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German Pages [320] Year 1969
Werner Affeldt Die weltliche Gewalt in der Paulus-Exegese
WERNER AFFELDT
Die weltliche Gewalt in der Paulus-Exegese Rom. 13,1—7 in den Römerbriefkommentaren der lateinischen Kirche bis zum Ende des 13. Jahrhunderts
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur Kirchen- und Dogmengesdiidite Band 22
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Ο Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1969. — Printed in Germany. — Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. — Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort Der Paulustext Rom. 13,1-7 hat besonders in Deutschland in den letzten Jahrzehnten aus verständlichen Gründen zu beständiger und vertiefter Auseinandersetzung herausgefordert, ist er doch eine 'der wesentlichen Aussagen des Neuen Testamentes für das Verhältnis der Christen zu den weltlichen Gewalten. In der Einleitung wird daher auch versucht, diese neuere Diskussion über Rom. 13,1-7 unter bestimmten, ausgewählten Gesichtspunkten vorzuführen. Die unverminderte Aktualität von Rom. 13,1-7 mag unter anderem zur Rechtfertigung der hier vorgelegten Untersuchungen dienen. Es kann auch für die heutige Exegese von Rom. 13,1-7 von Nutzen sein, sich zu vergegenwärtigen, wie die Theologen der Patristik und des Mittelalters diesen Paulustext auslegten und welche Dienste ihnen diese Exegese von Rom. 13,1-7 bei dem Bemühen leistete, zu einem Selbstverständnis im Hinblick auf ihre Haltung gegenüber den weltlichen Gewalten ihrer Zeit zu kommen. In diesen vielfältigen gedanklichen Prozeß versucht die vorliegende Arbeit Einblick zu gewinnen und damit zugleich Quellen für die Entwicklung der politischen Theorie der Patristik und des Mittelalters zu erschließen, die bisher nicht genügend beachtet worden sind. Ich glaube, daß diese Untersuchungen zu einigen Aufschlüssen geführt haben und neben einigen neueren Arbeiten, 'die sich in größerem oder kleinerem Rahmen gleichfalls mit der Geschichte der Auslegung von Rom. 13,1-7 befassen, ihre Berechtigung haben. Ich hoffe, daß dies auch in methodischer Hinsicht gelten kann. Es gibt bis jetzt noch nicht viele auslegungsgeschichtliche Arbeiten über einen größeren Zeitraum hinweg, obgleich deren Nutzen und Notwendigkeit inzwischen durchaus erkannt worden sind. Daher betritt man mit einer auslegungsgeschichtlichen Untersuchung bis zu einem gewissen Grade noch immer Neuland. So mag der vorliegende Versuch vielleicht auch dazu anregen, die hierbei auftretenden methodischen Probleme weiter zu durchdenken und an anderen Beispielen Erfahrungen zu sammeln. Hier öffnet sich noch ein weites Feld. Die zeitlich weit gespannten Untersuchungen machten es notwendig, eine Fülle von Literatur durchzusehen; hier und dort mußte ich mir in diesem Punkt gewisse Beschränkungen auferlegen. Ich habe mich jedoch bemüht, überall die neueste Literatur heranzuziehen. Das gilt nicht zuletzt für das Verzeichnis der Römerbriefkommentare. Ich hoffe gerade auch mit diesem Verzeichnis und seinen Literaturangaben nützen zu können.
6
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist meine gründlich überarbeitete und vor allem in der Einleitung erweiterte Dissertation*, die von Prof. Wilhelm Berges angeregt wurde. Sein Rat und der stete Ansporn zu vertiefter Untersuchung waren mir damals wie jetzt eine wertvolle Hilfe, für die ich ihm auch hier besonders danken möchte. Zu danken habe ich auch Herrn Prof. Reinhard Elze für seinen Rat und das Interesse, das er dieser Arbeit entgegengebracht hat. Mein Dank gilt ferner Herrn Prof. Peter Classen für wichtige Anregungen und Verbesserungsvorschläge und Herrn Dr. Josef Semmler, Deutsches Historisches Institut Paris, für bereitwillige Hilfe. Der Druck dieser Arbeit war nur möglich durch eine großzügige Druckbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, für die idi hier meinen Dank ausspreche. Berlin-Nikolassee, September 1968 W. Affeldt * Werner Affeldt, Die Auslegung von Rom. 13,1-7 von Origenes bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Studien zur Entwicklung der Theorie von der weltlichen Gewalt, Phil. Diss. Berlin 1956 (Masch.).
Inhalt Vorwort
5
Literatur
10
Verzeichnis der Abkürzungen
15
Einleitung 1. 2. 3. 4.
Patristische und scholastische Exegese in der neueren Forschung · · · Bemerkungen über Ziel und Begrenzung der Untersuchung Bemerkungen zur Methode Der Paulustext
17 20 22 26
a) Vorbemerkungen b) Rom. 13,1-7: Fragestellungen und Probleme in der neueren Exegese
26 28
D i e Patristik I.Analysen
36
1. Irenäus von Lyon 2. Origenes
36 43
3. Ambrosiaster a) Die „lex naturalis" und die historische Stufenfolge der „leges" b) Der König als „imago dei" und „vicarius dei" c) Analyse des Kommentars zu Rom. 13,1-7
53 55 62 78
4. Augustinus 5. Pelagius
85 96
II. Allgemeiner
Teil
1. Die Form der Kommentare 2. Vergleich und Beurteilung des Inhaltes der Kommentare
102 · · ·
D i e Vorscholastik I. A l l g e m e i n e r T e i l 1. Die Form der Kommentare und die exegetische Methode . . . . 2. Der Stand der Exegese von Rom. 13, 1-7 II. Analysen 1. Sedulius Scottus 2. Haimo von Auxerre 3. Atto von Vercelli
102 103 112 113 113 115 119 119 121 129
8
Inhalt
D i e erste Periode der Frühscholastik I. Allgemeiner Teil 1. Die Form der Kommentare 2. Die Tradition 3. Der Stand der Exegese von Rom. 13,1-7 II. Analysen 1. Ein anonymer Kommentar aus der Schule Lanfrancs von Canterbury 2. Die „parva glossatura" Anselms von Laon 3. Petrus Abälard 4. Die „magna glossatura" des Petrus Lombardus
136 136 139 142 146 146 149 153 156
D i e zweite Periode der Frühscholastik I. Analysen 1. Robert von Melun 2. Pseudo-Hugo von St. Viktor 3. Ein anonymer Kommentar zur „media glossatura" des Gilbertus Porreta 4. Stephan Langton II. Allgemeiner Teil 1. Neue Formen und Methoden der Kommentierung 2. Tradition und neue Impulse für die Exegese
161 161 167 174 182 189 189 191
D i e Hochscholastik I. Analysen 1. 2. 3. 4. 5.
Hugo von St. Cher Johannes von La Rodielle Petrus von Tarantaise Thomas von Aquin Nikolaus von Gorran
II. Allgemeiner Teil 1. Die Form der Kommentare 2. Die Tradition 3. Die Auslegung von Rom. 13,1-7
199 199 206 212 218 228 234 234 238 240
Rückblick
250
Exkurs I: Der Römerbriefkommentar des Origenes als Quelle des „Liber de unitate ecclesiae conservanda"
253
9
Inhalt
E x k u r s 11: Schrieb Atto von Vercelli einen Paulinenkommentar?
254
Anhang I: Verzeichnis der Römerbriefkommentare der lateinischen Kirche bis zu Nikolaus v. Lyra
256
A n h a n g I I : Texte: Ungedruckte Kommentare zu Röm.13,1-7
. . .
286
1. Claudius von Turin 2. Ein anonymer Kommentar aus der Schule Lanfrancs von Canterbury 3. Die „parva glossatura" Anselms von Laon 4. Die „media glossatura" des Gilbertus Porreta 5. Ein anonymer Kommentar zur „media glossatura" des Gilbertus Porreta 6. Stephan Langton 7. Johannes von La Rochelle 8. Petrus von Tarantaise (1. Redaktion) 9. Petrus von Tarantaise (2. Redaktion; Nikolaus von Gorran?): Distinctio zu „gladius" (Rom. 13, 4) 10. Nikolaus von Gorran
286
Namenregister
·
289 290 292 294 296 301 305 308 308 314
Literatur Dieses Verzeichnis enthält nur die in den Anmerkungen oder im Verzeichnis der Römerbriefkommentare häufiger zitierten Arbeiten, für die vielfach Kurztitel verwendet werden; weitere Spezialliteratur findet man in den Anmerkungen und im Verzeichnis der Römerbriefkommentare. Ich verzichte auf ein besonderes Quellenverzeichnis, da Anhang I und II die Hauptquellen verzeichnen und im übrigen alle Quellen jeweils an Ort und Stelle genau zitiert sind.
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Literatur
11
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Literatur
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13
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The
14
Literatur
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Verzeichnis der Abkürzungen Abh. AFH AHD AKG AT Beitr. Gesch. Phil. MA
= = = = = =
BiZ CBQ CC CF CH CSEL DB DHGE DSp DSt DTh DThC £tud. Franc. Franz. Stud. GCS
= = = = = = = = = = = = = = =
GN
=
Hist. Litt. HJ HThR IMU JTS LThK M G H Epp. MIÖG
= = = = = = = =
NA
=
NewSch N.F., N.S. NT PG PL PRE
= = = = = =
Abhandlung(en) Archivum Franciscanum Historicum Archives d'histoire doctrinale et littiraire du moyen ige Archiv für Kulturgeschichte Altes Testament Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters Biblische Zeitschrift The Catholic Biblical Quarterly Corpus Christianorum, Series latina Collectanea Franciscana Church History Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum Dictionnaire de la Bible Dictionnaire d'histoire et de geographie eccllsiastiques Dictionnaire de Spiritualite ascetique et mystique Dominican Studies Divus Thomas Dictionnaire de theologie catholique Stüdes Franciscaines Franziskanische Studien Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte Nachrichten von der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, I. Phil.-hist. Kl. Histoire Litteraire de la France Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft The Harvard Theological Review Italia medioevale e umanistica The Journal of Theological Studies Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., 1957 ff. Monumenta Germaniae Historica, Epistolae Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforsdiung Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsdie Geschichtskunde The New Scholasticism Neue Folge, New Series Neues Testament Migne, Patrologia graeca Migne, Patrologia latina Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche
Abkürzungen
16
_ Revue Benedictine
RB Rb RevSR RGG RHE RSPhTh RSR RStR RTAM RTh Sacr. Er. Sb ST ThGl ThLZ ThQ ThR ThSt ThZ TU ZKG ZkTh ZntW ZRGG ZThK
= =
=
= = = =
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:
= = — -
= = =
= -
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= • =
Revue biblique Revue des sciences religieuses Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., 1957 ff. Revue d'histoire ecciesiastique Revue des sciences philosophiques et th^ologiques Redierches de science religieuse Ricerche di storia religiosa Redierches de theologie ancienne et m^di^vale Revue Thomiste Sacris Erudiri Sitzungsberichte Studi e Testi Theologie und Glaube Theologische Literaturzeitung Theologische Quartalschrift Theologische Revue Theological Studies Theologische Zeitschrift Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur Zeitschrift für Kirchengesdiidite Zeitschrift f ü r katholische Theologie Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte Zeitschrift für Theologie und Kirdie
Einleitung 1. Patristische und scholastische Exegese in der neueren Forschung Glaube und Erkenntnis der patristischen und scholastischen Theologen fanden in bedeutendem Maße ihren Ausdruck und Niederschlag in den zahlreichen Kommentaren zu den Büchern des Alten und Neuen Testaments. Lange hat man diese wertvollen Quellen ein wenig vernachlässigt, jetzt ist die Forschung jedoch immer stärker bemüht, Formen und Entwicklung der patristischen und mittelalterlichen Exegese zu beschreiben und die Bibelkommentare als wichtige Zeugnisse für die theologische Arbeit der vergangenen Jahrhunderte gebührend zu berücksichtigen. Diese Bemühungen stoßen besonders für die Zeit des Mittelalters auf nicht geringe Schwierigkeiten. Ein großer Teil der Bibelkommentare ist noch ungedruckt, die handschriftliche Uberlieferung oft kompliziert, die Verfasserfrage nicht überall geklärt, die Entstehungsgeschichte wichtiger Kommentarwerke wie der „parva glossatura" Anselms von Laon und seiner Schule noch immer nicht klar zu übersehen. Selbst für bedeutende Kommentare fehlen kritische Editionen. Freilich wird es nicht immer leicht sein, zu entscheiden, ob die Edition überhaupt lohnt, und der Spezialist wird noch für lange Zeit auf die Handschriften angewiesen sein. Das gilt vor allem für viele Kommentare des 12. bis 15. Jahrhunderts 1 . Nach der Lage der Dinge ist es begreiflich, daß die Forschung des 20. Jahrhunderts sich bisher in erster Linie darauf konzentrierte, den ganzen Komplex der literaturgeschichtlichen Grundfragen zu bearbeiten, nämlich die Kommentare der Anonymität möglichst zu entreißen 2, die handschriftliche Überlieferung zu klären, Datierungen zu versuchen, mit einem Wort, das Fundament für eine 1 Vgl. H . Grundmann, Oportet et haereses esse. Das Problem der Ketzerei im Spiegel der ma. Bibelexegese, AKG 45 (1963), S. 129—164; S. 145 weist Grundmann auf die Notwendigkeit hin, sich stärker dem Studium der Bibelkommentare zu widmen und beklagt das Fehlen von Editionen. 2 Vgl. P. Glorieux, Pour revaloriser Migne. Tables rectificatives, Lille 1952 ( = M61anges de science religieuse IX, 1952, Cahier Suppl.); A.Landgraf, Einführung in die Geschichte der theologischen Literatur der Frühscholastik unter dem Gesichtspunkte der Schulenbildung, Regensburg 1948; Neuauflage: Introducciim a la historia de la literatura teolögica de la escolastica ineipiente, Barcelona 1956 (mir nicht zugänglich).
2
Affeldt, Paulus-Exegese
18
Einleitung
inhaltliche Auswertung und Bewertung der exegetischen Literatur zu legen. Diese sehr notwendige Arbeit hat bereits zu bedeutenden Ergebnissen geführt; hier sei nur an das unentbehrliche „Repertorium Biblicum" F. Stegmüllers erinnert. Es bedarf keiner besonderen Erläuterung, daß auch auf diesem Gebiet noch viel zu tun bleibt. Darüber hinaus galt die Aufmerksamkeit der Forschung vor allem den hermeneutischen Prinzipien und den exegetischen Methoden. Von jeher — und nicht ganz zu Unrecht — war und ist hier die Patristik das bevorzugte Arbeitsfeld 3 . In den letzten Jahrzehnten wächst jedoch auch die Zahl der einschlägigen Arbeiten für das Mittelalter. Neben Einzeluntersuchungen, die vor allem den bedeutenden Theologen gelten, treten Darstellungen, die die Ergebnisse zusammenfassen und eine Geschichte 'der mittelalterlichen Exegese zu geben suchen. Es seien besonders die Arbeiten von C. Spicq, B. Smalley, B. Bischoff, R . E. McNally und H . de Lubac genannt 4 . Gegenüber der Notwendigkeit, das exegetische Quellenmaterial zu sichten und zu ordnen, gegenüber dem Bemühen, sich mit Prinzipien und Formen der mittelalterlichen Exegese vertraut zu machen, traten lange Zeit Interpretation und Auswertung der Kommentarliteratur zurück. Auch hier jedoch ist das Feld der Patristik schon weit besser bestellt worden als das des Mittelalters. Das liegt natürlich nicht zuletzt — wenn auch nicht ausschließlich — daran, daß die Geschichte der altchristlichen Literatur schon länger gründlich bearbeitet worden ist. Auch für das Mittelalter ist seit geraumer Zeit ein Wandel bemerkbar, da die exegetische Literatur in Untersuchungen zur mittelalterlichen Theologie verstärkt herangezogen wird. Es sei für unseren Bereich der Paulinenkommentare nur daran erinnert, daß A. Landgraf in seiner Dogmengeschichte der Frühscholastik reichen Gebrauch von gedruckten und ungödruckten Paulinen-
3 Vgl. die Literaturangaben bei B. Altaner, Patrologie, S . 2 0 f . u. S. 190; L T h K 3 (1959), Sp. 1273if. (Art. Exegese); R G G 3 (1959), Sp.242ff. (Art. Hermeneutik) und R G G 5 (1961), Sp. 1517ff. (Art. Schriftauslegung); DB, Suppl. IV (1949) col. 569 ff. (Art. Exegese patristique); vgl. audi die Angaben in unserem Verzeichnis der Römerbriefkommentare unter den einzelnen Autoren. 4 C. Spicq, Esquisse d'une histoire de l'exegese latine au moyen age, Paris 1944 ( = Bibl. Thomiste 2 6 ) ; ders. in: DB, Suppl. IV (1949), col.591 ff. (Art. Exegese medievale); B. Smalley, The Study of the Bible in the Middle Ages, 2. Aufl., Oxford 1952 (unveränderte Neuauflage: Notre Dame, Indiana, 1964); Β.Bischoff, Wendepunkte in der Geschichte der lateinischen Exegese im Frühmittelalter, in: B.Bischoff, Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1966, S. 2 0 5 — 2 7 3 ; R . E . McNally, The Bible in the Early Middle Ages, Westminster, Maryland, 1959 ( = Woodstock Papers 4 ) ; H . de Lubac, Exegese medievale. Les quatre sens de l'ficriture, Aubier 1 9 5 9 — 6 4 ( = Theologie 41, 42, 5 9 ) ; vgl. ferner Μ. L. W. Laistner, Antiochene Exegesis in Western Europe during the Middle Ages, H T h U 40 (1947), S. 19—31. H . de Lubac legt zwar sehr reiches Material vor, aber auch seine Darstellung kann noch nicht als abschließend betrachtet werden. Es fehlen noch Voruntersuchungen in genügender Zahl. R. E . McNally, a.a.O., S. 71 ff. weist auf die N o t wendigkeit zahlreicher Spezialuntersuchungen zur ma. Exegese hin.
Patristische und scholastische Exegese in der neueren Forschung
19
k o m m e n t a r e n m a c h t 5 . A l s weiteres Beispiel m ö g e n die Studien J . S a n t a l a r s dienen e . E i n D e s i d e r a t der Wissenschaft sind bisher jedoch noch gründliche Arbeiten zur Auslegungsgeschichte in größerer Z a h l . Dieser M a n g e l ist sicher nicht zuletzt durch d i e schwierige Q u e l l e n l a g e f ü r d a s Mittelalter verursacht. L . Visdier und D . Lerch machen auf die theologische A u f g a b e der Auslegungsgeschichte besonders a u f m e r k s a m u n d betonen die N o t w e n d i g k e i t 'der Z u s a m m e n a r b e i t
auf
diesem G e b i e t 7 . D a ß Arbeiten zur Auslegungsgeschichte nicht nur f ü r die T h e o logie, sondern auch f ü r die Geschichtswissenschaft u n d a n d e r e Wissenschaften reichen E r t r a g bringen werden, k a n n als sicher gelten. D i e A u f g a b e w i r d also gesehen u n d w u r d e schon früher erkannt. E s sei ζ. B. verwiesen auf
ältere
Untersuchungen A . L a n d g r a f s 8 und auf die bedeutende Dissertation v o n W. Kamiah
über
mittelalterliche
Apokalypsenkommentare9.
Studien
wie
die
W. K a m l a h s , die einen größeren Z e i t r a u m zu überblicken suchten, w a r e n jedoch noch selten. Erst seit den letzten a n d e r t h a l b J a h r z e h n t e n mehren sich, soweit das zu überblicken ist, derartige U n t e r s u c h u n g e n 1 0 . L e i d e r sind sie literatur5 A.Landgraf, Dogmengeschichte der Frühscholastik, 4 Teile in 8 Bdn., Regensburg 1952—56. 6 J . Santalar, Die Prädestination in den Römerbriefkommentaren des 13. Jh., ZKTh 52 (1928), S . l — 3 9 und 183—201. 7 L. Vischer-D. Lerch, Die Auslegungsgeschichte als notwendige theologische Aufgabe, Studia Patristica I, Berlin 1957 ( = T U 63), S. 414—419; vgl. auch Κ. H . Schelkle, Von alter und neuer Auslegung, in: Κ. H . Schelkle, Wort und Schrift. Beiträge zur Auslegung und Auslegungsgeschichte des Neuen Testamentes, Düsseldorf 1966, S. 201—215 (mit Literatur). 8 A. Landgraf, Die Lehre vom geheimnisvollen Leib Christi in den frühen Paulinenkommentaren und in der Frühscholastik, DTh 24 (1946), S. 217—248 und 393— 428; 25 (1947), S. 365—394; 26 (1948), S. 160—180, 291—323, 395—434; ders., I Cor. 3,10—17 bei den lateinischen Vätern und in der Frühscholastik, Biblica 5 (1924), S. 140—172, und andere Aufsätze. 9 W. Kamiah, Apokalypse und Geschichtstheologie. Die mittelalterliche Auslegung der Apokalypse vor Joachim von Fiore, Berlin 1935 ( = Eberings Historische Studien 285). 10 Wir können hier nennen: H.Gieraths, Knechtschaft und Freiheit der Schöpfung. Eine historisch-exegetische Untersuchung zu Rom. 8,19—22, Kath.-theol. Diss. Bonn o. J . (1950); R. Balducelli, Ii concetto teologico di caritä attraverso le maggiori interpretazioni patristiche e medievali di I ad Cor. X I I I , Kath.-theol. Diss. Washington D. C. 1951 ( = The Catholic University of America. Studies in Sacred Theology, Second Series 48); Z. Alszeghy, N o v a Creatura. La nozione della grazia nei commentari medievali di S. Paolo, Romae 1956 ( = Analecta Gregoriana vol. L X X X I , Series Facultatis Theologicae Sectio A, n. 14); Κ . H . Schelkle, Paulus Lehrer der Väter. Die altkirchliche Auslegung von Römer 1—11, 2. Aufl., Düsseldorf 1959, mit weiterer Literatur; P. Prigent, Apocalypse 12. Histoire de l'exegese, Tübingen 1959 ( = Beitr. zur Gesch. der bibl. Exegese 2); F. Ohly, Hohelied-Studien. Grundzüge einer Geschichte der Hoheliedauslegung des Abendlandes bis um 1200, Wiesbaden 1958 ( = Schriften der Wissenschaftl. Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Geisteswissenschaftl. Reihe 1); H . Riedlinger, Die Makellosigkeit der Kirche in den lateinischen Hoheliedkommentaren des Mittelalters, Münster i. W. 1958 ( = Beitr. Gesch. Phil. M A 38,3)); F. G. Cremer, Die Fastenansage Jesu, M k . 2 , 2 0 und
2*
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Einleitung
geschichtlich nicht alle auf dem neuesten Stand der Forschung n . Man hat noch nicht den Eindruck, daß Einigkeit darüber besteht, wie solche Arbeiten zur Auslegungsgeschichte anzulegen sind und wie methodisch zu verfahren ist 12 .
2. Bemerkungen über Ziel und Begrenzung der Untersuchung Aufgabe der hier vorgelegten Untersuchung sollte es primär nicht sein, eine auslegungsgeschichtliche Studie in dem von L. Vischer und D. Lerch geforderten Sinne zu liefern. Aufgabe sollte es zunächst und in erster Linie sein, durch Analyse der Kommentare zu Rom. 13,1-7 Quellen für die mittelalterliche politische Theorie und ihre Entwicklung zu erschließen, die bisher nicht genügend beachtet worden waren. Dabei stellte sich zwangsläufig im Verlauf der Arbeit die Frage, ob diese Kommentare als Quellen für die mittelalterliche politische Theorie überhaupt von Bedeutung sind, und wenn ja, zu welchen Zeiten und in welchem Umfang. Daß sich diese Untersuchungen unter der Hand auch zu einer Auslegungsgeschichte von Rom. 13, 1-7 entwickelt haben, lag in der Natur der Sache, obwohl auf diesem Gebiet eigentlich weniger der Historiker als der Theologe das Wort hat. Als auslegungsgeschichtliche Arbeit soll sie zugleich ein kleiner Beitrag zur Erforschung der exegetischen Praxis vor allem des Mittelalters sein. Ich hoffe, daß dabei einiges Licht audi auf die Uberlieferungsgeschichte fällt. Ich habe mich auf die Römerbriefkommentare der lateinischen Kirche beschränkt. Es wäre also eigentlich erst einzusetzen mit dem ersten bekannten Paulinenkommentar der lateinischen Kirche, dem des sog. Ambrosiaster. Es schien jedoch besser, in das 2. Jahrhundert zurückzugehen und mit Irenäus zu beginnen. In seiner Schrift „Adversus haereses", lib. V, findet sich ein Abschnitt, der fast als ein — wenn auch unvollständiger — Kommentar zu Rom. 13,1-7 angesehen werden kann. Zwar gehört Irenäus eigentlich der grieParallelen in der Sicht der patristischen und scholastischen Exegese, Kath.-theol. Diss. Bonn 1965 ( = Bonner bibl. Beitr. 23); F. Bovon, De Vocatione Gentium. Histoire de ^interpretation d'Act. 10,1—11,18 dans les six premiers siecles, Tübingen 1967 ( = Beitr. zur Gesch. der bibl. Exegese 8); M. F. Wiles, The Divine Apostle. The Interpretation of St. Paul's Epistles in the Early Church, Cambridge 1967; vgl. auch die in Anm. 11 genannte Literatur und ferner die Obersicht bei B. Altaner, Patrologie, S. 21 ff. (Kommentare, Katenen, Auslegungsgeschichte). 11 Das gilt z . B . für folgende Arbeiten: L. Vischer, Die Auslegungsgeschidite von I.Kor. 6,1—11. Rechtsverzicht und Schlichtung, Tübingen 1955 ( = Beitr. zur Gesdi. der neutestamentl. Exegese 1); F. Keienburg, Die Geschichte der Auslegung von Römer 13,1—7, Gelsenkirchen 1956 (Ev.-theol. Diss. Basel 1952); Kl.-P. Koppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Alten Kirche, Tübingen 1961 ( = Beitr. zur Gesch. der bibl. Exegese 4); U. Pflugk, Die Geschichte vom ungläubigen Thomas (Johannes 20,24—29) in der Auslegung der Kirche von den Anfängen bis zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, Ev.-theol. Diss. Hamburg 1967; die Ergebnisse der Forschung der letzten 50 Jahre ignoriert völlig M. Lademann, Vom Geheimnis der Schöpfung. Die Geschichte der Exegese von Römer I, 18—23, II, 14—16 und Acta X I V , 15—17, XVII, 22—29 vom 2. Jh. bis zum Beginn der Orthodoxie, Stuttgart 1952. 12 Vgl. Kap. 3 „Bemerkungen zur Methode", unten S. 22 ff.
Bemerkungen über Ziel und Begrenzung der Untersuchung
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chisdien Kirche an, aber eine frühe lateinische Übersetzung von „Adversus haereses" wurde im lateinischen Westen bekannt, und der schon erwähnte Abschnitt dieser Schrift ist im Pauluskommentar des Claudius von Turin im 9. Jahrhundert benutzt worden. Irenäus gehört also mit „Adversus haereses" bis zu einem gewissen Grade auch in die lateinische Tradition. Außerdem ist es nicht unerwünscht, auf ein ausführliches Zeugnis schon des 2. Jahrhunderts für die Auseinandersetzung mit Rom. 13,1-7 zurückgreifen zu können, wenn es auch an Studien über Irenaus' Verständnis dieses Paulustextes nicht fehlt 13 . Ähnliches wie für Irenäus gilt auch für Origenes: Während die Bedeutung des Origenes für die spätere griechische Exegese nicht so groß gewesen zu sein scheint, wie man annehmen möchte — die sog. origenistischen Streitigkeiten haben seinem Ansehen und Einfluß offenbar doch erheblich geschadet —, gehört sein Römerbriefkommentar in der Übersetzung Rufins von Aquileja mindestens so sehr in die lateinische wie in die griechische Tradition u . So scheint es gerechtfertigt, im Rahmen dieser Arbeit ein ausführliches Kapitel Origenes zu widmen, wenn auch für ihn wiederum 'das gleiche gilt wie für Irenäus, daß in der neueren Literatur auch sein Kommentar zu Rom. 13,1-7 stärkere Beachtung gefunden hat 1 5 . Wir gewinnen so ein willkommenes Zeugnis für die Haltung der Christen gegenüber dem heidnischen römischen Staat im 3. Jahrhundert. Eine notwendige weitere Beschränkung habe ich mir dadurch auferlegt, daß ich im wesentlichen mit dem Ende des 13. Jahrhunderts abschließe. In das 14. Jahrhundert führt lediglich der Kommentar des Nikolaus von Lyra, auf den ich im allgemeinen Teil, der 'der Hochscholastik gewidmet ist, kurz eingehe. Der Wunsch, noch wesentlich über das 13. Jahrhundert hinauszugehen, stößt auf die Schwierigkeit einer wachsenden Zahl noch ungedruckter Kommentare. Entscheidender ist jedoch, daß ein zu großer Umfang des Materials der Intensität der interpretatorischen Bemühungen schaden könnte. Es mußte daher auch darauf verzichtet werden, die griechische Entwicklungslinie von Origenes bis zu den Kettenschmieden des 6. Jahrhunderts und darüber hinaus bis zu Photios von Konstantinopel zu ziehen. Es kommt hinzu, daß im griechisch-byzantinischen Raum seit dem 6. Jahrhundert Theologie und Exegese zu stagnieren beginnen. Das Ende sind — so scheint es — die Kettenschmiede des 6. Jahrhunderts und der folgenden Zeit, von Photios von Konstantinopel vielleicht abgesehen. Es ist fraglich, ob eine der unsrigen parallele Untersuchung für die griechische Kirche sehr lohnend wäre, zumal ein großer Teil der griechischen exegetischen Literatur offenbar für immer verloren ist 16 . 15
Vgl. das Kapitel über Irenäus, S. 37. Zum Einfluß des Origenes im lateinischen Westen vgl. u.a.: A.Siegmund, Die Uberlieferung der griechischen christlichen Literatur in der lateinischen Kirche bis zum zwölften Jh., München-Pasing 1949 ( = Abh. d. bayerischen Benediktiner-Akademie V), S. 110—126; J.Leclercq, ficrits monastiques Sur la Bible au XI e —XIII" si^cles, Mediaeval Studies 15/16 (1953/54), S. 95—106; ders., Origene au XII" siecle, Irenikon 24 (1951), S. 425—439; H. de Lubac, Exegese medi£vale I, 1, S. 221 ff. 15 Vgl. das Kapitel über Origenes, S. 44. 14 Von der reichen exegetischen Arbeit der griechischen Kirdie in der Patristik sind 14
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Einleitung
3. Bemerkungen zur Methode Wie schon oben angedeutet, gewinnt man aus den auslegungsgeschichtlichen Arbeiten nicht den Eindruck, daß Einigkeit darüber besteht, wie methodisch zu verfahren ist. Da die Themen für solche Unternehmungen sehr verschieden gewählt werden können, kann man natürlich bezweifeln, daß sich eine allgemeingültige Methode entwickeln läßt, sofern eine solche überhaupt wünschenswert und notwendig ist. Ein Schematismus hinsichtlich der Methode wäre sicher fragwürdig. Für die rechte Methode wird viel davon abhängen, wie groß der Zeitraum sein soll, 'den man zu überblicken wünscht. Es ist nicht zu bestreiten, daß dabei ein Zuviel sehr leicht ein Zuwenig bedeuten kann. Ich bin nicht sicher, ob ein solcher Vorwurf nicht auch gegenüber der vorliegenden Arbeit erhoben werden wird. Sicher jedoch hat F. Keienburg in seiner Geschichte der Auslegung von Rom. 13, 1-7 1 7 nicht recht daran getan, auf verhältnismäßig bescheidenem Raum die Kommentare sowohl der griechischen als vor allem auch der lateinischen Kirche bis zur neuesten Zeit abzuhandeln. Eine solche Stoffmasse kann nicht angemessen verarbeitet werden, und so werden dann die Angaben und Urteile über 'die Kommentare der Früh- und Hochscholastik immer summarischer und unvollständiger. Inwiefern auch bei anderen auslegungsgeschichtlichen Arbeiten eine allzu weite Themenstellung ungünstige Auswirkungen gehabt hat, kann ich nicht beurteilen. Die Zurückhaltung, die sich in diesem Punkte z. B. R. Balducelli und Z. Alszeghy auferlegt haben, ermöglichte es ihnen, die einschlägigen Kommentare in ziemlicher Vollständigkeit zu benutzen und in reichem Maße auf die Handschriften zurückzugreifen. Diese Arbeiten zeigen außerdem, daß die Beschränkung auf einen noch einigermaßen überschaubaren Zeitraum sorgfältigere Analysen in größerem Umfang vorzulegen gestattet als das in den zeitlich weiter gespannten Untersuchungen von L. Vischer, Kl.-P. Koppen und P. Prigent möglich ist 18 . Das soll nun keineswegs heißen, daß diesen letzteren genaue Textanalyse als methodisches Prinzip nicht geläufig wäre. P. Prigent gibt ganz bewußt nur die Ergebnisse dessen, was die vorhergehende, eindringende Beschäftigung mit den Texten erbracht hat. Ich glaube jedoch, daß es nur kümmerliche Reste erhalten, die außerdem weitgehend aus den Katenen gewonnen werden mußten. Die Fragmente der griechischen Paulinenkommentare gab heraus: K. Staab, Pauluskommentare aus der griechischen Kirche, aus Katenenhandschriften gesammelt u. herausgegeben, Münster i. W. 1933 ( = Neutestamentl. Abh. X V ) ; daß aber immer noch glückliche Funde möglich sind, zeigt der Papyrus-Fund von Tura mit Resten des Römerbriefkommentars des Origenes (vgl. Verzeichnis der Römerbriefkommentare, S. 271; vgl. audi C. H. Turner, Greek Patristic Commentaries on the Pauline Epistles, in: A Dictionary of the Bible (ed. J.Hastings), Extra Vol., 6. Aufl. Edinburgh 1924, S. 484—531; R. Devreesse, Art. „Chaines exegetiques grecques", DB, Suppl. I (1928), vor allem col. 1209—1224 (Les chaines sur Saint Paul). 17 Vgl. Anm. 11; vgl. ferner: W.Bauer, „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit". Festrede z. Reichsgründungsfeier der Georg August-Universität am 18. Januar 1930, Mitteilungen des Universitätsbundes Göttingen 11 (1930), S. 1—19. W.Bauer muß naturgemäß auch sehr summarisch verfahren. 18 Vgl. die Literaturangaben in den Anmerkungen 10 und 11.
Bemerkungen zur Methode
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vorteilhafter ist, den Leser durch eingehenderen Vortrag die Analysen mitvollziehen und kontrollieren zu lassen. Man sollte auch nicht so sparsam mit wörtlichen Zitaten sein wie P. Prigent. Ein häufig in auslegungsgeschichtlichen Arbeiten angewandtes Verfahren ist folgendes: Der Bibeltext, die Perikope, wird unter bestimmten Gesichtspunkten gegliedert und ihre Exegese dann in einigen Längsschnitten verfolgt. Kl.-P. Koppen hält dieses Verfahren für vorteilhaft und begründet das auch 1 9 . Ähnlich gehen L. Vischer, H . Gieraths und teilweise auch R . Balducelli v o r 2 0 . Ich bin von der Zweckmäßigkeit dieses Verfahrens nicht völlig überzeugt, wenn auch selbstverständlich zuzugeben ist, daß nicht unbedingt jede Analyse in extenso vorgelegt werden muß und die mannigfachen Möglichkeiten der Themenwahl, der verschiedene Charakter und Umfang der Perikopen auch unterschiedliche Arbeitsmethoden fordern können. Im folgenden sei kurz die Methode dargestellt, die ich bevorzugt habe. Die Auswertung der Kommentare zu Rom. 13,1-7 erforderte je nach ihrer Beschaffenheit ein verschiedenes Vorgehen. Man kann ganz grob zwei große Gruppen von Kommentaren unterscheiden. Die eine Gruppe umfaßt alle die Kommentare zu Rom. 13, 1-7, deren selbständiger inhaltlicher Wert verhältnismäßig gering ist, da sie Bekanntes mehr oder weniger wörtlich wiederholen und daher keine neuen Gedanken zur Auseinandersetzung mit dem Bibeltext beisteuern. Die andere Gruppe umfaßt die Kommentare, die das Fundament für die spätere Exegese legen — die Kommentare der Patristik und einige andere Kommentare des Mittelalters, die inhaltlich und methodisch Neues bringen. Die Grenzen zwischen diesen beiden Gruppen sind fließend. Bei den Kommentaren der ersten Gruppe — wenn die Zugehörigkeit zu ihr in einer ersten Prüfung erkannt war — war es vor allem erforderlich, die Quellen zu ermitteln, um so ein Bild von der Überlieferungsgeschichte zu gewinnen. Dabei läßt audi die Art und Weise der Quellenauswahl und damit die Behandlung des tradierten Gutes Rückschlüsse auf Absichten und Denkweise des Kommentators zu. Solche Textanalysen lediglich, auf die Quellen hin werden in ausgewählten Beispielen vorgelegt 2 1 . Auf eine genaue inhaltliche Analyse konnte hier verzichtet werden, da sonst Bekanntes hätte wiederholt werden müssen. Eine Übersicht über das ausgewählte Traditionsgut wird jeweils in den allgemeinen Kapiteln gegeben. Das geschilderte Verfahren war bei den meisten Kommentaren der Vorscholastik und der 1. Periode der Frühscholastik, aber audi bei einigen Kommentaren des 13. Jahrhunderts anzuwenden. Wohl war aber audi bei diesen Kommentaren darauf zu achten, ob nicht neue Formen der Exegese zumindest im Ansatz vorhanden sind; dies ist tatsächlich bei einigen dieser Kommentare der Fall. Die Kommentare der zweiten Gruppe verlangten eine möglichst tiefdringende Interpretation. Diese Analysen sind der Kern der vorliegenden Arbeit. Sie werden vollständig vorgelegt und können an Hand der Kl.-P. Koppen, a.a.O. (vgl. Anm. 11), S . 2 . Vgl. Literaturangaben Anm. 10 und 11. 21 Vgl. ζ. B. die Kapitel über Sedulius Scottus, S. 119 f. oder über die „magna glossatura" des Petrus Lombardus, S. 156 ff. 18
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Zitate überprüft werden. Ich bin bei meinen Interpretationsversuchen folgendermaßen vorgegangen: Die Aufmerksamkeit richtete sich zunächst auf die den gedanklichen Zusammenhang tragenden Begriffe. Zuerst mußte natürlich versucht werden, den Sinngehalt soldier Begriffe mit Hilfe des Kontextes zu ermitteln. Darüber hinaus habe ich nach weiteren Hilfen gesucht. Sofern neben dem Kommentar zu Rom. 13,1-7 oder dem Paulinenkommentar insgesamt noch andere Schriften der betreffenden Exegeten zur Verfügung standen — das war durchaus nicht immer der Fall, oder zuweilen nur in bescheidenem Umfang —, wurden sie besonders unter dem Gesichtspunkt durchgesehen, für die erwähnten leitenden Begriffe und die zentralen Gedankengänge weitere Aufklärung zu erhalten, sofern das nach Charakter dieser anderen Schriften überhaupt zu erwarten war. Ein solches Verfahren hat sich im allgemeinen als fruchtbar erwiesen. Zuweilen hat sich ein Autor nur in seinem Kommentar zu Rom. 13, 1-7 zum Problem der weltlichen Gewalt geäußert; dann gaben andere Quellen häufig keinen weiteren Aufschluß. In anderen Fällen (Origenes, Augustinus, Thomas von Aquin) war es von vornherein ausgeschlossen, alle zur Verfügung stehenden Schriften durchzuarbeiten. Hier habe ich die Sekundärliteratur mit ihren zahlreichen Stellennachweisen mit Dankbarkeit und Gewinn benutzt. Dieser allgemeine Hinweis mag vielleicht genügen, da nicht für jeden Beleg die Sekundärliteratur angeführt werden kann. In der Benutzung auch anderer Schriften als der Paulinenkommentare der betreffenden Exegeten sehe ich jedoch eine gewisse Problematik, die in der Sekundärliteratur nicht immer genügend beachtet wird, aber doch kritisch geprüft werden müßte. Ist es zulässig und unbedenklich, als Interpretationshilfe Schriften heranzuziehen, die nachweislich erheblich früher oder später als der zu interpretierende Text entstanden sind? Eine Frage, die sich besonders bei Augustinus, aber auch bei anderen aufdrängt. Sehr oft wird das Gesamtwerk eines mittelalterlichen Autors ohne weiteres als eine Einheit aufgefaßt, deren einzelne Teile sich wechselseitig selbst erklären, ohne daß dem Betrachter eine zeitliche Schichtung als beachtenswert erscheint. Daß Augustinus — um wieder ihn als markantes Beispiel zu nennen — eine geistige Entwicklung durchgemacht hat, die zu Modifikationen seiner Anschauungen geführt hat, bestreitet nun allerdings niemand. So kann neuerdings B. Lohse den Versuch machen, eine Wandlung Augustins auch in seiner Beurteilung des Staates zu erweisen 22 . Die methodischen Schwierigkeiten vergrößern sich natürlich, wenn die Schriften eines Autors nicht genau zu datieren sind, wenn nicht klar ist, in welchem zeitlichen Abstand sie einander folgen. Es wird daher in vielen Fällen nicht möglich sein, eine allzu strenge methodische Forderung aufrechtzuerhalten, die zu einer erheblichen Verkleinerung des Quellenfundaments führen müßte. So wird man denn auch hinsichtlich der Kommentare zu Rom. 13,1-7 nicht auf jede Verwendung anderer Sdiriften als der Paulinenkommentare verzichten wollen und 22 B. Lohse, Augustins Wandlung in seiner Beurteilung des Staates, Studia Patristica VI, Berlin 1962 ( = T U 81), S. 447—475.
Bemerkungen zur Methode
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können. Das Bewußtsein, daß dieses Verfahren nicht völlig unbedenklich ist, wird dabei zur nötigen Vorsicht mahnen. Wenn aber audi sorgsames Hinhören auf die Texte die methodischen Zweifel verringert, weil die verglichenen Texte verwandte Gedanken zu zeigen scheinen oder gar nahezu gleich lauten, gibt es denn eine Sicherheit dafür, daß der Autor mit den gleichen Begriffen in ähnlichem Zusammenhang die gleichen Gedanken und Vorstellungen verbunden hat? Mit solchen Erwägungen stoßen wir an die Grenzen jeder möglichen Interpretation. Das Wort ist gewissermaßen endgültig, wenn es niedergeschrieben ist und erlaubt ein Verstehen des Gemeinten nur in begrenztem Umfang, da das ganze Gewebe der Gedanken und Empfindungen, das der Autor mit dem nun geschriebenen Wort verbunden hat, dem „Nachdenkenden" verborgen bleibt. Schon aus diesem Grunde, von allen sonstigen Unzulänglichkeiten abgesehen, gibt es keine Sicherheit dafür, daß die hier vorgelegten Analysen Gehalt und Bedeutung der Kommentare bis ins letzte erfassen. Sie sind Versuche, die auch einmal ein „non liquet" enthalten müssen. Bei der Interpretation der Kommentare wird keine Systematik gesucht. Es wird audi darauf verzichtet, den Paulustext — was gerade bei Rom. 13,1-7 leicht möglidi wäre, — nach bestimmten Gesichtspunkten aufzugliedern und dann gewissermaßen in einzelnen Strängen die Exegese des Paulustextes durch die Jahrhunderte zu verfolgen. Solche Gesichtspunkte hätten sein können: die weltliche Gewalt als göttliche Anordnung, die Frage eines Widerstandsrechtes, die weltliche Gewalt als Dienerin Gottes, die Frage der Steuerzahlung und anderes. Wie schon erwähnt, wird in auslegungsgeschichtlichen Arbeiten häufig in dieser Weise verfahren. Es scheint mir jedoch förderlicher, jeweils den Kommentar als Ganzes zu erfassen und wirken zu lassen, anderenfalls ist ein Gesamteindruck schwer zu gewinnen, da der innere Zusammenhang zerstört ist. Die Analyse folgt dem Kommentar ungezwungen vom Anfang bis zum Schluß. Die Ordnung der Gedanken erreicht auf natürliche Weise -der klare Aufbau des Paulustextes. Daß die Interpretation audi die historische Umwelt des Exegeten nicht unberücksichtigt läßt, sofern dadurch Aufschlüsse zu gewinnen sind, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Diese historische Umwelt erweist sich — wie mir scheint — redit oft als wenig relevant. In den allgemeinen Kapiteln habe ich midi darum bemüht, die in den Analysen gewonnenen Ergebnisse vergleichend und wertend zusammenzufassen. In die Betrachtung werden nun auch die Kommentare einbezogen, die nicht gesondert analysiert worden sind. Auf Grund des gesamten zur Verfügung stehenden Materials wird hier auch der Versuch gemacht, einiges zur Überlieferungsgeschichte und zu den vielfältigen Formen der Bibelkommentare und exegetischen Methoden zu sagen. Eine Auseinandersetzung mit der Literatur zu Staatsauffassung und politischer Theorie der Patristik und -des Mittelalters konnte eigentlich nur dann erfolgen, wenn dort die Kommentare zu Rom. 13,1-7 in die Untersuchungen einbezogen worden waren. Das ist in der älteren Spezialliteratur und in den
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Einleitung
umfassenderen Werken 2 3 nicht immer der Fall. Sofern die Kommentare herangezogen werden, erfolgt selten eine eingehende Interpretation. In der Spezialliteratur der jüngsten Zeit ist in dieser Beziehung vor allem hinsichtlich der Patristik eine Änderung eingetreten. Nun werden vielfach auch die Kommentare zu Rom. 13, 1-7 in die Betrachtung einbezogen und mit größerer Aufmerksamkeit behandelt, ja, Untersuchungen werden fast ausschließlich diesen Texten gewidmet 2 4 . Hier findet man vielfältige wertvolle Anregung und häufig willkommene Bestätigung der eigenen Auffassung. Im übrigen konnte es nicht meine Aufgabe sein, meine Ergebnisse in den Gesamtrahmen der Geschichte der politischen Theorie einzuordnen. Es scheint ohnehin fraglich, ob diese Ergebnisse wesentliche Korrekturen am bisherigen Gesamtbild von der Entwicklung der mittelalterlichen politischen Theorie erforderlich machen werden. Ebensowenig gestattete das bescheidene Quellenfundament, in eine allgemeine Diskussion der Staatsauffassung des Augustinus, des Origenes, des Thomas von Aquin einzutreten. Ich hoffe lediglich, die Aufmerksamkeit erneut auf Texte gelenkt zu haben, die immerhin nicht völlig unbeachtet bleiben sollten und — was zumindest die Kommentare der Patristik und einige spätere betrifft — nicht unbeachtet bleiben dürfen.
4. Der Paulustext a)
Vorbemerkungen
Aufgabe der folgenden Darlegungen kann es natürlich nicht sein, eine eigene Auslegung von Rom. 13,1-7 vorzutragen. Es ist für den Nichttheologen ohnehin schwierig, sich im Streit der Meinungen über diesen Bibeltext noch zurechtzufinden. Es ist auch nicht beabsichtigt, unseren Text, der neueren Literatur folgend, bis in alle Einzelheiten zu besprechen. Vielmehr ist auf die Dinge und Probleme Gewicht zu legen, die in letzter Zeit insbesondere Gegenstand exegetischer Bemühungen waren. Dabei ist auch darauf zu achten, ob und bis zu welchem Grade sich wenigstens in einigen Fragen eine „opinio communis" gebildet hat 2 5 . 2 3 Vgl. ζ. B. R . W. u. A. J . Carlyle, A History of Mediaeval Political Theory in the West, 6 Bde., 3. Aufl., Edinburgh und London 1950. 24 Vgl. Κ. Η . Schelkle, Staat und Kirche in der patristischen Auslegung von Rom. 13,1—7, ZntW 44 (1952/53), S. 223—236; F. Keienburg, Geschichte der Auslegung von Römer 13,1—7, Gelsenkirchen 1956; A. Strobel, Schriftverständnis und Obrigkeitsdenken in der ältesten Kirche, Diss. Erlangen 1956 (Maschinenschrift); V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus in Rom. 13,1—7, Wien 1964 ( = Wiener Beitr. z. Theologie VIII), mit reichen Literaturangaben; unergiebig ist der Aufsatz von R.Deniel, Omnis potestas a Deo (Rm 13,1—7). L'origine du pouvoir civil et sa relation k l'figlise, R S R 56 (1968), S. 43—85, vor allem S. 45—59. 2 5 Uber den gegenwärtigen Stand der Exegese von Rom. 13,1—7 informieren: F. Keienburg, Geschichte der Auslegung von Römer 13,1—7, S. 125 ff.; E. Käsemann, Römer 13,1—7 in unserer Generation, Z T h K 56 (1959), S. 316—376; C . D . M o r r i s o n ,
Der Paulustext
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Die Aussagen des Neuen Testaments über den Staat und das Verhältnis des Christen zu den weltlichen Gewalten haben die Theologen der letzten Jahrzehnte sehr beschäftigt. Dabei stand die Perikope Rom. 13, 1-7 natürlich — wenn auch nicht ausschließlich — stark im Vordergrund. Es ist kaum verwunderlich, daß dieser Fragenkomplex seit 1933 besonders intensiv in Deutschland erörtert wurde und die Diskussion nach 1945 keineswegs abebbte. Breite Kreise beteiligten sich im Anschluß an eine Äußerung von Bischof Otto Dibelius im Jahre 1959 an der Erörterung der Frage, ob denn den Regierungen totalitärer Staaten der Charakter von „Obrigkeiten" im Sinne von Rom. 13,1 in der Übersetzung Luthers überhaupt zugesprochen werden könne 2®. Abgesehen von der Aktualität des Paulustextes, scheint es mir aber auch für die Beschäftigung mit den Kommentaren der Alten Kirche und der Scholastik von Vorteil, sich Leistung und Ergebnisse der modernen Bibelwissenschaft in den Grundzügen zu vergegenwärtigen. Dies könnte für die analysierende Arbeit an den frühen Kommentaren Nutzen bringen und für Schwierigkeiten und Auslegungsmöglichkeiten hellhörig machen, die sonst vielleicht unbeachtet blieben oder unrichtig beurteilt würden. Daß eine solche Verbindungslinie von der modernen Exegese zurück insbesondere zu den Kommentaren der Patristik gezogen werden kann, zeigt die Tatsache, daß audi bei der modernen exegetischen Arbeit vielfach Kommentare früherer Zeit, vor allem der Patristik, Beachtung finden und zu Vergleich und Belehrung herangezogen werden. Dies ist ganz legitim, denn auch die Bibelexegese unserer Zeit steht in einer Tradition, der sie sich nur zu ihrem Schaden entziehen könnte. Zwar verfügen wir heute über besseres philologisches Rüstzeug und solidere wissenschaftliche Methoden als frühere Zeiten, dem haben aber die Theologen der Patristik die größere Nähe zum biblischen Geschehen voraus. Den Exegeten der Alten Kirche war daher sicher manches elementar verständlich und klar, was uns verschlossen bleibt oder nur mit Mühe erschließbar ist. Man darf natürlich diesen Vorzug der größeren Nähe nicht überschätzen. Dies zeigt allein die Tatsache, daß schon Origenes den Apostel Paulus in der Exegese von Rom. 13, 1-7 The Powers that be. Earthly Rulers and Demonic Powers in Romans 13,1—7, London 1960 ( = Studies in Biblical Theology 29), S. 17ff.; V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus in Rom. 13,1—7, Wien 1964 ( = Wiener Beitr. zur Theologie VIII); vgl. auch zur allgemeinen Orientierung: E. Käsemann, Grundsätzliches zur Interpretation von Römer 13, in: Unter der Herrschaft Christi, München 1961 ( = Beitr. zur ev. Theologie 32), S. 34—55. 26 Vgl. „Dokumente zur Frage der Obrigkeit", als Material zur Vorbereitung der Synoden 1960 vorgelegt von M.Fischer u. H. Gollwitzer (als Manuskript gedruckt); darin vor allem: „Obrigkeit?" Eine Frage an den 60jährigen Landesbischof von Otto Dibelius, Berlin 1959; hier heißt es S. 29: „Machthaber eines totalitären Regimes als ,Obrigkeit' zu bezeichnen, wäre ein Hohn auf die deutsche Sprache. Es wäre vor allem — und darauf muß es den Theologen ankommen — etwas völlig anderes als was Paulus Römer 13 hat sagen wollen." O. Dibelius glaubt übrigens, daß der Begriff „Obrigkeit" in Luthers Verständnis auch auf Regierungen westlicher Demokratien nicht mehr anwendbar sei (a.a.O., S. 30). Zur Kritik an Otto Dibelius vgl. u.a.: P. Meinhold, Römer 13, Stuttgart 1960 und V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus, S. 21 ff.
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in vielem nicht mehr ganz verstanden hat — wie es uns wenigstens heute scheinen will. Selbstverständlich darf man sich aber durch den Blick auf die neuere Exegese nicht die Sicht auf die Kommentare der früheren Zeiten verstellen lassen und muß sich davor hüten, exegetische Lehrmeinungen und Werturteile der heutigen Exegese in diese Kommentare hineinzutragen. Dies ist selbstverständlicher methodischer Grundsatz. b) R o m . 1 3 , 1 - 7 : F r a g e s t e l l u n g e n neueren Exegese
und
Probleme
in
der
Wenn auch über die ungefähre Entstehungszeit des Römerbriefs im ganzen Einigkeit besteht 2 7 , so hat es doch nicht an Versuchen gefehlt, zumindest den Abschnitt Rom. 13, 1-7, der einen in sich geschlossenen Eindruck macht, als eine spätere Interpolation zu erweisen. Die Interpolationsthese wird heute nur noch selten vertreten, wenn man audi gelegentlich betont, daß Rom. 1 3 , 1 - 7 wie ein Einschub w i r k t 2 8 . Von anderen wird demgegenüber gerade darauf hingewiesen, daß unsere Perikope nicht aus dem Zusammenhang des Römerbriefes und der biblisdien Verkündigung herausgelöst werden dürfe und in ihrer paränetisdien Tendenz eng mit Rom. 12 zusammengehöre 29 . Jüngst bemüht sich noch einmal E. Barnikol darum, den nichtpaulinischen Ursprung der absoluten (?) Obrigkeitsbejahung von Rom. 13, 1-7 zu erweisen 3 0 . Barnikols Ausführungen sind insgesamt wenig überzeugend; um seine Behauptung zu beweisen, daß Rom. 13,1-7 erst im Kirchentum des monarchischen Episkopats Ende des 2. Jahrhunderts auftauche, sieht er sich gezwungen, frühere Zeugnisse für den Paulustext ebenfalls als Interpolationen zu erklären. Da bleibt dann selbst Irenäus' Schrift „Adversus haereses" nicht verschont 3 1 . Im Gegensatz dazu macht A . S t r o bel den Versuch, gerade für die Entstehung von Rom. 1 3 , 1 - 7 Anlaß und Zeitpunkt im 1. Jahrhundert zu finden: Im Jahre 53 n. Chr. sei nach Sueton und Tacitus auf Betreiben von Kaiser Claudius durch Senatsbeschluß den kaiserlichen Prokuratoren die volle Gerichtsbarkeit in Sachen des Fiskus übertragen worden. Das kaiserliche Vorgehen habe große Beachtung, in den Provinzen aber wenig Gegenliebe gefunden. Willkür und Rücksichtslosigkeit der Beamten konnten Platz greifen und die Wirkungen zeigten sich dann audi in den nächsten Jahren. In dieser Zeit, nämlich 55/56 n. Chr., ist nach Strobel auch der Römer-
2 7 Vgl. H . W . Schmidt, Der Brief des Paulus an die Römer, Berlin 1962 ( = Theologischer Handkommentar zum N T VI), S . 4 : frühestens 55, spätestens 58 n . C h r . ; O.Michel, Der Brief an die Römer, 12. Aufl., Göttingen 1963 ( = Kritisch-exegetischer Kommentar über das N T , 4. Abt.), S. 1: Frühjahr 58 in ICorinth. 2 8 O. Kuss, Paulus über die staatliche Gewalt, ThGl 45 (1955), S. 3 2 1 — 3 3 4 , bes. S. 322. 2 9 Vgl. F. Keienburg, Geschichte der Auslegung von Römer 1 3 , 1 — 7 , S. 18 ff. 3 0 E . Barnikol, Römer 13. Der nichtpaulinische Ursprung der absoluten Obrigkeitsbejahung von Römer 1 3 , 1 — 7 , in: Studien zum N T und zur Patristik, Berlin 1961 ( = T U 77), S. 6 5 — 1 3 3 . 3 1 Vgl. das Kapitel über Irenäus, S. 36 f.
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brief geschrieben -worden. Mit den έξουσίαι könnten gerade auch die kaiserlichen Prokuratoren gemeint sein 32 . So weist denn audi Ο. Kuss darauf hin, daß die έξουσίαι in Rom. 13,1 nicht abstrakt den „Staat" bedeuten, sondern konkret die zahlreichen Organe des Staates, die Behörden, wenn auch Paulus bei Rom. 13, 2-4 mehr die Staatsmacht im Prinzip im Auge habe 33 . Solche Überlegungen können zu der weiteren Frage führen, ob Paulus in Rom. 13, 1-7 mehr abstrakt eine Staatslehre gibt oder nicht. Insgesamt betont dazu O. Kuss, daß es im Neuen Testament keine „christliche Lehre vom Staat" gebe 34 . Diese Auffassung wird zu Recht wohl allgemein geteilt. E. Käsemann glaubt allerdings in diesem Punkt kritisch gegen einen Aufsatz H.Schliers 35 Stellung nehmen zu müssen. Er wirft Schlier vor, daß seine Exegese von Rom. 13,1-7 nur abstrakt den Staat, das Wesen des Staates ins Auge fasse und nicht konkret die irdischen Gewalten. Das abstrahierende Reden vom „Staat" lasse den Text zur Grundlage einer Staatsmetaphysik werden. Schlier verlagere unrichtig das Schwergewicht von der Paränese auf die Begründung und für ihn stehe nur „Gott hat angeordnet" im Text. Die eschatologische Betrachtungsweise münde in Staatsmetaphysik 36 . Wenn es auch berechtigt erscheint, eine Exegese von Rom. 13,1-7 zurückzuweisen, die zu einer Staatsmetaphysik die Handhabe bieten könnte, so glaube ich doch, >daß Käsemann Schlier in einer Weise versteht, die sicher den Intentionen Schliers nicht entspricht und in dessen Aufsatz keine ausreichende Stütze findet. Eine „christliche Lehre vom Staat im Neuen Testament" (O. Kuss) ließe sich wohl auch nur dann gewinnen, wenn es möglich wäre, die verschiedenen Aussagen des Neuen Testaments über die staatlichen Gewalten einigermaßen miteinander in Einklang zu bringen. Einen Versuch, die Aussagen des Paulus mit denen der Johannes-Apokalypse zu harmonisieren, macht O. Cullmann, während sich O. Kuss und besonders E. Bammel gegen solche Harmonisierungen wenden oder durch Betonung der stark divergierenden neutestamentlichen Äußerungen über den Staat ausschließen 37 . Seit langem bemüht sich die Forschung ferner darum, die Aussagen des Paulus über die weltlichen Gewalten und seine Paränese nach Form und Inhalt in eine Tradition einzuordnen, ihnen damit die Singularität zu nehmen und so das Verständnis zu erleichtern. Sehr häufig wurde bisher die Ansicht vertreten, daß die paulinische Paränese der jüdischen und hellenistisch-jüdischen sehr ver32 A. Strobel, Furcht, wem Furcht gebührt, zum profangriechischen Hintergrund von Rom. 13,7, ZntW 55 (1964), S. 58—62. 33 34 O. Kuss, a.a.O., S. 324 f. A.a.O., S. 333. 35 H . Schlier, Die Beurteilung des Staates im Neuen Testament, Zwischen den Zeiten 10 (1932), S. 312—330, wieder abgedruckt in: H . Sdilier, Die Zeit der Kirche. Exegetische Aufsätze und Vorträge, Freiburg i. Br. 1956, S. 1—16. 3β E. Käsemann, Römer 13,1—7 in unserer Generation, ZThK 56 (1959), S. 323 ff. 37 O. Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, 2. Aufl., Tübingen 1961; vgl. dagegen O. Kuss, a.a.O., S. 324 und besonders E. Bammel, Ein Beitrag zur paulinisdien Staatsanschauung, ThLZ 85 (1960), S. 837—840. Bammel stellt l.Thess.5,3 und 2.Thess. 2 , 6 f. Rom. 13,1—7 gegenüber und ist sogar der Ansicht, daß bei Darstellung der paulinisdien Staatsauffassung Rom. 13 in den Hintergrund zu treten habe.
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wandt, die paulinische Haltung dem Staat gegenüber also aus der spätjüdischen vor allem zu erklären sei. So sagt M. Dibelius, daß Paulus eine traditionelle Mahnung der hellenistisch-jüdischen Paränese weitergebe 38 . O. Eck und W. Bold sehen Paulus in jüdischer bzw. spätjüdischer Tradition 3 ΐ , und auch O. Kuss meint, daß in Rom. 13,1-7 ein spezifisch von dem neuen Glauben an Christus beeinflußtes Element fehle 40 . F. Neugebauer jedoch wendet sich gegen diese Lehre und behauptet vielmehr, die Paränese Rom. 13,1-7 stehe in typisch christlicher Uberlieferung 41 . Neuerdings hat es vor allem A. Strobel unternommen, den Nachweis zu erbringen, daß Rom. 13,1-7 vor einem profangriechischen Hintergrund zu sehen und mithin ein profaner Text sei. Mit Hilfe eines reichen Materials sucht er seine Ansicht zu begründen, daß sich Paulus der römischen Rechts- und Verwaltungssprache bediene 42 . Eine lebhafte Diskussion mit allem philologischen Rüstzeug hat sich in den letzten Jahrzehnten über die Frage entwickelt, welche Bedeutung der Begriff έξουσίαι in Rom. 13,1 habe. Einige neuere Exegeten plädieren für eine sogenannte „dämonistische" Deutung, nach der Paulus unter den έξουσίαι. nicht nur weltliche Gewalten, sondern auch — oder gar vornehmlich — Engelmächte, dämonische Mächte (vgl. Kol. 1,16 und Eph. 6,12) verstehe. Diese Deutung ist insofern auch für uns bemerkenswert, als schon Irenäus gegen eine solche Interpretation des Pauluswortes durch die valentinianische Gnosis polemisiert 43 . In neuerer Zeit haben diese „dämonistische" Deutung mit mannigfachen Begründungen und Varianten vertreten G. Dehn, W. Bieder, W. Schweitzer, O. Cullmann, R. Morgenthaler und, bis zu einem gewissen Grade im Gefolge von Cullmann, C.D.Morrison und F. Keienburg 44 . Besonders energisch setzt sich 3 8 M. Dibelius, Rom und die Christen im ersten Jh., Botschaft und Geschichte II, gesammelte Aufsätze von M. Dibelius, Tübingen 1956, S. 177—228 ( = SB Heidelb. Akad. Wiss., Phil.-hist. K1.2, 1941/42, Heidelberg 1942 [bes. S . 1 8 4 ] ) . 3 9 O. Eck, Urgemeinde und Imperium. Ein Beitrag zur Frage nach der Stellung des Urchristentums zum Staat, Gütersloh 1940 ( = Beitr. zur Förderung christlicher Theologie 42,3), bes. S. 74 ff. und W. Bold, Obrigkeit von Gott? Studien zum staatstheologischen Aspekt des Neuen Testaments, Hamburg 1962. 4 0 O.Kuss, a.a.O., S . 3 2 9 f . 41 F. Neugebauer, Zur Auslegung von Rom. 1 3 , 1 — 7 , Kerygma und Dogma 8 (1962) S. 1 5 1 — 1 7 2 , v o r allem S. 158 f. und S. 165; ähnlich G. Delling, Römer 1 3 , 1 — 7 innerhalb der Briefe des Neuen Testaments, Berlin 1962, S. 8 fit". 4 2 Vgl. v o r allem A. Strobel, Zum Verständnis von Rm 13, ZntW 47 (1956), S. 67—93, aber audi ZntW 55 (1964), S. 5 8 — 6 2 ; zustimmend E. Käsemann, Römer 13 in unserer Generation, ZThK 56 (1959), S. 351 ff.; dagegen, und auch sonst eigene Wege gehend, R . W a l k e r , Studie zu Römer 1 3 , 1 — 7 , München 1966 ( = Theologische Existenz heute, N. F., Nr. 132). 43 Vgl. das Kapitel über Irenäus, S. 38 f. 4 4 G.Dehn, Engel und Obrigkeit. Ein Beitrag zum Verständnis von Römer 1 3 , 1 — 7 , in: Theologische Aufsätze, K a r l Barth zum 50. Geburtstag, München 1936, S. 9 0 — 1 0 9 ; W . Bieder, Ekklesia und Polis im Neuen Testament und in der Alten Kirche, Zürich 1 9 4 1 ; W. Schweitzer, Die Herrschaft Christi und der Staat im Neuen Testament, München 1949 ( = Beitr. zur ev. Theologie 11), 2. Aufl., 1961, mir nicht erreichbar; O. Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, 2. Aufl., Tübingen 1 9 6 1 ; R. Morgenthaler,
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Ο. Cullmann in dieser Sache ein, möchte jedoch nicht den Ausdruck „dämonistische" Deutung verwendet wissen, sondern den Ausdruck „christologische" Deutung. Nach Cullmann bezieht sich bei Paulus der Begriff έξουσίαι überall auf unsichtbare Engelmächte und Gewalten. Selbstverständlich hält Cullmann für Rom. 13, 1 auch an der profangriechischen Bedeutung „Staat" für das Wort έξουσίαι fest. Es liegt bei Rom. 13, 1 also eine Doppelbedeutung vor. Die bösen oder guten Engelmächte, die immer audi hinter den staatlichen Gewalten stehen, sind nach Kol. 1, 16 auf Christus hin geschaffen und nach dem urchristlichen Credo schon zum ersten Mal von Christus entscheidend besiegt worden. Die unsichtbaren Gewalten und zugleich der heidnische Staat kommen damit bereits unter die Herrschaft Christi. Solange sie in der Bindung an Christus bleiben, stehen sie in Gottes Ordnung und können ein richtiges Urteil über Gut und Böse fällen. „Erst wenn sie sich wieder aus der schon erfolgten Unterwerfung zu lösen versuchen und totalitär' werden . . . verlangen sie, was Gottes ist. Darum müssen sie endgültig noch einmal besiegt werden, am Ende der Tage, obwohl die Entscheidung schon gefallen ist." 45 Gegen diese „dämonistische" oder „christologische" Deutung hat sich starker Widerspruch erhoben, und überwiegend wird sie — mit guten Argumenten, wie ich glaube — abgelehnt; so von H . v. Campenhausen, E. Käsemann, A. Strobel, O. Kuss, V. Zsifkovits und anderen 46 . In den Versen Rom. 13, 3 ff. spricht Paulus von den Aufgaben der weltlichen Gewalten und ihrem Dienstcharakter. Im Vers Rom. 13,4 bezeichnet Paulus die weltliche Gewalt als Gottes Dienerin (διάκονος) und in Rom. 13, 6 findet sich ein verwandter Begriff (λειτουργοί). Diese Aussagen des Paulus haben verschiedene Interpretation erfahren, von der es ja nicht zuletzt abhängt, welche Rolle man der weltlichen Gewalt im Leben des Christen insgesamt zubilligt. Wie ungesichert die Exegese dieser Verse ist, wie wenig klar man sich darüber noch heute ist, was Paulus wirklich gemeint hat, zeigt der Kommentar von H . W. Schmidt. Paulus' Wort Rom. 13, 4: „Denn sie ist Gottes Dienerin dir zugut" kann nach Schmidt bedeuten, daß die staatliche Gewalt als Gottes Dienerin göttliches Werkzeug ist, eine Erziehungsmacht zum Guten, oder es Roma — Sedes Satanae. Rom. 13, I f f . im Lichte von Luk.4,5—8, ThZ 12 (1956), S. 289—304; C.D.Morrison, a.a.O. (vgl. Anm. 25), S. 25 ff. und F. Keienburg, Geschichte der Auslegung von Römer 13,1—7, S. 144; vgl. auch Α. Α. T. Ehrhardt, Politische Metaphysik von Solon bis Augustin, Bd. 2: Die christliche Revolution, Tübingen 1959, S. 22ff. (unklar und wenig überzeugend); positiv zu den Darlegungen besonders Morrisons neuerdings C. Ε. B. Cranfield, A Commentary on Romans 12—13, Edinburgh u. London 1965 ( = Scottish Journal of Theology, Occasional Papers 12), bes. 45 S. 65 ff. Ο. Cullmann, a.a.O., S. 49 ff. und Exkurs I, S. 68 ff 48 H. v. Campenhausen, Zur Auslegung von Rom. 13: Die dämonistische Deutung des έξουσία -Begriffs, Festschrift A. Bertholet, Tübingen 1950, S. 97—113; wiederholt in: H. v. Campenhausen, Aus der Frühzeit des Christentums, Studien zur Kirchengeschichte des 1. und 2. Jh., Tübingen 1963, S. 81—101; E. Käsemann, a.a.O., S. 351 ff.; A. Strobel, Zum Verständnis von Rm 13, ZntW 47 (1956), S.67ff.; O.Kuss, a.a.O., S. 323 f.; V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus, S. 59 ff.
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hat nur den Sinn: „Zum Schutz und zur Sicherung des Lebens, Eigentums." 47 Es ist leicht zu sehen, daß die erste Deutungsmöglidikeit einen weit höheren, nahezu heilsgeschichtlichen Rang der weltlichen Gewalt für die Christen und ihre Lebensführung behauptet, während es sich im zweiten Fall lediglich um eine Erhaltensfunktion des Staates handelt. Daß H . W. Schmidt mehr zur ersten Auffassung neigt, zeigt seine Erklärung des Begriffes λειτουργός, der nach seiner Ansicht so verstanden werden könnte, daß die „Diener Gottes" in Parallele gesetzt werden zu den Priestern Gottes; λειτουργός bedeutet dann „priesterlich waltend" 4 8 . Auch W. Bold sieht eine „sakrale Gefülltheit" der Begriffe, wenn die Obrigkeit als Liturg Gottes bezeichnet wird4®. Andere erklären die Texte wesentlich nüchterner. Nach A. Strobel hat λειτουργός einen politisch-bürgerlichen, profanen Sinn und bedeutet eine bevollmächtigte Amtsperson im Dienste einer Behörde (άρχή). Der Dienst der staatlichen Gewalt nach Rom. 13, 6 sei also nicht absolut, der Träger übe eine Hilfsfunktion im Rahmen der άρχή Gottes aus 50 . Ganz ähnlich, wohl im Anschluß an Strobel, äußert sich V. Zsifkovits: Liturgen Gottes sind solche, die eine helfende Funktion bei der Ausübung göttlicher Regierungstätigkeit haben. Da im römischen Staat die Steuereinnehmer zu den λειτουργοί gehörten, sei die Wahl dieses Ausdrucks in Rom. 13,6 wohl daher zu erklären. Die Begriffe διάκονος und λειτουργός hätten in unserem Zusammenhang keine kultische Bedeutung 51 . Als obersten, gottgewollten Zweck des Staates sieht im übrigen V. Zsifkovits die bestmögliche Verwirklichung des Gemeinwohls an. Dies bedeute die Wendung σοι εις το άγαθόν 52 · Diesen nüchtern-vorsichtigen Interpretationen stehen andere gegenüber, die den Staat nach Paulus in einer heilsgeschichtlichen Funktion sehen und ihm heilsgeschichtliche Dignität beimessen 53 , meines Erachtens zu Unrecht. Damit im Zusammenhang steht die weitere, noch grundsätzlichere Frage nach der Stellung der weltlichen Gewalt im Rahmen der Schöpfungs- und Heilsgeschichte überhaupt, die Frage nach ihrem Ursprung, die sich von der nach Funktion und Zweck nicht trennen läßt. Hier gibt man in der Hauptsache zwei verschiedene Antworten. Nach katholischer Auffassung ist auch für Paulus der Staat Glied eines metaphysischen Seinszusammenhanges und als naturrechtliche oder schöpfungsmäßige Anordnung Gottes Ausdruck der „Lex aeterna" 5 4 . An dieser Lehre wird wohl in allen Arbeiten katholischer Theologen im ganzen konsequent festgehalten. So sagt O.Kuss, daß Rom. 13,1-7 einer naturrechtlichen Denkwelt entstamme und Paulus die Fundamente für eine theologische 47
H. W. Schmidt, a.a.O. (vgl. Anm. 27), S. 221 mit Anm. 12. 49 A.a.O., S. 221. W. Bold, a.a.O. (vgl. Anm. 39), S. 62. 50 A. Strobel, a.a.O., S. 86 f. mit Anm. 110a. 51 52 V. Zsifkovits, a.a.O., S. 81 f. A.a.O., S.73 mit Anm. 118. 53 Vgl. O. Edt, a.a.O. (vgl. Anm. 39), S. 134 und S. 92; L. Gaugusch, Die Staatslehre des Apostels Paulus nadi Rom. 13, ThGl 26 (1934), S. 529—550; zur Kritik einer heilsgeschiditlichen Auffassung vgl. E. Käsemann, a.a.O., S. 330 ff. 54 Nach E. Käsemann, a.a.O., S. 325 ff. 48
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Betrachtung des Staates lege, die nicht in erster Linie eschatologisdi sei, sondern einer naturrechtlichen Theorie wichtige Dienste leisten könne 5 5 . Nach Zsifkovits sieht der Hauptstrom katholischer Staatslehre den Ursprung des Staates nicht wie Luther in der Sünde, wenn auch die Zwangsgewalt des Staates mit der Sündhaftigkeit der Menschennatur erklärt werde 5 6 . Die protestantische Auffassung kommt in einer allerdings etwas aufwendigen Terminologie bei W. Bold zum Ausdruck, der sagt, daß für Paulus die Obrigkeit keine supralapsarische Ursetzung, sondern eine infralapsarische Gottsetzung sei, die den Charakter der schützenden, bewahrenden Barmherzigkeitsordnung trage 5 7 . Daß zwischen katholischer und protestantischer Lehre keine unüberbrückbaren Gegensätze sind, zeigt wohl der Kommentar O. Michels, wo es heißt, daß für Paulus die staatliche Gewalt eine schöpfungsmäßige Setzung sei, diese Setzung aber eine dem Menschen zugewandte Bestimmung enthalte 5 8 . Es sei noch auf ein letztes Problem hingewiesen: In welchem Verhältnis steht die Paränese Rom. 13,1-7 zur eschatologischen Grundhaltung des Paulus und zum Kontext Rom. 13,11 f.? Welche Bewertung erfährt der Staat bei Paulus im Blick auf die erwartete Parusie? Die Antworten, die in der Literatur auf diese Fragen gegeben werden, sind wiederum sehr verschieden. J. Kallas erklärt, daß Rom. 13,1-7 der sonstigen eschatologischen Haltung des Paulus widerspreche 59 , und E. Bammel behauptet, daß bei der Darstellung der paulinischen Staatsauffassung Rom. 13 gegenüber 1. Thess. 5, 3 und 2. Thess. 2, 6 f. in den Hintergrund zu treten habe. Thessalonicher-Stellen und Rom. 13 repräsentierten zwei Typen von Staatsanschauungen. Die Thessalonicher-Stellen mit ihrem dynamisch-apokalyptischen Staats- und Geschichtsverständnis zeigten das eigentliche politische Staatsdenken des Paulus 6 0 . F. Neugebauer betont, daß sich Rom. 13 von der Eschatologie her nicht verständlich machen lasse 61 , und audi G. Delling sieht keinen „eschatologischen Vorbehalt" (Schlier), etwa in Verbindung mit Rom. 13, I I 6 2 . O.Kuss weist auf die eschatologische Grundauffassung des Paulus hin, meint aber, daß bei diesem Urteil Vorsicht geboten sei, weil Paulus in Rom. 13,1-7 nicht den Beweis für „eschatologische Belanglosigkeit" führe 6 3 . Demgegenüber charakterisiert V. Zsifkovits Rom. 12/13 als eine Paränese, die ihre besondere Färbung durch den Hinweis auf die Parusie erhalte 6 4 . Wenn O. Kuss, a.a.O., S. 324 und S. 333. V . Zsifkovits, a.a.O., S. 92, 94 f. und 1 1 2 ff., w o Zsifkovits betont, daß hinter Rom. 13 eine naturreditliche Denkweise stehe und insofern Rom. 13 auch auf den totalitären Staat beziehbar sei. 5 7 W . Bold, a.a.O., S. 6 1 ; vgl. auch O. Cullmann, a.a.O., S. 5 1 : Staat ein Provisorium, nidit göttlicher Art, aber gottgewollt. 5 8 O.Michel, a.a.O. (vgl. Anm. 27), S. 313. 59 J . K a l l a s , Romans XIII, 1 — 7 : A n Interpolation, New Testament Studies 11 6 0 E. Bammel, a.a.O., (vgl. Anm. 37). (1965), S. 365—374. 6 1 F. Neugebauer, a.a.O., (vgl. Anm. 41), S. 160 f. 63 O. Kuss, a.a.O., S. 331 ff. • 2 G. Delling, a.a.O. (vgl. Anm. 41), S. 65 ff. 6 4 V. Zsifkovits, a.a.O., S. 55; für Beachtung des Kontextes audi Ο. Cullmann, a.a.O., S. 41. 55
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Affeldt, Paulus-Exegese
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auch A. Strobel klarzumachen sucht, daß Rom. 13,1-7 ein profaner Text und im Geiste des antiken Ideals des guten, rechtschaffenen Staatsbürgers geschrieben sei, daß Paulus, soweit er konnte, das Lebensideal der Kalokagathie nach seiner politisch-ethischen Gestalt rezipierte, so versäumt Strobel doch nicht, darauf hinzuweisen, daß allseits Übereinstimmung darüber bestehe, daß Paulus die staatliche Gewalt als interimistische Anordnung Gottes verstehe 65 . Es scheint daher auch mir, daß unbeschadet aller nüchternen Einzelexegese, wie sie ζ. B. A. Strobel vorführt, unbeschadet auch der Anerkennung der Tatsache, daß Paulus hier und jetzt eine sachliche und korrekte Haltung der Christen gegenüber den weltlichen Gewalten fordert, das eschatologische Moment und damit Kontext und Gesamttheologie des Paulus nicht unbeachtet bleiben dürfen, wenn es um ein Verständnis von Rom. 13,1-7 geht. Ich glaube deshalb, daß im Kern noch immer gültig ist, was H . Schlier in seinem Aufsatz 6 8 dargelegt hat, dessen Hauptgedanken ich abschließend wiederzugeben suche: Die theologisdi primäre Antwort auf die Frage, wie das Neue Testament den Staat beurteilt, ist nicht die von Rom. 13,1-7, sondern sachlich liegt vor dieser eine andere, die nämlich, daß für den Christen der eigentliche, wahre Staat im Himmel ist, so wie es Phil. 3, 20 ausdrückt. Die Bürgerschaft, die Gemeinde, der der Christ eigentlich angegliedert ist, ist die himmlische, in deren Erwartung der Gläubige des Neuen Testaments lebt 47 . Die Christen sind letztlich Fremdlinge auf dieser Erde und stehen so dem Staat wie aller weltlichen Ordnung in einer gewissen unaufhebbaren Distanz gegenüber. Erst wenn man sich dieser eschatologischen Heilserwartung als des entscheidenden Moments in der Beurteilung der weltlichen Ordnungen bewußt wird, gewinnt man einen Zugang zu den Aussagen des Neuen Testaments zum Problem des Staates. Man könnte fragen, ob als Konsequenz dieses „eschatologischen Vorbehaltes" (Schlier) der Staat nicht beseitigt, oder doch wenigstens als überflüssig beiseite gerückt wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Gerade von der eschatologischen Erwartung her ist es ein Zeichen echter „Welt-Fremdheit", der staatlichen Gewalt zu gehorchen 68 . In der Hoffnung auf das Gottesreich, den neuen Äon, wird es möglich, auch den alten Äon mit allen seinen weltlichen Ordnungen als Gottes Schöpfung zu begreifen und damit auch alle faktischen Bindungen, denen der Mensch in der Welt noch unterliegt. Wer die weltlichen Ordnungen nicht anerkennen will, erweist damit, daß er gar nicht auf „die" Ordnung Gottes wartet, sondern sie in vermeintlicher christlicher Haltung selbst bauen will 69 . Unter diesem eschatologischen Aspekt ist audi Rom. 13, 1-7 zu sehen. Diese Verse stehen unter dem Obersatz in Rom. 12, 1 f., der die Christen ermahnt und auffordert, sich nicht dem Schema dieses Äons anzugleichen. Ein Aufbegehren 85
A. Strobel, a.a.O., S. 91 f. H. Schlier, Die Beurteilung des Staates im N T , in: H . Schlier, Die Zeit der Kirche, Exegetische Aufsätze und Vorträge, Freiburg i. Br. 1956, S. 1—16. " H. Schlier, a.a.O., S. 3 ff. 118 H.Schlier, a.a.O., S. 7; vgl. audi Ε. Käsemann, a.a.O., S. 374 f. ·» A.a.O., S. 8. ββ
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gegen die weltliche Gewalt wäre aber eine solche Angleichung. Da jede Gewalt von Gott ist, ist es für den Einzelnen gleichgültig, welcher Art die regierende Obrigkeit ist, ob gut oder schlecht. Jeder geschichtlich auftretenden Macht, nicht nur abstrakt der „potestas", ist der Christ Gehorsam schuldig 70 . Wer der weltlichen Gewalt Widerstand entgegensetzt, setzt sich Gott gegenüber ins Unrecht, da die „potestates" Vollzugsorgane des Willens Gottes, Gottes Diener sind. Damit aber ist gleichzeitig der weltlichen Gewalt ihre Grenze gesetzt. Ihre Begründung durch Gott bedeutet auch ihre Begrenzung. Der Staat darf sich nicht als letzte Quelle aller Macht verstehen 71 . Die Aufgabe des Staates ist im Dienste Gottes nur die, die Ordnung aufrechtzuerhalten, das Böse zu strafen, das Gute zu belohnen. Das Aufrechterhalten der Ordnung bedeutet nicht, die Menschen irgendwie glücklich zu machen oder gar sie zu bessern. Eine heilsgeschichtliche Aufgabe weist also Paulus der staatlichen Gewalt nicht zu: „Die Ordnung, für die der Staat zu sorgen hat, soll ein bürgerlich ehrbares und frommes Leben ermöglichen, mehr nicht." „Er(derStaat) kann und soll ja nicht,Kirche' sein." 72 Die Unterordnung des Christen unter den Staat erschöpft sich nicht nur darin, daß er sich äußerlich „legal" verhält, etwa indem er Steuern zahlt oder der Obrigkeit Ehrerbietung erweist, er muß sich auch im Gewissen, nicht nur in der Furcht, an die staatlichen Gewalten gebunden fühlen, in deren Strafen er den Zorn Gottes spürt. Der Christ, der diese Gewissensbindung nicht bejaht, lehnt sich innerlich gegen Gott auf, der den Staat als sein Werkzeug handhabt. „Wir sehen also, wie im Neuen Testament gerade aus der Erkenntnis des Glaubens heraus, daß die Welt zu Ende und die Zukunft von Gott besorgt ist, der Staat anerkannt wird, und zwar als die über den Einzelnen bestimmende Macht, die das geschichtlich-natürliche Miteinandersein der Menschen in guter Ordnung zu bewahren hat." 78 ™ A.a.O., S. 8 72 A.a.O., S. 11.
3"
ff.
71 73
A.a.O., S. 10. A.a.O., S. 13.
Die Patristik I. A N A L Y S E N 1. Irenäus von Lyon Die gegen die „falsche Gnosis" gerichtete Schrift des Irenäus von Lyon 74 , gewöhnlich „Adversus haereses" genannt, ist vollständig nur in einer wörtlichen lateinischen Übersetzung erhalten, deren zeitliche Ansetzung kontrovers ist. Die Ansetzungen schwanken zwischen 200 und 420 75 . Wir besitzen außerdem vom griechischen Text einige Fragmente bei späteren Kirchenschriftstellern und in Katenen und eine armenische Übersetzung des 4. und 5. Buches76, von einigen Stücken in syrischer Sprache abgesehen. Irenäus geht in Lib. V, cap. 24 auf das Problem der weltlichen Gewalt ein und zitiert dabei neben anderen Bibelstellen auch Rom. 13,1,4,6. Neuerdings erklärt E. Barnikol diese Zitate aus Rom. 13 für späteren Einschub, für den er den „Irenaeus latinus" verantwortlich macht, dessen Tätigkeit er in das 3. Jahrhundert und nach Rom verlegen möchte 77 . Das Zeugnis des Irenäus stört E. Barnikol bei seinem Bemühen, Rom. 13,1-7 als Interpolation des späten 2. Jahrhunderts zu erweisen 78 . Er meint, daß der Originaltext des Irenäus eine von Rom. 13 inhaltlich grundverschiedene Obrigkeitsauffassung habe, die Zitate aus Rom. 13,1-7 also später in den originalen Text eingefügt worden sein müßten 7 9 . E. Barnikol berücksichtigt dabei aber nicht genügend, daß Irenäus die Bibeltexte nach seinem Verständnis erklärt. Es wäre kaum verwunderlich, wenn sich seine Staatsauffassung, die eines Theologen der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts, von der des Paulus in einigen Punkten unterschiede. Man kann im übrigen durchaus bezweifeln, daß die Obrigkeits74 Vgl. über Irenäus u . a . F.Vernet, D T h C 7 (1922), col. 2394ff., über Schriftverständnis col.2414ff.; B. Altaner, Patrologie, S. 110ff.; J.Quasten, Patrology I, S.287ff.; A. Benoit, Saint Irenee. Introduction a l'etude de sa theologie, Paris 1960 ( = Etudes d'histoire et de philosophie religieuses publiees sous les auspices de la Faculte de Theologie protestante de l'Universite de Strasbourg Nr. 52); hier S. 127 ff. bes. über Paulusbriefe bei Irenäus; N . Brox, Offenbarung, Gnosis und gnostischer Mythos bei Irenäus von Lyon, Salzburg u. Mündien 1966 ( = Salzburger patristische Studien 1), S. 79 ff. (zu den Auslegungsmethoden des Irenäus). 75 Vgl. B. Altaner, Patrologie, S. 111; Entstehungszeit nach Altaner, a.a.O.: um 180—185. 76 Vgl. I. A. Robinson, Notes on the Armenian Version of Irenaeus Adv. Haereses IV, V, JTS 32 (1931), S. 387 zu Lib. V, cap. 24. 77 Ε. Barnikol, Der nidhtpaulinisdie Ursprung der absoluten Obrigkeitsbejahung von Römer 13,1—7, S. 114 ff. 78 79 Vgl. oben S. 28 . Vgl. E. Barnikol, a.a.O., S. 116.
Irenaus von Lyon
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auffassung des Irenaus von der des Paulus grundverschieden ist. Es ist bezeichnend, daß E. Barnikol auf die Polemik des Irenaus gegen das gnostische Verständnis des έξουσία-Begriffs gar nicht eingeht 80 . Ich glaube, daß man E. Barnikol und seiner Interpolationstheorie nicht zustimmen kann und daß Lib. V, cap. 24 von „Adversus haereses" noch immer als ein wichtiges frühes Zeugnis für die Auseinandersetzung mit unserem Paulustext zu gelten hat. Die Staatsauffassung des Irenaus, besonders auf Grund dieser Stelle, ist schon häufiger behandelt worden, jedoch nicht immer genau und ausführlich 81 . Sehr eingehend hat sich A. Strobel mit Schriftverständnis und Obrigkeitsdenken des Irenäus auseinandergesetzt 82 . Ihm ist es auch gelungen, ein Katenenfragment, das anonym zu 1. Petr. 2, 16 f. geboten wird 8 3 , als Teil von „Adversus haereses", Lib. V, cap. 24 zu identifizieren 84 . Ein Vergleich dieses griechischen Fragments mit der Übersetzung des „Irenaeus latinus" ergibt nach Strobel, daß sich der Übersetzer zwar im allgemeinen genau an den griechischen Wortlaut hält, daß aber doch zahlreiche, nicht unwesentliche Zusätze festzustellen sind 85 . Gegen die Ansicht Strobels, daß das Katenenfragment den griechischen Urtext im ganzen treu überliefere, wendet sich S. Lundström, einer der besten Kenner der lateinischen Irenäus-Ubersetzung; er hält die Schlußfolgerungen Strobels nicht für stichhaltig: „Irenaeus latinus" übersetze mit sklavischer Treue und seine Ubersetzungstechnik werde durch das neue Katenenfragment nicht in ein anderes Licht gerückt. Es sei mit der Möglichkeit zu rechnen, daß der Redaktor der Katene den griechischen Urtext geändert habe 8 6 . Ich halte es nach Lage der Dinge für geraten, bei der Analyse den Text der lateinischen Übersetzung zugrunde zu legen, zumal das griechische Katenenfragment erst mit Lib. V, cap. 24, 2 beginnt. Irenäus geht in Adv. haer., Lib. V, 24, 1 von der Verlogenheit des Teufels aus, der den Menschen verführte, und von dessen hochmütigem Wort, daß ihm die 80
Vgl. dazu unsere Analyse, S. 38 f. F. Vernet, a.a.O., col. 2440 f.; C. J. Cadoux, The Early Church and the World, Edinburgh 1925, S. 374 ff.; J. Hashagen, Ober die Anfänge der christlichen Staats- und Gesellschaftsanschauung, ZKG 49 (1930) N . F. Nr. 3, S. 131—158, bes. S. 147ff.; W. Parsons, The Influence of Romans XIII on Pre-Augustinian Christian Political Thought, ThSt 1 (1940), S. 337—364, bes. S.542ff.; W. Bieder, Ekklesia und Polis, S. 139ff.; Carlyle, Mediaeval Political Theory I, S. 128 ff., 148, 162; Κ. Η. Sdielkle, Staat und Kirche, S. 225 ff.; F. Keienburg, Geschidite der Auslegung von Römer 13,1—7, S.29ff.; Α. Α. T. Ehrhardt, Politische Metaphysik II, S. 93 ff., vor allem S. 112ff. 82 A. Strobel, Sdiriftverständnis und Obrigkeitsdenken, S. 114 ff. 83 Vgl. I. A. Cramer, Catenae Graecorum patrum in Novum Testamentum, Bd. VIII: In epistolas catholicas et apocalypsin, Oxford 1844, S. 55 f. 84 A. Strobel, Ein Katenenfragment mit Irenäus Adv. Haer, V 24,2 f., ZKG 68 (1957), S. 139—143. 85 A. Strobel, a.a.O., S. 141 f.; im übrigen entzieht Strobels Fund der Interpolationsthese Barnikols weitgehend den Boden, es sei denn, man nähme an, das Katenenfragment entstamme einer Rüdeübersetzung aus dem „Irenaeus latinus". 86 S. Lundström, Das Katenenfragment mit Irenäus Adv. Haer. V 24,2 f., ZKG 69 (1958), S. 111—112. 81
Die Patristik. Analysen
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Königreiche der Welt in die H a n d gegeben seien und daß er sie gäbe, wem er wolle (Luk. 4, 6). Gegen diesen Hochmut des Teufels wendet sich Irenäus und sagt, daß nicht der Teufel die Königreiche der Welt abgegrenzt h a t ; zum Belege folgen einige Bibelstellen, vor allem R o m . 13, 1, 4 8 7 . D a m i t schließt Irenäus von vornherein den Gedanken aus, die Königreiche, die weltlichen Gewalten könnten vom Teufel gestiftet sein. F. Keienburg weist darauf hin, daß in der Gnosis die Lehre von der Herrschaft der Geistermächte und Engel eine große R o l l e spielt. Nach Ansicht der Gnostiker war der Teufel der Urheber und H e r r der Herrschaft der Könige und Obrigkeiten. Hiergegen polemisiert Irenäus 8 8 . W i r stellen also bereits indirekt eine gewisse positive Einstellung zur weltlichen Gewalt fest, obgleich es Irenäus natürlich in erster Linie darum geht, die O h n macht des Teufels zu erweisen. Irenäus lehnt es außerdem ab, das vielleicht manchem unbequeme paulinische Gebot der Unterwerfung unter die weltliche Obrigkeit durch unangemessene Exegese seines eigentlichen Sinnes zu berauben: „Quoniam haec autem non de angelicis potestatibus, nec de invisibilibus principibus dixit, quomodo quidam audent exponere, sed de his quae sunt secundum homines potestates, ait: , P r o p t e r hoc
enim
Dei sunt, in hoc
( R o m . X I I I , 6). H o c autem et Dominus
ipskm
deservientes'
et tributa
praestatis,
ministri
enim
confirmavit, non faciens quidem quod a Diabolo suadebatur; tributorum autem exactoribus jubens pro se et pro Petro dari (vgl. Matth. 17, 2 4 - 2 7 ) : quoniam ,ministri
Dei sunt, in hoc ipsum
deservientes'89
Paulus' W o r t meint also nicht
die wenig greifbaren himmlischen Gewalten aller Art, nicht die unsichtbaren Fürsten, sondern ganz real die Gewalten unter den Menschen. M a n könnte nun fragen, ob Irenäus nur positive, gute himmlisdie Mächte und Fürsten unter den „angelicae potestates" und „invisibiles principes" versteht, oder vielleicht auch teuflische Gewalten, etwa im Anschluß an Eph. 6 , 1 2 . ( I m 9. Jahrhundert weist H a i m o von Auxerre in seinem K o m m e n t a r zu R o m . 13, 2, wohl unter dem Einfluß von Irenäus, ausdrücklich auf Eph. 6 , 1 2 hin und lehnt es ab, unter den 87 Sancti Irenaei episcopi Lugdunensis Libros quinque adversus Haereses . . . ed. W.W.Harvey, Tom. I u. II, Cantabrigiae 1857, hier Bd.II, S.388: „Sicut ergo in principio mentitus est, ita et in fine mentiebatur, dicens: ,Haec omnia mihi tradita sunt, et cui volo do ea" (Luc. IV, 6). Non enim ipse determinavit hujus saeculi regna, sed Deus: ,Regis enim cor in manu Dei' (Prov. X X I , 1). Et per Salomonem autem ait Verbum: ,Per me reges regnant, et potentes tenent justitiam. Per me principes exaltabuntur, et tyranni per me regnant terram' (Prov. VIII, 15,16). Et Paulus autem Apostolus in hoc ipsum ait: ,Omnibus potestatibus sublimioribus subjecti estote: non est enim potestas nisi a Deo. Quae autem sunt, a Deo dispositae sunt' (Rom. XIII, 1). Et iterum de ipsis ait: ,Νοη enim sine causa gladium portat; Dei enim minister est, vindex in iram ei qui male operatur' (Rom. XIII, 4)." Vgl. audi Adv. haer., lib. V, 22,2, Harvey II, S. 386: „. . . illud igitur quod ait (sc. diabolus): ,Haec omnia mihi tradita sunt, et cui volo do ea' (Luc. IV, 6), ut in superbiam elatus ait. Neque enim conditio sub ejus potestate est: quandoquidem et ipse unus de creaturis est. Neque ipse hominum regnum attribuet hominibus; sed secundum ordinationem Dei Patris, et caetera quaeque, et quae sunt erga homines, disponuntur." 88 F. Keienburg, a.a.O., S. 30. 88 Adv. haer., lib. V 24, 1, Harvey II, S. 388 f.
Irenaus von Lyon
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„potestates" Dämonen zu verstehen, denen man nicht zu gehorchen brauche 90 .) Irenaus dachte vermutlich an gute himmlische Mächte und Fürsten, da er wohl nicht annehmen konnte, daß ein Christ dadurch das Pauluswort in Frage stellte, daß er Paulus die Auffassung unterschiebt, der Christ müsse sich den teuflischen Mächten unterwerfen. Es geht jedenfalls nach Irenäus nicht an, Paulus' Worte irgendwie zu spiritualisieren, von Engelmächten zu reden und sich so die Sache bequem zu machen. Vermutlich war dies hier von Irenäus bekämpfte Paulusverständnis im 2. Jahrhundert bei einigen gnostischen Sekten sehr verbreitet 91 . Daß Paulus lediglich irdische Dinge im Auge habe, so meint wohl Irenäus, beweise die Aufforderung, Steuern zu zahlen; dies wird noch bekräftigt und bestätigt durch die „vorbildliche" Haltung, die Christus bewiesen hat, als er für sich und Petrus die Steuer zu zahlen befahl, da die Fürsten ja Diener Gottes sind. Irenäus gibt folgende Begründung für die Notwendigkeit der Einrichtung der weltlichen Gewalt: „Quoniam enim absistens a Deo homo in tantum efferavit, ut etiam consanguineum hostem sibi putaret, et in omni inquietudine, et homicidio, et avaritia sine timore versaretur, imposuit illi Deus humanum timorem, non enim cognoscebant timorem Dei, ut potestati hominum subjecti, et lege eorum astricti, ad aliquid assequantur justitiae, et moderentur ad invicem, in manifesto propositum gladium timentes, sicut Apostolus ait: . . (folgt Rom. 13, 4) 92 . Der Grund dafür also, daß Gott den Menschen Furcht vor anderen Menschen auferlegt, sie der weltlichen Gewalt und den Gesetzen unterwirft, ist, daß der Mensch sich von Gott entfernte, die Furcht vor ihm vergaß, gegen den Blutsverwandten zu wüten begann und sich überhaupt einem verbrecherischen Leben hingab. Sicher ist also nach Irenäus die Einrichtung der weltlichen Gewalt eine Folge menschlicher Verfehlung, eine Folge sündhaften Handelns; die weltliche Gewalt ist kein Bestandteil der natürlichen Ordnung 9 3 . Letzte Ursache der menschlichen Verfehlungen ist die Abwendung des Menschen von Gott. So mußte der Mensch, da ihn die Gottesfurcht vom Verbrechen nicht mehr abhielt, durch Furcht vor anderen Menschen, vor Gesetz und Macht, im Zaume gehalten werden, um so zu erreichen, daß er zu einer gewissen Gerechtigkeit komme und sich die Menschen gegenseitig in Schranken hielten. Unmittelbar
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Vgl. Haimo v. Auxerre, In ep. ad Rom. XIII, PL 117, c o l . 4 8 0 A . Diese uns schon bekannte (vgl. oben S. 30 f.) „dämonistische" Deutung von Rom. 13,1 scheint in der valentinianischen Gnosis üblich gewesen zu sein; dazu G.Kittel, Christus und Imperator. Das Urteil der ersten Christenheit über den Staat, Stuttgart u. Berlin 1939, S. 48 ff. O. Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, S. 72, Anm. 1 meint, es sei nicht sicher, daß die in Adv. haer. V 24,1 zitierten Gnostiker überhaupt nicht an den Staat gedacht haben. Cullmann hält auch bei ihnen eine Doppelbedeutung von έξουσία für möglich, auch wenn Irenäus dies nicht erwähne. 92 Adv. haer., lib. V 24,2, Harvey II, S.389. 95 Vgl. Κ. H. Sdielkle, Staat und Kirche, S. 227: Staat hat seinen unmittelbaren Ursprung in der Sünde; A. Strobel, Schriftverständnis und Obrigkeitsdenken, S. 116: Staat bei Irenäus sekundär, durch Sündenfall notwendig geworden. 91
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Die Patristik. Analysen
ist also mit dem „Unheil" der Gottentfremdung die Einrichtung weltlicher Gewalt verbunden. Zu welchem Zeitpunkt ist dies nach Irenaus eingetreten? Dieser Zeitpunkt ist nicht der Sündenfall Adams. Der Staat und die Gesetze wurden erst von Gott geschaffen, als die Furcht vor ihm schwand. Die Furcht vor Gott gab es aber erst seit dem Sündenfall Adams 94 , und sie bestimmte nun das Menschengeschlecht. Die Einsetzung der weltlichen Gewalt muß also später erfolgt sein. Es ist denkbar, daß Irenäus als ihre unmittelbare Ursache den Brudermord Kains ansah. Darauf könnte in unserem Text hinweisen, daß Irenäus vom „consanguineus" spricht, den der Mensch nun sogar als seinen Feind betrachtet. An anderer Stelle wird ausdrücklich gesagt, daß Kain in der Seele keine Furcht vor Gott hatte, vielmehr Böses gegen Abel im Schilde führte; darum nahm Gott Kains Opfer nicht an 9 5 . Gegen die Übeltäter haben die Behörden zum Schutze der Gerechtigkeit die Gesetze: „,Non enim sine causa gladittm portat: Dei enim minister est, vindex in iram ei qui male operatur.' Et propter hoc et ipsi magistratus indumentum justitiae leges habentes, quaecunque juste et legitime fecerint, de his non interrogabuntur, neque poenas dabunt. Quaecunque autem ad eversionem justi, inique et impie, et contra legem et more tyrannico exercuerint, in his et peribunt; justo judicio Dei ad omnes aequaliter perveniente, et in nullo deficiente." 90 Irenäus will zwischen gerechter Herrschaft, gerechter Handhabung der Gesetze, und einer tyrannischen Herrschaft, die gegen die Gesetze verstößt, unterscheiden. Gott verlangt keine Rechenschaft über das, was in gerechter Weise von den Behörden getan worden ist. Das gerechte Gericht Gottes wird aber über die kommen, die in tyrannischer Weise die Gesetze mißbrauchen. Die Fürsten werden also vor Gott über ihre Amtshandlungen Rechenschaft abzulegen haben 97 . Eine gewisse Schwierigkeit bietet der folgende Absatz: „Ad utilitatem ergo gentilium terrenum regnum positum est a Deo; sed non a diabolo, qui nunquam omnino quietus est, imo qui nec ipsas quidem gentes vult in tranquillo agere; ut timentes regnum hominum, non se alterutrum homines vice piscium consumant, sed per legum positionem repercutiant multiplicem gentilium injustitiam. Et secundum hoc ,ministri Dei' sunt, qui tributa exigunt a nobis, ,in hoc ipsum servientes'." 98 Wer sind hier die „gentiles"? Es bleibt wohl kaum eine andere Möglichkeit, als unter den „gentiles" die Heiden zu verstehen. Zum Nutzen der Heiden also vornehmlich wurde das „terrenum regnum" von Gott gesetzt, nicht 94
Adv. haer., lib. III 25,1, Harvey II, S.128. Adv. haer., lib. IV 31,2, Harvey II, S.202. »· Adv. haer., lib. V 24,2, Harvey II, S. 389. 97 So versteht wohl J.Hashagen, a.a.O., S. 147 den Text: nach Irenäus sei die Obrigkeit Gott gegenüber verpflichtet und müsse sich tyrannischer Unterdrückung der Guten enthalten; ähnlich Carlyle, a.a.O., S. 162; A. Strobel, Ein Katenenfragment mit Irenäus Adv. Haer. V 2 4 , 2 f., ZKG 68 (1957), S.142 macht darauf aufmerksam, daß der Gedanke der Verantwortlichkeit der weltlichen Obrigkeit auf sorgfältiger Interpretation von Sap. 6, 1—11 beruhe. 98 Adv. haer., lib. V 24,2, Harvey II, S.389. 95
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vom Teufel, wie Irenaus wiederum betont. Der Nutzen des „terrenum regnum" besteht nun darin, daß es die Heiden durch die Furcht, die es erzeugt, von ungerechten Handlungen abhält. Die Furcht vor der weltlichen Gewalt muß eben jetzt an die Stelle der fehlenden Furcht vor Gott treten und verhindern, daß sich die Menschen wie die Fische gegenseitig verschlingen". Um seine Aufgabe, ein gewisses Maß an Ordnung und Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten, erfüllen zu können, bedient sich das „terrenum regnum" der Gesetze, und indem sie diese Aufgabe wahrnehmen, sind die weltlichen Gewalten „Diener Gottes". Daß mit den „leges" die positiven staatlichen Gesetze gemeint sind, nicht aber das Naturgesetz 10°, ist wohl nicht zu bezweifeln. Unser Zitat zeigt, daß Irenaus die Begriffe „homines" und „gentiles" gleichsetzt. Da die „gentiles" die Heiden sind, wie steht es mit den Christen? Ist das „terrenum regnum" nicht auch für sie da? Oder ist es für die Christen überflüssig? Irenäus wollte das wohl kaum sagen. Da aber im 2. Jahrhundert das Häuflein der Christen im Vergleich zur großen Zahl der Heiden und heidnischen Völker noch klein war, schien es ihm vielleicht nötiger, darauf hinzuweisen, daß vor allem die Heiden des „terrenum regnum" bedurften; für die Christen war ihm wohl die Aufgabe des Staates, für Ordnung zu sorgen und Gewalttat zu verhüten, weniger bedeutsam. Denn für den Christen sollte es selbstverständlich sein, nicht Unrecht zu tun. Er braucht eigentlich keine positiven staatlichen Gesetze. Für ihn kann der Staat nicht die Wichtigkeit haben wie für den Heiden. Es scheint daher auch eine Wendung, wie sie Carlyle benutzt, die weltliche Gewalt sei „Heilmittel" gegen die Sünde 101 , nicht ganz unbedenklich, da man so dem Staat im Verständnis des Irenäus eine nahezu heilsgeschichtliche Aufgabe zuweist. Ich glaube nicht, daß Irenäus einer solchen Auffassung ist. Es will mir auch scheinen, daß A. Strobel schon zu weit geht, wenn er, unter Betonung der Ordnungsfunktion des Staates, dem Staat eine nicht unwichtige Rolle als Faktor im ökonomischen — und das heißt doch heilsökonomischen — Welthandeln Gottes zuweist 102 . Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen kommt Irenäus noch einmal zurück auf Rom. 13, 1: „,Quae sunt potestates, a Deo ordinatae sunt'·, manifestum est quoniam mentitur Diabolus, dicens: ,Mihi tradita sunt, et cui volo do ea' (Luc. IV, 6). Cujus enim jussu homines nascuntur, hujus jussu et reges constituuntur, apti his qui illo tempore ab ipsis regnantur. Quidam enim illorum ad correptionem 103 et utilitatem subjectorum dantur, et conservationem justitiae: 98 Α. Α . T. Ehrhardt, Politische Metaphysik II, S. 113, A n m . 3 über heidnische Parallelen zu dem Absatz, daß das Königtum gegründet sei, damit sich die Heiden nicht wie Fische verschlingen; A . Strobel, a.a.O., S. 142 verweist auf die alttestamentlich-jüdische Uberlieferung dieses Gedankens; so habe das Rabbinentum z . Z t . des Irenäus Hab. 1,14 ausgelegt. 100 So W. Bieder, a.a.O., S. 140; dagegen mit Recht A. Strobel, a.a.O., S. 143 mit 101 Anm. 18. Carlyle, Mediaeval Political Theory I, S.148. 102 A . Strobel, Schrift Verständnis und Obrigkeitsdenken, S. 127. 103 Nach A. Strobel, Ein Katenenfragment mit Irenäus A d v . Haer. V 2 4 , 2 f., ZGK 68 (1957), S. 141 ist für „correptionem" „correctionem" zu lesen.
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quidam autem ad timorem et poenam et increpationem: quidam autem ad illusionem et contumeliam et superbiam, quemadmodum et digni sunt; Dei justo judicio, sicut praediximus, in omnibus aequaliter supergrediente." 1 0 4 Erneut nimmt Irenaus Gelegenheit, zu betonen, daß der Teufel log, als er behauptete, ihm seien die Königreiche der Welt übergeben. Jede „potestas" ist vielmehr von Gott. Wie die Menschen auf Gottes Geheiß geboren werden, so werden auch auf seinen Befehl die Könige eingesetzt, und zwar gute und schlechte. Diese Könige verschiedener Art sind der sittlichen Beschaffenheit derer angepaßt, die sie regieren sollen. Die einen erhalten Könige, die die Gerechtigkeit bewahren, ihren Untertanen von Nutzen sind und sie zurechtweisen (oder bessern?), die anderen erhalten Könige, die Furcht einflößen und Strafen auferlegen, wiederum andere sind mit Königen geschlagen, deren Kennzeichen Spott, Schmähung und Anmaßung sind. Das gerechte Urteil Gottes gibt jedem, was ihm gebührt. Man könnte also nach Irenäus folgende drei Arten von Herrschern unterscheiden: erstens gute und gerechte Herrscher, denen Untertanen gleichen Charakters entsprechen, zweitens nicht absolut schlechte, aber furchtgebietende und strafende, die einen gewissen Nutzen dadurch haben, daß sie Verbrecher in Schranken halten, und drittens schließlich schlechte Herrscher, die eine Plage für ihre Untertanen sind. Wichtig ist, festzuhalten, daß jeder König, wie er auch sei, von Gott gegeben ist, die schlechten als Zuchtruten Gottes, wohl kaum als Werkzeuge Gottes zur sittlichen Besserung und Vorbereitung der Menschen auf das Heil. Ich nehme mit V. Zsifkovits an, daß Irenäus die Dienstfunktion des Staates vorwiegend negativ, in der Abwehr des Bösen sieht 1 0 5 , wobei man selbstverständlich darüber streiten kann, ob das nicht doch eine Funktion der staatlichen Gewalt innerhalb der Heilsgeschichte bedeutet. Ich meine jedoch, daß Faktor in der Heilsgeschichte nur das sein kann, was das Geschehen vorantreibt. Ein solcher Faktor ist die weltliche Gewalt bei Irenäus wohl doch nicht. Die Analyse zeigt, daß die Ausführungen des Irenäus, zu denen er sich im Zusammenhang mit der Versuchungsgeschichte veranlaßt sah, keineswegs einen vollständigen Kommentar zu Rom. 1 3 , 1 - 7 darstellen. Wichtige Probleme werden gar nicht behandelt, wie das Problem des Widerstandsrechtes l o e . Man kann auch nicht sagen, daß unsere Analyse zu überraschenden Ergebnissen geführt hat, die zu der Behauptung berechtigen, daß Irenäus Paulus in ungewöhnlicher Weise interpretiert. J . Hashagen ist zuzustimmen, wenn er Irenäus' Aussagen als eine positive, zumindest nicht feindliche Einstellung zum Staat bezeichnet 1 0 7 . Das
1 0 4 Adv. haer., lib. V 2 4 , 3 , H a r v e y II, S . 3 8 9 f . los Vgl. V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nadi Paulus, S. 84. 1 0 9 A. Strobel, Schriftverständnis und Obrigkeitsdenken, S. 121 weist darauf hin, daß bei Irenäus ein aktiver Widerstand nicht erwähnt wird und bei seinen exegetischen Voraussetzungen wohl auch nicht diskutabel w a r : „Die Überzeugung von dem Gericht Gottes stellt für Irenäus die Lösung des Problems des Konfliktfalles dar." 1 0 7 J. Hashagen, a.a.O., S. 147.
Origenes
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Urteil A. Strobels ist noch entschiedener, wenn er sagt, daß Irenäus wie vermutlich kein anderer nach Paulus die staatliche Ordnung hoch zu würdigen gewußt habe. Seine Lehre über Staat und Obrigkeit sei nur verständlich auf dem Hintergrund der das 2. Jahrhundert noch prinzipiell bestimmenden loyalen Konzeption der christlichen Kirche 1 0 8 .
2. Origenes Der Römerbriefkommentar des Origenes, der erste uns bekannte Römerbriefkommentar überhaupt, ist um 244 in Caesarea entstanden 1 0 9 . Die umfangreichen exegetischen Arbeiten des Origenes sind nur trümmerhaft überliefert, und audi den Römerbriefkommentar besitzen wir nicht im Original. Wir haben vor allem die lateinische Obersetzung des Rufinus von Aquileja, von einer Reihe griechischer Fragmente abgesehen. Für den Kommentar Rom. 13,1-7 sind wir ausschließlich auf Rufins Übersetzung angewiesen, die ungefähr 405/406 entstanden ist 1 1 0 . D a diese Übersetzung nur zum kleinen Teil nachgeprüft werden kann, ergibt sich die Vorfrage, ob der so überlieferte Römerbriefkommentar noch ohne weiteres für Origenes in Anspruch genommen werden kann. Allein schon die Tatsache, daß Rufin die fünfzehn Bücher des Originals auf zehn verkürzt hat, muß bedenklich stimmen. Außerdem hat Rufin auch Veränderungen im Hinblick auf anstößige Lehren des Origenes vorgenommen. Die Analyse des Kommentars zu Rom. 13, 1-7 wird vielleicht Anhaltspunkte dafür ergeben, ob schwerwiegende Bedenken audi gegenüber der Übersetzung dieses Teils erhoben werden müssen. Wenn natürlich auch immer mit unkontrollierbaren Veränderungen auf Grund von Kürzungen zu rechnen ist, wenn auch Rufin einige Ansichten des Origenes im Blick auf die veränderte Situation der Kirche seit Konstantin d. Gr. modifiziert und gemildert haben könnte, so gab doch das in Rom. 13 angeschlagene Thema Origenes weniger Veranlassung, Ansichten zu äußern, die für die Kirche um 400 bedenklich waren und die nun Rufin unbedingt hätte korrigieren müssen. Freilich ist äußerste Vorsicht geboten, da P. Koetschau darauf hinweist, daß Rufin selbst unwichtige Stellen verfälscht oder schlecht übersetzt hat, so daß der Sinn verändert wurde 1 1 1 . Im ganzen wird aber die Übersetzertätigkeit Rufins heute keineswegs ungünstig beurteilt 1 1 2 . A. Strobel, a.a.O., S. 121 und Anm. 648 (S. 63 des Anmerkungsteils). Vgl. O. Bardenhewer, Gesdi. d. altkirdil. Lit. II, S. 149: nach 244; J . Q u a s t e n , Patrology II, S. 50: wahrscheinlich vor 244; vgl. im übrigen zu Origenes das Verzeichnis der Römerbriefkommentare, S. 271 f. 110 Vgl. F . X . M u r p h y , Rufinus of Aquileia (345—411). His Life and Works, Diss. Washington D. C. 1945 ( = The Catholic University of America. Studies in Mediaeval History, Ν . S. Vol. VI), S. 235. 1 1 1 P. Koetschau in der Einleitung zur Ausgabe von „De principiis", G C S 22 (1913), S. X X V I I I ff. 1 1 2 Vgl. F . X . M u r p h y , a.a.O., S. 192ff.; M.Wagner, Rufinus, the Translator. A Study of his Theory and his Practice as illustrated on his Version of the Apologetica of St. Gregory Nazianzen, Diss. Washington D. C. 1945 ( = The Catholic University 109
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Über des Origenes Stellungnahme zum Problem der weltlichen Gewalten ist schon öfter gehandelt worden. In den älteren Arbeiten mit meist umfassenderer Thematik wird Origenes' Kommentar zu Rom. 13 gelegentlich herangezogen, in neueren Untersuchungen wird er sehr beachtet 113 . Ausschließlich Origenes gewidmet ist die Arbeit von G. Massart, der sich mit der gesamten Staats- und Gesellschaftslehre des Kirchenvaters befaßt. Massart zitiert längere Abschnitte aus dem Kommentar zu Rom. 13,1-7, ohne allerdings eine genaue Analyse vorzunehmen 114 . Neuerdings hat wiederum A. Strobel die Staatsauffassung des Origenes einer Prüfung unterzogen und geht dabei auch ausführlich auf dessen Kommentar zu Rom. 13, 1-7 ein 115 . Wenn hier nach der Arbeit von Strobel noch einmal eine Analyse dieses Kommentars vorgelegt wird, so scheint das aus zwei Gründen gerechtfertigt: einmal deshalb, weil Origenes' Kommentar zu Rom. 13,1-7 wegen seiner Bedeutung für die spätere lateinische Exegese kaum ausgeklammert werden kann, und zum anderen deshalb, weil wir methodisch anders vorgehen als A. Strobel, der zwar den Kommentar zu Rom. 13,1-7 interpretiert, aber nicht in einer fortlaufenden Analyse. Wir werden bei unserer Analyse zur Ergänzung im wesentlichen nur Schriften des Origenes heranziehen, die ungefähr in der gleichen Zeit wie der Römerbriefkommentar entstanden sind, also in der späteren Schaffensperiode des Origenes um 244 u e . In seinem Kommentar zu Rom. 13, 1-7 1 1 7 knüpft Origenes zunächst an das Wort „anima" in Rom. 13, 1 an und meint, daß Paulus sehr richtig gesagt habe, die „anima" müsse sich den „potestates" unterwerfen; niemals hätte er in diesem Zusammenhang von „spiritus" gesprochen: „Nunquam enim dixisset: omnis spiritus subjaceat potestati, sed, ,omnis anima'." Von dieser Unterscheidung zwischen Seele und Geist haben wir schon oft gesprochen, fährt Origenes fort, daß nämlich der Mensch durch „spiritus", „anima" oder auch „per carnem" of America, Patristic Studies Vol. L X X I I I ) ; Κ. Η. Schelkle, Paulus Lehrer der Väter, S. 413. 113 Vgl. O. Schilling, Naturrecht und Staat nach der Lehre der alten Kirche, Paderborn 1914, S. 60ff.; C. J. Cadoux, The Early Church and the World, S. 353 ff.; E. Peterson, Der Monotheismus als politisches Problem. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Theologie im imperium Romanum, Leipzig 1935, wiederholt in: E. Peterson, Theologische Traktate, München 1951, S. 45 ff., hier besonders S. 78 ff.; W. Parsons, The Influence of Romans XIII, S. 347ff.; F. Keienburg, Geschichte der Auslegung von Römer 13,1—7, S. 39ff.; Κ. H. Schelkle, Staat und Kirche, S. 223 ff.; V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus, passim. 114 G. Massart, Societa e Stato nel cristianesimo primitivo. La concezione di Origene, Padova 1932. 1,5 A. Strobel, Sdiriftverständnis und Obrigkeitsdenken, S. 86 ff., vor allem S. 101 ff.; nicht sehr ergiebig für Origenes' Staatsauffassung ist F.Dvornik, Early Christian and Byzantine Political Philosophy. Origins and Background, vol. 2, Washington D. C. 1966 ( = Dumbarton Oaks Studies 9), S. 600 ff. 118 Vgl. für die Entstehungszeiten der Werke des Origenes O. Bardenhewer, a.a.O., S. 124 ff. 117 Origenis in Ep. ad Romanos Commentariorum Lib. I X 25 ff., ed. C. Η. E. Lommatzsch, Pars I/II, Berolini 1836/37 (Opera omnia Tom. VI u. VII), II, S. 326 ff.
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bezeichnet werden kann: „Sed cum a parte meliore nominandus est, quasi qui spiritualis intelligi debeat, spiritus dicitur: quando ab inferiore, anima: cum vero a deteriore nominatur, caro dicitur . . . " Diese trichotomistischen Vorstellungen, die Origenes in den Paulustext hineinträgt, hängen wohl mit Spekulationen zusammen, die sich vor allem schon in „de principiis" finden: Die Vernunftseele (spiritus) ist aus der oberen Welt abgefallen und verbindet sich durch die animalische Seele (anima), dem eigentlichen Sitz des Begehrens, mit der Leiblichkeit (caro) 1 1 8 . Die Vernunftseele hat am wenigsten Anteil am Irdischen, die animalische Seele steht zwischen „spiritus" und „caro" und besitzt die Fähigkeit, sich auf die eine oder die andere Seite hin zu entscheiden. Diese Freiheit hat sie durch das von Origenes zugestandene „liberum arbitrium"; es ist dies eine der Grundthesen der origenistischen Theologie. Über die Trichotomie läßt sich Origenes auch an zahlreichen anderen Stellen aus 119 . Das „liberum arbitrium" ist recht eigentlich der Angelpunkt der Gedanken in Origenes' Kommentar zu Rom. 13,1-7. Richtet sich das Begehren der Seele auf den Geist, so werden wir eins mit dem Geiste des Herrn und sind dann nur ihm, also Christus, unterworfen: „Et si quidem tales sumus, qui conjuncti Domino unus cum eo spiritus simus (vgl. I. Kor. 6,17), Domino dicimus esse subjecti." In diesem Falle also gilt Paulus* Gebot von der Unterwerfung unter die weltliche Gewalt nicht. Die Sachlage ändert sich, wenn wir noch nicht so weit fortgeschritten sind, wenn die Seele noch „gemein" (communis) ist, wenn sie noch am Irdischen haftet. Damit meint Origenes sowohl die irdische Begehrlichkeit in sittlicher Hinsicht ganz allgemein als audi konkret den weltlichen Besitz, der in diesem Zusammenhang für Origenes die Unterwerfung unter die „potestates" notwendig macht. Folgerichtig wird auf Christus und sein Wort: „Reddite ergo quae sunt Caesaris, Caesari" (Matth. 22, 21) Bezug genommen. Wer keinen irdischen Besitz, weder Gold noch Silber hat, wie Petrus und Johannes (Apg. 3,6), für den gilt Paulus' Gebot nicht; im anderen Falle: „Qui vero habet aut pecuniam, aut possessiones, aut aliquid in saeculo negotii, audiat: ,omnis anima potestatibus sublimioribus subjaceat'" (Rom. 13,1). In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage, welche Haltung Origenes gegenüber weltlichem Besitz überhaupt einnimmt. Dieser Frage geht G. Massart nach und kommt zu dem Ergebnis, daß Origenes den weltlichen Besitz zwar nicht gänzlich verwirft, aber doch seinen nur relativen Wert betont 1 2 0 . Die bisherige Analyse zeigt, daß Origenes hinsichtlich der Notwendigkeit der Unterwerfung unter die weltliche Gewalt eine Einschränkung macht: ledig118 Vgl. A. v. Harnack, Lehrbuch der Dogmengesdiichte I, 5. Aufl., Tübingen 1931, S. 679 f. 110 In Ep. ad. Rom. Comm. I 18, Lommatzsch I, S. 56: „Frequenter in Scripturis invenimus, et a nobis saepe dissertum est, quod homo spiritus, et corpus, et anima esse dicatur. Verum cum dicitur quia ,caro concupiscit adversus spiritum, spiritus autem adversus carnem' (Gal.5,17), media procul dubio ponitur anima, quae vel desideriis spiritus acquiescat, vel ad carnis concupiscentias inclinetur . . v g l . auch: In Ep. ad Rom. Comm. I 5, Lommatzsch I, S. 25 f. 120 G. Massart, a.a.O., S. 251 if. und S. 266 ff.
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lidi irdische Begehrlichkeit, vor allem weltlicher Besitz verpflichten zur „subjectio". Eine solche Auffassung konnte zur Zeit Rufins von Aquileja kaum noch vertreten werden; dies zeigen die Römerbriefkommentare jener Zeit, auch der des Augustinus. Daraus folgt, daß Rufin. bei seiner Obersetzung den Kern der Gedanken des Origenes nicht stark verändert haben kann. Wie stellt sich nun aber Origenes zur Aussage des Paulus, daß jede „potestas" von Gott eingerichtet, angeordnet ist? Wie denn?, könnte einer fragen, erklärt Origenes, sollte auch die „potestas" von Gott sein, die seine Knechte verfolgt, den Glauben bekämpft? Die Frage wird durch einen Vergleich beantwortet. Wie alle den Gesichtssinn, das Gehör von Gott haben und diese Sinne für Gutes und Schlechtes verwenden können, so kann auch die „potestas" verschieden gehandhabt werden. In jedem Falle aber ist sie von Gott „ad vindictam quidem malorum, laudem vero bonorum" (I Petr. 2, 14). Das schließt die Möglichkeit des Machtmißbrauchs nicht aus 121 . Der Mißbrauch der „potestas" wird jedoch im gerechten Gericht Gottes bestraft: „Erit autem justum judicium Dei erga eos, qui acceptam potestatem secundum suas impietates, et non secundum divinas temperant leges." 122 Es kündigt sich hier eine zweite Einschränkung hinsichtlich des Geltens der weltlichen Gewalt an. Die „divina lex" ist im allgemeinen für Origenes mit dem Naturgesetz identisch 123 . Origenes sagt also, daß für die „potestas" eine Regierung gemäß dem göttlichen oder natürlichen Gesetz Pflicht ist. Die staatlichen Gesetze haben nur dann Gültigkeit, wenn sie mit dem natürlichen oder göttlichen Gesetz übereinstimmen 124 . In dieser Forderung liegt der Keim für die Möglichkeit eines Widerstandsrechtes. H a t es Origenes anerkannt? Im Kommentar zu Rom. 13, 2 heißt es eindeutig: Paulus' Gebot, der „potestas" nicht zu widerstehen, bezieht sich nicht auf die Gewalten, die den Glauben verfolgen; hinsichtlich der bösen Gewalt gilt vielmehr Petrus' Aufforderung, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen: „Non hic de illis potestatibus dicit, quae persecutiones inferunt fidei; ibi enim dicendum est: ,Deo oportet obtemperare magis, quam hominibus' (Act. 5, 29): sed de istis communibus dicit, quae ,ηοη sunt timori boni operis, sed mali(Rom. 13, 3) 125 . Die Beurteilung dieser Sätze wird nicht zuletzt davon abhängen, wie man das Pauluswort Rom. 13, 2 selbst interpretiert. O. Schilling meint, daß die von Origenes gegebene Lösung der schwierigen Frage des Widerstandsrechtes im Sinne des Pauluswortes wäre 1 2 e . Nach V. Zsifkovits ist ein Widerstandsrecht mit Rom. 13 voll vereinbar, wenn es auch in concreto problematisch sei (?), 121 Wenn O. Schilling, Naturrecht und Staat, S. 60 f. sagt, daß für Origenes die weltliche Gewalt, die die Christen verfolgt, nicht von Gott ist, so mißversteht er Origenes. 122 In Ep. ad Rom. Comm. I X 26, Lommatzsch II, S. 328. 123 Zur Lehre des Origenes vom Naturgesetz vgl. G. Massart, a.a.O., S. 103 ff. und O.Schilling, a.a.O., S. 60 f.; ein Beispiel für die Identität von „lex divina" und „lex naturalis": Contra Cels. V 40, ed. P. Koetschau, GCS 3 (1899), S. 44. 124 Vgl. Contra Cels. V 37, GCS 3, S. 40. 125 In Ep. ad Rom. Comm. I X 27, Lommatzsch II, S. 328. 129 O. Schilling, Naturredit und Staat, S. 60 f.
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nach W.A.Schulze besagt Rom. 1 3 , 2 kein absolutes Verbot des Widerstandes 1 2 7 . Ich glaube, daß ein solche Deutung in Rom. 13, 2 selbst keine Stütze findet. D a ß sich Paulus zu dem Wort des Petrus bekannt hätte, ist selbstverständlich, aber welche praktischen Konsequenzen dies in der Frage des Widerstandsrechtes für ihn haben würde, ist nicht klar. Bezeichnend ist doch, daß Rom. 1 3 , 2 eine Einschränkung, wie Origenes sie macht, nicht enthält. O. Kuss weist ausdrücklich darauf hin, wie verwunderlich die Ungebrochenheit und Problemlosigkeit der Stellungnahme des Apostels ist, der Schwierigkeiten umgeht, die Problematik vereinfacht oder sie nicht sieht, da sich eine Konfliktslage offenbar noch nicht ergeben hatte 1 2 8 . Vielleicht lag es eben auch daran, daß die Fragen der Stellung der Christen zu den weltlichen Dingen für Paulus peripher waren. Gegenüber der urchristlichen Heilserwartung war das Problem der bösen weltlichen Gewalt verhältnismäßig gleichgültig. Origenes geht bei der Frage des Gehorsams gegenüber der weltlichen Gewalt zweifellos einen Schritt hinter Paulus zurück. Im 3. Jahrhundert wehte ein anderer Wind als zu der Zeit, da Paulus seinen Römerbrief schrieb; Christenverfolgungen sind nicht selten, und Origenes mag seinen Kommentar unter dem Eindruck persönlicher Erlebnisse geschrieben haben. In der Verfolgung unter Septimius Severus kam sein Vater um (202/03), eine weitere Verfolgung ereignete sich unter Caracalla 216 in Alexandrien, und nicht sehr lange vor der vermutlichen Abfassungszeit des Römerbriefkommentars kam es zu einer Christenverfolgung unter Maximinus Thrax (235-238). Welcher Art aber nun dieses von Origenes angenommene Widerstandsrecht sein soll, bleibt unklar. A. Strobel vermutet — wohl mit Recht — , daß Origenes an passiven Widerstand auf breiter Front denkt 1 2 9 . Diese Betonung eines Widerstandsrechtes könnte ein weiteres Zeichen dafür sein, daß hier Rufin wenig verfälscht hat. Eine ähnliche Auffassung wie die des Origenes findet sich in keinem Kommentar der späteren Patristik zu Rom. 1 3 , 2 ; auch die häufigen Anspielungen auf Glaubensverfolgungen waren zur Zeit Rufins nicht mehr aktuell. Die verdächtige Kürze des Kommentars zu Rom. 1 3 , 2 in der Übersetzung Rufins läßt allerdings darauf schließen, daß Rufin stark zusammengestrichen hat; vielleicht schien es ihm nicht mehr notwendig, Origenes' Ausführungen zu Rom. 1 3 , 2 in extenso mitzuteilen 1 3 0 . Die Verse Rom. 13, 3, 4 kommentiert Origenes als Ganzes. Es beschäftigt mich die Tatsache, so sagt er, daß der Apostel immer wieder davon spricht, die weltliche Gewalt, der weltliche Richter seien Diener Gottes. Um sich über den Sinn dieses Wortes klar zu werden, bringt Origenes einen längeren Abschnitt aus der Apostelgeschichte (Apg. 1 5 , 2 3 - 2 4 , 2 8 - 2 9 ) . Er stellt fest, daß die Vorschriften der Apostel an der genannten Stelle sich nur auf die religiöse Sphäre 1 2 7 V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus, S. 7 6 ; W . A. Schulze, Römer 13 und das Widerstandsrecht, Archiv f. Rechts- und Sozialphilosophie 42 (1956), S. 5 5 5 — 566. 1 2 8 O.Kuss, Paulus über die staatliche Gewalt, ThGl 45 (1955), S. 332. 1 2 9 A. Strobel, Sdiriftverständnis und Obrigkeitsdenken, S. 108. 1 5 0 Vgl. A. Strobel, a.a.O., S. 107.
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beziehen. Da die Apostel also keine Gebote gegen kriminelle Delikte erlassen, wäre den Christen Raub und Mord gestattet? Das ist natürlich nicht so: „Sed vide ordinationem Spiritus sancti: quoniam quidem cetera crimina saeculi legibus vindicantur, et superfluum videbatur esse, ea nunc divina lege prohiberi, quae sufficienter humana lege plectuntur, illa sola, de quibus nihil humana lex dixerat, et quae religioni videbantur convenire, decernit. Ex quo apparet, judicem mundi partem maximam Dei legis implere." 131 Origenes ist also der Ansicht, daß die Apostel für einen großen Bereich des rein weltlichen Zusammenlebens keine Vorschriften zu erlassen brauchten, da er durch menschliche Gesetze ausreichend geordnet ist. Die Gesetze der Apostel — hier hat „lex divina" die eingeschränkte Bedeutung einer unter Mitwirkung des Heiligen Geistes erlassenen religiös-kirchlichen Gesetzgebung — beziehen sich nur auf Religion und Kultus; sie erfassen nur Dinge, die im allgemeinen nicht durch staatliche Gesetze geregelt werden. Daraus folgt aber nun für Origenes andererseits, daß die staatliche Gewalt — hier besonders in ihrer richterlichen Funktion gesehen 132 — mit ihrer Gesetzgebung (humana lex) einen sehr großen Teil der „divina lex" erfüllt, ihr konkretisierend gerecht wird, da ja, wenn alles in Ordnung ist, ihre Gesetze mit dem Naturgesetz und also auch mit Gottes Gesetz in seiner allgemeinsten Bedeutung übereinstimmen. Hierdurch wird in sehr eigentümlicher Weise einerseits auf Grund eines Schriftzeugnisses, der Apostelgeschichte, bewiesen, daß die weltliche Gewalt, besonders der weltliche Richter, im allgemeinen der rein weltlichen Gesetzgebung und dem Strafvollzug Genüge tun und Paulus schon deshalb mit Recht den Ausdruck „minister Dei" verwendet und andererseits daraus gefolgert, daß die Apostel und damit die Kirche sich um die Ahndung rein weltlicher Verbrechen nicht zu kümmern brauchen. Das zeigen noch einmal klar folgende Sätze: „Omnia enim crimina, quae vindicari vult Deus, non per antistites et principes ecclesiarum, sed per mundi judicem voluit vindicari: et hoc sciens Paulus, recte eum ministrum Dei nominat, et vindicem in eum, qui quod malum est agit." 1 3 3 Damit ist der Aufgabenbereich der Kirche klar auf den religiösen Bereich beschränkt und eine Abgrenzung der Aufgaben von Staat und Kirche gegeben. Zur Zeit Rufins war diese Grenzlinie gerade auf dem Gebiete der Rechtsprechung bereits stark verwischt, eine Entwicklung, die ja schon in der Zeit Konstantins d. Gr. begann 131
In Ep. ad Rom. Comm. I X 28, Lommatzsch II, S. 329 f. A. Strobel, a.a.O., S. 102 f. betont, daß Origenes offenbar den Nachdruck darauf lege, daß der „judex mundi" Rechtsträger ist und nicht so sehr die staatliche Gewalt im allgemeinen. Origenes schiene es unpassend, die staatliche Gewalt als solche mit der Hüterin und Verwalterin des Rechts gleichzusetzen. Es scheint mir, daß Strobel hier einen Gegensatz zwischen „potestas saeculi" und „judex mundi" betont, der für Origenes so nicht bestand. Wohl steht für ihn die mehr negativ gefaßte Aufgabe des Staates, dem Unrecht zu wehren, im Vordergrund, aber er konnte doch wohl kaum die richterliche Gewalt losgelöst von der weltlichen Gewalt betrachten, zumal die kaiserlichen Beamten im römischen Reich auf Grund ihrer richterlichen Funktionen auch als „judices" bezeichnet wurden. 133 In Ep. ad Rom. Comm. I X 28, Lommatzsch II, S. 330. 132
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und der Kirche eine bedeutende Stellung in der Zivilgerichtsbarkeit gab. Die weltliche Gewalt ist also Hüterin der weltlichen Gesetzgebung und darin liegt ihre Hauptaufgabe, die sie durch die „judices mundi" erfüllen läßt. An anderer Stelle spricht Origenes von den „principes populi", die nicht die Menschen, wohl aber die Laster hassen sollen 134 . Sie sind Gott nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihr ganzes Volk verantwortlich 135 . Wohl geht es an den genannten Stellen um alttestamentliche Verhältnisse, aber vielleicht kann man doch — mit der nötigen Vorsicht — annehmen, daß Origenes die öffentlichen Gewalten seiner Zeit in ähnlicher Funktion sieht. Einer genauen Untersuchung scheint Origenes folgender Satz des Paulus zu bedürfen: „fac quod bonum est, et habebis laudem ex ea" (Rom. 13, 3). Mit einer gewissen Ironie bemerkt er, daß es nicht gerade Gewohnheit der weltlichen Gewalt sei, die ordentlichen Leuten zu loben: „ . . . non peccantes vero laudare iis mos nullus est." Aber sehen wir zu, meint er, ob hier nicht Paulus „ . . . cum moralia videtur docere . . d a er es ja nie versäumt, etwas Geheimnisvolles in seine Worte hineinzulegen 136 . Damit geht Origenes, so scheint es, auf Grund seiner bitteren Erfahrungen auch bei seiner Auslegung von Rom. 13,3 einen Schritt hinter Paulus zurück, indem er bezweifelt, daß man als Mensch mit einwandfreier Lebensführung von den weltlichen Gewalten Lob erwarten kann. Origenes legt vielmehr den oben zitierten Satz (Rom. 13, 3), wie angekündigt, gewissermaßen „moralisch" aus, indem er eine Beziehung zum Gericht Gottes herstellt: „Etenim sciens, quod ,omnes qui in lege peccaverunt, per legem judicabuntur' (Rom. II, 12): unumquemque autem in judicio illa lex sine dubio arguet secundum quod vixit, — ostendimus autem sanctum Spiritum in multis humanae legi locum dedisse —, certum est ergo, quia in die judicii habebit etiam ex istis legibus laudem apud Deum is, qui nihil contra statutas commiserit l e g e s . . . " 1 3 7 Da mit Zulassung des Heiligen Geistes die menschlichen Gesetze einen weiten Bereich des menschlichen Lebens und Zusammenlebens ordnen und überwachen, wird derjenige, der diese Gesetze geachtet und nach ihnen gelebt hat, bei Gott dafür Lob gewinnen, nicht jedoch bei den weltlichen Gewalten. Die Auslegung, die Origenes hier dem Vers Rom. 13, 3 gibt, wird verschieden beurteilt. V. Zsifkovits hebt hervor, daß Origenes' Erklärung einseitig ist und nicht genügend berücksichtigt, daß in Rom. 13, 3 in erster Linie an das irdische 134 Vgl. In Exod.hom. X I , 6, ed. W. A. Baehrens, GCS 29 (1920), S. 258: „Tales enim oportet esse principes populi, qui non solum superbi non sint, sed et oderint superbiam, id est ut non solum ipsi absque vitia sint, sed et in aliis oderint vitia; non homines dico odisse, sed vitia." 135 Vgl. In Num. hom. X X , 4, ed. W. A. Baehrens, GCS 30 (1921), S. 196: „Vides quae sit conditio ,principum populi': non solum pro suis propriis arguuntur delictis, sed et pro populi peccatis coguntur reddere rationem, ne ipsorum sit culpa, quod populus deliquit, ne forte non docuerint, ne forte non monuerint neuque solliciti fuerint arguere eos, qui initium culpae dederint, uti ne contagio dispergeretur in plures." 138 In Ep. ad. Rom. Comm. I X 28, Lommatzsch II, S.330. 137 A.a.O., S . 3 3 0 f.
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Lob durch die Obrigkeit und an das jeweilige Lob in Gottes Gericht erst in zweiter Linie gedacht ist. Bei aller Einseitigkeit habe aber Origenes dazu beigetragen, eine theologisch tiefere Deutung der Stelle lebendig zu erhalten 138 . A. Strobel dagegen weist darauf hin, daß Origenes' Exegese von Rom. 13, 3 b gekünstelt ist und das Anliegen des paulinischen Ausdrucks nicht trifft 13e . Ich meine, daß Strobel gegenüber Zsifkovits recht zu geben ist. Strobel hat sich im übrigen bemüht, gerade auch für Rom. 13,3b die profane Bedeutung nachzuweisen, indem er kaiserliche Schreiben zum Beweise für die häufige Praxis anführt, die Untertanen zu loben 140 . Das weltliche Gesetz gilt jedoch im Grunde nicht für den Gerechten, wie es dann weiter nach 1. Tim. 1, 9-10 heißt, sondern nur für den Ungerechten. Der eine tut eben aus Furcht vor dem Gesetz das Gute, der andere einfach aus Liebe zum Guten. Das berührt sich mit dem schon oben besprochenen Gedanken des Origenes, daß für den, der nicht mehr am Irdischen haftet, der keinen weltlichen Besitz hat, das Gebot der Unterwerfung unter die „potestas" nicht gilt. Der eine lebt unter dem Gesetz des Buchstabens, der andere unter dem Gesetz des Geistes: „Qui autem facit bonum, hoc est, qui non metu legis, sed amore boni facit quod bonum est, iste jam non sub lege literae, sed sub lege spiritus vivit." 141 Auch die Verse Rom. 13, 5, 6 kommentiert Origenes zusammen. Erneut wird die Kirche auf ihre eigentliche Aufgabe hingewiesen: „Ordinat quidem per haec Paulus ecclesiam Dei, ut nihil adversi principibus et potestatibus saeculi gerens, per quietem et tranquillitatem vitae, opus justitiae et pietatis exerceat." 142 Die hier betonte Loyalität gegenüber der weltlichen Gewalt dürfte mit den oben erörterten Einschränkungen gegenüber der „mala potestas" zu verstehen sein. Wenn die Gläubigen sich nicht unterwerfen, keine Steuern zahlen usw., so ziehen sie mit Recht die Verfolgung auf sich; die verfolgenden Fürsten sind dann entschuldbar, der Christ aber — und hier meint Origenes wohl den Durchschnittschristen, der innerlich noch nicht völlig mit Christus verbunden ist — lädt eine Schuld auf sich: „Non enim jam fidei, sed contumaciae causa impugnari viderentur: et esset iis causa quidem mortis digna, meritum vero mortis indignum." 143 Es bedarf keiner besonderen Erläuterung, und die Sätze zeigen es, daß Origenes auch dies unter dem Eindruck einer noch stark heidnischen Umwelt und heidnischen weltlichen Obrigkeit sagt; Rufin hat offenbar den Tenor des Ganzen einigermaßen adäquat wiedergegeben. Die oben zitierten Sätze machen auch Origenes' Stellung zum Martyrium etwas deutlich. Ein Martyrium, das auf Grund von ungerechtfertigter Unbotmäßigkeit gegenüber der weltlichen 138
V. A. ständnis 140 A. 141 In 142 In 143 In 139
Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus, S. 79 f. Strobel, Schriftverständnis und Obrigkeitsdenken, S. 105; ders.: Zum Vervon Rm 13, ZntW 47 (1956), S. 80. Strobel, a.a.O., ZntW 47 (1956), S. 80ff. Ep. ad Rom. Comm. I X 28, Lommatzsch II, S. 331. Ep. ad Rom. Comm. I X 29, a.a.O., S. 331. Ep. ad Rom. Comm. I X 29, a.a.O., S. 332.
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Gewalt erlitten wird, hat keinen Wert, ist eigentlich kein Martyrium. Die Sucht nach dem Martyrium hatte im Laufe der Zeit Formen angenommen, die die Kirche mißbilligen mußte. An H a n d von Rom. 13, 7 muß sich Origenes noch einmal mit dem Problem der Steuerzahlung auseinandersetzen. Wie wir schon sahen, ist dies f ü r ihn ein wichtiges Problem, da nicht zuletzt weltlicher Besitz zur „subjectio" verpflichtet. Auch in den Worten des Paulus „Reddite omnibus debita" will Origenes Geheimnisse entdecken. Zunächst erklärt er im Zusammenhang mit Hebr. 1, 14, daß alle guten und bösen Geister Gott dienen, daß jeder Geist (spiritus) einen Dienst versieht, f ü r den er sich als geeignet erwiesen hat, nach Verdienst und Würdigkeit. Sie alle, die Geister der verschiedenen Stufen und Ordnungen der Engel und Dämonen, dienen und helfen denen, die die ewige Seligkeit erlangen sollen 144 . Zu diesen Dienern der verschiedensten Art gehören auch die, denen die irdischen Dinge anvertraut sind. Seine Vorliebe für eine allegorische Deutung und die audi sonst bemerkbare Neigung, die weltliche Gewalt in einem gewissen Zwielicht erscheinen zu lassen, das seine Quelle wohl in weit verbreiteten gnostischen Vorstellungen hat, veranlassen nach A. Strobel Origenes auch hier, eine nicht ganz klare Verbindung zwischen dem Paulustext Rom. 13,7 und einer Dämonen- und Geisterwelt herzustellen. A. Strobel vermutet, daß Origenes sagen wollte, der Mensch sei den „ministeriales spiritus" (nach Hebr. 1, 14) genauso unterstellt und verpflichtet wie den „ministri mundi", den weltlichen Gewalten 1 4 5 . Dachte Origenes vielleicht daran, daß die Ausübung der weltlichen Gewalt eine Aufgabe ist, die auf Grund eines bestimmten Verhaltens in einem früheren Äon von Gott zugewiesen wird? Den weltlichen Dienern Gottes sind, wie Origenes nochmals betont, alle unterworfen, die weltlich denken und handeln. In diesem Zusammenhang wird wieder deutlich, daß nicht nur weltlicher Besitz zur „subjectio" verpflichtet, sondern weltliche Gesinnung überhaupt: „ . . . subjectus autem propter iram, quam sibi thesaurizavit ex peccatis . . D o c h Origenes schließt auch umgekehrt: Wenn jemand sich unterwirft, so bedeutet das, daß sein Gewissen nicht rein ist (vgl. Rom. 13, 5). Den weltlichen Dienern Gottes haben wir auch Abgaben zu zahlen, solange wir noch nach dem Fleische leben. Leben wir jedoch ein Leben mit Christus, so haben wir von den Früchten, die geistiger Art sind, den weltlichen Fürsten nichts zu zahlen: „ N a m si vineam Domini colamus, et vitem veram, quae est Christus, exerceamus in nobis, de ista vinea non ministris saeculi pendemus tributa . . . " 1 4 6 Für Origenes teilen sich die Forderungen des Paulus in Rom. 13, 7 in zwei Teile 147 . A. Strobel weist darauf hin, daß diese Aufteilung mit Hilfe von Mal. 1, 6 erfolgt und Origenes mit der im folgenden darzulegenden Unterschei144 Ygi dazu „De principiis" passim, bes. Lib. I und II, ed. P. Koetschau, GCS 22 (1913). 145 A. Strobel, Schriftverständnis und Obrigkeitsdenken, S. 106; vgl. audi S. 96 f. 146 In Ep. ad Rom. Comm. I X 30, Lommatzsch II, S. 332 f. 147 In Ep. ad Rom. Comm. I X 30, a.a.O., S. 333 ff. 4*
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dung einer Tradition folgt, deren Spuren u. a. schon bei Tatian und in den Akten der Märtyrer von Scili in Numidien zu bemerken seien 148 . Abgaben und Steuern kommen den Dienern dieser Welt zu: „Exigunt enim de nobis tributa terrae nostrae, et vectigalia negotiationis nostrae." Es handelt sich also bei den „tributa" um eine direkte Steuer, eine Grundsteuer, und bei den „vectigalia" um eine indirekte Steuer, wohl Zölle und ähnliches. Diese Abgaben zahlen wir, weil und solange wir äußerlich und innerlich im Fleische sind 14e . Dieser Verpflichtung wohnt größere Notwendigkeit noch dadurch inne, daß selbst Christus, „in carne positus", Steuer zahlte, um keinen Unwillen zu erregen (vgl. Matth. 17, 24-27), obwohl nichts Fleischliches in ihm war: „ . . . et in quo princeps hujus mundi (vgl. Joh. 14, 30) veniens non invenit quicquam de suis, cum über esset, solvit tarnen tributum . . , " 1 5 0 Es scheint mir, daß die Äußerungen des Origenes zum Problem der Steuerzahlung nicht völlig klar und nicht ohne inneren Widerspruch sind. Dies könnte natürlich bis zu einem gewissen Grade auf das Konto von Rufins Übersetzung gehen. Einerseits betont Origenes immer wieder, daß derjenige, der bereits ein Leben mit Christus lebt, der Welt abgestorben ist und daher auch keinen weltlichen Besitz hat, Abgaben an die weltliche Obrigkeit nicht mehr zu zahlen hat, ihr nicht unterworfen ist. Andererseits sagt er, daß wir Abgaben zu zahlen haben, solange wir im Fleische sind, unser Erdendasein noch nicht vollendet haben, wobei insbesondere auf Christus verwiesen wird, dessen Steuerzahlung allerdings dadurch motiviert ist, daß er kein Ärgernis geben wollte (Mt. 17, 26). Vielleicht sucht Origenes auch für den wahren, vollkommeneren Christen einen Kompromiß in dieser Richtung, so daß der Tribut an die weltliche Gewalt gewissermaßen als Tribut an die Zeitlichkeit aufzufassen ist, ohne den Christen dadurch sonderlich an die weltliche Gewalt zu binden 151 . Die zweite Forderung des Paulus nun, ehrfürchtige Scheu zu hegen und Ehre zu erweisen, bezieht sich nach Origenes auf Gott: „Timorem vero et honorem ad ilium potius referre debemus, qui dicit per prophetam: ,Nonne et Dominum et Patrem vocatis me? Et si Dominus sum ego, ubi est timor meus? et si Pater sum ego, ubi est honor meus ?' (Mal. 1,6)." Wer Gott fürchtet, sagt Orignes an 143
A. Strobel, Schriftverständnis und Obrigkeitsdenken, S. 105. Vgl. auch Matthäuserkl. X V I I 27, ed. E. Klostermann, GCS 40 (1935), S. 655. 150 Im Liber de oratione, ed. P.Koetschau, GCS 3 (1899), S. 375 ff. findet sich eine „moralische" Auslegung von Rom. 13,7 in dem Sinne, daß „Reddite omnibus debita" die christliche Pflicht der Nächstenliebe bedeutet. 151 Origenes beendet seinen Gedankengang, indem er wieder eine unklare Beziehung zu nicht näher bezeichneten „spiritus" herstellt: In Ep. ad Rom. Comm. I X 30, Lommatzsch II, S. 334: „. . . quanto magis nos necesse est ista tributa carnis expendere, et negotiationis nostrae, si tarnen negotiamur margaritas regni coelorum, per diversas tentationes exigentibus nos spiritibus vectigalia pensitare?" Wer sind die „spiritus"? Wird hier die Steuerpflicht noch einmal eingeschränkt? V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus, S. 101 übersetzt wie folgt, und meines Erachtens unrichtig: „. . . und wenn wir auch um die Perlen des Himmelreiches handeln, so müßten wir den Mächten für unser Handeln Steuer zahlen, die uns durch mannigfache Versuchungen abgefordert werden." 149
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anderer Stelle, der braucht vor den Mächten der Welt keine Furcht zu haben 152 . Ganz deutlich bringt Origenes gegenüber Celsus zum Ausdruck, daß der Christ nur Gott die Ehre geben und nur ihn allein anbeten -wird153. Der Kommentar zu Rom. 13, 7 enthält also in diesem Punkt eine weitere klare Einschränkung der paulinischen Forderungen. Ein Vergleidi mit ähnlichen Gedankengängen in der Schrift „Contra Celsum" zeigt, daß Rufin auch hier nicht stark korrigiert oder verfälscht haben kann. Origenes beschließt seinen Kommentar zu Rom. 13, 7 mit der Bemerkung, daß sich Rom. 13,8: „Nemini quicquam debeatis ..." audi auf die weltlichen Diener, also Fürsten und weltliche Gewalten bezieht. Wer gesündigt hat, ist ihnen gegenüber in Schuld, ist ihnen verpflichtet. Die Sünde, das Vergehen, ist eine Schuld, die beglichen werden muß, und zwar gegenüber der weltlichen Gewalt, der man als Sünder, und damit Schuldiger und Schuldner, unterworfen ist, wie Origenes schon öfter ausgeführt hat. Paulus will, daß jede solche Sündenschuld beglichen wird und nichts davon in uns zurückbleibt. Dies hätte ja dann audi zur Folge — so ist Origenes wohl zu verstehen —, daß wir damit innerlich von der weltlichen Gewalt und ihren Forderungen frei werden, wie das für den vollkommenen Christen wünschenswert und notwendig ist. Was bleibt, ist dann nur noch das „debitum caritatis", dem wir uns freilich niemals entziehen können: „Debitum enim peccatum esse, in multis et frequenter ostendimus. Vult ergo Paulus peccati quidem omne debitum solvi, nec remanere omnino apud nos debitum peccati, permanere tarnen et nunquam cessare a nobis debitum caritatis: hoc enim et quotidie solvere, et semper debere expedit nobis." 154
3. Ambrosiaster Eine der bemerkenswertesten und zugleich rätselhaftesten Gestalten der lateinischen Patristik ist der sogenannte „Ambrosiaster" 155. Wer sich hinter diesem von Erasmus gegebenen Namen verbirgt, konnte bisher trotz aller Bemühungen nicht einwandfrei ermittelt werden. Unter den zahlreichen Vorschlägen, die zur Identifizierung des Ambrosiaster gemacht wurden, ist nach H . J. Vogels bisher der weitaus beste der, der Ambrosiaster mit dem getauften und später wieder zum Mosaismus abgefallenen Juden Isaak gleichsetzt 156 . Dieser Isaak spielte in Rom zur Zeit des Papstes Damasus (366-384) eine gewisse Rolle. Das starke 152 In Ep. ad Rom. Comm. III, 5, Lommatzsch I, S. 187: „Ponendus est ergo semper timor Dei ante oculos (vgl. Rom. 3,18): non istos oculos carnis, — neque enim visibile aliquid aut corporeum quaeritur —, sed ante oculos mentis . . . Qui Deum timet, potestates saeculi non timet"; vgl. audi das Folgende. 153 Vgl. Contra Cels. VIII 56, GCS 3 (1899), S. 273; aber audi: In Ep. ad Rom. Comm. II 5, Lommatzsch I, S. 87. 154 In Ep. ad Rom. Comm. I X 30, Lommatzsch II, S. 335. 155 Vgl. die Literaturangaben im Verzeichnis der Römerbriefkommentare, S. 257 f. 15β H. J. Vogels, Die Oberlieferung des Ambrosiasterkommentars zu den paulinisdien Briefen, G N 1959, 7, S. 109 ff.
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Interesse für die jüdische Religion läßt sich in den Schriften des Ambrosiaster iri der Tat nicht übersehen, wie in der Literatur auch immer wieder betont wird. O. Heggelbacher glaubt, daß Ambrosiaster, wie Bischof Maximus von Turin, im Einflußbereich der Mailänder Kirche gewirkt habe und kündigt eine Arbeit über die näheren Beziehungen zwischen Maximus von Turin und Ambrosiaster an 157 . Die Hauptschriften unseres Autors sind ein Paulinenkommentar 158 , der allgemein als eine hervorragende exegetische Leistung angesehen wird, und die „Quaestiones Veteris et Novi Testamenti" 159. Ambrosiaster hat seinen Paulinenkommentar offenbar wiederholt selbst aufgelegt; so gibt es vom Kommentar zum Römerbrief drei Redaktionen. Der Migne-Text bietet die dritte Redaktion. Auch die Überlieferung der „Quaestiones" scheint komplizierter zu sein, als man bisher annahm. A. Souter hat seiner kritischen Edition die Redaktion mit 127 Quaestionen als spätere und bessere zugrunde gelegt und die Quaestionen der Redaktion mit 150 „Quaestiones", die in der anderen Redaktion keine Entsprechung haben, in den Anhang verwiesen. Nach G. C. Martini jedoch kann man nicht so verfahren, sondern muß vielmehr bei beiden Sammlungen prüfen, welche der Parallel-Quaestionen jeweils die spätere und vom Verfasser selbst verbesserte Auflage darstellt 160 . Die Ergebnisse einer solchen Untersuchung wird man abwarten müssen. Wir haben für unsere Arbeit die Edition Souters und damit die Sammlung mit 127 Quaestionen zugrunde gelegt. Der Paulinenkommentar und die „Quaestiones" sind wohl in der zweiten Hälfte der 70er Jahre in Rom entstanden 161 . Obgleich an der großen Bedeutung der Schriften des Ambrosiaster seit langem nicht gezweifelt wird, hat seine Theologie in ihren verschiedenen Aspekten noch keine zusammenfassende und völlig befriedigende Darstellung erfahren. Lange Zeit hat man sich auch hier vor allem um die Textkritik gekümmert und mancherlei Versuche unternommen, Licht in das Dunkel um den Verfasser jener wichtigen theologischen Schriften zu bringen. Gegenüber der älteren Forschung hat sich aber seit einiger Zeit das Gewicht auf die Textanalyse und die Erforschung der theologischen, juristischen und politisch-ideengeschichtlichen Gehalte 157 O. Heggelbacher, Das Gesetz im Dienste des Evangeliums. Über Bischof Maximus von Turin. Rektoratsrede N o v . 1960, Phil.-Theol. Hochschule Bamberg, S. 25 und 28 mit Anm. 94. 158 PL 17, col. 47 ff. Der 1. Band der kritischen Ausgabe von H . J . V o g e l s ist inzwisdien erschienen, ich konnte ihn jedoch nicht mehr benutzen; vgl. das Verzeichnis der Römerbriefkommentare, S. 257. ιήβ Pseudo-Augustini Quaestiones Veteris et N o v i Testamenti C X X V I I , ed. A. Souter, CSEL 50 (1908). Bei den folgenden Zitaten beziehen sich die Seitenzahlen auf die Edition Souters. 160 G. C. Martini, Le recensione delle „Quaestiones Veteris et N o v i Testamenti" dell'Ambrosiaster, RStR 1 (1954), S. 40—62; vgl. auch C.Martini, De ordinatione duarum Collectionum quibus Ambrosiastri „Quaestiones" traduntur, Antonianum 22 (1947), S. 23—48. 161 Vgl. H . J . V o g e l s , Das Corpus Paulinum des Ambrosiaster, Bonn 1957 ( = Bonner bibl. Beitr. 13) S. 13 und G. Bardy, DB, Suppl. I (1928), col. 234: beide Schriften zwischen 374 und 378/79 in Rom entstanden.
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verlagert. C. Martini hat bereits eine zusammenfassende Darstellung gegeben, betont aber selbst das Vorläufige dieses Versuchs162. Wir haben uns in erster Linie mit dem Kommentar des Ambrosiaster zu Rom. 13, 1-7 zu beschäftigen. Da aber in diesem Text die „rex imago dei"-Lehie und der Begriff „lex naturalis" eine nicht unwesentliche Rolle spielen, bedarf es für die eindringende Analyse des Kommentars einiger Vorarbeiten. In einem ersten Kapitel soll daher die Lehre des Ambrosiaster vom Naturrecht unter einem bestimmten Gesichtspunkt betrachtet werden. Gegenstand eines zweiten Kapitels sind dann die eigentümliche „rex imago-dei"-Lehre und die mit ihr zusammenhängenden Vorstellungen. Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß diese Kapitel lediglich Versuche darstellen, in die Gedankengänge des Ambrosiaster einzudringen. Aufbauend auf den beiden ersten Kapiteln soll schließlich im dritten Kapitel die Analyse des Kommentars zu Rom. 13,1-7 erfolgen. a) D i e „ l e x n a t u r a l i s "
und die h i s t o r i s c h e der „leges"
Stufenfolge
Ambrosiaster ist zweifellos ein bedeutender Vertreter der Naturrechtslehre der Alten Kirdie. Es ist verwunderlich, daß er vor allem in der einschlägigen älteren Literatur in dieser Hinsicht verhältnismäßig wenig Beachtung findet 1 M . Aber auch in dem neueren großen Werk von F. Flückiger wird Ambrosiaster nicht behandelt l e 4 . Weiterführend sind die Arbeiten von O. Heggelbacher, jedoch auch mit ihnen ist wohl noch nicht das letzte Wort hinsichtlich der Naturrechtslehre des Ambrosiaster gesprochen 1M . Als großer Gegensatz zieht sich durch die Schriften des Ambrosiaster der der „lex Moysi" und der „lex fidei", der des mosaischen Gesetzes und des Evangeliums. Ambrosiaster folgt hier nur Paulus, wenn audi bei ihm dieser Gegensatz fast noch schärfer betont zu sein scheint als bei Paulus. Ambrosiaster polemisiert ständig gegen die jüdische Gesetzesreligion. Neben jenen Hauptbegriffen tauchen Termini auf, wie „lex naturalis", „lex divina", „lex dei", „ius divinum", „lex spiritalis", „lex spiritus", „lex peccati" und andere. Um in diese verwir182
C. Martini, Ambrosiaster. De auctore, operibus, theologia, Romae 1944 ( = Spicil. Pontificii Athenaei Antoniani 4). 163 v g l . O. Schilling, Naturredit und Staat, S. 164ff.; M. Hübner, Untersuchungen über das Naturredit in der altchristlichen Literatur, besonders des Abendlandes vom Ausgang des 2. Jh. bis Augustin, Diss. Bonn 1918, S. 25 f. 164 F. Flückiger, Geschichte des Naturrechts, Bd. I: Altertum und Frühmittelalter, Zollikon-Zürich 1954. 165 O. Heggelbadier, Vom Rechtsdenken der nachkonstantinisdien Zeit. Eine Studie zum sog. Ambrosiaster, Festschrift H . Ehard, München o. J. (1957), S. 192—202; ders., Vom römischen zum christlichen Recht. Juristische Elemente in den Schriften des sog. Ambrosiaster, Freiburg/Schweiz 1959 ( = Arbeiten aus dem Juristischen Seminar der Universität Freiburg Schweiz 19), S. 8 ff.; vgl. audi Κ. Meyer zu Uptrup, Die anthropologischen Begriffe im exegetischen Werk des Ambrosiaster, Ev.-theol. Diss. Heidelberg 1960 (Maschinenschrift), S. 15 ff.
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rende Begriffsfülle einige Ordnung zu bringen, wollen wir untersuchen, wie Ambrosiaster die verschiedenen „leges" in ihrer zeitlichen Folge sieht; dabei werden sich audi einige Gesichtspunkte für eine systematische Zuordnung der „leges" ergeben. Beginnen wir mit unserer „historischen" Betrachtung, so steht am Anfang die „lex naturalis" (auch „lex naturae" genannt). Wie der Kommentar zu Rom. 13, 1 zeigt, ist nach Ansicht des Ambrosiaster die „lex naturalis" göttlichen Ursprungs lfl6 . Dieses Gesetz ist dem Menschen von Natur aus durch Gott als bestimmender Faktor seines sittlichen Handelns mitgegeben; es steht im Gegensatz zur „lex peccati" und soll den sittlichen Verstoß verhindern. Ganz eindeutig findet sich dies allerdings bei Ambrosiaster nicht ausgedrückt; aus folgenden Sätzen geht aber hervor, daß das seine Auffassung ist: „Primum lex formata in litteris dari non debuit, quia in natura ipsa inserta quodam modo e s t . . . " 1 6 7 ; oder: „ . . . quia natura ipsa duce, cognoscitur justitia. Et quia auctoritas naturalis justitiae obtorpuerat consuetudine delinquendi, data est lex" 1 6 8 ; oder schließlich: „iustus (sc. deus), quia quae fecit, ut proficerent, proprio libertatis arbitrio dimissa sunt — quia non tam perfecta sunt ut labi non possint, semina his legis inesse decreuit naturaliter addens auxilium manifestatae legis, ut auctoritas eius profectus esset hominibus — 1 6 9 Das letzte Zitat nennt auch einen Grund dafür, daß Gott ein natürliches Gesetz für notwendig hielt. Alle geschaffenen Dinge, also auch die Menschen, sind nicht so vollkommen, daß sie nicht fallen könnten. Die Möglichkeit des Sündigens liegt eben im „liberum arbitrium" beschlossen. So mußte Gott in der „lex naturalis" eine Norm geben, nach der sich der Mensch richten konnte. In welchem Verhältnis steht nun aber die „lex naturalis" zur „lex divina"? Der Begriff „lex divina" oder „lex dei" hat keinen prinzipiell genau bestimmten Inhalt. „Lex divina" ist für Ambrosiaster der Quellboden aller Gesetzgebung, die von Gott zur Welt und zu den Menschen hin erfolgt. Die „divina lex" kann von Fall zu Fall konkrete Formen annehmen und sich ζ. B. auch im Naturgesetz zu erkennen geben. Ich glaube, daß dies der folgende Satz in gewisser Weise zeigt: „Divina enim lex premit et fugat legem peccati, consulens homini, ut vigorem naturae suae custodiat, ne capiatur illecebris . . ." 1 7 0 Ebensogut können aber auch „lex dei" oder „lex divina" das mosaische Gesetz im ganzen oder in einem seiner Teile bezeichnen m . Überall da, wo von „lex divina" die Rede ist, ist natürlich deut166 PL 17, col. 171 A: „Ut ergo jus et timorem legis naturalis confirmet, Deum auctorem ejus testatur . . . " 187 Quaest. IV, 1, S. 24; vgl. auch das Folgende a.a.O.: „. . . nam quis nesciat, quid bonae uitae conueniat, aut ignoret, quia quod sibi fieri non uult alii minime debeat fieri?" Hier ist einer der Kernsätze des Naturrechts formuliert. 168 169 In ep ad Rom. X I , 33, PL 17, col. 162 C. Quaest, I, 1, S. 13 f. 170 In ep. ad Gal. V, 17, PL 17, col. 388 C; vgl. audi das Folgende, w o deutlich wird, daß die Ausdrücke „lex divina" und „lex dei" gleichbedeutend sind. 171 Vgl. z . B . Quaest. XIIII, 3, S. 40; hier bezeichnet „lex dei" die vier Gebote der ersten Tafel (Ex. 20,2—10). Es ist aber nicht möglich, die „lex dei" oder „lex divina" mit der ersten Tafel gleichzusetzen, wie es C. Martini, Ambrosiaster, S. 86 f. tut.
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lidi auf den göttlichen Ursprung der jeweils besprochenen Gesetze hingewiesen. Man könnte sagen, daß für Ambrosiaster alle spezielle Gesetzgebung Teil und Ausfluß der „lex divina" ist, aber weder ist irgendein Gesetz, etwa das Naturgesetz, mit der „lex divina" identisch, noch ergibt die Summe aller von Gott ausgegangenen Gesetzgebungen die „lex divina". Sie ist immer mehr als die Summe ihrer Teile. Sie ist die Fülle des göttlichen Wirkens in die Welt. Ambrosiaster hat an einer bemerkenswerten Stelle die „lex naturalis" in drei Teile gegliedert: „ . . . Quia lex naturalis tres habet partes, cujus prima haec est, ut agnitus honoretur Creator, nec ejus claritas et majestas alicui de creaturis deputetur: secunda autem pars est moralis, hoc est, ut bene vivatur, modestia gubernante; congruit enim homini habend notitiam Creatoris vitam suam lege refrenare, ne frustretur agnitio; tertia vero pars est docibilis, ut notitia creatoris Dei et exemplum morum caeteris tradatur; ut discant quemadmodum apud Creatorem meritum collocatur." 172 Zum ersten Teil der „lex naturalis" kann noch eine andere Stelle vergleichend herangezogen werden, wo Ambrosiaster sagt, daß der Mensch durch die „lex naturae" auf Grund des Zeugnisses alles Geschöpflichen erkennen könne, daß Gott allein als Schöpfer aller Dinge zu verehren sei17®. Die beiden Zitate zeigen, daß jener erste Teil des Naturgesetzes eine Art doppelte Bedeutung hat; erstens meint er die innere Bereitschaft und die Fähigkeit des Menschen, ermöglicht durch das von Gott eingepflanzte Naturgesetz, Gott als einzigen Schöpfer aller Dinge zu verehren; zweitens ist es das Gesdiöpfliche selbst, das als „lex naturae" verstanden auf den Schöpfergott hinweist. Ontologische und psychologische Betrachtungsweise verbinden sich zu einer Auffassung, die den ganzen Kosmos durch die „lex naturalis" durchwaltet sein läßt, mit dem Ziel der Verehrung des einzigen Schöpfergottes. Es ist also im letzten ein theologisches Verständnis der „lex naturalis". Dieser erste Teil des Naturgesetzes hat eine gewisse Entsprechung im ersten Teil des mosaischen Gesetzes, worüber jedoch noch zu reden sein wird. Der zweite Teil der „lex naturalis" ist klar; es ist das moralisdie Gesetz in mir, wenn dieser Ausdruck hier gestattet ist. Er hängt eng mit dem ersten Teil zusammen, denn ohne sittliche Lebensführung ist die Erkenntnis des Schöpfers vereitelt, während umgekehrt diese Erkenntnis zum sittlichen Handeln anspornt. Der dritte Teil der „lex naturalis" ist schwer zu deuten; er scheint zu besagen, daß Erkenntnis Gottes und sittlidie Lebensführung lehrbar sind 174 . Das Naturgesetz galt bis zur Zeit des Moses; es geriet jedoch während dieser langen Spanne Zeit allmählich 172
In ep. ad Rom. V, 13, PL 17, col. 98 B. In ep. ad Rom. 1,18, PL 17, col. 59 Β: „Per naturalem ergo legem reum facit genus humanum, potuerunt enim id per legem naturae apprehendere, fabrica mundi testificante, auctorem Deum solum diligendum . . 174 Zur Dreiteilung des Naturgesetzes vgl. O. Heggelbadier, Vom Rechtsdenken der nadikonstantinischen Zeit, a.a.O., S. 193 f., besonders S. 194 zur „tertia pars" der „lex naturalis": „Der Autor spricht mit diesen Worten die Fähigkeit der naturhaften Erkenntnis und Vermittlung sittlicher Normen aus." Vgl. audi Ο. Heggelbadier, Vom römischen zum diristlidien Recht, S. 14 ff. 173
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in Vergessenheit. Die „lex peccati" begann die Menschen immer mehr zu beherrschen. So hielt es Gott für notwendig, das natürliche Gesetz -wieder in das Gedächtnis der Menschen zurückzurufen; Gott überreichte Moses die beiden Gesetzestafeln: „adubi autem naturalis lex euanuit pressa consuetudine delinquendi, tunc oportuit manifestari, ut in Iudaeis omnes audirent, non quod penitus oblitterata esset, sed maxima eius auctoritate carebant . . . " 1 7 5 Diese Entwicklung der Dinge war jedoch keine notwendige, denn: „ . . . legem naturalem, quam si humanum genus ducem sibi habuisset, lex in litteris per Moysen data non esset." 176 Jedoch war es nicht so, meint Ambrosiaster, daß das Naturgesetz völlig vergessen war; man kannte wohl noch seine Gebote, aber ihnen fehlte mehr und mehr die „auctoritas". Die „auctoritas" vor allem soll durch das mosaische Gesetz wieder gefestigt werden 177 . Audi vor der schriftlichen Fixierung des Naturgesetzes wurde gesündigt, aber man wußte zu jener Zeit doch, daß Gott über die Sünden zu Gericht sitzen würde. In dem Augenblick, da diese Gewißheit, daß Gott die Sünden sieht und sie verurteilen wird, verlorenging, war es nötig, die Autorität des Naturgesetzes neu zu begründen. Gott mußte das Naturgesetz von neuem offenbaren 178 . Wenn wir Ambrosiaster richtig verstehen, ist aber das mosaische Gesetz nicht allein dazu da, erneut auf Gott den Richter zu verweisen; die schriftliche Fixierung des Naturgesetzes setzt auch den Beginn der öffentlichen Rechtsprechung: „Litterae enim ad hoc datae sunt Moysi, ut contemnentes legem occideret secundum jus naturae." 179 Das heißt also, daß das Naturgesetz in der im mosaischen Gesetz festgelegten Form als „jus naturae" die Grundlage der Rechtsprechung ist; deshalb wird im Kommentar zu Rom. 13, 1 davon gesprochen, daß die weltliche Gewalt zur Dienerin am Naturgesetz bestellt ist 180 . Vielleicht war Ambrosiaster der Ansicht, daß die staatliche Gewalt von dem Zeitpunkt an nötig war, da die schriftliche Fixierung des Naturgesetzes eine öffentliche Rechtsprechung und Rechtswahrung verlangte. Jedenfalls ist nun in der Heilsgeschichte der Schritt getan vom selbstverständlich wirkenden, innerlich verbindlichen Naturgesetz zu seiner auch äußerlich dokumentierten Verbindlichkeit im mosaischen Gesetz. 175
Quaest. IUI, 1, S . 2 4 f . In ep. I ad Tim. 1,8—11, PL 17, c o l . 4 8 9 A. 177 Sehr instruktiv: In ep. ad Rom. VII, 1, PL 17, col. 110 D : „Ante Moysen enim non latebat lex, sed ordo non erat, neque auctoritas." 178 Quaest. 1111,1, S. 25: „data ergo lex est, ut et quae sciebantur auctoritatem haberent et quae latere coeperant manifestarentur. nam inuenimus ante Moysen non solum non latuisse, sed et uindicata esse peccata. quam ob rem et iusti fuisse repperiuntur multi; scientes enim deum uindicem timebant peccare. quod cum coepisset neglegi, legem naturalem reuelari oportuit, ut scirent cuncti aperta ratione dominum requisiturum actus humanos"; vgl. audi: In ep. ad Rom. V, 13, PL 17, col. 98 Α und: In ep. ad Rom. I, 20, PL 17, col. 59 D. 179 In ep. II ad Cor. I I I , 5 , 6 , PL 17, col. 3 0 1 D ; vgl. zu dieser Stelle O. Heggelbacher, Vom römischen zum diristlidien Recht, S. 11. Wenn Heggelbadier in diesem Zusammenhang von der Garantie von Grundrechten spricht, kann ich ihm bei dieser Interpretation nidit ganz folgen. 180 In ep.ad Rom. XIII, 1, PL 17, col. 171 B. 176
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Ist das mosaische Gesetz — von Ambrosiaster im Gegensatz zur „nova lex", dem Evangelium, „lex vetus" oder meist einfach „lex" genannt — nichts anderes als das von neuem zur Geltung gebrachte Naturgesetz? Hier ist nun zu beachten, wie Ambrosiaster das mosaische Gesetz — wie das Naturgesetz — untergliedert. Im Kommentar zu Rom. 3, 20 heißt es: „Triplex quidem lex est; ita ut prima pars de sacramento divinitatis sit Dei: secunda autem quae congruit legi naturali, quae interdicit peccatum: tertia vero factorum, id est Sabbati, noemeniae, circumcisionis etc. Haec est ergo lex naturalis, quae per Moysen partim reformata, partim auctoritas ejus firmata in vitiis cohibendis, cognitum fecit peccatum; non quod lateret, sicut dixi: sed ostendit peccata quae fiunt, non impune f u t u r a apud Deum; ne forte quis ad tempus evadens, legem illusisse putaretur. H o c est quod lex ostendit." 181 Der hier genannte erste Teil meint die Moses von Gott überreichte erste Tafel mit den vier Geboten, die sich auf die Verehrung des einen Gottes beziehen (vgl. Ex. 20, 2-10). Dieser erste Teil der „lex" hat eine gewisse Entsprechung im ersten Teil des Naturgesetzes (siehe oben). Beim zweiten Bestandteil des mosaischen Gesetzes ist die Beziehung zur „pars moralis" des Naturgesetzes im engeren Sinne gegeben 182 . Das Naturgesetz erlangt im mosaischen Gesetz als zweite Tafel neue „auctoritas" (vgl. Ex. 20, 12-17 und Dt. 5, 16-21). Der dritte Teil der „lex" sdiließlich ist das jüdische Zeremonialgesetz 1 8 3 . Als viertes in unserem Zitat nicht genanntes Element der „lex Moysi" wäre endlich nach C. Martini noch die „lex vindicativa" zu ergänzen, die die Vorschriften der strafenden Gerechtigkeit enthält (Lev. 24, 17-22) 184 . Nachdem Ambrosiaster so die verschiedenen Teile des mosaischen Gesetzes aufgezählt hat, erklärt er zusammenfassend, d a ß dies also das natürliche Gesetz sei, das durch Moses teils reformiert, teils in seiner „auctoritas" neu befestigt worden sei. Will er damit sagen, daß das mosaische Gesetz alles in allem nichts anderes ist als das Naturgesetz? Das scheint kaum denkbar, da nidit zu sehen ist, daß die Vorschriften des Zeremonialgesetzes in Weisungen des alten Naturgesetzes ihre Entsprechung haben. Man kann aber wohl sagen, daß f ü r Ambrosiaster das Wesentliche am mosaischen Gesetz ist, daß es das N a t u r gesetz zu neuer Geltung bringt.
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In ep.ad. Rom. 111,20, PL 17, col. 82 C; hierzu ist zu vergleichen: App.Quaest. XVIIII, S. 435 f.: „Legis quidem unum nomen est, sed tripertitam habet intelligentiam. prima enim pars legis de deo est; si enim lex a lectione dicta est, ut de multis quid eligas scias, inter errores ergo positi acceperunt ut eligant uerum, id est reprobato diabolo eligant deum. secunda autem legis pars haec est, quae sex praeceptis continetur, quae sic incipit: ,honora patrem et matrem' (Ex. 20,12). tertia uero in neomeniis et in sabbato est et in escis discernendis ac eligendis et in circumcisione et in hostiis pecudum offerendis"; vgl. audi das Folgende, w o betont wird, daß das Zeremonialgesetz mit der Ankunft des Erlösers weichen muß. 182 Zur Identifizierung des mosaischen Gesetzes mit dem Naturgesetz schon bei Philo vgl. F. Flückiger, Geschichte des Naturrechts I, S. 298. 183 Vgl. Q Martini, Ambrosiaster, S. 86. 184 C.Martini, a.a.O., S . S 6 f . ; vgl. Quaest. LXVIIII, 4, S. 121.
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Bei der Betrachtung der Stufenfolge der „leges" ist jetzt der entscheidende Schritt von der „vetus lex" zur „nova lex", dem Evangelium, zu tun. Zunächst: Im alten Gesetz des Moses ist vorausgekündet, daß Christus das Menschengeschlecht vom Teufel befreien wird: „ . . . ut ostenderet (sc. Moyses) Abraham huic deo credidisse, qui opifex mundi est, et ipsam legem dedisse, in qua futurus Christus promissus est, qui liberaret genus hominum de dominio diaboli. ex his rationabilis probatur fides nostra." 185 In dem von Gott durch Moses wiederhergestellten Gesetz ist ein künftiges Volk bezeichnet, dem das mosaische Gesetz dienen, das es vorwärts bringen wird 1 8 6 . So sind „lex vetus" und „lex nova" unauflöslich miteinander verbunden. Als sich nach der Gesetzgebung auf dem Berge Sinai die Heiden dem mosaischen Gesetz nicht unterwarfen und auch die Juden, die doch in erster Linie das Gesetz empfangen hatten, es nicht bewahrten, schickte Gott, von Mitleid bewegt, seinen Sohn, der sich für alle zum Opfer darbringen, den Tod überwinden und so die Menschen nach Vergebung ihrer Sünden Gottvater als Gerechtfertigte entgegenbringen sollte 187 . Was aber wird nun nach Verkündigung der „nova lex" aus dem mosaischen Gesetz und seinen einzelnen Bestandteilen? Das Evangelium bedeutet allgemein eine „abbreviatio" des alten Gesetzes, eine Vereinfachung seiner Vorschriften 188 . Von dieser „abbreviatio" wird in erster Linie das jüdische Zeremonialgesetz betroffen. Es muß weichen. Die Menschen werden nicht durch das Gesetz, die Vorschriften des Zeremonialgesetzes, gerechtfertigt: „post haec tarnen, quia pius est deus, nouum testamemtum daturum se promisit, in quo abbreuiatio facta legis iustificaret credentes, sicut iustificatus est Abraham, ut cessantibus neumeniis et sabbato et circumcisione et ceteris praeceptis — non quae naturalis legis sunt, id est homicidium, et adulterium et talia — ita iustificarentur, sicut et Abraham." 1 8 9 Während also die Vorschriften der jüdischen Gesetzesreligion verschwinden, bleibt das Naturgesetz mit seinen sittlichen Normen erhalten, die Gott durch Moses den Menschen erneut hatte einschärfen müssen. Diese Normen werden auch durch Christus und das Evangelium nicht beseitigt, sondern überhöht und überboten. Das zeigen folgende Sätze: „Spiritalem ergo hanc legem dicit, quam et sanctam et iustani et bonam ostendit. haec est, quam naturalem diximus, quae prohibet peccari; dux est enim bonae uitae. huic addita lex fidei perfectum hominem facit." 180 Immer wieder betont Ambrosiaster, daß auch nach Verkündigung des Evangeliums die „lex naturalis" in Geltung bleibt; er nennt sie ein185
186 Quaest. 111,4, S. 23. Quaest. VIII, 2, S. 33. Quaest. L X X X I I I , 3, S. 141: „et quia accepta lege gentes spreuerunt non se subicientes ei neque hi qui acceperunt seruauerunt earn, motus dominus misericordia misit filium suum, qui se pro illis offerens et mortem destruens data omnibus remissione peccatorum deo patri illos iustificatos offeret." 188 Quaest. XLIIII, 5, S. 74: „ . . . reliquis, qui in fide promissionis perseuerauerunt ceteris diffidentibus, breuiatum legis uerbum ostendit, hoc est nouum testamentum quod promisit . . . in ueteri (sc. testamento) multa, in nouo autem pauca sint praecepta, sicut promisit . . 180 Quaest. XLIIII, 9, S. 77. 190 App. Quaest. L X X V , 5, S. 469 f. 187
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mal sogar „lex generalis" l e l . Es ist also ganz sicher, daß für Ambrosiaster das Naturgesetz ewig und unveränderlich ist 1 9 2 . Dennoch läßt er keinen Zweifel daran, daß die Kraft der Verkündigung, die „lex fidei", das Naturgesetz und dessen Bedeutung und Wirkung weit überragt, ja, eigentlich kann man „lex fidei" und „lex naturalis" gar nicht miteinander vergleichen. Der Gegensatz wird unter anderem in einem längeren Abschnitt des Römerbriefkommentars entwickelt und klargemacht 1 8 3 . Obgleich dort zunächst nur von der „lex" im Gegensatz zur „fides" die Rede ist, so ist doch offensichtlich, daß nicht nur vom Zeremonialgesetz gesprochen wird, sondern im weiteren Sinne von aller Gesetzlichkeit, die auch die „lex naturalis" umfaßt. Gesetz und Glaube stehen sich scharf gegenüber. Jedes Gesetz verschafft nur zeitliche, der Glaube ewige Gerechtigkeit. Was vor dem Gesetz gerecht ist, ist es doch vor Gott noch nicht, wenn der rechte Glaube fehlt. Man kann sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, daß der „fides"-Begrifi des Ambrosiaster immer noch etwas von einer Gesetzlichkeit enthält. Natürlich bleiben mit der zweiten Tafel auch die vier Gebote der ersten Moses überreichten Tafel erhalten. Diese vier Gebote bezogen sich auf die Verehrung des einen Gottes. Sie werden erst im Evangelium voll erfüllt 1 9 4 . Schließlich wird auch die „lex vindicativa" (Lev. 24,17-22) von Christus vollendet. Die alten Vorschriften der „lex vindicativa" werden dadurch erfüllt, daß ihnen Christus neue, von dem ganz anderen Geist der Liebe und der höheren Gerechtigkeit getragene Vorschriften gegenüberstellt. Die „lex vindicativa" erfährt dadurch eine innere Umwandlung und Erhöhung 1 9 ä . Überblicken wir die Stufenfolge der „leges", die hier nur sehr schematisch und kurz skizziert werdein konnte, so läßt sich vielleicht sagen, daß in den Schriften des Ambrosiaster eine Schau der Heilsgeschichte vorliegt, die sich an einer Reihe von Gesetzgebungen orientiert. Zwar verfolgt Ambrosiaster den Gang der Heilsgeschichte nicht im Zusammenhang, aber aus seinen zahlreichen parallelen Äußerungen läßt sich seine Geschichtsanschauung einigermaßen klar erkennen. Welche bedeutende Rolle in ihr die „lex naturalis" spielt, ist nicht zu übersehen. Wir fassen unsere Ergebnisse in einigen Sätzen zusammen: 1. Das Naturgesetz ist göttlichen Ursprungs. Es ist Ausfluß und Teil der „lex divina", wie auch das mosaische Gesetz und das Evangelium. 2. Das Naturgesetz ist vor allem die dem Menschen von Gott eingepflanzte sittliche Norm. 3. Es galt vor Moses allein als Richtschnur sittlichen Handelns. 4. Die „auctoritas" des Naturgesetzes ging vor Moses allmählich verloren. 1 9 1 In ep.ad R o m . V I I , l , P L 1 7 , c o l . l l l A : „ N o n est occultum omnem vitam hominis esse sub lege naturae, quae data est mundo: haec lex generalis est." 1 , 2 Vgl.: In e p . a d R o m . V , 1 3 , P L 1 7 , c o l . 9 8 A : „Lex naturalis semper est, nec ignorabitur aliquando." 193 In ep.ad R o m . I I I , 2 0 , P L 17, col.82. 194 Q u a e s t . L X V I I I I , 4 , S. 120; vgl. C.Martini, Ambrosiaster, S. 8 6 f . 1 9 5 Quaest. L X V I I I I , 4, S.121.
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5. Das Naturgesetz wurde deshalb von Gott als Teil des mosaischen Gesetzes (speziell als die zweite Tafel) von neuem offenbart; es ist nun objektiv gültiges Gesetz, nicht mehr nur im Herzen der Menschen verankerte sittliche Norm. 6. Da die Heiden das mosaische Gesetz nicht annahmen, die Juden es nicht bewahrten, beschloß Gott aus Barmherzigkeit, Christus zu senden und damit eine „nova lex", das Evangelium, zu verkünden. 7. Das Evangelium bedeutet zugleich Vereinfachung und Überhöhung des mosaischen Gesetzes. 8. Die Gebote der ersten und zweiten Tafel des mosaischen Gesetzes bleiben auch nach der Verkündigung des Evangeliums in Kraft. Das Naturgesetz ist ewig und unveränderlich. 9. Das spezifisch jüdische Zeremonialgesetz verschwindet, die „lex vindicativa" wird durch neue Gebote der „nova lex" innerlich verwandelt. b) D e r K ö n i g a l s „ i m a g o d e i " u n d „ v i c a r i u s
dei"
Der Kern der politischen Theorien des Ambrosiaster sind die Vorstellungen vom König als „imago dei" und „vicarius dei". Daß Ambrosiaster mit diesen Formeln einen nicht unerheblichen Einfluß auf die mittelalterliche politische Theorie gehabt hat, ist bekannt, wenn es vielleicht auch nützlich wäre, seinen Einflußbereich in dieser Hinsicht noch einmal systematisch zu untersuchen. So fordert auch Ε. H . Kantorowicz eine spezielle Untersuchung über den Einfluß des Ambrosiaster auf die kanonistische Literatur des Mittelalters 196 . Wenn man auch die Bedeutung des Ambrosiaster für die mittelalterliche politische Theorie erkannt hat, so hat man sich doch lange Zeit nur wenig darum bemüht, die Vorstellungen des Ambrosiaster selbst zu klären. Die meisten Hinweise auf die „rex imago dei"-Lehre unseres Autors und ihre mögliche Bedeutung finden sich in den wissenschaftlichen Arbeiten, die sich thematisch andere und umfassendere Ziele setzen 197 . Im Zusammenhang seiner Forschungen über die liturgische Auffassung vom Herrscher als „vicarius dei" sieht sich W. Dürig neuerdings zu Ambrosiaster zurückgeführt und dringt nun zum Kern von dessen Theologumena vor l e 8 . 196 Ε. H. Kantorowicz, The King's T w o Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton 1957, S. 91 mit Anm. 12. 197 Vgl. O.Schilling, Naturrecht und Staat, S. 164ff.; W.Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters, Leipzig 1938 ( = Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde 2), 2. unveränd. Aufl. 1952, S. 26ff.; Carlyle, Mediaeval Political Theory I, S. 149 f., S. 179, S. 215 f.; E.Peterson, Der Monotheismus als politisches Problem, Theologische Traktate, S. 53; G. H. Williams, The Norman Anonymus of 1100 A . D . , Cambridge 1951 ( = The Harvard Theological Studies 18), S. 175 ff.; ders., Christology and Church-State Relations in the Fourth Century, C H 20 (1951), S. 3—33, bes. S. 7; Ε. H. Kantorowicz, Deus per naturam, Deus per gratiam, A Note on Mediaeval Political Theology, HThR 45 (1952), S. 253—277, bes. S. 265 f.; F. Dvornik, Early Christian and Byzantine Political Philosophy (vgl. Anm. 115), S. 626 ff. 198 W. Dürig, Der theologische Ausgangspunkt der mittelalterlichen liturgischen
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Diese politischen Theologumena des Ambrosiaster sind allerdings keineswegs ohne Vorbilder. Das Verständnis seiner Vorstellungen wird dadurch erschwert, daß wir ihre Vorbilder noch nicht genau kennen und die Entwicklungsgeschichte der „rex imago dei"-Lehre vor Ambrosiaster noch keineswegs klar übersehen 1 9 9 . Daß eine christliche „rex imago dei"-Vorstellung schon vor Ambrosiaster vorhanden war, zeigt das Beispiel des Eusebius von Cäsarea 2 0 0 . Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Eusebius, Ambrosiaster und die gesamte christliche politische Theologie von hellenistischen Königsvorstellungen stark beeinflußt sind 2 0 1 . In den durch Stobäus aufbewahrten Fragmenten einiger sogenannter pythagoreischer Königstraktate finden sich erstaunliche Parallelen zu der von Ambrosiaster entwickelten Königsideologie 2 0 2 . Wenn im folgenden diese Königstraktäte zum Vergleich herangezogen werden, so soll damit noch nicht behauptet werden, daß Ambrosiaster von ihnen unmittelbar abhängig ist. Neben diesem hellenistischen Überlieferungsstrom wird man noch einen anderen im Auge behalten müssen, nämlich den alttestamentlidien, dem Ambrosiaster offenbar Auffassung vom Herrscher als Vicarius Dei, H J 77 (1958), S. 174—187; vgl. auch O. Heggelbacher, Vom Rechtsdenken der nachkonstantinischen Zeit, a.a.O., S. 195 ff.; ders., Vom römischen zum christlichen Recht, S. 26 ff. 199 Vgl. E.H.Kantorowicz, The King's Two Bodies, S.89, Anm.7: "The fusion of 'homo imago (vicarius) Dei' and 'rex imago (vicarius) Dei', carried through by the so-called Ambrosiaster, has its long and complicated history"; H. Wildberger, Das Abbild Gottes, Gen. 1,26—30, II, ThZ 21 (1965), S. 481—501, erklärt S. 501 im Hinblick auf die Entwicklung der Imago-Dei-Konzeption seit dem altorientalischen Königtum: „Aber wir sind noch lange nicht so weit, die Geschichte der Imago Dei-Konzeption wirklich nachzeichnen zu können." 200 Vgl. Eusebius von Cäsarea, de laud. Const., ed. I. Α. Heikel, GCS 7 (1902) S. 215: „ό 8' εξ ενός είς βασιλεύς, είκών ένός του παμβασιλέως". Andere Beispiele, bes. für die Arianer des 4. Jh. bei G. H. Williams, C H 20 (1951), S. 3—33. Das erste Beispiel für die christliche Aneignung der „rex imago dei"-Lehre sieht Williams, a.a.O., S. 6 in folgender Stelle des Barnabasbriefes (1. Hälfte des 2. Jh.): „ύποταγήση κυρίοις ώς τύπω θεοϋ έν αισχύνη καί ψόβω" (Barnabas 19,7). W. Dürig, a.a.O., S. 177 weist darauf hin, daß „τύπος" gelegentlich weitgehend die Bedeutung von ^ixtov-imago" habe. Vgl. dazu Ε. H. Kantorowicz, HThR 45 (1952), S. 253—277. Ausgabe durch L. Delatte, Les traites de la royaute d'Ecphante, Diotogene et Sthenidas, Lüttich und Paris 1942 ( = Bibl. de la Faculte de Philosophie et Lettres de l'Universiti de Li£ge 97) mit wertvollem Kommentar. Analyse der pythagoreischen Fragmente auch durch E. R. Goodenough, The Political Philosophy of Hellenistic Kingship, Yale Classical Studies 1 (1928), S. 55—102. Nach Goodenough sind die pythagoreischen Königstraktate, die auch die „imago"-Vorstellung enthalten, genauer Ausdruck der hellenistischen Auffassung vom Königtum. Die hellenistischen Theorien seien wahrscheinlich von orientalischen, speziell altägyptischen und altpersischen Königsvorstellungen abhängig. Vgl. ferner E. Barker, From Alexander to Constantine. Passages and Documents Illustrating the History of Social and Political Ideas 336 B. C.-A. D. 337, Oxford 1956, bes. S. 361 ff. und L. Delatte, Essai sur la politique pythagoricienne, Lüttich und Paris 1922 ( = Bibl. de la Faculte de Philosophie et Lettres de l'Universiti de Li£ge 29); dazu W. Theiler, Gnomon 2 (1926), S. 147—156. Zur Abfassungszeit der Traktate: Ε. Barker: vermutlich 3. Jh. n.Chr.; L. Delatte, Les traites de la royaute, S. 119: 1. oder 2. Jh. n.Chr. 201
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sehr nahe ist. So betont denn auch Ε. H . Kantorowicz, daß die Vorstellung, der Fürst sei Ebenbild oder ausführendes Organ Gottes, sowohl vom antiken Herrscherkult als auch von der Bibel gestützt wurde 203 . Nach neueren Untersuchungen ist wohl kaum noch zu bezweifeln, daß außerdem Berührungspunkte zwischen den alttestamentlichen und den altorientalischen Königsvorstellungen vorhanden sind 204 . Für Ambrosiaster hinsichtlich der Königsideologie die Quellenfrage näher zu prüfen, ist im Rahmen dieser Arbeit natürlich nicht möglich. Die „rex imago dei"-Vorstellung des Ambrosiaster ist innerlich verbunden mit der „homo imago dei"-Lehre, mit der Trinitätsspekulation und auch — jedoch nur entfernt — mit der Christologie. Wir wollen uns zunächst der Vorstellung von einer innertrinitarischen Ebenbildlichkeit zuwenden, dann die „homo imago dei"-Lehre in einigen Punkten skizzieren und schließlich, daran anknüpfend, Gottesebenbildlichkeit und Gottesvikariat in Ambrosiasters Deutung behandeln. Die Lehre, daß Christus Ebenbild Gottes sei, konnte sich an Kol. 1,15 anschließen: „qui est (sc. Christus) imago invisibilis Dei." In seinem Kommentar zu diesem Vers fragt sich Ambrosiaster, wie Gott, dem alles Sichtbare, Körperliche wesensfremd ist, ein sichtbares Ebenbild haben könne. Denn Ebenbild könne nur sein, was sichtbar sei, sonst sei es kein Ebenbild 205 . Ambrosiaster deutet dann Christi Ebenbildlichkeit und beantwortet damit seine Frage folgendermaßen: „Sed ideo sic dicitur, ut talis Filius intelligatur, qualis est Pater; ut quia de ipso est, et nihil distat ab eo in divinitate naturae, imago ejus dicatur et forma; ne alius Deus a perfidis crederetur, quamvis nomine ipso hoc contineatur; ideo enim verus Dei Filius dicitur, ut de ipso esse credatur. Sed propter malam inteiligentiam etiam hoc additum est, ut et imago ejus dicatur; ut cum apparet, licet in figura humana . . . non ipse Pater intelligatur esse, sed Filius: et per id quod imago ejus dicitur, nihil ab eo distare credatur." 206 Wenn also Christus Ebenbild Gottes genannt wird, so bedeutet dies, daß Christus, der Sohn, wie der Vater die volle Gottheit besitzt und sich in nichts von Gottvater unterscheidet. „Christus imago dei" ist daher eine Formel, die sich gegen verschiedene Häresien richtet. Sie erweist gegen die Arianer die volle Wesensgleich203
Ε. H. Kantorowicz, The King's Two Bodies, S. 89. Vgl. Η. Wildberger, Das Abbild Gottes, Gen. 1,26—30, ThZ 21 (1965), S. 245— 259 und S.481—501; W. H. Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift, Neukirdien-Vluyn 1964 ( = Wissenschaftl. Monographien zum AT und N T 17). Über altorientalisdie Königsvorstellungen vgl. ferner P. Dhorme, La religion assyro-babylonienne, Paris 1910, S. 146ff., die Aufsätze von F. Heiler und S. Mowinckel, in: La regalitä. sacra, Leiden 1959, S. 543—580 und S. 283—293; zur alttestamentlichen Königsvorstellung: R. de Vaux, Das Alte Testament und seine Lebensordnungen I, Freiburg i. Br. 1960, S. 162 ff. 205 In ep.ad. Col. 1,15, PL 17, col.446C: „ ,Qui est imago invisibilis Dei.' Imago Dei invisibilis esse non potest (ich ziehe diese Lesart nadi PL 17, col.446, Anm. 74 vor; die im Text stehende Lesart: „Invisibilis Dei imago visibilis esse non potest" scheint mir hier keinen Sinn zu ergeben), alioquin nec imago est; quod enim invisibile est, pingi non potest . . . Deus autem, qui ab iis omnibus alienus est, quomodo potest imaginem habere visibilem?" 206 In ep.ad. Col.1,15, PL 17, col.446C/D. 204
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heit von Gottvater und Gottsohn; sie bezeugt aber auch gegen alle modalistischen Monarchianer, daß Gottvater und Gottsohn nicht die gleiche Person sind. So wird diese „imago"-Formel für Ambrosiaster der Ausdruck der orthodoxen Trinitätslehre, wie sie sich im 4. Jahrhundert formte und wie sie von Ambrosiaster voll akzeptiert wird. Ferner drückt aber vor allem Kol. 1,15 nach Ambrosiaster audi aus, daß im Sohn der Vater für den Gläubigen sichtbar wird, der Gott im Ebenbilde, der Gott im Gott. Für den Menschen ist Gottvater nur im Ebenbilde, in Christus sichtbar; nur Christus selbst, der wahre Sohn, kann den Vater sehen, der, wenn audi Gottvater und Christus von gleicher Wesenheit sind, hinsichtlich der „auctoritas" als Vater über dem Sohn steht 207 . Es ist also festzuhalten, daß „Christus imago dei" dogmatisch die Wesensgleichheit von Gottvater und Gottsohn bedeutet und die orthodoxe Lehre von allen Häresien abgrenzt. Richtiger wäre es im übrigen, nicht von innertrinitarisdier Ebenbildlichkeit zu sprechen, sondern von Ebenbildlichkeit innerhalb der heilsökonomischen Trinität. Diese Ebenbildlichkeit dehnt sich auch auf die dritte Person der Trinität, den Heiligen Geist, aus: „ac per hoc Christus et sanctus spiritus naturaliter habentes dei imaginem sacerdotes eius dicuntur. in ipsis uidetur deus, sicut dicit dominus: ,iqui me uidit, uidit et patrem' (Joh. 14, 9); et si in gestis domini uisus est deus, gesta autem spiritus sancti sunt opera signante domino, quia ,ego in spiritu dei eicio daemonia' (Mt. 12,28), et in spiritu sancto uisus est deus." 208 Audi im Heiligen Geist also wird Gott sichtbar. Wie Christus ist der Heilige Geist in natürlicher Weise Ebenbild Gottes, denn er ist ja wie Christus von gleicher Substanz mit dem Vater. Priester und Gesandte Gottes werden Christus und Heiliger Geist wiederum deshalb genannt, weil sie Gott in sich darstellen und zeigen, denn sie sind ja Gottes Ebenbild 209 . In diesem Zusammenhang erscheint auch der Ausdruck „vicarius", den wir nun mit in die Untersuchung einbeziehen müssen: „Christus autem uicarius patris est et antestes ac per hoc dicitur et sacerdos." 210 Hier wird deutlich, daß Christus „vicarius dei" in erster Linie als Priester ist. Der Christus-König-Gedanke tritt bei Ambrosiaster hinter dem Gott-König-Gedanken zurück. Der Gedanke vom Gottesvikariat Christi muß
207 Quaest. CXXII, 23, S. 372 f.: „Dum enim imago dicitur dei, ad utrumque refertur, quia et per expressam natiuitatem plenam in se habet similitudinem patris et potest quidquid potest et pater, ut uerum sit patrem uideri in filio, qui est imago inuisibilis dei"; ferner Quaest. CXXII, 24, S.373: „. . . ,beati', inquit, ,mundo corde, quia ipsi deum uidebunt' (Matth. 5,8) hoc est patrem in filio, deum in imagine, quod est deum in deo"; und Quaest. CXXII,25, S.373: „Sicut corporalis corpus imago est, ita et dei deus imago est, quia exemplum est pater, filius uero exemplum de exemplo . . . " ; schließlich: Quaest. CXXII,26, S.373 f.: „ . . . differt (sc. filius) autem in causa uel gradu, quia omnis potentia a patre in filio est et, si in substantia minor non est filius, auctoritate tarnen maior est pater . . A u f m e r k s a m k e i t verdient hier der Begriff „auctoritas" — ein wichtiger Begriff bei Ambrosiaster. 208 208 Quaest. CVIIII.21, S.268. A.a.O., S.268. A.a.O., S.268.
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jedoch noch etwas weiter verfolgt werden 211 . Während die Gottesebenbildlichkeit Christi eine ontologische Qualität hat, liegt im Vikariats-Gedanken mehr ein juristisches Element beschlossen212. Christus erfüllt an Stelle Gottvaters konkrete Aufgaben in der Welt: „rex enim adoratur in terris quasi uicarius dei, Christus autem post uicariam impleta dispensatione adoratur in caelis et in terra." 2 1 3 Wir wollen die erste Hälfte dieses berühmten Satzes zunächst einmal beiseite lassen. Die zweite Hälfte zeigt, wie mir scheint, daß das Vikariat Christi bedeutet, daß Christus für Gottvater auf Erden eine Art Verwaltungsaufgabe erfüllt. Und diese Aufgabe ist die heilsgeschichtliche der Errettung des Menschengeschlechts von der Herrschaft des Teufels. In unserem Zitat fällt ferner der Ausdruck „adorare" auf. Er wird hier nicht von ungefähr auf Christus angewandt. Christus als zweite Person der Trinität ist Gott wie Gottvater, und Ambrosiaster spricht von „adoratio" im allgemeinen nur gegenüber Gott 2 1 4 . Diese Anbetung wird natürlich auf die Trinität, besonders auf Christus, ausgedehnt 215 . Da Christus und Heiliger Geist mit Gott wesensgleich sind, kommt auch ihnen die „adoratio" zu. Es ist nun merkwürdig, daß Ambrosiaster von „adorare" auch gegenüber dem „imperator" und dem „rex" spricht. Weshalb er das tut, und welchen Sinn dies haben könnte, werden wir später noch sehen. Es seien zunächst einige Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen noch einmal festgehalten: 1. „Christus imago dei" sagt in erster Linie die Wesensgleichheit von Gottvater und Christus bei Unterscheidung der Personen aus. 2. Christus ist als „vicarius dei" vor allem Priester, nicht König. 3. Der Ausdruck „vicarius" ist auf eine Person angewandt, die mit der Person, deren Stellvertreter sie ist, wesensgleich ist. 4. Der Ausdruck „adorare" wird gegenüber Gott und den anderen Personen der Trinität angewandt. Den Sinn der „rex imago dei"-Formel müssen wir jetzt noch von einer anderen Seite her zu ertasten suchen. Wir wenden uns deshalb der Lehre des Ambrosiaster von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen zu, die von allen Theologen im Anschluß an Gn. 1, 26, 27 entwickelt zu werden pflegt. In der Quaestio XLV umreißt Ambrosiaster zuerst in kurzen Worten die orthodoxe 211 Vgl. zum Begriff „vicarius": A.v.Harnack, Christus praesens-Vicarius Christi, Sb Berl. Ak. 34 (1927), S.415—446; M. Maccarone, „Vicarius Christi" e „vicarius Petri" nel periodo patristico, Rivista di storia della chiesa in Italia 2 (1948), S. 1—32, über Ambrosiaster bes. S. 16 ff. Belege für das Auftreten des „vicarius"-Begriffes im Mittelalter bei J. Riviere, Le probleme de l'eglise et de l'etat au temps de Philippe le Bei, Louvain und Paris 1926 ( = Spicil. Sacr. Lovan. 8); M. Maccarone, Vicarius Christi. Storia del titolo papale, Romae 1952 ( = Lateranum 18); ders., II sovrano „vicarius dei" nell'alto medio evo, in: La regalita sacra, Leiden 1959, S. 581—594. 212 Vgl. dazu W.Berges, Fürstenspiegel, S.27. 213 Quaest. X C I , 8, S.157. 211 A.a.O., S. 157: „ . . . maxime cum non liceat nisi deum adorari." 215 Vgl. Quaest. X C V I I , 2 1 , S.186, und bes. Quaest. X C V I I , 4 , S.174: „adoratur deus, adoratur et Christus."
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Trinitätslehre und fährt dann fort: „dei ergo patris persona est dicentis: Jaciamus' (Gen. 1,26); filii uero facientis hominem ad imaginem dei; siue ad patris siue ad suam, nihil interest, quia utriusque üna imago est. fecit ergo filius per spiritum sanctum . . . igitur una trium imago est, quia, siue pater siue filius siue sanctus spiritus, unus est deus. ac per hoc unus factus est homo ad unius dei imaginem." 2 l e Deutlich spielt hier die Trinitätslehre in die „imago"-Vorstellung hinein; scheint doch unser Zitat zu besagen, daß der Mensch Ebenbild der Trinität ist, also nicht nur Ebenbild Gottvaters, sondern auch des Sohnes und des Heiligen Geistes. Das wäre jedoch nicht ganz richtig gefolgert. Entscheidend ist für Ambrosiaster, daß der Mensch Ebenbild des Einen Gottes in der Trinität ist. Damit wird das „principium unitatis" als eines der wichtigsten Fundamente der „imago"-Lehre des Ambrosiaster deutlich 217 : „in eo autem imago dei est homo, ut, sicut unus est deus in caelis, ex quo omnia subsistunt spiritalia, ita unus esset in terris homo, ex quo ceteri haberent carnalem originem." 218 Offensichtlich sieht Ambrosiaster eine Parallelität Gott-Adam. Im Kommentar zu 1. Kor. 11, 5-7 heißt es: „Haec autem imago Dei in viro, quia unus Deus unum fecit hominem; ut sicut ab uno Deo sunt omnia, ita essent ab uno homine omnes homines, ut unius Dei invisibilis, unius homo visibilis imaginem haberet in terris, ut unus Deus in uno homine videretur auctoritatem unius principii conservare, ad confusionem diaboli, qui sibi, neglecto uno Deo, dominium et divinitatem voluit usurpare." 219 Hier ist also das „principium unitatis" fast wörtlich da. Obgleich, wie wir sahen, Ambrosiaster die Ebenbildlichkeit eigentlich auf die gesamte Trinität ausgedehnt hat, so ist doch der Mensch, Adam, vor allem Ebenbild der ersten Person der Trinität, Ebenbild Gottvaters. Die Einheit der Trinität dehnt sich als Prinzip der Einheit auf den ganzen Kosmos aus. Symbol der Einheit in der überirdischen Welt ist die eine Gottheit in der Trinität (es ist in den meisten Fällen kaum zu entscheiden, ob Ambrosiaster mehr von der ersten Person der Trinität spricht, oder ob er mit „deus" die Einheit in der Trinität, die eine Gottheit meint), als deren Ebenbild der Mensch diese Einheit auch in der irdischen Welt abbildet und symbolisiert. Der tiefere Sinn also dessen, daß Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf, ist, daß der Mensch-Adam, die Einheit symbolisierend, auf den Einen Gott hinweisen sollte. Gott schuf den Menschen nach Ambrosiaster gerade deshalb, weil die Einheit im Kosmos durch den Teufel und seinen Abfall von Gott gefährdet wurde. Der Mensch ist so eine lebendige Anklage für den Teufel, der darum den Menschen mit seinem Haß verfolgte 220 . Die Geschichtstheologie, die sich an diesen Gedanken knüpft, " · Quaest. X L V , 2, S . 8 2 . 217 Vgl. zu der Lehre von dem einen Ebenbild der Trinität Quaest. X C V I I , 5, S. 1 7 4 f . : „itaque si imago eorum (sc. dei et filii) et similitudo una est, quo modo non unum sunt et natura?" Vgl. auch das Folgende. 218 Quaest. X L V , 2 , S . 8 2 . 2 1 9 P L 17, col. 253 C ; vgl. auch: In ep. I ad Cor. VI, 2, P L 17, c o l . 2 2 2 C und Quaest. CVI.17, S.243. 220 Quaest. 11,2, S . 1 7 f . und 11,4, S . 1 9 . 5*
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kann hier nicht weiter verfolgt werden. Wir sehen, daß sich in Ambrosiasters „imago"-BegrifF vor allem eine tiefsinnige Metaphysik der Einheit ausspricht. Man könnte zugespitzt sagen, daß der Mensch Ebenbild der „unitas" in der „trinitas" ist. Das ist der ontologische Aspekt der „homo imago dei"-Lehre des Ambrosiaster. Der Spekulation über die Einheit verbindet sich in der „imago"-Lehre die Spekulation über den Anfang. In Gott dem Schöpfer nehmen alle Dinge ihren Anfang; auch in dieser Hinsicht ist der Mensch-Adam Gottes Ebenbild, denn von ihm haben alle Menschen ihren fleischlichen Ursprung. Eine tiefe Kluft aber ist zwischen Gott und Adam: Gott zeugte, unbegreiflich für uns, einen Sohn, der Gleiche zeugt den Gleichen, damit durch den Sohn alle Kreatur geschaffen würde; von Adam aber hat das Weib körperlich seinen Ursprung und in ihm das ganze Menschengeschlecht221. N u r der Mann ist im Vergleich zur Trinität Verkörperung der Einheit und des Ursprungs 222 . Christus ist mit Gottvater die Einheit und der Schöpfer aller Kreatur, das Weib symbolisiert die Einheit bereits nicht mehr, und es ist ja audi nicht mehr der absolute Anfang, da es von Adam seinen Anfang nahm. Das Weib kann deshalb auch nicht Ebenbild Gottes sein, wie Ambrosiaster in Verbindung mit 1. Kor. 11, 6 schließt 223 . Immerhin ist für Ambrosiaster das Verhältnis Mann-Weib in gewisser Weise dem Verhältnis Gottvater-Gottsohn vergleichbar, jedoch mit den oben erwähnten Einschränkungen 224 . Die Frage, inwieweit das Weib Ebenbild Gottes sein könne, beschäftigt Ambrosiaster immer wieder 225. Es ist für ilin allerdings auch Ebenbild Gottes, jedoch in anderem Sinne als der Mann: „Alia est tarnen imago haec, quam de agnitione Salvatoris dicit creari, et alia imago, ad quam factus est primus homo. Ista enim imago est et in femina, cum agnoscit eum, qui se creavit, et obtemperans voluntati ejus abstinet a vita turpi et actu perverso; ilia autem imago in solo viro est . . 2 2 6 Für das Weib bedeutet „Ebenbild Gottes sein" — das gilt jedoch auch für den Mann — dem Vorbilde Christi, dem Vorbilde des Erlösers nacheifern. Hier hat also der „imago"-Begriff einen „moralischen" Sinn. Ebenbild Gottes im Sinne von Gen. 1, 26, 27 ist aber in seiner vollen Bedeutung nur der Mann. Wir haben jedoch noch einen weiteren Inhalt der „imago"-Vorstellung aufzuspüren, der mit dem fundamentalen Einheitsgedanken zusammenhängt. Wir werden dabei allmählich zur „rex imago dei"-Vorstellung hinübergeführt. Es 221
Quaest. X X I , S . 4 7 f . In ep. ad Col. 111,8—11, PL 17, c o l . 4 6 0 C : „Unus ergo unum fecit, qui unitatis ejus haberet imaginem." 223 Quaest. X X I , S.48. 224 Quaest. X X I , S.48: „similitudo autem haec est, ut quem ad modum de patre est filius, sie et de uiro mulier, ut unius prineipii auetoritas conservetur"; vgl. audi: In ep. ad Col. 111,8—11, PL 17, col. 460 C. Der entscheidende Unterschied ist, daß das Weib aus dem Manne geschaffen, Gottsohn von Gottvater aber gezeugt wurde; vgl. Quaest. CVI, 17, S . 2 4 3 f . 225 Vgl. in ep. I ad Cor. X I , 5—7, PL 17, col. 253 B. 226 In ep. ad Col. 111,8—11, PL 17, col. 460 C. 222
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ist zu fragen, ob nicht auch für Ambrosiaster der Mann deshalb „ imago dei" ist, weil er Herrschaft ausübt. Zunächst scheint Ambrosiaster eine solche Auslegung zu verbieten. In der QuaestioXLV sagt er nämlich: Es scheint gewissen Leuten, daß der Mensch Ebenbild Gottes in der „dominatio" ist, weil Gott Gen. 1, 28 gesagt hat, der Mensch werde über Fische und Vögel herrschen; es steht doch aber fest, meint Ambrosiaster, daß jene Genesisstelle besagt, daß die Tiere dem Manne und dem Weibe zugleich unterworfen sind; das Weib ist jedoch nicht Ebenbild Gottes im Sinne der Genesis; folglich kann die Ebenbildlichkeit des Menschen nicht in der „dominatio" bestehen, denn sonst wäre ja auch das Weib Ebenbild Gottes 227 . Gegen diejenigen, die das Wesen der Gottesebenbildlichkeit in der „dominatio" sehen, bringt Ambrosiaster vor allem das Folgende vor: „per hoc enim neque ad filium dixisse deus adseritur: Jaciamus hominem
ad imaginem
et similitudinem
nostrum'
( G e n . 1, 26), sed a d d o m i n a t i o -
nes caelestes (Eph. 1, 21,) quas apostolus memorat, si imaginem dei homo in dominatione habet, et mulieri datur, ut et ipsa imago dei sit, quod absurdum est. quomodo enim potest de muliere dici, quia imago dei est, quam constat dominio uiri subiectam et nullam auctoritatem habere? nec docere enim potest nec testis esse neque fidem dicere nec iudicare: quanto magis imperare!" 2 2 8 Aus zwei Gründen also, so scheint es, kann die Gottesebenbildlichkeit nicht in der „dominatio" bestehen: erstens müßte dann nämlich auf Grund von Gen. 1, 28 auch das Weib wirkliches Ebenbild Gottes sein, was für Ambrosiaster absurd ist; und zweitens müßte dann Gott zu den „dominationes caelestes" — die dann dem Menschen gewissermaßen die „dominatio" übertragen hätten — gesprochen haben und nicht zur zweiten Person der Trinität, zu der Gott in Gen. 1,26 nach Ambrosiaster offensichtlich spricht. Wollte man allein der eben zitierten Stelle folgen, so müßte man sagen, daß für Ambrosiaster die Gottesebenbildlichkeit ganz klar nicht in der „dominatio" bestehen kann. Ambrosiaster äußert sich jedoch woanders in ganz entgegengesetztem Sinne und spricht dort nach meiner Auffassung seine wahre Meinung aus. Er legt sich in einer anderen Quaestio ausdrücklich die Frage vor, was denn „ad imaginem et similitudinem" bedeutet; es heißt dann: „haec ergo imago dei est in homine, ut unus factus sit quasi dominus, ex quo ceteri orirentur, habens imperium dei quasi uicarius eius, quia omnis rex dei habet imaginem." 229 Hier ist eindeutig der materiale, konkrete Inhalt der Gottesebenbildlichkeit die „dominatio", die herrscherliche Funktion des Menschen, und zwar des Mannes 230 . Diese Konkretisierung des „imago"-Begriffes ist keineswegs eine Eigentümlichkeit des Ambrosiaster; sie findet sich auch sonst in der patristischen Literatur 2 3 1 . 227
228 228 Quaest. XLV, 3, S. 82 . A.a.O., S. 82 f. Quaest. CVI, 17, S. 243. 230 Vgl. auch App. Quaest. X L VI, S. 426. Ε. H. Kantorowicz, Deus per naturam, Deus per gratiam, HThR 45 (1952), S. 265 glaubt ebenfalls, daß der Gedanke der „dominatio" für den „imago"-Begriff des Ambrosiaster wichtig ist. Die Stelle, die Kantorowicz anführt, Quaest. XLV, 3, S. 82 beweist das allerdings nidit. 231 Beispiele bei Ε. H. Kantorowicz, a.a.O. Vgl. zu diesem Problem audi W. Dürig, a.a.O. (vgl. Anm. 198), S. 178ff. mit weiteren Beispielen; ferner W.H.Schmidt, Die
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Eine Deutung des „imago"-Begriffes in dieser Richtung ist jedoch nur möglich auf dem Hintergrund, auf dem Fundament des von uns im Zusammenhang mit der Frage der Gottesebenbildlichkeit herausgearbeiteten „principium unitatis". Die Einheit manifestiert sich äußerlich in der Herrschaft eines einzelnen. In der Trinität ist es vor allem Gottvater, der Gott-König, der als Herrscher, ausgestattet mit „imperium" und „auctoritas", das „principium unitatis" bezeugt und verwirklicht. Sein Ebenbild ist auf Erden der Mensch, der Mann (Adam), von dem das ganze Menschengeschlecht ausgeht, wie von Gott alles Geschöpfliche überhaupt. Der Mann hat ebenbildlich Gottes „imperium" als dessen Stellvertreter. Die „dominatio" ist gewissermaßen der juristische Aspekt des im Sein und in Gott gegründeten „principium unitatis". Das juristische Element erscheint vor allem wieder im „vicarius"-Begriff. Christus ist, wie wir sahen, „vicarius dei" als die Gottvater wesensgleiche zweite Person der Trinität. Er ist Stellvertreter Gottes zuerst in seiner priesterlichen Funktion. Der Mensch ist „vicarius dei" vor allem in seiner herrscherlichen Funktion, als eine Person, die Gott nicht wesensgleich, die von ihm vielmehr wesensverschieden ist. Der Begriff „vicarius" kann also von Ambrosiaster auf verschiedene Zuordnungsverhältnisse angewandt werden. Unser letztes Zitat hat nun auch zur „rex imago dei "-Vorstellung hinübergeführt. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen mit der von der Gottesebenbildlichkeit des Königs eng zusammenhängt. Erstere Vorstellung ist die eine, die biblische Wurzel der „rex imago dei"-Lehre. Ε. H . Kantorowicz meint, daß alle Autoren, die die Gottesebenbildlichkeit des Menschen in der „dominatio" sehen und vom ursprünglichen Königtum des Mannes sprechen, zu einer Theorie kommen, die zwischen „homo imago dei" und „rex imago dei" schwankt, ohne jedoch, mit Ausnahme vielleicht des Ambrosiaster, den König als das einzige Ebenbild Gottes anzusehen 232 . Jenes Schwanken zwischen beiden Ebenbildlichkeitsvorstellungen ist bei Ambrosiaster deutlich zu bemerken. Man kann aber doch wohl nicht sagen, daß er den König als das einzige Ebenbild Gottes ansieht, wenn er ihm audi eine Vorzugsstellung einzuräumen scheint. Wenn im folgenden versucht werden soll, das Wesen der „rex imago dei"-Lehre und des Vikariatsgedankens klarzulegen, so sollen in diesem Zusammenhang — soweit möglich — auch die Formel „episcopus imago Christi" und das Begriffspaar „ordo-persona" erklärt werden. Wir wenden uns nochmals zurück zur Quaestio C V I . Sie zeigt gewissermaßen die Nahtstelle, an der die „homo imago dei"-Vorstellung mit der „rex imago dei"-Vorstellung verbunden ist. Der Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift, S. 142 f.; Art. ,,είκών", Theologisches Wörterbuch zum N T (hg. von G.Kittel) II, 1935 (Neudruck 1954), Abschnitt D : „Die Gottesebenbildlichkeit im A T " (G. v. Rad), S. 390, wo betont wird, daß nach dem A T die Gottesebenbildlichkeit auf die herrscherliche Stellung des Menschen hinweist (vgl. Sir. 17,3 f. und P s . 8 , 6 f f . ) ; Art. „Eikon" ( G . B . L a d n e r ) im Reallexikon für Antike und Christentum 4 (1959), S. 771—786. 2 3 2 E . H . K a n t o r o w i c z , a.a.O., S.265.
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Mensch, der Mann als „ imago dei" ist generaliter eine Art König auf Grund seines „imperium", das er als „vicarius dei" besitzt. Für den König im besonderen folgt daraus sowohl, daß er auf Grund seiner Herrscherstellung Gottes Ebenbild ist, als auch, daß er ein „imperium" besitzt — freilich in ausgezeichnetem Maße —, weil er einfach als Mensch Gottes Ebenbild ist 233 . Die innere Verzahnung der Gedanken läßt sich nur schwer ausreichend deutlich machen. Man kann aber andererseits sagen, daß die „rex imago dei"-Vorstellung die „homo imago dei "-Vorstellung in gewisser Weise überholt hat, da die letztere nunmehr von der ersteren her begründet wird: „haec ergo imago dei est in homine, ut unus factus sit quasi dominus . . . habens imperium dei quasi uicarius eius, quia omnis rex dei habet imaginem." 234 Damit scheint Ambrosiaster zu einer Vorstellungswelt zurückzulenken, für die der „rex imago dei"-Gedanke im Zentrum stand und Ausgangspunkt war für die Entwicklung der Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen — sofern sich dieses Ergebnis neuerer Forschungen als richtig erweist 235 . Damit wäre ein gedanklicher Prozeß bis zu einem gewissen Grade rückläufig und ein verborgenes, in langer Zeit gewachsenes Gedankengefledit würde wieder bei Ambrosiaster sichtbar. Nach H. Wildberger nämlich kann der Zusammenhang zwischen altorientalischer Königsideologie und Gen. 1, 26 als gesichert gelten, wobei der Zusammenhang mit dem ägyptischen Bereich enger ist als mit dem babylonischen. Die Frage ist, wo sich die Übertragung der Abbildvorstellung vom König auf den Menschen vollzog, erst in Israel, oder schon in Ägypten? 236 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt, unabhängig von H . Wildberger, W. H. Schmidt. Er erklärt die Aussage von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen als in der königlichen Tradition verankert. Wenn es der Sinn des Prädikates sei, daß der König als „Bild" Repräsentant oder Stellvertreter Gottes auf Erden sei, so erscheine die Gottheit, wo der König erscheine. Gen. 1,26 ff. beziehe das auf den Menschen: „Das Stellvertreteramt, das der Mensch als ,Bild Gottes' innehat, übt er auch in der Schöpfung aus. Als Gottes Stellvertreter auf Erden ist er auch Gottes Statthalter auf Erden." 287 Einer der Inhalte der Lehre von der Ebenbildlichkeit des Königs ist also zweifellos der Gedanke der Machtausübung an Gottes Statt, mit einer zunächst juristischen Färbung dieses Theologumenons bei Ambrosiaster. Es muß aber ein noch tieferer Sinn dahinterliegen; auch der König als Abbild Gottes ist Abbild der Einheit im Kosmos, Abbild der Einheit in der Trinität. Er ist es, im Vergleich zur allgemeinen menschlichen Ebenbildlichkeit, in ausgezeichnetem Maße, im Vergleich zum· gesamten Menschengeschlecht, das sich seit Adam in ungeheurer Vielfalt verbreitet hat, in exemplarischer Weise. Einer der Beweggründe für Ambrosiaster, diese merkwürdige Lehre zu entwickeln, war vielleicht der Wunsch, ein besonders sichtbares Zeichen für die Vorstellung von der Einheit 233
234 Ähnlich W.Dürig, a.a.O., S.182 . Quaes:. CVI,17, S.243. Vgl. H.Wildberger, Das Abbild Gottes, Gen. 1,26—30, ThZ 21 (1965), S.245— 236 259 und S. 481—501. H. Wildberger, a.a.O., S. 254 und S.488f. 237 W.H.Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift, S. 140ff. 235
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auch auf Erden zu haben. Am Anfang war Adam die Verkörperung dieser Einheit; jetzt, nach der starken Ausbreitung des Menschengeschlechts, sollte in erster Linie der König die Funktion Adams als Verkörperer der Einheit übernehmen. Es ist nun noch kurz auf eine mögliche — neben der biblischen — zweite Quelle der „rex imago dei"-Lehre des Ambrosiaster hinzuweisen: die antikheidnischen Herrschervorstellungen. Ε. H . Kantorowicz hat besonders im Hinblick auf den berühmten Yorker Anonymus von etwa 1100 dargetan, daß die bei Stobäus erhaltenen Fragmente sogenannter pythagoreischer Königstraktate des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. in gewissen Partien erstaunliche Ähnlichkeit mit christlichen Lehren haben, die um das Problem „Deus per naturam — Deus per gratiam" und die Frage der Herrscherverehrung kreisen 238 . Einige Formulierungen in den Königstraktaten berühren sich eng auch mit Sätzen des Ambrosiaster. In den Königstraktaten ist immer wieder davon die Rede, daß Gott von Natur Herrscher ist, während es der weltliche Fürst nur durch Nachahmung Gottes ist 238 . Eine vergleichbare Formulierung ist allerdings bei Ambrosiaster nicht zu finden. Auffällig ist immerhin, daß in dem pythagoreischen Fragment wie bei Ambrosiaster die Verbindung zwischen Gott und dem irdischen Herrscher sehr eng gedacht wird. Eine unmittelbare Parallele zu Ambrosiasters Vorstellungen wäre sofort dann gegeben, wenn E. Peterson recht hat, der sagt: Der Gedanke, daß der eine König auf Erden dem einen König im Himmel korrespondiert, ist eine Umbildung der alten, (eben auch in den pythagoreischen Königstraktaten niedergelegten) Auffassung, daß der König Gott nachahmt 240 . Es muß aber betont werden, daß bei Ambrosiaster von der Spekulation „Deus per naturam — Deus per gratiam" (Gott — König; so etwa beim Yorker Anonymus), wie sie sich nach Ε. H . Kantorowicz aus dem in den Königstraktaten sichtbaren Gegensatz ,,φόσις-μίμ,ησις" entwickelt hat, noch wenig zu bemerken ist. Es finden sich in den Königstraktaten jedoch noch andere Formulierungen, die denen des Ambrosiaster ähneln. Im Fragment des Ekphantus heißt es ζ. B., daß der König nach Gott als dem Typus oder Archetypus geschaffen ist 241 . Das 238
E.H.Kantorowicz, a.a.O., S.267ff. Vgl. das Fragment des Sthenidas (Stobäus VII, 63) bei L.Delatte, Les traites de la royaute, S. 45 f.: ,,χρή τον βασιλέα σοψόν ή μ ε ν οΰτω γαρ έσσεϊται άντίμιμος και ζηλωτάς τώ πράτω θεώ. οδτος γάρ και ψύσει έστΐ και (ώσία) πρατος βασιλεύς τε και δυνάστας, ό δέ γενέσει"καί μιμάσει, και 6 μέν έν τω παντί καί|δλω, ό δέ έτΙ γας, και ό μέν άεΐ τά πάντα διοικεί τε καΐ ζωοΐ αύτός έν αύτω κεκταμένος τάν σοψίαν, δ δ' έν χρόνω έπιστάμαν." Vgl. audi das Fragment des Diotogenes (Stobäus VII, 62), L. Delatte, a.a.O., S.45. 240 E. Peterson, Der Monotheismus als politisches Problem, Theologische Traktate, S. 137, Anm. 135. 241 L. Delatte, a.a.O., S. 28 (Stobäus VII, 64): ,, . . . ο ΐ α γ ε γ ο ν ώ ς έκ τάς αύτάς ΰλας, ύπδ τεχνίτα δ' είργασμένος λώστω, δς έτεχνίτευσεν (sc. Θεός) αΰτδν άρχετύπω χρώμενος έαυτω. κατασκεύασμα δή ών ό βασιλεύς έν και μόνον έννοητικόν τώ ανωτέρω βασιλέως . . . " 239
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erinnert schon stark an den Ausdrude „rex imago dei". Vollends ist dieser Ausdruck da in dem Traktat Plutarchs „Ad prineipem ineruditum" 242 . Man kann also mit Grund vermuten, daß Ambrosiaster direkt oder indirekt auch von der hellenistischen Königsauffassung beeinflußt ist. Wie aber diese Übernahme heidnischer politischer Theologie in das christliche Gedankengut erfolgt ist, müßte noch genauer untersucht werden. W. Berges hat sicher recht mit seiner Annahme, daß Ambrosiaster stark in der antiken Tradition steht und Begriffe wie „επιφανής θεός", „praesens numen" usw. übersetzt und verwertet 243 . Es muß jedoch noch einmal betont werden, daß seine Vorstellung vom Herrscher, sein „imago"-Begriff, nicht nur antiken Ursprungs ist. Als wesentliche, vielleicht sogar entscheidende Komponente kommt die biblische Auffassung von der menschlichen Gottesebenbildlichkeit hinzu. Außerdem konnte Ambrosiaster die antiken Begriffe nicht ohne weiteres übernehmen. Sachlich, dem Sinne nach, ist dem Terminus „rex imago dei" wohl ein solcher wie „επιφανής θεός" vergleichbar, aber ein erheblicher Unterschied ist doch gerade der, daß Ambrosiaster dem König den Namen „Gott" verweigert. Fast ist man geneigt zu sagen, daß das nur eine äußerliche Konzession ist, die er der christlichen Herrscherauffassung macht. Daß im „imago"-Begriff und im „vicarius"-Gedanken etwas vom antiken „επιφανής θεός" liegt, zeigt folgende Stelle, die zum Teil schon einmal zitiert wurde: „dicat nunc Fotinus, si haec homini genu flectunt aut si deus potentias illas caelestes et sanetos angelos, ut hominem adorent, decreuit. sed absit, quia deus nihil stultum decernit, maxime cum non liceat nisi deum adorari; quanto magis in caelis! rex enim adoratur in terris quasi uicarius dei, Christus autem post uicariam impleta dispensatione adoratur in caelis et in terra." 244 Der König wird in der Welt als Stellvertreter Gottes adoriert — ein schwerwiegender Satz! W. Berges weist darauf hin, daß damit für die folgende Exegese die Frage der Herrscher-„adoratio" entschieden ist245.Welches ist aber nun der Sinn der letzten Sätze unseres Zitats? Ich meine, daß sie im Grunde besagen sollen, daß der König als „επιφανής θεός" angebetet wird und angebetet werden soll, wenn auch Ambrosiaster dem König den Namen „Gott" verweigert 246 . Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Ambrosiaster die „adoratio" auf Gott oder die Personen der Trinität beschränkt. 242 Plutarch, Moralia V, ed. G.Bernardakis (Leipzig 1893), S. 14: „δίκη μέν ουν νόμου τέλος έστί, νόμος δ' άρχοντος £ργον, άρχων δ' είκών Θεοϋ τοϋ πάντα κοσμοϋντος . . . " Ich verdanke diese Stelle Ε.R.Goodenough, der in seinem Aufsatz: The Political Philosophy of Hellenistic Kingship, Yale Classical Studies 1 (1928), S . 9 4 f f . den Traktat des Plutardi in die Tradition der pythagoreischen Königstraktate stellt. 243 W. Berges, Fürstenspiegel, S. 26, Anm. 3. 244 245 Quaest. X C I , 8, S. 157. W. Berges, a.a.O., S. 26 f. 248 G.H.Williams, C H 20 (1951), S. 14 weist darauf hin, daß gerade Arianer auf Grund ihrer Christologie Gefallen daran fanden, in ihrem Herrscher eine göttliche Epiphanie oder einen Halbgott wie Christus zu sehen, im Gegensatz zu den Anhängern des Nicänums. Demnach ist Ambrosiaster ein Beispiel dafür, daß sich eine solche politische Theologie durchaus mit der orthodoxen Christologie vereinbaren ließ.
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Unser Zitat zeigt das ganz klar. Man ist jedoch auf Grund des Zitates audi zu der Annahme gezwungen, daß Ambrosiaster den König wie Gott verehrt sehen will. Der Ausdruck „adorare" findet sich nirgends sonst angewandt als in Verbindung mit dem Imperator, dem König, von der Anwendung gegenüber den Personen der Trinität abgesehen. Ausdrücklich lehnt es Ambrosiaster ab, daß unter Mißachtung des Kaisers die „comites" adoriert werden 247 . In diesem Zusammenhang müssen wir uns noch den Begriff „vicarius dei" näher ansehen. Wir hatten festgestellt, daß Christus, die Gottvater wesensgleiche zweite Person der Trinität, Stellvertreter Gottes vor allem als „sacerdos" ist. Wir hatten ferner hinsichtlich der „homo imago dei "-Vorstellung gesehen, daß auch der Mensch Stellvertreter Gottes vor allem deshalb ist, weil er das „imperium" besitzt. Und er ist Stellvertreter Gottes als eine Person, die mit Gott nidit wesensgleich ist. Zum Verständnis des Terminus „rex vicarius dei" ist nun noch einiges Material beizubringen. Ambrosiaster erörtert einmal die Frage, ob ein Nicht-Priester als Stellvertreter das Amt eines Priesters versehen könne und kommt zu folgendem Ergebnis: „et qui non fuit sacerdos, quo modo uicem agere poterat sacerdotis? numquid diaconus potest uicem agere sacerdotis? praefectus etenim potest agere uicem praefecti et praetor praetoris, non tarnen priuatus potest agere uicem potestatis alicuius: quanto magis sacerdotis uicem agere non potest, qui non est sacerdos!" 248 Deutlich ist audi hier die Neigung bemerkbar, eine Stellvertretung nur dann für möglich zu halten, wenn der Stellvertreter seinem Wesen nach gleich ist dem, den er vertreten soll. Gewiß ist in unserem Zitat nur von einem Amt die Rede, während bei den Begriffen „Christus vicarius dei" und „rex vicarius dei" eine Seinsqualität mitentscheidend ist; gewiß kann auch das „vicem agere" nicht mit dem festumrissenen Terminus „vicarius dei" gleichgesetzt werden, wenn auch Ambrosiaster in bezug auf den „princeps" den Ausdruck „vicarius dei" durch die Wendung „vicem dei agere" ersetzen kann 2 4 9 ; aber das Problem der Stellvertretung, wie es Ambrosiaster an der zitierten Stelle behandelt, ist doch ähnlich dem der Stellvertretung Gottes durch Christus oder durch den König, und es wird auch auf ähnliche Weise gelöst. Daher glaube ich, daß die Ausdrücke „rex vicarius dei" und „adorare" nicht von ungefähr zusammen auftreten 250 . Für Ambrosiaster bedeutet „rex vicarius dei", daß der König Gott auf Erden vertritt und für ihn handelt, da er Gott auf Grund seines Amtes tief innerlich verbunden ist. Diese innere Verbindung mit Gott, 247 Quaest. C X I I I I , 2 , S. 304: „ . . . praesumptio est et ad poenam proficiet, non ad praemium, quia ad contumeliam pertinet conditoris, ut contempto domino colantur serui et spreto imperatore adorentur comites." Hier wird bewußt zwischen „colere" und „adorare" unterschieden. W.Dürig, a.a.O., S. 182 ist der Auffassung, daß Ambrosiaster mit seiner Lehre vom Herrscher als Vicarius Dei und Imago Dei der antiken Herrscherverehrung und Herrscher-Adoration begegnen will. Mir scheint es eher so zu sein, daß Ambrosiaster viele antike Herrscher Vorstellungen, nur notdürftig modifiziert, übernimmt. Dazu gehören audi Vikariatsgedanke, Imago-Vorstellung und HerrscherAdoration in ihrem inneren Zusammenhang. 248 249 Quaest. X L VI, 6, S. 86 . In ep. ad Rom. XIII, 6, PL 17, col. 172B. 250 Quaest. X C I , 8 , S.157.
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die sich vielleicht mit dem Terminus „επιφανής θεός" wiedergeben und umschreiben läßt, besitzt der König in viel ausgezeichneterem Maße als der gewöhnliche Mensch, eben in exemplarischer Weise. Durch den irdischen König handelt Gott; in der „auctoritas" des Königs kommt Gottes „auctoritas" zu allen Menschen. Und daß die Autorität des Einen Gottes wirksam wird, bedarf es nur eines Menschen, des Königs, nicht vieler 251 . Es hat sich immer wieder gezeigt, daß der „vicarius "-Begriff zusammen mit dem „imago"-Begriff auftritt, und so erhellen sie sich denn audi gegenseitig. War der Inhalt des „imago"-Begriffes — so wie ich es sehe — das „principium unitatis" und die ontologische, seinsmäßige Verbindung des Abbildes mit seinem Urbild, so wird dies im „vicarius"-BegrifF mehr nach außen gewendet. Der Stellvertreter Gottes verwirklicht das „principium unitatis" in der Welt durch die äußere Ausübung der Macht, als „επιφανής θεός", so könnte man sagen. Andererseits fällt von hier Licht zurück auf den „imago"-Begriff, der besonders im Terminus „rex imago dei" eine Fast-Gottgleichheit des Königs ausdrückt. Dem Begriff „rex imago dei" korrespondiert ein anderer „imago"-Begriff: „Non nescius Dauid diuinam esse traditionem in officio ordinis regalis idcirco Saul in eadem adhuc traditione positum honorificat, ne deo iniuriam facere uideretur, qui his ordinibus honorem decreuit. dei enim imaginem habet rex, sicut et episcopus Christi." 252 Es ist dies die einzige Stelle, an der der Terminus „episcopus imago Christi" auftritt. An anderer Stelle wird lediglich einmal vom Priester gesagt, daß er Stellvertreter Christi sei 253 . Wenn man weiß, wie eng die Begriffe „imago" und „vicarius" zusammenhängen, wird man jene Stelle als eine gewisse Parallele nicht übersehen können. Daß in unserem obigen Zitat nicht vom „sacerdos" die Rede ist, sondern vom „episcopus", hat wohl seinen Grund darin, daß zum Begriff „rex" ein gewisses Äquivalent gegeben werden mußte, wenn die Gewichte im Satz gleichmäßig verteilt sein sollten. Hier wird nun nochmals die Beziehung aller „imago"-Vorstellungen zur Trinitätslehre offenbar. Der „episcopus" ist Abbild der zweiten Person der Trinität, Abbild Christi, der vorwiegend in seiner priesterlichen Funktion gesehen wird; der König ist Abbild der ersten Person der Trinität, Abbild Gottvaters, der als Herrscher erscheint, von dem alle „auctoritas" und alle „potestas" ausgeht. Will Ambrosiaster, daß die von ihm zweifellos festgehaltene Rangordnung in der Trinität eine Entsprechung in der Welt hat, daß also der „episcopus" die „zweite Person" und der König ihm übergeordnet ist? Darüber läßt sich kaum etwas Schlüssiges 251
Quaest. CX, 6, S. 272 f.: „sicut ergo terreni imperatoris auctoritas currit per omnes, ut in omnibus eius sit reuerentia, ita deus instituit, ut ab ipso rege dei auctoritas incipiat et currat per cunctos . . . tarnen institutio est ut unus sit, qui timeatur. ubi ergo haec institutio non est, ibi catedra pestilentiae repperitur. nusquam unius dei auctoritas abnuitur, nisi apud eos, qui multorum deorum praedicant metum et reuerentiam." 252 Quaest. X X X V , S.63. 253 Quaest. C X X V I I , 36, S.415: „ipsius enim personam habere uidetur (sc. sacerdos). est enim uicarius eius, ut quod ceteris licet illi non liceat, quia necesse habet cotidie Christi uicem a g e r e . . . "
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sagen. Ob mit solchen Formulierungen die Unterordnung der Kirche unter den Staat festgestellt und gefordert wird, bleibe dahingestellt 254 . Das verhältnismäßig klare Bild der eben skizzierten Zuordnungen kompliziert sich insofern, als der „episcopus" als Abbild Christi, der ja „imago dei" ist, mittelbar ebenfalls Abbild Gottes ist. Außerdem muß der „episcopus" einfach als Mensch wie jeder andere Gottes Ebenbild sein. Wie hat sich Ambrosiaster diese Zusammenhänge gedacht? Es wäre vermutlich falsch, bei ihm in dieser Hinsicht eine Systematik zu suchen und zu erwarten. Man ist jedoch fast gezwungen, bei Ambrosiaster zwischen einem Abbild „per naturam" und einem Abbild „per officium" zu unterscheiden. Das mag eine Konstruktion sein, die auch in den Texten keine direkte Stütze hat, aber die Gedankengänge unseres Autors fordern eigentlich zu einer solchen Unterscheidung auf. Von Natur, als Gottes Geschöpf, ist der Mensch Ebenbild Gottes, Ebenbild der Einheit in der Trinität. Auf besondere Weise, auf Grund des „ordo", des „officium", hat demgegenüber der König die Gottesebenbildlichkeit, während der „episcopus" in seinem Amt als Priester Ebenbild Christi ist. Diese Beziehung aller Ebenbildlichkeit zur Trinität ist etwas anderes als das, was wir beim Anonymus von York um 1100 finden. Bei ihm sind Gottesebenbildlichkeit und politische Theologie in enge Beziehung zur Christologie gebracht 255 . Wie schon oben erwähnt, glaube ich nicht, daß bei Ambrosiaster die Verknüpfung der „rex imago dei"-Lehre mit der Spekulation „Deus per naturam — Deus per gratiam" vollzogen worden ist, wie Ε. H . Kantorowicz meint 256 . Es ist allerdings zuzugeben, daß diese Spekulation bei Ambrosiaster eine latente Prämisse ist. Eine Formel etwa wie „rex adoptivus filius dei" findet sich bei ihm nicht 257 . Immerhin darf eine Stelle nicht übergangen werden, die Anklänge an die „natura-gratia"-Lehre zeigt und deren Anwendung auf den König im Keim enthält: „Nemo miretur de nomine Christianitatis. est enim colere unum deum in mysterio trinitatis, quia, si nomen Christi putatur ex crisma, nominis tarnen ratio ante creaturam est. apud maiores enim nostros, qui in reges ungebantur, christi uocabantur habentes imaginem uenturi Christi, qui natus de deo patre in regem non inmerito Christus apellatur, quia quod istis crisma, illi dedit natiuitas." 258 In dem Begriffspaar „nativitas-crisma" ist „in nuce" der Gegensatz „natura-gratia" enthalten. Jedoch hat das alles, wenn man sich den Zusam254
G.H.Williams, a.a.O., S . 7 sagt dazu: "The enigmatic Ambrosiaster towards the end of the century will even republish the pagan doctrine of the subordination of the religion to the needs of the 'polis' in the lapidary formula: 'The bishop has the image of Christ, the king the image of God.'" Die Richtigkeit dieser Auslegung scheint fraglidi, zumindest ist sie überspitzt. 255 G.H.Williams, The Norman Anonymus, bes. S. 174ff. 258 E.H.Kantorowicz, HThR 45 (1952), S.266. 257 Ambrosiaster kennt den Ausdruck „adoptativus (adoptivus) filius dei" für den Menschen, im Gegensatz zu Christus, der „per naturam" Gottessohn ist, sehr wohl; eine ausdrückliche Anwendung auf den König kann man nicht feststellen. Vgl. etwa: Quaest. C X X V , 18,19, S.390 f.; Quaest. X L I , 2 , S.68. 258 Quaest. CXIIII,31, S.317; vgl. auch Quaest. X L V I I I I , ! , S.96.
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menhang ansieht, noch keine rechte Verbindlichkeit für die politische Theorie des Ambrosiaster. Dies zeigt sich in unserem Zitat darin, daß alles gewissermaßen „typologisch" aufgefaßt wird; deshalb hat auch der „imago"-Begriff hier nicht seine sonstige Bedeutung. Die Könige der Vorfahren waren mehr „Vorbilder" als Ebenbilder des kommenden Christus. Es ist auch nichts darüber gesagt, ob der König immer Ebenbild des Christus-Königs ist. Im übrigen haben wir hier eine der nicht zahlreichen Stellen bei Ambrosiaster, an denen Christus als König gesehen wird. Man muß insgesamt sagen, daß Gedanken, wie sie unser Zitat zeigt, entwicklungsfähig waren und zu einer Theorie wie der des Yorker Anonymus hinführen konnten. Wir hatten oben auf die sich anbietende Unterscheidung zwischen „ imago per naturam" und „imago per ordinem (officium)" hingewiesen. Wir schließen daran noch eine kurze Betrachtung des „ordo"-Begriffes. Es ist für Ambrosiaster ein wichtiger Gedanke, daß zwischen „ordo" und „persona" zu unterscheiden ist: „non nescius Dauid diuinam esse traditionem in officio ordinis regalis idcirco Saul in eadem adhuc traditione positum honorificat, ne deo iniuriam facere uideretur, qui his ordinibus honorem decreuit. dei enim imaginem habet rex, sicut et episcopus Christi, quam diu ergo in ea traditione est, honorandus est, si non propter se, uel propter ordinem." 259 . Die Unterscheidung zwischen „ordo" und „persona" bedeutet eine Art Übertragung des Gedankens des Amtscharismas aus der Sphäre des Priestertums und der Kirche auf das königliche Amt und in die weltliche Sphäre. Sehr ähnliche Ausführungen macht Ambrosiaster zum „ordo sacerdotalis" 260. Ganz gleich, welchen persönlichen, sittlichen Wert der König haben mag, er muß auf Grund des „ordo", des Amtes, geehrt werden. Der „ordo" macht den König unantastbar, womit Ambrosiaster implicite ein Widerstandsrecht auch gegenüber einem schlechten Herrscher ausgeschlossen erscheint. So muß der Christ audi einen heidnischen Herrscher achten 2β1 . Ich fasse zum Schluß den wesentlichen Inhalt der „rex imago dei"-Lehre zusammen, ohne im geringsten der Meinung zu sein, der Interpretationsschwierigkeiten völlig Herr geworden zu sein. Ein endgültiges Urteil über Ambrosiasters politische Theorie ist überhaupt erst dann erlaubt, wenn wir die Entwicklung, die zu ihm hin und über ihn hinaus führt, kennen, wenn wir außerdem seine politische Theorie in den Gesamtrahmen seiner Theologie richtig einordnen können. Der „rex imago dei"-Gedanke des Ambrosiaster hat zwei hauptsächliche Wurzeln. Die eine ist die heidnisch-hellenistische, bis in den Alten Orient zu25
· Quaest. X X X V , S.63. Vgl. vor allem Quaest. XI, 2, S.36: „Quanta autem dignitas sit ordinis sacerdotalis, hinc aduertamus. dictum est autem de nequissimo Caipha, interfectore saluatoris, inter cetera: ,hoc autem a semet ipso non dixit, sed cum esset princeps sacerdotum anni illius, profetauit' (Joh. 11,51). per quod ostenditur spiritum gratiarum non personam sequi aut digni aut indigni, sed ordinationem traditionis . . . " 281 Quaest. X X X V , S.63. 280
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rückgehende Auffassung vom König als dem Abbild Gottes, als επιφανής θεός 262 , die andere Wurzel ist die biblische, in enger Verbindung mit der „homo imago dei"-Lehre. Der König als Abbild Gottes ist die — im Vergleich zur allgemeinen menschlichen Ebenbildlichkeit — exemplarische irdische Verkörperung des göttlichen „principium unitatis", die irdische Verkörperung der Einheit in der Trinität, der Einheit im Kosmos. Die Einheit manifestiert sich äußerlich vor allem in der Macht, die der König ausübt, um diese Einheit aufrechtzuerhalten. Die Machtfülle des Königs ist nahezu gottgleich, eben gottebenbildlich. Als solcher an Stelle Gottes auf Erden Macht Ausübender ist der König „vicarius dei". Der König ist in erster Linie Abbild der ersten Person der Trinität, Abbild des Gott-Königs, im Gegensatz zum Bischof, der Abbild der zweiten Person der Trinität, Abbild Christi ist. Damit ist ein Zusammenhang zwischen Trinitätslehre und politischer Theologie nicht zu verkennen. c) A n a l y s e d e s K o m m e n t a r s z u R o m . 1 3 , 1 - 7 Bei der Analyse des Kommentars zu Rom. 13, 1-7 283 muß die Aufmerksamkeit besonders der Frage der Einsetzung der „potestas" und der auch hier auftretenden „rex imago dei"-Vorstellung gelten. Gleich der Beginn des Kommentars zu Rom. 13, 1 bietet eine Schwierigkeit. Ambrosiaster sagt: „Quoniam coelestis justitiae legem sequendam mandavit, ne ab hac praesenti dissimulare videretur, hanc c o m m e n d a t . . S o f o r t fallen die Begriffe „lex" und „justitia" auf; diese und ähnliche Begriffe aus der Sphäre des Rechts sind Pfeiler der Argumentation. Es scheint, daß hier die „lex coelestis justitiae" der weltlichen „lex" gegenübergestellt wird, wobei anzunehmen ist, daß sich das „ab hac praesenti" auf die weltliche „justitia" beziehen soll. Die knappe Ausdrucksweise des Kommentators erschwert nicht selten die Interpretation. Wenn dieses Gesetz nicht beachtet wird, fährt Ambrosiaster fort, das heißt also: das weltliche Gesetz oder das Naturgesetz, so kann auch das Gesetz der himmlischen Gerechtigkeit nicht gewahrt werden. Das weltliche Gesetz „enim quasi paedagogus est, quae parvulos imbuit, ut possint potioris justitiae viam sequi. Nemini enim potest imputari misericordia, nisi habuerit justitiam." 264 Wenn wir richtig sehen, so 262 Vgl. dazu auch Art. ,,είκών", Theol. Wörterbuch zum N T , (hg. von G.Kittel) II, 1935 (Neudrude 1954), Abschnitt C: „Der griechische Sprachgebrauch von είκών (Η.Kleinknedit), S. 386 f., w o betont wird, daß ,,είκών" nicht nur eine Abschwädiung, gleichsam eine schlechte Nachbildung einer Sache, sondern das Inerscheinungtreten geradezu des Kerns, des Wesens einer Sache bedeute. Wenn so ,,είκών" das SichtbarOffenbarwerden des Göttlichen in dieser Welt zum Ausdruck bringe, sei es nicht verwunderlich, dem Terminus ,,είκών τοϋ θεοϋ" als einer Prädikatsformel im hellenistischen Herrscherkult Ägyptens zu begegnen. 263 PL 17, col. 171 f.; vgl. zu diesem Kommentar auch die Ausführungen von F. Keienburg, Geschichte der Auslegung von Rom. 13,1—7, S. 63 ff. und W. Parsons, The Influence of Romans XIII, S.361 ff. 264 Vgl. auch Quaest. CXI, 12, S. 283: „nam lex data est per Moysen, ut quasi pedagogue esset hominibus erudiens eos et praeparans magistra iustitia . . D e r Begriff „paedagogus" ist im Ansdiluß an Gal. 3,24 verwendet, w o es heißt: „Itaque lex pae-
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liegt eine eschatologisch gerichtete, stufenweise Argumentation vor. Ohne Beachtung des weltlichen Gesetzes keine „coelestis justitia"; wer diese wiederum nicht besitzt, dem kann „misericordia" nicht zuteil werden. Ambrosiaster rückt den Begriff „misericordia" in seiner Bedeutung nahe an den Begriff „gratia" 205 . Der im Kommentar nun folgende Satz ist der entscheidende: „Ut ergo jus et timorem legis naturalis confirmet, Deum auctorem ejus testatur, et ministrantes earn Dei ordinationem habere." Mit diesem Satz wird der „potestas" oder denen, die sie besitzen, eine heilsgeschichtliche Aufgabe zugewiesen. Wir hatten ja oben gesehen, daß nur die Beobachtung der „lex" zur „coelestis justitia" und schließlich zur göttlichen „misericordia" führt. Bei Berücksichtigung dieses Gedankenganges des Ambrosiaster gewinnt die zunächst nur juristisch und rationalistisch anmutende Begründung der Notwendigkeit der weltlichen Gewalt einen tieferen Sinn. Denn hier ist die Einordnung der „potestas" in den christlichen Kosmos vollzogen. Der zuletzt zitierte Satz enthält aber noch anderes Wichtige. Das weltliche Gesetz ist dort als „jus legis naturalis" verstanden und Gott als sein Urheber bezeichnet. Damit sind alle Fragen über das Naturrecht, sein Verhältnis zum weltlichen Gesetz usw. aufgeworfen. Für eine vorläufige Erörterung und Klärung dieser Fragen und Probleme können wir auf unser Kapitel verweisen, das sich mit der „lex naturalis" und der historischen Stufenfolge der „leges" befaßt. Die Tatsache, daß die „lex naturalis" im Zusammenhang des Kommentars zu Rom. 13, 1 erscheint, zeigt, daß sie für Ambrosiaster die Grundlage aller weltlichen Rechtsprechung ist. Es ist klar, daß die Einführung des Begriffs „lex naturalis" und die dadurch entstehenden Probleme durch den Paulustext Rom. 13, 1 eigentlich nicht gefordert, vielmehr durch die systematisch fortschreitende eigenartige Argumentation des Exegeten veranlaßt sind. Der Kommentar zu dem Teilvers „Quae autem sunt, a Deo ordinata sunt" bringt noch eine Erläuterung und Ergänzung. Deshalb werden die kommentierenden Bemerkungen durch ein „Ideo adjecit" an das Vorhergehende angeschlossen: „Quae autem sunt, a Deo ordinata sunt", sage demnach Paulus, „ut nemo putet quasi humana commenta contemnenda." Unter den „humana commenta" sind wohl nicht die „potestates" zu verstehen, wie man im ersten Augenblick meinen möchte, sondern die Gebote der „lex naturalis", und damit die Gebote der staatlichen Gesetze; die „potestates" verhindern, daß diese Gebote als menschliche Erfindungen verachtet werden, deshalb: „vident enim jus divinum humanis auctoritatibus deputatum." Hier bezeichnet „jus divinum" das Naturgesetz, oder vielmehr die „lex naturalis" als Ausfluß des göttlichen Gesetzes; der göttliche Ursprung des von den weltlichen Mächten verwalteten Rechtes wird auf dagogus noster fuit in Christo Jesu, ut ex fide justificaremur" (PL 17, col. 387 C). Der „paedagogus" im Kommentar zu Rom. 13,1 ist jedoch nidit das mosaische Gesetz, sondern das weltliche Gesetz, das sich auf das Naturgesetz gründet. 265 In ep. ad Tit. III, 4—7, PL 17, col. 530 D : „Deus enim misericordia sua salvos nos fecit per Christum, cujus gratia renati, Spiritum sanctum accepimus abunde." Ep. I ad T h e s s . I V , l l , PL17, c o l . 4 7 4 C : „Justitiae enim via tenenda est, ut ad misericordiam jure veniatur . .
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jeden Fall betont. Die „potestates" wachen also darüber, daß die Gebote des Naturgesetzes befolgt werden. Dies ist die einzige Stelle, an der Ambrosiaster von dieser Aufgabe der weltlichen Gewalten spricht. Sie konnte sich offenbar erst mit der Aufzeichnung des Naturgesetzes im mosaischen Gesetz ergeben 26e . Derjenige ist der „potestas" unterworfen, „qui se terrore Dei ab iis abstinet, quae prohibet". Wer sich nur aus Furcht vor Gott von dem fernhält, was Gott durch das „jus divinum" verbietet, der hat sich der weltlichen Gewalt zu unterwerfen, die die Übertretung der Gebote des „jus divinum", des Naturgesetzes, verhindern soll. Hier bricht stark die Vorstellung vom Rächergott des Alten Testamentes durch; vom „terror dei" spricht Ambrosiaster öfter 267 . Läßt nun Ambrosiaster jede weltliche Gewalt von Gott eingesetzt sein, audi die „mala potestas"? Nach dem, was uns sein Kommentar bisher gezeigt hat, scheint er jede „potestas" auf Gott zurückzuführen. An einigen Stellen seines Paulinenkommentars 268 vertritt Ambrosiaster die bemerkenswerte Ansicht, daß nicht die Könige der Juden und die Kaiser der Römer Christus verfolgt und gekreuzigt hätten, sondern andere, im Anschluß an Eph. 6,12 verstandene Gewalten, die sich der Kaiser und Könige als Werkzeuge bedient hätten. Die Tatsache, daß Ambrosiaster auf diese Weise die weltlichen Gewalten von einem schweren Vorwurf zu befreien sucht, hängt wohl mit seiner hohen Bewertung der weltlichen Gewalt überhaupt zusammen. Neben aller rechtmäßig von Gott ausgehenden „potestas" und „auctoritas" gibt es offenbar für Ambrosiaster noch teuflische Mächte, deren Einfluß sich unter Umständen auch rechtmäßig eingesetzte Fürsten ausliefern. Dies zeigt folgende Stelle: „Mysterium iniquitatis a Nerone inceptum est, qui zelo idolorum apostolos interfecit, instigante patre suo diabolo, usque ad Diocletianum et novissime Julianum, qui arte quadam et subtilitate coeptam persecutionem implere non potuit." 2 6 9 Nero, Diokletian und Julian Apostata werden als Geschöpfe des Teufels gebrandmarkt, und damit ist sogar die Rechtmäßigkeit ihrer „potestas" in Frage gestellt. Wie wir schon sahen, lehnt aber Ambrosiaster ein Widerstandsrecht auch gegenüber einem bösen Fürsten ab 270 . Die Quintessenz der Quaestio X X X V war: Der von Gott eingesetzten „potestas" ist in jedem Falle zu gehorchen, und zwar um des „ordo" willen, ohne Ansehen der Person. Selbst wenn sich die Person, die Macht ausübt, dem Teufel ergibt, bleibt ihr auf Grund ihres „ordo" ein Recht auf Verehrung und Achtung 271 . Neben der in jedem Falle von Gott eingesetzten „potestas" gibt es noch die absolut böse, teuflische Macht, die ihren Einfluß auf Kaiser und Könige, deren „potestas" immer von Gott hergeleitet und daher rechtmäßig ist, geltend macht. Über Charakter und Ursprung jener teuflischen Macht macht Ambrosiaster kaum Angaben. 2ββ vgl. unsere Bemerkungen, oben S. 58. 267 Vgl. Quaest. V,4, S.28 und: In ep. II ad Tim. II, 14, PL 17, col.517C: „contentiones vitandas monet, praecepta autem danda sub Dei timore et terrore." m Vgl.: In ep. I ad Cor.II,8, PL 17, col.204f. 269 270 In ep. II ad Thess. II, 7, PL 17, col. 482 C. Vgl. Quaest. XXXV, S. 63. !7i Vgl. unsere Bemerkungen zum „ordo"-Gedanken, oben S. 77.
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Nach allem, was bisher gesagt wurde, kann kaum zweifelhaft sein, welche Haltung Ambrosiaster gegenüber dem Problem des Widerstandsrechts einnimmt. Seine Bemerkungen zu Rom. 13, 2 sind etwas indirekt 272 . Einschränkend meint er, des Paulus Gebot, der „potestas" keinen Widerstand entgegenzusetzen, wende sich an die, die selbst eine gewisse Macht besitzen oder glauben, daß sie von niemandem belangt werden könnten. Die Vermutung von W. Schwierholz, Ambrosiaster mache hier, wenn er von den Mächtigen rede, eine Anspielung auf Papst Damasus, scheint mir kaum beweisbar, da die Äußerungen zu vage sind 273 . Der Begriff „lex" dient auch im folgenden als Stütze der Argumentation. Derjenige, der Widerstand leistet, verspottet das Gesetz — hier wieder in der Doppelbedeutung von „lex naturalis" und staatlicher Gesetzgebung —, dessen göttlicher Ursprung erneut betont wird. Der Eindruck, daß für Ambrosiaster das Leben im Staat, unter dem Gesetz, mitentscheidend ist für die Rechtfertigung vor Gott, wird durch die folgenden Sätze bestätigt: „Manifestum est quia unusquisque operibus suis justificabitur, aut contemnabitur. Qui enim audientes legem, peccant, inexcusabiles sunt." Der Staat ist zwar nur als Diener am Gesetz in die Heilsgeschichte einbezogen, aber gerade dadurch wird seine Bedeutung und Existenzberechtigung festgestellt und gesichert. Im Kommentar zu Rom. 13 , 3 274 begegnen wir nun der „rex imago dei"-Vorstellung. Zum Verständnis können wir auf unsere Erörterungen und Ergebnisse im vorigen Kapitel zurückgreifen 27ä . Der wichtige Satz in Ambrosiasters Kommentar lautet: „Principes hos reges dicit, qui propter corrigendam vitam, et prohibenda adversa creantur, Dei habentes imaginem, ut sub uno sint caeteri." Ambrosiaster kennzeichnet mit wenigen Worten den wesentlichen Inhalt dieses seines „ imago "-Begriffes. Es ist dabei nicht ganz klar, ob er seine Aussagen nur auf bestimmte Könige bezogen sehen will, worauf „hos reges" hinzudeuten scheint. Wenn ja, so ergäbe sich die Frage, welche Gruppe von „principes" er ihnen gegenüberstellen möchte. In der Wendung „sub uno" steckt das „principium unitatis" als entscheidender Inhalt des „imago"-Gedankens, dessen weitere Bedeutung als Symbol der überlegenen, gottgleichen Machtfülle in dem „ut sub uno sint caeteri" mit ausgesagt ist. Bemerkenswert ist ferner, daß das Wort „creare" verwendet wird, wenn vom Einsetzen der „principes" die Rede ist. Es ist das Wort, das immer wieder zur Kennzeichnung des schöpferischen Tuns Gottes dient. Vermutlich ist es nicht von ungefähr, daß es Ambrosiaster hier benutzt. Er drückt damit die unmittelbare Beauftragung der „principes" durch Gott aus. Das „creare" hängt am Begriff „imago", denn beides bezeichnet die ganz besondere Bindung des Fürsten an Gott und seine Abhängigkeit von Gott. Wenn es richtig ist, daß der Terminus „rex imago dei" ungefähr die Bedeutung 272
PL 17, col. 171B. Vgl. W. Sdrwierholz, in: Ambrosiasterstudien, Breslau 1909 ( = Kirchengeschiditl. Abh. 8), S. 57 S. 274 275 PL 17, col. 171C. Vgl. S. 62 ff. 273
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Affeldt, Paulus-Exegese
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von „επιφανής θεός" hat, so ist es wichtig, daß er gerade dann verwendet wird, wenn der Paulustext die Erörterung der herrscherlichen Aufgaben des „princeps" verlangt. Damit kommen wir zu einem weiteren Punkt. Die „principes" haben ihren Ursprung von Gott als seine Ebenbilder oder Abbilder, um für ihn unter den Menschen zu handeln. Man kann die Aufgaben der „principes" oder „reges" in der Sidit des Ambrosiaster nicht besser kennzeichnen als mit den Worten, die Ambrosiaster selbst gebraucht: „vitam corrigere — adversa prohibere." Die weltlichen Machthaber sollen einerseits für eine rechte Lebensführung sorgen und dabei bessernd eingreifen — eine positive Aufgabe — und andererseits vor Unglück, vor Widrigkeiten schützen — eine mehr negativ gefaßte Schutzfunktion. Der Fürst hat zunächst den Bestand von Staat und Gesellschaft zu sichern; so sagt Ambrosiaster zu Rom. 13, 4 2 7 6 („Non enim sine causa gladium portat"): „Hoc est, ideo comminatur, ut si fuerit contemptus, vindicet." Die Pflichten und Aufgaben der Herrscher gehen aber noch darüber hinaus; weiter heißt es nämlich zu Rom. 13, 4, wo Paulus von den „principes" als den Dienern Gottes und Vollstreckern seines Zornes spricht: „Quoniam futurum judicium Deus statuit, et nullum perire vult, hoc in saeculo rectores ordinavit, ut terrore interposito, omnibus velut paedagogi sint, erudientes illos quid servent, ne in poenam incidant futuri judicii." Hier sehen wir nun in aller Klarheit bestätigt, was wir im Kommentar zu Rom. 13, 1 zu erkennen glaubten: Dem Fürsten ist nach Meinung des Ambrosiaster eine Aufgabe im christlichen Leben zugewiesen, er ist ein Faktor der Heilsgeschichte, wenn man es etwas allgemein und vielleicht zu überspitzt ausdrücken will. Weniger allgemein und dem Text adäquater: Der Fürst ist — oder soll es wenigstens sein — für jeden einzelnen ein Helfer zur Erringung des persönlichen Heils. Dazu soll der Fürst notfalls mit Gewalt verhelfen, indem er den Übeltäter auf den rechten Weg weist und ihn vor der Strafe im künftigen Gottesgericht bewahrt. Der Ausdruck „paedagogus", im Kommentar zu Rom. 13, 1 auf die „lex" angewandt, dient nun zur Charakterisierung dessen, der den Gehorsam gegenüber diesem Gesetz überwacht, er dient zur Charakterisierung des Fürsten. Mit dieser Auffassung vom Fürsten als einem nicht nur Gott, sondern auch jedem einzelnen dienenden, hängt zusammen, daß Ambrosiaster im Kommentar zu 2. Kor. 13, 8 davon sprechen kann, die „potestas" werde für den nicht mehr vorhanden und notwendig sein, der das Gute tue 277 . Die Einsetzung der „potestas" ist ein Akt göttlicher Güte zum Heile des sündigen Menschen, wenn wir Ambrosiaster recht verstehen. An den guten Menschen, die selbständig den Weg zum Heile und zu Gott finden, hat die welt-
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PL 17, col. 171C/D. In ep. II ad Cor. XIII, 8, PL 17, col. 355 D : „Hoc dicit, quia potestas non est data contra veritatem, ut arguant bene viventem: sed pro veritate, ut vindicent in eum qui inimicus est legis. Ideoque cessabit potestas, si quod bonum est fecerint. Unde et ad Romanos ait: ,Vis non timere potestatem? Bonum fac, et habebis laudem ex illa' (Rom. 13,3). Cum ergo non timet bonum operando, evacuata est apud eum potestas." 277
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liehe Gewalt kaum eine Aufgabe zu erfüllen. Damit käme Ambrosiaster Gedanken nahe, die für Origenes' Stellung zur weltlichen Gewalt zentral sind 278 . Folgerichtig schließt sich der Kommentar zu Rom. 13, 5 an 279 . Dieser „potestas", der von Gott so große Aufgaben anvertraut sind, muß man sich unterwerfen, um ihrem Zorn und der damit verbundenen zeitlichen Strafe zu entgehen: „Recte dicit subjectus esse debere non solum propter iram, id est ultionem praesentem; parit enim ira vindictam: sed et propter futurum judicium; quia si hie evaserint, illic eos poena exspectat, ubi accusanteconscientia ipsa punientur." Der Teil vers „. . . sed etiam propter conscientiam" wird von Ambrosiaster also auf das künftige Gericht Gottes bezogen. Vor Gottes Gericht wird man, auch wenn man zeitlicher Strafe entgangen ist, durch das eigene Gewissen angeklagt und zur Bestrafung geführt; durch das Wissen nämlich davon, daß man die weltlichen Gesetze übertreten hat. Der Strafe des zeitlichen Hüters der Gesetze, der Strafe der „potestas" kann man entgehen, niemals aber dem Gericht Gottes 280 . Es bleibt uns noch übrig, Ambrosiasters Kommentar zu Rom. 13, 6, 7 zu behandeln 281 ; dort geht es um die Frage der Steuerpflicht und des Dienstes der Christen gegenüber den Herrschern. Nach Ambrosiaster ist die Steuerzahlung allgemein gesehen ein Zeichen der Unterwerfung; wenn die Menschen Steuern zahlen, wissen sie, daß sie nicht frei, sondern der von Gott eingesetzten „potestas" unterworfen sind: „prineipi enim suo, qui vicem Dei agit, sicut Deo subjiciuntur . . Zur Bekräftigung der Notwendigkeit der Steuerzahlung bringt Ambrosiaster noch zwei Bibelstellen bei (Dan. 4,14 und Matth. 22,21). Es erscheint hier noch einmal in abgewandelter Form der Terminus „vicarius dei" als „vicem Dei agit". Die Unterwerfung unter den Fürsten, manifestiert durch die Steuerzahlung, ist aber auch das Zeichen für die Unterwerfung unter Gott, der im Fürsten mit uns handelt; durch diese Gedanken wird die Hinordnung aller mit der weltlichen Gewalt zusammenhängenden Dinge und Vorgänge auf Gott erneut bestätigt: „Huic ergo subjiciendi sunt sicut Deo, cujus subjectionis probatio haec est, cum Uli pendunt tributa." Die Unterwerfung unter den Fürsten ist der Unterwerfung unter Gott nahezu gleichwertig und auch gleichwichtig, da im Fürsten Gott geachtet und gefürchtet wird. Diese mehr allgemeinen Ausführungen spezifiziert Ambrosiaster in seinem Kommentar zu Rom. 13, 7 noch ein wenig. Da findet sich der wichtige Satz: „,Reddite ergo omnibus debita' quia et potentes sunt debitores minoribus, ut respondeant meritis illorum." Das Verhältnis der Mächtigen zu ihren Untergebenen wird als ein beide Seiten verpflichtendes gesehen, womit jeder willkürlichen Machtausübung ein Riegel vorgeschoben ist. Die Mächtigen sollten sich den Verdiensten ihrer Untergebenen entsprechend verhalten, sich wohl auch erkenntlich zeigen. Wie Ambrosiaster ferner sagt, steht die Forderung des Paulus auf 278 Vgl. Jas Kapitel über Origenes, S. 44 ff. 278 280 281
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PL 17, c o l . l 7 2 A . Vgl. auch: In ep. ad Rom. II, 3, PL 17, col.67. PL 17, col. 172 A/B.
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Zahlung von Steuern und Abgaben deshalb an erster Stelle, weil gegenüber anderen Forderungen dieser eine größere Notwendigkeit innewohnt. Steuern und Abgaben sind eben als Zeichen der Unterwerfung unter die „potestas" zugleich auch Zeichen des Gehorsams gegenüber Gott. Ehrfürchtige Scheu („timor") ist nicht nur der „potestas" gegenüber am Platze, weil sie Strafgewalt besitzt, sondern auch den Eltern und allen irdischen Herren gegenüber. Ehrerbietung („honor") kann man auch den in dieser Welt Hochgestellten erweisen, meint Ambrosiaster: „Potest hie honor etiam circa eos esse, qui sublimes videntur in mundo, ut videntes humilitatem servorum Christi, laudent magis quam vituperent evangelicam disciplinam." Es ist auffällig, daß Ambrosiaster die Weisung des Paulus, Ehre zu erweisen, nur mit Reserve („potest"!) auch auf die in der Welt Höhergestellten bezieht. Unklar bleibt ferner, wen er im einzelnen mit den „sublimes" meint. Eigenartig ist außerdem seine Begründung: Die „sublimes" sollen an der Ehrerbietung ihnen gegenüber die Demut der Diener Christi erkennen und sich auf diese Weise mehr zum Lob der „evangelica disciplina" als zum Tadel an ihr veranlaßt sehen. Denkt Ambrosiaster vielleicht an die römische Senatsaristokratie, die zu seiner Zeit dem Christentum teilweise noch ablehnend gegenüberstand? Ambrosiaster wird die römischen Adelskreise gekannt haben. So hätte denn Rom. 13, 7 auch für ihn eine apologetische Aufgabe, wie Rom. 13,1-7 insgesamt in den ersten christlichen Jahrhunderten zur Rechtfertigung der Christen dem Staat gegenüber gedient hat. Es scheint Ambrosiaster überhaupt nicht sicher zu sein, daß sich. Paulus' Forderung „Cui honorem, honorem" auf die „sublimes" bezieht. Man denke an Origenes, der erklärte, daß man „timor" und „honor" nur Gott schulde282. Die vorsichtige Exegese des Ambrosiaster in diesem Punkt ist jedenfalls bemerkenswert, wenn man daraus auch nicht zu weitgehende Schlüsse ziehen darf. An der sonst feststellbaren überaus positiven Einschätzung der weltlichen Gewalt ändert sich dadurch wenig. Der Kommentar zu Rom. 13, 6, 7 bleibt, wie bei den meisten Exegeten, so auch bei Ambrosiaster der Bedeutung nach hinter denen zu Rom. 13, 1-5 zurück. In den Kommentaren zu jenen ersten Versen werden meist die entscheidenden Dinge gesagt. Wir fassen noch einmal die Grundgedanken des Ambrosiaster zusammen: Die „potestas" ist von Gott zur Wahrung des Rechts, näher präzisiert: des Naturgesetzes, eingesetzt. Da die Beobachtung der „lex naturalis" für jeden, der die göttliche „misericordia" erlangen will, notwendig ist, ist die „potestas" in den Prozeß der Heilsvermittlung eingeschaltet. Sie hat dabei eine dienende Funktion als Dienerin Gottes und der Menschen. Ihre Aufgabe ist es vor allem, den Menschen durch Rat und Tat vom Weg der Sünde zum Weg des Heils zu führen. Die weltliche Gewalt hilft dadurch mit, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der Mensch vor Gottes Gericht bestehen kann. Ein Widerstand gegen die „potestas" ist ausgeschlossen; auch ein Fürst, der sich dem Teufel ergeben hat, ist wegen seines „ordo" zu achten — so müssen wir wohl den Kommentar 282
Vgl. das Kapitel über Origenes, S. 52 f.
Augustinus
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ergänzen. Wer sich den irdischen Gewalten unterwirft, bezeugt dadurch seine Demut gegenüber Gott. Für alle Aufgaben, die ihm übertragen sind, ist der Fürst, der König, dadurch qualifiziert und gerüstet, daß er „imago dei" ist. Als Abbild Gottes, als irdische Verkörperung des „principium unitatis", besitzt er eine fast gottgleiche Machtfülle. Als Statthalter Gottes mit dieser überragenden Macht ausgestattet, ist er nahezu „επιφανής θ-εός"·
4. Augustinus Unsere Aufmerksamkeit soll einer kleinen exegetischen Schrift Augustins gelten, der „Expositio quarundam propositionum ex epistola ad Romanos". In den Kapiteln LXXII—LXXIV setzt sich Augustin vor allem mit Rom. 13,1, 3-5 auseinander. Es handelt sich also nicht um einen vollständigen Kommentar zu Rom. 13, 1-7. Die „Expositio" ist um 394/95 entstanden 283 . Sie ist das Ergebnis exegetischer Besprechungen, die Augustin in Karthago im Kreise theologisch interessierter Freunde abgehalten hat. Auf Wunsch der Freunde ließ er die mündlich vorgetragenen Erklärungen dann als eigene Schrift erscheinen 284 . G. Bardy ordnet die „Expositio" in die Literaturgattung der „Quaestiones et Responsiones" ein 285 . Augustin hat außerdem einen vollständigen Kommentar zum Römerbrief geplant, ist aber über die Kommentierung der ersten Verse von Rom. 1 nicht hinausgelangt. Diese „Inchoata Expositio" 286 hat Augustin ebenfalls ungefähr 394 begonnen. Es bedarf keiner besonderen Erläuterung, daß es der Rahmen der folgenden Analyse verbietet, die augustinische Lehre vom Staat insgesamt zu erörtern und in eine Auseinandersetzung mit der Literatur über Augustins Staats- und Soziallehre 287 einzutreten. Unsere Aufgabe ist es lediglich, möglichst tief in einen 283
Vgl. B. Altaner, Patrologie, S.431. Vgl. Augustinus, Retract. I, 22 (23), ed. P.Knöll, CSEL 36 (1902), S . 1 0 4 f . und B.Altaner, Beiträge zur Kenntnis des schriftstellerischen Schaffens Augustins, in: B. Altaner, Kleine patristisdie Schriften, hg. von G. Glockmann, Berlin 1967 ( = TU 83), S.3—36, bes. S. 29. 285 G. Bardy, La literature patristique des „Quaestiones et Responsiones" sur l'ficriture sainte, Rb 41 (1932), S. 515—537, bes. S. 528 f. 28e PL 35, col. 2087 ff. 287 Aus der umfangreichen Literatur seien genannt: B.Seidel, Die Lehre des heiligen Augustinus vom Staate, Breslau 1909 ( = Kirchengeschichtl. Abh. IX, 1); O.Schilling, Die Staats- und Soziallehre des hl. Augustinus, Freiburg 1910; K. Eckstädt, Augustins Anschauung vom Staat, Kirchhain N . L. 1912; O.Sdiilling, Naturrecht und Staat, S. 173 ff.; F. Offergelt, Die Staatslehre des Hl. Augustinus nach seinen sämtlichen Werken, Bonn 1914; H. Tiralla, Das augustinische Idealbild der christlichen Obrigkeit als Quelle der Fürstenspiegel des Sedulius Scottus und Hincmar von Reims, Diss. Greifswald 1916; E.Bernheim, Mittelalterliche Zeitanschauungen in ihrem Einfluß auf Politik und Geschichtsschreibung. Teil I: Zeitansdiauungen, Tübingen 1918; E.Salin, Civitas Dei, Tübingen 1926; G. Comb£s, La doctrine politique de Saint Augustin, Paris 1927 (mit kritischer Bibliographie); J. Mausbach, Die Ethik des Heiligen Augustinus, 2. Aufl., Freiburg i.Br. 1929, Bd. I, S.326ff.; A . D e m p f , Sacrum Imperium, München 1929, S. 116ff.; Carlyle, Mediaeval Political Theory I, bes. S.164ff.; V.Giorgianni, II 284
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kleinen Text einzudringen, der in umfassender angelegten Arbeiten über Augustins Staats- und Soziallehre im allgemeinen weniger berücksichtigt wird und gegenüber größeren und audi wichtigeren Schriften Augustins zum Problem des Staates nicht selten zu sehr in den Hintergrund tritt. Immerhin findet die „Expositio" neuerdings mehr Beachtung 288 . Der Text, den wir zu analysieren haben, wirft mancherlei Fragen auf und fordert zur Klärung von Begriffen und Vorstellungen Augustins in einem so großen Umfange auf, daß wir den Notwendigkeiten nur in sehr bescheidenem Maße entsprechen können. Ich habe mich bemüht, als Interpretationshilfen einiges aus anderen Schriften Augustins beizubringen, auch wenn diese ζ. T. erheblich später als die „Expositio quar. prop, ex. ep. ad Rom." entstanden sind. Es ist klar, daß dieses Verfahren gewissen methodischen Bedenken unterliegt — gerade bei Augustinus 2 8 9 . Es ließe sich vor allem dann rechtfertigen, wenn man feststellen könnte, daß Augustin an gewissen Grundanschauungen immer festgehalten hat. Vielleicht kann man sagen, daß das für seine Staatsauffassung gilt, wenn auch B. Lohse nachzuweisen sucht, daß bei Augustin um 400 eine Wandlung in seiner Beurteilung des Staates stattgefunden hat 2 8 0 . Zu Beginn des Kapitels L X X I I der „Expositio quar. prop. ex. ep. ad Rom." eiklärt Augustin: „Quod autem ait ,Omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit: non est enim potestas nisi a Deo', rectissime jam monet, ne quis ex eo quod a Domine suo in libertatem vocatus est, factusque christianus, extollatur in superbiam, et non arbkretur in hujus vitae itinere servandum esse ordinem suum, et potestatibus sublimioribus, quibus pro tempore rerum temporaconcetto del diritto e dello stato in S. Agostino, Padova 1951; W. Kamiah, Christentum und Geschichtlichkeit, Stuttgart u. Köln 1951; H.-X. Arquilliere, L'Augustinisme politique, 2. Aufl., Paris 1955 ( = L'figlise et L'fitat au Moyen Age II); F.G.Maier, Augustin und das antike Rom, Stuttgart 1955 ( = Tübinger Beitr. zur Altertumswiss. 39); G. Gariii, Aspetti della filosofia giuridica, politica e sociale di S. Agostino, Milano 1957; H.A.Deane, The Political and Social Ideas of St. Augustine, New York u. London 1963; weitere Literatur bei Β. Altaner, Patrologie, S.447f., C.Andresen, Bibliographia Augustiniana, Darmstadt 1962, S.63ff. und fi.Lamirande, Un siecle et demi d'etudes sur l'ecclesiologie de saint Augustin. Essai bibliographique, Revue des etudes augustiniennes 8 (1962), S. 1—125 (chronologisch geordnete Bibliographie für die Jahre 1809—1954). 288 vgl -ψ p a r S ons, The Influence of Romans XIII on Christian Political Thought from Augustine to Hincmar, ThSt 2 (1941), S. 325—346, bes. S. 328 ff.; F.Keienburg, Geschichte der Auslegung von Römer 13,1—7, S.69ff.; B.Lohse, Augustins Wandlung in seiner Beurteilung des Staates, Studia Patristica VI, Berlin 1962 ( = TU 81), S.447— 475, bes. S.454; H.A.Deane, a.a.O., S. 143ff., dessen Interpretation im wesentlichen zuzustimmen ist; V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus, S. 67, S. 80, S. 90, S. 102. 289 Vgl. oben S.24f. 290 B.Lohse, a.a.O., S.455ff.; vgl. audi H.A.Deane, a.a.O., S.215ff. u. S.227ff., der ähnlich wie B. Lohse argumentiert. Die Darlegungen Lohses können m. E. nicht erweisen, daß sich Augustins Haltung gegenüber dem Staat grundsätzlich gewandelt hat. Sie zeigen eher, daß die Auffassung vom Staat im Kern die gleiche blieb, die Unterschiede nur an der Peripherie liegen. Ich kann auch seiner Interpretation von Kap. LXXII der „Expositio" nicht ganz folgen, die den Staat in Augustins Verständnis zu positiv sieht.
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lium gubernatio tradita est, putet non se esse subdendum." 291 Es ist nicht unmöglich, daß Augustin hier einen Gedanken des Ambrosiaster verwertet hat, der in seinem Pauluskommentar davon spricht, daß nicht etwa die Vorstellung von der Höhe und Macht der christlichen Religion bei den Menschen Hochmut erzeugen dürfe 292 . Wir suchen uns über Augustins Gedanken Klarheit zu verschaffen, indem wir den Inhalt der die Ausführungen tragenden Begriffe zu ermitteln suchen. Da ist zunächst der Begriff „libertas"; seine Bedeutung ist unschwer zu erkennen. Es handelt sich um den heilsgeschichtlichen Freiheitsbegriff; er meint in paulinischem und augustinischem Sinne die Freiheit von der Sünde und vom Tode2®3. Für Augustin sind die Christen berufen, in einem neuen Gnadenstand zu leben. Die durch die Gnade geschenkte Freiheit gibt die Hilfe zum Kampf gegen die Sünde. Mit dieser Freiheit ist dem Christen das „liberum arbitrium" als Freiheit zum Dienst gegenüber Gott anvertraut. Frei von der Sünde, sind die Christen Diener der Gerechtigkeit geworden 294 . Brennend wird das Problem der christlichen Freiheit für Augustin besonders deshalb, weil für ihn jede Unterordnung und Knechtschaft eine Folge der Sünde ist, so daß er selbst vielleicht in der Versuchung war, den Christen auf Grund der durch Christus neu geschenkten Freiheit von der Sünde auch von jeder Unterordnung und jedem Gehorsam gegenüber anderen Menschen zu entbinden 295. Augustin denkt jedoch an eine solche Konsequenz des christlichen Freiheitsbegriffs offenbar schon deshalb nicht, weil die durch die Gnade geschenkte neue Freiheit erst den Beginn der Befreiung von der Sünde bedeutet 2ββ . Der Christ ist, solange er lebt, durchaus noch 281 PL 35, c o l . 2 0 8 3 . 292 Vgl. Ambrosiaster: In ep. ad E p h . V I , 5 , P L 1 7 , c o l . 4 2 2 D : „Quoniam o m n i u m sublimior et sola potens est religio nostra, et quae credentibus coelorum regna pollicetur: ne hac igitur causa superbia nasceretur hominibus, omnes debita conditionum vel officiorum praesentium jubentur exsolvere." Es geht Ambrosiaster allerdings hier mehr um das Verhältnis „dominus—servus". Es ist immerhin zeitlich möglich, d a ß Augustin Ambrosiasters K o m m e n t a r im Jahre 394 kannte. Ph. Platz, D e r Römerbrief in der Gnadenlehre Augustins, Würzburg 1938 ( = Cassiciacum 5), S. 54 f. b e z w e i f e l t das. 2ra D e civ. D e i V , 1 8 , C C 4 7 (1955), S. 1 5 1 , 2 1 ff.: „Si ergo pro libertate moriturorum et cupiditate laudum, quae a mortalibus expetuntur, occidi filii a patre potuerunt: quid magnum est, si pro uera libertate, quae nos ab iniquitatis et mortis et diaboli dominatu liberos f a c i t . . . " ; vgl. audi: In Joh.Ev.Tract. X L I , 10, ed. R . W i l l e m s , C C 36 (1954), S. 3 6 3 , 1 5 ff. 2,4 D e corrept. et gratia, cap. X I I , 35, P L 4 4 , col. 9 3 8 : „ ,Si vos filius liberaverit, tunc vere liberi eritis' (Joh. V I I I , 36). E t accipiunt tantam per istam gratiam libertatem, ut quamvis, quamdiu hic v i v u n t , pugnent contra concupiscentias peccatorum . . . H u i c peccato ultra non serviunt, non prima conditione, sicut ille (sc. A d a m ) liberi; sed per secundum A d a m D e i gratia liberati, et ista liberatione habentes liberum arbitrium quo serviant D e o , non q u o captiventur a diabolo. Liberati enim a p e c c a t o servi facti sunt justitiae (Rom. VI, 1 8 ) . . B e m e r k e n s w e r t , w i e hier der christliche Begriff der Freiheit mit dem psychologischen verkoppelt wird. 295 Vgl. de civ. D e i X I X , 1 5 , C C 4 8 (1955), S . 6 8 2 f . 2»e Vgl Zitat Anm. 294; zum Begriff „libertas" siehe audi: Ε.Bernheim, Mittelalterliche Zeitanschauungen I, S. 43 f.
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nicht von der „Welt" völlig losgelöst. Die Berufung zur Freiheit entbindet also den Christen nicht von der Verpflichtung, den „ordo" in der Welt zu •wahren297. Es wäre „superbia", wenn er diesen „ordo" verletzte. Die „superbia" ist für Augustin ein entscheidender Begriff. Sie ist die Quelle alles Bösen 298 , ihr Wesen und Werk ist der schlechthinnige Gegensatz zu Wesen und Werk der „libertas"; oder, wie es Augustinus ausdrückt: sie ist der Schatten der wahren Freiheit und des wahren Königreiches 299 . „Superbia" ist der Ausdruck des Ungehorsams gegenüber Gott, des vollständigen Abfalls von Gott, womit der Satan den Menschen vorangegangen ist 300 . Wenn also Augustinus in unserem Zusammenhang von „superbia" spricht, so hat es vor allem den tiefen Sinn, daß ein gegen die weltliche Gewalt Ungehorsamer in die Ursünde zurückfällt. Man muß den Gegensatz, die Spannung zwischen den von Augustin nahe zusammengestellten Worten „libertas" und „superbia" spüren. Die „superbia" bringt nun auch den „ordo" in Gefahr, den „ordo", der die ganze diesseitige und jenseitige Welt durchwaltet. Damit ist ein weiterer wichtiger Begriff ins Spiel gebracht. Die „potestates" sind Bestandteile dieses „ordo"; ein „superbus" setzt sich der gesamten göttlichen Ordnung entgegen, wenn er sich als Christ darüber erhaben dünkt, den „potestates" gehorsam zu sein. Er setzt sich damit in seinem „amor sui" Gott entgegen, richtet sich dadurch selbst und wird ein Diener des Teufels, des Urhebers der „superbia". Neben dieser seiner vollen, tiefen Bedeutung hat der Begriff „superbia" natürlich noch den ganz nüchternen und konkreten Inhalt des Ungehorsams gegenüber der weltlichen Gewalt 301 . Der „ordo"-Begriff, den Augustin bei seinen Uberlegungen hinsichtlich des Problems der weltlichen Gewalt in den gedanklichen Zusammenhang einordnet, ist für ihn von fundamentaler Bedeutung. Es ist natürlich gar nicht daran zu denken, daß dieser „ordo"-Begriff hier in seinem Inhalt auch nur annähernd erschöpfend behandelt werden kann, da zu viele
2»7 Vgl. P. Lenicque, La liberte des enfants de Dieu selon Saint Augustin, L'Annee Theologique Augustinienne 14 (1953), S. 110—144, bes. S. 132. 298 D e civ. Dei XIV, 13, C C 4 8 (1955), S . 4 3 4 , 4 f f . : „Jnitium' enim ,omnis peccati superbia est' (Eccli. 10,13). Quid est autem superbia nisi peruersae celsitudinis adpetitus?" Augustins „superbia"-Begriff ist also im Kern biblisch. Vgl. audi: De civ. Dei X I V , 3 , C C 4 8 (1955), S . 4 1 7 , 5 0 f f . : „ . . . q u o r u m omnium malorum caput atque origo superbia est, quae sine carne regnat in diabolo . . . " ; im übrigen vgl. E. Bernheim, Mittelalterliche Zeitanschauungen I, S.27. 299
De vera rel., cap. 48,93, ed. J.Martin, C C 3 2 (1962), S . 2 4 8 , 1 2 f f . Vgl. de civ. Dei XIV, 3, a.a.O., S. 417,41 ff. und De gen. ad. litt., lib. VIII, 14, ed. J. Zydia, CSEL 28 (1894), S. 252: „hoc expertus est homo condemnens praeceptum dei et hoc experimento didicit, quid interesset inter bonum et malum, bonum scilicet oboedientiae, malum autem inoboedientiae, id est superbiae et contumaciae, peruersae imitationis dei et noxiae libertatis." 301 Vgl. Enarr. in Ps.124,7, ed. E.Dekkers u. J.Fraipont, C C 40 (1956), S. 1841,20: „Tu cum ambulas in uia, cum uiuis in hac uita, non uult te facere superbum Christus"; vgl. insgesamt Enarr. in Ps.124,7, a.a.O., S. 1840ff. 300
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theologische und philosophische Probleme impliziert sind. Wir müssen uns daher auf einige Bemerkungen beschränken 302 . Wir setzen zunächst Augustins klassische Definition des „ordo" hierher: „. . . pax omnium rerum tranquillitas ordinis. Ordo est parium dispariumque rerum sua cuique loca tribuens dispositio." 3 0 3 „ O r d o " heißt also, daß jedem Ding der ihm gebührende Platz zugewiesen ist. Neben der Vorstellung vom dynamischen. Gleichgewicht und vom rechten Verhältnis der Teile zum übergeordneten Ganzen, sowohl im Kosmos als auch in den einzelnen Organismen, ist notwendig auch der Gedanke wesentlich, daß „ordo" die Über- und Unterordnung aller Dinge bezeichnet 304 . So sagt Augustin in einem Brief: „sicut enim bona sunt omnia, quae creauit deus, ab ipsa rationali creatura usque ad infimum corpus, ita bene in his agit anima rationalis, si ordinem seruet, et distinguendo, eligendo, pendendo subdat minora maioribus, corporalia spiritalibus, inferiora superioribus, temporalia sempiternis, ne superiorum neglectu et appetitu inferiorum, quoniam hinc fit ipsa deterior, et se et corpus suum mittat in peius, sed potius ordinata caritate se et corpus suum conuertat in melius." 3 0 5 Zwar ist hier nicht von weltlicher Gewalt und Untertan, von Herr und Knecht die Rede, aber es ist doch kaum zu bezweifeln, daß auch diese mehr äußerlichen Über- und Unterordnungsverhältnisse unter den Begriff des „ordo" fallen. Wenn Augustin an anderer Stelle auch die „regia potestas" als „ordo" bezeichnet, so ist dann die „ordo"-Vorstellung völlig konkretisiert und auf rein weltliche Verhältnisse angewandt 3 0 6 . Es ist eine Verbindung zwischen dem kosmischen „ordo"-Gedanken und der Vorstellung von weltlichen „ordines", von Abstufungen innerhalb von Staat und Gesellschaft, hergestellt. Bei dem Ausdrude „ordo regiae potestatis" kommt als drittes, gewissermaßen zwischen dem kosmisch3 0 2 L i t e r a t u r zum „ o r d o " - G e d a n k e n bei A u g u s t i n : H . K r i n g s , O r d o , PhilosophischHistorische G r u n d l e g u n g einer abendländischen Idee, H a l l e 1941 ( = Philosophie und Geisteswiss., hg. von E . Rothacker, Buchreihe B d . 9 ) ; F. Gäßler, D e r O r d o - G e d a n k e unter besonderer Berücksichtigung von Augustinus und T h o m a s von A q u i n , Diss. Freib u r g i. Br. 1950. Beide Arbeiten befriedigen f ü r Augustins „ o r d o " - G e d a n k e n nidit. Eine neue tiefschürfende und gründliche A r b e i t : J . R i e f , D e r Ordobegriff des jungen Augustinus, P a d e r b o r n 1962 ( = A b h . zur Moraltheologie 2). J . R i e f legt Augustins Schriften der Zeit v o n 3 8 6 — 3 9 1 zugrunde. 3 0 3 D e civ. D e i X I X , 13, C C 48 (1955), S. 6 7 9 , 1 0 ff. Vgl. d a z u H . R o n d e t , P a x , tranquillitas ordinis, in: Estudios sobre la „ C i u d a d de D i o s " II, L a C i u d a d de Dios 1 5 7 , 2 (1954), S . 3 4 3 — 3 6 5 . Z u m Begriff „ p a x " , der in enger V e r b i n d u n g mit dem „ o r d o " - B e g r i f f a u f t r i t t , v g l . : D e civ. D e i X I X , 12—17, C C 4 8 (1955), S. 675 ff. Liter a t u r : H . Fuchs, A u g u s t i n und der antike Friedensgedanke, Berlin 1926 ( = N e u e philologische Untersuchungen 3 ) ; H . - X . Arquilli^re, L ' A u g u s t i n i s m e politique, S. 5 9 f f . ; W . K a m i a h , Christentum und Geschichtlichkeit, S. 263 f f . ; E . Bernheim, Mittelalterliche Zeitanschauungen I, S . 2 9 f f . ; F . G . M a i e r , Augustin und das antike R o m , S. 1 8 2 f f . ; H . A. D e a n e , T h e Political a n d Social Ideas of St. Augustine, S. 96 ff. 3 0 4 V g l . H . R o n d e t , a.a.O., S . 3 4 5 f f . und J . R i e f , a . a . O . , S. 113, S. 1 3 0 i f . 3 0 5 E p . 140, c a p . 11,4, ed. A l . Goldbacher, C S E L 44 (1904), S . 1 5 7 . *>' D e b o n o coniugali, cap. X I V , 16, ed. J . Z y c h a , C S E L 41 (1900), S . 2 0 9 : „ . . . nec uituperabilis o r d o regiae potestatis, si rex crudelitate tyrannica saeuiat. aliud est n a m q u e iniusta potestate iuste uelle uti, et aliud est iusta potestate iniuste uti."
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ontologischen „ordo"-Begriff und der Vorstellung von weltlichen „ordines" vermittelndes Element die fast numinose Bedeutung des Wortes „ordo" hinzu, die der königlichen Gewalt Würde und Ansehen verleiht. Man wird an die Unterscheidung des Ambrosiaster zwischen „ordo" und „persona" erinnert, obwohl Augustin sicher weit davon entfernt ist, daraus die Konsequenzen zu ziehen, die Ambrosiaster gezogen hat 3 0 7 . Wenden wir uns wieder zurück zu Kapitel LXXII von Augustins „Expositio", so ergibt sich also für unsere Interpretation, daß nach Augustin auch der Christ den „ordo" der Zeitlichkeit wahren muß 3 0 8 . Er hat die Über- und Unterordnungsverhältnisse in der Welt zu achten. Wer sich dem „ordo" der Welt nicht fügt, der versperrt sich den Weg zu Gott 3 0 9 . Dadurch, daß die „superbia" verworfen und auf den „ordo" hingewiesen wird, ist die „potestas" in ihrem Wert, in ihrer Bedeutung gekennzeichnet; die Einschränkung folgt sogleich. Sie ist schon dadurch angedeutet, daß in unserem Zitat der „ordo" als „ordo hujus vitae" bezeichnet wird; dann heißt es weiter: „.. . quibus (sc. potestatibus) pro tempore rerum temporalium gubernatio tradita est . . ." Die Einschränkung ist eine doppelte; erstens: den „potestates" ist Lenkung und Leitung nur der weltlichen Dinge anvertraut; ihre Macht ist zu Ende, wenn es sich um Glaubensdinge handelt (siehe darüber weiter unten); und zweitens ergibt sich im Zusammenhang damit, daß die Übertragung der Regierungsgewalt nur für die Phase dieses Lebens, für die Zeitlichkeit erfolgt. Immerhin ist die Wichtigkeit der „potestates" unbeschadet dieser Einschränkungen noch groß genug; denn was ist mit den „res temporales" eigentlich gemeint? Bevor wir zu antworten suchen, sei noch einer der folgenden Sätze aus Kapitel LXXII zitiert: „Cum enim constemus ex anima et corpore, et quamdiu in hac vita temporali sumus, etiam rebus temporalibus ad subsidium degendae hujus vitae utamur." 310 Die „res temporales" sind also nötig, um das irdische Leben führen zu können; sie werden von den „potestates" verwaltet. Wichtig ist diese Aufgabe der Gewalten deshalb, weil sie, indem sie die weltlichen Dinge verwalten und ordnen, für den irdischen Frieden sorgen 311 . Wenn man weiß, wie wichtig der Gedanke des 307 Vgl. das Kapitel über Ambrosiaster, S. 77. 308
Vgl. Zitat, oben S. 86 f. D e ordine, lib. I, c a p . I X , 2 7 , ed. P.Knöll, CSEL 63 (1932), S. 139,11 ff.: „ordo est, quem si tenuerimus in uita, perducet ad deum, et quem nisi tenuerimus in uita, non perueniemus ad deum." J. Rief, Der Ordobegriff des jungen Augustinus, S.361 faßt seine Ergebnisse u.a. folgendermaßen zusammen: „Für den Menschen ist die göttliche Ordnung Führer zu Gott. Als vernunftbegabtes Geschöpf kann er die Ordnung erkennen und nach vollziehen . . . Wer diesen ordo respektiert, gelangt zur beata vita; wer ihn verkehrt, stürzt sich in die miseria . . . So gesehen, ist die Ordnung nicht nur das Mittel, mit dem Gott die Dinge an ihren Platz verweist, sondern auch das Mittel, mit dessen H i l f e der Mensch seine eigene Stellung und die Stellung der Geschöpfe innerhalb des Ganzen ausfindig machen kann." 310 PL 35, col. 2083. 811 De civ. Dei X I X , 14, C C 4 8 (1955), S . 6 8 0 , l i f . : „Omnis igitur usus rerum temporalium refertur ad fructum pacis terrenae in terrena ciuitate; in caelesti autem ciuitate refertur ad fructum pacis aeternae." 308
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Friedens für Augustin ist, so wird man die in der Verwaltung der „res temporales" angedeutete Aufgabe der weltlichen Gewalten nicht gering einschätzen, wenn sich alles auch nur auf die „pax terrena" bezieht. Die Einschränkung, die in dem Ausdruck „res temporales" liegt, muß nun noch weiter verdeutlicht werden. Wir werfen zunächst noch einmal einen Blick zurück auf das letzte Zitat aus der „Expositio" und sehen, daß Augustin beim Menschen zwischen „caro" und „anima" unterscheidet 312 . Diese Unterscheidung gibt ihm die Möglichkeit, eine Trennung der Bereiche und Pflichten von Staat und Religion oder Kirche vorzunehmen. Die folgenden instruktiven Sätze des Kapitels L X X I I seiner „Expositio quar. prop, ex ep. ad R o m . " zeigen das: „oportet nos ex ea parte (sc. carnis), quae ad hanc vitam pertinet, subditos esse potestatibus, id est, hominibus res humanas cum aliquo honore administrantibus. E x illa vero parte (sc. animae) qua credimus Deo, et in regnum ejus vocamur, non nos oportet esse subditos cuiquam homini, idipsum in nobis evertere cupienti, quod Deus ad vitam aeternam donare dignatus est. Si quis ergo putat quoniam christianus est, non sibi esse vectigal reddendum, aut tributum, aut non esse exhibendum honorem debitum eis quae haec curant potestatibus; in magno errore versatur. Item si quis sie se putat esse subdendum, ut etiam in suam fidem habere potestatem arbitretur eum qui temporalibus administrandis aliqua sublimitate praecellit; in majorem errorem labitur." 3 1 3 Mit diesen Sätzen ist eine tiefe Kluft aufgerissen, und man sieht klar, wie weit in den Augen Augustins für den Christen die Hochschätzung der weltlichen Gewalt gehen konnte. Dabei ist vielleicht gar nicht so wesentlich, ob der Staat als eine Folge der Sünde angesehen wird oder nicht; entscheidend ist, was der Staat im Hinblick auf die Heilserwartung, die „vita aeterna" bedeutet. Kein Zweifel, daß Augustin in seiner „Expositio" den Staat „sub specie aeternitatis" betrachtet. Die Befugnis der weltlichen Gewalt erstreckt sich nur auf die äußeren, rein weltlichen Dinge, denen der Mensch als „caro" verhaftet bleibt. Es ist für Augustin klar, daß in diesem Bereich der „potestas" Ehre zu erweisen und Steuer zu zahlen ist. Das Gebot der Unterwerfung gilt aber für den Menschen nur, soweit er „caro" ist. Die neue christliche Freiheit bezieht sich auf diesen Teil seines Wesens nicht und bewirkt damit auch nicht eine Befreiung von weltlichem Gehorsam. In der Sphäre des Geistigen jedoch, im Bereich der „anima", hat die neue Freiheit bereits zu wirken begonnen. Kommen Glaube und religiöse Belange ins Spiel, so ist der weltlichen Gewalt hier eine Grenze für ihr Wirken gesetzt 314 . Eindeutig weist Augustin eine mögliche Grenzüberschreitung des
5 1 2 Vgl. auch: In Joh.Ev.Tract. 1 0 5 , 2 , ed. R.Willems, C C 3 6 (1954), S . 6 0 4 , 4 f f . : „Omnem carnem dixit omnem hominem, a parte totum significans, quemadmodum rursus a parte superiore significatus est homo totus, ubi ait Apostolus ,Omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit'. Quid enim dixit ,Omnis anima', nisi omnis homo?" Vgl. zu den verwandten Äußerungen des Origenes unser Kapitel, oben S. 44 f. 3 1 3 P L 35, col. 2083 f. 3 1 4 Enarr. in Ps. L V , 2 , ed. E.Dekkers u. J . F r a i p o n t , C C 3 9 (1956), S . 6 7 8 , 2 7 f f . : „Est quidem et Caesar rex homo hominibus ad humana, sed alius rex est ad diuina; alius
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Staates zurück; andererseits bedeutet er den Christen, daß sie selbst der „potestas" nicht mehr Rechte einräumen sollen als ihr gebühren 3 1 5 . H a t es in Augustins Umgebung Leute gegeben, die der „potestas" weitergehende Rechte einräumen -wollten? 316 Es sei hier nur kurz daran erinnert, daß Augustin selbst einige Jahre später einen gefährlichen Weg beschritten hat, als er in den Donatisten-Wirren das Eingreifen der weltlichen Gewalt forderte 3 1 7 . Ihr ganzes Gewicht erhält die Beschränkung der „potestas" auf die „res temporales", wenn wir die oben schon erwähnte Feststellung Augustins näher prüfen, daß der weltlichen Gewalt Aufgaben nur „pro tempore", für die Gegenwart und die Zeitlichkeit, zugewiesen sind. Wir hören dazu Augustins weitere Ausführungen in seiner „Expositio": „Sed modus iste servandus est, quem Dominus ipse praescribit, ut reddamus Caesari quae Caesaris sunt, et Deo quae Dei sunt (Matth. X X I I , 21). Quamquam enim ad illud regnum vocemur ubi nulla erit potestas hujusmodi, in hoc tarnen itinere dum agimus, donec perveniamus ad illud saeculum ubi fit evacuatio omnis principatus et potestatis, conditionem nostram pro ipso rerum humanarum ordine toleremus, nihil simulate facientes, et in eo ipso non tam hominibus quam Deo, qui haec jubet, obtemperantes." 3 1 8 Wenn Augustin das bekannte Herrenwort aus dem Matthäusevangelium zitiert, so zeigt sich, daß seine Ausführungen, wie im Vorhergehenden so auch jetzt, im Grunde eine Paraphrase zu Mt. 22, 21 sind. Die innere Spannung, die dieses Herrenwort in sich trägt, teilt sich Augustins Kommentar mit. Noch einmal schärft er ein, daß die Christen, solange sie sich auf dem Wege befinden — charakteristisch immer wieder der Ausdruck der Bewegung, der Zielgerichtetheit, verdeutlicht durch das Bild des Weges — , ihre Lage in der Welt gemäß der Ordnung der menschlichen Dinge ertragen sollen; und dies nicht nur äußerlich, zum Schein, sondern — so müssen wir hinzusetzen — aus innerer Zustimmung; sie gehorchen damit nicht so sehr den Menschen als vielmehr G o t t 3 1 9 . Wir tun dies alles — das ist die große Antithese — obgleich wir als Christen in das himmlische, ewige Königreich berufen sind, wo es keine „potestas" mehr geben wird, wenigstens keine „hujusmodi", nach irdischer Art. Wenn Augustin in unserem Zitat von „saeculum" spricht, „ubi fit evacuatio omnis principatus et potestarex ad uitam temporalem, alius ad aeternam; alius rex terrenus, alius rex caelestis: rex terrenus sub rege caelesti, rex caelestis super omnia." 5 1 5 Vgl. dazu: Sermo 62, cap. VIII, 13, P L 3 8 , col.421. 3 1 6 Daß es im 4. Jh. andere Stellungnahmen als die Augustins zu dieser Frage gab, ist ja bekannt. Man denke nur an Ambrosiaster oder an die „Reichstheologie" des Eusebius von Caesarea; zu dieser „Reichstheologie" vgl. W . Kamiah, Christentum und Geschichtlichkeit, S. 175 ff. 3 1 7 Vgl. H . A . D e a n e , The Political and Social Ideas of St. Augustine, S. 215 ff. 3 1 8 P L 35, col. 2084. 3 1 8 Vgl. E x p . Ep. ad G a l . 2 8 , P L 3 5 , c o l . 2 1 2 5 : „Et hoc non solum propter iram, ut effugiamus offensionem hominum; sed etiam propter conscientiam (Rom. 13,5), ut non simulate, quasi ad oculos hominum ista faciamus (bezogen auf Matth. 2 2 , 2 1 ) , sed pura dilectionis conscientia propter Deum, qui omnes homines vult salvos fieri, et in agnitionem veritatis venire" (1. Tim. 11,4).
Augustinus t i s " , so b e d e u t e t das die E w i g k e i t , die „ a e t e r n i t a s "
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. D i e W e l t m i t ihren G e -
w a l t e n ist n u r ein D u r c h g a n g s s t a d i u m m i t der tröstlichen G e w i ß h e i t f ü r den G l ä u b i g e n , d a ß in d e r E w i g k e i t , i m himmlischen Königreich, d e r „ o r d o " dieser W e l t m i t allen seinen Begleiterscheinungen a u f g e h o b e n sein w i r d 3 2 1 . D e n n d e m C h r i s t e n ist die W e l t , sind die „res t e m p o r a l e s " v o m Eschatologischen h e r gesehen f r e m d 3 2 2 . D a der C h r i s t die „res t e m p o r a l e s " in der „ a e t e r n i t a s "
nicht
m e h r braucht, verschwinden d a n n folgerichtig a u d i die V e r w a l t e r der weltlichen D i n g e , die „ p o t e s t a t e s "
323
. D a s „ s a e c u l u m " , in d e m die „ e v a c u a t i o omnis p r i n -
cipatus e t p o t e s t a t i s " stattfindet, k a n n m a n w o h l m i t d e r „ v i t a b e a t a " gleichsetzen. Sie versucht A u g u s t i n i m m e r w i e d e r zu schildern. E i n wichtiger Gesichtsp u n k t ist f ü r ihn, d a ß i m S t a d i u m d e r „ v i t a b e a t a " alle gleich sein w e r d e n 8 2 4 . D e r r a d i k a l e G e g e n s a t z z u m L e b e n in der W e l t ist d a m i t o f f e n k u n d i g ;
die
E r s t e n w e r d e n die L e t z t e n , die L e t z t e n die E r s t e n sein. I m eigentlichen, w a h r e n L e b e n — das L e b e n in d e r „ W e l t " ist n u r „ W e g " — w e r d e n die Gläubigen, die in d e r W e l t den „ p o t e s t a t e s " u n t e r w o r f e n w a r e n , m i t C h r i s t u s h e r r s c h e n 3 2 5 . D i e O r d n u n g der W e l t gilt also in d e r „ v i t a a e t e r n a " nicht m e h r , j a , sie ist a u f den K o p f gestellt. „ S u b specie a e t e r n i t a t i s " verliert f ü r den C h r i s t e n die w e l t lidie G e w a l t entscheidend a n B e d e u t u n g 3 2 e .
5 2 0 Vgl. Enarr. in P s . 1 3 0 , 1 5 , ed. E . D e k k e r s u. J . F r a i p o n t , C C 4 0 (1956), S. 1 9 1 1 , 4 f f . : „Sed non semper saeculi nomen hoc saeculum significat, sed aliquando aeternitatem." 3 2 1 Vgl. auch de vera rel. 5 5 , 1 1 1 , ed. J . M a r t i n , C C 3 2 (1962), S . 2 5 8 f : „Quare si Omnibus potestatibus, quae dantur hominibus ad regendam rem publicam, pro nostro uinculo subditi sumus, reddentes Caesari, quod Caesaris est, et deo quod dei est, non est metuendum, ne hoc post nostram mortem aliquis exigat. E t aliud est seruitus animae, aliud seruitus corporis." 3 2 2 D e civ. Dei X I X , 1 7 , C C 4 8 (1955), S . 6 8 3 f.: „Sed domus hominum, qui non uiuunt ex fide, pacem terrenam ex huius temporalis uitae rebus commodisque sectatur; domus autem hominum ex fide uiuentium exspectat ea, quae in futurum aeterna promissa sunt, terrenisque rebus ac temporalibus tamquam peregrina utitur, non quibus capiatur et auertatur quo tendit in deum, sed quibus sustentetur ad facilius toleranda minimeque augenda onera corporis corruptibilis, quod adgrauat animam. Idcirco rerum uitae huic mortali necessariarum utrisque hominibus et utrique domui communis est usus; sed finis utendi cuique suus proprius multumque diuersus." 8 2 3 Von der „evacuatio potestatis" spricht Augustin öfter; vgl. de civ. Dei X I X , 15, C C 4 8 (1955), S . 6 8 2 , 3 8 ff.: „Ideoque apostolus etiam seruos monet subditos esse dominis suis . . . donec transeat iniquitas et euacuetur omnis principatus et potestas humana et sit Deus omnia in omnibus." 3 2 4 Vgl. Sermo 87, cap. I V , 6, P L 38, col. 5 3 3 : „Erimus ergo in illa mercede omnes aequales, tanquam primi novissimi, et novissimi primi: quia denarius ille vita aeterna est (vgl. Matth. 2 0 , 1 — 1 6 ) , et in vita aeterna omnes aequales erunt." 325 v g i . Sermo 8 4 , 2 , P L 38, col. 5 2 0 : „Vera enim vita vel beata haec est, cum resurgemus et cum Christo regnabimus . . . E t vita beata esse non potest, nisi aeterna, ubi sunt dies boni; nec multi, sed unus." 5 2 9 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt H . A . D e a n e , a.a.O., S. 143 ff. bei seiner Interpretation von Kapitel 72 der „Expositio". E r betont, daß Augustin dem Staat unter eschatologischem Aspekt nur einen relativen Wert beimißt. F. G. Maier, Augustin und das antike Rom, passim, arbeitet ebenfalls die eschatologisdie Form des christlichen Selbstverständnisses bei Augustin heraus und die dadurch hervorgerufene kritische
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Bei der Interpretation der Kapitel L X X I I I und LXXIV der „Expositio" 327 können wir uns kürzer fassen. Im 73. Kapitel nimmt Augustin zu Bedenken Stellung, die vermutlich in seinem Hörerkreise geäußert wurden. Die Bedenken galten dem Ausspruch des Paulus: „Vis autem non timere potestatem? bonum fac, et babebis laudem ex illa" (Rom. 13, 3). Die Richtigkeit dieser Behauptung wurde offenbar zweifelhaft, wenn man an die Verfolgungen dachte, die Christen von den weltlichen Gewalten zu erdulden hatten: „ . . . potest movere aliquos, cum cogitaverint ab istis potestatibus persecutionem saepe passos fuisse Christianos." Augustin versucht eine befriedigende Erklärung des Paulusverses, indem er sagt, daß man unter dem „bonum", das der Christ tun solle, audi das Erleiden von Verfolgung und Tötung durch die „potestates" verstehen könne. Dann bringt er eine etwas spitzfindige Formulierung, die in späteren Römerbriefkommentaren gern in ähnlicher Form wiederholt wird: „Consideranda ergo sunt verba Apostoli. Non enim ait Bonum fac, et laudabit te potestas; sed ait ,Bonum fac, et habebis laudem ex illa'. Sive enim probet factum tuum bonum, sive persequatur,,laudem habebis ex illa'; vel cum earn in obsequium Dei lucratus fueris, vel cum ejus persecutione coronam merueris. Hoc etiam in consequentibus intelligitur, cum dicit, ,Dei enim minister est tibi in bonum', etiam si sibi in malum." 328 Sei es also, daß die „potestas" die gute Tat anerkennt und dadurch dem Gläubigen schon in der Zeitlichkeit Lob verschafft, sei es, daß sie den Gläubigen verfolgt, immer ist sie die Ursache für das Lob, von dem der Apostel redet, mag das Lob vielleicht auch in der Märtyrerkrone bestehen. Wiederum wird deutlich, daß Augustin noch 394, ganz „unzeitgemäß", von der Verfolgungseschatologie her denkt. Man kann im übrigen bezweifeln, daß seine Auslegung von Rom. 13,3 den Intentionen des Apostels Paulus entspricht 328 . Augustins Ausführungen zeigen, daß er selbstverständlich zwischen guter und schlechter Handhabung der „potestas", zwischen „rex iustus" und „rex iniustus" unterscheidet 380 . Im 74. Kapitel der „Expositio" 331 schärft Augustin nochmals die Notwendigkeit ein, sich den Obrigkeiten zu unterwerfen, mit der uns schon bekannten Einschränkung, daß diese Unterwerfung nur für das gegenwärtige Leben gilt. Wenn die weltliche Gewalt uns weltlicher Dinge beraubt, so haben wir das widerstandslos zu dulden. Alle weltlichen Dinge vergehen, also auch die „subjectio": „ . . . ut intelligamus quia necesse est propter hanc vitam subditos nos esse oportöre, non resistentes si quid Uli auferre voluerint, in quod sibi potestas data est, Haltung gegenüber der Welt im allgemeinen und dem Staat in seiner Erscheinungsform 327 als Imperium Romanum im besonderen. PL 35, col. 2084. 328 Ähnliche Ausführungen in: Ep.93, VI,20, ed. Al. Goldbacher, CSEL 34 (1895), II, S. 4 6 4 f . ; Contra Gaud. Donatist. ep.I,21, ed. E. Petsdienig, CSEL 53 (1910), S.217; Sermo 13,6, ed. C.Lambot, C C 4 1 (1961), S. 181. 329 A. Strobel, Zum Verständnis von R m l 3 , ZntW 47 (1956), S.80 mit A n m . 7 2 bezeichnet Augustins Auslegung als gekünstelt; anders V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus, S. 80. 330 Vgl. E. Bernheim, Mittelalterliche Zeitanschauungen I, S. 46 ff. 331 PL 35, col. 2084.
Augustinus
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de temporalibus rebus; quae quoniam transeunt, ideo et ista subjectio non in bonis quasi permansuris, sed in necessariis huic tempori constituenda est." Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man in diesem Passus implicite ein Widerstandsrecht anerkannt sieht, für den Fall, daß die „potestas" in Glaubensdinge hineinzureden versucht. Für Augustin könnte ein solches Widerstandsrecht nur ein passives sein 332 . Augustin verlangt nun aber noch etwas mehr als lediglich leidendes Hinnehmen der „potestas", mehr als das Sich-Fügen in eine unabänderliche Tatsache. Er verlangt, daß man der „potestas" nicht nur äußerlich Gehorsam erweist, sondern sie auch innerlich bejaht, daß im Verhältnis zur weltlichen Gewalt die Liebe herrscht: „. . . ne quis non integro animo et pura dilectione subditus fieret hujusmodi potestatibus, addidit, dicens ,ηοη solum propter iram, sed etiam propter conscientiam'; id est, non solum ad iram evadendam, quod potest etiam simulate fieri; sed ut in tua conscientia certus sis, illius dilectione te facere, cui subditus fueris jussu Domini tui ,qui omnes vult salvos fieri, et in agnitionem veritatis venire (1. Tim. II, 4)'." Durch diese Liebe, die der Untergebene audi seinem Herrn, nicht nur Gott, dem Nächsten und sich selbst entgegenbringt, beweist er seinen Glauben; denn das Werk des Glaubens ist die Liebe 33S . Wenn Augustin in diesem Zusammenhang 1. Tim. 2, 4 zitiert, so scheint er sagen zu wollen, daß die „dilectio" gegenüber den weltlichen Gewalten eine der Bestätigungen wahren Glaubens ist und mit zu den Voraussetzungen gehört, unter denen der Gläubige von Christus gerettet wird und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt. Das bedeutet jedoch keine hohe Wertschätzung der „potestas", sondern eher eine Übung für die Glaubenskraft, die sich zur Liebe gegenüber der weltlichen Gewalt überwindet. So ist die „dilectio" gegenüber der „potestas" — ganz paulinisch — Zeichen der Weltentsagung. Die Liebe ist keineswegs nur gegenüber den „bonae potestates" erforderlich, sondern audi gegenüber bösen Machthabern 334. Augustin gibt in seiner „Expositio" keinen vollständigen Kommentar zu Rom. 13, 1-7, wie sich gezeigt hat. Die Frage des Widerstandsrechtes im Anschluß an Rom. 13, 2 wird nicht eingehend behandelt, die Verse Rom. 13, 6, 7 werden nicht kommentiert. Augustin gibt also keine geschlossene und umfassende Darstellung seiner Auffassung vom Staate und der damit zusammenhängenden Probleme. Dennoch scheint eine Analyse der einschlägigen Kapitel seiner „Expositio" vollauf gerechtfertigt, da sich hier recht deutlich zeigt, in welchen Bahnen sich Augustins Gedanken über den Staat bewegen 335 . 332
Vgl. G. Combes, La doctrine politique, S. 157. Vgl. In ep. Joh.tract. X , l , PL 35, col.2054. 334 Vgl.Enarr. inPs. 124,7, ed. E.Dekkers u. J.Fraipont, C C 4 0 (1956), S. 1841,42ff.: „Si Dominus caeli et terrae, per quem facta sunt omnia, seruiuit indignis, rogauit pro saeuientibus et furentibus . . . quanto magis non debet dedignari homo, ex toto animo, et ex tota bona uoluntate, cum tota dilectione seroire domino etiam malo? . . . Quod autem dixi de domino et seruo, hoc intelligite de potestatibus et regibus, de omnibus culminibus huius saeduli. Aliquando enim potestates bonae sunt, et timent Deum; aliquando non timent Deum." Vgl. auch de civ. Dei X I X , 15, C C 4 8 (1955), S . 6 8 2 f . 335 Ygj Jas zusammenfassende und vergleichende Kapitel, S. 107 ff. 333
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5. Pelagius Der letzte Kommentar zu Rom. 13, 1-7, den wir innerhalb der patristischen Reihe zu besprechen haben, ist der des Iren Pelagius. Sein Paulinenkommentar hatte ein wechselvolles Schicksal. Schon im 5. Jahrhundert wurde er leicht überarbeitet, wobei der Charakter der eigentlich pelagianischen Lehren erhalten blieb. Diese Version des Pelagius-Kommentars wurde in ihrer kürzeren Form 1516 von Erasmus in der Baseler Ausgabe der Werke des Hieronymus veröffentlicht und segelte dann weiter unter der Flagge dieses Kirchenvaters. Im 6. Jahrhundert überarbeitete Cassiodor mit seinen Schülern den originalen PelagiusKommentar mit dem Ziele, ihn von allen pelagianischen Irrlehren zu reinigen; Cassiodor selbst nahm sich den Römerbriefkommentar vor. Diese so aus der Schule Cassiodors hervorgegangene Version wurde erstmals 1537 von Jean de Gagny unter dem Namen des Primasius von Hadrumetum (Pseudo-Primasius) veröffentlicht. A. Souter hat den originalen Paulinenkommentar des Pelagius wiederentdeckt und kritisch ediert 330 . Pelagius, von dessen Leben wir trotz seiner Auseinandersetzungen mit Augustinus verhältnismäßig wenig wissen, schrieb seinen Kommentar nach A. Souter zwischen 404 und 409 337 . Zu den Quellen des Pelagius-Kommentars gehört neben dem Paulinenkommentar des Ambrosiaster, den exegetischen Arbeiten Augustins zum Römerbrief u. a. vor allem audi der Römerbriefkommentar des Origenes in der Übersetzung Rufins 338 . Da Rufins Ubersetzung wohl erst 405 zugänglich war, kann man vermuten, daß Pelagius seine exegetische Arbeit nicht vor 406 begonnen hat 3 3 9 . Wir stützen uns bei unserer Analyse nur auf den Paulinenkommentar des Pelagius; die anderen allgemein als echt anerkannten Schriften des Pelagius ergeben für unsere Zwecke nichts. Neuerdings weist ihm G. de Plinval noch zahlreiche weitere kleine Schriften zu. Diese Zuweisungen scheinen jedoch noch nicht völlig gesichert 840 . Mit Pelagius' Haltung gegenüber dem Staat hat man sich bisher kaum beschäftigt, zumal seine Schriften in dieser Hinsicht wenig Anhaltspunkte bieten. Neuerdings nehmen aber Κ. H . Schelkle und V. Zsifkovits kurz zu dieser Frage Stellung 341 . Κ. H . Schelkle verweist besonders auf die durchgängig doppelte 33β A. Souter, Pelagius's Expositions of Thirteen Epistles of St. Paul. I. Introduction. II. Text. III. Pseudo-Jerome Interpolations, Cambridge 1922/1926/1931 ( = Texts and Studies IX); zu vergleichen: Pseudo-Hieronymus, PL30, col. 645—902 und PseudoPrimasius, PL 68, col. 413—686. 337 Souter, a.a.O., I, S. 188 f. 338 Souter, a.a.O., I, S. 174 ff.; zur Quellenfrage vgl. audi die Literaturangaben im Verzeichnis der Römerbriefkommentare, S. 274. 33« Vgl. B. Altaner, Augustinus und Johannes Chrysostomus. Quellenkritische Untersuchungen, in: B. Altaner, Kleine patristisdie Schriften (vgl. Anm.284), S. 302—311, bes. S. 303, Anm. 1: Abfassungszeit des Paulinenkommentars 406—410. 340 Vgl. B. Altaner, Patrologie, S. 375. 341 Κ. H . Schelkle, Staat und Kirche, S. 231 ff.; V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus, S. 66, S. 87, S. 101, S. 103.
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Pelagius
Auslegung von Rom. 13,1 ff., wobei neben die übliche Auslegung eine spiritualistische Auslegung auf die Kirche hin trete. Unsere Analyse wird das bestätigen. Den größten Raum im Kommentar zu Rom. 13, 1-7 nimmt die Exegese von Rom. 13,1 ein 342 . Pelagius teilt diesen Vers in drei Abschnitte, die er einzeln kommentiert; zunächst: „Omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit." Diese Mahnung des Apostels richtet sich nach Pelagius gegen diejenigen, „ . . . qui se putabant ita debere übertäte Christiana uti, ut nulli aut honorem deferrent aut tributa dependerent". Paulus wünscht, so meint Pelagius, daß der Christ sich durch Steuerzahlung und Ehrerweisung gegenüber der weltlichen Gewalt demütigt; als Begründung für die Notwendigkeit dieser Haltung des Christen gibt Pelagius an: „ . . . ne forte propter superbiam magis quam propter deum contumeliam patiantur." Der Christ soll in Demut die Zeit erfüllen, wie es dann weiter heißt (vgl. Eph. 5, 16 und Kol. 4, 5). Die Auffassung, die Pelagius hier vertritt, ist uns nicht unbekannt. Seine Gedankengänge sind ziemlich genau in Kapitel 72 der „Expositio quar. prop. ex. ep.adRom." Augustins vorgebildet 343 . Es ist der gleiche Begriff der christlichen Freiheit bei Augustin wie bei Pelagius, der gegen die falsche Auslegung verteidigt wird, daß die „libertas christiana" von aller weltlichen Ordnung entbinde. Es kehren bei Pelagius auch die gleichen Hinweise darauf wieder, wie sich eine falsche Interpretation des „libertas"-Gedankens auswirken könne, nämlich in der Verweigerung der Ehrerbietung gegenüber der weltlichen Gewalt und in der Ablehnung der Steuerzahlung. Und es ist schließlich der gleiche Begriff, durch den bei Augustin und Pelagius aller Ungehorsam in eins gefaßt wird, der der „superbia". Es ist natürlich klar, daß nicht alle Gedanken Augustins in Bausch und Bogen auch für Pelagius in Anspruch genommen werden können. Ich glaube aber doch, daß in unserem Fall der Hinweis auf Augustin möglich und gestattet ist. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweise ich deshalb auf die Analyse von Augustins „Expositio" 344 . Am Schluß der Exegese des Abschnitts eins von Rom. 13, 1 führt Pelagius eine weitere Deutungsmöglichkeit an: „Aliter: Possunt sublimiores potestates ecclesiasticae dignitates intellegi" (die Einleitung durch „aliter" oder „sive" findet sich fast auf jeder Seite des Paulinenkommentars). Obwohl Pelagius' Kommentar im Original oder in den Versionen des Pseudo-Primasius und Pseudo-Hieronymus später viel benutzt wird, findet sich bezeichnenderweise diese „spiritualistische" Deutung der „potestates" auf Ränge in der kirchlichen Hierarchie nicht mehr. Durch Verwendung von „possunt" zeigt Pelagius im übrigen, daß er auf diese seine zweite Deutung doch wohl keinen entscheidenden Wert legt. Den zweiten Abschnitt von Rom. 13,1: „ N o n est enim potestas nisi a deo" tut Pelagius mit dem Prophetenwort ab: „regnauerunt et non per mef" (Hos. 8, 4). Er unterstreicht dadurch, daß rechtmäßige Gewalt nach dem Pauluswort nur von Gott sein kann, sollte es auch Leute geben, die sich aus eigenem Recht Herrschaft anmaßen. Wichtiger sind die Ausführungen zu Abschnitt drei 342
7
Sourer, a.a.O., II, S. 101.
Affeldt, Paulus-Exegese
343
PL 35, col. 2083.
244
Vgl. oben S. 86 ff.
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von Rom. 13,1: „Quae autem sunt, a deo ordinatae sunt." Dazu sagt Pelagius folgendes: „Si de saeculi potestatibus dicere uideatur, non ideo omnes iustae erunt, etiam si a deo exordium acceperunt. secundum desiderium enim unius cuiusque dantur." Vielleicht von Origenes angeregt 345 , deutet sich hier ein Problem an, das für spätere Exegeten immer wichtiger werden sollte. Ist audi die schlechte, ungerechte Gewalt von Gott? Pelagius selbst stellt sich die Frage nicht klar. Fest steht für ihn, so scheint es, daß alle Gewalt von Gott kommt, woraus jedoch für ihn nicht notwendig folgt, daß die „potestates" auch alle gerecht sein werden. Bemerkenswert ist, daß Pelagius in diesem Zusammenhang nur von der weltlichen Gewalt spricht, und zwar in einer Form, die darauf schließen läßt, daß die von Gott eingesetzten „ecclesiasticae dignitates" in jedem Fall gerecht sein werden. Eigentümlich ist die Begründung für die Ansicht, daß nicht alle weltlichen Gewalten gerecht sein werden: sie werden nach dem Wunsche, dem Verlangen jedes einzelnen gegeben. Somit ist von einer gewissen Mitwirkung des Menschen bei Erlangung der „potestas" gesprochen. Pelagius' Ausdrucksweise ist zu unbestimmt, als daß man seine Auffassung genau erkennen könnte. Möglich ist, daß er ganz einfach sagen wollte, daß Gott zwar nur „potestas" verleiht, die als gut und gerecht qualifiziert ist, daß aber ein Mißbrauch durch die Inhaber der Macht nicht ausgeschlossen ist. Die Problematik ist zu wenig entfaltet, die Ausdrücke sind zu unbestimmt, als daß man mehr sehen könnte als ein erstes Herantasten an exegetische Schwierigkeiten. An Rom. 13, 1 schließt sich noch ein Gedankengang, zu dem Pelagius über ein Bibelzitat gelangt (Sap. 6, 3-5): „constituitur enim a deo ut iuste iudicet, et ut peccatores habeant quod timere, ne peccent." Die „potestas" ist also von Gott selbstverständlich eingesetzt, damit sie gerecht richte 34e . Hieraus wird ersichtlich, daß Pelagius noch eine andere „potestas" zu kennen scheint, die teuflischen Ursprungs ist. Im Anschluß an Eph. 6,12, wo von Fürsten und Mächten der Finsternis die Rede ist, sagt er: „Qui sibi principatum in huius mundi homines usurparunt, et qui ignorantes [homines] animas per peccata seducunt." 347 Die Frage, ob zwei Mächte anzunehmen sind, die „potestates" einsetzen, Gott und der Teufel, oder ob die teuflische Macht mit der oben erwähnten ungerechten Gewalt identisch ist, beantwortet Pelagius, soweit man sehen kann, nicht klar. Zu Rom. 13,2,3 bietet Pelagius' Kommentar wenig Bemerkenswertes. Die Version des Pseudo-Primasius ist immerhin zu Rom. 13, 3 erwähnenswert. Dort wird der Teilvers: „Bonum fac, et habebis laudem ex illa" näher untersucht, mit dem Ergebnis folgender Unterscheidung: „Etsi non ab illa, tarnen ex illa (sc. 345
Vgl. das Origenes-Kapitel, S. 46. Pelagius hält vom menschlichen Gericht nicht sehr viel; vgl. Exp. in I Cor. IV, 3, Souter, a.a.O., II, S. 146: „Humanuni iudicum nullius duco momenti, in quo saepe ueritas et iustitia frustratur . . . " ; vgl. audi Exp. in Rom. 11,2, Souter, a.a.O., II, S. 19. 347 Exp. in Eph. VI, 12, Souter, a.a.O., II, S. 383; vgl. audi das Folgende: [„Contra daemonum potestatem, qui sibi in homines mundi principatum uindicantes, ignorantiae erroribus praesunt . . . " ] ; Exp. in Eph. 11,2, Souter, a.a.O., II, S. 351: „Secundum principem illius potestatis, quae in hoc aere . . . satellitibus suis ad decipiendos diuersis peccatis homines diuiserit potestatem." 346
Pelagius
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laus). Aut enim juste agis, et justa potestas laudabit te, aut juste agentem, etiamsi potestas injusta damnet te, Deus justus coronabit te." 348 Der Gerechte wird also R u h m vor G o t t haben, auch wenn er von der irdischen Macht verurteilt wird; gerade auch die ungerechte irdische Gewalt kann das Lob Gottes bewirken. Diese Unterscheidung ist keine Erfindung Cassiodors, der ja den originalen Pelagius-Kommentar überarbeitet h a t ; sie stammt dem Sinne nach, ja, fast wörtlich, von Augustin 3 4 e . Diese Auslegung wird in der Form, die ihr Cassiodor gab, oder in der ursprünglich augustinischen, später sehr beliebt. Pelagius selbst bietet zu diesem Teilvers von Rom. 13, 3 n u r : „Ipsa damnatio malorum laus est bonorum." 350 Die Verurteilung der Bösen durch die weltliche Gewalt bedeutet ein Lob f ü r die Guten, Rechtschaffenen, aber eben nur ein indirektes Lob. Auch den Vers Rom. 1 3 , 4 unterteilt Pelagius, wie überall, in kleinere Abschnitte. Den Teilvers „Dei enim minister est tibi in bonum" legt er so ajus: „Quia p r o tua sollicitus est quiete." Auch hier der Hinweis, daß der Staat in erster Linie f ü r Ruhe und O r d n u n g zu sorgen hat. Den Teilvers „non enim sine causa gladium ρ or tat" kommentiert er wieder in doppelter Weise. Zunächst: „Et in te habet officium, si peccaueris, nec tibi proficit ad mercedem." Die weltliche Gewalt hat z w a r eine Aufgabe gegenüber dem Sünder, sie ist Strafgewalt, aber sie kann den Christen nichts nützen, wenn es um die Gewinnung des Heils geht; denn „merces" scheint auch hier, wie überall sonst bei Pelagius, eine heilsgeschichtliche Bedeutung zu haben 3 5 1 . Damit würde sich Pelagius gegen die K o n zeption des Ambrosiaster wenden, dessen Kommentar er ja kannte. Die zweite Deutung: „Siue: Sacerdotes gladium spiritalem portant, sicut Petrus percussit Ananiam et Paulus magum." Eine „spiritualistische" Erklärung von „gladius" ist die Konsequenz der doppelten Auslegung von Rom. 13, 1. D a z u konnte außerdem Eph. 6,17 eine Anregung geben, wo die Rede ist vom Schwert des Geistes, das das W o r t Gottes ist 3 5 2 . Vielleicht ist Pelagius in diesem P u n k t audi von Cyprian beeinflußt worden 3 5 8 . 348
PL 68, col. 497 B. Vgl. das Augustinus-Kapitel, S. 94, und die Stellennachweise in Anm. 328; ferner Sermo CCCII In solemnitate martyris Laurentii, cap. XIII, 12, PL 38, col. 1390. 350 Nach Souter, a.a.O., I, S. 193 ist Pelagius mit dieser Formulierung von Origenes' Römerbriefkommentar abhängig. 351 Vgl. Exp. in Rom. II, 7, Souter, a.a.O., II, S. 21: „Boni operis merces per patientiam exspectatur, quia in praesenti uita non redditur." 352 Vgl. Exp. in Eph. VI, 17, Souter, a.a.O., II, S. 384 und Exp. in II C o r . X , 4 , Souter, a.a.O., II, S. 285. Κ. H. Schelkle, Staat und Kirche, S. 231 vermutet, daß Pelagius die spiritualistische Deutung von „gladius" von den Donatisten hat, denen der Hinweis auf das Schwert der weltlichen Gewalt nach Rom. 13,4 unbequem war. Pseudo-Hieronymus, Souter, a.a.O., III, S. 24, bemerkt zu Rom. 13,4 noch folgendes: „Huic dicendo ,minister est tibi boni' causa, ostendit in his quae recta sunt iudicibus oboediendum, non in illis quae religioni contraria sunt." 353 Vgl Cyprian, E p . I I I , 4 , ed. G. Härtel, CSEL 3 , 2 (1871), S . 4 7 7 : „ . . . spiritali gladio superbi et contumaces necantur, dum de ecclesia eiciuntur." Siehe dazu H. Koch, Cyprian in den Quaestiones Veteris et N o v i Testament! und beim Ambrosiaster, ZKG 45 (1926), S. 552. 349
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Die Patristik. Analysen
Bei der Behandlung der Kommentare zu Rom. 13, 5-7 können wir uns kürzer fassen. Die doppelte Auslegung: weltliche Gewalt — geistliche Gewalt wird weiter durchgeführt. Zu Rom. 13, 5 sagt Pelagius, daß die weltlichen Gewalten ohne Grund zürnen können, weshalb man ihnen notwendig Untertan sein müsse. Die gleiche Haltung der Unterordnung habe man aber auch den Priestern gegenüber einzunehmen. Nur um ihrem Zorn zu entgehen? Nein, sondern: „ . . . quia scis illis et a iustis honorem deberi." Wie legt Pelagius des Paulus Gebot aus, nach dem man audi um des Gewissens willen den „potestates" gehorsam sein muß? Nach seiner Meinung soll Paulus' Forderung besagen: „ . . . ne propter alicuius peccati conscientiam condemnemini." Es ist nicht genau auszumachen, ob die Verurteilung, von der hier die Rede ist, sich auf das letzte Gericht bezieht oder nicht. Eine solche Deutung liegt nahe; sagt doch Pelagius zu Rom. 2, 15, 16: „Siue: Conscientia et cogitationes nostrae erunt in die iudicii ante oculos nostras tamquam quaedam historiae cognoscendae; aut ips[a]e nos accusabunt aut etiam excusabunt..." 3 5 4 Eine andere Auslegung von Rom. 13,5 hat PseudoHieronymus 355. Zur Frage der Steuerzahlung meint Pelagius im Anschluß an Rom. 13, 6 abwägend: „Possunt et tributa sacerdotum intellegi, quae illis a deo sunt constituta." Pelagius schließt sich hier vielleicht frei an Num. 31,29 ff. an. Auch im Kommentar zu Gal. 4, 24 sind die Angaben für die Priester erwähnt: „ . . . et illi sacerdotibus suis ex debito seruientes tributa etiam reddere cogebantur" 356 . Es ist zu beachten, daß die Deutung der „tributa" von Rom. 13, 7 auf Abgaben an die Priester diesmal an erster Stelle steht. Erst mit „Siue" eingeleitet, folgt dann der Hinweis auf die Steuerzahlung an die Könige. Diesen hat man Steuern zu zahlen: „ . . . quia uoluistis possidendo saeculo esse subiecti." Dies soll wohl heißen, daß die Steuern eine Folge des Lebens in der Welt und der Teilhabe an weltlichem Besitz sind. Paulus nennt nun die Könige (und die Priester?) Diener Gottes, „ . . . ut uel sie eis redderent quod debebant, ne uideretur Christus superbiam doeuisse". Mit dem Hinweis darauf, daß die Könige und Fürsten Diener Gottes sind, will Paulus nach Pelagius erreichen, daß die Untertanen um so bereitwilliger ihren Verpflichtungen nachkommen. Die Loyalität der christlichen Staatsbürger ist das äußere Zeichen und eine Bestätigung dafür, daß die von Christus gebrachte neue Religion keinen Umsturz der Ordnungen in der Welt bedeutet. Eine solche „superbia", wie sie die Ablehnung der Steuerzahlung bedeuten würde, hat Christus nicht gelehrt. Das entspricht Augustins Auffassung. 854
Souter, a.a.O., II, S.23 f.; vgl. auch Exp. in I Thess. IV, 16, Souter, a.a.O., II, S . 4 3 2 f . : „Terrorem illius diei demonstrat, quod omnis tunc potestas caeli et omnia elementa moueantur, ut nos sciamus quali conscientia diem domini intrepidi exspectare possimus." 355 Souter, a.a.O., III, S. 24: „Item: ,Malum agentes' et contra praeeepta uiuentes ,propter' uindictam ,subditi sunt potestatibus': recte autem uiuentes ,propter conscientiam sub.diti sunt", quia bona et iusta sunt quae iubentur." 356 Souter, a.a.O., II, S. 329.
Pelagius
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Eine kleine Überraschung erlebt man bei Pelagius' Auslegung von Rom. 13, 7. Da heißt es: „Potest etiam elemosina debitum appellari, dicente scriptura: ,inclina pauperi aurem tuam et redde debitum tuurri (Eccli. 4, 8)." Das von Paulus durchaus auf die weltliche Gewalt bezogene „debitum" hat Pelagius ins Christlich-Moralische gewendet. So ist denn auch „vectigal" im christlichen Sinne die Gabe, die wir den Bettlern am Wege reichen 357. Man erkennt audi hier das Bemühen, Rom. 13,1-7, wenn auch mit Zugeständnissen an die übliche und richtige Auslegung, ganz in die Sphäre des christlichen Lebens, der kirchlichen Ordnung, hineinzuziehen. Nicht ganz leicht fällt es, Pelagius' Meinung zur Frage der Furchtbezeigung und Ehrerweisung gegenüber der weltlichen Gewalt zu verstehen. Er sagt: „Quo modo ergo scriptum est alibi: ,praeter dominum neminem esse timendum'f sed sic, inquit, age ut neminem timeas: timor enim dei timorem expellit humanum. sed quoniam causas adhuc timoris habetis, necesse est ut timeatis." 358 Pelagius stellt sich die Frage, wie sich das Gebot des Paulus Rom. 13, 7 mit der höheren Forderung in Dt. 6,13 reime, nach der allein Gott dem Herrn Furcht zu bezeigen sei. Pelagius gibt folgende Antwort: Handele so, daß du niemanden zu fürchten brauchst. Sittliches Handeln ist gottesfürditiges Handeln und beseitigt alle Furcht vor Menschen. N u r der Bösewicht, der ja eben auch die rechte Gottesfurcht vermissen läßt, muß die Obrigkeit fürchten. Da aber nun die Menschen, wie Pelagius realistisch feststellt, sehr wohl Gründe haben, die Obrigkeit zu fürchten, weil eben das Handeln der Menschen nicht völlig untadelig ist, so ist die Forderung des Paulus eine Notwendigkeit. Was nun den „honor" betrifft, die Ehrerbietung, so behauptet Pelagius, daß sie nur den Gleichen, den Gleichgestellten zu erweisen sei. Also auch einem Priester nicht? Das ist natürlich nicht Pelagius' Meinung. Die Ehrung der Priester beruht auf der Würde ihres „ordo" und auf dem Gehorsam der Liebe, der ihnen entgegengebracht wird 3 5 9 . Eine besonders ehrende und ehrerbietige Haltung gegenüber der weltlichen Obrigkeit scheint Pelagius abzulehnen. Die christliche Form des Kaiserkultes dürfte für ihn ein Ärgernis gewesen sein. Ein klares Urteil über die Stellung des Pelagius zur weltlichen Obrigkeit läßt sich nicht fällen. Der knappe Kommentar zu Rom. 13, 1-7 bietet dazu nur wenig Möglichkeiten. Auch Pelagius hält im wesentlichen an der überlieferten Lehre fest, daß der Christ den Ordnungen der Welt verhaftet bleibt und deshalb natürlich auch der „potestas" Gehorsam zu zeigen hat. Er scheint jedoch den Wert der weltlichen Gewalten nicht eben hoch zu veranschlagen. Die Unterordnung des Christen hat vor allem sittlichen, subjektiven Wert. Bei einem Manne vom Charakter des Pelagius überrascht eine solche Haltung nicht. Die politische Umwelt war im übrigen nicht dazu angetan, besondere Achtung gegenüber der weltlichen Gewalt in Pelagius zu wecken. 357
Bei Pseudo-Primasius findet sich neben der Auslegung von Original-Pelagius noch die etymologische Erklärung: „Vectigal autem a vehendo dicitur" (PL68, col. 497 D). 358 Exp. in Rom. XIII, 7, Souter, a.a.O., II, S. 103. 35 » Vgl. Exp. in II Thess. V, 13, Souter, a.a.O., II, S. 435.
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Die Patristik. Allgemeiner Teil
II. A L L G E M E I N E R
TEIL
1. Die Form der Kommentare In diesem Kapitel, das einige kurze Bemerkungen zum Formalen der Kommentare zu Rom. 13,1-7 bringen soll, kann des Irenaus Schrift „Adversus haereses" außer Betracht bleiben. Kommentare im strengen Sinne sind unter den von uns behandelten nur die des Origenes und des Ambrosiaster. Hier ist jeder Vers von Rom. 13, 1-7 kommentiert, und zwar fortlaufend so, daß die Kommentare zu den einzelnen Versen innerlich — und auch äußerlich durch verbindende Worte — miteinander verknüpft sind. Während sich Origenes bei Fragen und Bibelversen, die ihn besonders beschäftigen, länger aufhält, wobei der Kommentar zuweilen etwas breit gerät, sind die Ausführungen des Ambrosiaster zu den einzelnen Bibelversen nur knapp gehalten. Ambrosiaster kann das für ihn Wichtige in kurzen Sätzen sagen. Dabei wird er gelegentlich, wie auch Origenes, etwas abstrakt. Die Auslegung des Pelagius kann nicht als Kommentar im engeren Sinne bezeichnet werden. Eine ausführlichere, gedanklich klar fortschreitende Exegese findet sich bei ihm selten. Oft wird sein Kommentar nahezu zur Glosse, die ein Verständnis nicht gerade erleichtert. Im Falle des Pelagius könnte man wohl von einem Scholienkommentar sprechen. Pelagius liebt es, seine Erklärungen durch bestimmte Formeln einzuleiten; er neigt überhaupt zu gewissen stereotypen Wendungen 3e0 . Er hat im übrigen eine besondere Vorliebe für alternative Deutungen und bringt zuweilen sogar drei Erklärungen in Vorschlag. Anderen Charakter wiederum hat Augustins „Expositio quar. prop, ex ep. ad Rom". Ein Vergleich mit der patristischen Quaestionenliteratur liegt hier nahe. Bei der Beschreibung der in den Kommentaren angewandten exegetischen Methoden können wir uns ebenfalls kurz fassen. Da für Origenes und Augustinus zahlreiche Arbeiten zu diesem Thema vorliegen 361 , seien vor allem Ambrosiaster und Pelagius behandelt. Insgesamt kann gesagt werden, daß sich die Exegeten bei der Auslegung von Rom. 13, 1-7 im allgemeinen davor hüten, durch Allegorese den Sinn der Paulusworte völlig zu verändern. Die nüchternen und sachlichen Probleme werden auch sachgerecht erörtert; allzu große Abschweifungen und Umdeutungen finden sich nicht, da dies der Paulustext ja auch nur unter Schwierigkeiten zuließe. Am meisten Freiheit nimmt sich Pelagius, wenn er versucht, Rom. 13,1-7 auch auf die geistliche Gewalt zu deuten. Dennoch müßte man auch ihn nach dem Charakter seiner Exegese der antiochenischen Schule zuzählen, ohne daß deshalb eine direkte Abhängigkeit von dieser Schule angenommen zu werden braucht. Bei Pelagius herrscht die sich an den Text anschließende historische Erklärung fast durchweg vor, gelegentliche „spiritualistische" Deutungen widersprechen dem nicht. Gern bedient er sich aeo Vgl. Souter, Pelagius's Expositions I, S. 65 ff. 381
Vgl. die Angaben im Verzeichnis der Römerbriefkommentare, S. 271 f. und S. 260 f.
Vergleich und Beurteilung des Inhaltes der Kommentare
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der Etymologie 362 . Pelagius kennt natürlich sowohl Allegorie als audi Typologie. Die allegorische Exegese zielt meist auf den Gewinn eines „moralischen" Sinnes. Die allegorische Auslegung wird zuweilen ausdrücklich als solche oder mit dem Wort „figura" bezeichnet 363 . Wie die Allegorese, so ist auch die Typologie nur spärlich verwendet; sie wird als „typus", „forma" oder auch als „figura" eingeführt und bezeichnet 364 . Einmal äußert sich Pelagius sogar in gewisser Weise theoretisch über die exegetische Methode 365 . Feste hermeneutisdie Grundsätze verkündet er jedoch nicht. Auch Ambrosiaster folgt in der Praxis den hermeneutischen Grundsätzen der antiochenischen Schule. Er kennt zwar einen höheren Schriftsinn 366 , verwendet aber die Allegorie nur selten 367 ; auch der sogenannte anagogische Schriftsinn ist ihm nicht unbekannt 368 . Häufiger verwendet er die Typologie; sie ist auch für ihn selbstverständliches exegetisches Rüstzeug 369 . Überwiegend jedoch legt Ambrosiaster nach dem historischen Sinn aus. Uber seine hermeneutischen Prinzipien äußert er sich nicht zusammenhängend.
2. Vergleich und'Beurteilung des Inhaltes der Kommentare In diese Betrachtung soll die Schrift des Irenäus „Adversus haereses" wieder einbezogen werden. Sie sei der Ausgangspunkt. Als nächste Stufe der von uns untersuchten patristischen Auslegung von Rom. 13, 1-7 wird dann der Kommentar des Origenes zusammenfassend überprüft. Die zeitlich nur wenig auseinanderliegenden Kommentare von Ambrosiaster, Augustin und Pelagius bilden den Abschluß. 382 Vgl. Exp. in Rom. V, 20, Souter, a.a.O., II, S.48: „ ,subintrauit' autem — hoc est, subito intrauit — . . ; freilich ist diese Erklärung nidit ganz geglückt. 363 Yg] Exp. in Rom. X , 21, Souter, a.a.O., II, S. 85: „Extensio manuum allegorice significat crucem." 364 Zwei Beispiele: Exp. in I C o r . X , 2 , Souter, a.a.O., S. 180: „,Et omnes in Moysen baptizati sunt.' In Moysen, qui Christi typum gerebat"; und Exp. in I Cor. X , 3, a.a.O., S. 180: „Manna figura corporis Christi fuit." 365 Exp. in II Cor. III, 6, Souter, a.a.O., II, S. 246: „quidam uero dicunt quod historicus intellectus occidat, [ne]scientes quod nec ubique historia[e] nec ubique possit allegoria seruari: nam sicut quaedam in figura sunt dicta, [ita] si praecepta uelis allegorice intellegere, omnem eorum uirtutem euacuans, omnibus aperuisti ianuam delinquendi." see Vgl. j n e p. a J Rom. X V I , 16, PL 17, col. 190 A : „Hoc ergo ad superiorem sensum retulit, ut ostendat Christum esse, in quo salus est . . .". 367 Beispiele: In ep. ad Eph. V, 14, PL 17, col. 419 A : „Dormitionem hanc stuporem mentis significat, quae alienatur a vera via"; In ep. II ad Cor. X, 3, PL 17, col. 334Β: „omnis enim error caro dicitur." 268 In ep. ad Rom. X , 15, PL 17, col. 152 C: „Denique Jerusalem superior civitas visio pacis interpretatur, quae est mater nostra"; Quaest. C X I , 6 ed. A. Souter, CSEL 50 (1908) S. 279: „Montem ergo domini dicens caelum significauit." 369 Beispiele: Quaest. L, a.a.O., S. 9 6 f . : „in figura enim Christi Isaac promissus est"; In ep. II ad Tim. 11,20, PL 17, col.519 A : „ . . . et in templo Hierosolymis, in quo typus erat Ecclesiae . . . "
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Es sei noch einmal darauf hingewiesen, daß Irenäus keinen vollständigen Kommentar zu Rom. 13,1-7 geliefert hat. Das, was er in „Adversus haereses" über den Staat sagt, macht insgesamt nicht den Eindruck einer feindseligen Einstellung dem Staate gegenüber. Er hat noch keine großen Christenverfolgungen erlebt. Diese Tatsache könnte manches erklären, ist aber natürlich kein sicheres Indiz dafür, daß Irenäus, wäre er in der Lage des Origenes gewesen, seine Ansichten wesentlich geändert hätte. Die Staatsauffassung des Irenäus hat vergleichsweise noch wenig Profil. Einige Probleme, die sich aus dem Paulustext ergeben könnten, sind nur angerührt und nicht bis zu Ende durchdacht. Die Kompliziertheit aller jener mit dem Staat zusammenhängenden Fragen für den Christen wird, wenn auch vielleicht nicht verkannt, so doch nicht ausführlich dargelegt. Man hat den Eindruck, daß Irenäus von der wesentlich paulinischen Indifferenz gegenüber dem Staat noch nicht abgewichen ist. „Indifferenz" soll hier nur soviel heißen, daß der Staat zwar als Tatsache und Notwendigkeit festgestellt, in Grenzen bejaht und der Christ zum Gehorsam gegenüber diesem Staate verpflichtet wird, daß aber eine Auseinandersetzung mit dem Problem des Staates als nicht brennend wichtig erscheint. Wie für Paulus stehen audi für Irenäus ganz andere Dinge im Mittelpunkt. Die eschatologisch begründete Indifferenz, verbunden mit einer gewissen Anerkennung der Nützlichkeit der weltlichen Gewalt, scheint bei Irenäus weitergewirkt zu haben. Die ausdrückliche Aufforderung durch Paulus in Rom. 13,1 und Rom. 13,6, sich den „potestates" zu unterwerfen, läßt Irenäus als offenbar selbstverständlich unerwähnt und ohne nähere Erläuterung. Von Gehorsam aus innerstem Herzen, wie er später gefordert wird, ist bei ihm keine Rede. Eine bequeme Auslegung des paulinischen Gebotes wird jedenfalls vermieden oder abgelehnt, nach der man unter den „potestates" dämonische Mächte verstehen wollte und so das paulinische Gebot der Unterwerfung zu umgehen suchte. Es ist nicht unwichtig, festzuhalten, daß Irenäus eigentlich nur auf indirektem Wege zur Erörterung der Frage der „potestates" kommt, im Zusammenhang mit der Versuchungsgeschichte nämlich (vgl. Lk. 4), da er die Behauptung des Teufels, ihm seien die Königreiche der Welt übergeben worden, unter Hinweis auch auf Rom. 13, 1 ff. zu widerlegen sucht. Jede weltliche Gewalt ist für Irenäus von Gott, sei sie gut oder böse. Die Frage, ob auch die „mala potestas" als von Gott eingesetzt zu denken sei, legt er sich nicht vor. Die Auslegung von Rom. 13, 2 unterbleibt und damit die Erörterung der Frage eines möglichen Widerstandsrechtes. Irenäus denkt nicht daran, der weltlichen Gewalt eine andere und höhere Aufgabe zuzuweisen als ganz paulinisch nur die, das Recht zu wahren und Gewalttat zu verhindern. Es ist also im ganzen keine begeistert positive Einstellung zum Staat, aber doch eine nüchterne Einsicht in seine Notwendigkeit. Von einer heilsgeschichtlichen Bedeutung der „potestas" ist keine Rede. Die erstmalige Einsetzung der weltlichen Gewalt ist nach Irenäus durch das sündhafte Verhalten des Menschengeschlechts notwendig geworden, der unmittelbare Anlaß für ihn vermutlich der Brudermord Kains.
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Bei Origenes ändert sich das Bild deutlich. Es ist kaum zu bezweifeln, daß die Christenverfolgungen, die Origenes selbst nicht unbehelligt ließen, seine Haltung gegenüber dem Staat nachhaltig beeinflußt haben. Wie könnte es auch anders sein! Die Exegese von Rom. 13, 1-7 ist an sich durchaus sachgerecht. Origenes versucht im allgemeinen nicht, durch Suchen nach einem höheren Schriftsinn — was ja gerade ihm naheliegen konnte — dem Problem der weltlichen Gewalt die Schärfe zu nehmen oder es etwa durch geschickte Exegese gänzlich zu verflüchtigen. Im Gegenteil, man spürt, daß Origenes mit Rom 13, 1-7 gerungen hat. Eine einfache Hinnahme der paulinischen Paränese, wie wesentlich noch bei Irenaus, ist bei ihm nicht mehr möglich. Wie wird er nun mit dem Paulustext fertig? Zunächst: Es ist natürlich gar nicht verwunderlich, daß eine veränderte Welt notwendig eine gewisse Korrektur der paulinischen Lehren und Forderungen verlangte und bewirkte. Das Ergebnis ist bei Origenes, daß er in bestimmten Punkten hinter die von Paulus gezogene Linie gegenüber der weltlichen Gewalt zurückgeht und zurückgehen mußte, um andererseits über Paulus hinaus die Problematik erst richtig zu entfalten. So wurden später auch andere Lösungen möglich, die den Staat positiver sehen als das Origenes möglich war. Vergleicht man Paulus' lapidare Sätze mit dem Kommentar des Origenes, so sieht man klar, daß es dem Exegeten nicht gelungen ist, seine negativen Erfahrungen mit dem römischen Staat mit den Forderungen des Paulus völlig in Einklang zu bringen. Natürlich trägt daran nicht nur die historische Umwelt des Origenes Schuld, sondern audi seine individuelle Veranlagung. Beides jedenfalls führt dazu, daß die verhältnismäßig eindeutigen und klaren Lehren des Apostels durch zahlreiche Einschränkungen und Bedenken im Kern aufgelöst werden. Wie für Paulus und Irenaus ist auch für Origenes jede „potestas" von Gott. Er macht aber bereits die wichtige Unterscheidung zwischen der „potestas" an sich, die in jedem Falle von Gott eingesetzt ist, und der mißbräuchlichen Anwendung dieser „potestas" durch den Menschen. Damit wird ein Problem sichtbar, das die Exegeten immer wieder beschäftigt: Wie kann man das Phänomen der „mala potestas", vor dem man die Augen ja nicht verschließen kann, mit der Vorstellung von dem guten und gerechten Gott, von dem jede „potestas" ausgeht, in Einklang bringen? Origenes sieht — mehr als offenbar Irenaus — die Schwierigkeit und versucht eine Erklärung zu geben, indem er eben auf den möglichen Mißbrauch der „potestas" verweist. Später aber, vor allem in der Frühscholastik, wird man die Problematik noch tiefer und schärfer sehen und differenziertere Lösungen anbieten. Für Origenes ist nur diejenige weltliche Gewalt rechtmäßig und daher keine „mala potestas", deren Gesetze mit dem göttlichen Gesetz übereinstimmen. Sollte die „potestas" zu einem tyrannischen Regiment mißbraucht werden, was eben dann geschieht, wenn die Bindung an Gottes Gesetz verlorengeht, so braucht der Christ keinen Gehorsam mehr zu leisten und hat sich das Apostelwort zur Richtschnur zu nehmen, nach dem man Gott mehr gehorchen soll als den Menschen (Apg. 5 , 2 9 ) . Wohl kaum hat Origenes daran gedacht, daß die
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Christen aktiv Widerstand leisten sollten; er dürfte passiven Widerstand im Sinn gehabt haben, der zum Martyrium führt. Der Kommentar des Origenes zu Rom. 13, 1-7 zeigt, daß die „potestas" im Grunde zur Funktion der sittlichen Beschaffenheit des einzelnen Christen wird, wenn das einmal so ausgedrückt werden darf. Die „potestas" existiert nur für den, der innerlich und auch äußerlich durch materiellen Besitz dieser Welt noch angehört. So ist der Staat Folge der Sünde; nicht aber so sehr vom ErbsündeGedanken her, sondern konkret auf Grund des sittlich mangelhaften Verhaltens des einzelnen. Überspitzt formuliert: Der freie Wille des Menschen, der nach Origenes darüber entscheidet, ob die Seele nach Vollkommenheit strebt oder sich der sündhaften Begehrlichkeit des Leiblichen unterwirft, entscheidet damit auch für jeden einzelnen ganz persönlich über Existenz und Notwendigkeit des Staates. Das bedeutet jedoch nicht, daß Origenes die objektive Existenz des Staates leugnet; es ist nur so, daß für den sittlich hervorragenden Menschen diese objektive Existenz aufgehoben ist. Gewiß eine nur schwer nachvollziehbare Vorstellung. Für Origenes ist der Staat da überflüssig und sinnlos, wo es nichts Böses gibt, das bestraft werden müßte. Κ. H . Schelkle weist mit Recht darauf hin, daß eine solche Auslegung von Rom. 13,1, die auf trichotomistischen Unterscheidungen beruht, in der Folge die staatliche Gewalt auflösen muß 370 . Damit kommt die merkwürdige Doppeltheit in Theologie und Lehre des Origenes ins Spiel. Der Staat ist nur für den Durchschnittsgläubigen da, der christliche Gnostiker, der einem Vollkommenheitsideal entspricht, ist ihm enthoben 371 . So kann man im ganzen G. Massart nicht zustimmen, der Origenes' Verhältnis zum Staat positiver sieht 8 7 2 . Nirgends sagt Origenes, und es läßt sich auch nirgends herauslesen, daß der Staat mit der Bestrafung des Übels dem Menschen helfe, gottähnlich zu werden, wie G. Massart meint. Eine solche Aufgabe erfüllt der Staat nicht am Durchschnittsgläubigen, und schon gar nicht am vollkommenen Christen. Die Schwäche der Position des Staates bei Origenes, im Gegensatz zur christlichen Staatsauffassung späterer Zeit und späterer Römerbriefkommentare, hat ihre Ursache darin, daß die weltliche Gewalt nicht als eine durch die Erbsünde erforderte oder in der Natur des Menschen begründete Institution begriffen, sondern auf den freien Willen des einzelnen gegründet wird. So ist der Staat ein schwankendes, unsicheres Gebilde, dem die Grundlage jederzeit entzogen, die Daseinsberechtigung jederzeit abgesprochen werden kann. Eine solche Haltung dem Staat gegenüber konnte seit dem 4. Jahrhundert keine Nachfolge mehr finden, wenn auch einzelne Elemente der origenistischen 3 7 0 Κ. H . Schelkle, Staat und Kirche, S. 224; vgl. auch V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke nach Paulus, S. 91; unsere Analyse, oben S . 4 4 f f . 3 7 1 Vgl. A. Strobel, Schriftverständnis und Obrigkeitsdenken, S. 103 f. und F. Keienburg, Die Geschichte der Auslegung von Römer 13,1—7, S. 43. 372 y g i . G.Massart, Societä e Stato nel cristianesimo primitivo, S. 182ff.; meiner Auffassung ist auch W. Parsons, The Influence of Romans X I I I , ThSt 1 (1940), S. 348, der sehr deutlich sieht, daß Origenes im Kommentar zu Rom. 13 die Gebote des Paulus im Grunde annulliert und den vollkommenen Christen vom Gehorsam gegenüber dem Staat entbindet.
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Staatsauffassung übernommen werden, wie etwa die Vorstellung, daß die staatlichen Gesetze mit dem Naturgesetz, dem göttlichen Gesetz, übereinstimmen müssen. Hält man sich das alles gegenwärtig, so kann man vielleicht audi zu einem vorsichtigen Urteil über Rufins Übersetzung von Origenes' Kommentar zu Rom. 13, 1-7 kommen. Man darf annehmen, daß Rufin die Gedankengänge des Origenes einigermaßen adäquat wiedergegeben hat, wenn die möglichen Kürzungen hier einmal außer Betracht bleiben. Zu einem solchen Urteil muß die Überlegung führen, daß eine Auffassung vom Staat, wie sie Rufins Übersetzung zeigt, wohl zu Origenes' Zeiten denkbar war und zu seiner Denkweise paßt, aber zur Zeit des Übersetzers wohl kaum noch vertreten werden konnte und auch nicht vertreten worden ist 3 7 3 . Von neuem ändert sich das Bild, wenn wir vergleichend die Kommentare Ambrosiasters, Augustins und des Pelagius überblicken. Alle Kommentare sind innerhalb eines Zeitraumes von etwa 40 Jahren, zwischen 370 und 410, geschrieben worden. Die politische Umwelt ist für alle Exegeten in den wesentlichen Grundlinien die gleiche. Die konstantinisdie Wende, die audi eine neue und veränderte Beurteilung des Staates zur Folge hatte, liegt zwei bis drei Menschenalter zurück. Sie hat keine uniforme Staatsauffassung zur Folge gehabt, wie unsere Quellen zeigen. Im Gegenteil, die nun zu besprechenden Kommentare haben ein sehr heterogenes Gepräge. Alle Exegeten sind selbstverständlich der Ansicht, daß die weltliche Gewalt von Gott eingesetzt ist. Sollte das ausnahmslos für jede weltliche Gewalt gelten? Hatte Irenäus dies noch ohne größere Reflexion behauptet, Origenes bereits einen Weg zur Lösung des Problems gewiesen, so findet man sich enttäusdit, wenn man erwartet, daß die Sache in den Kommentaren, die wir jetzt zu besprechen haben, entscheidend gefördert ist, wenn sidi audi bemerkenswerte Gedankengänge finden. Augustin bietet in seinem Kommentar zu dieser Frage nichts, Pelagius hat eine Schwierigkeit gespürt, ist aber über Origenes nicht hinausgelangt. Ehe wir Ambrosiasters Stellungnahme überprüfen, sei zusätzlich noch Ambrosius von Mailand gehört. In seinem Kommentar zum Lukasevangelium findet sich der Versuch einer Lösung des Problems, der weitergewirkt hat. Die „Expositio evangelii secundum Lucam" des Ambrosius 374 beruht auf Predigten, die 377/78 gehalten worden sind. Im Jahre 389 wurden sie, zu einem Kommentar umgearbeitet, veröffentlicht 375 . Bei der Auslegung der Versuchungsgeschichte legt sich Ambrosius die Frage vor, wie es denn komme, daß nach Luk. 4, 5 offenbar der Teufel die „potestas" gibt, während es doch woanders (Rom. 13, 1) heißt: „omnis potestas a deo est." Kann etwa jemand zwei Herren dienen oder von zweien die „potestas" erhalten? Liegt da ein Widerspruch vor? Ambrosius 3 7 3 Zu einem positiven Urteil über Rufins Übersetzung kommt audi A . Strobel, Schriftverständnis und Obrigkeitsdenken, S. 1 0 1 ; anders und nicht überzeugend F . Keienburg, a.a.O., S. 44. 3 7 4 Sancti Ambrosii Mediolanensis opera, pars IV, ed. M. Adriaen, C C 14 ( 1 9 5 7 ) , 3 7 5 A.a.O., Praefatio, S. VII. S. 1 ff.
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antwortet: „Minime. Sed uide quia omnia a deo. Neque enim sine deo mundus, quia ,et mundus per ipsum factus' (Joh. 1, 10); sed licet a deo factus sit, tarnen opera eius mala, quia saeculum in maligno positum est et ordinatio mundi a deo, opera mundi a malo. Ita etiam a deo potestatum ordinatio, a malo ambitio potestatis." 3 7 6 Ambrosius nimmt eine Unterscheidung vor, die im folgenden noch deutlicher ausgesprochen wird. Die Welt ist zwar von Gott geschaffen, aber sie ist in der Sünde, ihre Werke kommen aus dem Bösen, und z w a r doch wohl deshalb, weil sich die Welt und in ihr die Menschen dem Bösen, dem Teufel, ergeben. Was von der „Welt" im allgemeinen gilt, gilt von der „potestas" im besonderen. Sie ist zwar von Gott eingesetzt und eingerichtet, aber das ehrgeizige Streben der Menschen nach der Macht ist eine Frucht des Bösen, vom Teufel eingegeben. Weiterhin sagt Ambrosius, die „potestates" seien „non datae, sed ordinatae", wodurch er vielleicht ausdrücken will, daß die „potestas" an sich, als Institution, von Gott eingesetzt, angeordnet ist („ordinatae"), daß aber nicht jeder einzelne Machthaber seine Macht unmittelbar von Gott erhält („non datae"). So kann man Gott nicht für jeden Gewaltherrscher verantwortlich machen. Der für uns wichtigste Abschnitt ist der folgende: „Hic quoque licet dicat dare se diabolus potestatem, omnia tarnen illa ad tempus permissa sibi esse non abnuit. Itaque qui permisit ordinauit nec potestas mala, sed is qui male utitur potestate. Denique ,uis non timere potestatem?
Bonum
fac,
et habebis laudem ex illa' (Rom. 1 3 , 3 ) . N o n ergo potestas mala, sed ambitio." 3 7 7 Ambrosius hat erkannt, daß es eine Schwierigkeit gibt, wenn man ausnahmslos jede weltliche Gewalt unmittelbar auf göttliche Einsetzung zurückführt. Wie verträgt sich die Tatsache des Mißbrauchs der „potestas" mit der Vorstellung von Gott, der alles gut schafft und nicht als Urheber des Bösen behauptet werden kann? Ambrosius sucht einen Ausweg in folgender Weise: Der Teufel hat nur eine zeitliche Verfügungsgewalt über die „potestas" erhalten. Gott läßt daher den Mißbrauch der „potestas" nur zu („permisit"), und in der Zulassung besteht in diesem Falle die Anordnung Gottes („ordinauit"). Von Gott kommt die „potestas"
als solche, als Institution. Die Konstituierung
potestas" erfolgt durch den schlechten Gebrauch,
einer
„mala
den man von der „potestas"
unter dem Einfluß des Teufels macht. Gott erlaubt dem T e u f e l , d a ß er in solcher Weise zu wirken versucht. Nicht die „potestas" also ist schlecht, sondern die „ambitio", das verderbliche Machtstreben, das vom Teufel eingegeben ist. Seinen Grundgedanken führt Ambrosius dann noch weiter aus 3 7 8 . Die Lösung des Problems der „mala potestas", die er anbietet, wird später gern in ähnlicher Weise wiederholt. Ambrosiaster hat sich mit dem Problem der „mala potestas" nicht so direkt auseinandergesetzt, zumindest nicht im Kommentar zu Rom. 13, 1-7. In seinen „Quaestiones" unterscheidet er zwischen „ordo" und „persona". Der „ordo"Begriif enthält etwas von einer institutionellen, objektiven Bedeutung, so daß Ambrosiasters „ordo" bis zu einem gewissen Grade der „potestas" als Insti376 377
Exp. ev. sec. Luc. IV, 29, a.a.O., S. 116. 378 Exp. ev. sec. Luc. IV, 29—31, a.a.O , S. 116 f. A.a.O.
Vergleich und Beurteilung des Inhaltes der Kommentare
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tution bei Ambrosius vergleichbar ist. Darüber hinaus aber bedeutet „ordo" noch mehr, nämlich eine besondere Qualität an der Person des Herrschers. Über die sittlich wertvolle oder auch weniger wertvolle Person des einzelnen Gewaltträgers stülpt Ambrosiaster noch eine Art überweltliche, von Gott geschenkte Qualität. Er verleiht dadurch, daß er Wert und Bedeutung des „ordo" betont, der Person des Herrschers gleichsam einen „character indelebilis", ein Amtscharisma. Die Tragweite solcher Vorstellungen für eine christliche Lehre vom Staat ist erheblich, wie das Beispiel des Ambrosiaster zeigt. Wenn er audi den schlechten Fürsten auf Grund des göttlichen „ordo" für unantastbar hält, so sagt doch Ambrosiaster dadurch nicht, daß die „mala potestas" von Gott eingesetzt ist. Seine Ansicht scheint dahin zu gehen, daß die von Gott gewährte „potestas" mißbraucht werden kann, wobei der Teufel seine H a n d im Spiele hat. Mag dem nun so sein oder nicht, der „ordo" umfaßt audi den bösen Herrscher und umgibt auch sein Herrsdieramt mit einer höheren Weihe. Wir erfahren in unseren Römerbriefkommentaren wenig über den unmittelbaren Anlaß für die Einsetzung der weltlichen Gewalt überhaupt. Daß der Christ den nun einmal vorhandenen „potestates" Gehorsam schuldet, darüber sind sich alle Kommentatoren einig. Zu einer solchen Forderung mußte schon die von Paulus bestimmte einhellige Meinung führen, daß die weltlichen Gewalten von Gott eingerichtet sind. In erster Linie polemisieren die Exegeten gegen ein falsches Verständnis der von Christus gebrachten neuen christlichen Freiheit. Besonders eindringlich geschieht das bei Augustin und in seiner Nachfolge bei Pelagius. Der Christ ist der weltlichen Ordnung nicht enthoben, Christus kam nicht, um die weltliche Ordnung aufzulösen. Augustin nimmt aber immerhin Rom. 13, 1 auch zum Anlaß, darauf hinzuweisen, daß der Christ zwar nicht von den Pflichten eines Staatsbürgers entbunden ist, daß die Unterwerfung unter die „potestas" jedoch ihre Grenzen hat. In Glaubensdingen hat die weltliche Gewalt keinen Anspruch auf Gehorsam. Ganz paulinisch, wie ich meine, sieht Augustin in seiner „Expositio" die Unterwerfung unter die „potestas" vom Eschatologischen her. Davon wird noch einmal zu reden sein. Andererseits steht Augustin nicht an, vom Christen zu verlangen, daß er der „Obrigkeit" von ganzem Herzen Untertan ist. Sie schafft für ihn ja immerhin die Voraussetzungen, unter denen er sein irdisches Dasein fristen kann, das allerdings für Augustin nur Durchgangsstadium ist; das mindert natürlich die Bedeutung der weltlichen Gewalt in einem erheblichen Grade. Nirgends findet sich aber in unseren Kommentaren eine Andeutung davon, daß man schon in diesem Äon auf Grund persönlicher Heiligkeit, persönlichen Wertes, die weltliche Gewalt entbehren könne, wie Origenes meinte. Auch Augustinus denkt darin anders als Origenes. Über Origenes hinaus geht man auch bei der Frage des Widerstandsrechtes. Augustin behandelt in seiner „Expositio" diese Frage nicht, aber in der ausdrücklichen Beschränkung der weltlichen Gewalt auf die „temporalia" könnte eine mögliche Gehorsamsverweigerung mitausgesagt sein, für den Fall, daß der Staat sich in Glaubensdinge einmischt, für die er nicht zuständig ist. Wie ein Widerstand unter solchen Umständen geleistet werden könnte, sagt
110
Die Patristik. Allgemeiner Teil
Augustin nicht. Pelagius läßt über ein Widerstandsrecht nichts verlauten und bei Ambrosiaster ist es, seiner ganzen Auffassung von der weltlichen Gewalt gemäß, ausdrücklich abgelehnt. Die Aufgaben der weltlichen Gewalt werden in verschiedener Weise umschrieben. Pelagius sieht, im engen Anschluß an den Paulustext, die Aufgabe der Fürsten darin, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und gegen Übeltäter vorzugehen. Die Fürsten strafen nicht nur, sie loben auch die ordentlichen Bürger, mag das auch indirekt nur dadurch geschehen, daß sie — so Augustin und Pseudo-Primasius — durch Verfolgung der Guten deren Lob vor Gott bewirken. Ambrosiaster geht erheblich darüber hinaus. Zwar hat auch nach seiner Meinung die „potestas" für Ruhe und Sicherheit zu sorgen, aber das ist nicht alles, sondern eigentlich nur die Voraussetzung für wichtigere Aufgaben. Der Herrscher, der König, hat als „έπιφανής θεός" eine Aufgabe im Heilsgeschehen. Er leitet jeden einzelnen zum Guten an und hindert ihn daran, Böses zu tun; und dies nicht ausschließlich zu dem Zwecke, Ruhe und Sicherheit aller anderen zu gewährleisten, sondern gerade um jedem einzelnen dazu zu verhelfen, daß er vor dem Gericht Gottes bestehen kann. Der Fürst ist verantwortlich an der Heilsvermittlung beteiligt, indem er als Gottes Stellvertreter auf Erden auf das künftige Gottesgericht und den Gewinn des Heils vorbereitet. Der Herrscher ist also als „imago dei" ein Faktor der Heilsgeschichte. Ist dies richtig, so geht Ambrosiaster damit weit über die paulinische Staatsauffassung hinaus. Hinsichtlich des paulinischen Gebots der Steuerzahlung sind sich alle Exegeten einig; die Notwendigkeit der Steuerzahlung, die ein Zeichen für gehorsame Unterwerfung ist, wird nicht bestritten. Für Ambrosiaster ist sie zudem noch recht eigentlich Zeichen der Unterwerfung unter Gott. Nur Pelagius wagt es, die paulinische Forderung umzudeuten und daraus die Aufforderung zu machen, daß man Almosen geben müsse. Eine abschließende Charakteristik der Kommentare Augustins, Ambrosiasters und des Pelagius läßt zu folgendem Ergebnis kommen: Bei Pelagius macht sich am stärksten die Neigung bemerkbar, die paulinische Paränese von Rom. 13,1-7 umzudeuten. Durch den ständigen Versuch, die verhältnismäßig klaren Sätze des Paulus über die weltliche Gewalt auch auf die geistliche Gewalt zu beziehen, also eine Auslegung vorzunehmen, die Rom. 13,1-7 auf die inner-christliche Sphäre hin deutet, hat Pelagius zwar einen eigenartigen Beitrag zur Exegese dieses Textes geleistet, ist aber damit weder dem Paulustext gerecht geworden noch repräsentativ für die Staatsauffassung seiner Zeit. Seine „spiritualistische" Auslegung findet keine Nachfolge. Die großen geistigen Antipoden für die Exegese von Rom. 13,1-7 sind in unserem Zeitraum Augustinus und Ambrosiaster. Sie sind bestimmend für zwei völlig verschiedene Ausprägungen christlichen Staatsdenkens. Augustins Staatsauffassung steht noch in der Nachfolge der urchristlichen Verfolgungseschatologie 3 7 9 . Das wirkt sich in seiner „Expositio" aus. Wenn es richtig ist, daß audi 379
So W. Kamiah, Christentum und Geschichtlichkeit, Stuttgart u. Köln 1951.
Vergleich und Beurteilung des Inhalts der Kommentare
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in der Grundhaltung des Paulus dem Staat gegenüber das eschatologische Element eine wesentliche Rolle spielt, denkt Augustin ganz paulinisdi, wenn sein Verständnis der weltlichen Gewalt von der Eschatologie her bestimmt ist. So ist denn ein beherrschender Grundzug in Augustins Kommentar zu Rom. 13 eine scharfe Antithetik, eine Spannung zwischen Zeitlichkeit und Ewigkeit. Die weltliche Gewalt wird von einer höheren, eigentlich von einer radikal anderen als der weltlichen Ebene aus betrachtet, eben „sub specie aeternitatis". Dadurch treten Wert und Grenzen, die die „potestas" für Augustin hat, schärfer hervor. Da wird denn, wie nicht anders zu erwarten, der „potestas" im Vergleich zum „regnum caeleste" nur ein relativer, zeitlicher Wert zuerkannt 380 . Die Welt mit allen ihren Ordnungen ist nur Durchgangsstadium. Diese Welt ist aber durch den „ordo" sicher gefügt, und die „potestas" ist sowohl Teil als auch in ihrem Bereich Hüterin dieses „ordo". Da der Staat nur zeitliche, weltliche Dinge verwaltet, kann auch seine Dauer nur begrenzt sein. Der Christ gehört der vom Staat verwalteten irdischen Ordnung nur dem Fleische nach an. Mit seiner Seele ist der wahre Christ der weltlichen Ordnung bereits enthoben, und die Macht und Befugnis des Staates finden hier ihre Grenze. Mit dem Heilsgeschehen hat die weltliche Gewalt nichts zu tun. Ganz anders ist es bei Ambrosiaster. Man könnte seine Theorien als „politische Theologie" bezeichnen, wodurch auf die geistige Verwandtschaft mit Eusebius von Caesarea hingewiesen ist. Während nach Augustin der wahre Christ dem Staat in innerer Fremdheit gegenübersteht, sieht Ambrosiaster in ihm einen Faktor des Heilsgeschehens. Der König als Stellvertreter, als Abbild Gottes auf Erden, hilft mit, das Heilsgeschehen im Auftrag Gottes voranzutreiben. Der König ist nicht als notwendiges Übel hingenommen, wie von Augustin, sondern als ein mitwirkender Faktor gesehen, auf den der Christ mit angewiesen ist, wenn er zum Heile gelangen will. Der König ist für jeden einzelnen einer der Wegbereiter zum Heil. In ihm wirkt Gott in die Welt, und in ihm ist der Christ Gott unterworfen. Gewiß ist auch bei Ambrosiaster die Eschatologie wirksam, aber ganz anders als bei Augustin. Bei Augustin wird die weltliche Gewalt von der Eschatologie her in ihrer Bedeutung entscheidend eingeschränkt, bei Ambrosiaster empfängt sie von dorther erst ihren besonderen Wert. Wir werden im folgenden zu prüfen haben, ob man und wie man in späterer Zeit mit dem Pfunde der Patristik gewuchert hat. Wir werden festzustellen haben, wie man mit dem Problem der bösen Gewalt fertig wird, welche Möglichkeiten man für einen Widerstand gegen die böse Gewalt sieht, wie man die Aufgaben der weltlichen Gewalt bestimmt, um nur die wichtigsten Problemkreise zu nennen. Es wird sich dann zeigen, ob die Energie der Denkbemühung der Patristik innerhalb unseres Beobachtungsgebietes erreicht oder übertroffen wurde. 380
Die letztliche Ferne Augustins vom Staat betont auch E. Salin, Civitas Dei, Tübingen 1926, S. 184 f. und S. 190 f.
Die Vorscholastik Eine vierhundertjährige Lücke klafft zwischen dem letzten Paulinenkommentar der Patristik, dem des Pelagius, und dem ersten der karolingischen Zeit, dem des Claudius von Turin. Wir sehen dabei ab von den „Complexiones in epistolas Apostolorum" Cassiodors, seiner und seiner Schüler Überarbeitung des originalen Pelagius-Kommentars (Pseudo-Primasius), der Kompilation Bedas aus Werken Augustins und von irischen Glossen zu den paulinischen Briefen 381 . Der Abstand zwischen den Kommentaren der Patristik und der Vorscholastik ist nicht nur ein zeitlicher, sondern auch ein Abstand hinsichtlich der Form und des Inhalts. Die Kommentare der Vorscholastik zu Rom. 13, 1-7 können einen Vergleich mit denen der Patristik nicht aushalten. Wir können uns daher in diesem Abschnitt kürzer fassen. Aus dem 9. Jahrhundert kennen wir die Paulinenkommentare des Claudius von Turin, des Rabanus Maurus, des Sedulius Scottus, des Florus von Lyon und des Haimo von Auxerre. Der bedeutendste Exeget unter ihnen ist wohl Haimo. Sein Kommentar zu Rom. 13, 1-7 muß genauer analysiert werden; ihm wird der des Sedulius Scottus als Beispiel für die Kompilationen karolingischer Zeit gegenübergestellt. Für das 10. Jahrhundert verfügen wir über den Kommentar Attos von Vercelli, während die des Rahingus und des Tietlandus, des zweiten Abtes von Einsiedeln, nicht zugänglich waren 382 . Attos Kommentar ist in einigen Partien bemerkenswert und verdient daher ebenfalls eine sorgfältigere Analyse. Wir weichen für die Zeit der Vorscholastik und für die erste Periode der Frühscholastik von dem methodisch normalen Wege ab, die Analysen den allgemeinen und zusammenfassenden Kapiteln voraufgehen zu lassen. Während für Patristik, 2. Periode der Frühscholastik und Hochscholastik die Analysen das notwendige Fundament sind, auf denen allein sich die allgemeinen Kapitel aufbauen können, dienen für die Zeit der Vorscholastik und der 1. Periode der Frühscholastik die Analysen gewissermaßen nur zur Illustration dessen, was in den allgemeinen Kapiteln gesagt ist. Die wechselnde Reihenfolge ist ein Hinweis auf die unterschiedliche, bald größere, bald geringere Bedeutung der Kommentare zu Rom. 13, 1-7 und deshalb vielleicht erlaubt und gerechtfertigt. sei Vgl. die Angaben im Verzeichnis der Römerbriefkommentare, S. 262 f., 274 f., S. 261 f., 268. 382 Vgl. a.a.O. S. 280 und S. 283.
Die Form der Kommentare und die exegetische Methode
I. A L L G E M E I N E R
113
TEIL
1. Die Form der Kommentare und die exegetische Methode Die Form der Kommentare der Vorscholastik steht in enger Wechselbeziehung zum Ausmaß der Übernahme patristischen Gedankengutes. Sieht man also auf die Form der Kommentare zu Rom. 13,1-7 in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, so ergibt sich ein verhältnismäßig einfaches Bild. Es ist eigentlich nicht angebracht, von „Kommentaren" zu sprechen, da es sich in dieser Zeit mehr oder weniger um Kompilationen oder Katenen handelt. Es findet audi nicht eigentlich eine Exegese statt, wenn man unter „Exegese" eine verhältnismäßig selbständige Auseinandersetzung mit dem Bibeltext verstehen will. Man schreibt im wesentlichen ab. Es wäre natürlich verfehlt, darin einfach geistiges Unvermögen zu sehen, da die Kommentatoren oder Kompilatoren sich in realistischer Einschätzung ihrer Möglichkeiten bewußt bescheiden und eine ihrer Hauptaufgaben darin sehen, in treuer Anlehnung an die bedeutenden Kirchenväter für das Weiterfließen des Traditionsstromes zu sorgen 383 . Rabanus Maurus verarbeitet daher in seiner Kompilation zu Rom. 13, 1-7 384 die gesamten entsprechenden Kommentare des Origenes, Augustinus und Ambrosiaster, und zwar so, daß zu jedem Bibelvers die jeweiligen Kommentare dieser drei hintereinandergeschrieben werden. Jeder Bibelvers erhält daher zwei oder drei zum Teil ganz unterschiedliche Auslegungen. So sind, abgesehen von einigen unerheblichen Wortänderungen, die Kommentare Augustins und Ambrosiasters voll übernommen. Von Origenes' Kommentar fehlen nur Teile der Auslegung von Rom. 13, 7, die Raban vielleicht zu weitschweifig waren. Dafür hat er zu Rom. 13, 3 noch eine Stelle aus Gregors d. Gr. „Regula pastoralis" herangeholt 385 . Raban gibt seine Quellen immer an, hat also gar nicht die Absicht, Originalität vorzutäuschen. Der Wert seiner um 840 entstandenen Katene 886 besteht vor allem darin, daß sie für die Verbreitung des patristischen Gutes sorgt. Ähnlich wie Raban verfährt Claudius von Turin in seinem 816—820 geschriebenen Römerbriefkommentar 387 . Im Gegensatz zu Raban nennt er in seiner umfangreichen Kompilation zu Rom. 13,1-7 seine Gewährsmänner 383 Uber die exegetischen Methoden der Vorscholastik vgl. C. Spicq, Esquisse, S . 9 f f . ; J. deGhellinck, Le mouvement tWologique au X I I s siecle, 2. Aufl., Brüssel 1948, S.31 ff.; B. Smalley, The Study of the Bible, S . 3 7 f t . ; R. Ε. McNally, The Bible in the Early Middle Ages, Westminster, Maryland, 1959 ( = Woodstock Papers 4); B. Bischoff, Wendepunkte in der Geschichte der lateinischen Exegese im Frühmittelalter, in: B.Bischoff, Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zurSdiriftkunde und Literaturgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1966, S. 205—273. 3M PL 111, col. 1560ff. 38S Gregor d. Gr., Reg. past. 111,38, PL 77, col. 123 C vgl. mit PL 111, col. 1562 C. je« Vgl. F. Stegmüller, Repertorium V, S.32: Entstehungszeit 836—842. 387 Vgl. F. Stegmüller, Repertorium II, S. 245.
8
Affeldt, Paulus-Exegese
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Die Vorscholastik. Allgemeiner Teil
nicht. Die Zitate sind im allgemeinen ganz wörtlich; nur selten findet sich ein überleitender Satz, der von Claudius selbst zu stammen scheint; bei Raban gibt es auch das nicht. Die Kompilation des Claudius von Turin unterscheidet sich von der Katene Rabans vor allem dadurch, daß sie nicht Erklärungen verschiedener Exegeten zu demselben Bibelvers aufführt. Eine Kompilation sind auch die „Collectanea in omnes B. Pauli epistolas" des Sedulius Scottus; sie entstanden um 8 48—8 5 8 388 . Sedulius Scottus schreibt in der Kompilation zu Rom. 13, 1-7 seine Quellen nicht so wortwörtlich ab wie Raban und Claudius von Turin. Man kann dies etwas freiere Umgehen mit den Quellen schon als einen gewissen Fortschritt bezeichnen. Um die Mitte des 9. Jahrhunderts schreibt auch Florus von Lyon. Er stellt einen „Kommentar" zu den paulinischen Briefen aus den Werken Augustins zusammen. Diese Sammlung wurde später gern benutzt. Eine weitere Kompilation des Florus zu den Paulusbriefen stützt sich auf die Schriften von elf Kirchenvätern; sie ist noch ungedruckt 389 . Wie schon oben erwähnt, hatte bereits Beda einen „Kommentar" zu den paulinischen Briefen aus Schriften Augustins zusammengestellt. Diese noch ungedruckte Kompilation scheint bei weitem nicht die Verbreitung gefunden zu haben wie Florus' gleichartiges Werk; die Kompilation des Florus ging vielmehr sehr oft unter dem Namen Bedas seo . Auch aus Schriften Gregors d. Gr. wurden Erklärungen zum Alten und Neuen Testament zusammengestellt. So schon von seinem Sekretär Paterius, dessen „Liber testimoniorum" ζ. T. verloren ist und im 12. Jahrhundert ergänzt wurde 391 . Ein solches „Gregoriale" fertigte um 1200 auch Alulf von Tournai an 392 . Während Pseudo-Paterius (12. Jh.) zu Rom. 13,1-7 nichts bringt, hat Alulf von Tournai zu Rom. 13, 3 in etwas erweiterter Form die gleiche Stelle aus der „Regula pastoralis" wie Raban. Einen erstaunlichen Schritt hinaus über die im 9. Jahrhundert üblichen Formen der Kommentierung macht Haimo von Auxerre. Er zeigt dadurch, welche anderen Möglichkeiten es in der Mitte des 9. Jahrhunderts noch immer oder schon wieder gab. Seine Eigenständigkeit ist im Verhältnis zu den oben genannten Kompilatoren bedeutend. Zwar ist auch Haimo von der Patristik völlig abhängig und ein Vergleich mit patristischen Kommentaren nicht wirklich möglich, aber die schon bei Sedulius Scottus erwähnte Lockerung der Abhängigkeit von den Quellen geht bei Haimo noch viel weiter. Wörtliche, längere Zitate finden sich nun nicht mehr, mit dem Traditionsgut wird freier geschaltet. Manche Äußerungen Haimos scheinen völlig selbständig zu sein. 388 Vgl. E. Riggenbach, Historische Studien zum Hebräerbrief. I.: Die ältesten lateinischen Kommentare zum Hebräerbrief ( = Forschungen z. Gesch. d. nt. Kanons und der altkirchl. Lit. 8,1), Leipzig 1907, S. 212 ff. 389
Zu diesen Kompilationen und ihrer Entstehungszeit vgl. die Angaben im Verzeichnis der Römerbriefkommentare, S. 263 f. 390 Vgl. die Angaben über Beda, a.a.O., S. 261 f. 391 Vgl. die Angaben über Pseudo-Paterius, a.a.O., S. 273. 392 Vgl. a.a.O., S. 257.
Der Stand der Exegese von Rom. 13,1-7
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Die Liste der in seinem Paulinenkommentar zitierten Autoren ist bemerkenswert: Augustin, Origenes, Ambrosius (meist Ambrosiaster), Hieronymus (oft die unter seinem Namen gehende Version des Original-Pelagius), Gregor d. Gr., Cyprian, Ephraim Syrus, Hilarius, Fulgentius, Priscian, Paulinus v. Nola, Prosper Aquitanus, Leo d. Gr., Joh. Chrysostomus, Didymus und Claudius von Turin; von nichtchristlichen Autoren: Ovid, Vergil, Varro u. a. Selbst wenn Haimo das alles nur aus zweiter Hand hat, ist die in seinem Paulinenkommentar ausgebreitete Gelehrsamkeit erheblich. Haimos Vorliebe für philologische, besonders etymologische Fragen, zeigt eine Kenntnis des Griechischen, die über die damals übliche Kenntnis von ein paar Brocken, die meist aus Isidors „Etymologiae" stammten, hinauszugehen scheint. Wer die exegetischen Methoden der karolingischen Zeit studieren möchte, findet gerade bei Haimo reiches Material. Er benutzt viele der damals üblichen Fachausdrücke; zumal der Jesaja-Kommentar, wenn er Haimo gehört 393 , ist eine Fundgrube für Haimos exegetische Methoden. Er bevorzugt in seinem Paulinenkommentar — und als „Kommentar" kann man dieses Werk im Gegensatz zu den oben aufgeführten Kompilationen doch wohl wieder bezeichnen — die literale Exegese, vor allem auch im Kommentar zu Rom. 13, 1-7. Die allegorische und typologisdie Auslegung kommt jedoch ebenfalls zu ihrem Recht. Nicht selten bietet er zu einem Bibelvers drei Auslegungen. Sie entsprechen aber nicht etwa dem dreifachen Schriftsinn bei Origenes oder einer anderen Einteilung der verschiedenen Schriftsinne; oft reiht Haimo mehrere literale oder allegorische Erklärungen aneinander. Er liebt es, den Paulustext zunächst kurz zu glossieren, den Sinn des Textes durch kleinere Ergänzungen klarer hervortreten zu lassen, um dann noch eine umfangreichere Erläuterung anzufügen. Er zeigt in seiner literalen Exegese Geschick und Einfühlungsvermögen. Atto von Vercelli ist methodisch über Haimo nicht hinausgelangt. Er versucht vor allem den literalen, historischen Sinn zu ermittein. Auch Atto stützt sich ganz auf die Patristik; seine Selbständigkeit ist der Haimos vergleichbar. Atto benutzt vermutlich die Kompilationen des Florus v. Lyon, des Claudius v. Turin und Haimos Kommentar.
2. D e r Stand der Exegese v o n R o m . 13, 1—7 Wenn man fragt, ob in der Vorscholastik die Exegese von Rom. 13,1-7, wie sie sich in den Kommentaren und Kompilationen niedergeschlagen hat, über das in der Patristik Erreichte hinaus gefördert worden ist, so hat das vorige Kapitel schon eine wichtige Teilantwort gegeben: Man muß die Frage verneinen. Sieht man von kleineren Ansätzen bei Haimo und Atto ab, so kann von einem Fortschritt in der Exegese kaum die Rede sein. Neue Konzeptionen 383 So E.Riggenbach, Historische Studien zum Hebräerbrief, S. 82fF. und S. 110; neuerdings audi R. Quadri, Aimone di Auxerre alia luce dei „Collectanea" di Heiric di Auxerre, IMU 6 (1963), S . l — 4 8 , bes. S.42.
8*
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Die Vorscholastik. Allgemeiner Teil
werden nicht entwickelt, die Tradition ist übermächtig, ein Vergleich der vorscholastischen mit den patristischen Kommentaren muß daher zuungunsten der ersteren ausfallen. Das ist eigentlich ein wenig verwunderlich, da doch die karolingische Zeit ganz gewiß mannigfache äußere Anregung bot, sich mit dem Problem des Staates auch an Hand von Rom. 13,1-7 auseinanderzusetzen. Der Hauptgrund dafür, daß dies in den Kommentaren zu diesem Paulustext nicht geschah, wird die bewußte Bindung an die Tradition gewesen sein, die es den Exegeten verwehrte, mögliche eigene Anschauungen, die von den überlieferten abwichen, in ihre Kommentare oder Kompilationen aufzunehmen. Dazu kommt noch die immer wieder feststellbare Neigung der Exegeten, sich von der Gegenwart zu emanzipieren. Sie spiegelt sich nicht in dem Maße in den Kommentaren, wie man erwarten möchte. Unsere Aufgabe wird also vor allem sein, zu registrieren, was aus patristischer Zeit übernommen wurde. Wie schon oben erwähnt, tradiert Raban in seiner Katene zu Rom. 13, 1-7 nahezu die gesamten entsprechenden Kommentare Augustins, Ambrosiasters und des Origenes, ohne jede kritische Anmerkung. Der Teil von Origenes' Kommentar zu Rom. 13, 7, den Raban ausläßt, wird später kaum noch benutzt 3 9 4 . Claudius von Turin stützt sich hauptsächlich auf Augustin und Origenes 3 9 5 . Er übernimmt die entsprechenden Abschnitte aus Augustins „Expositio" ganz; dazu kommt noch ein Abschnitt aus der Schrift „Contra Gaud. Donat. ep.". Ambrosiaster scheint keinen Beifall gefunden zu haben, um so mehr Origenes, aus dessen Kommentar zu Rom. 13, 1-7 Claudius verschiedentlich zitiert; es sind dies die Sätze, die auch später gern wiederholt werden. Es ist bemerkenswert, daß Claudius die Sätze aus Origenes' Kommentar auswählt, die für den Staat am günstigsten lauten. Außerdem enthält die Katene des Claudius von Turin fast den ganzen uns schon bekannten Abschnitt aus Irenäus' Schrift „Adversus haereses", der sich mit dem Problem der weltlichen Gewalt befaßt. Dazu kommen schließlich noch einige Entlehnungen aus Isidors „Etymologiae" und aus Pseudo-Primasius. Pelagius, sonst in unserem Zeitraum wenig benutzt, ist mit seinem Paulinenkommentar eine der Hauptquellen für Sedulius Scottus. D a Sedulius Scottus den originalen Paulinenkommentar des Pelagius vielleicht kannte und aus seiner irisdien Heimat mit ins Frankenreich brachte, hat die Forschung schon früh seine „Collectanea" zur Wiedergewinnung des originalen Pelagius-Kommentars zu verwerten gesucht. Bezeichnenderweise hat Sedulius alle die Stellen aus Pelagius' Kommentar zu Rom. 13, 1-7 nicht übernommen, die eine Deutung auf die geistliche Gewalt enthalten. Sedulius zieht audi Ambrosiaster heran, läßt aber die charakteristischen Passagen von dessen Kommentar aus; 394 Vgl. Origenis in Ep. ad Rom. Comm. I X , 30: „Haec ergo Paulus . . . fructus in tempore", Lommatzsch II, S. 332 f. mit P L 111, col. 1565. 3»s Vgl Claudius' Vorwort zu seinem Römerbriefkommentar, M G H Epp. IV, ed. E.Dümmler (1895), S. 599 (Claudius über seine Quellen); vgl. ferner die Quellennachweise, Anhang I I : Texte, S. 287ff.
Der Stand der Exegese von Rom. 13,1-7
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lediglich Ambrosiasters Erklärungen zu Rom. 13, 4, 5, 7 erscheinen. Origenes wird zu Rom. 13, 2 herangezogen 3ββ . Die Augustinus-Kompilation des Florus von Lyon enthält zu Rom. 13, 1-7 397 merkwürdigerweise weder eine Stelle aus der „Expositio quar. prop, ex ep. ad Romanos" noch aus „De civ. Dei"; Quellen sind die Kommentare zum Johannesevangelium und zu den Psalmen, die Briefe, die Schrift „De natura boni" u. a. In den bisher besprochenen Kommentaren erfolgt weder eine Auseinandersetzung mit dem Paulustext noch mit der patristischen Überlieferung. Lediglich die Art der Quellenauswahl ließe vielleicht vorsichtige Rückschlüsse auf die Meinung der Kompilatoren selbst zu. Sehr viel Beachtung finden Ambrosiaster und Pelagius, aber gerade die für sie charakteristischen Sätze werden unterdrückt — die Deutung auf die geistliche Gewalt bei Pelagius, die „rex imago dei"-Lehre mit ihren Konsequenzen bei Ambrosiaster; nur Raban schreibt auch dies bei Ambrosiaster ab. Allzu extreme Ansichten möchte man also offenbar nicht gern wiederholen. Claudius von Turin sichert Irenaus noch einen gewissen Einfluß. Etwas verändert ist die Lage bei Haimo von Auxerre. Er zeigt eine größere Selbständigkeit, er löst sich ein wenig von der unbedingten Autorität der patristischen Autoren und man spürt immerhin eine geistige Auseinandersetzung mit dem Paulustext und der Tradition 398 . Die Selbständigkeit geht aber nicht so weit, daß dem Paulustext neue Gesichtspunkte abgewonnen werden, im wesentlichen werden nur die Gedanken der patristischen Autoritäten variiert. Beherrschend ist bei Haimo der Einfluß Augustins. Der Tenor von Haimos Kommentar ist im ganzen der gleiche wie in Augustins „Expositio". Darüber hinaus benutzt Haimo den Kommentar des Origenes; auch Irenäus, Ambrosius und Isidor v. Sevilla haben ihre Spuren hinterlassen. Ambrosiaster und Pelagius finden offenbar keine Beachtung. Der Kommentar Attos von Vercelli zu Rom. 13,1-7 ist in manchem dem Haimos vergleichbar. Auch Atto zeigt eine gewisse Selbständigkeit, die aber nicht so weit geht, daß er sich von der patristischen Tradition löst. Die Gedanken Augustins, Ambrosiasters, Origenes* und des Irenäus sind die Basis auch für ihn 399 . Wie bei Haimo ist Augustins Einfluß am stärksten. Haimo und Atto wiederholen Augustins Warnung vor einer mißverstandenen christlichen Freiheit. Die Unterordnung der Christen unter die weltliche Gewalt ist selbstverständlich. Der Versuch des Pelagius, den Sinn von Rom. 13,1-7 umzubiegen und die Paulusworte auf die geistliche Gewalt und die christliche Lebensführung zu beziehen, findet bei Haimo und Atto keine Gegenliebe. Haimo erörtert im Gefolge des Irenäus die Frage, welches die Ursache für die Einsetzung der weltlichen Gewalt ist. Eine solche Frage wird in den Me
Vgl. die Analyes der „Collectanea", S. 119 f. PL 119, col. 313. 3ββ Vgl. (jje Analyse von Haimos Kommentar, S. 121 ff. 39« Vgl. auch für das Folgende die Analyse von Attos Kommentar, S. 129 ff. 397
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Die Vorscholastik. Allgemeiner Teil
Römerbriefkommentaren sonst selten gestellt. Ähnlich wie Irenäus ist er der Auffassung, daß die weltliche Gewalt durch das schuldhafte, tierische Verhalten der Menschen erforderlich wurde. Ein Beispiel für das Wüten der Menschen gegen sich selbst ist der Brudermord Kains. Die „potestas" muß nun wieder Ordnung schaffen. Atto folgt in diesem Punkte — er ist hier weniger ausführlich als Irenäus und Haimo — seinen beiden Vorgängern. Für Atto wird ganz besonders die „mala potestas" zum Problem, wenn seine Überlegungen in diesem Punkt auch nicht wesentlich über die Tradition hinausführen. Atto sagt — er ist dabei vielleicht von Ambrosius und Augustin abhängig —, daß Gott die „potestates" zwar einsetzt, den Mißbraudi der „potestas" durch böse Menschen aber nur zuläßt („permittit"). Der Mißbraudi der „potestas" ist Folge der „cupiditas nocendi"; so wird die „potestas" in den Händen böser Herrscher zur „mala potestas". Gott läßt die bösen Gewalten zu, weil er über das sündhafte Verhalten der Menschen erzürnt ist. Atto faßt insgesamt die Gedanken des Ambrosius nur etwas schärfer 400 . Beachtenswert sind Attos Überlegungen zu Rom. 13, 2. Er scheint wie Origenes eine Art passives Widerstandsrecht zu befürworten. Zu diesem Ergebnis kann man nur kommen, wenn man alle Schriften Attos berücksichtigt. In seinem eigentlichen Kommentar zu Rom. 13,2 ist er jedoch der Meinung, daß man auch in Glaubensdingen der weltlichen Gewalt gehorsam sein müsse. Eine solche Ansicht stände im Widerspruch zu aller patristischen Tradition. Selbst Ambrosiaster wagt so etwas nicht ausdrücklich zu behaupten. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß Atto in seinem Kommentar zu Rom. 13, 2 seine wahre Meinung zu erkennen gibt. Wir sehen sie in den weniger radikalen Äußerungen seiner anderen Schriften, die eben ein passives Widerstandsrecht, eine Trennung von Staat und Kirche, von weltlich und geistlich, fordern. Haimo und Atto stimmen in der Übernahme des augustinischen Gedankens überein, daß der gute, rechtschaffene Bürger und Christ in jedem Falle, direkt oder indirekt, von der weltlichen Gewalt Lob erhält, und sei es audi, daß er auf Grund von Verfolgung durch eine böse Gewalt die Märtyrerkrone erhält. Allgemein kehren auch sonst mancherlei augustinische Redewendungen und Gedanken wieder, die darauf hinweisen, daß der Christ, solange er in diesem Äon ist, sich den weltlichen Gewalten zu unterwerfen hat. Weder Haimo noch Atto rezipieren die zentralen Vorstellungen Ambrosiasters vom Gottesvikariat des Herrschers und von seiner Gottesebenbildlichkeit. Auffällig ist, daß in der Nachfolge des Origenes gern darauf verwiesen wird, daß Gott die weltlichen Strafen nicht durch die Priester, sondern durch die Fürsten verhängen lassen will. Es sei zum Schluß noch angemerkt, daß merkwürdige etymologische Erklärungen beliebt werden, von denen vor allem das Wort „tributum" (Rom. 13, 7) betroffen ist. Isidors „Etymologiae" sind dafür die Hauptquelle.
400
Über Ambrosius vgl. oben S. 107 f.
Sedulius Scottus
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II. A N A L Y S E N 1. Sedulius Scottus Die Analyse des Kommentars des Sedulius Scottus zu Rom. 13, 1-7 4 0 1 soll sich auf den Nachweis der Quellen beschränken. R o m . 13, 1 :
„Omnis haec causa adversus illos prolata est . . . Ideoque docet illos humilitate tempus redimere." Dieser Abschnitt stimmt fast wörtlich mit dem entsprechenden bei PseudoHieronymus überein (vgl. PL 30, col. 704 A). Im übrigen weicht PseudoHieronymus hier kaum von Original-Pelagius ab (vgl. A. Souter, Pelagius's Expositions II, S. 101). Sedulius Scottus unterdrückt den Hinweis auf die geistliche Gewalt, der sich bei Pelagius und Pseudo-Hieronymus findet. „Quid, et illa p o t e s t a s . . . laudem vero bonorum." Etwas verkürzt aus Origenes' Kommentar zu Rom. 13, 1 (In Ep. ad Rom. Comm. IX, 26, Lommatzsch II, S. 327 f.). R o m . 13, 2 :
„Non hic de Ulis potestatibus d i c i t . . . sibi damnationem pro gestorum suorum qualitate conquirit." Aus Origenes' Kommentar zu Rom. 13, 2 (In Ep. ad Rom. Comm. IX, 27, a.a.O., S. 328). R o m . 1 3 , 3 : „Malus debet timere potestatem. . . gloriatur." Sedulius bietet hier einen Text, der in der Mitte steht zwischen OriginalPelagius (vgl. A. Souter, a.a.O., II, S. 102) und Pseudo-Hieronymus (vgl. PL 30, col. 704 C). „,Vis autem non timere potestatem', hoc est, accipe consilium meum, et nunquam timebis." Diese Stelle fast wörtlich bei Pseudo-Hieronymus (PL 30, col. 704 C; vgl. auch Original-Pelagius, A. Souter, a.a.O., II, S. 102). „Quod autem dicit de potestate: ,Fac quod bonum est?'. .. cum ei dicetur: ,Euge, serve fidelis, intra in gaudium domini tui'" (Mt. 25, 21). Mit geringfügigen Änderungen aus Origenes' Kommentar zu Rom. 13, 3 (In Ep. ad Rom. Comm. IX, 28, a.a.O., S. 330 f.). „Laus ex potestate tunc fit, cum quis innocens invenitur." Eine direkte Quelle kann ich hier nicht nachweisen; vgl. aber Pseudo-Primasius zu Rom. 13,3 (PL 68, col. 497 B). R o m . 13, 4 :
„Nam in te habet officium si peccaveris . . . sicut Petrus percussit Ananiam, et Paulus Magum." Sedulius unterdrückt den Hinweis des Pelagius auf den Priester, der das Schwert trägt, nicht. Im übrigen steht Sedulius' Kommentar hier Original401
PL 103, col. 116 f.
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Die Vorscholastik. Analysen
Pelagius (vgl. A. Souter, a.a.O., II, S. 102) näher als Pseudo-Hieronymus (vgl. PL 30, col. 704 D). „Quia pro tua sollicitus est quiete . . Nach Original-Pelagius (A. Souter, a.a.O., II, S. 102) oder Pseudo-Hieronymus (PL 30, col. 704 C), die hier fast übereinstimmen. „ . . . quoniam futurum judicium Deus statuit . . . ne in poenam futuri judicii incidant." Fast wörtlich der größte Teil von Ambrosiasters Kommentar zu Rom. 13, 4 (PL 17, col. 171 D). R o m . 13, 5 :
„Recte dixit ,iram'... ubi accusante conscientia punientur." Mit kleinen Änderungen aus Ambrosiasters Kommentar zu Rom. 13, 5 (PL 17, col. 172 A). „Ob hoc mihi videtur d i c e r e . . . et dabit eam aliis colonis, ,qtii reddent ei fructus in tempore suo'" (vgl. Mt. 21, 41). Ein längerer Abschnitt aus Origenes' Kommentar zu Rom. 13, 7 (In Ep. ad Rom. Comm. IX, 30, a.a.O., S. 333). R o m . 13, 6 : R o m . 13, 7 :
Zu diesem Vers bringt Sedulius Scottus nichts. „Potest etiam eleemosyna debitum a p p e l l a r i . . . et redde debitum tuum." Sedulius folgt wiederum Original-Pelagius (vgl. A. Souter, a.a.O., S. 102 f.) oder Pseudo-Hieronymus (vgl. PL 30, col. 705 B). „,C#t tributum, tributum', hoc est, reddite tributum, cui reddendum est tributum. Tributum est quod manu tribuitur. Vectigal autem quod vehiculis vehitur." Eine Quelle ist nicht klar nachweisbar, vgl. aber Isidor, Etym. lib. XVI, cap. 18,7,8, ed. W.M.Lindsay (Oxford 1911) II. „Primum ea quae sunt potestatis r e g i a e . . . quam vituperent doctrinam evangelicam." Mit kleineren Abweichungen der größte Teil von Ambrosiasters Kommentar zu Rom. 13, 7 (PL 17, col. 172 B/C). Sedulius Scottus zitiert nur aus den patristischen Kommentaren zum 13. Kapitel des Römerbriefs. Sehr bald nach Sedulius beschränkt man sich nicht mehr darauf, nur patristische Autoritäten zu zitieren, man holt sich audi Belehrung bei den „Zeitgenossen" im weiteren Sinne. Sedulius Scottus bringt seine Zitate nur mit kleinen Änderungen und Auslassungen. Er kannte den Pelagius-Kommentar vielleicht in der Originalfassung; vielleicht aber war seine Vorlage eine Zwischenstufe zwischen Original-Pelagius und PseudoHieronymus. Gegenüber den „spiritualistisdien" Deutungsversuchen des Pelagius ist er zurückhaltend. Stark benutzt sind die Kommentare des Ambrosiaster und des Origenes. Ambrosiasters „rex imago dei"-Formel übernimmt Sedulius nicht.
Haimo von Auxerre
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2. Haimo von Auxerre Unter dem Namen eines Haimo laufen sehr zahlreiche Schriften 402 . Es ist noch nicht völlig geklärt, wem alle diese Sdiriften zuzuweisen sind 408 . Für den Paulinenkommentar hat die Verfasserfrage schon E. Riggenbach entschieden 404 . Weder gehört der Paulinenkommentar Haimo von Halberstadt, unter dessen Namen er im „Migne" abgedruckt ist, noch Remigius von Auxerre, dem er im Mittelalter oft zugeschrieben wurde, sondern Haimo von Auxerre, einem Mönch, von dem wir wenig wissen. Er war der Lehrer Heirics, in dessen Schule wiederum Remigius von Auxerre gegangen ist. Haimo schrieb seinen Paulinenkommentar wohl zwischen 840 und 860 405 . Ich habe nur diesen Kommentar benutzt, da noch keine einhellige Meinung darüber besteht, welche Schriften Haimo sonst noch gehören. Haimo beginnt seinen Kommentar zu Rom. 13,1-7 4 0 8 mit der Feststellung, daß in den Anfängen der christlichen Kirche Menschen aller Stände den Glauben annahmen, Sklaven, Mägde, Untergebene aller Art. Die Gefahr lag nahe, daß sie nun, da sie die christliche Freiheit von allen Sünden erlangt hatten und Kinder Gottes geworden waren, den Gehorsam gegenüber den weltlichen Gewalten für etwas ihrer Unwürdiges hielten. Das war der Anlaß für Paulus, dagegen seine mahnende Stimme zu erheben: „ . . . et ne servi, ancillae, seu quilibet subjecti dicerent, quod ipsi qui consecuti erant libertatem omnium peccatorum, et filii Dei effecti, indignum esset ut servirent saeculi potestatibus, dixit Apostolus: Omnis anima, id est omnis homo, liber et servus, fidelis et infidelis, potestatibus sublimioribus subditus sit." 407 Offensichtlich gibt Haimo in freierer Form Augustins Ausführungen in der „Expositio" wieder 408 . Bemerkenswert ist, daß Haimo die Worte des Paulus aus der historischen Situation der Urkirche heraus versteht und damit vielleicht einen ganz richtigen Hinweis darauf gibt, was Paulus zu seiner Paränese veranlaßt haben könnte. Eine solche historisch orientierte, konkrete Betrachtungsweise findet man in den vergleichbaren Ausführungen Augustins und Pelagius' nicht. Haimo bestimmt auch als erster in einem Kommentar zu Rom. 13,1-7 den häufig benutzten Begriff „libertas" als die christliche „libertas omnium peccatorum"; natürlich meinten Augustin und Pelagius unausgesprochen das gleiche. Freiheit von der Sünde und Gotteskindschaft entbinden also nicht vom Gehorsam gegenüber der weltlichen Gewalt; der Gehorsam hat auch nichts Ent402
Vgl. PL 116—118. Vgl. aber jetzt R.Quadri, Aimone di Auxerre alia luce dei „Collectanea" di Heiric di Auxerre, IMÜ 6 (1963), S. 1—48. 404 E. Riggenbach, Historische Studien zum Hebräerbrief, S. 178 ff. 405 E.Riggenbach, a.a.O., S.80. 4M PL117, col.478ff.; vgl. hierzu F.Keienburg, Geschichte der Auslegung von Rom. 13,1—7, S.80 f. Keienburg hält noch Haimo von Halberstadt für den Verfasser. 407 PL 117, col. 478. 408 Vgl. Exp. quar. prop, ex ep. ad Rom., cap. L X X I I , PL 35, col. 2083; vgl. aber auch Ambrosiaster: In ep. ad Eph. VI, 5, PL 17, col. 422 D. 405
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Die Vorscholastik. Analysen
ehrendes. Haimo ist ja der augustinischen Auffassung, daß der Mensch während seines irdischen Daseins eigentlich erst beginnt, innerlich ein rechter Christ zu werden; der Christ ist in dieser Welt, im irdischen Leben, Sohn Gottes in der Hoffnung, erst in der „vita aeterna" ist er es wirklich 409 . Der Mensch ist keineswegs der Welt schon so entrückt, daß er aller irdischen Ordnung enthoben ist, wie mancher vielleicht glauben möchte. So betont denn Haimo, daß das Gebot des Paulus in Rom. 1 3 , 1 nicht etwa nur für den „servus" gilt, sondern auch für den freien Mann, auch für den Christen. Im folgenden nimmt Haimo die Wendung „Omnis anima, id est omnis homo" (pars pro toto) noch einmal auf und bringt dazu Beispiele aus der Bibel 4 1 0 . Dann zählt er auf, was alles man unter den „potestates sublimiores" zu verstehen hat, um schließlich, unter Verwendung von l . P e t r . 2, 13, zu einem neuen Gedanken überzuleiten: „ H o c et Petrus praecipit: Subditi, inauiens, estote omni humanae creaturae, id est omnibus hominibus, vobis praepositis, et hoc propter Deum, sive propter amorem Domini. Inquantum quippe homo non offendit Deum, obsequi et obedire debet celsioribus." 4 1 1 Der Gedanke, daß Gehorsam gegenüber den Höhergestellten eigentlich Gehorsam gegenüber Gott bedeutet, ist ebenfalls nicht neu; ähnlich äußerte sich Ambrosiaster 4 1 2 . Die folgenden Sätze Haimos sind ganz im Sinne Augustins: „ N a m homo constat ex anima et corpore: et in anima quidem debet servare inviolatam fidem Deo, in corpore vero debet servire sibi dominantibus secundum Servituten! praesentis vitae. Verum si contra fidei propositum viderit sibi imperari a principibus hujus saeculi, sive potestatibus, vel dominis, tunc pro fide usque ad mortem satagat laborare, ne, quod majus est, animam videlicet perdat . . 4 1 8 Wieder erscheint hier — zunächst wie bei Augustin als Ausgangspunkt — die beliebte dichotomische Lehre vom Menschen 414 . In der Seele muß der Glaube 4 0 9 Vgl. Exp. in ep. ad R o m . V , 2 , P L 117, c o l . 4 0 2 C : „In praesenti saeculo filii Dei sumus in spe, in altera autem vita erimus in re . . ." Ähnliche Aussagen auch an anderen Stellen. 4 1 0 Diese auch in späteren Kommentaren beliebte Erklärung schon bei Origenes: In Ep. ad Rom. Comm. I X , 2 5 , Lommatzsch II, S . 3 2 6 ; vgl. ferner Augustinus: In J o h . E v . Tract. 105,2, ed. R.Willems, C C 36 (1954), S . 6 0 4 , 4 f f . 4 1 1 P L 117, col.478 f. Vgl. auch: Exp. in ep. ad Col.111,22, P L 117, c o l . 7 6 3 A : „Servus qui pro Dei amore domino carnaliter servit, sperans se inde mercedem recepturum a Deo, illud servitium non homini, sed Deo impendit: ideoque mercedem licet ab illo non recipiat praesentem, tarnen non debet se a servitio subtrahere." 4 1 2 Ambrosiaster: In ep. ad R o m . X I I I , 6, P L 17, col. 172B. 4 1 3 P L 117, col. 479 A ; man vgl. dazu Augustin, Exp. quar. prop, ex ep. ad Rom., cap. L X X I I , P L 35, col. 2083. 4 1 4 Vgl.: E x p . in ep. ad Rom. V I I I , 5 , P L 1 1 7 , col.427 D : „Aliter: homo ex duabus substantiis consistit, ex carne videlicet et anima. Si actus carnis superaverint affectum mentis, carnalia et temporalia tunc homo requirit: si vero affectus spiritus sive mentis superaverit actus carnis, tunc spiritalia sectatur." Es findet sich bei Haimo auch eine Unterscheidung zwischen „anima", „corpus" und „spiritus" (Exp. in ep. I ad Thess. V,23, P L 117, col. 776 D ) , aber es handelt sich dabei nicht um drei Substanzen, wie Haimo sagt; denn die Seele ist auch Sitz der intellektuellen Fähigkeiten, nidit nur das Element, das dem Körper Leben einhaucht.
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an Gott unverletzt bewahrt bleiben, nur der Körper gehorcht den weltlichen Herren „secundum servitutem praesentis vitae" (über diese Wendung siehe weiter unten). Wenn ein Fürst oder irgendeine weltliche Macht etwas gebietet, was gegen den Glauben ist, dann muß man für den Glauben bis zum Tode leiden. Damit ist ein passives Widerstandsrecht anerkannt. Man soll sich zwar dem Befehl der weltlichen Gewalt nicht aktiv widersetzen, aber man kann und muß sogar die Ausführung eines Befehls verweigern, der gegen den Glauben verstößt, selbst auf die Gefahr hin, die Befehlsverweigerung mit dem Tode bezahlen zu müssen; denn ein größeres Unheil ist es, wenn die Seele in Ausführung eines solchen Befehls zugrunde geht, als wenn nur der Körper leidet; denn, fährt Haimo fort, die „potestas" kann zwar den Körper vernichten, die Seele vermag sie nicht zu töten. Damit erst hat Haimo die Exegese des Teilverses „Omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit" abgeschlossen. Er setzt seinen Kommentar fort, indem er zum Teilvers „Ν on est enim potestas nisi a Deo" bemerkt, daß jede „potestas", sei sie bedeutender oder geringer, „aut ex voluntate Dei, aut ex permissione constituta est". Hier haben wir wieder die differenzierende Exegese, die wir schon bei Ambrosius beobachten konnten 415 . Haimo macht es allerdings wesentlich kürzer als Ambrosius, mit dem er aber doch wohl im Kern übereinstimmt: Zwar ist jede „potestas" an sich, als Institution, von Gott, die „mala potestas" läßt Gott aber nur zu, ohne aktiv an ihrer Konstituierung mitzuwirken und für sie verantwortlich gemacht werden zu können. Nunmehr legt sich Haimo die wichtige Frage vor, weshalb die „potestates" überhaupt eingerichtet worden sind: „Si autem quaerimus quare hae potestates ordinatae sint, id dicendum, quod genus humanum bestiale effectum, belluino more contra se coepit saevire, intantum, ut primi parentis filius in fratrem consurgens, interfecerit eum. Bestiarum enim est et hominis discerpere, et se invicem lacerare et devorare." 416 In den Römerbriefkommentaren der lateinischen Kirche werden sonst keine Erörterungen darüber angestellt, welches die Ursache für die Einsetzung der „potestas" gewesen ist. Haimo sieht die Ursache in einer seelischen Veränderung der Menschen und einer daraus folgenden Änderung ihres Verhaltens. Die Menschen gleichen sich den wilden Tieren an und beginnen gegeneinander zu wüten. Haimo gibt keine Erklärung für diese Erscheinung. Als besonders schwerwiegendes Beispiel für das Wüten der Menschen gegen sich selbst nennt er den Brudermord Kains, ohne daß damit schon der Zeitpunkt für die Veränderung im Menschengeschlecht und für die Einsetzung der „potestas" genau bestimmt wird. Man kann wohl annehmen, daß Haimo hier insgesamt von Irenäus beeinflußt worden ist 417 . Zum Vergleich und zur Ergänzung sei nun noch einiges zu dem schon oben zitierten Ausdruck „servitus praesentis vitae" nachgetragen. Haimo hatte ja er · 415 Vgl. oben S. 107 f. und außerdem Augustin, Enarr. in Ps. 32, sermo 11,12, ed. E. Dekkers u. J.Fraipont, C C 3 8 (1956), S.263. 416 PL 117, col. 479 B. 417 Vgl. das Irenäus-Kapitel, S. 39 f.
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klärt, daß der Mensch als körperliches Wesen den weltlichen Herren in Anbetracht der Knechtschaft des gegenwärtigen Lebens dienen müsse. Einem besseren Verständnis kann noch folgende Stelle dienen: „,Servi, obedite dominis per omnia', subaudis quae Deo non displicent. Servi non sunt per naturam, sed per culpam et propter peccatum, sicut Chanaan, filius Cham (vgl. Gen. 9, 22 ff.). Propter peccatum enim venit captivitas, et per captivitatem servitus." 418 Mit den Begriffen „peccatum" und „culpa" bringt Haimo zum Ausdruck, daß Knechtschaft und Unterordnung keine Merkmale der natürlichen Ordnung sind. Ursache für sie scheint ihm der Frevel zu sein, den Cham an Noah begangen hat. Die Folgen hat Chams Sohn Kanaan zu tragen, denn ihm wird Knechtschaft auferlegt. Schon in der Patristik wurde die Existenz der Knechtschaft häufig auf die Freveltat Chams zurückgeführt. Für Haimo jedenfalls ist die Knechtschaft durch ein sündhaftes Verhalten der Menschen begründet, mag der Fall des Kanaan nur Beispiel sein oder Ursache. Man kann annehmen, daß Haimo auch in dem nicht näher begründeten tierischen Verhalten der Menschen eine Schuld sieht, die die Einrichtung der „potestas" zur notwendigen Folge hatte. Ein Bestandteil der natürlichen Ordnung ist jedenfalls auch die „potestas" für ihn nicht. Es ist noch einmal darauf hinzuweisen, daß Haimo in seinem Kommentar zu Rom. 13,1 auf den Brudermord Kains als den Beginn (?) und Gipfel der menschlichen Verirrung anspielt. Vielleicht wollte er damit ausdrücken — indem er den Ausführungen Augustins in „De civitate Dei" folgt —, daß mit Kain die „civitas terrena" in ihrer weiteren augustinischen Bedeutung, deren Teil aber auch die „potestas" ist, ihren Anfang genommen hat. Die folgenden Ausführungen Haimos verdeutlichen seine Gedankengänge. Er sagt noch einmal, daß Gott den Menschen Fürsten gab, um durch den Schrecken vor diesen Fürsten die Härte ihres Sinnes zu brechen418. Die Fürsten, die „potestates", haben also zunächst die Aufgabe, der Wildheit der Menschen zu steuern, dem chaotischen Gegeneinanderwüten Einhalt zu gebieten. Haimo unterläßt im besonderen nicht, darauf hinzuweisen, daß sowohl „bona potestas" als auch „mala potestas" mit Willen oder Erlaubnis Gottes eingesetzt sind; und erneut schärft er ein, daß sich die Gebote des Paulus an die wenden, die die christliche Freiheit mißverstehen und ihren Herren und Fürsten den gewohnten Gehorsam verweigern zu können glauben 420 . Seine Mahnungen richtete Paulus besonders an die Römer, die In ep. ad. Col.111,22, P L 117, c o l . 7 6 2 D . Exp. in ep. ad R o m . X I I I . l , P L 117, c o l . 4 7 9 B : „Hac de causa omnipotens Deus bestialibus hominibus principes proposuit, ut eorum terrore acerbitas animorum illorum reprimeretur. Sunt etiam pisces alios deglutientes, quos imitabantur homines in alios saevientes, quorum temeritas principum formidine sedata est." 4 2 0 A.a.O., c o l . 4 7 9 C : „Unde Dominus dixit Pilato; ,Νοη haberes in me potestatem, nisi tibi datum esset desnper' (Joh. 1 9 , 1 1 ) . Quibus verbis indicatur, quod sive bona potestas, ut David, seu mala fuerit, ut Nero, non est nisi aut volente aut permittente Deo. Hoc autem totum idcirco prosequitur Apostolus, ut potestatibus subditi sint, quia nonnulli (sicut jam diximus) ad fidem venientes, pristinam obsequium et servitium, quasi liberi effecti, dominis et principibus suis nolebant reddere, cum Dominus Jesus non venerit conditiones mutare, sed animas in aeternum victuras salvare." 418
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glaubten, daß sie nur noch Gott und nicht mehr Nero dienen müßten 4 2 1 . Haimo sucht auch hier recht geschickt die historische Situation zu erfassen und ins Spiel zu bringen, in der sich Paulus und die Christen in Rom befanden, um so das Motiv für die paulinische Paränese zu erfassen. Haimo bestätigt seine Neigung, sidi an den nüchternen Sachverhalten zu orientieren, wenn er des weiteren erörtert, welche Nachteile der Kirche zur Zeit des Paulus aus dem Ungehorsam der Christen gegenüber Herren und Fürsten erwachsen konnten. Es hätte Ärgernis geben können, wenn Sklaven und Untergebene durch das Christentum ihrem Dienst entfremdet würden. Es könnte dies dann der Kirche schaden, da der Übertritt zum Christentum unter solchen Umständen nicht gestattet würde, wenn die zum christlichen Glauben bekehrten Sklaven sich nun etwas Besseres dünkten 4 2 2 . Haimo wird mit der Beurteilung der damaligen Lage nicht ganz unrecht haben. Im Kommentar zu Rom. 13, 2 läßt Haimo keinen Zweifel an seiner Meinung aufkommen: „Sive bona sit ilia potestas, seu mala, quicunque ei resistit subtrahendo servitium ab ea, denegando tributum, et honorem non praebendo quem ei debet praebere, Dei ordinationi resistit et dispositioni, cujus ordinatione illi principantur." 4 2 3 Ein Widerstand gegen die Staatsgewalt ist im Prinzip ausgeschlossen. Es bleibt dem Christen nur die Möglichkeit — um das oben Gesagte zu wiederholen —, die Ausführung eines Befehls zu verweigern, wenn er zu Glaubensgrundsätzen in Widerspruch steht. Der Christ muß dann unter Umständen schwere Bestrafung in Kauf nehmen und erdulden. Haimo wendet sich außerdem gegen nicht namentlich genannte Leute, die den Begriff „potestas" falsch interpretierten: „Quidam, male sentientes, has potestates interpretati sunt daemones, de quibus in Epistola ad Ephesios dicitur: ,Νοη est nobis colluctatio adversus carnem et sanguinem, sed adversus principes et potestates'" (Eph. 6 , 1 2 ) . Wer diese „quidam" sind, ist nicht festzustellen. Wahrscheinlich nimmt Haimo einfach die Polemik wieder auf, die er bei Irenäus gefunden hat; es ist nicht klar, ob er Irenäus' Schrift „Adv. haereses" selbst studiert oder Claudius von Turin ihm die Kenntnis vermittelt hat 4 2 4 . Haimo weist ein derartiges falsches Verständnis des Begriffes „potestas" zurück: „Sed iste sensus valde est superfluus, quia in nullo debemus subdi daemonibus." Wie könnte auch Paulus Unterwerfung unter die Dämonen fordern! Ganz klar scheint sich aber Haimo über diese An-
4 2 1 A.a.O., c o l . 4 7 9 D : „Dicebant enim Romani credentes: Nos qui divinis legibus paremus, et D e o servimus, nec debemus servire nec honorem praebere Neroni, aliisque potestatibus terrenis. Quapropter Apostolus talia scripsit eis." Für die „mala potestas" dient immer wieder die Herrschaft Neros aus naheliegenden Gründen als Beispiel. 422 A.a.O.: „Poterat namque scandalum nasci dominis et principibus, si servi et subjecti eorum Christiani effecti, a servitio illorum efficerentur alieni. Noceret quoque Ecclesiae, dum non permitterentur alii credere, cum magis meliores debeant domini servos suos recipere, fideles Christi effectos." " 3 A.a.O., col. 4 8 0 A . 4 2 4 Vgl. das Irenäus-Kapitel, S. 38 f. und die Kompilation des Claudius von Turin, Anhang I I : Texte, S. 288.
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gelegenheit nicht zu sein, denn in seinem Kommentar zu Eph. 6, 12 identifiziert er die heidnischen Fürsten der Ägypter, Assyrer, Perser usw. mit den Dämonen und behauptet, daß sie „permissione Dei" herrschen 42S . Diesen Terminus verwendet Haimo im Blick auf die „mala potestas". Wenn er — wie oben gezeigt — verlangt, daß man auch der „mala potestas" keinen Widerstand leistet — es sei denn in Glaubensdingen —, so wäre also der Christ unter Umständen Dämonen gehorsam, eine Möglichkeit, die doch Haimo gerade in seiner Exegese von Rom. 13,1 ausgeschlossen hatte! Es scheint demnach, daß Haimos Lehre nicht in sich schlüssig ist. Vielleicht läßt sich der Widerspruch auflösen, wenn man annimmt, daß für Haimo als „potestas" im Grunde nur die christliche Obrigkeit in Frage kommt, sei diese nun gut oder schlecht, während die heidnischen Fürsten der fernen Vergangenheit für ihn generell „mali" und mit irgendwelchen Dämonen identisch sind; ihnen gegenüber wäre dann Gehorsam nicht angebracht. Es ist natürlich klar, daß auch eine solche harmonisierende Deutung nicht recht befriedigend und lediglich Vermutung ist. Es wurde bereits festgestellt, daß Haimo ein Widerstandsrecht ablehnt. Er erörtert auch die möglichen Folgen von Widersetzlichkeiten; die Folgen können Tod, Kerker oder Exil sein 426 . Haimo versäumt nicht, darauf hinzuweisen, daß Paulus unter der „damnatio" (Rom. 13, 2) den weltlichen Schuldspruch versteht, nicht etwa die „damnatio aeterna". Das liegt ganz auf der Linie seiner nüchtern sachlichen Exegese. In der neueren Exegese ist die Deutung auf das göttliche Strafgericht recht häufig. Zu Rom. 13, 3 bietet Haimo teilweise nur eine Paraphrase. Der Teilvers „Vis autem non timere potestatem? bonum fac, et habebis laudem ex illa" erhält zwei Erklärungen. Die erste ist eine neue Variante: „ . . . sed habebis laudem ex illa potestate, id est, ipsa erit occasio ut laude dignus sis, quia si tuo exemplo ad fidem vel justitiae opera fuerit perducta, laudaberis tarn ab illa, quam etiam ab aliis, et apud Deum quoque laude dignus eris." 427 Der Christ kann durch das Vorbild eines reinen Lebenswandels die „potestas" zum Glauben und zu Werken der Gerechtigkeit führen und wird so mancherlei Lob erwerben können: nicht nur von jener „potestas" selbst, sondern auch von anderen Menschen und nicht zuletzt von Gott. Freilich hatte Haimo zuvor betont, daß viele „potestates" an
425
Exp. in ep. ad Eph. V I , 12, P L 117, c o l . 7 3 2 D : „ N a m principes illi (sc. A e g y p tiorum, Assyriorum etc.), id est daemones, intelliguntur illis gentibus praepositi. Sicut enim unusquisque fidelium habet sibi angelum delegatum ad custodiam sui: ita et pagani habent malos qui eis principantur permissione Dei, et sicut Michael praepositus est genti Judaeorum v e l Christianorum, de quo dicitur: ,Et nemo est adjutor mens nisi Michael princeps vester' (Dan. 1 0 , 2 1 ) ; ita habent et gentes in infidelitate manentes malos principes"; vgl. auch das Folgende. 429 D e r folgende Satz gibt keinen rechten Sinn, der T e x t scheint verderbt: Exp. in ep. ad R o m . X I I I , 2, PL 117, col. 480 Β: „Si quaesierit aliquis, cur D o m i n u s damnaverit servum, aut princeps subjectum? responde, Resistebat mihi, et idcirco vindictam accepi ex illo." M a n könnte so verbessern: „ . . . resistebam ei, et idcirco vindictam accepi e x illo." 4 " P L 117, col. 4 8 0 C.
Haimo von Auxerre
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ihren Untertanen mehr das Schlechte als das Gute lieben. Die zweite Erklärung verläuft in augustinischen Bahnen: Wenn jemand durch die weltliche Gewalt Unrecht, Verfolgung oder T o d erleidet, so erhält er Lob von den Menschen und von Gott, er gewinnt die ewige Seligkeit. So kann die weltliche Gewalt ungewollt bewirken, daß der Christ höheres Lob erhält als es das irdische ist, das sie zu vergeben hat 4 2 8 . Als Beispiel für eine solche Möglichkeit führt H a i m o den Märtyrer Laurentius an 4 2 9 , für den er auch sonst ein auffälliges Interesse zeigt 4 3 0 . Bei der Auslegung des Teilverses „Dei enim minister est tibi in bonum" (Rom. 1 3 , 4 ) , bemüht sich H a i m o klarzumachen, was denn dieses „bonum" ist, zu dessen Verwirklichung die „principes" im Dienste Gottes tätig sind. Zum einen ist das „bonum" der Schutz von Leben und Eigentum, zum anderen bedeutet es, daß die „principes" diejenigen, die zu Unrechten Handlungen neigen, davon zurückhalten und sie so gewissermaßen vor sich selber schützen, denn: je schwerer das Verbrechen, desto schwerer die Strafe. Die „principes" haben also vor allem negativ eine Schutz- oder Erhaltensfunktion 4 3 1 . Eine solche Bestimmung der Aufgaben des Staates findet sich oft auch bei griechischen Exegeten 4 3 2 . Das Schwert, das die „potestas" zu führen hat, bedeutet für H a i m o die Strafgewalt; sie kommt den „principes" als „mundi judices" zu, weniger den Geistlichen: „Sunt nempe quaedam enormia flagitia, quae potius per mundi judices quam per antistites et rectores Ecclesiarum judicantur; sicut cum quis interficit pontificem apostolicum, episcopum sive presbyterum, sive diaconum. Hujusmodi reos reges et principes mundi damnant. Ergo non sine causa gladium portat,
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A.a.O.: „Aliter: si potestas ilia usque ad mortem poenis te afflixerit, aut in aliquo contraria exstiterit, ut quoque legitime decertando mortem aut aliquam injuriam patienter pertuleris, habebis ex ilia laudem, id est, ipsa praebebit occasionem ut tu lauderis: quia percipies pro persecutionibus ejus tibi irrogatis perpetuam beatitudinem, et laudaberis apud Deum et homines"; vgl. Exp. in ep. ad Rom. V, 3,4, PL 117, col. 402 D/403 A. und unser Augustinus-Kapitel S. 94. 429 PL 117, col. 480 D : „Consideremus Laurentium qui pro Christi nomine acerrime est ustulatus. Non fuisset laude dignus perfecte inventus, nisi a suo persecutore fuisset ustulatus; ideoque ipsa potestas fuit occassio laudis ejus"; das Leiden von Verfolgung, das Martyrium, macht den Menschen eigentlich erst vollkommen des höheren Lobes Gottes würdig. 430 Vgl. Exp. in ep. I ad Cor. XIII, 3, PL 117, col. 582B; Exp. in ep. II ad Cor. IX, 10, PL 117, col. 647 D. Gemeint ist wohl der Diakon Laurentius, der 258 in Rom den Märtyrertod starb. 431 Exp. in ep. ad Rom. XIII, 4, PL 117, col. 480 D : „Dei enim minister est, id est, a Deo constitutus est ad bonum tuum, ut suo timore et adjutorio custodiat et tueatur te, ne interficiaris ab inimico tuo, et tuam substantial« non diripiant alii. Aliter: Sunt multi qui volunt (Migne hat nolunt) agere malum, sed timent potestatem mundanam, et causa hujus timoris non percipiunt quod cupiunt. Ergo ad bonum illorum ne faciant malum, potestates illae praepositae sunt, quia quo amplius homo malum facit, eo amplius poenas sustinebit majores." 4S2 Ygi d e n Kommentar des Photius von Konstantinopel (ca. 820—891) zu Rom. 13,4, bei K. Staab, Pauluskommentare aus der griechischen Kirche, S.533.
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Die Vorsdiolastik. Analysen
qui talia scelera judical." 433 Hier hat sichtlich der Kommentar des Origenes als Vorlage gedient 434 . Der Kommentar zu Rom. 13,5 bringt nichts Neues. Im Sinne Augustins weist Haimo eindringlich darauf hin, daß nicht nur die Furcht vor Strafe das Motiv für den Gehorsam gegenüber der weltlichen Gewalt sein darf; man soll vielmehr reinen Herzens in Liebe den Herrschenden zugetan sein, die ja ihre Legitimation von Gott empfangen. Gott, der in das Gewissen schaut, soll erkennen, daß der Gehorsam nicht nur heuchlerisch und äußerlich geleistet wird 4 3 5 . Der Kommentar Haimos wird nun unergiebiger; zu Rom. 13, 6 stellt er in der Hauptsache nur fest, daß man Steuern deshalb zu zahlen habe, weil die „principes" von Gott eingesetzt sind und ihre Untertanen gegen Feinde verteidigen. Wer nicht Steuern zahlt, muß Strafe gewärtigen wie die Juden, die den Römern nicht tributpflichtig sein wollten. Erwähnenswert ist noch eine Bemerkung Haimos über den Kriegsdienst. Im Anschluß an Luk. 3,14, wo Johannes fordert, daß die Soldaten niemandem Gewalt antun und mit ihrem Sold zufrieden sein sollten, meint Haimo: „Ubi notandum est, quia non dixit: Nolite militare, quia miiites a Deo constituuntur, ut ab eis patriae sibi commissae tueantur." 436 Wert und Bedeutung des Soldatenstandes sind damit so eindringlich wie möglich begründet. In seinem Kommentar zu Rom. 13, 7 schließlich bringt Haimo zum Begriff „vectigal" fast die gleiche Erklärung wie Claudius von Turin 4 3 7 ; vielleicht hat er also dessen Kompilation gekannt. Eine eigenartige und abwegige Deutung erfährt der Begriff „tributum": „Tributum dicit a tribunis, et tribuni a tribus. Siquidem Romulus conditor et auctor Romae, in tres partes populum sibi subjectum divisit rationabili distributione: in senatores videlicet, quae et consules vocabantur, in miiites et agricolas, et unicuique parti principem unum constituit, qui tribunus dicebatur, eo quod uni ex tribus partibus praeesset." 438 Wahrscheinlich stützt sich Haimo hier wie Claudius von Turin, der sich ähnlich äußert, auf Isidors „Etymologiae", benutzt aber noch eine andere Stelle als Claudius 439 . Isidor selbst fußt natürlich für diese Dinge auf antiken Autoren, hat die Zitate aber wohl kaum aus erster Hand 4 4 0 . 438
A.a.O., PL 117, col.481 A. Vgl. Origenes, In ep. ad Rom. Comm. IX, 28, Lommatzsch II, S. 330 f. 435 PL 117, col.481B/C; vgl. audi Exp. in ep. ad Rom.XIII,8, PL117, col.482B. 439 PL 117, col.481 D. 437 PL 117, col.482A: „Vectigal est tributum fiscale, et dicitur a vehendo, eo quod accipiatur de vectis, id est, de eportatis mercibus"; vgl. Claudius v. Turin, Anhang II: Texte, S. 288, und Isidor, Etym. lib. XVI, cap. 18,8, ed. W. Μ. Lindsay II (Oxford 1911); Haimo nennt einen „Claudius" in seiner Exp. in ep. ad Rom. 11,25, PL 117, col. 383 A. 438 PL 117, col. 481D/482 A. 439 Vgl. Isidor, Etym. lib. IX, cap. 4,7, a.a.O., I und Etym. lib. XVI, cap. 18,7, a.a.O., II; die letztere Stelle benutzt auch Claudius v. Turin, vgl. Anhang II: Texte, S. 288. 440 Vgl. besonders Dionys von Halikarnaß, Antiquitates Romanorum 11,7, 2—3, ed. E.Spelman (1948), S.332 und M.T.Varro, De Lingua Latina V, 181, ed. G.Goetz u. F.Sdioell (Leipzig 1910), S.55; vgl. auch Livius, ab urbe cond. I 43 u.a. 434
Atto von Vercelli
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3. Atto von Vercelli Atto ist eine der bedeutendsten Bischofsgestalten Italiens in der Ottonenzeit. Er stammte aus altem lombardischen Geschlecht und wurde um 885 geboren. Seit 924 Bischof von Vercelli, hat er im politischen Leben Italiens eine Rolle gespielt, zunächst als Parteigänger Hugos von Vienne, dann nadi 945 auf Seiten Berengars von Ivrea. Atto nimmt nicht nur aktiv Anteil am politischen Leben, ihn interessiert audi die politische Theorie 441 . Die berühmteste und berüchtigste seiner Schriften ist das „Polypticum" 442. Nach der Deutung P. E. Schramms ist das „Polypticum" keine Geschichtsquelle für die politischen Verhältnisse Italiens im 10. Jahrhundert, sondern ein theoretischer Traktat über die möglichen Folgen gewaltsamer Herrschaftsaneignung, vergleichbar dem „Principe" Machiavellis 443 . Abgesehen vom „Polypticum" sind uns von Atto noch die Schrift „De pressuris ecclesiasticis", einige Briefe und Predigten und eine Sammlung von Canones überliefert. Mit dem Paulinenkommentar, der unter seinem Namen bei Migne abgedruckt ist 444 , hat es seine eigene Bewandtnis. Nach meiner Auffassung können für Atto nur die Kommentare zu Rom., 1. und 2. Kor. und höchstens noch der zum Galaterbrief in Anspruch genommen werden. Die Kommentare zu den folgenden Paulusbriefen bieten nur einen Auszug aus den entsprechenden Kommentaren des Claudius von Turin bzw. sind mit diesen identisch; die Kommentare zu l . u n d 2.Tess. und l . u n d 2.Tim. sind zudem bei Claudius und Atto mit den entsprechenden Kommentaren des Ambrosiaster identisch 445 . Für unsere Analyse von Attos Kommentar zu Rom. 13, 1-7 ziehen wir besonders die Schrift „De pressuris ecclesiasticis" und die „Epistola prima ad Valdonem episcopum" heran 446 . Nach J.Schultz schrieb Atto seinen Paulinenkommentar vor 94 5 447, „De pressuris" ist um 940 entstanden. Atto leitet seinen Kommentar zu Rom. 13,1-7 mit folgenden Worten ein: „Praeterea, ne diceret aliquis: Transivi ad gratiam Evangelii; liber sum: nulli subditus esse debeo; propterea Apostolus, ut nihil suis auditoribus deesset, propter bonum pacis, et concordiae, subjecit: ,Omnis anima potestatibus sub441 Zu Attos Staatsauffassung vgl.: J.Schultz, Atto von Vercelli, Diss. Göttingen 1885, S. 58 ff.; E.Pasteris, Attone di Vercelli, ossia il piu grande vescovo e scrittore italiano del secolo X , Milano 1925, S. 42 ff.; Carlyle, Mediaeval Political Theory I, S.100 und S. 117. 442 In beiden Fassungen hg. von G. Goetz, Attonis qui fertur Polipticum quod appellatur perpendiculum, Abh. Sachs. Ak. d. Wiss. 3 7 , 2 (Leipzig 1922), mit Ubersetzung. 443 P.E.Schramm, Studien zu frümittelalterl. Aufzeichnungen über Staat und Verfassung, Zeitschr.d.Savigny-Stiftungf.Rechtsgesdi., Germ. Abt.49 (1929), bes. S.180ff.; vgl. auch A.Ebert, Allg. Gesch. d. Literatur d. Mittelalters III, Leipzig 1887, S. 368 ff. und St. Banner, Atto von Vercelli und sein Polypticum quod appellatur perpendiculum, Diss. Frankfurt 1925 (Maschschr.). 444 Expositio Epistolarum S.Pauli, PL 134, col.l25£F. 445 446 Vgl. Exkurs II, S. 254 f. PL 134, col.51ff. und col.95ff. 447 J. Schultz, a.a.O., S.29 und S.43; F. Stegmüller, Repertorium III, S.20: Entstehungszeit 924—940.
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Affeldt, Paulus-Exegese
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Die Vorsdiolastik. Analysen
limioribus subdita sit'." 448 Unschwer erkennt man die nun schon oft besprochene Lehre Augustins wieder, die sich gegen eine falsche Deutung des christlichen Freiheitsbegriffs wendet. Wir stellen eine Erörterung des Begriffs „bonum pacis" vorerst zurück und verfolgen zunächst Attos weitere Ausführungen. Alte und bekannte Gedankengänge seien dabei lediglich registriert. So bringt Atto die nun schon stereotyp gewordene Gleichsetzung von „anima" und „homo". Nadi Haimos Vorbild zählt er auf, was alles unter den „potestates sublimiores" zu verstehen ist und geht dann zur Erörterung der Frage über, weshalb man den weltlichen Gewalten unterworfen ist; dazu bietet ihm der Teilvers Rom. 13, 1: „Non est enim potestas, nisi a Deo" Gelegenheit. Atto leitet ein mit einem in diesem Zusammenhang audi sonst beliebten Bibelzitat (Hos. 8, 4): „Sed cum in libro cujusdam sapientis scriptum sit: ,Reges regnaverunt, sed non per me; principes exstiterunt, et non cognovi': quomodo non est potestas, nisi a Deo? Sciendum est ergo, quia sunt quae Deus propitius ordinat, et disponit; sunt quae iratus fieri permittit. De his ergo quae iratus fieri permittit dicitur: ,Reges regnaverunt, et non per me etc'. Et in libro Job (Hiob 34, 30):,Permittit Deus regnare hypocritam propter peccata populi'; de his vero, quae ipse ordinat, in libro Proverbiorum scriptum est: ,Per me reges regnant etc' (Prov. 8, 15). Ac per hoc omnis potestas a Deo est, vel ordinate (ordinante?) propitio, vel concedente irato." 449 Man erkennt in diesen Sätzen Grundgedanken des Ambrosius wieder 450 , die sich Atto vielleicht über Haimos Kommentar aneignete 451 . Atto geht allerdings, Ambrosius' und Haimos Gedanken aufnehmend, ein wenig über sie hinaus. Er will offenbar wie Ambrosius zwischen „bona potestas" und „mala potestas" unterscheiden. Jene wird durch aktives Handeln Gottes eingesetzt, diese läßt Gott nur zu. Im Gegensatz zu Ambrosius gibt Atto einen Grund dafür an, daß Gott die „mala potestas" zuläßt; der Grund ist Gottes Zorn. Weshalb ist Gott erzürnt? Atto zitiert Hiob 34, 30 und will damit wohl sagen, daß Gott die „mala potestas" zuläßt, um für irgendwelche Sünden zu strafen 452 . Damit hat jedoch Atto noch nichts darüber gesagt, ob für ihn die „potestas" generell eine Folge der Sünde ist oder nicht! Im übrigen bleibt auch die Frage offen, in welcher Weise und durch wen die „mala potestas" im konkreten Einzelfall eingesetzt und verursacht ist. Ambrosius hatte in diesem Zusammenhang den Begriff „ambitio" ins Spiel gebracht und angedeutet, daß bei der „mala potestas" der Teufel eine Rolle spielt. Atto kommt diesem Gedanken nahe, wenn er die „cupiditas" erwähnt: „Notandum etiam, quia non ait: Cupiditas non est,
448
449 PL 134, col. 258 A. PL 134, col.258B/C. Vgl. oben S. 107 f. 451 Vgl. Haimo, Exp. in ep. ad Rom. XIII, PL 117, c o l . 4 7 9 B / C und unsere Analyse, S. 123. 452 Vgl. Ep. prima ad Valdonem episcopum, PL 134, col. 97 D : „Sane sciendum, quia cum Deus omnipotens utilem populo principem donare dignatur, justum est ut ejus hoc pietati ascribant, et grates exinde dignas persolvant; si autem adversus fuerit, suis hoc imputent peccatis, ipsumque flagitare non desinant, ut hoc secundum multitudinem misericordiae suae propitius disponat." 450
Atto von Vercelli
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nisi a Deo, sed ,potestas', quoniam mali cupiditatem nocendi aliis a se habent; potestatem vero nisi a Deo habere non possunt. Neque enim diabolus unam oviculam J o b contingere posset, nisi Domino permittente; ideoque dicebat: ,Extede
paululum
manum
tuam'
( J o b I , 1 1 ) , id est, c o n c e d e m i h i u t
tentem."455
Hier schließt sich Atto offenbar an Augustin a n 4 5 4 . Die „cupiditas" bringt also die Menschen dazu, anderen zu schaden. Wir können Attos Aussagen im Sinne Augustins ergänzen durch den Hinweis, daß die „cupiditas nocendi" im Willen des Menschen ihren Ursprung h a t 4 5 5 . Atto drückt das durch den Satz aus: „. . . mali cupiditatem nocendi aliis a se habent." Ursache und Antrieb für die „mala potestas" ist die „cupiditas nocendi"; wenn Gott für Sünden strafen will, läßt er der „cupiditas nocendi" und damit dem Machtmißbrauch freien Lauf. So wird die „cupiditas nocendi" zur „potestas nocendi". Atto möchte, wie es scheint, den Terminus „ordinatio" nur verwenden, wenn es um die Einsetzung einer „bona potestas" geht; dies zeigen die Wendungen: „vel ordinate (ordinante?) propitio — vel concedente irato." Wie Augustin ringt auch Atto mit dem Phänomen des Bösen. Wenn Atto die „mala potestas" als Strafe für die „peccata" ansieht, so beantwortet er damit — wie schon erwähnt — noch nicht die Frage, aus welchem Grunde die „potestas" überhaupt von Gott eingesetzt worden ist. Aber Atto beschäftigt sich audi mit diesem Problem und lehnt sich dabei an Ausführungen Haimos an: „Deerat enim timor Dei hominibus, ideoque ne more piscium ab invicem consumerentur, datae sunt potestates etiam malis (malae?), ut boni patientiae virtute probarentur, et mali legibus mundanis coercerentur, et punirentur." 4 5 6 Was Atto Haimos Gedanken hinzufügt, ist dies, daß die fehlende Gottesfurcht der Menschen die Einsetzung der „potestates" notwendig machte 4 5 7 . Atto nimmt wohl an, daß zu irgendeinem Zeitpunkt beim Menschen eine Veränderung zum Bösen eintrat. Die mangelnde Gottesfurcht, die die Menschen dazu brachte, sich wie die Fische gegenseitig zu verschlingen, machte es erforderlich, auch schlechten Menschen Gewalt zu übertragen, damit die Guten in der Tugend der Geduld erprobt, die Bösen durch weltliche Gesetze gezügelt und
P L 134, col. 258 C. Vgl. Augustin, Enarr. in Ps. 32, sermo 11,12, ed. E . Dekkers u. J. Fraipont, C C 3 8 (1956), S. 2 6 3 : „Et malitia hominum cupiditatem nocendi potest habere propriam; potestatem autem si ille non dat, non habet. ,Νοη est enim potestas nisi a Deo'; definitiua sententia apostoli est. Non dixit: Non est cupiditas nisi a Deo. Est enim mala cupiditas, quae non est a Deo; sed quia ipsa mala cupiditas nulli nocet, si ille non permittat, ,Νοη est', inquit, ,potestas nisi a Deo' . . . Quid hoc? Homo tantum non habet potestatem, nisi cum acciperit desuper? Quid ipse diabolus, ausus est uel unam ouiculam tollere uiro sancto lob, nisi prius diceret: ,Mitte manum tuam' (Hiob 1,11), hoc est, da potestatem? Diese Augustinus-Stelle könnte Atto über die Kompilation des Florus von Lyon haben; vgl. Florus, In ep. ad Rom. 1 3 , 1 , P L 118, col. 313. 4 5 5 Vgl. Augustin, De natura boni, cap. 32, ed. J.Zycha, C S E L 25 (1892), S.870f.; auch diese Stelle bei Florus v. Lyon, a.a.O. 4 5 6 P L 134, col. 258 D, vgl. mit Haimo, E x p . i n e p . a d R o m . X I I I , 1, P L 1 1 7 , col. 479 B. 4 5 7 Atto hat sidi in diesem Punkte vielleicht Anregung bei Irenaus über die Kompilation des Claudius von Turin geholt; vgl. Anhang I I : Texte, S. 288. 453
454
9*
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Die Vorscholastik. Analysen
bestraft würden. Auch böse Herrscher dienen so der Aufgabe, das weltliche Leben nach dem Willen Gottes zu ordnen. Größere Aufmerksamkeit verlangt Attos Lehre vom Widerstandsrecht. Dazu finden sich auch in seinen anderen Schriften zahlreiche Äußerungen. Atto scheint dieses Problem sehr beschäftigt zu haben, wenn auch seine Stellungnahme durchaus nicht einheitlich und klar ist. In seinem Kommentar zu Rom. 13, 2 sagt er folgendes: „Verum, quia erant nonulli dicentes: In saecularibus negotiis non subditos esse oportet; in fide autem, et in his, quae ad Deum pertinent, nullo modo; idcirco volens Apostolus ostendere, quia in omnibus subditos esse oportet propter Deum, adjecit: ,Q«i autem resistunt, ipsi sibi damnationem acquirunt."u8 In seinen weiteren Erklärungen schließt sich Atto dann Origenes an: Wenn man der „potestas" Grund und Gelegenheit zur Verfolgung gibt — eben durch ungerechtfertigten Widerstand —, dann ist der Verfolger entschuldigt, der Verfolgte aber erleidet zu Recht den Tod, ohne daß er einen Lohn dafür empfängt, etwa die Märtyrerkrone 459 . Wir müssen die erstaunliche Tatsache feststellen, daß Atto in seinem Kommentar zu Rom. 13,2 Widerstand gegen die Staatsgewalt auch in Glaubensdingen auszuschließen scheint. Das stände in klarem Widerspruch zu dem, was Augustin immer behauptet hatte. Was bedeuten nun aber genauer und in der Praxis die etwas unbestimmten Ausdrücke „in fide" und „in his, quae ad Deum pertinent", die Atto in seinem Kommentar verwendet? Geben andere Schriften Attos darüber Aufklärung? Sieht man sie daraufhin durch, so fällt zunächst auf, daß Attos Auseinandersetzung mit dem Problem der weltlichen Gewalt vornehmlich um die Frage des Widerstandsrechtes kreist. Es gilt zu prüfen, ob Atto überall die gleiche Ansicht vertritt wie in seinem Römerbriefkommentar. Zunächst: Atto schärft des öfteren ein, daß man sich dem König, da er ja von Gott eingesetzt sei, auf keinen Fall widersetzen oder ihn gar stürzen dürfe, selbst dann nicht, wenn es sich um einen ungerechten König handelt. In der „Epistola prima ad Valdonem episcopum" heißt es: „Non leve est regalem impugnare majestatem, etsi injusta in aliquo videatur. Dei enim ordinatio est; Dei est dispensatio. Profanum est enim violare quod Deus ordinat." 4 6 0 Atto hält es offensichtlich für ein Sakrileg, den Gesalbten des Herrn anzutasten, wie er durch Psalm 104, 15 („Nolite tangere christos meos") zum Ausdruck bringt. Gesalbte sind aber audi die „perversi reges" 4 e l . 458
PL 134, col. 259 A. A.a.O.: „Dum ipsi persequendi occasionem tribuunt, suos persecutores excusabiles, et se improbabiles reddunt; ideoque dignam causam mortis habeant, sed dignum mortis praemium accipiunt"; der letzte Satz gibt keinen Sinn; der Herausgeber versucht deshalb folgende Konjektur (Anm.429, a.a.O., col. 260): „ideo quia dignam causam mortis non habent, nec dignum mortis praemium accipiunt." Da sich Atto Origenes anschließt (vgl. Origenes, In ep. ad Rom. Comm. IX, 29, Lommatzsch II, S. 332), ist vielleicht folgende Konjektur möglich: „ideoque dignam causam mortis habeant, sed indignum mortis praemium accipiunt." Was Atto meint, ist jedoch klar. 460 PL 134, col. 95C/D; vgl. auch a.a.O., col. 98 A: „Nam dejiciendus vel impugnandus nullo modo est a populo (sc. princeps), qui jam ordinatus est a Deo . . . Nullus de 461 alicujus dejecti regis injuria sibi assumat fiduciam." Vgl. a.a.O., col. 99 A. 459
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Es kann also kein Zweifel darüber bestehen, daß Atto ein aktives Widerstandsrecht ablehnt. Wie wichtig das für ihn ist, zeigt die Tatsache, daß in Erörterungen über die „potestas" und das Widerstandsrecht immer wieder der Begriff „pax" auftaucht. Gleich zweimal findet sich der Ausdruck „bonum pacis" zu Beginn des Kommentars zu Rom 13. Da heißt es ζ. B.: „ . . . nos subditos esse admonet propter bonum pacis, et concordiae, ne nomen Dei, aut doctrina Christi blasphemetur." 4 6 2 Es geht hier nicht nur um einen mehr äußerlichen Frieden in profanem Sinne, es geht um mehr. Wer durch Auflehnung gegen den weltlichen Fürsten den weltlichen Frieden stört, bringt sidi in die Gefahr, auch vom göttlichen Frieden, den Christus brachte, ausgeschlossen zu werden. Es ist ja einleuchtend, daß derjenige, der dem von Gott eingesetzten Fürsten widerstrebt, die göttliche, heilbringende Ordnung, die „salutaris pax", zerstört. Atto macht auf diese Gefahr immer wieder aufmerksam 4 6 3 . Es ist zwar nun klar, daß Atto ein aktives Widerstandsrecht ablehnt, aber noch bleibt die Frage zu beantworten, ob er, wie im Römerbriefkommentar, überall unbedingten Gehorsam gegenüber der weltlichen Gewalt auch in Glaubensdingen verlangt. Atto ist nicht immer so konsequent: „Et rursus: ,Deum timete, regem honorificate' (1. Petr. 2, 17). Quia sic rex honorificandus est, ut Dei timor praecedere videatur . . . Unde ait beatus Hieronymus: ,Si bonum est quod praecipit Imperator et praeses, jubentis obsequere voluntati; sin vero malum, et contra Deum sapit, responde illud ei de Actibus apostolorum: Obedire oportet Deo magis quam hominibus(Apg. 5, 2 9 ) 4 6 4 . Das Zitat macht deutlich, daß für Atto der Gehorsam gegenüber der weltlichen Gewalt doch nicht ohne jede Einschränkung gilt. Es braucht dies aber der im Römerbriefkommentar zum Ausdruck gebrachten Ansicht nicht unbedingt zu widersprechen. Es könnte sein, daß Atto der „potestas" in Glaubensdingen durchaus Autorität einräumt und nur im äußersten Notfall, wenn die „potestas" etwas befiehlt, was gegen Gottes Gebot verstößt, auf jenes Wort der Apostelgeschichte verweisen will. Eine solche Harmonisierung der Texte verbietet jedoch eine weitere Äußerung Attos in der Schrift „De pressuris", wo er eine klare Abgrenzung der Kompetenzen von weltlich und geistlich, Staat und Kirche vornimmt 4 6 5 . Wenn es dort weiterhin 4 8 2 P L 134, col. 258 A. A t t o ist hier von Augustin abhängig; vgl. Augustin, E x p . ep. ad Gal., c a p . 2 8 , P L 3 5 , c o l . 2 1 2 5 ; die gleiche Stelle hat Florus, P L 119, col.313. 4«s Vgl di e ganze „Epistola prima ad Valdonem episcopum", besonders jedodi P L 134, col. 102 Β : „Ad tramitem ergo verae pacis, id est, Domini nostri Jesu Christi, sanctorumque Patrum exempla, vel documenta, sincera mente conveniamus; fidelitatem regiam, ut ipsos docere cognoscimus, firmiter teneamus; nosque in Dei omnipotentis servitio, nostrique senioris obsequio, ac fidelium confratrum suffragio paratissimos instituamus, et quoscunque ad haec omnimodis invitemus. Qui vero talibus monitis rebelies exstiterint, inter hos jam non est pacis vinculum inserendum . . D e r innere Zusammenhang zwischen „vera p a x " , „fidelitas regia" und „obsequium" wird deutlich.
De pressuris ecclesiasticis, p. III, P L 134, col. 92 D. A.a.O., p . I I , P L 134, c o l . 8 6 D : „ . . . e t unusquisque suum ministerium sollicite custodiat, nec alienum usurpare intendat. Clerici militiam non exerceant, nec publica vectigalia exigant, et fenus nullo modo exsequantur. Laici quoque cujuscunque sint 4,4
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heißt: „Catholici vero principes manifestum est quia EcclesiaeDei non praesumpserant dominari, sed elegerant sedule famulari" 4e6 , so spricht damit Atto vermutlich seine eigentliche Meinung aus. Es bleibt insgesamt wohl kaum etwas anderes übrig, als den Widerspruch zwischen solchen und ähnlichen Sätzen und dem Kommentar zu Rom. 13, 2 stehenzulassen. Die Schrift „De pressuris" ist früher entstanden als der Römerbriefkommentar. H a t Atto in der Zwischenzeit seine Ansichten geändert? Das ist wenig wahrscheinlich. Es ist möglich, daß sich Atto durch Rom. 13, 2 zu einer radikaleren Auffassung hat hinreißen lassen, als er sie sonst vertreten konnte und wollte. Die vieldeutige Ausdrucksweise im Römerbriefkommentar erschwert ein sicheres Urteil 467 . Es läßt sich nicht feststellen, was „in fide" und „in his, quae ad Deum pertinent" bedeuten: den äußerlich-rechtlichen Bereich der Kirche oder den Bereich von Glaube und Kultus? Ich meine, daß Atto — wie schon erwähnt — seine wahre Meinung in „De pressuris" zu erkennen gibt. Danach lehnt er ein aktives Widerstandsrecht in jedem Falle ab, anerkennt aber die Berechtigung eines gewissen passiven Widerstandes, wenn der Herrscher einen Befehl gibt, der zu Forderungen des Glaubens und des Gewissens in Widerspruch steht 468 . Atto möchte durchaus die Bereiche von Staat und Kirche trennen. Damit wäre im ganzen die Position Augustins gewahrt. Über Attos Kommentar zu Rom. 13, 3 ff. können wir schneller hinweggehen. Zu Rom. 13, 3 folgt er im wesentlichen Augustinus 469 . Vor allem bringt er die bekannte Auslegung, daß man von der „potestas" in jedem Falle Lob erhalten kann, sei es audi, daß man auf Grund von Verfolgung durch die „mala potestas" die Märtyrerkrone erwirbt. Im Kommentar zu Rom. 13,4 übernimmt Atto von Haimo die Erklärung, daß „gladius" ein anderes Wort für „potestas" sei. Dann variiert er eine Stelle aus dem Römerbriefkommentar des Origenes: Man muß fragen, so sagt Atto, weshalb Paulus so oft der „potestas" und der „ministri Dei" gedenkt. Er tut dies, um zu zeigen, daß die weltlichen Strafen nicht durch die „pontifices", sondern durch weltliche Gewalten erteilt werden: „. . . alia quippe est causa Ecclesiae, alia provinciae. Nam provinciae administratio terribiliter est agenda, Ecclesiae vero mansuetudo clementer commendanda." 470 Atto weist im Gefolge des Origenes auf die völlig verschiedenen ordinis vel dignitatis, ecclesiasticarum rerum dominationem vel dispensationem arripere non praesumant.. 4ββ A.a.O., p. III, PL 134, c o l . 8 9 C . 487 Ähnlich E. Pasteris, Attone di Vercelli, S. 43. 468 So auch E.Pasteris, a.a.O., S.44; vgl. dagegen vielleicht nodi E p . X I , PL 134, col. 121 Β: „Fidelitatem quoque nostrorum dominorum et regum pleniter in omnibus judico observandum. Nullo modo enim ante oculos divinae majestatis puri inveniri possumus, si eis infideles ullatenus existimus. Ait enim Dominus in Evangelio: ,Si hominem quem vides non diligis, Deum quem non vides quomodo potes diligeref (1. Joh. 4,20). Et ideo pro illorum fidelitate regnique statu et pace nobis satagere convenit.. 4ββ Vgl. Augustin, Exp. quar. prop, ex ep. ad Rom., cap. LXXIII, PL 35, col. 2084. 470 PL 134, col. 260 Β; vgl. Origenes, In ep. ad Rom. Comm. IX, 28, Lommatzsch II,
Atto von Vercelli
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Aufgaben und Bereiche von Staat und Kirche hin. Davon war oben bereits die Rede. Als Kronzeugen dafür, daß die Könige geachtet werden müssen, führt Atto schließlich noch Irenaus an, der bei seiner Auseinandersetzung mit dem Problem der „potestas" auf Matth. 17, 24-27 verwiesen hatte 4 7 1 . Zu Rom. 13, 5 erklärt Atto, daß es im Glauben an Christus keinen Unterschied zwischen Griechen und Juden, Herren und Knechten gibt; sofern sie glauben, sind sie eine Einheit (vgl. 1. Kor. 12, 13). Aber: „Attamen, quia oportet ut fideles per viam praesentis vitae ad patriam aeternae haereditatis perveniant, necesse est ut in ordine hujus vitae subditi sint sublimioribus potestatibus, ne occasionem persequendi demus, et nomen Dei et doctrina blasphemetur." 472 Hier bricht sich nun wieder ganz die augustinisdie Auffassung Bahn. Ähnlich äußert sich Atto in seinem Galaterkommentar, wobei er mehr oder weniger von Claudius von Turin abhängt, der ja auch nur auf Augustin f u ß t 4 7 3 . Atto macht sich also Augustins Auffassung zu eigen, daß die weltlichen Gewalten letzten Endes nur eine Übergangserscheinung sind, die um Gottes Willen hingenommen werden muß, weil der Weg zum Reiche Gottes eben durch das irdische Dasein führt. Diese Welt hat ihre von Gott gesetzte Ordnung, der man sich unterwerfen muß. Atto wiederholt auch Augustins Forderung, daß diese Unterwerfung nicht allein wegen der Furcht vor einer möglichen Bestrafung durch die weltliche Gewalt erfolgen darf, sondern auch um des Gewissens willen. N u r so kann man vor Gott bestehen, der die Herzen prüft 4 7 4 . Atto folgt im ganzen Ambrosiaster, wenn er in seinem Kommentar zu Rom. 13, 7 zwischen den verschiedenen „debita" unterscheidet 4 7 5 : Steuer und Zoll sind Königen und Fürsten zu zahlen, dem Lehrer und dem Vater gebührt Ehrerbietung, dem H e r r n gegenüber hat man ehrfürchtige Scheu zu zeigen. Eine etwas abenteuerliche Erklärung wird dem Begriff „tributum" zuteil: „Tributum, ut quidam volunt, a ,tribuendo' dicitur. Est enim census, aut redditus qui exigitur a colonis, vel territoriis; revera autem tributum ,a tribubus' dicitur. Romani siquidem mundum in tres partes diviserunt, Asiam, Africam et Europam, quibus qui praeerant, tribuni vocabantur, et qui censum solvebant, tributarii." 476 Woher diese neue Variante stammt, ist mir nicht bekannt. Vielleicht ist Atto selbst bei einem Versuch etymologischer Erklärung in die Irre gegangen. Man vergleiche diese Erklärung mit denen Isidors, Claudius' und Haimos, die Atto sicherlich benutzt hat 4 7 7 . S. 328 ff. Im Atto-Zitat hat „provincia" die Bedeutung von „mundus"; vgl. dazu D u Cange, Gloss. VI, S. 546. 471 Vgl. Irenaus, Adv. haereses, lib. V 24,1, Harvey II, S . 3 8 8 f . 472 PL 134, c o l . 2 6 0 C ; vgl. Augustin, a.a.O., cap.LXXII, PL 35, col.2083. 473 Vgl. Atto, Exp. in ep. ad Gal.111,28, PL 134, c o l . 5 2 4 A und Claudius von Turin, In ep. ad Gal.III,28, PL 104, c o l . 8 7 7 D . 474 PL 134, col. 260 C / 2 6 1 A . 475 Vgl. Arabrosiaster, In ep. ad Rom. XIII, 7, PL 17, c o l . l 7 2 C . 476 PL 134, col. 261B. 477 Isidor, Etym. lib. X V I , cap. 18,7, ed. W.M.Lindsay II und lib. IX, cap.4,7, a.a.O. I; Claudius von Turin, Kommentar zu Rom. 13,7, Anhang II: Texte, S. 288; Haimo, Exp. in ep. ad Rom. XIII, 7, PL117, col. 481 D/482 A.
Die erste Periode der Frühscholastik Ich habe den großen Zeitraum der Frühscholastik in zwei Perioden geteilt, die in gesonderten Abschnitten behandelt werden sollen. Das Studium der frühscholastischen Kommentare zu Rom. 13,1-7 ergab, daß eine solche Unterscheidung möglich und zweckmäßig ist. Während in der ersten Periode der Frühscholastik, die vom letzten Drittel des 11. Jahrhunderts bis etwa zu Petrus Lombardus einschließlich reicht, Kompilation und Glosse das Feld beherrschen, ist in der zweiten Periode von Robert von Melun bis zu Stephan Langton ein bedeutender Fortschritt hinsichtlich der Formen und des Inhalts der Exegese zu verzeichnen. Ich glaube daher, daß meine Unterscheidung der Klarheit und Übersichtlichkeit dient. Wie beim Zeitraum der Vorscholastik soll nun zunächst eine nicht allzu ausgedehnte zusammenfassende Besprechung der Kommentare zu Rom. 13,1-7 von den Anfängen der Frühscholastik bis zu Petrus Lombardus der Vorlage ausgewählter Analysen voraufgehen.
I. A L L G E M E I N E R T E I L 1. Die Form der Kommentare Die erste Periode der Frühscholastik ist gekennzeichnet durch das Aufkommen einer charakteristischen Bibelglossierung; im Brennpunkt steht die Schule Anselms von Laon. Abgesehen von den Bibelglossen gibt es auch noch umfangreiche Kommentare, die allerdings meist Kompilationen sind. Das Gepräge jedoch gibt der Epoche die Glossenliteratur, die mit ihren Hauptwerken in der folgenden Zeit entscheidenden Einfluß gewinnt. Wie schon bei der Vorscholastik ist auch bei dem nun zu behandelnden Zeitraum das Eingehen auf hermeneutische Grundsätze weniger erforderlich 478 . Unsere Aufmerksamkeit gilt vor allem der äußeren Form der Kommentare. Als Kommentar in strengem Sinne könnte man höchstens den Römerbriefkommentar des Petrus Abälard bezeichnen; Abälard schreibt nicht ganz wörtlich ab; hier und da stößt man auf einen Satz, der nicht irgendwo in der Tradition zu finden ist. Aber auch Abälard ist nicht über Haimo oder Atto von Vercelli hinausgelangt, was die äußeren Formen der Kommentierung betrifft. In Abälards 478
Vgl. zur allgemeinen Charakteristik der Exegese im 12. Jh. C. Spicq, Esquisse, S.62ff. und B. Smalley, The Study of the Bible, S.46ff.
Die Form der Kommentare
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Kommentar zu Rom. 13, 1-7 findet sich noch keine Quaestio. Den Charakter reiner Kompilationen haben die Kommentare des Herveus von Bourg-Dieu und des Wilhelm von St. Thierry; die Kompilation Roberts v. Bridlington war mir nicht zugänglich. Der Kommentar des Herveus bietet lange wörtliche Zitate aus früheren Kommentaren und anderen Schriften; nur selten trifft man auf einen Satz, der nicht abgeschrieben ist. Nicht ganz so unselbständig ist Wilhelm von St. Thierry, aber eine Kompilation ist auch seine Auslegung des Römerbriefes. Wie schon erwähnt, geben jedoch diese Kompilationen der Exegese der ersten Periode der Frühscholastik nicht das Gepräge. Das Entscheidende ist die Entwicklung der Bibelglosse von den nodi weitgehend im Dunkel liegenden Anfängen bis zum Glossenwerk des Petrus Lombardus. Im Mittelpunkt der Entwicklung der Glosse steht Anselm von Laon mit seiner Schule. Sie zeichnet für die sogenannte „glossa ordinaria" verantwortlich. Hinsichtlich dieser „glossa ordinaria" haben wir völlig umlernen müssen 479 . Weder heißt das Glossenwerk ursprünglich „glossa ordinaria" — eine sehr späte Bezeichnung —, sondern „parva glossatura" 480, noch stammt sie aus dem 9. Jahrhundert, sondern wesentlich aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts, noch ist Walafrid Strabo ihr Verfasser, sondern eben Anselm von Laon und seine Schule. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat deutlich gemacht, wie kompliziert das Problem der „glossa" ist. Anselm hat nicht etwa zur „glossa ordinaria" Walafrids die Interlinearglossen geliefert, Interlinearglossen und sog. „glossa ordinaria" gehören vielmehr zusammen. Die Glosse zur gesamten Bibel war nicht das Werk eines einzelnen, sondern eine Gemeinschaftsarbeit. Die zentrale Figur ist aber offenbar Anselm von Laon. Die Zuweisung der einzelnen Teile der „parva glossatura" an die verschiedenen Mitarbeiter ist schwierig. Für die Glosse zu den Paulinen zeichnet Anselm selbst verantwortlich; vielleicht hat sein Bruder Radulf mitgearbeitet. Die „parva glossatura", insbesondere die zu den Paulinen, hat einige Vorläufer. Auf Grund des mir vorliegenden Materials läßt sich sagen, daß im allgemeinen vor Anselm die Marginalglossen nicht von den Interlinearglossen getrennt wurden. In dem bei Migne abgedruckten Paulinenkommentar aus der Schule Lanfrancs von Canterbury 4 8 1 ist allerdings eine solche Unterscheidung gemadit, die sicher auf die dem Druck zugrunde liegende Handschrift zurückgeht; diese Handschrift ist leider verloren. Vielleicht war also schon bei Lanfranc und seiner Schule die Trennung von Marginal- und Interlinearglossen zum Teil durchgeführt. Sie findet sich nicht im Paulinenkommentar des Cod. Paris. Nat. lat. 12267 aus Lanfrancs Schule482. Audi der Paulinenkommentar, der Bruno dem Kartäuser zugeschrieben wird 483 , und die Kommentare um Radulf von Laon, soweit sie mir bekannt 47» v g i .