Die Weltanschauung Henry Fieldings 9783111326290, 9783110983111


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German Pages 320 [324] Year 1952

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Table of contents :
1 EINLEITUNG
1.1 Forschungsgeschichtliches
1.2 Methodische Grundlegung
2 DIE EINSTELLUNG
2.1 Der Lebensweg
2.11 Die Vorfahren
2.12 Jugend und Bildung
2.13 Der Dramatiker
2.14 Beruf und Lebenskampf
2.15 Der Richter von Bow Street
2.16 Die letzten Jahre
2.2 Absichten und Ideale
2.21 Allgemeine Tendenzen
2.22 Jonathan Wild als Steigerung der Komödie
2.23 Neue Blickpunkte (Champion)
2.24 Mensch und Innerlichkeit (Joseph Andrews)
2.25 Das Christliche
2.26 Die Absichten des Tom Jones
2.27 Die partikularen Ziele des Alters
2.3 Die Lebensform
2.31 Der aktive Mensch
2.32 Der Realist
2.33 Die „enthusiastische“ Einstellung
2.34 Der soziale Mensch
3 DAS WELTBILD
3.1 Vom Geist der englischen Aufklärung
3.11 Das Jahrhundert des Menschen
3.12 Die Natur
3.13 Das lachende Jahrhundert
3.2 Die Ideen des Werkes
3.21 Der Mensch
3.22 Die Romanform
3.23 Das Ethos
3.24 Die Gesellschaft
3.25 Die Kunstanschauung
3.26 Zusammenfassung
4 DER LEBENSPROZESS
4.1 Die Stufen des Wirklichkeitserlebnisses
4.2 Die Satire
4.21 Die Wirklichkeit im Spiegel der Satire
4.22 Von der Bedeutung des Witzes
4.3 Die Ironie
4.31 Ironie als verstärkter Kampf gegen die Wirklichkeit
4.32 Fielding und Swift
4.4 Der Humor
4.41 Humor als Interpretation des Lebens
4.42 Der Humor des Joseph Andrews
4.43 Die Akzentverlagerung in Tom Jones
4.5 Zusammenfassung
5 FIELDING ALS DICHTER SEINES ZEITALTERS
5.1 Geistesgeschichtliche Parallelität
5.11 Formale Voraussetzungen
5.12 Inhaltliche Entsprechungen
5.2 Shaftesbury
5.21 Allgemeine geistige Verwandtschaft
5.22 Spezielle philosophische Beziehungen
5.3 Butler
5.31 Die Gewissensmoral
5.32 Partielle Übereinstimmungen in der Ethik
5.4 Hume
5.41 Emotionalismus und Erfahrung
5.42 Ethischer Optimismus und Sympathie
5.5 Von der Skepsis zur Religion
5.51 Die geistige Umschichtung des Jahrhunderts
5.52 Die Entwicklung des Romans als phylogenetische Parallele
5.6 Zusammenfassung
5.7 Fielding ein Stoiker?
6 AUSBLICK: DAS URTEIL DER JAHRHUNDERTE
6.1 Der Realismus
6.2 Die Beziehung zu Shaftesbury und die ethische Religiosität
6.3 Die Erkenntnis von Idealismus und Moral in der romantischen Kritik
6.4 Das Religiöse in positiver Wertung
6.5 Vom schwankenden Urteil zur endgültigen Anerkennung
Literaturnachweis
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Die Weltanschauung Henry Fieldings
 9783111326290, 9783110983111

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B U C H R E I H E DER ANGLIA ZEITSCHRIFT FÜR ENGLISCHE PHILOLOGIE 3. BAND W. ISER, D I E W E L T A N S C H A U U N G H E N R Y F I E L D I N G S

DIE WELTANSCHAUUNG HENRY FIELDINGS VON

WOLFGANG ISER

MAX NIEMEYER VERLAG / T Ü B I N G E N

Gedruckt mit Unterstützung der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg Copyright 1952 by Max Niemeyer Verlag Tübingen Druck : Buchdruckerei Eugen Gobel, Tübingen

VORWORT Diese Schrift kann nicht der Öffentlichkeit übergeben werden ohne ein Wort aufrichtigen Dankes an diejenigen, denen Entstehung und Veröffentlichung verpflichtet sind. Die baldige Drucklegung ermöglichte ein namhafter Zuschuß der Hohen Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karl-Universität, an der ich die entscheidenden Studienjahre verbrachte. Die Anregung zu dieser Studie

verdanke ich meinem

hochverehrten

Lehrer Herrn Professor Dr. H. M. Flasdieck, der auch den Fortgang der Arbeit mit außerordentlicher Hilfsbereitschaft und steter Kritik begleitete. Noch mehr aber fühle ich mich ihm verpflichtet für eine umfassende und tiefgehende methodische Schulung, von der diese Untersuchung Zeugnis ablegen möge. Heidelberg, den 30. Juli 1952. Wolfgang

Iser

1

ABKÜRZUNGEN ESt

Englische Studien

JEGPh . . . .

Journal of English and Germanic Philology

MLN

Modern Language Notes

MPh

Modern Philology

NQ

Notes and Queries

PQ

Philological Quarterly

PMLA . . . .

Publications of the Modern Language Association of America

RESt

Review of English Studies

SP

Studies in Philology

2

I N H A L T 1 1.1 1.2

Seite

EINLEITUNG Forschungsgeschichtliches Methodische Grundlegung

7 7 12

2 2.1

DIE EINSTELLUNG Der Lebensweg 2.11 Die Vorfahren 2.12 Jugend und Bildung 2, 13 Der Dramatiker 2.14 Beruf und Lebenskampf 2.15 Der Richter von Bow Street 2.16 Die letzten Jahre 2.2 Absichten und Ideale 2.21 Allgemeine Tendenzen 2.22 Jonathan Wild als Steigerung der Komödie 2.23 Neue Blickpunkte (Champion) 2.24 Mensch und Innerlichkeit (Joseph Andrews) 2.25 Das Christliche 2.26 Die Absichten des Tom Jones 2.27 Die partikularen Ziele des Alters 2.3 Die Lebensform 2.31 Der aktive Mensch 2.32 Der Realist 2.33 Die „enthusiastische" Einstellung 2.34 Der soziale Mensch 3 3,1

DAS WELTBILD Vom Geist der englischen Aufklärung . . . . . 3, 11 Das Jahrhundert des Menschen 3.111 Die empirische Kritik an der Metaphysik . . 3.112 Die Moral der Aufklärung 3.113 Die Anthropomorphisierung der Religion . . 3.114 Die Vermenschlichung anderer Lebensgebiete . 3,12 Die Natur 3.121 Der Naturbegriff der Aufklärung 3.122 Die „natürliche" Entstehung der Welt 3, 123 Die Natur in Ethik und Philosophie . . . 3.124 Die Natur in der Poetik 3.125 Die Natur als Ideal anderer Lebensgebiete . .

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19 19 19 20 22 25 28 29 31 32 40 41 42 45 46 48 51 52 53 55 56 60 60 60 62 65 70 73 80 81 83 85 93 95

3

Seite 3,13

Das lachende Jahrhundert 3.131 Allgemeine Bedingungen 3.132 Zur Theorie der Komik

98 98 100

3,2

Die Ideen des Werkes

104

3.21

Der Mensch 3.211 Der Subjektivismus im Menschenbild der Komödie . . 3.212 Die negative Steigerung der Komödienmenschen (Jonathan Wild) 3.213 Der Beginn positiver Menschengestaltung . . . . 3.214 Die Problematik von Mensch und Leben (Joseph Andrews) 3.215 Wirklichkeit und Gesinnung (H e a r t f r e e) . . . 3, 216 Von Joseph Andrews zu Tom Jones 3, 217 Wirklichkeit und problematisches Individuum ( T o m Jones) 3,218 Der Mensch zwischen Wirklichkeit und Glauben (Amelia)

104 105

3.22

3.23

3.24

4

Die Romanform 3.221 Die empirische Gebundenheit des Romans 3.222 Die biographische Form des Romans 3.223 Fielding und Cervantes

.

.

.

Das Ethos 3.231 Gefühlsethos und Utilität 3.232 Greatness und Goodness (Jonathan Wild) . . . 3.233 Virtue und Good-nature (Champion) 3.234 Wahrhaftigkeit, Leidenschaft und soziales Ethos (Joseph Andrews) 3.235 Caritas und Unsterblichkeit 3.236 Die Gewissensmoral (Tom Jones) 3.237 Emotionalismus und Religion

.

.

112 115 115 123 124 126 139 146 148 158 161 169 170 175 178 179 183 184 195

Die Gesellsdiaft 3,241 Die Gesellschaftskritik des Frühwerkes 3, 242 Die Erweiterung des kritischen Gesichtskreises (Joseph Andrews) 3.243 Ansätze zu konstruktiver Ordnung ( H e a r t f r e e T e i l des Jonathan Wild) 3.244 Die Ehe als Ideal (Tom Jones) . 3.245 Gedanken zum Idealstaat 3.246 Reformistische Absichten 3.247 Die Familie als Ordnungsform der Gesellsdiaft (Amelia)

201 202

3.25

Die Kunstanschauung 3.251 Die Aufgabe der Dichtung 3.252 Vom Wesen des Dichters 3.253 Das Verhältnis zur Antike 3.254 Die Kunstkritik

219 220 223 225 228

3.26

Zusammenfassung

231

205 209 211 213 215 217

Seite 4 4.1 4.2

DER LEBENSPROZESS Die Stufen des Wirklichkeitserlebnisses Die Satire 4 . 2 1 Die Wirklichkeit im Spiegel der Satire 4 . 2 2 Von der Bedeutung des Witzes 4 . 3 Die Ironie 4 . 3 1 Ironie als verstärkter Kampf gegen die Wirklichkeit 4 . 3 2 Fielding und Swift 4 . 4 Der Humor 4 . 4 1 Humor als Interpretation des Lebens 4 . 4 2 Der Humor des Joseph Andrews 4 . 4 3 Die Akzentverlagerung in Tom Jones 4 . 5 Zusammenfassung

.

.

.

235 235 238 238 240 242 242 245 246 246 248 251 253

5 F I E L D I N G ALS D I C H T E R S E I N E S Z E I T A L T E R S 5, 1 Geistesgeschichtliche Parallelität 5, 11 Formale Voraussetzungen 5 , 1 2 Inhaltliche Entsprechungen 5 . 2 Shaftesbury 5 . 2 1 Allgemeine geistige Verwandtschaft 5 . 2 2 Spezielle philosophische Beziehungen 5 . 3 Butler 5 . 3 1 Die Gewissensmoral 5 . 3 2 Partielle Übereinstimmungen in der Ethik 5 . 4 Hume 5.41 Emotionalismus und Erfahrung 5.42 Ethischer Optimismus und Sympathie 5 . 5 Von der Skepsis zur Religion 5 , 5 1 Die geistige Umschichtung des Jahrhunderts 5, 52 Die Entwicklung des Romans als phylogenetische Parallele . 5 . 6 Zusammenfassung 5 . 7 Fielding ein Stoiker?

256 256 256 257 260 262 263 268 268 271 273 275 278 282 284 285 292 295

6 AUS 6 . 1 Der 6 . 2 Die 6, 3 Die 6 . 4 Das

304 305 307 308 311

6.5

B L I C K : DAS U R T E I L DER J A H R H U N D E R T E Realismus Beziehung zu Shaftesbury und die ethische Religiosität . . . Erkenntnis von Idealismus und Moral in der romantischen Kritik Religiöse in positiver Wertung

Vom schwankenden Urteil zur endgültigen Anerkennung

Literaturnachweis

.

.

311 314

5

1.

E I N L E I T U N G

1,1.

Forschung!geschichtlichesl)

Das Bild H e n r y Fieldings in der Geschichte glich jahrhundertelang einer entstellten

Karikatur, die

Niedertracht

gezeichnet

von Laune, Ressentiment, Prüderie, H a ß und

war.

Zeitströmungen

und

Privatempfindungen

sprachen ihr Verdikt über den Dichter in subjektiver W i l l k ü r ; erst mit der einsetzenden Wissenschaftskritik wurde es möglich, hinter der grotesken Mythisierung den Menschen Fielding zu entdecken. Dieses Verdienst gebührt der Pionierarbeit von A. D o b s o n stellungen aus dem Fieldingbild tilgte.

(1883), der die legendären E n t -

Dodi Dobsons Biographie bildete

nur den Auftakt, w a r gleichsam Signal für eine breitere und ernstere Beschäftigung mit Fielding. S a i n t s b u r y Henley

(1903)

4)

( 1 8 9 3 ) 2 ), G o s s e ( 1 8 9 9 ) 3 ) und

edierten Fielding im Zeitraum von zehn Jahren und

schrieben sachlich fundierte kritische Essays über den Dichter, in denen eine bisher ungekannte Wertschätzung den T e n o r bestimmte. G. M. G o d d e n

Als dann

( 1 9 1 0 ) das gedankliche Gerippe von Dobsons Darstel-

lung durch weitere Zeugnisse erhärtet hatte, waren die Wege für die große Biographie von W . L. C r o s s

( 1 9 1 8 ) geebnet, der, auf vielschichtigem

Material gründend, ein kritisch einwandfreies Fieldingbild herstellte. W e n n auch die fehlende literarhistorische Würdigung als Mangel an der Crosssdien Darstellung empfunden werden kann, so ist das W e r k dodi derartig *) Es ist hier nicht die Absicht, die gesamte Fielding-Literatur zu sichten. Dies ist bis zum Jahre 1926 schon durch die umfangreiche Arbeit von F. T. B l a n c h a r d , Fielding the Novelist, A Study in Historical Criticism, New Haven 1926, geschehen. Uns kommt es nur darauf an, aus der seitherigen Forschung den Anschluß an die Arbeit herzustellen. 2 ) Vgl. Einleitung The Works of Henry Fielding, ed. by George S a i n t s b u r y , 12 vols, London 1893. 3 ) Vgl. The Works of Henry Fielding with an Introduction G o s s e , Vol. I, Westminster and New York, 1899. 4)

Vgl. The Writings S. Vff., London 1903.

of Henry Fielding,

by Edmund

ed. by W. Ε. H e η 1 e y , vol. XVI,

7

erschöpfend, daß die zwei nachfolgenden Biographien nichts Wesentliches mehr leisten konnten. Η. Κ. Β a η e r j i (1929) liefert nicht nur ein Exzerpt der Cross'schen Forschung, sondern leistet sich sogar kritische Atavismen, wenn er etwa vom sordid realism 5 ) in Fieldings Modern Husband spricht. Dagegen überzeugt M. P. W i l l c o c k s (1947) weit mehr, vor allem durch die Anmut in der Erzählung von Fieldings Leben, das er als typisch englisch charakterisiert. Sehr bald tauchte im Zuge der biographischen Erforschung die Notwendigkeit einer systematischen Darstellung historischer Aussagen über Fielding auf. Bereits Cross hatte die erste große Zusammenstellung der heteronomen Urteile zweier Jahrhunderte geboten ®) und ein umfangreiches Material zusammengetragen, das nun von F. T. B l a n c h a r d (1926) zu einer vollständigen Rezeptionsgeschichte Fieldings vertieft und erweitert wurde. Das von Cross und Blanchard erarbeitete Material erfuhr durch H. R o n t e (1935) eine eklektische Variaton, der die Ruhmesgesdiichte Richardsons und Fieldings unter soziologische Gesichtpunkte kategorisiert, dabei aber sehr bald das Ungenügen seiner These eingesteht: „Die ursächliche Abhängigkeit des Spruches vom Stand nahm immer weiter ab, je mehr sich der Spruch zeitlich von der viktorianischen Jahrhundertmitte wegbewegte, bis schließlich diese Abhängigkeit fast gänzlich verlorenging." 7) Wie Ronte den soziologischen Zusammenhang der Ruhmesgeschichte überspitzt, so tragen auch seine literarhistorischen Interpretationen das Signum der Einseitigkeit, wenn er Fielding mit aller Ausschließlichkeit zum Repräsentanten des heidnischen Mythos stempelt.8) Neben diesen Darstellungen finden sich noch einige Hinweise auf Fieldings Bedeutung für die deutsche Literatur bei L. M. P r i c e (1932), die weitaus gehaltvoller sind als die nichtssagende Parallelenjägerei zum deutschen Sturm und Drang von Ch. H. C 1 a r k e (1897). Es ist begreiflich, daß im Zusammenhang mit dem historischen Interesse an den Wandlungen des Fieldingbildes die Einzelforschung sich auch mit 5

) Β a η e r j i , S. 37. Vgl. dazu ibid. S. 40 das Urteil über die Covent Garden Tragedy: He (d.h. Fielding) chose the underworld of brothels as a scene of his mock heroic action... (and) dragged his art down to the lowest depths of degradation. e ) Vgl. C r o s s , Fielding, III, S. 125 ff. ') R o n t e , S. 196. 8 ) Ibid. S. 9: „Die Kräfte der Bibel und des Mythos bewegen sich auf Richardson und Fielding zu, erfüllen sie selbst und kommen wiederum durch sie zur Erscheinung..

8

den Beziehungen des Romanciers zu seiner geistigen Umwelt beschäftigte und auseinandersetzte, vor allem, nachdem Cross einen soliden Baugrund geschaffen hatte. Was man allerdings an den Darstellungen von M. D e i η h a r d t (1925), G. R. S w a η η (1929) und P. Κ. Τ h o m a s (1929) - die diesen Fragenkreis erörtern — mit Recht bemängeln kann, ist ihre bloße Aneinanderreihung textlicher Übereinstimmungen, ohne die geistige Verwandtschaft Fieldings mit seinen Zeitgenossen in ihrer Bedeutung herauszustellen. Dabei gebührt Deinhardt wenigstens das Verdienst, auf H u m e und Shaftesbury aufmerksam gemacht zu haben, mit denen Fieldings geistiges Schaffen manches Wesentliche gemein hat. Dagegen wirken Swanns Argumente einer geistigen Parallelität nicht nur gesucht, sondern bisweilen recht unsachlich. Ganz im Sinne der unterschiedlichen schöpferischen Leistung Fieldings haben seine Romane die Kritik in größerem Maße angezogen als seine Komödien, die nur zweimal eine monographische Würdigung erfuhren. Davon erschöpft sich diejenige von F. L i n d n e r (1895) im wesentlichen in Inhaltsangaben, und die wenigen Kommentare Lindners liefern einen geradezu peinlichen Eindruck von der Urteilsfähigkeit des Verfassers. D a gegen besitzt die Darstellung von E. W e i d e (1947) gültigen Erkenntniswert, der vor allem in der präzisen weltanschaulichen Abgrenzung der Fieldingschen Komödie gegen diejenige der Restorationszeit zum Ausdruck kommt. — Die Neuartigkeit des Fieldingschen Romans und sein eigenes Theoretisieren über diese Form gaben Anlaß zu heterogener Interpretation. F. Ο. Β i s s e 11 (1933) und Ε. M. Τ h o r η b u r y (1931) wollen den Fieldingschen Roman aus der historischen Genesis verstehen; dabei glaubt Bissell, mit dem pikaresken und burlesken Roman das evidente Modell gefunden zu haben 9 ), und Thornbury erblickt in der Herleitung aus der Tradition des griechischen Epos den gültigen Hintergrund von Fieldings Roman. Beide verlieren in ihrer historischen Sehweise das geistesgeschichtliche Moment der Entstehung der Romanform aus den Augen. 10 ) Wie gering aber gerade der französische Einfluß war, auf den Bisseil und Thornbury sich relativ stark stützen, zeigt die klare und gut durchdachte Arbeit von S. E. G l e n n (1932). Will man Bisseil und Thornbury einen gewissen Erkenntniswert f ü r die Fieldingschen Romane zugestehen, so ist dieser bei der romantischen und ästhetischen Parallelenjägerei von W . D i b e 1 i u s

·) Β i s s e 11, S. 1 : To the picaresque novel and the burlesque romance Fielding owes much of his conception of the novel. 10 ) Vgl. zur näheren Kritik 3, 22. 9

(1922) und R. H a a g e (1936) ebenso wenig zu finden wie in tivistischen Arbeit R. D ü b e r s (1910). Dagegen spürt man in sertation von H. F i s c h e r (1933) über das subjektive Element ding, daß hier ein Einblick in die Filigranarbeit des Romanciers ist. Ähnliches läßt sich von A. S t u d t (1936) sagen, die manche Fieldingschen Romans in eine angemessene Beleuchtung rückt.

der posider Disbei Fielgelungen Züge des

Da Fielding nicht nur seine Romane kommentierte, sondern allenthalben in seiner reichen publizistischen Tätigkeit über Fragen der Kunst theoretisierte, erwuchs auch hier der Wissenschaftskritik ein Aufgabenfeld. In systematischer Ordnung hat B. R a d t k e (1926) die Äußerungen Fieldings zusammengetragen und ihnen durch den Vergleich mit der zeitgenössischen und traditionellen Poetik eine gewisse Plastik verliehen. Darin liegt der Wert von Radtkes Darstellung, den man bei der bloßen Anhäufung Fieldingscher Aussagen über Kunst und Kritik in der Abhandlung von R. C. Β e a 11 y (1934) ebenso wenig entdecken kann wie in dem Stoffpositivismus v a n d e r V o o r d e s (1931). Aber nicht nur theoretische Erörterungen zeugen vom Künstler Fielding, sondern weit mehr seine bildhafte Gestaltung — vor allem seine Ironie und sein Humor. Die Ironie Fieldings erfuhr durch A. R. H u m p h r e y s (1942) eine ausgezeichnete Analyse, während eine adäquate Darstellung des Fieldingschen Humors bisher nicht gelang. Denn die monographische Bearbeitung des Fieldingschen Humors durch A. F r ö h l i c h (1918) erschöpft sich in Illustrationen ästhetischer Definitionen, die Volkelt in seinem System der Ästhetik gibt. Neben dem Künstler Fielding hat auch der soziale Fielding das Interesse der Forschung immer erregt. Bereits J. P é r o n n e (1890) erarbeitete die Beziehungen Fieldings zu den soziologischen Verhältnissen der Zeit, die F. K ö h l e r (1928) für den Gesichtskreis des Champion in seiner Dissertation vertiefte. Sehr bald stieß man schon auf das soziale Gewissen des Romanciers, das C. B. A. P r o p e r (1929) in größerem Zusammenhang markant herausstellte und das B. M. J o n e s (1933) zur Leitidee seines Buches über den Juristen Fielding erhob. Durch Jones erfährt Fieldings berufliche und soziale Tätigkeit eine adäquate Würdigung, die manchen Aufschluß zur Wertschätzung des Menschen Fielding liefert. Eng damit verbunden ist das Bestreben der Forschung, die konkreten Auswirkungen von Fieldings sozialem Ordnungssinn zu analysieren. E. Β r u h η (1940) hat Fieldings Äußerungen über Staat und Gesellschaft systematisch aneinandergereiht und den Weg für Einblicke in Fieldings 10

soziale Denkstruktur freigegeben. Die inhaltlidie Zusammenstellung von Bruhn deutet auf ein richtiges Fieldingverständnis hin, das man jedoch der Arbeit von E. E w a l d (1935) geradezu absprechen muß. Denn unter der vorgefaßten Meinung, daß Fielding ein Stoiker sei, erfolgt hier eine systematische Entstellung des Fieldingbildes und eine vollkommen abwegige Wertung der Fieldingschen Gesellschaftsanschauung.11) Der geistige Nährboden dieser Verkennung ist die Arbeit von M. J o e s t e n (1932), die als Versuch einer geistigen Gesamtsicht des Fieldingschen Werkes den Dichter zum Repräsentanten der stoischen Philosophie erklärt und damit die geistigen Gehalte seines Schaffens usurpiert. 12 ) Ist die Arbeit von Joesten abzulehnen, so darf das Werk von A. D i g e ο η (1923) über Fieldings Romane als die bisher angemessenste Fieldingdarstellung gelten. Digeon gelangt in vieler Hinsicht zu einer auf große Strecken gültigen Analyse des Fieldingschen Romanwerkes. Was ihm jedoch — abgesehen von Einzelheiten — zum Vorwurf gemacht werden kann, ist die Tatsache, daß er die Einheit von Fieldings geistigem Sein nicht gesehen, sondern sogar geleugnet hat. Denn Digeon ist der Ansicht, Fieldings Romane seien complete in themselves and distinct from the rest of his work.13) Nun lehrt aber schon jede individuelle Entwicklung, daß im Zuge organischer Entfaltung ein Zusammenhang zwischen Voraufgegangenem und Kommendem besteht. Denn jedes Menschenleben und jedes geistige Gesamtwerk ist von bestimmten Kräften getragen, deren Oberflächengestalt sich manchmal bis zur Unkenntlichkeit verändern kann, ohne daß dadurch der Wesensgrund in Mitleidenschaft gezogen würde. An diesem Punkte setzt daher die vorliegende Arbeit ein. Sie ist bestrebt, die weltanschaulichen Elemente Fieldings aufzuzeigen — die in erster Linie bei Fielding selbst zu suchen sind —, um dann mit den gewonnenen Koordinaten die geistigen Schaffensbereiche des Dichters zu erschließen. Im Gegensatz zur Einzelforschung soll hier ein geistiges Gesamtbild Fieldings entworfen werden, das vielerorts neues und anderes Licht auf gewisse Bezirke seines Schaffens werfen wird. Da alle Regungen, Äußerungen und Gestaltungen immer von einer Mitte ausgehen, muß diese gefunden werden, um das Fieldingsche Werk bis in die kleinsten Wendungen hinein als bezogen erleben zu können. Erst diese Gesamtsicht und Zusammenschau liefert Erkenntnis vom weltanschaulichen Gehalt des großen Romanciers. u

) Vgl. u. a. E w a 1 d , S. 30 ff. und S. 56 f. ) Vgl. zur näheren Auseinandersetzung mit M. J o e s t e n Kap. 5, 7. 1S ) D i g e ο η , S. VII.

12

11

1, 2. Methodische

Grundlegung

D a das Schicksal aller Erkenntnis in der Methode liegt, ist es bei der Betrachtung eines weltanschaulichen Zusammenhanges unerläßlich, sich auf die methodischen Möglichkeiten zu besinnen, die die Massen eines organisch Geschaffenen

analytisch zu zerteilen vermögen, um etwas von der

Aufbaugesetzlichkeit und dem Wesen der Weltanschauung sichtbar zu machen. Es bedarf zum Erfassen weltanschaulicher T r i e b k r ä f t e einer kategorialen Ausrichtung des Stoffes und eines gliedernden Schemas, das sowohl das Material begrenzt, als auch innerhalb dieser Auswahl zum Prinzip der Erkenntnis wird. Schon der Begriff „Weltanschauung" ist bis zu einem gewissen Grade künstlicher N a t u r , da er gleichsam den methodischen Generalnenner für alle Versuche des lebendigen Geistes bildet, der in immer neuen Anläufen nach Wertungen der Lebensgestaltung strebt.

Doch derartige Intentionen des

Geistes gewinnen erst dann eine weltanschauliche Bedeutung, wenn sie auf das Letzte, das T o t a l e des Menschen gerichtet sind und sich nicht mit okkasioneller oder summarischer Detailerkenntnis begnügen. 1 ) D i e Impulse und die Akzente, die den Menschen in seiner T o t a l i t ä t treffen und die von seiner T o t a l i t ä t

ausgehen, haben

allein

weltanschauungsbildende

Kraft.

Denn jede Weltanschauung ist eine geistige Handlung gegenüber den R e a litäten des Daseins, „eine Intuition, die aus dem Darinnensein im Leben selbst e n t s t e h t . . . Dieses Darinnensein im Leben vollzieht sich in den Stellungnahmen zu i h m " . 2 ) Damit

werden

subjektive

Erfahrungen

zu

den

Quellen

der

Welt-

anschauung, die dem handelnden Menschen in der geistigen und praktischen Auseinandersetzung mit der W e l t und der

eigenen Seele zufließen.

Auf

diese Weise aber unterliegen jene Erfahrungen bereits den modifizierenden Einflüssen epochaler Geistesrichtungen, deren Gepräge eine Weltanschauung nicht unwesentlich mitbestimmt. Daher geben Weltanschauungen nicht nur einen lebendigen Ausdruck der Gesamtpersönlichkeit, sondern auch immer einen Reflex von dem Boden jener W e l t , der sie entsprossen sind. Sie enthalten deshalb neben allem Editen in dem M a ß e Halbes, Einseitiges, F l a ches und Temporäres, in dem der Zeitgeist als objektiver Begriff die schillernden Färbungen und Fragwürdigkeiten der jeweiligen Epoche mit überspannt. Sie hören jedoch auf, Weltanschauungen zu sein, wenn sich der ») J a s p e r s , S. 2. 12

2

) D i l t h e y , VIII, S. 99.

Geist verweltlicht oder die Welt vergeistigt: idealistischer und naturalistischer Monismus bleiben Grenzpunkte jeder Weltanschauung. 3 ) „Die letzte Wurzel der Weltanschauung ist das Leben" 4), das zum Ausgangspunkt für die Stellungnahme des Subjektes zu den Daseinsrealitäten, wird. Der Mensch verhält sich zu den Dingen in der Welt, und aus jenem Verhalten produziert der Lebensstrom fortwährend Gebilde, Ausdrudksphänomene, Inhalte und Schöpfungen, die sowohl das Stigma des Individuums als das der verwandelnden Kraft der Zeit tragen. So gehen die Weltanschauungen aus einfachen Konzeptionen und Vorstellungen hervor, die im Laufe zunehmender Entfaltung zu komplexen Formen anwachsen und immer neue Perspektiven für die Erforschung der Lebensrätsel eröffnen. 5 ) Dieser proteusartige Charakter der Weltanschauung und ihre jeweils individuelle Gestalt lassen es nahezu als Selbstverständlichkeit erscheinen, daß eine Weltanschauung nie richtig oder absolut sein kann wie die Geltung von Zeitlosem. Denn jede Weltanschauung als der geistige Ausdrude einer menschlichen Gesamtexistenz besitzt nur relative Richtigkeit und ist nur eine individuelle Form des substantiellen Lebens, das alle Formung immer wieder überwindet. Daher gibt es „keinen Kampf gegen eine alte Weltanschauung ohne eine, wenn auch vielleicht nur halb bewußte und noch unentwickelte neue, und es gibt keine neue Weltanschauung ohne einen, wenn auch vielleicht unausgesprochenen Widerspruch gegen die alte".®) Ja, jede neue Idee ist im Augenblicke ihres Entstehens schon eine alte, denn das Leben rinnt unaufhaltsam weiter. *

Was wir daher als evidente und notwendige Entwicklungsreihen weltanschaulicher Zusammenhänge konstruieren, fällt fast nie mit der Wirklichkeit - der gegenüber solche Gesetzmäßigkeiten bloße Schemata sind völlig zusammen. Auch die im folgenden angewandte Gliederung ist demgemäß nur ein Gitterwerk, das über die Wirklichkeit gelegt ist, um sie an einigen Orten zu studieren, ohne sie damit jedoch in ihrer Gesamtheit erfassen zu können: die Sache ist in jedem Falle vieldimensional, jede Ordnung hingegen im Augenblick eindimensional 7 ). Deshalb muß jeder aufgestellte Typus dem Einzelfall gegenüber immer falsch sein, da er als Maßstab nur unter Einschränkungen paßt und erst bei methodischer Variierung Erkenntnis liefert, soweit man der Vielfältigkeit des Lebens gegenüber von 3

) J o e 1, I, S. 6. - 4) D i 11 h e y , VIII, S. 78. - 5) Ibid., Vili, S. 37. ) Κ o r f f , I, S. 7. - 7) J a s p e r s , S. 17.

β

13

Erkenntnis sprechen kann. Auf der anderen Seite können wir jedoch auf eine schematisierende Methode nicht verzichten, da sich f ü r den Betrachter der Sinn organisch gewachsener Einzelerscheinungen erst im Rahmen generalisierender Blickpunkte erschließt. Aus diesem Grunde sind wir in ähnlicher "Weise wie der Historiker genötigt, unser Augenmerk auf die Lebensganzheiten zu richten; denn um „die Teile zu verstehen, müssen wir zunächst unsere ganze Aufmerksamkeit dem Ganzen zuwenden: denn diese Gesamtheit ist ein Gegenstand, der in sich selbst verständlich ist". 8 ) Diese so getroffene allgemeine Abgrenzung des Wesens der Weltanschauung bedarf einer inneren Beweglichkeit, um die Lebenstotalität des Menschen umfassen und darstellen zu können. Denn für die Erkenntnis weltanschaulicher Zusammenhänge ist es notwendig, sich die einzelnen Faktoren getrennt zu vergegenwärtigen, die in funktionellem Zusammenwirken eine Weltanschauung konstituieren. Auch hier ist daher zunächst die Subjektseite in das Blickfeld der Betrachtung zu rücken. Jeder große Eindruck offenbart dem Menschen ungekannte Seiten des rätselvollen Lebens, die die Welt in eine neue Beleuchtung rücken. Wiederholen sich derartige Momente, die sich durdidringen und verbinden können, so entstehen die Lebensstimmungen 9 ) oder E i n s t e l l u n g e n . Diese Lebensstimmungen mit ihren zahllosen Nuancen bilden als das subjektive Weltverhältnis gleichsam die unterste Schicht der Weltanschauung. Sie sind die Resultante aus der dem Individuum inhärenten Gemütsverfassung und den individuellen Idealen, die alle späteren Auseinandersetzungen im Leben tragen. Sie sind jene Grundpotenzen, die den Menschen in seinem geistigen und seelischen Sosein determinieren und die trotz fortschreitender Lebensentwicklung stets mehr oder minder verwandelt erkennbar sind. Denn in der Einstellung spricht sich die reine, menschliche Subjektivität aus, die nodi unvermischt mit objektiven Daseinsrealitäten den Lebenssituationen antwortet und deshalb bei aller Verwandlung durch die Lebensmächte als beständiger Unterstrom fließt. Die Einstellung ist das jeweilig Psychologische an einer Weltanschauung und daher der Ausdruck des ureigensten Verhaltens des Subjektes vor aller Realisation seiner Werte in Weltbildern. Die geisteswissenschaftliche Strukturpsychologie 10 ) hat versucht, die Einstellungen nach den vornehmlichsten Wertakzenten im Subjekt zu typisieren, um so zu einer Porträtgalerie struktureller Typen zu gelangen, die als solche zwar Idealkonzeptionen bleiben müssen, uns aber die Möglichkeit geben, die 8 ,0

14

) T o y n b e e , S. 18. - ·) Vgl. D i l t h e y , VIII, S. 81. ) Vgl. S p r a n g e r , Lebensformen.

Schichten der Persönlichkeit des jeweiligen Trägers einer Weltanschauung abzutragen und damit zu erkennen. Das psychische Erleben des Subjekts, das die Einstellung charakterisiert, ist jedoch kein isoliertes Phänomen — allein schon dadurch, daß der Erlebnisstoff des Subjekts transsubjektiver Herkunft ist. Damit wird das Objekt zur notwendigen Ergänzung, ja fast zur Existenzbedingung des Subjekts. Denn was wir als Einstellung kennzeichneten, ist lediglich eine richtunggebende Kraft, die sich erst in Berührung mit dem objektiven Dasein zur Gestalt verwandelt. Derartige Formungen aus subjektiver Möglichkeit und objektiver Gegebenheit drücken die Gesamtheit der gegenständlichen Inhalte aus, die ein geistig handelndes Individuum besitzt. In dieser Totalität verkörpert sich das " W e l t b i l d eines Menschen, das als eine Art Gehäuse das subjektiv-seelische Leben eingefangen und gleichzeitig objektiviert hat. Denn das Gehäuse ist „nichts anderes als der Widerschein der ganzen schauenden Seele an einem konkreten Objekt". 1 1 ) So sind Weltbilder objektivierte Kräfte und Schöpfungen des Menschen, die in sich, ebenso wie das psychisdie Leben, von individueller Perspektive begrenzt sind. 12 ) „Dem psychophysischen : d. h. dem leibgebundenen und begehrenden Ich entspricht die Ebene der Realität, dem ästhetischen Ich eine imaginative oder Phantasiezone, dem theoretischen Ich die Idealität oder gedankliche Welt, dem religiösen (metaphysischen) Ich das Transzendente."

13

)

Daraus wird ersichtlich, daß im strukturellen Zusammenhang des Weltbildes zwei Aufbaugesetzlichkeiten walten, die dem Subjekt-Objekt Verhältnis entsprechen. Denn das Individuum nimmt die aus den Lebenssituationen ihm zuströmende Erfahrung auf, wählt aber aus diesem gestaltlosen Fluß ihm gemäß erscheinende Dinge aus. Setzt der erste Faktor die quantitative Begrenzung jedes Weltbildes, so ist der zweite ein qualitatives Prinzip, das dem Charakter und der Gesinnung entspringt. 14 ) Jedes Weltbild ist daher dem Subjekt nichts Fremdes, sondern in seiner dauernden Gestaltung mit ihm verwachsen. Dabei brauchen weltanschauliche Kräfte ihrem Wesen nach nicht immer gegenständliche Weltbilder vor sich hinzustellen, denn sie gewinnen ihren Ausdruck auch in Handlungen und den damit zur Geltung gebrachten Werten, die unter gewissen Ideen stehen. Für den Betrachter sind die Weltbilder Subsumptionen unter leitende Ideen, die zwar nicht das Leben selber sind, aber oftmals den Nöten des Daseins entsteigen und als Not-Wendigkeiten die Lebenskrisen meistern " ) S ρ r a η g e r , S. 74. - 12) J a s p e r s , S. 142. 13) S ρ r a η g e r , S. 95. - " ) J a s p e r s , S. 144. 15

helfen. 15 ) So sind die Weltbilder ihrem Wesen nach nichts Endgültiges, sondern dauernd Versuch, der in Frage stellt und selbst wiederum in Frage gestellt wird, um im ganzen und im einzelnen dem Leben den richtigen Sinn abzugewinnen. Daher schlägt im Weltbild ein dauernd hin- und herpulsierendes Leben, denn auch in ihm sind die Akzente und der Impetus spürbar, die in jeder echten Weltanschauung leben. Aus diesem Grunde ist das Weltbild im letzten Sinne etwas Unabgeschlossenes. Es endet in Richtungen und Intentionen; es ist nicht das Ganze, sondern nur der dauernde Wille und Versuch zum Ganzen; es ist, wie alles Leben, immer im Fluß und bleibt ewig Fragment. Was wir bisher als Einstellung und Weltbild zu beschreiben versuchten, sind naturgemäß methodische Abstraktionen, die alles das, was faktisch zusammen existiert, isolieren, und die das als selbständige Elemente behandeln, was nur als Phänomen von Kräften Dasein hat. Die Einstellungen sind nur subjektive Möglichkeiten, deren Realisation die objektive Gegebenheit fordert. Und Weltbilder sind bloße gegenständliche Sphären 16 ), gleichsam tote Spiegel, wenn sie nicht vom Subjekt produziert werden; deshalb sind wiederum jene subjektiven Anlagen notwendig, die in der beständig bewegenden Erfahrung Auswahl und Richtung bestimmen. Diese organische Verbundenheit muß man sich bei aller schematischen Betrachtung stets vor Augen halten, da sich die Bestandteile der Weltanschauung nicht kausal, sondern dialektisch zueinander verhalten. Nun würde es in diesen Weltbildern kein Leben geben, wenn nicht Wertungen Medien wären, in denen etwas ganz Bestimmtes wichtig wird. Es muß auf etwas ankommen, alles muß Zielstrebigkeit besitzen, und es muß einen Einsatz lohnen. Jedoch Wertungen werden nur im Konkreten erfahren, daher ist es jedes Individuelle, das in erster Linie Werte realisiert. Der Mensch wertet, sofern er lebt. Denn er erstrebt faktisch etwas als gut und läßt es demzufolge nicht bei Sympathie oder Wunsch bewenden, sondern ist darauf bedacht, daß der gewollte Wert Wirklichkeit wird. So durchdringt der Wert das ganze Leben des Menschen und baut sich eine Rangordnung auf, die, wenn sie Allgemeingültigkeit beansprucht, eine Lebenslehre wird, die überall dort antwortet, wo es um Wahl und Entscheidung geht. Der Mensch sieht dann die Welt als Entwicklung, beginnt, in die N a tur der Dinge sein Vertrauen zu setzen und sieht in allem Singulären seine Bestimmung und seine Mission. 15

16

) Vgl. Κ o r f f , I, S. 5. -



) J a s ρ e r s , S. 220.

W a s indessen diesen L e b e n s p r o z e ß ,

der Einstellung und Weltbild

in organischem Nebeneinander umschließt, immer wieder in die Dimension des Unberechenbaren rückt, ist die antinomische Struktur allen D a seins. Psychische Veranlagung und Idealität des Wollens sind von der wirklichen Lebenserfahrung oft durch Unüberbrückbarkeiten getrennt, an deren jenseitigem R a n d manchmal das absolut andere steht.

O b j e k t i v markiert

dieser Tatbestand die Grenze jedes Weltbildes, und subjektiv offenbart sich die Antinomie als Leiden.

Die ursprüngliche Ausgangsbasis, von der aus

das Individuum ins Leben zog, wird verändert, zerbrochen und überwunden. Jedes Gewollte, Ersehnte und zu Erkämpfende trifft auf die antinomische Struktur des Daseins und ist in der tatsächlichen Gestaltung oft weit verschieden von dem eigentlich Erhofften. W i l l der Mensch geistig weiterexistieren, ist er gezwungen, auf die Antinomien zu reagieren.

E r kann

ausweichen, kann Kompromisse schließen; er kann positiver antworten, indem er K r a f t gewinnt, um in immer neuen Versuchen zu lebendigen Synthesen und Entschlüssen zu gelangen. E r kann sich in die Utopie flüchten, die als Gehäuse zwangsläufig

jedes geistige Leben tötet, weil in ihr das

Antinomische aufgehoben und die Entstehung des lebendigen

Wachstums

unterbrochen ist. 1 7 ) D e r geistig lebendige Mensch wird die Antinomien des Daseins im allgemeinen zwar nie, im konkreten Einzelfall jedoch immer wieder irrational überwinden. Dieses antinomische Lebensprinzip hat in zwei charakteristischen T y p e n seinen Ausdruck gefunden: dem Optimisten und dem Pessimisten, die beide im Angesicht der Antinomie den W e r t oder den Unwert des Daseins verabsolutieren.

Zwischen diesen extremen Formen bewegt sich der Lebens··

prozeß als ein beständiger K a m p f , der zur Signatur des handelnden Individuums wird. Denn der Mensdi lebt

nur in den Gefühlen des Kampfes

und handelt nur, indem er kämpft. Das lebendige Individuum in antinomischer Situation, das substantiell, sinnhaft, sachlich und persönlich wird, lebt, wie es überhaupt endlich, zeitlich und wählend existiert, so auch unvermeidlich kämpfend.

Es empfindet es als sinnlos, zum K a m p f e J a zu

sagen, denn die Situation der Antinomie bedeutet als Überwindung oder als Resignation in jedem Falle K a m p f . — Nun erst kann der Lebensprozeß zur Selbsterkenntnis und damit zur Welterkenntnis werden, wie aus jeder Welterkenntnis wiederum die eigene wächst. Erkenntnis aber ist ein T e i l jener geistigen Errungenschaften des Menschen, der nur unter Schmerzen erkauft und erworben werden kann, weil er aus der unendlichen O p p o 17)

2

Vgl. J a s p e r s , S. 242. 1 s e r , Weltanschauung

Fieldings

17

sition zwischen Wollen und Sein hervorgegangen ist. D e r Mensch lebt mit seinem ganzen Ernste nur, indem er jeweils sein „ W e l t b i l d " ernst und endgültig nimmt. An seiner Entfaltung muß der Mensdi mit ganzer K r a f t arbeiten, und erst an seinen Grenzen — nach völliger Durcharbeitung in der Realität —, gleichsam nach Erschöpfen dieses Kraftimpulses, erlebt er dann jene

erschütternden Krisen des „Lebensprozesses", die ihn

entweder zur

Resignation oder zu neuen Impulsen führen. Auf diese Weise ist jede Weltanschauung eine Entfaltung der psychischen K r ä f t e ihres Trägers, die sich im Gehäuse des Weltbildes inkarnieren und in den Lebensantinomien erprobt und verändert werden. Allein das innige Verwobensein dieser drei Faktoren im funktionellen Ablauf des Lebensgeschehens macht es unabdingbar, daß dieses Zusammenwirken als dialektischer Prozeß begriffen wird.

Denn nur so ist es möglich, trotz sdiema-

tisdier Aufteilung dessen, was innig beieinander existiert, das wesentliche Moment der Weltanschauung: ihre Bewegung, zu erhalten, da Einstellung -

Weltbild — Lebensprozeß als die beweglichen Glieder einer proteischen

Ganzheit

unter dem Gesetz des Werdens stehen.

Das Sein

jeder W e l t -

anschauung dagegen ist ihre spezifische Wahrheit, die kein Ding, sondern ein Verhältnis ist, und dieses Verhältnis ist in der Weltanschauungsbetrachtung eine Charaktersache. 1 8 ) Daher

werden wir uns im folgenden

zunächst die

seelischen Grund-

bedingungen Fieldings zu vergegenwärtigen haben, dann nach ihren O b jektivationen im gegenständlichen Weltbild fragen, bis es schließlich festzustellen gilt, inwieweit die Mächte des Lebens diese Gestaltung veränderten. Es darf hier nodi einmal festgestellt werden, daß diese drei Faktoren in der Betrachtung wohl isoliert erscheinen, aber erst im dialektischen Zusammenklang das Wesen der Fieldingschen Weltanschauung sichtbar machen. " ) J o e l , I, S. 17.

18

2. D I E

EINSTELLUNG

2,1. Der Lebensweg Erbgut und Umwelt sind die beiden Hauptfaktoren, die als Entelechie und Determination, als innere Entwicklungsrichtung und von außen her formende Kraft im Leben des einzelnen Ausgleich suchen und beim Aufbau der Persönlichkeit ständig ineinander wirken. Sie schaffen die strukturgesetzlichen Linien des Individuums, kristallisieren sich zu Mittelpunkten und Eigenarten und bilden jene Beziehung, auf die seine erlittenen Schicksale erst Sinn erlangen. 2 ) So verstehen wir den Charakter im ganzen nur aus der Lebensgeschichte, die wiederum erst sinnhaltig wird, wenn wir einige feste Punkte des Charakters besitzen.3) Aus dieser Dialektik, die einer treffenden Bemerkung Wielands recht gibt, bauen sich die rekonstruierten Porträts von Persönlichkeiten auf, denn „wo es nur darum zu tun ist, zu wissen, was für ein Mann einer war, ist ein einziger Zug, der uns in das Innere seines Geistes und Herzens blicken läßt, wichtiger als ganze Bogen voll gleichgültiger Begebenheiten". 4 )

2,11. Die

Vorfahren

Lange Zeit herrschte die von Gibbon verbreitete Annahme, daß die Fieldings ein Seitenzweig der Habsburger seien 5 ) - ein historischer Irrtum, der an der Aristokratie von Fieldings Vorfahren jedoch nichts ändert. Sie saßen in der Zeit Eduards III. als sheriffs und knights in Leicestershire und ') Es wird nicht der Anspruch auf Vollständigkeit der biographischen Daten erhoben; sie wurden nur insoweit herangezogen, als sie zur psychologischen Erkenntnis von Fieldings Persönlidikeit notwendig waren. 2

) S p r a n g e r , S. 392. -

4

3

) Ibid., S. 393.

) W i e 1 a η d , Akademieausgabe, I, 21, S. 203.

6 ) Vgl. dazu im einzelnen C r o s s , Namens.

2*

Fielding.

I, S. 1 ff. mit Etymologie des

19

Warwickshire, waren in der Tudorzeit teilweise reiche Kaufleute, die o f t in unmittelbarem Dienst ihres Souveräns standen ®), und unter den Stuarts wurde William Fielding 1622 zum Earl of Denbigh geschlagen. Sein Sohn Basil, lange Zeit Gesandter in Venedig, war einer der ersten, der Karl II. begrüßte, als er auf den T h r o n zurückkehrte. Basils Bruder George, Earl of Desmond und Knight of Bath, w a r der Vater von John Fielding, dem Großvater des Dichters. Als fünftes Kind seiner Eltern geboren und damit ohne Anspruch auf den Adelstitel, wandte sich John Fielding dem geistlichen Berufe zu. Bald nach seinem Studium in Cambridge wurde er Archidiakonus von Dorset und darauf einer der Kapläne des Königs, den er 1689 nach Cambridge begleitete, wo er den doctor of divinity erwarb. 7 ) Johns Söhne wurden alle Militärs, und Edmund Fielding, der Vater Henrys, k ä m p f t e als tapferer Soldat unter Marlborough bei Blenheim, Quadenaarde und Malplaquet. 8 ) Er heiratete Sarah Gould, die Tochter Sir H e n r y Goulds, des judge of Queen's Bench β ), die ihm am 22. April 1705 in Sharpham P a r k H e n r y als ersten Sohn gebar. Was die Ahnen Fieldings auszeichnete, scheint sich in seiner Persönlichkeit monumentalisiert zu haben. Denn Aristokratie, Gelehrsamkeit und Unersdirockenheit charakterisieren ihn in gleicher Weise wie den väterlichen Zweig seiner H e r k u n f t . Aber audi das Erbteil' der mütterlichen Abstammung ist ihm zeitlebens eine bewegende K r a f t , die sidi sowohl in seinem juristischen Beruf als auch in seinem Gerechtigkeitssinn und seinen reformatorischen Ambitionen manifestiert.

2 , 1 2 . Jugend und

Bildung

Die Jugendzeit Fieldings war beschattet von häuslichen Mißhelligkeiten. Sein Vater — 1712 auf Halbsold gesetzt — geriet unter Spieler u n d brachte dadurch der Familie viel Unglück. 10 ) Sein Schwiegervater gewährte ihm keine Hilfe, da er seine Frau gegen dessen Willen gefreit hatte. Nach dem frühen T o d von Henrys Mutter (1718) ging der Vater eine zweite Ehe mit einer zweifelhaften Person in London ein u ) , die Katholikin war und mit den Kindern nicht sonderlich sorgsam verfuhr. 1 2 ) Der bald darauf beginnende Prozeß zwischen Vater und Großmutter um den Nachlaß und «) C r o s s , Fielding, I, S. 5. — ') Ibid., I, S. 12. ) G o d d e n , S. 6. ") C r o s s , Fielding, I, S. 15. - 10) Ibid., I, S. 26.

8

") Ibid., I, S. 26. -

20

12

) Ibid., I, S. 28.

den Anspruch auf die Kinder trübte die Jugend Fieldings 13 ), der im Halbschatten dieser Familienzwistigkeiten aufwuchs. 1719 bezog Fielding Eton School, wo er Pitt und Hanbury Williams kennenlernte und mit Lyttleton Freundschaft schloß, dem er später seinen Tom Jones widmete 14 ). In Eton begann Fielding sich in die Alten zu vertiefen. Er studierte Horaz, Vergil, Homer und zeigte ein lebendiges Interesse für Lukian und Plutarch 15 ), denen er zeit seines Lebens treu blieb, wobei ihm der letztere zu one of the best of our brother

historians



) wurde.

Parallel mit dem Studium der Klassiker lief die beständige Lektüre des neuen Testaments, aus dem er

schon in jener Zeit vieles

auswendig

lernte. ) So fließen hier bereits zwei Bildungsquellen - Antike und Chri17

stentum - die neben seiner praktischen Erfahrung und dem geistigen Strom der Mitzeit immer wieder als weltanschauliche Kräfte sichtbar werden. Sie illustrieren darüber hinaus jenen Bildungswillen geistiger Aneignung, dessen sich Fielding wohl selbst bewußt war, wenn er retrospektiv der Zeit von Eton gedenkt: Thee (d. h. Learning) limpid, gently-rolling have worshipped. tion, I have sacrificed

Thames

in thy favourite

washes thy Etonian

fields, where

To thee, at thy birchen altar with true Spartan

sacrificed

my blood.16)

the

banks, in early youth

I

devo-

Welch starke Bedeutung dem Worte

beigemessen werden kann, zeigt der in Fielding eminent wach-

sende Drang zum Leben l e ), der zu einem wesentlichen Kriterium seiner Persönlichkeit wurde. Das Leben war ihm immer Gegenstand des Beobachtens, er erlebte es intuitiv schauend und deutend und lebte es selbst mit der heiteren und schmerzlichen Miene, wie alle Menschen, die es lieben und gestalten. So * a r f er sich mit dem gleichen Enthusiasmus, mit dem er seinen Studien oblag, dem bunten Treiben des Lebens in die Arme, von dem er sehr viel erhoffte und das ihm manche bittere Erfahrung bescherte. Sein erstes Abenteuer war schon ein wenig enttäuschend, denn es mißlang ihm, Miss Andrews, in die er sich verliebt hatte 2 0 ), zu entführen. Er kompensierte diesen Fehlschlag geistig mit der Bearbeitung der 6. Satire Juvenals, die das weibliche Geschlecht redit empfindlich traf und seinen Zorn laut werden ließ. Allein, dieser impulsive Ausbruch war längst verklungen, als 13

) Vincent,

S. 444, bringt einige Einzelheiten über diesen Prozeß, die die

Angaben von C r o s s , korrigieren. -

14

Fielding,

) Vgl. Tom

) C r o s s , Fielding,

I, S. 28, durdi neues Tatsachenmaterial teilweise

Jones,

15

I, S. 46. -

") C r o s s , Fielding,

I, S. 47.

) Tom

18

20

Jones,

Dedication, 1β

) Tom

vol. III, S. 9. Jones,

X V I I I , 1, vol. V, S. 33 f. -

) Ibid., S. 24 und C r o s s , Fielding,

X V I I , 2, vol. V, S. 253.

") G o d d e n ,

S. 23.

I, S. 51 f.

21

Fielding vom Auf und Ab der Zeiten schon mehr gespürt hatte, wenn es im Jahre 1743 heißt: My modernisation of part of the sixth satire of Juvenal will, I hope, give no offence to that half of our species, for whom I have the greatest respect and tenderne s Í. 21 ) Nachdem Fielding Eton verlassen hatte uncommonly versed in the Greek authors and an early master of the Latin classics22), tauchte er 1728 in London auf und trat mit seiner ersten Komödie Love in Several Masques an die Öffentlichkeit, tauschte jedoch London sehr bald mit der Universität Leiden.23) Dort studierte er wieder Latein und Griechisch, las Grotius, Sallust und Tacitus, vor allem aber Cervantes. 24 ) Zur gleichen Zeit begann er, den Grundstock für seine umfangreidie Arbeitsbibliothek zu legen, die eine der größten der men of letters seines Jahrhunderts war und die selbst diejenige von Johnson nodi übertraf. 25 ) Sie spricht beredtes Zeugnis für den hohen geistigen Standard sowie für die weitgesteckten Interessen und die Bildungskultur Fieldings. 2,13. Der

Dramatiker

Nach dem kurzen Leidener Aufenthalt als einer Zeit des Studiums kehrte Fielding 1729 nach London zurück, wo seine stürmische Laufbahn als Dramatiker begann. Enttäuschung und Erfolg, Sdimerz und Freude, Leid und Glück werden ihm dabei abwechselnd zu Begleitern, und langsam· offenbart das Leben dem Lebensgläubigen, w^s es eigentlich ist. Das London der Walpole-Ära war ein anderes als das des Jahrhundertanfangs. Die Patronage, von der sich Shaftesbury noch große Verbesserungen in Kunst und Wissenschaft versprochen hatte 2e ), bedeutete nun nicht 21

) Preface to the Miscellanies, vol. X I I , S. 237. ) M u r p h y , Brown-Aus gäbe, vol. I, S. 6. 23 ) Die von F e h r , S. 250, in den Lebenslauf interpolierte Version, daß Fielding „als hochgewachsener Neunzehnjähriger 1724 zeitstilmäßig die Welt in Begleitung eines Dieners" bereiste, ehe er nach Leiden kam, entbehrt der Tatsachen. Desgleichen die von E w a l d , S. 15, angenommene übliche Bildungsreise Fieldings in jener Zeit. Die große Cross'sche Materialsammlung weiß davon nichts zu berichten. 22

21

) C r o s s , Fielding, I, S. 68. - Daß der Aufenthalt in Holland als dem Land der Karikaturisten Fieldings Sinn für das Komische geschärft habe, wie D i g e ο η, S. 7, meint, ist weder belegt nodi erwiesen. Audi scheint es aus einer Reihe anderer Gründe, vgl. Kap. 4, abwegig. 25 ) Vgl. C r o s s , Fielding, III, S. 77. Desgl. den Autorenkatalog bei T h o r n b u r y , S. 168 ff. - 2e ) S h a f t e s b u r y , I, S. 141.

22

mehr, mit Staatsämtern bedacht zu werden wie in den Zeiten der Königin Anna 2 7 ), sondern hieß, im Dienste von Politikern brauchbare Pamphlete in der hitziger werdenden parteipolitischen Auseinandersetzung zu schreiben.28) Die erträglidien Sinekuren der Literaten von einstens wurden mit Trinkgeldern politischer Hintermänner vertauscht. Die Parteigewaltigen beschäftigten jenes Heer der hackwriters von Grub Street, das, um leben zu können, heute diese, morgen jene Meinung propagierte. Zu Fieldings Zeiten waren es ungefähr 4000, die dem „Verband" von Grub Street angehörten 29) - eine Situation, die ihn zu der Äußerung veranlaßte, daß er nicht wüßte, ob er hackney coachman oder hackney writer werden solle.30) Das frühe Interesse an Mensch und Sitte 31 ) führte Fielding zur dramatischen Gestaltung. Er wollte die Welt kennenlernen 82), in die er ungestüm hinausgezogen war. Wie wenig sie jedoch derjenigen glich, die er sich vorstellte, beweist das umfangreiche Komödienschaffen, das Zeugnis für die beständige Auseinandersetzung zwischen Ideal und Wirklichkeit ablegt. Seine Farcen, Burlesken, Komödien und ballad operas sind ein Satirenreigen, der über sieben Jahre währte. Fielding begann damit, die Praktiken des Theaters zu beleuchten, und wurde bald das mächtigste Sprachrohr der politischen Opposition gegen Robert Walpole. 33 ) Überall riß er an den korrupten Stellen der Zeit, über die er halb ernst, halb lachend seinen Spott goß, bis die indignierte Regierung mit dem Licensing Act von 1737 34) diesem Treiben gewaltsam ein Ende setzte, da Fieldings Spraciie immer schärfer und seine Entrüstung immer bedrohlicher wurde. Dabei stand er dieser Welt gar nicht mit hochgespannten Reformeridealen gegenüber, sondern es war der unverdorbene common sense, der auf das Vorgefundene antwortete. So griff er audi nicht nach sonderlich zurechtgelegten Stoffen: er holte sie aus der Vielfalt des Alltäglichen.35) In diesem Sinne wurde ihm das Drama Leib und Leben und nidit allein Mittel, Geld zu verdienen. Es bot ihm die Möglichkeit, sich dessen zu entladen, was seiner Menschlichkeit und Integrität zuwiderlief. Daß Fieldings Zweck durchaus ernster Natur war 3 6 ), manifestiert sich im Suchen nach anderen 27

) Vgl. Einzelheiten bei von Β o e h η , S. 259. ) S t e p h e n , Literature and Society, S. 42. Zum ganzen vgl. Β e 1 j a m e. 29 ) C r o s s , Fielding, I, S. 57. - 3») W i l l c o c k s , S. 53. S1 ) Vgl. M u r p h y , Brown-Ausgabe, I, S. 33. - 32 ) G o d d e n , S. 27. 33 ) C r o s s , Fielding, I, S. 218. — 3 4 ) Ibid., I, S. 233. 35 ) D o b s o n , S. 59. Ch. Β. W o o d s , S. 359 ff., hat spezielle Zeitbeziehungen zu Modern Husband, Letter Writers und Euridice Hiss'd nachgewiesen. 3e ) C r o s s , Fielding, I S. 236. 28

23

Formen, sich über diese Lebensproblematik zu äußern, als man die dramatische unter Zensur stellte. Wie sehr die städtische Atmosphäre auf Fielding lastete und seine intensive Freude am Leben 37) enttäuschte, zeigen ein paar Verse, die in der Zeit seiner Liebeswerbung um Charlotte Cradock, seine spätere Frau, entstanden: I hate the town and all its ways; Ridottos, operas and plays; The ball, the ring, the mall, the court; Wherever the beau-monde resort I hate all critics; may they burn all From Bentley to the Grub Street Journal I hate the world, cramm 'd all together, From beggars, up the Lord knows whither?6) Diese Worte spiegeln den gleichen Überdruß städtischer Erfahrung wider, der Fielding in seinen Komödien bewegte. Und sie verkörpern insofern sein unmittelbares Urteil, als er seine poetischen Versuche selbst als productions of the heart rather than of the head39) charakterisierte. Aus jener Gefiihlsunmittelbarkeit heraus, die einen weiteren Zug seines Wesens offenbart, protestierte Fielding gegen das Raffinement städtischer Überfeinerung. Desgleichen wandte er sich gegen eine inkompetente Kritik, die er im einzelnen selbst erlebt 4 0 ) und im allgemeinen Getriebe beobachtet hatte. Mit der gleichen Gefühlsintensität pries er aber audi in den Versen, die sich um den Namen Celia ranken, die Schönheit, den Zartsinn und das Herz 4 1 ) von Charlotte Cradodk, der Geliebten aus dem ländlichen Salisbury 42), die er nach vierjähriger Werbung 1734 heiratete. Ihr blieb er sein Leben lang mit einer Art Verehrung ergeben 43), denn sie war für ihn all the solid comfort 37

) ) 40 ) 41 ) 42 ) 44 ) 39

24

o f . . . life,44) Selbst Murphy, der Fieldings Andenken

G o d d e η , S. 57. 3S) Το Celia, vol. XII, S. 285. Preface to the Miscellanies, vol. XII, S. 237. Vgl. dazu die N o t i z bei C r o s s , Fielding, I, S. 135. Ibid., I, S. 166. Vgl. dazu audi H e n l e y , Ausgabe, vol. X V I , S. X X X V I I . G o d d e η , S. 47. « ) Η e η 1 e y , Ausgabe, vol. X V I , S. X X X . Preface to the Miscellanies, vol. X I I , S. 247.

viel geschadet hat and constancy

45 ),

mußte feststellen: he was remarkable

to his wife, and the strongest affection

for

tenderness

for his

children,46)

So lebte Fielding damals, als er der englischen Komödie des Jahrhundertanfangs ihr Gepräge gab 47 ), in der idyllischen Geborgenheit seiner allmählich anwachsenden Familie. Wie stark die Innigkeit

des Familienlebens

Quell seiner Kraft war, drückt sich nicht nur in den literarischen Niederschlägen aus, sondern auch in jener bedrohlichen Situation, in die er bei dem Tode seiner Frau geriet, als seine Freunde meinten, er verliere Verstand und Sinne.48) Doch die Erfolge als Dramatiker flogen ihm nicht zu. Oft ging es durch tiefe Täler, wo die Not ihn heftig peinigte und wo jeder Schritt von einer feindseligen Kritik erschwert wurde. So klingen dann weniger hoffnungsvolle Töne auf: if he (d. h. der Autor) the success of his labours for his bread,

be so unfortunate

indeed, who would out of sport and wantonness ting a livelihood

in an honest and inoffensive

starving him and his family.49)

to depend

he must be an inhuman

prevent a man from way,

and make

on

creature, get-

a jest of

Dieser verzweifelte Satz aus dem Vorwort

zum Universal Gallant50) findet ein bezeichnendes Gegenstück in der Situation des folgenden Jahres, als die Massen über seinen Pasquín rasen und Fielding laufend Vorstellungen zugunsten Armer und Notleidender gibt. 51 ) Hier stellt sich zum ersten Mal dokumentarisch belegt jener Fielding vor, dessen aktive Nächstenliebe nicht nur auf den engen Kreis seiner Familie beschränkt blieb, sondern dessen warmherziges Helfenwollen immer nach der größtmöglichen Dimension drängte. Seine soziale und freigebige Natur 52 ) bleibt ein durchgängiges Kennzeichen seiner Persönlichkeit. 2,14.

Beruf und

Lebenskampf

Daß Fielding nicht „der geniale» leichtsinnige, unbefangene, gutmüthige Lebemann"

53 )

war, beweist die schlichte Tatsache seines Eintritts in Middle

45 )

Vgl. dazu C r o s s , Fielding, III, S. 125 ff. M u r p h y , Brown-Ausgabe, yol. I, S. 79. 47) C r o s s , Fielding, I, S. 163. 48) H e n l e y , Ausgabe, vol. X V I , S. X X X . 4β) Universal Gallant, Advertisement, vol. X I , S. 77. 50 ) Aufgeführt am 10. 2. 1735. Näheres über Datierung und Entstehungsgeschichte: E. L. A v e r y , Research Studies of the State College of Washington, 6 (1938), S. 46. - 51 ) Vgl. C r o s s , Fielding, I, S. 197f. 52) B r o w n , Einleitung zur Ausgabe, vol. I, S. X I V . - S3) H e 11 η e r , S. 436. 4β)

25

Temple zu juristischen Studien. Als der Licensing Act von 1737 den Erfolgsreigen des Dramatikers jäh unterbrach, entschloß sich der nunmehr Dreißigjährige, auf anderen Wegen ein neues Leben zu beginnen. Die Wahl des juristischen Berufes verdient insofern eine gesteigerte Beachtung, als in jener Zeit ein derartiges Studium in Middle Temple trotz Muse und Beziehungen einem Hazardspiele glich.54) Dies alles schien dem unendlich regen und aktiven Fielding kein Hindernis zu sein, und trotz erheblicher Anforderungen, die es in Middle Temple zu bewältigen galt 55 ), erhielt er bereits nach 3 Jahren seinen call, obgleich sich die gewöhnliche Ausbildungszeit damals auf 6—7 Jahre belief.56) Dieser Tatbestand muß in seinen Kollegenkreisen einen tiefen Eindruck hinterlassen haben, denn im Jahre 1738 erscheint ein gedrucktes Pamphlet: An Epistle to Mr. Fielding on His Studying Law, das seinem Talent und seinen Fähigkeiten tiefste Bewunderung zollt. 57 ) Audi die zahlreichen Juristen auf der Subskriptionsliste für den Druck seiner Miscellanies deuten auf die Wertschätzung Fieldings innerhalb der Fachwelt hin, in der er sich bald allen Hemmnissen zum Trotz binnen kurzer Zeit eine beachtliche Geltung erkämpft hatte.58) Wirtschaftliche Not, Krankheit und Tod in der Familie bestimmen jene Jahre des Studiums bis zur beginnenden beruflichen Tätigkeit und geben ein wesentlich echteres Bild von Fielding als das melodramatische Lamento Thackerays, der ihn nur in Tavernen sieht, wo ihn vor tausend leeren Gläsern das Morgenlicht überrascht.50) Es sind weniger jene doubtful places, in denen Fielding seine worldly wisdom 60 ) sammelte, sondern sein neuer Beruf wurde Quell zuströmender Erkenntnis.81) Noch während seines Studiums (1739) begann Fielding - nach Veränderung der politischen Situation e2 ) - wieder in die moralische und politische Problematik des Alltags einzugreifen. Der Themenkreis seiner Komödien kehrt auf einer gereifteren und erweiterten Stufe in seiner damals mit Ralph begründeten Zeitschrift The Champion wieder. Auch die Satire auf Colley Cibber — den Poet Laureate - wird hier fortgesetzt und wirfrein bezeichnendes Licht auf den Menschen Fielding. Gewiß — er führte eine scharfe Klinge gegen Cibber, die 54 )

J ο η e s , S. 65. - 55 ) Ibid., S. 67 ff. Ibid., S. 66 und 69. Auch M u r p h y , Brown-Ausgabe, Fieldings großes juristisches Können. - 57 ) J o n e s , S. 73. 5G)

58 )

vol. I, S. 44, lobt

Vgl. C r o s s , Fielding, I, S. 244 und 382. - 5») T h a c k e r a y , S. 249. ) S t e p h e n , Hours in a Library, II, S. 170. β1 ) Auch H e n l e y , Ausgabe, vol. X V I , S. X X X I I I , spricht sich gegen das β0

Fielding zugeschriebene Tavernendasein aus. e2 ) Einzelheiten bei C r o s s , Fielding, I, S. 249 ff.

26

sidi jedoch nie gegen das Persönliche richtete, sondern immer gegen äußere Eigenschaften, d. h. gegen Cibber den Schauspieler, Dichter und Laureatus — alles Dinge, die die zeitgenössische Kritik und Satire in ähnlicher Weise zur Zielscheibe ihres Spottes machte.63) Niemals wurde Fielding persönlich, selbst dann nicht, als er mit den obskursten Verleumdungen von Grub Street überhäuft wurde, als die Tagesjournalisten der Hills, Kenricks, Bornell Thorntens, Procurpinus' — um nur die widitigsten zu nennen — im Newspaper Warβ4) auf ihn losstürzten, als Smollett von ihm als a trading Westminster justice β5) sprach und als Colley Cibber ihn einen broken wit nannte, der like another Erostratus set fire to the stage by writing up to an act of parliament to demolish it.68) Selbst wenn ihn der Strom dieser persönlichen Animositäten, der vielfach dem Konkurrenzneid entsprang — hier allen voran der „tugendhafte" Richardson β7 ) — manchmal zu Äußerungen wie a little reptile β8) für gewisse Kritiker veranlaßte, so galt für ihn doch: No man detests and despises scurrility more than myself; nor hath any man more reason; for none hath ever been treated with more; and what is a very severe fate, I have had some of the abusive writings of those very men fathered upon me, who, in other of their works, have abused me themselves with the utmost virulence.**) Fielding liebte zu viel und haßte zu wenig 70 ), und selbst Murphy bestätigt: in his resentments, he was manly, but temperate, seldom breaking out in his writings into gratifications of ill humour or personal satire ... it is to the advantage of his enemies that he was above passionate attacks upon them.11) Das Leben rann unaufhaltsam weiter, und aus dem wilden und ungestümen Harry Fielding war ein sorgender Familienvater geworden, der neben seiner juristischen Tätigkeit ein wadies Auge für die geistigen Fragen des Alltags behielt. Jener Alltag war es, über den er nachdachte, dessen Zwiespältigkeit er erlebte und den er in den gültigen Personen seiner Romane gestaltete. Der Stoff wuchs ihm aus dem Hier und Jetzt am Rande seines geschäftigen beruflichen Ausgelastetseins zu, sei es bei den Assizen in den Western Circuits oder in der stickigen Luft von Bow Street. Selbst 63

) Vgl. Einzelheiten bei Ch. W. N i c h o l s , PQ 1 (1922), S. 280 ff. Die gegen Nichols vorgebrachten Argumente von H . W. T a y l o r , S. 73 ff., Fielding habe persönliche Satire geschrieben, können nicht überzeugen. 64

) ) ") β9 ) 71 )

w

Vgl. J e n s e n , Covertt Garden Journal, I, S. 27 ff. Zitiert nach ibid., I, S. 31. - ββ) Zitiert nach B a n e r j i , S. 88 f. Näheres bei D o b s ο η , S. 137 ff. - β8 ) Tom Jones, X , 1, vol. IV, S. 193. op. cit., X V I I I , 1, vol. V, S. 294. - 7°) C r o s s , Fielding, III, S. 276. M u r p h y , Brown-Ausgabe, vol. I, S. 79.

27

die schwersten Schläge — wie der Tod seiner Frau — konnten ihn auf die Dauer nicht daran hindern, dieser ureigensten Neigung zu folgen. Zwischen beruflicher Arbeit, häuslicher Sorge und oft menschlicher Not (wie nach 1744) schuf er in jenen some thousands our own

) : Tom

73

Jones.

of hours

) die great creation

12

of

Aller Stoff wurde hier Gestalt, alles momentan

Erlebte zeitlose Gegenwart, und selbst die Tote, um die er so getrauert hatte, stand wieder auf in Sophia. Alles, was Fielding anfaßte, wurde Leben; von der heitersten Ausgelassenheit bis zum verständnisinnigen Lächeln pulst es durch sein Werk gerade so, wie es in ihm strömte. Bei alledem arbeitete Fielding ständig an seiner geistigen Bildung. Neben den Klassikern kennt er in Champion Bacon, Locke, Shaftesbury und Montaigne; er las eine Unzahl Predigten und war mit der Bibel vertraut wie ein Zögling der Kirche 74 ), weshalb er Deismus und Atheismus glühend haßte. 75 ) Darüber hinaus zog er gegen popery und Jesuitentum zu Felde 7 e ), und als 1745 die jakobitische Invasion London bedrohte, beschwor er in einer zu diesem Zwecke gegründeten Zeitschrift, — dem True Patriot — die Öffentlichkeit mit plastischen Visionen, die entstandene Gefahr abzuwenden.77) Für ihn galt das Wort des Tom Jones: The cause of king George is the cause of liberty and true religion.19) Dann und wann aufflackernde jakobitische Reaktionen bekämpfte der Patriot Fielding in ernsten und satirischen Auseinandersetzungen mit seinem zwei Jahre später entstandenen Jacobite's Journal. 2,15.

Der Richter von Bow

Street

1749 schärfte der inzwischen magistrate von Bow Street und Justice of Peace von Westminster Gewordene seinen Kollegen auf einer Sitzung der Grand Juries ein: you will consider yourselves as now summoned to the execution of an office of the utmost importance to the well-being of this community.19) Diese Sorge um das Gemeinwohl wird das Kriterium von Fieldings letzter Lebensepoche. Sie ist jene potentielle Charaktereigenschaft, die jetzt in ganz großem Maße aktualisiert wird. Das aufopferungsvolle Helfenwollen zählte virtuell sicherlich schon lange zu Fieldings An) ") 76 ) ") 78) 7»)

72

28

Tom Jones, X I , 1, vol. IV, S. 246. - 7 3 ) op. cit., X , 1, voj. IV, S. 193. C r o s s , Fielding, I, S. 277. - " ) Ibid., I, S. 277. Vgl. Proper Answer to a Late Scurrilous Libel, vol. X V , S. 343. Vgl. True Patriot, Nov. 19, 1745, vol. X I V , S. 12 ff. Tom Jones, X I I I , 9, vol. IV, S. 102. A Charge ...to the Grand Jury, vol. X I I I , S. 218.

lagen, gewinnt nun aber erst auf einer Ebene Gestalt, auf der es zur öffentlichen "Wohlfahrt gereicht. Er beganh, gegen den lähmenden Alpdruck der Gesetz- und Sittenlosigkeit aktiv einzuschreiten, der auf der Hauptstadt lastete.80) Der highwayman war nicht nur Herr der Landstraße, sondern trieb am hellen Tag mitten auf dem Picadilly sein Gewerbe mit herausfordernder Dreistigkeit. Die Zeitungen wußten spaltenlang von täglichen Überfällen zu berichten, und die Londoner Unterwelt fühlte sich absolut sicher, bis Fielding den Kampf gegen sie eröffnete. Da gab es Betrieb in Bow Street, wo oft bis Mitternacht und darüber hinaus getagt wurde 8 1 ), denn die Zeiten, als die Delinquenten die Richter noch bestechen konnten, waren seit Fieldings Amtsantritt vorbei. Auf seinem verrufenen und übel beleumundeten Posten 82) griff er rigoros durch, ließ jedoch im Zweifelsfalle immer Gnade vor Recht ergehen.83) Obgleich er mit Arbeit stark überlastet war 8 4 ), verlor er nie das Wohl seiner Mitmenschen aus dem· Auge und verwendete sich für Beamte, Bekannte und selbst Fremde, die seiner bedurften. 85 ) Zwar flössen seine Mittel knapp, doch er blieb trotz allem ein großzügiger Gastfreund und schenkte laufend an Arme und Notleidende.86) 2,16. Die letzten

Jahre

Diese aufopferungsvolle Tätigkeit mußte auf die Dauer Fieldings Gesundheit zerrütten, vollends als er, der körperlichen Erschöpfung schon sehr nahe, auf eigenen Plan und ministerielle Weisung hin eine gelungene Campagne gegen Mord und Verbrechen in London durchführte. 87 ) Having thus fully accomplished my undertaking, I went into the country in a very weak and deplorable condition, with no fewer or less diseases than a jaundice, a dropsy, and an asthma, altogether uniting their forces in the distruction of a body so entirely emaciated, that it had lost all its muscular flesh.m) Eine Ruine war der einst so lebensdurstige Fielding geworden; sein rastloser Einsatz und seine Lebenserfahrungen hatten den kühnen und menschgläubigen Optimisten nicht nur gebeugt, sondern auch physisch zerstört. Ihm war es klar geworden, daß er seinem Ende entgegenging, und 80

) ) 83 ) 84 ) 8β ) 87 ) 88 ) 8ä

Vgl. G o d d e n , S. 199 ff. 81 ) C r o s s , Fielding, II, S. 229. W. L. M. L e e , S. 107. Vgl. zum ganzen J ο η e s , S. 135 ff. Vgl. die Einzelheiten zum Fall Penlez bei C r o s s , Fielding, II, S. 238 f. Vgl. ibid., II, S. 243. 85 ) Näheres ibid., II, S. 243 f. Ibid., II, S. 302 f. Vgl. Journal of a Voyage to Lisbon, Introduction, vol. X V I , S. 187 f. op. cit., vol. X V I , S. 189.

29

im Angesicht des bewußtwerdenden Todes steht er vor uns, wie er gelebt hatte — dieser Mensch, der zu viel liebte, als daß seinen hohen Hoffnungen Erfüllung beschieden sein konnte. So sind auch seine letzten Aufzeichnungen von den Spuren des Leids gezeichnet; als er Abschied von seinem Heim in Fordhook opinion,

nimmt, heißt es: By the light

last to behold

I doated

with a mother-like

uncured

and unhardened

where

I had learnt

of this

sun, I was, in my

and take leave of some of these creatures fondness,

guided

by all the doctrine

by nature

of that philosophical

to bear pains and to despise

as I could not conquer

nature,

I submitted

death.

entirely

pany

of giving

me leave

to enjoy,

she drew

of my little ones, during eight hours;

that time, I did not undergo

and school

In this

situation,

whatsoever:

me in to suffer

and I doubt

more than in all my

whom

to her, and she

as great fool of me as she had ever done of any woman pretence

on

and passion,

made under

the

com-

not whether,

in

distemper,89)

Dies ist der Fielding des großen und reinen Herzens, dessen weite Seele voll innigen Gefühls sich an den Antinomien des Lebens schmerzend stoßen mußte.

Aber neben dem einfältigen Fielding steht in den

letzten

Tagen audi jener, dessen Leben seit der Zeit von Eton stets von stillen Studien begleitet war. Er beschäftigte sich noch intensiv mit Bolingbroke, um diesen Freigeist zur Ehre Gottes und der Religion zu widerlegen. 90 } Es war dies keineswegs ein Unterfangen

publizistischer Natur, sondern

Fielding machte dazu long

the fathers...

eminent

extracts

of controversy.91)

writers

from

and

the

most

So bezeugt dieser humanistische Geist

an seinem Lebensabend ein empfundeneres Verlangen nach Religion. 92 ) Auf der Reise nach Lissabon Fieldings Journal

gewinnt die Atmosphäre des Alltags in

noch einmal plastische Gestalt. Denn das Interesse an den

Bewegungen des Lebens beschäftigte ihn bis zur Todesstunde; jener Alltag des mensdilicKen Soseins, den er so oft erlebt und an dessen Herzschlag er beständig gehorcht hatte, führte ihm zum letzten Mal die Feder. Die Stimmung ist weniger getönt als in seinen Romanen; dodi Fielding schreibt, als wäre es die alte Welt, obgleich sie im Schatten der Erkenntnis liegt, daß der T o d vor den Toren steht und das Tagewerk des Lebens vollbracht sei: I began, enough

in earnest,

to look

to rank myself

tary sacrifices

on my case as desperate,

with the heroes

to the good

of the

who,

and I had

vanity

of old times, became

volun-

public.93)

M ) Vgl. Journal of a Voyage to Lisbon, Introduction, vol. XVI, S. 199. »») C r o s s , Fielding, III, S. 19 ff. - " J M u r p h y , Brown-Ausgabe, vol. I, S. 80. 92) Dies wird deutlich in Amelia gespiegelt. 83) Journal of a Voyage to Lisbon, Introduction, vol. XVI, S. 189.

30

2, 2. Absichten

und

Ideale

Auf dem Grunde jeder Seele, die unentstellt aus den Quellen des Lebens bricht, wirkt ein

unendlicher Trieb, eine nie

enden wollende Sehnsucht

nach Werten „und diese Sehnsucht ist der Kern des Lebens selber und seine treibende Kraft". 1 ) Was das Leben als Charakter nach außen setzt, wird vom gleichen Born gespeist wie das, was dieser Charakter will. Beides sind integrierende Bestandteile eines Wertreiches; sie existieren virtuell immer beieinander und werden nur in der jeweiligen Schicksalsgebundenheit im Leben heteronom aktualisiert. Daher besteht eine weitgehende Kongruenz zwischen dem, was der Mensch will, und dem, was er ist. J a , jedes Wollen ist nur ein Fühler, den das Individuum

ausstreckt, um sich

willentlich

fremden Räumen anzuverwandeln oder sie kraft eigener potentieller Fähigkeiten zu gestalten. Auf diese Weise ist jedes erstrebte Ideal, jeder gewollte Wert eine T a t des Charakters, da alle geistigen Bestrebungen die unleugbare Signatur ihres charakterlichen Ursprunges tragen. Wie eng Charakter und Ideal verbunden bleiben, zeigen die sensiblen Reaktionen des einen wie des anderen, wenn die Lebensvorgänge zerstörend oder gestaltend an ihnen arbeiten. Wie der Charakter oder die Gesinnung im Alter andere — oft modifizierte oder gar mutierte — als in der Jugend sind, so werden auch die Ideale andere. Sie gleichen einer subtilen Skala, auf der der Betrachter die Lebensbewegungen des jeweiligen Individuums ablesen kann, denn alle menschlichen Erschütterungen pflanzen sich bis in den innersten Bereich der Gesinnung und des Wollens fort und finden hier ihren erkennbaren Niederschlag. Auf der anderen Seite jedoch eilt das Wollen auf den Lebenswegen der jeweiligen Menschen immer voraus und wird zum Vorboten kommender Leistungen. Was indessen diese organische Verbundenheit von Ideal und Charakter für den Augenschein differenziert, ist der Tatbestand, daß der Charakter aus den unergründbaren Tiefen des Lebens in Erscheinung tritt, während sich die Ideale des jeweiligen Menschen aus der konkreten Gegebenheit des Charakters

ableiten lassen. Sie sind

gleichsam die Strukturgesetzlichkeit jener unendlich organischen Verzweigung des Charakters, dessen Ursprung sich jenseits der Erkenntnis ins Dunkel der Generationen verliert. Auf diese Weise gewinnen die Absichten und Ideale für die Erkenntnis einer geistigen Persönlichkeit insofern eine eminente Bedeutung, als sie die Vielfalt hänge zu

erkenntnisvermittelnden Linien

charakterologischer Zusammenzusammenfalten, um die sich

') S p r a n g e r , S. 400. 31

das künstlerische Werk — als gestaltete Absicht oder Ideal — rankt. So sprechen die Ideale dauernd die Einstellung des Charakters aus, dessen Antworten durch die Gestalt der angetroffenen Wirklichkeit wesentlich mitbestimmt werden. 2,21.

Allgemeine

Tendenzen

Wie sehr diese Wirklichkeit eine andere gewesen sein muß, als sie sich der junge Fielding erträumt hatte, bezeugt die Tatsache, daß die ersten Töne, die wir von dem literarisch Schaffenden vernehmen, mehr den Charakter der Entrüstung tragen, als daß sie positive Details seines Verhaltens aussprächen; und sofern sie positiv sind, schlummert eine geheime oder offene Kampfeslust in ihnen, die sich beständig gegen das Schlechte, Korrupte und Üble seiner Umwelt entlädt. Langsam und zögernd nur werden Fieldings eigentliche Bestrebungen erkennbar. Die Absicht seiner ersten Komödie war: No private

character

these scenes

expose,

Our bard at vice, not at the vicious

throws.2)

Zwei Momente werden hier sichtbar, die Fieldings Einstellung beleuchten. Zum ersten stellt er sich als der Mensch vor, dessen lebenslanger Haß gegen persönliche Angriffe und Verleumdungen zum Kennzeichen seines Charakters gehört; zum anderen hat er sich das Laster ganz allgemein, und nicht dessen Träger, zur Zielscheibe seiner Polemik auserkoren. Es ist durchaus noch alles anonym und wenig differenziert von der herkömmlichen Komödie, nur Richtung hat es gewonnen, in der sich dann der eigentliche Fielding immer mehr entfaltet. Ein Echo findet dieser Allgemeinplatz von der Aufgabe der Komödie etwa im Prolog zu Temple

Beau, den Fieldings

Freund Ralph schrieb, der in jener Zeit literarischen Einfluß auf ihn hatte 3 ): The comic muse, in smiles, severely Shall scoff at vice, and laugh its crimes

gay, away.4)

Diese Stellungnahme gegen das Laster hatte eine bestimmte Vorstellung von der Bühne zur Voraussetzung, auf der die agierenden Gestalten die Absichten des Autors demonstrieren. Daraus ergibt sich für den Dramatiker Fielding ein

weiterer Gesichtspunkt:

denn

wenn ihm die Bühne

Sprachrohr ist, gilt es erst, deren Requisiten einmal zu überprüfen, ob sie Love in Several Masques, Prologue, vol. VIII, S. 11. Über Einzelheiten zu diesem Einfluß vgl. H. S. H u g h e s , S. 19 ff. 4) Temple Beau, Prologue, vol. VIII, S. 103.

2)

8)

32

den gestellten Anforderungen überhaupt genügen; wenn nicht, gilt es, neue zu schaffen, die brauchbare Vehikel für Fieldings Ideale darstellen. So fällt er zunächst mit in den Chor derjenigen ein, die sich — von Buckingham» Rehearsal bis zu Gays Beggar's Opera — über die absurden Formen der Tragödie lustig machten 5 ), im besonderen über das Heroic Play, das aus dem 17. Jahrhundert tradiert worden war. Diese Tragödie trug die typischen Züge der Stuartzeit: sie reflektierte die unheroisdie Lebenshaltung des ausgehenden 17. Jahrhunderts und sie zeigte den genießerischen Luxus der Zeit, der sich an der heroischen Mimesis der Bühne besonders entzündete. Es herrschte ein förmlidier Hunger nach pathetischer Exaltation, der erst im Reiche des Phantastischen zu befriedigen war, wo handelnde Wortungeheuer als Helden in exotischen Ländern, bei orientalischer Szenerie, mit viel Lärm und Schwulst agierten.8) Diese artistische Übersteigerung des im Grunde unheroischen und demzufolge sich am Heldentum begeisternden Publikums wurde sehr bald in Frage gestellt und im 18. Jahrhundert in farcenhaften Formen ad absurdum geführt. Für Fielding bedeutete dies zunächst ein Reinigen der Bühne von allem barocken Bombast, dodi seine Absichten gingen darüber hinaus: The stage, which was not for low farce designed, But to divert, instruct and mend mankind.'1) Hier ist weit mehr zu erkennen als die bloße Richtung, die er mit seiner ersten Komödie eingeschlagen hatte. Es wird bereits die Doppelgesichtigkeit augenscheinlich, die ein durchgängiges Anliegen seiner Bestrebungen bleibt: der ethische und der ästhetische Zweck. - Damit sind drei Stichworte gefallen, die Fielding in allmählicher Entfaltung auf dem eingeschlagenen Weg zeigen. Sein Anliegen war moralischer Natur und hatte als solches ein bestimmtes Telos, das nicht ausschließlich vergnügen wollte, sondern nur auf diesem Wege dem Zuhörer das einzuflößen versuchte, was Fielding widitig dünkte. Eine nähere Bestimmung findet sidi in demselben Prolog, als Fielding seines bisherigen Komödienschaffens gedenkt, mit dem er nicht restlos einverstanden zu sein scheint: In early youth our author first begun To combat with the follies of the town;

) N e t t l e t o n , S. 213. Vgl. dazu audi den Prolog zu Author's Farce, vol. VIII, S. 193. e) A. N i c o l i , Restoration Drama, S. 79. 7) Modern Husband, Prologue, vol. X, S. 10. 5

3 1 s er,

Weltanschauung Fieldings

33

At length, repenting frolic flights of youth, Once more he flies to nature and to truth. 8 ) Natur und Wahrheit sind es, die diesem moralischen Zweck die Maßstäbe liefern. Das real Gegebene und das in seinem Wertreich als wahr Empfundene bilden die Tangenten für jenes turbulente gesellschaftliche Treiben, das der Dramatiker lachend und stirnrunzelnd beschaute. Von hier aus wird der Kampf verständlich, den Fielding gegen das Unwesen der Bühne und deren literarische Konventionen führte, denn die Bühne allein war ihm in jener Zeit Medium, das ganze Lebensgeschehen auf

dem Hinter-

grund von Natur und Wahrheit darstellen zu können. Diese zwei Faktoren blieben der durchgängige Rahmen von Fieldings Wollen, der sich immer mehr zu füllen begann. Die Inhalte waren meist noch flächenhaft,. kaum dadurch eine

differenziert und durchgebildet; sie erhielten erst

gewisse Ausdruckskraft, daß sie oftmals in strenger Anti-

thetik zueinander standen. So stellt Fielding im folgenden — noch ganz auf die alltägliche Praxis ausgerichtet, das Theater seiner Zeit einem Idealbild der Vergangenheit gegenüber: As when

some ancient,

Where

plenty

oft

Where

in full bowls

All sorrowing

hospitable

has given

seat,

the jovial

each welcome

thoughts,

while

Is by some wanton

worthless

Its once full rooms

grown

With

sighs, each neighbour

With

sighs, each recollects So does our wretched

treat,

guest has

joy and mirth heir

what

went

round,

destroyed,

a deserted views

drowned

void:

the mournful once it

theatre

place;

was.

appear.

Nach einer genauen Ausführung über den gegenwärtigen Stand des Theaters fährt er fort: But now, I view

alas!

with

how

altered

tears this poor

is our deserted

case! place.9)

Keinen Widerhall zu finden war das Schlimmste, was Fielding passieren konnte, denn alles, was er sagte, war im Dialog angelegt, und seine Einsichten in die Zustände der Zeit blieben wertlos, solange sie nur dem toten Papier anvertraut waren. Es schien sinnlos, Masken herunterzureißen, wenn Modern Husband, Prologue, vol. X, S. 9. ·) Epilogue upon the Revival of the Author's Farce, vol. X, S. 284. 8)

34

man sie nicht vor sich hatte, und als Aufklärer, der Fielding sein wollte, brauchte er wie die attischen Aufklärer den Markt und die Gasse. Je mehr Fielding die eingeschlagene Bahn verfolgte, auf der er etappenweise seine Absichten formulierte, umso heftiger wurden die ihn bestimmenden Temperamente. Wollte er in seiner ersten Komödie gegen das Laster schlagen (throw), so jetzt: it will be a maxim with me, that vice can never be too great to be lashed, nor virtue too obscure to be commended.10) Es taucht damit gleichzeitig - zum ersten Mal programmatisch ausgesprochen — ein weiteres Ideal auf: die Tugend, die zwischen Natur und Wahrheit figuriert und für Fielding einen zentralen Wert verkörpert. Fielding hatte sicherlich in jener Zeit bereits eine Reihe Erfahrungen gesammelt, und der Spalt zwischen ihm und der Gesellschaft, die er antraf, mußte schon erheblicher klaffen, wenn er zu der Uberzeugung gelangt: Writing seems war declared against the town,11) Diese Erkenntnis hat ihre Parallele in dem Gedicht an Celia. — Bei alledem bleibt es bezeichnend, daß Fielding in diesem Kampf nicht die Waffen streckte, sondern immer nach neuen Möglichkeiten Ausschau hielt, die ihn verfallen dünkende Welt durch einen Appell an alle nur denkbaren Gefühle zu läutern. Diese Ausschau offenbarte bald die Erkenntnis: examples work quicker and stronger on the minds of men than precepts... the most ridiculous exhibitions of luxury and avarice may ... have little effect on the sensualist or the miser, but / fancy a lively representation of the calamities brought on a country by general corruption might have a very sensible and useful effect on the spectators.12) Der Patriot und Diener am Gemeinwohl beschwört die auch in jener Zeit lebendige patriotische Begeisterungls), sich gegen Korruption und Unnatur zu formieren, denn die innere Kraft des Landes war ihm ein kostbarer Besitz, den er energisch verteidigte.14) In dieser Verteidigung leistete ihm die Komödie einen weiteren Dienst, indem sie ihm die Möglichkeit bot, in das bunte Menschenleben des Alltags zu greifen und daraus zugkräftige Beispiele für jedermann zu bilden — eine Möglichkeit, die der Tragödie versagt blieb: ) Intriguing Chambermaid, Epistle to Mrs. Clive, vol. X, S. 277. ") Universal Gallant, Prologue, vol. X I , S. 78. 12) Don Quixote in England, Letter of Dedication, vol. X I , S. 7. 13 ) Vgl. dazu A. N i c o l i , Eighteenth Century Drama, S. 161. 14 ) Vgl. Pasquín, Epilogue, vol. X I , S. 228 und Historical Register, Dedication to the Public, vol. X I , S. 235. 10

3*

35

Examples

of the great can serve but

For what

are kings' and heroes'

But these examples

are of general

is ignorant

few;

faults

of King's

to

you?

use.

What

rake

Here

the old rake may view the crimes h'as

Coffee-house?

And boys hence dread

the vices of the

Here

may mourn

nymphs

seduced

known,

town:

their pleasures

past

And maids, who have their virtue, learn to hold it

fast.16)

Der moralische Zweck ist hier schon wesentlich plastischer geworden und beginnt, das Wollen des jungen Fielding deutlicher zu vermitteln. Wie stark die moralische Teleologie Fieldings Vorgehen bestimmte, erhellt der T a t bestand, daß alle dramatischen Mittel als ethisch bezogen erlebt werden. So geschieht es mit dem Lächerlichen, das neben dem Geißeln (to lash) eine der ausdrucksstärksten Möglichkeiten in Fieldings Komödie darstellt. Die Verwendung des Lächerlichen ergänzt insofern sein Bild, als uns nicht ein prüder, inflexibler und moralischer Wüterich

erscheint, der auf ein ihm

mißfallendes Leben blickt, sondern ein ernstes Gesicht, das sich bisweilen zu einem hellen, bald sardonischen, bald humorvollen Lachen verzieht. Als mit dem Historical

Register

— dem letzten Stück vor dem

Licensing

Act — das Barometer Sturm zu zeigen begann, faßte Fielding seine Absicht generalisierend dahin zusammen: If nature ridiculing

vice and imposture,

ting them, while

the liberty

while we have any liberty

hath given

I shall not be indolent,

me any talents nor afraid

of

of the press and stage subsists, that is to left among

at exersay,

us.le)

Fielding hat damit einige Steinchen geliefert, die sich zu dem Mosaik seines Komödienschaffens zusammensetzen lassen. Der allseitig moralische Zweck ist gleichsam der Untergrund, auf den die Steinchen gesetzt werden können.

Natur und Wahrheit bestimmen ihre Aufbaugesetzlichkeit, und

die Tugend ist der Schlußstein, auf den die anderen ausgerichtet sind, wobei das wirkungsvolle Beispiel

und die Kraft des Lächerlichen am deut-

lichsten markiert erscheinen. Diese strukturelle Anordnung dient Fielding als Maßstab zur Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse; an ihm hatte alles Wirkliche seine Werthaftigkeit zu erweisen. So war Fieldings Komödienschaffen in hohem Maße von kritischen Maßstäben 15) 1β)

36

bestimmt.

Es diente weniger der Exposition

bestimmter eigener

Covent Garden Tragedy, Prologue, vol. X, S. 111. Historical Register, Dedication to the Public, vol. XI, S. 237.

Überzeugungen als vielmehr der Polemik gegen eine Welt, die seinen instinktiven Vorstellungen zuwiderlief. Daher fand eine Schwerpunktsverlagerung zu Beginn seines Schaffens statt, die sich zuungunsten einer positiven Gestaltung seiner Ideale auswirkte, obgleich er ja um ihretwillen schrieb. Er befand sich damit in einer ähnlichen Situation wie Milton und Klopstock, denen bei der Absicht, Gott zu feiern, die Darstellung der dunklen Mächte weit besser gelang, als eine adäquate Idee von den Engeln und dem Reich des Lichtes zu vermitteln. So gleichen die Attribute des Tugendbegriffs in Fieldings Komödien mehr einer Etikettierung der Figuren, als daß sie in den Gestalten selbst lebendig würden. Nicht zuletzt verleiht dieser Umstand den betreffenden Stellen seiner Komödien eine etwas steife Künstlichkeit. Dies zeigt z. B. eine Stelle aus Tempie Beau, wo nodi spielerisch-flitterhaft und konventionell stilisiert Vernunft und Leidenschaft in eine gewisse Parität gesetzt werden und Fielding dem philosophischen Dilemma seiner Zeit gewandt entschlüpft: The man who by reason His life doth support, Ne'er rises to treason, Ne'er sinks to a court.

By virtue, not party, Does actions commend; My soul shall be hearty Towards such a friend 17).

Oder noch pointierter formuliert: Safe o'er the main of life the vessel rides, When passion furls her sails, and reason guides

).

18

Diese Zitate sprechen insofern eine deutliche Sprache, als sie weit mehr der Ausdruck theoretischen Wissens sind, als daß sie Selbsterlebtes widerspiegelten. Sie sind die Reflexionen des jungen Fielding über diese Problematik und als solche eher der getrocknete Niederschlag eines Eindrucks als unmittelbar von dieser Frage betroffenes, blutvolles Leben wie in Tom

Jo-

nes. Zum anderen wird auf alle Fälle erkennbar, daß in der Beziehung Vernunft — Leidenschaft der Akzent weit stärker auf der Leidenschaft und der Tugend liegt und damit eine Entwicklung vorwegnimmt, die in einer fast romantischen Feier des Gefühls endigt. (Amelia.) Inwieweit Fielding sich über die Tugend bereits in diesen Tagen klar war, bezeugt die Tatsache, daß sie hier neben verschiedenen anderen Er») Temple Beau, vol. VIII, S. 189.

) Op. cit., IV, 10, vol. VIII, S. 164.

18

37

klärungen 1 β ) bereits so definiert wird, wie sie späterhin in Fieldings Werk gültige Gestalt gewinnt. Als Lady Willit in Modern Husband einen Beau ohne Vermögen heiratet, bemerkt Emilia: She was proof against every thing but charity, worauf Gay wit antwortete: To which all other virtues should be sacrificed, as it is the greatest20). Hier läßt sich Ähnliches sagen wie über die Leidenschaft. Die charity bleibt theoretisches Programm, wof ü r nicht zuletzt die Imperativische Form des Satzes bezeichnend ist. In derselben Komödie, die sich gegen die pervertierte Ehegemeinschaft wendet, heißt es zum Sdiluß: However slight the consequence may prove Which waits unmarried libertines in love, Be from all vice divorced before you wed, And bury falsehood in the bridal bed 21). Dies sind Worte, die an konventionelle Komödienmoral anklingen würden, wenn uns der Fielding der Romane unbekannt wäre, der in der Innerlichkeit und den Reizen des Familienlebens — besonders in Amelia — geradezu schwelgt. Von dort her erhält diese Äußerung ihre Sinnbeziehung und wirft die ersten, wenn audi recht dürftigen Schatten auf ein Ideal voraus, das Fielding selbst lebte, das seinen Gestaltertrieb immer wieder anregte und aus dem auch der praktische Moralist seine Folgerungen zog, denn there is more true happiness in the folly of love than in all the wisdom of philosophy 22 ). — Hier triumphiert schon die Welt des Gefühls über die gedankliche und bildet den Auftakt f ü r all die folgenden Abwandlungen, Lobpreisungen und Darstellungen der Liebe in Fieldings Werk und nicht zuletzt f ü r deren moralische Kraft. Für die Frühzeit bleibt wiederum interessant — wenn derartige impulsive Äußerungen seines Wesens fallen - daß er ihnen Epitheta wie folly gibt - Worte, die im Zusammenhang von Liebe und wahrer Glückseligkeit in seinem Werk nicht mehr wiederkehren und etwas von der Scham oder der letzten Unsicherheit verraten, sein Wesen in diesen frühen Jahren schon Werk werden zu lassen 23 ). Unter diesem Blickwinkel läßt sich Fieldings ganzes Komödiensdiaffen begreifen. Gewiß gibt es mannigfache Wendungen, die unverkennbar die " ) So sagt ζ. B. Mrs. Modern, die der Kuppelei ihres Mannes zunächst nicht zustimmen will: Reputation is the soul of virtue. Modern Husband, I, 4, vol. X, S. 17. 2°) Op. cit., II. 4, vol. X, S. 47. !1 ) Modern Husband, V, Last Scene, vol. X, S. 96. 22 ) Universal Gallant, I, 1, vol. XI, S. 92. a ) Inwieweit dieses Problem im Tom Jones gelöst ist, zeigt Fieldings theoretisches Kapitel über die Liebe, das aus der lebendigen Handlung erwachsen ist. Vgl. Tom Jones, VI, 1, vol. III, S. 270 ff. 38

Signatur Fieldingschen Geistes tragen, jedoch sooft auch seine Gesinnungen in den Figuren

plastische Gestalt gewinnen, so

bilden seine Komödien

dodi mehr ab, als daß sie selbst lebensvolle Gebilde wären. Sie reproduzieren vielmehr Verhältnisse typischer Menschen zu gewissen Lastern, ohne sich um die komplexe Psyche der Individuen zu kümmern oder sie gar Bild werden zu lassen. Alles bleibt in einer holzschnittartigen Typik stecken, und alles wird zum Medium für die Vorstellungen des Dichters, weshalb die Eigengesetzlichkeit des individualisierten Lebens seiner Romane hier nodi keinen Boden finden kann. Es geht in den Komödien um allgemeine Verhältnisse und um kritische Einsichten, die nicht die Totalität des Wirklichen, sondern nur interessierende Züge davon ergreifen und gestalten. 2, 22. Jonathan

Wild

als Steigerung

der

Komödie

Das Verhältnishafte der Komödien erfährt seine erste Vertiefung in Jonathan

Wild

24

), einem Buch, dessen Publikation erst 1743 erfolgte, das

) Idi schließe midi der Auffassung D i g e o n s , S. 116 f., an, daß die WildPartie des Jonathan Wild nach den Komödien und vor Joseph Andrews entstanden sein muß. Audi F e h r , S. 252, findet die These Digeons „sehr ansprechend". Für die von Digeon aufgestellte Hypothese sprechen neben den von ihm selbst angeführten Gesichtspunkten die folgenden, die an den jeweiligen Stellen im Zusammenhang behandelt werden. 24

Wild ist als Mensch nur ein Generalnenner für die Schlechtigkeit der Komödienfiguren (vgl. S. 112 f.). - In der Wild-Gestalt ist nodi nichts von der Unberechenbarkeit des Lebens spürbar, die seit Joseph Andrews ein konstanter Faktor der Fieldingschen Gestaltung ist (vgl. S. 123). - Wie in den Komödien beherrscht das moralische Ungeheuer auch in Jonathan Wild das dramatische Geschehen, ganz im Gegensatz zu Fieldings künstlerischer Verfahrensweise seit Joseph Andrews (vgl. S. 175 f.). - In der Wild-Gestalt ist die Walpole-Satire der letzten Komödien vor dem Licensing Act auf die Spitze getrieben. Seit Jonathan Wild und dem Champion ist sie jedoch im Werk Fieldings nur noch ganz sporadisch anzutreffen, (vgl. S. 175). - Wild ist nur eine allegorische Figur zur Demonstration von Problemen wie die Komödienfiguren. Erst in Joseph Andrews entwickelt sich die Problematik aus dem lebendig handelnden Menschen, die bald zur künstlerischen Reife gelangt (vgl. S. 175 ff.). - War hinter den Komödien virtuell das Gefühlsethos verborgen, so ist Jonathan Wild der Beweis für die virtuelle Existenz des sozialen Ethos. Audi hier zeigt Joseph Andrews eine veränderte Perspektive, indem auf die Ethik nicht indirekt hingedeutet wird, sondern indem sie plastisch in Erscheinung tritt (vgl. S. 176 f.). - Die stoffliche Befangenheit der Fieldingschen Komödien ist in Jonathan Wild durchaus nodi erkennbar; erst Joseph Andrew zeigt geistig gegliederte Gehalte (vgl. S. 177). - Audi in gesellschaftskritischer Hinsicht ist Jonathan Wild nur ein Resümee der Komödien. Die neuen Tendenzen werden erst in Joseph Andrews sichtbar (vgl. S. 204). - Die Ironie des Jonathan Wild ist

39

sidi jedoch werkgesdiichtlidi nur aus der Entstehung nach den Komödien begreifen läßt. In seinem Vorwort zu den Miscellanies gibt Fielding erläuternde Hinweise zu diesem Werk, das einerseits eine Potenzierung des moralischen Unwillens der Komödien darstellt, andererseits jedodi deren Stofíkreis einengt und damit vertieft. War das Motiv seiner ersten Komödie ausschließlich die Bloßstellung des Lasters und nicht der Lasterhaften, so heißt es in dem erklärenden Vorwort zu Jonathan Wild: Roguery, and not a rogue, is my subject . . .K) . . . I solemnly protest, I do by no means intend in the character of my hero to represent human nature in general. Such insinuations must be attended with very dreadful conclusions 2e ). Also audi hier kommt es Fielding, ganz im Sinne des Komödientenors, auf etwas Typisches, auf ein Verhältnis von Dingen an, noch nicht auf den Menschen selbst. Alles Negative, das durch die Komödien zog, ist hier komprimiert in dem, was er roguery nennt, und findet seine treffende Bestätigung in den pragmatisch-negativen Maximen Jonathan Wilds, die dieser als sein geistiges Erbgut hinterläßt27) und die die Satire der Komödien zu ironischen Gipfelpunkten führen. Insoweit ist Jonathan Wild die Potenz der Komödien. Vertiefung ist er insofern, als roguery nicht — wie in der Komödie beispielsweise das Laster — einzige Richtschnur der darzustellenden Verhältnisse abgibt, sondern als diese roguery auf eine bestimmte Beziehung eingeengt und unter einem spezifischen Blickwinkel gesehen ist: dem von greatness und goodness26). Wie sehr es hierbei Fieleine gesteigerte Indignation gegen eine unangemessene Wirklichkeit. Sie ist die Potenz der satirischen Komödien und drückt eine Lebensempfindung aus, die der Humorist nicht mehr total nachvollziehen kann. In Joseph

Andrews aber ist Fiel-

ding bereits Humorist (vgl. S. 242 ff.). I r w i n , The Making of Jonathan Wild, diskutiert die Frage der Entstehung nicht direkt. Jedoch an wesentlichen Stellen seiner Darlegung interpretiert er Jonathan Wild von den Fragen her, die Fielding während seiner Komödienzeit beschäftigen. (Vgl. dazu besonders S. 64 ff.) Desgleichen betrachtet er Jonathan Wild als eine Vorstufe zu dem comic epic poem in prose, dessen Form Fielding in Joseph Andrews theoretisch umriß und praktisch gestaltete. (Vgl. dazu S. 95 ff.) Diese Diskussion schließt Irwin folgendermaßen ab: If it could be established that Fielding conceived and at least partially wrote Jonathan Wild before Joseph Andrews, one could go a step further and say that Jonathan Wild is a narrative forecast of the form which Fielding employed in his great novels. (S. 106.) ) Preface to the Miscellanies, vol. X I I . S. 242. - » ) Op. cit., vol. X I I , S. 243. ) Vgl. dazu Jonathan Wild, IV, 15, vol. II, S. 203. " ) Vgl. dazu Preface to the Miscellanies, vol. X I I , S. 244 f. 25

27

40

ding um cine von den Komödien abstrahierte Problematik ging, bezeugt die Tatsache, daß seine Menschen nur Schablone und Staffage sind, an denen er das Verhältnis, das er darstellen will, demonstriert. Deshalb verwahrt er sich audi dagegen, daß sein Held mit der Repräsentation der menschlichen Natur im allgemeinen etwas zu tun habe 2e ). 2, 23. Neue Blickpunkte

(Champion)

Im Champion führt Fielding den Fragenkreis der Komödien weiter, nur daß er jetzt seine Absichten bewußter und pointierter vorträgt. Es ist das erste Mal, daß er sich der Öffentlichkeit als moralischer Zensor vorstellt eine Position, die er in mandien seiner späteren publizistischen Unternehmungen wieder bezog und die einiges von der Wichtigkeit seines Anliegens verrät. Seine Aufgabe bleibt dabei: In short, whatever is wicked, hateful, absurd, or ridiculous, must be exposed and punished before this nation is brought to that height of purity and good manners to which I wish to see it exalted 30 ). In dieser Hinsidit bringt der Champion nichts wesentlich Neues. Nur der Ton ist hoffnungsvoller geworden, und auch das Ziel seiner Aufgabe wird näher umrissen, das Fielding in der moralischen Wohlfahrt der Gesellschaft erblickt. Jene Wohlfahrt ist einer der Mittelpunkte dieser Zeitschrift, auf den viele Dinge abgestimmt sind. So kämpft Fielding gegen die Vetternwirtschaft, da sie eine source to public distress 31 ) sei. Desgleichen wendet er sich gegen die Zwistigkeiten der Geschlechter — wie sie die solipsistische Restorationszeit kennzeichneten — denn an entire dissolution of the world, a sudden period to the race of mankind, are threatened hereby 32 ). Statt dessen preist er seine Familie 33 ), die den Gerichtshof des Zensors konstituiert34), dessen Entschluß es ist with his victorious pen to lash mankind into humanity 35.) Die Menschheit und die Humanität beginnen sich im Champion als weitere Mittelpunkte aus den vielen angeschnittenen Fragen herauszukristallisieren. Darüber hinaus hat sich der Diskussionskreis insofern erweitert, als Fielding nicht nur partikulare, sondern mehr aufs Allgemeine abzielende ) ) 31) 32) ») 34) 35) 2e so

Typisch für das Komödienmilieu ist etwa Jonathan Wild, I, 10, vol. II, S. 31. Champion, Dec. 22, 1739, vol. X V , S. 113. Op. cit., Feb. 19, 1739140, vol. X V , S. 210. Op. cit., Jan. 1, 1739140, vol. X V , S. 130. Vgl. op. cit., Mará 27, 1740, vol. X V , S. 265. Vgl. op. cit., Dec. 22, 1739, vol. X V , S. 112. Op. cit., Feb. 7, 1739,140, vol. X V , S. 185.

41

Gegenstände behandelt. So wartet er schon mit konkreten Absichten auf, die programmatiseli in dem etwas forcierten Ton, die Menschheit in die Humanität zu geißeln, angekündigt sind: Civility or complacence is a quality entirely necessary to the humanising mankind, without which they would degenerate into brutes and savages 3e ). Damit beginnen sich Perspektiven zu eröffnen, die über die Gegenstandsrichtung der Komödien hinausweisen. Die Komödien griffen ihren Stoff aus dem Momentanen, waren auf spezielle Anliegen beschränkt, waren jeweils auf ein gewisses Laster ausgerichtet und priesen eine bestimmte Tugend. Man könnte f ü r jede Komödie ein generalisierendes Stichwort finden, wie es zum Teil schon in den Titeln zum Ausdruck kommt. Jonathan Wild war dann gleichsam das Substrat aus den negativen Erfahrungen von Fieldings Komödienzeit, weshalb Fielding ausdrücklich betont, daß Wild mit der menschlichen N a t u r im allgemeinen nichts zu tun habe. Nimmt der Champion vieles davon wieder auf, so geht er doch einer größeren Zielsetzung entgegen, die audi Fieldings Selbstbewußtsein außerordentlich beflügelt. Wenn in seiner Komödienzeit nodi Erinnerungen wach waren, in denen er seiner frolic flights of youth reuevoll gedenkt, so sagt er jetzt von sich: I look on myself to have been sent into the world as a general blessing, that I am endowed with so much strength and resolution to redress all grievances whatsoever, and to defend and protect the brute creation as well as my own species from all manner of insult and barbarity 37 ). Auch hier fällt die gesteckte Weite ins Auge, wenn Fielding seinen Schutz der ganzen brute creation und seiner eigenen species angedeihen lassen will. Damit sind die Voraussetzungen entwickelt, auf denen sein ganzes Romanschaffen basiert, vor allem, wenn er noch erklärt: I scorn to impose false colours on the world38) und mit diesen Worten seinen Realismus programmatisch verkündet. 2,24. Mensch und Innerlichkeit

(Joseph

Andrews)

Nachdem die Menschheit in dieser Form sich in Fieldings inneren Interessenkreis vorschiebt, muß naturgemäß jener Wandel eintreten, den wir in der T a t in Joseph Andrews konstatieren können. Bisher war es der enggesteckte Rahmen einer spezifischen Gesellschaft, dessen Inhalte Fielding nur Verhältnisse und Beziehungen darstellen ließen; jetzt hingegen, als er 3

») Champion, Mará li, 1739 40, vol. XV, S. 244. ") Op. cit., Mará 22, 1739140, vol. XV, S. 252. >8 ) Op. cit., Mará 1, 1739/40, vol. XV, S. 226. 42

von der neugewonnenen Position aus zu schaffen beginnt, gewinnt der Mensch den Vorrang vor den Verhältnissen. Das Typische löst sich auf, und wenn es dabei nicht immer individuell wird, so doch in vieler Hinsicht symbolisch. Fieldings feierliche Erklärung in Joseph Andrews zeigt deutlich die Ambivalenz des neuen Starts: I declare here, once for all, I describe not men, but manners; not an individual, but a species39). Deutet der Vordersatz noch einmal auf Fieldings bisherige Intentionen, denn Sitten hatten ihn ja schon in der Komödie interessiert, so weist der letzte Teil ein Novum auf: bisher hatte er allenfalls größere gesellschaftliche Zusammenhänge modelliert, doch an die Problematik der Spezies sich noch nicht gestaltend herangewagt. Dabei ist weiterhin beachtsam, daß er die neue, große Provinz, die er sich erobert hatte, beschreiben will. In seinen Theaterpraktiken hatte er seine Anliegen häufig mit dynamischen Verben ausgedrückt, wie throw, lash, ridicule, ja selbst im Champion steht noch der Satz : to lash mankind into humanity. Nun aber, als der lebendige Mensch in Fieldings Blickfeld rückt, heißt es, daß er die gesdiauten Gesichte nur beschreiben will, ja er verwahrt sich dagegen, eine spezifisch wertende Haltung einzunehmen: as in most of our particular ckarcters we mean not to lash individuals, und im gleichen Atemzug spricht er wieder von den general descriptions 40 ), die er geben will. Was über die Beschreibung hinaus seiner Absicht unterliegt, formuliert er dahingehend: not to expose one pitiful wretch to the small and contemptible circle of his aquaintance, but to hold the glass to thousands in their closets, that they may contemplate their deformity, and endeavor to reduce it, and thus by suffering private mortification may avoid public shame. This places the boundary between, and distinguishes the satirist from, the libeller: for the former privately corrects the fault for the benefit of the person, like a parent; the latter publicly exposes the person himself as an example to the others like an executioner*1). Zwei Dinge werden hier sichtbar: das moralische Telos ist audi in dieses neue Gebiet eingeblendet, jedoch anders als in Fieldings bisherigen Äußerungen. Seine Komödienmenschen waren Typen ungeteilter Art, die daher großenteils sprechende Namen trugen; sie waren Vehikel jeweiliger Gedanken, die mit der Etikette ihres Spruchzettels gegeben waren. Diese Welt beginnt sich nun zu differenzieren. Fielding will nicht mehr ausschließlich Mißstände der Gesellschaft demaskieren, sondern er versucht, den lebendigen Menschen in seiner Alltäglichkeit zu s») Joseph Andrews, III, 1, vol. I, S. 215. *") Op. cit., III, 1, vol. I, S. 216. « ) Op. cit., III, 1, vol. I, S. 215.

43

begreifen und zu fassen. Er appelliert an den introvertierten Menschen, an dessen Innerlichkeit, und dies nicht in theatralischem Schaugepränge sinnhafter Bilder, sondern mit der Empfehlung, in stiller Kammer über diese Dinge nachzudenken. Mit dieser edit humanen Absicht wird der lebendige Mensch in Fieldings Werk geboren, und an Stelle des bunten Treibens seiner Komödien tritt nun die dynamische Bewegung seiner Romane, in denen nicht Augen und Kopf, sondern das Herz seine Adressaten sind. Fielding hat darüber hinaus audi etwas von der Zwiespältigkeit des Menschen enthüllt, von jenem Antagonismus der Innerlichkeit und bloßer verstandesmäßiger Registrierung; er hat eine Kluft entdeckt, die im einzelnen selbst liegt und zwischen der die Hauptfiguren des großen menschlichen Panoramas seiner Romane vielfach hin- und hergerissen werden. Die neue Sicht, die den alten Zwekken der Moral und der Wohlfahrt der Gesellschaft treu bleibt, will Fielding vorerst einmal beschreiben, obgleich der Inhalt wesentlich über bloße Beschreibung hinausgeht. Dieser Entschluß jedenfalls mildert audi Fieldings Reaktion auf die Wirklichkeit und stimmt alles wesentlich gütiger als das zeitweilige Zähneknirschen der Komödie oder gar des Jonathan Wild. Das manifestiert sich nicht zuletzt in der differenzierten Beurteilung der high people, die Fielding nicht mehr als eine homogene Klasse von Libertins betrachtet, sondern die er nun durchaus unterschiedlich wertet und beurteilt 42). Ehe Fielding die in Joseph Andrews gewonnene Bastion in Tom Jones zu einer für seine ganze Zielsetzung gleichnishaften Stellung ausbaut, fallen auf dem Wege dahin Äußerungen, die in ihrer Tendenz vieles von Tom Jones antizipieren. So heißt es in dem 1743 publizierten Essay on the Knowledge of the Characters of Men: laughing at the vices and follies of mankind is entirely innocent . . . yet, surely their miseries and misfortune are no subject of mirth *3). Das einstige Geißeln, das im Champion durchaus noch Geltung besessen hatte, ist hier mit dem Ladien vertauscht worden. Darüber hinaus gibt diese Absicht dem Ziel des Joseph Andrews, das nur im bloßen Beschreiben gelegen hatte, ein gewisses Kolorit. Sie ist weniger pragmatisch-dynamisch formuliert, sondern trägt mehr den Charakter " ) Vgl. Joseph Andrews, III, 1, vol. I, S. 217. Daß in Joseph Andrews noch andere Ziele verfolgt werden, ζ. B. das Lächerlichmachen der affectation, die aus vanity or hypocrisy (op. cit., Preface, vol. I, S. 22) entspringt, ist nicht unbedingt neu, sondern nur eine schärfere und bewußtere Formulierung alter Themata. 43 ) Essay on the Knowledge of the Characters of Men, vol. XIV, S. 286.

44

einer vortastenden Feststellung, wobei insofern das Echo des

Joseph

Andrews erklingt, als Fielding Elend und Unglück von dem ihn unschuldig dünkenden Lachen über die Abnormitäten der Menschheit ausschließt. 2, 25. Das

44

).

Christliche

Abgesehen von tagespolitischen Zwecken, die Fielding bei seinen publizistischen Versuchen äußerte und die mehr die Note des Temporären trugen, als daß sie zu seinem Wesen zählten, eröffnet sich, kaum bemerkbar, ein neuer Bereich, den er sich im Fortgang immer mehr erschließen sollte: das Christentum. Am Anfang weiß man oft nicht genau, ob Fielding einem Dekorum genügt, wenn er positiv von christlichen Dingen spricht, oder ob ihn die Sorge um das Gemeinwohl und das Ideal der Nächstenliebe von dem Nützlichkeitswert der Bibelgläubigkeit überzeugen. In den Komödien, die noch im Verhältnishaften befangen waren, erschienen religiöse Dinge vornehmlich im Gewände der Institution, an der Fielding sehr viel auszusetzen hatte — eine Kritik, die durch einen einzigen Satz verständlich wird, wenn Father Martin in The Old Debauchees Pity! the Church abhors

it45).

sagt:

— Selbst wenn sidi religiöse Fäden bisher

durch Fieldings Werk gesponnen haben, so fehlen spezifische Hinweise auf das Verhältnis, das er selbst zur christlichen Religion besaß. Bisher hatte er sie entweder an den negativen institutionellen Auswüchsen angegriffen oder in Wunschbildern wie Parson Adams inkorporiert, ohne über sein persönliches Empfinden direkt etwas auszusagen. Dieses scheinbare Dunkel beginnt sich allmählich aufzuhellen, wenn er ζ. B. im True Patriot

einen

Brief von Abraham Adams abdruckt — den Fielding natürlich selbst geschrieben hatte - und am Schluß feststellt: I am, while you write like an honest man, and a good Christian,

Your hearty friend Abraham

Adams

).

4e

Indirekt bezeichnet sich Fielding hier selbst als einen guten Christen, spricht jedoch im gleichen Atemzug von sich als honest man und läßt damit die Frage insofern offen, als man nicht weiß, ob die Parität zwischen virtus und caritas diesseitigen oder jenseitigen Quellen entspringt. Wie dem zunächst audi sei, so bleibt der Tatbestand, daß dieser Fielding, der sich an den großen Bereich des lebendigen Menschen in Joseph

Andrews

heran-

) Vgl. dazu ähnlich Joseph Andrews, Preface, vol. I, S. 23. ) The Old Debauchees, I, 10, vol. IX, S. 294. 4β) True Patriot, Jan. 28, 1746, vol. XIV, S. 50.

44 45

45

gewagt hatte, von sich als einem guten Christen spricht. Damit beginnen sich zwei Tendenzen abzuzeichnen, die in Tom Jones eine eigene Schwerkraft erlangen. 2, 26. Die Absichten des Tom

Jones

Das Beschreiben der Menschen in Joseph Andrews und die rückversichernde Feststellung, daß über ihre Laster und Torheiten zu lachen eigentlich unschuldig sei, sind in Tom Jones zu einer dynamisch-bewegten Absicht vereint: 1 have endeavoured to laugh mankind out of their favourite follies and vices47). In diesem Ziel werden alle bisherigen Bestrebungen zum Gleichnis. Alles seither Gewollte war nur partielles und örtliches Genügen dieser schlummernden Intention, die auf Fieldings Gestalterhöhe als generalisierender Zweck sein großes Epos klammerhaft umschließt. In diesem schlichten Satz stecken viele Bestandteile, die nicht unbekannt sind und an manches erinnern, was ihn früher drängte und bewegte. Doch die bisherigen Absichten, in denen Fielding die Menschheit in die Humanität geißeln oder sie nur beschreiben wollte, indem er gegen bestimmte Laster kämpfte und sie lächerlich machte, zogen Grenzen; sie schufen Schranken, die jetzt niedergerissen werden, als er die Frage der Menschheit umfassender und souveräner angeht. Erst dadurch erhalten seine Absichten jene Dynamik, die sich in der Gültigkeit seines großen Epos manifestiert. Das Lachen zaubert dann jene gütige Stimmung, die mehr vom weltweiten Verstehen Fieldings zeugt als jenes to lash mankind des Champion. Die Absichten des letzteren, das Ziel um jeden Preis zu erreichen, werden jetzt von einer toleranteren und gemäßigteren Haltung abgelöst, die nicht zuletzt in den Worten endeavour und laugh zum Ausdruck kommt. Es ist ja hier auch nicht mehr eine anonyme Masse, die der einstige Herausgeber und Komödiendichter vor sich hat, sondern der introvertierte einzelne, den er seit Joseph Andrews kannte, jenes Lebewesen, das mit dem Namen „Mensch" durchaus noch nicht bezeichnet war. Dies war vielmehr nur eine Hülle, unter der es arbeitete, rang und gärte, bei jedem anders, immer verschieden, unendlich individuell. Wie stark dieser introvertierte Mensch mit dem Herzen ebenso selbständig gegeben war wie mit dem Kopf, zeigt ein Hinweis, den Fielding dem Leser gibt, wenn er seine sagacity anregen will und in diesem Zusammenhang davon spricht, er solle travel through our pages with . . . pleasures or profit to thyself48). Dieses or deutet auf den ") Tom Jones, Dedication, vol. III, S. 12 f. 4β ) Op. cit., XI, 9, vol. IV, S. 295. 46

Faktor hin, der Fielding seit Joseph

bewußt geworden war. In

Andrew

seiner Komödie hatte es nodi geheißen: to divert,

instruct, and mend

man-

kind, wobei die Menschen nach einem einheitlichen Maßstab gemessen wurden und das Wort mankind

eher eine ungefüllte Metapher als Inhalte dar-

stellte. Jetzt ist es der einzelne Leser, dem die Möglichkeit geboten wird, nach seiner innersten Disposition zwischen pleasure

oder profit

auszu-

wählen. Audi im übrigen Werk ist es der jeweilige Leser, den Fielding für sich allein apostrophiert und dem er seine Absichten mitteilt: my reader will find in the whole to the cause of religion rules of decency,

and virtue,

nothing

nor which can offend

On the contrary, hath

course of it (d. h. Tom

I declare,

been my sincere

that

endeavour

Jones)

nothing

inconsistent

prejudicial

with the

strictest

even the chastest eye in the

to recommend in this history

goodness 49 ).

. . .

and

perusal. innocence

Mit diesem Bekennt-

nis hat Fielding die Grundanliegen seines großen Epos unmißverständlich umrissen; es ist der traditionelle Fieldingsche Wertbestand, der das Geschehen des Tom

Jones

strukturiert. Dabei fällt nicht allein die Geschlos-

senheit der bisherigen Absichten Fieldings ins Auge, sondern

auch der

Akzent, der auf der Wahrung religiöser Vorstellungen liegt, deren Belange er kategorisch vertritt. Dieses Bestreben erweist sich als deckungsgleich mit jenem Epitheton des guten Christen, das sich Fielding im True Patriot legte. Und es bleibt beachtsam, daß in Tom Jones,

zu-

in dem die dynamische

Blickrichtung auf die Problematik der Menschheit Fielding zu einem gewissen Gipfel führt, die Sache der Religion sein Vorhaben bestimmt. Die in seiner ersten Komödie sich strichhaft abzeichnende Richtung hat sich nunmehr zu einem festen Gebäude seiner Intentionen erweitert, die zum Gerippe seiner gestalterischen Möglichkeiten werden. Wie sehr auf der errungenen Höhe dieser humanistischen Gefilde das Herz Fieldings weiter wurde, beweist sein Verlangen nach überzeitlichem Ruhm. Betrachtet er sich schon im Champion

als einen spendenden Segen,

als die Menschheit anfing, erlebter in sein Blickfeld zu rücken, so heißt es jetzt, als ihm das menschlich-alltägliche Dasein zum Gleichnis wird: Foretell

me that

hereafter, worth

when,

which

once

breast send forth 4β)

some under

tender the

existed

whose name

in my Charlotte,

the heaving

Tom Jones, Dedication,

maid,

ficticious

grandmother of Sophia, shall

from

is yet

she reads her

unborn, the

real

sympathetic

sigh. Do thou teach me not only to

foresee,

vol. III, S. 11 f. 47

but to enjoy, nay, even to feed on future praise. Comfort me by assurance that when the little parlor in which I sit at this instant reduced to a worse furnished box, I shall be read with honor who never knew nor saw me and who I shall neither know nor

a solemn shall be by those see 50).

Neben diesen kühnen Flügen, die aus der tiefen Empfindung heraus schwingen, geschaut und gestaltet zu haben, stehen Sätze, die den großartigen Einbruch des gesamten Lebens in die Dichterseele anders verdolmetschen. - Bei jenen Grundbedingungen, die das Gitterwerk von Fieldings Komödien bilden, waren Natur und Wahrheit Edipfeiler dieses ganzen Baues gewesen. Sie sind es auch in Tom Jones durchgängig geblieben; sie koordinieren das Geschehen und bestimmen dessen immanente Festlegung. Dennoch finden sich Bemerkungen wie: 7 am not writing a system, but a history, and I am not obliged to reconcile every matter to the received notions concerning truth and nature51). Hier, da Fielding das Leben als Geschichte faßt, als Evolution und nicht als statisch-systematisches Sein, da treiben auf diesem Strom Dinge mit, die sich nicht ohne weiteres mit den immanenten Koordinaten von N a t u r und Wahrheit erfassen lassen. D a ß diese Dinge darüber hinaus quellen, ist hier noch nicht gesagt, aber die Geschlossenheit des humanistisch-diesseitigen Horizonts ist nicht mehr unmittelbar gegeben. Das wird an anderer Stelle, wenn auch in ganz anderem Zusammenhange, mit dem Wort cause of religion gekennzeichnet und deutet auf die spätere Entwicklung.

2, 27. Die partikularen

Ziele des

Alters

Alles das, was sich in Tom Jones monumentalisiierte, wird in der Folgezeit aus diesem Bau ausgefaltet, um vielfach wieder alltäglichen und partikularen Zielen dienstbar gemacht zu werden. Es sind dies Ziele, die nicht mehr viel Neues bringen, die dabei aber dodi viel von der Bescheidung des beginnenden Alters offenbaren. Die tägliche Erfahrung führte Fielding von den Höhen des Tom Jones wieder in die weitverzweigten, o f t engen und kurzen Täler des Löbens zurück, und wie die Täler zu den Gebirgen gehören, so die von Fielding später kundgetanen Absichten zu seinem Gesamtziel. In der Charge delivered to the Grand Jury sind es die liberties and privileges of th) Vgl. J o e l , II, S. 80. 7β ) W i 1 d e , S. 127.

72

Gesinnung in der Literatur und im Leben der Gesellschaft zu neuen Ehren gebracht hat, jedoch auf Kosten der Frömmigkeit. So gelten beispielsweise für den frühen Voltaire Gottheit und Unsterblichkeit nur noch als Postulate des sittlichen Gefühls, und der Glaube daran war eine Bedingung für das sittliche Handeln: si Dieu

n'existait

pas,

il faudrait

l'inventer77).

Hierin bestand die essentielle Schwäche des Deismus. Die sittlichen Postulate waren im Grunde zu kalt, und jenes apostrophierte Naturgesetz war eine zu abstrakte Konzeption, als daß auf die Dauer bewegende Lebendigkeit davon hätte ausgehen können. Dazu nahm das optimistische Credo alle Stimulanz religiösen Fühlens: jene tiefe Einsicht in die Übel des Lebens und die dunklen Unberechenbarkeiten des Menschen. Die Konzentration der deistisdien Religion lag in der Vernunft des Menschen, so daß nun aus dem Herzen des Menschen die Expansion eines neuen religiösen Fühlens und Empfindens erfolgte. Hier hat die Aufklärung als das System menschlichen Wissens gegen das System des Glaubens ihren Kulminationspunkt erreicht. Nicht ewige Seligkeit, sondern irdische Glückseligkeit war den Aufklärern Ziel des Lebens. Allerdings war diese irdische Glückseligkeit keine Tatsache, sondern blieb immer Aufgabe. So, wie der Christ um das ewige Heil gerungen hatte, kämpfte der Aufklärer um sein ureigenstes Ideal, um am Ende zu der Erkenntnis der Unmöglichkeit immanent erfüllbaren Lebensglückes zu gelangen. Der Mensch macht sich daher nun, der Stimme des Herzens folgend, wieder auf den Weg, jenseits des Lebens sein Heil zu suchen. Mystisch, grübelnd und unendlich sehnsuchtsvoll sind die Stimmen, die sich mit L a w erheben und über die Grabes- und Nachtpoesie hin in den religiösen Erweckungsbewegungen des Methodismus und Evangelikaiismus zu vollem Klang kommen. Die Religion wird subjektiv und emotional,

nachdem sie bislang historisch

und rational

gewesen war 7 8 ). Vom logischen Argument verinnerlicht sich das Christentum zu den Gefühlswerten der Seele, durch die nunmehr Gott spricht

7e )

und den in seiner Weltleidenschaft enttäuschten Aufklärer erlöst. 3,114.

Die

Vermenschlichung

anderer

Lebensgebiete

Die Aufklärung war „eine Gesamtumwälzung der Kultur auf allen Lebensgebieten"

80 ).

Sie war eine dauernde Lösung, Scheidung und Ana-

lyse alles Kolossalen der verflossenen Epoche; eine fortwährende Befreiung 77 )

Zitiert nach W i n d e l b a n d , S. 415. S t e p h e n , English Thought, II, S. 40 f. Ibid., II., S. 415. 80) T r o e l t s c h , Art. Aufklärung, Realenzyklopädie, II, S. 225. 78)

73

des Menschen, die zu einer Vermenschlichung aller Dinge trieb. Was die Vorgänge in der Erkenntnistheorie, der Moralphilosophie und auf religiösem Gebiet kennzeichnet, ist in viel stärkerem Maße Motiv der gesamten kulturhistorischen, sozialen und literarischen Entwicklung. Überall dieselbe Tendenz der Klärung, Partikularisierung und Privatisierung des Lebens. Die Erschütterungen des Dogmas und das Erweichen der konfessionellen Unterschiede hoben wesentliche Trennungslinien von Mensch zu Mensch auf und machten einer weitherzigen Toleranz gegen Andersdenkende Platz 81 ). Die geistliche Macht - im 17. Jahrhundert die universalbindende — formte sich um zu einem dogmatischen Liberalismus, der vor allem den Horror der Hochkirche ' vor Dissent und Sekten einschmolz. Ein allgemeines Wohlwollen begann sich auszubreiten, zu dessen Anwälten die moralischen Wochenschriften wurden mit dem Ziel, wie es im Spectator formuliert ist: to inspire my countrymen with mutual goodwill and benevolence 82 ). Diese konziliante Gesinnung bereitete den Boden für die philanthropische Tätigkeit vor, die zu einem Signum der Aufklärung wurde. Sie ist eine Form der säkularisierten Nächstenliebe, die die Tugend immanent in der menschlichen Glückseligkeit verankert und sie herauslöst aus den transzendenten Bestimmungen von Belohnung und Strafe. Wie stark Zeitgenossen diesen Zug des 18. Jahrhunderts empfanden, beweist etwa Sir Frederice Morton Eden, wenn er von dem age of benevolence 83 ) spricht, dem Jahrhundert, in dem das Wohlwollen als Herzensgebot dem Leben eine freie Heiterkeit aufprägte 84 ). Stand Pope dem Menschen noch als eine Art Philosoph gegenüber, so wollten ungezählte Neue dem Nächsten helfende Christen sein 85 ). Die philantropische Betätigung wandte sich daher vornehmlich Armen, Notleidenden, Kranken, Invaliden und sittlich Gefallenen zu. 1740 wird ein Findlingshospital errichtet, zu dessen Gunsten Händel seinen Messias schrieb; es folgen Gründungen von Charity-Schools für die Armen 8e ) und ein Hospital für reuige Prostituierte im Jahre 1758 87 ). Die gesamte Literatur von Thomson über Hervey und Goldsmith bis hin zu Cowper reflektiert diesen Zug in einer fortdauernden Rechtfertigung des armen Mannes als literarischem Motiv und steht damit ganz im Gegensatz zu den pseudoklassizistischen Anfängen des ")Thomas,S. 8S ) F. M. E d e η , 85) S c h ö f f l e r , 8») T h o m a s , S.

74

5 . - ® ) Spectator, No. J!6, vol. X I I , S. 53. I, S. 359. - 8 4 ) F e h r , S. 198. Protestantismus und Literatur, S. 174. 15. - " ) Ibid., S. 14.

Jahrhunderts, als der Arme nur von Ferne gesehen wurde und meist die Folie für Handlungen der Standespersonen abgab 88 ). Dieser Strom wird begleitet von Wogen warm-mitfühlenden Denkens, die im Laufe des Jahrhunderts anschwellen und sich in der romantischen Glorifizierung des humble life brechen. Philanthropisch Gesinnte gibt es in allen Kreisen, selbst hinauf bis zu den Personen des high life, die dies wenigstens als Modesache betreiben 89 ). — Schon früh regen sich Stimmen gegen das bestehende Strafrecht. 1677 fällt die Todesstrafe wegen Irrlehre, und der Vagrant Act von 1744 strebt eine gerechtere Strafe für die Vagabunden an. Oglethorpe weist auf die schlediten Gefängnisverhältnisse hin und erreicht 1729 wenigstens eine parlamentarische Untersuchung der grausamen, fast mittelalterlichen Gefängnismethoden 90 ). John Howard wird in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts der große Apostel, der die Humanisierung der Strafe predigt und erhebliche Verbesserungen im Gefängniswesen erzielt, womit er zum Vorläufer von Romilly, Mackintosh und Peel wird 91). Überall herrscht ein Streben vom Redit über den Menschen zu einem Redit des Menschen, das aus den philanthropisch gerichteten Tendenzen spricht. Eine evidente Bestätigung erfährt dieser allvermenschlichende Zeitgeist in der schöngeistigen Literatur, die zu einer Zeit der virulenten ö k o nomisierung des englischen Denkens ihre Ethisierung erfährt 92). Der Philanthrop begegnet uns in den verschiedensten Gestalten. Als Kaufmann in der Gestalt des Paulo (Tatler 25), als Tom the Bounteous (Spectator 46), als Eubulus (Spectator 49), als Fairbanks (in Farquhars Twin Rivals) und als Thorowgood (in Lillos The London Merchant). Er begegnet uns als Feldherr im Spectator (84 und 152) und in Rowes Tamerlane, in dem er eine natürliche Liebe für das Volk zeigt, selbst nach glorreichen Siegen ein Freund der Menschheit bleibt und sich nicht wie der Marlowesche „Kraftmeier" gebärdet. Das sentimentale Drama mit seiner fast aprioristischen Gläubigkeit an die Güte der menschlichen Natur ist voll von philanthropischen Figuren und Gesinnungen, von Cibbers Sir Friendly Moral über seinen Mister Manly bis hin zu Aaron Hills Courtney 9 3 ): alles Beispiele und Vorstudien, die im großen englischen Roman in den verschiedensten Schattierungen wiederkehren 94). ) "») *2) •3) M)

88

S c h ö f f l e r , Protestantismus und Literatur, T h o m a s , S. 16. - M ) Τ u r b e r ν i 11 e , S. S c h ö f f l e r , Protestantismus und Literatur, Näheres vgl. Τ h o m a s , S. 18 ff. Über die Philantropie bei Fielding vgl. ibid.,

S. 177. 322. - »i) Ibid., S. 335. S. 177. S. 28 if.

75

Der beständige Abbau alles Organisierten, alles Monumentalen und alles Schrankenhaften im Dienste der ständig schweifenden Suche nach dem Menschen brachte es mit sich, daß in der Aufklärung die Familie und deren Leben weitgehendst humanisiert wurde. Bedeutete für Baxter die pars imperans und pars subdita die selbstverständliche Struktur der Familie· 5 ), schrieb noch Lord Halifax, der Großvater Chesterfields, um 1700 in seinem Rat an eine Tochter: „Wenn du bei deinen Kindern bist, so mußt du auf dich aufpassen, als ob du unter deinen Feinden wärest" ββ), so bringt nun die Aufklärung die Familie wieder zu Ehren. Sie jedoch in der Kunst zu verherrlichen, wie es das 18. Jahrhundert tat, konnte nur einer Periode in den Sinn kommen, die jenseits heroischer und galanter Ideale stand 97). Daher bezeichnete noch Dryden in Conquest of Granada (II, 3,1) die Ehe als eine Falle und einen Fluch der Liebe. Hand in Hand mit dieser Auffassung ging die Mißachtung der Frau, die sich in den aristokratischen Zirkeln noch bis hinein in das 18. Jahrhundert hielt. Colley Cibbers The Careless Husband (1704) reflektiert die Situation der Jahrhundertwende, wenn das Weib die Blinde gegenüber den Verfehlungen des Mannes spielt. In der gleichen Weise ist durch den Motivimport der Restorationskomödie zu Anfang des Jahrhunderts im Drama die Ehe oft noch Gegenstand des Witzes. Für jenen Zug der stillen Behaglichkeit des häuslichen Friedens, für den verschwiegenen Reiz des Heimes mit dem verinnerlichten Glück des Familienlebens werben erst die moralischen Wochenschriften 98), wenn sie auch diarakteristischerweise für den Beginn dieser Entwicklung bisweilen eine unsichere Stellungnahme beziehen " ) . Sehr bald aber schon wachsen in der vom Bürgertum getragenen Literatur die Begriffe von Tugend und Familie so eng zusammen, daß in Addisons Cato aus dem großen Römer ein empfindsamer pater familias wird 10°). Der Satz: Familiarity breeds contempt scheint seine Bedeutung verloren zu haben, und die Kluft zwischen den Generationen beginnt sich zu schließen 101). Damit wächst auch die Figur des Kindes in ihrer literarischen Bedeutung, ein Prozeß, der dem Zug der Zeit entspricht, die entgegen dem 17. Jahrhundert die Blicke nach unten auf die ehrliche Einfalt, das Glück der HütM

) S c h i i c k i n g , Familie im Puritanismus, S. 165. - •·) Ibid., S. 167. 25) Op. cit., VIII, 10, vol. IV, S. 113. 126 ) Vgl. op. cit., VIII, 15, vol. IV, S. 151 f. m

va)

138

bleiben mußte — m ) wirft apokalyptische Schatten auf eine Empfindungswelt, in der das reine Herz und das mitmenschliche Wohlwollen 128 ) die Triebfedern der Individuen sind 129 ). 3,218. Der Mensch zwischen Wirklichkeit

und Glauben

(Amelia)

Die Zeitlichkeit, die dem Menschen Tom schon erheblich zu schaffen gemacht hatte, gewinnt durch die Einsichten Fieldings als Richter von Bow Street in seinem Werk weiter an Macht. Hatte der Held des großen Romans, der selbst nicht immer tadelfrei war, schon zahllose Klippen zu umschiffen, so muß Captain Booth — die männliche Hauptfigur von Fieldings letztem Roman — noch viel größere Gefahren bestehen. Das Leben war längst nicht mehr die von unerhörtem Vertrauen erfüllte, gradlinige Wanderung Adams', noch war es die teils frohe, teils traurige, im Zickzack verlaufende Erlebniskette des reuigen Sünders, sondern es wird nunmehr eine Kunst: this most useful of all arts, which I call the AKT OF LIFE «»). Schon der Hintergrund der Amelia ist von einer krassen Realistik, und während uns Tom wohl auch an zweifelhafte Plätze führte, erleben wir mit Booth korrupte Gerichte und die ekelerregenden Kerker der Londoner Schuldgefängnisse. Es fehlen die romantischen Begegnungen, die Tom einst auf der Landstraße mit dem highwayman hatte, und statt dessen trifft Booth Gestalten wie die syphilitische Blear-eyed Moll der Londoner Slums 131 ). Die ländlichen Szenen sind spärlicher und fast gänzlich von dem hektischen Treiben der Großstadt verdrängt. Das einstige Netz großstädtischer Intrigen, das in Tom Jones mehr eine Randschattierung des Hauptgeschehens gewesen war, zieht sich nun wie ein Schicksalskreis um die Hauptpersonen. Leidenschaften am Spieltisch, Kuppelei der Ehelä7

) Vgl. Näheres Kap. 3, 221, S. 155 f.

12e

) Im Essay on the Knowledge

of the Characters

sagt Fielding, der gute Mensch besitze general

of Men, vol. X I V , S. 303,

philanthropy.

12») Völlig verfehlt ist das Urteil von Richard H a a g e ,

S. 125: „Es kommt

Fielding, das zeigt jede Zeile seines T . J . wie audi des J . A. deutlich, nur darauf an, den Leser durch das Komische, das Lächerliche zu unterhalten und zu erfreuen. Die Belehrung, von der er spricht, ist für ihn nur ein Nebenzweck. Es scheint überhaupt, daß Fielding den didaktisch-moralischen Finger nur manchmal erhebt,

damit

man ihm von puritanischer Seite nicht

gar zu sehr

über die

Immoralität seines im Ganzen doch recht fragwürdigen Helden, der zum Schluß - ganz im Sinne des Restaurationslustspiels - unverdient belohnt wird, herziehen sollte."

130

) Amelia,

I, 1, vol. VI, S. 14. -

131

) Vgl. W i l l c o c k s ,

S. 234.

139

männer, Prostitution, Zuhälterei, Duelle, Verführungen, Verzweiflung 132), Korruption 1 3 3 ) und Ungerechtigkeit bilden den Motivreigen dieses Romans, der die Hauptpersonen schwer bedroht. Dieses soziale Milieu, das einstens mehr Folie für die Aktionen des Helden gewesen war, ist hier zu einem durchaus ebenbürtigen Handlungspartner angewachsen 134), der auf weite Strecken das Verhalten des Menschen diktiert. Wanderte der fehlbare Mensdi von Fieldings großem Epos noch auf ebenen Straßen zur Erfahrung, so watet Booth in den sumpfigen Niederungen des Großstadtlebens zum Heil. Auch er ist wie Tom durch eine Reihe von Epitheta gekennzeichnet, angefangen von Amelias überschwänglichem Lob: he is the best, the kindest, the worthiest of all his sex... His extreme vivacity makes him sometimes a little too heedless; but,... a more innocent heart or one more void of offence, was never in a human bosom 135) bis hin zu Doktor Harrisons — des Wunschbildes — Feststellung: 1 really think he deserves no compassion 13e). Dieser im Herzen gute, aber sonst bis ans Unvergebbare gebrechliche Booth marschiert nun in die Fülle des Lebens hinein und wird oft ein willenloses Opfer des Zaubers der Verlockungen. Er liegt in den Armen einer Kurtisane, verspielt kärglich zusammengekratztes Geld und trinkt in den Tavernen — kurz, jede Versuchung und Schwierigkeit des Lebens läßt ihn sdieitern 137). Das Ausgewogensein von Welt und Innerlichkeit scheint aufgehoben, und die erbarmungslose Wirklichkeit beginnt, den Menschen zu treiben. Diese Situation aber hat für den menschlich-allzumenschlichen Booth insofern ihre eigene Schwere, als er sich jederzeit seiner Verfehlungen bewußt ist. Nachdem er den Reizen von Miß Matthews ziemlich willfährig erlegen war 138), empfindet er Amelia gegenüber his own unworthiness 13β), hat jedoch too much pride, to confess his guilt, and preferred the danger 132 ) Vgl. die Geschichte von Miss Matthews, Amelia, I, 6, vol. VI, S. 39 ff. Die Kurtisane spricht von that monster man. 133) v g l . die Handlungsweise von Justice Thrasher, Amelia, I, 2, vol. VI, S. 17 f. 134 ) S t u d t , p. 15, hat daher richtig beobachtet, wennn sie meint, daß im Vergleich mit Fieldings anderen Romanen hier die direkte Charakterisierung völlig fehle. Das stimmt insofern, als die Gestalten ihre Plastik erst in der Auseinandersetzung mit der "Wirklichkeit erhalten. 135 ) Amelia, VI, 3, vol. VI, S. 288 - 13e ) Op. cit., X I I , 3, vol. VII, S. 301. 137 ) Vgl. u. a. op. cit., XII, 3, vol. VII, S. 301; ferner W i l l c o c k s , S. 235. 13S ) Fielding sagt dazu: Fortune seemed to have used her utmost endeavors to ensnare poor Booth's constancy. Amelia, IV, 1, vol. VI, S. 175. 139 ) Op. cit., IV, 3, vol. VI, S. 186.

140

of

the

highest

inconveniences

to

the

certainty

of

being

put

to

the

Hier hat sich die Kluft in der Seele des Menschen wesentlich

blush140).

vertieft. Toms Herzenskonflikte waren den Folgen seiner Unbedachtsamkeit, Unerfahrenheit und Schwäche entsprungen; denjenigen von Booth hingegen ist die empirische Welt mehr ein bloßer Anlaß für die Auseinandersetzung der heteronomen Eigenschaften seiner Seele. Tom hätte nie mit Bewußtsein ein negatives Charaktermoment an Stelle eines positiven akzentuiert, wenn es um eine innere Entscheidung gegangen wäre, und dort, wo er sich auf die Seite seines weniger moralischen Naturells schlug, geschah es entweder aus der Unkenntnis der Dinge oder aus der Umwandlung einer ursprünglich gut gemeinten Absicht in eine schlechte, die durch die Wirklichkeit erfolgte. Dagegen entschließt sidi Booth aus Mangel an innerer Bereitschaft, der negativen Stimme seiner Seele zu gehorchen. Das ist zweifellos eine weitere Ernüchterung des Menschenbildes, die um Erhebliches über die Atmosphäre des Tom

Jones

hinausführt. Wie die Rie-

senschatten der Wirklichkeit existenzbedrohend auf die Menschenwelt der fallen, so wird der Alltagsmensch Booth, obgleich er ein

Amelia

gutes

Herz besitzt, von einer tiefergehenden Zerrissenheit durchschnitten. Daraus muß zwangsläufig eine permanente Qual wachsen, die Tom immer nur okkasionell spürte, wenn er mit dem ihm nicht gerade hold gesinnten Leben zusammenstieß. Booth hingegen kann keine Ruhe mehr finden denn much more tenance

was altered

not indeed

quick-sighted...

is guilt

from being the picture

to sourness and moroseness,

than innocence. of sweetness

but to gravity

Booths

and good

141 ),

counhumour,

and melancholy

142).

So erscheint uns das folgende Benehmen von Booth als eine fortwährende Abwandlung der durch die Schuld geteilten Innerlichkeit, angefangen von der sagenhaften Leichtgläubigkeit an die Güte eines ehemaligen Freundes, in dessen Dienst er an Amelia hätte 1 4 3 ), teilen

144 ),

hindeuten

beinahe eine Art Zuhälterrolle

gespielt

bis zu seinen hitzigen und übereilten Entschließungen und Urdie auf den innerlich friedlosen und schuldgetriebenen Booth 145 ).

»») Amelia, IV, 5, vol. VI, S. 203. l41 ) Vgl. op. cit., IV, 2, vol. VI, S. 282. - >42) Op. cit., VI, 2, vol. VI, S. 281. 143) Vgl. op. cit., IX, 4, vol. VII, S. 136 ff. Desgl. op. cit., IX, 6, vol. VII, S. 148 ff. 144) Vgl. op. cit., IX, 5, vol. VII, S. 269 ff. 145) Das gesteigerte Erlebnis der Zeit, das Fielding in Amelia zum Ausdruck bringt, läßt nunmehr Joesten, die behauptet, Fielding sei ein Stoiker, unsicher werden. Vgl. Joesten, p. 18, und zur näheren Auseinandersetzung mit Joestens These Kap. 5, 7. 141

Der Mensch, der mit der Zeitlichkeit, der eigenen Unzulänglichkeit und inneren Zerrissenheit schwer ringt, weil er im Herzen gut ist, bedarf zu seiner Entsühnung leuchtenderer Beispiele, als sie das humanistische Fluidum des Tom

Jones

erzeugt hatte. Daher flammen in Fieldings letztem

Roman die beiden Booths Handeln überspannenden Pole heller und idealer auf als ehedem; der eine Pol ist Amelia, der andere der Geistliche Doktor Harrison. Andrews

Es herrscht also das gleiche Strukturprinzip, das in

Joseph

wohl angelegt, jedoch nur schwach aktuell geworden war, das

aber in Tom

Jones

dann die segensreiche Polarisation für den Helden

bildete und nun auch den sich verzweifelt wehrenden Booth erlöst.

Je

schwerer der Kampf des „gemischten" Charakters wird, umso mehr bedarf er reiner und lauterer Seelen zu seiner inneren Heilung, denn Fielding bleibt der gläubige Humanist, dessen einstiges Pathos zwar verweht war, dessen optimistisches Ethos jedoch Geltung behält. In der Gestalt der Amelia setzt Fielding seiner Menschgläubigkeit das größte und sichtbarste Denkmal gerade dadurch, daß er aus dem naturalistischen Getriebe unterschwelliger Leidenschaften diese Lichtgestalt aufsteigen läßt, um die kalte Seellosigkeit dieser asozialen Welt zu durchwärmen. Doktor Harrison sagt daher von Amelia: She has a sweetness temper, a generosity a true Christian perfection

of spirit, an openness

disposition

of human

14e

). Und Booth: I found

nature ). 147

of

of heart — in a word, she hath in my Amelia

every

Sie ist Liebe, Ehre, Tugend und Ver-

gebung in Fieldings höchster Form. Ihre Liebe ist allüberflutend und Zeugnis für die Macht der Innerlichkeit gegen die Niedertracht des Lebens; so heißt es von ihr: though Fortune

may make

thee often unhappy,

and irreparably

miserable

without

she can

never make

thee completely

thy

148

own

consent ).

Dieses Überlegensein des Herzens konnte aber nur aus einem

Glauben

fließen, den Amelias Dichter mit ihr teilte und der über die

Grenzen immanenter Gültigkeit hinausreichte. So deutet schon Harrisons Wort von der Christin Amelia auf den Quell ihrer Kraft hin, und auch ihre geistige Beschäftigung

weist auf diesen Glauben

neben ein paar Theaterstücken und Gedichten conversed divinity

of the great and learned

the excellent

Bishop

Dr. Barrow,

zurück, wenn sie only with

and with the histories

the of

Burnet149).

) Amelia, IX, 8, vol. VII, S. 161. - 147) Op. cit., II, 8, vol. VI, S. 98. ) Op. cit., VIII, 3, vol. VII, S. 77 f. - " · ) Op. cit., VI, 7, vol. VII, S. 309.

14β 14β

142

Sicherlich ist in Amelia viel von dem Streben dieses Jahrhunderts nach Perfektibilität mit hineingeflossen 150 ), verbunden mit den Reminiszenzen Fieldings an seine verstorbene Frau; doch nur ein seelisches Erlebnis konnte diese klare Gestalt aus sich hinaussetzen, die in gleicher Weise ein Tabernakel der verlorenen Welt ist wie der aus der Exuberanz einer der gewaltigsten Seelen der Moderne aufgebrochene Aljoscha in Dostojewskijs masows.

In Amelias Mutterliebe und den

Kara-

innigen Verbindungen ihres

Familienlebens symbolisierte Fielding am reinsten die Kräfte der Seele und der Liebe 1 5 1 ). So ist aus der kindhaften Sophia, die der ungestüme Tom umwarb, in Amelia die Mutter und Gattin in einer exemplarischen Reinheit und Idealität geworden, deren Booth bedurfte, um nicht in die Abgründe seiner eigenen Seele zu fallen. Doch auch der andere Pol, der die Leiden des matter werdenden Weltmenschen umspannt, ist eine Überhöhung der vorangegangenen Wunschbilder Fieldings. Rein äußerlich wird dies dadurch offenkundig, daß aus dem einstigen humanistischen country

squire Allworthy ein Geistlicher ge-

worden ist, der das Geschehen lenkt 1 5 2 ). Harrison ist weit mehr der Prediger, als es der quichotische Adams gewesen war, so daß er manchmal die Wahrscheinlichkeitsübersteigende Bedeutung eines deus ex machina hält

153 ).

er-

Selbst die Kurtisane zollt ihm höchstes Lob, wenn sie in der glei-

chen superlativischen Form, in der alles Gute in diesem Roman gepriesen wird, von ihm sagt, er sei one of the best men in the world Harrison

bleibt ein

wesentlicher Beziehungspunkt

154).

des

ganzen

Ge-

schehens, das er ordnend und sinngebend bestimmt. Als Amelia an der Menschheit verzweifeln will, antwortet er ihr: Do not make so much to the dishonor from

being in itself

coveting

praise

evil;

and honor,

of the great it abounds

into vice

The

nature

with benevolence,

and shunning

tion, bad habits, and bad customs, long as it were

Creator.

debauch

shame

a

charity,

and disgrace.

our nature,

conclusion

of man is far and Bad

and drive

pity, educa-

it

head-

155).

So wird Jahrzehnte vor der Botschaft des Genfer Naturpropheten das empirische Treiben in Fieldings letztem Roman von dem Glauben an die Werte der naturhaften Innerlichkeit des Menschen überströmt, da Gottes lä0 )

Vgl. W i l l c o c k s , S. 237. Vgl. Amelia, VIII, 4, vol. VII, S. 78 f. Desgl. op. cit., VIII, 3, vol. VII, S. 72 f. 152) W i 11 c o c k s , S. 237. - 153) C r o s s , Novel, S. 56. 154) Amelia, II, 3, vol. VI, S. 79. 155) Op. cit., IX, 5, vol. VII, S. 145. 151)

143

Kreaturen für gut gehalten werden. Auf dem Scheitel des Jahrhunderts vollzieht Fielding die Wende, indem er die innere, unverdorbene Natur dem rationalen und verdorbenen Außen entgegensetzt. Tom hatte sich im Laufe seines Lebens nodi gewisse Erfahrungsregeln wie Klugheit und Umsicht anzueignen, um es besser bestehen zu können und um glücklich zu werden; Booth hingegen wird geheilt, indem er auf den Wogen reinen Gefühls zu jener Höhe getragen wird, auf der ihm der Sinn des Christentums aufgeht. Als Booth vom Elend endgültig geworfen scheint, befällt ihn eine manische Gewissensangst, in der er seine Torheiten bereut, vor Amelia Geheimnisse gehabt zu haben 1 5 e ). Amelia jedoch kannte schon lange das Geheimnis des Ehebruchs, das Booth ihr verschweigen wollte, und hatte ihm schon lange verziehen 157 ). Durch Amelias Liebe und Harrisons Weisheit erlebt Booth seine Bekehrung zur Religion; so beteuert er Harrison seinen Glauben, der nunmehr sincere sei: I never was a rash disbeliever; my chief doubt was founded on this — that as men appeared to me to act entirely from their passions, their actions could have neither merit nor demerit158). Darauf antwortet ihm Harrison: A very worthy conclusion truly!... but if men act, as I believe they do, from their passions, it would be fair to conclude that religion to be true which applies immediately to the strongest of these passions, hope and fear; choosing rather to rely on its rewards and punishments than on that native beauty of virtue which some of the ancient philosophers thought proper to recommend to their disciples 1δ9). Die Wende zum Christentum, die Booth vollzieht, war nur die richtige Fortsetzung seiner formal ordnungsgemäßen Lebensanschauung; das Weltleben hatte ihn nur eine andere, falsche Interpretation gelehrt. Denn dauernd bemächtigte sich das reale Geschehen seiner inneren Natur und verdunkelte seine Seele, die die Wirklichkeit nicht mehr zu gestalten vermochte. Das Gefühl Amelias schmolz die seelische Verhärtung dieses verstockten Sünders, der nun, vom christlichen Glauben erfaßt, sich in seiner Schuld läuterte. 15e

) Vgl. Amelia,

X I , 9, vol. V I I , S. 288.

' ) Vgl. op. cit., X I I , 2, vol. V I I , S. 295 ff.

15

) Op.

15β

)

159

cit., X I I , 5, vol. V I I , S. 313.

Op. cit., X I I , 5, vol. V I I , S. 313. Die ohnehin redit oberflächliche Arbeit

von F r ö h l i c h erreicht, S. 13, einen gewissen Höhepunkt ihrer verfehlten Feststellungen, wenn es heißt: „Der religiöse Glaube Fieldings ist wenig ausgeprägt. Darin zeigt sich der Einfluß des Deismus." Man fragt sich, ob Fröhlich Fielding überhaupt ganz gelesen hat.

144

Fielding stand in diesem R o m a n vor einer entscheidenden weltanschaulichen Frage. Ein Jahrhundert später hätten die großen Realisten aus der gleichen Anlage des Stoffes etwas ganz anderes gemacht^ indem sie der Logik den Vorrang vor der Innerlichkeit eingeräumt hätten. Booth wäre deportiert, und Amelia die Mätresse von James geworden 1 β 0 ). Dem unbarmherzigen

Debakel

des Naturalismus

entging

Fielding insofern,

als

seine unverzagte Gläubigkeit an die seelenvolle und reine Menschlichkeit den Fluch menschlicher Schwäche entsühnte, deren Läuterung jedoch erst im Glauben einsetzte. Zwischen Naturalismus und Transzendenz entschied sich der Realist wie der Humanist Fielding zugunsten des letzteren. Die Schärfe der Alternative angesichts des großen Einbruchs der empirischen "Welt verwehte den sonnigen Humor, mit

dem er einstens

die

Inkon-

gruenzen" des Daseins ausbalanciert hatte. Die Ebenen, die es jetzt zu harmonisieren galt, differierten zu stark, als d a ß sie im Humor, der letzten Möglichkeit des

auf sich selbst gestellten Menschen, hätten

ausgeglichen

werden können. Amelias reine Humanität bereitete im Grunde nur das vor, was Harrison an Booth dann endgültig korrigierte: um den Konflikt zu sühnen, bedurfte es mehr als bloßer immanenter Menschgläubigkeit, es bedurfte des Glaubens an eine transempirische Welt. Darin fand das Menschenbild Fieldings, das aus den Fugen zu geraten drohte, seinen sinnvollen Abschluß

lel

) . W o aber ein Transzendentes ausgleicht, müssen die Mittel

des Menschlichen verblassen. So konnte die Idealität Amelias nicht mehr den H u m o r Adams' erzeugen.

Als

die

zeitüberlegene Subjektivität

in

Fieldings Romanen noch agierte, war die Wirklichkeit wohl auch vorhanden, doch sie war mehr der Kobold, der Schalk in diesem Spiel, dessen höhnisches Kichern auf die Antinomie zu deuten begann. J e t z t hingegen, als die empirische W e l t schicksalsbestimmende Mächtigkeit erhält, mußte sich der H u m o r so weit sublimieren, bis er in der das Tragische antizipierenden Sentimentalität, die nur wehmutsvoll hinweist, nicht mehr zu erkennen i s t

162

auf die Risse des Daseins

).

) Vgl. C r o s s , Novel, S. 56 f. > Wie stark das Menschenbild audi nach Amelia im Religiösen verankert ist, beweist etwa eine Stelle in Covent Garden Journal, No. 61, vol. XIV, S. 235, wo sich zwei Jungen über einen Beau lustig machen und der eine zum anderen sagt: Why should you despise him, . . . we are all what the Lord pleased to make us. le2) V o w i n k e l , S. 175, urteilt daher falsch, wenn er die Romangeschichte von 1740 bis 1927 in drei Gruppen zeitlicher Abfolge einteilt und die erste folgendermaßen beschreibt: „Die erste Richtung stellt ihre Menschen in eine unleo

1β1

10

I s e r , Weltanschauung

Fieldings

145

3, 22. Die

Romanform

Die aufklärerische Sicht des Menschen forderte spezifische dichterische Ausdrucksmögliihkeiten, um Bild werden zu können. Daher besteht zwischen dem aufgezeigten Menschenbild Fieldings und der Form seiner Darstellung eine überaus innige Verbindung. Jedes Erlebnis bedarf - sofern es objektiviert wird — einer bestimmten Form; daher sind die Beziehungen zwischen Gehalt und Gestalt seit alters her nicht nur besonders eng, sondern tragen audi den Charakter eines untrennbaren organischen Zusammenhangs. Formen sind die Gesichter der Seele, die in ähnlicher Weise lesbar sind wie das menschliche Antlitz dem Physiognomen. Sie sind keine Masken und Larven — es sei denn in manirierten

Endzuständen —, sondern

gegliederter Ausdruck einer

geistigen

Fülle. Deshalb trieb die Neuartigkeit der Menschenschau im 18. Jahrhundert zu einer ihr gemäßen Darstellung in der Form des Romans. Um die Bedeutung dieses formgeschichtlichen Ereignisses in seiner geistesgeschichtlichen Tragweite ermessen zu können, ist es notwendig, einen Blick in andere Zeitalter zu werfen und dort nach den Möglichkeiten der dichterischen Abbildung und Formwerdung zu fragen. Erst der Vergleich dieser bei Fielding zugrunde liegenden Form mit verwandten Erscheinungen in anderen Jahrhunderten liefert eine erkenntnisvermittelnde Plastik für den geistigen Wandel, der sich im Roman manifestiert. Selbst wenn dieser Vergleich uns zunächst scheinbar vom engeren Kreis der Fieldingbetrachtung wegzuführen droht, so liegt doch gerade im Eröffnen einer weiterreidienden Perspektive

die Möglichkeit, die Bedeutung

bei Fielding in ihrer Tiefe zu erschließen.

der Romanform

Denn die beschränkten Hin-

weise auf die Epopöe und Cervantes — die dazu erforderlich sind — deuten nicht allein auf einen

differenzierten Ausdruck

einer

dichterischen

Form, sondern darüber hinaus auf den veränderten Sinn, der hinter dieser Form des Fieldingschen Romans waltet. Erst aus der Projektion auf diesem Hintergrund gewinnt der Roman Fieldings im weltanschaulichen Zusammenhang seine Bedeutung, indem er sich als Ausdruck für das spezifische Weltgefühl und die spezifische Menschenschau Fieldings — und bis zu einem gewissen Grade seines Zeitalters — erweist. D a es gilt, die Problematik des Romans im weltanschaulichen Sinn zu erfassen, ist diese Erörterung im Anschluß an das Menschenbild für die problematische Welt mit zweifellosen Werten." Wenn auch an den Werten nur temporär gezweifelt wurde, so ist die Welt dodi bei Fielding schon reichlich problematisch. Näheres vgl. Kapitel 3, 22.

146

geistige Gesamtschau von entwicklungsgeschichtlicher Bedeutung. Denn es kommt hier nicht auf die Ästhetik des Fieldingschen Romans an, die von der Forschung hinlänglidi behandelt worden ist, sondern auf den Geist und das Weltgefühl, die jene Form prägten. Dieser Unterschied der Betrachtung rechtfertigt an diesem Ort den theoretischen Ausblick auf Fieldings Form, die hier als Korrelat seines Menschenbildes begriffen ist und nicht als ein

ästhetisches Gebilde, das

unter Fieldings

kunstkritischen

Äußerungen zu subsumieren wäre. Denken -und Reflexion — als vornehmliche Kennzeichen der Aufklärung - sind Symptome für das Zerbrechen einer bisher selbstverständlichen Lebenseinheit 1 ); sie markieren die Risse von Ich und Welt, von Seele und T a t 2 ) . Es ist ein Gefühl, das die epischen Schöpfungen des Altertums und des Mittelalters noch nicht kannten, denn dort gibt es noch nicht jene Innerlichkeit, die zum Signum des modernen Weltbildes gehört; es konnte sie insofern nicht geben, als der homerische oder mittelalterlidie Mensch den Unterschied von Außen und Innen nicht erlebte. Daher mußte ihm, wenn er auf Abenteuer ausging und sie bestand, die wirkliche Qual des Suchens und die Gefahr

des Findens unbekannt bleiben 3 ).

Seine Seele

setzte dieser Mensch nie aufs Spiel, denn ihm ist das Bewußtsein fern, daß er sich selbst suchen muß; er bricht vielmehr mit unverhohlener Kraft in ein physisches Außen, das wechselhaft an ihm vorüberzieht, ohne mit der Problematik des psychischen Innen zu ringen. Seine Seele steht mitten in der Welt, und die Grenzen, die seine Konturen schaffen, sind im wesentlichen von den Umrissen der vorgefundenen Dinge nidit unterschieden, ja, sie schmelzen alles scheinbar jenseits dieses Bereiches Liegende in ein Diesseitiges ein, wie es mit den homerischen Göttern geschah. So zieht der in sich ungeteilte Mensch scharfe und sichere Linien in der Welt der Dinglichkeiten und trennt nur in Bezug auf ein in sich homogenes System des adäquaten Gleichgewichts. Daher steht er nicht einsam als alleiniger Träger der Substantialität inmitten reflexiver Formung, denn seine Beziehungen zu den ihm umgebenden Gebilden — wie die homerische Götterwelt oder die mittelalterliche Ritterlichkeit — sind gleichermaßen substantiell wie er selbst, ja sind wahrhafter von Substanz erfüllt, weil sie allgemeiner, „philosophischer", der urbildlichen Heimat näher und verwandter sind 4 ). ») J o e 1, I, S. 4. - 2 ) von L u k a c s , S. 226. ) Ibid., S. 227 f. - 4 ) Vgl. ibid., S. 229.

3

10*

147

Die Moderne hat die Produktivität des Geistes geschaffen, darum haben die Urbilder für uns ihre Selbstverständlichkeit verloren und unser Denken ist nur ein unendlicher Weg einer niemals zu erreichenden, vollgültigen Annäherung 5 ). Im Griechentum herrschte nodi eine Totalität des Seins, die in einer homogenen Welt allein möglich ist. Alles, was in dieser Welt Form wurde, ist kein gestalteter Zwang wie alles spätere Ringen um die Form, sondern nur das Bewußtwerden, das Auf-die-Oberfläche-Treten dessen, was im Inneren als unklare Sehnsucht geschlummert hat, wo Wissen Tugend und Tugend Glück ist, und wo die Schönheit den Weltsinn siditbar macht e ). In der Moderne ist das Subjekt für sich selbst zur Erscheinung, zum Objekt geworden, indem seine innerste und eigenste Wesenheit nur als eine unendliche Forderung auf einem imaginären Himmel des Sein-Sollenden ihm entgegengestellt ist. Die Kunst hat somit aufgehört, ein Abbild zu sein, da sie selbständig geworden ist in der Aufgabe, dauernd eine Totalität zu schaffen, denn die naturhafte Einheit der metaphysischen Sphären ist in der Moderne für immer zerrissen. Das tote Griechentum hat daher nur noch einen luziferischen Glanz, der die unheilvollen Risse der neuen Wirklichkeit manchmal wieder vergessen machen soll, um die der neuen Welt widersprechende Einheit vorzuspiegeln 7 ). Darin liegt eine der maßgeblichsten Quellen für die antike Kunstbegeisterung, die Jahrhunderte wie das 16. oder das 18. zeigten, in denen der Mensch allein zum Maß der Dinge erhoben wurde. 3,221.

Die empirische Gebundenheit

des

Romans

Die Epopöe des Mittelalters weste ganz in der Ungeteiltheit eines universalistischen Weltbildes, in dem die universalia ante rem Wesen und Präexistenz besaßen und in dem die Dingwelt als ein Symbol des Transzendenten mit diesem in unzerreißbarer Verbindung stand 8). Der moderne Roman jedoch — in der uns heute geläufigen Form eine Schöpfung des 18. Jahrhunderts 9 ) — ist „ein Ausdruck der transzendentalen Obdachlosigkeit" 10). Daher bildet für den großen Roman die jeweilige Gegebenheit der Welt sein letztes Prinzip; er ist damit in seinem entscheidenden und alles bestimmenden transzendentalen Grunde empirisch 11). 5

) S c h i l l e r behandelt die daraus entstandene Problematik in seiner Abhandlung über naive und sentimentalisdie Dichtung. - e ) von L u k a c s , S. 230. 7 ) Vgl. dazu audi T h o r n b u r y , S. 132. - 8) H é r a u c o u r t , S. 21. 9 ) F i s c h e r , S. 12. Davon ist jedodi der Versuch des Cervantes ausgenommen. 10 ) von L u k a c s , S. 234. - ") Ibid., S. 238. 148

Die "Welten des Lebens verharren immer hier und werden nur von den Formen aufgenommen und gestaltet, jedoch nicht geschaffen, sondern nur in der Art der Mäeutik auf den ihnen jeweils eingeborenen Sinn gebracht. Der Roman greift sich aus dieser Vielfalt das empirische Ich, den im Weltleben gegebenen einzelnen heraus und macht ihn zum Mittelpunkt seiner Darstellungsweise, während das Drama das intelligible

Idi des

Menschen ergreift 1 2 ). Ist aber das Subjekt des Romans immer der empirische Mensch, so mußte für Fielding wie für das ganze 18. Jahrhundert die dramatische Form zu eng werden, die durch ihre Bühnenkonventionen das quellende Leben so eng schnürte 1 3 ), daß es erst auf dem Felde der Prosa eine adäquate Gestaltung finden konnte

14

).

O f t ist es im Roman jedodi nicht die Totalität des Lebens, die gestaltet wird, sondern weit eher spricht sich in ihm die wertende und verwerfende Stellungnahme des Dichters zu dieser Totalität aus 1 5 ). Denn mit dem Begriff des Lebens ist die Notwendigkeit seiner Totalität nicht gesetzt, deshalb kann es Romanformen geben, die nur einen Ausschnitt, einen in sich lebensfähigen Bruchteil des Daseins repräsentieren.

Daher

kann im Roman die Beziehung einer Gestalt zu einem Problem niemals l2

) von L u k a c s ,

14

) Gosse,

mark

of eighteenth

as a vehicle

S. 239. -

Eighteenth

13

) Raleigh,

Century

century

for general

Literature,

literature

S. 163. S. 399, sagt: the

may be indicated

distinguishing

as its mastery

of

prose

thought.

Eine interessante Parallele weist dieser Tatbestand im Altertum auf in einer Erscheinung, die Rohde den „griechischen Roman" nannte. In der sog. Sophistik der zweiten Kaiserzeit versuchte man häufig, die Poesie auf das Gebiet der Rhetorik hinüberzuziehen (S. 358), - ein Bestreben, das die eigenartige Blüte des griechischen Liebesromans, hervortrieb (S. 361). Erotische Stoffe werden häufig Gegenstand sophistischer Deklamationen (S. 3 6 6 ) ; man schreibt sidi erotische Briefe, die sich zu Liebesnovellen ausweiten (S. 368). So ist es interessant, daß man den ersten Liebesroman des Jamblichus Dramaticum Erholung empfohlen wurde. Die

nannte (S. 374), der als eine Art

Gegenstände dieser Romane waren denjenigen

der neueren Komödien ähnlich (S. 377), sie blieben jedoch mehr in der

Wort-

kunst stecken, als daß sie Seelenerfahrungen ausgesprochen hätten (S. 380), weshalb die von Rohde gegebene Bezeichnung „Roman" bestreitbar ist. Wichtig bleibt jedoch, daß man die Form der Poesie verließ, als sich der empirische Interessenskreis weitete. Β is s e i l , The 15

Novel

S. 19 f., registriert den Tatbestand des 18. Jahrhunderts

has proved

superior

) Vgl. von L u k a c s ,

is given

the conception

in exhibiting

the humors of

S. 243. Desgl. G. R . S w a n n ,

of human

to the whole of its environment

nature

and its desires

as its particular

richtig:

mankind. S. 3 : to the

and wishes in

novel relation

field.

149

deren ganze Lebensfülle aufnehmen, so daß sich jedes Ereignis der Lebenssphäre des Helden zum Problem allegorisch oder symbolisch verhalten muß 1β ). So bemerkt Fielding: When itself

(as we trust will

paper

to open

without

producing

anything

a chasm in our history; and leave

often

it at large

such periods

any extraordinary

be the case),

to our reader; worthy

we shall

but if whole

his notice,

spare years

presents

no pains

nor

should

pass

we shall not be afraid

but shall hasten on to the matters of time totally

scene

of

of

consequence,

unobserved17).

Der Roman ist die Epopöe eines Zeitalters, für das die extensive T o talität des Lebens nicht mehr sinnfällig gegeben ist, für das die Lebensimmanenz problematisch geworden war, und das dennoch die Gesinnung zur Totalität besaß. So sucht der Roman gestaltend die verborgene Einheit entweder aufzudecken oder symbolisch zu erschließen, denn im Jenseits ist der Sinn der Welt abstandslos sichtbar, im Diesseits dagegen die Ganzheit nur eine brüchige oder ersehnte 18 ).

Diese gegebene Struktur bringt

es natürlicherweise mit sich, daß die Romanhelden — die empirischen Subjekte - Suchende sind, wie es T o m Jones ganz deutlich offenbart. Die einfache Tatsache des Suchens zeigt an, daß weder Ziel noch Wege unmittelbar gegeben sind und daß ihr psychologisch unmittelbares und unerschütterliches Gegebensein keine evidente Erkenntnis wahrhaft seiender Zusammenhänge ethischer Notwendigkeit ist, sondern nur eine seelische Tatsache, der weder in der Welt der Normen noch in der der Objekte etwas entsprechen muß. Die im Suchen manifest werdende Unüberschaubarkeit der empirischen Welt ruft die Kunst zu Hilfe, um in der gestaltenden Form einige Grunddissonanzen des Daseins zu schließen und eine Welt zu schaffen, in der das scheinbar Widersinnige an seine richtige Stelle gerückt w i r d l e ) . Aus diesem geistesgeschichtlichen Moment heraus läßt sich die Tatsache von Fieldings unendlichem Willen zur Form erst adäquat begreifen, der sich nidit nur in der Eigengestaltung der Romane, sondern vor allem in dem kommentierenden Reigen seiner die einzelnen Bücher eröffnenden Essays kundtut. Der Optimist und Realist Fielding - wie wir ihn festzuhalten versuchten —, der in der Form die Gespaltenheit der immanenten Welt bezwingt, lebt in der Unbedingtheit auf die Gestaltung der Wirklichkeit hin. Das Feld, das sich der menschgläubige Fielding als Pionier im Roman ersdiloß, wird durch Äußerungen reflektiert, die die Neuheit seines Unle ) 1β)

150

von L u k a c s, S. 244. - ») Tom Jones, II, 1, vol. III, S. 65. von L u k a c s, S. 248. - «) Ibid., S. 249.

terfangens der Menschdarstellung zeigen. So heißt es schon in Joseph Andrews: it may not be improper to premise a few words concerning this kind of writing, which I do not remember to have seen hitherto attempted in our language 20). Und nodi selbstbewußter in Tom Jones: I shall not look on myself as accountable to any court of critical jurisdiction whatever: for as I am, in reality, the founder of a new province of writing, so I am at liberty to make what laws I please therein21). Und wie neu die Fieldingsdie Errungenschaft in der Tat war, zeigt das Echo der Zeit, wenn etwa 1751 ein Essay on the New Species of Writing founded by Mr. Fielding erscheint, der u. a. feststellt, Fielding habe den Realismus entdeckt 22). Jedoch an alle Formwerdung bindet sich zwangsläufig ihre Sterblichkeit 23), da sie nur ein Medium ist, in subjektiver Schau das Chaotische oder Ungeordnete sinnvoll zu binden. Form bleibt immer die dichterische Illusion, in der uns das Dasein wohl in gewisser Anschaulichkeit begegnet, die jedoch durch die perspektivische Anlage aller Form sofort wieder verschwindet, wenn andere Empfindungen drängen. Dies wird deutlich an der fortgehenden Entwicklung des englischen Romans, der die künst20

) Joseph Andrews, Preface, vol. I, S. 17. ) Tom Jones, II, 1, vol. III, S. 66. 22 ) Vgl. B l a n c h a r d , S. 58 ff. Auch Warburton verweist in einer Fußnote der Popeausgabe von 1751 auf die neue Art des Romans, die Fielding erschlossen habe; vgl. B l a n c h a r d , S. 76. All die aufgeführten Tatsachen und vor allem die gezeigte und im Verlaufe noch zu zeigende geistesgeschichtliche Entwicklung des Romans machen den Versuch T h o r n b u r y s , Fieldings Romane in eine Kontinuität - mit kleinen Abweichungen - von Homer an aufwärts homogen einzureihen, unhaltbar. Sicherlich •waren partiell anregende Momente vorhanden, und auf diese aufmerksam gemacht zu haben, bleibt das Verdienst der Thornburyschen Arbeit, jedoch den Fieldingsdien Roman darauf festzulegen (vgl. z. B. S. 113) hieße, ihn aus Äußerlichkeiten erklären zu wollen. Alles Neue umwälzender Art wie der Roman des 18. Jahrhunderts ist nicht bloßer Äußerlichkeit oder eklektischer Nachahmung entsprungen. Dagegen urteilt schon D i b e 1 i u s , I, S. 4, richtigj, wenn er sagt, der Roman sei „doch die Form geworden . . . f ü r die Erörterung aller modernen religiösen, philosophischen, ja politischen und nationalökonomischen Fragen - f ü r alles, was die Seele des modernen Menschen bewegt". Von dieser Erkenntnis jedoch macht Dibelius keinen Gebrauch, denn seine Darstellung beschränkt sich auf die Anhäufung motivgeschichtlicher Parallelen, die bisweilen sogar falsch sind, wenn es I, S. 201, heißt: „ S o p h i a . . . ist eine neue Clarissa" oder „sie ist eine hoheitsvolle Clarissa". Oder I, S. 202: Amelia sei „die bedeutendste Weiterbildung, die der Typus der Griseldis im 18. Jahrhundert erfahren hat". 23) T h i e s s , S. 33. 21

151

lerisdie Höhe, zu der ihn Fielding aufgetürmt hatte, bei Sterne verläßt, wo der gewaltige Torso des Tristram

Shandy

die Brüchigkeit des Daseins

wieder sinnfällig macht. Die Fieldingsche Aktivität gab einer passiven Sentimentalität Raum, wobei viel von Fieldings Optimismus verflog, denn Formwerdung

bedeutet ja zumindest

einmal die Bejahung dessen, was

der Formung vorangegangen ist. Diese Entwicklung zeigt, daß im Roman nach sogenannter Objektivität zu streben ein Widerspruch gegen seine innere Form ist 2 4 ), denn als der künstlerische Ausdrude der reproduzierten Welt der Empirie muß er gerade so viele Möglichkeiten umschließen, als durch die Variabilität der verschiedenen Subjekte entstehen können. Bewiesen scheint diese Tatsache dadurch, daß selbst Fielding, der an der Schwelle dieser Gattung der Moderne steht, mit der Frage der objektiven Geltung nicht ganz fertig wurde. Schon die vielen subjektiven Regiebemerkungen 2 5 ) Fieldings zeigen, wie schwer es ist, die ganze objektivempirische Welt adäquat darzustellen, sie mit derselben Gültigkeit in eine plastische Gestalt umzugießen, wie sie die amorphe Grenzenlosigkeit des Daseins besitzt, ohne jedoch subjektiv erklärend über die durch die Formung

entstandenen

toten

Winkel

hinwegzuhelfen.

Darüber

hinaus

sind Fieldings Romane reich an gelegentlichen Abschweifungen, so, wenn etwa Wilson in Joseph

Andrews

seine Lebensgeschichte erzählt 2 e ). Dodi

immer biegen die Digressionen in den breiten Strom der Haupthandlung ein, die sie oft nur ergänzen. An zwei Stellen jedoch bleiben, vom formgesdiiditlichen Standpunkt aus betrachtet, diese Zwischenhandlungen Torsen: in der Geschichte der Leonora in Joseph Man of the Hill in Tom

Jones ). 28

Andrews

27

) und in der des

Dabei fällt schon bei einer oberfläch-

lichen Betrachtung die Tatsache ins Auge, daß beide, entgegen allen optimistischen Lösungen sowohl von Fieldings Romanen im ganzen als audi von den eingeschobenen Erzählungen im einzelnen, tragisch enden, d. h. daß sie keine im Fieldingschen Sinne positive und befriedigende Lösung erfahren. Die Forschung ist vielfach kopfschüttelnd, tadelnd oder entschuldigend 2 e ) an diesen beiden Torsen vorübergegangen, ohne den Ver) H i r t , S. 57. ) Einzelheiten sind gut zusammengestellt bei F i s c h e r , S. 11 ff. M ) Vgl. Joseph Andrews, III, 3, vol. I, S. 228 f. " ) Vgl. op. cit., II, 4, vol. I, S. 118 ff. M ) Vgl. Tom Jones, VIII, 11, vol. IV, S. 114 ff. M ) Vgl. dazu Näheres bei S a i n t s b u r y , Novel, S. 107. Saintsbury entschuldigt Fielding mit dem Hinweis auf gelegentliche Abschweifungen bei Homer und Cervantes. Der gleichen Meinung ist C r o s s , Fielding, II, S. 187ff. 24

î5

152

such zu machen, diese Erscheinungen aus dem weltanschaulichen Zusammenhang

heraus zu erklären. Wenn man sich jedoch Fieldings Mensch-

auffassung vergegenwärtigt, die auf dem Boden eines lebensfrohen Optimismus gedieh, wenn man weiterhin berücksichtigt, daß seine Aktivität, sein Dem-Leben-Nachspiiren ihn in manche fremde Winkel führen mußte, und wenn man darüber hinaus sich des Realisten Fielding erinnert, der das ganze lebendige Treiben des menschgebundenen, empirischen Daseins beschwor, so mußten sich zwangsläufig Dinge in sein Blickfeld schieben, die seine Natur nicht so spielerisch meistern konnte wie all die kleinen Unzulänglichkeiten des Lebens. Das ganze Leben zu schauen heißt, Licht und Schatten in gleicher Weise zu sehen. Inwieweit Fielding das erstere gelang, bezeugt der Reigen seiner guten und warmherzigen Menschen. Wie schwer er dagegen mit den Schattenseiten fertig wurde, zeigen Ungeheuer wie Jonathan Wild oder der Fieldings eigener Theorie widersprechende Blifil. Beide sind keine natürlichen Menschen; sie repräsentieren vielmehr in ihrer verzerrten Zeichnung Fieldings innerer Natur zuwiderlaufende Prinzipien. So wurde Jonathan Wild Ausdruck seiner Aversion gegen totalitäre Ansprüche des Einzelmenschen und Blifil die Folie und der Kontrast zu T o m 3 0 ) .

Beide waren, vom Menschenbild aus betrachtet,

keine lebendigen Wesen wie die anderen Charaktere, sondern blieben als Ideenträger in einer unausgearbeiteten Typik Stedten. Einem Optimisten wie Fielding konnten unter seiner Hand alle a priori

schlechten

Menschen in keiner Weise zu vollgültigen Personen ausreifen, nicht zuletzt deshalb, weil das Menschenbild eine Objektivation der Seele ist, wie es Fielding im Champion

formuliert hat. Uberschritt der schlechte Mensch

bei Fielding nie die Grenze vom Typischen zum Individuellen, so ist es dem Dichter nie restlos gelungen, mit der dem Leben inhärenten Tragik fertig zu werden. Wie vom vollgültigen Menschenbild aus betrachtet seinen schlechten

Charakteren

etwas Monströses,

Forciertes,

Halbfertiges

und

Undurchgebildetes anhaftet, so müssen Handlungen, die sich nicht dem zum guten Ende drängenden Fluß des Geschehens eingliedern, zwangsläufig Torsen bleiben. Leonora, die während der Abwesenheit ihres Geliebten von einem Beau aus Paris betört wird, folgt seiner flitterhaften Äußerlichkeit, indem sie alle menschlich-innerlichen

Bindungen

an ihren einstigen

Geliebten

aus Motiven der Geltungssucht heraus opfert 3 1 ). Das ganze Milieu von 30) S1)

W i 11 c o c k s, S. 222, sagt: Blifil is a mere incarnation of knavish cunning. Vgl. Joseph Andrews, II, 4, vol. I, S. 124 ff. 153

Fieldings Komödien erlebt hier eine exemplarische Auferstehung, die zu dem Ziele treibt, daß der Beau Leonora verläßt, und ihr einstiger Geliebter auf eine andere Weise glücklich wird. Das ist auffällig, wenn wir an die versöhnlichen Komödienschlüsse denken, und nodi erstaunlicher wirkt die Tatsache, daß Fielding beständig kleine Entschuldigungen zugunsten Leonoras in die Erzählung einbaut. So heißt es beispielsweise von ihrem Vater, er sei one of those fathers who look on children as an unhappy consequence of their youthful pleasures . . . he heaped up money for its own sake only, and looked on his children as his rivals, who were to enjoy his beloved mistress when he was incapable of possessing her32). Obgleich Leonora mehr den Verführungskünsten des Beaus und den Raffinessen ihrer kupplerischen Tante erlegen war als ihrer eigenen Schlechtigkeit, fehlt in dieser Episode der erlösende deus ex machina, und da Fielding erkannte, daß es eben auch solche Momente im Leben gibt, bricht er ab und sagt: She . . . deserves, perhaps, pity for her misfortunes, more than our censure for a behavior to which the artifices of her aunt very probably contributed, and to which very young women are often rendered too liable by that blamable levity ) 4°)

Tom Jones, VIII, 10, vol. IV, S. 113. Vgl. op. cit., VIII, 13, vol. IV, S. 135. Vgl. op. cit., VIII, 12, vol. IV, S. 125. Vgl. op. cit., VIII, 14, vol. IV, S. 146. Op. cit., VIII, 15, vol. IV, S. 148. Vgl. dazu nodi S. 149 und 150 f. Vgl. op. cit., VIII, 15, vol. IV, S. 150 f. Op. cit., VIII, 15, voí. IV, S. 152. 155

Auch hier sind durchaus Ansätze gegeben, die eine tragische Entwicklung fast heischen, da sie ja eine der Kardinalfragen von Fieldings geistiger Existenz berühren. Seine Wunschbilder wie seine positiven Abbilder sind durch und durch philanthropisch gesinnt; sie schenken an Unwürdige wie an alle Bedürftigen, ohne daß sich dabei die Unebenheiten des täglichen Lebens, auf die sie treffen, zu Entscheidungen des Entweder-Oder auswüchsen. Doch auch hier muß der Realist, der dem "Wirklichen Auge in Auge gegenübersteht, bemerken, daß die Menschnatur vielleicht doch nicht die überquellende Güte selbst ist, daß in den verborgenen Gängen der Seele manches Unentdeckte schlummert, das von Zeit zu Zeit gefährlich erwacht, und daß es selbst bei Philanthropen so etwas wie eine Grenze der Menschgläubigkeit gibt — ein Moment, das das Fieldingsche Gebäude aus den Fugen zu reißen droht. Denn wenn der durch bittere Erfahrung zur reinen Menschenliebe Bekehrte eine begrenzte Tragfähigkeit für Enttäuschungen seiner Aufopferungsbereitschaft besitzt, kündigt sich eine Fragestellung an, die weit über Fielding hinausweist. Er vermochte es nicht, sie zu behandeln, so daß sie nach der nochmalig werbenden Rede von Tom in der Aporie endet. So ragt in Fieldings großes Epos, das die aprioristische Güte des Menschen feiert, ein großer Torso mit der alles aufhebenden Frage nach der wesenhaften Misanthropie des Menschen hinein, deren Bejahung für den tatenfrohen und menschgläubigen Fielding ein Harakiri bedeutet hätte, deren Verneinung dem kämpfenden Realisten als Lüge erschienen wäre, und deren tragische Gestaltung den Optimisten eine Unmöglichkeit dünken mußte. Diese Torsen bezeugen vom formgeschichtlichen Standpunkt aus, wie Fielding — ähnlich dem ganzen Romanschaffen seines Jahrhunderts 4 1 ) dem Tragischen aus dem Wege ging oder mit ihm nicht fertig wurde. Sie weisen darüber hinaus auf ein wesentliches Kriterium des Romans hin, indem sie nicht nur seine empirische Gebundenheit augenfällig machen, sondern gerade durch ihre Unvollendetheit zeigen, wie problematisch es ist, die totale Empirie zu symbolisieren. In der Epopöe war dieser Tatbestand kein Problem gewesen, denn man konnte Abenteuer an Abenteuer reihen, weil sie in ihrer Sinnbezogenheit auf ein abstraktes, kollektives oder gar transzendentes Ziel gerichtet und an den wahrscheinlichen und naturgemäßen Ablauf des Geschehens nicht gebunden waren. So blieben viele der großen Epen zwar ") Β r i e , S. 19. 156

audi Torsen, ohne jedoch damit zu bekunden, daß man mit einer Problematik nidit fertig geworden wäre. Denn die Perfektion der Epopöe lag im Sichtbarmadien des allegorischen Sinnes. Ganz in diesem Banne steht beispielsweise nodi die Pilgerfahrt Bunyans, in der die Abenteuer und Erlebnisse einen transzendenten Sinn verdolmetschen und daher audi in beliebiger Weise aneinandergereiht werden konnten — es ging um den Gedanken einer transempirisdien Vollendung und nicht um immanente Nahrhaftigkeit und Wahrheit. So sagt denn auch Fielding, die durch den geschichtlichen Umschlag der Aufklärung neu entstandene Situation deutlich markierend: I would persons

of

modern

novel

nature

surprising and

by no means

genius,

Atalantis

or history,

record

which

never

nor possibly

own

creation,

selected*2).

did, and

brains

who,

who can,

of

without

never happen;

the chaos

to comprehend

immense were, whose

whence

for all our characters,

tic doomsday-book

of

nature,

as is elsewhere

title to the name of history

Mit dem Wort history

no less indeed

those

romances,

any

or

assistance

heroes

are

facts

of

their

all the materials as we

than the vast

hinted,

the from

or will be, and

Und positiv drückt dies Fielding aus: Though,

good authority sufficient

writers,

persons

their

be thought

the authors

are have

authen-

our labors

have

).

43

ist der Roman entscheidend gegen die Epopöe

abgesetzt. Als die Kunstform der empirischen Welt besitzt er entgegen den nur

aneinandergereihten Ereignissen der Epopöe den

prozessualen

Charakter des Werdens. Wie der Held des Romans ein Suchender ist, ist die äußere

Form

des Romans

vielfach eine nach

dem Ziele

ta-

stende Wanderung, wie es die Einkleidung in die Form des Landstraßenepos bei Fielding deutlich zeigt. Das Konstitutiv dieser Handlung ist das von innen heraus lebende ethische Subjekt, das vielfach aus der Fremdheit und aus der Andersartigkeit der ihn unmittelbar umgebenden Welt entsteht, wie Adams, Tom und Amelia. Solange noch eine Gleichartigkeit von innerer und äußerer Welt bestand, unterschieden sich die Menschen qualitativ nicht voneinander, wie in den Epopöen, in denen der Held vielfach eine Gemeinschaft oder ein Ideal w a r 4 4 ) . Denn das Eigenleben der Innerlichkeit ist nur dann möglich und sogar notwendig, wenn das ) Joseph Andrews, III, 1, vol. .1, S. 213 f. «) Tom Jones, IX, 1 ,νοΐ. IV, S. 157. In Jonathan Wild, IV, 4, vol. II, S . 1 5 7 sagt Fielding schon, daß es seine Absicht sei, to draw natural, not perfect characters. 44 ) H e g e l , XIV, S. 336, sagt von) den Helden der Epopöe: „Die Nation koncentriert sich in ihnen zum lebendigen einzelnen Subjekt." 42

157

Unterscheidende zwischen den Menschen sidi zu einer kaum überbrückbaren Kluft ausgeweitet hat - wenn die Welt der Tatsachen sich von dem Menschen ablöst 4 5 ). Erst dadurch wird im Roman die Ethik, die Gesinnung des Helden, offenkundig, ja, sie ist in ihrer konkreten Inhaltlichkeit ein

wesentliches Aufbauelement

des prozeßartigen

Gesdiehnisver-

laufes 4 e ). Der letzte Inhalt des Romans als Prozeß ist daher rational nicht mehr deutbar: dies kommt formgeschichtlich wiederum darin zum Ausdruck, daß seine Prozeßartigkeit und seine Geschichtlichkeit keine totale Abgeschlossenheit erfahren, da in jedem "Werden Unendliches lebt. Auch Fielding ist sich dessen bewußt, wenn er am Schluß des Tom Leser addressierend, sagt: when which

this hook

contained

will

in it scarce

produce, sufficient

thou hast perused thou

wilt

the many

think

the

to tell the story

3, 222. Die biographische

Jones, great

number

of

den events pages

47).

Form des

Romans

Hier setzt nun die Kunst, wie immer in ihrem Verhältnis zum Leben, ein „Trotzdem" entgegen, indem sie sich in der Form ein sicher sdiwebendes Gleichgewicht zwischen "Werden und Sein schafft 48 ). Die äußere Form

des' Romans ist daher eine wesentlich

biographische, denn das

Schweben zwischen einem Begriffssystem, dem das Leben immer wieder entgleitet, und einem Lebenskomplex, der niemals zur Ruhe seiner immanent utopischen Vollendung zu gelangen vermag, kann sich nur in der erstrebten Organik der Biographie objektivieren Form

wird das unerreichbare,

sentimentale

49 ).

In der biographischen

Streben

sowohl nach der

unmittelbaren Lebenseinheit als auch nach der alles abschließenden Architektonik des Systems zur Ruhe und zum Gleichgewicht gebracht und zum Sein verwandelt. Denn die Zentralgestalt der jeweiligen Biographie ist nur durdi ihre Beziehung auf eine sich über sie erhebende Welt der Ideale bedeutsam, aber diese Welt wiederum wird zugleich einzig durch das Leben in diesem Individuum und durch das Auswirken seines Erlebnisses realisiert. So entsteht in der biographischen Form aus den beiden in

ihrer Isoliertheit

nicht

verwirklichbaren Elementen das

immanent-

sinnvolle Leben des sogenannten problematischen Individuums 50 ), denn 45 )

von L u k a c s, S. 252 f. - " ) Ibid, S. 256. ") Tom Jones, XVIII, 1, vol. V, S. 294. 48) Vgl. von L u k a c s , S. 256 und 257. 4β) Ibid., S. 259. - 5°) Ibid., S. 260 f. 158

erst in dieser Dynamik der Elemente kann sich die Wahrheit als die wesentlichste Bestimmung dieses Individuums entfalten. Daher sind die Fieldingschen Romane von diesem Prinzip ganz und gar beherrscht, und der Dichter schreibt selbst ein ganzes theoretisches Kapitel mit der bezeichnenden Überschrift: MATTER PREFATORY IN PRAISE OF BIOGRAPHY51), in dem er feststellt: it is most certain that truth is to be found only in the works of those who celebrate the lives of great men, and are commonly called biographers, as the others should indeed be termed topographers or chorographers — words which might well mark the distinction between them52). Der Prozeß, als welchen wir die innere Form des Romans begriffen haben, ist die Wanderung des problematischen Individuums zu sich selbst - ein Weg, der von der trüben Befangenheit in der einfach daseienden, in sich heterogenen und für das Individuum oft scheinbar sinnlosen Wirklichkeit zur klaren Selbsterkenntnis führt, wie es Tom und Booth erfahren. Und wie sehr dieses problematische Individuum der moderne, in sich geteilte und verinnerlichte Mensch ist, zeigt ein Ausspruch Sophias, wenn sie bemerkt, that Tom, though an idle, thoughtless, rattling rascal, was nobody's enemy but his own s s ). D. h., daß sich die ihrer selbst und der Außenwelt noch nicht vollständig bewußte Seele bei dem dauernden Progressus ihres Werdens empfindlich stoßen muß, da dieser Mensch nicht als physisches Organon einer transempirischen Idee fungiert, für das jeder Zusammenprall mit dem Leben und das daraus resultierende Leiden zu einem Martyrium für das Ideal glorifiziert würde, sondern weil dieser Mensch eben beides ist, Organon und Idee in der empirischen Welt, deren letzte Instanz seine Innerlichkeit darstellt. ) Joseph

Andrews,

51

III, 1, vol. I, S. 212 ff.

) Op. cit., III, 1, vol. I, S. 212.

52

Wallace, und biography

S. 89 ff.,, stellt fest, daß Fielding ein großes Interesse an gehabt habe. E r

schließt S. 107 mit dem Urteil: At any rate, periodicals Greek the

and

reveal

conclusively

Latin >epic poets

historians

and

that and

biographers.

Fielding's

he was not critics,

Wallace

its Historical

and Biographical

sity of North ι Carolina,

Chapel

und biography

geschichtlichen Parallelen verliert.

with

even

more

verweist

einer

Fußnote,

in

1945.

Fielding's

strongly S.

Narrative

MS, Ph. D. Dissertation,

and the to 107, Me-

Univer-

Diese Arbeit war mir jedoch nicht

zugänglich. Weniger fruchtbar sind die Ausführungen G l e n n s , Frage von history

library,

primarily

but inclined

Origins,

Hill,

education,

concerned

auf seine ausführliche Arbeit zu diesem Thema: Henry thod:

history

bringt eine Menge Beispielmaterial dazu und

S. 11, zu der

bei Fielding, da er sich in nutzlosen motiv53

) Tom

Jones,

IV, 5, vol. III, S. 156.

159

Daß Anfang

und Ende des Romans nicht mit dem des menschlichen

Lebens zusammenfallen, ist ein Beweis für den auf die Ideen hin orientierten Charakter der biographischen Form, die nicht eine physische Lebensganzheit, sondern eine geistig-innerliche Totalität repräsentiert, -wobei das Individuum nicht mit dem Tod seinen wesenhaften Abschluß erfährt, sondern mit der Höhe, auf der es zur Selbsterkenntnis gereift ist und sich durch seine Erlebnisse eine eigene Welt geschaffen hat. Der Roman verschmilzt die heterogenen Bestandteile der menschlichen Vielfalt zu einer gekündeten Organik; deshalb muß das letzte, vereinigende Prinzip die inhaltlich deutlich gewordene Ethik der schöpferischen Subjektivität sein 54 ). Die Objektivität des Romans hingegen ist die männlich-reife Einsicht, daß der ethische Sinn die "Wirklichkeit niemals ganz zu durchdringen und zu gestalten vermag, daß aber diese wiederum ohne ihn in ein Wesenloses zerfallen würde. Diese Objektivität wächst Fielding im Verlaufe seiner drei großen Romane zu, indem in Joseph Andrews in der idealen Gestalt des Parson Adams der ethische Sinn und die Wirklichkeit zwar beieinander existieren, jedoch aneinander vorbeirotieren; erst in Tom Jones vollzieht sich die innere Durchdringung, die unter Schmerzen geboren wird, und Captain Booth in Amelia symbolisiert insofern eine vollendete „Objektivität", als er gerade durch die Wirklichkeit zunächst scheinbar sinnlos geworfen wird, bis ihm durch diese Realität am Ende der religiöse und nicht, wie Tom, nur der ethische Sinn aufgeht. Somit wird der Roman zur Form, den Eigenwert der Innerlichkeit des Menschen zu entfalten; sein Inhalt ist die Geschichte der Seele, die auszieht, um sich selbst kennen zu lernen, die „Abenteuer" aufsucht, um an ihnen geprüft zu werden. Hegel hat diesen Prozeß einmal folgendermaßen formuliert: „Dieß Romanhafte ist das wieder zum Ernste, zu einem wirklichen Gehalte gewordene Ritterthum. Die Zufälligkeit des äußerlichen Daseyns hat sich verwandelt in eine feste, sichere Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft und des Staats, so daß jetzt Polizei, Gerichte, das Heer, die Staatsregierung an die Stelle der chimärischen Zwecke treten, die der Ritter sich machte. Dadurch verändert sich auch die Ritterlichkeit der in neueren Romanen agirenden Helden. Sie stehn als Individuen mit ihren subjektiven Zwecken der Liebe, Ehre, Ehrsucht oder mit ihren Idealen der Weltverbesserung dieser bestehenden Ordnung und Prosa der Wirklichkeit gegenüber, die ihnen von allen Seiten Schwierigkeiten in den Weg legt." Hegel schildert nun die Art der Konflikte und fährt fort: „Diese 54

160

) von L u k a c s, S. 264.

Kämpfe nun aber sind in der modernen Welt nichts Weiteres, als die Lehrjahre, die Erziehung des Individuums an der vorhandenen Wirklichkeit, und erhalten dadurch ihren wahren Sinn. Denn das Ende solcher Lehrjahre besteht darin, daß sich das Subjekt die Hörner abläuft, mit seinem Wünschen und Meinen sich in die bestehenden Verhältnisse und die Vernünftigkeit derselben hineinbildet, in die Verkettung der Welt eintritt, und in ihr sich einen angemessenen Standpunkt erwirbt 6 5 )."

3, 223.

Fielding

und

Cervantes

Ist der Roman ein in sich organischer Prozeß und der Ausdruck des gottfernen, auf sich selbst gestellten Menschen, so muß auch die Romanproduktion zu den verschiedenen Zeiten eine in ihrer Gestaltung differenzierte gewesen sein, d. h., man muß bei dem Versuch einer Typologie der verschiedenen Entwicklungsphasen dieser Gattung immer ein anderes Welt- und Lebensgefühl entdecken, das in den jeweiligen Subjekten, die die entsprechenden Epochen repräsentieren, gärte und drängte. Der Zusammenbruch des theozentrischen, mittelalterlichen Weltbildes mit der einsetzenden Verlassenheit der Welt von Gott schuf die Moderne; es fehlte dabei nicht an Versuchen, die Doppelgesichtigkeit der dadurch entstandenen Situation einzufangen, was jedoch nur zweimal — bei Cervantes und Shakespeare — vollendet gelang. Cervantes war sich der Melancholie des historischen Ablaufs bewußt, er war sich im klaren darüber, daß ewige Inhalte ihre Geltung verlieren, wenn ihre Zeit vorbei ist — daß die Zeit über ein Ewiges hinweggehen kann. Über den gigantischen Riß spann er die Fäden seines tiefliebenden Humors, indem er versuchte, auch diejenige Gestalt der Welt, von der der Geist sich abzuwenden be55

) H e g e l , XIII, S. 215 f. und 216 ff. Β i s s e 11, S. I f f . , versucht, Fieldings Romane aus den pikaresken Abenteuergeschichten abzuleiten. Er geht dabei an der wesentlichen Frage vorbei, da im pikaresken Roman das Abenteuer strukturbedingend ist und der Held lediglich sein Vehikel, während im großen Roman Fieldings die biographische Form, wie wir sie darzustellen versuchten, entscheidend ist. D ü b e r , p. 5, .hat zwar recht, wenn er meint, Fielding sei der erste Engländer, dem eine Darstellung des Menschen im Roman geglückt sei, doch was er sonst über Fieldings Romane zu sagen hat, ist nicht nur oberflächlich, sondern bisweilen auch falsch. So wenn er beispielsweise S. 47 ff. aus persönlichem Vorurteil heraus Fieldings ¡subjektive Interpolationen tadelt, anstatt sich um eine objektive Erklärung zu bemühen. 11

Iser,

Weltanschauung

Fieldings

161

gann, zu verstehen. Die unaufhaltsame Vernichtung der einstigen Werte konnte er zwar nicht aufhalten, aber er bannte die Erscheinungen ins Bild, die im realen Dasein zugrunde gehen mußten 5β). So bildet der Humor 57) die ausgleichsversuchende Mitte für die gewaltigen Gegensätze, für den ersten großen Kampf der Innerlichkeit gegen die prosaische Niedertracht des äußeren Lebens. Das Ineinander von Poesie, Humor, Ironie, Groteske, Erhabenheit, Göttlichkeit und Monomanie im cervantesischen Roman war an den damaligen Geisteszustand gebunden, und Cervantes formuliert selbst die Dissonanz, die den Kosmos zerteilte: los sucessos de don Quichote, o se han de celebrar con admiración, o con risa 58). Die Gesinnung des Helden besteht in einem echten und unerschütterlichen Glauben an die Idee und ihre damit notwendige Existenz. Die Seele ist dabei jedoch größer und weiter als die verengte, säkularisierte und nunmehr profan gewordene Wirklichkeit. Dieses Nicht-Entspredien von Wirklidikeit und Innerlichkeit deutet dieser abstrakte Idealist als Verzaubertsein 59 ), wodurch ein echter Kampf von Welt und Seele unmöglich werden muß, da all diese vermeintlichen Auseinandersetzungen in einem grotesken Aneinandervorbeigehen endigen. Durch den Inhalt und die Intensität von Don Quichotes Seele, die eine problemjenseitig ruhende ist, wird der groteske Charakter teils gesteigert, teils im Humor gemildert. Das dieser Seele vollständige Fehlen einer innerlich erlebten Problematik verwandelt sie in reine Aktivität nach außen, und indem ihr jede Möglichkeit eines nach Innen gekehrten Handelns fehlt, muß sie auf Abenteuer ausgehen. Abenteuer sind des Ritters Tätigkeiten insofern, als dieser hemmungslose Idealist, der nur die reine Innerlichkeit besitzt, in dieser Welt, die ebenso voll von Leben wie dessen Schein ist, jenen Unterschied nicht gewahrt, da er selbst in sich nichts dergleichen findet. Dieses Mahnmal der Moderne, das Cervantes ihr in der Gestalt seines Ritters von der Mancha gesetzt hat, entstand, als der Gott des Christentums die Welt zu verlassen begann, als der Mensch einsam und als die Welt aus ihrem paradoxen Verankertsein im Jenseits losgelassen wurde, um ihre immanente Sinnlosigkeit zu erfahren. Cervantes hat diese Situa5e

) C a s s i r e r , S. 146. ") H ö f f d i n g , S. 158 sagt daher richtig, daß die Ironie ein Gefühl des Altertums war, der Humor dagegen eines der Moderne. Vgl. dazu noch ibid S. 164. se ) C e r v a n t e s , Segunda Parte, Capitulo XLIIII, S. 165. Vgl. dazu nodi die Feier des goldenen Zeitalters, Primera Parte, Capitulo XI, S. 39 ff. ") Vgl. zum folgenden von L u k a c s , S. 391 f.

162

tion gestaltet, in der das reinste Heldentum zur Groteske und der festeste Glaube zum Wahnsinn werden mußte, als die Wege zur transzendenten Heimat nicht mehr gangbar waren. Die Cervantesnachfolge blieb teils ideenlos, teils wurde die ungeheure Spannung durch eine gesellschaftliche Problematik ersetzt eo ). Die mit der Renaissance beginnende Geschichtlichkeit bisher als ewig geltender Wertungen war der Aufklärung bereits ein Zustand geworden, ja das Werden als eine kategoriale Erscheinung galt ihr als das ausschließlich Maßstabgebende, oftmals ungeachtet der Wertinhalte, die in diesem Progressus untergingen oder neu geboren wurden. Die Geltung des Menschen in seiner unabhängigen Eigengeset'zlichkeit empfand die Aufklärung eher als einen wohltuenden Ausgleich nach der diskordanten und überindividuellen Lebensströmung des 17. Jahrhunderts, als daß sie sich, wie Cervantes, einer Ungeheuerlichkeit bewußt geworden wäre, die aus der Kluft von Gott und Mensch aufzuckte. Das cervantesische Gefühl wurzelte tief in der Erde seiner Zeit und mußte an Intensität verlieren, als die Zeiten andere wurden; was jedoch bestehen blieb, war das Bild, das die Erschütterung erzeugte. Dieses Bild des irrenden Ritters mußte in dem Jahrhundert der Restoration verhältnismäßig unverstanden bleiben und konnte erst im 18. Jahrhundert auf etwas tieferblickende Geister Eindruck machen. Aber wie sehr die neue Lebenssituation in der Gestalt des Don Quichote mehr das Bild von der Problematik des Idealismus sah, als daß es das ihm zugrunde liegende Weltgefühl von der Gottverlassenheit des modernen Menschen erkannt hätte, beweist schon die Behandlung des Cervantesstoffes in der Fieldingschen Komödie, in der der Ritter von der Mancha in moralischer Beziehung allen anderen Figuren ausdrücklich gegenübergestellt wird, da er der einzige tugendhafte und uneigennützige Mensch im Kreise der fehlerhaften, ihn umgebenden Gestalten ist 81 ). Die cervantesische Spannung ist damit ganz aus der ursprünglichen Bezogenheit herausgelöst und als exemplum in eine immanent gesellschaftliche Beziehung gesetzt. Abgesehen von der Formulierung, daß good nature Don Quichoteriç sei, bekundet Fielding sein Cervantesverständnis folgendermaßen: But to return to the former class, who are contented to copy nature, instead of forming originals from the confused heap of matter in their own brains; is not such a book as that which records the achievements eo

) von L u k a c s , S. 396. ) Vgl. dazu B e c k e r , S. 27; dazu das Belegmaterial, das Becker, S. 123 fi., aus der Fieldingschen Komödie zusammengestellt hat. β1

11*

163

of the renowned, Don Quixote even Mariana's:

for, whereas

of time, and to a particular

more worthy

the latter is confined nation, the former

in general, at least that part which is polished and of that forwards

from

the name of a history to a particular

period

is the history of the by laws, arts, and

the time it was first polished

to this day;

than world

sciences; nay,

and

as long as it shall so remain ® )? 2

Diese beiden Fieldingstellen vermitteln uns den theoretischen Eindruck, den er von Cervantes besessen hat. Der Ritter gilt ihm als die Inkarnation der Weltgeschichte im allgemeinen, und zwar jenes Abschnittes der Weltgeschichte, den wir als die Moderne bezeichnen und den Fielding als die durch Kunst und Wissenschaft veredelte Epoche sieht. War in dem abstrakten Idealismus des von Cervantes selbst gestalteten Stoffes das Individuum nur als Träger von transzendenten Welten und deren Erschütterungen bedeutsam, so ist jetzt das Individuum selbst ein Wert β3 ), was nicht zuletzt darin zum Ausdruck kommt, daß Fielding die menschliche Güte — auf die er so viel Wert legte — als Don Quichoterie bezeichnet. Aus der Problematik, die Cervantes nur an dem Ritter demonstriert hatte, wird bei Fielding ein Beispiel für die Fragestellung des immanenten Idealismus schlechthin; er übernimmt nicht das cervantesische Erlebnis, sondern nur den im Bild erfolgten Niederschlag. In diesem Sinne ist Joseph Andrews Written in imitation of the Manner of Cervantes, Author of ,Don Quixote'β4). Die Unterschiede und die Ubereinstimmungen, die sich dabei zwischen den Figuren des Don Quichote und Adams ergeben, sind von dieser Stelle aus zu sehen, und es erscheint geradezu absurd, wenn Digeon zur Bestimmung dieses Unterschieds als Merkmal der Verbindung zwischen dem Ritter und dem Pfarrer u. a. auf die beim Reiten zu Boden hängenden Beine hinweist es ). — Adams beginnt erst dann eine gewisse Ähnlichkeit mit dem irrenden Ritter aufzuweisen, wenn er seine Güte in die Wirklichkeit auszuströmen versucht — ein Moment, das den Hauptinhalt des Romans ausmacht ββ). Die Verwandtschaft beschränkt sich dabei jedodi mehr auf den Habitus, als daß sie eine essentielle wäre. Fielding sagt prinzipiell J a zur humanistisch-idealistischen Individualität ) Joseph

e2

63

Andrews,

III, 1, vol. I, S. 214.

> Vgl. von L u k a c s , S. 405. -

β5

) Digeon,

β4

) Joseph

Andrews,

Titelblatt, vol. I.

S. 64. Als weitere Merkmale führt er an, daß Adams ähnlidi

wie Don Quichote die W e l t nur durch Bücher sieht, und daß er wie dieser kampflustig sei. Von diesen Äußerlichkeiten her läßt sich jedodi das Verhältnis Fielding - Cervantes nicht lösen.

164

eo

) B u c k , S. 57.

von Adams, den er durch einige Züge der Eitelkeit nur noch menschlicher gemacht hat. Auch Adams' Seele ruht in einem Problemjenseitigen insofern, als seine Welt in ihrer binnenartigen Geschlossenheit an der empirischen Wirklichkeit vorbeizugehen scheint und vom Blickpunkt einer profanen Realität aus als komisch empfunden werden muß. Jedoch gerade an dieser

scheinbaren oder äußerlichen Übereinstimmung mit

dem Ritter

liegt der Fundamentalunterschied zwischen Fielding und Cervantes. Von dem in der Renaissance neuerwachten menschherrlichen Wirklichkeitsbewußtsein aus galt der in seiner Seele mit transzendenten, überindividuellen Werten verbundene Ritter als positiv verrückt.

Das hat sich

nicht zuletzt darin niedergeschlagen, daß sein idealistisches Gutsein-Wollen, wenn es als wirkliches Gutsein Sancho Pansa eher verrückt als gut

machte®7).

Der Einbruch

erf aß te, diesen weit

des neuen Weltgefühls

machte den transempirischen Idealismus zur Farce.

Ganz anders jedoch

Adams: Immer dort, wo er mit der Wirklichkeit zusammentrifft, sei es in der Episode mit Barnabas, Trulliber, Peter Pounce, dem Landrichter oder anderen, wird man sich bei aller durch diese Situationen entstehenden Komik dennoch fragen - um in der Terminologie zu bleiben — wer eigentlich verrückt sei, der Idealist oder die Wirklichkeit, wobei Adams durchaus als der Normale anzusprechen ist. J a , gerade seine Weltunkenntnis ist die Siegeswaffe seiner kindlichen Güte, die die meisten Gestalten der Wirklichkeit im Romanablauf erleuchtet, wenn sie in seinen Bannkreis geraten, bis er zum Schluß das ganze Geschehen versöhnt. Anstatt daß die Figuren, die sich von Adams erfassen lassen, plötzlich phantastische Geschöpfe würden wie Sancho Pansa, wenn sein Herr auf ihn zu wirken beginnt, verwandeln sie sich und werden selbst gut, glücklich und zufrieden. Fast scheint es so, als ob die idealistische, wirklichkeitsentbundene Welt Adams' die sinnvolle Polarisation zur Prosa der Realität bilde, da beide, isoliert

genommen, manchmal

ans Groteske streifen, jedoch

im

Ganzen recht sinnvoll erscheinen, wenn sie als bezogen erlebt und gedacht werden, wobei Adams die diese Empirie abschließende Sinnhaftigkeit überhaupt repräsentiert. Damit ist das cervantesische Erlebnis eingedolmetscht in das Reich der menschgläubig - immanenten Gültigkeiten, indem der abstrakte Idealist der erste und wertvollste Mensch im gesellschaftlichen Leben wird und nicht, wie bei Cervantes, der monomane Ausdruck für die wertfressende, progressive Geschichtlichkeit einer Weltenwende. Den abschließenden Beweis

dafür liefert

uns das jeweilige Ende der Romane.

«') Vgl. B u c k , S. 58. 165

Läßt Cervantes in der Sterbestunde seines Helden den tragischen Aspekt durchblicken, daß des Ritters Leben neben seinem großen Irrsinn nur einen kleinen Sinn besessen habe e 8 ), so ist Adams am Schluß des Romans derjenige, der die verschiedenen Personen zu der ihnen zukommenden Glückhaftigkeit führt und auch selbst eine Belohnung erhält e 9 ). Nur unter diesem Gesichtspunkt konnte Fielding die Cervantesgestalt als die Geschichte der Welt im allgemeinen begreifen, indem er in ihr die Problematik des Idealismus inkorporiert sah. War jedoch der Idealismus bei Cervantes nur das Ausdrucksphänomen für die großen Fragen einer Weltenwende, so wurde er bei dem menschgläubigen Fielding zu einem Glaubensartikel, den der Realist Fielding kommentierte. Daher vermochte die prosaische Wirklichkeit bei aller Komik nichts gegen die Gesinnung und den Geist Adams' auszurichten, und selbst wenn er in den Gewändern der reinen Torheit erscheint, so ist es diejenige, die den Römern ein Ärgernis war. Adams bleibt der Herr des Geschehens und wird nicht bis zur Tragik genarrt wie der Ritter von der traurigen Gestalt. Adams fehlt noch — und insofern berührt er sich mit Don Quichote — eine innerlich erlebte Problematik, entgegen den späteren Helden Fieldings — ein Tatbestand, der seine Seele in reine Aktivität verwandelt und der erst dort, wo sie auf ein Außen trifft, eine problematische Situation entstehen läßt. Aber bereits der gesellschaftliche Wirkungskreis, zu dem er auf seiner Landstraßenwanderung in Beziehung tritt, und seine Eigengesetzlichkeit, in der er uns als Mensch in sich und nicht als Träger transzendenter Begriffe und Ideen erschien, weisen auf eine kommende Entwicklung des Romans hin. e8

) Vgl. Β u c k , S. 56, sowie das Schlußkapitel von Cervantes' Roman. ) Alle Versuche, das Fieldingsche Cervantesverhältnis aus Äußerlichkeiten abzuleiten, müssen scheitern, da sie den Wesenskern nicht treffen. Fielding sah wohl, daß es sich bei Cervantes um etwas Großartiges handele - daher seine lange Beschäftigung mit ihm. Doch mit dem, was Fielding aus Cervantes machte, erweist er sich als ein Kind des 18. Jahrhunderts. Rang Cervantes mit einer Weltvorstellung, so Fielding mit der Gestaltung des Menschen. Der Forschung ist es nicht geglückt, diesen Tatbestand ganz zu klären. B o b e r t a g , S. 344, übertreibt, wenn er alle Romane Fieldings auf die gleiche Ebene stellt und sie alle von Cervantes abhängig macht. 69

Β i s s e 11, S. 4 ff, versucht das Verhältnis Fieldings zu Cervantes zu bagatellisieren. B e c k e r , S. 136 ff., verliert sich in rein äußerliche Vergleiche, deren Ergebnisse oft sogar falsch sind, so wenn er, S. 136 ff., Adams und D o n Quichote bildungsmäßig, sozial und charakterlich gleichstellt und S. 145 von einer Nach-

166

Das Renaissancehafte, Titanische und Stürmische

war aus dem Men-

schenbild des 18. Jahrhunderts verflogen. Der Fieldingsche Mensch war im wesentlichen durch seine naturhafte Güte und seine wohlwollende Seele ausgewogen und handelte demzufolge als Mensch und nicht als Vehikel bestimmter Ausdrucksphänomene. Als wirklicher Mensch mußte er fehlen, ohne dadurch wesenhaft schlecht zu werden, denn er war ja im Grunde gut und wurde nur gelegentlich ein Opfer des menschlich Allzumenschlichen. Doch gerade das wiederum führt zu einer Problematik, die ein wesentliches Kennzeichen der Romanproduktion des ausgehenden 18. und vor allem des gesamten 19. Jahrhunderts wird. Das Schicksal des Lebens aktualisiert oftmals nicht alles, was der Held in seiner Seele trägt; ja, manchmal werden Dinge von ihm Wirklichkeit — wie Toms und Booths Sinnlichkeit oder die Leichtgläubigkeit des letzteren — die gar nicht so sehr zu den Bestandteilen der Seele als vielmehr zu dem allgemein Menschlichen zählen; die Seele empfindet nach ihrem Offenbarwerden immer Reue. Das abstrakte Apriori dem Leben gegenüber, das die riesenhafte Seele des Ritters in ihrem Idealismus nodi besessen hatte und das Adams in seiner kindlichen Güte noch eigen war, geht teils verloren, teils macht es die schicksalshafte Wirklichkeit nicht mehr augenfällig, denn das Auseinanderklaffen von Seele und Welt wird immer stärker 7 0 ). Damit verbindet sich eine passive Tendenz des Ausweichens vor der Wirklichkeit, indem man alles, was die Seele betrifft, in der Seele selbst abmacht, statt es wie bisher in der Dialektik mit dem Außen sinnfällig zu machen. Tom bildet in dieser Hinsicht vielfach schon einen Übergang, der bei Booth eine ganz deutliche Ausprägung erfährt. Denn als ihm der Ehebruch Gewissensbisse

bereitet, weicht er beständig vor Amelia aus und

läßt es nicht an Versuchen fehlen, mit sich selbst fertig zu werden und in sich selbst die Spannung zu lösen. ahmung des objektiven Humors von Cervantes durch Fielding spricht. Humor ist aber kein literarisches Nachahmungsprodukt, sondern Ausdruck eines Weltgefühls. Vgl. dazu Näheres Kap. 4, 4. Wesentlich näher kommen dem Problem schon die Hinweise B u c k s , S. 53 ff., der viel von der tieferen Fragestellung erfaßt hat, jedoch zu der seine guten Ansätze ziemlich entwertenden Meinung kommt, Tom Jones sei die eigentliche Cervantesnachahmung Fieldings (S. 60). Buck läßt dabei außer acht, daß es sich in Tom Jones um die Darstellung des Alltagsmenschen, wie ihn Fielding sah, handelt, während Cervantes ein Weltgefühl gestaltet, wie wir es darzulegen versuchten. '") Vgl. dazu von L u k a c s, S. 402 fi.

167

Hier beginnt eine Erhebung der Innerlichkeit

zu einer selbständigen

Welt, die nicht mehr im Wechselspiel von Seele und Wirklichkeit lebt, sondern die nur die Realität noch als Stoff und Material für die Konflikte der Seele

empfindet, ohne daß jene Auseinandersetzung siditbar

würde. Bei Fielding ist diese Frage im Andeutungshaften stecken geblieben — jene Frage, die sich bald zur herrschenden Thematik

ausweitet.

Schon in den Schilderungen des sozialen Elends bei Dickens haben sich Sinn und Leben weit voneinander entfernt, zwischen denen nur noch das sentimentale Mitempfinden des Dichters einen schwachen Faden spinnt. Das Wesenhafte beginnt seinen Rückzug vor dem Zeitlichen, das von diesem oft in ein Paradox verkehrt wird. Die Zeit konnte aber erst dann Konstitutiv werden, als die Verbundenheit mit der transzendenten Heimat vollkommen aufgehört hatte 7 1 ); deswegen spielte audi die Zeit in der Epopöe eine völlig unwesentliche Rolle. Die innere Handlung des Romans jedoch, wie sie das gesamte 19. Jahrhundert über die Engländer, Franzosen und Deutschen bis hin zu Turgenjew allenthalben zeigt, ist nichts anderes als ein Kampf gegen die Macht der Zeit, wobei unter Zeit die Fülle des Lebens verstanden ist. Fielding steht im Ablauf dieser Entwicklung genau auf der Mitte: Mit seinem Adams weist er rückwärts auf den abstrakten Idealismus des Cervantes, den er jedoch in das ausgeglichene Menschenbild seiner Zeit eindolmetschte; mit seinem Tom, und noch stärker mit Booth, deutet er auf die kommende Entwicklung, wobei sich charakteristischerweise der moralische Roman des Tom Jones zu dem sozialen Roman der Amelia transformiert 72 ) — die künstlerische Höhe wurde mit der Ebene der Zukünftigkeit vertauscht. Für Adams wird das Zeitliche, das aus dem Gegenwärtigen herandrängende Leben nicht zum Problem. Tom dagegen ist längst nicht mehr so gefeit und besitzt nicht einmal mehr die seelische Unabhängigkeit Josephs. Für Booth hingegen, der schon erheblicher mit der Wirklichkeit ringt, ist es nur möglich, unter dem glückhaften Beistand der Amelia der Macht der Zeitlichkeit zu entrinnen; damit verbindet Fielding ein letztes Mal Sinn und Leben, die im 19. Jahrhundert auseinanderbrechen. So schließen sich die vom formgeschichtlichen Standpunkt aus gewonnenen Erkenntnisse als ergänzende und bestätigende Betrachtung über Fiel71

) Vgl. von L u k a c s , S. 409.

) P r o p e r , S, 35, sagt: The novel with a moral purpose paved the way for that with a social purpose. 72

168

dings Menschenbild an. Sie geben uns nicht nur Mittel, manches Torsenhafte und scheinbar Ungeklärte zu verstehen, sondern auch die Möglichkeit, aus der Überschau der Gattungsentwicklung in den Jahrhunderten die wesentlichsten Punkte Fieldingschen Menschtums festzuhalten.

3,23.

Das

Ethos

Das Entstehungsmoment des Ethischen ist immer ein Konflikt, der die Vorbedingungen für das moralische Erlebnis schafft

An ethischen Kon-

flikten litten die Fieldingschen Menschen gewiß keinen Mangel; ja, gerade die Dauerproblematik, in der das immanente Individuum stand, produzierte fortwährend Normen ethischen Verhaltens 2 ). Das Sittliche beruht darüber hinaus

immer auf einem Vergleich mit objektiv gültigen

Werten und wird erkennbar durch die zu den Wertinhalten des Lebens hinzutretende Forderung des Sollens. Seinem Gehalte nach ist jedoch das Ethische die persönliche Richtung auf den höchsten objektiven Wert des inneren Wesens 3 ). Die Introvertierung des Fieldingschen Menschen mußte auf dem Felde des Moralischen zwangsläufig Maßstäbe aufstellen, die dem Wesen dieser Blickrichtung entsprachen, so daß wir weniger rational-rigoristische Vorschriften erwarten können als vielmehr aus Empfindungen und Gefühlen geborene Werte. Im Gefühl lebt der Mensch zentral in sich selbst hinein und empfindet gerade darin die unmittelbare Einheit seines Wesens als eines Ganzen 4 ). Daher sind audi die geschlossensten Manifestationen Fieldingschen Menschtums fast zu Personifikationen des

reinen Gefühls ge-

worden, wie beispielsweise Amelia. Moral entspringt bei Fielding aus der Güte des Herzens und der Liebe zum gebrechlich-sündhaften

Mitmen-

schen 5 ). Sie ist in vielem nur eine logische Illustration von Fieldings Menschenbild; denn es liegt auf der Hand, daß der von der empirischen Welt dauernd auf sich selbst zurückgewiesene Mensch nun seinerseits aus dem Horchen nach Innen und den Kämpfen seiner Seele von dort Empfangenes als moralische Maxime nach Außen setzt. In diesem Sinne wurde Fielding gerade als Realist ein echter Moralist, indem sich sein scharfes Auge be) S p r a n g e r , S. 255. ) Β i s s e 11, S. 8 sagt daher richtig von Tom Jones: morality is made a matter of motive rather than of external prescription. 3 ) S ρ r a η g e r , S. 257 f. - ") J o e 1, I, S. 4. - 5 ) Vgl. dazu Ρ r ο ρ er, S. 51. 1

2

169

ständig auf die Krisenstellen des Daseins im allgemeinen und des Menschen im besonderen richtete, die er menschlich-verstehend und nicht spekulativ-idealistisdi zu entspannen versuchte. Diese Entbindung des aus dem Inneren des Menschen aufquellenden Fühlens sprach die Leidenschaften heilig — eine Vorstellung, die das gesamte 18. Jahrhundert auf weite Strecken teilte. The frequency with which Eighteenth-Century writers placed man and his reason at the mercy of his passions, particularly his ruling passion, suggests that the age of reason might with more justice be called the age of passione) In dieser neu beschworenen Innenwelt mußten wieder Krisen entstehen, die insofern heftiger und verworrener sind, als die motorische Kraft des Herzens hinter ihnen steht. Solche Situationen werden bei Fielding zur Hauptquelle seines moralischen Anliegens, das er wiederum als Künstler und Empiriker nicht systematisch formuliert, sondern in Gestalten inkorporiert, die im Handeln vielfach erst moralisch werden. Dabei bleibt es typisch für den individualistischen Grundzug dieser Ethik, der durch das ganze Jahrhundert läuft, daß man in immer neu gewendeten Versuchen eine Abwägung des Verhältnisses von Tugend und Glückseligkeit erstrebt mit dem mehr oder minder scharf ausgesprochenen Endergebnis, daß die Triebbefriedigung des Individuums zum Wertmaßstab der ethischen Funktion erhoben wird 7 ). 3,231. Gefühlsethos

und

Utilität

Der zynisch-nihilistische Intellektualismus des Restorationslustspiels wird von den Wogen des Gefühls im 18. Jahrhundert allenthalben weggespült 8 ) — ein Moment, das in den Fieldingschen Komödien sehr deutlich wahrnehmbar ist. Jedoch unterscheidet sich das Fieldingsche Gefühl von den Ergüssen der sentimentalen Komödie, die in einem rührseligen Bänkelgesang ihre Moritaten vorträgt. Fieldings Empfinden ist maskuliner, gesünder, erdfester und natürlicher als die neurotische Sentimentalität der Rührkomödie. Der Kontrast, schon immer der Wesenskern der Komödie 9 ), ist ein durchgängiges Prinzip für all die Schaustellungen in Fieldings Stücken, e ) M a c L e a n , S. 48. Vgl. dazu audi P o p e , Essay on Man, Epistle II, Vers 133-38, S. 204, wo es heißt, daß wir unseren Leidenschaften gehorchen müssen. Vgl. ferner C h e s t e r f i e l d , Letter 95, I, S. 203 ff. und M a n d e V i 11 e , I, S. 346. ') Vgl. W i n d e l b a n d , S. 420. β) N i c o l i , Eighteenth Century Drama, S. 161. ») Vgl. W i l l c o c k s , S. 34.

170

an denen er meist negativ seine Moral demonstriert. Sie reflektieren alle, die Auseinandersetzungen von Vernunft und Leidenschaft, von Kopf und Herz, von Außen und Innen und weisen — wenn audi bisweilen in einer Schwarz-Weiß Malerei — auf das brennende Interesse des Dichters am Leben hin. Der wesentlich engere Rahmen der Komödie gibt Fielding lediglich Gelegenheit, sein jeweiliges Denken und Empfinden zu personifizieren, ohne das von den Komödienfiguren vorgetragene Ethos psychologisch aus ihnen herauszuarbeiten. Wie der Name, den sie tragen, sie zugleich etikettiert, so spinnt sich auch von dieser Allegorie her der moralische Faden durch ihr jeweiliges Leben. Ein wesentliches Charakteristikum der Fieldingschen Komödien ist der vorherrschende Zug des Emotionalen, der das rational-konventionelle Außen polarisiert. Immer wird das Geistige, das Überlegte und Durdidachte von dem oft impulsiv nach oben drängenden Fühlen des Herzens durchkreuzt, da die seelischen "Empfindungen das Wesen des Lebens ausmachen. So sagt beispielsweise Meritai: what is there in life, what joys, what transports, which flow not from the spring of love? The birth of love is the birth of happiness, nay, even of life 10). Demzufolge werden alle äußerlichen Ambitionen u ) scharf gegeißelt, da sie die Wege verschütten, auf denen das Innere zum Außen drängt 1 2 ). Wie stark Fieldings moralisches Interesse in jener Zeit gewesen sein muß, beweist die Umstilisierung, die Molières l'Avare in der Fieldingschen Bearbeitung erfahren hat. Molière griff wohl mit dem Geiz ein Thema des alltäglichen Sich-Ereignens auf, dodi er dramatisierte dieses Motiv zum Ausdruck einer kosmischen Besessenheit, die weit eher eine plastische Vergegenständlidiung des Scheuklappendenkens, des Automatismus' und des Wahnes war, der dem Geiz entsprang 13), als daß sie sidi mit den partiellen moralischen Folgen des Geizes auseinandergesetzt hätte. Ist Molières Geiziger eine Mythisierung des Wahnes, so die englische Bearbeitung ein für die Praxis sehr ergiebiges Beispiel der gesellschaftssdiä10

) Love in Several Masques, I, 1, vol. VIII, S. 15. ") Vgl. beispielsweise die Figur des Harriot in Author's Farce, II, 11, vol. V i l i , S. 227. 12 ) Vgl. dazu Mr. Modern in Modern Husband, I, 4, vol. X, S. 16, oder Lord Richly, op. cit., II, 7, vol. X, S. 31 ff. und 37, oder John, op. cit., IV, 5, vol. X, S. 69, der sein Gewissen1 verkauft. 13 ) G u t k i η d , S. 24, sagt, daß „der Geizwahn Harpagons das Agens der ganzen Komödie" sei. 171

digenden Gefährlichkeit des lasterhaften Geizes. Rein technisch wird diese Umgestaltung dadurch sinnfällig - worauf wiederholt schon hingewiesen worden ist - 1 4 ) , daß das Fleldingsche Stück eine viel bessere psychologische Motivierung

besitzt, die namentlich in

Marianne zum Ausdruck

kommt 1 5 )

der Handlungsweise

von

und besonders durch den Schluß augen-

fällig wird, indem bei Moliere der Geizige seine Kassette wiederbekommt, während Fieldings Geiziger durch den Verlust der Kassette bestraft wird. Allein die bessere psychologische Exposition Mariannes le ) deutet auf die praktisch-alltägliche Zielsetzung

Fieldings

hin, der

den Molièreschen

Mythos psychologisierte. Clermont formuliert die Moral am Schluß folgendermaßen: Misery mark

at

which

is generally avarice

the end of all vice:

seems

to aim;

the

miser

cares within

his

purse;

but it is the endeavours

very to

be

wretched — He hoards

eternal

And what he wishes most, proves

most his curse

17).

Dieses Beispiel zeigt eindeutig das praktisch-moralische Anliegen Fieldings, der ein kosmisches Weltgefühl zu einer sichtbaren Warnungstafel seiner ethischen Absichten macht. Die Figur des Geizigen und das damit demonstrierte sittliche Problem stehen repräsentativ für viele Wendungen desselben Inhalts in Fieldings Komödienschaffen, wobei der sich immer einstellende ethische Eudämonismus zu einer für den Moralisten befriedigenden Lösung treibt; die guten, aus dem Gefühl handelnden Menschen werden belohnt, und die in lasterhafter Gier verstrickten bestraft. Oftmals, wie in Cojfee-House empfinden die Figuren

ihre Bestrafung als

Politician,

verdient und fallen, jeder

Tragik aus dem Wege gehend, in einen versöhnlichen Optimismus ein, der gleichzeitig Ausdruck ihrer Bekehrung ist 1 8 ). — Wie stark es Fielding auf die positiven Tugenden des sozialen Verhaltens und der Liebe ankommt, bezeugt die gleichgewichtsstörende Kraft, die das Laster auf ihre Träger ausübt. So sagt beispielsweise Mr. Mondish: At ease still sleeps the credulous

husband's

breast;

Spite of his wife, within himself he's blest. " ) So z, B. L i η d η e r , S. 78 ff. - " ) Vgl. dazu im einzelnen ibid., S. 82. " ) Vgl. Miser, V, 4, vol. X , S. 225 f. 17) Op. cit., V, Scene the Last, vol, X , S. 273. 1β ) Vgl. das Ende des Coffee-House Politician; alle Charaktere werden plötzlich gut, und Politic sagt bei der allgemeinen Vergebung: This ist the comfort of age. Op. cit., V, Scene the Last, vol. I X , S. 155.

172

The jealous And make

their own miseries themselves

create,

the very thing they hate

le).

Diese Worte erhellen, wie sehr Fielding im Menschen ein inneres Übergewicht angelegt sieht, dessen Mißachtung ins eigene Elend ausläuft. Weiterhin wird daraus ersichtlich, warum Fielding für die Güte des Menschen eintritt, denn gilt die Gefühlsethik für den Menschen überhaupt, so muß er moralisch ansprechbar sein, und nur eine äußere Verirrung kann den seelisch guten Kern dermaßen überkrusten, daß man an seiner Werthaftigkeit zweifelt. Diese moralische Gläubigkeit madit uns bis zu einem gewissen Grade das versöhnliche Komödienende verständlich, wo die im Laster verstrickten Menschen plötzlich bekehrt werden, obgleich Fielding viele seiner Stoffe aus der Alltagspraxis nahm 20 ). Die Dominanz des Gefühls erweist sich nicht zuletzt darin, daß Fielding die blinden Egoismen der Menschen stets mit deren Verstandestätigkeit koppelt 21 ), und selbst dort, wo der Moralist Fielding ein Remedium gegen zerstörerische Leidenschaften braucht, ist Vernunft „dann soviel wie Common Sense und das bedeutet

bei

Fie.

auch

etwas

Emotionales,

nämlich

ein

natürliches

Empfinden, ein gesunder Instinkt für das Richtige, d. h. für das sittlich Gute, als Gegengewicht

gegen die

niederen Triebe, das

im Menschen

gleichsam wie ein kategorischer Imperativ willensmäßig auf das Tun des Menschen einwirkt 2 2 )." Fielding ist jedoch nodi ein Kind des 18. Jahrhunderts und kein im allseligmachenden, autochthonen Gefühl schwelgender Romantiker. Bleiben dem Realisten Fielding bei aller Gläubigkeit a n . den Menschen

gewisse

Schwächen nicht verborgen, so schlägt auch der Ethiker Fielding ernüchterndere Töne an, wenn sich gelegentlich Spuren militärischer Moral finden, in denen sich der Eudämonismus der Aufklärung

schon zu jener

Zweckhaftigkeit umgeformt hat, die in der Humesdien Ethik eine abschließende Formulierung erfährt. Die teleologische Umgestaltung des Molièreschen Stoffes in die demonstrative Komödienmoral

am Schluß des

Fieldingsdien Stückes treibt schon deutlich einer reinen Utilität entgegen. Die Grenze scheint jedoch überschritten, wenn beispielsweise Heartfort in Wedding

Day, einer Komödie nach dem Licensing

Act, sagt:

Universal Gallant, IV, 1, vol, X I , S. 160. Vgl. dazu Ch. Β. " W o o d s , S. 359ff., der diese Tatsache für Letter Writers, Modern Husband und Eurydice Hissed nachgewiesen hat. Vgl. Grub Street Opera, I, 9, vol. I X , S. 229. - " ) W e i d e , S. 83. 10)

20 )

173

From my example,

let all rakes be

taught

To shun loose pleasure's sweet but poisonous Vice, like a ready harlot, still Virtue Der durch

gives slow, but what she gives

seinen Namen schon

draught.

allures; secures23).

positiv gekennzeichnete Heartfort be-

ginnt, in einer werbenden Sprache die Nützlichkeit der Tugend anzupreisen. Daran ist zweierlei bemerkenswert. Einerseits zeigt diese Äußerung noch die für Fieldings Komödien typische Art des ausdrücklichen Hinweisens auf das, was die Figuren darstellen wollen; andererseits verkündet sie die Utilität in pragmatischer Form. Die Komödie, die bei Fielding noch einen ausgesprochenen Kampfcharakter trägt, gibt außer den kategorialen Normen nur insoweit eine Füllung seines Ethos, als das Thema der Innerlichkeit gegenüber einer rational-konventionellen Außenwelt mit ihren verschiedensten Variationen stärker akzentuiert wird. Die Kampfkomödie mit ihrer Tendenz, aus dem momentanen Hier und Jetzt ihre Thematik zu greifen, bringt es ferner mit sich, daß bei der vorherrschenden negativen Illustration die positiven Werte nicht vollkommen ausreifen konnten. Der Stoff diktierte zu sehr die einzelnen "Wendungen, als daß die Gesinnung der positiven Figuren im anschaulichen Handeln den Stoff durchseelt hätte. Will

man die Gefühlsethik in jener Zeit näher

definieren, so geben

Fieldings Gedichte — die er zwar erst 1743 veröffentlichte — einen Hinweis auf die positiven ethischen Gehalte, mit -denen er sich in den Anfangszeiten seines Schafens trug, vor allem, wenn wir sein Urteil über die Gedichte heranziehen, die er als productions of the head24) Greatness,

Of

rather

than

bezeichnet. Schon ihre Uberschriften, wie ζ. Β. Of

True

Good-Nature,

Liberty

of

the heart

deuten auf das hin, was Fielding

damals bewegte. Charakteristisch dabei bleibt die Verinnerlichung, die die einzelnen Begriffe erfahren. So heißt es von der wahren Größe: To no profession, True greatness oder von

party, place

confined,

lives but in the noble mind

)

25

Good-Nature:

23) Wedding Day, ~V, 12, vol. X I I , S. 145. Abwegig scheint die Bemerkung R ο η t e s , S. 71 : „Der junge Fielding war ein Werteverladier, ein Umwerter gewesen, hatte die christlichen Werte und Ordnungen parodiert und zerstört."

) Preface to the Miscellanies, vol. XII, S. 237. > Of True Greatness, vol. XII, S. 256.

24 25

174

What is good-nature? He can declare it best, who best can feel. . . . is it Full composition oder von

not the mighty of a virtuous soulf

whole,

2e

)

Liberty: Where Nature dictates, see how freedom

reigns;

Curse on all laws which liberty subdue, And make the many wretched for the few

27

).

Das tolerante, soziale Moment, das Fielding unter Größe versteht, die umfassende Tugendhaftigkeit, die ihm good-nature bedeutet, und die von der Natur gegebene Freiheit sind alles Ansätze des Fieldingschen Gefühlsethos. Sie gleichen noch unbehauenen Steinen, aus denen aber der Bau seiner moralischen Anschauung erfolgen wird. Sie entstammen seiner eigenen sozialen Gesinnung, seinem enthusiastisch-kämpferischen Optimismus und den Erfahrungen, die er in der empirischen Welt sammelte. 3,232.

Greatness und Goodness

(Jonathan

Wild)

Was die Komödien satirisch-negativ von Fieldings Ethos verdeutlichten, bietet die Wildgestalt in ironischer und präzisierter Form. Audi hier ist es — wie bei den Komödien und ganz in Gegensatz zu Fieldings späterer Verfahrensweise — das absolute Ungeheuer, das das künstlerische und moralische Interesse auf sich lenkt 2 8 ). Jonathan Wild beweist seine Nähe zu den Komödien durch seinen stark politischen Charakter, der sich zu einer Walpolesatire höchsten Stiles aufgipfelt 2 9 ), der aber auch Fieldings Zweifel an der Politik anmeldet 30 ). Trotz der Zeitbeziehung ist Jonathan Wild insofern „philosophischer als die Geschichte", als an die Stelle der handfesten Satire auf Walpole nun eine allgemeinere Behandlung der gleichen Problematik tritt. Es geht um die Frage von Größe und Güte — eine Abstraktion der Komödienereignisse, die jetzt auf breiterer Basis erörtert wird. So sagt Fielding: greatness consists in bringing all manner of mischief on mankind, and goodness in removing it from 2e

) Of Good-Nature, vol. XII, S. 258. ") Liberty, vol. XII, S. 262 f. ) Vgl. D i g e o n , S. 125 f. *·) Über den politischen Hintergrund des Jonathan Wild, vgl. J. E. W e l l s , PMLA 28 (1913), S. 1 ff. 3°) D i g e ο η , S. 108. !8

175

them31). Dies bleibt die Polarisation für die moralische Beurteilung des Jonathan Wild. Dabei ist wiederum ganz allgemein festzustellen, daß hier, wie in den Komödien, die Figuren ein Problem demonstrieren — eine Verfahrensweise, die im Gegensatz zu Fieldings großen Romanen steht, in denen das Problem aus Mensch und Umwelt erst entsteht und in der Handlung gelöst wird. Digeon hat daher vollkommen redit, wenn er meint: In Jonathan Wild the 'real' Fielding is not as yet entirely revealed 32). Wild eröffnet seine Moral in einer Selbstreflexion: The art of policy is the art of multiplication, the degrees of greatness being constituted by those two little words 'more' and 'less'. Mankind are first properly to be considered under two grand divisions, those that use their own hands, and those who employ the hands of others. The former are the base and rabble; the latter, the genteel part of the creation . . . And now . . . we . . . necessarily come to a second division, viz. of those who employ hands for the use of the community in which they live, and of those who employ hands merely for their own use, without any regard to the benefit of society. Of the former sort are the yeoman, the manufacturer, the merchant, and perhaps the gentleman . . . Now we come to the second part of this division; viz. of those who employ hands for their own use only: and this is that noble and great part who are generally distinguished into 'conquerors, absolute princes, statesmen, and prigs'. Now all these differ from each other in greatness only — they employ 'more' or 'fewer' hands 33). Diese Erklärung Wilds bietet den Schlüssel zu einem weiteren Moment von Fieldings Moral: dem sozialen Ethos. Gerade die ironische Behandlung des Gemeinwohls als sittlicher Frage deutet auf den Wert, den Fielding ihr beimaß. Wie im Hintergrund der negativen Auseinandersetzungen der Komödien das Gefühlsethos stand, so spielt in der bestimmten Formulierung des Problems von Güte und Größe die soziale Moral eine wesentliche Rolle und gibt gleichzeitig die erste erkennbare Füllung von Fieldings emotionaler Ethik. Das virtuelle Dasein dieses positiven Wertes wird nicht allein durch den hinzugefügten Heartfreeteil ) Jonathan

3t

of Jonathan 32

I, 1, vol. II, S. 3. Vgl. dazu audi I r w i n ,

Wild,

Making

I, 14, vol. II, S. 47 f. W i 11 c o c k s , S. 60, weist darauf

hin, daß Great Man der Spitzname Walpoles war.

176

The

S. 43 ff., der diese ganze Problematik auf breiter Basis darlegt.

) D i g e o n , S. 125.

) Jonathan

33

Wild,

Wild,

ersichtlich, sondern aus Wilds Bemerkungen selbst. Nachdem sein ganzes Handeln nur eine Paraphrase seines egozentrischen Begehrens war, das sich in dem Begriff greatness

symbolisierte, kommt er in einem Selbst-

gespräch zu der Einsicht: How vain is human GREATNESS! superior

abilities,

which confine be defeated!

and a noble defiance

the vulgar, How

for human prudence

when

unhappy

of those narrow

our best-concerted

might have now disabled

than thus to ruin my friend commanded him from

How

to

impossible

and guard against every circumvention!

Better had it been for me to have observed and morality

avail bounds

schemes are liable

is the state of PRIGGISM!

to foresee

What

rules and

the simple laws of for

his purse to any degree the power

of serving me

the benefit

of others.

of moderation: 34 ).

...

friendship I

I

have

Hier ist der Punkt,

an dem ein moralschaffender Konflikt einsetzen könnte, wie es späterhin, als Fielding ins lebendige Dasein greift, auch geschieht. Hatte Fielding seinen Jonathan Wild mit einem größeren Bewußtsein ausgestattet als seine Komödienfiguren, so zeigt er an derselben Gestalt nicht nur ironisch seine politischen Absichten, sondern auch den Punkt, an dem aus einer gestellten Alternative eine Konfliktsituation — die Vorbedingung aller Moral — entsteht. Solange Fielding Thesenstücke schrieb, regierte der Stoff, der vom Gehalt nur beschienen wurde. Erst als er sich der ganzen Menschheit zukehrte, stand der Gehalt im Mittelpunkt, der sich des Stoffes als eines Mittels zur Entfaltung bediente. Darin liegt eine der wesentlichsten geistigen Ursachen, warum Fieldings Gesellschaftskritik vornehmlich in Modern Husband und Universal Gallant scheitern mußte, was das Publikum durch seine Ablehnung auch bekundete. Es mißlang Fielding, den Stoff so zu durchbluten, daß er verwandelter Gehalt geworden wäre, denn ein aufgeklebtes Spruchband allein genügt nicht, um zu bedeuten, daß sich an diesen Stoffmassen eigentlich eine moralische Gesinnung erweisen sollte. Erst die erlebte Problematik brachte die Quellen des Moralischen zum Fließen, und nicht die dekretierte Anschauung, die Fielding um jeden Preis den Stoffen aufdrücken wollte. Und so sehr die Moral zu allen Zeiten menschgebunden ist, so gelang es Fielding erst dann, ein lebendiges Ethos zu gestalten, als der Mensch in seinen engeren Gesichtskreis trat; erst als das Sachliche vom Persönlichen abgelöst wurde, verwandelte sich die Moritat zur Sitte. :14)

12

Jonathan

Wild,

II, 4, vol. II, S. 66.

/ s e r , Weltanschauung

Fieldings

177

3, 233. Virtue und Good-nature

(Champion)

Doch ehe sich Fieldings Moral in Joseph Andrews erweist, bietet uns wiederum der Champion die Möglichkeit, die langsame Entfaltung zu verfolgen. Gemäß Fieldings Zielsetzung, die Nation zu den Höhen einer moralischen Lauterkeit zu führen 3 5 ), entfaltet er eine Menge positiver ethischer Details, die in Joseph Andrews ihre organische Fusion erfahren. Nach den satirischen und ironischen Schauern bricht eine milde, optimistische Luft ein, die die Vorbedingung zum vollgültigen Ausreifen des Fieldingschen Ethos schafft. In mancher Hinsicht haben die Äußerungen des Champion einen resümierenden Charakter; sie gehen jedoch in ihrer Formulierung und den sich dadurch eröffnenden Ausblicken über bloße Reminiszenzen hinaus. Der menschliche Innenraum wird kategoriale Norm der Ethik 3 e ). Dabei bleibt die Tatsache interessant, daß Fielding nach den oft maßlosen Komödienmenschen mit ihrer Steigerung in Jonathan Wild nun nach einer harmonischen Mitte strebt: many more vices and follies arrive in the world through excess than neglect37). Gleichzeitig ertönt das Lob des horazischen Mittelwegs: I am convinced that happiness does not always sit on the pinnacle of power, or lie in a bed of state; but is rather to be found in that golden mean which Horace prescribes in the motto of my paper38). Dieses neuerschlossene Temperament wird in Fieldings Definition der Tugend sichtbar: True virtue is of a retired and quiet nature, content with herself . . . plain and sober in her habit, sure of innate worth 39). Der chaotischen Wirklichkeit setzte Fielding das Maß und die Tugend entgegen, die die Verwandlung alles Äußerlichen in ein Innerliches ermöglichten. Denn jener Innenraum wurde in entscheidender Weise der Maßstab für alles ethische Handeln. Er prägte die Werte, die die Wirklichkeit gestalteten, und es ist daher nicht von ungefähr, daß Fielding im Champion - vor der ersten großen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit in Joseph Andrews — seine Kardinaltugend good-nature in all ihren Schattierungen definierte: Good-nature is a delight in the happiness of mankind, and a concern at their misery, with a desire, as much as possible, to procure the former, and avert the latter;... this admirable quality 35

) ) 37 ) 38 ) '») se

178

Vgl. Champion, Dec. 22, 1739, vol. XV, S. 113. Vgl. op. cit., Dec. 11, 1739, vol. XV, S. 94. Op. cit., Mardi'15, 1739(40, vol XV, S. 243. Op. cit., Feb. 26, 1739/40, vol. XV, S. 218. Op. cit., Marò 4, 1739140, vol. XV, S. 228.

respects

the whole,

general... word

so it must give up the particular,

good-nature

for judgment,

and folly...

That

requires a distinguishing

and is perhaps

of nature and philosophy

to morality,

if it had

which, if generally as better serpent,

followed,

particular

in the happiness to contribute

ostentation,

loose the conqueror's

with the

that as

and

fear,

extends

humble without the

power,

good-nature man will do

hopes, and

knowledge,

mankind; two-edged

hath erected

This is

the more...

to ravage,

and

we cultivate

calls

ill-nature...

hath

abroad

and enslave

the sweet disposition

in our

Nor can the selfish man

to this virtue;

ambition,

revenge, or any of those pernicious

exquisite,

and less

let

tongue;

hath sent

burn, depopulate

incentives

Wahrhaftigkeit,

strength,

the tyrant's throne, hath

cruel punishments,

...

charitable

sword, and the priest's two-edged

severe laws, invented

one

satirist

of each individual...

the nearer we draw to divine perfection...

3,234.

be to crush a

tainted

every good-natured

never

to the good of the whole. It is (as Shakespeare

fire and sword and faggot, tions ...

than it would

or rather the cream of human nature...

and harassed

hath imposed

as well

men, though

quality, which, like the sun, gilds over all our other virtues

riches of individuals it) the milk,

regard doctrine,

much happier,

not our enemy;...

of mankind,

This makes us gentle without

fettered

consequently,

given to our disease;...

to the happiness

the what

useless with

If the mind be only

as our physician,

his utmost

without

ill-nature

a wild beast.

is a delight that amiable

quality

beyond

could arrive at; and nor is revelation

on vice or vicious

vice, this is but a potion

is to be regarded

wisdom

us something

would make mankind satire

is no more a sign of

or destroy

between

taught us no more than this excellent

than they are...

so pointed,

another

that way, doth not forbid

hath taught

that it is not as old as the creation,

the

which is

which is the chief if not only tending

an injury, Christianity

the religion

the sole boundary

as good-nature,

in the mind of man in the least avenging

to the good of

faculty,

for as it is more easily and safely satisfied passions, so are its joys

na-

minds, want than more

interrupted*0). Leidenschaft

und soziales Ethos (Joseph

Andrews)

Mit dieser klaren Blickrichtung sind die Voraussetzungen erfüllt, die das erste Offenbarwerden von Fieldings Moral bedingen. Alles, was bisher Programm gewesen war, wird in Joseph 40)

12*

Champion, Mará

Andrews

gestaltete Wirklichkeit.

27, 1740, vol. X V , S. 258 ff. 179

— Die sentimental überspannte Atmosphäre des Richardsonschen Tugendgebäudes reizte den gesunden und naturhaften Fielding, diese handfest zu parodieren. Daß jedoch aus der Parodie ein eigenes, in sich geschlossenes Werk mit Fieldingscher Moral wurde, beweist, inwieweit er seit den Tagen seiner kampfgewaltigen Komödien ein empfundeneres moralisches Erlebnis gehabt haben muß, um es in dieser Klarheit herausstellen zu können. An Stelle äußerlicher Travestie erfolgt nun die Objektivierung dessen, was Fielding in sich trug. Auch hier ist es die gefühlsgeladene Innerlidikeit, die alle Rationalität polarisiert, verbunden mit der aufklärerischen Leidenschaft, um der Wahrheit willen beständig Masken herunterzureißen. Fieldings Ziel, die Afïektation zu bekämpfen, wird folgendermaßen umrissen: Now, affectation proceeds from one of these two causes, vanity or hypocrisy: for as vanity puts us on affecting false characters, in order to purchase applause, so hypocrisy sets us on an endeavour to avoid censure, by concealing our vices under an appearance of their opposite virtues... the affectation which arises from vanity is nearer to truth than the other, as it hath not that violent repugnancy of nature to struggle with which that of the hypocrite hath41). Das Falsche und Prätendierte anzugreifen war bis zu einem gewissen Grade schon Thematik der Fieldingsdien Komödien gewesen; doch erst in Joseph Andrews erlebt sie die alles bezwingende Anschaulichkeit, indem Fielding in der reinen, naiven und gottseligen Gestalt des Landpfarrers der Welt der Afïektation beständig den Spiegel vor das Gesicht hält. In dieser Struktur waltet zwar nodi etwas von dem Prinzip der Kontrastierung, das den Komödien als Aufbaugesetz zugrunde gelegen hatte, jedoch mit dem Unterschied, daß die positiven Figuren dort ein Schattendasein führen, während hier der vollgültige und gute Mensch im Mittelpunkt steht. Dieser Umschlag mildert audi die Atmosphäre; dies wird in einer weiteren Zielsetzung Fieldings deutlich: Great vices are the proper objects of our detestation, smaller faults, of our pity; but affectation appears to me the only true source of the Ridiculous42). Audi in Joseph Andrews ist der ethische Optimismus gefühlsbestimmt und von den Leidenschaften geprägt. So sagt Adams: a virtuous passion 41

) Joseph Andrews, Preface, vol. I, S. 22.

42

) Op. cit., Preface, vol. I, S. 23. G o a d , S. 13, bemerkt dazu: Fielding in

his friendly criticism and toleration of human frailties, is a true Horatian. 180

for a young man is what no woman liebt with inexpressible passion Eng

violence,

need to be ashamed

though

of43),

und Fanny

with the purest and most

delicate

).

44

verbunden mit der Leidenschaft ist

die Impulsivität

des guten

Herzens, so wenn ζ. B. Joseph und Adams spontan reagieren, als ihnen die Geliebte, bzw. der Lieblingssohn genommen werden.

Doch Leiden-

schaftlichkeit und Impulsivität verkörpern mehr die Modi, in denen die wohlwollende Seele sich manifestiert.

Der wesentliche Zug von Adams'

Charakter ist ein aktives und aufgeschlossenes Helfenwollen, das bei seiner alles umschließenden Sympathie immer spontan hervorbricht. nicht aus nach Stand und Verdienst oder Rang

Er wählt

und Herkunft, sondern

alles Elend am Wege des Lebens affiziert ihn momentan und intensiv

45

)

und löst tätiges und rühriges Handeln aus. Dadurch unterscheidet er sich wesentlich von den Tugendbolden Richardsons, die erst nach rationaler Überlegung Gutes tun, und nicht zuletzt von Don Quichote, der nur den Standesebenbürtigen helfen will 4 6 ).

Für Adams dagegen gilt jene Defi-

nition, die er dem geizigen Peter Pounce zuruft: disposition

to relieve

the

charity

is, a

generous

distressed47).

So ist die soziale Ethik nicht eine Maxime, die Fielding der allgemeinen Zweckmäßigkeit wegen übernommen hat, sondern sie entspringt aus dem klaren Quell des guten Herzens, das seine Menschen besitzen. Diese starke Demokratisierung und emotionale Verinnerlichung von Fieldings Moral, die sich

zum Mitleid für die kleinste Kreatur

ausweitet — wenn etwa

Fanny mit dem von Hunden gehetzten Hasen

mitfühlt 4 8 ) — weist auf

sittliche Normen, die in der Romantik heilig werden. Alle diese Strömungen aber treiben nicht zur Passivität eines romantischen Quietismus; das beatus Ule, qui procul

negotiis

bedeutet für Fielding noch nicht jenes Ver-

langen nach unwirklichen Reichen, sondern ist positiver Ausdruck eines seelischen "Wohlgeordnetseins. Das Idyll wird bei Fielding zum alles überstrahlenden Licht, aber nicht deshalb, weil es unerreichbar ist, sondern weil es die höchste Steigerung der homogenen Innerlichkeit verkörpert; es wird nicht zum

klagenden Ausdruck dessen, was man

verloren hat, sondern

zum Symbol für das, was man an Innerlichkeit besitzt. So geht der Landr y Joseph Andrews, II 10, vol. I. S. 166. " ) Op. cit., II, 10, vol. I, S. 167. 45 ) Vgl. das Beispielmaterial bei T h o m a s , S. 28, der von Adams als einem impulsiv-sympathetischen Typ des Philanthropen spricht. 4β) Vgl. ibid., S. 31. - ") Joseph Andrews, III, 13, vol. I, S. 310. 48> Vgl. op. cit., III, 4, vol. I, S. 257. 181

pfarrer nicht als Träumer durch diese Welt, sondern als der aktive Mensch, dessen gutés Herz sidi beständig in Handlungen christlicher Nächstenliebe dokumentiert. Diese Gesinnung färbt auch auf die anderen positiven Figuren des Romans ab, so etwa, wenn Joseph meint: Now, of charity...

create a man more honor

by the finest house, furniture,

pictures,

or clothes

Oder wenn er spontan ausruft: / defy turn a true good

action

yet they all agree

in praising

would

and respect

that were ever

the wisest

into ridicule ...

Nobody

those who do

not one great

than he could

act

acquire beheld49)?

man in the world scarce

doth

any

to good,

50).

Allein, Adams verströmte sich nicht nur als reine Tätigkeit nach außen, sondern sah alles menschliche Handeln unter dem Blickpunkt der unsterblichen Seele:

Out of love

truth...

by doing

for

— your immortal

to

yourself,

otherwise

you

soul. / can hardly

you injure

believe

should

confine

the noblest

Stellen

bezeugen

part

of

to

yourself

any man such an idiot to risk

the loss of that by any trifling game, and the greatest is but dirt in comparison

yourself

of what shall be revealed

gain in this

hereafter

den Einbruch des Eudämonismus in

Ethik, der der Aufklärung als eine Art Doktrin

galt.

51 ).

world

Derartige

die Fieldingsdie Die Äußerung

Adams' markiert die Nahtstelle, an der sich die idyllische Welt und die Prosa der Wirklichkeit begegnen und durdidringen. So ertönen allenthalben Rufe von der Schädlichkeit des Lasters 5 2 ) und der Nützlichkeit der Tugend, die in der Lebenserfahrung Wilsons gipfeln. In Joseph

Andrews

der Innerlichkeit

erfolgt die erste von Fielding gestaltete Wendung

gegen eine Welt, die von kalter und

unterschwelliger

Triebhaftigkeit beherrscht wird. Gegen rationale und äußerliche Prätentionen setzte Fielding die Kraft des guten Herzens; gegen die farcenhafte, aristokratische Konvention

das Ethos vom

einfachen Leben;

gegen die

egozentrische Selbstsüchtigkeit das demaskierende und uneigennützige Helfenwollen der christlichen Nächstenliebe; gegen die temporären, lasterhaften Verlockungen des Lebens die Bedeutung des Wertes der Seele; gegen engherzige, Gefühl;

verstandesmäßige Berechnungen

und schließlich

ein weites,

sympathetisches

gegen den Unwert des Lasters die Nützlichkeit

der Tugend. 4») 51)

182

Joseph Andrews, III, 6, vol. I, S. 264 f. - 5°) Op. cit., III, 6, vol, I. S. 265 f. Op. cit., II, 3, vol. I, S. 114. - 52) Vgl. z. B. op. cit., IV, 7, vol. I, S. 341.

3, 235. Caritas und

Unsterblichkeit

Die Jahre zwischen Joseph Andrews und Fieldings größter Schöpfung bieten wohl eine Fülle moralischer Aussagen, deren Gehalt jedoch nur eine Nuancierung der in seinem ersten Roman ausgesprochenen Ethik verkörpert. Fieldings ganzes moralisches Philosophieren erfährt eine plastische Illustration in der Journey from this World to the Next, indem an der Himmelspforte der Wächter Minos alle herannahenden Gestalten nach der Maxime beurteilt: no man enters that gate without charity 5S ). So öffnen sich die Tore dem Philanthropen und Patrioten, während sie dem Müßiggänger, dem Beau, der Prüden, dem Geizigen und allen jenen, die in selbstsüchtigen Lastern gelebt haben, verschlossen bleiben. Und als der Dichter selbst erscheint und dem Himmelswächter bangenden Herzens bekennt: I had indulged myself very freely with wine and women in my youth, but had never done an injury to any man living, nor avoided an opportunity of doing good54), da läßt ihn Minos selbstverständlich passieren. War die Nächstenliebe schon an Adams eine hervorstechende Eigenschaft, so wird sie hier zum alles abschließenden Sinn der Fieldingschen Moral, indem selbst der fehlende Mensch zum Heile gelangt, sofern er sich als ein Diener am Nächsten erweist. Neben der karitativen Gesinnung wird in diesem Werk ein weiteres Moment sichtbar, das bei dem späten Fielding eine alles bedingende moralische Gewichtigkeit erhält: die Reue. Daher öffnen sich beispielsweise die Himmelspforten für Anne Boleyn, nachdem sie bereut, ihr ländliches Idyll mit dem seelischen Elend als Königin vertauscht zu haben 55 ). So führt der Weg zum Heil in der Fieldingschen Welt nur über die karitative Selbstlosigkeit und die Reue, die zur Voraussetzung seelischer Läuterung wird. Eine andere Wendung desselben Motivs spiegelt sich in dem Essay on Conversation, der weniger auf die Verheißung der christlichen Nächstenliebe als auf ihren Pflichtenkreis in der menschlichen Gesellschaft ausgerichtet ist. So heißt es: The art of pleasing or doing good to one another is the art of conversation5β), wobei Fielding unter pleasing good-breeding versteht, dessen Wesen er auf die Bibel zurückführt und in dem Satz zusammenfaßt: Do unto all men as you would they should do unto you57). Dieses mitmenschliche Dienenwollen des edlen Herzens gipfelt in einem ) Journey from this World to the Next, vol. II, S. 244. 5S) Op. cit., vol. II, S. 343. "> Op. cit., vol. II, S. 245. 5U) Essay on Conversation, vol. XIV, S. 248. « ) Op. cit., vol. XIV, S. 249. 53

183

Hinweis, der dann schon zum ureigensten christlichen Moralbestand gehört: Forgive the acts of your enemies hath been thought the highest maxim of morality 58). Dieses nodi etwas allgemein gehaltene Bekenntnis zu ganz spezifischen christlichen Tugenden erfährt an einer Stelle jedoch eine wesentlidie Intensivierung, wie sie dann bei dem späten Fielding wieder anzutreffen ist: im christlichen Unsterblichkeitsgedanken. Konnte man dem aktiven Helfenwollen von Fieldings Gefühlsethik in der frühen Zeit mehr eine gewisse säkular-philanthropisdie als eine ausgesprochen christliche Motivierung unterstellen, so spricht Fielding sich in einer Lebenssituation, als er dem Tod im engsten Familienkreis begegnete, für die allerfüllende seelische Mächtigkeit der religiösen Verheißung aus. Er meint, die Religion spende einen größeren Trost als . . . the voice of human philosophy ... Religion ... gives us a most delightful assurance, that our friend is not barely no loser, but a gainer by his dissolution... it gives a hope... the hope of again meeting the beloved person... This is a hope which no reasoning shall ever argue me out of, nor millions of such worlds as this should purchase; nor can any man show me its absolute impossibility, till he can demonstrate that it is not in the power of the Almighty to bestow it on me 5e). 3, 236. Die Gewissensmoral

(Tom

Jones)

Je mehr der Mensch mit den Imponderabilien der Wirklichkeit zu rechnen hatte, je intensiver er aus der dumpfen, subjektiven Befangenheit zur Selbsterkenntnis aufbrach, desto größer mußte seine instinktive Begabung sein, im dunklen Drange sich des rechten Weges bewußt zu werden. Die etwas lehrhaft demonstrierte Ethik von Adams, die der unmittelbaren Empirie nicht bedurfte, da sie in ihrem In-Sich-Sein ruhte, ist in dieser Form nicht mehr relevant, als die Wirklichkeit strukturbedingend wird. In diesem Moment ist die Sittlichkeit des Menschen nicht mehr unmittelbar gegeben, sondern entsteht erst aus den konfliktreichen Situationen des Geschehnisablaufs. Die verschlungenen Wege des Herzens rücken daher in ganz entscheidendem Maße unter die Optik der Betrachtung, die Fieldings großen Roman nicht zu einem bloßen Panorama von Menschen, sondern zu dem vollendeten Ausdruck für die Komplexhaftigkeit der menschlichen Seele macht. Diese weltweite Übersdiau konnte jedoch nur aus einem Erlebnis und nicht aus einer Absicht geboren werden. Darin liegt der tiefere 68

) Essay on the Knowledge of the Characters of Men, vol. XIV, S. 293. ) Of the Remedy of Affliction, vol. XVI, S. 109.

M

184

Unterschied zu Joseph Andrews. War es dort Fieldings Intention gewesen, die Menschheit zu beschreiben mit der partiellen Blickrichtung, Heudielei und Eitelkeit zu demaskieren, so ist es in Tom Jones wohl die intellektuelle Absicht Fieldings, die Menschheit in ihrer ganzen Vielfalt zu zeichnen, jedoch mit dem wesenhaften Unterschied, daß er hier nicht nur geschautes, sondern erlebtes Leben gestaltet. Dieser grundsätzlich neue Akkord, der den ganzen Tom Jones durchklingt, hat sogar in des Dichters theoretischen Maximen Niederschlag gefunden. So heißt es: Nor will all the qualities I have hitherto given my historian avail him, unless he have what is generally meant by a good heart, and be capable of feeling. The author who will make me weep, says Horace, must first weep himself. In reality, no man can paint a distress well which he doth not feel while he is painting it; nor do I doubt but that the most pathetic and affecting scenes have been writ with tears. In the same manner it is with the ridiculous. I am convinced I never make my reader laugh heartily but where I have laughed before him; unless it should happen at any time that instead of laughing with me he should be inclined to laugh at me 60). — Dieses mit Herzblut Geschriebensein verleiht Tom Jones die ganze ethisch-innerliche Mächtigkeit, gibt ihm in vielem menschlichere Züge und stellt ihn in die Unterschiedlichkeit zu Joseph Andrews, der aus seinem parodistischen Ursprung heraus mehr ein Ethos verkündet, als daß eines erlebt und gestaltet würde. Die positiven Menschen in Fieldings erstem Roman besaßen ein sittliches Bewußtsein jenseits aller Fragwürdigkeit, und selbst die empirische Welt vermochte es nicht in Frage zu stellen; vielmehr beleuchtete Adams durch sein bloßes Dasein und Sosein die Bedenklichkeiten der alltäglichen Welt. Erlebnis im Sinne des persönlichen Durchleidens und des An-Sich-SelbstErfahrens bedeutet hingegen nicht mehr, reine Seele zu sein — da es so etwas wie autochthone Erlebnisse nicht gibt —, sondern heißt, in einem inneren Akt eine Begegnung von Außen und Innen erfahren und vollzogen zu haben, selbst wenn die Realität dabei nur anregenden Charakter besessen hat. Adams war zu einseitig gut, als daß er die Problematik des Ethischen hätte erleben können, denn Moral entsteht erst an den Konfliktstellen des Daseins. Wie der Pantheismus beispielsweise jenseits aller Ethik steht, da das Ethische und das Harmonische sich ausschließen, so kann der abstrakte Idealist nur ein Verkünder seiner seelischen Geschlossenheit oder ein tätig Handelnder sein; er kann jedoch niemals die Stimmungen bei «») Tom Jones, IX, 1, vol. IV, S. 159 f. 185

der Entstehung des Moralischen erfahren. Aufbau des Joseph

Andrews

Dies wiederum liegt klar im

beschlossen, indem es sich hier nur um die

Konfrontation zweier verschiedener Welten bis hinab zu partikulären Ereignissen handelt, während die moralschaffende Konfliktsituation jenseits der Möglichkeit der positiven Gestalten liegt. In Joseph

Andrews

wird

weniger gelebt als gezeigt, weniger entwickelt als bewiesen, und selbst dort, wo Innen und Außen sich zu begegnen scheinen — wie bei dem vermeintlichen Verlust von Adams' Sohn — reagiert sich die daraus entstandene Spannung im erfahrbaren Außen und nicht in der Seele ab. All das bezeichnet die Differenzierung zwischen Joseph Tom

Jones.

Andrews

und

Die Gehalte der Moral haben sich in ihren Grundweisen

kaum verändert, jedoch wie ähnliche Absichten aus Fieldings Komödienschafien in Joseph

Andrews

eine ganz andere Atmosphäre erzeugten, er-

scheinen die gleichen ethischen Ideale des Joseph

Andrews

in Tom

Jones

in großartigerer Beleuchtung. Die seelische Umformung, die im Erlebnis geschieht, vermochte es, Fieldings großen Roman aus seinem Inneren in die objektivierte lebendige Erscheinung umzugießen. Und wie die Wege des Herzens verschlungen und untergründig sind, so schuf er eine Welt gelebter und geheimnisvoller Organik, die nicht an allen Enden eine flache rationalistische Erklärbarkeit der Dinge zuläßt. In einem Menschenbild, in dem das Eindeutige mit dem Problematischen vertauscht wird, ist es eine unabdingbare Forderung, daß das ethische Individuum gut sein muß, da es im anderen Falle hoffnungslos erschienen wäre, es durch das Labyrinth des Lebens zu schicken. Gutsein heißt aber nach Fielding, ein gutes Herz und ein sympathetisches Gefühl zu besitzen: sympathies

of all kinds are apt to beget loveβ1).

Dies waren wohl die

Grundeigenschaften Toms, die sich jedoch zu einer seelischen Kraft potenzierten, je mehr sie der empirischen Welt ausgesetzt waren. Diese seelische Kraft mußte zu einem entscheidenden Faktor aller menschlicher Handlungen werden, damit der Mensch die Fährnisse des Lebens zu bestehen imstande war. Daher war das Gewissen — wie Fielding diese Kraft nannte — eine der Hauptqualifikationen von Toms Charakter und bestimmte den Tenor des ganzen Romans e 2 ). ") e2) guilt sure that Op.

186

Tom Jones, I, 10, vol. I I I , S. 49. Vgl. Dedication zu Tom Jones: I have shown that no acquisitions of can compensate the loss of that solid inward comfort of mind, which is the companion of innocence and virtue; nor can in the least balance the evil of horror and anxiety which, in their room, guilt indroduces into our bosoms. cit., Dedication, vol. I I I , S. 12.

Bei Adams war das Gewissen ein harmonischer Teil seiner selbst gewesen, bei Tom hingegen wird es als der Lord High Chancellorβ3) zu einer ethischen Kategorie, die aus dem puren impulsiven Gefühl allein nicht mehr zu erklären ist, da sie eine Art Daimonion verkörpert, das nicht nur instinktiv vom Schlechten abrät, sondern audi bewußt zum Guten anregt ®4). Diese moralische Kraft wurde jedoch erst möglich und notwendig, als die Lebenssituationen konfliktreich zu werden begannen. Adams hatte der inneren Stimme nicht bedurft, die ihm einflüsterte, was er zu tun und zu lassen hatte — einfach deshalb, weil seine Handlungen auf der Stufe einer vorbewußten Impulsivität entschieden wurden. Desgleichen brauchte der keusche Joseph nicht nach innen zu horchen, als seine verbuhlte Herrin mit ihren Reizen ihn zu verführen trachtete, denn das Wissen um Fannys Liebe und das Gefühl seiner eigenen Treue enthoben ihn jeglicher Gewissensentscheidung. Dieses Daimonion zählt erst dann zu den Unabdingbarkeiten der Welt, als die Maßstäbe des Handelns nicht mehr unmittelbar gegeben waren, als die Welt der Tatsachen sich vom Menschen abzulösen begann — ähnlich wie zur Zeit des attischen Aufklärers, als der Mythos sich zum Logos wandelte. Nichts drückt deutlicher das Bewußtsein von der geborstenen und rißhaften Oberfläche des Daseins aus als Fieldings Erkenntnis: There are a set of religious, or rather moral writers, who teach that virtue is the certain road to happiness, and vice to misery, in this world. A very wholesome and comfortable doctrine, and to which we have but one objection, namely, that it is not true... if by virtue is meant (as I almost think it ought) a certain relative quality, which is always busying itself without-doors, and seems as much interested in pursuing of the good of others as its own. I cannot so easily agree that this is the surest way to human happiness; because I am afraid we must then include poverty and contempt, with all the mischiefs which backbiting, envy, and ingratitude can bring on mankind, in our idea of happiness; nay, sometimes perhaps we shall be obliged to wait upon the said happiness to a jail; since many by the above virtue have brought themselves thither*5). Fieldings Kardinaltugend der Nächstenliebe beginnt hier eindeutig, mit dem Glückseligkeitsverlangen diskordant zu werden. Nichts veranschaulicht die Änderung des ethischen Weltgefühls deutlicher als diese Erkenntnis, und nichts spricht beredteres Zeugnis für die Geltung und Unabdingbarkeit der Empirie als gerade jenes Auseinanderfallen von ) Tom Jones, IV, 6, vol. III, S. 164. - ««) Vgl. op. cit., IV, 6, vol. III. S. 164. ) Op. cit., X V , 1, vol. V, S. 141 f.

e3

e5

187

Nächstenliebe und Glückseligkeit, die sich sonst immer gegenseitig bedingten. Hier konnte sich der ethische Konflikt bis zu Aporie ausweiten, und wir besitzen hier ferner eines der sinnfälligsten Beispiele für eine beginnende Skepsis, die bisweilen Schatten auf das sonnenhafte und natürliche Treiben der Fieldingschen Welt wirft. Nur die Innerlichkeit konnte dieser Situation Herr werden, und diese Innerlichkeit besteht in Tom Jones is the sure companion

of innocence

of that solid comfort and virtueββ).

of mind,

which

So liegt auch die Be-

friedigung der Menschen mehr in den seelischen Bezirken als in großen äußeren Errungenschaften

β7

) ; die Glückseligkeit bindet sich nicht an äuße-

ren Wohlstand, sondern an die Harmonie der Seele. Das ganze Epos illustriert an der Gestalt des Helden, daß die Wege zur Tugend und zur innerlich-seelischen Heimat keine geraden mehr sind: while Mr. Jones acting the most virtuous part imaginable low-creatures perhaps pletely

from

clothed

destruction,

the devil,

in laboring

to make

him

was

his fel-

or some other evil spirit,

in human flesh, was hard at work

miserableβ8).

to preserve

one com-

Und gerade deswegen, weil jene Harmonie des Da-

seins zerbrochen ist, muß der Held Gewissen besitzen, um vom endgültigen Ziele nicht

abzuirren.

Adams marschierte wohl auch auf

gekrümmten

Wegen in seinem Leben, jedoch nicht auf unterbrochenen wie Tom, der oftmals in der äußeren Verlorenheit durch ein fremdes Gefilde irrt. Für Adams war der Sinn immer gegeben, Tom mußte ihn suchen. Bespiegelt wird diese neue Seelenlage durch zwei Dinge, die in Tom Jones als Kardinalverbrechen gegeißelt werden: Indiskretion und Undank. Fielding sagt darüber: I have endeavoured strongly to inculcate, that virtue and innocence can scarce ever be injured but by indiscretion; and that it is this alone which often betrays them into the snares that deceit and villany spread for them ββ). Wenn also seelische Tugend und Unschuld die einzigen sicheren Garanten für den inneren Frieden sind, die höchste Qualität des in seiner Seele ringenden Menschen, so müssen Angriffe, die sich gegen die Glückseligkeit richten, zum Verbrechen werden. — Und mit der gleichen Intensität, wenn nicht noch stärker, wendet sich Fielding gegen den Undank. Denn ist es die gewöhnliche Folge für den karitativen Menschen, daß er durch seine Opferwilligkeit selbst ins Elend gerät, so ist der Undank das Schlimmste, das ihm widerfahren kann. Während Fielee) Tom Jones, Dedication, vol. III, S. 12. «') Vgl. D i g e ο η, S. 162. - ββ) Tom Jones, XV, 1, vol. V, S. 142. ββ) Op. cit., Dedication, vol. III, S. 12.

188

ding seine scharfe Ablehnung gegen die Indiskretion selbst zum Ausdruck bringt, läßt er Allworthy mit nicht minder betontem Nachdruck den undankbaren Blifil verdammen: The dishonesty of this fellow (d. h. Blifil) I might... have pardoned, but never his ingratitude 70 ). — Der auf seine Innerlichkeit zurückgedrängte Mensch hat sich im Grunde mit den äußeren Hemmnissen der Welt abgefunden, daher können nur Dinge existenzbedrohend werden, die den Restbestand der im guten Handeln erworbenen Glückseligkeit und die innere Ruhe angreifen. Hand in Hand mit der starken Ausprägung der Gewissensmoral geht ein anderer Gedankengang, der mehr aus der plastischen Gestaltung abzulesen ist, als daß ihn Fielding theoretisch ausgesprochen hätte. Wenn Tugend nicht zwangsläufig zur Glückseligkeit führt, da die dämonische Wirklichkeit das ursprünglich gute Motiv so eigenartig transformiert, daß die dem Motiv entsprungene Handlung nicht mehr kongruent ist, so muß es bei der Beurteilung des moralischen Sinnes weit stärker auf die Absicht als auf die Tätigkeit ankommen. So besitzt Tom nur gute und wohlmeinende Intentionen, die ihm die Wirklichkeit in hohem Maße zuschanden macht. Ganz anders Blifil. Obgleich seine inneren Vorstellungen nur von seiner Egozentrik bestimmt sind, erscheint er in seinen Handlungen selbst für Allworthy fast bis zum Schluß als der ausgesprochen Sittsame. Diese Brüchigkeit von innerlich Gewolltem und äußerlich tatsächlich sichtbar Gewordenem reflektiert im Grunde das gleiche Gefühl, das der Erkenntnis der Diskrepanz von Tugend und Glückseligkeit zugrunde lag. Der eindeutige Akzent, der hier auf dem Motiv zu liegen scheint, deutet auf eine gewisse Widersprüchlichkeit hin, wenn man sich die Bedeutung vom Wert der guten Handlung vergegenwärtigt und beispielsweise an ein Wort Toms denkt, der zu der Feststellung kommt: that there was no merit in faith without works71). Will man diesen Tatbestand nicht als Widerspruch deuten, sondern als Ausfluß einer Entwicklung, so klingen audi hier präludierende Töne an, die in der Romantik bei dem alles ausschließenden Wert der guten Absicht zu vollen Akkorden anschwellen. Der Tiefgang des moralischen Erlebnisses in Tom Jones ist nicht zuletzt daran abzulesen, daß Fielding seiner positiven Ethik die negative Illustra) Tom

70

Jones,

X V I I I , 11, vol. V, S. 358. D i g e o n ,

S. 165, erblickt im Ge-

danken der Undankbarkeit die Zentralidee des Buches. ) Tom

71

Jones,

IV, 4, vol. III, S. 154. Fielding sagt jedoch auch: A single, bad

act no more constitutes

a villain in life than a single bad part on the stage.

Op.

cit., V I I , 1, vol. I I I . S. 335.

189

tion in den beiden ständig miteinander zeternden Pädagogen Square und Thwackum zur Seite stellt. In one point all their discourses favorite virtue,

phrase

of the

never

former

only

eternal

measured

fitness

in doing

all actions

of things;

this, he always

the lawyer authority

doth with

his Coke the text72).

only73),

(d. h. Square)

grace ). 74

which was, goodness.

was the natural

by the unalterable

the latter

the word

decided

used the Scriptures upon Lyttleton,

Square betrachtete all virtue that

but a sink of iniquity,

till purified

as

is of

equal

as a matter

the human

the but

commentators,

the comment

of

grace.

by authority;

and their

where

of

rule of right, and

all matters

in The

beauty

was the divine power

und Thwackum maintained

the fall, was nothing

they agreed,

to mention

that of· the latter (d. h. Thwackum)

The former

theory

on morality

mind,

of since

and redeemed

by

Sie sind beide Vertreter einer rationalen Moral, wie sie Clarke

und T i n d a l 7 5 ) in den ersten Dezennien des Jahrhunderts gepredigt hatten. Sie sind darüber hinaus ethische Systematiker, weshalb ihnen Fielding das Tartuffehafte in ihre Züge

mischte.

Der Philosoph

erniedrigt die

Menschnatur zu einer mechanischen Begriffssystematik, und der Theologe exponiert ein pessimistisches Menschenbild, um seine Autoritätsgläubigkeit verlockender zu

madien und sich damit notwendige Wichtigkeit

einzu-

räumen. Beide verkörpern die intellektuelle Motivierung der menschlichen Handlung

7e

) und bilden in jedem Falle die negative Antipode zu dem,

was der Dichter als Werthaftes herausstellt. Der nahezu erstaunliche Grad scholastisch-pedantischer Erstarrung ist nur der negative Ausdruck für den vitalistisch-emotionalen Fluß, der die innersten Bezirke ihres Schülers Tom durchzieht 77 ). — Doch nicht allein diesen Aspekt bringen die Prügelpädagogen zum Ausdruck: Tugend und Gnade als die jeweiligen Kristallisationspunkte ihrer konfusen Metaphysik sind als solche keine Zielscheiben des Spottes wie die Afïektation, die Eitelkeit und die Heuchelei in Andrews.

Daß sie jedoch in ganz anderer Begriffsverbindung

Joseph

auftreten

können, als sie Fielding in positivem Sinn versteht, deutet wiederum auf das Weltgefühl des Romans hin, in dem an Stelle stringenter Verständlichkeit des Daseins eine schillernde Zwiegesichtigkeit der Dinge tritt.

'*) Tom Jones, III, 3, vol. III, S. 114. ") Op. cit., III, 3, vol. III, S. 114.

73

) Op. cit., III, 3, vol. III, S. 114.

) Vgl. dazu D e i η h a r d t , S. 29, und S t e p h e n , English Thought, I, S. 119 ff. 7β) Vgl. D e i η h a r d t , S. 30. " ) H a a g e , S. 158, kommt zu dem verfehlten Sdiluß über Tom Jones: „. . . der Grundplan, sein ganzes künstlerisches System, hat mit dem Leben nichts zu tun, er ruht auf einer Jahrhunderte alten dichterischen Tradition." 75

190

Das Geschehen dieses weitverzweigten Epos konzentriert sich im ethischen Entwicklungsgang des Helden. „Es kann danach kein Zweifel sein, daß Fielding das objektive Geschehen nicht anders bewertet als die Realisierung abstrakter Ideen und persönlicher Absichten, die ihm allein das eigentlich Wesentliche und allein Ernste und Wertvolle bedeuten, so daß er sich persönlich zu ihnen bekennt und für ihre Darlegung beständig die dichterische Illusion durchbricht, um sie frei und unmittelbar an den Leser heranzutragen 78 )." Darin erweist sich Tom Jones

als Roman im echten

Sinne, d. h. als jene Form, die die inhaltlich deutlidi gewordene Ethik des ganzen Geschehens bindet und gliedert, indem sie die feinsten Nuancierungen bis hinein in die rißhafte Wirklichkeit sowohl des Daseins als audi des Menschen siditbar macht 7e ). Die beginnende Relativierung des Seienden innerhalb der Fieldingschen Wertwelt schlägt sich nicht allein in der starken Verinnerlichung zur Gewissensmoral nieder, sondern gleichzeitig in einem sichtbaren Rückgriff auf das Religiöse. Whether

these philosophers

(d. h. jene, die die Liebe

nen) be the same with that surprising sect who are honorably by the late Dr. Swift as having, by the mere force of genius alone, the least assistance of any kind of learning, or even reading, that profound

and invaluable

secret that there is no God, or

leug-

mentioned without discovered whether

they are not rather the same with those who some years since very much alarmed

the world by showing that there were no such things as virtue or

goodness really existing in human nature, and who deduced our best actions from pride, I will not here presume to determine

80

). Daran ist zumindest

der Ton auffällig, in dem Fielding die ihn als Ungeheuerlichkeit dünkende Behauptung behandelt.

Darüber hinaus ist es bedeutsam, daß Fielding

hinter der Leugnung Gottes und der Tugend dieselben Geister vermutet. Solche Äußerungen jedoch sind mehr Prolegomena zu ausgesprochen christlichen Bekenntnissen, die sich durch das große Werk ziehen. ) F i s c h e r , S. 76. ™) Verfehlt erscheint die Beurteilung des Tom Jones durch F e h r , S. 249: „Der männliche Fielding schlägt das Gehege der moralischen Beengung, der unbedingten Trennung von Gut und Böse, wozu Delicacy schließlich hindrängt, zusammen. Er legt die ewigen Maße in die fernen Ideale, die Vollkommenheit zu Gott, die Tugend zu den Engeln und macht so den Weg wieder frei für die Komik, die unter epischen Bedingungen ein neues besseres Dasein führt." eo) Tom Jones, VI, 1, vol. III, S. 270. S a k m a n n , Bienenfabelkontroverse, S. 207, deutet diese Stelle als Polemik gegen Mandeville. 78

191

Nicht ohne einen tieferen Bedeutungsgehalt ist die Tatsache, daß der einzige Misanthrop in dieser menschgläubigen und tatenfrohen Welt ein überzeugter Christ ist. Der Man of the Hill, den persönliche Erfahrungen zum Menschenhaß getrieben haben, ist in seiner Christlichkeit keineswegs ein heuchlerischer, autoritätsgläubiger Fanatiker wie Thwackum, sondern ein aus tiefer Überzeugung gläubiger Mensch. Der Geringschätzung der Welt steht die innere Betonung der Offenbarung entgegen, die für den Man of the Hill Verheißung ist; denn all the philosophy taught by the wisest heathens is little better than a dream, and is indeed as full of vanity as the silliest jester ever pleased to represent81). Dieser offenkundigen Geringschätzung des humanistischen Geistesgutes und der von Fielding geliebten Antike antwortet der Dichter keineswegs mit selbstaufhebender Komik, sondern läßt den Man of the Hill zur Erläuterung sagen: Philosophy elevates and steels the mind, Christianity softens and sweetens it. The former makes us the objects of human admiration, the latter of Divine love. That insures us a temporal, but this an eternal happiness 82 ). Von hier aus eröffnen sich Blickpunkte, die der Kontinuität des Romans eigentlich nicht zuwiderlaufen. Die karitative Tugend war nicht mehr zwangsläufig und mathematisch sicher mit der Glückseligkeit verbunden, dagegen blieb es aber ein Prinzip Fieldingscher Moral, die schenkende Nächstenliebe dauernd zu praktizieren, die aber letztlich mit dem eudämonistisdien Gedanken der Glückseligkeit verbunden bleiben mußte. Die Gewissensmoral war nur die letzte immanente Möglichkeit, den ethischen Ablauf zu steuern; sie vermochte jedoch nicht, endgültige Seligkeiten zu bescheren, da sie mit der Fülle des Lebens allein nicht fertig wurde. Hielt man indes sowohl an der karitativen Einstellung als auch am Glückseligkeitsgedanken fest, so war nur ein Transzendentes in der Lage, die Spannungen des Lebens abzugleichen. Man kann hier zur Verdeutlichung ein Analogiebeispiel aus der phylogenetischen Entwicklung der Geistesgeschichte heranziehen, in der einmal die Tatsache der Entstehung und der Ausbreitung des Christentums „als Folge einer ungeheuerlichen Leidkumulation innerhalb dieser (d. h. der abendländischen) Menschheit" 83 ) aufgefaßt wurde. „Das Christentum war eine Selbsthilfe der spätantiken Seele, um die Last des Lebens metaphysisch abzugleichen 8 4 )." Zu dieser Entwicklung bildet der christliche Glaube mit der Verheißung in der Fieldingschen Welt die ontogenetische Parallele. Nach den grenzenlosen Lei-

) Tom Jones,

81 83

VIII, 13, vol. IV, S. 136 —

) T h i e ß , S. 18. -

192

84

) Ibid., S. 19.

e2

) Op. cit., VIII, 13, vol. IV, S. 136.

den, die dem Man of the Hill widerfahren sind, gab ihm die biblische Gewißheit einen letzten Lebenssinn; sie war die letzte Möglichkeit, den Gedanken von der Existenz der Glückseligkeit nodi einmal zu begreifen und zu erleben. Was sich in dieser episodenhaften Digression verdichtet, zieht allenthalben als Gefühl durch diesen Roman. Die Historie, die Fielding an seinem Helden aufzeigt, ist nicht durchgängig als dynamistisch, d. h. als die Lehre vom menschlichen Tatendrang aufzufassen, sondern auch als Rückstrahlung und Folge von Taten zu verstehen, womit sie bis zu einem gewissen Grade Leidensgeschichte wird. Der Held leidet während des ganzen Geschehens mehr durch das, was er unternimmt, als daß seine Taten die großartige Exposition einer aktiven Seele wären, wie dies beispielsweise bei Adams der Fall war. Die gute Handlung besitzt zwar nodi Eigenwert, reicht jedoch zur seelischen Stabilisierung nicht mehr aus, da von ihr in gleichem Maße schmerzliche Erfahrung wie innerliche Linderung fließen. Bezeichnend für die Doppelgesichtigkeit des Fieldingschen Ethos in Tom Jones, in dem einerseits das Gewissen, andererseits das Religiöse zur letzten Instanz wird, sind etwa folgende Sätze: villainy... when once discovered is irretrievable... The censures of mankind will pursue the wretch... his murdered conscience will haunt him85), oder Providence often interposes in the discovery of the most secret villainy, in order to caution men from quitting the paths of honesty, however warily they tread in those of vice 8e ). — Also nicht allein das Gewissen, sondern auch das Transzendente muß sich gegen das Übel wenden, wenn dem guten Menschen Gerechtigkeit widerfahren soll. Das Ethos mit seinen letzten Wurzeln weist sowohl nach Innen als auch nach Oben und macht somit die Ambivalenz des Moralischen bei Fielding sichtbar. Unter diesem Gesetz steht auch der moralische Höhepunkt des Romans, der in Toms Läuterung seinen Ausdruck findet. Erst nach einer tiefen und aufrichtigen Reue, die Tom empfindet, wird ihm die Gnade der Verzeihung zuteil. Allworthy fordert Tom sogar auf: rejoice with thankfulness to Him who hath suffered you to see your errors, before they have brought on you that destruction to which a persistance in even those errors must have led you&1). Desgleichen meint Sophia: Sincere repentance, Mr. Jones... will obtain the pardon of a sinner 88). 85

) Tom Jones, X V I I I , 10, vol. V, S. 347. ) Op. cit., X V I I I , 3, vol., V, S. 301. - Vgl. op. cit., I, 11, vol. I X , S. 171. Vgl. Grub Street Opera, I, 7, vol. IX, S. 224 f. Vgl. Old Debauchees, III, 7, vol. IX, S. 316. Vgl. Modern Husband, IV, 1, vol. X , S. 58. Vgl. Covent Garden Tragedy, I, 3, vol. X, S. 116. Vgl. Modern Husband, IV, 2, vol. X , S. 62. Ebenso Old Man taught Wisvol. X, S. 334. Vgl. Old Man taught Wisdom, vol. X , S. 328 und 330. Vgl. Universal Gallant, II, 1, vol. X I , S. 104 f. Vgl. Pasquín, II, 1, vol. XI, S. 186. 36 ) Vgl. Miss Lucy in Town, vol. X I I , S. 39 ff. 37 ) Vgl. dazu Ch. W. N i c h o l s , PQ 1 (1922), S. 309 ff. Dort ist das Material zur sozialen Satire zusammengestellt. 22

203

Es ist alles erstarrte Konvention, hinter der die Laster in geschäftigem Treiben agieren; es ist Sittenlosigkeit ohne soziales Gewissen, und es ist vor allem Bindungslosigkeit. Bindung aber war eine der Unabdingbarkeiten von Fieldings gesamter Natur. Bindung begann für ihn beim SichMitteilen-Können und reichte bis zur aktiven Selbstaufopferung für das Wohl des einzelnen wie für das der Gemeinschaft. Bindung bedeutete auf alle Fälle Geborgenheit in gegenseitig sich helfender Humanität. Bindung war eine Grundvoraussetzung

von Fieldings

gesamter Weltanschauung,

und immer dort, wo sie verlorenzugehen drohte, erleben wir die Krisen seiner geistig-menschlichen Existenz. — Die Schärfe des Tones, mit der es Fielding wagte, einem Publikum, von dem er lebte, die Wahrheit zu sagen, beweist, daß es ihm um eine Existenznotwendigkeit ging 38 ). It is a true charge against Fielding

that the good,

is seldom

expressed

the world

he knows is inhabited

in his plays.

the kind and generous side of

He certainly

gives the impression

by none but fools and

life that

knaves3e).

Auch hier ist es wiederum die Wildgestalt, die den intellektuellen Materialismus der Komödien mit einer resümierenden Anschaulichkeit wiedergibt und unverhohlen darlegt, daß Selbstsucht und Raffinesse die allein zu befolgenden Gesetze seien 40 ). Eine Tischkonversation bei der Familie Snap zeigt, they had all come fill their bellies41);

into this world

for no other

purpose

than

to

und das allem sozialen Gewissen ins Gesicht schlagende

Benehmen Wilds ist

nur die Überhöhung

des ränkesüchtigen und bin-

dungslosen Solipsismus der in der Komödie gezeigten Gesellschaft. Aus diesem Grunde empfiehlt Fielding im Champion,

diese Narren, un-

ter denen er Beaus, Beiles und dergleichen veräußerlichte Geschöpfe versteht, zu kasernieren, um ihrer

anstedtenden Gefährlichkeit

vorzubeu-

gen 42 ). Dies alles bliebe jedoch nur eine geistreiche Variante dessen, was Fielding in den verschiedensten Wendungen seiner Komödien zum Ausdruck gebracht hatte, wenn nicht andere Lichter auf die Bindungslosigkeit des frivolen Treibens fielen. Fielding entwirft in einem Artikel des pion

4S

Cham-

) zwei Bilder von gänzlich verschiedenen Gesellschaftsformen. Die

eine prunkt mit einer immensen äußeren Aufmachung, hinter der jedoch 38

> Vgl. W i 11 c o c k s , S. 93. - *>) Ibid., S. 78.

40

) Vgl. beispielsweise das Gespräch zwischen Wild und dem Count,

Wild,

I, 12, vol. II, S. 38 ff.

) Op. cit., I, 12, vol. II, S. 39.

41

42

) Vgl. Champion,

43

) Vgl. op. cit., Feb.

204

Feb.

21, 1739/40,

26, 1739140,

vol. X V , S. 216 f.

vol. X V , S. 219 ff.

Jonathan

Unfriede und seelische Armut leben; dagegen setzt Fielding das eheliche Idyll eines Landpfarrers, das von einer fast schon an Goldsmith gemahnenden Stimmung getragen ist. Der Pfarrer hat auf seine fellowship verzichtet, um seine Frau heiraten zu können. Er verachtet den Reichtum dieser Welt, weshalb nicht zuletzt hinter der Bescheidenheit seines Besitzes eine seelische Wärme wohnt. Love and friendship were never in greater purity than between this good couple (d. h. dem Pfarrer und seiner Frau)li). Sind die Besitzenden geizig, so ist der arme Pfarrer freigiebig. Er verkörpert deshalb audi eine moralische Kraft, die über seinen engen Familienkreis hinaus die ganze Dorfgemeinde untereinander in Liebe verbindet, während in der hohen Gesellschaft jeder des anderen Feind ist. Mit diesem Bild ist eine Richtung aufgezeigt, in der dann fortschreitend Fielding seine Vorstellungen vom ordo der Gesellschaft verwirklicht. Geborgenheit in mitmenschlicher Liebe, der innere Friede und die alles beseligende Harmonie menschlicher Bindung sind die Grundvoraussetzungen dieser Ordnung. Dabei ist es bedeutsam, daß Fielding sein Idyll auf das Land verlegt, das den Hauch der Unschuld und der Unverdorbenheit atmet und das schon in den Komödien vielfach als der gedachte oder metaphorische Hintergrund des städtischen Treibens figurierte. 3,242.

Die Erweiterung

des kritischen Gesichtskreises (Joseph

Andrews)

Die Komödien hatten rein technisch einen zu engen Entfaltungsraum geboten, um die ganze Gesellschaftskritik in breitem Rahmen darlegen zu können. Zudem war Fielding damals in vielem noch von dem Gedanken der Reform um jeden Preis bestimmt gewesen, die er sich von seinen satirischen Bildern versprochen hatte. Erst als seine Einsichten reiften, als er gewahr wurde, daß die Welt nie zwischen reine Alternativen des Entweder-Qder aufgeteilt werden kann, wurde seine Gesellschaftskritik gemäßigter und gleichzeitig treffender. Allein die weitaus größere Perspektive, die sich Fielding in Joseph Andrews erschloß, als er in Sprache, Kleidung und Sitten das 18. Jahrhundert nachzubilden begann 45 ), macht seine ganze Kritik wahrscheinlicher, da sie als erlebt und nicht nur als abgebildet empfunden wird. Die Unterschiedlichkeit der ansonsten ihn gleich dünkenden Menschen legt Fielding in Joseph Andrews bezeichnenderweise durch die jeweilige «) Champion, Feb. 26, 1739140, vol. XV, S. 222. 45 ) Vgl. S a i n t s b u r y , Novel, S. 109.

205

Ergebenheit der herrschenden Mode gegenüber fest: High people signify no other than people of fashion, and low people those of no fashion 4e). Die Äußerlichkeit der Mode allein schafft die Unterschiede zwischen den Menschen, die sich Fielding lieber in gegenseitiger Nächstenliebe verbunden dachte. Alles Trennende, alles Scheidende zwischen den Menschen mußte dieser ursozialen Natur ein Anathema sein, das er in der Mode inkorporiert sah. Von diesem Grundgedanken her ist die Auseinandersetzung mit der vornehmen Gesellschaft in Joseph Andrews getragen, die stofflich zwar nichts Neues bietet, die jedoch insofern in einem anderen Lichte erscheint, als in diesem Roman das Gefühl des sympathetischen Helfenwollens leibhaftige Gestalt gewinnt. Fieldings Kritik wirkt deshalb hier wesentlich plastischer, weil die geputzten und gepuderten Narren und Toren nicht allein das Feld beherrschen, sondern von einem bildgewordenen Empfindungsreichtum überstrahlt werden, der nicht wie in der Komödie unsichtbar hinter dem libertinistischen Spektakel steht, sondern in verschiedenerlei Gestalt mit dem affektierten Volk konfrontiert wird. Bezeichnenderweise besitzen daher die kaleidoskopartigen Panoramen, die Fielding von der Beau Monde entwirft, nur episodenhaften Charakter, wie die Geschidite der Leonora und die Wilsons, die ihrerseits auf eine bestimmte moralische Absicht hin komponiert sind. Die aus alledem ersichtlich werdende Überschau, die Fielding in jener Zeit besessen haben muß, und das intensive Kennenlernen des Landes durch seine berufliche Tätigkeit lassen ihn nicht nur das vielfältige Leben des Landalltags im 18. Jahrhundert schildern, sondern auch kritisieren. Der aktive Realist Fielding entdeckte in der ländlichen Abgeschiedenheit manche Dinge, die ihm ebenso zuwiderliefen wie das solipsistisdie Treiben der großstädtischen Gesellschaft. Er traf dort auf den Landadel, der entfernt von literarischer Bildung lebte, politischen Koterieinteressen nachjagte, sich mit Jagden, Sport und Wettleidenschaften vergnügte 47 ) und dem Trünke ergeben war 48). In diesem Lichte erscheint jener Squire, der Adams und Joseph betrunken machen will, um ihnen Fanny zu entführen 4e ). Dieser Squire ist ein Junggeselle, ungefähr 40 Jahre alt, sitzt fest auf einem großen Vermögen und ist ein vollkommener Ignorant, der außer seinem Müßiggang nur den 4e

) ) 48 ) 4 ») 47

206

Joseph Andrews, II, 13, vol. I, S. 180. S c h ö f f l e r , Protestantismus und Literatur, S. 60. T r e v e l y a n , England of Queen Anne, S. 51. Vgl. dazu Joseph Andrews, III, 7, vol. I, S. 275 ff.

ländlichen Vergnügen der Parforcejagd fröhnt. Mit seinem Tutor hatte er nur getrunken, und von der üblichen Bildungsreise kam er völlig frankophil nach Hause, with a hearty contempt

for his own country

so

). Er

sitzt im Parlament und hat nur Interesse an allem Ausgefallenen, Grillenhaften, Abstrusen und Lächerlichen. Jedem, dem er begegnet, zwingt er seine eigenen Neigungen auf und took great pleasure in inventing of forcing him into absurdities which were not natural to him

methods 61

). Es ist

ihm ein Vergnügen, seine Mitmenschen zur allgemeinen Belustigung zu quälen, weshalb er sich mit geeigneten Kumpanen umgibt, wie sie die Gehaltlosigkeit der städtischen Gesellschaft vielfältig produziert. Mit diesem Gefolge lebt der Squire rauh und vegetativ dahin, amüsiert sich auf Kosten anderer und steht den seelischen Ermahnungen Adams' stumpf und taub gegenüber. Wie sehr es Fielding hier auf eine zeitgenössische Schilderung abgesehen hatte, geht schon aus der Uberschrift des Kapitels hervor: A Scene of Roasting, very nicely adapted to the present Taste and Times52). - Die verklärende Symbolhaftigkeit des Ländlichen wird durch solche Charakteristika nicht erschüttert oder angetastet. Nur gegen Abnormitäten des ländlichen Lebens wendet sich Fieldings gesundes Empfinden, nicht zuletzt, weil er gerade im Lande eine Quelle seiner Kraft erblickte. Und was konnte ihm hier anstößiger sein als die Dumpfheit eines untätigen Lebens, das er schon an der Beau Monde getadelt hatte? Nicht naturhafte Unbildung wie bei der Analphabetin Fanny wirkte auf sein kritisches Bewußtsein, sondern seellose Stumpfheit und Müßiggang 53), die darüber hinaus dem mitmenschlichen Sympathieempfinden Hohn sprachen. Der kritische Blick, der in Joseph Andrews sich sowohl stadtwärts als auch landwärts wandte, entdeckte neben anderen Gesichtspunkten, die in vielem eine Neuauflage von Fieldings Komödien sind 54 ), einen weiteren Gegenstand kritischer Diskussion: die öffentliche Erziehung. Adams nennt 50

) Joseph Andrews,

III, 7, vol. I, S. 276. -

51

) Op. cit., III, 7, vol. I, S. 276.

52

) Op. cit., III, 7, vol. I, S. 275.

53

) Max W e b e r , I, S. 84 ff., weist darauf hin, daß der Begriff der Arbeit als Lebensform in den vornehmen Kreisen fehlt im krassen Gegensatz zur puritanischen Berufsethik der Mittelklassen. Vgl. dazu ferner P. H e η s e 1, S. 3 f. 64 ) Vgl. beispielsweise die Kritik an den rechtlichen Verhältnissen auf dem Lande, Joseph Andrews, II, 11, vol. I, S. 167 ff.

207

die public

schools...

hinzu: I prefer ignorance5e).

nurseries

a private

of all vice

and immorality55)

und fügt

school, where boys may be kept in innocence

Damit ist ein

and

unzweideutiges Urteil über den Bildungs-

und Erziehungsstand des 18. Jahrhunderts ausgesprochen. Die Schulen waren in jener Zeit wenig besucht, und ihr Unterricht ging über einen mittelmäßigen Drill in den klassischen Sprachen kaum hinaus 57 ). Wie antike Tyrannen gebärdeten sich die älteren Schüler den jüngeren

gegenüber, so daß selbst Chesterfield nodi im Jahre 1752 an

einen Freund schreibt, daß man auf den Schulen die Bildung des Herzens vernachlässige. Das ist insofern nicht verwunderlich, als die Lehrer meist Menschen waren, die im Leben Schififbruch erlitten hatten, und die den Kindern alles andere beibringen konnten als das, was zweckdienlich und notwendig gewesen wäre. Wenn man nur halbwegs die englische Syntax nicht verletzte, galt man schon als gelehrt inmitten des recht umfangreichen Analphabetentums

5S ).

Aus diesen Gründen erscheint es als selbstverständlich, daß sich Fielding gegen die public

schools wandte, da sie weit eher die Möglichkeit boten,

die Menschen zu verderben, anstatt brauchbare Mitglieder der Gesellschaft aus ihnen zu machen. Joseph

Andrews

bedeutet — um zusammenzufassen — in Fieldings bis-

herigem Schaffen einen Höhepunkt

gesellschaftlicher Kritik,

indem der

Dichter seinen Blick audi über andere Bezirke schweifen läßt, die bisher noch nicht einer Überprüfung unterzogen worden waren. Was er der Beau Monde vorzuwerfen hat, wirkt überzeugender, da er ihr nicht mit derselben Verbissenheit wie in

den Komödien

gegenübertritt, sondern aus

einem bedächtig-humorvollen Abstand auf sie schaut. So läßt Fielding Lady Booby in einer bezeichnenden Wendung sagen: we people are the slaves of custom

59 ).

of

fashion

Die bindungslose und modesüchtige Welt wird

sich nunmehr selbst weit unerträglicher, als daß sie Fielding seelische Besorgnis bereitet hätte. — Er zeigt das Landleben in seinen markantesten Erscheinungen und setzt alles das dem grellen Licht seiner Kritik aus, was Joseph Andrews, III, 5, vol. I, S. 260. Op. cit., III, 5, vol. I, S. 261 f. So lehnt beispielsweise auch Godwin die öffentliche Erziehung ab, und auch bei ihm ist das Prinzip der Nächstenliebe ein entscheidender Gesichtspunkt. Vgl. W i 11 e y , S. 230. 55) 50)

" ) Vgl. zum folgenden von Β o e h η , S. 287 ff. 59) Joseph Andrews, IV, 6, vol. I, S. 336.

208

5β )

Vgl. S i d η e y , II, S. 94 ff.

vom gemeinsamen Mittelpunkt wohlwollender Gesellschaft wegzusdiwingen droht. Aus dieser Einstellung heraus ist auch die Ablehnung der public schools zu begreifen

eo ).

Es fehlen in Joseph

Andrews

nodi ausgesprochen positive Bilder gesell-

schaftlicher Formung,

um die

negativen

Exzentrizitäten

aufzuwiegen.

Doch die weitgespannte Kritik läßt mit Redit vermuten, daß auf diesem Boden bald konstruktive Ordnungen wachsen werden. 3, 243. Ansätze zu konstruktiver (Heartfree-Teil Diente schon im Champion

Ordnung

des Jonathan

Wild)

das Familienidyll des Landpfarrers dazu,

die Seellosigkeit der hohen Gesellschaft erkennbarer zu machen, so erblickt auch Heartfree in der Innigkeit seines Familienlebens den Trost für die Unbill seines Schicksals. - Die Familie ist eine für Fielding ureigene Form des gesellschaftlichen Zustandes, die im Heartfree-Teil jedoch mehr als wirkungsvoller

Zweck

gegen

die

egozentrische Triebhaftigkeit

Wilds

dient, als daß sie schon eigenes Leben atmete wie in Fieldings letztem Roman. Die Familie im Heartfree-Teil ist noch zu sehr illustrative und plastische Handhabe gegen die aus den Fugen geratene Gesellschaft; sie ist gestaltete Kritik, aber noch nicht kritiklose, selbstgesetzliche "Wirklichkeit, die zu gestalten dem alternden Fielding vorbehalten blieb. Hatte die Familie in diesem selbstsüchtigen Getriebe eine positive Funktion auszuüben, so bilden die Eindrücke der Mrs. Heartfree von Utopia einen

ergiebigen Kontrast zur politischen Anardiie

herrschaft. superior

Das Haupt des Staates

bravery

and wisdom...

justice, he is liable indeed

korrupter Willkür-

von Utopia was chosen...

on the first deviation

to be deposed

and

the only slave of' all the natives

punished

from

by the people...

of this country

for

equity

his and he is

el).

Diese utopischen Gedanken haben etwas demonstrativ-Pragmatisches an sich, weisen aber auf ein wesentliches Anliegen Fieldings hin: das Verhältnis von Mensch und Gesellschaft. Gerade die politischen Praktiken seiner Zeit - die ja in vielem in der Wildgestalt als Ironie auf Walpole inkorporiert sind 62 ) - verletzten Fieldings soziales Gefühl und liberales Denco )

take

H a ζ 1 i 1 1 , S. 162, bemerkt zu Joseph Andrews: to be a perfect piece of statistics in its kind.

Jonathan Wild, IV, 11, vol. II, S. 186. Zu den politischen Absichten von Jonathan W e l l s , PMLA 28 (1913), S. 1 ff.

This

work,

indeed,

I

01)

62 )

14

Iser,

Weltanschauung

Fieldings

Wild

vgl. im einzelnen J . E.

209

ken aufs Tiefste. Der aufklärerische Tyrannenhaß, der in einem wahren Funkenflug aus diesem "Werke sprüht, ist nicht, allein aus der bloßen Zeitströmung heraus zu deuten 68 ), sondern vielmehr aus typisch Fieldingschen Vorstellungen zu verstehen, die gerade auf diese Zeitströmungen besonders reagierten. Da Macht immer die Gefahr der Isolation ihres Trägers in sich birgt, der, wenn er expansive Bestrebungen entwickelt, für die Gesellschaft destruktiv zu werden beginnt, wendet sich Fielding einer utopischen Staatsauffassung zu, in der die ordnende Mitte der Gesellschaft durch eine Kontrolle aller ihrer Mitglieder über das Oberhaupt gewahrt bleibt. Diese sporadischen staatstheoretischen Hinweise, die in Tom Jones in anderer Richtung nodi eine Ergänzung erfahren, sind als Äußerungen zu begreifen, die Fieldings Wesensmitte entsprungen sind. Mit einer systematischen Staatstheorie haben diese Dinge indes wenig zu tun , 4 ). Sie sind Ausfluß von Fieldings karitativer Grundanschauung, daß der êrste Mann des Staates der oberste Diener am Gemeinwohl sei, wie man es landläufig im 18. Jahrhundert verstand und in der Idee des Wohlfahrtsstaates zu praktizieren versuchte. Wie sehr Fielding sich die Gesellschaft auf dem Grundgedanken des karitativen Wohlwollens basierend dachte, spiegeln Äußerungen aus dem verschiedenartigen Material, das er 1743 veröffentlichte. So meint er etwa: e s ) S c h 1 ö t k e , S. 9, meint: „Aus dem 17. Jahrhundert, der Ära der Verfassungskämpfe und staatstheoretischen Denkens heraus ist Fieldings Staatssatyre ,The life of Jonathan Wild the Great' zu verstehen." Dies dürfte nicht nur einseitig gesehen, sondern auch falsch sein, denn Verfassungskämpfe gab es zu Walpoles Zeiten nidit mehr, und Fielding war zu sehr praktischer Moralist, als daß er zu Verfassungskämpfen des vergangenen Jahrhunderts gegriffen hätte, um sich Stoff für seine Gestaltung zu holen. Sdilötke ist von der These Joestens, daß Fielding ein Stoiker sei, beeinflußt worden und mußte sich daher den Stoff ein wenig zurechtbiegen, vor allem, wenn er von Fieldings „asketisch-puritanischer Philosophie" spritht. 64 ) Zu einer Verkennung des Tatbestands gelangt E w a l d , der in Anlehnungan Joesten seine These konzipierte. Er spricht, S. 80, von einem Staatsvertrag in Jonathan Wild, wobei ihm folgendes Zitat als Grundlage für den Aufbau des Staates dient: Mutual interest, the greatest of all purposes, was the cement of this alliance (d. h. zwischen Wild und den Mitgliedern seiner Bande), which nothing, of consequence, but superior interest, was capable of dissolving. (Jonathan Wild, I, 4, vol. I I , S. 14) Privatinteresse kann jedoch nach Fieldings Weltanschauung nicht die Grundlage des Staates sein, der allenfalls auf eine dienende Nächstenliebe aufgebaut werden könnte, wie es die von Mrs. Heartfree geschilderten Verhältnisse in Utopia andeuten. Die zitierte Bemerkung ist höchstens ironisch zu verstehen.

210

But it is not sufficient to be inoffensive, we must be profitable servants to each other; we are, in the second place, to proceed to the utmost verge in paying the respect due to others'5). Oder: we are... to adapt our behaviour to the opinion of the generality of mankindβ6). Das gegenseitige Rücksichtnehmen und Teilhaben am Geschick des anderen zieht sich wie ein roter Faden durch die Polemik, die Fielding gegen die Beau Monde in den verschiedenen Essays vom Jahre 1743 führte. Genau so programmatisch, wie er einst nur Kritik geübt hatte, verkündet er jetzt seine positiven Anschauungen gesellschaftlichen Zusammenlebens, die wesentlidi auf einer gegenseitigen Hochsdiätzung beruhen, entgegen ichbestimmter, gemeinschaftszerstörender Selbstsucht. 3, 244. Die Ehe als Ideal (Tom

Jones)

In dieser Atmosphäre entsteht Fieldings großer Roman Tom Jones, der diejenige Grundform gesellschaftlichen Lebens feiert, die seit Menschengedenken Ausdruck tiefster Bindung war: die Ehe. Unter der Zauberkraft des Menschenschöpfers Fielding gewinnt die Welt des 18. Jahrhunderts plastische Gestalt. Die gespreizten Figuren höfisch-femininer Stutzer und amouröser, herrschsüchtiger ladies of fashion treiben ihr Handwerk genau so wie die lebensstrotzende, unverwüstliche und vegetative Gestalt des Squire Western und des Landpfarrers Supple 67 ). Stadt und Land, getrennt, mit- und durcheinander, in den vielfältigsten Wendungen von dem beobachtenden Realisten geschaffen, bilden den Rahmen für das Fieldingsche Ideal gesellschaftlicher Ordnung: die Ehe. Mit bedächtiger Sorgfalt sind alle Grundmotive herausgearbeitet, die zu Fieldings wesentlichster Form gesellschaftlicher Verbindung führen. So meint Allworthy, die Verletzung der Keuschheit bedeute einen Bruch der göttlichen Gebote ®8). Und ganz im Sinne von Fieldings emotionaler Ethik ist der am tiefsten vereinigende Bund nur auf Neigung, auf reines Gefühl gegründet, dem wiederum Allworthy Ausdruck verleiht: 7 have always thought love the only foundation of happiness in a married state. . . and ... all those marriages which are contracted from other motives are greatly criminal; they are a profanation of a most holy ceremony, and e5

) Essay on Conversation, vol. X I V , S. 251. - ββ) Op. cit., vol. X I V , S. 252. ) Das Material für die sozialen und politischen Verhältnisse findet sich bei P é r o n n e , S. 3 ff. und S. 31 ff. zusammengestellt. - Tom Jones interessiert hier nur insoweit, als im Sinne von Fieldings Weltanschauung ein positives Ideal konzipiert ist. e8 ) Vgl. Tom Jones, I, 7, vol. III, S. 37. β7

14?

211

generally end in disquiet and misery ··). Geld darf nicht Anlaß zur Eheschließung sein, desgleichen soll auch Schönheit nur als Beigabe angesehen werden und nicht dazu führen, religion, virtue und sense in ihrer Bedeutung herabzusetzen, which are qualities in their nature of much higher perfection 70). Dieser durch und durch sakramentale Charakter der Ehe bei Fielding 71 ), zu dem sich Tom emporläutern muß, ehe er dafür tauglich wird, steht in krassem Gegensatz zur Auffassung der Zeit, die die Ehe vielfach als ein Geschäft und nicht als seelische Gemeinschaft betrachtete 72 ). Fielding hat audi solche Bilder in seinem großen Epos vom Leben gemalt 7 3 ) und darüber hinaus der Neigung von Mensch zu Mensch durdi die Wirklichkeit manches Hindernis in den Weg gerollt, ehe sie zu jener segenbringenden Verbindung gelangten. Gleichzeitig warf er damit das Generationsproblem auf und wertete es eindeutig, indem er gerade Squire Western die Meinung vertreten läßt: That parents were the best judges of proper matches for their children 74). In der Ehe findet das Fieldingsche Individuum die idealste Form seines sympathetischen Verhaltens. Es wird nicht eingeschränkt in seiner triebhaften Gesetzlichkeit und kann sich in Liebe und Wohlwollen an andere verströmen, um von ihnen wiederum Wirkungen zu empfangen, die es seelisch erheben. Die Ehe als Sakrament, aus der Innerlichkeit der Seele geboren und keine von außen durch Manipulationen aufgezwungene gesellschaftliche Form, ist das Konstitutiv des bindungssuchenden Menschen. Sie ist diejenige Bindung, die Fielding der bedrohenden Zeitlichkeit entgegensetzt, und sie wird von ihm insofern sinnvoll gestaltet, als Tom erst in der Ehe mit Sophia seine Vollendung erfährt. Kein normativer Zwang von außen herantretender Organisierung - wie beispielsweise die Richardsonsche Religiosität — bestimmt Fieldings Gesellschaftsform, sondern die von innen heraus entwickelte Empfindungswelt. Fielding hat hier weit über die bisherige negative Gesellschaftskritik hinaus ein positives Ideal verkündet und gestaltet, das er einerseits selbst ββ

) Tom Jones, I, 12, vol. III, S. 58. ) Vgl. op. cit., I, 12, vol. III, S. 58 f. Die Auffassung von S w a η η , S. 9, daß Fielding die Ehe as one of the passions of the animal organism betrachte, ist nicht zu halten. 71 ) Vgl. dazu ähnlich Tom Jones, X V I , 6, vol. V, S. 227 f. ,2 ) Vgl. Κ ö h 1 e r , S. 26. Vgl. Tom Jones, X I , 5, vol. IV, S. 268 und II, 7, vol. III, S. 93. ") Op. cit., VI, 3, vol. III, S. 283. 70

212

gelebt hatte, und das andererseits in dem demokratischen Bürgertum seiner Tage an Bedeutung gewann. Der Adel hingegen

schaute oft mit einem

bedauernswerten Lächeln auf die gelebte Innerlichkeit der Ehe herab 7 δ ). Fielding wußte das, doch die neue Form gab ihm eine selbstverständliche Gewißheit, so daß er mit der gleichen humorvoll-bedauernswerten Miene der aristokratischen Gesellschaft sagen konnte: Our present been taught

by their mothers

vanity,

to despise

and

and being afterwards, husbands, ments;

whence

they

ments,

the bare mention

history.

In my humble is rather

is that

of frivolous76).

wußtsein der

well confirmed

content

of more

monde

of love

folly

themselves,

innocent

married

for

the dull

regard;

without

having

would

ill suit with

and the only

remainder

more

the true characteristic

than vice,

and

their

in the justness of those

but I am afraid

of which opinion,

have

only on ambition

as unworthy

by the care of such mothers,

they seem pretty

with the pursuit

to fix their thoughts

the pleasures'

women

epithet

sentiof

childish

the dignity

of

of the present which

it

life,

amusethis beau deserves

— Diese souveräne Kritik schwingt aüs dem Be-

zeitlosen Gültigkeit

von Fieldings Anschauung

Ordnungsform der Ehe, der er in Tom 3, 245. Gedanken

Jones zum

über die

ein Denkmal gesetzt hat. Idealstaat

Wie sehr sich Fielding mit der Grundlage der humanen Gesinnung des Menschen begnügte, dem die Religion nur eine hilfreiche Stütze bot, beweisen die Bemerkungen, die er in Tom

Jones

über das Staatswesen ein-

streut. - Tom trifft auf seinen Wanderungen ein' Zigeunervolk, das sich wesentlich

dadurch von den anderen Menschen unterscheidet, daß es in

einer sonst nirgends anzutreffenden Solidarität lebt. Sein Oberhaupt erklärt: My people

rob your

people,

and your

people

rob

one

anoder77).

Mit diesem Häuptling diskutiert Tom über die Möglichkeit einer idealen Staatsform

und vertritt die Meinung, daß

glücklich war als under the dominion

die Menschheit noch nie so

of a single master

78

), wie es bei den

Zigeunern der Fall ist. Doch unter den gegenwärtigen Verhältnissen hat Tom Einwände gegen die absolute Monarchie, da sie eines Monarchen bedarf, von dem er folgende Eigenschaften fordert: 1st, a sufficient of moderation... And,

3rdly,

2ndly,

Goodness

Enough sufficient

of wisdom

to know

to support

the

his own

happiness

of

quantity happiness. others,...

) Vgl. dazu die Beispiele bei von Β o e h η , S. 456 ff. ) Tom Jones, XIV, 1, vol. V, S. 95. ") Op. cit., XII, 12, vol. V, S. 18. Op. cit., XII, 12, vol. V, S. 19. 75 7β

213

absolute power, vested in the hands of one who is deficient in them all, is likely to be attended with no less a degree of evil. In short, our own religion furnishes us with adequate ideas of the blessing, as well as curse, which may attend absolute power. The pictures of heaven and hell will place a very lively image of both before our eyes... To conclude, as the examples of all ages show us that mankind in general desire power only to do harm... it is not consonant with even the least degree of prudence to hazard an alteration... it will be much wiser to submit to a few inconveniences arising from the dispassionate deafness of laws, than to remedy them by applying to the passionate open ears of a tyrant7e). Es ist bezeichnend für die humanistische Gesinnung des Dichters, daß er kein politisches Ideal aufstellt 80 ). Er strebte keine grundlegende Änderung an und war als der typische Augustan durchaus zufrieden mit dem status quo. Ihm kam es weit mehr auf die menschliche Persönlichkeit und deren harmonische Lebensbedingungen an, als daß· er ein System ' staatstheoretischen Denkens gebaut hätte, das dazuhin seinem Jahrhundert als gänzlich inopportun erschienen wäre, da es sich viel lieber mit dem Gegebenen abfand, als es um einer Neuerung willen zu opfern. Alles, was man aus Fieldings Gedanken über den Idealstaat ablesen könnte, wäre, daß ein staatlicher Überbau über das individuelle Leben lediglich eine dem Gemeinwohl dienende Funktion zu erfüllen hat; daher erscheint dem Dichter jegliche Macht verdächtig. Auf der anderen Seite zeigen die Prognosen über den Idealstaat nichts von der Sehnsucht eines Schwarmgeistes, der sich im Verlangen nach einer idealen Unwiederbringlichkeit verzehrt. Leibhaftiges 18. Jahrhundert lebt in diesen Andeutungen, die weit eher durch die Geringschätzung des Besitzenden als durch die Wünsche des Suchenden bestimmt sind. Ihre Erfüllung erscheint wohl erstrebenswert, doch der eigene Standort gewährt genug Befriedigung: dies ist das Grundmotiv, das sich durch das Gespräch über den idealen Staat zieht. Und ein Letztes wird virtuell sichtbar: wer wie Fielding die Formen der menschlichen Gesellschaft aus dem Herzen, dem seelischen Innenraum hinaussetzt, bedarf der Dekretierung durch äußere Mächte nicht. Sind diese vorhanden, so ist es gut, doch ihr absolutes Bedürfnis ist nicht unmittelbar gegeben. "Wer den Menschen gestaltet und zum Maß aller Dinge erhebt, wie es im 18. Jahrhundert geschah, hat wenig Interesse für Dinge, '·) Tom Jones, XII, 12, vol. V, S. 19f. - 8°) Vgl. D e i n h a r d t , S. 48. 214

die bestenfalls als „und audi" in den Schaffenskreis mit einbezogen werden können. Der Mikrokosmos der Seele mit seinen Ausstrahlungen und Bedürfnissen hat zentralere Geltung als makrokosmische Gebilde überindividueller Prägung wie die ideale Staatsform. 3, 246. Reformistische

Absichten

In diesem Sinne sind audi Fieldings Reformvorsdiläge zu begreifen. Seit den frühen Tagen seines Schaffens trug er sich mit reformistischen Tendenzen 81 ), die immer von dem Gedanken bestimmt waren, zu einer natürlichen und geordneten Form der Gesellschaft zurückzuführen. Es ging ihm dabei jedoch nicht um staatsrechtliche Normen, die er zu ändern gedachte, sondern um die Wohlfahrt des Einzelnen wie des Ganzen. Der Mensch unter den verschiedensten Bedingungen galt als das Konstitutiv seiner Vorschläge, und dabei ist es symptomatisdi für den alternden und sich bescheidenden Fielding, daß er jene hohe Gesellschaft, gegen die er mit der ganzen Kraft seiner Person zu Felde gezogen war, von diesen Reformabsichten ausnimmt, da ihn ein solches Unterfangen sinnlos dünkte. Als eine der Hauptquellen gesellschaftlicher Verderbtheit erscheint ihm der Luxus: Could luxury be confined to the palaces of the great, the society would not, perhaps, be much affected with it... But when this vice descends downward to the tradesman, the mechanic, and the labourer, it is certain to engender many political mischiefs, and among the rest it is most evidently the parent of theft and robbery 82). Aus der Besorgnis um den gesellschaftlichen Verfall, daß eines Tages aus der im Fieldingschen Sinne in Liebe verbundenen Gemeinschaft eine Horde sich gegenseitig bekriegender Menschen würde, tritt Fielding in eine aktive Abwehrstellung, um einsickernde Keime der Verderbnis abzutöten. Er läßt daher in einer zu diesem Zwecke verfaßten Schrift die verschiedensten Laster vorbeiziehen, um an ihnen ihre Gefährlichkeit für das geordnete menschliche Zusammenleben aufzuzeigen. Die hauptstädtische Bevölkerung jener Zeit war dem Luxus, der Vergnügungssucht und dem Alkohol verfallen — eine Tatsache, die Fielding theoretisch darlegt 83 ) und die Hogarth plastisch in seinen Bildern beschwört. Fielding ist beständig bemüht, die Quellen jener Übel zu erken8l

) Β1 a η c h a r d , S. 83. - 82) Enquiry, Sec. I, vol. XIII, S. 22. ) Vgl. op. cit., Sec. II, vol. XIII, S. 34. Über die Trunksudit vgl. die statistischen Angaben bei R o b e r t s o n , Walpole and Bolingbroke, S. 150. M

215

nen und entsprechende Abwehrmaßnahmen zu entwickeln. Der oberste Gesichtspunkt all dieser Betrachtungen bleibt immer der Gedanke der öffentlichen Wohlfahrt. Aus diesem Grunde nehmen die Verhältnisse der Armen ein breites Feld in Fieldings Reformabsichten ein, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie den eigentlich sichtbaren Polarisationspunkt zu seiner karitativen Grundeinstellung bilden. Die Armen des 18. Jahrhunderts lebten in großem Elend; sie waren jeder Rechtlichkeit entblößt und besaßen kaum die Möglichkeit zur Arbeit. Die Armengesetzgebung war unzureichend 84 ), so daß besorgniserregende Folgen aus diesem staatlich vollkommen vernachlässigten Volksteil zu erwarten waren. Fielding hat nicht nur auf-die kommende Bedeutung des vierten Standes hingewiesen 85 ), sondern es sich angelegen sein lassen, in mühevoller Kleinarbeit detaillierte Vorschläge zur Reform des Pauperismus auszuarbeiten. Dabei bleibt das Ziel bedeutsam, auf das Fieldings Bestrebungen hinausliefen: to make the poor useful members of society 8e). Unter diesem Motto steht sein ganzes Reformwerk als Richter von Bow Street, das seine Spuren nodi in den letzten Aufzeichnungen des Lissaboner Reisetagebuchs hinterlassen hat 8 7 ). Was der Komödiendichter einstens an der Gesellschaft kritisiert hatte, das versucht der Magistratsbeamte Fielding zu erreichen; von der polemischen Kritik bis zur ernsten, durchdachten Arbeit führt sein Weg, der immer von dem Wunsch begleitet war, die Menschen in Wohlwollen und gegenseitiger Opferbereitschaft zu verbinden. Gesellschaft war für Fielding keine Klassendeklaration, sondern der weite Verband dessen, was Menschenantlitz trägt. Und selbst wenn uns heute seine Reformen bisweilen recht brutal erscheinen, so galten sie doch seiner Zeit als sentimental und human 88), als Manifestationen allverbindender Bereitschaft für den Nächsten. Dieses Bewußtsein ist bis hinein in die Grundfragestellung von Fieldings juristischem Berufe wach und wird insbesondere von seiner Beurteilung der Strafe bezeugt: I would, not have the county-house (eine Anstalt 84

) R o b e r t s o n , Walpole and Bolingbroke, S. 238 ff. ) Vgl. Covent Garden Journal, No. 47, vol. XIV, S. 189 ff. *>) Proposais . . . for the Poor, vol. XIII, S. 170. 87 ) Vgl. die Kritik an der Seegesetzgebung, Journal of a Voyage to Lisbon, July 26, vol. XVI, S. 255 f, oder die Kritik an den Monopolen der Fischhändler, die dadurch die Armen schädigten. Op. cit. Tuesday, vol. XVI, S. 263 ff. 88 ) C h i l d , S. 29. 85

216

zur Besserung des Müßiggangs) supposed to be a place of infamy, or a confinement there to be so much intended for punishment as preservation8e), oder noch deutlicher: Example alone is the end of all public punishments and rewards90). Der Erziehungscharakter, den bei Fielding die Strafe besitzt, ist nicht nur den Praktiken, sondern auch der ideologischen Begründung der Strafe seiner Zeit weit voraus 91 ). Er steht in der Reihe der humanitären Vorkämpfer und gibt deutlich zu wissen, wie sehr er alles unter dem Blickwinkel des Menschen und der geordneten menschlichen Bindungen der Gesellschaft sieht. Das augustäische England war im allgemeinen nicht sehr reformfreudig, und auch Fielding bescheidet sich immer dort mit dem status quo, wo er die Belange des Individuums gesichert sieht; er greift jedoch ebenso handfest zu, wo es soziale Mißstände zu beseitigen gilt 92 ). Dieses Bestreben koordiniert ihn in gewissem Sinne den reformistischen Absichten des Methodismus, in dem der christliche Gnadenuniversalismus sich gegen alles Rückständige wendet und sich allem Hilfebedürftigen zukehrt 9 3 ). Wie Fielding 94 ), so ist audi der Methodismus einer der schärfsten Verfechter der Gefängnisreform 95) und bleibt bis in das Jahrhundert der Reformen hinein das soziale Gewissen Englands ββ ). Daß Fielding dieser Bewegung in ihren sozialen Tendenzen gleichzusetzen ist — wenn auch weltanschaulich von ihr getrennt - deutet wiederum auf den Zentralgedanken seiner geistigen Existenz: das ursoziale Bewußtsein.

3,247.

Die Familie als Ordnungsform

der Gesellschaft

(Amelia)

Die gleiche Atmosphäre bestimmt auch Fieldings letzte Form der Gesellschaft: die Familie. Sie ist in vielem die gradlinige Fortentwicklung des Ideals der Ehe, das in Tom Jones vom Blickpunkt gesellschaftlicher Betrachtung aus die absolute Norm abgegeben hatte. Die Familie der Amelia ist der verinnerlichte Bund dessen, was Fielding in Tom Jones gefeiert hatte. Wie seine Mensdien gegen die Zeitlichkeit kämpften und sich dem") Proposais . . . for the Poor, vol. X I I I , S. 182. 90) Journal of a Voyage to Lisbon, vol. X V I , S. 191. -

81

) J o n e s , S. 226.

82

) Gegen Fielding und seinen ihm im Amte nachfolgenden Stiefbruder John richteten sich daher auch öfters Angriffe. Vgl. W . R . I r w i n , MLN 56 (1941), S. 523 ff. 93 ) S c h ö f f l e r , Sozialer Puritanismus, S. 81. M 95

) Vgl. Amelia,

I, 3, vol. V I , S. 21 ff.

) Vgl. dazu Einzelheiten bei S c h ö f f l e r , 9e > Vgl. ibid., S. 94.

Sozialer

Puritanismus,

S. 87 ff.

217

entsprechend seelisch formieren mußten, erwächst im Zusammenprall mit einer unerbittlichen Wirklichkeit in Amelia

das Idyll der Familie als ein

Bollwerk gegen die trennenden und zersetzenden Einflüsse menschfeindlicher Welten

e7

).

Dieselbe Stimmung, die ihren scharf formulierten Niederschlag in Fieldings reformistischen Schriften gefunden hat, zieht auch als kontinuierliches Fluidum durch seinen letzten Roman. Wir begegnen den alten Themen, von der gerichtlichen Korruption 98 ), dem elterlichen Zwang auf die Neigungen der Kinder " ) , gewinnsüchtigen und erbarmunglosen Gefängnisaufsehern 10 °), der ganzen Kälte und Hohlheit der Beau Monde 101 ) bis zu den Lastern des Spiels 1 0 2 ) : kurzum, wir erleben die ganze Welt in einem schier unrettbaren Auflösungszustand. In diese ortlos gewordene Welt tönt die Ermahnung Harrisons hinein: I see nothing but religion, which would have prevented this decrepit state of the constitution103), und als Ordnung wächst aus ihr die Form der Familie heraus mit dem romantischen Lob vom Glück der Hütten: palaces... do sometimes contain nothing but dreariness and darkness, and the sun of righteousness hath shone forth with all its glory in a cottage 104 ). Jene Hütte ist die idyllische Familie der Amelia, in der Fieldings größtes gesellschaftliches Ideal gelebt wird. Auf seiner künstlerischen Höhe deklamiert er nicht die Details seiner positiven gesellschaftlichen Vorstellung — wie es bisweilen noch in Tom Jones geschah - sondern läßt die Figuren als lebendige Wesen mitten aus seiner Seelenfülle heraus in die bunte Vielfalt des Alltags treten. Der Gedanke der Mütterlichkeit 105 ) als die Sublimierung von Fieldings karitativem Empfinden ist die abschließende Sinngebung gesellschaftlicher Bindung. Noch nie waren in seinem Werke die Ideale seines Mensditums, seiner Moral und seiner Gesellschaftsanschauung so eng, fast ununtersdieidbar versdiwistert gewesen wie gerade hier in der Macht der Mütterlich· ' ) Unter Ewald,

resignieren. »») Vgl. 1ββ

) Vgl.

101

) Vgl.

102

) Vgl.

) Op.

103 ,M

218

) Vgl.

dem S. 52, ίβ

op. op. op. op. cit., op.

beherrschenden

Eindruck

der aus Fielding

) Amelia,

des

Familienideals

einen Staatstheoretiker

beginnt

auch

machen wollte,

zu

I, 2, vol. VI, S. 17 ff.

cit., II, 5, vol. VI, S. 85. cit., II, 9, vol. VI, S. 103. cit., V, 4, vol. VI, S. 245 ff. cit., X , 6, vol. V I I , S. 215 ff. X I , 2, vol. V I I , S. 249. -

cit., VI, 4, vol. V I , S. 291.

104

)

Op. cit., III, 7, vol. VI, S. 139.

keit als dem symbolhaften Ausdruck seiner Weltanschauung. So sagt dann auch Harrison: Domestic happiness is the end of almost all our pursuits, and the common reward of all our pains loe ). Die Frau und Mutter wird Hüterin der gesellschaftlichen Sitte 1 0 7 ); sie wird zum Zeichen der tiefsten menschlichen Bindung in der Form der Familie — ein Ideal, das bis hin zu Dickens alle Leiden des Lebens erlöst. 3, 25. Die

Kunstanschauung1)

Die Kunst ist die schöpferische Illusion des Lebens. Wünsche und Träume, Absichten und Sehnsüchte verdichten sich in ihr zu faßbarer Gestalt, die bald Kündung, bald Ermahnung und bald Amüsement verkörpert, je nach der geistigen Qualität ihrer Trägerschicht, die sich in der Kunst das jeweilig wahre Reich ihres Trachtens schafft. Wie eine Kuppel wölbt sich die Kunst über die Nüchternheit und Profanität des Daseins, aus dem vereinzelte Klänge aufsteigen, die sich in dieser Kuppel zu einem Sang vereinen. Die Melodien, die dort entstehen, drücken die inneren Bewegungen des künstlerischen Menschen aus. Daher bieten künstlerische Gebilde und ästhetische Erörterungen die Möglichkeit, das Wesen des Dichters zu erkennen. In diesem Sinne soll ein Blick auf Fieldings Kunstanschauung geworfen werden mit der Absicht, festzustellen, inwieweit der Mensch und Dichter Fielding in ihnen wiederkehrt und inwieweit sein Weltbild von der künstlerischen Forderung her einen Abschluß erfährt. Ist die Kunst eine schrankenlose homonome Wirklichkeit, so müssen in Fieldings ästhetischen Erörterungen die konstitutiven Ideen aufleuchten, die den formalen Rahmen seines Weltbildes schufen 2 ). Dieser Anlage der Betrachtung entspricht die veränderte Haltung, die man im 18. Jahrhundert der Kunst entgegenbrachte. „Hatte die Kunst im Leben der Aristokratie die Rolle gespielt, 1M

) Amelia, X , 2, vol. VII, S. 190. ) S c h i i c k i n g , Familie im Puritartismus, S. 199. ') Es ist hier nicht die Absicht, einen zusammenhängenden Abriß von Fieldings Kunstanschauung zu geben, die ja verschiedentlich schon monographisch behandelt worden ist. Es kommt hier nur darauf an, auf wesentliche Motive hinzuweisen, die das Weltbild abschließen. 2 ) N u r in diesem eingeengten Rahmen sollen Fieldings ästhetische Äußerungen betrachtet werden. Die monographischen Zusammenstellungen finden sich bei R a d t k e , v a n d e r V o o r d e und dem im Grunde wenig ergiebigen Artikel von R. C. Β e a 11 y. 107

219

das Leben zu schmücken, so bekam sie im Leben des freigeistigen Bürgertums die höhere Aufgabe, Herold und Verkünder alles Höchsten und Tiefsten zu werden, was in der menschlichen Brust nach Ausdruck drängt 3 )." 3, 251. Die Aufgabe

der

Dichtung

Fielding mit seinem ausgeprägten Realismus erblickte die Welt immer als eine Aufgabe; daher sind seine kunstkritischen Äußerungen im wesentlichen Kodifizierungen übergreifender Aufgaben der Kunst für das Leben. Immer sind diese Bemerkungen von dem Gedanken getragen, abzugrenzen, zu bestimmen und zu definieren mit der oft mehr oder minder ausgedrückten Absicht, auf die Welt der Tatsachen hin ihren Wirkungskreis zu eröffnen.

Iii diesem Sinne sind die Grundbedingungen

gehalten, die

Fielding vom Wesen der Dichtung aufstellt. Der formale Charakter der Kunst ist deckungsgleich mit den realistischen Koordinaten Natur und Wahrheit, die auch anderen Ortes Fieldings weltanschauliche Struktur bestimmten. In negativer Formulierung drückt er es folgendermaßen aus: many rules for good writing have been established which have not the least foundation in truth or nature, and which commonly serve for no other purpose than to curb and restrain genius 4). Diese fast selbstverständlich scheinende Unabdingbarkeit der Kunst im Fieldingschen Sinne erfährt ihr Echo durch die strikte Forderung, daß sich der Dichter innerhalb der Grenzen des Möglichen 5 ), der Regeln des Wahrscheinlichen ®) und des Glaubwürdigen 7 ) zu halten habe, und daß er ferner die Geschehnisse, Personen und Dinge so darstellen solle, daß sie allen Menschen begreiflich sind 8 ). Aus diesen klaren und präzisen Umrissen resultiert die Ablehnung von allem mythologischen Beiwerk, von allem Mummenschanz märchenhafter Einbildungskraft 9 ) und von aller floskenhaften ornamentalen Arabeske 10 ). Diese realistische, nüchterne und unpoetische Zielsetzung weist sichtbar auf die Geisteshaltung hin, von der aus sie konzipiert wurde. Es ist die Welt der poesielosen Empirie, die es für Fielding zu gestalten galt, und ) ) «) 8> ») 10) 3

4

220

S c h ü c k i n g , Soziologie der literarischen Geschmacksbildung, S. 36. Tom Jones, V, 1, vol. III, S. 207. - 5) Vgl. op. cit., VIII, 1, vol. IV, S. 58 f. Vgl. op. cit., VIII, 1, vol. IV, S. 60. - 7> Vgl. op. cit., VIII, 1, vol. IV, S. 61. Vgl. op. cit., VIII, 1, vol. IV, S. 66. Vgl. op. cit., VIII, 1, vol. IV, S. 59 f. Vgl. op. cit., IV, 1, vol. III, S. 143.

demzufolge mußten sich die künstlerischen Absichten ihr anverwandeln. Alles Fassadenartige, Verzierte, aller poetischer Stuck und alle Ornamentalik verschwanden zugunsten von Maßstäben, denen es möglich war, die Prosa des Daseins zu reproduzieren. — Dodi dieser Verzicht auf schmükkende und verschönernde Äußerlichkeiten konstituiert allein nodi kein dichterisches Prinzip, wenn nicht ein Zweck zu diesem prosodischen Zurechtschneiden künstlerischer Grundbedingungen hinzutritt. Telos von Fieldings allseitigen Bestrebungen war jedoch immer die Moral. Schon in Jonathan Wild wird die moralische N a t u r der Kunst deutlich herausgestellt: we scorn to keep any discoveries secret from our readers, whose instruction, as well as diversion, we have greatly considered in this history u ) . Und nodi deutlicher finden wir diese Absicht im Covent Garden Journal ausgedrückt: when no moral, no lesson, no instruction, is conveyed to the reader... the writer comes very near to the character of a buffoon 12). 'Dieser moralischen Zweckhaftigkeit sind alle Mittel von Fieldings Kunst dienstbar gemacht. So auch das Lächerliche, das in Joseph Andrews eine Antwort auf alles Affektierte, d. h. Unwahre und Falsche darstellt l s ), und das sich Fielding im Covent Garden Journal verbunden dachte with graver matters; in order... to recommend wholesome food to the mind 14). Nichts spricht eine eindeutigere Sprache f ü r Fieldings moralische Teleologie als seine Wertschätzung der großen weltliterarischen Genien des Komischen: few men...

do more admire the works

who have sent their satire... triumvirate

of those great

masters

laughing into the world. Such are that great

Lucian, Cervantes,

and Swift.

These authors I shall ever hold

in the highest degree of esteem; not indeed for that wit and humour which they all so eminently

possessed, but because they all

with the utmost force of their wit and humour, those folliés and vices which chiefly prevailed

alone,

endeavoured,

to expose and

extirpate

in their several countries

15

).

Wer Lukian, Cervantes, Swift, Shakespeare und Molière liest, must

either

have a very bad head, or a very bad heart, if he doth not become

both

a wiser and a better man ") 12 ) 1S ) "> 15 )



). Interessant bleiben die dazu festgestellten,

Jonathan Wild, III, 4, vol. II, S. 108. Covent Garden Journal, No. 10, vol. XIV, S. 112., Vgl. dazu R a d t k e , S. 91. Covent Garden Journal, No. 10, vol. XIV, S. 111. Op cit., No. 10, vol. XIV, S. 112. - le ) Op. cit., No. 10, vol. XIV, S. 113. 221

gegenteiligen Bemerkungen über Aristophanes und Rabelais, die Fielding anklagt, mit ihrer Gabe des Komischen Mißbrauch getrieben zu haben, da es scheinbar ihr Ziel war, to ridicule tue, and religion,

out of the world

17

all sobriety,

modesty,

decency,

vir-

). - Die rein ästhetische Würdigung

Fielding verwandter Geister wird ausgesprochen zweitrangig zugunsten der moralischen Wirkkraft, die von ihnen ausgegangen ist. Unter diesen Voraussetzungen wird sein Verhältnis zu Aristophanes und Rabelais polemisch, die er einstens mit in seinen Ruf an die Muse eingeschlossen hatte und die in Tom Jones in der Hierarchie seiner Vorbilder nodi neben Cervantes, Swift und Lukian gestanden hatten 18 ). Ja, er hatte sogar einmal eine Übersetzung von Aristophanes' Komödien geplant, zu dessen Lob er the elegance

of his style, and the justness of his sentiments19)

anführte -

also durchaus ästhetische Qualitäten, die ihn in der Zeit des Joseph drews und des Tom

Jones

An-

noch sehr wesentlich dünkten.

Derselbe Gestaltwandel, der uns durch Fieldings ganzes Werk immer offenkundig war, als mit fortschreitender Besorgnis der Ton ernster, demütiger, bescheidener und inniger wurde, spiegelt sich audi in der Kunstauffassung wider. Gewiß spielte die dem Leser zu suggerierende Nutzanwendung und Belehrung stets eine wesentliche Rolle in Fieldings künstlerischer Disposition, doch die moralische Indienststellung der Kunst wird mit fortschreitender Erfahrung ausschließlicher. So stieg Fielding von den Höhen dichterischer Freizügigkeit in die Niederungen des Lebens hinab, um überall dort Kritik zu üben, wo sich Kunst und Moral nidit deckten

20

).

Der alles determinierende moralische Zweck war es, der Fieldings praktisches Weltbild konstituierte und auch die Kunst zu einem Vehikel dieses Anliegens machte. Die Moral, auf den Alltagsmenschen abgestimmt, bedingte wiederum die Realistik bei der Klarstellung dichterischer Möglichkeiten, indem alle Requisiten über Bord geworfen wurden, die sich für das

realistische Ausdrucksverlangen

künstlerischer Darstellung als un-

brauchbar erwiesen. Denn war die Moral der Endpunkt aller Poesie, so mußten

Wirklichkeit,

scheinlichkeit,

Wahrheit,

Glaubwürdigkeit

Nâturechtheit, und

%

Alltäglichkeit,

Verständlichkeit

zu

Wahr-

kategorialen

Funktionen ihres Erscheinens werden. ) Covent Garden Journal, No. 10, vol. X I V , S. 113. ) Tom Jones, X I I I , 1, vol. V, S. 33. - l e ) Plutus, Preface, vol. X V I , S. 58. 2 0 ) Vgl. dazu audi R a d t k e , S. 97.

17 le

222

3, 252. Vom

Wesen

des

Dichters

Was mußte nun aber der Dichter selbst besitzen, um diesen Forderungen gerecht werden zu können? E r war ja gleichsam das verwandelnde Zwischenglied zwischen Absicht und Stoff; er mußte die Massen der empirischen Wirklichkeit so kategorisieren, daß etwas von ihrer Aufbaugesetzlichkeit sichtbar wurde. Daher scheint es bezeichnend, daß Fielding, eingedenk der Wichtigkeit des Dichters, ein ganzes Kapitel über dessen wesenhafte Eigenschaften schreibt. Die erste Eingrenzung erfährt er dadurch, daß für Fielding der Dichter historian

21 )

ist, also ganz in der Weise, wie

er sich selbst schriftstellerisch betätigte, mit dem nicht wegzudisputierenden, abermaligen Hinweis auf die Wirklichkeit, deren Vorgänge er sich angelegen sein lassen müsse. Genie, Gelehrsamkeit, Erfahrung und Menschlichkeit 2 2 ) gelten Fielding als die wesentlichsten Eigenschaften des Dichters. Sie sind zugleich die Koordinaten, an denen Fieldings Weltbild ausgerichtet war. Genie zerfällt nach Fielding in zwei Elemente:

invention

und judgment23),

sagacious

penetration

wobei er

unter

into the true essence

unter judgment

invention...

of all objects

a quick

and

und

of our contemplation,

die Fähigkeit der Unterscheidung von Wesenhaftem ver-

steht 24 ). Die Gelehrsamkeit als das Handwerkszeug des Dichters bedeutet für Fielding ein

kompetentes und vollständiges Wissen 2 5 ), das ihn mit

den Erfordernissen ausrüstet, die für ein kongeniales Erfassen der Wirklichkeit 1 notwendig sind.

Allein die theoretischen Bedingungen gleichen

unentdeckten Schätzen, wenn nicht praktische Momente hinzutreten, die in ihrer Verbindung den Dichter erst zur Vollständigkeit reifen lassen. Alles Bücherwissen, so notwendig es auch Fielding erscheint, bliebe steril, wenn nicht der lebendige Kontakt mit dem Leben es erst bewegen und fruchtbar machen würde 2e ). Der Dichter braucht daher Erfahrung, die Fielding fast hymnisch apostrophiert: come, the good,

the learned,

kind

character,

of

spunging-house; bar. From 21) 22 ) 23 ) 24 ) 25 ) 26 )

Tom Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

from

from

Experience,

and the polite. the

minister

long conversant

with the

at his levee

to the

the duchess at her drum to the landlady

thee only can the manners

wise,

Nor with them only, but with

of mankind

be known;

bailiff

every in

his

behind

her

to which

the

Jones, IX, 1, vol. IV, S. 157. dazu im einzelnen R a d t k e , S. 19 ff. Tom Jones, IX, 1, vol. IV, S. 157. op. cit., I X , 1, vol. IV, S. 157. dazu die systematischen Darlegungen bei R a d t k e , S. 31 ff. Tom Jones, I X , 1, vol. IV, S. 158.

223·

recluse pedant,

however

hath

a stranger21).

ever been

great

his parts

or extensive

his learning

may

be,

Dodi diese Erfahrung denkt sich Fielding

beim Dichter mit einer praktischen Kraft verbunden, die in dem Raum empirischer Möglichkeiten spezifisch Fieldingsche Werte entfaltet. Daher bittet er die Musen um eine letzte Gabe: fill my pages mankind

learn the good-nature

the humility dant

to grieve

on true genius,

at their own. And thou, almost Humanity,

with

to laugh only at the follies

humor,

till

of others,

and

the constant

bring all thy tender

atten-

sensations28).

Die Grundeigenschaften, die Fielding vom Dichter verlangt, sind nur der verwandelte Ausdruck seines gesamten weltanschaulichen Gefüges. Sie umschließen die Vorbedingungen: Genius und Gelehrsamkeit, zwei Möglichkeiten, um aus wirklichkeitsüberlegener Schau dem Leben nachzuspüren. Sie fordern den praktischen Bereich der Erfahrung, da nur sie allein dem Dichter den

brennend interessierenden Stoff zu bieten vermag, und sie

gipfeln endlich in einer

moralischen Kraft, die sich in der

empirischen

Realität entwirkt, um sie zu gestalten. In diesem Zurechtschneiden künstlerischer Erfordernisse auf die Brauchbarkeit innerhalb von Fieldings Ethik spricht sich das realistische Bewußtsein in deutlicher Sprache aus. Nicht zuletzt dadurch, daß er einen Begriff wie genius,

den man seit der literarhistorischen Wertung der Romantik

stets mit der Bedeutung eines kreativen Vermögens assoziiert, in dieser rationalistischen Weise versteht. Hier atmet Fielding ganz den Geist der Aufklärung, der von Pope und Warburton her weht 2 9 ), und auch jene Atmosphäre, die die Horazrenaissance des 18. Jahrhunderts

bestimmte.

Die Imagination als freischaffende künstlerische Intuition ist ihm theoretisch noch genau so fremd wie Addison, der, Fieldings Auffassung ähnlich, sie nur als eine Macht, der Beobachtung begriff

30 ).

Während die Be-

dingung der Gelehrsamkeit noch durchaus zum Bestand der rationalistischen Poetik zählt, wird in der Berufung auf die Erfahrung ein kaum merkbarer Ubergang offenbar, der zwar noch nicht den Verfall rationalistischer Prinzipien zu erkennen gibt, der jedoch auf eine andere Begriffsbestimmung deutet. Es ist dies ein Prozeß, den die ganze Zeit durchmacht, indem man wohl vom Verstand abrückt, sich jedoch noch nicht zum Gefühl als Grundlage der Dichtung bekennt und demzufolge immer an die 27) Tom Jones, XIII, 1, vol. V, S. 34. Vgl. dazu ferner op. cit., IX, 1, vol. IV, S. 158 ff., wo Fielding unter dem Begriff conversation Ähnliches darlegt. ») Op. cit., XIII, 1, vol. V, S. 33. « ) R a d t k e , S. 25. - 3°) Vgl. M a c L e a η , S. 55.

224

Erfahrung appelliert 31 ). Die konstitutive Basis der Erfahrung ist selbstverständlich die Natur, die anfänglidi ebenso als Zeuge rationalistischer Erklärbarkeit wie später als Ausdruck der Gefühlsunmittelbarkeit verstanden wird 32). - Auch Fieldings letzte Eigenschaft des Dichters — die Humanität — ist ein Element, das zwar zum moralischen Bestand der Aufklärung zählt, jedoch als Fieldingsche Menschlichkeit schon eine stärkere emotionale Note trägt, als es in jener Zeit gemeinhin der Fall war. In dieser Beleuchtung bleiben Fieldings Äußerungen über den Dichter in einem dreifachen Sinne interessant und wesentlich. Einmal bieten sie uns den Schlüssel und die rückwirkende Bestätigung seines weltanschaulichen Anliegens, da i i e gleichen Kategorien, die sein Weltbild aufbauten, in konzentrierter Form in den ästhetischen Erörterungen wiederkehren. Zum anderen treiben sie auf dem Strom der Zeit und machen nicht nur seine Bewegungen, sondern auch sein historisches Gefälle mit. Und sie bezeugen schließlich ein wichtiges psychologisches Moment: Immer, wenn Fielding theoretische Richtlinien erteilt oder sie sich selbst setzt, ziehen sie als rationale Medien enge Grenzen, über die der Dichter im Akt der Gestaltung hinausbricht. Hätte sich Fieldiing streng an seine rationale Poetik gehalten, wäre er allenfalls ein kunstvoller Photograph des Lebens geworden, der sich als ein Meister der Perspektivik erwiesen hätte, niemals jedoch ein Bildner oder Gestalter, der aus der Exuberanz seiner Seele aufbricht. 3, 253. Das Verhältnis

zur

Antike

Die subjektive Freiheit des Schöpferischen, die in den theoretischen Erfordernissen des Poeten noch stark gebunden war, wirkt ungebundener, wenn wir einen Blick auf Fieldings Verhältnis zur Antike werfen. Sie war zeitlebens ein Wesenselement seiner geistigen Mächtigkeit; er hing nicht eklektisch an ihr, sondern liebte sie. Er war im tiefsten Sinne des Wortes der Antike begegnet, d. h. er war in sie eingegangen und aus ihr wieder herausgetreten, erfüllt und durchdrungen von ihr. So wurde Fielding in manchem antik, jedoch weit mehr wurde das Bild der Antike bei ihm Fieldingisch. Das gewahren wir (d. h. Homer) was the only, but of comedy thing be more simple, 31

schon deutlich an Adams' Homerinterpretation: He father of the drama as well as the epic; not of tragedy also... as to his subject (d.h. der I lias), can any and at the same time more noble?... is it possible

) Vgl. R. L. Β r e 1 1 , S. 208 f. -

15

l ser,

Weltanschauung



) Ibid., S. 209 f.

Fieldings

225

for the mind of man to conceive Handlung),

an idea of such perfect

and at the same time so replete

unity (d. h. der

with greatness? And here I

must observe, what 1 do not remember

to have seen noted by any, the Har-

motton,

to his subject:

that agreement

anger, how agreeable

of his action

is his action, which is war...

for as the subject is

1 am at a loss

I should rather admire the exactness of his judgment in the nice or the immensity the wisdom

of his imagination

of Nestor...

no part of this divine

in their (d. h. der Sitten) variety

is the result of long reflection poem

is destitute

of manners...

no passion which he is not able to describe, which he cannot am convinced did ever painter

raise...

the poet

The

and experience

... ...

And as there is

so there is none in his

images are so extremely

had the worthiest

tender...

reader that I

and best heart imaginable

imagine a scene like that in the 13th and 14th

This is sublime! This is poetry

whether distinction

.. .

Iliads?...

33)/

Dieses Homerbild ist reichlich von Fieldingsdien Vorstellungen stilisiert. Wir hören nichts von der kosmischen Weite und der mythischen Tiefe dieser Gesänge. Unerwähnt bleibt die vorgeschichtliche Weisheit, die in dem Gedicht schlummert, die Symbolik einer heroischen Endschaft und die dumpfe Schicksalsgewalt, die das Geschehen umlagert. Dieser dunkel leuchtende Mythos war dem Aufklärer Fielding nicht zugänglich. Sein Entzücken weidete sich daher mehr an dem Schatten, den diese urtümlidie Gestaltung warf, mehr an den Figuren als an dem Sinn, mehr an der Techne als an der Schöpfergewalt. Er war vom edlen Gegenstand, begeistert, von der einfachen Linienführung, von dem herrlichen Sittengemälde, von der einheitlichen Struktur, von den wunderbar beschriebenen Leidenschaften, von ihrer Wirkkraft auf den Leser, von den zartempfundenen Bildern und nicht zuletzt vom guten Herzen Homers — alles Dinge, die zum ureigensten Bestand seiner Weltanschauung zählten. Fielding erkannte das in Homer wieder, was ihn im eigenen Inneren bewegte und drängte. Es war eine subjektiv-künstlerische Selbstbespiegelung an Erscheinungen aus der Gestaltenfülle des antiken Sängers. Das Hintergründige und Unterschwellige der griechischen Mythe konnte der offene und klare Geist des Aufklärers nicht sehen; der Hieros Gammos von Immanenz und Transzendenz in der homerischen Welt mußte ihm ein Mysterium bleiben. Für die positive Auswertung dieser Homerinterpretation bleibt es interessant festzustellen, daß Fielding Homer unter der gleichen Optik betrach33)

226

Joseph Andrews, III, 2, vol. I, S. 224 ff.

tete wie die künstlerischen Erfordernisse und die Grundlagen seiner Weltanschauung überhaupt. Homer war ihm der überschauende Künstler mit einem scharfen Distinktionsvermögen, er war von edler Denkart und zarter Empfänglichkeit und diente wenigstens mittelbar dem Zwecke, moralische Regungen auszulösen. Fieldings Subjektivität entzündete sich daher weit eher an Homer zu einer enthusiastischen Begeisterung, als daß der mythische Sänger ihn durch seine Totalität und Urtümlichkeit erschüttert hätte. Nodi deutlicher wird der Vorgang des Anverwandelns antiken Geistes, der Fielding in seiner Beziehung zur alten Welt bestimmte, wenn er sein Verhältnis zu den Alten in Tom ancients

may be considered

hath the smallest

tenement

Jones

as a rich common, in Parnassus

muse. Or, to place it in a clearer what

the poor

venerable

where

light, we moderns

are to the rich. By the poor

had the honor

to be admitted

every person

to any degree

without

are to the

is a kind of opulence

with this

mob,

maxims to plunder

and

of intimacy

any reluctance;

and that this is held abide

that, in every parish almost in the kingdom,

there

to conceal,

such occasions

carrying

on against a certain is considered

who, as they conclude

guilt in such depredations, obligation

ever

the squire, whose property

all his poor neighbors;

and hath

do they

confederacy

called

his

ancients

whoever

to be neither sin nor crime among them. And so constantly and act by this maxim

who

here I mean that large

that it is one of their established

their rich neighbors

The

hath a free right to fatten

body which, in English, we call the mob. Now,

must well know pillage

folgendermaßen beschreibt:

look

of

as free-booty

by

that there is no manner

upon it as a point

and to preserve

person

of honor

and

each other from punishment

of

moral on all

).

34

Dieses humorvolle Gleichnis umreißt Fieldings Verhältnis zur Antike und ist eine Bestätigung für denselben Geist, der bei der Homerinterpretation von Adams schon waltete. Die Antike war der große Born, aus dem es sich schöpfen ließ; sie war ein bestaunenswerter Reichtum, in den man wohlgemut hineingreifen konnte, um sich Gemäßes herauszuholen. Fieldings Verpflichtungen an die Klassiker waren deshalb längst nicht so groß, wie man gemeinhin annimmt 35 ). Denn die Antike wurde in seinen Augen viel eher Fieldingisch, als daß er selbst klassisch geworden wäre. Bei aller Begeisterung für das große Kulturerbe der alten Welt vermochte dieses ) Tom Jones, XII, 1, vol. IV, S. 302 f. - ») Vgl. dazu Β i s s e 11. S. 23.

3i

15*

227

nicht, die Quellen von Fieldings Subjektivität zu verschütten. Immer bekam der Stoff seine spezifische Farbe, und stets gewahrte man zuerst bei seinen Äußerungen Fielding, und dann vielleicht antike Spuren. Deshalb wandelte sich manche Anschauung von der Antike in demselben Rhythmus, in dem Fielding ein anderer wurde. Ist er in Joseph Andrews von Homer begeistert, so übt er am Ende seines Lebens Kritik an dem Griechen 3e ). Gleich blieb jedoch immer die Verfahrensweise, in der Fielding mit dem Geistesgut der Antike verfuhr, indem seine geistig-künstlerischen Bedürfnisse ihn nach dem Kulturgut der alten Welt greifen ließen.

3, 254. Die

Kunstkritik

Die subjektive Freiheit, die Fieldings Beziehung zur Antike bestimmte, wird im Rahmen seiner ästhetischen Erörterungen auch nodi auf einem anderen Gebiete manifest: der Kunstkritik. — Die gesamte philosophischpsychologische Diskussion über den Sinn der Kunst bewegte sich im 18. Jahrhundert um die Auslegung des alten Fundamentalsatzes von Horaz, daß es Aufgabe der Kunst sei, zu nützen und zu ergötzen 37). Fieldings Werk ist in vieler Hinsicht nur eine Interpretation dieser Horazischen Forderung. Es war daher eine Zwangsläufigkeit des teleologischen Kunstideals, daß der Kunstgenießende vorwiegend kritisch und weniger einfühlend dem Kunstwerk gegenüberstand. Denn solange „die Kunst unter dem Gesichtspunkte des Kunstgenießenden und unter der bewußten oder unbewußten Voraussetzung betrachtet wurde, daß sie die Aufgabe habe, zu nützen und zu ergötzen, war die Kritik nicht nur ein selbstverständliches Naturrecht, sondern auch die natürliche Stellungnahme überhaupt. Sie war die natürliche Antwort auf die künstlerische Wirkung, entweder die gefühlsmäßige Antwort des an guten Mustern gebildeten und darum vergleichenden Geschmacks oder die verstandesmäßige Antwort der theoretisch begründeten Kunstkritik" 38). Von diesem Tenor sind etwa zwei Äußerungen Fieldings bestimmt, indem er den Begriff critic einerseits positiv definiert: By this word here... we mean every reader in the world™), und andererseits negativ: the use of the monosyllable low,... becomes the mouth of no critic who is not RIGHT HONORABLE40). Er fordert entsprechend der Gegenstandsrich3β

) Vgl. dazu Journal of a Voyage to Lisbon, vol. X V I , S. 182. »') Vgl. K o r f f , I, S. 121. - 3e ) Ibid., I, S. 128. ") Tom Jones, VIII, 1, vol. IV, S. 58. - 40 ) Op. cit., X I , 1, vol. IV, S. 246.

228

tung seiner Kunst alle zur sachlichen Kritik

auf, bestreitet

jedoch den-

jenigen, die der inneren Voraussetzung dazu entbehren, jegliches Recht zumindest auf negative Kritik. Es dünkt nahezu selbstverständlich, daß eine Kunstgesinnung, die auf gewisse Effekte abzielt und dabei gleichzeitig Kritik fordert, einen ganzen Schwärm unberufener Dilettanten mit auf den Plan ruft, deren Kritik bisweilen grotesk und dumm statt sachlich ist. Diese Erscheinung war nur eine natürliche Folge der Zweckbestimmung aufklärerischer Kunst, weshalb ihr größter Vertreter Pope mit den Unberufenen redit souverän verfuhr. Fielding hingegen litt regelrecht unter der fortdauernden unsachlichen Anfeindung des Banausentums 41 ), so daß seine scharfen Zurechtweisungen der Kritiker wohl nicht allein vom Kunstideal der Aufklärung her zu deuten sind. Der Kritiker war solange das Pendant zum Poeten, solange die Kunst unter dem Gesetz eines Zweckbewußtseins stand, solange es auf den künstlerischen Effekt und nicht auf die künstlerische Offenbarung ankam, solange der Kunstgenuß und nicht das Einfühlen in eine fremde Individualität zum Wesen des Kunstwerkes gehörte. Offenbarung und Einfühlung sind jedoch schon wesentliche Kriterien romantischer Kunstauffassung, die ihrer ureigensten Wesensart gemäß nicht Kritik, sondern Hingabe verlangen 42 ). Fielding war noch kein Romantiker, jedoch auch nicht mehr Aufklärer

rationaler Prägung, sondern ein subjektiver Geist des Über-

gangs, wie es sein Menschenbild, sein Ethos und seine Gesellschaftsideale zeigten. Daher liegt auch auf der Abgrenzung von Kritiker und Autor ein Zwielicht, auf das wir in bald hellerer, bald dunklerer Tönung in seinem ganzen Werk schon stießen: The than the clerk, whose office in process

critic,

rightly

it is to transcribe

of time, and in ages of ignorance,

considered,

is no

more

the rules and laws... the clerk began

to

But invade

the power and assume the dignity of his master. The laws of writing no longer founded

on the practice

the critic. The clerk gave laws whose

became

the legislator,

They

acted

capacities,

as a judge would,

lifeless letter of law, and reject the " ) Vgl. dazu Tom 42

and those very

Jones,

very

were

but on the dictates

business it was, first, only to transcribe

critics being men of shallow for substance.

of the author,

easily

them . . . these

mistook

who should

of

peremptorily mere

adhere

form to

the

spirit43).

X V I I I , 1, vol. V, S. 294.

) Vgl. ähnlich Κ o r f f , I, S. 128. - « ) Tom

Jones,

V, 1, vol. I I I , S. 206 f .

229

Die Kompetenzbeschränkung

des Kritikers — weit über

gewöhnliche

Maße hinaus — und die Polemik, daß er die Form mit dem Inhalt, das Tote mit dem Lebendigen verwechsle, sind Zeichen subjektiven Wollens, denen Fielding Ausdruck verlieh. Sie bedeuten, daß auf dem Grunde der schöpferischen Gesinnung des Dichters Kräfte leben, die nicht mehr allein mit dem Schema der Aufklärungspoetik zu erschließen sind. Der Kritiker ist nicht mehr der Gegenpol des Dichters, sondern hat nur noch eine dienende Funktion für den schöpferischen Autor. Denn hätte Fielding die künstlerische Gesinnung

der Aufklärung bis zum

äußersten erfüllt, wäre sein

literarischer Nachlaß genau so ein blutleeres Gebilde geblieben wie derjenige Popes. Daß Fielding eigenes Blut durch die alten Muster strömen ließ, bedingt sowohl die überzeitliche Lebendigkeit seines Werkes als auch die seltsame Widersprüchlichkeit innerhalb seiner eigenen Zielsetzung, die im vorliegenden Falle an der Forderung

von Massenkritik und an der

gleichzeitigen Entmündigung des Kritikers deutlich wird.

Sein Subjek-

tivismus und sein Schöpfergeist dringen über die engen Grenzen hinaus, die ihnen die Aufklärung setzte, denn sie forderten Hingabe und weniger Kritik 4 4 ).

Fielding war in der Aufklärung groß geworden, die

immer

dort, wo er etwas rational formulierte, ihm die Legitimation erteilte, die jedoch immer dann ungültig zu werden begann, wenn er schöpferisch gestaltete. - Dies ist ein Gesetz, unter dem Theorie und Praxis von Fieldings Kunst zu begreifen sind. Die angeführten Beispiele

aus Fieldings

kunstkritischen Äußerungen

geben seinem Weltbild eine abrundende Plastik. Ihre Forderungen einer strengen und realistischen Nüchternheit deuten auf den Fielding, der klar und unbeirrt, ja fast unerbittlich immer auf die Wirklichkeiten des Daseins geblickt hat. Die Moral als das Ziel der Kunst war gleichzeitig das Hauptanliegen seines gesamten geistigen Schaffens, und die dazu notwendigen Eigenschaften des Dichters spiegeln Temperamente wider, die als Koordinaten sein Werk konstituierten: die unerhörte Fähigkeit tiefdringender Beobachtung, der Schatz eines reichen Wissens, die weite Erfahrung und die edle Gesittung philanthropischer Humanität. Seine Beurteilung der Antike seine

offenbart nicht nur

Subjektivität, die das

seine Bescheidenheit, sondern auch

spezifisch Fieldingsche Fluidum in

seinem

Werk erzeugte. Und schließlich lassen seine Bemerkungen über den Kritiker erkennen, daß diese Subjektivität von ausgesprochen schöpferischer Natur 44

230

) Vgl. H. F i s c h e r , S. 63.

ist, die die Geburt von zeitlosen Wertgeltungen in seinem Werke erst ermöglichte. Sie beleuchten ferner die eigenartige Stimmung des Umbruchs, von der sein ganzes Weltbild durchdrungen ist, und das seltsam widersprüchliche Verhältnis, daß die künstlerisch-irrationale Gestaltung den rationalen Forderungen oftmals weit voraus ist 45 ). 3, 26.

Zusammenfassung

„In jedem Dichter, welcher sich zu einem Lebensideal und einer Weltanschauung erhebt, obwohl diese nur in dem Zusammenhang der Bilder ausgedrückt ist, die er vor unsere Phantasie stellt, steckt nach der allgemeinen Überzeugung ein Stück Philosophie. Denn es ist darin ein Sichbewußtmachen des Lebens in seinem ganzen Zusammenhang, in seinem ganz universalen Sinn, gegründet darauf, jede Lebenserscheinung in gesteigerter Besonnenheit aufzunehmen 1 )." Unter diesem Gesichtspunkt sind die geistigen Bereiche zu begreifen, die sich Fielding in der dichterischen Gestaltung erschlossen haben. Sie sind gesteigerte Besonnenheiten in einem doppelten Sinne, insofern als einerseits die Urtriebe Fieldings, die sein geistiges und menschliches Sosein determinierten, zur bildhaften Erscheinung gelangen, und als andererseits die Fülle des Lebens unter der Gliederung gewisser Ideen in einem bewußten und erlebten Zusammenhang aufleuchtet. Was wir als die Grundlage von Fieldings Persönlichkeit erkannten 2 ), seine Aktivität, seinen „Enthusiasmus", seinen Realismus, seinen Idealismus und seine ursoziale Veranlagung, erfährt in der Auseinandersetzung mit der empirischen Welt seine plastische Formung. Die Strukturlinie seiner gesamten Existenz, die wir herauszustellen versuchten, bildet Kristallisationsmöglichkeiten, an denen sich die Massen des Lebens anlagern und Gestalt gewinnen. Das Ideal seines Menschen, das er uns in den verschiedensten Variationen bot, ist in vieler Hinsicht nur eine Manifestation seiner Selbstlosigkeit und seiner sozialen Gesinnung, die wiederum wesentliche Zeichen seines eigenen Menschtums und Ziele seiner Absichten waren. Der Gestaltwandel, den dieser in Fieldings Werk gedichtete Mensch erlebt, bleibt nur 45

) Es ist nicht von ungefähr, daß Young 5 Jahre nach Fieldings Tod die Schaffensweise des Genies nicht als theoretische Einsicht in die Kunstgesetze, sondern als die Entfaltung instinktiver Eingebung definiert. Vgl. dazu Κ o r f f , I, S. 124. ») D i l t h e y , VIII, S. 32. 2) Vgl. Kap. 2, 3. 231

der bildhafte Ausdruck seines unbedingten Realismus', aber audi seiner Gläubigkeit an die innere Güte des Menschen und des immanenten Lebenszusammenhanges — also Ausdruck seines schöpferischen Idealismus'. Fielding war nicht dogmatisch-einseitig, sondern tolerant und verstehend; deshalb besitzt sein Menschenbild sowohl den Charakter der Entwicklung als audi das dauernde Bestreben des Ausgleichs zwischen den Mächten. Wie Fielding selbst, so sind seine Menschen weder unfehlbar noch schlecht; sie sind Sanguiniker mit einem guten Kern, die unschuldig-schuldig einem verführungsreichen Leben oftmals unterliegen. Im Menschtum seines Romanwerkes sind die Kräfte seines eigenen Herzens ausgefaltet, angefangen von der gottseligen Naivität des reinen Idealisten und der gefühlsinnigen holden Weiblichkeit bis hinab zur Schwachheit des menschlich Allzumenschlichen. Auch Fieldings Ethik ist in vielem eine pragmatische Verkündigung seiner eigenen werktätigen Nächstenliebe. Sie ist die gehäuseartige plastische Gestalt, die sich über seine karitative Gesinnung wölbt, und sie ist so durch und durdi sozial wie Fielding selbst. Das gleiche Gefühl, das durch alle seine Handlungen im Leben flöß, bildet innerhalb seiner Moralauffassung ein breites Band, das alle sittlichen Regungen verbindet und fast einheitlich bestimmt. Die Auffassungen des animal sociale Fielding sind in seiner Gesellschaftsauffassung inkorporiert. Der Zug nach mitmenschlicher Bindung auf der Basis seelischer Harmonie und Liebe geht mit unverminderter Deutlichkeit durch seine gesellschaftskritischen Äußerungen, die immer von dem Bestreben durchdrungen sind, die Formen menschlicher Verbundenheit in ihren höchsten Ausprägungen: Ehe und Familie, als nachahmenswerte Vorbilder zu feiern. Wie ein eigenes Resümee muten uns Fieldings ästhetische Erörterungen an. Sie deuten auf den Moralisten, Realisten und den schöpferischen Subjektivisten Fielding, der oft in eigenwilliger Durchbrechung der dichterischen Illusion in seinen Romanen die Summe seiner geistigen Existenz zieht. Insoweit ist Fieldings Weltbild das Gehäuse seiner Einstellung, dessen Dimension damit jedoch noch nicht erschöpft ist. — Ist das Weltbild einerseits eine „gesteigerte Besonnenheit" von Fieldings psychologischen Grundbedingungen, so ist es in einem anderen Sinne ebenfalls als „gesteigerte Besonnenheit" Welterkenntnis. Die im Weltbild objektivierte Seele weist nicht mehr die organische Ganzheit auf, die sie als Mittelpunkt der Ein232

Stellung der empirischen Persönlichkeit nodi besessen hatte. D a f ü r ist an ihre Stelle jedoch eine ideelle Totalität getreten, die sich nur aus ganz bestimmten Eigenschaften dieser Seele

zusammensetzt mit

dem wesent-

lichen Unterschied, daß die Seele einstens eine psychologische, jetzt hingegen eine philosophische Funktion hat. Alles das, was sich in der Einstellung kundtat, war der reine Ausdruck eines inneren Wollens. Was sich im Weltbild

manifestierte, ist insofern nicht mehr reiner Ausdruck, als

diesem Eindrücke außerpersönlicher Dinge vorangegangen waren, die ein wesentliches Moment bei der Bildwerdung der Seele darstellen. Aus diesem Grunde ist das Weltbild nicht allein nur eine illustrative Wiederholung seelischer Willensvorgänge - wie wir die „Einstellung" kennzeichneten —, sondern auch Erkenntnis. Die gehäuseartige Komposition des Weltbildes ist daher ambivalent; einerseits wird die „Einstellung" vom subjektiven Bereich des Wollens in das objektive Gebilde des Seins gehoben, und andererseits werden diese objektiven Gebilde zum Leitfaden, die Welt nach ihrem Sinne zu schauen und zu interpretieren. So erscheinen im Weltbild nicht nur die seelischen Regungen, sondern die ganze empirische Wirklichkeit im Lichte des Bewußtseins. Die Welt war Fielding ein moralisches Phänomen, in dem die Mächte der humanitas,

caritas

und humilitas

ständig

zum Agathon hinschafften.

Der Mensch steht im Zentrum dieser ethischen Ordnung und drängt, beflügelt von den Ideen der Humanität, der Liebe, des Wohlwollens und des allumfassenden Mitfühlens in eine ihm

oftmals

ungemäße Wirklichkeit

hinaus. Dennoch braucht er diese Wirklichkeit, um an ihr zu sich selbst zu kommen, um sich zu seinem höheren Ich emporzuläutern und um die Schlacken seiner Seele zu verbrennen. Diese Wirklichkeit ist ihm jedoch nicht nur subjektive Notwendigkeit, sondern auch objektive Möglichkeit f ü r die Entfaltung seines Entäußerungstriebes.

Denn dieses Fieldingsche

Individuum lebt nicht allein in sich, sondern stets bezogen, angefangen von der helfenden Teilnahme am Einzelgeschick bis zum Brüderlichkeitsbewußtsein der Menschheit. Dieser Zustand steht unter dem Gesetz eines dynamischen Handelns, weshalb sich der Fieldingsche Mensch beständig in Akten tätigen Helfens entäußert, um im erfüllten Gebot der Nächstenliebe und im Gedanken

mitmenschlicher Verbundenheit zur Idee

seines

Menschtums zu gelangen. Dieser Urtrieb schafft im Bereich sozialer Ordnung

diejenigen Formen der Bindung, deren Erfüllung die

menschliche

Selbstentäußerung voraussetzt: Ehe und Familie. U n d wie gerade in diesen gesellschaftlichen Grundmöglichkeiten die Entäußerung nicht mit dem 233

Verzicht identisch ist, sondern mit der persönlichen Steigerung, so bedeutet der bewußte Dienst am Nächsten weniger Entsagung als Erfüllung. Das Angewiesensein Fieldingscher Menschen auf ein Gegenüber bedeutet ebenso ihre Größe wie ihre Gefahr. Denn wird die Koinzidenz aufgehoben, d. h. entsprechen sich plötzlich die Menschen und die Dinge nicht mehr, dann ist der Mensch der Erbarmungslosigkeit des Wirklichen ausgeliefert. Der Fieldingsche Mensch verinnerlicht sich in dem gleichen Maße, in dem sich in der Wirklichkeit der Sinn von den Erscheinungen. ablöst, und geht so neuen Zielen entgegen. Je mehr er in sieh einkehrt, umso mehr wächst er über die empirische Welt hinaus, um über ihr den verlorengegangenen Sinn in der Sphäre des Religiösen noch einmal zu ergreifen. Hier liegt das ideelle Ende von Fieldings Weltbild. Der Mensch wird von den Mächten des Jenseits erlöst, da sich seine immanente Heilsgewißheit erschöpft hat. Er erlebt seine kopernikanische Wende, indem er seine Zentralstellung als empirisches Individuum verliert und nunmehr als symbolische Personifikation von Mächten erscheint, wie sie Fielding in der Gestalt der Amelia gelang, die halb Mensch, halb Symbol ist. Sie wird zur Trägerin der Mächte, die erlösend sich des Daseins erbarmen, die als Gnade, Liebe, Langmut, Verzeihung und Geduld erscheinen, um die Qualen des Lebens zu lindern. Von der Menschlichkeit über die Innerlichkeit zur Gläubigkeit führt der ideelle Weg Fieldings, der insoweit echter Realismus ist, als er sich durch die Wirklichkeiten des Lebens zieht, und der insoweit Idealismus ist, als die höheren Geltungen der Seele .des Menschen seine Richtung bestimmen. Ein nie endenwollender Optimismus begleitet Fielding auf den Straßen des Lebens, auf denen er eine allumschließende Menschheitsliebe in echter sozialer Gerechtigkeit und weltweiter Sympathie verkündet. So zeitüberlegen diese Ideen audi sein mögen, die wir aus Fieldings Schaffen abstrahieren konnten, so lassen sie doch ihre prozeßartige Entwicklung und Modifikation durch die Gewalten des Zeitlichen deutlich erkennen. Ja, die Empirie wird vielerorts zu einer wesentlichen Voraussetzung, um spezifische Gehalte so zu formen, wie wir sie in Fieldings Weltbild gewahrten. Es ist praktische Philosophie im weitesten Sinne des Wortes und demzufolge auf nichts mehr angewiesen als auf das empirische Dasein. Deshalb erfährt die Darstellung von Fieldings gesamter Weltanschauung ihren wesenhaften Abschluß erst dadurch, daß wir uns die Bewegungen und Stimmungen vergegenwärtigen, die die Verhaltensweisen des Dichters zur Wirklichkeit bestimmen. 234

4. D E R L E B E N S P R O Z E S S 4,1.

Die Stufen

des

Wirklichkeitserlebnisses

Das ewige Werden des Lebens trägt als das sichtbarste Zeichen seines Wesens den Charakter der Verwandelbarkeit. Das Leben ist wechselhaft in sich selbst

und wird

verändert durch die immer bildende K r a f t der

Wirklichkeit. Daher sieht alles Lebendige zu den verschiedensten Zeiten immer unterschiedlich aus; es ist niemals dasselbe, immer das Einmalige und stets das Individuelle. Es kann nach bestimmten Gesetzen ablaufen, wenn die Bedingungen seines Trägers und audi die seines Opponenten genau definiert sind. -

Als Werden wird es sich jedoch ständig an einem

Sein brechen, als Dynamisches wird es immer auf ein Statisches

treffen,

und als Überzeitliches wird es dauernd mit einem Zeitlichen ringen müssen. Die Welt der gegebenen Erfahrung bleibt immer der letzte mögliche Raum, in dem sich das Leben manifestieren kann; sie ist das Medium für das Existieren überhaupt. Darin liegt ein ewiger Dualismus beschlossen, der mit unversiegbarer Fruchtbarkeit die Lebensschöpfungen und Lebensgestaltungen gebiert, die als Errungenschaften des Geistes sich hinwiederum fortzeugen. Doch

dieses Ständig-Aufeinander-Reagieren

wird für die Betrachtung

schon wesentlich komplizierter, wenn sie auf die Verhaltensweise einer empirischen Persönlichkeit eingeengt ist. Hier treffen mehr Faktoren als die beiden aufgezeigten Grundkräfte aufeinander, die den Aufbau weltanschaulicher Formen bestimmen.

Es ist

der Gestalterwille des schöpfe-

rischen Individuums, der ins Leben hinausdrängt und dort oftmals erfahren muß, wie anders die Dinge sich verhalten, als er vorausberechnen zu können glaubte. E r kann dann aber nicht mehr umkehren, sondern muß Stellung beziehen, und wie er dazu Stellung nimmt, bezeugen seine Temperamente, die das schöpferische Gebilde seines Geistes umweben, das er der Gestaltlosigkeit der empirischen Welt abgerungen hat. Solche Lebensprozesse vollziehen sich jedoch nur dann, wenn das Individuum seiner ursprünglichen Anlage eingedenk bleibt, aber gleichzeitig 235

dem Ziel seiner Vollendung unentwegt entgegenstrebt. Dadurch entstehen Spannungen, in denen Ziel und Anlage sich oftmals weit voneinander entfernen und auseinanderzubredien drohen; der Mensch muß dann Stellung beziehen und sich entscheiden. „In konkrete Lagen gestellt, antwortet alles Handeln mit seiner die Spannung der Lage lösenden T a t " , es geht dabei uni „schöpferische Antworten des Lebens auf die Aufgabe, optimal eine Lage zu bewältigen" 1 ). In den Antworten, die Fielding in diesem Prozeß

gibt, schwingt der

Tenor des Komischen im weitesten Sinne. Diese Ausdrucksform weist schon auf eine ganz bestimmte Situation hin, denn wo der Mensch komisch wirkt oder scheint, ist er hineinverflochten in die Totalität des Seins, das sich zwischen Ernst und Nichtigkeit spannt; er ist vom Absoluten überwölbt, doch gleichzeitig vom Allzumenschlichen umstrickt 2 ). Das Ernsthafte ist zu allen Zeiten immer eng mit dem Scherz verbunden gewesen. Die griechischen Tragiker fügten ihren Schicksalsdramen schon Satyrspiele ein, bei der Erhellung der platonischen Liebe im Symposion ist Aristophanes dabei, und auch Jean Paul, der mit der Fragestellung des Komischen wie kaum ein anderer vertraut war, weist darauf hin, daß ernste Nationen einen höheren und innigeren Sinn für das Komische haben: „Der ernsten Briten nicht zu gedenken, so haben ebenso die ernsten Spanier mehr Komödien geliefert als Italiener und Franzosen zusammengerechnet . . . unter Albas Umhermorden an den Niederlanden wurde von Cervantes im Kerker Don Quichote geboren 3 )." Selbst die Philosophen des 19. Jahrhunderts haben auf die enge Korrelation von Scherz und Ernst hingewiesen, wenn etwa Kierkegaard sagt: „der wahre Ernst ist die Einheit von Scherz und Ernst" 4 ). Der Sinn für das Komische kann nicht gedeihen, wo das Pathos der Selbstüberzeugung herrscht und wo eine moralische Pedanterie bekämpft wird, anstatt verlacht zu werden. Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich die für unseren Zusammenhang bedeutsame Frage, was das Komische in anthropologischer Bedeutung als Form der Lebensmeisterung sei. Aus den verschiedensten Lagen des Menschen innerhalb der Wirklichkeit ergibt sich daher die Gliederung des Komischen 5 ). Es ist zunächst ein grundlegender Rothacker,

S. 149. -

3

) JeanPaul,

4

) Kierkegaard,

Schopenhauer, 5

Vor sànie

2

) Lützeler,

der Ästhetik,

Stadien

auf dem

1Veit als Wille

) Vgl. zum folgenden L ü t z e l e r ,

236

und

S. 159.

S. 116 f. Lebensweg, Vorstellung,

S. 159 ff.

S. 332. Vgl. dazu ähnlich I, S. 15.

Unterschied, ob die empirische W e l t , ob das Außerhalb mächtiger ist als die Persönlichkeit und deren ganze ideale Vorstellungsweite. Ferner ist es wichtig, aus welcher T i e f e und aus welchen K r ä f t e n der Mensch auf die Lagen des Lebens antwortet: entweder von der Oberfläche her, d. h. aus dem Gebiet rationaler Faßbarkeit, oder aus dem irrationalen Wesensgrund seiner Existenz. U n d schließlich ist ein letztes Moment bedeutsam: welcher F a k t o r im Verhältnis von Lage und Antwort den Gesamtakzent trägt, das Absolute oder das Allzumenschliche, das Unabdingbare oder das Zeitliche. Nirgends kann sich

das Komische als ein

reiner ausdrücken als gerade in der

echtes K i n d

Dichtkunst 7 ).

des L e b e n s 6 )

U n d nichts kann uns

einen besseren Eindruck von den Lebensreaktionen eines Dichters vermitteln als die verschiedenen Formen des Komischen, die bei dem jeweiligen Zusammentreffen mit der W e l t der Erfahrung lebendig werden und uns seine Erlebnisart

und Erlebnistiefe verdolmetschen.

Ein wesentliches I n -

grediens des Komischen ist das Überlegenheitsgefühl 8 ), das keiner so besitzen muß wie der Dichter, da er in des Wortes wahrster Bedeutung die Wesenheiten des Lebens verdichtet und die amorphe Masse der empirischen Wirklichkeit in sinngebenden Gehalt umschafft. Dem Realisten Fielding war die Wirklichkeit eine Aufgabe. E r besaß nicht nur eine scharfe Beobachtungsgabe, sondern war auch angefüllt mit Vorstellungen idealer Gesinnungen, die alle in die Empirie hineindrängten. Diese doppelte Wertung, die das Verhältnis Fieldings zur Wirklichkeit

charakterisiert, kann man nirgends sichtbarer erschließen als in der

Variabilität des Komischen, das

sich bei ihm von

der Satire

über die

Ironie bis hin zum H u m o r veränderte. Die Zeit, d. h. die Fülle des Lebens, arbeitete beständig sowohl an der Idealität seiner subjektiven Bestrebungen als

auch an den Einsichten in

das

objektiv-Gegebene.

Fielding

kämpfte mit ihr und wurde von ihr bekriegt; er w a r bedacht auf die U n antastbarkeit seiner geistigen Existenz und mußte immer wieder erkennen, wie das ewig rinnende Leben ihn zu unterspülen und auszuhöhlen begann. W a s er dabei empfand und wie er es überwand, drückt sich in der K o m i k aus, die seine Stimmungen registrierte, wenn er dem Leben antwortete 9 ). e)

B e r g s o n , S. 6. - ') V o 1 k e 11, II, S. 349. Ibid., II, S. 369. So audi Kuno F i s c h e r , Über den Witz, S. 37 f. e ) Fielding schärfte seinen Sinn für das Komische nicht in Holland, wie D i g e ο η , S. 7, meint, sondern am Leben. W i 11 c o c k s , S. 38, schreibt sogar von Fieldings Aufenthalt in Holland: In Dutchmen he found no sense of humour: a terrible want in the eyes of a humorist. β)

237

4,2. Die

Satire1)

Wie sehr der Geist der Aufklärung mit seiner moralphilosophischen Tendenz immer dem Praktischen und dem Wirklichen im weitesten Sinne zustrebte, bezeugt selbst ein Mann wie Shaftesbury, der zweifellos noch von einer ausgesprochen idealistischen Haltung inmitten des großen Heeres der oft nur vom Zweckdenken geleiteten Praktiker bestimmt war. Er sagt: For to make brick without straw or stubble is perhaps an easier labour than to prove morals without a world, and establish a conduct of life without the supposition of anything living or extant besides our immediate fancy and world of imagination2).

4, 21. Die Wirklichkeit

im Spiegel der Satire

Die Reaktion Fieldings auf die vorgefundene Welt, an der er seine Gesinnung zu prüfen und zu erweisen gedachte, ist ausgesprochen heftig und trägt durchweg den Charakter der Entrüstungssatire, die ihrem Wesen nach der im Leben angetroffenen Lage „mit enthüllendem Kampf" 3) antwortet. Das Bedrängende des Allzumenschlichen und Allzuwirklichen bildet die Basis, auf der sich die Idealität des subjektiven Wollens Fieldings formiert, um gegen die prosaische Niedertracht der empirischen Welt aufzubrechen 4). Das Vernichten aller entgegenstehenden Mächte ist dabei eine genau definierte Absicht, wobei Fielding nicht moralisch eifert, sondern das Bedrängende lächerlich macht. Die Vernichtung des Gegners ist gewollt, indem er ihn dem Fluch der Lächerlichkeit preisgibt. Das wesentliche Ziel dabei ist, das Negative in seiner ganzen Nacktheit erscheinen zu lassen, wozu sich Fielding einer burlesken Karikatur als des zugkräftigsten Mittels bedient. Seine Komödien sind reich .an diesen burlesken Zügen, ja seine eigene Meisterschaft hatte gerade in der frühen Zeit seines Schaffens auf diesem Gebiete gelegen 5 ). Wie das italienische caricare schon besagt, geschieht hier ein Beladen, ein Überladen, um die negative Betonung in Mensch, Zeit und Sitte prägnant herauszustellen. Dies führt dann zu einer paradoxen Verbindung von äußerstem Realismus und äußerster *) Es geht hierbei nicht um ästhetische Definitionen, sondern um die anthropologische Bedeutung der verschiedensten Formen des Komischen bei Fielding, wozu die Ergebnisse der Ästhetik nur insoweit herangezogen wurden, als sie zur Grund2 legung dienen. ) S h a f t e s b u r y , II, S. 287. s ) L ü t z e l er, S. 165. - 4 ) Vgl. zur Charakteristik der Satire ibid., S. 160 f. 5 ) C h i l d , S. 22, Vgl. dazu auch W e i d e , S. 95 ff. 238

Abstraktion β), erfüllt von dem seelischen Drang, die Konturen der Antinomie von Wollen und Sein so scharf nachzuzeichnen, daß sie als Überzeichnung ein negatives Urteil über die Wirklichkeit sprechen. Alle diese Momente gewärtigen wir in Fieldings umfangreichem Komödienwerk. Dort kämpft er oft mit gefährlicher Provokation 7 ) gegen die Politik, die geistlosen Vergnügen der Großstadt 8 ), die Pantomimen 9 ), die italienischen Sänger 10 ), die sozialen Übelstände, den geistigen Diebstahl der Buchhändler 11 ) und gegen Walpoles korrupte Gesinnung 12 ). In dieser satirischen Komik leuchten die breiten Ströme des echt Menschlichen noch nicht auf, da alles von einem unerbittlichen Kampf gegen die empirische Welt erfüllt ist, der alles andere resorbiert. Hegel hat die seelische Stimmung des Satirischen folgendermaßen charakterisiert: „Ein edler Geist, ein tugendhaftes Gemüth, dem die Realisation seines Bewußtseyns in einer Welt des Lasters und der Thorheit versagt bleibt, wendet sich mit leidenschaftlicher Indignation oder feinerem Witze und frostigerer Bitterkeit gegen das vor ihm liegende Daseyn, und zürnt oder spottet der Welt, welche seiner abstrakten Idee der Tugend und Wahrheit direkt widerspricht 13 )." Das Satirische entspringt daher wesentlich einem enttäuschten Glauben und weist somit auf eine echt menschliche Situation. Aber „in der Satire wird dieser Glaube nicht wärmend, nicht zeugend; die Satire dämmt wohl die Macht des Niederträchtigen ein, aber das Wertvolle wird lediglich in der Negierung des Unfertigen sichtbar" 14). Daher vollzieht sich in den Fieldingschen Komödien beständig eine Auflösung von Scheinwerten, die von sittlich gefährlicher und menschlich unwürdiger Art sind, mit dem betonten Nachdruck, im Betrachter die gleichen sittlichen Affekte der Mißbilligung, Entrüstung und Verwerfung zu erregen 15). Die Satire wird somit zum wesenhaften Ausdruck für die antinomische Struktur des Daseins. Sie ist die Sprache des Kampfes, die ein unbedingtes Ideal in der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zeigt. Das Ideal glaubt sich dabei der Wirklichkeit überlegen, die jedoch trotzdem die ·) L ü t z e l e r , S. 161. 7 ) Selbst Fieldings Freund Aaron Hill spricht von seiner provokatorischen Art. Vgl. J. R. B r o w n , S. 86. — 8 ) Vgl. E. L. A ν e r y , MP 36 (1938! 39), S. 285. ·) Vgl. dazu Ch. W. N i c h o l l s , Ρ ML A XLVI (1931), S. 1107 ff. und ibid., 10 MLN 38 (1923), S. 410 ff. ) Vgl. ibid., PQ 3 (1924), S. 309 ff. " ) Vgl. Author's ) Vgl .Historical

12

Farce, II, 2, vol. VIII, S. 215 f. Register, II, 1, vol. X I , S.258 Í . -

") L ü t z e l e r , S. 162. - ") V o l k e l t ,

13

) H e g e 1, XIII, S. 115.

II, S. 515.

239

ganze Kraft des Ideals in Anspruch nimmt, so daß die Überlegenheit mehr eine gewollte als eine bereits seiende ist. Im Unterton der Satire schwingt deshalb ein unerbittliches „Dennoch" und „Trotzdem", ein Glaube an die Werthaftigkeit der vorgestellten Ideale und ein Aufgebrachtsein gegen alle Pervertierungen des Wahrhaften und Editen. — So sagt beispielsweise Mr. Apshones in der Grub Street Opera über die Beaus: Your dress would have made as ridiculous a figure in my young days as mine does now. What is the meaning of all that plastering upon your wigs? unless you would insinuate that your brains lie on the outside of your headsle). Das satirische Empfinden in gesteigerter Form drückt etwa Witmore aus, der durch seinen Namen schon positiv gekennzeichnet ist: but now, when party and prejudice carry all before them; when learning is decried, wit not understood; when the theatres are puppet-shows, and the comedians ballad-singers; when the fools lead the town, would a man think to thrive by his wit? If thou must write, write nonsense, write operas, write Hurlothrumbos, set up an oratory and preach nonsense, and you may meet with encouragement enough. Be profane, be scurillous, be immodest; if you would receive applause, deserve to receive sentence at the Old Bailey; and if you would ride in a coach, deserve to ride in a cart17). Diese zwei Beispiele, die repräsentativ für den satirischen Tenor der Fieldingschen Komödien stehen können, weisen auf sein Grundgefühl in jenen Tagen hin. Hohn, Entrüstung und Enttäuschung sind die Grundakkorde, die durch die erste ernsthafte Begegnung mit der Wirklichkeit hindurchklingen mit der unverhohlenen Absicht, bald deutlicher, bald weniger deutlich, kraft eigenen seelischen Vermögens die Übelstände des Wirklichen bloßzustellen, um späterhin die eigenen subjektiven Ideale an ihre Stelle zu rücken. Der satirische Charakter vermittelt uns dabei jedoch nur virtuell die Existenz von Fieldings Glauben an gewisse Ideale, die aus der Ablehnung des Wertlosen erschlossen werden können. 4, 22. Von der Bedeutung des Jedoch nicht durchgängig seine Komödien schrieb. Das den komischen Zerfall alles die satirische Waffe, mit der versuchte. le

wurde Fieldings Temperament heftig, als er Burleske blieb ihm ein wesentliches Medium, Wertjenseitigen darzustellen 18 ); es war ihm er die bedrängende Wirklichkeit abzuwenden

) Grub Street Opera, II, 7, vol. IX, S. 251. ) Author's Farce, I, 5, vol. VIII, S. 204. 1S ) Vgl. dazu F. T. V i s c h e r , I, S. 412. 17

240

Witzes

Ebenso mit dem Satirischen verknüpft ist der Witz

19

), der jedoch schon

eine veränderte Grundstimmung gegenüber der Schwerblütigkeit der Satire verkörpert. Denn im Witz verliert die Wirklichkeit ihre Macht, und das freischaltende Subjekt erhebt sich über sie, um mit ihr zu spielen

20

).

Liegt schon in dem Überlegenheitsbewußtsein das erste Urteil über die Realitäten des Daseins, so dient der Witz dem Zweck, die verschiedensten abnormen Erscheinungen scharf zu beleuchten, zu treffen und festzunageln mit der

absichtsvollen Bestimmung, aufzudecken

und zu

entblößen 2 1 ).

Hierin spiegelt sich ganz deutlich eine Geistesart und eine Lebenshaltung des schöpferischen Subjekts wider, das die Menschen von Schwächen und Lastern, von Wahn

und Gemeinheit

und von überlebten und

falschen

Götzen befreien will ). Die Freiheit des Witzes dokumentiert sich in der 22

verstärkten Wendung auf ein Inneres, d. h., wenn die Satire im allgemeinen sinnlich-handgreifliche Bilder hinstellt, an denen sich der Widersinn im Vergleich aufdeckt, so verlegt der Witz die Widersprüchlichkeit vom Gebiet der Anschauung ins Innere 2 3 ). - Das Wortgefüge des Witzes ist so eingerichtet, daß sich uns zunächst eine unmittelbare Bedeutung

auf-

drängt, diese sich aber sofort als eine Scheinbedeutung enthüllt, und daß zugleich mit dieser negativen Einsicht augenblicklich eine dahinterliegende, versteckte Bedeutung als der eigentlich gemeinte Vorstellungsinhalt hervorblitzt

24

). So zum Beispiel, wenn es in dem Vorwort zu Tom

jener Parodie auf die heroische Tragödie, heißt: Nor excellent

tragedy

lessons, viz.: That is the certain

less noble

than the fable;

human happiness

end of all men

25

it teaches these two

is exceeding

Thumb,

is the moral

transient:

of

this

instructive

and that

death

). — Mit todernstem Gesicht trägt Fielding

die Bedeutung von der Moral seines Stückes vor. Im gleichen Moment enthüllt sich uns jedoch die Scheinbedeutung, indem er zwei der selbstverständlichsten

menschlichen Binsenwahrheiten

zum Kerngedanken

seines

Stückes erhebt, denen jede Anlage zur Entwicklung eines tragischen Konfliktes fehlt, da es sich um Unabdingbarkeiten des Lebens jenseits aller tragischer Schuld handelt, die sonst den tragischen Konflikt konstituiert. ) „Witz" ist hier im anthropologischen Sinn begriffen, jedoch nicht in der Bedeutung, die ihm das 18. Jahrhundert beimaß. Es geht hier nicht um die Entwicklung einer Vorstellung bei Fielding, sondern um den Tatbestand, mit Hilfe des Witzes Fieldings Verhältnis zur Wirklichkeit beurteilen zu können. Vgl. dazu auch Weide, S. 84 ff. 20 ) Vgl. L ü t ζ e 1 e r , S. 162. - 2 1 ) V o 1 k e 11, II, S. 485. 22 ) Ibid., II, S. 506 - 23 ) F. T. V i s c h e r , I, S. 418. 24 ) Vgl. V o l k e I t , II, S. 513. - 25> Tom Thumb, Preface, vol. IX, S. 10. le

16

I ser,

Weltanschauung

Fieldings

241

Daraus resultiert, daß Fielding mit dieser Tragödie eigentlich etwas Sinnloses aufführt, womit gleichzeitig der versteckte Sinn sichtbar wird: die Parodie auf die Tragödie. · Im Witz steckt eine gewisse Tendenz, auf sich selbst zurückzuführen, die Verbundenheit des Zuhörers mit der Wirklichkeit aufzulockern 26 ), um dann die gemeinten Absichten wirkungsvoller in empfänglichere Herzen gießen zu können. Es bleibt bezeichnend, daß Fielding seinen Witz in schillernder Färbung meistens dort versprüht, wo es sich um Kritik an den Theaterverhältnissen, ihren verschiedensten Produktionen und an der Situation der Dichtkunst überhaupt handelt, daß wir dort hingegen, wo er gegen politische, soziale und moralische Gebrechen Stellung bezieht, vielfach eine stark satirische Tönung gewahren. In der Sphäre der dichterischen Praxis weiß sich Fielding über die gegebenen Verhältnisse absolut überlegen; deshalb löst er ihren Widersinn im Witz auf. Die Lebensrealitäten des Alltags hingegen besitzen eine eigene Schwerkraft, die er in der Satire bekämpft. Witz und Satire sind die anthropologischen Temperamente, die Fieldings erstes Erlebnis der Wirklichkeit verdolmetschen. Sie stehen als Zeugen für eine Seele, die sich den Realitäten überlegen weiß, indem sie diese satirisch geißelt und züchtigt oder witzig ad absurdum führt. Die Wirklichkeit besitzt einen bedrängenden Charakter, der jedoch im Kampf oder im Spiel von der virtuell idealen Gesinnung aufgehoben wird. 4, 3. Die

Ironie

Satirische Färbungen hören mit Fieldings Komödiensdiaffen nidit auf, sondern zeigen oft bis in die Romane und in das Spätwerk hinein noch ihre Reflexe. Trotzdem quellen andere Stimmungen auf, die deutlicher und betonter die Haltung Fieldings zu erkennen geben, und die ungeachtet gelegentlich satirischer Züge von einem neuen Weltgefühl künden. 4, 31. Ironie

als verstärkter

Kampf

gegen

die

Wirklichkeit

Die Ironie, die man schon in den letzten Komödien gewahren kann, erreicht in der Wildgestalt einen alles überbietenden Höhepunkt und weist damit auf eine bedeutende Erlebnisgraduierung Fieldings hin. 2e

) L ü t z e l e r , S. 163. *) Es bleibt dabei wichtig festzustellen, daß Wild durdi und durch ironisch konzipiert ist, Heartfree hingegen nicht. Das erweist sich nicht zuletzt daran,

242

Die Ironic verteidigt und lobt, wo sie im Grunde eigentlich tadelt; dabei sind ihre Motivierungen so beschaffen, daß sie auf den ersten Augenblick als glaubhaftes Lob wirken, ehe sie im Feuerwerk ihres Widersinnes farbig spielend zerplatzen 2). Durch eine verstellte Unwissenheit oder Zustimmung gelingt es dem ironischen Subjekt, Anschauungen und Personen umso wirksamer dem Spott zu überantworten 3 ), als in der Ironie eine steigend-kontinuierliche Linie bis zum alles vernichtenden Widerspruch entsteht 4 ). Hierin ist die Ironie dem Witz überlegen. Audi der Witz reißt an den widersinnigen Stellen des Daseins, doch mit dem wesentlichen Nachteil, daß er nur punktuell wirksam ist 5 ) und auch seine Pointe nur im Moment besteht. Erst in der Ironie ist das Kontinuum erreicht, das dem Witz mangelt; erst hier gelingt es vollkommen, fortwährend mit dem Schein des Ernstes den Ernst des Scheines zu treffen e ). Aber auch der Satire ist die Ironie in gewissem Sinne überlegen. Während die Satire den Gegenstand fortstößt oder ihn nur deswegen festhält, um ihn immer wieder fortzustoßen, wird die Ironie zu einer Möglichkeit, in der Taktik des Unterlaufens in den Gegenstand einzudringen, mit ihm eine Gemeinschaft zu begründen 7 ), um hernach mit unwiederbringlicher Deutlichkeit das ganze Gefüge in die Luft zu sprengen. Die qualitative Veränderung

des Komischen, die sich in der Ironie

gegenüber Witz und Satire vollzieht, die Potenzierung der Wirksamkeit und der Abwehrkräfte in der hochgeistigen Komposition der Ironie erlauben den Rückschluß auf das Anwachsen einer bedrohenden Wirklichdaß im Heartfreeteil nur in Kapitelüberschriften und in ganz vereinzelten Kommentaren Fieldings ironische Spuren zu finden sind. Vgl. dazu Jonathan Wild, II, 7, vol. II, S. 75; ferner op. cit., II, 9, vol. II, S. 82, op. cit., III, 2, vol. II, S. 99 und op. cit., III, 1, vol. II, S. 96. Desgl. stellt S a i n t s b u r y , der eine der besten Wertschätzungen von Wild gegeben hat, fest: It is (d. h. Jonathan Wild) safe for the character of Heart free, compact and almost pure irony. (Fielding's Works, vol. X , S. XVI.) Ebenso weisen in der Thematik eine Reihe von Stellen im Champion auf den ironisch-politischen Inhalt der Wildpartie hin, die im Heartfreeteil keine Entsprechung haben. Vgl. Champion Dec. 15, 1739, vol. X V , S. 103, 106; op. cit., Jan. 24, 1739/40, vol. X V , S. 167; op. cit., Jan. 12, 1739140, vol. X V , S. 150; op. cit., Jan. 17, 1739140, vol. X V , S. 161; op. cit., Jan. 29, 1739/40, vol. X V , S. 173 f. und 176; op. cit., Feh. 14, 1739/40, vol. X V , S. 200 f. *) L ü t ζ e 1 e r , S. 163. - s ) W e i s e r , S. 138. 4 ) F. T. V i s c h e r , I, S. 436. - 6 ) Ibid., S. 434. «) Ibid., I, S. 437. Vgl. auch V o l k e l t , II, S. 519, dem jedoch eine befriedigende Interpretation der Ironie nicht gelungen ist. 7 ) H ö f f d i η g , S. 70. -

16*

243

keit, die im Witz kaum Macht besaß, und die in der Satire durchaus noch in ihre Schranken verwiesen wurde. Man hat vielfach die Ironie diskreditiert und dabei an ihrem ästhetischen sowie anthropologischen Sinn vorbeigesehen. Yet it should be remembered, in the first place, that irony should be employed against thoughts and actions rather than against particular individuals who indulge in such thoughts and actions; and, secondly, that direct irony is a means and not an end; it is a method of criticism and not an experience of critical thought. . . irony is an engine of destructive criticism in only a very limited sense; the ironist himself does not pass judgment but appeals to our sense of truth and justice to do so. If truth be judge when irony prosecutes, it follows that nothing that is excellent can in this way be hurt8). Das Verhältnishafte des Jonathan Wild, das wir anderen Ortes schon konstatierten, erweist sich mit der ironischen Behandlung insofern deckungsgleich, als es hier weniger um Personen, sondern um Mächte geht, deren allegorischer Repräsentant Wild ist. Es handelt sich hierbei nodi nicht um eine Interpretation des Lebens, wie sie der Humor in allen seinen Formen gibt ®), sondern um die diffizile Kritik an einer Fielding damals bedrängenden Zeitproblematik 10 ), die sich in indignierten Tönen Luft macht. An Stelle sinnlich-empirischer Bilder wie in der Satire appelliert Fielding nunmehr weniger an das Auge als an die seelischen Wertmaßstäbe des Zuschauers. Die dadurch erfolgte Verinnerlichung bringt die stärkere und entschlossenere Abwehr der Wirklichkeit zum Ausdrude. In der Ironie werden die letzten der Idealität der Gesinnung zur Verfügung stehenden Reserven gegen die Zeitlichkeit herangeführt, ehe im Humor Welt und Seele um einen Ausgleich ringen 11 ). Als Beispiel für die Ironie Fieldings mag folgende Charakteristik Wilds dienen: Jonathan Wild had every qualification necessary to form a great man... so was he not restrained by any of those weaknesses which disap8

) Turner,

S. 7 f .

·) V g l . L e a c o c k , Humour, S. 5. 1 0 ) U b e r die Beziehung des Jonathan Wild zur Zeitsituation vgl. J . E . PMLA

28 (1913),

is general

S. 1 ff. Τ u r η e r , S. 84, s a g t v o n Jonathan

and not

Wild:

Wells, His

irony

personal.

" ) F r ö h l i c h , S . 2, der seine g a n z e Arbeit über Fieldings H u m o r in sklavischer Anhängerschaft an die ästhetischen Definitionen Volkelts geschrieben

hat,

k o m m t zu der unhaltbaren Anschauung, d a ß „ J o n a t h a n W i l d s " Bedeutung „ h a u p t sächlich im H u m o r "

liege. Selbst bei a u f m e r k s a m e r Lektüre v o n V o l k e l t

ihm die U n h a l t b a r k e i t dieser A u s s a g e a u f g e f a l l e n sein.

244

müßte

point

the views of mean and vulgar souls, and which are

in one general

term of honesty ...

vices of modesty and good-nature, tion of human greatness... not what it'was... said, there great

was ...

character honored

always

comprehended

free from

which, as he said, implied

as for what simple people

The

and which he principally

He was entirely

those

nega-

call love, he

knew

which he most valued

himself

in others, was that of hypocrisy

much to be hoped

from

low

a total

him who

upon, ...

he

professed

virtues12).

Diese Monade aus Fieldings großem ironischen Kosmos, der von der Trivialität bis zur bedeutungsschwersten Aussage reicht, bezeugt uns ein Element, das erst im Ironischen eine sichtbare Plastik gewinnt. In der Ironie wird der Mensch frei 1 3 ); er genießt nicht nur die momentane Freiheit des Witzes, sondern eine, die ihn für die letzten Fragestellungen des Lebens aufgeschlossen macht. Ist der Zweck der Satire mit der Vernichtung des Unwertigen erreicht, so führt die Ironie über diese vordergründige Absicht hinaus zu einem höheren Ziel: dem der Wertentdeckung 14 ). Das ist ein psychologisch relativ einfacher Vorgang. Die Satire drückt die Ablehnung schlechthin aus; in der Ironie ist jedoch mit der gleichen Intention die Forderung verknüpft, die Ablehnung auch zu begründen. Denn will man eine bedrohlichere Wirklichkeit abwenden und sie entscheidend treffen, so genügt der bloße satirische Protest nicht, der wohl aus einem virtuellen Bereich werthafter Gesinnung heraushallt, sondern bedarf einer sichtbaren, positiven Durchdringung, um das anzugreifende Gegenüber besser bloßstellen zu können. Dies zeigt das angezogene Beispiel deutlich, indem sich positive Werte unter der Kappe ironischer Negierung in Jonathan Wild einschieben, um dadurch die gigantische Schlechtigkeit der Größe evident zu machen und sie gleichzeitig unter dem Appell an das menschliche Wahrheits- und Gerechtigkeitsempfinden - wie wir die Ironie verstanden — mit bildhafter Dramatik zusammenstürzen zu lassen. Von hier aus ist die inhaltliche Überlegenheit der Ironie über die Satire und den Witz zu verstehen. 4, 32. Fielding

und

Swift

Der Tenor der Fieldingschen Ironie erweist sich als typisch für seine Ansichten vom Menschen, wenn man sie derjenigen von Swift zur Seite stellt. Beiden gemeinsam ist ein bestimmter moralischer Standard, von dem 12)

Jonathan Wild, IV, 15, vol. II, S. 201 f.

13 )

L ü t ζ e 1 e r , S. 164. -

14 )

Ibid., S. 164.

245

aus sie die Deviationen im Leben beurteilen 15 ), jedodi mit dem fundamentalen Unterschied, daß Swift die sittliche Ordnung als eine übermenschliche Idee darstellt, die nur in dem fiktiven Reich der Brobdingnag oder dem Volk der Houyhnhnms verwirklicht wird, während Fielding mit seinen Züchtigungen durchaus im Gebiet des empirischen Daseins bleibt und mit seiner Ironie alles das geißelt, was vom gesunden sozialen Bewußtsein abweicht. Denn sein Ideal war kein transempirisches wie das von Swift, sondern eines, das im Erdreich empirisdher Wirklichkeit wurzelte. Fieldings Ironie ist somit eine Ironie der Integration l e ), der es weit mehr um eine moralische Stabilität geht, als daß sie die orthodoxe Ethik untergraben hätte 1 7 ). So wird man das beständige Loben alles Unsittlichen und Verwerflichen, das sich durch die Wildgestalt hindurchzieht, sofort automatisch korrigieren können mit dem eindrucksvollen Ergebnis 18 ), daß hinter dieser bekämpften Realität die Fieldingsche Wertskala aufleuchtet. Ironie ist bei Fielding der Ausdruck für die massive Bedrängung der Idealität des Wollens durch die Mächte des Daseins, deren Angriffswucht eine kompliziertere seelische Tiefeneinstellung auslöst. Sie ist die höchste Freiheit des Subjekts, sich nicht nur punktuell wie im Witz, sondern kontinuierlich über die Welten des Hier und Jetzt zu erheben, um einen letzten gebietenden Einfluß auszuüben, ehe der Geist der Versöhnung dämmert l9 ). 4, 4. Der

Humor

Mit Joseph Andrews, der zwar wie die bisherige künstlerische Produktion Fieldings zunächst eine parodistisdie Absicht verfolgt, stoßen wir auf einen ganz anderen Erlebnisbereich des Dichters. Zum ersten Mal gewahren wir für die Dauer eines ganzen Romanes den milden Schein eines alles überstrahlenden Humors, der aus seelischen Erlebnistiefen hervorbricht. 4, 41. Humor als Interpretation

des Lebens

Die Satire, der Witz und die Ironie waren die Reflexionen des Ichs über ein Nicht-Ich; im Humor hingegen wird das eigene Idi Gegenstand der 15

) Vgl. dazu A. R. H u m p h r e y s , S. 187. ) Ibid., S. 183. - 1Tj Ibid., S. 187. - 18) Vgl. ibid., S. 187. 1β ) R o n t e , S. 90, behauptet: »Das Bitter-Böse, das allzu Herb-Satirische in Fieldings Romanen kam von Lukian". Diese Ausdrucksweisen sind jedodi nicht zu lernen, sondern sie sind Resultate des gelebten Lebens. 1β

246

Reflexion !). Das Subjekt gehört nunmehr mit zum Stoff, und das einstmals verlachte fremde Objekt hat seinen Charakter als Nicht-Ich verloren und ist zum anderen Idi des ladienden Subjekts geworden 2). Dieser Umstand ist von einer grundverschiedenen Seelenlage gekennzeichnet, als es diejenige der Satire und der Ironie gewesen war. Denn wenn das Subjekt sich zum Stoff verwandelt und dieser wiederum zum anderen Ich, wenn die ganze einst fragwürdige Welt in den subjektiven Bereich mit einbezogen und trotzdem bejaht wird, dann entsteht der Humor mit seiner freien, spielenden, tapferen und liebenden Weltverlachung 3 ). Es kommt jetzt vielmehr auf ein innerliches Temperament als auf den Geist an, der sich im Witz jovial, in der Satire unerbittlich und in der Ironie souverän über das empirische Dasein schwang. Die seelische Befindlichkeit und die gemütvolle Gestimmtheit geben jetzt die Basis für menschliche Reaktionen ab, denn „in der Gestimmtheit und durch die Gestimmtheit wird offenbar, woran es mit uns ist, wie es zumindest um uns s t e h t ; . . . die Stimmung verrät etwas von der geheimen Tiefe unseres Zustandes" 4). Im Humor wird, nun jeweils der ganze Mensch und seine ihm zugehörige Welt sichtbar 5) ; denn Humor setzt mehr als andere Formen Lebenserfahrung und Nachdenken voraus. Er setzt ein Fegefeuer voraus, in dem die Gegensätze des Lebens und die ringenden Auseinandersetzungen mit dem Dasein ihren Einfluß auf den innersten Kern des Seelenlebens ausgeübt haben. Das Große und das Kleine, das Erhabene und das Niedrige, das Helle und das Dunkle, alles hat seine Spuren hinterlassen, und das Denken und Empfinden hat sich auf die allgemeinen Gesetze des Lebens besonnen e ); das Leben erscheint nunmehr groß und klein, wertvoll und wertfeindlich, tragisch und komisch. Solger, der neben Vischer und Jean Paul zu den psychologischen Entdeckern des Humors und seiner seelischen Bedingtheiten gehört, hat ihn folgendermaßen beschrieben: „Das Tragische und das Komische liegen hier noch ungesondert nebeneinander... Alles befindet sich im Humor in einem Strom, und überall gehen, wie in der gewöhnlichen Welt, die Gegensätze ineinander über. Nichts ist im Humor lächerlich und komisch, das nicht ein Element von Würde hat oder nicht Wehmut erwecken kann. - Nichts ist erhaben und tragisch, das nicht bei seiner Ausgestaltung in der niedrigen Welt der Zeitlichkeit in das Bedeutungslose oder das Lächerliche herabsinken könnte 7 )." ») F. T. V i s c h e r , I, S. 444. - *) Ibid., I, S. 445. - 3) L ü t z e l e r , S. 165. ) J. P f e i f f e r , S. 34 ff. - 5 ) L ü t z e l e r , S. 166. β ) H ö f f d i η g , S. 62. - ') S o 1 g e r , S. 354. 4

247

Wenn es auch die Sehnsucht des Humoristen bleibt, das sittliche Leben in reiner Gestalt und abgesondert von seinen Verfallssymptomen herauszustellen 8 ), so betrachtet er dodi die Wirklichkeit nicht als einen Abfall von der Ewigkeit, sondern sieht in jeder empirischen Realität eine einzelne Strecke vom ewigen Strom 9 ). Der Humor bedeutet Treue dem Leben gegenüber, weil er jedem seinen Platz anweist und weil hinter ihm der Glaube steht, daß neue Werte geboren werden, wenn die alten versinken. Der Humor steht und fällt mit der Voraussetzung, daß das, was vergeht, nur einzelne, in der Erfahrung gegebene Werte sind; ihre Vergänglichkeit jedoch bleibt ein tragisches Element, aus dem der Humor entspringt 10 ). Daher bedarf der Humor der Fülle des Herzens und der Mächtigkeit des Glaubens, um den Menschen die Lasten des Lebens noch einmal zu erleichtern. Humour in a world of waning beliefs remains like Hope still left at the bottom of Pandora's box when all the evils of Gods flew out from it upon the world u). 4, 42. Der Humor des Joseph

Andrews

Dieser Aspekt des Lebens erschloß sich Fielding mit Joseph Andrews und dauerte fort bis zu seiner größten schöpferischen Leistung, Tom Jones. Das Abstandnehmen vom tatsächlichen Fluß des Geschehens, das weniger dem Abkehren gleichzusetzen ist als vielmehr einem besonneneren Hinkehren, entsprang bei Fielding einem tiefen Verständnis für den Ablauf der Zeiten und einer großen inneren Kraft. Denn für den Humoristen Fielding verflüchtigten sich die Disharmonien des Daseins vor der heimlichen Macht der Innerlichkeit, die bemüht ist, alles zu verstehen. Deshalb liegt der Humor der ersten Jugend weit weniger als dem erfahrungsreichen Alter 1 2 ), in dem sich das grenzenlose Ausströmen zur Bescheidung und zur Entsagung umgewandelt hat. Der Humor ist der wissende Ausdruck von der antinomischen Struktur des Daseins und seinem Wesen nach the kindly contemplation of the incongruities of life, and the artistic expression thereof13). Das gesamte 18. Jahrhundert betrachtete die Inkongruenz von Prätendiertem und Idealem als die Basis des Komischen u ) . Dabei gelang es der 8

) F. T. V i s c h e r , I, S. 482. - «) Vgl. H o f f d i n g , S. 123. ) Ibid., S. 125. - »> L e a c o c k , Humour, S. 15.

10 12

) H ö f f d i η g , S. 99. -

") D r a p e r , S. 220. 248

13

) L e a c o c k , Humour

and Humanity,

S. 11.

Aufklärung nicht — obwohl in ihr humoristische Werke entstanden — den Humor zu definieren 15 ); sie schlug sich vielfach noch mit archaischen Erklärungsweisen herum, ohne daß sich Theorie und Praxis deckten. Humor, Komik, Witz und Lachen

schwirrten bunt

durcheinander, und

einmal

meinte man dieses, das andere Mal jenes. So schrieb Fielding, der neben Sterne wohl die größte schöpferische Leistung des Humors vollbrachte, nodi im Jahre 1752, daß bisher das Wesen des Humors noch nicht ergründet worden sei 1 β ). Insofern scheint es dann auch begreiflich, daß seine Begriffsbestimmung des Lächerlichen wohl von der Zeitströmung bestimmt ist, aber sich mit der praktischen Durchführung nicht deckt. Man lacht in Joseph drews

An-

viel weniger über die Stellen, in denen die Afiektation demaskiert

wird, als über die fortwährenden Zusammenstöße des reinen Idealisten Adams mit der Wirklichkeit 1 7 ). Die Inkongruenz bleibt wohl in beiden Fällen das Konstitutiv, doch während Fielding theoretisch das Lächerliche auf ein ganz bestimmtes ethisches Problem einschränkt: The of the true Ridiculous

(as it appears

to me) is affectation

18 ),

only

source

wächst auf

dem Boden der gleichen Inkongruenz die Stimmung für seinen weltweiten Humor, den er nur gestaltend darstellen konnte. Fieldings Erklärungen sind rationale Vorbedingungen für den irrationalen Ausdrude, der in der Formung über die engen Grenzen hinausdrängt. Der Humor ist zu eng mit den verschlungenen Wendungen des Lebens verquickt, als daß man ihn exemplarisch zitieren könnte. Dies ist allenfalls bei der Satire und der Ironie nodi möglich, wo das komische Temperament aus der Frontalstellung zum Leben erwächst, nicht aber, wo es eine Interpretation des Daseins selbst ist. - Der Landpfarrer Adams als die ideale Gesinnung des Dichters steht einem Leben gegenüber, das alle anderen Züge trägt als die seinigen. Doch dessen wird er nicht unmittelbar inne, da er den Unterschied

zwischen Welt und eigener Seele nicht be-

merkt. E r macht sich nach London auf, um drei Bände Predigten zu veröffentlichen, wozu ihn eine Anzeige ermutigte by a society who proposed

to purchase

any copies

sache, daß jene Gesellschaft

offered

to them

alle angebotenen Bücher

19 ).

of

booksellers,

Schon die T a t -

verkauft, steht in

sichtbarem Gegensatz zu der Hochachtung, die Adams seinen eigenen Produkten zollt 2 0 ) - doch das ist nur eine keimhafte Regung des humoristi15)

L e a c o c k , Humour and Humanity, S. 18. Vgl. audi Kap. 3, 13. Vgl. Covent Garden Journal, No. ÍÍ. vol. XIV, S. 214. 17) Vgl. T h o r n b u r y , S. 160. - 18) Joseph Andrews, Preface, vol. I, S. 21. le) Op. cit., I, 15, vol. I, S. 80 . - 2°) Vgl. op. cit., I, 16, vol. I, S. 92. 1β)

249

sdien Grunderlebnisses.

Als Adams endlich einen Buchhändler

antrifft,

schildert er ihm in kindlicher Ahnungslosigkeit seine schlechte finanzielle Lage und drängt ungestüm auf einen Druckabschluß. Der Buchhändler begegnet ihm mit geschäftlichen Einwänden, indem er geltend macht, daß Namen wie Wesley und Whitefield natürlich zugkräftiger wären als der seinige, mit dem vom kaufmännischen Standpunkt aus gesehen wenig anzufangen sei. Er vergleicht in seinem kommerziellen Gebaren die Absatzchancen von Predigten mit denen von Theaterstücken, was Adams wiederum tief erschüttert, vor allem wenn ihm der Buchhändler noch recht sachlich darlegt, daß eine Farce immerhin ein größerer geschäftlicher Erfolg sei als eine Predigt von Whitefield, und schließlich ganz trocken meint, vielleicht würde der Licensing same footing

21 )

Act Theaterstücke und Predigten to the

bringen.

Hier fließt der echte Humor des Dichters. Die verschiedensten Lebensströmungen, die miteinander relativ unverwandt sind, rinnen zusammen. Die geistige Hochschätzung, die Adams seinen Predigten zollt, wird gleich in ein etwas triviales Licht gerückt, wenn er beteuert, er müsse sie drucken lassen, da er Geld brauche. Die Idealität seines Anliegens wird ferner mit den nüchternen Tatsachen des kaufmännischen Geschäftssinnes konfrontiert, der am geistigen Gut nur insoweit interessiert ist, als seine Belange damit zu ihrem Rechte

kommen. Im Zuge dieses Gedankens wird die

Predigt mit der Farce verglichen, da ja der Gewinn entscheidet, der sich um eine geistige Werthaftigkeit wiederum nur insofern kümmert, als daraus Kapital zu schlagen ist. Alle diese verschiedenen Momente, die in dieser Situation aufblitzen und zusammentreffen, haben, für sich genommen, zweifellos ihre Gültigkeit; jede Einzelüberlegung ist vom jeweiligen Standpunkt aus gerechtfertigt, sowohl das Kalkül als auch die ideale Gesinnung. Aber gerade dadurch, daß diese Heteronomie existiert, und zwar so gestaltet ist, daß allen Beteiligten ihre jeweilige Argumentation nicht streitig zu machen ist, entsteht ein Problem. Fielding löst es humoristisch, d. h. er bezieht die Realität des Lebens, die nüchtern und ohne Pathos ist, mit ein in den Innenraum idealer Wertungen, die ebenso auf ihre Geltung pochen, wie diese der Wirklichkeit ein unabspredibares Attribut ist. Die Grenzlinien von Ich und Welt beginnen sich zu verwischen, da relativ betrachtet alles seine Berechtigung besitzt. Das Ich wird Welt, und die Welt wird immer dort zum Ich, wo über die Unüberbrückbarkeit des Daseins hinweg das versöhnliche Lachen hallt, das ebenso der Welt wie dem Ich gilt. 2l)

250

Vgl. zum Ganzen Joseph

Andrews,

I, 17, vol. I, S. 93 ff.

Adams wirkt absurd an den Maßstäben des Buchhändlers gemessen, und der Buchhändler erscheint materialistisch und niedrig, wenn man ihn der Herzensreinheit von Adams' Absichten zur Seite stellt. Beide zusammen jedoch wirken humorvoll, weil beide relative Richtigkeit besitzen und dennoch gänzlich verschieden voneinander sind. In den Komödien hatte Fielding gerade die Buchhändler und ihre Machenschaften gegeißelt, in Joseph Andrews aber verschwindet diese Entrüstung hinter dem Lächeln des Dichters. Es liegt darin ein Bekenntnis zum Sosein des Lebens; es ist das tiefe Bewußtsein von der relativen Gültigkeit selbst der hochfliegendsten Ideen und der werthaftesten Gesinnungen; es zeigt das Gewißwerden der Brüchigkeit des Daseins und gleichzeitig den überwältigenden Glauben an die Mächte des Lebens, die Fielding sich alle in der Liebe verbunden denkt. Die Prosa der Wirklichkeit wird genau so zur Existenzgrundlage Fieldings wie die reine Güte des selbstlos liebenden Herzens. Innen und Außen, Niedertracht und Idealität, Welt und Idi, oder wie die Gegensatzpaare des antinomisdien Lebens alle heißen mögen, bedeuten für den Erkennenden die ernüchternde Feststellung der Relativität alles Seienden; sie bedeuten jedoch für den Glaubenden, daß alles der Liebe bedarf. Der Humor ist die Form, in der auf der breiten Basis einer alldurchschimmernden Sympathie 22 ) das auseinandergerissene Leben wieder zusammengefügt wird. Im Humor überschwingt Fielding den Relativismus menschlicher Werthaftigkeit ein letztes Mal, ehe er anderer Mächte zur Erlösung bedarf. Hier in Joseph Andrews triumphiert Fieldings freiester Geist, der alles bis zum Trivialen, Dumpfen, Animalischen und Törichten umspannt, der eingeht in das Reich der Freude, in dem die Fragwürdigkeit und Gebrochenheit von Welt und Seele vergessen wird, und in dem in einer übermenschlichen Fröhlichkeit der Götteraspekt des Lebens hinter der allzumenschlichen Welt des 18. Jahrhunderts aufleuchtet. 4,43. Die Akzentverlagerung

in Tom

Jones

Die tiefempfundene humoristische Welthaltung, die die Gegensätzlichkeit des Joseph Andrews bestimmte, erhält in Tom Jones ein anderes Gepräge. Die veränderte Lebensauffassung in Fieldings großem Epos antwortet der Wirklichkeit in einer anderen Variation als in Joseph Andrews. Die Wirklichkeit, bis zu Jonathan Wild als absolut gegensätzlich empfunden und in Joseph Andrews von Fielding zum ersten Mal als ein 22

) T u r n e r , S. 58, sagt:

Humour

is built

upon

sympathy.

251

Äquivalent der Seele begriffen, hat in seinem Hauptwerk bisweilen schon einen konstituierenden Einfluß auf seine Menschen gewonnen. Die reine Idealität der Fieldingsdien Seele, die in der Gestalt Adams' sich am Dasein hinbewegte, besaß noch eine binnenartige Geschlossenheit, die in Jones

Tom

zerbricht. Es bleibt lediglich das gute Herz des Helden, das sich in

der Wirklichkeit um Erfahrung bemüht, ganz im Gegensatz zu Adams, dem Erfahrung etwas völlig Fremdes war. Die Welt der Empirie und der Idealität lagen in Joseph

Andrews

nodi

überschaubar getrennt nebeneinander, und man konnte jede Stelle ihrer Begegnung bestimmen, an der jeweils ein helles Lachen aufhallte. Unterscheidungen sind in Tom

Jones

Diese

verwisdit, und man ist sich nicht

ohne weiteres klar, ob man bei den Zusammenstößen Toms mit der Wirklichkeit nicht eher Wehmut als Heiterkeit empfinden soll. Voll guter Vorsätze zieht Tom ins Leben hinaus und gerät oft in komisch anmutende Situationen — wie Thwackum

23 )

beispielsweise

im Zweikampf

mit

dem Theologen

- dodi jedesmal erfolgen darauf Reaktionen, die den her-

vorschauenden Humor ersticken. Tom ist nicht mehr der absolut humoristische Charakter

wie Adams. Während

der Landpfarrer

einem Ah-

nungslosen inmitten der Gefährlichkeit des Lebens glich, bekommt Tom schon heftig zu spüren, daß er in eine indifferente, ja feindliche Wirklichkeit ausgesetzt ist. Daher wird das Lachen, das ihm gilt, gedämpfter und verhaltener, ja es schlägt

bisweilen eher in Anteilnahme um, als daß es

sich in reiner, noch einmal alles

umschließender Freudigkeit

verströmt

hätte. Es ist bestenfalls ein Humor der Wehmut, der Tom umgibt. Doch umso humoristischer sind die anderen Figuren des Romans konzipiert, die den Helden umgeben: Partridge, Squire Western, Thwackum, Square und Mrs. Western. Sie gleichen Adams' struktureller Wesensveranlagung; sie haben alle ein Steckenpferd, das ihnen eine binnenartige Geschlossenheit gibt, mit der sie gegen das Leben

anrennen, das sich ihrer

immer wieder lachend erbarmt. Für Western ist das Dasein in erster Linie die Möglichkeit, um mit der ganzen Ausgelassenheit seiner urtümlichen Natur den Fuchsjagden und ländlichen Vergnügen nachzugehen. Für Partridge ist das Leben so animalisdi dumpf, so triebgebunden und vegetativ wie seine eigene Natur, die sich in der Reaktion auf die Hamletaufführung

großartig ausspricht.

Für Mrs. Western ist die Welt

eine Beau

Monde, in der das Weib regiert, für Square besteht die Wirklichkeit nur aus den fitnesses of things, und für Thwackum verkörpert die Orthodoxie 23)

252

Vgl. Tom Jones, V, 11, vol. III, S. 260 ff.

der Hodi'kirche alle Realität schlechthin. Sie alle, von der Munterkeit des Squire bis zur Borniertheit des Theologen, sind von ihrer subjektiven Interpretation des Daseins befangen und ahnen nichts von den objektiven Gegebenheiten des Lebens. Sie haben alle dasselbe Verhältnis zur Wirklichkeit wie Adams, jedoch die Inhalte sind verschieden. Konzentrierte sich in Adams Fieldings Seelenfülle - wenn auch in subjektiver Prägung - , so sind die Nebenfiguren seines großen Epos nur Subjektivismen, die im Leben vorkommen, aber keine Träger von Fieldings werthafter Gesinnung. Lag bei den Zusammenstößen zwischen Adams und dem Leben der positive Akzent des beide umschlingenden Sympathiegefühls auf Seiten von Adams, so liegt er in Tom Jones,

wenn diese subjektivistischen Gestalten

gegen das Dasein anrennen, auf seiten des Lebens. Sie erfahren dadurch keine negative Bewertung, denn der Humor gleicht die Gegensätzlichkeiten des Daseins aus; nur die Stellung des Dichters ist eine andere geworden. Fieldings Ich wird hier in einem Maße Welt wie nie zuvor. Es ist eingegangen in die objektive Realität und beleuchtet von dort her die Idealität seiner Seele, die in den Hauptfiguren inkorporiert ist. Welt sein heißt bei Fielding, geweint und gelacht und damit erfahren zu haben. Deshalb ist auch sein Held eher von Wehmut als von

heiterer Fröhlichkeit ge-

zeichnet. In Joseph

Andrews

bestimmte das ideale Ich Fieldings die Atmosphäre

der Begegnung von Idealität und Empirie mit dem Effekt einer heiteren Weltverlachung. In Tom

Jones dagegen sind die Mächte des Lebens stär-

ker; sie umspielen die alltägliche und die idealere Menschlichkeit mit einem innigen Humor, der bald Freude, bald Wehmut ist. Je größer die Geltung der Wirklichkeit wird, desto gedämpfter wird der Humor, der nur dort noch einmal hell aufklingt, wo die alltägliche Subjektivität mit dem Leben zusammenstößt. 4, 5.

Zusammenfassung

Die aufgezeigte Gliederung ist bis zu einem gewissen Grade schematisch, denn die verschiedenen Arten des Komischen sind nicht so fein und säuberlich getrennt in Fieldings Werk, sondern hinterlassen hier und dort ihre Spuren. Dennoch läßt es sich nicht leugnen, daß die Komödien durch Satire und Witz, Jonathan Wild durch Ironie und die beiden großen Romane durch Humor bestimmt sind, selbst wenn man in den Romanen gewisse satirische und ironische Züge erkennen kann und umgekehrt l ). Sie ') Vgl. dazu ähnlich v a n

d e r V o o r d e , S. 9.

253

alle verkörpern die Antworten, die Fielding im Laufe seiner Entwicklung auf die jeweiligen Lagen des Lebens gibt, und drücken die spezifischen Welterlebnisse des Dichters aus. Hinter all diesen Formen steht die Idealität einer werthaften Gesinnung, die mit der Wirklichkeit konfrontiert ist und sich an ihr erprobt. Sie fühlt sich in der Satire überlegen, sie wird freiestes Spiel im Witz, sie wird indigniert in der Ironie und sie wird verstehend im Humor. Das Komische in seinen verschiedensten Abwandlungen bleibt f ü r Fielding die Möglichkeit, die Antinomien des Daseins immanent abzugleichen. Es ist die höchste Freiheit schöpferischer Subjektivität, den auf sich gestellten Menschen zu erlösen, da es als die korrigierende Funktion zwischen Mensch und Wirklichkeit beständig tätig ist. Innerhalb der verschiedenen Äußerungsarten des Komischen ist der Hufnor der letzte Versuch, den Verlust der Daseinsmitte zu verhindern, denn er ist das Paradox zur Sinnlosigkeit der gottfernen immanenten Welt und als solches die höchste Stufe schöpferischer Humanität. Daher erfreute sich Fielding des Lebens in spite of the fact that this is not a perfect world 2). Das Lachen jedoch mußte verhallen, als der Sinn des Daseins sich selbst für den Humoristen von der Welt abzulösen begann. Diese Stufe erleben wir dann in der letzten Phase von Fieldings Schaffen. In Amelia ist, bis auf eine gewisse ornamentale Komik 3 ), jener Geist für immer verweht, der als inspirierendes Leben durch Fieldings große Epen pulste. Es finden sich gewiß ironische und satirische Anflüge, doch das ganze Leben ist durch Sentimentalität bestimmt. Die komische Haltung des kämpfenden und lachenden Fielding wird von derjenigen des praktischen Reformers abgelöst 4). Die tragischen Spuren, die sonst das sympathetische oder sardonische Lachen immer wieder zudeckte, schimmern in seinem letzten Roman erkennbarer durch die Oberfläche 5 ). Das Lachen ist nicht mehr fähig, die Wehmut des Lebens selig zu sprechen, denn das Dasein ist nicht nur von Rissen durchfurcht, sondern scheint geborsten. Die Abstände der Gegensätzlichkeiten sind zu groß, als daß das Lachen ein Echo hätte finden können. Es besteht nur noch die Alternative, entweder in die Abgründe des Lebens zu fallen oder sie zu überspringen, wozu es jedoch einer größeren Kraft bedurft hätte, als sie die immanente Gläubigkeit des Humors zu geben vermochte. Deshalb löst der Ruf nach Religion das Lachen ab, um die Mitte des Daseins noch einmal zu ergreifen, um Sinn und Welt noch einmal miteinander zu verbinden. 2 4

) G l e n n , S. 18. - ») Vgl. D i g e o n , S. 227. ) Vgl. Β i s s e 11, S. 66. - δ) Vgl. Β a η e r j ί , S. 233.

254

Vereinzelt finden sich noch komische Spuren in Fieldings Spätwerk, deren Unterton immer noch das sympathetische Verstehenwollen ist e ), doch sie repräsentieren kein Gesamtgefühl mehr wie die Temperamente des Komischen in früheren Entwicklungsstufen. Das Gesamtgefühl seines reformatorischen Alterwerkes ist das religiöse Empfinden. Der Lebensprozeß hatte die Fieldingschen Gehalte unterspült. Im Wesensgrunde veränderten sich jedoch Fieldings Gesinnungen nicht, nur die Formen wurden andere; vom tatenfrohen Satiriker über den leidenschaftlichen Ironiker und den liebenden und gläubigen Humoristen führte ihn der Weg zum gottergebenen Menschen. Das ganze Erlebnis der Wirklichkeit, die immer im Mittelpunkt seines Trachtens stand, dokumentiert sich in diesem seelischen Gestaltwandel. Nichts bezeugt eindeutiger Fieldings menschliche Integrität, die Ernsthaftigkeit seines Wollens und das aus Schmerzen geborene Wissen als die Aufeinanderfolge seiner seelischen Stimmungen, mit denen er im Ablauf der Gezeiten der Wirklichkeit antwortete. e

) Vgl. J e n s e n , Covent

Garden Journal, vol. I, S. 112.

255

5. F I E L D I N G ALS D I C H T E R S E I N E S 5,1.

Geistesgeschichtliche

ZEITALTERS

Parallelität

Die individualpsychologische Erlebnisstufung, die sich im Wandel der Ausdrucksarten des Komischen bei Fielding bezeugte, hat ihre inhaltliche Parallele auf dem Gebiet geistesgeschichtlicher Sukzession. All die einzelnen Regungen, die wir in Fieldings Seele zu erkennen vermochten, finden daher Entsprechungen im organischen Wandel des Zeitgeistes. Denn alle geistigen und schöpferischen Menschen sind freie Entfaltungen und wirkende Glieder des geschichtlichen Lebens, das nicht nur über ihnen, sondern in ihnen und durch sie sich auswirkt '). Die tätigen Menschen als die Organe ihres Jahrhunderts schaffen erst die Magie des Zeitgeistes, der die grundlegenden Lebensäußerungen eines Zeitalters in eine gleiche Richtung lenkt. Zeitgeist ist deshalb kollektiver, menschgeschaffener Geist. Er ist jedoch niemals so eindeutig, wie es sich eine theoretische Betrachtung oftmals wünscht, sondern ist vielschichtig und komplex wie all das Leben, das in ihm zur Geistigkeit geronnen ist. Wie aber immer nur Ausschnitte des Lebens in den jeweiligen Zeiten Interesse erregen, so trägt die Schichtung des Säkulargeistes stets eine besondere Note, d. h. inmitten all der heteronomen Überlagerungen seiner Struktur gewinnt eine Schicht determinierende Bedeutung. An diesen spezifischen Prägungen erkennen wir die Gesichter der Jahrhunderte, die ebenso reich an Ausdrucksmöglichkeiten sind wie das menschliche Antlitz, doch auch ebenso bestimmt wie das der einzelnen Individuen. 5,11.

Formale

Voraussetzungen

Diese Interrelation von Mensch und Zeitgeist bedingt die oft ins Auge fallende Parallelität sowohl von geistesgeschichtlichen Phänomenen als auch von schaffenden Menschen verschiedenster Betätigung. Es braucht sich dabei gar nicht um eine direkte, „literarische" Beeinflußung zu handeln, son») J o e 1, I, S. 56. 256

dem nur um die einfache Teilhabe an der Bewegung des kollektiven Geistes. Deshalb konstatieren wir die bisweilen auffallende Erscheinung, daß verschiedene Menschen, ohne direkt voneinander zu wissen, zu einer gleichen oder ähnlichen ideellen Konzeption ihres jeweiligen geistigen Schaffens gelangen. Diese Parallelität — die mit Einfluß als solchem nichts zu tun hat — findet dann einen besonders sprechenden Ausdruck, wenn die Gegenstandsrichtungen der Jahrhunderte relativ eindeutig gegeben sind, weshalb gerade im englischen 18. Jahrhundert die geistesgeschichtliche Parallelität eine häufig anzutreffende Erscheinung ist. Denn der Mensch in seiner immanenten Gegebenheit war die Idee des Zeitgeistes, die sich in der Philosophie genau so sichtbar inkorporierte wie in der Literatur 2 ). Was die Philosophie pragmatisch-abstrakt formulierte, breitete die Literatur, besonders der Roman, in einer Bilderfülle aus, die im Reichtum immer neuer Facetten eine angewandte Philosophie des Lebens bot 8 ). Ja, der breite Strom empirischer Gegebenheiten flöß ungehinderter durch den Roman als durch die philosophische Weisheit, da der Roman eine aus den empirischen Bedingungen des Daseins geforderte und abgeleitete Form war. Auf alle Fälle schafft die gegenstandstheoretische Verbundenheit aller geistigen Aktivität im 18. Jahrhundert die homonome Struktur des Zeitgeistes, der wiederum die artverwandte Parallelität seiner Träger bedingt. 5,12. Inhaltliche

Entsprechungen

Während die aufgezeigten formalen Voraussetzungen geistesgeschichtlicher Verwandtschaft relativ eindeutig sind, gelingt es nicht ahne weiteres, ihre inhaltliche Bestimmung zu fixieren. Die konstitutiven Ideen der Aufklärung — wie wir sie aufzeigten 4 ) — erfuhren zwar im 18. Jahrhundert keine wesentliche Revolutionierung, jedoch ihre Modalität veränderte sich wie alles geschichtliche Werden. Die Begriffsassoziationen dei verschiedenen Ideen wurden mit dem Fortschreiten des Jahrhunderts andere, und eine Modifizierung des Gedankengutes war eine unausbleibliche Folge davon. Will man die historische Vielfalt systematisieren, so lassen sich zwei Koordinaten erkennen, die durch die gleichen Ideale der Menschgeltung und der Natur bestimmt waren, obgleich sie sich sonst wesentlich unterschieden. Da sie aber nur zwei verschiedene Hauptkennzeichen des 2

) Vgl. S t e p h e n , Literature

and Society, S. 2.

3

) Vgl. dazu D e i n h a r d t , S. 1. S w a n n , S. 3, sagt: every genuine artist

is an unconscious philosopher. 17

I s e r , Weltanschauung

4

) Vgl. Kap. 3, 1.

Fieldings

257

einen Zeitgeistes waren, standen sie in einem Reaktionsverhältnis zueinander. Konkret gesprochen repräsentieren die beiden Koordinaten einerseits die Kultur des aufklärerischen Rationalismus und andererseits die Dämmerung des romantischen Geistes. Dieser Unterschied ist bis in die Regionen soziologischer Schichtung feststellbar, indem die Träger des Kulturgedankens die exklusiven Zirkel der Oberschicht waren, während die romantische Erweckung aus der -Massensehnsucht aufbrach 5 ). Dieses Gegensatzpaar in seiner historischen Gleichzeitigkeit wird auf den mannigfaltigsten Gebieten erkennbar. War der Luxus beispielsweise ein natürlicher Ausfluß rationaler Kulturgesinnung, so antworteten die romantisierenden Zeitgenossen unter der gleichzeitigen Berufung auf die Idee des Menschen mit dem Schlagwort Degeneration e ) und wiesen mit rousseauistischer Gebärde auf die Tugenden des Primitiven. Luxus und Degeneration, Glückseligkeit und Simplizität 7 ) sind lakonischer Ausdruck für die inhaltliche Gärung, die sich hinter den formalen Ideen des 18. Jahrhunderts vollzog. Monadenhaft drückt sich diese Gesinnung etwa in Steeles The Lover

aus, dessen Ziel es ist, to banish out of Conversation

ment

which does

Friendship,

not

and Honour

proceed

from

Simplicity

of Mind,

all

Lying

EntertainGood-nature,

8).

Diese Gegensätze sind jedoch nur plastische Auswirkungen der verschiedenen Grundgefühle, die die beiden geistesgeschichtlichen Riditungen des frühen 18. Jahrhunderts konstituieren. Es ist deshalb bezeichnend, daß Montesquieu und Voltaire, die nur die soziale Oberschicht Englands kannten, von einem déchristianisement sprachen 9 ), während die Herzen von Millionen englischer Menschen in neuer Gläubigkeit vor dem unsichtbaren Gott zu zittern und zu hoffen begannen 10 ). Auf der einen Seite beschäftigten sich Englands große Geister mit dem rationalen, aller Frömmigkeit entleerten Deismus; auf der anderen Seite waren die Massen von Fragen erschüttert, die ihnen die Religion zur lebendigen Kraft machten. Beständig rann unter der skeptischen und ungläubigen Auftünchung der geistigen Oberfläche ein Unterstrom, der sich bis in mystische Tiefen verlor. Alles das, was sich in Pope konzentriert: die Oberflächlichkeit, die ethische Unaufrichtigkeit, der seichte Verstand, die platten Gedanken, die 5)

Vgl. Ρ e r d e c k , S. 53 ff. Vgl. W h i t u e y , S. 43 ff. und 46 ff. Vgl. dazu die Verteidigung des Luxus bei M a n d e v i l l e , I, S. 108 und 115. ') Vgl. W h i t n e y , S. 51. 8 ) Zitiert nach N i c o l i , Eighteenth Century Drama, S. 191. e)

") Vgl. Ρ e r d e c k , S. 47. —

258

10 )

Vgl. ibid., S. 49.

dreiste Verständlichkeit seines Optimismus und die Asphaltphilosophie seines Essay on Man, sind repräsentative Symptome rationaler Kulturgesinnung u ) . Sie stehen in unüberbrückbarem Gegensatz zu dem böhmisdi-paracelsischen Grübeln von William Law, dessen Mystizismus wohl zum Bruch mit Wesley führte, doch dessen mystische Magie notwendig war, um das Eis skeptisch-deistischer Geistigkeit zu sprengen, damit sich die Ströme des Herzens ergießen konnten 1 2 ). Es ist der erste helle und deutliche Akkord vorromantisch-christlicher Gesinnung, die schon in den Horae Lyricäe und Hymns (1705 und 1707) von Isaac Watts und in den Bestrebungen der reformatorischen Gesellschaften 13 ) anzuklingen beginnt. Das Motiv ist damit gegeben; es tönt weiter und wird variiert durch Geister wie Doddridge 1 4 ), Hervey, Young, Robert Blair, Parnell und klingt chorisch in der ganzen Frühromantik wider. Es zeigt sich hier ein typisches Stück abendländischer Geistesgeschichte. Immer dann, wenn man glaubte, sich endgültig von den Banden des Christentums befreien zu können, um zu einem neuen, ethischen Heidentum aufzubrechen, manövrierte das Unbewußte den abendländischen Menschen in Lagen hinein, aus denen er keinen anderen Ausweg fand, als abermals Christ zu werden 1 5 ). Die aufklärerische Skepsis und die vorromantische Christlichkeit, die als scheinbar geschiedene Prozesse in geschiditlicher Gleichzeitigkeit . ablaufen, waren wesentlich aufeinander bezogen. Die größte Gefahr des Aufklärers wurde schließlich seine letzte Zuflucht. Als kühner, titanisch-tatenfroher Mensch trat er ins Leben mit der Gewißheit, das Heil in seinem Inneren zu finden..Er verteidigte es in seiner immanenten Gläubigkeit gegen alles Supranaturale und mußte am Ende erkennen, daß es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als er zu bewältigen imstande war. Düstere Skepsis, frivole Ausgelassenheit, spöttelnde Arroganz und nihilistische Dreistigkeit verdolmetschen die Dekadenz eines Kulturgedankens, der sich zu Ende gelebt hatte. Umso stärker begann es jedoch in den Massen zu treiben und zu drängen, um sich bald in Bewegungen, bald in einzelnen Gesinnungen zu entladen. Schrittweise erfolgt eine geistige und kulturelle Umschichtung, deren erkennbarstes literarisches Symptom der Motivschwarm von der Gestalt des kleinen und " ) Vgl. Ρ e r d e c k , S. 28 ff. und S. 35. 12 ) Ibid., S. 62. L a w , Serious Call, Chap. X V I I I , S. 231 ff., spricht beispielsweise eine Chesterfield diametral entgegengesetzte Erziehungsauffassung aus. 1S ) Vgl. dazu W h i t n e y , S. 24. - " ) Vgl. Ρ e r d e c k , S. 69 ff. 15

) Vgl. Τ h i e s s , S. 260. 17*

259

einfachen Mannes ist, der sich rasch alle dichterischen Gattungen erobert. Die den Massen gebliebene Gläubigkeit erwacht, und ein neues Lebensgefühl positiver Gestaltung bricht sich allenthalben durch die Zerfallserscheinungen der rationalen Kulturgesinnung Bahn. Kaum ein zweites Mal ist diese Atmosphäre so kongenial erfaßt und dargestellt worden wie durch Fielding. Sein Werk ist von der philosophischen Problematik bis zur Alltagssehnsucht der bürgerlichen Welt, von den charakteristischen Tugenden bis zu den Nachteilen seines Jahrhunderts l e ) durchgängig geprägt. Er begann mit einem satirisch-scharfen Verstand und endete mit einem alles vergebenden Gefühl. Fielding is, as it were, the deep and exquisite conscience of his generation 17) (and) . . . though hardly an exalted moralist, expresses the genuine sentiment of his time with a force and a fullness which make his works more impressive than the whole body of contemporary sermons, because untrammelled by conventional necessities18). Gerade weil Fielding das Fluidum der Zeit in vollen Zügen atmet, wird die geistesgeschichtliche Verwandtschaft zu einer Augenfälligkeit. Und sie ist deshalb nicht an literarischen Einfluß gebunden, da Fielding an der Bewegung seines Jahrhunderts ebenso teilhat wie die verwandten Geister. Daher bedingt die Kenntnis der gleichen Quelle nicht das unbedingte Wissen der geistigen Verarbeitung anderer, denen Fielding gleicht, sondern ist nur formale Voraussetzung einer Parallelität. Fielding hatte Shaftesbury offensichtlich eifrig studiert; indessen scheint er von Butler und Hume 19 ) wenig gewußt zu haben, da e,s seine Art war, der Brüder im Geiste zu gedenken. Aus diesem Grunde ist die Betrachtung unter den Blickwinkel der Parallelität gerückt, indem es geistiges Gemeingut in paralleler Erscheinung zu erweisen gilt. 5, 2.

Shaftesbury

Wenn es Aufgabe ist, eine geistesgeschichtliche Parallelität zwischen Fielding und Shaftesbury herauszuarbeiten, so kann sie nicht in der summarischen Aneinanderreihung der topoi koinoi bestehen, sondern nur im 1β )

H u m p h r e y s , S. 183. - ") D i g e o n , S. 227. S t e p h e n , English Thought, II, S. 378. Β r u h η , S. 7, meint: „Im strengen Sinne war Fielding kein Dichter, aber die Kraft des 'vates', des Sehers, besaß er in hohem Maße". 19 ) T h o r n b u r y , S. 185, gibt jedoch im Verzeichnis von Fieldings Bibliothek unter No. 539 Hume's Philosophical Essays on Human Understanding 1748 an. 1β )

260

Aufzeigen gemeinsamer Grundkräfte ihres geistigen Seins und der Reaktionen auf die Soziologie des Lebens. Partielle Berührungspunkte und sachliche Übereinstimmungen sind mannigfach im Werke Fieldings durch direkten Hinweis auf Shaftesbury angegeben. Darüber hinaus hat die Forschung bei den

verschiedensten Anlässen

ihrer Darstellungen

wiederholt

auf

parallele Stellen aufmerksam gemacht, die Fielding nicht ausdrücklich als von Shaftesbury entlehnt kennzeichnete 1 ).

Allein

aus der

Anhäufung

bloßer Parallelstellen ist das Band geistiger Verwandtschaft zwischen Fielding und Shaftesbury noch nicht zu erkennen.

Denn Stoffhuberei macht

das Spezifische dieser Verbindung nicht sichtbar. Eine Aufzählung all der Übereinstimmungen zwischen Fielding und Shaftesbury -

ganz abgesehen

davon, daß dies jenseits des Rahmens dieser Arbeit läge — würde nicht mehr zeigen, als daß Fielding Shaftesbury recht gut gekannt haben muß. Doch gegen diese statische Feststellung steht der dynamische Sinn gleichgerichteter geistiger Bestrebungen, der sich im vorliegenden Falle an der Bedeutung der Shaftesburyschen Gedanken für Fielding erweist. Erst hier setzen die nachfolgenden Ausführungen an, die sich auswählend der Vielfalt des Materials bedienen, um eine Bewegung zu verdeutlichen, die sich als Erkenntnis schon in dem individualpsychologischen Wandel von Fieldings Weltbild abzeichnete. Dabei ist insofern jedoch eine gewisse Einschränkung notwendig, als sich das

parallele Gedankengut von

Fielding und Shaftesbury unter zwei getrennte Blickpunkte subsumieren läßt. Einerseits handelt es sich um Begriffs- und Anschauungsgebilde, die einen überpersönlichen Charakter haben, d. h. um diejenigen Ideen der Aufklärung, die Shaftesbury ebenso geläufig waren wie Hume und den Utilitariern, und die durchgängig im Werke Fieldings anzutreffen sind. Andererseits stoßen wir in Fieldings Werk auf spezifisch Shaftesburysche Prägungen, die jedoch nur temporäre Gültigkeit besaßen 2 ). *) Vgl. dazu D e i n h a r d t ,

S. 22 f.; S w a n n ,

S. 46 ff.; R o n t e ,

S. 90;

S t u d t , S. 105; R a d t k e , S. 42 f, 48, 60, 85, 98 (Radtke macht besonders auf Parallelstellen der dichterischen Anschauung aufmerksam, die jedoch in vielem geistiges Gemeingut der Zeit und der traditionellen Poetik sind); C r o s s , ding,

I, S. 33, II, S. 212 f, III, S. 19, I, S. 3 8 7 ; D y r o f f ,

S. 1;

Fiel-

Clarke,

S. 57 und W e i d e , S. 131 ff. 2

) Bemerkenswert bleibt die Tatsache, daß diese Verwandtschaft schon im 18.

Jahrhundert erkannt wurde, wenn der Johnsonbiograph H a w k i n s schem T o n bemerkt: His (d. h. Fieldings) bury

vulgarised.

Zitiert nach C r o s s ,

morality

Fielding,

. . .

in polemi-

is that of lord

Shaftes-

III, S. 162.

261

5, 21. Allgemeine

geistige

Verwandtschaft

Die Situation des Frühaufklärers ist wesentlich durch eine geistige Doppelrichtung gekennzeichnet, die sich in der Polemik gegen den zu Ende gelebten Restorationsgeist und in einem dithyrambischen Naturidealismus manifestiert. Im Vollzug dieser Bewegung springt als markantestes Symptom kommender Entwicklung das Übergewicht der Innerlichkeit ins Auge, die bald virtuell, bald reell die geistige Umschichtung trägt. So etwa in den gesellschaftskritischen Äußerungen Shaftesburys: A little better taste... would... mend the manners and secure the happiness of some of our noble countrymen, who come with high advantage and a worthy character into the public. But ere they have long engaged in it, their worth unhappily becomes venal. Equipages, titles, precedencies, staffs, ribbons, and other such glittering ware are taken in exchange for inward merit, honour, and a character3). Oder: where natural affection is wanting, 'tis certain still, that by immorality, necessarily happening through want of such affection, there must be disturbance from conscience of this sort, viz. from sense of what is committed imprudently and contrary to real interest and advantage4). Von diesem soziologischen Ort ist Shaftesbury zu begreifen, der als erster an der Schwelle des Jahrhunderts die Risse des geistigen Umbruchs idealistisch Überschwüngen hat. Er brach das Eis der rationalen Dogmatik, der orthodoxen Kirchlichkeit und der konventionellen Observanz überpersönlicher Bindung durch den kühnen Schwung seiner rhapsodischen Philosophie. Die immanente Bezogenheit seines Geistes verlegte die Maße der Dinge in den Menschen 5 ) und erhob Natur und Wahrheit zu Koordinaten seines philosophischen Denkens e ). Der Grundcharakter von Fieldings gesamtem Werk gleicht diesen formalen Umrissen und der Gegenstandsrichtung des Shaftesburyschen Geistes fast ausnahmslos. Dieselbe Polemik gegen den veräußerlichten gesellschaftlichen Flitter zugunsten einer innerseelischen Geborgenheit zieht sich wie ein roter Faden durch Fieldings Gedanken, die an den Maßstäben von Natur und Wahrheit ausgerichtet sind. Auch der materiale Wertinhalt dieser kategorialen Normen ist durch eine weitgehende Koinzidenz bestimmt. Denn der Ausspruch Shaftesburys: To love, and to be kind; to have social or natural affection, complacency, and good-will, is to feel immediate satisfaction and genuine content7) könnte ebensogut eine summarische Zusammen-

3

) Shaftesbury,

II, S. 259 f. -

η Vgl. ibid., I, S. 10 f. ') Ibid., II, S. 334.

262

6

4

) Ibid., I, S. 309.

) Vgl. ibid., II, S. 6.

fassung Fieldings sein. Das soziale Ethos, das im Werke Shaftesburys bis zur Ermüdung wiederkehrt, und die daran anschließende seelische Befriedigung sind es also, die eine wesentliche inhaltliche Verwandtschaft der beiden Geister begründen. Diese Gemeinsamkeit beruht auf der Richtung des Geistes aufklärerischer Problematik; sie ist bedingt durch die philosophische Gegenstandsrichtung des 18. Jahrhunderts, und sie ist schließlich eine Zwangsläufigkeit des immanenten Denkens. Darin liegt auch das Wesen ihrer Methode beschlossen, die Shaftesbury in dem bekannten Satz: Truth... may bear all lights8) theoretisch formuliert, und die Fielding mit der Waffe des Lächerlichen allenthalben in seinem Werk praktiziert "), sei es negativ, indem er gegen gesellschaftliche Mißstände zu Felde zieht, sei es positiv, indem er seinen goldenen Humor über Adams ausgießt 10 ). Die Bedeutung des Menschen, die Akzentuierung seiner Innerlichkeit, die Polemik gegen konventionelle Erstarrung und seelische Entleerung, die maßstabgebende Kraft von Natur und Wahrheit, das allumschließende soziale Bewußtsein, die innermenschliche Harmonie und die methodische Gewichtigkeit des Lächerlichen als ethisdies Regulativ sind alles Momente, die von der Übereinstimmung zwischen Fielding und Shaftesbury zeugen. Sie sind die Grundkräfte ihres geistigen Seins und darüber hinaus Ausdruck des Säkulargeistes der Aufklärung. Mit ihnen erschöpft sich der erste Kreis einer parallelen Gedankenrichtung, der insofern allgemeiner Natur ist, als seine Thematik auch anderen Geistern philosophisches Agens war. 5, 22. Spezielle

philosophische

Beziehungen

Der zweite Kreis ist nicht nur motivisch präzisierter und enger, sondern auch in seiner zeitlichen Gültigkeit nur auf einen gewissen Abschnitt des Fieldingschen Schaffens beschränkt. — Ganz im Sinne der neuplatonischen Bestimmung der Shaftesburyschen Gedanken galt für ihn die axiomatische Identität von Tugend und Glückseligkeit. Whoever... thinks in the main that virtue causes happiness and vice misery, carries with him that security and assistance to virtue which is requiredu), oder virtue 8)

S h a f t e s b u r y , I, S. 44. Fielding stimmt in Fragment of the Comment

of Lord Bolingbroke's

Essays,

vol. X V I , S. 3 1 7 , dieser Shaftesburyschen Definition ausdrücklich zu. 10 )

Vgl. dazu D e i η h a r d t , S. 26 f . — » ) S h a f t e s b u r y ,

I, S. 274.

263

and interest may be found at last to agree 12 ), weshalb to be wicked or vicious is to be miserable and unhappy 13 ). Diese moral arithmetic, wie Shaftesbury bezeichnenderweise das autogene Funktionieren der Tugend nannte, die mit der Glückseligkeit genau so kausal verknüpft war wie das Elend mit dem Laster 14 ), spiegelt sich als angewandte Philosophie in Fieldings Frühwerk wider. Der ganze ethische Mechanismus seines Komödienschaffens ist Beweis sowohl für die selbstbelohnende Kraft der Tugend als auch für die selbstzerstörende Wirkung des Lasters. Je nachdem seine Figuren den einen oder den anderen Bereich tangieren, werden sie gut oder schlecht. Wer die Tugend in diesem libertinistischen Debakel besitzt, kann noch so oft äußeres Mißgeschick erleiden, ohne dabei der endgültigen Glückseligkeit verlustig zu gehen. Mit nachtwandlerischer Sicherheit gehen die Tugendhaften auf den Graten des Lebens unbeirrt dieser Glückseligkeit entgegen. Kein anderer als Don Quixote aus Fieldings Komödie ist daher dazu berufen, das Shaftesburysche Erbgut aller Komödienmenschen in dem Satz zusammenzufassen : virtue is its own reward 15). Diese „moralische Algebra" erfährt ihre bedeutsamste Aufgipfelung in Joseph Andrews, indem der Idealist Adams in der Beglückung seiner instinktiven Tugend lebt, während die Beau Monde unter ihren lasterhaften Begehrlichkeiten leidet. Hier leuchtet der moralische Idealismus Shaftesburyscher Prägung in reinster Gestalt auf, der in den Komödien nur an dem satirischen Ton, den blassen Geschöpfen seiner Träger und dem erlösenden deus ex machina zu erkennen war. Die ethische Axiomatik der selbstbelohnenden Tugend, die im Schaugepränge von Fieldings Komödien hart an das Unwahrscheinliche streifte, bekommt in Joseph Andrews nicht nur Wahrscheinlichkeit, sondern bildhafte Gewalt. Eng verwoben mit der antiken Idee, daß der reinen Tugend beständig das Glück entspringt, ist ihr ästhetischer Charakter, der in zahllosen Wendungen bei Shaftesbury erscheint. Die antike Trias von Schönheit, Glück und Tugend hat vielleicht kein Moderner so kongenial erfaßt wie Shaftesbury, der sie weit über eine bloße Reproduktion hinaus neu belebte. Für ihn ist die beauty of virtue .. . the supreme and sovereign beauty, the l e original of all which is good or amiable ). Daher sind beauty . . . and good ... the same 17 ) und konsequenterweise all beauty . . . truth 18 ). Dieser ästhetisch-philosophische Idealismus zeigt ebenfalls in Fieldings Früh12 )

S h a f t e s b u r y , I, S. 244. - 13 ) Ibid., I, S. 336. - » ) Vgl. ibid., I, S. 338. ) Don Quixote in England, II, 1, vol. XI, S. 31. 16 ) S h a f t e s b u r y , II, S. 69, - 17> Ibid., II, S. 128. - 18 ) Ibid., I, S. 94.

15

264

werk seine Reflexe. Er ist nicht so unmittelbar in das Handlungsgewebe hineinverflochten wie die

arithmetische Funktion

der

selbstbelohnenden

Tugend, taucht jedoch zumindest an zwei Stellen auf, die die moralische Gewichtigkeit von der Schönheit der Tugend erweisen. Es ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, daß gerade Wilson in Joseph

Andrews

der Einsicht gelangt: I held, in utter contempt

who

any other lence

19 ).

inducement

to virtue

Jener Wilson -

besides

all persons

her intrinsic

beauty

zu

wanted

and

excel-

der eines der leuchtendsten Beispiele für

die

mathematische Moral der Tugend ist, denn er litt, solange er im Laster lebte, und wurde glücklich, als er sich zur Tugend bekehrte — bannt nun alle diejenigen, denen die Schönheit

der Tugend nicht genügend Grund

zur Huldigung bietet. Die exemplarische Zentralstellung der Episode Wilson in der Welt des Entweder-Oder verleiht gerade durch ihre Position im strukturellen Aufbau

jeder Aussage ihre eigene Schwere. Der erste

große Bekehrte in Fieldings Frühwerk ist von der Schönheit der Tugend bezaubert worden, die ihn von den Niederungen

des Lasters auf

die

Höhen der Glückseligkeit führt. Dieses Grundgefühl

bricht sich in verschiedenen Variationen, die bei

veränderter Formulierung immer vom gleichen Tenor getragen sind. heißt es beispielsweise in dem Essay on the Knowledge of Men: It is truely said of virtue, they would

be all in love

that, could

with her20),

finden wir noch im Vorwort zu Tom

of the

men behold

So

Characters her

naked,

und einen ähnlichen Widerhall

Jones

21).

Mit der Schönheit der Tugend und ihrer selbstbelohnenden Kraft sind zwei Motive bezeichnet, die die ureigenste Prägung des Shaftesburyschen Geistes erkennen lassen. Sie modellieren das Profil seiner rhapsodischen Gedanken und stellen ihn nicht nur in die Geschichte des Piatonismus, sondern markieren auch die idealistische Morgenröte der Aufklärung. beiden Motive

sind das ethische Postulat

Diese

seines pantheistischen Natur-

enthusiasmus und als solche mehr spekulative Weisheit als deduzierte Erfahrung. Dieser „Arithmetik der Affekte"

22 )

wohnt bei aller immanenten

Bezogenheit ein Schein von Spekulation inne, der in der empirischen WirkAndrews,

I I I , 3, vol. I, S. 241.

19)

Joseph

20)

Essay on the Knowledge

21 )

Vgl. Tom Jones,

of the Characters

Dedication,

of Men, vol. X I V , S. 300.

vol. I I I , S. 12.

22 ) So nannte T r o e l t s c h , Art. X I I I , S. 457, Shaftesburys Mora!.

Englische

Moralisten,

Realenzyklopädie,

265

lidikeit sich nicht so ohne weiteres als gültig erweist. Daher erfährt dieser Geist in der Fieldingschen Rezeption einen Wandel und erlebt sogar seine Endstufen. Die Gläubigkeit und der Jugendidealismus Fieldings brachten es immer wieder fertig, scheinbar allen Gewalten zum Trotz die Tugend dennoch obsiegen zu lassen.

Mit nahezu mathematischer Präzision gestaltet sich

Stück um Stück des frühen Fielding zur Feier dieses Tugendidealismus, der unabhängig von Erfahrung sich autochthon befriedigt. Dieser Glaube an die kausale Glückseligkeit der Tugend wird zum Gestaltungsprinzip bis hin zu Joseph

Andrews und ist beständig von einer anmutigen und attrak-

tiven Schönheit bestimmt. Wie die beiden Momente: selbstbelohnende Tugend und Schönheit der Tugend, die Moralphilosophie Shaftesburys determinieren, werden sie zu wesenhaften und alles bestimmenden Funktionen in der Anschauung des frühen Fielding. Dieser spekulative Idealismus wird jedoch gelähmt, als er auf die Erfahrung der Wirklichkeit trifft. Der gesamte Handlungsverlauf des Jones

Tom

ist ein sprechender Beweis gegen die wesenhafte Verquickung von

Tugend und Glückseligkeit, der in die Erkenntnis des Dichters ausläuft: There

is a set of religious,

or rather moral writers, who teach that

is the certain road to happiness, wholesome jection,

and comfortable

namely,

relative

if by virtue is meant (as I

quality,

which is always

of to

human

I am afraid

and contempt, tude can

we must then

with all the mischiefs which backbiting,

bring on mankind, we shall be obliged

since many by the above

in our idea of

virtue have brought

include

poverty

envy, and

happiness;

to wait upon the said

the

itself

good

because

in pursuing

busying

so easily agree that this is the surest way

happiness;

interested

ob-

almost

others as its own I cannot

perhaps

and seems as much

A very

and to which we have but one

that it is not true ...

think it ought) a certain without-doors,

and vice to misery, in this world.

doctrine,

virtue

nay,

happiness

themselves

ingratisometimes

to a

thither2*).

jail; An-

gesichts der Erfahrung erfolgt hier eine Suspension des Shaftesburysdien Geistes, der bisher als Agens in Fieldings Schaffen mitwirkte. Die lineare Geradlinigkeit einer gedanklichen Weisheit und die Logik der pantheistischen Sittlichkeit scheitert an der Alogik des Lebens. Die ethische Mathematik idealistischer Vorstellung tritt angesichts der Unabdingbarkeiten des Daseins in ihre Krise. ) Tom Jones, XV, 1, vol. V, S. 141.

2S

266

Der Schönheit der Tugend widerfährt ein ähnliches Schicksal. Schon der Tugendaffektation von Blifil in Tom Jones kann man nichts von der platonisch-Shaftesburyschen Magie der Schönheit abgewinnen, und auch die Tugenden von Tom stehen oftmals im Zwielicht moralischer Entscheidung und damit jenseits jener absoluten Schönheit. Doch erst in Amelia wird das Bekenntnis von der Schönheit der Tugend endgültig aufgehoben. So sagt Harrison zu Booth: if men act, as I believe they do, from their passions, it would be fair to conclude that religion to be true which applies immediately to the strongest of these passions, hope and fear; choosing rather to rely on its rewards and punishments than on that native beauty of virtue which sortie of the ancient philosophers thought proper to recommend to their disciples24). Dies sind zugleidi die Worte, unter deren Eindruck sich die religiöse Bekehrung von Booth vollzieht. Fieldings erster großer reuiger Sünder Wilson wird nodi von der Schönheit der Tugend zum Heil geführt; Booth, der letzte dieser Reihe, durch die Segnungen der Religion mit der ausdrücklichen Polemik gegen den immanenten Schönheitskult der Tugend. Was bei Wilson nodi eine Kraft gewesen war, dünkt hier als eine abgeschmackte, unwirksame philosophische Maxime, die höchstens in die Geschichte, nicht aber in den Fluß des ewig pulsierenden Lebens gehört. In Tom Jones wird das Shaftesburysche Erbe zur Unwahrheit und in Amelia zur Trivialität. Die Erfahrungen des Lebens unterminierten den idealistischen Uberbau in Tom Jones, und die Sehnsucht des Lebens blickt in Amelia geringschätzig auf den Kult einer immanenten Vergottung. Im allmählichen Vollzug dieser Entwicklung klingen Töne auf, die chorisch diesen Niedergang begleiten. So etwa, wenn hie und da das Shaftesburysche Ideal des Virtuoso in ein recht zweifelhaftes Licht gerückt wird 25 ), jene weltmännische Gestalt, die man heute vielleicht als einen Bildungsdilettanten bezeichnen könnte, und der etwa Horace Walpole in einigen Zügen glich. Zusammenfassend läßt sich feststellen: die kategorialen Normen, die Gebiete, die Hauptinhalte und die Methode des jeweiligen moralischen Philosophierens von Fielding und Shaftesbury waren gleich. Jedoch die besondere Prägung der Shaftesburysdien Gedanken besaß für Fielding nur so laage Gültigkeit, als er noch glaubte, mit seinem gestalterisch-idealisti) Amelia, X I I , 5, vol. VII, S. 313. ) Vgl. Tom Jones, VIII, 10, vol. IV, S. 107; Amelia, III, 12, vol. VI, S. 164; Covent Garden Journal, No. 12, vol. X I V , S. 125 f. 21

25

267

sehen Schwung das- Leben meistern zu können. Sie verlor in demselben Grade ihre Wirksamkeit, in dem Fielding der Erfahrung und den Imponderabilien des Lebens Rechnung tragen mußte. Der Frühstufe seiner geistigen Entwicklung entspricht die Aufnahmewilligkeit des Shaftesburysdien Idealismus, und die Abkehr von ihm geht konform mit seinem geistig-seelischen Gestaltwandel. 5,3.

Butler

Bewegung ist das sichtbarste Zeichen des Zeitgeistes, da er als etwas Lebendiges im Auf und Ab, im Hin und Her alle Schwingungen aufnimmt, die den geistigen Sehnsüchten und Tätigkeiten der schöpferischen Individuen entströmen. Bei aller Homogenität weist er jedoch beständig Nuancierungen und bestimmte Abwandlungen auf, die aus dem Geist der jeweiligen Stunde geboren werden. Eine solche Nuance des Aufklärungsgeistes verkörpert Bischof Butler. Bei ihm war das idealistische Pathos längst verflogen, das an der Wiege der aufklärerischen Gesinnung gestanden hatte; statt dessen umzogen düstere Bedenklichkeiten die desillusionierte Welt seiner Gedanken. Er war bei aller .Eigenart kein Sonderling aufklärerischer Denkweise, sondern nur eine Konsequenz ihrer Anlage, die allerdings nicht oft gezogen wurde. 5, 31. Die

Gewissensmoral

Butlers Ausgangspunkt ist durch seine theologische Position gekennzeichnet. Die vernunftgemäße Gotteserkenntnis — vielen Aufklärern eine platte Selbstverständlichkeit — dünkte Butler eine U n m ö g l i c h k e i t D e n n Gott war ihm nicht eine Divination des Verstandes, sondern ein Mysterium tremendum2). Das hieße jedoch, inmitten der Unbarmherzigkeiten des Lebens bar jeder Orientierung zu sein. Allein solche Folgerungen blieben bei ähnlicher Disposition erst dem 19. Jahrhundert vorbehalten, da das 18. selbst dann, wenn sich der Zweifel aufdrängte, immer noch praktisch genug war, um aus der Not eine Tugend zu machen. Der Mensch, den man in der Aufklärung auf den Schild aller Bestrebungen erhoben hatte, von der Philosophie bis zur politischen Deklaration, erwies sich am Ende immer nodi als ergiebig. Denn irgendeine seiner Eigenschaften war fähig, die Grundlage zu ernsterem Nachdenken zu bilden. Die Aufklärung W i l d e , S. 109. Vgl. audi M a c L e a n , S. 152. -

268

2

) W i l l e y , S. 84.

ersdiloß ja gerade erst den Menschen und machte sich in ihrer Entdeckerfreude die Funde stets zunutze. Dem 19. Jahrhundert erst gähnten leere Gruben mit ein paar unerschlossenen Fragwürdigkeiten entgegen. So resultiert aus dem Gedanken vom deus absconditus

nicht der geistige

Zusammenbruch von Butlers Existenz, da er im Menschen Dinge fand, die ihm den rechten Weg wiesen. Wenn auch die Endlichkeit dieser Welt den Ausblick auf die Transzendenz verdunkelt, so gilt für Butler die Gewißheit: conscience

is God's viceroy

3

). Dieses Gewissen, das im menschlichen

Inneren droht, fällt die rechtsgültigen und entscheidenden Urteile im irdischen Dasein 4 ). Had it strength, as it has right; had it power, manifest

authority,

it would absolutely

govern

the world

5

as it has

). Diese Poten-

zierung der Innerlichkeit zum Gewissen ist die große Konstante im Fluß aller vergänglichen Beweglichkeit;

sie ist ebenso unbestechlich angesichts

der Gewalt der Temperamente e ) wie unnachgiebig gegen die bedrohenden Laster 7 ). Das Gewissen ist weder reines Gefühl noch rationale Kraft, sondern ein Impuls der Gesamtpersönlichkeit, der beiden überlegen ist, da er in direkter Verbindung mit Gott steht. War Shaftesburys moral sense ein sensualistisches Vermögen, die Dinge der Welt zu beurteilen, so ist Butlers „Gewissen" ein leibhaftiger Ausdruck der Humanität 8 ). Butler markiert insofern eine wesentliche Stelle des Aufklärungsgeistes, als durch ihn der idealistische Gedankenkosmos Shaftesburys durch Schleier der Skepsis verdunkelt wird. Diese Skepsis den Welt- und Lebensvorgängen gegenüber schafft das Gewissen, das als eine stark verinnerlichte Kraft die Unsicherheiten und Imponderabilien des Daseins meistert.

Dasselbe

geistesgeschichtliche Moment der Skepsis, aus dem bei Butler das Gewissen entsteht, bewirkt bei Fielding in Tom

Jones

die Wendung zur Innerlich-

keit, die sich ebenfalls in der autoritativen Gewalt des Gewissens manifestiert. Denn die Kausalität der immanenten Ethik

zerbrach in

Tom

Jones, und die selbstbelohnende Tugend wurde zur spekulativen Unwahrheit, da die Gehung der prästabilierten Harmonie von Tugend und Glückseligkeit an der Erfahrung scheiterte. Die notwendige Folge davon war ein Zurückgedrängtwerden des Menschen auf

seine Innerlichkeit, deren

Antworten ihm zu Maßstäben des Handelns für die neue Lebenssituation wurden. Was in der Kontinuität des erfahrbaren Daseins zerriß, wurde durch das Vermögen einer seelischen Mächtigkeit ersetzt. Denn wenn die ) Zitiert nach S t e p h e n , English Thought, II, S. 48. - 4 ) Vgl. Ibid., II, S. 48. ) Zitiert nach "W i 11 e y , S. 90. - β ) Vgl. A l d e r m a n , S. 1090. 7 ) Vgl. W i l l e y , S. 90 f. - 8 ) A l d e r m a n , S. 1090. 3 s

269

Tugend nicht mehr Glückseligkeit bedeutet, bedarf es der Unbestechlichkeit eines ethischen Regulativs, um die Moral nicht der Willkür zu überantworten. Deshalb wurde in Tom Ethik, whose prompt

use is not so properly

das Gewissen Konstitutiv der

and incite them (d. h. die Menschen)

and withhold its throne

them from

in the mind,

in his court, where demns

Jones

to distinguish

according

the latter...

to merit

escapes,

a penetration

nothing

can

High

governs,

and justice,

which nothing

to the former,

and to

it may be considered

like the Lord

it presides,

right from wrong

Chancellor

directs, with

a knowledge

restrain

as sitting

of this

judges, acquits,

can deceive,

as to on

kingdom and

which

con-

nothing

and an integrity

which

corrupt9).

Obwohl Fielding Butler offensichtlich nicht gekannt hat, liegt hier eine augenfällige Parallelität vor 1 0 ), die insofern unabhängig von literarischer Beeinflussung ist, als es sich beim Bekenntnis zur Gewissensethik um eine Entwicklungsphase des aufklärerischen Geistes handelt. Es ist die Stelle einer wesentlichen Transformierung zwischen Begeisterung und der

expansiver, pantheistisdier

bedenklichen, skeptischen Einkehr über die Dinge

der erfahrbaren Welt. Gewissensethik

bedeutet

keine radikale Skepsis,

sondern nur den Rückgriff auf einen inneren Wert, wenn die Geltungen eines idealistischen Überschwanges von der Wirklichkeit in Frage gestellt werden.

Gewissen

bezeichnet das wesentliche Kriterium des

modernen

Menschen, der wohl im 16. Jahrhundert geboren, im 18. jedodi erst ernsthaft erzogen wurde. Die objektiven Werte von Stand, Staat, Kirche und Gott sind für ihn zerbrochen, und die verkündeten subjektiven Ideale der Identität von Tugend und Glückseligkeit und Tugend und Schönheit gehören als Weisheit einer seelisch für immer versunkenen Welt an und sind in der Moderne nicht mehr total belebbar. Alle einzelnen Anläufe scheitern an der Macht der Zeitlichkeit, die den Menschen immer wieder auf sich verweist und ihn zwingt, die formalen Kategorien der Ethik aus sich herauszustellen. Das Gewissen wird zum Ausdruck eines höchsten Personalismus des moralschaffenden Individuums und hat demzufolge in der Aufklärung seine eigentlichen Wurzeln.

Gewissen als

sittliches Beurtei-

lungsvermögen setzt jedoch das Wissen um geistig-seelische Krisen voraus und ist durch eine gewisse Fragwürdigkeit des Lebens bedingt. Deshalb drückt sich in der Gewissensmoral von Butler und Fielding eine folgerich") Tom Jones, IV, 6, vol. III, S. 163 f. 10

) Alderman,

S. 1091, ist der einzige, der bisher auf diese Parallele auf-

merksam gemacht hat.

270

tige Wendung des immanenten Denkens der Aufklärung aus. Der erste Jubel der Diesseitsbegeisterung ist verflogen, das spürt man an Fieldings Tom Jones genau so gut wie an der Position Butlers, wenn man an das Fieldingsdie Frühwerk bis zu Joseph Andrews und an Shaftesbury denkt. Die Stimmung ist gemessener und bedenklicher und besitzt nicht mehr viel von dem seligen Taumel des einstigen Glaubens. 5,32. Partielle Übereinstimmungen

in der Ethik

An Stelle der „moralischen Arithmetik", die Fieldings Sittlichkeit bis zu Joseph Andrews genau so bestimmte wie ihren Initiator Shaftesbury, tritt nun bei Fielding wie bei Butler das Pflichtbewußtsein u ). Das oft mühelose Wollen wird durch die kategoriale Norm des Sollens ersetzt. Deshalb ist Tom Jones, verglichen mit Joseph Andrews, ein typischer Entwicklungsroman. Ist dort der Held Adams die seelische Konstante, so wird Tom dauernd mit den Forderungen des Sollens konfrontiert, denen sein subjektiver Wille sich oft in Schmerzen unterwerfen muß. Erst am Ende, als er die Konflikte seines Lebens durchschritten hat und an ihnen gewachsen ist, wird er zum Menschen einer geläuterten und reinen Humanität. Sollen und Pflidit beweisen jedoch, daß jeder Schritt des Lebens mit komplizierten Entscheidungen verbunden ist. Als Tugend noch Glückseligkeit war, gab es nur eine generelle Entscheidung, die weit eher den Charakter des Wollens als des Sollens trug. Als jedoch die Wirklichkeit brüchig und das Individuum problematisch zu werden begann, wurden aus der voluntaristischen Ethik lauter Imperative. Um diesen Forderungen aber zu genügen, brauchte man neben der Fieldingschen Anschauung vom guten Herzen auch eine kategoriale Funktion, die in nichts anderèm als im Gewissen bestand. Denn nur diese absolute Autorität sprach Ja und Nein sowohl zu den Entscheidungen des Alltags als audi zu denen des Lebens überhaupt. So ist der Gedanke vom Pflichtbewußtsein nur eine Konsequenz der Gewissensmoral, der ebenso bezeichnend für die Butlersche wie für die Fieldingsdie Ethik ist. Schließlich besteht eine dritte Gemeinsamkeit, die wiederum aus dem Kerngedanken ihres moralischen Philosophierens entspringt. In der axiomatischen Identität von Tugend und Glückseligkeit galt die Tugend als das immanente Glück. Sie war eine expansive Kraft, die auf die Fragwürdigkeiten des Lebens - wenn sie sie überhaupt würdigte - überlegen » ) Vgl. W i l l e y , S. 93, der Butlers Ethik als Pfliditethik charakterisiert. 271

herabsah. Darüber hinaus genoß sie sich selbst in ihrer schenkenden Glückseligkeit. Das wurde anders, als die Problematik des Lebens jene Axiomatik in Frage stellte; als man erkannte, daß sie mit äußerer Glückhaftigkeit nicht mehr viel gemein hatte, und vor allem, als die letzte Hoffnung des Menschen im Wohlgeborgensein der Innerlichkeit lag. So schützt die Tugend bei Butler den Menschen vor dem Abirren vom Heilsweg wird bei Fielding in Tom

Jones

12 )

und

neben der Unschuld zum einzigen Garan-

ten für den noch möglichen Frieden der Seele 13 ). Aus der Shaftesburyschen Expansion wurde Einkehr, und aus der offensiven Mächtigkeit der Tugend, die beständig neue Reiche zu ihrem Glück

schlug, der

defensive

Schutz für das Verbliebene. Damit verbindet sich eine letzte Parallele zwischen Fielding und Butler: das Verhältnis von Motiv und Handlung. Es war eine Zwangsläufigkeit der geistigen Position Butlers, daß er angesichts der Unsicherheit und Rißhaftigkeit der empirischen Welt den Akzent auf den Wert der T a t und die motivierende Absicht Folgen

14 ).

legte, nicht aber auf deren Wirkung und

Denn diese waren keineswegs abzusehen, da sie Einflüssen un-

terstanden, die jenseits der Steuerbarkeit des Gewissens lagen. Motiv und T a t werden beim Vollzug von Mächten transformiert, die nicht nur unerkennbar lichkeit

sind, sondern die man sogar

bietet

daher

die

keit, Brüchigkeit, ja Feindseligkeit halb

skeptisch beurteilt.

einzige Sicherheit

inmitten

des empirischen

hat für Butler nur in ihr Geschehenes

Die Inner-

der Sinnwidrig-

Daseins, und

und Beabsichtigtes

deseigene

Werthaftigkeit. Die illustrative Parallele dieser theoretischen Erkenntnis ist Tom in Fieldings großem Roman. Alle seine Absichten und Taten sind durchweg gut, da sie dem reinen und wohlwollenden Herzen entspringen. Ihre Wirkungen und Folgen in der Welt der Unberechenbarkeiten sind jedoch oft so katastrophal, daß es der Dichter selbst zur Diskussion stellt, ob sein Held nicht eigentlich

gehängt zu werden verdiene 15 ).

Unter-

strichen wird dieser Geschehnisablauf durch die Gestalt des Blifil, dessen Motivationen geradezu von einer infernalischen Bosheit erfüllt sind, obgleich ihre Folgen und Wirkungen ihn mit der Gloriole eines Ridiardsonsdien Tugendsdieines umgeben

1β ).

Die verlorengegangene Kontinuität von

S t e p h e n , English Thought, I, S. 295. Vgl. Tom Jones, Dedication, vol. II, S. 12. 15) Vgl. Tom Jones, XVII, 1, vol. V, S. 247 f.

12)

13) 1β)

14)

von A s t e r , S. 79.

S t u d t , S. 104, betont ebenfalls, daß es Fielding mehr auf die Absicht als auf deren Folgen ankommt.

272

Ich und Welt, von Tugend und Glückseligkeit spiegelt sich deutlich in diesen Vorgängen wider, die abermals Zeugnis für die Introvertierung des Menschen im 18. Jahrhundert ablegen. Das Gewissen, die Pflichtethik, die schützende und bewahrende Funktion der Tugend und schließlich der Wert der motivierenden Absicht einer Handlung sind die wesentlichen Übereinstimmungen, die sich zwischen Fielding und Butler konstatieren lassen. Was Butler in der phylogenetischen Entfaltung des Zeitgeistes ausspricht, wird Fielding zum Erlebnis im ontogenetischen Ablauf seines Lebens. In der dialektischen Bewegung des Aufklärungsgeistes verkörpert das, was in Butlers moralischem Philosophieren zum Ausdruck kommt, die erste Antithese zum schwungvollen Beginn an der Jahrhundertwende. Symptomatische Erscheinungen und Folgen des immanenten Aufklärungsgeistes werden im Ideengut Butlers sichtbar; denn er ist hier in einer individuellen Form bereits zu Ende gedacht. Aus der allumschließenden Harmonie eines rhapsodischen Pantheismus erfolgt der Rückzug auf die Innerlichkeit. Aus der immanenten Allerkenntnis wird Skepsis mit all den sich daran anschließenden Konsequenzen. Die Moral als ein Phänomen des mühelosen Wollens verwandelt sich zum rigoristischen Prinzip des Sollens. Aus der Tugend als Glücksbringerin wird die Bewahrerin, und die Totalität der Handlung zerfällt in Motiv und Folge mit verschiedener Wertakzentuierung angesichts der Diskontinuität der Welt. Diese Formation, die für Butler und den Fielding des Tom Jones charakteristisch ist, symbolisiert die erste Enttäuschung aufklärerischer Lebensgläubigkeit, indem das Leben selbst als Erfahrung die Mächtigkeit dieses Glaubens erschüttert.

5, 4.

Hume

Die gegenstandstheoretische Blickrichtung der Aufklärung bedingte ganz von selbst die Erfahrung als ihr wesentlichstes Aufbauelement. Denn wer dem Leben nachspürte, mußte in den erfahrbaren Gegebenheiten die letzten Bausteine für seine Gesamtansicht des Lebens erblicken. So hielten es die Empiristen durchweg im ganzen Jahrhundert. Da sie aber nicht gänzlich ideenlos ins Leben drängten, sondern ganz bestimmte Vorstellungen mit hinaus nahmen, wurde die Erfahrung auch noch in einem anderen Zusammenhange bedeutsam. Der Mensch galt als ihre Idee schlechthin, denn alles, was die empirischen Aufklärer erforschten und erbeuteten, geschah für diesen Menschen; er war ihr Auswahlprinzip und ihr Konstitutiv. 18

I s e r , Weltanschauung

Fieldings

273

Allein, daß der Empirist, dem es um immanente Tatsächlichkeit geht, wenigstens eine formale Idee besitzt, bedeutet zumindest sovief, daß er bei den Streifzügen, die im Namen dieser Idee geschehen, manche Dinge in der Gestaltenfülle des Lebens entdeckt, die als Erfahrungen den Vorstellungen von dieser Idee diametral entgegengesetzt sind. Wenn daher die Erfahrung nicht nur eine gegenstandsbedingte Methode ist, sondern auch Erkenntnisquelle, wird der Empiriker anstatt erhoffter Bestätigungen bisweilen Erkenntnisse erhalten, die einem Danaergeschenk gleichen. Nun ist es eine historische Tatsache, daß aller Empirismus nie gänzlich ideenlos gewesen ist, selbst wenn sich diese Ideen zu abstrakten

Formulierungen

von tatsächlicher Erkenntnis überhaupt und dergleichen verflüchtigt haben. Darüber hinaus hat das empirische Denken seit dem Nominalismus stets nach zwei Seiten Front bezogen, einerseits als Kritik gegen die spekulative Metaphysik, andererseits als Gläubigkeit an die Dinge dieser Welt, die sich in den verschiedensten abstrakten Parolen von der Naturwahrheit bis zur Menschgeltung ausgesprochen hat. Jedoch gerade diese eigenartige Zwitterstellung und Ambivalenz der Erfahrung brachte es immer wieder mit sich, daß der immanent bezogene Empirismus in der Skepsis endigte. Die Imponderabilien des Lebens stellen den Empirismus immer vor die Entscheidung, sie entweder spekulativ zu überfliegen — das bedeutet jedoch Selbstaufgabe - oder zu resignieren angesichts der Erkenntnis, daß Uneinsehbarkeiten im Leben doch existent sind, und daß man darüber hinaus sehr wenig erklären kann. Mit einer unvergleichlichen Gedankenschärfe hat David Hume in seiner theoretischen Philosophie den. Empirismus konsequent zu Ende gedacht, indem er Erfahrung gegen Erfahrung

setzte und damit zwangsläufig zur

Skepsis gelangte. Mit Hilfe des Verstandes machte er dessen Grenzen sichtbar 1 ), denn alle Dinge, seien es Ideen

oder Impressionen, haben ihren

Ursprung in einem Außerhalb menschlicher Möglichkeiten und sind demzufolge nicht erkennbar 2 ). If Hume's at the time, it was not because thinkers,

or never

tions happened of inferior Hume,

been expressed

to be favourable

thinkers

and, though

were

scepticism

similar doubts

dealing

was

a potent

had never occured

by them, but because

the social

to pheir development...3)... with the same problem

with far less acuteness

or logical

influence to

other condi-

thousands which

occupied

consistency,

arriving

») W i l l e y , S. 111. - 2 ) Vgl. ibid., S. 114. ) S t e p h e n , English Thought, I, S. 19. M a c L e a n , S. 13 f. meint ähnlich:

3

Hume

274

. . . is the best source for the intellectual

history

of his

age.

at similar solutions*). Das bedeutet also, daß ungefähr bis zur Jahrhundertmitte hinter dem geistigen Bemühen der Aufklärung der radikale Zweifel stand. Der enthusiastische Schwung und die weltumarmende Begeisterung, die für den Anfang des Jahrhunderts so bezeichnend waren, haben sich verflüchtigt, und ihr Denkansatz hat nicht einer Weltharmonie, sondern dem Zweifel das Leben geschenkt. Die Erfahrung, einstens nur bequeme und gegebene Methode, wurde nun zum Erkenntnisquell von der Brüciiigkeit des Daseins. Der erhabene Shaftesburysche Kosmos, in dem der Mensch nodi erhabener thronte, ist in tausend sinnwidrige Teile zerplatzt, ist ein Trümmerfeld geworden, auf dem der Mensch suchend umherirrt, um sich am Ende zu gestehen, daß er nichts Sinnvolles mehr finden kann. 5, 41. Emotionalismus

und

Erfahrung

Doch auch hier wächst aus dem Zweifel nicht die Verzweiflung wie am Ende des 19. Jahrhunderts, sondern wie immer in der Aufklärung die praktische Tat. Die Skepsis ließ sich theoretisch wohl denken, jedoch nicht leben. Dies gilt insbesondere von Hume 5 ), der sich nunmehr intensiv den Möglichkeiten des Menschen zuwandte. Hatte schon bei Butler die Unzulänglichkeit der erfahrbaren Erkenntnis den Menschen auf das verinnerlichte Vermögen des Gewissens zurückgewiesen, so führte die erkenntnistheoretische Skepsis Humes zur letzten Tiefenschicht des Menschen, dem Gefühl. Denn nur im Gefühl lebt der Mensch zentral in sich selbst hinein und fühlt hier die unmittelbare Einheit seines Wesens e ), eine Einheit, die im Verhältnis zum empirischen Dasein verlorengegangen war und deshalb nur nodi einmal in der Innerlichkeit des Gefühls wiedergewonnen werden konnte. So wird bei Hume das Gefühl zur Grundlage der Moral, ja er reduziert alle Moral auf das Gefühl 7 ). Denn das endgültige Urteil über unsere Glückseligkeit und unser Elend depends on some internal sense of feeling, which nature has made universal in the whole species 8 ). Daher sind auch unsere Entschlüsse das Ergebnis of our calm passions 9 ) und nicht des Verstandes, dessen Unzulänglichkeit sich allerorts offenbart 1 0 ). Die Bedeu4

) S t e p h e n , English Thought,

I, S. 2.

5

) W i l l e y , S. 119. — «) J o e l , I, S. 4.

7 ) W i l l e y , S. 121 und H u m e , Inquiry . . . Principles of Morals, II, S. 261, London 1882. - β ) H u m e , Inquiry... Principles of Morals,

Works Works

II, S. 172, London 1882. — ») Ibid., II, S. 222. — 10) Vgl. ibid., II, S. 265. 18*

275

tung von Gefühl und Leidenschaft, zwischen denen Hume oftmals das Gleichheitszeichen setzt u ) , gipfelt in der Erkenntnis: life, without be altogether benevolence tender,

insipid and

and tiresome ) 12

friendship,

and agreeable,

humanity

independent

; denn the and

immediate

kindness,

of all fortune

passion,

and

must

feeling

is sweet,

of

smooth,

accidents13).

Genau diese Anschauung charakterisiert die geistige Position von Fieldings Spätwerk, die besonders in Amelia offenkundig wird. Allein diese weitgehende Ubereinstimmung macht insofern noch nicht die ganze Tiefe dieser Verwandtschaft sichtbar, als die Resultate nicht zufällig kongruent sind, sondern auf ähnlichen Wegen erworben wurden. Lenkte die erkenntnistheoretische Skepsis Humes Blicke auf das zentralste Moment der Innerlichkeit, so bewirkte die zunehmende Desillusionierung von Fieldings Lebensgläubigkeit ein Ähnliches. In beiden Fällen bescherte im Fortschreiten der Zeit die Erfahrung mehr Zweifel als positiven Gewinn, und jedesmal erfolgte als praktischer Entschluß ein entschiedeneres Hinkehren zu den letzten werthaften Möglichkeiten der menschlichen Innerlichkeit. Gewiß wurde in Fieldings gesamtem Werk mehr gefühlt als gedacht, und in allen seinen Entwicklungsphasen spielte das Gefühl eine wichtige Rolle. Jedoch die ethische Ausschließlichkeit gewann es erst im Spätwerk, als die zunehmend enttäuschende Erfahrung die Fieldingsche Welt zu erschüttern begann, die in der Kraft und den Möglichkeiten des Gefühls einen letzten Sinn gewahrte. In Amelia wird daher das Gefühl zum ausschließlichen Beweggrund aller menschlichen Handlungen, ja allen menschlichen Seins überhaupt. Die Betonung des Emotionalen in Fieldings Alterswerk, verglichen mit den vorangegangenen Schöpfungen, steht in einem ähnlichen Verhältnis wie die ausgesprochene Gefühlsethik Humes zu den gefühlvollen Ergüssen des Shaftesburysciien Denkens. Das Gefühl spielte bei Shaftesbury eine nicht unwesentliche Rolle; es war jedoch nur eine Parzelle seines Gedankenkosmos und noch kein Emotionalismus wie bei Hume; es war Teil, aber keine Ausschließlichkeit. Die Güte des Menschen war ein Axiom der gedanklichen Vorstellungen Fieldings, und die Fehlbarkeit dieses Menschen war ein Resultat seiner gemachten Erfahrung. Zwischen diesen diametral entgegengesetzten Gegebenheiten konnte insofern nur ein Ausgleich geschaffen werden, als man die letzten Aufbauelemente des menschlichen Wesens für unanfechtbar gut hielt, die jenseits des menschlich Allzumenschlichen eine Sicherheit boten. u

) Vgl. H u m e ,

Inquiry...

Principles

of Morals,

1882. — 12) Ibid., II, S. 256. — l 3 ) Ibid., II, S. 256. 276

Works

I I , S. 206, London

Was sind aber diese letzten Wesenselemente anders als die Instinkte und das Gefühl? - Joseph und Adams handelten noch aus der Vollkraft ihrer Persönlichkeit, für Tom hingegen wurde das ganze Leben schon zu einer fortwährenden Gewissensentscheidung, und für den innerhalb Fieldings Menschenbild am meisten gefährdeten Booth ist es dann eine Gewißheit, that all men act entirely from their passions1*). Dieser sukzessive und augenfällige Rückzug von der breiten Basis der Gesamtpersönlichkeit über das Gewissen zum Gefühl entspricht dem Einbruch zunehmender desillusionierender Erfahrung. Was der Träger des ethischen Gedankens dabei an Weite und Größe einbüßt, schafft er sich in Potenzierung und Dichte neu; was er im erfahrbaren Außen verliert, gewinnt er an regerer Tätigkeit im Inneren, bis in Amelia gegen die durch die Erfahrung vermittelte scheinbare Sinnwidrigkeit der Welt die sanfte Gewalt des reinen Gefühls aufbricht. Booths Sentenz: we reason from our heads, but act from our hearts15) gibt den entscheidenden Eindruck dieser Situation wieder und mutet darüber hinaus wie eine popularphilosophische Version von Humes praktischem Denken an. Denn dieselbe Entmachtung des Verstandes brachte bei Hume die Quellen des Fühlens zum Fließen, und dieser Emotionalismus übersdiwemmte dann die ohnmächtige und platte Vernünftelei. Wie für Hume das Gefühl der alles bestimmende Urgrund der Ethik war, wird es in Fieldings Amelia zur alles transformierenden K r a f t : Nothing can differ more widely than wise men and fools in their estimation of things; but, as both act from their uppermost passion, they both often act alike 16). „Sobald aber das isolierte und noch so subjektive Werterlebnis in seiner Bedeutsamkeit für den ganzen Lebenssinn erfahren wird, hat es einen religiösen Ton 17).