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German Pages 294 [295] Year 2013
Die Weisheit wurde von ihren Werken gerecht gesprochen (Mt 11,19)
Europäische Hochschulschriften European University Studies Publications Universitaires Européennes
Reihe XXIII
Theologie
Series XXIII
Theology
Série XXIII
Théologie
Band/ Volume 940
Caliope Bazitwinshi
Die Weisheit wurde von ihren Werken gerecht gesprochen (Mt 11,19) Einflüsse jüdischer Weisheitstraditionen auf die Christologie des Matthäusevangeliums und auf die vor-matthäische Überlieferung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Eichstätt-Ingolstadt, Kath. Univ., Diss., 2012
Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier.
D 824 ISSN 0721-3409 ISBN 978-3-631-64536-9 (Print) E-ISBN 978-3-653-03664-0 (E-Book) DOI 10.3726/978-3-653-03664-0 © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2013 Alle Rechte vorbehalten. PL Academic Research ist ein Imprint der Peter Lang GmbH. Peter Lang – Frankfurt am Main · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Warszawa · Wien Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Dieses Buch wurde vor Erscheinen peer reviewed. www.peterlang.de
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2012/2013 von der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt als InauguralDissertation angenommen. Sie wurde für die Drucklegung überarbeitet. Das Thema: „Die Weisheit wurde von ihren Werken gerechtgesprochen (Mt 11,19): Einflüsse jüdischer Weisheitstraditionen auf die Christologie des Matthäusevangeliums und auf die vor-matthäische Überlieferung“ schlägt mein Doktorvater Prof. Dr. Lothar Wehr vor, dem ich erstens als Begleiter und dann als Erstgutachter herzlich danke. Er ermöglicht mir auch den Kontakt zum Autorenbetreuer Dr. Kurt Wallat von internationalen Verlag Peter Lang, der meine Arbeit in die „Europaische Hochschulschriften – Reihe 23: Theologie“ aufgenommen hat. Zu herzlichem Dank bin ich verpflichtet auch Prof. Dr. Burkard M. Zapff, dem Zweitgutachter. Die Anfertigung einer Dissertation ist ohne Unterstützung und Begleitung nicht möglich. Darum möchte ich den beiden Diözesen, meiner Heimatdiözese Gitega (Burundi) und deren Partnerdiözese Eichstätt (Deutschland) für die finanzielle Unterstützung danken. Ferner möchte ich Herrn Martin Seiter und Frau Antonia Schadl für das Korrekturlesen danken. Zum Schluss danke ich all meinen Freunden und Bekannten, die während meiner Studienzeit mir mit Wort und Brot zur Seite gestanden haben. Meinen Eltern Domitilla Mpfanuguhora und Zacharie Bizabityo, die mich in meinem Leben in Liebe und Glauben erzogen haben, widme ich dieses Buch.
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung ...................................................................................................... 1. Zur thematischen Einführung und Fragestellung ............................... 2. Kriterien der Textauswahl .................................................................. 2. 1. Auswahl der Weisheitstexte im Alten Testament ..................... 2. 2. Auswahl der Texte im Matthäusevangelium ............................. 2. 3. Auswahl der Texte außerhalb der Heiligen Schrift ................... 3. Überblick bisheriger Forschungen: Jesus und die Weisheit im Matthäusevangelium .......................................................................... 3. 1. Jesus als messianischer Träger der Weisheit und eschatologischer Weisheitslehrer .............................................. 3. 2. Bei Matthäus erscheine Jesus als die „Weisheit selbst“ ............. 3. 3. Ersetzung der Weisheit durch Jesus: Eine funktionale Identifikation Jesu mit der Weisheit .......................................... 3. 4. Zusammenfassung ..................................................................... 4. Exkurs: Die Thesen, Jesus sei ein Kyniker oder Wandercharismatiker!......................................................................... 5. Weisheit: Definition ........................................................................... Erster Teil: Weisheit im Alten Testament und im Frühjudentum.................. I. Alttestamentliche Weisheitsvorstellung .................................................. 1. Ursprung der Weisheit ....................................................................... 1. 1. Gottesfurcht ............................................................................... 1. 2. Weisheit als Besitz, Vermögen und Gabe Gottes ...................... 1. 3. Beziehung zwischen Gott und der Weisheit ............................. 2. Die Weisheit Salomos ........................................................................ 2. 1. Die Bitte Salomos um die Weisheit: 1 Kön 3,2-15 (vgl. Weish 9; Ps 72) ..................................................................................... 2. 2. Die Weisheit Salomos: 1 Kön 3,12-13; 5,9-14 (vgl. Weish 7) .. 3. Weisheit im hellenistischen Judentum: Personifikation der Weisheit 3. 1. Weisheit als himmlische Person: „Frau Weisheit“ .................... 3. 2. Die Präexistenz der Weisheit ..................................................... 3. 3. Hauptfunktion der Weisheit bei und nach der Schöpfung ........ 3. 4. Das Wesen der Weisheit: Ti, de, evstin sofi,a (Weish 6,22) ...... 3. 5. Synusie mit der Weisheit ...........................................................
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4. Die Weisheit und das Gesetz Gottes .................................................. 4. 1. Gleichsetzung des Gesetzes mit der Weisheit ........................... 4. 2. Weisheit als Heilsgabe an die Gerechten .................................. 5. Zusammenfassung: Zusammenhang von Weisheit, Gesetz und Prophetie............................................................................................. II. Weisheitsvorstellung im Frühjudentum .................................................. 1. Qumrantexte ....................................................................................... 2. Mythisch-spekulative Divinisierung der Weisheit ............................. 2. 1. Gnostische und apokalyptische Weisheitsgestalt ...................... 2. 2. Hellenistische Weisheitsvorstellung: Sophia und Logos bei Philo von Alexandria ................................................................. III. Entwicklungsgeschichte der Personifikation der Weisheit ..................... 1. „Ältere“ bzw. „traditionelle Weisheit“............................................... 2. Anthropologiesierung der Weisheit ................................................... 3. „Jüngere“ bzw. „apokalyptische Weisheit“: Theologisierung der Weisheit ............................................................................................. 4. Personifizierung der Weisheit ............................................................ 5. Zusammenfassung ............................................................................. IV. Zwischenergebnis ....................................................................................
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Zweiter Teil: Weisheit im Matthäusevangelium............................................ I. Seligpreisungen als göttliche Ordnung des Himmelreichs ...................... 1. Text und Übersetzung (Mt 5,1-12 // Lk 6,20-26) ............................... 2. Aufbau, Kontext und Abgrenzung des Textes (Mt 5,1-12)................ 3. Tradition und Redaktion..................................................................... 4. Formale Analyse ................................................................................ 4. 1. Begriffserklärung ....................................................................... 4. 2. Ort und Personen ....................................................................... 4. 3. Gattung ...................................................................................... 5. Weisheitliche und matthäische Seligpreisungen ............................... 5. 1. Gegenüberstellung von Texten .................................................. 5. 2. Die Gerechtigkeit (Mt 5,6.10).................................................... 5. 3. Die Barmherzigkeit (Mt 5,7)...................................................... 5. 4. Die Herzensreinheit (Mt 5,8) ..................................................... 5. 5. Der Friede (Mt 5,9) .................................................................... 5. 6. Zusammenfassung ..................................................................... II. Von der Weisheit Gottes in der Schöpfung (Mt 6, 25-34// Lk 12,22-31) 1. Text und Übersetzung ........................................................................ 2. Aufbau und Textabgrenzung .............................................................. 3. Redaktions- und Traditionskritik .......................................................
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4. Formale Analyse ................................................................................ 4. 1. Sprachlich-syntaktische Analyse ............................................... 4. 2. Begriffserklärung ....................................................................... 4. 3. Gattung und Gliederung des Textes .......................................... 5. Traditionsgeschichtliche Hintergründe .............................................. 5. 1. Schöpfung und Naturordnung ................................................... 5. 2. Sorge um das Leben und die Weisheit im täglichen Leben ...... 6. Einzelexegese ..................................................................................... 6. 1. Die Sorge um das Leben ............................................................ 6. 2. Lernen am Beispiel von Vögeln und Lilien............................... 6. 3. Gott sorgt für seine Geschöpfe .................................................. 6. 4. Gott ist Herr über die Zeit.......................................................... 7. Theologischer Inhalt........................................................................... 7. 1. Das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit ................................ 7. 2. Weisheit als Schöpfungsordnung .............................................. 8. Zusammenhang zwischen Mt 5,1-12 und Mt 6,25-34 ....................... III. Rechtfertigung der Weisheit durch das Wirken ihrer Kinder (Mt 11,1619 // Lk 7,31-35) ...................................................................................... 1. Text und Übersetzung des Textes ...................................................... 2. Kontext und Textabgrenzung ............................................................. 3. Textkritik ............................................................................................ 4. Überlieferung und Redaktion ............................................................. 5. Formale Analyse ................................................................................ 5. 1. Begriffserklärung ...................................................................... 5. 2. Ortsangabe und Charakterisierung der Personen ...................... 5. 2. 1. Ort .................................................................................. 5. 2. 2. Personen ........................................................................ 5. 3. Gattung und Gliederung des Textes .......................................... 5. 4. Pragmatische Analyse................................................................ 6. Literarkritische Analyse ..................................................................... 7. Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund ....................... 7. 1. „Dieses Geschlecht“, „Diese Generation“: h`` genea. au[th ......... 7. 2. Hochzeitslieder und Trauerlieder im Orient .............................. 7. 3. Beschimpfungen „Fresser und Weinsäufer“, „Freund von Sündern“ .................................................................................... 7. 4. Personifizierung der Weisheit.................................................... 8. Einzelexegese ..................................................................................... 8. 1. Gleichniseinleitung .................................................................... 8. 1. 1. Tempusproblem ............................................................. 8. 1. 2. Das Problem des Vergleichspunkts (vgl. P. Fiebig) ......
111 111 112 113 115 115 116 119 119 121 121 122 124 124 126 127 129 129 130 131 132 135 135 137 137 137 138 139 140 142 142 142 143 144 145 145 145 146 9
8. 1. 3. Die Vergleichsformel o``moi,a evsti.n in V 16a // V 31a ... 8. 2. Angebliche Vergleichspunkte in Mt 11,16-19 / Lk 7,31-35...... 8. 2. 1. Dieses Geschlecht – zurufende Kinder .......................... 8. 2. 2. Dieses Geschlecht – angesprochene Kinder .................. 8. 2. 3. Dieses Geschlecht – zurufende und angesprochene Kinder ............................................................................ 8. 2. 4. Zusammenfassung ......................................................... 8. 3. Urteile des Volkes über Johannes (V18 / V31) ......................... 8. 3. 1. Der Lebensstil des Täufers: mh,te evsqi,wn mh,te pi,nwn... 8. 3. 2. Urteile des Volkes über Johannes: Daimo,nion e,vcei ....... 8. 4. Urteile des Volkes über Jesus ................................................... 8. 4. 1. Der Lebensstil Jesu ........................................................ 8. 4. 2. Die Bezeichnung o`` ui``o.j tou/ avnqrw,pou......................... 8. 4. 3. Ein „Mensch“, „Fresser und Weinsäufer“ ..................... 8. 4. 4. Ein Freund von Zöllnern und Sündern .......................... 8. 4. 5. Theologische Bedeutung der Gemeinschaft Jesu mit Sündern .......................................................................... 8. 5. Die Von Johannes und Jesus angestimmte „Melodie“: meta,noia und euvagge,lion............................................................ 8. 6. Die Rechtfertigung der Weisheit durch ihre Kinder bzw. ihre Werke......................................................................................... 8. 6. 1. Gleichnisschluss ............................................................ 8. 6. 2. Die Wendung von dikaio,w ............................................ 8. 6. 3. Kinder der Weisheit: Lukanische Ekklesiologie ........... 8. 6. 4. Die Werke der Weisheit: „Matthäische Christologie“... 8. 6. 5. Zusammenhang zwischen „Kindern“ und „Werken“ der Weisheit ................................................................... 8 .6 .6. Exkurs: Die Weisheit in den Parabeln unter den Agrapha ......................................................................... IV. Die Überlegenheit Jesu über Weise und Propheten (Mt 12,38-42 // Lk 11,29-32).................................................................................................. 1. Text und Übersetzung des Textes ...................................................... 2. Kontext und Textabgrenzung ............................................................. 3. Formale Analyse ................................................................................ 3. 1. Begriffserklärung ....................................................................... 3. 2. Aufbau, Gattung und Gliederung des Textes ............................ 4. Literarkritische Analyse ..................................................................... 4. 1. Doppelungen, Wiederholungen und Parallelen ......................... 4. 2. Gegenüberstellungen und Vergleiche ........................................
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5. Synoptischer Vergleich und Rekonstruktion des ursprünglichen Textes ................................................................................................. 6. Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund ....................... 6. 1. Die Geschichte Jonas in Ninive ................................................. 6. 1. 1. Ninive ............................................................................ 6. 1. 2. Jona in Ninive: Die Umkehr der Niniviten und die „Umkehr Gottes“ ........................................................... 6. 2. Drei Tage und drei Nächte......................................................... 6. 3. Der König Salomo und die Königin des Südens ....................... 7. Einzelexegese ..................................................................................... 7. 1. Exposition: Zeichenforderung (V 38)........................................ 7. 2. Das Jonaszeichen bzw. Jonasgeschehen ................................... 7. 3. Gerichtsdoppelspruch (VV 41.42)............................................. 8. Der Vorrang Jesu vor allen Weisen und Propheten ........................... 8. 1. Jesus, Matthäus und Adressaten ................................................ 8. 2. Jesus ist mehr als Jona (Mt 12,41)............................................. 8. 2. 1. Das Kerygma Jesu und des Jona ................................... 8. 2. 2. Die Person Jesu und des Jona ........................................ 8. 3. Jesus ist mehr als Salomo (Mt 12,42) ........................................ 8. 4. Jesus ist mehr als Johannes der Täufer (Mt 3,11.14)................. 8. 5. Jesus ist mehr als der Tempel (Mt 12,6).................................... 9. Zusammenfassung .............................................................................. V. Verfolgung der Kinder (Boten) der Weisheit Gottes (Mt 23,34-36 // Lk 11,49-51).................................................................................................. 1. Text und Übersetzung des Textes ...................................................... 2. Kontext und Abgrenzung des Textes ................................................. 3. Formale Analyse ................................................................................ 3. 1. Begriffserklärung ....................................................................... 3. 2. Aufbau, Gattung und Gliederung des Textes ............................ 4. Synoptischer Vergleich und Rekonstruktion der Q-Vorlage ............. 5. Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund ....................... 5. 1. Die Sendung der Boten Gottes und ihr Geschick ...................... 5. 2. „Unschuldiges Blut“, „das gerechte Blut“................................. 6. Einzelexegese ..................................................................................... 6. 1. Aussendung der Boten Gottes (Mt 23,34ab).............................. 6. 2. Gewaltsames Geschick der Boten Gottes (Mt 23,34cde) .......... 6. 3. Gericht über „dieses prophetenmörderische Geschlecht“ (Mt 23,35-36).................................................................................... 7. Theologischer Inhalt........................................................................... 8. Zusammenhang zwischen Mt 11,16-19; 12,38-42 und 23,34-36.......
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VI. Zwischenergebnis .................................................................................... 223 Dritter Teil: Berührungs- und Überschneidungspunkte des Matthäusevangeliums zur Weisheit ............................................................... I. Alttestamentlich-jüdische Entsprechungen im Matthäusevangelium...... II. Ursprung bei Gott: Gotteskindschaft bzw. Gottessohnschaft .................. III. Offenbarung und Heilsfunktion: Weisheit und Jesus im Auftrag Gottes zum Heil des Menschen .......................................................................... IV. Weisheit und Jesus im Bezug auf das Gesetz .......................................... 1. Weisheit und Jesus als Erfüllung des Gesetzes .................................. 2. Rechtes Verständnis oder radikale Änderung des Gesetzes? ............. 3. Das Liebesgebot: Grundlage des Gesetzes und der Propheten (Mt 22,34-40 // Dtn 6,5; Lev 19,17-18)..................................................... 4. Das Ziel der Liebe: Die Vollkommenheit (Mt 5,48).......................... V. Ablehnung Jesu und seiner Weisheit .......................................................
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Schlussergebnis ............................................................................................. 257 Quelle- und Literaturverzeichnis ................................................................... 267 1. Quellen, Übersetzungen und andere Hilfsmittel................................. 267 2. Literaturverzeichnis zum AT und NT und Sonstigen ........................ 268 Bibelstellenregister (in Auswahl) .................................................................. 291
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Einleitung
1. Zur thematischen Einführung und Fragestellung Um 180 v. Chr. schreibt ein Weisheitslehrer namens Jesus Sirach die Einladung an die Menschen prose,lqete pro,j me / evggi,sate pro,j me (= „kommt zu mir“: Sir 24,19; 51,23 LXX) der Weisheit zu. 260 Jahre danach (ca. 80 n. Chr.) verwendet Matthäus in seinem Evangelium dieselbe Einladungsformel deu/te pro,j me (= „kommt zu mir“: Mt 11,28) und weist sie Jesus von Nazareth zu. Sowohl Jesus von Nazareth als auch der Weisheit geht es darum, jedem Menschen, der dieser Einladung folgt, Ruhe zu verschaffen. Die Ähnlichkeit beider Einladungen – bis ins Detail mit demselben Zweck – könnte bei jedem Leser Fragen auslösen, einerseits, ob oder inwiefern der matthäische Jesus mit der Weisheit verwandt ist, andererseits, ob Matthäus in das Buch Jesus Sirach Einblick genommen hat oder ob Jesus vielleicht ein Weisheitslehrer wie Jesus Sirach war. Anlass meiner Arbeit sind Zweifel und viele Diskussionen über die in vielen Werken dargestellte Identifikation der Weisheit Gottes mit Jesus von Nazareth im Matthäusevangelium. Die Hauptfrage in Mt 11,16-19; 11,25-30; 12,38-42; 23,34-36 betrifft die Ersetzung der Weisheit durch Jesus. An Stelle der Weisheit Gottes in der lukanischen Fassung (Lk 11,49) lässt Matthäus Jesus zu Wort kommen (Mt 23,34), als ob Jesus selbst die Weisheit wäre. Mit anderen Worten erörtere ich die von manchen Forschern aufgestellte These: „Jesus sei von Matthäus mit der göttlichen Weisheit identifiziert worden“1, er sei „incarnate Wisdom, incarnation of Wisdom.“2 In Bezug auf Mt 11,19; 23,34 sprechen die einen Exegeten von einer Identifikation Jesu mit der Weisheit, die anderen aber von einer Ersetzung der Weisheit durch Jesus und wieder andere von einer funktionalen Ersetzung. Nach diesen unterschiedlichen Befunden lohnt es sich, nachzuforschen, ob Weisheitstraditionen dahinter stehen oder nicht. Es geht darum, ob die „SophiaChristologie“3 im Matthäusevangelium vorhanden ist. In dieser Arbeit wird die 1 2
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LUZ, U.: Das Evangelium nach Matthäus 3, 370. SUGGS, M. J.: Wisdom, Christology, and Law in Matthew’s Gospel, 18.100. Vgl. Auch MARBÖCK, J.: Gottes Weisheit unter uns, 87: „Gottes Weisheit erhält im fleischgewordenen Logos, … letzte menschlich-leibhaftige Eindeutigkeit.“ Vgl. auch SCHILLEBEECKX, E.: Jesus, 380.: „‚Weisheits-Christologien‘: Jesus, der Bote der Weisheit und der Weisheitslehrer; Jesus, die präexistente, inkarnierte, erniedrigte aber erhöhte Weisheit.“ Vgl. CHRIST, F.: Jesus Sophia,1. Vgl. auch LUZ, U.: Das Evangelium nach Matthäus 3, 370.
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oben aufgestellte These im alttestamentlich-jüdischen Umfeld untersucht werden, um festzustellen, ob die matthäische Redaktion von jüdischen Weisheitstraditionen beeinflusst wurde oder nicht. Ich werde aber auch auf nichtalttestamentliche Weisheitsliteratur zurückgreifen. Da das Thema sehr umfangreich ist, beschränke ich mich im Alten Testament vor allem auf die Weisheitsbücher und im Neuen Testament auf das Matthäusevangelium. Methodisch werden hier folgende Fragen gestellt und Antworten durch die Gegenüberstellung von Texten aus dem Matthäusevangelium und der Weisheitsliteratur gesucht: - In Bezug auf die Personifikation der Weisheit in der Weisheitsliteratur wird nach ihrem Ursprung und ihrem Einfluss auf das Matthäusevangelium gefragt. - In Bezug auf die Tatsache, dass Matthäus an manchen Stellen von Jesus spricht, wo Lukas die Weisheit erwähnt, wird die Frage gestellt, ob der matthäische Jesus die Weisheit in Person ist. - In Bezug auf die Worte Jesu über seine Person und auf die Stellungnahme Jesu zur jüdischen Tradition, wird gefragt, worin er sich von den Weisen (wie Salomo), Propheten (wie Jona oder Johannes der Täufer) und Lehrern (wie die Schriftgelehrten und Pharisäer) unterscheidet. - In Bezug auf ihren göttlichen Ursprung wird gefragt, ob Jesus und die Weisheit nach Matthäus dasselbe Abstammungsverhältnis zu Gott haben oder nicht. Mit anderen Worten wird gefragt, ob die Weisheit im Matthäusevangelium als eigene Gestalt neben Jesus vorkommt oder ob Jesus nicht vielleicht der Inhaber der göttlichen Weisheit ist.
2. Kriterien der Textauswahl 2. 1. Auswahl der Weisheitstexte im Alten Testament Von großer Bedeutung sind die Texte aus der Weisheitsliteratur. Als Basis für diese Arbeit wird auf jene Texte Bezug genommen werden, die von der Herkunft, vom Wohnort, vom Wesen und von der Präexistenz der Weisheit sprechen (vgl. Hiob 28; Spr 8,22-31, Weish 7,22-8,1). Nicht zu ignorieren sind auch die Texte, in denen die Weisheit als Gabe Gottes vorkommt, die den Menschen geschenkt wird (Weish 9; Ps 72; 1 Kön 3,2-15; 5,9-14). Am wichtigsten sind die Texte, die der Weisheit personale Züge verleihen (Personifikation der Weisheit): Ratgeberin, Prophetin, Lehrerin, Spenderin der Ruhe usw. (Spr 1-9, Sir 51,2330). Da die Weisheitsliteratur nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit anderen alttestamentlichen Büchern steht, kommt deswegen die Weisheit in Berührung mit der Prophetie und mit der Tora. So bezeugt z. B. Sir 24,23-34, dass die 14
Weisheit mit dem Bundesbuch, dem Gesetz des Mose identisch ist. Alle diese ausgewählten Texte werden im ersten Teil dieser Arbeit behandelt werden, um die jüdische Weisheitsvorstellung zu überblicken.
2. 2. Auswahl der Texte im Matthäusevangelium Im Matthäusevangelium werden jene Texte behandelt werden, die von jüdischen Weisheitsströmungen und besonders durch das weisheitliche Prinzip vom TunErgehen-Zusammenhang geprägt sind. Beispielweise begegnet man bei matthäischem Jesus nicht nur prophetischer und apokalyptischer Verkündigung vom Reich Gottes, sondern auch weisheitlichen Mahnworten; das heißt er übernimmt manche im jüdischen Umfeld vorhandene Volksweisheiten und Sprüche. Ich berufe mich auf jene Texte, die einerseits zur gesellschaftlichen Ordnung bzw. zu einem guten Verhalten für das gelingende Zusammenleben zwischen den Menschen und andererseits zur basileiagemäßen Ordnung, das heißt zur Suche nach Gott und seinem Reich, aufrufen (Mt 5,1-12; 6,25-34). Die bedeutendsten Basistexte für diese Arbeit sind jene, in denen ein Weisheitswort aus dem „Mund Jesu“ kommt: „Und doch wurde die Weisheit durch ihre Taten gerechtgesprochen“ (Mt 11,16-19), „kommt alle zu mir, … ich werde euch Ruhe verschaffen“ (Mt 11,25-30), „hier aber ist einer, der mehr ist als Salomo“ (Mt 12,38-42), „deshalb hat auch die Weisheit Gottes [Jesus bei Mt] gesagt: Ich werde Propheten und Apostel zu ihnen schicken“ (Lk 11,49-51 // Mt 23, 34-36). Neben diesen Haupttexten werden auch jene Stellen behandelt werden, wo Jesus eine ungewöhnliche Stellung zu jüdischen Ordnungen (Gesetz, Tempelkult, Sabbatgebot und andere Bräuche) einnimmt: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: … Ich aber sage euch: …“ (Mt 5,17-48). Eine solche Formulierung führt manche Forscher zur Behauptung, der matthäische Jesus sei ein „neuer Mose“, ein „neuer Gesetzgeber.“
2. 3. Auswahl der Texte außerhalb der Heiligen Schrift Neben den Texten aus dem Alten Testament und Mt-Evangelium (NT) gibt es mehrere Weisheitstexte, die für diese Arbeit nicht zu unterschätzen sind. Als Kriterien der Auswahl müssen diese Texte in den griechisch-jüdischen Schriften stehen und dürfen dem JHWH-Glauben nicht widersprechen. Besonders zu unterstreichen sind die von der qumranischen Gemeinde, dem äthiopischen und slavischen Henochbuch und Philo von Alexandria überlieferten Weisheitstexte wie 1QH 1,13-19. 34f; 4Q525; 4Q 299; 4Q 185; ÄthHen II-V; ÄthHen 42; ÄthHen 82,1-4; SlavHen 42,6-14; O Sal 33; Fuga 108-109 usw. Diese Texte werden in der vorliegenden Arbeit den anderen aus der Heiligen Schrift gegenüberge15
stellt werden, um ihre Gemeinsamkeiten oder ihren Einfluss aufeinander festzustellen.
3. Überblick bisheriger Forschungen: Jesus und die Weisheit im Matthäusevangelium Es soll in dieser Forschungsgeschichte aufgezeigt werden, wie die Exegeten die Gestalt Jesu im Matthäusevangelium charakterisieren. Dabei geht es nicht nur um das matthäische Jesusbild, sondern auch um den (historischen) Jesus und das Jesusbild in der Logienquelle. Der Grund, warum ich diese Sichtweisen der Interpretation Jesu betrachten will, besteht darin, dass Matthäus bereits am Anfang seines Evangeliums den Doppelnamen „Jesus Christus“ gebraucht, um seiner Gemeinde deutlich zu machen, dass diese „konkrete menschliche Gestalt, [der historische Mensch Jesus], der in Bethlehem geboren wurde …, in Galiläa und Judäa wirkte … Christus, das heißt, der im Alten Testament verheißene Gesalbte des Herrn, der Messias [ist].“4 Auch wenn das Matthäusevangelium in der QGemeinde seine Wurzeln hat,5 gibt sich Matthäus nicht mit der historischen Biographie Jesu zufrieden, ihm geht es auch die Herkunft Jesu, seine Aufgabe und Funktion. Dieser Jesus ist der Christus, der Messias, der Sohn Gottes. Damit legt Matthäus von Anfang an das Fundament seines Evangeliums. Dieser matthäische Leitgedanke „Jesus ist der Christus“ ist im ganzen Evangelium sichtbar (Mt 1,17; 2,4; 11,2; 22,42; 26,63), wenn Matthäus auf alttestamentliche Zitate zurückgreift und sie mit Jesus verbindet, um sie letztlich auf Christus zu übertragen und auf ihn hin zudeuten. Die Gestalt Jesu von Nazareth beschäftigt sowohl die ältere als auch die neueste Forschung. Dabei geht es immer darum, wer dieser Jesus ist. Diese Frage „wer ist Jesus?“ hat auch Jesus seinen Zühörern (Jüngern) gestellt: „Für wen halten die Leute [mich]? ... Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16,13.15). „Was denkt ihr [Pharisäer] über den Messias? Wessen Sohn ist er?“ (Mt 22,42). Das Volk hält Jesus für eine historisch prophetische Gestalt oder einfach für einen Menschen unter anderen, worüber hinaus Matthäus „bewußt formuliert und Petrus absichtlich ebendas sagen lassen [hat]“6: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendiges Gottes.“ (Mt 16,16). Nach Matthäus ist Jesus mehr als ein Prophet (Mt 12), mehr als Sohn eines Menschen wie Davids, des Königs (Mt 22,45) oder Josefs, des Zimmermanns (Mt 14,55). Durch die schon mehr als zwei Jahr4 5 6
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GUTZWILLER, R.: Jesus der Messias, 15. Vgl. ROBINSON, J. M.: Jesus, 41. LUZ, U.: Das Evangelium nach Matthäus 2, 460.
hunderte alte Forschungsmethode der historischen Rückfrage nach Jesus kommen Forscher zu unterschiedlichen Ergebnissen, die man dennoch nicht als Gegensätze bzw. Widersprüche, sondern als Betrachtungsweisen sehen soll. Jede Betrachtung beruft sich auf bestimmte Texte aus dem Matthäusevangelium und vermittelt teilweise, aber nicht ganz, die Gestalt Jesu. Die Vielfalt der Ergebnisse weckt Zweifel an der Methode, denn die Objektivität der Wissenschaft erlaubt nicht, dass jeder Forscher einen eigenen Jesus darstellt. Mein Ziel ist nicht, diese Ergebnisse im einzelnen zu erwähnen, sondern nur denen nachzugehen, die sich auf die Weisheitslogien im Matthäusevangelium beschränken und die Mahnworte Jesu in die Ströme der jüdisch-hellenistischen Weisheit einordnen. Man mag Jesus verschiedene Bezeichnungen (Sohn Gottes, Sohn Davids, Sohn Abrahams, Prophet, Lehrer, Rabbi, Messias) zukommen lassen, aber nirgends im Matthäusevangelium ist zu lesen, dass Jesus die Weisheit Gottes ist. Dennoch erweckt das Verhältnis zwischen Jesus und der Weisheit in den synoptischen Evangelien das Interesse der Forschung. Seit Jahren beschäftigen sich manche Forscher auf der Basis eines synoptischen Vergleichs mit der Frage, warum Jesus im Matthäusevangelium an die Stelle der Weisheit tritt, während im Lukasevangelium die Weisheit selbst zu Wort kommt. Auslöser dieser Frage sind das Rechtfertigungswort (Mt 11,16-19 // Lk 7,31-35), das Weisheitswort (Mt 23,3436 // Lk 11,49-51), der Jubelruf (Mt 11,25-27 // Lk 10,21-22) und der Vergleich zwischen Jesus und Salomo (Mt 12,42 // Lk 11,31). Hier soll nicht die ganze Forschungsgeschichte, sondern nur ein Überblick über verschiedene Forschungslinien geschildert werden. Ausgehend von den wichtigsten Texten aus der Weisheitstradition stimmen fast alle Forscher darin überein, dass die jüdische Weisheitsvorstellung die matthäische Christologie beeinflusst haben muss. Es bleibt aber offen, ob Jesus im Matthäusevangelium als Weisheitslehrer erscheint, ob er mit der Weisheit zu identifizieren ist, oder ob Matthäus die Weisheit durch Jesus ersetzt, ohne jedoch beide zu identifizieren. Mit anderen Worten gesagt heißt das, dass die Exegeten nicht darüber einig sind, „welche Art von Weisheit“ Jesus vertritt. Meine Methode in dieser Forschungsgeschichte geht in drei Schritten vor: das Matthäusevangelium und dessen Ausleger erstens zu lesen und dann miteinander zu vergleichen, um schließlich festzustellen, ob die Ausleger des Matthäusevangeliums mit der matthäischen Jesusvorstellung in Einklang stehen oder ob sie von ihr abweichen. Damit die Leser dieser Forschungsgeschichte leicht Schritt für Schritt folgen können, möchte ich die Forscher der Gestalt Jesu im Matthäusevangelium- nicht in chronologischer Reihenfolge darstellen, ich werde sie vielmehr ihren Meinungen nach- in drei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe bezieht sich meistens auf die vor allem aus Q zu rekonstruierenden historischen Fakten des Wirkens und Lehrens Jesu, sie hält deswegen Jesus für einen eschatologischen Propheten und Lehrer der Weis17
heit Gottes. Jesus wird gesehen als „eine historische Figur, deren Leben und Taten fest verwurzelt sind im Judentum des 1. Jahrhunderts.“7 Die zweite Gruppe vergleicht das Mt- und Lk-Evangelium mit Q-Texten und erklärt Matthäus verantwortlich für die Identifikation der personifizierten Weisheit der Logienquelle mit Jesus. Sie formuliert somit die These „Jesus scheint bei Matthäus die Weisheit selbst zu sein“. Während die erste Gruppe sich auf Jesu Taten konzentriert, legt die zweite größeres Gewicht auf die Worte Jesu und behauptet, dass Matthäus Jesus an die Stelle der Weisheit zu Wort kommen lässt. Die letzte Gruppe geht von der matthäischen Redaktion aus, sieht aber darin nicht die Identifikation Jesu mit der Weisheit, sondern eine Übertragung der weisheitlichen Mahnworte auf Jesus. Jesus übernimmt die Funktion der personifizierten Weisheit.
3. 1. Jesus als messianischer Träger der Weisheit und eschatologischer Weisheitslehrer Schon in seinem 1937 erschienenen Buch behauptet T. Arvedson, dass Jesus nach Mt 11,28-30 in die Fußstapfen der Weisheitslehrer als Rabbi getreten ist, wobei man sich gewiss nicht die pharisäischen Rabbinen als seine Vorbilder zu denken hat,8 denn er lehrt nicht wie die Schriftgelehrten seiner Zeit (Mt 7,29). Wie jeder Weisheitslehrer hat Jesus von Nazareth auch Jünger zu sich genommen, er lehrt sie und unterhält mit ihnen eine persönliche Gemeinschaft, um ihnen das Geheimnis des Reiches Gottes zu offenbaren. Für W. Manson bringt Jesus nicht nur eine dem Volk bekannte Lehre vom Reich Gottes, sondern er verbindet auch den Anbruch des Reiches Gottes mit einer praktischen Beziehung zum Leben der Menschen. Er lehrt und zugleich geht er vor allem zu den bedürftigen Menschen (Menschen in konkreten Situationen der Krise), um sie zu heilen.9 Deswegen halten G. Theißen und A. Merz Jesus nicht nur für einen „Lehrer (Rabbi)“10, sondern auch für einen „Propheten“11 und für einen „Heiler.“12 In gleicher Richtung hält M. Wolter Jesus für einen charismatischen Hei7 8
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LEROY, H.: Jesus, 137. Vgl. ARVEDSON, T.: Das Mysterium Christi, 218. Vgl. DERS., 91-92: Nach T. Arvedson geht es in Mt 11,28-30 um den Auftritt eines mit göttlicher Vollmacht ausgerüsteten Boten, der in seiner Weisheitsrede das Heil zu bringen verspricht. Vgl. MANSON, W.: Bist du, der da kommen soll? 96-97. Vgl. THEIßEN, G. / MERZ, A.: Der historische Jesus, 317. Vgl. ibd., 221ff: Wie bei den Propheten findet man in der Verkündigung Jesu das Verhältnis von Gericht und Heil, die Einheit von Heils- und Gerichtspredigt, von Zukunft und Gegenwartseschatologie. Vgl. ibd., 256: Die Wunder Jesus sind Ausdruck heilender und rettender Gottes Macht.
ler und Exorzisten und zugleich für einen Weisheits- und Gesetzeslehrer, der Gemeinschaft mit religiös und sozial Marginalisierten (Zöllnern und Sündern) praktizierte.13 Zum besseren Verständnis der Gestalt Jesu erhebt J. M. Robinson eine existentiale Auslegung, er stellt Jesus in die jüdische Welt und Geschichte des ersten Jahrhunderts hinein, die das Leben Jesu bestimmen.14 Ausgehend von diesem Existenzverständnis erweist sich Jesus durch seine Taten im Spruchevangelium Q als Glaubensheiler und Exorzist (Q 7,1-9; 11,14ff). Noch wichtig ist, so fährt Robinson weiter fort, dass Jesus erklärt, worauf es in diesen Taten ankommt: Sie zeigen den Anbruch der Herrschaft Gottes (Q 11,20).15 Nach E. Schillebeeckx ist Jesus der eschatologische, endzeitliche Prophet mit sapientialen Eigenschaften.16 Ausgehend von den in der Botschaft Jesu zu findenden zahlreichen Weisheitsmotiven hält G. Wenz Jesus von Nazareth für einen Endzeitpropheten in apokalyptischer Tradition, denn diese Botschaft war vom endzeitlichen Kommen des Gottesreiches geprägt (Mt 4,17). Und deswegen gleicht seine Weisheitslehre einer endzeitlich ausgerichteten prophetischen Tora.17 Diese Nähe des Reiches Gottes entspricht der verheißenen „Nähe der Tora [Dtn 30,1114] bzw. der in ihr präsenten Weisheit“18 (Sir 24,23-25). Die Gegenwart des Reiches Gottes bringt also die Tora und Weisheit mit sich, so dass Jesus zugleich Gottesreichs-, Gesetzes- und Weisheitslehrer zu sein scheint. In diesem Sinn ist Jesus ein Lehrer, der den ursprünglich von Gesetzes- und Weisheitsgedanken geprägten und später innergeschichtlich gestörten Tun-Ergehen-Zusammenhang am Ende der Zeit wiederherstellt; die Übertreter des Gesetzes werden bestraft und die Gerechten belohnt werden.19 Für Y. S. Chae ist Jesus „the Eschatological Davidic Shepherd and Teacher of Israel, Jesus is the ‚Therapeutic Son of David.‘“20 R. Riesner zieht die auf Jesus häufig angewandten Bezeichnungen r``abbi, und dida,skaloj heran, um Jesus als Lehrer zu bezeichnen.21 Auch Jesu Lehre zeigt im Inhalt eine enge Verwandtschaft mit der der Rabbinen, deswegen kann er als „Herr Doktor“ angeredet werden, so behauptet R. Bultmann.22 Dieser geht dennoch über die Bezeichnung Rabbi hinaus und zeigt, worin Jesus sich von üb13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Vgl. WOLTER, M.: „Gericht“ und „Heil“ bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer, 357. Vgl. ROBINSON, J. M. : Kerygma und historischer Jesus, 194. Vgl. ROBINSON, J. M.: Jesus, 28-29. Vgl. SCHILLEBEECKX, E.: Jesus, 380-383; 390-456. Vgl. WENZ, G.: Christus, 179-180. LIEBERS, R.: Das Gesetz als Evangelium, 173. Vgl. HOFFMANN, H.: Das Gesetz in der frühjüdischen Apokalyptik, 321. Vgl. CHAE, Y. S. Jesus as the Eschatological Davidic Shepherd, 247-326. Vgl. RIESNER, R.: Jesus als Lehrer, 247. Vgl. BULTMANN, R.: Jesus, 43-44: Es ist für Bultmann nicht zweifelhaft, dass die Züge eines Rabbi oder eines Propheten im Auftreten und in der Lehrweise Jesu deutlich hervortreten.
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lichen Lehrern völlig unterscheidet, nämlich in seinem Umgang mit deklassierten Personen wie Sündern, Dirnen, Zöllnern, Frauen und Kindern, die man sonst in der Umgebung eines Rabbi nicht findet.23 M. Hengel24 und H. Merklein25 lehnen ab, Jesus und seine Jünger nach dem Muster der rabbinischen Einrichtung zu verstehen; die wesentliche Ähnlichkeit des Rufes Jesu in die Nachfolge liegt wohl eher auf der Seite jener apokalyptisch-zelotischen Propheten oder charismatischen Propheten. Nach L. Schenke wird Jesus als Weisheitslehrer und seine Lehre als Weisheit angesehen aufgrund der jüdischen Weisheitsvorstellungen, die in den Evangelien viele Spuren hinterlassen haben.26 Für M. Küchler muss man Jesus neben den Bezeichnungen „Rabbi“ und „Lehrer“ mit anderen Namen und Titeln bezeichnen, nämlich „frühjüdischer Weisheitslehrer“ oder „endgültige Weisheitsgestalt.“27 Denn die „christliche Weisheit ist in ihrer Kontinuität zur frühjüdischen Weisheit nicht zu verstehen ohne Jesus von Nazareth.“28 Nach M. Hengel könnte man Jesus aufgrund seiner Prophetenworte als prophetischen Messias und aufgrund seiner einzigartigen, endzeitlichen Geistesgabe als Lehrer mit messianischer Vollmacht und eschatologischen Repräsentant der Weisheit bezeichnen.29 Wenn man aber Jesus für einen messianischen Träger der Weisheit und einen eschatologischen Weisheitslehrer hält, dann übersieht man den Aspekt der Gegenwart des Reiches Gottes im Matthäusevangelium. Im Unterschied zu anderen Propheten und Lehrern verkündet der matthäische Jesus das Reich Gottes, das in seiner Person schon angebrochen ist. Jesus verkündet nicht nur, sondern er bringt, er gibt auch das Reich Gottes. Die Vertreter der These „Jesus ist ein Lehrer“ begnügen sich nur damit, Jesus als einen hervorragenden Lehrer darzustellen. Sie können aber nicht begründen, wie Jesus zum Lehrer geworden ist und woher er seine Erkenntnis hat. Darauf antwortet Matthäus ausgehend von der Beziehung Jesu zu Gott: Jesus ist mehr als ein Lehrer, der nur das weitergibt, was er sich vorher erworben hat. Im matthäischen Verständnis braucht Jesus von niemandem belehrt zu werden. Er verkündet und tut, was er von Gott, seinem Vater weiß (Mt 11,27). Er verkündet also, was er genau kennt, nämlich den Va23 24 25
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Vgl. ibd., 45. Vgl. auch LEROY, H.: Jesus, 14. Vgl. HENGEL, M.: Nachfolge und Charisma, 55.63. Vgl. MERKLEIN, H.: Der Jüngerkreis Jesu, 81ff.: Die nächsten Analogien zur Jesusjüngerschaft, sind nicht im rabbinischen Lehrhaus zu suchen, sondern in gewissen charismatischprophetischen Bewegungen, wie sie im 1. Jahrhundert n. Chr. zuhauf hervorbrachten. Vgl. SCHENKE, L.: Jesus als Weisheitslehrer im Markusevangelium, 125. Vgl. KÜCHLER, M.: Frühjüdische Weisheitstraditionen, 573-574. Ibd., 572. Vgl. HENGEL, M.: Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit und die Anfänge der Christologie, 182.
ter; und wozu er vom Vater bestellt wurde, nämlich das Reich Gottes. Es ist auch nicht zufällig, dass Matthäus die markinische Anrede r``abbi, für Jesus (Mk 9,5; 10,51; 11,21) durch „ku,rioj“ ersetzt oder ausfallen lässt (Mt 17,4; 20,30). Damit vermeidet Matthäus, Jesus den Schriftgelehrten seiner Gemeinde gleichzusetzen. Nur in der Gefangennahmeszene legt Matthäus in den Mund des Judas die Anrede r``abbi, (Mt 26,25.49), um ihn als einen zu kennzeichnen, der Jesus als den Herrn nicht anerkennt. Die Anrede r``abbi,, die die matthäische Gemeinde niemals auf Jesus anwenden soll, ist allein Judas, dem Verräter, vorbehalten.30 Jesus im Matthäusevangelium ist auf keinen Fall auf einen Weisheitslehrer oder Ethiklehrer zu reduzieren. Auch kündet er weder vom „Reich der Weisheit“31 noch vom „Reich der Ethik“32, denn das Reich Gottes ist mehr als eine Erkenntnis, die man sich erwerben kann. Das Matthäusevangelium schließt nicht aus, dass Jesus in den Augen des Volkes als Lehrer gewirkt hat und als solcher angesprochen wurde. Indem aber Matthäus die Anrede r``abbi, / dida,skaloj im Mund der Jünger vermeidet oder ausfallen lässt, verfolgt er sicher ein anderes Ziel, um nicht Jesus als einen hervorragenden Lehrer darzustellen. Matthäus greift zwar in Sprache und Stil auf die jüdische Gesetzes- und Weisheitstradition zurück, will aber dennoch nicht aus Jesus einen „neuen Mose“33 oder Salomo rekonstruieren. Was meint Matthäus in 23,8-10, wenn er seinen Jesus (sich) mit r``abbi,, dida,skaloj und kaqhghth,j bezeichnen lässt? Bemerkenswert ist auch, dass Gott in diesem Meister-Jünger-Logion „Vater“ genannt wird. Jesus Christus ist der einzige Lehrer / Meister und Gott der einzige Vater der Jünger. Matthäus spielt hier auf die jüdische väterliche Unterweisung der Söhne (Bildung / Erziehung Vater – Sohn: Dtn 11,8f) an. Jesus ist Meister geworden, weil ihm alle Erkenntnis von Gott, seinem Vater / Lehrer überliefert worden ist (Mt 11,27). Was also Jesus seinen Jüngern weitergibt, ist nicht ein von Menschen überliefertes Wissen, sondern es stammt direkt von Gott. Die Jünger dürfen sich auf keinen Fall Lehrer nennen lassen, denn sie sind nur im Auftrag des einen einzigen wahren Lehrers da. Sie sollen auch keinen irdischen Menschen „Lehrer“ bzw. „Vater“ nennen, denn sie haben nur von einem Gott zu lernen. Was die Jünger, vor allem aber die matthäische Gemeinde, vom himmlischen Vater lernen sollen, hat Matthäus bereits erklärt: die Gerechtigkeit (Mt 5,20), die Vollkommenheit (Mt 5,48), die 30
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Beim Mahl (Mt 26, 20-29) fragt jeder einzelne Jünger Jesus, ob er es sei, der ihn verraten wird: „Bin ich es etwa, Herr?“ Aber nur Judas allein verwendet hier die Anrede Rabbi: „Bin ich es etwa, Rabbi?“ Judas anerkennt also die göttliche Herrschaft Jesu nicht. CROSSAN, J. D.: Der historische Jesus, 387. Ibd., 389. Nur in gewisser Hinsicht wie in Mt 2,19-23 (das Kommen aus Ägypten) und in Mt 5-7 (Bergpredigt: Jesus als ein Gesetzgeber) erscheint Jesus als „neuer Mose“ zu sein.
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Barmherzigkeit (Mt 9,13; 12,7), sanftmütig und demütig zu sein (Mt 11,29). Damit sind die Jünger vor der Gefahr der Selbstüberheblichkeit, Ruhmsucht und vor der Irrlehre geschützt. Die Jünger sollen auch nicht einander Jünger / Schüler nennen, sondern avdelfoi, (Brüder). Damit betont Matthäus, dass Jesus in seiner Schule die Geschwisterlichkeit, die Liebe zu einander bevorzugt. Wer Meister bzw. der Größte sein will, soll den Dienst an seinen Mitmenschen übernehmen (Mt, 20,26-27; 23,11-12). Während die oben genannten Ausleger des Matthäusevangeliums Jesus für einen r``abbi, / dida,skaloj nur im Bezug auf sein irdisches Wirken halten, geht Matthäus darüber hinaus und sieht die Meisterschaft und Herrschaft Jesu in seiner Selbsthingabe für alle Menschen (Mt 20,28). In der Hingabe des Lebens als Lösegeld begründet Matthäus die Überlegenheit Jesu im Vergleich zu anderen Lehrern. Diese schenken ihren Schülern die Erkenntnis und nicht sich selbst. Die matthäische Christologie unterscheidet sich von der Weisheitslehre darin, dass die Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit, die Vollkommenheit, der Friede Gottes sich vor allem im Leben und Sterben Jesu erfüllen und nicht nur im Tun des Gesetzes bzw. in der Suche nach Weisheit. Auf diese Begrifflichkeiten (Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Vollkommenheit und Friede Gottes) werde ich in jeder einzelnen Perikope immer wieder zurückkommen.
3. 2. Bei Matthäus erscheine Jesus als die „Weisheit selbst“ Manche Forscher gehen über die These „Jesus ist ein Weisheitslehrer“ hinaus und bringen eine neue These, nämlich, dass der matthäische Jesus mit der hypostasierten Weisheit identifiziert werde. Diese neue These beruft sich auf die Personifizierung der Weisheit in der Weisheitsliteratur, in der die Weisheit menschliche Gestalt trägt: Tochter Gottes, Mutter, Braut, Lehrerin, Prophetin, Offenbarerin und noch vieles mehr (Spr 1-9; Sir 14,20-15,10; Weish 6,22-11,1). Ausgehend vom Ruf „kommt zu mir … lernt von mir“ (Mt 11,28-30) identifiziert F. Christ den matthäischen Jesus mit der sirazidischen Weisheit Gottes, weil sie, wie Jesus, die Menschen zu sich rufen und belehren will (Sir 6,23-31; 51,2328).34 Daraus zieht T. Arvedson den Schluss: „Hier haben wir also die Vorstellung von einer Fleischwerdung der Weisheit: Sie verkörpert sich im heiligen Volk, in der heiligen Stadt, im Hohenpriester und im Gesetz.“35 In Bezug auf zwei Stellen in der Synopse, wo Jesus als die Sophia erscheint (Mt 11,19 // Lk 7,36 und Mt 23,34// Lk 11,49) sprechen viele andere Forscher auch von der Fleischwerdung bzw. Menschwerdung der Weisheit in Jesus. Für P. E. Bonnard ist Jesus die menschgewordene Weisheit: „Le Christ, Sagesse faite chair; en sa 34 35
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Vgl. CHRIST, F.: Jesus Sophia, 113. ARVEDSON, T.: Das Mysterium Christi, 160.
personne s’accomplit pleinement l’œuvre même de la Sagesse.“36 Auf derselben Linie argumentiert auch M. J. Suggs: Jesus ist „incarnate Wisdom, incarnation of Wisdom.“37 Er ist „die irdische Erscheinung der Weisheit selbst.“38 In Anlehnung an Sir 6,28-30 und 51,26f behauptet S. Schroer, dass Jesus die Mensch gewordene Sophia ist, deren Joch leicht ist wie das des Jesus selbst.39
3. 3. Ersetzung der Weisheit durch Jesus: Eine funktionale Identifikation Jesu mit der Weisheit Eine dritte Gruppe der Forscher ersetzt die Weisheit durch Jesus, ohne jedoch beide zu identifizieren. Jesus ist weder Weisheitslehrer noch menschgewordene Weisheit. C. Westermann setzt Jesus von den Weisheitslehrern ab, die sich in Spr 1-9 zu Wort melden und stellt die Worte Jesu in die Reihe der Volkssprichwörter.40 Gegen R. Bultmann übernimmt M. Ebner die Überschrift aus dem Buch von Bultmann „Jesus als Weisheitslehrer“41 als Titel seines 1998 erschienenen Buches „Jesus – Ein Weisheitslehrer?“42, aber nun nicht als eine affirmative Aussage, sondern als eine Frage. Damit will er die Argumentation von Bultmann in Frage stellen. Auch wenn Jesus in der synoptischen Tradition als „Lehrer“ angesprochen wird, reicht diese Bezeichnung nach M. Ebner nicht aus, um ihn für einen Schriftgelehrten nach dem Bild eines Jesus Sirach zu halten.43 „Jesus kann 36
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BONNARD, P. E.: De la Sagesse personnifiée à la sagesse en personne, 149: „Jésus Christ est donc cette Sagesse, à la fois égale à Dieu, coexistensive à l’espace et á la durée, et aussi petite sœur des enfants d’Adam, réduite à la taille d’un homme qui peine au milieu de nous (Sg 9,10), dans un étroit canton, pour un temps mesuré, mais avec un amour universel plus fort que toute haine et une puissance de vie plus forte que la mort. L’œuvre créatrice, recréatrice et salvatrice de la Sagesse personnifiée se voit pleinement accomplie dans l’œuvre même du Christ, la Sagesse en personne.» Vgl. Auch SCHÜSSEL FIORENZA, E.: Jesus – Miriams Kind, Sophia Prophet, 227.: „Das messianische Werk und das der Sophia werden als identisch angesehen. Mehr noch: Matthäus legt den Spruch der Sophia (QLk 11,49) Jesus direkt in den Mund (Mt 23,34). …, charakterisiert das Evangelium damit Jesus als Sophia selbst … Jesus tut, was die Weisheit tut. Dadurch scheint Matthäus die Identifikation der Sophia mit Jesus zu verstärken.“ SUGGS, M. J.: Wisdom, Christology, and Law in Matthew’s Gospel, 18.19. GESE, H.: Alttestamentliche Studien, 238. Vgl. SCHROER, S.: Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, 131. Vgl. DERS., 137.: „Sophiagott wird Mensch im Mann Jesus. Doch ‚der‘ Auferstandene ist Christus, ist die Sophia, ist weder männlich noch weiblich, so wie Gott weder in unseren Kategorien von Mann noch von Frau faßbar ist.“ Vgl. WESTERMANN, C.: Die Logien in der synoptischen Überlieferung in ihrem Verhältnis zu den Sprüchen des Proverbienbuches, 241. DERS.: Wurzeln der Weisheit, 124. C. Westermann ist gegen Bultmann, der meint, die Sprüche seien von Weisen = Lehrern verfasst Vgl. BULTMANN, R.: Die Geschichte der synoptischen Tradition, 73. Vgl. EBNER, M.: Jesus - Ein Weisheitslehrer?, 393. Vgl. EBNER, M.: Jesus - Ein Weisheitslehrer?, 22.
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weder der Tora-Weisheit noch der apokalyptischen Weisheit zugerechnet werden.“44 Deswegen lässt sich Jesus weder mit einem Weisheitslehrer wie Ben Sirach noch mit einem apokalyptischen Weisheitslehrer wie von Qumran identifizieren.45 Über die These „Jesus sei von Matthäus mit der göttlichen Weisheit identifiziert worden“ äußert sich U. Luz: „Ich bin hier vorsichtig. Für die Leser/innen des Matthäusevangeliums hatte sich von 11,19 und 11,28-30 her eine funktionale Identifikation Jesu mit der Weisheit nahegelegt, wie sie im Urchristentum weiterhin verbreitet war.“46 Im Gegensatz zu M. Hengel47 sagt U. Luz: „Matthäus identifiziert nie direkt Jesus mit der göttlichen Weisheit. Mindestens funktional wurde er von Matthäus mit der Weisheit identifiziert.“48 Wenn also Jesus mit der göttlichen Weisheit identifiziert wird, geht eine solche Christologisierung der Weisheit nicht auf Matthäus, sondern auf die Ausleger des Matthäus zurück.
3. 4. Zusammenfassung Ungefähr 30-40 Jahre vor der Endredaktion des Matthäusevangeliums schreibt Paulus, ein Gründer der ersten Christengemeinden, und identifiziert Jesus Christus mit Gottes Kraft und Gottes Weisheit: „Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: Für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft (qeou/ du,namin) amin und Gottes Weisheit (qeou/ sofi,an).“ n (1 Kor 1,22-24).
Im gleichen Zeitraum (etwa 20 v. Chr. – 50 n. Chr.) hält Philo von Alexandrien sofi,a für die höchste und erste unter den Kräften Gottes, die er später mit lo,goj, der schöpferischen Kraft Gottes, völlig gleichsetzt (Leg. All. I 65: … th/j tou/ Qeou/ sofi,aj\ j h`` de, evstin o`` Qeou/ lo,goj.) oj 49 Somit ist die Weisheit als das in sich schöpferische Kraft enthaltende Wort Gottes zu verstehen. Die Verbindung von der Macht / Kraft Gottes mit der Weisheit Gottes ist älter als die christliche Tradition zur Zeit des Apostels Paulus. Diese zwei Prädikate scheinen in der apokalyptischen Weisheitstradition untrennbare Eigenschaften 44 45 46 47
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Ibd., 393. Vgl. ibd., 393. LUZ, U.: Das Evangelium nach Matthäus 3, 370. HENGEL, M: Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit und die Anfänge der Christologie, 154: „Für Matthäus ist Jesus selbst die Weisheit, die durch ihre für alle sichtbaren Werke gerechtfertigt wird.“ LUZ, U.: Das Evangelium nach Matthäus 2, 189. 218. PHILO VON ALEXANDRIEN: Legum Allegoriae I 65. Zu Philos Weisheitsvorstellung vgl. auch SCHÄFER, P.: Weibliche Gottesbilder im Judentum und Christentum, 61-84.
Gottes zu sein. Dazu werden Kraft und Name Gottes manchmal für Synonyme gehalten: „Der Name Gottes sei gepriesen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Denn die Weisheit und die Macht sind sein“ (Dan 2,20: … o[ti h`` sofi,a kai. megalwsu,nh auvtou/ evsti). „Bei ihm allein ist Weisheit und Heldenkraft, … (Ijob 12,13.16: … par vauvtw/| sofi,a kai. du,namij …). „Hilf mir, Gott, durch deinen Namen, verschaff mir Recht mit deiner Kraft (Ps 54,3: „~O Qeo,j( evn tw/| ovno,mati, sou sw/so,n me kai. evn th/| duna,mei sou kri/no,n me). „Sie ist ein Hauch der Kraft Gottes“ (Weish 7,25: avtmi.j ga,r evstin th/j tou/ qeou/ du duna,mewj). ewj
Der Evangelist Matthäus lässt das Volk die Weisheit, die Klugheit und die Macht / Kraft Jesu bewundern und fragen, woher er all das hat (Mt 13,54: „Po,qen tou,tw| h` sofi,a au[th kai. ai` duna,meijÈ). eij Hat er das von Gott wie der Prophet Daniel oder der König Salomo? „Dich, Gott meiner Väter, preise und rühme ich; denn du hast mir Weisheit und Macht verliehen.“ (Dan 2,23: … o[ti sofi,an kai fro,nhsin e;dwka,j moi )))). „Gott gab Salomo Weisheit und Einsicht in hohem Maß und Weite des Herzens“ (1Kön 5,9: Kai. e;dwken ku,rioj fro,nhsin tw/| Salwmwn kai. sofi,an ; Vgl. auch Weih 7,7: Kai. fro,nhsij evdo,qh moi ))) kai. e=lqe,n moi pneu/ma sofi,aj). j
In ähnlicher Weise wie der Prophet Daniel lässt Matthäus Jesus seinen Lobpreis formulieren: „Ich preise dich, Vater, ….Mir ist alles von meinem Vater übergeben.“ (Mt 11,25-27). Das Wort „alles“ lässt hier vermuten, dass Gott Jesus mit Weisheit und Vollmacht als Herr über alles eingesetzt hat (Mt 28,18) oder dass Jesus die Weisheit und Macht Gottes verkörpert. Man kann hier nicht mit Sicherheit von einem Einfluss der Apokalyptik, der Weisheitsliteratur und des Paulus auf die matthäische Christologie sprechen, vor allem wenn man sich nur auf Sprache und Stil begrenzt. Es ist dennoch erstaunlich und bleibt spannend, warum Matthäus die Weisheit und Macht Gottes auf das Wirken Jesu übertragen hat (Mt 7,29; 10,1; 21,23-27). Die These der Identifikation der göttlichen Weisheit mit Jesus bzw. der Inkarnation der Weisheit in Jesus lässt ihre Spuren in der christlichen Tradition bis heute erkennen. Denn in liturgischen Texten oder Predigten wird immer wieder die Tendenz sichtbar, Weisheitsgedanke und Christologie miteinander zu verschmelzen. In seiner am Dreifaltigkeitssonntag, dem 03. Juni 2007, gehaltenen Predigt sprach Papst Benedikt XVI. auch von Jesus Christus als der menschgewordenen Weisheit: „Aus derselben Perspektive der Weisheit Gottes, die in Christus Mensch geworden ist und durch den Heiligen Geist mitgeteilt wird, hat uns das Evangelium daran erinnert, dass Gott Vater weiterhin seinen Liebesplan durch die Heiligen offenbart.“50
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Papst BENEDIKT XVI.: Predigt am Dreifaltigkeitssonntag, 03. Juni 2007.
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Auch in seiner Ansprache in Castel Gandolfo zum Angelusgebet am 21. September 2009 kam der Papst wieder auf den Gedanken der menschgewordenen Weisheit zu sprechen: „Liebe Freunde, erneut hat uns die Heilige Schrift dazu geführt, über die moralischen Aspekte des menschlichen Daseins nachzudenken, dies jedoch ausgehend von einer Wirklichkeit, die der Moral vorausgeht, das heißt vor der wahren Weisheit. Bitten wir Gott voller Vertrauen um die Weisheit des Herzens, durch die Fürsprache der Frau, die in ihrem Schoß die Mensch gewordene Weisheit aufgenommen und gezeugt hat, Jesus Christus, unseren Herrn. Maria Sitz der Weisheit, bitte für uns.“51
Dies ist ein Indiz dafür, dass die Frage nach dem Verhältnis zwischen Jesus und der göttlichen Weisheit bis heute ungelöst geblieben ist. Sowohl heute als auch damals im Urchristentum ist die Bedeutung von sofi,a vielfältig und ihr Gebrauch in verschiedenen Kontexten führt deswegen zur Diskussion. In der vorliegenden Arbeit geht es darum, welche Spuren diese jüdisch-hellenistischen Weisheitstraditionen in der matthäischen Christologie hinterlassen haben. Da aber Matthäus den in den frühesten christlichen Texten häufig gebrauchten Begriff sofi,a / sofo,j (Vgl. paulinische Schriften) ganz selten verwendet (nur 5 mal: Mt 11,19.25; 12,42; 13,54, 23,34), könnte man im Voraus vermuten, dass dieser Begriff für das matthäische Jesusbild nicht relevant ist.52
4. Exkurs: Die Thesen, Jesus sei ein Kyniker oder Wandercharismatiker! Die Lehre Jesu in Mt 5-7 (Aufrufe zu Besitz- und Ehelosigkeit, Feindesliebe, Sorglosigkeit, Verzicht auf eigenes Leben), die als radikale und gesellschaftlichen Normen widersprechende Verhaltensanweisungen erscheint, gibt machen Forschern den Anlass, dem matthäischen Jesus gewisse Züge eines kynischen Predigers zu zuschreiben. „The themes of Jesus’ teaching – voluntary poverty, severance of family ties, the renunciation of needs, and carefree and fearless attitudes toward life – have parallels in reports about Cynic philosophers. Likewise, Jesus’ use of irony and paradox, as well as his reliance on symbolic actions, may have cause his Palestinian contemporaries to look upon him as something like a Cynic philosopher – who was a common phenomenon in the Greco-Roman world (and that included Palestine!).“53
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Papst BENEDIKT XVI: Ansprache zum Angelusgebet am 21.09.2009. HENGEL, M.: Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit und die Anfänge der Christologie, 147-148. HARRINGTON, D. J.: Wisdom texts from Qumran, 89.
Es ist aber sehr schwierig, den geschichtlichen Ursprung des Kynismus herauszufinden, weil die ersten Kyniker keine Schriften hinterlassen haben. Deswegen verbergen sich hinter diesem Begriff unterschiedlichen Hypothesen und Legenden.54 Etymologisch wurde Kynismus vom griechischen Wort kunismo,j / kunisti / kuwn abgeleitet und bedeutet wörtlich „hündisch“, „auf hündische Art“. Kyniker waren also ursprünglich diejenigen, die – wegen ihrer Art, die bestehenden Bräuche und Gesetze zu brechen, um die innere Freiheit zu erreichen – mit den Hunden (Schimpfwort) verglichen wurden. Im übertragenen Sinn beißen die Kyniker mit aggressiven Worten (Satire, Spott) zu, um die vom Staat festgesetzte Ordnung abzuschaffen und danach ihre eigene durchzusetzen. Die Kyniker trugen gerne den Beinamen „ku,wn / Hund“ und verstanden ihr Verhalten als exemplarisch praktische Lebensweise. Beispielweise schreibt Diogenes von Synope (um 400 v. Chr. – 324 v. Chr.) über seinen Lehrer Antisthenes (um 445 v. Chr. – 365 v. Chr.) folgendes: „Du, Antisthenes, warst ein wahrer Hund, hast gebissen mit deiner Worte Gewalt, nicht mit der Schnauze das Herz.“55 (Diog. VI,19). Gemeint ist, dass Antisthenes mit seinen scharfen Worten die öffentliche Ordnung kritisiert und umwertet und somit das Herz des Staats bzw. den Menschen das Herz zerrissen hat. „Die Bezeichnung ‚Kyniker‘ oszilliert in der Antike zwischen Schimpfwort und philosophischem Ehrentitel.“56 Manchmal verbindet man den Begriff Kynismus mit der Münzanekdote von der Beschuldigung gegen Diogenes von Sinope; dieser habe an der Münze gekratzt, das heißt, er habe die Werte der staatlichen Münze (politiko.n no,misma) verfälscht und dabei die gesellschaftliche Ordnung gestört.57 Seitdem gilt Diogenes als Gründer / Vater des Kynismus, der als Umwertung der vorhandenen Werte charakterisiert werden kann. Das Kennzeichen der Kyniker ist die subversive Tendenz der Umkehrung der Werte, um sich von jedem staatlichen Gesetz zu befreien und in der Natur ein müßiges Leben zu führen.58 Folgender Text zeigt deutlicher, was mit dem Freiheitsbegriff des Kynismus gemeint ist:
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Vgl. NIEHUES-PRÖBSTING, H.: Der Kynismus des Diogenes und der Begriff des Zynismus, 14 ff. Vgl. DIOGENES, L.: Leben und Lehre der Philosophen, 260. Vgl. auch DERS, 257 (Diogenes VI 13) und NIEHUES-PRÖBSTING, H.: Der Kynismus des Diogenes und der Begriff des Zynismus, 19: Antisthenes selbst hatte den Beiname „Haplokyon“ das heißt „schlechtweg Hund“, „ein reiner Hund oder Kyniker“. Vgl. NIEHUES-PRÖBSTING, H.: Der Kynismus des Diogenes und der Begriff des Zynismus, 9. Vgl. ibd., 43-63. Vgl. LARGIER, N.: Diogenes der Kyniker, 1-2: „Was die aufsäßige, oft schockierend und in der Regel paradoxe ‚Lehre‘ des Diogenes von Sinope [412/403-424/21] auszeichnet, ist nicht ihr begrifflich nur schwer faßbarer Gehalt, sondern das Verhalten, die Taten (die e;rga) des Ky-
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„Der Freiheitsbegriff des Kynismus faßt Freiheit als solche von Zwängen: Freiheit von der Sorge um Nahrung, Kleidung, Haus, Heim, Ehe, Kinder usw.; Freiheit von allen Bindungen, die Moral, Gesetz, Staat, das Gemeinschaftsleben überhaupt, dem Individuum zumuten mögen; des weiteren Freiheit von Leidenschaften, Ehrgeiz, intellektuellen, kulturellen und religiösen Ansprüchen usw.; und schließlich sogar Freiheit vom Leben selbst, mit dem Recht, es freiwillig zu verlassen, wenn das Bedürfnis nach Freiheit das erforderlich macht. Doch das Problem wird beträchtlich schwieriger, wenn wir nach positiven Dingen suchen.“59
Wie kommt man zur These, Jesus sei ein Kyniker? Ausgehend von der Stellungnahme Jesu zum Gesetz, vor allem den in Mt 5-7 formulierten Antithesen, behaupten manche Forscher, Jesus sei „ein bäuerlicher jüdischer Kyniker“60, der dem jüdischen Gesetz widerspricht, die festgesetzten Bräuche bricht und die ganze Volksweisheit umwertet. Oder, Jesus sei ein „apokalyptischer Menschensohn, der in dem Versuch, eine revolutionäre Umkehrung aller Werte herbeizuführen, vom Rad der Geschichte überrannt und zermalmt wurde.“61 Diejenigen, die Jesus für einen Kyniker halten, gehen davon aus, dass er manche jüdische Reinheitsvorschriften bricht (Mt 15,1-20) und Tischgemeinschaft mit Sündern und Zöllnern pflegt; er frisst und säuft mit ihnen (Mt 9,11; 11,19) und somit wirft man ihm vor, ein subversives Verhalten aufzuweisen. Überraschend lässt der Evangelist Matthäus Jesus seinen Umgang mit Sündern mit dem Verweis auf den Arzt (Mt 9,12) erklären, genauso wie der Kyniker Antisthenes, der auf den Vorwurf, mit bösen Burschen umzugehen, antwortete: „Auch die Ärzte gehen mit den Kranken um, ohne doch Fieber zu bekommen [Diog VI,6].“62 Dennoch beruft sich der Judenchrist Matthäus auf keinen Fall auf den Kynismus, er kritisiert vielmehr die jüdische Skepsis gegenüber den Ärzten und deren Handeln und lässt so Jesus sich mit einem Arzt verglei-
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nikers, die eine bis ins sechste Jahrhundert nach Christus dauernde Tradition kynischer Lebensform zu begründen vermochten. Es ist das Überschreiten der gesellschaftlich gesetzten, doch für natürlich gehaltenen Norm, der Gestus der Tabuverletzung, nicht zuletzt die unausstehliche Arroganz dessen, der in freiwilliger Armut und provokativer Distanziertheit zum gesellschaftlich Gepflogenen wirklich frei, autark und glücklich zu sein vorgibt, während er wie ein Hund auf offenem Markt den Hunger, den Durst und den Geschlechtstrieb befriedigt.“ Nach der Übersetzung von CROSSAN, J. D.: Der historische Jesus, 119. (Zum Originaltext vgl. HÖISTAD, R.: cynic Hero and cynic King, 15-16). CROSSAN, J. D.: Der historische Jesus, 553.: In einem Aufsatz mit dem Titel „Ein bäuerlicher jüdischer Kyniker“ schreibt J. D. Crossan folgendes: „Er [Jesus] war vielmehr ein Vertreter jener bäuerlichen, volkstümlichen, mündlichen philosophischen Praxis, die man als jüdischen Kynismus (oder kynisches Judentum) bezeichnen könnte. … Er war vorzüglich eine Lebensform, Widerstand gegen die Zwänge der mediterranen Kultur, gegen die Herrschaft von Ehre und Schande, von Patronat und Klientenwesen, und zwar weniger in der Theorie als in der Praxis eines Lebensstil, im Aussehen, in der Kleidung, beim Essen, in der ganzen Lebensführung.“ KELBER, W. H.: Der historische Jesus, 23. DIOGENES, L.: Leben und Lehre der Philosophen, 255 (Diog VI,6).
chen (Mt 9,12-13). Im eigentlichen Sinn ist Matthäus nicht gegen das „Heilungsmonopol Jahwes“63, er unterstreicht, dass Jesus im Namen Jahwes heilt. Matthäus geht über das Bild vom Arzt hinaus und bezeichnet Jesus als den, der nicht nur Krankheiten zu heilen, sondern auch Sünden zu vergeben vermag. In Bezug auf den Ruf Jesu, auf die Raben und Lilien als Vorbilder zu schauen (Mt 6,25-33) und alles, Häuser, Kinder, Eltern … und das Leben selbst zu verlassen und ihm zu folgen (Mt 16, 24-25; 19,27-30), wirft man Jesus vor, die Freiheit des Kynismus zu vertreten, nämlich „Freiheit von der Sorge um Nahrung, Kleidung, Haus, Heim, Ehe, Kinder usw. … und schließlich sogar Freiheit vom Leben selbst, es freiwillig zu verlassen.“64 Deswegen ziehen die Autoren im Umkreis der kynischen Jesusinterpretation den Schluss, dass Jesus verletzende und zynische Äußerungen gemacht hat. Dagegen setzen andere Forscher Jesus in die Kontinuität des Judentums (ein), halten ihn für einen Gesetzestreuen und sehen in seiner Person die Erfüllung (Mt 5,17-19) der bis zu Johannes dem Täufer geltenden Zeit von „Gesetz und Propheten“ (Mt 11,13). Jesus ist weder gegen das Gesetz noch gegen die Lehre der jüdischen Autoritäten (Mt 23,1-7), sondern er übt Kritik an den Gesetzesvertretern, weil deren Verhalten ihrer Lehre nicht entspricht. Jesus nimmt also Rücksicht auf das jüdische Gesetz und versucht niemals, ein Leben nach eigenen Gesetzen wie die Kyniker, sondern ein Leben nach dem Willen Gottes zu führen. Beispielsweise hat Jesus die Treue in der Ehe gefordert (Mt 5,31-32; 19,3-9), während die Kyniker die Ehe durch den Gang zu Dirnen ersetzen wollten (Diog VI, 88).65 Die Vertreter der Kynikerthese beziehen sich nur auf die äußerst umstrittene Stellungnahme Jesu zum Gesetz (vgl. antithetische Formulierung in Mt 5-7) und übersehen, worauf Jesus damit zielt. Die mit dem Ruf Jesu in seine Nachfolge verbundenen Voraussetzungen (Verzicht auf Besitz, Heimat, Familie, eigenes Leben) machen Jesus dennoch nicht zum Kyniker, denn er hat eine andere Motivation als die Kyniker, nämlich „um des Himmelreiches willen.“ Sein Lebensstil bzw. seine Lebensweisen / Lebensgewohnheiten (tro,poi kuri,ou, Did 11,8) und seine Missionsanweisung an seine Jünger (Mt 10,5-15) nähern sich 63
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SEYBOLD, K. / MÜLLER, U. B.: Krankheit und Heilung, 87: „Die israelitische Vorstellung vom ‚Heilungsmonopol Jahwes‘ wirkte im Judentum kräftig nach. Die Krankheit selbst, besonders aber ihre Heilung ist Jahwes exklusives Werk. … Im Zusammenhang mit dem ‚Heilungsmonopol Jahwes‘ steht die Skepsis, ja Ablehnung des ärztlichen Handelns im Judentum.“ Nach der Übersetzung von CROSSAN, J. D.: Der historische Jesus, 119. (Zum Originaltext vgl. HÖISTAD, R.: cynic Hero and cynic King, 15-16). DIOGENES, L.: Leben und Lehre der Philosophen, 288-289: „Eratosthenes gibt an, er [Krates] habe von der noch zu besprechenden Hipparchia einen Sohn namens Pasikles gehabt, den er, als dieser erwachsen geworden war, in das Haus einer Hure führte mit der Bemerkung, auf diese Weise habe auch Vater geheiratet.“
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vielmehr dem zu seiner Zeit verbreiteten Wanderradikalismus:66 „Er zog in ganz Galiläa umher … und verkündete das Evangelium vom Reich …“ (Mt 4,23-25). Aber im eigentlichen Sinn war Jesus kein wandercharismatischer Prediger. Jesus unterscheidet sich von den Kynikern sowohl in seiner Lehre als auch in seinem Handeln. Während die Kyniker sich durch ihre fundamentale Kritik an der durch das Gesetz bestimmten Gesellschaft auszeichneten67, will Jesus die Menschen auf dem Weg zu Gott (Gottes Gebote) anweisen, ohne jedoch die Tora außer Kraft zu setzen. Mit seiner Kritik an manchen jüdischen Vorschriften will der matthäische Jesus auf keinen Fall die jüdische Tora-Weisheit abschaffen, sondern, dass diese im Hinblick auf das in seiner Person angebrochene Reich Gottes interpretiert und gelebt wird. Dies führt nach M. Ebner „zum entscheidenden Punkt: Jesus zieht zwar – wie die Kyniker – als Wanderprediger aus dem System aus, aber er behält – im Gegensatz zu den Kynikern – die alten Denkmuster bei.“68
5. Weisheit: Definition Im Kontext der biblischen Wissenschaft kann der Begriff Weisheit Verschiedenes bedeuten. Er bezeichnet die praktische und theoretische Fähigkeit des Menschen zur Meisterung des Lebens. Weisheit umfasst alle Lebensbereiche (Religion, Kultur, Wissen, Können usw.) und zielt darauf, die verschiedenen Lebensaufgaben und das Leben selbst zu bewältigen.69 Daraus ergibt sich, dass das „Phänomen Weisheit“ sich in allen Kulturen und Ländern findet, denn jeder Mensch jeder Zeit sehnt sich danach, das Leben zu meistern, um den Sinn über Ursprung und Ziel des Lebens verstehen zu können.70 Der Weisheit geht es „um lebenspraktisches Wissen, das gelingendes Leben des einzelnen wie auch das
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Vgl. THEIßEN, G.: Soziologie der Jesusbewegung, 14ff: Die These von G. Theißen besagt, „dass Jesus nicht primär Ortsgemeinden gegründet, sondern eine Bewegung vagabundierender Charismatiker ins Leben gerufen hat.“ Vgl. auch TIWALD, M.: Der Wanderradikalismus als Brücke zum historischen Jesus, 523-534, 525: „Die Aussendungsrede kann damit als Schlüsseltext für die Wanderradikalenbewegung verstanden werden. … Die in den Aussendungsreden angesprochene Missionsaussendung war demzufolge nicht nur eine Reminiszenz an den historischen Jesus. Vielmehr wussten sich die wanderradikalen Jünger zeit ihres Lebens auf die jesuanische Praxis verpflichtet.“ Vgl. auch SCHMELLER, T.: Brechungen, 66-78 (Wandercharismatiker vor und nach Ostern), 98-108 (Wanderpropheten im Umfeld des Mt-Evangeliums; das radikale Ethos Jesu in den synoptischen Evangelien). Vgl. EBNER, M.: Jesus – ein Weisheitslehrer?, 399-403. EBNER, M.: Jesus – ein Weisheitslehrer?, 415. Vgl. FOHRER, G.: Art. Sofia( in: ThWNT VII, 476. Vgl. THEIS, J.: Weisheit, 398.
Zusammenleben von Menschen ermöglicht.“71 Es ist nicht einfach, eine genau passende Definition für die Weisheit zu finden. Manche Begriffe wie „Einsicht“, „Erkenntnis“, „Klugheit“, „Zucht“ werden verwendet, um diesem umfangreichen Begriff Weisheit näher zu kommen. Da diese Arbeit vom alttestamentlich-jüdischen Umfeld ausgeht, ziehe ich vor, die hebräische und die entsprechende griechische Terminologie (~kx, sofi,a) anzuführen. Das hebräische Wort ~kx („weise sein“) bedeutet Klugsein und Kundigsein zum Zweck praktischer Gestaltung.72 ~kx kann als Nomen (Weiser) oder als Adjektiv (weise) vorkommen. Daneben ist auch das Abstraktum hmkx (Weisheit) zu nennen. Konkret umfasst ~kx vier Bereiche: 1. technische Befähigung, sich auf etwas verstehen; 2. im höfischen Bereich: Beratung oder Regierungskunst; 3. der Stand des Weisen und 4. “weise“ im weiteren Sinne mit Einbeziehung des erzieherischen Aspekts.73 In der LXX wird das hebräische hmkx mit dem griechischen Begriff sofi,a und ~kx mit sofo,j wiedergegeben, ohne die Bedeutung zu ändern. Bei dem Begriff Weisheit im Sinne von „weise sein“ geht es nicht nur um den Weisen als Vertreter eines Amtes oder eines Standes, sondern auch um eine generelle Charakterisierung des Verhaltens: Regeln der Lebensklugheit, Hinweis auf Normen ethischen Verhaltens (das Gute zu tun und das Böse zu meiden), frommes Verhalten und Ähnliches.74 Um das Leben meistern zu können, bietet das Buch der Sprichwörter eine Reihe von guten Haltungen an: Hinweise auf Einsicht und Verständnis für bestimmte Zusammenhänge, die Aufgeschlossenheit für die Erfahrung anderer, die Beherrschung der Zunge, das Reden und Schweigen zur rechten Zeit, die Beherrschtheit im alltäglichen Leben (Mäßigung statt Zorn, Demut statt Hochmut, Vorsicht beim Wein), Besonnenheit in der Gestaltung des Lebens (Fleiß statt Faulheit), Weitergabe eigener Erfahrungen durch guten Rat für andere.75 Zusammenfassend geht es also um ein durch „Erfahrung“, durch „Lehre und Erziehung“ (Tradition) und durch „Gott“ erworbenes
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HAUSMANN, J.: „Weisheit“ im Kontext alttestamentlicher Theologie, 9. Vgl. FOHRER, G.: Art. Sofi,a( in: ThWNT VII, 476. Vgl. SAEBO, M.: Art. ~kx, weise sein, in: THAT I, 557-564. Vgl. auch LIPS, H. von.: Weisheitliche Tradition im Neuen Testament, 14. Vgl. LIPS, H. von: Weisheitliche Tradition im Neuen Testament, 23. Vgl. auch ZENGER, E, u. a: Einleitung in das Alte Testament, 224: „Damit jemand weise ist, braucht er das rechte Wissen und er muss fähig sein, mit diesem Wissen in rechter Weise umzugehen. Der Weisheit geht es um das rechte Wissen vom Leben. Ihr geht es um das Erlernen, Praktizieren und Weitergeben von Lebenkönnen, von Lebenskunst. Sie ist eine Art von ‚Lebenskunde‘. Ausgangspunkt aller weisheitlichen Theologie, … ist die aus Erfahrung gewonnene Überzeugung vom TunErgehen-Zusammenhang, den jeder in seinem Alltag als Grundorientierung menschlichen Handelns kennt, nämlich: dass Gutes Tun gut tut und dass Böses Tun Schaden anrichtet.“ Vgl. ibd., 23.
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Lebenkönnen. Dies nennt H. von Lips „drei Arten des Weise-Werdens“.76 Die Weisheit ist also das Sich-Zurechtfinden, das die Einhaltung von der von Gott gegebenen Ordnung voraussetzt.
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Ibd., 24.
Erster Teil: Weisheit im Alten Testament und im Frühjudentum
I. Alttestamentliche Weisheitsvorstellung 1. Ursprung der Weisheit 1. 1. Gottesfurcht Ganz am Anfang des Buches der Sprichwörter befindet sich der berühmteste und bekannteste Spruch über die Weisheit: „Anfang der Weisheit ist die Gottesfurcht“ (Spr 1,7; vgl. auch Spr 9,10; 15,33; Ps 111,10; Sir 1,14.20; 15,1). Das Buch der Sprichwörter wird mit dem Hinweis auf das Ziel der „Sprichwörter Salomos“ eingeleitet: „Um Weisheit zu lernen …, um Zucht und Verständnis zu erlangen …, um Sinnspruch und Gleichnis zu verstehen …(Spr 1,2-6). Dieses Ziel bleibt unerreichbar, wenn man die Gottesfurcht nicht voraussetzt. Jeder „vernünftige“ Mensch sehnt sich nach diesem Ziel, nur die Toren bleiben indifferent. Der Grundsatz „Anfang der Weisheit ist die Gottesfurcht“ behauptet also, dass die Weisheit Gottesfurcht voraussetzt. „Der Begriff der Gottesfurcht wird enger mit der Weisheit verbunden.“77 Dies „impliziert, dass es israelitische Weisheit nie losgelöst vom Jahweglauben gegeben hat, dass vielmehr die Beziehung zwischen beiden schon in der älteren Weisheit vorausgesetzt ist.“78 Daraus ergibt sich, dass es außer Gott keinen anderen Zugang zur Weisheit gibt. Dies führt dazu, von den oben genannten drei Arten des Weise-Werdens (durch Erfahrung, Lehre und Gott) eine vorzuziehen: Durch Gott wird man weise. Ausgehend von dieser ursprünglichen Art des Weise-Werdens kann man die zwei anderen folgendermaßen erklären: Gott „schenkt“ (Ex 31,6; Spr 2,6; 8,21; Sir 43,33) und „lehrt“ (Ps 51,8) die Weisheit, durch die Beziehung mit Gott „erfährt“ man die Weisheit.79 Das Buch der Sprichwörter und Jesus Sirach betonen noch stärker,
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LIPS, H. von: Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, 39. Ibd., 37. Vgl. auch SCHMIDT, W. H.: Alttestamentlicher Glaube, 379: „ Ist die Ehrfurcht vor Jahwe der Eingang oder das Hauptstück der Weisheit, so ist sie damit endgültig in den alttestamentlichen glauben eingefügt (Jer 9,22f). Die Weisheit bleibt mit dem Glauben verbunden.“ Ibd, 25.
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dass nur die Haltung der Gottesfurcht, das heißt die rechte Beziehung zu Gott, zur rechten Weisheit führen kann.80
1. 2. Weisheit als Besitz, Vermögen und Gabe Gottes Der Locus classicus81 zur Frage nach der Weisheit findet sich im Ijobbuch. Das Lied über die Weisheit im 28. Kapitel des Ijobbuches gliedert sich in drei Teile und jeder Teil beschäftigt sich mit der Frage nach dem Wohnort („Zuhause“) der Weisheit: Wo ist die Weisheit? In verborgenen Bergstellen? Nein (VV 1-11). Wo ist die Weisheit? In verborgenen Weiten? Wie Gold und Silber? Nein (VV 12-19). Wo ist die Weisheit? Bei Gott allein! (VV 20-27.28). Nach dieser Struktur von F. Gradl82, wollen wir nicht das ganze Kapitel behandeln, sondern nur die Verse, die nach dem Fundort der Weisheit fragen und eine Antwort darstellen. VV 1-11: Durch seine Fähigkeit kann der Mensch Edelsteine und andere Bodenschätze finden. A. Frage: - Die Weisheit aber, wo ist sie zu finden, wo kommt sie her und wo ist der Ort der Einsicht? (VV 12.20). B. Beobachtungen: - Kein Mensch kennt die Schicht, in der sie liegt (V 13a). - Sie findet sich nicht im Land der Lebenden (VV 13b.21). - Die Urflut sagt: Bei mir ist sie nicht. Der Ozean sagt: Bei mir weilt sie nicht (V 14). - Abgrund und Tod sagen: Unser Ohr vernahm von ihr nur ein Raunen (V 22). - Man kann nicht Feigengold für sie geben, nicht Silber als Preis für sie wägen. … (VV 1519). C. Antwort: - Gott ist es, der den Weg zu ihr weiß, und nur er kennt ihren Ort( V 23). D. Schlussfolgerung: Gott allein hat Zugang zur Weisheit. „Für Hiob ist die Weisheit nur in Gottes Besitz.“83 E. Weg zur Weisheit: - Doch zum Menschen sprach er: Seht, die Furcht vor dem Herrn, das ist die Weisheit, das Meiden des Bösen ist Einsicht (V 28).
Mit der Frage, wo die Weisheit zu finden ist bzw. wo sie herkommt geht es nicht direkt um die Weisheit, sondern um den „Ort“ der Weisheit, denn sie befindet sich nicht überall. „Das hier gebrauchte hebräische Wort für ‚Ort‘ wird in späte80 81 82 83
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Ibd., 146. Vgl. MACK, B. L.: Logos und Sophia, 21. GRADL, F.: Das Buch Ijob, 243. BUDDE,K.: Das Buch Ijob, 170.
ren rabbinischen Texten auch für ‚Gott‘ verwendet“84, um zu unterstreichen, dass die Weisheit bei Gott zu finden ist. Im ersten Teil von Ijob 28 geht es um einen irdischen Ort, wo wertvolle Bodenschätze (Silber, Gold) zu finden sind. Durch seine eigene Leistung kann der Mensch Bodenschätze entdecken. Beispielsweise schildert der griechische Schriftsteller Diodor (1. Jh. v. Chr.) in seiner Erzählung über den Goldabbau, wie man damals Gold fand: „Die Männer in den Bergwerksstollen hauten beim Licht kleiner Lampen an ihrer Stirn den durch Feuer gelockerten Stein heraus, Kinder schaffen die ausgehauenen Steine weg. Diese wurden in Steinmörsern zerschlagen, Frauen und alte Männer zermahlten sie in Mühlen zu Staub, der auf schrägen Tischen gewaschen wurde, bis das Wasser alle leichten Steinteilchen fortgeschwemmt hatte und die feineren, glänzenden Goldteilchen gesammelt werden konnten.“85
Dass der Mensch das unter der Erde versteckte Gold ans Licht bringt, verdankt er seiner großen Fähigkeit und Leistung. Dies bedeutet, dass der Mensch nicht nur theoretisches Wissen vom Inneren der Welt besitzt, sondern auch praktische Fähigkeit.86 Ab V 12 erfahren wir aber, dass es einen besonderen Ort gibt, den der Mensch nicht erforschen kann. Obwohl der Mensch Vieles und Großes zu leisten vermag, stößt er an seine Grenze, an eine unüberwindbare Schranke seines Könnens, wenn es um den Ort der Weisheit geht.87 Die VV 13.21 greifen das Motiv des „Verborgenen“ der Weisheit auf. Da die Weisheit sich nicht im Land der Lebenden findet, zu dem der Mensch Zugang hat, konstatieren die VV 13.21 grundsätzlich, dass der Mensch den Weg der Weisheit überhaupt nicht kennt.88 Da sich die Weisheit nicht auf der Erde findet, fragt sich der Mensch, ob es sie vielleicht in Urflut und Ozean gäbe. Dort ist sie auch nicht zu finden (VV 14.22). Nun bleibt ihm nur noch die Möglichkeit, die Weisheit um einen teuren Preis zu kaufen. Hier ist er auch enttäuscht, denn alle Kostbarkeit der Welt zusammen reicht nicht aus, um die Weisheit zu erlangen (VV 15-19).89 Auf die Frage des Menschen nach dem Ort der Weisheit antwortet endlich V 23: „Gott ist es, der den Weg zu ihr weiß, und nur ER kennt ihren Ort“ Hm'Aqm.-ta, [d;y“ aWhw> HK'r>D; !ybihe ~yhil{a/ Nur Gott allein kann den Ort der Weisheit „einsehen“, „verstehen“ und „begreifen“ (!ybh). Nur ER kann ihren Ort „erkennen“, „wissen“ und „erfahren“
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GRADL, F.: Das Buch Ijob, 244. FOHRER, G.: Das Buch Hiob, 396. Anm 27. Vgl. ibd., 396. Vgl. ibd., 298. Vgl. GRADL, F.: Das Buch Ijob, 247. Vgl. ibd., 247.
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([dy).90 Bis jetzt bleibt die Weisheit für den Menschen unzugänglich, denn nur Gott allein, der ins All blickt, hat Zugang zu ihr. Das Geheimnis der Weisheit bleibt dem Menschen verhüllt, wie Gott selbst ihm verborgen ist. Vor diesem Gott aber, der über alles Seiende schlechthin verfügt, ist dagegen nichts verborgen.91 Die Weisheit wird mehr auf Gott als auf den Menschen bezogen. Man hat vorausgesetzt, dass die hmkx ihren Ursprung in Gott hat und dessen Besitz ist. Im Bezug auf Gott, der alles „weise“ geschaffen hat, wird ausdrücklich von hmkx als Besitz und Vermögen Jahwes gesprochen (Jer 10,12; 51,15; Ps 104,24; Spr 3,19).92 Obwohl im ganzen Kapitel von der Unerreichbarkeit der Weisheit die Rede war, wird nun im V 28 dem Menschen der Weg zur Weisheit eröffnet, denn Gott ist nicht egoistisch, er lässt die Menschen an seinen Gütern teilnehmen. Dieser Weg wird in V 28 ganz deutlich beschrieben: Auf der einen Seite soll der Mensch gottesfürchtig leben, das heißt nicht in göttliche Bereiche eindringen; das ist der Anfang der Weisheit. Auf der anderen Seite geht es darum, das Böse zu meiden, nicht auf Böses zu sinnen, nichts Böses zu planen.93 Vgl. auch Spr 3,7: „Fürchte den Herrn und fliehe das Böse.“ Zusammenfassend gibt es für den Menschen nur einen Weg, um die Weisheit zu erreichen: Er soll immer in guter Beziehung zu Gott stehen und diese immer pflegen, denn sie ist die einzige Brücke zur Weisheit.
1. 3. Beziehung zwischen Gott und der Weisheit Wir haben schon festgestellt, dass die Weisheit ihren Ursprung in Gott hat, wie auch das Buch Jesus Sirach in seiner Einleitung behauptet: „Alle Weisheit stammt von Gott“ (Sir 1,1). Nun stellt sich die Frage, wie sie entstanden ist oder welche Beziehung Gott und die Weisheit zueinander haben. „Er [der Herr] hat sie geschaffen, geschaut und gezählt, …“ (Sir 1,9; vgl. auch Ijob 28,27). Das hebräische Wort arb für „schaffen“ ist nur Gott allein vorbehalten. Es kommt im Alten Testament nur mit Gott als Subjekt vor und meint eine von jedem menschlichen Tun unterschiedene Tätigkeit Gottes, wechselt aber mit „machen“, ohne
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Vgl. ibd., 248. Zur Verborgenheit Gottes Vgl. OEPKE, A.: Art. Kru,ptw in: ThWNT III, 968. Vgl. FOHRER, G.: Art. Sofi,a( in: ThWNT VII, 489. LUTZ, R. B.: Hiob, 255. Vgl. auch LÊVÊQUE, J. O. C. D.: Sagesse et dessein de Dieu, 197: «Cette sagesse dont Dieu seul dispose restera, certes toujours au-delà des prises de l’homme, mais elle est une sagesse plus humble qui se trouve à sa mesure et à sa portée, un chemin révélé : La crainte du Seigneur, c’est-à-dire l’obéissance heureuse par laquelle les hommes croyants peuvent répondre à la volonté divine maintenant signifiée.»
dass eine besondere Nuancierung bemerkbar würde.94 Die Weisheit ist also ein Geschöpf Gottes und Gott und nur Er allein macht weise. „Gott hat die Macht über die ganze Wirklichkeit, er kann sie durchschauen und erfassen.“95 Gott ist Herr über die Weisheit, er allein durchschaut, was die Weisheit wirklich ist. Er besitzt sie und kann sie anwenden, indem er sie denen schenkt, die ihn fürchten.96 Wann und wozu hat Gott die Weisheit geschaffen? Von ihrem Anfang an unterhält die Weisheit eine persönliche Beziehung mit Gott, sie ist jedoch mit Gott nicht identisch.97 „Die Weisheit ist weder göttlich noch ewig, vielmehr geschaffen vor allem Seienden.“98 Am Anfang bis in Ewigkeit (vor der Zeit: Sir 24,9, Spr 8,22) „wird sie von Gott herangezogen und benutzt, um in das Schöpfungswerk von vornherein Maß und Ordnung zu bringen.“99 Auch in Ijob 28,25-27, wo vier Schöpfungswerke genannt werden (Wind, Wasser, Regen und Gewitter), stellt Gott die Weisheit als den Grundsatz für die zu schaffenden Ordnungen hin. Sie ist in sein Schöpfungshandeln eingeordnet und bleibt das Geheimnis des Schöpfers und dem Zugriff des Geschöpfs entzogen.100 Die Besonderheit der Weisheit im Vergleich zu anderen Geschöpfen liegt darin, dass sie trotz ihrer Zugehörigkeit zur Schöpfung von dieser zugleich abgehoben ist.101 Ihre „Anwesenheit bei der Erschaffung der Welt und ihre Nähe zu Gott erweisen ihre Überlegenheit.“102 Zur Frage nach dem Beginn und Ziel der Weisheit werden wir später zurückkommen.
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Vgl. SCHALBERT, J.: Genesis, 39. GRADL, F.: Das Buch Ijob, 249. Vgl. SCHREINER, J.: Jesus Sirach 1-24, 18. Vgl. LÊVÊQUE, J. O. C. D.: Sagesse et dessein de Dieu, 197: «Dès le début, dès son début, elle est en relation personnelle avec Dieu, distincte de lui. Mais issue de sa vie et témoins privilégié de son œuvre.» 98 SCHMIDT, W. H.: Alttestamentlicher Glaube, 379. 99 HESSE, F.: Hiob, 159. 100 Vgl. FOHRER, G: Das Buch Hiob, 399. 101 Vgl. LUTZ, R. B.: Hiob, 254. Vgl. auch LÊVÊQUE, J. O. C. D.: Sagesse et dessein de Dieu, 196-197: «Première en date et en dignité, la sagesse ne peut pas donc être alignée sur les autres œuvres de Dieu. Elle n’est rien de matériel à l’intérieur de la création, et elle est venue à l’existence d’une autre manière que les autres êtres.» 102 SCHMIDT, W. H.: Alttestamentlicher Glaube, 379.
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2. Die Weisheit Salomos 2. 1. Die Bitte Salomos um die Weisheit: 1 Kön 3,2-15 (vgl. Weish 9; Ps 72) Dieser Abschnitt berichtet darüber, wie der König Salomo, bekannt als der Weiseste aller Menschen, zur Weisheit kam. „Salomo aber liebte den Herrn und befolgte die Gebote seines Vaters David …In Gibeon erschien der Herr dem Salomo und forderte ihn auf: Sprich eine Bitte, die ich dir gewähren soll. Salomo antwortete: …So hast du jetzt, Herr, mein Gott, deinen Knecht anstelle meines Vaters David zum König gemacht. Doch ich bin noch sehr jung und weiß nicht, wie ich mich als König verhalten soll. … Verleihe daher deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht. Wer könnte sonst dieses mächtige Volk regieren? Es gefiel dem Herrn, dass Salomo diese Bitte aussprach. Daher antwortet ihm Gott: Weil du gerade diese Bitte ausgesprochen hast und nicht um langes Leben, Reichtum oder um den Tod deiner Feinde, sondern um Einsicht gebeten hast, um auf das Recht zu hören, werde ich deine Bitte erfüllen.“ (1 Kön 3,2-15)
Die Einsicht, die Erkenntnis Salomos ist nicht eine angeborene Weisheit. Als Nachkomme Adams war er wie alle Menschen und genau so hilfsbedürftig wie jeder Mensch (Weish 7,1-6). Die Weisheit wurde ihm nicht im Mutterleib gegeben. Er betet um Weisheit, und er erhielt sie. Auf die Frage von Ijob 28,12 kann Salomo richtig antworten: „Die Weisheit aber, wo ist sie zu finden?“ Er weiß, dass die Weisheit nur bei Gott zu finden ist. Salomo ist bekannt als gottesfürchtiger Mann, der seit seiner Kindheit den Herrn liebt und die Gebote befolgt (1 Kön 3,3). Darin besteht genau der Ursprung seiner Weisheit, wie Spr 1,7 unterstreicht: „Gottesfurcht ist Anfang der Einsicht.“ Als Salomo seine Bitte um die Weisheit aussprach, war er noch jung (1 Kön 3,7), das heißt „unerfahren“103, „unfähig“104. Er hatte sich noch nicht der Ausbildung des Weise-Werdens (Erfahrung, Lehre, Erziehung) unterzogen. Um seine Bitte gut formulieren zu können, erkennt Salomo zuerst seine eigenen Grenzen, um danach konsequent zu handeln, das heißt um Hilfe und Beistand Gottes zu bitten. Die Erkenntnis seiner Grenzen wird ausgedrückt durch „ich bin noch sehr jung“ oder „dein Knecht“ (dreimal), dies bedeutet „Abhängigkeit, Schwachheit und Unvollkommenheit des Menschen in seinem Mangel an Weisheit.“105 Salomo ist bewusst, dass der 103 FUHS, H. F.: Art. r[n, in: ThWAT V, 515: r[n (jung) drückt das Eingeständnis völligen Unvermögens aus, Weltsinn und Daseinsordnung zu verstehen, zugleich die radikale Verwiesenheit auf göttliche Gewährung, ohne die der König immer ein na’ar bliebe. Es ist eine Demuts- und Niedrigkeitsaussage, die Salomo als wahren Weiser erweist. 104 REHM, M.: Das Erste Buch der Könige, 45. 105 FICHTNER, J.: Weisheit Salomos, 37.
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Mensch auf die göttliche Gewährung von Weisheit angewiesen ist, sonst würde er zum Toren. Er hat gewusst, dass die Weisheit alles überragt und Spenderin aller Lebensgüter für den Menschen ist. Deswegen bittet er um die Weisheit und nicht um Reichtum, Ehre oder langes Leben, „Bitten, die sonst als durchaus legitime Königswünsche erscheinen.“106 Dass die Weisheit höher steht als andere Gaben, ist eine typische israelitische Auffassung (vgl. Spr 3,16; 8,18).“107 In 1 Kön 3,9 formuliert Salomo seine Bitte um ein „hörendes Herz“ ([„mEvo blE ). Die Bitte Salomos enthält das „Schema“, das die Grundforderung Gottes (Liebe zu Gott und Furcht vor Gott) einleitet (Dtn 6,4ff). Er wünscht sich ein hörendes Herz zum Zweck der Regierung des Volkes und der Unterscheidung des Guten vom Bösen. Indem Gott Salomo die Weisheit schenkt, spendet er ihm auch alles, was die Weisheit mit sich bringt: Reichtum und Ehre (1 Kön 3,13, vgl. auch Spr 8,18). Nach 1 Kön 3,2-11 ist die Weisheit nicht eine auf Lebenserfahrung, Klugheit, Erkenntnis, Fähigkeit beruhende Überlegenheit. Sie ist nicht bloßes Wissen oder Intelligenz, die man sich aus eigener Leistung erwerben kann. Sie ist eine Gabe Gottes, die den Gottesfürchtigen geschenkt wird.
2. 2. Die Weisheit Salomos: 1 Kön 3,12-13; 5,9-14 (vgl. Weish 7) „Sieh ich [Gott] gebe dir ein so weises und verständiges Herz, das keiner vor dir war und keiner nach dir kommen wird, der dir gleicht. Aber auch das, was du nicht erbeten hast, will ich dir geben: Reichtum und Ehre, so dass zu deinen Lebzeiten keiner unter den Königen dir gleicht. Gott gab Salomo Weisheit und Einsicht in hohem Maß und Weite des Herzens – wie Sand am Strand des Meeres. Die Weisheit Salomos war größer als die Weisheit aller Söhne des Ostens und alle Weisheit Ägyptens. Er war weiser als alle Menschen… Sein Name war bekannt bei allen Völkern ringsum. … Von allen Völkern kamen Leute, um die Weisheit Salomos zu hören, Abgesandte von allen Königen der Erde, die von seiner Weisheit vernommen hatten.“
Das Gebet Salomos wird erhört und deswegen schenkt Gott ihm ein „hörendes Herz“, das heißt ein „weises und verständiges Herz“ (1 Kön 3,12). In der Umwelt des Alten Testaments ist das Herz Ort des Verstandes und Ort aller Denkprozesse.108 Das Herz gilt nicht nur als Sitz der geistigen Fähigkeiten und Kräfte des Menschen, demnach auch als Träger des Wissens,109 sondern „das Herz ist [auch] im besonderen Maße als die Mitte des Menschen das Organ der Gottesbeziehung. Der Israelit weiß, dass der Mensch selbst die einmal gestörte Gottesbeziehung nicht mehr von sich aus heilen kann. Aus dieser Erfahrung erwächst die 106 107 108 109
WÜRTHWEIN, E.: Das erste Buch der Könige, 35. HENTSCHEL, G.: 1 Könige, 34. Vgl. WERLITZ, J.: Die Bücher der Könige, 62. Vgl. REHM, M.: Das erste Buch der Könige, 57-58.
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Hoffnung, dass Gott Israel die Gebote aufs Herz schreiben wird (Jer 31,33).“110 Die Weisheit besteht also darin, ein Herz zu haben, das die Gebote Gottes, die Beziehung zu Gott bewahrt. Ein hörendes Herz bedeutet hier die Offenheit und Bereitschaft gegenüber Gott, aber auch Offenheit im Blick auf die anstehenden Aufgaben und die Salomo anbefohlenen Menschen (1 Kön 3,16-28).111 Herz und Ohr stehen in diesem Zusammenhang parallel: dem hörenden Herzen wird die Weisheit gegeben.112 Das „hörende Herz“ bringt auch die Bedingung Gottes, wie man zur Weisheit gelangen kann: „Auf meinen Wegen wandeln und meine Satzungen bewahren.“113 In 1 Kön 3,3 wird festgestellt, dass Salomo diese Aufforderung Gottes erfüllt hat. Das hörende Herz bedeutet letztlich die Bereitschaft, auf den Willen und die Vorschriften Gottes zu achten.114 Durch ein weises und verständiges Herz ist Salomo imstande, das Gute vom Bösen, Recht vom Unrecht, Nützliches vom Schädlichen zu unterscheiden. Die dem König Salomo geschenkte Weisheit zeigt sich im Handeln, in der Praxis (1 Kön 3,16ff). Da Salomo sich für die Weisheit entscheidet, bekommt er alles im Überfluss, so dass keiner ihm gleicht. „Die hier für Reichtum und Ehre verwendeten Begriffe dAbK“ und rv