gewissen Obadjah, der zum Judentum übergetreten war und nach Maimonides’ Meinung über den angeblichen Götzendienst in Mekka gefragt hatte, erklärt Maimonides den Islam eindeutig als monotheistische Religion: Die Ismaeliten sind keine Götzendiener. Die Idolatrie ist schon vor langer Zeit von ihrem Mund und ihrem Herzen entfernt worden. Sie schreiben Gott eine eigene Einheit zu, über welche kein Zweifel besteht. [...] Wenn jemand behauptet,14 das Haus ihrer Verehrung [d. h. die Kaaba] sei ein Haus des Götzendienstes, das ein Götzenbild verberge, welches von ihren Ahnen angebetet worden sei, was hat all dies zu bedeuten? Denn die Herzen derjenigen, die sich heute vor ihm beugen, sind zum Himmel gerichtet. [...] Was die Ismaeliten von heute anbelangt, ist die Idolatrie von ihrem Mund und ihrem Herzen, Frauen und Kinder eingeschlossen, entfernt worden. Ihre Irrtümer und ihre Torheit liegen in anderen Dingen, die wegen der Abtrünnigen und Frevler aus dem Volk Israel nicht schriftlich behandelt werden dürfen. In Bezug auf die Einheit Gottes aber begehen sie [die Ismaeliten] keinen Fehler.15
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Wie Saadja weist Maimonides die islamischen Ansprüche zurück, Mohammed sei der letzte Prophet Gottes und der Koran sei eine göttliche Schrift, die alle andere Gesetze aufhebt. Aber anders als Saadja betont Maimonides, dass der wahre Prophet sowie der zu erwartende Messias in erster Linie nicht durch Wundertaten und Eingriffe in die Naturordnung erkennbar sind, sondern durch ihre Achtung für die Tora, „deren Vorschriften und Satzungen für alle Ewigkeiten gelten. Diesen kann nichts hinzugefügt und nichts weggenommen werden.“ In seinem Brief in den Jemen betont Maimonides in besonderer Weise die zentrale Bedeutung der Tora und der Sinai-Offenbarung: Gott selbst habe sich für die Glaubwürdigkeit der mosaischen Offenbarung verbürgt, indem er seine Tora „vor den Augen des ganzen israelitischen Volkes“ (Ex 24,17) dem Mose verkündete und dafür sorgte, dass die Erinnerung an dieses einmalige Ereignis für alle Generationen erhalten bleibt. Da das Gesetz Gottes für alle Ewigkeiten gilt (vgl. Dtn 29,28), kann keiner etwas daran ändern. Wenn irgendeiner – „gleich welcher Herkunft“ – behauptete, Prophet zu sein, und auch nur eine Satzung der Tora infrage stellte, würde er die Worte der Tora widerlegen. Daran wäre deutlich erkennbar, dass er ein falscher Prophet ist und getötet werden sollte. Solch falsche Propheten waren z. B. Jesus von Nazareth und Mohammed, ein „Besessener“, der nach Jesus auftrat und seinem Beispiel nacheiferte. „Mohammeds Ansprüche gingen jedoch weiter, denn er strebte die Herrschaft an“, schreibt Maimonides. Seinen Aufstieg und Fall wie seinen Anspruch auf Offenbarung und Prophetentum habe Daniel schon vorausgesagt: Mohammeds Herrschaft kann lange dauern, aber Gott wird ihn zusammen mit den Christen am Ende vernichten. Diese harten Töne im Brief in den Jemen lassen sich durch die politisch-religiöse Situation der jemenitischen Juden erklären, die von einer schiitischen Sekte gedrängt worden waren, zum Islam überzutreten. Im Mischne Tora aber, wo Maimonides nicht in erster Linie das Judentum verteidigen will, sieht er den Islam wie auch das Christentum als Teil des heilsgeschichtlichen Plans Gottes an. Obwohl beide Religionen nur eine Imitation der wahren göttlichen Religion darstellen, die dem Mose zuteil geworden war – so wie die Statue eines Menschen, die dem lebendigen Original nie gleichen kann –, erfüllen beide in der Vorsehung Gottes eine Aufgabe: Sie bereiten die Völker auf die Ankunft des Messias und die Annahme der Tora in der Endzeit vor. Diese Auffassung vom Islam, wie sie in den Schriften des Maimonides dargelegt ist, hat sich bis heute kaum geändert. Einige seiner Rechtsentscheidungen zum jüdischen Verhalten gegenüber dem Islam wurden allerdings nicht allgemein akzeptiert. Umstritten war z. B. Maimonides’ Erlaubnis, in Zeiten einer Verfolgung zum Schein zum Islam überzutreten, um das eigene Leben zu retten. Einige rabbinische Autoren wie R. Jom Tov Ischbili (ca. 1250–1330) und R. David Shlomo Ibn Zimra (1479–1589) hielten dagegen, der Tod sei dem Religionswechsel vorzuziehen, denn die Anerkennung Mohammeds als des Propheten wäre gleichbedeutend mit der Leugnung der Gültigkeit der Tora.16
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Die neuzeitliche jüdische Geschichtsschreibung hat den Lebenserzählungen über Mohammed lediglich einige polemische Motive hinzugefügt, um ihm jede prophetische Glaubwürdigkeit abzusprechen. Im Seder Elijahu zuta des Elijahu ben Elqana Capsali (ca. 1485–1555) und im Sefer divre Josef („Buch der Worte des Josef“) des Josef ben Isaak Sambari (1640–1703) wird Mohammed nicht nur als ein „Besessener“ dargestellt, sondern christlichen Quellen folgend als ein Betrüger, ein listenreicher Mensch, der eine neue synkretistische Religion gegründet hatte, um zur politischen Macht zu gelangen. Wenn aber Mohammed kein Prophet und die neue Religion nur seine Erfindung war, dann hat auch der Koran keinen göttlichen Ursprung. Der islamische Vorwurf, die Juden hätten den Text der sinaitischen Offenbarung entstellt und verfälscht, wird damit gegen den Islam selbst gerichtet: Der Koran sei nur Menschenwerk, das aus verschiedenen Quellen zusammengestellt wurde, ein Plagiat der echten Tora, wobei ihre Gebote willkürlich geändert wurden, um die Gunst der Menschen zu gewinnen: Er [d. h. Mohammed] gründete für sie [d. h. die Muslime] eine neue Religion und legte ihr Gebote zugrunde, von denen einige aus unserer heiligen Tora stammen, andere aus anderen Bräuchen; teils ließ er [etwas von den Geboten der Tora] weg, teils fügte er [etwas] hinzu, wie es ihm und den Menschen, die mit ihm waren, angemessen erschien.17
Trotz der scharfen Polemik wird eingeräumt, dass der Islam eine echte monotheistische Religion ist. Damit sind die Muslime nicht als „Götzendiener“ einzustufen, aber auch nicht automatisch als gerim toschavim, d. h. „Beisassen“, zu betrachten. Für Maimonides gilt als ger toschav nur derjenige, der die sieben noachidischen Gebote auf sich nimmt, weil diese in der Tora befohlen und durch Mose bekannt wurden. Die Befolgung der Gebote allein ohne Anerkennung der Autorität der Tora und der mosaischen Offenbarung ist nicht ausreichend.18 Dennoch stellte Maimonides beim Gebrauch und Handel von Wein den Muslim einem Beisassen gleich: Ein Beisasse, das ist einer, der die sieben Gebote [Noachs] auf sich genommen hat, wie wir dargelegt haben; sein Wein ist verboten zum Trinken, aber erlaubt zur Nutznießung. Man sondert bei ihm Wein [für sich] aus, aber man vertraut ihm keinen Wein an. Desgleichen jeder Nichtjude, der nicht Götzendienst praktiziert, wie der Ismaelit: sein Wein ist verboten zum Trinken, aber erlaubt zur Nutznießung.19
Nach Maimonides’ Gesetzesauslegung darf ein Beisasse im Israelland nur während des Jobeljahres aufgenommen werden. Dieses heilige Jahr wurde in jedem 50. Jahr begangen, verbunden u. a. mit einem allgemeinen Schuldenerlass. Außerhalb dieser Zeit darf nur nach Israel kommen, wer zum Judentum übergetreten ist. Da Muslime keine Götzendiener, aber auch keine Übergetretenen (Proselyten) sind, gelten sie nicht vollständig als Beisassen, weil sie die Tora nicht anerkennen. Heute sind die meisten Rabbiner der Auffassung, dass Muslime wenigs-
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tens zum Teil den Status eines ger toschav („Beisassen“) mit allen damit verbundenen Konsequenzen genießen. Dies beinhaltet Einschränkungen, aber auch Rechte – so etwa das Recht, Immobilien und Land in Israel zu pachten, was den Götzendienern untersagt ist. Dieses Gesetz ist seit dem Zionismus zu einem brisanten Thema geworden. Das Rabbinat in Israel hat zwar erlaubt, während des Sabbatjahres (also in jedem siebten Jahr) den Palästinensern Land zu verpachten, da sie als Muslime keine Götzendiener sind. Damit soll das Verbot umgangen werden, in diesem Jahr keine Landwirtschaft zu betreiben (vgl. Ex 23,11). Dennoch gewinnen wegen der politischen Auseinandersetzungen zwischen Arabern und dem Staat Israel immer mehr jene rechtsorientierten Halakhisten Zustimmung, die den Palästinensern den Status von „Beisassen“ aberkennen wollen und sogar ihre Zwangsausweisung befürworten.20 Die halakhische Begründung hierfür ist, dass die Palästinenser eine der Pflichten eines Beisassen nicht erfüllen, nämlich die Anerkennung der Tora als der obersten Autorität und der Oberherrschaft des Volks Israel. Strengere Beurteilungen, die Elemente des Islam wie die Pilgerreise nach Mekka und die Verehrung Mohammeds bereits als Götzendienst einstufen und demzufolge auch keine Moscheen im Heiligen Land dulden wollen,21 weil die Tora dadurch herabgestuft würde, haben sich nicht durchgesetzt und können nicht als Maßstab für die jüdische Einstellung zum Islam genommen werden. Nach der allgemein geltenden Halakha wird der Islam als eine reine monotheistische Religion aufgefasst, und diese Einstufung wurde bis heute nie ernst und überzeugend angefochten. Gefangene des Naturgesetzes oder Mitstreiter für die Heiligkeit des Lebens? Der Blick auf den Hinduismus Samuel Hirsch eröffnet in seinem Hauptwerk Die Religionsphilosophie der Juden die Ausführungen über den Hinduismus mit folgender Behauptung: [....] bleibt der Inder in der Natürlichkeit stehen; kennt er nur das Doppelte, entweder die Natürlichkeit als solche, oder die völlige Ertödtung der Natur und die Flucht aus derselben, denn das, wohin er sich flüchtet, hat keine andere Bestimmung, als Nichtnatur zu sein. Der Inder will Herr über die Natur werden, doch diese Herrschaft will er nicht auf eine vernünftige, menschliche, vermittelnde Weise gewinnen, so dass er seine Natürlichkeit selbst zum Ausdruck seiner Geistigkeit zu verklären suchte, sondern seine Herrschaft soll darin bestehen, dass er der Natur zeige, wie er ihrer gänzlich zu entbehren wisse. 22
Für Hirsch bleibt der Hinduismus also immer vom Zwang des Naturgesetzes gefangen; nur in der jüdischen Religion kann sich der Geist frei entfalten. Zwischen Hinduismus und Judentum gebe es daher keine Gemeinsamkeit. Hirsch bezieht sich in seiner Darlegung nur auf literarische Quellen und auf
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Berichte der britischen Kolonisatoren. Die Existenz jüdischer Gemeinden in Indien erwähnt er mit keinem Wort. In der Tat waren die Juden Indiens fast in Vergessenheit geraten; erst im 19. Jahrhundert wurden sie wieder wahrgenommen. Die jüdischen Gemeinden in Indien lassen sich in drei verschiedene Hauptgruppen einteilen, die bis vor Kurzem nur wenig Kontakt miteinander hatten. Die zahlenmäßig dominante und älteste Gruppe ist jene der Bene Israel, die ursprünglich in der Region Konkan an der indischen Westküste lebte. Wann sie nach Indien kamen, ist unklar. Ihre Tradition und moderne Theorien von einer Einwanderung schon zu biblischen Zeiten lassen sich nicht belegen. Die zweitälteste Gruppe, die sogenannten Cochin-Juden, ließ sich entlang der Südwestküste Indiens in Malabar und Kerala nieder, nachzuweisen ab dem 10. Jahrhundert. Ende des 18. Jahrhunderts kamen weitere Juden aus dem Iran und aus den verschiedenen arabischen Ländern (Irak, Syrien, Jemen, Afghanistan) hinzu. Als „Baghdadi-Juden“ bekannt, bildeten sie Gemeinden in den wichtigsten Handelszentren Indiens, in Surat (heute Gujarat), Kalkutta, Rangoon, und mieden zunächst Kontakte mit den Mitgliedern der altansässigen Gruppen der Bene Israel und Cochin-Juden. Die Trennung zwischen den drei Hauptgruppen und eine differenzierte Gesellschaftsordnung unter den Hauptgruppen selbst erinnern an das Kastenwesen der indischen Umwelt. Infolge mehrerer Einwanderungswellen entstanden z. B. unter den CochinJuden drei verschiedene Gruppen, die sich nach ihrer Herkunft als MalabariJuden, Pardesi-Juden und Meschuchrarim (hebräisch „die Befreiten“) differenzieren; nach ihrer Hautfarbe wurden sie auch als Schwarze, Weiße und Braune Juden bezeichnet werden. Die Malabari-Juden sind die Nachkommen der ersten jüdischen Einwanderer. Wegen der Mischehen mit der einheimischen Bevölkerung bekamen ihre Nachkommen eine ähnlich dunkle Hautfarbe. Abwertend werden sie Schwarze Juden genannt, sie selbst nennen sich aber auf Hebräisch Meyuchassim („Vornehme“). Die Weißen Juden sind die Paradesi oder Pardesi-Juden (in Malayalam-Sprache: „Fremde“). Sie sind die Nachfahren der ab dem 16. Jahrhundert aus Europa (vor allem aus Spanien und Portugal) eingewanderten Juden und bilden eine kleine Minderheit innerhalb der CochinGruppe. Die Braunen Juden stammen von befreiten Sklaven reicher Paradesiund Malabari-Familien ab, die zum Judentum bekehrt wurden. Trotz des gemeinsamen Glaubens und derselben Bräuche waren die Sozialverhältnisse unter den drei Gruppen von einer strikten Abgrenzung geprägt: Ehen außerhalb der eigenen Gruppe waren die Ausnahme, und sogar die Benutzung der Sitzbänke in den Synagogen der Weißen Juden war den Braunen Juden untersagt. Erst die Auswanderung nach Israel ab 1948 führte zur Abschaffung dieser Trennungen. Ähnliche Sozialunterschiede hatten auch die Bene Israel, die sich in Gora und Kala, unterteilen. Zu den Gora (wörtlich „die Weißen“) gehörte die Mehr-
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heit der Bene Israel, deren Eltern beide jüdischer Abstammung waren. Die Kala („die Schwarzen“) bildeten eine Minderheit und die Unterschicht unter den Bene Israel. Von ihren Eltern war nur der Vater jüdisch. Da sie nicht als ,echte‘ Juden galten, wurden sie von den Gora abgegrenzt: Geheiratet wurde nur innerhalb der eigenen Gruppe; die Kala besuchten zwar die Synagogen der Gora, durften dort aber nicht die Tora-Rolle berühren und saßen von den Gora getrennt. Wenngleich das kastenartig organisierte Gesellschaftssystem der Juden in Indien, das durch die Reinheit der Abstammung halakhisch bedingt ist, auch nur teilweise Parallelen zum hinduistischen Kastenwesen aufweist, sind jedoch Einflüsse der hinduistischen Kultur, vor allem unter den Bene Israel, deutlich erkennbar. Wegen ihrer Isolation hatten die Bene Israel von der rabbinischen Gestaltung des Judentums in Israel und Mesopotamien zwischen dem 1. und dem 9. Jahrhundert, mindestens bis zum 18. Jahrhundert keine Kenntnis. Diese Unkenntnis der rabbinischen Reinheitsvorschriften und die tolerante Einstellung des Hinduismus gegenüber anderen Religionen erleichterten die Sozialbeziehungen zwischen Bene Israel und Hindus. Die Bene Israel konnten die MarathiSprache und einige Bräuche ihrer Nachbarn übernehmen und sich in die hinduistische Kulturwelt gut integrieren. Wie die Hindus verzehren die Bene Israel z. B. kein Rindfleisch, verbieten die Heirat mit einer Witwe und kennen nicht die Pflicht zur Schwagerehe. Trotz dieser Gemeinsamkeiten und der guten Integration in die hinduistische Gesellschaft hielten jedoch die Bene Israel immer an ihrem Monotheismus fest. Als sie noch keine Tora und keine rabbinische Lehre kannten, gehörte zu den wenigen jüdischen Bräuchen ihrer Tradition neben der Beschneidung, der Einhaltung der Sabbat-Ruhe und der biblischen Speisegesetze auch die tägliche Rezitation des Gebets Schma Jisrael, in dem die Einheit Gottes verkündet wird. Theologisch ist der strenge Monotheismus der jüdischen Religion der hinduistischen Vorstellung mit ihrer Vielheit von Gottheiten23 genau entgegengesetzt. Ähnliche Auffassungen – wie z. B. die Entstehung der Welt, die zehn Inkarnationen von Vishnu (avatara) parallel zu den zehn Sefirot der Kabbala, die Veda-Schriften im Vergleich mit der Tora, die als heilige Texte betrachtet werden, deren Wortlaut getreu bewahrt werden muss – sollen als eigenständig entstandene Ausdruckformen der eigenen religiösen Traditionen angesehen werden und nicht als Zeichen eines gemeinsamen Ursprungs oder eventueller Kontakte. Der Hinduismus hat keinen theologischen Einfluss auf das Judentum ausgeübt, zumindest nicht direkt. Dennoch hat jüngst ein interreligiöser Dialog zwischen Hinduismus und Judentum begonnen, der, sich auf die historisch-kulturellen Beziehungen stützt und von daher die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Religionen betont. Im Februar 2007 fand das erste Gipfeltreffen zwischen den Vertretern des israelischen Rabbinats und des Hindu Dharma in Neu Delhi statt. Am Ende der Begegnung haben der aschkenasische Hauptrabbiner Israels, Yona
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Metzger (geb. 1953), und Swami Dayanand Saraswati (geb. 1930), Führer des „Hindu Dharma Acharya Sabha“, folgende Erklärung unterschrieben:24 1. Die jeweiligen Traditionen lehren, dass es ein Höchstes Seiendes gibt, welches die grundlegende Realität ist, das diese Welt in ihrer segensreichen Verschiedenartigkeit geschaffen und Gotteswege der Tätigkeit für die Menschheit, für verschiedene Völker in verschiedenen Zeiten und Orten mitgeteilt hat. 2. Die religiöse Identität sowohl jüdischer als auch indischer Gemeinschaften besteht aus Glauben, Schriften, Volkszugehörigkeit, Kultur, Land und Sprache. 3. Hindus und Juden bemühen sich, ihr jeweiliges Erbe zu bewahren, es den folgenden Generationen weiterzugeben und dabei in respektvollen Beziehungen mit anderen Gemeinschaften zu leben. 4. Keine von beiden versucht, andere zu bekehren oder die religiöse Identität anderer Glaubensgemeinschaften zu untergraben oder zu ersetzen. Beide Seiten erwarten, dass die anderen Gemeinschaften ihre religiöse Identität und Verpflichtungen hochachten, und verdammen alle Handlungen, die gegen die Heiligkeit dieser gegenseitigen Rücksicht gerichtet sind. 5. Sowohl die hinduistische als auch die jüdische Tradition betonen die Heiligkeit des Lebens und streben nach einer Gesellschaft, in der alle in Frieden und Harmonie untereinander leben. Dementsprechend verdammen sie jede Art von Gewalttaten im Namen jeglicher Religion oder gegen jede Religion. 6. Die jüdischen und hinduistischen Gemeinschaften sind zu den alten Traditionen des Judentums beziehungsweise des hinduistischen dharma25 verpflichtet und haben beide auf ihre eigene Art und Weise die schmerzlichen Erfahrungen der Verfolgung, Unterdrückung und Zerstörung erlebt. Deshalb sind sie sich der Notwendigkeit bewusst, die gegenwärtigen und folgenden Generationen über ihre Vergangenheit zu unterrichten, damit sie sich anstrengen, eine religiöse Harmonie zu fördern. 7. Die Vertreter beider Glaubensgemeinschaften erkennen die Notwendigkeit, einander in Bezug auf Lebensstile, Philosophie, religiöse Symbole, Kultur etc. zu verstehen. Sie erkennen auch, dass sie sich bei anderen Glaubensgemeinschaften verständlich machen müssen. Sie hoffen, dass dieses Bedürfnis durch ihre bilateralen Initiativen erfüllt wird. 8. Da beide Traditionen die zentrale Bedeutung der sozialen Verantwortung für ihre Gesellschaften und für das Allgemeinwohl der Menschheit beteuern, verpflichteten sich die Teilnehmer, zusammenzuarbeiten, um gegen die Herausforderungen der Armut, der Krankheit und der ungerechten Verteilung von Gütern einen Beitrag zu leisten. 9. Darüber hinaus beschließen die Vertreter beider Glaubensgemeinschaften, ein ständiges Komitee für die hinduistisch-jüdischen Beziehungen zu bilden.
Diese Annährung ist nicht zuletzt politisch motiviert. Das Gipfeltreffen wurde aus Anlass des 15-jährigen Jubiläums der Aufnahme von diplomatischen Bezie-
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hungen zwischen Indien und dem Staat Israel durch Bawa Jain, Sekretär des World Council of Religious Leaders26, und durch das israelische Rabbinat organisiert. Bawa Jain hat ziemlich naiv der Presse gegenüber erklärt, das Treffen mit Hauptvertretern der jüdischen Religion sei auch ein Mittel für bessere Beziehungen zu den USA, weil „Juden eine einflussreiche Gemeinde in den USA sind“.27 Die Punkte 4 und 5 der Erklärung sind auch als eine Reaktion gegen die als Bedrohung empfundene Missionierung der Christen und gegen den islamischen Fundamentalismus zu verstehen. Inwieweit solche politischen Motivationen den interreligiösen Dialog zwischen Judentum und Hinduismus weiter beeinflussen können, wird die angekündigte Zusammenarbeit zeigen. Unvereinbare Traditionen oder buddhistische Blüten auf jüdischen Wurzeln? Der Blick auf den Buddhismus Die Buddhaische Religion ist in diesem Augenblicke die verbreiteste; sie zählt über 270 Millionen Anhänger. Die Verfassung der Völker, die dieselbe im Sinne der Buddhareligion einrichteten, wie die Mongolen, ist einfach, patriarchalisch; ein Vesier verwaltet das Reich und berichtet über alles an den Lama.28
Als Samuel Hirsch im Jahr 1842 diese Zeilen schrieb, konnte er sich nicht vorstellen, dass seine Beschreibung etwa 100 Jahre später kaum mehr zutreffen würde. Heute gehört Tibet zur Volksrepublik China und der Dalai Lama lebt im Exil. Der Verlust der staatlichen Eigenständigkeit hat dem tibetischen Buddhismus jedoch nicht im Geringsten geschadet. Im Gegenteil! Der Buddhismus gewinnt immer mehr Anhänger: Die buddhistische Lehrtradition ist eine faszinierende Alternative für diejenigen, die bei anderen Religionen für ihre existenziellen Fragen keine zufriedenstellenden Antworten finden. Das gilt heute insbesondere für Christen und Juden. Laut einer Umfrage, die in den USA in den 1970er Jahren durchgeführt wurde, hat etwa ein Drittel der zum BuddhismusBekehrten eine jüdische Erziehung.29 Die Mehrzahl der westlichen Besucher von Dharamsala in Indien, dem geistigen Zentrum des tibetischen Buddhismus und Sitz des Dalai Lama, sind Juden, vor allem aus den USA und Israel. Die ersten Kontakte zwischen Judentum und Buddhismus im Westen ergaben sich in den USA. Ende des 19. Jahrhunderts bekannte sich der Jude Charles Strauss (1852–1937) offiziell während des World Parliament of Religions (Weltparlament der Religionen), das 1893 in Chicago stattfand, zum Buddhismus.30 Als Schriftsteller und Redner förderte er eine bessere Kenntnis der buddhistischen Lehre im Westen. In den 1960er Jahren wurde der Buddhismus Teil der Protestbewegung. Nicht nur durch Meditationsübungen, sondern auch durch den Konsum von Drogen versuchten viele, der Realität zu entfliehen und das Nirvana zu erreichen. Neben dieser oberflächlichen Modeerscheinung hat die Gründung von Einrichtungen zur Erforschung und Ausbildung in den buddhistischen Meditationstechniken eine diskretere, aber dauerhafte Wirkung auf die amerika-
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nisch-jüdische Gesellschaft ausgeübt. Pioniere auf diesem Gebiet waren junge jüdische Akademiker wie Jack Kornfield, Sharon Salzberg, Jacqueline Schwartz und Joseph Goldstein. 1975 gründeten sie die Insight Meditation Society in Barre (Massachusetts), noch heute die bedeutendste buddhistische Schule in den USA, die von nicht asiatischen Buddhisten gegründet wurde. Seit den 70er Jahren ist das Interesse amerikanischer Juden für den Buddhismus ständig gewachsen und hat sich in den letzten 20 Jahren zu einem dynamischen sozio-religiösen Phänomen entwickelt. Es sind zahlreiche Zentren und aktive Gemeinden entstanden, die eine beide Religionen vermengende Form von jüdisch-buddhistischer Religiosität praktizieren. Ihre Anhänger nennen sich „JuBu“, Abkürzung für Jewish-Buddhist (vgl. S. 156). Die „JuBus“ haben jedoch keine einheitliche Lehre. Ihre Religiosität kann ganz unterschiedlich akzentuiert sein. So pflegen einige von ihnen gleichermaßen beide Traditionen, für andere hingegen ist „jüdisch“ nicht mehr als eine ethnische Kennzeichnung, während die buddhistische Tradition die Praxis bestimmt. In anderen Fällen ist ein „JuBu“ nur ein Jude, der sich für den Buddhismus interessiert. Die Mehrzahl der „JuBus“ halten jedoch an ihren jüdischen Wurzeln fest und versuchen, jüdische Tradition und Buddhismus in Einklang zu bringen: Sie haben nach einer zutreffenden Metapher von Marc Lieberman „jüdische Wurzeln und buddhistische Blüten“.31 Buddhismus und Judentum miteinander zu vereinbaren, ist allerdings nur bedingt möglich. Wenn man die Weltanschauung beider Religionen berücksichtigt, haben beide absolut entgegengesetzte Auffassungen. Die buddhistische Vorstellung, dass die Welt nicht von einem Gott geschaffen worden sei, sondern nur aus einem ewigen Verlauf von Werden und Vergehen nach einer notwendigen und leidvollen Verkettung von Ursachen und Wirkungen bestehe, aus denen man sich nur durch eigene Kraft lösen kann, ist mit dem Monotheismus der mosaischen Offenbarung nicht vereinbar. Wenn aber der Buddhismus nicht als Religion, sondern als Weisheitslehre und Philosophie, treffender noch als eine Art Psychotherapie betrachtet wird, lässt sich dieser in die jüdische Tradition leichter integrieren. Die Betonung von Meditation und Gebet als Mittel, um die Erleuchtung zu erlangen, wie es der tibetische Buddhismus lehrt, wird vom Judentum wie auch von vielen anderen Religionen geteilt. Vor allem in der kabbalistischen Tradition, der jüdischen Mystik, kann man viele Parallelen zu tantrischen Praktiken finden: Die von Abraham Abulafia (um 1240–1292) propagierte ekstatische Kabbala basiert auf Meditationsübungen, Ausdrucksformen und Mittel, die an tantrische Meditationsmethoden erinnern.32 In der jüdischen Kabbala nehmen jedoch die Tora und die Gebote in der Regel eine zentrale Rolle ein. Für die Kabbalisten hat der Vollzug der Tora-Gebote und die Einhaltung des Rituals eine Wirkung, die nicht durch individuelle Meditation und Gebet ersetzt werden kann. Ziel des Buddhismus ist es, diese Welt zu überschreiten. Ziel des Judentums ist es, sich selbst und diese Welt durch die Erfüllung der Gebote emporzuheben und zu vervollkommnen. Deshalb dient die Religion in erster Linie dazu, die Kennt-
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nis des Wortes Gottes zu vertiefen, um entsprechend seinem Willen in dieser Welt zu leben. Ekstase ist in der Religiosität des traditionellen rabbinischen Judentums eine Nebenerscheinung. Denn die Gottheit zu schauen wird erst im Jenseits, in der künftigen Welt, möglich sein. Zu dieser Welt hingegen gehört die Einhaltung der Tora-Vorschriften, und ihr Ziel ist die Zeit der messianischen Herrschaft in der Endzeit der irdischen Geschichte. Für streng orthodoxe Juden ist daher der Buddhismus trotz einiger äußerlichen Gemeinsamkeiten in die jüdische Lehrtradition nicht integrierbar. Im Reformjudentum33 sieht es allerdings etwas anders aus. Da die Tora-Gebote für reformierte Juden keine absoluten Werte sind, sondern historisch-kulturell bedingte Anweisungen und Traditionen, die zur Förderung und Wahrung sittlicher Prinzipien dienen, und da hier das Judentum als eine universalistische Weltreligion mit rationalistisch-humanistischer Grundhaltung dargestellt wird, fällt die Aufnahme einiger Aspekte der buddhistischen Lehre leichter. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die meisten „JuBus“ aus dem Reformjudentum kommen. Die Motivationen, die zum Buddhismus führen, sind unterschiedlich. Das Reformjudentum war mit seinem optimistischen Glauben an den moralischen Fortschritt gescheitert, fand abgesehen von einer Verklärung des US-amerikanischen Verfassungsoptimismus keinen ausreichenden ,Ersatz‘ mehr dafür und geriet seit 1967 in den Sog des Zionismus – mit dem Effekt, dass viele amerikanische Juden den Staat Israel ohne theologisch-kritische Überlegungen unterstützten. Immer mehr Israelis finden im Buddhismus eine Zuflucht vor den politischen und sozialen Spannungen ihrer Umwelt. Mehrere Zentren, die sich in Forschung und Lehre mit der buddhistischen Tradition befassen, sind in den letzten Jahren in Israel entstanden. „The Israel Center for the Study of Buddhism“ hat sogar eine hebräische Übersetzung der Tipitaka-Literatur, d. h. der in Pali-Sprache verfassten kanonischen Schriftensammlung des Theravada-Buddhismus, geplant. Schon der erste israelische Ministerpräsident David Ben-Gurion (1886–1973) interessierte sich seinerzeit für den Buddhismus, vor allem für seine Meditationstechniken. Im Februar 2006 wurde anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Einwanderung Ben-Gurions nach Israel der Dalai Lama für einen einwöchigen Besuch nach Israel eingeladen. Gastgeber war The Ben-Gurion University von Be’er Sheva (Negev), also nicht die israelische Regierung. Damit sollten Proteste Chinas, wie sie beim ersten Besuch des Dalai Lama 1999 erhoben wurden, vermieden werden. Das wachsende jüdische Interesse an der buddhistischen Lehre nach dem Zweiten Weltkrieg ist sicher auch durch die traumatische Erfahrung der Schoah zu erklären. Die Überlebenden und die jüngere Generation stellten sich die Frage nach der Existenz Gottes und seiner Gerechtigkeit. Die orthodox-konservative rabbinische Führung hat sich jedoch hauptsächlich mit der Erörterung gesetzlicher Aspekte der jüdischen Tradition beschäftigt, anstatt auf dieses heikles Thema einzugehen, und so ein spirituelles Vakuum hinterlassen, das anscheinend der Buddhismus zu füllen in der Lage ist.
Der islamische Blick auf andere Religionen
Zu Beginn seiner Verkündigung trat Mohammed als Vertreter des Eingottglaubens der Juden, Christen und Abrahams auf. In allen Zeitabschnitten der mekkanischen Periode spricht der Koran von Abraham, Moses, Jesus, von Tora und Evangelium sowie den altisraelitischen Propheten als Verkündern der gleichen göttlichen Offenbarung. Den Juden gegenüber verteidigte er die Reinheit Marias und das Prophetentum Jesu. Den Christen gegenüber würdigte er die Leistung des Mose und der anderen israelitischen Propheten, vor allem auch den Eingottglauben Abrahams. Daraus lässt sich folgern, dass den Bewohnern Mekkas Abraham, Moses und Jesus bekannt gewesen sein mussten. Alles spricht dafür, dass zahlreiche Juden und Christen in Mekka gelebt haben, entweder mit ständigem Wohnsitz oder im Rahmen ihrer wirtschaftlichen und religiösen Reisen. Mohammeds enge Verbindung zu den Schriften der Juden und Christen bestimmte auch den Geist und Gehalt der Offenbarungen in der medinensischen Periode: Sag: Ihr Leute der Schrift! Kommt her zu einem Wort, das zwischen uns und euch gleich ist. Dass wir Gott allein dienen und ihm niemandem beigesellen und dass wir Menschen uns nicht untereinander an Gottes statt zu Herren nehmen. (3,64)
Zunächst erkannte der Koran die Gültigkeit der verschiedenen Wege an. Letztlich bleibt die Entscheidung Gott überlassen, und es gilt der koranische Grundsatz: „In der Religion gibt es keinen Zwang“ (2,256). Mohammeds Einstellung gegenüber den Schriftbesitzern änderte sich im Anschluss an die Auswanderung nach Medina (622). Aufgrund seiner deprimierenden Erfahrungen, dass sich vor allem die Juden, aber auch die Christen seiner Botschaft verschlossen, argumentierte er nun, dass den Andersgläubigen gegenüber Vorsicht geboten ist: Ihr Gläubigen! Nehmt euch nicht die Juden und Christen zu Freunden. Sie sind untereinander Freunde. Wenn einer von euch sich ihnen anschließt, gehört er zu ihnen (5,51).
Leute der Schrift oder Verräter des Monotheismus? Der Blick auf das Christentum Muslime sagen: Unser Gott und der Gott der Christen ist ein und derselbe. Zu allen Zeiten hat er Gesandte geschickt, die von seiner Freundlichkeit und Barm-
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herzigkeit erzählt haben. Einer von ihnen war Jesus, der im Koran Isa genannt wird. Seine Mutter ist Maria. Sie wird im Koran als reine Jungfrau dargestellt. Sie hat Isa ohne Zutun eines Mannes sein Leben geschenkt. Josef wird im Koran nicht erwähnt. Die koranischen Erzählungen von Maria haben starke Anklänge an apokryphe Evangelien (z. B. das Protevangelium des Jakobus): Maria wird als Kind in den Tempel gebracht, wächst dort unter priesterlicher Obhut auf. Sie gilt als von Gott „auserwählt“ (3,42). Der demütigen Frau wird Jesus als „Wort von Gott“ (3,45) angekündigt. Maria zieht sich von ihren Verwandten zurück. Der Bote Gottes erscheint vor ihr in menschlicher Gestalt, verkündet einen „lauteren Jungen“ (19,19). Ohne mit einem Mann Verkehr gehabt zu haben, wächst in ihrem Leib der Jesusknabe heran. Mariendarstellungen finden sich in den Wohnungen vieler Muslime. In mehreren Koranversen, insbesondere in 4,171f., wird Isa erwähnt, meist im Zusammenhang mit den anderen Gesandten. Isa ist Gottes Diener (abd), Prophet (nabi), Gesandter (rasul), Messias (al-masih), Wort Gottes (kalima), Geist Gottes (ruh) und Bringer des Evangeliums, das als ein Buch aufgefasst wird. Der Koran nennt Isa „Sohn der Maria“ (3,45; 4,171; 9,30 u. ö.), nicht aber „Sohn Gottes“. Wie die anderen Propheten und Gesandten vor ihm besteht Isas Auftrag darin, den Dienst der Menschen gegenüber dem einen und einzigen Gott zu verkünden: „Gott ist mein Herr und euer Herr; dient ihm also! Das ist ein gerader Weg!“ (Sure 19,36; 43,64 u. ö.). Isa werden außerordentliche Beschaffenheiten zugesprochen, die sonst in ihrer Gesamtheit im Koran keinem anderen Menschen, nicht einmal Mohammed, zugeschrieben werden. Wie Adam so entstand Isa, ohne von einem menschlichen Vater gezeugt worden zu sein – einfach auf einen Befehl Gottes. Isas Mutter Maria wird wegen ihrer „Reinheit“ über „die Frauen in aller Welt“ gehoben. Nach seinem Tode wird Isa von Gott in den Himmel „erhöht“. Vom koranischen Isa werden nicht nur außergewöhnliche „Zeichen“– Heilungen, Totenerweckungen – berichtet. Isa gilt vielmehr selbst als „Zeichen Gottes“. Dieser Zeichencharakter unterscheidet ihn von allen anderen Propheten, Mohammed eingeschlossen. Seine besondere Stellung kommt auch darin zum Ausdruck, dass er als letzter Prophet vor Mohammed dessen Erscheinen voraussagt.1 Besondere Bedeutung besitzt Jesus in der Volksfrömmigkeit und im Sufismus (der islamischen Mystik).2 Hier erscheint er vor allem als der große Beter und als Vorbild in sittlich-asketischer Hinsicht. Er ist das Beispiel für Frömmigkeit, Verzicht auf weltliche Freuden und Armut schlechthin. Jesus legte einen Stein unter sein Haupt, um besser ruhen zu können, wenn sein Haupt über der Erde erhoben läge. Der Teufel sprach zu ihm: Und du, Sohn der Maria, erhebst den Anspruch, für immer der Welt entsagt zu haben!? Jesus warf den Stein von sich und sprach: Hier, nimm ihn mit allem, dem ich entsagt habe.3
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Für viele moderne muslimische Autoren, z. B. den ägyptischen Journalisten, Dichter und Literaturkritiker Abbas Mahmud al-Aqqad (1889–1964) und Seyyid Hossein Nasr, besitzt der Gedanke der Liebe in der Lehre Jesu besondere Anziehungskraft. Sie sind sich darin einig, dass Jesus ein vorbildlicher, ethisch hochstehender Mensch und abgesehen von Mohammed der bedeutendste Gesandte Gottes war. Vertreter eines islamischen Sozialismus wie Khalid Mohammed Khalid oder Mustafa as-Sibai sehen Jesus als Sozialreformer und Revolutionär, der gegen soziale Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Klassengegensätze seiner Zeit eintrat. Vorwurf der Verfälschung des Christentums Muslime gehen davon aus, dass die Christen später ihre ursprüngliche Lehre verfälschten. Mit ihrer Lehre von der Trinität und der Gottessohnschaft Jesu, die zumindest in ihrem wortwörtlichen Verständnis für Muslime einer Gotteslästerung gleicht, gehen die Christen über das Selbstverständnis Jesu als Prophet hinaus und beeinträchtigen die Einzigartigkeit Gottes. Muslime zweifeln an der Authentizität der Evangelien des Neuen Testaments und wehren sich gegen die christliche Interpretation des Alten Testaments. Die neutestamentlichen Schriften gelten als Produkt christlicher Autoren. Ein entscheidendes Argument in diesem Zusammenhang ist die inhaltliche Differenz zwischen den Synoptikern und dem Johannesevangelium. Vor allem Paulus wird als fanatischer Jude, Häretiker und Religionsfälscher gesehen, weil er die Gottheit Christi und die Lehre vom Sühnecharakter und Kreuzestod Christi vertrat. Paulus gilt auch als Begründer der Lehre von der Universalität des Christentums und verantwortlich für die Aufhebung der mosaischen Tradition, die Übernahme von heidnischen Elementen und den Wechsel von der Toleranz zur Unterdrückung. Kritik üben Muslime auch an der Vorstellung des Sühnopfers Christi: Obschon der Gedanke, dass Christus mit seinem Blut die Sünden seiner Brüder, der Menschen, sühnte, zweifellos sehr schön ist [...], so macht doch der Grundsatz des Islams, dass keiner die Last des anderen trägt (Koran 6,164) und dass jedem Menschen am Tag der Auferstehung seinen Taten entsprechend vergolten wird – Gutes mit Gutem und Schlechtes mit Schlechtem – die logische Annäherung zwischen beiden Religionen unmöglich.4
Die meisten muslimischen Autoren sind sich darin einig, dass Jesus nicht gekreuzigt wurde. Isa ist gestorben; danach hat Gott ihn von seinem schmachvollen Kreuzestod errettet und zu sich erhöht. Auch wenn die Juden glaubten, sie hätten Isa ans Kreuz geschlagen, so haben sie sich getäuscht, da sie nur Isas menschliche Hülle töten konnten, nicht aber seinen Geist. Dass Jesus mit Leib und Seele in den Himmel gekommen sei, lehnen die Muslime als christliche Erfindung ab.5
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Der ägyptische Religionswissenschaftler und Historiker Ahmad Shalabi (geb. ca. 1921) behauptet in seinem 1978 in Kairo erschienenen Buch über das Christentum, dass es viele seiner Dogmen und Riten vom Buddhismus übernommen habe: Vorstellungen wie die Dreifaltigkeit, die Geschichte der Kreuzigung zur Sühne für die Sünden der Menschen, Askese und Verzicht auf Geld, um in das Himmelreich zu gelangen.6 Das Bild des Christentums bei zeitgenössischen muslimischen Denkern Der berühmte Reformer, Journalist, Religions- und Rechtsgelehrter sowie Großmufti von Ägypten Mohammed Abduh (1849–1905) kritisiert die negativen Auswirkungen des Christentums auf die Entwicklung der Wissenschaft: Im Gegensatz zur Wissenschaft beschäftige sich das Christentum mehr mit dem Jenseits als mit dem Diesseits. Seine religiösen Führer verwendeten ihre Autorität, um freie wissenschaftliche Forschung zu verhindern. Das Christentum halte Wunder für einen Beweis der Wahrheit statt die dahinter stehenden Naturgesetze zu erkennen. Das Christentum betrachte den Glauben als ein Geschenk, das nicht mit der Vernunft erfasst werden kann. Das Christentum lehrt darüber hinaus, so Abduh, dass die Bibel alles notwendige Wissen enthält, was wissenschaftliche Forschung verhindert.7 Der ägyptische Schriftsteller, Orthopäde und zeitweilige Präsident der ‚Ayn Shams Universität in Kairo, Kamil Husain wirft Christen eine grundsätzlich pessimistische Lebenseinstellung vor. Psychologisch versucht er diese dadurch zu erklären, dass die Christen seit der Kreuzigung an einem Trauma litten, weil die unterlassene Hilfeleistung der Jünger einen Schuldkomplex hervorgerufen habe, der sich wiederum in einem übertriebenen Sündenbewusstsein und der Angst vor Verfehlungen äußere. Zu den Spätfolgen des Kreuzigungstraumas gehört nach Husain eine lebensabgewandte Weltsicht. Aus Angst, etwas Böses zu tun, zögert der Christ, sich aktiv am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen: Die Christen haben einen ausgeprägten Sinn für Unrecht, Sünde und Beladensein geerbt. Es hat sich in ihrem Bewusstsein die Vorstellung festgesetzt, dass keinem Menschen etwas Schmerzvolles zustößt, das man nicht auf eine begangene Sünde zurückführen kann. Diese Gefühle haben das christliche Denken fortwährend geprägt. [...]. Sie sind eher darauf bedacht, Unrecht zu vermeiden als Gutes anzustreben. Ihre Angst vor dem Bösen ist mächtiger als ihr Sinn für Gerechtigkeit und ihre Furcht vor dem Höllenfeuer größer als ihre Bemühung um das Paradies.8
Für den in Heidelberg zum Dr. phil. promovierten späteren Direktor des Institute of Islamic Culture (Lahore), Khalifa Abdul Hakim (gest. 1959), ist die Trennung von Kirche und Staat mit der damit verbundenen Säkularisierung ein zweischneidiges Schwert. Einerseits hat sich die Kirche in der Vergangenheit oft mit den Besitzenden verbündet und erwies sich angesichts neuer Ideen als wenig fle-
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xibel. Andererseits hält Abdul Hakim die säkularisierten Herrschaftssysteme und ihre Formen der Ausbeutung für noch verhängnisvoller als die früheren, durch die Kirche legitimierten oder zumindest nicht verhinderten Missstände. Kritisch sieht Khalifa Abdul Hakim auch den Anspruch der angloamerikanischen Demokratien, sich an christlicher Ideologie zu orientieren: [...] die führenden Persönlichkeiten im Westen haben aufgehört, an das christliche Dogma zu glauben. Wenn sie heute von christlicher Ideologie sprechen, meinen sie lediglich gewisse undefinierte Prinzipien der Liebe und des Wohlwollens.9
Kritiker wie Mohammed al Ghazali, Hossein Nasr und Khalifa Abdul Hakim vertreten die Ansicht, dass die Instanz der Kirche für das Christentum nicht notwendig sei; gerade die Kirche habe im Laufe ihrer Geschichte die freie Entwicklung der Wissenschaft verhindert. Dennoch sehen sie die Kirche heute als einzige Instanz, die in der Lage ist, die vom moralischen Relativismus, Materialismus und Atheismus bedrohten europäischen Gesellschaften vor dem Untergang zu bewahren. Für einen der bedeutendsten schiitischen Philosophen und Religionswissenschaftler der Gegenwart, Hossein Nasr (geb. 1933), stellt es eine christliche Heuchelei dar, einerseits in der Nachahmung Jesu von Nazareth Nächstenliebe zu fordern und gleichzeitig Kriege zu rechtfertigen und Waffen zu segnen. Überspitzt formuliert er: „Das Christentum schafft Heilige oder Gewalttäter.“ Nasr führt aus, dass der Islam zwar Krieg und Gewalt unter bestimmten Umständen erlaubt, dass er jedoch Ausschreitungen gegen nicht direkt am Kampf beteiligte Personen (Frauen, Kinder, Alte usw.) verbietet und die Kämpfenden zur Fairness auffordert. Demgegenüber sei dem Christentum als Rückzugsreligion aus der Gesellschaft die Kontrolle über die staatliche Kriegsführung entglitten, die nun aufgrund des Fehlens jeglicher religiöser Normen eskalieren und immer totalitärer werden könne. Man kann zumindest sagen, dass die schrecklichsten Kriege dieses Jahrhunderts nicht von der islamischen Welt ausgingen, sondern vom sogenannten „nachchristlichen Westen“. Es ist nicht unbedingt gesagt, dass das Christentum zur Verantwortung zu ziehen ist; denn die Kriege gingen von einer Gesellschaft aus, die sich lange gegen das Christentum stellte. Aber da sie kein göttliches Gesetz hatten, um das äußere und geistliche Leben zu bestimmen, hat das Christentum die Säkularisierung des politischen und sozialen Lebens und die Trennung von den geoffenbarten Prinzipien erleichtert, was wiederum die größten Unruhen der modernen Zeit hervorbrachte.10
Mission und Kolonialismus Unter dem Druck der Kolonialmächte und den zum Teil verwestlichten Führungsschichten kam es in großen Teilen des Nahen Ostens zur Einführung eines
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europäischen Militärwesens, zur Ausbildung der einheimischen Eliten an ausländischen Universitäten, einer Erneuerung des Erziehungssystems sowie zu Reformen der Gesetzgebung. Dabei ließen die Europäer bei der mancherorts bestehenden Zusammenarbeit von Missionaren und Kolonialmächten die Muslime oft spüren, dass kein wesentlicher Unterschied zwischen der politischen Überlegenheit europäischer Länder und der spirituellen Überlegenheit des Christentums bestünde. Was den Europäer betrifft, so tut er sein Möglichstes, um die christliche Propaganda unter den Muslimen zu verbreiten, und schützt sie mit Kanonen, Flugzeugen und Panzern. Ebenso tritt er selber oder durch Mittelsmänner zwischen die Muslime und ihre Religion und schmiedet jedes mögliche Ränkespiel, um den Islam im Land des Islams zu zerstören. [...] Die Handlungsweise beraubt ihn nicht der Eigenschaften „fortschrittlich“, „gebildet“ und „modern“. Am befremdlichsten ist es jedoch, dass ihm durch dieses Verhalten nicht die Attribute „zivilisiert“, „gebildet“ und „tolerant“ abgesprochen werden.11
Muslime wie der ägyptische Gelehrte Yusuf al-Qaradawi (geb. 1926), kritisierten, dass die muslimischen Studenten gewährten Stipendien zu Studienaufenthalten im westlichen Ausland ein gezielter Aushöhlungsversuch islamischer Tradition gewesen seien. Man habe die Muslime nur Fächer wie Literatur, Künste und Sozialwissenschaften studieren lassen, den Europäern jedoch die naturwissenschaftlichen Fächer vorbehalten, um sich die islamischen Länder als Absatzmärkte zu erhalten.12 Außerdem wirft man den christlichen Missionaren vor, dass sie in Zusammenarbeit mit den Kolonialmächten gezielt auf Rundfunk und Presse in den islamischen Ländern eingewirkt hätten, um die Muslime durch eine prowestliche Meinungsbildung ihrer Tradition zu entfremden. Als besonders folgenschwer erwies sich das Interesse der westlichen Staaten an den christlichen Minderheiten in den islamischen Ländern, die später aufgrund ihrer westlichen Ausbildung und wirtschaftlichen Führungspositionen die Ablehnung und Feindschaft ihrer muslimischen Nachbarn hervorriefen. Wir haben immer geglaubt, dass die fremden Schulen und Organisationen, ja sogar die Wohltätigkeitsvereinigungen und Bildungsinstitutionen verschiedener Namen, Richtungen, Religionen und Staaten, welche die Ausländer in unserem Land gegründet haben, in Wirklichkeit bei der Unabhängigkeit andere Wege gehen würden. Aber sie zielten auf ein weiteres Fernziel: die kulturelle, religiöse und politische Herrschaft des Ostens [...] Aber nur wenige begriffen, dass die Organisationen selbst, wie auch viele ausländische Handelshäuser und Gesellschaften, immer noch ein Mittel zur geplanten Mission waren, um den Fremdeinfluss auszubreiten. [...] Mission ist für unser Land sogar schädlicher als Imperialismus; denn der Imperialismus konnte unser Land nur durch den Vorwand der Mission durchdringen.13
Andererseits waren die Christen auch Träger wichtiger Reformideologien wie z. B. des Panarabismus. Dieser Panarabismus wurde u. a. von einem Bürgertum
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unterstützt, das davon ausging, dass eine gemeinsame Geschichte und Sprache ein Volk entscheidender prägen als die Religion. Die unglückliche Verflechtung von Mission und Kolonialpolitik ist für viele Muslime bis heute ein heikles Thema. Doch bereits auf der Konferenz von Chambésy bei Genf im Juni 1976 zog die Weltmuslimliga folgendes Resümee: Die Konferenz anerkannte, dass Mission und Daawah wesentliche religiöse Pflichten im Islam und Christentum darstellen und dass die Beendigung im Missbrauch diakonischer Dienste mit dem Ziel geschieht, Mission in Zukunft auf einer religiös gesunden Basis wiederherzustellen, die für beide annehmbar ist.14
Dialog zwischen beiden Religionen Abgesehen von Gruppierungen, welche den Islam als einzig gültiges Lebensmodell vertreten, gibt es auch Denker, die zu einem gleichberechtigten Miteinander von Islam und Christentum aufrufen. Oft gehen sie dabei von der These aus, dass bereits der Koran einen solchen Dialog befürwortet habe. Der ägyptische Islamwissenschaftler Mohammed Imara betont die Leistung von Christen beim Aufbau des ägyptischen Staates. Die Kopfsteuer für Juden und Christen war laut Imara kein religiöses, sondern ein militärisches Gebot – quasi ein finanzieller Ausgleich für den von Christen nicht geleisteten Militärdienst. Auch die Vorschrift für Andersgläubige, eine besondere Kleidung zu tragen, betrachtet Imara als eine politische, nicht als eine religiöse Gesetzgebung. Spannungen der Vergangenheit sollen ad acta gelegt werden. Für die Gegenwart gilt: Wir alle sind Menschen, die an Gott glauben und sich ihm in Gehorsam unterwerfen, dabei aber verschiedene Wege gehen, deren faktische Verschiedenheit gottgewollt und deren Toleranz eine seiner unabänderlichen Bestimmungen ist.15
Seyyid Hossein Nasr vergleicht das christliche Dogma der Jungfrauenschaft Marias mit der islamischen Glaubensüberzeugung des Analphabetentums Mohammeds. Je niedriger der Bildungsstand des Propheten, umso wahrscheinlicher ist es, dass er die göttliche Botschaft nicht erfunden hat. So auch bei Maria: Der Übermittler der göttlichen Botschaft ist im Christentum die Jungfrau Maria; im Islam ist es die Seele des Propheten. Der Prophet muss aus demselben Grund des Lebens und Schreibens unkundig sein, aus dem Maria Jungfrau sein muss. Die menschliche Übermittlung einer göttlichen Botschaft muss rein und unbefleckt sein.16
Nasr wollte darauf hinweisen, dass „Heilstatsachen“ ihre Überzeugungskraft nur für die eigene Tradition besitzen, dass aber gegenseitiger Respekt solcher Überzeugungen dem gegenseitigen Verständnis förderlich sein kann. Im Februar 1973 ließ der Islamische Weltkongress verlautbaren, dass er für eine Verständigung mit den christlichen Kirchen eintrete und dass man unter die Unstimmigkeiten und Missverständnisse der Vergangenheit einen Schluss-
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strich ziehen und mit den Kirchen zum Wohle der Menschheit zusammenarbeiten wolle. In Übereinstimmung mit Koran 5,82: „Du wirst sicher finden, dass diejenigen, die den Gläubigen in Liebe am nächsten stehen, die sind, die sagen ,wir sind Christen‘“, ließ der Islamische Weltkongress im August 1974 bekannt geben, dass die Christen als „Volk der Schrift“ den Muslimen näher stehen als andere Religionen. Im August 1975 hat sich der Islamische Weltkongress aus Dialogpartner des Christentums angeboten. Eine echte Partnerschaft zwischen Christentum und Islam, den beiden großen Weltreligionen, ist natürlich und gottgewollt. Daher ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Christen und Moslems im Interesse des Weltfriedens und einer gesicherten Zukunft der Menschheit dringend geboten. Der Islamische Weltkongress ist der natürliche Partner für den aufkommenden Dialog.17
Auch die Weltmuslimliga sprach sich im selben Jahr für den Dialog mit Juden und Christen in einer Atmosphäre aufrichtiger Freundschaft, frei von „Hass und Verbitterung“ aus. Gemeinsam mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen berief der Islamische Weltkongress in Colombo (Sri Lanka) vom 30. März bis 1. April 1982 eine Konferenz ein. 1985 folgte auf Einladung des marokkanischen Königs Hassan II. der erste Papstbesuch in einem islamischen Land. Gemeinsame islamisch-christliche Geschichte Der Nahe Osten und Nordafrika waren einst das Zentrum der christlichen Kirchen. Als die Muslime weite Teile des Byzantinischen Reiches, Persiens und Nordafrikas eroberten, fanden sie dort eine Vielzahl sich bekämpfender Kirchen vor. Da viele orientalische Christen (Nestorianer und Monophysiten) sich von der in der oströmischen Kirche gültigen Lehrmeinung getrennt hatten und deshalb verfolgt wurden, empfanden sie die Muslime oft geradezu als Befreier. Im Allgemeinen bestand zur Omaijadenzeit kein großes Interesse an der Bekehrung der Nichtmuslime, da die Kopfsteuer eine wichtige Einnahmequelle der Staatskasse darstellte. Infolge der schnellen und weiten Ausdehnung des Reiches wurde der Verwaltungsapparat der eroberten Gebiete übernommen, und viele Nichtmuslime – in erster Linie Juden und Christen – wurden mit hohen Regierungsämtern betraut. Jahrhundertelang war das islamische al-Andalus berühmt wegen der dort praktizierten religiösen Toleranz. Die Mozaraber, unter islamischer Herrschaft arabisierte Christen, waren abgesehen von der Kopfsteuer kaum benachteiligt. Obwohl das Gesetz die öffentliche Ausübung jeder nichtislamischen Religion untersagte, veranstalteten die Christen ungehindert ihre Prozessionen. Die meisten von ihnen schrieben und sprachen klassisches Arabisch neben ihrer eigenen Sprache, dem Romanoarabisch. Die Mozaraber behielten ihre Richter und Pries-
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ter. Die Bischöfe hielten die Konzilien ab und bekleideten manchmal auch staatliche Ämter. Der christliche spanische Gelehrte und Dichter Paulus Alvarus (Mitte des 9. Jahrhunderts), der einer vornehmen Familie Cordobas entstammte, schrieb erbittert: Meine Glaubensgenossen lesen gerne die Gedichte und die Fantasiewerke der Araber und sie studieren die Schriften ihrer Theologen, nicht, um sie zu widerlegen, sondern um eine fehlerfreie und elegante Ausdrucksweise im Arabischen zu erlernen. Alle jungen Christen von Talent kennen und studieren ausschließlich die arabische Sprache und Literatur. Sie lesen und studieren mit dem größten Eifer arabische Bücher: [...] Das schmerzt! Die Christen haben die Sprache ihrer Religion vergessen, und unter tausend von uns werdet ihr schwerlich einen finden, der in der Lage ist, einen mittelmäßigen Brief in Latein an einen Freund zu schreiben.18
Über 700 Jahre dauerte die islamische Herrschaft in Spanien. Im 11. Jahrhundert zerstörte ein Bürgerkrieg das Kalifat von Cordoba. Im Jahre 1236 eroberte Ferdinand III. die Stadt und vertrieb die dort verbliebenen Muslime. Im Osmanischen Reich behandelte man die Christen im Rahmen des Millet-Systems als selbstständige Gemeinschaft. Die Tatsache, dass sich die europäischen Mächte auf der Seite der Christen in die Innenpolitik einmischten, führte zu größerem Einfluss und einer Sonderstellung der Christen. Infolge der Politik der Westmächte, insbesondere der USA, im 20. Jahrhundert wird das westliche Christentum kritisch gesehen. Bis heute leben christliche Minoritäten in islamischen Ländern. Ägypten Der koptische Papst Kyrillos VI. (1959–1971) und sein Nachfolger Schenuda III. begannen, die koptisch-orthodoxe Kirche in Ägypten zu erneuern und Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. 1977 verordnete Schenuda III. ein fünftägiges Fasten, um die Anwendung des islamischen Rechts zu verhindern. 1980 verbot er den Gläubigen, das Osterfest zu begehen. Damit protestierte er dagegen, dass die Regierung sich als unfähig erwies, Attentate zu verhindern. Nach den Unruhen im Juni 1981 enthob Präsident Sadat 1981 Schenuda III. seiner Funktionen und verbannte ihn in das Kloster Dair Anba Bishoi im Wadi an-Natrun. Nach dem Regierungsantritt Präsident Mubaraks 1984 konnte Schenuda III. jedoch sein Amt wieder übernehmen. Extremisten auf beiden Seiten haben das Verhältnis zwischen Kopten und Muslimen immer wieder belastet. Als positiven Schritt werteten viele Kopten den Beschluss der ägyptischen Regierung, das orthodoxe Weihnachtsfest am 7. Januar 2003 zum nationalen Feiertag zu erklären. Doch fürchten Kopten um ihre Rechte, seit die Muslimbrüder bei den Parlamentswahlen 2005 viele Stimmen gewonnen haben. Trotzdem findet ein Dialog zwischen beiden Religionen statt. So werden seit 1941 in der Association des Frères sinceres (Ikhwan al-safa), später unter dem Namen
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fraternité religieuse (al-Ikha al-dini), Gespräche veranstaltet. 1965 eröffnete Kardinal König auf Einladung des Rektors der al-Azhar-Universität das Gespräch zwischen dem Vatikan und der Universität. Die ökumenische Zusammenarbeit wurde 1958 mit dem Comité oecuménique des Églises d’ Alexandrie begründet. Libanon Der 1943 zwischen den wichtigsten Religionsgemeinschaften ausgehandelte „Nationalpakt“ sah eine Aufteilung der politischen Ämter im Proporz zur Bedeutung der religiösen Gemeinschaften vor. Durch die Niederlage der Maroniten im Bürgerkrieg (1970–1990), der mit der militärischen Besetzung durch die Syrer endete, verschlechterte sich die Lage der Christen. Das Abkommen von Taif (1989) und die Forderung der Hisbollah nach einem islamischen Staat berücksichtigten nicht den historischen Beitrag der Christen für den Aufbau des Landes. Ihnen wurden vorgeworfen, Agenten Israels zu sein. Sprengstoffattentate wurden auf christliche Kirchen verübt, und zahlreiche christenfeindliche Aktionen fanden statt. Seit der Wahl von Émile Lahoud zum Präsidenten der Republik hoffen die maronitischen Bischöfe auf eine Erneuerung des Landes und nationale Versöhnung. Der Libanon hat circa 3,8 Millionen Einwohner. 56 Prozent sind Muslime, 39 Prozent Christen und vier Prozent Drusen. Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein, der Regierungschef sunnitischer, der Parlamentspräsident schiitischer Muslim und der Oberbefehlshaber der Armee Christ. Das Parlament hat 128 Sitze; es besteht je zur Hälfte aus Muslimen und Christen. Palästina, Israel, Jordanien Die in dieser Region verbreiteten Kirchen hüten die alten großen Pilgerstätten des Landes und achten streng darauf, dass ihre Privilegien und Rechte erhalten bleiben. In den 1980er Jahren entstand eine neue palästinensische Theologie, welche die Existenz des Staates Israel und die Besetzung Palästinas nicht nur als völkerrechtliches, sondern auch als religiöses Problem wahrnimmt. Dabei geht es um das im Alten Testament von Gott gegebene Versprechen, das Land seinem Volk Israel zu geben und die Philister, die Vorfahren der Palästinenser, zu vertreiben. Die neue palästinensische Theologie diskutiert das richtige Verständnis der alttestamentlichen Verheißungen in der heutigen Zeit. Die palästinensischen Theologen nehmen an den Gesprächen zwischen Christen und Juden teil. Einige fühlen sich mit den Muslimen im Kampf um die gemeinsame Befreiung Palästinas verbunden. Das jordanische Königshaus versichert den Christen, sie als Bürger zu schätzen. Von ca. elf Prozent (230 000 Gläubige) christlicher Bevölkerung sind 4,1 Prozent aramäische Christen, 2,9 Prozent Assyrer und je zwei Prozent orthodoxe
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Christen und Armenier. Im Abgeordnetenhaus sind neun Sitze für Christen reserviert. Die Verfassung lehnt Diskriminierung aus religiösen Gründen ab. Ordensgemeinschaften dürfen eigene Schulen unterhalten. Missionstätigkeit jedoch ist nicht gestattet. 1996 erklärte die Regierung das Weihnachtsfest zum nationalen Feiertag. Die Königliche Akademie organisiert seit 1984 Dialoge zwischen Muslimen und Christen, zunächst mit Anglikanern, dann mit Orthodoxen und Katholiken. Trotz staatlicher Zusicherungen fühlen sich manche Christen jedoch vom militanten Islam bedroht und wandern ins Ausland aus. Syrien In Syrien besteht eine alte Form des Christentums, das sich auf die direkte Nachfolge der Apostel Petrus und Paulus zurückführt. Die Zahl der Christen beträgt etwa ein bis zwei Millionen. Davon sind eine bis 1,5 Millionen griechisch-orthodox, 200 000 bis 300 000 syrisch-orthodox sowie 80 000 Anhänger griechisch-katholisch. Die Zusammenarbeit der griechisch-orthodoxen Kirche von Antiochia mit den Muslimen war meistens harmonisch, wenn auch durch die zunehmende Islamisierung in neuerer Zeit eine Verschlechterung eingetreten ist. Griechisch-Orthodoxe spielten in Politik und Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Die Anhänger der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochia leben vor allem in Damaskus, in der Gegend von Homs, in Aleppo und in der Gezira bei Hassake und Kamischli. Gemeinden bestehen außerdem im Libanon, in Jordanien, im Irak, in der Türkei, in Europa, Amerika und Australien. Die griechisch-katholische Kirche/Melkiten entstammt einer Union mit Rom. Melkiten leben außer in Syrien hauptsächlich im Libanon, in Jordanien, Palästina, Amerika und Australien. Die Melkiten haben sich spezielle Verdienste im Dialog mit dem Islam erworben und engagierten sich insbesondere bei den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Zur armenisch-apostolischen Kirche (orthodoxe, gregorianische) bekennen sich etwa 200 000 Anhänger, hauptsächlich in Damaskus, Aleppo und in der Jezire (Kamischli, Hassake). Ihre Lage in Syrien ist zufriedenstellend; besonders im Wirtschaftsleben sind sie erfolgreich. Die armenisch-katholische Kirche ist in Syrien mit etwa 25 000 Anhängern vertreten. Die herrschende Baath-Partei in Syrien verfolgt eine laizistische neutrale Politik. Es besteht Religionsfreiheit, doch werden alle Aktivitäten der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften streng überwacht. 1967 wurden alle privaten Schulen der Religionsgemeinschaften nationalisiert. Auf Protest der katholischen Kirche hin wurde 1974 der private Charakter aller von den verschiedenen Religionsgemeinschaften betriebenen Schulen erneut anerkannt. 1984 unterzeichneten der Papst und der syrisch-orthodoxe Patriarch eine Übereinkunft über gegenseitige Hilfe in der Pastoral und gegenseitige Anerkennung der Sakramente. Christen und Muslime leben meistens friedlich nebeneinander, es gibt sogar Orte gemeinsamer
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Gebete, wie z. B. das griechisch-orthodoxe Kloster Saydnaya (Marienwallfahrtsort) und die Omaijaden-Moschee in Damaskus, wo das Haupt Johannes des Täufers verehrt wird. Iran Insgesamt leben im Iran heute etwa 280 000 Christen. Die größte Gruppe bilden die etwa 100 000 vorwiegend der orthodoxen/gregorianischen Kirche angehörenden Armenier. Armenier spielen im Wirtschafts- und Kulturleben des Iran eine gewisse Rolle. Im Parlament werden sie durch einen Abgeordneten vertreten. Auch behielten sie – mit Einschränkungen – ihre Schulen, Clubs und Krankenhäuser. Das Armenische wird vom Staat zugunsten des Persischen in ihren Schulen zurückgedrängt. Sonst gelten sie als gleichberechtigte Staatsbürger und genießen Religionsfreiheit. Die Heilige Apostolische Katholische Assyrische Kirche des Ostens, bis um 1400 eine der bedeutendsten Kirchen der Welt, zählt heute im Iran kaum 50 000 Anhänger. Zusammen mit den noch etwa 15 000 katholischen Chaldäern und protestantischen Assyrern stellt sie einen Abgeordneten im Parlament. Als älteste christliche Gruppe darf sie im Iran ihre eigene Sprache sprechen, eigene Schulen und Clubs unterhalten. Probleme bestehen jedoch vor allem bei Glaubensübertritten und Mischehen.19 Kinder Abrahams oder Verfälscher der Lehre? Der Blick auf das Judentum Mohammed ging von der Verwandtschaft der drei „Abrahamsreligionen“ (Judentum, Christentum, Islam) aus, stellte sich in die Reihe der früheren Propheten (Adam, der Erwählte Gottes; Noah, der Prophet Gottes; Abraham, der Freund Gottes; Mose, das Wort Gottes; Jesus, der Geist Gottes). Mohammed selbst verstand sich als „Siegel“ (33,40), d. h. als Abschluss der Propheten. Sprecht: „Wir glauben an Gott und an das, was zu uns herabgesandt wurde, und was auf Abraham, Ismail, Isaak, Jakob und die Stämme herabgesandt worden ist, und was Mose, Jesus und die Propheten von ihrem Herrn erhalten haben. Wir machen keinen Unterschied zwischen einem von ihnen. Und wir sind ihm ergeben“ (3,84). Herabgesandt haben wir die Tora, in der sich eine Leitung und ein Licht befinden, mit der die Propheten, welche Muslime waren, die Juden richteten und die Rabbiner und Lehrer richteten nach dem vom Buch Gottes, was ihrer Hut anvertraut war und was sie bezeugten (5,48).
In der ersten islamischen Umma (Gemeindevertrag von Medina) wurden die jüdischen Stämme als gleichberechtigte Umma-Mitglieder integriert. Es gehörte zu ihrem selbstverständlichen Recht, weiterhin ungestört ihre Religion auszuüben. Als Bewohner der Umma wurden die Nichtmuslime der Schutzverantwor-
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tung der islamischen Gemeindemitglieder unterstellt und mussten dafür eine Schutzsteuer bezahlen. Die anfängliche Anlehnung Mohammeds an jüdische Gebetsrichtung, Sabbatruhe und Fastengebote änderte sich, als sein Versuch fehlschlug, die Juden für den Islam zu gewinnen. Die Gebetsrichtung wurde nun von Jerusalem nach Mekka verlegt und dem Fasten eine islamische Begründung gegeben. In Medina kam es zu Konflikten und Verfolgungen der dortigen jüdischen Bevölkerung: 624 wurde der Stamm der Qainuqa vertrieben, 625 der Stamm Nadir vertrieben. 627 fanden die Männer des jüdischen Stammes Quraiza den Tod, weil man ihnen Verrat während der Belagerung Medinas, der sogenannten Grabenschlacht, vorwarf. Die oft angeprangerte Verfolgung der Judenstämme in Medina hatte keine Ursache im Prophetentum Mohammeds und dem Glauben der Juden. Der Zwist lag vielmehr in der komplizierten arabisch-jüdisch-christlichen Geschichte auf der arabischen Halbinsel begründet, in der Feindschaft jedes gegen jeden und in der Angst aller vor dem Verlust an Identität und Wirtschaftsmacht. Als sich weder Juden noch Christen Mohammeds Überzeugung der inhaltlichen Identität aller drei Religionen anschlossen, erhob Mohammed folgende Einwände gegen die Lehren der „Schriftbesitzer“: Juden und Christen haben ursprünglich durch ihre Propheten und Gesandten die wahre Offenbarung erhalten, sich aber dann von dem wahren monotheistischen Sinn ihrer heiligen Schriften entfernt. Die besondere Wertschätzung Abrahams Abraham (Ibrahim) kommt im Islam eine sehr große Bedeutung zu: „Er war ein Wahrhaftiger und ein Prophet“ (19,41). Er wird im Koran als der erste Muslim gesehen, als „Anhänger des reinen Glaubens“ (2,135), gilt als „Vorbild für die Menschen“ (2,124), als „Anvertrauter“ bzw. „Freund Gottes“. Abraham spielt neben Moses, Jesus und den übrigen Propheten Israels als Verkünder der gleichen göttlichen Offenbarung in allen Zeitabschnitten der mekkanischen Periode eine bedeutende Rolle. Schon in der historisch gesehen 7. Sure (87,18-19) erwähnt der Koran den alttestamentlichen Patriarchen. Mit dem Hinweis auf die Schriften Abrahams und Moses sollen die mekkanischen Polytheisten von der Wahrheit überzeugt werden. Der Koran schildert: Abrahams Gotteserkenntnis; seine Kritik am polytheistischen Götterglauben; Abraham verlässt seinen Vater; er bittet für die vom Untergang bedrohte Stadt Sodom; Abraham unter der Eiche von More und die Geschichte von der Opferung seines Sohnes Isaak. Der Koran bringt Abraham in Verbindung mit Bau (2,127) und Reinigung der Kaaba von Götzen (22,26). Nach islamischer Überlieferung ist die von Adam erbaute Kaaba so alt wie die Menschheit. Abraham und sein Sohn Ismael richteten das inzwischen jedoch zerstörte Haus nur wieder auf. Das Kaaba-Heiligtum ist eine Stätte des Asyls:
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Das erste Haus (der Verehrung), das für die Menschen errichtet wurde, ist dasjenige in Bakka (= alter Name für Mekka); voller Segen ist es und Rechtleitung für die Weltbewohner. In ihm sind deutliche Zeichen. Es ist die Stätte Abrahams, und wer es betritt, ist in Sicherheit (3,95). Als Abraham von seinem Herrn durch Gebote, die er erfüllte, geprüft wurde, sprach er: Ich mache dich zu einem Führer für alle Menschen. Er sagte: Gilt das auch für meine Nachkommen? Da sprach er: Mein Bund erreicht nicht die Ungerechten. Und damals, als wir das Haus der Kaaba zu einem Versammlungsort und einer Zufluchtsstätte für die Menschen machten und sprachen: Nehmt die Stätte Abrahams als Gebetsort an, da verpflichteten wir Abraham und Ismail: Reinigt mein Haus für die Menschen, die darin weilen, sich beugen und niederwerfen [...].
Außerdem gilt Abraham als Begründer der Wallfahrt (3,97). Auf Gottes Geheiß sollte er seinen Sohn opfern. Doch Gott verhinderte, dass Abraham sein Vorhaben in die Tat umsetzte. In Erinnerung daran begehen die Muslime am zehnten Tag des Wallfahrtsmonats das Opferfest. Abrahams Opferbereitschaft und Hingabe an Gott ist für Muslime ein großes Vorbild. Und als er das Alter erreichte, wo er mit dem Vater (Abraham) arbeiten konnte, sagte dieser: „O mein lieber Sohn, ich sehe im Traum, dass ich dich opfere, überlege nun, was du meinst.“ Er erwiderte: „O mein Vater tue, was dir befohlen, du wirst mich, so Gott will, als einen der Standhaften finden.“ Und als die beiden sich dem Befehl Gottes gefügt und er ihn auf die Schläfe gelegt hatte, da riefen wir ihn: „O Abraham, du hast wirklich das Traumgesicht wahr gemacht! Also belohnen wir die Rechtschaffenen. Dies, dies war offenbare Prüfung, und wir lösten ihn durch ein großes Opfer aus und ließen sein (Abrahams) Gedenken unter den Späteren weiterleben. Friede sei über Abraham“ (37,102–109).20
Theologische Auseinandersetzung Die theologische Auseinandersetzung des Islams mit dem Judentum verlief zunächst weniger zugespitzt als die islamisch-christliche Debatte. Beide Religionen teilen einen strengen Monotheismus. Außerdem gibt es Parallelelen in der Bedeutung religiöser Handlungen, wie zum Beispiel Gebet, Fasten und Speisegebote. Doch weigerten sich die Juden, Mohammed als den letzten Propheten und den Koran als endgültige Offenbarung anzuerkennen. Muslime warfen den Juden vor, dass sie ihre religiösen Schriften nicht in ihrer ursprünglichen Form bewahrt, sondern verfälscht hätten. Ein wichtiger islamischer Denker, der das Judentum kritisch betrachtete, ist der Philosoph und Theologe Ibn Hazm (994–1064). Er wirft den Juden insbesondere vor, bestimmte Stellen der Hebräischen Bibel vor allem im Buch Genesis, aber auch in den Evangelien verfälscht zu haben.21
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Streitschriften gegen das Judentum wurden auch von Juden verfasst, die zum Islam übergetreten waren: Samaw`al Maghribi (ca. 1125–1175) schrieb sein Buch Die Juden zum Schweigen bringen nach seiner Konversion 1163. Said ibn Hassan (gest. 1320) trat 1298 zum Islam über und schrieb anschließend eine Abhandlung gegen Judentum und Christentum. Weitere Apologeten waren Abd al-Haqq al-Islami (14. Jahrhundert) und Ibn Qayyim al-Djauziya. Die biblische Tora ist nach Ansicht der Muslime nicht identisch mit der Offenbarung, die Mose auf dem Sinai erfahren hat. Doch variieren muslimische Autoren in ihrer Ansicht über das Ausmaß der Fälschung, welche die jüdischen Schriften erfahren haben. Während die meisten islamischen Autoren Respekt gegenüber der Hebräischen Bibel zeigen, stellt für Ibn Hazm fast das gesamte Alte Testament eine Fälschung dar. Man unterstellte einerseits eine historische Fälschung, die auf den langen Weg zurückgeführt wurde, den das Gesetz Moses in den Schlachten und auf dem langen Weg nach Kanaan erfahren hatte. Außerdem gingen die Muslime davon aus, dass später bewusst Texte hinzugefügt und andere ausgelassen wurden. Insbesondere wurde die Echtheit einiger Prophetenbücher und Weisheitsbücher bezweifelt. Außerdem durchforschten muslimische Apologeten die Hebräische Bibel, um Hinweise auf das Prophetentum Mohammeds zu finden. Ein weiterer Hauptvorwurf gegen das Judentum war die Ablehnung der Abrogation (naskh), also der islamischen Auffassung, dass spätere Offenbarungen die früheren relativieren. Jüdische Theologen hielten dem entgegen, dass Gott unmöglich seine ursprüngliche Meinung ändern könne. Infolgedessen hatten die nach der Tora geoffenbarten Evangelien und der Koran keine Heilsbedeutung für sie. Muslimische Denker des Mittelalters verwandten viele Mühe darauf, die Juden zu überzeugen, dass sie, wenn sie die Abrogation ablehnten, auch nicht akzeptieren könnten, dass das Gesetz Moses das Gesetz Jakobs abgelöst habe.22 Inhaltlich warfen Muslime den Juden vor, dass ihre Gottesidee nicht universal sei. Gott sei Schöpfer der gesamten Menschheit, während die Juden ihn als persönlichen Gott ihres Volkes begreifen. Die Vorstellung, dass das jüdische Volk besonders erwählt sei, diskriminiere andere Völker und schließe sie von der Offenbarung aus. Schließlich kritisierten Muslime auch den jüdischen Sabbat. Denn der Gedanke, dass Gott einen Ruhetag nach der Schöpfung benötige, widerspräche seiner Erhabenheit und Würde.23 Juden in der islamischen Geschichte Juden galten wie Christen und Zoroastrier nach islamischem Verständnis als Buchreligionen, weil sie eine heilige Schrift besaßen. Ein wichtiges Modell für die späteren Beziehungen bildete die Kapitulation der Juden der Oase Khaybar (629). Den Juden wurde zwar erlaubt zu bleiben, doch mussten sie über die Hälfte
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ihrer Produkte abgeben. Später entwickelte sich daraus die Bezahlung einer Steuer (djizya). Nach dem ursprünglichen Konflikt mit den jüdischen Stämmen setzte sich später eine tolerante Grundeinstellung durch, die im Umar-Vertrag ihren Niederschlag fand. Juden und Christen wurde darin eine rechtliche Sonderstellung eingeräumt. Auch wenn seine Bestimmungen nicht in allen Phasen der späteren Geschichte eingehalten wurden, schuf dieser Vertrag eine gewisse Rechtssicherheit. Juden gehörten im islamischen Herrschaftsgebiet zu den Schutzbefohlenen (ahl al-Dhimma). Sie genossen in ihren innerreligiösen Angelegenheiten weitgehend Autonomie, besaßen eine eigene Gerichtsbarkeit und wurden von den Muslimen gegen Angriffe von außen verteidigt. Der Schutzvertrag gewährte Leuten der Schrift das Recht, ihre Religion ungestört in ihren eigenen Gebäuden ausüben zu dürfen. Öffentliches Auftreten wurde hingegen nur selten gestattet. Im Lauf der Zeit gehörten zu solchen Schutzverträgen weitere Bestimmungen, welche „Leute der Schrift“ im Vergleich zu Muslimen benachteiligten (z. B. das Verbot, Waffen zu tragen, und die Kennzeichnungspflicht durch bestimmte Kleidung). Im 10. Jahrhundert lebten neun Zehntel aller Juden in islamischen Ländern. In der Blütezeit vom 10. bis 12. Jahrhundert waren sie in 250 Handwerken und ca. 100 anderen Berufen vertreten. Im Allgemeinen wurden sie nicht in besondere Wohngebiete verbannt. Zwar gab es vorwiegend von Juden bewohnte Stadtviertel. Doch kann man aus Grundstücksurkunden und Mietverträgen entnehmen, dass die Häuser von Juden, Christen und Muslimen nahe beieinander lagen. Es scheint auch üblich gewesen zu sein, dass Muslime Wohnungen in jüdischen Häusern mieteten und umgekehrt.24 Unter der muslimischen Herrschaft in Spanien erlebten die Juden eine Blütezeit, nachdem sie zwischen dem 6. und dem Ende des 7. Jahrhunderts unter der Herrschaft der Westgoten zwangschristianisiert oder ins Exil gezwungen worden waren. Als um 711 die Muslime die Westgoten vertrieben, fanden sie keine praktizierende jüdische Gemeinde mehr vor. Doch gab es unzählige Juden, die ihre Religion im Geheimen praktizierten und die Muslime als ihre Retter willkommen hießen. Die Muslime pflegten Juden als Statthalter einzusetzen, so in Cordoba, Granada, Toledo und Sevilla. Die soziale und ökonomische Situation der Kryptojuden (geheime verborgene Juden) veränderte sich, so dass auch vor den Westgoten nach Nordafrika geflüchtete Juden nach Spanien zurückkehrten. Während der Herrschaft der Omaijaden war Cordoba ein Zentrum jüdischer und arabischer Kultur. Von den Arabern lernten jüdische Literaten den Sinn für Ästhetik und die Wertschätzung der Schönheit. Der Jude Chasdai Ben Shaprut (905–970) war engster Vertrauter des ersten Kalifen von Cordoba, Abdur-Rahman III. Als Ratgeber des Kalifen wurde er mit heiklen diplomatischen Aufgaben betraut. Gleichzeitig hatte er die Oberaufsicht über alle Synagogen und Gemeinden des Reiches.
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Viele Juden übten den Beruf des Bankiers und des Arztes aus und spielten eine wichtige sozio-ökonomische Vermittlungsrolle in der islamischen Welt. Jüdische Denker beschäftigten sich auch mit islamischer Theologie und bedienten sich dabei der arabischen Sprache. Moses Maimonides (1135–1204) schrieb sein theologisches Hauptwerk Führer der Unschlüssigen ebenso auf Arabisch wie der berühmte hebräische Dichter Judah Ha-levi (ca. 1075–1141) seine Prosa (im Unterschied zur hebräisch geschriebenen Lyrik). Die Almorawiden waren den Juden nicht mehr so freundlich gesonnen wie ihre Vorgänger. Jüdische Gemeinden wurden zerstört, den Juden wurde verboten, ihre Religion auszuüben, und man zwang sie zur Konversion. Im islamischen Reich waren Juden als Nichtmuslimen einige Berufe nicht gestattet. Besonders in Marokko und im Jemen übten sie zum Teil sogenannte „unreine“ Berufe aus wie Färber und Grubenentleerer. Auch mussten sie sich in der Kleidung als Juden kennzeichnen. Juden durften nicht auf Pferden reiten, nicht als Zeuge vor Gericht auftreten und keinen Posten als Regierungsbeamte innehaben. In Phasen des friedlichen Zusammenlebens wurden viele die Juden und Christen benachteiligende Gesetze nicht genau befolgt. Zu anderen Zeiten jedoch schränkte man die Religionsausübung der Juden und Christen ein. Neue Synagogen durften nicht errichtet werden, und hin und wieder wurden Prozessionen und Beerdigungen gestört. Verfolgungen vonseiten der Muslime geschahen oft dann, wenn die Schutzbefohlenen ihre Position missachteten oder wenn sich die Muslime bedroht fühlten. Als im 13. Jahrhundert der Niedergang der arabisch-islamischen Kultur einsetzte, hatten die Juden als sozial schwächste Bevölkerungsschicht unter den Folgen zu leiden. Beyazid II. (1481–1512) befahl zwar den Abriss sämtlicher nach der Eroberung Konstantinopels gebauter Synagogen. Anderseits jedoch ermöglichte er vielen Juden, nach der Reconquista aus Spanien in das Osmanische Reich einzuwandern. Geschichte seit dem 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart Im Milletsystem, das den nichtmuslimischen Minoritäten Selbstverwaltung in eigenen religiösen und rechtlichen Angelegenheiten zubilligte, fanden die besiegten Völker im Osmanischen Reich die Möglichkeit, ihre religiöse und kulturelle Identität zu bewahren. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts mischten sich die europäischen Länder als Schutzmächte der Minderheiten in die inneren Angelegenheiten des Osmanischen Reiches ein. Für sie stand der Status der Schutzbefohlenen im Widerspruch zu den Vorstellungen von der Gleichheit aller Menschen. 1856 wurde daher dieser Status aufgehoben und die Gleichheit der Juden vor dem Gesetz eingeführt. Das Osmanische Reich verbesserte die rechtliche Stellung der Juden: Man führte das sogenannte Milkt-System mit einem Rabbiner an der Spitze ein und schuf das Amt des Oberrabbiners für das gesamte Reich.
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Während des 19. Jahrhunderts entstanden philanthropische Organisationen, z. B. die durch den jüdischen französischen Rechtsanwalt und Weltverbesserer Adolph Crémieux (1796–1880) gegründete Alliance universelle israelite. Diese Gesellschaften beschäftigten sich kritisch mit der rechtlichen Lage der Juden. Doch das Eintreten der Westmächte für die Juden in den islamischen Ländern erwies sich als verhängnisvoll und führte zum Teil zu antijüdischen Ausschreitungen. Ab 1870 errichteten jüdische philanthropische Organisationen spezielle Schulen und vermittelten den Juden eine moderne europäische Erziehung. Dadurch entstanden Spannungen mit der einheimischen Bevölkerung. So entstand ein Antisemitismus, den es früher im islamischen Raum nie gegeben hatte. Zusätzlich verschärft wurde die Situation durch die Errichtung der jüdischen Heimstätte in Palästina. Der Niedergang des Judentums in der arabischen Welt ist in erster Linie eine Folge der westlichen Einflussnahme. Denn die neuen Ideen zerstörten auch die alte Sozialordnung. Die islamische Religion trägt nicht die primäre Schuld. Die im 19. Jahrhundert beginnenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zerstörten eine einzigartige Form des Zusammenlebens. Die Entstehung des Staates Israel und die Niederlage der arabischen Muslime im Sechs-Tage-Krieg sowie die weitere Entwicklung des Nahostkonflikts führten bei den Muslimen zu einer radikalen Änderung ihrer Sichtweise des Judentums und der Juden. Nur wenigen gelang es, Juden und Zionisten zu unterscheiden. Diese Entwicklung wurde durch die israelische Invasion im Libanon, die sich hinziehende Intifada und die besondere Situation der Palästinenser verschärft. Zunächst wurde der Konflikt als eine Auseinandersetzung zwischen arabischem Nationalismus und israelischem Nationalismus (Zionismus) verstanden. Doch seit den 1980er Jahren kommt verstärkt die religiöse Argumentation ins Spiel. Es ist von einem djihad gegen Israel die Rede. Der sich zunehmend entwickelnde Antijudaismus ist religiöser Natur. Das Bild der unter dem Naziterror verfolgten Juden wandelte sich. Die israelischen Juden werden zunehmend als naziähnliche Verfolger und Unterdrücker der Palästinenser gesehen.25 Hinzu kommt der Vorwurf, dass Israel nur ein verlängerter Arm des imperialistischen Westens, insbesondere Amerikas sei. Es gibt immer wieder Dialog- und Versöhnungsbemühungen, welche trotz der Zuspitzung des Konflikts weiter auf die Verwandtschaft der drei Abrahamsreligionen setzten und sie im Alltag vorleben. So berichtet die palästinensische Friedensaktivistin und Theologin Viola Raheb (geb. 1969) von der Friedenserziehung nach der Intifada und interreligiöser Erziehung an der Evangelisch Lutherischen Schule in Bethlehem, die sich aktiv für das religiöse Zusammenleben einsetzt.26 Ähnliche Ziele verfolgt die Schule Yad be Yad (Hand in Hand) in Jerusalem, in der Juden und Muslime gemeinsam ihre schwierige Geschichte aufarbeiten.27 Mitri Raheb (geb. 1962, promovierter evangelischer Theologe und Pastor, Bruder von Viola) erläutert ein Konzept pädagogischer Zusammenarbeit zwischen Christinnen, Musliminnen und Jüdinnen. Im Friedensprozess sieht er eine Mög-
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lichkeit, dass insbesondere der Dialog zwischen Musliminnen und Jüdinnen einen Aufschwung erfahren wird.28 Im deutschen Marl findet jedes Jahr ein Abrahamsfest statt, bei dem die Vertreter aller drei Religionen einen intensiven Dialog pflegen und Projekte vor Ort veranstalten. Die meisten Juden aus den islamischen Ländern sind bis in die 1960er Jahre nach Israel ausgewandert. Von 300 000 Juden Marokkos blieben nur ca. 18 000 im Land; von ca. 55 000 jemenitischen Juden gerade einmal ca. 1000. Von den 135 000 Juden Algeriens ist praktisch niemand übrig geblieben, für die 125 000 Juden Iraks gilt das Gleiche, ebenso für Ägypten. Nur in der Türkei verblieben von den ca. 90 000 Juden etwa 23 000. Auch im Iran (z. B. in Isfahan) findet sich eine kleinere funktionierende jüdische Gemeinde. Verehrer der Götterbilder oder Mystiker der Einheit? Der Blick auf den Hinduismus Im frühen 8. Jahrhundert begannen muslimische Heere nach Indien vorzustoßen. Mit einem Sieg über die Rajputen bei Delhi 1192 setzten sich die Muslime unter Mohammed von Ghur in Nordindien durch. In Bengalen setzten sie 1202 der Sena-Dynastie ein Ende. Die Muslime begründeten 1206 das Sultanat von Delhi, das zeitweise ganz Indien beherrschte und 1398 in einem Angriff des türkisch-mongolischen Eroberers Timur Leng entscheidend geschwächt wurde, so dass hinduistische Dynastien an Einfluss zurückgewinnen konnten (Vijayanagar in Südindien). Von 1100 bis 1850 n. Chr. erlebte Indien beträchtlichen Einfluss durch Islam und Christentum. Mancherorts kam es zur Herausbildung islamisch-hinduistischer und christlich-hinduistischer Religionsformen. 1206 wurde das Sultanat von Delhi errichtet. Es begründete die islamische Oberherrschaft zunächst über Nordindien. Ab Mitte des 14. Jahrhunderts wurde diese dann auch über Südindien ausgeweitet. Der islamische Vormarsch war zum Teil von Bildersturm und Verfolgung gekennzeichnet. Von 1526–1857 beherrschte das islamische Mogulreich Nord- und Zentralindien. Der dritte Mogulherrscher Akbar (1542–1605) war Anhänger der mystischen Glaubensrichtung des Sufismus und setzte sich für einen Ausgleich zwischen muslimischer und hinduistischer Kultur ein. Die Hindu-Untertanen des Mogulherrschers erfreuten sich – wie alle Religionen – größerer Freiheiten, als ihnen je von Muslimherrschern gewährt wurden. Während seiner Regentschaft wurde die Sondersteuer für Nichtmuslime abgeschafft. Denn Akbar war ein hervorragender Diplomat und Militärstratege. Er stabilisierte seine eroberten Gebiete durch eine Politik der religiösen Toleranz und des Gesprächs mit den wichtigsten Religionsvertretern. Auch heiratete er eine Rajputen-Prinzessin, die dem hinduistischen Glauben angehörte. Auch ihr wurde erlaubt, ihren Glauben zu praktizieren. Akbar ließ das prächtige Fatehpur Sikri (Die Stadt des Sieges) erbauen. Mehrstöckige Paläste, Gärten, überdachte Wege, ein Marktplatz und ein Wasserwerk
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sind bis heute Zeugen einer Meisterleistung der Architektur. Fatehpur verbindet die figurative Architektur des Hinduismus mit der geometrischen des Islams. Die Baudenkmäler der Stadt stehen heute unter dem Schutz der UNESCO und gehören zum Weltkulturerbe der Menschheit. Akbar war an Fragen der Religion zutiefst interessiert. Er rief Vertreter aller Glaubensrichtungen an seinen Hof, um ihre unterschiedlichen Ansichten kennenzulernen. Schiiten, Sunniten und Sufis nahmen an den Diskussionen teil, auch Hindus, Buddhisten, christliche Mönche, Jainas und Parsen. Oft lebten sie über ein, zwei Jahre oder länger am Hof, um so Akbar regelmäßig als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen. Akbar ließ Schriften der Hindus, vor allem Mahabharata und Ramayana, ins Persische übersetzen. Auch bemühte er sich, aus Hinduismus, Jainismus und Parsismus bestimmte Elemente herauszugreifen, um sie zu einer Einheitsreligion mit antiislamischer Tendenz zusammenzufassen. Diese „Superreligion“ nannte Akbar „Religion Gottes“ bzw. göttlichen Monotheismus. Nach seinem gewaltsamen Tod wurde der neuen pantheistischen Religion, die faktisch nur von einem Bruchteil der Intellektuellen erfasst worden war, von seinen Nachfolgern rasch ein Ende gesetzt. Theologische Einschätzung des Hinduismus Die zahlreichen kultischen Sitten des Hinduismus und die Verehrung der Götterbilder stießen bei den Muslimen auf wenig Verständnis. In der Traditionssammlung des Bukhari heißt es: „Diejenigen, die Gott am Jüngsten Tag am heftigsten strafen wird, sind die Bildner.“ Im Islam besteht ein strenges Bilderverbot, das jede Art körperlicher Nachbildungen Gottes als Beeinträchtigung seiner Schöpfermacht betrachtet. Ebenso übt der Islam strenge Kritik am Polytheismus des Hinduismus: „Gott vergibt nicht, dass man ihm andere Götter beigesellt […]“ Al-Sharastani (1076–1153) behandelt den Hinduismus in seinem Buch Kitab al milal wa`l-Nihal (Buch der Religionen und religiösen Sekten). Seine Anhänger teilt er in sechs Gruppierungen ein: die Sabäer, die Brahmanen, die Anhänger geistiger Wesen (Vishnuiten, Shivaiten), die Sternenanbeter, die Götzendiener und indische Philosophen. Einer der ersten muslimischen Denker, die sich intensiv mit dem Hinduismus beschäftigten, war der in Chorasan geborene Universalgelehrte Abu Raihan Mohammed ibn Ahmad al-Biruni (973–1048). Der Astrologe, Mathematiker, Kartograph, Astronom, Philosoph und Forschungsreisende führte ein bewegtes Leben. Mit Mahmud von Ghazni (971–1030) nahm er an den Eroberungsfeldzügen nach Indien teil und führte dort umfangreiche Studien durch. In seinen Tagebüchern beschreibt er nicht nur Menschen und Landschaften, sondern beginnt auch den Hinduismus zu studieren. Er vergleicht die hinduistische mit der christlichen Nächstenliebe und entdeckt Gemeinsamkeiten wie das Gebot, nicht
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zu töten, sieht aber auch Trennendes und Widersprüche. In seinem berühmten Kitab Tarikh al-Hind (Geschichte Indiens) aus dem Jahr 1030 beschäftigen sich zehn von achtzig Kapiteln mit Religion und Philosophie. In Kapitel 10 erörtert er die Quellen des Hindu-Gesetzes und die indischen Propheten. Kapitel 11 setzt sich mit den verschiedenen Göttern und ihren Statuen auseinander. Kapitel 63 beschreibt die Lebensweise der Brahmanen, Kapitel 64 die Riten und Gewohnheiten der niedrigeren Kasten. Erstaunlicherweise verwendet al-Biruni in diesem außerordentlichen Werk 35 Sanskritquellen. Man geht davon aus, dass er von Hindu-Gelehrten unterwiesen wurde und sich Kenntnisse in Sanskrit aneignete. Der italienische Iranist und Islamwissenschaftler Alessandro Bausani (1921– 1988) nennt sechs typische Punkte in al-Birunis Beschreibung der Religion der Inder: die Existenz einer Schöpfungsreligion (Din al Fitra), die in allen Zivilisationen vorhanden ist; den Glauben an die Existenz des einen und selben Gottes als Verbindung zwischen Islam und Hinduismus; die vorherrschende Idee eines unpersönlichen und philosophischen Gottes (al-Biruni lehnt hier volksreligiöse und anthropomorphe, also menschengestaltige Gottesvorstellungen ab); den Wunsch, die philosophische Sicht der Brahmanen mit seiner eigenen philosophischen Ansicht in Einklang zu bringen; die Auffassung, dass wahre Religion nicht im Widerspruch zur Vernunft stehen kann; eine grundsätzlich philosophische Orientierung und den Sufi-Hintergrund, die al-Biruni hindern, den wirklichen Unterschied zwischen beiden Religionen zu erfassen.29 Der jüdische Professor für arabische Literatur und Islamwissenschaft Franz Rosenthal (1914–2003) weist darauf hin, dass al-Biruni die indische Philosophie mit der griechischen verglich und von einer prinzipiellen Einheit der höheren Zivilisationen ausging. Er wollte den gebildeten Muslimen indische Kultur neben der griechischen Wissenschaft und Philosophie nahebringen. Al-Biruni vertrat die Auffassung, dass es in Indien und Griechenland Philosophen gebe, die kraft ihres Denkens und ihrer Vernunft in der Lage seien, die Wahrheit des einen Gottes zu begreifen, wie sie die Botschaft aller Propheten beinhalte. Er setzte eine universale monotheistische Idee bei den Gebildeten voraus im Gegensatz zu den ungebildeten Massen. Durch mystische Erfahrung kommen sie zur geistigen Einheit (ittihad), die über das Wissen der Gelehrten hinausreicht. Der Weltreisende al-Masudi äußerte sich folgendermaßen über die Religion der Inder: Seine Nachkommen (des Königs Brahman) sind bis heute als Brahmanen bekannt und genießen bei den Indern als höchste und edelste Kaste große Verehrung. Sie verzehren kein Fleisch, und sowohl Männer als auch Frauen tragen am Hals ähnlich wie Schwertgehänge gelbe Schnüre, um sich von den anderen Indern zu unterscheiden.30
Besonders in Sufi-Kreisen beschäftigte man sich intensiv mit dem Hinduismus. Ein prominentes Beispiel ist der Sufimeister des Qadariya-Ordens Dara Shukuh (1615–1659), ein Urenkel des legendären Akbar. Er verfasste das faszinierende
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Werk Der Zusammenfluss der beiden Ströme: Islam und Unglaube. Zu Beginn seines Werkes zitiert Dara Verse des Dichters Sanaì e Ghaznawi (1080–1131): „Unglaube und Islam laufen auf dem Weg zu IHM und rufen: Er allein. Er hat keinen Gefährten.“ Insbesondere interessiert sich Dara für die monotheistischen Strömungen des Hinduismus. Hindus, welche die Einheit Gottes verkünden und leben, haben für ihn auch die Ziele des Sufitums erreicht. Dara kommt zu dem Schluss, dass Islam und Kufr/Unglaube (Hinduismus) in Wahrheit identisch sind. Nach seiner eigenen Erfahrung mit der höchsten Wahrheit erklärt er, dass er „keinen Unterschied feststellt außer in den Worten, mit denen sie die Wahrheit suchen und verstehen“. Dennoch will Dara nicht Hindu werden, sondern Sufi bleiben. Doch verwendet er große Mühe darauf, die Gemeinsamkeiten in beiden Traditionen festzustellen. Der konservative islamische Rechtsgelehrte Abu Zahra (1898–1974) veröffentlichte 1965 ein Werk, in dem er die Weltreligionen vergleicht. Hier sieht er deutliche Parallelen zwischen der Christus- und der Krishna-Legende: Die Hindus glauben, dass einige ihrer Götter sich in einem Menschen verkörpert haben, Krishna mit Namen. In ihm begegneten sich Gott und Mensch oder in Krishna kam die Gottheit in die Menschheit, so wie die Christen es von Christus behaupten [...].
Die Moderne Zwischen Hindus und Muslimen kam es im 19. Jahrhundert zu zahlreichen politischen Auseinandersetzungen und Kämpfen, die nicht alle religiös motiviert waren. In manchen Regionen wurden die Hindu-Religionen nicht behelligt. Der islamische Einfluss blieb bis ca. 1850 auf die indische Verwaltung und Handelsstrukturen sowie auf Künste und Architektur beschränkt. Die hinduistischen Religionsgemeinschaften bildeten oft eine Gegenreaktion auf die islamische Dominanz. Unter der britischen Oberherrschaft war das Miteinander zwischen Hindus und Muslimen relativ friedlich. Doch gab es auch Spannungen, z. B. wenn Hinduprozessionen absichtlich besonders laut Musik spielten, wenn sie an Moscheen vorbeizogen. Differenzen gab es auch in der Wertschätzung der Kuh, wie der Gründer Pakistans Jinnah es auf den Punkt brachte: „Die Hindus verehren die Kühe, wir aber essen sie.“31 Die 1947 zur Aufteilung des Landes in einen islamischen (heute: Pakistan und Bangladesch) und einen Hindu-Staat führenden Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen waren von Strömen von Blut begleitet. Die muslimische Minderheit hat es seit der Gründung Pakistans besonders schwer, sich den Re-Hinduisierungsbestreben zu widersetzen. Diese tragen dazu bei, den Religionsfrieden in diesem einzigartigen multireligiösen Land zu vergiften. Anfang 1991 planten „Hindu-Faschisten“ im Namen des Gottes Ram in Ayodhya einen Tempelbau an der Stelle, wo bereits eine Moschee stand (vgl. S. 132 f.).
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Es ging ihnen um Ram Raj („Herrschaft Rams“), die Vorherrschaft von Hindus über Nicht-Hindus. Im Hintergrund steht die hindu-politische Reinigungsidee. Das Land wird dadurch gereinigt, dass die wahre Religion gegenüber ihren eigenen Fehlentwicklungen durchgesetzt wird. Fremdreligiöse Elemente müssen durch Rückbekehrung ihrer Anhänger zum Hinduismus vernichtet werden. Doch schützt die Verfassung offiziell nichthinduistische Minoritäten wie den Islam. Direkte Dialoge zwischen Muslimen und Hindus sind eher selten. Doch gibt es teilweise Dialogbemühungen, die mehrere Traditionen einschließen. 1973 verkündete der Islamische Weltkongress: „Der Islam tritt für eine humane Gesellschaft ein, für einen Frieden, der alle Völker umfasst, alle Menschen, gleich welcher Religion, Rasse, Nationalität oder Hautfarbe.“32 1998 gründeten interessierte Frauen und Männer, die sich im Bildungszentrum in Pont-Praslin auf Mauritius kennengelernt hatten, eine Reflexions- und Aktionsgruppe unter dem Namen „Mosaik“. Deren Mitglieder – Muslime, Hindus, Christen – treffen sich regelmäßig zum gegenseitigen Austausch über ihren Glauben. Im Erleben anderer Religionen bilden sie sich weiter und betätigen sich auch politisch. Schriftbesitzer oder Götzendiener? Der Blick auf den Buddhismus Anders als bei Juden und Christen gab es im frühen Islam keine Begegnung und Erfahrung mit Buddhisten. Erst bei den Eroberungszügen nach Osten kamen die Muslime in verschiedenen Ländern mit dem Buddhismus in Kontakt. Es kam zu Konflikten und Spannungen, weil die Muslime die Buddhisten aufgrund der zahlreichen Statuen und Malereien als Götzenanbeter betrachteten. Der Vorwurf des Götzendienstes war bei frühen islamischen Schriftstellern so stark, dass das Wort Buddha ins Persische als But einging und zum Allgemeinbegriff für „Götze“ wurde.33 Damit galten Buddhisten als Ungläubige, die sich zwischen Glaubensübertritt oder Verfolgung entscheiden mussten. In Turfan wurde die Bevölkerung nach der Eroberung gezwungen, den Islam anzunehmen. Im Zuge der Eroberungen wurden viele Viharas (Mönchsklöster) zerstört, z. B. die Klosteruniversitäten von Nalanda und Vikramasil im 11. und 12. Jahrhundert. Umgekehrt können Buddhisten kaum akzeptieren, dass der Koran die einzige göttliche Offenbarung darstellt. Problematisch sind für sie auch der theistische Standpunkt des Islams und die Anwendung der Sharia. Der Islam kritisierte hauptsächlich die fehlende Gottesidee des Buddhismus, d. h., dass es zumindest im Urbuddhismus keinen persönlichen Gott, keinen Weltschöpfer und keinen Weltrichter gibt. In der Karma-Lehre sahen Muslime eine Beeinträchtigung der souveränen Richterfunktion Gottes. Da der Buddhismus keine Weltschöpfung voraussetzt, sieht er kein Ziel und keinen Sinn in der
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vorhandenen Welt. Demgegenüber betrachtet es der Islam als Schöpfungsauftrag jedes Muslims, Gottes Willen in der von Gott geschaffenen Welt durchzusetzen.34 Andererseits wurde den Muslimen während ihrer Eroberungsfeldzüge nach Westen und Osten bald klar, dass man beide Herrschaftsgebiete auf Dauer nur halten könne, wenn man sich mit der dort lebenden Bevölkerung arrangierte. So wurde der Status der Buchreligionen bereits Anfang des 8. Jahrhunderts bei der Eroberung von Sind auf Buddhisten erweitert, die man zu „Schriftbesitzern“ erklärte. Das Bestreben der islamischen Eroberer, auch mit „Götzendienern“ vertragliche Vereinbarungen treffen zu können, wird besonders in der Argumentation eines Heerführers im Südindusgebiet deutlich: „Ein Buddha-Tempel ist nichts anderes als die Gotteshäuser der Christen und Juden und die Feuerheiligtümer der Zoroastrier.“35 Die Konsequenz war, dass die „Schutzbefohlenen“ ihre Kopfsteuer (djizya) entrichteten und dafür Schutz für Leben und Besitzstand sowie das Recht auf freie Religionsausübung erhielten. Hätte man die Buddhisten der „Götzendiener-Kategorie“ zugeordnet, wären sie nicht vertragsfähig gewesen und als Steuerzahler verloren gegangen. Diese realpolitischen Erwägungen wurden durch die Tatsache unterstützt, dass die Muslime bei ihrer Expansion nach Zentralasien im 8. Jahrhundert als Erstes auf die Sogdianer Uzbekistans stießen. Dharma war in die Sprache dieses Volkes mit dem griechischen Lehnwort nom übersetzt worden, das „Gesetz“ bedeutet. Die uigurischen Türken und die Mongolen übernahmen diesen Begriff der Sogdianer und erweiterten ihn um die Bedeutung von „Buch“ (vgl. S. 159). Aus diesem Grund wurden im ganzen mittelalterlichen Zentralasien die Buddhisten als die „Menschen des Dharma“, als „Menschen des Buches“ verstanden. Theologische Einschätzung des Buddhismus Nur wenigen mittelalterlichen islamischen Theologen waren buddhistische Lehrsätze bekannt. Einige muslimische Schriftsteller gingen auf die Gestalt des Budd (Buddha) und Budsaf (Bodhisattva) ein. Ibn al-Nadim (gest. 995 oder 998) setzte sich 987 mit Buddha und seinen Lehren auseinander. Er nannte Budhasf den Propheten der Sumaniyya, ein Begriff der von dem Sanskritwort sramana (buddhistischer Mönch) abgeleitet ist. Muslimische Autoren beschrieben den Glauben der Sumaniyya als alte östliche Götzenreligion vor dem Auftreten der Propheten. Eine islamische Form der Buddhalegende befindet sich im Kitab Balawhar wa-Budsaf des iranischen schiitischen Theologen Ibn Babuya (geb. 923). Der iranische Universalgelehrte al-Biruni (973–1048) beschrieb in seinen Tagebüchern, dass die Inder Buddha als Propheten verehren. Eine genauere und zutreffendere Beschreibung des Buddhismus ist bei alShahrastani (1076–1153) anzutreffen:
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Der islamische Blick auf andere Religionen
Der erste Buddha, der auf der Welt erschien, wurde Sakyamuni (Shakman) genannt, was „edler Herr“ bedeute [...] Auf einer niedrigeren Stufe als derjenigen des Buddhas, so sagen sie, steht der Bodhisatva (Budisfiya).36
Der zu den bedeutendsten Gelehrten des 12. Jahrhunderts zählende persische Theologe al-Shahrastani veröffentlichte sein Werk Kitab al-Milal wa Nihal (Buch der Religionsgemeinschaften und Sekten). Darin erläuterte er nichtmuslimische Religionen und Schulen und erklärte u. a. buddhistische Glaubenssätze. Sharastani beschrieb den buddhistischen Weg als eine „Suche nach der Wahrheit“, bei der es auf Geduld, Freigebigkeit und Anhaftungslosigkeit ankommt. In seinem „buddhistischen Katechismus“ listete er zehn Irrtümer auf, die man vermeiden soll, und zehn Moralvorschriften und Vollkommenheiten, die befolgt werden sollen. Insgesamt ist Sharastanis Bild, der darüber hinaus eine Nähe von Sufismus und Buddhismus feststellte, sehr positiv und wohlwollend. Aufgrund ihrer Wertschätzung der Meditiation gab es öfter Annäherungen zwischen Buddhisten und Sufis (islamischen Mystikern). Als sich der Islam über die Turk-Länder Zentralasiens ausbreitete, kam es zu buddhistisch-islamischen Kontakten. Die Geschichten, die um das Leben des Sufi (Prinz) Ibrahim ibn Adham von Balkh (gest. ca. 777) kreisen, enthalten buddhistische Anklänge, z. B. die Episode des Aufbruchs aus dem Palast und der Begegnung mit einem Mönch, der ihn zu einem spirituellen Wanderleben auffordert. In einem 1068 von Yusuf Khas Hadjib verfassten Werk37 wurde der gelehrte muslimische Mystiker Ogdurmis mit Almosenschale und Stab wie ein buddhistischer Einsiedler dargestellt. In Turfan wurden die uigurischen buddhistischen Höhlentempel zum Sitz der muslimischen Qalandar-Derwische, Wandermystiker, die nur sehr wenige islamische Pflichten ausübten und für ketzerisch gehalten wurden. Der große Verbreiter des Sufismus im Westen, der aus Indien stammende Sufi Idries Schah (1924–1996), beobachtete Parallelen zwischen den Gedanken und Praktiken der Sufis und dem typisch buddhistischen Zenkult, wie er in Japan praktiziert wird.38 Bis heute ist die Dialogbereitschaft des Sufismus zum Buddhismus größer als die des offiziellen Islams. Buddhisten unter islamischer Herrschaft Gelegentlich nahmen Buddhisten auch politischen Einfluss. Eine besondere Rolle spielte die ursprünglich buddhistische Familie der Barmakiden am Hof des berühmten Abbasiden-Kalifen Harun ar-Rashid. Ihr Ahnherr, Barmak, war buddhistischer Priester in Balkh, dem antiken Baktra, sein Sohn Khalid bekehrte sich zum Islam und bekleidete verschiedene Ämter in der Regierung der ersten drei Abbasidenkalifen. Khalids Sohn Yahya wurde Erzieher Haruns. Harun sah in Yahya immer seinen zweiten Vater und überließ ihm zeitweilig die Regierung, die Yahya mit seinen Söhnen Fadl und Djaafar teilte. Doch 803 fiel die Familie der Barmakiden in Ungnade und ihr Einfluss erlosch.
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Das Verhältnis der buddhistischen Minderheit zur islamischen Oberhoheit wurde häufig eher von politischen als von religiösen Erwägungen bestimmt: Dies zeigt die unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Situation der Buddhisten. Trotz der Zwangsbekehrung des Herrschers hatten die Abbasiden den Buddhismus in Tibet nicht verfolgt. Die Araber hielten während dieses Zeitraumes den Handel mit den Tibetern aufrecht und pflegten kulturelle Kontakte. Fazl Ullah beispielsweise übersetzte die persischen Klassiker Bostan und Golistan ins Tibetische. Auch die Niederlage des Schahs von Kabul und seine Bekehrung zum Islam im Jahr 815 hatten nur wenig Auswirkung auf die Situation des Buddhismus in der Region. Dies änderte sich schlagartig, als die Heere der Saffariden 870 in den Iran eindrangen. Sie plünderten buddhistische Klöster im Kabultal und in Bamiyan. Doch die 892 gegründete Dynastie der Samaniden zeigte sich dem Buddhismus gegenüber wieder tolerant. Während der Herrschaft von Nasr II. (913–942) wurden in der samanidischen Hauptstadt Samara weiterhin Buddha-Figuren hergestellt. Der Gründer der Ghaznawiden, Mahmud Ghazni (998–1030), duldete wie seine Vorgänger nichtmuslimische Religionen. Im Jahr 1040 lehnten sich die seldschukischen türkischen Vasallen der Ghaznawiden in Sogdiana gegen die Oberherrschaft auf und etablierten die Seldschukische Dynastie. Auch die Seldschuken tolerierten in ihrem Reich nichtislamische Religionen, so auch den Buddhismus. In jener Zeit gab es einen regen islamisch-buddhistischen Kulturkontakt. So waren hinter den Köpfen der Buddhas im Nava Vihara und in Bamiyan Mondscheiben abgebildet. Wollte man die Schönheit eines Menschen dichterisch umschreiben, so sagte man, er oder sie habe „das mondförmige Antlitz eines Buddha“. Die persische Dichtung pries Paläste, dass sie so schön seien wie Nowbahar (Nava Vihara).39 Im Jahr 1141 besiegten die Qaraqitaner die Seldschuken bei Samarkand. Die Qaraqitaner praktizierten eine Mischung aus Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus und Schamanismus. Ihr Herrscher Yelu Dashi beschützte alle Religionen in seinem Herrschaftsbereich. Im Jahr 1148 begründete der nomadische Türke Ala-du Din die Dynastie der Ghuriden. Er nahm den Qaraqitanern Baktrien und eroberte Ghazna, Kabul und die Pandschab-Region Pakistans und Nordindiens und danach die Gangesebene bis ins heutige Bihar und Westbengalen. Während dieses Feldzuges plünderte er zahlreiche bedeutende buddhistische Klöster einschließlich Vikramashila und Odantapuri im Jahr 1200 (vgl. S. 159). Doch diese Zerstörungen hatten auch politische Ursachen, denn der lokale Sena-König hatte die Klöster in Militärgarnisonen umgewandelt, um die Eindringlinge aufzuhalten. Die Zerstörungswut der Eroberer traf hauptsächlich die Klöster, die auf ihrem Weg lagen. Andere – wie Nalanda und Bodh Gaya beispielsweise – lagen abseits der Hauptroute und konnten trotz Plünderungen ihre Aktivitäten aufrechterhalten. Auch die Ghuriden wollten die in Kaschmir lebenden Buddhisten nicht zum Islam bekehren, denn die Heerführer und Gouverneure waren auf die Zusatzsteu-
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ern der Bevölkerung angewiesen. Daher gestatteten die Ghuriden wie in Afghanistan den Nichtmuslimen in Indien den dhimmi-Status und erhoben Kopfsteuer. Im Jahr 1215 nahm der Gründer des Mongolenreiches, Dschingis Khan, den Ghuriden Afghanistan ab. Dschingis Khan war allen Religion gegenüber tolerant, solange ihre Führer für sein langes Leben und seine militärischen Erfolge beteten. Im Jahr 1258 eroberte Hülegü, ein Enkel Dschingis Khans, den Iran und stürzte das Kalifat der Abbasiden in Bagdad. Er gründete das Ilkhanat und lud bald buddhistische Mönche aus Tibet, Kaschmir und Ladakh an seinen Hof im Nordwesten des Iran ein. Der Buddhismus wurde von den Ilkhanenen unterstützt, Buddhisten hatten teilweise hohe Regierungsämter inne. Der Bau buddhistischer Tempel wurde gefördert, und buddhistische Priester besaßen großen politischen Einfluss. Am mächtigsten wurden sie unter dem Ilkhan Arghun (1284–1291). Er machte den Buddhismus im Iran zur Staatsreligion und gründete dort mehrere Klöster. Arghuns Sohn Ghazan trat, obwohl er als Buddhist erzogen worden war, 1295 zum Islam über und ließ buddhistische Tempel plündern und zerstören. Dennoch findet sich in der von Ghazan beauftragten Eine Geschichte über die Welt von Rashid ad-Din auch ein Kapitel „Das Leben und die Lehren Buddhas“. Darin nannte er Buddha einen „Propheten“, die Deva-Götter „Engel“ und Mara „Teufel“. Um dem Historiker bei seinen Forschungen zu helfen, lud Ghazan Khan Bakshi Kamalashri, einen buddhistischen Mönch aus Kaschmir, an seinen Hof ein. Rashid ad-Din berichtete, dass zu seiner Zeit elf buddhistische Texte in arabischer Übersetzung im Iran im Umlauf waren. Diese enthielten Mahayana-Texte wie das Sutra über die Aufstellung des Landes der Glückseligkeit, das vom Reinen Land des Buddha Amitabha handelt, das Sutra über eine Aufstellung, die wie ein geflochtener Korb ist, in dem es um Avalokiteshvara, die Verkörperung des Mitgefühls, geht, und Eine Erklärung über Maitreya, zukünftigen Buddha und die Verkörperung der Liebe. Während der Regentschaft von Ghazans Nachfolger Öljaitü scheint es noch buddhistische Mönche im Iran gegeben haben. Auch nach dem Zusammenbruch des Ilkhanats 1336 starb das Wissen über den Buddhismus nicht aus. Buddhisten in islamischen Ländern heute Blühende buddhistische Reiche gab es aber schon in der Antike und im Frühmittelalter in den heute rein islamischen Ländern Afghanistan, Pakistan und Sinkiang (Chinesisch-Turkestan). In der Islamischen Republik Pakistan leben ca. 1000 Buddhisten, doch wurde es ihnen bisher nicht gestattet, einen Tempel zu errichten. Größere buddhistische Minoritäten leben heute in den drei islamischen Staaten Bangladesh, Malaysia und Indonesien.
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Die etwa 750 000 Buddhisten in Bangladesh bilden 0,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Neben städtischen Tempelgemeinden in Chittagong, Dacca und Comilla leben einige Hunderttausend Buddhisten in Gemeinschaften auf den vorgelagerten Inseln und im Hochland von Chittagong. Ihre Mitglieder werden durch eine Anzahl von Tempeln und Viharas (Mönchsklöster) religiös betreut. Seit den frühen 1980er Jahren berichten Menschenrechtsorganisationen über Verfolgungen der Hochlandbuddhisten in den Chittagong Hill Tracts. Kleine Asylantengruppen buddhistischer Bangladeshis leben heute in Indien und den Niederlanden. Der heute islamische Inselstaat Indonesien blickt auf eine glanzvolle buddhistische Vergangenheit zurück. Im 7. Jahrhundert n. Chr. wurde das Königreich von Shrividjaya gegründet, das sich über weite Teile des malaiischen Archipels und bis Thailand und Kambodscha erstreckte. Nach der späteren Vereinigung mit dem javanischen Reich der Shailandra-Dynastie (778–864) wurde es zu einem spirituellen, kulturellen und kommerziellen Mittelpunkt Südostasiens, die Stadt Palembang zu einem Zentrum buddhistischer Gelehrsamkeit. Unter der Herrschaft der Shailandra entstand eines der bedeutendsten buddhistischen Bauwerke der Welt: der Borobudur auf Java (2. Hälfte des 8. Jahrhunderts n. Chr.). Im heutigen Indonesien lebt eine kleine buddhistische Minderheit: Etwa 0,7 Prozent der 180 Millionen Indonesier sind Anhänger der Lehre Buddhas. Dem „Großen Sangha von Indonesien“ (Sangha Agung Indonesia) sind mehr als 24 Viharas und einige chinesisch-buddhistische Tempel angeschlossen. Die Mehrheit der indonesischen Buddhisten in West-Java ist chinesischer Abstammung, während die Buddhisten Zentral- und Ostjavas Javaner sind. Etwa 5000 buddhistische Balinesen leben im nördlichen Teil der hinduistisch geprägten Insel. Vesakh (Buddhas Geburt und Erleuchtung im Monat Mai) ist selbst im islamischen Indonesien Staatsfeiertag. Der Islam Indonesiens ist in seinem volkstümlichen Bereich stark durchsetzt mit buddhistischen Religionsrelikten. Obwohl die Muslime mit ca. 90 Prozent der Bevölkerung die Mehrheit bilden, gab es Anfang und Mitte des vergangenen Jahrhunderts Kräfte, die sich gegen die Sharia als alleinige Grundlage des Staates wandten. Soekarno entwickelte 1945 das Konzept der Pancasila (Fünf Prinzipien oder Säulen). In diesem Rahmen werden die in Indonesien vertretenen sechs Religionen (Islam, Katholizismus, Protestantismus, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus) anerkannt, da sie alle von einem Schöpfergott ausgehen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, erklären indonesische Buddhisten den Adibuddha, den Urbuddha aus dem Kalachara Tantra, zum Schöpfer. Ansätze eines islamisch-buddhistischen Dialogs Die islamische Charta des Islamrats der Muslime in Deutschland40 äußert sich folgendermaßen zu Fremdreligionen:
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Der islamische Blick auf andere Religionen
Muslime und Andersgläubige Ein ‚religiös-vollwertiger‘ Mensch kann zumindest der klassischen Auffassung nach nur ein Muslim sein. Die ‚Leute des Buches‘, also Inhaber anerkannter heiliger Schriften wie Juden, Christen, Sabäer und Zoroastrier, erhalten gegen Zahlung einer Kopfsteuer einen gesicherten, aber minderen Rechtsstatus. Für außerhalb der Familie des Buches stehende Heiden gibt es theoretisch nur die Wahl zwischen Tod oder Annahme des Islam. [...] Gegenüber dieser klassischen Interpretation des Verhältnisses zu Andersgläubigen gab und gibt es auch andere Stimmen, die koranische Aussagen gemäß einer veränderten Situation interpretieren wollen. Ihnen gilt der wahre Frieden nicht als anzustrebender Endzustand in ferner Zeit nach Ausbreitung des Islam, sondern als die normale Situation heute zwischen Menschen und Gemeinschaften unabhängig von der Religionszugehörigkeit. Denker wie Bensheikh, Öztürk oder der Sudanese anNa’im orientieren sich an dem Vorbild des Propheten während der mekkanischen Friedensperioden. Hier sehen sie deutliche Parallelen zur heutigen vielgestaltigen Welt. Damals betonte der Prophet die religiöse Selbstverantwortung des Einzelnen, unabhängig davon, ob Muslim oder Heide. So erklärt die in dieser Zeit offenbarte Sure 10,41: „Mir kommt (am Tag der Auferstehung) mein Tun zu, und euch das eure. Ihr seid unschuldig an dem, was ich tue. Und ich bin unschuldig an dem, was ihr tut.“
Der jetzige (14.) Dalai Lama unterhält seit vielen Jahren Kontakte zu islamischen Persönlichkeiten, mit denen er einen intensiven Dialog pflegt. Alexander Berzin41 berichtet, wie er Dr. Tirmiziou Diallos, das Oberhaupt der Sufis in Guinea, bei einem Besuch in Dharamsala begleitete. In der Audienz beim Dalai Lama diskutierte man auch über den Begriff „Menschen des Buches“. Nach der Auffassung Dr. Diallos’ bezieht sich dieser Begriff auf Menschen, die der Urtradition folgen. Diese kann als Weisheit von Gott oder aber auch als ursprüngliches Tiefenbewusstsein begriffen werden. Diese Urtradition der Weisheit sei nicht nur von Mose, Jesus und Mohammed, sondern auch von Buddha gelehrt worden. Wenn die Menschen dieser Weisheit und Urtradition folgen, sind sie „Menschen des Buches“. Wenn sie sich hingegen gegen die grundlegende und weise Natur des Buches stellen, dann sind sie nicht „des Buches“. Der amerikanische Buddhist Alexander Berzin unternahm 1994/95 eine ausgedehnte Reise, um mit muslimischen und buddhistischen Vertretern über die Situation in ihren Ländern und die Möglichkeit eines Dialogs zu sprechen. Zunächst bereiste er Mauritius und Sansibar, die als wichtige Zwischenstationen des Heroinhandels auf dem afrikanischen Kontinent gelten. In Mauritius versuchte er den muslimischen Präsidenten auf die Drogenprobleme der arbeitslosen tibetischen Jugendlichen aufmerksam zu machen und wies in diesem Zusammenhang auf die wichtige Rolle der Religion hin, um den Betroffenen ein Gefühl des Selbstwerts und der Gemeinschaftshilfe zu geben. In Sansibar wurden Programme diskutiert, ehemals Süchtige mithilfe der fünf islamischen
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Grundpflichten sinnvoll zu beschäftigen, damit weniger ungefüllte Freizeit für Drogenkonsum bleibt. Berzin setzte seine Dialog-Reise im Frühjahr 1995 mit einem Türkeibesuch fort. Dabei diskutierte er mit dem Dekan und den Professoren der Islamischen Theologischen Universität in Marmara über ihre Einstellung zum Buddhismus. Ihm wurde glaubhaft versichert, dass einem harmonischen Verhältnis zum Buddhismus aus drei Gründen nichts im Wege stehe: Der zweimal im Koran erwähnte Prophet Dhu’l Kifl sei in Wirklichkeit der Buddha, und Kifl sei die arabische Übersetzung der Stadt Kapilavastu. Über die Anhänger dieses Propheten sagt der Koran, dass sie rechtschaffen seien. Außerdem hätten die islamischen Gelehrten al-Biruni und al-Sharastani, die im 11. Jahrhundert den indischen Subkontinent besuchten, den Buddha einen Propheten genannt. Schließlich hätten kaschmirische Muslime, die sich im 17. Jahrhundert in Tibet niederließen, im Rahmen des islamischen Gesetzes buddhistische Tibeterinnen geheiratet. Es gibt einige Dialog-Veranstaltungen unter der Schirmherrschaft der UNESCO und anderer unterreligiöser Organisationen, die im März 2002 mit einem Symposion an der Columbia Universität in New York begannen. Wichtige Teilnehmer waren der Mitorganisator Dharmameister Hsin Tao und Imam Feisal Abdul Ran von der Masjid al-Farah Moschee in New York City sowie der Direktor des Forums für islamische Dialoge Amir al-Islam. Im Mai desselben Jahres fand in Kuala Lumpur eine zweite Konferenz statt. Weitere einschlägige Dialoge wurden im selben Jahr in Paris und Jakarta veranstaltet. In Großbritannien sind das Engagement des London Buddhist Vihara und die Kampagne Faith, Asyl Refugees zu erwähnen. Eine weitere Möglichkeit zu Dialog und Zusammenarbeit bietet das Netzwerk engagierter Buddhisten. Ihre Vertreter teilen mit Muslimen ein soziales Anliegen, den Wunsch, Leben zu bewahren, und den Kampf gegen Ungerechtigkeit. Mit Denkern wie John Hick, Hasan Askari und Hans Küng werden Gespräche über das Weltethos geführt.
Der hinduistische Blick auf andere Religionen
Eine zunehmende Anzahl von Hindus tritt heute mit dem Anspruch auf, Vertreter einer Weltreligion zu sein, und zwar der ältesten aller Weltreligionen. Verbunden mit diesem Anspruch äußert sich ein wachsendes Selbstbewusstsein der Hindus, die sich dessen bewusst sind, dass ihre Religion insbesondere im Westen große Anziehungskraft besitzt. Ebenso wäre es allerdings möglich, den Hinduismus als die jüngste aller Weltreligionen zu bezeichnen, dann nämlich, wenn man sich verdeutlicht, dass dieser Anspruch relativ neu ist und erst seit etwa 200 Jahren formuliert wird. Denn die Anfänge dessen, was heute als „Hinduismus“ bezeichnet wird, reichen zwar bis ins 2. vorchristliche Jahrtausend zurück, doch die Vielfalt der Traditionen, die sich auf dem indischen Subkontinent ausgebildet haben, sind die längste Zeit nicht als eine Religion gesehen und praktiziert worden. Erst etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich der Gebrauch der Begriffe „Hindu“ und „Hinduismus“ für die Religion der Mehrheit der Inder durchgesetzt, was natürlich auch mit der zunehmenden Herauslösung des Religionsbegriffs aus seinem sozialen und kulturellen Kontext zu tun hat. „Hindu“ ist ein Wort aus der persischen Sprache, das den Völkern West- und Zentralasiens um etwa 700 n. Chr. als Bezeichnung für das Volk jenseits des Flusses Sindhu bzw. Indus im Nordwesten Indiens gegolten hat. Im 16. Jahrhundert haben dann die muslimischen Eroberer Nordindiens Volk und Religion miteinander identifiziert. Inder waren für sie auch der Religion nach „Hindus“. Allerdings tauchen noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts in europäischen Quellen „Inder“ und „Hindu“ bzw. „Hindoo“ als austauschbare Begriffe auf. Man kann also sagen, dass der Begriff „Hinduismus“ als eine von außen eingeführte Religionsbezeichnung nationaler Färbung zu sehen ist.1 Was aber für die Frage nach dem Blick „des Hinduismus“ auf die anderen Religionen wichtig ist: Der Begriff wurde und wird, obwohl von Muslimen eingeführt, bis in die Gegenwart von Hindus immer als Gegenbegriff zu „Islam“ verstanden. Hindus sind die, die in Indien einheimisch sind, während Muslime und Christen von außen dazukamen. Eine Diskussion, die in der gegenwärtigen Politik Indiens eine große Rolle spielt, ist die Frage der nationalen und religiösen Identität der Inder – und diese ist nach wie vor umstritten, da diese Identität mithilfe eines aus dem Westen übertragenen Religionsbegriffs definiert wird.
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Die Frage der Religionszugehörigkeit spielt zum Beispiel auch eine zentrale Rolle in der indischen Rechtsprechung. In Konfliktfällen muss entschieden werden, ob es sich bei der jeweiligen Person um einen Hindu, einen Buddhisten, einen Muslim oder einen Christen handelt oder nicht. In Indien gilt der sogenannte Civil Code für Hindus, Muslime, Christen u. a. je unterschiedlich. Zivilrechtliche Fragen werden nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft geregelt. Wie unscharf diese Regelung ist, kann man an dem sogenannten Hindu Marriage Act aus dem Jahr 1955 sehen. Danach ist ein Inder dann ein Hindu, wenn er nicht einer anderen Religion angehört. Diese ziemlich offen formulierte Definition wurde im unabhängigen Indien aus den Volkszählungen der britischen Kolonialzeit übernommen. Mit dem europäischen Einfluss hat sich vor allem unter den gebildeten und oftmals in Missionsschulen ausgebildeten Hindus aber auch die Vorstellung von Religion und infolgedessen das religiöse Selbstbewusstsein gewandelt. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bildete sich unter Hindus und auch aus antikolonialen Motiven die Perspektive aus, die eigene Religion als eine religiöse Einheit zu verstehen, um sich als Hindus gegen die missionierenden Christen zu positionieren. Zunehmend verfestigte sich insbesondere in den Diskussionen um nationale und damit kulturelle und religiöse Identität auch die Vorstellung, dass die Muslime etwas anderes seien als die Hindus. Große Teile des sogenannten Reformhinduismus zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie einen Religionsbegriff übernahmen, der – geprägt aus der aufklärerischen und deistischen (vernunftreligiösen) Tradition Europas – Hinduismus als die Religion verstand, die über alle Differenzen kultureller und sozialer Art hinaus die Gläubigen zur höchsten Erfahrung der Einheit führt. Daneben gibt es aber auch politische und religiös motivierte Tendenzen, sich radikal und teilweise gewaltsam gegenüber dem Westen und dem Islam abzugrenzen, indem eine politische Hindu-Identität konstruiert wird. Der Blick „des Hinduismus“ auf die anderen Religionen lässt sich daher nicht angemessen ermitteln, wenn man einer konstruierten linearen Entwicklungsgeschichte von den ersten textlichen Quellen bis in die Gegenwart folgt, sondern er hängt in einer ganz bestimmten Weise zusammen mit den Blicken, die andere auf Indien und den Hinduismus geworfen haben. Die drei folgenden Unterkapitel gehen daher von neuzeitlichen Perspektiven aus und schildern genealogisch, welche Traditionsströme und welche Blickwinkel in der Geschichte der Begegnung von Hindus und Vertretern anderer Religionen eine besondere Rolle gespielt haben.
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Der hinduistische Blick auf andere Religionen
Anti-vedische Materialisten oder Nachfolger des Khrishtadharma? Der Blick auf das Christentum Wer die hinduistische Sicht auf das Christentum untersuchen möchte, sollte auf jeden Fall jede Form der Essenzialisierung sowohl von „Hinduismus“ als auch von „Christentum“ vermeiden; diese würde ja unterstellen, dass mit den Begriffen einheitliche, unwandelbare Größen zu bezeichnen sind. Als Religionshistoriker, der sich bemüht, das Selbstverständnis der Gläubigen im Gegenüber zu den religiös anderen ernst zu nehmen, habe ich im Folgenden nicht vor, heilige Texte des vedischen Kanons zu privilegieren; ich gehe auch nicht davon aus, dass sie die normative Grundlage für eine einheitliche und unwandelbare Theologie der Religionen darstellen, von der aus sich alle Fragen nach der Sicht von Hindus auf das Christentum beantworten ließen. Neben der Interpretation durch die Gläubigen können nämlich heilige Texte auch gegen den Strich gelesen werden. Ein berühmtes Beispiel ist der Vers aus Rig-Veda 1.163.46: „Die Wahrheit ist eine, die Heiligen benennen sie mit vielen Namen“ – ein Vers, der zahleichen idealisierten Interpretationen des religiösen Pluralismus als Grundlage gedient hat; diese haben jedoch alle unhistorisch und abgelöst vom Kontext argumentiert. Ebenso wie es eine Vielzahl von Hinduismen gibt, so gibt es auch eine Pluralität von Christentümern. Wessen Hinduismus? Und wessen Christentum? Diese Frage sollte daher nicht im Unklaren bleiben: der Hinduismus eines traditionellen Hindu? Der eines Neo-Hindu? Das Christentum eines syro-malabarischen Christen aus dem 3. Jahrhundert? Das eines italienischen Jesuiten des 17. Jahrhunderts? Das eines deutschen Pietisten aus dem 18. Jahrhundert? Oder das eines britischen Anglikaners des 19. Jahrhunderts? Historisch gesehen ist dies nur eine kleine Auswahl aus den vielfältigen Möglichkeiten, die Begegnung von Hindus und Christen im indischen Kontext zu betrachten. Jede von ihnen war einzigartig – sich das zu verdeutlichen ist unbedingt nötig, wenn man sich der Aufgabe stellen will, auch die gegenwärtigen hinduistischen Positionen zum Christentum in den Blick zu nehmen. Bedauerlicherweise sind die frühesten Begegnungen zwischen Hindus und Christen nicht dokumentiert. Obwohl das syro-malabarische Christentum in Südindien seit der Antike existierte, weiß man praktisch nichts darüber, wie Hindus wohl religiös gegenüber Dingen und Verhaltensweisen empfunden haben, durch die sich ihre Nachbarn als Christen auszeichneten. Das gilt insbesondere für die Thomaschristen, die sich nach dem Apostel Thomas nennen, der ihrer Tradition nach in Indien missioniert hat. In dieser frühen Zeit und auch später noch herrscht Schweigen der Hindus gegenüber dem Christentum in seinen vielfältigen einheimischen wie europäischen Ausprägungen – ein Schweigen, das, wenn man die indischen Literaturen betrachtet, erst im 18. Jahrhundert nach und nach gebrochen wurde. Natürlich war dieses Schweigen selbst eine deutliche Antwort. So hat Vitthal Shasti (gest. 1857), ein bedeutender Hindu aus Varanasi,
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einst zu einem britischen Freund gesagt: „Unser Schweigen ist kein Zeichen unseres Eingeständnisses einer Niederlage, wie die Missionare glauben.“2 Dieses Schweigen, so fügte er hinzu, sei vielmehr eine Geste der Höflichkeit der Hindus angesichts der christlichen Provokation. Mit der Zeit allerdings wurde dieses Bewusstsein getrübt, und es kam zu Konflikten. Einige der Stimmen, die ich nun versuche zum Sprechen zu bringen, hören sich daher eher schrill an. Zur Verteidigung sind allerdings auch andere Hindus angetreten, solche, die sich auf höchste erkenntnistheoretische Integrität berufen konnten und die in den alten Traditionen der Hindu-Apologetik ausgebildet waren. Diese hinduistische „Verteidigungslinie“ war bereits gegen Buddhisten, Jainas und Materialisten in Anschlag gebracht worden – zu Zeiten, als Christen in Indien noch vollkommen unbekannt waren. So scharf sie auch waren, diese Konflikte waren zumeist hausgemacht. Ein Überblick über Hindu-Ansichten zum Christentum wird daher auch die Schwierigkeiten der indischen Beziehungen zu Europa mit in den Blick nehmen müssen. Diese Beziehungen waren über große Stecken der kolonialen Periode so konfliktgeladen, dass es Europäern nie wirklich gelang, Hindus davon zu überzeugen, dass die Christen „im guten Glauben“ handelten. Dabei konnten die syro-malabarischen Christen, die ja indisch waren und die keine Mission betrieben, in diesen Konflikten bequem übergangen werden. Konnte man von den Indern tatsächlich erwarten, dass sie Menschen, die so aggressiv, aufdringlich und sektiererisch auftraten wie die Europäer, für echte und glaubwürdige Nachfolger eines dharma halten, des Khrishtadharma? Ein Beispiel, das zeigt, wie schwierig es für Hindus sein konnte, im Christentum einen wirklich normativen Verhaltenskodex (das nämlich bedeutet dharma im traditionellen Sinne) zu erkennen, geschweige denn, das Christentum als ein System von vernünftigen und schlüssigen Glaubensaussagen wahrzunehmen, die man als Religion oder Glauben bezeichnen könnte, kommt aus Tiruchendur, einer shivaitischen Tempelstadt an der südöstlichen Küste Indiens. Dort unterrichtete Mitte des 16. Jahrhunderts der unerschrockene Jesuit Francisco de Xavier (1506−1552) die Paravas, ein unterdrücktes und verarmtes Volk von gesellschaftlich marginalem Status, das kurz zuvor zum Katholizismus konvertiert war. Die Gegend wurde aufgrund der jährlichen lukrativen Perlenernte, in der die Paravas seit Langem als billige Arbeitskräfte beschäftigt waren, „Fischereiküste“ genannt. Nachdem die Portugiesen sich hier hineingedrängt hatten, brachen sie das Monopol der lokalen Händler, die traditionellerweise enge Patronatsbeziehungen zum Tempel von Tiruchendur hatten. Dort wurde der sechsköpfige und zwölfarmige Gott Murukan verehrt. Etwa 50 Jahre später haben die Portugiesen den Tempel gebrandschatzt und das Allerheiligste entweiht, indem sie dort eine Kuh schlachteten. Auch zuvor schon waren die Portugiesen berüchtigt für ihr abscheuliches Verhalten. Das alles erklärt, warum Francisco de Xavier abgelehnt wurde, als er 1543 den heiligen Bereich des Tempels betrat, um das Evangelium den dort dienenden
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Tempelbrahmanen zu predigen (vgl. S. 23). Obwohl er kein Portugiese, sondern ein Baske war, wurde de Xavier mit Fragen bombardiert, die ihn überraschten. Eine lautete folgendermaßen: „Stirbt die Seele mit dem Körper, wie bei den wilden Tieren?“ Tatsächlich beschuldigten de Xaviers Gesprächspartner ihn, ein Materialist (carvaka) zu sein, ein Anhänger der am weitesten von der Orthodoxie abweichenden Sekte im alten Indien. Materialisten wurde vorgeworfen, anti-vedisch zu sein, indem sie die Existenz eines ewigen Selbst (atman) neben dem Körper leugneten. Es wurde ihnen ferner nachgesagt, dass sie eine fatalistische Lebenseinstellung hätten, die kulinarische Exesse und sexuelle Freiheit befördere. Das war mithin kein guter Anfang für das Christentum, und diese Situation hat sich bis ins frühe 17. Jahrhundert kaum geändert, als Roberto de Nobili (1577– 1656) in die jesuitische Mission in Madurai im Landesinneren Tamil Nadus eintrat. Besser informiert über Indien, kulturell gewandter und sprachlich begabter als de Xavier, hat sich de Nobili sein Leben lang bemüht, den Katholizismus seines europäischen Kleides zu entledigen. Dessen ungeachtet wurde noch lange Zeit danach das Indische am indischen Christentum angezweifelt – zu Recht oder zu Unrecht. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts, als protestantische Missionare im gleichen Gebiet in Südindien mit ihrer Arbeit begannen, waren solche Zweifel noch nicht ausgeräumt. Auf die Frage, warum sich die Tamilen von den Christen – zu dieser Zeit wurde der Begriff noch deckungsgleich mit „Europäer“ gebraucht – fernhielten, antwortete ein Hindu: „Wir lehnen das Christentum ab [...] weil Christen Kühe schlachten und sie essen.“ Dieses bereits bekannte Motiv war nur das erste einer ganzen Litanei von Beschwerden über kulturelle Abscheulichkeiten der Europäer, durch die die „Andersheit“ der neuen Religion herausgestellt wurde; dazu gehörte auch die Kritik an der mangelnden persönlichen Hygiene ihrer Anhänger. Umso bemerkenswerter ist es, dass man überhaupt Interesse am Christentum äußerte. Doch dieses Interesse gab es in der Tat, und trotz fundamentaler Gegensätze wurden Stimmen laut, die so etwas wie Übereinstimmung oder zumindest die Idee einer gegenseitigen Ergänzung zum Ausdruck brachten. Solche Stimmen, die oben angeführte eingeschlossen, wurden gehört, aufgenommen und bewahrt dank des einfühlenden Zuhörens und der unersättlichen Neugier von Bartholomäus Ziegenbalg. Ziegenbalg (vgl. S. 57) war ein deutscher Pietist, der in Halle ausgebildet und von König Friedrich IV. von Dänemark ausgesandt wurde, um eine lutherische Missionsarbeit im Königreich Tanjore in einem Ort mit dem Namen Tranquebar zu beginnen, wo die Dänen einen Handelsposten betrieben. Eine Stimme unter vielen war ein ungenannter Vaishnava aus der Vellala-Kaste, der sich 1707 an Ziegenbalg wandte, um ihm mitzuteilen, dass „er begehrte mit mir freundschaftlich zu konferieren über große Dinge und Fragen der Religion“. Auch wenn Ziegenbalgs Aufzeichnungen der Gespräche redigiert, übersetzt und den pietistischen Gepflogenheiten in Europa angepasst wurden, so wurde
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dadurch doch nicht die Kraft abgeschwächt, mit der seine Gesprächspartner die christliche Soteriologie (Heilslehre) zu widerlegen suchten. Stattdessen bekommt man eine robuste Verteidigung eines Vaishnava-Inklusivismus zu hören: Ich glaube, dass alles, was du von Gottes Handeln an euch weißen Europäern erzählst, wahr ist; aber seine Erscheinungen und Offenbarungen unter uns schwarzen Malabaren waren doch sehr anders. Und die Offenbarungen, die er von sich in diesem Land gegeben hat, werden für ebenso wahr gehalten, wie ihr diejenigen für wahr haltet, die in eurem Land geschehen sind: denn so wie Christus in Europa Mensch geworden ist, so ist hier unser Gott [Vishnu] unter uns Malabaren geboren. Und wie ihr auf die Erlösung durch Christus hofft, so hoffen wir auf die Erlösung durch [Vishnu]; und euch auf die eine Weise zu retten und uns auf eine andere ist eine der Unterhaltungen und Zeitvertreibe des Allmächtigen Gottes.3
„Euch auf die eine Art zu retten und uns auf die andere“ bedeutet, dass kein dharma ‚der‘ Dharma sein kann – Vielfalt sollte gefeiert werden – und dass Christen über ihr Ziel hinausschießen, wenn sie vom Christentum als der „einen wahren“ Religion sprechen, wie Ziegenbalg das getan hat. Hier erscheint uns der Vaishnava-Inklusivismus in seiner größten ökumenischen Attraktivität. Es gibt allerdings gleichzeitig, weit weniger bekannt aber dennoch ebenso repräsentativ, einen Vaishnava-Exklusivismus, den man ebenfalls in Betracht ziehen muss. Man kann nun – im 19. Jahrhundert – zum ersten Mal mit indischen Texten in indischen Sprachen arbeiten. Die interessantesten dieser Texte kommen aus Varanasi in Nordindien, wo Missionare an den Ufern des heiligen Ganges allen die Gute Nachricht verkündigten. Die einzelnen Missionare, die hier in Varanasi predigten, kamen oft auf eigene Initiative, und unter den vielen, die ihnen zuhörten, als sie eine neue Identität für Indien entwarfen, die auf einem anderen dharma aufbauen sollte, war ein junger Vaishnava aus der hoch angesehenen Gemeinschaft der Chitpavan-Brahmanen: Nilakanth Goreh (1825–1895). Als ein im Sanskrit gebildeter, orthodoxer Hindu, der gelehrt worden war, dass die Vernunft mit der Offenbarung übereinstimmen müsse, war Goreh zutiefst verstört davon, dass die Missionare sich auf die Vernunft beriefen, als sie die Schriften kritisierten, die er für heilig und aus sich selbst gültig hielt. Ihre Tiraden erinnerten ihn an eine paradoxe Geschichte aus dem Vishnu Purana (einem der Texte, die von den Missionaren kritisiert worden waren) über die Ursprünge der Häresie. Vor vielen Weltzeitaltern, also vor langer, langer Zeit, entstand ein kosmischer Konflikt zwischen den Göttern (devas) und den Dämonen (asuras). Die Götter waren dabei zu verlieren, bis zu dem Moment, da Vishnu eine magische Gestalt namens Mayamoha herbeibeschwor, die die Dämonen dazu brachte, sich auf einen dharma, die Gewaltlosigkeit (ahimsa), einzulassen. Das war für die Götter insofern von Vorteil, als sie nun über ihre früheren Rivalen triumphieren konnten. In der Tat ist der dharma, der im Vishnu Purana vorgestellt wird, eigentlich ein
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anti-dharma. Traditionellerweise wurde er von Kommentatoren als „Buddhismus“ identifiziert. Goreh in Varanasi aber sah in dieser Geschichte eine plausible Charakterisierung des Christentums, das er dementsprechend als betrügerischen dharma (mohadharma) verdammte. Indem er traditionelle Positionen neu formulierte, konnte Goreh betonen, dass es ebenso Vaishnava-Position sein kann anzunehmen, dass die einen verdammt und die anderen gerettet werden, wie anzunehmen, dass Gott ohne Bedingungen alle Menschen rettet, die glauben, und damit auch die Menschen aller Glaubensrichtungen. Allerdings handelt es sich hier um mehr als um eine bloß oberflächliche Zurückweisung der soteriologischen Gleichwertigkeit des Christentums; auch ist es für Goreh nicht besonders wichtig, dass er in einer Welt mit vielen dharmas lebt, die genug Raum selbst für betrügerische dharmas bietet, die vorgeben weniger böse zu sein, als sie in Wirklichkeit sind. Tatsächlich war Goreh der Überzeugung, dass die Vielfalt der Religionen an sich eine gute Sache sei, die einem bestimmten Zweck diene: „So wie Gott die Religionen als voneinander unterschieden geschaffen hat, so haben auch Menschen unterschiedliche Fähigkeiten.“4 Hierin liegt der Grund, warum Goreh den christlichen Anspruch, dass der Khrishtadharma der eine wahre dharma sei, als lächerlich zurückwies, sich aber nicht zugleich genötigt fühlte, einen entgegengesetzten Anspruch für den Hindudharma zu formulieren. (Genau betrachtet, hatte bis in die Zeit der christlichen Missionen der dharma überhaupt keinen Namen. Dass konkrete Benennungen in Zeiten interreligiöser Konflikte vorgenommen wurden, ist als ein Symptom einer zunehmenden Essenzialisierung und Verdinglichung von Religion zu sehen.) Zusammengefasst kann man sagen, dass alle dharmas erlösendes Potenzial haben, allerdings nicht alle auf derselben Ebene. Dennoch war Goreh als Vaishnava (Anhänger Vishnus), der auch ein Vedantin (Vertreter der VedantaPhilosophie) war, bemüht, das Heilsziel, nach dem er strebte – moksha (die Befreiung von der Wiedergeburt durch Identifikation mit Brahman als dem Grund des Seins) – vom christlichen Heilsziel des svarga (Himmel, unendliche Glückseligkeit in der Gegenwart Gottes) zu unterscheiden. Das ist jedoch nicht dasselbe wie kategorisch zu leugnen, dass das Christentum für Christen erlösend sein könne. Das war ihm nicht möglich. Tatsächlich ging Goreh von der Möglichkeit vieler Erlösungswege aus, aber er ordnet sie hierarchisch unterhalb von moksha als dem höchsten Heilsziel an, das von den anderen so weit abgelöst sei, dass Christen gar nicht in der Lage seien, es sich überhaupt vorzustellen. Aus dieser Sicht wäre es eine Sünde, leichtfertig mit der religiösen Identität anderer Menschen zu spielen; ein Hindu oder ein Christ zu sein ist karmisch vorgegeben, es ist das Ergebnis vieler Wiedergeburten über Weltzeitalter hinweg. Nur aus einer kurzsichtigen Perspektive, die nur ein Leben in den Blick nimmt, sind die Vorrechte der Erlösung ungleich verteilt – vom Blickwinkel des samsara (wiederholte Wiedergeburt) hingegen ist das Erreichen von moksha für alle möglich, wenn auch nicht für Christen als Christen. Christen müssen daher auf ihre Verwandlung warten. Der
Der Blick auf das Christentum
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Tenor der ganzen Diskussion ist allerdings im großen Ganzen gegen Konversion gerichtet: Weder kann der dharma zurückgewiesen noch ersetzt werden durch ein anderes. Genealogisch kann diese vedantische Perspektive eines religiösen Pluralismus, die Goreh in der Begegnung mit dem Christentum formuliert, zurückgeführt werden auf den monistischen oder nicht-dualistischen Advaita des Philosophen Shankara aus dem 8. Jahrhundert. Shankara erwies sich als strenger Konstruktivist, als er in seinem Kommentar zu den Vedanta-Sutren die Möglichkeit der Erlösung für die Kaste der Shudras diskutierte (auch Shudras mussten auf ihre Veränderung warten, denn solange sie nicht als Brahmanen wiedergeboren waren, hatten sie keinen Zugang zu den Veden). Erst Jahrhunderte später wurden nichthinduistische Völker eigens erwähnt und aus den gleichen Gründen ausgeschlossen (auch, weil sie Sanskrit, die Sprache der Veden, nicht verstanden). Von einem vorgestellten Gesprächspartner gefragt, warum er nur auf die Religionen der indischen Völker eingehe, antwortete Madhusudana Sarasvati, ein Systematisierer des Vedanta aus dem 16. Jahrhundert, in einer Abhandlung mit dem Titel Prasthanabheda: Die anderen Religionen könnten keine mokshadharmas (also nicht zur Erlösung führend) sein, weil sie außerhalb des Veda (vedabahyatvat) stünden. Als der Indologe Paul Deussen (1845–1919) diese Stelle übersetzte, sah er sich genötigt, Madhusudanas offensichtliche Indifferenz so zu kommentieren: extra vedos nulla salus (außerhalb des Veda kein Heil). Er nahm damit ein Diktum des Kirchenvaters Cyprian (gest. 258) auf: extra acclesiam nulla salus (außerhalb der Kirche kein Heil).5 Vor diesem Hintergrund muss man sehen, warum Goreh unwillig war, vom Christentum als Christentum zu lernen, obwohl er zumindest offen dafür war, möglichst viel über das Christentum zu lernen, um seinen Untergang in Varanasi herbeizuführen. Goreh lebte in einer Zeit großer religiöser Umwälzungen, die in den kulturellen Zentren des städtischen Indien (insbesondere Bombay, Kalkutta und Madras) ihren Ausgang nahmen. An diesen Orten waren Hemmnisse gegen theologisches Fragen außerhalb des vedischen Kontextes bereits durch das Aufkommen eines Neo-Hinduismus gelockert worden. Neo-Hindus fühlten sich nicht länger an das Dogma gebunden, dass es außerhalb des offenbarten Veda kein moksha geben könne. Damit brachen aber alle Vorannahmen zusammen, die weitgehend unhinterfragt über die soteriologische Disqualifikation des Christentums und der Nachfolger anderer nichtindischer Religionen aufgestellt worden waren. Der wichtigste Auslöser für diese weitreichenden Veränderungen war Rammohun Roy (1772–1833), ein religiöser Reformer aus Bengalen, der in dem Jesus des Christentums ein ethisches Ideal sah, das er Indien zur Nachahmung empfahl. Der Jesus, den er sich in seiner Schrift The Precepts of Jesus (1820) vorstellte, ist allerdings ein ent-theologisierter Jesus, nicht mehr zu erkennen als der Sohn Gottes des trinitarischen Christentums. Dafür wurde Rammohun Roy von den baptistischen Missionaren aus Kalkutta scharf kritisiert. Allerdings zieht
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sich eine ganze Linie neo-hinduistischer Auslegungen des Neuen Testaments von Rammohun Roy über Vivekananda (1862–1902) zu Gandhi (1867–1947) und anderen, die aufgrund ihrer guten Englischkenntnisse auch in weiteren Kreisen bekannt wurden. Dennoch kann man an der Lebendigkeit dieses NeoHinduismus im heutigen Indien zweifeln. Immer noch gelesen und weit verbreitet ist eine scharfe Kritik des Christentums in der Hindi-Schrift Satyarth Prakash (Licht der Wahrheit), die der aus Gujarat stammende Reformer Dayananda Sarasvati (1824–1883) verfasst hatte. Dayananda war Gründer des Arya Samaj, einer politisch einflussreichen Organisation, die die Religion des Arya Dharm (edler Dharma, die Religion, die er in den Veden meinte entdeckt zu haben) bewahren, beschützen und verbreiten sollte. Anders als Rammohun interpretierte Dayananda die Evangeliumsgeschichten von Jesus auf einer wörtlichen und ausgesprochen oberflächlichen Bedeutungsebene. Bisher war im Wesentlichen von Personen die Rede, die in den besten philosophischen und theologischen Traditionen aufgewachsen waren, die Indien zu bieten hatte; als hervorragend gebildete Vertreter von ganz spezifischen, hochgradig systematisierten Hinduismen (insbesondere Vedanta) haben sie die Wahrheitsüberzeugungen, denen sie sich verpflichtet fühlten, rigoros und vehement verteidigt. Verständlicherweise waren ihre Gesprächspartner, die christlichen Missionare, die sich selbst und ihre religiöse Tradition für unantastbar hielten, ebenso schrill, scharf und streitbar, wenn nicht noch schlimmer (es ging ja immerhin auf ihre Initiative zurück, dass die hindu-christlichen Beziehungen sich so konfliktbeladen entwickelten). Bliebe man nun hierbei stehen, entstünde allerdings ein falsches Bild. Tatsächlich und auch historisch zu belegen kann man durchaus gute Gründe dafür anfügen, dass Hindus und Christen auch friedlich nebeneinander lebten. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die geistige Verwandtschaft, die sie füreinander empfanden, sich auch auf religiöse Weise auf der Ebene eines einfachen Glaubens ausdrückte, der in einer theistischen Verehrung bzw. einem gläubigen Theismus verwurzelt war. Dieser kann sowohl hinduistisch wie christlich geprägt sein, obwohl der Begriff, den ich verwende, um diesen Glauben zu beschreiben, bhakti, phänomenologisch den indischen Religionen zuzurechnen ist. Wenn auch die vielen Reibungen und Brüche, die man in der Begegnung zwischen Hindus und Christen ausmachen kann, nicht heruntergespielt oder ausgebügelt werden können – es bleibt festzuhalten: Die Blicke der Hindus auf das Christentum und die Blicke der Christen auf den Hinduismus waren keineswegs immer gleich und sie waren auch nicht immer geprägt von Vereinnahmung oder Unterordnung des jeweils religiös ‚anderen‘.
Der Blick auf den Islam
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Feinde schaffen oder Versöhnung fördern? Der Blick auf den Islam Das Thema der hinduistisch-islamischen Beziehungen ist angesichts der geografischen Ausdehnung, der kulturellen wie politischen Vielfalt in Indien, so weit, dass ich mich auf die Altstadt von Hyderabad quasi als Fallstudie konzentrieren werde, um zu zeigen, wie diese Beziehungen im heutigen Indien funktionieren. Was sich in Hyderabad abspielt, ist nichts Einzigartiges, Beziehungen zwischen Hindus und Muslimen sind andernorts in Indien aufgrund ähnlicher Zusammenhänge und Bedingungen mehr oder weniger die gleichen. Meines Erachtens teilt die Mehrheit der Menschen – in den Städten wie auf dem Land, Hindus oder Muslime – dieselbe Kultur und nimmt auf ähnliche Art am sozioökonomischen Leben im Land teil, obwohl Religion, Kaste, Rasse und Hautfarbe natürlich einen Unterschied machen. Alles in allem haben die Menschen friedlich zusammengelebt und können das auch weiterhin tun. Diese friedliche Koexistenz wird nicht durch religiöse oder andere Unterschiede gestört, sondern durch externe Kräfte, sehr oft politischer oder wirtschaftlicher Art. Ich werde im Folgenden den historischen Kontext von Hyderabad skizzieren und dabei einige besondere Faktoren hervorheben, die dazu beigetragen haben, die Kluft zwischen den beiden Gesellschaften zu vertiefen. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auf die Unruhen von 1990 einzugehen, die nicht nur Hyderabad, sondern auch den Rest Indiens schockiert haben. Die Grundursachen gehen auf historische Ereignisse zurück. Hyderabad 1990 – der historische Hintergrund In der Nacht des 6. Dezember 1990 erlebte die Altstadt von Hyderabad schwere Unruhen, die drei Wochen lang andauerten. Mit einer Gruppe von Freunden ging ich am Morgen des 7. Dezember zum Krankenhaus. Wir gehörten zum Aman Shanti Forum, einer Bewegung aus Menschen aller Glaubensrichtungen, die wir etwa einen Monat zuvor gegründet hatten. Unser Hauptziel war es, kommunale Konflikte zu reduzieren und den Frieden in der Altstadt wieder herzustellen, der durch den politischen Einfluss von Hindu-Nationalisten gestört worden war. An diesem Morgen im Hospital erlebte ich, wie tief der Hass zwischen Hindus und Muslimen war. Drei junge Männer stürmten mit ihrem sterbenden Vater in die Notaufnahme. Der Bauch des alten Mannes war von einer Seite bis zur anderen aufgeschlitzt, Eingeweide quollen heraus und ein Blutstrom markierte den Weg, auf dem sein Körper hereingetragen wurde. Bei der Ankunft wurde er vom Chirurgen für tot erklärt. Als der jüngste Sohn aus der Notaufnahme herauskam, sah er eine meiner Kolleginnen an der Tür stehen, eine Universitätsprofessorin, die an dem roten bindi auf ihrer Stirn als eine Hindu zu erkennen war. „Ich werde sie töten!“, rief der junge Mann und stürmte auf sie zu; er konnte von sechs Soldaten nur mit Mühe zurückgehalten werden. Was ist der
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Der hinduistische Blick auf andere Religionen
Grund für diesen abgrundtiefen Hass, der mit solch einer Rache suchenden Gewalt hervorbricht? Der Blick auf die jüngsten gewalttätigen Konflikte zwischen Hindus und Muslimen zeigt, dass es das historische Gedächtnis ist, das die Erinnerung an brutale Vorfälle am Leben erhält, und das wiederum hat zur Folge, dass auch enge Beziehungen Schaden nehmen. So war es in der Geschichte von dem jungen Muslim unwesentlich, ob die Hindu-Professorin auf dem Klinikflur der Grund für den Tod seines Vaters war. Früher hatten Hindus in seiner Familie Leid verursacht, und der aktuelle Vorfall, dass sein Vater erstochen wurde, ließ in ihm den Wunsch nach Rache wieder aufleben. Die Altstadt von Hyderabad wurde 1591 von Muhammed Quli Qutb Shah am Südufer des Flusses Musi gegründet, als Golconda, die befestigte Hauptstadt, unter Qutb Shahi übervölkert war. Sie war eine der sagenhaftesten, bestgeplanten Städte jener Zeit. Viele Iraner und Araber siedelten dort während der Regentschaft von Qutb Shahi und Asaf Jahi und ließen eine starke kulturelle, politische und religiöse Prägung zurück. Im Jahr 1687 wurde die Stadt dem Reich der Moguln angeschlossen, und Aurangabad wurde zur Hauptstadt gemacht. Bis 1763 litt Hyderabad unter akuten ökonomischen Spannungen, die erst 1724 endeten, als Nizam al-Mulk Asaf Jah-1 eine neue Dynastie gründete und den ganzen Deccan einschließlich Hyderabad unter seine Regentschaft brachte. 1740 wurde ein Befestigungswall um die ganze Stadt gebaut, weshalb die Altstadt in zeitgenössischen Dokumenten auch die ummauerte Stadt genannt wird. 1763 verlegte Nawab Nizam Ali Khan, der vierte Sohn von Asaf Jah, sein Hauptquartier wieder nach Hyderabad. Indem er die Stadt im Jahr 1770 zur Hauptstadt machte, verhalf er ihr dazu, ihren ehemaligen Ruhm zurückzugewinnen. Die Ankunft der Briten 1799, die ihre Residenz außerhalb der Stadtmauern errichteten, und die Verlegung des Königspalastes mitsamt vieler seiner Adligen in den Nordteil der Stadt, die heute King Khoti genant wird, führte einmal mehr zum Verfall der Altstadt und zur Entwicklung der Neustadt an der nördlichen Seite des Flusses. Die sozioökonomischen Bedingungen der Altstadt verschlechterten sich weiter durch die Überschwemmung 1908 und durch eine Seuche drei Jahre später. Vernachlässigung und Stagnation machten die Altstadt von Hyderabad zu einem riesigen Slum, in dem Hindus und Muslime miteinander um das konkurrierten, was noch übrig geblieben war. Die Altstadt von Hyderabad ist eine der wenigen Städte in Indien, in denen die Muslime in der Überzahl sind. Vor der „Polizeiaktion“ 1948 und sogar danach bis 1951 machten die Muslime 69 Prozent der Bevölkerung aus. Der muslimische Charakter ist überall in der Stadt offensichtlich: Das Bild ist geprägt von Minaretten, von darghahs (Gräbern von muslimischen Heiligen) an den Straßenrändern, die grün gestrichen oder mit grünem Tuch überzogen sind, mit Geschäften und Plakaten, die Schriftzüge in Urdu tragen, mit Bazaren und Läden voller schwarz verschleierter Frauen, und die Luft ist erfüllt von dem Gebetsruf der Muezzine, der fünfmal am Tag von den zahlreichen Minaretten ertönt. Die
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31 Prozent Hindus haben jahrhundertelang friedlich und in enger Nachbarschaft mit den Muslimen gelebt, sie hatten ihre Tempel und Schreine und haben auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet weitgehend mit den Muslimen zusammengearbeitet. Unter den muslimischen Herrschern der Vergangenheit, sei es Qutb Shahi oder Nizam, hatten Hindus die gleichen Rechte wie die Muslime, einige von ihnen bekleideten sogar hohe Ämter in der Regierung. All dies änderte sich mit den Ereignissen, die Indiens Unabhängigkeit vorausgegangen und nachgefolgt sind. Die Polizeiaktion 1947 wurde Indien unabhängig, aber das Land war gespalten in drei Teile: Indien, Westpakistan und Ostpakistan, das später Bangladesh wurde. Der Nizam von Hyderabad erklärte seine Absicht, unabhängig zu bleiben, entweder als eigenständiger Herrscher oder indem er einen vorherrschenden Status innerhalb des Britischen Empire erhalten sollte. Mittlerweile gewann Razakar – eine Privatarmee, die von Qasim Razvi, einem Berater des Nizam, aufgebaut wurde – erhebliche Macht in dem winzigen Königreich. Sie überfielen Hindugebiete, vergewaltigten Hindu-Frauen und zerstörten die Geschäfte der Hindus. Razvi empfahl dem Nizam, entgegen dem Wunsch des Volkes nicht der Union beizutreten. Die Kommunisten von Telangana plädierten hingegen nachdrücklich dafür, in die Union einzutreten. Die bäuerliche Revolte, die sie anführten, breitete sich bis in die Dörfer aus. Die Landbesitzer, die meisten von ihnen Muslime, wurden entweder getötet oder verbannt, ihr Land wurde enteignet und neu verteilt. Als diese Auswüchse nicht mehr zu kontrollieren waren, nahm am 16. September 1948 die indische Armee den Staat Hyderabad von fünf Seiten aus ein. Nach vier Tagen ergaben sich die Streitkräfte von Hyderabad, und der Nizam wurde gezwungen, die Beitrittserklärung zu unterzeichnen. Die Hindus, die unter Razakar gelitten hatten, fanden nun eine Gelegenheit, sich zu rächen: Viele Muslime wurden getötet und die Frauen vergewaltigt. Unter dem Vorwand, sie seien Fremde, wurden zahlreiche Muslime deportiert. Zwischen 1951 und 1961 begannen die Hindus von entfernteren Gebieten und den Küstenregionen einzuwandern, während Muslime aus der Altstadt nach Pakistan oder den nördlichen Teil Indiens auswanderten. Diese drei Faktoren – die Bauernrevolte, die Razakar-Bewegung und die Polizeiaktion – hatten wiederum Konsequenzen, die weitere Konflikte zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen entstehen ließen; diese Konsequenzen betrafen zum einen den demografischen Wandel, sodann einen Mangel an Infrastruktur in der bereits überfüllten Altstadt und schließlich kulturelle Erweckungsbewegungen zwischen den beiden Gemeinschaften. Wie ausgeführt, schwächten der Fall von Nizams Regentschaft 1948 und die darauf folgenden Ereignisse die Vorherrschaft der Muslime. Die hinduistischen Migranten, zumeist arm und von niedriger Kaste, kamen auf der Suche nach
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Jobs. Sie besetzten jeden verfügbaren Raum und siedelten manchmal sogar auf öffentlichem Grund. Als Folge davon schossen Slums überall in der Altstadt wie Pilze aus dem Boden und schufen ein Ungleichgewicht in der Zusammensetzung der Gemeinschaften innerhalb der ummauerten Stadt. Andere Hindus wie Marwaris begannen damit, muslimische Besitztümer und Geschäfte aufzukaufen. Für Muslime, die in Hyderabad bleiben wollten, wurde dies zur Bedrohung. Der Mangel an adäquater Versorgung mit Trinkwasser, Elektrizität und Kanalisation verschlechterte die Bedingungen zusätzlich. Die engen Straßen und Sackgassen machten es schwierig, sich innerhalb der Stadt zu bewegen. Als die muslimische Gemeinschaft fürchtete, ihre Identität zu verlieren, versuchte sie gegenzusteuern, indem sie sich an religiös-kulturelle Traditionen klammerte: Muslime trugen typische Kleidung und hielten strenge religiöse Rituale ab. Zum Beispiel war während des Ramadans die ganze Stadt von islamischer Atmosphäre durchdrungen: Die Moscheen waren mit farbenfrohem Licht erhellt, die Straßen gesäumt mit Geschäften, die Essen oder andere Waren für das bevorstehende Fest oder für das Fastenbrechen anboten. Eine ähnliche Entfaltung von Religiosität gab es während des Monats des Muharram, wenn die Schiiten des Martyriums von Hasan, dem Enkel des Propheten, und seinen Gefolgsleuten bei der Schlacht von Karbalah gedenken. Diese Rituale werden sowohl tagsüber als auch nachts ausgeübt; sie werden vom Rundfunk ausgestrahlt und so der ganzen Nachbarschaft bewusst gemacht. Die Hindus antworteten darauf mit der öffentlichen Zelebrierung ihrer eigenen Rituale und Feste. So wurde bis 1964 das jährliche Ganesh-Fest zu Hause gefeiert, indem man eine kleine Statue neun Tage lang segnete und sie am zehnten Tag in irgendein Wasser in der Nachbarschaft eintauchte. Seit 1964 ist dieses Fest zu einer großartigen Manifestation hinduistischer Religiosität geworden, das Millionen Menschen aus dem ganzen Land anzieht und eine massive Beeinträchtigung des öffentlichen Lebens darstellt. In ähnlicher Weise bringt Bonalu, ein anderes hinduistisches Fest, mit seinen riesigen Prozessionen durch die Hauptstraßen das Leben in der Stadt zum Erliegen. Diese drei genannten Faktoren – der demografische Wandel, die Überfüllung und die Wiederbelebung der Religion – wurden zu wesentlichen Auslösern der Unruhen in Hyderabads Altstadt. Dabei ist der konkurrenzbetonte und propagandistische Geist dieser öffentlichen Kundgebungen zu beachten, die eine Bedrohung für den Frieden sind und auf kommunaler Ebene Gewalt hervorrufen. Ein weiterer Faktor, wohl der mächtigste Einzelfaktor in den Konflikten zwischen Hindus und Muslimen der letzten Jahre, verstärkt die drei anderen: die Hindutva-Ideologie im modernen Hinduismus.
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Die Hindutva-Ideologie Mit dem Begriff Hindutva, wörtlich „Hindu-Sein“, ist eigentlich Hindu-Nationalismus gemeint. Das heißt, Hindutva fordert eine Nation, die nur aus denen besteht, die der Hindureligion angehören. Hier ist zunächst die Frage zu stellen, wer eigentlich ein Hindu ist. Die Antwort auf diese Frage hängt von der Perspektive des Antwortenden ab, denn es gibt viele Bedeutungen: geo-kulturelle, religiöse, rechtliche und politische. Als geografischer Begriff bezieht sich „Hindu“ auf all jene, die östlich des Flusses Indus leben – das ist die weiteste Bedeutung dieser Bezeichnung. Vom kulturellen Standpunkt aus sind Hindus all jene, die in Indien geboren sind und das Land als ihr Vater-/Mutterland angenommen haben. In diesem Sinne bin ich, ein Christ, sind mein muslimischer Kollege Abd alKarim und unser Freund Ram Chandra Rao alle Hindus. Wir sind in diesem Land geboren, essen die Früchte unserer gemeinsamen Erde und atmen dieselbe Luft – verschmutzt durch unsere sich ständig ausbreitende Urbanisierung. Rechtlich jedoch bin ich kein Hindu. In den Augen des Gesetzes sind alle, die in Indien leben, „Hindus“; außer Muslimen, Christen, Parsen und Juden – obwohl Muslime vor der Verabschiedung des Shariat-Gesetzes 1937 auch juristisch unter den Begriff „Hindu“ fielen. Als Christen, Muslime und Parsen haben wir andere Familienrechte (z. B. im Blick auf Heirat, Scheidung, Erbrecht und Adoption) als Hindus. Ein großer Teil der Bevölkerung ist dalit, d. h. von niederer Herkunft oder kastenlos. Viele politische Gruppen betrachten diese Männer und Frauen ebenso als Hindus, ungeachtet der Tatsache, dass sich ihre Kultur und ihre Rituale sehr von der sogenannten Hindumehrheit unterscheiden. Viele empfinden eine tiefe Entfremdung von den oberen Kasten und ihrer Gesellschaft, die traditionell Menschen mit dalit-Status von rituellen Handlungen ausgeschlossen haben. Ein Zeichen des Protests der Dalits gegen diese Diskriminierung sind die zunehmenden Übertritte zum Buddhismus in den letzten Jahren. Einige Dalits haben sich politisch zusammengeschlossen und lehnen es ab, sich als Hindus zu sehen. Die Stammväter der Hindutva-Ideologie strebten jedoch danach, die „Hindus“ gegen Christen und Muslime zu vereinen, die Dalits zu vereinnahmen, indem sie die vielfältigen Unterschiede stillschweigend mittels einer weit gefassten Definition von Hinduismus vertuschen. Der Begriff Hindutva wurde in den früher 1920er Jahren von Vinayak Damodar Savarkar geprägt, der 1937 zum Präsidenten der Hindu Mahasabha gewählt wurde. Zum ersten Mal legte Savarkar die Hindutva-Ideologie in seinem Buch Hindutva, Wer ist ein Hindu dar, das er 1923 veröffentlichte. Darin gibt er eine klare Definition: Ein Hindu ist eine „Person, die das Land Bharatwarsha vom Indus bis zum Ozean als sein Vaterland (pitribhumi) ansieht, ebenso wie als sein Heiliges Land (punyabhumi) […] das die Wiege seiner Religion ist.“6 Nach Savakars Definition können Muslime, Christen und Juden keine Hindus sein, auch wenn sie dies
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behaupten, da ihr Heiliges Land woanders liegt. Savarkar zufolge hat die Rasse der Hindus, die innerhalb der geografischen Einheit von „Hindustan“ lebt, eine gemeinsame Zivilisation (samskriti) entwickelt, die aus gemeinsamer Geschichte, Helden, Literatur, Kunst, Gesetzen, Festen, Riten und Ritualen besteht. Alle anderen sind Fremde. Sie müssen entweder das Land verlassen oder sich den Menschen, denen das Land gehört, unterordnen. Die Spitze dieser ganzen Argumentation ist deutlich gegen indische Muslime und Christen gerichtet. Ebenso sind in Savarkars Vision vom Hindu rashtra nichtbrahmanische Trends wie die Bhakti-Bewegung und andere, populärere Erscheinungsformen innerhalb des HinduSpektrums ausgeschlossen. M.S. Golwalkar (1906–1973), ein Brahmane aus Maharashtra, entwickelte und popularisierte Savarkars indisch-nationalistische Ideologie und wurde damit zu einem Führer der Hindutva-Bewegung. In seinen Schriften bezieht sich Golwalkar immer wieder auf das Beispiel Deutschlands und favorisiert ganz offen Hitlers Versuch, Deutschland von der semitischen Rasse zu befreien. In Indien jedoch konnte Golwalkar nicht von Unreinheit der Rasse sprechen, denn die meisten indischen Muslime und Christen waren vom Hinduismus konvertiert – von genau demselben „reinen arischen Grundstock“ auf den er, als ein Hindu, so stolz war. Nach Golwalkar war es schließlich der Akt der Konversion, der eine unüberbrückbare Kluft schuf: „Sie sind in diesem Land geboren, kein Zweifel. Aber sind sie ihm treu? Nein. Mit dem Wechsel ihres Glaubens ist der Geist der Liebe und Hingabe an ihre Nation verschwunden.“7 So wies Golwalkar unverblümt den Multi-Nationalismus, der in der indischen Verfassung bewahrt wird, zurück. Er sprach stattdessen von einem Nationalismus, der an der Bewahrung der reinen arischen Kultur festhält und an der Religion des Hinduismus. Wenn wir das Leben der Menschen in Indien betrachten– egal ob Muslime, Christen oder Hindus –, können wir enorme kulturelle Ähnlichkeiten feststellen. Wir finden auch bedeutsame regionale Unterschiede, die klare Identitäten schaffen, die über die religiösen Grenzen hinausgehen. Golwalkars Versuch, Inder, die sich in der Religion von Hindus unterscheiden, auszusondern und abzulehnen, ist ganz klar ein Bestreben, einen Feind zu schaffen und auf ihn zu zielen. Die Hindutva-Ideologie hat an Popularität im ganzen Land und auch unter Hindus weltweit gewonnen. Heute ist ein Wiedererwachen der Hindu-Identität innerhalb der Mittelklasse und unter den Intellektuellen zu bemerken, was sich u. a. an der Kleidung, an äußeren religiösen Kennzeichen und öffentlichen Hingabebezeugungen (z. B. dem Singen der Sanskrit-Devotionalgesänge) zeigt; diese Zeichen sind in den letzten Jahren deutlicher in Erscheinung getreten und haben an Popularität gewonnen. Viele haben das Hindutva-Gedankengut und die damit verbundene Rhetorik in einem Ausmaß angenommen, das zu den gewalttätigen Aggression geführt hat, die in der Zerstörung des Babri Masjid in Ayodhya am 6. Dezember 1992 gipfelten (vgl. S. 109).
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Die Zerstörung dieser Moschee durch hindunationalistische Kräfte gilt als ein Wendepunkt in der neueren Geschichte Indiens. Auch wenn es seit der Unabhängigkeit 1948 zahlreiche gewalttätige Konflikte zwischen Hindus und Muslimen mit Tausenden von Toten gegeben hat, haben sich doch die meisten Zusammenstöße infolge der Zerstörung des Babri Masjid am 6. Dezember 1992 ereignet. 1993 hinterließ kommunale Gewalt mehr als 3000 tote Muslime allein in der Stadt Mumbai. Keine dieser Statistiken beinhaltet die Zerstörung von Besitz, die Anzahl der nicht tödlichen Verletzungen, den Anstieg an Hass und Misstrauen zwischen Hindus und Muslimen. Um auf die Altstadt von Hyderabad zurückzukommen: Hier gab es seit 1948 periodische Konflikte zwischen Hindus und Muslimen, die zu Unruhen führten, die unauslöschliche Narben in den Herzen und Köpfen der Menschen beider Gemeinschaften zurückgelassen haben. Selbst eine kleine Provokation kann zu Gewalt, Blutvergießen und Zerstörung führen. Nach den furchtbaren Ausschreitungen haben Mitarbeiter des Henry Martyn Institutes in Hyderabad versucht, Menschen verschiedener Religionen, die von Gewalt betroffen waren, zusammenzubringen, um über Versöhnung zu sprechen. Während der ersten sechs Jahre zeigte diese Interventions- und Versöhnungsarbeit kaum Folgen. Menschen, die ihre Angehörigen, ihre Freunde oder ihr Haus und den Beruf verloren hatten, waren nicht bereit zu vergeben oder sich zu versöhnen. 1996 wurden eine Schule für kleine Kinder und eine Nähklasse für Frauen eingerichtet, die jeweils zu 50 Prozent von Hindus und Muslimen besucht wurden. Seither konnten einige der Differenzen überwunden und tiefe Wunden durch tägliches Miteinander- und Voneinander-Lernen geheilt werden. Nach etwa zehn Jahren intensiver Versöhnungsarbeit haben sich die Wohnviertel von Gebieten des Hasses und der Feindschaft zu Gebieten der Nachbarschaft und Freundschaft gewandelt. In Sultan Shahi, einem der sensibelsten und von den Unruhen am heftigsten heimgesuchten Stadtteile Hyderabads, haben Muslime und Hindus gemeinsame Komitees gegründet, um eine Schule, ein Ausbildungszentrum und ein Krankenhaus zu organisieren. Versöhnung zwischen den religiösen Gemeinschaften ist möglich. Am Beispiel von Hyderabad ließ sich aufzeigen, wie politische Kräfte die religiösen Unterschiede nutzen, um Gemeinschaften zu spalten. Die Gewalt, die aus solchen Spaltungen hervorbricht, entwickelt sich spiralförmig. Es dauert lange, bis die Verletzungen und der Hass, die durch solche Gewaltausbrüche hervorgerufen sind, geheilt werden können. Das Beispiel des Henry Martyn Institutes in Hyderabad zeigt, dass es möglich ist – und dass es weiterer solcher Initiativen bedarf.
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Vereinnahmen oder ausgrenzen? Der Blick auf den Buddhismus Der hinduistische Blick auf den Buddhismus wird im Folgenden anhand der Einstellung dreier hinduistischer Zeitgenossen zum Buddhismus untersucht. Die erste Erzählung kommt aus dem westlichen Kontext und wurde von einem klassischen neo-vedantischen Lehrer mit globalen Ambitionen formuliert, die zweite aus Indien von einer sozial einflussreichen Hindutva-Organisation, und die letzte stammt von hinduistischen Tamilen, die der gegenwärtigen Regierung von Sri Lanka widerstehen. Um ihre jeweilige Sichtweise des Buddhismus mit den besonderen sozialen, ideologischen und religiösen Gegebenheiten in Zusammenhang zu bringen, werde ich einschlägige Hintergrundinformationen über die Verfasser zur Verfügung stellen, ihre jeweilige soziale Stellung und die ideologischen Perspektiven aufzeigen, von denen aus sie ihre Perspektiven entwickeln. Um eine vergleichende Diskussion zu erleichtern, stelle ich an alle die gleiche Frage: Wie werden der Buddha, der Buddhismus, der Sangha (Mönchsgemeinde) und die Buddhisten von Hindus dargestellt? Kern-Buddhismus als Teil des Hinduismus: Eine neo-vedantische Auffassung Swami Bodhananda Saraswati (geb. 1948) von der Sambodh-Gemeinschaft ist ein typischer neo-vedantischer Lehrer. Er hat die Sambodh Foundation mit Niederlassungen in Indien, den USA und Europa aufgebaut. Die Webseite der Organisation erläutert ihre drei Ziele: Die Gesellschaft will Indiens spirituelles Erbe besser verständlich machen, besonders durch das Unterrichten der Upanishaden, der Bhagavadgita, der Yoga Sutras und der vedantischen Philosophie des HinduPhilosophen Shankaracharya; sodann zielt sie auf die Erweckung der inneren spirituellen Kraft des Einzelnen durch Anleitung im Meditieren und schließlich auf die Umsetzung dieser Energie in aktiven und konstruktiven sozialen Dienst. Um Bodhanandas neo-vedantische Vorstellung vom Buddhismus vorzustellen, gehe ich von einem Video aus, das von ihm aufgenommen wurde und das den Titel Eine hinduistische Sicht des Buddhismus8 trägt. Swami Bodhananda beginnt damit, die Beziehung zwischen Hinduismus und Buddhismus mit der einer entschlossenen Mutter und ihrer vielversprechenden Tochter zu vergleichen. Die Mutter (Hinduismus) verkündet stolz „sie ist meine Tochter“, während die unwillige Tochter (Buddhismus) die Verwandtschaft abschwächt und ihren Erfolg einzig als Resultat ihrer eigenen harten Arbeit darstellt. Swami Bodhananda verwendet hier die Metapher der Verwandtschaft, indem er den Buddhismus in einen Hindu-Kontext stellt. Hinduismus wird beschrieben als eine sich allmählich anhäufende Tradition von Offenbarungen vieler Propheten, die dann in einer Gesetzessammlung zusammenflossen. Die Wurzeln des Buddhismus müssen in diesem Umfeld gesucht werden. Der zukünftige
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Buddha wurde als Hindu erzogen und war beheimatet in der Gedankenwelt der Upanishaden. Nach seiner Entsagung meisterte er Samkhya und Yoga und unterwarf sich einer strengen Form der Askese. Bodhananda behauptet, dass der Buddha die Hindu-Tradition auf verschiedene Arten beeinflusst und so zur Entwicklung des hinduistischen Denkens beigetragen hat. Buddhistische Einsichten wurden in die philosophischen Systeme des Vedanta integriert; der Buddha missbilligte das Kastenwesen als einen Grundbestandteil der Gesellschaft und verurteilte ausgeklügelten Ritualismus sowie das Opfern von Tieren. Auch erwähnt Bodhananda, dass der Buddha die absolute Autorität der Vedas infrage stellte, indem er damit begann, persönliche Erfahrung als ein zulässiges Mittel der Erkenntnis zu akzeptieren. Nebenbei bemerkt ist Bodhananda darauf bedacht, den Buddha als einen Kontrapunkt zu Christus darzustellen. Während Christus eine einzigartige Beziehung zu Gott als sein einziger Sohn für sich in Anspruch nahm, sah sich Buddha als ein gewöhnliches menschliches Wesen. Jeder, der sich der Erleuchtung hingibt, kann das endgültige Ziel erreichen. Wegen dieser Haltung befürwortet Bodhananda den Buddha als Leitbild für spirituell Suchende: „Jeder, der nach Befreiung sucht, sollte in Buddhas Fußstapfen treten.“ Bodhananda nimmt sodann einen Punkt auf, an dem sich „ein Unterschied“ gegenüber der buddhistischen Lehre der Unbeständigkeit von allem auftut. Nach der Lehre des Buddhismus setze sich das menschliche Wesen aus fünf Bestandteilen (skandhas) zusammen, die sich ständig wandeln (anitya). Folglich werde die Existenz einer ewigen unveränderlichen Seele geleugnet und stattdessen die Lehre von an-atman vorgelegt. Im Hinduismus dagegen, kommentiert er, wird der Gedanke einer substanziellen, unveränderlichen göttlichen Essenz (brahman/atman), die allem Existierenden zugrunde liegt, als selbstverständlich betrachtet. Bodhananda verweist angesichts dieser Differenz auf den buddhistischen Pragmatismus. Der Buddha sah Spekulationen über metaphysische Fragen als Hindernis für die Befreiung an, während derjenige, der eine radikale anatman-Doktrin vertrat, Nagarjuna war (ca. 150–250 unserer Zeitrechnung), der Begründer der Madhyamika-Philosophie. Er behauptete, dass letztendlich alles leer (sunya) oder ohne Essenz sei. Bodhananda erklärt nun, dass die spirituelle Erfahrung von Buddhisten und Hindus letztendlich die gleiche ist. Die Erfahrung der Hindus von purer Bewusstheit sei dieselbe wie die Erfahrung der Buddhisten von Leerheit (sunyata). In vieler Hinsicht ähnelt Bodhanandas Erzählung über den Buddhismus den üblichen Schuldarstellungen. Sie ist um eine Auswahl buddhistischer Elemente aus der Lehr- und der Erfahrungsebene herum konstruiert, die er mit der Essenz des Buddhismus gleichsetzt und die unabhängig sind von späteren Interpretationen und kulturellen Erscheinungsformen. Diese stereotype Konstruktion eines Buddhismus, in dem das Streben nach nirvana zentral ist, könnte man einen „Kern-Buddhismus“ nennen.
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Abschließend soll diese Darstellung des Neo-Vedanta in vier Punkten in einen inner-hinduistischen, historischen Kontext gestellt werden. Erstens: Der Buddha wird dargestellt als ein unabhängiger Deuter des dharma, der die Hindu-Tradition um einen zusätzlichen Pfad zur Befreiung vom Leiden bereichert hat; er wird hervorgehoben als der beispielhafte Suchende, der von jedem, der nach spiritueller Entwicklung strebt, nachgeahmt werden sollte. Bodhanandas Wertschätzung steht in hartem Gegensatz zu der traditionellen hinduistischen Verurteilung des Buddhismus als einer falschen Lehre, wie sie durchweg von klassischen Hindu-Exegeten und in Hindu-Texten wie dem Vishnupurana (ca. 400 unserer Zeitrechnung) zum Ausdruck gebracht wurde. Im purana wird Buddha als ein avatar (eine Inkarnation) von Vishnu dargestellt (vgl. S. 165). Als die irreführende Kraft Vishnus (mayamoha) wird er von den Göttern gesandt, um ihre Feinde, die Dämonen (asuras), zu zerstören, indem er die buddhistische Lehre unterrichtet. Durch diese Lehre gaben die Dämonen dharma auf und verloren als Folge davon ihren Einfluss auf den Kosmos. Diese Sicht des Buddhismus als eines Zweigs der breiten Hindu-Tradition geht konform mit der Sicht einflussreicher Neo-Vedantisten wie Swami Vivekananda („Buddhismus ist die Erfüllung des Hinduismus“) und Sarvepalli Radhakrishnan („Buddhismus ist nur eine späte Phase der allgemeinen Gedankenbewegung, deren frühere Ausdrucksformen die Upanishaden waren“). Dieser Standpunkt unterscheidet sich von der Abgrenzung zu Buddha, dem Buddhismus und den buddhistischen Lehren, die in hinduistischen Arbeiten über Buddhismus der nayanmars und der alvars (ca. 600–800 unserer Zeitrechnung) als Vedanta-Kommentatoren bis hin zu Hindu-Leitfäden aus dem 17. und 18. Jahrhundert ein immer wiederkehrendes Thema ist. Da ja eine Mehrheit gebildeter Hindus der Mittelklasse ein neo-hinduistisches Verständnis von Hinduismus vertritt, kann man annehmen, dass Bodhanandas neo-vedantische Sicht eines „Kern-Buddhismus“ als dem Hinduismus nahe stehend, wahrscheinlich repräsentativ für die Anschauung gebildeter Mittelklasse-Hindus in Indien wie auch in der Diaspora ist. Zweitens: Bodhananda verortet den Unterschied zwischen beiden Religionen in der buddhistischen Lehre von an-atman. Er schwächt jedoch diese Ungleichheit ab, indem er die radikale Lehre über an-atman Nagarjuna zuschreibt und sie als mögliche Abweichung von der Essenz des Buddhismus bezeichnet, wie Buddha ihn gelehrt hat. Diese ausweichende Annäherung unterscheidet sich von den ins Detail gehenden Polemiken klassischer Exegeten. Deren zentrales Anliegen ist es, eine scharfe lehrmäßige Grenze zwischen ihren eigenen Gedankensystemen und dem Buddhismus zu ziehen, indem sie die buddhistische Lehre der Vergänglichkeit allen Daseins ausführlich anfechten. Drittens: Im Gegensatz zu klassischen Darstellungen, die nur die Dimension der Lehre betrachten, konzentriert sich Bodhananda zusätzlich auf die Erfahrungsdimension und streift nebenbei auch die Ethik. Was die Soteriologie und
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die Meditation betrifft, so behauptet er, dass die Erfahrung von nirguna brahman und von sunyata dieselbe sei. In der modernen Welt, in der Erfahrungen und Emotionen für gewöhnliche Menschen, die sich für Religion interessieren, eine zentralere Rolle spielen als Lehrmeinungen, ist diese Gewichtung durchaus sinnvoll. Schließlich ist nicht zu vergessen, dass Bodhanandas Erzählung über den Buddhismus von einem nicht-theistischen Advaita-Vedanta-Standpunkt aus verfasst wurde, der die Welt als illusorisch oder vergänglich (maya) sieht und eine Lehre der doppelten Wahrheiten oder Perspektiven befürwortet (vyavahara vs. paramartha satya). Diese Lehren sind auch zentrale Themen im Buddhismus. Die ersten beiden Punkte sind in den sutras vorherrschend, während letzterer in der Madhyamika-Philosophie grundlegend ist (samvritti vs. paramartha satya). Wegen dieser Übereinstimmung meinten innerhinduistische Kritiker, dass Shankara und Advaita Vedanta von buddhistischen Ideen tief beeinflusst seien, und warfen dem Advaita Vedanta entsprechend vor, ein „verkleideter Buddhismus“ zu sein. Die Nähe der beiden Traditionen zueinander in einigen (eingebildeten oder wirklichen) Lehrinhalten könnte zumindest teilweise die heftige Anprangerung des Buddhismus vonseiten des klassischen Advaita Vedanta erklären. Angriff ist die beste Verteidigung. Und wenn man eine Grenzlinie zum Buddhismus zieht, ist die eigene Position gesichert. In Bodhanandas Darstellung jedoch ist keine Spur von Feindseligkeit. Er gibt sich damit zufrieden, sich leicht gegen den Madhyamika abzugrenzen, während er den Buddha unberührt lässt. In einer Situation, in der der Neo-Vedanta erwachsen wird, hat er eine inklusivistische Haltung gegenüber anderen Religionen ausgebildet, und in einem westlichen Kontext, in dem der Buddhismus hoch geachtet wird, ist nichts damit verdient, wenn man „dem anderen“ auf den Kopf schlägt. Der Buddha als Reformer: Wie sich der Hindutva den Buddhismus zu eigen macht In Indien sind Religion und religiöse Belange zu einer hochpolitischen Angelegenheit geworden. In Gujarat, das von der Hindu-nationalistischen BharatiyaJanata-Partei (BJP) regiert wird, verabschiedete die Nationalversammlung 2006 ein umstrittenes Gesetz, das den Buddhismus zu einem Teil des Hinduismus macht. Nach diesem (Nachbesserungs-)Gesetz für Religionsfreiheit bedeutet Konvertieren, „dass eine Person eine Religion aufgibt und eine andere annimmt; aber es schließt diejenigen nicht ein, die eine Glaubensgemeinschaft aufgeben und einer anderen Glaubensgemeinschaft derselben Religion beitreten“.9 Das Gesetz erlaubt also intrareligiöse Konversion, fordert aber eine Erlaubnis der Regierung für den interreligiösen Übertritt. Das bedeutet, dass sich im Falle einer Konversion von Shia nach Sunni oder vom Protestantismus zum Katholizismus die Regierung nicht einmischt. Bezeichnenderweise wird dasselbe Prinzip angewandt bei Konversionen zwischen Hinduismus, Buddhismus und Jainismus, da
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das Gesetz Buddhismus und Jainismus zu einem Teil des Hinduismus macht. Als Folge der Einführung des Gesetzes kommentierte The Organiser, das Sprachrohr des Rashtriya Swayamsevak Sangh, einer Organisation aus dem Kern der Hindutva-Bewegung,10 dass die „Staatsregierung zu Recht den Hinduismus, das Christentum und den Islam zu den Weltreligionen erklärt hat“. In dem Artikel werden Hinduismus, Buddhismus und Jainismus als dharmische Traditionen bezeichnet, da ihre Wurzeln in Indien zu finden seien und sie sich in ihrer Geschichte, Philosophie und Theologie mit anderen einheimischen Traditionen vermischt hätten. Damit ist schon etwas darüber ausgesagt, wie die HindutvaBewegung den Buddhismus sieht. Der übergeordnete Begriff Hindutva-Bewegung bezeichnet Gruppen, die ein hinduistisches Indien auf ihrer Agenda haben. Das letztendliche Ziel der Bewegung ist es, den weltlichen indischen Nationalstaat in ein Hindu-Indien (hindu rashtra) umzugestalten, das beseelt ist von vorgeblichen hinduistischen Prinzipien, Werten und Institutionen und in dem das soziale Leben auf hinduistische Art organisiert ist. Nach Ansicht der Hindutva wird Indien durch Kastenkonflikte, Abschwächung traditioneller Hindu-Werte, regionalen Separatismus, Streitigkeiten über die Sprache, konfessionsgebundene Konflikte, missionarische Bemühungen seitens christlicher und muslimischer Organisationen u. a. auseinandergerissen. Vor diesem Hintergrund wird nun die Einheit der Hindus als Heilmittel gegen den Zerfall beschworen und von daher ist auch die Einstellung zum Buddhismus zu verstehen. Einen relativ moderaten und weit verbreiteten Hindutva-Standpunkt vertritt Vishwa Hindu Parishad (VHP), eine Hinduorganisation, die sich mit „religiösen“ Fragen befasst. Eines ihrer Hauptanliegen ist es, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Glaubensgemeinschaften (einschließlich des Buddhismus), die ihren Ursprung in Indien haben, zu überbrücken. In der VHP wird unterschieden zwischen Religionen, die ihren Ursprung in Bharat (Indien) haben, und den semitischen Religionen. Von den Ersteren wird angenommen, dass sie alle dharma als Grundlage haben – ein Ausdruck, der im hinduistischen Diskurs gleichgesetzt wird mit dem, was man für ewige, universelle Prinzipien und für Werte hält, die das Leben bestimmen. In diesem weiteren hinduistischen Kontext wird also der Buddhismus einbezogen. Der indische Banyanbaum, der oftmals als ein Symbol für den Hinduismus steht, scheint ein angemessenes Abbild des VHP-Konzepts für den Hinduismus zu sein. Dieser Baum zeichnet sich durch Luftwurzeln aus, die zu dicken, hölzernen Stämmen anwachsen, die mit zunehmendem Alter vom Hauptstamm nicht mehr unterschieden werden können. Alte Bäume können sich seitwärts ausbreiten und mit diesen Wurzeln ein großes Feld bedecken. Indem die VHP den Banyanbaum als ihr Symbol wählt, versteht sie den Hinduismus als alte Ansammlung von Wurzeln und Zweigen, die denselben regenerativen Lebenssaft teilen: den dharma. Der Buddhismus gilt dann als einer dieser Zweige. Das „funktioniert“, indem die VHP einen Unterschied macht zwischen dem Kern der dharmischen Traditionen und eher peripheren Traditi-
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onen. Es wird behauptet, dass die Vertreter aller dharmischen Traditionen den Buddhismus, Jainismus und Sikhismus bewahren, zusätzlich zu dem Verdienst, die Verteidiger des dharma oder Reformer der Hindu-Gesellschaft zu sein, und dass sie verschiedene spirituelle Wege gewählt haben, die zur inneren Entwicklung des Individuums beitragen. Von den rishis und sadhus der Kerntradition wird behauptet, dass sie einen Blick auf Gott erhascht haben, dass aber niemand je die ganze Wahrheit gesehen hat. Die dharmischen Kerntraditionen werden dargestellt als gleichermaßen nützliche spirituelle Wege, die zu Gott oder zur Befreiung führen. Die Vielfalt des spirituellen Feldes, so wird gesagt, hält einen Weg für jedes Individuum bereit, den spirituellen Weg zu wählen, der ihrer/seiner Neigung entspricht. Die nicht „kern-dharmischen“ Traditionen (z. B. Buddhismus, Jainismus und Sikhismus) werden jedoch nicht in derselben umfassenden Weise behandelt. Sie erscheinen als wichtige, belebende soziale Kräfte, die Indien Auftrieb geben, wobei ontologischen oder soteriologischen Belangen keine Beachtung geschenkt wird. Daher ist es keine Überraschung, dass die VHP den Buddha als Reformer innerhalb des Hinduismus ansieht, der die Hindu-Gesellschaft immer noch etwas lehren kann. Seine Kritik an Tieropfern und am Kastensystem etwa sind Beispiele von Reforminitiativen, die im Hindu Vishwa, dem Organ der VHP, regelmäßig Anerkennung finden. In einem Leitartikel mit dem Titel: „Buddhismus steht nicht außerhalb vom Hinduismus“ wird der Buddha als ein avatar von Vishnu gesehen, der sich inkarnierte, um den dharma zu schützen: Buddhismus wurde als rebellisches Kind des Hinduismus geboren, aber im Laufe der Zeit hat diese Rebellion immer mehr ihre Ecken und Kanten verloren, bis es für den Hinduismus möglich war, Lord Buddha in die Liste der zehn Inkarnationen von Gott aufzunehmen, der herabsteigt, um den Dharma zu schützen.11
Buddha wird hier – ohne Zynismus – freudig begrüßt als rebellisches Kind, das sich mit der Zeit in einen Reformator verwandelt, der den dharma „beschützt“ und so für die Besserung der Hindu-Gesellschaft arbeitet. So wird also in der Hindutva-Erzählung über den Buddhismus die soziale Dimension auf Kosten anderer Dimensionen besonders betont. Die Vereinnahmung des Buddha und des Buddhismus durch die HindutvaBewegung wird auch im Falle von Bhimrao Ramji Ambedkar und des Neo-Buddhismus deutlich (vgl. S. 168). Natürlich wird Ambedkars oft zitierte Feststellung „Ich bin als Hindu geboren, aber ich werde nicht als Hindu sterben“ nicht erwähnt, auch nicht das vorgeschriebene Gelöbnis für Ambedkariten „Ich schwöre dem Hinduismus ab“; wohl aber werden sein Egalitarismus, seine antiislamische Haltung und sein Patriotismus gepriesen, und er wird aufgenommen in die Reihe der Hindutva-Helden (Shivaji, Vivekananda, Hedgewar, Golwalkar). Den Führern dieser dalit (Kastenlose)-Bewegung erscheint diese Aneignung des Buddha durch den Hindutva wie eine Drohung. In einem Artikel der Dalit Voice
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warnt ein neo-buddhistischer Führer, dass die Hindutva-Ideologie „uns unser Recht auf Ambedkars Vermächtnis vor unseren Augen stehlen könnte“. Und der Herausgeber fügt hinzu, dass es „ihn schmerzt, zu sehen, dass die Brahmanen unsere Buddhisten zum Narren halten und ihn [den Buddhismus] nahezu entführen, wofür sie unser unschuldiges aber gedankenloses Volk benutzen“.12 Im tibetanischen Buddhismus ist Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama, eng verbunden mit der Hindutva-Bewegung. Er war einer der Gründungsväter der VHP und steht seither in ständigem Kontakt mit der Organisation. Beim Kumbh Mela in Allahabad 2001 leitete er auf Einladung der VHP die arati (Licht-Zeremonie) für den Ganges, begleitet u. a. von Ashok Singhal, dem Generalsekretär der VHP. Später sprach der Dalai Lama über die Einheit von Buddhismus und Hinduismus und beschrieb die zwei Religionen als Zwillingsschwestern. Die Erzählung des Hindutva über den Buddhismus ist Teil einer HindutvaReligionstheologie, die sich auf drei Prinzipien aufbaut: a) Hierarchie: Die dharmischen Religionen – unter ihnen der Buddhismus – sind im Gegensatz zu den nicht-dharmischen Religionen auf ewiggültige Prinzipien aufgebaut; b) unterordnender Inklusivismus: Unter den dharmischen Traditionen wird ein Unterschied gemacht zwischen den Kerntraditionen, die sich auf die Lehre konzentrieren und sowohl soteriologische als auch soziale Angelegenheiten einbeziehen, und Randtraditionen – unter ihnen der Buddhismus –, die die Wichtigkeit sozialer Reformen betonen; und schließlich c) bedingungsloser Inklusivismus: Alle Kerntraditionen sind gleichermaßen wertvoll als spiritueller Pfad. Obwohl die Buddhisten nur eine kleine Minderheit von lediglich 0,8 Prozent der indischen Bevölkerung darstellen (Volkszählung 2001), sind sie eine wichtige sozialpolitische Gemeinschaft. Seit seiner Einführung 1956 ist der Neo-Buddhismus oder Ambedkar-Buddhismus (dem die Mehrheit indischer Buddhisten angehört) zu einer Protestbewegung der Menschen aus den niedrigen Kasten geworden, die der Kastenunterdrückung entkommen möchten; in Grenzgebieten wie Ladakh (tibetischer Buddhismus), Sikkim (tibetischer Buddhismus) und Arunachal Pradesh (tibetischer sowie Theravada-Buddhismus) gibt es eine beträchtliche buddhistische Bevölkerung; die tibetischen Flüchtlinge stellen eine dritte sozialpolitisch wichtige buddhistische Gruppe in Indien dar. Die im Hindutva vorherrschende Stereotypisierung des Buddhismus als kleiner, aber sozial wichtiger Zweig des Hinduismus macht ihn zu einem Instrument für die Hindutva-Politik. Nachdem nun diese Religionstheologie, die den Buddhismus in den Hinduismus einschließt, in den Hindutva-Laboratorien indischer Staaten, die von der Bharatiya-Partei regiert werden, getestet wird, werden sich die politischen, kulturellen und sozialen Folgen dieser Aneignung bald einstellen.
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Tamilische Kritik am politisierten Sinhala-Buddhismus Mit der Darstellung einer tamilischen Hindu-Sichtweise des Buddhismus verlassen wir den indischen Kontext, wo der Buddhismus nur eine Minderheitenreligion ist (2001: 0,8 Prozent), und blicken nach Sri Lanka, wo er eine politisch einflussreiche Mehrheitsreligion ist (2001: 77 Prozent). Wie nehmen politisch aktive, tamilische Hindus aus Sri Lanka den Sinhala-Theravada-Buddhismus wahr? Spätestens seit der Unabhängigkeit 1948 ist der Buddhismus ein wichtiger Faktor in der Polarisierung in Indien zwischen der Mehrheitsgesellschaft der Singhalesen und den Tamilen, von denen die meisten Hindus sind. Im späten 19. Jahrhundert wurde der Buddhismus unter dem Einfluss des buddhistischen Reformators Anagarika Dharmapala (1864–1933) ein Schlüsselmerkmal des singhalesischen Nationalismus. In dieser politisierten Version des Buddhismus ist die singhalesische Gemeinschaft vom Buddha selbst dazu erkoren, den Buddhismus aufrechtzuerhalten und zu schützen. Bezug nehmend auf den Mahavamsa (Kapitel 1, Vers 84), die mythische Chronik Sri Lankas aus dem 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, ist Sri Lanka als dhammadipa bestimmt, die Insel (dipa) der budddhistischen Lehre (dhamma), und die Singhalesen als die Wächter des dhamma. Die Auffassung, dass Sri Lanka eine buddhistische Insel und die Singhalesen die Wächter des Buddhismus seien, ist die Grundlage für den Anspruch der Singhalesen auf die ganze Insel. Diese Haltung förderte das Ziel der Singhalesen, den Buddhismus zur Staatsideologie von Sri Lanka zu machen, und löste schließlich den bewaffneten Konflikt zwischen der Regierung und tamilischen Separatisten aus, die für ein unabhängiges tamilisches Gebiet in nördlichen und östlichen Teilen der Insel kämpften. Seit dem Ausbruch des „Bürgerkrieges“ 1983 wurden mehr als 60 000 Menschen getötet, und mehrere Tausend tamilische Zivilisten sind von der Insel geflohen. In seinem Buch Buddhism Betrayed? hat der Anthropologe Stanley Tambiah die These aufgestellt, dass das, was buddhistische Mönche und Laien als „buddhistische Kernpunkte“ festgelegt hatten, wesentlich zum kollektiven Gewaltausbruch seit Mitte der achtziger Jahre beigetragen hat.13 Vor diesem Hintergrund ist die Einstellung der Tamilen aus Sri Lanka zum Buddhismus zu sehen. Die größte tamilische Separatistenorganisation, die „Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE)“ hat weder eine offizielle feindliche Stellungnahme gegen Buddha oder den Buddhismus veröffentlicht, noch hat sie die traditionelle antibuddhistische Kritik der tamilischen nayanmars und alvars (beide 600–800 unserer Zeitrechnung) wieder aufleben lassen. Obwohl der Buddhismus nicht angeprangert wird, wurden jedoch buddhistische Mönche als Wegbereiter eines staatlich gesponserten Kolonialisierungsprogramms gebrandmarkt und buddhistische Hinterlassenschaften unter dem Vorwand, ein Staatssymbol von Sri Lanka zu sein, angegriffen.
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Um hinter das offizielle tamilische Schweigen über den Buddhismus zu gelangen, konsultiere ich die politisch orientierte Webseite www.tamilnation.org, die der „Förderung des Zusammenwachsens von mehr als 70 Millionen tamilischen Menschen“ gewidmet ist. Der Herausgeber ist Nadesan Satyendra von der tamilischen Befreiungsorganisation „The Tamil Eelam Liberation Organization“ (TELO), einer politischen Partei, die für die Errichtung eines unabhängigen tamilischen Gebietes im Nordosten Sri Lankas kämpft. Die TELO wurde ursprünglich als militante Gruppe gegründet und agierte auch bis 1986 als solche, bis die meisten ihrer Mitglieder in einem Konflikt mit der LTTE getötet wurden. Unter dem Link „Fundamentalismus“14 gibt es eine Sammlung von Artikeln, die den politisierten Buddhismus der Singhalesen kommentieren. Der Ton der Webseite lässt sich in drei Bildern wiedergeben: Eine Darstellung Buddhas, die in den tamilischen Medien seit den antitamilischen Unruhen 1983 verbreitet ist, ist der weinende Buddha, dem Tränen aus Blut aus den Augen fließen, während er auf seine Gefolgsleute hinabblickt, die andere menschliche Wesen massakrieren. Weiterhin enthält die Seite das Porträt eines der führenden politischen Mönche, Maduluwave Sobitha Thero, dem Präsidenten der singhalesischen Kampfgruppe „Sinhala Bala Mandalaya“. Das dritte Bild zeigt buddhistische Mönche, die Soldaten Sri Lankas an der Kriegsfront auf der Jaffna-Halbinsel segnen. Der Inhalt der Artikel auf der Webseite soll Folgendes zum Ausdruck bringen: Der Buddha weint über militante Mönche, die eine singhalesische, buddhistische Vorherrschaft predigen, und über buddhistische Mönche, die die Soldaten von Sri Lanka segnen, bevor diese gegen tamilische Separatisten kämpfen. So wendet sich die Kritik gegen Mitglieder des sangha, die bei dem Plan der Singhalesen mitwirken, den Buddhismus zur Staatsideologie von Sri Lanka zu erheben. Um die Einstellung gegenüber dem Buddhismus auf dieser tamilischen Webseite zu ermitteln, habe ich vier repräsentative Artikel ausgewählt, vor allem den Eröffnungsartikel „Singhalesischer buddhistischer Ethno-Nationalismus – verkleidet als ‚Bürgerlicher Nationalismus‘ von Sri Lanka“ – und drei andere kürzlich veröffentlichte Artikel von Exiltamilen. „Buddha und die singhalesischen Buddhisten“ von Sanugam Sabesan (Australien, 2005), „Buddha-Statuen – Symbole der singhalesichen Vorherrschaft“ von Veluppillai Tangavelu (Kanada, 2005) und „Betrachtungen über den Buddha und den Mythos des Ursprungs des singhalesischen Buddhismus“ von Dr. Alvappillai Veluppillai (USA, 2006). In dem Eröffnungsartikel werden die Grundlagen des politisierten singhalesischen Buddhismus wiedergegeben, wobei die dhammadipa-Ideologie betont wird, d. h die Verbundenheit von Sri Lanka, den Singhalesen und dem Buddhismus. In der Einführung wird diese Ideologie als „buddhistischer singhalesicher Ethno-Nationalismus“ bezeichnet. Die anderen Artikel kommentieren kritisch die Ideologie, die in den zitierten Texten des Einführungsaufsatzes propagiert wird. So betont Sanugam Sabesan, dass der Buddha für gleiche Rechte gekämpft und das Kastenwesen verurteilt
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hat; dass er Güte und Teilen als soziale Werte hervorgehoben hat; dass er darauf drängte, Religion und Politik zu trennen; dass er darauf bestand, regionale Sprachen zu schützen und dass er die Draviden (lies: Tamilen) gegen die Arier (lies: die Singhalesen) unterstützte. Velluppillai Tangavelu argumentiert, dass der heutige singhalesische Buddhismus eine Abweichung von der Lehre Buddhas darstellte. Militante Mönche, die Soldaten segnen, widersprächen dem buddhistischen Bestehen auf Gewaltlosigkeit; Mönche, die ein luxuriöses Leben führen, brechen mit den ethischen Geboten des Buddhismus; und der Alltagsbuddhismus in Sri Lanka, der angefüllt ist mit Ritualen, Mythen und Aberglauben, stehe im Gegensatz zum vernünftigen Kern des Buddhismus; auch dass die BuddhaStatue zum Symbol der singhalesischen Vorherrschaft gemacht wurde, zeige eine weitere Abkehr vom frühen Buddhismus. Alvapillai Veluppillai schließlich zeigt das singhalesische Verständnis des Buddhismus auf, indem er sich dem Mahavamsa zuwendet und seine Annahmen der buddhistischen Lehre, wie sie sich im Pali-Kanon findet, gegenüberstellt. Seine Schlussfolgerungen: Erstens hat der Mahavamsa die universale Botschaft des Buddhismus in eine beschränkte Botschaft verwandelt. Wenn man den Buddha als den speziellen Patron des singhalesichen Buddhismus darstellt, wird der Buddhismus auf eine ethnische Religion reduziert. Zweitens wird im Mahavamsa der Buddha nicht als Bezwinger der Sinne erwähnt, sondern als gewalttätiger Eroberer. Drittens behauptet Veluppillai, dass die Singhalesen die vier edlen Wahrheiten missverstanden haben. Er veranschaulicht seinen Standpunkt, indem er Bezug nimmt auf die gegenwärtige Situation in Sri Lanka. Die erste Wahrheit, dass jeder leidet, haben die Singhalesen umgeformt in „die Tamilen lehren, dass ein Leben in Sri Lanka Leiden ohne Ende bedeutet“. Die zweite Wahrheit über den Grund des Leidens benennt Verlangen, Hass und Ignoranz als treibende, karmische Kräfte. Veluppillai versichert, dass dieses dreifache Gift sich in den Reden gewalttätiger Mönche vermischt. Jeder der Autoren zieht folglich eine scharfe Trennungslinie zwischen den Lehren des Buddha und der politisierten singhalesischen Version des Theravada-Buddhismus. Die singhalesische Art des Buddhismus wird als das Gegenteil der buddhistischen Essenz abgestempelt, wie sie in den Sutren gelehrt wird. Indem sie einen verdrehten Buddhismus propagieren, der fundamental vom liberalen und fortschrittlichen Kern der Religion abweicht, wie sie der Buddha gelehrt hat, haben die singhalesischen Buddhisten – und besonders die Mitglieder des Sangha – den Buddhismus in ein politisches Instrument zum Nutzen einer ethnischen Gruppe pervertiert und dadurch gleichzeitig Leiden für andere ethnische Gruppen verursacht. Diese tamilisch-hinduistische Sicht auf den Buddhismus entstand in einer Bürgerkriegssituation, in der die singhalesisch-buddhistische dhammadipa-Mythologie eine zentrale Position in der Rhetorik führender singhalesischer Politiker und buddhistischer Mönche eingenommen hat.
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Ich habe drei zeitgenössische Sichtweisen von Hindus auf den Buddhismus vorgestellt, die ich den „Kernbuddhismus“ (die Tochter), „den Buddha als den Reformator der hinduistischen Gesellschaft“ (das rebellische Kind) und den singhalesischen fehlinterpretierten Buddhismus (das schwarze Schaf) nennen möchte. Die erste Sichtweise hat inzwischen eine globale Reichweite: Sie wurde ursprünglich für ein breiteres Publikum in den USA entwickelt und ist über die Internetseite der Neo-Vedantic Sambodh Society abrufbar. Die zweite Perspektive ist umhüllt vom Gesetz eines indischen Staates, der von der Bharatiya-Janata-Partei, dem politischen Arm der Hindutva Bewegung, regiert wird. Die tamilische Version hat ebenso globale Reichweite, da sie im Web dargestellt wird. Diese drei Hindu-Perspektiven werden von drei unterschiedlichen ideologischen Standpunkten aus entworfen (vom Neo-Vedanta, vom Hindutva und vom tamilischen Widerstand gegen den politisierten Buddhismus der Singhalesen), und sie spiegeln drei unterschiedliche Ziele wider (ein größeres Verständnis zwischen Hindus und Buddhisten; den hinduistischen sangathan in die indische Gesellschaft zu bringen, die Verstrickung des politisierten Sinhala-Buddhismus in den ethnischen Krieg gegen die Tamilen in Sri Lanka offenzulegen und anzufechten). Die Erzählungen betonen verschiedene Dimensionen des Buddhismus. Das Ergebnis sind drei stereotype Darstellungen, die den Buddha als Leitbild für die gegenwärtige Welt ins Auge fassen: Im neo-vedantischen Diskurs ist er ein Leitbild für ernsthaft spirituell Suchende jeder religiösen Tradition; im Hindutva-Kontext gilt er als Inbegriff für eine Reform der hinduistischen Gesellschaft; und in der tamilischen Erzählung begegnet er als ein Beispiel für die singhalesischen Buddhisten, die den heutigen politisierten Buddhismus der Singhalesen ablehnen.
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Der Buddhismus hat sich durchgängig um eine Abgrenzung von weltanschaulichen Alternativen bemüht. Das gilt zunächst für die Gründungsphase vor dem Hintergrund des von sozio-ökonomischen Umbrüchen und mannigfaltigen religiösen Aufbrüchen gekennzeichneten Indien um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends. In den noch ganz und gar vom Buddha persönlich verantworteten Anfängen ging es dem Stifter vor allem darum, das neue System gegenüber althergebrachten Lehren als etwas Eigenständiges abzustecken. Das geschah nicht nur in Form von Kritik an damals konventionellen Anschauungen, sondern auch durch Neudefinitionen von Konzepten, die aus dem Brahmanismus bzw. „älteren Hinduismus“ unter veränderten Vorzeichen übernommen wurden. Diverse der vor diesem Hintergrund festgeschriebenen Glaubensgrundlagen bilden seither die unverzichtbaren Ecksteine aller buddhistischen Schulen, die sich in der Folgezeit, schon bald auch außerhalb Indiens, herausgebildet und dabei teilweise auch neue Akzente gesetzt haben. Zu den Konstituenten des Buddhismus gehört eine grundsätzlich pessimistische Einstellung gegenüber dem als zyklisch begriffenen, dem Gesetz des Karma unterworfenen Geburtenkreislauf (samsara). Diese auch vom Hinduismus geteilte Auffassung ist nun aber durch die Negation jedweder Substanzhaftigkeit, auch der im Sinne von Zeit und Raum enthobenen „Hochgötter“ oder einer überdauernden individuellen Seele, radikalisiert und prägnant in den sogenannten vier edlen Wahrheiten formuliert. Diese besagen, dass a) das Leben grundsätzlich leidhaft ist, b) dieses Leid in der Ignoranz und falschen Einstellungen des Individuums wurzelt, c) diese Ursachen aus eigener Kraft überwunden werden können, sofern konsequent d) der vom Buddha gewiesene, aus Geisteshaltungen, ethischen Prinzipien und Praktiken der Selbstbeobachtung bestehende edle achtfache Pfad in Richtung auf das „Heilsziel“, das Nirvana, begangen wird. Nachfolgenden Generationen kam die Aufgabe zu, das vom Buddha mithilfe seiner Kerngemeinde etablierte identitätstiftende Repertoire im Wandel der Zeiten und angesichts der Ausdehnung des geografischen Geltungsgebietes des Buddhismus so authentisch wie möglich zu bewahren. Unter dem Einfluss vielfältiger Faktoren, darunter kulturelle, politische und wirtschaftliche Aspekte sowie übersetzungsbedingte und interpretative Nuancierungen des ab dem
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1. vorchristlichen Jahrhundert nun auch schriftlich fixierten, kontinuierlich an Umfang zunehmenden Kanons, entstand eine Vielzahl buddhistischer Traditionen, die sich nur noch schwer auf einen einzigen Nenner bringen lassen. Zwar wird das Verständnis für den inner-buddhistischen Pluralismus durch die Unterscheidung dreier sogenannter buddhistischer „Fahrzeuge“ erleichtert, aber schon auf den zweiten Blick wird deutlich, dass sich hinter der groben Unterscheidung zwischen dem vor allem in Südostasien dominanten Theravada-Buddhismus, dem ostasiatischen Mahayana-Buddhismus und dem in Tibet formierten Vajrayana-Buddhismus eine Vielzahl von Schulen mit jeweils spezifischen organisatorischen und doktrinären „Färbungen“ bzw. Schwerpunktsetzungen im Bereich der religiösen Praxis verbirgt. In diesem Sinne sind auch die historisch nachträglichen Errungenschaften auf den Gebieten der Philosophie, der Buddhologie, der Soteriologie (Heilslehre) und der Ethik, die dem Mayahana-Buddhismus zugeschrieben werden, nicht „gleichmäßig“ über alle seine Schulen verteilt. Zu den hier erwähnenswerten Weiterentwicklungen innerhalb des großen Fahrzeugs (Mahayana) vor allem im Vergleich zum historisch authentischeren Theravada-Buddhismus (etwas herabsetzend auch als Hinayana, d. h. kleines Fahrzeug, bekannt), findet sich eine Seinslehre, die den Buddhismus nun ausdrücklich als eine „monistische“ Weltanschauung qualifiziert. Zentral ist dabei die Idee der Substanzlosigkeit jedweder Existenz bzw. deren Leerhaftigkeit (sunyata). Weil alles Sein wesentlich „leer“ ist, gibt es folgerichtig auch keine Diskriminierung mehr zwischen dem nirvana und dem samsara. Vielmehr beruht eine Unterscheidung zwischen dem „Absoluten“ und dem „Relativen“ auf Illusion. Zwei weitere Konzepte sind logisch mit der sunyata-Doktrin verknüpft, nämlich erstens die von der chinesischen Huayen-Schule „auf die Spitze getriebene“ Lehre des bedingten Entstehens, die die Verbundenheit aller im Universum wirkenden Daseinsfaktoren betont, und zweitens die buddhologische „Drei-Körper“-Lehre. Letztere betrachtet den historischen Buddha als eine im Raum-ZeitKontinuum anzutreffende Konkretisierung (nirmanakaya) einer unpersönlichen „letzten“ Wirklichkeit, die auch als „Soheit“ (dharmakaya) bezeichnet wird. An dieser „Soheit“ haben schließlich noch transzendente, mit einem „Wonneleib“ (sambhogakaya) ausgestattete „feinstoffliche“ Buddhas teil, deren Wahrnehmung nur spirituell weit Fortgeschrittenen zugänglich ist. Auf ethischem und soteriologischem Gebiet des Mahayana ist insbesondere die Betonung der Heilsfigur des Bodhisattva bemerkenswert. Diese spirituell hoch entwickelten Wesen zeichnen sich durch allumfassendes, unterschiedsloses Mitleid aus und haben ihren Eingang in das Nirvana bewusst zurückgestellt, um ihr Karma in den Dienst der im Leiden verstricken Wesen zu stellen.
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Ethische Diskrepanzen oder spirituelle Gemeinsamkeiten? Der Blick auf das Christentum Bei seiner Ausbreitung nach Osten kam das Christentum bereits in den ersten beiden Jahrhunderten unserer Zeitrechnung mit dem Buddhismus in Berührung, der, von Indien ausgehend, entlang der Seidenstraße nach Norden expandierte. Dabei handelte es sich in der Regel zunächst nur um sporadische und punktuelle Kontakte, auch weil sich die Begegnungen auf wenige Repräsentanten begrenzten. Begegnungen in der Geschichte In China beispielsweise trafen ab dem 6. Jahrhundert lokale Buddhisten auf eine nestorianische christliche Minderheit, die aus Syrien in das Reich der Mitte emigriert war. Im späten 13. Jahrhundert waren es dann zunächst Franziskaner, ab 1582 Jesuiten, die mit ihren jeweiligen Missionsmethoden im Namen des Christentums auftraten. Vergleichbares gilt für Japan, wo am 15. August 1549 eine von Francisco de Xavier angeführte Jesuitengruppe gelandet war, um eine erste Missionswelle einzuleiten, die bis ins erste Viertel des 17. Jahrhunderts bemerkenswerte Ergebnisse zeitigen sollte. Kontakte zum schwer zugänglichen Tibet blieben lange auf spärlichem Niveau. Sofern im 17. bzw. 18. Jahrhundert überhaupt Missionare die unwegsamen äußerlichen Bedingungen meisterten, hinterließen sie nur oberflächliche Spuren ohne nachhaltige Wirkung. Später kam es in den angrenzenden, dem tibetischen Kulturkreis zuzurechnenden Himalajaregionen, die unter britischer Kolonialregierung standen (insbesondere in Ladakh, Darjeeling und Sikkim), zur Gründung kleinerer christlicher Gemeinden. Anders lagen die Verhältnisse in Sri Lanka, wo die Holländer bereits im 17. Jahrhundert Schulen errichtet hatten, in denen neben den gängigen westlichen Kulturtechniken auch christliche Unterweisung stattfand. Begünstigt durch ihre koloniale Machtposition machten sich die Engländer die Strategie zu eigen, über pädagogische und sozial-karitative Institutionen den christlichen und damit europäischen Einfluss zu mehren. Für die ersten Reaktionen sowohl in Ostasien als auch in Sri Lanka ist bezeichnend, dass sich die säkulare und die religiöse Ebene häufig überlagerten, obwohl die Abwehr in der Regel von einem politischem Unbehagen gegenüber zunehmenden Interventionen westlicher Mächte motiviert war. Umgekehrt führten entsprechende Ängste nicht nur zu konkreten staatlichen Maßnahmen einschließlich Ausweisungen, Einreiseverboten und massiven Verfolgungen, sondern je nach Umständen und Lage der eigenen Interessen auch zu einer aktiven Beteiligung von Buddhisten. So wurde etwa die schärfere anti-christliche Tonart, die chinesische Buddhisten im Verlauf des ersten Drittels des 17. Jahrhunderts anstimmten, zunächst wesentlich von der 1617 vom Kaiser verordneten Chris-
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tenverfolgung gedeckt, bevor dann 1635 die harsche Christentumskritik des Laienbuddhisten Huang Shen aus Fukien der Debatte eine neue Dynamik verlieh. Ein symbolisches Datum für eine weitere Verschärfung in den Beziehungen zwischen Buddhisten und Christen in Japan ist der 15.02.1597, der Tag der ersten öffentlichen Hinrichtung von 26 Christen in Nagasaki. Während die Luft für die Christen im Land immer dünner wurde, sahen sich die zunehmend protegierten Buddhisten im Aufwind und hatten keinen Grund, die ihnen in der Tokugawa-Zeit gewährten Privilegien durch Annährungen an die Christen zu gefährden. Diverse gegen Christen gerichtete Verfolgungsmaßnahmen wurden von buddhistischen Würdenträgern unterstützt, etwa im Zusammenhang mit der Praxis, mutmaßlichen Christen heilige Bildnisse von Christus und der Mutter Gottes mit der Aufforderung vorzuhalten, diese zu schänden. Anders als in Ostasien, wo die einheimischen Buddhisten bei Bedarf mit der Obrigkeit zusammenarbeiteten, um die eigene Vormachtstellung gegenüber dem Christentum zu wahren, hatte die für Sri Lanka charakteristische enge Verbindung von Kolonialmacht und Mission zu gravierenden Veränderungen der traditionellen religiösen Landschaft des südostasiatischen Inselstaates geführt und den Buddhismus entscheidend geschwächt. Gegen diesen Trend regte sich schließlich buddhistischer Widerstand, der sowohl von „Traditionalisten“ als auch von buddhistischen „Modernisten“ artikuliert wurde. Als herausragender Repräsentant der traditionalistischen Fraktion gilt der Mönch Migettuwatte Gunananda (1824–1891). Eines seiner Verdienste war es, dass er aus der sogenannten Panadura-Debatte, die er mit zwei christlichen Kontrahenten im August 1873 vor einem Massenpublikum abhielt, als Sieger hervorging. Die drei Teilnehmer diskutierten mehrere Tage über anthropologische, ethische, textkritisch-hermeneutische und soteriologische Fragestellungen. Aufgrund der durch die Berichterstattung in den Tageszeitungen zusätzlich gesteigerten „massenpsychologischen“ Wirkung gilt diese Veranstaltung als das erste symbolische Datum im Sinne eines Stimmungsumschwungs. Der Dialog nach 1945 Unabhängig vom Machtgefälle in einzelnen Ländern, über das sich wesentlich auch die Beziehung zwischen Buddhismus und Christentum definierte, zeigt sich im internationalen Überblick ein langwieriger Prozess mit Tendenz zur Aufweichung verhärteter Fronten. Von einem systematischen, sich sukzessive vertiefenden und verbreiternden Dialog kann man trotzdem erst für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sprechen. Seither haben sich grob drei „Blickrichtungen“ des Buddhismus auf das Christentum herausgebildet, nämlich erstens ein eher erfahrungsorientierter Dialog, zweitens ein vorwiegend intellektuell-philosophischer Zugang und drittens ein primär sozialpolitisch-pragmatischer Ansatz. Für den erfahrungsorientierten Dialog ist charakteristisch, dass er vor allem über
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die Praxis des Zen Brücken zu einem mystisch konnotierten Christentum schlägt. Der intellektuell-philosophische Zugang sucht auf spekulativem Wege „den Geist hinter den Buchstaben“ zu erfassen und zu subtileren bzw. konsensfähigeren Bedeutungsschichten religiöser Botschaften vorzudringen. Der sozialpolitisch-pragmatische Ansatz weist eine Affinität zum sogenannten sozial-engagierten Buddhismus auf und hat sich Ziele wie globalen Frieden oder soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben. An allen diesen Ansätzen haben nicht nur Buddhisten, sondern auch Christen mit jeweils spezifischen religiösen Hintergründen und Interessen, institutionellen Einbettungen und Verbindungen lebhaftes Interesse gezeigt, wozu auch allgemeinere Entwicklungen, nicht zuletzt die vom Zweiten Vatikanischen Konzil in der katholischen Kirche inspirierte größere Offenheit gegenüber anderen Religionen und die wachsende Popularität des Buddhismus im Westen beigetragen haben. Für den erfahrungsorientierten Dialog steht auf buddhistischer Seite u. a. Yamada Koun Roshi (1907−1989). Der japanische Zen-Meister bildete viele westliche Multiplikatoren des Zazen aus und hat entscheidend zur Erweiterung der Basis der Begegnung von Buddhisten mit Christen beigetragen. Auf christlicher Seite hat sich insbesondere der nordamerikanische Zisterzienser-Mönch Thomas Merton (1915–1968) in den 1950er Jahren asiatischen Religionen, insbesondere dem Buddhismus, geöffnet; er wurde zu einem prominenten Fürsprecher des interreligiösen Austauschs christlicher und buddhistischer Mönche. Ein frühes Beispiel für das erfahrungsorientierte Paradigma ist auch eine Veranstaltung, die im März 1967 in der Nähe von Tokio stattfand und für etwa eine Woche Zen-Buddhisten und Christen zusammenführte. Dabei ging es vor allem um spirituelle Gemeinsamkeiten. Diskussionen über Fragen der Lehre spielten eine untergeordnete Rolle. Eine Reihe bilateraler Zusammenkünfte von Zen-Mönchen und Mitgliedern verschiedener christlicher Ordensgemeinschaften wurde im September 1979 mit dem Besuch einer etwa 30-köpfigen Delegation aus Japan eröffnet.. Die Mitglieder der Delegation verbrachten drei Wochen in europäischen Klöstern. Im Oktober 1983 kam es zum Gegenbesuch, bei dem die Austauschpartner, in der Mehrheit Benediktiner, Gelegenheit hatten, am zen-buddhistischen Klosterleben teilzunehmen. Das Programm wurde auch in den Folgejahren weitergeführt. Der intellektuell-philosophische Ansatz wird beispielsweise von der japanischen Kyoto-Schule repräsentiert, deren Mitglieder Beziehungen zu westlichen Kreisen mit ähnlicher Ausrichtung geknüpft haben. Der lose Verbund japanischer, in der Regel zen-naher Intellektueller mit fundierten Kenntnissen der europäischen Philosophie wurde von Nishida Kitaro (1870–1945) gegründet. Für die jüngere buddhistisch-christliche Begegnung ist inhaltlich vor allem Masao Abe (1915–2006) maßgeblich. Die von Abe entfaltete Wirkung ist nicht zuletzt das Resultat der Zusammenarbeit mit dem nordamerikanischen Theologen John B. Cobb (geb. 1925), die in den 1980er Jahren zur Konsolidierung der
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Society for Buddhist-Christian Studies führte. Für die lebensweltliche Ausrichtung dieser Gesellschaft ist es bezeichnend, dass die von ihr organisierten Foren nicht nur als Gelegenheiten zur Information konzipiert waren. Vielmehr sollte über das gegenseitige Zuhören und Verstehen ein Prozess der „Selbst-Umwandlung“ der Teilnehmer in Gang gesetzt werden. Der sozialpolitisch-pragmatische Ansatz schließlich ist u. a. der japanischen neo-buddhistischen Bewegung Rissho Kosei-kai ein wichtiges Anliegen. Ihre Ambitionen haben vielfältige Entsprechungen auf christlicher Seite, die sich auch in diesem Fall im Rahmen des Austauschs unter Mönchen artikuliert haben. Als Beispiel kann eine Initiative des Gurukul Theological College in Madras angeführt werden, die ab Herbst 1981 mehrere Begegnungen zwischen christlichen und buddhistischen Vertretern organisierte. Das Programm, dem es nicht nur um theologische Fragen, sondern auch um gemeinsame soziale, politische und kulturelle Anliegen angesichts der globalen Herausforderungen der einen Menschheit geht, wurde gemeinsam von der tibetischen Exilregierung und den Lutheran Churches of India finanziert. Die christliche Gottesidee Ein inhaltlich schwieriges Problem zwischen Buddhismus und Christentum besteht in den Divergenzen zwischen der buddhistischen Vorstellung eines nicht personal vorgestellten Absoluten und der personalen Gottesidee des Christentums.Vereinfacht gesagt, stellt sich im Anschluss an die Doktrin des abhängigen Entstehens bzw. die Lehre von der ursächlichen Verwobenheit aller im Universum anzutreffenden Phänomene für einen Buddhisten die Frage, warum ein Modell, das die Existenz des Kosmos und der in ihm waltenden Kräfte erklären will, auf eine theistische Konzeption zurückgreifen muss. Das Problem einer „letzten Ursache“, von der alle weiteren Prozesse der Existenz abhängen würden, stellt sich aus buddhistischer Perspektive nicht. Dass das Thema damit nicht vom Tisch ist, zeigt sich etwa in den Arbeiten der Kyoto-Schule. Voraussetzungen und Kernpunkte der Debatte lassen sich wie folgt zusammenfassen: Nach christlicher Lesart ist Gott der Herr und Schöpfer des aus dem Nichts heraus geschaffenen Universums. Wir haben es dabei mit einem dualistischen Weltbild zu tun, d. h. mit einer Seinslehre, in der sich der transzendente Gott als der „ganz andere“ und die Schöpfung als zwei separate Existenzsphären gegenüberstehen. An dieser „seinsbedingten“ Trennung ändert auch die Tatsache nichts, dass die Bibel Gott die Macht zuschreibt, in die Welt einzugreifen. Diese „Interventionen“, die in der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus kulminieren, sind heilsgeschichtlicher und nicht ontologischer (das Sein des Seienden betreffender) Natur, stellen also den kosmologischen Dualismus nicht in Frage. Solche Vorstellungen sind dem Frühbuddhismus suspekt, denn dem Pali-Kanon zufolge ging es dem Buddha um die psychologisch-anthropologische Verfasstheit
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des Individuums und daraus direkt abzuleitende Konsequenzen. Sofern tiefere metaphysische Probleme an ihn herangetragen wurden, schwieg er zu ihnen oder wies sie als irrelevant zurück. Wie die nachträgliche Entwicklung auf dem Boden des Mahayana belegt, konnte sich allerdings auch der Buddhismus nicht dauerhaft ontologischen Fragestellungen verschließen. Davon legen die sunyata-Doktrin und die buddhologische „Drei-Körper“-Lehre Zeugnis ab. Vertreter der Kyoto-Schule, in pointierter Form Masao Abe, haben sich über Jahre hinweg einem Vergleich zwischen den beiden letztgenannten Anschauungen und „parallelen“ christlichen Lehren gewidmet. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei der „Drei-Körper“-Lehre um die buddhologische Theorie, nach der sich letztlich die unpersönliche „Soheit“ (dharmakaya) im Sinne eines abstrakten metaphysischen Prinzips auf zwei konkreteren Ebenen manifestiert. Diese beiden Ebenen entsprechen a) den transzendentalen Buddhas mit ihrem Wonneleib (samboghakaya) und b) den „fleischgewordenen“ historischen Buddhas, deren „grobe“ Körperform als nirmanakaya bezeichnet wird. In dem so gegebenen dreistufigen System wird nun die nirmanakaya-Ebene mit Christus assoziiert, während der monotheistische Gott dem samboghakaya -Niveau analog gesetzt wird. Die bestehende Lücke des dharmakaya schließt sich nur, wenn man eine noch grundsätzlichere, über dem christlichen Gott stehende Größe annimmt. Dieses ist nur aus der ontologischen Sicht des Mahayana plausibel und mit dem unpersönlichen Prinzip der Leerheit (sunyata) gegeben. Das Christentum erscheint demgegenüber als Religion, die nicht bis in die letzten Konsequenzen hinein durchdacht ist. Masao Abe hat sich in einer vom sunyata-Prinzip ausgehenden kompensatorischen Reflexion darum bemüht, das Bild des theologisch defizitären Christentums aufzuweichen. Zu diesem Zweck interpretiert Abe beide Konzepte – auf der einen Seite das mahayanistische, unpersönlichmonistisch begriffene Konzept der Leerheit (sunyata), auf der anderen Seite das des transzendent und personal gedachten christlichen Gottes – und zwar so, dass sich in ihnen die jeweiligen Basiskonstrukte der anderen Religion spiegeln. Der erste Schritt der von Abe versuchten Annäherung zwischen den beiden Religionen besteht darin, dass der Leerheit (sunyata) eine inhärente Dynamik zugeschrieben wird. Sunyata ist nun ein Urgrund, der sich selbst fortlaufend in das Relative hinein entleert und nur in diesem Prozess zur absoluten Leerheit werden kann. Im übertragenen Sinne kann man sagen, dass die gesamte Existenz zwischen zwei „Aggregatzuständen“ der Leerheit oszilliert, die die Leerheit selber hervorbringt. Eine Parallele zu seiner philosophischen Konstruktion sieht Abe im Christentum im Konzept der kenosis (griechisch: Selbstentäußerung) gegeben. Das Substantiv teilt seine Wurzel mit dem von Paulus im Brief an die Philipper gebrauchten Verb ekenosen, „er entäußerte sich“. Die für Abe entscheidende Stelle lautet: „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an“ (Phil 2, 6– 7). Gestützt auf dieses Zitat nimmt Abe eine Umdeutung des christlichen Gottes
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in ontologischen Begriffen des Mahayana-Buddhismus vor. Für ihn ist Gott nur deshalb der wahre Gott, weil er in einem Prozess der Selbstentleerung seine in sich abgeschlossene Existenz aufgegeben und sich in Liebe mit allem identifiziert hat, einschließlich der menschlichen Sünden. Es liegt auf der Hand, dass Abes integrativer Entwurf Kritik auf christlicher Seite hervorgerufen hat. Der erste Einwand betrifft die Aussagekraft des für Abe so wichtigen Textauszugs, dem man eine ganze Reihe anderer auf die Natur Gottes bezogener Bibelzitate entgegenhalten kann. Repräsentativ ist das KenosisKonzept auch deshalb nicht, weil es in der Diskussion unter christlichen Theologen nur eine marginale Rolle spielt. Ferner wird angemerkt, dass sich die von Masao Abe zitierte Bibelstelle gar nicht auf Gott den Schöpfer, sondern auf Jesus den Heiland bezieht. Das Theodizeeproblem Direkt verbunden mit der von buddhistischer Seite aus geführten Diskussion über die Vorstellung eines Schöpfergottes ist das sogenannte Theodizeeproblem, also die Notwendigkeit der rationalen Rechtfertigung eines gütigen Gottes angesichts des Leidens in der Welt. Entsprechende Fragen trieben bereits bedeutende buddhistische Gelehrte wie Vasubandhu (4. Jahrhundert), Dharmakirti, Shantarakshita (beide 7. Jahrhundert) und Kamalasila (8. Jahrhundert) um, denen das Bild eines absoluten, in sich selbst genügsamen Gottes im Widerspruch zu der Idee zu stehen schien, dieses perfekte Wesen habe irgendwann den Wunsch verspürt, sich als Schöpfer zu betätigen. Noch weniger erschien ihnen einsichtig, warum ein allmächtiger und allwissender Gott eine offensichtlich unvollkommene Welt hervorgebracht und vorsätzlich Plagen, Naturkatastrophen und Krankheiten auf die ihm ungehorsamen Völker herabgesandt haben soll. Deshalb – so der buddhistische Einwand – straften sich Christen auch selbst Lügen, wenn sie behaupteten, dass die Schöpfung auf wunderbare Weise geordnet sei. Sollte es diese Ordnung wirklich geben, dann funktioniere sie auf brutale Weise. Wenn Gott den Regen geschaffen hat, um dem Menschen etwas zu trinken zu geben, dann darf man nicht vergessen, dass der Regen genauso gut zu Überschwemmungen führen kann. Das Argument einiger Christen, nicht Gott, sondern der Teufel sei der Urheber des Bösen, kann auch nicht befriedigen, denn es bleibt offen, warum Gott neben sich das Wirken einer Instanz erlaubt, die das Übel will und auch realisiert. Ein ähnliches buddhistisches Argument verweist auf den Widerspruch zwischen der Doktrin eines allmächtigen Gottes und der Lehre vom Jüngsten Tag. Wenn es einen Sinn ergeben soll, dass der Mensch einst für seine Taten geradestehen muss, dann besteht neben Gott ein eigenständiges Freiheitspotenzial, und Gott ist nicht allmächtig. Sollte hingegen Gott den Menschen für die Verderbnis vorherbestimmt haben, dann ist der Mensch nicht wirklich Herr seiner Taten und damit letztlich auch nicht verantwortlich.
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Jesus Christus aus buddhistischer Sicht Auch Status und Bedeutung Jesu Christi sind wichtige Themen in der Auseinandersetzung mit dem Christentum. Sofern Jesus als ein in der Geschichte wirkender Religionsstifter behandelt wird, erscheint er in der Regel als ein ernst zu nehmender „Meister“, der in seinem konkreten Wirken und seiner Ethik grundlegende Ähnlichkeiten mit Buddha aufweist. Paradigmatisch für eine solche Sichtweise sind die folgenden Ausführungen einer buddhistischen Nonne aus England: Ich sehe Jesus eher als Menschen denn als Gottessohn. Ein Mann von beeindruckender Präsenz, Energie und Hingabe, ausgestattet mit bestimmten psychischen Fähigkeiten. Sein Wirken war kurz, aber effektvoll. Ich habe den Eindruck, dass er nicht gezielt daran interessiert war, Konvertiten zu machen. Es ist mehr ein Angebot an die, die zur Nachfolge bereit sind. Jesus lässt sich von seinem Herzen steuern, nicht von einem nicht hinterfragbaren Regelsystem. Entscheidend sind die inneren Qualitäten.
In ähnlicher Weise schreibt ein anderer westlicher Buddhist: „Es ist für mich heute leichter, Jesus als Bodhisattva zu begreifen denn als Sohn Gottes, der die Sünden der Welt auf sich genommen hat.“ Andere Stimmen klingen weniger ausgewogen. Der aus Taiwan stammende Dharma-Meister Chu-yün etwa sieht den Buddha eindeutig im Vorteil gegenüber Jesus und begründet dieses u. a. mit den jeweiligen Geburtsumständen der beiden Religionsstifter, denn schließlich kam der eine als Prinz, der andere als Sohn eines Zimmermanns zur Welt. Außerdem zeige die begrenzte Zahl von nur zwölf Jesus-Jüngern, dass der Buddha mit seinen zahlreichen Anhängern eine viel größere Ausstrahlungskraft besessen habe. Die christliche Heilslehre Auf dem Gebiet der Soteriologie gibt es vor allem zwischen dem Theravada-Buddhismus und dem Christentum klare Gegensätze im Blick auf die Frage, wie das religiöse Heil zu verwirklichen ist bzw. inwieweit dem nach Erlösung strebenden Menschen dabei eine aktive Rolle zukommt. Auf eine einfache Formel gebracht, kann man sagen, dass der vom Buddha gewiesene edle achtfache Pfad zum Nirvana dem in Unwissenheit verstrickten Individuum die volle Verantwortung für seine Rettung zuschreibt. Das Christentum dagegen betont die von Gott ausgehende Gnade und spricht dem unter der Last der Erbsünde stehenden Menschen – mit gewissen Unterschieden zwischen den Konfessionen – eine Heilskompetenz ab. Die größtmögliche soteriologische Nähe zum Christentum weist der Buddhismus des „Reinen Landes“ auf, der in Abgrenzung zum Selbstbemühen (jiriki) die heilsbringende „andere Kraft” (tariki) des Buddha Amida betont. Letzterer
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wird in Form einer inneren Umwandlung denjenigen Adepten zuteil, die sich in ergebener Verehrung für das gnädige Wirken Amidas öffnen. Dezidiertere Argumente kritisieren die christliche Soteriologie als ethno- bzw. egozentrisch, denn zum einen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, Gott habe in offensichtlich selektiver Manier lediglich einer bestimmten Gruppe oder höchstens einem bestimmten Kulturkreis das Heil zugesagt, zum anderen steht die ethische Qualität der christlichen Sehnsucht des Einzelnen nach himmlischer Nähe zu Gott infrage, speziell wenn man diese mit dem Ideal des Bodhisattvas vergleicht, der seine eigene Befreiung zum Wohle aller Wesen selbstlos zurückstellt hat. Die christliche Ethik und das christliche Wirken in der Welt Während die Auseinandersetzung des Buddhismus mit dem Christentum auf dem Gebiet der Ethik in der Vergangenheit eher an bestehenden Diskrepanzen zwischen den beiden Religionen interessiert war, zeichnet sich in jüngerer Zeit stärker die Suche nach grundsätzlichen Übereinstimmungen ab. Die negative Wahrnehmung wurde gern an alttestamentlichen Bibelstellen festgemacht, die die vermeintliche Herzlosigkeit des Christentums und dessen Tendenz zum Unfrieden in der Welt belegen sollten. Ein Beispiel ist das Argument gegen die vom Buddha abgelehnten Tieropfer, die Gott von den Menschen verlangt habe. In einem ähnlichen Geiste sanktioniere das Christentum auch die Gewalt und könne sich dabei nicht zuletzt auf eine Serie von Bibelstellen berufen, in denen sich Gott als Kriegsmann, Ausrotter der Völker, Verwüster von Burgen und Gassen sowie Zerstörer von Städten präsentiere. Eine solche Rhetorik stehe, so die Kritik, nicht nur im deutlichen Widerspruch zur pazifistischen Haltung Buddhas, sondern schocke selbst Christen, sobald sie in der Heiligen Schrift auf entsprechende Zitate stießen. Solche Argumente machten sich mit besonderer Vorliebe deutsche Autoren zu eigen, die in den Jahrzehnten um die vorletzte Jahrhundertwende zum Buddhismus übergetreten waren. Beispielhaft ist in diesem Sinne das Buch Buddha und Christus, das der Leipziger Protagonist Karl Seidenstücker (1876–1936) 1903 unter dem Pseudonym Bruno Freydank veröffentlichte. Schon das erste Kapitel des Werkes bescheinigt dem Christentum Gräueltaten wie die des ‚Totschlägers’ Mose, des ‚Gauners’ Jakob, des ‚Massenmörders’ Josua, des ‚Ehebrechers’ David oder der ‚Blutschande’ der Töchter Lots. Alle diese Missstände erschienen in noch erbärmlicherem Licht, wenn man sie mit den hohen ethischen Prinzipien des Buddhismus vergleiche. Feindselige Polemiken der oben zitierten Art muten aus heutiger Sicht anachronistisch an, auch weil die veränderten Bedingungen der fortgeschrittenen Moderne von den verschiedenen Religionen ähnlich wahrgenommen werden und sich unter ihren Vertretern das Bewusstsein dafür geschärft hat, dass die
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Herausforderungen der Gegenwart nur solidarisch gemeistert werden können. Zu den kollektiven Aufgaben gehört nicht zuletzt die interreligiös zu organisierende Zurückweisung zeitgenössischer Tendenzen wie Materialismus, Nihilismus und Existenzialismus. Mit dem Argument, ihre Religion konzentriere sich auf die Verringerung menschlichen Leidens, betonen Buddhisten darüber hinaus aber auch die Bedeutung einer globalen Bruderschaft harmonischer Beziehungen zwischen Mensch und Natur. In diesem Zusammenhang verweisen sie auch auf Überschneidungen mit zentralen Anliegen der christlichen Befreiungstheologie oder auf Ähnlichkeiten mit der Naturspiritualität eines Franz von Assisi. Fixierung auf Gott oder kompatible Konzepte? Der Blick auf das Judentum Im alten Israel bestanden Kontakte mit asiatischen Kulturen, vor allem mit Indien, die allerdings nicht im Detail rekonstruierbar sind. Historisch gesicherte Erkenntnisse gibt es zum Beitrag jüdischer Handelsreisender, die über etablierte Handelsrouten mit dem Buddhismus in Berührung kamen. Außerdem ist bekannt, dass durch Migrationsprozesse jüdische Kolonien u. a. in Indien, Kaschmir oder China entstanden waren. Was diese Kontakte an geistigem Austausch erbracht haben, lässt sich auch deshalb schwer einschätzen, weil ältere jüdische Texte pauschal von Indien sprechen und sich nicht dezidiert auf den Buddhismus beziehen. Der literarische Niederschlag beschränkt sich oft auf hebräische bzw. dem Sanskrit entstammende Lehnwörter in buddhistischen bzw. jüdischen Schriften. Daneben finden sich vereinzelt Parallelen von Erzählmotiven; so gibt es etwa Übereinstimmungen zwischen der Buddha-Legende und den Erzählungen über König Salomo, zwischen einigen Passagen im Mahoshadha Jataka und dem biblischem Buch der Könige sowie Beispiele für Konvergenzen in der Mischna und im Dhammapada. Die Übersetzung buddhistischer Literatur durch jüdische Gelehrte ist ab dem 11. Jahrhundert nachzuweisen. Auf dem Weg vorgelagerter Adaptionen von Teilen der Buddha-Biographie im mittelalterlichen Europa unter dem Titel Barlaam und Josaphat fand u. a. die legendäre Figur des Königs, der von Weisen gewarnt wurde, sein Sohn könnte einst seinen weltlichen Status zugunsten eines konsequent religiösen Lebensweges aufgeben, Eingang in das Judentum. Als neuzeitliche Variante tauchte das Motiv im 19. Jahrhundert in der Erzählung Der Prinz und der Mönch des in Barcelona wirkenden Rabbi Abraham Ibn Hisdai auf. Die hebräische Fassung der moralischen Abhandlung verbreitete sich schnell und wurde 1874 auch in die jiddische Sprache übertragen. Lange Zeit bestand das Interesse von Juden am Buddhismus nur auf kulturellem Gebiet. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts kam dann eine deutliche lebensweltliche Hinwendung hinzu. Die Konversion von Charles Strauss im Rahmen
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des Weltparlaments der Religionen 1893 in Chicago wird in diesem Zusammenhang gern als symbolisches Datum zitiert, auch wenn es bis zur Popularisierung des Buddhismus speziell in jüdischen Kreisen Nordamerikas noch einige Jahrzehnte dauern sollte. In diesem Sinne gilt zum Beispiel Allen Ginsberg, der sich in den 1950er Jahren für den Buddhismus erwärmte, nicht nur als typischer Protagonist der mit dem Zen sympathisierenden Beat-Generation, sondern auch als Vorreiter des nachträglich so genannten „JuBu“-Phänomens (vgl. S. 86 f.). Mit dem Kürzel „JuBu“, das durch die Publikation The Jew in the Lotus (1994) von Rodger Kamenetz bekannt wurde, sind praktizierende Buddhisten mit jüdischem Hintergrund bezeichnet. Unter den meistzitierten „JuBus“ finden sich Namen wie die Begründer der Insight Meditation Society, Joseph Goldstein, Jack Kornfield, Sharon Salzberg und Jacqueline Schwartz, aber auch sogenannte „Personen des öffentlichen Lebens“ wie Leonard Cohen, Philip Glass oder Goldie Hawn. Die genaue Zahl von „JuBus“ in den USA und Kanada lässt sich nicht ermitteln. Erhebungen besagen, dass der Anteil amerikanischer Juden am Buddhismus zwischen sechs und 30 Prozent liegt. Die Begegnung zwischen Buddhismus und Judentum bzw. die Auseinandersetzung jüdischer Buddhisten mit ihrer angestammten Religion fand vorwiegend über einschlägige Publikationen statt. Umso bemerkenswerter sind die ersten Zusammenkünfte hochrangiger Repräsentanten des tibetischen Buddhismus und des nordamerikanischen Judentums in den späten 1980er bzw. frühen 1990er Jahren. Der Initialzünder dieser Treffen war der Empfang des Dalai Lama durch jüdische Rabbis und Gelehrte kurz vor der Vergabe des Friedensnobelpreises an den tibetischen Religionsführer im Jahre 1989. Mit dieser Stippvisite bedankte sich der Dalai Lama für die Hilfe, die der American Jewish World Service tibetischen Exilgemeinden hatte zuteil werden lassen. Das lebhafte Interesse des Dalai Lama am Judentum führte 1990 zu einem thematisch sehr viel weiter reichenden Gegenbesuch einer Delegation in Dharamsala, deren Zusammensetzung bis zu einem gewissen Grad die interne Differenzierung des Judentums widerspiegelte. Diverse im Rahmen der Konferenz angesprochene Fragestellungen sind symptomatisch für die Perspektiven, aus denen nicht nur der tibetische Buddhismus Aspekte des Judentums in den Blick nimmt. Darum geht es im Folgenden. Das jüdische Schöpfungsprinzip in buddhistischer Sicht Sofern theologische, ontologische bzw. kosmologische Eigenheiten des Judentums von Buddhisten in den Blick genommen werden, bewegt sich die Gedankenführung wesentlich in den Bahnen, die die Kyoto-Schule in der analogen Diskussion mit dem Christentum vertieft hat. Das betrifft in erster Linie die Suche nach jüdischen Parallelen zum sunyata-Prinzip und der buddhistischen Lehre vom bedingten Entstehen.
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Die in diesem Zusammenhang theologisch wohl provokantesten Überlegungen zielen auf den Nachweis, dass die noch nicht durch neuplatonische Einflüsse „dualistisch“ überformte hebräische Bibelfassung Spekulationen enthält, die mit den monistischen Ansichten des Mahayana-Buddhismus kompatibel sind. Die Diskussion darüber wird speziell im Rückgriff auf den Schöpfungsbericht in Gen 1,1–2,4a geführt und gipfelt in der These, dass der Originaltext keinen Hinweis auf einen schöpferischen Akt aus dem Nichts heraus gibt. Vielmehr mache der – wie es in deutscher Übersetzung heißt – über den Wassern schwebende Gott von bereits bestehendem Material Gebrauch. Somit könne von der Existenz einer „prä-objektiven“, d. h formlosen Materie ausgegangen werden, die bereits zusammen mit Gott vorhanden ist. Das werde auch durch den hebräischen Begriff bereshith in der Bedeutung von „in Form bringen“ nahegelegt. Wenn diese Lektüre der Schöpfungsgeschichte angemessen ist, dann muss auch die Idee eines transzendentalen Gottes korrigiert werden, denn tatsächlich handelt es sich dann um einen Gott in der Welt. Nicht nur, dass Gott aus chaotischer Materie eine geordnete, formhafte Welt schafft. Er tritt auch aus dem Schatten der Nicht-Aktion heraus, projiziert sich gewissermaßen in die Welt hinein. Das entspricht der Bedeutung des hebräischen Begriffes chesed, der das „göttliche Wohlwollen“ bezeichnet und im metaphysischen Sinne als „göttlicher Ausfluss“ verstanden werden kann. Somit ist chesed die Quelle des Überflusses und der Freigebigkeit, die Macht des freien, nichtqualifizierenden Gebens. In diesem Sinne ist die Schöpfung der Prozess des göttlichen Sich-selbst-Gebens in das andere hinein, analog dem Akt des Selbst-Entleerens, den die Philosophen der KyotoSchule mit dem Prinzip des dynamischen sunyata assoziieren. Spirituelle Praxis und Symbolik des Judentums Eng mit der Suche nach möglichen jüdischen Parallelen zu monistisch-unpersonalen Konzeptionen des Mahayana-Buddhismus sind Gedankenführungen verbunden, die auf Überschneidungen zwischen der Zen-Praxis und mystischen Tendenzen innerhalb des Judentums hinweisen. Dabei wird zunächst betont, dass die Übungen des Zen darauf abzielen, sich allen Ballasts zu entledigen, der der Erfahrung der eigenen inneren Natur im Wege steht. Es geht demnach um die Überwindung all dessen, was illusorisch und nicht essenziell ist, einschließlich der Anhaftung an ein falsches „Selbst“, das in Abgrenzung gegenüber dem „Rest der Welt“ aufrechterhalten wird. Von hier aus wird nun eine Entsprechung zum Prinzip des devequt hergestellt, das in kabbalistischen Strömungen gebraucht wird, um die Bindung an bzw. die Vereinigung mit Gott zu bezeichnen. Wörtlich bedeutet der Terminus „festhalten“ bzw. „sich an etwas halten“. Im übertragenen mystischen Sinne ist der Zustand gemeint, in dem sich das Individuum befindet, das vom Bewusstsein der Gegenwart Gottes durchdrungen ist. Um devequt zu erreichen, so das weiterführende Argument, muss sich der Jude,
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analog zu den Bemühungen des Zen-Praktikanten, in einem Prozess des SelbstVergessens seines Körpers und seines Geistes entledigen, d. h. im Sinne eines konventionellen „Ego“ leer werden. Trotz dieser Gemeinsamkeiten verbleiben allerdings einige grundsätzlich trennende Elemente. Der Hauptunterschied liegt darin, dass der Adept des Zen das nicht anhaftende Verweilen in einer nichttheistisch gedachten Leerheit anstrebt, während das Konzept des devequt die ausschließliche Fixierung auf Gott und ein permanentes Gegründet-Sein in ihm zum Ziel hat. Ähnlichkeiten zwischen Buddhismus und dem Judentum wurden auch im Blick auf folgende Aspekte bedacht: Bestimmte Gebetsformen des Judentums zielen angeblich auf die Entwicklung von metta, d. h. der Haltung nichtanhaftenden liebevollen Mitleids ab. Das buddhistische Mitleidsprinzip ist darüber hinaus auch kompatibel mit dem jüdischen Konzept der sozialen Gerechtigkeit, tikkun olam, („die Welt wiederherstellen“). Außerdem wird die in der Bibel bezeugte Aussage Abrahams Gott gegenüber, hineyni („hier bin ich“), mit der von der buddhistischen Vipassana-Meditation ausgelösten, in sich ruhenden geistigen Wachheit assoziiert. Ferner sind sich der Buddhismus und der im 12. Jahrhundert im spanischen Cordoba wirkende jüdische Gelehrte Maimonides in ihrem Plädoyer für einen „mittleren Weg“ zwischen zwei Extremen des menschlichen Verhaltens einig. Eine weitere Affinität besteht hinsichtlich der buddhistischen Praxis der Freigebigkeit und der vom Judentum ethisch geforderten Kultivierung von Liebe und Mitleid. Schließlich seien noch drei Aspekte erwähnt, die speziell eine Nähe zwischen dem tibetischen Buddhismus und dem Judentum markieren sollen. Beide Strömungen betonen erstens den Wert der Gelehrsamkeit des rigorosen Lernens und der Debatte als didaktisches Mittel des Studiums. Sodann kennen beide Traditionen neben der konventionellen Lektüre ihrer heiligen Texte eine nach Bedeutungsstufen differenzierte esoterische Leseart. Und schließlich gibt es dem Vernehmen nach Entsprechungen zwischen dem imaginativen Vokabular des tibetisch-buddhistischen Pantheons (der Gesamtheit aller Götter) und der kabbalistischen Symbolik von Engeln und anderen himmlischer Wesen. Dominante „Orthodoxie“ oder mystische Inspiration? Der Blick auf den Islam Auf ihrem Expansionszug gen Osten kamen Muslime ab dem 7. Jahrhundert in verschiedenen Gebieten mit Buddhisten in Berührung und an mehreren Fronten mit ihnen in Konflikt. Die Heftigkeit einiger Erstkontakte hatte auch damit zu tun, dass die Muslime die Buddhisten wohl aufgrund ihrer ikonographisch opulenten Statuen und Malereien und des Fehlens eines theistischen Glaubenszentrums zunächst als Götzenanbeter ansahen. Dafür spricht u. a., dass der Begriff „Buddha“ in der Verkürzung but mit der Bedeutung „Idol“ ins Persische Auf-
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nahme fand. Damit deutet sich an, dass Buddhisten häufig zunächst mit Ungläubigen gleichgesetzt wurden, die sich zwischen Konversion zum Islam, Verstoßung oder Exekution zu entscheiden hatten. Ein Beispiel für die Konsequenz dieser Grundhaltung ist das kriegerische Vorgehen gegen buddhistische Zentren im chinesischen Turfan, wo die Bevölkerung unterworfen wurde und kollektiv den Islam annehmen musste. Nachfolgende Rückübertritte wurden als Apostasie (Abfall vom Glauben) gewertet und entsprechend geahndet. In das kollektive Bewusstsein der Buddhisten hat sich auch die Zerstörung buddhistischer Viharas (Mönchsklöster) in Orten wie Kabul oder gar der renommierten Klosteruniversitäten von Nalanda und Vikramasil im 11. und 12. Jahrhundert eingegraben (vgl. S. 113). Das Entsetzen angesichts solch kriegerischen Vorgehens hinterließ auch Spuren in buddhistisch motivierten Texten. Schon aus einem Dokument aus dem Jahre 751 erfahren wir, dass der koreanische Pilger Ou-´kong auf seinem Weg von Zentralasien nach Indien Gebiete im afghanischen Raum mied, weil diese bereits vom Islam vereinnahmt worden waren. Geradezu Abscheu bringt eine tantrische Schrift aus dem 9. Jahrhundert zum Ausdruck, wenn sie auf einen Mann aus Bagdad (sic!) namens Madhumati (Mohammed) zu sprechen kommt, der ein Betrüger sei und verheerenden Schaden über die buddhistische Welt gebracht habe. Ein anderes Beispiel ist ein Text aus dem Handelszentrum Khotan an der Seidenstraße, der über die Bedrohung des Buddhismus durch persische Armeen, also islamische Truppen, spricht. Auch spätere mongolische Schriften aus dem 14. Jahrhundert beschreiben den islamischen Religionsstifter als böse und sprechen die Hoffnung aus, Maitreya möge bald erscheinen und den Sieg über das Königreich von Bagdad erringen. Auf der anderen Seite kennt die Geschichte eine Reihe von Beispielen, die zeigen, dass sich das andernorts oft spannungsgeladene Verhältnis durchaus konstruktiv gestalten konnte. So ist belegt, dass Buddhisten nicht nur in Indien, sondern auch in Afghanistan bzw. zentralasiatischen Regionen zu „Leuten des Buches“ aufgewertet und als nahezu den Muslimen gleichberechtigte Untertanen behandelt wurden. Bezeichnend für diese Entwicklungslinie ist z. B., dass in der alten Sprache Usbekistans der Begriff des dharma mit dem griechischen Lehnwort nom belegt wurde, was nicht nur wörtlich „Gesetz“, sondern auch „Buch“ bedeutet (vgl. S. 111). Später wurde nom für dharma auch von anderen zentralasiatischen Sprachen übernommen, und noch heute wird es im Mongolischen in dieser Doppelbedeutung verwendet. Weiterhin gilt es zu bedenken, dass sich selbst im Schatten größerer militärischer Aktionen durchaus fruchtbare Beziehungen zwischen buddhistischen Kreisen und islamischen Sondergruppen herausbilden konnten. Das gilt insbesondere für Sufis, die sich mit ihren mystischen Anliegen in der Regel der Sympathie buddhistischer Zirkel sicher sein konnten, die ja ebenfalls nach Verinnerlichung und Vertiefung religiöser Erfahrung strebten. Dass die Beziehungen oft harmonisch und inspirierend
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gewesen sein müssen, lässt sich indirekt auch aus wohlwollenden Berichten muslimischer Autoren entnehmen, darunter etwa Ibn-a-Nadim (gest. 995), der die Freigebigkeit, die Freundlichkeit und das Mitleid der Buddhisten würdigte. Später datierte positive Stellungnahmen sind u. a. für Al-Biruni (973–1048), AlShahrastani (1086–1153), Rasheeduddin Fadlullah (14. Jahrhundert), Muhammed Hamidullah (1908–2002), Seyyed Hossein Nasr (geb. 1933), Chaiwat SathaAnand und Imtiyaz Yusu bezeugt. Der Blick auf einzelne Gebiete – wie etwa auf Ladakh, wo die insgesamt relativ friedliche Chronologie der buddhistisch-islamischen Verhältnisse sporadisch von handfesten Konflikten durchbrochen wurde – sensibilisiert für die Tatsache, dass man die historisch komplexe, im Detail von ganz unterschiedlichen Bedingungen abhängige Gesamtsituation nicht auf einen zusammenfassenden Nenner im Sinne des Stereotyps vom kriegerischen Islam bringen kann. Aktuell leben mehr als drei Fünftel aller Muslime in Asien oft in unmittelbarer Nähe zu buddhistischen Nachbarn. Wie sich das Verhältnis jeweils gestaltet, hängt nicht zuletzt von politischen, wirtschaftlichen und demografischen Bedingungen ab. In Indonesien etwa, dem Land mit der größten Muslim-Bevölkerung, besteht aus verfassungsrechtlicher Sicht Religionsfreiheit. Die gewachsenen, in der Regel friedlichen Beziehungen mit der buddhistischen Minderheit wurden aber auf eine Bewährungsprobe gestellt, als mit dem Zusammenbruch des Suharto-Regimes und der Wirtschaftskrise 1997–1998 Disharmonien zwischen den Gemeinschaften aufbrachen. Umgekehrt stellt sich die Lage in Myanmar dar, wo sich die muslimische Minderheit von der formal dem Buddhismus nahestehenden Militärregierung und gelegentlich auch vom buddhistischen Mob in den Dörfern, manchmal sogar auch in der Hauptstadt Yangun gegängelt oder gar lebensbedrohlich angegriffen sieht. Eine wieder andere Konstellation besteht im Grenzgebiet zwischen Thailand und Malaysia, das einerseits ein hohes Maß an kultureller und ethnischer Vielfalt aufweist, andererseits durch fließende kulturelle Grenzen und gemischte Traditionen auf volksreligiöser Ebene gekennzeichnet ist. Vor diesem Hintergrund leben Muslime und Buddhisten auch deshalb relativ harmonisch zusammen, weil mit dem vorbuddhistischen bzw. außerislamischen Ahnenkult ein gemeinsamer Referenzrahmen gegeben ist oder die Mitglieder der einen Gemeinschaft Heiler aufsuchen, die primär mit der jeweils anderen Gruppe assoziiert sind. Der Globalisierungsprozess hat aber in jüngerer Zeit zu sozioökonomischen Veränderungen geführt, die auch auf religiösem Gebiet im Sinne gegenseitiger Abschottung und Konflikte Wirkung zeigen. Dagegen wird die vielschichtige demografische Konstellation in Usbekistan als eine politische Aufgabe und Chance begriffen. Aufgrund seiner geografischen Lage am Kreuzungspunkt wichtiger Karawanenwege stets Schmelztiegel der Völker und Bühne intensiven Kulturaustauschs, und mit aktuell mehr als 2000 registrierten religiöse Gemeinschaften, hat sich das Land in den letzten Jahren mehrfach als ambitionierter Veranstalter interreligiöser Veranstaltungen präsentiert.
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Das Bedürfnis nach Austausch mit dem Islam im Rahmen von Konferenzen artikuliert sich verstärkt nach den traumatischen Ereignissen des 11. September 2001, obwohl sich buddhistische Vertreter, darunter auch der Dalai Lama, bewusst sind, dass man die Terrorakte im richtigen Maßstab sehen muss und nicht die Muslime dafür verantwortlich machen darf. Ein nennenswertes Beispiel aus jüngerer Zeit für einen buddhistisch-islamischen Dialog auf internationalem Niveau, ist eine Serie von Veranstaltungen unter der Schirmherrschaft der UNESCO, die vom Dharma-Meister Hsin Tao organisiert wurde und im März 2002 mit einem Symposium an der Columbia-Universität in New York ihren Anfang nahm. Neben Hsin Tao beteiligten sich an den Debatten auch der Imam der Masjid-al-Farah-Moschee in New York und der Direktor des Forums für muslimischen Dialog. Bei der zweiten Konferenz in Kuala Lumpur traten zwei Monate später neben Hsin Tao auch Ustaz Uthman El-Muhammad vom Institute of Islamic Understanding sowie Chandra Muzaffar, Präsident des International Movement for a Just World, auf. Rahmenbedingungen des Dialogs Im Vergleich zum buddhistisch-christlichen Dialog mit seinem beeindruckenden Themenspektrum und seiner stellenweise bemerkenswerten Tiefe erscheint die Begegnung zwischen Buddhismus und Islam unter inhaltlichen Gesichtspunkten lückenhaft und gestaltungsbedürftig. Selbst vielversprechende Anknüpfungspunkte aufseiten der islamischen Mystik hat die buddhistische Seite bislang nur ungenügend aufgegriffen; dies wird von Muslimen angemahnt. Ein Hindernis auf dem Weg zu einem qualifizierteren und breiteren Dialog mag in dem Problem liegen, dass sich der Islam nicht – wie z. B. die christlichen Kirchen – zentral-institutionelle Strukturen gibt, was den Kontakt mit allgemein als repräsentativ anerkannten muslimischen Gesprächspartnern erschwert. Darüber hinaus bestehen spezielle religionsimmanente Herausforderungen, etwa im Sinne der prinzipiellen Unvereinbarkeit nicht-theistischer Entwürfe mit dem Alleingültigkeitsanspruch einer festgeschriebenen göttlichen Offenbarung. Buddhisten und der islamische Monotheismus Was die Frage der Vorstellung von der letzten Wirklichkeit angeht, so steht der Islam mit seiner theologisch kaum verrückbaren Betonung eines radikal transzendenten monotheistischen Schöpfergottes und Weltenrichters mit einer Reihe buddhistischer Prinzipien in schwer vermittelbaren Widerspruch. Die zentralen dabei mitschwingenden Kritikpunkte wurden bereits im Zusammenhang mit der Rekapitulation buddhistischer Argumente gegen die anderen beiden monotheistischen Religionen angesprochen und müssen hier nicht wiederholt werden. Ernst zu nehmende Annährungsversuche im Sinne eines systematischen
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Vergleichs mit der sunyata-Konzeption wurden bisher von buddhistischer Seite nicht unternommen, obwohl die islamische „prozesstheologische“ Idee der fortlaufenden Schöpfung dafür interessante Anknüpfungspunkte liefern würde. Am weitesten in diese Richtung geht derzeit der Versuch eines Brückenschlags zwischen dem mahayanistischen Prinzip der universalen Leerheit und der Praxis der fortlaufenden Rezitation der Formel La Ilaha ‘Ila Al-la („Es gibt nichts außer Allah“), wobei speziell die Silbe la, die eine Verneinung repräsentiert, als Indiz für die alles Relative negierende Natur Allahs interpretiert wird, die dem Konzept eines monistischen Urgrundes gegebenenfalls recht nahe kommt. Einzelne Teilnehmer des nach wie vor rudimentären Dialogs betonen die gravierenden Unterschiede zwischen ihrem buddhistischen Selbstverständnis und der dominanten „orthodoxen“ Auslegung des Islams, äußern im gleichem Atemzug aber Sympathien für die islamische Mystik und deren zum Teil offenkundige Berührungspunkte mit dem Buddhismus. Zu Letzteren zählen die Postulate, dass sich die Realität nicht in Begriffe kleiden lässt, dass die Wahrnehmung der Welt eine Funktion unserer Sinneswahrnehmung ist und alle – letztlich vergänglichen – Phänomene des Universums über ein Beziehungsnetz wechselseitiger Abhängigkeiten miteinander verwoben sind. Ähnliche Würdigungen finden sich auch in der Übersetzung des Tibetanischen Totenbuches durch Sogyal Rinpoche (geb. 1948), dessen Kommentare sich aus diversen Quellen der universellen Weisheitsliteratur speisen, darunter auch aus der Sufipoesie des Jalaluddin Rumi (1207–1273), in der von der totalen Auflösung der relativen Existenz angesichts allgegenwärtiger, nach allen Richtungen ausstrahlender Liebe die Rede ist. Für Sogyal Rinpoche bestehen in solchen Punkten, die auch bei so bedeutenden Sufis wie Fakhruddin ’Iraqi (1213–1289), Ibn Arabi (1165– 1240) oder Sadruddin Qunawi (13. Jahrhundert) nachweisbar sind, Verbindungen zum tibetischen Buddhismus. Dies umso mehr, als es das Ziel des Sufismus sei, sich der metaphysischen Transparenz der Formen bewusst zu werden und die Fähigkeit zu entwickeln, das „Eine“ inmitten der Vielfalt wahrzunehmen. Das Gleiche gilt für die Metaphorik der kristallinen Klarheit des Geistes, die sich sowohl bei einzelne Sufi-Dichtern finde als auch an das Vokabular des tibetischen „Diamantweges“ erinnere. Bemerkenswert erscheint Sogyal Rinpoche weiterhin die islamisch-esoterische Sprache, die sich der Motive der Liebe bedient, um die Beziehung zwischen dem nach Einheit strebenden Mystiker zur letzten Wirklichkeit zu versinnbildlichen. Ein solches Vokabular, so Sogyal Rinpoche, sei inspiriert von der Suche nach der zunehmenden Auflösung von Subjekt und Objekt auf dem Weg zur Erfahrung der Nicht-Dualität, die auch vom tibetischen Buddhismus propagiert wird. Die spirituelle Praxis des Islam Der bevorzugte Blick auf das Sufitum bei der Suche nach möglichen Gemeinsamkeiten zwischen Buddhismus und Islam hat seine Entsprechungen in der
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Diskussion um Übereinstimmungen bzw. Unterschiede auf dem Gebiet der religiösen Praxis. Deshalb kann es nicht überraschen, dass Buddhisten sufistische Methoden der Introspektion (Innenschau) und der Kontemplation (betrachtende Versenkung) über Themen wie Machtlosigkeit und Irrelevanz des Selbst oder der Unüberwindbarkeit des Todes begrüßen. Ebenso positiv wird von buddhistischer Seite die Tatsache registriert, dass sich die Mitglieder mancher mystischer Orden des Islams nicht nur Rezitationen und der Anrufung Allahs hingeben, sondern auch eine Art stiller Meditation üben. Umgekehrt erinnern sich islamische Diskussionsteilnehmer gern daran, dass in manchen Mahayana-Zentren nicht nur schweigsam kontempliert sondern auch laut „gechantet“, gesungen, und den Tänzen der Derwische nicht unähnlich, gelegentlich sogar „VajraTänze“ aufgeführt werden. Weitere Parallelen sollen zwischen den spontan zu Papier gebrachten dreizeiligen Silbengedichten der japanischen Haiku-Kunst und einer Reimpoesie bestehen, die aus Zentralasien stammt und auf Türkisch koshma („das, was dir in den Sinn kommt“) heißt. Unter den auf diesem Gebiet berühmten Dichtern befänden sich auch viele Sufis. Weiterhin sei bemerkenswert, dass viele Gedichte mit einer Kontemplation über ein Grab auf einem Friedhof begännen. Damit bestünden Ähnlichkeiten zu Übungen buddhistischer Mönche, die systematisch, zum Beispiel vor einem Skelett, über das Problem der Vergänglichkeit reflektieren. Eine weitere punktuelle Ähnlichkeit zwischen Buddhismus und Islam ergibt sich schließlich aus dem Bedeutungshorizont des in der westlichen Wahrnehmung oft verkürzten arabischen Wortes jihad, dessen eigentliche Bedeutung „geeignete Anstrengung“ sich gut mit buddhistischen Lehren verträgt. Selbst die kriegerische Bedeutung von jihad findet sich in buddhistischer Terminologie, zumal Buddha der Kriegerkaste entstammte und den geistigen Weg als Kampf gegen Unwissenheit und störende Emotionen wie Gier, Anhaftung, Zorn und Hass beschrieb. Um die rechte Tradition rivalisieren oder gemeinsame Wurzeln pflegen? Der Blick auf den Hinduismus Das anfängliche Wachstum des Buddhismus wurde nicht nur durch die aktive politische Unterstützung der neuen Religion begünstigt, sondern auch durch die passive Duldung von Herrschern, die dem Hinduismus verpflichtet blieben. Der Buddhismus selbst trug aus wenigstens zwei Gründen zu dieser Entwicklung bei. Zum einen knüpfte der Buddha in verschiedenen Punkten an hinduistische Vorgaben an, was dem Image einer wenigstens tolerierbaren, weil nach wie vor „indischen Religion“ förderlich war. Zweitens verminderte die allmähliche Konsolidierung des buddhistischen Systems die Notwendigkeit einer Polarisierung zwischen „uns“ und „den anderen“, was wiederum zur Verringerung von Reibungspunkten im Umgang mit der sozialen Umwelt führte.
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Mit Blick auf den ersten Aspekt sei daran erinnert, dass zentrale, teilweise bereits zu Beginn dieses Beitrags erwähnte Konzepte wie das des leidhaften samsara und des Karma oder das Postulat der Notwendigkeit der Befreiung und die Zuschreibung eines entsprechenden individuellen Potenzials ebenso Aufnahme in den Buddhismus fanden wie einige kosmologische Anschauungen oder die Bereitschaft, sich an einem als vollendet geltenden Meister zu orientieren. Beide Religionen – im Falle des Hinduismus zumindest einige, zeitlich zum Teil erst parallel zum Buddhismus entstandene Richtungen – sehen in der Weltentsagung eine wesentliche Vorbedingung für ein konsequent spirituelles Leben und setzen auf spirituelle Praktiken wie Meditation und Konzentration bzw. auf Übungen zur Kultivierung „höherer“ Geisteszustände. Sowohl im Buddhismus als auch im Hinduismus spielt die ahimsa-Doktrin, also die Forderung nach Gewaltlosigkeit, eine Rolle. Zum zweiten Aspekt sei nachgetragen, dass sich innerhalb des Buddhismus schon relativ früh ein gesundes Maß an Zurückhaltung im Umgang mit anderen Religionen als ein Grundprinzip buddhistischer Sozialethik herausbildete. Dabei galt etwa für Laien das Gebot, sich nicht nur gegenüber der Elite der eigenen, sondern auch gegenüber den Anhängern anderer Religionen mildtätig zu verhalten. Entsprechende Prinzipien bezeugen auch einige der sogenannten Felsenedikte des als erster großer Buddhismus-Förderer verehrten indischen Herrschers Ashoka (ca. 273–232 v. Chr.), und zwar nicht nur allgemein im Sinne der Tendenz, die Gleichheit aller Menschen zu betonen, sondern zum Beispiel explizit in Form der an alle Religionsgemeinschaften gerichteten Ermahnung, sich gegenseitig wertzuschätzen. In einem anderen Edikt wird versichert, alle Volksgruppen, auch die, die in randständigen Gebieten ansässig sind, seien Ashoka gleich lieb und würden von ihm so unterschiedslos behandelt wie Kinder von ihrem Vater. Diese liberalen Statements Ashokas wurden allerdings indirekt von bestimmten pro-buddhistischen Regierungsentscheidungen unterlaufen, so dass die Brahmanen dazu übergingen, im Buddhismus nicht mehr nur einen geistigen Rivalen, sondern eine politisch durchaus ernst zu nehmende Bedrohung zu sehen. Damit waren die Weichen für eine zunehmend harscher werdende antibuddhistische Polemik gestellt, wie sie etwa in den um 500 n. Chr. zusammengetragenen hinduistisch-mythologischen Texten der Puranas belegt sind. In diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund der These, die Feindschaft der Brahmanen habe schließlich entscheidend zum Niedergang des Buddhismus beigetragen, wird u. a. der im 6. Jahrhundert regierende shivaitsche König Shashanka als „eiserner Unterdrücker“ des Buddhismus charakterisiert. Inwieweit dieses Urteil insgesamt angemessen ist, ist historisch allerdings umstritten, so dass man auch darüber diskutieren kann, welche Konsequenzen die ihm zugeschriebenen Maßnahmen, darunter die Zerstörung von Buddha-Bildnissen und des mit dem Erleuchtungserlebnis des Buddha symbolisch verknüpften Bodhi-
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Baumes, für die Geschichte des Buddhismus in seinem Ursprungsland gehabt haben. Eine weitaus wirksamere Strategie im Kampf gegen den Rivalen bestand in innerhinduistischen Bemühungen, den Buddhismus implizit oder explizit für sich zu vereinnahmen und ihm so den Stachel einer Alternative zu nehmen. Das gilt etwa für die im 9. Jahrhundert in Reaktion auf den Buddhismus ausformulierte sogenannte Advaita-Lehre des Philosophen Shankara oder die Aufnahme Buddhas als neunter Avatar des Hochgottes Vishnu in den hinduistischen Pantheon (vgl. S. 136). Die hinduistische Kastenlehre Zu den Motivkreisen, die den Blick des Buddhismus auf den Hinduismus am prägnantesten markieren, gehört das Kastensystem und die Forderung nach Anerkennung hierarchisch vorherbestimmter religiöser Autoritäten. Um diesen Themenkomplex angemessen bewerten zu können, ist daran zu erinnern, dass der unmittelbare geografische Wirkungsbereich des Buddha im nordöstlichen Indien mit seinen vom „heiligen“ Sanskrit abweichenden Idiomen für die Elite der brahmanischen Kaste schon aus sprachlichen Gründen nicht zu den religiös geschätzten Gebieten des Subkontinents gehörte. Ebenso schwer wog, dass der Buddha einer Kshatriya-Familie, also einer traditionell den Priestern nachgeordneten Gesellschaftsschicht entstammte. Das Aufkommen und Erstarken der buddhistischen Bewegung war insofern auch eine Art emanzipatorische Artikulation einer bis dahin als dekadent abgewerteten Region. Unter dem Deckmantel philosophischer und religionspraktischer Fragen gärten Spannungen innerhalb der althergebrachten Sozialordnung. Wenn sich entsprechende Konflikte aufseiten der Kshatriya-Kaste in Zweifeln an der Erhabenheit des Sanskrit oder dem Status der Veden als vermeintliches Manifest ewigen Wissens und höchster Autorität artikulierten, dann wurden damit Ansprüche gegen die althergebrachte Hierarchie der traditionellen indischen Gesellschaft geltend gemacht. Das einstige Überlegenheitsgefühl der Brahmanen wurzelte in dem Bewusstsein eines durch Geburt bedingten Sonderstatus – nicht nur im Sinne einer bevorzugten Position innerhalb der Kastenhierarchie, sondern auch als Konsequenz der größtmöglichen Teilhabe an dem ethnischen Erbe der einst in den Subkontinent eingewanderten, im Vergleich zu der alteingesessenen Bevölkerung hellhäutigen Stämme, die sich selbst als „Arier“ („die Gastfreien“) bezeichnet hatten. Die Abkehr von solchen Vorstellungen zeigt sich in der Tatsache, dass der Buddhismus das Kastensystem als gesellschaftliches Organisationsprinzip und religiöses Auswahlkriterium ablehnt. Im Gegensatz zu der durch Geburt bedingten Teilhabe am „klassischen Hinduismus“ ist der Buddhismus als eine im Prinzip frei zugängliche Universalreligion konzipiert. All das hatte der Buddha im Sinn, als er sich im Umgang mit den Brahmanen zu der Aussage veran-
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lasst sah, wahres „Ariertum“ definiere sich nicht im Sinne einer sozio-biologischen Exklusivität, sondern sei davon abhängig, in welchem Maße, die von Shakyamuni dargelegte Lehre befolgt bzw. der von ihm abgesteckte Weg begangen werde. Für den Buddha lässt sich „Erhabenheit“ also nicht von vornherein an äußerlichen Kriterien bemessen. Vielmehr handelt es sich, wie z. B. das 26. Kapitel des Dhammapada betont, um ein inneres Charaktermerkmal, das durch wahrhaftig spirituelle Übungen erst erworben wird und das sich in Handeln, Fühlen und Denken, d. h. in Tugenden wie Gleichmut und Geduld, Sinnesbeherrschung und Selbstgenügsamkeit, fortlaufend bestätigen muss. Das durch Lehren dieser Art „korrigierte“ Verhältnis zwischen Menschen, die lediglich „formal“ verschiedenen Kasten angehören, wird auch zu Beginn des sogenannten „Korbes der Ordensregeln“, d. h. einem der drei thematischen Abteilungen des Pali-Kanons, mit einer Erzählung über die Begegnung zwischen dem Buddha und einem Brahmanen aufgegriffen. Letzterer erregt sich darüber, dass ihm der Buddha, ohne sich zu erheben, einen Platz anbietet, und bezichtigt den Buddha, geltende Sozialregeln zu missachten. Der Buddha erklärt daraufhin, dass sich für ihn die Frage nach einem gesellschaftlichen Status nicht stelle, zumal die Verwirklichung der Erleuchtung ein individueller Akt ohne soziale „Rückendeckung“ sei. Damit ist im Prinzip auch ausgesagt, was an anderen Stellen des Pali-Kanons, so etwa im Saleyyaka Sutta und im Madhura Sutta, wiederholt hervorgehoben wird: Derjenige, dem Ehrerbietung zusteht, ist nicht der Brahmane, sondern der Buddha. Diese Neubestimmung berührte auch die überkommene Autoritätsgläubigkeit zugunsten der Brahmanen, ein Motiv, das u. a. vom Kalama Sutta aufgegriffen wird. In dieser Lehrrede, die in dem Ruf steht, ein Manifest der freien Vernunft bzw. ein Statement gegen Scheinheiligkeit und Dogmatismus zu sein, räumt Buddha seiner Zuhörerschaft das Recht ein, an den an ihrer Stadt vorbeiziehenden Predigern zu zweifeln und dem Geltungsanspruch religiöser Texte zu misstrauen, es sei denn, die Botschaften hielten der rationalen Prüfung stand und stimmten mit der eigenen Erfahrung überein. Das hinduistische „Substanzpostulat“ Als ebenfalls unvereinbar mit buddhistischen Prinzipien gilt zum einen die hinduistische Lehre von der Existenz einer reinen individuellen, über die Wiedergeburten hinweg konstanten „Essenz“ (atman) und zum anderen der in verschiedenen Phasen der indischen Geistesgeschichte unterschiedlich akzentuierte Theismus. In Abgrenzung gegenüber der These vom atman (Pali: atta) hat der Buddhismus die sogenannte anatta-Lehre herausgebildet. Grundzüge des darin begründeten Streits mit dem Hinduismus lassen sich in der Frühphase des Buddhismus an der internen Polemik zwischen zwei gegensätzlichen Fraktionen ablesen. Für die letztlich siegreiche Gruppe war die Leugnung eines die Geburtenkette über-
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dauerndes Selbst ein unverrückbarer Eckstein buddhistischen Denkens. Dagegen setzten um 300 v. Chr. die sogenannten Personalisten die Idee, dass zusätzlich zu dem vergänglichen Konglomerat von Seinskomponenten eines empirischen Individuums von einer übergreifenden individualitätsstiftenden Instanz, eben der „Person“, auszugehen ist. Diese Gruppe war zahlenmäßig durchaus beachtlich und ein ständiger Dorn im Fleisch der noch jungen Gemeinde. Bei der parallelen, thematisch teilweise ähnlich motivierten theologischen Auseinandersetzung mit dem hinduistischen Theismus ist es für den Frühbuddhismus bezeichnend, dass der Buddha explizit die Ansichten des Brahmanen Makkhali Gosala zurückwies. Zwar kennt die buddhistische Kosmologie sehr wohl göttliche Seinssphären. Diese sind jedoch durchweg innerhalb des samsara angeordnet, also von Wesen „bevölkert“, die mit allen anderen Phänomen der Erscheinungswelt die negativen Qualitäten der Substanzhaftigkeit, Vergänglichkeit und Leidhaftigkeit teilen. Nach hinduistischer Auffassung treffen diese Charakterzüge zumindest nicht auf persönlich zu denkende „Hochgötter“ wie Vishnu oder Shiva zu. Ebenfalls weist der Buddhismus die von den Upanischaden und der VedantaPhilosophie propagierte Idee eines absoluten Urgrundes im Sinne des unpersönlichen Brahman zurück, auch wenn sich von hier aus philosophische Brücken zu nachträglichen Entwicklungen innerhalb des Mahayana-Buddhismus schlagen lassen. Abgesehen von Argumenten, die aus der Ontologie (Lehre vom Sein) des Buddhismus abzuleiten sind, werden in einigen der sogenannten Jatakas, also den Legenden, die sich auf die Vorleben des Shakyamuni beziehen, zwei weitere Widersprüche speziell gegen den Glauben an einen persönlichen Gott formuliert. Erstens beinhaltete das Vertrauen in ein „außerordentliches“ übermächtiges Wesen aufseiten des gläubigen Individuums den Mangel an Bereitschaft, die volle Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Zweitens stellte sich dann unweigerlich das Theodizeeproblem, also die letztlich nicht befriedigend zu lösende Frage, warum der Schöpfer aller Dinge und Herr des Universums überhaupt Leiden und Unglück in der Welt zulässt. Umgekehrt finden sich aber auch partielle Zugeständnisse an den Theismus. Wie u. a. das Kevaddha Sutta oder die reichhaltige buddhistische Ikonographie belegt, begreift der Buddhismus vedische bzw. hinduistische Gottheiten als karmisch positiv prädisponierte Wesen, die ihre Weisheit in den Dienst der Verbreitung bzw. des Schutzes der buddhistischen Lehre stellen. Hinduistische Praktiken aus buddhistischer Sicht Nichts Positives konnte der Buddhismus dem ethisch verwerflichen und im Sinne des Karmagesetzes unheilsamen brahmanischen Tieropfer abgewinnen. Im Anguttara Nikaya wird die These vertreten, dass die Praktiken aus nachträg-
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lichen Verzerrungen des Symbolismus ursprünglich unblutiger Rituale hervorgegangen sind. Im Digha Nikaya findet sich eine Stelle, an der der Buddha von einem Brahmanen namens Kutadana um Aufklärung über ein tatsächlich heilswirksames Opfer gebeten wird. Daraufhin erklärt der Shakyamuni dem Fragenden, dass bei einem herkömmlichen Ritual wertvolle Ressourcen verschwendet und nutzlos das Leben von Tieren zerstört werde. Das „süßeste“, weil wahre und wirklich sinnvolle Opfer, so der Buddha, bestünde darin, ein Leben im Einklang mit den buddhistischen Prinzipien zu führen. Mit vergleichbaren Argumenten wurden auch andere unter den Brahmanen gängige Praktiken problematisiert. Im Vatthupama Sutta z. B. wendet sich der Buddha an seinen Gesprächspartner Sundariko, der sich nach herkömmlicher Sitte anschickt, sich in den Gewässern eines „heiligen“ Flusses zu läutern. Daraufhin belehrt ihn der Buddha, dass der Brahmane sich von solchen nutzlosen Maßnahmen abwenden und sich stattdessen für den soteriologisch sinnvollen rechten – d. h. buddhistischen – Lebenswandel entscheiden solle. In einer vom Virecana Sutta überlieferten Lehrrede schließlich bezog der Buddha Stellung gegen traditionelle indische Ärzte, die mit wechselnden Erfolgen Brech- und Abführmittel verschrieben, um entsprechende körperliche Fehlfunktionen zu korrigieren. Demgegenüber ziele die von ihm selbst bereitgehaltene, stets verlässlich und durchschlagende „Arznei“ auf die eigentliche Wurzel aller Gebrechen ab. Andauernde Konfliktlinien Die oben beschriebenen, historisch gewachsenen Divergenzen zwischen Buddhismus und Hinduismus haben auch in der jüngeren Vergangenheit zu manifesten Konflikten geführt. Das gilt nicht zuletzt für die Polemik gegenüber dem vom Buddhismus abgelehnten, von vielen Hindus aber nach wie vor verteidigten Kastensystem. Die Tragweite und Aktualität dieses Konflikts wurde nachhaltig deutlich, als am 4. November 2001 mehrere Tausend Dalits (die Zahlenangaben schwanken zwischen 50 000 und 75 000) ihrem unterkastigen Dasein (sogenannte „Unberührbare“) innerhalb des Hinduismus durch den Übertritt zum Buddhismus ein Ende bereiteten. Entscheidend verantwortlich für diese sich in einem öffentlichen Akt in der Hauptstadt Neu Delhi artikulierende Massenbewegung war der einstige Mitstreiter Mahatma Gandhis bzw. das ehemalige Mitglied der ersten Legislativversammlung der Indischen Republik, Bhimrao Ramji Ambedkar (1891–1956). Als „Unberührbarer“ hatte Ambedkar das seltene Privileg höherer Bildung genossen und sich auf dieser Grundlage politisch der Belange der Kastenlosen angenommen (vgl. S. 139). Dieses Ringen führte ihn schließlich zu der Überzeugung, dass nicht der von den Brahmanen korrumpierte und von vielen Dalits als tyrannischer Glaube empfundene Hinduismus, sondern der Buddhismus die genuine Tradition Indiens sei. Obwohl der NeoBuddhismus Ambedkars von konservativen buddhistischen Kreisen abgelehnt
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wird, wirft die von ihm initiierte Bewegung ein Licht auf das Spannungsfeld, das zwischen Buddhismus und Hinduismus in der Kastenfrage besteht. So ist bezeichnend, dass die von Ambedkar etablierte Konversionszeremonie nicht nur die obligatorische sogenannte dreifache buddhistische Zufluchtsformel und die Verpflichtung auf die fünf für Laien verbindlichen ethischen Grundprinzipien enthält, sondern auch weitere Formulierungen, die die definitive Abkehr vom Hinduismus markieren. Mit diesen Zusätzen spricht sich der Konvertit von seiner Geburtsreligion frei und bezieht negativ Stellung gegenüber hinduistischen Glaubenssätzen und Praktiken, wie etwa den Glauben und das Opfer an Gottheiten wie Brahma, Shiva oder Krishna oder die Vorstellung, Buddha sei der neunte Avatar des Gottes Vishnu gewesen. Das Problem der Authentizität des Buddhismus angesichts von Vereinnahmungsversuchen aufseiten des Hinduismus war auch das Thema eines Disputs um die im indischen Bihar gelegene buddhistische Gedenkstätte Bodhgaya. Der Ort wird mit der Erleuchtung des Religionsstifters in Verbindung gebracht und zieht jährlich Tausende von Pilgern vor allem aus Südostasien und Japan an. Unter dem Vorwurf einer unrechtmäßigen „Hinduisierung“ der Stätte und verärgert über das Engagement der prohinduistischen Bharatiya Janata Party flammte allerdings in den letzten Jahren ein Streit zwischen Hindus und Buddhisten um die Kontrolle über das Heiligtum auf. Ihrer fehlenden politischen Lobby bewusst, schafften sich indische Buddhisten in Form eines Protestmarsches in Delhi und einer an den Premierminister gerichteten Petition mit der Bitte Gehör, ein jahrzehntelang geltendes Gesetz außer Kraft zu setzen, das die Kontrolle der Stätte durch Hindus legitimiert. Die Aktion wurde von zwei buddhistischen Mönchen im Namen des Bodhgaya Mahabodhi Mahavihar All India Action Committee organisiert. Der Disput geht bis ins 19. Jahrhundert zurück und manifestiert sich seither u. a. in dem Vorwurf, die hinduistischen Verwalter hätten den Buddhastatuen das Aussehen von Hindu-Gottheiten verliehen und sie damit auch für hinduistische Pilger attraktiv gemacht. Diesen Anschuldigungen hielt die hinduistische Seite entgegen, der Buddha werde von Hindus als neunter Avatar Vishnus verehrt, sei also ein ursprüngliches Element des hinduistischen Pantheons. Ein weiteres Beispiel zeigt, wie sensibel indische Buddhisten angesichts der Inkorporation Buddhas in das hinduistische Pantheon inzwischen geworden sind. Umgetrieben von der Sorge um die Integrität seiner Religion, verfasste der Vorsitzende der All India Bhikkhu Sanga am 23.2.1995 einen Brief an den damaligen indischen Ministerpräsidenten P.V. Narasimha Rao. Das Schreiben reagierte auf die Tatsache, dass der Schauspieler Arun Golvil, der in der Fernsehnovelle Ramayana zuvor den Rama gespielt hatte, als Hauptdarsteller der nunmehr geplanten Serie „Buddha“ ausgewählt worden war. Die indischen Buddhisten befürchteten nun, dass die sukzessive Darstellung des Rama, also des siebten Avatars Vishnus, und des Buddha als angeblich neunter Avatar des Hindugottes
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durch ein und denselben Schauspieler althergebrachte Irrtümer zulasten der Authentizität des Buddhismus wiederbeleben könnte. Übergriffe seitens des Hinduismus beklagte auch Ajahn Buddhadasa Bhikkhu (1906–1993). Obwohl der thailändische buddhistische Meinungsführer in den 1930er Jahren mit dem Vedanta-Vertreter Swami Satyanandaburi befreundet war und mit ihm konstruktive und intensive Diskussionen geführt hatte, zeigte sich Ajahn Buddhadasa skeptisch gegenüber den einseitig verwässerten Grenzen zwischen beiden Religionen. Der Protest gegen die aus seiner Sicht imperialistisch-ideologische Vereinnahmungstendenz des Hinduismus war auch in einem Bild festgehalten, das an einer Wand seines Klosters hing und einen brahmanischen Priester zeigte, der einen buddhistischen Mönch verschluckt. Allerdings war Ajahn Buddhadasa selbstkritisch genug, um auch auf die Mitschuld des Buddhismus an dieser Problematik aufmerksam zu machen. Letztlich sei es auch der Unfähigkeit buddhistischer Vertreter zuzuschreiben, dass sich die eigene Religion nur ungenügend vom Hinduismus abhebe. Das beträfe in erster Linie den indischen Buddhismus, der sich in der Vergangenheit zu stark am Vorbild des Hinduismus mit seinem Ritualismus und seiner Priesterhierarchie sowie an tantrischen Tendenzen orientiert und darüber vergessen habe, den Kern der buddhistischen Lehre zu pflegen. Die Unfähigkeit des Buddhismus, sich an seine Wurzeln zu halten, habe wesentlich zur Verwischung der Systemgrenzen beigetragen. Vor dem Hintergrund der zitierten Beispiele ist es leichter verständlich, dass selbst Buddhisten, die für einen offenen Dialog mit dem Hinduismus eintreten, vor den Gefahren einer allzu toleranten Haltung warnen. So gibt etwa Mattanando Bhikkhu (geb. 1956) zu bedenken, dass eine interreligiöse Begegnung sich nicht nur häufig in einer Rhetorik erschöpft, die darauf abzielt, die eigene Tradition zu wahren, sondern gegebenenfalls mit der Intention durchgeführt wird, die andere Religion für sich zu vereinnahmen, nachdem man sie erst einmal grundlegend kennengelernt hat. Buddhisten sollten sich deshalb davor hüten, ihre Identität im Dialog preiszugeben. Die Geschichte belege, dass der Hinduismus in Anwendung dieser Strategie recht erfolgreich gewesen ist, denn in Reaktion auf die vom Buddha angewandte Methode, sich der Terminologie der vedischen Kultur zu bedienen, habe es schließlich der Hinduismus auf gleichem Wege verstanden, den Buddhismus für sich zu vereinnahmen. Aus diesen Gründen müsse man sich im gegenwärtigen interreligiösen Dialog gegen entsprechende Mechanismen wappnen.
Abkürzungen: Biblische Bücher Altes Testament Gen Genesis (1. Buch Mose) Ex Exodus (2. Buch Mose) Lev Leviticus (3. Buch Mose) Num Numeri (4. Buch Mose) Dtn Deuteronomium (5. Buch Mose) Jos Josua Ri Richter Ru Ruth 1, 2 Sam 1. und 2. Samuelbuch 1, 2 Kön 1. und 2. Königsbuch 1, 2 Chr 1. und 2. Chronikbuch Esr Esra Neh Nehemia Est Esther Hi Hiob Ps Psalm(en) Spr Sprüche Pred Prediger (Kohelet) Hhld Hoheslied Weish Weisheit Salomos Jes Jesaja Jer Jeremia Ez Ezechiel Dan Daniel Hos Hosea Joel Joel Am Amos Ob Obadja Jon Jona Mi Micha Nah Nahum Hab Habakuk Zeph Zephanja Hag Haggai Sach Sacharja Mal Maleachi
Neues Testament Mt Matthäusevangelium Mk Markusevangelium Lk Lukasevangelium Joh Johannesevangelium Apg Apostelgeschichte Röm Römerbrief 1, 2 Kor 1. und 2. Korintherbrief Gal Galaterbrief Eph Epheserbrief Phil Philipperbrief Kol Kolosserbrief 1, 2 Thess 1. und 2. Thessalonicherbrief 1, 2 Tim 1. und 2. Timotheusbrief Tit Titusbrief Phlm Philemonbrief Hebr Hebräerbrief Jak Jakobusbrief 1, 2 Petr 1. und 2. Petrusbrief 1-3 Joh 1., 2. und 3. Johannesbrief Jud Judasbrief Offb Johannesoffenbarung
Anmerkungen Rudyard Kipling und ein Missverständnis 1 Mall, Ram Adhar, Zur Theorie und Praxis der Toleranz. Eine interkulturelle-interreligiöse Perspektive, Frankfurt a. M. 2003 (GustavMensching-Vorlesungen für religiöse Toleranz 2). 2 Zur Kritik am Begriff s. Hutter, Manfred, Die Weltreligionen, 2. Aufl. München 2006. – Der Religionswissenschaftler Gustav Mensching sprach meist nicht von Welt-, sondern von Universalreligionen. Diese wenden sich im Unterschied zu den vorwiegend am Kollektiv orientierten Frühzeitreligionen oder Volksreligionen an den einzelnen in seiner „generellen und existentiellen Unheilssituation“, sie bieten Befreiung, Erlösung und Heil an. „Universalreligion“ ist im Sinne Menschings in erster Linie kein quantitativer, sondern ein qualitativer Begriff (Volksreligion und Weltreligion, Leipzig 1938). 3 Friedli, Richard, Zwischen Himmel und Hölle – die Reinkarnation. Ein Handbuch, Freiburg (Schweiz) 1986. 4 Vgl. Tworuschka, Udo, Religionswissenschaft, Stuttgart 2006. – Klöcker, Michael / Tworuschka, Udo (Hg.), Praktische Religionswissenschaft, Köln / Weimar 2008. 5 Hierzu zählen im deutschsprachigen Raum u. a. Religionswissenschaftler wie Wolfgang Gantke und Richard Friedli. 6 Werblowsky, R. J. Zwi, „Die Rolle der Religionswissenschaft bei der Förderung gegenseitigen Verständnisses“, in: Selbstverständnis und Wesen der Religionswissenschaft, hg. von Günter Lanczkowski, Darmstadt 1974, S. 180–188, hier S. 187. 7 Proceedings of the Xth International Congress of the IAHR, vol. VIII, Leiden 1968, S. 8. Vgl. außerdem Benz, Ernst, „Die Bedeutung der Religionswissenschaft für die Koexistenz der Weltreligionen heute“, in: Selbstverständnis und Wesen der Religions-
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wissenschaft, hg. von Günter Lanczkowski, Darmstadt 1974, S. 243–256. Friedli, Richard, Toleranz und Intoleranz als Thema der Religionswissenschaft. Von der Lebensmitte der Religionen zur Tiefenkultur der Konflikte (Gustav-Mensching-Vorlesungen für religiöse Toleranz 1), Frankfurt a. M. 2003, S. 11. Colpe, Carsten, „Religion und Religionswissenschaft“, in: TRT (Taschenlexikon Religion und Theologie), 4. Aufl. Göttingen 1983, S. 238–243, hier S. 241. Vgl. die nationalen und internationalen Kölner Schulbuchanalyseprojekte Islam in deutschen Schulbüchern (Leitung: Abdoldjavad Falaturi, Udo Tworuschka) und Islam in Textbooks in den 1980er und 90er Jahren sowie das von Johannes Lähnemann und Klaus Hock initiierte Projekt. Vgl. Hock, Klaus / Lähnemann, Johannes (Hg.), Die Darstellung des Christentums in Schulbüchern islamisch geprägter Länder, Hamburg 2005; darin die Beiträge von Wolfram Reiss, Ägypten und Palästina. Patrick Bartsch, Türkei und Iran. Mein Buch Methodische Zugänge zu den Weltreligionen, Frankfurt a. M. / München 1982, die – wenn ich recht sehe – erste religionswissenschaftliche Methodik (gerichtet allerdings an ReligionspädagogInnen), enthält ein ausführliches Kapitel von Monika Tworuschka über „Vorurteile“, auf die schon im Vorfeld der Beschäftigung mit den Religionen zu achten ist. Drever, J. / Fröhlich, W., dtv-Wörterbuch der Psychologie, München 1968. Zur Begriffsbestimmung vgl.: Quasthoff, U., Soziales Vorurteil und Kommunikation. Eine sprachwissenschaftliche Analyse des Stereotyps, Frankfurt a. M. 1973. Ebd., S. 218. Ebd., S. 42f. Toleranz und Wahrheit in der Religion, Heidelberg 1955 (Neuausgabe Weimar 1996).
Anmerkungen 17 Aus der Welt der Religion, Heft 3, Gießen 1928. 18 Hingewiesen sei auf den von Heinz-Jürgen Loth, Michael Mildenberger und Udo Tworuschka herausgegebenen Sammelband Christentum im Spiegel der Weltreligionen (3. Aufl. 1986), der kritische Texte und Kommentare der großen Religionen über das Christentum versammelt.
Der katholische Blick auf andere Religionen 1 Fulgentius Ruspensis, „De fide 79, Liber unus“, in: Migne, Jacques Paul, Patrologia Latina, Paris 1844–1855, Bd. 65, S. 704 (lateinischer Text). 2 Text siehe „Erklärung Nostra Aetate über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“, in: Rahner, Karl / Vorgrimler, Herbert, Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums, Freiburg i. Br. 1966, S. 355–359. 3 Die Feier der heiligen Messe. Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch. Kleinausgabe. Das Meßbuch deutsch für alle Tage des Jahres, Einsiedeln 1981, [48]. 4 Text siehe Henrix, Hans Hermann, Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen, Kevelaer 2004, S. 79. 5 Guibert von Nogent; zitiert nach Southern, Richard W., Das Islambild des Mittelalters, Stuttgart u. a. 1981, S. 27. 6 Zitiert nach ebd., S. 31. 7 Lull, Ramon, Das Buch vom Heiden und den drei Weisen, Stuttgart 1998, S. 16f. 8 Sekretariat für die Nichtchristen / Borrmans, Maurice, Wege zum christlichislamischen Dialog, Frankfurt a. M.1985. Belegstellen in Klammern. 9 Gioia, Francesco, Interreligious Dialogue, Boston 1997, S. 283, Nr. 442. 10 Ebd., S. 284, Nr. 444. 11 Johannes Paul II., „Ansprache bei der Begegnung mit der muslimischen Jugend in Casablanca 1985“, in: H. Vöcking, Stimmen zum Dialog II (CIBEDO-Dokumentation Nr. 29), Frankfurt a. M. 1986, S. 11–20, S. 18. 12 „Relatio Fratri Odorico“, in: Sinica Franciscana I: Itinera et relationes fratrum minorum saec. XIII et XIV, hg. von Anastasius van den Wyngaert OFM, Firenze
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1929, 379–495. Deutsche Übersetzung: Die Reise des Seligen Odorich von Pordenone nach Indien und China (1314/18–1330). Übers., eingel. u. erl. von Folker Reichert, Heidelberg 1987. Früh erfolgte eine Übersetzung ins Mittelhochdeutsche; Handschriften davon existieren aus dem 15. Jahrhundert, u. a. im Stift Klosterneuburg (Konrad Steckels deutsche Übertragung der Reise nach China des Odorico de Pordenone, hg. von Gilbert Strasmann, Berlin 1968). Antwort eines Seemanns, was sie soweit von Portugal suchen würden, nach dem zeitgenössischen Bericht Roteiro da Primeira Viagem de Vasco da Gama por Âlvaro Velho, 1. Aufl. Porto 1838; deutsche Übersetzung: Vasco da Gama. Die Entdekkung des Seewegs nach Indien. Ein Augenzeugenbericht 1497–1499, hg. von Gernot Giert, Stuttgart / Wien 1990. Francisco de Xavier: „Brief an die Väter der Gesellschaft zu Rom, Cochin 15. Jänner 1544“, in: Die Briefe des Francisco de Xavier 1542–1552. Ausgewählt, übertragen und kommentiert von Elisabeth Gräfin Vitzthum, 3. Aufl. München 1950, S. 52f. Wicki, J. (Hg.), Documenta Indica, Bd. IV, Rom 1960, S. 171. Der flämische Missionar Gaspar Barzaeus (Brief vom 10. Dezember 1549 aus Ormuz). „Brief an die europäischen Brüder aus Ormuz vom 10. Dezember 1549“, in: Documenta Indica, Bd. I, hg. von J. Wicki, Rom 1948, S. 676. Commentaries of the Great Afonso Dalboquerque, Bd. I, transl. Walter de Gray Birch, London 1875, S. 78. Wicki, J. (Hg.), Documenta Indica, Bd. IV, Rom 1960, S. 803f. Gonçales, P. Diego, História do Malavar (Quilon 1615), Münster i. W. 1955. Väth SJ, Alfons, Im Kampfe mit der Zauberwelt des Hinduismus. Upadhyaya Brahmabandhav und das Problem der Überwindung des höheren Hinduismus durch das Christentum, Berlin / Bonn 1928, S. 42f. Ohm, Thomas, Indien und Gott. Religionsund missionskundliche Streifzüge durch Ceylon und Vorderindien, Salzburg 1932, S. 265. Panikkar, Raimundo, Christus der Unbekannte im Hinduismus, Luzern / Stuttgart 1965, S. 71f.
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24 Panikkar, Raimundo, Der unbekannte Christus im Hinduismus, Mainz 1986, 2. Aufl. 1990, S. 35. 25 Interreligious Dialogue. The Official Teaching of the Catholic Church (1963–1995). Ed. Francesco Goia, Boston 1994, S. 125 (deutsche Übersetzung: E. F.). 26 Abhishiktananda, Ascent to the Depth of the Heart. The Spiritual Diary (1948–73) of Swami Abhishiktananda (Dom Henri Le Saux), selected and introduced by Raimon Panikkar, translated by David Fleming and James Stuart, New Delhi: ISPCK, 1998, S. 94f. (deutsche Übersetzung: E. F.). 27 Griffiths, B. / Sundararajan, K. R., „Hinduism“, in: New Catholic Encyclopedia, Second edition, Vol. 6, ed. Catholic University of America, Detroit / New York 2003, S. 853 (deutsche Übersetzung: E. F.). 28 Vgl. Figl, Johann, „Christentum“, in: Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen, hg. von Johann Figl, Innsbruck / Wien / Göttingen 2003, S. 419–435. 29 Siehe Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Bd. XVII, München 1936, S. 67. 30 Vgl. Winter, Franz, Das frühchristliche Mönchtum und der Buddhismus, Frankfurt a. M. u. a. 2008. 31 Vgl. „Alopen“, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl. Freiburg u. a. 1993, Band 1, Sp. 426. 32 Brück, Michael von / Lai, Whalen, Buddhismus und Christentum. Geschichte, Konfrontation, Dialog, München 1997, S. 109. 33 Brück, Michael von / Lai, Whalen, a. a. O., S. 110. 34 Vgl. ebd., S. 112. 35 Vgl.ebd., S. 153. 36 Ebd., S. 162. 37 Rahner, Karl / Vorgrimler, Herbert, Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums, Freiburg i. Br. 1966, S. 356. 38 Vgl. „Drei Merkmale“, in: Das Lexikon des Buddhismus, hg. von Klaus-Josef Notz, Freiburg i. Br. 1998, S. 144f.; das dritte Merkmal ist Nicht-Selbst (anatta). 39 Vgl. Grundlegend dazu Dumoulin SJ, Heinrich, „Exkurs zum Konzilstext über den Buddhismus“, in: Lexikon für Theologie und Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare, Teil II, Freiburg / Basel / Wien 1967, Sp. 483.
40 Vgl. z. B. die Hinweise von Horst Bürkle, „Das Modell ‚Assissi 1986‘ und der Interreligiöse Dialog“, in: Forum Katholische Theologie, hg. von L. Scheffczyk, K. Krenn und A. Ziegenaus, 5 (1989), S. 117–127, bes. S. 117f. 41 Vgl. Anm. 1 zu dieser „Verlautbarung“ vom 14.12.1989, dt. Text in: Herder Korrespondenz 44 (1990) S. 79–85. 42 Die abschließenden Überlegungen wurden z. T. erstmals publiziert in: Figl, Johann, „Buddhismus in Europa als Anfrage an das Christentum“, in: Wege der Theologie. An der Schwelle zum dritten Jahrtausend, FS Hans Waldenfels, hg. von G. Riße, Paderborn 1996, S. 689f.
Der orthodoxe Blick auf andere Religionen 1 Father Alexander Men’, „Christianity“, in: Sourozh 56 (1994) 7–16; Anastasija Andreeva (Hg.), Otets Aleksandr Men’ otvečaet na voprosy slyšatelej, Moskau 1999, S. 249–274. 2 Rose, Fr. Seraphim, Orthodoxy and the Religion of the Future, Platina, CA 4. Aufl. 1999. 3 Makrides, Vasilios N., „Religion, Kirche und Orthodoxie. Aspekte orthodoxchristlicher Religionskritik“, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 15 (2007), S. 53–82. 4 „,Notre Église a été pendant vingt siècles le levain du peuple grec‘. Un entretien avec l’archevêque Christodoulos d’Athènes“, in: Service Orthodoxe de Presse 296 (März 2005), S. 19–23, hier S. 23. 5 Hagemeister, Michael, „Sergej Nilus und die ,Protokolle der Weisen von Zion‘: Überlegungen zur Forschungslage“, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 5 (1996), S. 127–147. 6 Makrides, Vasilios N., „Aspects of Greek Orthodox Fundamentalism“, in: Orthodoxes Forum 5 (1991), S. 49–72, hier S. 56–57. 7 Oeldemann, Johannes, „Orthodoxe Theologen im interreligiösen Dialog mit dem Judentum und dem Islam“, in: Catholica 3 (2003), S. 193–206, hier S. 197–199. 8 Bischof Anastasios (Yannoulatos), „Der Dialog mit dem Islam aus orthodoxer Sicht“, in: Ein Laboratorium für die Einheit (Pro Oriente, 13), hg. von R. Kirch-
Anmerkungen
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schläger und A. Stirnemann, Innsbruck / Wien 1991, S. 210–222. Förstel, Karl, Manuel II. Palaiologus. Dialoge mit einem Muslim. 3 Bde., Würzburg / Altenberge 1993–1996. Zur Papstrede vgl. Benedikt XVI., Glaube und Vernunft. Die Regensburger Vorlesung, vollständige Ausgabe, kommentiert von G. Schwann, A.Th. Khoury und Karl Kardinal Lehmann, Freiburg 2006, S. 13–17. Döpmann, Hans-Dieter, Die Russische Orthodoxe Kirche in Geschichte und Gegenwart, Berlin 1977, S. 31–51. Dazu das spezielle Heft der Journal of Ecumenical Studies 39/1–2 (2002). Klimkeit, Hans-Joachim, Die Begegnung von Christentum, Gnosis und Buddhismus an der Seidenstraße, Opladen 1986. Sioris, George A., Monastic Discipline. Vinaya and Orthodox Monasticism: An Attempt at Comparison, Chiang Mai 2002.
Der evangelische Blick auf andere Religionen 1 Vgl. Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945 bis 1985, hg. von Rolf Rendtorff und Hans Hermann Henrix, 2. Aufl. Paderborn / München 1989; Die Kirchen und das Judentum, Bd. II: Dokumente von 1986 bis 2000, hg. von Hans Hermann Henrix und Wolfgang Kraus, Paderborn / Gütersloh 2001. 2 Vgl. zum Folgenden: Maurer, Wilhelm, „Die Zeit der Reformation“, in: Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Darstellung mit Quellen, Bd. I, hg. von Karl Heinrich Rengstorf und Siegfried von Kortzfleisch, München 1988, S. 388–391. 3 Müller, Gerhard, „Protestantische Orthodoxe“, in: Kirche und Synagoge, Bd. I, S. 453–499; hier S. 459. 4 Schmidt, Martin, „Judentum und Christentum im Pietismus des 17. und 18. Jahrhunderts“, in: Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Darstellung mit Quellen, Bd. II, hg. von Karl Heinrich Rengstorf und Siegfried von Kortzfleisch, München 1988, S. 93. 5 Schmidt, Martin, a. a. O., S. 120. 6 Vgl. Dantine, Wilhelm, „FrühromantikRomantik-Idealismus“, in: Kirche und Synagoge, Bd. II., S. 177–217 (s. Anm. 17).
7 Barth, Karl, Die kirchliche Dogmatik, Bd. II, 2, Zürich 1942. 8 Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945 bis 1985, S. 549 (s. Anm. 1). 9 Ebd., S. 594. 10 Die Kirchen und das Judentum, Bd. II: Dokumente von 1986 bis 2000, S. 635f. (s. Anm. 1). 11 Vgl. Görrig, Detlef, Die Wurzel trägt. Israels bleibende Erwählung und die Mission der Kirche, Frankfurt a. M. 2004. 12 Die Kirchen und das Judentum, Bd. II: Dokumente von 1986 bis 2000, S. 898 (s. Anm. 1). 13 Untertitel seines Buchs Christentum contra Islam, Darmstadt 1999. 14 Luther, Martin, Vom kriege widder die türcken (1529), 121, 31–122, 2. 15 Kraemer, Hendrik, The Christian Message in a Non-Christian World, London 1938, S. 215 (Übersetzungen U. D.). 16 Vgl. Rosenkranz, Gerhard, Evangelische Religionskunde, Tübingen 1951, S. 172– 176. 17 Vgl. Freytag, Walter, „Der Islam als Beispiel einer nachchristlichen Religion“ (1955), in: Ders., Reden und Aufsätze Teil II, München 1961, S. 53–63. 18 ÖRK (Hg.), Meeting in Faith. Twenty Years of Christian-Muslim Conversations, sponsored by the World Council of Churches, compiled by Stuart E. Brown, Genf 1989, S. 4. 19 EKiR (Hg.), Christen und Muslime nebeneinander vor dem einen Gott – zur Frage gemeinsamen Betens. Eine Orientierungshilfe, Düsseldorf 1998, S. 23f. 20 Christlicher Glaube und Islam. Erklärung der Lausanner Bewegung, Deutscher Zweig in Verbindung mit der Deutschen Evangelischen Allianz und der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste in der EKD, Stuttgart 1997, S. 26f. 21 „… und der Fremdling, der in deinen Toren ist.“ Gemeinsames Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht, hg. vom Kirchenamt der EKD und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit der ACK in Deutschland, Bonn / Frankfurt a. M. / Hannover 1997, Abschnitt 204. 22 Vgl. Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland. Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen – Eine Handrei-
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Anhang chung des Rates der EKD, Gütersloh 2000, S. 45. Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland – Eine Handreichung des Rates der EKD, Hannover 2006, S. 19. Brown, Stuart, The Nearest in Affection: Towards a Christian Understanding of Islam, Genf 1994. So Pandipeddi Chenchiah; vgl. Boyd, Robin, An Introduction to Indian Christian Theology, 2. Aufl. Madras / New Delhi 1975, S. 144. So Schomerus, Hilko Wiardo, Indien und das Christentum. Teil I: Indische Frömmigkeit, Halle-Saale 1931, S. 29. Vgl. EMM 19 (1875), S. 30. Wörrlein, Johann, Vierzig Jahre in Indien, Hermannsburg 1913, S. 18. Zitiert nach Lehmann, Arno, Es begann in Tranquebar. Die Geschichte der ersten evangelischen Mission in Indien, Berlin 1956, S. 20. Schomerus, Hilko Wiardo, Indien und das Christentum. Teil I: Indische Frömmigkeit, a. a. O., S. 26 u. ö. Zitiert in Oddie, Imagined Hinduism. British Protestant Missionary Constructions of Hinduism, a. a. O., S. 286. Albert Schweitzer, Die Weltanschauung der indischen Denker. Mystik und Ethik, 2. Aufl. München 1965, S. 3 u. ö. Otto, Rudolf, Die Gnadenreligion Indiens und das Christentum, Gotha 1930, S. 52. Limbach, S., Hinduismus, Mohammedanismus und Christentum in Beziehung auf ihren Glaubensinhalt und ihre Glaubensfrucht, in: EMM 37 (1893), S. 201. Vgl. Hudson, D. Dennis, Protestant Origins in India. Tamil Evangelical Christians, 1706–1835, Grand Rapids / Cambridge / Richmond 2000, S. 17. Richter, Julius, Indische Missionsgeschichte, 2. Aufl. Gütersloh 1924, S. 524. Jones, Stanley E., Mahatma Gandhi: An Interpretation, London 1948, S. 11. Otto, Rudolf, Die Gnadenreligion Indiens und das Christentum, a. a. O. Brück, Michael von, Einheit der Wirklichkeit. Gott, Gotteserfahrung und Meditation im hinduistisch-christlichen Dialog, 2. Aufl. München 1987. Wiser, William Henricks, The Hindu Jajmani System, New Delhi 1988 (Ersterscheinung 1936), S. 128. Ebd., S. 108 u. ö.
42 Song, Choan-Seng, Theologie des Dritten Auges, Göttingen 1989, S. 135. 43 Vgl. Takizawa, Katsumi, Reflexionen über die universale Grundlage von Buddhismus und Christentum, Frankfurt a. M. 1980; Yagi, Seiichi, Die Front-Struktur als Brücke vom buddhistischen zum christlichen Denken, München 1988. 44 Barth, Hans-Martin, Dogmatik. Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen, Gütersloh 2001, S. 338. 45 Dierken, Jörg, Selbstbewußtsein individueller Freiheit. Religionstheoretische Erkundungen in protestantischer Perspektive, Tübingen 2005, S. 194 (kursiv im Original). 46 Vgl. Buri, Fritz, Der Buddha-Christus als der Herr des wahren Selbst, Bern / Stuttgart 1982, S. 381–431. 47 Brück, Michael von / Lai, Whalen, Buddhismus und Christentum, München 1997, S. 638–672.
Der jüdische Blick auf andere Religionen 1 Neusner, Jacob, A Short History of Judaism, Minneapolis 1992, S. 7: „while we speak of ‚Judaism‘ [...] it would be more exact to speak of Judaisms.“ 2 Über die Bezeichnung „Profetenmörder“ im Alten Testament siehe z. B. 1.Kön 19,10; Jer 2,30; Neh 9,26; Esr 9,11; über „Söhne Belials“: 1Sam 10,27; 2,12. Die Qumraner nannten „Söhne Belials“ alle diejenigen, die nicht zur Gemeinde gehörten. Siehe die Qumran-Fragmente: 4Q174,III,8; 4Q286 Frg. 7,II,6; 4Q386 Frg. 1,II,3; 11Q11,V,3. 3 Die hebräische Schriftweise von „Edom“ lässt sich durch einen Buchstaben versetzt als „Rom“ deuten. 4 Sefer Emunot we-deot II, 5. Leicht geänderte Übersetzung nach Kaufmann, David, Geschichte der Attributenlehre in der jüdischen Religionsphilosophie, Gotha 1877 (Nachdruck Hildesheim / New York 1982), S. 38−39. 5 Eine weitere ähnliche Bestimmung des Maimonides befindet sich in Hilkhot Avodat Kochavim 9,4. 6 Siehe Maimonides, Moses, Der Brief in den Jemen. Texte zum Messias, hg., übers. und komm. von Sylvia Powels-Niami unter Mitwirkung von Helen Thein, Berlin 2005, S. 35−36.
Anmerkungen 7 Übersetzung nach Maier, Johann, Kriegsrecht und Friedensordnung in jüdischer Tradition, Stuttgart / Berlin / Köln 2000, S. 106, 238. Die sieben noachidischen Ge- und Verbote sind (vgl. bSanh 56a): Verbot von Götzendienst, der Gotteslästerung, des Blutvergießens, der Unzucht, des Raubes, Gebot der Rechtsausübung und Verbot des Genusses von Fleisch eines „lebendigen“ (d. h. nicht geschächteten, nicht ausgebluteten) Tieres. 8 Eidelberg, Shlomo, Teschuvot R. Gerschom Me’or ha-Golah, New York 1955, S. 75–77, zitiert nach Jacob Katz, Exclusiveness and Tolerance: Studies in Jewish-Gentile Relations in Medieval and Modern Times, New York 1961, S. 33. 9 bAvoda Zara 6a. 10 Betha-Behirah zu Bava Qamma 113 a–b. 11 Laut Dtn 22,3 ist man verpflichtet, alle Fundgegenstände von Juden den legitimen Eigentümern zurückzugeben. 12 Nach der Redaktion des babylonischen Talmud (um die Mitte des 8. Jahrhunderts) mussten sich die Rabbiner gegen eine innerjüdische Bewegung behaupten, die ihre Autorität infrage stellte. Ende des 8. Jahrhunderts – in derselben Zeit also, als die rationalistische Schule der Mutaziliten die Vorherrschaft in der islamischen Welt gewonnen hatte, bildete sich um Anan ben David gegen die etablierte Führung der Rabbaniten eine Opposition, die sogenannten Ananiten, die später (im 10. Jahrhundert) in der Sekte der Karäer aufging. Die Karäer („Bibelleser“) lehnten die mündliche Tora strikt ab und bekannten sich ausschließlich zum Text der schriftlichen Tora, also der Bibel. 13 Sefer ha-Kuzari 1,5. Zitiert nach Der Kusari. Übersetzung ins Deutsche und Einleitung von Dr. David Cassel, Zürich 1990. 14 So z. B. Jehudah Halevi, Sefer ha-Kuzari, 4.11. 15 Maimonides, Moses, Teshuvot ha-Rambam, hg. von Jehoshua Blau, Jerusalem 1960, Bd. 2, S. 725–727; siehe Septimus, Bernard, „Petrus Alfonsi on the Cult at Mecca“, in: Speculum 56/3(1981), S. 517–533; S. 522–524. 16 Siehe dazu Shapiro, „Islam and the Halakhah“, S. 336. 17 Sambari, Sefer divre Josef, Jerusalem 1994, Kap. 92, S. 28; Übersetzung nach Jacobs, Islamische Geschichte, S. 225.
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18 Vgl. Maimonides, Moses, Mischneh Torah, Hilkhot Melakhim, VIII, 11. In den Hilkhot issure bi’ah XIV,7 erklärt Maimonides, der ger toschav sei derjenige, der keinen Götzendienst betreibt und die sieben noachidischen Gebote befolgt. Die Anerkennung der Sinai-Offenbarung wird nicht erwähnt. 19 Maimonides, Moses, Mischneh Tora, Hilkhot ma’akalot ’asurot, XI,7. Übersetzung nach Maier, Johann, Kriegsrecht und Friedensordnung, S. 193. 20 Siehe z. B. Rabbi Meir Kahane, They must go, New York 1981. 21 Aus diesem Grund befürwortete der litauische Rabbi Shemariah Menasseh Adler in Emeq ha-bakha (Keidainai 1935, Bd. 2, S. 78–79) die Zerstörung aller Moscheen im Israelland. Siehe dazu Shapiro, „Islam and the Halakhah“, S. 337. 22 Hirsch, Samuel, Die Religionsphilosophie der Juden, Leipzig 1842, Nachdruck Hildesheim / Zürich / New York 1986, S. 151f. 23 Die moderne Religionswissenschaft betrachtet den Hinduismus als eine henotheistische Religion, denn alle Götter – je nach individueller Glaubensausrichtung – sind Ausdruck des einen obersten persönlichen Gottes oder auch der unpersönlichen Weltseele („Brahman“). 24 Der englische Originaltext ist auch im Internet abrufbar unter http://www. engagingamerica.org/ajc/pdffiles/ religion/jewish_hindu_declaration_ feb.2007.pdf (23.04.2007). 25 „Dharma“ bedeutet in Sanskrit „Sitte“, „Gesetz“, „Ordnung“. Im religiösen Sinne ist es die Gesamtheit der ethischen und religiösen Normen, die das Leben eines Hindu bestimmen. 26 „World Council of Religious Leaders“ versteht sich als eine unabhängige interreligiöse Institution, die die Arbeit des UNO für die Förderung des Weltfriedens unterstützt. Das „World Council of Religious Leaders“ ist aus dem „Millennium World Peace Summit of Religious and Spiritual Leaders“, das bei dem UNOSitz in New York zwischen dem 28.–31. August 2000 stattfand, entstanden. Weder der Vatikan noch die „Church of England“ sind offiziell Mitglieder, obwohl Würdenträger beider Kirchen (Erzbischof Desmond Tutu und Bischof Carlos Belo) zu den Mitgründern des „World Council“ zählen.
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27 Siehe den Leitartikel von ZarafulIslam Kahn in: The Milli Gazette, 1–15 March 2007, S. 1. Der Artikel ist auch im Internet abrufbar unter: http:// www.milligazette.com/dailyupdate/2007/200702261_Hindu_Jewish_ summit_rss.htm (23.04.2007). 28 Hirsch, Samuel, Die Religionsphilosophie der Juden, Leipzig 1842 (Nachdruck Georg Olms Verlag 1986), S. 207. 29 http://abcnews.go.com/US/Beliefs/ story?id=1914402&page=1 23.04.2007; siehe auch Kamenetz, The Jew in the Lotus, S. 7–8. 30 Kamenetz, The Jew in the Lotus, S. 8. 31 Ebd., S. 12. 32 Siehe Scholem, Gershom, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Zürich 1957 (Nachdruck Frankfurt a. M. 1980), S. 142; Idel, Moshe, Abraham Abulafia und die mystische Erfahrung, Frankfurt a. M. 1994. 33 Das Reformjudentum ist in Deutschland im 19. Jahrhundert entstanden. Ziel war es, einen Mittelweg zwischen Assimilation und Bewahrung der jüdischen Tradition zu finden, um das Judentum von den sozialen und kulturellen Veränderungen der Außenwelt nicht auszuschließen. Vor allem in den USA hat sich das Reformjudentum verbreitet und noch heute ist das „Hebrew Union College“, das in Cincinnati 1875 gegründet wurde, sein kulturelles Zentrum.
Der islamische Blick auf andere Religionen 1 Vgl. Schumann, Olaf, Der Christus der Muslime. Christologische Aspekte in der arabisch-islamischen Kultur, Gütersloh 1975. 2 Schimmel, Annemarie, Jesus und Maria in der islamischen Mystik, München 1996. 3 Dietrich, Ernst Ludwig, „Jesus im Islam“, in: Das große Gespräch der Religionen, hg. im Auftrag der Keyserling-Gesellschaft für freie Philosophie (Terra Nova 2), München / Basel 1964, S. 126. 4 Haikal, Mohammed Husain, Das Leben Mohammeds (arab.), Kairo 1965, S. 6f. 5 Vgl. Khoury, Adel Theodor / Hagemann, Ludwig, Christentum und Christen im Denken zeitgenössischer Muslime, Altenberge 1986, S. 56ff. 6 Ebd., S. 125.
7 Waardenburg, Jacques, „The Modern period 1500–1950“, in: Muslim Perceptions of other Religions, hg. von Jacques Waardenburg, New York / Oxford 1999, S. 78. 8 Kamil, Husain Mohammed, Sündige Stadt, Kairo 1954, S. 157 mit Auslassungen. 9 Khalifa Abdul Hakim, Islamic Ideology, Lahore 1976, S. 233, zitiert in: Christentum im Spiegel der Weltreligionen, hg. von Heinz Jürgen Loth, Michael Mildenberger, Udo Tworuschka, Stuttgart 1978, S. 226. 10 Nasr, Seyyid Hossein, Ideals and Realities of Islam, London 1975, S. 30ff. mit Auslassungen. 11 Arslan, Shakib, Warum die Muslime zurück blieben und warum andere Fortschritt machten (arab.), Beirut 1969, S. 70. Der Libanese Shakib Arslan (1869–1946) war ein einflussreicher Schriftsteller, Dichter, Journalist, Historiker, auch Politiker. 12 Vgl. Khoury, Adel Theodor / Hagemann, Ludwig, a. a. O., S. 155. 13 Farukh, Umar / Khalidi, Mustafa, Mission und Imperialismus in den arabischen Ländern (arab.), Beirut 1970, S. 5f. 14 Mildenberger, Michael, „Christliche Mission und islamisches Zeugnis“, in: Materialdienst der EZW 39 (1976), S. 296f. 15 Mohammed Imara, zitiert bei Khoury, Adel Theodor / Hagemann, Ludwig, a. a. O., S. 180. 16 Nasr, Seyyid Hossein, Ideals and Realities of Islam, London 1975, 43f. 17 Abdullah, Mohammed Salim, ChristlichIslamischer Ökumenismus, zitiert in: Khoury, Adel Theodor / Hagemann, Ludwig, a. a. O., S 174. 18 Zitiert in Schulze, Hagen / Paul, Ina Ulrike (Hg.), Europäische Geschichte, München 1994, S. 41. 19 Vgl. Tworuschka, Monika und Udo, Die Welt der Religionen. Islam, Gütersloh / München 2007, S. 178ff. 20 Vgl. Artikel „Abraham“, in: Tworuschka, Monika und Udo, Islam Lexikon, Düsseldorf 2002, S. 9ff. 21 Vgl. Waardenburg, Jacques, The Early Period, in: Waardenburg, Jacques, a. a. O., S. 24ff. 22 Waardenburg, Jacques, a. a. O., S. 53. 23 Ebd., S. 55. 24 Vgl. Tworuschka, Monika und Udo, Die Welt der Religionen. Judentum, Gütersloh 2008, S. 190f.
Anmerkungen 25 Vgl. Brodeur, Patrice, Arabic Muslim Writings on Contemporary Religions Other Than Islam, in: Waardenburg, Jacques , a. a. O., S. 243. 26 Vgl. Raheb, Viola, „Friedenserziehung nach der Intifada“, in: Interreligiöse Erziehung, hg. von Johannes Lähnemann, Hamburg 1998, S. 351ff. 27 Günther, Inge, Ein Friedenslabor in zwei Sprachen, Kölner Stadt-Anzeiger Nr. 252, 30. Oktober 2007. 28 Vgl. Raheb, Mitri, „Konzept pädagogischer Zusammenarbeit zwischen Christinnen, Musliminnen und Jüdinnen im Nahen Osten“, in: Das Projekt „Weltethos“ in der Erziehung, hg. von Johannes Lähnemann, Hamburg 1995, S. 315–320. 29 Vgl. Waardenburg, The Medieval Period, in: Waardenburg, Jacques, S. 28. 30 Al-Masudi, Bis zu den Grenzen der Erde (arab.), Stuttgart 1982, S. 57. 31 Zitiert in: Mensching, Gustav, Der offene Tempel, Stuttgart 1974, S. 201. 32 Zitiert in: Abdullah, a. a. O., S. 68. 33 Vgl. Scott, David, „Buddhismus und Islam. Von der Vergangenheit bis zur Gegenwart. Begegnungen und interreligiöse Lektionen“, in: Wer ist Buddha? Eine Gestalt und ihre Bedeutung für die Menschheit, hg. von Perry Schmidt-Leukel, München 1998, S. 198. 34 Vgl. Mensching, Gustav, Der offene Tempel, Stuttgart 1974, S. 220. 35 Zitiert in: Noth, Albrecht, Früher Islam, in: Geschichte der arabischen Welt, hg. von Ulrich Haarmann, München 1987, S. 66. 36 Zitiert in : Scott, David, a. a. O., S. 200. 37 Vgl. ebd., S. 201. 38 Ebd., S. 200. 39 Vgl. Alexander Berzin, http:www. berzinarchives.com/web/de/archives/ study/islam/general/islamic-buddhist 28.10.2007 40 Die islamische Charta des Zentralrats der Muslime in Deutschland: http://www. islam.de/3035.php (24.01.08). 41 Vgl. Noth, Albrecht, „Früher Islam“, in: Geschichte der arabischen Welt, hg. von Ulrich Haarmann, München 1987.
Der hinduistische Blick auf andere Religionen 1 Siehe dazu Stietencron, Heinrich von, Der Hinduismus, München 2001, S. 7ff. 2 Zitiert nach: Ballantyne, James Robert, The Bible for Pandits, Benares 1860, xli.
3 Philips, J.T. (hg. und übers.), Thirty Four Conferences between the Danish Missionaries and the Malabarian Bramans (or, Heathen Priests) in the East Indies, Concerning the Truth of the Christian Religion: Together with Some Letters Written by the Heathens to the Said Missionaries, London 1719, 14. 4 Zitiert nach: Young, Richard Fox, Resistant Hinduism: Sanskrit Sources on Anti-Christian Apologetics in Early Nineteenth-Century India, Wien 1981, S. 160. 5 Hacker, Paul, „Aspects of neo-Hinduism as Contrasted with Surviving Traditional Hinduism“, in: Philology and Confrontation: Paul Hacker on Traditional and Modern Vedanta, hg. von Wilhelm Halbfass, Albany, NY 1995, S. 229–255. 6 Savarkar, Vinayak Damodar, Hindutva, Who is a Hindu?, Pune 1923, S. 95. 7 Ebd. S. 27–28. 8 A Hindu View of Buddhism. Videovortrag von Swami Bodhananda Saraswati. Sambodh Society, Inc., Kalamazoo, MI, 2006 9 Hindustan Times, 21.09.2006. 10 Zum Studium der Hindutva-Bewegung, oder des Hindu-Nationalismus aus politikwissenschaftlicher Sicht siehe Jaffrelot, Christophe, The Hindu Nationalist Movement and Indian Politics. 1925–1990, New Delhi 1996. 11 Hindu Vishwa 15:9, 5 12 Dalit Voice, März 2006. Das 14-tägige Magazin zeichnet sich durch seine strikte Haltung gegen den Brahmanismus und gegen das Kastensystem aus. 13 Tambiah, Stanley J., Buddhism Betrayed? Religion, Politics and Violence in Sri Lanka. Chicago 1992, S. 3. 14 http://www.tamilnation.org/tamileelan/ fundamentalism/index.htm.
Der buddhistische Blick auf andere Religionen 1 Die Autoren bedanken sich bei Hischam A. Hapatsch, Nathan Katz, Perry Schmidt-Leukel und Hubert Seiwert sowie bei James Heisig, Terao Kazuyoshi und Paul Swanson für wichtige Hinweise in Form von Interviews, die in den Ausgaben 3 und 4/2007 des e-journals REVER (www.pucsp.br/rever) abgedruckt wurden.
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Personenregister Abduh, Mohammed 91 Abdur-Rahman III. 103 Abe, Masao 149, 151 Abraham 18, 22, 68, 86, 88, 99, 100, 101, 158 Abulafia 86 Abu Qurrah, Theodoros 37 Abu Zahra 109 Akbar 106, 107, 108 Akominatos/Choniates, Niketas Ala-du Din 113 al-Aqqad, Abbas Mahmud 89 Albuquerque, Alfonso, de 24 Aleaz, Kalarikkal Poulose 60 Alexander der Große 24 Alopen 28 Alvarus, Paulus 95 Ambedkar, Bhimrao Ramji 139, 140, 168, 169 Amiroutzes, Georgios 38 Ananos 67 Anastasios 39 ‘Araqi, Fakhruddin 162 Arghun Ilkhan 114 Aristoteles 76 Arndt, Ernst Moritz 51 Ashoka 164 Askari, Hasan 117 Aurobindo, Sri 42 Bakshi Kamalashri 114 Bar Kochba, Simon 15 Barlaam 44, 155 Barmak 112 Barth, Hans-Martin 63 Barth, Karl 51, 61, 64 Bartholomäus von Edessa 37 Barzaeus 24 Bausani, Alessandro 108 Beda Venerabilis 19 Ben Ascher, Jakob 73 Ben Ascher, Saul 74 Ben Isaak, Shlomo 72 Ben Shlomo ha-Meiri 72 Ben Isaak Sambari, Josef 80 Bene, Jehudah del 74 Benedikt XIV. 30, 38
Ben-Gurion, David 87 Ben Shaprut, Chasdai 103 Benz, Ernst 8 Berzin, Alexander 116 Beyazid II. 104 al-Biruni, Abu Raihan Mohammed ibn Ahmad 107, 111, 117, 160 Brown, Stuart 57 Brück, Michael von 60, 64 Buddha 27, 28, 44, 62, 110, 111, 135, 136, 139, 142, 144, 145, 146, 150, 153, 158, 163, 166, 169, 170 Buddhadasa, Ajahn 170 al-Bukhari, Mohammed ibn Ismail 107 Buri, Fritz 64 Caldwell, Robert 58 Callenberg, Johann Heinrich 50 Calvin, Johannes 49 Cantwell Smith, Wilfred 9 Choniates, Niketas 37 Christodoulos I., Erzbischof 33, 40 Chu-yün 153 Clooney, Francis X. 27 Cobb, John B. 149 Cohen, Leonard 156 Crémieux, Adolph 104 Gama, Don Vasco da 23 Dalai Lama XIV. 87, 116, 140, 156, 161 Damaskinos 36 Damaszenus, Johannes (oder von Damaskus) 37 Dara Shukuh 108, 109 Delitzsch, Franz 51 Dharmakirti 152 Dharmapala, Anagarika 141 Diallos, Tirmiziou 116 Dierken, Jörg 63, 64 Dschingis Khan 113, 114 Dumoulin, Heinrich 29 Eliade, Mircea 9 El-Muhammad, Ustaz Uthman 161 Elqana Capsali, Elijahu ben 80 Emden, Jakob Israel 74 Enomiya-Lassalle, Hugo Makibi 29
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Anhang
Fadlullah, Rasheeduddin 160 Fakhruddin 162 Farquhar, John Nicol 25, 59 Fazl Ullah 113 Ferdinand III. 96 Fichte, Johann Gottlieb 51 Formstecher, Salomo 75 Franz von Assisi 155 Freydank, Bruno (Pseudonym von Karl Seidenstücker) 154 Freytag, Walter 54 Friederike, Königin 42 Friedländer, David 50 Fróis, Luis 24 Fulgentius von Ruspe 16 Galanos, Demetrios 42 Gama, Don Vasco da 23 Gandhi, Mohandas Karamchand 59, 126, 168 Gaon, Saadja 68, 69, 77, 78, 79 Georg II. von Hessen-Darmstadt 49 Georgios von Trapezunt 38 al-Ghazali, Mohammed 92 Ghazan, Mahmud 114 Ginsberg, Allen 156 Glass, Phillip 156 Goldstein, Joseph 86, 156 Golwalkar, M.S. 132, 139 Gonçales, Diego 24 Gosala, Makkhali 167 Goreh, Nilakanth 123, 124, 125 Gregorios, Paulos Mar 41 Griffiths, Bede 26 Gunananda, Migettuwatte 148 Hadrian, Kaiser 15 Hagar 18 Hagemann, Ludwig 53 Haigh, Henry 57 Hakim, Khalifa Abdul 91, 92 Hamidullah, Mohammed 160 al-Haqq al-Islami, Abd 102 Harnack, Adolf von 51 Harun ar-Rashid 76, 112 Hasan 130 Hawn, Goldie 156 Hedgewar, Keshav Baliram 139 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 51, 58 Heiler, Friedrich 9 Hick, John 117 Hirsch, Samuel 75, 81, 85 Hirth, Paula 66 Hitler, Adolf 132 Hsin Tao 117, 161 Huang Shen 148
Hülegü 114 Huntington, Samuel 7 Husain, Kamil 91 Ibn al-Nadim 111 Ibn ‘Arabi 162 Ibn Adham von Balkh, Ibrahim 112 Ibn Babuya 111 Ibn Hassan, Said 101 Ibn Hazm 101 Ibn Hisdai, Abraham 155 Ibn Qayyim al-Djauziya 102 Ibn Tibbon, Jehudah 69 Ibn Zimra, Rabbi David Shlomo 79 Imara, Mohammed 94 Innozenz IV. 39 Isa 88, 89, 99 Ischbili, Rabbi Jom Tov 79 Ismael, Rabbi 72 Isserles, Mose („Rama“) 73 Jagel, Abraham (eigentlich Abraham ben Hananiah Gallico) 74 Jakobus 67 Jehudah ha-Levi 69, 70, 78, 104 Jesus von Nazareth 15, 18, 20, 21, 22, 26, 56, 60, 62, 67, 70, 77, 78, 88, 89, 90, 99, 116, 150, 155 Joasaph (Josaphat) 44, 155 Johannes Paul II. 13, 17, 22, 30, 37 Johannes von Damaskus 37, 76 Johanns, Pierre 25 Jones, Stanley 59 Josephus 66 Justin der Märtyrer 34, 68 Kamalasila 152 Kamenetz, Rodger 156 Kant, Immanuel 51 Kantakuzenos, Johannes VI. 37 Karo, Josef Rabbi 73 Kassapa, Bhikkhu 62 Ketton, Robert von 53 Khalid, Mohammed Kipling Rudyard 7ff. Klemens von Alexandrien 28 König, Franz 96 Kohler, Werner 61 Konstantin, Kaiser 16 Kornfield, Jack 86, 156 Koun Yamada 149 Koyama, Kosuke 62 Kraemer, Hendrik 54, 61, 64 Krishnamurti, Jiddu 43 Küng, Hans 117 Kyrillos VI. 96
Personenregister Lahoud, Mile 97 Le Saux, Henri 26 Leibowitz, Yeshayahu 66 Lessing, Gotthold Ephraim 50, 53 Lieberkühn, Samuel 50 Lieberman, Marc 86 Lullus, Raimundus 19 Luther, Martin 48, 53 Maduluwave Sbitha Thero 142 Maffei, Giovanni 24 al-Maghribi, Samaw 101 Mahmud von Ghazni 107 Maimonides 70, 75, 78, 79, 80, 104, 158 Mall, Ram Adhar 7 al-Ma’mun, Abdallah 76 Maria 20, 23, 88, 89, 94 al-Masudi 108 Mattanando, Bhikkhu 170 Maurice, Frederick Denison 59 Meister Eckhart 30 Melanchthon, Philipp 48 Meliton von Sardes 16 Men’, Aleksandr 32 Mendelssohn, Moses 50, 74 Mensching, Gustav 9, 11f. Merton, Thomas 149 Metrophanes III. 36 Metzger, Yona 83f. Miriam 15 Mohammed 18, 21, 22, 37, 77, 78, 79, 80, 88, 89, 99, 100, 101, 116 Mohammed von Ghur 106 Monte Crucis, Ricoldus de 53 Mose 22, 71, 99, 100, 102, 116, 154 Moshe ben Maimon s. Maimonides Mubarak, Hosni 96 Münster, Sebastian 48 Muzaffar, Chandra 161 Nagarjuna 135, 136 Nasr II. 113 Nasr, Seyyed Hossein 89, 92, 94, 160 Nawab Nizam Ali Khan 128 Nero 16 Neusner, Jacob 66 Nevskij, Aleksandr 39 Niebuhr, Reinhold 62 Nigrinus, Georg 49 Niketas von Byzanz 37 Nikolaus von Kues 1, 53, 63 Nishida, Kitaro 63, 149 Nishitani, Keiji 63 Nizam al-Mulk, Asaf Jah- 128, 129 Nobili, Roberto de122 Noro, Yoshio 62
Öljaitü 114 Ohm, Thomas 25 Osiander, Andreas 48 Otto, Rudolf 9, 60, 62 Ou-kong 159 Palaiologos, Manuel II. 38 Palamas, Gregor 38 Panikkar, Raimon 25 Papalexandropoulos, Stelios 435 Papandreou, Damaskinos 32 Papayanni, Gavriilia/Aurelia (Gabrielle) 43 Paul VI. 21, 26 Paulus 16, 90, 98, 151 Petrus 98 Petrus Venerabilis 19 Philippidis, Leonidas J. 42 Philo 66 Pontikos, Eavagrios 45 Pordenone, Odorico de 23 al-Qaradawi, Yusuf 93 Quli Qutb Shah, Mohammed 128, 129 Raheb, Mitri 105 Raheb, Viola 105 Rahner, Karl 25 Rajneesh, Bhagwan 43 Rao, Narasimha 169 Raschi (Rabbi Salomo ben Isaak) 72 ar-Rashid, Harun 76, 112 Rashid ad-Din 114 Ratzinger, Joseph Alois 30 Razvi, Qasim 129 Reichelt, Karl Ludwig 51 Reuchlin, Johannes 48 Ricci, Matteo 28, 61 Richter, Julius 59 Rivkes, Mose 73 Rollenghem, Dominique van 26 Rose, Seraphim 43, 46 Rosenkranz, Gerhard 54 Rosenthal, Franz 108 Roy, Rammohun 125, 126 Rumi, Jalaluddin 162 Sabesan, Sanugam 142 Sadat, Anwar as- 96 Sadruddin, Qunawi 162 Salzberg, Sharon 86, 156 Sanai e Ghaznawi 108 Saraswati, Dayanand, Bodhananda 84, 134, 135, 136, 137 Sarasvati, Dayananda 126 Satha-Anand, Chaiwat 160 Satyanandaburi, Swami 170
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Sathya Sai Baba 42 Satyendra, Nadesan 142 Savarkar, Vinayak Damodar 131, 132 Schadäus, Elias 49 Schah, Idries 112 Schenuda III. Papst 96 Schlegel, August Wilhelm 58 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 50 Scholarios, Georgios-Gennadios 38 Schomerus, Hilko Wiardo 58 Schopenhauer, Arthur 51, 58 Schwartz, Jacqueline 86, 156 Schweitzer, Albert 58 Seidenstücker, Karl 154 Shalabi, Ahmad 90 Shankara 125, 134, 137 Shantarakshita 152 al-Shahrastani, Taj al-Din Abu al-Fath Muhammad ibn `Abd al-Karim 107, 111, 112, 117, 160 Shasti, Vittal 120 Shinran Shonin 61 Shlomo ha-Meiri, Menachem ben 72 as-Sibai, Mustafa 90 Silva, Lynn A. de 63 Sioris, George 45 Sivananda, Swami 43 Soekarno, Ahmed 115 Sogyal, Rinpoche 162 Song, Choan-Seng 62 Spener, Philipp Jakob 50 Stöcker, Adolf 51 Strauss, Charles 85, 155 Sundar Singh, Sadhu 59 Takizawa, Katsumi 63 Tambiah, Stanley 141
Tanabe, Hajime 63 Tangelavu, Veluppillai 142, 143 Theodosius I. 68 Timur Leng 106 Tao, Hsin 161 Thomas, Apostel 41, 120 Tillich, Paul 62 Treitschke, Heinrich von 51 Ueda, Shizuteru 30 Umar 99 Väth, Alfons 25 Vasubandhu 152 Veluppilai, Alvappillai 142, 143 Vivekananda 126, 136, 139 Wagenseil, Johann Christoph 50 Werblowsky, R.J. Zwi 8 Wilkins, Charles 24 Wiser, William Henricks 60 Wörrlein, Johann 57 Xavier, Francisco de 23, 28, 121, 122, 147 Yamada Koun Roshi 149 Yagi, Seiichi 63 Yelu Dashi 113 Yusu, Imtiyaz 160 Yusuf Khas Hadjib 112 Ziegenbalg, Bartholomäus 57, 59, 122, 123 Zigabenos, Efthymios 37 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von 50 Zwingli, Ulrich 48
Die Autoren Ulrich Dehn, Prof. Dr., geb. 1954, lehrt Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaft an der Universität Hamburg. Publikationen u. a.: Indische Christen in der gesellschaftlichen Verantwortung (1985), Die geschichtliche Perspektive des japanischen Buddhismus (1995), Den Buddhismus verstehen (2004), Religionen in Ostasien und christliche Begegnungen (2006). Johann Figl, Prof. Dr. Dr., geb. 1945, lehrt Religionswissenschaft an der Universität Wien. Publikationen u. a.: Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen (Hg., 2003). Ernst Fürlinger, Dr., geb. 1962, Religionswissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich „Interkulturelle Studien“ der Donau-Universität Krems. Publikation u. a.: Verstehen durch Berühren. Interreligiöse Hermeneutik am Beispiel des nichtdualistischen Shivaismus von Kaschmir (2006). Detlef Görrig, Dr., geb. 1964, ist Beauftragter der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche für den christlich-islamischen Dialog und Leiter der Abteilung für interreligiösen Dialog des Nordelbischen Missionszentrums. Publikation: Die Wurzel trägt. Israels „bleibende Erwählung“ und die „Mission“ der Kirche (2004). Eva Hellmann, Dr., ist Associate Professor für Religionsgeschichte und lehrt mit Schwerpunkt Südasien an der Universität Uppsala / Schweden. Publikation u. a.: Hinduiska gudinnor och kvinnor (1998). Manfred Hinterleitner, Mag., geb. 1976, ist Assistent am Institut für Religionswissenschaft der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. Friedrich Huber, Prof. Dr., geb. 1941, emeritierter Professor für Religionswissenschaft, Missionswissenschaft und Ökumenik an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. Publikationen u. a.: Die Bhagavadgita in der neueren indischen Auslegung und in der Begegnung mit dem christlichen Glauben (1991), Das Christentum in Ost-, Süd- und Südostasien sowie Australien (2005).
Markus Ladstätter, Dr., geb. 1963, Religionswissenschaftler, Vizerektor der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Graz, dzt. religionswissenschaftliche Lehrtätigkeit an den Universitäten Graz und Wien, Leitung des Bildungsprogramms Lehrgang Weltreligionen, Aufsatzpublikationen v. a. zum interreligiösen Dialog und zu vergleichend-religionswissenschaftlichen Themen. Vasilios N. Makrides, Prof. Dr., geb. 1961, lehrt Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Orthodoxes Christentum an der Universität Erfurt. Publikationen u. a.: Religion, Staat und Konfliktkonstellationen im orthodoxen Ost- und Südosteuropa (hg., 2005); Religionen im Konflikt (hg. mit J. Rüpke, 2005); Heilige Schriften (hg. mit Chr. Bultmann und C.-P. März, 2005). Gianfranco Miletto, PD Dr., geb. in Turin 1960, hat an der Universität Turin Altphilosophie studiert und 1991 in Hebraistik promoviert. Publikationen u. a. zur jüdischen Kulturgeschichte im 16.–17. Jahrhundert: Die Heldenschilde des Abraham ben David Portaleone (2003), Glauben und Wissen im Zeitalter der Reformation: Der salomonische Tempel bei Abraham ben David Portaleone 1542–1612 (Reihe Studia Judaica 27, 2004). Andreas Nehring, Prof. Dr., lehrt Religionsund Missionswissenschaft an der Universität Erlangen. Publikationen u. a.: Rissho Kosei Kai. Eine neubuddhistische Religion in Japan (1991), Orientalismus und Mission (2003). Rafael Shoji, Dr., geb. 1973, Mitbegründer des Centro de Estudos de Religiões Alternativas no Brasil (CERAL) an der Pontifícia Universidade Católica in São Paulo, Brasilien. Seit 2006 Gastwissenschaftler am Nanzan Institute for Religion and Culture (Nagoya, Japan). Diverse Aufsatzpublikationen, insbesondere zur Frage der Ethnizität im Kontext von christlichen und buddhistischen Immigrantengemeinden.
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Andreas D’Souza, Dr., ist Direktor des Henry Martyn Institute of Islamic Studies in Hyderabad / Indien. Zahlreiche Publikationen zum Verhältnis von Hinduismus und Islam sowie zum christlich-muslimischen Dialog. Monika Tworuschka, Dr., geb. 1951, Islamund Religionswissenschaftlerin, freie Tätigkeit in Printmedien und Hörfunk. Publikationen u. a.: Weltreligionen Kindern erklärt (5. Aufl. 2004); CD-ROM Religiopolis – Weltreligionen erleben (2004), (mit Udo Tworuschka): Die Welt der Religionen, 6 Bde. (2007/8). Udo Tworuschka, Prof. Dr., geb. 1949, Inhaber des Lehrstuhls für Religionswissenschaft an der Universität Jena. Publikationen: (mit Michael Klöcker): Handbuch der Religionen (1997ff.) und Ethik der Weltreligionen (2005), Religionswissenschaft (2006), (mit Monika Tworuschka): Die Welt der Religionen (2006).
Frank Usarski, Dr., geb. 1953, Professor für Religionswissenschaft an der Pontifícia Universidade Católica in São Paulo, Brasilien. Publikationen, u. a.: Die Stigmatisierung Neuer Spiritueller Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland (1988); O Budismo no Brasil (2002); Constituintes da Ciência da Religião ( 2006), O Espectro Disciplinar da Ciência da Religião (2007). Richard Fox Young, Prof. Dr., geb. 1950, ist Associate Professor of the History of Religions, Princeton, New Jersey. Publikationen u. a.: The Carpenter-Heretic: A Collection of Buddhist Stories about Christianity from 18thCentury Sri Lanka, Colombo (1998), Vain Debates: The Buddhist-Christian Controversies of Nineteenth-Century Ceylon (1996), The Bible Trembled: The Hindu-Christian Controversies of Nineteenth-Century Ceylon (1995), Resistant Hinduism: Sanskrit Sources on Anti-Christian Apologetics in Early NineteenthCentury India (1981).