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German Pages 259 Year 2007
Schriften zum Strafrecht Heft 181
Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Festsetzung überhöhter Vorstandsvergütungen Zugleich ein Beitrag zur rechtlichen Behandlung von Vorstandsvergütungen in deutschen Aktiengesellschaften
Von
Elisabeth Dittrich
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
ELISABETH DITTRICH
Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Festsetzung überhöhter Vorstandsvergütungen
Schriften zum Strafrecht Heft 181
Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Festsetzung überhöhter Vorstandsvergütungen Zugleich ein Beitrag zur rechtlichen Behandlung von Vorstandsvergütungen in deutschen Aktiengesellschaften
Von
Elisabeth Dittrich
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Wintersemester 2005 / 2006 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-12285-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit hat der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen im Dezember 2005 als Dissertation vorgelegen. Literatur und Rechtsprechung wurden, soweit möglich, bis Juni 2006 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Jörg Eisele, der diese Arbeit betreut hat und mir durch jederzeitige persönliche Unterstützung und fachlichen Rat eine unverzichtbare, sehr geschätzte Hilfe war. Herzlich danken möchte ich ebenso Herrn Professor Dr. Ulrich Weber für die schnelle und engagierte Erstellung des Zweitgutachtens. Zu Dank verpflichtet bin ich zudem den Verantwortlichen der University of Chicago Law School für die Möglichkeit der Forschung vor Ort; während dieses Aufenthalts ist ein wesentlicher Teil der Arbeit entstanden. Der Stiftung Landesbank Baden-Württemberg danke ich für die großzügige finanzielle Förderung. Bester Dank für die sorgfältige Korrektur des Manuskripts geht ferner an meine Freundin Anne Gillig. Herzlich zu danken habe ich insbesondere auch meinem Verlobten Adrian Bingel, der durch seine unermüdliche Unterstützung und sein Verständnis, durch ständige Diskussionsbereitschaft und wertvolle Anregungen wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat. Ganz besonderen Dank schulde ich schließlich meinen Eltern, die mich auch während meiner Promotion stets mit bedingungslosem Rückhalt, Geduld und Ermutigung begleitet und in jeder nur denkbaren Hinsicht gefördert haben. Ihnen widme ich diese Arbeit. Tübingen, im August 2006
Elisabeth Dittrich
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Aktualität des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Besonderheiten des § 266 StGB – tatbestandliche Unbestimmtheit und restriktive Auslegung der Untreuevorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Die Bedeutung des Untreuetatbestandes im modernen Wirtschaftsrecht . . . . . . . 26 II. Das Erfordernis der restriktiven Auslegung des § 266 StGB – die Unbestimmtheit der Untreuevorschrift als verfassungsrechtliches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 C. Das Verhältnis des Untreuetatbestandes zum Zivilrecht – Herleitung einer limitierten Zivilrechtsakzessorietät des Untreuestrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Auslegung von Strafrechtsnormen: Die Einheit der Rechtsordnung und das „ultima ratio“-Prinzip als Grundlagen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konsequenz: Die limitierte Zivilrechtsakzessorietät des Untreuetatbestandes III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Verlauf der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 1 Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
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A. Die Vorstandsvergütung in der Praxis: Elemente und dogmatische Erklärungsversuche für die beobachteten Vergütungspraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Elemente der Vorstandsvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Mögliche Gründe für die beobachteten Vergütungspraktiken – dogmatische Erklärungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 B. Die Vergütungsentscheidung als Teil der Personalkompetenz des Aufsichtsrats I. Die Kompetenz zur Vergütungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Vergütungsentscheidung des Aufsichtsrats als unternehmerische Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilungsmaßstäbe bei Ausübung der Personalkompetenz durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Grenzen der Vergütungsentscheidung: Das Unternehmensinteresse und die Angemessenheit der Gesamtvergütung i. S. d. § 87 I AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung des Unternehmensinteresses bei Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Angemessenheit der Gesamtvergütung i. S. d. § 87 I AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Angemessenheit ausgesuchter Vergütungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80 82 86 87 90 90 99 142
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Inhaltsübersicht
D. Das Verhältnis von Ermessensausübung und Pflichtverletzung im Aktienrecht I. Die Pflichtverletzung i.S.d. §§93 I 1, 116 S.1 AktG – Sorgfaltsmaßstab bei Ausübung der Personalkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das ARAG/Garmenbeck-Urteil des Bundesgerichtshofs – die Inkongruenz von Ermessensfehler und Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Kodifizierung unternehmerischen Leitungsermessens durch den Gesetzgeber – Übernahme der US-amerikanischen Business Judgment Rule ins deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit: Erhebliche aktienrechtliche Pflichtwidrigkeit notwendig . . . . . . . . . . . . . . . .
178 178 179
181 185
Teil 2 Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Festsetzung überhöhter Vorstandsvergütungen A. Der Umfang der Vermögensbetreuungspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei Vergütungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dogmatische Feinheiten ohne kriminalpolitische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Abgrenzung der untreuespezifischen Treuepflicht zur bloßen Schuldnerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Missachtung aktienrechtlicher Vorgaben als untreuespezifische Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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187 188 190 193
B. Die gravierende Pflichtverletzung im Rahmen der Organuntreue – Bedeutung und Reichweite des vom Bundesgerichtshof aufgestellten Erfordernisses . . . . . . . 201 I. Die Eckpunkte der Entscheidung BGHSt 47, 187 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 II. Die Revisionsentscheidung des 3. Strafsenats im Fall Mannesmann . . . . . . . . . . . 224 C. Weitere untreuerechtliche Besonderheiten bei Vergütungsentscheidungen – Einverständnis, Vermögensnachteil und der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit . I. Das Einverständnis der Aktionäre in Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vermögensnachteil und Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
226 226 233 237
Zusammenfassende Darstellung der gefundenen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Aktualität des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Besonderheiten des § 266 StGB – tatbestandliche Unbestimmtheit und restriktive Auslegung der Untreuevorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung des Untreuetatbestandes im modernen Wirtschaftsrecht . . . . . . . II. Das Erfordernis der restriktiven Auslegung des § 266 StGB – die Unbestimmtheit der Untreuevorschrift als verfassungsrechtliches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt: nulla poena sine lege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konsequenzen der Unbestimmtheit – die restriktive Auslegung des Untreueparagraphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Das Verhältnis des Untreuetatbestandes zum Zivilrecht – Herleitung einer limitierten Zivilrechtsakzessorietät des Untreuestrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Auslegung von Strafrechtsnormen: Die Einheit der Rechtsordnung und das „ultima ratio“-Prinzip als Grundlagen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konsequenz: Die limitierte Zivilrechtsakzessorietät des Untreuetatbestandes III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Verlauf der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 1 Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung A. Die Vorstandsvergütung in der Praxis: Elemente und dogmatische Erklärungsversuche für die beobachteten Vergütungspraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Elemente der Vorstandsvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vorstandsvergütung im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Vorstandsvergütung im Deutschen Corporate Governance Kodex . . aa) Entstehung und Rechtsnatur des DCGK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Regelungen des DCGK zur Struktur der Vorstandsvergütung . . . b) Theoretische Grundlagen heutiger Vergütungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Principal-Agent-Theory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Shareholder Value-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Feste Vergütungsbestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Variable Vergütungsbestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Provisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tantiemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stock Option Plans (Aktienoptionspläne) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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38 39 39 41 41 42 43 43 46 48 48 49 49 51
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Inhaltsverzeichnis (1) Die Entwicklung von Aktienoptionsplänen für Führungskräfte (2) Aktienoptionen als Vergütungselement in deutschen Aktiengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stock Options in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Aktienbasierte Vergütungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Stock Appreciation Rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Phantom Stocks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Nicht marktbezogene moderne Anreizsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Nebenleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aufwandsentschädigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige Nebenleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vorstandsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ruhegeldzusagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Appreciation Awards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vorstandsabsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Versicherungsentgelte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Change of control-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesamtvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mögliche Gründe für die beobachteten Vergütungspraktiken – dogmatische Erklärungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Superstar-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die „Bidding War“-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die „Managerial Power“-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Hypothese von der Verkennung des wahren Optionswertes . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Vergütungsentscheidung als Teil der Personalkompetenz des Aufsichtsrats I. Die Kompetenz zur Vergütungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung von Personalausschüssen bei Vorstandsvergütungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammensetzung der Personalausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufsichtsratspräsidium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Vergütungsentscheidung des Aufsichtsrats als unternehmerische Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilungsmaßstäbe bei Ausübung der Personalkompetenz durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ordnungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirtschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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52 54 55 56 56 57 58 59 59 60 60 62 64 66 66 68 70 71 71 74 75 78
82 84 85 86 86 87 88 88 89 89
C. Grenzen der Vergütungsentscheidung: Das Unternehmensinteresse und die Angemessenheit der Gesamtvergütung i. S. d. § 87 I AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 I. Die Bedeutung des Unternehmensinteresses bei Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Die Position der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Inhaltsverzeichnis 2. Die Behandlung des Unternehmensinteresses im Deutschen Corporate Governance Kodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vielgestaltigkeit des Begriffs des Unternehmensinteresses im Schrifttum . . 4. Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konkretisierung des Begriffs des Bestandsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkretisierung des Begriffs des Rentabilitätsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eigene Ansicht: keine eigenständige Bedeutung des Unternehmensinteresses bei Vergütungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Angemessenheit der Gesamtvergütung i. S. d. § 87 I AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck des § 87 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßstäbe für die Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt: Der Marktpreis als maßgebliches Kriterium zur Bestimmung der Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aufgaben des Vorstandsmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lage der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gesamtwirtschaftliche Gegebenheiten, insbesondere Zukunftsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Aktienkurs als zulässiger Anknüpfungspunkt für die Vergütungshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Windfall Profits und Benchmarking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Fehlgehende Incentivierung durch Bindung des Gesamtgehalts an den Aktienkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Bedeutung des Aktienkurses in der Rechtsprechung . . . (d) Voraussetzung: Kausal auf das Management zurückzuführende Sonderentwicklung des Aktienkurses . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Aktionärs- contra Unternehmensinteresse? . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Handhabung des Angemessenheitserfordernisses in der Praxis . . . . . d) Die Rechtsprechung zur angemessenen Vergütung von GesellschafterGeschäftsführern in der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Aussagen des Deutschen Corporate Governance Kodex zur Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die quantitative Begrenzung von Vorstandsvergütung als Vorgabe des § 87 I AktG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Obligatorische Vergütungsobergrenzen de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Optionale Vergütungsobergrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Versuch der weiteren Konkretisierung: Einzelkriterien der Angemessenheit a) Relationale Kriterien: Der Vergleich als Anhaltspunkt für die Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Leistungsfähigkeit funktionaler Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Annahmen über die Anreizwirkung neuartiger Vergütungssysteme bb) Price of the Tournament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis: Konkretisierung der Angemessenheit nur im Einzelfall möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 92 93 94 94 95 97 99 99 100 102 102 104 104 105 105 107 108 109 110 111 112 114 115 116 118 119 120 121 121 121 124 124 127 128
14
Inhaltsverzeichnis 5. Global pay for global executives? Die Anlegung US-amerikanischer Maßstäbe im Rahmen des § 87 I AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Bedürfnis nach internationalen Vergütungsstandards in deutschen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Generelle Übertragbarkeit auf die deutsche Vergütungspraxis? . . . . . . bb) Übertragbarkeit bei konkretem Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Vergleichbarkeit deutscher und US-amerikanischer Vergütungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Vergütungssituation in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Unterschiede in der Unternehmensverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit: Nur vorsichtige Übertragung möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Angemessenheit ausgesuchter Vergütungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Festvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aktienoptionsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Obligatorische Indexierung und Kappung von Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Repricing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hedging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die begrenzte Steuerungsmacht des Aufsichtsrats bei Optionsplänen . . . e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tantiemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abfindungszahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Appreciation Awards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Fall Mannesmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Entscheidung des LG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigene Ansicht zur rechtlichen Bewertung von Appreciation Awards . . . aa) Bestehen eines Zahlungsanlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wortlautauslegung: eher prospektive Ausrichtung des § 87 I AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Telos des § 87 I AktG: nachträgliche Berücksichtigung erbrachter Leistungen möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Berücksichtigung von Leistungen im Rahmen der Vergütungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Nachträgliche Berücksichtigung von Leistungen im Rahmen der Vergütungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Gegenstand der vom Vorstandsmitglied erbrachten Leistung (aa) Aktienkurssteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Verhalten des Managements in Übernahmesituationen (3) Die Anreizwirkung von Appreciation Awards als Zahlungsanlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Anderweitige Rechtfertigung von Appreciation Awards . . . . . . . . bb) Angemessene Höhe der Zahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Zulässigkeit von Zahlungen an bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassende Darstellung der wichtigsten gefundenen Ergebnisse . . .
129 129 130 131 133 133 139 142 142 142 143 144 145 146 147 148 148 150 152 152 153 154 155 156 157 160 160 161 162 168 168 168 169 170 172 173 174 176 177
Inhaltsverzeichnis D. Das Verhältnis von Ermessensausübung und Pflichtverletzung im Aktienrecht I. Die Pflichtverletzung i.S.d. §§93 I 1, 116 S.1 AktG – Sorgfaltsmaßstab bei Ausübung der Personalkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das ARAG/Garmenbeck-Urteil des Bundesgerichtshofs – die Inkongruenz von Ermessensfehler und Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Kodifizierung unternehmerischen Leitungsermessens durch den Gesetzgeber – Übernahme der US-amerikanischen Business Judgment Rule ins deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundaussagen der US-amerikanischen Business Judgment Rule . . . . . . . . . . 2. Kritik an einer Übertragung der Business Judgment Rule nach alter Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kodifizierung der Business Judgment Rule in § 93 I 2 AktG n.F. . . . . . . . IV. Fazit: Erhebliche aktienrechtliche Pflichtwidrigkeit notwendig . . . . . . . . . . . . . . . .
15 178 178 179
181 182 183 185 185
Teil 2 Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Festsetzung überhöhter Vorstandsvergütungen A. Der Umfang der Vermögensbetreuungspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei Vergütungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dogmatische Feinheiten ohne kriminalpolitische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Verhältnis der beiden Untreuealternativen zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuordnung des jeweiligen Aufsichtsratsverhaltens zum Missbrauchs- oder Treubruchstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Abgrenzung der untreuespezifischen Treuepflicht zur bloßen Schuldnerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Missachtung aktienrechtlicher Vorgaben als untreuespezifische Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formelle Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Gebot der Transparenz unternehmerischer Entscheidungen . . . . . . . . . aa) Die Transparenz im Deutschen Corporate Governance Kodex . . . . . . bb) Der Deutsche Corporate Governance Kodex und seine Bedeutung für das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Bedeutung der Transparenz unternehmerischer Entscheidungen im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Beschlussverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vermögensschützender Charakter der vom Aufsichtsrat zu beachtenden formellen Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vermögensschützender Charakter materieller Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Angemessenheit der Gesamtvergütung i. S. d. § 87 I 1 AktG unter Berücksichtigung strafrechtlicher Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Übernahme der gesellschaftsrechtlichen Kriterien als Ausdruck negativer Zivilrechtsakzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187
187 188 188 188 190 193 193 193 194 194 194 195 196 197 197 198 198 199 199
16
Inhaltsverzeichnis bb) Der Verzicht auf eine normative Korrektur des Marktpreises im Strafrecht als Ausdruck limitierter Zivilrechtsakzessorietät . . . . . . . . . . . . . . 199 cc) Subsumtion unangemessener Vorstandsvergütungen unter den Untreuetatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
B. Die gravierende Pflichtverletzung im Rahmen der Organuntreue – Bedeutung und Reichweite des vom Bundesgerichtshof aufgestellten Erfordernisses . . . . . . . I. Die Eckpunkte der Entscheidung BGHSt 47, 187 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Analyse der Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslegung nach der vom Bundesgerichtshof verwendeten Begrifflichkeit b) Auslegung nach dem Telos der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliche Sinnhaftigkeit einer normativen Beschränkung der Organuntreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die mögliche dogmatische Herleitung einer normativen Beschränkung – der Grundsatz der restriktiven Auslegung im Strafrecht . . . . . (1) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . (2) Kriterien restriktiver Auslegung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen einer untreuespezifischen Erheblichkeitsgrenze: Das Gesellschaftsrecht als hinreichendes Mittel zur Beschränkung der Organuntreue . . . . . . . . . a) Übertragbarkeit des Haftungsmaßstabs der §§ 93 I, II, 116 S. 1 AktG auf § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „gravierende Pflichtverletzung“ im Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . c) Kongruenz von strafrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Unvertretbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Kriterien des Bundesgerichtshofs zur Konkretisierung der gravierenden Pflichtverletzung: Wiederholung der gesellschaftsrechtlichen Kriterien zur Spendenvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Dogmatik zum Risikogeschäft – Argument für eine untreuespezifische Erheblichkeitsgrenze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit: Kongruenz von strafrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Erheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Bedeutung der vom Bundesgerichtshof genannten Kriterien für das Vorliegen einer gravierenden Pflichtverletzung bei Vorstandsvergütungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmensinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nähe zum Unternehmensgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage . . . . d) Fehlende innerbetriebliche Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vorliegen sachwidriger Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Umfang der Erheblichkeit – die „jedenfalls-conclusio“ des 1. Strafsenats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Revisionsentscheidung des 3. Strafsenats im Fall Mannesmann . . . . . . . . . . .
201 202 203 203 204 204 207 207 208 209 210 210 211 211
213 215 217
218 218 219 220 220 222 223 224
C. Weitere untreuerechtliche Besonderheiten bei Vergütungsentscheidungen – Einverständnis, Vermögensnachteil und der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit . . . . . 226 I. Das Einverständnis der Aktionäre in Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
Inhaltsverzeichnis
17
1. Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Einverständnis der Aktionäre in Vorstandshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übertragbarkeit auf die Vorstandsvergütungskompetenz des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anforderungen an ein wirksames Einverständnis – Umfang der Zustimmung II. Vermögensnachteil und Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
227 227 229 231 233 237
Zusammenfassende Darstellung der gefundenen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
Abkürzungsverzeichnis AG AG AktG AnwBl BB BGB BGBl BGH BGHSt BGHZ BVerfG BVerfGE CEO CFO Colum. L. Rev. Cornell L. Rev. d.h. DB DCGK D & O-Versicherung Del. J. Corp. L. DJZ DStR DSW FS GA GG GmbH GmbHG GmbHR GS Harv. J. on Legis. HGB h.M. i.R.d. i.S.d. JA JZ NJW
Aktiengesellschaft Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Aktiengesetz Anwaltsblatt (Zeitschrift) Der Betrieb-Berater (Zeitschrift) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Chief Executive Officer Chief Financial Officer Columbia Law Review (US-Zeitschrift) Cornell Law Review (US-Zeitschrift) das heißt Der Betrieb (Zeitschrift) Deutscher Corporate Governance Kodex Director’s and Officer’s - Versicherung Delaware Journal of Corporate Law (US-Zeitschrift) Deutsche Juristenzeitung (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift) Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gedächtnisschrift Harvard Journal on Legislation (US-Zeitschrift) Handelsgesetzbuch herrschende Meinung im Rahmen des im Sinne des Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)
Abkürzungsverzeichnis NStZ NZG RG RGBl RGSt RGZ Rn. Rutgers L. Rev. StGB U. Chi. L. Rev UCLA L.R. USA Vgl. Wash. U.L.Q wistra WM WpÜG WpHG ZGR ZHR ZIP ZStW
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Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer Rutgers Law Review (US-Zeitschrift) Strafgesetzbuch University of Chicago Law Review (US-Zeitschrift) University of California Law Review (US-Zeitschrift) United States of America vergleiche Washington University Law Quarterly (US-Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht) Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wertpapierhandelsgesetz Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
Einleitung „Der Aufsichtsrat ist […] nicht befugt, Geschenke aus der Kasse der Gesellschaft zu zahlen.“ 1 „Das Strafrecht muss als Lösungsansatz für jeden nur erdenklichen gesellschaftlichen Konflikt herhalten. […] Große Prozesse gegen Wirtschaftsmänner der Bundesrepublik dokumentieren, zu welchen Interpretationen die Justiz selbst beim altehrwürdigen Untreuetatbestand fähig ist, wenn sie – unterstützt von Volkes Stimme – einen anrüchigen wirtschaftlichen Vorgang missbilligt.“ 2
A. Aktualität des Themas Gesellschaftspolitische wie gesellschaftsrechtliche Kritik an Organisation und Besetzung des Aufsichtsrats ist nicht neu 3. Vor allem in den vergangenen Monaten ist es aber vermehrt zu Aufsichtsratsentscheidungen bei Aktiengesellschaften gekommen, die nicht nur gesellschaftspolitisch in die Kritik geraten sind, sondern in den Augen der Strafverfolgungsbehörden zumindest den Anfangsverdacht strafrechtlicher Relevanz nahe legten 4. Grund für diesen in letzter Zeit häufiger zu beobachtenden „Griff zur Pönalisierung“ 5 mag einerseits eine immer noch steigende Welle der Kriminalisierung des Wirtschaftslebens 6, andererseits aber auch die Mehrung eines Organverhaltens innerhalb der Aktiengesellschaft sein, welches allgemein als Missmanagement bezeichnet und immer wieder auf die mangelnde Kontrolle durch den Aufsichtsrat als solchen, Informationsdefizite sowie fehlenden Sachverstand der Mitglieder des Aufsichtsrats zurückgeführt wird7. 1 Lutter/Zöllner, „Die Mannesmann-Prämien durften nicht gezahlt werden“, FAZ Nr. 34 v. 10. Februar 2004, S. 12. 2 Sommer, AnwBl 2004, S. 556. 3 Bereits Walther Rathenau bemerkte zur Verteidigung der Aufsichtseinrichtung Anfang des 20. Jahrhunderts, dass bzgl. deren Wesen und Handhabung nicht schlechthin ein Mißstand zu beklagen sei, vgl. Rathenau, Vom Aktienwesen, 1918, S. 20. 4 Aktuellster Fall ist derjenige der Mannheimer AG Holding v. Ende September 2003, vgl. hierzu Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (311 f.). Ins Visier der Justiz gerieten in den letzten Jahren auch Verfehlungen von Aufsichtsratsmitgliedern beim Automobilhersteller Opel, vgl. FAZ v. 12. Juli 1995, S. 13, 15; vgl. auch Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S. 727. 5 Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909 (914). 6 Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S. 727. 7 Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 15 m. w. N. Ähnlich Thümmel, AG 2004, S. 83.
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Einleitung
Im Mittelpunkt der Kritik in Presse 8 und gesellschafts- 9 wie strafrechtlicher 10 Literatur stehen dabei immer häufiger Entscheidungen des Aufsichtsrates bzw. seiner hierfür zuständigen Ausschüsse, die im Rahmen seiner sog. Personalkompetenz getroffen werden; genauer: Entscheidungen des Aufsichtsrates, die Vorstandsvergütungen betreffen. Ausgangspunkt der vorrangig gesellschaftspolitischen Empörung ist dabei vor allem die (Rekord-) Höhe der vom Aufsichtsrat bewilligten Vorstandsvergütungen, die auch 11 in Deutschland Einzug gehalten zu haben scheinen12. Bereits im Jahr 2000 ließ sich beobachten, dass die Anzahl der Unternehmen, die ihren Vorstandsmitgliedern ein- oder zweistellige Millionenbeträge zukommen lassen, immer größer wird 13. Zwar ist die durchschnittliche Vergütung pro Vorstand für 2004 bei einigen führenden DAX30 Unternehmen im Verhältnis zu 2003 wieder leicht gesunken, etwa bei der Deutschen Bank von 3,7 Millionen Euro in 2003 auf 3,03 Millionen Euro im Jahr 2004 oder bei DaimlerChrysler von 2,9 Millionen Euro in 2003 auf 2,6 Millionen Euro im Jahr 200414. Insgesamt aber lag die durschnittliche Vergütung pro Vorstand im Jahr 2004 mit 1,59 Millionen Euro deutlich über derjenigen des Jahres 2003 mit 1,47 Millionen Euro15 – der Trend zu steigenden Vergütungen hält demnach an 16. Der entscheidende Treiber der teilweise astronomiFAZ Nr. 225 v. 27. September 2003, S. 11; Der Spiegel Nr. 7 v. 09. Februar 2004, S. 76 f. Brauer, NZG 2004, S.502 ff.; Spindler, DStR 2004, S.36 ff.; Thüsing, ZGR 2003, S.457 ff.; Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 ff.; Lutter/Zöllner, Die Mannesmann-Prämien durften nicht gezahlt werden, FAZ Nr. 34 v. 10.02.2004, S. 12. 10 Hierzu jüngst Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 ff.; Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 ff.; Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 ff.; Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 1 ff. 11 In den USA, die immer noch weltweiter Rekordhalter bezüglich der absoluten Höhe der Vorstandsgehälter sind, ist das Problem unter dem Stichwort der „american disease“ schon länger bekannt. So verdiente beispielsweise der damalige CityGroup Chef John Reed im Jahr 2000 insgesamt 293 US-Dollar, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 23. Die durschnittliche Vorstandsvergütung in den USA betrug im Jahr 2002 9,4 Millionen US-Dollar, vgl. Hall/ Murphy, The Trouble with Stock Options, in: Journal of Economic Perspectives, Volume 17, Number 3, Summer 2003, S. 49 (51). Näher zur Situation in den USA unten Teil 1, C.II.5.b). 12 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295, spricht von „astronomischen Höhen“ der Vergütungssummen in deutschen Aktiengesellschaften. 13 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 23, unter Verweis auf die Vergütung für den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Rolf Breuer, dessen Gehalt im Jahr 1999 auf 16,4 Millionen DM geschätzt wurde. Ein weiteres Beispiel für die immer stärker bemängelte Differenz zwischen Wirtschaftslage und Managementvergütung lieferte damals die Deutsche Telekom AG, die die Gehälter ihrer Vorstände im Jahr 2000 um mehr als 50 % erhöhte, „während der Ertrag gleichzeitig dramatisch sank und die Gesellschaft einen Jahresverlust von 3 Milliarden DM ausweisen musste“, vgl. Lutter, ZIP 2003, S. 737 (740), und Adams, ZIP 2002, S. 1325 (1330). 14 Vgl. DSW-Studie zur Vorstandsvergütung, Pressekonferenz v. 20. September 2005, Stand Juni 2006, abrufbar im Internet unter http://www.dsw-info.de/Vorstandsverguetung_2005. 570.0.html bzw. http://www.dsw-info.de/uploads/media/Tabelle_01.pdf. 15 DSW-Studie zur Vorstandsvergütung, Pressekonferenz v. 20. September 2005, Stand Juni 2006, abrufbar im Internet unter http://www.dsw-info.de/uploads/media/Tabelle_01.pdf. 16 So konnte sich die Chefetage des Sportartikelherstellers Adidas über einen Gehaltssprung von knapp 89 Prozent freuen (von 0,9 Millionen Euro im Jahr 2003 auf 1,7 Millionen Euro in 8 9
A. Aktualität des Themas
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schen Vergütungssummen im In- und Ausland sind dabei vornehmlich Aktienoptionsprogramme als Teil moderner Vergütungssysteme 17, die vorliegend eingehend zu untersuchen sein werden. Für das Jahr 2004 wurden Szenarien zu Vorstandsgehältern in deutschen Aktiengesellschaften von rund 294 Millionen e Nettogewinn nur aus Optionsvergütungen vorgestellt 18. Nicht zuletzt die zunehmende (kritische) Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit 19 veranlasste den Gesetzgeber noch im Jahr 2005 zur Verabschiedung des „Vorstandsvergütungsoffenlegungsgesetzes“ (VorstOG) 20, welches seit dem 3. August 2005 in Kraft ist und erstmals für die Geschäftsberichte des Jahres 2006 wirksam wird 21. Auslöser der noch immer anhaltenden Diskussion um Vorstandsvergütung war dabei vorrangig ein erstinstanzlich vor dem Landgericht Düsseldorf verhandelter Fall enorm hoher Vergütungssummen, der Justiz und Medien – national wie international – in bisher nicht gekanntem Maße beschäftigt, und mit dem sich im Dezember 2005 auch der Bundesgerichtshof im Rahmen einer Revisionsentscheidung befasst hat. Die Rede ist vom sog. Mannesmann-Prozess, dem wohl „spektakulärsten Wirtschaftsstrafprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte“ 22. Angeklagt wegen Untreue bzw. Teilnahme an der Untreue waren insgesamt sechs ehemalige Beschäftigte der Mannesmann AG; vier dieser Angeklagten waren im Zeitpunkt der vorgeworfenen Handlungen Mitglieder des Aufsichtsrats der Mannesmann AG. Die An2004). Auch die Vorstandsgehälter von Thyssen-Krupp stiegen von 0,9 Millionen Euro im Jahr 2003 auf 1,5 Millionen Euro in 2004 um rund 60 Prozent an, vgl. DSW, Studie zur Vorstandsvergütung, Pressekonferenz v. 20. September 2005, Stand Juni 2006, abrufbar im Internet unter http://www.dsw-info.de/Vorstandsverguetung_2005.570.0.html. 17 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (341, 350): „In der Geschichte der Bundesrepublik hat es niemals auch nur annähernd so hohe Vergütungen für Vorstände gegeben, wie sie durch die gegenwärtig laufenden Aktienoptionsprogramme ausgeworfen werden“; vgl. für die USA auch Hall/Murphy, The Trouble with Stock Options, in: Journal of Economic Perspectives, Volume 17, Number 3, Summer 2003, S. 49 ff. 18 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (306), der diesen Betrag unter der Prämisse eines wie im Fall Mannesmann gegebenen Kursanstiegs von 230 % und einem angenommenen Anteil von 20 % an den Vorstandsoptionen aus dem Optionsprogramm für den damaligen Vorstandsvorsitzenden der DaimlerChrysler AG errechnet hat. 19 Im Vordergrund des Gesetzesvorhabens stand allerdings das Versäumnis vieler Unternehmen, der Mitte 2005 auslaufenden „Galgenfrist“ zur Veröffentlichung individualisierter Vorstandsgehälter nach den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, die Bundesjustizministerin Zypries den Unternehmen eingeräumt hatte, rechtzeitig nachzukommen. 20 BGBl. I S. 2267. 21 Zum VorstOG vgl. Baums, ZHR 169 (2005), S. 299 ff.; Leuering/Simon, NZG 2005, S. 945 ff. Zur Kritik an den neuen Regelungen, insbesondere an der sog. „opting-out“-Klausel, nach der mit der Zustimmung von 75 % der auf der Hauptversammlung vertretenen Aktien auf die Offenlegung verzichtet werden kann, vgl. auch die Pressekonferenz der DSW vom 20. September 2005, Studie zur Vorstandsvergütung, Stand Juni 2006, abrufbar im Internet unter http://www.dsw-info.de/vorstandsverguetung_2005.570.0.html. 22 Rönnau, NStZ 2006, S. 218; für die Presse vgl. Handelsblatt Nr. 65 v. 01. April 2004, S. 2; Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 38 v. 21. September 2003, S. 43; Die Zeit Nr. 4 v. 15. Januar 2004, S. 22.
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Einleitung
klage gegen diese vier ehemaligen Aufsichtsratsmitglieder lautete auf täterschaftliche Untreue im besonders schweren Fall 23. Das Novum dieses Prozesses lag nicht nur in der enormen Höhe der im Zusammenhang des Übernahmevorganges mit der britischen Mobilfunkfirma Vodafone AirTouch u. a. in Form von Boni und Pensionszahlungen geflossenen Geldsummen – es ging um einen zweistelligen Euro-Millionenbetrag – oder in dem illustren Kreis der Angeklagten, die fast allesamt zur nationalen Wirtschaftselite zu zählen sind bzw. waren. Neu war im Fall Mannesmann auch, dass erstmals ein Gericht – wenn auch im Fall Mannesmann nur inzidenter, nämlich im Rahmen der untreuespezifischen Pflichtverletzung – über die Angemessenheit von vom Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft bewilligten Vorstandsvergütungen zu entscheiden hatte 24. Aus strafrechtlicher Sicht bemerkenswert ist dabei, dass die oben angesprochenen Managementfehler nicht in erster Linie der Geschäftsleitung angelastet wurden und die Rolle der Aufsichtsratsmitglieder sich in einer nachträglichen Beteiligung i. S. e. Unterlassungsstrafbarkeit erschöpfte 25; vielmehr stand das Verhalten des für die Zahlungen zuständigen Aufsichtsratsausschusses im konkreten Fall im Fokus der Untersuchungen, während das Verhalten des Vorstandsvorsitzenden als eigentlich Begünstigtem von der Staatsanwaltschaft nur als Teilnahme qualifiziert wurde 26. Hauptgegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs war damit im Fall Mannesmann die konkrete Ausübung der Personalkompetenz durch den Aufsichtsrat bzw. durch seine Ausschüsse im Rahmen einer Vorstandsvergütungsentscheidung. Die besonderen Probleme, die die Festsetzung hoher und etwaig gar überhöhter Vorstandsvergütungen durch den Aufsichtsrat sowohl in gesellschaftsrechtlicher wie in strafrechtlicher Dimension beinhaltet, sollen vorliegend vor dem Hintergrund beider Rechtsgebiete näher untersucht werden. Dabei haben ethische Bedenken und spontane Entrüstung, welche in der lebhaften und stellenweise hochgradig polarisierten Diskussion um die angemessene Höhe von Vergütungszusagen an Führungskräfte allzu oft zu beobachten sind, vollständig außer Acht zu bleiben 27; Gegenstand der folgenden Untersuchung ist allein die rechtliche Bewertung von Vorstandsvergütungsentscheidungen. 23 Vgl. die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Düsseldorf v. 25. Februar 2003, nachzulesen bei Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S.2. Das Landgericht Düsseldorf hat am 22. Juli 2004 alle Angeklagten freigesprochen – der Bundesgerichtshof hat auf die unmittelbar nach der Urteilsverkündung eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft am 21. Dezember 2005 die Freisprüche aufgehoben und die Entscheidung zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen, vgl. hierzu ausführlich unten Teil 1, C.III.5.a)bb) und cc). 24 Vgl. Thüsing, ZGR 2003, 457 (460) – Fallmaterial, das Ausführungen zur angemessenen Vergütung enthält, existiert bisher allein in Bezug auf das Problem der Abgrenzung zwischen GmbH - Geschäftsführergehalt und verdeckter Gewinnausschüttung; vgl. auch Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113. 25 Zu dieser Problematik ausführlich Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 101 ff. 26 Näher zum Sachverhalt Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 2 ff.; Adams, in: FS von Weizsäkker, 2003, 295 (296 ff.); LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 ff. = NJW 2004, S. 3275 ff. 27 Vgl. auch die Anmerkung von Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 19: „Es geht nicht um frömmelndes Verhalten“.
B. Besonderheiten des § 266 StGB
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B. Besonderheiten des § 266 StGB – tatbestandliche Unbestimmtheit und restriktive Auslegung der Untreuevorschrift Neben der aktienrechtlichen Komplexität des Themas bereitet bei der strafrechtlichen Einordnung solcher Fälle unter den bei solchen Konstellationen vorrangig in Betracht kommenden 28 Untreueparagraphen 29 primär die Vorschrift selbst Schwierigkeiten. Weil die Norm weder eine Beschreibung der Verletzungshandlung noch eine über das Merkmal der Vermögensbetreuungspflichtigkeit hinausgehende Beschränkung des Täterkreises enthält 30, ist sie aus sich heraus letztlich nichts sagend31 und erfordert für die Ausfüllung ihrer Tatbestandsmerkmale Rückgriffe auf außerstrafrechtliche Regelungen, speziell bei der vorliegenden Thematik Rückgriffe auf das Gesellschaftsrecht 32. Dieser auch als Zivilrechtsakzessorietät 33 bezeichnete Zusammenhang der Untreuevorschrift mit der zivilrechtlichen Ausgestaltung, die in der Regel die Handlungsmöglichkeiten und damit den Herrschaftsumfang des Normadressaten bestimmt 34, trägt dabei nicht selten wenig zur Bestimmtheit des Tatbestandes bei 35. Eine vertiefte gesellschaftspolitische und verfassungsrechtliche Auseinandersetzung würde freilich den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen; zum Zwecke des besseren Verständnisses der aufgegriffenen Problematik werden Ausführungen zur besonderen Bedeutung des Untreuetatbestandes im heutigen Wirtschaftsstrafrecht sowie zu den häufig geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken in Bezug auf § 266 StGB allerdings als unerlässlich betrachtet.
28 § 299 StGB, an den in gewissen Konstellationen grundsätzlich auch zu denken ist, wird wegen des Erfordernisses der Bestechlichkeit bzw. der Bestechung weitaus seltener vorliegen. 29 Vgl. Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634: „§ 266 StGB passt immer“. 30 Kargl, ZStW 113 (2001), S. 565 (589); Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634 (641). 31 Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634 (644); ähnlich Matt, NJW 2005, S. 389. 32 Zu den Folgen der Unbestimmtheit insbesondere im wirtschaftsrechtlichen Bereich Seier, Die Untreue als Allzweckwaffe, 2004, S. 105; allgemein zur Problematik des Untreueparagraphen siehe II. 33 Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 32 ff.; Cramer, Vermögensbegriff, 1968, S. 77 f.; Eisele, GA 2001, S. 377 f.; Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 18. 34 Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 23. 35 Seier, Die Untreue als Allzweckwaffe, 2004, S. 105 (110); ähnlich, aber zuversichtlicher Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634 (644), der darauf verweist, dass die Akzessorietät kein Problem der Unbestimmtheit sei, sondern vielmehr ein „Suchprogramm“ beschreibt, da „klar ist, dass (scil. in den Tatbestandsmerkmalen „Vermögensbetreuungspflicht“ bzw. „Missbrauch“) auf spezifische Regeln aus dem jeweiligen Lebensbereich verwiesen wird.“
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Einleitung
I. Die Bedeutung des Untreuetatbestandes im modernen Wirtschaftsrecht Die Untreue ist nach der Definition von Sutherland 36 ein echtes Wirtschaftsdelikt, begangen vom Angehörigen einer hohen sozialen Schicht im Rahmen seines Berufes (sog. white-collar-crime 37). Der Untreuetatbestand ist – und das verdeutlichen nicht zuletzt die oben genannten Verfahren jüngster Zeit – zum typischen Wirtschaftsverbrechen unserer Zeit geworden 38. Dieser Umstand kann vornehmlich mit der unten noch näher zu konkretisierenden Flexibilität und Reichweite der Untreue begründet werden 39. §266 StGB hat Einzug in alle Lebensbereiche gehalten; zu nennen sind primär Wirtschaft, Politik, Sport und Haushaltsrecht. Dem Grunde nach wird jeder, der fremde Geschäfte zu besorgen und mit fremdem Vermögen umzugehen hat, gewissermaßen im Grenzbereich der Untreue tätig und ist nicht davor gefeit, mit einem Untreueverfahren überzogen zu werden 40. Die heute exemplarische Ausprägung des Untreuetatbestandes ist dabei die in der vorliegenden Arbeit näher untersuchte Organuntreue, die ihren Ursprung in dem Empfinden des Amtes des Organs hat. Dieses ist geprägt durch das für die Wirtschaftsstruktur der entwickelten Industriegesellschaft typische Auseinanderfallen von Anteilseignerstellung und Vermögensverwaltung 41, durch das gigantische Wachstum der Wirtschaftsgüter sowie durch die Binnen- und Außenkommunikation, Aspekte, die allesamt für die Gesamtkomplexität der Wirtschaftsvorgänge stehen und die Unmöglichkeit einer engmaschigen Kontrolle aufzeigen, und die, wie Schünemann es ausdrückt, wegen „der weitgehenden Abbildung aller gesellschaftlichen Werte in der homogenen Ertragskategorie des Geldes“ vielfach dazu führen, dass die Organstellung als eine Pfründe wahrgenommen wird, die der Ausbeutung zugänglich ist 42. Anknüpfungspunkt für diese Schlüsselstellung der Untreue in der heutigen Industriegesellschaft ist dabei weniger die Kriminalstatistik, die für 2002 knapp 12.000 Untreuefälle und damit weitaus geringere Zahlen als die Statistik für den Betrug, §263 StGB 43, aufweist, sondern vielmehr die qualitative Dimension der Untreue, die sich vom ebenfalls bedeutenden Wirtschaftsdelikt des BeSutherland, White Collar Crime, 1949, S. 9. Sutherland prägte den Begriff 1939 in einem Vortrag vor der American Sociological Society. 38 Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 7; vgl. auch Rönnau/Höhn, NStZ 2004, S. 113. 39 Vgl. das Zitat von Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634: „§ 266 passt immer“. 40 Seier, Die Untreue als Allzweckwaffe, 2004, S. 105 (106). 41 Dieser Gesichtspunkt ist entscheidend und modellhaft ausgeprägt in der vorliegend allein interessierenden Aktiengesellschaft, vgl. auch Lutter, ZIP 2003, S. 737, der auf die Trennung von mittelbarem Eigentum der Aktionäre am Unternehmen und der Verfügungsbefugnis des Managements hinweist. 42 Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 7. 43 Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 9. 36 37
B. Besonderheiten des § 266 StGB
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truges primär in der enormen Höhe der Schadenssummen, die mittelwertig bei etwa 170.000 e 44 liegen, grundlegend unterscheidet 45.
II. Das Erfordernis der restriktiven Auslegung des § 266 StGB – die Unbestimmtheit der Untreuevorschrift als verfassungsrechtliches Problem „Sofern nicht einer der klassischen alten Fälle der Untreue vorliegt, weiß kein Gericht und keine Anklagebehörde, ob § 266 StGB vorliegt oder nicht“. 46 In einem aktuellen Aufsatz spricht Seier von der Untreue als Allzweckwaffe, „einer Norm von kaum zu überbietender Vagheit und Konturenlosigkeit“ 47, Schünemann kennzeichnete 1998 den Untreueparagraphen als „dunkelstes und verworrenstes Kapitel des Besonderen Teils“ 48; der Wirtschaftswissenschaftler Michael Adams bezeichnet den Tatbestand gar als eine „rechtsstaatliche Katastrophe“ 49. Neben der Sorge um einen allzu freizügigen Umgang mit der Vorschrift 50 ist Hauptgegenstand der Kritik die bereits oben kurz angesprochene tatbestandliche Unbestimmtheit des § 266 StGB, der in der jetzigen Fassung seit 1933 gilt und in der Nazizeit bewusst unpräzise formuliert worden ist 51. Zwar ist die Verfassungsmäßigkeit des § 266 StGB 44 Dies ist das fast 50-fache des Mittelwertes der Schadenssummen beim Betrug, der bei etwa 3500 e liegt, vgl. Seier, Die Untreue als Allzweckwaffe, 2004, S. 105 (106). 45 Exemplarisch kann bzgl. der enormen Schadenssummen bei der Untreue hier wieder auf den schon eingangs erwähnten Fall Mannesmann verwiesen werden, bei dem die Betreffenden im Verdacht standen, durch die Bewilligung überhöhter Vorstandsvergütungen insgesamt ca. 112 Mio. DM (ca.55 Mio. Euro) veruntreut zu haben, vgl.u. a. der Spiegel Nr. 15 v. 05. April 2004, S. 52. 46 H. Mayer, Materialien zur Strafrechtsreform, Band 1, 1954, S. 333 (337). 47 Seier, Die Untreue als Allzweckwaffe, 2004, S. 105. 48 Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 1; ders., Organuntreue, 2004, S. 10; ders., NStZ 2005, S. 473, dort allerdings mit dem Hinweis, die Formulierung sei ein rhetorischer Kunstgriff, „um die anschließend zu proklamierende Aufklärung und Entwirrung um so markanter hervortreten zu lassen“. 49 Handelsblatt Nr. 65 v. 01. April 2004, S. 2. 50 Matt zeigte sich diesbezüglich jüngst besorgt über eine „Tendenz […], nahezu jeden als ‚unangemessen‘ empfundenen Umgang mit Geld und Vermögen durch Verantwortliche aus Wirtschaft, Verwaltung oder Politik in den Bereich des Untreuetatbestands zu rücken“, vgl. Matt, NJW 2005, S. 389 (390). Ähnlich Saliger, ZStW 112 (2000), S. 563 ff. 51 § 266 StGB wurde im Rahmen des sog. Ermächtigungsgesetzes (Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich) in einem Akt der autoritären Gesetzgebung in der Frühzeit des nationalsozialistischen Staates am 26. Mai 1933 erlassen, vgl. RGBl. 1933, Teil I, S. 295 (297). Vgl. auch Seier, Die Untreue als Allzweckwaffe, 2004, S. 105. Schünemann weist allerdings zutreffend darauf hin, dass die Vorschrift zumindest nicht wesentlich von nationalsozialistischem Gedankengut geprägt wurde, da sie von schon vorher im Reichsjustizministerium tätigen Beamten durch reine Kombination der vornationalsozialistischen Konzeption zur Miss-
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Einleitung
weitgehend 52 anerkannt 53; da die verfassungsrechtlichen Bedenken jedoch von entscheidender Bedeutung für den Umgang mit der Untreuevorschrift in der vorliegenden Arbeit sind 54, sollen die wesentlichen Argumente in der gebotenen Kürze dargelegt werden. 1. Ausgangspunkt: nulla poena sine lege Das in Art. 103 II GG, § 1 StGB niedergelegte Gesetzlichkeitsprinzip inkorporiert das Fundamentalprinzip des deutschen Strafrechts55. § 1 StGB umfasst die Grundsätze nullum crimen sine lege sowie nulla poena sine lege; enthalten ist u. a. die für den Umgang mit der Untreuevorschrift wesentliche verfassungsrechtliche Garantie der gesetzlichen Bestimmtheit (Art. 103 II GG) 56. Diese besagt, dass sich das Strafrecht auf Gesetze zu beschränken hat, die alles unter Strafe verbotene Verhalten und die jeweils angedrohte Strafe so konkret umschreiben, dass Strafbarkeit und Anwendungsbereich der Tatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (sog. Gebot der lex certa) 57. Verbindliche Mindestforderung des Art. 103 II GG ist damit die grundsätzliche Interpretierbarkeit einer Norm 58. Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des § 266 StGB mit diesem Grundsatz lässt primär der Treubruchstatbestand, § 266 I, 2. Alt., aufkommen, dem weder eine tatbestandliche Verletzungshandlung, noch eine direkte Beschreibung jener speziellen Personengruppe zu entnehmen ist, die allein für die Begehung dieses Sonderdelikts in Betracht kommen soll 59. Die Ausfüllungsbedürftigkeit sowohl des extrem normativen Merkmals der Vermögensfürsorgepflicht („Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen“) als auch der zu einer Verletzung dieser Vermögensfürsorgepflicht brauchs- und Treubruchsuntreue ausgearbeitet worden ist, vgl. Schünemann, NStZ 2005, S.473 (475). 52 Anders Labsch, Untreue (§ 266 StGB), 1983, S. 177 ff., 202, sowie Kargl, ZStW 113 (2001), S. 565 (589 f.), die wegen der Unvereinbarkeit des § 266 I, 2. Alt StGB mit Art. 103 II GG zum Ergebnis der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift gelangen. 53 Vgl. Bringewat, GA 1973, S. 353 (359); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 12 a. E.; § 15 I 3 a. E.; Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 29 ff.; Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rn. 5. 54 Vgl. insbesondere unten Teil 2, B.I.1.b). 55 Vgl. nur Schünemann, Nulla poena sine lege?, 1978, S. 1. 56 § 1 StGB bindet allerdings unmittelbar nur den Richter mit der Folge, dass der Gesetzgeber § 1 StGB aufheben könnte. Dies verhindert die Verfassung, indem sie Letzteren über Art.20 III GG auf die Grundsätze des Art.103 II GG verpflichtet. Vgl. hierzu prägnant Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 9 Rn. 2: „Art. 103 II GG enthält die verfassungsrechtliche Grundnorm für die Ausgestaltung des materiellen Strafrechts (durch den Gesetzgeber) und die Anwenung des materiellen Strafrechts (durch den Richter)“. 57 BVerfGE 47, 109 (120); 71, 108 (114); 87, 209 (223 f.); ausführlich Schünemann, Nulla poena sine lege?, 1978, S. 1; Knauer, NStZ 2002, S. 399 (401). 58 Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634 (641). 59 Bringewat, GA 1973, S. 353 (359); Labsch, Untreue, 1983, S. 190; Kargl, ZStW 113 (2001), S. 565 (589); Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634 (641).
B. Besonderheiten des § 266 StGB
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führenden Tathandlung (untreuespezifische Pflichtverletzung) im Rahmen des Treubruchstatbestands steht in einem häufig beklagten 60 Spannungsverhältnis zum Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes 61, welches schon die Verfasser der Vorschrift erkannt und eingeräumt haben 62. In einem aktuellen Aufsatz zur Untreuekonzeption spricht Kargl gar von einer „in Wort und Interpretation entfesselten“ Treubruchsalternative, die „mit den gewollten Unklarheiten ‚Treueverhältnis‘ sowie ‚Wahrnehmen‘ von ‚Vermögensinteressen‘ […] nicht einmal herabgeminderten Ansprüchen an den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG“ genüge 63. Die Restriktionsversuche des Reichsgerichts, welches drei Kriterien nennt, die die Pflicht zur Wahrung fremder Vermögensinteressen begrenzen sollen (Vermögensbetreuung als Hauptpflicht; Selbständigkeit des Treupflichtigen; Umfang und Dauer der Treupflicht) 64 erleichtern zwar die verfassungskonforme Handhabung der Norm, können aber letztlich keinen Einfluss auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit haben, da es, wie Schünemann zutreffend bemerkt, „geradezu widersinnig“ wäre, „den Verstoß des Gesetzgebers gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen wegen irgendeiner späteren Judikatur verneinen zu wollen“ 65. Dies muss auch für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bestimmtheitsgebot gelten, die neuerdings darauf abhebt, dass Art. 103 II GG die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Strafens dadurch gewährleisten soll, dass in Grenzfällen das Risiko der Strafbarkeit nach dem Gesetz und seiner richterlichen Auslegung erkennbar werde, und die aufgrund dieses sehr weiten Verständnisses des „lex certa“-Gebots zumindest inzidenter relativ unproblematisch zum Ergebnis der Verfassungsmäßigkeit des § 266 I, 2. Alt gelangt 66. Entscheidendes Argument für die Vereinbarkeit des § 266 I, 2. Alt. mit dem Grundgesetz ist vielmehr die von Schünemann vorgenommene Einordnung 60 Grundlegend hierzu H. Mayer, Die Untreue, 1954, S. 336 f.; Weber, in: Arzt/Weber, Strafrecht Besonderer Teil, § 22 Rn. 67; Kindhäuser, in: FS Lampe, 2003, S. 709 (712). Vgl. auch Labsch, Untreue, 1983, S. 202, Kargl, ZStW 113 (2001), S. 565 (589 f.), die § 266 I, 2. Alt. sogar als verfassungswidrig ansehen, vgl. auch Fn. 52. 61 Bei der Einführung des § 266 n.F. im Mai 1933 galt Art. 103 II GG freilich noch nicht. 62 Vgl. Schäfer, DJZ 1933, S. 789 (794 f.): „Diese Fassung (scil. des 266 StrGB) geht zweifellos sehr weit“. 63 Kargl, ZStW 113 (2001), S. 565 (589), der weiter ausführt, dass bei der Treubruchsalternative „das gesetzgeberische Anliegen, Begrenzungsmöglichkeiten auszuschließen, […] so perfekt ins Werk gesetzt worden (scil. ist), dass die sonst übliche Notoperation der teleologischen Umfrisierung von Gesetzestexten beim Wort ‚Treueverhältnis‘ nicht gelingen mag und man sich deshalb entschließen musste, dieses Tatbestandsmerkmal als nicht existent zu behandeln“. 64 RGSt 69, 58 (61 f.). Das Reichsgericht führt hierzu aber auf S.62 der Entscheidung weiter aus, dass es „mit alledem freilich […] nicht gelungen (scil. sei), eine eindeutige, alle Fälle treffende Grenze zu ziehen“, so dass „der Richter schließlich nach seinem vernünftigen Ermessen zu entscheiden“ habe. 65 Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 31. 66 Nachweise bei Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, 1991, S.44. Vgl. zu den konkreten Auswirkungen dieser Rechtsprechung Krahl, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht (Art. 103 II GG), 1986, S. 339.
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der Vermögensfürsorgepflicht als Funktionsbegriff 67. Dieser wird durch den Sinn und Zweck des Merkmals selbst konkretisiert und ist daher aus sich selbst heraus interpretationsfähig i. S. d. Art. 103 II GG, weshalb gegenüber seiner Verwendung auch unter dem Bestimmtheitsgebot keine durchgreifenden Bedenken geltend gemacht werden 68. An der Kompliziertheit dieser Konstruktion, vorrangig aber an dem Bedürfnis einer solchen Konstruktion an sich lässt sich jedoch bereits erkennen, dass die momentane Gesetzeslage nicht befriedigend sein kann69. Die Merkmale der Vermögensfürsorgepflicht bei § 266 I, 2. Alt sowie der Pflichtverletzung, die in beiden Alternativen des § 266 I StGB vorausgesetzt wird, erfordern weiterhin den Rückgriff auf außerstrafrechtliche Regelungen, die häufig ihrerseits ausfüllungsbedürftig sind. Speziell bei der Frage der untreuespezifischen Pflichtverletzung im aktienrechtlichen Bereich ist im Regelfall § 93 I AktG heranzuziehen, eine Vorschrift, die ihrerseits unbestimmte Rechtsbegriffe enthält („Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“). § 266 StGB in seiner geltenden Fassung ist also, unabhängig von der Frage der Verfassungsmäßigkeit, dringend reformbedürftig 70. 2. Konsequenzen der Unbestimmtheit – die restriktive Auslegung des Untreueparagraphen Konsequenz der Unbestimmtheit insbesondere des Treubruchstatbestandes der Untreue muss ein entschieden restriktiver Umgang mit der Norm sein. Nur ein solcher kann nach h. M. den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Gebot der lex certa standhalten 71. Dieser Grundsatz der restriktiven Auslegung des § 266 StGB, insbesondere des § 266 I, 2. Alt. StGB, ist wegweisend für den Umgang mit der Vorschrift und wird demzufolge sämtliche hier dargelegten Ansätze und Überlegungen, auch ohne gesonderte Erwähnung, entscheidend beeinflussen. 67 Schünemann, Nulla poena sine lege?, 1978, S. 29 ff. Schünemann unterscheidet bei der Qualifizierung von Tatbestandsmerkmalen zwischen Klassifikationsbegriffen, Funktionsbegriffen und reinen Wertbegriffen. Eine Verletzung des Bestimmtheitsgebotes soll gemäß dieser Einordnung nur bei einem Überwiegen reiner Wertbegriffe vorliegen (Schünemann, ebda., S. 31). Mit der Einordnung des „das Rückgrat des Treubruchstatbestands“ bildenden Merkmals der Vermögensbetreuungs- bzw. Vermögenswahrnehmungspflicht („Pflicht, fremde Interessen wahrzunehmen“) als Funktionsbegriff muss die Verfassungsmäßigkeit konsequenterweise bejaht werden. 68 Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 31; ähnlich Bringewat, GA 1973, S. 353 (359). 69 Statt vieler Schünemann, NStZ 2005, S. 374 (374). 70 Entschieden für eine Reform Weber, in: Arzt/Weber, Strafrecht Besonderer Teil, § 22 Rn. 67; Kargl, ZStW 113 (2001), S. 565 (590); Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rn. 5. Zuversichtlicher, was die Bestimmtheit des Tatbestands angeht, Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634 (641 ff.). 71 Saliger, ZStW 112 (2000), S. 563; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 50; Kohlmann, JA 1980, S. 228 (229 f.); Matt, NJW 2005, S. 389 (390); Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (322).
C. Das Verhältnis des Untreuetatbestandes zum Zivilrecht
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C. Das Verhältnis des Untreuetatbestandes zum Zivilrecht – Herleitung einer limitierten Zivilrechtsakzessorietät des Untreuestrafrechts Die vorliegende Monographie ist geprägt durch das Zusammenspiel des Strafrechts mit dem Zivilrecht. Es entspricht der h. M., dass beide Alternativen des § 266 StGB für den Pflichtinhalt auf das einschlägige Gesellschaftsrecht verweisen 72. Die hier vorzunehmende strafrechtliche Beurteilung der Bewilligung überhöhter Vorstandsvergütungen richtet sich mithin primär danach, inwiefern dem für die Vergütungsentscheidung zuständigen Aufsichtsrat eine Verletzung des Aktienrechts vorzuwerfen ist. Ausdruck findet diese wohl am treffendsten mit dem Begriff der Zivilrechtsaffinität beschriebene Ausfüllungsbedürftigkeit speziell im Hinblick auf die vorliegende Thematik – ohne der aktienrechtlichen Problematik, die in Teil 1 zu prüfen sein wird, vorzugreifen – in besonderer Weise in § 87 I 1 AktG, der die vom Aufsichtsrat zu beachtenden Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder aufführt (aktienrechtliches Angemessenheitserfordernis des §87 I 1 AktG). Die folgenden Ausführungen werden sich mit der Frage beschäftigen, wie weit diese Akzessorietät des Strafrechts zum Zivilrecht reicht, mit der Frage also, wie genau sich das Strafrecht zum Wirtschaftsrecht verhält.
I. Die Auslegung von Strafrechtsnormen: Die Einheit der Rechtsordnung und das „ultima ratio“-Prinzip als Grundlagen der Untersuchung Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, der ein der Rechtsidee immanentes rechtsethisches Fundamentalprinzip darstellt73, kann die Beurteilung von Recht und Unrecht innerhalb der allumfassenden Rechtsordnung grundsätzlich nur einheitlich erfolgen. Dieses Erfordernis der einheitlichen Bewertungsmaximen bezüglich des Rechtsganzen gibt bereits die innere Ordnung des Rechts vor 74, die bedingt, dass das Recht „nicht in eine Vielzahl unzusammenhängender Einzelwertungen zerfällt“ 75.
72 BGHSt 47, 187 (192); aktuell hierzu Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (322); Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634 (644); Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 60. 73 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 1983, S.16; Seibert, Bindungswirkung, 1989, S. 241. 74 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 1983, S. 17; Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 23; Seibert, Bindungswirkung, 1989, S. 241. 75 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 1983, S. 17.
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Einleitung
Ausgehend von der Klärung des Rechtsverhältnisses strafrechtlicher und außerstrafrechtlicher Rechtfertigungsgründe in strafrechtlicher Hinsicht76, wurde die Notwendigkeit einheitlicher Betrachtung des Rechtsganzen u. a. durch den Versuch einer Definition des strafrechtlich zu schützenden Vermögens (sog. Juristisch-ökonomische Vermögenslehren) 77, durch die Möglichkeit einer Übertragung zivilrechtlicher Verkehrspflichten zur Produktbeobachtung ins Strafrecht78 sowie, in jüngerer Zeit, durch die Rechtsprechung zur Entnahme aus GmbH-Vermögen mit Einverständnis aller Gesellschafter 79 weiterentwickelt. Danach müssen, wenngleich diese Einheit der Rechtsordnung keine allumfassende, mithin wörtliche Übereinstimmung der jeweiligen Definitionsinhalte, insbesondere keine einheitliche Begriffsbildung der einzelnen Rechtsteile, verlangt 80, die Verhaltensweisen grundsätzlich, also von ihrem Sinngehalt her, einheitlich definiert werden 81. Neben dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung gewinnen die gesellschaftsrechtlichen Pflichten des Aufsichtsrates unter dem Gesichtspunkt des „ultima ratio“-Charakters des Strafrechts an Bedeutung. Ausgehend vom verfassungsrechtlich festgelegten Verhältnismäßigkeitsprinzip ist die Pönalisierung von Verhalten durch das Strafrecht stets die schärfste Waffe und damit unter Erforderlichkeitsgesichtspunkten grundsätzlich das letzte Mittel, dessen sich der Staat dabei bedienen darf82. Die strafrechtliche Sanktion als Verhängung von Geld- oder Freiheitsstrafe hat einen 76 Grundlegend hierzu Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 89 ff.; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 57 ff.; Cramer, Vermögensbegriff, 1968, S. 91. Für die Rspr. vgl. RGSt 47, 270, 276 f.; BGHSt 11, 241, 244. 77 Vgl. Cramer, Vermögensbegriff, 1968, S. 91 ff.; Lenckner, JZ 1967, S. 105 (107). 78 Vgl. hierzu Nölle, Eigenhaftung, 1995, S. 133 f. 79 Diese Strafrechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die eine Konkordanz mit den Kriterien der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung herstellte, gründete sich auf eine Kontroverse zweier BGH-Senate um die Beurteilung des Problems der Entnahme von GmbH-Vermögen mit Einverständnis aller Gesellschafter. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in BGHSt 34, 379 (386 f.) hatte die Strafbarkeit dieses Verhaltens bei Nichtverbuchung der Entnahme oder sonstigem Zuwiderhandeln gegen den Maßstab des ordentlichen Geschäftsführers (§ 43 GmbHG) bejaht, was wegen der gegenteiligen Rechtsprechung des II. (gesellschaftsrechtlichen) Zivilsenats (BGHZ 31, 258 (278); 93, 146 (148); 95, 330 (340) auf so massiven Widerspruch stieß, dass sich der 3. Strafsenat in BGHSt 35, 333 (336f.) und die gesamte nachfolgende Strafrechtssprechung des Bundesgerichtshofs gezwungen sahen, diese Ausdehnung der Strafbarkeit zurückzunehmen und die oben erwähnte Konkordanz mit der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung herzustellen, vgl. zur Diskussion Tiedemann, GmbH-Strafrecht, vor §§ 82 ff. Rn. 15; J. Kaufmann, Organuntreue zum Nachteil von Kapitalgesellschaften, 1999, S. 27 ff. 80 Keinen Verstoß gegen das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung, sondern einen bloßen technischen Widerspruch stellt es mithin dar, dass die zivil- und strafrechtlichen Definitionen der Fahrlässigkeit divergieren; vgl. Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 23. 81 Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 23; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 36 ff. , 53; Lenckner, JZ 1967, S. 105 (107). 82 Grundlegend BVerfGE 39, 1 (46 f.); ausführlich A. Kaufmann, in: FS Henkel, 1974, S. 89 ff.; Weigend, in: FS Hirsch, 1999, S.917 (933); Hassemer, in: GS Schlüchter, 2002, S. 133 (157 ff.); Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 23; Nölle, Eigenhaftung, 1995, S. 134.
C. Das Verhältnis des Untreuetatbestandes zum Zivilrecht
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besonders einschneidenden Charakter; neben der regelmäßig auftretenden Beeinträchtigung von sozialer Stellung und Ansehen ist sie im Falle der Freiheitsstrafe mit – im Einzelfall gerechtfertigten – Grundrechtseingriffen verbunden 83. Zudem bietet das strafrechtliche Sanktionensystem im Gegensatz zum Zivilrecht keinen Schutz des Unternehmens i.S. v. Haftungsbeschränkungen bzw. Versicherungs- und Enthaftungsmöglichkeiten der Betroffenen, was einen im Verhältnis zum Zivilrecht grundsätzlich eher restriktiven Umgang mit dem Strafrecht rechtfertigt 84. Maßgeblich ist auch die unterschiedliche Schutzrichtung beider Rechtsgebiete: so sind strafrechtliche Begriffe und Rechtsfolgen am Schutzzweck der Norm auszurichten; während Schutzgut der Strafrechtsnorm das jeweilige Rechtsgut ist (rechtsgüterschützende Norm), würdigt die zivilrechtliche Vorschrift den gleichen Sachverhalt primär unter dem Aspekt der Einklagbarkeit oder der formalen Klarheit 85. Diese Diskrepanz im Hinblick auf Schutzrichtung und Reichweite hat zur Folge, dass außerstrafrechtliche Normen und Wertungen nicht unbesehen übernommen werden dürfen86.
II. Konsequenz: Die limitierte Zivilrechtsakzessorietät des Untreuetatbestandes Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung ist somit das Strafrecht zur Widerspruchsfreiheit zu anderen Rechtsgebieten verpflichtet. Die Grenze einer eigenständigen strafrechtlichen Betrachtung ist dort zu ziehen, wo Wertungswidersprüche zu anderen Rechtsgebieten auftreten 87. Andererseits muss das Strafrecht, das nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip des Verfassungsrechts stets ultima ratio, also im Verhältnis zu weniger eingriffsintensiven Mitteln subsidiär 88, ist, im Grundsatz eigenen Regeln folgen 89. Um diese zunächst gegensätzlichen Prinzipien in Ein83 Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 23; A. Kaufmann, in: FS Henkel, 1974, S. 89 (106); ähnlich Röhm, Zur Abhängigkeit des Strafrechts von der Insolvenzordnung, 2002, S. 46 f. 84 Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 23; Nölle, Eigenhaftung, 1995, S. 135. 85 Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 23; Flum, Der strafrechtliche Schutz, 1990, S. 7. 86 Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 32; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 7 II 2; Achenbach, in: FS Schlüchter, 2002, S. 257 (259 ff.). 87 Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 32; Flum, Der strafrechtliche Schutz, 1990, S. 7; Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 95; Lenckner, JZ 1967, S. 105 (107); Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S.55 ff.; ähnlich J. Kaufmann, Organuntreue zum Nachteil von Kapitalgesellschaften, 1999, S. 26. 88 A. Kaufmann, in: FS Henkel, 1974, S. 89 (102 ff.); Flum, Der strafrechtliche Schutz, 1990, S. 7; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 76; Nölle, Eigenhaftung, 1995, S. 134; Weigend, in: FS Hirsch, 1999, S. 917 (933). Zum Meinungsstand bzgl. des Verhältnisses des Wirtschaftsstrafrechts zu verwaltungsrechtlichen Mechanismen, dessen Ausarbeitung den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde, vgl. u. a. Tiedemann, in: FS Stree/Wessels, 1993, S. 527 (530 f.). 89 Vgl. BGHSt 11, 102 (103); ausführlich Cadus, Die faktische Betrachtungsweise, 1984, S. 19 ff.; Flum, Der strafrechtliche Schutz, 1990, S.7; zur aktuellen Problematik der Auslegung
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klang zu bringen, werden in der Literatur verschiedene Lösungsansätze 90 verfolgt. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass das Strafrecht nicht „in einer Art Überholvorgang zur Verbotsmaterie“ erklären darf, was im nicht-strafrechtlichen Bereich erlaubt ist 91. Dieser Grundsatz ergibt sich bereits aus dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung, welches eine besondere „Strafrechtswidrigkeit“ ausschließt 92. Sehr diffizil, für die vorliegende Arbeit aber relevant, ist die zustimmungswürdige These Buschs, im Verhältnis des Strafrechts zum Gesellschaftsrecht gebe es zwei Arten von Wertungswidersprüchen: positive und negative 93. Die „positive Wertungswidersprüchlichkeit“ soll dabei bedeuten, dass ein und dieselbe Handlung zwar rein zivilrechtliche, nicht aber strafrechtliche Folgen auslöst 94. „Negative“ Antinomie soll umgekehrt für das eventuelle Hinausreichen der strafrechtlichen Haftung über diejenige des Zivilrechts stehen 95 – mit dem Stichwort der „negativen Zivilrechtsakzessorietät“ umschreibt Busch die vollständige Anlehnung an das Zivilrecht, also die Negation einer weitergehenden strafrechtlichen Verantwortung, in dieser Frage. Unter Vergegenwärtigung der oben genannten Grundsätze muss klar gelten: die strafrechtliche Beurteilung ist notwendig „negativ zivilrechtsakzessorisch“ 96. Soll heißen: der strafrechtliche Schutz darf im Sinne des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung und des „ultima ratio“-Prinzips des Strafrechts nicht über den zivilrechtlich vorgesehenen Schutz des Gesellschaftsvermögens hinausreichen. Umgeder Krisenmerkmale im Insolvenzstrafrecht Achenbach, in: FS Schlüchter, 2002, S. 257 (259 ff.). 90 Zur Zivilrechtsakzessorietät vgl. Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 21 ff.; Cadus, Die faktische Betrachtungsweise, 1984, S. 17 ff.; Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 32 ff.; Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (322 f.); Günther, Die Untreue im Wirtschaftsrecht, in: FS Weber, 2004, S. 311 (314); Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S. 727 (728 f.); ders., in: FS Hanack, 1999, S. 487 ff.; Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafuntrechtsausschluß, 1983, S. 89 ff. Entschieden abzulehnen ist die z.T. von nationalsozialistischem Strafrechtsdenken geprägte Ansicht Bruns aus dem Jahre 1938, der eine radikale „Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken“ propagierte, vgl. Bruns, Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken, 1938, S. 314 ff. 91 Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S. 727 (728); ebenso Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (314); Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 21 ff.; Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (322 f.); vgl. bereits Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 53: „Es kann nicht dasselbe Verhalten zugleich verboten und geboten oder verboten und erlaubt sein“. 92 Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 35; Lenckner, JZ 1967, S. 105 (107); Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S.53; ähnlich J. Kaufmann, Organuntreue zum Nachteil von Kapitalgesellschaften, 1999, S. 26. Günther merkt hierzu allerdings zutreffend an, dass der Verweis auf die Einheit der Rechtsordnung den Rechtsanwender nicht von der Notwendigkeit befreit, in jedem Einzelfall „von neuem die einschlägigen Wertungen, Teleologien, Funktionen der einzelnen Rechtsbegriffe, Rechtssätze und Rechtsgebiete zu ermitteln, zu systematisieren, zu gewichten und abwägend in Einklang zu bringen“, vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafuntrechtsausschluß, 1983, S. 98. 93 Hierzu ausführlich Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 33. 94 Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 33. 95 Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 33. 96 Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 37.
C. Das Verhältnis des Untreuetatbestandes zum Zivilrecht
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kehrt löst ein Verstoß gegen zivilrechtliche Normen nicht per se eine Strafbarkeit aus 97. Das Strafrecht als ultima ratio hat gegebenenfalls strengeren Grundsätzen zu folgen als das Zivilrecht 98. Während also das Strafrecht in negativer Hinsicht zwingend zivilrechtsakzessorisch ist, kann es in positiver Hinsicht am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte, eigene Regeln aufstellen. Die Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts ist damit nur unvollständig („limitiert“).
III. Fazit Im Ergebnis ist folgendes festzuhalten: Das Strafrecht verhält sich nach der hier vertretenen Ansicht gegenüber dem Wirtschaftsrecht limitiert akzessorisch 99. Es ist nicht Aufgabe des Strafrechts, unter Strafe zu verbieten, was das Wirtschaftsrecht erlaubt („was wirtschaftsrechtlich erlaubt ist, kann und darf strafrechtlich nicht verboten sein“). Erst in dem Falle, dass das betreffende Unternehmensorgan die wirtschaftsrechtlich gesteckten Grenzen überschreitet, ist aus strafrechtlicher Sicht zu prüfen, ob bzw. unter welchen Bedingungen das Strafrecht schützend eingreift100. Mit anderen Worten: Das wirtschaftsrechtliche Verbot ist notwendige, aber nicht zwangsläufig hinreichende Bedingung für die Untreuestrafbarkeit 101. Um in der Begrifflichkeit Buschs zu bleiben: das Strafrecht ist zwingend negativ, nicht jedoch notwendig positiv, zivilrechtsakzessorisch 102. Diese Bewertung soll als fundamentales Grundprinzip die vorliegende Untersuchung entscheidend beeinflussen.
97 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafuntrechtsausschluß, 1983, S. 98, formuliert im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Begriff der Rechtswidrigkeit in etwas anderem Zusammenhang, aber m. E. überaus treffend, wie folgt: „Sie (scil. die Einheit der Rechtsordnung) verbietet, daß Wertungswidersprüche entstehen. Aber sie beantwortet nicht, ob das der Fall ist“. 98 In diesem Sinne bereits Lenckner, JZ 1967, S. 105 (107): „[…] das Strafrecht kann […] mit seinem Schutz hinter dem anderer Teilgebiete des Rechts zurückbleiben“; vgl. auch Nölle, Eigenhaftung, 1995, S. 133; Flum, Der strafrechtliche Schutz, 1990, S.7; Waßmer, Untreue bei Risikogeschäften, 1997, S. 73. 99 Vgl. auch Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (314). Die Begrifflichkeit variiert hier; Lüderssen spricht in einem aktuellen Aufsatz von der „asymmetrischen Akzessorietät“, vgl. Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S. 727 (729), während Busch in seiner aktuell erschienen Monographie von der „positiven bzw. negativen Zivilrechtsakzessorietät“, siehe dazu bereits oben, spricht (Busch, Konzernuntreue, 2004, S.32 ff.). Gemeint ist trotz dieser variierenden Bezeichnungen stets dasselbe, nämlich das Fehlen einer vollständigen Kongruenz von Strafrecht und Zivil- bzw. Wirtschaftsrecht. 100 Hierzu unten Teil 2 B.; ebenso Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (314). 101 So auch Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S. 727 (729); ähnlich J. Kaufmann, Organuntreue bei Kapitalgesellschaften, 1999, S. 26; Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (314); Matt, NJW 2005, S. 389 (390). 102 Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 35.
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Einleitung
D. Verlauf der Untersuchung Gegenstand der vorliegenden Untersuchung soll allein die Beurteilung einer Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern einer AG sein. Ausgegliedert werden hierbei sowohl aktuelle Reformüberlegungen als auch die in letzter Zeit wieder verstärkt aufgekommene gesellschaftspolitische Kritik im Hinblick auf die Organisation des Aufsichtsrats im Allgemeinen 103. Eine zentrale Rolle wird zunächst die aus Gründen der negativen Zivilrechtsakzessorietät der strafrechtlichen Problematik vorgelagerte gesellschaftsrechtliche Dimension der Vergütungsproblematik spielen (Teil 1). Besondere Bedeutung kommt in diesem Rahmen der Angemessenheit der Vergütung i. S. d. § 87 I 1 AktG zu; auf dieser (aktienrechtlichen) Problematik soll in diesem Komplex der deutliche Schwerpunkt liegen. Dabei soll auch ein Blick auf internationale Vergütungsmaßstäbe – mit besonderem Augenmerk auf die Vergütungspraxis in den USA – geworfen werden; hier wird kurz zu untersuchen sein, inwiefern diese möglicherweise zwingend in die Beurteilung der Angemessenheit von Vorstandsbezügen in deutschen Aktiengesellschaften mit einzubeziehen sind. In Teil 2 soll die Frage behandelt werden, inwiefern die Festsetzung überhöhter Vorstandsvergütungen durch Mitglieder des Aufsichtsrats eine Untreuestrafbarkeit gem. § 266 StGB nach sich ziehen kann. Im Rahmen dieser Ausführungen wird unter Konkretisierung der bereits in der Einleitung dargestellten, zur Grundlage der vorliegenden Untersuchungen gemachten „limitierten Zivilrechtsakzessorietät“ des Untreuetatbestands vorrangig zu prüfen sein, inwieweit die Missachtung aktienrechtlicher Vorgaben eine untreuespezifische Pflichtverletzung darstellen kann. Besonderes Augenmerk soll dabei zunächst auf die Frage gerichtet werden, welche strafrechtlichen Folgen mit der Nichtbeachtung formeller Pflichten aus dem Aktienrecht verbunden sind. Im Anschluss daran ist die Frage zu klären, welche materiellen Pflichten der Aufsichtsrat bzw. der entscheidungsbefugte Ausschuss bei der Festsetzung von Vorstandsvergütungen zu beachten hat und wie sich die Missachtung dieser Pflichten auf seine Strafbarkeit nach § 266 StGB auswirkt. Unter Rekrutierung der in Teil 1 aufgestellten Grundsätze zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung als maßgeblicher materieller Pflicht des Aufsichtsrats bei der Vergütungsentscheidung wird hier schwerpunktmäßig noch einmal auf das Verhältnis des Strafrechts zum Zivilrecht einzugehen sein – vor dem Hintergrund der Urteile zum Fall Mannesmann und einer neueren Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Spendenuntreue soll die Frage aufgeworfen werden, ob das Wirtschaftsstrafrecht im Bereich der Organuntreue eigene, gegenüber dem Gesellschaftsrecht möglicherweise strengere Maßstäbe anlegen darf bzw. kann (Reichweite des vom Bundesgerichtshof aufgestellten Kriteriums der „gravierenden Pflichtverletzung“).
103
Vgl. Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S. 727.
Teil 1
Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung „Es gehört zu den überlieferten Weisheiten der Wirtschaftswissenschaften, dass die Ungleichheit der Einkommen ein nicht vermeidbares Beiprodukt eines Systems von Anreizen ist, das Leistung und Erfolg belohnt“ 1. Gesellschaftspolitisch ist die Diskussion über die (angemessene) Höhe von Vorstandsvergütungen auch in Deutschland nicht neu; Auftrieb erhalten hat sie freilich durch die in letzter Zeit an die Öffentlichkeit gelangten Informationen über die genauen Zahlungssummen 2. In der gesellschaftsrechtlichen Literatur hat die Auseinandersetzung mit Vorstandsvergütungen mit der Einführung der variablen Vergütungssysteme, vornehmlich der Einführung von Aktienoptionen, die sich auf ein Vielfaches des Fixums belaufen und über die Jahre hinweg zu außerordentlichen Vermögenswerten aufsummieren können, eingesetzt 3 und hat im Zuge der aktuellen Diskussion um neue Strukturen der Corporate Governance auch in jüngerer Zeit wieder an Fahrt gewonnen 4. Der deutschen Diskussion um Jahre voraus ist man in den USA, wo variable Vergütungsbestandteile schon lange vor der Einführung in Deutschland, nämlich seit Anfang der 90er Jahre, einen Großteil der laufenden Vergütung ausmachten. Dort spricht man inzwischen von einer „Krankheit“ (sog. „american disease“) 5; dort finden sich auch heute noch die im internationalen Vergleich höchsten Vergütungen 6. Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295. In der Einleitung wurde das Beispiel des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Breuer, genannt, der bereits im Jahr 2000 zweistellige Millionenbeträge kassierte; aktuellster Fall dieser neuen Vergütungsmentalität ist aber der Fall Mannesmann, wo es um Zahlungen im dreistelligen D-Mark-Bereich ging. 3 Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 4; als Beispiel soll der bereits in der Einleitung (I.) erwähnte Fall des ehemaligen DaimlerChrysler-Chefs Schrempp aufgeführt werden, der mit dem damaligen Optionsprogramm unter bestimmten Vorzeichen 294 Mio. e Nettogewinn nur aus seinen Optionsvergütungen hätte erzielen können, vgl. hierzu Adams, FS von Weizsäcker, 2003, S. 295; ders., ZIP 2002, S. 1325 (1329). 4 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 f.; Lutter, ZIP 2003, S. 737 ff. 5 Crystal, In Search of Excess, 1991; vgl. auch Einleitung Fn. 11. 6 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (459); zu nennen sind exemplarisch die Fälle von Sanford Weill, dem Vorstandsvorsitzenden der Travellers Group, der im Jahre 1995 eine Gesamtvergütung von fast 50 Mio. Dollar erhielt, wovon 44,2 Mio. Dollar aus Aktienoptionen bestanden, sowie insbesondere von Michael Eisner, dem damaligen CEO von Walt Disney, der 1995 über 1 2
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
Das obige Zitat mag als Einstimmung auf die folgenden Ausführungen dienen. In einem System, das Vergütungsempfänger streng nach Leistung bewertet und bezahlt, mutet es auf den ersten Blick merkwürdig an, dass die Vergütung eines Vorstands einer großen deutschen Aktiengesellschaft diejenige eines hochrangigen Wissenschaftlers um ein vielfaches übersteigt 7. Freilich gilt diese Feststellung der überproportionalen Bezahlung, entgegen dem Eindruck, der durch die öffentliche Diskussion über Vorstandsvergütungen entstanden ist, auch für die Spitzenverdiener in den freien Berufen, deren Verdienste tatsächlich auch nicht viel niedriger sind als die Vergütungen in der Spitzengruppe deutscher Vorstände 8. Gegenstand der Kritik an der aktuellen Vorstandsvergütungspraxis deutscher Aktiengesellschaften ist daher nicht allein die allgemeine Höhe von Vermögenszuwendungen an Vorstände, sondern primär auch die auffällige Diskrepanz von monetärem Verdienst des Vorstandsmitglieds und seiner sich an Belegschaftszahlen und Dividende zu messenden Leistung 9. In einer Zeit, in der die Bundesrepublik mit sinkender Konjunktur und ständig wachsender Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat, sind Vorstandsgehälter in zwei- oder gar dreistelliger Millionenhöhe nur schwer vermittelbar 10. Die nahe liegende Frage nach der sachlichen Rechtfertigung solcher Vergütungspraktiken lässt sich freilich nur unter Berücksichtigung des Systems der Vorstandsvergütung und dessen theoretischer Grundlage beantworten. Die folgende Darstellung soll dieser Frage, welche wegen des Grundsatzes der positiven Zivilrechtsakzessorietät wesentliche Auswirkungen auf die strafrechtliche Beurteilung hat, durch die theoretische wie praktische Annäherung an die Problematik nachgehen.
A. Die Vorstandsvergütung in der Praxis: Elemente und dogmatische Erklärungsversuche für die beobachteten Vergütungspraktiken Die Höhe der Vorstandsgehälter ist stets unmittelbares Resultat der gewählten Vergütungsform, die sich aus unterschiedlichen Elementen zusammensetzen kann und in letzter Zeit durch die verstärkte Fokussierung auf moderne Vergütungssystenoch nicht ausgeübte Aktienoptionen im Wert von 317 Mio. Dollar verfügte, vgl. zu beidem Business Week v. 22. April 1996, S. 102 ff. In jüngerer Zeit erregte vor allem der Fall des ehemaligen Disney-CEO Michael Ovitz, der nach wenigen Monaten vergleichsweise erfolgsloser Amtszeit aus der Gesellschaft ausschied und dafür rund 140 Mio. Dollar erhielt, Aufmerksamkeit, vgl. hierzu Lieberman, USA TODAY v. 18. Oktober 2004, B.1 sowie ausführlich unten C. II. 5. b) aa). 7 Vgl. Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295. 8 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 26, die zu Recht bemerkt, dass diese objektive Betrachtung wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Aktiengesellschaften, auf deren Vergütungspraxis der Fokus der Öffentlichkeit gerichtet ist, eher in den Hintergrund tritt. 9 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 23. 10 Auf die oftmals populistische Dimension dieser Art der Kritik weist zutreffend Baums hin, vgl. Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (4); ähnlich Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113.
A. Die Vorstandsvergütung in der Praxis
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me immer komplexer wurde. Im Folgenden soll zunächst dargestellt werden, aus welchen Elementen sich die Vorstandsvergütung im Einzelnen zusammensetzt (I). Anschließend werden mögliche Gründe für die beobachteten Vergütungspraktiken dargestellt und auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft (II.).
I. Elemente der Vorstandsvergütung 11 Die Vorstandsvergütung im weiteren Sinne besteht grundsätzlich aus drei separaten Elementen 12, die zusammengefasst die (Gesamt-) Leistungen der Gesellschaft an das Vorstandmitglied ergeben 13. Wesentliches Element der Vergütung von Vorständen ist demgemäß die Vorstandsvergütung im engeren Sinne, die nach dem Vergütungsbegriff des § 87 I S. 1 AktG alles umfasst, was ein aktives Vorstandsmitglied während seiner Amtszeit aufgrund des Anstellungsverhältnisses von der Gesellschaft erhält (Versorgungsbezüge sind nach § 87 I S. 2 AktG zunächst ausgeklammert) 14. Zur Vorstandsvergütung im weiteren Sinne zählt außerdem die Vorstandsversorgung, die Leistungen nach Beendigung des Dienstverhältnisses, also nach dem Ausscheiden des Vorstandsmitglieds aus der Gesellschaft, wie namentlich Pensions- und Ruhegeldansprüche sowie Abfindungen an Vorstände, deren Mitgliedschaft im Vorstand vorzeitig beendet wurde, betrifft. Drittes und letztes Element der hier so verstandenen Vorstandsvergütung im weiteren Sinne ist die Vorstandsabsicherung, die primär den Vorstandsmitgliedern zugute kommende Versicherungen beinhaltet. Im Folgenden sollen alle drei genannten Elemente der Vorstandsvergütung im weiteren Sinne näher dargelegt werden. 1. Die Vorstandsvergütung im engeren Sinne Üblicherweise setzt sich die Vergütung von Vorstandsmitgliedern heutzutage aus traditionellen und modernen Vergütungselementen zusammen. Als traditionelle Vergütungsbestandteile werden diejenigen Elemente bezeichnet, die in §78 I 1 AktG 1937 explizit geregelt waren, namentlich Gehälter, Gewinnbeteiligungen, Auf11 Ausführlich hierzu Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 25 ff., deren Erkenntnisse zur gesellschaftsrechtlichen Behandlung von Vorstandsvergütung der folgende Abschnitt in großen Teilen zur Grundlage macht. 12 Diese Aufteilung folgt der Darstellung von Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 ff. 13 Dass die Darstellung der Leistungen an Vorstandsmitglieder vorliegend separat erfolgt, soll indes nicht zu der Annahme verleiten, die Verfasserin vertrete die Ansicht, alle drei Elemente seien zwangsläufig auch rechtlich gesondert zu behandeln (§ 87 I AktG). Dem ist nicht so; vielmehr soll die vorliegende Darstellung, die einer Vorstellung der Vergütungselemente als einem „System kommunizierender Röhren“ (so prägnant Spindler, DStR 2004, S. 36 (38)) folgt, die Übersicht über die einzelnen Bestandteile der vom Vorstand bezogenen Leistungen erleichtern. 14 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 ff.
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
wandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen und Nebenleistungen jeder Art 15. Diese Aufzählung übernahm der Gesetzgeber des aktuellen Gesetzes 1965 ohne wesentliche Änderungen in den heutigen §87 I 1 AktG 16. Die sich auf die genannten Elemente stützende traditionelle Vergütungspraxis mit ihrem hohen Festgehaltsanteil, einem geringen variablen Anteil und einer Vielzahl teurer Nebenleistungen stieß indes bald auf Kritik. Bemängelt wurde primär die mangelnde Anreizfunktion und die Inflexibilität traditioneller Vergütungspolitik im globalen Markt 17. Ausgehend von dieser Kritik wurde in den letzten Jahren eine Vielzahl neuartiger Vergütungsformen oder Anreizsysteme entwickelt, die die Vergütung in mehr oder weniger direkter Weise an der Leistung des Vorstandsmitglieds und/oder am Erfolg des Unternehmens ausrichten, sog. moderne Vergütungssysteme 18. Da der genannte Katalog des § 87 I AktG zwar die Ansicht des Gesetzgebers ausdrückt, was einen Vergütungsbestandteil darstellt, durch die generellen Formulierungen „Gewinnbeteiligungen“ und „Nebenleistungen jeder Art“ in concreto aber einen relativ weiten Spielraum für neue Vergütungsarten 19 lässt, konnten diese modernen Systeme nahtlos in das bestehende traditionelle Vergütungssystem eingefügt werden 20. Im Vordergrund der Entwicklung solcher moderner Vergütungsformen standen dabei neben der bereits erwähnten verstärkten Leistungsbindung vornehmlich Kriterien der An15 § 78 I 1 AktG von 1937 lautete: „Der Aufsichtsrat hat dafür zu sorgen, daß die Gesamtbezüge der Vorstandsmitglieder (Gehälter, Provisionen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen und Nebenleistungen jeder Art) angemessen sind“. Die Vorschrift stellte erstmals Grundsätze zum Schutz der Gesellschaft und aller Beteiligten für die Bezüge der Vorstandsmitglieder auf, vgl. Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 3. 16 § 87 I 1 AktG lautet: „Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds (Gehalt, Provisionen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen und Nebenleistungen jeder Art) dafür zu sorgen, daß die Gesamtbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen“. Von einigen sprachlichen Änderungen abgesehen entspricht die Vorschrift somit dem bisherigen Recht, vgl. Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 3. 17 Im einzelnen wurde angeführt, dass deutsche Unternehmen im immer stärker internationalen Wettbewerb um Führungskräfte nicht mehr wettbewerbsfähig seien, weil die vornehmlich von der US-amerikanischen Praxis bestimmte international gebräuchliche Managementvergütung sich sowohl in ihren Bestandteilen als auch in ihrer prozentualen Zusammensetzung deutlich von der deutschen traditionellen Vergütung unterscheide, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 43. So machte das Festgehalt eines US-amerikanischen CEO (chief executive officer) zum Zeitpunkt der geführten Diskussion, also Mitte der neunziger Jahre, nur etwa 40 % der Gesamtvergütung aus, während dieser Anteil in Deutschland mit 50–70 % sehr viel höher war, vgl. Baums, Aktienoptionen für Vorstandsmitglieder, in: FS Claussen, 1997, S. 4. 18 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 45. Ironischerweise sind es – vornehmlich in den USA – eben diese erfolgsabhängigen Vergütungsformen, die in Diskrepanz zur wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens einen enormen Anstieg der Vergütungshöhe nach sich ziehen können, vgl. hierzu unten c) cc).) sowie C. II. 5. b) aa). 19 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 27. 20 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 27.
A. Die Vorstandsvergütung in der Praxis
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reizbildung und der Flexibilisierung 21. Zwar sind in jüngster Zeit primär die unten noch näher zu konkretisierenden sog. stock options in die Krise geraten 22; trotz verstärkter Kritik und vereinzeltem zahlenmäßigen Rückgang einzelner Systeme haben sich diese modernen Vergütungsformen seit Ende der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts auch in deutschen Unternehmen weitgehend durchgesetzt. a) Die Vorstandsvergütung im Deutschen Corporate Governance Kodex 23 Wie die Vergütungspolitik moderner Unternehmen heute aussieht, verdeutlichen – allerdings unterhalb der Ebene zwingenden Rechts – die Regelungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), der sich in Ziffern 4.2.2 bis 4.2.4 mit der Vorstandsvergütung beschäftigt. Da der Kodex im Folgenden noch mehrfach von Bedeutung sein wird 24, soll an dieser Stelle in der gebotenen Kürze auf seine Enstehung und seine Rechtnatur eingegangen werden. aa) Entstehung und Rechtsnatur des DCGK Der DCGK wurde am 26. Februar 2002, basierend auf Vorschlägen der sog. Cromme-Kommission um den früheren Thyssen-Krupp-Vorstandsvorsitzenden Gerhard Cromme, verabschiedet. Er enthält die schriftliche Niederlegung der sog. Corporate Governance, die (im Grundsatz) zur Überwindung der Spannung zwischen Aktionärs- und Managementinteressen Prinzipien verantwortungsvoller Unternehmensführung aufstellt 25. Der Kodex ist kein Gesetz; wie das Vorwort zum Kodex klarstellt, hat die Bundesministerin der Justiz „der deutschen Unternehmensführung die Möglichkeit eröffnet, in einem Akt der Selbstorganisation einen Kodex vorzuschlagen, der international und national anerkannte Standards guter und verantwortlicher Unternehmensführung enthält ...“ 26. Der Kodex beinhaltet demzufolge vorrangig Hinweise auf das geltende Recht, zu einem großen Teil Empfehlungen, die über das geltende Recht hinausgehen, sowie zu einem kleinen Teil unverbindliSchüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 45. Zur Kritik an Aktienoptionsprogrammen vgl. unten c)cc) (3). 23 Der vorliegenden Arbeit liegt die Fassung des DCGK v. 2. Juni 2005 zugrunde, veröffentlicht im Internet unter http://www.corporate-governance-code.de/ger/download/D_CorGov– Endfassung2005.pdf. 24 Vgl. unten C.I.2 und II.2.e) sowie Teil 2 A. III. 1. a) bb). 25 Die Entwicklung der „Corporate Governance“ in der heutigen Form wird den US-Amerikanern Berle und Means zugesprochen, vgl. Berle/Means, The Modern Corporation and Private Property, 1938. Dem Kern nach geht es bei Corporate Governance um die Trennung von Eigentum und Verfügung, nämlich von mittelbarem Eigentum der Aktionäre am Unternehmen und der Verfügungsbefugnis des Managements, vgl. hierzu Lutter, ZIP 2003, S. 737 ff. Der DCGK enthält Bestimmungen zu Aktionären und Hauptversammlung, zum Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat, zu den Organen Vorstand und Aufsichtsrat sowie zu den Themen Transparenz, Rechnungslegung und Abschlussprüfung. 26 Nachzulesen bei Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, S. 387 (Anhang). 21 22
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
che Anregungen 27. Der Kodex ist jedoch insofern verbindlich (im weitesten Sinne), als nach § 161 AktG Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Aktiengesellschaft jährlich erklären müssen, ob sie die Empfehlungen des Kodex eingehalten haben und einhalten werden bzw. ob und wo sie abgewichen sind und abweichen werden 28; die Vorschrift verlangt also eine Erklärung sowohl dazu, ob dem Kodex in der Vergangenheit entsprochen wurde, als auch dazu, ob ihm künftig entsprochen wird (Comply or explain-Ansatz) 29. Von einer Verbindlichkeit im eigentlichen Sinne kann jedoch nicht die Rede sein, da Vorstand und Aufsichtsrat jederzeit, mithin auch „unterjährig“, ihre Meinung ändern können 30. Bei Verstoß gegen die Erklärungspflicht des § 161 AktG, insbesondere bei Nichtabgabe der Entsprechenserklärung, kommt allerdings eine Anfechtung des die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat bewilligenden Hauptversammlungsbeschlusses nach § 243 I AktG in Betracht 31. bb) Die Regelungen des DCGK zur Struktur der Vorstandsvergütung Ziffer 4.2.3 Absatz 1 Satz 1: „Die Gesamtvergütung der Vorstandsmitglieder soll fixe und variable Bestandteile umfassen. Die variablen Vergütungsbestandteile sollen einmalige sowie jährlich wiederkehrende, an den geschäftlichen Erfolg gebundene Komponenten und auch Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter enthalten.“ Ziffer 4.2.3. Absatz 2 Satz 1: „Als variable Vergütungskomponenten mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter dienen insbesondere Aktien der Gesellschaft mit mehrjähriger Veräußerungssperre, Aktienoptionen oder vergleichbare Gestaltungen (z. B. Phantom Stocks).“
Mit der Kombination fixer und variabler Vergütungsbestandteile verknüpft der DCGK Elemente traditioneller sowie moderner Vergütungssysteme. Ausdrücklich erwähnt werden dabei u. a. Aktienoptionen als variable Vergütungsbestandteile mit langfristiger Anreizwirkung. Der Formulierung lässt sich entnehmen, dass das traditionelle Festgehalt mit erfolgsabhängigen bzw. anreizorientierten Vergütungsformen zu verbinden ist. Zeitgemäße Vergütungssysteme enthalten demgemäß neben der Festvergütung auch leistungsgebundene und motivationsabhängige Parameter. 27 Prozentual lässt sich die Verteilung folgendermaßen wiedergeben: 50 % des Textes des Kodex sind Hinweise auf das geltende Recht; 40 % sind Empfehlungen – im Text des Kodex mit dem Begriff „soll“ bezeichnet; 10 % sind unverbindliche Anregungen, die im Text mit den Begriffen „sollte“ bzw. „kann“ bezeichnet sind, vgl. hierzu Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 6. 28 Ausführlich zu Rechtsnatur und Reichweite des Kodex Ulmer, ZHR 166 (2002), S.150 ff.; Seibt, AG 2002, S. 249 ff. 29 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 492; Ulmer, ZHR 166 (2002), S. 150 (170 f.); a. A. Seibt, AG 2002, S. 249 (251 f.), der meint, die Erklärung müsse nur die Zeit bis zum Tag der Abgabe der Erklärung abdecken. 30 Diese Meinungsänderung muss dann aber umgehend publiziert werden, vgl. Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 6. 31 Ulmer, ZHR 166 (2002), S. 150 (165).
A. Die Vorstandsvergütung in der Praxis
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b) Theoretische Grundlagen heutiger Vergütungssysteme 32 Die theoretischen Grundlagen dieser leistungsorientierten modernen Vergütungssysteme sind zwar auf den ersten Blick für die hier aufgeworfene Frage der Zusammensetzung der Vergütung nur von untergeordneter Bedeutung; sie spielen jedoch eine wesentliche Rolle sowohl für das Verständnis neuartiger Vergütungssysteme als auch für die unten noch näher zu untersuchende Angemessenheit der einzelnen Vergütungsbestandteile, weshalb eine kurze Darstellung der beiden bedeutendsten Erklärungsversuche 33 moderner Vergütungssysteme an dieser Stelle für unabdingbar gehalten wird. Wie so vieles im Vorstandsvergütungsbereich, gründet sich die theoretische Fundierung moderner Vergütungsformen auf die Erkenntnisse und Entwicklungen US-amerikanischer Wirtschaftsunternehmen 34. Die hier erwähnten zwei Theorien zur Begründung moderner Vergütungssysteme sind dabei nicht als voneinander völlig unabhängige Erklärungsansätze zu verstehen, sondern als aufeinander bzw. auf den Schwächen der vorangegangenen Theorie aufbauende Entwicklungspunkte („Stadien“), die jeweils unterschiedliche Bestandteile des (Gesamt-) Problems der Vorstandsvergütung akzentuieren 35. Dieses (Gesamt-) Problem der Vorstandsvergütung lässt sich dabei in drei Einzelprobleme, nämlich erstens das Problem der Kontrolle des Managements durch die Aktionäre, zweitens das Problem der Erfolgsmessung und drittens das Problem der Motivation von Managern, unterteilen 36. aa) Principal-Agent-Theory Die Principal-Agent-Theorie (wegen ihres Motivationscharakters auch „Anreizvergütungshypothese“ genannt) stellt heute den dominierenden theoretischen Bezugsrahmen der Vergütungsliteratur dar; insbesondere der Einsatz von AktienoptiAusführlich hierzu Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 45 ff. Ein dritter, auf die betriebswirtschaftliche Verhaltens- und Motivationsforschung zurückgehender Ansatz („verhaltenswissenschaftlicher Ansatz“) untersucht – unter Anknüpfung an die Principal-Agent-Theory und den Shareholder Value-Ansatz –, inwieweit Manager über die Beeinflussung durch Anreize zu einer bestimmten Art der Unternehmensführung bewegt werden können. Das Hauptverdienst des verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes im Zusammenhang mit der Konkretisierung des Anreizbegriffs ist darin zu sehen, dass er neben der Kontrollfunktion von Vergütung, die sowohl in der Principal-Agent-Theory, als auch im Shareholder Value-Ansatz als vorrangig zum Ausdruck kommt, die Anreizbildung als ebenso bedeutsames Kriterium für eine funktionsfähige Vergütung zu etablieren versucht, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 55 ff., 59. Ausführlich zum verhaltenswissenschaftlichen Ansatz Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 55 ff. 34 Vgl. insbesondere auch die Gründe für die in den letzten Jahren beobachteten Vergütungspraktiken, die ebenfalls von US-amerikanischen Experten entwickelt wurden, unten II. 35 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 45. 36 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 46. 32 33
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
onsplänen basiert auf den Erkenntnissen dieses Ansatzes 37. Die Theorie, die auf eine grundlegende wissenschaftliche Publikation der US-Amerikaner Adolf A. Berle und Gardiner C. Means zurückgeht 38, verkörpert die Idee einer anreizeffizienten Vorstandsvergütung, deren Sinn und Zweck es – verkürzt gesagt – ist, den Anteilseignern (principals) eine wirksame Kontrolle der Manager (agents) zu ermöglichen und Managementfehler auszuschalten oder zumindest zu minimieren39. Ausgangspunkt der Principal-Agent-Theory ist die Trennung von Eigentum am Unternehmen und Kontrolle über die Verwaltung des Unternehmens 40. Diese Situation begünstigt das Entstehen von Interessenkonflikten zwischen den Anteilseignern als Trägern des unternehmerischen Risikos und den Managern als Trägern der unternehmerischen Entscheidungsmacht, die sich primär darauf zurückführen lassen, dass die Anteilseigner ein Interesse an der optimalen Ausnutzung der Unternehmensressourcen zur größtmöglichen Unternehmenswerterhöhung haben, dabei aber relativ risikofreundlich sind, während die angestellten Manager zunächst ihre eigene Gewinnmaximierung durch eine möglichst hohe Vergütung anstreben, dabei aber sehr viel risikofeindlicher sind 41. Die Principal-Agent-Theory unterstellt, dass Manager versucht sein werden, die externe Kontrolle ihrer Tätigkeit zu minimieren und sich so diskretionäre Handlungsspielräume zu sichern 42. Unter der Prämisse, dass eine kontinuierliWeiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999, S. 43. Berle/Means, The Modern Corporation and Private Property, 1932: „The property owner who invests in a modern corporation so far surrenders his wealth to those in control of the corporation that he has exchanged the position of independent owner for one in which he may become merely recipient of the wages of capital“ (S. 3). Das Problem war allerdings bereits 100 Jahre vor der Behandlung durch die US-Amerikaner bekannt, wie etwa in der Diskussion um das preußische Aktiengesetz von 1843 zum Ausdruck kommt, vgl. Lutter, ZIP 2003, S. 737. 39 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (475); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 48; Rönnau/ Hohn, NStZ 2004, S. 113 (117). 40 Lutter, ZIP 2003, S. 737. Zwar geht die Theorie auf die Erfahrungen mit US-amerikanischen börsennotierten Kapitalgesellschaften, sog. corporations, zurück; diese unterscheiden sich wegen des einstufigen Verwaltungsapparats (sog. board system) in ihrer Struktur grundsätzlich von der deutschen Aktiengesellschaft, sind mit ihr jedoch insofern vergleichbar, als in beiden das Kapital von Anteilseignern aufgebracht wird, die Verwaltung des Kapitals hingegen bei angestellten Managern liegt, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 48. Zu den Unterschieden in den Unternehmensverfassungen vgl. unten C.II.5.b)bb). 41 Diese Risikoaversion der Manager gründet sich darauf, dass Manager ihre gesamte Arbeitskraft in das eine Unternehmen stecken und von einem Misserfolg und dessen Folgen, die u. a. in der Herabstufung oder gar einer Entlassung liegen können, wegen der Schwierigkeit der Übertragbarkeit ihres spezifischen, unternehmensgebundenen Wissens ungleich stärker betroffen sind als die Anteilseigner, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 47. Ähnlich Weiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999, S. 45. 42 Diskretionäre Handlungsspielräume beruhen häufig auf einer Informationsasymmetrie zwischen Kapitalgebern und Verwaltung, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 47. Der Informationsvorsprung des Managers lässt sich primär auf die Komplexität größerer Unternehmen und die wachsende Zahl von Kapitalgebern, infolgedessen es dem Kapitaleigner nur eingeschränkt möglich ist, sich über die genaue Art und Weise der Kapitalverwaltung zu informieren, zurückführen. Die Ausnutzung des damit gewonnenen Informationsvorsprungs durch den Manager kann z. B. durch opportunistisches Verhalten erfolgen, indem das Wachstum der 37 38
A. Die Vorstandsvergütung in der Praxis
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che Kontrolle der Verwaltung durch die Anteilseigner selbst (und von ihnen beauftragte Dritte) nicht zu realisieren ist, weil mit der Kontrolle Kosten entstehen (sog. agency costs 43), die insbesondere für Anteilseigner mit nur geringem Anteil an der Gesellschaft in keinem Verhältnis zu ihrem Risiko des Verlustes infolge Missmanagements der Gesellschaft bzw. dem erzielbaren Nutzen durch effiziente Kontrolle stehen, wurde nun versucht, alternative Überwachungsmechanismen zu finden 44. Effektives Instrument zur Managementkontrolle soll dabei neben dem Kapitalmarkt 45 die Vergütungsgestaltung (sog. Optimal-Contracting-Theory46) sein. Die PrincipalAgent-Theory geht davon aus, dass die Verträge zwischen Anteilseignern und Managern dann am effizientesten sind, wenn sie diskretionäre Spielräume der Manager im Sinne der Gesellschafter einschränken und die agency costs minimieren 47. Da dieses Ziel primär mit der Überwindung der Interessenkonflikte zu erreichen sei, sollen die Interessen der Manager mit denen der Anteilseigner angeglichen werden 48. Zu diesem Zweck soll die Vergütung des Managers mit dem Erfolg des UnGesellschaft übertrieben gefördert oder diversifiziert wird, oder durch Betreiben einer stark risikofeindlichen Geschäftspolitik, an der den Anteilseignern, die über ihr Portfolio ihre eigene Risikominimierung steuern, nicht gelegen ist. Weitere Ausnutzungshandlungen können sein das direkt betrügerische Handeln durch Ausnutzung der Geschäftschancen des Unternehmens (unfair self-dealing in corporate opportunities), die Gewährung einer exorbitant hohen Vergütung (consumtion on the job) und schlichtes Nicht-Arbeiten (shirking), vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 47 und Developments in the Law – Corporations and Society, 117 Harv. L Rev. (2004), S. 2205 (2207). 43 Das genaue Verhältnis zwischen agency costs und Vorstandsvergütung (executive compensation) ist in den USA nicht unumstritten. Während die optimal contracting theory den Grund für optimale, nicht exzessive Vertragsgestaltung in disziplinären Mechanismen wie z.B. der gerichtlichen Überprüfung von Managementgehältern sieht, geht die sog. managerial power hypothesis der US-Amerikaner Bebchuk, Fried und Walker davon aus, dass die hohen Vorstandsvergütungen in den USA auf den grossen Einfluss der CEO’s in Vergütungsverhandlungen zurückzuführen sind, vgl. zum Ganzen Developments in the Law – Corporations and Society, 117 Harv. L Rev. (2004), S. 2205 (2207) und Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (848 ff.) sowie ausführlich unten II. 44 Ein solches Instrument ist z. B. die Kontrolle durch ein separates Kontrollorgan, welches in der deutschen Aktiengesellschaft vom Aufsichtsrat repräsentiert wird, vgl. §§111 I, 84 I, 87 I AktG. Allerdings kann auch der Aufsichtsrat eine effektive Kontrolle im Sinne der PrincipalAgent-Theory nicht gewähren, da es sich nach der Idee des Gesetzgebers um eine Nebentätigkeit handelt (§§ 100 II, 110 III AktG), die ihrerseits die Gefahr von Interessenkollisionen birgt, vgl. Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (117); Tiedemann, in: FS Tröndle, 1989, S. 319 (320). 45 In den USA, deren Corporate Governance System traditionell auf externe Regulierung setzt (sog. externe Corporate Governance), übernimmt in weitem Umfang der Kapitalmarkt die Kontrolle von Managerverhalten, insbesondere der Markt für Unternehmensübernahmen und der Personalmarkt für Manager, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 49; Schwarz/Holland, ZIP 2002, S. 1661 (1662). Die Effektivität dieses Systems ist freilich, auch infolge der jüngsten Bilanzskandale auf dem US-amerikanischen Unternehmensmarkt (Enron, WorldCom), umstritten, vgl. Schwarz/Holland, ZIP 2002, S. 1661 ff. 46 Zur Optimal-Contracting-Theory vgl. ausführlich Developments in the Law – Corporations and Society, 117 Harv. L. Rev. (2004), S. 2205 (2208 ff.). 47 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 49. 48 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 49.
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
ternehmens verknüpft werden. Dies hat zwar eine Verteuerung der Vergütung zur Folge, die aber der Idee nach durch die Einsparung der anderenfalls entstehenden Kontrollkosten mehr als kompensiert wird 49. bb) Shareholder Value-Ansatz 50 Auch das Shareholder Value 51-Konzept, das seinen Ursprung im US-Aktienrecht hat, will das Problem von Interessenkonflikten zwischen Anteilseignern und Managern über die Vergütung lösen 52. Der Shareholder Value wird heute definiert als eine rechnungswertorientierte Bezugsgröße, die den unternehmensbezogenen Vermögenszuwachs der Aktionäre reflektieren soll 53. Der auf diesen Begriff zurückgehende Ansatz ist im eigentlichen Sinne kein Instrument der Personalführung, sondern ein Finanzierungskonzept bzw. ein Messinstrument für Investitionen 54. Mit seiner Entwicklung soll die Erkenntnis umgesetzt werden, dass der Erfolg oder Wert eines Unternehmens, der sich im Börsenkurs niederschlägt, nicht zwingend an den internen Buchkennzahlen Gewinn bzw. Gewinn pro Aktie ablesbar ist 55. Da auch ein Abstellen auf den absoluten bzw. den relativen Unternehmenserfolg nicht frei von ökonomischen Schwächen sei 56, müsse der Erfolg der Manager an der Wertsteigerung Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (117); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 49. Ausführlich Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 49 ff. 51 Obgleich der Begriff des Shareholder Value bereits Mitte der siebziger Jahre in den USA geprägt wurde (zum Einzug des Shareholder Value-Konzepts in das Aktienrecht vgl. Groh, DB 2000, S. 2153 ff.), verdankt er seine heutige Prominenz erst einer Monographie des US-Amerikaners Alfred Rappaport aus dem Jahre 1986, vgl. Rappaport, Creating Shareholder Value: The New Standard for Business Performance, 1986; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S.50; Groh, DB 2000, S. 2153. 52 Vgl. Groh, DB 2000, S. 2153. 53 Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 155. 54 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 53. Mit der von Rappaport entwickelten sog. discounted-cash-flow-Methode werden zukünftig erwartete Kapitalströme anhand eines Kapitalkostensatzes auf die Gegenwart diskontiert; diese bilden dann die Grundlage sowohl für die Eigentümerrendite aus Dividenden als auch für steigende Kurswerte. Der Shareholder Value ist die Summe der kumulierten diskontierten zukünftigen Kapitalströme und des Restwertes der Investition am Ende der Investitionsperiode (sog. Residualwert) nach Subtraktion des Anteils an Fremdkapital, der in die Investition einfließt. Vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 52; Rappaport, Creating Shareholder Value, 1998, S. 19, 21 ff. m. w. N. 55 Rappaport, Creating Shareholder Value, 1998, S.18 ff. Hauptargument gegen den Gewinn als Grundlage für die Bewertung des Erfolgs eines Unternehmens ist die Tatsache, dass dieser eine unsichere und manipulierbare Größe darstellt, da seine Ermittlung rechnungstechnisch auf verschiedene Weise möglich ist. Zu den Schwächen des Gewinns als Maßstab für den Erfolg eines Unternehmens vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S.52. Ähnlichen Bedenken begegnen die für die Erfolgsmessung häufig verwendeten Koeffizienten der Rentabilität des investierten Kapitals (return on investment) und der Rentabilität des Eigenkapitals (return on equity), vgl. Rappaport, Creating Shareholder Value, 1998, S. 21 ff., 29 ff. 56 Eine Messung am absoluten Unternehmenserfolg, der am Börsenkurs ablesbar ist, beziehe ebenso wie eine rein marktabhängige Vergütung vom Manager nicht beeinflussbare Fakto49 50
A. Die Vorstandsvergütung in der Praxis
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für die Kapitalanleger durch die von ihnen initiierten und durchgeführten Unternehmensentscheidungen, also am Zuwachs von Shareholder Value, gemessen werden. Ziel des Shareholder Value-Ansatzes ist es, eine strategische Unternehmensleitung zu entwickeln, die den Unternehmenswert dauerhaft mehrt57. Der Unternehmenswert, so die Grundannahme, orientiert sich dabei maßgeblich am Wertzuwachs für die Anteilseigner (Eigentümerrendite) 58; im Ergebnis räumt damit das Prinzip des Shareholder Value, verstanden als Handlungsgebot an den Vorstand, den Interessen der Aktionäre (shareholders) Vorrang vor denjenigen der anderen sog. stakeholders 59 (Arbeitnehmer, Management, Gläubiger, Kunden, die Öffentlichkeit etc.) ein 60. Zum Zwecke der konsequenten Ausrichtung des Managements an den Zielen des Shareholder Value wird der Shareholder Value-Ansatz mit Entlohnungstheorien verknüpft, um dann als flankierende Maßnahme zur Umgehung von Interessenkonflikten 61 die Vergütung einzusetzen, die an die Entwicklung des Shareholder Value gekoppelt ist 62. Zusammengefasst lässt sich der Beitrag, den der Shareholder ValueAnsatz zur Frage der Vorstandsvergütung leistet, in der Ausrichtung der Leistungsund Erfolgsmessung und damit konsequenterweise auch der leistungs- und erfolgsabhängigen Vergütung auf die richtigen Erfolgszahlen, die nach Rappaport nur durch die für die Kapitaleigner relevanten Zahlungsströme repräsentiert werden, sehen 63.
ren in die Erfolgsbewertung ein, die dann zu windfall profits führen können, vgl. Rappaport, Creating Shareholder Value, 1998, S.117. Auch eine branchenorientierte und damit relative Erfolgsmessung weise aber Schwächen auf, namentlich die, dass der Manager aufgrund der Ausklammerung seiner absoluten Leistung zu möglicherweise unrentablen strategischen Entscheidung verleitet wird. Vgl. Rappaport, Creating Shareholder Value, 1998, S. 115: „After all, doing well on a relative scale but doing poorly on an absolute basis offers little comfort to longsuffering shareholders“. 57 Zum Instrumentarium des Shareholder Value-Konzepts gehören primär die sog. stock options, vgl. Rappaport, Creating Shareholder Value, 1998, S.112, 115 und unten c) cc). 58 Rappaport, Creating Shareholder Value, 1998, S. 18, spricht vom „economic value for shareholders“. 59 Auch die Aktionäre sind als Interessengruppe im Unternehmen stakeholders im oben genannten Sinne. Sind allerdings ihre spezifischen Anteilseignerrechte betroffen, ist es sachgerecht, sie in Abgrenzung zu den anderen im Unternehmen vertretenen Gruppierungen ausschließlich dem shareholder-Bereich zuzuordnen. 60 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 76 Rn. 64. 61 Rappaport führt als wesentliche mögliche Konflikte zwischen Management und Anteilseignern, die sich nachteilig auf die Renditeerwartung der Kapitaleigner auswirken können, erstens eine übermäßige Ausgabeneigung des Managements, zweitens eine unterschiedliche Risikoeignung von Anteilseignern und Managern (vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Principal-Agent-Modell oben a)), und drittens einen unterschiedlichen Zeithorizont für die Entscheidungsfindung von Managern und Anteilseignern an, vgl. Rappaport, Creating Shareholder Value, 1998, S. 3 ff. m. w. N. 62 Rappaport, Creating Shareholder Value, 1998, S. 4; 112 ff. m. w. N. 63 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 54 f.
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
c) Feste Vergütungsbestandteile Die festen Vergütungsbestandteile setzen sich aus dem Festgehalt, das der Sicherstellung eines angemessenen Lebensunterhalts dient und die Bezugsgröße für die Bemessung der variablen Vergütungselemente bildet, und festen Sondervergütungen, die z. B. in einem eventuellen dreizehnten Monatsgehalt oder Jahresabschlussgratifikationen bestehen können, zusammen 64. Noch für das Jahr 2000 ging Schüller davon aus, dass das Festgehalt trotz bereits steigender Bedeutung von modernen, erfolgsabhängigen Vergütungssystemen zwischen 50 % und 70 % der Gesamtbezüge eines Vorstandsmitglieds in Deutschland ausmachte 65. Inzwischen dürfte aber, insbesondere im Hinblick auf die explosionsartige Verbreitung von Aktienoptionsprogrammen und den zunehmenden Einsatz von virtuellen Aktien, der variable Vergütungsanteil in deutschen Kapitalgesellschaften deutlich höher liegen 66. d) Variable Vergütungsbestandteile Variable Bezüge werden heutzutage in nahezu 100 % aller Vorstandsverträge vereinbart 67. Nach dem DCGK sind sie notwendiger Teil des Vergütungspakets 68. Als Teil eines leistungsorientierten Kompensationsmodelles dienen variable Komponenten im Sinne moderner Vergütungspolitik der Motivationsförderung der Geschäftsleitung und gehen primär 69 davon aus, dass Organmitglieder wenigstens in einer gewissen Bandbreite – wie Eigentümer – am unternehmerischen Erfolg oder Misserfolg zu beteiligen sind. Das Verhältnis der festen zu den variablen Bezügen richtet sich nach der Höhe der Gesamtbezüge: Je höher diese sind, umso höher kann der Prozentsatz der variablen Bezüge sein 70.
64 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 27; Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 75. 65 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 27. In den USA wurden Vorstandsoptionen seit den achtziger Jahren ein immer wichtigerer Bestandteil der Vergütung und sind inzwischen noch vor dem Grundgehalt der wichtigste Vergütungsbestandteil, vgl. Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (321) und ausführlich unten c) cc). 66 Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 75; Adams, ZIP 2002, S. 1325 (1326 f.). 67 Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 121. 68 Vgl. oben a) bb). 69 Andere wesentliche Faktoren für die Motivation der Geschäftsleitung sind freilich die Qualität der Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat und innerhalb des Vorstands, sowie das Maß der unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten, vgl. Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 121. 70 Die DSW-Studie empfiehlt für die DAX30 Unternehmen einen Anteil der variablen Vergütung von mindestens 60 %, vgl. Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 117.
A. Die Vorstandsvergütung in der Praxis
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aa) Provisionen Provisionen sind am persönlichen Ergebnis des Vorstandsmitglieds orientierte Vergütungsbestandteile, deren Vereinbarung in Vergütungsverträgen größerer Aktiengesellschaften jedoch eher selten ist, da sie vornehmlich bei solchen Führungskräften zu finden sind, die im Vertrieb oder im Bereich des Produktabsatzes tätig sind und damit auf Einzelaspekte bezogene Aufgaben wahrnehmen, während in der Praxis größerer Aktiengesellschaften Vorstände zumeist generellere, auf die gesamte Unternehmung bezogene Aufgaben haben 71. bb) Tantiemen Tantiemen, die im Gegensatz zu Provisionen das Unternehmensergebnis als Maßstab nehmen, waren Anfang des 21. Jahrhunderts die gebräuchlichste Form variabler Bezüge in Deutschland 72. Die Tantieme ist das Äquivalent einer erfolgreichen unternehmerischen Führung der Gesellschaft und damit in aller Regel eine erfolgsabhängige Gewinnbeteiligung 73. Durch die ersatzlose Streichung der bisherigen Regelung des Gesetzes über die Gewinnbeteiligung der Vorstandsmitglieder (§ 86 AktG) durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz vom 19. Juli 2002 sind Tantiemen als erfolgsabhängige variable Vergütungsform zwar allgemein anerkannt; ihre Bedeutung für die Vorstandsvergütung schwindet, zurückzuführen wohl primär auf die Einführung moderner Vergütungssysteme, insbesondere von Aktienoptionsplänen, jedoch 74. Insbesondere die dividendenabhängige Tantieme, die als Bezugsgröße die Dividende in Form der Dividendensumme, den Dividendenprozentsatz oder den Dividendenertrag je Aktie zum Gegenstand hat und die Anfang des neuen Jahrtausends noch die am häufigsten verwendete Form der Tantieme darstellte 75, gilt inzwischen als veraltet 76. Vergütungspraktisch bedeutsam, da nach wie vor weit verbreitet, ist die sog. Ermessenstantieme 77. Die vergütungstechnische Besonderheit der Ermessenstantieme, die, wie Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 28. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 28. 73 Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 122. Keine Gewinnbeteiligungen sind dagegen garantierte Tantiemen, die vom Gewinn unabhängig sind (z. B. die sog. Mindesttantieme, die einen Teil der bei gutem Ergebnis vorgesehenen variablen Bezüge garantiert) sowie vom Umsatz abhängige Vergütungen, insbesondere die Umsatztantieme, die wegen ihrer Ausrichtung am Arbeitsergebnis der Gesellschaft der Provision am ähnlichsten ist und daher zuweilen auch als Umsatzprovision bezeichnet wird, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 29. 74 Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 123. 75 So noch Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 29. 76 Die dividendenabhängige Tantieme krankt primär an der Tatsache, dass die Dividendenpolitik eigenen Gesetzen, vor allem der Gefahr bilanzpolitischer Maßnahmen, unterliegt, vgl. Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 123. 77 Zur Bedeutung der Ermessenstantieme in der heutigen Vergütungspraxis vgl. Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 123; HoffmannBecking, ZHR 169 (2005), S. 155 (160). 71 72
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
die Bezeichnung schon nahe legt, vollständig im billigen und freien Ermessen des Aufsichtsrats steht, besteht primär darin, dass sie aufgrund einer nachträglichen Leistungsbewertung des jeweiligen Vorstandsmitglieds gewährt wird und somit vergangenheitsbezogen ist 78. Diese retrospektive Ausrichtung der Ermessenstantieme ist zwar, wie unten noch zu sehen sein wird, vergütungstechnisch nicht ganz unproblematisch 79, hat jedoch den Vorteil, dass der Aufsichtsrat zum Zeitpunkt der Entscheidung „post festum“ über alle für eine gerechte Beurteilung der objektiv-individuellen Leistung des jeweiligen Vorstandsmitglieds erforderlichen Tatsachen verfügen kann, was die Ermessenstantieme zu einem besonders flexiblen und nuancierten Instrument der Leistungsbeurteilung macht 80. Von Vergütungsexperten viel diskutiert ist außerdem die sog. Zieltantieme 81. Sie stellt eine besondere Form variabler Vergütung dar, die wegen ihres Leistungsbezuges als ein Instrument moderner Vergütung einzustufen ist. Die Zieltantieme honoriert in einem festzulegenden Verhältnis Unternehmenserfolg und individuelle Leistung in dem Geschäftsjahr, für das die Zahlung erfolgen soll. Die Bemessung des Unternehmenserfolgs richtet sich dabei in der Regel nach betriebswirtschaftlichen Kennziffern, die nicht direkt aus der Gewinn- und Verlustrechnung ablesbar sind 82. Üblicherweise wird der Aufsichtsrat 83 zudem einen Prozentsatz festlegen, über den die Zieltantieme von der Erreichung persönlicher quantitativer und qualitativer Ziele beeinflusst wird 84. Erwähnenswert 85 erscheint an dieser Stelle 78 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 15; Wollburg, ZIP 2004, S.646 (652); Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, § 21 Rn. 39; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155 (161). 79 Vgl. zur Problematik nachträglicher Vergütungsinstrumente unten C.III.5. 80 Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (653); Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (799); ders., ZHR 169 (2005), S. 155 (160). 81 Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 124, bezeichnet die Zieltantieme als „das neue Zauberwort“ moderner Vergütungspolitik. 82 Anknüpfungspunkt kann beispielsweise das Betriebsergebnis sein, das um Aufwandspositionen korrigiert als absolute Zahl und in Relation zum investierten Kapital Maßstab der Zieltantieme ist. Ein anderer Parameter kann z. B. die Kundenzufriedenheit sein, vgl. Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 125. 83 Die Festlegung der Ziele selbst obliegt grundsätzlich dem Vorstand bzw. der Geschäftsführung. Wird durch Vereinbarung mit den Organmitgliedern allerdings eine messbare Verpflichtung der Gesellschaft begründet oder bindet sich der Aufsichtsrat bereits im Zeitpunkt der Festlegung der Ziele auf bestimmte Zahlungen in Abhängigkeit vom Grad der Zielerfüllung, so begründet dies eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats. Dieser ist im Übrigen auch für die Entscheidung zuständig, welcher Betrag in welcher Höhe und in welcher Weise bei einer Zielerreichung in Höhe von 100 % ausbezahlt werden soll, vgl. Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 125. 84 Zu diesen persönlichen Zielen, die Einfluss auf die Tantieme haben können, gehören exemplarisch Spartenergebnisse, Verbesserungsmaßnahmen jeglicher Art oder Desinvestitionen, Parameter also, die nicht vollständig berechenbar und messbar sind und demzufolge Ermessensspielräume offen lassen, vgl. Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 124. 85 Der vorliegende Beitrag soll nur einen Überblick über die in der Praxis wichtigen Formen von Tantiemen geben und erhebt in dieser Hinsicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Einen
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noch die bilanzgewinnabhängige Tantieme, die an den Bilanzgewinn abzüglich eines Prozentsatzes (mindestens 4 %) der auf den Nennbetrag der Aktien geleisteten Einlagen anknüpft 86. Entscheidender Unterschied der Tantiemen zu den ebenfalls am Erfolg des Unternehmens orientierten Aktienoptionsplänen ist dabei die Art des Erfolgs, an den in beiden Fällen angeknüpft wird. Während sich die Gewinnbeteiligung am erwirtschafteten Ertrag des Unternehmens selbst orientiert, knüpfen Aktienoptionsprogramme in aller Regel an die Wertsteigerung der Aktien des Unternehmens an 87. cc) Stock Option Plans (Aktienoptionspläne) “The increase in CEO pay in S&P Industrials during the 1990’s primarily reflects a dramatic growth in stock options (valued on date of grant), which swelled from 27 percent to 51 percent of total compensation, representing a five-fold increase in dollar terms”. 88 (1) Die Entwicklung von Aktienoptionsplänen für Führungskräfte Aktienoptionsprogramme (engl. stock options) als Vergütungsbestandteil für Führungskräfte haben ihren Ursprung in der US-amerikanischen Vergütungspraxis. Ihr Aufstieg zum Hauptvergütungselement hängt eng mit Veränderungen in der USamerikanischen Unternehmenslandschaft Ende der 80er Jahre zusammen. Zu dieser Zeit fanden erstmals über hochspekulative Schuldverschreibungen (junk bonds) finanzierte ausgedehnte feindliche Unternehmensübernahmen (hostile takeovers) statt, die die damals vergleichsweise sichere Position von Topmanagern, die die damalige Isolierung von Aktionärsinteressen naturgemäß mit sich führte, ins Wanken brachte 89. Firmen, die sich auf fremdkapitalfinanzierte Unternehmensübernahmen spezialisiert hatten, hatten im Sinne einer effektiven Kontrolle des übernommenen oder neu eingesetzten Managements nun ein starkes Interesse daran, die Managementinteressen an den Aktienkurs der übernommenen Gesellschaft zu koppeln 90. Ein entscheidender Faktor für die rasche Verbreitung von Stock Option Plans war zudem das Entstehen von Internetfirmen (dot.coms), die anfangs finanziell nicht imstande waren, ihren Führungskräften dieselben Gehälter zu zahlen wie die traditionellen US-amerikanischen Industrieunternehmen (sog. „brick and mortar“ compaausführlichen Überblick bieten z. B. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 28 ff.; Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, § 21 Rn. 37 ff. 86 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 29. 87 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 9. 88 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 848. 89 Coffee, What Caused Enron, 89 Cornell L. Rev. (2004), S. 269 (273). 90 Coffee, What Caused Enron, 89 Cornell L. Rev. (2004), S. 269 (273).
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
nies) 91. Um Führungskräfte von diesen traditionellen Unternehmen in die New Economy-Unternehmen zu locken, boten Internet start-ups riesige Optionszuschüsse, was in Verbindung mit dem Boom in der Internet-Branche – die manchem CEO in der New Economy in kürzester Zeit zu enormem Reichtum verhalf 92 – die traditionellen Publikumsgesellschaften dazu veranlasste, dem eigenen Führungspersonal auch verstärkt Aktienoptionen in Aussicht zu stellen 93. Neben diesen praktisch bedingten Aspekten steht als wesentlicher Treiber von stock options die US-amerikanische Gesetzgebung, die Aktienoptionen seit Jahrzehnten in vieler Hinsicht bevorzugt behandelt hat 94. (2) Aktienoptionen als Vergütungselement in deutschen Aktiengesellschaften Auch hierzulande haben sich Aktienoptionen zu einem festen Bestandteil der Vorstandsvergütung entwickelt. Ihr Sinn und Zweck besteht im Wesentlichen darin, die Leistung der Vorstandsmitglieder am Unternehmenserfolg zu messen und zusätzliche Anreize zur Berücksichtigung des Shareholder Value zu schaffen 95. Im Rahmen der Vorstandsvergütung verwendete stock options sind Kaufoptionen96 (sog. Call-Optionen) 97 auf Aktien, also Umtausch- oder Bezugsrechte, die von einem Unternehmen Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293 (305 f.). Mark Tebbe, CEO von Lante Corp., einer Internet-Beratungs-Firma mit Sitz in Chicago, erhielt 1999 insgesamt 360 000 US-Dollar Grundgehalt in Verbindung mit 216 000 US-Dollar Bonuszahlungen. Sein Portfolio umfasste außerdem über 13 Millionen Aktien der Lante Corp., die selbst nach einem Kursverfall in den Wochen nach dem Börsengang von Lante Corp. im Februar 2000 noch mehr als 320 Millionen US-Dollar wert waren, vgl. Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293 (305 f.). 93 Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293 (306). 94 Neben den herkömmlich genannten Vorteilen, die die Gewährung von stock options für das Unternehmen birgt (Überwindung des Principal-Agent-Problems; effektive Anwerbung von Führungskräften), genießen stock options sowohl im Hinblick auf die Rechnungslegung als auch im Hinblick auf die steuerliche Abzugsfähigkeit eine bevorzugte Behandlung gegenüber anderen Vergütungsinstrumenten. Bilanzierungstechnisch müssen nichtindexierte stock options gemäß APB 25 bzw. SFAS 123 nicht in die Gewinn- und Verlustrechnung übernommen werden mit der Folge, dass sie sich nicht auf den Bilanzgewinn auswirken, was sie zu dem in buchungstechnischer Hinsicht kostengünstigsten Anreizinstrument macht. Steuerrechtlich ist die Vergütung durch Gewährung von stock options für die Gesellschaft günstiger als die Zahlung derselben Summe in Form einer Barvergütung. Ausführlich Sonthalia, Shareholder Voting on All Stock Option Plans, 51 UCLA L. Rev. S. (2004), S. 1203 (1209); Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S.131; Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S.295 (322). 95 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, §87 Rn. 27; Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 130. 96 Nur Call-Optionen kommen als vergütungsbestimmte Aktienoptionen in Betracht, vgl. Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 126. 97 Gehandelt werden auch sog. Put-Optionen (Verkaufsoptionen), mit denen der Käufer gegen Zahlung einer vorab bestimmten Prämie das Recht erwirbt, die Aktie innerhalb eines vorab 91 92
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entweder direkt oder über die Einschaltung eines Kreditinstituts oder einer Tochtergesellschaft an einen bestimmten Kreis von Führungskräften gegeben werden 98. Sie räumen ihrem Inhaber das Recht ein, gegen Zahlung eines vorab festgelegten sog. Ausübungs- oder Basispreises 99 innerhalb einer bestimmten Frist 100 unter bestimmten ebenfalls vorab festgelegten Bedingungen Aktien der Gesellschaft zu erwerben. Ausgeübt wird die Option regelmäßig dann, wenn der aktuelle Aktienkurs den Basispreis übersteigt, was den Begünstigten den Anreiz vermittelt, den Börsenkurs der Aktien und damit den Marktwert des Unternehmens zu maximieren101. Die Bedienung der Optionen wird in aller Regel durch bedingte Kapiatalerhöhung, §192 II Nr.3 AktG, erfolgen 102. Hierbei wird durch einen Beschluss der Hauptversammlung das Kapital der Gesellschaft unter der Bedingung erhöht, dass die geschaffenen Aktien auch tatsächlich in Umlauf gebracht werden 103. Der entscheidende Vorteil von Aktienoptionsplänen ist nach überwiegender Auffassung, dass die Gesellschaft zur Entlohnung ihrer Führungskräfte keinen Mehrbedarf an Liquidität hat 104. Dies wird durch die Schaffung neuer Aktien bei Bedienung des Optionsplans ersetzt, was Stock Option Plans besonders für Start-Ups reizvoll macht 105. Zudem entsteht eine einseitige Bindungswirkung des begünstigten Organmitglieds, da Optionen bei vorzeitigem Ausscheiden aus der
festgelegten Zeitraumes zum vereinbarten Basispreis zu verkaufen. Werden zur Vergütung verwendete Call-Optionen mit der Ausgabe von Put-Optionen verbunden, so ist dies wegen der Neutralisierung des sich aus der Call-Option für den Vorstand ergebenden Anreizes zur Unternehmenswertmaximierung ein in seiner Zulässigkeit umstrittenes sog. gegenläufiges HedgeGeschäft, vgl. Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (17) und unten C.III.2. 98 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 62; Baums, in: FS Claussen, 1997, S.3; Liebscher, in: Beck’sches Handbuch AG, § 6 Rn. 76. 99 Stock options als Vergütungsbestandteile für Vorstände sehen als Basispreis in der Regel den Kurs der Aktie bei Einräumung der Option (sog. issue at the money) vor, vgl. Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3. 100 Mit Inkrafttreten des KonTraG (Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich v. 27. April 1998, BGBl. I S. 786) wurde in § 193 II Nr. 4 AktG eine Mindestwartezeit von zwei Jahren festgelegt. 101 Baums, in: FS Claussen, 1997, S.3; Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 27, 30. 102 Möglich ist es auch, den Optionsplan durch Ankauf eigener Aktien zu bedienen, vgl. §71 I Nr. 8 AktG. Nach dieser Vorschrift kann das Unternehmen eigene Aktien (zurück-) kaufen, und zwar unter den gleichen Bedingungen wie bei der Ausgabe durch die im Rahmen einer bedingten Kapitalerhöhung geschaffenen Aktien, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 63. Der Erwerb eigener Aktien ist jedoch nach geltendem Recht kostenintensiv und risikobehaftet, so dass die Optionen im Regelfall durch bedingte Kapitalerhöhung bedient werden, vgl. Schneider, ZIP 1996, S. 1669 (1772). 103 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 62. 104 Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtratsmitglieder, § 9 Rn. 131; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 63; Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 38. 105 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 63. Wie oben ausgeführt wurde, haben die in den USA Ende der 90er Jahre entstandenen Internet start-ups (dot.coms) stock options erstmals vermehrt gebraucht und gesellschaftsfähig gemacht, vgl. oben (1).
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
Gesellschaft normalerweise verfallen 106. Als Nachteile von Optionsplänen werden regelmäßig deren fehlende steuerliche Abzugsfähigkeit sowie die Verwässerung der Anteilsrechte von Altaktionären durch die Schaffung neuer Aktien angeführt 107. Zumindest ersterem Argument kann jedoch entgegengehalten werden, dass die Arbeitsleistung des Optionsempfängers unmittelbar der Gesellschaft und nur mittelbar den Gesellschaftern zugute kommt und die stock options auf Grund des Anstellungsverhältnisses erbracht werden, weshalb das Unternehmen durch die Einräumung der Optionen Barentlohnungen in entsprechender Höhe spart108. Entscheidender Nachteil von Aktienoptionen ist damit die wirtschaftliche Belastung der Altaktionäre durch Kapitalverwässerung 109, eine Folge, die jedoch nach Ansicht der Anhänger von Aktienoptionsplänen zugunsten einer effizienteren Managementkontrolle und Unternehmenswertsteigerung durch Anreizschaffung zumindest dann hingenommen werden müsse, wenn die genannten Vorteile sich ohne die Vergabe Aktienoptionen nicht, nicht mit gleicher Wahrscheinlichkeit oder nur in geringerem Umfang einstellen würden 110. (3) Stock Options in der Krise In den Anfangszeiten der Verwendung moderner Vergütungssysteme häufig als „Zauberformel der Angleichung von Aktionärs- und Managementinteressen“ gepriesen 111, sind Aktienoptionspläne in jüngster Zeit vermehrt in die Krise geraten 112. Anknüpfungspunkt für die heute immer häufiger auftretenden Akzeptanzprobleme von Stock Option Plans im Kapitalmarkt 113 sind insbesondere astronomische Options106 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S.203 (235). Hier sind Konstruktionen denkbar, in denen auf diesem Weg das BetrAVG „ausgehebelt“ wird. Nach Fonk, in: Semler/ von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtratsmitglieder, § 9 Rn. 131 erinnern Verhandlungen über den Nachteilsausgleich bei einem Wechsel der Führungskraft vor Fälligkeit der Option gelegentlich an „Ablöseverhandlungen im Profi-Fussball“. 107 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (228); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 63. 108 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (331); ders., ZIP 2002, S. 1325 (1336). Nach richtiger Ansicht ist die Ausgabe von stock options auf Basis einer bedingten Kapitalerhöhung daher als Personalaufwand erfolgswirksam zu erfassen, vgl. Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 38; Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (331). 109 Zur Verdeutlichung des Verwässerungseffektes mag folgendes einfaches Beispiel einer Gesellschaft X mit 100 im Umlauf befindlichen Aktien dienen: jede Aktie repräsentiert 1% der Stimmen, des Gewinns und des Nettovermögenswerts des Unternehmens. Gewährt die Gesellschaft ihrem Vorstandsvorsitzenden nun eine Option (auf eine Aktie), so sind bei Ausübung der Option 101 Aktien im Umlauf, und jede Aktie repräsentiert nunmehr nur noch 0,99% der Stimmen, des Gewinns und des Nettovermögenswertes der Gesellschaft. 110 Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 41. 111 Paefgen, WM 2004, S. 1169. 112 Paefgen, WM 2004, S. 1169. 113 Vgl. nur Paefgen, WM 2004, S. 1169; Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 130. Diese Akzeptanzprobleme stehen in starkem Kontrast
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vergütungen primär in den angelsächsischen Ländern114, die die aktienrechtliche Angemessenheit vieler Stock Option Plans zweifelhaft machen, die mangelnde Transparenz der realen Werte sowie, auf der anderen Seite, Nullsummenspiele für die Begünstigten aufgrund negativer Börsenmarktentwicklungen 115. Ausdruck haben diese Akzeptanzprobleme z. B. in dem von der DaimlerChrysler AG auf der Hauptversammlung 2004 gefassten Beschluss gefunden, in Zukunft an die Stelle eines Optionsprogramms für Führungskräfte ein von der Börsenpreisentwicklung unabhängiges Vergütungssystem zu setzen, das an die Umsatzrendite und den sog. return on net assets im Vergleich mit anderen Automobilherstellern, also aus der Rechnungslegung abgeleitete Erfolgsmaßstäbe, anknüpft 116. Die drei Hauptgründe für diese verstärkte Kritik, die sich sowohl gegen die genannten theoretischen Grundlagen moderner Vergütungssysteme, als auch gegen ihre praktische Umsetzung richtet, sind im Einzelnen Zweifel an der Richtigkeit der Ausrichtung der Vergütung auf den Shareholder Value, Schwächen der Motivationsfunktion sowie Schwächen der Kontrollfunktion moderner Vergütungssysteme 117. Auf die einzelnen Kritikpunkte wird bei der Frage der Leistungsfähigkeit moderner Vergütungsformen zur Begründung der Angemessenheit näher eingegangen werden 118; an dieser Stelle soll der Hinweis auf die Problematik genügen. dd) Aktienbasierte Vergütungsformen In der Praxis treten an die Stelle von Aktienoptionsprogrammen immer häufiger schuldrechtliche Nachbildungen derselben, sog. aktienbasierte Vergütungsmodelle 119. Als aktienbasierte Vergütungsmodelle gelten primär sog. stock appreciation right plans sowie phantom stock plans 120.
zu der geradezu „epidemieartigen Ausbreitung“ von Stock Option Plans (vgl. Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 130) nach ihrer Entdekkung für die internationale Vergütungspolitik. 114 Zur Vergütungssituation in den USA vgl. unten C. II. 5. b) aa). 115 Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 130. Vor allem der Einbruch am Neuen Markt Anfang 2001 hat zu Zweifeln an der Effizienz von Aktienoptionsprogrammen geführt. 116 „Schrempps Kraftakt“, Welt am Sonntag v. 4. April 2004, S. 5 f. 117 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 85. 118 Vgl. unten C.II. und III. 119 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (119); Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (229). 120 Wegen ihrer technischen Nähe zu Tantiemen werden phantom stocks und stock appreciation rights teilweise auch als börsenkursorientierte Tantiemen bzw. erfolgsabhängige Bartantiemen bezeichnet, vgl. Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (501); Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155 (164).
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(1) Stock Appreciation Rights Stock Appreciation Rights (SARs) sind virtuelle Optionen, die statt auf die Lieferung von Aktien auf eine Barauszahlung in Höhe des Wertzuwachses für eine festgelegte fiktive Anzahl von Aktien gerichtet sind (kursorientierte Barvergütung) 121. Der Begünstigte erhält das Recht, zu einem bestimmten Zeitpunkt in vorher festgelegtem Umfang an der Wertentwicklung der Aktie des Unternehmens zu partizipieren 122. Der maßgebliche Unterschied zu Aktienoptionsplänen besteht darin, dass die Vorstandsmitglieder nur schuldrechtlich so gestellt werden sollen, als ob ein Stock Option Plan vereinbart worden wäre; faktisch erfolgt die Vergütung bei Ausübung der SARs aus der Gesellschaftskasse und nicht über eine Erhöhung der umlaufenden Titel 123. (2) Phantom Stocks Phantom Stocks sind virtuelle Aktien, für die in der Regel eine unter dem Börsenkurs liegende Zahlung geleistet werden muss und am Ende deren Laufzeit der dann aktuelle Aktienkurs ausgezahlt wird 124. Auch bei dieser Vergütungsform, ähnlich wie bei SARs, ist der Aktienkurs der Maßstab für die Leistungsvergütung des Vorstands; auch hier wird die Vergütung nicht durch eine Erhöhung der umlaufenden Titel bestritten, sondern direkt aus der Gesellschaftskasse gezahlt125. Diese Form der aktienbasierten Vergütung hebt der DCGK als Beispiel für „variable Vergütungs-
121 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 36; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 64; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155 (178). Entwickelt wurden SARs in den USA, wo executive officers und outside directors einer public corporation der Insiderhandelsregelung der Sec. 16(b) des Securities Exchange Act von 1934 unterliegen, welche die Genannten beim Kauf von Aktien ihres Unternehmens einer sechs-monatigen Verkaufssperre unterwirft. Mit der Vereinbarung von SARs lassen sich die Nachteile dieser Verkaufssperre insofern umgehen, als dem Vergütungsempfänger die Möglichkeit gegeben wird, Kursgewinne zu realisieren, ohne Eigentümer der entsprechenden Aktie gewesen zu sein. Zum US-amerikanischen Recht ausführlich Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 136. 122 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 64. 123 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 36. 124 Die begünstigten Vorstandsmitglieder erhalten im Rahmen von Phantom Stock Plans eine gewisse Anzahl an fiktiven („virtuellen“) Aktien als „Verrechnungskosten“ zugesprochen, die sie zu bestimmten oder flexibel zu wählenden Zeitpunkten fiktiv verkaufen können. Das Unternehmen zahlt bei diesem fiktiven Verkauf den eventuellen Wertzuwachs der Aktien in bar aus, der sich aus der Kursdifferenz zwischen dem realen Aktienkurs am Tag der Ausgabe des phantom stock und dem realen Börsenkurs am Tag des fiktiven Verkaufs ergibt, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 65; Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (229). Zur Gewährung von phantom stocks an Aufsichtsratsmitglieder vgl. Paefgen, WM 2004, S. 1169 (1173). 125 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 36.
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komponenten mit langfristiger Anreizwirkung“ ausdrücklich hervor 126. Zwar findet, im Gegensatz zum Aktienoptionsplan, weder bei SARs noch bei phantom stocks eine äußere Verwässerung von Aktionärsrechten durch eine bedingte Kapitalerhöhung statt; aktienbasierte Vergütungsmodelle ziehen aber eine innere Verwässerung durch Verringerung des zur Verteilung stehenden Gewinns nach sich, die mit der äußeren Verwässerung weitgehend wertungsgleich ist 127. In der Literatur wird daher gefordert, auch für aktienbasierte Vergütungsmodelle eine Zuständigkeit der Hauptversammlung, die derzeit vor allem mangels Anwendbarkeit von § 193 II Nr. 4 AktG nicht gegeben ist, zu etablieren 128. ee) Nicht marktbezogene moderne Anreizsysteme129 Die oben dargestellten marktbezogenen Anreizsysteme stehen naturgemäß nur solchen Unternehmen zur Verfügung, die sich einer Unternehmensbewertung durch den Markt bedienen können 130. Kleineren, nicht börsennotierten Aktiengesellschaften, internationalen Gesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung ist dies nicht möglich 131. Um auch diesen Unternehmen eine anreizorientierte Vergütung zugänglich zu machen, wurden in den letzten Jahren auch solche Anreizsysteme entwickelt, die die Existenz einer Unternehmensbewertung durch den Markt nicht voraussetzen, sog. nicht marktbezogene Anreizsysteme132. Operative Kennzahlen zur Ermittlung von Management- und Unternehmenserfolg ersetzen hier die 126 Ziffer 4.2.3 Absatz 2 Satz 1 des DCGK in der Fassung v. 2. Juni 2005, abrufbar im Internet unter http://www.corporate-governance-code.de/ger/download/D_CorGov_Endfassung2005.pdf. 127 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (230); Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 36. 128 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (230); Paefgen, WM 2004, S. 1169 (1173). Dagegen Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 36 mit der Begründung, dass Hintergrund für die Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses bei echten stock options nicht die vermögensmäßige Verwässerung, sondern die (formale) Beeinträchtigung mitgliedschaftlicher Rechte des Aktionärs sei. Zumindest im Hinblick auf die praktische Problematik der Beurteilung der Angemessenheit solcher aktienbasierter Vergütungssysteme ist jedoch für eine Zuständigkeit der Hauptversammlung auch für die Grundentscheidung über aktienbasierte Vergütungssysteme zu plädieren, da diese notwendigerweise mehr Transparenz gewährleisten würde und einer möglichen mittelbaren Berührung von Aufsichtsratsinteressen vorbeugen könnte. 129 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den einzelnen Formen nicht marktbezogener moderner Vergütung muss auch an dieser Stelle aus Platzgründen unterbleiben. Die vorliegende Arbeit soll nur einen Überblick über die wichtigsten Vergütungsinstrumente geben. Ausführlich zu den nicht marktbezogenen Anreizsystemen Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 65 ff. 130 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 65 f.; Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 144. 131 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 65 f. 132 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 65 f.; Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 150 ff.
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Marktbewertung 133. Die wichtigste Form nicht marktbezogener Anreizvergütung ist die Bonusvereinbarung 134. Bonusvereinbarungen sind variable Anreizsysteme, die die Erreichung strategischer Ziele an der Verwirklichung primär operativer Zielgrößen messen 135. Diese können finanzieller oder nichtfinanzieller Natur sein 136. Wählt das Unternehmen eine finanzielle Bezugsgröße als Leistungsmaßstab, so wird diese in der Regel auf zwei essentiellen Komponenten beruhen: einem Schwellenwert der festgelegten Bezugsgröße und einem Multiplikator 137. In den USA sehr verbreitet ist der sog. Renditebonus, eine auf einer finanziellen Bezugsgröße beruhende Bonusvereinbarung, die sich primär an der Rentabilität des Eigenkapitals, sog. return on equity, orientiert 138. In Deutschland verwendete Bonussysteme sind z. B. Leistungsboni, die die Erreichung persönlicher, sowohl operativer als auch strategischer Ziele belohnen, Ergebnisboni, die vom Erreichen eines geplanten Ergebnisses auf der Grundlage von Gewinn und Cash-Flow oder einer Kombination beider Kennzahlen abhängig sind, oder Strategieboni, die für die Steigerung des Marktwertes, die Durchsetzung von Innovationen oder ähnliche strategisch-längerfristige Leistungen gewährt werden 139. Bonusvereinbarungen sind, in Abgrenzung insbesondere zu Stock Option Plans, wegen der Variabilität der Belohnung, die eine Funktionsbedingung von Anreizen ist, regelmäßig als sog. kurzfristige Anreizinstrumente einzustufen (short-term-incentives) 140. e) Nebenleistungen Nach § 87 I S. 1 AktG umfasst die Vorstandsvergütung im engeren Sinne auch Nebenleistungen an das Vorstandsmitglied. Diese können aus in der Praxis bedeutsamen Aufwandsentschädigungen sowie aus sonstigen Nebenleistungen, die einer Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 66. Inzwischen hat sich eine Vielzahl nicht marktbezogener Anreizsysteme herausgebildet; ausführlich hierzu Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 65 ff. In den USA weit verbreitet sind z. B. sog. Deferred Compensation Systems, bei denen die Vergütung über die Bildung eines Bonusfonds (Bonuspool) am Anfang einer Periode erfolgt, aus dem die eine Hälfte im ersten Jahr an die Begünstigten ausgezahlt, die andere Hälfte zunächst aber zurückgestellt wird und in jedem Jahr bis zum Ende der vorab festgelegten Periode unter Heranziehung einer Unternehmenskennzahl, meist des Jahresgewinnes und Wachstumszielen, neu bewertet und sukzessiv ausgezahlt wird, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 66. 135 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 66; Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 121. 136 Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 121. 137 Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 121. 138 Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 121. Weitere Kennzahlen, an denen sich der Renditebonus bemessen kann, sind der return on investment und/oder der Umsatz, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 66. 139 Eine weitere Form der Bonusvereinbarung ist der Solidarbonus, der die Erreichung eines gemeinsamen Ziels für eine ganze Gruppe honoriert, vgl. zum Ganzen Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 66. 140 Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 120. 133 134
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Führungskraft üblicherweise zugute kommen, wie etwa Dienstwagen und Urlaubsregelungen, bestehen 141. aa) Aufwandsentschädigungen Mehrausgaben, die das jeweilige Vorstandsmitglied im Rahmen der Wahrnehmung seiner Organbefugnisse auf sich nimmt, sind gem. §§ 675, 669 f. BGB von der Gesellschaft zu tragen 142. Umfasst sind beispielsweise Ausgaben für Spesen und Transport bei auswärtigen Terminen; partiell werden auch häusliche Telefon- und Telefaxkosten erstattet 143. Üblicherweise werden solche Aufwandsentschädigungen „in angemessenem Rahmen“ ohne absolute Begrenzung zugesagt 144. Erstattungsfähig sind grundsätzlich auch im Zusammenhang mit der organschaftlichen Tätigkeit des Vorstandsmitglieds entstandene Aufwendungen zur Rechtsverteidigung in Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren 145; Aufwendungen für Geldstrafen und -bußen werden jedoch nur im absoluten Ausnahmefall von der Gesellschaft gedeckt 146. bb) Sonstige Nebenleistungen Sonstige in Vorstandsverträgen enthaltene Nebenleistungen sind etwa der Dienstwagen, der trotz verschärfter steuerlicher Belastungen die wichtigste vertragliche Nebenleistung darstellt 147, Urlaubsregelungen 148, Finanzberatungen 149, Karenzent141 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 28 ff., zählt insbesondere Ruhegehaltszahlungen und Versicherungen zugunsten von Vorstandsmitgliedern zu den „Nebenleistungen im weiteren Sinne“. Vorliegend wird dieser Einteilung nicht gefolgt, sondern aus Übersichtsgründen eine Aufteilung dieser Elemente in die Bereiche der Vorstandsversorgung und -absicherung vorgenommen, vgl. auch Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 ff.; Wiedemann, in: Beck’sches Formularbuch Aktienrecht, G.V (S. 392 ff.). 142 Liebscher, in: Beck’sches Handbuch AG, § 6 Rn. 75 143 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 41; Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 153. 144 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 40. 145 Liebscher, in: Beck’sches Handbuch AG, § 6 Rn. 75; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 41. 146 Liebscher, in: Beck’sches Handbuch AG, § 6 Rn. 75. 147 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 40; Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 140; Wiedemann, in: Beck’sches Formularbuch Aktienrecht, G.IV (S. 381). 148 Gesetzliche Urlaubsregelungen für Vorstandsmitglieder gibt es nicht. Weil Vorstandsmitglieder weder Arbeitnehmer noch materiell arbeitnehmerähnliche Personen sind, findet das Bundesurlaubsgesetz auf Vorstandsmitglieder keine Anwendung. Ein Anspruch auf einen angemessenen Urlaub ist jedoch auch für Vorstandsmitglieder anerkannt; er liegt ohne besondere Vereinbarung bei 30 Urlaubstagen im Jahr, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 41; Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 157; Wiedemann, in: Beck’sches Formularbuch Aktienrecht, G.IV (S. 382).
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schädigungen 150 und zinslose oder zinsgünstige Arbeitgeberdarlehen (§ 89 AktG). Insbesondere sog. feste Nebenleistungen, die zu Anfang des Bestellungsverhältnisses vereinbart werden und die im Gegensatz zu den variablen Nebenleistungen (zusätzliche Urlaubstage, gewährte Reisen) nicht von der Leistung des Vorstandsmitglieds oder dem Erfolg des Unternehmens abhängig sind, sind zwar kostenintensiv, werden jedoch als effektives Instrument gesehen, qualifizierte Führungskräfte langfristig an das Unternehmen zu binden 151. 2. Die Vorstandsversorgung Vorstandsmitgliedern zugute kommende Versorgungsleistungen umfassen primär Pensions- bzw. Ruhegeldansprüche, die den eigentlichen Fall der Versorgung betreffen. Neben diese Form der Vorstandsversorgung im eigentlichen Sinne können aber – insbesondere im Falle des vorzeitigen Endes der Mitgliedschaft im Vorstand – auch Abfindungen und/oder Übergangsgelder treten. Einen Sonderfall im Bereich der Vorstandsversorgung können Aktienoptionspläne einnehmen. Zwar endet die Beteiligung der Begünstigten an Aktienoptionsplänen in der Regel mit der Beendigung des Anstellungsvertrags; bereits erworbene Optionen können aber unter Umständen auch nach dem Ausscheiden des Begünstigten aus der Gesellschaft noch ausgeübt werden 152. Ein Beispiel aus neuerer Zeit bildet der Aktienoptionsplan der DaimlerChrysler AG in der Fassung, in der das OLG Stuttgart über ihn zu entscheiden hatte 153. a) Ruhegeldzusagen Ruhegehalts bzw. Pensionszusagen sind von der Gesellschaft freiwillig übernommene Leistungen mit Fürsorgecharakter an Vorstandsmitglieder, die vom jeweilig Begünstigten frühestens mit dem Ausscheiden aus dem Amt verlangt werden können 154. Diese Versorgungsansprüche müssen grundsätzlich vertraglich festgelegt 149 Gemeint ist die Unterstützung des Vorstands bei der Finanzplanung durch unentgeltlich vom Unternehmen zur Verfügung gestellte Finanzberater, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 41. 150 Karenzentschädigungen werden im Zusammenhang mit nachträglichen Wettbewerbsverboten gezahlt. Sie werden in der Regel 50 % der letzten Bruttofestbezüge des Vorstandsmitglieds betragen. Vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S.42; Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 171; Wiedemann, in: Beck’sches Formularbuch Aktienrecht, G.IV (S. 383). 151 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 31; Hucke, AG 1994, S. 397 (401). 152 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S.203 (235); Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (804). 153 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S.203 (235); OLG Stuttgart ZIP 2001, S. 1367 (1369). 154 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 84 Rn. 171 ff.
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sein 155; meist geschieht dies durch Vereinbarung einer Altersversorgungszusage im Anstellungsvertrag. Etwa 95 % aller Vorstandsmitglieder besitzen heutzutage eine Zusage auf betriebliche Altersversorgung, die ca. 60 % der Festvergütung zum Zeitpunkt des Ausscheidens beträgt 156. Für Ruhegeldvereinbarungen mit Vorstandsmitgliedern, die nicht allein oder mit anderen Vorstandsmitgliedern mehrheitlich an der Gesellschaft beteiligt (also keine unternehmerähnlichen Personen im wirtschaftlichen Sinne) sind, gelten nach bisher h. M. die §§ 1 bis 16 BetrAVG 157. Die dort vorgesehenen Arten der Ruhegeldzusage 158 haben primär Versorgungscharakter, dienen aber gleichzeitig auch als Entgelt für geleistete Dienste während der Arbeitszeit 159. In diesem Punkt wird auch der Unterschied zu Tantiemen und Gewinnbeteiligungen, die keinen Versorgungscharakter haben, deutlich, wobei, wie bereits erwähnt, Versorgungsleistungen erst mit dem Ausscheiden des Vorstands-
155 Ohne eine (auch mündliche) vertragliche Grundlage lässt sich im Allgemeinen ein Versorgungsanspruch nicht herleiten. Nur unter ganz besonderen Umständen hat die Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben die Entstehung eines Versorgungsanspruches ohne entsprechende Vereinbarung anerkannt, vgl. BGHZ 12, 337 (345f.); ähnlich auch BGHZ 8, 348 (368). 156 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 35; Dreher, in: DWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (234); Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 11; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155 (166). 157 Zwar wird §17 I 2 BetrAVG, nach dem grundsätzlich jeder, der für ein Unternehmen tätig wird und dafür Ruhegeldzusagen erhält, dem Schutz des BetrAVG unterfällt, teleologisch reduziert auf Personen, die im Rahmen von Ruhegeldzusagen arbeitnehmerartigen Schutz genießen sollen. Da Vorstandsmitglieder als Gesellschaftsorgane nach überwiegender Ansicht wegen ihrer persönlichen Unabhängigkeit keine Arbeitnehmer sind, könnte der Weg über § 17 I 2 BetrAVG verschlossen sein. Indes ist in Literatur und Rechsprechung anerkannt, dass Vorstandsmitglieder als Organmitglieder jedenfalls dann dem Schutz des BetrAVG unterfallen, wenn sie nicht durch eine Beteiligung am Unternehmen wirtschaftlich betrachtet Unternehmer sind. Im Falle der hier allein untersuchten AG wird eine solche „Unternehmerähnlichkeit“ von Vorstandmitgliedern selten im Raum stehen, da die vom Bundesgerichtshof gezogene Grenze (BGH BB 1980, S. 1046 (1048)) zwischen der Beteiligung an einem Unternehmen und der Betätigung als Angestellter im eigenen Unternehmen bei einer Beteiligung von 50 % liegt, die in mittleren und größeren Aktiengesellschaften nur in Ausnahmefällen erreicht sein wird, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 32 f.; Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 84 Rn. 171 ff.; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 84 Rn. 36. 158 Vom BetrAVG vorgesehene Versorgungsarten sind die reine Leistungszusage (§1 I BetrAVG), die beitragsorientierte Leistungszusage (§1 II Ziff. 1 BetrAVG) und die Beitragszusage mit Mindestleistung (§1 II Ziff. 2 BetrAVG). Die Durchführung dieser Zusagen erfolgt über die Direktzusage (§1 b I BetrAVG), die Direktversicherung (§1 b II BetrAVG), die Pensionskasse bzw. den Pensionsfonds (§1 b III BetrAVG) oder über die Unterstützungskasse (§1 b IV BetrAVG). 159 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 33; Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 84 Rn. 185; Wiedemann, in: Beck’sches Formularbuch Aktienrecht, G.V (S. 396); vgl. auch BGH AG 1997, S. 265 (266): „Ein betriebliches Ruhegehalt hat […] Entgeltcharakter“.
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mitglieds aus dem Amt verlangt werden können, während Tantiemen im Regelfall während der Vorstandstätigkeit fällig werden 160. Von der betrieblichen Altersversorgung im Sinne des BetrAVG nicht umfasst sind Ruhegeldzusagen anlässlich des Ausscheidens aus Alters- oder Krankheitsgründen oder anlässlich der Nichtverlängerung des Bestellungs- und Anstellungsverhältnisses des Vorstandsmitglieds, die nicht an das Erreichen der Altersgrenze, Invalidität oder den Tod des Vorstandsmitglieds anknüpfen (§ 1 I BetrAVG). Bei den genannten Versorgungsleistungen handelt es sich vielmehr um eine Form der Kompensation für den Verlust des Arbeitsplatzes 161. Die Zulässigkeit dieser Konstruktion als Form der Altersversorgung ergibt sich aus § 87 I AktG, dessen Aufzählung der Bestandteile der Gesamtvergütung nicht abschließend ist 162. Nicht unter das BetrAVG fallen außerdem Übergangsgelder, die nur die Zeit zwischen Ausscheiden aus dem Organverhältnis und Eintritt der Ruhegeldvoraussetzungen überbrücken sollen 163. b) Abfindungen 164 Der Begriff der Abfindung (engl. executive compensation agreement) ist unter Vergütungsexperten nicht unumstritten; mangels einer gesetzlichen Regelung im Gesellschaftsrecht bereitet bereits das Finden einer Definition nicht unerhebliche Schwierigkeiten 165. Einigkeit besteht in tatsächlicher Hinsicht zunächst darüber, dass eine Abfindung im hier bezeichneten Sinne das Ausscheiden des Begünstigten aus der Gesellschaft voraussetzt. Unbestritten ist auch der Gegenstand der Abfindungsvereinbarung, welcher in Geldzahlungen oder in Sachleistungen bestehen kann. In praxi dienen Abfindungen in aller Regel dazu, das Vorstandsmitglied durch ein „Abkaufen“ seiner aus dem dienstvertraglichen Anstellungsvertrag mit der Gesellschaft bestehenden Ansprüche 166 zur vorzeitigen Auflösung des Vorstandsvertra160 Schwierig ist die Abgrenzung allerdings im Fall der sog. Deferred Compensation, bei Kapitalbeteiligungen also, die erst später fällig werden sollen, vgl. hierzu bereits Fn. 134. Im Einzelfall kann hier neben dem Entgeltcharakter auch der Versorgungsaspekt eine Rolle spielen, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 33. 161 Zur Abfindung vgl. unten b). 162 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, §87 Rn. 8; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 87 Rn. 8. 163 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 84 Rn. 175; Wiedemann, in: Beck’sches Formularbuch Aktienrecht, G.V (S. 396). 164 Ausführlich zum Begriff der Abfindung Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 46 ff. 165 Zu den unterschiedlichen Begriffsbedeutungen im Gesetz vgl. Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 48 ff. 166 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (120); Käpplinger, NZG 2003, S. 573 (574). Solche Ansprüche werden in aller Regel die restlichen Gehaltszahlungen bis zu einer Grenze der fünfjährigen Bestellung zum Vorstandsmitglied umfassen; im Einzelfall kann auch das Risiko eines Rechtsstreits über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung berücksichtigt werden, vgl. Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 15.
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ges zu bewegen 167. Weithin im Dunkeln bleibt allerdings zumeist, wie sich der Begriff der Abfindung von Organmitgliedern dogmatisch sachgerecht von anderen im Gesetz erwähnten „Abfindungen“ differenzieren lässt. Leßmann unterscheidet in einer kürzlich erschienenen Abhandlung über Abfindungsvereinbarungen in Anknüpfung an Fonk 168 zwischen sog. ablösenden und zusätzlichen Abfindungen 169. Ablösende Abfindungen sollen solche Zahlungen darstellen, die der Abgeltung derjenigen vertraglichen Ansprüche dienen, mit deren Erfüllung das ausgeschiedene Vorstandsmitglied bei regulärer Vertragslaufzeit sicher hätte rechnen können 170. Unter zusätzlichen Abfindungen sind nach Leßmann solche Zuwendungen anzusehen, die der Höhe nach die Summe der nach regulärer Vertragslaufzeit fälligen Zahlungen übersteigen, die also im Vergleich zur Restlaufzeit des Anstellungsvertrags eine finanzielle Besserstellung für das Vorstandsmitglied zur Folge haben 171. Im Unterschied zu Altersversorgungsleistungen haben Abfindungen im so verstandenen ablösenden Sinne keinen Versorgungs- oder Entgeltcharakter 172; sie stellen vielmehr eine Kompensation für den Verlust des Arbeitsplatzes dar, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine einmalige Zahlung oder um eine Abfindung in Form einer Rente ohne Eintritt eines Versorgungsfalles handelt 173. Diese Vorgehensweise impliziert freilich gleichzeitig die aktienrechtliche Zulässigkeit der Konstruktion – eine solche Zahlung ist nach richtiger Ansicht lediglich eine Art Erfüllungssurrogat für diejenigen Zahlungen, die die Gesellschaft ohnehin leisten müsste, würde sie den Begünstigten bis zum Ende der Vertragslaufzeit weiterbeschäftigen 174. Zusätzliche Abfindungen sind nach Leßmann sog. Übergangsgelder, Zahlungen zur Abgeltung immaterieller Nachteile und zur Honorierung der Befriedungsfunk167 Käpplinger, NZG 2003, S. 573 (574). Abfindungen können zwar schon Teil des Anstellungsvertrags sein; üblicherweise werden sie aber in einem Aufhebungsvertrag vereinbart werden, vgl. Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 23. 168 Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 335. 169 Die vorliegende Monographie folgt dieser Aufteilung, beschränkt sich aber aus Schwerpunktgründen auf das Wesentlichste; im Einzelnen wird im Hinblick auf die Feinheiten der Abgrenzung auf die speziell mit dem Thema befasste Literatur verwiesen. Vgl. im Besonderen Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 72 f. 170 Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 71 f. 171 Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 72 f. 172 Insofern ist die hier vorgenommene Einordnung von Abfindungen unter die Vorstandsversorgung keineswegs selbstverständlich. Wegen der vergleichbaren Funktion von Ruhegehältern und Abfindungen – beide Vergütungselemente sollen für die Zeit nach Ende des Anstellungsvertrags geleistet werden –, sowie aus Gründen der Praktikabilität, die eine gemeinsame Abhandlung von Abfindungen und Appreciation Awards, die zumindest im Fall Mannesmann ja ebenfalls ausscheidende oder bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder betrafen, nahe legt, wird vorliegend die hier vorgenommene Einordnung gewählt. Vgl. hierzu ausführlich Leßmann, Abfindungesvereinbarungen, 2006, S. 128 ff. 173 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 36. 174 Käpplinger, NZG 2003, S. 573 (574); Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 15. Zur aktienrechtlichen Zulässigkeit von Abfindungszahlungen unten C.III.4.
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tion der Abfindungsvereinbarung 175. Unter den Begriff der zusätzlichen Abfindungen sind neben den eben genannten richtigerweise auch solche Zahlungen zu subsumieren, die sich der Vorstand für den Fall, dass er nach erfolgreichem Übernahmeangebot aus dem Amt ausscheidet, von der Gesellschaft versprechen lässt, sog. goldene Fallschirme bzw. golden parachute payments 176. Hier wird das eigentliche Gefahrenpotential zusätzlicher Abfindungen deutlich. Denn solche Leistungszusagen, die in ihrer Höhe regelmäßig weit über die regulären Vergütungsansprüche hinaus reichen, sind nicht nur wegen ihrer Gratifikationsähnlichkeit im Hinblick auf § 87 I AktG äußerst problematisch. Wegen des Fehlens von Richtungsgrößen birgt die Gewährung von über die Restansprüche aus dem Anstellungsvertrag hinausgehenden Zahlungen an das ausscheidende Vorstandsmitglied vielmehr auch eine nicht unerhebliche „latente Gefahr des Übermaßes und des Exzesses“ 177. Streng zu unterscheiden sind Abfindungszahlungen im hier bezeichneten Sinne von sog. (nachträglichen) Anerkennungsprämien bzw. Appreciation Awards 178, die im Folgenden näher dargestellt werden sollen. c) Appreciation Awards 179 Sog. Appreciation Awards sind in jüngster Zeit primär im Zusammenhang mit dem Fall Mannesmann negativ in die Schlagzeilen geraten. Der damalige Vorstandsvorsitzende der Mannesmann AG, Dr. Klaus Esser, erhielt im Zuge der Übernahme von Mannesmann durch die britische VodafoneAirtouch Ltd. im Jahr 2000 umgerechnet 15 Mio. e (10 Mio. GBP) in Form von Appreciation Awards. Der Begriff „appreciation“, abgeleitet von „to appreciate“ (= schätzen, positiv bewerten), be175 Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 72 f. A.A. zumindest in Bezug auf Übergangsgelder, die im Zusammenhang mit der Beendigung von Vorstandsverträgen häufig gezahlt werden, um die Zeit zwischen Ausscheiden aus dem Organverhältnis und Eintritt der Ruhegeldvoraussetzungen zu überbrücken, aber Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 37 mit dem Argument, solche Zahlungen würden nicht als Kompensation für den Verlust des Arbeitsplatzes bezahlt, sondern als ein Ruhegeld für Vorstandmitglieder, die nach dem ersatzlosen Auslaufen ihrer befristeten Vorstandsverträge nur noch geringe Chancen einer anderweitigen Beschäftigung haben. 176 Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 33 Rn. 280. 177 Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 73. Im Einzelnen wird hierzu auf die Ausführungen zur Angemessenheit verwiesen, vgl. unten C.III.4. 178 Mißverständlich insoweit Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 37, die die Mannesmann-Millionenzahlungen an Klaus Esser als Abfindungen bezeichnet, obwohl diese zumindest nicht ausschließlich für den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern unter anderem für besondere Leistungen post festum gewährt wurden (sog. Appreciation Awards, vgl. unten c)). 179 Zwar sind Appreciation Awards grundsätzlich als Vorstandsvergütung im engeren Sinne zu qualifizieren. Vorliegend wird eine Zuordnung zur Vorstandsversorgung vorgezogen – Appreciation Awards werden in der Praxis, wie im Fall Mannesmann geschehen (Gratifikation an Funk) auch an bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder gewährt; die Darstellung im Rahmen der Vorstandsversorgung bietet zudem den Vorteil der sinnvollen Abgrenzung von Appreciation Awards zu den auf den ersten Blick sehr ähnlichen Abfindungen; vgl. zur Systematik bereits oben b).
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zeichnet im Fachenglisch die Steigerung oder den Zuwachs eines Wertes 180. Weil der Wert einer Leistung in aller Regel erst dann beurteilt werden kann, wenn die relevante Leistung bereits erbracht ist, sind Appreciation Awards nach der hier gewählten Definition einmalige erfolgsorientierte Zuwendungen, die dem Begünstigten in Anerkennung besonders guter Leistungen ex post gewährt werden 181. Während als Bezugsgrößen beim arbeitsrechtlichen Prämienlohn neben der Güte der Arbeitsausführung in der Regel die Arbeitsmenge sowie die optimale Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Rohstoffe etc. herangezogen werden 182, werden Appreciation Awards als Vergütungsbestandteil in der Aktiengesellschaft primär eine besondere Wertsteigerung des Unternehmens honorieren 183. Insofern können Appreciation Awards auch als Anerkennungsprämien bezeichnet werden; zwar ist die – nahe liegende – Gleichsetzung mit einer Anerkennungsprämie deshalb unscharf, weil der Gegenstand der Anerkennung zunächst im Ungewissen bleibt 184; bezieht man die Anerkennung jedoch auf diese im Börsenkurs ausgedrückte und damit auch den Aktionären zugute kommende Steigerung des Unternehmenswertes, so sind die Begriffe als kongruent zu betrachten 185. Appreciation Awards sind im Übrigen scharf von den oben näher erläuterten Abfindungen zu unterscheiden, die keine nachträglich vereinbarte Anerkennung für geleistete Dienste sind, sondern eine geldwerte Berücksichtigung der restlichen Gehaltszahlungen bis zu einer Grenze der fünfjährigen Bestellung, also der regulären Vertragslaufzeit, bzw. des Risikos eines Rechtsstreits über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung darstellen. Während also Appreciation Awards von einem bereits erdienten, Mehrwert schaffenden Gratifikationscharakter gekennzeichnet sind, ist der Begriff der Abfindung im hier verstandenen Sinne vom Gedanken des Ausgleichs geprägt – diejenigen Nachteile, die sich aus der (vorzeitigen) Vertragsbeendigung ergeben, sollen im Wege der Kompensation zugunsten des scheidenden Vorstandsmitglieds angemessen berücksichtigt werden186. In praxi werden Appreciation Awards häufig 187 mit den Abfindungen im eigentlichen Sinne im Aufhebungsvertrag vereinbart werden 188. Schwierigkeiten bereitet in 180 Vgl. nur von Beseler/Jacobs-Wüstefeld, Law Dictionary, S. 1797; Pons, Fachwörterbuch Recht, S. 18 („increase in value“). 181 Vgl. nur Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (129 f.); Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 3; Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (652). 182 Hoß, Variable Vergütung im Arbeitsverhältnis, 2002, S. 301 ( 304) zur – als Vergleichsgrundlage durchaus tauglichen – arbeitsrechtlichen Dimension des Prämienlohns. 183 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S.3; Wollburg, ZIP 2004, S. 646 ff. Zur Möglichkeit der Heranziehung des Börsenkurses als Leistungsfaktor vgl. ausführlich unten C.II.b) bb) (2). 184 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 3. 185 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 3. 186 Vgl. auch Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 104. 187 So auch im unten noch näher dargestellten Fall Mannesmann im Hinblick auf die Zahlungen an Dr. Esser; nach Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 104, ist dieser Umstand auch der Grund für die Verwechslungsgefahr von Abfindungen und Anerkennungsprämien. 188 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 15. Wird ein solcher Aufhebungsvertrag nicht geschlossen oder fehlt eine vertragliche Einigung bzgl. der Appreciation Awards, so ist nach wohl überwiegender Auffassung jedenfalls eine entspre-
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erster Linie die aktienrechtliche Angemessenheit (§ 87 I AktG) solcher Anerkennungsprämien, die unten (C.III.5.) näher untersucht werden soll. 3. Die Vorstandsabsicherung Die Vorstandsabsicherung, die teilweise auch unter die Nebenleistungen im weiteren Sinne subsumiert wird 189, umfasst als Teil der hier so verstandenen Vorstandsvergütung im weiteren Sinne an Vorstandsmitglieder gewährte Versicherungsentgelte sowie, für den Fall eines Kontrollwechsels in der Gesellschaft, sog. change of control-Klauseln. Beide Formen der Vorstandsabsicherung sollen im Folgenden kurz erläutert werden. a) Versicherungsentgelte Das wohl wichtigste Mittel zur Absicherung von Vorstandsmitgliedern ist die Gewährung von Versicherungsentgelten 190. Gängige Formen der in Vorstandsvergütungsverträgen vereinbarten Versicherungen sind die Lebensversicherung 191, Sozialversicherungen (Pflegeversicherung, Krankenversicherung und Gesundheitsvorsorge), sowie sonstige Versicherungen, insbesondere Rechtsschutzversicherungen 192. Zuschüsse zur Krankenversicherung stellen dabei den häufigsten Fall der Erstattung von Versicherungsentgelten an Vorstandsmitglieder dar 193. Neben Entgelten für Krankentagegeldversicherungen oder ähnliche Einrichtungen, die in ca. 85 % aller Vorstandsverträge vereinbart werden 194, übernimmt die Gesellschaft häufig auch Zuschüsse zur Unfallversicherung und zur Gesundheitsvorsorge 195. chende Änderung des Anstellungsvertrages erforderlich; vgl. Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 18 ff.; ebenso wohl Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S.113 (120). Andere Autoren lassen es für die Zulässigkeit dagegen ausreichen, dass die Prämie ex post auf freiwilliger Grundlage gewährt wird, so z. B. Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (653); Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 129, der auf die Zulässigkeit vertragsloser Zahlungen beim erfolgsbezogenen Vergütungsanspruch verweist. Vgl. hierzu auch unten C.III.5.b) aa) (2). 189 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 31, 37 ff. 190 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (237); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 37. 191 Zumeist wird es sich bei der Lebensversicherung um eine betriebliche Altersvorsorge in Form der Direktversicherung handeln; insofern stellt der Abschluss einer Lebensversicherung für Vorstandsmitglieder durch ein Unternehmen einen Spezialfall der Gewährung oder Erstattung von Versicherungsentgelten dar, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 37. 192 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 37 f. 193 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 38. Die Zahlung des Arbeitgeberanteils zur Rentenversicherung entfällt, da Vorstandsmitglieder gem. § 1 S. 4 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht versicherungspflichtig sind. 194 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 38. 195 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 38.
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Zunehmend finden sich in Vorstandsverträgen außerdem Versicherungen für das berufliche Vermögensschaden-Haftpflicht-Risiko 196. Praktisch bedeutsam ist dabei vorrangig der Vermögensschaden-Rechtsschutz, der sich an die US-amerikanische „Director’s and Officer’s Liability“ (D&O-Versicherung) anlehnt 197. Die D&O-Versicherung versichert das Haftungsrisiko von Organen juristischer Personen und deckt, ähnlich wie die herkömmliche Vermögensschaden-Rechtsschutzversicherung, die Abwehrkosten bei einer persönlichen Inanspruchnahme dieser Organe 198, allerdings mit der Besonderheit, dass bzgl. des Eintritts des Versicherungsfalles nicht auf den Zeitpunkt der Pflichtverletzung, sondern auf den Zeitpunkt der Anspruchserhebung abgestellt wird (sog. „claims-made“-Prinzip) 199. Die ursprünglichen Bedenken des früheren Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen haben sich durch die Deregulierung des Versicherungsmarktes erübrigt, so dass heute keine versicherungsrechtlichen Schranken mehr bestehen 200. Die D&O-Versicherung hat derzeit ein Prämienvolumen von ca. 250 Millionen Euro pro Jahr; Schätzungen zufolge haben inzwischen fast alle der einhundert größten deutschen Unternehmen eine D&O-Versicherung abgeschlossen 201. Immer noch umstritten ist die Frage, ob die D&O-Versicherung eine Vergütungsleistung für das jeweilige Vorstandsmitglied darstellt – und damit als Versicherungsentgelt dem Angemessenheitserfordernis des § 87 I AktG unterfällt 202 –, oder ob es sich um eine Fürsorgeaufwendung der Gesellschaft handelt 203. Die besseren Argumente sprechen wohl dafür, dass die gesellschaftsfinanzierte Zahlung der Versicherungsprämien für die D&O-Versicherung, die im Wesentlichen Eigenrisiken der Gesellschaft abdeckt und Ausführlich zur D&O-Versicherung Thümmel, Persönliche Haftung, Rn. 403 ff. Die Enstehung dieses Versicherungszweiges in den USA geht auf den Börsencrash in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zurück, vgl. Schilling, D&O-Versicherung, 2002, S. 209 (210), Thümmel, Persönliche Haftung, Rn. 403. Seit 1986 hat die D&O-Versicherung auch in Deutschland Fuß gefasst, vgl. Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909 (919). 198 Konstruktiv handelt es sich bei der D&O-Versicherung um einen echten Vertrag zugunsten Dritter, § 328 BGB: Versicherungsnehmer ist das Unternehmen, Versicherter ist das Unternehmensorgan, Vertragspartner auf der anderen Seite ist der Versicherer. Vgl. Schilling, D&O-Versicherung, 2002, S. 209 (213). 199 Schilling, D&O-Versicherung, 2002, S. 209 (211). 200 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 93 Rn. 91; Lutter/ Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 867. Allerdings wirft das deutsche System der weitgehend auf die Innenhaftung bezogenen Verantwortlichkeit des Vorstands versicherungstechnische Probleme auf – das Konzept der D&O-Versicherung ist mehr auf das US-amerikanische System zugeschnitten, wo im Wesentlichen Außenhaftungsrisiken im Vordergrund stehen, vgl. Thümmel, Persönliche Haftung, Rn. 409. Gängige Instrumente zur Überwindung dieser Probleme, die hauptsächlich in der Vermeidung kollusiven Verhaltens und allzu großer Sorglosigkeit im Gefolge der Versicherung liegen, sind z. B. Selbstbehalte, Prämienanpassungsklauseln, der Ausschluss von Vorsatztaten u.s.w., vgl. Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 93 Rn. 92. 201 Dreher, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (237). 202 In diesem Sinne Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, §87 Rn. 9; Spindler, DStR 2004, S. 36 (37). 203 So Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 40. 196 197
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deren Abschluss daher im ganz überwiegenden Eigeninteresse der Gesellschaft liegt 204, aktienrechtlich keine § 87 I AktG unterfallende mittelbare Vergütungsleistung für die versicherten Vorstandsmitglieder darstellt 205. Entscheidendes Argument ist neben dem mangelnden Gegenseitigkeitscharakter zwischen dem Abschluss der D&O-Versicherung und der Tätigkeit des Vorstandsmitglieds zunächst die Tatsache, dass die Gesellschaft die Versicherung nicht im Namen der Vorstandsmitglieder abschließt bzw. deren Zustimmung zu der Versicherung einholt. Für die Einordnung als Fürsorgeaufwendung spricht zudem, dass Maßstab für die Festlegung der Versicherungsprämie statt der Anzahl der Vorstandsmitglieder die Größe des Unternehmens und ähnliche gesellschaftsabhängige Merkmale sind206. Folge dieser Ansicht ist, dass für die Entscheidung über den Abschluss einer D&O-Versicherung sowie für dessen Vornahme allein der Vorstand und nicht der Aufsichtsrat zuständig ist207, weshalb der D&O-Versicherung für die vorliegende Arbeit keine unmittelbare Bedeutung zukommt. b) Change of control-Klauseln Change of control-Klauseln dienen der Absicherung von Vorstandsmitgliedern für den Fall des Kontrollwechsels oder der Kontrollbegründung 208. Diese sollen bei einem Übergang der Kontrolle in „fremde“ Hände durch auflösende Bedingungen, die vorzeitige Fälligkeit von Leistungen oder Kündigungsrechte davor geschützt werden, wirtschaftlich einen anderen Schuldner zu erhalten209. Ziel derartiger Klauseln aus Sicht der Gesellschaft ist es in erster Linie, ein ausschließlich am Unterneh204 Die Gesellschaft kann auf diesem Weg durch die Verbesserung ihres standing neue Vorstandsmitglieder gewinnen und wird vor allem vor der Insolvenz der Vorstandsmitglieder geschützt, vgl. Dreher, ZHR 165 (2001), S. 293 (310); Notthoff, NJW 2003, S. 1350 (1354). 205 Dreher, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (238); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 40; Mertens, AG 2000, S. 447 (451 f.); Notthoff, NJW 2003, S. 1350 (1354); a.A. Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 868; Hüffer, AktG, § 84 Rn. 16; sowie Hefermehl/ Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 8 und Spindler, DStR 2004, S. 36 (37), die die Parallelen zur Innenhaftung von Arbeitnehmern, die für eine Qualifizierung als Fürsorgeaufwendung angeführt werden, als Argument für die Einordnung als Vergütungsleistung verwenden, da das erhöhte Risiko sich in den entsprechenden Vergütungen und der geringeren Schutzwürdigkeit von Vorstandsmitgliedern gegenüber Arbeitnehmern niederschlage. 206 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 40; Dreher, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (238); Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 85. 207 Dreher, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (238). Ausführlich zu den D&O-Versicherungen Notthoff, NJW 2003, S. 1350 ff.; Dreher, ZHR 165 (2001), S. 293 ff. (310 ff.); Schilling, D&O-Versicherungen, 2002, S. 209 ff. Zur problematischen Frage des „angemessenen Selbstbehalts“ im Zusammenhang mit D&O-Versicherungen vgl. Dreher, RWSForum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (238). 208 Vgl. Kort, AG 2006, S. 106. Ein Kontrollwechsel liegt vor z. B. im Fall des vollständigen oder mehrheitlichen Verkaufs der Gesellschaft oder im Fall einer neuen Hauptversammlungsmehrheit, vgl. Dreher, AG 2002, S. 214 (218). 209 Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 33 Rn. 279.
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mensinteresse ausgerichtetes Handeln der Führungskräfte zu gewährleisten 210. Insbesondere soll verhindert werden, dass Vorstandsmitglieder aus einer Sorge vor persönlichen, vorrangig wirtschaftlichen Nachteilen heraus einen geplanten Übernahmeversuch vereiteln könnten 211. Letztlich dienen change of control-Klauseln auch dem Gewinnen bzw. dem Halten von Vorstandsmitgliedern in wirtschaftlich unsicheren Zeiten 212. Unterschieden werden sog. single-trigger Regelungen, die die Leistungen an die betreffende Führungskraft allein vom Wechsel in der Unternehmenskontrolle abhängig machen, und sog. double-trigger Regelungen, die außer an den Kontrollwechsel zusätzlich an eine Verschlechterung der Arbeitssituation des Vorstands anknüpfen 213. Die aktien- und übernahmerechtliche Zulässigkeit beider Formen der change of control-Vereinbarung ist weitgehend anerkannt 214. In Vorstandsverträgen vereinbarte Leistungszusagen durch change of control-Klauseln haben Vergütungscharakter und unterfallen damit sowohl der Personalkompetenz und damit der Zuständigkeit des Aufsichtsrats als auch dem Angemessenheitserfordernis des § 87 I AktG 215. Anders als Abfindungszahlungen dienen change of controlKlauseln der ex-ante-Absicherung von Vorstandsmitgliedern, indem sie von vornherein fest fixierte Leistungszusagen für den Fall eines Kontrollwechsels zum Gegenstand haben 216. Problematisch können das Entstehen sachfremder, verhaltenssteuernder Anreize sowie eine eventuelle Vorwegnahme der Personalkompetenz durch allzu üppige change of control-Klauseln sein; change of control-Vereinbarungen, die im Zusammenhang mit Abfindungen stehen, sind daher in ihrer Höhe kritisch zu beurteilen 217. Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 92; Kort, AG 2006, S. 106. Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 92; Kort, AG 2006, S. 106. 212 Dreher, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S.203 (241); ders., AG 2002, S. 214 (215). 213 Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 92. 214 Dreher, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (241); ders., AG 2002, S. 214 (216 f.); Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 95; Kort, in: Großkommentar zum AktG, § 76 Rn. 113, Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 33 Rn. 117. A.A. hinsichtlich §33 d WpÜG Hirte, in: Kölner Kommentar zum WpÜG, §33 Rn.59, der change of control-Klauseln ausnahmslos für unzulässig hält, was allerdings, wie Leßmann zutreffend ausführt, schon deshalb zweifelhaft erscheint, weil § 33 I 1 WpÜG nur auf Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft abstellt, nicht jedoch auf Maßnahmen des Aufsichtsrats, welcher, wie ausgeführt, gem. § 87 I AktG für Vorstandsvergütungsvereinbarungen und damit für change of control-Klauseln zuständig ist, vgl. Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 95. Auch §33 d WpÜG betrifft lediglich den Bieter, nicht aber die Zielgesellschaft, der es unbenommen bleibt, change of control-Vereinbarungen zu treffen, vgl. Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 95; Dreher, AG 2002, S. 214 (217). Zur Problematik nachträglich vereinbarter change of control-Klauseln vgl. Kort, AG 2006, S. 106 ff. 215 Dreher, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (241); ders., AG 2002, S. 214 (215 f.); Hüffer, AktG, § 87 Rn. 5; Kort, in: Großkommentar zum AktG, § 76 Rn. 113; Spindler, DStR 2004, S. 36 (45). 216 Dreher, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (242); Spindler, DStR 2004, S. 36 (45). 217 Notz, Bericht über die Diskussion zum Vortrag Meinrad Drehers, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S.247 (257); Spindler, DStR 2004, S.36 (45). Ausführlich zu dieser Problematik Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 94 ff., 114; Kort, AG 2006, S. 106 ff. 210 211
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4. Gesamtvergütung Unter Berücksichtigung des oben Gesagten ergibt sich die Gesamtvergütung von Vorstandsmitgliedern deutscher Aktiengesellschaften heutzutage üblicherweise aus fünf (Grund-)Elementen: dem Grundgehalt, den Boni (die zusammen die sog. Gesamtbarvergütung darstellen) und den zusätzlich gewährten Optionen bzw. deren wirtschaftlichen Äquivalenten 218, die die laufenden Bezüge bzw. die Vorstandsvergütung im engeren Sinne ausmachen, sowie den Elementen der Vorstandsversorgung und der Vorstandsabsicherung. Nach dem erstmals in den USA verwendeten Cafeteria-System 219 können Unternehmen ihren Vorständen auch ein den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Führungskraft angepasstes Wahlrecht zwischen mehreren Vergütungsbestandteilen gewähren 220. Ausgehend vom US-amerikanischen Vorbild wird im Rahmen von Vergütungsvereinbarungen terminologisch zwischen der jährlichen Vergütung (annual compensation) und der sog. Langzeitvergütung (long-term-compensation) unterschieden. Während das Grundgehalt als fixe Einkommensart und die Boni als variable Vergütungsform Bestandteile der annual compensation darstellen, werden als long-termcompensation solche Vergütungsbestandteile bezeichnet, deren Effekt auf das Vermögen des jeweiligen Begünstigten sich über das Geschäftsjahr, in dem sie vereinbart werden, hinaus erstreckt 221. Wichtigstes Beispiel für variable Bestandteile der Langzeitvergütung (long-term-incentives) sind stock option plans 222; abgesehen von Bonusvereinbarungen werden sämtliche genannten Formen moderner Vergütung zur Langzeitvergütung zu zählen sein. Auch die Leistungen des Unternehmens zu Altersversorgung und Absicherung des jeweiligen Vorstandsmitglieds stellen eine Form der long-term-compensation dar 223. Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (300). Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 69. 220 Dieses Prinzip gibt dem Begünstigten die Möglichkeit, wie in einer Cafeteria aus einem Menü auszuwählen und damit sowohl hinsichtlich des materiellen als auch des immateriellen Teils die Zusammensetzung seiner Vergütung zumindest zum Teil selbst zu bestimmen. Das System ist eine Reaktion auf das Problem, dass bei vom Unternehmen festgesetzten Plänen zur Vorstandsvergütung die einzelne Führungskraft nur durch Leistung Einfluss auf die Vergütung hat, was dazu führen kann, dass die einzelnen Vergütungsbestandteile keine oder nur eine geringe Motivation entfalten, da der Nutzen bestimmter Teile der Vergütung, insbesondere im Rahmen der Nebenleistungen, für den einzelnen Manager begrenzt sein kann, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 69. Vorteile des Prinzips sind die Flexibilität der Vergütung und die auf die Berücksichtigung individueller Präferenzstrukturen im Vorstandsvertrag zurückzuführende erhöhte Leistungsmotivation der Begünstigten, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 70. Nach Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 71, sind Cafeteria-Systeme, die in den USA in drei verschiedenen Varianten vertreten sind, in Deutschland jedoch noch weitgehend unbekannt. 221 Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 120. 222 Vgl. Ziffer 4.2.3 Absatz 2 Satz 1 DCGK: „Als variable Vergütungskomponenten mit langfristiger Anreizwirkung […] dienen insbesondere […] Aktienoptionen oder vergleichbare Gestaltungen …“. 223 Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 120. 218 219
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II. Mögliche Gründe für die beobachteten Vergütungspraktiken – dogmatische Erklärungsversuche Dass die in den letzten Jahren beobachteten hohen Vorstandsvergütungen zumindest nicht ausschließlich Ausfluss der leistungsadäquaten Honorierung eines generell herausragenden wirtschaftlichen Erfolgs der Begünstigten sind, wurde bereits angedeutet. Worin genau die Ursache für die heutigen Vergütungspraktiken liegt, ist dogmatisch jedoch umstritten. US-amerikanische Autoren haben hierzu verschiedene Erklärungsmodelle entwickelt, die weitgehend auch im deutschen Recht Geltung beanspruchen können. In der US-Literatur wurden bis vor kurzem drei grundsätzliche Erklärungsmöglichkeiten vertreten, nämlich die Principal-Agent-Theorie, die Superstarhypothese, sowie die „managerial power“-Hypothese 224. Zwei weitere, verhältnismäßig neue Erklärungsmuster, die hier so genannte „bidding war“-Theorie sowie die „perceived cost“-Hypothese, sollen vorliegend vorgestellt und auf ihre Erklärungstauglichkeit auch für die deutsche Praxis untersucht werden. Gegenstand der Untersuchung werden dabei ausschließlich die vier letztgenannten Erklärungsmuster und ihre Anwendbarkeit auf das deutsche Recht sein; keine Erwähnung finden wird die Principal-Agent-Theorie („Anreizvergütungshypothese“), da diese bereits im Rahmen der Darstellung der einzelnen Vergütungselemente näher ausgeführt wurde 225. 1. Die Superstar-Hypothese 226 “After twenty months of intense work - and thanks to my own stock purchases, options, and other incentives - I took my leave of Scott $ 100 million richer than when I arrived [...]. Did I earn that? Damn right I did. I’m a superstar in my field, much like Michael Jordan in basketball and Bruce Springsteen in rock ’n roll.” 227 Die enormen Vergütungssummen für CEO’s Ende der 90er Jahre waren für einige Beobachter adequater Ausdruck der exaltierten Stellung und des Führungsstils der sog. „corporate superstars“ und damit ebenso hinzunehmen wie die Bezahlung von Sport- oder Popstars – „phenomenal talent requires a phenomenal pay scale“ 228. Umstritten ist allerdings, ob die den Wirtschaftswissenschaften als „ökonomische Theorie der Superstars“ bekannte Konzentrierung dramatischer Vergütungsanstiege auf einige wenige 229 auch in Verbindung mit den exzessiven Vorstandsgehältern der letzten Jahre greift. 224 225 226 227 228 229
Vgl. zum Ganzen Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (312 ff.). Vgl. hierzu ausführlich oben I.1.b) aa). Ausführlich Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (315 ff.). Albert J. Dunlap, in: Mean Business, S. 20 f. Snyder, More Pieces of the CEO Compensation Puzzle, 28 Del. J. Corp. L. (2003), S.129. Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (315).
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Der US-Amerikaner Sherwin Rosen machte in einem 1981 erschienenen Aufsatz auf zwei wesentliche Gründe für die Vergütungsanstiege von Superstars in Unterhaltung, Musik, Kunst und Sport aufmerksam: die Vergrößerung der Märkte und die Steigerung der Bedeutung des Talents der einzelnen Künstler/Athleten 230. Beides führe sowohl zu einer Konzentration der Einkommen, als auch zu einer Konzentration der Marktanteile. Zu einer Konzentration der Einkommen komme es, weil sich kleine Talentunterschiede zwischen den einzelnen Wettbewerbern in großen Einkommensdifferenzen niederschlügen 231. Der zweite zu beobachtende Aspekt der Superstarmärkte, die Konzentration der Marktanteile auf die wenigen Superstars, beruhe auf den technischen Eigenschaften der Leistungserbringung auf diesen Märkten 232. Typischerweise fällt der Großteil der Gesamtkosten eines Konzerts, eines Films, eines Sportevents oder eines Buches auf die enorm hohen Fixkosten des Erwerbs von Kenntnissen, der Aufnahmekosten, der Produktionskosten, der Mietkosten, der Druckkosten etc 233. Die Bedienung weiterer Kunden beeinflusst die Gesamtkosten eines solchen Projekts nur sehr schwach. Diese niedrigen Grenzkosten zur Bedienung weiterer Kunden ermöglicht es den einzelnen Anbietern, wirtschaftlich große Anteile des Marktes abzudecken und die etwas schwächeren Anbieter vollständig aus dem Markt zu verdrängen, da diese nicht in der Lage sind, die Fixkosten auf genügend Nachfrager umzulegen 234. Die Senkung der variablen Stückkosten durch große Fortschritte in der Transport- und Kommunikationsindustrie haben für viele Branchen die jeweiligen Märkte vergrößert und es damit den besten Wettbewerbern ermöglicht, große Teile des nationalen Marktes bzw. gar des Weltmarktes zu bedienen – mit der Folge, dass diese wenigen Verbliebenen Möglichkeiten zu unverhältnismäßig hoher Einkommenssteigerung haben 235. Allerdings lässt sich diese Argumentation der ökonomisch bedingten Superstar-Bezahlung nicht ohne weiteres auf den beobachteten enormen Anstieg der Vergütung einzelner Topmanager in den letzten Jahren übertragen. Eine Rechtfertigung der insbesondere Ende der 90er Jahre 230 Rosen, The Economics of Superstars, American Economic Review Vol. 71 No. 5 (1981), S. 845 ff. 231 Rosen, The Economics of Superstars, American Economic Review, Vol. 71 No. 5 (1981), S. 845 (846). Weil jede kleine Zunahme des Talents eines Wettbewerbers gegenüber einem anderen zu überproportional größeren Einkommen führt, spricht man insofern von einer Konvexität der Einkommen mit steigendem Talent (convexity of sellers’maximum returns), vgl. Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (316); Rosen, The Economics of Superstars, American Economic Review, Vol. 71 No. 5 (1981), S. 845 (846). Diese Konvexität erklärt sich nach Rosen daraus, dass eine etwas schlechtere Qualität die etwas bessere Qualität nicht substituieren kann: „Lesser talent often is a poor substitute for greater talent“, vgl. Rosen, The Economics of Superstars, American Economic Review, Vol. 71 No. 5 (1981), S. 845 (846). 232 Rosen, The Economics of Superstars, American Economic Review, Vol. 71 No. 5 (1981), S. 845 (847). 233 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (316). 234 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (316); Rosen, The Economics of Superstars, American Economic Review, Vol. 71 No. 5 (1981), S. 845 (847). 235 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (316); Rosen, The Economics of Superstars, American Economic Review, Vol. 71 No. 5 (1981), S. 845 (847).
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von einigen CEOs erzielten exzessiven Gehaltszahlungen durch die Superstarhypothese erfordert konsequenterweise den Nachweis, dass diese Zahlungen auf technischen Gründen der Vergrößerung der Märkte und der Steigerung der Bedeutung des Geschäftstalents der jeweiligen Führungskräfte beruhen 236. Zwar ist es zutreffend, dass Unternehmen an Größe zunehmen und damit die Bedeutung des Managementtalents der Führungskraft erhöht wird. Anders als bei Sport- oder Popstars ist die Verteilung der Talente bei Managern aber nicht eindeutig auf eine Person konzentriert. Unternehmerische Leistung insbesondere in der modernen Aktiengesellschaft hat typischerweise Teamcharakter und ist damit grundsätzlich eine auf die Symbiose von Fachkompetenz und unternehmerischem Gespür des gesamten Vorstands zurückzuführende Gruppenleistung 237. Dies führt im Ergebnis zu einer gewissen Austauschbarkeit von Managementleistung. Die Tatsache, dass in den USA Ende der 90-er Jahre in Literatur, Presse und Öffentlichkeit die „corporate superstars“, die wegen ihrer außerordentlichen Bedeutung für den Erfolg des von ihnen geleiteten Unternehmens ebenso wie Sport- oder Popstars zu bezahlen seien, in aller Munde waren, lässt sich weniger mit der Richtigkeit dieser Annahme, als vielmehr mit der besonderen Machtstellung des US-amerikanischen CEO erklären238. Diese beruht aber nur bedingt auf persönlichem Verdienst des einzelnen CEO – der Grund für die weltweit fast einzigartige Machtfülle ist vielmehr in Besonderheiten der US-amerikanischen Unternehmensverfassung zu sehen, weshalb allein die Stellung als CEO ein Superstardasein nicht rechtfertigen kann. Nicht mit der Theorie der Superstarvergütung vereinbar ist außerdem die Beobachtung, dass vornehmlich der Vorstandsvorsitzende, nicht aber andere Vorstandsmitglieder die privilegierten Empfänger exzessiv hoher Vergütungen sind. Wie sich unter anderem im Fall des US-Energiegiganten Enron 239 gezeigt hat, bleibt die Bedeutung eines Finanzvorstands (CFO) nur wenig hinter der des CEO zurück 240. Dennoch ist der bevorzugt Begünstigte stets der Vorstandsvorsitzende – ein Fall eines exzessiv bezahlten Finanzvorstandes ist nicht bekannt. Auch hieran zeigt sich, dass das oft erhebliche Vergütungsgefälle zwischen funktional gleichgewichtigen Personen weniger mit der Frage des größten Talents als vielmehr mit der zur Verfügung stehenden Macht zu erklären ist 241. Nicht im Widerspruch zu oben Gesagtem steht es, wenn im Einzelfall ein Manager, der dem von ihm geleiteten Unternehmen aus oben genannten Gründen einem Superstar gleich tatsächlich und nachweisbar besondere Erfolge beschert hat, auch besonders gut Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (317). Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (318). Dies gilt auch für die USA, obgleich die Machtfülle des US-amerikanischen CEO, wie im Folgenden noch ausgeführt wird, die eines deutschen Kollegen um ein Vielfaches übersteigt, vgl. nur unten 3. und unten C.II.5.b). 238 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (319). 239 Zum Fall Enron vgl. unten C.II.5.b) aa). 240 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (319). 241 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (319), bemerkt hierzu prägnant, dass letztlich „das die exzessiven Vergütungen treibende Talent, für das es in der Vergütungsfrage der Manager kein Substitut gibt, die Macht über die Organisation in Form des CEO-Amtes“ sei. Zu diesem Aspekt vgl. unten 3. 236 237
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vergütet wird. Die obigen Ausführungen zeigen jedoch, dass allein die generelle Einordnung von Führungskräften als Superstars exzessiv hohe Vergütungen an Einzelpersonen nicht begründen kann. 2. Die „Bidding War“-Theorie Die „Bidding War“-Theorie 242 weist oberflächlich Ähnlichkeit mit der Superstar Hypothese auf, ist in der dogmatischen Begründung jedoch kritischer und deutlich differenzierter. Sie geht davon aus, dass die irrational hohen Vorstandsvergütungen in den USA das Resultat einer Überbewertung von Charisma in Führungskräften durch das anstellende Unternehmen, einer erhöhten Einbindung der Aktionäre in Unternehmensangelegenheiten und – auf den ersten Blick wenig eingängig – des Anstiegs der Zahl unabhängiger Direktoren im US-Verwaltungsorgan, im board, seien 243. Unter dem Druck dominanter institutioneller Anleger hätten nichtangestellte Direktoren (outside directors) einen „Bieterkampf“, einen bidding war, für charismatische CEO Superstars, die das Geheimnis zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bergen sollen, begonnen 244. Dies habe eine künstliche Begrenzung des Marktes für Manager zur Folge und gebe den wenigen umkämpften CEOs beachtlichen Einfluss bei der Festlegung der eigenen Vergütung durch das board. Für die „bidding war“-Theorie spricht im Vergleich zur Superstar Hypothese die Tatsache, dass die Superstar-Qualität von Vorständen nicht objektiv, sondern allein subjektiv (aus der Perspektive der Aktionäre und der Direktoren) zur Begründung des enormen Anstiegs der US-Vorstandsvergütungen herangezogen wird. In der Tat lässt sich der Besetzung der CEO-Posten der großen US-Publikumsgesellschaften vor allem Mitte der 90er Jahre, der Zeit des Beginns der Eskalation von CEO-Vergütungen, ein deutlicher Hang zu charismatischen und dominanten Führungskräften entnehmen, wie insbesondere die Fälle des ehemaligen Cisco-Chefs John Chambers, des Disney-Chefs Michael Eisner, und des ehemaligen CEO von Scott Papers und Sunbeam, Al Dunlap, zeigen 245. Die These, auch die Aktionäre, deren Interessen nach der Principal-Agent-Theorie ja teilweise konträr zu denen des CEO seien, seien am explosiven Anstieg der Vorstandsvergütung in den 90er Jahren wesentlich betei242 Developments in the Law – Corporations and Society, 117 Harv. L. Rev., 2004, S. 2205 (2224 f.); Khurana, Searching for a Corporate Savior: The Irrational Quest for Charismatic Ceo’s, 2002, S. 81 ff. 243 Developments in the Law – Corporations and Society, 117 Harv. L. Rev., 2004, S. 2205 (2224 f.); Khurana, Searching for a Corporate Savior: The Irrational Quest for Charismatic Ceo’s, 2002, S. 51 ff., 81 ff. 244 Khurana, Searching for a Corporate Savior: The Irrational Quest for Charismatic Ceo’s, 2002, S. 79. 245 Albert J. Dunlap, CEO zunächst von Scott Papers und dann von Sunbeam, der wegen seiner rücksichtslosen kurzfristigen Gewinnorientierung (nicht zuletzt zu Lasten von Angestellten) auch „Chainsaw Al“ und „Rambo in Nadelstreifen“ genannt wurde, gehört in diese Kategorie charismatischer CEO’s, die die Unternehmenspolitik und vor allem die eigene Vergütung entscheidend beeinflussten. Vgl. Albert J. Dunlap, in: Mean Business, S. 20 f.
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ligt, lässt sich zudem mit der Tatsache gut vereinbaren, dass die Zahl der Aktionärsklagen gegen US-Exzessvergütungen seit diesem explosiven Anstieg paradoxerweise stark zurückgegangen ist 246. Diese Implikation der zunehmenden Beteiligung der Aktionäre als einer der Hauptgründe für den enormen Vergütungsanstieg steht allerdings im Widerspruch zu den jüngsten aktiven Reformbestrebungen des US-Gesetzgebers (Sarbanes-Oxley-Act) und der US-Regulierungsbehörden. Beispielsweise hat die US-Börsenaufsicht SEC Aktionärspositionen durch ein Zustimmungserfordernis zu allen Aktienoptionsplänen der ausgebenden Gesellschaft deutlich verbessert, eine Maßnahme, die Exzessvergütungen durch die Ausübung von stock options durch die Begünstigten verhindern soll 247. Zur Erklärung deutscher Vorstandsvergütungshöhen kann die „Bidding War“-Theorie nur begrenzt Tauglichkeit beanspruchen; ein systematischer Kampf um besonders charismatische Führungskräfte ist hierzulande kaum zu beobachten, da freiwerdende Führungspositionen in deutschen Unternehmen immer noch vorwiegend unternehmensintern wiederbesetzt werden, was einen vergütungstreibenden Wettbewerb bereits begriffsnotwendig ausschließt. 3. Die „Managerial Power“-Hypothese Ein weiterer Erklärungsansatz für die exzessiv hohen Vergütungen in den USA Ende der 90er Jahre, der weltweit für Aufsehen gesorgt hat, ist die von den US-Amerikanern Bebchuk, Fried und Walker entwickelte sog. „Managerial Power“-Hypothese 248. Diese basiert auf der Annahme, dass hohe Managementvergütungen nicht der Vermittlung von Anreizen zu effizientem eigentümerfreundlichen Verhalten dienen, sondern der Erzielung möglichst hoher Einnahmen für die in den Kontrollfreiräumen handelnden Führungskräfte. Die Autoren argumentieren, dass der enorme Anstieg der Vorstandsgehälter in der US-amerikanischen Vergütungspraxis der letzten 10 Jahre mit der Machtstellung des US-amerikanischen CEO und seinen besonderen Einfluss auf ein von ihm kontrolliertes board of directors zu erklären sei (managerial power) 249. Da eine allzu offensichtliche exzessive Gehaltserhöhung durch einen Anstieg der Barvergütung jedoch einen Aufschrei primär der betroffenen Aktionäre provozieren könnte, versuchten Führungskräfte die begehrte Gehaltserhöhung über Aktienoptionspläne zu finanzieren – gewissermaßen als Instrument zur Verheimlichung exzessiver Vergütungen 250. In der Tat lassen sich mit der „ManageVgl. Barrett, Unsharing the Wealth, 43 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293 (299). Vgl. unten C.II.5.b) aa). 248 Bebchuk/Fried/Walker, Managerial Power and Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 751 ff.; Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (320 ff.) nennt diesen Ansatz die „Ausplünderungshypothese“. 249 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (848), kennzeichnet diese Kontrolle des CEO über das board als „influence over captive boards of directors“. 250 Die Autoren bezeichnen den Schaden bzw. die Kosten, die ein eventueller Widerstand der Aktionäre gegenüber einer offensichtlichen Erhöhung der Vorstandsvergütung verursachen 246 247
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rial Power“-Hypothese einige bei der Verwendung von Aktienoptionsplänen beobachtete Besonderheiten einfacher erklären. So führen die Autoren aus, dass die Abwesenheit indexierter Optionen ein Indiz der Ausübung von „managerial power“ durch die Führungskräfte sei 251; da bei indexierten Optionen der Ausübungspreis an einen Markt- oder Branchenindex geknüpft ist, eine Konstruktion, die leistungslose Marktgewinne erschwert, sind „einfache Optionen“ 252 im Hinblick auf den persönlichen Gewinn für den begünstigten Manager in der Tat deutlich profitabler 253. Zudem erkläre die „Managerial Power“-Hypothese, warum Firmen ihren Topmanagern häufig erlauben, ihre Optionen früh auszuüben und zu diversifizieren. Schließlich sei die Ausnutzung von „managerial power“ die einzig stichhaltige Erklärung, weshalb US-Manager im internationalen Vergleich immer noch die höchsten Vergütungen erhalten 254. Allerdings stehen die Schlüsse, die Bebchuk, Fried und Walker ziehen, nicht vollständig im Einklang mit Erkenntnissen der Praxis. Kevin Murphy weist in einem 2002 erschienen Aufsatz darauf hin, dass die „Managerial Power“-Hypothese als theoretischer Erklärungsansatz problematisch und im Ergebnis zu simplistisch sei, um die heutige US-Vergütungspraxis erklären zu können 255. Primär sei die Hypothese zu einem großen Teil inkonsistent mit einer wesentlichen Entwicklung in der US-Vergütungspraxis der letzten Jahre: dem Anstieg optionsgestützter Vergütungen auch auf niedrigerer Managementebene256. Murphy belegt weiterhin, dass eine Grundannahme der „Managerial Power“-Hypothese, nämlich die Annahme, könnte, als „outrage costs“, vgl. Bebchuk/Fried/Walker, Managerial Power and Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 751 (756; 785). Aktienoptionspläne sollen diese outrage costs insofern vermeiden können, als sie keine Form der Barvergütung sind und damit aus Sicht der Aktionäre ungefährlicher, da weniger transparent, scheinen, vgl. Bebchuk/Fried/ Walker, ebda., S. 756. 251 Nach Überprüfung sämtlicher in der Literatur genannten Gründe, die gegen eine Indexierung sprechen (beispielhaft seien hier die Kosten der Indexierung und die exzessive Risikoänderung bei der Projektauswahl genannt), kommen Bebchuk, Fried und Walker zu dem Ergebnis, dass alle vorgebrachten Einwände gegen eine Indexierung nicht stichhaltig sind. Während die fehlende Indexierung mit der Principal-Agent-Theorie nicht vereinbar sei, weil diese ja durchaus performance-orientierte Vergütungselemente honoriert, lasse sich diese Besonderheit mit der „Managerial Power“-Hypothese relativ einfach begründen, vgl. Bebchuk/Fried/Walker, Managerial Power and Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 751 (759). 252 Mit „einfachen Optionen“ sind vorliegend Optionen gemeint, deren Ausübungspreis sich am oder zumindest in der Nähe des Aktienkurses am Tag der Gewährung orientiert („at the money“-Optionen) – nach Hall/Murphy, Stock Options for Undiversified Executives, 33 Journal of Accounting and Economics (2002), S. 3 (23) werden 94 % der gewährten US-Optionen „at the money“ ausgegeben. Dies hat den Vorteil, dass schon geringe Kurssteigerungen zu erheblichen Gewinnen der begünstigten Führungskräfte führen können, vgl. auch Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (864). 253 Bebchuk/Fried/Walker, Managerial Power and Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 751 (759). 254 Bebchuk/Fried/Walker, Managerial Power and Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 751 (843). Zum internationalen Vergütungsvergleich vgl. C.II.5.b) aa). 255 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (850). 256 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (850).
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dass Topmanager zum Zwecke der Gehaltserhöhung ihre Macht über ein von ihnen häufig durch persönliche Beziehungen irgendwelcher Art kontrolliertes („captive“) board 257 ausnutzen, mit der gängigen Vergütungspraxis nicht vereinbar sei. So ging der enorme Anstieg der Vergütung während der 90er Jahre mit einer Veränderung der Besetzung des board of directors einher – boards wurden entgegen der von der „Managerial Power“-Hypothese indizierten Annahme zunehmend unabhängiger258. Weiterhin weist Murphy nach, dass CEOs, die außerhalb des Unternehmens angeworben wurden und damit keine Bindungen bzw. Beziehungen zum über die Vergütung entscheidenden board hatten, in den Genuss besonders attraktiver Vergütungspakete kamen 259. Auch der zweite theoretische Strang der „Managerial Power“-Hypothese, die Vermeidung von outrage costs, ist nach Murphy kein zwingendes Muster zur Erklärung des Anstiegs von Aktienoptionsprogrammen in der US-Vergütungspraxis. Obgleich, so Murphy, Anfang der 90er Jahre die öffentliche Empörung über die US-amerikanische Vergütung mit der Erscheinung eines Aufsatzes des USVergütungsexperten Graef Crystal im Jahr 1991 260 nie da gewesene Höhen erreicht hatte, stiegen die Gehälter von US-amerikanischen CEOs ab dem Jahr 1992 dramatisch an, was schon andeutet, dass die existierende Empörung keine Auswirkungen auf die Vergütungspraxis hatte. Der Anstieg von Aktienoptionsprogrammen wurde laut Murphy nicht durch „outrage“ verursacht, sondern war lediglich auf die Weiterführung eines allgemeinen Trends, der Mitte der 80er Jahre begann, zurückzuführen 261. Während also zwei wesentliche der „Managerial Power“-Hypothese zugrunde liegende Fakten, nämlich einmal die Tatsache, dass CEOs (wie die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung) ein Mehr an Vergütung einem Weniger an Vergütung vorziehen, sowie die Tatsache, dass CEOs und andere Topmanager sowohl die Höhe als auch die Struktur ihrer Vergütung beeinflussen können, unwiderlegbar richtig sind, sprechen oben genannte Argumente gegen die Qualifizierung der These als einzig sinnvolles Erklärungsmuster für die Ausgestaltung der US-amerikanischen Vergütungspraxis der letzten Jahre. Darüber hinaus kann die „Managerial Power“-Hypothese zur Erklärung deutscher Vergütungspraktiken wegen des ungleich geringeren Machtumfangs deutscher Führungskräfte im Vergleich zum USamerikanischen CEO nur eingeschränkt auf das deutsche Recht übertragen werden. 257 Bebchuk, Fried und Walker sprechen von einer Ausnutzung von Macht und Beziehungen des CEO zu den einzelnen Direktoren, die in ähnlichen Interessen, Kollegialität oder persönlicher Zuneigung bestehen können, vgl. Bebchuk/Fried/Walker, Managerial Power and Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 751 (784). 258 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (850). 259 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (853). Murphy kommt in dieser Studie zu dem Ergebnis, dass sog. „outside hires“ zwar eine niedrigere Barvergütung, jedoch eine höhere Gesamtvergütung inklusive stock options, Aktien und Bonus erhielten, vgl. Muphy, ebda., S. 854. 260 Crystal, In Search of Excess, 1991. 261 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (856); ähnlich Hall/Liebman, Are CEO’s Really Paid Like Bureaucrats?, 113 Quarterly Journal of Economics (1998), S. 653 (667 ff., 679 ff.).
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Der deutschen Unternehmensverfassung ist die enge personelle Verzahnung von Leitungs- und Kontrollorgan grundsätzlich fremd; nach dem deutschen dualistischen System sind Vorstand und Aufsichtsrat zwei separate Organe mit verschiedener Aufgabenstellung, was einen direkten Einfluss des Vorstands auf den Aufsichtsrat bis hin zur eigenen Vergütungsfestsetzung zumindest deutlich erschwert262. Fruchtbar machen lässt sich allerdings auch für das deutsche Recht der Gedanke, dass Vorstandsmitglieder über die anerkannten Schwächen des Aufsichtsratsapparates indirekt Einfluss auf die Vergütungsentscheidung nehmen können. Einfallstor für eine solche indirekte Einflussnahme können primär ein fehlendes Interesse der über die Vergütung entscheidenden Aufsichtsratsmitglieder an einer effektiven Überwachung und damit einer objektiv angemessenen Entscheidung (das Aufsichtsratsamt ist rechtlich eine bloße Nebentätigkeit) sowie eine frühere Vorstandstätigkeit derselben sein. Gerade in letzterem Fall besteht die Gefahr einer Sympathisierung mit dem Begünstigten, die die Entscheidung subjektiv beeinflussen könnte. Von einer umfassenden „managerial power“ im oben bezeichneten Sinne ist der deutsche Vorstand jedoch noch ein gutes Stück entfernt 263. 4. Die Hypothese von der Verkennung des wahren Optionswertes Im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der „Managerial Power“-Hypothese kommt Murphy zu dem Ergebnis, dass der entscheidende Grund für den explosiven Anstieg von Optionsprogrammen die Verkennung des wahren Wertes der ausgegebenen Optionen durch die Begünstigten und durch das ausgebende Unternehmen sei 264. Murphy stellt fest, dass die von Vertretern der Principal-Agent-Theorie hervorgehobene Motivationsfunktion von stock options primär im Rahmen von Toppositionen, von denen aus die Führungskräfte unmittelbaren Einfluss auf die performance – vor allem den Aktienkurs – der Gesellschaft haben, Geltung beanspruchen kann 265. Nach Murphy wird die überwiegende Mehrheit von Optionen aber an Angestellte unterhalb der Vorstandsebene gewährt, die einen solchen unmittelbaren Einfluss auf die (wirtschaftlichen) Geschicke der Gesellschaft eben nicht haben 266. Die Antwort auf die Frage, weshalb Ende der 90er Jahre und Anfang des neuen Jahrtausends die Vorstandsvergütung in den USA um ein so vielfaches anstieg, insbesondere weshalb Aktienoptionsprogramme sich explosionsartig vermehrten, sei in Vgl. ausführlich unten C.II.5.b) bb). Vgl. ausführlich unten C.II.5.b) bb). 264 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (857 ff.). Murphy selbst bezeichnet seine These als die „perceived-cost view“. 265 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (857). 266 Basierend auf Daten der Standard and Poor’s Datenbank über Vorstandsvergütung (ExecuComp database) weist Murphy nach, dass in den großen US-Publikumsgesellschaften (S&P 500 Industrials, S&P Financial, und New Economy) im Jahr 2000 zwischen 77 und 79,6% der jährlichen option grants an Angestellte unterhalb der Top Five Vorstandsebene gingen, vgl. Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (858). 262 263
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der Wahrnehmung des Wertes von Optionen durch die Beteiligten zu suchen 267. Murphy’s These stützt sich im Wesentlichen auf zwei grundlegende Annahmen: Erstens nähmen risikoaverse und nicht diversifizierte Angestellte aktiengestützte Vergütung als stark risikobehaftet wahr, was dazu führe, dass sie den Wert von Optionen entsprechend niedriger ansetzten. Die übliche Wertfindungsformel für Aktienoptionen, die von Fischer Black und Myron Scholes entwickelte sog. Black-Scholes-Formel 268, könne für den Fall der Gewährung an risikoaverse, nicht diversifizierte Angestellte keine Geltung haben. So seien aus der Perspektive der Angestellten an sie gewährte Optionen nur mit einem Bruchteil ihres Black-Scholes Wertes anzusetzen 269. Für diese Sicht spreche auch, dass Angestellte, die Bar- gegen Optionsmodelle umtauschen, typischerweise umfangreiche Risikoprämien verlangten 270. Zweitens gingen die ausgebenden Gesellschaften regelmäßig – fälschlich – davon aus, dass Optionen ein relativ günstiger Vergütungsbestandteil seien. Der wirtschaftliche Wert einer Option (economic bzw. opportunity cost) wird im Allgemeinen danach beurteilt, was ein Investor für die Option bezahlen würde 271. Die Black-Scholes-Formel ist eine anerkannte, übliche und adequate Möglichkeit zur Messung dieses Wertes 272. Aus der Perspektive der ausgebenden Gesellschaften, genauer aus der Perspektive des über die Vorstandsvergütung entscheidenden boards, würden, so Murphy, die Kosten für die Gewährung von Optionen allerdings deutlich geringer angesetzt, als dies ihrem eigentlichen (wahren) Wert entspricht 273. Boards bewerteten Aktienoptionen als finanziell vorteilhaft und günstig, da sie keinen Liquiditätsabfluss bewirken und zudem nach der US-amerikanischen Rechnungslegungspraxis bilanzierungstechnisch nicht in die Gewinn- und Verlustrechnung zu übernehmen sind 274. Mit Murphy’s „Perceived-Cost“-Theorie im Einklang stehen sämtliche schon von Bebchuk, Fried und Walker beobachtete Besonderheiten der US-Vergütungspraxis der letzten Jahre. So lässt sich z. B. die Tatsache, dass Optionen zum absolut überwiegenden Teil einheitliche Ausübungspreise, anknüpfend an den „fair market value“ am Tag der Gewährung („at the money“), haben, mit dem Umstand erklären, dass für Unternehmen „out of the money“ 275 oder „at the money“ Optionen steuerlich am vorteilhaftesten sind, während für Angestellte „at the money“ oder „in Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (858). Black/Scholes, The Pricing of Options and Corporate Liabilities, 81 Journal of Political Economy (1973), S. 637 ff. 269 Hall/Murphy, Stock Options for Undiversified Executives, 33 Journal of Accounting and Economics (2002), S. 3 (15, 37). 270 Hall/Murphy, Stock Options for Undiversified Executives, 33 Journal of Accounting and Economics (2002), S. 3 (37). 271 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (859). 272 Merton, Theory of Rational Option Pricing, 4 Bell Journal of Econ. and Mgmt. Sci. (1973), S. 141 ff. 273 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (859). 274 Vgl. Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (322). 275 Optionen sind „out of the money“, wenn der Ausübungspreis über dem „fair market value“ (Marktpreis) liegt. 267 268
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the money“ 276 Optionen den größten Wert besitzen. Überschneidungspunkt ist für beide Parteien die „at the money“ Option. Murphy führt an, dass eben diese Überschneidung (und nicht managerial power) der Grund für die fast einheitliche Gewährung von „at the money“ Optionen ist 277. Während die „Managerial Power“-Hypothese zwar in allen von Murphy erwähnten Punkten zum selben Ergebnis kommt, jedoch in der Begründung wesentlich abweicht, da sie stark von der Auseinandersetzung mit gesellschaftsinternen corporate governance-Problemen geprägt ist, und, damit einhergehend, den Begünstigten weitgehend sinistre Motive unterstellt, bietet die „Perceived-Cost“-Hypothese einen Erklärungsansatz, der rein wirtschaftliche Überlegungen in den Vordergrund stellt. Die „Perceived-Cost“-Hypothese lässt sich unter Beachtung der oben aufgeführten Besonderheiten in der deutschen Vergütungspraxis, die Aktienoptionspläne vornehmlich an Führungskräfte verteilt, auch auf das deutsche Recht übertragen 278 und verdient als Erklärungsansatz nicht zuletzt wegen des Verzichts auf die insbesondere der „Managerial Power“-Hypothese innewohnenden Polemik, ihrer differenzierten, vornehmlich den wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragenden Begründung nach Ansicht der Verfasserin den Vorzug vor den anderen hier vorgestellten Erklärungsmodellen 279.
B. Die Vergütungsentscheidung als Teil der Personalkompetenz des Aufsichtsrats Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit den Voraussetzungen, die bei der Festsetzung der Vorstandsvergütung zu beachten sind 280. Festgehalten werden Vergütungsentscheidungen regelmäßig im sog. Anstellungsvertrag, der die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Vorstandsmitglied und AG regelt, § 84 I 5 276 Optionen sind „in of the money“, wenn der Ausübungspreis unter dem „fair market value“ (Marktpreis) liegt. 277 Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (864). 278 Insbesondere kann im deutschen Recht trotz fehlender Bilanzierung die Ausgabe von Aktienoptionen auf Basis einer bedingten Kapitalerhöhung nach wohl überwiegender Auffassung als Personalaufwand erfolgswirksam erfasst werden, vgl. Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 38. 279 In der US-amerikanischen Vergütungspraxis muss indes die „Managerial Power“-Hypothese trotz der insbesondere von Murphy aufgezeigten dogmatischen Schwächen weiterhin als maßgeblicher Erklärungsansatz für die international unerreicht hohen Vergütungen angesehen werden – anders als im deutschen Recht ist die Machtposition des CEO ein nicht hinwegzudenkender Verhandlungsfaktor im Vergütungspoker US-amerikanischer Führungskräfte, vgl. hierzu ausführlich unten C.II.5.b) bb). 280 Da die hier im Vordergrund stehende materielle Anforderung der Angemessenheit der Vergütung (§ 87 I AktG) in einem eigenen Komplex (C.) behandelt wird, sollen vorliegend nur die für die vorliegende Problematik wesentlichen Punkte dargestellt werden; eine vollständige und eingehende Bearbeitung der anstellungsrechtlichen Feinheiten würde den Rahmen der vorliegenden Monographie sprengen und wird aus diesem Grunde nicht angestrebt.
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AktG 281. Da ein Vorstandsmitglied einer AG seine Tätigkeit in aller Regel entgeltlich ausüben wird – insofern spricht eine Vermutung für die Entgeltlichkeit – ist der Anstellungsvertrag rechtstechnisch als Dienstvertrag gem. §§ 611, 612 BGB einzuordnen 282. Der Abschluss des Anstellungsvertrages und damit auch die darin geregelte Vergütungsentscheidung ist (neben der korporationsrechtlichen Bestellung der Vorstandsmitglieder) Teil der Personalentscheidung, die in die ausschließliche Zuständigkeit des Aufsichtsrats fällt 283 (sog. Personalkompetenz 284). Personalentscheidungen des Aufsichtsrates sind zugleich Instrumente im Rahmen der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrates wie auch Vorgaben des Aufsichtsrates für die Unternehmenspolitik 285. Die Entscheidung über die Anwerbung bestimmter Personen mit bestimmten Vergütungsangeboten ist wegen dieser Verknüpfung mit dem „Schicksal“ des Unternehmens ein Beitrag des Aufsichtsrates zur strategischen Unternehmensplanung und damit ein Akt der Willensbildungsautonomie der Gesellschaft 286.
281 Der Abschluss bzw. die Kündigung des Anstellungsvertrages ist rechtstechnisch von der Bestellung bzw. der Abberufung als die korporationsrechtlichen Beziehungen regelnde Rechtsakte zu trennen (sog. Trennungstheorie), vgl. Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 84 Rn. 42; Hüffer, AktG, § 84 Rn. 2; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 331; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 84 Rn. 2. Zwar werden beide Geschäfte (Bestellung als körperschaftsrechtlicher Akt sowie die Anstellung als dienstvertragliche ergänzende Festlegung der Rechte und Pflichten des Vorstandsmitglieds, die sich nicht schon aus der Bestellung ergeben) meist in einem Rechtsakt vorgenommen und sind auch innerlich verbunden. Aus der inneren Beziehung zwischen beiden folgt jedoch nicht, dass es sich um ein einziges Rechtsverhältnis handelt, das nur einheitlich behandelt werden kann. Die in neuerer Zeit von Baums (Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 3 ff.,) wieder proklamierte Einheitstheorie, nach der entsprechend einer früher vertretenen Literaturauffassung Bestellung und Anstellungsvertrag ein einheitliches Rechtsgeschäft darstellen sollen, widerspricht erkenntlich sowohl dem Gesetzeswortlaut, der diese Unterscheidung in §84 I 1 und S.5, Abs. 3 S. 1 und 5 AktG zum Ausdruck bringt, als auch der Gesetzesbegründung. Die doppelte juristische Perspektive, in der die Beziehung zwischen Vorstandsmitglied und Gesellschaft gesehen wird, ist damit geltendes Recht. 282 Allgemeine Ansicht, vgl. nur BGHZ 10, 187 (191); 36, 142 (143); Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, §84 Rn.42; Hüffer, AktG, §84 Rn.11; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 84 Rn. 33; aktuell Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97. 283 Für Abschluss und Ausgestaltung des Anstellungsvertrags ergibt sich die alleinige Zuständigkeit des Aufsichtsrats aus § 84 I 5 HS. 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 AktG, vgl. Hefermehl/ Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, §84 Rn.47; Hüffer, AktG, §84 Rn.12; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 104; Spindler, DStR 2004, S. 36. 284 Nach dem Bundesgerichtshof ist die Auswahl des Vorstands und damit auch die Personalkompetenz „eine der wichtigsten Aufgaben, die das Gesetz dem Aufsichtsrat zuweist“, vgl. BGHZ 122, 342 (359). Ähnlich Thümmel, Persönliche Haftung, Rn. 258. 285 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 331; Thümmel, Persönliche Haftung, Rn. 258. Bereits Rathenau vermerkte hierzu: „Diese Schicksalsfrage der Führerschaft aber ist die höchste und verantwortungsvollste Aufgabe des Aufsichtsrats; an ihr muß sich in gegebenen Abständen seine Menschenkenntnis und organisatorische Kraft erproben“, vgl. Rathenau, Vom Aktienwesen, 1918, S. 19. 286 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 105; Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 10, 67 ff.
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I. Die Kompetenz zur Vergütungsentscheidung Das Gesetz weist in § 84 I 1 AktG die Kompetenz zur Bestellung von Vorstandsmitgliedern dem (Gesamt-)Aufsichtsrat zu. Gemäß § 84 I 5 AktG 287 gelten die Vorschriften über die Bestellung sinngemäß für den Anstellungsvertrag, weshalb auch für die Entscheidung über den Anstellungsvertrag und dessen Inhalt (wie oben bereits festgehalten wurde, ist die Vergütungsentscheidung Bestandteil des Anstellungsvertrages) ausschließlich der Aufsichtsrat zuständig ist (§ 84 I 5 Halbsatz 1 i. V. m. Absatz 1 Satz 1 AktG) 288. Die Kompetenzzuweisung ist gesetzlich eindeutig. Das Erfordernis einer Zustimmung der Hauptversammlung durch Satzungsregelung kann selbst für außergewöhnliche Vereinbarungen nicht vorgesehen werden 289. Abschluss und Änderung des Anstellungsvertrages einschließlich von Vergütungsvereinbarung und/oder der Durchführung von Aktienoptionen 290 erfolgen durch Beschluss des Aufsichtsrates, § 108 AktG; der Aufsichtsrat handelt hierbei als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft, vgl. § 112 AktG 291. 1. Die Bedeutung von Personalausschüssen bei Vorstandsvergütungsentscheidungen Die Praxis insbesondere größerer Gesellschaften zeigt, dass Entscheidungen, die unter die Personalkompetenz des Aufsichtsrates fallen, zu einem Großteil von sog. Personalausschüssen wahrgenommen werden 292. Der DCGK empfiehlt unter Hinweis auf die Funktion von Ausschüssen als Mittel zur Steigerung der Effizienz der Aufsichtsratsarbeit und der Behandlung komplexer Sachverhalte, die Ausschüsse als Bestandteil guter Corporate Governance auszuweisen, dass der Aufsichtsrat abhängig von den spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens und der Anzahl seiFür mitbestimmte Gesellschaften gilt § 31 MitbestG. Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 84 Rn. 47; Hüffer, AktG, § 84 Rn. 12; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 104; Spindler, DStR 2004, S. 36. 289 BGHZ 41, 282 (285); Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 84 Rn. 47; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 84 Rn. 49. 290 Vgl. hierzu Baums, Aktienoptionen für Vorstandsmitglieder, in: FS Claussen, 1997, S. 3, 15. Zur Wiederholung: Aktienoptionen sind (erfolgsorientierte) Bezugsrechte für Arbeitnehmer und Geschäftsführungsmitglieder einer Gesellschaft. Ihre gesonderte Anerkennung als besondere erfolgsorientierte Vergütungsform für Arbeitnehmer und Vorstandsmitglieder ergibt sich aus § 192 II Nr. 3 AktG i. V. m. § 193 II Nr. 4, vgl. Hüffer, AktG, § 192 Rn. 15. Vgl. im Einzelnen ausführlich oben A.I.1.c) cc). 291 Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Aktiengesetz, Band II, § 84 Rn. 38 f.: Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 84 Rn. 47 f.; Hüffer, AktG, § 84 Rn. 12; Spindler, DStR 2004, S. 36. 292 Bereits in einer von Vogel durchgeführten Erhebung aus den Jahren 1975/1976 wird die herausragende Bedeutung von Personalausschüssen eindrucksvoll belegt: sie wurden von 86 % aller Unternehmen gebildet, die über einen Ausschuss verfügten, vgl. Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, 1986, S. 2. 287 288
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ner Mitglieder fachlich qualifizierte Ausschüsse bilden soll 293. In aller Regel wird die Pflicht des Aufsichtsrats zu sachgerechter Organisation seiner Tätigkeit ihn primär bei größeren Gesellschaften dazu zwingen, von dieser Möglichkeit der Ausschussbildung Gebrauch zu machen 294. Bei der Frage der Zulässigkeit der Bildung von Personalausschüssen ist nach der Trennungstheorie 295 zwischen Bestellung bzw. Abberufung der Mitglieder des Vorstands als Teil der korporationsrechtlichen Beziehungen, und dem Abschluss bzw. der Kündigung des Anstellungsvertrages, welche die schuldrechtliche Ebene betreffen, zu differenzieren 296. Eine Pflicht zur Errichtung von Ausschüssen schreibt das Gesetz (abgesehen vom Vermittlungsausschuss des § 27 III MitbestG) nicht vor; § 107 III 1 AktG lässt die Bildung vorbereitender Ausschüsse jedoch ausdrücklich zu 297. Die Entscheidung über den Abschluss des Anstellungsvertrages und damit über die Vorstandsvergütung ist daher grundsätzlich an einen Ausschuss delegierbar 298. Zwar nimmt § 84 I 5 AktG auf § 84 I 1 AktG (der die Bestellung der Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat regelt) Bezug; dies reicht jedoch nicht aus, um die Unübertragbarkeit auch auf den Abschluss des Anstellungsvertrages zu erstrecken, da diese Aufgabe eben nicht in § 84 I 1 AktG, sondern in § 84 I 5 AktG geregelt ist. Die Verweisung in § 84 I 5 AktG auf die vorhergehenden Sätze des Abs. 1 bezieht sich ausschließlich auf die Dauer des Anstellungsvertrages 299. Beschränkungen der anstellungsvertraglichen Regelungskompetenz des Ausschusses ergeben sich allein daraus, dass Bestellung und Anstellung praktisch aufs Engste zusammenhängen 300. Der Ausschuss hat bei der Regelung der Anstellungsbedingungen die vorrangige Bestellungshoheit des Plenums zu beachten. Er darf somit das Plenum im Hinblick auf Bestellung oder Abberufung jedenfalls nicht präjudizieren, indem Ziffer 5.3.1 des DCGK in der Fassung v. 2. Juni 2005 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 620. 295 Vgl. oben B.; a. A. Einheitstheorie. 296 Die korporationsrechtliche Ebene spielt im Hinblick auf die vorliegende Fragestellung keine Rolle. Der maßgebliche Unterschied zur Anstellungskompetenz liegt darin, dass die Bestellungskompetenz nicht an einen Ausschuss delegierbar ist, da der Ausschuss keine körperschaftlichen Organisationsakte vornehmen darf, vgl. Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 337. 297 Die Erledigung der besonders wichtigen Angelegenheiten ist zwar zwingend dem Plenum vorbehalten; diese Entscheidungen, die nicht auf einen beschließenden Ausschuss übertragen werden können, ergeben sich primär aus dem in § 107 III 2 AktG enthaltenen Katalog. Zu diesen dem Gesamtaufsichtsrat vorbehaltenen Aufgaben gehören neben der Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern z. B. die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und des Stellvertreters, vgl. Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 623. 298 BGHZ 41, 282 (285); 65, 190 (191); Hüffer, AktG, § 107 Rn. 18; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 84 Rn. 47; Spindler, DStR 2004, S. 36, Thümmel, AG 2004, S. 83 (88). 299 Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 84 Rn. 47. 300 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 388. 293 294
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er im Vorfeld über Abschluss oder Kündigung von Anstellungsverträgen entscheidet 301. a) Zusammensetzung der Personalausschüsse Gem. § 107 III 1 AktG ist der Ausschuss aus der Mitte des Aufsichtsrats zu bilden. Dem Ausschuss dürfen somit nur Mitglieder des Aufsichtsrats angehören. Die zahlenmäßige Zusammensetzung von Aufsichtsratsausschüssen regelt das Gesetz zwar nicht; es ist jedoch anerkannt, dass beschließende Ausschüsse bei Personalentscheidungen mindestens drei Mitglieder haben müssen, da anderenfalls die gesetzlichen Regelungen (§ 108 II 3 AktG) zur Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats umgangen werden könnten 302. Im Einzelnen bestimmen die jeweiligen Geschäftsordnungen des Aufsichtsrats eines Unternehmens über das geltende Mindestquorum303. Nicht ganz unproblematisch ist die praktisch bedeutsame Frage der Pflicht zur Arbeitnehmerbeteiligung im Ausschuss bei Gesellschaften mit Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat 304. Für beschließende Ausschüsse hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Arbeitnehmervertreter nicht ohne sachlichen Grund bei der Ausschussbesetzung benachteiligt werden dürfen 305. Insgesamt gilt, dass der Aufsichtsrat zwar zur paritätischen Besetzung nicht gezwungen werden kann306; das Diskriminierungsverbot gebietet jedoch unter Zugrundelegung des Grundgedankens der gesetzlichen Mitbestimmung eine angemessene Beteiligung von Arbeitnehmervertre301 BGHZ 79, 38 (40 ff.); Hüffer, AktG, §84 Rn.12; §107 Rn.18; Spindler, DStR 2004, S.36. Der Ausschuss kann damit zwar über die Einzelheiten des Anstellungsvertrags verhandeln, das Ressort des designierten Vorstandsmitglieds darf er aber nicht festlegen, vgl. Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 259; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 84 Rnn. 43, 47. 302 BGHZ 65, 190 (191 ff.); Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 388; Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 297. Umstritten ist, ob lediglich vorbereitende Aufgaben auch einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern übertragen werden können. Dies ist entgegen der Ansicht der h. M. richtigerweise zu verneinen, da der vorbereitende Ausschuss zwar in der Sache selbst keine Beschlüsse fasst, jedoch durch Wirkung der Entscheidung z. B. gegenüber dem Vorstand (Berichtsverlangen) befristet Kompetenzen des Plenums wahrnimmt mit der Folge, dass sich die Verpflichtungen des Vorstands ändern, vgl. Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 297. 303 In Nr. 15 der Neufassung der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats der Mannesmann AG v. 17. April 2000 war beispielsweise ein Mindestquorum von vier Mitgliedern bestimmt: „Der Ausschuss für Vorstandsangelegenheiten (Präsidium) besteht aus vier Mitgliedern.“ Vgl. Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 2. 304 Bei Gesellschaften ohne Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat entscheidet der Aufsichtsrat über die Ausschussbesetzung nach pflichtgemäßem Ermessen. Ein Verstoß gegen die Organisationspflicht der Aufsichtsratsmitglieder liegt lediglich dann vor, wenn das Ausschussmitglied gänzlich ungeeignet für seine Aufgabe ist, vgl. Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 302. 305 BGHZ 122, 342 ff. 306 Str.; wie hier BGHZ 122, 342 (358); Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 107 Rn. 112; Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 305.
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tern 307. Ein Verstoß gegen dieses Gebot wird bei bedeutender, sachlich nicht gerechtfertigter Unterrepräsentanz der Arbeitnehmervertreter oder bei vollständig mit Anteilseignervertretern besetzten wichtigen Ausschüssen widerlegbar vermutet 308. b) Aufsichtsratspräsidium Das sog. Präsidium (auch Präsidialausschuss genannt) ist einer der wichtigsten auf Dauer eingesetzten Ausschüsse des Aufsichtsrats. Es nimmt in der Regel zugleich die Aufgaben des Personalausschusses wahr, ist mithin nach seinen Kompetenzen manchmal nur ein Personalausschuss unter anderem Namen309; daneben wird dem Präsidium häufig die Behandlung von Finanzierungsfragen und Fragen der Investitionspolitik zugewiesen 310. Eigentlicher Kern der Aufgaben des Präsidiums ist aber typischerweise die Unterstützung des Aufsichtsratsvorsitzenden durch laufenden Kontakt und Beratung mit dem Vorstand in der Zeit zwischen den Sitzungen des Aufsichtsrats sowie die Koordinierung von Aufsichtsrats- und Ausschussarbeit und die Vorbereitung der Sitzungen des Plenums 311. Diese Wahrnehmung von Aufgaben des Aufsichtsratsvorsitzenden macht das Präsidium entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht 312 nicht zu einem eigenen Organ (Gremium sui generis); eine solche Annahme widerspräche dem Aktiengesetz, das eine entsprechende Differenzierung nicht vornimmt 313. Das Präsidium ist mit der h. M. vielmehr als ein Ausschuss des Aufsichtsrats zu qualifizieren 314. Im Fall Mannesmann entschied das aus den vier (Haupt-) Angeklagten bestehende Präsidium als „Ausschuss für Vorstandsangelegenheiten“ über die von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Prämienzahlungen 315.
307 Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 107 Rn. 112; Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 308. 308 BGHZ 122, 342 (361 f.) für den beschließenden Ausschuss; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, §107 Rn. 112; Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 308. 309 Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, §107 Rn. 95; Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 250; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 663. 310 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 663. 311 Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, §107 Rn. 96; Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 253; Krieger, ZGR 1985, S. 338 (339). 312 Krieger, ZGR 1985, S. 338 (346 f.) mit dem Argument, die Aufgabengebiete von „normalen“ Ausschüssen und Präsidialausschüssen seien grundlegend unterschiedlich 313 Vgl. Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 107 Rn. 96; Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 253. 314 BGHZ 83, 106 (114); Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 107 Rn. 96; Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 107 Rn. 253. 315 Die Zuständigkeit des Präsidiums ergab sich bei Mannesmann bis zum April 2000 aus Nr.12 der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates von 1972, vgl. Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S.2.
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2. Fazit Der Aufsichtsrat ist nach § 84 I 1 AktG ausschließlich für die Entscheidung über den Abschluss des Anstellungsvertrages und damit über die Vorstandsvergütung zuständig. Gemäß § 107 III 1 AktG ist diese Entscheidung grundsätzlich an einen Personalausschuss delegierbar.
II. Die Vergütungsentscheidung des Aufsichtsrats als unternehmerische Ermessensentscheidung Unternehmerisches Handeln bedingt zwangsläufig unternehmensbezogene Entscheidungen 316. Im Rahmen der Geschäftsleiterfunktion des Vorstands getroffene Entscheidungen sind typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass sie häufig unter unsicheren Bedingungen getroffen werden müssen, zukunftsgerichtet und in aller Regel hoch komplex sind (sog. unternehmerische Entscheidungen) 317. Sie beinhalten damit zwangsläufig Chancen und Risiken oder nehmen solche bewusst in Kauf 318. Um unternehmerisches Handeln möglich zu machen, muss dem jeweiligen Organ ein bestimmter gerichtlich nicht überprüfbarer Ermessensspielraum gewährt werden, innerhalb dessen er Chancen und Risiken sachgerecht gegeneinander abwägen kann 319. So räumt der Bundesgerichtshof dem Vorstand einer AG im Rahmen der Wahrnehmung seiner unternehmerischen Führungsaufgabe weitgehende unternehmerische Handlungsfreiheit ein 320. Dem Aufsichtsrat wird eine entsprechende Handlungsfreiheit nur insoweit gegeben, „wie das Gesetz auch ihm unternehmerische Aufgaben überträgt, wie z. B. bei der Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern oder im Rahmen des § 111 IV 2 AktG, d. h. überhaupt überall dort, wo er die unternehmerische Tätigkeit des Vorstands im Sinne einer präventiven Kontrolle begleitend mitgestaltet“ 321. Weil dem Aufsichtsrat im Rahmen seiner Personalkompetenz unternehmerische Aufgaben übertragen wurden, kann nicht daran gezweifelt werden, dass auch er ein Leitungsorgan der Aktiengesellschaft ist und ihm, soweit er in dieser Eigenschaft tätig wird, ein unternehmerisches Ermessen zukommt 322. Dass die Vergütungsentschei316 Semler, in: FS Ulmer, 2003, S. 627; Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 8 ff. 317 Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 8 ff.; 13. 318 Semler, in: FS Ulmer, 2003, S. 627. 319 Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 263. 320 BGHZ 135, 244 (253 f.) – „ARAG/Garmenbeck“: „Die unternehmerische Handlungsfreiheit ist Teil und notwendiges Gegenstück der dem Vorstand […] obliegenden Führungsaufgabe“. Vgl. auch Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (336), der diese Regel in Anlehnung an das US-amerikanische Gesellschaftsrecht als „business judgment rule“ bezeichnet. Zur Kodifizierung der business judgment rule im deutschen Recht vgl. unten D.III. 321 BGHZ 135, 244 (254 f.) – „ARAG/Garmenbeck“. 322 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 21
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dung eine solche unternehmerische Aufgabe des Aufsichtsrats darstellt, ergibt sich aus der Qualifizierung der Vergütungsentscheidung als Annexproblem der – vom Bundesgerichtshof ausdrücklich genannten – Personalauswahl („Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern“) 323. Denn die Möglichkeit, gute Kräfte an das Unternehmen zu binden, hängt maßgeblich von der Vergütungshöhe und -gestaltung ab, eine Entscheidung, die ihrerseits ungewiss und notwendigerweise zukunftsorientiert ist 324. Dies gilt für den erstmaligen Abschluss des Anstellungsvertrags ebenso wie für nachträglich vereinbarte leistungsbelohnende Gratifikationen (Appreciation Awards bzw. Anerkennungsprämien); in beiden Fällen soll gestaltend auf die vom Vergütungsempfänger gesteurte oder zumindest mitgesteuerte Unternehmenspolitik eingewirkt werden 325. Insbesondere diese Zukunftsorientierung von Vergütungsentscheidungen, mit denen der Aufsichtsrat künftige unternehmerische Entscheidungen des Vorstands steuert und mitgestaltet, verbunden mit der notwendigen Einbeziehung von Unwägbarkeiten, machen die Entscheidung des Aufsichtsrats über die Struktur und Höhe der Vergütung der Vorstandsmitglieder zu einer unternehmerischen Ermessensentscheidung 326. Diese ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 327 einer gerichtlichen Nachprüfung nur in Grenzen zugänglich. Eine Bestätigung dieses Standpunkts liefert im Übrigen auch § 87 I AktG; die Vorschrift stellt zwar ein Angemessenheitserfordernis auf, bietet damit aber nicht mehr als eine Richtlinie 328, was das unternehmerische Ermessen als den am Angemessenheitserfordernis auszurichtenden Freiraum schon denknotwendig voraussetzt 329.
III. Beurteilungsmaßstäbe bei Ausübung der Personalkompetenz durch den Aufsichtsrat Auch für unternehmerische Ermessensentscheidungen gelten jedoch gewisse Grundregeln, die gewissermaßen die Grundpfeiler einer jeden Ermessensausübung Peltzer, in: FS Lutter, 2000, S. 571 (577). Schüller, Vorstandvergütung, 2002, S. 104; ähnlich Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 122. 325 Einschränkungen wird man richtigerweise allerdings bei ablösenden Abfindungen machen müssen, die sich primär rückblickend am Anstellungsvertrag orientieren und denen eine Zukunftsprognose, wie sie hier beschrieben wird, schon denknotwendig nicht innewohnt. Wie Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 122 zutreffend feststellt, geht es bei ablösenden Abfindungen „lediglich um eine Rechenaufgabe, die bereits durch die Restlaufzeit des Anstellungsvertrags vorbestimmt ist“. 326 Schüller, Vorstandvergütung, 2002, S. 124; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155 (156 f.). 327 Grundlegend BGHZ 135, 244 (253 ff.) – „ARAG/Garmenbeck“. 328 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 21; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 87 Rn. 3; Peltzer, in: FS Lutter, 2000, S. 571 (579); Semler, in: FS Budde, 1995, S. 599 (602). 329 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 21. 323 324
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darstellen. Diese vier 330 Grundsätze unternehmerischer Entscheidungen, namentlich Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit 331, sollen im Folgenden näher konkretisiert werden. 1. Rechtmäßigkeit Eine Aufsichtsratsentscheidung über Vorstandsvergütungen ist dann rechtmäßig, wenn die für die Entscheidung relevanten Vorschriften des Aktiengesetzes oder der Satzung eingehalten wurden 332. Für die Rechtmäßigkeit der Vergütung relevante Normen sind primär das Angemessenheitsgebot des § 87 I 1 AktG, auf das an späterer Stelle noch einzugehen sein wird 333, sowie die kompetenzrechtliche Regelung des § 84 I AktG 334. Darüber hinaus hat die Entscheidung auch die allgemeinen rechtlichen Zielvorgaben jeder unternehmerischen Ermessensentscheidung, nämlich Unternehmensgegenstand, Gesellschaftszweck und Unternehmensinteresse, zu berücksichtigen 335. 2. Ordnungsmäßigkeit Das Kriterium der Ordnungsmäßigkeit 336 soll gewährleisten, dass die Entscheidung sich in das Organisationsgefüge der Gesellschaft einfügt 337. Konkret im Hin330 Teilweise werden einzelne Grundsätze verneint, vgl. z. B. Steinbeck, Überwachungspflicht, 1992, S. 91, die das Kriterium der Ordnungsmäßigkeit ablehnt. Die überwiegende Ansicht geht von den genannten vier Grundpfeilern aus, ist sich aber über die genaue Behandlung uneins, vgl. auch unten Fn. 336. 331 H.M., vgl. allgemein zur Überwachungspflicht des Aufsichtsrats BGHZ 114, 127 (129 f.); Dreher, ZHR 158 (1994), S.614 (620); Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn.72 ff.; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, §111 Rn. 11; Notthoff, NJW 2003, S. 1350 (1351); Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, 1980, S. 68 ff.; Hefermehl/ Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 84 Rn. 42. 332 Allgemein Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, 1980, S. 69. 333 Vgl. unten C.II. 334 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 106. 335 Dreher, ZHR 158 (1994), S. 614 (621); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 106. Zur Frage, inwiefern das Unternehmensinteresse bei Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrat tatsächlich von Bedeutung ist, vgl. unten C.I. 336 Inzwischen werden die einzelnen Kategorien in der Literatur weitgehend getrennt aufgeführt, vgl. nur Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 74 ff.; Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, 1980, S. 68 ff.; Semler/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, Vor § 76 Rn. 92 ff.; teilweise wird die Möglichkeit einer solchen Trennung verneint, da die Kategorien der Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit in einem inneren Zusammenhang stünden und sich überschnitten, vgl. Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S.31. Auswirkungen auf die inhaltliche Substanz der einzelnen Kategorien hat dies nicht, weshalb vorliegend eine getrennte Untersuchung vorgenommen wird; zur Zweckmäßigkeit, die in der Tat zahlreiche Kongruenzen mit den anderen Merkmalen aufweist, vgl. unten 4. 337 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn.74; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S.106.
B. Die Vergütungsentscheidung als Teil der Personalkompetenz des Aufsichtsrats
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blick auf Vorstandsvergütungsentscheidungen, die wegen Fehlens gesetzlicher Vorschriften grundsätzlich nicht formbedürftig sind, wird die Ordnungsmäßigkeit durch die Einhaltung der im Aktiengesetz vorgegebenen Kompetenzen sowie durch die Transparenz von Entscheidungsfindung und -ergebnis für jedes einzelne Vorstandsmitglied garantiert 338. 3. Wirtschaftlichkeit Durch das Gebot der Wirtschaftlichkeit 339 soll die Lebens- und Überlebensfähigkeit des Unternehmens gewährleistet werden; dies umfasst die Sicherung der Liquidität der Gesellschaft, ihre angemessene Finanzierung und ihre Ertragskraft – speziell bei Personalentscheidungen hat der Aufsichtsrat darauf zu achten, dass die Stellung des Unternehmens am Markt als ständige und zentrale Aufgabe der Leitungskompetenz des Vorstands durch die Bestellung bzw. die Anstellung der jeweiligen Führungskraft gesichert ist 340. 4. Zweckmäßigkeit Die Zweckmäßigkeit wird zumeist als das Gebot des zweckmäßigen Planens und Gestaltens geschäftlicher Vorgänge verstanden 341. Umstritten ist, ob die Zweckmäßigkeit als vierte Kategorie selbständig neben den bisher genannten Kategorien der Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit stehen kann. Während einige Autoren dies stillschweigend voraussetzen 342, wird eine solche Koexistenz der Zweckmäßigkeit als eigener Kategorie neben den übrigen Merkmalen zur Überprüfung aufsichtsratlicher Ermessensentscheidungen überwiegend mit der Begründung verneint, die Zweckmäßigkeit sei in den meisten der oben dargestellten Aspekte schon mit enthalten 343. Letztlich besteht weitgehend Einigkeit, dass die Forderung nach der Zweckmäßigkeit einer Entscheidung eng mit der nach Wirtschaftlichkeit, also nach der Erfüllung des Zwecks eines wirtschaftlich handelnden Unternehmens, verknüpft ist 344 – eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansichten soll daher hier unter dem Hinweis entfallen, dass es sich bei beiden Auffassungen wohl eher um begriffliche als um inhaltliche Differenzen handelt. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 106. Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, 1980, S. 71, bezeichnet diesen Vorgang auch als „Vorteilhaftigkeit“. 340 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 83. 341 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S.106; Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, 1980, S. 71 f. 342 Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, 1980, S. 71 f. 343 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 84; Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 31. 344 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 106. 338 339
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C. Grenzen der Vergütungsentscheidung: Das Unternehmensinteresse und die Angemessenheit der Gesamtvergütung i. S. d. § 87 I AktG Dem Entscheidungsermessen des Aufsichtsrats bei Vorstandsvergütungsentscheidungen sind weitere, neben den allgemeinen Beurteilungsmaßstäben bei Ausübung der Personalkompetenz zu beachtende Grenzen gesetzt. Unstreitig ist die eine Anforderung, an der die Vergütungsbemessungsentscheidung des Aufsichtsrats gemessen wird, die in § 87 I 1 AktG geregelte Angemessenheit der Gesamtbezüge. Weit weniger geklärt ist die Frage, ob das in Rechtsprechung und Schrifttum häufig erwähnte, in Bedeutung, Reichweite und Kontur aber hoch umstrittene und gesetzlich nur unzureichend geregelte 345 „Unternehmensinteresse“ als eigenständiges bzw. zusätzliches Kriterium bei der Ermessensbeschränkung herangezogen werden kann 346. Weil der Begriff des Unternehmensinteresses weiter reicht bzw. dem Ermessen des Aufsichtsrats engere Grenzen setzt als die Angemessenheit nach § 87 I AktG, was zur Folge hat, dass es bei einem Handeln des Aufsichtsrats außerhalb des Unternehmensinteresses (sofern es denn als Ermessensschranke anerkannt wird) auf die Höhe bzw. Angemessenheit der beschlossenen Vergütungen gar nicht mehr ankommt 347, werden die Ausführungen zum Unternehmensinteresse hier am Anfang der Untersuchungen stehen.
I. Die Bedeutung des Unternehmensinteresses bei Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats 348 Entstehungsgeschichtlich wurde der dem Grunde nach auf Rathenau 349 zurückgehende Begriff des Unternehmensinteresses als im Verhältnis zum Gesellschaftsinte345 § 312 I 2 AktG spricht von einem „Interesse des Unternehmens“; die konzernrechtliche Vorschrift gibt allerdings keine konkreten Anhaltspunkte bzgl. des Inhalts des Begriffes und verwendet die Formulierung „im Interesse dieser Unternehmen“ nur in Bezug auf das Verhältnis zwischen mehreren Unternehmen, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 131. 346 Umstritten, vgl. nur Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 131 ff.; Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 191 ff.; Wollburg, ZIP 2004, S. 646 ff. 347 So zutreffend Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 20; ähnlich LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2046 f.) = NJW 2004, S. 3275 (3277). 348 Aktuell hat das Unternehmensinteresse im Fall Mannesmann wieder an Bedeutung erlangt: die Staatsanwaltschaft hat hier den Gesichtspunkt des Unternehmensinteresses mit der Behauptung einführt, dass sich die über die Abfindungen und Appreciation Awards an einzelne Vorstandsmitglieder der Mannesmann AG entscheidenden Präsidiumsmitglieder „nicht am Unternehmensinteresse der Mannesmann AG“ orientiert hätten. Zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft vgl. Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 8 ff.; ausführlich LG Düsseldorf, Urteil v. 22. Juli 2004, im Internet abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/ses/nrwesearch.php#, Aktenzeichen XIV5/03, S. 1–4. 349 Rathenau prägte insbesondere – obgleich er den Begriff selbst nie gebraucht hat – die Vorstellung eines „Unternehmens an sich“, wonach das gedachte Interessensubjekt „Unterneh-
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resse, welches lediglich die Minimalziele und -zwecke der Aktiengesellschaft absteckt 350 und damit früh als zu eng empfunden wurde, weitergehendes Konzept entwickelt 351. Inzwischen wird das Unternehmensinteresse überwiegend als Verpflichtung der Unternehmensorgane auf die sachgerechte Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben gegenüber den im Unternehmen zusammentreffenden Anspruchsgruppen begriffen 352. Genauer Inhalt und genaue Reichweite des so verstandenen Terminus sind jedoch bis heute unbestimmt und umstritten353. 1. Die Position der Rechtsprechung Zwar hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung, wie jüngst auch der Bundesgerichtshof im Fall Mannesmann 354, wiederholt zum Unternehmensinteresse bekannt 355. Allerdings lässt es die Rechtsprechung zum Großteil bei einer bloßen Bestätigung der Existenz der Rechtsfigur bewenden; konkrete Aussagen oder auch nur Hinweise zur inhaltlichen Ausgestaltung oder zur strukturellen Handhabung des Begriffs erschöpfen sich zumeist in der Feststellung, die Gesellschaftsorgane hätten zum „Wohle der Gesellschaft“ 356 zu handeln, was letztlich nichts anderes darstellt als die verklausulierte Substituierung des einen unbestimmten Rechtsbegriffes durch einen anderen. Im Fall Mannesmann hat der Bundesgerichtshof insoweit eine Konkretisierung vorzunehmen versucht, als er die Verbindlichkeit des Unternehmensinteresses für Organhandeln in der Aktiengesellschaft ausdrücklich herausgestellt hat 357. Insbesondere führt der Bundesgerichtshof aus, dass eine Beschränkung des Unternehmensinteresses auf die Fälle der Gefährdung des Bestandserhaltungsund Rentabilitätsinteresses der Treuepflicht der über die Mannesmann-Prämien entscheidenden Aufsichtsratsmitglieder als Verwalter fremden Vermögens nicht gerecht werde 358. Vielmehr müssten diese bei Vergütungsentscheidungen den Vorteil mung“ von den Interessen der weiteren in der Aktiengesellschaft zusammentreffenden Anspruchsgruppen emanzipiert werden soll, vgl. Rathenau, Vom Aktienwesen, 1917, S.38 f. Eine solche Abstraktion des „Unternehmens an sich“ wird heute als überholt angesehen, vgl. Kuhner, ZGR 2004, S. 244 (246 f.). 350 Das Gesellschaftsinteresse differenziert wesentlich nach dem Gegenstand des Unternehmens als Sachziel und der Gewinnerzielung als Formalziel; vgl. hierzu ausführlich Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 131; Kuhner, ZGR 2004, S. 244 (246 f.). 351 Kuhner, ZGR 2004, S. 244 (246 f.); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 131. 352 Kuhner, ZGR 2004, S. 244 (250). Ausführlich zum Unternehmensinteresse auch Raisch, in: FS Hefermehl, 1976, S. 347 ff.; Raiser, in: FS Schmidt, 1976, S. 101 ff. 353 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (120). 354 Vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (524). 355 BGHZ 62, 193 (197 ff.); 64, 325 (330 f.) Für den Bereich des Strafrechts vgl. BGHSt 34, 272 (293 f.). 356 Vgl. nur BGH NJW 2006, S. 522 (524). 357 BGH NJW 2006, S. 522 (524). 358 BGH NJW 2006, S. 522 (524).
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der Gesellschaft wahren und Nachteile von ihr abwenden 359. Mit dieser Betonung des Unternehmensinteresses im Bereich von Vergütungsentscheidungen deutet der Bundesgerichtshof unmissverständlich an, dass dem Unternehmensinteresse bei der Frage der Pflichtwidrigkeit von Organhandeln neben § 87 I AktG eine eigenständige, mehr noch, eine übergeordnete Bedeutung zukommt, ein Verständnis, welches vorliegend näher auf seine Richtigkeit überprüft werden soll. 2. Die Behandlung des Unternehmensinteresses im Deutschen Corporate Governance Kodex Auch der DCGK bekennt sich an mehreren Stellen zum Unternehmensinteresse. Der Kodex verwendet den Begriff an vier Stellen: in der Präambel, in Abschnitt 4.1.1, in Abschnitt 4.3.3, sowie in Abschnitt 5.5.1 360. Diese mehrfache Erwähnung macht deutlich, dass dem Begriff zumindest in der unternehmensrechtlichen Praxis entscheidende Bedeutung zugemessen wird. Spezifisch in bezug auf den Aufsichtsrat vermerkt der Kodex in Abschnitt 5.5.1: „Jedes Mitglied des Aufsichtsrats ist dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Es darf bei seinen Entscheidungen weder persönliche Interessen verfolgen noch Geschäftschancen, die dem Unternehmen zustehen, für sich nutzen.“ Die einschlägige (Kommentar-)Literatur sieht in dieser Formulierung, die weitgehend mit der Verwendung des Begriffes an den drei anderen Stellen im Kodex übereinstimmt 361, die Bestätigung der Leitmaxime des Unternehmensinteresses als interessenpluralistisches Konzept mit angemessener Berücksichtigung der im Unternehmen zusammentreffenden Anspruchsgruppen (Stakeholder) 362. Im Ergebnis lässt sich aber auch dem Kodex eine aus sich heraus verständliche, konkrete inhaltliche Festlegung des Unternehmensinteresses nicht entnehmen.
BGH NJW 2006, S. 522 (523) = BGH NStZ 2006, S. 214 (215). Vgl. zur hier zugrunde gelegten Fassung des DCGK v. 2. Juni 2005 die Veröffentlichung im Internet unter http://www.corporate-governance-code.de/ger/download/D_CorGov_Endfassung2005.pdf. 361 Die gleiche Formulierung, bezogen auf den Vorstand, wählt Ziffer 4.3.3, die lautet: „Die Vorstandsmitglieder sind dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Kein Mitglied des Vorstands darf bei seinen Entscheidungen persönliche Interessen verfolgen und Geschäftschancen, die dem Unternehmen zustehen, für sich nutzen“. Ähnlich auch Ziffer 4.1.1: „Der Vorstand leitet das Unternhemen in eigener Verantwortung. Er ist dabei an das Unternehmensinteresse gebunden und der Steigerung des nachhaltigen Unternehmenswertes verpflichtet“. 362 Kuhner, ZGR 2004, S. 244 (251); v. Werder, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Kodex-Kommentar, Rnn. 352 ff. 359 360
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3. Vielgestaltigkeit des Begriffs des Unternehmensinteresses im Schrifttum Die fehlende dogmatische Konkretisierung des Begriffs hat zur Folge, dass dem Unternehmensinteresse im Schrifttum unterschiedliche, im Einzelnen sehr umstrittene Bedeutungen zugewiesen werden, die zumindest aus der in Anbetracht der zugrunde liegenden Problematik bereits an dieser Stelle in die Betrachtung einzubeziehenden strafrechtlichen Sicht in der Mehrzahl den Anforderungen an Art. 103 II GG nicht standzuhalten vermögen. So handelt es sich bei dem Begriff des Unternehmensinteresses nach teilweise vertretener Ansicht methodisch um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der von Fall zu Fall im Wege typologischer Entwicklung inhaltlich konkretisiert werden muss 363, eine Charakterisierung, die letztlich zur Bestimmtheit des Begriffs nicht viel beizutragen vermag und so offen formuliert ist, dass sie die Berücksichtigung eines jeden Interesses ermöglicht und sich damit als Handlungsmaßstab für pflichtwidriges Aufsichtsratsverhalten als ungeeignet erweist 364. Andere verstehen das Unternehmensinteresse als prozedurale Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat, welche durch das Zusammenwirken der Organe im rechtlich verfassten Unternehmen verwirklicht wird 365; auch diese Ansicht vermag letztlich nicht zu überzeugen, da sie das vom Bundesgerichthof vorausgesetzte Leitungsermessen der Unternehmensorgane weitgehend einschränkt und zudem konkrete Maßstäbe im Hinblick auf die Gewichtung der einzelnen zu berücksichtigenden Interessen nicht liefert 366. Die überwiegende Mehrheit des (freilich schwer übersehbaren) Schrifttums diskutiert unter dem Stichwort Unternehmensinteresse Themen, „bei denen es im Großen und Ganzen um die Ablösung oder Ergänzung des Gesellschaftsrechts durch ein Unternehmensrecht geht, welches nicht mehr als das Recht des Anteilseignerverbandes verfasst ist, sondern namentlich Partizipationsinteressen der Arbeitnehmer Rechnung tragen soll“367. Weil diese spezielle Bedeutung aufgrund ihres vornehmlich ideellen Hintergrunds zur Frage der Ermessensschranken bei Vorstandsvergütungsentscheidungen nichts Wesentliches beizutragen vermag und in der Tat nach Inhalt und Herkunft nicht näher definierte Interessen zur Richtschnur des Organhandelns zu machen versucht 368, wird vorliegend auf „unternehmensrechtliche Einzelheiten“ 369 verzichtet 370. 363 Raisch, in: FS Hefermehl, 1976, S. 347 (364); Junge, in: FS von Caemmerer, 1978, S. 547 ff.; vgl. auch die Darstellung bei Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (196 ff.); zuletzt LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2047) = NJW 2004, S. 3275 (3277). 364 So zutreffend Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (197). 365 Brinkmann, Unternehmensinteresse, 1983, S. 223 ff. 366 Zutreffend Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (197). 367 So prägnant Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 20. Vgl. die Nachweise bei Mülbert, ZGR 1997, S. 129 (151 ff.); hierzu auch Brinkmann, Unternehmensinteresse, 1983, S. 232 ff. 368 Hüffer, AktG, § 76 Rn. 15; Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (191 ff.); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 131 ff. 369 Vgl. auch Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 20.
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4. Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse Weitgehend unbestritten 371 ist die Einbeziehung zumindest 372 von Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse sämtlicher am Unternehmen beteiligter Gruppen bzw. Institutionen in das Unternehmensinteresse 373. Beide Maximen sollen von Vorstand (§ 76 AktG), und, soweit ihm, wie hier bereits bejaht, unternehmensleitende Aufgaben zukommen, auch vom Aufsichtsrat zu beachtende positive Unternehmensziele darstellen, die eine äußere Schranke für die Ausübung des Leitungsermessens dieser beiden Organe markieren 374. Werden die durch diese Merkmale gesetzten Grenzen des dem Aufsichtsrat zustehenden Leistungsermessens überschritten, so soll für eine ermessenstypische Abwägung verschiedener (anderer) Belange von vornherein kein Raum mehr bleiben 375. Die Beachtung von Bestandserhaltungsund Rentabilitätsinteresse zeigt insofern eine echte Rechtspflicht auf, die primär dem Interesse der Anteilseigner als Kapitalgeber, aber auch den Interessen der Arbeitnehmer und dem Gemeinwohl dient 376. Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern Bestands- und Rentabilitätsinteresse sowohl generell als auch bei der konkreten Frage der Vorstandsvergütung zur Ermessensbeschränkung geeignet sind. a) Konkretisierung des Begriffs des Bestandsinteresses Aus der Tatsache, dass das Unternehmen grundsätzlich auf unbestimmte Dauer angelegt ist, folgt bereits, dass, allgemein gesehen, jedes Unternehmen seine eigene Erhaltung als essentielles Grundziel hat 377. Da der Bestand eines Unternehmens im 370 Ausführlich zu diesem Verständnis des Unternehmensinteresses Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 131 ff.; Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (191 ff.). 371 Zu ökonomischen Vorbehalten insbesondere gegenüber dem Bestandsinteresse als im Unternehmensinteresse enthaltener Leitmaxime für Organhandeln in der AG vgl. Kuhner, ZGR 2004, S. 244 (252). 372 Auch der Bundesgerichtshof sieht in seiner Entscheidung zum Fall Mannesmann Bestands- und Rentabilitätsinteresse als Mindestbestandteile des Unternehmensinteresses an, vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (524). 373 Heftig umstritten ist das Verhältnis zwischen Unternehmens- und Gesellschaftsinteresse, vgl. ausführlich Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 76 Rn. 6 f.; Hüffer, AktG, § 76 Rn. 9 u. 15; Kuhner, ZGR 2004, S. 244 (246 f.); Mülbert, ZGR 1997, S. 129 (140 ff.); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 131 ff.; Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (191 ff.). 374 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 20; ders., AktG, § 76 Rn. 13; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 76 Rn. 17; Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (197 ff.). 375 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 20. 376 Hüffer, AktG, § 76 Rn. 13; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 76 Rn. 23; Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (198). Wie Hüffer zutreffend bemerkt, begegnet diese Begrenzungsfunktion wegen weitgehender Konturenlosigkeit zwar einigen Schwierigkeiten; diese sind letztlich aber auch nicht größer als bei anderen unbestimmten Rechtsbegriffen und zumindest im Interesse eines wirksamen Rechtsschutzes der Aktionäre hinzunehmen, vgl. Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 20; ders., AktG, § 76 Rn. 13. 377 Rittner, JZ 1980, S. 113 (115). Zu ökonomischen Vorbehalten vgl. Kuhner, ZGR 2004, S. 244 (252 f.).
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Sinne der Kapitalerhaltung und der Erhaltung der wirtschaftlichen Substanz in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nur durch wirtschaftlichen Erfolg gesichert werden kann und die Erhaltung des Unternehmens daher dauerhafte Rentabilität zwingend voraussetzt 378, kommt der Bestandsschutzwahrung als äußere Grenze des Leitungsermessens des Aufsichtsrats bei der Vergütungsentscheidung allerdings nur eine untergeordnete Bedeutung zu 379. Speziell bei der Frage der Vorstandsvergütung wird ein Überschreiten der äußeren Ermessensgrenzen durch den entscheidenden Aufsichtsrat wegen Gefährdung des Bestands des Unternehmens nur in absoluten Ausnahmefällen vorkommen. Hier müsste der Nachweis gelingen, dass die konkrete Vergütungszahlung – zunächst unabhängig von der Rentabilität 380 – den Bestand des Unternehmens entweder ernsthaft in Gefahr gebracht oder gar vernichtet hat 381. In der Praxis, in der – zumindest in den USA, wo die Vorstandsvergütung noch immer signifikant höher ist als hierzulande 382 – die Gehälter der höchstbezahlten Vorstände nur knapp über ein Prozent des Bilanzgewinns der Gesellschaft ausmachen 383, erscheint es im Normalfall auch bei hohen Vergütungen geradezu abwegig, eine Ermessensüberschreitung durch den Aufsichtsrat auf eine Gefährdung des Bestandsschutzes des Unternehmens stützen zu wollen. b) Konkretisierung des Begriffs des Rentabilitätsinteresses Mit Blick auf die Tatsache, dass das Wirtschaftsunternehmen heute als gesamtwirtschaftliche Institution erfasst wird, die nicht einen in sich geschlossenen, autarken Körper, sondern eine „soziale Lebenseinheit im Rahmen einer Gesamtheit darstellt“ 384, steht insgesamt nicht die (kurzfristige) Gewinnerwirtschaftung als solche, sondern das Erzielen nachhaltiger Gewinne als Ziel der Aktiengesellschaft im VorOtto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (199); Rittner, JZ 1980, S. 113 (115). Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116); allgemein zum Bestandsschutz Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (199); Rittner, JZ 1980, S. 113 (115). 380 Ökonomisch sind Bestandserhaltung und Rentabilität freilich nur schwer trennbar. Schon begrifflich setzt der Bestand eines Unternehmens dessen (finanzielle) Rentabilität logisch zwingend voraus. Da aus rechtlicher Sicht aber die Frage der Wahrung der Existenz eines Unternnehmens bzw. deren tatsächlicher Zerstörung zumindest vom Ausgangspunkt her eine andere ist als die Frage der wirtschaftlichen Rentabilität, es also grundsätzlich einen Unterschied macht, ob durch eine Vergütungszusage der Bestand des Unternehmens zerstört oder nur seine Rentabilität gefährdet wird, werden beide Begriffe der Vollständigkeit halber separat geprüft. Vgl. auch Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 22 ff.; ders., AktG, § 76 Rn. 13 f. 381 Speziell zur Frage der Bestandsschutzgefährdung im Fall Mannesmann vgl. Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 22. 382 Vgl. ausführlich unten II.5.b) aa). 383 Vgl. Developments in the Law – Corporations and Society, 117 Harv. L. Rev. (2004), S. 2205 (2209): „Indeed, the compensation packages of the five hundred highest paid CEO’s in America amount to slightly over one percent of their companies’ total aggregate earnings.“ 384 Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (197); ders., wistra 1983, S. 213 (215). 378 379
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dergrund 385. Nur ein Unternehmen, das nachhaltig Gewinne erarbeitet, kann auf Dauer wirtschaftlich bestehen, das Vertrauen der Märkte in seine Leistungsfähigkeit gewinnen, seine Anlagen erweitern und erneuern 386. Maßgeblich ist dabei nicht die Höhe des Gewinns, die eine Frage zweiten Ranges ist und in praxi mehr oder weniger eine Frage des Glücks 387, sondern das Streben der Unternehmensleitung nach dauerhafter Rentabilität, die die Kapital- und Ertragskraft des Unternehmens nachhaltig gewährleistet 388. Wie schon die Bestandserhaltung dient auch die Pflicht, für dauerhafte Rentabilität des Unternehmens zu sorgen, sowohl den Interessen der Aktionäre, die ihr Kapital dauerhaft gewinnbringend angelegt wissen wollen, als auch den Interessen der Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze nur in rentablen Unternehmen langfristig sicher sind, und schließlich dem Gemeinwohl, da ein öffentliches Interesse an dauerhaft unrentabel arbeitenden Unternehmen nicht bestehen kann389. Aus volkswirtschaftlicher Sicht gewährleistet die Orientierung an dauerhafter Rentabilität eine optimale Lenkung des Kapitals hin zu seiner besten und damit volkswirtschaftlich effizientesten Verwendung 390. Vereinfacht gesprochen, umfasst das Interesse der Gesellschaft an dauerhafter Rentabilität die Erzielung eines „angemessenen“ Gewinns, welcher die Kapital- und Ertragskraft nachhaltig sichern kann391. Schwierigkeiten bereitet freilich die Beantwortung der Frage, welcher Gewinn in diesem Sinne als angemessen bezeichnet werden kann392. Weil gerade die nachhaltige Sicherstellung der Kapital- und Ertragskraft der Gesellschaft im Vordergrund steht, kann ein Verstoß gegen das Gebot dauerhafter Rentabilität nicht einfach dadurch konstatiert werden, „dass man die an alle Vorstandsmitglieder ausgereichten Bezüge addiert, zum (möglichen) Bilanzgewinn eines Jahres in Beziehung setzt und einen Verstoß bereits dann annimmt, wenn die Bezüge einen ansonsten entstandenen Gewinn im Wesentlichen aufzehren“ 393. Mit Hüffer wird man sich jedoch im Rahmen des Leitungsermessens zumindest auf folgende Maximalpositionen verständigen können, nach welcher die angesprochene Angemessenheit der Gewinnerzielung folgende drei Elemente umfasst: die Substanzerhaltung, mit welcher die Erhaltung des investierten Kapitals gemeint ist („substantielle oder materielle Kapitalerhaltung“); die marktübliche Verzinsung des investierten Kapitals; sowie schließlich 385 Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (197); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116); Kort, in: FS Lutter, 2000, S. 1421 (1441). 386 Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (197); Rittner, JZ 1980, S. 113 (115). 387 Rittner, JZ 1980, S. 113 (115); ähnlich Junge, in: FS von Caemmerer, 1978, S. 547 (554 f.). 388 Hüffer, AktG, § 76 Rn. 13; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 76 Rn. 22; Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116); Rittner, JZ 1980, S. 113 (115). 389 Hüffer, AktG, § 76 Rn. 13; Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (199). 390 Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (199); Junge, in: FS von Caemmerer, 1978, S. 547 (555). 391 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 22; Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116). 392 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 22; Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116). 393 So Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116).
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eine Prämie für das gerade mit der unternehmerischen Investition verbundene vergleichsweise höhere Risiko 394. Eine angemessene Gewinnerzielung ist nach diesen Maximalpositionen also all jenes, was es der Gesellschaft ermöglicht, das investierte Kapital zu erhalten, es zu verzinsen und eine Risikoprämie zu erwirtschaften. Verkürzt und vereinfacht dürften diese drei Maximalpositionen bei der Frage der Vorstandsvergütung auf folgende Aussage herunter gebrochen werden können: Nachhaltige Kapital- und Ertragskraft werden nur dann ernsthaft gefährdet, wenn die aus den Vergütungszusagen fließenden oder aktuellen Belastungen der Gesellschaft die Erwirtschaftung von Finanzmitteln für Investitionen und Dividenden auf Jahre ausschließen würden 395. Wie bereits beim Bestandsinteresse angeführt, dürfte angesichts des auch bei enormen Vergütungssummen nur vergleichsweise geringen Anteils der Vergütungszahlungen im Vergleich zum Bilanzgewinn ein solcher Sachverhalt eine absolute Ausnahme darstellen 396. Dies gilt primär deshalb, weil er voraussetzte, dass Festvergütungen in exzessiver Höhe zugesagt bzw. gezahlt werden 397. Da heutzutage, wie ausgeführt, die Vergütung von Vorstandsmitgliedern zu sehr großen Teilen aus variablen Bestandteilen wie Tantiemen oder aktiengestützten Vergütungselementen besteht 398, die durch die Vergütung erlangten Vermögensvorteile der Vorstandsmitglieder demnach nur zu einem geringen Teil aus einer hohen Festvergütung herrühren, erscheint eine Gefährdung des Rentabilitätsinteresses durch hohe Vorstandsvergütungen, die die betroffene Gesellschaft in der Folge außerstande setzen würden, das investierte Kapital zu erhalten, zu verzinsen und eine Risikoprämie zu erwirtschaften, eher fern liegend 399. 5. Eigene Ansicht: keine eigenständige Bedeutung des Unternehmensinteresses bei Vergütungsentscheidungen Wie oben ausgeführt wurde, kann Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse im Bereich der Vorstandsvergütung wegen fehlender praktischer Relevanz keine ernstzunehmende Begrenzungsfunktion zuerkannt werden. Auch eine darüber hinaus gehende eigenständig neben dem Kriterium der Angemessenheit, § 87 I AktG stehende Bedeutung des Unternehmensinteresses im Sinne eines „Gebots praktischer Konkordanz“ 400, wie sie wohl der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung 394 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 22, der auch auf eine ebenso vertretbare Minimalposition hinweist, die allein das Element der bloßen Substanzerhaltung für maßgeblich erachtet und Verzinsung und Risikoprämie in das Ermessen des Vorstands stellt. 395 Prägnant Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116). 396 Vgl. oben a. 397 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116). 398 Vgl. oben A.I.1.c). 399 So auch Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 22; Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116). 400 Hopt, ZGR 1993, S. 534 (536); Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 76 Rn. 19; Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 20 ff.
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zum Fall Mannesmann andeutet 401, ist im Rahmen von Vorstandsvergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats abzulehnen. Nach diesem Verständnis des Unternehmensinteresses sollen die in Schrifttum und Rechtsprechung anerkannten Interessen Einzelner vom Aufsichtsrat im Rahmen seiner unternehmensleitenden Personalkompetenz in einen das Unternehmensinteresse verwirklichenden Ausgleich zu bringen sein und somit gleichsam als „Richtschnur für die Ermessensausübung“ dienen 402. Konkret bei Vergütungsentscheidungen soll eine solche Konkordanzprüfung die Frage nach dem „Ob“ der Vergütung, die Frage also nach der ursprünglichen Berechtigung des Aufsichtsrats zur Zusage als solcher (Zahlungsanlass), beantworten 403. Indes wird diese Ansicht dem teleologischen Umfang des § 87 I AktG nicht gerecht, der als spezifische gesetzliche Ausprägung eines interessengerechten Handelns in der Kapitalgesellschaft eben diese Frage auch beantworten kann, ohne dass es eines Rückgriffs auf den, wie oben gezeigt, kaum bestimmbaren und damit im Bereich des Strafrechts unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 II GG zumindest nicht unbedenklichen, Begriff des Unternehmensinteresses bedarf. Wie an entsprechender Stelle nachzuweisen sein wird, regelt § 87 I AktG nämlich richtigerweise nicht nur das „Wie“, sondern auch das „Ob“ der Zusage, weshalb konsequenterweise diese Prüfung allein im Rahmen des die Vergütung von Vorstandsmitgliedern explizit regelnden § 87 I AktG und unter Anwendung der dort maßgeblichen Kriterien Raum hat; im speziellen Fall der Vorstandsvergütung ist nach der hier vertretenen Ansicht § 87 I AktG als eine gesetzlich verankerte Ausprägung des Unternehmensinteresses zu lesen 404. Neben dieser in § 87 I AktG zum Ausdruck kommenden Konkretisierung des Unternehmensinteresses ein (zusätzliches) Unternehmensinteresse anerkennen und prüfen zu wollen, erscheint vor diesem Hintergrund im Unterschied zu solchen Fällen, in denen das Unternehmensinteresse eine solche besondere gesetzliche Ausprägung nicht erfahren hat, wie z. B. bei der Zulässigkeit der Vergabe von Unternehmensspenden durch Vertretungsorgane von Aktiengesellschaften 405, wenig sinnBGH NJW 2006, S. 522 (524); vgl. hierzu bereits oben 1. So wörtlich Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 22. 403 Eingehend zu dieser Frage LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2046f.) = NJW 2004, S. 3275 (3277). Dabei soll insbesondere die Frage, ob sich hohe Vergütungszusagen durch die Anreizwirkung moderner Vergütungssysteme rechtfertigen lassen, bereits im Rahmen des Unternehmensinteresses anzusprechen sein, vgl. hierzu Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 22. 404 Ganz ähnlich Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 390, der von § 87 I AktG als einer „sachgerechten Konkretisierung des Unternehmensinteresses im Hinblick auf die Vorstandsvergütung“ spricht. Ebenso auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 65 („Konkretisierung des Unternehmensinteresses“); ders., in: FS Weber, 2004, S.319 (324); Dreher, AG 2002, S. 214 (216 f.); jüngst auch Kort, NZG 2006, S. 131 (132), sowie Brauer, NZG 2004, S.502 (508), der feststellt: „Was bei der Vergütung im Unternehmensinteresse liegt, ist in § 87 I AktG abschließend geregelt“. In diese Richtung wohl auch LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2046 f.) = NJW 2004, S. 3275 (3277), welches die genaue rechtliche Einordnung des Unternehmensinteresses letztlich aber offen lässt. 405 In diesen Fällen wird das Unternehmensinteresse insbesondere von der Rechtsprechung als eine den grundsätzlich weiten Ermessensspielraum der Leitungsorgane der AG begrenzende Schranke hinzugezogen, vgl. BGHSt 47, 187 ff.; vgl. hierzu auch Otto, in: FS Kohlmann, 401 402
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voll 406. Der Gefahr des gänzlichen Unterbleibens einer Untersuchung des konkreten Zahlungsanlasses wollte wohl der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zum Fall Mannesmann mit der Etablierung des Unternehmensinteresses als eigenständiger, dem aufsichtsratlichen Ermessen vorgelagerten Grenze begegnen 407; dieser Weg erübrigt sich jedoch, wenn man mit der hier vertretenen Ansicht §87 I AktG als Konkretisierung des Unternehmensinteresse begreift, in dessen Rahmen auch das „Ob“ und damit der Zahlungsanlass der gewährten Zuwendung zu prüfen ist 408. 6. Fazit Dem im Einzelnen umstrittenen und damit weitgehend unbestimmten Begriff des Unternehmensinteresses kommt nach der hier vertretenen Ansicht im Rahmen von Vergütungszusagen keine eigenständige Bedeutung zu. § 87 I AktG ist als eine gesetzlich verankerte Konkretisierung des Unternehmensinteresses zu lesen. Dies führt konsequenterweise dazu, dass die vornehmlich bei nachträglichen Vergütungszusagen, namentlich Appreciation Awards, gesondert zu beantwortende Frage nach dem Zahlungsanlass der Vergütungsentscheidung, nach dem „Ob“ der Zusage also 409, allein im Rahmen der Angemessenheitsprüfung gem. § 87 I AktG von Bedeutung ist. Eine eigenständige, neben dem Angemessenheitserfordernis des § 87 I AktG stehende Prüfung des Unternehmensinteresses, verstanden als Gebot praktischer Konkordanz, ist damit nach der vorliegenden Ansicht zu verneinen.
II. Die Angemessenheit der Gesamtvergütung i. S. d. § 87 I AktG Die Einhaltung des Gebots der Angemessenheit der Gesamtvergütung, das in § 87 I AktG zum Ausdruck kommt, entscheidet als flexible, den allgemeinen Standards der §§ 134, 138 BGB vorgelagerte 410 materielle Grenze des Entscheidungsermes2003, S. 187 (196 ff.), allerdings mit dem Hinweis, dass dem Unternehmensinteresse neben dem Gesellschaftsinteresse der Gewinnerzielung keine eigenständige Bedeutung zukomme. 406 Ebenso Brauer, NZG 2004, S.502 (508); Dreher, AG 2002, S.214 (216 f.); ähnlich jüngst Kort, NZG 2006, S. 131 (132). 407 Für diese Interpretation spricht insbesondere folgende Aussage des Bundesgerichtshofs: „Die in der aktienrechtlichen Literatur vertretene Meinung, eine freiwillige Sonderzahlung sei […] generell zulässig, wenn die Gesamtvergütung des Begünstigten den Grundsätzen über die Höhe der Bezüge der Vorstandsmitglieder nach § 87 I AktG entspreche“, werde, so der Senat, der Treuepflicht der Präsidiumsmitglieder als Verwalter fremden Vermögens nicht gerecht, soweit sie damit begründet wird, „das Unternehmensinteresse [...] sei wegen der Besonderheiten des Aktienrechts ein unverbindlicher Leitgedanke, der lediglich die Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte erfordere“. Vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (524). 408 Zu diesem weiten Verständnis des § 87 I AktG vgl. unten III.5.b) aa). 409 Hierzu ausführlich unten III.5.b)aa). 410 Hüffer, AktG, § 87 Rn. 1; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, §87 Rn. 3; Peltzer, in: FS Lutter, 2000, S. 571 (579); Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155 (157).
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sens des Aufsichtsrats über die aktienrechtliche Rechtmäßigkeit von Vorstandsgehältern. Die Vorschrift verpflichtet den Aufsichtsrat, dafür zu sorgen, dass die Vergütung des Vorstandsmitglieds im Zeitpunkt ihrer Festsetzung in einem angemessenen Verhältnis zu dessen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft steht (§ 87 I 1 AktG). Die Beurteilung der Vergütung als aktienrechtlich angemessen ist nach dem bereits erläuterten Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und der ultima ratio – Funktion des Strafrechts (sog. positive Zivilrechtsakzessorietät 411) maßgeblich auch für die strafrechtliche Bewertung der betreffenden Vergütungsentscheidung 412. Die Problematik, die sich hinter der Frage nach der rechtlichen Angemessenheit verbirgt, deutet sich schon in der sehr wenig konkreten Gesetzesformulierung (Aufgaben des Vorstandsmitglieds, Lage der Gesellschaft) an; zur Verdeutlichung des generellen und staatenübergreifenden Problems, welche Zahlungen noch als angemessen und rechtlich wie moralisch unangreifbar zu gelten haben, soll das folgende Zitat des US-amerikanischen Professors Franklin G. Snyder zur „reasonableness“, der Parallele im US-Recht zur Angemessenheit von Vorstandsvergütungen, dienen, welches zugleich auch als Einführung in die anschließende Untersuchung gedacht ist: “We cannot accurately measure the relative scarcity of the resource we are talking about (exactly how many people are there who are capable of effectively running large and complex organizations) and we cannot readily measure the value of the resource (just how much difference in shareholder value does a good CEO make?). If we cannot tell how much of something we have, and cannot measure the benefit it gives to the purchaser, we have trouble determining what the price ought to be.” 413 Während im Sinne des obigen Zitates weitgehend anerkannt ist, dass eine Aussage über die Frage, was im Einzelnen (positiv) angemessen ist (also die Festlegung einer bestimmten Kennzahl), kaum möglich ist, soll im Folgenden versucht werden, den Angemessenheitsbegriff insofern zu konkretisieren, dass anhand von bestimmten Kriterien zumindest (negativ) feststellbar ist, welche Vergütung im Einzelnen als unangemessen zu gelten hat. 1. Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck des § 87 AktG Das Angemessenheitserfordernis wurde erstmals 1937 als §78 I in das AktG 1937 eingeführt 414. Die Vorschrift war eine Reaktion auf Missbräuche überhöhter VorVgl. oben Einleitung C. II. Allg. Ansicht, vgl. nur Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (315); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (115); Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 94; Tiedemann, in: FS Weber (2004), S.319 (322); aus der Rechtsprechung zuletzt BGHSt 47, 187 (192). 413 Snyder, More Pieces of the CEO Compensation Puzzle, 28 Del. J. Corp. L. (2003), S. 129 (148). 414 Die Aktienrechtsreform von 1884, die in erster Linie die Kompetenzen von Aufsichtsrat und Generalversammlung stärkte, enthielt keine Regelung zur Höhe von Vorstandsgehältern, 411 412
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standsgehälter 415, die im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts standen und die primär auf die privatautonome Gestaltungsfreiheit, die früher ihre Grenze allein in den §§ 134, 138 BGB fand, zurückzuführen waren 416. Sinn und Zweck des § 78 AktG 1937 war es, die Gesellschaft und alle an ihr Beteiligten vor sachlich ungerechtfertigten überhöhten Vergütungen zu schützen 417. Diese Schutzrichtung behielt auch nach dem Ende des Nationalsozialismus ihre Gültigkeit; § 78 AktG 1937 wurde ohne weitere Begründung im Regierungsentwurf von 1958 übernommen und im Jahre 1965 mit geringfügigen Änderungen 418 als § 87 AktG Gesetz. Die Norm begründet nach dem eben Gesagten keinen Anspruch der Vorstandsmitglieder auf die Festsetzung angemessener Bezüge; sie dient vielmehr allein dem Schutz der Gesellschaft und der an ihrem Vermögensbestand rechtlich und/oder wirtschaftlich interessierten Personen419, was konsequenterweise auch bedeutet, dass eine Abweichung „nach unten“ ins unangemessen Niedrige sanktionslos ist 420.
was u. a. daran lag, dass die Frage nach der angemessenen Vergütung zu diesem Zeitpunkt noch kein rechtliches Problem dargestellt hatte, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 115. 415 Schlegelberger/Quassowski, AktG, § 78 Rn. 1: „Diese unbeschränkte Vertragsfreiheit des bisherigen Rechts hat in der Vergangenheit bekanntlich häufig dazu geführt, daß Riesengehälter und Gewinnanteile ohne Rücksicht auf die Aufgaben und die Leistungsfähigkeiten der Vorstandsmitglieder und sogar auch dann noch geleistet wurden, wenn die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft hoffnungslos war…“. 416 Diese Missstände führten schon 1931 zu einer Notverordnung des Reichspräsidenten, die u. a. ein Recht der Gesellschaft zur „Herabsetzung übermäßig hoher Dienstvergütungen“ und Vorstandsgehälter vorsah. Die Notverordnung hatte im Übrigen Nachwirkung auf die Ausbildung des neuen Aktienrechts unter den Nationalsozialisten von 1937, welches die Grundlage des geltenden Rechts bildet. Vgl. hierzu die Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Wirtschaft und der Finanzen v. 6. Oktober 1931, RGBl. 1931, Teil I, S. 537 (557). Zum Ganzen Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 115. 417 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, §87 Rn. 3; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 87 Rn. 2; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 116; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155 (156 f.). 418 Ein wesentlicher Unterschied zu § 78 AktG 1937 ist der Zeitpunkt der Beurteilung der Angemessenheit. Während § 78 AktG 1937 eine dauernde Pflicht des Aufsichtsrats vorsah, die Bezüge des Vorstands auf einem angemessenen Niveau zu halten, kommt es nach § 87 I AktG nur noch auf die Angemessenheit der Bezüge im Zeitpunkt ihrer Festsetzung an, vgl. Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, §87 Rn.1 und oben II. Auch die aus dem AktG 1937 bekannte Sozialklausel, die vorsah, dass Gewinnbeteiligungen in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufwendungen zu Gunsten der „Gefolgschaft“ oder von Einrichtungen zu stehen hatten, die dem gemeinsamen Wohle dienen, wurde in §87 I AktG nicht übernommen, vgl. Spindler, DStR 2004, S. 36 (38). 419 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (207). Hierunter fallen nach allg. Ansicht die „Gläubiger, Aktionäre und Arbeitnehmer“, vgl. nur Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 3; Hüffer, AktG, § 87 Rn. 1; Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 (99); Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 87 Rn. 2; Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (459). 420 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (459); Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 87 Rn. 3.
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2. Maßstäbe für die Beurteilung Die exakte Bedeutung von Angemessenheit bzw. deren Feststellung im Vorstandsvergütungsbereich ist, wie oben bereits angedeutet, immer noch mit zahlreichen offenen Fragen verbunden. Dem Gesetz lassen sich als Vergleichsparameter lediglich die Aufgaben des Vorstandsmitglieds und die Lage der Gesellschaft entnehmen; auch diese Maßstäbe lassen jedoch eine im Sinne der Rechtsklarheit wünschenswerte Bestimmtheit vermissen 421. Eine allgemeingültige Grenze zwischen Angemessenheit und Unangemessenheit ist praktisch nicht zu ziehen, da das Recht in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, in der sich die Preise nur im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage herausbilden, grundsätzlich keinen „gerechten Preis“ festlegen kann 422. Eine im Sinne der gesetzlichen Bestimmtheit begrüßenswerte konkrete Festlegung der Angemessenheit de lege lata, die zur Konkretisierung des § 87 I AktG beitragen könnte, fehlt 423. Zwar beschäftigt sich der DCGK in Ziffern 4.2.2 bis 4.2.4 mit der Vorstandsvergütung. Richtungsweisende, über die gesetzliche Wertung hinausgehende materielle Kriterien formuliert der Kodex jedoch nur in eingeschränktem Maße 424. a) Ausgangspunkt: Der Marktpreis als maßgebliches Kriterium zur Bestimmung der Angemessenheit Unter Hinweis auf die Unbestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben (§ 87 AktG) macht die h. M. in der Literatur unter Heranziehung alter Vorbilder der Angemessenheit als Rechtsbegriff den Marktpreis zum maßgeblichen Bestimmungskriterium 425. Im Ergebnis soll also gelten: das, was marktüblich ist, ist angemessen, was aber erheblich darüber ist, ist unangemessen 426. Dieser Betrachtung ist schon mit Verweis auf die oben bereits erwähnte marktwirtschaftliche Ordnung in Deutschland, die einen „gerechten Preis“ nicht durch Rechtsfindung, sondern durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage bildet, ausdrücklich zuzustimmen. § 87 I 421 Insofern gilt, wie Thüsing zutreffen formuliert, der Grundsatz: „Darüber, was angemessen ist, lässt sich trefflich streiten“; vgl. Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (460). Ähnlich Liebers/ Hoefs, ZIP 2004, S. 97 (100). 422 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 12; Spindler, DStR 2004, S. 36 (40 f.); vgl. auch das obige Zitat von Snyder, More Pieces of the CEO Compensation Puzzle, 28 Del. J. Corp. L. (2003), S. 129 (148), (Fn. 413), das diese Tatsache deutlich macht. 423 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (464). 424 Vgl. bereits oben A.I.1.a) und unten b). 425 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (460); Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 (100); Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 87 Rn. 6, Spindler, DStR 2004, S. 36 (38). Als alte Vorbilder der Angemessenheit nennt Thüsing u. a. die deutsche Wucherrechtsprechung, die als Vergleichsmaßstab den marktüblichen Zins heranzieht, vgl. Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (460). 426 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (464).
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AktG formuliert als Leitgedanken den Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit der Vergütung, die sich in einer Marktwirtschaft eben vornehmlich nach dem Preis der nachgefragten Leistung bestimmt 427. Gegen die Heranziehung des Marktpreises als allein entscheidendes Angemessenheitskriterium sprechen allerdings gewichtige Argumente. Zunächst ändert diese Handhabung des Angemessenheitskriteriums durch die Praxis nichts an der Tatsache, dass das Gesetz in § 87 I AktG allein auf die Lage der Gesellschaft und die Aufgaben des Vorstandsmitglieds abstellt. Ein Marktvergleich kann daher aus rechtlicher Sicht zwar als Plausibilitätskontrolle dienen, er kann aber nicht ausschließlich maßgeblich für das Ergebnis der Angemessenheit der Vergütung eines bestimmten Vorstandsmitglieds in einer bestimmten Gesellschaft sein 428. Die Festlegung eines Marktpreises als Vergleichskriterium führt zudem dann nicht entscheidend weiter, wenn sich ein Marktwert (z. B. wegen Marktstörungen oder des Fehlens von Vergleichsparametern) nicht oder zumindest nicht akkurat ausmachen lässt 429. Die Bestimmung der Angemessenheit allein dem Markt zu überlassen, kann nur richtig sein, wenn der Markt auch funktioniert430. Darüber hinaus verlangt auch der Begriff des Marktwertes nach einer Konkretisierung (Festlegung des relevanten Marktes; Vornahme eines externen oder internen Marktvergleichs). Vor allem dann, wenn zur Begründung hoher Vorstandsvergütungen auf deren Anreizwirkung hingewiesen wird, ist der Marktwert kein (allein) taugliches Kriterium zur Bestimmung der Angemessenheit 431. Schließlich lassen sich mit dem Marktwert, der sich vorrangig aus dem Vergleich mit der Vergütungssituation vergleichbarer Unternehmen errechnet, nur Durchschnittswerte ermitteln432. Es ist jedoch nicht ohne weiteres einsehbar, weshalb es Unternehmen mit bewusst „aggressiver“ Vergütungspolitik bei Vorliegen eines sachlichen Grundes verwehrt bleiben soll, von diesen marktüblichen Durchschnittswerten nach oben abzuweichen433. Im Folgenden soll daher versucht werden, die Angemessenheit unter Berücksichtigung sämtlicher in Betracht kommender Kriterien näher zu konkretisieren.
427 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116); Peltzer, in: FS Lutter, 2000, S. 571 (586); Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, §87 Rn.5, 6; Thüsing, ZGR 2003, S.457 (464); Spindler, DStR 2004, S. 36 (40 f.). 428 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (209). Zu pauschal daher Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116). 429 So zum Beispiel im Fall Mannesmann, vgl. auch Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (315). Zur Relevanz von Marktdefiziten für die strafrechtliche Beurteilung vgl. unten Teil 2, A.III.2.c)bb). 430 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (465). 431 So wohl auch Spindler, DStR 2004, S. 36 (39). 432 Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 (100). 433 Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 (100).
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b) Gesetzliche Kriterien Die vom Gesetz vorgegebenen Vergleichsparameter zur Feststellung der Angemessenheit der Vorstandsvergütung sind die „Aufgaben des Vorstandsmitglieds“ und die „Lage der Gesellschaft“. Beide Vergleichsmaßstäbe sind zum Zeitpunkt der Festsetzung der Gesamtbezüge kumulativ zu beachten 434. Über Bedeutung und Relevanz dieser beiden Kriterien besteht immer noch weitgehend Ungewissheit; zumeist werden sie durch von der Literatur entwickelte, praktisch relevantere Kriterien ausgefüllt bzw. ersetzt 435. Im Folgenden sollen die gesetzlichen Kriterien zunächst begrifflich jeweils kurz erklärt werden, bevor auf die Handhabung in der Praxis näher eingegangen wird. aa) Aufgaben des Vorstandsmitglieds Eine unmittelbare Aussage zur Angemessenheit macht das Kriterium der Aufgaben des Vorstandsmitglieds nur über den aus ihm abgeleiteten Grundsatz des Gleichlaufs der Vergütung 436, welcher besagt, dass die Organpflichten, die Pflichten aus dem Anstellungsvertrag und die Vergütung parallel laufen 437 sollen, dass also die Vergütung die Aufgaben des Vorstandsmitglieds qualitativ „abbilden“ soll 438. Die vor allem für die Praxis entscheidende Frage, woran die Aufgaben des Vorstandsmitglieds genau zu messen sind, kann diese eher theoretische Annäherung freilich nur eingeschränkt beantworten 439. Anerkannt ist deshalb, dass zur Konkretisierung der Angemessenheit weitere, im Gesetz nicht genannte Kriterien heranzuziehen sind. Dies sind etwa besondere Fähigkeiten, Kenntnisse, Erfahrungen, längere Vor434 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 13; Hüffer, AktG, § 87 Rn. 2; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 114, 115; Spindler, DStR 2004, S. 36 (38). Dieses kumulative Angemessenheitserfordernis ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 87 I 1 AktG („und“). 435 So lassen auch die großen Kommentare zum AktG eine Definition der gesetzlichen Kriterien weitgehend vermissen, vgl. nur Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 1 ff.; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 87 Rn. 1 ff. Es finden sich stattdessen Hinweise auf andere, in der Praxis verwendete Kriterien, die die im Gesetz genannten Begriffe umschreiben bzw. konkretisieren sollen, vgl. unten aa). 436 Einem aus § 87 I AktG abgeleiteten allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung, der besagt, dass Vorstandsmitglieder mit ähnlichen Aufgaben auch ähnliche Bezüge erhalten sollen (vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 117) steht die h. M. in der Literatur eher zurückhaltend gegenüber, da ein solcher das Kriterium der „Lage der Gesellschaft“ nicht ausreichend berücksichtigen und damit das Ermessen des Aufsichtsrats übermäßig einschränken würde, vgl. Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (472); Semler, in: FS Budde, 1995, S. 599 (602); entschieden gegen eine allgemeine Gleichbehandlungspflicht Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, Aktiengesellschaft, § 21 Rn. 10 („unter ganz engen Voraussetzungen“). 437 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 117. 438 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 117; Schneider, ZIP 1996, S. 1769 (1771 f.). 439 Vgl. auch Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 118, 122.
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standstätigkeit, Position des Vorstandsmitglieds in der AG, Maß an Verantwortung sowie haftungs- oder strafrechtliche Risiken 440. Tradierten Angestelltenvergütungsmustern entsprechend können auch die Familienverhältnisse Eingang in die Betrachtung finden, so etwa durch Zuschläge an verheiratete Vorstandsmitglieder 441. Die Möglichkeit der Heranziehung dieser Kriterien hat zur Folge, dass eine auffällig hohe Vergütung für sich genommen nicht im Widerspruch zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds stehen muss; dies nicht zuletzt deshalb, weil „erfolgreiche Unternehmensleiter einen Marktwert haben“ 442. Wesentlich für die Interpretation der „Aufgaben“ ist weiter, dass diese sich grundsätzlich auf das Gesamtunternehmen, nicht auf einzelne Teile der Gesellschaft, beziehen. Diese Feststellung hat Bedeutung insbesondere für die rechtliche Beurteilung spartenbezogener Vergütungen, die sich allein am Erfolg einzelner Teile der Gesellschaft orientieren 443. Solche Vergütungen sind zumindest dann als unzulässig einzuordnen, wenn die auf den Erfolg einer besimmten Sparte bezogenenen Vergütungsbestandteile an Übergewicht in dem Maße gewinnen, dass das Wohl des Gesamtunternehmens erheblich beeinflusst wird 444. Diese Wertung, die vor seiner Abschaffung primär in § 86 AktG a. F. Ausdruck fand, lässt sich rechtlich vornehmlich auf den Umstand zurückführen, dass Vorstandsmitglieder, deren Verantwortlichkeit sich grundsätzlich auf das Gesamtunternehmen erstreckt, dementsprechend auch nur am Gewinn des Gesamtunternehmens beteiligt sein sollen 445. bb) Lage der Gesellschaft Die Gesamtbezüge des Vorstandsmitglieds müssen außerdem in einem angemessenen Verhältnis zur Lage der Gesellschaft stehen. (1) Gesamtwirtschaftliche Gegebenheiten, insbesondere Zukunftsaussichten Der Begriff der Lage der Gesellschaft wird vom Gesetz nicht näher konkretisiert; es entspricht jedoch allgemeiner Ansicht, dass für die Begriffsbestimmung die „gesamte unternehmerische Lage der Gesellschaft“ unter Berücksichtigung sämtlicher 440 Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 (100); Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, §87 Rn. 13; Peltzer, in: FS Lutter, 2000, S. 571 (574); Spindler, DStR 2004, S. 36 (38); Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 279 f.; Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (471). 441 Spindler, DStR 2004, S. 36 (38); Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 13; Hüffer, AktG, § 87 Rn. 2. 442 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 13; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 118. 443 Spindler, DStR 2004, S. 36 (39). 444 Spindler, DStR 2004, S. 36 (39). 445 Spindler, DStR 2004, S. 36 (39); Semler, in: FS Budde, 1995, S. 599 (600).
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sie zu beeinflussen vermögender Elemente, insbesondere auch der Zukunftsaussichten der Gesellschaft, maßgeblich ist 446. Von Bedeutung ist diese Feststellung primär für den Fall, dass die Gesellschaft vor einschneidenden Veränderungen wie namentlich einer Übernahme, welche den Verlust der Eigenständigkeit mit sich führen würde, steht 447. Damit sind finanzielle bzw. wirtschaftliche Elemente für die Lage der Gesellschaft 448 zwar grundsätzlich von Wichtigkeit; sie sind jedoch nicht allein ausschlaggebend für die Beurteilung dieses Merkmals449. Besondere Bedeutung für die Lage des Unternehmens und damit auch für die Angemessenheit der Vergütung hat in aller Regel der Ertrag, der sich vornehmlich in der internen Rendite 450 ausdrückt 451. Bei guten Rentabilitätszahlen kann sich die Gesellschaft großzügig zeigen. Umgekehrt folgt aus dem Herabsetzungsrecht des § 87 II AktG, dass im Regelfall eine Verschlechterung der Verhältnisse der Gesellschaft eher niedrigere Bezüge rechtfertigt 452. Dennoch können auch sinkende Erträge bzw. Verluste der Gesellschaft ein erhöhtes Entgelt des Vorstandsmitglieds rechtfertigen („Gefahrenzulage“) 453. Dies wird in der Regel bei Sanierungsfällen anzunehmen sein, jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft tatsächlich sanierungsbedürftig ist und die Übernahme des Amtes unerwünschte Konsequenzen für die weitere Karriere des als Turnaround-Manager fungierenden Vorstandsmitglieds haben könnte 454. Als maßgebliches (übergeordnetes) Kriterium im Rahmen der Lage der Gesellschaft wird der Unternehmenserfolg zu gelten haben. Die grundsätzliche Geeignetheit des Unternehmenserfolgs zur Bestimmung der im Einzelnen angemessenen Vergütung belegt auch Ziffer 4.2.2 Absatz 2 Satz 2 des DCGK, der bestimmt: „Kriterien für die Angemessenheit der Vergütung bilden insbesondere die Aufgaben des jeweiligen Vorstandsmitglieds, seine persönliche Leistung, die Leistung des Vorstands sowie die wirtschaftliche Lage, der Erfolg und die Zukunftsaussichten des Unternehmens unter Berücksichtigung seines Vergleichsumfelds“ 455. 446 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2048) = NJW 2004, S. 3275 (3278); Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (337); Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (31); Hoffmann-Bekking, NZG 1999, S. 797 (798); Spindler, DStR 2004, S. 36 (38). 447 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2048) = NJW 2004, S. 3275 (3278). 448 Vgl. auch Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 (100); Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (210); Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (470). 449 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2048) = NJW 2004, S. 3275 (3278); Hoffmann-Bekking, NZG 1999, S. 797 (798). 450 Die interne Rendite repräsentiert den auf das eingesetzte Kapital bezogenen Gewinn der Gesellschaft in Prozent. 451 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (210); Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (470). 452 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (470). 453 Peltzer, in: FS Lutter, 2000, S. 571 (575); Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 13; Hüffer, AktG, § 87 Rn. 2; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 87 Rn. 6. 454 Mit dieser Einschränkung Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (470). 455 Hervorhebung durch die Verfasserin.
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Vorrangig das variable Vergütungsinstrument der Tantieme als erfolgsabhängige Gewinnbeteiligung, die als Zielvorgabe zumeist die Steigerung des Unternehmenswerts haben wird 456, unterstreicht auch die praktische Bedeutung erfolgsorientierter Vergütungsbestandteile 457. (2) Der Aktienkurs als zulässiger Anknüpfungspunkt für die Vergütungshöhe Umstritten ist, inwiefern zur Lage der Gesellschaft im oben dargestellten Sinne auch die Entwicklung des Aktienkurses zu rechnen ist. Die Frage, ob der Aktienkurs ein taugliches Kriterium im Rahmen von Vorstandsvergütungsentscheidungen darstellen kann, stellt sich in all den Fällen, in denen die zu bewertende Leistung des Managers vorrangig in der Steigerung des Aktienkurses liegt. Für die Zulässigkeit von Vergütungsinstrumenten, die sich (allein) auf solche Aktienkurssteigerungen beziehen 458, ist entscheidend, inwiefern dem Aktienkurs Aussagekraft über die Lage und damit den Erfolg bzw. die Zukunftsaussichten des Unternehmens zukommt. Die Vergütungspraxis hat den Aktienkurs zu einem der maßgeblichen Faktoren im Rahmen der Vorstandsvergütung erhoben. Besonders moderne Vergütungsinstrumente, namentlich Stock Option Plans und diesen verwandte aktienbasierte Vergütungsmodelle wie SARs und phantom stocks („börsenkursbezogene Tantiemen“ 459) machen den Aktienkurs zur Grundlage der Vergütungsbemessung. Im Gegensatz zur internen Rendite spiegelt der Aktienkurs unter der Voraussetzung eines funktionierenden Kapitalmarktes die Summe der Einschätzungen des Marktes über den Wert und die Zukunftschancen des Unternehmens wieder460 und repräsentiert damit grundsätzlich den äußeren Unternehmenserfolg. Unstreitig bestimmt der Aktienkurs über die mit ihm verbundene Börsenkapitalisierung den Wert eines Unternehmens jedenfalls mit 461. Uneinigkeit besteht jedoch hinsichtlich der Frage, inwiefern der Aktienkurs entscheidender Faktor für die Bewertung von Manangementleistung und damit taugliches Kriterium im Rahmen der Angemessenheit sein kann. Gegen den Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (489). Zur Tantieme vgl. oben A.I.1.c) bb). 458 Aktualität hat diese Frage insbesondere im Hinblick auf die im Fall Mannesmann gewährten Appreciation Awards erlangt. Hier streitet sich die Literatur, ob die im Zuge der Übernahme durch Vodafone AirTouch aufgetretene Aktienkurssteigerung die Grundlage der Prämien gewesen sein kann, vgl. z. B. Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 26; Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (314); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (122); Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (330); Wollburg, ZIP 2004, S. 646 ff. Hierzu ausführlich unten III.5. 459 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (501). 460 Vgl. die Gesetzesbegründung zum KonTraG v. 27. April 1998, in: BT-Drucksache 13/9712, S. 23. 461 Für die Rechtsprechung jüngst LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2049) = NJW 2004, S. 3275 (3279); BGHZ 147, 108 (116); 153, 47 (55). Für die Literatur vgl. nur Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (647); Spindler, DStR 2004, S. 36 (43); Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (479); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (122). 456 457
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Aktienkurs als (maßgebliche) Bezugsgröße bei der Vergütungsentscheidung werden eine Reihe durchaus ernstzunehmender Bedenken geltend gemacht. So wird eingewandt, der Aktienkurs drücke „nur eine Marktbewertung aus, die mit der Lage der Gesellschaft nicht identisch sein muss“ 462. Zudem erlaube er keine individuelle Funktions- und Leistungsbewertung, da er von der Effizienz des Kapitalmarktes abhängig, dem Einfluss exogener Faktoren ausgesetzt und für Manipulationsakte anfällig sei und damit dem grundsätzlichen Problem der schier unmöglichen Messbarkeit kapitalmarktabhängiger Managementleistung unterliege 463. (a) Windfall Profits und Benchmarking Insbesondere bei Aktienoptionsprogrammen kann eine Bindung an den Aktienkurs sog. windfall profits verursachen. Windfall profits sind Vermögenszuwächse des Vergütungsempfängers, die durch den Einfluss exogener und/oder unternehmensspezifischer (endogener) Faktoren auf den Aktienkurs und damit unabhängig von der Managementleistung entstehen 464. Solche Vermögenszuwächse stellen nach dieser Definition (Vergütungs-) Leistungen der Gesellschaft ohne entsprechende Gegenleistung des Begünstigten dar und sind daher mit §87 I AktG, der vom Prinzip der Leistungsgerechtigkeit ausgeht, grundsätzlich nicht vereinbar 465. Fraglich ist, ob angesichts solcher Ausbrüche erfolgsabhängiger Vergütungen nach oben der Aktienkurs, dessen enorme Steigerung windfall profits überhaupt erst entstehen lässt, als Erfolgsfaktor zur Messung von Managementleistung dem Grunde nach tauglich sein kann. Dies ist zu bejahen. Der Aktienkurs ist tragendes Element des Unternehmenserfolgs. Windfall profits kann durch entsprechende Vorkehrungen durchaus effektiv entgegengewirkt werden. Möglich ist beispielsweise, über unternehmensinterne Daten zu einer genaueren Leistungsmessung zu gelangen. Ausgehend von der US-amerikanischen Vergütungspraxis hat sich auch bei der Ausgestaltung deutscher Aktienoptionspläne vielerorts ein Prinzip relativer Erfolgsmessung durchgesetzt 466. Bei diesem sog. benchmarking sollen exogene Faktoren dadurch minimiert bzw. bestenfalls eliminiert werden, dass die Erfolgsmessung nicht allein an die Aktien462 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2049) = NJW 2004, S. 3275 (3279); ähnlich Brauer, NZG 2004, S. 502 (506); Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (11); Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (477); Spindler, DStR 2004, S. 36 (43). 463 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2049) = NJW 2004, S. 3275 (3279); Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (11); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 92; Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (119); Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (477); Schneider, ZIP 1996, S. 1769 (1771). 464 Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (12); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (119); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 95; Schneider, ZIP 1996, S. 1769 (1771). 465 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (119); ähnlich Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 95. Baums führt als Beispiel solcher windfall profits die hohen Entlohungssummen der Direktoren britischer Energieversorgungsunternehmen, die von einem im Zuge der Privatisierung gewaltig angestiegenen Aktienkurs profitiert hatten, an, vgl. Baums, in: FS Claussen, 1997, S.3 (12). 466 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 96.
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kursentwicklung des betreffenden Unternehmens, sondern an die Aktienkursentwicklung im Vergleich zu einem Branchen- oder Gesamtindex geknüpft wird 467. Zwar stellt benchmarking richtigerweise kein „Allheilmittel“ gegen unverdiente, weil leistungsunabhängige Belohnungen dar 468. Bei diversifizierten oder international tätigen Unternehmen beispielsweise ist eine branchenbezogene relative Erfolgsmessung praktisch nicht möglich 469. Zudem bleibt die Gefahr der Beeinflussung des Kurses durch endogene Faktoren wie Privatisierungsentscheidungen oder Übernahmeangebote, da benchmarking-Modelle stets nur solche Faktoren auszuschließen vermögen, die sich auf den Markt insgesamt auswirken 470. Neben benchmark-Bestimmungen sollte der Anstellungsvertrag deshalb grundsätzlich alternative Leistungsbemessungsgrundlagen vorsehen, anhand derer der Erfolg des Managements effektiv überprüft werden kann. Sinnvoll erscheint hier eine Rückkoppelung der Prüfung an den Economic Value Added (EVA) 471. Diese Forderung führt indes nicht zur Qualifizierung des Aktienkurses als untauglich für die Erfolgsmessung des Managements – sie relativiert lediglich seine Bedeutung allein in solchen Situationen, die windfall profits generell indizieren, durch eine zusätzliche (hilfsweise) Überprüfung der Leistung des Manamements anhand alternativer Bemessungsgrundlagen. (b) Fehlgehende Incentivierung durch Bindung des Gesamtgehalts an den Aktienkurs Würde man das gesamte Gehalt des jeweiligen Vorstandsmitglieds vom Verhalten des Aktienkurses abhängig machen, bestünde die Gefahr, dass dieses ausschließlich um die Höhe des Börsenkurses bemüht ist und andere langfristige Unternehmensziele sorgfaltswidrig vernachlässigt 472. Eine solche eindimensionale Fokussierung steht unter anderem im Widerspruch zu § 87 I AktG, der mit den Merkmalen der Aufgaben des Vorstandsmitlieds und der (gesamtwirtschaftlichen) Lage der Gesellschaft fehlgehende Leistungsanreize jeder Form durch Aufstellung des Angemessenheitserfordernisses verhindern will 473. Es versteht sich damit von selbst, dass nicht die gesamten Bezüge des Vorstandsmitglieds an bestimmte Kurssteigerungen geknüpft sein können. Dem entspricht es, dass der DCGK in Ziffer 4.2.3 Absatz 1 Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (13); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 96. Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (13). 469 Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (13); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 96. 470 Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (13); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 96. 471 Der EVA ist eine nicht marktbezogene Kennzahl, die das Geschäftsergebnis nach Abzug der kalkulatorischen Kapitalkosten, die durch Multiplikation des gesamten eingesetzten Kapitals (Fremd- und Eigenkapital) mit dem aus dem Kapitalmarkt abgeleiteten Gesamtkapitalkostensatz bestimmt werden, repräsentiert (sog. Residualgewinn), und im Rahmen eines umfassenden Performancebemessungs- und Wertsteigerungskonzeptes zur Anwendung kommt, vgl. Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (479). 472 Schneider, ZIP 1996, S. 1769 (1772); Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (490). 473 Ähnlich Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (490). 467 468
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Satz 1 für die Gesamtvergütung sowohl fixe als auch variable Vergütungsbestandteile fordert. (c) Die Bedeutung des Aktienkurses in der Rechtsprechung Die hier vertretene Auffassung, dass der Börsenkurs durchaus ein tauglicher Faktor bei der Festsetzung der Vergütungsentscheidung und dadurch auch bei der Überprüfung von deren Angemessenheit sein kann, wird durch die höchstrichterliche Rechtsprechung gestützt, die die große Bedeutung des Aktienkurses für den Unternehmenswert und damit für den unternehmerischen Erfolg des Manamements in jüngeren Entscheidungen klar herausgestellt hat. Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 474 zu der Frage, ob es mit Art. 14 GG vereinbar sei, bei der Bestimmung der Abfindung gem. § 305 AktG bzw. des variablen Ausgleichs den Börsenkurs außer Acht zu lassen („DAT/Altana“) 475, macht der Bundesgerichtshof in derselben Sache deutlich, dass „die Gleichstellung von Börsenund Verkehrswert […] auf der Annahme (scil. beruht), dass die Börse auf der Grundlage der ihr zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Gesellschaftsunternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewertet, der Erwerber von Aktien sich an dieser Einschätzung durch den Markt orientiert und sich daher Angebot und Nachfrage danach regulieren, so daß sich die Marktbewertung in dem Börsenkurs der Aktien niederschlägt“476. Der Bundesgerichtshof räumt zwar ein, dass der Börsenwert nicht zwingend mit dem Verkehrswert übereinstimmen muss. Zum Nachweis der Abweichung beider Werte voneinander genüge „jedoch grundsätzlich nicht allein die Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Unternehmenswert; vielmehr bedarf es der Darlegung und des Beweises von Umständen, aus denen auf die Abweichung des Börsenkurses vom Verkehrswert zu schließen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat als Beispiel die schlechte Verfassung der Kapitalmärkte angeführt. Ein solcher Umstand muß sich nicht nur im Börsenkurs des herrschenden Unternehmens, sondern auch in den Kursen der Indizes (z. B. DAX 30, DAX 100, NEMAX, EURO-STOXY 50) niedergeschlagen haben“ 477. In seiner Macrotron-Entscheidung zur Frage der Verkehrsfähigkeit von Aktien beim regulären Delisting stellt der Bundesgerichtshof weiter klar, dass der Verkehrswert der Aktie, der nach der DAT/Altana-Entscheidung mit dem Börsenkurs weitestgehend identisch ist, auch im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Aktionären eine wesentliche Rolle spielt: „Der Verkehrswert und die je474 BVerfGE 100, 289 ff.; grundlegend zur Wirkung des Art. 14 GG im einfachen Recht BVerfGE 14, 263, 281 ff. („Feldmühle“). 475 Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts darf die volle Abfindung von Aktionären bei börsennotierten Gesellschaften nicht unter dem Verkehrswert liegen, weshalb sie nicht ohne Rücksicht auf den Verkehrswert festgesetzt werden dürfe, vgl. BVerfGE 100, 289 (302 f., 305 f.). Ausführlich hierzu Henze, in: FS Lutter, 2000, S. 1101 ff. 476 BGHZ 147, 108 (116). 477 BGHZ 147, 108 (122).
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derzeitige Möglichkeit seiner Realisierung sind danach Eigenschaften des Aktieneigentums, die wie das Aktieneigentum selbst verfassungsrechtlichen Schutz geniessen. […] Hat der Verkehrswert einschließlich der Verkehrsfähigkeit des Aktienanteils aber Teil an der Eigentumsgarantie des Art. 14 I GG, so ist dieser Schutz auch im Verhältnis der Gesellschaft zu den Aktionären zu beachten.“478 Nach dieser Rechtsprechung ist damit der Aktienkurs maßgeblicher Indikator des Unternehmenswerts und damit auch des die Lage der Gesellschaft konkretisierenden Unternehmenserfolgs 479. Dies ist folgerichtig. Rechtsdogmatisch ist der Aktienkurs mit den Worten Quandts „der Inbegriff des Marktmodells Aktiengesellschaft schlechthin“ 480. Wenn mit der Rechtsprechung der Aktienkurs bewertungsrechtlich im Zentrum steht, so ist ihm eine wesentliche Bedeutung konsequenterweise auch für die nach § 87 I AktG und damit nach dem Kriterium der „Lage der Gesellschaft“ zu beurteilende Vorstandsvergütung nicht abzusprechen 481. Entsprechend hat sich auch der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom April 1998 482 für eine Orientierung der Vergütung an der Kursentwicklung ausgesprochen 483. (d) Voraussetzung: Kausal auf das Management zurückzuführende Sonderentwicklung des Aktienkurses Die Frage, ob der Aktienkurs die konkrete Vergütungsentscheidung beeinflussen kann, hängt maßgeblich davon ab, inwiefern seine Steigerung dem Management tatsächlich zugeschrieben werden kann. Entscheidender Anknüpfungspunkt erfolgsabhängiger Vergütungen ist bereits begrifflich ausschließlich der Erfolg, der stets und zwingend ein Erfolg des Unternehmens sein muss. Soll der Aktienkurs als den Unternehmenserfolg mitbestimmender Faktor die Angemessenheit und damit die Vergütungsentscheidung insgesamt maßgeblich beeinflussen können, so muss in seiner Steigerung auch tatsächlich ein Erfolg liegen. Dieser Erfolg muss sich nachweisbar auf die Leistung des Managements zurückführen lassen, denn nur in diesem Falle liegt auch tatsächlich ein Erfolg des Managements und nicht eine zufällige generelle positive Entwicklung des Marktes vor 484. Kein Erfolg im so verstandenen Sinne kann es konsequenterweise sein, wenn die Kurssteigerung auf einer allgemeinen Börsenhausse beruht, die von der Führungsleistung des Managements völlig losgeBGHZ 153, 47 (55). Sehr kritisch hierzu aber Henze, in: FS Lutter, 2000, S. 1101 (1108). 480 Quandt, Squeeze-out, 2004, S. 182. 481 Quandt, Squeeze-out, 2004, S. 182: „Der Börsenkurs ist von den Verhältnissen der Gesellschaft nicht zu trennen“. 482 BGBl. I, S. 786 ff. 483 Vgl. ZIP 1997, S. 2059 (2067). 484 Ähnlich Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (798 f.). Zur Gefahr von windfall profits vgl. bereits oben (a). 478 479
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löst ist 485. Vielmehr ist eine zumindest im weiteren Sinne kausale positive Sonderentwicklung des eigenen Aktienkurses erforderlich486. Allerdings wird wegen der Unternehmesleitereigenschaft von Vorstandsmitgliedern typischerweise (widerlegbar) zu vermuten sein, dass jedwede Veränderung der Lage des Unternehmens, sei sie positiv oder negativ, durch das Vorstandsmitglied als Unternehmensleister maßgeblich beeinflusst wird, weshalb sich ein konkreter Kausalitätsnachweis in aller Regel erübrigt 487. (e) Aktionärs- contra Unternehmensinteresse 488? In einem in jüngerer Zeit erschienenen Zeitungsartikel stellen zwei führende Gesellschaftsrechtler die These auf, dass Vorstandsvergütungen, die an eine Steigerung des Unternehmenswerts anknüpfen, ausschließlich von den Aktionären und nicht, wie bei Vergütungsentscheidungen sonst selbstverständlich, aus dem Gesellschaftsvermögen erbracht werden dürfen 489. Begründet wird diese These mit der in diesem Fall bestehenden Inkongruenz von Aktionärs- und Unternehmensinteresse. Da das Unternehmen selbst aus einer Börsenwertsteigerung keinen unmittelbaren Nutzen ziehe, komme diese lediglich den Aktionären zugute, weshalb ausschließlich letztere zur Vergütungsentscheidung und -umsetzung befugt seien490. Beiden Grundaussagen dieser These, nämlich dem angeblichen Gegensatz von Aktionärs- und Unternehmensinteresse sowie dem Bedürfnis nach einer Vergütung aus Aktionärsvermögen, ist zu widersprechen. Gegen eine Unvereinbarkeit von Aktionärs- und Unternehmensinteresse bei Börsenkurssteigerungen spricht bereits die besondere Bedeutung des Aktionärsinteresses bei unternehmerischen Entscheidungen. Zum einen ist es zwar grundsätzlich richtig, dass Aktionärs- und Unternehmensinteresse nicht zwingend kongruent sind, da, wie oben bereits erörtert, im Unternehmensinteresse eine Vielzahl von Interessen zusammengefasst sind. Dennoch kann eines dieser Interessen im Einzelfall in den Vordergrund treten, das Unternehmensinteresse also maßgeblich mitbestimmen 491. Insbesondere das Aktionärsinteresse ist, wie die oben zitierte Rechtsprechung belegt, ein wesentlicher Bestandteil des Unternehmensinteresses492. 485 Kallmeyer, ZIP 2002, S. 1663; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 95; Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (119). 486 Kallmeyer, ZIP 2002, S. 1663; ähnlich wohl Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S.26; Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (647); Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (798 f.). 487 Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (799). 488 So prägnant Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (647 ff.). 489 Lutter/Zöllner, „Die Mannesmann-Prämien durften nicht gezahlt werden“, FAZ Nr. 34 v. 10. Februar 2004, S. 12. 490 Lutter/Zöllner, „Die Mannesmann-Prämien durften nicht gezahlt werden“, FAZ Nr. 34 v. 10. Februar 2004, S. 12. 491 Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (648); ähnlich wohl Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 26. 492 Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (648); Kort, in: Großkommentar zum AktG, §76 Rn. 54; ähnlich wohl Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 26.
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Dies gilt nicht nur bei Zugrundelegung des Shareholder-Value Konzepts, welches den Interessen der Aktionäre (shareholders) Vorrang vor allen anderen Anspruchsgruppen in der AG (stakeholders) einräumt 493. Vielmehr gebietet bereits die tatsächliche Stellung der Aktionäre, die de facto die wirtschaftlichen Eigentümer des Unternehmens sind, eine im Einzelfall besondere Beachtung von deren Interessen im Rahmen des Unternehmensinteresses. Schon in Ansehung dieser Tatsache kann eine den Aktionären günstige Börsenkurssteigerung das Unternehmensinteresse maßgeblich prägen. So weist aus systematischer Sicht bereits die Gleichsetzung von Gesellschaftsinteresse und Gesellschafterinteresse bei der Einpersonen-Kapitalgesellschaft darauf hin, dass die Annahme eines von den Interessen der einzelnen Gesellschafter völlig losgelösten Interesses der Gesellschaft als juristischer Person oder als Korporation dem Wesen der Aktiengesellschaft widerspricht 494. Hier ist Kort ausdrücklich zuzustimmen, der feststellt, dass „prima facie davon auszugehen (scil. ist), dass auch bei der Mehrpersonen-AG die (gebündelten) Interessen der Gesellschafter mit dem Interesse der Gesellschaft identisch sind“495. Zum anderen, und das spricht entscheidend gegen eine strikte Trennung von Aktionärs- und Unternehmensinteresse bei außergewöhnlichen Börsenkurssteigerungen, profitiert bei solchen Kurssteigerungen wegen der Steigerung des inneren Unternehmenswerts durchaus auch das Unternehmen selbst496. Der Börsenkurs reflektiert die Einschätzung des Marktes vom Wert des Unternehmens und des Anteils 497. Das Interesse der Geschäftsleitung an einer Steigerung des Aktienkurses bzw. einer vorteilhaften Börsenkapitalisierung ist nicht zuletzt Wettbewerbsparameter für das Unternehmen 498. Ein hoher Börsenkurs verbessert das „standing“ des Unternehmens im Kapitalmarkt 499. Die Möglichkeit der für Wachstum und Ertrag maßgeblichen Eigen- und Fremdkapitalbeschaffung zu attraktiven Konditionen am Aktienmarkt hängt wesentlich von einem hohen Börsenkurs des Unternehmens ab, da die Attraktivität der Aktien des Unternehmens für den Kapitalmarkt indirekt über die Mittel entscheidet, die für Investitionen und Akquisitionen zur Verfügung stehen (die Bezahlung mit eigenen Aktien ist grundsätzlich vom Wert der „Währung“ abhängig) 500. Die Höhe des Börsenkurses ist zudem ausschlaggebend für den Geldfluss bei einer 493 Vgl. hierzu Kort, in: Großkommentar zum AktG, § 76 Rn. 53 f.; Quandt, Squeeze-out, 2004, S. 182. 494 Kort, in: Großkommentar zum AktG, § 76 Rn. 53; vgl. auch Quandt, Squeeze-out, 2004, S. 182. 495 Kort, in: Großkommentar zum AktG, § 76 Rn. 53. 496 Kort, in: Großkommentar zum AktG, § 76 Rn. 54; ders., in: FS Lutter, 2000, S. 1421 (1441); ähnlich Weiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999, S. 135. 497 Kort, in: FS Lutter, 2000, S. 1421 (1441); ähnlich Quandt, Squeeze-out, 2004, S. 182. 498 Kort, in: Großkommentar zum AktG, § 76 Rn. 54; Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (648); Weiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999, S. 135. 499 Thomas, in: FS Riess, 2002, S. 795 (804). 500 Thomas, in: FS Riess, 2002, S.795 (804); Wollburg, ZIP 2004, S.646 (648); ähnlich Kort, in: FS Lutter, 2000, S. 1421 (1441).
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Barkapitalerhöhung. Aus wirtschaftlicher Sicht ist ein hoher Börsenkurs damit maßgeblicher Motor des Wachstums und der Unternehmensfinanzierung und damit, wie Wollburg zutreffend formuliert, entscheidend „für die Verwirklichung des Unternehmensinteresses selbst“ 501. Unmittelbare Konsequenz dieser Sichtweise ist die weitgehende Kongruenz des Unternehmensinteresses mit dem Aktionärsinteresse bei durch den Vorstand herbeigeführten Börsenkurssteigerungen. Nur am Rande sei erwähnt, dass gegen eine von Lutter/Zöllner implizierte Vergütung aus Aktionärsvermögen im Übrigen bereits die Systematik des Aktiengesetzes spricht. §§ 84 I, 87 I AktG weisen die Zuständigkeit für die Festsetzung der Gesamtbezüge und die Sorge für deren Angemessenheit allein dem Aufsichtsrat zu. Dieser gesetzgeberischen Kompetenzzuweisungsentscheidung widerspräche es erkenntlich, wenn nach Aktienrecht unangemessene Vergütungszusagen durch Zahlungen einzelner Aktionäre substituiert werden könnten 502. Neben einer Umgehung der gesetzlichen Kompetenzvorschriften wäre überdies zu befürchten, dass derartige Zahlungen eine Abhängigkeit des begünstigten Vorstandsmitglieds von den leistenden Aktionären nach sich ziehen könnten, die im Widerspruch zur Loyalitätspflicht des Vorstands gegenüber der Gesellschaft stünde 503. (f) Fazit Der Aktienkurs kann als den Unternehmenswert und damit die gesamtwirtschaftliche Lage der Gesellschaft unmittelbar beinflussender Erfolgsfaktor Anknüpfungspunkt für die Angemessenheit sein. Allerdings ist Vorsicht in bezug auf die Risikoverteilung geboten. Entscheidend primär im Hinblick auf zukunftsgerichtete Vergütungsentscheidungen wie Aktienoptionen ist zunächst, dass die Vergütungszusage tatsächlich erfolgsabhängig ist, dass also die begünstigten Vorstandsmitglieder nicht nur an den Chancen, sondern auch an den Risiken des Erfolgs beteiligt werden 504. Die Möglichkeit des Entstehens von windfall profits ist damit durch enstprechende Ausgestaltung des Anstellungsvertrages mit benchmark-Bestimmungen zu minimieren. Um eine pflichtwidrige Vernachlässigung anderer Unternehmensziele als die Höhe des Aktienkurses durch das Vorstandsmitglied zu vermeiden – Ziel der vorangegangenen Ausführungen war allein die Qualifizierung des Aktienkurses als Kriterium der Angemessenheit, nicht dessen Einordnung als alleiniges Erfolgsmessungsinstrument – sind außerdem Vergütungsvereinbarungen, die die gesamten Bezüge des Vorstandsmitglieds an bestimmte Kurssteigerungen knüpfen, unzulässig. Erfolg im hier verstandenen Sinne ist zudem zwangsläufig ein Erfolg des Unternehmens. Ein solcher liegt nicht bereits bei einer auf einer allgemeinen Börsenhausse beruhenden Steigerung des Aktienkurses vor. Wesentlich ist, dass der Kurs, um exo501 502 503 504
Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (648). Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (649). Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (649). Kallmeyer, ZIP 2002, S. 1663. Vgl. hierzu auch unten III.2.e).
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gene, leistungsunabhängige Faktoren bereinigt, im Verhältnis zu vergleichbaren Unternehmen in besonderem Maße gestiegen ist. c) Die Handhabung des Angemessenheitserfordernisses in der Praxis Einige in der Praxis relevante Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit der Vorstandsvergütung wurden oben bei der Darstellung der Aufgaben des Vorstandsmitglieds bereits genannt 505. Das praktisch wohl wichtigste Kriterium zur Präzisierung beider Begriffe ist die Größe und Bedeutung der Gesellschaft gemessen an Umsatz, Personal, Rentabilität etc. 506. Die Praxis prüft die Angemessenheit im Einzelfall häufig auch mittels eines Vergleichs mit anderen Gehaltsempfängern auf dem gleichen Markt (sog. äußerer Vergleich) 507. Problematisch bei diesem Vorgehen ist primär die Tatsache, dass, wie oben bereits erwähnt, die h. M. in der Literatur einer allgemeinen Gleichbehandlungspflicht von Vorstandsmitgliedern eher zurückhaltend gegenübersteht 508. Hinzu kommt, dass der äußere Vergleich zwar gegebenenfalls den Vergleich der absoluten Höhe der Vergütung erlaubt, nicht aber die Aufteilung in verschiedene Einzelkomponenten, was eine Bewertung bei einer teilweisen Vergütung in Gewinnanteilen oder Unternehmensanteilen, deren potentieller Wert noch nicht feststeht, sehr diffizil macht 509. Schwierigkeiten ergeben sich zudem aus der Notwendigkeit einer einigermaßen großen Markttransparenz510. Eine solche wird bei der Vorstandsvergütung häufig fehlen, da die Vergütung aus vielen Einzelkomponenten bestehen kann (vgl. oben A.). Angesichts dieser Probleme beruft sich die Praxis vielfach auf bei den Industrie- und Handelskammern eingeholte Gutachten 511 oder auf repräsentative Vergütungsstudien 512. Letztere Vorgehensweise mag ihre Berechtigung in der im Vergleich zu aufwendigen Einzelfallerwägungen grundsätzlich schnelleren und damit aus Sicht der Geschäftsführung effizienteren Ergebnisfindung haben; sie muss sich aber die Kritik gefallen lassen, die letztlich für § 87 I Vgl. oben b) aa). Peltzer, in: FS Lutter, 2000, S. 571 (574); Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (470). 507 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (472); Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 87 Rn. 5; Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (798). 508 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (472); Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, Aktiengesellschaft, § 21 Rn. 10. Vgl. hierzu bereits oben b) aa). 509 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 118. 510 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 118. 511 Für die GmbH Spitaler/Niemann, Die Angemessenheit der Bezüge geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH, 1988, S. 87 f. 512 Vgl. hierzu z. B. die eingangs zitierte DSW-Vergütungsstudie v. 20. September 2005, Stand Juni 2006, abrufbar im Internet unter http://www.dsw-info.de/Vorstandsverguetung_2005.570.0.html. Ausdrücklich für die Zulässigkeit solcher Vergleiche Spindler, DStR 2004, S. 36 (38); Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 87 Rn. 5. Kritisch hinsichtlich der Feststellung der Angemessenheit beim GmbH-Geschäftsführer Spitaler/Niemann, Die Angemessenheit der Bezüge geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH, 1988, S. 84. 505 506
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AktG wesentlichen Merkmale des konkreten Einzelfalls nicht ausreichend zu berücksichtigen. So sind die Bestimmungsgründe der Vergütung der einzelnen Vorstandsmitglieder vielfältig und einzelfallbezogen, weshalb eine Festlegung der Angemessenheit über die schematische Anwendung bestimmter Formeln eigentlich der Natur der Sache widerspricht 513. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sämtliche praktische Kriterien und Methoden zur Festsetzung der angemessenen Vergütung mit dem Wortlaut des § 87 I AktG und den Kriterien der Aufgaben des Vorstandsmitglieds und der Lage der Gesellschaft unmittelbar nicht viel gemein haben 514. d) Die Rechtsprechung zur angemessenen Vergütung von Gesellschafter-Geschäftsführern in der GmbH Anhaltspunkte für die aktienrechtliche Angemessenheit der Vorstandsvergütung lassen sich zudem der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs zur Angemessenheit der Vergütung von Geschäftsführern der GmbH 515 entnehmen. Diese Rechtsprechung hat insofern auch für die vorliegend allein untersuchte AG Bedeutung, als die Ausgangslage trotz grundsätzlich unterschiedlicher Ausgangspunkte 516 der Diskussion um die Angemessenheit der Vergütung in den beiden Rechtsgebieten ähnlich ist. So soll nach einer – allerdings sehr umstrittenen – Literaturmeinung §87 I AktG auf die Vergütung des Gesellschafter-Geschäftsführers entsprechend anwendbar sein 517. Zwar ist eine (direkte) Anwendung der Grundsätze zum GmbHGeschäftsführer schon deshalb mit Vorsicht zu genießen, weil die Vorgaben zur Vergütung des Gesellschafter-Geschäftsführers wegen der unterschiedlichen Zielset-
513 So für die Feststellung der Angemessenheit beim GmbH-Geschäftsführer Spitaler/Niemann, Die Angemessenheit der Bezüge geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH, 1988, S. 87. 514 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 119. 515 BGHZ 111, 224, 228. 516 Vgl. Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S.203 (210). Bei der GmbH steht die Gefahr verdeckter Gewinnausschüttungen im Zusammenhang mit einer besonders hohen Vergütung an einen Geschäftsführer und der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gesellschafter im Vordergrund der Vergütungsproblematik, während es bei der AG um die Pflicht des Aufsichtsrats zur Beachtung der gesetzlich geforderten Angemessenheit geht, vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 119. 517 Nach Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl. § 35 Rn. 100 soll § 87 AktG zwar nicht unmittelbar gelten. Die Treuepflicht verlange bei Vorhandensein einer Gesellschafterminderheit aber eine entsprechende Anwendung der Vorgaben des § 87 I AktG. Die ganz h. M. wendet sich gegen eine solche analoge Anwendung mit dem Hinweis, § 87 AktG sei Ausfluss der Tatsache, dass in der AG die Vergütung der Führungsorgane ohne Mitwirkung der Anteilseigner festgesetzt werde, vgl. Koppensteiner, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 35 Rn. 98; Hommelhoff/Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anhang § 6, Rn. 31. Gegen eine (direkte) Anwendung der Rechtsprechung zum Gesellschafter-Geschäftsführer im Bereich des Aktienrechts auch Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (210).
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zung der GmbH im Vergleich zur AG dem Grundsatz nach enger sein werden 518. Dennoch spricht die Tatsache, dass für die Prüfung der Angemessenheit im GmbHRecht tendenziell dieselben Kriterien herangezogen werden, wie sie auch im Rahmen des § 87 I AktG für das Aktienrecht gelten 519, zumindest für eine starke Indizwirkung der Rechtsprechung zur Angemessenheit der Vergütung beim Gesellschafter-Geschäftsführer 520. Ähnlich wie der Bundesgerichtshof im Bereich unternehmerischer Entscheidungen geht die Rechtsprechung zum GmbH-Recht davon aus, dass aufgrund der Tatsache, dass die Bezüge des Geschäftsführers nicht taxmäßig vergütet sind und damit unterschiedliche Bewertungen möglich sind, bei der Festlegung der Vergütung für die Gesellschafter ein Ermessen besteht, das gerichtlich nur auf die Einhaltung eines Rahmens überprüfbar ist 521. Den in der Praxis verwendeten äußeren Vergleich lehnt die Rechtsprechung unter Hinweis auf die oben (c) bereits näher dargelegten Schwachpunkte (fehlende Markttransparenz) ab 522. Die Angemessenheit der Geschäftsführervergütung soll sich nach Auffassung des Bundesgerichtshofs vielmehr aus folgenden Faktoren ergeben, die jeweils im Einzelfall zu überprüfen sind: „Art und Größe und Leistungsfähigkeit des Unternehmens, Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Fähigkeiten des Geschäftsführers, sowie […] Umfang und […] Bedeutung der Tätigkeit“ 523. Der Bundesgerichtshof kombiniert mit dieser Formel in der Praxis verwendete Kriterien („Größe des Unternehmens“) mit einem Kriterium des § 87 I AktG, namentlich den Aufgaben des Vorstandsmitglieds („Umfang und Bedeutung der Tätigkeit“) 524. Er stellt jedoch kein Präferenzverhältnis zwischen den in der Praxis entwickelten Kriterien und den in § 87 I AktG genannten Kriterien auf, was angesichts der von der h. M. verneinten direkten Anwendbarkeit des § 87 I AktG auf die Geschäftsführervergütung auch nicht übermäßig verwundert 525.
Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (210). Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 119; Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (210), der im Ergebnis allerdings eine Übertragbarkeit der Kriterien verneint. 520 Ähnlich Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 120. 521 BGHZ 111, 224, (227); BGH DB 1995, S. 957 f. 522 BGHZ 111, 224, (227). 523 BGHZ 111, 224, 228. 524 Daneben muss die GmbH die Gesamtvergütung ihrer Geschäftsführer, insbesondere auch Tantiemezusagen, an den Gewinnaussichten bzw. der wirtschaftlichen Leistungskraft der Gesellschaft ausrichten. Zu diesem Kriterium vgl. BFH DB 1995, S.957; 1005; 1255. 525 Vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 121. 518 519
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e) Die Aussagen des Deutschen Corporate Governance Kodex 526 zur Angemessenheit Der DCGK 527 beschäftigt sich in Ziffern 4.2.2 bis 4.2.4 mit der Vorstandsvergütung. Hier finden sich auch Hinweise auf die Angemessenheit der Vergütung. Im Folgenden sollen die nach Ansicht der Verfasserin wichtigsten Vorschriften des Kodex kurz wiedergegeben werden: Ziffer 4.2.2 Absatz 2: „Die Vergütung der Vorstandsmitglieder wird vom Aufsichtsrat unter Einbeziehung von etwaigen Konzernbezügen in angemessener Höhe auf der Grundlage einer Leistungsbeurteilung festgelegt. Kriterien für die Angemessenheit der Vergütung bilden insbesondere die Aufgaben des jeweiligen Vorstandsmitglieds, seine persönliche Leistung, die Leistung des Vorstands sowie die wirtschaftliche Lage, der Erfolg und die Zukunftsaussichten des Unternehmens unter Berücksichtigung seines Vergleichsumfelds“. Ziffer 4.2.3 Absatz 1 Satz 3: „Sämtliche Vergütungsbestandteile müssen für sich und insgesamt angemessen sein“. Ziffer 4.2.3 Absatz 2 Satz 2: „Aktienoptionen und vergleichbare Gestaltungen sollen auf anspruchsvolle, relevante Vergleichsparameter bezogen sein“. Ziffer 4.2.3 Absatz 3: „Die Grundzüge des Vergütungssystems sowie die konkrete Ausgestaltung eines Aktienoptionsplans oder vergleichbarer Gestaltungen für Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter sollen auf der Internetseite der Gesellschaft in allgemein verständlicher Form bekannt gemacht und im Geschäftsbericht erläutert werden“. Ziffer 4.2.3 Absatz 4: „Der Vorsitzende des Aufsichtsrats soll die Hauptversammlung über die Grundzüge des Vergütungssystems und deren Veränderung informieren“.
Insgesamt lassen sich den genannten Vorschriften im Wesentlichen drei zielführende Parameter – die Bindung variabler Vergütungskomponenten an deren Anreizwirkung, technische Regelungen bei der Ausgestaltung von Aktienoptionen sowie das Petitum der Publizität – entnehmen 528. Der Kodex beschränkt sich mit diesen Zielvorgaben zwar weitgehend auf strategische bzw. formelle Hinweise zur Gestaltung (Struktur) von Vorstandsvergütung und verweist mit den erwähnten Kriterien 526 Die Heranziehung der einschlägigen Regelung (-en) des DCGK zur Konkretisierung der Angemessenheit nach § 87 I AktG widerspricht nicht dem unten in Teil 2 A.III.1.a) bb) festgestellten (und hier zwangsläufig vorwegzunehmenden) Ergebnis der fehlenden Verbindlichkeit des Kodex für das Strafrecht (vgl. auch Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (325)); hier soll nicht die Verbindlichkeit des Kodex für das Strafrecht, sondern allein die aktienrechtliche Angemessenheit, für deren Bestimmung der Kodex eine wichtige Rolle spielt, im Rahmen der vom Aufsichtsrat zu beachtenden materiellen Pflichten näher konkretisiert werden. 527 Vgl. zum DCGK oben A.I.1.a. Der vorliegenden Arbeit liegt die Fassung des DCGK v. 2. Juni 2005 zugrunde, veröffentlicht im Internet unter http://www.corporate-governancecode.de/ger/download/D_CorGov_Endfassung2005.pdf. Die Regelungen zur Vorstandsvergütung entsprechen insoweit der Fassung des Kodex v. 21. Mai 2003, nachzulesen bei Ringleb/ Kremer/Lutter/v. Werder, Kodex Kommentar, S. 1 ff. 528 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (461).
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zur Konkretisierung der Angemessenheit inzident weitgehend auf die gesetzlichen Vorschriften 529. Dennoch enthält der Kodex bei genauerer Betrachtung durchaus auch materielle und funktionale Anhaltspunkte, die im Rahmen der Angemessenheitsprüfung Bedeutung erlangen können und die für den Fortgang der vorliegenden Arbeit für maßgeblich gehalten werden. So will der Kodex in Ziffer 4.2.2 Absatz 2 Satz 1 die Vorstandsvergütung materiell „auf der Grundlage einer Leistungsbeurteilung“ festlegen. Dem lässt sich entnehmen, dass auch für die Frage der Angemessenheit die Leistungsbeurteilung eine Rolle spielen muss – dies ergibt sich bereits aus Ziffer 4.2.2 Absatz 2 Satz 2, wo Kriterium für die Angemessenheit auch die „persönliche Leistung“ des jeweiligen Vorstandsmitglieds sein kann. In funktionaler Hinsicht betrachtet der Kodex die von variablen Vergütungsbestandteilen ausgehende Anreizfunktion für wesentlich auch im Rahmen der Angemessenheit, wenn er in Ziffer 4.2.3 Absatz 1 Satz 2 bestimmt, dass die variablen Vergütungsbestandteile „auch Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung“ enthalten sollen. Aus dieser Betonung der Anreizwirkung in Rahmen der Vergütungsstruktur lässt sich zumindest vorsichtig schliessen, dass die Anreizwirkung als funktionales Kriterium jedenfalls auch Berücksichtigung bei der Beurteilung der Angemessenheit finden muss 530. Auf beide Aussagen wird an gegebener Stelle noch zurückzukommen sein. 3. Die quantitative Begrenzung von Vorstandsvergütung als Vorgabe des § 87 I AktG? Integraler Bestandteil der aktuellen Diskussion über die rechtliche Behandlung von Vorstandsvergütungen ist die Frage, inwiefern Vorstandsvergütungen durch die Einführung von Vergütungsobergrenzen (im Fall von an den Unternehmenserfolg gebundenen Vergütungsbestandteilen sog. absolutes Cap genannt 531) quantitativ zu begrenzen sind. Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist dabei in erster Linie, ob sich aus § 87 I AktG eine Pflicht zur gesetzlichen Festlegung solcher Caps ableiten lässt. Diskutiert wird auch die Sinnhaftigkeit einer optionalen Begrenzung. Beide Begrenzungsmöglichkeiten haben, und dies sei wegen der Offensichtlichkeit des Arguments vorausgeschickt, im Hinblick auf § 87 I AktG ohne Zweifel den Vorteil, die äußere Grenze der Angemessenheit auf den Punkt genau vorgeben zu können, was ein langes „Fischen im Trüben“ nach der Äquivalenz der Zahlung gegenstandslos machen würde: alles, was zahlenmäßig über die festgesetzte Höchstgrenze hinausgeht, wäre unangemessen i. S. d. § 87 I AktG. Durch eine solche exakte Bestimmung der Angemessenheit könnte einer Ausplünderung der Gesellschaft durch Vorstandsmitglieder, die sich auf die Konturenlosigkeit der gesetzlichen Angemessenheitsvorgaben und damit auf die schwierige Nachvollziehbarkeit erhöhter 529 530 531
Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (461). Ebenso wohl Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (461). Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (213).
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Vergütungen verlassen, durchaus wirksam vorgebeugt werden 532. Im Folgenden soll untersucht werden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die genannten Formen der Begrenzung mit den konkreten Vorgaben des § 87 I AktG vereinbar sind. a) Obligatorische Vergütungsobergrenzen de lege lata Dass die staatliche Formulierung von Gehaltshöchstgrenzen kein Allheilmittel gegen überhöhte Vorstandsvergütungen sein kann, zeigt ein Blick sowohl auf die gesetzliche Regelung als auch auf die Praxis. Zunächst, und dies ist maßgeblich, steht dem Bedürfnis nach einer möglichst weitgehenden Konkretisierung des § 87 I AktG im Sinne der Rechtsklarheit der notwendig nach dem konkreten Einzelfall differenzierende Inhalt der Vorschrift selbst entgegen, wonach die Lage der jeweiligen Gesellschaft und der Aufgabenzuschnitt des einzelnen Vorstands maßgebend für die Beurteilung sein sollen 533. Versuche, diese je nach Einzelfall variierenden Besonderheiten de lege lata adäquat zu berücksichtigen, sind im Ergebnis nicht anders zu qualifizieren als als staatliche Gehaltsfestsetzungen 534, die in einer freien Wirtschaft größten Bedenken unterliegen sollten. Zudem gelten, wie stets, die Gesetze der Praxis. So weist Thüsing zutreffend darauf hin, dass überall dort, wo Grenzen aufgezeigt werden, Mittel und Wege gefunden werden, diese zu umgehen 535. Zweifel bestehen auch an der Flexibilität einer Vergütungsobergrenze. Sollte es gelingen, Missbrauchsmöglichkeiten wirksam vorzubeugen, würden Inflation und andere wirtschaftliche Gegebenheiten es notwendig machen, die festgesetzte Grenze regelmäßig anzupassen 536. Überdies ergeben sich Schwierigkeiten bei der praktischen Handhabung einer gesetzlichen Obergrenze. Denn ob die Vergütung die festgesetzte Grenze für ein Geschäfts- oder Kalenderjahr übersteigt, lässt sich erst nachträglich sicher beurteilen 537. Da zu diesem Zeitpunkt aber die Vergütung in der Regel schon ausgezahlt wurde, müsste eine Rückzahlung vereinbart werden 538, was im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der AG nicht unproblematisch ist. § 87 I AktG, der seiner Systematik und seinem Telos nach ein flexibles System der Vergütungsbemessung vorsieht 539, kann demnach zur Begründung einer gesetzlichen Vergütungsobergrenze nicht herangezogen werden. 532 Adams, ZIP 2002, S. 1325 (1344); Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (217). 533 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (216); Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (488). 534 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (488). 535 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (488). 536 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (220). 537 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (220). 538 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (220). 539 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (216).
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b) Optionale Vergütungsobergrenzen Dem Aufsichtsrat als „Herr der Vergütungsentscheidung“ sollte es aber unbenommen bleiben, unter Berücksichtigung der gesetzlichen Merkmale des § 87 I AktG, der Lage der Gesellschaft und des Aufgabenzuschnitts des jeweiligen Vorstandsmitglieds, freiwillig betragsmäßig nicht festgesetzte (individuelle) Vergütungsobergrenzen nach seinem Ermessen festzulegen. 540. Zwar kann ebenso wie bei der gesetzlich vorgegebenen Vergütungsgrenze die praktische Handhabung wegen etwaiger Rückzahlungsverpflichtungen mitunter Schwierigkeiten bereiten 541. Primär bei Vergütungsvereinbarungen mit hohen variablen Anteilen, die in aller Regel die Ursache überhöhter Vergütungen sein werden, ist dies jedoch im Sinne der Rechtsklarheit hinzunehmen 542. Geeignetster Ort für die Festschreibung solcher Caps ist dabei der Anstellungsvertrag, den der Aufsichtsrat in alleiniger Zuständigkeit nach seinem Ermessen gestalten kann 543. Anderes, nämlich die Möglichkeit einer Verankerung in der Satzung, gilt allein für die Begrenzung von Optionen gem. §§ 71 I Nr. 8, 192 II Nr. 3, 193 II Nr. 4 AktG, für deren Bewilligung und Ausgestaltung, als Ausnahme von der Regel, die Hauptversammlung zuständig ist 544. 4. Versuch der weiteren Konkretisierung: Einzelkriterien der Angemessenheit Angesichts der oben dargelegten Unstimmigkeiten zwischen den gesetzlichen Vorgaben und dem Vorgehen in der Praxis soll im Folgenden versucht werden, weitere Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit zu finden. Die untenstehenden Ausführungen werden außerdem eine kritische Untersuchung der Leistungsfähigkeit der gefundenen Kriterien zum Gegenstand haben. a) Relationale Kriterien: Der Vergleich als Anhaltspunkt für die Angemessenheit In der Literatur wird teilweise der Versuch unternommen, die Angemessenheit von Vergütungszahlungen anhand von Vergleichen mit der Vergütung anderer Vorstandsmitglieder oder mit der Vergütung von Angestellten anderer Karrierestufen zu bestimmen. Beiden Vergleichsmaßstäben ist gleichermaßen Kritik entgegenzubringen. Der pauschale Vergleich mit anderen Vorstandsmitgliedern (äußerer VerZu den Bedenken vgl. Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (218). Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (220). 542 Im Ergebnis auch Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (222). 543 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (214); a. A. Lutter, ZIP 2003, S. 737 (739 f.); Spindler, DStR 2004, S. 36 (45); wohl auch Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (491 f.), der auch eine statutarische Festsetzung für sinnvoll hält. 544 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (214). 540 541
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gleich 545) zwingt zu einer Gegenüberstellung des Gehalts des Begünstigten mit anderenorts gezahlten Vergütungen und krankt schon grundsätzlich daran, dass er die besonderen Umstände der Gesellschaft und die konkreten Aufgaben des Begünstigten, also die beiden wesentlichen gesetzlichen Vorgaben, die sich dem Wortlaut des § 87 I AktG entnehmen lassen, außer Acht lässt 546. Will man den Vorgaben der Vorschrift ausreichend Rechnung tragen, so kann allein die von der Gesellschaft im konkreten Fall benötigte bzw. nachgefragte Managementleistung maßgebend für die Feststellung der Angemessenheit sein. Eben dies spricht auch maßgeblich gegen eine allgemeine Gleichbehandlungspflicht von Vorstandsmitgliedern, welche ein äußerer Vergleich schon begrifflich voraussetzt. Ähnlichen Bedenken unterliegt grundsätzlich auch eine Konkretisierung der Angemessenheit durch einen Vergleich mit Angestellten anderer Karrierestufen (sog. innerer Vergleich 547). Ein traditionsreiches Vorbild dieser Form des Vergleichs findet sich nach Thüsing beispielsweise in den Statuten der Carl-Zeiss-Stiftung, die noch in ihrer jüngsten Fassung eine Beschränkung des Vorstandsgehalts auf ein bestimmtes Vielfaches (maximal das Zehnfache) des durchschnittlichen Arbeitnehmerlohns enthalten 548. Gegen diese Vorgehensweise spricht zunächst, dass dem Vorstand über Vergütungsstruktur und -höhe ja gerade ein besonderer Anreiz geschaffen werden soll, den Unternehmensgewinn eben über das von einem Arbeitnehmer erwartete Maß hinaus zu mehren 549. Zudem widerspricht eine solche Forderung nach einer gesetzlichen Verbindlichkeit eines Arbeitnehmerlohnvergleichs für die Feststellung der Angemessenheit, parallel zu obigen Ausführungen, insbesondere der gesetzlichen Vorgabe der besonderen Berücksichtigung der Aufgaben des Vorstandsmitglieds. Wesentlich für die Frage der Angemessenheit von Vergütungszusagen für Vorstandsmitglieder ist im Rahmen der Aufgaben des Vorstandsmitglieds der konkrete Aufgabenzuschnitt und damit die Verantwortungsübertragung an das einzelne Vorstandsmitglied 550; diese Verantwortung ist grundsätzlich hoch, im Vergleich zu einer von einem durchschnittlichen Arbeitnehmer getragenen Verantwortung gar ungleich höher, und rechtfertigt eine entsprechende Gesamtvergütung 551. Dement545 Vgl. die Begrifflichkeit bei Spitaler/Niemann, Die Angemessenheit der Bezüge geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH, 1988, S.78; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 118; vgl. auch oben 2. c). 546 Ähnlich für den GmbH-Geschäftsführer Spitaler/Niemann, Die Angemessenheit der Bezüge geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH, 1988, S. 78. 547 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (472); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 118; Spitaler/ Niemann, Die Angemessenheit der Bezüge geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH, 1988, S. 78. 548 Hierzu Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (472). 549 Spindler, DStR 2004, S. 36 (37). 550 Ähnlich für den GmbH-Geschäftsführer Spitaler/Niemann, Die Angemessenheit der Bezüge geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH, 1988, S. 79, die darauf hinweisen, dass man die Bezüge des Geschäftsführers mit den Bezügen untergeordneter sonstiger Angestellter gar nicht in Vergleich setzen kann. 551 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (221).
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sprechend ist der Ansicht Spindlers explizit zuzustimmen, der in einem aktuellen Aufsatz feststellt, dass „eine eher der arbeitsrechtlichen Tradition verpflichtete Ausrichtung der Vorstandstätigkeit auf den Dienst- bzw. Arbeitscharakter […] der Organstellung und der unternehmerischen Funktion allein nicht gerecht“ werde552. Im Einzelnen konkret festlegen zu wollen, wie viel höher die vom Vorstand getragene Verantwortung beispielsweise gegenüber einem durchschnittlichen Arbeitnehmer tatsächlich ist, erscheint zudem angesichts der Komplexität der Aufgaben des einzelnen Vorstandsmitglieds nahezu unmöglich. Mit dem gleichen Ergebnis hat sich auch die Rechtsprechung zum Problem der verdeckten Gewinnausschüttung beim Gesellschafter-Geschäftsführer, die, wie bereits erwähnt, wegen der Vergleichbarkeit der Situation zumindest Indizwirkung entfalten kann 553, explizit gegen einen Vergleich mit dem Gehaltsniveau anderer Arbeitnehmer ausgesprochen. Der Bundesgerichtshof weist hier darauf hin, dass ein solcher Vergleich nicht gewährleiste, dass nicht das gesamte Vergütungssystem unangemessen sei, weshalb die Verwendung eines Vergleichs zur Feststellung der Angemessenheit der Vergütung rechtsirrig sei 554. Aus diesem Grund können auch Vergütungsobergrenzen, die ein enormes Vielfaches der Arbeitnehmervergütung wiederspiegeln, nicht die Angemessenheit der Vergütung gewährleisten. In der Literatur wurde jüngst vorgeschlagen, für Vorstände das 150fache eines durchschnittlichen Arbeitnehmerverdienstes 555 als Vergütungsobergrenze festzuschreiben 556. Zwar kann diesem Vorschlag angesichts der gewählten Zahlen nicht vorgeworfen werden, er vernachlässige die ungleich höheren Verantwortungs- und Kompetenzanforderungen eines Vorstands im Vergleich zum Arbeitnehmer; es ist davon auszugehen, dass eine auf das 150fache des durchschnittlichen Arbeitnehmerverdienstes abstellende Vergütungsobergrenze insofern ausreichend Spielraum für die Berücksichtigung von Unterschieden bei der Aufgabenzuweisung der einzelnen Vorstandsmitglieder lässt. Hier müsste, der Vorgabe des Bundesgerichtshofs folgend, aber zunächst der Nachweis möglich sein, dass die Arbeitnehmervergütung selbst angemessen ist. Spindler, DStR 2004, S. 36 (37). Vgl. oben 2.d); a. A. Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (210). 554 BGHZ 111, 224 (228). 555 Im Jahr 2001 betrugen die durchschnittlichen Arbeitnehmerkosten in Deutschland 31 900 Euro. Multipliziert mit 150, ergäbe sich als höchstzulässiger Verdienst für Vorstandsmitglieder 4,785 Millionen Euro per annum, vgl. Adams, ZIP 2002, S. 1325 (1344), ders., in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (356). 556 Adams, ZIP 2002, S. 1325 (1344), ders., in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (356). Grund für die Festlegung einer solchen am Arbeitnehmerverdienst orientierten Obergrenze dürften Bedenken sein, dass sich die „american disease“ (in den USA verdient die Topriege der CEOs an einem einzigen Tag inzwischen mehr als ein durchschnittlicher Arbeiter in einem Jahr, vgl. Leonhardt, Report on executive pay: Order of compensation universe reflects pull of new economy, New York Times v. 2. April 2000, Section 3, S. 1 und unten II.5.b) aa)) auch in Deutschland ausbreiten könnte. 552 553
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Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass weder der äußere Vergleich mit der Vergütung anderer Vorstandsmitglieder noch der innere Vergleich mit der Vergütung durchschnittlicher Arbeitnehmer ohne Weiteres geeignet ist, das Angemessenheitserfordernis des § 87 I AktG weiterführend zu konkretisieren. Beide Vergleichsmethoden lassen die notwendige Einzelfallbezogenheit des § 87 I AktG außer Acht, die ein flexibles System der Vergütungsbemessung zugrundelegt 557. b) Die Leistungsfähigkeit funktionaler Kriterien Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern die Ermittlung der Angemessenheit sich auf funktionale Kriterien stützen kann. Besondere Beachtung verdient hier insbesondere die Frage, inwiefern die Anreizwirkung, die modernen Vergütungsbestandteilen zugesprochen wird, überhaupt ein taugliches Kriterium der Angemessenheitsprüfung sein kann, sowie die Frage, ob hohe Vergütungszusagen sich durch einen etwaigen Turniercharakter, welcher der Anwerbung von Führungskräften möglicherweise zukommt, rechtfertigen lassen. aa) Annahmen über die Anreizwirkung neuartiger Vergütungssysteme Theoretische Grundlage der Anreizwirkung moderner Vergütungsformen ist vorrangig die eingangs bereits besprochene Principal-Agent-Theory, die über die Schaffung von Anreizen im Rahmen von Vergütungsvereinbarungen Konflikte zwischen Anteilseignern (Principals) und Managern (Agents) minimieren will 558. Die funktionale Bedeutung, die diesen Vergütungsinstrumenten mit Anreizwirkung heutzutage zukommt, verdeutlicht auch Ziffer 4.2.3 Satz 2 des Deutschen Corporate Governance Kodex, der bestimmt: „Die variablen Vergütungsbestandteile sollten einmalige sowie jährlich wiederkehrende, an den geschäftlichen Erfolg gebundene Komponenten und auch Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter enthalten.“
Vor diesem Hintergrund könnte man durchaus auf die Idee kommen, die Anreizwirkung moderner Vergütungsinstrumente als funktionales Kriterium in die Angemessenheitsprüfung einzubeziehen. Wäre dies der Fall, so könnten hohe Vergütungszusagen gegebenenfalls über den Verweis auf deren Anreizwirkung gerechtfertigt werden. Eine solche Argumentation setzt freilich die Tauglichkeit der Anreizwirkung als Kriterium der Angemessenheit zwingend voraus, die in jüngerer Zeit vermehrt Zweifeln ausgesetzt war 559. Gestützt wird die Kritik an anreizorientierten 557 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 203 (216); ähnlich Spitaler/Niemann, Die Angemessenheit der Bezüge geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH, 1988, S. 79 in bezug auf den GmbH-Geschäftsführer. 558 Vgl. zum Principal-Agent-Modell oben A.I.1.b) aa). 559 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 86 ff.; Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (473 ff.).
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Vergütungselementen vornehmlich auf drei Einwände, die gegen eine Bedeutsamkeit der Anreizwirkung im Rahmen der Angemessenheit sprechen. Zum einen wird darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit der Schaffung von Anreizen vorrangig die Ausgestaltung und damit die Struktur der Vergütung, nicht aber die Höhe der Vergütung begründe 560. Zum anderen wird kritisiert, dass bereits die Grundannahme, durch moderne Vergütungsinstrumente ließe sich eine größere Anreizwirkung auf die Unternehmensführung ausüben, nicht praktisch nachgewiesen sei 561. Schließlich werden grundsätzliche Einwände gegen die Geltungs- und Aussagekraft des Principal-Agent-Modells mit der Behauptung geltend gemacht, dass es auf unzutreffenden Prämissen beruhe 562. Vornehmlich dem ersten Kritikpunkt, dass nämlich die Einführung moderner Vergütungsinstrumente (insbesondere von Aktienoptionen) nicht allein, wie dies die Anreizschaffung grundsätzlich nahe legt, zu einer Umschichtung, sondern vorrangig zu einer Erhöhung der Vorstandsgehälter geführt hat, ist grundsätzlich einzuräumen, dass zwar eine Erhöhung des Gehalts grundsätzlich Anreizwirkung entfalten kann, der eigentliche Anreiz aber stets in der Verwendung variabler Vergütungsinstrumente als solcher und damit in der Zusammensetzung der Vergütung liegt 563. Insbesondere scheint die Annahme, „dass ein Vorstand bei einem achtstelligen Gehalt eher im Sinne der Gesellschaft handeln würde als bei einem siebenstelligen Jahressalär“564, richtigerweise eher fern liegend 565. Dementsprechend kann eine unterstellte Anreizwirkung auch stets nur die Wahl des Vergütungsinstruments an sich, nicht aber dessen absolute Höhe rechtfertigen 566. Dass die Anreizwirkung aber grundsätzlich ein taugliches Kriterium im Rahmen der Vergütungsentscheidung darstellen kann, ergibt sich primär aus dem Fehlen einer ernstzunehmenden Alternative zur effektiven Kontrolle des Managements 567. Während zwar eine tatsächliche wirtschaftswissenschaftliche Signifikanz der Reaktion des Kapitalmarkts und damit des Erfolgs des Unternehmens auf anreizorientierte Vergütungsformen nicht nachweisbar ist 568, lässt sich zumindest ein grundsätzlich positiver Einfluss moderner Vergütungsformen auf die Leistungsbereitschaft von Führungskräften, der sich jedenfalls über ein verbessertes Unternehmensgefühl äuThüsing, ZGR 2003, S. 457 (473 f.); Hucke, AG 1994, S. 397 (400). Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 86 f.; Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (477); Hucke, AG 1994, S. 397 (400). 562 Vgl. hierzu Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (475). 563 Spindler, DStR 2004, S. 36 (41). 564 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (474). 565 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (474). 566 Weiter aber Hucke, AG 1994, S. 397 (400), die auf die motivierende Wirkung hoher Managerbezüge verweist. 567 So wohl auch Spindler, DStR 2004, S. 36 (41 f.). 568 Vgl. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 87, unter Verweis auf US-amerikanische Studien. 560 561
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ßert, feststellen 569. Dies mag zwar zur Folge haben, dass der Anreizvorzug moderner gegenüber traditionellen Vergütungsinstrumenten geringer ist als von den Vertretern der Principal-Agent-Theory angenommen – seine Existenz ist aber nicht zu leugnen 570. Der Kritik an der Principal-Agent-Theory, dass bereits deren Grundannahme, nämlich die Bevorzugung nachlässiger Arbeit und die Verfolgung eigenständiger finanzieller Interessen durch Vorstandsmitglieder, unzutreffend sei, weil unter anderem die Steigerung des Marktwertes der Führungskraft und die Chance seiner Wiederbestellung Motivation genug seien 571, ist entgegenzuhalten, dass das damit implizit vorgeschlagene Konzept, nämlich eine Regulierung und Kontrolle von Vorstandstätigkeit über Reputations- bzw. Arbeitsmärkte, im Ergebnis nicht tragfähig ist. Sowohl Reputations- als auch Arbeitsmarkt als Anreizfaktoren fehlt nämlich die Flexibilität, die Vergütungsinstrumenten durch ihre Vielgestaltigkeit zukommt 572. So muss bei reiner Regulierung durch diese Instrumente ein nicht sonderlich erfolgreiches Vorstandsmitglied vor Ablauf der fünf Jahre, für die es bestellt wurde, mit keinerlei Sanktionen rechnen 573. Hinzu kommt, dass aufgrund der zumindest mancherorts auftretenden Kooptation zwischen Vorstand und Aufsichtsrat deutscher Publikumsgesellschaften durchaus Defizite in der Funktionsfähigkeit eines solchen Reputations- und Arbeitsmarkts anzumelden sind574. Schließlich bleibt beiden theoretischen Kontrollfaktoren jede Anreizwirkung versagt, wenn sich die jeweiligen Vorstandsmitglieder in der letzten Amtsperiode befinden oder zumindest damit rechnen, dass die gegenwärtige Amtsperiode die letzte sein wird („final-period-Situation“). Auch eine Regulierung über Reputations- bzw. Arbeitsmarkt, die lediglich nachträgliche Sanktionen ohne Einfluss auf die gegenwärtige Amtsperiode der Führungskraft hat, sieht sich damit erheblichen faktischen Problemen ausgesetzt und kann wegen der fehlenden Flexibilität im Vergleich zu Vergütungsinstrumenten kein echtes Alternativkonzept zur Strategie einer Zisellierung über die Vergütungsstruktur darstellen, wie sie die Principal-Agent-Theorie vorschlägt 575. Trotz teilweise berechtigter Kritik ist die Anreizwirkung moderner Vergütungssysteme hauptsächlich wegen ihres beispiellosen Motivationscharakters, dem andere Konzepte nichts entgegenhalten können, integraler Bestandteil der Vergütungsentscheidung, die in der Tat die causa der Zahlung zu bestimmen vermag und damit das „Ob“ der Zahlung (Bestehen eines Zahlungsanlasses) maßgeblich beeinflussen kann 576. 569 570 571 572 573 574
Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 89; Hucke, AG 1994, S. 397 (400). So wohl auch Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 89. So z. B. Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (476). Spindler, DStR 2004, S. 36 (41). Spindler, DStR 2004, S. 36 (42). Spindler, DStR 2004, S. 36 (42); Weiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999,
S. 58. Im Ergebnis ebenso Spindler, DStR 2004, S. 36 (42). Explizit insoweit der Bundesgerichtshof in seiner Revisionsentscheidung zum Fall Mannesmann, vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (524) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216). So wohl auch LG Düsseldorf, ZIP 2004, 2044 (2050) = NJW 2004, S. 3275 (3279f.), das die Anreizwirkung 575 576
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bb) Price of the Tournament 577 Als weiteres funktionales Kriterium kommt die allgemeine Wettbewerbssituation auf dem Markt für Führungskräfte in Betracht. So wird insbesondere in den USA teilweise versucht, hohe Vorstandsvergütungen über deren Qualifizierung als Preis für den Wettbewerb zwischen den Bewerbern um eine Führungspostion zu rechtfertigen (Turniergedanke) 578. Junge Führungskräfte gäben sich mit niedrigeren Gehältern zufrieden, um beim Wettkampf um den ersten Preis, den CEO-Posten, zu gewinnen 579. Die Theorie hält allerdings einer kritischen Überprüfung nur ungenügend stand. Wettkämpfe dieser Art haben dann wenig Motivationswirkung, wenn ein Teilnehmer bereits in der Anfangsphase vorhersehbar als Sieger hervorgehen wird 580. Darüber hinaus wird ein solcher Wettbewerb in aller Regel wettbewerbswidrige Absprachen und Manipulationen fördern 581. Studien legen nahe, dass die Vergütungsungleichheiten, die infolge solcher Turniersituationen bestehen, zu schlechterer Arbeitsmoral und höherer Fluktuation im Arbeitnehmerlager führen582, was zwar nicht der Richtigkeit der Theorie als solcher widerspricht, jedoch ein Hinweis auf die in praxi negativen Effekte einer solchen Turniersituation ist 583. Zudem spricht gegen diese Theorie häufig die Praxis der Anstellung. So weist Thüsing zu Recht darauf hin, dass der Führungsposten in praxi oftmals an Nicht-Firmenangehörige geht, eine Tatsache, die mit dem Turniergedanken dann kollidiert, wenn diese Praxis eine gewisse Regelmäßigkeit aufweist 584. Schließlich steht der empirische Nachweis der Richtigkeit der Theorie bisher noch aus 585. Hierzulande spricht auch die nach dem Kollegialprinzip aufgeteilte Führungsverantwortung grundsätzlich gegen die Überzeugungskraft einer solchen „Karrierelotterie“ 586. All dies schließt freilich nicht gänzlich aus, dass der Turniergedanke hohe Vorstandsvergütungen im Einzelfall (mit) zu begründen vermag. Der angesichts der geltend gemachten Einwände aber grundsätzlich gebotene vorsichtige Umgang mit einem „Rechtfertigungsgrund Turniergedanke“ macht es zumindest erforderlich, dass im Einzelnen der Nachweis erim Anschluss an die gesetzlichen Merkmale des § 87 I AktG im Rahmen der Angemessenheit prüft. 577 Vgl. hierzu Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (480). 578 Lazear/Rosen, Rank-Order Tournaments as Optimum Labor Contracts, 89 Journal of Political Economy (1981), S. 841 f.; Bebchuk/Fried/Walker, Managerial Power and Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 751 (843). 579 Grundlegend Lazear/Rosen, Rank-Order Tournaments as Optimum Labor Contracts, 89 Journal of Political Economy (1981), S. 841 (844 ff., 847). 580 Dye, The Trouble with Tournaments, 22 Economic Inquiry (1984), S. 147. 581 Dye, The Trouble with Tournaments, 22 Economic Inquiry (1984), S. 147 (148). 582 Adams, ZIP 2002, S. 1325 (1332) unter Hinweis auf US-amerikanische Studien. 583 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (480). 584 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (480). 585 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (480). 586 Weiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999, S. 139.
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bracht wird, dass die entsprechend höhere Vergütungszusage in der Tat auf einer turnierähnlichen Wettbewerbssituation beruht hat. c) Zwischenergebnis: Konkretisierung der Angemessenheit nur im Einzelfall möglich Die vorangegangegen Ausführungen zeigen, dass eine Konkretisierung der aktienrechtlichen Angemessenheit nur im konkreten Einzelfall erfolgen kann. Die gesetzlichen Merkmale der Aufgaben des Vorstandsmitglieds und der Lage der Gesellschaft sind zwar wesentliche Parameter der Angemessenheit. Auch sie bedürfen aber der inhaltlichen Ausfüllung. Die Formulierung einer allgemeingültigen fallübergreifenden Definition der Angemessenheit ist angesichts der gegenwärtigen weiten Fassung des § 87 I AktG und der Komplexität der Vergütungsentscheidung, deren Ausgestaltung stets maßgeblich von spezifischen ökonomischen Gegebenheiten rund um die Lage der Gesellschaft und der Person des jeweiligen Begünstigten abhängt, ein Ding der Unmöglichkeit. Allerdings lässt sich § 87 I AktG folgendes Telos entnehmen, welches die Vergütungsentscheidung gewissermaßen als „kleinsten Nenner“, als generelle Grundvoraussetzung bei der Festsetzung, zu beachten hat: angemessen ist die Vergütungszusage, wenn ihr eine äquivalente Gegenleistung des Vorstands gegenübersteht 587. Diese allgemein gehaltene Formel muss im Einzelfall über die oben dargestellten Kriterien konkretisiert werden. Maßgebliches Kriterium für die Feststellung der Angemessenheit ist dabei vorrangig der Marktpreis des Vorstandsmitglieds. Heranzuziehen sind außerdem die gesetzlichen Merkmale „Aufgaben des Vorstandsmitglieds“ und (gesamtwirtschaftliche) „Lage der Gesellschaft“, die gegebenenfalls durch in der Praxis entwickelte Kriterien wie beispielsweise besondere Fähigkeiten, Kenntnisse, Erfahrungen, längere Vorstandstätigkeit, Position des Vorstandsmitglieds in der AG, Maß an Verantwortung sowie haftungs- oder strafrechtliche Risiken auszufüllen sind. Eine besondere Rolle bei der Prüfung der Angemessenheit und dementsprechend bei der Festsetzung der Vorstandsvergütung können zudem trotz teilweise erhobener Einwände die Anreizfunktion moderner Vergütungsinstrumente sowie die Entwicklung des Aktienkurses spielen. Beide Kriterien sind direkte Ausflüsse der beiden theoretischen Grundlagen moderner Vergütungsinstrumente. Während die Anreizwirkung moderner Vergütungsformen dogmatisch auf die Principal-Agent-Theorie zurückgeht, rechtfertigt sich die Berücksichtigung des Aktienkurses im Rahmen der Vergütungsentscheidung zumindest partiell mit dem Shareholder-Value Ansatz, der den Aktionärsinteressen eine Vorrangstellung im Unternehmen einräumt.
587
Vgl. auch Brauer, NZG 2004, S. 502 (503 f.).
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5. Global pay for global executives? Die Anlegung US-amerikanischer Maßstäbe im Rahmen des § 87 I AktG Besondere Beachtung im Zusammenhang mit dem Fall Mannesmann hat die Frage gefunden, ob die aktienrechtliche Angemessenheit durch internationale Vergütungsmaßstäbe beeinflusst werden kann. Verwiesen wird dabei vornehmlich auf USamerikanische Vergütungspraktiken – US-Unternehmen zahlen noch immer die weltweit höchsten Vorstandsvergütungen. Freilich setzt die Übertragung internationaler Vergütungsmaßstäbe ähnlich den Grundsätzen analoger Rechtsanwendung, für die zunächst eine (planwidrige) Regelungslücke vorliegen muss, schon denknotwendig voraus, dass ein Bedürfnis nach einer solchen Übertragung besteht. Weiterhin ist für eine Übertragbarkeit zu verlangen, dass die der Vergütungsentscheidung zugrunde liegende Situation in beiden Ländern parallel oder zumindest vergleichbar ist. Denkbar sind insgesamt zwei Konstellationen, in denen internationale Maßstäbe im deutschen Recht eine Rolle spielen könnten: erstens generell bei der Vergütung deutscher Manager in (rein) deutschen Unternehmen – dies betrifft im Allgemeinen die Frage der Gehaltsanpassung; und zweitens bei der Übernahme eines US-amerikanischen Unternehmens durch ein deutsches Unternehmen – allein dieser Konstellation ist ein internationales Moment immanent. a) Das Bedürfnis nach internationalen Vergütungsstandards in deutschen Unternehmen Anhaltspunkte für eine Übertragbarkeit US-amerikanischer Vergütungsstandards kann allein § 87 I AktG geben, der jedoch, wie ausgeführt, keine konkreten Angaben über Art und Weise der Vorstandsvergütung enthält, sondern nur als Richtlinie für das dienen kann, was angemessen ist. Die flexible Formulierung der Vorschrift deutet indes bereits an, dass, sollte dies aus noch zu untersuchenden Gründen notwendig erscheinen, eine Einbeziehung internationaler Standards nach der gegenwärtigen Gesetzeslage möglich erscheint. So lässt sich keinem der gesetzlichen Merkmale des § 87 I AktG, weder der „Lage der Gesellschaft“ noch den „Aufgaben des Vorstandsmitglieds“, eine zwingende Beschränkung auf nationale Vergütungspraktiken entnehmen. Die notwendige Einzelfallbezogenheit beider Merkmale weist vielmehr darauf hin, dass einer Vergütungsangleichung bei entsprechender sachlicher Rechtfertigung nichts im Wege steht. Wesentliches Kriterium für die Möglichkeit der Heranziehung internationaler Standards in deutschen Vergütungsvereinbarungen ist damit die konkrete Situation und das sich aus ihr etwaig ergebende Bedürfnis nach einer solchen Heranziehung, welches Gegenstand der folgenden Ausführungen sein soll.
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aa) Generelle Übertragbarkeit auf die deutsche Vergütungspraxis? Einige Autoren bejahen die Signifikanz US-amerikanischer Vergütungsstandards auch für nicht-amerikanische Unternehmen mit dem Verweis auf die Globalisierung 588 und die damit einhergehende „Internationalisierung“ der Vorstandstätigkeit 589. Freilich kann diese sehr allgemeine Aussage aus rechtlicher Sicht so nicht stehen bleiben. So ist zunächst festzustellen, dass bei gänzlich fehlendem Auslandsbezug (kein Zusammenschluss mit einem international tätigen Unternehmen, keine Anstellung einer internationalen Führungskraft) eine Anhebung der Vorstandsvergütung mit dem Verweis auf internationale Gepflogenheiten (denknotwendig) nicht begründet werden kann 590. Maßgeblich sind allein die Gegebenheiten des konkreten und sachlichen Marktes, auf dem ein Unternehmen seine Führungskräfte rekrutiert 591. Dies ergibt sich im Verhältnis zum maßgeblichen US-Recht bereits aus der Tatsache, dass der deutsche Vorstandsvorsitzende rechtlich wie in praxi nicht die umfassende Machtfülle eines US-amerikanischen CEO besitzt592. Schon aus diesem Grund vermag er eben auch nicht ähnlich große Stücke aus dem „Vergütungskuchen“ herauszuschneiden 593. Die Literatur fordert denn auch, dass, sollen internationale (US-amerikanische) Maßstäbe auch in deutschen Unternehmen gelten, zunächst die Feststellung getroffen werden müsse, dass deutsche Manager mit ihren internationalen Kollegen tatsächlich im Wettbewerb um die höher vergüteten Führungspositionen stehen 594. Eine solche „internationale“ Wettbewerbssituation soll z. B. dann bestehen, wenn der Aufsichtsrat einen Bewerber gewinnen möchte, der in einem US-amerikanischen Unternehmen tätig ist oder aber zumindest nachweislich Aussichten hat, dort tätig zu werden – Voraussetzung ist somit die Gefahr, das gewünschte oder bereits angestellte Vorstandsmitglied an internationale Wettbewerber zu verlieren 595. Die Seltenheit des Wechsels eines deutschen Top-Managers in eine US-amerikanische Gesellschaft bezeugt aber, dass eine Vermutung, deutschen Führungskräften stünden US-amerikanische Vergütungen offen, eben gerade nicht besteht 596. Insofern lässt sich feststellen: wo kein konkreter Auslandsbezug vorliegt, Kallmeyer, ZIP 2002, S. 1663. Kroll, Luisa, „Warning: Capitalism is contagious“, in: Forbes Magazine v. 18. Mai 1998, S. 220, 221: „With this internationalizing of the executive talent market, companies everywhere must pay international scales“. 590 So wohl auch Kallmeyer, ZIP 2002, S. 1663, der sich auf den internationalen Markt, also wohl auf international tätige Konzerne, bezieht („weltweite Nachfrager“). 591 Weiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999, S. 138. 592 Ausführlich unten b) bb). 593 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (305). 594 Thüsing, ZGR 2003, 457 (471); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116). 595 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116); Fonk, in: Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 113. 596 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (116); eine solche Ausnahme stellte der ehemalige CEO von Compaq Computers, Eckhard Pfeiffer, dar, der jedoch vor seinem Wechsel zu Compaq bereits lange Jahre bei Texas Instruments beschäftigt war, vgl. Balsam, Executive Com588 589
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wo also weder eine umfangreiche Abwicklung der Geschäfte einer deutschen Unternehmensbasis mit dem Ausland (insbesondere USA) stattfindet noch wo ein Zusammenschluss eines deutschen Unternehmens mit einem internationalen Unternehmen im Raum steht, ist die Anlegung internationaler, insbesondere US-amerikanischer Maßstäbe wegen fehlendem Gehaltsangleichungsbedürfnis nicht zu befürworten. Ein Beispiel für eine solche fehlende Auslandsberührung ist der bereits mehrfach erwähnte Fall Mannesmann, wo die Zahlungen nicht einem irgendwie gearteten und in die Zukunft gerichteten Leistungsanreiz wegen der Übernahme durch die britische Vodafone AirTouch (in Großbritannien sind die Vorstandsgehälter im Übrigen nicht signifikant höher, vgl. unten b) aa)), sondern der Leistungsbelohnung bzw. der Abfindung wegen Vertragsbeendigung dienen sollten. bb) Übertragbarkeit bei konkretem Auslandsbezug Besteht ein solcher Auslandsbezug (zu den USA), so fragt sich, wie genau die von der deutschen Literatur überwiegend geforderte Wettbewerbssituation auszusehen hat, um eine Relevanz US-amerikanischer Vergütungspraktiken auch für deutsche Vorstände auslösen zu können. In diesem Zusammenhang wird in der einschlägigen US-Literatur teilweise der Zusammenschluss der DaimlerBenz AG mit Chrysler angeführt, infolgedessen die DaimlerBenz AG fast 395 Millionen US-Dollar (vornehmlich in Form von Aktienoptionen) an 30 Chrysler Vorstände auszahlen musste, was Daimler dazu veranlasste, die Zahlungen an die eigene Vorstandsriege deutlich zu erhöhen 597. Heute könnte einer solchen Vorgehensweise freilich bereits § 33 d WpÜG entgegenstehen, der Zahlungen des Übernehmers an Vorstandsmitglieder des übernommenen Unternehmens unter bestimmten Voraussetzungen für unzulässig erklärt 598. Die rechtliche Zulässigkeit einmal unterstellt, ist nach der hier vertrepensation, 2002, S. 277. Weiter insofern Liebscher, in: Beck’sches Handbuch AG, § 6 Rn. 77, allerdings nur mit Blick auf die globale Verbreitung von Aktienoptionsprogrammen. 597 Vgl. dazu Ewing, Baker, Echikson, Capell: “All the companies on the Dax 30 and most of the companies on the Dax 100 have either linked the pay to share performance or are planning to do so soon…. The main reason is globalization. When Daimler Benz took over Chrysler Corp. last year, CEO Jürgen Schrempp had to confront the fact that Chrysler CEO Robert Eaton, who earned over 11 Mio. US-Dollar in 1997, including exercised options, appears to have made more than the rest of Daimler’s management board members put together. Worse, Daimler had to pay out 395 Mio. US-Dollar, primarily in stock, to Chrysler’s top 30 executives to cash out their options. Since cutting the pay of Chrysler managers wasn’t possible, Daimler was forced to boost pay for its own execs”. In: „Eager Europeans press their noses to the glass“, Business Week, 19. April 1999, S.40; ähnlich auch Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S.295 (312): „Auch der Hintergrund der Übernahme einiger US-Unternehmen durch nicht amerikanische Unternehmen hatte als Motiv die damit eröffnete Möglichkeit, durch Hinweis auf die US-Bezahlung im Tochterunternehmen im eigenen, noch nicht von der ‚amerikanischen Krankheit‘ angesteckten Heimatland ähnlich exzessive Vergütungen durchzusetzen“. 598 § 33 d WpÜG lautet: „Dem Bieter und mit ihm gemeinsam handelnden Personen ist es verboten, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern der Zielgesellschaft im Zusammenhang mit dem Angebot ungerechtfertigte Geldleistungen oder andere ungerechtfertigte geldwerte Vorteile zu gewähren oder in Aussicht zu stellen“. Die Vorschrift wurde vor dem Hintergrund
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
tenen Ansicht auch im oben dargestellten Fall von einer zumindest wettbewerbsähnlichen Situation und damit einer grundsätzlichen Angleichungsmöglichkeit auszugehen. Zur Verdeutlichung soll eine Kontrollüberlegung dienen: hätte Daimler die Top 30 Vorstände nicht abgefunden, sondern im Vorstand des neuen Konzerns behalten, so wäre es nach überwiegender Ansicht der Literatur gerechtfertigt gewesen, der gesamten Vorstandsriege US-amerikanische Gehälter zu zahlen 599. Die Tatsache, dass die ehemaligen Chrysler-Vorstände im Unternehmen keinen Platz mehr hatten, kann im Umkehrschluss nicht dazu führen, dass dem deutschen Vorstand, der im nunmehr international tätigen Unternehmen dieselbe Position ausfüllt, eine ähnlich hohe Vergütung verwehrt wird. Auch für den Fall, dass ein deutscher Vorstand eine vorher US-amerikanisch besetzte Führungsposition beerbt, kann, ähnlich der in der Literatur vertretenen Argumentationslinie des internationalen Wettbewerbs um eine Vorstandsposition, eine der international gezahlten Vergütung entsprechende Vergütungserhöhung gewährt werden – dies wird im Übrigen bereits die Anreizfunktion gebieten, die modernen Vergütungsinstrumenten zugesprochen wird und die auch hohe Vergütungen zu rechtfertigen vermag. In einem System, in dem mit Leistungsanreizen Erfolg gefördert werden soll, erscheint es widersinnig, eben diese Anreize durch Bestehenlassen eines Vergütungsgefälles wirkungslos werden zu lassen. Auch spricht § 87 I AktG selbst, der vom konkreten Aufgabenzuschnitt des Vorstands ausgeht, für eine Angleichung im genannten Fall: vergrößern sich durch die zusätzliche Übertragung der durch die Übernahme frei gewordenen Aufgabenbereiche Machtfülle und Verantwortungsbereich des Vorstands, so vergrößert sich der Aufgabenbereich an sich, worauf der Aufsichtsrat durchaus mit einer Steigerung der Vergütung reagieren kann. Hinzu kommt, dass auf der Grundlage der Anreizwirkung von Vergütungsinstrumenten die Übernahme zusätzlichen unternehmerischen Risikos durch Annahme oder Übernahme einer Vorstandsposition in einem international tätigen Unternehmen auch zusätzlich vergütet werden muss 600. Bei international tätigen Unternehmen hat sich der Vergleichsmaßstab mithin nicht auf Vorstandsbezüge deutscher Unternehmen zu beschränken; die Heranziehung weitaus höherer Gehälter, insbesondere US-amerikanischer Vergütungen, ist also grundsätzlich möglich. Zu verlangen ist aber konsequenterweise, dass das in Betracht kommende Unternehmen tatsächlich auch einen umfangreichen Teil seiner Geschäfte im Ausland mit höheren Vorstandsbezügen abwickelt, da sonst kaum die Gefahr eines Leistungsgefälles mit dem Ausland besteht 601. des Falles Mannesmann in den Referentenentwurf übernommen (vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 33 Rn. 324), ist auf diesen aber im Ergebnis gar nicht anwendbar, da nicht Vodafone AirTouch, sondern die Mannesmann AG selbst die Zahlungen bewilligt und geleistet hat. 599 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (471), der aber darauf hinweist, dass das Mandat US-amerikanischer Vorstände mit anderen Haftungsrisiken verbunden sein kann als dasjenige des deutschen Kollegen, weshalb für Vorstände von Unternehmen, die ihren Sitz in den USA haben, auch eine andere Kompensation stattzufinden habe. 600 Weiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999, S. 139. 601 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 14; Kallmeyer, ZIP 2002, 1663.
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C. Grenzen der Vergütungsentscheidung
Insofern bleibt es jedoch dabei, dass die Angleichung an internationale Maßstäbe keineswegs zwingend erfolgen muss; sie steht allein im pflichtgemäßen Ermessen des Aufsichtsrats. Ein Anspruch auf eine höhere oder auch nur angemessene Vergütung des Vorstands lässt sich § 87 I AktG nämlich, wie gesehen, nicht entnehmen. b) Die Vergleichbarkeit deutscher und US-amerikanischer Vergütungssysteme Gegen eine Übertragbarkeit US-amerikanischer Vergütungsmaßstäbe könnten aber maßgeblich die Unterschiede in den jeweiligen Unternehmensverfassungen beider Rechtssysteme sprechen. Im Folgenden soll durch Beleuchtung der Vergütungssituation in den USA festgestellt werden, inwiefern die deutsche und die USamerikanische Vergütungspraxis überhaupt kompatibel sind. An dieser Stelle wird auch auf die Entwicklung der US-amerikanischen Vorstandsvergütung einzugehen sein, die möglicherweise ganz eigenen und damit nicht übertragbaren Regeln folgt. aa) Die Vergütungssituation in den USA
Executive com pensation $7
66%
$6
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E quity-bas ed P ay
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S ala ry & B onus
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Median CEO Pay ($ millions)
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© Brian J. H all 200 2
Abbildung: Die durchschnittliche Vorstandsvergütung in den USA unter Berücksichtigung des Anteils variabler Vergütungsanteile in 2001 US-Dollar 602 602 Quelle übernommen mit freundlicher Genehmigung von Professor Brian J. Hall, Harvard Business School, Boston, USA (Hall, Six Challenges in Designing Equity-Based Pay, The Journal of Applied Corporate Finance, Volume 15, No. 3, Spring 2003, S. 21 (23)).
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
“In the year 2000, the average chief executive officer (‘CEO’) of a major public U.S. corporation earned about 20 million [US Dollars]. Currently, executive pay is 531 times greater than the average worker’s pay and six times larger than what CEO’s were receiving in 1990.” 603 Das obige Zitat verdeutlicht das Ausmaß des Vergütungsanstiegs im US-amerikanischen Managermarkt seit Anfang der 90er Jahre. Von 1990 bis 2002, in einem Zeitraum von nur 12 Jahren also, schoss die Vergütung für Spitzenmanager um enorme 279 % in die Höhe, was in scharfem Kontrast zum Anstieg des Standard&Poor 500 Aktienindexes um lediglich 166 % im selben Zeitraum steht 604. Allein im Jahr 1999 stieg die durchschnittliche Vergütung von führenden US-Managern im Vergleich zu den Vorjahren um zusätzliche 23 % an 605. Inzwischen verdient ein US-Topmanager an einem einzigen Tag mehr als der durchschnittliche US-amerikanische Arbeiter in einem Jahr 606 - während die Löhne des durchschnittlichen rank-and-file workers in den letzten 20 Jahren (inflationsbereinigt) um lediglich 15 % wuchsen, explodierte die Vergütung für US-amerikanische Führungskräfte im selben Zeitraum um insgesamt fast 600 % 607. Die einzige Gruppe, die in diesem Zeitraum ähnliche Erfolge in ihrer Vergütungshöhe zu verzeichnen hatte, waren Filmsuperstars und Profisportler 608. Zur öffentlichen Kontroverse wurde der Vergütungsanstieg, der im Grunde schon seit Anfang der 90er Jahre bekannt war, aber erst mit der dramatisch schlechten Wirtschaftsentwicklung Anfang des neuen Jahrtausends 609. Die immer häufiger an die Öffentlichkeit gelangenden Fälle von „managerial greed“ wurden für viele Beobachter zum Sinnbild einer von moralischer Ungehörigkeit geprägten Wirtschaftsmacht 610. Sämtliche dieser Fälle zeichneten sich dabei vornehmlich dadurch aus, dass der Verdienst des Managers um eine Wertsteigerung der Gesell603 Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293. Zur Vergütungssituation in den USA Ende der 90er Jahre vgl. auch Weiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999, S. 8 ff. 604 Developments in the Law – Corporations and Society, 117 Harv. L. Rev. (2004), S. 2205 (2209). 605 Leonhardt, Report on executive pay: Order of compensation universe reflects pull of new economy, New York Times v. 2. April 2000, Section 3, S. 1. 606 Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293; Leonhardt, Report on executive pay: Order of compensation universe reflects pull of new economy, New York Times v. 2. April 2000, Section 3, S.1. Auch der zwischenzeitliche Rückgang der Vergütungssummen um immerhin ca. 36 % im Jahr 2002 im Vergleich zu 2000 (vgl. unten) ändert wenig an diesem Zustand. 607 Hall, Six Challenges in Designing Equity-Based Pay, The Journal of Applied Corporate Finance, Volume 15, No. 3, Spring 2003, S. 21 (23). Während der Abstand zwischen dem Verdienst eines Topmanagers zu dem eines Arbeiters 1980 das 80-fache betrug, war es 2000 schon das 531-fache, vgl. Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293; ebenso Schwarz/Holland, ZIP 2002, S. 1661 (1665). 608 Hall/Liebman, The Taxation of Executive Compensation, in: The MIT Press, Tax Policy and the Economy (2000), Vol. 14, S. 4. 609 Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293. 610 Hunt, Greed, Grasso and a Gilded Age, Wall Street Journal v. 18. Sept. 2003, A 17.
C. Grenzen der Vergütungsentscheidung
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schaft und die gewährte Vergütung in keiner erkennbaren Relation zu stehen schienen. So wurde im Jahr 2000 Jill Barad, CEO von Mattel, mit ca. 47 Millionen USDollar abgefunden; in Anbetracht der Tatsache, dass Mattels Aktienwert von 27,7 US-Dollar zu Beginn von Barads Vorstandstätigkeit im Dezember 1996 auf 12,1 US-Dollar am Tag der Vertragsbeendigung im Februar 2000 gefallen war, eine enorme Summe 611. Nach nur zweijähriger Vorstandstätigkeit erhielt der damalige CEO von Coca-Cola, Douglas Ivester, insgesamt 120 Millionen US-Dollar – eine Vergütung, die aufgrund eines Kursverfalles von 13 %, Ermittlungen wegen Verstoßes gegen europäische Kartellvorschriften und einer Klage wegen Diskriminierung während Ivesters Amtszeit nur schwer nachvollziehbar war 612. Die nur 14-monatige – mit einer irgendwie gearteten Wertsteigerung des Unternehmens nicht verbundene und damit gewissermaßen „leistungslose“ 613 – Amtszeit des ehemaligen DisneyVorstandes Michael Ovitz wurde ihm 1995 im Wege einer „non-fault termination“ mit rund 140 Millionen US-Dollar vergütet 614. Im Jahr 2002 war die durchschnittliche Vergütung von Topmanagern zwar von 14,7 Millionen US-Dollar im Jahr 2000 um ca. 36 % auf insgesamt etwa 9,4 Millionen US-Dollar gefallen 615; die Diskrepanz zwischen den Anfang der 90er Jahre gewährten 3,5 Millionen US-Dollar Durchschnittsvergütung 616 und dem heutigen Wert ist mit ca. 176 % dennoch frappierend. Der beschriebene enorme Anstieg US-amerikanischer Vorstandsgehälter innerhalb der letzten 15 Jahre wird inzwischen einhellig auf die explosionsartige Verbreitung von Aktienoptionsprogrammen zurückgeführt617. Während noch im Jahr 1985 weniger als die Hälfte der CEOs börsennotierter US-Gesellschaften überhaupt Aktien oder Aktienoptionen als Bestandteil ihrer Vergütung erhielten, stieg der Anteil aktiengestützter Vergütungsbestandteile (equity-based pay) in der Gesamtvergütung von Null im Jahr 1984 auf ca. zwei Drittel (ca. 66 %) der jährlichen Durchschnittsvergütung im Jahr 2001 an 618. Im Jahr 1999 betrug der Anteil des Fixgehalts in der Gesamtvergütung des Durchschnittsvorstands nur noch 9 % 619. Im Jahr 1996 vergüBalsam, Executive Compensation, 2002, S. 269 f. Wyss, Executive Compensation – Special Report – For Some Executives, Getting Fired is Well Worth It, Providence J. (R.I.) v. 30. Mai 2000, unter G1. 613 So die Bezeichnung bei Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (311). 614 Vgl. schon oben Fn. 6. Ausführlich zur „In re Disney“, die seit einigen Jahren die USamerikanischen Gerichte beschäftigt, vgl. David Lieberman, USA TODAY v. 18. Oktober 2004, B.1. 615 Hall/Murphy, The Trouble with Stock Options, in: Journal of Economic Perspectives, Volume 17, Number 3, Summer 2003, S. 49 (51). 616 Hall/Murphy, The Trouble with Stock Options, in: Journal of Economic Perspectives, Volume 17, Number 3, Summer 2003, S. 49 (51). 617 Hall, Six Challenges in Designing Equity-Based Pay, The Journal of Applied Corporate Finance, Volume 15, No. 3, Spring 2003, S. 21. Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (321). 618 Hall, Six Challenges in Designing Equity-Based Pay, The Journal of Applied Corporate Finance, Volume 15, No. 3, Spring 2003, S. 21 (23). 619 Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293 (316). 611 612
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
teten 94 % der 250 größten US-amerikanischen Unternehmen die Arbeit ihrer Vorstände in Optionen 620. Obgleich der Wert der gewährten Optionen von 238 Millionen US-Dollar pro Gesellschaft im Jahr 2000 auf 141 Millionen US-Dollar im Jahr 2002 gefallen ist, im Ergebnis also ein beachtlicher Rückgang des durchschnittlich gewährten Optionswertes zu verzeichnen ist, zeigt der Vergleich zum Jahr 1992, wo die gewährten Optionen einen Durchschnittswert von vergleichsweise niedrigen 22 Millionen US-Dollar hatten, wie konsequent der Siegeszug von Optionsprogrammen in den USA während der letzten zehn Jahre war 621. Die Liste der Empfänger exzessiver Optionen in den USA ist lang. Im Jahr 1997 erhielt der Präsident und CEO der USGruppe Cendant, Henry Silverman, Aktienoptionen im Wert von fast 260 Mio. USDollar 622. Joseph Galli, dem damaligen Präsidenten und CEO von Amazon.com, wurden zwei Jahre später Aktienoptionen im Wert von über 201 Mio. US-Dollar gewährt 623. Im Jahr 2000 erhielt der CEO von Apple Computer, Steven Jobs, Aktienoptionen im Wert von über 600 Mio. US-Dollar 624. 2001, in dem Jahr also, in dem in den USA eine Serie von Bilanzskandalen und Unternehmensinsolvenzen zu einer Vertrauenskrise und einer Erschütterung des Kapitalmarkts führen sollte, erzielte der CEO von Oracle, Larry Ellison, durch die Ausübung ihm gewährter Aktienoptionen insgesamt 706 Millionen US-Dollar 625. Anlass zur Kritik gab neben der Manipulierbarkeit des Anreizinstruments Aktienoption durch gierige Manager auch die USamerikanische Rechnungslegungspraxis, die es den Unternehmen erlaubt, Aktienoptionspläne nicht als Kosten zu verbuchen, was in der Konsequenz dazu führt, dass die ausgewiesenen Gewinne gewissermaßen künstlich aufgebläht werden 626. Die aufgezeigte Entwicklung wurde von Experten mit Sorge beobachtet. Neben der mangelnden Kontrolle des unvermeidbaren Verwässerungseffekts 627 von OptiBarrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293 (316). Hall/Murphy, The Trouble with Stock Options, in: Journal of Economic Perspectives, Volume 17, Number 3, Summer 2003, S. 49 (51). 622 Nachzulesen bei Balsam, Executive Compensation, 2002, S. 153. 623 Der Fall Galli verdeutlicht jedoch auch die Risiken von Aktienoptionen für das jeweilige Vorstandsmitglied. Galli erhielt die Optionen mit seinem Amtsantritt 1999. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Optionen insgesamt mit den oben angegebenen 201 Mio. US-Dollar bewertet. Nur ein Jahr später fiel der Aktienwert so dramatisch, dass Galli nach Aufgabe seines Vorstandsamtes bei amazon.com im Jahr 2000 von der Option nicht profitieren konnte; er wechselte zu VerticalNet, ohne „einen Penny an den Optionen zu verdienen“, vgl. Balsam, Executive Compensation, 2002, S. 153. 624 Balsam, Executive Compensation, 2002, S. 153. 625 Schwarz/Holland, ZIP 2002, S. 1661 (1665). 626 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (326) mit dem Hinweis, dass diese Nichtverbuchung von Aktienoptionen als Kosten „die ausgewiesenen Gewinne der größten US-Unternehmen in den Jahren 1995 bis 2000 um 2,5 % nach oben getrieben hätte“. Zur US-Rechnungslegungspraxis siehe bereits oben A.I.1.c) cc) (1). 627 Zur praktischen Bedeutung des Verwässerungseffekts siehe bereits oben A.I.1.c) cc) (2). Die Mehrzahl der Aktienoptionspläne in den USA hat einen Verwässerungseffekt unter 5 %, vgl. Sonthalia, Shareholder Voting on All Stock Option Plans, 51 UCLA L. Rev. (2004), S. 1203 (1212). 620 621
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onsprogrammen durch fehlende Etablierung eines Zustimmungserfordernisses führten Kritiker die Gefahr kriminellen Verhaltens (risk of fraudulent activity), die durch übermäßig hohe Optionen begünstigt werde, an. Damit ist der Hauptgrund für die rasche Verbreitung und Popularität von Stock Option Plans, ihre Anreizfunktion (incentive), die als Zauberformel zur Überwindung des Principal-Agent-Problems gefeiert wurde, inzwischen auch zum Hauptkritikpunkt geworden. Was bei Einführung als Anreizinstrument gedacht war, hat sich mancherorts zum Instrument der Selbstbereicherung entwickelt 628. Speziell im Fall des Energiegiganten Enron wurde mit Hilfe „kreativer Buchführung“ und der mit dem Unternehmen verfilzten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen 629 der Börsenwert des Unternehmens über seinen wirklichen Wert weit hinaus nach oben getrieben, was inzwischen primär mit dem Interesse des CEO von Enron, Kenneth Lay, an der Erhöhung seines Aktienoptionswertes begründet wird 630. Lay erhielt von 1999 bis zum Zusammenbruch des Konzerns 2001 angeblich mehr als 205 Millionen US-Dollar in Form von Grundgehalt, Bonuszahlungen und ausgeübten Aktienoptionen; der Großteil dieser Summe ging darauf zurück, dass Lay sich wiederholt Kredite von Enron geben ließ, die er durch Rückgabe von Aktien an das Unternehmen zurückzahlte, was im Ergebnis dazu führte, dass die Liquidität des Unternehmens zu einer Zeit, zu der es Kapital dringend benötigte, erheblich eingeschränkt war 631. Neben Enron erschütterten in den Jahren 2001 und 2002 weitere mit Bilanzskandalen einhergehende Insolvenzen großer Wirtschaftsunternehmen den US-Kapitalmarkt 632. Entscheidender Faktor in vier dieser Insolvenzen war eine risikogeneigte Geschäftspolitik, die auf die Aussicht auf hohe finanzielle Gewinne der involvierten Führungskräfte durch die Ausübung hoher Optionsprämien, die das Unternehmen ihnen als Teil des Vergütungsplanes gewährt hatte, zurückgeführt wurde 633. Sowohl das gesteigerte Risikoverhalten der Unternehmensführung als auch die übertriebene Fixierung der Optionsempfänger auf den Aktienkurs stellten nach Ansicht von Experten Verhaltensweisen dar, die durch nicht indexierte Aktienoptionspläne und die Abhängigkeit des Optionswertes von der Volatilität der Aktien begünstigt würden 634. Schwarz/Holland, ZIP 2002, S. 1661 (1665). Arthur Andersen hat im Jahr 2001 von Enron angeblich 25 Millionen Dollar für die Bilanzprüfung und 27 Millionen Dollar für andere Leistungen erhalten, vgl. Schwarz/Holland, ZIP 2002, S. 1661 (1666). 630 Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (326). 631 Weiss/Berney, Restoring Investor Trust in Auditing Standards and Accounting Principles, 41 Harv. J. on Legis. (2004), S. 29 (36). 632 In weniger als 12 Monaten, nachdem Enron im Dezember 2001 Insolvenz anmeldete, erlebte die US-amerikanische Wirtschaft sechs der acht größten Unternehmensinsolvenzen (unter ihnen WorldCom und Global Crossing) ihrer Geschichte, vgl. Sonthalia, Shareholder Voting on All Stock Option Plans, 51 UCLA L. Rev. (2004), S. 1203 (1205). 633 Gordon, Reflections on Enron, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 1233 (1246 ff.); Coffee, What Caused Enron, 89 Cornell L. Rev. (2004), S. 269 (298). 634 Hall/Murphy, The Trouble with Stock Options, in: Journal of Economic Perspectives, Volume 17, Number 3, Summer 2003, S. 49 ff.; Gordon, Reflections on Enron, 69 U.Chi. L. 628 629
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Die Vertrauenskrise, die die Offenlegung dieser Praktiken nach sich zog, resultierte in weit reichenden Initiativen des Kongresses, der SEC und der großen USamerikanischen Aktienbörsen (NYSE 635, NASDAQ 636 und AMEX 637) zur Verschärfung der Optionsregeln. Im Sommer 2002 beschlossen die genannten US-Börsen, ein Zustimmungserfordernis der Aktionäre für sämtliche Aktienoptionspläne in ihre Handelsvoraussetzungen aufzunehmen 638. Die SEC befürwortete diese Änderung im Sommer 2003 639. Nach den neuen Regelungen muss eine Corporation, um die Handelsvoraussetzungen der drei genannten US-Hauptaktienbörsen zu erfüllen – vorbehaltlich einiger weniger Ausnahmen – für sämtliche aktiengestützten Vergütungsprogramme die Zustimmung ihrer Aktionäre erhalten640. Die Gesamtsituation, insbesondere das Verhältnis US-amerikanischer Vergütungspraktiken zu asiatischen und europäischen Standards, wird von einer Studie der Consulting Firma Towers Perrin 641 aus dem Jahr 1999 verdeutlicht. Geschätzt wurde die Vergütung großer Gesellschaften mit ungefähr 500 Millionen US-Dollar Umsatz. Die Studie ergab, dass Vorstandsvorsitzende von US-Firmen (CEOs) dieser
Rev. S. (2002), S. 1233 (1245); Weiss/Berney, Restoring Investor Trust in Auditing Standards and Accounting Principles, 41 Harv. J. on Legis. (2004) S. 29 (38): „The use of stock options in historically large amounts has led to accounting fraud beyond anything anyone could have imagined“. 635 New York Stock Exchange. 636 National Association of Securities Dealers Automated Quotations. 637 American Stock Exchange. 638 NYSE, Corporate Governance Rule Proposals Reflecting Recommendations from the NYSE Board of Directors, August 1, 2002, ad 13. Die Regelungen von NASDAQ und AMEX folgen diesem Vorschlag. 639 Sonthalia, Shareholder Voting on All Stock Option Plans, 51 UCLA L. Rev. (2004), S. 1203 (1205). 640 Sonthalia, Shareholder Voting on All Stock Option Plans, 51 UCLA L. Rev. (2004), S. 1203 (1205). Kritiker sehen diese neuen Regeln in ihrer Effektivität allerdings deutlich eingeschränkt. So können die Aktionäre nicht über das Vergütungspaket eines bestimmten Vorstandsmitglieds abstimmen – abstimmungsfähig ist nur die allgemeine Frage, ob und wie stock options generell als Vergütungselement an Führungskräfte genutzt werden dürfen. Resultat dieser Einschränkung ist, dass viel Raum für die Verschleierung der schon erwähnten outrage costs bleibt. Als Beispiel mag das Aktienoptionsprogramm der US-Firma Lucent Technologies dienen. In ihrem Proxy Statement von 2003 schlugen die Direktoren von Lucent einen neuen aktiengestützten Vergütungsplan vor, der alle Angestellten umfassen sollte. Nach diesem Plan sollte das Lucent Compensation Committee nicht mehr als 170 Millionen firmeneigene Aktien für die Vergütung ausgeben dürfen. Das Compensation Committee sollte dann unter der Voraussetzung, dass der festgelegte Preis den fair market value am Tag der Gewährung der Optionen nicht unterschreitet, einen Ausübungspreis für die Optionen festlegen. Die Aktionäre stimmten dem Plan zu. Informationen, wie die Vorstandsvergütung im Einzelnen aussah, erhielten die Aktionäre erst mit der Veröffentlichung der 2004 Proxy Statements im Dezember 2003 – lange nachdem sie dem Plan zugestimmt hatten. Vgl. zum Ganzen Developments in the Law – Corporations and Society, 117 Harv. L. Rev. (2004), S. 2205 (2216). 641 Näher zu dieser Studie Balsam, Executive Compensation, 2002, S. 277.
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Größe ca. 1,35 Mio. US-Dollar verdienen 642, während der britische Vorstandsvorsitzende umgerechnet 668 000 US-Dollar, der französische Vorstandsvorsitzende geschätzte 571 000 US-Dollar, der japanische Vorstandsvorsitzende geschätzte 487 000 US-Dollar und der deutsche Vorstandsvorsitzende geschätzte 534 000 USDollar verdient. Wie die Studie weiter deutlich macht, haben primär aktiengestützte langfristige Vergütungssysteme wesentliche Bedeutung für die Höhe der Vergütung. So sind sowohl Grundgehalt als auch Bonusbarzahlungen in sämtlichen dargestellten Ländern weitgehend vergleichbar; auffallend ist jedoch die enorme Differenz bei den langfristigen aktiengestützten Vergütungsbestandteilen (long-term incentives), die in den USA fast ebenso hoch sind wie das Grundgehalt und damit fast viermal so hoch wie in den anderen Ländern. Obgleich Globalisierung und Flexibilität der Topmanager die Vorstandsvergütung auch in den genannten Ländern haben ansteigen lassen, werden US-amerikanische Summen noch immer nicht erreicht643. bb) Die Unterschiede in der Unternehmensverfassung „[…] One difference between a Michael Jordan and a Michael Dell is that Michael Jordan’s pay arrangement involves at least the semblance of arm’s length bargaining. […] The Michael Dells of corporate America in effect determine their own compensation“. 644 Gegen eine allgemeine Vergütungsangleichungsmöglichkeit im deutschen Recht sprechen neben der oftmals fehlenden internationalen Wettbewerbssituation zudem erhebliche Unterschiede in den Vergütungsfestsetzungsprozessen beider Länder, die an einer unbesehenen Übertragbarkeit US-amerikanischer Maßstäbe erhebliche Zweifel aufkommen lassen 645. So führt die in der US-Unternehmensverfassung angelegte und in der Praxis weiterentwickelte Kompetenzverteilung zwischen dem board und den executive officers in der Praxis zu in den letzten Jahren vieldiskutierten Interessenkonflikten bzw. -überschneidungen 646, die dem deutschen System in dieser Weite fremd sind. Speziell für die Vergütungsentscheidung gilt: Ähnlich wie in 642 Der Vergütungsanstieg auch in den US-amerikanischen Firmen seit Ende der 80er Jahre ist damit signifikant. Gemessen am Dollarpreis von 1986 verdienten CEOs in den großen USGesellschaften der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts mit durchschnittlich 829000 US-Dollar bedeutend mehr als CEOs der führenden Gesellschaften der New York Stock Exchange im Zeitraum von 1974 bis 1986 (durchschnittlich 645 000 US-Dollar), vgl. Jensen/Murphy, Performance Pay, 1988, S. 39. 643 Balsam, Executive Compensation, 2002, S. 277. 644 Developments in the Law – Corporations and Society, 117 Harv. L. Rev. (2004), S. 2205 f. 645 Ähnlich Weiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999, S. 138. 646 Vgl. zu diesem Verhältnis Townsend, Up the Organization, 1971, S. 49:“While ostensibly the seat of all power and responsibility, directors are usually friends of the chief executive put there to keep him safely in office. They meet once a month, gaze at the financial window dressing [provided to them by the] managers [who] run the business […], listen to the chief and his team talk superficially about the state of the operation, ask a couple of dutiful questions, . . . and adjourn until next month.”
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
der Unternehmensverfassung der deutschen Aktiengesellschaft die Entscheidung über die Vorstandsvergütung dem Aufsichtsrat vorbehalten ist, fällt auch nach der US-amerikanischen Unternehmensverfassung die CEO-Vergütung in die Zuständigkeit des board 647. Anders als das deutsche System, das mit der dualen Unternehmensverfassung die institutionelle Trennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat vorsieht mit der Folge, dass sich bei der Aushandlung und Festlegung der Vorstandsvergütung die Mitglieder zweier verschiedener Organe gegenüberstehen, nimmt das US-amerikanische monistische System eine solche Trennung jedoch nicht vor: das board ist als Entscheidungsträger in CEO-Vergütungssachen somit gewissermaßen nicht „gegnerfrei“ 648. Soll heißen: das board einer US-Publikumsgesellschaft ist mit sog. inside directors und sog. outside directors besetzt 649. Die besondere personelle Verzahnung von board und executive officers besteht nun darin, dass sich die inside directors aus der Gruppe der executive officers der Gesellschaft rekrutieren. Das für die Vergütungsfrage zuständige board ist also letztlich mit grundsätzlich vom board zu überwachenden Managern besetzt, die gleichzeitig Vergütungsempfänger des Unternehmens sind. Verschärft wird der damit entstehende Interessenkonflikt durch den Umstand, dass der CEO häufig gleichzeitig auch der Vorsitzende des board, der sog. chairman of the board, ist 650, was bedeutet, dass der CEO damit faktisch auch die Agenda des boards bestimmen kann. Konkret bei der Vergütungsentscheidung hat dies zur Folge, dass der CEO einen überragenden Einfluss auf sämtliche Komponenten seines Vergütungsprozesses besitzt und von einer im Sinne der Objektivität des Vergütungsergebnisses notwendigen Verhandlung „at arms length“ zwischen CEO und board nicht mehr die Rede sein kann 651. Werden die Ämter des CEO und des chairman of the board in Personalunion geführt, ist der CEO also zugleich Vorsitzender des board of directors, so war es in der Vergangenheit üblich, dass der 647 Vgl. für Delaware Del. Code Ann. Tit. 8 § 122 (5): „Every corporation created under this chapter shall have power to appoint such officers and agents as the business of the corporation requires and to pay or otherwise provide for them suitable compensation“ i. V. m. § 141 (a): „The business and affairs of every corporation organized under this chapter shall be managed by or under the direction of a board of directors…“; vgl. auch Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293 (295); Sonthalia, Shareholder Voting on all Stock Option Plans, 51 UCLA L. Rev. (2004), S. 1203 (1217) sowie für den Bereich der Rechtsprechung Brehm vs. Eisner, 746 A. 2d, S. 244 (262), 2000 Del. 648 Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S.381; ähnlich Weiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999, S. 14. 649 Outside directors sind Mitglieder des board, die in keinem Anstellungsverhältnis zu der corporation stehen, vgl. Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 381. 650 Nach Shivdasani/Yermack, CEO Involvement in the Selection of New Board Members: An Empirical Analysis, The Journal of Finance, Vol. 54, No. 5 (Oktober 1999), S. 1829 führten im Jahr 1994 84 % der US-amerikanischen Fortune-500-Unternehmen die Ämter in Personalunion (hatte also der CEO zugleich die Position des chairman of the board inne). 651 Allgemeine Ansicht, vgl. nur Millstein/MacAvoy, The Active Board, 98 Colum. L. Rev. (1998), S. 1283 (1284); Balsam, Executive Compensation, 2002, S. 288; Bebchuk/Fried/Walker, Managerial Power and Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 751 ff.; Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 87.
C. Grenzen der Vergütungsentscheidung
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CEO als Chairman auch über die Besetzung der Ausschüsse, unter anderem also auch über die Besetzung des für die Vergütungsentscheidung zuständigen compensation committee, bestimmt 652. Dies indiziert eine einseitige Machtverlagerung auf den CEO. Diese Machtverlagerung hat eine soziale Dynamik zur Folge, die, abgesehen vom eher seltenen Fall eines umfänglichen Versagens des CEO, auf eine Unterstützung seiner Angelegenheiten und Geschäftspolitik ausgerichtet ist und ein gegenseitiges Gefälligkeitsverhältnis typisiert, das von Dankbarkeit der Direktoren für die Ernennung zum board-Mitglied und darauf beruhender Loyalität gegenüber dem CEO gekennzeichnet ist und welches die ursprüngliche Überwachungsaufgabe des board nicht unwesentlich unterminiert 653. Nach Ansicht von Kritikern glich die Beziehung zwischen board und officers noch Anfang der 90er Jahre, zu der Zeit also, in der die US-Vorstandsvergütungen explodierten, mehr einer Mitgliedschaft in einer „secret society“ einer US-amerikanischen Eliteuniversität denn einem Überwachungsverhältnis, wie es die state statutes vorsehen 654. Zwar werden auch hierzulande Interessenkonflikte innerhalb des Aufsichtsrats beklagt, dessen Mitglieder nicht selten ehemalige Vorstandsvorsitzende sind (vgl. Mannesmann: der Aufsichtsratsvorsitzende Funk war vor seiner Tätigkeit im Mannesmann-Aufsichtsrat Vorstandsvorsitzender des Konzerns). Dies führe zu unangemessenen Sympathiegefühlen der über die Vorstandsvergütung entscheidenden Aufsichtsratsmitglieder gegenüber dem Vorstand, der dies bei der Vergütungsbemessung zu seinem Vorteil ausnutzen könne. Indes ist die oben beschriebene allumfassende Machtkonzentration auf den US-amerikanischen CEO nicht nur der deutschen Unternehmensverfassung, sondern auch der Unternehmenswirklichkeit fremd. Das deutsche System ist zweigliedrig; Vorstands- und Aufsichtsratsmandat sind grundsätzlich nicht kompatibel. Der Vorstand hat, anders als im US-amerikanischen System, zudem keinen unmittelbaren Einfluss auf die Besetzung des Aufsichtsrats. Gem. § 101 AktG werden die Mitglieder des Aufsichtsrats von der Hauptversammlung gewählt. Zusammenfassend lässt sich folgendes feststellen: der deutsche Vorstand mag zwar aufgrund der in der Praxis häufig vorkommenden Besetzung des Aufsichtsrats durch ehemalige Vorstandsmitglieder im Einzelfall gewisse Vorteile bei der Vergütungsentscheidung haben; dies wird jedoch allenfalls Ausdruck eines Verbundenheitsgefühls sein, welches wohl nur im absoluten Ausnahmefall geeignet sein dürfte, eine Verteilung astronomischer Vergütungssummen an den Vorstand zu begründen. Demgegenüber übt der US-amerikanische Vorstand großen und u. U. entscheidenden Einfluss auf das über die Vergütung entscheidende board aus. Unter Umformulierung des ein652 Schwarz/Holland, ZIP 2002, S. 1661 (1669); Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293 (302). 653 Balsam, Executive Compensation, 2002, S. 220; Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (310). 654 Millstein/MacAvoy, The Active Board, 98 Colum. L. Rev. (1998), S. 1283 (1284). Hunt, in: The Wall Street Journal v. 18. September 2003, A 17, schreibt über die Überwachungspraxis des board bei Vergütungsentscheidungen: „A board challenging CEO pay is like belching at a dinner party“.
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gangs aufgeführten Zitats lässt sich dieser Zustand wohl in etwa so beschreiben: Während die Vergütung des deutschen Vorstands im Regelfall zumindest den Anschein einer freien Ermessensentscheidung des Aufsichtsrats hat, bestimmt der USamerikanische Vorstand seine Vergütung in vielen Fällen letztlich selbst. c) Fazit: Nur vorsichtige Übertragung möglich Auch bei Bejahung eines Vergütungsangleichungsbedürfnisses wegen Bestehens eines in der Literatur geforderten internationalen Wettbewerbs um den jeweiligen Vorstandsposten ist angesichts der oben dargestellten erheblichen Unterschiede in der Unternehmensverfassung eine Übertragung US-amerikanischer Vergütungsmaßstäbe nur in zurückhaltender Weise möglich. Erscheint im Ausnahmefall eine Vergütungsangleichung sachlich gerechtfertigt, so ist dem Aufsichtsrat diesbezüglich eine erhöhte Begründungslast aufzuerlegen, die die jeweilige Entscheidung nachvollziehbar macht. Bei Vorliegen eines solchen (Ausnahme-) Falles können internationale Maßstäbe die Angemessenheit allerdings maßgeblich beeinflussen.
III. Die Angemessenheit ausgesuchter Vergütungsformen Im Folgenden sollen die oben gefundenen Ergebnisse zur Angemessenheit gem. § 87 I AktG auf ausgesuchte Vergütungsformen angewandt werden 655. Besondere Bedeutung wird dabei den Vergütungsinstrumenten „Aktienoptionspläne“ und „Appreciation Awards“ zukommen, da diese in der wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskussion eine zentrale Stellung einnehmen. 1. Festvergütung Bei der Festvergütung wird die Prüfung der Angemessenheit nur in Ausnahmefällen Probleme bereiten. Die Prüfung richtet sich hier nach den oben entwickelten Kriterien. Regelmäßig wird ein Verstoß gegen § 87 I AktG dann anzunehmen sein, wenn die Zahlungsverpflichtung das Unternehmensziel der dauerhaften Rentabilität (Teil des Unternehmensinteresses) nicht nur ernsthaft gefährdet, sondern unerreichbar macht 656. Erlaubt die gesamtwirtschaftliche Lage der Gesellschaft eine umfangreiche Vergütungszusage, so hat die Zusage in einem angemessenen Verhältnis zum Aufgabenzuschnitt des begünstigten Vorstandsmitglieds zu stehen. Entscheidend ist dabei, dass die Vergütungsentscheidung das für § 87 I AktG entscheidende Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung wahrt; dies ist konsequenterweise dann 655 Insbesondere im Hinblick auf die Angemessenheit der vorliegend aus Schwerpunktgründen nicht erörterten, seit der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall Mannesmann aber verstärkt diskutierten Change-of-control-Klauseln wird ausdrücklich auf die mit dem Thema befasste Literatur verwiesen; vgl. ausführlich Kort, AG 2006, S. 106 ff. 656 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (119) – „erdrosselnde Wirkung für die Gesellschaft“.
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ausgeschlossen, wenn der Leistung der Gesellschaft (Zahlung) keine äquivalente Gegenleistung des Begünstigten gegenübersteht oder wenn der (existierende) Marktpreis um ein Vielfaches übertroffen wird. 2. Aktienoptionsprogramme Probleme im Hinblick auf § 87 I AktG kann stets nur das „Wie“ der Aktienoption bereiten, also der Optionsrahmen oder die konkrete Ausgestaltung 657. Die aktienrechtliche Zulässigkeit, das „Ob“ von Aktienoptionsprogrammen, unterliegt keinen Bedenken 658. Ihre grundsätzliche Vereinbarkeit mit dem Angemessenheitsgebot ergibt sich bereits aus § 192 II Nr. 3 AktG, der die Gewährung von Bezugsrechten an einzelne Bezugsberechtigte als legitimen Zweck einer bedingten Kapitalerhöhung nennt und die rechtliche Zulässigkeit solcher Vergütungskonstruktionen dabei inzidenter voraussetzt. Bestätigende Wirkung hat insoweit Ziffer 4.2.3 Absatz 2 Satz 1 des DCGK, der Aktienoptionen als Bestandteil der Vorstandsvergütung ausdrücklich empfiehlt 659. Aktienoptionsprogramme sind, wie bereits erwähnt, erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile. Der begünstigte Vorstand nimmt über die im Rahmen des Optionsprogrammes verteilten Aktien direkt an einem Erfolg des Unternehmens teil. Eine solche Vergütung, die den unternehmerischen Erfolg derart eng mit persönlichen Vermögenszuwächsen verknüpft, entspricht in hohem Maße dem Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre, Vorstandsmitglieder durch die Gewährung eigenen Aktienbesitzes zu risikoneutralerem, am Unternehmenswohl orientierten Verhalten anzuregen. Die heutige Vergütungspraxis hat sich dem insofern angepasst, als Aktienoptionen inzwischen eine entscheidende Rolle bei der Vorstandsvergütung spielen 660. Problematisch in bezug auf § 87 I AktG ist vorrangig die Variabilität dieses börsenkursabhängigen Vergütungsinstruments. Diese birgt die Gefahr, dass der Umfang der Vergütungszahlung den ursprünglich vorgesehenen Leistungsrahmen weit übersteigt. Gleichzeitig macht diese Besonderheit aber auch die hohe Anreizwirkung von Aktienoptionsplänen aus. Wie dieses Spannungsverhältnis rechtlich aufzulösen Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (493). Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (493); ähnlich Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (226 f.). 659 Ziffer 4.2.3 Absatz 1 und 2 des DCGK: „Die Gesamtvergütung der Vorstandsmitglieder soll fixe und variable Anteile umfassen. Die variablen Vergütungsteile sollten einmalige sowie jährlich wiederkehrende, an den geschäftlichen Erfolg gebundene Komponenten und auch Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter enthalten. […] Als varialbe Vergütungskomponenten mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter dienen insbesondere Aktien der Gesellschaft mit mehrjähriger Veräußerungssperre, Aktienoptionen oder vergleichbare Gestaltungen (z. B. Phantom Stocks)“. Vgl. auch oben A.I.1.a)bb). 660 Im Jahr 2003 verwendeten 80 % der DAX-30-Unternehmen Aktienoptionsprogramme oder ähnliche aktienbasierte Vergütungsinstrumente im Rahmen der Vorstandsvergütung, vgl. Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (226). 657 658
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ist, ist umstritten. Gegenstand der dogmatischen Auseinandersetzung ist einmal mehr § 87 I AktG, dem ein Teil der Literatur konkrete Vorgaben hinsichtlich des Optionsrahmens und der Ausgestaltung von Aktienoptionen entnehmen will. Inwiefern dies der Fall ist, soll im Folgenden geklärt werden. Im Anschluss an die Untersuchung dieser Problematik soll die Frage beantwortet werden, inwiefern die Vorschrift Maßnahmen des Vorstands zur Risikoverlagerung bzw. -minimierung bei Aktienoptionen zulässt. a) Obligatorische Indexierung und Kappung von Optionen Die Diskussion um eine obligatorische Indexierung 661 bzw. Kappung von Optionen hat ihren Ursprung in den bereits dargestellten windfall profits, deren Entstehen Aktienoptionen bei bedingungsloser Ausrichtung auf den Aktienkurs begünstigen können 662. Wie oben ausgeführt wurde, kann der Aufsichtsrat solchen erfolgsunabhängigen Vermögenszuwächsen durch eine Koppelung der Optionen an kursunabhängige Zielvorgaben oder ähnliche Vorkehrungen im Anstellungsvertrag vorbeugen. Eine Pflicht zur Formulierung kursunabhängiger Zielvorgaben trifft ihn jedoch nicht 663. Gleiches gilt für eine auf § 87 I AktG gestützte generelle Indexierungspflicht bei Aktienoptionen. Ein solches Koppelungsgebot ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck der Vorschrift 664. § 87 I AktG verpflichtet den Aufsichtsrat allein auf die Beachtung des Grundsatzes der Leistungsgerechtigkeit – konkrete inhaltliche Vorgaben zur Frage, wie diese zu gewährleisten ist, lassen sich der Norm nicht entnehmen. Einzelheiten der Vergütungsentscheidung stehen im pflichtgemäßen Ermessen des Aufsichtsrats. Konsequenterweise ist auch die Entscheidung, mit welchen Maßnahmen er dem Angemessenheitsgebot im konkreten Fall Rechnung trägt, eine an den Umständen des Einzelfalls zu orientierende Ermessensentscheidung 665. Allerdings zwingen fehlende benchmark-Bestimmungen und eine fehlende Indexierung den Aufsichtsrat wegen der aufgenommenen Streuverluste zu einer erhöhten, detaillierten Begründung der konkreten Ausgestaltung des jeweiligen Aktienoptionsplans 666. Allein wenn das Fehlen solcher Kontrollmechanis661 Indexierte Optionen weisen keinen vorab fixierten Ausübungspreis auf, sondern orientieren den Ausübungspreis an einem Markt-, einem Branchenindex oder einer Kombination aus beidem („payouts are realized only if performance beats the market“), vgl. Murphy, Explaining Executive Compensation, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), S. 847 (862 f.). Die technische Verankerung solcher Indexe im Anstellungsvertrag erfolgt durch die bereits erwähnten benchmark-Bestimmungen, vgl. oben II.2.b) bb) (2) (a). 662 Zu windfall profits vgl. oben II.2.b) bb) (2) (a). 663 Anders Martens, ZHR 169 (2005), S. 124 (144 ff., 153), der sämtliche börsenkursabhängigen Erfolgsleistungen indexiert wissen will. 664 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (494). 665 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (495); ähnlich Weiß, Aktienoptionspläne für Führungskräfte, 1999, S. 136. 666 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (494).
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men gar nicht oder nur ungenügend begründet wird, kann ein Verstoß gegen § 87 I AktG anzunehmen sein 667. Nach ähnlichen Grundsätzen ist die obligatorische Kappung von Optionen zu handhaben. Bei der Ausgabe realer Optionen fehlt dem Aufsichtsrat hierzu oftmals bereits die Kompetenz; zuständig für die Festlegung des Ausübungspreises, dessen Höhe die Kursentwicklung der Aktien beeinflusst, ist allein die Hauptversammlung (vgl. § 193 II Nr. 3 AktG) 668. Zudem gilt auch bezüglich einer Kappung de lege lata, dass Art und Weise der Erfüllung der Vorgaben des § 87 I AktG im Ermessen des Aufsichtsrats liegen 669. So spricht der DCGK in Ziffer 4.2.3 Absatz 2 Satz 4 nur von einer „Begrenzungsmöglichkeit“, die der Aufsichtsrat für „außerordentliche, nicht vorhergesehene Entwicklungen“ vereinbaren soll. Wie bei fehlender Indexierung ist auch die fehlende Vereinbarung eines Cap allerdings erhöhten Begründungspflichten unterworfen 670. b) Repricing Nur in absoluten Einzelfällen mit § 87 I AktG zu vereinbaren ist die nachträgliche Herabsetzung eines bereits ausgehandelten Basispreises mit dem Ziel, Führungskräfte trotz eines unvorhergesehenen Börsenkursrückgangs zu belohnen (sog. echtes Repricing oder Vergütungsanpassung). Die Konstruktion ist auf Erfahrungen in den USA zurückzuführen, wo Mitte der 90er Jahre durch weitreichende Umwälzungen in ganzen Branchen unerwartete negative Kursentwicklungen zu beobachten waren, welche einen enormen Wertverlust der im Rahmen der CEO-Vergütung gewährten Optionen zur Folge hatten 671. Dort hat allerdings der US-Gesetzgeber in einer Reaktion auf die zwischenzeitliche Verselbständigung des zunächst auf Ausnahmesituationen 672 ausgerichteten Instruments der Optionsanpassung die Hürden für Repricing durch Einführung besonderer Bilanzierungsvorschriften merklich erhöht 673. 667 Enger Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (119), die bereits im Fehlen von Kontrollmechanismen einen Verstoß gegen § 87 I AktG annehmen und diesen sogar als gravierend einstufen. 668 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (495). 669 Vgl. bereits oben II.3.a). Anders Lutter, ZIP 2003, S. 737 (742), der meint, dass ein Optionsprogramm eine Vergütungsobergrenze enthalten „muss“. 670 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (496). 671 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 88; Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293 (318 f.). 672 In einer Umfrage aus dem Jahr 2001 gaben zwanzig von einhundert befragten US-Unternehmen an, ihre Aktienoptionen angepasst zu haben; zwölf weitere Unternehmen planten eine Anpassung, vgl. Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), S. 293 (319). Große US-Wirtschaftsunternehmen haben ihre Optionspläne zum Teil gleich mehrfach durch Repricing überarbeitet, vgl. Barrett, ebda. 673 Vgl. Financial Interpretation Number 44 („FIN 44“) des FASB: „The FASB now requires companies to take a quarterly earnings charge from the date of repricing to the date of new options’ exercise“, vgl. Barrett, Unsharing the Wealth, 54 Rutgers L. Rev. (2001), supra note 126.
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
Hierzulande spricht sich der DCGK in Ziffer 4.2.3 Absatz 2 Satz 3 einschränkungslos gegen die Möglichkeit des echten Repricing aus 674. Dies ist insoweit folgerichtig, als die generelle rechtliche Zulässigkeit des echten Repricing dem in § 87 I AktG normierten Prinzip der Leistungsgerechtigkeit, wonach die Vergütung unmittelbar an eine äquivalente Gegenleistung des Begünstigten anknüpfen soll, jede Grundlage entzöge 675. Das Risiko des Wertverlusts gewährter Optionen durch starke Kursrückgänge ist hinzunehmender Bestandteil des Vergütungsinstruments Aktienoption: wegen der Erfolgsabhängigkeit hat der Begünstigte nicht nur die Vorteile, sondern eben gegebenenfalls auch die Nachteile dieser Vergütungsform zu tragen 676 – bei erfolgsabhängigen Vergütungsinstrumenten sind Chancen und Risiken naturgemäß gleichmäßig verteilt 677. Einer rückläufigen Anreizwirkung durch wertlos gewordene Optionen ist durch entsprechende Ausgestaltung des Anstellungsvertrages mit Festvergütungsbestandteilen und Tantiemen entgegenzuwirken. Nur dort, wo die Anpassung nach Abwägung aller Umstände unbedingt notwendig erscheint, z. B. weil wegen fehlender Vorrichtungen gegen einen enormen Kursrückgang die angestrebte Anreizwirkung bis zum Punkt Null relativiert wird und/oder die Gefahr besteht, dass der Optionsempfänger einen Wechsel in eine andere Gesellschaft vornehmen wird 678, kann im Einzelfall eine Ausnahme angebracht sein. Entscheidend ist dabei stets, dass nicht der Begünstigungseffekt des Repricing, sondern die Relativierung des Anreizeffekts im Vordergrund steht. c) Hedging Nicht unproblematisch in bezug auf § 87 I AktG ist auch das sog. Hedging. Unter dem Begriff wird im Zusammenhang mit Optionsprogrammen die Vornahme risikominimierender Gegengeschäfte durch Kauf von gegenläufigen Put-Optionen verstanden 679. Haupteinwand gegen diese Form der Risikominimierung ist die Neutralisierung der mit dem Vergütungsinstrument „Aktienoption“ verfolgten Anreizwirkung. Ist der Begünstigte imstande, seinen im Sinne der Steigerung des Aktienkurses der Gesellschaft grundsätzlich risikobehafteten Call-Optionen neutralisierende Put-Optionen entgegenzusetzen, wird, ähnlich wie beim Repricing, der eigentliche Motor der Optionsgewährung, die Abhängigkeit vom unternehmensspezifischen Erfolg, seiner Motivationswirkung beraubt. Zumindest bei Hedging-Geschäften mit Aktien der eigenen Gesellschaft ist daher ein im Anstellungsvertrag verankertes 674 Ziffer 4.2.3 Absatz 2 Satz 3 des DCGK lautet: „Eine nachträgliche Änderung der Erfolgsziele oder der Vergleichsparameter soll ausgeschlossen sein“. 675 Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 88. 676 Kallmeyer, ZIP 2002, S. 1663; ähnlich Liebscher, in: Beck’sches Handbuch AG, § 6 Rn. 78. 677 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (499); Kallmayer, ZIP 2002, S. 1663. 678 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (498). 679 Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (17); Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (498).
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Verbot durch den Aufsichtsrat zu befürworten 680. Ein generelles Verbot des Hedging erscheint jedoch nicht angebracht, da solche Geschäfte mit Derivaten, die sich nicht ausschließlich auf gesellschaftseigene Aktien, sondern auf gesellschaftsexterne Faktoren beziehen (sog. Basket-Hedging), nicht den unternehmensspezifischen Anreiz zum Erfolg, sondern nur ein allgemeines Geschäfts- oder Branchenrisiko neutralisieren 681. d) Die begrenzte Steuerungsmacht des Aufsichtsrats bei Optionsplänen Die bloße Durchführung von Aktienoptionsplänen nach § 192 II Nr. 3 AktG oder § 71 I Nr. 8 AktG 682 durch den Aufsichtsrat wird in aller Regel keinen Verstoß gegen § 87 I AktG auslösen können 683. Die Steuerungsmacht des Aufsichtsrats im Hinblick auf Aktienoptionspläne ist gering. Zuständig für die Entscheidung über das „Ob“ des Optionsplanes ist allein die Hauptversammlung, vgl. § 192 II Nr. 3 AktG 684. Hat diese einen positiven Beschluss über den in Rede stehenden Aktienoptionsplan gefasst, so sind die gewährten Aktienoptionen gleichsam vom Eigentümer genehmigt 685. Dies ist folgerichtig: die Kompetenz der Anteilseigner für die wesentlichen Grundentscheidungen bei Optionsplänen ist Ausdruck ihrer unmittelbaren Betroffenheit in Form von Verwässerung durch und Kostenübernahme für die Optionspläne. Konsequenterweise muss auch die Verantwortung für die Angemessenheit gem. § 87 I 1 AktG bei der Durchführung von Optionsprogrammen primär bei den Aktionären liegen 686.
Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (500); wohl auch Baums, in: FS Claussen, 1997, S. 3 (17). Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (500). 682 Optionspläne nach den genannten Vorschriften werden heutzutage in ¾ aller Fälle vereinbart. Die früher üblichen Optionspläne nach §221 AktG i. V. m. § 192 II Nr. 1 AktG, bei denen der Aufsichtsrat und nicht die Hauptversammlung die maßgeblichen Größen bestimmt, sind daher weitgehend abgelöst worden, vgl. Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (228). 683 Anders ist dies bei der Aufteilung der durch die Hauptversammlung bewilligten Optionen auf die einzelnen Begünstigten. Hier entscheidet der Aufsichtsrat, der über den konkreten Ausgabezeitpunkt für die Optionen mittelbar auch den Ausübungspreis beeinflussen kann, vgl. Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (226). 684 Der Aufsichtsrat kann zwar später die Details des Optionsplanes regeln; die wesentlichen Grundzüge bestimmt aber die Hauptversammlung, die gem. § 193 II Nr. 3 AktG den Ausübungspreis und gem. § 193 II Nr. 4 AktG die Erfolgsziele festlegt, vgl. Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (226). 685 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (227); Kallmeyer, ZIP 2002, S. 1663. 686 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (228). 680 681
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e) Fazit Die Prüfung der Angemessenheit von Aktienoptionen hat stets vor dem Hintergrund der besonderen Anreizwirkung dieser Vergütungsform zu erfolgen. Auch sehr hohe Vergütungssummen, die auf die Ausübung von Aktienoptionen zurückzuführen sind, implizieren nicht per se die Unvereinbarkeit mit § 87 I AktG. Die Möglichkeit enormer Vergütungssummen aus der Realisierung von Optionen ist unmittelbares Resultat des hohen Risikoanteils, welchen die Begünstigten zu tragen haben, und der aus der Perspektive der Begünstigten von wissenschaftlichen Berechnungsmethoden nur unzureichend reflektiert wird. So ist, wie oben gesehen, die Option in der Wahrnehmung der Begünstigten ex ante weit weniger wert als von der Black-Scholes-Formel oder einer sonstigen Erwartungswert-Berechnung wiedergegeben 687. Weil diese subjektive Sichtweise maßgeblich über die tatsächliche Anreizwirkung und damit indirekt auch über die Angemessenheit des jeweiligen Vergütungselements mitentscheidet, hat sie auch der Aufsichtsrat in Betracht zu ziehen, wenn er die Durchführung von Optionsplänen verfügt. Die Unvorhersehbarkeit der tatsächlichen Gewinne ist dabei negative, aber essentielle Begleiterscheinung des Motivationsfaktors Aktienoption. Windfall profits kann mit benchmark-Bestimmungen zu kursunabhängigen Zielvorgaben oder zur Indexierung entgegengewirkt werden. Eine sich aus § 87 I AktG ergebende Pflicht hierzu ist dem Aktiengesetz jedoch nicht zu entnehmen. Enorme, unvorhergesehene Gewinne für die Begünstigten sind dem Aufsichtsrat gem. § 87 I AktG nur dann anzulasten, wenn für das Fehlen diesbezüglicher Vorkehrungen weder objektive Gründe noch detaillierte Begründungen ersichtlich sind und daher der Verdacht nahe liegt, dass die Angemessenheitsgrenze vorsätzlich außer Kraft gesetzt werden sollte. 3. Tantiemen Die rechtliche Zulässigkeit von Tantiemen ist seit der Streichung des § 86 AktG 688 im Jahr 2002 weitgehend anerkannt. Im Regelfall unterliegt die Vereinbarkeit von Tantiemen mit dem Angemessenheitserfordernis des § 87 I AktG keinen Bedenken. Die Gefahr, dass bestimmte tatsächliche Entwicklungen eine wesentlich höhere Leistungspflicht der Gesellschaft zur Folge haben als ursprünglich abzusehen, ist eine typische Begleiterscheinung sämtlicher betragsmäßig nicht fixierter Vergütungsbestandteile 689. Entsprechend den Ausführungen zur Angemessenheit von Aktienoptionsplänen können solche enormen Vergütungsanstiege im Einzelfall durch 687 Hintergrund dieses Auseinanderfallens von objektiver Wirklichkeit und subjektiver Wahrnehmung im Hinblick auf den Optionswert bzw. den Risikoanteil ist dabei die grundsätzliche Risikoaversion von Managern, vgl. bereits oben A.II.4. 688 Aufhebung des § 86 AktG durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz (Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität – TransPuG) v. 19. Juli 2002, vgl. BGBl. I, S. 2681 ff. 689 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (224).
C. Grenzen der Vergütungsentscheidung
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die Anreizwirkung des ihnen zugrunde liegenden Vergütungsinstruments ausgeglichen werden 690. Problematisch im Hinblick auf das Angemessenheitserfordernis des § 87 I AktG sind primär Umsatztantiemen und dividendenabhängige Tantiemen. Nach einer in der Literatur teilweise vertretenen Ansicht sind diese mit § 87 I AktG nicht vereinbar. Die Vereinbarung einer Umsatztantieme verbietet sich nach dieser Ansicht, weil sie an einen manipulierbaren, den Unternehmenswert nicht maßgeblich wiedergebenden Parameter (Umsatz) anknüpft 691. Die dividendenabhängige Tantieme widerspreche zudem Sinn und Zweck des §87 I AktG, da sie vom Vorstand steuerbar und damit oftmals unabhängig von den gesetzlichen Kriterien der Lage der Gesellschaft und den Aufgaben des Vorstandsmitglieds sei („Dividendenkontinuität“) 692. Diese Ansicht ist abzulehnen. Den genannten Gefahren beider Tantiemearten kann durch eine enge Koppelung an das jeweilige Unternehmensziel sowie durch entsprechende Vertragsgestaltung effektiv begegnet werden. Eine Anknüpfung der Tantieme an die Dividende oder den Umsatz hat den Vorteil, dass diese Parameter im Unterschied primär zur Vergütung durch Stock Option Plans um ein Vielfaches transparenter und im Volumen leichter prognostizierbar sind 693. Insbesondere dann, wenn für die Gesellschaft die Anreizwirkung der Tantieme bei der Vergütungsentscheidung im Vordergrund steht, so etwa bei Start-ups oder in außergewöhnlichen Wettbewerbssituationen, bietet sich die Umsatztantieme als Vergütungsbestandteil an 694. Allerdings ist dabei einer missbräuchlichen Erhöhung des Umsatzes zu Lasten des Gewinns durch entsprechende Ausgestaltung des Anstellungsvertrages vorzubeugen 695. Bei der dividendenabhängigen Tantieme ist ausschließlich an die ausgeschüttete Dividende anzuknüpfen; Dividenden, die aus aufgelösten Gewinnrücklagen oder aus Gewinnvorträgen resultieren, sind nicht zu berücksichtigen 696. Anderes würde dem in § 87 I AktG aufgestellten Grundsatz der leistungsgerechten Vergütung widersprechen, da die aufgeführten Gewinne häufig ohne Zutun der Begünstigten entstanden bzw. zumindest nicht unmittelbar auf die Leistungen des Begünstigten im Vergütungszeitraum zurückzuführen sind 697. Gleiches gilt für die Jahresgewinntantieme.
Ähnlich Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (224). Vgl. Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (225); kritisch auch Hüffer, AktG, 5. Auflage 2002, § 86 Rn. 4. 692 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (225). 693 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (501). 694 Thüsing, ZGR 2003, S.457 (501). Im Ergebnis offen BGH WM 1976, S. 1226 (1227), wo ausgeführt wird, dass die Kritik an Umsatztantiemen zwar im Grundsatz durchaus Berechtigung finde, indessen nicht dazu führe, „daß sich unter Verhältnissen, wie sie hier vorliegen, die Zubilligung einer Umsatzprovision bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung überhaupt nicht rechtfertigen ließe…“. 695 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (501). 696 OLG Düsseldorf, AG 1999, S. 468; Semler, in: FS Budde, 1995, S. 599; Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (502). 697 OLG Düsseldorf, AG 1999, S. 468 (469). 690 691
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4. Abfindungszahlungen Ob Abfindungen dem Angemessenheitserfordernis des §87 I AktG unterfallen, ist wegen des nicht ganz eindeutigen Wortlauts der Vorschrift nicht abschließend geklärt 698. Die Problematik rührt daher, dass Abfindungen, die in § 87 AktG keine Erwähnung finden, sich auf den ersten Blick weder § 87 I 1 AktG noch § 87 I 2 AktG zuordnen lassen. So regelt § 87 I 1 AktG die Angemessenheit der Aktivbezüge von Vorstandsmitgliedern vor Vertragsende. Dass zumindest ablösende Abfindungen im Gegensatz zu den sonstigen in § 87 I 1 AktG aufgezählten Vergütungsformen kein Entgelt für bereits erbrachte Leistungen, sondern vielmehr einen geldwerten Ausgleich für eine vorzeitige Beendigung des Anstellungsverhältnisses darstellen, macht deutlich, dass jedenfalls eine Subsumtion unter Satz 1 der Vorschrift teleologisch schwer vertretbar ist. § 87 I 2 AktG betrifft zwar den Fall des Ausscheidens des Begünstigten aus der Gesellschaft, normiert aber primär die Versorgung von Vorständen nach Vertragsende. Eine Lösung findet sich im Telos des Angemessenheitserfordernisses. So ist in Rechnung zu stellen, dass §87 I AktG, wie bereits dargelegt, als gesetzliche Ausprägung des Unternehmensinteresses sämtliche Bezüge erfassen will, die in ihrer konkreten Ausgestaltung im Widerspruch zu den Interessen der an der Gesellschaft beteiligten Anspruchsgruppen („Unternehmensinteresse“) stehen könnten. Dass die Vorschrift auch Abfindungen als Substitut der regulären Bezüge erfassen will, dürfte danach keinen Zweifeln unterliegen. Fraglich ist allein, wo diese systematisch unterzubringen sind. Nach zutreffender Ansicht sind Abfindungszahlungen als „Leistungen verwandter Art“ i. S. d. § 87 I 2 AktG einzuordnen 699. Hierfür spricht zum einen die Vergleichbarkeit der Funktion von Ruhegehältern und Abfindungen – beide Vergütungsbestandteile wollen die Versorgung des Vorstandsmitglieds nach Vertragsende sicherstellen 700. Zum anderen findet diese Ansicht eine Stütze in § 285 S. 1 Nr. 9 b HGB, der Abfindungen in einer Reihe mit Ruhegehältern und Hinterbliebenenbezügen nennt, und der die aufgeführten Elemente über den Begriff „Leistungen verwandter Art“ miteinander verknüpft. Probleme im Hinblick auf die aktienrechtliche Angemessenheit von Abfindungszahlungen bereiten dabei in erster Linie die zusätzlichen Abfindungen, die ein Mehr gegenüber der regulären Dienstbezüge darstellen und die damit eine finanzielle Besserstellung des Begünstigten begründen können 701. Da die der Abgeltung von enttäuschten Vertragserwartungen des vorzeitig ausscheidenden Vorstandsmitglieds dienende ablösende Abfindung nichts anderes als ein Erfüllungssurrogat für das im Anstellungsvertrag vereinbarte Gehalt des Vergütungsempfängers ist 702, ergibt sich Ausführlich zum Streitstand Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 127 ff. Dreher, AG 2002, S. 214 (216); im Ergebnis ebenso Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (120); Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (503). 700 Zumindest im Ansatz ähnlich Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 128, der in diesem Zusammenhang allerdings nur auf Übergangsgelder Bezug nimmt. 701 Vgl. hierzu oben A.I.2.b). 702 Käpplinger, NZG 2003, S. 573 (574); vgl. hierzu bereits oben A.I.2.b). 698 699
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im Hinblick auf § 87 I AktG regelmäßig keine Besonderheit, solange die aus der Abfindungzusage folgende Zahlungsverpflichtung der Gesellschaft die Höhe der kapitalisierten restlichen Gesamtbezüge bis zur regulären Beendigung des Anstellungsverhältnisses nicht übersteigt 703. Problematisch wird bei einer solchen Konstruktion allein die Angemessenheit der im Anstellungsvertrag vereinbarten (Grund-) Gehaltszusagen sein 704. Im Umkehrschluss zu obiger Aussage wird man bei ablösenden Abfindungen im Übrigen zumindest dann zweifelsfrei von Unangemessenheit sprechen können, wenn diese die noch ausstehenden Ansprüche aus der regulären Vertragslaufzeit rechnerisch deutlich übersteigen 705. Im Hinblick auf die (problematische) Beurteilung der Angemessenheit zusätzlicher Abfindungen sei hier exemplarisch 706 auf die oben bereits erwähnten golden parachute payments hingewiesen, die wegen der ihnen immanenten meist exorbitanten Überschreitung der regulären Gehaltsansprüche als zusätzliche Abfindungen zu gelten haben 707. Golden parachute payments verstoßen zwar nicht per se gegen § 87 I AktG 708, sind jedoch sehr genau auf ihre Angemessenheit hin zu prüfen709. Ausschlaggebend für die Beurteilung bleiben dabei die oben genannten Angemessenheitskriterien. Der Vorschlag Thüsings, dem Vorbild des US-amerikanischen Steuerrecht gemäß, welches Abfindungen, die höher sind als das Dreifache der durchschnittlichen Jahresbezüge innerhalb der letzten fünf Jahre, für steuerlich nicht abzugsfähig erklärt 710, eine Angemessenheitsgrenze bei dem Dreifachen der durch703 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (503); Spindler, DStR 2004, S. 36 (45). Ausführlich zur Angemessenheit von Abfindungen Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 141 ff. 704 Aktienrechtlich unzulässig ist nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs allerdings eine im Anstellungsvertrag vereinbarte Abfindung für den Fall der Kündigung aus wichtigem Grund, da eine solche Abfindungsvereinbarung das außerordentliche Kündigungsrecht des Aufsichtsrats (zu) weitgehend einschränke, vgl. BGH NJW 2000, S. 2983, 2984; Spindler, DStR 2004, S. 36 (45). 705 Ausführlich Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 141. 706 Ausführlich zur Problematik zusätzlicher Abfindungen Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 72 ff., 88 ff.; vgl. auch Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155 (169). 707 Zur Definition vgl. oben A.I.2.b). 708 Ein anderes Ergebnis stünde im Widerspruch zu der Auffassung des Bundesgerichtshofs, der bereits entschieden hat, dass unter bestimmten Vorzeichen auch Organmitglieder „existenziell“ auf die Bewilligung zusätzlicher Abfindungen angewiesen sein können, vgl. BGH AG 1997, S. 265 (266): „[…] Die Versorgung (scil. ist) für ihren Empfänger von lebenswichtiger Bedeutung“; Leßmann, Abfindungsvereinbarungen, 2006, S. 73. 709 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (504); Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 33 Rn. 116. Für eine Unvereinbarkeit von unangemessenen golden parachute payments mit § 33 WpÜG Hirte, in: Kölner Kommentar zum WpÜG, § 33 Rn. 59. 710 Section 280 G Internal Revenue Code (in Auszügen): “No deduction shall be allowed under this chapter for any excess parachute payment. […] The term ‘parachute payment’ means any payment in the nature of compensation to (of for the benefit of) a disqualified individual if such payment is contingent on a change in the ownership or effective control of the corporation or in the ownership of a substantial portion of the assets of the corporation and the aggregate present value of the payments in the nature of compensation to (or for the benefit of) such in-
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schnittlichen regulären Jahresbezüge festzulegen, kann hier nur gedankliche Stütze sein 711; wie Thüsing selbst ausführt, können Wertungen des Steuerrechts im Aktienrecht nur in Form einer Ermessensregel verwendet werden, von der der Aufsichtsrat dann abweichen kann, wenn er dies hinreichend begründet 712. In der Regel werden exorbitante Abfindungssummen, die ein Vielfaches der regulären Bezüge betragen, außer Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds, nach denen sich ja auch die regulären Bezüge bemessen, stehen und damit unangemessen im Sinne des §87 I AktG sein 713. 5. Appreciation Awards Äußerst umstritten ist die aktienrechtliche Zulässigkeit von Appreciation Awards. Als problematisch erweist sich vor allem die Nachträglichkeit solcher Zusagen 714. Während im Regelfall Vergütungszusagen für die Zukunft gemacht werden, knüpfen nachträglich vereinbarte Anerkennungsprämien in Form von Appreciation Awards an Umstände in der Vergangenheit an. Die Diskussion um die Zulässigkeit solcher nachträglicher leistungsbelohnender Vergütungszusagen hat sich primär an der Frage der rechtlichen Reichweite des § 87 I AktG entzündet. Ausgangspunkt der aktuellen wissenschaftlichen Beschäftigung mit Zahlungen dieser Art ist der Fall Mannesmann, in dessen Rahmen Appreciation Awards erstmals die rechtliche wie öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zogen. Im Folgenden soll, ausgehend von diesem aktuellen Fall, die Zulässigkeit solcher Anerkennungsprämien unter Berücksichtigung des § 87 I AktG erörtert werden. a) Der Fall Mannesmann Im Februar 2003 erhob die Staatsanwaltschaft Düsseldorf aufgrund einer Strafanzeige von zwei Stuttgarter Anwälten nach zweijährigen Ermittlungen Anklage gegen sechs ehemalige Mitglieder der Mannesmann AG (fünf ehemalige Organmitglieder und einen ehemaligen Angestellten) wegen des Verdachts der Untreue in einem besonders schweren Fall (§ 266 I, II i. V. m. § 263 III Nr. 2, 1. Alt. StGB) bzw. der Beihilfe hierzu. Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs waren Zahlungen in Höhe von umgerechnet ca. 57 Mio. e (111 Mio. DM) in Form von Boni (sog. Appreciation Awards) und Pensionszahlungen (hier als Alternativpensionen bezeichnet) an Mitglieder des Vorstandes, des Aufsichtsrates, sowie an deren Angehörige, dividual which are contingent on such change equals or exceeds an amount equal to 3 times the base amount. […]” 711 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (504). 712 Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (504). 713 So auch Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 33 Rn. 116. 714 Für eine generelle Unzulässigkeit von Anerkennungsprämien aber Martens, ZHR 169 (2005), S. 124 (131 ff., 153).
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die der dafür zuständige Aufsichtsratsausschuss für Vorstandsangelegenheiten nach Zustandekommen des Fusionsvertrages mit Vodafone AirTouch in mehreren Sitzungen im Februar 2000 beschlossen hatte. Die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf zu dieser Frage wurde nicht zuletzt von Aktienrechtlern mit einiger Spannung erwartet, war dies doch das erste Mal, dass sich ein deutsches Gericht (wenn auch unter strafrechtlichen Vorzeichen) ausdrücklich mit der Vorschrift des § 87 I AktG beschäftigte. Das Gericht hatte hier über einen aktienrechtlichen Spezialfall zu entscheiden, nämlich über die Frage, ob nachträgliche freiwillige Prämien bzw. Abfindungen an demnächst ausscheidende Vorstandsmitglieder aktienrechtlich angemessen i. S. d. § 87 I AktG sind. Die gesellschaftsrechtliche Literatur, die sich mit dieser Frage in der Vergangenheit zumindest nicht schwerpunktmäßig auseinanderzusetzen hatte, ist sich in der (aktienrechtlichen) Beurteilung des Falles weitgehend uneinig. Ende Juli 2004 entschied zunächst das Landgericht Düsseldorf erstinstanzlich über die Strafbarkeit der Beteiligten im Fall Mannesmann; im Dezember 2005 markierte dann das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs das vorläufige Ende des Prozesses. Im Folgenden sollen die Eckpunkte der gerichtlichen Lösung sowohl des Landgerichts wie auch des Bundesgerichtshofs sowie der zugrunde liegende Sachverhalt kurz dargestellt werden. aa) Sachverhalt Im Winter 1999 fand eine in der deutschen Unternehmenslandschaft beispiellose Übernahmeschlacht statt, in deren Mittelpunkt der Vorstandsvorsitzende von Mannesmann, Dr. Klaus Esser, und der Chef der britischen Vodafone AirTouch, Chris Gent, standen. Gent hatte den Mannesmann-Aktionären ein Übernahmeangebot gemacht, welches Esser nach fast viermonatigem Widerstand am 3. Februar 2000 annahm. Einen Tag später, am 4. Februar 2000, stimmte der Mannesmann-Aufsichtsrat der Vereinbarung mit Vodafone AirTouch zu 715. Dieser Aufsichtsratssitzung war eine Sitzung des Aufsichtsratsausschusses für Vorstandsangelegenheiten vorgeschaltet, in der es erstmals auch um oben genannte Appreciation Awards und Alternativpensionen in zweistelliger Millionenhöhe (ca. 57 Mio. e) ging. Sachlicher Hintergrund für die nämliche Sitzung bildete eine Initiative des Mannesmann-Großaktionärs Hutchison Whampoa. Dieser hatte vorgeschlagen, Esser für die enorme Wertsteigerung, die im Zusammenhang mit dem Übernahmekampf mit Vodafone AirTouch erzielt wurde, einen Appreciation Award in Höhe von 10 Millionen GBP zukommen zu lassen. Nachdem Esser daraufhin erklärt hatte, dass er den Betrag nur annehmen könne, wenn er von Mannesmann als seinem Arbeitgeber stamme und dass er ihn mit seinen Mitarbeitern im Telekommunikationsbereich teilen wolle, be715 Die Übernahmesumme belief sich auf 178 Milliarden Euro. Die Mannesmann-Aktionäre wurden mit 49,5 Prozent am neuen Unternehmen beteiligt. Vgl. zum Sachverhalt auch Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 8; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 65 f. Ausführlich hierzu LG Düsseldorf, Urteil v. 22. Juli 2004, im Internet abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/ses/ nrwesearch.php#, Aktenzeichen XIV 5/03, S. 1–4.
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willigte der Aufsichtsratsausschuss für Vorstandsangelegenheiten, der sich aus dem Aufsichtsratsvorsitzenden Professor Dr. Funk, der selbst Begünstigter der Anerkennungsprämie war, Dr. Ackermann, sowie den Arbeitnehmervertretern Ladberg und Zwickel zusammensetzte, am 4. Februar 2000 die vorher besprochenen Zahlungen an Esser und sein Team. Die den oben stehenden Zahlungen zugrunde liegenden Beschlüsse sollen nach Angaben der Staatsanwaltschaft wegen Übereilung und anderer Verfahrensfehler bereits formell unwirksam zustande gekommen sein 716. Materiell wird die Anklage auf die Annahme gestützt, die Zahlungen seien mit dem Unternehmensinteresse nicht vereinbar, da sie nur einen Ersatz für die bei freundlichen Übernahmen angeblich üblichen 717, von der Übernahmegesellschaft Vodafone AirTouch aber verweigerten Abfindundszahlungen des Übernehmers dargestellt hätten. Hieraus folgert die Staatsanwaltschaft, dass die Zahlungen, die darüber hinaus durch § 87 AktG nicht gedeckt seien, aktienrechtlich unwirksam seien718. bb) Die Entscheidung des LG Düsseldorf Am 22. Juli 2004 fiel in Düsseldorf das erstinstanzliche Urteil im MannesmannProzess. Die den Begünstigten gewährten Appreciation Awards bzw. Alternativpensionen werden vom Landgericht Düsseldorf als aktienrechtlich unangemessen i.S. d. § 87 I AktG qualifiziert. Die Grundposition des Gerichts zur rechtlichen Behandlung des § 87 I AktG stellt sich dabei wie folgt dar: Das Landgericht geht zunächst davon aus, dass § 87 I AktG Vergütungszahlungen nicht nur der Höhe nach beschränke, sondern auch eine Verantwortung des Aufsichtsrats statuiere, über das „Ob“ der Zahlung, das Vorliegen eines Zahlungsanlasses also, zu entscheiden (Unternehmensinteresse) 719. Im Rahmen der Prüfung dieses „Ob“ der Zusage, welches die Zulässigkeit der Zahlung im konkreten Fall beantworten soll, stellt das Gericht weiter fest, dass die gesetzlichen Kriterien des § 87 I AktG, die Aufgaben des Vorstandsmitglieds und die Lage der Gesellschaft, grundsätzlich rein prospektiv zu interpretieren seien 720. Konsequenterweise könnten angemessen i. S. d. § 87 I AktG nur sol716 Zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft im Fall Mannesmann ausführlich LG Düsseldorf, Urteil v. 22. Juli 2004, im Internet abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/ses/nrwesearch.php#, Aktenzeichen XIV 5/03, S. 1–4. 717 Gegen die Richtigkeit dieser Behauptung der Staatsanwaltschaft spricht allerdings evident § 33 d WpÜG, nach dem Zahlungen des Übernehmers an Vorstandsmitglieder des übernommenen Unternehmens unter den von der Staatsanwaltschaft angenommenen Umständen ausdrücklich verboten sind und sich insbesondere an § 299 StGB messen lassen müssen, vgl. Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (328); Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 16 ff. 718 Ausführlich LG Düsseldorf, Urteil v. 22. Juli 2004, im Internet abrufbar mit Stand Juni 2006 unter http://www.justiz.nrw.de/ses/nrwesearch.php#, Aktenzeichen XIV 5/03, S. 1–4; Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 8; vgl. auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 65 f. 719 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2046 f.) = NJW 2004, S. 3275 (3277). 720 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2047) = NJW 2004, S. 3275 (3277).
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che Gratifikationen sein, die als Bezugspunkt einen in der Zukunft liegenden Umstand (und nicht bereits erbrachte und damit in der Vergangenheit liegende Leistungen) hätten, wie insbesondere die Aussicht auf eine erschwerte Vorstandstätigkeit oder eine verbesserte wirtschaftliche Gesamtsituation 721. Unter Zugrundelegung dieses Interpretationsmaßstabs bei § 87 I AktG verwundert es denn auch wenig, dass das Landgericht – rechtlich konsequent – zur Unzulässigkeit nachträglicher Anerkennungsprämien und Abfindungen, die ihren Bezugspunkt in der Vergangenheit haben (erbrachte Leistungen), kommt und auf Ausführungen zum „Wie“ der Zahlungen, insbesondere zur angemessenen Höhe, gänzlich verzichtet. cc) Die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs 722 „Bewilligt der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft für eine erbrachte dienstvertraglich geschuldete Leistung einem Vorstandsmitglied nachträglich eine zuvor im Dienstvertrag nicht vereinbarte Sonderzahlung, die ausschließlich belohnenden Charakter hat und dem Unternehmen keinen zukunftsbezogenen Nutzen bringt (kompensationslose Anerkennungsprämie), liegt hierin eine treupflichtwidrige Schädigung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens“ 723. In seiner Revisionsentscheidung vom 21.12.2005 hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die vom LG Düsseldorf ausgesprochenen Freisprüche im Mannesmann-Verfahren aufgehoben und die Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die Richter setzten sich dabei primär mit der aktienrechtlichen Bewertung nachträglicher Vergütungsentscheidungen sowie mit den Folgen aktienrechtlicher Unzulässigkeit für das Strafrecht auseinander. Im Hinblick auf ersteren Problemkreis, die aktienrechtliche 724 Zulässigkeit nachträglich vereinbarter Gratifikationen, hat der Bundesgerichtshof dabei eine im oben zitierten ersten Leitsatz bereits angedeutete und primär in der aktienrechtlichen Literatur heftig kritisierte 725 „Dreiteilung“ nachträglicher Vorstandsbezüge vorgenommen 726. Danach ist bei der aktienrechtlichen Beurteilung von post festum vereinbarten Vergütungsbestandteilen zu differenzieren zwischen bereits im Anstellungsvertrag vereinbarten Gratifikationen, zwischen nicht im Anstellungsvertrag vorgesehenen, aber durch Vorteile für die Gesellschaft (namentlich: durch eine Anreizwirkung) kompensierten Gratifikationen, und zwischen nicht im Anstellungsvertrag vorgesehenen SonLG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2047 f.) = NJW 2004, S. 3275 (3277 f.). Abgedruckt in BGH NJW 2006, S. 522 ff. = BGH NStZ 2006, S. 214 ff. 723 BGH NJW 2006, S. 522 = BGH NStZ 2006, S. 214 (Erster Leitsatz). 724 Maßgeblich sind an dieser Stelle allein die gesellschaftsrechtlichen Ausführungen des Bundesgerichtshofs – auf seine Aussagen zur strafrechtlichen Beurteilung des Verhaltens der Angeklagten wird später noch zurückzukommen sein, vgl. hierzu unten Teil 2 B.II. 725 Vgl. nur Hoffmann-Becking, NZG 2006, S.127 ff.; Kort, NZG 2006, S. 131 ff.; Peltzer, ZIP 2006, S. 205 ff.; Spindler, ZIP 2006, S. 349 ff.; 726 Vgl. hierzu auch Hoffmann-Becking, NZG 2006, S.127 ff.; Kort, NZG 2006, S. 131 ff.; Peltzer, ZIP 2006, S. 205 ff. 721 722
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derzahlungen ausschließlich belohnenden Charakters („kompensationslose Anerkennungsprämien“) 727. Während der Bundesgerichtshof Gratifikationen erster Kategorie grundsätzlich für zulässig erachtet, macht er die Zulässigkeit von Zahlungen der zweiten Kategorie bereits von einer Bedingung, nämlich von einem Nutzen für die Gesellschaft, abhängig 728. Dieser Nutzen soll nach Ansicht des 3. Strafsenats allein in der modernen Vergütungselementen innewohnenden Anreizwirkung zu sehen sein 729. Zahlungen der dritten Kategorie hält der Bundesgerichtshof ausnahmslos für unzulässig; dabei sollen bei fehlender Anreizwirkung auch außergewöhnliche Leistungen eine Prämie nicht rechtfertigen können, da solche Leistungen bereits durch die im Anstellungsvertrag ursprünglich vereinbarte Vergütung umfasst und damit abgegolten seien 730. Die Kernaussage des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf nachträglich vereinbarte Gratifikationen ist wohl in letzterer Feststellung zu sehen. Als Rechtfertigung für nicht bereits im Anstellungsvertrag angelegte nachträgliche Gratifikationen kommt damit allein die Anreizwirkung moderner Vergütungsbestandteile in Betracht. Scheidet eine solche Anreizwirkung aus, z. B. weil, wie der Bundesgerichtshof im Fall Mannesmann meint, das Unternehmen im Zuge einer bevorstehenden Übernahme seine wirtschaftliche Selbständigkeit zu verlieren droht, und weil die Begünstigten alsbald aus dem Unternehmen ausscheiden werden, so seien nachträglich vereinbarte Anerkennungsprämien für das Unternehmen „ohne jeden Nutzen“, mithin „kompensationslos“ 731. b) Eigene Ansicht zur rechtlichen Bewertung von Appreciation Awards Beide oben aufgezeigten Entscheidungen haben weitreichende Konsequenzen für die aktienrechtliche Bewertung nachträglicher leistungsbelohnender VergütungsbeBGH NJW 2006, S. 522 (524) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216). „Auch bei fehlender Rechtsgrundlage im Dienstvertrag ist die Bewilligung einer nachträglichen Anerkennungsprämie zulässig, wenn und soweit dem Unternehmen gleichzeitig Vorteile zufließen, die in einem angemessenen Verhältnis zu der mit der freiwilligen Zusatzvergütung verbundenen Minderung des Gesellschaftsvermögens stehen“. Vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (524) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216). 729 „Dies (scil. das Zufließen von Vorteilen) kommt insbesondere in Betracht, wenn die freiwillige Sonderzahlung entweder dem begünstigten Vorstandsmitglied selbst oder zumindest anderen […] Führungskräften signalisiert, dass sich außergewöhnliche Leistungen lohnen, von ihr also eine für das Unternehmen vorteilhafte Anreizwirkung ausgeht“. Vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (524) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216). 730 „Eine im Dienstvertrag nicht vereinbarte Sonderzahlung für eine geschuldete Leistung, die ausschließlich belohnenden Charakter hat und der Gesellschaft keinen zukunftsbezogenen Nutzen bringen kann […], ist demgegenüber als treupflichtwidrige Verschwendung des anvertrauten Vermögens zu bewerten“. Vgl. BGH NJW 2006, S.522 (524) = BGH NStZ 2006, S.214 (216). Ähnlich auch Martens, ZHR 169 (2005), S. 124 (131 ff.). 731 BGH NJW 2006, S. 522 (525) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216). 727 728
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standteile. Realistischerweise wird man insbesondere die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zu den Prämien im Fall Mannesmann als das „Aus“ für post festum vereinbarte Gratifikationen ohne Anreizwirkung verstehen müssen 732. Dass eine solche Interpretation keine Selbstverständlichkeit ist, ergibt sich bereits aus der Grundentscheidung des Gesetzgebers, in § 87 I AktG die Vergütungskompetenz dem billigen Ermessen des Aufsichtsrats zu unterstellen733. Im Folgenden wird daher der Frage nachzugehen sein, inwiefern die Rechtsprechung zum Fall Mannesmann Appreciation Awards tatsächlich in derart apodiktischer Weise auszuschließen geeignet ist. Dabei soll zunächst in systematischer Hinsicht die Ansicht des LG Düsseldorf, die gesetzliche Vorgabe des § 87 I AktG sei rein prospektiv und verbiete daher die nachträgliche Berücksichtigung bereits erbrachter Leistungen, wegen der weitreichenden Konsequenzen für die Auslegung der Vorschrift in bezug auf Vergütungsentscheidungen näher auf ihre Stichhaltigkeit untersucht werden. Anschließend folgt eine Auseinandersetzung mit der vornehmlich auf den (oben als sehr unbestimmt kritisierten 734) Begriff des „Unternehmensinteresses“ gestützten Ansicht des Bundesgerichtshofs, der nachträglich vorgesehende Vorstandsvergütungen ohne Anreizwirkung für generell unzulässig erachtet. aa) Bestehen eines Zahlungsanlasses Der Aufsichtsrat hat Vergütungszusagen grundsätzlich durch Eruieren eines Zahlungsanlasses sachlich zu rechtfertigen. Dafür spricht entscheidend bereits der Wortlaut des § 87 I AktG, der den Aufsichtsrat nicht lediglich hinsichtlich der Höhe der Gesamtbezüge als solcher mit der Konsequenz, dass der Aufsichtsrat sich ausschließlich über die Frage, wie hoch die Vergütung im Einzelnen ausfallen solle, verständigen muss 735, in seinem Ermessen beschränken will. Die Gegenauffassung, die von § 87 I AktG lediglich die Höhe der Gesamtbezüge erfasst sehen möchte, hätte zur Folge, dass die Existenz des § 87 I AktG eine Verantwortung des Aufsichtsrats, über das „Ob“ der Vergütung zu entscheiden, ausschließen würde, und steht damit im Widerspruch zum Telos des § 87 I AktG, welches ja sämtliche im Unternehmensinteresse zusammengefasssten Interessen zu schützen bezweckt 736 und damit einen möglichst umfassenden Schutz der stakeholder erreichen will. Dass einer unternehmerischen Entscheidung über das „Wie“ der Zahlung eine Entscheidung über das „Ob überhaupt“ vorangehen muss, ergibt sich zudem bereits zwingend aus dem Begriff des Ermessens, welches vor der Entscheidung über die genaue Vorgehensweise bereits denknotwendig eine Entschließung zum Handeln verlangt. So fragend auch Kort, NZG 2006, S. 131. Vgl. hierzu bereits oben B.II. 734 Vgl. oben I. 735 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2046) = NJW 2004, S. 3275 (3277). A.A. Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (651). 736 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2046) = NJW 2004, S. 3275 (3277). 732 733
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
Für den Normalfall der Vergütungszusage, die (erstmalige) Gestaltung des Anstellungsvertrags bzw. dessen Veränderung im Laufe der Vorstandstätigkeit, für sämtliche Zusagen also, die im Rahmen des Anstellungsvertrages die zukünftige Vergütung eines Vorstandsmitglieds betreffen, ergibt sich der Zahlungsanlass aber bereits aus der Kongruenz sämtlicher im Unternehmensinteresse zusammengefasster Anspruchsgruppen. Weil ohne Vergütung keine Führungskraft zu gewinnen und kein Unternehmen zu führen ist 737, geht in diesem Normalfall der Vergütungszusage nämlich das Gesetz in § 87 I AktG von der Annahme aus, dass Vergütungszahlungen grundsätzlich im Unternehmensinteresse liegen und reduziert das Entschließungsermessen des Aufsichtsrats damit auf Null 738. In diesem Normalfall der Vergütungsentscheidung des Aufsichtsrats ist die Frage, ob die Zahlungen bzw. die Vergütungszusagen ermessensfehlerfrei zustande gekommen und sachgerecht waren, damit konsequenterweise allein eine Frage der Höhe der zugesagten oder ausgezahlten Bezüge 739. Die Frage nach dem „Ob“ der Vergütung ist hier mit den Worten des Landgerichts Düsseldorf eine „keine weiteren Ausführungen erfordernde Selbstverständlichkeit“ 740. Anderes gilt jedoch nach der hier vertretenen Ansicht für den Fall nachträglicher Vergütungszusagen, namentlich für den Fall nachträglich vereinbarter Anerkennungsprämien bzw. Appreciation Awards. Zwar sind nach richtiger Auffassung auch diese als Teil der Gesamtbezüge von § 87 I AktG erfasst 741 – wie gezeigt wurde, falWollburg, ZIP 2004, S. 646 (651). Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (651); ähnlich, zumindest bei der Frage des Ermessensfehlgebrauchs ebenso Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 22. Dem entspricht es, dass § 87 I AktG dem Ermessen, welches dem Aufsichtsrat bei seiner Vergütungsentscheidung zukommt, eine inhaltliche Grenze setzt, die, wie erwähnt, dogmatisch auf den Schutz sämtlicher Interessen zurückzuführen ist, welche auch durch das sog. Unternehmensinteresse geschützt werden sollen. Allein aus diesem Grund erscheint es widersinnig, eine Zusage über die zukünftige Vergütung eines amtierenden Vorstandsmitglieds, die unter Berücksichtigung dieser im Unternehmensinteresse zusammengefassten Belange ihrer Höhe nach angemessen ist, mit einem Verweis auf das Unternehmensinteresse eventuell als ermessensfehlerhaft zu qualifizieren. Ebenso Notz, Bericht über die Diskussion zum Vortrag Meinrad Drehers, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 247 (259). 739 Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (651), der dabei auf die Gesetzesbegründung zu § 87 AktG verweist, die lautet: „Diese Pflicht des Aufsichtsrats (scil. dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge des Vorstands in einem angemessenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft stehen), beschränkt der Entwurf allerdings auf die Zeit der Feststellung der Bezüge. Denn kommt der Aufsichtsrat nachträglich zu der Ansicht, dass die Gesamtbezüge unangebracht hoch seien, so hat er – abgesehen von Absatz 2 – praktisch keine Möglichkeit, die Bezüge des Vorstands herabzusetzen.“ Eine eindeutige Aussage über die Frage, ob §87 I AktG tatsächlich nur die Höhe von Vergütungszusagen regeln will, lässt sich dieser Formulierung freilich nicht entnehmen, da zum Entschließungsermessen eben gerade keine Aussage getroffen wird. 740 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2047) = NJW 2004, S. 3275 (3277). 741 Die im Gesetz vorgenommene Aufzählung der Vergütungsbestandteile ist insofern nicht enumerativ, vgl. nur Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 737 738
C. Grenzen der Vergütungsentscheidung
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len unter den weit gefassten Begriff der Gesamtbezüge sämtliche Leistungen, die einem aktiven Vorstandsmitglied mit Rücksicht auf seine Tätigkeit für die Gesellschaft, also unter Berücksichtigung der Lage der Gesellschaft und der Aufgaben des Vorstands, gewährt werden 742. Allerdings ist in diesem Fall die Besonderheit der Nachträglichkeit dieser Zusagen als wesentliches Merkmal der Vergütungsentscheidung in Betracht zu ziehen. Bei solchen Zahlungen, die „freiwillig für zuvor erbrachte Leistungen und erzielte Erfolge sowie zusätzlich zu bereits vorhandenen vertraglich vereinbarten Vergütungen geleistet werden sollen“ 743, ist die Beantwortung der Frage, ob die Vergütung gezahlt werden soll, eben keine weitere Ausführungen nicht erfordernde „Selbstverständlichkeit“ 744. Da es sich im Fall der Nachträglichkeit von Vergütungszusagen nicht um die (erstmalige) Ausgestaltung und damit den Abschluss des Anstellungsvertrages, sondern um im Nachhinein vereinbarte Zuwendungen für bereits erbrachte Leistungen handelt745, ergibt sich die Kongruenz mit dem Unternehmensinteresse (Selbstverständlichkeit des ‚Ob‘ der Zusage) im Unterschied zum Regelfall der Vergütung (Abschluss des Anstellungsvertrages für die Zukunft) zumindest nicht als zwingende Folge einer unbedingten Notwendigkeit der Zusage für die Gesellschaft (ohne Vergütung keine Tätigkeit und damit keine Unternehmensführung). In diesem speziellen Fall der nachträglichen Vergütungszusage ist nach der hier vertretenen Ansicht eine gewissermaßen automatische Übereinstimmung mit dem Unternehmensinteresse zu verneinen und damit das „Ob“ der Zahlung gesondert zu prüfen und zu begründen 746. Für die Zulässigkeit von Appreciation Awards maßgeblich ist somit das Bestehen eines besonderen Zahlungsanlasses, der eine Antwort auf die Frage geben muss, weshalb zusätzlich zu den bereits im Anstellungsvertrag vereinbarten und üblicherweise mit der Dienstleistung abgegoltenen Zahlungen weitere, nachträgliche Zusagen bzw. Zahlungen gewährt werden 747. Ist ein solcher besonderer Zahlungsanlass zu verneinen, so sind die Zusagen unabhängig von ihrer tatsächlichen Höhe mit dem Angemessenheitserfordernis des § 87 I AktG nicht zu vereinbaren. Im Folgenden soll zunächst untersucht werden, ob vergangenheitsbezogene (retrospektive) Zusagen überhaupt vom Regelungszweck des § 87 I AktG umfasst sind. Rn. 8; Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 (99); Spindler, DStR 2004, S. 36 (37); Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (651); kritisch Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (325). 742 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 8; Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (651); Spindler, DStR 2004, S. 36 (37). 743 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2047) = NJW 2004, S. 3275 (3277). 744 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2047) = NJW 2004, S. 3275 (3277). 745 Vgl. zur Natur von nachträglichen Anerkennungsprämien bzw. Appreciation Awards bereits oben A.I.2.c. 746 Ebenso LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2046 f.) = NJW 2004, S. 3275 (3277). A.A. Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (651), der auch für nachträgliche Zahlungen davon ausgeht, dass diese ohne weiteres im Unternehmensinteresse lägen und daher lediglich im Hinblick auf ihre Höhe näher zu untersuchen seien. 747 So zutreffend LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2047) = NJW 2004, S. 3275 (3277f.).
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
Danach soll auf die (umstrittene) Möglichkeit einer nachträglichen Vereinbarung solcher Zusagen eingegangen werden. (1) Wortlautauslegung: eher prospektive Ausrichtung des § 87 I AktG In Ansehung des Wortlauts des § 87 I AktG ist zunächst festzuhalten, dass unter den in § 87 I AktG erwähnten „Aufgaben des Vorstandsmitglieds“ zumindest nicht vorrangig die Leistungen des Begünstigten zu verstehen sind, die ja zudem zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Bezüge nicht immer bekannt sein werden. Im Gegensatz zum Begriff der (erbrachten) Leistung birgt der Begriff „Aufgaben“ ein vorausschauendes, in die Zukunft gerichtetes Element, was den Schluss nahe legt, dass die Ausrichtung des § 87 I AktG dem Grunde nach eine prospektive ist 748. Für diese Sichtweise spricht außerdem der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Angemessenheit, den das Gesetz im Moment der Festsetzung der Vergütung, nämlich bei der „Festsetzung der Gesamtbezüge“, sieht 749. Entscheidend für die Beurteilung der Angemessenheit und damit für die Vergütungsentscheidung als solche ist damit grundsätzlich die Art der dem Vorstandsmitglied bei seiner Bestellung übertragenen Aufgaben, das gesamte zukünftige Tätigkeitsfeld also, in welchem das Vorstandsmitglied funktioniert 750. (2) Telos des § 87 I AktG: nachträgliche Berücksichtigung erbrachter Leistungen möglich Dass die Interpretation des § 87 I AktG dem Wortlaut nach den Schluss nahe legt, § 87 I AktG sei rein prospektiv ausgerichtet, heißt nach der bewährten Methodik juristischer Auslegungstechnik noch nicht, dass dieser Schluss auch zwingend ist. Vielmehr streiten nach der hier vertretenen Ansicht insbesondere sowohl das Telos des § 87 I AktG als auch die dogmatische Berechtigung moderner Vergütungslemente für die Möglichkeit einer nachträglichen Einbeziehung bereits erbrachter Leistungen in die Angemessenheitsprüfung (retrospektive Auslegungsmöglichkeit) und damit für deren grundsätzliche Zulässigkeit.
748 Brauer, NZG 2004, S. 502 (507); LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2047) = NJW 2004, S. 3275 (3277). 749 Brauer, NZG 2004, S. 502 (507); LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2047) = NJW 2004, S. 3275 (3277). 750 Brauer, NZG 2004, S. 502 (507); LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2047) = NJW 2004, S. 3275 (3277).
C. Grenzen der Vergütungsentscheidung
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(a) Berücksichtigung von Leistungen im Rahmen der Vergütungsentscheidung Unter retrospektiven Faktoren sind bei Vergütungsfragen primär bereits erbrachte Leistungen, die in der Vergangenheit liegende besondere Verdienste des Vorstands bezeichnen, zu verstehen. Zwar nicht maßgeblich für die Einbeziehung solcher Faktoren in die Vergütungsentscheidung, jedoch gegen die von Teilen der Literatur sowie vom Landgericht Düsseldorf aufgestellte These, der Gesetzgeber habe durch die Formulierung des § 87 I AktG („Aufgaben“) eine solche Einbeziehung vorsätzlich und kategorisch ausschließen wollen, spricht bereits die Systematik des § 87 AktG, namentlich die Existenz des § 87 II AktG, der die Herabsetzung der Bezüge im Falle der wesentlichen Verschlechterung der Verhältnisse der Gesellschaft regelt. Die Tatsache, dass eine Herabsetzung nachträglich möglich ist, weist darauf hin, dass §87 I AktG dem Grunde nach von der erstmaligen Festsetzung der Vorstandsvergütung, mithin vom Abschluss des Anstellungsvertrages, ausgeht 751. Weil bei Abschluss des Anstellungsvertrags zu Beginn der Vorstandstätigkeit irgendwie geartete Leistungen des Vorstands für die Gesellschaft naturgemäß nicht vorliegen, macht das Gesetz konsequenterweise die vor dem Vorstandsmitglied liegenden „Aufgaben“ zum maßgeblichen Kriterium der Angemessenheit 752. Dem lässt sich unmittelbar freilich allein ein Schweigen des Gesetzes zur Möglichkeit der Berücksichtigung bereits erbrachter Leistungen, keineswegs aber die notwendige Verneinung einer solchen Möglichkeit entnehmen 753. Dass erbrachte Leistungen bei der Vergütungsentscheidung grundsätzlich Eingang in die Betrachtung finden müssen, ergibt sich vielmehr sowohl aus Existenz wie auch aus Sinn und Zweck moderner Vergütungsformen, die die Leistung bzw. den auf Leistung beruhenden Erfolg zur Grundlage der Vergütungsbemessung machen 754. Diese Sichtweise liegt erkenntlich auch Ziffer 4.2.2 Absatz 2 Satz 1 des DCGK zugrunde, die die (erbrachte) Leistung sogar als Hauptkriterium für die Festlegung der Vergütung und deren Angemessenheit konstituiert. Ziffer 4.2.2 Absatz 2 Satz 1 DCGK: „Die Vergütung der Vorstandsmitglieder wird vom Aufsichtsrat unter Einbeziehung von etwaigen Konzernbezügen in angemessener Höhe auf der Grundlage einer Leistungsbeurteilung festgelegt. Kriterien für die Angemessenheit der Vergütung bilden insbesondere die Aufgaben des jeweiligen Vorstandsmitglieds, seine persönliche Leistung, die Leistung des Vorstands sowie die wirtschaftliche Lage, der Erfolg und die Zukunftsaussichten des Unternehmens.“755 751 So auch Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (324); ähnlich Hoffmann-Becking, NZG 2006, S. 127 (128); ders., ZHR 169 (2005), S. 155 (158). 752 So auch Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (789); ders., ZHR 169 (2005), S. 155 (158). 753 Ähnlich Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (324); Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (789). 754 Vgl. auch Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (789); Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (338): „bisherige oder zu erwartende Leistungen“. 755 Hervorhebung durch die Verfassserin.
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
So führt auch die entsprechende Kommentarliteratur zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds i.R.d. § 87 I AktG, die das Gericht mit Hinweis auf die prospektive Ausrichtung der Vorschrift zitiert, als zusätzliches Kriterium, welches in die Beurteilung als angemessen einfliessen kann, explizit die Leistungen des Vorstandsmitglieds an („Überragende Leistungen rechtfertigen auch eine sehr hohe Vergütung“) 756. Dass retrospektive Faktoren in die Beurteilung der Angemessenheit grundsätzlich Eingang finden können, kann nach obigen Ausführungen keinen Zweifeln mehr unterliegen. (b) Nachträgliche Berücksichtigung von Leistungen im Rahmen der Vergütungsentscheidung Fraglich ist die Möglichkeit der nachträglichen Berücksichtigung erbrachter Leistungen im Rahmen der Vergütungsentscheidung. Die teilweise als Argument für diese Möglichkeit angeführte rechtstechnische Einordnung des Anstellungsvertrages als Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB) 757 spricht dabei noch nicht zwingend für die aktienrechtliche Zulässigkeit nachträglicher, erbrachte Leistungen honorierender Vergütungszahlungen 758. Zwar gilt im Hinblick auf die Vergütung von Vorstandsmitgliedern grundsätzlich die Regelung des § 612 BGB, nach der eine Vergütung immer dann geschuldet ist, „wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist“, was zunächst für die Erfassung von Mehrleistungen über nachträgliche Sonderzahlungen an den Vorstand sprechen könnte 759. Zu bedenken ist aber, dass den allgemeinen dienstvertraglichen Regelungen die besonderen aktienrechtlichen Regelungen, die Vorstandsverträgen ihr besonderes, eigenes Gepräge geben, grundsätzlich vorgehen 760. Eine solche besondere aktienrechtliche Regelung inkorporiert § 87 I AktG, der, soweit er tatsächlich rein prospektiv ausgerichtet ist, der Vergütungsregelung des § 612 BGB vorgehen würde. Für eine Zulässigkeit nachträglich vereinbarter Vergütungszusagen spricht primär die Anreizfunktion moderner Vergütungsinstrumente. Dass von post festum vereinbarten Gratifikationen eine erhebliche Signalwirkung in dem Sinne ausgehen kann, 756 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, §87 Rn.13. Dass die Autoren die nachträgliche Gewährung von Prämien grundsätzlich für zulässig halten, ergibt sich auch aus Rn. 15, wo klargestellt wird, dass Zahlungen, die sich auf in der Vergangenheit liegende Umstände stützen, dann im Unternehmensinteresse liegen, wenn sie insbesondere durch das Aussenden einer Anreizwirkung sachlich gerechtfertigt seien. Dem entspricht die hier vertretene Ansicht, die statuiert, dass erbrachte Leistungen dann nachträglich honoriert werden können, wenn eine Leistung tatsächlich vorliegt. Worin diese Leistung genau liegen kann, soll an anderer Stelle (d) ausführlich besprochen werden. 757 Zur rechtlichen Einordnung des Anstellungsvertrages als Dienstvertrag vgl. schon oben B. 758 So aber Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 f. 759 Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 f. 760 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 84 Rn. 42.
C. Grenzen der Vergütungsentscheidung
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dass sich überobligatorische Leistungen lohnen, hat jüngst auch der Bundesgerichtshof im Fall Mannesmann bestätigt 761. Dem ist jedenfalls insoweit unumwunden zuzustimmen, als die Anreizwirkung jedenfalls auch als Argument für die Zulässigkeit nachträglicher Vergütungszusagen herangezogen werden kann. Zweifelhaft erscheint allerdings die Ansicht des Bundesgerichtshofs, allein die Anreizwirkung könne nachträgliche Anerkennungsprämien rechtfertigen. Eine solche apodiktische Beschränkung des Aufsichtsratsermessens bei Vergütungsentscheidungen gebietet weder die Systematik noch das Telos des § 87 I AktG, wie sogleich auszuführen sein wird. Insbesondere das Unternehmensinteresse, welches der Bundesgerichtshof als gleichsam übergeordnete (und praktisch nicht näher zu bestimmende762) Wertung des Aktienrechts zur Begründung heranzieht 763, vermag nach der hier vertretenen Ansicht eine eigenständige, allgemeingültige Ausschlusswirkung schon deshalb nicht zu entfalten, weil es in § 87 I AktG vollumfänglich aufgeht 764. Konsequenterweise sind die Ermessensgrenzen des Aufsichtsrats im Hinblick auf nachträgliche Vergütungsbestandteile allein in § 87 I AktG zu suchen, was im Folgenden dargestellt werden soll. In systematischer Hinsicht deutet (parallel zur Argumentation bei der Frage der Einbeziehung retrospektiver Faktoren in die Vergütungsentscheidung), wie bereits dargelegt, die Existenz des § 87 II AktG darauf hin, dass § 87 I AktG dem Grunde nach von der erstmaligen Festsetzung der Vergütung ausgeht 765. Dass bei Abschluss des Anstellungsvertrages eine nachträgliche Vergütung gar nicht im Raum steht, liegt auf der Hand. Für die grundsätzliche Möglichkeit der nachträglichen Vereinbarung von Vorstandsbezügen spricht auch das Telos des § 87 I AktG, der, wie oben bereits erwähnt, als Konkretisierung des Unternehmensinteresses bei Vergütungsentscheidungen dem Schutz der Interessen von Anteilseignern, Arbeitnehmern und Gläubigern vor unangemessenen Vorstandsvergütungen, also letztlich vor Vermögensminderungen, dient 766. Weshalb die Vorschrift zum Zwecke dieses Schutzes nur für die Zukunft gewährte Vergütungen, nicht aber auch retrospektive Zusagen erfassen soll, ist nicht eingängig. Der oben genannte Schutzzweck des § 87 I AktG wird von nachträglichen Vergütungszusagen nicht gefährdet. Vielmehr liegt die Annahme nahe, dass nachträgliche Vereinbarungen den Anforderungen des § 87 I AktG eher genügen werden als zukunftsgerichtete Zusagen, da die objektive Beurteilung einer Leistung, die tatsächlich erbracht wurde, um ein Vielfaches leichter fällt, zuverlässiger und präziser ist als die betragsmäßige Einordnung einer zukünftigen AufgaBGH NJW 2006, S. 522 (524) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216). Vgl. hierzu ausführlich oben I.5. 763 BGH NJW 2006, S. 522 (524): „Das Unternehmensinteresse ist bei unternehmerischen Entscheidungen als verbindliche Richtlinie anerkannt“. 764 Vgl. hierzu ausführlich oben I.5. 765 Vgl. hierzu oben (a), Fn. 751. 766 So grundsätzlich Brauer, NZG 2004, S. 502 (503 f.), allerdings mit der gegenteiligen Schlussfolgerung. 761 762
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Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
be 767. Die Überprüfung der Existenz eines äquivalenten wirtschaftlichen Gegenwerts muss damit im Grunde erst recht für einen abgeschlossenen Vorgang in der Vergangenheit möglich sein 768. Wenn der Bundesgerichtshof dem entgegenhält, dass bereits bei Abschluss des Dienstvertrags vielfältige – und ausreichende – Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden, um eine leistungsgerechte Vorstandsvergütung sicherzustellen, weshalb es schlicht an der Notwendigkeit einer nachträglichen Festsetzung fehle 769, so ist dies zwar dem Grunde nach durchaus richtig und in der Theorie unwidersprochen, verkennt aber die wahre Problematik nachträglicher Vergütungszusagen, die ja gerade die Situation betreffen, dass die Festsetzung einer leistungsgerechten Vorstandsvergütung wegen der Nachträglichkeit der honorierungswürdigen Leistung bei Abschluss des Dienstvertrags im konkreten Fall eben nicht stattgefunden hat, weil die Möglichkeit einer solchen überobligationsmäßigen Leistung etwa schlicht nicht bedacht wurde und damit keinen Eingang in die Bewertung gefunden hat. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass § 87 I AktG nachträgliche „Korrekturen“ zu Lasten der AG überhaupt nicht gestatte, da es in der Natur der Prognoseentscheidung über die Vergütung liege, dass sie sich für eine der beiden Parteien des Anstellungsvertrags „als günstig, für die andere dementsprechend als ungünstig erweisen kann“, weshalb spiegelbildlich zu der Tatsache, dass die Gesellschaft das Risiko der Einstellung eines „überbezahlten“ Vorstands zu tragen hat, man ihr den Vorteil wahren müsse, „dass sich die Waagschale zu ihren Gunsten neigt“ 770. In diese Richtung geht unzweifelhaft auch die vom Bundesgerichtshof angedeutete Auffassung, eine einmal festgesetzte Vertragsvereinbarung könne, sofern sie nicht im Einzelfall eine Anreizwirkung entfalte oder aber bereits im Dienstvertrag einer Änderung zugänglich gemacht wurde, unter keinen Umständen zu Gunsten des Vergütungsempfängers abgeändert werden 771. Dies widerspricht indes nicht nur in eklatanter Weise dem Grundsatz der Dispositionsfreiheit, sondern auch in erheblichem Maße dem Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit. Während nämlich das Gesetz eine nachträgliche Herabsetzung der Vergütung (§ 87 II AktG) zu Lasten des Vorstands unter bestimmten Voraussetzungen vor dem Hintergrund der Leistungsgerechtigkeit für möglich erachtet, möchte der Bundesgerichtshof dieses Äquivalenzverhältnis einseitig zu Gunsten der Gesellschaft verteilen, indem er eine Vergütungsheraufsetzung zu Gunsten des Vorstands mit dem Verweis auf den erstmaligen Abschluss des Dienstvertrags kategorisch ablehnt. Dass eine solche einseitige Risikoverteilung alles andere als sachgerecht ist, verdeutlicht ein Blick auf unsere Rechtsordnung, die Äquivalenzstörungen, wie insbesondere ein Blick ins Bürgerliche Gesetzbuch Ähnlich Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (789). So grundsätzlich Brauer, NZG 2004, S. 502 (503 f.), allerdings mit der gegenteiligen Schlussfolgerung. A.A. auch Martens, ZHR 169 (2005), S. 124 (131 ff.). 769 BGH NJW 2006, S. 522 (524). 770 So Brauer, NZG 2004, S. 502 (507). 771 Vgl. BGH NJW 2006, S. 522 = BGH NStZ 2006, S. 214 (Erster Leitsatz). 767 768
C. Grenzen der Vergütungsentscheidung
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zeigt 772, gerade verhindern will. Zutreffend hat jüngst Peltzer darauf hingewiesen, es widerspreche „dem (scil. in den Regelungen des BGB) zum Ausdruck kommenden Willen der Rechtsordnung, Äquivalenzstörungen zu beheben, wenn die (freiwillig, ohne vertraglichen Zwang) vorgenommene Handlung des Vermögenstreuhänders, das fehlende Gleichgewicht wiederherzustellen, […] als rechtswidrig […] angesehen wird“ 773. Die Auffassung des Bundesgerichtshofs verkennt zudem, dass § 87 I AktG ausschließlich dem Schutz vor Vermögensminderung durch unangemessene Vergütungen verpflichtet ist. Die Schlussfolgerung, dass die Vorschrift gleichzeitig der Vermögensmehrung oder auch nur der Vorteilssicherung der Gesellschaft dienen soll, ist zwar dem Grunde nach möglich, keinesfalls aber zwingend. Vielmehr lässt sich dem Schutzzweck des § 87 I AktG lediglich entnehmen, dass zumindest eine Pflicht der Gesellschaft zur nachträglichen Vereinbarung zusätzlicher Vorstandsbezüge nicht bestehen kann. Aus § 87 I AktG zusätzlich die rechtliche Unmöglichkeit hierzu herauslesen zu wollen, widerspräche primär dem Regelungsgehalt der Vorschrift, der sich, wie bereits festgestellt, unter Berücksichtigung des Telos der Vorschrift auf folgende Formel verkürzen lässt: Angemessen i. S. d. § 87 I AktG ist jede Vergütung, der eine äquivalente Gegenleistung des Begünstigten gegenübersteht 774. Eine solche Gegenleistung kann durchaus auch nachträglich festgestellt werden, wenn sie nur tatsächlich existiert. So verstanden, macht § 87 I AktG demnach nicht die Zulässigkeit einzelner Vergütungsmethoden, sondern vielmehr das Vorliegen einer äquivalenten Gegenleistung des Vorstands zum wahren Gegenstand der Angemessenheit bzw. der Vergütungsentscheidung 775. Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, die Antwort auf die Frage nach der Zulässigkeit nachträglicher Zahlungen nicht in der (zu) engen Interpretation des § 87 I AktG zu suchen, sondern vom tatsächlichen Vorliegen einer Gegenleistung des Vorstands abhängig zu machen. Dieser Sichtweise entspricht die Rechtsprechung des Reichsgerichts, welches bereits im Jahr 1944 entschied, dass nachträgliche leistungsbelohnende Vergütungszusagen grundsätzlich zulässig sind. Das Reichsgericht führte dazu aus, dass es sich bei derartigen Zahlungen „[…] nicht um eine Schenkung, sondern um eine Vergütung für bereits geleistete Dienste (scil. handelt). […] Die Gewährung einer den Umständen nach angemessenen Vergütung an den Vorstand steht auch, selbst wenn sie erst nachträglich und ohne vertragliche Bindung erfolgt, durchaus im Einklang mit den Aufgaben des Aufsichtsrats gem. §§ 75, 97 I AktG (scil. 1937), der in dieser Beziehung die Aktiengesellschaft leitet und daher insoweit an die allgemeine Vorschrift des § 70 AktG (scil. 1937) gebunden ist. Soweit sich die gewährte Vergütung im Rahmen des Angemessenen hält, kann der Aufsichtsrat für sein Verhalten hierbei 772 Peltzer, ZIP 2006, S. 205 (207) verweist hier unter anderem auf §§ 138, 242 und 313 BGB, in denen dieser Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit zum Ausdruck komme. 773 Peltzer, ZIP 2006, S. 205 (207). 774 Vgl. oben II.4.c). Vgl. hierzu Brauer, NZG 2004, S. 502 (503 f.). 775 Anders Brauer, NZG 2004, S. 502 (503 f.).
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nicht zur Verantwortung gezogen werden und fällt auch dem Vorstande, der sich die Vergütung gewähren lässt, keine Verletzung seiner Treupflicht gegenüber der Gesellschaft zur Last.“ 776 Die gleichen Grundsätze seien auch, so das Reichsgericht, „maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob die […] gewährte Sondervergütung den Umständen nach sich im Rahmen des Angemessenen hält“777. Der zitierten Entscheidung lassen sich zwei wesentliche Aussagen im Hinblick auf nachträgliche Vergütungszusagen entnehmen. Zum einen bejaht das Reichsgericht die Frage nach dem grundsätzlichen „Ob“ der Zusage und damit die Zulässigkeit nachträglicher Vergütungszusagen und beschränkt diese lediglich hinsichtlich ihrer Höhe („soweit sich die Vergütung im Rahmen des Angemessenen hält“). Zum anderen lehnt das Gericht eine Einordnung solcher Zusagen als „Geschenke“ 778 mit dem Argument ab, dass „es sich um eine Vergütung für bereits geleistete Dienste“, mithin um eine Leistung mit Gegenleistung handele, weshalb die Vergütung schon nicht unentgeltlich erfolgt. Dem ist ausdrücklich zuzustimmen. Denn in dem Fall, in dem eine irgendwie geartete Leistung durch das Vorstandsmitglied tatsächlich erbracht wurde, liegt rechtlich wegen Erbringung einer Gegenleistung keine Schenkung im rechtlichen Sinne, sondern die schuldrechtliche Erfüllung eines gesellschaftsrechtlichen Sonderrechtsverhältnisses vor 779. Das Reichsgericht stellt diesbezüglich klar, dass im Rahmen dieses gesellschaftsrechtlichen Sonderverhältnisses außerordentliche Leistungen auch ex post durch eine entsprechende Änderung des Anstellungsvertrages vereinbart werden können. Diese Änderung der Anstellungsvereinbarung, die auf der Grundlage der Parteiautonomie grundsätzlich zulässig ist, begründet die rechtliche causa, die es ermöglicht, solche ausserordentlichen Leistungen auch entsprechend zu vergüten. Die Entscheidung bestätigt damit den oben aufgestellten Grundsatz, dass § 87 I AktG seinem Schutzzweck entsprechend primär das Vorliegen einer äquivalenten Gegenleistung sicherstellen will, nicht aber die grundsätzlich bestehende Vertragsfreiheit aushebeln möchte und verdeutlicht, dass die rechtliche Zulässigkeit solcher nachträglicher Zahlungen vom tatsächlichen Bestehen einer äquivalenten (Gegen-) Leistung des Vorstands abhängt. Dass die nachträgliche Vergütungszusage von § 87 I AktG zumindest dem Grunde nach erfasst wird, ergibt sich zudem aus der Existenz der Ermessenstantieme. Die Ermessenstantieme stellt, wie bereits erwähnt, eine Sondervergütung dar, die primär dann gewährt wird, wenn „die besondere Leistung eines Vorstandsmitglieds durch 776 RG DR 1944, S.488 (490) (Hervorhebung durch die Verfasserin). Dass die Entscheidung sich noch auf das Aktiengesetz von 1937 stützte, soll hier nicht weiter stören, da insbesondere die entscheidenden Aussagen der hier maßgeblichen Vorschrift des § 70 AktG 1937, die die Angemessenheit von Vergütungszusagen an den Vorstand regelte, vom Gesetzgeber 1965 fast unverändert in § 87 I AktG übernommen wurden, vgl. schon oben II.1. 777 RG DR 1944, S. 488 (490) (Hervorhebung durch die Verfasserin). 778 So insbesondere Lutter/Zöllner, „Die Mannesmann-Prämien durften nicht gezahlt werden, FAZ Nr. 34 v. 10. Februar 2004, S. 12. 779 Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (652).
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die vertraglich vorgesehenen Bezüge nicht angemessen honoriert erscheint“780. Diese Feststellung wird freilich erst nach der Erbringung dieser besonders honorierungswürdigen Leistung möglich sein, so dass auch die Ermessenstantieme ein in diesem Sinne nachträgliches leistungsbelohnendes Vergütungsinstrument darstellt 781. Eine rein prospektive Auslegung des § 87 I AktG würde logisch zwingend die rechtliche Unzulässigkeit der Ermessenstantieme nach sich ziehen, eine Konsequenz, die im Widerspruch zur ganz überwiegenden Auffassung im Aktienrecht, die Ermessenstantiemen als Vergütungsbestandteile anerkennt 782, stünde 783. Nach der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall Mannesmann dürfte diese Argumentation allerdings nur noch für nachträglich vereinbarte Vergütungszusagen mit Anreizwirkung gelten, da nur in diesem Fall eine Vergleichbarkeit von post festum vereinbarter Vergütung und Ermessenstantieme, deren Gewährung, anders als die nachträgliche Vergütungszusage, bereits im Anstellungsvertrag ihre Grundlage findet, gegeben ist 784. Schließlich lässt sich für die grundsätzliche Zulässigkeit der Gewährung nachträglicher Prämien durch den Aufsichtsrat die Anreizfunktion anführen, die modernen Vergütungsinstrumenten auf der Grundlage der Principal-Agent-Theory zugesprochen wird 785. Die funktionale Bedeutung anreizorientierter Vergütungselemente für die Vergütungsstruktur stellt neuerdings der DCGK in Ziffer 4.2.3 Absatz 1 Satz 2 ausdrücklich heraus 786. Nun ist weitgehend anerkannt, dass auch bzw. gerade nachträgliche Vergütungszusagen Anreizwirkung für die Zukunft ausüben können 787. So wird die rechtliche Zulässigkeit von Ermessenstantiemen vor allem mit deren zukunftsgerichteter Anreizwirkung begründet 788. Hielte man § 87 I AktG tatSemler, in: FS Budde, 1995, S. 599 (606). Zur Ermessenstantieme vgl. bereits oben A.I.1.c)bb). 782 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 15; Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (799); Semler, in: FS Budde, 1995, S. 599 (606); Spindler, DStR 2004, S. 36 (44); Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (652), Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 123, der die Ermessenstantieme allerdings als „veraltet“ bezeichnet. 783 So auch Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155 (161). 784 Vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (525): „Denn die Ermessenstantieme […] zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sich für sie im Dienstvertrag eine Anspruchsgrundlage findet und deshalb von ihr regelmäßig eine Anreizwirkung ausgeht, besondere Leistungen zu erbringen“. 785 Vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (524) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216). 786 Vgl. Ziffer 4.2.3 Absatz 1 Satz 2 DCGK: „Die variablen Vergütungsbestandteile sollten einmalige sowie jährlich wiederkehrende, an den geschäftlichen Erfolg gebundene Komponenten und auch Komponenten mit langfristiger Anzreizwirkung und Risikocharakter enthalten.“ 787 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 15; Spindler, DStR 2004, S. 36 (44); Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (653); vgl. auch unten (3). So jüngst BGH NJW 2006, S. 522 (524) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216). 788 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 15; Spindler, DStR 2004, S.44; Wollburg, ZIP 2004, S.646 (653); a.A. wohl Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 23. 780 781
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sächlich für rein prospektiv mit der Folge, dass nachträgliche Vergütungszusagen stets unangemessen im Sinne der Vorschrift sind, so hieße das, das modernen Vergütungselementen zugrunde liegende Anreizelement, welches auch nachträgliche Zusagen inne haben könne, vollständig außer Acht zu lassen. (c) Fazit Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass § 87 I AktG nachträgliche Zahlungen auf der Grundlage erbrachter Leistungen grundsätzlich zulässt. Dem Schutzzweck des § 87 I AktG lässt sich zwingend lediglich entnehmen, dass zumindest eine Pflicht der Gesellschaft zur nachträglichen Vereinbarung zusätzlicher Vorstandsbezüge nicht bestehen kann. Aus § 87 I AktG zusätzlich die rechtliche Unmöglichkeit hierzu herauslesen zu wollen, widerspräche sowohl dem oben aufgestellten Grundsatz, dass die Vorschrift primär das Vorliegen einer äquivalenten Gegenleistung sicherstellen will, nicht aber die grundsätzlich bestehende Vertragsfreiheit aushebeln möchte, als auch den oben aufgestellten Annahmen über die Anreizwirkung, die auch von nachträglichen Zahlungen grundsätzlich ausgehen kann. Ansatzpunkt für Vergütungsentscheidung und Angemessenheitsprüfung ist damit die Frage nach dem tatsächlichen Vorliegen einer solchen Gegenleistung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Zusage prospektiv oder retrospektiv erfolgt. (d) Gegenstand der vom Vorstandsmitglied erbrachten Leistung Als Gegenstand der von § 87 I AktG geforderten Gegenleistung kommen bei nachträglichen Vergütungszusagen primär die Kurssteigerung und ein bestimmtes Verhalten des Managements in besonderen Situationen, insbesondere das Verhalten des Vorstands in einer Übernahmesituation, in Betracht. (aa) Aktienkurssteigerung Nach Maßgabe der obigen Ausführungen kann in einer enormen Aktienkurssteigerung eine besondere Leistung des Vorstands liegen, die auch ex post noch belohnt werden kann. Eine Kurssteigerung, die das Resultat einer entsprechenden Steigerung des inneren Unternehmenswertes ist, spiegelt, wie ausgeführt wurde, maßgeblich den Unternehmenserfolg wieder und kann damit grundsätzlich Anknüpfungspunkt einer besonderen unternehmerischen Leistung des Vorstands sein. Allerdings muss sich die Kurssteigerung als Bestandteil unternehmerischer Leistung auch tatsächlich auf ein Verhalten des Managements zurückführen lassen (Kausalitätserfordernis). Eine Leistung des Vorstands im hier verstandenen Sinne ist ausschließlich der persönliche Verdienst um Erfolge des Unternehmens. Kein persönlicher Verdienst liegt regelmäßig bei Kurssteigerungen vor, die auf einer allgemeinen Börsenhausse oder einem generellen Branchenaufschwung beruhen oder das Ergebnis aus-
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schließlich exogener Faktoren sind, auf die das Management keinen Einfluss hat. Bei Unternehmensübernahmen eine Kausalität allerdings schon deshalb verneinen zu wollen, weil die Kurssteigerung hier ebenfalls auf außerhalb des Einflusses des Vorstands liegenden endogenen Umständen (Reaktion des Kapitalmarkts) beruhen kann, greift zu kurz 789. Richtig ist, dass in einem Fall, in dem die Kurssteigerung nachweisbar völlig unabhängig vom Verhalten des Vorstands erfolgt ist, eine Leistung desselben nicht im Raum stehen kann. Anders liegt dies aber in Fällen, in denen der Vorstand durch sein Verhalten die Kurssteigerung maßgeblich incentiviert oder intensiviert hat. Hier ist eine individuelle Funktions- und Leistungsbewertung derjenigen Personen(en), die als treibende Kraft hinter dieser Steigerung standen, durchaus möglich. Wesentliche Anhaltspunkte für eine solche Kausalität sind vor allem das Fehlen exogener Faktoren in der die Kurssteigerung herbeiführenden Situation. Fehlen die Voraussetzungen eines allgemeinen Börsen- oder Branchenhochs und liegt dem Handeln des Begünstigten vor und während der Übernahme ein auf die Wertsteigerung des Unternehmens gerichtetes, planvolles Verhalten zugrunde, so ist davon auszugehen, dass die Kurssteigerung auch tatsächlich hierauf zurückzuführen ist. Letzteres war wohl im Fall Mannesmann anzunehmen, wo der Wert der MannesmannAktie, hauptsächlich zurückzuführen auf das Verhalten des damaligen Mannesmann-Vorstandsvorsitzenden Esser vor und in der Übernahmesituation, von 100 Euro Anfang 1999 bis auf 382 Euro nach erfolgter Übernahme durch Vodafone AirTouch anstieg 790. (bb) Verhalten des Managements in Übernahmesituationen Zu denken wäre auch an ein sonstiges für die Gesellschaft besonders vorteilhaftes Verhalten des Managements in einer Übernahmesituation als Anknüpfungspunkt für leistungsbelohnende Zusagen. Indes ergibt sich bereits aus der kapitalmarktrechtlichen Pflichtenlage bei Übernahmeangeboten, dass eine solche Annäherung, zumindest wenn sie an die erfolgreiche Verhinderung eines Übernahmeangebots anknüpft, fehlgeht. Vom Zeitpunkt an der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots durch den Bieter (§ 10 WpÜG) unterliegt der Vorstand der Zielgesellschaft dem Handlungsverbot des § 33 I 1 WpÜG. Liegt nicht eine der sachlichen Verbotsschranken des § 33 I 2 WpÜG vor, so ist es dem Vorstand verwehrt, Handlungen vorzunehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte 791. Anderes lässt sich allerdings für die Zeit vor Einführung des § 33 WpÜG A.A. LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2049) = NJW 2004, S. 3275 (3279). Vgl. Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (315). 791 § 33 I 1 WpÜG lautet: „Nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bis zu Veröffentlichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 darf der Vorstand der Zielgesellschaft keine Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte“. 789 790
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vertreten. Bis zum Inkrafttreten des § 33 WpÜG am 1. Januar 2002 bestand nämlich noch rechtliche Unklarheit darüber, ob die Vorbereitung, Erleichterung oder auch Verhinderung einer Übernahme zu den Pflichten eines Vorstands gehört 792. Schließt man sich der Auffassung in der Literatur an, die dies verneint 793, so kann das Bemühen des Vorstands um die Abwehr einer feindlichen Übernahme oder um eine Verbesserung der Übernahmekonditionen vor Einführung des § 33 WpÜG durchaus Gegenstand einer besonderen unternehmerischen Leistung sein794. Im Fall Mannesmann allerdings kann einem Verhalten des Vorstands während bzw. vor der Übernahme trotz Unanwendbarkeit des § 33 WpÜG schon deshalb keine eigenständige Bedeutung zukommen, weil die einzig vorteilhafte Konsequenz dieses Verhaltens in der enormen Aktienkurssteigerung und nicht etwa in einer honorierungswürdigen Abwehr der Übernahme zu sehen war. Die Aktienkurssteigerung ist aber nach der hier vertretenen Auffassung ein eigenes Kriterium im Rahmen der Angemessenheit, so dass es des Kunstgriffes über das Verhalten als zu belohender Leistung des Vorstands in diesem Fall gar nicht bedarf. (3) Die Anreizwirkung von Appreciation Awards als Zahlungsanlass Die Anreizfunktion moderner Vergütungsinstrumente kann nach den obigen Ausführungen als Kriterium der Angemessenheit und damit als bei der Vergütungsfestsetzung zu berücksichtigender Faktor durchaus Hintergrund der Verwendung bestimmter Vergütungsformen sein. Die entscheidende Frage besteht an dieser Stelle darin, inwiefern Appreciation Awards als nachträgliche Zuwendungen überhaupt eine irgendwie geartete Anreizfunktion ausüben können. Zunächst kommt eine solche Anreizwirkung unter Zugrundelegung der PrincipalAgent-Theory in Betracht. Der durch die Prämie vermittelte Anreiz für den Vorstand ist bei dieser Annäherung in der Motivationswirkung leistungs- bzw. erfolgsabhängiger Vergütungsbestandteile zum Zwecke der Minimierung von Konflikten im Unternehmen für die Zukunft zu sehen. Kann sich das durch besondere Leistungen auffallende Vorstandsmitglied sicher sein, dass die zumeist schon im Anstellungsvertrag geregelte Vergütungsentscheidung auch nachträglich noch dahingehend modifiziert werden kann, dass diese von ihm erbrachten hervorragenden Leistungen situationsgerecht anerkannt werden, so minimiert sich die Wahrscheinlichkeit nachlässigen Handelns bzw. eines Handelns unter seinen Fähigkeiten 795. Paradebeispiel für diese Art des Anreizes ist die Ermessenstantieme, die den Manager für das ErLiebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 (99). Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentart zum AktG, Band 3, §76 Rn. 28; Hüffer, AktG, §76 Rn.15 d; Kort, in: FS Lutter, 2000, S. 1421 (1432 ff.); Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S.97 (99). 794 Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 (99). 795 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (120); Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (653). 792 793
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reichen bestimmter Erfolgsziele belohnt und der unstreitig eine solche Anreizfunktion für die Zukunft zukommt 796. Freilich setzt diese Konstruktion bereits begriffsnotwendig voraus, dass die angestrebte Motivation des Begünstigten, weiterhin gute bzw. bessere Arbeit zu leisten, für das Unternehmen auch tatsächlich vorteilhaft ist, was verständigerweise nur dann der Fall sein wird, wenn der Begünstigte nach Empfang der Prämie im Unternehmen verbleibt 797. Scheidet das Vorstandsmitglied bereits vor oder kurz nach Empfang des Awards aus dem Unternehmen aus, so muss die Konstruktion über die Motivationswirkung leistungsbelohnender Vergütungszusagen in Bezug auf den Begünstigten zwangsläufig versagen. In solchen Situationen kann eine Anreizfunktion ausschließlich in Bezug auf den Bewerberpool für den freiwerdenen Posten Wirkung entfalten. Dabei steht nicht die Überwindung des Principal-Agent-Problems, sondern vielmehr die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens bei der Anwerbung neuer Vorstandsmitglieder im Vordergrund. Durch das Signal, dass außergewöhnliche Leistunen in genau diesem Unternehmen gegebenenfalls ex post durch ein entsprechend höheres Gehalt honoriert werden, erhöht sich die Attraktivität des Unternehmens auf dem Markt der Führungskräfte798. Auch in diesem Fall liegt die Setzung von Anreizen durch Vergütungsgestaltung im Unternehmensinteresse. Anders ist dies allerdings bei Prämien, die ausscheidende Vorstandsmitglieder belohnen, ohne dass dem Unternehmen ein solcher (indirekter) Nutzen zugute kommt. Im Fall Mannesmann z. B. lässt sich eine Anreizwirkung nicht zur Rechtfertigung der gezahlten Appreciation Awards heranziehen. Die Prämien dienten weder einem Motivationseffekt für die Zukunft, noch waren sie generell geeignet, potenzielle Bewerber um freiwerdende Vorstandspositionen anzuwerben. Zum einen zeichnete sich bei Annahme des Übernahmeangebotes, welches der Gewährung der Awards zeitlich vorausging, bereits ab, dass die Begünstigten in Kürze aus der Gesellschaft ausscheiden würden. Eine irgendwie geartete längerfristige verhaltenssteuernde Wirkung der Awards im Hinblick auf die zukünftige Tätigkeit der Empfänger schied damit zwangsläufig aus. Zum anderen waren die Awards auch nicht geeignet, eine Signalwirkung auf potenzielle Bewerber um Führungspositionen auszuüben. Das Landgericht Düsseldorf (jüngst bestätigt durch den Bundesgerichtshof799) führt 796 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentart zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 15; Spindler, DStR 2004, S. 36 (44); Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (653). 797 Anders Wollburg, ZIP 2004, S.646 (653), der meint, dass weder Ermessenstantieme noch Anerkennungsprämie an das Verbleiben des Vorstandsmitglieds im Unternehmen geknüpft sind. Dem ist indes nicht zuzustimmen, da ein auf das jeweilige Vorstandsmitglied bezogener Anreiz zu Gunsten des Unternehmens bereits begrifflich nur vorliegen kann, wenn dieser sich auch auf dessen Arbeit im Unternehmen auswirkt. Verlässt das Vorstandsmitglied die Gesellschaft bereits vor oder direkt nach Empfang der Prämie, so muss eine so verstandene Anreizwirkung zwangsläufig ins Leere gehen. 798 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (120); Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 23; Spindler, DStR 2004, S. 36 (44); Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155 (162 f.), jüngst bestätigt von BGH NJW 2006, S. 522 (524) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216). 799 BGH NJW 2006, S. 522 (525) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216).
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diesbezüglich zutreffend aus, dass zum Zeitpunkt der Prämiengewährung bereits feststand, dass die Mannesmann AG in ihrer bisherigen Form nur noch für kurze Zeit fortbestehen und in absehbarer Zukunft als Tochtergesellschaft in den Verbund von Vodafone AirTouch aufgehen würde. Als die Prämie an den damaligen Vorstandsvorsitzenden Dr. Klaus Esser am 04. Februar 2000 bewilligt wurde, war bereits klar, „dass die Mannesmann AG in Zukunft keine Vorstandsposition mehr zu besetzen hatte und selbst wenn, dann nicht mehr in eigener Regie“ 800. (4) Anderweitige Rechtfertigung von Appreciation Awards Bedeutsame Hinweise für die Zulässigkeit von Appreciation Awards können sich auch aus entsprechenden Zahlungen in der Vergangenheit ergeben 801. Insbesondere in einer Übernahmesituation weisen solche vormaligen Zahlungen darauf hin, dass die gegenwärtige Leistung der Gesellschaft nicht dem „Abkauf einer Schadenszufügungsmöglichkeit“ 802 des Vorstands vor der Übernahme, sondern vielmehr einer tatsächlichen Belohnung für besondere Dienste des Vorstands dient. Nicht zur Rechtfertigung von Appreciation Awards herangezogen werden können aber entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung 803 bereits ausgearbeitete, aber noch nicht von der Hauptversammlung beschlossene Aktienoptionspläne, die in Wirkung und Umfang den gewährten Awards entsprochen hätten. Gegen die Zulässigkeit einer solchen Konstruktion spricht entscheidend die aktienrechtliche Zuständigkeitsverteilung. Der Aufsichtsrat bzw. der in praxi häufig für die Vergütungsentscheidung zuständige Aufsichtsratsausschuss für Personalangelegenheiten kann nach den Vorgaben des Aktienrechts über das „Ob“ eines Aktienoptionsplanes nicht entscheiden 804. Dies ist nach § 192 I, II Nr. 3 bzw. § 71 I Nr. 8 AktG allein Sache der Hauptversammlung, die gem. § 193 II Nr. 3, Nr. 4 AktG den Ausübungspreis (zumindest der rechnerischen Grundlage nach) und die wesentlichen Erfolgsziele festzulegen hat 805. Der Aufsichtsrat kann einen Aktienoptionsplan zwar vorschlagen 806; die finale Entscheidung liegt aber stets und ausschließlich bei der Hauptversammlung. Eine fehlende Entscheidung der Hauptversammlung zur Gewährung von Aktienoptionen 800 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2050) = NJW 2004, S. 3275 (3279f.). A.A. allerdings wohl Hohn in etwas anderem Zusammenhang mit dem Argument, dass im Fall Mannesmann mit den Prämien durchaus die Gewährleistung des reibungslosen Weiterarbeitens und der stillen Verabschiedung der Vorstandsmitglieder bezweckt worden sein kann, die Prämien mithin als Anreiz für eine konfliktfreie Abwicklung der Geschäfte bis zur Eingliederung in die Vodafone AirTouch plc gedient haben könnten. Vgl. hierzu Hohn, wistra 2006, S. 161 (163). 801 Spindler, DStR 2004, S. 36 (44 f.). 802 So für die Zahlungen an Esser im Fall Mannesmann aber Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (351). 803 So Spindler, DStR 2004, S. 36 (44 f.). 804 Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (803 f.). 805 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (227 f.); Hoffmann-Becking, NZG 1999, S. 797 (803 f.). 806 Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (227 f.).
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an Vorstandsmitglieder, die grundsätzlich den Vorgaben der §§ 192 ff. AktG folgen muss, durch nachträgliche Prämienzahlungen, die diesen Vorgaben nicht zu folgen haben, zu ersetzen, hieße, die aktienrechtlich normierte Kompetenzverteilung zu umgehen 807. Es kann nicht Aufgabe des Aufsichtsrats sein, in der Vergangenheit versäumte Vergütungsmöglichkeiten zugunsten des Vorstandsmitglieds durch anderweitige Vergütungsmethoden nachträglich auszugleichen. Der Vergütungszusage der Gesellschaft hat nach obigen Ausführungen stets eine äquivalente Leistung des Begünstigten gegenüberzustehen; besteht die Leistung, wie im Fall Mannesmann, in einer Börsenkurssteigerung, so können Appreciation Awards unter dem Gesichtspunkt der Leistungsbelohnung gerechtfertigt sein (vgl. oben). Mit dem zufälligen Versäumnis des Beschlusses eines schon ausgearbeiteten Aktienoptionsplans kann die Prämiengewährung aber aus den genannten Gründen nicht begründet werden. bb) Angemessene Höhe der Zahlungen Wie bereits angedeutet, lässt sich die Frage nach der angemessenen Höhe nachträglicher retrospektiver Gratifikationen (das „Wie“ der Zusage bzw. Zahlung) wegen der Bezugnahme sowohl der gesetzlichen als auch der von der Praxis entwickelten Kriterien des § 87 I AktG auf die konkrete Dienstleistung (Aufgaben, Leistungen, Erfahrungen des jeweiligen Vorstandsmitglieds) sowie auf die konkreten wirtschaftlichen (Gesamt-) Umstände der jeweiligen Gesellschaft nicht pauschal beantworten. In Anknüpfung an obige Ausführungen ist hier festzuhalten, dass die Prüfung der Angemessenheit der Höhe stets am konkreten Einzelfall zu erfolgen hat. Anhaltspunkte für die angemessene Höhe können z. B. hypothetische, an Stelle der Appreciation Awards zu setzende Aktienoptionsmodelle geben 808. Die Vergleichbarkeit der Vergütungsformen ist gewährleistet, da beide Vergütungsinstrumente Erfolge des Managements am Unternehmenserfolg und damit primär am Aktienkurs messen. Wäre eine (fiktive) Vergütung in Aktienoptionen, die bei enormen Kurssteigerungen ja zu ausserordentlich hohen Vergütungszuwächsen der Begünstigten führen kann, als angemessen zu betrachten, so spricht vieles dafür, auch den konkret gewährten Appreciation Award als angemessen zu qualifizieren. Abzulehnen sind, wie bereits ausgeführt, generelle betragsmäßige Obergrenzen. Solche pauschalen Festsetzungen missachten die grundsätzlich im Wege der Einzelfallbetrachtung zu beurteilenden gesetzlichen Vorgaben der Aufgaben des Vorstandsmitglieds und der Lage der Gesellschaft. Eine Zahlung von 32 Millionen DM, wie sie Klaus Esser im Rahmen der Übernahme der Mannesmann AG durch Vodafone AirTouch erhalten hatte, erscheint zwar auf moralisch-ethischer Ebene durchaus diskussionswürdig, ist nach LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2049) = NJW 2004, S. 3275 (3279). Zur Begründung eines Zahlungsanlasses können hypothetische Aktienoptionspläne, wie ausgeführt wurde, wegen Umgehung der Zuständigkeitserfordernisse zwar nicht herangezogen werden. Entscheidungen, die nicht das „Ob“, sondern lediglich das „Wie“ der Zahlungen betreffen, können über fiktiv hinzugedachte Aktienoptionsmodelle im Einzelfall aber durchaus gerechtfertigt sein. 807 808
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der hier vertretenen Ansicht wegen der enormen Aktienkurssteigerung während Essers Vorstandstätigkeit (Gegenleistung i. S. d. § 87 I AktG), die aufgrund der Kongruenz von Aktionärs- und Unternehmensinteresse im Sinne einer Unternehmenswertsteigerung auch der Gesellschaft selbst zugute kam809, aktienrechtlich aber angemessen. Dieses Ergebnis wird durch einen Blick auf die Lage der Mannesmann AG unterstützt. Die beachtliche Finanzkraft der Gesellschaft lässt sich insbesondere am Jahresüberschuss 810 festmachen, der sich für das Jahr 2000, das Jahr also, in dem die Zahlungen erfolgten, auf über 11 Milliarden Euro bzw. über 20 Milliarden DM belief 811. Die Zahlung an Esser machte gemessen an dieser Zahl nur knapp 1,6 Prozent aus. Zusätzlich ist zu fragen, ob das Vorstandsmitglied diese Lage der Gesellschaft kausal mitverursacht hat (tatsächlicher Wert der Dienstleistung für die Aktiengesellschaft) – ist dies der Fall, so können auch hohe nachträgliche Zahlungen durchaus noch im Bereich des § 87 I AktG liegen. Als unangemessen und damit von § 87 I AktG nicht erfasst sind demgegenüber solche Zusagen oder Zahlungen einzustufen, die keinerlei Bezug zum tatsächlichen Wert der Dienstleistung für die Aktiengesellschaft aufweisen. c) Die Zulässigkeit von Zahlungen an bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder Im Zusammenhang mit dem Fall Mannesmann wird verstärkt auch die Frage diskutiert, ob Vergütungszusagen an bereits ausgeschiedende Vorstandsmitglieder rechtlich möglich bzw. zulässig sind. Das LG Düsseldorf verneint dies im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Gratifikation an das zum Zeitpunkt der Prämiengewährung aus dem Mannesmann-Konzern ausgeschiedene Vorstandsmitglied Funk zunächst mit dem Verweis auf die prospektive Ausrichtung des § 87 I AktG, der von aktiven Vorstandsmitgliedern ausgehe 812. Dass dies durchaus auch anders gesehen werden kann, macht das Gericht selbst deutlich, indem es hilfsweise erklärt, dass „selbst dann, wenn die Gewährung einer Vergütung an ein ehemaliges Vorstandsmitglied grundsätzlich oder innerhalb eines nach welchen Kriterien auch immer begrenzten Zeitraums als zulässig erachtet werden könnte“, die Leistungen Funks bereits von den im damaligen Anstellungsvertrag vereinbarten (regulären) Zahlungen abgegolten seien 813. Die Richtigkeit der letzten Feststellung des Landgerichts an dieVgl. oben II.2.b) bb) (2) (e). Dem Jahresüberschuss lassen sich primär Aussagen über die Lage des Unternehmens entnehmen, die als gesetzliches Merkmal entscheidende Bedeutung bei der Beurteilung der Angemessenheit besitzt. 811 Ausführlich Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 22; zur Wertsteigerung vgl. auch Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (298). 812 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2054) = NJW 2004, S. 3275 (3284). 813 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2054) = NJW 2004, S. 3275 (3284). Dem hat sich der Bundesgerichtshof in seinem Revisionsurteil zum Fall Mannesmann angeschlossen, vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (528 f.). Auch der Bundesgerichtshof deutet allerdings an, dass Gratifika809 810
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ser Stelle dahingestellt, wird vorliegend von der Zulässigkeit von Prämienzusagen an bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder ausgegangen. Dieses Ergebnis ist logische Konsequenz der obigen Ausführungen zu Sinn und Zweck des § 87 I AktG sowie zur generellen Anreizwirkung von Anerkennungsprämien. Eine Beschränkung des § 87 I AktG auf aktive Vorstandsmitglieder lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen. Wie dargestellt wurde, ist § 87 I AktG entgegen seinem Wortlaut („Aufgaben“) nicht rein prospektiv ausgerichtet 814. Die Vorschrift soll zum Schutze der Aktionäre sowie der Gesellschaft vor ungerechtfertigt hohen Vorstandsvergütungen das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung gewährleisten. Dies erfordert, wie ausgeführt wurde, zunächst einmal das Vorliegen einer honorierungswürdigen Leistung, setzt aber unter keinen Umständen die Begrenzung auf zukünftige Leistungen voraus. Vielmehr ist die geforderte Äquivalenz bei bereits erbrachten Leistungen um ein Vielfaches besser festzustellen als bei zukünftigen. Wenn aber die Leistung an sich im Mittelpunkt des § 87 I AktG steht, so kann es konsequenterweise auch nicht darauf ankommen, ob das begünstigte Vorstandsmitglied zum Zeitpunkt der Gewährung der Prämie noch aktiv ist 815. Gleiches gilt für die Rechtfertigung von Gratifikationen durch deren Anreizwirkung. Wie bereits erörtert, können auch Prämien an bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder eine dem Unternehmen zugute kommende Anreizwirkung entfalten. Objekt der Anreizwirkung kann nicht nur das Vorstandsmitglied selbst, sondern auch der Kreis der potentiellen Nachfolger sein 816. Zahlungsanlass der Prämie muss aber stets die Belohnung einer honorierungswürdigen Leistung des jeweiligen Vorstandsmitgliedes sein. Eine nachträgliche Korrektur des Versäumnisses, die Bezüge durch eine Änderung des Anstellungsvertrags während der aktiven Vorstandszeit zu erhöhen, ist von § 87 I AktG nicht gewollt 817. Erschöpft sich die Leistung des (ausgeschiedenen) Vorstandsmitlieds in der Erfüllung seiner dienstvertraglichen Pflichten, so fehlt es an einem Zahlungsanlass für nachträgliche Anerkennungsprämien. Denn soweit keine über diese dienstvertraglichen Pflichten hinausgehenden Erfolge und Wertsteigerungen zu erkennen sind, ist die Erfüllung Ersterer bereits durch die im Anstellungsvertrag vereinbarte Vergütung abgegolten 818. Bei Vorliegen der sachlichen Voraussetzungen einer Honorierung durch nachträgliche Gratifikation ist allerdings, wie vom Landgericht wie auch vom Bundesgetionen an bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder grundsätzlich denkbar sind, wenn er ausführt, dass die Willkürlichkeit der Prämie an Funk auch daraus folge, dass das Präsidium „beim Ausscheiden des Prof. Dr. Funk als Vorstandsvorsitzender für eine Anerkennungsprämie keinen Anlass gesehen und diese nicht zeitnah zuerkannt hatte“, vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (529). 814 Vgl. oben b.aa. (2). 815 Ebenso Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155 (163). 816 Vgl. oben b) aa) (3). 817 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2054) = NJW 2004, S. 3275 (3284). 818 Zutreffend LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2054) = NJW 2004, S. 3275 (3284).
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richtshof hilfsweise bereits angedeutet 819, eine zeitliche Zulässigkeitsgrenze zu beachten. Die Zahlung muss inhaltlich wie formal nachvollziehbar sein. Dies erfordert ein gewisses zeitliches Näheverhältnis zur Leistung. Ein vernünftiger formaler Bezug von Leistung und Vergütungszusage wird jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn zwischen beiden keine deutliche, von den Vertragspartnern mutwillig veranlasste Zäsur erkennbar ist, wenn also ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang besteht. Um diesen zu gewährleisten, wird vorliegend vorgeschlagen, die auf das Ausscheiden des Betreffenden folgende Sitzung des Personalausschusses als zeitliche Grenze im Regelfall festzusetzen. Einer zu starken Formalisierung ist dadurch entgegenzuwirken, dass bei entsprechender Begründung der Verzögerung Ausnahmen von dieser strengen zeitlichen Bindung wegen Unzumutbarkeit 820 zuzulassen sind. Liegen solche Ausnahmen jedoch nicht vor, und findet die objektiv vorliegende Leistung des ausgeschiedenen Vorstandsmitlieds in der dem Ausscheiden nachfolgenden Sitzung keine Beachtung, so ist sie vergütungsrechtlich als verwirkt anzusehen. d) Ergebnis Appreciation Awards als nachträgliche retrospektive Vergütungsbestandteile sind grundsätzlich von § 87 I AktG umfasst. Gegenstand der von § 87 I AktG geforderten (Gegen-) Leistung des Vorstandsmitglieds, die nach der hier vertretenen Ansicht auch ex post berücksichtigt werden kann, ist in solchen Situationen regelmäßig eine kausal auf das Verhalten des Vorstands zurückzuführende Börsenwertsteigerung. Eine vor Einführung des § 33 WpÜG grundsätzlich denkbare Einbeziehung eines nicht in einer solchen Börsenkurssteigerung resultierenden Verhaltens des Vorstands in der Übernahmesituation in die Vergütungsfestsetzung verbietet sich seit Einführung der Vorschrift zumindest im Hinblick auf eine erfolgreiche Übernahmevereitelung. Die Gewährung von Appreciation Awards kann zudem grundsätzlich durch eine von ihnen ausgehende Anreizwirkung gerechtfertigt werden. Diese kann sowohl dann vorliegen, wenn das Vorstandsmitglied nach Empfang der Prämie aktiv im Unternehmen verbleibt (Anreizwirkung für die Zukunft), als auch dann, wenn das Vorstandsmitglied nach Empfang der Prämie aus der Gesellschaft ausscheidet. In letzterem Fall hat die Prämie positive Signalwirkung im Hinblick auf zukünftige potenzielle Vorstandsmitglieder. Grundvoraussetzung des § 87 I AktG ist jedoch immer die zur Vergütungszusage äquivalente (Gegen-)Leistung des Begünstigten; fehlt es an einer solchen honorierungswürdigen Leistung, so ist die Prämie bereits wegen Fehlens eines Zahlungsanlasses nicht mit § 87 I AktG vereinbar. 819 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2054) = NJW 2004, S. 3275 (3284); BGH NJW 2006, S. 522 (529). Vgl. auch oben Fn. 813. 820 Eine solche Unzumutbarkeit könnte beispielsweise vorliegen bei einer begründeten terminlichen Verhinderung einzelner Ausschussmitglieder.
C. Grenzen der Vergütungsentscheidung
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6. Zusammenfassende Darstellung der wichtigsten gefundenen Ergebnisse Die Prüfung des § 87 I AktG hat grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: zunächst ist zu klären, ob die Zusagen bzw. deren Durchführung dem Grunde nach gerechtfertigt waren, ob also ein Zahlungsanlass bestand (causa oder „Ob“ der Zusage). Erst wenn dies bejaht wird, stellt sich die Frage nach der Angemessenheit der tatsächlichen Höhe der in der Zusage vereinbarten Zahlung („Wie“ der Zahlung“). Grundsätzlich ist der erste Prüfungsschritt nicht weiter problematisch: bei Vorstandsmitgliedern, die verständigerweise nur entgeltlich tätig werden (§ 612 BGB), ergibt sich der Zahlungsanlass bereits aus der Natur der Sache. Die Verwendung von Vergütungsinstrumenten ist in diesem Fall eine „keine weiteren Ausführungen erfordernde Selbstverständlichkeit“. Probleme wirft hier allein das Vergütungsinstrument der nachträglichen, vergangenheitsbezogenen Anerkennungsprämie (Appreciation Award) auf. Die bei den übrigen Vergütungsinstrumenten erlaubte und nahe liegende Argumentation, dass Vergütung als Selbstverständlichkeit stets im Unternehmensinteresse liege, verbietet sich hier, da Appreciation Awards in aller Regel zusätzlich zu bereits vorhandenen vertraglich vereinbarten Vergütungen geleistet werden sollen. Allerdings führt eine Untersuchung des Telos des § 87 I AktG zu dem Ergebnis, dass die Vergütungszusage sowohl nachträglich als auch unter Einbeziehung retrospektiver Faktoren erfolgen kann. Voraussetzung ist dabei aber eine im Verhältnis zur Zusage äquivalente (Gegen-)Leistung des Begünstigten, die in diesen Fällen den Zahlungsanlass darstellt. Diese (Gegen-)Leistung des Begünstigten kann insbesondere in einer kausal auf die Dienstleistung zurückzuführenden Aktienkurssteigerung liegen. Hohe Vergütungszusagen gleich welcher Art lassen sich zudem über ihre Anreizwirkung rechtfertigen. Bei nachträglichen Vergütungszusagen an ausscheidende oder bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder besteht diese in der Signalwirkung, die solche Zahlungen auf potenzielle Nachfolger ausüben. Vergütungsinstrumente, die typischerweise eine hohe Anreizwirkung besitzen, sind Aktienoptionen und Tantiemen. Die Beantwortung der Frage nach der Adäquanz der Höhe der Zahlungen bzw. der diese ermöglichenden Zusagen innerhalb des zweiten Prüfungsschritts im Rahmen des § 87 I AktG ist entscheidend von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig. Eine betragsmäßige Obergrenze de lege lata wird für sämtliche der hier untersuchten Vergütungsinstrumente abgelehnt. Die Feststellung der Angemessenheit der Höhe nach hat stets nach Maßgabe der konkreten Aufgaben bzw. Leistungen des jeweiligen Vorstandsmitglieds und der Lage der einzelnen Gesellschaft zum Zeitpunkt der Festsetzung der Vergütung zu erfolgen. Entscheidend ist, dass die vom Begünstigten erbrachte Leistung äquivalent zur Höhe der Zahlung ist. Hervorragende Leistungen können auch sehr hohe Vergütungen rechtfertigen.
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Enorme Vergütungs- oder Abfindungssummen aber, die, ohne Leistungsanreize schaffen zu können, in keiner erkennbaren Relation zu irgendwie gearteten Wertsteigerungen der Gesellschaft stehen, oder die gar trotz eines starken Wertverlustes gezahlt werden, müssen in der Regel konsequenterweise als unangemessen qualifiziert werden.
D. Das Verhältnis von Ermessensausübung und Pflichtverletzung im Aktienrecht Zu klären ist im Folgenden, in welchem Verhältnis Leitungsermessen des Aufsichtsrats und die von ihm zu beachtende Sorgfaltspflicht, deren Maßstab von §§ 93 I 1, 116 S. 1 AktG vorgegeben wird, stehen. Dieses Verhältnis hat Bedeutung für die Frage, ob eine unberechtigte Inanspruchnahme von Ermessen bzw. eine fehlerhafte Ermessensausübung durch den Aufsichtsrat zugleich als Pflichtverletzung i. S. d. §§ 93 I 1, 116 S. 1 AktG, welche die entscheidende Grundlage für die strafrechtliche Haftung darstellt, einzuordnen ist.
I. Die Pflichtverletzung i. S. d. §§ 93 I 1, 116 S. 1 AktG – Sorgfaltsmaßstab bei Ausübung der Personalkompetenz § 93 I 1 AktG i. V. m. § 116 S. 1 AktG verpflichtet den Aufsichtsrat, bei seinen Entscheidungen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Zu beachten ist jedoch, dass der Verweis in § 116 AktG nach seinem eindeutigen Wortlaut im Sinne einer sinngemäßen Anwendung gemeint ist 821; der Begriff des Geschäftsleiters passt ja nicht unmittelbar auf das überwiegend Überwachungsfunktionen wahrnehmende Aufsichtsratsmitglied 822. Wegen der verschiedenartigen Aufgabenstellung von Vorstand und Aufsichtsratsmitglied können § 93 I 1 AktG daher im Grundsatz nur in vorsichtiger Weise Anhaltspunkte für Art und Ausmaß der Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeiten von Aufsichtsratsmitgliedern entnommen werden 823. Die überwiegende Ansicht geht dementsprechend davon aus, dass das von den Aufsichtsratsmitgliedern anzuwendende Maß an Sorgfalt geringer 821 § 116 S. 1 AktG lautet: „Für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder gilt § 93 über die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder sinngemäß“. (Hervorhebung durch die Verfasserin). 822 Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S. 727, (730); Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/ Kropff, Aktiengesetz, Band II, §116 Rn. 7; Schneider, in: Scholz, GmbH-Gesetz, II. Band, § 52 Rn. 329 a. Es fehlt damit an einer klaren gesetzlichen Regelung über Art und Umfang der Sorgfaltspflichten von Aufsichtsratsmitgliedern. 823 Eisenhardt, Jura 1982, S. 289; Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S.727 (730 f.); Schneider, in: Scholz, GmbH-Gesetz, II. Band, § 52 Rn. 329 a; ähnlich Thümmel, AG 2004, S. 83 (84).
D. Das Verhältnis von Ermessensausübung und Pflichtverletzung im Aktienrecht 179
sein soll als das des Vorstands 824. Danach soll sich der Aufsichtsrat bei der Überprüfung von Vorstandsentscheidungen, die keinem Zustimmungsvorbehalt unterliegen, auf eine Plausibilitätskontrolle beschränken können 825. Fraglich ist, ob Gleiches, nämlich eine lediglich eingeschränkte Prüfungspflicht des Aufsichtsrats, auch für dessen Personalentscheidungen gilt. Dies ist schon in Ansehung der Qualifizierung der Vergütungsentscheidung als untnernehmerische Ermessensentscheidung evident zu verneinen. Bei seinen Personalentscheidungen nämlich hat der Aufsichtsrat, wie gesehen, eine von vorherigen Entscheidungen des Vorstands unabhängige, originäre Entscheidung über die Zukunft des Unternehmens zu treffen; hierbei geht es nicht um nachträgliche Kontrolle, sondern um originäre unternehmerische Entscheidungsgewalt 826. Der Aufsichtsrat hat durch die Auswahl von Unternehmenspersönlichkeiten und die Ausgestaltung von deren Anstellungsverträgen, wie gesehen, indirekt erheblichen Einfluss auf die Unternehmenspolitik 827. Wenn aber der Aufsichtsrat bei der Vergütungsentscheidung, die als Annexkompetenz zur Personalauswahl zu qualifizieren ist 828, indirekt eine unternehmerische Entscheidung mit rechtsverbindlicher Wirkung trifft, spricht alles dafür, ihm auch den mit Führungsentscheidungen typischerweise verbundenen Sorgfaltsmaßstab des § 93 I 1 AktG aufzuerlegen 829.
II. Das ARAG/Garmenbeck-Urteil des Bundesgerichtshofs – die Inkongruenz von Ermessensfehler und Pflichtverletzung Grundlegende Bedeutung für das Verhältnis von Ermessensfehler und Pflichtverletzung bei unternehmerischen Ermessensentscheidungen hat die bereits erwähnte ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des Bundesgerichtshofs830, in der das Gericht sich mit der Frage zu beschäftigen hatte, unter welchen Voraussetzungen Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig sein können 831. Das 824 Eisenhardt, Jura 1982, S. 289 (293); Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Aktiengesetz, Band II, § 116 Rn. 9 ff.; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 111 Rn. 85; Thümmel, AG 2004, S. 83 (84). 825 Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S. 727 (731); Eisenhardt, Jura 1982, S. 289; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 111 Rn. 85, der von einer Vertretbarkeitsprüfung spricht. 826 Vgl. hierzu bereits oben B.II. 827 Vgl. schon oben B.II.; Schüller, Vorstandsvergütungen, 2002, S. 104. 828 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 21. 829 Allgemeine Ansicht, vgl. nur BGHZ 135, 244 (253) – „ARAG/Garmenbeck“; Adams, in: FS von Weizsäcker, S. 295 (342); Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 27; Thümmel, AG 2004, S. 83 (86). 830 BGHZ 135, 244 ff. – „ARAG/Garmenbeck“; vgl. oben B.II. 831 Die Entscheidung beruhte auf einer Klage von Mitgliedern des Aufsichtsrats der beklagten Gesellschaft gegen einen Mehrheitsbeschluss des Aufsichtsrats, mit dem die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten abgelehnt worden war. Die Kläger hatten dem Vorstandsvorsitzenden vorgeworfen, durch unglück-
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Gericht führt in diesem Zusammenhang aus, dass „dem Vorstand bei der Leitung der Geschäfte ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist“. Dieser weite Handlungsspielraum endet laut Bundesgerichtshof erst dort, wo „die Grenzen, in denen sich ein vom Verantwortunsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist oder das Verhalten des Vorstands aus anderen (scil.: vergleichbar gewichtigen 832) Gründen als pflichtwidrig gelten muss“833. Der zitierte Text weist deutlich darauf hin, dass der Bundesgerichtshof die Pflichtwidrigkeit der unternehmerischen Entscheidung nicht mit der bloßen fehlerhaften Ermessensausübung im Rahmen derselben gleichsetzt 834. Eine Kongruenz beider Begriffe soll nach überwiegender Ansicht im Schrifttum vielmehr nur dann anzunehmen sein, wenn die Entscheidung wegen der evidenten Überschreitung der zu beachtenden Ermessensgrenzen oder wegen unverantwortlicher Risikoübernahme „gegen alle Gebote menschlicher oder vielmehr unternehmerischer Vernunft“ 835 verstößt, mit anderen Worten: wenn sie sachlich völlig unvertretbar ist 836. Maßstab für die so verstandene Unvertretbarkeit ist dabei richtigerweise die objektive Evidenz des Ermessenfehlers 837. Das Schrifttum sieht in diesen Grundsätzen die höchstrichterliche Bestätigung des in der Literatur längst anerkannten Prinzips, dass die Vorstandshaftung in der unternehmerischen Handlungsfreiheit eine Grenze finden muss 838. So dürfte der Bundesgerichtshof durch die Entscheidung eine Sicherstellung der Funktionsfähigkeit unternehmerischen Handelns bezweckt haben: zur Behauptung des Unternehmens im Wirtschaftsverkehr erforderliche unternehmerische Initiative soll nicht durch unüberschaubare Haftungsrisiken behindert werden können 839. liche Finanztransaktionen einen erheblichen Schaden mitverursacht und dadurch seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft verletzt zu haben. Näher zum Sachverhalt BGHZ 135, 244 ff. – „ARAG/Garmenbeck“. 832 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 28. 833 BGHZ 135, 244 (253) – „ARAG/Garmenbeck“. 834 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 28; ähnlich Kindler, ZHR 162 (1998), S. 101 (103 f.). 835 So Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 195; Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (324). 836 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 28. Ähnlich Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 87 ff., der unter Verwendung der Begrifflichlichkeit des Bundesgerichtshofs („in unverantwortlicher Weise“) von der „Unverantwortlichkeit“ der Vorstandstätigkeit spricht. 837 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 28; ders., AktG, § 93 Rn. 4 b; Kindler, ZHR 162 (1998), S. 101 (103 ff.). 838 Kindler, ZHR 162 (1998), S. 101 (103 f.); Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/ Kropff, Aktiengesetz, Band II, §76 Rn.14, §93 Rn.2; Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 171 ff.; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 76 Rn. 14, § 93 Rn. 29. 839 Kindler, ZHR 162 (1998), S. 101 (103); Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 173.
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Gleiches, nämlich die Gewährung eines weiten unternehmerischen Handlungsspielraums, hat im Übrigen auch für den Aufsichtsrat zu gelten, sofern er unternehmerisch tätig wird. Wie oben näher dargelegt wurde, nimmt der Aufsichtsrat bei Entscheidungen über Struktur und Höhe der Vorstandsvergütung originäre unternehmerische Aufgaben wahr 840. Weil diese spezielle unternehmerische Entscheidung wegen des ihr innewohnende Prognoselements schwerlich nach den Kategorien richtig oder falsch beurteilt werden kann 841 – in den meisten Fällen gibt es mehr als ein vertretbares Ergebnis – ist auch dem Aufsichtsrat im Rahmen seiner Vergütungsentscheidung grundsätzlich ein unternehmerischer Ermessensspielraum zuzugestehen, der die Beurteilung von den Kategorien richtig oder falsch zu der Kategorie der Vertretbarkeit bzw. Unvertretbarkeit oder, weitergehend, der Verantwortlichkeit bzw. Unverantwortlichkeit 842 verlegt 843.
III. Die Kodifizierung unternehmerischen Leitungsermessens durch den Gesetzgeber – Übernahme der US-amerikanischen Business Judgment Rule ins deutsche Recht Im Anschluss an die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des Bundesgerichtshofs brachten große Teile des Schrifttums die Urteilsaussagen in einen Zusammenhang mit der sog. Business Judgment Rule 844 des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts; nicht selten wurde die (analoge) Anwendung der US-Rechtsregel auch im deutschen Recht gefordert 845. Hintergrund war primär die auf die bisher fehlende gesetzliche Kodifizierung unternehmerischen Freiraums zurückgehende Suche nach einer schärfer umrissenen Bestimmung unternehmerischen Ermessens846. Mit der EinfühVgl. oben B.II. Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 105; ähnlich Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, 1980, S. 67. Zu den unterschiedlichen Arten unternehmerischer Fehlentscheidungen vgl. Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 116 ff., 163 ff. 842 Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 97 ff. 843 Vgl. hierzu Fonk, in: Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 112; Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 116 ff. (156, 187); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 105; Peltzer, in: FS Lutter, 2000, S. 571 (577); Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 3. 844 Ausführlich zur Business Judgment Rule Thomas/Martin, Litigating Challenges to Executive Pay, 79 Wash. U.L.Q., 2001, S. 569 ff. 845 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 28. Vgl. insbesondere Adams, in: FS von Weizsäcker, 2003, S. 295 (336); Kort, in: Großkommentar zum AktG, § 76 Rn. 51; Hopt, in: Großkommentar zum AktG, § 93 Rn. 81 ff. mwN; Lutter, GmbHR 2000, S. 301 (308); Tümmel, Persönliche Haftung, Rn. 170. 846 Vgl. Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909 (919 f.); ders., in: Großkommentar zum AktG, § 93 Rn. 81 ff.; Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 28; Lutter, GmbHR 2000, S. 301 (308); Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 206 ff.; Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 37 ff. 840 841
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rung des § 93 I 2 AktG durch Art. 1 Nr. 1 a UMAG vom 22. September 2005 847 hat der Gesetzgeber die Diskussion um eine Übertragbarkeit der Business Judgment Rule ins geltende Recht beendet, indem er diese in leicht veränderter Form kodifiziert hat. Im Folgenden soll die US-Version der Business Judgment Rule kurz vorgestellt werden; im Anschluss folgt eine Darstellung der der Kodifizierung vorausgegangenen Kritik an einer analogen Anwendung im deutschen Recht sowie eine Besprechung des § 93 I 2 AktG n.F. 1. Grundaussagen der US-amerikanischen Business Judgment Rule “A director or officer who makes a business judgment in good faith fulfills the duty under this section if the director or officer: (1) is not interested in the subject of the business judgment (2) is informed with respect of the subject of the business judgment to the extent the director or officer reasonably believes to be appropriate under the circumstance; and (3) rationally believes that the business judgment is in the best interest of the corporation” 848. Die Business Judgment Rule inkorporiert eine dem Schutz von Managern dienende richterliche Beweisführungsregel des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts, die (stark verkürzt) besagt, dass unternehmerische Entscheidungen von Mitgliedern des Vorstands (executive officers) oder des Verwaltungsorgans (board) US-amerikanischer corporations unter bestimmten Voraussetzungen der gerichtlichen Überprüfung nach duty of care-Grundsätzen 849 entzogen sind 850. Eine Kodifizierung der Business Judgment Rule im US-Gesellschaftsrecht fehlt; da das Recht der Kapitalgesellschaften in den USA Recht der Einzelstaaten ist851, existiert auch keine ein847 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, BGBl. I. S. 2802 ff. 848 American Law Institute, Principles of Corporate Governance, Band 1 (1994), § 4.01 (c); Lutter, GmbHR 2000, S. 301 (308). 849 Zur Behandlung von Verstößen gegen die duty of loyalty vgl. Thomas/Martin, Litigating Challenges to Executive Pay, 79 Wash. U.L.Q., 2001, S. 569 ff. 850 Nach US-amerikanischem Gesellschaftsrecht treffen die Mitglieder von Geschäftsführungs- und Verwaltungsorgan der Gesellschaft grds. zwei unterschiedliche Treuepflichten (sog. fiduciary duties), nämlich eine Sorgfaltspflicht („duty of care“) zum einen und eine allgemeine Loyalitätspflicht („duty of loyalty“) zum anderen. Die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule beschränkt sich allein auf vom Antragssteller vorgebrachte Management-Verstöße gegen die duty of care, vgl. Thomas/Martin, Litigating Challenges to Executive Pay, 79 Wash. U.L.Q., 2001, S. 569 ff. 851 Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 208; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, Rn. 684; Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 45; Tegtmeier, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1998, S. 72.
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heitliche Definition 852. Gebräuchlich ist die oben zitierte Formel des American Law Institute, wonach eine gerichtliche Überprüfung nach duty of care-Grundsätzen entfällt, wenn der Betroffene die Entscheidung ohne relevantes Eigeninteresse (sog. disinterested judgment), auf der Grundlage hinreichend konkreter Informationen (sog. informed judgment) und nachvollziehbar in dem guten Glauben, im besten Interesse des Unternehmens zu handeln (sog. good faith), getroffen hat 853. Hintergrund der Entwicklung der Business Judgment Rule ist im Ausgangspunkt die im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht vertretene Auffassung, dass Richter mit unternehmerischen Feinheiten nicht vertraut, daher im Grundsatz schlechte Unternehmer und deshalb, soweit möglich, aus den Geschäften der Unternehmen heraus zu halten seien 854. 2. Kritik an einer Übertragung der Business Judgment Rule nach alter Rechtslage Vor Einführung des § 93 I 2 AktG n.F. gründete sich die Forderung nach einer Anwendung der Grundsätze der Business Judgment Rule im deutschen Recht wesentlich auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum unternehmerischen Ermessen in Sachen ARAG/Garmenbeck. Trotz deutlicher Parallelen der wesentlichen Aussagen des ARAG/Garmenbeck-Urteils zum US-amerikanischen Recht855 waren nach Teilen der Literatur zum alten Recht allerdings erhebliche Zweifel darüber angebracht, ob der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung eine Business Judgment Rule nach US-Vorbild auch im deutschen Recht etablieren wollte 856. Dagegen sprächen, so Kritiker, vornehmlich maßgebliche Unterschiede in der jeweiligen Gesell852 Im (zweitkleinsten) US-Bundesstaat Delaware, wo fast 60 % der US-amerikanischen Fortune 500-Unternehmen sowie die Mehrheit der US-amerikanischen Publikumsgesellschaften ihren Sitz haben (die Delaware Corporation Law gilt als besonders liberal und managementfreundlich), gilt seit der Grundsatzentscheidung Aronson vs. Lewis die Formel, die Business Judgment Rule verkörpere die Vermutung, dass die Direktoren einer Gesellschaft bei unternehmerischen Entscheidungen auf informierter Grundlage, in gutem Glauben und der ehrlichen Überzeugung, dass die Maßnahme im besten Interesse des Unternehmens sei, handelten, vgl. Aronson vs. Lewis, 473 A.2 d 805, 812 (Del. 1984) : “[…] a presumption that in making a business decision the directors of a corporation acted on informed basis, in good faith and in honest belief that the action taken was in the best interest of the company “. 853 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, Rn. 684ff.; Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 93 Rn. 33; Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 37. 854 Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 208; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, Rn. 682; Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 46. 855 Lutter, GmbHR 2000, S. 301 (308); Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 37, 44 f. 856 Ausdrücklich gegen die Anwendung der Business Judgment Rule im deutschen Recht Semler, in: FS Ulmer, 2003, S. 627 (642): „Bei der Beurteilung des Verhaltens von Vorstandsund Aufsichtsratsmitgliedern deutscher Gesellschaften sollten wir es beim deutschen Recht belassen“.
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schaftsrechtsdogmatik. Zunächst sei die Beweislastverteilung des § 93 II 2 AktG derjenigen der US-amerikanischen Rechtsregel diametral entgegengesetzt: während die Business Judgment Rule im Grundsatz von einem rechtmäßigen Vorstandshandeln ausgehe – im US-amerikanischen Recht muss damit der Anspruchssteller dem Manager einen Verstoß gegen die Grundsätze der Business Judgment Rule nachweisen – bestimme § 93 II 2 AktG, dass im Zweifel das Vorstandsmitglied die Beweislast trifft 857. Die Vorstandshaftung sei damit nach deutschem Recht eine Haftung für gesetzlich vermutetes Verschulden 858. Zudem sei der Bundesgerichtshof bei seiner Entscheidungsfindung nicht einer US-amerikanischen Rechtsregel, sondern allein der sachgerechten Auslegung und Anwendung des § 93 AktG a.F. als Haftungsnorm des deutschen Aktienrechts verpflichtet gewesen 859. Diesem lasse sich aber keineswegs eine Freistellung von gerichtlicher Überprüfung entnehmen, wie sie die Business Judgment Rule vorsieht 860, ein Gedanke, der dem kontinentaleuropäischen Rechtsdenken jedenfalls auf dem Gebiet des Zivilrechts fremd sei 861. Vielmehr lege die Vorschrift mit dem Verweis auf (allein) die Sorgfaltspflicht des ordentlichen Geschäftsleiters einen Maßstab für die Pflichtverletzung fest. Dessen Voraussetzungen stimmten jedoch zumindest nicht gänzlich mit denen der Business Judgment Rule überein 862. Gegen die Übertragbarkeit der Business Judgment Rule auf das deutsche Gesellschaftsrecht spreche im Übrigen die fehlende Notwendigkeit einer solchen Übertragung 863. In der Tat ergibt sich das Erfordernis einer deutlichen Überschreitung des unternehmerischen Ermessens bereits zwingend aus dem seit ARAG/Garmenbeck auch höchstrichterlich anerkannten Verständnis der unternehmerischen Ermessensentscheidung, die Vorstand bzw. Aufsichtsrat einen weiten Diskretionsspielraum zugesteht. Im Ergebnis ist den Kritikern einer analogen Anwendung zuzugeben, dass eine weitere Präzisierung der deutschen Rechtslage durch Rückgriff auf die Business Judgment Rule zumindest rechtsdogmatisch nicht notwendig war.
857 Lutter, GmbHR 2000, S. 301 (308); Heermann, AG 1998, S. 201 (205 f.); Hefermehl/ Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 93 Rn. 33; Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 37, 139; Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909 (920 f.). 858 Lutter, GmbHR 2000, S. 301 (308); Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 139. 859 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 28; ähnlich Semler, in: FS Ulmer, 2003, S. 627 (642). 860 Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 28; Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 37. 861 Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 37; Kindler, ZHR 162 (1998), S. 101 (104); Heermann, AG 1998, S. 201, 205 f. 862 So ist z.B. eine Einordnung der Business Judgment Rule in das von § 93 AktG vorgegebene Schema Anspruch und Einrede nicht möglich. Sie stellt vielmehr eine eigene Haftungsvoraussetzung dar, die von den Kategorien Pflichtverletzung und Verschulden unabhängig ist, vgl. Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 37. 863 Ähnlich Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 38; Semler, in: FS Ulmer, 2003, S. 627 (642); weiter wohl Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 28; Lutter, GmbHR 2000, S. 301 (310).
D. Das Verhältnis von Ermessensausübung und Pflichtverletzung im Aktienrecht 185
3. Die Kodifizierung der Business Judgment Rule in § 93 I 2 AktG n.F. Vor dem Hintergrund der oben aufgezeigten Unsicherheiten hat der Gesetzgeber im Sinne der Rechtssicherheit entschieden und mit der nunmehr in § 93 I 2 AktG n.F. kodifizierten deutschen Version der Business Judgment Rule nach US-amerikanischem Vorbild eine unwiderlegbare Vermutung für objektiv pflichtkonformes Vorstandsverhalten statuiert. Die Vorschrift formuliert fast parallel zur oben zitierten US-amerikanischen Regelung folgende fünf Vermutungsvoraussetzungen: zunächst muss erstens eine unternehmerische Entscheidung des Vorstands vorliegen, die zweitens frei von Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen war, drittens dem Wohle der Gesellschaft gedient hat und viertens auf angemessener Informationsgrundlage basiert 864. Hinsichtlich der Voraussetzungen zwei bis vier ist fünftens Gutgläubigkeit des Vorstandsmitglieds erforderlich. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist das Eingreifen eines Haftungstatbestands wegen Fehlens einer objektiven Pflichtverletzung bereits materiell-rechtlich ausgeschlossen865. Die Norm stellt damit eine aus dem anglo-amerikanischen Recht bekannte sog. „safe-harbour“-Regelung dar, die dem Vorstand als Träger unternehmerischer Entscheidungen in den aufgezeigten Grenzen unternehmerischen Ermessensfreiraum gewährt, der sich auch gegenüber dem Haftungsrecht behauptet und wenigstens ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleisten soll 866. Obgleich weiterhin fraglich, ob es der Kodifizierung angesichts des nach ARAG/ Garmenbeck ohnehin erreichten Sachstands faktisch bedurft hätte 867, dient die Norm richtigerweise der Rechtssicherheit, in deren Interesse es, wenn auch nach der hier vertretenen Ansicht nicht zwingend, durchaus sachgerecht war, den bisher (lediglich) richterrechtlich anerkannten Grundsatz des Freiraums bei unternehmerischen Ermessensentscheidungen auch im Gesetzestext selbst zum Ausdruck zu bringen 868.
IV. Fazit: Erhebliche aktienrechtliche Pflichtwidrigkeit notwendig Eine aktienrechtliche Pflichtverletzung i. S. d. §§ 93, 116 S. 1 AktG ist unter Zugrundelegung des ARAG/Garmenbeck-Urteils des Bundesgerichtshofs dann anzunehmen, wenn die beanstandete unternehmerische Entscheidung eine erhebliche, d. h. sachlich eindeutig unvertretbare Fehlentscheidung darstellt. Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats, die, wie erwähnt, unternehmerische Entscheidungen 864 865 866 867 868
Hüffer, AktG, § 93 Rn. 4 e. Hüffer, AktG, § 93 Rn. 4 c. Hüffer, AktG, § 93 Rn. 4 d. Vgl. hierzu oben 2. Vgl. auch Hüffer, AktG, § 93 Rn. 4 a.
186
Teil 1: Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung
der oben beschriebenen Art darstellen 869, sind damit in Ansehung der oben aufgezeigten Grenzen des Unternehmensinteresses und der aktienrechtlichen Angemessenheit dann als pflichtwidrig einzuordnen, wenn sie Bestands- und Rentabilitätsinteresse der Gesellschaft in evident unverantwortlicher 870 und damit unvertretbarer Weise aufs Spiel setzen oder die gesetzlich festgelegte Grenze des § 87 I AktG in unvertretbarem Maße und gegebenenfalls in bewusster Schädigungsabsicht 871 deutlich überschreiten bzw. außer Acht lassen. Die Grenzen zulässigen Handelns sind damit grundsätzlich weit gesteckt. Aussagen über die Unvertretbarkeit sind im Zweifelsfall Sachverständigen vorbehalten. Bei strittigen Vergütungsentscheidungen, wie sie insbesondere die nachträgliche leistungsbelohnende Zusage darstellt, wird eine so verstandene Pflichtwidrigkeit nur dann in Betracht kommen, wenn unter den befassten Sachverständigen ein überwiegender Konsens im Hinblick auf die Unvertretbarkeit besteht.
Vgl. oben B.II. Zum Maßstab der Unverantwortlichkeit Roth, Unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 97 ff. 871 Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 195; Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (324). 869 870
Teil 2
Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Festsetzung überhöhter Vorstandsvergütungen Anders als im Bereich des Gesellschaftsrechts ist aus strafrechtlicher Sicht die Befassung mit Vergütungen von Vorständen einer Aktiengesellschaft neu; der Fall Mannesmann ist somit gleichsam ein Präzedenzfall 1. Im Mittelpunkt der wegen der Zivilrechtsaffinität entscheidenden aktienrechtlichen Problematik2 stehen dabei vor allem die für die Beurteilung von Vorstandsgehältern entscheidenden (aktienrechtlichen) Begriffe des Unternehmensinteresses und der Angemessenheit der Zahlungen nach § 87 I AktG. Im Folgenden soll unter Rekrutierung dieser beiden bereits in Teil 1 näher definierten aktienrechtlichen Schlüsselbegriffe untersucht werden, in welchen Fällen die Vergütungsentscheidung der Mitglieder des Aufsichtsrats oder seiner hierfür zuständigen Ausschüsse eine Untreue gem. § 266 I StGB darstellen kann. Schwerpunkt der Untersuchungen in diesem Komplex wird die Frage sein, inwiefern eine aktienrechtliche Pflichtverletzung per se eine Strafbarkeit wegen Untreue nach sich ziehen kann; entscheidende Bedeutung kommt an dieser Stelle dem vom Bundesgerichtshof 3 neuerdings geprägten Begriff der gravierenden Pflichtverletzung zu, der im Folgenden eingehend untersucht werden soll (B.)
A. Der Umfang der Vermögensbetreuungspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei Vergütungsentscheidungen Die von § 266 StGB vorausgesetzte Vermögensbetreuungspflicht entscheidet darüber, ob der Handelnde als Täter einer Untreue überhaupt in Betracht kommt. Die anschließende Darstellung wird zunächst auf untreuerechtliche Feinheiten eingehen, denen vorliegend keine besondere kriminalpolitische Bedeutung zukommt (I.). Anschließend wird auf die Natur der Vermögensbetreuungspflicht im Verhältnis zur allgemeinen Schuldnerpflicht näher eingegangen (II.). Schließlich soll untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen ein Handeln des Aufsichtsrats eine untreuerechtliche Pflichtverletzung darstellen kann (III.).
1 2 3
Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113; vgl. schon Einleitung, A. Dazu oben Teil 1. Insbesondere BGHSt 47, 187 ff.; vgl. hierzu ausführlich unten III.
188
Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
I. Dogmatische Feinheiten ohne kriminalpolitische Bedeutung4 Im Folgenden sollen zwei untreuespezifische Problemkreise kurz besprochen werden, die strafrechtsdogmatisch zwar durchaus von Wichtigkeit sind, wegen fehlenden Einflusses auf das Ergebnis kriminalpolitisch für die vorliegende Fragestellung aber keine Bedeutung haben. Gemeint sind das Verhältnis der beiden Untreuealternativen zueinander (1.) sowie die genaue Zuordnung des jeweiligen Verhaltens des Gremiums oder seiner Ausschüsse zum Missbrauchs- oder Treubruchstatbestand der Untreue (2.). 1. Das Verhältnis der beiden Untreuealternativen zueinander Auf die Vermögensbetreuungspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern einer Aktiengesellschaft im Speziellen wird unter (III.) noch näher eingegangen; schon an dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass den auf Dauer tätigen Sachwalter eines fremden Vermögens (und einen solchen Sachwalter stellt der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan unzweifelhaft dar, vgl. nur die Ausführungen in Teil 1) selbstverständlich eine fremdnützige Vermögensfürsorgepflicht trifft 5. Aus diesem Grund ist das nach wie vor im Grundsätzlichen wie im Einzelnen umstrittene Verhältnis der beiden Alternativen der Untreue zueinander für die vorliegenden Untersuchungen nicht von entscheidender Bedeutung, weshalb sich eine ausführliche Auseinandersetzung mit den beiden hierzu vertretenen Theorien (monistische und dualistische Theorie) erübrigt. Vorliegend soll ein kurzer Hinweis auf die inzwischen wohl h. M., die eine Vermögensbetreuungspflicht auch beim Missbrauchstatbestand mit dem Argument fordert, dass die Missbrauchsalternative nur ein Spezialfall der Treubruchsvariante sei (monistische Theorie) 6, genügen 7. 2. Zuordnung des jeweiligen Aufsichtsratsverhaltens zum Missbrauchs- oder Treubruchstatbestand Ohne entscheidende Bedeutung für das Ergebnis der vorliegenden Untersuchungen ist außerdem die (dogmatische) Frage der Zuordnung des jeweiligen OrganverDie Begrifflichkeit orientiert sich hier an Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 11. Allg. Ansicht, vgl. nur Rönnau/Höhn, NStZ 2004, S. 113 (114); Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 11. 6 Grundlegend BGHSt 24, 386 (387 f.); jüngst bestätigt von BGH NJW 2006, S. 522 (525) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216). Für die Literatur vgl. Eisele, GA 2001, 377 (380); Haft, Strafrecht BT, S. 224. Näher zu dieser Problematik auch Kindhäuser, in: FS Lampe, 2003, S. 709 ff. (710 ff.); kritisch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und deren Auslegung in der Literatur Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 11 f.; ders., in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 8, 17 ff. sowie Kargl, ZStW 113 (2001), S. 565 (567 ff.) m. w. N. 7 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik findet sich aktuell bei Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 45 ff.; Kargl, ZStW 113 (2001), S. 565 ff. 4 5
A. Der Umfang der Vermögensbetreuungspflicht
189
haltens zum Missbrauchs- oder Treubruchstatbestand. Beiden Tatvarianten ist nach der oben kurz dargestellten h. M. 8 gemeinsam, dass eine Bejahung des § 266 I StGB nur dann in Betracht kommt, wenn folgende zwei Komponenten erfüllt sind: der Täter muss eine ihn betreffende fremdnützige (Haupt-) Pflicht zur Betreuung fremden Vermögens verletzt und dadurch dem betreuten Vermögen einen Nachteil zugefügt haben. Auch die Frage, ob bezüglich der Vermögensbetreuungspflicht beim Missbrauchstatbestand dieselben Anforderungen wie beim Treubruchstatbestand zu stellen sind, ist letztlich rein dogmatischer Natur und hat keine Relevanz für das Ergebnis der vorliegenden Ausführungen. Selbst wenn man nach richtiger Ansicht9 davon ausgeht, dass dogmatisch sorgfältig zwischen der Vermögensbetreuungspflicht beim Missbrauchstatbestand („…dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat…“) und der sog. Vermögenswahrnehmungspflicht beim Treubruchstatbestand („…Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen…“) zu unterscheiden ist, ergeben sich, so wie hier eine Zuordnung unter die einzelnen Tatvarianten ohnehin nicht erfolgen kann, im Ergebnis keine maßgeblichen Unterschiede zur h. M., die diese Differenzierung nicht vornimmt, da die Vermögenswahrnehmungspflicht nach der hier vertretenen Auffassung letztlich denjenigen Inhalt erhält, den die h. M. der Vermögensbetreuungspflicht zuschreibt 10. Wesentliche Differenz der beiden Tatvarianten des § 266 StGB ist nach dieser h. M. nur die Rechtswirksamkeit des Handelns des Täters, durch welches er diese oben beschriebene Pflicht verletzt; während die Missbrauchsalternative mit einer verbreiteten Kurzformel dann vorliegt, wenn der Täter die Grenzen seines rechtlichen Dürfens unter Ausnutzung, aber im Rahmen seines weitergehenden rechtlichen Könnens überschreitet, reicht für den Treubruchstatbestand jedes tatsächliche Handeln, das einen Vermögensnachteil nach sich zieht, aus 11. Die Schwierigkeit der Subsumtion von Aufsichtsratshandeln unter die Missbrauchsalternative liegt dabei stets bei der Frage der Außenwirkung dieses Handelns. Der Missbrauchstatbestand erfasst im Bereich des Aktienrechts vornehmlich das Handeln der Außenvertre8 Siehe hierzu bereits oben 1.; in diesem Sinne auch Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (313); jüngst bestätigt von BGH NJW 2006, S. 522 (525) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216). 9 Nur auf diese Weise – unterschiedliche Voraussetzungen von Missbrauchs- und Treubruchsalternative – lässt sich die schärfere Konturierung und Begrenzung des Missbrauchstatbestandes gegenüber dem Treubruchstatbestand sinnvoll begründen. Andernfalls könnten alle Fälle, die vom Missbrauchstatbestand erfasst werden, ebenso gut unter den Treubruchstatbestand subsumiert werden, was dazu führte, dass der Missbrauchstatbestand letztlich nur ein überflüssiger Spezialfall des Treubruchstatbestandes wäre; vgl. zu dieser Problematik auch Eisele, GA 2001, S. 377 (380); Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 2; Wegenast, Missbrauch und Treubruch, 1994, S. 60 ff. 10 Eisele, GA 2001, S. 377 (381). 11 Allgemeine Ansicht, vgl. BGHSt 5, 61 (63 f.); Haft, Strafrecht BT, S. 226; Lackner/Kühl, StGB, § 266 Rn. 15; Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rn. 38; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 35.
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
tungsorgane, gem. § 78 AktG also Handlungen des Vorstands 12. Soweit sich der Aufsichtsrat allein auf die Kontrolle des Vorstands im Rahmen seiner Überwachungsaufgabe beschränkt, unterfällt sein Handeln wegen fehlender Außenwirkung nicht dem Regelungsgehalt des Missbrauchstatbestands 13. Anders ist dies in den Fällen, in denen das Gesetz ein externes Handeln des Aufsichtsrats vorsieht, so namentlich beim Abschluss des Anstellungsvertrags, in dessen Rahmen der Aufsichtsrat Vergütungsfragen zu regeln hat, und bezüglich dessen er die Gesellschaft den Begünstigten gegenüber gerichtlich wie außergerichtlich vertritt (§ 112 AktG) 14. Ist dieser der Vergütungsvereinbarung zugrunde liegende Vertrag rechtswirksam, so kommt auch für den Aufsichtsrat die Missbrauchsalternative grundsätzlich in Betracht. Eine Durchexerzierung sämtlicher denkbarer Konstellationen der Wirksamkeit (bzw. Nichtigkeit) von nach Aktienrecht rechtswidrigen Beschlüssen, die sich im Wesentlichen nach dem Schutzzweck der jeweils verletzten Norm bestimmt, würde freilich den Rahmen dieser Arbeit sprengen und führt zudem am eigentlichen materiellen Schwerpunkt der Untersuchungen vorbei. Zwar wird an geeigneter Stelle durchaus eine Subsumtion unter eine der beiden Alternativen vorgenommen 15; die Zuordnung wird jedoch wegen der Komplexität der hier behandelten Materie und der Vielgestaltigkeit der möglichen Fallgestaltungen bei der Entscheidung der Aufsichtsratsmitglieder einer AG über Vorstandsvergütungen nur exemplarisch und im ausgesuchten Einzelfall erfolgen. Insgesamt wird also, wenn eine Zuordnung nicht erfolgt, vom Treubruchstatbestand ausgegangen, der diese Fälle bei Bejahung einer Pflichtverletzung unstreitig erfasst 16.
II. Die Abgrenzung der untreuespezifischen Treuepflicht zur bloßen Schuldnerpflicht Die Vermögensbetreuungspflicht bei § 266 StGB wird gemeinhin definiert als eine durch Eigenverantwortlichkeit geprägte und als Hauptpflicht geschuldete fremdnützige Geschäftsbesorgung in einer wirtschaftlich nicht ganz unbedeutenden Angelegenheit 17. Nach den oben genannten Grundsätzen ist tauglicher Täter des Treubruchstatbestandes, wem im Rahmen der Geschäftsführung oder -besorgung für einen anderen ein gewisser Spielraum für eigenverantwortliche Entscheidungen bleibt 18. Innerhalb dieser Geschäftsbesorgung hat der Adressat bestimmte, von den Besonderheiten des Geschäfts geprägte (qualifizierte) Pflichten wahrzunehmen. Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 65. Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 66. 14 Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 66. 15 Vgl. hierzu unten III.2.c)cc). 16 Ähnlich auch der Bundesgerichtshof im Fall Mannesmann, vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (525) = NStZ 2006, S. 214 (216). 17 Kindhäuser, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 34; Schönke/Schröder/ Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 23 f.; Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rn. 28. 18 Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 25. 12 13
A. Der Umfang der Vermögensbetreuungspflicht
191
Wegen der bereits erwähnten und im nächsten Gliederungspunkt noch etwas näher auszuführenden (positiven) Zivilrechtsakzessorietät 19 des Untreuetatbestandes sind diese qualifizierten Pflichten außerstrafrechtlichen Pflichtenkatalogen – bei der vorliegenden Problematik der Vergütungsentscheidung für Vorstandsmitglieder dem Aktienrecht – entnommen 20. Die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats aus § 111 I AktG erfüllt als Kernaufgabe sämtliche der oben genannten Kriterien und begründet damit eine Treupflicht des Aufsichtsrats gegenüber der Gesellschaft und ihren Mitgliedern i. S. d. § 266 I StGB 21. Gleiches muss nach obigen Ausführungen für die im Rahmen der Personalkompetenz des Aufsichtsrats zu treffende Vergütungsentscheidung gelten, innerhalb derer dem Aufsichtsrat nach ARAG/Garmenbeck weitgehende unternehmerische Handlungsfreiheit zukommt und die wegen des großen Einflusses der Vergütungsentscheidung auf die zukünftige Unternehmenspolitik und damit das Schicksal des Unternehmens auch wirtschaftlich bedeutend ist. Denn mit der Entscheidung über Struktur und Höhe der Vorstandsvergütung nimmt der Aufsichtsrat eine Führungs- und Gestaltungsfunktion mit unternehmerischer Handlungsfreiheit wahr, die als unternehmerische Leitungsaufgabe unter die vorstehende Definition der Vermögensbetreuungspflicht fällt 22. Das Gebot, auch bei Vergütungsentscheidungen im Interesse der Gesellschaft zu handeln, insbesondere Schaden von ihr abzuwenden, gehört zwingend zu den gem. § 266 StGB maßgeblichen Treuepflichten der nach §§ 93 I 1, 116 S. 1 AktG ordentlich und gewissenhaft handelnden Gesellschaftsorgane 23. Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 266 StGB ist nun die Verletzung dieser Vermögensbetreuungspflicht durch den Treuepflichtigen. Entscheidend für die Feststellung dieser Pflichtverletzung i. S. d. § 266 StGB ist dabei primär der Inhalt des Treueverhältnisses, welches i. d. R. die Grenzen des rechtlichen Dürfens durch Vorgaben des Vermögensinhabers – sog. Treuabrede –, die sich unter anderem aus dem der Vermögensbetreuung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis, aber auch aus einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, Satzungen und Richtlinien ergeben können, näher definiert 24. Zu beachten ist jedoch nach allgemeiner Ansicht, dass nicht jede dieser Verpflichtungen, die dem Treuepflichtigen gegenüber dem Vermögensinhaber obliegen, für eine Pflichtverletzung in Betracht kommt. Eine untreuespezifische Pflichtverletzung liegt vielmehr nur dann vor, wenn die im Einzelfall verletzte Pflicht in einem funktionalen Zusammenhang mit dem Aufgabenkreis der
Vgl. oben Einleitung C. Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (114). 21 Allg. Ansicht, vgl. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 25, Tiedemann, in: FS Tröndle, 1989, S. 319 ff.; Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rn. 54. 22 BGHZ 135, 244 (253 ff.) „ARAG/Garmenbeck“; BGHSt 9, 203 (210); vgl. auch Rönnau/ Hohn, NStZ 2004, S. 113 (114). 23 Jüngst BGH NJW 2006, S. 22 (523) = BGH NStZ 2006, S. 214 (215). 24 BGHSt 47, 295 (297). 19 20
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen steht 25. Das OLG Hamm hat diesbezüglich im Jahr 1973 festgestellt, dass die Vermögensschädigung „gerade innerhalb des durch das Treueverhältnis begründeten Pflichtenkreises liegen muss“ 26. Unbeachtlich für die Erfüllung des Untreuetatbestandes ist somit die Verletzung von Einzelpflichten „minderer Qualität“, die aus einem Treueverhältnis im oben genannten Sinne erwachsen können 27. Zu bejahen ist der erwähnte funktionale Zusammenhang dagegen, wenn die verletzte Einzelpflicht zwei Voraussetzungen erfüllt: Zum einen muss sie dem (unmittelbaren) Schutz des betreuten Vermögens dienen 28. Zum anderen kommen aus dem Kreis der vermögensschützenden Pflichten für eine untreuespezifische Pflichtverletzung allein solche in Betracht, die typischerweise nur der Treunehmer verletzen kann 29. An dieser Stelle hat also die Abgrenzung zur sog. allgemeinen Schuldnerpflicht zu erfolgen, bei der es sich um eine einfache schuldrechtliche Verpflichtung handelt, die ebenso von einem Schuldner verletzt werden könnte, der keine fremden Vermögensinteressen zu betreuen hat 30. Keine untreuespezifische Pflichtverletzung, sondern allein eine Verletzung von Rücksichtnahmepflichten auf die Gesellschaft stellt der Verstoß von Aufsichtsratsmitgliedern gegen bloße gesellschaftsrechtliche Organnebenpflichten dar 31. Beispielhaft sind hier verbotene Eigengeschäfte, Provisionsannahmen, Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht, das Aushandeln überhöhter Aufsichtsratsvergütungen sowie unzulässige Kreditgewährungen zu nennen 32. Solche Verhaltensweisen bewegen sich außerhalb des den Mitgliedern des Aufsichtsrats zugewiesenen Aufgabenfeldes (organspezifische Pflichten) und lassen sich damit nicht unter die von § 266 StGB geforderte typische Wahrnehmung von Fremdinteressen subsumieren 33. Ob und unter welchen Voraussetzungen das Verhalten des Aufsichtsrats bei Vorstandsvergütungsentscheidungen eine solche untreuespezifische Pflichtverletzung darstellen kann, soll im Folgenden näher untersucht werden.
25 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (114); BGH wistra 1986, S. 71 f., 256; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 23; Tiedemann, in: FS Tröndle, 1989, S. 319 (327). 26 OLG Hamm, NJW 1973, S. 1809 (1810 f.). 27 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (114). 28 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (114); Knauer, NStZ 2002, S. 399 (401); Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634 (672). 29 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (114). 30 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (114); BGH NStZ 1986, S. 361 (362); BGHSt 47, 295 (298) zur allgemeinen beamtenrechtlichen Treuepflicht. 31 Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), HWSt, Abschnitt 2 (Untreue), Rn.214; Tiedemann, in: FS Tröndle, 1989, S. 319 (327 ff.). 32 Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), HWSt, Abschnitt 2 (Untreue), Rn.214; Tiedemann, in: FS Tröndle, 1989, S. 319 (327 ff.). 33 Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), HWSt, Abschnitt 2 (Untreue), Rn.214; Tiedemann, in: FS Tröndle, 1989, S. 319 (327 ff.).
A. Der Umfang der Vermögensbetreuungspflicht
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III. Die Missachtung aktienrechtlicher Vorgaben als untreuespezifische Pflichtverletzung Da, wie schon eingangs erwähnt, eine Zuordnung unter eine der beiden Tatvarianten des § 266 StGB nur im Einzelfall erfolgt, wird im Folgenden von der Prüfungsfolge des Treubruchstatbestandes ausgegangen. Von entscheidender Bedeutung für die hier untersuchte Problematik ist dabei die Frage des Vorliegens einer untreuespezifischen Pflichtverletzung. Aufschluss über die Art der für eine Untreuestrafbarkeit relevanten gesellschaftsrechtlichen Pflichten des Aufsichtsrates geben dabei die vom Aufsichtsrat bei einer Vergütungsentscheidung zu beachtenden Vorschriften des Aktienrechts. Unter dem Blickwinkel eines funktionalen Zusammenhangs mit der Betreuung fremden Vermögens lassen sich zumindest zwei Arten von Pflichten unterscheiden 34: diejenigen Vorschriften, die das Verfahren der Festsetzung von Vorstandsvergütungen betreffen – sie werden hier als formelle Pflichten bezeichnet und unter 1. behandelt – und die Normen, die inhaltliche Vorgaben bezüglich der Vergütungsentscheidung enthalten – diese werden als materielle Pflichten unter 2. näher untersucht 35. 1. Formelle Pflichten Vorschriften, die das von den Aufsichtsratsmitgliedern zu beachtende Verfahren regeln, enthält das Aktiengesetz primär in den §§ 105, 107 bis 111 AktG. Weitere – individuelle – formelle Regelungen finden sich in der Satzung der Aktiengesellschaft und der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates. Für die Beantwortung der Frage, ob und welche formellen Pflichten den bereits erwähnten funktionalen Bezug zur Aufgabe der Vermögensbetreuung haben, wird sich die Verfasserin in Ansehung der vorliegenden Problematik der Festsetzung der Vergütung von Vorstandsmitgliedern auf die Untersuchung der für diese Problematik relevanten Vorschriften beschränken. Von besonderer Bedeutung sind in dieser Hinsicht primär das mit der Diskussion um Standards verantwortungsvoller Unternehmensführung über den DCGK in den Vordergrund gerückte Gebot der Transparenz sowie die allgemeinen, schon oben kurz angeführten Vorschriften des Aktiengesetzes über den aufsichtsratlichen Beschluss, das sog. Beschlussverfahren. a) Das Gebot der Transparenz unternehmerischer Entscheidungen Eines der Mittel zur besseren Kontrolle aufsichtsratlicher Entscheidungen über Vorstandsvergütungen soll, aufgekommen insbesondere durch die Diskussion um 34 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (114); Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 137; Waßmer, Untreue bei Risikogeschäften, 1997, S. 147. 35 Die Untersuchung folgt insoweit der Darstellung bei Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (114 f.).
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung (Corporate Governance), die erhöhte Offenlegungspflicht von Entscheidungsfindung und Ergebnis durch den Aufsichtsrat sein. Dieses sog. Transparenzgebot findet sich primär in Nr. 4.2.3 des DCGK sowie zunehmend auch in der strafrechtlichen Rechtsprechung 36. aa) Die Transparenz im Deutschen Corporate Governance Kodex Der Kodex beschäftigt sich in Ziffer 4.2.3 Absatz 4 mit dem Prinzip der Transparenz. Die Vorschrift verpflichtet den Aufsichtsratsvorsitzenden, die Hauptversammlung über die Grundsätze des Systems der Vorstandsvergütung zu informieren 37. Die Regelung verdeutlicht die praktische Relevanz von Transparenzgeboten als bedeutsames formelles Instrument zur Überwachung von Unternehmensorganen. bb) Der Deutsche Corporate Governance Kodex und seine Bedeutung für das Strafrecht Wie oben in Teil 1 bereits näher ausgeführt, ist der Kodex kein Gesetz i. S. e. Rechtsnorm. Für das Verhältnis zum Strafrecht gilt somit grundsätzlich: der Kodex entfaltet mangels Gesetzes- bzw. Rechtsnormcharakter für das Strafrecht keine unmittelbare Bindungswirkung 38. cc) Die Bedeutung der Transparenz unternehmerischer Entscheidungen im Strafrecht Aus strafrechtlicher Sicht hat dieses Transparenzgebot jedoch trotz der Unverbindlichkeit des Kodex für das Strafrecht mit einer neueren Entscheidung des Bundesgerichtshofs an Bedeutung gewonnen: der Bundesgerichtshof hat u. a. hinsichtlich des Untreuevorwurfs gegen den damaligen Vorsitzenden des Sportvereins SSV Reutlingen Schaufler wegen der Vergabe von Spenden entschieden, dass das Fehlen unternehmensinterner Offenlegung der Vergabevorgänge bei der Prüfung einer Treuepflichtverletzung durch das Vorstands – bzw. Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft im Rahmen der untreuespezifischen Pflichtverletzung zu berücksichtigen sei 39. Betrachtet man den Inhalt der Entscheidung zum Fall Schaufler jedoch genauer, so lässt sich freilich feststellen, dass der Bundesgerichtshof hier keinesfalls den unmittelbaren Vermögensschutz von formellen (Transparenz-) Pflichten implizieren wollte. Das ausdrücklich genannte Transparenzgebot soll nach dem BGHSt 47, 187 ff. Auch im Gesetz finden sich Offenlegungspflichten, vgl. § 107 II S. 1 AktG, wonach über die Sitzung des Aufsichtsrats eine Niederschrift anzufertigen ist. 38 Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (331). 39 BGHSt 47, 187 ff. (189, 197, 199). 36 37
A. Der Umfang der Vermögensbetreuungspflicht
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Wortlaut der Entscheidung vielmehr nur bei der Frage der Erheblichkeit der Pflichtverletzung 40 (der Bundesgerichtshof bezeichnet dieses Erfordernis als „gravierende Pflichtverletzung“) eine wesentliche Rolle spielen. Die Formulierung legt den Schluss nahe, dass der Bundesgerichtshof die Pflichtverletzung quasi „zweistufig“ geprüft wissen möchte 41. Der erste Schritt betrifft die Frage nach dem Vorliegen einer Pflichtverletzung. In einem zweiten Schritt soll dann die Erheblichkeit dieser Pflichtverletzung untersucht werden. So verstanden, hat der Bundesgerichtshof mit dem Verweis auf die Bedeutung der Transparenz allein auf die zweite Stufe der Pflichtwidrigkeitsprüfung Bezug genommen 42. Die Frage, ob die Verletzung formeller Pflichten allein überhaupt eine Pflichtverletzung (erste Stufe) auslösen kann, hat der Bundesgerichtshof damit nicht beantwortet. Bereits an dieser Stelle kann mithin ausgeschlossen werden, dass das Gericht mit seiner Entscheidung zur Untreue durch die Vergabe von Unternehmensspenden die Verletzung von Transparenzgeboten gewissermaßen automatisch als pflichtwidrig im Sinne des § 266 StGB ansieht. Vielmehr ist der (unmittelbare) Vermögensschutz von Transparenzgeboten weiterhin positiv festzustellen 43. b) Das Beschlussverfahren Zu den formellen Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder gehört neben der Transparenz ihres Vorgehens bei Beschlussvorbereitung und -fassung die Beachtung der Regelungen zum Beschlussverfahren an sich. Nach §§108 I, 84 I 3 AktG entscheidet der Aufsichtsrat in Personalfragen durch Beschluss. Ein Beschluss ist die Bildung des Organwillens durch Abstimmung über einen Antrag44. Bestimmungen, die das Beschlussverfahren im weiteren Sinne regeln, finden sich insbesondere in § 107 AktG, welcher die innere Ordnung des Aufsichtsrats betrifft, und § 108 AktG. Letztere Vorschrift spielt in dem schon eingangs erwähnten Mannesmann-Prozess eine bedeutende Rolle; dort wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten vor, die gefassten Beschlüsse seien u. a. wegen formeller Verstöße rechtswidrig, da der Aufsichtsrat gem. § 108 II 2 und 3 AktG beschlussunfähig gewesen sei und eines seiner Mitglieder, der Ausschussvorsitzende Professor Dr. Funk, an der Abstimmung nach §§ 134, 138 BGB nicht hätte teilnehmen dürfen, da er zu den Vergütungsempfängern gehörte 45. 40 Zu Inhalt und Zweck dieses Erfordernisses der „gravierenden Pflichtverletzung“ vgl. ausführlich unten B. 41 Die zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird eingehend unter B. besprochen. 42 Vgl. BGHSt 47, 187 (188): „Ob eine Pflichtverletzung gravierend ist, bestimmt sich aufgrund einer Gesamtschau insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Kriterien.“ Dabei soll, wie oben bereits erwähnt wurde, u. a. die „fehlende innerbetriebliche Transparenz“ Kriterium für eine solche Erheblichkeit der Pflichtverletzung sein; vgl. hierzu ausführlich unten B. 43 Hierzu sogleich unter c). 44 Hüffer, AktG, § 108 Rn. 3. 45 Zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft im Fall Mannesmann vgl. insbesondere das Gutachten von Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 12 ff.; siehe auch Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (115), sowie Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (320 f.).
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
c) Vermögensschützender Charakter der vom Aufsichtsrat zu beachtenden formellen Pflichten Es fragt sich jedoch, ob diese oben festgestellten formellen Pflichten bei ihrer Nichtbeachtung durch den Aufsichtsrat eine untreuespezifische Pflichtverletzung auslösen können. Zweifel ergeben sich vor allem im Hinblick auf den hierfür notwendigen unmittelbaren Vermögensschutz. Gemäß den oben getroffenen Aussagen muss der unmittelbare Vermögensschutz des im DCGK näher konkretisierten Transparenzgebotes bereits wegen der Unverbindlichkeit des Kodex für das Strafrecht verneint werden. Auch die gesetzlich geregelten formellen Pflichten des Aufsichtsrats, die primär das Beschlussverfahren betreffen, lassen erhebliche Bedenken an einem unmittelbaren Vermögensschutz aufkommen. Zur Begründung kann das (einheitliche) Telos der Vorschriften zum Beschlussverfahren herangezogen werden: Nach Sinn und Zweck sollen die Vorschriften über die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrates (insbes. §108 II AktG) eine ordnungsgemäße Entscheidungsfindung, insbesondere, sofern dies nach dem Mitbestimmungsgesetz vorgeschrieben ist, auch eine Beteiligung der Arbeitnehmervertreter i. S. d. betrieblichen Mitbestimmung, garantieren. Der Aufsichtsrat soll zum Zwecke der effizienten Kontrolle des zur Leitung der Gesellschaft befugten Vorstands (Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, § 111 AktG) bei seinen Entscheidungen sämtliche Interessen vertreten können; dies ist nur dann gewährleistet, wenn das Gesetz bei Leitungsentscheidungen des Aufsichtsrats eine Mindestzahl an Mitgliedern vorschreibt 46. Die vom Aufsichtsrat zu beachtenden Regelungen über das Beschlussverfahren sollen insgesamt die Rechtsgleichheit aller Aufsichtsratsmitglieder sowie die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats gewährleisten 47. Dem von § 266 StGB bezweckten Schutz des Vermögens dienen diese Vorschriften jedoch nicht 48. Rönnau/Hohn verdeutlichen diese Erkenntnis in einem aktuellen Aufsatz, indem sie auf die Irrelevanz der Einhaltung formeller Vorschriften für die sachliche Richtigkeit des Ergebnisses hinweisen: das betreute Vermögen profitiert (unmittelbar) in keiner Weise davon, dass an der Entscheidung über eine unangemessene Vergütung (§ 87 I AktG) die nach § 108 II 3 AktG erforderliche Mindestanzahl von drei Aufsichtsratsmitgliedern teilnimmt 49. Der wohl unSemler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 108 Rn. 28. Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 108 Rn. 56; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 108 Rn. 63. 48 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (115). Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (316 f.), der u. a. auf den fehlenden unmittelbaren Vermögensschutz der Offenlegungspflicht bei der Parteienfinanzierung, die primär das Demokratieprinzip gewährleisten will, in Bezugnahme auf die „Parteispendenaffäre Kohl“ hinweist. Im Ergebnis ebenso Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 137. A.A. aber Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 64, der auf den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten „Grundrechtsschutz durch Verfahren“ verweist. Ein nicht ausdrücklich grundrechtlich vorgegebener „Vermögensschutz durch Verfahren“ kann diesem Grundsatz ohne weitere Begründung freilich nicht entnommen werden. 49 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (115); ebenso auch Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (327 f.), der auf die aktienrechtliche Literatur hinweist, nach der die Einhaltung der be46 47
A. Der Umfang der Vermögensbetreuungspflicht
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bestrittene „flankierende Vermögensschutz“ 50, der darin besteht, dass die aufgeführten formellen Vorschriften im Vorfeld der eigentlichen Vergütungsentscheidung gewissermaßen mittelbar die Chance auf eine pflichtgemäße Festsetzung der Vorstandsvergütung erhöhen können, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der eigentlich pflichtwidrige und schließlich zur Vermögensminderung führende Akt im Beschluss über eine materiell pflichtwidrige Vergütung liegt 51. Der (alleinige) Verstoß gegen formelle Pflichten führt somit nach Sinn und Zweck der Verfahrensvorschriften und nach dem Regelungsgehalt des § 266 StGB, der einen unmittelbaren Vermögensschutz verlangt, nicht zur Annahme der Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht 52. d) Zwischenergebnis Zur Frage des (unmittelbaren) Vermögensschutzes formeller Pflichten des Aktienrechts ist damit folgendes festzuhalten: Zwar kann im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Spendenuntreue53 der Verstoß gegen formelle Pflichten durchaus als Indiz für das Vorliegen einer „gravierenden Pflichtverletzung“ gewertet werden 54. Für sich genommen kann jedoch ein solcher Verstoß allein gegen formelle Vorschriften eine Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht wegen des entgegenstehenden Telos dieser formellen Vorschriften nicht auslösen. 2. Materielle Pflichten Entscheidende Bedeutung bei der Frage des Vorliegens einer untreuespezifischen Pflichtverletzung durch den Aufsichtsrat bzw. durch seine Mitglieder kommt aber den materiellen Pflichten zu, die der Aufsichtsrat bei seinen Beschlussfassungen zu beachten hat. Solche materiellen Pflichten ergeben sich allgemein aus zivilrechtlichen Zielvorgaben, vgl. §§ 134, 138 BGB, aus aktienrechtlichen Bestimmungen, vgl. insbesondere § 93 I 1 AktG i. V. m. § 116 S. 1 AktG, sowie seit neuerer Zeit aus den Vorgaben des DCGK, auf dessen fehlende Bindungswirkung für das Strafrecht jedoch oben bereits hingewiesen wurde. Auch hier sollen aus Gründen der Schwerpunktsetzung nur diejenigen Bestimmungen eine Rolle spielen, die für die vorlietriebswirtschaftlichen und rechtlichen Verfahrensregeln mit der sachlichen Richtigkeit des Ergebnisses nicht identifiziert werden kann. Ähnlich Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 29. 50 Die Begrifflichkeit orientiert sich an Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (115). 51 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (115); Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 29. 52 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (115); ebenso Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (327); ders., in: Wirtschaftsstrafrecht, S. 66; Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 137; ähnlich auch Ransiek, NJW 2006, S. 814: „Nur dann, wenn die inhaltliche Bewertung nicht feststeht, macht es Sinn, die Bedeutung von Verfahrensregeln zu betonen“. A.A. Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 64. 53 BGHSt 47, 187 ff.; vgl. hierzu ausführlich unten B. 54 Vgl. oben a) cc).
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
genden Untersuchungen von Bedeutung sind, weshalb insbesondere allgemeine zivilrechtliche Pflichten hier nicht näher behandelt werden sollen. Von besonderem Interesse sind vorliegend vielmehr die spezifischen aktienrechtlichen Pflichten, die der Aufsichtsrat bei seinen Entscheidungen zu beachten hat, nämlich primär das Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse als Bestandteil des Unternehmensinteresses, sowie das Gebot der Angemessenheit der Gesamtvergütung i. S. d. § 87 I AktG. a) Vermögensschützender Charakter materieller Pflichten Die Frage, ob die genannten materiellen Pflichten unmittelbar vermögensschützende Wirkung haben, ist dabei unproblematisch zu bejahen. Der unmittelbare Vermögensschutz von vom Aufsichtsrat zu beachtenden materiellen Pflichten richtet sich allgemein danach, ob diese Pflichten den Inhalt eines Aufsichtsratsbeschlusses unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des Gesellschaftsvermögens festlegen 55. Sowohl das Gebot der Angemessenheit der Gesamtvergütung aus § 87 I AktG, als auch das Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse, beides Interessen, die das Unternehmensinteresse konkretisieren bzw. verkörpern, dienen diesem Zweck 56. b) Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse Begriffsinhalt und -umfang von Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse als aktienrechtlich verwertbarer Teil des Unternehmensinteresses bei Vergütungsentscheidungen wurden bereits im Rahmen der Ausführungen zum Aktienrecht ausführlich erörtert 57. Nach dem in der Einleitung aufgestellten Grundsatz der positiven Zivilrechtsakzessorietät und unter Berücksichtigung von Art. 103 II GG gilt das oben Gesagte auch für das Strafrecht: beide Ermessensgrenzen sind zwar unmittelbar strafrechtlich verwertbar, werden aber wegen ihres Ausnahmecharakters nur in seltenen Einzelfällen überschritten sein.
Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (115). Allgemeine Ansicht, vgl. nur Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (115); Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (314); Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (325), der allerdings mit dem Hinweis, die Anwendbarkeit des § 87 I AktG auf nachträglich vereinbarte Vergütungen sei umstritten, die „Richtlinie des § 87 I AktG“ nur „rahmenhaft“ beachten will. Da die Anwendbarkeit von § 87 I 1 AktG sowohl auf Abfindungen im eigentlichen Sinne als auch auf Anerkennungsprämien bzw. Appreciation Awards oben bereits bejaht wurde, wird dieses Problem hier nicht mehr ausgeführt. Ausführlich zur Angemessenheit von Abfindungen und Anerkennungsprämien oben Teil 1, C.III.4. und 5. 57 Teil 1, C.I.4. Für die Qualifizierung von Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse als strafrechtlich verwertbare Elemente des Unternehmensinteresses auch Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (326); ähnlich Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (115). 55 56
A. Der Umfang der Vermögensbetreuungspflicht
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c) Die Angemessenheit der Gesamtvergütung i. S. d. § 87 I 1 AktG unter Berücksichtigung strafrechtlicher Besonderheiten Die zweite wesentliche materielle, aus dem Aktienrecht stammende Vorgabe für Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats ist das Angemessenheitserfordernis des § 87 I 1 AktG. aa) Übernahme der gesellschaftsrechtlichen Kriterien als Ausdruck negativer Zivilrechtsakzessorietät Die Geltung des § 87 AktG als aktienrechtliche Vorgabe an den Aufsichtsrat bei Vergütungszusagen ist Ausdruck des hier vertretenen Grundsatzes der negativen Zivilrechtsakzessorietät, wonach zwingende Grundvoraussetzung der Strafbarkeit ein Verstoß gegen das Aktienrecht ist 58. Im Hinblick auf Begriffsinhalt und -umfang des § 87 I AktG kann ebenso wie beim Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse auf die Ausführungen im aktienrechtichen Teil der Arbeit verwiesen werden. Erwähnenswert, da Ausdruck des Grundsatzes der limitierten Zivilrechtsakzessorietät, erscheint der strafrechtliche Umgang mit dem aktienrechtlich beurteilten und die Angemessenheit wesentlich beeinflussenden Marktpreis, der nach teilweise vertretener Ansicht im Aktienrecht wegen oftmals gestörter Marktbedingungen normativ zu korrigieren ist. bb) Der Verzicht auf eine normative Korrektur des Marktpreises im Strafrecht als Ausdruck limitierter Zivilrechtsakzessorietät Unabhängig von der Frage, ob neben dem Marktpreis noch andere Kriterien bei der Beurteilung der Angemessenheit von Vergütungszusagen eine Rolle spielen (etwa weil es wegen fehlender Vergleichbarkeit der Managementleistung einen Marktpreis nicht gibt), ist das im Gesellschaftsrecht teilweise verlangte Erfordernis einer normativen Korrektur des Marktpreises 59 zumindest für das Strafrecht abzulehnen. Zu beachten ist wiederum der für die Bejahung einer Vermögensbetreuungspflicht unerlässliche Vermögensschutz der fraglichen Norm oder Maßnahme. Unter diesem Gesichtspunkt ist relevant, dass eine Marktstörung regelmäßig nur einen reflexartigen Bezug zum einzelnen Gesellschaftsvermögen 60 aufweisen wird. Sinn und Zweck einer gesellschaftsrechtlich motivierten Behebung von auf Wettbewerbsverzerrungen beruhenden Marktstörungen ist nicht der unmittelbare Schutz des be58 Allgemeine Ansicht, vgl. nur Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (314); Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S.727 (729); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S.113 (116); Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (323). 59 Vgl. Thüsing, ZGR 2003, S. 457 (467). 60 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (118).
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troffenen Vermögens, sondern vielmehr die Herstellung bzw. Aufrechterhaltung des Vertrauens der Marktteilnehmer in die Funktionsfähigkeit und -geeignetheit der Marktmechanismen 61. Wird also ein unter Marktstörungen zustande gekommener Preis als unangemessen bezeichnet, so steht dies im Zeichen des Wettbewerbsschutzes, nicht im Zeichen des Schutzes des betroffenen Einzelvermögens 62. Konsequenterweise ist eine Vergütungsentscheidung aus strafrechtlicher Sicht zumindest dann nicht als pflichtwidrig einzuordnen, wenn sie (unter der Voraussetzung, es besteht ein solcher) den vom Markt vorgegebenen Preis widerspiegelt. Anderes mag dann gelten, wenn die Marktstörungen „derart gravierend sind, dass Marktmechanismen vollständig außer Kraft gesetzt werden, so dass der Preis die Knappheit des Gutes Managementleistung nicht einmal näherungsweise ausdrückt“63. Wie Rönnau/Hohn aber zutreffend geltend machen, lässt sich allein aus der vereinzelten (namentlich im Fall Mannesmann) Existenz enorm hoher Vergütungssummen bzw. deren überproportionaler Steigerung im Verhältnis zu anderen Einkommensgruppen ein Nachweis für das Bestehen eines solchen Zustands in Deutschland zumindest nicht zwingend entnehmen 64. Auch ein eventuell unter Marktstörungen zustande gekommener Marktpreis ist also – nach der hier vertretenen Ansicht allerdings neben anderen Kriterien – als Ausdruck der limitierten Zivilrechtsakzessorietät strafrechtlich durchaus als Kriterium für die Angemessenheit von Vorstandsvergütungen heranzuziehen. cc) Subsumtion unangemessener Vorstandsvergütungen unter den Untreuetatbestand Bei Verstoß gegen das Gebot der aktienrechtlichen Angemessenheit durch den Aufsichtsrat kommt – sofern sonstige Verstöße, insbesondere zur Nichtigkeit führende Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, nicht im Raum stehen – eine Missbrauchsuntreue in Betracht. Wie in Teil 1 bereits näher ausgeführt wurde, ist das Angemessenheitsgebot des § 87 I AktG den Nichtigkeit auslösenden Vorschriften der §§ 134, 138 BGB vorgelagert 65; ein Verstoß gegen § 87 I AktG hat daher grundsätzlich nicht die Rechtsunwirksamkeit des zugrunde liegenden Beschlusses zur Folge, der damit i. S. d. § 266 I, 1. Alt StGB i. V. m. § 112 AktG Außenwirkung erlangt 66. Konsequenterweise ist auch im Fall Mannesmann im Hinblick auf die ausschließlich unter Verletzung des Angemessenheitserfordernisses zustande gekommenen Beschlüsse der Missbrauchstatbestand zu prüfen 67.
61 62 63 64 65 66 67
Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (118). Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (118). Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (118). Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (118). Hierzu Teil 1, C.II. Vgl. hierzu auch oben A.I.2. Vgl. auch Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 34.
B. Die gravierende Pflichtverletzung im Rahmen der Organuntreue
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B. Die gravierende Pflichtverletzung im Rahmen der Organuntreue – Bedeutung und Reichweite des vom Bundesgerichtshof aufgestellten Erfordernisses In seiner sogleich zu besprechenden Entscheidung zur Spendenvergabebefugnis im Unternehmen hat der Bundesgerichtshof für die Strafbarkeit von Unternehmensorganen nach § 266 StGB erstmals eine „gravierende Pflichtverletzung“ verlangt 68. Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll nach einer Entscheidung des LG Düsseldorf aus dem Jahr 2003 auch bei der Frage, ob Aufsichtsratsmitglieder bei der Festsetzung der Vergütung von Vorstandsmitgliedern eine Vermögensbetreuungspflicht verletzt haben, Anwendung finden 69. In seiner Revisionsentscheidung zum Fall Mannesmann hat sich der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nunmehr erneut mit der gravierenden Pflichtverletzung beschäftigt und in einer als Klarstellung deklarierten Lesart die Grenzen der Präjudizienauslegung aufgezeigt, die der Rechtsprechung des 1. Strafsenats zur gravierenden Pflichtverletzung zugrunde lag. Obgleich die Begrifflichkeit in dieser Form neu ist, stellt die Reduktion der Untreuestrafbarkeit auf schwerwiegende Fälle kein gänzlich unbekanntes Phänomen dar 70. So hatte der 1. Senat des Bundesgerichtshofs bereits in seinem viel gescholtenen Urteil zur Haushaltsuntreue 71 für eine weite Auslegung pflichtgemäßen Handelns plädiert. Danach sollte eine Haushaltsüberschreitung nur dann eine tatbestandsmäßige Untreue darstellen, „wenn die Dispositionsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers in schwerwiegender Weise beeinträchtigt wird“ 72. Dennoch hat die vom 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seiner neueren Entscheidung gewählte Formulierung für nicht unerhebliche Verwirrung nicht zuletzt unter Strafrechtskennern gesorgt. Ausgangspunkt der Diskussion ist die Frage, ob der Bundesgerichtshof über das Erfordernis der gravierenden Pflichtverletzung im gesellschaftsrechtlichen Bereich möglicherweise eine gegenüber dem Gesellschaftsrecht zusätzliche strafrechtliche Höhenmarke aufstellen wollte 73. Dass eine 68 BGHSt 47, 187 ff. Eine ähnliche Formulierung findet sich in BGHSt 47, 149 (150), wo der entscheidende 1. Strafsenat feststellt, dass für die Pflichtverletzung im Sinne des Mißbrauchstatbestands bei einer Kreditvergabe maßgebend sei, „ob die Entscheidungsträger bei der Kreditvergabe ihre bankübliche Informations- und Prüfungspflicht bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers gravierend verletzt haben“. (Hervorhebung durch die Verfasserin). 69 LG Düsseldorf, NJW 2003, S. 2536 (2537). 70 Vgl. auch Thomas, in: FS Riess, 2002, S. 795 (808). 71 BGHSt 43, 293 ff. 72 BGHSt 43, 293 (299). 73 Vgl. nur Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 26 ff.; ders., NStZ 2005, S. 473 ff.; Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 ff.; Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 (314); Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (322 ff.); Beckemper, NStZ 2002, S. 324 ff.; Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S. 727 (729).
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
solche untreuespezifische Erheblichkeitsgrenze, die über die im Gesellschaftsrecht geltenden Grenzen der Pflichtwidrigkeit hinausgehende Voraussetzungen strafrechtlicher Haftung aufstellen würde, zumindest theoretisch durchaus denkbar ist, haben die vorliegenden Ausführungen in der Einleitung zur negativen Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts, wonach der Verstoß gegen Gesellschaftsrecht zwar zwingender, jedoch nicht hinreichender Grund für einen Einsatz des Strafrechts als ultima ratio ist 74, gezeigt. Inwiefern eine solche zusätzliche Erheblichkeitsgrenze mit der Realität des Rechts vereinbar ist, steht freilich auf einem anderen Blatt. Der oben aufgeworfenen Frage, welche strafrechtliche Bedeutung dem vom 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs aufgestellten Kriterium der gravierenden Pflichtverletzung nun genau zukommt, soll im Folgenden zunächst durch eine Analyse der Entscheidung des 1. Strafsenats sowie durch eine kritische Auseinandersetzung mit der Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit der bestehenden Rechtslage nachgegangen werden (I.). Im Anschluss werden die Richtlinien aufzuzeigen sein, die der 3. Strafsenat mit seiner Revisionsentscheidung zum Fall Mannesmann nunmehr für die Auslegung der gravierenden Pflichtverletzung aufgestellt hat (II.).
I. Die Eckpunkte der Entscheidung BGHSt 47, 187 ff. Der Sachverhalt des vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Falles stellte sich – stark verkürzt – folgt dar: Der Vorstandsvorsitzende einer Verkehrs-Aktiengesellschaft hatte unter Verstoß gegen seine internen Bindungen einem Sportverein über drei Jahre aus dem Vermögen der AG drei Spenden von insgesamt 45.000 DM zukommen lassen; veranlasst wurden diese von einem Minister des Landes BadenWürttemberg, der bei der zweiten und dritten Spende auch Aufsichtsratsvorsitzender der AG war 75. Der Bundesgerichtshof ließ im Rahmen der Strafbarkeitsprüfung des Vorstandsvorsitzenden der Verkehrs-AG – dogmatisch nicht unumstritten 76 – wegen Unklarheiten über die Vertretungsverhältnisse offen, welche Untreuealternative im vorliegenden Fall letztlich gegeben war, und entschied anhand des TreubruchstatbeVgl. oben Einleitung, C.I. BGHSt 47, 187 (188 f.). 76 Vgl. Beckemper, NStZ 2002, 324 (325), die darauf hinweist, dass die Pflichtverletzung i.R.d. Missbrauchsalternative, anders als bei der Treubruchsalternative, näher umschrieben ist, indem das Gesetz ausdrücklich nur bestimmte Verhaltensweisen von der Missbrauchsalternative erfasst sehen will. Beckempers Argumentation ist allerdings nicht vollständig zuzustimmen. Beckemper meint, in dem dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorliegenden Fall sei der Treubruchstatbestand nur dann zu prüfen gewesen, wenn das Vorstandsmitglied tatsächlich nicht einzelvertretungsbefugt war, was dann aber eine Pflichtwidrigkeit gem. § 78 AktG auch ohne Hinweis auf die gesellschaftsrechtlichen Grundsätze zur Spendenvergabe begründet hätte. Dem ist mit Busch insofern zu widersprechen, als hier von der schlichten Verletzung vertraglicher bzw. organschaftlicher Pflichten in einer Art Automatismus auf die Strafbarkeit geschlossen wird, was nach dem Grundsatz der limitierten Zivilrechtsakzessorietät zumindest nicht selbstverständlich ist (untreuespezifische Pflichtverletzung), vgl. Busch, Konzernuntreue, 2004 S. 34, und oben Einleitung C. sowie unten b) aa). 74 75
B. Die gravierende Pflichtverletzung im Rahmen der Organuntreue
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standes, da zumindest auch eine Treupflichtverletzung i. S. d. Treubruchstatbestandes vorgelegen habe 77. Die Gründe, die aus Sicht des Bundesgerichtshofs zur Annahme einer internen Pflichtverletzung beim Vorstandsvorsitzenden der Verkehrs-AG geführt haben, sind für die vorliegenden Untersuchungen nicht von Interesse und sollen daher auch nicht näher ausgeführt werden. Entscheidende Bedeutung kommt aber den grundsätzlichen Ausführungen des Gerichts zu der Frage zu, ob die Schwere des Verstoßes gegen gesellschaftsrechtliche Pflichten i.R.d. § 266 StGB für die Einordnung unter den Untreuetatbestand eine Rolle spielt bzw. welche Anforderungen an die Erheblichkeit der Pflichtverletzung zu stellen sind. Der Bundesgerichtshof führt hierzu aus: es „genügt für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit im Sinne des Untreuetatbestandes des § 266 StGB nicht jede gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung; diese muss vielmehr gravierend sein. Ob eine Pflichtverletzung gravierend ist, bestimmt sich aufgrund einer Gesamtschau insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Kriterien“78. Bedeutsam für die Beurteilung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung sollen dabei sein die „fehlende Nähe zum Unternehmensgegenstand, die Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage, fehlende innerbetriebliche Transparenz sowie das Vorliegen sachwidriger Motive, namentlich Verfolgen rein persönlicher Präferenzen“ 79. 1. Analyse der Entscheidungsgründe Im Folgenden sollen, wie angekündigt, die der Entscheidung zugrunde liegenden Motive anhand der vom Bundesgerichtshof verwendeten Begrifflichkeit und des Telos des Urteils näher untersucht werden. a) Auslegung nach der vom Bundesgerichtshof verwendeten Begrifflichkeit Wenig weiterführend ist insofern zunächst die begriffliche Annäherung an das vom Bundesgerichtshof gewählte Attribut „gravierend“. Der Begriff leitet sich vom lateinischen gravare ab und wird nach Duden mit den Synonymen „ins Gewicht fallend“, „schwerwiegend“ und „sich möglicherweise nachteilig auswirkend“ übersetzt 80; diese Synonyme können freilich als reine Begriffsbestimmungen zur Frage 77 „Die Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten […] im Sinne des Mißbrauchstatbestands und seine Vermögensfürsorgepflicht im Sinne des Treubruchstatbestands stimmten hier überein […]. Hat er bei im Außenverhältnis wirksamen Verfügungen gegen seine Vermögensbetreuungspflicht verstoßen, so hätten die Maßnahmen auch einen Verstoß gegen seine Vermögensfürsorgepflicht im Sinne des Treubruchstatbestands dargestellt“, vgl. BGHSt 47, 187 (192). 78 BGHSt 47, 187 (197); Hervorhebung durch die Verfasserin. 79 BGHSt 47, 187 (197). 80 Duden 05, Fremdwörterbuch, S. 379.
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der Natur der Erheblichkeit bzw. zur Entwicklung von Kriterien für die Beurteilung, wann eine Verletzung gravierend oder eben erheblich ist, nichts Wesentliches beitragen, da sie lediglich irgendein Erheblichkeitselement bestätigen 81. Anhaltspunkte für die Einordnung des Merkmals der gravierenden Pflichtverletzung lassen sich vornehmlich dem letzten Leitsatz des Urteils entnehmen. Der Bundesgerichtshof verweist bei der Frage, wann eine Pflichtverletzung gravierend ist, auf eine Gesamtschau insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Kriterien. Die Formulierung weist darauf hin, dass gesellschaftsrechtliche Kriterien die Erheblichkeit zwar entscheidend, jedoch eben nicht ausschließlich bestimmen, und dass die Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten lediglich ein vorrangig zu beachtendes Indiz strafrechtlicher Pflichtwidrigkeit sein, diese jedoch nicht per se bedingen soll. Die vom Bundesgerichtshof gewählte Formulierung spricht damit zunächst für die Etablierung einer zusätzlichen strafrechtlichen Pflichtverletzung bei gesellschaftsrechtlichen Verstößen. b) Auslegung nach dem Telos der Entscheidung Möglicherweise kann die Auslegung der Entscheidung nach Sinn und Zweck weitere Hinweise auf die rechtliche Einordnung der gravierenden Pflichtverletzung geben. Dabei soll zunächst auf die Besonderheiten der Organuntreue eingegangen werden, die für eine normative Beschränkung nach strafrechtlichen Gesichtspunkten sprechen könnten, bevor die Möglichkeit einer dogmatischen Herleitung einer solchen normativen Beschränkung untersucht wird. aa) Grundsätzliche Sinnhaftigkeit einer normativen Beschränkung der Organuntreue Für eine strafrechtsspezifische normative Beschränkung des Untreuetatbestands spricht zunächst entscheidend die bereits dargestellte Konturenlosigkeit der von beiden Tatbestandsalternativen vorausgesetzten Treupflichtverletzung, die im Bereich der Organuntreue blankettartig durch Rückgriff auf außerstrafrechtliche Normen ausgefüllt werden muss 82. Die Probleme, die speziell im hier untersuchten Fall der Untreue zum Nachteil von Aktiengesellschaften durch überhöhte Vorstandsvergütungen bei der Frage des gesellschaftsrechtlichen Verstoßes auftreten, wurden anhand der dabei heranzuziehenden Normen des Aktienrechtes (§§ 87 I, 93 I, 116 S. 1 AktG), die ihrerseits der Konkretisierung bedürfen, bereits erörtert. Weil diese Kon81 Wie bereits ausgeführt wurde, verlangt auch das Gesellschaftsrecht nach einer „evident unvertretbaren“ und damit schwerwiegend falschen Entscheidung, vgl. oben Teil 1, D.II.und IV. Die Verwendung des Begriffs in einer strafrechtlichen Entscheidung kann insofern auch eine bloße Verweisung auf die gesellschaftsrechtlichen Anforderungen sein. 82 Seier, Die Untreue als Allzweckwaffe, S. 105 (110); Weber, BayVBl. 1989, S. 166 (167); vgl. hierzu bereits die Ausführungen zur Zivilrechtsakzessorietät in der Einleitung (C.).
B. Die gravierende Pflichtverletzung im Rahmen der Organuntreue
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turenlosigkeit zu einer wirtschaftlich nicht unbedenklichen Belastung von Managemententscheidungen führt – im Grunde birgt jede unternehmerische Entscheidung ein latentes Strafbarkeitsrisiko 83 – liegt es auf den ersten Blick durchaus nahe, die Einführung einer normativen Erheblichkeitsschwelle spezifisch für die Organuntreue unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung des staatsanwaltlichen Diktats unternehmerischer Entscheidungen 84 und damit letztlich vor dem Hintergrund der „ultima ratio“-Funktion des Strafrechts zu sehen. Gegen eine solche – zunächst unterstellte – untreuespezifische Erheblichkeitsgrenze spricht zumindest in systematischer Hinsicht auch nicht zwingend die von Schünemann angeführte These, eine vorsätzliche Schädigung der Gesellschaft durch den Vorstand, durch die dieser seine Pflichten verletzt und sich schadensersatzpflichtig macht, könne strafrechtlich nicht anders behandelt werden als die Unterschlagung (§ 246 StGB) von beweglichen Sachen durch einen Arbeiter, der anders als der Vorstand nicht mit Geschäftsbesorgungsmaßnahmen, sondern mit dem Hantieren von Sachen betraut und deshalb kein tauglicher Untreuetäter ist 85. Einem solchen Vergleich steht die Systematik der Untreuevorschrift entgegen, die eine zusätzliche Höhenmarke im Vergleich zum Gesellschaftsrecht durchaus als sinnig erscheinen lässt. Die Besonderheiten des Untreuetatbestandes im Vergleich zu anderen Delikten wurden bereits in der Einleitung erwähnt; es sei aber noch einmal angemerkt, dass die Untreue im Gegensatz zur Unterschlagung tatbestandlich weitgehend konturenlos ist, was unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebotes gem. Art 103 II GG nach überwiegender Ansicht einen restriktiven Umgang erforderlich macht. Zutreffend weist Tiedemann darauf hin, dass es sich bei Diebstahl und Unterschlagung um relativ primitive Sachverhalte handelt, „deren Bewertung nicht ohne weiteres – zirkelschlußartig – als Antwort auf die Frage genommen werden darf, wann sonstige Vermögensschädigungen im Zusammenhang mit dem Untreuetatbestand pflichtwidrig sind“ 86. Für die Richtigkeit dieser Beurteilung spricht bereits der unterschiedliche Strafrahmen beider Vorschriften. Die „einfache“, also kein Regelbeispiel verwirklichende Untreue weist im Vergleich zu § 246 StGB ein deutlich höheres Strafmaß auf (fünf Jahre im Gegensatz zu drei Jahren bei der „einfachen“ Unterschlagung gem. § 246 I); überdies erfasst die Untreuevorschrift über § 266 II auch besonders schwere Fälle, die, unter Bezugnahme auf die vorliegende Problematik, auch im aktienrechtlichen Bereich auftretende – ein aktuelles Beispiel ist der schon mehrmals erwähnte Fall Mannesmann – finanzielle Entgleisungen sanktionieren sollen, während das Strafmaß bei der einfachen Unterschlagung nach § 246, unabhängig von der Schwere der Tat bzw. ihrer Folgen, drei Jahre Freiheitsstrafe nicht übersteigt. Im Übrigen trennt, auch aus den vorgenannten Gründen, die Untreue ei83 Vgl. FAZ v. 21.10.2003, S. 24: „Strafverfahren werden für Manager zum Berufsrisiko“; Seier, Die Untreue als Allzweckwaffe, S. 105 (108). 84 Ein solches Diktat befürchtet Seier, Die Untreue als Allzweckwaffe, S. 105 (109). 85 Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 29. 86 Tiedemann, in: FS Tröndle, 1989, S. 319 (325).
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niges von der Unterschlagung, auch wenn §246, der als Eigentumsdelikt ausschließlich Eigentumsschutz bezweckt 87, das (sachgegenständliche) Vermögen als Teil des Eigentums schützt. Für eine dogmatische Parallele spricht zwar zunächst auch die Vergleichbarkeit der Täterposition bei beiden Delikten (beide sanktionieren, vereinfacht dargestellt, den Missbrauch eingeräumten Vertrauens); die Unterschlagung ist schließlich in ihrem kriminalpolitisch unstreitigen Bereich dadurch gekennzeichnet, dass der Eigentümer seine Sache einem anderen anvertraut 88. Im Gegensatz zu § 246 verlangt aber, und das ist entscheidend, die Untreuevorschrift nicht, dass der Täter eine Zueignungshandlung bzw., um in der Dogmatik der Vermögensdelikte zu bleiben, eine Bereicherungshandlung vornimmt 89. Es reicht vielmehr aus, dass er fremdes Vermögen schädigt, zu dessen ordnungsgemäßer Verwaltung er verpflichtet ist. Damit steht die Untreue von ihrem Sinngehalt her der Sachbeschädigung, § 303 StGB, näher als dem Diebstahl oder der Unterschlagung90. Schon aus diesem Grund erscheint der von Schünemann angeführte Vergleich nicht gänzlich überzeugend. So versagt auch das von Schünemann zur Unterstützung seiner These angeführte Beispiel eines mit dem Ausschenken von Champagner beauftragten Aushilfskellners, der bei einer Feier unerlaubt Champagner an seine Freundin ausschenkt, den vergleichenden Dienst, wenn auf die Personalkompetenz des Aufsichtsrates im Rahmen von Vergütungsentscheidungen abgestellt wird. Der Kellner, der auf einer Party Champagner ausschenkt, wird nicht dafür bezahlt, Entscheidungen zu treffen, sondern sie auszuführen; seiner Tätigkeit liegt kein weiter Ermessensspielraum („wem schenke ich wie viel ein“) zugrunde – zumindest evident nicht in dem Maße, wie ihn die Rechtsprechung Gesellschaftsorganen im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen zuspricht 91. Seine Strafbarkeit wegen Unterschlagung ergibt sich dann auch aus dem Umstand, dass er überhaupt eine (Ermessens-) Entscheidung getroffen hat, nämlich diejenige des Ausschenkens an eine Freundin. Der Aufsichtsrat hingegen hat im Rahmen seiner Personalkompetenz originäre Entscheidungsmacht, deren weit gesteckte Grenzen wegen des permanenten latenten Schadensersatz- bzw. Strafbarkeitsrisikos, wie erwähnt, nur bei evidenter Verletzung überschritten sind 92. Lackner/Kühl, StGB, § 246 Rn. 1. Weber, in: Arzt/Weber, Strafrecht Besonderer Teil, § 22 Rn. 3. Ausdruck findet diese grundsätzliche tatbestandliche Nähe auch in früheren Gesetzen, etwa in der Carolina, wo Unterschlagung und Untreue, vgl. z. B. Art. 170 CCC, nicht getrennt waren, vgl. Weber, in: Arzt/ Weber, Strafrecht Besonderer Teil, § 22 Rn. 3. 89 Vgl. nur Weber, in: Arzt/Weber, Strafrecht Besonderer Teil, § 22 Rn. 2. 90 Weber, in: Arzt/Weber, Strafrecht Besonderer Teil, § 22 Rn. 2; Haft, Strafrecht BT I, S. 141. Unterschiede ergeben sich zwar bei der Täterposition. Der Untreuetäter wird, abgesehen von Racheakten, in der Regel eigensüchtig handeln. Diese Täterperspektive vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass eine auf Bereicherung (Zueignung) gerichtete Täterabsicht eben gerade nicht verlangt wird. 91 Grundlegend BGHZ 135, 244 (253 f.) – „ARAG/Garmenbeck“; auführlich hierzu oben Teil 1, D.II. und IV. 92 BGHZ 135, 244 (253 ff.) – „ARAG/Garmenbeck“. 87 88
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Eben diese immanent folgenschwere Entscheidungsmacht, gekoppelt mit der Unbestimmtheit des Untreuetatbestandes, könnte aber zunächst für eine zusätzliche strafrechtliche Höhenmarke sprechen 93. bb) Die mögliche dogmatische Herleitung einer normativen Beschränkung – der Grundsatz der restriktiven Auslegung im Strafrecht Die nach den bisherigen Ausführungen nahe liegende Konsequenz eines eigenen untreuespezifischen Erheblichkeitserfordernisses, dessen Anerkennung im vorliegenden Fall sich primär auf die Analyse der Entscheidung des Bundesgerichtshofs und damit auf vornehmlich eigene Ansätze gründet, soll im Folgenden anhand des Grundsatzes der restriktiven Auslegung im Strafrecht 94 auf seine Richtigkeit und Stichhaltigkeit überprüft werden. (1) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Für die Gesetzes- und Verordnungstatbestände des Wirtschaftsstrafrechts, unter welches § 266 StGB als typischer Fall zu subsumieren ist, sind Blankettstrafgesetze und Verweisungen kennzeichnend 95. Primär der Begriff des Blankettstrafgesetzes wird von der h. M. als verfassungsrechtliche Kategorie betrachtet, weshalb insbesondere das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG für relevant gehalten wird. Im Hinblick auf diese Problematik hat das Bundesverfassungsgericht 96 hinsichtlich der Bezugnahme von § 283 I Nr. 7 b StGB auf den heutigen § 264 I HGB entschieden, dass das Tatbestandsmerkmal der „einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit“ im HGB (vergleichbar mit der „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters bei der Geschäftsführung der AG“ in § 93 I AktG) „unter strafrechtlichen Gesichtspunkten und nach den Maßstäben zu würdigen ist, die für die Auslegung von Strafgesetzen gelten“ 97. Es sei daher eine „enge Auslegung“ geboten 98. Die Tatsache, dass nach zutreffender h. M. der Maßstab der Pflicht93 Für eine solche zusätzliche Qualifikation Waßmer, Untreue bei Risikogeschäften, 1997, S. 73. Ebenso, allerdings ohne nähere Begründung, wohl auch Lüderssen, in: FS Lampe, 2003, S. 727 (729): „das nicht-strafrechtliche Verbot ist die notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für ein strafrechtliches Verbot“. Anders Schünemann, NStZ 2005, S. 473 (476); ders., Organuntreue, 2004, S. 29. 94 Das Erfordernis einer restriktiven Auslegung des § 266 StGB wurde im allgemeinen Rahmen bereits in der Einleitung angesprochen (B.II.2.). An dieser Stelle sollen diese allgemein gehaltenen Erkenntnisse, die der Darlegung des der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegten Verständnisses der Untreuevorschrift dienten, mit der Bezugnahme auf die Problematik einer zusätzlichen Höhenmarke des Strafrechts konkretisiert werden. 95 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 55. 96 BVerfGE 48, 48 ff. 97 BVerfGE 48, 48 (60 f.). 98 BVerfGE 48, 48 (61 f.).
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widrigkeit bei der Untreue ein normatives Tatbestandsmerkmal 99 und nicht, wie insbesondere von Nelles angenommen, eine „Art Blankett“ 100 ist, steht einer Verwertung der obigen Erkenntnisse dabei nicht zwingend entgegen. Wegen der bewussten Weite der zur Ausfüllung der Pflichtwidrigkeit heranzuziehenden Generalklausel des § 93 AktG, die die „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters bei der Geschäftsführung der AG“ zugrunde legt, kann eine gewisse Parallele zu den Blankettstrafgesetzen angenommen werden 101, weshalb die Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zumindest analog herangezogen werden können. Zwar hat das Gericht in einer späteren Entscheidung den Grundsatz von der strafrechtlichen Behandlung der Ausfüllungsnorm eingeschränkt102. Der hierfür häufig zitierte Fall 103, der sich auf die Auslegung von § 1 Denkmalschutzgesetz BadenWürttemberg von 1971 in Ausfüllung der §§ 243, 246 StGB bezieht und bestimmt, dass die genannte Norm „den nur für Strafgesetze geltenden Anforderungen der Art. 103 II, 104 I GG nicht zu entsprechen“ braucht 104, ist jedoch im Vergleich zu den vorliegend untersuchten §§ 266 I StGB, 87 I, 93 I 1 AktG mit dem Unterschied behaftet, dass die genannten Straftatbestände „das mit Strafe bedrohte Verhalten vollständig und ohne Bezugnahme auf andere Bestimmungen“105 umschreiben. Der in der ersten Entscheidung genannte Grundsatz der restriktiven Auslegung von das Strafrecht ausfüllenden Normen behält daher nach Ansicht der Verfasserin für die vorliegende Untreuekonstellation, die zur Festlegung der untreuespezifischen Pflichtverletzung als normatives Tatbestandsmerkmal eines Rückgriffes auf das Aktienrecht bedarf, durchaus seine Gültigkeit. (2) Kriterien restriktiver Auslegung im Strafrecht So sind denn auch die Grundsätze des Gesellschaftsrechts, die bei Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats zu beachten sind, strafrechtlich restriktiv zu handhaben 106. Diese restriktive Auslegung im Strafrecht findet bei Sachverhaltsfragen im Grundsatz „in dubio pro reo“ 107, bei normativen Tatbestandsmerkmalen in der ein99 Weber, in: Arzt/Weber, Strafrecht Besonderer Teil, § 22 Rn. 69; Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 153; Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (322); Jakobs, NStZ 2005, S. 276 (277); jüngst auch bestätigt durch BGH NJW 2006, S. 522 (531) = BGH NStZ 2006, S.214 (217). Zu den Folgen dieser Einordnung bei subjektiven Fehleinschätzungen des Täters vgl. unten C.III. 100 Nelles, Untreue, 1991, S. 505. 101 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 61. 102 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 59. 103 BVerfGE 78, 205 ff. 104 BVerfGE 78, 205 (213). 105 BVerfGE 78, 205 (213). 106 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 66. 107 Geilen, Aktienstrafrecht, § 399 Rn. 51 u. § 400 Rn. 27, spricht ausgehend von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Bilanzunrichtigkeit bei § 265 b StGB von einem „qua-
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deutigen Unvertretbarkeit ihre Ausprägung. Im Bilanzstrafrecht hat das Reichsgericht entschieden, dass bei Falschbewertungen nur die Nichtverwendung rationaler, überprüfbarer Maßstäbe, also Willkür, strafbar sei 108. In der Literatur wird eine Unrichtigkeit von Bilanzen und Bewertungen nur dann bejaht, wenn die Wertangabe als „schlechterdings nicht mehr vertretbar“ erscheint 109. Besonders aktuell ist diese Problematik der Grenzen zuverlässiger Interpretation im Insolvenzstrafrecht 110. Nach h. M. gilt dort eine tendenziell engere Beurteilung als im Zivilrecht 111: für die Feststellung einer (erheblichen) Überschuldung bei §§ 283 StGB, 84 GmbHG etc. soll nur eine Berechnung maßgebend sein, die auch ernsthaft vertretenen abweichenden Berechnungsweisen gerecht wird 112. Das hierin zum Ausdruck kommende Erfordernis eindeutiger kaufmännischer Unvertretbarkeit findet in der Rechtsprechung zur Unwirtschaftlichkeit von Ausgaben bei § 283 I Nr. 2 StGB seine Bestätigung 113. Zusammengefasst bedeutet dies, dass bei der Frage einer Strafbarkeit „auch Entscheidungen der Gerichte und wissenschaftliche Überlegungen zu berücksichtigen, einer strafrechtlichen Verurteilung aber nur gesicherte allgemeine Maßstäbe und Wertungen sowie eine ‚gefestigte‘ Rechtsprechung zugrunde zu legen (scil. sind), die zweifelsfrei vorhanden sind: die Wertung des Täters muss eindeutig unvertretbar sein“ 114. c) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass eine untreuespezifische Erheblichkeitsgrenze im gesellschaftsrechtlichen Bereich sowohl mit dem Wortlaut als auch mit dem – hier freilich zunächst unterstellten – Telos der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs konform geht 115. si-rechtlichen in dubio pro reo“. Der Bundesgerichtshof war hier von einem Anwendungsfall des Grundsatzes „in dubio pro reo“ ausgegangen; da dieser Grundsatz nach h. M. aber nur Sachverhaltsfragen, nicht aber hier problematische Auslegungsfragen betrifft, ist dies dogmatisch nicht ganz korrekt, vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 63. 108 RGSt 39, 222 (223). 109 Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, §265 b Rn.39, unter Hinweis auf Art.103 II GG. 110 Ausführlich zur Reichweite der Zivilrechtsakzessorietät im Insolvenzstrafrecht Achenbach, in: GS Schlüchter, 2002, S.257 ff.; Röhm, Zur Abhängigkeit des Insolvenzstrafrechts von der Insolvenzordnung, 2002, S. 63 ff. 111 Tiedemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, Vor § 283 Rn. 158; Achenbach, in: GS Schlüchter, 2002, S. 257 ff.; Röhm, Zur Abhängigkeit des Insolvenzstrafrechts von der Insolvenzordnung, 2002, S. 66 f. 112 Vgl. BGH wistra 2003, 457 (459). 113 Tiedemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 283 Rn. 65; ähnlich im Hinblick auf § 20 a V WpHG Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG, Vor § 20 a Rn. 22: Die Norm dürfe „nicht zur Ausdehnung der Verbotsmaterie eingesetzt werden […] und sollte nur eindeutige Anwendungsfälle hervorheben“. 114 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 64; ähnlich ders., in: FS Dünnebier, 1982, S. 519 (533); ders., in: FS Lackner, 1987, S.737 (746); ders., in: FS Tröndle, 1989, S.319 (328); ders., in: FS Weber, 2004, S. 319 (324). 115 Anders wohl Schünemann, NStZ 2005, S. 473 (476); ders., Organuntreue, 2004, S. 29, der eine strafrechtsspezifische Höhenmarke bereits dem Grunde nach ablehnt.
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2. Grenzen einer untreuespezifischen Erheblichkeitsgrenze: Das Gesellschaftsrecht als hinreichendes Mittel zur Beschränkung der Organuntreue Indes muss – dies sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen – die Konstruktion einer eigenständigen untreuespezifischen Erheblichkeitsgrenze trotz der theoretischen Sinnhaftigkeit einer solchen zwangsläufig an der Unmöglichkeit der praktischen Durchführbarkeit scheitern. Die bis zu diesem Punkt vorgenommene theoretische Herleitung derselben lässt gänzlich außer Acht, dass bereits das Gesellschaftsrecht selbst nach allgemeiner Auffassung einer Pflichtverletzung im unternehmerischen Bereich enge, praktisch nicht zu überbietende Grenzen steckt. a) Übertragbarkeit des Haftungsmaßstabs der §§ 93 I, II, 116 S. 1 AktG auf § 266 StGB Die Grundlage der nachfolgenden Ausführungen bildet zunächst die auf den oben dargestellten Grundsatz der positiven Zivilrechtsakzessorietät zurückgehende Überlegung, dass ein bloßer Verstoß gegen das Aktienrecht, im Fall überhöhter Vorstandsvergütungen ein Verstoß gegen das Angemessenheitserfordernis des § 87 I AktG, eine untreuespezifische Pflichtverletzung nicht auslösen kann. Vielmehr ist die Verwirklichung des § 266 StGB maßgeblich vom Vorliegen einer durch ARAG/ Garmenbeck 116 konkretisierten aktienrechtlichen Pflichtverletzung gem. §§ 93 I, II, 116 S. 1 AktG abhängig. Dass eine solche Übertragung gesellschaftsrechtlicher Haftungsmaßstäbe sachgerecht ist, ergibt sich bereits aus den eingangs dargelegten Besonderheiten sowohl des Strafrechts als auch der Untreuevorschrift: die „ultima ratio“-Funktion des Strafrechts sowie die Unbestimmtheit des § 266 StGB erfordern einen dem Grunde nach restriktiven Umgang. Wenn aber eine gesellschaftsrechtliche Haftung des Organmitglieds nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nur bei einem evidenten Überschreiten der dem Organmitglied gesteckten Grenzen in Betracht kommt 117, so muss dies erst recht für die Feststellung der Pflichtwidrigkeit im Rahmen des Untreuetatbestandes gelten 118. Konsequenterweise kann eine untreuespezifische Pflichtverletzung nur gegeben sein, wenn bereits aktienrechtlich ein erheblicher Verstoß gegen maßgebliche Pflichten, mithin: eine Pflichtverletzung im oben beschriebenen Sinne, vorliegt.
BGHZ 135, 244 (253) – „ARAG/Garmenbeck“. BGHZ 135, 244 (253) – „ARAG/Garmenbeck“. 118 Vgl. auch Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (118), die sich allerdings zur Natur der gravierenden Pflichtverletzung nicht weitergehend äußern. 116 117
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b) Die „gravierende Pflichtverletzung“ im Gesellschaftsrecht Ausgangspunkt der gesellschaftsrechtlichen Haftung von Unternehmensorganen gem. §§ 93 I, II, 116 S. 1 AktG ist, wie oben näher ausgeführt wurde 119, die vom Bundesgerichtshof in ARAG/Garmenbeck unterstellte Inkongruenz von Ermessensfehler und Pflichtverletzung 120. Eine Kongruenz beider Begriffe ist nach Auffassung des Gerichts nur dann anzunehmen, wenn die Entscheidung wegen der evidenten Überschreitung der zu beachtenden Ermessensgrenzen oder wegen unverantwortlicher Risikoübernahme „gegen alle Gebote menschlicher oder vielmehr unternehmerischer Vernunft“ 121 verstößt, mit anderen Worten: wenn sie sachlich evident unvertretbar ist 122. Auch das Gesellschaftsrecht kennt somit, wenn auch unter anderer Bezeichnung, das Erfordernis einer „gravierenden“ Pflichtverletzung. So hat Hommelhoff bereits Jahre vor der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf die Vorstandshaftung gem. § 93 AktG den Grundsatz aufgestellt: „Was der Vorstand tut, ist recht getan; erst in Extremfällen gilt das Gegenteil“ 123. c) Kongruenz von strafrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Unvertretbarkeit Wenn Tiedemann für die strafrechtliche Beurteilung richtigerweise feststellt, dass „jedes wirtschaftlich irgendwie sinnvolle oder vertretbare Ziel einer Geldzahlung oder einer anderen vermögensmindernden Maßnahme als legitim (nicht pflichtwidrig) hingenommen werden muss und daher eine Untreue auf Seiten des Aufsichtsrats ausschließt“ und daraus zutreffend folgert, dass „nur eindeutig unvertretbare Handlungsweisen und Zielsetzungen“ den Anwendungsbereich des § 266 StGB eröffnen 124, so ist darin nichts anderes zu sehen als ein zustimmungswürdiger strafrechtlicher „Vorläufer“ des zumindest seit der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des Bundesgerichtshofs gesellschaftsrechtlich zweifelsfrei anerkannten Grundsatzes, dass nur evident fehlerhafte und damit unvertretbare unternehmerische Entscheidungen pflichtwidrig im Sinne des Gesellschaftsrechts sind125. Vgl. oben Teil 1, D.II. und IV. BGHZ 135, 244 (253) – „ARAG/Garmenbeck“. 121 So Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, S. 195; Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (324). 122 Vgl. nur Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 28; ders., AktG, § 93 Rn. 13 a; Henze, WuB II A. § 93 AktG 1.02 (S. 790); Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 93 Rn. 24; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten, Rn. 827. 123 Pointiert Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 173 (Hervorhebung durch die Verfasserin). 124 Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (324); ders., in: FS Lackner, 1987, S. 737 (746); ders., in: FS Tröndle, 1989, S. 319 (328); ders: in: FS Dünnebier, 1982, S. 519 (533) (Hervorhebung durch den Verfasser). 125 So auch Henze, WuB II. A. § 93 AktG 1.02. (S. 790); Beckemper, NStZ 2002, S. 324 (326); Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 27 ff.; Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 119 120
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Gleiches, nämlich eine Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Gesellschaftsrechts, gilt auch für die Forderung Tiedemanns und Ottos, dass ein strafrechtlich relevanter Verstoß gegen gesellschaftsrechtliche Prinzipien mit Rücksicht auf Art.103 II GG nur dann anzunehmen sei, wenn ein einheitlicher Konsens der einschlägigen Sachverständigen über die wirtschaftliche Unvertretbarkeit der unternehmerischen Entscheidung besteht 126. Diesem Ansatz ist zunächst zuzugeben, dass er im Einklang mit der oben näher erläuterten restriktiven Auslegung des § 266 StGB, die sich sowohl aus dem „ultima ratio“-Charakter des Gesamtstrafrechts als auch aus der Unbestimmtheit der Vorschrift selbst ergibt, steht 127. Jedoch bedarf die erwähnte Forderung insofern einer Einschränkung, als eine einmütige rechtliche Bewertung bei strittigen unternehmerischen Entscheidungen, wie sie die Vergütungsentscheidung wegen unzureichender Konkretisierungsmöglichkeiten des § 87 I AktG darstellt, gerade nicht erfolgen wird 128. Weil also unterschiedliche Meinungen bei hoch strittigen Sachthemen bereits in der Natur der Sache liegen, würde eine Forderung nach einem gänzlich einheitlichen Konsens eine kaum zu rechtfertigende Einschränkung des Tatbestandes darstellen 129. Dementsprechend ist mit Schramm ein überwiegender Konsens der Sachkundigen im Hinblick auf die eindeutige Unvertretbarkeit der Entscheidung als ausreichend zu erachten 130. Indes ergibt sich dieses Erfordernis aber ebenfalls bereits aus den in ARAG/Garmenbeck 131 näher definierten gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen. Eine vom Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang geforderte sachliche und evidente Unvertretbarkeit der Maßnahme wird obigen Ausführungen entsprechend ebenfalls nur dann anzunehmen sein, wenn unter Gesellschaftsrechtsexperten weitgehende Einigkeit über diese Unvertretbarkeit besteht 132. Auch insofern kann von einem originär strafrechtsspezifischen Kriterium nicht die Rede sein.
(202 f.). Anders Waßmer, Untreue bei Risikogeschäften, 1997, S. 73: „Zwar liegt eine zivilrechtliche Pflichtverletzung erst beim Treffen einer unvertretbaren Entscheidung vor, strafrechtlich wird der Ermessensspielraum aber zusätzlich erweitert“. 126 Tiedemann, GmbH-Strafrecht, Vor §§ 82 Rn. 23; Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (202); ähnlich Waßmer, Untreue bei Risikogeschäften, 1997, S. 73. 127 Vgl. dazu bereits oben Einleitung C.I. 128 So zutreffend Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 140. 129 Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 140. 130 Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 140. 131 BGHZ 135, 244 (253) – „ARAG/Garmenbeck“. 132 Vgl. hierzu bereits oben Teil 1, D.IV. In diesem Sinne wohl auch Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (203).
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d) Die Kriterien des Bundesgerichtshofs zur Konkretisierung der gravierenden Pflichtverletzung: Wiederholung der gesellschaftsrechtlichen Kriterien zur Spendenvergabe „Ob eine Pflichtverletzung gravierend ist, bestimmt sich aufgrund einer Gesamtschau insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Kriterien. Bedeutsam sind dabei: Fehlende Nähe zum Unternehmensgegenstand, Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage, fehlende innerbetriebliche Transparenz sowie das Vorliegen sachwidriger Motive, namentlich Verfolgen rein persönlicher Präferenzen“. 133 So legt auch der Bundesgerichtshof im Fall Schaufler 134 bei dem Versuch der Konkretisierung der gravierenden Pflichtverletzung letztlich nur die Kriterien zugrunde, die das Gesellschaftsrecht zur Begrenzung der Spendenvergabekompetenz herausgearbeitet hat 135. Wenn das Gericht die angemessene Ertrags- und Vermögenslage als bedeutsames Kriterium zur Bestimmung der gravierenden Pflichtverletzung nennt, verweist es unweigerlich auf die gesellschaftsrechtliche Literatur, welche als Ansatzpunkt für die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit von Unternehmensspenden die gesamtwirtschaftliche Lage des Unternehmens (vgl. für Vergütungsentscheidungen § 87 I AktG), die maßgeblich durch seine Größe und die finanzielle Leistungsfähigkeit mitbestimmt wird, heranzieht 136. Dass sich die Spenden im Rahmen des Verkehrsüblichen, d. h. des Angemessenen, bewegen müssen, ist im Gesellschaftsrecht längst anerkannt, da nur verkehrsübliche Spenden die gesellschaftliche Akzeptanz der AG als good corporate citizen, die einen integralen Bestandteil des Sozialgefüges darstellt, sichern können 137. Sowohl die Nähe zum Unternehmensgegenstand 138, die der Bundesgerichtshof als weiteres Kriterium nennt, als auch das Verbot persönlicher Präferenzen 139 kennt auch das Gesellschaftsrecht als Kriterium für sachlich zulässige Spenden. Schließlich muss die innerbetriebliche Transparenz BGHSt 47, 187 (197), Hervorhebung durch die Verfasserin. BGHSt 47, 187 ff. 135 Beckemper, NStZ 2002, S. 324 (326); Henze, WuB II A. § 93 AktG 1.02 (S. 790). 136 Hüffer, AktG, § 76 Rn. 14; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 76 Rn. 33. 137 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 76 Rn. 72; Hüffer, AktG, § 76 Rn. 14; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 76 Rn. 32; Hopt, in: Großkommentar zum AktG, § 93 Rn. 120. 138 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 76 Rn. 72: „Völlig unternehmens- oder sachfremde Zahlungen sind nicht mehr gerechtfertigt.“ Ähnlich Hopt, in: Großkommentar zum AktG, § 93 Rn. 120. 139 Hopt, in: Großkommentar zum AktG, § 93 Rn. 120: „Spenden dürfen ferner nicht sachwidrig durch persönliche Präferenzen der Vorstandsmitglieder bestimmt sein“. Ebenso Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, §76 Rn. 72; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 76 Rn. 38. 133 134
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auch gesellschaftsrechtlich gewahrt sein 140: der Gesamtvorstand ist grundsätzlich Kollegialorgan 141. Wesentliche Punkte der Geschäftsführung sind innerhalb des Kollegialorgans mit der notwendigen Transparenz zu behandeln 142. Diese Pflicht zu kollegialer Zusammenarbeit, die zum Zwecke der gegenseitigen Kontrolle und sachgerechter Entscheidungsfindung einen ausreichenden Informationsfluss zwischen den Vorstandsmitgliedern beinhaltet 143, besteht auch unter Vorstandsmitgliedern mit Einzelvertretungsbefugnis 144, wie sie im vom Bundesgerichtshof zugrunde gelegten Fall wohl gegeben war 145. Der Verweis des Bundesgerichtshofs im Fall Schaufler auf diejenigen Regeln, die das Gesellschaftsrecht zur Begrenzung der Spendenvergabebefugnis vorgibt, zwingt zu der Erkenntnis, dass das Gericht letztlich gerade keine strafrechtsspezifischen Kriterien entwickelt hat 146. Dies folgt entgegen der Ansicht Beckempers jedoch nicht aus einer angeblich zwingend zivilrechtsakzessorischen Auslegung der Untreuevorschrift 147 – eben eine solche wird vorliegend auf der Grundlage der „ultima ratio“-Funktion des Strafrechts, die, wie oben belegt, einen grundsätzlich restriktiven Umgang mit der Untreuevorschrift nahe legt, ja gerade abgelehnt 148. Eine spezifisch strafrechtliche Betrachtung im Sinne einer limitierten Zivilrechtsakzessorietät („was gesellschaftsrechtlich verboten ist, ist nicht zwingend auch strafrechtlich pönalisiert“) wird vielmehr ausdrücklich befürwortet 149. Die nach der hier vertretenen Ansicht richtige Begründung für eine Verneinung einer untreuespezifischen Erheblichkeitsgrenze ist aber die schlichte Tatsache, dass sich die engen gesellschafts-
140 Vgl. hierzu Beckemper, NStZ 2002, S. 324 (326); Kort, in: Großkommentar zum AktG, § 76 Rn. 73. A.A. Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 93 Rn. 31. 141 Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 93 Rn. 44; konkret zur Spendenproblematik H.P. Westermann, ZIP 1990, S. 771 (776). 142 Beckemper, NStZ 2002, S. 324 (326); H.P. Westermann, ZIP 1990, S. 771 (776); Henze, WuB II A. § 93 AktG 1.02 (S. 790): „Die Entscheidung darüber, ob Zuwendungen (scil.: in Form von Unternehmensspenden) aus dem Gesellschaftsvermögen gemacht werden dürfen, obliegt als Maßnahme von außergewöhnlicher Bedeutung dem Gesamtvorstand“. 143 Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 93 Rn. 44. 144 Beckemper, NStZ 2002, S. 324 (326); Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 93 Rn. 44; Henze, WuB II A. § 93 AktG 1.02 (S. 790). 145 Beckemper, NStZ 2002, S. 324 (325). Der Bundesgerichtshof lässt dies mit Verweis auf die Treubruchsalternative der Untreue aber offen, vgl. BGHSt 47, 187 (192). 146 Zutreffend Beckemper, NStZ 2002, S. 324 (326); Otto, in: FS Kohlmann, 2003, S. 187 (202). 147 Beckemper, NStZ 2002, S. 324 (326). 148 Vgl. hierzu Einleitung, C. und oben 1.b). („Grundsatz der negativen Zivilrechtsakzessorietät“). 149 Vgl. hierzu Einleitung, C. und oben 1.b). Anders Schünemann, NStZ 2005, S. 473 (476); ders., Organuntreue, 2004, S. 29, der einer zusätzlichen strafrechtlichen Erheblichkeitsgrenze bereits die Legitimität abspricht.
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rechtlichen Grenzen bei unternehmerischen Entscheidungen selbst bei großer Kreativität faktisch nicht übertreffen lassen 150. Dies gilt auch für die Pflichtverletzung des Aufsichtsrats durch die Gewährung überhöhter Vorstandsvergütungen. Ist auch die theoretische Vorstellung einer zusätzlichen strafrechtlichen Höhenmarke nach der hier vertretenen Auffassung durchaus noch in Konformität mit dem „ultima ratio“-Charakter des Strafrechts, so entziehen doch die engen Voraussetzungen der gesellschaftsrechtlichen Pflichtverletzung, die das Strafrecht praktisch nicht überbieten kann, einer solchen Vorstellung den dogmatischen Nährboden. e) Die Dogmatik zum Risikogeschäft – Argument für eine untreuespezifische Erheblichkeitsgrenze? Nichts anderes ergibt der Vergleich mit der strafrechtlichen Dogmatik zum sog. Risikogeschäft. Auch die strafrechtliche Behandlung des Risikogeschäfts, die ein der gravierenden Pflichtverletzung im Grundsatz ähnliches Korrektiv bei der Pflichtwidrigkeit anerkennt, rekrutiert sich weitgehend aus gesellschaftsrechtlichen und betriebswirtschaftlichen Grundsätzen, welche im Sinne einer positiven Zivilrechtsakzessorietät ins Strafrecht übertragen wurden. Ausgangspunkt der strafrechtlichen Dogmatik zum Risikogeschäft ist die Erkenntnis, dass das Geschäftsleben grundsätzlich zum Risiko zwingt 151. Um zu verhindern, dass der Wirtschaftsverkehr durch eine strenge strafrechtliche Handhabung paralysiert wird, erkennt das Strafrecht an, dass nicht jede (fehlgeschlagene) risikoreiche Entscheidung bzw. Maßnahme von Unternehmensorganen strafbewehrt ist 152. Aus strafrechtlicher Sicht liegt eine Risikoentscheidung dann vor, wenn die Prognose, ob die fragliche Maßnahme zu einem Gewinn oder Verlust führt, mit einem erhöhten Maß an Ungewissheit belastet ist 153. Für die Frage, ob eine Risikoentscheidung nach § 266 StGB strafbar ist, gilt nach überwiegender Ansicht, dass ein riskantes Handeln, dessen Folgen einen anderen treffen, in der Regel pflichtwidrig ist, wenn der Handelnde den ihm im Innenverhältnis vom Vermögensinhaber gezogenen Rahmen nicht einhält 154. Dabei ist zunächst zu prüfen, wie spezifisch der dem Han150 Ähnlich Henze, WuB II A. § 93 AktG 1.02 (S. 790): „Ob alle (scil.: vom Bundesgerichtshof) aufgeführten Kriterien letztlich allerdings geeignet sind, die strafrechtliche Pflichtwidrigkeit von der gesellschaftsrechtlichen Pflichtverletzung abzuheben, erscheint zweifelhaft“. Für eine gravierende Pflichtverletzung im Gesellschaftsrecht Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, §93 Rn. 31; H.P. Westermann, ZIP 1990, S. 771 (776), der von einer richterlichen Überprüfbarkeit von Beurteilungsermessen „in Extremfällen“ spricht. 151 Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 86. 152 Poseck, Strafrechtliche Haftung, 1997, S. 86; Kohlmann, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, Rn. 316 ff. 153 Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 20. 154 Schmid, in: Müller-Gugenberger/Bieneck (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, § 31 Rn. 159 f.
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delnden gezogene Risikobereich umschrieben ist. Ist dieser gesetzlich oder vertraglich genau umrissen, so wird ein Überschreiten verhältnismäßig einfach festzustellen sein. Ist der Risikobereich dagegen lediglich generell bestimmt oder branchenüblich, so kommt es auf den mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn an, der im Zweifel dahin geht, dass der Inhaber der Befugnis nur solche Dispositionen treffen darf, die dem Zweck des erteilten Auftrags und der für das fragliche Geschäft üblichen Sorgfalt entsprechen 155. Grundsätzlich ist eine Pflichtwidrigkeit zumindest dann anzunehmen, wenn der Abschluss des Risikogeschäfts zugleich einen Schaden bedeutet; da die Feststellung desselben im Einzelfall aber gleichfalls zweifelhaft sein kann 156, lässt sich eine allgemeine, für jeden Einzelfall gültige Bewertungsregel nicht aufstellen 157. Nach zustimmungswürdiger Ansicht soll der dem Normadressaten zuzugestehende Ermessensspielraum bei Risikogeschäft mit Rücksicht auf Art. 103 II GG erst dann überschritten sein, wenn die Entscheidung wirtschaftlich evident unvertretbar und unplausibel ist 158 bzw. wenn der Täter eklatant ermessensfehlerhaft gehandelt hat 159. Das Ausgeführte macht deutlich, dass das „strafrechtliche“ Risikogeschäft seiner Definition nach nichts anderes ist als das strafrechtliche Synonym für eine unternehmerische Ermessensentscheidung 160. Auch die unternehmerische Ermessensentscheidung ist aber, wie bereits dargelegt wurde, nach den Grundsätzen des Gesellschaftsrechts dann nicht pflichtwidrig, wenn sie nicht evident unvertretbar ist. In seiner ARAG/Garmenbeck-Entscheidung hat der Bundesgerichtshof aus gesellschaftsrechtlicher Sicht zum Risikogeschäft bestimmt, dass „die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden“ 161 sein muss, um eine gesellschaftsrechtliche Pflichtwidrigkeit gem. § 93 I AktG auszulösen. Die Korrektive der Unvertretbarkeit bzw. -plausibilität, die die überwiegende Ansicht zur Einschränkung der Strafbarkeit bei Risikoentscheidungen verwendet, 155 Labsch, Jura 1987, S. 343 (414); Waßmer, Untreue bei Risikogeschäften, 1997, S. 37 f.; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 20. 156 Bedenken am Vorliegen eines Schadens bestehen primär dann, wenn das Verlustrisiko nicht unvertretbar ist, vgl. BGH NJW 1975, S. 1234 (1236); GA 1977, S. 342 (343): nach der Rechtsprechung ist ein solches unvertretbares Verlustrisiko nur dann anzunehmen, wenn der Täter „nach Art eines Spielers entgegen den Regeln kaufmännischer Sorgfalt eine aufs äußerste gesteigerte Verlustgefahr auf sich nimmt, nur um eine höchst zweifelhafte Gewinnaussicht zu erlangen…“. 157 Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 20. 158 Poseck, Strafrechtliche Haftung, S. 88 f.; Kohlmann, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 1990, Rn.329; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, §266 Rn. 20; Tiedemann, ZIP 1983, S. 513 (521); Waßmer, Untreue bei Risikogeschäften, 1996, S. 73 ff. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn das ganze Vermögen eines Unternehmens zur Disposition gestellt wird und dies zur Insolvenz führt, vgl. Schmid, in: Müller-Gugenberger/Bieneck (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, § 31 Rn. 166; Otto, Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 81. 159 Kohlmann, JA 1980, 228 (231). 160 Zur unternehmerischen Ermessensentscheidung vgl. bereits oben Teil 1, B.II sowie D.II. 161 BGHZ 135, 244 (253 f.) – „ARAG/Garmenbeck“ (Hervorhebung durch die Verfasserin).
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entsprechen somit wiederum denen des Gesellschaftsrechts bei der Behandlung unternehmerischer Entscheidungen. Auch hier stellt das Strafrecht keine eigenen, „strafrechtsspezifischen“ Kriterien zur Bestimmung der Pflichtwidrigkeit auf, sondern bedient sich in konsequenter Beachtung des Prinzips der negativen Zivilrechtsakzessorietät anerkannter Grundsätze des Gesellschaftsrechts. Wenn somit in der strafrechtlichen Kommentierung zum Risikogeschäft durch dessen Behandlung in gesonderten Kapiteln der Eindruck erweckt wird, es handele sich um außergewöhnliche Geschäftsvorfälle, die einer besonderen strafrechtlichen Bewertung und Regelkonstituierung bedürftig seien, so entspricht dies weder den Realitäten der Wirtschaft, wie Thomas in einem neueren Aufsatz zur Untreue in der Wirtschaft zutreffend ausführt 162, noch den Realitäten des Strafrechts, welches mit der gesellschaftsrechtlichen Beurteilung solcher Fälle übereinstimmt. 3. Fazit: Kongruenz von strafrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Erheblichkeit Die Analyse der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Fall Schaufler führt nach dem Vorgenannten zu dem Ergebnis, dass die vom Bundesgerichtshof geforderte gravierende Pflichtverletzung mit der evidenten Pflichtverletzung im Aktienrecht weitestgehend als identisch anzusehen ist163. Für die – bei Vergegenwärtigung des Grundsatzes der limitierten Zivilrechsakzessorietät grundsätzlich denkbare – Vorstellung einer den gesellschaftsrechtlichen Kritieren übergeordneten, rein strafrechtlich motivierten Überprüfung des gesellschaftsrechtlichen Ergebnisses bleibt strafrechtsdogmatisch kein Raum. Zwar könnte auf diese Weise der Formulierung des 1. Senats Rechnung getragen werden, wonach die strafrechtliche Bewertung auf der Grundlage einer „Gesamtschau insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Kriterien“ 164 vorzunehmen sei. Eine solche Überprüfung scheitert jedoch bereits am Fehlen einer entsprechenden strukturellen Grundlage im Strafrechtstatbestand. Ohne nachvollziehbare Kriterien muss die strafrechtsspezifische Gesamtbetrachtung als „taube Nuss“ 165 dogmatisch bedeutungslos bleiben. Die für eine zusätzliche strafrechtliche Höhenmarke erforderlichen konkreten Richtlinien kann das Strafrecht nicht liefern, da das Gesellschaftsrecht insofern erschöpfende Kriterien vorgibt. Richtigerweise vermag daher das Strafrecht eine über die bereits eng definierte gesellschaftsrechtliche Unvertretbarkeit hinausgehende Erheblichkeitsgrenze nicht Thomas, in: FS Riess, 2002, S. 795 (800). Vgl. auch Henze, WuB II A. § 93 AktG 1.02 (S. 790); Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 28; ders., NStZ 2005, S. 473 (476); Beckemper, NStZ 2002, S. 324 (326). Allgemein für eine hohe gesellschaftsrechtliche Hürde Hopt, in: Großkommentar zum AktG, § 93 Rn. 120; H.P.Westermann, ZIP 1990, S. 771 (776); Kritisch bezüglich der innerbetrieblichen Transparenz bei Unternehmensspenden allerdings Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 93 Rn. 31. 164 BGHSt 47, 187 (197), Hervorhebung durch die Verfasserin. 165 In etwas anderem Zusammenhang Schünemann, NStZ 2005, S. 473 (476). 162 163
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aufzustellen. In praxi wird sich somit aus der gesellschaftsrechtlichen Unvertretbarkeit auch die strafrechtliche Unvertretbarkeit der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung ergeben. Mit dieser Auffassung im Einklang steht auch die sog. Kinowelt-Entscheidung des 1. Strafsenats vom 22. November 2005, wo der Senat ausführt: „Nach der Rechtsprechung des BGH ist dem Vorstand bei seinen in Ausfüllung der vorgenannten Pflichten getroffenen Entscheidungen ein weiter Ermessensspielraum zuzubilligen. Werden hingegen die – weit zu ziehenden – äußersten Grenzen unternehmerischer Entscheidungsfreiheit überschritten und wird damit eine Hauptflicht gegenüber dem zu betreuenden Unternehmen verletzt, so liegt eine Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten vor, die so gravierend ist, dass sie zugleich eine Pflichtwidrigkeit i. S. von § 266 StGB begründet“ 166. Für eine von dieser Erkenntnis abweichende, spezifisch strafrechtliche Ausdeutung bleibt nur dort Raum, wo das Strafrecht ohnehin eigene Anforderungen stellt: im Bereich der objektiven Zurechnung 167. Diese (und damit auch die Strafbarkeit gem. § 266 StGB) kann trotz festgestellten Verstoßes gegen gesellschaftsrechtliche Normen dann zu verneinen sein, wenn der tatbestandliche Erfolg unabhängig vom festgestellten Ermessensfehler eingetreten wäre 168. Freilich hätte es diesbezüglich der Formulierung einer „gravierenden Pflichtverletzung“ nicht bedurft – das obige Ergebnis ergibt sich bereits aus der hergebrachten Strafrechtsdogmatik. 4. Die Bedeutung der vom Bundesgerichtshof genannten Kriterien für das Vorliegen einer gravierenden Pflichtverletzung bei Vorstandsvergütungsentscheidungen Im Folgenden soll unter Heranziehung sämtlicher vom Bundesgerichtshof für die (strafrechtliche) Zulässigkeit der Spendenvergabe aufgestellten Kriterien untersucht werden, inwiefern diese auch für die gravierende Pflichtverletzung der über Vorstandsvergütungszusagen entscheidenden Mitglieder des Aufsichtsrats von Bedeutung sein können. a) Unternehmensinteresse Zwar findet das Unternehmensinteresse als solches in der Entscheidung zum Fall Schaufler keine ausdrückliche Erwähnung. Da aber, wie in Teil 1 bereits ausgeBGH NStZ 2006, S. 221 (222). So Schünemann, NStZ 2005, S. 473 (476), allerdings nur für den Fall, dass die Pflichtverletzung nicht aus der Vermögensschädigung rückgeschlossen wird, da anderenfalls die Verwirklichung des § 266 StGB contra legem erst ab einem größeren Schaden in Betracht komme. Ein solcher Rückschluss ist jedoch trotz einer gewissen Verbreitung in der Praxis als grundsätzlich unzulässig anzusehen, vgl. unten C.II. 168 Schünemann, NStZ 2005, S. 473 (476). 166 167
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führt 169, die Beachtung des Unternehmensinteresses durch das handelnde Gesellschaftsorgan vielfach als oberste Maxime unternehmerischen Handelns verstanden wird, geht die sich mit dem Urteil beschäftigende Literatur überwiegend davon aus, das Unternehmensinteresse stelle gewissermaßen als Oberbegriff für sämtliche genannten Kriterien das konkludente erste Kriterium zur Überprüfung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung dar. Indes kommt dem Unternehmensinteresse im Rahmen von Vergütungsentscheidungen nach der hier vertretenen Auffassung nur insoweit eigenständige Bedeutung zu, als es um den Bestand bzw. die dauerhafte Rentabilität des Unternehmens geht – im Übrigen wird es im Einklang mit obigen Ausführungen von § 87 I AktG als konkreter gesetzlicher Ausprägung des Unternehmensinteresses im Hinblick auf Vergütungsentscheidungen gewissermaßen „konsumiert“ 170. Im Bereich des Strafrechts ist dieses Ergebnis schon mit Rücksicht auf den Grundsatz der restriktiven, an Art. 103 II GG orientierten Auslegung im Strafrecht, der es für die strafrechtliche Verwendung des im Einzelnen umstrittenen und demzufolge unbestimmten Begriffes notwendig macht, eine im Grundsatz enge Begriffsbestimmung zugrunde zu legen, zwingend 171. b) Nähe zum Unternehmensgegenstand Der Unternehmensgegenstand steckt nach allgemeiner Ansicht den Tätigkeitsrahmen des Unternehmens ab 172. Er findet sich im Aktiengesetz an zwei korrespondierenden Stellen, in §23 III Nr. 2 AktG sowie in § 179 II 2 AktG. Das genaue Verhältnis zwischen Unternehmensgegenstand und Verbandszweck ist bis heute ungeklärt 173; Einigkeit besteht aber jedenfalls darüber, dass der Unternehmensgegenstand in der Satzung soweit individualisiert werden muss, dass sich der jeweiligen Satzungsbestimmung der Schwerpunkt der unternehmerischen Tätigkeit der Gesellschaft entnehmen lassen kann. Für den Vorstand besteht die Bedeutung des Unternehmensgegenstands darin, dass letzterer zwar aufgrund von § 82 I AktG nicht die Vertretungsbefugnis des Vorstands nach außen einschränken kann, im Innenverhältnis aber zum Schutz der Aktionäre die (äußerste) verbindliche Grenze der Geschäftsführungsbefugnis darstellt (§ 82 II AktG) 174. Im Rahmen der Vorstandsvergütungsproblematik kommt dem Unternehmensgegenstand indes nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Vgl. oben Teil 1, C.I.3. Vgl. oben Teil 1, C.I.5. 171 Ähnlich Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (326). 172 Semler/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, Vor § 76 Rn. 78; Hüffer, AktG, § 23 Rn. 21; Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 130. 173 Ausführlicher hierzu Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 129 f.; Hüffer, AktG, § 23 Rn. 22. 174 Hüffer, AktG, § 23 Rn. 21; BGH WM 1981, S. 163 (164); Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 131. 169 170
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Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass Vergütungsentscheidungen im Gegensatz zu Spenden, bei denen eine Orientierung am Unternehmensgegenstand gerade wegen des fehlenden Äquivalenzcharakters geradezu zwingend ist, stets einen unmittelbaren Bezug zum Unternehmensgegenstand haben – ohne Vergütung ist keine unternehmerische Führung und ohne letztere auch keine Verwirklichung des Unternehmensgegenstandes möglich 175. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Unternehmensgegenstand für Vergütungsentscheidungen nur insofern fruchtbar machen, als ein Handeln bzw. ein Tätigwerden des begünstigten Vorstands, welches außerhalb des Unternehmensgegenstands inklusive der dazugehörigen Annexbereiche liegt, unter der Voraussetzung, dass es nicht aus anderen Gründen den Aufgaben des Vorstandsmitglieds zuzurechnen ist, auch nicht zu vergüten ist 176. Da ein solcher Fall eine absolute Ausnahme darstellen dürfte, kommt der vom Bundesgerichtshof im Fall Schaufler geforderten Nähe zum Unternehmensgegenstand im Rahmen von Vergütungsentscheidungen zumindest in aller Regel keine ernstzunehmende Begrenzungsfunktion zu. c) Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage Mit dem Kriterium der Unangemessenheit von Zuwendungen im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage kombiniert der Bundesgerichtshof (allerdings bezogen auf Unternehmensspenden) im Grunde die wesentlichen Ermessensgrenzen, die der Aufsichtsrat bei Vergütungsentscheidungen zu beachten hat 177. Dies sind die im Unternehmensinteresse zusammengefassten Belange der Bestandserhaltung und der dauerhaften Rentabilität sowie das Angemessenheitserfordernis des § 87 I AktG. Diesem Kriterium kommt somit die mit Abstand größte Bedeutung bei der Frage der Erheblichkeit von Pflichtverletzungen durch den Aufsichtsrat im Vorstandsvergütungsbereich zu. Da zu Inhalt und Umfang beider Ermessensgrenzen bereits ausführlich Stellung genommen wurde 178, kann im Hinblick auf die Ausfüllung der genannten Elemente auf diese obigen Ausführungen verwiesen werden. d) Fehlende innerbetriebliche Transparenz Wie der Bundesgerichtshof weiter darlegt, kann auch die fehlende innerbetriebliche Transparenz als (formelles) Merkmal als Indiz für das Vorliegen einer gravierenden Pflichtverletzung hinzugezogen werden 179. Nach dem Verständnis des Gerichts erfordert die innerbetriebliche Transparenz eine unternehmensinterne Offenlegung von Umständen, „die eine Kontrolle durch die Gesellschaftsorgane ermög175 176 177 178 179
Zutreffend Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (657). Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 131. Vgl. auch Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (657). Vgl. oben Teil 1, C. BGHSt 47, 187 (199).
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licht“ 180. An einer der Kontrolle zugänglichen Offenlegung soll es nach Ansicht des Bundesgerichtshofs im Fall der Spendenvergabe von Gesellschaftsorganen dann fehlen, wenn eine „Verschleierung“ von Zuwendungen vorliegt 181. Der Bundesgerichtshof hat im Fall Schaufler eine solche Verschleierung angenommen, da die fraglichen Spendenzahlungen nicht, wie üblich, über die Hauptbuchhaltung erfolgten, sondern vielmehr der Betrag zum Zweck der Verschleierung zunächst unternehmensintern umgebucht und dann unter Angabe eines unzutreffenden Verwendungszwecks in bar ausgezahlt worden war. Dieses Bargeld wurde dann in einem neutralen Briefumschlag in einem Hotel übergeben und anschließend von einer weiteren Person in zwei Briefumschlägen für den Begünstigten vertraulich hinterlegt. Hintergrund dieser Taktik war offenbar die Absicht (im untechnischen Sinne) des angeklagten Vorstandsvorsitzenden, einen, wie der Bundesgerichtshof formuliert, „Erklärungsbedarf (scil. wohl primär gegenüber dem Überwachungsorgan Aufsichtsrat) gar nicht erst aufkommen zu lassen“ 182. Dass dieser Sachverhalt einen klaren Fall der Verschleierung darstellt, ist evident. Fraglich ist, wo die Grenze bei Vorstandsvergütungen, die ja in aller Regel durch Beschluss eines Aufsichtsratsauschusses für Personalangelegenheiten, innerhalb dessen eine solche eben beschriebene evidente Verschleierungstaktik eines Einzelnen schon wegen der pluralistischen Besetzung wohl von vorneherein deutlich erschwert bzw. vielmehr unmöglich gemacht wird, bewilligt werden, zu ziehen ist. In Anbetracht der Systematik des Aktienrechts ist davon auszugehen, dass es für die Einhaltung des vom Bundesgerichtshof aufgestellten Erfordernisses innerbetrieblicher Transparenz bei Vergütungszusagen an (ehemalige) Vorstandsmitglieder erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Sachverhalt in dem entscheidenden Organ, welches zumeist oben genannter Aufsichtsratsausschuss für Personalangelegenheiten sein wird, transparent ist 183. Eine darüber hinausgehende Informationspflicht primär gegenüber den Aktionären ist insbesondere auch in Ansehung von §§ 192 II Nr. 3, 193 II Nr. 4 AktG, die einen Hauptversammlungsbeschluss bei Vorstandsvergütungsentscheidungen (nur) für die bedingte Kapitalerhöhung bei der Vergabe von Aktienoptionen verlangen, abzulehnen. Die Vergütungsentscheidung steht im Ermessen des Aufsichtsrats, welches, wie oben bereits festgehalten, nach der hier vertretenen Ansicht allein im als Bestandserhaltungs- und Rentabilitätsinteresse verstandenen Unternehmensinteresse sowie im Angemessenheitserfordernis des § 87 I AktG seine Grenze findet. (Grund-)Voraussetzung für eine diesen Maßstäben gerecht werdende Entscheidung ist eine ausreichende Informationsgrundlage aller Mitglieder des entscheidenden Organs; Fundament dieser Informationsgrundlage ist die innerbetriebliche Transparenz. Selbstverständlich, vom Bundesgerichtshof aber vermutlich nicht zuvorderst gemeint ist die Wahrung der gesetzlichen Publizitätspflichten durch das entscheidende Organ. Hier ist insbesondere an §§ 285 Nr. 9 lit. a, 314 HGB sowie an Ziffer 4.2.4 des Deut180 181 182 183
BGHSt 47, 187 (199). BGHSt 47, 187 (199). BGHSt 47, 187 (199). Vgl. Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (657).
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schen Corporate Governance Kodex zu denken. Diese Vorschriften verlangen, dass die in Vergütungsentscheidungen beschlossenen Gesamtbezüge, aufgeteilt nach Fixum, erfolgsbezogenen Vergütungselementen und Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung, u. a. für die Mitglieder des Vorstands im Anhang zum Jahresabschluss zu publizieren sind. Ziffer 4.2.3 Absätze 3 und 4 des DCGK verpflichten die Gesellschaft darüber hinaus, die Grundzüge des Vergütungssystems sowie dessen konkrete Ausgestaltung auf der Internetseite der Gesellschaft in allgemein verständlicher Form bekannt zu machen und im Geschäftsbericht zu erläutern. Ist die so verstandene Transparenz sowohl durch Offenlegung der entscheidungsrelevanten Informationen innerhalb des über Vergütungszusagen entscheidenden Organs (Ausschuss für Personalangelegenheiten) als auch durch (anschließende) Wahrung der Publizitätsvorschriften gewährleistet, so besteht kein Zweifel am Vorliegen des vom Bundesgerichtshof geforderten Kriteriums der innerbetrieblichen Transparenz 184. e) Vorliegen sachwidriger Motive Der Bundesgerichtshof stellt weiter klar, dass auch das Vorliegen sachwidriger Motive, namentlich das Verfolgen rein persönlicher Präferenzen, ein Hinweis auf die Erheblichkeit der Pflichtverletzung bei unternehmerischen Entscheidungen sein kann. Fraglich ist, inwiefern im Rahmen der strafrechtlichen Beurteilung überhöhter Vergütungsentscheidungen subjektive Kriterien überhaupt eine Rolle spielen dürfen. Aus aktienrechtlicher Sicht nämlich legt bereits der Wortlaut des § 87 I AktG („… hat der Aufsichtsrat dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge […] in einem angemessenen Verhältnis stehen“) nahe, dass die Angemessenheit rein objektiv zu beurteilen ist 185. Die aktienrechtliche Beantwortung der Frage, ob und in welcher Höhe Vergütungszusagen gewährt werden können, richtet sich mangels anderer gesetzlicher Bestimmungen somit allein nach den objektiven Kriterien des § 87 I AktG (Aufgaben des Vorstandsmitglieds, Lage der Gesellschaft, Leistungen des Vorstandsmitglieds, Marktpreis etc.) 186. Allerdings können sachwidrige Motive einen Hinweis auf die Unvertretbarkeit der Entscheidung und damit auf die evidente gesellschaftsrechtliche bzw. gravierende strafrechtliche Pflichtverletzung geben. Insbesondere kommt bei einer Berücksichtigung der Motive der Handelnden das Verbot willkürlicher Festsetzungen von Vergütungen, welches als Ausdruck der absoluten Unvertretbarkeit den Ausschlag für die Erheblichkeit der Pflichtverletzung geben soll 187, besonders deutlich zum Tragen. Wenn nämlich letztlich Willkür über das Vorliegen einer gravierenden Pflichtverletzung maßgeblich mitentscheidet, so sind In diesem Sinne wohl auch Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (657). Ebenso wohl Notz, Bericht über die Diskussion zum Vortrag Meinrad Drehers in: RWSForum Gesellschaftsrecht 2003, S. 247 (259 f.). 186 Ebenso wohl Notz, Bericht über die Diskussion zum Vortrag Meinrad Drehers in: RWSForum Gesellschaftsrecht 2003, S. 247 (259 f.). 187 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2054 f.) = NJW 2004, S. 3275 (3285); Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (326). 184 185
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die Motive der Handelnden zwingend in die Betrachtung miteinzubeziehen, da das Vorliegen von Willkür ja bereits begriffsnotwendig das Überwiegen subjektiver (und damit sachfremder) Erwägungen voraussetzt. Zur Klarstellung der komplexen Problematik sei aber nochmals verdeutlicht: sachwidrige Motive werden selbstverständlich nur da relevant, wo ein Verstoß gegen materielle Vorschriften des Aktienrechts, bei Vergütungsentscheidungen ein Verstoß gegen die rein objektiven Kriterien des § 87 I AktG, bereits positiv festgestellt wurde. Eine objektiv sachgerechte Vergütungsentscheidung wegen des etwaigen Vorliegens sachwidriger Motive als aktienrechtlich unangemessen beurteilen zu wollen, kommt dementsprechend nicht in Betracht 188. Bedeutung kommt sachwidrigen Motiven einzelner Aufsichtsratsmitglieder lediglich bei der Frage der Erheblichkeit der Pflichtverletzung („gravierende Pflichtverletzung“) zu. 5. Der Umfang der Erheblichkeit – die „jedenfalls-conclusio“ 189 des 1. Strafsenats In welchem (qualitativen wie quantitativen) Verhältnis die genannten Kriterien stehen müssen bzw. ob sie kumulativ vorzuliegen haben, um eine gravierende gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung und damit eine Strafbarkeit nach § 266 StGB auszulösen, lässt der 1. Senat offen. Im Schrifttum wird teilweise vertreten, eine vom Bundesgerichtshof derart umschriebene Treupflichtverletzung könne nur dann angenommen werden, wenn sämtliche Indizien erfüllt seien 190. Allerdings weist die vom Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang gewählte Formulierung darauf hin, dass dies eben nicht verlangt wird. Wenn das Gericht feststellt, dass „jedenfalls dann, wenn […] sämtliche Kriterien erfüllt sind“, eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 StGB vorliege, so ist zwar davon auszugehen, dass es für § 266 StGB nicht ausreicht, wenn nur ein einziges der genannten Kriterien vorliegt. Die Formulierung macht aber deutlich, dass der Bundesgerichtshof die endgültige Konkretisierung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung den Umständen des Einzelfalls überlässt. Dies ist auch folgerichtig. Maßstab für die Erheblichkeit der Pflichtverletzung ist nach obigen Ausführungen allein die evidente wirtschaftliche Unvertretbarkeit der jeweiligen Entscheidung. Diese lässt sich aber, wie gesehen, nur durch eine Gesamtschau der konkreten Umstände des Einzelfalls bestimmen. Ausschlaggebend sind daher Bedeutung und Schwere der Verletzung der jeweilig verwirklichten Kriterien im konkreten Einzelfall. Hieraus folgt, dass auch die Verwirklichung mehrerer (nicht sämtlicher) Kriterien ausreicht, wenn diese, z. B. wegen der im Einzelfall besonders starken Ausprägung, die evidente wirtschaftliche Unvertretbarkeit bereits zwingend 188 Ebenso wohl Notz, Bericht über die Diskussion zum Vortrag Meinrad Drehers in: RWSForum Gesellschaftsrecht 2003, S. 247 (259 f.). 189 So die Begrifflichkeit bei Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 26. 190 Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), HWSt, Abschnitt 2 (Untreue), Rn. 208; Henze, WuB II A. § 93 AktG 1.02 (S. 790); Wollburg, ZIP 2004, S. 646 (656).
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vorgeben 191. Bei der Vorstandsvergütungsentscheidung sind solche besonders prägenden Kriterien insbesondere die Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertragsund Vermögenslage (§ 87 AktG), die fehlende innerbetriebliche Transparenz sowie das Vorliegen sachwidriger Motive 192. Liegen diese Gravamina vor, so ist trotz Nähe der Zusage zum Unternehmensgegenstand eine gravierende Pflichtverletzung des zuständigen Aufsichtsrats (-ausschusses) anzunehmen. Ansonsten gilt: sind alle vom Bundesgerichtshof genannten Kriterien verwirklicht, steht die wirtschaftliche Unvertretbarkeit und damit die Erheblichkeit der Pflichtverletzung zweifelsfrei fest („jedenfalls dann“).
II. Die Revisionsentscheidung des 3. Strafsenats im Fall Mannesmann Im Einklang mit der oben vertretenen Auffassung wie auch mit dem KinoweltUrteil vom 22. November 2005, welches der 3. Strafsenat noch berücksichtigen konnte, interpretiert der 3. Strafsenat in seiner Revisionsentscheidung zum Fall Mannesmann das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung nicht im Sinne einer zusätzlichen Höhenmarke strafrechts-, sondern in Anlehnung an die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des Bundesgerichtshofs gesellschaftsrechtsspezifisch 193. Der Senat führt hierzu aus, dass sich diese Interpretation nicht in Widerspruch zu den vorangehenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur gravierenden Pflichtverletzung setze. Denn das Merkmal „gravierend“ in den Urteilen des 1. Strafsenats habe sich unmissverständlich auf die gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung bezogen 194 – konsequenterweise müsse „die zur Erfüllung des Tatbestands der Untreue erforderliche Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht […] auch bei unternehmerischen Entscheidungen eines Gesellschaftsorgans nicht zusätzlich ‚gravierend‘ sein“ 195. Dieser Auffassung des 3. Strafsenats ist in Ansehung der oben ausgeführten eigenen Ansicht der Verfasserin unumwunden zuzustimmen. So lässt sich, wie oben gesehen wurde, eine eigene strafrechtliche Höhenmarke des Untreuetatbestands strafrechtsdogmatisch nicht begründen.
191 Ähnlich Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 27; LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2054 f.) = NJW 2004, S. 3275 (3285). 192 Vgl. hierzu LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2054f.) = NJW 2004, S. 3275 (3285). 193 BGH NJW 2006, S. 522 (526 f.) = BGH NStZ 2006, S. 214 (217). 194 Hierzu der 3. Strafsenat wörtlich: „Anliegen des Urteils (scil. BGHSt 47, 187) ist es, speziell für den Bereich der Unternehmensspenden […] die Notwendigkeit eines weiten Handlungsspielraums des Entscheidungsträgers zu betonen und Kriterien für die Beurteilung anzubieten, ob sich die Gewährung der Spende im Einzelfall im Rahmen dieses Spielraums hält“, vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (526) 195 BGH NJW 2006, S. 522 = BGH NStZ 2006, S. 214 (2. Leitsatz). Schünemann, NStZ 2006, S. 196 (197), spricht insoweit von einer „Preisgabe der gravierenden Pflichtverletzung“ durch den 3. Strafsenat.
B. Die gravierende Pflichtverletzung im Rahmen der Organuntreue
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Nicht ganz unproblematisch erscheinen indes die weiteren Ausführungen des Senats, die sich ganz konkret mit dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt im Fall Mannesmann beschäftigen, und die hier, da nicht explizit Gegenstand dieser Arbeit, in Aussage und Kritik nur kurz angerissen werden sollen. So lägen nach Ansicht des Senats selbst für den Fall, dass eine gravierende Pflichtverletzung auch für die Bejahung der untreuespezifischen Vermögensbetreuungpflicht zu fordern wäre, die Anwendungsvoraussetzungen einer zusätzlichen strafrechtlichen Höhenmarke im Fall Mannesmann nicht vor 196. Eine solche erfordere nämlich stets eine risikobehaftete Prognoseentscheidung, wie sie den Urteilen des 1. Strafsenats zur Kredit- und Spendenvergabe zugrunde lag 197. Was letztere Aussage betrifft, ist dem Senat mit der hier vertretenen eigenen Auffassung explizit zuzustimmen; bei Fehlen einer unternehmerischen Entscheidung in diesem Sinne kommt auch ein weiter Ermessensspielraum, wie sie der Bundesgerichtshof den Gesellschaftsorganen in der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung zugesteht, und folgerichtig auch eine normative Einschränkung nach dem Gesellschaftsrecht („gravierende gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung“) nicht in Betracht. Nicht überzeugend erscheint aber die apodiktische Feststellung des Senats, im Fall Mannesmann habe eine insoweit erforderliche risikobehaftete unternehmerische Entscheidung nicht vorgelegen. So weist Hohn zutreffend darauf hin, dass mit den Gratifikationen entgegen der Etikettierung als Anerkennung für erbrachte Leistungen durchaus das reibungslose Weiterarbeiten der Begünstigten bis zur Eingliederung in Vodafone AirTouch bezweckt worden sein kann 198. Da ein unwilliges Führungsteam, welches nur unfreiwillig aus dem Amt geschieden wäre, dem Vermögen der Mannesmann AG nicht zuletzt durch Ansehensverlust beträchtlichen Schaden hätte zufügen können, kann die Bewilligung der Prämien als eine Entscheidung unter Risiko angesehen werden 199. Inwieweit tatsächlich die Gefahr einer solchen Vermögensschädigung der Mannesmann AG bestand, die eine Risikoentscheidung auslösen könnte, ist, wie Hohn zutreffend ausführt, Tatfrage, und damit vom Tatrichter zu klären 200. So selbstverständlich, wie der 3. Senat dies annimmt, kann das Fehlen einer Risikoentscheidung im Fall Mannesmann jedenfalls nicht festgestellt werden.
196 197 198 199 200
BGH NJW 2006, S. 522 (526 f.) = BGH NStZ 2006, S. 214 (217). BGH NJW 2006, S. 522 (526 f.) = BGH NStZ 2006, S. 214 (217). Hohn, wistra 2006, S. 161 (163). Hohn, wistra 2006, S. 161 (163). Hohn, wistra 2006, S. 161 (163).
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
C. Weitere untreuerechtliche Besonderheiten bei Vergütungsentscheidungen – Einverständnis, Vermögensnachteil und der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit In der strafrechtlichen Literatur zum Fall Mannesmann werden, mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und mit oftmals differierenden Ergebnissen 201, drei weitere Aspekte diskutiert, die unter dem Gesichtspunkt der Entlastung pflichtwidrigen Aufsichtsratshandelns interessant werden. Zunächst stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Einverständnis der Aktionäre die überhöhte Vorstandsvergütungen bewilligenden Aufsichtsratsmitglieder exkulpieren kann. Diskussionswürdig erscheint auch, inwiefern ein durch die Aufsichtsratsentscheidung herbeigeführter Nachteil für die Gesellschaft kompensiert werden kann. Schließlich soll untersucht werden, welche Folgen ein Irrtum der Aufsichtsratsmitglieder über die Pflichtwidrigkeit ihres Handelns haben kann.
I. Das Einverständnis der Aktionäre in Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats Unzweifelhaft kommt bei Vorliegen einer rechtlich relevanten Zustimmung des Vermögensträgers zu Handlungen des Täters eine Strafbarkeit wegen Untreue nicht in Betracht. Nach allgemeiner Ansicht ist eine solche Zustimmung nicht erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit, sondern als sog. tatbestandsausschließendes Einverständnis bereits auf der Ebene des objektiven Tatbestands erheblich 202. Dies ist folgerichtig, da die Interessen und damit die Willensentschließung des Vermögensinhabers sowohl die Befugnisse des Täters im Innenverhältnis (Missbrauchsvariante) als auch den Inhalt seiner Vermögensbetreuungspflichten (Treubruchsvariante) 203 maßgeblich beeinflussen 204. Während bei natürlichen Personen eine Zustimmung 201 Vgl. Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (321 ff.); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (121 ff.); Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 66 ff.; Jakobs, NStZ 2005, S. 276 ff. 202 BGHSt 3, 23 (24); 43, 221 (223), jüngst bestätigt von BGH NJW 2006, S. 522 (525 f.) = NStZ 2006, S. 214 (216 f.); Eisele, GA 2001, S. 377 (389); Lackner/Kühl, § 266 Rn. 20; Labsch, Jura 1987, S. 343 (415); Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, § 266 Rn. 21; Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 58; Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 100; Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), HWSt, Abschnitt 2 (Untreue), Rn. 86. 203 Zur diesbezüglich nicht ganz unproblematischen 4. Alternative des Treubruchstatbestands (faktisches Treueverhältnis) vgl. ausführlich Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 58 f., 60. 204 Weil sich das „Einverständnis“ allerdings auf eine Vermögensposition (und nicht auf eine faktische Position) bezieht, ist dessen Wirksamkeit nach den Regeln zu beurteilen, die für die rechtfertigende Einwilligung gelten, vgl. auch BGHSt 9, 203 (216). Zu fordern ist daher, dass der Vermögensträger einwilligungsfähig und seine Entscheidung frei von Willensmängeln ist,
C. Weitere untreuerechtliche Besonderheiten bei Vergütungsentscheidungen
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selten Probleme bereitet, gestaltet sich die Situation bei juristischen Personen primär wegen gesellschaftsrechtlich vorgegebener Vermögensbindungen ungleich schwieriger. Die mit der Thematik befasste Literatur diskutiert in diesem Zusammenhang fast ausschließlich Zustimmungen der Gesellschafter in vermögensschädigende Handlungen des GmbH-Geschäftsführers 205. Ausführungen zur Situation in der AG beziehen sich, soweit überhaupt erwähnt, hauptsächlich 206 auf das Verhältnis Aktionäre-Vorstand. Zwar hat der Bundesgerichtshof im Fall Mannesmann jüngst ausdrücklich auf die Möglichkeit eines Einverständnisses der Aktionäre hingewiesen 207; die Ausführungen des Senats beschränken sich allerdings im Wesentlichen auf den von ihm konkret untersuchten Fall; hierauf wird an späterer Stelle noch zurückzukommen sein 208. Im Folgenden soll untersucht werden, ob und in welcher Form eine Zustimmung der Anteilseigner Einfluss auf pflichtwidriges Aufsichtsratsverhalten in Bezug auf Vorstandsvergütungsentscheidungen haben kann. 1. Dispositionsbefugnis Problematisch ist bereits die Disponibilität des Rechtsguts Vermögen (der AG) im Hinblick auf die Anteilseigner. Während sich die Verfügungsbefugnis des Aufsichtsrats über selbiges Rechtsgut bei Vergütungsentscheidungen explizit aus §§ 84 I, 87 I AktG ergibt, schweigt das Gesetz zu einer solchen Ermächtigung der Anteilseigner. Weil auch das Schrifttum sich mit dieser Problematik, wie bereits angedeutet, bisher nicht näher auseinandergesetzt hat, wird im Folgenden unter Heranziehung der Literaturauffassungen zu Zustimmungen der Anteilseigner in Handlungen des Vorstands untersucht, ob sich die Dispositionsbefugnis der Aktionäre möglicherweise bereits aus der Verfassung der AG ergibt. a) Das Einverständnis der Aktionäre in Vorstandshandeln Die Literatur diskutiert unter diesem Stichwort primär die Frage, ob sich der Vorstand mit dem Verweis auf entsprechende Beschlüsse der Hauptversammlung entlasten kann. Teilweise wird dies mit dem Argument bejaht, dass das übergeordnete Organ der Hauptversammlung wegen der mittelbaren Eigentümerstellung der Aktionäre im Hinblick auf die Gesellschaft als der eigentliche Vermögensträger zu gelvgl. Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), HWSt, Abschnitt 2 (Untreue), Rn. 87; Eisele, GA 2001, S. 377 (390). 205 Vgl. hierzu Kaufmann, Organuntreue zum Nachteil von Kapitalgesellschaften, 1999, S. 27 ff. ; Flum, Der strafrechtliche Schutz, 1990, S.72. Zur Untreue in Vereinen vgl. Eisele, GA 2001, S. 377 (388 ff.). 206 Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 144, geht kurz auch auf das Verhältnis Aktionäre-Aufsichtsrat (allerdings unter der Überschrift „Aktionäre - Vorstand“) ein. 207 Vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (525 f.) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216 f.). 208 Vgl. unten 1. b).
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
ten habe 209. Die gegenteilige Auffassung stützt sich auf ein (angebliches) Eigeninteresse der AG, welches sich aus den positiv-rechtlichen Vermögensbindungen des Aktiengesetzes ergeben soll, die das gesamte Vermögen der AG vor Zugriffen der Gesellschafter schützten 210. Begründet wird diese Ansicht für die unverbundene AG 211 vornehmlich mit der die Rückgewähr verbotswidrig empfangener Leistungen regelnden Vorschrift des § 62 AktG 212. Danach muss der so begünstigte Aktionär selbst in dem Fall, dass er gutgläubig war und keine die Rückgewähr der Leistung erfordernde Gläubigerinteressen bestehen, die verbotswidrig empfangene Leistung an die AG zurückerstatten 213. An dieser bedingungslosen Rückgewährspflicht zeige sich, dass die positiv-rechtlichen Vermögensbindungen des Aktiengesetzes auch Eigeninteressen der AG schützten 214. Zudem komme dem Vorstand gem. § 76 I AktG eine umfangreiche, von der Willensbildung der Hauptversammlung grundsätzlich losgelöste Geschäftsführungsbefugnis zu 215. Der Vorstand dürfe und müsse sich demgemäß über Beschlüsse der Hauptversammlung hinwegsetzen 216. Ersterer Auffassung ist zuzustimmen. Selbst bei einer strikten rechtlichen Trennung von Gesellschafts- und Aktionärsvermögen bleiben die Aktionäre in ihrer Gesamtheit die wahren wirtschaftlichen Vermögensinhaber. Parallel zu den Ausführungen zur Kongruenz von Aktionärs- und Unternehmensinteresse 217 kann ihr Wille die Vermögensbindung des Aktiengesetzes maßgeblich beeinflussen 218. Wenn die Gesellschaft durch die Hauptversammlung als dem „obersten Willensorgan für die Regelung der inneren Vermögensangelegenheiten“ 219 einverständlich ihr eigenes Vermögen schmälern lässt, so stellt die Kapitalentnahme eben keine Untreue gegenüber der Gesellschaft dar 220. Erst recht muss dies gelten, wenn die Hauptversammlung ein eigenes Entscheidungsrecht hat (vgl. hierzu den Katalog des § 119 I AktG; zudem 209
Nelles, Untreue, 1991, S. 551 ff.; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn.
21 b. 210 Kaufmann, Organuntreue zum Nachteil von Kapitalgesellschaften, 1999, S.149 ff.; Wellkamp, NStZ 2001, S. 113 (116 ff.). 211 Gleiches soll sich für die faktisch konzernierte AG aus § 311 AktG ergeben, der als lex specialis die Verbotsnormen der §§ 57 ff. verdränge, vgl. Wellkamp, NStZ 2001, S. 113 (117 f.). 212 Kaufmann, Organuntreue zum Nachteil von Kapitalgesellschaften, 1999, S. 150. 213 Kaufmann, Organuntreue zum Nachteil von Kapitalgesellschaften, 1999, S. 150 f. 214 Wellkamp, NStZ 2001, S. 113 (119); Kaufmann, Organuntreue zum Nachteil von Kapitalgesellschaften, 1999, S. 151. 215 Wellkamp, NStZ 2001, S. 113 (119); Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), HWSt, Abschnitt 2 (Untreue), Rn. 210. 216 Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), HWSt, Abschnitt 2 (Untreue), Rn.210; Wellkamp, NStZ 2001, S. 113 (119). 217 Vgl. oben Teil 1, C.II.2.b) bb) (2) (e). 218 Ebenso zur Einverständnisproblematik bei der Untreue in Vereinen Eisele, GA 2001, S. 377 (392): „Ihre (scil: der Mitglieder) Willensbildung ist […] als diejenige der juristischen Person anzusehen“. Vgl. auch Nelles, Untreue, 1991, S. 551. 219 RGZ 169, 65 (80 f.). 220 Prägnant Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 21.
C. Weitere untreuerechtliche Besonderheiten bei Vergütungsentscheidungen
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§§ 111 IV 3, 4, 174 I AktG), insbesondere wenn sie bei Maßnahmen mit herausragender Bedeutung auf Verlangen des Vorstands mit bindender (§ 83 II AktG) bzw. haftungsausschließender (§ 93 IV 1 AktG) Wirkung gem. § 119 II AktG über Fragen der Geschäftsführung entscheidet 221. Wenn der Bundesgerichtshof in einer Grundlagenentscheidung feststellt, dass das von § 119 II AktG vorausgesetzte Ermessen des Vorstands bei der Einholung der Zustimmung der Hauptversammlung in eine Pflicht des Vorstands zur Vorlage an die Hauptversammlung umschlägt, wenn der Vorstand „vernünftigerweise nicht annehmen kann, er dürfe […] (scil. die Entscheidung) in ausschließlich eigener Verantwortung treffen, ohne die Hauptversammlung zu beteiligen“ 222, so lässt sich daraus ableiten, dass dem Grunde nach allein der Wille der Anteilseigner in ihrer Gesamtheit über grundlegende Maßnahmen und damit auch über etwaige Kapitalentnahmen bestimmt 223. Konsequenterweise muss den Anteilseignern, die damit materiell wirksam die Vermögensinteressen der AG definieren können, die Dispositionsbefugnis über das Vermögen der AG zugesprochen werden – Beschlüsse der Hauptversammlung sind damit grundsätzlich geeignet, entsprechende Handlungen des Vorstands zu entlasten. b) Übertragbarkeit auf die Vorstandsvergütungskompetenz des Aufsichtsrats Fraglich ist, ob die obigen Grundsätze auch im Rahmen der Vorstandsvergütungsentscheidung des Aufsichtsrats gelten. Gegen eine Dispositionsbefugnis der Anteilseigner bei Vorstandsvergütungsentscheidungen könnte in erster Linie die gesetzliche Kompetenzverteilung sprechen. Wie ausgeführt, fällt die Vergütungsentscheidung in die ausschließliche Kompetenz des Aufsichtsrats, § 84 I 1, 5 AktG. Eine Zuständigkeit der Hauptversammlung sieht das Gesetz allein für die Bestimmung der konkreten Ausgestaltung von Aktienoptionsplänen gem. § 192 II Nr. 3 AktG oder § 71 I Nr. 8 AktG vor, vgl. § 193 II AktG. Führt der Aufsichtsrat einen von der Hauptversammlung bewilligten Aktienoptionsplan durch, so wird wegen der legitimierenden Wirkung des Hauptversammlungsbeschlusses eine Strafbarkeit gem. § 266 StGB insofern nicht in Betracht kommen 224. Im Hinblick auf die übrigen Vergütungsbestandteile ist die Systematik des Aktiengesetzes hinzuzuziehen. Dass Vergütungsentscheidungen grundsätzlich Aufgabe der Hauptversammlung sein können, zeigt § 113 I 2 AktG, der die Aufsichtsratsvergütung in die Hände der Hauptversammlung legt. Insofern ist zu fragen, ob einer Dispositionsbefugnis der Anteilseigner bei Vorstandsvergütungsentscheidungen wegen fehlender Vergleichbarkeit 221 Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), HWSt, Abschnitt 2 (Untreue), Rn.211; Wellkamp, NStZ 2001, S. 113 (118 f.). 222 BGHZ 83, 122 (131) – „Holzmüller“. 223 Vgl. auch Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), HWSt, Abschnitt 2 (Untreue), Rn.211; a. A. Wellkamp, NStZ 2001, S. 113 (118 f.), der auf die Vermögensbindung in der AG verweist. 224 Allgemein Dreher, in: RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 203 (226 f.). Zur gesellschaftsrechtlichen Beurteilung vgl. oben Teil 1, C.III.2.d).
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
der Sachverhalte wesentliche Bedenken entgegenstehen. Dem ist nicht so. Die Kompetenz des Aufsichtsrats zur Entscheidung über die Vorstandsvergütung wird bei der Zubilligung einer Dispositionsbefugnis der Anteilseigner nicht angetastet. Die Frage ist allein, inwiefern die vom Aufsichtsrat bereits getroffene Entscheidung über einen Beschluss der Hauptversammlung legitimiert werden kann. Wenn die Anteilseigner dem Grunde nach vom Gesetz für fähig befunden werden, über Vergütung im Allgemeinen zu bestimmen (§ 113 I 2 AktG), so spricht nichts dagegen, einer entsprechenden Zustimmung bei Vorstandsvergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats legitimierende Wirkung zuzusprechen. Die Anteilseigner sind, wie gesehen, die wirtschaftlichen Eigentümer der AG. Erklären sie sich mit überhöhten Vorstandsvergütungen und damit gegebenenfalls mit einer zusätzlichen Verwässerung ihrer Anteilsrechte (§ 192 II Nr. 3 AktG) im Vorhinein einverstanden, so muss dies den diesen übergeordneten Willen ausführenden Aufsichtsrat entlasten können. Zu beachten ist zudem, dass Gegenstand der Diskussion um eine wirksame Zustimmung der Aktionäre in der Literatur bisher primär Kapitalentnahmen zugunsten der Aktionäre waren (Einlagenrückgewähr gem. § 57 AktG; vgl. die parallele Problematik der verdeckten Gewinnausschüttung bei der GmbH) 225. Bei der Vergütungsentscheidung des Aufsichtsrats ist § 57 AktG in keiner Weise berührt 226 – hier geht es allein um die Frage, ob vom Aufsichtsrat gebilligte, gem. § 87 AktG überhöhte Zuwendungen aus dem Gesellschaftsvermögen an den Vorstand über eine Zustimmung der Aktionäre legitimiert sein können. Ein über § 62 AktG geschütztes Eigeninteresse der AG gewinnt hier nur mittelbar an Bedeutung. Wie jüngst auch Ransiek in seiner Besprechung des Mannesmann-Urteils des Bundesgerichtshofs zutreffend ausführt, ist jedenfalls dann, wenn Gläubigerinteressen nicht tangiert sind und eine oben näher ausgeführte unzulässige Einlagenrückgewähr nicht im Raume steht, letztlich kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, warum den Anteilseignern ein die Vorstandsvergütungsentscheidung des Aufsichtsrats legitimierendes „letztes Wort“ nach § 58 III 2 AktG verwehrt sein sollte 227. Nach der hier vertretenen Auffassung sind somit die Aktionäre als wirtschaftliche Eigner bzw. die Hauptversammlung als oberstes Willensbildungsorgan der Gesellschaft zur Verteilung von Gesellschaftsvermögen bei Vorstandsvergütungsentscheidungen dispositionsbefugt. In diesem Sinne hat jüngst mit knapper Begründung (was die Selbstverständlichkeit dieser Dispositionsbefugnis in der Rechtswertung der Senatsmitglieder impliziert) auch der Bundesgerichtshof in seinem Revisionsurteil zum Fall Mannesmann entschieden. Danach soll ein strafrechtlich bedeutsames Einverständnis mit einer kompensationslosen Anerkennungsprämie dann vorliegen, wenn dieses „entweder von dem Alleinaktionär oder von der Gesamtheit der Aktionäre durch einen Beschluss der Hauptversammlung über die Verwendung des Bilanzgewinns (§§ 58 III 1, 174 I 1 AktG […]) erteilt worden ist, nicht gegen Rechtsvorschriften verstößt oder aus sonsKaufmann, Organuntreue zum Nachteil von Kapitalgesellschaften, 1999, S. 149. So aber Hoffmann-Becking, NZG 2006, S. 127 (131) mit dem Argument, dass nach § 57 AktG das gesamte Vermögen der AG gegen Entnahmen auch zugunsten Dritter gesichert sei. 227 Ransiek, NJW 2006, S. 814 (815). 225 226
C. Weitere untreuerechtliche Besonderheiten bei Vergütungsentscheidungen
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tigen Gründen ausnahmsweise als unwirksam zu bewerten ist […]“ 228. Hierzu ist zweierlei zu sagen: zum einen ist nach der hier vertretenen Ansicht über den vom Bundesgerichtshof explizit eröffneten Anwendungsbereich hinaus auch die formlose Zustimmung der Gesamtheit aller Aktionäre als tatbestandsausschließend zu bewerten. Die Anknüpfung der Wirksamkeit des Einverständnisses an einen legitmierenden Hauptversammlungsbeschluss durch den Bundesgerichtshof soll wohl primär der Unmöglichkeit Rechnung tragen, ohne formelle Erfordernisse einen Nachweis für die Zustimmung wirklich aller Anteilseigner erbringen zu können. So deutet der Bundesgerichtshof die Möglichkeit eines formlosen Einverständnisses selbst kurz an, wenn er anmerkt, dass im Fall Mannesmann ein Einverständnis deshalb nicht vorliegt, „weil es an der erforderlichen Zustimmung aller Anteilseigner der Mannesmann AG oder der diese repräsentierende Hauptversammlung fehlt“ 229. Diese Bewertung folgt bereits aus dem oben ausgeführten tragenden Gedanken des wirtschaftlichen Eigentums der Aktionäre am Gesellschaftsvermögen, welches auch der formlosen Zustimmung jedenfalls dann tatbestandsausschließende Wirkung zukommen lässt, wenn sie von sämtlichen Anteilseignern erklärt wird. In systematischer Hinsicht streitet für diese Ansicht, dass der Bundesgerichtshof offensichtlich sicherstellen will, dass der Wille der Gesamtheit der Anteilseigner Berücksichtigung findet. Wenn er hierfür einen auf reinen Mehrheitsverhältnissen beruhenden Hauptversammlungsbeschluss ausreichen lässt, so muss ein Einverständnis erst recht dann möglich sein, wenn nicht nur die für einen wirksamen Hauptversammlungsbeschluss erforderliche Mehrheit, sondern in der Tat die Gesamtheit der Anteilseigner zustimmt. Zum anderen ist die Anknüpfung des Bundesgerichtshofs an die Verwendung des Bilanzgewinns einer kritischen Beobachtung zu unterstellen, die hier nur kurz angedeutet werden soll. So erscheint es bereits fraglich, ob es sich bei der Auszahlung nachträglich zugesagter Gratifikationen tatsächlich, wie der Senat meint, um die Verwendung von Bilanzgewinn handelt. Hier liegt der Schluss zumindest nicht ganz fern, dass der Bundesgerichtshof mit dem Verweis auf die Vorschriften über die Verwendung des Bilanzgewinns eine nähere Auseinandersetzung mit § 57 AktG vermeiden wollte 230. 2. Anforderungen an ein wirksames Einverständnis – Umfang der Zustimmung Allerdings ist, wie oben bereits angedeutet wurde, für eine wirksame Entlastung des Vorstands durch tatbestandsausschließendes Einverständnis der Anteilseigner die formlose Zustimmung der Gesamtheit der Anteilseigner oder aber ein förmlicher Beschluss der Hauptversammlung entsprechend §§ 192 II Nr. 3, 71 I Nr. 8 zu for228 229 230
BGH NJW 2006, S. 522 (525). BGH NJW 2006, S. 522 (525) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216 f.). Vgl. hierzu Hoffmann-Becking, NZG 2006, S. 127 (131).
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
dern 231. Eine außerhalb der Hauptversammlung erklärte Zustimmung des Mehrheitsaktionärs ist hierfür nicht ausreichend, auch wenn dieser – wie der Übernehmer Vodafone AirTouch im Fall Mannesmann – mit über 98 % die überwiegende Mehrheit der Anteile hält. Schädigungen der Aktiengesellschaft sind nur dann als tatbestandslos im Sinne des § 266 StGB zu qualifizieren, wenn der Wille sämtlicher Aktionäre durch diese selbst oder durch einen Beschluss der sie repräsentierenden Hauptversammlung Berücksichtigung findet. Eine andere Bewertung würde der Bedeutung des vom Bundesgerichtshof betonten Unternehmensinteresses im Rahmen von Vergütungsentscheidungen, welches nach der vorliegend vertretenen Ansicht in § 87 I AktG seine gesetzliche Ausprägung findet, nicht gerecht. Dieses kann als jeglichem Organhandeln übergeordneter Grundsatz, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, nur dann wirksam eingeschränkt werden, wenn eine entsprechende Legitimation aller betroffenen Anteilseigner vorliegt. Insbesondere können die Mehrheitsverhältnisse, die für das sog. „Squeeze-Out“-Verfahren gelten, hier nicht, auch nicht entsprechend, angewendet werden 232. Denn anders als im „Squeeze-Out“-Verfahren wird bei nachträglichen Vorstandsvergütungsentscheidungen in Millionenhöhe nicht nur das Vermögen einzelner Minderheitsaktionäre, sondern das Vermögen jedes einzelnen wirtschaftlichen Eigentümers, mithin das Gesellschaftsvermögen insgesamt, geschmälert. Hier die Aktionäre zunächst vor vollendete Fakten zu stellen und lediglich eine Berücksichtigung post festum in Form von Barabfindungen vornehmen zu wollen, wie sie § 327 a AktG für das „Squeeze-Out“ vorsieht, stellt vor diesem Hintergrund eine Umgehung der Rechte der Gesamtheit der Anteilseigner dar, welchen wegen der Verwässerung ihrer Anteile ein originäres Mitspracherecht zuzugestehen ist. Für die Mehrheitsanforderungen gilt dabei, dass die im Rahmen eines Hauptversammlungsbeschlusses geltenden Mehrheitsverhältnisse im Falle eines formlosen Einverständnisses ohne legitimierenden Hauptversammlungsbeschluss nicht maßgeblich sind. Eine andere Bewertung verkennt die gesetzliche Bedeutung der Hauptversammlung. Nicht die Anteilseigner als solche, sondern die diese repräsentierende Hauptversammlung sind vom Gesetzgeber als drittes Gesellschaftsorgan neben Vorstand und Aufsichtsrat vorgesehen, was der Hauptversammlung im Verhältnis zu der Gesamtheit der einzelnen Aktionäre eine gesetzliche Vorrangstellung verleiht. Fehlt ein Beschluss der die Gesamtheit der Anteilseigner repräsentierenden Hauptversammlung, so kann dieses Fehlen einer repräsentativen Legitimation, welche besonderen gesetzlichen Formerfordernissen zu folgen hat, nicht dadurch umgangen werden, dass an ihre Stelle eine formlose Bejahung einer Mehrheit der Aktionäre tritt. Diese strenge Sicht gilt insbesondere, weil ein Hauptversammlungsbeschluss bei der Vorstandsvergütung (abgesehen von §§ 192 II Nr. 3, 71 I Nr. 8 AktG) eben geEbenso inzwischen BGH NJW 2006, S. 522 (525) = BGH NStZ 2006, S. 214 (216 f.). So aber wohl Ransiek, NJW 2006, S.814 (815), der aus §327 a AktG, welcher einen Ausschluss der Minderheitsaktionäre gegen Barabfindung (sog. „Squeeze-Out“) auf Verlangen des Mehrheitsaktionärs, dem 95 % oder mehr der Anteile gehören, vorsieht, folgert, dass die Sichtweise des Bundesgerichtshofs zu eng sei. 231 232
C. Weitere untreuerechtliche Besonderheiten bei Vergütungsentscheidungen
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setzlich nicht vorgesehen ist – rechtstechnisch ist für die Vorstandsvergütungsentscheidung ausschließlich der Aufsichtsrat zuständig. Zwar ist eine Dispositionsbefugnis der Anteilseigner mit Blick auf deren wirtschaftliche Eigentümerstellung klar zu bejahen – diese hat wegen der eindeutigen aktienrechtlichen Kompetenzverteilung bei Fehlen eines Hauptversammlungsbeschlusses dann aber auch eigenen, im Grundsatz engeren Regeln zu folgen. Der Aufsichtsrat kann sich demgemäß nicht auf ein Einverständnis stützen, das ohne förmlichen Beschluss der Hauptversammlung nur nach den Mehrheitsanforderungen eines Hauptversammlungsbeschlusses zustande gekommen ist. Schädigungen der Aktiengesellschaft sind nur dann als tatbestandslos im Sinne des § 266 StGB zu qualifizieren, wenn der Wille sämtlicher Aktionäre, sei es durch diese selbst oder durch einen Beschluss der sie repräsentierenden Hauptversammlung, Berücksichtigung findet. Eine formlose Zustimmung, die (lediglich) auf der Mehrheit der Anteilseigner beruht, kann indes, wie jüngst auch der Bundesgerichtshof bestätigt hat 233, auf Strafzumessungsebene beachtlich sein („Fast-Tatbestandsausschluss“ 234) 235. Insofern kommt eine Minderung des für § 266 II StGB wichtigen quantitativen Ausmaßes des unterstellten Unrechts in Höhe der Aktienanteile der Zustimmenden in Betracht236.
II. Vermögensnachteil und Kompensation Ebenso wie Erpressung und Betrug ist die Untreue Vermögensstraftat. Anders als vom Wortlaut der Vorschrift zunächst indiziert – § 266 I StGB spricht von der Betreuung von Vermögensinteressen – ist der Schutzzweck des §266 StGB allein in der Sicherung des Vermögens in seinem Bestand zu sehen 237. Der Vermögensnachteil bei § 266 StGB ergibt sich nach überwiegender Auffassung aus dem Bestehen eines Negativsaldo nach der (Gesamt-) Saldierung der Vermögensverschiebung(en) 238. Infolge der Pflichtverletzung muss eine objektiv-indi233 Vgl. BGH NJW 2006, S.522 (526) = BGH NStZ 2006, S.214 (216): „Das Einverständnis eines zukünftigen Alleinaktionärs […] kann […] – je nach den Umständen – als den Unrechtsgehalt erheblich mindernder Faktor die Strafzumessung beeinflussen“. 234 Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 22, spricht auf Rechtfertigungsebene von einer „Fastrechtfertigung“ (ebenso Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (321)). Da aber die Zustimmung in die Pflichtwidrigkeit, wie gesehen, als tatbestandsausschließendes Einverständnis bereits auf Tatbestandsebene relevant wird, wird die Unrechtsminderung hier als „Fast-Tatbestandsausschluss“ bezeichnet. 235 Zustimmungswürdig insofern Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (321). 236 Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (321). 237 Kindhäuser, in: FS Lampe, 2003, S. 709 (722); Matt, NJW 2005, S. 389. Zum – im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht weiter problematischen – umstrittenen Vermögensbegriff vgl. Cramer, Vermögensbegriff, 1968, S. 33 ff.; Schönke/Schröder/Cramer/Perron, StGB, § 263 Rn. 78 ff.; Lackner/Kühl, StGB, § 263 Rn. 33. 238 Lackner/Kühl, StGB, § 266 Rn. 17; Kohlmann, JA 1980, S. 228 (233); Schönke/Schröder/ Lenckner/Perron, StGB, §266 Rn.40; Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, §266 Rn. 138; Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), HWSt, Abschnitt 2 (Untreue), Rn. 172.
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
viduelle Minderung des betroffenen Vermögens eingetreten sein, die nicht durch gleichzeitig zufließende Vermögensvorteile ausgeglichen worden ist, bei pflichtgemäßem Verhalten aller Wahrscheinlichkeit nach aber ausgeglichen worden wäre 239. Unter dem Gesichtspunkt der konkreten schadensgleichen Vermögensgefährdung 240 kann im Einzelfall bereits die gravierend überhöhte Vergütungszusage als wirtschaftlich unausgewogener Vertrag zu Lasten der AG einen Nachteil i. S. d. § 266 StGB darstellen 241. Erforderlich ist hierfür, dass bereits die vertragliche Vereinbarung zu einer konkreten wirtschaftlichen Minderbewertung bzw. Verschlechterung der gegenwärtigen Vermögensverhältnisse der AG führt 242, dass also die tatsächliche Schädigung ernstlich zu befürchten und in (unmittelbare) Nähe gerückt ist243. Parallel zum Schadensbegriff des § 263 StGB, der nach herrschender Auffassung mit dem Begriff des Nachteils i. S. d. § 266 StGB identisch ist 244, muss insofern für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die konkrete Prognose möglich sein, der Vertragspartner werde nicht in der Lage sein, seine Rechte bestimmungsgerecht wahrzunehmen 245. Dies wird, der überwiegenden Ansicht zu § 263 StGB entsprechend 246, bei Vergütungsentscheidungen dann der Fall sein, wenn die Gesellschaft bzw. der hierfür zuständige Aufsichtsrat die Auszahlung des Betrages nicht mehr verhindern kann. Da auch unangemessen hohe Vertragsleistungen Vergütungsansprüche im vereinbarten Umfang begründen (eine Nichtigkeit des Anstellungsvertrages kann nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 138 BGB angenommen werden) 247, ist davon 239 Zu diesem sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang vgl. Kindhäuser, in: FS Lampe, 2003, S. 709 (724); Labsch, Jura 1987, S. 343 (416). 240 Vgl. hierzu ausführlich Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 45; Cramer, Vermögensbegriff, 1968, S. 172 ff.; Labsch, Jura 1987, S. 343 (416). 241 Dass bereits die Belastung mit einer (unausgewogenen) Verbindlichkeit das Vermögen schadensgleich gefährden kann, gibt bereits der Wortlaut des §266 I, 1. Variante a.E. vor: „oder einen anderen zu verpflichten“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). Schwierig ist allerdings die Eingrenzung der schadensgleichen Vermögensgefährdung gegenüber dem bei § 266 StGB straflosen Versuch, vgl. Matt, NJW 2005, S. 389 (390). 242 Allgemein hierzu BGHSt 40, 287 (296); Lackner/Kühl, StGB, § 266 Rn. 17; § 263 Rn. 40; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 45; Otto, in: Großkommentar zum AktG, Vor § 399 Rn. 51. 243 Lackner/Kühl, StGB, § 263 Rn. 40; Matt, NJW 2005, S. 389 (390). 244 Vgl. nur BGHSt 15, 342 (343 f.); 43, 293 (297 f.); Cramer, Vermögensbegriff, 1968, S. 115 ff.; Labsch, Jura 1987, S. 343 (415); Lackner/Kühl, StGB, § 266 Rn. 17; Weber, BayVBl. 1989, S. 166 (168); Kohlmann, JA 1980, S. 228 (232); Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 39; Thomas, in: FS Riess, 2002, S. 795 (795 f.). 245 Schönke/Schröder/Cramer/Perron, StGB, § 263 Rn. 131. 246 Eine schadensgleiche Vermögensgefährdung durch wirtschaftlich unausgewogene Verträge wird bei § 263 StGB insbesondere angenommen bei Unanfechtbarkeit des Vertrags oder Unzumutbarkeit der Aufsichnahme des Prozessrisikos durch den Geschädigten, vgl. Cramer, Vermögensbegriff, 1968, S. 175 ff.; Schönke/Schröder/Cramer/Perron, StGB, § 263 Rn. 131. 247 Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, § 87 Rn. 25; Hüffer, AktG, § 87 Rn. 5; Mertens, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2, § 87 Rn. 3. Vgl. hierzu bereits oben Teil 1, B.
C. Weitere untreuerechtliche Besonderheiten bei Vergütungsentscheidungen
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auszugehen, dass die schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung bei überhöhten Vergütungsentscheidungen, deren Vollzug nicht ausgesetzt wird, bereits mit dem Abschluss des unausgewogenen Vertrags eintritt. Eine Restriktion ist in diesem Fall, obgleich rechtstheoretisch wünschenswert 248, kaum möglich, da Instrumente des Aufsichtsrats, die Auszahlung des geschuldeten Betrags nach vorbehaltloser Beschlussfassung zu verhindern, praktisch nicht verfügbar sind. Allerdings hat eine solche schadensgleiche Vermögensgefährdung keine unmittelbaren Auswirkungen auf das bei der Tat möglicherweise verwirklichte Regelbeispiel des § 263 III Nr. 2 StGB, welches über § 266 II StGB auch für die Untreue gilt, das einen „Vermögensverlust großen Ausmaßes“ fordert. Im Gegensatz zum Schaden bzw. Nachteil bei §§ 263, 266 StGB ist ein „Verlust“ des Vermögens nach zutreffender Ansicht des Bundesgerichtshofs nur bei tatsächlicher, endgültiger Leistungserbringung des Geschädigten (der AG) anzunehmen 249. Die Schadensbetrachtung erfolgt – inhaltlich parallel zum Vermögensschaden bei § 263 StGB – dabei wirtschaftlich-autonom, und nicht, wie die Bestimmung der Pflichtwidrigkeit, akzessorisch zum Aktienrecht 250, was Ausdruck der eingangs festgestellten limitierten Zivilrechtsakzessorietät ist. Anders als in der Praxis inzwischen verbreitet 251 ist hierbei strikt an der grundsätzlichen Trennung von Pflichtwidrigkeit und Vermögensnachteil festzuhalten. Beides sind nach überwiegender Auffassung zwei selbstständige Tatbestandserfordernisse, weshalb grundsätzlich das eine nicht aus dem anderen geschlossen werden kann252. Für eine Verquickung beider Tatbestandsmerkmale spricht auch nicht, dass § 266 StGB in Einzelfällen ein eigenes Schädigungsverbot zu entnehmen und aus diesem Grund von der Vermögensschädigung auf die Pflichtwidrigkeit rückgeschlossen werden kann 253. Dieses Prinzip erlangt nämlich, wie Tiedemann 254 zutreffend ausführt, nur dann Geltung, wenn entweder allgemeine rechtliche Standards fehlen, oder, bei handgreiflichen Tatbeständen wie Diebstahl, Unterschlagung oder Sachbeschädigung, die jeweiligen Sachgegenstände nicht von der Vermögensbetreuungspflicht des Täters umfasst 248 Vgl. hierzu Weber, in: FS Dreher, 1977, S.555 (559); Günther, in: FS Weber, 2004, S.311 (313); Matt, NJW 2005, S. 389 (390). 249 BGH NJW 2003, S. 3718 (3719). 250 Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (327); Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 39; Otto, in: Großkommentar zum AktG, Vor § 399 Rn. 44; Weber, in: Arzt/ Weber, Strafrecht Besonderer Teil, § 22 Rn. 75; § 20 Rn. 91. 251 So Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (327); zu diesem Vorgehen auch Rönnau/ Hohn, NStZ 2004, S. 113 (121). 252 Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (327); ähnlich Thomas, in: FS Riess, 2002, S. 795 (808); Matt, NJW 2005, S. 389 (390); Saliger, ZStW 112 (2000), S. 563 (610 f.). 253 Vgl. hierzu Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 36: „Unter dem Gesichtspunkt dieses Schädigungsverbots ist ein Treubruch […] darin zu sehen, dass der Täter die ihm übertragenen Aufgaben zum Nachteil des zu Betreuenden ausführt.“ 254 Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (327).
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
sind, weil sie z. B. einer Filiale gehören, für die der Täter nicht zuständig ist 255. Folglich entfällt grundsätzlich die Möglichkeit, die Pflichtwidrigkeit, wenn sie sich nicht aus den strafrechtlich verwertbaren Aussagen des Aktienrechts herleiten lässt, praktisch durch die Hintertür aus einer wirtschaftlichen Schädigung der AG zu folgern 256. Umgekehrt kann zwar eine etwaige Kompensation als zentraler Gesichtspunkt bei der Bestimmung des Vermögensschadens bereits bei der Frage der Pflichtverletzung beachtlich sein, da § 87 I AktG als Prüfungsschwerpunkt den vergütungsrechtlichen Grundsatz postuliert, dass eine Pflichtverletzung nur bei gestörtem Verhältnis von Leistung und Gegenleistung vorliegen kann. Dies bedeutet konkret, dass die Existenz einer etwaigen Kompensation im Einzelfall bereits die (aktienrechtliche) Pflichtwidrigkeit entfallen lassen kann 257. Nach dem Prinzip der Saldierung ist das Bestehen eines Vermögensnachteils und damit der Pflichtwidrigkeit nämlich abzulehnen, wenn das (Gesamt-) „Verhalten zugleich einen den Verlust aufwiegenden Vermögenszuwachs begründet“ 258. Die bei Vergütungsentscheidungen als Kompensation in Betracht kommende Aktienkurssteigerung wurde allerdings bereits im Rahmen des § 87 I AktG, mithin im aktienrechtlichen Teil der Prüfung, verwertet, indem sie als originärer Faktor der Angemessenheit qualifiziert wurde. Diese Betrachtung hat konsequenterweise zur Folge, dass die Aktienkurssteigerung nicht – gewissermassen zweifach – auch noch im Rahmen des Vermögensschadens beachtlich sein kann. Vielmehr kommt schon eine aktienrechtliche Pflichtverletzung, die nach dem Grundsatz der positiven Zivilrechtsakzessorietät zwingende Grundvoraussetzung der Strafbarkeit nach § 266 StGB ist, nach dem Telos des § 87 I AktG nur dann in Betracht, wenn die Zusagen wirtschaftlich ohne Äquivalent erfolgten. Diese Äquivalente, also unter anderem auch die Aktienkurssteigerung, sind daher bereits im Rahmen der aktienrechtlichen Betrachtung beachtlich. Ist die (aktienrechtliche) Pflichtverletzung nach den dargestellten Grundsätzen gravierend, so liegt ein Vermögensnachteil bei Vergütungsentscheidungen konsequenterweise dann vor, wenn sich aus der Gesamtsaldierung wirtschaftlich ein Negativsaldo für die Gesellschaft ergibt. Eine auf dem strafrechtlichen Prinzip der Gesamtsaldierung beruhende Kompensation einer mit der Vergütungszusage einhergehenden Vermögensminderung durch den Börsenkurs kommt zumindest bei nachträglichen Vergü255 Vgl. Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 94; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rn. 36. 256 Anders wohl Schünemann, NStZ 2005, S. 473 (474), der aus der vorsätzlichen Schädigung auf die Pflichtwidrigkeit rückschließen will. In zivilrechtlicher Hinsicht trifft dies schon deshalb nicht zu, weil die aktienrechtliche Pflichtverletzung, wie gesehen, erheblich („gravierend“) sein muss; da, wie Schünemann zutreffend meint, die Erheblichkeit aber zumindest nicht ausschließlich von der Höhe des Schadens abhängen kann (S. 475), ist die Pflichtverletzung als eigenständiges Merkmal separat zu prüfen. 257 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (121); Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (330). 258 Tiedemann, in: FS Weber, 2004, S. 319 (330); Otto, in: Großkommentar zum AktG, Vor § 399 Rn. 50; Kohlmann, JA 1980, S. 228 (232).
C. Weitere untreuerechtliche Besonderheiten bei Vergütungsentscheidungen
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tungszusagen an ausscheidende Vorstandsmitglieder schon deshalb nicht in Betracht, weil es, wie Rönnau/Hohn richtig ausführen, für den Ausschluss eines Vermögensnachteils i. S. d. § 266 StGB eben nicht ausreicht, „dass neben der Vermögensminderung überhaupt ein Vermögenszufluss stattgefunden hat“ 259. Zusätzlich ist stets ein „innerer Zusammenhang“ zwischen beiden zu fordern260. Ein solcher innerer Zusammenhang ist aber bei Vergütungsentscheidungen nur dann anzunehmen, wenn der Vermögenszufluss, also die Aktienkurssteigerung, unmittelbar auf die Vergütungsentscheidung des Aufsichtsrats zurückzuführen ist261. Der Nachweis, dass die Aktienkurssteigerung tatsächlich kausales Resultat der Vergütungsentscheidung war, ist bei nachträglichen Vergütungszusagen an ausscheidende Vorstandsmitglieder aber schon deshalb nicht möglich, weil die Kurssteigerung als vom Begünstigten erbrachte Leistung der Vergütungsentscheidung zeitlich vorausging. Die Aktienkurssteigerung ist damit nach der hier vertretenen Ansicht als Teil der Angemessenheitsprüfung bereits im Rahmen der aktienrechtlichen Zulässigkeit bzw. höhenmäßigen Angemessenheit der Vergütungszusagen – und nur dort – relevant 262; im Rahmen der strafrechtlichen Gesamtsaldierung hat sie keinen (zusätzlichen) Raum.
III. Der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit Gesteigerte Beachtung hat im Schrifttum seit der Entscheidung des LG Düsseldorf im Fall Mannesmann auch die Frage gefunden, welche Folgen die Unkenntnis des Täters von Regelungseffekten bei akzessorischen Bezugnahmen haben kann. Das LG Düsseldorf, das sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 266 StGB als erfüllt ansieht, verweist mit dem Hinweis auf die Vorstellung der Angeklagten, ihr Handeln sei erlaubt, auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum gem. § 17 S. 1 StGB 263. Das Gericht führt hierzu aus, dass „trotz Kenntnis aller die Pflichtwidrigkeit begründenden Tatsachen […] die Unkenntnis der Strafbarkeit sowie des gefassten Präsidiumsbeschlusses auf einer fehlerhaften aktienrechtlichen Gesamtbetrachtung“ beruhte264. Der Bundesgerichtshof hat inzwischen in seinem Revisionsurteil zum Fall Mannesmann nach den vom Landgericht erstinstanzlich getroffenen Feststellungen zwar eine Unvermeidbarkeit des Irrtums verneint 265, indes gleichzeitig auf die insofern lü259 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (122); ähnlich Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 138; Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rn. 73. 260 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113 (122); Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rn. 73; allgemein Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 138. 261 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S.113 (122); allgemein Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 138; Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rn. 73. 262 Ebenso Wollburg, ZIP 2004, S. 646 ( 647 f.; 656). 263 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2055), NJW 2004, S. 3275 (3285). 264 LG Düsseldorf, ZIP 2004, S. 2044 (2055), NJW 2004, S. 3275 (3285). 265 Vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (529): „Unter den gegebenen Umständen hätten die Angeklagten Dr. Ackermann und Zwickel bei Anlegung der an die Unvermeidbarkeit eines Verbots-
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Teil 2: Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern
ckenhafte Beweiswürdigung durch das Landgericht verwiesen, was bereits indiziert, dass der Schwerpunkt der endgültigen Entscheidung im Fall Mannesmann durch eine andere Kammer des Landgerichts Düsseldorf auf den tatsächlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite liegt 266. Unabhängig von der hier nicht zu entscheidenden Frage, inwiefern ein Irrtum im Fall Mannesmann tatsächlich vorlag, inwiefern er vorsatz- oder nur unrechtsausschließend wirkte bzw. inwiefern ein festgestellter Verbotsirrtum vermeidbar gewesen wäre 267, ist als maßgeblich für die rechtliche Bewertung dieser Irrtumsproblematik die im Einzelnen äußerst umstrittene Abgrenzung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum anzusehen, zu der der Bundesgerichtshof im Fall Mannesmann jüngst angemerkt hat, dass eine sachgerechte rechtliche Beurteilung „sich nicht durch schlichte Anwendung einfacher Formeln ohne Rückgriff auf wertende Kriterien und differenzierende Betrachtungen“ 268 erreichen lasse. Hierzu ist folgendes anzumerken: Irrt der Täter wegen Unkenntnis von den außerstrafrechtlichen Tatbestand (hier: § 87 I AktG) konstituierenden Tatsachen über den tatsächlichen Verstoß gegen eine § 266 StGB ausfüllende Rechtsnorm, so ist wegen fehlender Tatsachenkenntnis, die bei akzessorischen Bezugnahmen auch den nach Laienart zu beurteilenden zivilrechtlichten Regelungstatbestand umfasst, ein Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB gegeben, der den Vorsatz entfallen lässt. Ist sich also der überhöhte Vorstandsvergütungen bewilligende Aufsichtsrat über tatsächliche Umstände nicht bewusst, die den Verstoß gegen die Verbotsnorm erst begründen, so fehlt ihm die Kenntnis wesentlicher Tatumstände i. S. d. § 16 I StGB. Fraglich ist indes, welche Folgen es hat, wenn der Täter sich im Bewusstsein der die Pflichtwidrigkeit begründenden Tatsachen allein über die rechtliche Bewertung seines Handelns als pflichtwidrig, über die Pflichtwidrigkeit als Wertung also, geirrt hat. Ordnet man die Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 266 StGB mit Jakobs 269 im Hinblick irrtums zu stellenden Anforderungen nach ihren Fähigkeiten und Kenntnissen einen eventuell gegebenen Irrtum vermeiden können“. 266 Vgl. BGH NJW 2006, S. 522 (531) = BGH NStZ 2006, S. 214 (217): „Stellt sich der Sachverhalt dem neuen Tatrichter zur objektiven Tatseite in seinen wesentlichen Elementen ebenso dar, wie er im angefochtenen Urteil festgestellt ist, wird die Strafbarkeit der Angeklagten maßgeblich von den Feststellungen zur subjektiven Tatseite abhängen“. 267 Hierzu jüngst BGH NJW 2006, S. 522 (531) = BGH NStZ 2006, S. 214 (217); vgl. auch Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 67 f.; Jakobs, NStZ 2005, S. 276 (277 f.); Ransiek, NJW 2006, S. 814 (816). Im Ergebnis spricht wohl vieles dafür, die Fehlvorstellung der Angeklagten dann als bloßen Verbotsirrtum einzuordnen, sofern sie, wie der Bundesgerichtshof andeutet, tatsächlich gewusst haben, dass den Prämien eine adäquante Gegenleistung nicht gegenüberstand, dass sie also das Vermögen der Mannesmann AG in der Tat „verschwendeten“, vgl. auch Hohn, wistra 2006, S. 161 (164). Diese – vom neuen Tatrichter vorzunehmende – Feststellung, dass die Angeklagten die Intension des Tatbestandsmerkmals „Pflichtwidrigkeit“ tatsächlich zutreffend erfasst haben, erscheint nach der hier vertretenen Auffassung indes schon deshalb fragwürdig, weil die Angeklagten wohl meinten, den Begünstigten stehe wegen in der Vergangenheit erbrachter besonderer und damit äquivalenter Leistungen eine Gratifikation gerade zu. 268 BGH NJW 2006, S. 522 (531) = BGH NStZ 2006, S. 214 (217). 269 Jakobs, NStZ 2005, S. 276 (277).
C. Weitere untreuerechtliche Besonderheiten bei Vergütungsentscheidungen
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auf den Vorsatzgegenstand als sog. normatives Tatbestandsmerkmal ein 270, so ist wegen der Komplexität des normativen Tatbestandsmerkmals „Pflichtwidrigkeit“ zu fordern, dass der Täter dieses Merkmal zwar nicht rechtlich richtig beurteilen, es aber zumindest in seiner sozialen Sinnbedeutung kennen, sein Handeln also zumindest laienhaft als pflichtwidrig bewerten muss 271. Bei normativen Tatbestandsmerkmalen sind damit nicht nur die dem Rechtsverhältnis zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände, sondern ist auch die (zumindest laienhafte) Bewertung Teil des Vorsatzgegenstands. Dies hat zur Folge, dass insbesondere bei akzessorischen Bezugnahmen auf das Zivilrecht der Vorsatz nicht nur den zivilrechtlichen Regelungstatbestand, sondern eben auch den zur richtigen Bewertung gehörenden Regelungseffekt der zivilrechtlichen Norm umfassen muss, weshalb, wie Jakobs zutreffend ausführt, „nur derjenige die Tatbestandsverwirklichung (scil. kennt), der den Effekt kennt“ 272. Weil bei akzessorischen Bezugnahmen wegen dieser Interdependenz von Tatsache und Bewertung Vorsatz und Unrechtseinsicht mitunter nicht mehr eindeutig zu trennen sind, gilt dies nach Jakobs „auch dann, wenn der Regelungseffekt der Bestand von Unrecht ist“ 273. Macht sich also der Täter keine Gedanken über die Pflichtwidrigkeit seines Handelns (als Wertung), weil er sie schlicht nicht gekannt hat, so befindet er sich wegen fehlenden Bewusststeins über den sozialen Sinngehalt des Merkmals „Pflichtwidrigkeit“ im Tatbestandsirrtum gem. § 16 I StGB, welcher den Vorsatz entfallen lässt 274. Nichts anderes kann im Ergebnis gelten, wenn man mit Schünemann die Pflichtwidrigkeit als sog. gesamttatbewertendes 275 Tatbestandsmerkmal qualifiziert. Schünemann schlägt hier ausgehend von der vornehmlich zum Merkmal „verwerflich“ bei § 240 StGB entwickelten Lehre von den gesamttatbewertenden Merkmalen 276 vor, auch bei der Pflichtwidrigkeit gem. § 266 StGB zwischen den zugrunde liegenden Tatsachen bzw. tatsächlichen Umständen, die Teil des Vorsatzgegenstandes sein Vgl. oben B.I.1.b) bb)(1). Allgemeine Ansicht, vgl. nur BGHSt 3, 248 (255); 4, 347 (352); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 29 II 3; Lackner/Kühl, § 15 Rn. 16; Tröndle/Fischer, StGB, § 16 Rn. 11a; Ransiek, NJW 2006, S. 814 (816). 272 Jakobs, NStZ 2005, S. 276 (277); a. A. Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rn. 77, wonach es für die Bejahung des Vorsatzes ausreichen soll, dass der Täter die der Pflichtwidrigkeit zu Grunde liegenden Tatsachen kennt. 273 Jakobs, NStZ 2005, S.276 (277 f.). Jakobs verdeutlicht diese Interdependenz von Vorsatz und Unrechtseinsicht am Beispiel des Merkmals „fremd“ bei §242 BGB: wer wisse, dass eine Sache fremd sei, wisse damit auch, dass er sie weder sich zueignen noch zerstören dürfe, vgl. Jakobs, NStZ 2005, S. 276 (277). 274 Jakobs, NStZ 2005, S.276 (278). Ähnlich Ransiek, NJW 2006, S.814 (816) mit dem Hinweis auf den in solchen Fällen regelmäßig fehlenden „Schädigungsvorsatz“. 275 So Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 66. Anders Jakobs, NStZ 2004, S. 276 (277); Hohn, wistra 2006, S. 161 (164). 276 Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, 1970, S. 132 ff.; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15 Rn. 22; Lackner/Kühl, StGB, § 15 Rn. 16; BGHSt 2, 194 (211). 270 271
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sollen, und der rechtlichen Bewertung dieser Tatsachen, die allein der Unrechtskenntnis zuzuordnen seien, zu differenzieren. Folge dieser Ansicht wäre zunächst, dass der Vorsatz des Täters nur die der Pflichtwidrigkeit zugrunde liegenden Tatsachen umfassen muss, dass also das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit als solches nur Gegenstand der Unrechtskenntnis ist und bei schlichtem Fehlen allein einen Verbotsirrtum gem. § 17 StGB begründen kann 277. Indes weist auch Schünemann darauf hin, dass eine konkrete Differenzierung zwischen Tatsache und Bewertung im Einzelfall kaum möglich ist 278. So hat der Bundesgerichtshof bezüglich der Frage, wie der Vorsatz bei § 266 StGB ausgestaltet sein muss, entschieden, dass dem Täter bei der Vorstellung, sein Handeln bewege sich noch im Rahmen des Unternehmenszwecks und sei damit mit seinen Pflichten als Geschäftsführer vereinbar, das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit fehle 279. Der Bundesgerichtshof stellt insofern den Interpretationsirrtum dem Tatsachenirrtum gleich: Obwohl der Täter im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall in voller Kenntnis der GmbH-Satzung und damit in voller Kenntnis seiner Pflichten handelte, fehlte ihm „auf der Metaebene“280, in Relation also zur Pflichtwidrigkeit i. S. d. § 266 StGB, das Bewusstsein der Qualität seines Handelns als Pflichtverstoß, mithin gem. § 16 I StGB der Vorsatz 281. Konsequenterweise muss diese Zugehörigkeit der Bewertung (Interpretation) der außerstrafrechtlichen Pflichten des Täters zur Tatsachenkenntnis beim normativen Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit nach § 266 StGB dazu führen, dass, sollte der Täter wegen Unkenntnis des gesetzlichen Merkmals der Pflichtwidrigkeit sein Handeln fälschlich für nicht pflichtwidrig im Sinne des Aktiengesetzes gehalten haben, d. h. gutgläubig in Bezug auf die Bewertung seines Handelns als pflichtgemäß gewesen sein, gemäß § 16 I StGB bereits der Vorsatz entfallen muss 282. Das überhöhte Vorstandsvergütungen bewilligende Aufsichtsratsmitglied, welches meint, die Vergütungszusage bewege sich noch im Rahmen des, wie ausgeführt, auch §87 I AktG konstituierenden Unternehmensinteresses, handelt damit unvorsätzlich i. S.d § 16 I StGB. Dass mit diesem Ergebnis wegen der fehlenden Sanktionierung fahr277 Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 66 f.; ders., in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 153. 278 Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 153. 279 BGH wistra 1986, S. 25: „Zum gesetzlichen Tatbestand der Untreue gehört ein pflichtwidriges Handeln; demgemäß muss sich der – zumindest bedingte – Vorsatz des Täters auf die Pflichtwidrigkeit erstrecken [...]. Hatte der Angeklagte [...] die – unzutreffende – Vorstellung, sein Handeln sei der Erreichung des Unternehmenszwecks dienlich und deshalb mit seinen Pflichten als Geschäftsführer vereinbar, so fehlte ihm das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit [...]. Damit lag entgegen der Auffassung der Revision nicht etwa nur ein – vermeidbarer – Verbotsirrtum vor, sondern ein Irrtum über Tatumstände, der den Vorsatz ausschloss (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB).“ 280 Vgl. hierzu Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 266 Rn. 153. 281 BGH wistra 1986, S. 25. 282 Jakobs, NStZ 2005, S. 276 (277 f.); Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 69; jüngst auch Ransiek, NJW 2006, S. 814 (816).
C. Weitere untreuerechtliche Besonderheiten bei Vergütungsentscheidungen
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lässiger Untreue auch der „aktienrechtlich Rechtsblinde 283 zumindest in Bezug auf § 266 StGB straffrei ausgeht, weil es insoweit auf eine Vermeidbarkeit des kognitiven Defizits nicht ankommt, mag ein Ärgernis darstellen, ist aber folgerichtige Konsequenz der Einordnung der Pflichtwidrigkeit als „bewertendes“ (normatives) Tatbestandsmerkmal.
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So prägnant Schünemann, Organuntreue, 2004, S. 68 f.
Zusammenfassende Darstellung der gefundenen Ergebnisse Im Folgenden sollen die gefundenen Ergebnisse in Thesenform abschließend zusammengefasst werden. A. Das Verhältnis der Untreue zum Gesellschaftsrecht: Der Untreuetatbestand ist limitiert akzessorisch. I. Im Rahmen der Organuntreue ist der Verstoß gegen gesellschaftsrechtliche Vorgaben zwingende Grundvoraussetzung für das Vorliegen einer untreuespezifischen Pflichtverletzung und damit für eine Strafbarkeit nach § 266 StGB (sog. positive Zivilrechtsakzessorietät). Die gesellschaftsrechtliche Wertung ist damit der strafrechtlichen Wertung übergeordnet und von dieser zu respektieren. II. Der gesellschaftsrechtliche Verstoß ist zwar zwingende, jedoch nicht notwendig hinreichende Voraussetzung der Strafbarkeit gem. § 266 StGB (sog. negative Zivilrechtsakzessorietät). Wegen der unterschiedlichen Zielrichtung im Verhältnis zum Zivilrecht und der einschneidenden, grundrechtsrelevanten Folgen staatlichen Eingreifens („ultima ratio“-Charakter des Strafrechts) hat das Strafrecht im Grundsatz engere Maßstäbe anzulegen als das Gesellschaftsrecht. B. Die gesellschaftsrechtliche Dimension der Vorstandsvergütung: Struktur und Höhe der Vergütung sind maßgeblich von der Wahl der einzelnen Vergütungsbestandteile abhängig. Die Vergütungsentscheidung des Aufsichtsrats muss angemessen i. S. d. § 87 I AktG sein. Ein Verstoß gegen das Angemessenheitserfordnernis kann eine aktienrechtliche Pflichtverletzung i. S. d. §§ 93, 116 S. 1 AktG aber nur dann auslösen, wenn die zugrunde liegende Entscheidung eindeutig unvertretbar ist. I. Die Entscheidung des gem. § 84 I 5 AktG allein zuständigen Aufsichtsrats über Höhe und Zusammensetzung der Vorstandsvergütung ist eine unternehmerische Ermessensentscheidung, mit der der Aufsichtsrat das Schicksal des Unternehmens mitbestimmt. Struktur und Höhe der Vergütung richten sich dabei maßgeblich nach der Wahl der einzelnen Vergütungsbestandteile. Im Mittelpunkt moderner Vergütungspraxis stehen mehr und mehr variable Vergütungsbestandteile, die maßgeblich durch Erfolgsabhängigkeit und Anreizwirkung gekennzeichnet sind. II. Die Vergütungszusage muss angemessen im Sinne des § 87 I AktG sein. 1. Dem Unternehmensinteresse, welches als Handlungsmaxime unternehmerische Ermessensentscheidungen maßgeblich beeinflusst, kommt bei Vergütungsentscheidungen über die Beachtung des Bestands- und Rentabilitätsinteresses hinaus
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keine gesonderte Bedeutung zu. Zwar ergibt sich ein Interesse des Unternehmens an nachträglichen, vergangenheitsbezogenen Zusagen bzw. Zahlungen (sog. Appreciation Awards) nicht bereits aus der Entgeltlichkeit des Anstellungsvertrags, § 612 I BGB. Die Frage nach dem Bestehen eines Zahlungsanlasses ist aber allein im Rahmen des § 87 I AktG von Bedeutung, der eine gesetzliche Konkretisierung des Unternehmensinteresses bei Vorstandsvergütungen darstellt. 2. Entscheidender Faktor für die Bestimmung der Angemessenheit ist neben den konkretisierungsbedürftigen gesetzlichen Merkmalen des § 87 I AktG (Aufgaben des Vorstandsmitglieds; Lage der Gesellschaft) der Marktpreis. Vornehmlich bei leistungsabhängigen modernen Vergütungsinstrumenten können auch erfolgsbezogene und funktionale Parameter in die Betrachtung Eingang finden. Tauglicher Maßstab für eine Erfolgsmessung ist der Aktienkurs, der zumindest bei entsprechenden, im Ermessen des Aufsichtsrats liegenden (benchmark-) Vorkehrungen den Wert des Unternehmens wiederspiegelt und der bei einer deutlichen, kausal auf ein Handeln des Begünstigten zurückzuführenden Steigerung erhöhte Vorstandsvergütungen durchaus zu rechtfertigen vermag. Auch die Anreizwirkung moderner Vergütungsinstrumente kann Kriterium im Rahmen des § 87 I AktG sein. Grundlage einer jeden Angemessenheitsprüfung ist dabei die notwendige Einzelfallbezogenheit des § 87 I AktG; die Beurteilung hat stets und ausschließlich im konkreten Fall zu erfolgen. 3. § 87 I AktG gebietet eine Überprüfung von Vorstandsvergütungsentscheidungen sowohl im Hinblick auf das Bestehen eines Zahlungsanlasses wie auch im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung. Eine rein prospektive Ausrichtung lässt sich der Norm nicht entnehmen. Nachträgliche leistungsbelohnende Vergütungszusagen sind damit dem Grunde nach durchaus mit § 87 I AktG vereinbar. Maßgeblich ist dem Schutzzweck der Vorschrift gemäß das Vorliegen einer anstellungsvertraglich nicht bereits abgegoltenen (Gegen-) Leistung des Begünstigten. Anreiz- und damit Rechtfertigungswirkung im Rahmen des § 87 I AktG können auch Zahlungen an bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder entfalten; diese sind allerdings zeitlich zu beschränken. a. Die Prüfung des § 87 I AktG umfasst grundsätzlich das „Ob“ und das „Wie“ der Vergütungszusage. Der Aufsichtsrat hat damit sowohl das Bestehen eines Zahlungsanlasses zu eruieren als auch für die angemessene Ausgestaltung, insbesondere die angemessene Höhe der konkreten Zusage Sorge zu tragen. Hieraus ergibt sich ein zweistufiger Prüfungsaufbau bei § 87 I AktG, der allerdings praktische Relevanz nur bei nachträglichen Vergütungszusagen, namentlich bei Appreciation Awards oder Anerkennungsprämien erlangt. In allen übrigen Fällen ist das Bestehen eines Zahlungsanlasses wegen der Entgeltlichkeit der Vorstandstätigkeit eine „keine weitere Ausführungen erfordernde Selbstverständlichkeit“. b. Auch von § 87 I AktG umfasst sind nachträgliche leistungsbelohnende Vergütungsbestandteile wie namentlich Anerkennungsprämien bzw. Appreciation Awards. Die Vorschrift ist entgegen ihrem Wortlaut („Aufgaben“) nicht rein pro-
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spektiv ausgerichtet. Vielmehr ergibt sich sowohl aus der Systematik wie auch aus dem Telos der Norm, dass vergangenheitsbezogene, nachträglich vereinbarte Zusagen ein legitimes Mittel der Vergütungsentscheidung darstellen. Der in § 87 I AktG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit macht das Vorliegen einer der Zusage äquivalenten (Gegen-)Leistung des Begünstigten zum Prüfungsmaßstab. Diese (Gegen-)Leistung kann, solange sie durch die bereits im Anstellungsvertrag vereinbarten Zahlungen nicht abgegolten und damit tatsächlich anrechenbar ist, sowohl zukunfts- wie auch vergangenheitsbezogen sein. Erforderlich ist dabei stets eine überobligatorische, von den Vereinbarungen des Anstellungsvertrags nicht bereits abgedeckte besondere Leistung. Anders als bei zukunftsgerichteten Vergütungsinstrumenten sind solche post festum vereinbarten Zahlungen zudem genau auf das Bestehen eines Zahlungsanlasses hin zu untersuchen. Dieser wird regelmäßig in einem besonderen Verdienst des Begünstigten um den Unternehmenserfolg und damit einer außergewöhnlichen Aktienkurssteigerung liegen. c. Eine Vergütungszusage ist nicht wesentlich an ein Verbleiben des Begünstigten im Unternehmen gebunden. Der jeder Vergütungsentscheidung zugrunde zu legende Nutzen für die Gesellschaft kann bei schwerpunktmäßig leistungsbelohnenden Zusagen in ihrer Anreizfunktion gesehen werden, die ihre Wirksamkeit zwar nicht mehr gegenüber dem Begünstigten, jedoch gegenüber den potentiellen Nachfolgern um den freigewordenen Vorstandsposten entfaltet. Allerdings hat eine leistungsbelohnende Zusage an ausscheidende oder bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder dort ihre Grenze, wo ein zeitlicher Zusammenhang mit der honorierten Leistung nicht mehr feststellbar ist. Um besagten Zusammenhang zu gewährleisten, ist für den Regelfall der Vergütungszusage – unter Zulassung begründungsbedürftiger berechtiger Ausnahmen (beispielsweise bei begründeter Verhinderung einzelner Ausschussmitglieder) – zu fordern, dass die Bewilligung der Gratifikation in der dem Ausscheiden des Begünstigten nachfolgenden Ausschusssitzung erfolgt. III. Eine haftungsrechtlich relevante Pflichtverletzung des Aufsichtsrats i. S. d. §§ 93 I, II, 116 S. 1 AktG ist nur dann anzunehmen, wenn der Aufsichtsrat die weiten Grenzen seines Entscheidungsermessens deutlich überschritten hat. Entsprechend den vom Bundesgerichtshof („ARAG/Garmenbeck“) aufgestellten Grundsätzen ist dem Aufsichtsrat bei der Entscheidung über Struktur und Höhe der Vorstandsvergütung ein weiter Ermessensspielraum zuzugestehen. Ermessensfehler, die ihm bei der Entscheidung unterlaufen sind, stellen nur dann eine Pflichtverletzung im oben beschriebenen Sinne dar, wenn sie wirtschaftlich evident unvertretbar sind. Die Feststellung einer solchen Pflichtverletzung wird bei strittigen Entscheidungen, wie sie insbesondere die nachträgliche leistungsbelohnende Zusage typischerweise darstellt, in aller Regel nur dann in Betracht kommen, wenn ein überwiegender Konsens der befassten Experten über die Unvertretbarkeit besteht. C. Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Festsetzung überhöhter Vorstandsvergütungen: Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind vermögensbetreuungspflichtig i. S. d. § 266 StGB. Der für § 266 StGB relevante Pflichten-
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kreis wird dabei von den materiellen Pflichten des Aktienrechts bestimmt. Die einfache Verletzung dieser Pflichten kann eine untreuespezifische Pflichtverletzung indes nicht begründen. Die (gesellschaftsrechtliche) Pflichtverletzung muss vielmehr gravierend sein. Dieses Erfordernis findet seine Begründung in der Übertragung des aktienrechtlichen Haftungsmaßstabs der §§ 93 I, II, 116 S. 1 AktG im Sinne eines Erst-Recht-Schlusses auf das Strafrecht. Die für die Erheblichkeit maßgeblichen Kriterien ergeben sich demgemäß ausschließlich nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen. Eine im Verhältnis zum Gesellschaftsrecht zusätzliche strafrechtliche Höhenmarke ist wegen des Widerspruchs zu den strukturellen Realitäten des Strafrechts nicht zu befürworten. I. Die Mitglieder des Aufsichtsrats trifft bei Vergütungsentscheidungen eine Vermögensbetreuungspflicht nach § 266 StGB. Inhalt und Umfang dieser Pflicht wird nach dem Grundsatz der positiven Zivilrechtsakzessorietät vom Aktienrecht vorgegeben. Allein maßgeblich ist dabei die materiell-rechtliche Pflicht des § 87 AktG; ein darüber hinaus gehendes Unternehmensinteresse hat im Einklang mit den obigen Ausführungen keine praktische Relevanz. Formelle Pflichten, insbesondere Verfahrens- und Transparenzvorschriften, können wegen fehlenden unmittelbaren Vermögensschutzes eine untreuespezifische Pflichtverletzung nicht begründen. II. Die vom 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs geforderte „gravierende Pflichtverletzung“ ist kongruent mit der aktienrechtlichen Pflichtverletzung i. S. d. §§ 93 I, II, 116 S. 1 AktG. Eine über die Haftungsgrenzen des Gesellschaftsrechts hinausgehende, zusätzliche strafrechtliche Höhenmarke findet zwar dogmatischen Anklang in dem den „ultima ratio“-Charakter des Strafrechts zum Ausgangspunkt nehmenden Grundsatz der negativen („limitierten“) Zivilrechtsakzessorietät. Sie ist jedoch mit den strukturellen Realitäten des Strafrechts nicht zu vereinbaren, das eine solche Erheblichkeit konkretisierende Kriterien schlichtweg nicht aufzustellen vermag. Konsequenterweise ist bei Vorliegen einer gesellschaftsrechtlichen Pflichtverletzung, die, wie ausgeführt, ihrerseits erheblich sein muss, auch vom Vorliegen einer untreuespezifischen Pflichtverletzung auszugehen. Eine aktienrechtlich evident unangemessene, sachlich unvertretbare Vergütungsentscheidung ist damit als untreuespezifische Pflichtverletzung i. S. d. § 266 StGB zu qualifizieren.
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Sachwortverzeichnis Abfindungen 39, 60, 62 ff., 150 ff. Aktienoptionen 23, 41, 51 ff., 75 ff., 135 ff., 143 ff., 147 f. Aktienkurs 107 ff., 168 f. Aktionärsinteresse 91 ff., 112 ff., 174, 228 Anerkennungsprämien (siehe Appreciation Awards) Angemessenheit – Begriff 99 ff. – Einzelne Vergütungsbestandteile 142 ff. – Kriterien 102 ff., 121 ff. Anreizwirkung 40 f., 124 ff., 143 f., 149, 155 f., 167, 170 ff. Anstellungsvertrag 80 ff. Appreciation Awards 64 ff., 99, 152 ff. Aufsichtsrat – Ausschüsse 82 ff. – Personalkompetenz 80 ff., 87 ff. – Präsidium 85 Benchmarking 108 f., 144, 148 Bestandserhaltungsinteresse 91, 94 f., 198 Bidding-War-Theorie 71, 74 f. Business Judgment Rule 86, 181 ff. Caps 119 ff., 144 f. Change-of-control-Klauseln 68 f. Corporate-Governance-Kodex 41 ff., 56 f., 82, 92, 109 f., 118 f., 124, 145, 146, 161, 167, 194 D & O-Versicherung 67 f. Einheit der Rechtsordnung 31 ff., 100 Einverständnis 226 ff. Golden Parachute Payments 64, 151 f. Gravierende Pflichtverletzung – Begriff 36, 187, 195, 201 ff., 203 f. – Grenzen 210 ff.
– Kriterien 213 ff., 218 ff. – Telos 204 ff. – Umfang 223 f. Hedging 146 f. Indexierung 144 f., 148 Irrtum über die Pflichtwidrigkeit 226, 237 ff. Managerial Power-Hypothese 71, 75 ff., 80 Mannesmann – Erstinstanzliches Urteil des LG Düsseldorf 154 f., 174 ff., 201, 237 – Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs 91 f., 155 f., 163 ff., 201, 224 f., 230 f., 237 f. – Sachverhalt 23, 152, 153 f. Perceived-cost-Hypothese 71, 78 ff. Phantom Stocks 56 Principal-Agent-Theorie 43 ff., 71, 124 ff., 128, 167 Rentabilitätsinteresse 91, 95 ff., 198 Repricing 145 f. Risikogeschäft 215 ff. Shareholder Value 46 f., 52, 55, 100, 128 Stock Appreciation Rights 56 Stock Options (siehe Aktienoptionen) Superstar-Hypothese 71 ff. Tantiemen 49 ff., 148 f., 166 f., 177 Ultima ratio-Prinzip 31 ff., 100, 205, 210 Unternehmensinteresse 90 ff., 112 ff., 157 ff., 163, 218 f. Unternehmerische Ermessensentscheidung 86 ff., 178 ff., 185 f., 206, 211 f., 217 f.
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Sachwortverzeichnis
US-Vergütung 37, 133 ff. Vermögensbetreuungspflicht 187 ff. Vermögensnachteil 233 ff. Vorstandsabsicherung 66 ff. Vorstandsvergütung – Entscheidungskompetenz 82 – Erklärungsansätze für die Vergütungshöhe in der Praxis 71 ff.
– Offenlegung 23 – Theoretische Grundlagen 43 ff. – Vergütungselemente 39 ff., 142 ff. Vorstandsversorgung 60 ff. Windfall Profits 108 f., 144, 148 Zivilrechtsakzessorietät 25, 31 ff., 100, 199 f., 217