Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK [1 ed.] 9783428549658, 9783428149650

Die Unparteilichkeit des Richters ist ein wesentliches Merkmal des Rechtsstaats. Sie ist in der Gesellschaft mit der Vor

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German Pages 274 Year 2016

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Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK [1 ed.]
 9783428549658, 9783428149650

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Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Band 66

Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Von Karolina Kierzkowski

Duncker & Humblot · Berlin

KAROLINA KIERZKOWSKI

Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von C l a u s K r e ß, M i c h a e l Ku bi c i e l C o r n e l iu s Ne s t l e r, F r a n k Ne u b a c h e r Jü r g e n S e i e r, M a r t i n Wa ßm e r, T h o m a s We i g e n d Professoren an der Universität zu Köln

Band 66

Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Von Karolina Kierzkowski

Duncker & Humblot · Berlin

Die Hohe Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Wintersemester 2015/2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbH, Birkach Printed in Germany

ISSN 0936-2711 ISBN 978-3-428-14965-0 (Print) ISBN 978-3-428-54965-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-84965-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2015/2016 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Die ausgewertete Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand von April 2015. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Thomas Weigend, möchte ich für die Betreuung der Arbeit danken. Mein Dank gilt ebenfalls Herrn Professor Dr. Cornelius Nestler für die Erstellung des Zweitgutachtens. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe „Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften“. Der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung gebührt mein Dank für den gewährten Druckkostenzuschuss. Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Ulrich Preis gilt mein Dank für die stets vertrauensvolle und motivierende Zusammenarbeit im Rahmen meiner fortdauernden Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Großen Examens- und Klausurenkurses der Universität zu Köln. Danken möchte ich darüber hinaus meinen (auch ehemaligen) Kollegen des Großen Examens- und Klausurenkurses für die freundschaftliche und dabei professionelle Zusammenarbeit und die stete Bereitschaft zur fachlichen Diskussion. Für die hilfreichen Anmerkungen zur Überarbeitung des Manuskripts bedanke ich mich bei Thomas Herkens und Dr. Philipp Goy. Dr. Robert Kessler danke ich darüber hinaus von ganzem Herzen für die anspornende Unterstützung beim Abschluss des Promotionsvorhabens. Mein Dank gilt vor allem auch meiner Familie und meinen Freunden, die mir während der Arbeit stets Rückhalt gegeben haben. Köln, im März 2016

Karolina Kierzkowski

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. „Justice must not only be done: it must also be seen to be done“ . . . . . . . . . . . . . 17 II. Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Das (Selbst-)Bild des Richters und seine Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit in der deutschen Rechtsordnung und der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz . . . . . . . . . . . 27 II. Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit in der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . 61 D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung und der EMRK sowie deren Ausgestaltung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung . . . . . . . . 63 II. Das Recht auf den unparteilichen Richter, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . 106 III. Die Vereinbarkeit der Anforderungen an die Unparteilichkeit nach dem nationalen Recht und der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 E. Die Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters mit den Anforderungen an seine Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Das Problem der Vorbefassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung nach nationalem Recht und ihre Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 F. Zusammenfassung der Ergebnisse und Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. „Justice must not only be done: it must also be seen to be done“ . . . . . . . . . . . . 17 II. Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Das (Selbst-)Bild des Richters und seine Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit in der deutschen Rechtsordnung und der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz . . . . . . . . . . 27 1. Der Richtervorbehalt des Art. 92 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 a) Der Begriff des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Keine Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Richterbegriff 31 2. Die Unabhängigkeit des Richters, Art. 97 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Die Dimensionen der Unabhängigkeit des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 aa) Sachliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 (1) Vereinbarkeit der sachlichen Unabhängigkeit mit dem Ziel einer einheitlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 (a) Bei der Entscheidungsfindung eingreifende Maßnahmen . . . . . 36 (b) Nach der Urteilsfindung wirkende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . 37 (c) Vereinbarkeit von Unabhängigkeit des Richters und Einheitlichkeit der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (2) Vereinbarkeit der sachlichen Unabhängigkeit mit der Dienstaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 (a) Die Dienstaufsicht im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 (b) Die Beurteilung und Beförderung im Besonderen . . . . . . . . . . 40 (c) Vereinbarkeit von Unabhängigkeit des Richters und Dienstaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 bb) Persönliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 cc) Innere Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (1) Problematik und Forderung der inneren Unabhängigkeit . . . . . . . . 44 (2) Verankerung der inneren Unabhängigkeit in Art. 97 GG . . . . . . . . 45

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Inhaltsverzeichnis b) Art. 97 GG als Voraussetzung der Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Der gesetzliche Richter, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Vorausbestimmung der Zuständigkeit als einhelliger Regelungsgehalt . . . . 49 b) Kontroverse hinsichtlich der Materialisierung des gesetzlichen Richters 51 aa) Der gesetzliche Richter als „gesetzlich zuständiger“ Richter . . . . . . . . 51 bb) Der gesetzliche Richter als der „in jeder Hinsicht den Anforderungen des Grundgesetzes entsprechend(e)“ Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 cc) Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 c) Ablehnung des materiellen Gehalts sowie der verfassungsrechtlichen Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG . . . 56 4. Das rechtliche Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 5. Das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere der Fair-trial-Grundsatz . . . . . . . . . . . . 59 6. Zwischenergebnis: Richterliche Unparteilichkeit als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausprägung als Fair-trial-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit in der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . 61

D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung und der EMRK sowie deren Ausgestaltung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung . . . . . . . 63 1. Der Ausschluss des Richters gemäß §§ 22, 23, 148a Abs. 2 S. 1 StPO . . . . . . 63 a) Die Ausschlussgründe des § 22 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 aa) Die Verletzung des Richters durch die Straftat, § 22 Nr. 1 StPO . . . . . 65 (1) Unmittelbare Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (2) Hypothetische Verletzteneigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Das Näheverhältnis des Richters zum Beschuldigten oder durch die Straftat Verletzten, § 22 Nr. 2, 3 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 cc) Die nichtrichterliche Vorbefassung mit der Sache, § 22 Nr. 4, 5 StPO 68 b) Die Ausschlussgründe des § 23 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 aa) Aktuelle Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 bb) Ehemals weitere Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 c) Der Ausschlussgrund des § 148a Abs. 2 S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 d) Anerkennung vielgestaltiger Parteilichkeitsgefahren in den Ausschlussgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Die Ablehnung des Richters gemäß § 24 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Die Ablehnung des Richters bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes . . . . . 79 b) Die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit . . . . . . . . 79 aa) Das Verhältnis der Ablehnungsgründe zu den Ausschlussgründen . . . . 79 (1) Graduelle Abstufungen zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

Inhaltsverzeichnis

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(2) Grundlegende Unterscheidung zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (4) Ergänzungsverhältnis zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 bb) Die Anforderungen an die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 24 Abs. 1, 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (1) Die Bedeutung des Befangenheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (a) Beschränkung der Befangenheit auf die Parteilichkeit? . . . . . . 85 (b) Eingrenzung einer Ausweitung des Befangenheitsbegriffs anhand der Kriterien der „inneren Haltung“ sowie der „Fallbezogenheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (c) Die Unsachlichkeit der inneren Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . 92 (d) Die Bevorzugung bzw. Benachteiligung der Prozessbeteiligten

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(e) Einschränkung der Befangenheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (f) Definition des Befangenheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (2) Anforderungen an die Besorgnis der Befangenheit . . . . . . . . . . . . . 98 (a) Streng objektiver Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (b) Primär subjektiver Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (c) Gemischt subjektiv-objektiver Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (d) Beschränkung auf den Fall des sogenannten „vernünftigen Angeklagten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Die Selbstanzeige des Richters, § 30 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4. Anforderungen an die Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 II. Das Recht auf den unparteilichen Richter, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . 106 1. Die Relevanz der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR für das deutsche Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Die Anwendbarkeit der EMRK im Bereich des deutschen Strafverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Der Rang und die Anwendbarkeit der EMRK in der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Der Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK im Bereich des Strafverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 cc) Unmittelbare Anwendbarkeit auf das nationale Strafverfahren . . . . . . 111 b) Die Maßgeblichkeit der Rechtsprechung des EGMR für das deutsche Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 aa) Die Bindungswirkung von Entscheidungen gegen die Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Die Geltung von Entscheidungen gegen andere Vertragsstaaten . . . . . 116 c) Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR im nationalen Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Die Regelung der Unparteilichkeit in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . 117

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Inhaltsverzeichnis 3. Die Unparteilichkeit in der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Subjektiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Objektiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 c) Der unparteiliche Richter der EMRK nach dem EGMR . . . . . . . . . . . . . . . 122 III. Die Vereinbarkeit der Anforderungen an die Unparteilichkeit nach dem nationalen Recht und der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Vergleichbarkeit der Anforderungen der StPO mit denjenigen der EMRK . . . 123 2. Vereinbarkeit des Ausschluss- und Ablehnungsrechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

E. Die Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters mit den Anforderungen an seine Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Das Problem der Vorbefassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Die psychologische Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Einbeziehung der Wahrnehmungspsychologie: Notwendigkeit von „VorUrteilen“ im Sinne vorangegangener Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Die Phänomene der Wahrnehmungslenkung und -selektion . . . . . . . . . . . . 133 aa) Primacy-effect und Ankereffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Selektions- und Redundanzprinzip sowie Perseveranzphänomen . . . . . 136 cc) Halo-Effekt und Anwendung von sogenannten Alltagstheorien . . . . . . 137 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Das Richter(selbst)bild als Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung nach nationalem Recht und ihre Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Vorbefassung rechtlicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Einschätzung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Einschätzung durch den EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK 143 2. Vorbefassung tatsächlicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Nichtrichterliche Vorbefassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 aa) Einschätzung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 bb) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

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(1) Piersack ./. Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (2) Wettstein ./. Schweiz, Puolitaival und Pirttiaho ./. Finnland, Mezˇnaric´ ./. Kroatien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 cc) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in den Fällen nichtrichterlicher Vorbefassung . . . . 148

Inhaltsverzeichnis

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b) Richterliche Vorbefassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Vorbefassung in einer anderen Instanz oder einem anderen Verfahren 150 (1) Wiederbefassung nach Zurückverweisung, § 354 Abs. 2 StPO . . . 150 (a) Einschätzung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (b) Vergleichbare Fälle in der Rechtsprechung des EGMR . . . . . . 155 (aa) Ringeisen ./. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (bb) Diennet ./. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (cc) Vaillant ./. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (dd) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in Fällen der Wiederbefassung des Richters nach Zurückverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (2) Vorbefassung durch Mitwirkung im Verfahren einer anderen Verfahrensart, insbesondere im vorangegangenen Zivilverfahren . . . . 159 (a) Einschätzung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (b) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (aa) Fatullayev ./. Azerbaidschan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (bb) Bedeutung der Entscheidung des EGMR für die Einschätzung am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . 162 (3) Vorbefassung durch Mitwirkung in einem vorangegangenen Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (a) Einschätzung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (b) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (aa) Ferrantelli und Santangelo ./. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (bb) Rojas Morales ./. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (cc) Schwarzenberger ./. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (dd) Lindon, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich . . . 168 (ee) Poppe ./. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (ff) Miminoshvili ./. Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (gg) Rudnichenko ./. Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (hh) Khodorkovskiy und Lebedev ./. Russland . . . . . . . . . . . . . . 173 (ii) Auswertung der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (c) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in Fällen der Vorbefassung des Richters durch Mitwirkung in einem anderen Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

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Inhaltsverzeichnis bb) Vorbefassung innerhalb unterschiedlicher Verfahrensabschnitte einer Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (1) Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . 177 (a) Einschätzung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (aa) Handlungen im Ermittlungsverfahren außerhalb der Anordnung von Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (bb) Maßnahmen im Zusammenhang mit der Anordnung der Untersuchungshaft oder anderer Zwangsmaßnahmen . . . . 180 (b) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (aa) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) De Cubber ./. Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Hauschildt ./. Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Sainte-Marie ./. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 d) Fey ./. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 e) Padovani ./. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 f) Nortier ./. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 g) Saraiva de Carvalho ./. Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 h) Bulut ./. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 i) Tierce und andere ./. San Marino . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 j) Perote Pellon ./. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 k) Cianetti ./. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Jasin´ski ./. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m) Mathony ./. Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . n) Nesˇˇták ./. Slowakei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191 192 193 193

o) Ekeberg und andere ./. Norwegen . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 p) Savas¸ ./. Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 q) Mironenko und Martenko ./. Ukraine . . . . . . . . . . . . . . 195 r) Adamkiewicz ./. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 s) Gultyayeva ./. Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 t) Chesne ./. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 u) Cardona Serrat ./. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 v) Alony Kate ./. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 w) Ionut¸-Laurent¸iu Tudor ./. Rumänien . . . . . . . . . . . . . . . 197 x) Dragojevic´ ./. Kroatien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (bb) Auswertung der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Grundsatz: Hauschildt-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . 198 b) Anwendung des Grundsatzes im Einzelfall . . . . . . . . . 200 (c) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in Fällen der Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Inhaltsverzeichnis

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(2) Vorbefassung im Klageerzwingungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (a) Einschätzung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (b) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (aa) Svetlana Naumenko ./. Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (bb) Driza ./. Albanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (c) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in Fällen der Vorbefassung des Richters im Klageerzwingungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (3) Vorbefassung im Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (a) Einschätzung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (aa) Die Probleme der Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Das Problem der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Das Problem der Aktenkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (bb) Diskutierte Lösungsansätze außerhalb des geltenden Ausschluss- und Ablehnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Reformvorschläge hinsichtlich des Zwischenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 b) Reformvorschläge im Hinblick auf das Hauptverfahren 220 c) Vorschlag einer Reform des Zwischen- und Eröffnungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (cc) Ausschluss oder Ablehnung des Eröffnungsrichters . . . . . 225 (b) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (aa) Saraiva de Carvalho ./. Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (bb) Castillo Algar ./. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (cc) Perote Pellon ./. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (dd) Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (ee) Auswertung der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (c) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in Fällen der Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 F.

Zusammenfassung der Ergebnisse und Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

A. Einleitung I. „Justice must not only be done: it must also be seen to be done“1 In einem Rechtsstaat ist die Vorstellung von Richtern2 und Rechtsprechung untrennbar mit deren Unparteilichkeit verbunden.3 Insbesondere für Strafverfahren gehört die richterliche Unparteilichkeit „zu den unverzichtbaren Strukturmerkmalen“.4 Sie ist ein „konstituierendes Merkmal eines fairen Strafprozesses“.5 Nicht umsonst findet die Unparteilichkeit des Richters ausdrückliche Erwähnung in Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Als Grundvoraussetzung für ein faires Strafverfahren dient die Unparteilichkeit des Richters zugleich dem Rechtsfrieden: Nur das Urteil eines unparteilichen Richters wird vom Bürger eines Rechtsstaats akzeptiert, auch wenn es zu seinen Lasten geht.6 Für diese Akzeptanz ist jedoch nicht nur erforderlich, dass der Richter tatsächlich unparteilich ist. Hinzukommen muss, dass der Richter auch den Eindruck der Unparteilichkeit vermittelt. Die Verfahrensbeteiligten, insbesondere der Angeklagte, aber auch die (Verfahrens-)Öffentlichkeit müssen den Eindruck haben, dass der Richter unparteilich ist.7 Nur dann ist das Vertrauen der Verfahrensbeteiligten sowie der Öffentlichkeit in den Richter gewährleistet.8 1 Die vom EGMR vielzitierte Wendung ist ein Zitat aus einer bedeutenden englichen Entscheidung im Zusammenhang mit der Unparteilichkeit von Richtern, vgl. R v Sussex Justices, Ex parte McCarthy ([1924] 1 KB 256 [1923] All ER Rep 233). 2 Soweit in dieser Arbeit Begriffe wie Richter, Staatsanwalt, Angeklagter u.s.w. verwandt werden, ist selbstverständlich immer auch die weibliche Form gemeint. Es wird lediglich zu Zwecken der Übersichtlichkeit auf die Nennung beider Formen verzichtet. Darüber hinaus beschränkt sich der Richterbegriff nicht auf Berufsrichter, sondern umfasst auch Laienrichter und Schöffen. 3 So auch Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, S. 53; Hoffmann, Verfahrensgerechtigkeit, 1992, S. 109, 136; Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 19; Ignor, ZIS 2012, 228; Kotulla, in: FS Merten, 2007, S. 199 f.; Krekeler, NJW 1981, 1633; Schünemann, StV 2000, 159; Zwiehoff, JR 2006, 415. 4 Weigend, ZStW 113 (2001), 271 (301). 5 Müller, in: Verhandlungen des sechzigsten deutschen Juristentages, Bd. II/1, 1994, M 71 IV. 6 Vgl. auch Krekeler, NJW 1981, 1633 (1634); Zwiehoff, JR 2006, 415. 7 Vgl. auch Zwiehoff, JR 2006, 415. 8 Vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 28.

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A. Einleitung

Dieser Aspekt wird sowohl im Strafverfahrensrecht als auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur richterlichen Unparteilichkeit erkannt. Wie noch im Detail aufgezeigt wird, legt die StPO Konstellationen fest, in denen die Gefahr einer richterlichen Befangenheit9 derart hoch ist, dass der Richter unabhängig von seiner tatsächlichen Befangenheit oder davon, dass ein Verfahrensbeteiligter seine Befangenheit tatsächlich besorgt, aus dem Verfahren ausscheiden soll. Dabei ist zum Schutz des Ansehens der Strafrechtspflege jeglicher „(An)Schein des Verdachts einer Parteilichkeit“ zu vermeiden.10 Diese Herangehensweise dient dem Schutz des Vertrauens der Verfahrensbeteiligten und der Öffentlichkeit in den Richter und die Rechtsprechung und unterstützt damit letztlich die befriedende Funktion der Rechtsprechung. Derselbe Grundsatz liegt den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK zugrunde und wird in einem Satz zum Ausdruck gebracht, den der EGMR vielfach zitiert: „justice must not only be done: it must also be seen to be done“.11 Zum Schutz des Vertrauens, das eine demokratische Gesellschaft und insbesondere im Fall eines Strafverfahrens ein Angeklagter in das Gericht haben muss, müsse ein Richter hinreichende Gewähr dafür bieten, dass jegliche Zweifel an seiner Unparteilichkeit ausgeschlossen sind.12 In diesem Zusammenhang liegt die größte Verantwortung bei dem Richter selbst.13 Dieser muss sich der Einflüsse auf seine Entscheidung bewusst werden und diejenigen Einflüsse, die nicht Bestandteil der Entscheidungsgrundlage sein sollen, ausblenden. In diesem ständigen Bemühen sollte der Richter jedoch durch das Gesetz entlastet werden, damit er nicht vor einer Aufgabe steht, die er nicht lösen kann. Es bereitet jedem Menschen besondere Schwierigkeiten, Eindrücke und Schlussfol9

Diese ist – wie noch erörtert wird – gleichbedeutend mit der Parteilichkeit, vgl. C. I. 2. b) bb) (1) (a). 10 RGSt 28, 53 (54); 59, 267 (268); BGHSt 9, 193 (194 f.); 14, 219 (221 f.); 28, 262 (265); 31, 358 (359); BGH NStZ 2006, 113 f.; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, Vor § 22 Rdn. 1; Cirener, in: Graf, StPO, § 22 StPO Rdn. 1; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 1; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, Vor § 22 Rdn. 3; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, Vor §§ 22 ff. Rdn. 3; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, Vor § 22 Rdn. 2; Schorn, GA 1963, 257 (258). 11 Vgl. nur EGMR, Urt. v. 17. 01. 1970, Delcourt ./. Belgien, Nr. 2689/65, Ziff. 31; Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 26; Urt. v. 09. 11. 2006, Belukha ./. Ukraine, Nr. 33949/02, Ziff. 53; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 36. 12 EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 8692/79, Ziff. 30; Urt. v. 25. 06. 1992, Thorgeir Thorgeirson ./. Island, Nr. 13778/88, Ziff. 51; Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30; Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 25; Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 118; Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 38; Urt. v. 28. 01. 2010, Stechauner ./. Österreich, Nr. 20087/06, Ziff. 53; Urt. v. 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland, Nr. 42224/ 02, Ziff. 39; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 34; vgl. auch Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdn. 213; Rzepka, Zur Fairneß im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 40. 13 Vgl. auch Schmid, in: Das Rechtswesen, 1971, S. 163; Klein, DRiZ 1975, 166 (168); Schneider, DRiZ 1978, 42 (43).

I. „Justice must not only be done: it must also be seen to be done“

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gerungen, die er bereits im Hinblick auf eine Sache gewonnen und gezogen hat, auszublenden, wenn er sich mit dieser Sache erneut befassen muss.14 In dieser Vorprägung durch frühere Eindrücke liegt eine der größten Gefahren für die richterliche Unparteilichkeit im Strafverfahren. Ziel dieser Arbeit ist es, die Vorschriften der StPO daraufhin zu untersuchen, ob sie die Unparteilichkeit des Richters im Bereich der Vorbefassung hinreichend schützen. Zudem wird das Schutzniveau von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK bezüglich der richterlichen Unparteilichkeit erörtert und analysiert, ob das nationale Strafverfahrensrecht den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK genügt. Dabei soll auch Stellung dazu bezogen werden, inwieweit unabhängig von den Vorgaben der EMRK Veränderungen der Vorschriften der StPO erforderlich sind. Was aber ist Vorbefassung? Der Begriff bezeichnet jeden bereits vor der Entscheidungssituation erfolgten Kontakt des Richters mit dem Verfahrensgegenstand oder den Verfahrensbeteiligten. Manche dieser Fälle sind in der StPO angesprochen und eindeutig gelöst. Dies gilt etwa für den Fall, dass ein Richter, der an einer erstinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt hat, nunmehr an einem Berufungsgericht tätig ist und über das Rechtsmittel gegen das Urteil entscheiden soll, das er selbst gesprochen hatte. Soll ein Angeklagter auf die Unbefangenheit dieses Richters vertrauen müssen? § 23 Abs. 1 StPO beantwortet diese Frage klar mit Nein. Es gibt jedoch zahlreiche weitere, weniger eindeutige Fälle, in denen dieselbe Problematik besteht. Soll und kann ein Angeklagter auf die Unparteilichkeit eines Richters vertrauen, von dem er weiß, dass er mit der Sache schon einmal befasst war? Dabei besteht das grundlegende Problem, dass jederzeit der Fall eintreten kann, dass sich der Richter im Strafverfahren mit Aspekten befasst, mit denen er sich zuvor schon einmal auseinandersetzen musste. Auch wenn ein Strafrichter nicht bereits aus den Medien über einen Fall erfahren hat, ist er jedenfalls als Berufsrichter daran beteiligt gewesen, das Hauptverfahren zu eröffnen, und hat möglicherweise außerdem bereits im Ermittlungsverfahren bestimmte Ermittlungsmaßnahmen angeordnet. Diese Mehrfachbefassung birgt grundsätzlich eine Gefahr für die Unparteilichkeit des Richters,15 ebenso wie für das Vertrauen des Angeklagten in diese Unparteilichkeit.16 Der Frage, wie dieser Gefahr begegnet werden kann oder muss, widmet sich diese Arbeit unter Heranziehung des nationalen Rechts sowie von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. 14 Vgl. Bierbrauer, Sozialpsychologie, 1998, S. 75 f.; Schünemann, StV 2000, 159 (160); ders., in: Verfahrensgerechtigkeit, 1995, S. 215 (217 f.); ders., in: Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, 1983, S. 1117 f.; H. W. Schünemann, DRiZ 1976, 369 (372); Wänke/Bohner, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 3, 2006, S. 404 (409); vgl. auch Oswald, in: Psychologie im Strafverfahren, 1997, S. 248 (252). 15 Schünemann, StV 2000, 159 (160); ders., in: Verfahrensgerechtigkeit, 1995, S. 215 (218, 226); vgl. auch Boy/Lautmann, in: Menschen vor Gericht, 1979, S. 41 (58 f.); Roxin, in: FS Schmidt-Leichner, 1977, S. 145 (150 f.); Krekeler, NJW 1981, 1633 (1636). 16 Vgl. nur die hypothetische Aussage des Angeklagten bei Stange/Rilinger, StV 2005, 579.

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A. Einleitung

Dabei interessiert vor allem die Frage, ob die Gefahren für die richterliche Unparteilichkeit auf völkerrechtlicher Ebene in weiterem Umfang als im nationalen Recht erkannt und berücksichtigt werden. Untersucht wird, ob sich aus der Rechtsprechung des EGMR klare Vorgaben für Anpassungen des nationalen Strafverfahrensrechts an die Anforderungen der EMRK ergeben. Hierdurch soll Reformbedarf für das nationale Strafverfahrensrecht ausfindig gemacht und gleichzeitig für die Praxis im Überblick dargestellt werden, in welchen Konstellationen ein Ablehnungsgesuch mit dem Verweis auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK verstärkt werden kann. Trotz verfügbarer Auswertungen der Rechtsprechung des EGMR17 findet sich in der Wissenschaft bisher keine detaillierte Untersuchung der Vereinbarkeit des nationalen Rechts in Fällen der Vorbefassung mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, die vorhandenen Anpassungsbedarf herausstellt. Diese Lücke zu schließen, ist Ziel dieser Arbeit.

II. Einwände So eindeutig der Befund zu scheinen mag, die Vorbefassung des Richters gefährde seine Unparteilichkeit, so vehement sind jedoch die Widerstände, auf die dieser Befund stößt. Vielfach wird in der Rechtsprechung und Wissenschaft die Mehrfachbefassung des Richters mit derselben Sache als systemimmanent betrachtet und daher für unbedenklich gehalten.18 Dabei werden jedoch Erkenntnisse zur richterlichen Wahrnehmung sowie zum Richterbild außer Acht gelassen. Auch wird vernachlässigt, dass dem Angeklagten ein Vertrauen in den Richter abverlangt wird, das tatsächlich in diesem Umfang nicht von ihm zu erwarten ist. Ein weiterer Einwand, der einer Ausweitung des Schutzes richterlicher Unparteilichkeit entgegen gehalten wird, ist der Aufwand, der mit dem Ausschluss und der Ablehnung von Richtern einhergeht: Die Überprüfung, ob ein Ausschluss- oder Ablehnungsgrund vorliegt, erfordert Zeit und Ressourcen. Soweit es zum Ausscheiden des Richters aus dem Verfahren kommt, muss sich ein neuer Richter in das Verfahren einarbeiten. Die Prüfung der Gewährleistung richterlicher Unparteilichkeit muss jedoch unabhängig von solchen verfahrensökonomischen Bedenken erfolgen. Soweit die Vorschriften der StPO die Unparteilichkeit des Richters nicht hinreichend gewährleisten, sind ökonomische Gründe kein überzeugender Hinderungsgrund für erforderliche Reformen, sondern Aufgaben, die zu lösen sind. 17 Insbesondere Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002; Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012; Müller, L. F., Richterliche Unabhängigkeit, 2015; Grabenwarter/Pabel, EMRK, 5. Aufl. 2012. 18 So BVerfGE 30, 149 (154 f.); BGH, 3 StR 283/14, Beschl. v. 19. 08. 2014; BGHSt 21, 142 (144 f.); 21, 334 (341); 24, 336 (337), 50, 216 (221); BGH NJW 2014, 2372; NStZ 1994, 447; NStZ-RR 2012, 350; Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 23; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 191 f. Vgl. auch Fromm, NJOZ 2015, 1 (3).

III. Gang der Untersuchung

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Im Zusammenhang mit Erwägungen der Prozessökonomie wird gegen eine weiterreichende Gewährleistung richterlicher Unparteilichkeit das vielzitierte Argument der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung eingewandt.19 Dahinter verbirgt sich die Befürchtung, dass eine zu weitgehende Möglichkeit, einen Richter, dessen Unparteilichkeit bezweifelt wird, aus dem Verfahren ausscheiden zu lassen, zum Erlahmen der Rechtsprechung führen könnte. Es ist nicht zu bestreiten, dass die Auswechslung eines Richters im Verfahren zu erheblichen Verzögerungen führen kann. Der Angeklagte muss vor der Belastung einer übermäßigen Verfahrensdauer geschützt werden, und ein sehr spätes Urteil bewirkt möglicherweise keinen Rechtsfrieden mehr. Insoweit bildet die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege einen beachtlichen Gegenpol zur Gewährleistung richterlicher Unparteilichkeit. Andererseits verspricht jedoch auch eine von befangenen Richtern ausgeübte Rechtspflege keinen Rechtsfrieden. Daher muss ein Ausgleich zwischen der Gewährleistung richterlicher Unparteilichkeit und angemessener Verfahrensdauer erreicht werden.

III. Gang der Untersuchung Als Grundlage der Untersuchung wird zunächst in Teil B. das Richterbild untersucht und aufgezeigt, inwieweit dieses Probleme für die Gewährleistung richterlicher Unparteilichkeit aufwirft. Anschließend wird in Teil C. die Verankerung der Unparteilichkeit des Richters im Grundgesetz und in der EMRK untersucht. Zu klären ist hierbei, an welcher Stelle im Grundgesetz die Unparteilichkeit garantiert wird sowie welche Bedeutung ihr in der EMRK zugemessen wird. Im Anschluss daran wird die einfachgesetzliche Ausgestaltung der richterlichen Unparteilichkeit in der StPO erörtert. Dabei werden die Ausschlussgründe der §§ 22, 23, 148a Abs. 2 S. 1 StPO auf ihren Gewährleistungsumfang und ihre Zwecksetzung untersucht (Teil D. I. 1.). Sodann wird die Ablehnung des Richters in den Blick genommen und dabei der Begriff der Befangenheit und deren Besorgnis geklärt. Hierdurch werden die Anforderungen deutlich, die das nationale Recht an die Unparteilichkeit des Richters stellt. In Teil D. II. werden dann die Relevanz der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR für das nationale Recht verdeutlicht. Sodann werden die Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK an die richterliche Unparteilichkeit untersucht. Auf dieser Grundlage können die Anforderungen des nationalen Rechts und diejenigen von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK an die Unparteilichkeit des Richters miteinander verglichen werden (Teil D. III.). Teil E. wendet sich den konkreten Konstellationen richterlicher Vorbefassung zu. Bevor diese im Einzelnen betrachtet werden, werden Phänomene der Wahrnehmungspsychologie dargestellt, die für die Vorbefassung von Bedeutung sein können, 19

So Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 231.

22

A. Einleitung

und im Hinblick auf die Entscheidungssituation des Richters diskutiert (Teil E. I.). Auch wird das Richterbild als weiteres Problem für den Umgang mit richterlicher Parteilichkeit erörtert. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse folgt die Untersuchung der Vorbefassungskonstellationen (Teil E. II.). Diese werden zunächst aufgeteilt in rechtliche (Teil E. II. 1.) und tatsächliche Vorbefassung (Teil E. II. 2.), wobei Letztere wiederum in nichtrichterliche (Teil E. II. 2. a)) und richterliche (Teil E. II. 2. b)) aufgespalten wird. Innerhalb der richterlichen Vorbefassung werden einerseits Konstellationen der Vorbefassung des Richters in anderer Instanz oder einem anderen Verfahren (Teil E. II. 2. b) aa)) und andererseits die Vorbefassung des Richters innerhalb unterschiedlicher Verfahrensabschnitte einer Instanz (Teil E. II. 2. b) bb)) erörtert. Die Untersuchung beginnt jeweils mit der Darstellung der problematischen Vorbefassungskonstellation. An diese schließt sich die Einschätzung nach nationalem Recht an. Für den Vergleich wird die Rechtsprechung des EGMR zu der Vorbefassungssituation dargestellt und hieraus deren Einschätzung durch den EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK herausgearbeitet. Abschließend erfolgt eine Stellungnahme zur Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK im Hinblick auf die konkrete Vorbefassungskonstellation sowie Hinweise auf bestehenden Reformbedarf. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung in Bezug auf die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK und einer Darstellung vorhandenen Anpassungsbedarfs (Teil F.).

B. Das (Selbst-)Bild des Richters und seine Unparteilichkeit Das Bild des Richters von sich selbst und seiner rechtsprechenden Tätigkeit20 wirft Probleme für die Gewährleistung seiner Unparteilichkeit auf. Zwar setzen sich auch viele Richter kritisch mit den Gefahren für die richterliche Unparteilichkeit auseinander.21 Doch ist die Annahme, der Richtereid sowie die Ausbildung des Richters schützten ihn in aller Regel vor Parteilichkeit, immer noch weit verbreitet:22 Der Richter sei nicht voreingenommen, da er nicht voreingenommen sein dürfe.23 Parteilichkeit ist in der richterlichen Tätigkeit unerwünscht und passt nicht in das Selbstverständnis des Richters. Umgekehrt nehmen Verfahrensbeteiligte regelmäßig eine Befangenheit ihres Richters wahr oder befürchten sie wenigstens. Die Tatsache, dass eine Befangenheit oder zumindest ihre Gefahr häufig nicht eingestanden wird,24 steigert nicht gerade das Vertrauen der Verfahrensbeteiligten und schließlich auch der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit des Richters. Das heutige Richterbild ist von dem Verständnis geprägt, dass Rechtsanwendung trotz dichter gesetzlicher Regelungen und vielfach anzuwendender Wertmaßstäbe ohne eigene Wertung des Richters nicht zu bewerkstelligen ist.25 Damit ist der Richter nicht lediglich der „bouche […] de la loi“26 oder der mit dieser Vorstellung verbundene „Subsumtionsautomat“, der ohne jede eigene Wertung oder emotionale Regung die Lösung eines Rechtsfalls nach dem geltenden Recht „hervorbringen“ 20

Zu Richterleitbildern allgemein vgl. ausführlich Kauffmann, Zur Konstruktion des Richterberufs durch Richterleitbilder, 2003, S. 174 ff. 21 Vgl. BVerfGE 30, 157 (164); Wassermann, in: Menschen vor Gericht, 1979, S. 13 (18 ff.); ders., Richter, Reform, Gesellschaft, 1970, S. 69 ff. 22 BVerfGE 30, 149 (153 f.); RGSt 59, 409 f.; 61, 67 (68 f.); 65, 40 (43); vgl. hierzu auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 82; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 34 ff., 42 ff. 23 Fabricius, Juristenpersönlichkeit, 1993, S. 218; darauf abzielend auch Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 99. 24 Vgl. Horn, Der befangene Richter, 1977, S. 118, der bei 168 Ablehnungsgesuchen eine Misserfolgsquote von 95 % für den Zivilprozess feststellte. 25 Vgl. Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 188 ff.; Hülsmann, Die politische Betätigung des Richters, 1977, S. 142 ff.; Jung, Richterbilder, 2006, S. 23; Küper, Die Richteridee der Strafprozessordnung 1967, S. 14; Schreiber, in: FS Jescheck, 1985, S. 757 (761); Zweigert, in: FS von Hippel, 1967, S. 711 (715). Vgl. auch Berndt, Richterbilder, 2010, S. 142. 26 Montesquieu, L’Esprit des Lois, 1777, Buch XI, Kap. VI, S. 327.

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B. Das (Selbst-)Bild des Richters und seine Unparteilichkeit

kann.27 Der Richter selbst und damit seine Persönlichkeit sind ein wesentlicher und entscheidender Bestandteil seiner Rechtsanwendung und Entscheidungsfindung.28 Muss der Richter aber Wertungen vornehmen, also seine Persönlichkeit in seine Entscheidungstätigkeit einbringen, können Faktoren für das Ergebnis dieser Tätigkeit entscheidend sein, die individuell, beeinflussbar und sogar fehleranfällig ist.29 So kann die Parteilichkeit eines Richters seine Entscheidungsfindung maßgeblich beeinflussen. Dennoch erscheint ein unvoreingenommener Umgang der Richterschaft mit der Möglichkeit eigener Parteilichkeit sehr schwierig zu sein:30 So sah beispielsweise der Deutsche Richterbund den Vorschlag, den Eröffnungsrichter als erkennenden Richter von der Hauptverhandlung auszuschließen, gar als „unverdiente Diffamierung“31 der Richterschaft an. Diese Stellungnahme ist zwar schon 50 Jahre alt. Die Frage ist jedoch, ob sich seither viel verändert hat. Die herrschende Befangenheitsrechtsprechung zeichnet ein Richterbild, das sich eher der Auffassung von „Subsumtionsautomaten“ als der Anerkennung der Richterpersönlichkeit als einem in die Entscheidung einfließenden Faktor.32 Immer wieder wird hervorgehoben, dass sich der Richter selbstverständlich auch bei wiederholter Befassung mit einer Sache von allen zuvor gewonnenen Eindrücken frei machen und sich unbefangen ein neues Urteil bilden könne.33 Diese Aussage zeigt, dass kein hinreichendes Bewusstsein dafür besteht, dass der Richter gerade nicht bisherige Wahrnehmungen und Beurteilungen „wegwischen“ und sich der Sache widmen kann, als befasse er sich zum ersten Mal mit ihr.34 Dabei soll nicht geleugnet werden, dass der Richter natürlich bemüht sein wird, unvoreingenommen erneut über die Sache zu entscheiden. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn gerade die Rechtsprechung zum Ablehnungsrecht

27 Vgl. Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, 1977, S. 57; Küper, Die Richteridee der Strafprozessordnung, 1967, S. 49, 51; vgl. auch Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 173. 28 Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 187; Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, 1977, S. 71; Küper, Die Richteridee der Strafprozessordnung, 1967, S. 20, 23; Schröder, Gesetz und Richter im Strafrecht, 1953, S. 14, 29; Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, 1970, S. 70; Baltzer, ZZP 89 (1976), 406 (414); Klein, DRiZ 1975, 166 (168); vgl. auch Arndt, Das Bild des Richters, 1956, S. 8; in diese Richtung gehend auch Bohlmann, DRiZ 1965, 149 (151). 29 So auch Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 191 f. 30 So auch Berndt, Richterbilder, 2010, S. 232. 31 Deutscher Richterbund, DRiZ 1963, 115. 32 Vgl. BVerfG NJW 1971, 1029 (1030); RGSt 59, 409 f.; 60, 43 (47); 61, 67 (68 f.); 65, 40 (43); BGHSt 21, 334 (341); 24, 336 (337); BGH NJW 1969, 703 (704); 1968, 710 (711); vgl. hierzu auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 18, 82; Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 39 f.; E. Peters, in: FS Lüke, 1997, S. 603 (615); Teplitzky, JuS 1969, 318 (319). 33 BVerfG NJW 1971, 1029 (1030); BGHSt 21, 334 (341). 34 Vgl. hierzu im Einzelnen im Folgenden E. I. 1. (S. 130 ff.).

B. Das (Selbst-)Bild des Richters und seine Unparteilichkeit

25

erkennen ließe, dass sie hinreichend Problembewusstsein für diejenigen Fälle besitzt, in denen der Richter mit dieser Bemühung zu scheitern droht. Aus der Rechtsprechung zum Ausschluss- und Ablehnungsrecht ergibt sich jedoch ein Selbstbild von Richtern, das davon ausgeht, dass der Richter aufgrund seiner Verpflichtung zur Unbefangenheit und seiner Ausbildung nicht befangen sein kann: Der Richter habe seine Unparteilichkeit beschworen und sei daher zu dieser verpflichtet; damit könne von dem Richter erwartet werden, dass er diese Unparteilichkeit auch wahre.35 Außerdem sei der Berufsrichter durch seine Ausbildung darauf vorbereitet, etwaige Einflüsse, die seine Unparteilichkeit gefährden könnten, abzuwehren.36 Dies führt zu einem Selbstbild des Richters, das nach Ansicht einiger Autoren von seiner eigenen Unfehlbarkeit ausgeht,37 jedenfalls aber einem realistischen Umgang mit Gefahren für die richterliche Unbefangenheit im Wege steht. Dies ist äußerst problematisch, da sich derartige Aussagen als Trugschlüsse erweisen, nicht zuletzt weil sie, wie zu zeigen sein wird,38 nachweisbaren psychologischen Effekten widersprechen.39 Diese kann auch die juristische Ausbildung nicht verhindern,40 zumal sie sich mit solchen Problemen nicht beschäftigt. Vor allem versperren derartige Aussagen den Weg zu einem effektiven Mittel gegen richterliche Befangenheit: Dem Bewusstsein für die Gefahren, die der eigenen Unparteilichkeit drohen.41 Nur der Richter, der sich gewisse Einflüsse bewusst macht, die auf seine Wahrnehmung und seine Persönlichkeit wirken, kann diesen Einflüssen kritisch begegnen und versuchen, ihnen vorzubeugen.42 Das Selbstbild des Richters führt auch zu einer Drucksituation: Der unfehlbare Richter ist nicht befangen, begeht aber auch keine Fehler. Wie soll dann aber konsequenterweise derjenige Richter handeln, der bei einer erneuten Befassung mit demselben Verfahrensgegenstand erkennt, dass seine erste Entscheidung fehlerhaft war? Löst er sich von seiner ersten Entscheidung und urteilt abweichend, wird seine ursprüngliche Fehleinschätzung erkennbar. Gerade dies wird der Richter jedoch in

35 BVerfGE 30, 149 (153 f.), vgl. jedoch die hierzu abweichende Ansicht der Richter Leibholz, Geiger und Rinck, BVerfGE 157 (164); RGSt 59, 409 f.; 65, 40 (43). Hierzu überspitzt auch Bittmann, DRiZ 1991, 285 (286). Vgl. auch M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 34 ff., 45. 36 RGSt 61, 67 (68); kritisch auch M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 42 ff.; Fabricius, Juristenpersönlichkeit, 1993, S. 245. 37 So Berra, Im Paragraphenturm, 2. Aufl. 1967, S. 18; Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, 1972, S. 145; vgl. auch M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 123; Hülsmann, Die politische Betätigung des Richters, 1977, S. 150; Schmid, Einwände, 1965, S. 97 f.; Lamprecht, DRiZ 1988, 161 (161, 163); Teplitzky, NJW 1962, 2044. 38 Vgl. im Folgenden E. I. 1. (S. 130 ff.). 39 So auch Bandilla/Hassemer, StV 1989, 551 (554). 40 So auch Schmid, Einwände, 1965, S. 107. 41 Vgl. Klein, DRiZ 1975, 166 (168); Schneider, DRiZ 1978, 42 (43). 42 Vgl. Fabricius, Juristenpersönlichkeit, 1993, S. 218; Wassermann, NJW 1963, 429 (430).

26

B. Das (Selbst-)Bild des Richters und seine Unparteilichkeit

der Regel vermeiden wollen.43 Lässt er sich umgekehrt von seiner ersten Entscheidung leiten, gefährdet oder verliert er gar seine Unparteilichkeit. Wird er abgelehnt, sieht er dies wiederum als (in diesem Fall gegebenenfalls berechtigten) Vorwurf, er habe seine Pflicht zur Unparteilichkeit nicht eingehalten.44 In diesem Konflikt könnte der Richter möglicherweise stärker entlastet werden, wenn das Gesetz in strengerer Weise seine Unparteilichkeit schützen würde.

43 44

So auch Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 135 f. Bendix, Zur Psychologie der Urteilstätigkeit des Berufsrichters, 1968, S. 97 f.

C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit in der deutschen Rechtsordnung und der EMRK Bevor näher auf die einfachgesetzlichen Vorschriften über den Ausschluss und die Ablehnung des Richters der §§ 22 ff. StPO, die dem Schutz der Unparteilichkeit des Richters im konkreten Strafverfahren dienen, sowie die Regelung der richterlichen Unparteilichkeit des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK eingegangen werden kann, ist zunächst der Rang und die systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit in der deutschen Rechtsordnung und der EMRK zu untersuchen. Das Augenmerk liegt dabei im nationalen Recht auf der Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit auf höchster Normebene. Dem gemäß wird an dieser Stelle die Verortung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz sowie in der EMRK erörtert. Zugleich werden die Grundlagen für das Verständnis des Sinngehaltes der Besorgnis der Befangenheit bzw. Unparteilichkeit gelegt.

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz Im Grundgesetz findet sich weder eine ausdrückliche Normierung der richterlichen Unparteilichkeit noch des Institutes des Richterausschlusses oder der Richterablehnung.45 Letztere sind für das Strafverfahren jedoch insbesondere in den §§ 22 ff. StPO geregelt und sollen einfachgesetzlich die Unparteilichkeit des Richters gewährleisten.46 Dennoch besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass der richterlichen Unparteilichkeit über die vorgenannten Institute und damit auch diesen als solchen Verfassungsrang zukommt.47 Die Frage indessen, in welcher Verfassungsnorm die richterliche Unparteilichkeit verankert sein soll und welche Konsequenzen hin45 Vgl. auch Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 254; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 11; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 29. 46 RGSt 28, 53 (54); BGHSt 9, 193 (194 f.); 14, 219 (221); 28, 262 (265); 31, 358 (359); BGH NStZ 2006, 113 (113 f.). 47 Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 254; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 179.

28

C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

sichtlich ihrer Reichweite und Schutzintensität daraus resultieren, wird uneinheitlich beantwortet. Als Standort der richterlichen Unparteilichkeit kommen insbesondere die Art. 92 ff. GG sowie das Rechtsstaatsprinzip, namentlich im Hinblick auf den mit ihm verbundenen Fair-trial-Grundsatz,48 in Betracht. Diese werden im Folgenden näher untersucht.

1. Der Richtervorbehalt des Art. 92 GG Als Anknüpfungspunkt für die Unparteilichkeit des Richters könnte zunächst der Richtervorbehalt49 des Art. 92 GG für den Bereich der Rechtsprechung herangezogen werden. Nach dessen erstem Halbsatz ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Indem die Ausübung der Rechtsprechung durch Gerichte und die zu diesen gehörigen Richter angeordnet wird, konkretisiert Art. 92 GG den Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG für den Bereich der Rechtsprechung.50 Umfasst sind dabei nur staatliche Gerichte.51 Zugunsten dieser statuiert Art. 92 GG in Bezug auf die Rechtsprechung ein Richtermonopol.52 Das „Anvertrautsein“ im Wortlaut des Art. 92 Hs. 1 GG betont dabei nicht nur auf feierliche Weise das Vertrauen, das der Verfassungsgeber den Richtern entgegenbrachte, sondern auch die besondere Verantwortung, zu der sie hierdurch berufen wurden.53 Zugleich nimmt Art. 92 GG in seinem zweiten Halbsatz eine Kompetenzzuteilung hinsichtlich der Organisation der Rechtsprechung zwischen Bund und Ländern vor.54 48

Vgl. hierzu im Einzelnen C. I. 5. (S. 59). Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rnd. 262; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 14; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 92 Rdn. 1; Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers, 1973, S. 191. 50 Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdn. 64; Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 92 Rdn. 1; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 13, 68; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 92 Rdn. 1; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 92 Rdn. 17; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 92 Rdn. 26; Riedel, Das Postulat der Unabhängigkeit des Richters, 1980, S. 217; Haberland, DRiZ 2002, 301; Papier, NJW 2001, 1089. 51 BVerfGE 26, 186 (194 ff.); Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 92 Rdn. 32; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 92 Rdn. 6; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 92 Rdn. 49; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 92 Rdn. 47. 52 Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdn. 263; Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 92 Rdn. 28; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 92 Rdn. 14; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 92 Rdn. 1 f.; Bettermann, AöR 92 (1967), 496; Ridder, Demokratie und Recht 1973, 239 (245). 53 Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdn. 262; Hopfauf, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 92 Rdn. 14; Kreth, DRiZ 2009, 198 (199). 54 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 92 Rdn. 2; Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 92 Rdn. 1; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 14; Meyer, in: 49

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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Eine Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit ist in diesem Gefüge einzig im Begriff des Richters denkbar. Dieser könnte die Unparteilichkeit als zwingende Eigenschaft des Richters implizieren. a) Der Begriff des Richters Das Grundgesetz definiert den Richterbegriff weder in Art. 92 noch an anderer Stelle,55 so dass er durch Auslegung ermittelt werden muss. Ebenso wie bei der umstrittenen Definition des Begriffs der Rechtsprechung,56 ist das Grundgesetz selbst sowie das „verfassungsrechtliche Vorverständnis“ des Parlamentarischen Rates Auslegungsmaßstab zur Bestimmung des verfassungsrechtlichen Inhalts.57 Unter Berücksichtigung dessen ergibt sich einerseits aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die organisatorische Selbstständigkeit als Element des Richterbegriffes.58 Richter müssen demnach organisatorisch einem „besonderen Organ der Rechtsprechung“, mithin einem eindeutig von der Legislative und der Exekutive separierten Spruchkörper zugeordnet sein.59 Darüber hinaus könnte die in Art. 97 GG garantierte Unabhängigkeit des Richters, auf die noch einzugehen sein wird, in das Verständnis des Richterbegriffes einzubeziehen sein.60 Der Begriff des Richters könnte danach unmittelbar das Merkmal „Unabhängigkeit“ enthalten. Gleiches ließe sich grundsätzlich auch für die richterliche Unparteilichkeit konstruieren.61 Jedoch überzeugt bereits die Verankerung der Unabhängigkeit des Richters im Richterbegriff des Art. 92 GG nicht. Da die Unabhängigkeit des Richters durch Art. 97 GG zusätzlich normiert ist (vgl. Art. 97 Abs. 1 GG: „Die Richter sind unabhängig …“), entspricht der isolierte Begriff des Richters selbst in Art. 97 GG demjenigen des Art. 92 GG. Die Unabhängigkeit kann demnach nicht bereits ein v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 92 Rdn. 1; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 92 Rdn. 19. 55 So auch Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdn. 264; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 92 Rdn. 28. 56 Vgl. hierzu Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 92 Rdn. 5: Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 14. 57 BVerfGE 22, 49 (76); 64, 175 (179); 76, 100 (106); 103, 111 (136 f.); Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdn. 106. 58 Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdn. 264. 59 Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 68; Grimm, Richterliche Unabhängigkeit und Dienstaufsicht, 1972, S. 49. 60 So Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdn. 264; Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 92 Rdn. 25; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 92 Rdn. 32; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 92 Rdn. 19; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 92 Rdn. 7; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 92 Rdn. 53; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 13 f. 61 So Vollkommer, Der ablehnbare Richter, 2001, S. 8.

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

Merkmal des Begriffs „Richter“ sein, da Art. 97 GG beide Begriffe – Richter und Unabhängigkeit – verwendet. Das Hineinlesen der Unabhängigkeit in den Begriff des Richters liefe zudem auf einen Zirkelschluss hinaus,62 der auch Zweifel an der Regelung des Art. 97 GG aufkommen ließe: Würde der Gehalt des Art. 97 GG zur Auslegung des Richterbegriffes des Art. 92 GG herangezogen und gleichsam in diesen hineingelesen, entfiele die Notwendigkeit der Regelung der Unabhängigkeit in Art. 97 GG.63 Bedeutete also der Richterbegriff schon die Unabhängigkeit des Richters, müsste sie nicht zusätzlich in Art. 97 GG statuiert werden. Zudem stellte die Einbindung der Unabhängigkeit in den Richterbegriff eine Verkehrung des Art. 97 GG dar: „Es verhält sich nicht so, dass Richter ist und rechtsprechende Gewalt ausübt, wer unabhängig entscheiden darf, sondern umgekehrt: Wer Richter ist und Recht sprechen darf, hat nach Art. 97 GG einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf persönliche und sachliche Unabhängigkeit.“64 Damit ist der Begriff des Richters Voraussetzung für die Gewährleistung der Unabhängigkeit im Sinne des Art. 97 GG und losgelöst von dieser zu bestimmen.65 Schließlich muss auch der im Einzelfall nicht unabhängige Richter dennoch Richter im Sinne des Art. 92 GG bleiben, da die Richtereigenschaft nicht von einzelfallbezogenen, äußeren Umständen abhängen und bei Vorliegen einer Abhängigkeit im Einzelfall entfallen darf.66 Dasselbe gilt auch für die hier vor allem relevante Unparteilichkeit: Auch der im Einzelfall parteiliche, ausgeschlossene oder abgelehnte Richter bleibt Richter im Sinne des Art. 92 GG.67 In diesem Zusammenhang überzeugt die Verortung der Unparteilichkeit im Richterbegriff auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass nach nahezu einhelliger Ansicht die Vorstellung des unbeteiligten Dritten „mit den Begriffen von ,Richter‘ und ,Gericht‘ untrennbar verknüpft“68 sei – dies ergibt sich nämlich erst aus dem Zusammenspiel von Art. 92 GG mit der Unparteilichkeit des Richters und beantwortet nicht die Frage nach der konkreten Verankerung Letzterer im Grundgesetz. 62 So auch Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 92 Rdn. 9; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 66. 63 Vgl. Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 20. 64 Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 43. 65 So auch Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 66. 66 So auch Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 93 f.; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 244; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 178. 67 So auch Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 67; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 15; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 219. 68 BVerfGE 21, 139 (145 f.); 60, 175 (214); 103, 111 (140); Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdn. 274.

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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Eine untrennbare Verknüpfung beinhaltet begrifflich schon das Zusammenwirken zweier unterscheidbarer Aspekte, ohne dass diese trennbar wären. So verhält es sich auch mit dem Begriff des Richters und demjenigen der Unparteilichkeit: Der Richter im Sinne von Art. 92 GG wie auch Art. 97 GG ist nach Sinn und Zweck seiner Funktion ohne seine Unparteilichkeit in einem Rechtsstaat nicht denkbar. Dennoch zeigt gerade der Fall des parteilichen Richters, dass die Eigenschaften „Richter“ und „unparteilich“ begrifflich nicht deckungsgleich sind, da es sonst keinen parteilichen Richter geben könnte. Selbst wenn das Nichtvorliegen einer unmittelbaren Beteiligung als funktionaler Bestandteil in den Rechtsprechungsbegriff einzubeziehen wäre,69 umfasste dies nicht das Attribut der Unparteilichkeit in seiner vollständigen Reichweite. b) Keine Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Richterbegriff Der Begriff des Richters bestimmt sich folglich nicht anhand oder gar durch dessen Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit, „sondern über die organisatorische Verselbständigung des Spruchkörpers oder Gerichts, dem die zur letztverbindlichen Entscheidung berufene Person angehört, gegenüber Verwaltung und Gesetzgebung“.70 Inwieweit zudem grundsätzlich noch das Merkmal der Rechtsgelehrtheit hinzutreten muss,71 kann für die hier maßgebliche Fragestellung dahinstehen. Im Ergebnis ist die verfassungsrechtliche Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit in Art. 92 GG abzulehnen.72

2. Die Unabhängigkeit des Richters, Art. 97 GG Als weiterer Anknüpfungspunkt der Unparteilichkeit des Richters im Grundgesetz kommt Art. 97 GG in Betracht. Dieser garantiert mit der Unabhängigkeit des Richters eines der tragenden Prinzipien des Rechtsstaates.73 Zusammen mit seiner 69 So Classen, in: v. Mandgoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 92 Rdn. 12; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 67. 70 Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 74. 71 So Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdn. 278; Hillgruber, in: Maunz/ Dürig, GG, Bd. VI, Art. 92 Rdn. 74; Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers, 1973, S. 220; Stern, Das Staatsrecht des Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 910. 72 Im Ergebnis so auch Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 15; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 219; a.A. Hülsmann, Die politische Betätigung des Richters, 1977, S. 38; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 39 f., 42. 73 Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 1; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 1 f.; Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 2; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 1; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber,

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

Unparteilichkeit ist die Unabhängigkeit des Richters funktional das herausragende Merkmal der Rechtsprechung, wie das Grundgesetz sie versteht.74 Die Vorstellung eines Rechtsstaats basiert auf der Grundvoraussetzung, dass Recht durch unabhängige und unparteiliche Richter gesprochen werden soll.75 Wie bereits dargelegt ist das Erfordernis, dass Rechtsprechung von einem unabhängigen und unbeteiligten Dritten ausgeübt wird, wenn auch nicht begrifflich im Terminus des Richters enthalten, so doch die bedeutendste Anforderung an einen Richter.76 Aufgrund dieser engen Verbindung zwischen der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit des Richters könnte Letztere in Art. 97 GG verankert sein. a) Die Dimensionen der Unabhängigkeit des Richters Das Grundgesetz selbst unterteilt die Unabhängigkeit des Richters durch die beiden Absätze des Art. 97 GG in die sachliche (Abs. 1) und die persönliche (Abs. 2) Unabhängigkeit. Rechtsprechung und Literatur übernehmen zumeist diese Trennung,77 auch wenn beide Aspekte einen engen Bezug zueinander aufweisen. Neben vereinzelten weiter ausdifferenzierten Auffächerungen des Unabhängigkeitsbegriffs78 findet sich an dieser Stelle zudem bei zahlreichen Autoren der Begriff der „inneren Unabhängigkeit“79. GG, Art. 97 Rdn. 1; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 14; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 13; Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, 1960, S. 74; R. Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht über Richter, 1985, S. 1; Kotulla, in: FS Merten, S. 199; Mahrenholz, DRiZ 1991, 432; Pfeiffer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67; Schreiber, in: FS Jescheck, 1985, S. 757; Zwiehoff, JR 2006, 415 (418). 74 BVerfGE 2, 1 (13); 2, 307 (320); 5, 85 (140); 87, 68 (85); BVerfG NJW 1967, 1123; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 1; Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 1; Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 1; Hillgruber, in: Maunz-Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 2; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 1; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 14; C. Schütz, Der ökonomisierte Richter, 2005, S. 177 ff.; Kinold, DRiZ 1992, 55; Krekeler, NJW 1981, 1633; Pfeiffer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67; Seidel, Recht und Politik 2000, 98. 75 Vgl. oben A. I. (S. 17 f.). 76 Vgl. oben C. I. 1. a) (S. 29). 77 Vgl. Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 3 f.; R. Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht über Richter, 1985, S. 16 ff.; Ouart, Umfang und Grenzen politischer Betätigungsfreiheit des Richter, 1990, S. 40 f.; Haberland, DRiZ 2002, 301; Kramer, ZZP 114 (2001), 267 (280); Lippold, NJW 1991, 2382 (2384); Pfeiffer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67. 78 Vgl. hierzu Bettermann, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 3/2, 1959, S. 525; Herrmann, DRiZ 1982, 286 (287); Joachim, DRiZ 1965, 181 (182); SchmidtJorzig, NJW 1991, 2377 (2380); Schreiber, in: FS Jescheck, 1985, S.757 (763); Wildhaber, DRiZ 2009, 316 f. 79 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 7, 34; Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 16; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 5; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 40; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 77; Brüggemann, Die rechtsprechende Gewalt,

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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aa) Sachliche Unabhängigkeit Gemäß Art. 97 Abs. 1 GG, der die sachliche Unabhängigkeit statuiert, sind die Richter bei der Ausübung der rechtsprechenden Gewalt, nicht jedoch im Rahmen der sogenannten Justizverwaltung,80 unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Die Gesetzesbindung steht nicht in einem Gegensatz zur Unabhängigkeit81 und schränkt sie auch nicht ein, sondern ergänzt sie:82 Gerade weil die Richter nur dem Gesetz unterworfen sind, sind sie unabhängig; unterlägen sie weiteren Bindungen oder gar Weisungen, wäre ihre Unabhängigkeit in Zweifel zu ziehen.83 Zudem rechtfertigt sich die Möglichkeit sachlicher Unabhängigkeit aus der Gesetzesbindung: Die sachliche Unabhängigkeit kann den Richtern gewährt werden, weil sie ihre Grenzen in der Gesetzesbindung hat.84 Umgekehrt sind die Richter unabhängig, um die 1962, S. 95; Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, 1960, S. 53; Grimm, Richterliche Unabhängigkeit und Dienstaufsicht, 1972, S. 59; Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers, 1973, S. 226; C. Schütz, Der ökonomisierte Richter, 2005, S. 220, 244 ff.; Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 7 f.; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 103; Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 164; Benda, DRiZ 1975, 166 (168); Faller, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 81 (83); Haberland, DRiZ 2002, 301 (302); Held, DRiZ 1972, 77 (79); Herrmann, DRiZ 1982, 286 (291); Hill, in: FS Mahrenholz, 1994, S. 851 (857); Kinold, DRiZ 1992, 55 (57); Kühling, in: FS Mahrenholz, 1994, S. 831; Papier, NJW 2001, 1089 (1091); Pfeiffer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67; Schilken, JZ 2006, 860 (862); Sendler, NJW 1983, 1449 (1451 f.); Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 85; Zweigert, in: FS von Hippel, 1967, S. 711. 80 BVerfGE 38, 139 (152 f.); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 4, 29; Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 11a; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 20; Leuze, in: Berliner Kommentar, Bd. 4, Art. 97 Rdn. 8; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Bd. III, Art. 97 Rdn. 32; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 24; Kruse, Das Wesen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1964, S. 114; R. Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht über Richter, 1985, S. 17. 81 So aber BVerfGE 49, 304 (318); Holtkotten, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 97 S. 106, der in der Gesetzesbindung sowohl eine Beschränkung als auch eine Bestärkung der richterlichen Unabhängigkeit sieht; Schinkel, in: FS Remmers, 1995, S. 297 (302 f.). 82 BVerfGE 26, 186 (198); 111, 307 (325); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 6; Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 4, 14, 17; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 25; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 10; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 97 Rdn. 7; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Bd. III, Art. 97 Rdn. 21; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 43; Bettermann, in: Die Unabhängigkeit des Richters, 1969, S. 45 f.; Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 2. Aufl. 1998, S. 72, 79; Heyde, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, § 33 Rdn. 92; Hülsmann, Die politische Betätigung des Richters, 1977, S. 28 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschlad, Bd. II, § 43 II 1, 4; Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 61; Hoffmann-Riem, in: FS Scholz, 2007, S. 499 (503); Krützmann, DRiZ 1985, 201 (202); Mahrenholz, DRiZ 1991, 432 (433); Schilken, JZ 2006, 860 (864). 83 Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 43; Bettermann, in: Die Unabhängigkeit des Richters, 1969, S. 45 f. 84 Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 25; Heusch, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 17.

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

Gesetzesbindung vollständig wahren zu können: keine andere Bindung soll sie von der Einhaltung der Gesetzesbindung abbringen können.85 Die in Art. 97 Abs. 1 GG normierte sachliche Unabhängigkeit bedeutet zunächst, dass der Richter bei seiner richterlichen Tätigkeit nicht an Weisungen gebunden ist.86 Dies umfasst ein Verbot vermeidbarer Einflüsse insbesondere von Exekutive und Legislative auf den Richter.87 Zwar besteht aufgrund der Gesetzesbindung eine erhebliche Einwirkung der Legislative auf den Richter, diese ist jedoch – wie soeben verdeutlicht – eng mit der sachlichen Unabhängigkeit verknüpft und daher nicht vermeidbar. Vermeidbar sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hingegen alle Einflüsse, die nicht zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Gerichte notwendig sind.88 Über die Gesetzesbindung hinaus sind danach der Legislative weitergehende Eingriffe untersagt, so insbesondere die unmittelbare Beeinflussung der Entscheidung des Richters in einem konkreten Verfahren.89 Die sachliche Unabhängigkeit des Richters richtet sich auch gegen vermeidbare Einflüsse seitens der Judikative.90 Der Richter ist bei seiner rechtsprechenden Tätigkeit grundsätzlich nicht an Weisungen von Kollegen oder Vorgesetzten gebunden. Besonderheiten in diesem Zusammenhang gelten hinsichtlich der sogleich zu erörternden legitimen Instrumente zur Förderung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie der Dienstaufsicht.

85 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 6; Heusch, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 4; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Bd. III, Art. 97 Rdn. 21; Schilken, JZ 2006, 860 (864). 86 BVerfGE 3, 213 (224); 4, 331 (344, 346); 14, 56 (69); 26, 186 (198); 27, 312 (322); 31, 137 (140); 36, 174 (185); 60, 175 (214); 87, 68 (85); BVerfG NJW 1996, 2149 (2150); Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 11; Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 4; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 20, 75; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 8; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 21; Achterberg, NJW 1985, 3041 (3042); Kern, Der gesetzliche Richter, 1927, S. 160 (noch zu Art. 107 WRV). 87 BVerfGE 12, 67 (71); 12, 81 (88); 26, 79 (93); 38, 1 (21); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 17; Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 5; Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 7; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 15; Achterberg, NJW 1985, 3041. 88 BVerfGE 26, 79 (94); Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 5. 89 Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 12. 90 BVerfG NJW 1996, 2149 (2150); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 17; Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 14; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 75, 94; Holtkotten, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 97 S. 103; SchulzeFielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 41; Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 156; Dütz, JuS 1985, 745 (748); Papier, NJW 2001, 1089 (1090 f.); ders., NJW 2002, 2585 (2587); Schilken, JZ 2006, 860 (862); Schmidt, DRiZ 1981, 81; Seidel, Recht und Politik 2000, 98 (101); Stürner, BRAK-Mitt. 2003, 214 (216 f.); a.A. noch BVerfGE 12, 67 (71); 31, 137 (140).

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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(1) Vereinbarkeit der sachlichen Unabhängigkeit mit dem Ziel einer einheitlichen Rechtsprechung Problematisch erscheint die sachliche Unabhängigkeit des Richters im Hinblick auf das Ziel einer einheitlichen Rechtsprechung. Denn grundsätzlich führt die Unabhängigkeit der einzelnen Richter zu einer Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung:91 Verschiedene Gerichte können zu gleichen Rechtsfragen divergierende Ansichten vertreten und dementsprechend in gleichen Rechtslagen unterschiedlich entscheiden.92 Die Ungleichbehandlung von Gleichem verstößt jedoch gegen die rechtsstaatliche Gerechtigkeitsvorstellung, die das exakte Gegenteil fordert: Gleiches muss gleich behandelt werden, um Gerechtigkeit zu garantieren.93 Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist danach – unabhängig von ihrer normativen Verankerung94 – unerlässlicher Bestandteil der Gerechtigkeit.95 Zudem fördert eine einheitliche Rechtsprechung die Rechtssicherheit. Das Recht wird für den rechtsunterworfenen Bürger vorhersehbar:96 Je unterschiedlicher Entscheidungen verschiedener Gerichte zu gleichen Sach- und Rechtslagen ausfallen, desto weniger kann ein Betroffener die voraussichtliche Entscheidung seines konkreten Falles beurteilen. Um dem zu begegnen und den Anforderungen der Gerechtigkeit zu entsprechen, können unterschiedliche Instrumente eine einheitliche Rechtsprechung fördern: Einerseits sind Bindungen des Richters bei der Entscheidungsfindung in einem konkreten Verfahren innerhalb einer Instanz denkbar, die von vorneherein eine „andere“ Entscheidung als in vergleichbaren Fällen verhindern sollen. Andererseits kommen Maßnahmen in Frage, die die Entscheidung des Richters revidieren und so zur Einheitlichkeit beitragen können.

91 Vgl. BVerfGE 78, 123 (126); 87, 273 (278); Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. I, Art. 3 Abs. 1 Rdn. 410; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 48; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 41; Rzepka, Zur Fairneß im Strafverfahren, 2000, S. 365; C. Schütz, Der ökonomisierte Richter, 2005, S. 319. 92 So auch Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 18. Vgl. zu unterschiedlichen Entscheidungen durch denselben Richter auch Riggert, Die Selbstbindung der Rechtsprechung durch den allgemeinen Gleichheitssatz, 1993, S. 55; Blomeyer, in: FS Obermayer, 1986, S. 15 (22). 93 BVerfGE 3, 58 (135); in diesem Sinne auch Kaufmann, Grundprobleme der Rechtsphilosophie, 1994; Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 31 f.; Wesel, JA 1992, 289 (291) mit Verweis bereits auf Aristoteles; ebenso Schramm, Recht und Gerechtigkeit, 1985, S. 25 ff. 94 Vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen: Classen, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 18 f. 95 So auch BVerfGE 54, 277 (296); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 18; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 49. 96 So auch Pfeiffer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67 (74).

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

(a) Bei der Entscheidungsfindung eingreifende Maßnahmen Hinsichtlich der unmittelbar bei der Entscheidungsfindung wirkenden Maßnahmen kommt dem Gesetz und der Gesetzesbindung eine überragende Bedeutung zu: Klare gesetzliche Regelungen legen in Zusammenwirken mit der Gesetzesbindung die Entscheidung des Richters weitgehend fest.97 Mit abnehmender Präzision der Gesetzesnormen sinkt jedoch die Einheitlichkeit der gemäß ihnen getroffenen Entscheidungen. Insofern ist es Aufgabe des Gesetzgebers, durch möglichst präzise gesetzliche Vorgaben die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu begünstigen.98 Als weitere Maßnahme dieser Kategorie ist eine unmittelbare Bindung an Entscheidungen anderer (jedenfalls höherrangiger) Gerichte in anderen, aber vergleichbaren Verfahren denkbar. Hierdurch würde allerdings die Entscheidung eines Richters oder Gerichts unmittelbar die Unabhängigkeit aller anderen Richter beschränken, wenn diese zu einem späteren Zeitpunkt in einem gleichgelagerten Fall stets gleich entscheiden müssten. Wie oben dargelegt gilt jedoch die sachliche Unabhängigkeit des Richters auch innerhalb der Judikative selbst.99 Von dieser bliebe bei Bejahung derartiger unmittelbarer Bindungen nicht mehr viel übrig; unabhängig wäre nur der Richter, der als Erster in einer Fallgestaltung eine Entscheidung zu treffen hätte. Demnach ist zu Recht eine unmittelbare Bindung von Richtern selbst an höchstrichterliche Rechtsprechung in anderen Verfahren wegen Verstoßes gegen Art. 97 Abs. 1 GG nicht zu begründen.100 Demgegenüber kommt die Bindung des Richters an Entscheidungen anderer Gerichte in derselben Sache in Gestalt der Tatbestands-, der Feststellungswirkung sowie der Rechtskraft in Betracht.101 Ebenso ist der Richter aufgrund von § 31 BVerfGG an Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Diese Bindungen verletzen nicht die sachliche Unabhängigkeit des Richters, da sie gesetzlich angeordnet sind und so lediglich die Gesetzesbindung des Richters konkretisieren.102

97 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 20; Mahrenholz, DRiZ 1991, 432 (435). 98 So auch Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 20. 99 Vgl. oben C. I. 2. a) aa) (S. 34). 100 So auch BVerfGE 78, 123 (126); 83, 216 (227); 87, 273 (278); Hillgruber, in: Maunz/ Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 48; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 25; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 97 Rdn. 11; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 41; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 55; R. Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht über Richter, 1985, S. 19 f.; C. Schütz, Der ökonomisierte Richter, 2005, S. 318; Haberland, DRiZ 2002, 301 (302). 101 Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 15; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 96. 102 So auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 42.

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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(b) Nach der Urteilsfindung wirkende Maßnahmen Als Instrument der zweiten Kategorie kommt zunächst der Instanzenzug in Betracht. Innerhalb eines Verfahrens kann ein Richter den Vorgaben eines höheren Gerichts in Fällen der Zurückverweisung sowie der Vorlage an das höhere Gericht unterliegen.103 Durch diese Einwirkung der höherinstanzlichen Gerichte können Unterschiede zwischen Entscheidungen unterer Gerichte verringert werden.104 Eine solche Art der Beeinflussung verstößt nicht gegen die sachliche Unabhängigkeit des Richters, denn diese umfasst nicht die Zuständigkeit des Richters für alle in einem Verfahren zu entscheidenden Fragen:105 Ist der Richter beispielsweise bei der Zurückverweisung an die Einschätzung eines Aspektes durch das zurückverweisende Gericht gebunden, ist er zugleich nicht mehr für die Entscheidung dieses Aspektes zuständig.106 Damit ist der Instanzenzug ein zulässiges Instrument zur Förderung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Weiterhin ist der Richter bei seiner rechtsprechenden Tätigkeit gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden.107 Insofern kann das Bundesverfassungsgericht im Falle seiner Anrufung grundsätzlich einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz durch eine richterliche Entscheidung feststellen und daher diese Entscheidung nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufheben. (c) Vereinbarkeit von Unabhängigkeit des Richters und Einheitlichkeit der Rechtsprechung Auch wenn die sachliche Unabhängigkeit des Richters zu Konflikten mit dem Ziel einer einheitlichen Rechtsprechung führt, so bestehen doch vielfältige Maßnahmen, die legitimerweise diese Einheitlichkeit fördern.

103 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 22 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 41. 104 So auch Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 23. 105 BVerfGE 2, 406 (411 f.); 6, 45 (52); 12, 67 (71); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 22; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 912. 106 Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 94, 96. 107 Heun, in: Dreier, GG, Bd. I, Art. 3 Rdn. 62; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdn. 124; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, Art. 3 Rdn. 282 ff.

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

(2) Vereinbarkeit der sachlichen Unabhängigkeit mit der Dienstaufsicht (a) Die Dienstaufsicht im Allgemeinen In Konflikt gerät die sachliche Unabhängigkeit unter Umständen auch mit der Dienstaufsicht, die gemäß § 26 DRiG über die Richter ausgeübt wird.108 Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG bzw. die rechtsstaatliche Justizgewährungspflicht109 erfordert jedoch effektiven Rechtsschutz.110 Die Verpflichtung des Richters wiederum, diesen effektiven Rechtsschutz zu gewähren, bestimmt seine Dienstpflichten; deren Einhaltung soll durch die Dienstaufsicht sichergestellt werden.111 Insofern dient die Dienstaufsicht der Wahrung der Justizgewährungspflicht.112 Zu diesem Zweck besteht im Rahmen der Dienstaufsicht die Befugnis, dem Richter gemäß § 26 Abs. 2 DRiG die ordnungswidrige Ausführung eines Amtsgeschäftes vorzuhalten und ihn zur ordnungsgemäßen, unverzögerten Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen. Allerdings darf die Dienstaufsicht – wie § 26 Abs. 1 DRiG explizit vorschreibt – nicht die richterliche Unabhängigkeit beschneiden. Umstritten sind daher die Grenzen der Dienstaufsicht. Zu klären ist also die Frage, hinsichtlich welcher Bestandteile der richterlichen Tätigkeit die Ausübung der Dienstaufsicht in welchem Maße zulässig ist. Nach der sogenannten Kernbereichstheorie sind nur solche richterlichen Tätigkeiten Gegenstand der Dienstaufsicht, die „dem Kernbereich der eigentlichen Rechtsprechung soweit entrückt sind, daß für sie die Garantie des Art. 97 Abs. 1 GG nicht in Anspruch genommen werden 108

Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 11b; Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 11; Baur, Justizaufsicht und richterliche Unabhängigkeit, 1954, S. 25; Herrmann, DRiZ 1982, 286 (289). 109 Die Erfassung der Rechtswegeröffnung gegen Rechtsverletzungen durch die Judikative von Art. 19 Abs. 4 GG ist umstritten. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass diese wenn nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG, dann durch den allgemeinen Justizgewährungsanspruch garantiert wird. Vgl. hierzu für die Zuordnung zu Art. 19 Abs. 4 GG: Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, Art. 19 Rdn. 438 ff.; Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, Art. 19 Rdn. 63; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, Art. 19 IV Rdn. 49; Voßkuhle, Rechtschutz gegen den Richter, 1993, S. 158 ff., 176 ff. Gegen diese Zuordnung hingegen BVerfGE 15, 275 (280); 49, 329 (340); 65, 76 (90); 107, 395 (404 ff.); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rdn. 99; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rdn. 45; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdn. 120. 110 BVerfGE 107, 395 (401, 406 f.). 111 Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 11. 112 So auch Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 30; Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 11; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 97 Rdn. 6; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Bd. III, Art. 97 Rdn. 33; Baur, Justizaufsicht und richterliche Unabhängigkeit, 1954, S. 5 ff; R. Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht über Richter, 1985, S. 1 f., 24; C. Schütz, Der ökonomisierte Richter, 2005, S. 195 f.; Haberland, DRiZ 2002, 301 (303 f.); Papier, NJW 1990, 8 (9); ders., NJW 2001, 1089 (1091); Seidel, Recht und Politik 2000, 98 (103).

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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kann“.113 Der Kernbereich enthalte die „eigentliche Rechtsfindung“, jedoch sei im Interesse eines wirksamen Schutzes der richterlichen Unabhängigkeit eine großzügige Grenzziehung geboten und insofern alle der Rechtsfindung auch nur mittelbar dienenden – sie vorbereitenden und ihr nachfolgenden – Sach- und Verfahrensentscheidungen in den Schutzbereich der richterlichen Unabhängigkeit einzubeziehen.114 Die Dienstaufsicht umfasse damit den Bereich der äußeren Ordnung115 sowie offensichtliche Fehlentscheidungen bei der spruchrichterlichen Tätigkeit.116 Im Fall Letzterer dürfe der Dienstvorgesetzte dem Richter vorhalten, „dass er nicht gesetzestreu gehandelt habe“.117 Eine andere Auffassung hebt den Wortlaut des § 26 Abs. 2 DRiG hervor, der zwischen der Art der Amtsausführung und dem Inhalt der richterlichen Tätigkeit differenziere.118 Danach soll die Art der Amtsausführung grundsätzlich der Dienstaufsicht unterliegen, der Inhalt der richterlichen Tätigkeit hingegen nicht. Da die Maßstäbe des Inhalts und des Kernbereichs der rechtsprechenden Tätigkeit beträchtliche Parallelen aufweisen, gelangen beiden Ansichten in zahlreichen Anwendungsfällen zu denselben Ergebnissen.119 Es bereitet jedoch erhebliche Bedenken, wenn die Dienstaufsicht in diesen Bereichen der eigentlichen rechtsprechenden Tätigkeit ausnahmsweise zulässig wäre: Zwar werden in diesem Zusammenhang insbesondere Fälle falscher Gesetzesanwendung (Nichtanwendung eines geltenden oder Anwendung eines nicht mehr geltenden Gesetzes) und verbaler Exzesse des Richters diskutiert.120 Jedoch fehlt es allgemein an einer klaren Grenzziehung, ab der ein offensichtlicher Fehler nicht mehr in Betracht kommt. Wäre das dienstaufsichtliche Eingreifen im Fall offensichtlicher Fehler zugelassen, 113

BGHZ 42, 163 (169); 67, 184 (187 f.); 70, 1 (4); BGH NJW 1988, 421 (422); Kissel/ Mayer, GVG, § 1 Rdn. 56; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 97 Rdn. 6; SchulzeFielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 33; Haberland, DRiZ 2002, 301 (305); Papier, NJW 1990, 8 (10). 114 BGHZ 42, 163 (169); 47, 275 (286); 71, 9 (11); 90, 41 (45); 93, 238 (243); 102, 369 (371 f.); BGH NJW 1988, 421; 1988, 1094; BGH DRiZ 1997, 467 (468 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 30. 115 BGHZ 51, 193 (197); 51, 280 (287); 57, 344 (348 f.); Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 12; vgl. auch Grimm, Richterliche Unabhängigkeit und Dienstaufsicht, 1972, S. 72 ff. 116 BGHZ 46, 147 (150); 47, 275 (288); 67, 184 (188); 70, 1 (4); 76, 288 (291); 90, 41 (47); BGH DRiZ 1984, 194 (195); 1991, 410 (411); 1996, 371 (372); einschränkend Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 30; W. Meyer, DRiZ 1981, 22 (24 f.); kritisch hierzu: Rudolph, DRiZ 1979, 97 (100). 117 BGHZ 67, 184 (188); BGH DRiZ 1984, 194 (195); 1991, 410 (411); 1996, 371 (372). 118 Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rdn. 33; R. Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht über Richter, 1985, S. 127 ff.; Leuze, DÖD 2002, 133 (134); Schilken, JZ 2006, 860 (866); Sendler, NJW 2001, 1256 (1258). 119 So auch Schilken, JZ 2006, 860 (866). 120 Vgl. BGHZ 46, 147 (150); 47, 275 (288); 67, 184 (188); 70, 1 (4); 76, 288 (291); 90, 41 (47).

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

eröffnete sich für die Dienstaufsicht ein Einfallstor in den Inhalt rechtsprechender Tätigkeit. Dessen Reichweite würde zudem in die Hände des Dienstvorgesetzten gelegt, da diesem die Entscheidung über das Vorliegen eines offensichtlichen Fehlers obläge. Die hierin liegende Gefährdung der sachlichen Unabhängigkeit des Richters ist erheblich. Daher darf die Dienstaufsicht keinen Einfluss auf den Inhalt der rechtsprechenden Tätigkeit erhalten.121 (b) Die Beurteilung und Beförderung im Besonderen Die Frage der Beurteilung und der Beförderung eines Richters kann ebenfalls Schwierigkeiten im Hinblick auf seine Unabhängigkeit aufwerfen.122 Bei der Beförderung von Richtern gilt das Prinzip der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG). In diesem Rahmen haben dienstrechtliche Beurteilungen die Funktion, Auskunft über fachliche Befähigung, aufgabenbezogene persönliche Eignung, Belastbarkeit und Persönlichkeit des Richters zu geben.123 Dienstrechtliche Beurteilungen dienen letztlich der Qualität der Rechtsprechung und sind daher grundsätzlich zulässig.124 Andererseits gefährden sie jedoch die richterliche Unabhängigkeit: Soweit der Richter Kritik erfährt, besteht die Gefahr, dass er in Zukunft – sei es um erneute Kritik zu vermeiden, sei es aus Karrieredenken – andere Verfahrens- und Sachentscheidungen trifft, als er es ohne die Beurteilung getan hätte.125 Eine derartige psychologische Beeinflussung soll der Beurteilende (möglichst) vermeiden.126 Dennoch existiert die Gefahr, dass der beurteilte Richter seine Entscheidungen den von ihm vermuteten Erwartungen des Beurteilenden anpasst.127 Besondere Bedeutung erlangt diese Problematik beim Zusammenwirken und der Entscheidungsfindung von Richtern in Spruchkörpern, soweit der Vorsitzende mit

121

So auch Grimm, Richterliche Unabhängigkeit und Dienstaufsicht, 1972, S. 88. Vgl. BGH NVwZ 2005, 1223 (1224); DRiZ 1995, 352 (353); Hillgruber, in: Maunz/ Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 85; Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 25. 123 Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 3, 13; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 85; R. Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht über Richter, 1985, S. 26; Pfeiffer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67 (73); Baur, DRiZ 1973, 6 (7); Bluhm, DRiZ 1971, 330 (331); Haberland, DRiZ 2002, 301 (306); Lange, DRiZ 1980, 385 (387); Priepke, DRiZ 1971, 146 (147); Vogt, DRiZ 1967, 385. 124 So auch BVerfG DRiZ 1975, 284; BGH NJW 2002, 359; Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 153. 125 So auch Schreiber, in: FS Jescheck, 1985, S. 757 (770). 126 BGHZ 90, 41 (43 f.); BGH DRiZ 1995, 352 (353); NJW 2002, 359 (360 f.); NJW-RR 2003, 492 (493); Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 13; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 85. 127 So auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 39; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 101; Herrmann, DRiZ 1982, 286 (291); Kühling, in: FS Mahrenholz, 1994, S. 831 (837); Pfeiffer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67 (70); Zweigert, in: FS von Hippel, S. 711 (713). 122

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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der Aufgabe der dienstrechtlichen Beurteilung der anderen Mitglieder betraut ist:128 Erliegen die übrigen Richter (auch nur teilweise) aus den vorgenannten Gründen einem Anpassungsdruck gegenüber dem Vorsitzenden, so entsprechen die Entscheidungen des Spruchkörpers nicht mehr ihrer unabhängigen Einschätzung. Der Vorsitzende verschafft sich durch seine Beurteilungsfunktion einen unangemessenen Einfluss, so dass die Entstehung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Hierarchie innerhalb des Spruchkörpers droht.129 Zudem wird der Zweck des Kollegialprinzips konterkariert, die Qualität der Rechtsprechung durch die Vielfalt der Argumentationen und die wechselseitige Kontrolle zu sichern.130 (c) Vereinbarkeit von Unabhängigkeit des Richters und Dienstaufsicht Die Justizgewährungspflicht gebietet die Dienstaufsicht über Richter. Angesicht der sachlichen Unabhängigkeit des Richters umfasst sie jedoch nicht seine rechtsprechende Tätigkeit, sondern lediglich seine Amtsausführung im Übrigen. Um die sachliche Unabhängigkeit des Richters auch im Bereich der Beurteilung und Beförderung zu wahren, muss der Beurteilende darauf bedacht sein, die Rechtsprechungstätigkeits des beurteilten Richters nicht zu beeinflussen. bb) Persönliche Unabhängigkeit Die in Art. 97 Abs. 2 GG garantierte persönliche Unabhängigkeit dient der institutionellen Sicherung der sachlichen Unabhängigkeit.131 Würde das Grundgesetz dem Richter nur die sachliche Unabhängigkeit garantieren, so dass dieser Konsequenzen seiner Entscheidungen für sein Amt fürchten müsste, liefe die sachliche Unabhängigkeit leer.132 Allerdings schließt Art. 97 Abs. 2 GG auch nicht alle in 128 Vgl. Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 97 Rdn. 11; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 40; Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, 1995, S. 146; Seidel, Recht und Politik 2000, 98 (102). 129 So auch Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, 1995, S. 146; Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 156; Seidel, Recht und Politik 2000, 98 (102). 130 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 44. 131 BVerGE 14, 56, (69); 14, 156 (162); 60, 175 (214); 87, 68 (85); Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 22; Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 2, 21; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 98; Leuze, in: Berliner Kommentar, Bd. 4, Art. 97 Rdn. 55; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 48; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 15, wobei dieser insgesamt eine Wechselwirkung zwischen sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit sieht; Heyde, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, § 33 Rdn. 81; Brüggemann, Die rechtsprechende Gewalt, 1962, S. 87; Achterberg, NJW 1985, 3041 (3042); Kramer, ZZP 114 (2001), 267 (282); Papier, NJW 2001, 1089. 132 Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 21; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 98; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2,

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

dieser Hinsicht denkbaren Einflüsse aus.133 Wie oben dargelegt droht die Beurteilung und Beförderung trotz ihrer Notwendigkeit die sachliche Unabhängigkeit des Richters zumindest mittelbar einzuschränken. Jedoch bietet die persönliche Unabhängigkeit wesentliche Garantien für den Richter.134 Sie umfasst das grundsätzliche Verbot einer Entlassung, Amtsenthebung und Versetzung von Richtern gegen ihren Willen während ihrer Amtszeit, soweit nicht die besonderen Voraussetzungen des Art. 97 Abs. 2 GG, der Form- und Zuständigkeitsvorbehalte135 statuiert, eingehalten werden (sogenannter Grundsatz der Inamovibilität136). Entsprechendes gilt für Maßnahmen, die einer Entlassung, Amtsenthebung oder Versetzung in ihrer Wirkung gleichkommen.137 Art. 97 Abs. 2 GG gewährleistet den Richtern damit eine weitreichende Ämterstabilität.138 Allerdings gilt der Schutz des Art. 97 Abs. 2 GG ausdrücklich nur für hauptamtlich und planmäßig angestellte Richter, so dass insbesondere ehrenamtliche Richter und vorläufig angestellte Richter nicht erfasst sind.139 Auch wenn Erstere im Umkehrschluss zu §§ 30, 31 DRiG ohnehin nicht versetzt werden dürfen, führt dies darüber hinaus nicht zu der Konsequenz, dass die persönliche Unabhängigkeit nicht hauptamtlich und endgültig angestellter Richter ungeschützt wäre und sie insbesondere ohne weiteres ihres Amtes enthoben werden könnten. Vielmehr unterliegen auch Beeinflussungen gegenüber diesen Richtern verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn auch über deren konkrete Begründung keine Einigkeit besteht. Nach teilweise vertretener Ansicht ergeben sich diese zwar nicht aus Art. 97 Abs. 2 GG, aber aus Art. 33 Abs. 5 GG und den darin gewährleisteten „für das Amtsrecht der Richter Art. 97 Rdn. 60; Hülsmann, Die politische Betätigung des Richters, 1977, S. 43; R. SchmidtRäntsch, Dienstaufsicht über Richter, 1985, S. 22; Haberland, DRiZ 2002, 301 (303); Limbach, NJ 1995, 281 (282); Lippold, NJW 1991, 2383 (2384); Papier, NJW 2001, 1089. 133 Vgl. Pfeiffer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67 (68); Wipfelder, DRiZ 1984, 41 (42). 134 So auch Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 98. 135 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 39; Heusch, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 23; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 103. 136 Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 22; Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 21; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 98; Leuze, in: Berliner Kommentar, Bd. 4, Art. 97 Rdn. 59; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 97 Rdn. 11; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 53; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 60, 63. 137 BVerfGE 17, 252 (259); BVerfG NJW 2008, 909 (910); Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 35; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 106; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 97 Rdn. 15; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 97 Rdn. 11; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 55. 138 Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 104. 139 Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 23; Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 21; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 99 f.; Holtkotten, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 97 S. 110; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 27 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 49.

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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charakteristischen hergebrachten Grundsätzen“140.141 Die persönliche Unabhängigkeit, die Bestandteil dieser Grundsätze ist,142 wird somit auch denjenigen Richtern gewährleistet, die sich nicht auf Art. 97 Abs. 2 GG berufen können.143 Auch wenn diese Gewährleistung nicht die Schutzintensität des Art. 97 Abs. 2 GG erreicht,144 sind hiernach alle „vermeidbaren Einflussnahmen der Exekutive auf den Status des einzelnen Richters“ ausgeschlossen.145 Eine andere Ansicht leitet die persönliche Unabhängigkeit nicht hauptamtlicher und planmäßig angestellter Richter aus Art. 97 Abs. 1 GG selbst ab: Da Art. 97 GG allen Richtern die sachliche Unabhängigkeit garantiere, ergebe sich aus der Vorschrift selbst die Notwendigkeit gewisser Sicherungen der persönlichen Unabhängigkeit.146 Im Ergebnis besteht jedenfalls Einigkeit darüber, dass das Grundgesetz auch den nicht von Art. 97 Abs. 2 GG erfassten Richtern die persönliche Unabhängigkeit garantiert.147 Für die ehrenamtlichen Richter ist dies auch in § 45 Abs. 1 DRiG einfachgesetzlich niedergelegt. Grundsätzlich gebietet die persönliche Unabhängigkeit dabei eine amtsangemessene, feste Besoldung148 sowie die Ausstattung mit dem erforderlichen Mindestmaß an Arbeitsmitteln149 als äußere Voraussetzungen richterlicher Unabhängigkeit.

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BVerfGE 12, 81 (88). Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 32; Leuze, in: Berliner Kommentar, Bd. 4, Art. 97 Rdn. 64; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 97 Rdn. 10; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Bd. III, Art. 97 Rdn. 48, 60. 142 BVerfGE 12, 81 (88), 55, 372 (391 f.); BVerfG NJW 1996, 2149 (2150). 143 Vgl. BVerfGE 14, 56 (70); 18, 241 (255); 26, 186 (198 f.); 27, 312 (322); 42, 206 (209); 87, 68 (85); Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 32. 144 Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 32; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 61. 145 BVerfGE 12, 81 (88); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 61. 146 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 42, Heusch, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 22; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 101. 147 BVerfGE 14, 56 (70); 18, 241 (255); 26, 186 (198 f.); 27, 312 (322); 42, 206 (209); 87, 68 (85); Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 21; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 101; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Bd. III, Art. 97 Rdn. 60. 148 BVerfGE 12, 81 (88); 26, 79 (98); 26, 141 (157 f.); 56, 146 (156 ff.); 107, 257 (275); Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 14; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 97 Rdn. 15; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 55; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 74. 149 Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 14; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 91; Leuze, in: Berliner Kommentar, Bd. 4, Art. 97 Rdn. 62; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 97 Rdn. 55; Kramer, ZZP 114 (2001), 267 (283). 141

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

cc) Innere Unabhängigkeit (1) Problematik und Forderung der inneren Unabhängigkeit Die vielfach zitierte „innere Unabhängigkeit“ wird überwiegend als Freiheit des Richters von allen sachfremden Einflüssen bei seiner Entscheidung bezeichnet. Gemeint sind damit sowohl staatliche als auch nicht staatliche und daher hier noch nicht unter der sachlichen oder persönlichen Unabhängigkeit erörterte Einwirkungen Dritter auf den Richter sowie Beeinflussungen, die aus der Person des Richters selbst resultieren.150 Derartige Einflüsse auf Richter sind in vielfältiger Gestalt vorstellbar: Medienberichterstattung über Verfahren und Entscheidungen, Kritik aus dem privaten Umfeld, kulturelle und gesellschaftliche Verankerung sowie vorangegangene Erfahrungen des Richters können sich auf seine Einschätzungen und Entscheidungen auswirken.151 „Richter leben nicht auf einer Insel der Seligen.“152 Die Persönlichkeit des Richters wird durch Umwelt und Erfahrung, aber auch durch mannigfaltige konkrete Einflüsse geprägt.153 Der Richter soll sich jedoch bei seiner Entscheidungstätigkeit von allen Einflüssen freihalten, die außerhalb der zulässigen Entscheidungsgrundlage des konkreten Verfahrens liegen. Ohne den Begriff der Unparteilichkeit bisher in seiner Bedeutung festgelegt zu haben, ist eine Ähnlichkeit zwischen der Forderung der inneren Unabhängigkeit des Richters und seiner Unparteilichkeit festzustellen: Der Richter soll sich nur von verfahrensgemäßen Einflüssen in dem jeweiligen Verfahrensabschnitt leiten lassen.154 Insofern wäre eine Verankerung der Unparteilichkeit in Art. 97 GG über die innere Unabhängigkeit denkbar.

150 Vgl. Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 77; Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, 1960, S. 53, 50; Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers, 1973, S. 226; C. Schütz, Der ökonomisierte Richter, 2005, S. 245 f.; Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 7 f.; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 103; Benda, DRiZ 1975, 166 (168); Faller, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 81 (83); Haberland, DRiZ 2002, 301 (302); Held, DRiZ 1972, 77 (79); Herrmann, DRiZ 1982, 286 (291); Papier, NJW 2001, 1089 (1091); Pfeiffer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67 (69); Schilken, JZ 2006, 860 (862); Sendler, NJW 1983, 1449 (1451 f.); Zweigert, in: FS von Hippel, 1967, S. 711 (715). 151 So auch Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 33; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 103; Herrmann, DRiZ 1982, 286 (291); Pfeiffer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67 (69); Zweigert, in: FS von Hippel, 1967, S. 711 (71). 152 Niebler, DRiZ 1981, 281 (285). 153 Geiger, DRiZ 1979, 65 (66); Schmidt-Jorzig, NJW 1984, 2057 (2060); Schreiber, in: FS Jescheck, 1985, S. 757 (771); Wipfelder, DRiZ 1984, 41 (42); ders., DRiZ 1987, 117 (120); Zweigert, in: FS von Hippel, 1967, S. 711 (715). 154 Vgl. oben A. I. (S. 17 ff.).

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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(2) Verankerung der inneren Unabhängigkeit in Art. 97 GG Fraglich bleibt dabei jedoch, ob diese innere Unabhängigkeit dem Regelungsbereich des Art. 97 GG überhaupt zugeordnet werden kann, mithin als Bestandteil der sachlichen und/oder der persönlichen Unabhängigkeit anzusehen ist. Teilweise wird die innere Unabhängigkeit als in Art. 97 GG verankert angesehen.155 Dabei werden sowohl die sachliche156 wie auch die persönliche157 Unabhängigkeit als verfassungsrechtlicher Standort der inneren Unabhängigkeit genannt, zum Teil findet sich auch lediglich der Verweis auf Art. 97 GG insgesamt.158 Gegen diese Auffassung, die zum Teil nicht näher begründet wird, bestehen jedoch erhebliche Bedenken. Die Vertreter dieser Ansicht stellen zunächst darauf ab, dass die innere Unabhängigkeit (wie auch die persönliche) einer vollständigen sachlichen Unabhängigkeit diene.159 Weiterhin argumentieren sie, dass sowohl sachliche als auch persönliche und innere Unabhängigkeit dasselbe Ziel verfolgten, das in dem unparteilichen Richter liege.160 Selbst wenn dem zugestimmt werden könnte, handelte es sich jedoch lediglich um eine Darstellung der Wechselwirkung der einzelnen „Unabhängigkeiten“ untereinander bzw. ihrer Zielsetzung insgesamt. Dadurch kann jedoch nicht die Verankerung der „inneren Unabhängigkeit“ in Art. 97 GG begründet werden. Das Zusammenwirken oder die gemeinsame Zielsetzung sprechen nicht für die Integration des einen Prinzips in das andere: Selbst wenn die innere Unabhängigkeit von der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit beeinflusst würde und umgekehrt bzw. dieselben Ziele verfolgte wie diese, wäre sie noch nicht Bestandteil dieser „Unabhängigkeiten“. Zudem ist zwar das Argument inhaltlich zutreffend, dass schon nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Vorstellung des unbeteiligten 155 So Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 17; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 13 ff. (21 f.); Ouart, Umfang und Grenzen politischer Betätigungsfreiheit des Richters, 1990, S. 45; Dütz, JuS 1985, 745 (747); Habscheid, JR 1958, 361 (362 f.); ders., Rechtspfleger 1964, 200 (204); ders., Freiwillige Gerichtsbarkeit, 7. Aufl. 1983, § 12 S. 82, nicht mehr derart eindeutig; Faller, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 81 (83); Geiger, DRiZ 1979, 65 (67); Gilles, DRiZ 1983, 41 (44); E. Peters, in: FS Lüke, 1997, S. 603 (604); wohl auch Ridder, Demokratie und Recht 1973, 239 (243); Wipfelder, DRiZ 1984, 41 (42); ders., DRiZ 1987, 117 (119). 156 So Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rdn. 17; Ouart, Umfang und Grenzen politischer Betätigungsfreiheit des Richters, 1990, S. 45; Dütz, JuS 1985, 745 (747); Geiger, DRiZ 1979, 65 (67); Gilles, DRiZ 1983, 41 (44); Schmidt-Jortzig, NJW 1984, 2060; Wipfelder, DRiZ 1984, 41 (42); ders., DRiZ 1987, 117 (119); andeutend auch BGHZ 46, 195 (197). 157 So Faller, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 81 (83). 158 So Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 13 ff. (21 f.); Habscheid, JR 1958, 361 (362 f.); ders., Rechtspfleger 1964, 200 (204); so wohl auch Ridder, Demokratie und Recht 1973, 239 (243). 159 So Ouart, Umfang und Grenzen politischer Betätigungsfreiheit des Richters, 1990, S. 44. 160 So Rudolph, DRiZ 1984, 135 (141).

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

Dritten „mit den Begriffen von ,Richter‘ und ,Gericht‘ verknüpft“161 und damit die Unparteilichkeit ebenso essentiell wie die Unabhängigkeit162 sei. Jedoch ist es auch hier nicht aussagekräftig hinsichtlich des Standortes der inneren Unabhängigkeit im Grundgesetz. Wiederum fehlt es an einer Begründung, weshalb die innere Unabhängigkeit als Bestandteil der sachlichen oder persönlichen Unabhängigkeit verstanden werden und damit konkret in Art. 97 GG verankert sein sollte. Tatsächlich überschneidet sich die innere Unabhängigkeit partiell mit Elementen der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit. Sie ist zu einem Teil das Pendant der in Art. 97 GG enthaltenen Garantien: So soll der Richter etwa durch den Grundsatz der sachlichen Unabhängigkeit vor Einflüssen staatlicher Organe bewahrt werden, die zu einem Anpassungsdruck bei der Ausübung richterlicher Tätigkeit führen. Damit soll auch zur inneren Unabhängigkeit des Richters beigetragen werden. Wie empfänglich ein Richter für Kritik oder Lob163 ist und wie viel ihm daran gelegen ist, gelobt zu werden und Kritik zu vermeiden, hat zwar Einfluss auf seine innere Unabhängigkeit, entzieht sich jedoch staatlichem Einfluss.164 Insofern können die Gewährleistungen des Art. 97 GG nur günstige äußere Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Richter auch innerlich unabhängig ist; garantieren können sie diese innere Unabhängigkeit nicht. Daher hat die überwiegende Auffassung Recht, nach der Art. 97 GG grundsätzlich nur die Unabhängigkeit von staatlichen Einflüssen garantiert.165 Darüber hinaus könnte Art. 97 GG nur insofern eine Art der Drittwirkung entfalten, als man aus dieser Regelung eine eingeschränkte Verpflichtung des Staates ableiten könnte, den Richter vor Eingriffen in seine Unabhängigkeit durch Dritte zu schützen. Dies könnte beispielsweise durch die staatliche Bestrafung solch unangemessener Beeinflussungsversuche geschehen.166 Damit ist die innere Unabhängigkeit mehr als nur das Korrelat der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit: Sie verlangt vom Richter nicht nur die Mitwirkung an seiner sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit, sondern gebietet ihm, sich auch von inneren, eigenen Einflüssen frei zu halten. Insofern kann die innere Unabhän161 Ouart, Umfang und Grenzen politischer Betätigungsfreiheit des Richters, 1990, S. 45 f. im Hinblick auf BVerfGE 21, 139 (145 f.); 60, 175 (214); 103, 111 (140). 162 Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 13 ff. (21 f.). 163 Siehe zur besonderen Wirkung des Lobs: Sendler, NJW 1983, 1449 (1452). 164 So auch C. Schütz, Der ökonomisierte Richter, 2005, S. 245 f.; so auch Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 36; Rudolph, DRiZ 1984, 135 (141). 165 Vgl. BVerfGE 12, 67 (71); Achterberg, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdn. 271; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 5; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 97 Rdn. 84; Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 314; Overhoff, Ausschließung und Ablehnung des Richters, 1975, S. 36; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 221; Bettermann, AöR 94 (1969), 263 (271). 166 So Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 16; Kissel/ Mayer, GVG, § 1 Rdn. 192; Ouart, Umfang und Grenzen politischer Betätigungsfreiheit des Richters, 1990, S. 45; Dütz, JuS 1985, 745 (749); Kramer, ZZP 114 (2001), 267 (285).

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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gigkeit als Anforderung an die Selbstdisziplin des Richters aufgefasst werden. Sie ist eine „geistige, ethische, willentliche, zuchtvolle Anstrengung“167, die dem Richter abverlangt wird. In den erläuterten Regelungsgehalt des Art. 97 GG lässt sich die innere Unabhängigkeit jedoch nicht eingliedern. Sie bleibt im Zusammenhang mit der richterlichen Unabhängigkeit im Sinne des Art. 97 GG in erster Linie eine Aufgabe des Richters168 und ist nicht in Art. 97 GG enthalten.169 Damit ist auch die richterliche Unparteilichkeit – unabhängig von ihrem Verhältnis zur inneren Unabhängigkeit – nicht in Art. 97 GG verankert. b) Art. 97 GG als Voraussetzung der Unparteilichkeit Die Erkenntnis, dass die Unparteilichkeit nicht in Art. 97 GG verankert ist, bedeutet jedoch nicht, dass kein Zusammenhang zwischen der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit des Richters besteht. Zuzugeben bleibt zwar, dass auch die Unparteilichkeit als „menschliches Internum“170 verfassungsrechtlich wie gesetzlich schwer zu regeln ist. Dennoch befindet sich die richterliche Unparteilichkeit deshalb nicht in einem regelungsfreien Raum. Vielmehr schaffen die dargestellten Garantien des Art. 97 GG das Fundament, auf dem die richterliche Unparteilichkeit sicher stehen kann. Durch die sachliche und persönliche Unabhängigkeit wird die Unparteilichkeit des Richters erst ermöglicht, indem seine Entscheidung von staatlichen Einflüssen befreit wird, die über die Gesetzesbindung hinausgehen. Insofern schaffen die Garantien des Art. 97 GG die Voraussetzungen für die Unparteilichkeit des Richters.171 167

Geiger, DRiZ 1979, 65 (66). So auch Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 5; Brüggemann, Die rechtsprechende Gewalt, 1962, S. 95 ff.; Funk, DRiZ 1978, 357 (360); Papier, NJW 2001, 1089 (1091); Schilken, JZ 2006, 860 (862). 169 Im Ergebnis so auch Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 97 Rdn. 16; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 23, 93; Meyer, in: v. Münch/ Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 5; Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 320; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 18; Hoffmann, Verfahrensgerechtigkeit, 1992, S. 106; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 38; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 223 f.; Rzepka, Zur Fairneß im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 365; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 115; Kramer, ZZP 114 (2001), 267 (283 f.); Pfeiffer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67 (71); Schütz, Die Ablehnung von Bundesverfassungsrichtern, 1974, S. 30, der jedoch die Unparteilichkeit sowohl in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG als auch in Art. 97 GG verankert sieht; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 87, 92. 170 Faller, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 81 (96). 171 So auch Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 97 Rdn. 2; Meyer, in: v. Münch/ Kunig, GG, Bd. 3, Art. 97 Rdn. 5; M. Ernst, Die Ablehnung des Richters, 1973, 6; Hoffmann, Verfahrensgerechtigkeit, 1992, S. 109; Rzepka, Zur Fairneß im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 365; C. Schütz, Der ökonomisierte Richter, 2005, S. 245; Sowada, Der gesetzliche Richter im 168

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

3. Der gesetzliche Richter, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG Denkbar ist weiterhin, die Unparteilichkeit des Richters im Grundsatz des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG zu verankern. Dieser Grundsatz ist eine „Grundnorm für die Gerichtsorganisation nach dem Grundgesetz“172 und konkretisiert das Rechtsstaatsprinzip für den Bereich der Gerichtsorganisation.173 Teilweise wird Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG derart ausgelegt, dass gesetzlicher Richter nur der „in jeder Hinsicht den Anforderungen des Grundgesetzes entsprechend(e)“174 und insofern unabhängige und unparteiliche Richter sein könne.175 Hiernach seien die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der §§ 22 ff. StPO als einfachgesetzliche Absicherung der richterlichen Unparteilichkeit, auf die noch näher einzugehen

Strafverfahren, 2002, S. 115, 183; Held, DRiZ 1972, 77 (79 f.); Pfeiffer, in: Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67 (71). 172 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 101 Rdn. 1; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 101 Rdn. 14. 173 BVerfGE 27, 355 (362); 40, 356 (361); 82, 159 (194); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 2; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 1; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 101 Rdn. 1; Müller-Terpitz, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 101 Rdn. 2; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. III, Art. 101 Rdn. 16; Joachim, DRiZ 1965, 181. 174 BVerfGE 10, 200 (213); 14, 156 (162); 27, 319; 54, 159 (172); 82, 286 (298). 175 So BVerfGE 10, 200 (213); 21, 139 (145 f.); 23, 85 (91); 23, 321 (326); 30, 149 (152 f.); 40, 268 (271); 54, 159 (172); 89, 28 (36); BVerfG NJW 2006, 3129 (3130); NVwZ-RR 2008, 289 (290); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 24; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 101 Rdn. 9; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 17; Leuze, in: Berliner Kommentar, Bd. 4, Art. 101 Rdn. 8; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 101 Rdn. 12; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 101 Rdn. 5; Müller-Terpitz, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 101 Rdn. 5; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 101 Rdn. 15, 27, 41; Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1987, S. 13; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 6 f.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 20; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 50 f., 97; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 19; Horn, Der befangene Richter, 1977, S. 120; Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, 1995, S. 184; Marx, Der gesetzliche Richter, 1969, S. 18 f.; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 252 f., 256 f.; Rzepka, Zur Fairneß im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 165, 271, 374; Schütz, Die Ablehnung von Bundesverfassungsrichtern, 1974, S. 29; Semmler, Prozessverhalten des Richters, 1994, S. 128; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 15; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters wegen Besorgnis der Befangenheit, 2001, S. 29 ff.; Arzt, NJW 1971, 1112 (1113); Günther, NJW 1986, 281; Joachim, DRiZ 1965, 181 (182 f.); Krekeler, NJW 1981, 1633 (1636); Lamprecht, NJW 1993, 2222; ders., NJW 1999, 2791 (2792); Mehle, StV 1987, 93 (95); Pechstein, Jura 1998, 197 (198); Schlichting, NJW 1989, 1343 (1344); Schorn, GA 1963, 257; v. Stackelberg, NJW 1959, 469 (470); Träger, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 123 (125); einschränkend auf einen Kernbereich der Unparteilichkeit: Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 287, 301; kritisch, letztlich aber zustimmend: Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 101 Rdn. 11 f.; ebenfalls kritisch: Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 179 ff.

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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sein wird, in den Grundsatz des gesetzlichen Richters integriert.176 Da nach diesem Verständnis die richterliche Unparteilichkeit Bestandteil des in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG niedergelegten Grundsatzes sein könnte, ist der Gewährleistungsgehalt des Grundsatzes des gesetzlichen Richters näher zu untersuchen. a) Vorausbestimmung der Zuständigkeit als einhelliger Regelungsgehalt Nach allgemeiner Ansicht verlangt der Grundsatz des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG jedenfalls die Vorausbestimmung des für ein konkretes Verfahren zuständigen Richters.177 Seinen historischen Ursprung hat der Grundsatz des gesetzlichen Richters im Kampf gegen die Machtsprüche und die Kabinettsjustiz, für die charakteristisch war, dass ein Verfahren oder eine Entscheidung ohne Weiteres durch den Landsherrn bzw. die Exekutive an sich gezogen werden konnte.178 Entsprechend soll das Gebot des gesetzlichen Richters unzulässige Einflüsse Dritter auf die Zuordnung bestimmter Verfahren zu bestimmten Richtern verhindern.179 Dabei ist unerheblich, mit welcher Zielsetzung dies geschieht. Zugleich soll hierdurch das Vertrauen der Rechtssuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit der Richter geschützt werden:180 Nur der Richter, dessen Zuständigkeit für ein Verfahren im Vorhinein bestimmt wurde, gewährleistet mit größtmöglicher 176

So Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 62 f., 77; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 195. 177 Vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 14; Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 101 Rdn. 5; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 16; Leuze, in: Berliner Kommentar, Bd. 4, Art. 101 Rdn. 6; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 101 Rdn. 8; Müller-Terpitz, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 101 Rdn. 5; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 101 Rdn. 15, 18; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 101 Rdn. 7; Gottschalk, Das Recht auf den gesetzlichen Richter, 1965, S. 28 f.; Henkel, Der gesetzliche Richter, 1968, S. 12; Kröger, Der gesetzliche Richter, 1962, S. 7; Marx, Der gesetzliche Richter, 1969, S. 3 f.; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 30; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 225; T. Roth, Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter, 2000, S. 15; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 168; Bettermann, AöR 94 (1969), 263 (267); Joachim, DRiZ 1965, 181 (183); Träger, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 123 (124 f.); Wipfelder, VBlBW 1982, 33; vgl. auch Arndt, JZ 1956, 633. 178 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 101 Rdn. 1; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 101 Rdn. 1; Kern, Der gesetzliche Richter, 1927, S. 56 ff.; Marx, Der gesetzliche Richter, 1969, S. 129 ff.; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 33 ff. 179 Müller-Terpitz, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 101 Rdn. 2, 5; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 101 Rdn. 1; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 101 Rdn. 14; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 101 Rdn. 7; Kröger, Der gesetzliche Richter, 1962, S. 7; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 237; Bettermann, AöR 94 (1969), 263 (289); Wipfelder, VBlBW 1982, 33. 180 So BVerfGE 4, 412 (416); BVerfG NJW 1992, 2075; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 101 Rdn. 14.

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

Wahrscheinlichkeit die erforderliche Distanz zum Verfahren und den Verfahrensbeteiligten.181 Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG gebietet daher, den gesetzlichen Richter im Voraus durch generelle, jeden möglichen Einzelfall erfassende Regelungen so eindeutig wie möglich festzulegen und jeden vermeidbaren Spielraum auszuschließen.182 Die Vorausbestimmung des zuständigen Gerichts ist nicht ausreichend, erforderlich ist die Festlegung des konkreten Richters.183 Zudem ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis von richterlicher Unabhängigkeit und der Vorausbestimmung des zuständigen Richters zueinander hervorzuheben:184 Der Grundsatz des gesetzlichen Richters sichert in dieser Ausprägung die Unabhängigkeit des Richters gegen Missbrauch durch Dritte ab.185 Ist der konkrete Richter für ein bestimmtes Verfahren bereits im Voraus festgelegt und dadurch eine Zuweisung erst bei Anfallen des Verfahrens gerade an einen konkreten Richter ausgeschlossen, verringert dies das Risiko, dass die richterliche Unabhängigkeit von Dritten durch die Vornahme einer solchen Auswahl missbraucht werden kann.186 Auf diese Weise kann ein Richter nicht seiner Person oder Einstellung wegen einem bestimmten Verfahren zugeordnet werden, um ein Urteil zu sprechen, das von dritter Seite gewünscht wird. Da aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit nicht unmittelbar auf den Richter und seine Entscheidungsfindung eingewirkt werden darf, wäre ohne den Grundsatz des gesetzlichen Richters die Manipulation der richterlichen 181

Soweit im Einzelfall dennoch der gesetzlich zuständige Richter parteilich ist, greifen im Strafverfahren – wie noch zu erörtern sein wird – die §§ 22 ff. StPO ein und ermöglichen eine Entfernung des parteilichen Richters aus seiner Stellung als gesetzlich zuständiger Richter. 182 BVerfGE 6, 45 (51); 17, 294 (298 ff.); 19, 52 (59 f.); 22, 254 (258); 30, 149 (152 f.); 40, 268 (271); 40, 356 (361); 48, 246 (253 f.); 63, 77 (79); 82, 286 (298); 95, 322 (327 ff.); SchulzeFielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 101 Rdn. 19; Britz, JA 2001, 573 (574). 183 BVerfGE 4, 412 (417); 17, 294 (298); 18, 65 (69); 18, 344 (349); 18, 423 (425); 19, 52 (59); 40, 356 (361); 65, 152 (154); 69, 112 (120); 82, 286 (298); 95, 322 (329); 97, 1 (10); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 14; Kissel/Mayer, GVG, § 16 Rdn. 27; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 12; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 101 Rdn. 11; Kellermann, Probleme des gesetzlichen Richters, 1971, S. 222; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 225; T. Roth, Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter, 2000, S. 28; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 153, 172; Arndt, DRiZ 1959, 171; Berger, NJW 1955, 1138; Bettermann, AöR 94 (1969), 274. 184 Vgl. auch Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 71. 185 So auch Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 1; MüllerTerpitz, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, GG, Art. 101 Rdn. 2; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 50; Henkel, Der gesetzliche Richter, 1968, S. 16 f.; Kröger, Der gesetzliche Richter, 1962, S. 11; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 99; Bettermann, AöR 94 (1969), 263 (289); Joachim, DRiZ 1965, 181 (182). 186 So auch Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 1; MüllerTerpitz, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, GG, Art. 101 Rdn. 2; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 50; Henkel, Der gesetzliche Richter, 1968, S. 16 f.; Kröger, Der gesetzliche Richter, 1962, S. 11; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 99; Bettermann, AöR 94 (1969), 263 (289); Joachim, DRiZ 1965, 181 (182).

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

51

Zuständigkeit die letzte Möglichkeit, auf den Ausgang eines Verfahrens Einfluss zu nehmen.187 b) Kontroverse hinsichtlich der Materialisierung des gesetzlichen Richters Über die Vorausbestimmung des konkret zuständigen Richters hinaus besteht keine Einigkeit darüber, ob der Grundsatz des gesetzlichen Richters weitere Gewährleistungen umfasst. In Erwägung zu ziehen ist an dieser Stelle die Erweiterung des Regelungsgehaltes des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG um einen materiellen Teil: Gesetzlicher Richter wäre danach nicht nur der (möglichst) gesetzlich in seiner Zuständigkeit vorausbestimmte Richter, sondern der umfassend den Vorgaben des Grundgesetzes entsprechende Richter. Dies hätte zur Folge, dass nur der unabhängige und unparteiliche Richter gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG sein könnte. aa) Der gesetzliche Richter als „gesetzlich zuständiger“ Richter Nach teilweise vertretener Auffassung geht der Regelungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht über die Vorausbestimmung der richterlichen Zuständigkeit hinaus.188 Das Gebot des gesetzlichen Richters wird damit als Forderung des „gesetzlich zuständigen“ Richters aufgefasst.189 Begründet wird diese Ansicht vor allem mit dem originären Schutzzweck des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, der – wie oben bereits dargestellt – in dem Schutz der gerichtlichen Zuständigkeitsordnung vor Manipulationen liegt.190

187

So auch Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 1. So Henkel, Der gesetzliche Richter, 1968, S. 12; T. Roth, Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter, 2000, S. 50 ff.; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 201; Bettermann, AöR 92 (1967), 496 (507); ders., AöR 94 (1969), 263 (265 ff.); Henkel, DÖV 1976, 242 (243 f.); Wipfelder, VBlBW 1982, 33 (41 f.); Zuck, DRiZ 1988, 172 (177); zwischen den Ausschluss- und den Ablehnungsgründen differenzierend: Overhoff, Ausschluss und Ablehnung, 1975, S. 30, 32 ff. 189 Vgl. Henkel, Der gesetzliche Richter, 1968, S. 12; Bettermann, AöR 94 (1969), 263 (265). 190 Vgl. Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 31; T. Roth, Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter, 2000, S. 51; Bettermann, AöR 94 (1969), 263 (265 f.); siehe hierzu bereits auch Gerleit, Das Recht des Einzelnen auf seinen gesetzlichen Richter, 1967, S. 96, 106 f.; Kern, Der gesetzliche Richter, 1927, S. 160, 177. 188

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

bb) Der gesetzliche Richter als der „in jeder Hinsicht den Anforderungen des Grundgesetzes entsprechend(e)“ Richter Nach einer anderen Ansicht ist der gesetzliche Richter der „in jeder Hinsicht den Anforderungen des Grundgesetzes entsprechend(e)“191 Richter. Damit gewährleiste der Grundsatz des gesetzlichen Richters nicht nur dessen konkrete Vorausbestimmung für jedes anfallende Verfahren, sondern auch die Entscheidung durch einen Richter, der unabhängig und unparteilich, mithin neutral und objektiv ist.192 Dieser Zuweisung eines materiellen Gehalts zu dem Grundsatz des gesetzlichen Richters liegt eine langjährige Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde. Sie entfaltete sich von der Gewährleistung einer Vorausbestimmung der Zuständigkeit über die Garantie auch sogenannter „ständiger Attribute“193 des Richters und seiner persönlichen Unvoreingenommenheit194 bis zur

191

BVerfGE 10, 200 (213); 14, 156 (162); 27, 319; 54, 159 (172); 82, 286 (298). So BVerfGE 10, 200 (213); 21, 139 (145 f.); 23, 85 (91); 23, 321 (326); 30, 149 (152 f.); 40, 268 (271); 54, 159 (172); 89, 28 (36); BVerfG NJW 2006, 3129 (3130); NVwZ-RR 2008, 289 (290); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 24; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 101 Rdn. 9; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 17; Leuze, in: Berliner Kommentar, Bd. 4, Art. 101 Rdn. 8; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 101 Rdn. 12; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 101 Rdn. 5; Müller-Terpitz, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 101 Rdn. 5; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 101 Rdn. 15, 27, 41; Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1987, S. 13; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 6 f.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 20; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 50 f., 97; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 19; Horn, Der befangene Richter, 1977, S. 120; Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, 1995, S. 184; Marx, Der gesetzliche Richter, 1969, S. 18 f.; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 252 f., 256 f.; Rzepka, Zur Fairneß im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 165, 271, 374; Schütz, Die Ablehnung von Bundesverfassungsrichtern, 1974, S. 29; Semmler, Prozessverhalten des Richters, 1994, S. 128; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 15; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters wegen Besorgnis der Befangenheit, 2001, S. 29 ff.; Arzt, NJW 1971, 1112 (1113); Günther, NJW 1986, 281; Joachim, DRiZ 1965, 181 (182 f.); Krekeler, NJW 1981, 1633 (1636); Lamprecht, NJW 1993, 2222; ders., NJW 1999, 2791 (2792); Pechstein, Jura 1998, 197 (198); Schlichting, NJW 1989, 1343 (1344); Schorn, GA 1963, 257; Träger, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 123 (125); einschränkend auf einen Kernbereich der Unparteilichkeit: Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 287, 301; kritisch, letztlich aber zustimmend: Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 101 Rdn. 11 f.; ebenfalls kritisch: Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 179 ff. 193 Die Aussage, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG garantiere den „in jeder Hinsicht den Anforderungen entsprechen(den)“ Richter, bezog sich zunächst nur auf Merkmale, die der Richter ständig, im Sinne von vom Einzelfall unabhängig, besitzt, vgl. Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 94; ihm folgend: Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 232; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 176. 194 BVerfGE 21, 139 (145 f.). 192

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

53

Verankerung von dessen sachlicher Unvoreingenommenheit195 in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG.196 Diese Rechtsprechung hat breite Zustimmung gefunden.197 Unabhängig von der Fragestellung, welche Anforderungen an eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG in diesem Zusammenhang zu stellen wären,198 wäre hiernach ein parteilicher Richter nicht gesetzlicher Richter. Problematisch bliebe dabei jedoch, welches Element dieses Grundsatzes exakt im Falle der richterlichen Parteilichkeit berührt sein sollte.199 Das Bundesverfassungsgericht ordnet in seiner diesbezüglichen Rechtsprechung die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Richters im Rahmen des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht dem Attribut „gesetzlich“, sondern vielmehr dem Begriff des „Richters“ zu. Die Merkmale unabhängig, unparteilich, neutral und unbeteiligt sind hiernach derart eng mit dem Begriff des Richters verknüpft, dass sie innerhalb des Grundsatzes des gesetzlichen Richters zum Bestandteil des Richterbegriffs werden.200 Jedoch wird bei dieser Zuordnung „die Bezeichnung eines ,unparteilichen Richters‘ zur Tautologie, und der ,befangene Richter‘ bezeichnet an sich einen logischen Widerspruch“.201 Diese Zuordnung unterläge daher denselben Bedenken, die hier bereits im Rahmen des Art. 92 GG erörtert wurden: Auch der im Einzelfall abhängige oder parteiliche Richter muss Richter im Sinne des Grundgesetzes bleiben, da die Eigenschaft als Richter nicht von einzelfallbezogenen, äußeren Umständen abhängen darf.202 Bliebe diese Kritik im Zusammenhang des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG unberücksichtigt, hätte dies bei Bejahung des materiellen Gehaltes der Vorschrift zur Folge, dass die Richterbegriffe der Art. 92 und 97 GG einerseits und des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG andererseits unterschiedliche wären.203 Hierfür fehlt indessen jede plausible Erklärung und auch Notwendigkeit.204 195

BVerfGE 30, 149 (153); 30, 165 (167 f.); 31, 295 (296 f.); 63, 77 (79 f.). Vgl. zu dieser Entwicklung die Darstellung bei: Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 261 ff.; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 174 ff. 197 Vgl. Fn. 192. 198 Vgl. hierzu Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 101 Rdn. 27 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 101 Rdn. 40 ff. 199 Vgl. Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 231. 200 Vgl. Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 80; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 178. 201 Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 178; vgl. auch Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 80, der – wie Sowada wohl zutreffend erkannt hat – versehentlich vom „unbefangenen Richter“ als Widerspruch spricht. 202 So auch Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 93 f.; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 244; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 178. 203 So auch Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 93 f.; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 244; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 178. 196

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

Sofern also in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG tatsächlich ein materieller Gehalt zu sehen wäre, ließe sich dieser in dem als Oberbegriff für konkretere Forderungen geeigneten Begriff „gesetzlich“ des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verorten.205 cc) Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG Fragwürdig erscheint nach alledem jedoch, ob der Grundsatz des gesetzlichen Richters als verfassungsrechtlicher Standort der richterlichen Unparteilichkeit selbst dann in Frage käme, wenn Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ein materieller Gehalt beigemessen werden könnte. Geht man von der Prämisse aus, der parteiliche Richter sei nicht gesetzlicher Richter, so gewährleistete Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG die Entscheidung durch einen unparteilichen Richter, da nur dieser den Anforderungen des Grundgesetzes in jeglicher Hinsicht entspräche. Damit bliebe jedoch weiter offen, der sich aus welcher Regelung des Grundgesetzes ergebenden Anforderung der Richter zu entsprechen hätte. Soweit Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG alle Qualitäten, die das Grundgesetz von einem Richter verlangt, in seine Forderung nach einem gesetzlichen Richter einbezöge, blieben diese Eigenschaften dennoch in den Normen des Grundgesetzes verankert, die sie tatsächlich regeln. Dies lässt sich anhand richterlicher Qualitäten verdeutlichen, die ausdrücklich im Grundgesetz geregelt sind: Mag zum Beispiel der im Einzelfall abhängige Richter bei materieller Erweiterung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG auch nicht gesetzlicher Richter sein, so ist dennoch die richterliche Unabhängigkeit, wie oben bereits erörtert wurde, nicht etwa in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verankert, sondern in Art. 97 GG. Entsprechendes würde dann aber auch für die richterliche Unparteilichkeit gelten: Wird sie in die Forderung eines gesetzlichen Richters einbezogen, bedeutet dies nicht, dass sie in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verankert ist. Dies zeigt vielmehr lediglich, dass sie zu den Anforderungen des Grundgesetzes an den Richter gehört. Selbst wenn man den Grundsatz des gesetzlichen Richters so auslegt, dass auch materielle Aspekte berücksichtigt werden, wird die Frage nach der verfassungsrechtlichen Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Ergebnis nicht beantwortet. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ist nicht die verfassungsrechtliche Anknüpfung der Unparteilichkeit des Richters. Weitergehend sprechen auch die überzeugenderen Argumente gegen die Erweiterung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG um einen materiellen Gehalt: Wie vorgenannt liegt der primäre Zweck des Grundsatzes im Schutz vor Manipulationen der ge204

So auch Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 95. Vgl. Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 95 ff.; so auch Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 20; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 246 ff.; Semmler, Prozessverhalten des Richters, 1994, S. 128; Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, S. 113. 205

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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richtlichen Zuständigkeitsordnung.206 Das verfolgte Anliegen, „das Vertrauen der Rechtssuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte“ zu schützen,207 ist hierbei als Fernziel zu betrachten: Wie oben dargelegt208 wehrt Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG den Missbrauch der richterlichen Unabhängigkeit durch das Erfordernis der vorausbestimmten Zuständigkeitsordnung ab. Da aber bereits die enge Ausprägung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG dieses Fernziel verfolgt, kann es keine Begründung für eine materielle Erweiterung des Grundsatzes liefern.209 Dasselbe gilt für das aufgeworfene Argument, die Beschränkung des Gewährleistungsgehalts des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG allein auf die Zuständigkeitsordnung lasse die hervorgehobene Bedeutung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters im Grundgesetz unverständlich erscheinen.210 Der oben dargelegte Schutz vor Manipulationen und die dadurch erreichte Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit vor Missbrauch durch die vorausbestimmte Zuständigkeitsordnung rechtfertigen die ausdrückliche Normierung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters im Grundgesetz.211 Zudem entstehen Bedenken gegen das materielle Verständnis des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG bei der Betrachtung von dessen Gewährleistungsgehalten: Der Grundsatz des gesetzlichen Richters umfasst, neben dem Abwehrrecht hinsichtlich einer etwaigen Entziehung des gesetzlichen Richters, unbestritten den Leistungsgehalt, durch den der Gesetzgeber verpflichtet wird, die Zuständigkeit des konkreten Richters im Voraus zu bestimmen.212 Ein darüber hinaus gehender Leistungsaspekt müsste bei der Bezugnahme des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG auf die Anforderungen des Grundgesetzes nicht für diesen selbst beansprucht werden, sondern den einzubeziehenden Verfassungsnormen zu entnehmen sein. Zu Recht wird insofern ein weiterer Leistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG abgelehnt.213

206

Vgl. oben C. I. 3. a) (S. 49). BVerfGE 4, 412 (416); vgl. auch Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 284; Marx, Der gesetzliche Richter, 1969, S. 1; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 236; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 17. 208 Vgl. oben C. I. 3. a) (S. 49). 209 So aber Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 48. 210 So Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 101 Rdn. 13; Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 280; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 47; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 241, 252; Semmler, Prozessverhalten des Richters, 1994, S. 127; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 13; Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, S. 113. 211 So auch Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 181. 212 Vgl. BVerfGE 95, 322 (329); BVerf NVwZ 2007, 691 (693); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 101 Rdn. 8; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 101 Rdn. 18; Kröger, Der gesetzliche Richter, 1962, S. 9. 213 Vgl. Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 185 f. 207

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

Weiterhin ist die Annahme einer Integration der einfachgesetzlichen Ausschlussund Ablehnungsvorschriften der §§ 22 ff. StPO in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, die dazu führt, dass der parteiliche Richter nicht gesetzlicher Richter sein kann,214 nur eine denkbare Konstruktion des Verhältnisses zwischen dem Gebot der vorausbestimmten richterlichen Zuständigkeit und einer Einschlägigkeit der Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der §§ 22 ff. StPO. Ebenso lässt sich die umgekehrte Betrachtungsweise skizzieren: Der im Einzelfall abhängige und parteiliche Richter bleibt gesetzlicher Richter, dessen Ausschluss oder Ablehnung ausnahmsweise erlaubt ist.215 Auch ist nicht zu verkennen, dass die materielle Erweiterung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters vom Bundesverfassungsgericht ergebnisorientiert vorgenommen wurde. Es brachte den Grundsatz mit der Unparteilichkeit des Richters in Anbetracht der Tatsache in Zusammenhang, dass bei seiner Verletzung die Verfassungsbeschwerde zulässig ist.216 Eine vom Ergebnis her geführte Argumentation als solche ersetzt jedoch nicht eine präzise verfassungsrechtliche Begründung.217 c) Ablehnung des materiellen Gehalts sowie der verfassungsrechtlichen Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass ein materieller Gehalt des Grundsatzes des gesetzlichen Richters, der über die vorausbestimmte Zuständigkeitsordnung hinausgeht, zu verneinen ist. Davon unabhängig ist die Unparteilichkeit des Richters nicht in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verankert, da auch eine materielle Auslegung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters die Anforderungen des Grundgesetzes nur in Bezug nimmt, ohne sie selbst zu beinhalten.

214

So Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 62 f., 77; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 195. 215 So auch Bettermann, AöR 94 (1969), 263 (270); Wipfelder, VBlBW 1982, 33 (41); ähnlich auch Marx, Der gesetzliche Richter, 1969, S. 117, der im Falle der gerechtfertigten Ablehnung von einem „Rechtfertigungsgrund“ für die Richterentziehung ausgeht. 216 Vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfG, wobei die Qualifizierung als (prozessuales) Grundrecht, grundrechtsgleiches oder grundrechtsähnliches Recht umstritten ist. 217 So auch Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 34 f.; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 182; Bettermann, AöR 94 (1969), 263 (264 f.); Wipfelder, VBlBW 1982, 33 (41).

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

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4. Das rechtliche Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG Zum Teil wird (auch) Art. 103 Abs. 1 GG als Standort der Unparteilichkeit des Richters im Grundgesetz eingestuft.218 Die Einordnung in das Recht auf rechtliches Gehör als „prozessuale Grundnorm für alle gerichtlichen Verfahren“219 ist insofern denkbar, als der parteiliche Richter den Ausführungen und Argumenten zumindest eines Verfahrensbeteiligten nicht mehr neutral und offen gegenübersteht, mithin nicht mehr richtig zuhört.220 Gegen ein Nichtzuhören seitens des Richters wendet sich grundsätzlich Art. 103 Abs. 1 GG auf drei Stufen von Gewährleistungen:221 Zunächst umfasst das Recht auf rechtliches Gehör das Recht des Verfahrensbeteiligten auf Information und Mitteilung durch das Gericht über Inhalt und Stand des Verfahrens.222 Die zweite Gewährleistungsstufe besteht in dem Recht des Verfahrensbeteiligten, sich zum Verfahren zu äußern.223 Soweit das Äußerungsrecht isoliert für den Verfahrensbeteiligten keinen Einfluss auf das Verfahren garantiert, ist zudem erforderlich, dass der Richter die Äußerung des Verfahrensbeteiligten auch berücksichtigt. Dies führt auf der dritten Gewährleistungsstufe zur Notwendigkeit der Begründung von Verfahrensentscheidungen,224 da nur aus der Begründung hervorgehen kann, inwieweit der Richter die Ausführungen des Prozessbeteiligten in seine Erwägungen einbezogen hat. Der parteiliche Richter wird in diesem Zusammenhang mit einem schwerhörigen Richter verglichen, da er das Vorbringen des Verfahrensbeteiligten wegen seiner

218 So Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rdn. 731 ff.; vgl. auch Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 20; Ranft, Strafprozeßrecht, 3. Aufl. 2005, § 8 Rdn. 174; Herzog, StV 1995, 372 (374); Lamprecht, NJW 1993, 2222; ders., NJW 1999, 2791 (2792); offen lassend: Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 190 ff.; ähnlich: Zuck, DRiZ 1988, 172 (177). 219 BVerfGE 6, 12 (14); 9, 89 (96); 55, 1 (6); 70, 180 (188); Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 103 Rdn. 1; ähnlich auch Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 103 Rdn. 3; Nolte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 103 Rdn. 1; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 103 Rdn. 13. 220 So Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rdn. 731, 733; vgl. auch Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 20; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 190; Lamprecht, NJW 1993, 2222; ders., NJW 1999, 2791 (2792); Zuck, DRiZ 1988, 172 (177). 221 Vgl. hierzu auch die Darstellungen bei Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 103 Rdn. 11; Nolte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 103 Rdn. 28; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, Art. 103 Rdn. 69; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 103 Rdn. 20. 222 BVerfGE 36, 85 (88); 74, 1 (5); 84, 188 (190); 86, 133 (144). 223 BVerfGE 9, 89 (96); 25, 40 (43 f.); 55, 1 (6); 60, 175 (210); 64, 135 (143 f.); 75, 302 (312 f.); 83, 24 (35). 224 BVerfGE 11, 218 (220); 54, 86 (91 f.); 81, 97 (106); 85, 386 (404); 96, 205 (216).

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

Parteilichkeit nicht berücksichtige.225 Umgekehrt ließe sich auch fordern, dass der Richter, um rechtliches Gehör zu gewähren, nicht nur „bereit und in der Lage [sein müsse], das Vorbringen der Beteiligten nicht bloß zur Kenntnis zu nehmen und zu bewerten, sondern darüber hinaus auch unvoreingenommen zu berücksichtigen.“226 So anschaulich dieses Bild vom parteilichen als „schwerhörigem“ Richter ist, ist dennoch zweifelhaft, inwieweit sich die Unparteilichkeit des Richters tatsächlich in das Recht auf rechtliches Gehör integrieren lässt. Das Recht auf rechtliches Gehör ist Ausdruck der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG227 und des Rechtsstaatsgebots.228 In diesem Sinne wendet sich der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gegen den Status des Verfahrensbeteiligten als bloßes Objekt des Verfahrens und gewährleistet, dass er sich zum Verfahren äußern kann, um auf dieses und die es beendende Entscheidung Einfluss nehmen zu können.229 Die Unparteilichkeit des Richters wird hingegen von Art. 103 Abs. 1 GG nicht geschützt.230 Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs soll im Ergebnis gewährleisten, dass der Richter das Vorbringen des Verfahrensbeteiligten würdigt, nicht jedoch auf welche Art und Weise. Der parteiliche Richter aber würdigt die Ausführungen des Verfahrensbeteiligten durchaus, allerdings voreingenommen. Diese Voreingenommenheit soll das Gebot richterlicher Unparteilichkeit unterbinden, nicht hingegen Art. 103 Abs. 1 GG. Insofern hat die richterliche Unparteilichkeit eine andere Schutzrichtung als der Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Art. 103 Abs. 1 GG ist mithin nicht der Standort der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz.

225 So Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 190; Zuck, DRiZ 1988, 172 (177). 226 Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 327. 227 BVerfGE 55, 1 (6); Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 103 Rdn. 2; Kunig, in: v. Münch/ Kunig, GG, Bd. 3, Art. 103 Rdn. 3; Nolte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 103 Rdn. 4; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103 Rdn. 1; Rüping, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 103 Rdn. 29 ff.; Wassermann, in: Wassermann, AK-GG, Bd. 2, Art. 103 Rdn. 7. 228 BVerfGE 7, 275 (278 f.); 9, 89 (95); 39, 156 (168); 54, 277 (291 f.); 74, 1 (5); 74, 228 (233); Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 3, Art. 103 Rdn. 3; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103 Rdn. 1; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 103 Rdn. 3; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Drürig, GG, Bd. VI, Art. 103 Rdn. 2; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 189. 229 BVerfGE 9, 89 (95); 86, 133 (144); 89, 28 (35); BVerfG NJW 2000, 275; Radtke/Hagemeier, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 103 Rdn. 1; Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 103 Rdn. 8; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 103 Rdn. 13; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 20. 230 So auch Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 332.

I. Die Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit im Grundgesetz

59

5. Das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere der Fair-trial-Grundsatz Abschließend könnte das Gebot der richterlichen Unparteilichkeit dem Rechtsstaatsprinzip231 bzw. dem Fair-trial-Grundsatz als dessen besonderer Ausprägung232 zuzuordnen sein. Wie bereits festgestellt wurde, ist die Unparteilichkeit eine der wichtigsten Anforderungen, die an einen Richter gestellt werden; sie ist mit der Vorstellung von rechtsstaatlicher Rechtsprechung untrennbar verbunden.233 Ein parteilicher Richter verstößt daher gegen die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips und insbesondere diejenigen des Fair-trial-Grundsatzes: Ist der Verfahrensbeteiligte einem parteilichen Richter ausgesetzt, wird dies seinem Anspruch auf ein faires Verfahren nicht mehr gerecht.234 Das Rechtsstaatsprinzip ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz,235 der in zahlreichen Teilprinzipien des Grundgesetzes seinen Niederschlag gefunden hat.236 Es verlangt unter anderem effektiven Rechtsschutz durch Gerichte.237 Da für einen solchen Rechtsschutz aber die Unparteilichkeit des Richters „schlechthin konstituierend“238 ist, ist sie zugleich Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips.239 Der Fair-trial-Grundsatz ist dabei „ein unverzichtbares Element des Rechtsstaatsprinzips“240.241 Trotz aller Schwierigkeiten bei der Bestimmung des exakten 231 Das Rechtsstaatsprinzip wird überwiegend als in Art. 20 Abs. 3 bzw. Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 GG verankert angesehen, vgl. hierzu Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rdn. 75 f.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Bd. 2, Art. 20 Rdn. 227 ff.; kritisch demgegenüber Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, Art. 20 Rdn. 32 ff. 232 Die konkrete Einordnung des Fair-trial-Grundsatzes im Grundgesetz selbst soll an dieser Stelle dahinstehen. Sie wird überwiegend in Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip bzw. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. den Freiheitsrechten gesehen, vgl. hierzu Rzepka, Zur Fairneß im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 116 ff., 176; Steiner, Das Fairnessprinzip im Strafprozeß, 1995, S. 35 ff. 233 Vgl. oben C. I. 2. (S. 32). 234 So im Ergebnis auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 115; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 16; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 213; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 189; Zuck, DRiZ 1988, 172 (178); offen lassend: Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 341 f. 235 BVerfGE 7, 89 (92 f.); 45, 187 (246); 52, 131 (144). 236 So insbesondere die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG, die Grundrechtsbindung des Art. 1 Abs. 3 GG, die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sowie die Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG; vgl. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rdn. 77; insgesamt hierzu auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rdn. 28, 30a. 237 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rdn. 78. 238 Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, S. 101; ähnlich auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 897. 239 So auch Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 188. 240 Rzepka, Zur Fairneß im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 124.

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

Sinngehaltes des Begriffes „fair“ und der Suche nach einem äquivalenten deutschsprachigen Begriff242 ist Bestandteil eines fairen Verfahrens jedenfalls, dass den Verfahrensbeteiligten hinreichende Einflussmöglichkeiten auf das Verfahren selbst und dessen Entscheidung eingeräumt werden.243 Hierzu verlangt der Fair-trialGrundsatz „eine Selbstbeschränkung staatlicher Mittel gegenüber den beschränkten Möglichkeiten des Einzelnen“ im Sinne eines korrekten und fairen Handelns staatlicher Organe.244 Unter diesem Gesichtspunkt kann ein faires Verfahren nur stattfinden, wenn der Richter das Verfahren unvoreingenommen leitet und aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung in freier Beweiswürdigung seine Entscheidung schöpft,245 ohne sich von sachfremden Einflüssen leiten zu lassen. Damit dabei der Verfahrensbeteiligte seine Einflussmöglichkeiten tatsächlich wahrnimmt und auch wahrnehmen kann, ist für ein faires Verfahren erforderlich, dass aus Sicht des Verfahrensbeteiligten keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sein Richter parteilich ist.246 Bereits der Eindruck der Parteilichkeit des Richters kann anderenfalls dazu führen, dass der Verfahrensbeteiligte gar nicht erst versucht, Einfluss auf das Verfahren zu nehmen, weil er glaubt, den Eindruck des Richters vom Verfahrensgegenstand, seiner Person oder der eines anderen Verfahrensbeteiligten nicht mehr verändern zu können. Die Unparteilichkeit des Richters ist damit im Rechtsstaatsprinzip, insbesondere im darin enthaltenen Fair-trial-Grundsatz verankert. Soweit abweichend hiervon, wenn auch mit Verweis auf Art. 3 Abs. 1 GG, die Zuordnung der richterlichen Unparteilichkeit zum Grundsatz der Waffengleichheit vor Gericht befürwortet wird,247 ist auch dieses Prinzip Bestandteil des Fair-trialGrundsatzes248 als Ausprägung des Rechtsstaatsgebots.249

241

BVerfGE 38, 105 (111); 41, 246 (250); 46, 202 (210); 63, 380 (390); 64, 135 (145); 65, 171 (175); 66, 313 (318). 242 Vgl. hierzu Heubel, Der „fair trial“, 1981, S. 61 ff.; Steiner, Das Fairneßprinzip im Strafprozeß, 1995, S. 119. 243 BVerfGE 46, 202 (210); 63, 45 (61); 63, 380 (390); 64, 135 (145); 65, 171 (175); 66, 313 (318), 70, 297 (323); Brause, NJW 1992, 2865. 244 BVerfGE 38, 105 (111). 245 Vgl. für das Strafverfahren § 261 StPO. 246 So auch Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 213; Zuck, DRiZ 1988, 172 (178). 247 So Bötticher, Die Gleichheit vor dem Richter, 1961, S. 15; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 40 ff.; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 16. 248 BVerfGE 38, 105 (111); 45, 272 (296); 63, 45 (61); BGHSt 36, 305 (309); BGH StV 1984, 99 (100); Rzepka, Zur Fairneß im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 186. 249 BVerfGE 52, 131 (144, 156); die Heranziehung der spezielleren Ausprägungen dieses Prinzips auch befürwortend: Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 192.

II. Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit in der EMRK

61

6. Zwischenergebnis: Richterliche Unparteilichkeit als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausprägung als Fair-trial-Grundsatz Die vorangegangenen Ausführungen haben aufgezeigt, dass die richterliche Unparteilichkeit auf Verfassungsebene entgegen der weit verbreiteten Ansicht weder in dem Grundsatz des gesetzlichen Richters des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG noch in Art. 92, Art. 97 oder Art. 103 Abs. 1 GG verankert ist. Vielmehr ist die Verankerung der Unparteilichkeit des Richters in dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Fair-trial-Grundsatz zu sehen.

II. Verankerung der richterlichen Unparteilichkeit in der EMRK Auf europäischer Ebene ist die Unparteilichkeit wie auch die Unabhängigkeit des Richters in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ausdrücklich normiert: „In the determination of his civil rights and obligations or of any criminal charge against him, everyone is entitled to a fair and public hearing within a reasonable time by an independent and impartial tribunal established by law.“250 Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der von den Mitgliedsstaaten des Europarates konzipiert251 und zunächst am 04. 11. 1950 in Rom von 15 Staaten unterzeichnet wurde.252 Am 03. 09. 1953 trat die EMRK im Anschluss an die Ratifizierung durch zehn Staaten – darunter Deutschland – in Kraft.253 Inzwischen sind der Konvention alle 47 Mitgliedstaaten des Europarates beigetreten.254 Die EMRK stellt über den Menschenrechtskatalog hinaus ein europäisches Menschenrechtsschutzsystem dar, da sie auch Organe zur Überprüfung ihrer Befolgung errichtet. Insofern geht sie über das in dem völkerrechtlichen Vertrag als

250 Zitiert wird hier die neben der französischen auf Völkerrechtsebene bindende englische Fassung der Vorschrift (vgl. die Schlusserklärung der EMRK). Der amtliche deutsche Wortlaut lautet: „Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“ 251 Meyer-Ladewig, EMRK, Einl. Rdn. 1; Schädler/Jakobs, in: Karlsruher Kommentar StPO, MRK Vorb. Rdn. 8; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 2 I 2 Rdn. 8. 252 Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einf. Rdn. 1, 5. 253 Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einf. Rdn. 2; Grabenwarter/Pabel, EMRK, S. 2. 254 Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einf. Rdn. 2; Meyer-Ladewig, EMRK, Einl. Rdn. 2; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 2 I 2 Rdn. 7.

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C. Rang und systematische Stellung der richterlichen Unparteilichkeit

solchem liegende „System gegenseitiger bilateraler Verpflichtungen“255 hinaus, indem sie objektive, durchsetzbare Pflichten statuiert. Die Europäische Menschenrechtskommission trat am 18. 05. 1954 zusammen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der ihre Aufgaben inzwischen übernommen hat, wurde am 21. 01. 1959 errichtet.256 Weiterhin wurden seit dem Inkrafttreten der EMRK 14 Zusatz- und Änderungsprotokolle verabschiedet,257 darunter unter anderem das 11. Protokoll zur EMRK, mit dessen Inkrafttreten am 01. 01. 1998 das Rechtsschutzsystem reformiert und unter anderem die Möglichkeit der Individualbeschwerde vereinfacht wurde.258

255

Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einf. Rdn. 5. Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einf. Rdn. 4. 257 Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einf. Rdn. 3; Meyer-Ladewig, EMRK, Einl. Rdn. 3; Schädler/Jakobs, in: Karlsruher Kommentar StPO, MRK Vorb. Rdn. 10. 258 Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einf. Rdn. 3, 4; Meyer-Ladewig, EMRK, Einl. Rdn. 7; Grabenwarter/Pabel, EMRK, S. 4. 256

D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung und der EMRK sowie deren Ausgestaltung durch die Rechtsprechung Nach der Konkretisierung des Verfassungsrangs der richterlichen Unparteilichkeit innerhalb des nationalen Rechts und Darlegung seiner Geltung auf völkerrechtlicher Ebene im Rahmen der EMRK werden nunmehr die nationalen einfachgesetzlichen Regelungen, die der Gewährleistung der Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren dienen, sowie deren konkrete Normierung in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK untersucht.

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung Im deutschen Strafverfahrensrecht soll die Unparteilichkeit des erkennenden Richters einfachgesetzlich durch die Vorschriften über den Ausschluss und die Ablehnung von Richtern, insbesondere in den §§ 22 ff. StPO, gewährleistet werden.259

1. Der Ausschluss des Richters gemäß §§ 22, 23, 148a Abs. 2 S. 1 StPO In den Fällen der §§ 22, 23, 148a Abs. 2 S. 1 StPO ist der Richter kraft Gesetzes von der weiteren Ausübung seines Amtes ausgeschlossen,260 ohne dass er sich selbst oder Prozessbeteiligte ihn für parteilich halten müssen.261 Angesichts dieser er259 Vgl. RGSt 28, 53 (54); 59, 267 (268); BGHSt 9, 193 (194 f.); 14, 219 (221 f.); 28, 262 (265); 31, 358 (359); BGH NStZ 2006, 113 f. 260 BVerfGE 46, 34 (37); Cirener, in: Graf, StPO, § 22 StPO Rdn. 1, 6; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 1; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 1; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, Vor § 22 Rdn. 3; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, Vor §§ 22 ff. Rdn. 3, § 22 Rdn. 3; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, Vor § 22 Rdn. 3. 261 BGHSt 14, 219 (223); Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 4; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 1; Cirener, in: Graf, StPO, § 22 StPO Rdn. 7; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 20; Schmitt, in: MeyerGoßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 1; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, Vor § 22 Rdn. 3,

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

heblichen Auswirkung auf das Strafverfahren bei Vorliegen eines der Ausschlussgründe sind diese abschließend in den §§ 22, 23, 148a Abs. 2 S. 1 StPO geregelt262 und eng auszulegen.263 Die Tatsache, dass der Ausschluss des Richters ohne weitere Voraussetzungen erfolgt, verdeutlicht, dass der Gesetzgeber die Ausschlussgründe der §§ 22, 23 StPO sowie § 148a Abs. 2 S. 1 StPO als Situationen angesehen hat, in denen eine abstrakte Gefahr der richterlichen Parteilichkeit besteht.264 Diese Gefahr dürfte der Gesetzgeber als hoch eingestuft haben, gerade weil er, um ihr vorzubeugen, Ausschlussgründe für bestimmte Konstellationen geregelt hat, die ohne weitere Anforderungen in Bezug auf den Richter oder die Verfahrensbeteiligten zum Ausschluss des Richters führen.265 Insofern sollen die Ausschlussgründe zu Gunsten des Ansehens der Strafrechtspflege bereits jeglichen „(An)Schein des Verdachts einer Parteilichkeit“ in diesen Konstellationen vermeiden.266 Auf diese Weise soll das Vertrauen des konkreten Angeklagten wie auch der Allgemeinheit in die Rechtsprechung geschützt werden.267 Die Ausschlussgründe, durch die der Gesetzgeber sowohl den Richter von der Aufgabe befreit, an dem Verfahren mitzuwirken, als auch den Prozessbeteiligten nicht zumutet, auf die Unparteilichkeit des Richters vertrauen zu müssen, veranschaulichen, welche konkreten Gefahren für die richterliche Unparteilichkeit der Gesetzgeber anerkennt. Daher sollen die Ausschlussgründe – ohne den Anspruch auf eine erschöpfende Erörterung – im Überblick dargestellt werden.

47; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 13; Herlan, MDR 1954, 655 (656); Schorn, GA 1963, 257 (258). 262 BVerfGE 46, 34 (38); Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 4; Fischer, in: Karlruher Kommentar StPO, § 22 Rdn. 1; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 3; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, Vor § 22 Rdn. 2; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, Vor §§ 22 ff. Rdn. 3; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 1; Schorn, GA 1963, 257 (258). 263 BVerfGE 30, 149 (155); BGHSt 44, 4 (7); Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 4; Cirener, in: Graf, StPO, § 22 StPO Rdn. 2; Fischer, in: Karlruher Kommentar StPO, § 22 Rdn. 1; Pfeifer, StPO, § 22 Rdn. 1; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 3. 264 So auch Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 1; Siolek, in: LöweRosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 16 ff.; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, Vor § 22 Rdn. 4. 265 So auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 17; Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 26. 266 RGSt 28, 53 (54); 59, 267 (268); BGHSt 9, 193 (194 f.); 14, 219 (221 f.); 28, 262 (265); 31, 358 (359); BGH NStZ 2006, 113 f.; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, Vor § 22 Rdn. 1; Cirener, in: Graf, StPO, § 22 StPO Rdn. 1; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 1; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, Vor § 22 Rdn. 3; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, Vor §§ 22 ff. Rdn. 3; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, Vor § 22 Rdn. 2; Schorn, GA 1963, 257 (258). 267 RGSt 61, 67 (71); BGH NJW 1971, 1029 ff.; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 3; Hanack, JR 1967, 229.

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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a) Die Ausschlussgründe des § 22 StPO § 22 StPO enthält einen Katalog von fünf Ausschlussgründen, die Konstellationen eines Näheverhältnisses des Richters zum Verfahrensgegenstand oder zu Verfahrensbeteiligten sowie Fälle nichtrichterlicher Vorbefassung umfassen. aa) Die Verletzung des Richters durch die Straftat, § 22 Nr. 1 StPO Zunächst ist der Richter gemäß § 22 Nr. 1 StPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, wenn er selbst durch die Straftat verletzt ist. Der Ausschlussgrund beruht auf dem Grundsatz, dass niemand Richter in eigener Sache sein kann.268 Die Straftat, durch die der Richter verletzt ist, muss dabei Gegenstand des Verfahrens sein, von dem der Richter auszuschließen ist; nicht erfasst sind damit Straftaten, die erst während der Hauptverhandlung begangen werden und nicht Gegenstand des Verfahrens sind.269 (1) Unmittelbare Betroffenheit Zudem setzt § 22 Nr. 1 StPO nach weit überwiegender Auffassung eine unmittelbare Betroffenheit des Richters in seinen Rechten voraus, eine nur mittelbare Betroffenheit reicht nicht aus.270 Schwierigkeiten bereitet diese Anforderung insbesondere im Bereich der Vermögensdelikte sowie bei Fallgestaltungen, in denen der Richter Gesellschafter einer betroffenen Gesellschaft ist:271 Bei Vermögensdelikten setzt eine unmittelbare Betroffenheit voraus, dass dem Richter durch die Tat ein unmittelbarer Vermögensnachteil zugefügt wird.272 Beim Diebstahl kann bei268 Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 3, 4; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 9; Schorn, GA 1963, 257 (259); Rzepka, Zur Fairness im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 374. 269 BGHSt 14, 219 (222); BGH MDR 1954, 628; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/ Reitberger, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 4; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 6; Schorn, GA 1963, 257 (263). 270 BGHSt 1, 298; 51, 100 (109 f.); BGH NStZ 2006, 646; 2009, 342 (343); Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 13; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 2; Cirener, in: Graf, StPO, § 22 Rdn. 14; Pfeiffer, StPO, § 22 Rdn. 2; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 3, 4; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 7; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 3; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 3; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 17, 40; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 193 f.; a.A. Eb. Schmidt, StPO II, § 22 Rdn. 6 ff.; Schorn, GA 1963, 257 (261). 271 Vgl. hierzu Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 14 ff.; Cirener, in: Graf, StPO, § 22 Rdn. 15 ff.; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 5 f.; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 7; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 4; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 40. 272 BGHSt 1, 298 (299); 51, 100 (109 f.); BGH NStZ 2009, 342 (343); Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 14; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 5.

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

spielsweise der Richter als Eigentümer sowie als Gewahrsamsinhaber unmittelbar betroffen sein,273 wohingegen beim Betrug eine unmittelbare Betroffenheit nur in Betracht kommt, wenn der Richter einen unmittelbaren Vermögensschaden erleidet, nicht jedoch, wenn er nur der Getäuschte ist.274 Wird das Vermögen einer Gesellschaft geschädigt, so kann der Richter, der an ihr beteiligt ist, nur unmittelbar betroffen sein, wenn sein Vermögen unmittelbar geschädigt ist.275 Daher ist nach der Gesellschaftsform sowie der Gesellschafterstellung des Richters zu unterscheiden:276 Bei einer BGB-Gesellschaft wirkt sich der Schaden am Gesellschaftsvermögen unmittelbar nachteilig auf das Vermögen der Gesellschafter aus; dasselbe gilt für die offene Handelsgesellschaft, den nicht rechtsfähigen Verein sowie die Kommanditgesellschaft, wenn der Richter Komplementär ist.277 Etwas anderes ergibt sich jedoch in Fällen, in denen innerhalb einer dieser Gesellschaftsformen rechtlich oder faktisch eine Haftung und damit eine unmittelbare Schädigung des Richters ausgeschlossen sind.278 Demgegenüber liegt keine unmittelbare Betroffenheit der Gesellschafter vor, wenn das Vermögen eines eingetragenen Vereins, einer eingetragenen Genossenschaft, einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung geschädigt wird: Hier ist das geschädigte Vermögen der Gesellschaft als Rechtspersönlichkeit zuzuordnen, so dass die Schädigung der Gesellschafter nur mittelbar erfolgt.279 Der Ausschluss des in dieser Konstellation betroffenen Richters kommt daher nicht in Betracht. (2) Hypothetische Verletzteneigenschaft Bei den obigen Erwägungen ist weiterhin zu berücksichtigen, dass bis zur Rechtskraft des Urteils nicht feststeht, wer Verletzter der verfolgten Tat ist bzw. ob es einen Verletzten überhaupt gibt.280 Angesicht der Unschuldsvermutung kann der 273

RGSt 10, 210 (211); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 7; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 16. 274 RGSt 74, 167 (170); BGH bei Dallinger, MDR 1971, 363; Alexander, in: Radtke/ Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 14; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 5. 275 Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 6; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 17. 276 RGSt 69, 127 (128). 277 RGSt 33, 314 (316); 37, 414 (415); 46, 77 (80); 69, 127 (128); Alexander, in: Radtke/ Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 15; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 17. 278 Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 6; ihm folgend Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 15. 279 RGSt 37, 414 (415); 67, 219 (220); 69, 127 (128); BGHSt 1, 298 (299); Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 16; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 6; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 7; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 18. 280 Vgl. Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, Einl. Abschn. J Rdn. 118.

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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Begriff des Verletzten bis zu diesem Zeitpunkt nur den „möglicherweise Verletzten“281 meinen. Dies bedeutet, dass Verletzter im Sinne des § 22 Nr. 1 StPO282 der Verletzte der verfolgten Tat ist, wenn man unterstellt, sie sei so wie angeklagt begangen worden.283 Diese Verletzteneigenschaft entfällt auch nicht rückwirkend, wenn die Tat nicht entsprechend abgeurteilt wird.284 bb) Das Näheverhältnis des Richters zum Beschuldigten oder durch die Straftat Verletzten, § 22 Nr. 2, 3 StPO Neben der eigenen Betroffenheit des Richters in seinen Rechten durch die Straftat normieren § 22 Nr. 2 und 3 StPO Ausschlussgründe für den Fall des Näheverhältnisses des Richters zum Beschuldigten oder zum durch die Straftat Verletzten. Erfasst sind hierbei gemäß § 22 Nr. 2 StPO die Konstellationen, in denen der Richter Ehegatte, Lebenspartner, Vormund oder Betreuer des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder gewesen ist, sowie nach § 22 Nr. 3 StPO nahe Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Richter und Beschuldigtem bzw. Verletztem (der Richter ist oder war mit dem Beschuldigten oder Verletzten in gerade Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert). Im Gegensatz zu den Ausschlussgründen einer eigenen Verletzung sowie eines engen Verhältnisses des Richters zum Beschuldigten oder Verletzten ist die Konstellation, dass der Richter selbst Beschuldigter des Verfahrens ist, gesetzlich nicht normiert. Einer solchen expliziten Normierung bedurfte es auch nicht: Da niemand Richter über sich selbst sein kann, scheidet der Richter auch in diesem Fall aus.285 Unabhängig von den einzelnen Streitfragen bei der Bestimmung der Voraussetzungen der in § 22 Nr. 2 und 3 StPO genannten Näheverhältnisse286 hat der Gesetzgeber in diesen beiden Ausschlussgründen die Vergleichbarkeit des engen Näheverhältnisses des Richters zum Beschuldigten oder Verletzten mit seiner eigenen Betroffenheit von der Straftat und damit die Gefahr der Beeinflussung des Richters durch das persönliche Näheverhältnis anerkannt. Umgekehrt ist der Richter allerdings auch nur in den Fällen dieses engen Näheverhältnisses ausgeschlossen; andere als die in § 22 Nr. 2 und 3 StPO genannten Näheverhältnisse begründen nicht den Ausschluss des Richters, sondern können 281 Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, Einl. Abschn. J Rdn. 118; vgl. hierzu auch Jung, ZStW 93 (1981), 1147 (1149); Schünemann, NStZ 1986, 193 (197 f.). 282 Sowie auch im Sinne des § 22 Nr. 2, 3 StPO. 283 Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 8. 284 Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 8 mit Verweis auf RGSt 8, 582. 285 OLG Stuttgart MDR 1971, 67; Pfeiffer, StPO, § 22 Rdn. 2; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 22; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 1. 286 Vgl. hierzu Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 9 f.; Siolek, in: LöweRosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 10 ff.

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

lediglich zu der noch zu erörternden Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit führen.287 Mithin hat der Gesetzgeber zwischen den Fällen des Ausschlusses und der Ablehnbarkeit des Richters eine Grenze gezogen. In Ersteren ist die Gefahr einer Parteilichkeit so hoch und an formalen Kriterien messbar,288 dass ohne Ansehung des Richters oder der Prozessbeteiligten die Mitwirkung des konkreten Richters an dem Verfahren ausgeschlossen sein soll. In den Fällen der Ablehnbarkeit des Richters sind hingegen weitere Anforderungen an das Ausscheiden des Richters aus dem Verfahren zu stellen, weil die Gefahr der Parteilichkeit nicht derart naheliegt. cc) Die nichtrichterliche Vorbefassung mit der Sache, § 22 Nr. 4, 5 StPO Über die Fälle des Näheverhältnisses zum Verfahrensgegenstand oder zu den Verfahrensbeteiligten hinaus statuieren § 22 Nr. 4 und 5 StPO Ausschlussgründe für Konstellationen nichtrichterlicher Vorbefassung: Gemäß § 22 Nr. 4 StPO ist der Richter von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, wenn er in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft, als Polizeibeamter, als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig gewesen ist. Entsprechendes gilt nach § 22 Nr. 5 StPO für den Fall, dass der Richter in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist. Der Begriff der Sache ist hierbei weit auszulegen289 und schließt das Verfahren zur Verfolgung einer bestimmten Straftat vom Beginn der Ermittlungen über die Hauptverhandlung bis zum Wiederaufnahmeverfahren ein.290 Maßgeblich ist demnach nicht der materielle oder prozessuale Tatbegriff, sondern die Einheit der Hauptverhandlung:291 „sie kann auch Vorgänge, die bei natürlicher Betrachtung als verschiedene historische Ereignisse erscheinen, zu einer Einheit zusammenfassen und bedingt damit, dass sogar bei durch gemeinsamen Eröffnungsbeschluss verbundenen Strafsachen das gesamte Verfahren von vornherein als eine Sache im Sinne 287

Vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 18. BVerfGE 46, 34 (37); Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 93 f. 289 BGHSt 9, 193; 14, 219 (221 f.); 28, 262 (263 f.); 31, 358 (359); BGH NStZ 2006, 113 (114); BGH StV 2006, 4; Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 22; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 14; Cirener, in: Graf, StPO, § 22 Rdn. 25; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 9; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 17; Siolek; in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 24; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 18; Schorn, GA 1963, 257 (264). 290 BGHSt 14, 219 (223); 28, 262 (264); Cirener, in: Graf, StPO, § 22 Rdn. 24; Pfeiffer, StPO, § 22 Rdn. 2; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 17; so auch Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 14; Siolek; in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 25; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 11. 291 BGHSt 28, 262 (263); Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 9; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 17; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 18. 288

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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des § 22 Nr. 4 StPO anzusehen ist.“292 Andererseits kann bei fehlender Verfahrensidentität auch die Identität des Tatgeschehens ausreichen.293 War der Richter zwar nicht in demselben Verfahren, wohl aber in derselben Sache tätig, erfüllt dies den Ausschlussgrund.294 Die vorangegangene Tätigkeit in der Sache im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO führt unabhängig von ihrer Qualität oder Erheblichkeit für das Verfahren zum Ausschluss des Richters.295 Damit ist nicht ausschlaggebend, ob die Tätigkeit formeller oder sachlicher Natur war oder ob sie für das Verfahren und dessen Ausgang bedeutend oder unwesentlich war.296 Sie umfasst jede Art amtlichen Handelns in der Sache, das geeignet ist, den Sachverhalt zu erforschen und den Gang des Verfahrens zu beeinflussen.297 So ist beispielweise derjenige Richter ausgeschlossen, der als Beamter der Staatsanwaltschaft eine Verfügung entworfen oder unterzeichnet hat,298 als leitender Beamter der Staatsanwaltschaft durch die Erörterung der Sache im tatsächlichen oder rechtlichen Sinne mit dem Dezernenten oder Abteilungsleiter die Sache beeinflusst hat299 oder als Anwalt beratend in der Sache tätig war.300 Ähnliches gilt für die Vernehmung des Richters in der Sache im Sinne von § 22 Nr. 5 StPO: Auch in diesem Zusammenhang erfüllt bereits die Vernehmung des Richters zum nunmehr verfahrensgegenständlichen Tatgeschehen in einem anderen Verfahren den Ausschlussgrund – unabhängig von der Bedeutung der Aussage für das Verfahren.301 Der Begriff der „Vernehmung“ ist hierbei als „Anhörung durch ein

292

BGHSt 28, 262 (263). BGHSt 9, 193; 28, 262 (265); 31, 358 (359); 49, 29 (30); BGH NStZ 2007, 711; Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 22; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/ Reitberger, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 14; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 9; Siolek; in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 25; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 18; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 7. 294 Siolek; in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 25. 295 RGSt 28, 53 (54); 55, 113; BGH NStZ 2011, 106; Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 24; Cirener, in: Graf, StPO, § 22 Rdn. 26; Pfeiffer, StPO, § 22 Rdn. 2; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 18; Siolek; in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 29; Schorn, GA 1963, 257 (267); Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 45. 296 Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 29. 297 RGSt 59, 267 (268 f.); 70, 161 (162); BGH NStZ 1982, 78; 2011, 106; Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 23; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 9; Siolek; in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 30; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 20; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 8. 298 BGH NJW 1952, 1149; StV 1982, 51. 299 Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 11; Siolek; in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 31. 300 Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 27; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 15; Siolek; in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 38. 301 BGHSt 31, 358 (359); BGH NStZ 2007, 711; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 15; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 19. 293

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

Strafverfolgungsorgan in irgendeinem Verfahrensabschnitt“302 aufzufassen. Sie muss bereits erfolgt sein, die Möglichkeit einer zukünftigen Vernehmung genügt nicht als Ausschlussgrund.303 Die bloße Benennung des Richters als Zeugen führt nicht zum Ausschluss des Richters nach § 22 Nr. 5 StPO.304 Dies soll verhindern, dass der Angeklagte eines Verfahrens den Richter gezielt aus dem Verfahren drängen kann, indem er oder sein Verteidiger dem Richter die Zeugenrolle aufzwingen.305 Äußert sich der Richter jedoch als Zeuge zur Sache, so ist er ausgeschlossen, selbst wenn er beispielsweise nur bekundet, er könne sich an die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht erinnern.306 Allerdings kann der Richter verhindern, in die Zeugenrolle gedrängt zu werden, indem er dienstlich erklärt, dass er die vorgetragenen Tatsachen nicht bestätigen könne.307 Dies führt im Gegensatz zu einer Zeugenaussage nicht zum Ausschluss des Richters, weil die dienstliche Äußerung nicht der Beweiswürdigung zu Grunde gelegt wird, sondern vielmehr im Wege des Freibeweises Aufschluss darüber geben soll, ob der Richter als Zeuge überhaupt in Betracht kommt.308 Der Ausschlussgrund des § 22 Nr. 4 StPO soll verhindern, dass der Richter in einer Sache tätig wird, in der er sich durch seine Vorbefassung in nichtrichterlicher und daher nicht zwingend unparteilicher Tätigkeit bereits einen Eindruck von der Sache verschafft hat, der ihm eine unvoreingenommene Verfahrensführung und Entscheidungsfindung wesentlich erschwert.309 § 22 Nr. 5 StPO dient in diesem 302 Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 16; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 20; so auch Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 31; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 15. 303 BGH (5 StR 215/76, Beschluss vom 10. 9. 1976) bei: Holtz, MDR 1977, 105 (107); Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 16; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 17; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 20; Schorn, GA 1963, 257 (266). 304 BGHSt 7, 330; 11, 206; BGH NJW 1958, 557; NStZ 2003, 558 f.; Cirener, in: Graf, StPO, § 22 Rdn. 31; Siolek; in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 42; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 16; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 11a. 305 Vgl. BGHSt 7, 330 (331); Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 18; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 16; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 11a. 306 RGSt 12, 180 (181); Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 19. 307 BGHSt 7, 330 (331); 11, 206; BGH StV 1991, 99 f.; NStZ 2003, 558 (559); Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 19; Siolek; in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 43; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 11a; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 87 f.; Rissing-van Saan, MDR 1993, 310 (311); W. Schmid, GA 1980, 285 f. 308 BGHSt 44, 4 (8 ff.); 45, 354 (361 f.); 47, 270 (273); BGH StV 2004, 355; BGH NStZ-RR 2009, 85; Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 29; Cirener, in: Graf, StPO, § 22 Rdn. 33; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 20; Siolek; in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 43. 309 So auch Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 7.

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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Zusammenhang einem vergleichbaren Zweck, indem er verhindert, dass der Richter durch seine eigenen Wahrnehmungen, die er als Zeuge oder Sachverständiger bekunden kann, in seiner Unvoreingenommenheit beschränkt ist. Zudem soll der Richter bei erforderlichen Entscheidungen im Laufe des Ermittlungsverfahrens oder bei der Urteilsfindung seine eigenen Bekundungen nicht einbeziehen bzw. würdigen müssen.310 Dies birgt sonst eine hohe Wahrscheinlichkeit richterlicher Befangenheit, „denn niemand kann in einer Sache gleichzeitig Zeuge und Richter sein.“311 b) Die Ausschlussgründe des § 23 StPO Neben der nichtrichterlichen Vorbefassung des Richters mit der Sache sind Fälle problematisch, in denen der Richter in seiner Funktion als Richter zuvor schon mit der Sache befasst war, wie etwa der Fall, in dem der erkennende Richter zuvor als Ermittlungsrichter in der Sache tätig war (sogenannte richterliche Vorbefassung). § 23 StPO regelt in seiner aktuellen Fassung Ausschlussgründe für Konstellationen richterlicher Vorbefassung. aa) Aktuelle Fassung Die beiden Ausschlussgründe des § 23 Abs. 1, 2 StPO regeln im Gegensatz zu denjenigen des § 22 StPO Konstellationen richterlicher Vortätigkeit, die zum Ausschluss des Richters führen.312 Dies ist zunächst gemäß § 23 Abs. 1 StPO der Ausschluss des Richters, der bei einer durch ein Rechtsmittel angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, von der Mitwirkung bei der Entscheidung in einem höheren Rechtszug. Mitgewirkt hat ein Richter an der angefochtenen Entscheidung, wenn er unmittelbar an dieser beteiligt war, sie dementsprechend (mit) zu verantworten hat.313

310

Vgl. Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 29; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 14; Stein, Das private Wissen des Richters, 1969, S. 2; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 36. 311 BGHSt 7, 44 (46); Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 15; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 22 Rdn. 11a; so auch Alexander, in: Radtke/ Hohmann, StPO, § 22 Rdn. 29. 312 Vgl. Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 1; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 23 Rdn. 1; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 23 Rdn. 1 f.; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 1; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 23 Rdn. 1; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 1 Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 1. 313 BVerfGE 30, 149 (155 f.); 30, 165 (168); Cirener, in: Graf, StPO, § 23 Rdn. 6; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 23 Rdn. 2; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 6, 13; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 2; a.A. Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 23 Rdn. 4; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 23 Rdn. 5; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 23 Rdn. 6.

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

Dieser Ausschlussgrund beruht auf der Überzeugung, dass von keinem Richter erwartet werden könne, eine von ihm erlassene oder miterlassene Entscheidung in voller Unbefangenheit auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.314 Im Gegenteil ist hier die Gefahr einer tatsächlichen Befangenheit als hoch zu bewerten. Weiterhin schließt § 23 Abs. 2 S. 1, 3 StPO denjenigen Richter, der bei einer durch einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, von der Mitwirkung bei Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren oder bei dessen Vorbereitung aus. Dies gilt für den Fall der in einem höheren Rechtszug ergangenen angefochtenen Entscheidung auch für den Richter, der an der ihr zugrunde liegenden Entscheidung in einem unteren Rechtszug mitgewirkt hat, vgl. § 23 Abs. 2 S. 2 StPO. Zwar entscheidet gemäß § 140a GVG im Wiederaufnahmeverfahren in der Regel ein anderes Gericht mit gleicher sachlicher Zuständigkeit als das Gericht, gegen dessen Entscheidung sich der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens richtet. Allerdings kann ein Richter, der zuvor mitgewirkt hat, an das zur Entscheidung berufene Gericht versetzt worden sein. Dann greift dieser Ausschlussgrund ein. Da die Ausschlussgründe grundsätzlich eng auszulegen sind,315 ist im Umkehrschluss zu § 23 StPO anzunehmen, dass Fälle anderer richterlicher Vortätigkeit (abgesehen von der Konstellation des § 148a Abs. 2 S. 1 StPO) nicht zum Ausschluss des Richters führen.316 So ist z. B. die umstrittene Frage, ob der Richter, der zuvor an einem Urteil mitgewirkt hat, nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht nach § 354 Abs. 2 StPO von der erneuten Entscheidung ausgeschlossen ist,317 unabhängig von der Vorschrift des § 23 StPO zu entscheiden.318 In der Zusammenschau lassen diese Ausschlussgründe erkennen, dass der Gesetzgeber eine Parteilichkeitsgefahr des Richters auch in denjenigen Fällen anerkennt, in denen der Richter zuvor gerade in der Funktion als Richter tätig war. Dies steht im Widerspruch zu dem Richter(selbst)bild, wie es sich zahlreich aus der Rechtsprechung ergibt,319 und der Annahme, richterliche Vortätigkeit gefährde die Unparteilichkeit des Richters grundsätzlich nicht:320 Entgegen der immer wieder 314 Vgl. RGZ 148, 199 (200); Schorn, GA 1963, 257 (274); vgl. auch Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 85. 315 Vgl. oben D. I. 1. (S. 64). 316 So auch Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 23 Rdn. 2; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 1; Cirener, in: Graf, StPO, § 23 Rdn. 1; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 23 Rdn. 1; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 23 Rdn. 2; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 2. 317 Vgl. hierzu Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 23 Rdn. 3; Siolek, in: LöweRosenberg, StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 12; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 3 Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 9. 318 Sie soll hier erst im Rahmen der Problematik der Vorbefassung im Hinblick auf § 24 StPO erörtert werden. 319 Vgl. oben B. (S. 23 ff.). 320 So RGSt 4, 91; 9, 285 (287); 60, 322 (325); BGHSt 9, 193; 9, 233.

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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betonten Vorstellung, der Richter könne sich jederzeit auch wiederholt von Eindrücken frei machen und stets in voller Unbefangenheit urteilen, belegen diese Ausschlussgründe, dass der Gesetzgeber durchaus eine Gefahr für diese Unbefangenheit sieht. Insofern schließt eine richterliche Vortätigkeit eine Parteilichkeit des Richters nicht prinzipiell aus,321 sondern birgt grundsätzlich eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Parteilichkeit. bb) Ehemals weitere Ausschlussgründe In seiner ursprünglichen Fassung bei Erlass der StPO am 1. Februar 1877 enthielt § 23 StPO bereits den Ausschlussgrund des heutigen § 23 Abs. 1 StPO.322 § 23 Abs. 2 StPO a.F. untersagte es dem Untersuchungsrichter, in denjenigen Sachen, in welchen er die Voruntersuchung geführt hat, Mitglied des erkennenden Gerichts zu sein sowie an einer außerhalb der Hauptverhandlung erfolgenden Entscheidung der Strafkammer mitzuwirken.323 Der weitere, dritte Absatz lautete: „An dem Hauptverfahren vor der Strafkammer dürfen mehr als zwei von denjenigen Richtern, welche bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens mitgewirkt haben, und namentlich der Richter, welcher Bericht über den Antrag der Staatsanwaltschaft erstattet hatte, nicht t[h] eilnehmen.“324 Der Beschränkung dieser Regelung auf die Strafkammer wurde teilweise „etwas Willkürliches“325 attestiert, jedoch ließ sich darauf abstellen, dass im Verfahren vor der Strafkammer das Vertrauen des Angeklagten in seinen Richter von besonders großer Bedeutung ist, da dem Angeklagten ein erhebliches Strafmaß droht, und daher gerade dort Erwägungen der Prozessökonomie zurückstehen mussten.326 Dieser dritte Absatz des § 23 StPO wurde durch die Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924327 aufgehoben. Die sogenannte „Emminger Verordnung“ erfolgte vordergründig mit der Zielsetzung der finanziellen

321 So aufgrund des Ausnahmecharakter des § 23 StPO etwa BGHSt 9, 193 (194); 9, 233 f.; BGH NJW 1960, 2106 (2109); Schorn, GA 1963, 257 (268). 322 Deutsches RGBl. (1877), S. 257. 323 Deutsches RGBl. (1877), S. 257. 324 Deutsches RGBl. (1877), S. 257; vgl. hierzu auch Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 23 am Anfang; Backhaus, Der gesetzliche Richter im Staatsschutzstrafrecht, 2010, S. 39; Bumke/Koffta, Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924, 2. Aufl. 1924, S. 70. 325 Bumke/Koffta, Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924, 2. Aufl. 1924, S. 70. 326 So Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 68. 327 RGBl. I (1924) S. 15 ff., hier insbesondere S. 17; vgl. hierzu auch Vormbaum, Die Lex Emminger, 1988; Neumann, in: Fünfzig Jahre Reichsgericht, 1929, S. 148 (174 f.).

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

Einsparungen,328 prägte im Ergebnis aber aus politischen Gründen das Strafverfahren im Sinne der StPO verstärkt als inquisitorisches Verfahren aus.329 Nach der Neuordnung der gerichtlichen Zuständigkeiten im Strafverfahren durch diese Verordnung kam die Eröffnung des Verfahrens vor der Strafkammer ohnehin nur noch ausnahmsweise in Betracht.330 Der zweite Absatz des § 23 StPO a.F. wurde durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. 12. 1964 (StPÄG) zum Absatz 3 verschoben.331 Eingefügt als neuer zweiter Absatz wurden indessen die ersten beiden Sätze des heutigen § 23 Abs. 2 StPO.332 Der damit neue dritte Absatz erledigte sich durch die Abschaffung der Voruntersuchung333 im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 09. 12. 1974 und wurde gestrichen.334 Im Zuge dessen wurde wiederum Satz 3 des heutigen § 23 Abs. 2 StPO eingefügt.335 Aus dieser historischen Entwicklung lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber ursprünglich durchaus weitere Fälle richterlicher Vorbefassung derart mit der Gefahr der Parteilichkeit verbunden sah, dass er zu ihrer Vermeidung Ausschlussgründe statuierte. Ursprünglich lag der StPO bei ihrem Erlass auch die Überzeugung zu Grunde, dass eine wiederholte richterliche Befassung mit derselben Sache grundsätzlich die Unparteilichkeit des Richters gefährde.336 Dennoch gelangte man aus Gründen finanzieller Einsparungen und der Prozessökonomie im Bereich richterlicher Vorbefassung „nur“ zu den drei Ausschlussgründen des ursprünglichen § 23 StPO und statuierte nicht etwa einen abstrakt formulierten Ausschluss des Richters bei richterlicher Vortätigkeit.337 In der Sache waren es, wie bereits aufgezeigt, vor allem finanzielle Erwägungen, die zur Aufhebung der ursprünglichen Absätze 2 und 3 des § 23 StPO führten. Auch soweit die Umstrukturierung des Verfahrens einzelne Ausschlussgründe obsolet werden ließ, beruhte diese Umstrukturierung ihrerseits überwiegend auf finanziellen Erwägungen.

328

Vgl. Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, Einl. Abschn. F. Rdn. 36; Bumke/Koffta, Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924, 2. Aufl. 1924, S. 6 f.; Vormbaum, Die Lex Emminger, 1988, S. 48, 54 f., 94, 97. 329 Vormbaum, Die Lex Emminger, 1988, S. 84, 174, 179. 330 Bumke/Koffta, Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924, 2. Aufl. 1924, S. 70. 331 BGBl. (1964) I S. 1067 (1074). 332 BGBl. (1964) I S. 1067 (1074). 333 Vgl. Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 23 am Anfang. 334 BGBl. (1974) I S. 3393. 335 BGBl. (1974) I S. 3393. 336 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 62. 337 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 62.

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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Die Einführung des heutigen § 23 Abs. 2 StPO fußte auf der Annahme, dass bei der erneuten Befassung eines Richters mit seiner eigenen – noch dazu rechtskräftigen – Entscheidung dessen Unparteilichkeit zweifelhaft sei. Dies widerspricht der verbreiteten Annahme, richterliche Vorbefassung gefährde die Unparteilichkeit grundsätzlich nicht und die Ausschlussgründe des § 23 Abs. 1 und 2 StPO seien enge Ausnahmen von diesem Grundsatz.338 Der Gesetzgeber hat vielmehr in bestimmten Fällen richterlicher Vorbefassung den Ausschluss des Richters gerade deshalb angeordnet, weil er in diesen Konstellationen die Gefahr der Befangenheit erkannt hat. c) Der Ausschlussgrund des § 148a Abs. 2 S. 1 StPO Der weitere Ausschlussgrund des § 148a Abs. 2 S. 1 StPO gilt für den Sonderfall des Überwachungsrichters: Dieser darf mit dem Gegenstand der Untersuchung weder befasst sein noch befasst werden, wenn er die Prüfung von Schriftstücken oder anderen Gegenständen vorgenommen hat (§ 148a Abs. 2 S. 1, 2 StPO). Damit soll verhindert werden, dass die bei der Überwachung der Kommunikation zwischen Beschuldigtem und Verteidiger gewonnenen Erkenntnisse in das Verfahren einbezogen werden.339 Überwachungsrichter ist der Richter beim Amtsgericht, in dessen Bezirk die Vollzugsanstalt liegt (§ 148a Abs. 1 S. 1 StPO).340 Ausgeschlossen ist derjenige Richter, der mit der Sache befasst ist, nicht jedoch derjenige, der mit der Sache befasst war, sofern diese Tätigkeit bereits abgeschlossen ist.341 Mit der Sache befasst ist der Richter, wenn er gleichzeitig an dem Verfahren mitwirkt342 bzw. Entscheidungen in der Sache trifft oder treffen kann.343 Dieser Ausschlussgrund dient vorrangig dazu, die Folgen der Durchbrechung der Vertraulichkeit zwischen Verteidiger und Beschuldigtem abzumildern.344 Daneben bestärkt er allerdings auch die Annahme, dass anderweitige bzw. vorangegangene richterliche Tätigkeit die Gefahr der Parteilichkeit des Richters birgt. Es kann offenbar – auch aus Sicht des Gesetzgebers – nicht davon ausgegangen werden, dass 338

So RGSt 4, 91; 9, 285 (287); 60, 322 (325); BGHSt 9, 193; 9, 233 f. Julius, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 148a Rdn. 1; Laufhütte, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 148a Rdn. 6; Lüderssen/Jahn, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 4, § 148a Rdn. 15; Wessing, in: Graf, StPO, § 148a Rdn. 5. Wohlers, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 3, § 148a Rdn. 4. 340 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 148a Rdn. 1; Wohlers, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 3, § 148a Rdn. 4. 341 Lüderssen/Jahn, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bdn. 4, § 148a Rdn. 18; Müller, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 2, § 148a Rdn. 8; Pfeiffer, StPO, § 148a Rdn. 2; Reinhart, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 148a Rdn. 9; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 148a Rdn. 8; Wohlers, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 3, § 148a Rdn. 4. 342 Lüderssen/Jahn, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 4, § 148a Rdn. 16. 343 Laufhütte, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 148a Rdn. 5. 344 Wessing, in: Graf, StPO, § 148a Überblick. 339

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

sich der Richter in beliebigem Ausmaß von gewonnenen Eindrücken frei machen kann. d) Anerkennung vielgestaltiger Parteilichkeitsgefahren in den Ausschlussgründen Die Erörterung der Ausschlussgründe hat gezeigt, dass vielfältige Verfahrenskonstellationen existieren, in denen der Gesetzgeber eine Gefahr richterlicher Parteilichkeit erkennt und für das jeweilige Verfahren beseitigen will, um das Gebot richterlicher Unparteilichkeit zu verwirklichen. Da jedoch nicht alle Fallgestaltungen, in denen richterliche Parteilichkeit droht, von den §§ 22, 23, 148a Abs. 2 S. 1 StPO erfasst sind, muss das weitere Schutzinstrument der Richterablehnung gemäß § 24 StPO das Streben nach richterlicher Unparteilichkeit vervollständigen. Entsprechend geht das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass ein parteilicher Richter entweder dem Ausschluss unterliegen oder ablehnbar sein muss,345 und betont damit, dass erst das Zusammenwirken von Ausschluss und Ablehnung des Richters dessen Unparteilichkeit gewährleisten können. Das enge System der Ausschlussgründe wirkt dabei auf den ersten Blick konsistent: Den Ausschlussgründen ist gemeinsam, dass sie Konstellationen hoher Befangenheitsgefahr umfassen, die anhand formalisierter Kriterien feststellbar sind. Gleichzeitig muss das Ausschlussrecht gewährleisten, dass der Richter nicht – insbesondere durch die Verteidigung – in die Situation eines Ausschlussgrundes hineingedrängt wird. Aus diesem Grund reicht z. B. für den Ausschlussgrund des § 22 Nr. 5 StPO nicht aus, dass der Richter nur als Zeuge (oder Sachverständiger) benannt wird.346 Mögliche Befangenheitsgründe, die ähnliche Gefahren für die Unparteilichkeit bergen, aber nicht an formale Kriterien geknüpft werden können, führen nach dem Konzept des Gesetzgebers nicht zum automatischen Ausschluss des Richters. Dazu gehören etwa eine enge Liebesbeziehung oder eine intensive Feindschaft zwischen dem Richter und dem Angeklagten oder dem Verletzten oder auch eine private Wahrnehmung prozessrelevanter Umstände. Jedoch führen sowohl die Einschätzung der Befangenheitsgefahr als auch die Festlegung auf formale Kriterien, die den Ausschlussgründen zu Grunde liegen, zu problematischen Grenzziehungen: Ist die Befangenheitsgefahr in den Fällen des § 22 Nr. 1-3 StPO bei unmittelbarer Verletzung tatsächlich höher als bei mittelbarer? Ist eine formale Tätigkeit als Staatsanwalt, bei der nicht einmal Kenntnisnahme von der Sache als solcher erfolgte, bedenklicher für die Unparteilichkeit des Richters als eine intensive richterliche Vorbefassung im Ermittlungsverfahren? Unterscheiden sich Fälle der Wiederbefassung nach Zurückverweisung gemäß § 354 Abs. 2 StPO gravierend von der Wiederbefassung in der nächsten Instanz oder im Wiederaufnahmeverfahren? 345 346

BVerfGE 30, 149 (153). Vgl. oben D. I. 1. a) cc) (S. 70).

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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Bei der Betrachtung dieser Konstellationen ist zunächst zu beachten, dass die hohe Befangenheitsgefahr jeweils nur für den Regelfall angenommen werden kann. Da jeder Einzelfall anders gelagert sein kann, der einzelne Richter z. B. auch ein Verfahren gegen seinen eigenen Ehepartner vollkommen unparteilich betreiben kann, muss eine Abgrenzung solcher Konstellationen, in denen im Regelfall eine Befangenheit sehr wahrscheinlich ist, von solchen erfolgen, in denen die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer ist. Auch bei vergleichbaren Konstellationen muss also schlicht eine Grenze zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgrund gezogen werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Vorliegen eines formalen Kriteriums für einen Ausschlussgrund erforderlich ist, um eine Ausuferung des Ausschlussrechts zu vermeiden und die Bestimmbarkeit der Ausschlussgründe zu gewährleisten. Wegen der sofortigen „automatischen“ Wirkung des Ausschlussgrundes muss mit vertretbarem Aufwand und ohne aufwendige Prüfung unzweifelhaft herauszufinden sein, ob der Ausschlussgrund tatsächlich vorliegt. Dies ist bei einer Ehe oder einer vorherigen Tätigkeit als Staatsanwalt ohne weiteres möglich, würde aber bei der Frage des Bestehens einer Feindschaft zwischen dem Richter und dem Angeklagten erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Die Verwendung formaler Kriterien für den Ausschluss von Richtern führt allerdings im Einzelfall unvermeidlich zu fragwürdigen Grenzziehungen. So ist von § 22 Nr. 3 StPO zwar eine Verwandtschaft dritten Grades in der Seitenlinie noch erfasst, aber eine Verwandtschaft vierten Grades nicht mehr; und nach § 22 Nr. 1 – 3 StPO ist der unmittelbar verletzte Richter ausgeschlossen, der bloß mittelbar verletzte nicht. Auch kann die Gefahr tatsächlicher Befangenheit bei einem Richter, der zuvor als Staatsanwalt nur formal mit der Sache befasst war, geringer sein als in einem Fall, in dem er vorher im Ermittlungsverfahren über Zwangsmittel gegen den Beschuldigten zu entscheiden hatte, der ihm jetzt als Angeklagter gegenüber steht. Trotz dieser möglichen Ungereimtheiten ist es aber richtig, dass der Gesetzgeber die Ausschlussgründe formalisiert hat; für den Fall, dass kein Ausschlussgrund eingreift, steht ja für zweifelhafte Fälle immer noch das Ablehnungsrecht zur Verfügung. Für eine Formalisierung spricht außerdem der Umstand, dass der Ausschluss auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit des Richters und das Ansehen der Justiz schützen soll.347 Daher ist es gerechtfertigt, den Richter, der zuvor als Staatsanwalt tätig war, auch dann auszuschließen, wenn seine Tätigkeit für das Verfahren nicht von Bedeutung war; denn schon die Tatsache, dass er zuvor überhaupt als Staatsanwalt mit der Sache befasst war, würde in der Öffentlichkeit Unbehagen im Hinblick auf seine Unparteilichkeit auslösen. Es ist allerdings einzuräumen, dass es auch außerhalb der Fälle der §§ 22, 23 StPO Fallgestaltungen gibt, in denen ein solches Unbehagen feststellbar und die Gefahr

347

Vgl. oben D. I. 1. (S. 64).

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

parteilicher Verhandlungsführung und Entscheidung nicht zu leugnen ist.348 In dieser Hinsicht ist die Konsistenz der Ausschlussgründe zu bezweifeln, weil sie diese Fälle weiterer möglicher richterlicher Befangenheit außer Acht lassen.

2. Die Ablehnung des Richters gemäß § 24 StPO Neben dem Ausschluss des Richters kraft Gesetzes nach den §§ 22, 23, 148a Abs. 2 S. 1 StPO sieht die StPO daher gemäß § 24 Abs. 1 StPO zur Sicherung der Unparteilichkeit des Richters349 dessen Ablehnung vor: Hiernach kann der Richter zum einen abgelehnt werden, wenn er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, sowie zum anderen wegen Besorgnis der Befangenheit. Ebenso wie bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nur derjenige Richter ausscheidet, bei dem der Ausschlussgrund vorliegt, ist die Ablehnung nur in Bezug auf einzelne Richter und nicht etwa auf ein Kollegialgericht als Ganzes zulässig.350 Es können aber durchaus alle Richter eines Kollegialgerichts gleichzeitig abgelehnt werden. Im Unterschied zum Ausschluss des Richters, der kraft Gesetzes eintritt,351 erfordert die Ablehnung des Richters nach § 24 Abs. 1 StPO ein Ablehnungsgesuch sowie die Durchführung des in den §§ 25 ff. StPO geregelten Ablehnungsverfahrens. Ablehnungsberechtigt sind dabei insbesondere gemäß § 24 Abs. 3 StPO die Staatsanwaltschaft, der Privatkläger und der Beschuldigte.352

348

Zur Einstellung der Richter selbst s. o. C. I. 1. b) aa) (S. 72). Siehe auch unten E. I. (S. 130 ff.). 349 Insofern dient das Ablehnungsrecht denselben Zwecken wie der Ausschluss des Richters, vgl. BVerfGE 46, 34 (37); BGHSt 44, 4 (7); 45, 354 (355); Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, vor § 22 Rdn. 1. 350 BVerfGE 11, 1 (3); 46, 200; BGHSt 23, 200 (202); BGH (Urt. v. 1. 2. 1955 – 1 StR 702/ 54) bei Dallinger, MDR 1955, 269 (271), BGH NStZ 1995, 18; Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 2; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 23; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rdn. 3; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 3; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 14. 351 Vgl. oben D. I. 1. (S. 64). 352 Daneben nach § 397 Abs. 1 S. 3 StPO der Nebenkläger, der Beschuldigte des Sicherungsverfahrens gemäß § 414 Abs. 1 StPO, Verfalls- und Einziehungsbeteiligte nach §§ 431, 433, 442 Abs. 2 StPO, der Beteiligte im Verfahren bei Festsetzung einer Geldbuße gegen juristische Personen (§§ 444 Abs. 2, 433 Abs. 1 StPO) sowie der Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren gemäß § 172 Abs. 2 StPO, vgl. Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/ Reitberger, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 29; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 24; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rdn. 20; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 62, 65. Uneinigkeit besteht über die Ablehnungsberechtigung des Antragstellers im Adhäsionsverfahren; vgl. hierzu diese befürwortend: BVerfG NJW 2007, 1670; Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 32; Cirener, in: Graf, StPO, § 24 Rdn. 19; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rdn. 20; Temming, in: Heidelberger

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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a) Die Ablehnung des Richters bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes In Konstellationen, in denen einer der vorgenannten Ausschlussgründe vorliegt, eröffnet die Vorschrift des § 24 Abs. 1 StPO dem Ablehnungsberechtigten die Geltendmachung dieses Ausschlussgrundes, der unter Umständen zuvor unerkannt geblieben ist. Obwohl der Ausschluss kraft Gesetzes eintritt, kann somit das Ablehnungsverfahren betrieben werden, um die (deklaratorische) Feststellung des Ausschlussgrundes durch das Gericht zu erreichen.353 b) Die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit Weiterhin findet die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt. Besorgnis der Befangenheit ist gemäß § 24 Abs. 2 StPO gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass einem Richter auch ohne Vorliegen eines Ausschlussgrundes die weitere Mitwirkung an einem Verfahren versagt wird, wenn in Bezug auf ihn der Verdacht der Parteilichkeit gerechtfertigt ist.354 Da es nicht möglich ist, alle in Betracht kommenden Ablehnungsgründe einzeln aufzuzählen, verwendet der Gesetzgeber an dieser Stelle eine Generalklausel.355 Hervorzuheben ist dabei, dass – ebenso wie das Eingreifen eines Ausschlussgrundes nichts über die tatsächliche Befangenheit des Richters aussagt – nicht erst die tatsächliche Befangenheit des Richters dessen Ablehnung gemäß § 24 Abs. 1, 2 StPO rechtfertigt, sondern bereits deren (begründete) Besorgnis.356 aa) Das Verhältnis der Ablehnungsgründe zu den Ausschlussgründen Es liegt nahe, für die Auslegung der Gründe, die die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, die Wertungen der Ausschlussgründe heranzuziehen.

Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 28; ablehnend hingegen Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 65; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 129. 353 Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 2; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 2; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rdn. 4; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 1; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 2. 354 Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 3; Cirener, in: Graf, StPO, § 24 Rdn. 2; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 3. 355 Vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 1; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 5; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 99; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 90. 356 Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 5; Cirener, in: Graf, StPO, § 24 StPO Rdn. 5; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 5; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 3; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 8; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 4.

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

Vor diesem Schritt muss jedoch zunächst das Verhältnis von Ausschluss- und Ablehnungsgründen zueinander näher erörtert werden. (1) Graduelle Abstufungen zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgründen In der Literatur wird teilweise die Ansicht vertreten, dass die Ausschlussgründe gesteigerte, absolute Ablehnungsgründe seien.357 Dieses Verständnis des Verhältnisses zwischen den Ausschluss- und den Ablehnungsgründen beruht auf der Annahme, dass bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes die Besorgnis der Befangenheit derart nahe liege, dass das Gesetz sie unwiderleglich vermute.358 Daraus folge, dass in Konstellationen, die denjenigen der Ausschlussgründe in hohem Maße ähnelen, ohne sie zu erfüllen, die Besorgnis der Befangenheit und damit die Berechtigung der Ablehnung des Richters gemäß § 24 Abs. 1, 2 StPO regelmäßig bejaht werden müsse.359 Erfüllt also eine Fallgestaltung einen Ausschlussgrund „ganz knapp“ nicht, ist die Besorgnis der Befangenheit aufgrund der nahezu ebenso hohen Befangenheitswahrscheinlichkeit als gerechtfertigt anzusehen. Hiernach ließe sich das Bild der den Ausschlussgründen verwandten Ablehnungsgründe zeichnen, die diese „umlagern.“360 Die Ausschlussgründe seien „Fälle so sehr gesteigerter Besorgnis der Befangenheit, daß eine abstrakte Regelung möglich erschein[e]. Sie [seien] von einem Hof umgeben, einer Zone, in der die Besorgnis der Befangenheit geringer [sei] und wo demnach zugewartet werden [könne], ob der Ablehnungsberechtigte die Besorgnis wirklich hegt.“361 Dabei stünden die Ausschluss- und Ablehnungsgründe zueinander nicht ausschließlich in einem Stufenverhältnis der Wahrscheinlichkeit zu besorgender Befangenheit, sondern orientierten sich auch an der Möglichkeit einer konkreten gesetzlichen Regelung eines Bereiches.362 Demnach könnten Lücken der Ausschlussgründe durch die Richterablehnung geschlossen werden.363

357

So Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 7; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters in den deutschen Verfahrensordnungen aus innerprozessualem Gründen, 1975, S. 50 ff.; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 132; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 123; Zwiehoff, Der Befangenheitsantrag im Strafverfahren, 2. Aufl. 2013, Rdn. 108. 358 Vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 17; Bettermann, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 3/2, 1959, S. 526. 359 So Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 166. 360 So Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 17; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 166; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 132. 361 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 66; vgl. auch Zwiehoff, Der Befangenheitsantrag im Strafverfahren, 2. Aufl. 2013, Rdn. 108. 362 Vgl. BVerfGE 46, 34 (37); vgl. hierzu auch Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 93 f., der zutreffend feststellt, dass im Falle eines engen Liebesverhältnisses oder einer unversöhnlichen Feindschaft die Wahrscheinlichkeit wohl höher liegen dürfte als im Falle einer Verwandtschaft im dritten Grad; indessen ist die Beweisbarkeit des Verwandtschaftsverhält-

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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Aus diesem Verhältnis zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgründen wird zum Teil die Existenz und Erforderlichkeit abstrakter Ablehnungsgründe gefolgert, die einzelfallunabhängig zu einer gerechtfertigten Befangenheitsbesorgnis führen sollen.364 Soweit der Schutz der richterlichen Unparteilichkeit durch die Ausschlussund Ablehnungsgründe erforderlich sei, müssten bestimmte Fälle besorgter richterlicher Parteilichkeit, die ein den Ausschlussgründen vergleichbares Befangenheitsniveau aufwiesen und nicht von den Ausschlussgründen erfasst seien, grundsätzlich zur Berechtigung der vorgenommenen Ablehnung führen.365 In diesen Fällen bedürfe, wie z. B. bei der Anwendung des in § 54 Abs. 3 VwGO ausdrücklich normierten Ablehnungsgrundes, „die Besorgnis, der Richter werde an die Sache nicht unparteiisch oder unvoreingenommen herangehen, keiner besonderen Darlegung durch einen Verfahrensbeteiligten.“366 So ließe sich beispielsweise der Fall des Verlöbnisses des Richters mit dem Beschuldigten oder Verletzten der Tat, der einhellig die Befangenheitsbesorgnis rechtfertigt,367 als abstrakter Ablehnungsgrund formulieren. (2) Grundlegende Unterscheidung zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgründen Die strafgerichtliche Rechtsprechung und andere Teile der Literatur hingegen gelangen zu einer anderen Sichtweise: Sie unterscheiden kategorisch zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgründen.368 Danach sollen im Fall von Ablehnungsgründen, die den Ausschlussgründen ähneln, an die Ablehnung des Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit besonders hohe Anforderungen zu stellen oder diese sogar ausgeschlossen sein, da der Gesetzgeber eine ähnliche, nicht aber gerade diese konkrete Befangenheitssituation in dem Ausschlussgrund erfasst habe.369 Da die Ausschlussgründe anhand formaler Kriterien bestimmbar und daher kaum maninisses als formales Kriterium deutlich höher als diejenige eines Liebes- oder Feindschaftsverhältnisses. 363 So Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 166. 364 So Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 40 ff.; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 117 f.; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 123; Arzt NJW 1971, 1112 (1114). 365 So Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 50 ff.; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 118 f.; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 122 ff.; Arzt, NJW 1971, 1112 (1114). 366 Meissner, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Bd. I, § 54 Rdn. 30; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 67; vgl. hierzu auch BVerwG NVwZ 1990, 460. 367 Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 13; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 32; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 14. 368 So RGSt 62, 299 (302); BGHSt 9, 233 (234); 21, 142 (144); Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 3; Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 220. 369 So RGSt 62, 299 (302); BGHSt 9, 233 (234); 21, 142 (144); Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 22 Rdn. 3; Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 220.

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pulierbar seien, könne nicht von den Ausschlussgründen auf Konstellationen gerechtfertigter Befangenheitsbesorgnis geschlossen werden.370 Die Existenz ausdrücklich geregelter Ablehnungsgründe in anderen Verfahrensordnungen als der StPO (§ 60 Abs. 3 SGG, § 54 Abs. 3 VwGO, § 51 Abs. 3 FGO) deute zudem darauf hin, dass die StPO derartige abstrakte Ablehnungsgründe nicht vorsehe.371 Eine andere Betrachtungsweise bedeute zudem eine unzulässige Analogie zu den gesetzlich klar normierten Ausschlussgründen.372 Außerdem werde durch die Bejahung abstrakter Ablehnungsgründe zugleich das subjektive Element der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit untergraben, da zwangsläufig die subjektive Sicht des Ablehnungsberechtigten vernachlässigt werden müsse, weil es auf sie nicht mehr ankomme.373 Schließlich lasse sich die Verneinung abstrakter Ablehnungsgründe auch mit „Gründen der Funktionsfähigkeit und Effektivität der Strafrechtspflege“374 belegen, die durch die Ausweitung der Ablehnbarkeit des Richters beeinträchtigt würden.375 (3) Stellungnahme Gegen die kategorische Unterscheidung zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgründen mit der Konsequenz, dass gerade eine Konstellation, die einem Ausschlussgrund sehr nahe kommt, nicht der Ablehnung unterliegen soll, spricht, dass die Ausschlussgründe ihrem Sinn und Zweck nach nichts über eine Ablehnungsmöglichkeit aussagen: Die Entscheidung für oder gegen die Aufnahme einer Konstellation in den Katalog der Ausschlussgründe erfolgt grundsätzlich anhand der Kriterien der Befangenheitswahrscheinlichkeit und der Bestimmbarkeit der Konstellation.376 Wie bereits dargelegt, rechtfertigen diese im Rahmen eines Ausschlussgrundes bereits für sich genommen das Ausscheiden des Richters aus dem Verfahren.377 Durch die Entscheidung, für eine bestimmte Konstellation keinen Ausschlussgrund zu normieren, wird jedoch nicht bestimmt, dass diese Konstellation auch nicht die Ablehnung begründen können soll.378 Hieran ändert auch der Einwand der besseren Bestimmbarkeit der Ausschlussgründe gegenüber den Ablehnungsgründen nichts: Die Ausschlussgründe können 370

So Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 221 f. So Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 226 ff. 372 So BGHSt 21, 142 (144 f.). 373 So Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 223 ff. 374 So Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 231. 375 So Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 231. 376 Vgl. oben D. I. 1. d) (S. 76). 377 Vgl. oben D. I. 1 (S. 64). 378 So auch M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 71; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 166. 371

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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ihrer Natur nach exakt umschrieben werden;379 für die Ablehnungsgründe ist diese Voraussetzung nicht gegeben. Daher rechtfertigen Erstere den unmittelbaren gesetzlichen Ausschluss des Richters und Letztere eröffnen nur die Möglichkeit seiner Ablehnung. Diese Unterscheidung begründet jedoch nicht, warum die Ablehnungsgründe die Ausschlussgründe nicht ergänzen dürften. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber in den Ausschlussgründen beispielsweise den Fall des Verlöbnisses zwischen Richter und Beschuldigtem oder Verletztem der Tat nicht erfasst hat, beruht gerade auf der schwierigen Beweisbarkeit und damit Manipulierbarkeit eines Verlöbnisses.380 Dennoch bedeutet die Nichtaufnahme in die Ausschlussgründe nicht die Ablehnung einer (vergleichbar großen) Befangenheitswahrscheinlichkeit. Aufgrund der Ähnlichkeit mit der als Ausschlussgrund normierten Ehe oder dem engen familiären Verhältnis droht auch im Fall des Verlöbnisses die Parteilichkeit.381 Daher ist es notwendig, in dieser Konstellation die Möglichkeit der Befangenheitsablehnung zu eröffnen. 382 § 24 StPO enthält zudem weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Sinn und Zweck eine Ausnahmeregelung dahingehend, dass eine Ablehnung gerade in denjenigen Konstellationen, die den Ausschlussgründen ähneln, nicht berechtigt sei.383 Das Bundesverfassungsgericht stellt in seiner Rechtsprechung ausdrücklich heraus, dass den Anforderungen an die Unparteilichkeit des Richters einfachgesetzlich durch das Zusammenwirken von Richterausschluss und -ablehnung Rechnung getragen werden müsse.384 Gerade dies zeigt, dass auch aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeit der Ablehnung des Richters die Ausschlussgründe ergänzt.385 Letztlich wird diese Annahme auch dadurch gestützt, dass die Ablehnung gemäß § 24 Abs. 1 StPO sowohl bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes als auch wegen Besorgnis der Befangenheit erfolgt. Dies zeigt die strukturelle Ähnlichkeit der Besorgnis der Befangenheit und der Ausschlussgründe, die einem Gegensatz- oder Ausschlussverhältnis widerspricht. Die darüber hinaus gehende Frage nach der Berechtigung und dem Nutzen abstrakter Ablehnungsgründe386 kann dem gegenüber im Rahmen dieser Arbeit offen 379

Vgl. oben D. I. 1. d) (S. 76). Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 222; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 94. 381 Vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 48; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit gemäß § 42 ZPO, 1973, S. 158 f. 382 Vgl. oben D. I. 2. b) aa) (1) (S. 81). 383 So auch M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 70. 384 BVerfGE 30, 149 (153); vgl. hierzu auch Arzt, NJW 1971, 1112 (1114). 385 So auch Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 41; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 123; Arzt, NJW 1971, 1112 (1114). 386 Soweit der Figur der abstrakten Ablehnungsgründe entgegengehalten wird, sie seien in anderen Verfahrensordnungen, nicht aber in der StPO ausdrücklich normiert, ist dies kein 380

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

bleiben, den aufgeworfenen Problemen nicht mit einer neuen Figur abstrakter Ablehnungsgründe begegnet werden muss. (4) Ergänzungsverhältnis zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgründen Im Ergebnis ist festzustellen, dass aus den Konstellationen, die in den Ausschlussgründen erfasst sind, grundsätzlich Schlussfolgerungen für die Fälle zur Ablehnung berechtigender Besorgnis richterlicher Befangenheit gezogen werden können. Viele Ablehnungsgründe lassen sich einem der Ausschlussgründe aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu diesem zuordnen und umfassen eine ihm mehr oder weniger vergleichbare Konstellation. Insofern sind die Ausschlussgründe bei der Erörterung der Bedeutung der Befangenheitsbesorgnis sowie bei der weiteren Untersuchung von Befangenheitskonstellationen zu berücksichtigen.

zwingendes Indiz gegen die Annahme abstrakter Ablehnungsgründe im Rahmen des § 24 Abs. 2 StPO. Die Regelungen in anderen Verfahrensordnungen könnten auch derart gedeutet werden, dass abstrakte Befangenheitsgründe den nationalen Prozessordnungen grundsätzlich „nicht fremd“ (Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 51) und daher unabhängig von einer ausdrücklichen Normierung in Betracht zu ziehen sind (so auch Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 51). Die Annahme, es läge eine unzulässige Analogie zu den Ausschlussgründen vor, greift schon deswegen nicht ausnahmslos durch, weil eine Analogie zugunsten des Angeklagten durchaus zulässig wäre. Darüber hinaus wäre diese Annahme nur dann berechtigt, wenn bestimmte Ablehnungsgründe unmittelbar zum Ausscheiden des Richters aus dem Verfahren führten, da die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit jedoch die Durchführung des Ablehnungsverfahrens voraussetzt, kann dieser Einwand nicht überzeugen (so auch Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 123). Auch wird durch die Bejahung abstrakter Ablehnungsgründe nicht das subjektive Element der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit untergraben, da es ausschlaggebend bleibt, ob der Ablehnungsberechtigte den Richter tatsächlich für befangen hält und ihn infolgedessen ablehnt. Zwar bedürfte es bei der Prüfung der Berechtigung der Befangenheitsbesorgnis keiner besonderen Darstellung der subjektiven Sicht des Ablehnungsberechtigten, allerdings bedeutet dies nicht, dass dieser die Besorgnis der Befangenheit nicht behaupten müsse. Aus diesem Grund sprechen auch Erwägungen der Prozessökonomie nicht gegen ein Ergänzungsverhältnis: Auch ausdrücklich normierte abstrakte Ablehnungsgründe würden nicht zu einem erhöhten Arbeitsanfall der Gerichte durch zahlreiche Wechsel auf der Richterbank führen, denn es müsste immer noch das Ablehnungsverfahren durchgeführt werden (so auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 66 f.; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 52; Arzt, NJW 1971, 1112 (1114)). Die Figur der sog. abstrakten Ablehnungsgründe hätte für den Ablehnungsberechtigten selbst gegenüber einer gefestigten Rechtsprechung zu berechtigten Ablehnungsgründen den Vorteil, dass sie aufgrund ihrer gesetzlichen Normierung die Rechtssicherheit der Ablehnung erhöhen würde: Zwar ist auch eine Abweichung von einer gefestigten Rechtsprechung unwahrscheinlich, bleibt jedoch möglich. Damit bleibt für den Ablehnenden bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch die Unsicherheit darüber, ob es Erfolg haben wird, in sehr weitem Umfang bestehen. Ein abstrakter Ablehnungsgrund hingegen müsste ausnahmslos als solcher anerkannt und lediglich auf seine Darlegung, an die wiederum verringerte Anforderungen zu stellen wären, überprüft werden.

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bb) Die Anforderungen an die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 24 Abs. 1, 2 StPO (1) Die Bedeutung des Befangenheitsbegriffs Nach § 24 Abs. 2 StPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Die Begriffe der Befangenheit und der Parteilichkeit stehen danach in einem engen Verhältnis zueinander. Jedoch ist dieses Verhältnis nicht eindeutig bestimmt: Einerseits kann diese Regelung bedeuten, dass die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 24 StPO mit einer befürchteten Parteilichkeit des Richters gleichgestellt wird.387 Andererseits könnte es sich bei der Befangenheit um einen Oberbegriff handeln, der die Parteilichkeit als Unterkategorie beinhaltet.388 Bei dieser Auslegung würde § 24 Abs. 2 StPO eine Einschränkung des § 24 Abs. 1 Alt. 2 StPO darstellen, indem er regelt, dass die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur dann stattfindet, wenn ein Grund vorliegt, Misstrauen gerade bezüglich der Unparteilichkeit des Richters zu begründen.389 Es ist also zunächst das Verhältnis der Befangenheit zur Parteilichkeit zu untersuchen. (a) Beschränkung der Befangenheit auf die Parteilichkeit? Nach beiden Begriffsverhältnissen von Befangenheit und Parteilichkeit zueinander enthält Befangenheit eine sachliche und eine persönliche Komponente, man kann Befangenheit also als Oberbegriff für die sachliche Befangenheit und die persönliche Befangenheit begreifen. Gleichbedeutend mit Befangenheit ist dabei der Terminus der Voreingenommenheit, der in diesem Zusammenhang sehr häufig zitiert wird:390 Sachliche Befangenheit (= sachliche Voreingenommenheit) bedeutet dabei die Voreingenommenheit gegenüber dem Verfahrensgegenstand, wohingegen persönliche Befangenheit (= persönliche Voreingenommenheit) die Voreingenommenheit gegenüber einem oder mehreren Verfahrensbeteiligten umfasst.391 387 So auch Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 9; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 26; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 86; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 17 ff.; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 162; Krekeler, NJW 1981, 1633. 388 So M. J. Schmid, NJW 1974, 729 (730). 389 So M. J. Schmid, NJW 1974, 729 (730). 390 Vgl. zum Folgenden Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 9; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 42, 86; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 35; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 162. 391 Vgl. BVerfGE 46, 34 (37); BGHSt 44, 4 (7); 45, 354 (355); Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 5; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 9; Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 151; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 26; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 10 f.; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 43; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 21 f., 85; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 132, 137; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 96 f.; Tumeltshammer, Die

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Man könnte nun annehmen, dass die Parteilichkeit auf die persönliche Voreingenommenheit zu beschränken sei, da sie begriffsnotwendig auf das Verhältnis des Richters zu den Parteien des Verfahrens abstelle.392 Danach würde die Befangenheit als Oberbegriff die sachliche und die persönliche Voreingenommenheit umfassen, die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit fände jedoch nach § 24 Abs. 2 StPO nur bei zu besorgender persönlicher Voreingenommenheit statt.393 Dem widerspricht jedoch der Vergleich mit den Ausschlussgründen, der, wie erwähnt, zur Auslegung des Ablehnungsgrundes der Besorgnis der Befangenheit herangezogen werden darf und soll.394 Denn die §§ 22 f. StPO zeigen, dass der Gesetzgeber Fälle persönlicher und sachlicher Voreingenommenheit gleich behandeln wollte: § 22 Nr. 1 – 3 StPO regelt Konstellationen persönlicher Voreingenommenheit, § 22 Nr. 4, 5 StPO und § 23 StPO solche sachlicher Voreingenommenheit.395 Gegen diese Argumentation wird vereinzelt eingewandt, die Ausschlussgründe bedeuteten keine Zuordnung der sachlichen Voreingenommenheit zur Parteilichkeit, weil sie auf dem Grundsatz beruhten, dass niemand Richter in eigener Sache sein dürfe, und damit auf das formale Kriterium der Vorbefassung abstellten.396 Letzteres mag zunächst zutreffen. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass der Gesetzgeber dabei einmal auf eine persönliche Berührung mit der Sache in eigener Person oder vermittelt durch eine nahestehende Person und einmal auf eine sachliche im Sinne einer sachbezogenen Berührung mit der Sache abstellt. Deshalb lässt sich die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nicht auf die Fälle persönlicher Voreingenommenheit beschränken.397 § 24 Abs. 2 StPO engt also Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 34 f.; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 162; Krekeler, NJW 1981, 1633; Stemmler, NJW 1974, 1545; zu § 42 ZPO auch M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 26 f. 392 So Friesenhahn, JZ 1966, 704 (707); M. J. Schmid, NJW 1974, 729 (730). Auch Arzt unterscheidet begrifflich derart zwischen der Befangenheit und der Parteilichkeit, wendet sich letztlich jedoch – so bereits der Untertitel seiner Arbeit – gegen die Beschränkung der Ablehnung auf die Fälle der Parteilichkeit. Daher tritt er im Ergebnis gegen das Verhältnis von Oberbegriff und Unterkategorie ein, vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 80 f. 393 So Friesenhahn, JZ 1966, 704 (707); M. J. Schmid, NJW 1974, 729 (730). 394 Vgl. oben D. I. 2. b) aa) (4) (S. 84). 395 So auch Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 151; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 33 f.; Stemmler, NJW 1974, 1545; ähnlich auch Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 132, wobei dieser § 22 Nr. 1 StPO der sachlichen Voreingenommenheit zuordnet. 396 So M. J. Schmid, NJW 1974, 729 (730). 397 So auch BVerfGE 46, 34 (37); BGHSt 44, 4 (7); 45, 354 (355); Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 5; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 9; Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 151; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 26; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 10 f.; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 43; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 21 f., 85; Semmler, Prozeßverhalten des

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die Möglichkeit der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit über den Begriff der Parteilichkeit nicht ein, sondern verwendet diesen als Synonym zu demjenigen der Befangenheit. Befangenheit ist damit gleichbedeutend mit Parteilichkeit, und beide Begriffe umfassen jeweils die sachliche und die persönliche Voreingenommenheit.398 399 (b) Eingrenzung einer Ausweitung des Befangenheitsbegriffs anhand der Kriterien der „inneren Haltung“ sowie der „Fallbezogenheit“ Wie weit reichen aber nun die Begriffe der Befangenheit bzw. Parteilichkeit? Mit Arzt lässt sich ein weiter Befangenheitsbegriff vertreten, der auf „ein im Ergebnis parteiliches Urteil“400 abstellt.401 Danach wäre grundsätzlich auch der Fall der Rechtsverletzung und der mangelnden Fähigkeit des Richters unter die Parteilichkeit Richters, 1994, S. 132, 137; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 96 f.; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 34 f.; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 162; Krekeler, NJW 1981, 1633; Stemmler, NJW 1974, 1545; zu § 42 ZPO auch M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 26 f. 398 So ausdrücklich auch Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 86. Die persönliche Voreingenommenheit wird dabei teilweise als „Parteilichkeit i. e.S.“ bezeichnet, vgl. so zu § 42 ZPO: LG Würzburg NJW 1973, 1932 (1933). 399 Zur weiteren Erläuterung des Begriffs der Befangenheit = Parteilichkeit wird in Rechtsprechung und Literatur häufig Befangenheit erläutert als eine innere Haltung des Richters, die die von ihm zu fordernde Distanz, Neutralität und Unparteilichkeit gegenüber den Verfahrensbeteiligten und dem zu würdigenden Sachverhalt störend beeinflussen kann (vgl. BVerfGE 21, 139 (146); BGHSt 1, 34 (36); 44, 4 (7); 45, 354 (355); Alexander, in: Radtke/ Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 6; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 3; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 5). Der Begriff der Distanz kann in diesem Zusammenhang als Unbefangenheit im Sinne eines professionellen Abstandes des Richters zur Sache und zu den Verfahrensbeteiligten aufgefasst werden, bezeichnet jedoch den Kern der Befangenheitsproblematik nicht hinreichend exakt. Diese wendet sich nicht gegen eine intensive Befassung des Richters mit der Sache und den Verfahrensbeteiligten im Verfahren, bei der ihn unter Umständen z. B. das Tatgeschehen „emotional berührt.“ Vielmehr ist ihr Anliegen, dass diese Befassung mit einer inneren Einstellung erfolgt, die eine offene Auseinandersetzung mit den entscheidungsrelevanten Aspekten ermöglicht. Insofern ist der Begriff der Distanz nicht hinreichend eindeutig. Ähnlicher Kritik sieht sich der Terminus der Neutralität in diesem Zusammenhang ausgesetzt: Auch er ist zur weiteren Erläuterung des Befangenheitsbegriffs nicht geeignet. Zudem wird teilweise dargelegt, dass dieser Begriff mit der richterlichen Tätigkeit nicht vereinbar sei, da er eine Enthaltung gegenüber dem Eingreifen in das Verfahren impliziere; demgegenüber sei der Richter gerade angehalten, in dem Verfahren eine Entscheidung herbeizuführen (so Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 9; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 12 f.; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 21; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 163; Kriele, NJW 1976, 777). Gemeint ist jedoch auch hier wie bei der „Distanz“ die ergebnisneutrale Herangehensweise des Richters bei der Befassung mit der Sache. Diese führt jedoch, wie gerade festgestellt, nicht weiter. 400 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 102. 401 Außerdem spricht Zuck, DRiZ 1988, 172, von „Befangenheit i.w.S. [als] jedes subjektive Fehlverhalten, bezogen auf den objektiven Verfahrenszweck“, definiert daneben jedoch die Befangenheit i. e.S., auf die für die Ablehnung entscheidend abzustellen sei.

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im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO zu subsumieren.402 Ein Richter, der im Verfahren z. B. den nemo-tenetur-Grundsatz nicht respektiert oder unfähig ist, das Tatgeschehen zu erfassen, weil er die technischen Zusammenhänge in einem Verfahren im Bereich der „Internetkriminalität“ nicht begreift, könnte danach grundsätzlich wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Zu hinterfragen ist jedoch, inwieweit eine Rechtsverletzung oder mangelnde Fähigkeit tatsächlich noch dem Begriff der Befangenheit zuzuordnen ist. Arzts Ansatz beruht darauf, dass er den Schutzzweck der §§ 22 – 24 StPO in dem Vertrauensverhältnis des Ablehnungsberechtigten (insbesondere des Angeklagten) zu seinem Richter sieht und davon ausgeht, dass dieses auch durch Rechtsverletzungen des Richters oder dessen zu befürchtende Ungeeignetheit erschüttert werden könne.403 Insofern legt er dar, dass die Ablehnung des Richters in Fällen schwerer Rechtsverletzung von der Rechtsprechung als begründet angesehen wird und pflichtet dieser Rechtsprechung bei.404 Schwere Rechtsverletzungen lägen hiernach z. B. vor, wenn der Richter scharf auf eine Aussage des Angeklagten405 oder eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen406 drängte. Zwar sei grundsätzlich die Unterscheidung zwischen dem Ablehnungs- und dem Rechtsmittelrecht zu berücksichtigen, jedoch seien richterliche Fehler wie die genannten mit Rechtsmitteln kaum zu beseitigen.407 Daher müsse die Lücke zwischen dem Ablehnungs- und dem Rechtsmittelrecht geschlossen werden.408 Dementsprechend fordert Arzt, die Ablehnung auch in denjenigen Fällen als berechtigt anzusehen, in denen ein Verstoß des Richters gegen § 136a StPO, unterhalb dessen Schwelle liegende „Versuche, den Angeklagten einzuschüchtern“,409 oder ein Verstoß gegen §§ 100a, 100b StPO gegeben ist.410 Da jedoch über diese Fälle hinaus weiterhin eine Lücke zwischen dem Ablehnungs- und Rechtsmittelrecht klaffe, müssten auch weitere, weniger schwere Rechtsverletzungen des Richters zumindest als Indizien für eine richterliche Parteilichkeit aufgefasst werden, deren berechtigte Besorgnis dann im Ablehnungsverfahren zu klären sei.411 Nur wenn sich von diesen Rechtsverletzungen auf eine berechtigte Besorgnis der Befangenheit schließen lasse, müsse die Ablehnung zum

402

Vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 102. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 96. 404 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 96 ff. 405 BGH NJW 1959, 55. 406 BGHSt 1, 34. 407 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 14 f., 97. In der Tat ist dies z. B. dann auszuschließen, wenn der Zeuge dennoch nicht aussagt und der Richter hieraus auch keine unzulässigen Schlüsse zieht. 408 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 14 f., 97. 409 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 98. 410 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 98 f. 411 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 99. 403

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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Ausscheiden des Richters führen, da grundsätzlich eine vollständige Fehlerfreiheit nicht vom Richter erwartet werden könne.412 Entsprechend betrachtet Arzt die Möglichkeit der Ablehnung eines ungeeigneten Richters auch als Lückenschluss zwischen dem Ablehnungsrecht und der Dienstaufsicht; Letztere könne den Angeklagten nicht zuverlässig vor dem ungeeigneten Richter schützen.413 Daher müsse im Interesse des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und seinem Richter die Ablehnung des Richters möglich sein, von dem eine Rechtsverletzung zu erwarten sei.414 Im Zuge dessen müsse die Ablehnung auch dann eingreifen, wenn der Angeklagte nicht an der angemessenen inneren Einstellung des Richters zweifle, sondern dessen Fähigkeit, ein richtiges Urteil zu fällen, in Zweifel ziehe.415 Allerdings will Arzt die Ablehnung des ungeeigneten Richters nur in festgelegten Ausnahmefällen zulassen, da sonst durch die erforderliche Überprüfung der Eignung des Richters dessen Unabhängigkeit gefährdet würde.416 Er nennt in diesem Zusammenhang den wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen ungeeigneten, den den Richtereid verweigernden sowie den politisch übermäßig engagierten Strafrichter.417 Im Ergebnis betrifft die Ausdehnung des Befangenheitsbegriffs durch Arzt wenige Sonderkonstellationen von schwerwiegenden Rechtsverletzungen des Richters und dessen Ungeeignetheit. Die Befangenheit wird nicht etwa auf jegliche Form von Rechtsverletzung oder richterlicher Unfähigkeit erstreckt. Dennoch lehnen zahlreiche Literaturstimmen diesen Ansatz ab und stellen dabei auf die Merkmale der „inneren Haltung“418 und der „Fallbezogenheit“419 als zwingende Elemente der Befangenheit ab. Befangenheit ist hiernach (unter anderem) eine innere Haltung des Richters, die in einem konkreten Verfahren zu Tage tritt.420 Die oben genannten Fälle der Rechtsverletzung durch den Richter werden hierdurch freilich nicht generell ausgenommen: Eine richterliche Rechtsverletzung kann 412

Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 99. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 13, 104 f. 414 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 101. 415 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 102, 115. 416 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 104 f. 417 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 106 ff. 418 BGHSt 1, 34; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 32; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters des Richters, 1980, S. 16 ff., 85; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 133 f.; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 99 f.; Krekeler, NJW 1981, 1633. 419 Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 31 f.; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 24; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 52; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters des Richters, 1980, S. 70 ff.; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 134; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 139 f., 244; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 165; insbesondere zu § 42: M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 144. 420 Vgl. Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 18 ff. 413

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man als Indiz für dessen „innere Haltung“ und damit als Element der Befangenheit deuten. Diese ist dann allerdings nicht bereits mit der Rechtsverletzung gegeben, sondern erst im Rahmen des Ablehnungsverfahrens zu prüfen. Arzt verkennt, dass auch in den von ihm zitierten Fällen nicht die schwere Rechtsverletzung als solche zur Annahme der Befangenheit führt, sondern die hinter ihr zu vermutende „innere Haltung“.421 In diesen Fällen lassen die Äußerungen des abgelehnten Richters auf dessen vorzeitige Festlegung und damit „innere Haltung“ hinsichtlich der Tat des Angeklagten schließen.422 Damit begründet nicht die Rechtsverletzung die Befangenheit, möglicherweise aber die ihr zu Grunde liegende „innere Haltung“. Auch tritt die Rechtsverletzung des Richters jeweils in einem konkreten Verfahren auf. In jedem erneuten Verfahren steht es dem Richter frei, derartige Fehler zu vermeiden. Aus der Rechtsverletzung im konkreten Verfahren lässt sich jeweils eine „innere Haltung“ des Richters gegenüber der konkreten Sache oder dem konkreten Verfahrensbeteiligten entnehmen. Selbst wenn der Richter Rechtsverletzungen in mehreren Verfahren, nicht aber in allen Verfahrenskonstellationen derselben Art begeht, schließt dies nicht aus, dass der Richter in mehreren Verfahren aufgrund derselben Rechtsverletzung abgelehnt wird: Die „Fallbezogenheit“ ist nicht als „Einzelfall-,Exklusivität‘“423 aufzufassen in dem Sinne, dass Befangenheit nur eine innere Haltung des Richters sein darf, die sich exklusiv nur in einem konkreten Verfahren äußert.424 Maßgeblich bleibt vielmehr, dass die Haltung des Richters, die hinter der Rechtsverletzung zu vermuten ist, einen Anknüpfungspunkt im konkreten Verfahren hat. Somit ist in Fällen der Rechtsverletzung durch den Richter die „Fallbezogenheit“ gegeben. Die Ungeeignetheit des Richters z. B. wegen Gebrechlichkeit lässt dagegen nicht auf eine „innere Haltung“ schließen und führt deshalb nicht zu einem Ablehnungsgrund. Gebrechlichkeit ist keine Einstellung, sondern eine Eigenschaft des Richters, die er nicht willkürlich verändern kann. Anders kann dies bei einer übermäßigen politischen Betätigung des Richters sein. Diese kann mit einer bestimmten Einstellung des Richters verbunden sein, die er – zwar nur mühsam, aber doch – ändern kann.425 Den Konstellationen der Ungeeignetheit des Richters ist gemeinsam, dass sie in allen von dem Richter geführten Verfahren auftreten, so dass der Richter in allen Verfahren abgelehnt werden und im Ergebnis nicht mehr seiner richterlichen Tätigkeit nachgehen könnte. Dies kann durch das Merkmal der „Fallbezogenheit“ verhindert werden, indem gefordert wird, dass nur die „innere Haltung“ des Richters,

421

Vgl. BGHSt 1, 34 (37); BGH NJW 1959, 55 (56). Vgl. BGHSt 1, 34 (37); BGH NJW 1959, 55 (56). 423 Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 26. 424 Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 26; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters des Richters, 1980, S. 72. 425 Vgl. im Ergebnis auch Krekeler, NJW 1981, 1633. 422

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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die im konkreten Verfahren wurzelt und nicht in allen Verfahren des Richters zwangsläufig vorliegt, vom Begriff der Befangenheit umfasst ist.426 Insgesamt schließen die Kriterien der „inneren Haltung“ und der „Fallbezogenheit“ das ausweitende Verständnis der Befangenheit Arzts nur teilweise aus: Rechtsverletzungen könnten hiernach als Indizien für eine Befangenheit weiterhin zur Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit führen, die Ungeeignetheit des Richters hingegen nicht. Maßgeblich für die Frage, wie weit der Befangenheitsbegriff und damit im Ergebnis das Ablehnungsrecht zu ziehen sind, ist die Abwägung zwischen dem wiederholt angesprochenen Schutz des Vertrauens des Angeklagten in die Unparteilichkeit seines Richters auf der einen und der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung auf der anderen Seite:427 Der Vertrauensschutz führt naturgemäß zu einer weiten Ausdehnung des Befangenheitsbegriffs, wohingegen das Erfordernis der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung für dessen enge Auslegung spricht.428 Für die Frage der Einbeziehung von erheblichen Rechtsverletzungen des Richters in den Befangenheitsbegriff ist dabei zu beachten, dass gerade ein Verstoß des Richters gegen das Recht das Vertrauen des Angeklagten besonders nachhaltig erschüttern dürfte. Dem kann bei Eröffnung der Ablehnung für diesen Fall entgegengewirkt werden, was gleichzeitig nur zum Ausscheiden des Richters in konkreten Einzelfällen führt. Insofern kann ein Ausgleich zwischen dem Schutz des Vertrauens und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege geschaffen werden. Im Gegensatz hierzu schränkt die Ablehnbarkeit des ungeeigneten Richters, die potentiell für alle seine Verfahren gilt und damit letztlich seinen vollständigen Ausfall für alle ihm zugewiesenen Verfahren herbeiführen kann, die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung erheblich ein. Erst wenn der Richter dienstunfähig ist, vgl. § 71 DRiG i.V.m. § 26 BeamtStG bzw. § 46 DRiG i.V.m. § 44 BBG, kann er durch einen neu einzustellenden Richter ersetzt werden. Diese Entscheidung herbeizuführen, ist jedoch nicht Aufgabe des Ablehnungsrechts. Im Fall des ungeeigneten Richters überwiegt daher das Erfordernis der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung den Schutz des Vertrauens des Angeklagten in die Unparteilichkeit seines Richters. Dieses Ergebnis stimmt mit demjenigen der Einschränkung des Befangenheitsbegriffs anhand der Merkmale „innere Haltung“ und „Fallbezogenheit“ (Einbeziehung der Rechtsverletzung, Nichtberücksichtigung der Ungeeignetheit) überein. Weiterhin entspricht diese Einschränkung auch dem Sinn und Zweck des Ableh-

426

Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters des Richters, 1980, S. 72; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 134. 427 Vgl. oben A. II. (S. 21). 428 Vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 2 ff.; Krekeler, NJW 1981, 1633 (1634, 1638).

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nungsrechts, wie er sich aus dem Wortlaut des § 24 Abs. 2 StPO ergibt:429 Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Geschützt wird also das Vertrauen des Angeklagten (und der Öffentlichkeit) in die Unparteilichkeit des Richters und nicht in den Richter schlechthin. Damit wird deutlich, dass auch im Sinne des Ablehnungsrechts die Unparteilichkeit nur einen Teil der ganzen Richterpersönlichkeit umfasst. Dies legt nahe, dass nicht jegliche Eigenart des Richters, die den Angeklagten an der Rechtmäßigkeit des gegen ihn gerichteten Verfahrens zweifeln lässt, zu dessen Ablehnbarkeit führt. Vielmehr sind (im Sinne der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung) Einschränkungen hinzunehmen. Daher schützt das Ablehnungsrecht den Angeklagten nicht vor den Eigenschaften, die einem Richter allgemein anhaften, sondern davor, von diesem Richter im Einzelfall anders behandelt zu werden, als es ohne dessen Befangenheit der Fall wäre.430 Rechtsverletzungen des Richters, die auf eine Parteilichkeit des Richters als „innere Haltung“ schließen lassen, können daher von der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit umfasst werden, die Ungeeignetheit des Richters hingegen nicht. Die Befangenheit ist damit eine innere Einstellung des Richters, die sich im konkreten Verfahren niederschlägt. (c) Die Unsachlichkeit der inneren Einstellung Parteilichkeit ist gegeben, wenn der Richter sachfremde Aspekte in seine Entscheidung einfließen lässt, also solche, die nicht als Entscheidungsgrundlage im Sinne von § 261 StPO vorgesehen sind. Dasselbe gilt für den umgekehrten Fall, dass der Richter sich gegen solche Aspekte sperrt, die gemäß § 261 StPO in die Entscheidung einzubeziehen sind, weil er sich bereits frühzeitig endgültig festgelegt hat, also beispielsweise bereits zu Beginn der Hauptverhandlung derart von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt ist, dass er entlastende Beweismittel zwar in der Hauptverhandlung zulässt, aber nicht mehr ernsthaft zur Kenntnis nimmt und in seine Entscheidung einbezieht.431 Der Begriff der Parteilichkeit umfasst damit eine unsachliche innere Einstellung des Richters sowohl der Person eines Verfahrensbeteiligten als auch der Sache gegenüber. Diese kann dabei als Vorurteil im allgemeinen Sinne eine grundsätzliche unsachliche Einstellung des Richters sein (z. B. „alle Einwohner eines bestimmten 429 So auch Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters des Richters, 1980, S. 82; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 134; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 244. 430 So auch Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 24; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters des Richters, 1980, S. 14; so wohl auch Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 26 f. 431 Vgl. zur vorzeitigen endgültigen Festlegung Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 92 ff.; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 155 ff.; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 222 ff.

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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Bezirks sind Kriminelle“ oder „jeder, der einen Raub begeht, tötet bei Bedarf auch“). Die unsachliche innere Einstellung kann aber auch auf Kenntnissen beruhen, die der Richter zum konkreten Verfahren außerhalb oder vor der Hauptverhandlung oder aufgrund von dort eingebrachten Beweismitteln erlangt hat, die jedoch einem Verwertungsverbot unterliegen (z. B. Gespräch mit einem Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung; Aktenkenntnis über eine Zeugenaussage, die in der Hauptverhandlung erheblich abweicht; Einbeziehung eines Geständnisses, das unter Verstoß gegen § 136a StPO erlangt wurde). (d) Die Bevorzugung bzw. Benachteiligung der Prozessbeteiligten Weiteres Merkmal des Parteilichkeitsbegriffs ist die Bevorzugung bzw. Benachteiligung eines Prozessbeteiligten.432 Dies bedeutet, dass die unsachliche innere Einstellung des Richters im konkreten Fall dazu führen muss, dass er einen Prozessbeteiligten bevorzugt oder benachteiligt im Vergleich dazu, wie er diesen behandeln würde, wenn in diesem Verfahren die unsachliche innere Einstellung nicht vorläge. Denn gerade vor einer in dieser Hinsicht abweichenden Behandlung soll das Ablehnungsrecht schützen.433 (e) Einschränkung der Befangenheit? Vielfach wird die Notwendigkeit gesehen, den Begriff der Befangenheit einzuschränken und die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit erst ab einer näher zu bestimmenden Erheblichkeitsschwelle zuzulassen; hierdurch sollen insbesondere Einstellungen des Richters, die allgemeiner Art sind, sowie strukturell im Strafverfahrensrecht angelegte Einflüsse auf die richterliche Entscheidung aus dem Befangenheitsbegriff ausgegrenzt werden.434

432 So Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 26; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 28 f.; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 52; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters des Richters, 1980, S. 21 f. 433 S.o. D. I. 2. b) bb) (1) (b) (S. 90). Das Kriterium der Bevorzugung/Benachteiligung wird teilweise derart aufgefasst, dass der Richter stets einen Verfahrensbeteiligten gegenüber einem anderen Verfahrensbeteiligten bevorzugen/benachteiligen müsse, so dass Fälle der Bevorzugung/Benachteiligung aller Verfahrensbeteiligter aus dem Befangenheitsbegriff ausscheiden würden; daher wird dieses Merkmal abgelehnt (so Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 134 f.). Hierbei wird jedoch der dargestellte entscheidende Bezugspunkt für die Bevorzugung/Benachteiligung verkannt. 434 So Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 11; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 26 ff.; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 21 ff.; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 114 ff., 161 ff.; Hillebrand, Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 12; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 31 ff., 40 f.; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 136; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 27; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 164.

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Dieser Ansatz bezieht das heutige Richterbild435 in das Verständnis richterlicher Parteilichkeit ein und beruht demgemäß auf der Feststellung, dass richterliche Tätigkeit notwendigerweise subjektiv gefärbt ist.436 Soweit daher eine Vielzahl von Arbeitsschritten, die auf eine richterliche Entscheidung hinwirken, Wertungen erfordern, folge hieraus, dass der Richter in einem gewissen Umfang seine Persönlichkeit wie auch seine Wertungen und Erfahrungen einbringen müsse.437 Bereits die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals durch einen Richter werde durch seine „jeweilige Persönlichkeitsstruktur“ geleitet, ebenso wie „durch die sozialen Bezüge […], in die er gestellt [ist].“438 Dasselbe gelte z. B. für die Verhandlungsführung des Richters,439 etwa seine Art, einen Zeugen zu befragen, die Beweiswürdigung440 oder die Strafzumessung.441 Insofern wird angenommen, dass ein gewisses Maß an Subjektivität vom Gesetzgeber und der Struktur des Strafverfahrens vorgesehen und unvermeidbar sei; mithin sei diese „Parteilichkeit“ nicht als Parteilichkeit in dem hier erörterten Sinne zu bezeichnen, sondern gerade aus dieser auszuschließen.442 Dieser Ansatz erscheint zunächst denkbar, da nicht jedes geringste subjektive oder sachfremde Moment in der inneren Einstellung des Richters als Parteilichkeit im Sinne des Ablehnungsrechts angesehen werden muss. So ließe sich z. B. sagen, dass das Unverständnis des Richters gegenüber der politischen Einstellung des Angeklagten bereits ein sachfremdes Moment ist, jedoch in einem Strafverfahren ohne jeglichen Bezug zur Politik in der Regel keine Auswirkung auf das Verfahren haben wird.443 Insofern könnte neben der Möglichkeit, im Einzelfall festzustellen, ob das 435

Vgl. oben B. (S. 23). Vgl. oben B. (S. 23). 437 So Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 21 ff.; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 116; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 136. 438 Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 31; vgl. auch Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 11; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 21; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 136. 439 So Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 21; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 136; Baltzer, ZZP 89 (1976), 406 (414). 440 So Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 34. 441 So Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 22. 442 So Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 11; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 26 ff.; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 21 ff.; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 114 ff., 161 ff.; Hillebrand, Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 12; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 31 ff., 40 f.; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 136; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 27; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 164. 443 Daher ist nach h.M. bei (nur) unterschiedlicher politischer Anschauung zwischen Richter und Angeklagtem i.E. die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit in Fällen ohne besonderen Bezug zur politischen Betätigung nicht gerechtfertigt, vgl. BGH NJW 1962, 748; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 194 f.; Stemmler, Befangenheit im Rich436

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Ausmaß der besorgten „Befangenheit“ für die Ablehnung hinreichend ist, tatsächlich der Weg beschritten werden, innere Einstellungen des Richters unterhalb eines bestimmten „Befangenheitsniveaus“444 ex ante aus dem Befangenheitsbegriff auszuschließen. Bereits die begriffliche Unterscheidung mutet hierbei allerdings merkwürdig an: Wenn die Rede von einem bestimmten „Befangenheitsniveau“ ist, also einem Niveau an Befangenheit, das zu erreichen wäre, so ist Befangenheit bereits gegeben. Schwierig ist es dann, ein noch zu geringes Maß an Befangenheit nicht als ausreichend im Sinne des § 24 StPO anzusehen. Problematisch erscheint jedoch insbesondere die Festlegung eben dieses „Befangenheitsniveaus“, das unabhängig vom Einzelfall, mithin abstrakt zu bestimmen wäre. Die in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe für dasjenige Maß an „Parteilichkeit“, das auszugrenzen sei, sind in unterschiedlichem Maße bestimmt: So soll die Parteilichkeit im hier maßgeblichen Sinne nicht das „strukturbedingte personale Element“,445 die „subjektiv-personale Komponente“,446 das „strukturbedingte persönliche Element der Rechtsfindung“,447 das „gesetzlich tolerierte Befangenheitsniveau“,448 das „gesetzlich hingenommene Befangenheitsniveau“449 bzw. die „natürliche Befangenheit“450 umfassen. Das zuletzt genannte Ausschlusskriterium führt freilich zu einer zu weitgehenden und in ihrer Abgrenzung schwer handhabbaren Ausgrenzung aus dem Parteilichkeitsbegriff. Die natürliche Befangenheit umfasse „Vorbelastungen, die jeden Menschen betreffen“,451 da kein Mensch sich in seiner Wahrnehmung von Voreindrücken befreien könne.452 So zutreffend diese Aussage grundsätzlich sein mag,453 widerspricht es dem Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts, dieses Feld umfassend von vornherein aus dem Begriff der Parteilichkeit und damit aus der Anwendbarkeit des Ablehnungsrechts auszunehmen. Auf die Spitze getrieben würde dies bedeuten, teramt, 1975, S. 138; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 60; Teplitzky, NJW 1962, 2044. 444 So Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 114. 445 Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 31 ff., 40 f.; ihm folgend: Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 26 ff. 446 Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 21 ff.; er verwendet hierbei den von Riedel gegenüber dem strukturbedingten personalen Element als allgemeiner gebrauchten Begriff: Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 25. 447 Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 11; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 164. 448 Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 136. 449 Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 114 ff., 161 ff. 450 Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 27; ihr folgend, begrifflich aber nicht festgelegt: Hillebrand, Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 12. 451 Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 27. 452 Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 26 f. 453 Eingehend hierzu im Folgenden E. I. 1. (S. 130 ff.).

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dass beispielsweise, weil es „menschlich“ ist, dass ein Tatopfer nicht mehr unvoreingenommen über die Tat urteilen kann, in diesem Fall keine Befangenheit angenommen werden könnte. Dies würde jedoch zu dem Ergebnis führen, dass selbst in Konstellationen, die von den Ausschlussgründen umfasst werden – also Fällen besonders hoher Befangenheitswahrscheinlichkeit454 –, keine Befangenheit im Sinne des § 24 StPO vorläge. Dies widerspräche jedoch dem Sinn und Zweck des Ausschluss- und Ablehnungsrechts sowie dem Verhältnis der Ausschluss- und Ablehnungsgründe zueinander.455 Vielmehr ist es erforderlich, die einzelnen Konstellationen möglicher Befangenheit gerade unter Berücksichtigung des aktuellen Richterbildes sowie psychologischer Erkenntnisse456 zu überprüfen. Hierzu sollten nicht bereits einzelne Konstellationen möglicher Befangenheit vor dieser Prüfung aus dem Befangenheitsbegriff ausgenommen werden. Zudem muss gefragt werden, ob von einem Richter bei seiner rechtsprechenden Tätigkeit nicht doch ein höheres Maß an Objektivität erwartet werden kann und muss, als es im Rahmen einer „natürlichen Befangenheit“ zugestanden würde. Daher ist die Ausgrenzung einer „natürlichen Befangenheit“ aus der Parteilichkeit abzulehnen. Die weiterhin genannten Kriterien sehen sich diesem Einwand nicht in gleichem Maße ausgesetzt. Sie sind, soweit sie nicht auf die menschliche Wahrnehmung schlechthin, sondern auf die konkreten Eigenarten richterlicher Tätigkeit abstellen (wie die oben genannte Beweiswürdigung, Auslegung, Strafzumessung),457 präziser und treffen damit den Kern des Problems. Tatsächlich erscheint es nicht sachgerecht, zur Ablehnung berechtigende richterliche Parteilichkeit stets bereits dort anzunehmen oder zumindest als möglich anzusehen, wo im Ergebnis eine richterliche Entscheidung ohne Einbringung von Erfahrungen und Wertungen durch den Richter schlicht unmöglich wäre.458 Allerdings ist in solchen Fällen das Vorliegen von Befangenheit bereits am Merkmal der unsachlichen inneren Haltung abzulehnen, da es sich nicht um sachfremde, sondern vielmehr um gesetzlich indizierte Erwägungen handelt. Diese Konstellationen scheiden also bereits nach der bisher gefundenen Definition aus dem Befangenheitsbegriff aus und es bedarf keiner weiteren Einschränkung des Befangenheitsbegriffs.

454

Vgl. oben D. I. 1. (S. 64). Vgl. oben D. I. 2. b) aa) (4) (S. 81). 456 Vgl. hierzu im Folgenden E. I. 1. (S. 130 ff.). 457 Vgl. Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 10 f.; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 21 ff.; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 31 ff., 40 f.; Semmler, Prozeßverhalten des Richters, 1994, S. 136; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 164. 458 So auch Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 21 ff.; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 32. 455

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Darüber hinaus kann nicht jede strukturbedingte oder verfahrensrechtlich tolerierte Voreingenommenheit aus dem Befangenheitsbegriff ausscheiden, da nicht auszuschließen ist, dass das Gesetz selbst ungerechtfertigter Weise eine vermeidbare Parteilichkeit des Richters toleriert: So kann aus der Regelung des § 199 Abs. 1 StPO nicht gefolgert werden, dass die Eröffnung des Hauptverfahrens durch den erkennenden Richter nicht zu dessen Befangenheit führen kann. Unter Berücksichtigung des heutigen Richterbildes und der Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie muss dieser Aspekt vielmehr untersucht werden.459 Diese Überprüfung wäre aber ausgeschlossen, wenn alle Konstellationen, die durch das Strafverfahrensrecht strukturell angelegt sind, im Vorhinein aus dem Befangenheitsbegriff ausgeschlossen würden. Zudem ist insbesondere problematisch, dass die vorgenannten Ausgrenzungsansätze keine überzeugenden Kriterien zur Verfügung stellen, bis zu welchem Maß die sogenannte zu tolerierende Befangenheit hinzunehmen sei. Zwar lassen sich durchaus Konstellationen beschreiben, in denen man sich weitgehend darin einig ist, dass keine hinreichend gravierende Parteilichkeit vorliegt,460 abstrakte Kriterien zur Ermittlung derartiger Fälle sind jedoch schwer zu finden. Dies wäre allerdings Voraussetzung für eine abstrakte Begrenzung des Begriffs der Parteilichkeit. Insofern ist eine Einschränkung des Befangenheitsbegriffs abzulehnen. Notwendige subjektive Wertungen des Richters bei seiner Tätigkeit scheiden bereits über das Merkmal der Unsachlichkeit aus dem Befangenheitsbegriff aus. Darüber hinaus kann eine abstrakte Erheblichkeitsschwelle, ab derer erst von Befangenheit im Sinne des § 24 StPO auszugehen sei, nicht bestimmt werden. (f) Definition des Befangenheitsbegriffs Aus den vorangegangenen Abschnitten ergibt sich die folgende Definition des Befangenheitsbegriffs: Befangenheit (Parteilichkeit, Voreingenommenheit) ist eine unsachliche innere Einstellung des Richters zu den Beteiligten oder zum Gegenstand des konkreten Verfahrens, die zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Behandlung des Verfahrens durch den Richter im Sinne einer Bevorzugung oder Benachteiligung von Verfahrensbeteiligten führen kann.461

459

Siehe hierzu im Folgenden E. II. 2. b) bb) (3) (S. 210 ff.). So der Einfluss weltanschaulicher, religiöser, politischer, gesellschaftlicher und sonstiger Wertvorstellungen des Richters in diesbezüglich unauffälligen Verfahren, vgl. Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 41. Problematischer erscheint bereits das von Gerdes beschriebene sog. „allgemeine Interesse“, vgl. Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 29 ff., da nicht auszuschließen ist, dass diesem im konkreten Fall ein über der „Erheblichkeitsschwelle“ liegender Einfluss zukommt; zu beidem auch Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 11 f.; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 165. 461 So ähnlich auch: BGHSt 1, 34; Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 6; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 5; Gerdes, Die Ablehnung wegen 460

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

(2) Anforderungen an die Besorgnis der Befangenheit § 24 Abs. 1, 2 StPO knüpft allerdings die Ablehnung eines Richters nicht an das tatsächliche Vorliegen von Befangenheit, sondern an deren „Besorgnis“.462 Nach welchem Maßstab die Besorgnis zu bestimmen ist, ist umstritten. Grundsätzlich lassen sich drei Meinungsstränge unterscheiden: ein streng bzw. primär objektiver463 (im Folgenden streng objektiver), ein primär subjektiver464 und ein gemischt subjektiv- oder auch individuell-objektiver465 (im Folgenden gemischt subjektiv-objektiver) Maßstab. Diese Ansätze haben sich jedoch zum Teil derart weiterentwickelt, dass eine klare Grenzziehung und Unterscheidung zunehmend erschwert werden. Dennoch werden die differierenden Ansichten nach diesen ursprünglichen Meinungssträngen geordnet dargestellt und erörtert, um sowohl ihre Entwicklung als auch ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Vor allem wird der Fall der Ablehnung durch den Angeklagten des Verfahrens erörtert. (a) Streng objektiver Maßstab Nach dem streng objektiven Maßstab ist die Ablehnung gerechtfertigt, wenn die vom Ablehnenden geltend gemachten Tatsachen objektiv und damit aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten die Besorgnis der Befangenheit begründen.466 Jede abweichende Gestaltung der Anforderungen an das Ablehnungsrecht, insbesondere die Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 26; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 86. 462 Vgl. oben D. I. 2. b) bb) (S. 85). 463 Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 103 ff.; ihm folgend: Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 51; Semmler, Prozessverhalten des Richters, 1994, S. 142 ff.; Rabe, AnwBl. 1981, 331 (332). 464 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 23 ff.; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 129 ff.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 54 f.; Horn, Der befangene Richter, 1977, S. 125; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 46; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 111; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 162; Krekeler, NJW 1981, 1633 (1634 f.). 465 BVerfGE 20, 1 (5); 20, 9 (14); 32, 288 (290), 88, 1 (4); 91, 226; 92, 139; BGHSt 1, 34 (39); 21, 334 (341); 24, 336 (338); 41, 206 (211); 43, 16 (18); Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 6; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 9; Cirener, in: Graf, StPO, § 24 Rdn. 6; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 3a; Pfeiffer, StPO, § 24 Rdn. 1; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rdn. 8; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 5 ff.; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 10; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 14 f.; Stadler, Die richterliche Neutralität, 1977, S. 38; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 55; Benda, NJW 2000, 3620; Fromm, DAR 2009, 69 (70); Michel, MDR 1993, 1146 (1147); Rostek, NJW 1975, 192; Teplitzky, JuS 1969, 318 (319). 466 So Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 113; ihm folgend: Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 51; Semmler, Prozessverhalten des Richters, 1994, S. 139, 142; Rabe, AnwBl. 1981, 331 (332).

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Berücksichtigung der konkreten Person des Ablehnenden, führe zu einer „von Fallzu-Fall-Rechtsprechung“467 und damit zu mangelnder „Transparenz und Kontrollierbarkeit“468 der Rechtsprechung. Denn gerade die individuelle Person des Ablehnenden verursache, dass die Befangenheitsbesorgnis in gleich gelagerten Fällen unterschiedlich beurteilt werde.469 Dies wiederum laufe dem Grundsatz des gesetzlichen Richters zuwider, der eine möglichst weitgehende Vorhersehbarkeit des zuständigen Richters fordere.470 Auch Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts, die nicht nur in dem Schutz des Vertrauens des konkreten Angeklagten in die Unparteilichkeit der Rechtspflege, sondern auch in der Wahrung des Ansehens der Justiz und des Vertrauens der Allgemeinheit in die Rechtspflege lägen, sprächen für und nicht etwa gegen einen rein objektiven Maßstab.471 Zudem erlaube es die Prozessökonomie nicht, das Ablehnungsrecht durch die Berücksichtigung des individuellen Ablehnenden auszuweiten.472 Dieser Ansatz ist bereits mit dem Wortlaut des § 24 Abs. 1, 2 StPO nur schwer zu vereinbaren. Zwar ist zuzugeben, dass die Begriffe „vorliegt“, „geeignet“ sowie „rechtfertigen“ im Wortlaut des § 24 Abs. 2 StPO eine objektive Betrachtungsweise nahe legen.473 Jedoch weisen andererseits die Termini „Besorgnis“ und „Misstrauen“ darauf hin, dass neben dem objektiven Kriterium auch eine subjektive Einschätzung von Bedeutung ist,474 wobei besorgt und misstrauisch vor allem der Ablehnende sein kann.475 (b) Primär subjektiver Maßstab Auf diese subjektiven Elemente und damit auf die konkrete Person des ablehnenden Angeklagten stellt der primär subjektive Maßstab ab.476 Die Darlegung der 467

Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 108; ihm folgend: Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 39. 468 Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 106. 469 So Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 107 f.; ihm folgend: Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 39; Semmler, Prozessverhalten des Richters, 1994, S. 139. 470 So Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 108. 471 So Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 46; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 108 f. 472 So Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 50. 473 Vgl. Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 44; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 102; Semmler, Prozessverhalten des Richters, 1994, S. 141. 474 So auch Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 33; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 14; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 43. 475 Vgl. Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 43. 476 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 23 ff.; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 129 ff.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 54 f.; Horn, Der befangene Richter, 1977, S. 125; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des

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Besorgnis der Befangenheit müsse vom Standpunkt des Angeklagten aus unter Berücksichtigung seiner Individualität, seiner konkreten Verfassung und Situation plausibel erscheinen.477 Zur Begründung dieser umfassenden Einbeziehung der Person des Angeklagten wird hervorgehoben, dass das Ablehnungsrecht seinem Sinn und Zweck nach vor allem das Vertrauen des konkreten Angeklagten in die Rechtspflege schützen soll; demgegenüber trete die Wahrung des Vertrauens der Allgemeinheit in dieselbe sowie das Ansehen der Justiz zurück.478 Nur die Berücksichtigung der konkreten Person des Angeklagten sei geeignet, dessen persönliche Eigenschaften und eventuelle Sensibilität oder gar Hypersensiblität angemessen zu berücksichtigen und dementsprechend sein Vertrauen in den Richter zu sichern.479 Auch von den Vertretern dieser Ansicht wird jedoch nicht verkannt, dass der subjektive Maßstab nicht zu weit führen darf: Nicht jede vom Angeklagten dargelegte unvernünftige Besorgnis kann zu einer berechtigten Ablehnung führen,480 vielmehr sei eine „Schranke des vernünftigen Gebrauchs“ erforderlich.481 Diese jedoch wird nicht abstrakt formuliert, sondern im Einzelfall ermittelt.482 Im Ergebnis wird somit selbst im Rahmen des primär subjektiven Maßstabs auch ein objektives Kriterium einbezogen, das der Berücksichtigung individueller Besorgnis des Angeklagten Grenzen setzt.483 (c) Gemischt subjektiv-objektiver Maßstab In der Grundidee ähnlich wendet die überwiegend in der Rechtsprechung und Literatur vertretene Ansicht einen gemischten Maßstab an, der subjektive und ob-

Richters, 1975, S. 46; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 111; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 162; Krekeler, NJW 1981, 1633 (1634 f.). 477 So Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 28 f.; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 131 f.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 54; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 46; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 111 f.; Krekeler, NJW 1981, 1633 (1635). 478 So Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 24; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 129, 152 ff.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 41; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 111; Krekeler, NJW 1981, 1633 (1635). 479 So Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 24; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 131; Krekeler, NJW 1981, 1633 (1635). 480 So auch Horn, Der befangene Richter, 1977, S. 126 f. 481 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 29; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 132 f.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 35 f.; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 112; Krekeler, NJW 1981, 1633 (1635 f.). 482 So Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 29. 483 So auch Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 112.

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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jektive Elemente einbeziehen soll.484 Ursprünglich lag diesem Ansatz die Prämisse zugrunde, dass der konkrete Ablehnende Ausgangspunkt für die Beurteilung der Besorgnis sein müsse.485 Das hierin liegende subjektive Element der Wertung sei dergestalt durch ein objektives zu ergänzen,486 dass aus der Sicht des konkreten Ablehnenden Gründe vorliegen müssten, die bei vernünftiger Würdigung Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters rechtfertigten.487 In dieser Gestalt wird der Maßstab seiner Bezeichnung als gemischt subjektiv-objektiver Ansatz gerecht und ähnelt dem primär subjektiven Maßstab.488 Problematisch erscheint jedoch die weitere Entwicklung, die dieser Maßstab vollzogen hat. In der Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofs in Strafsachen wurde aus dem objektiven Element der „vernünftigen Gründe“ das Erfordernis des „vernünftigen Angeklagten“489 als Ausgangspunkt der Beurteilung der Befangenheitsbesorgnis. Nach diesem Maßstab, dem sich weite Teile der Rechtsprechung und der Literatur angeschlossen haben,490 ist nicht mehr der konkrete Angeklagte des jeweiligen Verfahrens Bezugspunkt der Bewertung, sondern der fingierte „vernünftige Angeklagte“. Entscheidend sei, ob dieser bei vernünftiger 484 BVerfGE 20, 1 (5); 20, 9 (14); 32, 288 (290); 82, 30 (38); 88, 1 (4); 91, 226 (227); 92, 138 (139); BGHSt 1, 34 (39); 4, 264 (267); 21, 334 (341); 24, 336 (338); 41, 206 (211); 43, 16 (18); Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 6; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/ Reitberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 8 f.; Cirener, in: Graf, StPO, § 24 Rdn. 6; Pfeiffer, StPO, § 24 Rdn. 1; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 3a; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 24 Rdn. 8; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 5 ff.; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 10; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 14 f.; Stadler, Die richterliche Neutralität, 1977, S. 38; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 55; Benda, NJW 2000, 3620; Fromm, DAR 2009, 69 (70); Michel, MDR 1993, 1146 (1147); Rostek, NJW 1975, 192; Teplitzky, JuS 1969, 318 (319). 485 Vgl. BVerfGE 20, 1 (5); 20, 9 (14); 32, 288 (290); 82, 30 (38); 88, 1 (4); 91, 226 (227); 92, 138 (139); BGHSt 1, 34 (39); Pfeiffer, StPO, § 24 Rdn. 1; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 3a; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 10; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 14 f.; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 51 f.; Benda, NJW 2000, 3620. 486 So Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 8; Cirener, in: Graf, StPO, § 24 Rdn. 5 f.; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 14; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 41 f. 487 So BVerfGE 20, 1 (5); 20, 9 (14); 32, 288 (290); 82, 30 (38); 88, 1 (4); 91, 226 (227); 92, 138 (139); BGHSt 1, 34 (39); Pfeiffer, StPO, § 24 Rdn. 1; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 3a; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 10; Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 14 f.; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 53; Benda, NJW 2000, 3620. 488 So auch Stadler, Die richterliche Neutralität, 1977, S. 29; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 112. 489 RGSt 65, 40 (43); BGHSt 4, 264 (267); 21, 334 (341); 41, 206 (211); 43, 16 (18). 490 Vgl. OLG Köln, NJW 1971, 569 (570); Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 6; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 8; Cirener, in: Graf, StPO, § 24 Rdn. 6; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rdn. 8; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 5 ff.; Fromm, DAR 2009, 69 (70); Michel, MDR 1993, 1146 (1147); Teplitzky, JuS 1969, 318 (319).

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Würdigung aller Umstände und zumutbarer ruhiger Überprüfung die Besorgnis der Befangenheit hege.491 Diese Veränderung des Ausgangspunktes der Betrachtung führt zu einer Doppelung des objektiven Elements innerhalb des ursprünglich gemischt subjektivobjektiven Maßstabs unter Ausblendung des subjektiven Kriteriums: Die Figur des „vernünftigen Angeklagten“ berücksichtigt die Person und damit auch individuelle Eigenschaften des konkreten Ablehnenden nicht mehr.492 Unabhängig von der Schwierigkeit, den Maßstab des „vernünftigen Angeklagten“ als solchen zu bestimmen,493 lässt dieser kein subjektives Element mehr in die Wertung einfließen, sondern ist ausschließlich objektiv zu bestimmen.494 Es ist mithin deutlich zu unterscheiden zwischen einem Ansatz, der von dem konkreten Ablehnenden des Verfahrens ausgeht und eine objektivierte Beurteilung durch das Erfordernis eines verständigen oder nachvollziehbaren Grundes erreichen will, und einem solchen, der eine fiktive Idealperson des vernünftigen Angeklagten als objektiven Maßstab einsetzt, um aus dieser objektiven Perspektive das Vorliegen verständiger bzw. nachvollziehbarer Gründe zu ermitteln. In Gestalt seiner Fortentwicklung hat sich der ursprünglich gemischt subjektivobjektive Maßstab dem streng objektiven angenähert: Beide wollen die Besorgnis der Befangenheit nach objektiven Kriterien beurteilen. Der Rest eines subjektiven Elements ist im weiterentwickelten gemischten Ansatz nur noch insofern erkennbar, als immerhin der „vernünftige Angeklagte“ in der Lage des Angeklagten des Verfahrens als Ausgangspunkt zu wählen sei. Dieser von den Anhängern der streng objektiven Theorie nur als Hinweis auf das Ausreichen der Besorgnis der Befangenheit gegenüber tatsächlicher Befangenheit aufgefasste495 Bezugspunkt lässt jedoch die Relevanz des subjektiven Elements für die Beurteilung der Befangen491 So BGH NJW 1968, 2297 (2298); Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 6; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rdn. 8; Fromm, DAR 2009, 69 (70). 492 Vgl. BGH 4, 264 (267); 21, 334 (341); 41, 206 (211); 43, 16 (18); Alexander, in: Radtke/ Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 6; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 8; Cirener, in: Graf, StPO, § 24 Rdn. 6; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rdn. 8; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 5 ff.; Fromm, DAR 2009, 69 (70); Michel, MDR 1993, 1146 (1147); Teplitzky, JuS 1969, 318 (319). 493 Vgl. Semmler, Prozessverhalten des Richters, 1994, S. 141. Auch Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 111, bezeichnet die Formel des „vernünftigen Angeklagten“ als „Leerformel“. 494 Die Gefahr dieser Tendenz sehen auch Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 4; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 13; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 22; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 77 ff.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 34; Horn, Der befangene Richter, 1977, S. 125; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 46; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 109; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 51; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 159. 495 So Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 112; ihm folgend: Semmler, Prozessverhalten des Richters, 1994, S. 139.

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heitsbesorgnis weitestgehend in den Hintergrund treten: Der „vernünftige Angeklagte“ in der Lage des konkreten Angeklagten des Verfahrens wird als objektiv bestimmbare Idealpartei aufgefasst,496 deren Heranziehung letztlich die individuellen Eigenarten des konkreten Angeklagten verdrängt. Diese „(Ver-)Objektivierung“ des ursprünglich gemischten Maßstabs wird vielfach erkannt und kritisch beurteilt.497 Daher wird die Beibehaltung des gemischten Ansatzes in seiner ursprünglichen Form gefordert, die tatsächlich subjektive und objektive Elemente berücksichtigte.498 Der subjektiv-objektive Maßstab in seiner verobjektivierten Gestalt verkenne, dass der Berücksichtigung des konkreten Angeklagten auch die Verfahrensökonomie nicht entgegen gehalten werden könne.499 Die Ablehnung sei naturgemäß ein „unökonomisches Rechtsinstitut“,500 da sie durch das Ausscheiden des Richters aus dem Verfahren die Befassung eines weiteren Richters mit diesem erfordere.501 Daher sei die Heranziehung der Prozessökonomie als Argument gegen die Einbeziehung des Standpunkts des konkreten Angeklagten von zweifelhafter Eignung.502 Zudem wird dem verobjektivierten Ansatz vorgeworfen, dass seine Anforderungen an die Befangenheitsbesorgnis letztlich darauf hinausliefen, dass nicht die Besorgnis der Befangenheit, sondern die Befangenheit selbst glaubhaft gemacht werden müsse.503 Dies sei aber nach § 24 Abs. 1, 2 StPO gerade nicht vorgesehen.504 496

So auch Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 159. Vgl. Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 4; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 13; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 22; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 77 ff.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 34; Horn, Der befangene Richter, 1977, S. 125; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 46; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 109; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 159. 498 So Hillebrand, Die Befangenheit im Strafprozess, 2005, S. 14 f.; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 55. 499 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 28. 500 M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 147; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 52. 501 M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 147; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 52. 502 So M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 146 ff.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 52. 503 So Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 25 f.; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 84 ff.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 39; Horn, Der befangene Richter, 1977, S. 125; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 46; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 109 f. 504 So Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 25 f.; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 84 ff.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 1992, S. 39; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 110. Arzt geht sogar darüber hinaus und folgert aus der gesetzlichen Regelung, dass der Ablehnende sein Misstrauen gegenüber dem Richter nicht einmal behaupten müsse: Solange er Gründe vorbringe, die plausibel aus seiner Sicht die Befangenheit des Richters besorgen ließen, müsse er nicht tatsächlich die Befan497

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

Demnach ist zwischen dem derzeit vielfach vertretenen gemischt subjektiv-objektiven Maßstab, der nunmehr dem streng objektiven Ansatz nahe kommt, und dem ursprünglichen gemischt subjektiv-objektiven Maßstab zu unterscheiden. (d) Beschränkung auf den Fall des sogenannten „vernünftigen Angeklagten“ Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Unterschiede zwischen den drei vorgenannten Ansichten verschwimmen und letztlich allein auf die Frage hinauslaufen, ob ein subjektives Element in die Beurteilung einbezogen werden muss. In dieser Hinsicht stehen sich nach der vorangegangenen Erörterung einerseits der objektive Ansatz, zu dem sich der streng objektive Maßstab sowie der fortentwickelte gemischt subjektiv-objektive Maßstab zusammenfassen lassen, und andererseits ein tatsächlich gemischt subjektiv-objektiver Maßstab, im dem der ursprüngliche gemischt subjektiv-objektive Ansatz sowie der primär subjektive Ansatz verbunden werden können, gegenüber. Einigkeit besteht zwischen diesen Ansätzen dahingehend, dass eine Objektivierung der Beurteilung der Befangenheitsbesorgnis notwendig ist. Allerdings sind grundsätzlich sowohl die objektive Beurteilung eines unbeteiligten Dritten als auch die „vernünftige Würdigung“ des „vernünftigen“ wie auch des konkreten Angeklagten abstrakt schwer zu bestimmen. Insbesondere die Feststellung „vernünftiger Erwägungen“ des „unvernünftigen“ Angeklagten erscheint problematisch. Jedenfalls dürfte der Unterschied zwischen der Nichtberücksichtigung und der Berücksichtigung des konkreten Angeklagten bereits durch das Erfordernis der „vernünftigen Würdigung“, das beide Maßstäbe zugrunde legen wollen, im Ergebnis nivelliert werden. Hierdurch bleiben gänzlich „unvernünftige“ Erwägungen ohnehin ausgeschlossen. Dieser Ausschluss und damit ein objektiver Bestandteil des Maßstabs zur Bestimmung der Besorgnis der Befangenheit ist auch notwendig, da nicht jede Empfindlichkeit des Ablehnungsberechtigten Berücksichtigung finden kann. Bei aller Kritik an der Figur des „vernünftigen Angeklagten“505 spitzen sich daher die Unterschiede zwischen den beiden Maßstäben auf die Fälle des „unvernünftigen genheit des Richters besorgen oder dies vortragen, vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 35 ff. Zutreffend wendet jedoch M. Ernst hiergegen ein, dass die Zusammenschau von § 24 Abs. 1 und 2 StPO zeige, dass die in § 24 Abs. 2 StPO näher konkretisierte Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 Abs. 1 StPO der Grund der Ablehnung ist; dementsprechend ist sie auch glaubhaft zu machen. Zudem gebietet es weder das Ansehen der Justiz, ein Ablehnungsgesuch eines nicht misstrauenden Ablehnenden für begründet zu erklären, noch zeigt das Selbstablehnungsrecht des Richters das mangelnde Erfordernis des tatsächlichen Misstrauens auf. Es setzt zwar tatsächlich keine Befangenheitsbesorgnis eines Verfahrensbeteiligten voraus, was jedoch darin begründet ist, dass es eine solche gerade vermeiden will, vgl. M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 18 f. 505 Vgl. hierzu Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 23; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 107, 154 f.; Gerdes, Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit,

I. Die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften der Strafprozessordnung

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Angeklagten“ zu: Immer dann, wenn der Angeklagte in seinen Eigenheiten und seiner Konstitution (deutlich) von einem besonnen urteilenden Angeklagten abweicht, stellt sich die Frage, inwieweit diese Abweichung Berücksichtigung finden kann. Denkbar sind Fälle wie z. B. der besonders ängstliche Angeklagte, den bereits das leichte Erheben der Stimme des Richters gegen ihn beunruhigt, oder der durch die unter Umständen lange Prozessdauer zermürbte Angeklagte, der nur noch von der Angst um seine Zukunft geplagt wird, bis hin zum psychotischen Angeklagten, der objektiv unbedenkliches Verhalten des Richters als Angriff auf seine Person empfindet. Je stärker der Angeklagte von dem gedachten „Idealfall“ abweicht, je mehr also dessen Perspektive sich von der eines idealen Angeklagten entfernt, desto größer dürfte der Unterschied der beiden Ansätze in der Beurteilung gerechtfertigter Befangenheitsbesorgnis sein. Diese Fälle sind jedoch besondere Konstellationen der Richterablehnung und nicht Gegenstand dieser Arbeit, die sich dem Spezialfall der Vorbefassung widmet. Um die Konzentration auf die Konstellationen der Vorbefassung zu ermöglichen, wird hier jeweils von einem „vernünftigen Angeklagten“ ausgegangen. Für die nachfolgende Bearbeitung wird daher die Problematik der Einbeziehung des „unvernünftigen Angeklagten“ ausgeklammert; Besorgnis der Befangenheit ist danach in dem hier relevanten Rahmen gegeben, wenn aus der Sicht des (stets gegebenen) „vernünftigen“ Angeklagten Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung Zweifel an der Unbefangenheit des Richters als begründet erscheinen lassen.

3. Die Selbstanzeige des Richters, § 30 StPO Damit im Strafverfahren die §§ 22 ff. StPO effektiv durchgreifen, besteht gemäß § 30 StPO neben der Verpflichtung, auch ohne ein Ablehnungsgesuch die Ausschließung des Richters aus dem Verfahren zu prüfen, die Pflicht des Richters, diejenigen Umstände anzuzeigen, aus denen sich ein Ablehnungs- oder Ausschließungsgrund in Bezug auf ihn ergeben kann.506 Insbesondere für die Fälle, in denen diese Umstände zwar dem Richter, nicht aber dem Ablehnungsberechtigten bekannt sind, dient diese Pflicht dem Interesse des Ablehnungsberechtigten.507 Darüber hinaus schützt diese Verpflichtung das Ansehen der Rechtspflege, da sie verhindern soll, dass Umstände, die sogar erhebliche Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters rechtfertigen, bis zum Abschluss des Verfahrens im Verborgenen bleiben.508 Die Anzeigepflicht befähigt damit den Ablehnungsberechtigten überhaupt erst dazu, 1992, S. 36 ff., Bernsmann, ZRP 1994, 329 (332); de Boor, StV 1987, 1; Krekeler, NJW 1981, 1633 (1635 f.). 506 Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 30 Rdn. 1. 507 Vgl. auch Deiters, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 30 Rdn. 1; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 30 Rdn. 2. 508 Deiters, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 30 Rdn. 1; Siolek, in: LöweRosenberg, StPO, Bd. 1, § 30 Rdn. 2.

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

(berechtigte) Zweifel an der Unparteilichkeit seines Richters zu hegen und soll damit die Effektivität der §§ 22 ff. StPO als Instrumente zum Schutz der richterlichen Unparteilichkeit verstärken. Obwohl die Anzeige solcher Gründe durch den Richter für die Gewährleistung seiner Unparteilichkeit insbesondere gegenüber dem Angeklagten von großer Bedeutung ist, handelt es sich nach überwiegender Ansicht bei dieser Pflicht um eine Dienstpflicht und keine echte prozessuale Pflicht des Richters.509 Entsprechend kann der Verstoß gegen die Pflicht zur Selbstanzeige nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen werden.510

4. Anforderungen an die Unparteilichkeit Aus Alledem folgt, dass ein Richter, der parteilich ist, einen Ausschlussgrund erfüllt oder begründet abgelehnt wird, nach deutschem Recht nicht dem Grundsatz der Unparteilichkeit des Richters entspricht.

II. Das Recht auf den unparteilichen Richter, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Wie bereits dargelegt,511 sichert auf völkerrechtlicher Ebene für die Konventionsstaaten der EMRK deren Art. 6 Abs. 1 S. 1 die Unparteilichkeit des Richters und normiert zugleich das Recht auf einen unparteilichen Richter. Bevor untersucht werden kann, inwieweit das Verständnis des nationalen Rechts von der richterlichen Unparteilichkeit mit demjenigen der EMRK übereinstimmt, muss ermittelt werden, welche Anforderungen diese an die Unparteilichkeit stellt.

1. Die Relevanz der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR für das deutsche Strafverfahrensrecht Dies führt jedoch zunächst zu der Frage, welche Bedeutung der EMRK als völkerrechtlichem Vertrag sowie der Rechtsprechung des EGMR zur EMRK für das 509 Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 30 Rdn. 8; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 30 Rdn. 2; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 30 Rdn. 2, 17; a.A. Deiters, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 30 Rdn. 6. 510 BGH bei Dallinger, MDR 1966, 24; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 30 Rdn. 17; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 30 Rdn. 10; a.A. Deiters, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 30 Rdn. 14; differenzierend hierzu Teplitzky, Jus 1969, 318 (325). 511 Vgl. oben C. II. (S. 61).

II. Das Recht auf den unparteilichen Richter, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

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deutsche Strafverfahrensrecht zukommt. Zu erörtern ist insofern die Geltung der EMRK innerhalb der deutschen Rechtsordnung im Allgemeinen sowie diejenige des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK für den Bereich des nationalen Strafverfahrensrechts im Besonderen. Darüber hinaus wird die Bindungswirkung von Entscheidungen des EGMR im nationalen Recht untersucht. a) Die Anwendbarkeit der EMRK im Bereich des deutschen Strafverfahrensrechts Fraglich ist in diesem Zusammenhang zunächst die Anwendbarkeit der EMRK im Bereich des deutschen Strafverfahrensrechts. Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag und verpflichtet als solcher zunächst nur die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat völkerrechtlich zu ihrer Einhaltung.512 Hierdurch wird jedoch noch nicht bestimmt, welche Bedeutung der EMRK innerhalb des nationalen Rechts zukommt. Auch findet sich hierzu keine für die Konventionsstaaten bindende Anordnung innerhalb der EMRK. aa) Der Rang und die Anwendbarkeit der EMRK in der deutschen Rechtsordnung513 Als völkerrechtlicher Vertrag bedurfte die EMRK zu ihrer innerstaatlichen Geltung innerhalb der deutschen Rechtsordnung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG der Zustimmung durch den Erlass eines Bundesgesetzes. Durch das Zustimmungsgesetz vom 7. August 1952 wurde die EMRK in das deutsche Recht inkorporiert bzw. transformiert514 und erhielt – wie von Art. 59 Abs. 2 GG vorgesehen und bei Erlass des Gesetzes vom Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt515 – den Rang eines einfachen Bundesgesetzes.516 Damit sind die materiellen Garantien der EMRK bindendes, unmittelbar anwendbares nationales Recht.517 Dieser Rang der EMRK in512

Vgl. BVerfGE 111, 307 (316); Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einf. Rdn. 5; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 2 Rdn. 1. 513 Erörtert werden an dieser Stelle der Rang und die Anwendbarkeit der EMRK innerhalb des nationalen Rechts bei der Anwendung innerstaatlichen Rechts durch innerstaatliche Organe. Die Wirkung der EMRK als Unionsrecht nach dem Beitritt der EU zur EMRK ist für den Aspekt der richterlichen Unparteilichkeit im Strafverfahren nicht relevant und bleibt daher außer Acht. Vgl. zu dieser Wirkung Rohleder, Grundrechtsschutz im europäischen Mehrebenen-System, 2009, S. 410 ff. 514 Der Streit zwischen der Vollzugs- und der Transformationstheorie hat praktisch – auch aufgrund zahlreicher einschränkender Ansätze beider Lager – keine Auswirkung, vgl. Rohleder, Grundrechtsschutz im europäischen Mehrebenen-System, 2009, S. 148 m.w.N. 515 Art. II Abs. 1 des Gesetzes vom 7. August 1952, BGBl. 1952 II, S. 685. 516 Diehm, Die Menschenrechte der EMRK, 2006, S. 66 f.; Weigend, StV 2000, 384 (386). 517 Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 11, EMRK Einf. Rdn. 85; Giegerich, in: Dörr/ Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, Kap. 2 Rdn. 45; Mayer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Einl. Rdn. 78; Meyer-Ladewig, EMRK, Einl. Rdn. 33; Diehm, Die Menschenrechte der EMRK,

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

nerhalb der nationalen Rechtsordnung wird von der Rechtsprechung und der Literatur nahezu einhellig anerkannt.518 Der wiederholt insbesondere in der Literatur unternommene Versuch, einen Rang der EMRK über dem Gesetzesrang zu begründen – als Verfassungs- oder sogar Überverfassungsrang –,519 konnte in diesem Zusammenhang bisher nicht überzeugen.520 Dieser Versuch beruhte unter anderem maßgeblich auf dem Problem, dass die EMRK im Rang eines einfachen Bundesgesetzes bei Kollisionen mit innerstaatlichem Recht unter Umständen zurücktreten müsste. Insbesondere nach dem Grundsatz, dass ein Gesetz durch ein gleichrangiges, später erlassenes Gesetz verdrängt wird („lex posterior derogat legi priori“), könnte die EMRK durch später ergangenes Bundesgesetz konterkariert werden, soweit ihr dieses widerspricht.521 Dieses Problem ist jedoch nicht durch eine Erhöhung des Ranges der EMRK in2006, S. 132; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 2 I 3 Rdn. 13; Heckötter, Die Bedeutung der EMRK, 2007, S. 113; Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, 1993, S. 42; Klein, MRM Themenheft „50 Jahre EMRK“, S.8 (17); Pache, EuR 2004, 393 (402); Weigend, StV 2001, 63. 518 BVerfGE 74, 358 (370); 82, 106 (114); 111, 307 (317); BVerfG NJW 2011, 1931 (1935); BGHSt 45, 321 (329); BGH StV 2004, 192 (194); Esser, in: Löwe-Rosenbderg, StPO, Bd. 11, Einf. Rdn. 85; Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einf. Rdn. 7; Meyer-Ladewig, EMRK, Einl. Rdn. 33; Diehm, Die Menschenrechte der EMRK, 2006, S. 99 f.; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 2 I 3 Rdn. 13; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 3 Rdn. 6 ff.; Heckötter, Die Bedeutung der EMRK, 2007, S. 110; Kieschke, Die Praxis des EGMR, 2003, S. 39; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 1 Rdn. 6; Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 21; Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, 1993, S. 89 f.; Ress, in: Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz, 1982, S. 231 (273); Grabenwarter, JZ 2010, 857 (861); Grupp/Stelkens, DVBl. 2005, 133 (134); Hoffmann-Riem, EUGRZ 2002, 473 (475); Kadelbach, Jura 2005, 480; P. Kirchhof, EuGRZ 1994, 16 (25); Kühl, ZStW 100 (1988), 406 (408); Kühne, StV 2001, 73 (74); Pache, EuR 2004, 393 (398, 400); Papier, EuGRZ 2006, 1; Roth, DÖV 1998, 916 (917); Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (246); Sauer, ZaöRV 65 (2005), 35 (39); Ulsamer, in: FS Zeidler, Bd. 2, S. 1799 (1800). Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang mit dem Beitritt der EU zur EMRK durch den Vertrag von Lissabon die innerstaatliche Durchführung von Unionsrecht dar, im Rahmen derer den materiellen Garantien der EMRK ein Anwendungsvorrang zukommt, vgl. Esser, in: Löwe-Rosenberg, Bd. 11, EMRK Einf. Rdn. 97. 519 Vgl. hierzu die Darstellungen bei Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, Kap. 2 Rdn. 51 ff.; Diehm, Die Menschenrechte der EMRK, 2006, S. 77 ff.; Haß, Die Entscheidungen des EGMR, 2006, S. 116 ff.; Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, 1993, S. 78 ff.; Weigend, StV 2000, 384 (386 f.). Ausführlich hierzu auch Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen, 1999, S. 91 ff., der letztlich vom Verfassungsrang der EMRK ausgeht. 520 So auch Diehm, Die Menschenrechte der EMRK, 2006, S. 99; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 3 Rdn. 7; Haß, Die Entscheidungen des EGMR, 2006, S. 127; Kieschke, Die Praxis des EGMR, 2003, S. 40; Häde/Jachmann, ZBR 1997, 8 (10); Pache, EuR 2004, 393 (400); Weigend, StV 2000, 384 (386). 521 So Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, 1993, S. 71; Lippold, NJW 1991, 2383 (2386); vgl. hierzu Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (246); allgemein auch Zuleeg, JA 1983, 1 (6).

II. Das Recht auf den unparteilichen Richter, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

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nerhalb der deutschen Rechtsordnung zu beheben. Vielmehr löst die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, die sich aus den Art. 23 ff., 59 Abs. 2 GG ergibt, in den meisten Fällen das Kollisionsproblem auf: Sie gebietet, innerstaatliche Gesetze im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden.522 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und zahlreichen Stimmen in der Literatur kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen und die Verletzung dieser Verpflichtungen begünstigen wolle, sofern er dies nicht ausdrücklich klargestellt hat.523 Bis zur Grenze der möglichen Auslegung524 verdrängen später erlassene Bundesgesetze somit nicht die Regelungen der EMRK, da diese bei der Auslegung und Anwendung späterer Gesetze einzubeziehen sind. Hierdurch kommt es in der Regel zu keiner Kollision zwischen der lex posterior und der EMRK, außer wenn der Wortlaut einer Verfassungsnorm525 oder eines später erlassenen Gesetzes die Einbeziehung der Wertungen der EMRK unmöglich macht oder der Gesetzgeber bewusst von der EMRK abweicht. Jedoch mindert der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit die Gefährdung der innerstaatlichen Geltung der EMRK in drohenden Kollisionsfällen erheblich.526 Vor dem Bundesverfassungsgericht kann eine Verletzung der EMRK aufgrund der Stellung als einfaches Bundesgesetz nicht gerügt werden.527 Zur Geltendmachung einer solchen Verletzung kann sich ein Beschwerdeführer allerdings auf das entsprechende verfassungsbeschwerdefähige Recht des Grundgesetzes berufen; in

522

BVerfGE 74, 358 (370); 111, 307 (317 ff.); BVerfG NJW 2011, 1931 (1935); Diehm, Die Menschenrechte der EMRK, 2006, S. 74 ff., 99; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 2 I 3 Rdn. 13; Heckötter, Die Bedeutung der EMRK, 2007, S. 165; Peters/ Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 1 Rdn. 13; Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 273; Grabenwarter, JZ 2010, 857 (861); Grupp/Stelkens, DVBl. 2005, 133 (134); Haratsch, MRM Themenheft „50 Jahre EMRK“, 2000, S. 62 (73); Kadelbach, Jura 2005, 480 (484); Sauer, ZaöRV 65 (2005), 35 (48). 523 BVerfGE 74, 358 (370); Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 2 I 3 Rdn. 13; Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 11, EMRK Einf. Rdn. 95; Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, 1993, S. 112 f.; Grupp/Stelkens, DVBl. 2005, 133 (134); Kühl, ZStW 100 (1988), 406 (409); Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (247); Sauer, ZaöRV 65 (2005), 35 (39); Stöcker, NJW 1982, 1905 (1907). 524 BVerfGE 49, 148 (157); 69, 1 (55); 111, 307 (329); BVerfG NJW 2011, 1931 (1936); Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. 1, Kap. 2 Rdn. 49; vgl. hierzu ausführlich Heckötter, Die Bedeutung der EMRK, 2007, S. 166 ff. 525 Hinsichtlich Letzterem gälte dann der Grundsatz, dass das höherrangige Gesetz demjenigen von niedrigerem Rang vorgeht (lex superior derogat legi inferiori). 526 So auch Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, Kap. 2 Rdn. 49 f.; Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), 149 (182). 527 Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, Kap. 2 Rdn. 48; Sauer, ZaöRV 65 (2005), 35 (46).

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

dessen Auslegung werden dann die Wertungen der EMRK einbezogen.528 Auf diese Weise erreicht die EMRK Einfluss auf rechtliche Gebote von Verfassungsrang. bb) Der Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK im Bereich des Strafverfahrensrechts Um einen Einfluss unmittelbar auch auf das innerstaatliche Strafverfahren zu erlangen, müsste der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK den Strafprozess im Sinne der StPO umfassen. Gemäß dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK besteht das Recht auf den unparteilichen Richter im Bereich von Verfahren, in denen über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen („civil rights and obligations“) sowie über strafrechtliche Anklagen („any criminal charge“) zu entscheiden ist. Der hier relevante Begriff der strafrechtlichen Anklage richtet sich in seiner Bedeutung nicht nach seinem nationalen Verständnis, sondern ist autonom auszulegen.529 Hiernach ist eine strafrechtliche Anklage im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK jede offizielle amtliche Mitteilung der zuständigen Behörde an den Betroffenen, dass ihm die Begehung einer Straftat angelastet werde.530 Um zu ermitteln, ob der Bereich der strafrechtlichen Anklage anwendbar ist, zieht der EGMR alternativ drei Kriterien heran:531 Maßgeblich ist hiernach einerseits die rechtliche Einordnung des gegenständlichen Vergehens nach der nationalen Rechtsordnung, andererseits die Art des Vergehens sowie die Art und Schwere der drohenden Sanktion.532 Danach lassen sich beispielsweise im Einzelfall auch militärische Diszipli-

528 BVerfGE 74, 358 (370); 111, 307 (317); BVerfG NJW 2011, 1931 (1935); Heckötter, Die Bedeutung der EMRK, 2007, S. 269 ff.; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 1 Rdn. 13; Papier, EuGRZ 2006, 1 (2); Sauer, ZaöRV 65 (2005), 35 (46). 529 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rdn. 16, 25; Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/ Marauhn, EMRK/GG, Bd. 1, Kap. 14 Rdn. 30; Esser, in: Löwe-Rosenberg, Bd. 11, EMRK Art. 6 Rdn. 29; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rdn. 21; Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 6 Rdn. 23; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdn. 5, 25; Callewaert, EuGRZ 1996, 366 (367); Trechsel, in: GS Noll, 1984, S. 385 (388); Vogler, ZStW 89 (1977), 761 (775); Weigend, StV 2000, 384 (387). 530 EGMR, Urt. v. 27. 02. 1980, Deweer ./. Belgien, Nr. 6903/75, Ziff. 42; Grabenwarter/ Pabel, EMRK, § 24 Rdn. 25; Esser, in: Löwe-Rosenberg, Bd. 11, EMRK Art. 6 Rdn. 68; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rdn. 22; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdn. 41; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 19 Rdn. 15; Ulsamer, in: FS Zeidler, Bd. 2, S. 1799 (1806). 531 Die sog. „Engel-Kriterien“ wurden in der Entscheidung Engel u. a. ./. Niederlande, EGMR, Urt. v. 08. 06. 1976, Nr. 5100/71, 5101/71, 5102/71, 5354/72, 5370/72, Ziff. 82 aufgestellt. 532 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rdn. 17; Esser, in: Löwe-Rosenberg, Bd. 11, EMRK Art. 6 Rdn. 71; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rdn. 23; Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 6 Rdn. 23; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdn. 26; Grabenwarter/

II. Das Recht auf den unparteilichen Richter, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

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narverfahren dem Begriff des Strafrechts im Sinne der strafrechtlichen Anklage zuordnen.533 Nach nationalem Verständnis umfasst das Strafverfahren das Verfahren zur Aufklärung und Verfolgung einer Straftat von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens über die rechtskräftige Entscheidung bis hin zum Vollstreckungsverfahren.534 Vom Begriff des Verfahrens zur Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ist jedenfalls das Hauptverfahren und das Rechtsmittelverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung umfasst.535 Nicht einbezogen ist das Vollstreckungsverfahren, da es nicht mehr der Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage dient.536 Das Ermittlungsverfahren fällt ab dem Moment einer Anklage im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, also einer behördlichen Mitteilung oder einer behördlichen Maßnahme, die geeignet ist, dem Beschuldigten Kenntnis von dem gegen ihn bestehenden Verdacht zu verschaffen,537 ebenfalls in den Schutzbereich der Vorschrift.538 cc) Unmittelbare Anwendbarkeit auf das nationale Strafverfahren Aus den Ausführungen der beiden vorangegangenen Abschnitte ergibt sich: Die EMRK ist unmittelbar anwendbares Recht im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK findet auf den Bereich des Strafverfahrens im Sinne der StPO – exklusive des Vollstreckungsverfahrens – unmittelbar Anwendung.

Struth, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 6 II 1 Rdn. 40; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 19 Rdn. 16. 533 Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 6 Rdn. 29; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdn. 27 ff.; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 71 f. 534 Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, Einl. Abschn. G Rdn. 2 f.; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Einl. Rdn. 59 ff.; Fischer, Karlsruher Kommentar, StPO, Einl. Rdn. 169 ff. 535 Esser, in: Löwe-Rosenberg, Bd. 11, EMRK Art. 6 Rdn. 100; Peukert, in: Frowein/ Peukert, EMRK, Art. 6 Rdn. 43. 536 Esser, in: Löwe-Rosenberg, Bd. 11, EMRK Art. 6 Rdn. 101; Meyer, in: Karpenstein/ Mayer, EMRK, Art. 6 Rdn. 32; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rdn. 30. 537 Esser, in: Löwe-Rosenberg, Bd. 11, EMRK Art. 6 Rdn. 93; Meyer, in: Karpenstein/ Mayer, EMRK, Art. 6 Rdn. 36; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rdn. 22; Peukert, in: Frowein/ Peukert, EMRK, Art. 6 Rdn. 42; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 55. 538 Esser, in: Löwe-Rosenberg, Bd. 11, EMRK Art. 6 Rdn. 92 f.; Meyer, in: Karpenstein/ Mayer, EMRK, Art. 6 Rdn. 37; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rdn. 25; vgl. zu den Einzelheiten Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 81 ff.

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

b) Die Maßgeblichkeit der Rechtsprechung des EGMR für das deutsche Strafverfahrensrecht Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK regelt jedoch nicht ausdrücklich, welche Anforderungen an die richterliche Unparteilichkeit zu stellen sind. Maßgebliche Bedeutung für die Auslegung und das Verständnis der Unparteilichkeit kommt daher der Rechtsprechung des EGMR zu. Dieser ist gemäß Art. 32 EMRK mit der Auslegung und Anwendung der EMRK betraut, so dass ihm hinsichtlich dieser eine hervorgehobene Stellung zukommt.539 Soweit die Auslegung der EMRK durch den EGMR für deren Anwendung im nationalen Recht relevant werden soll, ist fraglich, ob eine Bindungswirkung von Entscheidungen des EGMR innerhalb der deutschen Rechtsordnung besteht. Eine solche ist insbesondere im Fall von Staatenbeschwerden gemäß Art. 33 EMRK sowie Individualbeschwerden im Sinne des Art. 34 EMRK denkbar. Für die Wirkung auf das Strafverfahren sind dabei die Entscheidungen des EGMR zur Begründetheit von Individualbeschwerden besonders relevant, da in diesen eine Privatperson die Feststellung begehrt, dass eine ihr gegenüber erfolgte staatliche Maßnahme konventionswidrig ist. Hinsichtlich der Bindungswirkung von Entscheidungen des EGMR für deutsche Instanzen ist zwischen Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland sowie solchen in Verfahren gegen andere Vertragsstaaten zu unterscheiden.540

aa) Die Bindungswirkung von Entscheidungen gegen die Bundesrepublik Deutschland Bei den Entscheidungen des EGMR gegen die Bundesrepublik Deutschland in Individualbeschwerdeverfahren handelt es sich in dem hier maßgeblichen Zusammenhang vor allem um Entscheidungen feststellenden Charakters:541 Der EGMR

539

BVerfGE 111, 307 (319); BVerfG NJW 2011, 1931 (1945). An dieser Stelle wird wiederum lediglich eine etwaige Bindungswirkung von Entscheidungen des EGMR gegen Vertragsstaaten der EMRK aufgrund deren Anwendung von nationalem Recht erörtert – die Frage einer Bindungswirkung von Entscheidungen in Verfahren gegen die EU bzw. gegen Vertragsstaaten aufgrund der Anwendung von Unionsrecht nach erfolgtem Beitritt der EU zur EMRK wird nicht untersucht. Vgl. zu dieser Obwexer, EuR 2012, 115 (146) m.w.N. sowie ausführlich Vondung, Die Architektur des europäischen Grundrechtsschutzes nach dem Beitritt der EU zur EMRK, 2012. 541 Kieschke, Die Praxis des EGMR, 2003, S. 54; Busch, Die Bedeutung der EMRK für den Grundrechtsschutz, 2003, S. 142; Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15 (16) mit Hinweis auf die Schlussfolgerung aus Art. 41 EMRK; vgl. auch Okresek, EuGRZ 2003, 168 (169); Pache, EuR 2004, 393 (402). 540

II. Das Recht auf den unparteilichen Richter, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

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stellt fest, ob eine oder mehrere der materiellen Garantien der EMRK durch eine staatliche Maßnahme verletzt wurden.542 Diese Entscheidungen enthalten aufgrund von Art. 46 Abs. 1 EMRK zunächst nur eine völkerrechtliche Verpflichtung der betroffenen Vertragsstaaten:543 „The High Contracting Parties undertake to abide by the final judgment of the Court in any case to which they are parties.“544 Der Konventionsstaat ist danach gemäß Art. 46 Abs. 1 EMRK verpflichtet, gegenüber dem Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem EGMR die dort ergangene Entscheidung zu befolgen, also Konsequenzen aus der etwaigen Feststellung der Konventionswidrigkeit einer staatlichen Maßnahme zu ziehen.545 In diesem Sinne erwachsen die Entscheidungen gemäß Art. 42, 44 EMRK in Rechtskraft und binden so die an dem Verfahren beteiligten Parteien.546 Damit kommt den Entscheidungen des EGMR völkerrechtlich grundsätzlich eine interpartes-Wirkung und keine erga-omnes-Wirkung zu.547 Welche Konsequenzen ergeben sich aber aus der Feststellung der Konventionswidrigkeit einer staatlichen Maßnahme gegenüber dem Beschwerdeführer, soweit diese in Rechtskraft erwächst? Der gemäß Art. 46 Abs. 1 EMRK zur Befolgung des Urteils verpflichtete Vertragsstaat muss nach Art. 1 EMRK angesichts der Entscheidung tätig werden, da er verpflichtet ist, seinen Bürgern die materiellen Garantien der EMRK zuzusichern.548 Wie der Vertragsstaat tätig wird, ist indessen nicht 542 Das darüber hinausgehende Zusprechen einer gerechten Entschädigung nach Art. 41 EMRK als Leistungsaspekt der Entscheidung kann in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben. 543 BVerfGE 111, 307 (320); BVerfG NJW 2011, 1931 (1945); Haß, Die Entscheidungen des EGMR, 2006, S. 61, 70 ff.; Ress, in: Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz, 1982, S. 231 (231); Grabenwarter, JZ 2010, 857 (859); Egli, ZaöRV 2004, 759 (766); MeyerLadewig/Petzold, NJW 2005, 15 (16); Pache, EuR 2004, 393 (402); Sauer, ZaöRV 65 (2005), 35 (39). 544 „Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen.“ 545 So auch Polakiewicz, Die Verpflichtung der Staaten aus den Urteilen des EGMR, 1993, S. 37; Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 268; Grabenwarter, EuGRZ 2011, 229; Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (249). 546 Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. II, Kap. 32 Rdn. 61; Rohleder, Grundrechtsschutz im europäischen Mehrebenen-System, 2009, S. 38; Grabenwarter, JZ 2010, 857 (859); Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15 (16). 547 Csaki, Die Wiederaufnahme des Verfahrens, 2008, S. 7; Haß, Die Entscheidungen des EGMR, 2006, S. 61; Heckötter, Die Bedeutung der EMRK, 2007, S. 40 ff.; Kieschke, Die Praxis des EGMR, 2003, S. 57; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 37 Rdn. 14, 17; Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 269; Vondung, Die Architektur des europäischen Grundrechtsschutzes nach dem Beitritt der EU zur EMRK, 2012, S. 12; Ress, in: Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz, 1982, S. 231 (233); Massuch, NVwZ 2000, 1266 (1267); Ress, EuGRZ 1996, 350; a.A. Busch, Die Bedeutung der EMRK für den Grundrechtsschutz, 2003, S. 142. 548 So auch Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. II, Kap. 32 Rdn. 69; Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (249).

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

bestimmt.549 Art. 46 Abs. 1 EMRK ordnet nach weit verbreiteter Ansicht lediglich an, dass ein andauernder Konventionsverstoß beendet werden und der ohne die Verletzung gegebene Zustand möglichst wiederhergestellt werden soll (sogenannte restitutio in integrum), vgl. auch Art. 41 EMRK.550 Die Entscheidung hat damit keine unmittelbare Wirkung innerhalb der nationalen Rechtsordnung und wirkt insbesondere nicht kassatorisch.551 Soweit die Mechanismen des innerstaatlichen Rechts die konventionswidrige Lage beseitigen müssen,552 sind grundsätzlich die vorherige Rechtswegerschöpfung, die gemäß Art. 35 Abs. 1 EMRK für die Einlegung einer Individualbeschwerde vor dem EGMR erforderlich ist,553 sowie die eingetretene Rechtskraft von Entscheidungen nationaler Gerichte problematisch.554 Zum Zeitpunkt der Entscheidung des EGMR liegt häufig eine rechtskräftige Entscheidung eines innerstaatlichen Gerichts vor, deren Konventionswidrigkeit der EGMR gerade festgestellt hat. Dennoch kann ihre Rechtskraft nicht unmittelbar durch die Entscheidung des EGMR durchbrochen werden, so dass eine erneute Befassung innerstaatlicher Gerichte mit der gegen die Konvention verstoßenden Maßnahme verwehrt bleibt. 549 BVerfGE 111, 307 (316); BVerfG NJW 2011, 1931 (1936); Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 2 I 3 Rdn. 11; Polakiewicz, ZaöRV 52 (1992), 149 (164); Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (249). Ausnahmen hierzu ergeben sich jedoch in den sog. Piloturteilen des EGMR, vgl. hierzu Heckötter, Die Bedeutung der EMRK, 2007, S. 59 f. Ferner zu von diesem Grundsatz abweichenden Entscheidungen des EGMR auch Rohleder, Grundrechtsschutz im europäischen Mehrebenen-System, 2009, S. 55 ff. 550 EGMR, Urt. v. 31. 10. 1995, Papamichalopoulos ./. Griechenland (Art. 50), Nr. 14556/ 89, Ziff. 34; Urt. v. 22. 06. 2004, Broniowski ./. Polen, Nr. 31443/96, Ziff. 192; BVerfGE 111, 307 (321); Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. II, Kap. 32 Rdn. 73, 66; Haß, Die Entscheidungen des EGMR, 2006, S. 75; Heckötter, Die Bedeutung der EMRK, 2007, S. 48 ff.; Kieschke, Die Praxis des EGMR, 2003, S. 55; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 37 Rdn. 16; Eppe, MRM Themenheft „50 Jahre EMRK“, 2000, S. 76 (78); Grabenwarter, JZ 2010, 857 (859); Klein, JZ 2004, 1176 (1177); Okresek, EuGRZ 2003, 168 (170); Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (249). 551 BVerfGE 111, 307 (322); BVerfG NJW 2011, 1931 (1945); Cremer, in: Dörr/Grote/ Marauhn, EMRK/GG, Bd. II, Kap. 32 Rdn. 45; Haß, Die Entscheidungen des EGMR, 2006, S. 127 f.; Kieschke, Die Praxis des EGMR, 2003, S. 57; Rohleder, Grundrechtsschutz im europäischen Mehrebenen-System, 2009, S. 45; Ress, in: Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz, 1982, S. 231 (232); Eppe, MRM Themenheft „50 Jahre EMRK“, 2000, S. 76 (77); Grabenwarter, JZ 2010, 857 (859); F. Kirchhof, NJW 2011, 3681 (3683); Klein, JZ 2004, 1176 (1177); Kühl, ZStW 100 (1988), 406 (422); Pache/Bielitz, DVBl. 2006, 325 (327); Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (249); Walter, ZaöRV 59 (1999), 961 (974 f.). 552 Zur Bindung der innerstaatlichen Organe an die Entscheidungen des EGMR, vgl. BVerfGE 111, 307 (322 f.); Rohleder, Grundrechtsschutz im europäischen Mehrebenen-System, 2009, S. 161 ff. 553 Vgl. im Einzelnen hierzu Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 29 ff. 554 Vgl. Csaki, Die Wiederaufnahme des Verfahrens, 2008, S. 13; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 37 Rdn. 22; Eppe, MRM Themenheft „50 Jahre EMRK“, 2000, S. 76 (81).

II. Das Recht auf den unparteilichen Richter, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

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Um dem auf der Ebene des Strafverfahrensrechts entgegenzuwirken, hat das Gesetz zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahrens vom 9. Juli 1998555 mit § 359 Nr. 6 StPO den Wiederaufnahmegrund der Feststellung einer Verletzung der EMRK und des Beruhens einer gerichtlichen Entscheidung auf dieser Konventionsverletzung eingeführt. Somit kann aufgrund einer Entscheidung des EGMR im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens die Entscheidung eines nationalen Gerichts revidiert werden. Allerdings gilt dies nach weit überwiegender Ansicht nur für den konkreten Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem EGMR,556 jedenfalls soweit die Verletzung von prozessualen Rechten als Konventionsverstoß in Rede steht.557 Somit kann sich auf diesem Wege die Feststellung der Konventionswidrigkeit einer strafprozessualen Praxis durch den EGMR innerstaatlich nur für den Beschwerdeführer vor dem EGMR auswirken. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, eine erneute Verfassungsbeschwerde gegen eine rechtskräftige Entscheidung einzulegen: Das Bundesverfassungsgericht sieht hinsichtlich einer erneuten Befassung mit der Sache das Prozesshindernis der Rechtskraft als entfallen an, wenn nachträglich erhebliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage eintreten.558 Zwar führe eine Entscheidung des EGMR nicht unmittelbar zu einer Rechtsänderung. Jedoch beeinflusse sie aufgrund des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei Auslegungsspielräumen, so dass sie einer rechtserheblichen Änderung gleichstehen könne; diese lasse entsprechend die Rechtskraft als Prozesshindernis entfallen.559 Stellt das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens die Verfassungswidrigkeit einer staatlichen Maßnahme bzw. der sie bestätigenden gerichtlichen Entscheidung fest (vgl. § 95 Abs. 1 BVerfGG), wird die gerichtliche Entscheidung, die die Maßnahme bestätigt, aufgehoben und die Sache gegebenenfalls an ein zuständiges Gericht zurückverwiesen, vgl. § 95 Abs. 2 BVerfGG.560 So kann eine erneute strafgerichtliche Auseinandersetzung mit einer konventionswidrigen Maßnahme erreicht werden.

555

BGBl. 1998 Teil I, S. 1802. Vgl. Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 7/2, § 359 Rdn. 193; Eschelbach, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 5, § 359 Rdn. 219; Meyer-Goßner, in: MeyerGoßner/Schmitt, StPO, § 359 Rdn. 52; Schmidt, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 359 Rdn. 40; Weiler, in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, StPO § 359 Rdn. 21. Der weitergehende Vorschlag einer Wiederaufnahmemöglichkeit für den Fall der Feststellung, dass eine Rechtsnorm mit der EMRK unvereinbar sei, wurde im Zuge der Erweiterung des § 359 StPO nicht angenommen, vgl. BT-Drucks. 13/10333, S. 3. A.A. Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 3. Aufl. 2014, Rdn. 285. 557 Vgl. zu dieser Differenzierung Weigend, StV 2000, 384 (388). 558 BVerfGE 87, 341 (346); 109, 64 (84); BVerfG NJW 2011, 1931 (1934). 559 BVerfG NJW 2011, 1931 (1934). 560 Vgl. zu den Einzelheiten der Entscheidung des BVerfG Hömig, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Bd. 2, § 95 Rdn. 21 ff. 556

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

Grundsätzlich besteht nach den vorangegangenen Ausführungen keine Bindungswirkung der Entscheidungen des EGMR innerhalb der nationalen Rechtsordnung über das Verhältnis des Vertragsstaates zu dem Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem EGMR hinaus.561 Dies bedeutet, dass Konstellationen innerhalb desselben Konventionsstaates, die derjenigen des Beschwerdeführers gleichen, nicht von der Rechtskraftwirkung der Entscheidung des EGMR umfasst sind.562 In diesen sogenannten Parallelfällen besteht im Grunde keine innerstaatliche Verpflichtung des Vertragsstaates zu einem bestimmten Handeln aufgrund der Entscheidung des EGMR. Allerdings trifft den Vertragsstaat die völkerrechtliche Pflicht, weitere zukünftige Konventionsverletzungen zu vermeiden, so dass davon auszugehen ist, dass er in einem solchen Parallelfall die Wertungen der EMRK, wie sie sich aus der Rechtsprechung des EGMR ergeben, einbeziehen wird.563 bb) Die Geltung von Entscheidungen gegen andere Vertragsstaaten Da sich die Rechtskraftwirkung gemäß Art. 46 Abs. 1 EMRK nur auf die beteiligten Vertragsstaaten beschränkt, haben Entscheidungen gegen andere Vertragsstaaten für diejenigen, die nicht am Verfahren vor dem EGMR beteiligt sind, formell keine Bindungswirkung.564 Allerdings sind auch diese Staaten gemäß Art. 1 EMRK verpflichtet, den ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die Garantien der EMRK zu gewährleisten. Da die Vertragsstaaten die völkerrechtliche Pflicht und damit ein Interesse daran haben, eigene zukünftige Konventionsverletzungen zu vermeiden,565 kommt Entscheidungen des EGMR gegen andere Konventionsstaaten eine faktische Orientierungswirkung zu.566 Diese resultiert insofern auch aus der 561 Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. II, Kap. 32 Rdn. 111 f.; Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (249). Ausnahmen hierzu enthalten allerdings auch in diesem Zusammenhang die sog. Piloturteile des EGMR, vgl. hierzu Heckötter, Die Bedeutung der EMRK, 2007, S. 59 f. 562 Ress, in: FS Mosler, 1983, S. 719 (727, 730); Grabenwarter, JZ 2010, 857 (861); Häde/ Jachmann ZBR 1997, 8 (12); a.A. Haß, Die Entscheidungen des EGMR, 2006, S. 163; Rohleder, Grundrechtsschutz im europäischen Mehrebenen-System, 2009, S. 273 ff.; Polackiewicz, ZaöRV 52 (1992), 149 (174 f.). 563 BVerfG NJW 2011, 1931 (1935); Mosler, in: Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz, 1982, S. 355 (366); Eppe, MRM Themenheft „50 Jahre EMRK“, 2000, S. 76 (84 f.); Hörnle, NStZ 2011, 488 (489). 564 Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 37 Rdn. 17; Stöcker, NJW 1982, 1905 (1909). 565 Ress, EuGRZ 1996, 350; konkret für die Bundesrepublik Deutschland: BVerfG NJW 2011, 1931 (1935). 566 BVerfG NJW 2011, 1931 (1935); Diehm, Die Menschenrechte der EMRK, 2006, S. 110; Mosler, in: Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz, 1982, S. 366; Kieschke, Die Praxis des EGMR, 2003, S. 71; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 37 Rdn. 18; Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15 (18); Okresek, EuGRZ 2003, 168 (169); Pache, EuR 2004, 393 (405); Pache/Bielitz, DVBl. 2006, 325 (326 f.); Ress,

II. Das Recht auf den unparteilichen Richter, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

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Zuständigkeit des EGMR für die autoritative Auslegung der EMRK gemäß Art. 32 EMRK.567 In den Entscheidungen des EGMR erhalten die Konventionsstaaten genauere Auskunft darüber, welche Anforderungen die EMRK an die nationalen Rechtsordnungen stellt, und somit die Gelegenheit, ihre Rechtsordnungen an die Vorgaben der EMRK anzugleichen.568 c) Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR im nationalen Strafverfahrensrecht Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, dass die Garantie der richterlichen Unparteilichkeit des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK im nationalen Strafverfahrensrecht unmittelbar anwendbar ist. Zur Bestimmung der Anforderungen, die die EMRK an die Unparteilichkeit des Richters stellt, ist die Rechtsprechung des EGMR in Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland sowie gegen andere Konventionsstaaten maßgeblich heranzuziehen.

2. Die Regelung der Unparteilichkeit in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK normiert die richterliche Unparteilichkeit zwar ausdrücklich, erläutert sie jedoch nicht; insofern muss hierfür die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK herangezogen werden.

EuGRZ 1996, 350. Die unter anderem von Steinfatt verwandte Bezeichnung der „quasi ergaomnes-Wirkung“ rekurriert ebenfalls nicht auf eine Rechtskraftwirkung, sondern die Verpflichtung gegenüber der Konvention und bedeutet inhaltlich daher keine Abweichung, vgl. Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 271; so auch Ress, ZaöRV 64 (2004), 621 (630), der die Begrifflichkeiten der „quasi erga-omnes“ Wirkung und Orientierungswirkung im Ergebnis gleichstellt. 567 Grabenwarter, EuGRZ 2011, 229; Massuch, NVwZ 2000, 1266 (1268); Pache, EuR 2004, 393 (406); zur Frage einer darüber hinaus gehenden verbindlichen Auslegung durch den EGMR vgl. Heckötter, Die Bedeutung der EMRK, 2007, S. 76 ff. 568 Heckötter, Die Bedeutung der EMRK, 2007, S. 71 f.

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

3. Die Unparteilichkeit in der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Der EGMR versteht unter Unparteilichkeit das Fehlen von Vorurteilen und Voreingenommenheit.569 Dieses überprüft er anhand zweier Kriterien, dem subjektiven und dem objektiven Ansatz.570 a) Subjektiver Ansatz Nach dem subjektiven Ansatz soll die persönliche Einstellung des Richters in einem konkreten Verfahren bestimmt571 sowie sein Verhalten in diesem untersucht werden.572 Der Richter muss demnach subjektiv frei von Vorurteilen und Voreingenommenheit sein.573 Diese vom EGMR als „persönliche“ bezeichnete Unparteilichkeit wird widerleglich vermutet.574 An ihr fehlt es jedoch beispielsweise, wenn das Verhalten des Richters Anfeindungen oder Feindseligkeit gegenüber einem 569 „Impartiality denotes absence of prejudice or bias“, vgl. EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 8692/79, Ziff. 30; Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/ 01, Ziff. 118; Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 38; vgl. auch Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 19 Rdn. 25; Rzepka, Zur Fairneß im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 40. 570 Vgl. EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 8692/79, Ziff. 30; Urt. v. 25. 06. 1992, Thorgeir Thorgeirson ./. Island, Nr. 13778/88, Ziff. 49; Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 38; Urt. v. 28. 01. 2010, Stechauner ./. Österreich, Nr. 20087/06, Ziff. 53; Urt. v. 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland, Nr. 42224/ 02, Ziff. 37 ff.; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 34; vgl. auch MeyerLadewig, EMRK, Art. 6 Rdn. 76. 571 EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 8692/79, Ziff. 30; Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 28; Urt. v. 26. 02. 1992, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 25; Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 118; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 34; vgl. auch Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 19 Rdn. 26; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, 2010, Rdn. 537. 572 EGMR, Urt. v. 10. 06. 1996, Thomann ./. Schweiz, Nr. 17602/91, Ziff. 30; Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 56; Urt. v. 26. 08. 1997, De Haan ./. Niederlande, Nr. 22839/93, Ziff. 49; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 34. 573 EGMR, Urt. v. 28. 01. 2010, Stechauner ./. Österreich, Nr. 20087/06, Ziff. 53; Urt. v. 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland, Nr. 42224/02, Ziff. 38; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 35. 574 EGMR, Urt. v. 23. 06. 1981, Le Compte, Van Leuven and De Mayere ./. Belgien, Nr. 6878/75, 7238/75, Ziff. 58; Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 8692/79, Ziff. 30; Urt. v. 10. 02. 1983, Albert und Le Compte ./. Belgien, Nr. 7299/75, 7496/76, Ziff. 32; Urt. v. 25. 06. 1992, Thorgeir Thorgeirson ./. Island, Nr. 13778/88, Ziff. 50; Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 119; Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 39; Urt. v. 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland, Nr. 42224/ 02, Ziff. 38; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 35; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rdn. 43; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rdn. 76.

II. Das Recht auf den unparteilichen Richter, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

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Verfahrensbeteiligten erkennen lässt.575 Der Beschwerdeführer vor dem EGMR muss jedoch beweisen, dass der Richter persönlich voreingenommen war.576 In diesem Rahmen geht es also um die positive Feststellung einer tatsächlichen Parteilichkeit des Richters,577 deren Beweis allerdings in der Regel Schwierigkeiten bereitet.578 b) Objektiver Ansatz Aus diesem Grund hält der EGMR den subjektiven Ansatz allein für unzureichend und ergänzt ihn um einen objektiven Ansatz: Nach diesem soll festgestellt werden, ob der Richter – aus objektiver Sicht579 – hinreichende Gewähr dafür bietet, dass jegliche Zweifel an seiner Unparteilichkeit ausgeschlossen sind.580 Maßgeblich ist hierbei unter anderem, welche Funktionen der Richter im Rahmen welcher internen Organisation wahrgenommen hat.581 Richtschnur für die Beurteilung einer Unparteilichkeit nach diesem Ansatz ist für den EGMR der vielzitierte und oben schon erwähnte Grundsatz: „justice must not only be done: it must also be seen to be done“.582 Danach wird untersucht, ob nachprüfbare Tatsachen Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters begründen.583 Hierbei kann auch der bloße Anschein von Be575 EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 25; Urt. v. 05. 02. 2009, Olujic´ ./. Kroatien, Nr. 22330/05, Ziff. 58; Urt. v. 15. 10. 2009, Micallef ./. Malta, Nr. 17056/06, Ziff. 94; Urt. v. 24. 07. 2012, Toziczka ./. Polen, Nr. 29995/08, Ziff. 33; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rdn. 43; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 19 Rdn. 32. 576 EMRK, Urt. v. 25. 06. 1992, Thorgeir Thorgeirson ./. Island, Nr. 13778/88, Ziff. 50. 577 So auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rdn. 42; Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 11, EMRK Art. 6 Rdn. 156; ders., Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 552; Trechsel, in: GS Noll, 1984, S. 385 (394). 578 Vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rdn. 43. 579 EGMR, Urt. v. 25. 02. 1997, Findlay ./. Vereinigtes Königreich, Nr. 22107/93, Ziff. 73. 580 EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 8692/79, Ziff. 30; Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 25; Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 118; Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 38; Urt. v. 28. 01. 2010, Stechauner ./. Österreich, Nr. 20087/06, Ziff. 53; Urt. v. 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland, Nr. 42224/02, Ziff. 39; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 34; vgl. auch Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdn. 213; Rzepka, Zur Fairneß im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 40. 581 EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 26; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rdn. 45; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 19 Rdn. 29; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdn. 218. 582 EGMR, Urt. v. 17. 01. 1970, Delcourt ./. Belgien, Nr. 2689/65, Ziff. 31; Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 26; Urt. v. 09. 11. 2006, Belukha ./. Ukraine, Nr. 33949/02, Ziff. 53; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 36. 583 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 48; Urt. v. 25. 06. 1992, Thorgeir Thorgeirson ./. Island, Nr. 13778/88, Ziff. 51; Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 27; Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 118; Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 40; Urt. v. 28. 01. 2010, Stechauner ./. Österreich, Nr. 20087/06, Ziff. 53; Urt. v. 27. 01.

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

deutung sein.584 Angesichts des Vertrauens, das eine demokratische Gesellschaft und insbesondere im Falle eines Strafverfahrens ein Angeklagter in das Gericht haben muss, müsse sich jeder Richter aus dem Verfahren zurückziehen, dessen Parteilichkeit aus berechtigten Gründen befürchtet wird.585 Daraus folgt, dass für die Feststellung, ob berechtigte Gründe die Parteilichkeit des Richters befürchten lassen, der Standpunkt des Angeklagten wie auch derjenige des Richters, der behauptet, nicht parteilich zu sein, von Bedeutung sind.586 Entscheidend sind im Ergebnis nicht subjektive Befürchtungen, sondern die Feststellung, ob Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters objektiv gerechtfertigt sind.587 Gründe, die Bedenken an der richterlichen Unparteilichkeit verständlich erscheinen lassen, führen dabei noch nicht dazu, dass diese auch objektiv gerechtfertigt sind; dies unterliegt vielmehr einer Einzelfallabwägung.588 Im Rahmen dieser objektiven Prüfung ist auch von Bedeutung, ob die bestehenden organisatorischen und verfahrensrechtlichen Bestimmungen hinreichende Gewähr für die Unparteilichkeit des Richters bieten589 sowie ob dem Richter „hin-

2011, Krivoshapkin ./. Russland, Nr. 42224/02, Ziff. 39; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 36; vgl. auch Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rdn. 78; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 19 Rdn. 32. 584 EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 8692/79, Ziff. 30; Urt. v. 25. 06. 1992, Thorgeir Thorgeirson ./. Island, Nr. 13778/88, Ziff. 51; Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30; Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 118; Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 40; Urt. v. 28. 01. 2010, Stechauner ./. Österreich, Nr. 20087/06; Ziff. 53; Urt. v. 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland, Nr. 42224/02, Ziff. 39; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/ 05, Ziff. 36; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rdn. 45. 585 EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 8692/79, Ziff. 30; Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 26; Urt. v. 25. 06. 1992, Thorgeir Thorgeirson ./. Island, Nr. 13778/88, Ziff. 51; Urt. v. 15. 10. 2009, Micallef ./. Malta, Nr. 17056/06, Ziff. 98; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 36; vgl. auch Roth, DÖV 1998, 916 (917). 586 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 48; Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30; Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 118; Urt. v. 24. 07. 2012, Toziczka ./. Polen, Nr. 29995/08, Ziff. 35. 587 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 48; Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30; Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13396/87, Ziff. 33; Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 118; Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 40; Urt. v. 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland, Nr. 42224/02, Ziff. 39; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 36; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rdn. 45; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rdn. 78; Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 11, EMRK Art. 6 Rdn. 157; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, 2. Aufl. 2010, Rdn. 537. 588 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 49. 589 EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 26; vgl. auch Grabenwarter/Struth, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 6 II 1 Rdn. 41.

II. Das Recht auf den unparteilichen Richter, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK

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reichende Entscheidungsbefugnisse in Rechts- und Tatsachenfragen“590 zustehen. Grundsätzlich lassen sich zwei Arten objektiver Parteilichkeit unterscheiden: Einerseits eine funktionale Parteilichkeit, die auf der Ausübung verschiedener Funktionen durch denselben Richter oder seiner hierarchischen oder persönlichen Verstrickung beruht,591 sowie andererseits eine personale Parteilichkeit, die im Verhalten des Richters im konkreten Verfahren festzustellen ist und insofern mit der subjektiven Parteilichkeit verschwimmen kann.592 Die objektive Prüfung betrifft häufig Beziehungen des Richters zu anderen an dem Verfahren beteiligten Personen.593 In diesen Fällen wird untersucht, ob die konkrete Beziehung des Richters zu der Person solcher Art und solchen Ausmaßes ist, dass sie eine Parteilichkeit des Richters indiziert.594 Grundsätzlich ist allerdings nach Meinung des EGMR nicht in jedem Fall eine starre Trennung von subjektiver und objektiver Parteilichkeit durchzuführen.595 Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen eine Parteilichkeit des Richters wegen eigener Betroffenheit angenommen wird; hier greift der auch vom EGMR zugrunde gelegte Grundsatz ein, dass niemand Richter in eigener Sache sein dürfe.596 Bei der Überprüfung der Unparteilichkeit des Richters anhand des objektiven Maßstabs zieht der EGMR nicht einen einzelnen Aspekt wie etwa ein einzelnes Geschehnis des Verfahrens oder eine einzelne Instanz heran, sondern „das Verfahren als Ganzes“.597 So kann eine Verletzung der richterlichen Unparteilichkeit in einer Instanz grundsätzlich in einem etwaigen Verfahren nächster oder höchster Instanz

590 Grabenwarter/Struth, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 6 II 1 Rdn. 41 mit Verweis auf EGMR, Urt. v. 21. 09. 1993, Zumtobel ./. Österreich, Nr. 12235/86, Ziff. 29. 591 EGMR, Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 121; Urt. v. 21. 06. 2011, Bellizzi ./. Malta, Nr. 46575/09, Ziff. 54; vgl. auch Mayer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 6 Rdn. 46; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rdn. 78; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 19 Rdn. 29; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rdn. 218; Müller, L. F., Richterliche Unabhängigkeit, 2015, S. 98. 592 EGMR, Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 121; vgl. auch Mayer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 6 Rdn. 48; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, 2. Aufl. 2010, Rdn. 537; Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 73. 593 EGMR, Urt. v. 15. 10. 2009, Micallef ./. Malta, Nr. 17056/06, Ziff. 97. 594 EGMR, Urt. v. 15. 10. 2009, Micallef ./. Malta, Nr. 17056/06, Ziff. 97; Urt. v. 15. 07. 2010, Gazeta Ukraina-Tsentr./. Ukraine, Nr. 16695/04, Ziff. 28; Urt. v. 21. 06. 2011, Bellizzi ./. Malta, Nr. 46575/09, Ziff. 54. 595 EGMR, Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 119; Urt. v. 03. 07. 2012, Mariusz Lewandowski ./. Polen, Nr. 66484/09, Ziff. 47. 596 EGMR, Urt. v. 03. 07. 2012, Mariusz Lewandowski ./. Polen, Nr. 66484/09, Ziff. 48. 597 Rzepka, Zur Fairneß im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 41.

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

geheilt werden.598 Die Beurteilung erfolgt stets im konkreten Einzelfall und nie abstrakt von diesem losgelöst.599 Damit diese Einzelfallabwägung bereits nach nationalem Recht erfolgen kann, sieht der EGMR jeden Richter, dessen Parteilichkeit aus berechtigten Gründen zu befürchten ist, in der Pflicht, sich selbst aus dem Verfahren zurückzuziehen bzw. sich selbst als befangen abzulehnen.600 Hieraus dürfte jedoch zutreffend mit Steinfatt zu folgern sein, dass der EGMR nicht von einem selbstständigen Rückzug des Richters aus dem Verfahren ausgeht, sondern vielmehr eine prozessuale Pflicht des Richters statuiert, die Umstände anzuzeigen, aus denen sich berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit ergeben können.601 Gerechtfertigte Zweifel an der Unparteilichkeit eines oder einzelner Richter eines Richtergremiums führen grundsätzlich dazu, dass das Gericht als Ganzes den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht mehr entspricht.602 c) Der unparteiliche Richter der EMRK nach dem EGMR Nach Alledem ist nach der Rechtsprechung des EGMR der unparteiliche Richter im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ein Richter, dessen Freiheit von Vorurteil und Voreingenommenheit einer subjektiven wie auch einer objektiven Überprüfung standhält. Weder darf der Richter (subjektiv) eine parteiliche Einstellung besitzen603 oder sich diese in seinem Verhalten manifestieren noch dürfen (objektiv) Gründe vorliegen, die Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters objektiv gerechtfertigt erscheinen lassen.604

598

EGMR, Urt. v. 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern, Nr. 73797/01, Ziff. 134; Urt. v. 06. 01. 2010, Vera Fernández-Huidobro ./. Spanien, Nr. 74181/01, Ziff. 118 ff., 138; Urt. v. 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland, Nr. 42224/02, Ziff. 40; Urt. v. 27. 09. 2012, Alenka Pecˇ nik ./. Slowenien, Nr. 44901/05, Ziff. 43; vgl. auch Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rdn. 88; Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 11, EMRK Art. 6 Rdn. 166. 599 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 42; Urt. v. 08. 04. 2010, Fatullayev ./. Aserbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 138; Urt. v. 04. 09. 2012, Canas Gomez ./. Spanien, Nr. 17455/09, Ziff. 25. 600 EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 8692/79, Ziff. 30; Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 26; Urt. v. 25. 06. 1992, Thorgeir Thorgeirson ./. Island, Nr. 13778/88, Ziff. 51; Urt. v. 15. 10. 2009, Micallef ./. Malta, Nr. 17056/06, Ziff. 98; Urt. v. 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien, Nr. 35016/05, Ziff. 36. So auch Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 54, 190 ff. 601 Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 194, 264; vgl. auch Deiters, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 30 Rdn. 6. 602 EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 59 f.; vgl. auch Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 551. Abweichend hierzu Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 57 f. 603 Vgl. oben D. II. 3. a) (S. 118). 604 Vgl. oben D. II. 3. b) (S. 120).

III. Anforderungen an die Unparteilichkeit nach nationalem Recht

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Hierbei fällt auf, dass dem Begriffspaar „subjektiv“ und „objektiv“ ein anderes – ungewohntes – Verständnis zu Grunde gelegt wird, als dieses erwarten lässt. Der subjektive Ansatz des EGMR stellt keine Untersuchung der Unparteilichkeit aus subjektiver Sicht – etwa des Beschwerdeführers – dar, sondern fragt vielmehr nach der tatsächlichen Unparteilichkeit des Richters.605 Daher sieht er diese – angesichts ihrer widerleglichen Vermutung – erst als nicht gegeben an, wenn sich eine Einstellung oder ein Verhalten des Richters offenbart, das keine Zweifel mehr an seiner Parteilichkeit erlaubt. Außerhalb dieser Fälle zieht der EGMR aufgrund der schweren Beweisbarkeit tatsächlicher Parteilichkeit in seinem objektiven Ansatz Kriterien heran, anhand derer eine gerechtfertigt zu befürchtende Parteilichkeit ermittelt werden soll.606 Nach Meinung des EGMR gibt es also zwei Arten von Richtern, die den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht genügen: Den tatsächlich parteilichen Richter und denjenigen, dessen Parteilichkeit aus objektiv Gründen gerechtfertigter Weise befürchtet wird.

III. Die Vereinbarkeit der Anforderungen an die Unparteilichkeit nach dem nationalen Recht und der EMRK Das Verständnis der richterlichen Unparteilichkeit nach der StPO sowie nach der EMRK – verdeutlicht durch ihre Auslegung durch den EGMR – wurden herausgearbeitet, um es zu ermöglichen, die nationalen Anforderungen sowie diejenigen der EMRK an die Unparteilichkeit miteinander zu vergleichen. Bevor dies jedoch erfolgen kann, muss man sich zunächst vor Augen führen, inwieweit diese beiden Maßstäbe überhaupt vergleichbar sind.

1. Vergleichbarkeit der Anforderungen der StPO mit denjenigen der EMRK Problematisch im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der beiden Maßstäbe sind die unterschiedlichen Zeitpunkte, in denen sie jeweils angewendet werden. Die Vorschriften über den Ausschluss und die Ablehnung von Richtern nach der StPO greifen in das laufende Verfahren in seinem jeweiligen Stadium ein. Liegt ein Ausschlussgrund vor oder ist die Ablehnung des Richters gerechtfertigter Weise erfolgt, scheidet der Richter so bald wie möglich607 aus dem Verfahren aus, weil er den Anforderungen an einen unparteilichen Richter nicht mehr entspricht. Der 605 606 607

Vgl. auch Trechsel, in: GS Noll, 1984, S. 385 (394). So auch Trechsel, in: GS Noll, 1984, S. 385 (394). Vgl. § 29 StPO für den Fall der Ablehnung.

124

D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

Ausschluss und die Ablehnung des Richters sollen gewährleisten, dass das laufende Verfahren den Anforderungen der richterlichen Unparteilichkeit entspricht. Im Gegensatz hierzu prüft der EGMR die Einhaltung der durch Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK geforderten Unparteilichkeit erst, wenn das nationale Verfahren bereits seinen Abschluss gefunden hat. Nicht während des laufenden Verfahrens und mit der Möglichkeit, dieses noch an die Anforderungen der Unparteilichkeit anzupassen, sondern im Nachhinein untersucht der EGMR, ob das bereits abgeschlossene Verfahren den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK gerecht geworden ist. Daher geht es bei dessen Prüfung nicht darum, noch Einfluss auf das Verfahren zu nehmen, weshalb prozesspraktische Erwägungen – wie die Formulierung von Ausschlussgründen einerseits und die Möglichkeit der Ablehnung andererseits – außer Acht bleiben können. Der EGMR fordert zwar, dass der Beschwerdeführer nach nationalem Verfahrensrecht die Möglichkeit hatte, eine Parteilichkeit seines Richters effektiv zu rügen; wie diese Möglichkeit konkret ausgestaltet war, ist aber nicht relevant, solange sie effektiv ist.608 Stand dem Beschwerdeführer in dem Verfahren eine entsprechende Möglichkeit zu, muss er sie ausgeübt haben, um vor dem EGMR gehört zu werden, vgl. Art. 35 Abs. 1 EMRK. Maßgeblich ist dann im Verfahren vor dem EGMR aber, ob inhaltlich die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK erfüllt wurden. Entsprechend ist für die Vereinbarkeit der Anforderungen der StPO an die Unparteilichkeit des Richters mit denjenigen der EMRK nicht die Unterscheidung zwischen Ausschluss und Ablehnung des Richters entscheidend. Relevant ist vielmehr, ob die Instrumente der StPO dazu führen, dass ein Verfahren, das ihren Anforderungen entsprochen hat, einer Überprüfung durch den EGMR am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK standhält. Ist in einer Konstellation, in der der EGMR die Unparteilichkeit des Richters als verletzt ansieht, der Richter weder ausgeschlossen noch kann er abgelehnt werden, so sind die Instrumente des Ausschlusses und der Ablehnung unzureichend. Soweit dies berücksichtigt wird, ist es möglich, die Anforderungen der StPO und diejenigen der EMRK miteinander zu vergleichen. Unterschiede bestehen auch in der Entscheidungsgrundlage nach beiden Maßstäben: Im Rahmen der StPO wird überprüft, ob der Richter in einem konkreten Verfahrensstadium ausgeschlossen ist oder berechtigt abgelehnt wird. Ist eine dieser Möglichkeiten zu bejahen, genügt der jeweilige Richter den Anforderungen an die Unparteilichkeit nicht mehr und scheidet aus dem Verfahren aus. Demgegenüber beurteilt der EGMR das „Verfahren als Ganzes“:609 Ausschlaggebend ist nicht, ob gegen den Grundsatz der richterlichen Unparteilichkeit in einem einzelnen Verfahrensstadium verstoßen wurde, sondern ob das Verfahren insgesamt den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK an ein „faires“ Verfahren vor einem unparteilichen Richter genügt. Ein Verstoß in einem Verfahrensstadium kann somit 608 609

EGMR, Urt. v. 15. 10. 2009, Micallef ./. Malta, Nr. 17056/06, Ziff. 99. Vgl. oben D. II. 3. b) (S. 121).

III. Anforderungen an die Unparteilichkeit nach nationalem Recht

125

durch ein weiteres konventionskonformes Verfahren geheilt werden.610 Eine solche Heilung kennt die StPO nicht: Vielmehr sind das Vorliegen eines Ausschlussgrundes sowie eine berechtigte Ablehnung des Richters absolute Revisionsgründe im Sinne des § 339 Nr. 2 und 3 StPO. In dieser Hinsicht gehen Ausschluss und Ablehnung des Richters nach der StPO sogar über die Anforderungen der EMRK hinaus. Weiterhin ist die Überprüfung durch den EGMR stets eine Einzelfallabwägung. Trotz der in ständiger Rechtsprechung wiederholten Ansätze hebt der EGMR das Erfordernis hervor, die Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles zu betrachten.611 Dies trifft im Grundsatz auch nach der deutschen Rechtsprechung auf die Ablehnungsgründe zu, wenn auch zu berechtigten Ablehnungsgründen eine zum Teil gefestigte Rechtsprechungs- und Literaturansicht besteht. Die Ausschlussgründe jedoch zeigen, dass das deutsche Strafverfahrensrecht in bestimmten Fällen unabhängig von der konkreten Verfahrenskonstellation die richterliche Unparteilichkeit nicht mehr als gewahrt ansieht. Insofern geht auch hier teilweise das nationale Recht über die Anforderungen der EMRK hinaus. Die Vergleichbarkeit ist also bei Beachtung der dargelegten Aspekte gegeben, soweit es um die Gewährleistung der Anforderungen an die richterliche Unparteilichkeit als solche geht: Am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK kann die Wahrung der Unparteilichkeit überprüft werden.

2. Vereinbarkeit des Ausschluss- und Ablehnungsrechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Zu fragen ist nun, ob die Regelungen über Ausschluss und Ablehnung von Richtern in der StPO abstrakt mit den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar sind. Im Ausgangspunkt stimmt das nationale Recht mit der EMRK überein, denn grundlegend ist Unparteilichkeit das Gegenteil von Befangenheit im Sinne des § 24 Abs. 1, 2 StPO612 und damit das Fehlen von Vorurteil und Voreingenommenheit nach dem EGMR.613 Die Befangenheit nach nationalem Verständnis wird allerdings deutlich detaillierter geregelt.614 Der subjektive Ansatz des EGMR, der die tatsächliche Unparteilichkeit des Richters untersucht,615 findet sich im deutschen Strafverfahrensrecht nicht wieder: Weder für das Eingreifen eines Ausschlussgrundes noch eines Ablehnungsgrundes ist ausschlaggebend, ob der Richter tatsächlich befangen ist, da bereits die Gefahr 610 611 612 613 614 615

Vgl. oben D. II. 3. b) (S. 121). Vgl. oben D. II. 3. b) (S. 121). Vgl. oben D. I. 2. b) bb) (S. 85). Vgl. oben D. II. 3. (S. 118). Vgl. oben D. I. 2. b) bb) (1) (S. 85 ff.). Vgl. oben D. II. 3. a) (S. 118).

126

D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

bzw. der Anschein einer Parteilichkeit vermieden werden soll. Allerdings schließt bei näherer Betrachtung auch der EGMR im Rahmen des subjektiven Ansatzes regelmäßig vom Verhalten eines Richters auf dessen tatsächliche Parteilichkeit.616 Denn diese ist als solche schwer feststellbar, da es sich um eine innere Einstellung des Richters handelt. Insofern sind nach dem subjektiven Ansatz des EGMR nicht nur Fälle bewiesener tatsächlicher Parteilichkeit, sondern auch solche sehr hoher Parteilichkeitsgefahr umfasst, die sich i. d. R. im Verhalten des Richters manifestiert hat. Dies trifft abstrakt jedoch auch auf die Konstellationen der Ausschlussgründe zu:617 Beide Ansätze arbeiten mit Indizien für eine Parteilichkeit des Richters. In dieser Hinsicht lässt sich eine strukturelle Parallele zwischen dem subjektiven Ansatz des EGMR und den Ausschlussgründen der StPO feststellen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Ausschlussgründe die Parteilichkeit unwiderleglich vermuten und ohne Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls zum Ausschluss des Richters vom Verfahren führen, während der EGMR die tatsächliche Unparteilichkeit des Richters widerleglich vermutet. Grundsätzlich bereitet aber, wie bereits erwähnt, auch vor dem EGMR der Beleg der tatsächlichen Parteilichkeit Schwierigkeiten. Insofern ist der objektive Ansatz des EGMR erheblich bedeutender und praxisrelevanter als der subjektive,618 zumal die beiden Maßstäbe ohnehin nicht durchgängig streng getrennt werden können. Dieser objektive Ansatz ist mit demjenigen, nach dem das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes im Sinne von § 24 Abs. 1, 2 StPO bestimmt wird, nahezu deckungsgleich:619 Beide fordern eine Untersuchung daraufhin, ob Tatsachen vorliegen, die auf objektiv gerechtfertigte Weise Zweifel an der Parteilichkeit nachvollziehbar begründen. Dabei geht die StPO bei dieser Überprüfung vom Standpunkt des „vernünftigen Angeklagten“ in der Verfahrenssituation aus und untersucht die Plausibilität seiner Befangenheitsbesorgnis.620 Der EGMR hält den Standpunkt des Angeklagten ebenfalls wenn auch nicht für entscheidend, so doch für bedeutend.621 Damit wird dieser ebenfalls zum Bestandteil der Untersuchung, an deren Ende zu bestimmen ist, ob die Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters objektiv gerechtfertigt sind. Nach beiden Gradmessern kann damit bereits der Anschein einer Parteilichkeit dafür maßgeblich sein, dass der Richter im konkreten Verfahren den Anforderungen an die Unparteilichkeit nicht genügt. Ausschlaggebend ist jedoch jeweils, ob dieser Anschein objektiv gerechtfertigt ist.

616 Vgl. EGMR, Urt. v. 16. 09. 1999, Buscemi ./. Italien, Nr. 29569/95, Ziff. 67 f.; Urt. v. 28. 11. 2002, Lavents ./. Lettland, Nr. 58442/00, Ziff. 118 f. 617 Vgl. oben D. I. 2. b) aa) (3) (S. 64). 618 So auch Müller, L. F., Richterliche Unabhängigkeit, 2015, S. 98. 619 So auch Müller, L. F., Richterliche Unabhängigkeit, 2015, S. 119 f. 620 Vgl. oben D. I. 2. b) bb) (2) (d) (S. 104). 621 Vgl. oben D. II. 3. b) (S. 120).

III. Anforderungen an die Unparteilichkeit nach nationalem Recht

127

Insgesamt ist festzustellen, dass sich der nationale Maßstab und derjenige der EMRK zur Überprüfung richterlicher Unparteilichkeit als solche weitgehend gleichen,622 teilweise der nationale Maßstab sogar über die Anforderungen der EMRK hinausgeht. Allerdings wird das Durchgreifen der §§ 22 ff. StPO zur Gewährleistung der Unparteilichkeit des Richters nach nationalem Recht den Anforderungen des EGMR nicht vollständig gerecht.623 Der EGMR verlangt, dass sich jeder Richter, dessen Parteilichkeit berechtigter Weise zu befürchten ist, aus dem Verfahren zurückzieht.624 Hieraus folgt eine prozessuale Pflicht des Richters, Umstände anzuzeigen, aus denen sich Zweifel an seiner Unparteilichkeit ergeben können.625 Entsprechend rügte der EGMR ausdrücklich im Verfahren Micallef ./. Malta das Nichtvorliegen einer solchen Pflicht nach nationalem Recht.626 Auch für das deutsche Recht wird § 30 StPO lediglich eine Dienstpflicht des Richters zur Anzeige entsprechender Umstände entnommen.627 Dies entspricht nicht dem vom EGMR geforderten Schutzniveau von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK.628 Jedoch führt auch nach dem EGMR eine Verletzung der Pflicht zur Selbstanzeige selbst nicht zur Annahme eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK:629 Vielmehr betont der EGMR zwar die Pflicht zur Selbstanzeige, prüft aber dennoch ohne Abweichung zum sonstigen Vorgehen die Unparteilichkeit des Richters.630 Erst wenn diese den an sie gestellten Anforderungen nicht gerecht wird, liegt ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK vor.631 Die Selbstanzeigepflicht führt jedoch dazu, dass in Fallkonstellationen, in denen der Beschwerdeführer erst vor dem EGMR die Parteilichkeit seines Richters rügt, weil er von dieser erst nach Abschluss des Verfahren Kenntnis erlangt hat, mit dieser Rüge gehört wird, wenn der Richter gegen die Selbstanzeigepflicht verstoßen hat. Zeigte der Richter die maßgeblichen Umstände hingegen an und machte der Angeklagte im laufenden Verfahren dennoch die Befangenheit des Richters nicht geltend, dürfte die Rüge nicht vor dem EGMR zugelassen werden, da der Angeklagte im Verfahren die innerstaatlichen Rechtsbehelfe nicht erschöpft hatte, vgl. Art. 35 Abs. 1 EMRK. Im nationalen Recht hingegen würde der Angeklagte bei Kenntniserlangung nach Abschluss des Verfahrens seine Bedenken an der Unparteilichkeit des Richters nicht mehr geltend machen können, weil sein Ablehnungsgesuch verspätet wäre, vgl. § 25 622 623 624 625 626 627 628 629 630 631

So auch Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 181. Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 264. Vgl. oben D. II. 3. b) (S. 122). Vgl. oben D. II. 3. b) (S. 122). EGMR, Urt. v. 15. 10. 2009, Micallef ./. Malta, Nr. 17056/06, Ziff. 100. Vgl. oben D. I. 3. (S. 105). Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 264. Vgl. Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 265. EGMR, Urt. v. 15. 10. 2009, Micallef ./. Malta, Nr. 17056/06, Ziff. 98, 100. So auch Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 265.

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D. Die Regelungen der Unparteilichkeit in der Strafprozessordnung

Abs. 2 S. 2 StPO, und der Verstoß gegen die Selbstanzeigepflicht nach § 30 StPO seitens des Richters nicht mit einem Rechtsmittel angreifbar wäre. Damit begibt sich die nationale Rechtsordnung im Ergebnis jedoch einer Möglichkeit, einen möglichen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK nach nationalem Recht zu prüfen, bevor er vor dem EGMR gerügt wird.632 Mithin stimmt die derzeit herrschende Auslegung von § 30 StPO nicht mit den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK an die Unparteilichkeit des Richters überein. Abweichungen für den Maßstab, der bei der Prüfung des Vorliegens von Befangenheit im Einzelfall anzulegen ist, ergeben sich hieraus freilich nicht. Besonders interessant ist daher der nähere Abgleich insbesondere der Anforderungen des objektiven Ansatzes des EGMR mit dem nationalen Recht, dabei vor allem die Frage, wann ein Grund vorliegt, der das Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters rechtfertigt. Gerade da der EGMR die Bedeutung der Prüfung im Einzelfall hervorhebt, kann erst die Auswertung einzelner Konstellationen richterlicher Parteilichkeit Aufschluss über die Vereinbarkeit der beiden Maßstäbe geben.

632

So auch Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 265 ff.

E. Die Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters mit den Anforderungen an seine Unparteilichkeit Die mögliche Befangenheit des Richters wegen Vorbefassung ist ein bedeutender Bereich drohender richterlicher Parteilichkeit. Unter Vorbefassung ist grundsätzlich jeder bereits vor der Entscheidungssituation erfolgte Kontakt des Richters mit dem Verfahrensgegenstand sowie insbesondere eine vorangegangene Auseinandersetzung mit diesem zu verstehen. Problematisch an der Vorbefassung ist zunächst der „erste Eindruck“:633 Unabhängig vom Erleben im privaten oder beruflichen Bereich bildet sich der Richter bei seiner ersten Berührung mit dem Verfahrensgegenstand – auch noch lange bevor er weiß, dass dieser überhaupt zum Verfahrensgegenstand wird – von diesem einen Eindruck.634 Je nach Intensität dieses Eindrucks635 und in Abhängigkeit vom Zusammenhang, in dem er erfolgte, kann dieser erste Eindruck richtungsweisend für weitere Wahrnehmungen des Richters bis hin zu dessen Entscheidungsfindung sein. Erfährt der Richter beispielsweise aus den Medien von einer Straftat, noch lange bevor feststeht, dass er das Strafverfahren gegen den potentiellen Täter leiten soll, verfügt er bereits über ein Bild von dem Geschehenen. Erst recht kann sich ein starker Einfluss ergeben, wenn der Richter sich bereits vor der Entscheidungssituation intensiver mit dem Verfahrensgegenstand auseinandergesetzt hat und diesen schon einmal (vorläufig) einschätzen musste.636 Hat der Richter z. B. das Hauptverfahren gegen den Angeschuldigten eröffnet, so könnte die zunächst vorläufige Beurteilung von „Tat und Täter“ die weitere Einschätzung des Richters vorwegnehmen oder zumindest leiten. Erforderlich ist daher eine Untersuchung der unterschiedlichen Kategorien und Konstellationen der Vorbefassung des Richters auf ihre Gefahren für die richterliche Unparteilichkeit. In diesem Zusammenhang wird die Einschätzung dieser Konstellationen nach nationalem Recht erörtert, um sie anschließend mit denjenigen Fällen zu vergleichen, in denen sich der EGMR mit einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in derartigen Vorbefassungsfällen beschäftig hat. Hieraus lassen sich Schlussfolgerungen zur Vereinbarkeit des nationalen Ausschluss- und Ableh633

Krech/Crutchfield, Grundlagen der Psychologie, Bd. 1, 7. Aufl. 1976, S. 482 f. Vgl. Krech/Crutchfield, Grundlagen der Psychologie, Bd. 1, 7. Aufl. 1976, S. 482 f. 635 So auch Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 134. 636 In diese Richtung weisend auch Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 193. 634

130

E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

nungsrechts im Bereich der Vorbefassung mit den Anforderungen der EMRK an die Unparteilichkeit des Richters ziehen. Bevor dies erfolgt, wird das Problem der Vorbefassung näher erörtert und dargelegt, welches genau die kritischen Aspekte der Vorbefassung sind.

I. Das Problem der Vorbefassung Grundsätzlich liegt – wie oben bereits angesprochen – die Erkenntnis nahe, dass in jeder Vorbefassung mit dem Verfahrensgegenstand eine Gefährdung der Unvoreingenommenheit des Richters diesem Verfahrensgegenstand gegenüber liegt.637 Bei jeder Wahrnehmung erhält der Richter einen Eindruck von der „Sache“, der die Unvoreingenommenheit im Sinne einer vorurteils- und „vor-eindrucksfreien“ Wahrnehmung erschwert, also einer Wahrnehmung, die nicht schon durch einen zuvor erfolgten Eindruck geleitet wird.638 Dennoch kann nicht jede Vorbefassung zur Besorgnis der Befangenheit führen: Selbst im Laufe einer kurzen Hauptverhandlung macht der Richter aufeinander folgende Wahrnehmungen, die jeweils von den vorangegangenen Wahrnehmungen geleitet werden. Insofern ist zu erörtern, ob eine Grenze und wenn ja, welche Grenze gezogen werden kann, bis zu der Vorbefassung schlicht nicht vermeidbar oder zumindest zu tolerieren ist. Ab dieser Grenze müsste, da die Ausschlussgründe Konstellationen der Vorbefassung des Richters nur in sehr begrenztem Umfang enthalten,639 unter Umständen die auf die Vorbefassung gestützte Besorgnis der Befangenheit als gerechtfertigt angesehen werden. Eine solche Grenzziehung wird einerseits durch die Betrachtung der Vorbefassungsproblematik aus psychologischer Sicht ermöglicht. Andererseits gibt das bereits erörterte640 Richter(selbst-)bild Aufschluss darüber, worin genau die Herausforderungen und Gefahren richterlicher Vorbefassung liegen.

1. Die psychologische Problematik Seit der Ablehnung des Bildes vom Richter als Subsumtionsautomaten641 ist es ein „Gemeinplatz“,642 dass der Richter seine Persönlichkeit und seine Wertungen in seine 637

Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 63 ff.; ders., NJW 1971, 1112 (1115); ders., JZ 1973, 33; Teplitzky, MDR 1963, 602; ders., NJW 1962, 2044; vgl. auch Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 41. 638 Hierzu im Einzelnen sogleich. 639 Vgl. oben D. I. 1. a) cc) (S. 68 ff.) sowie D. I. 1. b) (S. 71 ff.). 640 Vgl. oben B. (S. 23 ff.). 641 Vgl. oben B. (S. 23 ff.).

I. Das Problem der Vorbefassung

131

Entscheidungstätigkeit einbringt:643 „Die richterliche Feststellung […] ist nicht reduzierbar auf eine quasi bruchlose Anwendung von Rechtsnormen auf festgestellte, genauer: rekonstruierte Tatbestände. Der Richter betreibt immer auch in einem hohen Maße Rechtsgestaltung.“644 Da es aber Aufgabe des Richters ist, den Sachverhalt, über den er entscheiden soll, zunächst festzustellen und zu werten,645 kommt der richterlichen Wahrnehmung und Wertung eine erhebliche Bedeutung für die Entscheidungsfindung zu. Daher ist die Wahrnehmung des Richters, seine Informationsaufnahme und -sammlung, seine Gewinnung von Eindrücken und Einstellungen sowie seine Entscheidungsfindung unter psychologischen Gesichtspunkten zu betrachten. a) Einbeziehung der Wahrnehmungspsychologie: Notwendigkeit von „Vor-Urteilen“ im Sinne vorangegangener Erfahrungen Nähert man sich dem Problem der Vorbefassung aus der Perspektive der Wahrnehmungspsychologie, gelangt man zunächst zu einer erstaunlichen Feststellung: „Jeder Richter ist befangen, nämlich vorurteilsbehaftet, weil er ein Mensch ist. Das liegt in der Natur unseres Wahrnehmens, Denkens und Urteilens.“646 Eine gewisse Voreingenommenheit im Sinne von „Vor-Urteilen“647 bzw. Vor-Eindrücken ist für die Wahrnehmung als solche hiernach nicht nur unbedenklich, sondern sogar zwingend erforderlich: Die Wahrnehmung von Informationen jeglicher Art kann nur erfolgen, wenn die aktuelle Wahrnehmung auf vergangene und im Gedächtnis abgespeicherte Wahrnehmungen stößt und mit diesen abgeglichen werden kann.648 Erst die Einordnung des Wahrgenommenen in bekannte, zuvor erfolgte Wahrnehmungen verleiht der Wahrnehmung Sinn und Struktur.649 Das Vor-Verständnis wird damit zur „Bedingung des Verstehens“.650 Dies hat zur Folge, dass beispielsweise Gegenstände 642

(761). 643

Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (299); Schreiber, in: FS Jescheck, 1985, S. 757

Vgl. oben B. (S. 23 ff.). Maisch, NJW 1975, 566. 645 So auch Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (303). 646 Schneider, DRiZ 1978, 42 (43). 647 Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (302); vgl. auch Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 30; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 154. 648 Dörner, in: Psychologie, 3. Aufl. 2005, S. 149; Weimar, Zur Psychologie des judizierenden Verhaltens, 1969, S. 34; Schünemann, GA 1978, 161 (168 f.); vgl. auch Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 197 ff.; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 23 f. 649 H. W. Schünemann, DRiZ 1976, 369 (371); ebenso Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 24. 650 Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (302); vgl. auch Hoffmann-Riem, in: FS Scholz, 2007, S. 499 (504). 644

132

E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

des Alltagsgebrauchs bereits mit einem flüchtigen Blick wahrgenommen und als solche eingeordnet werden, gerade weil sie als solche sehr gut bekannt sind. Das „Vor-Urteil„651 ist hierbei nicht gleichzusetzen mit dem Vorurteil im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs, der dieses etwa als „ohne Prüfung der objektiven Tatsachen voreilig gefasste oder übernommene, meist von feindseligen Gefühlen gegen jemanden oder etwas geprägte Meinung“652 umschreibt. Der Begriff meint vielmehr – ebenso wie derjenige des Vor-Eindrucks oder des Vor-Verständnisses – erfolgte Wahrnehmungen, die weitere Wahrnehmungen leiten.653 Auch der Richter benötigt derartige Vor-Eindrücke, um die ihm zur Verfügung stehenden Informationen über den zu untersuchenden Sachverhalt und den potentiellen Täter zu verstehen und einzuordnen. Wenn aber gemäß diesem sogenannten „hermeneutischen Zirkel“654 nur verstanden werden kann, was schon wahrgenommen wurde, so dass Wahrnehmung nur durch „Vor-Urteile“655 möglich ist,656 haben diese „Vor-Urteile“657 einen erheblichen Einfluss auf die weitere Wahrnehmung. Liest jemand beispielweise einen ihm unbekannten Text, so bildet sich zu Beginn des Lesens eine Erwartung an den Inhalt des Textes, die den Leseprozess leitet.658 Diese Erwartung wird im Idealfall korrigiert oder verworfen, wenn das weitere Lesen eindeutig einen anderen Inhalt als den erwarteten preisgibt.659 Allerdings ist fraglich, ob nicht doch die ursprüngliche Erwartung, der sogenannte „erste Eindruck“,660 651

Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (302); vgl. auch Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 30; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 154. 652 http://www.duden.de/rechtschreibung/Vorurteil (abgefragt am 14. 04. 2015). 653 Zur Schwierigkeit der Abgrenzung von Vorurteilen im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs und den hier gemeinten Vor-Urteilen durch Vorbefassung, vgl. Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 115 ff. Diese regt eine Unterscheidung danach an, ob es sich um eine „ungeprüft übernommene Meinung“ oder eine „aufgrund eigener Erfahrung gebildete Meinung“ handelt. Auch Kaufmann unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen dem Vorurteil im allgemeinen Sinne und dem Vor-Urteil im Sinne eines Vorverständnisses, vgl. Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (302 f.); vgl. auch Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 154. 654 Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (302 f.); Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 206; ders./Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 28 f.; Schünemann, GA 1978, 161 (169). 655 Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (302); vgl. auch Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 30; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 154. 656 Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (302 f.); Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 206; ders./Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 28 f.; Schünemann, GA 1978, 161 (169). 657 Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (302); vgl. auch Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 30; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 154. 658 Das Beispiel stammt von Gadamer, Wahrheit und Methode, 2. Aufl. 1965, S. 251; vgl. auch Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (302), der dieses Beispiel ebenfalls in Bezug nimmt. 659 Gadamer, Wahrheit und Methode, 2. Aufl. 1965, S. 251; vgl. auch Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (302). 660 Krech/Crutchfield, Grundlagen der Psychologie, Bd. 1, 7. Aufl. 1976, S. 482 f.

I. Das Problem der Vorbefassung

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richtungsweisend bleibt oder zumindest einen unangemessenen Einfluss behält, wenn der Text mehrdeutig, auslegungsbedürftig oder schwer verständlich ist. Hier droht die Gefahr, dass die Erwartung das Verständnis lenkt.661 Dasselbe Problem entsteht bei der Wahrnehmung des Verfahrensgegenstandes durch den Richter vor seiner Entscheidungsfindung. Kommt es beispielsweise bei einer Zeugenaussage an einer bestimmten Stelle zu einer mehrdeutigen Äußerung, wird der Richter, wenn er (z. B. aufgrund seiner Aktenkenntnis) eine Erwartung an die Zeugenaussage hatte, diese auch entsprechend seiner Erwartung auffassen.662 Dies wäre eher nicht der Fall, wenn er der Aussage vollkommen offen, also ohne Vor-Eindrücke, begegnen würde. b) Die Phänomene der Wahrnehmungslenkung und -selektion Das Problem der Vorbefassung beruht daher gerade auf den Vor-Eindrücken. Wie aufgezeigt verläuft je nach Vor-Erfahrung der Wahrnehmungsprozess unterschiedlich und führt auch ohne das Bewusstsein über die Vor-Eindrücke oder deren Auswirkungen auf die Wahrnehmung zu unterschiedlichen Wahrnehmungsergebnissen.663 So führt eine neue Version eines Kurzfilms,664 der nicht nur in der Vernehmungslehre bekannt geworden ist,665 die selektive Wahrnehmung vor Augen: Im ursprünglichen Film wurde der Zuschauer aufgefordert, die Pässe zwischen weiß und schwarz gekleideten Spielern zu zählen. Dies führte dazu, dass die Hälfte der Betrachter nicht sah, dass während des Films eine als Gorilla verkleidete Person durch das Bild ging.666 Hier wurde die Wahrnehmung durch die Aufforderung, die Pässe zu zählen, gelenkt. In der neuen Version sind wiederum die Pässe zwischen – dieses Mal nur den weiß gekleideten – Spielern zu zählen und wieder geht „der Gorilla“ durch das Bild.667 Der Betrachter, der das ursprüngliche Video kennt, nimmt in diesem Fall „den Gorilla“ in der Regel wahr.668 Allerdings verändert sich im Laufe des Films die Farbe des Vorhangs, der im Hintergrund des Geschehens hängt, und ein Spieler in

661 Auch in diese Richtung weisend Gadamer, Wahrheit und Methode, 2. Aufl. 1965, S. 252; Kaufmann, in: FS Peters, 1974, S. 295 (303 f.). 662 Vgl. hierzu Löschper, Bausteine für eine psychologische Theorie richterlichen Urteilens, 1999, S. 227, 270. 663 Vgl. oben E. I. 1. a) (S. 131). 664 „The original selective attention task“ unter http://www.theinvisiblegorilla.com/videos.html (abgefragt am 14. 04. 2015). 665 Vgl. Chabris/Simons unter http://www.theinvisiblegorilla.com/gorilla_experiment.html (abgefragt am 14. 04. 2015). 666 Vgl. Chabris/Simons unter http://www.theinvisiblegorilla.com/gorilla_experiment.html (abgefragt am 14. 04. 2015). 667 „The Monkey Business Illusion“ unter http://www.theinvisiblegorilla.com/videos.html (abgefragt am 14. 04. 2015). 668 „The Monkey Business Illusion“ unter http://www.theinvisiblegorilla.com/videos.html (abgefragt am 14. 04. 2015).

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

schwarzer Kleidung verlässt das Bild.669 In der Erwartung, den Gorilla zu sehen, werden diese Aspekte jedoch zum Teil nicht wahrgenommen. So zeigt dieser Kurzfilm auf bemerkenswerte Weise, wie durch Vor-Eindrücke und die von ihnen geweckten Erwartungen die Wahrnehmung beeinflusst wird. Den Einfluss, den einzelne Wahrnehmungen auf die Gesamtwahrnehmung einer Sache, Person oder eines Geschehens haben können, beschreiben in der Psychologie insbesondere die Phänomene des primacy-effects bzw. Ankereffekts, das Perseveranzphänomen sowie der Halo-Effekt. Diese Phänomene gehen von der oben bereits getroffenen Feststellung aus, dass die Vor-Eindrücke die weitere Wahrnehmung maßgeblich leiten.670 aa) Primacy-effect und Ankereffekt Der primacy-effect beschreibt die Tatsache, dass im Normalfall die zuerst wahrgenommene von mehreren Informationen am besten aufgenommen und behalten wird; daher setzt sie sich in einer Gesamtbewertung mehrerer Informationen am stärksten durch.671 Nimmt man also zu einem bestimmten Aspekt eine Information auf, so ist diese in weitem Umfang prägend und alle weiteren Informationen werden an ihr gemessen. Dies funktioniert im Alltag ebenso zuverlässig wie bei richterlicher Verfahrensleitung und ist kaum vermeidbar.672 Zwar wird auch im Gegenteil der sogenannte recency-effect beobachtet, also die verstärkte Wirkung der zuletzt wahrgenommenen Information. Jedoch tritt dieser Effekt vor allem bei einzelnen Wahrnehmungen auf, die unter Anleitung erfolgen oder mit einer bestimmten Aufgabe verbunden werden, so beispielsweise wenn sich eine Person möglichst alle aufgezählten Eigenschaften einer anderen Person einprägen soll.673 Bei der freien Wahrnehmung hingegen ist es der sogenannte „erste Eindruck“,674 der dominiert und sich daher sehr leicht verfestigen kann; es setzt also 669 „The Monkey Business Illusion“ unter http://www.theinvisiblegorilla.com/videos.html (abgefragt am 14. 04. 2015). 670 So auch Graßberger, Psychologie des Strafverfahrens, 2. Aufl. 1986, S. 117; Maisch, NJW 1975, 566 (569); H. W. Schünemann, DRiZ 1976, 369 (371). 671 Asch, in: Journal of abnormal and social psychology, Vol. 41, 1946, S. 258 (S. 271 f.); Atkinson/Shiffrin, in: The Psychology of Learning and Motivation, Vol. 2, 1968, S. 89 (171); vgl. auch Abele, Handbuch der Psychologie, Bd. 3, 2006, S. 396 (397); Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 195 f.; Maisch, NJW 1975, 566 (569); vgl. auch vgl. auch Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 154. 672 Vgl. Bender/Noack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Bd. I, 2. Aufl. 1995, Rdn. 91 (so nicht mehr in Bender/Noack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl. 2007 enthalten); Schünemann, in: Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, 1983, S. 1109 (1117); Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 196; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 26, 87; Bandilla/Hassemer, StV 1989, 551 (553). 673 Abele, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 3, 2006, S. 396 (397). 674 Krech/Crutchfield, Grundlagen der Psychologie, Bd. 1, 7. Aufl. 1976, S. 482 f.

I. Das Problem der Vorbefassung

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in aller Regel nicht der recency-, sondern der primacy-effect ein.675 Hierdurch kommt der Reihenfolge der Wahrnehmungen bzw. der Präsentation von Informationen eine erhebliche Bedeutung zu. Betrachtet man die Wahrnehmungen des Strafrichters bei seiner Tätigkeit im Ermittlungs-, Zwischen- oder Hauptverfahren, so fällt auf, dass das erste, was der Richter von der Tat und dem potentiellen Täter wahrnimmt, die Ermittlungen bzw. Ermittlungsergebnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft sind. Es ist daher bereits fragwürdig, inwieweit der erkennende Richter in der Hauptverhandlung angesichts seiner Aktenkenntnis überhaupt noch wirklich unvoreingenommen sein kann, nachdem ihm die Ermittlungsbehörden bereits Vor-Eindrücke über die Tat und den Beschuldigten vermittelt haben.676 Jedenfalls kann die Beteiligung des erkennenden Richters bereits im Ermittlungs- und Zwischenverfahren677 sowie seine Aktenkenntnis grundsätzlich eine Gefahr für seine Unparteilichkeit darstellen: Die hierbei gewonnenen Eindrücke sind in der Regel prägend für die weiteren Wahrnehmungen des Richters.678 Einen besonderen, dem primacy-effect ähnlichen Fall stellt der sogenannte Ankereffekt dar: Dieser umschreibt das Phänomen der „Assimilation von numerischen Urteilen unter Unsicherheit an eine Zahlenvorgabe.“679 Dieser Effekt führt zu der Konsequenz, dass Strafrichter in ihren Urteilen auffällig häufig der bezifferten Strafzumessung der Staatsanwaltschaft folgen, die vor derjenigen des Verteidigers sowie dem letzten Wort des Angeklagten präsentiert und begründet wird.680 Dieser Effekt ist zwar im Ergebnis für das Problem der möglichen Befangenheit durch Vorbefassung nicht einschlägig, da der Richter nicht abgelehnt werden kann, weil er den Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft gehört hat. Jedoch bestätigt dieser Effekt zum einen die Feststellungen des primacy-effects zur Eindruckskraft der ersten von mehreren Informationen. Zum anderen ist beachtlich, dass dieser Ankereffekt auch in Simulationsstudien mit Richtern ausgelöst werden konnte, bei denen Vorschläge zur Strafzumessung von Studenten stammten oder gar zuvor erwürfelt wurden, was 675

Krech/Crutchfield, Grundlagen der Psychologie, Bd. 1, 7. Aufl. 1976, S. 482 f. So auch Löschper, Bausteine für eine psychologische Theorie richterlichen Urteilens, 1999, S. 270; Maisch, NJW 1975, 566 (568). 677 Im Ermittlungsverfahren kann der erkennende Richter u. U. in Gestalt der Anordnung bzw. Bestätigung von Zwangsmaßnahmen sowie im Rahmen von richterlichen Untersuchungsund Nothandlungen und bei Beweiserhebungen i.S.d. § 166 StPO beteiligt sein, vgl. hierzu E. II. 2. b) bb) (1). 678 Bender/Noack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Bd. I, 2. Aufl. 1995, Rdn. 91 (so nicht mehr ausdrücklich behandelt in Bender/Noack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl. 2007 enthalten); Kette, Rechtspsychologie, 1987, S. 217; Schünemann, in: Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, 1983, S. 1109 (1145). 679 Englich, in: Handbuch der Psychologie Bd. 3, 2006, S. 309; dies., Handbuch der Psychologie, Bd. 9, 2008, S. 486 (489); vgl. auch Sporer/Breuer, in: Psychologie, 4. Aufl. 2011, S. 485 (491). 680 Englich, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 9, 2008, S. 486 (489 ff.). 676

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

den Richtern jeweils bewusst war.681 Hier wird deutlich, dass weder das Bewusstsein des Richters über diesen Effekt und die damit verbundene Motivation, ihm zu entgehen, noch die juristische Professionalität des Richters diesen Effekt ausschließen können.682 Insgesamt wird bereits hier erkennbar: Psychologische Phänomene steuern die Wahrnehmung in einem erheblichen Ausmaß. Auch Richter sind trotz ihrer Berufsausbildung und ihres Bemühens um Objektivität unvermeidlich von dieser Beeinflussung betroffen. bb) Selektions- und Redundanzprinzip sowie Perseveranzphänomen Verstärkt werden die oben beschriebenen Effekte durch das Perseveranzphänomen, das auf dem Selektions- und Redundanzprinzip beruht: Da die menschliche Wahrnehmung aufgrund begrenzter Aufnahmekapazität nicht grenzenlos möglich ist, erfolgt sie selektiv (sogenanntes Selektionsprinzip).683 Bei dieser Selektion haben die oben genannten Vor-Eindrücke eine beherrschende Rolle: Die Wahrnehmung konzentriert sich auf Eindrücke, die den bereits vorhandenen Vor-Eindrücken entsprechen (sogenanntes Redundanzprinzip).684 Hierin liegt die Verstärkung wie auch Bestätigung des primacy-effects: Die vorangegangene Wahrnehmung lenkt die weitere in dem Sinne, dass Informationen, die dem Vor-Eindruck entsprechen, besonders stark und hervorgehoben wahrgenommen werden, wohingegen widersprechende Informationen besonders schlecht aufgenommen werden (sogenanntes Perseveranzphänomen).685 Dieses Phänomen beschreibt das Bestreben, Wahrnehmungen einer einmal gebildeten Vorstellung anzupassen686 und dissonante Wahr681 Vgl. Englich, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 3, 2006, S. 309 (310); dies., in: Handbuch der Psychologie, Bd. 9, 2008, S. 486 (490). 682 So auch Englich, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 9, 2008, S. 486 (492). 683 Vgl. hierzu im Einzelnen Müller/Krummenacher, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 5, 2006, S. 118 ff.; vgl. auch Bierbrauer, Sozialpsychologie, 1998, S. 64 f. Roxin, in: FS SchmidtLeichner, 1977, S. 145 (150); Krekeler, NJW 1981, 1633 (1636); Schünemann, GA 1978, 161 (170 f.); vgl. auch Herrmann, DRiZ 1982, 286 (293). 684 Atkinson/Shiffrin, in: The Psychology of Learning and Motivation, Vol. 2, 1968, S. 89 (96); Roxin, in: FS Schmidt-Leichner, 1977, S. 145 (150); Krekeler, NJW 1981, 1633 (1636); Schünemann, GA 1978, 161 (171). 685 Bottke, Materielle und formelle Verfahrensgerechtigkeit, 1991, S. 53; Greitemeyer/Fischer/Frey, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 3, 2006, S. 336 (339 f.); Haisch, in: Seitz (Hrsg.), Kriminal- und Rechtspsychologie, 1983, S. 169 (170); Schünemann, StV 2000, 159 (160); ders., in: Verfahrensgerechtigkeit, 1995, S. 215 (221 ff.); ders., in: Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, 1983, S. 1117 f.; Wassermann, Die richterliche Gewalt, 1985, S. 150 f.; auf dieses i.E. hinzielend auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 65; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 228; Bandilla/Hassemer, StV 1989, 551 (552 f.). 686 Peus/Frey/Stöger, in: Handbuch Psychologie, Bd. 3, 2006, S. 373 (376); Weimar, Zur Psychologie des judizierenden Verhaltens, 1969, S. 134, 204.

I. Das Problem der Vorbefassung

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nehmungen zu vermeiden.687 Diesen Effekt hat vermutlich jeder bereits einmal verspürt: Berichtet eine vertrauenswürdige Person von einer Sache, mit der man bisher nicht in Berührung gekommen ist und dementsprechend über keine Vor-Erfahrungen verfügt, betrachtet man unbewusst diese Informationen als richtig. Erhält man von einer anderen Person widersprechende Informationen zu derselben Sache, ist der erste ausgelöste Eindruck derjenige, dass diese Information nur falsch sein könne. Erst kurz darauf setzt (bestenfalls) das Bewusstsein darüber ein, dass man selbst die Informationen mangels sicherer Kenntnis nicht abschließend beurteilen kann. Für die hier maßgebliche Problematik ist anzunehmen, dass der Strafrichter, der bereits durch die Ermittlungsbehörden einen Vor-Eindruck von dem Verfahrensgegenstand erlangt hat, sich sehr schnell eine Vorstellung von der Tat und dem Beschuldigten bildet, die er regelmäßig in dem weiteren Verfahren, insbesondere der Beweisaufnahme, bestrebt sein wird, bestätigt zu sehen.688 Wie der Richter also einzelne Beweismittel wahrnimmt, insbesondere wie er Zeugenaussagen – zugunsten oder zuungunsten des Angeschuldigten bzw. Angeklagten – wertet, wird maßgeblich durch seinen Vor-Eindruck von der Sache bestimmt. Dies wird wiederum noch verstärkt, wenn der Richter bereits einmal selbst in der Sache entschieden hat; gerade eine intensive Befassung führt zu einem besonders nachhaltigen Bild von „Tat und Täter“. Zusätzlich müsste sich der Richter im letzten Fall gegebenenfalls zu seiner früheren Entscheidung in Widerspruch setzen.689 cc) Halo-Effekt und Anwendung von sogenannten Alltagstheorien Zusätzlich zu den beschriebenen Phänomenen beeinflussen weitere Effekte die menschliche und damit auch die richterliche Wahrnehmung. Dies ist zum einen der sogenannte Halo-Effekt, der das Phänomen „wissenschaftlich unzulässige[r] Generalisierung einer partiellen Erfahrung“690 umfasst. Dieses Vorgehen hat beispielsweise zur Folge, dass von einem einzelnen wahrgenommenen Merkmal einer Person auf weitere Merkmale dieser Person geschlossen wird.691 Im Alltag dürfte 687 Bierbrauer, Sozialpsychologie, 1998, S. 75 f.; Schünemann, StV 2000, 159 (160); ders., in: Verfahrensgerechtigkeit, 1995, S. 215 (217 f.); ders., in: Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, 1983, S. 1117 f.; Wänke/Bohner, in: Handbuch der Handbuch der Psychologie, Bd. 3, 2006, S. 404 (409); H. W. Schünemann, DRiZ 1976, 369 (372); vgl. auch Oswald, in: Psychologie im Strafverfahren, 1997, S. 248 (252). 688 Schünemann, StV 2000, 159 (160); ders., in: Verfahrensgerechtigkeit, 1995, S. 215 (218, 226); vgl. auch Boy/Lautmann, in: Menschen vor Gericht, 1979, S. 41 (58 f.); Roxin, in: FS Schmidt-Leichner, 1977, S. 145 (150 f.); Krekeler, NJW 1981, 1633 (1636). 689 Vgl. oben B. (S. 23 ff.). 690 Maisch, NJW 1975, 566; vgl. auch Bender/Noack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl. 2007, Rdn. 96. 691 Maisch, NJW 1975, 566; H. W. Schünemann, DRiZ 1976, 369 (372); vgl. auch BrandtJanczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 126; Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 205.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

dieser Effekt für die Herausbildung von Vorurteilen im allgemeinen Sinne692 von großer Bedeutung sein. Im Strafverfahren kann er unter anderem zu Zirkelschlüssen bei der Entscheidung der Frage führen, ob der Beschuldigte oder Angeklagte die Tat tatsächlich begangen hat: So wird von einem Merkmal des mutmaßlichen Täters auf weitere seiner Merkmale geschlossen; diese scheinen zur Tat zu „passen“, wodurch ihm wiederum von der Tatausführung ausgehend weitere Merkmale zugeschrieben werden; diese zeichnen letztlich ein Bild von seinem Wesen und Verhalten, nach dem ihm die Tat zumindest zuzutrauen wäre.693 Stark vereinfacht findet beispielsweise folgender Prozess statt: Der Angeklagte wird eines Raubes verdächtigt. Aus der Tatsache, dass er stets über seine Verhältnisse lebt, kann auf ein gewisses Maß an Fokussierung auf materielle Werte, vielleicht sogar Gier geschlossen werden. Diese passt zu dem mutmaßlich verübten Raub und lässt daher darauf schließen, dass der Angeklagte egoistisch und vermutlich sogar bereit ist, Gewalt gegen andere zu verüben, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Demnach kommt durchaus in Betracht, dass er den Raub verübt haben könnte.694 Von Bedeutung ist in diesem Bereich auch der Einfluss der sogenannten Alltagstheorien, mithin Erfahrungssätzen, die jeder Mensch „im Laufe [seiner] lebensgeschichtlichen Entwicklung als Meinungen oder Überzeugungen erworben“695 hat und die keinen wissenschaftlichen Halt oder gar Anknüpfungspunkt finden.696 Diese sind zwar einerseits als untechnisch bezeichnete „Lebenserfahrung“ und „Menschenkenntnis“ bei einem Richter durchaus erstrebenswert und von Bedeutung, jedoch handelt es sich auch bei ihnen andererseits nur um Vor-Eindrücke im erörterten Sinne, so dass auch hier die Gefahr besteht, dass sie die Wahrnehmung des Richters unangemessen beeinflussen. So mag beispielsweise die „Lebenserfahrung“ eines Richters gezeigt haben, dass ein besonders nervöser Angeklagter in der Regel tatsächlich die ihm vorgeworfene Tat begangen hat. Jedoch ist dies lediglich ein durch Vor-Eindrücke geprägtes Bild, das im Einzelfall nicht zutreffen muss. c) Zwischenergebnis Die Darlegung der psychologischen Phänomene wirft unweigerlich die Frage auf, ob es unvoreingenommene Wahrnehmung überhaupt gibt. Tatsächlich sind VorEindrücke und Vor-Erfahrungen für die Wahrnehmung unumgänglich. Eine andere Frage ist jedoch, welches Maß an Unvoreingenommenheit, das menschlich möglich ist, vom erkennenden Richter eines Strafverfahrens erwartet werden soll.

692

Vgl. oben E. I. 1. a) (S. 132). Vgl. hierzu die vielfältigen Beispiele bei Maisch, NJW 1975, 566 ff. 694 Detailliertere, aus konkreten Entscheidungen stammende Bespiele finden sich bei Maisch, NJW 1975, 566 ff. 695 Maisch, NJW 1975, 566. 696 Bierbrauer/Gottwald, Psychologie und Recht, 1984, S. 23; Maisch, NJW 1975, 566 ff. 693

I. Das Problem der Vorbefassung

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Zutreffend ließe sich zwar mit Schmid sagen, dass das „wirksamste Mittel gegen Befangenheit [ist], sich diese bewusst zu machen“,697 jedoch reicht, wie oben geschildert, auch dieses Bewusstsein nicht aus, um eine unsachliche Einstellung zu vermeiden. Selbst wenn der Richter sich noch so – lobenswert – bemüht, sich die Einflüsse auf seine Wahrnehmung bewusst zu machen, können diese Einflüsse vielleicht eingeschränkt, aber nicht verhindert werden. Soweit die Verhinderung jedoch notwendig erscheint, um die Unparteilichkeit des Richters zu gewährleisten, muss daher eine normative Lösung des Problems gefunden werden. Aus diesem Grund werden die einzelnen Konstellationen richterlicher Vorbefassung anhand der Erkenntnisse der genannten Effekte und der daraus erworbenen Sensibilität für die Problematik der Vorbefassung des Richters untersucht. Dabei wird erörtert, welcher Einfluss auf die Wahrnehmung und Entscheidungsfindung des Richters normativ geduldet werden kann oder muss. Dabei ist zu entscheiden, an welchen Stellen die benannten psychologischen Effekte eine Beeinflussung nahelegen, die nicht mehr akzeptiert werden, aber auch nicht durch den Richter selbst vermieden werden kann. Dies sind diejenigen Konstellationen, in denen die Wiederbefassung des vorbefassten Richters verhindert werden muss und daher der Ausschluss des Richters oder seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit eingreifen müssten. Es ist also grundsätzlich eine normative Grenzziehung erforderlich, die im Rahmen dieser Arbeit nicht für das nationale Recht absolut, sondern anhand seiner Vereinbarkeit mit der EMRK ermittelt wird.

2. Das Richter(selbst)bild als Problem Das zu Beginn bereits dargelegte heute herrschende Richterbild ermöglicht und bestärkt zugleich die Befunde der psychologischen Betrachtung:698 Weil inzwischen allgemein anerkannt ist, dass richterliche Tätigkeit vielfach Wertungen des Richters erfordert, kann berücksichtigt werden, dass die psychologischen Phänomene, die sich auf die richterliche Wahrnehmung und Wertung auswirken, für die Unbefangenheit des Richters problematisch werden können.699 Gerade die Abkehr von der Theorie des Subsumtionsautomaten macht es aber auch notwendig, diese psychologischen Phänomene zu berücksichtigen, um Gefahren für die richterliche Unbefangenheit sinnvoll vorzubeugen.700 Problematisch ist jedoch, dass das Richterselbstbild, wie es sich aus der Befangenheitsrechtsprechung ergibt, weiterhin eklatant von dem heutigen Richter(außen-) 697 Schmid, in: Das Rechtswesen, 1971, S. 163. Vgl. hierzu auch die Analyse von KuntzeKaufhold, Lebenswelt und Unparteilichkeit, 2002, insb. S. 356 f. 698 So auch Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 163. 699 Vgl. oben B. (S. 23 ff.). 700 Vgl. oben B. (S. 23 ff.).

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

bild abweicht und die Einschlägigkeit der psychologischen Befunde leugnet.701 In der Rechtsprechung wird immer wieder hervorgehoben, dass der Richter selbstverständlich kraft seiner Verpflichtung zur Unparteilichkeit und seiner Fähigkeiten, die er durch seine Ausbildung erworben hat, in der Lage ist, sich von sämtlichen VorEindrücken frei zu machen.702 Jedoch wurde anhand der psychologischen Phänomene dargelegt, dass diese Annahme nicht zutreffend ist. Unterlegt wird sie noch mit dem Ausnahmecharakter der Ausschlussgründe der Vorbefassung, insbesondere des § 23 StPO: Durch die Formulierung der eng umgrenzten Ausschlussgründe schließe das Gesetz aus, dass darüber hinausgehende Erscheinungsformen richterlicher Vorbefassung, wie beispielsweise die Bewirkung von Entscheidungen im Ermittlungsverfahren, die mit der Erlangung von Aktenkenntnis einhergeht, zur Voreingenommenheit des Richters führen.703 Darin besteht jedoch eine Hürde für eine kritische Auseinandersetzung der Richter mit der „eigenen“ Befangenheit.704 Obwohl die Rechtsprechung die Annahme einer grundsätzlichen Gefahr für die richterliche Unparteilichkeit durch Vorbefassung nicht teilt, sieht sie doch in manchen Fällen eine Besorgnis der Befangenheit aufgrund von Vorbefassung als gerechtfertigt an.705 Selbst in derartigen Entscheidungen werden die Richter jedoch nicht müde zu wiederholen, dass zwar die Besorgnis der Befangenheit bei verständiger Sicht bejaht werden müsse, dass aber selbstverständlich kein Zweifel an der tatsächlichen Unbefangenheit der Kollegen bestehe.706 Gerechtfertigte Besorgnis der Befangenheit kann jedoch nur in Konstellationen angenommen werden, in denen eine tatsächliche Befangenheit grundsätzlich vorstellbar ist. Zwar könnte diese Aussage zumindest eine leichte Tendenz zur grundsätzlichen Bejahung von Befangenheit durch Vorbefassung aufzeigen,707 vor allem aber ist sie schlicht widersprüchlich und folgt dem Prinzip, dass „nicht sein kann, was nicht sein darf“708. Sei diese Einstellung der Solidarität unter Kollegen geschuldet,709 der Absicht, das eigene Ansehen sowie das der Richterschaft aufrecht zu erhalten,710 oder der Befürchtung, selbst in einem Ablehnungsverfahren von einem Kollegen „abgestraft“ zu werden, fördern solche Annahmen der Richter hinsichtlich der eigenen Unpartei701

Vgl. oben B. (S. 23 ff.). BVerfGE 30, 149 (153 f.); BVerfG NJW 1971, 1029 (1030); RGSt 59, 409 f.; 60, 43 (47); 61, 67 (68 f.); 65, 40 (43); BGHSt 21, 334 (341); 24, 336 (337); BGH NJW 1969, 703 (704); 1968, 710 (711). 703 So BGH NJW 1956, 1246; 1960, 2106 (2109); Schorn, GA 1963, 257 (268). 704 So auch M. Ernst, Die Ablehnung des Richters, 1973, S. 122. 705 Vgl. BGHSt 24, 336 (337 ff.). 706 BGHSt 24, 336 (338); vgl. hierzu auch Ignor, ZIS 2012, 228. 707 So Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 44. 708 Morgenstern, Christian, Die unmögliche Tatsache, in: Alle Galgenlieder, 1981, S. 164. 709 Vgl. Bendix, Zur Urteilstätigkeit des Berufsrichters, 1968, S. 96 f. 710 Vgl. Bendix, Zur Urteilstätigkeit des Berufsrichters, 1968, S. 97 f., 138; M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 122 f. 702

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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lichkeit den Umgang mit den Gefahren der Parteilichkeit nicht. Vielmehr setzen sich Richter mit Entscheidungen, wie den oben genannten, zu ihren eigenen Aussagen in Widerspruch und noch dazu zu den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung nach nationalem Recht und ihre Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Zu untersuchen sind damit die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung des Richters daraufhin, ob bereits durch die Vorbefassung als solche eine Besorgnis der Befangenheit des Richters gerechtfertigt erscheint, so dass dieser – wenn er nicht schon kraft Gesetzes von der weiteren Ausübung des Richteramtes in der Sache ausgeschlossen ist – wegen dieser Befangenheitsbesorgnis abgelehnt werden kann. Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass bestimmte Arten der Vorbefassung zur tatsächlichen Befangenheit des Richters führen können. Denn nur, wenn eine Befangenheit grundsätzlich denkbar erscheint, kann die Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt sein. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass ein Richter in einem konkreten Fall tatsächlich befangen sein muss; untersucht wird vielmehr die grundsätzliche Möglichkeit der Befangenheit. Als grobe Kategorisierung lassen sich zunächst die rechtliche von der tatsächlichen Vorbefassung sowie innerhalb Letzterer die Vorbefassung des Richters in nichtrichterlicher Funktion von derjenigen in richterlicher Funktion unterscheiden.711

1. Vorbefassung rechtlicher Art Vorbefassung rechtlicher Art liegt vor, wenn sich der Richter bereits früher mit den rechtlichen Fragen beschäftigt hat, die in dem Verfahren auftreten.712 Sie umfasst beispielsweise den Fall, dass ein Richter, der ein Verfahren wegen Untreue führt, sich bereits zuvor mit Rechtsfragen der Untreue auseinandergesetzt hat oder Strafverfahren wegen Untreue geleitet hat. Die Problematik einer solchen Vorbefassung besteht darin, dass die Wahrnehmung und Meinungsbildung des Richters in eine bestimmte Richtung gelenkt sein kann, bevor er selbst den Eindruck hat, sich bereits

711

Riedel schließt demgegenüber die vorangegangene rechtliche Befassung aus dem Begriff der Vorbefassung aus und erfasst nur den Bereich der tatsächlichen vorangegangenen Befassung als Vorbefassung, vgl. Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 152; ein noch engerer Begriff der Vorbefassung findet sich bei Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1987, S. 26. 712 Vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 95.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

in irgendeine Richtung zu entscheiden.713 Auch kann das Problem hinzutreten, dass der Richter bei seiner Entscheidung von seiner bisherigen Meinung zu einer Rechtsfrage abweichen müsste, die er unter Umständen bereits im Kollegenkreis offengelegt oder publiziert hat.714 a) Einschätzung nach nationalem Recht Diese Art der rechtlichen Vorbefassung kann dennoch in der Regel nicht zu einer Befangenheit führen.715 Sie ist vielmehr für die richterliche Tätigkeit unerlässlich.716 Ein Richter könnte die ihm zugewiesenen Verfahren nicht in einer vertretbaren Zeitspanne abschließen, wenn jedes Rechtsproblem für ihn neu wäre.717 Problematisch kann die rechtliche Vorbefassung jedoch dann sein, wenn sich der Richter durch die Vorbefassung in seiner rechtlichen Ansicht zu weitgehend festgelegt hat: Dies ist nicht bereits dann der Fall, wenn der Richter zuvor schon einmal über eine gleichgelagerte Konstellation zu entscheiden hatte oder eine bestimmte Rechtsansicht öffentlich geäußert oder publiziert hat, auch wenn diese in einem konkreten Verfahren relevant wird.718 Er hat sich dann nur vorläufig festgelegt.719 Wirkt der Richter jedoch durch die Vorbefassung endgültig auf eine bestimmte Rechtsansicht festgelegt720 und scheint er sich jeglicher weiteren Argumentation zu verschließen, so kann die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit begründet

713

Vgl. auch Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 153 ff. BVerfGE 4, 143; BGH LM Nr. 6 zu § 24 StPO; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 134 f.; Sarstedt, JZ 1966, 314 (315); Schorn, GA 1963, 161 (162); Schuler, NJW 1956, 857; Teplitzky, JuS 1969, 318 (322); vgl. auch M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 242 f. 715 So daher die ganz h.M., vgl. BVerfGE 1, 66 (67 ff.); RGSt 5, 437; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 95; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 167; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 122; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 232; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 114; Zwiehoff, Der Befangenheitsantrag im Strafverfahren, 2. Aufl. 2013, Rdn. 198; Sarstedt, JZ 1966, 314 (315). 716 Sarstedt, JZ 1966, 314 (315); ihm folgend Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 168; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 122; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 232. 717 So auch Sarstedt, JZ 1966, 314 (315). 718 BVerfGE 4, 143; BGH LM Nr. 6 zu § 24 StPO; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 134 f.; Sarstedt, JZ 1966, 314 (315); Schorn, GA 1963, 161 (162); Schuler, NJW 1956, 857; Teplitzky, JuS 1969, 318 (322); vgl. auch M. Ernst, Die Ablehnung eines Richters, 1973, S. 242 f. 719 Vgl. zum Begriff der vorläufigen Festlegung Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 117. 720 Vgl. zum Begriff der endgültigen Festlegung ebenfalls Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 117, der im Ergebnis jedoch feststellt, dass die „Übergänge“ dieser begrifflichen Unterscheidung „fließend“ verlaufen, S. 118. 714

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

143

sein.721 Das Problem liegt dann allerdings nicht in der Vorbefassung, sondern in der vorzeitigen Festlegung auch für den konkreten Fall.722 Eine solche endgültige Festlegung kann unabhängig davon erfolgen, ob sich der Richter mit der entsprechenden Rechtsfrage bereits befasst hat. Die rechtliche Vorbefassung kann jedenfalls als solche nicht die Befangenheit eines Richters begründen, so dass auch eine auf rechtliche Vorbefassung gestützte Besorgnis der Befangenheit nicht gerechtfertigt sein kann. b) Einschätzung durch den EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Aus der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ergeben sich hierzu keine Abweichungen: Es lässt sich kein Fall auffinden, in dem der EGMR sich mit der Vorbefassung rechtlicher Art auseinandergesetzt, geschweige denn wegen dieser eine Verletzung der richterlichen Unparteilichkeit angenommen hätte. Eine Befassung mit diesem Feld findet angedeutet nur in Verfahren statt, in denen die richterliche Unparteilichkeit aufgrund eines Verhaltens des Richters bezweifelt wird, aus dem sich dessen endgültige Festlegung ergibt.723 Wie im nationalen Recht resultieren die Zweifel an der richterlichen Unparteilichkeit dann allerdings aus diesem Verhalten bzw. der vorzeitigen Festlegung und nicht aus der Vorbefassung als solcher. Auch am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK stellt die rechtliche Vorbefassung des Richters mithin keine Gefahr für dessen Unparteilichkeit dar.

721 BVerfG NJW 1996, 3333; Wassermann, in: Wassermann, AK-StPO, § 24 Rdn. 28 f.; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 95; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 169; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 124; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 232 f.; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 115; Sarstedt, JZ 1966, 314 (315); Schorn, GA 1963, 161 (162); Schuler, NJW 1956, 857; Teplitzky, JuS 1969, 318 (322). 722 So auch Sarstedt, JZ 1966, 314 (315). Insbesondere ist bei dieser problematisch, dass und wie sie sich nach außen hin äußern muss, da die „innere“ Festlegung des Richters als solche nicht erkennbar ist, vgl. Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 170 ff. Zur öffentlich geäußerten Rechtsansicht im Hinblick auf die vorzeitige Festlegung vgl. auch Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 233 ff. 723 Vgl. hierzu EGMR, Urt. v. 28. 11. 2002, Lavents ./. Lettland, Nr. 58442/00; Urt. v. 27. 02. 2007, Nesˇˇták ./. Slowakische Republik, Nr. 65559/01; Urt. v. 10. 12. 2009, Mironenko und Martenko ./. Ukraine, Nr. 4785/02; Urt. v. 08. 04. 2010, Feldman ./. Ukraine, Nr. 76556/01 und 38779/04 sowie außerhalb von Strafverfahren EGMR, Urt. v. 16. 09. 1999, Buscemi ./. Italien, Nr. 29569/95; Urt. v. 05. 02. 2009, Olujic´ ./. Kroatien, Nr. 22330/05.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

2. Vorbefassung tatsächlicher Art Deutlich problematischer im Hinblick auf eine mögliche Befangenheit des Richters ist die Vorbefassung tatsächlicher Art, das heißt die vorangegangene Befassung des Richters mit dem Verfahrensgegenstand und gegebenenfalls auch den Verfahrensbeteiligten. Wenn der Richter sich bereits zuvor mit der Sache auseinandersetzen musste, besteht in besonders großem Ausmaß die Gefahr, dass Wahrnehmungen, Wertungen und Entscheidungen des Richters durch die vorangegangene Befassung gelenkt werden.724 Innerhalb der Fallgestaltungen tatsächlicher Vorbefassung ist wiederum zwischen der Vorbefassung des Richters in nichtrichterlicher Funktion und derjenigen in richterlicher Funktion zu unterscheiden. a) Nichtrichterliche Vorbefassung Der Bereich der nichtrichterlichen Vorbefassung erfasst einerseits Fälle der privaten, zufälligen Kenntniserlangung,725 andererseits Fälle der Vorbefassung in anderer als richterlicher amtlicher oder beruflicher Funktion.726 aa) Einschätzung nach nationalem Recht Im Bereich der privaten, zufälligen Kenntniserlangung sind vielfältige Konstellationen denkbar: Der Richter hört beispielsweise aus den Medien oder seinem Bekanntenkreis von einer Straftat, lernt das Tatopfer auf einer privaten Feier kennen oder hat zufällig das Tatopfer am Tatort gesehen,727 bevor er das Verfahren gegen den mutmaßlichen Täter leiten muss. Teilweise wird in diesem Zusammenhang zwischen allgemeinen Vorbelastungen (z. B. Verfolgung der Mediendiskussion über die Tat) und individueller, privater Fallberührung (z. B. zufällige Anwesenheit des Richters am Tatort) unterschieden.728 Problematisch ist in diesen Fällen wie in allen Konstellationen tatsächlicher Vorbefassung – hier jedoch in sehr unterschiedlicher Intensität –, dass der Richter sich möglicherweise durch seine vorangegangenen Wahrnehmungen leiten lässt. Insofern ist die Differenzierung zwischen allgemeinen Vorbelastungen und individueller Fallberührung berechtigt: Im Fall allgemeiner Vorbelastungen dürfte die Gefahr, dass die Vorbefassung den Richter beeinflusst, grundsätzlich deutlich geringer sein als bei individueller Fallberührung.729

724 725 726 727 728 729

S.o. E. I. 1. (S. 130 ff.). Vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 89. Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 11. Vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 89. Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 88 f. Vgl. auch Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 88 f.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

145

Allerdings ist auch hinsichtlich letzterer Konstellationen weiter zu unterscheiden: Soweit die Vorbefassung dem Ausschlussgrund des § 22 Nr. 5 StPO nahekommt, der Richter also Kenntnisse solcher Art über das Geschehene besitzt, dass er sogar als Zeuge aussagen könnte, ist die Gefahr seiner Befangenheit sehr groß. In diesem Fall ist die vorgetragene Besorgnis der Befangenheit als gerechtfertigt anzusehen.730 Sieht der Richter aber beispielsweise den Tatort nur im Vorbeifahren, ohne irgendwelche Details erkennen zu können, ist diese Gefahr hingegen sehr gering, und ein nur auf diese Vorbefassung gestütztes Ablehnungsgesuch nicht begründet.731 Zwischen diesen beiden Polen muss die potentielle Gefahr für die richterliche Unparteilichkeit abgewogen werden.732 In praktischer Hinsicht stellt sich für Ablehnungsgesuche, die auf die private Vorbefassung des Richters gestützt werden sollen, zudem die Schwierigkeit, dass der Angeklagte überhaupt erst einmal von der privaten Vorbefassung des Richters erfahren und deren Relevanz erkennen müsste. Dementsprechend findet sich zu diesem Problemfeld auch keine aussagekräftige nationale Rechtsprechung. Anders ist dies in den Fällen der Vorbefassung des Richters in anderer als richterlicher amtlicher oder beruflicher Funktion (sogenannte funktionale Vorbefassung).733 Hier ist zumindest zum Teil die vorangegangene Tätigkeit des Richters durch Ermittlungs- oder sonstige Verfahrensakten erkennbar. Da die Fälle, die für diese Kategorie hauptsächlich in Betracht kommen, schon von den Ausschlussgründen des § 22 Nr. 4 und 5 StPO umfasst werden, betrifft sie letztlich nur noch vereinzelte Konstellationen, wie beispielsweise die Vorbefassung des Richters als Parteivertreter in einem zivilrechtlichen Verfahren, das sich mit derselben Sache befasste,734 oder die vorangegangene Tätigkeit als Sachverständiger, ohne dass es zur Vernehmung im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO gekommen ist.735 Auch in diesen Fallgestaltungen sind Ausmaß und Intensität der bereits erfolgten Wahrnehmungen unterschiedlich hoch und mit ihnen auch die Gefahr der Parteilichkeit des Richters.736 Hinzu tritt der Aspekt der Funktionsvermischung, d. h. des Auftretens des Richters im Hinblick auf dieselbe Sache in unterschiedlichen Funktionen:737 Die Auseinan730 So auch Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 150 f.; im Ergebnis auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 89; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 89. 731 So im Ergebnis auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 89; ihm folgend auch Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 89 f. 732 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 89; ihm folgend auch Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 89 f. 733 Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 22 Rdn. 11. 734 Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1972, 750 (752); vgl. auch Alexander, in: Radtke/ Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 20; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 114 f.; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 159. 735 Vgl. Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 160. 736 Vgl. Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 159 f. 737 So insbesondere Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 159 f.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

dersetzung mit dem Verfahrensgegenstand aus einer anderen funktionellen Perspektive beeinflusst die weitere Wahrnehmung unter Umständen noch stärker als eine private Vorbefassung und erhöht auf diese Weise potentiell die Gefahr der Befangenheit.738 Zudem ist die Besorgnis der Befangenheit des Angeklagten, der seinem Richter in Bezug auf den Verfahrensgegenstand bereits einmal in einer anderen (nicht unparteilichen!) Funktion begegnet ist, häufig als gerechtfertigt anzusehen. Insofern gelangen Rechtsprechung und Literatur in derartigen Konstellationen in der Regel zur Begründetheit der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit.739 Nichtrichterliche Vorbefassung tatsächlicher Art kann somit nach nationalem Recht abhängig von ihrem Ausmaß und ihrer Intensität zu einer gerechtfertigten Ablehnung des Richters führen. War der Richter zuvor in anderer amtlicher oder beruflicher Funktion mit der Sache befasst, dürfte die darauf gestützte Befangenheitsbesorgnis regelmäßig als gerechtfertigt anzusehen sein. bb) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK In der Rechtsprechung des EGMR findet sich keine Auseinandersetzung mit möglicher richterlicher Parteilichkeit aufgrund von privater Kenntniserlangung des Richters. Insoweit lassen sich in dieser Hinsicht keine Vorgaben für das nationale Recht entnehmen. Konstellationen anderer als richterlicher amtlicher bzw. beruflicher Vorbefassung hingegen wurden auch vor dem EGMR diskutiert: (1) Piersack ./. Belgien Im Verfahren Piersack ./. Belgien rügte der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aufgrund der Tatsache, dass der Präsident des Schwurgerichts, das ihn verurteilt hatte, zuvor Erster Stellvertreter des gegen ihn in der Sache ermittelnden Staatsanwalts war, mithin zu der gegen ihn ermittelnden Staatsanwaltschaft gehörte.740 Darüber hinaus hatte dieser als Staatsanwalt Schreiben im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer abgezeichnet und weitergeleitet; weiterhin fand sich auf einer Mitteilung eines Untersuchungsrichters in der Sache der Vermerk „Herrn P. Van de Walle741 zur Kenntnis“.742 738

Dies gilt bereits für den Ausschlussgrund des § 22 Nr. 4 StPO, vgl. oben D. I. 1. a) cc) (S. 69). 739 Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1972, 750 (752); Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 116; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 159 f. 740 EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 9692/79, Ziff. 15. 741 Dies war der Präsident des Schwurgerichts. 742 EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 9692/79, Ziff. 10 f.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Der EGMR wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass die bloße Tätigkeit als Staatsanwalt bei der ermittelnden Staatsanwaltschaft ohne Befassung mit der konkreten Sache nicht zu Zweifeln an der Unparteilichkeit des Richters führen könne, da Wechsel zwischen der Tätigkeit als Staatsanwalt und derjenigen als Richter in vielen Vertragsstaaten üblich seien.743 Allerdings seien Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters gerechtfertigt, wenn dieser zuvor bei der Staatsanwaltschaft im Rahmen der internen Organisation konkret eine Stelle inne hatte, innerhalb deren Zuständigkeit er mit den Ermittlungen in der Sache betraut werden konnte, über die er anschließend als Richter zu entscheiden hatte.744 Da dies – wie oben geschildert – hier gerade der Fall war,745 bejahte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK.746 Die Tätigkeit als Staatsanwalt und Richter in derselben Sache ist damit nicht mit den Anforderungen an die Unparteilichkeit des Richters vereinbar. (2) Wettstein ./. Schweiz, Puolitaival und Pirttiaho ./. Finnland, Mezˇnaric´ ./. Kroatien Auch außerhalb von Strafverfahren gelangt der EGMR zu ähnlichen Einschätzungen, deren grundlegende Aussagen für die Beurteilung entsprechend gelagerter Konstellationen in Strafverfahren herangezogen werden können: In dem Verfahren Wettstein ./. Schweiz rügte der Beschwerdeführer, dass er sich in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren einem Richter ausgesetzt sah, der zugleich in anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren als Parteivertreter seiner Gegenpartei auftrat.747 Obwohl es sich nicht um dasselbe Verfahren handelte, bejahte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, da sich beide Verfahren zeitlich überschnitten.748 Aufgrund der Ausübung unterschiedlicher Funktionen durch den Richter waren danach Befürchtungen des Beschwerdeführers, der Richter werde ihn weiterhin als gegnerische Partei wahrnehmen, nachvollziehbar und die Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters gerechtfertigt.749 Im Verfahren Puolitaival und Pirttiaho ./. Finnland hingegen sah der EGMR in der vorangegangenen Tätigkeit des Berufungsrichters in einem anderen Verfahren als Vertreter der Gegenpartei des Beschwerdeführers keine Verletzung des Rechts auf einen unparteilichen Richter.750 Die Vorbefassung des Richters betraf hier nicht 743

EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 9692/79, Ziff. 30 (b). EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 9692/79, Ziff. 30 (d). 745 Vgl. hierzu im Einzelnen EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 9692/79, Ziff. 31. 746 EGMR, Urt. v. 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien, Nr. 9692/79, Ziff. 32. 747 EGMR, Urt. v. 21. 12. 2000, Wettstein ./. Schweiz, Nr. 33958/96, Ziff. 16, 34 ff. 748 EGMR, Urt. v. 21. 12. 2000, Wettstein ./. Schweiz, Nr. 33958/96, Ziff. 45 ff. 749 EGMR, Urt. v. 21. 12. 2000, Wettstein ./. Schweiz, Nr. 33958/96, Ziff. 47 ff. 750 EGMR, Urt. v. 23. 11. 2004, Puolitaival und Pirttiaho ./. Finnland, Nr. 54857/00, Ziff. 46 ff. 744

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

dieselbe Sache und zudem war die Überschneidung zwischen den ausgeübten Funktionen in den beiden Verfahren sowohl zeitlich als auch inhaltlich sehr gering.751 Umgekehrt bejahte der EGMR im Verfahren Mezˇnaric´ ./. Kroatien wiederum eine Verletzung des Rechts auf einen unparteilichen Richter.752 Hier hatte einer der Richter des Verfassungsgerichts, die über eine Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu entscheiden hatten, dessen gegnerische Partei in dem zugrunde liegenden zivilrechtlichen Verfahren in erster Instanz anfänglich vertreten, bevor er die Vertretung an seine Tochter übergeben hatte.753 Da die Funktionsvermischung der Tätigkeiten des Richters zuerst als Parteivertreter und später als Richter sich auf dieselbe Sache bezog, hielt der EGMR diese Konstellation für geeignet, berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu wecken.754 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auch nach der Rechtsprechung des EGMR die Eindrücke, die bei vorangegangener nichtrichterlicher Befassung entstanden sind, für die weitere Wahrnehmung und Urteilsbildung erheblich sein und bei intensiver Vorbefassung die Unparteilichkeit des Richters gefährden können. Deshalb hält der EGMR Fälle der Funktionsvermischung innerhalb einer Sache oder innerhalb unterschiedlicher Sachen, die sich zeitlich erheblich überschneiden, mit den Anforderungen an die Unparteilichkeit des Richters für nicht vereinbar. Fehlt hingegen nicht nur der inhaltliche Zusammenhang (unterschiedliche Sachen), sondern auch der zeitliche (keine erhebliche Überschneidung), so ist keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK anzunehmen. cc) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in den Fällen nichtrichterlicher Vorbefassung Das nationale Recht steht mit der Vorgabe des EGMR aus dem Verfahren Piersack ./. Belgien im Einklang: Der als Staatsanwalt vorbefasste Richter wäre im Fall eines nationalen Strafverfahrens bereits nach § 22 Nr. 4 StPO von der weiteren Ausübung seines Amtes in diesem Verfahren ausgeschlossen.755 Selbst wenn man das Abzeichnen und Weiterleiten von Schreiben sowie den Vermerk auf der Mitteilung des Untersuchungsrichters nicht als hinreichende vorangegangene Tätigkeit im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO ansehen wollte, bestünden jedenfalls an der gerechtfertigten Befangenheitsbesorgnis keine Zweifel. Auch soweit man die Fälle der Funktionsvermischung von Richter und Parteivertreter auf das Strafverfahren überträgt, werden diese nach dem nationalen 751 EGMR, Urt. v. 23. 11. 2004, Puolitaival und Pirttiaho ./. Finnland, Nr. 54857/00, Ziff. 46 ff. 752 EGMR, Urt. v. 15. 07. 2005, Mezˇnaric´ ./. Kroatien, Nr. 71615/01, Ziff. 33 ff. 753 EGMR, Urt. v. 15. 07. 2005, Mezˇnaric´ ./. Kroatien, Nr. 71615/01, Ziff. 9 ff., 24 f. 754 EGMR, Urt. v. 15. 07. 2005, Mezˇnaric´ ./. Kroatien, Nr. 71615/01, Ziff. 36 f. 755 Vgl. oben D. I. 1. a) cc) (S. 69).

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Strafverfahrensrecht angemessen gelöst. Der Richter, der zuvor als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger in derselben Sache tätig war, ist ebenfalls nach § 22 Nr. 4 StPO von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen. In Konstellationen einer Parteivertretung durch den Richter in einem anderen Verfahren steht dem Angeklagten die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit offen.756 Die vom EGMR in dieser Hinsicht zwar nicht für Strafverfahren entwickelten, jedoch für jede Verfahrensart grundlegenden Grundsätze, gelten also auch im nationalen Strafverfahrensrecht. Die Anforderungen des Strafverfahrensrechts an die Unparteilichkeit des Richters in Fällen nichtrichterlicher Vorbefassung genügen damit den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. b) Richterliche Vorbefassung Wie oben bereits dargelegt, führt auch die vorangegangene Befassung mit derselben Sache als Richter zur Bildung von Vor-Urteilen und beeinflusst die weitere Wahrnehmung.757 Grundsätzlich kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Tatsache, dass die zurückliegende Befassung gerade in richterlicher Funktion erfolgte, zur Folge hat, dass die oben beschriebenen psychologischen Phänomene in geringerem Ausmaß einsetzen.758 Dies bedeutet zunächst grundsätzlich, dass richterliche Vorbefassung eine weitere unbefangene Wahrnehmung, Wertung und Entscheidung ebenso gefährdet wie die nichtrichterliche Vorbefassung.759 Demgegenüber führt nach der Rechtsprechung richterliche Vortätigkeit grundsätzlich nicht zur Befangenheit des Richters, sondern ist „systemimmanent und strukturbedingt.“760 Diese These scheint den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie zu widersprechen; ihre Richtigkeit wird im Folgenden an den konkreten Einzelfällen überprüft. Zu diesem Zweck lassen sich unterschiedliche Kategorien richterlicher Vorbefassung bilden: Einerseits die Vorbefassung des Richters in einer anderen Instanz desselben Verfahrens oder in einem anderen Verfahren sowie andererseits die Vorbefassung des Richters in unterschiedlichen Verfahrensabschnitten derselben, insbesondere der ersten Instanz.

756

Vgl. oben E. II. 2. a) aa) (S. 145). Vgl. oben E. I. 1. (S. 130 ff.). 758 Vgl. oben E. I. 1., 2. (S. 130 ff.). 759 Vgl. oben E. I. 1. (S. 130 ff.). 760 Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 23; vgl. BVerfGE 30, 149 (154 f.); BGHSt 21, 142 (144 f.); BGH NStZ 1994, 447. 757

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

aa) Vorbefassung in einer anderen Instanz oder einem anderen Verfahren Zunächst werden die Konstellationen der Vorbefassung in einer anderen Instanz oder in einem anderen Verfahren untersucht. Dabei liegt der Fokus dieses Abschnitts nicht auf der vollständigen Erörterung möglicher Konstellationen, sondern auf der Überprüfung derjenigen Konstellationen, die besonders problematisch erscheinen. Die Differenzierung danach, ob die Vorbefassung in derselben oder in anderer Instanz oder gar in einem anderen Verfahren erfolgte, ist darin begründet, dass es einen ausschlaggebenden Unterschied macht, ob die Vorbefassung in einer instanzbeendenden Entscheidung liegt oder nicht:761 Im Gegensatz zu erforderlichen Zwischenentscheidungen im Laufe eines Verfahrensabschnitts, denen regelmäßig eine nur summarische Prüfung und vorläufige Einschätzung vorausgehen soll, stellt die instanzbeendende Entscheidung eine abschließende Entscheidung des Richters dar, die nach umfassender Prüfung erfolgt.762 Dem Richter ist bewusst, dass er gerade diese abschließende Entscheidung den Verfahrensbeteiligten gegenüber verantworten muss, was im Ergebnis dazu führt, dass er sich mit einer solchen Entscheidung stärker identifiziert.763 Die intensive Befassung mit der Sache, die auch aus Sicht des Richters zu einer abschließenden Einschätzung führt, erzeugt dabei besonders nachhaltige Vor-Eindrücke für den Fall, dass der Richter sich erneut mit der Sache befassen muss und dabei selbstverständlich nur aus dem Inbegriff der neuen Hauptverhandlung schöpfen sollte. Daher liegt bei derartigen Entscheidungen der Gedanke besonders nahe, dass den Verfahrensbeteiligten eine neue Prüfung durch einen neuen Richter gewährt werden sollte.764 Im Einzelnen werden für die angesprochenen Konstellationen der Fall der Wiederbefassung nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht (§ 354 Abs. 2 StPO), der Vorbefassung durch Mitwirkung an einem Verfahren einer anderen Verfahrensart sowie die Vorbefassung durch Mitwirkung an einem vorangegangenen Strafverfahren untersucht. (1) Wiederbefassung nach Zurückverweisung, § 354 Abs. 2 StPO Im Fall der Zurückverweisung durch das Revisionsgericht nach § 354 Abs. 2 StPO kommt es im Regelfall nicht zu einer Wiederbefassung des Richters: Die Vorschrift normiert die Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichts, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung. Es ist jedoch möglich, dass ein Richter in der Zwischenzeit die Abteilung, die Kammer oder das Gericht gewechselt 761 762 763 764

Vgl. auch Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1974, S. 187; ders., NJW 1974, 1545. Stemmler, NJW 1974, 1545. Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1974, S. 187; ders., NJW 1974, 1545. Vgl. auch LG Würzburg NJW 1973, 1932 (1933); Stemmler, NJW 1974, 1545.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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hat und nunmehr der Abteilung, Kammer oder dem Gericht angehört, an das zurückverwiesen wurde: In diesem Fall stünde der Angeklagte im neuen Verfahren demselben Richter gegenüber, der auch schon das vorangegangene Verfahren geführt hat und dessen Entscheidung durch das Revisionsgericht aufgehoben wurde.765 Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber bei Erlass des § 354 Abs. 2 StPO jedoch nicht etwa nicht bedacht und daher nicht geregelt, so dass eine ausfüllungsbedürftige Lücke vorläge; vielmehr wurde eine Regelung erwogen, die in diesem Fall die Möglichkeit der Richteridentität ausschließt, diese hat sich letztlich aber nicht durchgesetzt.766 Mit der konkreten Regelung des § 354 Abs. 2 StPO bezweckte der Gesetzgeber zwar die Vermeidung der Richteridentität im Regelfall, ließ aber deren Eintritt im Ausnahmefall zu.767 Diese Richteridentität ist jedoch problematisch, da der Richter sich mit einer Sache befassen soll, die er schon einmal umfassend geprüft, durchdacht und entschieden hat.768 Soweit sich keine wesentlichen Abweichungen in der Beurteilungsgrundlage ergeben, wird der Richter sich nur schwer von den Vor-Eindrücken lösen können, anhand derer er sich schon einmal ein Urteil gebildet hat, das für ihn zu diesem Zeitpunkt abschließend war; daher ist an der Fähigkeit des Richters zur unvoreingenommenen Wahrnehmung und Würdigung durchaus zu zweifeln.769 Hinzu kommen zwei weitere Aspekte: Der Richter hat zuvor in aller Regel eine Entscheidung getroffen, die ihm richtig erschien.770 Wird er nun durch die Wiederbefassung nach Zurückverweisung mit der Tatsache konfrontiert, dass das Urteil der Revision nicht standgehalten hat, so könnte er bestrebt sein, erneut – wenn auch nicht mit derselben, zurückgewiesenen Begründung – gleich zu entscheiden, um etwaige eigene Fehler zu kaschieren.771 Entscheidet er auch ohne den Fehler im Ergebnis gleich, war sein Fehler immerhin nicht von großer Tragweite. Soweit der Richter bei der Entscheidung davon überzeugt war, dass sie richtig ist, liegt es auch nahe, wieder zu demselben Ergebnis zu gelangen. Weiterhin bereitet die Wiederbefassung dem Richter zusätzliche Arbeit: Er muss sich erneut mit einer Sache auseinandersetzen, die er bereits abgeschlossen und als erledigt weggelegt hatte.772 Auch dies kann die Bereitschaft mindern, an das neue Verfahren unbefangen heranzugehen. Eher wird der Richter die Akte zügig wieder 765

Vgl. auch Dahs, NJW 1966, 1691 (1692). Vgl. BTProt. IV 6472 A. 767 Vgl. Kanka, BTProt. IV 6470 A.; Bucher, BTProt. IV 6471 C. 768 So auch Dahs, NJW 1966, 1691 (1694); vgl. auch Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 102. 769 So auch Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 30; Dahs, NJW 1966, 1691 (1694); Teplitzky, NJW 1962, 2044; vgl. auch Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 154; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 102. 770 So auch Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 102. 771 Vgl. hierzu oben B. (S. 25). Vgl. auch Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 174 f. 772 So auch Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 102. 766

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

„vom Tisch haben wollen“, was eine neue, unbefangene Betrachtung des Falls jedenfalls erschweren kann. Insofern ist in solchen Konstellationen von der Möglichkeit richterlicher Befangenheit auszugehen. Fraglich ist daher, ob das Ausschluss- und Ablehnungsrecht in diesen Fallgestaltungen Abhilfe schafft. (a) Einschätzung nach nationalem Recht Die Ausschlussgründe des § 23 StPO erstrecken sich de lege lata nicht auf die Konstellation der Wiederbefassung nach Zurückverweisung.773 Auch ist in § 354 Abs. 2 StPO kein Ausschlussgrund zu sehen, da die Vorschrift lediglich ein anderes Gericht und nicht ein „anders besetztes Gericht“774 und damit einen anderen Richter vorschreibt.775 Die Wiederbefassung nach Zurückverweisung führt damit nicht zum Ausschluss des Richters. Zeigt sich in derartigen Konstellationen eine vorzeitige endgültige Festlegung,776 etwa durch eine entsprechende Äußerung des Richters, könnte dieser möglicherweise wegen dieser Festlegung abgelehnt werden. Jedoch bewegt sich die Rechtsprechung aus einer Richtung, nach der selbst dies fragwürdig erschien: So sollte ehemals nach Ansicht des Reichsgerichts selbst die Aussage des Richters, bei zu erwartendem gleichen Ergebnis der neuen Beweisaufnahme werde er ebenso wie bei dem vorangegangenen Verfahren entscheiden, nicht die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, da sie nur die menschlich berechtigte Vorstellung einer gleichen Beweisaufnahme wiedergebe.777 Dies erscheint sehr zweifelhaft, denn vom Standpunkt eines Angeklagten aus liegt die Besorgnis der Befangenheit ohnehin schon aus den oben genannten Aspekten nahe und wird bei verständiger Würdigung durch eine derartige Aussage noch zusätzlich verstärkt. Weil jedoch ohnedies nicht darauf vertraut werden kann, dass der Richter sich im Einzelfall derart äußert, dass eine endgültige Festlegung erkennbar wird, ist eine Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit schon aufgrund der Vorbefassung im vorangegangenen Verfahren zu erwägen. 773

Vgl. oben D. I. 1. b) aa) (S. 72). Vgl. auch BVerfGE 30, 149 (154 f.); OLG Celle NJW 1966, 168. Gleichwohl wird die Ergänzung um einen entsprechenden Ausschlussgrund gefordert, vgl. Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 197, die diese Forderung gerade aufgrund des Vergleiches zur Wiederbefassung im Wiederaufnahmeverfahren (vor Einführung des heutigen § 23 Abs. 2 StPO) aufstellt. Ebenso für die Regelung eines Ausschlussgrundes Waldmann, ZRP 2005, 220. 774 So Zeitz, DRiZ 1965, 393 (394). 775 BVerfG DRiZ 1968, 141; BGH NJW 1967, 62; Franke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 354 Rdn. 68; Gericke, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 354 Rdn. 30; Maiwald, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 3, § 354 Rdn. 19; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 354 Rdn. 39; Pfeiffer, StPO, § 354 Rdn. 11; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 30 f.; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 354 Rdn. 31; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 106 f.; Dahs, NJW 1966, 1691 (1693). 776 Vgl. oben E. II. 1. (S. 142). 777 RGSt 5, 437 (439).

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Diese wird jedoch von der Rechtsprechung verneint:778 Zwar habe der Gesetzgeber grundsätzlich mit der Regelung des § 354 Abs. 2 StPO angestrebt, dass die zurückverwiesene Sache in der Regel von anderen Richtern verhandelt und entschieden werden solle,779 dies jedoch nicht als zwingende Vorgabe geregelt.780 Dementsprechend habe der Gesetzgeber beispielsweise den Fall der Wiederaufnahme, nicht jedoch denjenigen der Zurückverweisung in den Katalog der Ausschlussgründe aufgenommen.781 Daraus lasse sich schließen, dass man in letzterem Fall nicht von einer grundsätzlich anzunehmenden Befangenheitsgefahr ausgehen könne.782 Daher könne eine nur auf die Vorbefassung als solche gestützte Besorgnis der Befangenheit in diesem Fall nicht als gerechtfertigt angesehen werden.783 Solange das Urteil „wegen eines die innere Einstellung des Richters nicht berührenden Verfahrensfehlers oder wegen unrichtiger Anwendung des Strafgesetzes auf den festgestellten Sachverhalt oder […] wegen nachträglicher Änderung des vom Tatrichter angewendeten Gesetzes“784 aufgehoben werde, müsse der Angeklagte darauf vertrauen, dass der Richter nicht denselben Fehler noch einmal begehen und seine Bindung an die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts beachten werde.785 Ausnahmen bestünden nur in Fällen, in denen gemäß den Urteilsgründen die Strafzumessung von „abträglichen Werturteilen über die Person des Angeklagten oder sein Verhalten vor oder nach der Tat in rechtlich unzulässiger Weise“786 beeinflusst sein könnte.787 Hieraus wird zum Teil gefolgert, dass die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit bei Fehlern des Richters zugelassen werden soll, die sich im Bereich seines tatrichterlichen Ermessens oder Beurteilungsspielraums abspielen.788 Jedenfalls werden in diesem Zusammenhang neben der Strafzumessung die Tatsachenfeststellung und die Beweiswürdigung als Bereiche genannt, bei deren Betroffenheit 778 BGHSt 21, 142 (144); 24, 336 (337); BGH NJW 1966, 1718; 1967, 62; BGH NStZ 1991, 595; 1994, 447; OLG Celle NJW 1966, 168; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 139. 779 Vgl. hierzu Kanka, BTProt. IV 6470 A.; Bucher, BTProt. IV 6471 C. Vgl. hierzu Dahs, NJW 1966, 1691 (1692); Seibert, NJW 1968, 1317. 780 BGHSt 24, 336 (337); BGH NJW 1967, 62 (63). 781 BGHSt 21, 142 (144); 24, 336 (337); BGH NJW 1966, 1718; 1967, 62; vgl. auch Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 247. 782 BGHSt 21, 142 (144); 24, 336 (337); BGH NJW 1967, 62; OLG Celle NJW 1966, 168. 783 BGHSt 21, 142 (144 f.); 24, 336 (337); BGH NStZ 1991, 595; 1994, 447; vgl. auch Nagel, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 354 Rdn. 38. 784 BGHSt 24, 336 (337). 785 BGHSt 24, 336 (337); BGH wistra 2007, 426. 786 BGHSt 24, 336 (338). 787 BGHSt 24, 336 (338); Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 33. A.A. Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 234, der darüber hinaus die Manifestation der vorbefaßtheitsspezifischen Voreingenommenheit verlangt. 788 So recht weitgehend Arzt, JZ 1973, 33 (34), der diese Unterscheidung zugleich mangels Trennschärfe kritisiert. Vgl. auch Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 175.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

durch Fehler des Richters die Ablehnung eröffnet sein soll.789 Abseits dieser Bereiche jedoch führe die Wiederbefassung nach Zurückverweisung nicht zu einer gerechtfertigten Befangenheitsbesorgnis. Zahlreiche Stimmen befürworten hingegen die Ablehnung des Richters in derartigen Konstellationen:790 Die Besorgnis der Befangenheit sei insbesondere deswegen gerechtfertigt, weil, selbst wenn der Richter im Einzelfall in der Lage sei, das vorangegangene Verfahren und die vorangegangene Entscheidung vollständig auszublenden, der Angeklagte dies nicht erkennen könne.791 Wenn der Gesetzgeber die grundsätzliche Gefahr einer Voreingenommenheit oder zumindest ihres Anscheins nicht anerkannt hätte, hätte er keine Notwendigkeit gesehen, zumindest für den Regelfall zu bestimmen, dass die Sache vor einen anderen Richter kommt.792 Bei verständiger Würdigung aus Sicht des Angeklagten sei gerade nicht zu unterstellen, dass der Richter seine Aufgabe, das Verfahren unvoreingenommen erneut durchzuführen, pflichtgemäß wahrnehmen werde, sondern es sei vielmehr von dessen Befangenheit auszugehen.793 Daher müsse die wegen der Vorbefassung vorgebrachte Besorgnis der Befangenheit als gerechtfertigt angesehen werden.794 Insbesondere im Vergleich zu den Ausschlussgründen des § 23 Abs. 1 und Abs. 2 StPO ist nicht verständlich, warum die Wiederbefassung nach Zurückverweisung keine Gefahr der Befangenheit bergen soll, denn diese Konstellation gleicht denjenigen, die in den Ausschlussgründen erfasst sind, in starkem Maße.795 Zwar besteht zum Fall des § 23 Abs. 2 StPO ein nicht unerheblicher Unterschied in der bereits eingetretenen Rechtskraft des vorangegangenen Urteils in der Sache, die wiederaufgenommen wird. Allerdings hängt die Nachhaltigkeit und damit Unüberwindbarkeit der Vor-Eindrücke für den Richter nicht von der Rechtskraft seiner für ihn abschließenden Entscheidung ab. Zudem ist auch im Fall des Ausschlussgrundes des 789

So weniger weitgehend Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 23 Rdn. 34. Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 23; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 30; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 81 f.; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 178; Mahne, Der Befangenheitsantrag im Strafprozess, 1977, S. 25; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 109; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 8 Rdn. 10; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 176; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 103; Dahs, NJW 1966, 1691 (1694 ff.); Hanack, JZ 1973, 777 (779); Teplitzky, NJW 1962, 2044. 791 Cirener, in: Graf, StPO, § 23 Rdn. 2; Maiwald, in: Wassermann, AK-StPO, Bd. 3, § 354 Rdn. 19; Dahs, Handbuch des Strafverteidiger, 2005, Rdn. 203; ders., NJW 1966, 1691 (1695); Letzterem folgend auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 81; vgl. auch Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 103. Maßgeblich auf die Perspektive des Angeklagten verweisen allgemein auch OLG Koblenz NJW 1967, 2213 (2214); LG Würzburg NJW 1973, 1932 (1933). 792 Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 174 f.; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 174. 793 Dahs, NJW 1966, 1691 (1695 f.). 794 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 81 f.; Teplitzky, NJW 1962, 2044. 795 Vgl. auch Dahs, NJW 1966, 1691 (1694). 790

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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§ 23 Abs. 1 StPO keine Rechtskraft gegeben; zu diesem ist daher die Parallele besonders groß. Dabei spricht angesichts des bereits festgestellten Verhältnisses zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgründen796 die Tatsache, dass die Konstellation der Wiederbefassung nach Zurückverweisung nicht von den Ausschlussgründen des § 23 StPO erfasst ist, gerade nicht gegen die Möglichkeit einer Ablehnung des Richters, sondern für diese:797 Gerade aufgrund der Ähnlichkeit zu den Ausschlussgründen liegt eine gerechtfertigte Befangenheitsbesorgnis nahe. Auch die besondere Situation, dass der Gesetzgeber die Gefahr der Richteridentität gesehen, aber nicht restlos beseitigt hat, spricht zwar gegen einen Ausschluss des Richters jenseits der gesetzlichen Regelung, nicht jedoch gegen die Rechtfertigung einer Ablehnung. Die Zurückweisung der Ablehnung mit Hinweis auf das Fehlen eines entsprechenden Ausschlussgrundes verkennt vielmehr die Unterschiede zwischen dem Ausschluss und der Ablehnung des Richters.798 Entgegen der Rechtsprechung ist daher die Besorgnis der Befangenheit im Fall der Wiederbefassung nach Zurückverweisung als gerechtfertigt anzusehen.799 (b) Vergleichbare Fälle in der Rechtsprechung des EGMR Soweit ersichtlich hat sich der EGMR bisher nicht eingehend mit einem Fall der Wiederbefassung nach Zurückverweisung in einem Strafverfahren befasst. Im Verfahren Oberschlick ./. Österreich800 stellte der EGMR zwar einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK fest, dies jedoch mit der Begründung, dass die nach Zurückverweisung wiederbefassten Richter schon nach nationalem Recht hätten ausgeschlossen sein müssen.801 Insofern lässt sich dieser Entscheidung keine grundsätzliche Stellungnahme des EGMR zu dieser Konstellation im Strafrecht entnehmen.802

796

Vgl. oben D. I. 2. b) aa) (4) (S. 84). So auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 68; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 173 f. 798 So auch Mahne, Der Befangenheitsantrag im Strafprozess, 1977, S. 26 f. 799 Hinsichtlich der Übertragbarkeit dieses Ergebnisses auf den Fall der Wiederbefassung nach Zurückverweisung durch das Berufungsgericht gemäß § 328 Abs. 2 StPO besteht keine Einigkeit. Zum Teil wird die Übertragbarkeit angesichts der Vergleichbarkeit der Konstellationen bejaht, vgl. Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 31; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 177 f. Dem lässt sich entgegenhalten, dass § 328 Abs. 2 StPO im Gegensatz zu § 354 Abs. 2 StPO keinen Hinweis darauf enthalte, dass die Sache an ein anderes Gericht verwiesen werden solle, vgl. Mahne, Der Befangenheitsantrag im Strafprozess, 1977, S. 29. Zudem stelle sich das Problem der Vorbefassung in diesem Fall in geringerem Maße, da gegen die erneute Entscheidung wiederum die Berufung als weitere Tatsacheninstanz offen stehe, vgl. Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 83; Mahne, Der Befangenheitsantrag im Strafprozess, 1977, S. 29. 800 EGMR, Urt. v. 23. 05. 1991, Oberschlick ./. Österreich, Nr. 11662/85. 801 EGMR, Urt. v. 23. 05. 1991, Oberschlick ./. Österreich, Nr. 11662/85, Ziff. 50. 802 So wohl auch Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 91. 797

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

In seiner Rechtsprechung finden sich jedoch als vergleichbare Konstellationen die Entscheidungen in den Verfahren Ringeisen ./. Österreich,803 Diennet ./. Frankreich804 und Vaillant ./. Frankreich.805 (aa) Ringeisen ./. Österreich806 Im Verfahren Ringeisen ./. Österreich stellte der EGMR den Grundsatz auf, dass die Zurückverweisung durch ein höheres Gericht an die Vorinstanz nach Aufhebung einer Entscheidung nicht an ein anderes Gericht oder einen anders zusammengesetzten Spruchkörper erfolgen müsse.807 Die Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK, die der Beschwerdeführer geltend gemacht hatte, weil unter anderem zwei Richter der Landesgrundverkehrskommission nach der Zurückverweisung durch den Verfassungsgerichtshof erneut zur Entscheidung in seinem Verfahren berufen waren,808 lehnte der EGMR damit ab. Weitere gerügte Aspekte der Vorbefassung prüfte der EGMR nicht.809 (bb) Diennet ./. Frankreich810 Der Entscheidung Diennet ./. Frankreich lag ein Verfahren vor der Disziplinarkammer des nationalen Rates des Ordre des médecins zugrunde. Dieser war im Laufe des Verfahrens wiederholt zur Entscheidung über die Berufspflichtverletzungen des Beschwerdeführers berufen: Auf ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des zuständigen Regionalrates verhängte die Disziplinarkammer ein dreijähriges Berufsverbot gegen den Beschwerdeführer.811 Diese Entscheidung griff der Beschwerdeführer vor dem Conseil d’Etat an, woraufhin die Entscheidung wegen Verfahrensfehlern aufgehoben und die Sache an die Disziplinarkammer zurückgewiesen wurde.812 Die Disziplinarkammer gelangte zu derselben – zum Teil sogar im Wortlaut übereinstimmenden – Entscheidung.813 Dabei war das aus sieben Mitgliedern bestehende Gremium mit drei Mitgliedern besetzt, die bereits zuvor in der Disziplinarkammer in der Sache entschieden und sich mit dieser nunmehr wiederholt zu befassen hatten.814 Der Beschwerdeführer rügte vor dem EGMR die Verletzung des Rechts auf einen unparteilichen Richter, da nach der Zurückverweisung Richter über 803 804 805 806 807 808 809 810 811 812 813 814

EGMR, Urt. v. 16. 07. 1991, Ringeisen ./. Österreich, Nr. 2614/65. EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91. EGMR, Urt. v. 18. 12. 2008, Vaillant ./. Frankreich, Nr. 30609/04. EGMR, Urt. v. 16. 07. 1991, Ringeisen ./. Österreich, Nr. 2614/65. EGMR, Urt. v. 16. 07. 1991, Ringeisen ./. Österreich, Nr. 2614/65, Ziff. 97. EGMR, Urt. v. 16. 07. 1991, Ringeisen ./. Österreich, Nr. 2614/65, Ziff. 22. EGMR, Urt. v. 16. 07. 1991, Ringeisen ./. Österreich, Nr. 2614/65, Ziff. 22, 97. EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91. EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91, Ziff. 9. EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91, Ziff. 10. EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91, Ziff. 11, 36. EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91, Ziff. 12.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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ihn urteilten, die bereits vorher eine Entscheidung in seiner Sache getroffen hatten und damit nicht mehr unparteilich waren.815 Der EGMR hingegen verwies auf seine Grundaussage in der Entscheidung zum Verfahren Ringeisen ./. Österreich.816 Aus dieser folge, dass allein die Wiederbefassung durch drei von sieben Richtern nicht zu gerechtfertigten Zweifeln an deren Unparteilichkeit führen könne.817 Insbesondere da die Zurückverweisung im gegenständlichen Verfahren aufgrund von Verfahrensfehlern erfolgte und keine Änderung in der Beurteilungsgrundlage eingetreten sei, folge auch aus der (wort-) gleichen Entscheidung kein Anzeichen gegen die Unparteilichkeit der Richter.818 Diese Entscheidung entspricht der gängigen Praxis der nationalen Rechtsprechung in Fällen der Wiederbefassung nach Zurückverweisung im Strafverfahren: Sie bestätigt diese darin, dass die Zurückverweisung nicht an ein anders besetztes Gericht erfolgen muss, da die Vorbefassung als solche in derartigen Konstellationen die Unparteilichkeit des Richters nicht gefährde. Bedauerlicherweise fordert die Entscheidung kein Umdenken der nationalen Rechtsprechungspraxis. Immerhin lässt sich hervorheben, dass die Entscheidung im Fall Diennet nicht in Bezug auf ein Strafverfahren erfolgte. Damit hatte sie nicht die Verfolgung einer Straftat eines Bürgers durch die Judikative zum Inhalt, sondern den Umgang einer Selbstverwaltungsorganisation mit der Verletzung einer Berufspflicht durch eines ihrer Mitglieder. Zudem stützte sie sich darauf, dass es im Zuge der Vorbefassung lediglich zu Verfahrensfehlern kam, die eine inhaltliche Änderung der Entscheidung nicht notwendig machten. Möglicherweise nahm der EGMR an, dass angesichts der unveränderten Beweislage eine neue, unvoreingenommene Würdigung gar nicht notwendig sei. Dies verstieße allerdings sehr deutlich gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang die teilweise abweichende Ansicht des Richters Morenilla: Dieser bejaht eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aufgrund der Vorbefassung der drei Richter.819 Nach dem objektiven Ansatz, den der EGMR in ständiger Rechtsprechung anwende, seien die Zweifel des Beschwerdeführers an der Unparteilichkeit der drei wiederbefassten Richter objektiv gerechtfertigt, da sich diese bereits ein Bild von seinen Berufspflichtverletzungen gemacht und eine Entscheidung über ihn getroffen hatten.820 Die Grundsätze der Entscheidung Ringeisen ./. Österreich würden ohne Begründung auf den vorliegenden Fall übertragen, obwohl sich das der Entscheidung Ringeisen zugrunde liegende Verwal-

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EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91, Ziff. 25, 36. EGMR, Urt. v. 16. 07. 1991, Ringeisen ./. Österreich, Nr. 2614/65, Ziff. 97. 817 EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91, Ziff. 38. 818 EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91, Ziff. 38. 819 EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91, Teilweise abweichende Ansicht von Richter Morenilla, Ziff. 1, 6. 820 EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91, Teilweise abweichende Ansicht von Richter Morenilla, Ziff. 5 f. 816

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

tungsverfahren von einem Disziplinarverfahren erheblich unterscheide.821 Auch wenn dieser abweichenden Ansicht keine Bindungswirkung zukommt, so ist doch erkennbar, dass auch Richter des EGMR derartige Fallgestaltungen als bedenklich in Bezug auf die richterliche Unparteilichkeit betrachten. (cc) Vaillant ./. Frankreich822 Im Verfahren Vaillant ./. Frankreich führte der EGMR seine Rechtsprechung fort. In diesem Verfahren rügte der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK, weil vier der fünf Mitglieder der section des assurances sociales du conseil national de l’ordre des chirurgiens-dentistes, die nach der Aufhebung eines gegen ihn verhängten Behandlungsverbotes durch den Conseil d’Etat erneut über seinen Fall zu entscheiden hatte, bereits zuvor über das Behandlungsverbot entschieden hatten.823 Der EGMR wiederholte auch in diesem Verfahren seine Grundaussage aus dem Verfahren Ringeisen ./. Österreich,824 nach der die Zurückverweisung durch ein höheres Gericht an die Vorinstanz nach Aufhebung einer Entscheidung nicht an ein anderes Gericht oder einen anders zusammengesetzten Spruchkörper erfolgen müsse.825 Den einzigen Unterschied zum Verfahren Diennet ./. Frankreich826 sah der EGMR in diesem Fall darin, dass statt drei von sieben hier vier von fünf Richtern erneut über die Sache zu entscheiden hatten.827 Die Anzahl der vorbefassten Mitglieder eines Gremiums sei jedoch nicht entscheidend, sondern es komme darauf an, dass die Vorentscheidung des Gremiums nicht wegen inhaltlicher Mängel, sondern wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben wurde.828 Im Fall der Aufhebung wegen prozessualer Mängel seien Zweifel an der Unparteilichkeit der Richter nicht gerechtfertigt.829 (dd) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in Fällen der Wiederbefassung des Richters nach Zurückverweisung Aus der Rechtsprechung des EGMR in beiden Verfahren wird deutlich, dass jedenfalls eine Aufhebung wegen Verfahrensfehlern nicht zu Zweifeln an der Unparteilichkeit des nach Zurückverweisung wiederbefassten Richters führen kann. Der im Verfahren Vaillant ./. Frankreich aufgestellte Satz, dass derartige Zweifel im 821 EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91, Teilweise abweichende Ansicht von Richter Morenilla, Ziff. 7. 822 EGMR, Urt. v. 18. 12. 2008, Vaillant ./. Frankreich, Nr. 30609/04. 823 EGMR, Urt. v. 18. 12. 2008, Vaillant ./. Frankreich, Nr. 30609/04, Ziff. 21. 824 EGMR, Urt. v. 16. 07. 1991, Ringeisen ./. Österreich, Nr. 2614/65, Ziff. 97. 825 EGMR, Urt. v. 18. 12. 2008, Vaillant ./. Frankreich, Nr. 30609/04, Ziff. 29. 826 EGMR, Urt. v. 26. 09. 1995, Diennet ./. Frankreich, Nr. 18160/91. 827 EGMR, Urt. v. 18. 12. 2008, Vaillant ./. Frankreich, Nr. 30609/04, Ziff. 32. 828 EGMR, Urt. v. 18. 12. 2008, Vaillant ./. Frankreich, Nr. 30609/04, Ziff. 33. 829 EGMR, Urt. v. 18. 12. 2008, Vaillant ./. Frankreich, Nr. 30609/04, Ziff. 34 f.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Fall der Aufhebung wegen inhaltlicher Mängel der Entscheidung gerechtfertigt sein könnten,830 tendiert in die Richtung der nationalen Rechtsprechung in derartigen Konstellationen.831 Zwar fordert diese noch über inhaltliche Mängel hinaus, dass das Urteil durch „abträgliche Werturteile“ des Richters gegenüber dem Angeklagten beeinflusst wurde, jedoch ist auch die Grenze, ab derer der EGMR die materiellen Mängel für gerechtfertigte Zweifel ausreichen lässt, bisher offen geblieben. Insofern ist es möglich, dass die Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK eine weiterreichende Ablehnungsmöglichkeit bei inhaltlichen Mängeln erfordert, jedoch lässt sich diese konkret nicht anhand der bisherigen Rechtsprechung des EGMR fassen. Insofern kann die Rechtsprechung des EGMR nicht als weiteres Argument für die Bejahung einer Ablehnungsmöglichkeit des Angeklagten herangezogen werden. Demnach ist die gängige nationale Rechtsprechungspraxis, die eine Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund der Wiederbefassung nach Zurückverweisung im Regelfall ablehnt, mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar. (2) Vorbefassung durch Mitwirkung im Verfahren einer anderen Verfahrensart, insbesondere im vorangegangenen Zivilverfahren Ähnliche Bedenken wie bei der Wiederbefassung nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht stellen sich in Bezug auf die Unparteilichkeit des Richters in Konstellationen, in denen der erkennende Richter zuvor zum nun gegenständlichen Geschehen bereits eine Entscheidung in einem Verfahren anderer Art getroffen hat. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere der Fall des dem Strafverfahren vorangegangenen Zivilverfahrens, regelmäßig eines vorgelagerten Schadensersatzprozesses. Soll nun derselbe Richter, der zuvor im Zivilverfahren entschieden hat, das Strafverfahren leiten, sieht sich der Angeklagte wiederum demselben Richter gegenüber. Zwar sind hier beide Verfahren voneinander unabhängig und ist der Richter insbesondere an seine vorangegangene Entscheidung nicht gebunden. Außerdem sind die Beurteilung der Schadensersatzpflicht des jetzigen Angeklagten im Zivilverfahren und die Frage seiner Strafbarkeit nicht untrennbar miteinander verknüpft. Jedoch erscheint die Befürchtung des Angeklagten berechtigt, dass der Richter die Erkenntnisse und Ergebnisse, die er im vorangegangenen Zivilverfahren gewonnen hat, in das Strafverfahren mitbringt.832 Im Zivilverfahren hat der Richter – wie in der erörterten Konstellation der Zurückverweisung – zahlreiche Eindrücke von dem Geschehen und der Person des jetztigen Angeklagten gewonnen. Er hat sich intensiv 830

So auch Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 29; Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 93. 831 Vgl. oben E. II. 2. b) aa) (1) (a) (S. 153). 832 Vgl. auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 84; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 108.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

mit diesen Eindrücken befasst und ist zu einer das Verfahren für ihn – unabhängig von ihrer Rechtskraft – abschließenden Entscheidung gelangt. Daher wird die Wahrnehmung des Richters im Strafverfahren durch Vor-Urteile geleitet, die er in dem vorangegangenen Zivilverfahren gewonnen hat; wie oben dargelegt, kann sich der Richter dieser inneren Festlegung nur sehr schwer entziehen.833 Zudem wird der Richter trotz der unterschiedlichen Verfahrensarten vermeiden wollen, eine Entscheidung zu treffen, die seinem vorherigen Urteil widerspricht.834 Jedenfalls wird es dem Angeklagten aufgrund dieser Bedenken Schwierigkeiten bereiten, auf die Unvoreingenommenheit des Richters zu vertrauen.835 (a) Einschätzung nach nationalem Recht Der Fall der Vorbefassung im Verfahren einer anderen Verfahrensart ist von den Ausschlussgründen der StPO nicht erfasst.836 Es sprechen jedoch gewichtige Argumente für die Berechtigung einer dargelegten Befangenheitsbesorgnis in dieser Konstellation und damit für die Möglichkeit der Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund dieser Vorbefassung.837 Dennoch wird diese Möglichkeit von der Rechtsprechung verneint.838 Für den Richter sei es „selbstverständlich, da[ss] er in der neuen Sache sein Urteil nur auf Grund der neuen Verhandlung bildet.“839 Gerade aufgrund der im Einzelnen unterschiedlichen Prozessmaximen840 und Verschuldensmaßstäbe fühle sich der Richter an seine Entscheidung in einer anderen Verfahrensart für das Strafverfahren nicht gebunden.841 Die Tatsache, dass im Zivilverfahren nicht wie im Strafverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, kann aber auch zu einer umgekehrten Einschätzung führen: Weil der Richter im vorangegangenen Zivilprozess eine Entscheidung „nur“ aufgrund der von den Parteien angebotenen Beweismittel treffen musste, entspricht sein Bild von dem zu beurteilenden Sachverhalt nicht demjenigen, das er im Rahmen der 833

Vgl. oben E. I. 1. (S. 130 ff.). Vgl. auch Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 108. 835 So auch selbst BGH GA 1978, 243. 836 Siolek führt dies darauf zurück, dass der Gesetzgeber diesen Fall nicht bedacht und nur deswegen nicht in den Katalog der Ausschlussgründe aufgenommen habe, vgl. Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 49. 837 So auch Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 23; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 33; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 84 ff.; Teplitzky, NJW 1962, 2044; einschränkend auch Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 49. 838 Vgl. BGHSt 21, 334 (341); BGH bei Dallinger, MDR 1972, 384 (387). 839 BGHSt 21, 334 (341); vgl. auch BGH NStZ 1996, 323; wistra 1997, 336 (338). 840 Insbesondere Amtsermittlungsgrundsatz im Strafverfahren und Verhandlungsgrundsatz im Zivilverfahren. 841 BGH bei Dallinger, MDR 1972, 384 (387). 834

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Amtsermittlung erlangt hätte.842 Wenn er aber schon ein Bild von dem Sachverhalt hat, wird er sich unter Umständen auch unter Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes kein vollständig neues Bild verschaffen und daher an sich gebotene Beweiserhebungen unterlassen. Gerade im Vergleich zu den Ausschlussgründen des § 23 StPO, die Konstellationen enthalten, in denen das Verfahren aus Sicht der Richter abgeschlossen ist,843 und angesichts der reellen Gefahren für die Unbefangenheit des Richters sollte im Strafverfahren eine auf die Vorbefassung mit derselben Sache in einem vorangegangenen Zivilverfahren gestützte Befangenheitsbesorgnis als grundsätzlich gerechtfertigt angesehen werden. (b) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Der EGMR hat sich mit der Vorbefassung in einem Verfahren anderer Verfahrensart nur in dem Verfahren Fatullayev ./. Azerbaidschan844 befasst. (aa) Fatullayev ./. Azerbaidschan845 In diesem Fall ging es um einen in einem vorangegangenen Zivilverfahren vorbefassten Strafrichter. Dieser hatte zunächst in einem Zivilverfahren über eine Klage gegen den Beschwerdeführer entschieden, die sich gegen dessen ehrverletzende Aussagen in einem Zeitungsartikel sowie in Einträgen eines Internetforums richtete.846 In dem Verfahren stellte der Richter den ehrverletzenden Charakter der Ausführungen des Beklagten fest und verurteilte ihn dazu, seine Aussagen zu widerrufen, sich bei den Verletzten zu entschuldigen sowie eine Entschädigung zu leisten.847 Anschließend wurde gegen den Beschwerdeführer ein Strafverfahren im Privatklageweg wegen Beleidigung und falscher Anschuldigung durchgeführt, in dem derselbe Richter (als Einzelrichter) den Beschwerdeführer der vorgeworfenen Taten für schuldig befand.848

842 Stemmler beurteilt zu Recht die Gefahr im umgekehrten Fall (Zivilverfahren folgt dem Strafverfahren nach) als noch größer, vgl. Stemmler, NJW 1974, 1545 (1546) mit Hinweis auf OLG Koblenz NJW 1967, 2213. Allerdings ist dieser Fall für das Ausscheiden des Richters aus dem Strafverfahren nicht relevant. 843 So auch Dahs, NJW 1966, 1691 (1697). 844 Die Entscheidung EGMR, Urt. v. 24. 11. 1986, Gillow ./. Vereinigtes Königreich, Nr. 9063/80 passt nicht exakt in diese Kategorie, da dem Strafverfahren gegen Mr. Gillow ein Zivilverfahren, in dem Mrs. Gillow Partei war, vorverlagert war. Zwar berührten beide Verfahren denselben Sachverhalt, jedoch unterschiedliche Personen. Entsprechend lehnte der EGMR auch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK ab. 845 EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07. 846 EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 14 ff. 847 EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 17. 848 EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 18 ff.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

Vor dem EGMR rügte der Beschwerdeführer eine Verletzung der richterlichen Unparteilichkeit aufgrund der Vorbefassung des Richters.849 Der EGMR bejahte eine solche Verletzung:850 Die Befassung des Richters mit derselben Sache sowohl im Zivil- als auch im Strafverfahren führe angesichts der unterschiedlichen Anforderungen an die Verantwortlichkeit eines Beklagten bzw. eines Angeklagten nicht zwangsläufig zu einer Befangenheit des Richters.851 Ob allerdings die vorgebrachten Zweifel des Angeklagten an der richterlichen Unparteilichkeit als gerechtfertigt anzusehen seien, müsse im Einzelfall beurteilt werden.852 Die Besonderheit des vorliegenden Falles bestehe darin, dass der Richter in beiden Verfahren die Aussagen des Beschwerdeführers daraufhin zu untersuchen hatte, ob sie ehrverletzenden Charakter hatten.853 Hinzu komme, dass das Strafverfahren dem Zivilverfahren zeitlich nachfolgte, als dieses abgeschlossen war, sowie die Tatsache, dass der Richter über dieselben Beweise zu befinden hatte.854 Zwar habe der Richter im Strafverfahren zusätzlich den Vorsatz des Angeklagten feststellen müssen, jedoch sei er bereits im Zivilverfahren zu einer Einschätzung der Aussagen des dort Beklagten gekommen.855 Im Ergebnis hielt der EGMR daher die Zweifel des Beschwerdeführers an der Unparteilichkeit des Richters wegen dessen Vorbefassung für gerechtfertigt.856 (bb) Bedeutung der Entscheidung des EGMR für die Einschätzung am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Fraglich ist, ob diese Entscheidung des EGMR zur Einschätzung derartiger Vorbefassungskonstellationen am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK verallgemeinert werden kann oder ob es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, aus der sich keine allgemeinen Rückschlüsse ziehen lassen. Der EGMR betont in Fatullayev – wie stets857 –, dass auf die Besonderheiten des Einzelfalls abzustellen sei.858 Zudem stellt er ausdrücklich fest, dass die Vorbefassung des Strafrichters mit derselben Sache in einem Zivilverfahren nicht zwangsläufig zu einer Befangenheit des Richters führen müsse.859

849 850 851 852 853 854 855 856 857 858 859

EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 132. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 140. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 138. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 138. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 139. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 139. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 139. Vgl. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 139 f. Vgl. oben C. II. 3. b) (S. 120). EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 138. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Fatullayev ./. Azerbaidschan, Nr. 40984/07, Ziff. 138.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Betrachtet man jedoch die Besonderheiten des Falles, die der EGMR hervorhebt, so wird erkennbar, dass diese bei dieser Art von Vorbefassungssituationen regelmäßig auftreten: Der Inhalt der in den beiden Verfahrensarten geforderten Entscheidung (hier die Frage, ob eine Beleidigung vorliegt) ist in diesen Fällen der Vorbefassung regelmäßig derselbe. Insbesondere in vorgelagerten Schadensersatzprozessen hat der Richter regelmäßig zunächst über dieselbe Rechtsgutsverletzung zu entscheiden, die später im Strafverfahren relevant wird, auch wenn sich die „Haftungsmaßstäbe“860 im Detail unterscheiden. So bestehen beispielsweise auch im Fall einer Körperverletzung oder einer Sachbeschädigung erhebliche Parallelen zwischen den erforderlichen Feststellungen in einem Zivilprozess, der auf Schadensersatz gerichtet ist, und einem Strafverfahren, in dem die Taten verfolgt werden. Daher ist die Tatsache, dass hier beiden Verfahren eine ehrverletzende Äußerung zugrunde lag, keine Besonderheit, die der Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Entscheidung entgegensteht. Auch wurde oben schon hervorgehoben, dass das Problem der Vorbefassung gerade in Konstellationen akut wird, in denen das Zivilverfahren dem Strafverfahren vorausgegangen war und der Richter bereits eine abschließende Entscheidung getroffen hatte. Insofern sind ohnehin nur diese Fallgestaltungen Bestandteil der behandelten Fallgruppe. Das Vorliegen derselben Beweislage als Besonderheit des Einzelfalles hingegen kann durchaus ein Unterscheidungskriterium sein: Grundsätzlich kann eine Entscheidung im Zivilverfahren ohne Beweisaufnahme getroffen worden sein, wenn beispielsweise der Anspruch bereits unstreitig verjährt war oder ein Versäumnisoder Anerkenntnisurteil erging. In diesen Fällen erscheint die Gefahr, dass der derart vorbefasste Strafrichter befangen ist, erheblich geringer als bei wiederholter Würdigung derselben Beweismittel. Häufig sind jedoch in beiden Prozessen dieselben Beweise zu erheben. Der Kläger stellt meist alle anspruchsbegründenden Tatsachen unter Beweis und der Beklagte tritt den klägerischen Behauptungen unter Beweisantritt entgegen. Dieselben Tatsachen sind dann in der Regel im Strafverfahren entscheidungserheblich, so dass wiederum über sie Beweis erhoben wird. Es besteht daher die hohe Gefahr, dass sich der Richter im Strafverfahren von den im Zivilverfahren gewonnenen Vor-Eindrücken leiten lässt und die Beweise nicht so würdigt, wie er sie bei ihrer ersten Wahrnehmung gewürdigt hätte. Die Einschränkung dieser Fallgruppe auf die Konstellation, dass im Zivil- und Strafprozess dieselben Beweise maßgeblich sind, ist daher gerechtfertigt. Nur wenn dieses Kriterium gegeben ist, können Zweifel an der Unparteilichkeit des Strafrichters, der im Zivilverfahren mit derselben Sache befasst war, wegen der Vorbefassung gerechtfertigt erscheinen. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass der EGMR zwar die Besonderheiten des Einzelfalles hervorhebt, dass sich aus diesen aber eine auf andere Fälle übertragbare Fallgruppe bilden lässt: Die Vorbefassung des Strafrichters in einem abgeschlos860 Gemeint sind hier die Voraussetzungen einer Schadensersatzpflicht einerseits und diejenigen einer Strafbarkeit andererseits.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

senen Zivilverfahren, in dem dieselben Beweise entscheidungserheblich waren wie in dem im Anschluss durchzuführenden Strafverfahren, verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. Jedenfalls in diesen Fällen erfordert damit die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, dass der Angeklagte den Richter aufgrund dieser Vorbefassung zumindest wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen kann. In dieser Vorbefassungskonstellation ist damit eine Änderung der Rechtsprechungspraxis zugunsten der Anerkennung einer Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit notwendig. (3) Vorbefassung durch Mitwirkung in einem vorangegangenen Strafverfahren Besonders problematisch sind Konstellationen, in denen der erkennende Richter bereits in einem vorangegangenen Strafprozess mit der Sache befasst war. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass er am Verfahren gegen andere Beteiligte desselben Geschehens mitwirkte und dort auch zu einer Entscheidung berufen war. Aus dem vorangegangenen Verfahren können Feststellungen zur Tatbeteiligung oder zur Strafbarkeit des nunmehr Angeklagten hervorgehen. So kann etwa der Richter einen anderen Beteiligten mit der Begründung freigesprochen haben, dass er von der Tatbegehung durch den nun Angeklagten überzeugt sei.861 (a) Einschätzung nach nationalem Recht In dieser Konstellation ist es besonders fragwürdig, ob der Richter dem Angeklagten in dessen Verfahren unvoreingenommen gegenüber treten kann.862 Dies gilt ebenso für den Fall, dass sich der Richter zur Tatbegehung eines anderen Tatbeteiligten äußert, wenn sich diese auf die Strafbarkeit des späteren Angeklagten auswirkt.863 Im Vergleich zu einem gemeinsamen Verfahren gegen den Angeklagten und die anderen mutmaßlichen Tatbeteiligten besteht hier das Problem, dass der Richter bei der Entscheidung im Verfahren gegen andere gleichsam auch schon über einen Angeklagten entscheidet, der nicht anwesend ist und daher nicht auf die Urteilsbildung des Richters einwirken kann.864 Die dabei gebildeten Vor-Urteile über die Tat, aber auch über den Angeklagten, die dieser nicht beeinflussen konnte, lenken die Wahrnehmung des Richters im späteren Verfahren und erschweren eine neue Beurteilung der Sache massiv.865 Die Voreingenommenheit des derart vorbefassten Richters erscheint damit wahrscheinlich. Entsprechend muss eine hierauf gestützte 861

Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 85; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 111 f. 862 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 84 f.; Ignor, ZIS 2012, 228 (233). 863 Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 113. 864 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 85; Stange/Rilinger, StV 2005, 579 (581). 865 Zur Problematik einer möglichen Verletzung der Unschuldsvermutung hierdurch vgl. Isfen, StV 2009, 611.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Befangenheitsbesorgnis anerkannt werden. Der Angeklagte wird gerade in diesen Konstellationen, ohne dass man dies als unvernünftig ansehen könnte, denken: „Es ist bereits ein Urteil gefällt, bevor [ich] dann in eigener Sache gehört [werde].“866 Dennoch wird auch in diesen Fallgestaltungen eine Ablehnung nur teilweise als gerechtfertigt erachtet.867 Insbesondere die Rechtsprechung wendet sich gegen die generelle Möglichkeit der Ablehnung.868 Auch hier könne der Angeklagte davon ausgehen, dass der Richter die Entscheidung in dem gegen ihn gerichteten Verfahren nur aufgrund der Ergebnisse dieses Verfahrens treffe.869 Nur in Fällen, in denen das vorangegangene Urteil unnötige und sachlich nicht begründete Werturteile über den nunmehr Angeklagten enthalte870 oder andere besondere Umstände hinzutreten,871 soll die Befangenheitsbesorgnis gerechtfertigt sein. Die Befangenheitsbesorgnis wird in derartigen Fällen jedoch auf andere Gründe als die Vorbefassung als solche (z. B. Meinungsäußerungen oder vorzeitige endgültige Festlegung des Richters) gestützt,872 so dass letztlich eine Ablehnung gerade aufgrund der Vorbefassung nicht zugelassen wird. (b) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Zu dieser Fallgruppe finden sich in der Rechtsprechung des EGMR mehrere Entscheidungen, die genauer zu betrachten sind: (aa) Ferrantelli und Santangelo ./. Italien873 Im Verfahren Ferrantelli und Santangelo ./. Italien rügten die beiden Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aufgrund der Tatsache, dass sie in dem gegen sie gerichteten Strafverfahren letztlich von der Jugendabteilung des Appellationsgerichtshofs von Caltanisetta zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, wobei dem Verfahren dort der Richter vorsaß, der bereits Vorsitzender 866

Stange/Rilinger, StV 2005, 579. So Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 85; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 112 f.; de Boor, StV 1987, 1 (2); Teplitzky, NJW 1962, 2044; einschränkend Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 193 f.; ders., NJW 1974, 1545 (1546); vgl. auch M. J. Schmid, NJW 1974, 729 (731). 868 BGH, 3 StR 283/14, Beschl. v. 19. 08. 2014; BGHSt 50, 216 (221); BGH NJW 2014, 2372; StV 1987, 1; BGH bei Dallinger, MDR 1974, 367; BGH NStZ 1986, 206; 1996, 323; 2011, 44 (46); vgl. auch Pfeiffer, StPO, § 24 Rdn. 1; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 9; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rdn. 13; Siolek, in: LöweRosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 38; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 147. 869 Vgl. oben E. II. 2. b) aa) (2) (a) (S. 160). 870 BGHSt 24, 336 (338); BGH wistra 1997, 336 (338). 871 BGH NStZ 2011, 44. 872 So auch Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 143. 873 EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92. 867

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

Richter des Geschworenenappellationsgerichtshofs im Verfahren gegen einen anderen Beteiligten derselben Tat war.874 In diesem Verfahren war der andere Beteiligte zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt worden.875 Der EGMR bejahte eine Verletzung des Rechts auf einen unparteilichen Richter.876 Das Gericht habe in dem Verfahren gegen den anderen Beteiligten mehrfach auf die Beschwerdeführer und ihre Beteiligung an der Tat als Mittäter Bezug genommen sowie eine Aussage eines weiteren (vierten) Beteiligten bezüglich der konkreten Tatausführung durch die Beschwerdeführer gewürdigt.877 Zudem seien in dem Urteil der Jugendabteilung zahlreiche Abschnitte aus dem Urteil des Geschworenenappellationsgerichtshofs zitiert.878 Der EGMR beurteilte diese beiden Aspekte als hinreichend, um Zweifel an der Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters als gerechtfertigt erscheinen zu lassen.879 (bb) Rojas Morales ./. Italien880 Auch im Verfahren Rojas Morales ./. Italien waren zwei Richter vor der Verurteilung des Beschwerdeführers in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren bereits mit dem Strafverfahren gegen einen Mitbeschuldigten befasst. Das Urteil gegen diesen Mitbeschuldigten enthielt zahlreiche Aussagen über den Beschwerdeführer und dessen Tatbeteiligung, die von den Richtern als maßgeblich eingeschätzt wurde.881 Der Beschwerdeführer rügte wiederum die Verletzung des Rechts auf einen unparteilichen Richter, da er sich durch die Aussagen über ihn in dem Urteil gegen den Mitbeschuldigten bereits als schuldig und insbesondere als Anführer der mutmaßlichen kriminellen Vereinigung beurteilt sah.882 Gerade im Hinblick hierauf bejahte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK.883 Da sich die Feststellungen der beiden Richter in Bezug auf den Beschwerdeführer auf dieselben Tatsachen stützten, um die es bereits in dem Ver874

EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 30, 54. 875 EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 54. 876 EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 60. 877 EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 59. 878 EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 59. 879 EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 59. Vgl. hierzu die teilweise abweichende Ansicht des Richters De Meyer. 880 EGMR, Urt. v. 16. 11. 2000, Rojas Morales ./. Italien, Nr. 39676/98. 881 EGMR, Urt. v. 16. 11. 2000, Rojas Morales ./. Italien, Nr. 39676/98, Ziff. 12. 882 EGMR, Urt. v. 16. 11. 2000, Rojas Morales ./. Italien, Nr. 39676/98, Ziff. 29. 883 EGMR, Urt. v. 16. 11. 2000, Rojas Morales ./. Italien, Nr. 39676/98, Ziff. 35.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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fahren gegen den Mitbeschuldigten gegangen war, hielt der EGMR die Zweifel des Beschwerdeführer an der Unparteilichkeit des Richters für gerechtfertigt.884 (cc) Schwarzenberger ./. Deutschland885 Im Verfahren Schwarzenberger ./. Deutschland rügte der Beschwerdeführer ebenfalls die Verletzung des Rechts auf einen unparteilichen Richter. Der Kammer, die ihn u. a. wegen Beteiligung an einem Mord verurteilt hatte, hatten zwei Richter angehört, die zuvor bereits in einem Strafverfahren gegen einen anderen Tatbeteiligten mitgewirkt hatten.886 Die Strafverfahren gegen die beiden Beteiligten wurden getrennt geführt, weil sich der Beschwerdeführer zunächst in Spanien in Haft befand und seiner Auslieferung nach Deutschland nicht zustimmte.887 Das Urteil gegen den anderen Tatbeteiligten enthielt ausführliche Feststellungen auch zur Tatbeteiligung des Beschwerdeführers. Dieser sah darin eine unnötige Vorverurteilung und lehnte die beiden Richter888 wegen Besorgnis der Befangenheit ab.889 Die Richter erklärten in ihren dienstlichen Äußerungen, dass keine Besorgnis der Befangenheit bestehe. Zwar wäre die gemeinsame Durchführung des Verfahrens gegen beide Tatbeteiligten vorzugswürdig gewesen, dies sei jedoch wegen der Abwesenheit des Beschwerdeführers nicht realisierbar gewesen.890 Jedenfalls seien sich die Richter bei ihrer Entscheidung in dem Verfahren gegen den anderen Tatbeteiligten darüber im Klaren gewesen, dass sie den Beschwerdeführer nicht anhören konnten und daher ihre Erkenntnisquellen beschränkt und mithin einseitig waren.891 Beide Richter hoben hervor, dass sie nicht bereits festgelegt seien oder eine innere Haltung gegenüber dem Beschwerdeführer eingenommen hätten, die ihre Unvoreingenommenheit gegenüber diesem negativ beeinflussen könnte.892 Die Ablehnungsgesuche des Beschwerdeführers wurden daraufhin abgewiesen893 und weder der Revision noch der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers abgeholfen.894 Im Gegensatz zu den oben erörterten Verfahren Ferrantelli und Santangelo ./. Italien895 sowie Rojas Morales ./. Italien896 verneinte der EGMR in diesem Fall eine 884

EGMR, Urt. v. 16. 11. 2000, Rojas Morales ./. Italien, Nr. 39676/98, Ziff. 33 f. EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01. 886 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 8 ff. 887 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 6. 888 Sowie einen Richter, der zur Entscheidung über das Befangenheitsgesuch berufen war und bereits zuvor dem Verfahren gegen den anderen Tatbeteiligten vorgesessen hatte. 889 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 13. 890 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 14. 891 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 14. 892 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 14. 893 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 15 f. 894 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 18 ff. 895 EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92. 896 EGMR, Urt. v. 16. 11. 2000, Rojas Morales ./. Italien, Nr. 39676/98. 885

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK.897 Zwar seien Ausführungen zur Tatbeteiligung des späteren Angeklagten in der Entscheidung gegen einen anderen Tatbeteiligten durchaus geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu wecken.898 Jedoch lasse sich dieser Fall von den vorgenannten anhand erheblicher Besonderheiten unterscheiden:899 Dem Urteil gegen den anderen Tatbeteiligten sei deutlich zu entnehmen gewesen, dass die dortigen Angaben zur Tatbeteiligung des Beschwerdeführers nur auf den Aussagen des dort Angeklagten beruhten und keine endgültigen Feststellungen zur mutmaßlichen Tat des Beschwerdeführers enthielten.900 Für das Verfahren gegen den dort Angeklagten und seine Verurteilung seien jedoch Aussagen zur Beteiligung des abwesenden und damit als Prozessbeteiligtem nicht greifbaren Beschwerdeführers erforderlich.901 Das anschließende Verfahren gegen diesen sei jedoch – wie auch die dienstlichen Äußerungen der beiden Richter zeigten – in dem Bewusstsein durchgeführt worden, dass die zuvor getroffenen Feststellungen vorläufig und einseitig waren.902 Auch sei das Verfahren gegen den Beschwerdeführer umfangreich gewesen und habe insbesondere eine umfassende Beweiswürdigung enthalten.903 In dem Urteil gegen den Beschwerdeführer sei in keiner Weise auf das zuvor ergangene Urteil gegen den anderen Tatbeteiligten verwiesen worden; vielmehr sei das spätere Urteil sogar von dem vorangegangenen abgewichen.904 (dd) Lindon, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich905 In diesem Verfahren rügte nur der Beschwerdeführer July eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK.906 Dieser Rüge war zunächst ein Strafverfahren gegen die Beschwerdeführer Lindon und Otchakovsky-Laurens vorangegangen.907 Lindon hatte als Autor einen Roman verfasst und in einem Verlag veröffentlicht, deren Verwaltungsratsvorsitzender Otchakovsky-Laurens war.908 Der Roman befasste sich

897

EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 46. EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 41 f. 899 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 45. 900 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 43. 901 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 44. 902 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 43. 903 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 43. 904 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 43. 905 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Nr. 21279/02 u. 36448/02. 906 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 71. 907 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 10 ff. 908 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 9 f. 898

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

169

mit der moralischen Verwicklung des Front National und insbesondere von JeanMarie Le Pen in Straftaten mit rassistischem Hintergrund.909 In dem Strafverfahren wurden durch das Gericht mehrere Aussagen in dem Roman über den Front National und Jean-Marie Le Pen als üble Nachrede eingestuft und die beiden dort Angeklagten entsprechend verurteilt.910 Dieses Urteil wurde sowohl in der Berufungs- als auch in der Revisionsinstanz bestätigt.911 Bereits nach dem erstinstanzlichen Urteil wurde in der Zeitung Libération, deren Chefredakteur der Beschwerdeführer July war,912 eine Kolumne veröffentlicht, durch die sich zahlreiche Autoren gegen die Verurteilung der beiden oben genannten Beschwerdeführer aussprachen und den ehrverletzenden Charakter der Aussagen des Romans in Frage stellten.913 Hierzu wiederholte die Kolumne mehrere der kritischen Passagen des Romans wörtlich.914 Wegen dieser Wiederholung der diffamierenden Aussagen in der Kolumne wurde der Beschwerdeführer July als für deren Erscheinen Verantwortlicher wegen übler Nachrede verurteilt.915 Auch dieses Urteil wurde in der Berufungs- und Revisionsinstanz aufrecht erhalten.916 Allerdings entschieden in der Berufungsinstanz zwei von drei Richtern, die bereits das Berufungsurteil gegen die beiden zuerst genannten Beschwerdeführer erlassen hatten, und verwiesen auch in ihrer Entscheidung auf das frühere Urteil.917 Darin sah der Beschwerdeführer July Zweifel an der Unparteilichkeit der Richter begründet.918 Insbesondere folgerte er aus der Feststellung der Richter, die Autoren der Kolumne hätten die Äußerungen wiederholt, ohne ihren beleidigenden Charakter

909 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 11. 910 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 14. 911 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 16, 20. 912 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 9, 21. 913 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 21. 914 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 21. 915 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 22 f. 916 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 25, 27. 917 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 72. 918 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 72.

Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich,

170

E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

in Frage zu stellen, dass die Richter bereits subjektiv voreingenommen gewesen seien, da sie sich offenkundig persönlich durch die Kolumne angegriffen fühlten.919 Der EGMR verneinte jedoch eine Parteilichkeit der Richter nach dem subjektiven Maßstab, da die Verurteilung des Beschwerdeführers July nur wegen der ungeprüften Verbreitung ehrverletzender Aussagen und nicht aufgrund der Kritik an dem Urteil der Richter erfolgte.920 Auch die Zweifel des Beschwerdeführers an der Unparteilichkeit der Richter nach dem objektiven Maßstab sah der EGMR nicht als berechtigt an:921 Bei dem Verfahren gegen die beiden erstgenannten Beschwerdeführer einerseits und demjenigen gegen den Beschwerdeführer July andererseits handelte es sich um unterschiedliche Sachen und unterschiedliche Angeklagte.922 Zwar seien in beiden Verfahren dieselben Aussagen auf ihren beleidigenden Charakter zu untersuchen gewesen, jedoch seien diese in dem ersten Verfahren Bestandteil eines Romans und im zweiten Verfahren in einer Kolumne zusammengestellt gewesen, so dass sie jeweils unter anderen Gesichtspunkten zu beurteilen gewesen seien.923 Daher sei die Bezugnahme im zweiten Urteil auf das Urteil in dem Verfahren gegen die beiden erstgenannten Beschwerdeführer unbedenklich gewesen; denn dieses Urteil war inzwischen zur res iudicata geworden, an die jeder andere Richter unabhängig von einer Vorbefassung in dem ursprünglichen Verfahren gebunden wäre.924 Insofern sah der EGMR in der Identität der zwei Richter der jeweiligen Berufungsinstanz kein Problem der Vorbefassung mit derselben Sache und verneinte daher eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK.925 (ee) Poppe ./. Niederlande926 Auch in dem Fall Poppe ./. Niederlande rügte der Beschwerdeführer die Verletzung seines Rechts auf einen unparteilichen Richter, da zwei der Richter, die das erstinstanzliche Verfahren gegen ihn führten und ihn schließlich verurteilten, bereits zuvor an einer Entscheidung gegen mehrere seiner mutmaßlichen Mittäter in anderen

919 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 76. 920 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 76. 921 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 81. 922 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 78. 923 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 78. 924 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 79. 925 EGMR, Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 78, 82. 926 EGMR, Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04.

July ./. Frankreich, July ./. Frankreich, July ./. Frankreich, July ./. Frankreich, July ./. Frankreich, July ./. Frankreich, July ./. Frankreich,

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

171

Verfahren wegen derselben Tat mitgewirkt hatten.927 Die Entscheidungen gegen diese mutmaßlichen Mittäter benannten auch den Beschwerdeführer als Tatbeteiligten.928 Der Beschwerdeführer hatte bereits im Verfahren erfolglos versucht, die beiden Richter aus dem Verfahren ausscheiden zu lassen.929 Seine Rüge der Befangenheit wies auch das Berufungsgericht zurück, hob das Urteil gegen ihn jedoch letztlich auf und verurteilte ihn erneut.930 Auch das Revisionsgericht hielt die Entscheidung im Wesentlichen aufrecht.931 Der EGMR hob in diesem Zusammenhang wiederum hervor, dass die bloße Tatsache, dass ein Richter bereits gegen einen anderen mutmaßlichen Mittäter verhandelt hat, nicht schon für sich genommen Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters rechtfertige.932 Allerdings sei dies anders zu beurteilen, wenn das vorangegangene Urteil Feststellungen enthalte, die zu einer Vorverurteilung hinsichtlich der Schuld des späteren Angeklagten führen.933 Im Fall Poppe führte der EGMR aus, dass der Beschwerdeführer in den vorangegangenen Entscheidungen neben weiteren Tatbeteiligten nur beiläufig erwähnt worden sei, um die maßgebliche Beteiligung anderer an der Tat herauszustellen.934 Dabei seien keine spezifischen Aussagen zur Tatbeteiligung oder Schuld des Beschwerdeführers getroffen worden, so dass sich sein Fall von denjenigen in den Verfahren Ferrantelli und Santangelo ./. Italien sowie Rojas Morales ./. Italien unterscheide.935 Daher verneinte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. (ff) Miminoshvili ./. Russland936 Im Verfahren Miminoshvili ./. Russland stellte der EGMR deutlich heraus, dass die Vorbefassung des Richters in einem Strafverfahren gegen einen Mittäter als solche nicht zu einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK führe.937 Vielmehr müsse untersucht werden, ob die vorangegangene Entscheidung die Schuld des späteren Angeklagten präjudiziere.938 Für diese Untersuchung rekapitulierte der EGMR seine bisherigen Entscheidungen in diesem Zusammenhang in Ferrantelli und Santangelo 927

EGMR, Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04, Ziff. 8 f. EGMR, Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04, Ziff. 8. 929 EGMR, Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04, Ziff. 8. 930 EGMR, Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04, Ziff. 10 ff. 931 EGMR, Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04, Ziff. 16. Die Strafe wurde lediglich wegen überlanger Verfahrensdauer verkürzt. 932 EGMR, Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04, Ziff. 26. 933 EGMR, Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04, Ziff. 26. 934 EGMR, Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04, Ziff. 27; vgl. hierzu jedoch die Abweichende Ansicht von Richter Gyulumyan. 935 EGMR, Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04, Ziff. 28. 936 EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03. 937 EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 116. 938 EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 116. 928

172

E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

./. Italien und Rojas Morales ./. Italien einerseits und Schwarzenberger ./. Deutschland und Poppe ./. Niederlande andererseits.939 Aus diesen fasste er folgende Kriterien zusammen: Wurde der Angeklagte bereits in dem nicht gegen ihn gerichteten Verfahren als Mittäter bezeichnet und seine Tatbeteiligung im Einzelnen festgestellt, seien Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters gerechtfertigt.940 Nimmt das Urteil gegen den Angeklagten hingegen keinen erheblichen Bezug auf das vorangegangene gegen den anderen Beteiligten, ergeht es insbesondere aufgrund der Angaben des dortigen Angeklagten und wurde der spätere Angeklagte in dem vorangegangenen Verfahren nur beiläufig erwähnt, sieht der EGMR die Unparteilichkeit des Richters nicht als gefährdet an.941 Im vorliegenden Verfahren wurde in der Entscheidung gegen den Beschwerdeführer das vorangegangene Urteil gegen ein anderes Mitglied derselben Gruppierung, den Bruder des Beschwerdeführers, am Rande erwähnt.942 Umgekehrt wurde der Beschwerdeführer in der vorangegangenen Entscheidung an keiner Stelle als Mittäter oder Mitangeklagter genannt.943 Jedoch enthielt das Urteil die Aussagen mehrerer Zeugen in indirekter Rede, die den Beschwerdeführer als Anführer der Gruppierung und seine Beteiligung an den Taten beschrieben.944 Diese Aussagen waren für die Verurteilung des dort Angeklagten nicht erforderlich.945 Dennoch verneinte der EGMR eine Vorverurteilung des Beschwerdeführers durch das Urteil, da es sich nicht um Feststellungen des Richters zur Schuld des Beschwerdeführers handelte,946 sondern lediglich Zeugenaussagen wiedergegeben wurden. Entsprechend verneinte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.947 (gg) Rudnichenko ./. Ukraine948 Im Verfahren Rudnichenko ./. Ukraine hatte die Richterin, die den Beschwerdeführer verurteilte, zuvor bereits einen anderen Beteiligten wegen derselben Tat verurteilt.949 Der EGMR bejahte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK, stellte allerdings darauf ab, dass Zweifel des Beschwerdeführers an der Unparteilichkeit der Richterin schon deswegen berechtigt seien, weil sie bereits im Verfahren versucht hatte, ihr eigenes Ausscheiden aus dem Verfahren herbeizuführen.950 Wenn aber 939 940 941 942 943 944 945 946 947 948 949 950

EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 115 f. EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 115. EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 116. EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 117. EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 118. EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 119. EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 119. EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 119. EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 121. EGMR, Urt. v. 11. 07. 2013, Rudnichenko ./. Ukraine, Nr. 2775/07. EGMR, Urt. v. 11. 07. 2013, Rudnichenko ./. Ukraine, Nr. 2775/07, Ziff. 116. EGMR, Urt. v. 11. 07. 2013, Rudnichenko ./. Ukraine, Nr. 2775/07, Ziff. 118.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

173

schon die Richterin selbst mögliche Zweifel an ihrer Unparteilichkeit anzeige, seien entsprechende Zweifel des Angeklagten als gerechtfertigt anzusehen.951 (hh) Khodorkovskiy und Lebedev ./. Russland952 Auch in dieser Entscheidung betonte der EGMR, dass alleine die vorangegangene Verurteilung eines Beteiligten derselben Tat durch den Richter keine Zweifel an dessen Unparteilichkeit rechtfertigen könne.953 In diesem Fall hatte dieselbe Richterin bereits einen anderen Angeklagten verurteilt, wobei das Urteil die Beschwerdeführer beiläufig erwähnte.954 Unter Erläuterung seiner Rechtsprechung in den Verfahren Schwarzenberg ./. Deutschland, Poppe ./. Niederlande und Miminoshvili ./. Russland verneinte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.955 (ii) Auswertung der Entscheidungen Die Entscheidungen des EGMR in den Verfahren Ferrantelli und Santangelo ./. Italien und Rojas Morales ./. Italien einerseits und diejenigen in den Verfahren Schwarzenberger ./. Deutschland und Poppe ./. Niederlande andererseits lassen Unterscheidungskriterien des EGMR in Fällen richterlicher Vorbefassung in einem vorangegangenen Strafverfahren gegen andere Tatbeteiligte erkennen.956 Nach dem EGMR spricht es für eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in derartigen Konstellationen, wenn in dem vorangegangenen Urteil nicht erforderliche konkrete Feststellungen zur Tatbeteiligung des späteren Angeklagten getroffen werden957 und die Urteilsbegründungen der beiden Verfahren sich inhaltlich gleichen oder sogar aufeinander Bezug nehmen.958 Sind hingegen Feststellungen zur Tatbeteiligung des späteren Angeklagten im Rahmen des Verfahren gegen einen anderen Tatbeteiligten erforderlich, um eine Entscheidung dieses Verfahrens herbeizuführen,959 und erfolgen sie im erkennbaren Bewusstsein der Vorläufigkeit aufgrund eingeschränkter 951

EGMR, Urt. v. 11. 07. 2013, Rudnichenko ./. Ukraine, Nr. 2775/07, Ziff. 118. EGMR, Urt. v. 25. 07. 2013, Khodorkovskiy und Lebedev ./. Russland, Nr. 11082/06 und 13772/05. 953 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2013, Khodorkovskiy und Lebedev ./. Russland, Nr. 11082/06 und 13772/05, Ziff. 544. 954 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2013, Khodorkovskiy und Lebedev ./. Russland, Nr. 11082/06 und 13772/05, Ziff. 529 ff., 549. 955 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2013, Khodorkovskiy und Lebedev ./. Russland, Nr. 11082/06 und 13772/05, Ziff. 545 ff. 956 So auch EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 115 f. 957 Vgl. EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 59; Urt. v. 16. 11. 2000, Rojas Morales ./. Italien, Nr. 39676/98, Ziff. 33. 958 Vgl. EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 59; Urt. v. 16. 11. 2000, Rojas Morales ./. Italien, Nr. 39676/98, Ziff. 33. 959 EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 44; Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04, Ziff. 27. 952

174

E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

Erkenntnisquellen,960 verneint der EGMR eine Verletzung des Rechts auf einen unparteilichen Richter allein aufgrund dieser Art der Vorbefassung. Die in diesen vier Verfahren entwickelten Kriterien wendet der EGMR in seiner weiteren Rechtsprechung zu dieser Vorbefassungskonstellation an.961 Dem widerspricht auch nicht die Entscheidung im Verfahren Lindon, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich: Die Besonderheit dieses Falles besteht darin, dass die „Mehrfachbefassung“ der beiden Richter nicht in mehreren Verfahren wegen derselben Tat erfolgte, die von mehreren Tatbeteiligten gemeinsam begangen worden war, sondern dass die Richter jeweils unterschiedliche (wenn auch ähnliche) Taten zu beurteilen hatten, die von unterschiedlichen Personen unabhängig voneinander verübt worden waren. Eine wiederholte Befassung eines Richters mit nur ähnlich gelagerten Fällen soll jedoch keine Befangenheit des Richters begründen.962 Grundsätzlich ist nach dem EGMR die Vorbefassung in einem Verfahren gegen einen anderen Beteiligten derselben Tat nicht hinreichend, um Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Erfolgte aber bereits eine Vorverurteilung des Angeklagten in dem Verfahren gegen einen anderen Tatbeteiligten, wurden Einzelheiten zu seiner Tatbeteiligung in dem anderen Verfahren festgestellt oder nimmt das Urteil auf das vorangegangene Urteil Bezug, geht der EGMR im Regelfall von berechtigten Zweifeln an der richterlichen Unparteilichkeit aus. (c) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in Fällen der Vorbefassung des Richters durch Mitwirkung in einem anderen Strafverfahren Im Vergleich zur nationalen Rechtsprechung, die erst dann eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit des Richters zulassen will, wenn das vorangegangene Urteil unnötige und sachlich nicht begründete Werturteile über den nunmehr Angeklagten enthält963 oder wenn andere besondere Umstände hinzutreten,964 erscheint der Maßstab des EGMR weiter. Zwar geht auch der EGMR nicht von einer Verletzung der Unparteilichkeit des Richters durch die bloße Vorbefassung als solche aus, setzt jedoch die Anforderungen an eine derartige Verletzung niedriger an: Der Richter muss sich in seiner vorausgegangenen Entscheidung nicht bereits wertend über den späteren Angeklagten geäußert haben, sondern es reichen bereits sachliche Feststellungen über seine Tatbeteiligung aus, die über das nötige Maß hinausgehen, das erforderlich ist, um die Tatbeteiligung des dort Angeklagten festzustellen. Zudem 960

EGMR, Urt. v. 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland, Nr. 75737/01, Ziff. 43. Vgl. EGMR, Urt. v. 28. 06. 2011, Miminoshvili ./. Russland, Nr. 20197/03, Ziff. 115 f.; Urt. v. 25. 07. 2013, Khodorkovskiy und Lebedev ./. Russland, Nr. 11082/06 und 13772/05, Ziff. 545 ff. 962 EGMR in st.Rspr., vgl. statt vieler EGMR, Urt. v. 24. 03. 2009, Poppe ./. Niederlande, Nr. 32271/04, Ziff. 26. 963 BGHSt 24, 336 (338); BGH wistra 1997, 336 (338). 964 BGH NStZ 2011, 44. 961

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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vergleicht der EGMR den Ausgang der Verfahren und damit die getroffenen Entscheidungen sowie ihre Begründungen miteinander – eine Herangehensweise freilich, die nicht geeignet ist, um eine Aussage zur Vereinbarkeit der Ausschluss- und Ablehnungsrecht mit der EMRK zu treffen, da diese nur im laufenden Verfahren eingreifen können. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die nationale Rechtsprechung zu Fällen der Vorbefassung des Richters durch Mitwirkung in einem anderen Strafverfahren angesichts der Rechtsprechung des EGMR am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK einer Erweiterung und Konkretisierung bedarf, um den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK zu entsprechen.965 Bereits bei sachlichen Feststellung zur Tatbeteiligung des Angeklagten in einem anderen Strafverfahren, die derart nicht erforderlich sind, muss die Besorgnis der Befangenheit als gerechtfertigt angesehen werden. (4) Zwischenergebnis In den untersuchten Konstellationen der Vorbefassung in einer anderen Instanz oder einem anderen Verfahren verläuft die Argumentationslinie der nationalen Rechtsprechung nahezu gleich: Für die jeweiligen Konstellationen besteht kein gesetzlicher Ausschlussgrund, was als Indiz gegen eine generelle Befangenheitsgefahr verstanden wird.966 Daneben wird diese Befangenheitsgefahr abgelehnt, da der Richter selbstverständlich in der Lage sei, Eindrücke zu vergessen und sich vollkommen unvoreingenommen einem bereits arbeits- und zeitintensiv untersuchten Sachverhalt zuzuwenden.967 Soweit eine Befangenheit des Richters allein aufgrund einer Vorbefassung nicht vorstellbar ist, kann auch eine auf sie gestützte Besorgnis der Befangenheit nicht gerechtfertigt sein.968 Nur ausnahmsweise können besondere Umstände dazu führen, dass die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit dennoch durchgreift.969 Diese Argumentationsweise verkennt jedoch in weitem Umfang die oben erörterten wahrnehmungspsychologischen Erkenntnisse. Der Richter kann sich nicht vollständig von gewonnenen Eindrücken lösen. Seine Wahrnehmung wird unweigerlich durch die Vor-Eindrücke geleitet, weswegen er konsonante Eindrücke besonders stark empfinden wird und dissonante Eindrücke kaum in sein Bewusstsein vordringen werden.970

965 966 967 968 969 970

So auch Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 187. Vgl. oben insbesondere E. II. 2. b) aa) (1) (a) (S. 153). Vgl. oben insbesondere E. II. 2. b) aa) (2) (a) (S. 160). Vgl. oben insbesondere E. II. 2. b) aa) (1) (a) (S. 153). Vgl. oben insbesondere E. II. 2. b) aa) (1) (a) (S. 153) sowie (3) (a) (S. 165). Vgl. oben E. I. 1. b) bb) (S. 136).

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

Vergleicht man die Einschätzung dieser Konstellationen nach nationalem Recht mit derjenigen des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, ist Folgendes festzustellen: Der Widerstand der nationalen Rechtsprechung gegen die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit, der nach der Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht mit dieser wiederbefasst ist, ist mit der Unparteilichkeit des Richters im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar.971 Für die Fälle der Vorbefassung des Richters mit derselben Sache in einem vorangegangenen Zivilverfahren gilt dies nur mit Einschränkung: Zumindest in den Konstellationen, in denen der Strafrichter in einem abgeschlossenen Zivilverfahren vorbefasst war, in dem dieselben Beweise entscheidungserheblich waren wie in dem durchzuführenden Strafverfahren, muss gemessen an der Rechtsprechung des EGMR die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit schon aufgrund dieser Vorbefassung zugelassen werden.972 Hinsichtlich der Vorbefassung des Richters mit derselben Sache in einem anderen Strafverfahren erfordert eine Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, dass die nationale Rechtsprechung ihren Maßstab der „besonderen Umstände“, bei deren Vorliegen die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit möglich sein soll, konkretisiert und erweitert. Am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK muss nach nationalem Recht die Befangenheitsbesorgnis in Fallgestaltungen als gerechtfertigt angesehen werden, in denen in dem vorangegangenen Urteil nicht erforderliche konkrete Feststellungen zur Tatbeteiligung des späteren Angeklagten an derselben Tat getroffen werden973 und die Urteilsbegründungen der beiden Verfahren sich inhaltlich gleichen oder sogar aufeinander Bezug nehmen.974 In diesem Zusammenhang besteht Anpassungsbedarf. Letztlich erfordert die Vereinbarkeit des nationalen Ausschluss- und Ablehnungsrechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK keine weitgreifenden Umbrüche, doch aber ein Umdenken an wesentlichen Stellen. Der EGMR hat die Probleme der Vorbefassung in anderer Instanz oder einem anderen Verfahren erkannt und gelangt in viel höherem Maße zu Lösungen, die den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie gerecht werden. Es bleibt abzuwarten, ob die nationale Rechtsprechung ihrem Nachholbedarf gerecht wird.

971

Vgl. oben E. II. 2. b) aa) (1) (b) (S. 158). Vgl. oben E. II. 2. b) aa) (2) (b) (bb) (S. 163). 973 Vgl. EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 59; Urt. v. 16. 11. 2000, Rojas Morales ./. Italien, Nr. 39676/98, Ziff. 33; Urt. v. 22. 10. 2007, Lindon, Otchakovsky-Laurens und July ./. Frankreich, Nr. 21279/02 u. 36448/02, Ziff. 78, 82. 974 Vgl. EGMR, Urt. v. 07. 08. 1996, Ferrantelli und Santangelo ./. Italien, Nr. 19874/92, Ziff. 59; Urt. v. 16. 11. 2000, Rojas Morales ./. Italien, Nr. 39676/98, Ziff. 33. 972

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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bb) Vorbefassung innerhalb unterschiedlicher Verfahrensabschnitte einer Instanz Zu untersuchen bleibt, wie sich dies im Bereich der richterlichen Vorbefassung innerhalb unterschiedlicher Verfahrensabschnitte einer – der ersten – Instanz verhält. Analysiert wird dabei die Vorbefassung des erkennenden Richters im Vor- sowie Zwischenverfahren, insbesondere Handlungen des Richters als Ermittlungsrichter ohne und im Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen, seine Mitwirkung im Klageerzwingungsverfahren und seine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens.975 (1) Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren Zunächst ist die Beteiligung des Richters im Ermittlungsverfahren zu erörtern. (a) Einschätzung nach nationalem Recht Die Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren lässt sich in Ermittlungshandlungen als solche und die Anordnung von Zwangsmaßnahmen unterteilen. (aa) Handlungen im Ermittlungsverfahren außerhalb der Anordnung von Zwangsmaßnahmen Innerhalb des Ermittlungsverfahrens sind für den Richter als Ermittlungsrichter gerichtliche Untersuchungshandlungen (§ 162 StPO), richterliche Nothandlungen (§ 165 StPO) sowie Beweiserhebungen im Sinne des § 166 StPO vorgesehen. Zu den gerichtlichen Untersuchungshandlungen zählen neben der Anordnung von Zwangsmaßnahmen „alle auf die Erforschung des Sachverhalts gerichteten gesetzlich zulässigen Ermittlungsmaßnahmen“976 und damit solche Untersuchungshandlungen, „die an sich der Staatsanwalt vornehmen oder von der Polizei vornehmen lassen kann, die er aber im Einzelfall dem Richter übertragen will.“977 In Betracht kommen insbesondere Vernehmungen des Beschuldigten, von Zeugen und Sachverständigen, Inaugenscheinnahmen oder die Anwesenheit bei einer Leichen-

975 Interessant sind darüber hinaus auch die Fälle, in denen der Richter an einer gescheiterten Verfahrensabsprache beteiligt war, oder aus der Ermittlungsakte Kenntnis von Beweismitteln hat, die einem Beweisverwertungsverbot unterliegen. Auch hier kann eine Befangenheit des Richters besorgt werden. Der EGMR hat bislang allerdings noch keinen derartigen Fall entschieden, so dass auf die Erörterung dieser Fallgruppen, in denen das nationale Recht die Besorgnis der Befangenheit des Richters nicht gerechtfertigt sieht, im Rahmen dieser Arbeit verzichtet wurde. 976 Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, § 162 Rdn. 5; vgl. auch RGSt 65, 82 (83 f.); BGHSt 7, 202 (204); 12, 177 (179 f.). 977 Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 162 Rdn. 4; vgl. auch Wohlers, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 3, § 162 Rdn. 6.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

schau.978 Der Richter nimmt die Untersuchungshandlungen im Rahmen des § 162 StPO nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft vor.979 Diese beantragt die gerichtliche Untersuchungshandlung wiederum nur, wenn sie „aus besonderen Gründen für erforderlich erachtet“980 werden, „z. B. weil der Verlust eines Beweismittels droht, ein Geständnis festzuhalten ist (§ 254 StPO) oder wenn eine Straftat nur durch Personen bewiesen werden kann, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind.“981 Zum Zweck der Vornahme der Untersuchungshandlung erhält der Richter Aktenmaterial, aus dem er die Ermittlungsergebnisse entnehmen können muss.982 Daneben kann der Richter im Ermittlungsverfahren gemäß § 165 StPO bei Gefahr im Verzug und mangelnder Erreichbarkeit der Staatsanwaltschaft die erforderlichen Untersuchungshandlungen auch ohne Antrag der Staatsanwaltschaft vornehmen.983 Allerdings kommt dieser Regelung nur noch sehr geringe praktische Relevanz zu, da durch die Mittel der modernen Kommunikation die Staatsanwaltschaft nahezu stets erreichbar ist.984 Gemäß § 166 StPO hat der Richter zudem einzelne Beweiserhebungen vorzunehmen, die der Beschuldigte bei der Vernehmung durch den Richter zu seiner Entlastung beantragt, wenn der Verlust der Beweise zu besorgen ist oder die Beweiserhebung die Freilassung des Beschuldigten begründen kann. Ist der Richter in diesem Sinne als Ermittlungsrichter tätig geworden und steht er dem Angeklagten im Hauptverfahren später als erkennender Richter gegenüber, könnte seine Unparteilichkeit durch die Vorbefassung als Ermittlungsrichter gefährdet sein. Aufgrund der bereits beschriebenen psychologischen Effekte ist die Gefahr der Bildung von Vor-Urteilen bei den ersten Ermittlungen sogar besonders hoch.985 Der Richter erhält nicht nur die gewonnenen Vor-Eindrücke der Ermittlungsbehörden mit dem Ermittlungsergebnis, sondern wirkt selbst bei den Ermittlungen mit und sammelt eigene Eindrücke. Diese können die Wahrnehmungen des Richters im Hauptverfahren massiv beeinflussen.

978

Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, § 162 Rdn. 6; Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 162 Rdn. 1a; Pfeiffer, StPO, § 162 Rdn. 1; Zöller, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 162 Rdn. 1. 979 Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 162 Rdn. 5. 980 RiStBV Nr. 10. 981 RiStBV Nr. 10. 982 Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 162 Rdn. 19a. 983 Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 165 Rdn. 1; Pfeiffer, StPO, § 165 Rdn. 1; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 165 Rdn. 1; Zöller, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 165 Rdn. 1. 984 Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, § 165 Rdn. 2; Zöller, Heidelberger Kommentar, StPO, § 165 Rdn. 2; Wohlers, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 3, § 165 Rdn. 2. Letztlich bleibt nur der Fall des richterlichen Bereitschaftdienstes bei fehlendem parallelen staatanwaltlichen Eildienst oder Fälle, in denen eine fernmündliche oder -schriftliche Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht eingeholt werden kann. 985 Vgl. Graßberger, Psychologie des Strafverfahrens, 2. Aufl. 1968, S. 116.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Zudem wird durch die Beteiligung des Richters am Ermittlungsverfahren, das grundsätzlich von der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens zu betreiben ist,986 die Grenze zwischen den Ermittlungsbehörden und dem Richter aufgeweicht: Der Richter, der im Zwischenverfahren über die Zulassung einer etwaigen Anklage und im Hauptverfahren über die Strafbarkeit des Angeklagten aufgrund der durch die Staatsanwaltschaft vorgetragenen Beweise entscheiden soll, nimmt an der Gewinnung eben dieser Beweise teil. Der daher sachlich naheliegende Ausschlussgrund des § 22 Nr. 4 StPO greift jedoch nicht durch: Jedenfalls die richterlichen Untersuchungshandlungen und Beweiserhebungen im Sinne der §§ 162, 166 StPO sind ihrer Natur nach keine staatsanwaltliche Tätigkeit, sondern eine besondere Form der Amtshilfe.987 Daher scheidet ein Ausschluss des erkennenden Richters, der in diesem Sinne als Ermittlungsrichter tätig geworden ist, aus.988 Diskutiert wird ein Ausschluss gemäß § 22 Nr. 4 StPO allerdings im Fall des als „Notstaatsanwalt“989 im Sinne des § 165 StPO tätig gewordenen Ermittlungsrichters: Zum Teil wird eine staatsanwaltliche Natur dieser Untersuchungshandlungen angenommen, da der Richter unabhängig von der Staatsanwaltschaft wie diese Untersuchungshandlungen vornehme.990 Jedoch ist dies nur in engen Grenzen zulässig und führt nicht zu einer Übernahme des Ermittlungsverfahrens als Ganzes durch den Richter.991 Der Richter bleibt bei diesen Handlungen funktionell Richter; entsprechend handelt es sich bei Untersuchungshandlungen im Rahmen des § 165 StPO um eine richterliche Tätigkeit.992 Daher scheidet auch hier ein Ausschluss des Richters aus, so dass grundsätzlich die Tätigkeit als Ermittlungsrichter den Richter nicht von der Hauptverhandlung ausschließt.993 Denkbar bleibt aber eine Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund seiner vorangegangenen Tätigkeit als Ermittlungsrichter.994 Bei der 986 Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, Vor § 158 Rdn. 21; Gercke/Temming, Heidelberger Kommentar, StPO, Einleitung Rdn. 81. 987 Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, § 162 Rdn. 2; Wohlers, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 3, § 162 Rdn. 6; Zöller, Heidelberger Kommentar, StPO, § 162 Rdn. 1. 988 Vgl. auch BGHSt 9, 233 (233 f.); Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, § 162 Rdn. 48. 989 Der Begriff ist nach Erb allgemein gebräuchlich, vgl. Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, § 165 Rdn. 1. 990 Plöd, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 3, § 165 Rdn. 9; Wohlers, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 3, § 165 Rdn. 17; Koller, Die Staatsanwaltschaft, 1997, S. 365 f.; Gössel, GA 1980, 325 (347). 991 Wohlers, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 3, § 165 Rdn. 8 ff.; Zöller, Heidelberger Kommentar, StPO, § 165 Rdn. 1, 3 ff. 992 RGSt 30, 400 (401); 68, 375 (377); BGHSt 9, 233 (233 f.); Achenbach, in: Wassermann, AK-StPO, § 165 Rdn. 4; Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, § 165 Rdn. 12; Zöller, Heidelberger Kommentar, StPO, § 165 Rdn. 5. 993 BGHSt 9, 233 (233 f.); Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, § 162 Rdn. 48; Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 8 Rdn. 5. 994 Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, § 165 Rdn. 12; Zöller, Heidelberger Kommentar, StPO, § 165 Rdn. 5.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

Beurteilung, ob die vom Angeklagten im Einzelfall dargelegte Befangenheitsbesorgnis gerechtfertigt ist, muss jedoch neben den oben erwähnten Aspekten auch berücksichtigt werden, dass der Richter mit den einzelnen Untersuchungshandlungen nur einzelne Ausschnitte der Ermittlungen übernimmt und diese auch nur auf ihre gesetzliche Zulässigkeit zu prüfen hat, vgl. § 162 Abs. 2 StPO. Demnach beurteilt der Richter nicht die Legitimität des Ermittlungsverfahrens als Ganzes995 oder gar das Bestehen eines erhöhten Verdachtsgrades,996 was unter Umständen eine Befangenheitsbesorgnis rechtfertigen könnte. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass dem Richter bewusst ist, dass er nur einen ausschnittartigen Einblick in das mutmaßliche Tatgeschehen erhält. Aus diesem Grund dürften die Vor-Eindrücke seine weitere Wahrnehmung nicht erheblich beeinflussen. Insofern sind für die Frage, ob eine Befangenheitsbesorgnis in einer derartigen Konstellation gerechtfertigt erscheint, die Besonderheiten des Einzelfalls in besonders hohem Maße relevant. Je höher der Anteil der Ermittlungshandlungen des Richters an dem gesamten Ermittlungsverfahren ist, desto größer dürfte die Gefahr seiner Befangenheit sein. Ebenso dürfte die Maßgeblichkeit eines vom Richter als Ermittlungsrichter gewonnenen Beweismittels die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn z. B. die Aussage eines abwesenden Zeugen, dessen Vernehmung der Richter geführt hat, ausschlaggebend für die Strafbarkeit des Angeklagten ist und der Richter so zwar nicht seine eigene Aussage, aber doch eine unter Umständen von ihm geleitete Aussage würdigen müsste. Die Vorbefassung des Richters als Ermittlungsrichter, ohne dass dieser Zwangsmaßnahmen angeordnet hätte, führt grundsätzlich nicht zur Ablehnbarkeit des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit. Die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls können jedoch durchaus zur Ablehnung führen. (bb) Maßnahmen im Zusammenhang mit der Anordnung der Untersuchungshaft oder anderer Zwangsmaßnahmen Neben richterlichen Handlungen im Ermittlungsverfahren gemäß §§ 162, 165, 166 StPO gilt für zahlreiche Zwangsmaßnahmen gegen den Beschuldigten oder Dritte im Ermittlungsverfahren der Richtervorbehalt.997 Entsprechend kann der Fall eintreten, dass derjenige Richter, der im Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten eine Zwangsmaßnahme angeordnet hat, z. B. einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hat, dem Angeklagten später in der Hauptverhandlung als erkennender Richter gegenübersteht, vgl. § 125 StPO. Problematisch ist in diesem Zusammen995 Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, § 162 Rdn. 41; Wohlers, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 3, § 162 Rdn. 26; Zöller, Heidelberger Kommentar, StPO, § 162 Rdn. 9. 996 Dies wird im Zusammenhang mit der Anordnung bestimmter Zwangsmaßnahmen sowie dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses relevant. 997 Vgl. §§ 114 Abs. 1, 81 Abs. 2, 3, 131 Abs. 1, 163 f Abs. 3, 81 h Abs. 2 S. 1, 100b Abs. 1 S. 1, 100 f Abs. 4 i.V.m. § 100b Abs. 1, 100d Abs. 1, 100i Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 100b Abs. 1, 81a Abs. 2, 81 f Abs. 1, 81c Abs. 5, 98 Abs. 1, 111e Abs. 1 S. 1, 105 Abs. 1 100j Abs. 3 StPO. Vgl. auch das Zustimmungserfordernis des Richters in den Fällen des § 110b Abs. 2 S. 1 StPO.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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hang, dass aus Sicht des Angeklagten der Richter, der zuvor schon einen Eingriff in seine Rechte zugelassen oder angeordnet hat, nunmehr in der Hauptverhandlung unvoreingenommen über ihn und die Tat urteilen soll.998 Dem Angeklagten drängt sich daher der Verdacht auf, dass sich der Richter bereits ein Urteil gebildet hat, das nun seine Wahrnehmung beeinflusst.999 Der Richter erhält zudem zum Zweck der Anordnung von Zwangsmaßnahmen Aktenmaterial, aus dem er die Ermittlungsergebnisse entnehmen können muss.1000 Somit erlangt er als ersten Eindruck von der Sache einen Vor-Eindruck von dem Beschuldigten und seiner mutmaßlichen Tat aus Sicht der Ermittlungsbehörden. Ordnet er daraufhin eine Zwangsmaßnahme gegen den Beschuldigten an, trifft er eine Einschätzung hinsichtlich des Verdachts gegen den Beschuldigten, die derjenigen der Ermittlungsbehörden entspricht.1001 Für zahlreiche Zwangsmaßnahmen bedeutet dies die Bejahung eines Anfangsverdachts bezüglich einer Tat1002 bzw. des (Anfangs-)Verdachts einer Tat von erheblicher Bedeutung1003 oder einer Katalogtat.1004 Mithin bestätigt der Richter mit der Anordnung dieser Zwangsmaßnahmen, dass die Möglichkeit der Tatbegehung durch den Beschuldigten im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO besteht. Die Annahme dieses – noch verhältnismäßig geringen – Verdachtsgrades gefährdet für sich genommen jedoch die Unvoreingenommenheit des Richters nicht. Problematischer ist demgegenüber die Anordnung von Zwangsmaßnahmen, die mit der Bejahung eines dringenden Tatverdachtes gegen den Beschuldigten einhergehen. Hierunter fallen der Erlass sowie die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls, §§ 112 ff. StPO, die Unterbringung zur Beobachtung des Beschuldigten, § 81 StPO, sowie die Ausschreibung zur Festnahme, § 131 StPO. Da der dringende Tatverdacht eine der Voraussetzungen für die Anordnung dieser Zwangsmaßnahmen ist, gibt der Richter mit der Anordnung zu verstehen, dass aus seiner Sicht eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte eine strafbare Handlung begangen

998

Vgl. auch Kern, in: FS von Weber, 1963, S. 368 (372 f.). Vgl. auch Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 97. 1000 BGH NJW 2003, 3693 (3695); vgl. auch zu Untersuchungshandlungen Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 162 Rdn. 19a. 1001 Vgl. auch Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 97. 1002 So für die körperliche Untersuchung nach § 81a StPO, die Untersuchung von Dritten, § 81c StPO, die molekulargenetische Untersuchungen, § 81e-f StPO, die Sicherstellung und Beschlagnahme, §§ 94 ff., 111b ff. StPO, die Durchsuchung gemäß § 102 ff. StPO und die Auskunft über nach §§ 95 und 111 TKG erhobene Daten nach § 110j StPO. 1003 So für die längerfristige Observation gemäß § 163 f StPO und die DNA-Untersuchungen nach § 81 h StPO. 1004 So für den Eingriff in de Telekommunikation nach § 100a StPO, das Abhören und Aufzeichnen des außerhalb (§ 100 f StPO) bzw. innerhalb (§ 100c StPO) gesprochenen Wortes sowie den Einsatz technischer Mittel gemäß § 110i StPO. 999

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

hat.1005 Wenn derselbe Richter im weiteren Verlauf des Verfahrens zum erkennenden Richter wird, widerspricht gegebenenfalls die Tatsache, dass der Richter den dringenden Tatverdacht bereits bejaht hatte, der Annahme, er sei als erkennender Richter unvoreingenommen. Er hat sich schließlich schon ein Bild von dem Beschuldigten und seiner mutmaßlichen Tat gemacht und es nicht nur für möglich, sondern für sehr wahrscheinlich gehalten, dass dieser die Tat begangen hat.1006 Aus dieser Feststellung lassen sich bereits Zweifel an der Unvoreingenommenheit desselben Richters als erkennendem Richter ziehen.1007 Hinzu kommen zwei weitere Aspekte: Der Richter ordnet gerade aufgrund der angenommenen Begehungswahrscheinlichkeit einen Eingriff in Grundrechte des Beschuldigten an. Entfällt der Verdacht gegen den Beschuldigten im weiteren Verfahren, war die Anordnung des Zwangsmittels zwar nicht rechtswidrig, aber doch unnötig. Der Beschuldigte wird beispielsweise gemäß § 2 Abs. 1 StrEG für die Untersuchungshaft entschädigt. Hieraus könnte folgen, dass der Richter, der schon einen Haftbefehl angeordnet hat, eher dazu neigen wird, die Beweismittel in der Hauptverhandlung zu Ungunsten des Angeklagten wahrzunehmen, weil er nach der Bestätigung seiner vorangegangenen Entscheidung sucht.1008 Zudem hat der Richter eine Entscheidung getroffen, die auch aufgrund ihrer Eingriffswirkung nach außen wahrnehmbar ist. Ein späterer Freispruch für den Angeklagten trägt für den Richter den Beigeschmack, dass seine ursprüngliche Einschätzung der Begehungswahrscheinlichkeit im Ergebnis als nicht zutreffend wahrgenommen werden kann. Auch dies kann dazu führen, dass der Richter – um keinen „Fehler“ zugeben zu müssen – eher dazu tendiert, seine vorangegangene Entscheidung bestätigt zu sehen. Beide Aspekte verstärken die Gefahr für die Unparteilichkeit des Richters. Diese Gefahr kann auch nicht durch den Verweis darauf ausgeräumt werden, dass die Vorbefassung des erkennenden Richters mit Entscheidungen zu Zwangsmaßnahmen gesetzlich vorgesehen und damit „verfahrensimmanent“1009 sei.1010 Wären gesetzliche Regelungen stets mit der Rechtsordnung vereinbar, bestünde nie die Notwendigkeit, ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Insofern kann die Überprüfung einer gesetzlichen Regelung nicht mit dem Argument beendet werden, dass 1005 Vgl. BVerfG NJW 1996, 1049 (1050); BGHSt 38, 276 (278); Graf, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 112 Rdn. 3; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 112 Rdn. 5. 1006 Vgl. auch Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 97. 1007 Vgl. auch Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 97. 1008 Vgl. oben E. I. 1. b) bb) (S. 136). 1009 So aber BVerfGE 30, 149 (154 f.); BGH, 3 StR 283/14, Beschl. v. 19. 08. 2014; BGHSt 21, 142 (144 f.); 21, 334 (341); 24, 336 (337), 50, 216 (221); BGH NJW 2014, 2372; NStZ 1994, 447; NStZ-RR 2012, 350; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 69 ff.; Dierlamm, Ausschließung und Ablehnung, 1994, Rdn. 23. Vgl. hierzu auch Ziegler, in: FS Mehle, 2009, S. 687 (693). 1010 So auch Roth, DÖV 1998, 916 (917); Schlichting, NJW 1989, 1343 (1344). Vgl. hierzu ausführlich auch Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1974, S. 183 ff.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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die gesetzliche Regelung nun einmal bestehe. Daher müssen die Zuständigkeitsregelungen hinterfragt werden, die die Identität des Richters ermöglichen, der über Zwangsmittel entscheidet und erkennender Richter wird, und untersucht werden, ob die Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften diese Konstellationen nicht umfassen müssten. Allerdings wurde bei den obigen Erwägungen ein sehr gewichtiger Gesichtspunkt noch unberücksichtigt gelassen: Die Entscheidung über die Anordnung einer Zwangsmaßnahme ist in der Regel eine vorläufige Einschätzung der Begehungswahrscheinlichkeit aufgrund eines vorläufigen Ermittlungsergebnisses.1011 So gravierend die Entscheidung für den Beschuldigten sein mag, ist sich der Richter über die Begrenztheit der ihm bei dieser Entscheidung zur Verfügung stehenden Erkenntnisse bewusst.1012 Damit geht auch das Bewusstsein darüber einher, dass das bisherige Ermittlungsergebnis und mit ihm die bisherige Einschätzung unter Umständen aufgrund neuer Erkenntnisse vollständig verworfen werden müssen.1013 Der Richter weiß mithin, dass er nicht abschließend entscheiden kann, da er (noch) über keine umfassende Kenntnis der Sachlage verfügt.1014 Auch der Beschuldigte und die Öffentlichkeit können die der getroffenen Entscheidung immanente Vorläufigkeit erkennen.1015 Aufgrund dessen ist die Gefahr für die Unvoreingenommenheit des Richters durch die Anordnung einer derartigen Zwangsmaßnahme deutlich geschmälert: Zwar erlangt der Richter tatsächlich einen ersten Eindruck von dem Beschuldigten und seiner mutmaßlichen Tat. Dieser erfolgt jedoch unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit. Da der Richter bewusst eine vorläufige Entscheidung trifft, läuft er auch nicht zwingend Gefahr, bei weiteren Wahrnehmungen auf ihre Bestätigung zu drängen. Ausschlaggebend ist, dass dem Richter nur eine vorläufige Einschätzung der Tatsachengrundlage für seine Entscheidung zur Verfügung steht. Ein bestimmender Einfluss der vorangegangenen Entscheidung bleibt aber möglich. Entsprechend ist die vorangegangene Anordnung von Zwangsmitteln von keinem der Ausschlussgründe erfasst. Auch eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit allein aufgrund der Anordnung eines Zwangsmittels ist nicht gerechtfertigt.1016 Allerdings können – wie stets – Besonderheiten des Einzelfalls zu einer 1011 Vgl. Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 126; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 98; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1974, S. 188; ders., NJW 1974, 1545 (1546). Selbst in dem Fall, in dem die Ermittlungsbehörden den Fall als „ausermittelt“ ansehen und dann z. B. ein Haftbefehl beantragt wird, kann das weitere Ermittlungsverfahren noch neue Erkenntnisse mit sich bringen. 1012 So auch Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 183. 1013 So auch Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1974, S. 188; ders., NJW 1974, 1545 (1546). 1014 So auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 78. 1015 Vgl. Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 183; Mahne, Der Befangenheitsantrag im Strafprozess, 1979, S. 31. 1016 BGH, 3 StR 283/14, Beschl. v. 19. 08. 2014; BGH NJW 2014, 2372; NStZ 2011, 44 (46); BGH bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1985, 492; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO,

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

berechtigten Befangenheitsbesorgnis führen, so z. B. wenn die Begründung des Haftbefehls erkennen lässt, dass sich der Richter bereits vorzeitig endgültig festgelegt hat.1017 Dies aber stellt, wie schon in anderen Konstellationen angesprochen,1018 einen eigenen Ablehnungsgrund dar und führt nicht zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund der Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren durch die Anordnung einer Zwangsmaßnahme. Insgesamt führt damit nach nationalem Recht die Beteiligung des Richters am Ermittlungsverfahren – solange im Einzelfall keine besonderen Umstände hinzukommen – nicht zum Ausschluss oder zur Ablehnbarkeit des so vorbefassten Richters. (b) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Zu untersuchen ist im Folgenden, wie diese Frage am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK einzuschätzen ist. (aa) Einzelfälle Mit der Vorbefassung des Richters im Vorverfahren hat sich der EGMR bereits in zahlreichen Verfahren befasst. a) De Cubber ./. Belgien1019 Den Grundstein zu seiner Rechtsprechung in diesem Bereich legte der EGMR in seiner Entscheidung im Verfahren De Cubber ./. Belgien. In diesem rügte der Beschwerdeführer, dass einer der drei Richter, die ihn verurteilten, zuvor als Ermittlungsrichter mit der Sache befasst war,1020 wobei er unter anderem einen Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer erlassen hatte.1021 Der EGMR betonte, dass dem Richter als Ermittlungsrichter sehr weitreichende Befugnisse zukamen und dass er an dem gegen den Beschwerdeführer erlassenen Haftbefehl mitgewirkt hatte.1022 Zweifel des Angeklagten an der Unparteilichkeit des Richters, dem er sich im § 24 Rdn. 14; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 8; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 77; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 126; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 181; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 97. Noch weitgehender Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1974, S. 188 f. 1017 BGHSt 50, 216 (221 f.); BGH GA 1962, 282; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 128; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 184 f.; so wohl auch Mahne, Der Befangenheitsantrag im Strafprozess, 1979, S. 31. Vgl. auch BGH JR 1972, 119 m. Anm. K. Peters, JR 1972, 119 (120); BGH VRS 41, 203 (205 ff.). 1018 Vgl. oben E. II. 1. a) (S. 142). 1019 EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80. 1020 EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 23. 1021 EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 8. 1022 EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 29.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Hauptverfahren gegenüber sehe, nachdem dieser bereits einen Haftbefehl gegen ihn erlassen und ihn im Ermittlungsverfahren vernommen habe, seien durchaus naheliegend.1023 Bedenken äußerte der EGMR auch hinsichtlich der umfangreichen Kenntnisse, die der Richter im Ermittlungsverfahren bereits gewonnen hatte, und der Tatsache, dass er über die Rechtmäßigkeit seiner eigenen Ermittlungsmaßnahmen entscheiden müsste, soweit dies erforderlich wird.1024 Im Ergebnis wurde eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK bejaht.1025 b) Hauschildt ./. Dänemark1026 Eine Fortführung der in De Cubber ./. Belgien aufgestellten Grundprämisse, dass die Vorbefassung im Ermittlungsverfahren unter Umständen die Unparteilichkeit des erkennenden Richters gefährden könne, nahm der EGMR in der Entscheidung Hauschildt ./. Dänemark vor. In diesem Verfahren entsprach die Vortätigkeit der erkennenden Richter als Ermittlungsrichter und insbesondere der Erlass und die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1027 Der EGMR hingegen stellte heraus, dass die Fragen, die der Richter bei der Vornahme von Handlungen im Ermittlungsverfahren beantworten müsse, nicht dieselben seien, die für das verfahrensbeendende Urteil entscheidend seien.1028 Bei dem Erlass eines Haftbefehls oder anderen Entscheidungen im Ermittlungsverfahren bewerte der Richter das vorhandene Beweismaterial summarisch, um festzustellen, ob prima facie hinreichend Gründe für einen Tatverdacht sprächen.1029 Für das Urteil müsse der Richter demgegenüber beurteilen, ob die Beweise, die im Verfahren vorgebracht und erörtert wurden, ausreichten, um die Schuld des Angeklagten festzustellen.1030 Der Verdacht und die verfahrensmäßige Feststellung der Schuld könnten nicht gleichgestellt werden.1031 Allerdings sah der EGMR in diesem Fall einen Grund zur Abweichung von diesem Grundsatz: Nach dänischem Recht setzte die Anordnung der Untersuchungshaft einen besonders bestätigten Verdacht der Tatbegehung voraus.1032 Dieser Terminus wurde in dem Verfahren erläutert als sehr hoher Grad an Klarheit über die Frage der Schuld.1033 Daher entschied der EGMR, dass in diesem Fall der Unter1023 1024 1025 1026 1027 1028 1029 1030 1031 1032 1033

EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 29. EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 29. EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 36. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 43. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 33, 51 f. EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 52.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

schied zwischen der Beurteilung eines Verdachtsgrades und der Schuld gering war, und hielt die Zweifel des Beschwerdeführers an der Unparteilichkeit der Richter für gerechtfertigt.1034 Entsprechend wurde eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK auch hier bejaht. c) Sainte-Marie ./. Frankreich1035 Auf den Grundsatz, den er in der Entscheidung Hauschildt ./. Dänemark aufgestellt hatte, verwies der EGMR erstmals im Verfahren Sainte-Marie ./. Frankreich. Die Rüge des Beschwerdeführers in diesem Verfahren betraf die Vorbefassung zweier von drei erkennenden Richtern.1036 Diese hatten ihn letztlich verurteilt, nachdem sie zuvor die Fortdauer seiner Untersuchungshaft – wenn auch im Zusammenhang mit einem anderen gegen ihn gerichteten Strafverfahren – bestätigten.1037 Der EGMR betonte den Grundsatz, nach dem allein die Tatsache, dass der erkennende Richter zuvor Zwischenentscheidungen im Ermittlungsverfahren getroffen oder sogar über die Untersuchungshaft des Angeklagten entschieden hatte, keine gerechtfertigten Zweifel an der Unparteilichkeit dieses Richters begründen könne, wenn nicht besondere Umstände hinzukämen.1038 Da solche Umstände hier nicht vorlagen, verneinte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1039 d) Fey ./. Österreich1040 Eine Erweiterung der Hauschildt-Rechtsprechung erfolgte im Verfahren Fey ./. Österreich.1041 Der EGMR hob wiederum hervor, dass die bloße Tatsache, dass der erkennende Richter zuvor Entscheidungen im Ermittlungsverfahren getroffen habe, Zweifel an dessen Unparteilichkeit nicht rechtfertigen könne.1042 Dieser Grundsatz gelte nicht nur für Rechtssysteme, in denen die Ermittlungen und Anklage allein der Polizei und der Staatsanwaltschaft oblägen, sondern auch für solche, in denen Ermittlungsrichter vorgesehen seien.1043 Die Neuerung bestand dabei in der Feststellung des EGMR, maßgeblich seien das Ausmaß und die Natur der Maßnahmen des Richters im Ermittlungsverfahren.1044 Im hier gegenständlichen Ermittlungsverfahren hatte die Richterin zwar eine Zeugin vernommen, dies jedoch nur auf ein Rechtshilfeersuchen des Ermittlungs1034 1035 1036 1037 1038 1039 1040 1041 1042 1043 1044

EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 52. EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87. EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87, Ziff. 30. EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87, Ziff. 30. EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87, Ziff. 32. EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87, Ziff. 33 f. EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88. EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 25 f. EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30. EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30. EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

187

richters hin, das sehr spezifische Fragen an die Zeugin enthielt.1045 Die Richterin protokollierte lediglich die Aussagen der Zeugin, ohne die Berechtigung der Anschuldigungen einzuschätzen, und ohne dass absehbar war, dass sie später erkennende Richterin sein würde.1046 Weiterhin nahm die Richterin einige Maßnahmen im Ermittlungsverfahren vor, die sich jedoch darauf beschränkten, Informationen von einer Bank und zwei Versicherungen einzuholen und die Prozessakte an ein weiteres Gericht zu übersenden, damit dort weitere Befragungen des Beschuldigten vorgenommen werden können.1047 Aus der Sicht des EGMR führte all dies dazu, dass die Richterin sich erst in der Hauptverhandlung, in der sie sowohl den Angeklagten als auch die Zeugin anhörte und alle Beweise erhoben wurden, erstmalig einen Eindruck von der Schuld des Angeklagten verschaffte.1048 Das Ausmaß und die Natur der hier im Ermittlungsverfahren vorgenommenen Maßnahmen seien mit denjenigen im Verfahren De Cubber./. Belgien nicht vergleichbar, da dort ein Richter weitreichende Ermittlungen vorgenommen und mehrfach den Beschuldigten befragt hatte.1049 Daher verneinte der EGMR hier eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1050 e) Padovani ./. Italien1051 Ebenso verneinte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK im Verfahren Padovani ./. Italien aufgrund der Tatsache, dass der Richter, der den Beschwerdeführer im beschleunigten Verfahren verurteilte, bereits vor dem Hauptverfahren den Beschuldigten befragt, einen Haftbefehl gegen ihn erlassen sowie ihn vorgeladen hatte.1052 Diese Entscheidung stützte der EGMR darauf, dass der Richter nur den Beschuldigten sowie zwei weitere Beschuldigte befragt hatte, obwohl ihm weiterreichende Maßnahmen offen gestanden hätten, sowie darauf, dass der Richter in der Begründung des Haftbefehls maßgeblich auf die eigene Aussage des Beschuldigten abstellte.1053 Zudem hob der EGMR hervor, dass das gegenständliche beschleunigte Verfahren gerade auch dazu dient, der Garantie eines Verfahrens innerhalb angemessener Frist im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMR gerecht zu werden.1054

1045 1046 1047 1048 1049 1050 1051 1052 1053 1054

EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 31. EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 31. EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 32. EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 34. EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 35. EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 36. EGMR, Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87. EGMR, Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 28 f., 11. EGMR, Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 28. EGMR, Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 28.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

f) Nortier ./. Niederlande1055 Auch im Verfahren Nortier ./. Niederlande sah der EGMR einen Fall von für die Unparteilichkeit des Richters unbedenklicher Vorbefassung. Der Beschwerdeführer rügte, dass der erkennende Jugendrichter zuvor als Ermittlungsrichter vorbefasst war und mehrfach die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet hatte.1056 Gerade im Zusammenhang mit der Haftfortdauer habe sich der Richter ein Urteil über die Verurteilungswahrscheinlichkeit bilden müssen, da die fortdauernde Untersuchungshaft die zu erwartende Strafhaft oder sonstige Maßnahmen nicht überschreiten solle.1057 Der EGMR verwies auch hier auf den Grundsatz, dass die Tatsache, dass ein Richter bereits Entscheidungen im Ermittlungsverfahren getroffen hat, einschließlich solcher im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft, als solche keine Zweifel an der Unparteilichkeit dieses Richters rechtfertigen kann.1058 Maßgeblich seien der Umfang und die Natur dieser Entscheidungen.1059 Hier habe der Jugendrichter neben den Haftentscheidungen im Ermittlungsverfahren lediglich dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine psychiatrische Untersuchung des Beschuldigten stattgegeben, dem dieser nicht widersprach.1060 Den Entscheidungen über die Haftfortdauer waren keine besonderen, dem Verfahren Hauschildt ./. Dänemark vergleichbaren Umstände zu entnehmen: Der Richter hatte lediglich summarisch zu prüfen, ob prima facie erhebliche Anhaltspunkte für die Anschuldigungen gegen den Beschuldigten vorlagen.1061 Diese hatte der Beschuldigte bereits zugegeben.1062 Daher verneinte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1063 g) Saraiva de Carvalho ./. Portugal1064 Mit ähnlicher Begründung verneinte der EGMR auch im Verfahren Saraiva de Carvalho ./. Portugal eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1065 Die vom Beschwerdeführer gerügte Vorbefassung des erkennenden Richters durch den Erlass des despacho de pronúncia, der zur Eröffnung der Hauptverhandlung führt, und die

1055 1056 1057 1058 1059 1060 1061 1062 1063 1064 1065

EGMR, Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88. EGMR, Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 31. EGMR, Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 31. EGMR, Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 33. EGMR, Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 33. EGMR, Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 34. EGMR, Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 35. EGMR, Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 35. EGMR, Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 37. EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89. EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 40.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Anordnung der Haftfortdauer1066 sah der EGMR als nicht hinreichend an, um Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.1067 Er verwies erneut darauf, dass die Vorbefassung durch Entscheidungen im Ermittlungsverfahren als solche keine Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters rechtfertigen könne und es auf die Tragweite und Natur der vom Richter vor dem Hauptverfahren getroffenen Entscheidung ankomme.1068 Für den Erlass des despacho de pronúncia stellte der Richter fest, dass es im Ermittlungsverfahren zu keinen Unregelmäßigkeiten gekommen war und auch sonst dem Verfahren keine Hindernisse entgegenstanden.1069 Darüber hinaus musste er prüfen, ob es hinreichende Beweise gab, um eine zuverlässige Bewertung der Wahrscheinlichkeit der Schuld des Angeklagten vorzunehmen.1070 Darin unterscheide sich der Fall von dem Verfahren Hauschildt ./. Dänemark, da gerade kein erhöhter Verdachtsgrad festzustellen war, und ähnele eher dem Verfahren Nortier ./. Niederlande, in dem nur erhebliche Anhaltspunkte erforderlich waren.1071 Die summarische Überprüfung der Beweismittel könne nicht mit der verfahrensmäßigen Feststellung der Schuld verglichen werden.1072 Die umfangreichen Kenntnisse, über die der Richter verfügte, führten nicht zu Vorurteilen, die seine Unparteilichkeit beschränkten.1073 Zudem habe der Richter keine Ermittlungsmaßnahmen vorgenommen.1074 Auch hinsichtlich der Anordnung der Haftfortdauer lagen keine besonderen Umstände vor, die zu berechtigten Zweifeln an der Unparteilichkeit des Richters hätten führen können.1075 h) Bulut ./. Österreich1076 Eine Fortsetzung fand diese Rechtsprechung des EGMR im Verfahren Bulut ./. Österreich. Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK durch die Vorbefassung eines der erkennenden Richter im Vorverfahren.1077 Auf dessen Vorbefassung wurde der Beschwerdeführer allerdings bereits vor dem und erneut im Hauptverfahren durch den vorsitzenden Richter aufmerksam gemacht und

1066

EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 30. EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 40. 1068 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 35. 1069 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 36. 1070 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38, 12. 1071 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38. 1072 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38. 1073 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38. 1074 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38. 1075 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 39. 1076 EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90. 1077 EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 25 f. 1067

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

befragt, ob er den Richter wegen dieser ablehnen wolle.1078 Der Beschwerdeführer lehnte den Richter jedoch nicht ab, sondern sein Verteidiger erklärte laut dem Verhandlungsprotokoll den Verzicht auf die Ablehnung.1079 Aufgrund der Widersprüchlichkeit der entscheidenden österreichischen Vorschriften zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Ablehnung des Richters untersuchte der EGMR davon losgelöst die Erheblichkeit der Vorbefassung.1080 In diesem Zusammenhang stellte er fest, dass der Richter im Vorverfahren lediglich zwei Zeugen befragt hatte.1081 Unter Bezugnahme auf den in Hauschildt ./. Dänemark aufgestellten Grundsatz verwies der EGMR darauf, dass der Richter hier im Vorverfahren keine Entscheidungen oder Feststellungen zu den Beweismitteln getroffen und auch keine Rückschlüsse zur Beteiligung des Beschuldigten gezogen hatte.1082 Aus diesem Grund verneinte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1083 i) Tierce und andere ./. San Marino1084 Einen der Fälle, in denen der EGMR, ähnlich zur Entscheidung De Cubber ./. Belgien, die Vorbefassung des erkennenden Richters im Vorverfahren für bedenklich hielt, stellt das Verfahren Tierce und andere ./. San Marino dar: Im Strafverfahren gegen den ersten Beschwerdeführer hatte der Commissario della Legge richterliche Ermittlungen im Vorverfahren durchgeführt und war anschließend erkennender Richter in erster (und sogar in zweiter) Instanz.1085 Der EGMR untersuchte den Umfang und die Natur der Maßnahmen, die der Richter im Vorverfahren ergriffen hatte.1086 Dieser hatte mehr als zwei Jahre lang die Ermittlungen gegen den Beschuldigten geführt, ihn, das Tatopfer sowie Zeugen mehrfach vernommen, Sachverständigengutachten angeordnet, den Sachverständigen vernommen, zwei Mal die Sicherungspfändung des Eigentums des Beschuldigten angeordnet und Anklage gegen ihn erhoben.1087 Angesichts dieser Vermischung der Funktionen von ermittelndem und erkennendem Richter hielt der EGMR die Zweifel des Beschwerde-

1078

EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 27. EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 27. 1080 EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 29 f. 1081 EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 33. 1082 EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 33 f. 1083 EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 34. 1084 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2000, Tierce und andere ./. San Marino, Nr. 24954/94, 24971/94, 24972/94. 1085 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2000, Tierce und andere ./. San Marino, Nr. 24954/94, 24971/94, 24972/94, Ziff. 66. 1086 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2000, Tierce und andere ./. San Marino, Nr. 24954/94, 24971/94, 24972/94, Ziff. 77. 1087 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2000, Tierce und andere ./. San Marino, Nr. 24954/94, 24971/94, 24972/94, Ziff. 79. 1079

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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führers an der Unparteilichkeit des Richters für gerechtfertigt und bejahte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1088 j) Perote Pellon ./. Spanien1089 In diese Rechtsprechung des EGMR fügt sich auch seine Entscheidung im Verfahren Perote Pellon ./. Spanien ein. Hier rührten die Bedenken an der Unparteilichkeit zweier Richter seitens des Beschwerdeführers daher, dass die Richter seine Beschwerde gegen die Eröffnung des Verfahrens zurückgewiesen, die Fortdauer seiner Haft angeordnet und sein Rechtsmittel gegen diese zurückgewiesen hatten.1090 Wiederum verwies der EGMR auf den Grundsatz, dass allein die Tatsache, dass der Richter bereits im Ermittlungsverfahren Entscheidungen getroffen hat, keinen Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters rechtfertigen könne.1091 Angesichts der umfangreichen und sogar nach Rechtsbehelfen wiederholten Beteiligung an Entscheidungen im Vorverfahren bejahte der EGMR aber in diesem Verfahren eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1092 k) Cianetti ./. Italien1093 Ähnlich der Entscheidung des EGMR in Hauschildt ./. Dänemark lag der Fall im Verfahren Cianetti ./. Italien: Hier hatten die drei erkennenden Richter zuvor über die vorsorgliche Enthebung des Beschwerdeführers aus seiner Stellung innerhalb der Université de Pérouse entschieden1094 und zwei von ihnen einen Antrag des Beschwerdeführers in einem anderen Strafverfahren, dem jedoch dieselben Tatsachen zugrunde lagen, zurückgewiesen.1095 Auch hier erinnerte der EGMR daran, dass die bloße Tatsache, dass ein Richter bereits im Vorverfahren Entscheidungen getroffen habe, keine Zweifel an seiner Unparteilichkeit rechtfertige.1096 In diesem Fall jedoch hatten die Richter bei ihren Entscheidungen bereits feststellen müssen, ob hinreichende Anhaltspunkte darauf schließen ließen, dass eine Straftat begangen wurde.1097 Darin sah der EGMR die Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK begründet.1098

1088

EGMR, Urt. v. 25. 07. 2000, Tierce und andere ./. San Marino, Nr. 24954/94, 24971/94, 24972/94, Ziff. 80, 83. 1089 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99. 1090 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 34 ff. 1091 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 47. 1092 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 50 ff. 1093 EGMR, Urt. v. 22. 04. 2004, Cianetti ./. Italien, Nr. 55634/00. 1094 EGMR, Urt. v. 22. 04. 2004, Cianetti ./. Italien, Nr. 55634/00, Ziff. 39, 13 f. 1095 EGMR, Urt. v. 22. 04. 2004, Cianetti ./. Italien, Nr. 55634/00, Ziff. 39, 16. 1096 EGMR, Urt. v. 22. 04. 2004, Cianetti ./. Italien, Nr. 55634/00, Ziff. 40. 1097 EGMR, Urt. v. 22. 04. 2004, Cianetti ./. Italien, Nr. 55634/00, Ziff. 42. 1098 EGMR, Urt. v. 22. 04. 2004, Cianetti ./. Italien, Nr. 55634/00, Ziff. 45.

192

E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

l) Jasin´ski ./. Polen1099 Im Verfahren Jasin´ski ./. Polen rügte der Beschwerdeführer, dass der erkennende Richter zuvor bereits seine Haftfortdauer angeordnet und mehrfach seine Anträge auf Haftentlassung abgewiesen habe.1100 Der EGMR erinnerte daran, dass allein die Tatsache, dass der erkennende Richter bereits im Vorverfahren Entscheidungen – einschließlich solcher über die Haft – getroffen habe, zwar Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters wecken, diese jedoch für sich genommen nicht rechtfertigen könne.1101 Bei Entscheidungen über die Haftfortdauer oder anderen Entscheidungen im Vorverfahren überprüfe der Richter summarisch die verfügbaren Informationen, um festzustellen, ob es prima facie Gründe für den Verdacht gäbe, der Beschuldigte habe eine Straftat begangen; für das Urteil hingegen müsse der Richter entscheiden, ob die Beweismittel, die im Hauptverfahren einbezogen und erörtert wurden, ausreichen, um die Schuld des Angeklagten festzustellen.1102 Wie schon in Hauschildt ./. Dänemark betonte der EGMR, dass Verdacht und verfahrensmäßige Feststellung der Schuld nicht gleichbehandelt werden dürfen.1103 Vorliegend hatte der Richter innerhalb von sieben Monaten sechs Mal über die Haft des Beschwerdeführers entschieden.1104 Bereits die erste Entscheidung hatte er damit begründet, dass angesichts der bis dahin erlangten Beweise hinsichtlich der Anschuldigung gegen den Beschuldigten ein hinreichender Grad an Wahrscheinlichkeit bestehe.1105 Nach Ansicht des EGMR beinhaltete dies jedoch nicht die Überzeugung, der Beschuldigte habe die Tat begangen.1106 Bei den weiteren Entscheidungen über die Haftfortdauer habe sich der Richter maßgeblich auf zwei Gesichtspunkte gestützt: Die Taten, derer der Beschwerdeführer beschuldigt wurde, waren in erheblichem Maße gemeingefährlich und unterfielen den speziellen Regeln für Wiederholungstäter.1107 Obwohl diese beiden Umstände letztlich auch für das Urteil relevant waren, begründeten sie davon unabhängig die Haft und waren daher bereits in deren Zusammenhang zu prüfen.1108 Ihre Feststellung hielt der EGMR für angemessen und konnte aus ihr daher keine Vorurteile des Richters gegenüber dem Beschwerdeführer erkennen.1109 Entsprechend verneinte er eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1110 1099 1100 1101 1102 1103 1104 1105 1106 1107 1108 1109 1110

EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 49. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 56. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 56. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 56. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 56. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 56. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 56. EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 58.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

193

m) Mathony ./. Luxemburg1111 Demgegenüber erkannte der EGMR im Verfahren Mathony ./. Luxemburg eine deutliche Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Die erkennenden Richter hatten zuvor die Ablehnung des Antrags des Beschwerdeführers auf Aufhebung der Beschlagnahme seines Fahrzeuges bestätigt.1112 Wiederum verwies der EGMR auf seinen in Hauschildt ./. Dänemark aufgestellten Grundsatz.1113 Hier war die Ablehnung des Antrags, die die Richter bestätigt hatten, jedoch mit der „Schwere der Fakten“, die gegen den Beschwerdeführer sprachen, seiner „juristischen Vorgeschichte“ und der Absicht, „den Rückfall“ des Beschwerdeführers „zu verhindern“, begründet.1114 Diesem Wortlaut entnahm der EGMR, dass die Richter nicht über die Frage der Rückgabe des beschlagnahmten Fahrzeuges, sondern vielmehr bereits über die Anschuldigungen gegenüber dem Beschwerdeführer entschieden hatten, und bejahte daher eine Verletzung der richterlichen Unparteilichkeit.1115 n) Nesˇˇták ./. Slowakei1116 Diese Rechtsprechung setzte der EGMR in seiner Entscheidung Nesˇˇták ./. Slowakei fort. In diesem Verfahren hatte dasselbe Gericht zunächst über Rechtsmittel des Beschwerdeführers gegen seine Haftfortdauer und später über solche gegen seine Verurteilung und Strafe entschieden.1117 Trotz Verweises auf seinen Grundsatz aus Hauschildt ./. Dänemark bejahte der EGMR hier eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK: Das Gericht hatte bereits vor dem Hauptverfahren im Zuge eines in cameraVerfahrens, bei dem zwar die Anklage, nicht jedoch auch die Verteidigung zugegen war, geäußert, dass der Beschwerdeführer die Tat begangen habe.1118 Insofern lag die Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK jedoch in den Äußerungen des Gerichts und nicht in der Vorbefassung als solchen. o) Ekeberg und andere ./. Norwegen1119 Die Entscheidung Ekeberg und andere ./. Norwegen beruhte zwar nicht auf einer derart deutlichen Feststellung des Gerichts, hatte aber erhebliche Ähnlichkeit zur Entscheidung Hauschildt ./. Dänemark. In diesem Verfahren hatte ein Richter vor dem Verfahren bereits über die Haftfortdauer eines der Beschwerdeführer ent-

1111 1112 1113 1114 1115 1116 1117 1118 1119

u. a.

EGMR, Urt. v. 15. 02. 2007, Mathony ./. Luxemburg, Nr. 15048/03. EGMR, Urt. v. 15. 02. 2007, Mathony ./. Luxemburg, Nr. 15048/03, Ziff. 24, 29. EGMR, Urt. v. 15. 02. 2007, Mathony ./. Luxemburg, Nr. 15048/03, Ziff. 29. EGMR, Urt. v. 15. 02. 2007, Mathony ./. Luxemburg, Nr. 15048/03, Ziff. 30 f. EGMR, Urt. v. 15. 02. 2007, Mathony ./. Luxemburg, Nr. 15048/03, Ziff. 34 ff. EGMR, Urt. v. 27. 02. 2007, Nesˇˇták ./. Slowakei, Nr. 65559/01. EGMR, Urt. v. 27. 02. 2007, Nesˇˇták ./. Slowakei, Nr. 65559/01, Ziff. 97. EGMR, Urt. v. 27. 02. 2007, Nesˇˇták ./. Slowakei, Nr. 65559/01, Ziff. 100 f. EGMR, Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

schieden.1120 Der EGMR verwies wiederum darauf, dass die bloße Tatsache, dass ein Richter bereits im Vorverfahren Entscheidungen getroffen habe, für sich genommen keine Zweifel an dessen Unparteilichkeit rechtfertigen könne; hierfür seien vielmehr besondere Umstände erforderlich.1121 Maßgeblich seien in diesem Zusammenhang die Reichweite und Natur der vom Richter getroffenen Entscheidungen.1122 Die Parallelen zum Verfahren Hauschildt ./. Dänemark waren hier sehr deutlich:1123 Auch hier musste für die Haftfortdauer ein besonders bestätigter Verdacht vorliegen, dass der Beschwerdeführer die Tat begangen habe.1124 Zwar hatte anschließend im Verfahren die Jury primär über die Schuld des Beschwerdeführers zu befinden, jedoch konnten die drei Berufsrichter, von denen einer wie oben beschrieben vorbefasst war, ihrer Entscheidung widersprechen und ein erneutes Verfahren herbeiführen.1125 Auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering war, dass davon Gebrauch gemacht würde, hatte der vorbefasste Richter doch einen erheblichen Einfluss auf das Verfahren; zudem war der Unterschied zwischen seinen Entscheidungen vor und im Verfahren nur noch sehr gering.1126 Daher hielt der EGMR die Zweifel des Beschwerdeführers an der Unparteilichkeit des Richters für gerechtfertigt1127 und bejahte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1128 p) Savas¸ ./. Türkei1129 Wiederum um die Vorbefassung in Gestalt der Haftanordnung ging es im Verfahren Savas¸ ./. Türkei,1130 das der EGMR erneut zum Anlass nahm, auf seinen im Verfahren Hauschildt ./. Dänemark aufgestellten Grundsatz zu verweisen.1131 Da der Richter lediglich zu entscheiden hatte, ob es bei summarischer Prüfung der ver1120 EGMR, Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 25. 1121 EGMR, Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 34. 1122 EGMR, Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 34. 1123 EGMR, Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 37. 1124 EGMR, Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 38. 1125 EGMR, Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 42. 1126 EGMR, Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 42. 1127 EGMR, Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 44. 1128 EGMR, Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 50. 1129 EGMR, Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03. 1130 EGMR, Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 72. 1131 EGMR, Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 78.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

195

fügbaren Beweise starke Hinweise darauf gab, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat begangen habe,1132 wohingegen die Verurteilung letztlich auf ausgiebige Beweiserhebungen gestützt wurde,1133 sah der EGMR einen entscheidenden Unterschied zwischen der Bejahung der Haftvoraussetzungen und der letztlichen Verurteilung.1134 Aufgrund dessen verneinte der EGMR bereits die Zulässigkeit dieser Beschwerde.1135 q) Mironenko und Martenko ./. Ukraine1136 In Anlehnung an seine Entscheidungen in Mathony ./. Luxemburg und Nesˇˇták ./. Slowakei bejahte der EGMR auch im Verfahren Mironenko und Martenko ./. Ukraine eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht wegen der Vorbefassung als solcher, sondern wegen der Äußerung des Richters, aus der hervorging, dass er bereits von der Schuld der Beschwerdeführer überzeugt war.1137 Die Vorbefassung als solche erörterte der EGMR insofern nicht mehr. r) Adamkiewicz ./. Polen1138 Um einen Fall vertiefter Auseinandersetzung des Richters mit der Sache und umfangreicher Ermittlungsmaßnahmen vor der Hauptverhandlung ging es im Verfahren Adamkiewicz ./. Polen. Der erkennende Jugendrichter hatte zunächst die Ermittlungen geführt und anschließend die Entscheidung getroffen, die Sache an das Jugendgericht abzugeben.1139 Unter Verweis auf seinen im Verfahren Hauschildt ./. Dänemark aufgestellten Grundsatz verdeutlichte der EGMR, dass auch die vertiefte Kenntnis des Richters von der Sache nicht impliziert, dass der Richter sich bereits derart eine Meinung gebildet hat, dass es ihm unmöglich ist, unparteilich über die Sache zu entscheiden.1140 Ebenso könne die vorläufige Einschätzung der vorhandenen Beweismittel nicht mit der letztlichen Verfahrensentscheidung gleichgestellt werden.1141 Vorliegend stellte der Richter jedoch bei Abschluss der Ermittlungen fest, dass die im Laufe der Ermittlungen aufgefundenen Hinweise darauf deuteten, dass der Beschwerdeführer der Täter sei.1142 Hieraus schloss der EGMR, dass diejenigen Fragen, mit denen sich der Richter bereits im Laufe der Ermittlungen befasste, sich 1132

EGMR, Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 79. EGMR, Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 80. 1134 EGMR, Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 81. 1135 EGMR, Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 83. 1136 EGMR, Urt. v. 10. 12. 2009, Mironenko and Martenko ./. Ukraine, Nr. 4785/02. 1137 EGMR, Urt. v. 10. 12. 2009, Mironenko and Martenko ./. Ukraine, Nr. 4785/02, Ziff. 71 f. 1138 EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00. 1139 EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 65, 97. 1140 EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 101. 1141 EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 101. 1142 EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 102. 1133

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

sehr weitgehend mit denjenigen deckten, mit denen sich erst das Verfahren vor dem Jugendgericht beschäftigen sollte.1143 Daher sei es schwierig anzunehmen, dass der Richter nicht bereits ein vorgefasstes Urteil zu der Sache habe.1144 Auch unterschied der EGMR diesen Fall vom Verfahren Nortier ./. Niederlande, in dem keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK gesehen worden war, obwohl der ermittelnde und erkennende Richter personenidentisch waren, weil der Richter von seinen Ermittlungsbefugnissen nahezu keinen Gebrauch gemacht hatte und der Angeklagte von Anfang an geständig war.1145 Vorliegend hingegen nahm der Richter umfangreiche Ermittlungen vor und gab die Sache an das Jugendgericht ab.1146 Daher bejahte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1147 s) Gultyayeva ./. Russland1148 Wie in der Entscheidung Savas¸ ./. Türkei hatte im Verfahren Gultyayeva ./. Russland der Beschwerdeführer die Unparteilichkeit des Richters in Zweifel gezogen, der bereits zuvor mit Entscheidungen über die Haft des Beschwerdeführers befasst war.1149 Im Hinblick auf seinen im Verfahren Hauschildt ./. Dänemark aufgestellten Grundsatz hielt der EGMR die Beschwerde schon nicht für zulässig, da keine besonderen Umstände vorlagen, um von diesem Grundsatz abzuweichen.1150 t) Chesne ./. Frankreich1151 Über eine frühere Äußerung des Richters zur Schuld des Beschuldigten hatte der EGMR im Verfahren Chesne ./. Frankreich zu entscheiden, in dem zwei der erkennenden Richter zuvor über die Haft des Beschwerdeführers und eines weiteren Tatbeteiligten entschieden hatten.1152 Auch hier zog der EGMR seinen bewährten Grundsatz heran und hob hervor, dass die Entscheidung über die vorläufige Haft nicht mit derjenigen über die Schuld vergleichbar sei.1153 In diesem Fall hatten sich die Richter jedoch schon bei der Haftentscheidung umfangreich zur Tatbeteiligung des Beschwerdeführers und aus Sicht des EGMR auch zu seiner Schuld geäußert, so dass Zweifel an ihrer Unparteilichkeit gerechtfertigt erschienen.1154 Dem entsprechend bejahte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1155 1143 1144 1145 1146 1147 1148 1149 1150 1151 1152 1153 1154

EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 102. EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 102. EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 103. EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 104. EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 108. EGMR, Urt. v. 01. 04. 2010, Gultyayeva ./. Russland, Nr. 67413/01. EGMR, Urt. v. 01. 04. 2010, Gultyayeva ./. Russland, Nr. 67413/01, Ziff. 194. EGMR, Urt. v. 01. 04. 2010, Gultyayeva ./. Russland, Nr. 67413/01, Ziff. 197. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 32. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 36. EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 37 ff.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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u) Cardona Serrat ./. Spanien1156 Ähnlich lautete auch die Begründung des EGMR im Verfahren Cardona Serrat ./. Spanien für die Bejahung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK:1157 Die mit der Untersuchungshaft des Beschwerdeführers vorbefassten Richter hatten bei der Haftentscheidung bereits Feststellungen getroffen, die den Beschwerdeführer berechtigterweise annehmen lassen konnten, dass aus Sicht der Richter hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass eine Straftat begangen wurde und der Beschwerdeführer der Täter sei.1158 Daraus ließen sich aus der Sicht des EGMR gerechtfertigte Zweifel an der Unparteilichkeit der Richter entnehmen.1159 v) Alony Kate ./. Spanien1160 Entsprechend argumentierte und entschied der EGMR auch in dem nahezu gleich gelagerten Fall im Verfahren Alony Kate ./. Spanien, in dem der Berichterstatter des erkennenden Gerichts zuvor die Untersuchungshaft des Beschwerdeführers angeordnet hatte.1161 w) Ionut¸-Laurent¸iu Tudor ./. Rumänien1162 Im Verfahren Ionut¸-Laurent¸iu Tudor./. Rumänien bejahte der EGMR vergleichbar seiner Entscheidung in Hauschildt ./. Dänemark eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1163 Drei Richter hatten sich bereits vor dem Hauptverfahren mit Haftentscheidungen zu befassen und die Haftfortdauer – entsprechend den Erfordernissen der gesetzlichen Vorschrift – damit begründet, dass die vorliegenden Hinweise die Schlussfolgerung erlaubten, dass der Beschwerdeführer möglicherweise die ihm vorgeworfenen Taten begangen habe.1164 Laut dem EGMR konnte diese Feststellung nicht Ergebnis einer summarischen Prüfung sein, sondern ließ auf eine Überprüfung der Schuld des Beschwerdeführers schließen.1165

1155

EGMR, Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 40. EGMR, Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06. 1157 EGMR, Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 39. 1158 EGMR, Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 35. 1159 EGMR, Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 38. 1160 EGMR, Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08. 1161 EGMR, Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 49 ff., 58. 1162 EGMR, Urt. v. 24. 06. 2014, Ionut¸-Laurent¸iu Tudor ./. Rumänien, Nr. 34013/05. 1163 EGMR, Urt. v. 24. 06. 2014, Ionut¸-Laurent¸iu Tudor ./. Rumänien, Nr. 34013/05, Ziff. 82 ff., 87. 1164 EGMR, Urt. v. 24. 06. 2014, Ionut¸-Laurent¸iu Tudor./. Rumänien, Nr. 34013/05, Ziff. 84. 1165 EGMR, Urt. v. 24. 06. 2014, Ionut¸-Laurent¸iu Tudor./. Rumänien, Nr. 34013/05, Ziff. 84. 1156

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

x) Dragojevic´ ./. Kroatien1166 Zuletzt bestätigte der EGMR in der Entscheidung Dragojevic´ ./. Kroatien seine bisherige Rechtsprechung und betonte den Unterschied zwischen Entscheidungen im Ermittlungsverfahren aufgrund der bisherigen Beweislage über das Vorliegen eines Verdachts und der abschließenden Entscheidung über die Strafbarkeit im Hauptverfahren.1167 Entsprechend verneinte der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK durch die vorherige Entscheidung des Richters über die Haftfortdauer.1168 (bb) Auswertung der Entscheidungen a) Grundsatz: Hauschildt-Rechtsprechung Der EGMR verfolgt in seiner Rechtsprechung zur richterlichen Vorbefassung im Vorverfahren eine in ihrem Kern stringente Linie, deren Ursprung sich bereits im Verfahren De Cubber ./. Belgien findet, in dem der EGMR das Ausmaß der Beteiligung des Richters im Vorverfahren als nicht mehr mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar ansah.1169 Damit lässt der EGMR erkennen, dass eine erhebliche und umfangreiche Betätigung des erkennenden Richters bereits im Ermittlungsverfahren berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters wecken kann, wenn ihm der Angeklagte im Hauptverfahren gegenüber steht. Grundsätzlich wird damit die Notwendigkeit anerkannt, ermittelnde und erkennende Funktionen ab einem gewissen Ausmaß voneinander zu trennen. In Fortführung dieses Ansatzes wurde die Rechtsprechung des EGMR durch die seither viel zitierte Entscheidung im Verfahren Hauschildt ./. Dänemark besonders geprägt, die die grundlegenden Prämissen des EGMR festlegte: Die Tatsache, dass ein Richter bereits Entscheidungen im Vorverfahren getroffen hat, auch solche über die Haft und deren Fortdauer, kann nach Ansicht des EGMR grundsätzlich keine Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters rechtfertigen.1170 Dies liege darin be-

1166

EGMR, Urt. V. 15. 01. 2015, Dragojevic´ ./. Kroatien, Nr. 68955/11. EGMR, Urt. V. 15. 01. 2015, Dragojevic´ ./. Kroatien, Nr. 68955/11, Ziff. 114 f. 1168 EGMR, Urt. V. 15. 01. 2015, Dragojevic´ ./. Kroatien, Nr. 68955/11, Ziff. 116 ff., 123. 1169 EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 29. 1170 Mutatis mutandis EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50; so auch EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87, Ziff. 32; Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30; Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 33; Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 35; Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 33; Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 47; Urt. v. 22. 04. 2004, Cianetti ./. Italien, Nr. 55634/00, Ziff. 40; Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55; Urt. v. 15. 02. 2007, Mathony ./. Luxemburg, Nr. 15048/03, Ziff. 29; Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 34; Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 78; Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 101; Urt. v. 01. 04. 2010, Gultyayeva ./. Russland, Nr. 67413/01, Ziff. 197; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 36; Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona 1167

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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gründet, dass die Fragen, die der Richter bei der Vornahme von Handlungen im Ermittlungsverfahren beantworten müsse, nicht dieselben sind, die für das verfahrensbeendende Urteil entscheidend sind.1171 Während Entscheidungen im Vorverfahren lediglich eine summarische Prüfung der verfügbaren Hinweise auf die Möglichkeit einer Tatbegehung erforderten, setze die Urteilsfindung die Beurteilung voraus, ob die Beweise, die im Verfahren vorgebracht und erörtert wurden, ausreichen, um die Schuld des Angeklagten festzustellen.1172 Der Verdacht und die verfahrensmäßige Feststellung der Schuld könnten nicht gleichgestellt werden.1173 Dies müsse jedoch dann anders beurteilt werden, wenn – wie im Verfahren Hauschildt ./. Dänemark selbst – besondere Umstände hinzutreten.1174 Ergänzt wurde dieser Grundsatz noch durch die Entscheidung im Verfahren Fey ./. Österreich, seit der der EGMR wiederholt hervorhebt, dass es auf das Ausmaß und die Natur der Maßnahmen bzw. Entscheidungen ankomme, die der Richter im Vorverfahren getroffen hat.1175 Gelegentlich weist der EGMR, wenn auch im Widerspruch zu seiner Entscheidung in De Cubber ./. Belgien1176 darauf hin, dass selbst umfassende Kenntnisse des Richters, die er im Zuge seiner Vorbefassung von dem Verfahren gewonnen hat, keine Zweifel an seiner Unparteilichkeit rechtfertigen.1177 Diese Grundsätze legt der EGMR seither allen seinen Entscheidungen in diesem Zusammenhang explizit oder implizit zu Grunde, zitiert sie also entweder unter Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 31; Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/ 08, Ziff. 52. 1171 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83 Ziff. 50. So auch EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55. 1172 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50, ebenso EGMR Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55; Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 101; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 36; Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 31; Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 52. 1173 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50, ebenso EGMR Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 36; Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 31; Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 52. 1174 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 51. So auch EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87, Ziff. 32; Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 35; Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 34; Urt. v. 01. 04. 2010, Gultyayeva ./. Russland, Nr. 67413/01, Ziff. 197; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 36; Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 31; Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 52. 1175 EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30. So auch EGMR, Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 33; Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 35; Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 34. 1176 EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 29. 1177 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38; Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 101.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

Verweis auf das Verfahren Hauschildt ./. Dänemark1178 oder zieht zumindest die dort gewonnenen Wertungen heran.1179 Damit geht der EGMR keineswegs so weit, wie es zum Teil insbesondere nach seiner Entscheidung im Verfahren De Cubber ./. Belgien erwartet wurde,1180 die Vorbefassung des Richters im Vorverfahren für grundsätzlich unvereinbar mit einer anschließenden unparteilichen Tätigkeit als erkennender Richter zu halten. Vielmehr erkennt der EGMR die Zulässigkeit der Mehrfachbefassung des Richters in unterschiedlichen Verfahrensstadien derselben Instanz grundsätzlich an, legt jedoch Grenzen fest, bis zu denen diese Vorbefassung für die Unparteilichkeit unbedenklich ist, auch wenn diese Grenzen, wie gleich zu sehen sein wird, nur vage bleiben. b) Anwendung des Grundsatzes im Einzelfall Die konkreten Ergebnisse, zu denen die Anwendung dieser Grundsätze den EGMR in Einzelfällen führt, sind gegenüber den aufgestellten Grundsätzen nicht in gleichem Umfang stringent. Dennoch lassen sich zwei Fallgruppen erkennen, in denen der EGMR durchgängig eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK bejaht bzw. verneint: Dies sind einerseits diejenigen Fälle, in denen der Richter in einer Äußerung die Tatbeteiligung oder Schuld des Angeklagten positiv festgestellt hat.1181 Hier sieht der EGMR Zweifel des Angeklagten an der Unparteilichkeit des Richters objektiv als ge-

1178 EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87, Ziff. 32; Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30; Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 33; Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/ 89, Ziff. 35; Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 33; Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 47; Urt. v. 22. 04. 2004, Cianetti ./. Italien, Nr. 55634/00, Ziff. 40; Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55; Urt. v. 15. 02. 2007, Mathony ./. Luxemburg, Nr. 15048/03, Ziff. 29; Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 34; Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 78; Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 101; Urt. v. 01. 04. 2010, Gultyayeva ./. Russland, Nr. 67413/01, Ziff. 197; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 36; Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/ 06, Ziff. 31; Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 52. 1179 EGMR, Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 28; Urt. v. 25. 07. 2000, Tierce und andere ./. San Marino, Nr. 24954/94, 24971/94, 24972/94, Ziff. 77. 1180 Vgl. nur Sondervotum Richter de Meyer zu EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 7. 1181 So insbesondere EGMR, Urt. v. 15. 02. 2007, Mathony ./. Luxemburg, Nr. 15048/03, Ziff. 34 ff.; Urt. v. 27. 02. 2007, Nesˇˇták ./. Slowakei, Nr. 65559/01, Ziff. 100 f.; Urt. v. 10. 12. 2009, Mironenko and Martenko ./. Ukraine, Nr. 4785/02, Ziff. 71 f.; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 37 ff. Hierunter lassen sich auch EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 52; Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 34 ff. zählen, da der dort bestätigte starke Verdachtsgrad mit einer Aussage über die Schuld des Angeklagten in Verbindung gebracht wurde.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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rechtfertigt und das Recht auf einen unparteilichen Richter stets verletzt.1182 Allerdings beruht in diesen Fällen diese Verletzung, wie schon für das nationale Recht festgestellt, nicht auf der Vorbefassung als solcher, sondern auf der vorzeitigen endgültigen Festlegung des Richters, die sich in seiner Äußerung zeigt.1183 Entsprechend ist diese Fallgruppe nach dem hier angelegten Maßstab aus der Untersuchung von Konstellationen der Vorbefassung auszugliedern und für diese nicht aussagekräftig. Die zweite relativ eindeutig zuzuordnende Fallgruppe in der Rechtsprechung des EGMR sind Fälle der Vorbefassung, in denen die Ermittlungsmaßahmen oder Entscheidungen, die der Richter im Vorverfahren bereits vorgenommen hat, vereinzelt geblieben sind und im Einzelfall keine Besonderheiten vorlagen, die Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters rechtfertigen.1184 Hierunter fallen die Vorbefassung durch einzelne Zeugenbefragungen,1185 Befragung des Beschuldigten1186 oder die Einholung einzelner Informationen oder Beweismittel,1187 aber auch die Anordnung der Untersuchungshaft sowie der Haftfortdauer.1188 Wiederholt hat der EGMR in derartigen Konstellationen „keine besonderen Umstände“ im Sinne seiner Hauschildt-Rechtsprechung gesehen und daher eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK konsequent abgelehnt.1189 1182 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 52 f.; Urt. v. 15. 02. 2007, Mathony ./. Luxemburg, Nr. 15048/03, Ziff. 36 f.; Urt. v. 27. 02. 2007, Nesˇˇták ./. Slowakei, Nr. 65559/01, Ziff. 100 f.; Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 44, 50; Urt. v. 10. 12. 2009, Mironenko and Martenko ./. Ukraine, Nr. 4785/02, Ziff. 71 f.; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 37 ff. 1183 Vgl. oben E. II. 1. a) (S. 142). 1184 EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87, Ziff. 33 f.; Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 35; Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 28; Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 34; Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 40; Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 33 f.; Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 80; Urt. v. 01. 04. 2010, Gultyayeva ./. Russland, Nr. 67413/01, Ziff. 197. 1185 EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 31; Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 33. 1186 EGMR, Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 28. 1187 EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 32. 1188 EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87, Ziff. 30; Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 28; Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 31; Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 30; Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 72; Urt. v. 01. 04. 2010, Gultyayeva ./. Russland, Nr. 67413/01, Ziff. 194. 1189 EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87, Ziff. 33 f.; Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 36; Urt. v. 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien, Nr. 13396/87, Ziff. 28 f.; Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 37; Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 40; Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 34; Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 83; Urt. v. 01. 04. 2010, Gultyayeva ./. Russland, Nr. 67413/01, Ziff. 197.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

Schwierigkeiten bereitet demgegenüber häufig die Einschätzung, ob in einem konkreten Einzelfall für eine Befangenheitsbesorgnis hinreichende „besondere Umstände“ vorliegen. Die Auswertung der Entscheidungen des EGMR lässt an dieser Stelle keineswegs einen festen Maßstab erkennen. Es kann jedoch der Versuch unternommen werden, zwei Fallgruppen zu bilden, aus denen sich „besondere Umstände“ ergeben können: Dies sind zum einen diejenigen Fälle, in denen die Feststellung des Richters zum Verdachtsgrad oder zum Grad der Wahrscheinlichkeit der Schuld des Angeklagten Zweifel an dessen Unparteilichkeit rechtfertigt. Zum anderen bejaht der EGMR eine Verletzung der richterlichen Unparteilichkeit in Fällen, in denen die Beteiligung des Richters im Ermittlungsverfahren von besonderem Ausmaß oder besonderer Dauer war. Entsprechend der Einschätzung in den Verfahren Hauschildt ./. Dänemark und Ekeberg und andere ./. Norwegen, in denen die Bejahung eines besonders bestätigten Verdachts, der in seinem Verständnis sehr nah an eine Feststellung der Schuld herankam, zur Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK führte,1190 wurden auch weitere Fälle ähnlich bewertet. In diesen hatte der Richter sich zwar nicht – wie in den oben genannten Konstellationen – vorzeitig zur Schuld des Angeklagten geäußert, aber dennoch Feststellungen getroffen, aus denen gefolgert werden konnte, dass aus seiner Sicht „hinreichende Anhaltspunkte vorlagen, dass eine Tat begangen wurde“1191, „Hinweise darauf hindeuteten, dass der Angeklagte der Täter ist“1192 oder „hinreichende Anhaltspunkte vorlagen, dass eine Tat begangen wurde und der Angeklagte der Täter ist“1193. Hieraus lässt sich der Schluss ziehen, dass jedenfalls die Bestätigung eines besonders hohen Verdachtsgrades durch den Richter bei der Anordnung von Zwangsmaßnahmen nach dem EGMR Zweifel an seiner Unparteilichkeit rechtfertigt. Demgegenüber verwundert insbesondere das Ergebnis des EGMR im Verfahren Jasin´ski ./. Polen. Hier hielt der EGMR die Feststellung eines „hinreichenden Grades an Wahrscheinlichkeit, dass die Tat begangen wurde“1194, noch nicht für ausreichend, um an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln.1195 Auch in anderen Entscheidungen reichten Aussagen über das Vorliegen hinreichender Beweise, um eine „zuverlässige Bewertung der Wahrscheinlichkeit der Schuld des Angeklagten vorzunehmen“1196 oder die erforderliche Prüfung, ob es „starke Hinweise darauf gab, 1190

EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 52 f.; Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 44, 50. 1191 EGMR, Urt. v. 22. 04. 2004, Cianetti ./. Italien, Nr. 55634/00, Ziff. 42. 1192 EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 102. 1193 EGMR, Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 35; EGMR, Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 56. 1194 EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 56. 1195 EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 56 ff. 1196 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38, 12.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat begangen habe“1197, nicht aus, um Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Insofern ist zwar zuzugeben, dass es sich in diesen Entscheidungen nicht um die Feststellung eines besonders bestätigten Verdachts wie in den Entscheidungen Hauschildt ./. Dänemark oder Ekeberg und andere ./. Norwegen handelt, jedoch ist zwischen diesen Entscheidungen keine klare Abgrenzung erkennbar, nach der sich entscheiden ließe, ob eine Verletzung des Rechts auf einen unparteilichen Richter vorliegt oder nicht. Die Entscheidungen des EGMR sind in hohem Maße einzelfallbezogen und erscheinen willkürlich.1198 Mangels konsistenter Entscheidungskriterien ist die Rechtsprechung des EGMR in diesem Bereich nicht zuverlässig vorherzusehen. Abstrakt lässt sich sagen: Je stärker sich die Feststellung über Verdachtsgrad, Verurteilungswahrscheinlichkeit oder den Umfang der Beweise einer positiven Feststellung der Schuld des Angeklagten annähert, desto wahrscheinlicher ist es, dass der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK annimmt. Eine konkrete Grenze, ab derer eine Verletzung des Rechts auf den unparteilichen Richter vorliegt, ist jedoch nicht erkennbar. Erwähnen lässt sich ein Unterscheidungsmerkmal, das zumindest in einigen der Entscheidungen erkennbar ist: Sofern der Wortlaut einer solchen Feststellung von den gesetzlichen Voraussetzungen einer durch den Richter vorzunehmenden Maßnahme im Ermittlungsverfahren vorgegeben wird, entscheidet der EGMR eher gegen den Beschwerdeführer und verweist auf die erheblichen Unterschiede zwischen den Zwischenentscheidungen des Ermittlungsverfahrens und der Entscheidung bei der Urteilsfindung.1199 Muss der Richter also beispielsweise für die Anordnung der Haft einen „hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit, dass die Tat begangen wurde“,1200 feststellen, weil es sich hierbei um eine gesetzliche Voraussetzung für die Haft handelt, neigt der EGMR eher dazu, die Bedeutung dieser Aussage im Hinblick auf die Unparteilichkeit des Richters als gering einzustufen und aus ihr keine berechtigten Zweifel an der Unparteilichkeit zu folgern. Strenger ist er hingegen bei „freien“ Äußerungen des Richters, beispielsweise zur Begründung seiner Maßnahmen oder Zwischenentscheidungen. Lässt sich diesen und ihrem Wortlaut tendenziell eine vom Gesetz nicht geforderte vorzeitige Festlegung entnehmen, gelangt der EGMR in der Regel zu dem Ergebnis, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt wurde, wenn derselbe Richter erkennender Richter wird.1201 1197

EGMR, Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 79. Vgl. allgemeiner hierzu auch Müller, L. F., Richterliche Unabhängigkeit, 2015, S. 112 f. 1199 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38; Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 56; Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 81. 1200 EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 56. 1201 EGMR, Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 102; Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 35; EGMR, Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 56. 1198

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

Die Fallkonstellationen, in denen sich der Richter zur Wahrscheinlichkeit der Schuld des Angeklagten äußert, sind insofern insgesamt auch nach der Rechtsprechung des EGMR kritisch zu betrachten. Ihre Entscheidung durch den EGMR ist aber aufgrund der hohen Einzelfallbezogenheit seiner Rechtsprechung kaum vorhersehbar. Nur etwas klarer lässt sich eine Einschätzung derjenigen Fälle vornehmen, in denen der Richter besonders umfangreich oder langandauernd mit dem Vorverfahren befasst war. Auch wenn der EGMR grundsätzlich deutlich zwischen der summarischen Prüfung von Hinweisen im Ermittlungsverfahren und der umfassenden Beweiswürdigung im Hauptverfahren unterscheidet,1202 sieht er doch einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn die Tätigkeiten von ermittelndem und erkennendem Richter allzu stark miteinander vermischt werden.1203 Eine Verletzung liegt dementsprechend vor, wenn der Richter in sehr weitreichendem Umfang von seinen Ermittlungsbefugnissen Gebrauch macht,1204 über lange Zeit ermittelt hat1205 oder wiederholt über Anträge des Beschuldigten und über dessen Rechtsbehelfe entschieden hat.1206 Auch hierbei ist allerdings nicht vorhersehbar, ab wann Umfang und Dauer der Vorbefassung hinreichende „besondere Umstände“ sind. Ob beispielsweise auch mehrfache Anordnungen der Haftfortdauer „besonderen Umstände“ darstellen,1207 lässt sich nicht zuverlässig feststellen. So wurde aus diesem Umstand etwa im Verfahren Jasin´ski ./. Polen1208 selbst in Kombination mit einer Aussage des später erkennenden Richters über die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten kein Konventionsverstoß abgeleitet. Auch hier fehlen feste Kriterien, anhand derer der EGMR entscheidet. Die Entscheidungen des EGMR sind auch in diesem Bereich nicht vorhersehbar. Die Schwierigkeit der Abgrenzung von Einzelfällen ohne konsistente Kriterien wird auch innerhalb des EGMR gesehen: So wird unter anderem in dem Sondervotum von Richter de Meyer zu der Entscheidung Bulut ./. Österreich Kritik an den angelegten Maßstäben deutlich, da sie gerade keine sichere Differenzierung zulie1202 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50, ebenso EGMR Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55; Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 101; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 36; Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 31; Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 52. 1203 EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 29; Urt. v. 25. 07. 2000, Tierce und andere ./. San Marino, Nr. 24954/94, 24971/94, 24972/94, Ziff. 79 ff.; Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 50 ff. 1204 EGMR, Urt. v. 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien, Nr. 9186/80, Ziff. 29; Urt. v. 25. 07. 2000, Tierce und andere ./. San Marino, Nr. 24954/94, 24971/94, 24972/94, Ziff. 79 ff. 1205 EGMR, Urt. v. 25. 07. 2000, Tierce und andere ./. San Marino, Nr. 24954/94, 24971/94, 24972/94, Ziff. 79 ff. 1206 Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 50 ff. 1207 EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 49, 58; Urt. v. 01. 04. 2010, Gultyayeva ./. Russland, Nr. 67413/01, Ziff. 197. 1208 EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 56.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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ßen.1209 Die Ungleichbehandlung einiger Einzelfälle sei anhand der Grundsätze des EMGR nicht plausibel; es zeichne sich keine einheitliche Linie ab, nach der die unterschiedlichen Fälle voneinander zu differenzieren seien.1210 Dies kritisierte bereits Richter Spielmann in seiner abweichenden Ansicht zur Entscheidung Fey ./. Österreich; er stellte fest, dass es schon prinzipiell unmöglich sei, zwischen weitreichenden und weniger weitreichenden Untersuchungshandlungen zu unterscheiden.1211 In diesem Zusammenhang unternimmt de Meyer den Versuch, den Maßstäben des EGMR einen eigenen Maßstab entgegenzusetzen: Es sei die „Verfahrenswirklichkeit“ unter Heranziehung „des gesunden Menschenverstandes“ zu betrachten.1212 Ob die Anwendung dieses Maßstabes jedoch tatsächlich zu deutlicheren Unterscheidungen führen würde, ist stark zu bezweifeln; auch die Aussagen in dem Votum de Meyers bleiben äußerst vage.1213 Insgesamt stellt der EGMR in seiner Rechtsprechung zur Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren über die Grundsätze seiner Hauschildt-Rechtsprechung hinaus keine konsistenten Kriterien auf, anhand derer eine Verletzung der Unparteilichkeit des Richters gerade in problematischen Bereichen wie der Bestätigung eines erhöhten Verdachtsgrades oder einer umfangreichen Ermittlungstätigkeit des Richters zuverlässig geprüft werden könnte. Damit sind Entscheidungen des EGMR zu dieser Vorbefassung nicht vorhersagbar. Der Rechtsprechung des EGMR lässt sich im Grunde kein praktikabler Maßstab für das nationale Recht entnehmen. (c) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in Fällen der Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren Die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK kann daher nur mit Einschränkungen überprüft werden. Nach nationalem Recht führen richterliche Untersuchungshandlungen im Ermittlungsverfahren grundsätzlich nicht zu einer gerechtfertigten Befangenheitsbesorgnis, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten.1214 In dieser Hinsicht entspricht das nationale Recht vollständig der insoweit konsistenten Hauschildt-Rechtsprechung des EGMR.1215 Zudem sind nach 1209 Sondervotum Richter de Meyer zu EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 2, 11. 1210 Sondervotum Richter de Meyer zu EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 2, 11. 1211 Abweichende Ansicht von Richter Spielmann zu EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 4. 1212 Sondervotum Richter de Meyer zu EGMR, Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 13. 1213 So auch Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 65. 1214 Vgl. oben E. II. 2. b) bb) (1) (a) (aa) (S. 180). 1215 Vgl. oben E. II. 2. b) bb) (1) (b) (aa) b) (S. 185).

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

nationalem Recht derart umfangreiche oder langandauernde Ermittlungsmaßnahmen des Richters im Vorverfahren, die zu „besonderen Umständen“ im Sinne der Hauschildt-Rechtsprechung führen würden, gesetzlich nicht vorgesehen. In dieser Hinsicht besteht also keine Gefahr der Unvereinbarkeit nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. Auch hinsichtlich der Anordnung von Zwangsmaßnahmen ohne Bestätigung eines erhöhten Verdachtsgrades durch den Richter im Ermittlungsverfahren deckt sich das nationale Recht mit der Rechtsprechung des EGMR. Die Anordnung von Zwangsmaßnahmen, die nicht die Bestätigung eines höheren Verdachtsgrades als des Anfangsverdachts erfordern, als solche führt weder nach nationalem Recht noch gemessen am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK zu berechtigten Zweifeln an der Unparteilichkeit des Richters.1216 Fälle der Bejahung des dringenden Tatverdachtes und damit einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte eine strafbare Handlung begangen hat,1217 sind angesichts der wenig klaren Grenzziehung des EGMR nicht mit Sicherheit einzuordnen. Klar ist, dass die Anordnung der Untersuchungshaft als solche, wenn man ihre Voraussetzungen ausblendet, nach dem EGMR keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK darstellt; dies äußert der EGMR ausdrücklich in zahlreichen Entscheidungen. Betrachtet man jedoch die Voraussetzung des dringenden Tatverdachts, spricht der Vergleich mit den Entscheidungen des EGMR in den Verfahren Hauschildt ./. Dänemark und Ekeberg und andere ./. Norwegen dafür, dass der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK feststellen würde, wenn der erkennende Richter zuvor nach nationalem Recht den dringenden Tatverdacht bejaht hat, als er z. B. die Untersuchungshaft anordnete. Es lässt sich kein gravierender Unterschied zwischen der Feststellung eines besonders bestätigten Verdachts in den beiden Entscheidungen des EGMR und der Feststellung eines dringenden Tatverdachts nach nationalem Recht erkennen. Problematisch könnte allerdings sein, dass jedenfalls in Hauschildt ./. Dänemark die Feststellung des besonders bestätigten Verdachts sprachlich und nach ihrem Sinn der Feststellung der Schuld sehr nahe kam.1218 Im nationalen Recht hingegen wird betont, dass es sich bei der Feststellung des dringenden Tatverdachts lediglich um die Beurteilung einer Begehungswahrscheinlichkeit in einem Verfahrensstadium handelt, in dem die Beweislage noch nicht vollständig ist.1219 Dies gleicht eher der Grundaussage des EGMR, dass eine Zwischenentscheidung nur die summarische Prüfung erfordere, ob prima facie hinreichende Gründe für einen Tatverdacht sprechen.1220 1216 1217 1218 1219 1220

Vgl. oben E. II. 2. b) bb) (1) (a) (bb) (S. 183) und E. II. 2. b) bb) (1) (b) (bb) b) (S. 201). Vgl. oben E. II. 2. b) bb) (1) (a) (bb) (S. 181). Vgl. oben E. II. 2. b) bb) (1) (b) (aa) b) (S. 185) und o) (S. 193). Vgl. Graf, in: Karlsruher Kommentar, StPO § 112 Rdn. 6. Vgl. nur EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Jedoch erfordert der dringende Tatverdacht die Bejahung einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat, und geht damit über die Feststellung hinreichender Gründe hinaus. Ein Unterschied zur Entscheidungsgrundlage und Stärke des Tatverdachts lässt sich zwischen dem dringenden Tatverdacht nach deutschem Recht und der Entscheidungssituation in den Verfahren Hauschildt ./. Dänemark und Ekeberg und andere ./. Norwegen nicht feststellen. In den beiden Verfahren hat die Bestätigung dieses hohen Verdachtsgrades zur Feststellung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK geführt. Damit ist eine Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren, die mit der Bejahung eines dringenden Tatverdachts gegen den Beschuldigten einhergeht, nicht mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar. Diese Einschätzung steht allerdings leider unter dem Vorbehalt der letztlich unvorhersagbaren Rechtsprechung des EGMR, der bei der Beurteilung eines solchen Falles doch andere Kriterien für seine Entscheidung heranziehen könnte. Deutlicher abzusehen ist, dass nach der Rechtsprechung des EGMR eine vorzeitige Festlegung des Richters auf die Schuld des Beschuldigten, die sich bei einer Zwischenentscheidung zeigt, das Recht auf einen unparteilichen Richter verletzt. Die nationale Rechtsprechung, die auch dann von der Unbefangenheit des Richters ausgeht, wenn aus dessen Entscheidung eine Bejahung der Schuld des Beschuldigten hervorgeht,1221 ist damit nicht mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar.1222 Für die Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren gilt damit insgesamt: Die Vorbefassung des Richters als Ermittlungsrichter bei gerichtlichen Untersuchungshandlungen, richterlichen Nothandlungen und Beweiserhebungen nach § 166 StPO ist nach nationalem Recht und Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK mit der richterlichen Unparteilichkeit vereinbar. Dasselbe gilt für die Anordnung von Zwangsmaßnahmen durch den Richter, soweit diese nicht mit der Bestätigung eines erhöhten Verdachtsgrades einhergehen. In dieser Hinsicht ist das nationale Recht mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar. Kommt es hingegen bei der Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren zur Anordnung von Zwangsmaßnahmen, die die Bejahung eines dringenden Tatverdachts voraussetzen, oder stellt der Richter in einer Äußerung die Schuld des Angeklagten positiv fest, ist das Recht auf den unparteilichen Richter aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK verletzt. Das nationale Recht, das davon ausgeht, dass Zweifel an der Unparteilichkeit des so vorbefassten Richters nicht gerechtfertigt sind, ist damit nicht mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar. Damit darf der erkennende Richter nicht im Ermittlungsverfahren den dringenden Tatverdacht bejaht haben, um einen Haftbefehl gegen den Angeklagten zu erlassen, seine Unterbringung zur Beobachtung oder seine Ausschreibung zur Festnahme anzuordnen. War der erkennende Richter entsprechend vorbefasst, muss der Angeklagte den Richter wegen Besorgnis 1221

Vgl. BGH NStZ 1991, 27; GA 1962, 282. So auch Bosbach, in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, § 24 StPO Rdn. 15; Steinfatt, Die Unparteilichkeit des Richters in Europa, 2012, S. 185. 1222

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

der Befangenheit ablehnen können. Weitergehend muss die Zuständigkeit des Richters für diese Maßnahmen derart geregelt werden, dass es nicht mehr zu dieser Vorbefassung kommt. (2) Vorbefassung im Klageerzwingungsverfahren Ähnlich könnte dies in den Fällen der Vorbefassung des Richters im Klageerzwingungsverfahren sein. (a) Einschätzung nach nationalem Recht In der Regel kommt es nicht zur Identität des im Klageerzwingungsverfahren tätigen und des nachfolgend erkennenden Richters, da der Gesetzgeber die Zuständigkeit für das Klageerzwingungsverfahren gemäß § 172 Abs. 4 StGB beim Oberlandesgericht festgelegt hat.1223 Dennoch kann im Einzelfall Richteridentität eintreten, namentlich in den Fällen des § 120 GVG sowie in dem Fall, dass ein Richter des Oberlandesgerichts an ein unteres Gericht versetzt wird und dort in derselben Sache entscheiden muss, in der er die Anklageerhebung angeordnet hat.1224 In diesen – seltenen – Fällen ist die Richteridentität problematisch, weil das Gericht im Klageerzwingungsverfahren gemäß § 175 StPO die Anklageerhebung anordnen kann. Daneben kann es gemäß § 173 Abs. 3 StPO Ermittlungen anordnen und mit ihrer Vornahme einen beauftragten Richter betrauen. Hieraus folgt, dass die im Klageerzwingungsverfahren mit der Sache befassten Richter nicht nur einen sehr weitreichenden Einblick in die Sache erhalten, sondern sogar selbst die in diesem Zusammenhang erfolgenden Ermittlungen steuern.1225 Gelangen sie zu dem Ergebnis, dass die Anklageerhebung angeordnet werden soll, dass also ein hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten vorliegt,1226 ist ihre Unvoreingenommenheit als erkennende Richter äußerst zweifelhaft.1227 Teilweise werden in diesem Fall die Richter als „Ankläger“ wahrgenommen.1228 Dennoch ist der Fall des erkennenden Richters, der zuvor mit dem Klageerzwingungsverfahren betraut war, nicht vom Ausschlussgrund des § 22 Nr. 4 StPO erfasst:1229 Selbst wenn das Gericht im Klageerzwingungsverfahren umfangreiche 1223

Vgl. auch Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 94. Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 94 f.; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 96. 1225 Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, § 173 Rdn. 14. 1226 Moldenhauer, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 175 Rdn. 2; Pfeiffer, StPO, § 175 Rdn. 1. 1227 So auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 76; Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 95; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 99. 1228 Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 94 f.; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 98. 1229 So aber Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 95 f. 1224

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Ermittlungen angeordnet hat, handelt es nicht „als Beamter der Staatsanwaltschaft“ im formellen Sinne des § 22 Nr. 4 StPO. Auch über die Vorschrift hinaus kommt kein Ausschluss des Richters in Betracht. Teilweise wird jedoch für den Fall, dass die Richteridentität eintritt, die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit für gerechtfertigt erachtet.1230 Dem ist zuzustimmen, denn die im Rahmen des Klageerzwingungsverfahrens aufgrund des abschließenden Ermittlungsergebnisses oder durch dessen Herbeiführung gewonnenen Vor-Eindrücke sowie die Entscheidung über die Anordnung der Anklage gefährden in der Tat die Unparteilichkeit der erkennenden Richter immens. Indes findet diese Ansicht keine Bestätigung in der Rechtsprechung. (b) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Der EGMR hat bislang noch nicht über die Frage der Vorbefassung des Richters im Klageerzwingungsverfahren entschieden. Interessant sind in diesem Zusammenhang einzig Entscheidungen, in denen der EGMR – wenn auch in nicht strafrechtlichen Verfahren – eine Funktionsvermischung von Kläger und Richter rügte. (aa) Svetlana Naumenko ./. Ukraine1231 Im deutlich anders gelagerten Verfahren Svetlana Naumenko ./. Ukraine sah der EGMR Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt, weil im Verfahren um die Anerkennung der Beschwerdeführerin als Opfer der Czernobyl-Katastrophe der Vizepräsident des Gerichts der Kammer angehörte, die über den von ihm eingelegten Einspruch gegen eine Entscheidung in der Sache zu entscheiden hatte.1232 Die Tatsache, dass der Richter damit zur Entscheidung über seinen eigenen Einspruch berufen war, hielt der EGMR mit der subjektiven Unparteilichkeit für unvereinbar, da niemand Kläger und Richter in derselben Sache sein könne.1233 (bb) Driza ./. Albanien1234 Ebenfalls auf diesen Grundsatz verwies der EGMR im Verfahren Driza ./ Albanien.1235 Hier war der Präsident des Supreme Court Teil des Gerichts, das über seinen eigenen Antrag auf Überprüfung der zuvor ergangenen Entscheidung zu befinden 1230 So Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 75; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 189. Vgl. hierzu auch die Entscheidung des Reichsgerichts RGSt 19, 332 (340 f.), die jedoch – wie das Reichsgericht selbst in RGSt 62, 299 (301) hervorhebt – auf „besonderen Umständen des Falles“ beruhte. 1231 EGMR, Urt. v. 09. 11. 2004, Svetlana Naumenko ./. Ukraine, Nr. 41984/98. 1232 EGMR, Urt. v. 09. 11. 2004, Svetlana Naumenko ./. Ukraine, Nr. 41984/98, Ziff. 93, 97 f. 1233 EGMR, Urt. v. 09. 11. 2004, Svetlana Naumenko ./. Ukraine, Nr. 41984/98, Ziff. 97. 1234 EGMR, Urt. v. 13. 11. 2007, Driza ./. Albanien, Nr. 33771/02. 1235 EGMR, Urt. v. 13. 11. 2007, Driza ./. Albanien, Nr. 33771/02, Ziff. 78.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

hatte.1236 Wiederum hielt der EGMR dieses Vorgehen mit der subjektiven Unparteilichkeit für nicht vereinbar und bejahte daher eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1237 (c) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in Fällen der Vorbefassung des Richters im Klageerzwingungsverfahren Fraglich ist, ob sich aus diesen beiden Entscheidungen Rückschlüsse für die Vorbefassung des Richters im Klageerzwingungsverfahren ziehen lassen. Weder handelt es sich bei ihnen um Strafverfahren noch hat der Richter im Klageerzwingungsverfahren über einen eigenen Antrag oder Einspruch zu befinden. Allerdings entscheidet der Richter, der im Klageerzwingungsverfahren vorbefasst war, über eine Anklage, die er selbst angeordnet hat. Insofern könnte man daran denken, aus dem Grundsatz, den der EGMR in diesen beiden Entscheidungen betont, zu folgern, dass auch niemand Ankläger und Richter in derselben Sache sein könne. Derart weit geht das Klageerzwingungsverfahren letztlich jedoch nicht. Zwar können die Richter eigene Ermittlungen und die Anklageerhebung anordnen, jedoch bleibt es bei der Funktionstrennung zwischen Staatsanwaltschaft und Richter im Vorverfahren. Gerade im anschließenden Hauptverfahren vertritt ohnehin die Staatsanwaltschaft die Anklage, wodurch die Funktionstrennung weiter gestärkt wird.1238 Insofern sind auch diese Entscheidungen für die Vereinbarkeit der Vorbefassung im Klageerzwingungsverfahren mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht aussagekräftig. Eine Unvereinbarkeit in dieser Hinsicht ist mithin nicht festzustellen. Auch bei Heranziehung der Entscheidungen des EGMR zur Vorbefassung im Vorverfahren ist nicht von einer Unvereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK auszugehen. Gegebenenfalls ist dieses Ergebnis allerdings nach der Untersuchung der Vorbefassung im Zwischenverfahren zu überprüfen. (3) Vorbefassung im Zwischenverfahren Vielfach wird insbesondere die Vorbefassung des erkennenden Richters im Zwischenverfahren kritisch im Hinblick auf seine Unparteilichkeit betrachtet.1239 1236

EGMR, Urt. v. 13. 11. 2007, Driza ./. Albanien, Nr. 33771/02, Ziff. 72, 78. EGMR, Urt. v. 13. 11. 2007, Driza ./. Albanien, Nr. 33771/02, Ziff. 78, 83. 1238 Dies gerade auch im Gegensatz zu Verfahren, in denen der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK zu untersuchen hatte aufgrund der Tatsache, dass in der Hauptverhandlung kein Vertreter der Staatsanwaltschaft zugegen war, vgl. EGMR, Urt. v. 25. 06. 1992, Thorgeir Thorgeirson ./. Island, Nr. 13778/88; Urt. v. 18. 05. 2010, Ozerov ./. Russland, Nr. 64962/01; Urt. v. 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland, Nr. 42224/02. 1239 Vgl. Dahs, in: FS Schorn, 1966, S. 14 (15); Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 88 ff.; Hellebrand, Die Staatsanwaltschaft, Rdn. 316 Fn. 4; 1237

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Das Zwischenverfahren dient der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens, vgl. §§ 199 ff. StPO. Damit soll es den Angeschuldigten davor schützen, mit haltlosen Anklagen überzogen zu werden,1240 und gleichzeitig die Justiz vor dem personalen und finanziellen Aufwand unnötiger Hauptverfahren bewahren.1241 Entschließt sich die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen zur Anklageerhebung, so reicht sie die Anklage beim zuständigen Gericht ein, § 172 Abs. 1 StPO. Das für das Hauptverfahren zuständige Gericht entscheidet dann über die Eröffnung des Hauptverfahrens, § 199 Abs. 1 StPO. In der Regel entscheidet also dasselbe Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens, das anschließend zum erkennenden Gericht wird. Lediglich für Ausnahmefälle bestimmt § 209 StPO, dass das Gericht, bei dem die Klage eingereicht wurde, wenn es die Zuständigkeit eines anderen Gerichts für begründet hält, die Anklage vor dem zuständigen Gericht eröffnet (Abs. 1) oder dem zuständigen Gericht die Akten zur Entscheidung über die Eröffnung vorlegt (Abs. 2). Im Regelfall hat somit der erkennende Richter zuvor einen Eröffnungsbeschluss (§ 207 StPO) erlassen.1242 Zudem hat der Richter unter Umständen im Rahmen des Zwischenverfahrens Beweiserhebungen angeordnet, vgl. § 202 StPO, oder den Verfahrensstand mit den Verfahrensbeteiligten erörtert, vgl. § 202a StPO. (a) Einschätzung nach nationalem Recht Daraus ergeben sich unter zwei Gesichtspunkten Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters: Der Richter hat zum einen die Eröffnung des Hauptverfahrens angeordent und für den Erlass des Eröffnungsbeschlusses festgestellt, dass der AngeRoxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. 2014, § 42 Rdn. 3; Arndt, NJW 1960, 1191 (1193); Göbel, MDR 1962, 437 (439); Miehe, in: FS Grünwald, 1999, S. 379 (395); Roesen, NJW 1959, 1861; Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (54); SchmidtLeichner, AnwBl 1961, 26 (32); Weigend, ZStW 113 (2001), 271 (285). Vgl. auch Eb. Schmidt, NJW 1959, 1081. Pohl appelliert insoweit an das richterliche Bewusstsein über die Gefahren für seine Unparteilichkeit, vgl. Pohl, Praxis des Strafrichters, 1987, S. 54 f. 1240 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 16 ff.; Foertsch, Die Berücksichtigung von Beweisverboten im strafprozessualen Zwischenverfahren, 2002, S. 22; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, 1991, S. 2, 66 ff.; Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rdn. 9, 621; Michler, Der Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren, 1989, S. 27 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. 2014, § 42 Rdn. 2; Eb. Schmidt, StPO II, Vor 198 Rdn. 4; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, Rdn. 408; Miehe, in: FS Grünwald, 1999, S. 379 (394); Nierwetberg, NStZ 1989, 212; Rieß, in: FS Rolinski, 2002, S. 239; ders., Jura 2002, 735 (736); ders., NStZ 1983, 247 (250); Roesen, NJW 1959, 1861; Ulsenheimer, NStZ 1984, 440 (443 f.); Weigend, ZStW 113 (2001), 271 (284 f.). 1241 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 21; Foertsch, Die Berücksichtigung von Beweisverboten im strafprozessualen Zwischenverfahren, 2002, S. 22; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, 1991, S. 2, 71 f.; Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rdn. 9; Michler, Der Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren, 1989, S. 20 ff.; Nierwetberg, NStZ 1989, 212; Roesen, NJW 1959, 1861. 1242 Vgl. im Detail hierzu Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, 2005, S. 13 f.

212

E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

schuldigte der Tat hinreichend verdächtig ist, vgl. § 203 StPO.1243 Zum anderen hat er sich für diese Entscheidung intensiv mit der Sache befasst, wobei dies insbesondere anhand der von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Ermittlungsakten erfolgte. (aa) Die Probleme der Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren a) Das Problem der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Auch wenn der Eröffnungsbeschluss als solcher gemäß § 207 StPO die ausdrückliche Feststellung des hinreichenden Tatverdachts seit dem Strafprozessänderungsgesetz vom 19. 12. 1964 nicht mehr enthält,1244 bleibt der hinreichende Tatverdacht gemäß § 203 StPO dennoch Voraussetzung für den Erlass des Eröffnungsbeschlusses. Eine Veränderung des tatsächlichen Inhalts der Entscheidung ist durch die Reform ihres formalen Inhalts also nicht eingetreten.1245 Der Richter muss mithin neben der Feststellung der Prozessvoraussetzungen entscheiden, ob es aufgrund der Ermittlungsergebnisse überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Angeschuldigte die Tat begangen hat und im Hauptverfahren verurteilt würde.1246 Die Entscheidung über diesen Verdachtsgrad ist freilich auch aus Sicht des Richters noch keine Feststellung der Strafbarkeit des Angeschuldigten, weil sie nur eine Aussage zu Begehungs- und Verurteilungswahrscheinlichkeit trifft. Dennoch handelt es sich im Vergleich zu möglichen Entscheidungen des Richters im Ermittlungsverfahren zu oder außerhalb von Zwangsmaßnahmen1247 nicht um eine gleichermaßen vorläufige Einschätzung.1248 Der Richter trifft eine Entscheidung 1243

Vgl. hierzu sogleich E. II. 2. b) bb) (3) (a) (aa) (S. 212). BGBl. (1964) I S. 1067 (1076). 1245 Vgl. zur Kritik an dieser formalen Änderung Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. 2014, § 42 Rdn. 3; Göbel, MDR 1962, 437 (439); Eb. Schmidt, NJW 1963, 1081 (1082); Schmidt-Leichner, AnwBl 1961, 26 (33). 1246 BGHSt 29, 224 (229); 54, 275 (281); Schneider, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 203 Rdn. 3 ff. Vgl. hierzu im Einzelnen Lundberg, Beweiserhebung im Zwischenverfahren, 1993, S. 14 ff.; Michler, Der Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren, 1989, S. 42 ff.; Roesen, NJW 1959, 1861 (1862). Miehe sieht den Grund für Bedenken an der Unparteilichkeit des Richters nicht in der Feststellung der Begehungs-, sondern in dem der Verurteilungswahrscheinlichkeit begründet, vgl. Miehe, in: FS Grünwald, 1999, S. 379 (397 ff.). 1247 Vgl. oben E. II. 2. b) bb) (1) (a) (S. 177 ff.). 1248 Insofern verkennt Stemmler bei seiner Argumentation, es sei inkonsequent, die Ablehnbarkeit des Eröffnungsrichters zu bejahen, nicht aber dann auch diejenige des Richters, der eine Haftentscheidung getroffen hat, für die sogar dringender Tatverdacht erforderlich sei, (vgl. Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 186) die entscheidenden Unterschiede zwischen Zwischenentscheidungen, die bereits im Ermittlungsverfahren getroffen werden können, und der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens. 1244

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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aufgrund des abschließenden Ermittlungsergebnisses der Staatsanwaltschaft. Haftet beispielsweise der Entscheidung über die Anordnung der Untersuchungshaft im Ermittlungsverfahren noch die Vorläufigkeit der Ermittlungsergebnisse und damit der Entscheidungsgrundlage an,1249 so ist bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens die Sache in der Regel weitgehend ausermittelt oder wird zumindest als ausermittelt angesehen.1250 Das Ermittlungsergebnis liefert regelmäßig ein vollständiges Bild von der Tat und führt beim Richter zu einem sehr starken VorEindruck, wenn es für die Begründung eines hinreichenden Tatverdachts ausreicht.1251 Auch kann der Haftbefehl wieder aufgehoben und der Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen werden, vgl. § 120 StPO, der Eröffnungsbeschluss kann hingegen spätestens ab Beginn der Hauptverhandlung1252 nicht widerrufen oder zurückgenommen werden.1253 Damit trifft der Richter eine Entscheidung, die als solche nicht revidierbar ist. Dies lässt die Annahme zu, dass der Richter sich intensiver mit der Sache befasst und seine Einschätzung in höherem Maße abwägt. Zu diesem Zweck kann er gemäß § 202 StPO Beweiserhebungen anordnen sowie seit dem 04. 08. 20091254 nach § 202a StPO den Verfahrensstand mit den Verfahrensbeteiligten erörtern. Eine solche Betätigung des Richters im Zwischenverfahren führt zu einer noch detaillierteren Auseinandersetzung mit der Sache, da der Richter nicht nur das Aktenmaterial bewertet, sondern aktiv die Beweis- oder Sachlage beeinflussen kann. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Richter bereits einen starken Vor-Eindruck von der Sache erlangt. Die im Zwischenverfahren gewonnenen Eindrücke können somit im Hauptverfahren seine Wahrnehmung des Angeklagten, der Zeugen und weiterer Beweismittel sehr stark beeinflussen.1255

1249 1250

S. 11.

Vgl. oben E. II. 2. b) bb) (1) (a) (bb) (S. 183). Vgl. auch Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986,

1251 Vgl. auch Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 122 f. Vgl. hierzu auch Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 132 ff.; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 154. 1252 Befürwortend für den Zeitraum bis zum Beginn der Hauptverhandlung LG NürnbergFürth NStZ 1983, 136; LG Konstanz JR 2000, 306 m. Anm. Hecker, JR 2000, 307; Hohendorf, NStZ 1985, (399) 402, Ulsenheimer, NStZ 1984, 440 (440, 443 f.). 1253 BayObLG NStZ-RR 1999, 111; LG Lüneburg NStZ 1985, 41; Schneider, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 203 Rdn. 10; Grossmann, Die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses, S. 57 ff.; Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, 2005, S. 18; Michler, Der Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren, 1989, S. 231 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. 2014, § 43 Rdn. 11; Meyer-Goßner, ZRP 2000, (345) 347; Rieß, Jura 2002, 735 (740); ders., NStZ 1983, 247 (250). 1254 BGBl. (2009) I S. 2353. 1255 Vgl. Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (54); Weigend, ZStW 113 (2001), 271 (285). Vgl. auch Foertsch, Die Berücksichtigung von Beweisverboten im strafprozessualen Zwischenverfahren, 2002, S. 25.

214

E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

Hinzu kommt, dass die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens weitere Auswirkungen mit sich bringt: Das Hauptverfahren stellt zunächst für den Angeklagten eine erhebliche Belastung dar.1256 Er muss sich der Hauptverhandlung aussetzen, d. h. zu den Hauptverhandlungsterminen erscheinen und die mit diesen einhergehende mentale Belastung ertragen.1257 Unter Umständen muss er aufgrund der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht nur um seine Unschuld, sondern auch um sein Ansehen kämpfen.1258 Weiterhin führt das Hauptverfahren auch zu einer Belastung der Justiz, die Personal- und Finanzmittel bindet.1259 Angesichts dieser Tatsachen kann die richterliche Unparteilichkeit nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses auch darunter leiden, dass der Erwartungsdruck an das Hauptverfahren wegen der Belastungen, die mit ihm einhergehen, hoch ist. Der Richter, der diese Belastungen bereits verursacht hat, kann in höherem Maße versucht sein, seine Eröffnungsentscheidung zu bestätigen, als dies der Fall wäre, wenn er sie zuvor nicht getroffen hätte.1260 Zudem wirkt sich der Eröffnungsbeschluss auf den Angeklagten aus. Dieser wird auch als Laie zumindest nachvollziehen können, dass der Richter der Einschätzung der Staatsanwaltschaft grundsätzlich zustimmt. Unter Umständen wird er wissen, dass der Richter es für überwiegend wahrscheinlich hält, dass er die Tat begangen hat und ihretwegen verurteilt werden wird.1261 Dem Angeklagten zu erläutern, dass derselbe Richter nun als erkennender Richter in der Hauptverhandlung vollkommen unvoreingenommen über ihn urteilen wird, dürfte sich als sehr schwieriges Unterfangen erweisen.1262 Jedenfalls ist die Ausgangslage für die Kommunikation zwi1256 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 16 ff.; Foertsch, Die Berücksichtigung von Beweisverboten im strafprozessualen Zwischenverfahren, 2002, S. 22; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, 1991, S. 2, 66 ff.; Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rdn. 9, 621; Michler, Der Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren, 1989, S. 27 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. 2014, § 42 Rdn. 2; Eb. Schmidt, StPO II, Vor 198 Rdn. 4; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, Rdn. 408; Miehe, in: FS Grünwald, 1999, S. 379 (394); Nierwetberg, NStZ 1989, 212; Rieß, Jura 2002, 735 (736); ders., NStZ 1983, 247 (250); Roesen, NJW 1959, 1861; Ulsenheimer, NStZ 1984, 440 (443 f.); Weigend, ZStW 113 (2001), 271 (284 f.). 1257 Vgl. insbesondere Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 16 f. 1258 Vgl. Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 17; Nierwetberg, NStZ 1989, 212 (212 f.); Roesen, NJW 1959, 1861. 1259 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 21; Foertsch, Die Berücksichtigung von Beweisverboten im strafprozessualen Zwischenverfahren, 2002, S. 22; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, 1991, S. 2, 71 f.; Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rdn. 9; Michler, Der Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren, 1989, S. 20 ff.; Nierwetberg, NStZ 1989, 212; Roesen, NJW 1959, 1861. 1260 Vgl. auch Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 122; Schünemann, GA 1978, 161 (172). 1261 So auch Eb. Schmidt, NJW 1959, 1081 (1082). 1262 Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (54); Weigend, ZStW 113 (2001), 271 (285).

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

215

schen Richter und Angeklagtem in der Hauptverhandlung ungünstig, wenn der Angeklagte schon weiß, dass der Richter ihn für hinreichend verdächtig hält.1263 Zweifel des Angeklagten an der Unparteilichkeit des erkennenden Richters, der zuvor bereits die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen hat, erscheinen gerechtfertigt.1264 b) Das Problem der Aktenkenntnis Ein Problem ist dabei von der Eröffnungsentscheidung als solcher unabhängig: Der Richter erlangt bereits im Zwischenverfahren Kenntnis von den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft. Bereits die Aktenkenntnis als solche führt zu einem Vor-Eindruck des Richters vom mutmaßlichen Täter und seiner mutmaßlichen Tat.1265 Zwar wird dieser Vor-Eindruck durch die Entscheidung des Richters über die Eröffnung des Hauptverfahrens, wie soeben erörtert, noch verstärkt. Jedoch reicht auch die bloße Aktenkenntnis aus, um die unvoreingenommene Wahrnehmung des Richters im Hauptverfahren zu gefährden.1266 Dem Richter liegt zu diesem Zeitpunkt kein vorläufiger Ermittlungsstand, sondern das abschließende Ergebnis der Ermittlungen vor. Dieses wird zur Grundlage der weiteren Wahrnehmungen des Richters im Hauptverfahren.1267 Dadurch besteht die große Gefahr, dass die Beweismittel „durch die Brille der Aktenlage“ gesehen werden.1268 Nach den Erkenntnissen des Perseveranzphänomens1269 nimmt der Richter Eindrücke, die zu denen passen, die er aus der Akte gewonnen hat, stärker wahr und behält sie besser.1270 Dadurch verstärken sie seine bereits aus der Akte

1263

S. 264.

Löschper, Bausteine für eine psychologische Theorie richterlichen Urteilens, 1999,

1264 So auch Rzepka, Zur Fairness im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 376; Kanka, DRiZ 1963, 148; Roesen, NJW 1959, 1861 f.; Eb. Schmidt, NJW 1969, 1137 (1143 f.); SchmidtLeichner, Anwbl. 1961, 26 (32); Schünemann, GA 1978, 161 (172). Hierzu auch Loritz, Kritische Betrachtungen, 1996, S. 51 ff. 1265 Vgl. auch Dahs, in: FS Schorn, 1966, S. 14 (16); Weigend, ZStW 100 (1988), 733 (735). 1266 Vgl. Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 92 ff.; Graßberger, Psychologie des Strafverfahrens, 2. Aufl. 1968, S. 331; Löschper, Bausteine für eine psychologische Theorie richterlichen Urteilens, 1999, S. 227, 270; Schünemann, in: FS Pfeiffer, 1988, S. 461 (477 f.); ders., StV 2000, 159 (160); Herrmann, DRiZ 1982, 286 (292 f.). A.A. Gössel, in: FS Meyer-Goßner, 2001, S. 187 (190), der hierfür jedoch keine überzeugende Begründung liefern kann. 1267 Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 65; Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 93; Dahs, in: FS Schorn, 1966, S. 14 (16, 20); Schünemann, StV 2000, 159 (160 f.); ders., GA 1978, 161 (167). 1268 Vgl. Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 93. 1269 Vgl. oben E. I. 1. b) bb) (S. 136). 1270 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 94 ff.; Roxin, in: FS Schmidt-Leichner, 1977, S. 150; Schünemann, StV 2000, 159 (160 f.). Vgl. auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. 2014, § 42 Rdn. 3.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

gewonnenen Vor-Eindrücke.1271 Aussagen oder andere Beweismittel hingegen, die nicht zu den bisherigen Eindrücken passen, nimmt der Richter im Wege der Selektion unter Umständen gar nicht wahr.1272 Auch beurteilt der Richter solche Informationen unbewusst zunächst als geringwertiger, weil sie nicht seine bisherige Einschätzung von der Sache stützen.1273 Zudem richtet der Richter seine Verhandlungsleitung nach dem Ermittlungsergebnis ein. Nach diesem bestimmt er nicht nur, welche Beweismittel er heranzieht, z. B. welche Zeugen er lädt, sondern auch in welcher Reihenfolge er sie in die Hauptverhandlung einbringen will. Die Auswahl und die Reihenfolge der Vernehmung der Zeugen haben wiederum einen erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung des Richters von den Zeugen in der Hauptverhandlung.1274 Darüber hinaus orientiert sich der Richter beispielsweise bei der Befragung von Zeugen an deren Aussagen, wie er sie in der Akte vorgefunden hat.1275 Entsprechend stellt er häufig Nachfragen, mit denen er versucht, Widersprüche zu vorhergehenden Aussagen der Zeugen oder anderen Angaben in der Akte zu beheben.1276 Dies ist grundsätzlich sinnvoll, um ein widerspruchsfreies Bild vom Tatgeschehen zu erlangen, allerdings fragwürdig, wenn man bedenkt, dass der Richter einem Zeugen unter Umständen ganz andere Fragen stellen würde, wenn er den Akteninhalt nicht vor Augen hätte.1277 Dabei ist das Problem der Aktenkenntnis kein Problem nur der Vorbefassung im Zwischenverfahren. Unterstellt, der Richter entschiede nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens, zöge er nach dem derzeitigen Strafverfahrensrecht dennoch die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft für die Vorbereitung der Hauptverhandlung heran. Damit bestünde das Problem der Aktenkenntnis auch ohne die Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren. Die Vorbefassung des Richters durch Aktenkenntnis ist damit ein eigenes Problem richterlicher Unparteilichkeit.1278

1271 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 93; Roxin, in: FS Schmidt-Leichner, 1977, S. 150. 1272 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 97; Schünemann, StV 2000, 159 (160 f.); ders., GA 1978, 161 (171). 1273 Brandt-Janczyk, Richterliche Befangenheit, 1978, S. 127; Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 98; Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rdn. 622.1; Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (55). 1274 Bandilla/Hassemer, StV 1989, 551 (552 f.). So auch Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 10 f. 1275 So auch Herrmann, DRiZ 1982, 286 (293). 1276 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 93. Vgl. auch Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 65. 1277 Vgl. auch Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (55). 1278 Vgl. zur Lösung dieses Problems im Folgenden E. II. 2. b) bb) (3) (a) (bb) b) (S. 220).

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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(bb) Diskutierte Lösungsansätze außerhalb des geltenden Ausschluss- und Ablehnungsrechts Angesichts der erörterten Problemlage finden sich in der Strafrechtswissenschaft zahlreiche Ansätze zur Beseitigung der Gefahren für die richterliche Unparteilichkeit außerhalb des geltenden Ausschluss- und Ablehnungsrechts. Hierbei handelt es sich einerseits um Reformbestrebungen in Bezug auf das Zwischenverfahren und andererseits um Vorschläge zur weitergehenden Umgestaltung des Hauptverfahrens. a) Reformvorschläge hinsichtlich des Zwischenverfahrens Die Kritik am Zwischenverfahren ist so alt wie das Zwischenverfahren selbst.1279 Entsprechend findet man zahlreiche Reformvorschläge in Bezug auf das Zwischenverfahren vor,1280 von denen nur zwei hier dargestellt werden, um die Spannweite der angedachten Möglichkeiten zur Lösung des Problems zu verdeutlichen.1281 Einerseits wird für eine Trennung von eröffnendem und erkennendem Richter plädiert.1282 Eine solche könnte durch die Schaffung entsprechender Zuständigkeitsregelungen sowie insbesondere die Regelung des Ausschlusses des Eröffnungsrichters als erkennendem Richter erreicht werden.1283 Die Idee dieser Trennung ist nicht neu, sondern fand sich eingeschränkt bereits in § 23 Abs. 3 StPO a.F.1284 Bei den Beratungen für das Strafprozessänderungsgesetz 1964 wurde die Aufnahme eines entsprechenden Ausschlussgrundes rege diskutiert.1285 Das Bewusstsein der Befürworter für die Gefahren für die richterliche Unparteilichkeit war dabei ähnlich groß wie dasjenige für die richterliche Sensibilität gegenüber dieser Einsicht: Ins1279 Vgl. Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, Vor § 198 Rdn. 15; Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, 2005, S. 24. Vgl. auch Rieß, Jura 2002, 735 (742). 1280 Vgl. zur Übersicht die Darstellung bei Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, 2005, S. 35 ff. m.w.N. 1281 Insbesondere Vorschläge, die sich auf eine eingeschränkte Anwendung des Zwischenverfahrens oder einen eingeschränkten Prüfungsumfang des Richters im Zwischenverfahren beziehen, werden hier nicht erörtert, da sie das Problem der Vorbefassung nicht beheben, sondern allenfalls einschränken, dies jedoch in unterschiedlichem Maße zum Nachteil der Zwecke des Zwischenverfahrens. Vgl. hierzu im Einzelnen Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 144 ff. 1282 Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 586; Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rdn. 622.2; Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (61 f.); Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. 2014, § 42 Rdn. 3; Isfen, ZStW 125 (2013), 325 (329); Roesen, NJW 1959, 1861 (1861 f.); Schünemann, GA 1978, 161 (172); Roxin, in: FS Schmidt-Leichner, 1977, S. 145 (146); Dahs, in: FS Schorn, 1966, S. 14 (15); Kanka, DRiZ 1963, 148 ff.; ders., DRiZ 1963, 162 f. Einschränkend Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, Vor § 198 Rdn. 20. Vgl. auch Loritz, Kritische Betrachtungen, 1996, S. 151. 1283 Vgl. schon Eb. Schmidt, NJW 1959, 1081 (1083). 1284 Vgl. oben D. I. 1. b) bb) (S. 73). 1285 Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der 2. Lesung des StPÄG in DRiZ 1963, 158 (161 ff.).

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

besondere Kanka hob hervor, dass es sich gerade um Gefahren besonders sorgfältiger richterlicher Arbeit handle.1286 Die Resonanz der Richterschaft zeigte sich jedoch exemplarisch in einer deutlichen Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, die derartige Bestrebungen als „unverdiente Diffamierung“ von Richtern bezeichnete.1287 Daher setzte sich das Reformvorhaben nicht durch.1288 Dennoch hat der Vorschlag der Trennung von eröffnendem und erkennendem Richter nicht an Aktualität verloren.1289 Die mit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens verbundenen Probleme für die richterliche Unparteilichkeit wären hierdurch beseitigt.1290 Allein die Frage, ob der Richter vor dem Hauptverfahren Aktenkenntnis erlangen sollte, müsste noch erörtert werden. Dieses Konzept hätte jedoch zwei Hürden zu überwinden. Zunächst besteht die Befürchtung, dass der Eröffnungsrichter, der mit dem Hauptverfahren nicht weiter befasst wäre, eher dazu neigen könnte, das Hauptverfahren zu eröffnen als die Eröffnung abzulehnen, da er nach derzeitiger Rechtslage nur die Ablehnung der Eröffnung begründen muss,1291 vgl. §§ 203, 204 Abs. 1 StPO. Damit wäre einer der Zwecke des Zwischenverfahrens, der Schutz der Justiz vor unnötiger Beanspruchung, konterkariert.1292 Allerdings ließe sich dieses Problem durch die Angleichung der Begründungspflichten von Eröffnungs- und Nichteröffnungsbeschluss lösen.1293 Müsste der Eröffnungsrichter beide Beschlüsse begründen, bestünde auch nicht die Gefahr, dass er sich in komplexen Fällen einer eingehenden Überprüfung der Anklage entzieht und schlicht eröffnet.1294 Zudem wüssten der Angeklagte und sein etwaiger Verteidiger, wenn sie Einwände gegen die Eröffnung erhoben haben, ob und wie der Richter diese beurteilt hat.1295 1286

Kanka, DRiZ 1963, 148 (149). DRiZ 1963, 115. 1288 Vgl. BT-Drucks. 4/178 S. 9, 33 f., 39. Vgl. auch Rieß, in: FS Kleinknecht, 1985, S. 355 (366 f.). 1289 Vgl. Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 5, Vor § 198 Rdn. 15; Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, 2005, S. 49; Isfen, ZStW 125 (2013), 325 (329). 1290 Vgl. auch Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 130; Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, 2005, S. 50. 1291 So Meyer-Goßner, ZRP 2000, 345 (347); vgl. auch Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, 2005, S. 51; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, Rdn. 408; Gössel, in: FS Meyer-Goßner, 2001, S. 187 (202). Allerdings handelt es sich hier lediglich um eine Befürchtung. Ernst zeigt auf, dass auch das Gegenteil – eine sorgfältigere Prüfung – eintreten könnte, vgl. Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 132. 1292 So Meyer-Goßner, ZRP 2000, 345 (347). 1293 Fragwürdig erscheint insofern Meyer-Goßners Einwand, dass hierdurch das Hauptverfahren entwertet würde, vgl. Meyer-Großner, ZRP 2000, 345 (347), da nur eine Begründungspflicht für beide Beschlüsse diese Wirkung noch nicht erzielen würde. 1294 So aber Meyer-Goßner, ZRP 2000, 345 (347). 1295 Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, § 36 Rdn. 616.1. 1287

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Ein weiterer Einwand geht dahin, dass der erkennende Richter sich an die Einschätzung eines Kollegen als eröffnendem Richter in noch höherem Maße gebunden fühle als an eine eigene vorangegangene Einschätzung.1296 Dies überzeugt indessen nicht.1297 Zwar mag es vorkommen, dass es dem Richter leichter fällt, eine eigene Fehleinschätzung zu korrigieren als eine solche eines Kollegen.1298 Erheblicher ist aber, dass sich in einer solchen Konstellation nicht die eigene Vorentscheidung des Richters auf seine einzelnen Wahrnehmungen auswirkt. Die Wirkung der unvoreingenommenen Wahrnehmung in der Hauptverhandlung überwiegt eine etwaige Tendenz zur Übernahme der Beurteilung des Kollegen. Zudem dürfte eine Trennung von eröffnendem und erkennendem Richter in ihrer Außenwirkung die Einschätzung fördern, dass es sich bei der Eröffnungsentscheidung um eine vorläufige Beurteilung handelt, nach der der erkennende Richter im Hauptverfahren aufgrund der dortigen Beweise neu entscheidet. Aufgrund dessen dürfte eine „Abweichung“ des erkennenden Richters von der Einschätzung des eröffnenden Richters nicht als problematisch angesehen werden. Schwerwiegender ist hingegen das Problem, dass die Befassung eines zweiten Richters mit derselben Sache mit den zur Verfügung stehenden Personal- und Finanzmitteln nicht zu bewerkstelligen ist.1299 Jedoch müsste gegebenenfalls erwogen werden, ob die Zwecke des Zwischenverfahrens nicht besser erreicht und das Problem der Gefährdung richterlicher Unparteilichkeit nicht besser gelöst werden könnte, wenn die Arbeitsbelastung von Richtern insgesamt geringer wäre. In derartige Überlegungen müssten Kosten und Nutzen eines Modells, das einen eröffnenden und einen erkennenden Richter vorsieht, einbezogen werden.1300 Gerade am Nutzen des Zwischenverfahrens setzt jedoch eine entgegengesetzte Tendenz an: Betrachtet man statistische Untersuchungen, die zum Teil zu dem Ergebnis führen, dass in 98 %1301 oder 99 %1302 aller Zwischenverfahren das Haupt1296

So Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, Rdn. 408. Vgl. auch Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 140 f. 1298 So Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, Rdn. 408. 1299 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 133; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, Rdn. 408. Vgl. auch Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (62); Wolter, GA 1985, 49 (83). 1300 Auch Weigend ist der Ansicht, dass der Aufwand eines eigenen Eröffnungsgerichts nicht gescheut werden sollte, wenn man – was er nicht teilt – das Zwischenverfahren als unverzichtbar empfindet, vgl. Weigend, ZStW 113 (2001), 271 (285). In diese Richtung auch Kanka, DRiZ 1963, 148 (149 f.); Roesen, NJW 1959, 1861 (1862); Eb. Schmidt, NJW 1963, 1081 (1082 Fn. 13); Schünemann, GA 1978, 161 (173 Fn. 59). Vgl. auch Overhoff, Ausschluss und Ablehnung des Richters, 1975, S. 92. 1301 Dölling/Fehltes/Dittmann/Laue/Törning, Die Dauer von Strafverfahren vor dem Landgericht, 2000, S. 186. 1302 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 72; Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rdn. 621 Fn. 31. Auf diese Zahl Bezug nimmt auch Schlot1297

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

verfahren eröffnet wird, so lässt sich an der Berechtigung des Zwischenverfahrens zweifeln.1303 Offenbar orientieren sich Richter in hohem Maße an der Einschätzung der Staatsanwaltschaft.1304 Schünemann begründet diesen Effekt damit, dass der Richter sich jedenfalls in nicht eindeutigen Fällen an der zuvor erfolgten Einschätzung „durch eine von ihm als kompetent akzeptierte Vergleichsperson orientiert“1305, und weist experimentell eine ebensolche Orientierung nach.1306 Vielfach wird eingewandt, dass das Zwischenverfahren verzichtbar sei.1307 Selbst wenn dessen Abschaffung eine geringere Kontrolle der staatsanwaltlichen Tätigkeit bedeuten würde,1308 was angesichts der Überprüfung der Anklage im Hauptverfahren durchaus bezweifelt werden kann, so wäre dadurch das Problem drohender Parteilichkeit durch die Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren gelöst.1309 b) Reformvorschläge im Hinblick auf das Hauptverfahren Nach beiden dargestellten Reformvorschlägen hinsichtlich des Zwischenverfahrens bliebe noch die Problematik der Vorbefassung durch die Aktenkenntnis des Richters bestehen.1310 Auch im Hinblick hierauf werden Reformmöglichkeiten diskutiert. Ausgangspunkt solcher Überlegungen ist die Feststellung, dass nach der bisherigen Konzeption richterliche Verhandlungsleitung Aktenkenntnis voraussetzt.1311 Entsprechend wird erörtert, inwiefern die Gefahren, die von der Aktenkenntnis des Richters für dessen Urteilsfindung ausgehen können, durch Verzicht auf diese Aktenkenntnis oder auf seine Verhandlungsleitung in der heutigen Form beseitigt werden können. Zu bedenken ist dabei, dass die Aktenkenntnis neben den Gefahren für die richterliche Unparteilichkeit auch Vorteile hat: Der Richter, der bereits durch die Aktenkenntnis auf Zeugenaussagen und andere Beweismittel vorbereitet ist, kann diese nicht nur schneller erfassen, sondern erreicht auch ein tieferes Verständnis der

hauer, Vorbereitung der Hauptverhandlung, 1988, S. 5. Vgl. die Zahlen auch bei Rieß, in: FS Rolinski, 2002, S. 239 (240). 1303 So auch Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, 2005, S. 1. 1304 Vgl. hierzu auch Wilms, DRiZ 1961, 327. 1305 Schünemann, StV 2000, 159 (162). 1306 Schünemann, StV 2000, 159 (162). Schünemann nennt diesen Effekt den „Schulterschlußeffekt“. 1307 Linden, in: Verhandlungen des sechzigsten Deutschen Juristentages, Bd. II/1, 1994, M 43 IV.; Jescheck, JZ 1970, 201 (204); Eb. Schmidt, NJW 1969, 1137 (1144); Weigend, ZStW 113 (2001), 271 (285). Vgl. auch Wolter, Aspekte einer Strafprozessrechtsreform bis 2007, 1991, S. 92 f. 1308 Vgl. hierzu Rieß, Jura 2002, 735 (736); vgl. auch Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, 2005, S. 59. 1309 So auch Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, 2005, S. 58. 1310 Vgl. auch Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, 1991, S. 54. 1311 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 100.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Beweisaufnahme.1312 Hierdurch kann er Details besser nachvollziehen und die Beweismittel erschöpfend würdigen.1313 Größere und komplexe Strafverfahren lassen sich ohne Aktenkenntnis schwer leiten und erfassen.1314 Insofern ist zu erwägen, ob die Aktenkenntnis trotz ihrer Gefahren tatsächlich verzichtbar ist. Als Lösung des Problems wird seit geraumer Zeit für Einführung eines Wechselverhörs in der Hauptverhandlung plädiert.1315 Dabei soll die richterliche Aufklärungspflicht und Aktenkenntnis erhalten bleiben, jedoch Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Ladung von Zeugen durch den Richter erwirken, die sie dann in der Hauptverhandlung zuerst vernehmen dürfen.1316 Hieran soll sich die Vernehmung durch den jeweils anderen Verfahrensbeteiligten und letztlich durch den Richter anschließen.1317 Das Modell erhält nach Ansicht seiner Vertreter die Vorteile der Aktenkenntnis und begegnet gleichzeitig ihren Gefahren, indem der Richter die Beweisaufnahme nicht mehr seiner Aktenkenntnis entsprechend steuert, sondern sich auf die Präsentation der Beweismittel durch Staatsanwaltschaft und Verteidigung einlassen muss.1318 Eberhard Schmidt sprach sich schon früh für die Beibehaltung der richterlichen Aktenkenntnis und Verhandlungsleitung in unveränderter Form aus.1319 Er plädierte jedoch neben der Abschaffung des Eröffnungsbeschlusses für den Ausschluss des Richters, der die Verhandlung leitet, von der Urteilsfindung.1320 Schünemann hingegen wandte sich ursprünglich gegen das Modell des Wechselverhörs und hielt das geltende Hauptverhandlungsmodell diesem gegenüber für vorzugswürdig.1321 Seiner Ansicht nach senkt die passive Stellung des Richters während des Wechselverhörs dessen Fähigkeit zur Informationsaufnahme und 1312

Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 102. Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 102. 1314 Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (56 ff.). Vgl. auch Gössel, in: FS Meyer-Goßner, 2001, S. 187 (191). 1315 Dahs, in: FS Schorn, 1966, S. 14 (32 ff.); Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (58 ff.); ders., in: FS Schmidt-Leichner, 1977, S. 145 (146 f.); ders., in: FS Jauch, 1990, S. 183 (198 f.); ders., Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. 1998, S. 355 f.; Schöch, in: Strafprozeß und Reform, 1979, S. 52 (65). Vgl. auch Herrmann, Die Reform der deutschen Hauptverhandlung, 1971, S. 388 ff. Kritisch hierzu Weigend, ZStW 100 (1988), 733 ff. 1316 Dahs, in: FS Schorn, 1966, S. 14 (33 f.); Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (59); ders., in: FS Jauch, 1990, S. 183 (198 f.); ders., Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. 1998, S. 355 f.; Schöch, in: Strafprozeß und Reform, 1979, S. 52 (65). 1317 Dahs, in: FS Schorn, 1966, S. 14 (32 ff.); Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (60); ders., in: FS Jauch, 1990, S. 183 (198 f.); ders., Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. 1998, S. 355 f.; Schöch, in: Strafprozeß und Reform, 1979, S. 52 (65). 1318 Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 52 (60 ff.); ders., in: FS SchmidtLeichner, 1977, S. 145 (147); Schöch, in: Strafprozeß und Reform, 1979, S. 52 (65 f.). 1319 Eb. Schmidt, NJW 1969, 1137 (1144). 1320 Eb. Schmidt, NJW 1969, 1137 (1144). 1321 Schünemann, GA 1978, 161 (174). 1313

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

-verarbeitung erheblich.1322 Dabei zog auch er zunächst die richterliche Aktenkenntnis vor, da es ohne sie bei der Vernehmung durch andere Verfahrensbeteiligte zu Missverständnissen des Richters kommen könne, wenn dieser den Hintergrund von Fragen nicht verstehe.1323 Inzwischen jedoch hat Schünemann in einem computergestützten Hauptverhandlungsexperiment nachgewiesen, dass Richter mit Kenntnis einer tendenziell belastenden Ermittlungsakte entlastende Elemente der Hauptverhandlung nicht nur unterschätzen, sondern teilweise überhaupt nicht wahrnehmen, und so signifikant häufiger zu einer Verurteilung gelangen als Richter ohne Aktenkenntnis.1324 Diese Abweichung war besonders hoch, wenn die Richter mit und ohne Aktenkenntnis jeweils über ein eigenes Fragerecht verfügten.1325 Hieraus folgerte Schünemann nachvollziehbar, dass die Kenntnis des Richters von den belastenden Ermittlungsakten die richterliche Wahrnehmung in der Hauptverhandlung nachhaltig beeinflusst und dadurch eine Verurteilung begünstigt.1326 Fehlende Aktenkenntnis hingegen ermögliche eine kritische Auseinandersetzung mit der Beweisaufnahme. Diese werde durch ein eigenes Fragerecht des Richters noch verstärkt, da ein solches seine Aufmerksamkeit steigert und ohne Aktenkenntnis auch nicht dazu führt, dass die Fragen des Richters tendenziös sind.1327 Entsprechend sollte nach Ansicht Schünemanns der Richter in der Hauptverhandlung idealerweise über keine Aktenkenntnis, aber über ein eigenes Fragerecht verfügen.1328 Auf der Suche nach einer Lösung für das Problem der richterlichen Aktenkenntnis spricht zunächst entscheidend gegen die Trennung von verhandlungsleitendem und urteilendem Richter nach dem Modell Eberhard Schmidts, dass es problematisch erscheint, den urteilenden Richter von der aktiven Teilnahme an der Beweisaufnahme auszuschließen. Hieraus können sich noch größere Aufmerksamkeitsdefizite als im Bereich des Wechselverhörs1329 ergeben. Gleichzeitig sollten seitens des urteilenden Richters am Ende der Hauptverhandlung keine Fragen mehr offen sein,1330 was dieses Modell nicht zwingend gewährleistet. Insbesondere aber bleibt bei der 1322

Schünemann, GA 1978, 161 (166). Schünemann, GA 1978, 161 (169). 1324 Schünemann, in: Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, 1983, S. 1109 – 1151, insb. S. 1145 ff.; ders., in: Verfahrensgerechtigkeit, 1995, S. 215 (222). 1325 Schünemann, in: Verfahrensgerechtigkeit, 1995, S. 215 (221 f.); ders., StV 2000, 159 (160 f.). 1326 Schünemann, in: Verfahrensgerechtigkeit, 1995, S. 215 (221 f.); ders., StV 2000, 159 (160 f.). 1327 Schünemann, in: Verfahrensgerechtigkeit, 1995, S. 215 (221 ff.); ders., StV 2000, 159 (161 ff.). 1328 Schünemann, in: Verfahrensgerechtigkeit, 1995, S. 215 (228); ders., StV 2000, 159 (163). 1329 Vgl. Schünemann, GA 1978, 161 (166); ders., StV 2000, 159 (164). 1330 Vgl. hierzu auch Weigend, ZStW 100 (1988), 733 (744). 1323

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Trennung von verhandlungsleitendem und urteilendem Richter ein Problem der Aktenkenntnis bestehen. Die Verhandlungsleitung bleibt geprägt vom Inhalt der Ermittlungsakten, die zwar nicht dem erkennenden, doch aber dem verhandlungsleitenden Richter bekannt sind.1331 So bleibt es bei der problematischen Beeinflussung der Auswahl und Reihenfolge von Beweismitteln durch die Aktenkenntnis.1332 Daneben erscheint das ökonomische Argument, dass die Trennung von verhandlungsleitendem und erkennendem Richter den Einsatz zusätzlicher Richter erfordere und so die personellen und finanziellen Mittel der Justiz strapaziere,1333 eher nachrangig. Die beiden weiteren Reformmodelle gehen im Kern auf die grundsätzliche Frage nach dem vorzugswürdigen Verfahrensmodell zurück. Da diese stets aktuelle Diskussion um Gerechtigkeit, Wahrheitsfindung und Legitimation von und durch Verfahren zwischen dem inquisitorischen und dem adversarischen Verfahrensmodell und möglichen Typenmischungen nicht einfach aufzulösen ist,1334 werden hier lediglich die unmittelbaren Auswirkungen der beiden Hauptverhandlungsmodelle erörtert. Das Modell des Wechselverhörs beseitigt die Gefahren der Aktenkenntnis des Richters für seine Unparteilichkeit nur in geringem Maße. Zwar legt der Richter, wie Roxin zutreffend feststellt, nicht mehr den Ablauf der Hauptverhandlung fest,1335 jedoch bleibt seine Wahrnehmung von der Aktenkenntnis beeinflusst.1336 Dies führt nicht zu einer vor-urteilsfreien Wahrnehmung, die zu Beginn der Hauptverhandlung möglich wäre. Zudem wird auch hier die Ausgestaltung des Verfahrens durch Staatsanwalt und Verteidiger maßgeblich von Personen beeinflusst, die über Aktenkenntnis verfügen. Auch wenn Staatsanwalt und Verteidiger den Akteninhalt aus anderen Blickwinkeln wahrnehmen und daher jeweils unterschiedliche Aspekte hervorheben, beeinflusst der Inhalt der Ermittlungsakten den Ablauf der Hauptverhandlung weiterhin. Zusätzliche Probleme stellen sich dadurch, dass das Wechselverhörmodell eine umfangreichere Vorbereitung seitens Staatsanwalt und Verteidiger erfordert,1337 die sich mit dem bisherigen Modell des staatsanwaltlichen Sitzungsdienstes nicht ver1331

So auch Dahs, in: FS Schorn, 1966, S. 14 (40). Vgl. oben E. II. 2. b) bb) (3) (a) (aa) b) (S. 215). 1333 So schon Dahs, in: FS Schorn, 1966, S. 14 (40). 1334 Vgl. zu den Verfahrensmodellen insbesondere die vielzitierte Studie von Thibaut/ Walker, Procedural justice, 1975. Vgl. auch King, Psychology in and out of court, 1986, S. 12 ff.; Vormbaum, Die Lex Emminger, 1988, S. 174 ff.; Bierbrauer/Klinger, in: Volbert/ Steller (Hrsg.), Handbuch der Rechtspsychologie, 2008, S. 508 ff. m.w.N.; Sporer/Breuer, in: Psychologie, 4. Aufl. 2011, S. 485 (487 f.) m.w.N. Ferner Behrendt, in: FS Schmitt, 1992, S. 13 ff.; Fabricius, Juristenpersönlichkeit, 1993, S. 299. Vgl. auch Kaufmann, Theorie der Gerechtigkeit, 1984. 1335 Roxin, in: FS Schmidt-Leichner, 1977, S. 145 (153 ff.). 1336 So auch Schünemann, GA 1978, 161 (173). 1337 So auch Schöch, in: Strafprozeß und Reform, 1979, S. 52 (66 f.). 1332

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

einbaren lässt.1338 Dem Angeklagten müsste zudem stets ein Verteidiger zur Seite stehen.1339 Unter Umständen ist eine bessere Qualifikation der Verteidiger erforderlich.1340 Die Gegenüberstellung von Staatsanwalt und Verteidiger kann dabei zu Einbußen hinsichtlich der Neutralität des Staatsanwaltes führen, da der Staatsanwalt sich zumindest berufen fühlen kann, insbesondere belastende Umstände vorzubringen.1341 Wahrt der Staatsanwalt seine Neutralität, kann die Waffengleichheit von Staatsanwaltschaft und Verteidigung bezweifelt werden, da ein neutraler Staatsanwalt einem für seinen Mandanten kämpfenden Verteidiger gegenüber steht.1342 Insgesamt erfordert das Modell des Wechselverhörs einige Umgestaltungen der Hauptverhandlung und schmälert die Gefahren der richterlichen Aktenkenntnis in geringem Maße, ohne durchgreifend gegen sie zu wirken. Das Modell Schünemanns hingegen beseitigt die Gefahren der Aktenkenntnis für die richterliche Unparteilichkeit vollständig und verzichtet hierfür auf ihre Vorteile. Dies ist zu befürworten, da die Gefahren, die sich für die Unparteilichkeit des Richters aus der Aktenkenntnis ergeben, die Vorteile der Aktenkenntnis überwiegen. Einem Richter ist es auch ohne Aktenkenntnis möglich, sich ein Bild auch von komplexeren Sachverhalten in der Hauptverhandlung zu machen. Soweit er Zusammenhänge nicht nachvollziehen kann, wird er auf Aufklärung drängen. Inwieweit die experimentelle Untersuchung sich in der Realität mit ihren zahlreichen und vielfältigen Verfahren bestätigen würde, ist ungewiss. Jedoch sprechen die Befunde der Wahrnehmungspsychologie für den Verzicht auf die Aktenkenntnis des Richters. Allerdings müsste für das Modell Schünemanns weiter erwogen werden, wie die richterliche Verhandlungsleitung ohne Aktenkenntnis (innerhalb angemessener Verfahrensdauer) bewerkstelligt werden soll. Auch hier müsste im Ergebnis das Konzept der Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft verworfen werden und der Dezernent der Staatsanwaltschaft, der die Ermittlungen geleitet hat, an der Hauptverhandlung teilnehmen. Anderenfalls hätte der Verteidiger, als einziger Verfahrensbeteiligter mit Aktenkenntnis, eine Übermacht gegenüber dem Richter und dem Staatsanwalt ohne Aktenkenntnis. Damit der Ablauf der Hauptverhandlung sich nicht am Inhalt der Akten orientiert, sollte es bei der Verhandlungsleitung des Richters ohne Aktenkenntnis bleiben. Diesem liegt zur Vorbereitung auf die Hauptverhandlung lediglich die Anklageschrift vor. Er lädt auf begründeten Antrag von Staatsanwaltschaft und Verteidigung Zeugen und zieht weitere Beweismittel heran. In der Hauptverhandlung vernimmt der Richter die Zeugen zuerst und erschließt sich ausgehend von der Anklageschrift das maßgeb1338

So auch Schöch, in: Strafprozeß und Reform, 1979, S. 52 (66), der diese dann entsprechend umgestalten möchte. 1339 Vgl. hierzu auch Schöch, in: Strafprozeß und Reform, 1979, S. 52 (66 f.). 1340 So Schöch, in: Strafprozeß und Reform, 1979, S. 52 (66 f.). 1341 So auch Gössel, JA 1975, 731 (732); Sessar, ZStW 92 (1980), 698 (705). A.A. jedoch Roxin, in: FS Schmidt-Leichner, 1977, S. 145 (148). 1342 Vgl. Sessar, ZStW 92 (1980), 698 (704).

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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liche Geschehen. Die Begründung des Beweisantrages soll daher offenlegen, unter welchem Gesichtspunkt der Zeuge zur Sachaufklärung beitragen kann. Im Anschluss an die richterliche Vernehmung haben Staatsanwalt und Verteidiger die Gelegenheit, den Zeugen zu befragen. c) Vorschlag einer Reform des Zwischen- und Eröffnungsverfahrens Fraglich ist daher nur noch, wie das Zwischenverfahren im Hinblick darauf umzugestalten wäre, dass der erkennende Richter nicht über Aktenkenntnis verfügen soll. Eine Eröffnung des Hauptverfahrens durch den erkennenden Richter ist demnach nicht möglich. Eine Abschaffung des Zwischenverfahrens würde dieses Problem zwar lösen, ist aber abzulehnen. Auch wenn der Anteil der Verfahren, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird, mit 1 – 2 % verhältnismäßig gering ist, so erfüllt das Zwischenverfahren bei über 700.000 erstinstanzlichen Strafverfahren allein im Jahr 2013 in absoluten Zahlen gefasst in zahlreichen Verfahren seine Filterfunktion.1343 Die Durchführung des Zwischenverfahrens kann durch die Bedeutung, die es in diesen Fällen für den Angeschuldigten hat, gerechtfertigt werden. Auf die richterliche Überprüfung der staatsanwaltlichen Anklage sollte zum Zweck des Schutzes des Angeklagten vor den Belastungen des Hauptverfahrens nicht verzichtet werden. Damit ist insgesamt ein Verfahrensmodell anzustreben, bei dem der Eröffnungsrichter und der erkennende Richter personenverschieden sind. Die Unparteilichkeit des erkennenden Richters ist bisher durch die Aktenkenntnis und den Erlass des Eröffnungsbeschlusses in zu hohem Maße gefährdet. Der erkennende Richter, der nach dem vorgeschlagenen Modell weiterhin die Verhandlung leitet, verfügt über keine Aktenkenntnis. Der Staatsanwalt und der Verteidiger hingegen besitzen Aktenkenntnis und beantragen die Heranziehung von Zeugen und anderen Beweismitteln. Ergänzend kann der Richter Beweismittel, von denen er in Zeugenvernehmungen oder durch andere Beweismittel Kenntnis erlangt hat, zusätzlich heranziehen. (cc) Ausschluss oder Ablehnung des Eröffnungsrichters Dieses Modell erfordert jedoch eine weitgehende Reform des Strafverfahrens, deren Umsetzung nicht absehbar ist. Daher ist anhand der geltenden Hauptverhandlungsstruktur zu untersuchen, wie die Gefahren der Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren in der Hauptverhandlung beseitigt werden können. Hierfür bietet sich eine Lösung über das Ausschluss- und Ablehnungsrecht an. Ein Ausschluss des Eröffnungsrichters von der Mitwirkung am Hauptverfahren, der faktisch zu der oben erörterten Trennung von eröffnendem und erkennendem 1343 https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Rechtspflege/Rechtspfle ge.html;jsessionid=F7539D7D25F9699 757622269EA46F12D.cae3 (abgerufen am 14. 04. 2015).

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

Richter führen würde,1344 ist gesetzlich nicht vorgesehen. Auch der Fall, dass der Richter im Zwischenverfahren umfangreiche Ermittlungen nach § 202 StPO vorgenommen hat, führt nicht zum Ausschluss des Richters,1345 da es sich nicht um eine staatsanwaltliche Tätigkeit im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO handelt. In Betracht kommt aber die Ablehnung des Eröffnungsrichters wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund der Eröffnungsentscheidung. Diese Möglichkeit wird indes überwiegend abgelehnt.1346 Die damit verbundene Argumentation, die insbesondere in der vielzitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. 01. 19711347 zu Tage tritt, befasst sich allerdings häufig nicht mit der möglichen Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit, sondern lehnt die Voreingenommenheit des Eröffnungsrichters und seine Ausschließung ab.1348 Wiederholt stellt insbesondere die Rechtsprechung darauf ab, dass der Richter sich angesichts der richterlichen Verpflichtung zur Neutralität fortlaufend um seine Unvoreingenommenheit zu bemühen habe und tatsächlich auch bemühe.1349 Die Tatsache, dass der Richter bereits im Laufe eines Verfahrens Zwischenentscheidungen treffen müsse, sei in der StPO angelegt und damit systemimmanent.1350 Daher könne sie nicht zur Annahme richterlicher Befangenheit führen.1351 Zudem handle es sich bei

1344

Vgl. oben E. II. 2. b) bb) (3) (a) (bb) a) (S. 217). BGHSt 9, 233. Vgl. auch Zwiehoff, Der Befangenheitsantrag im Strafverfahren, 2. Aufl. 2013, Rdn. 79. 1346 BVerfGE 30, 149 (155); RGSt 60, 322 (324); 62, 299 (302); BGH, 3 StR 283/14, Beschl. v. 19. 08. 2014; BGHSt 9, 233 (234); 15, 40 (46 f.); 21, 334 (343); 50, 216 (221); BGH NJW 2014, 2372; NStZ 2011, 44 (46). Vgl. auch BGH bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1985, 492; BGH GA 1962, 282 f. Ferner Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 24 Rdn. 16; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 21; Cirener, in: Graf, StPO, § 24 Rdn. 15.1; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 24 Rdn. 9; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 24 Rdn. 14; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 1, § 24 Rdn. 47; Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 18; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 118 f.; Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986, S. 191; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 191; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 188; Kern, in: FS von Weber, 1963, S. 368 (370 f.); Germann, NJW 1960, 758 (759); Schorn, JR 1959, 333. Kritisch, im Ergebnis jedoch zustimmend Wassermann, in: AK-StPO, § 24 Rdn. 33; Weßlau, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 1, § 24 Rd. 24 f.; Arzt, Der befangene Strafrichter, 1969, S. 70. 1347 BverfGE 30, 149. 1348 Vgl. BVerfGE 30, 149 (155); vgl. im Ergebnis auch BGHSt 21, 334 (343). 1349 BVerfGE 30, 149 (153); BGHSt 21, 334 (341); Eb. Schmidt, NJW 1963, 1081. 1350 BGH, 3 StR 283/14, Beschl. v. 19. 08. 2014; BGHSt 50, 216 (221); BGH NJW 2014, 2372; NStZ-RR 2012, 350; Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 191 f.; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 188 f. 1351 BVerfG NJW 2005, 3410 (3413); BGHSt 50, 216 (221); BGH NStZ 2011, 44 (46); Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 191 f.; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 188 f. 1345

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

227

der Eröffnungsentscheidung nur um eine vorläufige Einschätzung der Sache.1352 Der Richter sei auch nach bereits getroffenen Entscheidungen in der Lage, sich unvoreingenommen mit einer Sache zu befassen.1353 Daher müssten die Verfahrensbeteiligten auf die Unvoreingenommenheit des Richters auch dann vertrauen, wenn er bereits zuvor mit der Sache befasst war.1354 Wenn aber der Richter folglich nicht auszuschließen wäre, könne auch eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nicht erfolgen, da diese der engen Auslegung der Ausschließungsgründe zuwiderliefe.1355 Wie wenig überzeugend diese Argumentation ist, wurde im Rahmen dieser Arbeit bereits mehrfach aufgezeigt: Dem Richter ist es entsprechend den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie gerade nicht möglich, einer Sache bei wiederholter Befassung unvoreingenommen zu begegnen.1356 Sein Bemühen um seine Unbefangenheit wird nicht bestritten, jedoch kann seine Wahrnehmung beeinflusst sein, ohne dass ihm dies bewusst wird.1357 Die Systemimmanenz der Vorbefassung ist einfachgesetzlich geregelt und damit kein Argument gegen Gefahren für die verfassungsrechtlich geschützte Unparteilichkeit des Richters.1358 Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit erfordert nicht den Nachweis der Befangenheit des Richters und unterstellt ihm auch nicht, dass er befangen ist.1359 Vielmehr bezieht sie die Tatsache ein, dass sich die Verfahrenskonstellation auf den vernünftigen Angeklagten so auswirken kann, dass er die Besorgnis hegt, der Richter könnte befangen sein.1360 Diese Besorgnis soll den Angeklagten, sofern sie auftritt, nicht durch das Verfahren hindurch begleiten, sondern ihr soll durch das Institut der Richterablehnung abgeholfen werden, wenn die Ausschließungsgründe nicht eingreifen.1361 Im Interesse des Ansehens der Strafrechtspflege soll bereits der Anschein der Befangenheit vermieden werden.1362 Der Angeklagte hat ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf einen unparteilichen Richter.1363 Daher sagt auch das Nichtvorliegen eines Ausschlussgrundes nichts darüber aus, inwieweit eine Fallgestaltung der Ablehnung gemäß § 24 Abs. 2 StPO unterliegen 1352 Temming, in: Heidelberger Kommentar, StPO, § 24 Rdn. 18; Götz, Untersuchungen zum Befangenheitsrecht, 1988, S. 119; Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 188; Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 93. 1353 BVerfGE 30, 149 (153). Vgl. auch BGHSt 9, 233 (234), 15, 40 (47). Vgl. auch Zwiehoff, Der Befangenheitsantrag im Straverfahren, 2. Aufl. 2013, Rdn. 78. 1354 BVerfGE 30, 149 (154); BGHSt 21, 334 (341). 1355 BVerfGE 30, 149 (155). 1356 Vgl. oben E. I. 1. c) (S. 138). 1357 Vgl. oben E. I. 1. c) (S. 138). 1358 Vgl. oben E. II. 2. b) (S. 149). 1359 Vgl. oben D. I. 2. b) (S. 85). 1360 Vgl. oben D. I. 2. b) bb) (2) (S. 104). 1361 Vgl. oben D. I. 2. b) (S. 85 ff.). 1362 Vgl. oben D. I. 1. (S. 64). 1363 Vgl. oben C. I. 5. (S. 59).

228

E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

soll.1364 Vielmehr hat das Institut der Richterablehnung gegenüber dem Ausschluss des Richters, der hier zu einer Trennung von eröffnendem und erkennendem Richter in allen Verfahren führen würde, gerade den Vorteil, dass nur der Angeklagte, der die Befangenheit des Richters besorgt, den Richter ablehnen wird.1365 Teilweise erkennen selbst die Gegner der Ablehnbarkeit des Richters in dieser Konstellation die Gefahr, die sich aus seiner Vorbefassung ergibt.1366 Beachtlich ist zudem die abweichende Meinung der Richter Leibholz, Geiger und Rinck1367 zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. 01. 1971.1368 Diese Richter heben hervor, dass den Ausschlussgründen des § 23 StPO sowie der Bestimmung des § 354 Abs. 2 StPO die Annahme zugrunde liege, dass der erkennende Richter nicht zuvor bereits mit der Sache befasst gewesen sein soll.1369 Unter diesem Gesichtspunkt führen sie aus, dass der Gesetzgeber die Identität von eröffnendem und erkennendem Richter kritisch überprüfen sollte.1370 Dies sei insbesondere im Hinblick darauf geboten, dass dem Angeklagten nicht zugemutet werden könne, auf die Unbefangenheit des mit der Eröffnung vorbefassten Richters zu vertrauen.1371 Es könne nicht darauf verwiesen werden, dass der Richter jederzeit erneut unvoreingenommen entscheiden könne, da durch einen derartigen Umgang mit der Problematik die für das Strafverfahren notwendige Vertrauensbasis zwischen Richter und Angeklagtem gefährdet würde.1372 Damit sind in der abweichenden Meinung die wesentlichen Aspekte benannt, die für die Ablehnbarkeit des als Eröffnungsrichter vorbefassten Richters sprechen. Die Vorbelastung des Richters durch die Eröffnungsentscheidung ist auch nicht mit derjenigen durch einzelne aufeinanderfolgende Wahrnehmungen in der Hauptverhandlung vergleichbar.1373 Denn die vorläufige Einschätzung der Sache, die der Richter im Laufe der Hauptverhandlung immer wieder bildet, aber auch häufig wieder verwerfen muss,1374 wird dem Angeklagten nicht wie der Eröffnungsbeschluss bekannt. Die Eröffnungsentscheidung hingegen muss der Richter nach außen tragen. Wie bereits erörtert,1375 erhöht zudem die intensive Auseinandersetzung des 1364 1365

S. 185. 1366

Vgl. oben D. I. 2. b) aa) (4) (S. 84). So auch Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, 1986,

Beispielsweise sieht Hamm, Der gesetzliche Richter, 1973, S. 191 die Konstellation an der „oberen Grenze der gerade noch hingenommenen Befangenheit“ an. 1367 Abweichende Meinung Richter Leibholz, Geiger und Rinck, BVerfGE 30, 157. 1368 BVerfGE 30, 149. 1369 Abweichende Meinung Richter Leibholz, Geiger und Rinck, BVerfGE 30, 157 (159 f.). 1370 Abweichende Meinung Richter Leibholz, Geiger und Rinck, BVerfGE 30, 157 (159 f.). 1371 Abweichende Meinung Richter Leibholz, Geiger und Rinck, BVerfGE 30, 157 (160 f.). 1372 Abweichende Meinung Richter Leibholz, Geiger und Rinck, BVerfGE 30, 157 (161 f.). 1373 So aber Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 93. 1374 Vgl. Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 93. 1375 Vgl. oben D. II. 2. b) bb) (3) (a) (aa) a) (S. 212).

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

229

Richters mit der Sache für die Eröffnungsentscheidung die Gefahr, dass er durch diese Vorbefassung voreingenommen wirkt. Die Befürwortung der Ablehnbarkeit des Eröffnungsrichters, nicht jedoch des Richters, der bei der Anordnung von Zwangsmaßnahmen den dringenden Tatverdacht gegen den Beschuldigten bejaht hat, ist dabei nicht inkonsequent.1376 Wie oben erörtert, erfolgt die Bejahung des dringenden Tatverdachts aufgrund eines vorläufigen Ermittlungsstandes, diejenige des hinreichenden Tatverdachts hingegen aufgrund des abschließenden Ermittlungsergebnisses, so dass die Bejahung des dringenden Tatverdachts eine in höherem Maße vorläufige Einschätzung darstellt.1377 Dennoch wird eine Ablehnbarkeit des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit nach Vorbefassung im Zwischenverfahren im Schrifttum nur selten bejaht.1378 Immerhin dürften auch die Befürworter einer Trennung von eröffnendem und erkennendem Richter die Ablehnbarkeit des Richters wohl als Lösung auf der Grundlage der aktuellen Gesetzeslage akzeptieren.1379 Darüber hinaus wollen einzelne Autoren lediglich für Sonderfälle der vorzeitigen Festlegung, die jedoch einen eigenen Ablehnungsgrund bildet,1380 eine Ablehnung zulassen.1381 Zu prüfen ist, ob die Ablehnbarkeit des im Zwischenverfahren vorbefassten Richters wegen Besorgnis der Befangenheit mit Verweis auf die Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK an die richterliche Unparteilichkeit gefordert werden kann. (b) Einschätzung des EGMR am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK (aa) Saraiva de Carvalho ./. Portugal1382 In dem bereits erörterten Verfahren Saraiva de Carvalho ./. Portugal rügte der Beschwerdeführer nicht nur die Vorbefassung des Richters durch den Erlass des despacho de pronúncia, der zur Eröffnung der Hauptverhandlung führt, sondern auch durch die Anordnung der Haftfortdauer des Beschwerdeführers.1383 Der EGMR hielt 1376

So aber Stemmler, Befangenheit im Richteramt, 1975, S. 186. Vgl. oben D. II. 2. b) bb) (3) (a) (aa) a) (S. 212). Vgl. hierzu auch Wohlers, in: FS Roxin, Bd. 2, 2011, S. 1313 (1324 f.). 1378 So bei Isfen, ZStW 125 (2013), 325 (329). 1379 Vgl. Rzepka, Zur Fairness im deutschen Strafverfahren, 2000, S. 376; Kanka, DRiZ 1963, 148; Roesen, NJW 1959, 1861 f.; Eb. Schmidt, NJW 1969, 1137 (1143 f.); SchmidtLeichner, Anwbl. 1961, 26 (32); Schünemann, GA 1978, 161 (172). 1380 Vgl. oben E. II. 1. a) (S. 142). 1381 So Dahs für den Fall, dass der Richter sich über die Bestätigung des hinreichenden Tatverdachts zum voraussichtlichen Strafmaß äußere, vgl. Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 7. Aufl. 2005, Rdn. 203, vgl. hierzu auch BGH StV 2000, 177. Vgl. auch Tumeltshammer für die abstraktere Fallgruppe, in der aus den Aussagen des Richters deutlich wird, dass er durch das Aktenstudium festgelegt ist, vgl. Tumeltshammer, Die Ablehnung des Strafrichters, 2001, S. 95. 1382 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89. 1383 Vgl. oben E. II. 2. b) bb) (1) (b) (aa) (g) (S. 188). 1377

230

E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

selbst diese Kombination von Vorbefassungssituationen nicht für ausreichend, um Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu begründen.1384 Für den Erlass des despacho de pronúncia musste der Richter vor der Hauptverhandlung prüfen, ob es hinreichende Beweise gab, um eine zuverlässige Bewertung der Wahrscheinlichkeit der Schuld des Angeklagten vorzunehmen.1385 Der EGMR stellte darauf ab, dass die bloße Vornahme von Zwischenentscheidungen durch den Richter keine Zweifel an seiner Unparteilichkeit rechtfertigen könne.1386 Entscheidend seien der Umfang und die Natur der Maßnahmen, die der Richter vor dem Hauptverfahren vorgenommen habe.1387 In diesem Fall erkannte der EGMR den vorläufigen Charakter der durch den Richter vorgenommenen Einschätzung an, denn die Aspekte, die der Richter zu klären hatte, seien nicht dieselben, die für das Urteil am Ende des Verfahrens entscheidend seien.1388 Auch sei die detaillierte Kenntnis der Sache keine Gefahr für seine Unparteilichkeit.1389 Der Richter habe keinen besonders bestätigten Verdacht bejahen müssen, sondern nur, dass prima facie hinreichende Beweise vorlagen.1390 Insofern hob der EGMR hervor, dass in diesem Fall ein Unterschied zwischen der summarischen Überprüfung der Beweismittel und der verfahrensmäßigen Feststellung der Schuld des Angeklagten bestehe.1391 (bb) Castillo Algar ./. Spanien1392 Der Entscheidung Castillo Algar ./. Spanien lag ein Militärstrafverfahren zugrunde. In diesem hatten drei erkennende Richter den Beschwerdeführer verurteilt, wobei zwei von ihnen bereits zuvor die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Anklage abgewiesen und so die Anklage zum Hauptverfahren zugelassen hatten.1393 Hierbei hatten die Richter in Übereinstimmung mit der vorangegangenen Einschätzung des Obersten Gerichtshofs entschieden, dass hinreichende Beweismittel die Annahme zuließen, dass ein Militärvergehen begangen wurde.1394 Wiederum hob der EGMR hervor, dass allein die Vornahme von Entscheidungen vor dem Hauptverfahren durch den Richter Zweifel an seiner Unparteilichkeit nicht

1384

EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 40. EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38, 12. 1386 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 35. 1387 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 35. 1388 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 37. 1389 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38. 1390 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38. 1391 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38. 1392 EGMR, Urt. v. 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien, Nr. 28194/95. 1393 EGMR, Urt. v. 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien, Nr. 28194/95, Ziff. 15 f. 1394 EGMR, Urt. v. 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien, Nr. 28194/95, Ziff. 14, 48. 1385

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

231

rechtfertigen könne.1395 Jedoch entschied er, dass der Wortlaut der gegenständlichen Vorentscheidung wirke, als hätten die Richter die Ansicht des Obersten Gerichtshofs übernommen, dass hinreichende Beweismittel die Annahme zuließen, dass ein Militärvergehen begangen wurde.1396 Daher hielt der EGMR die Zweifel des Angeklagten an der Unparteilichkeit des Richters für gerechtfertigt und bejahte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1397 (cc) Perote Pellon ./. Spanien1398 Auch in dem bereits erörterten Verfahren Perote Pellon ./. Spanien hatten zwei der erkennenden Richter zuvor die Eröffnung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer auf sein Rechtsmittel hin mit einigen Änderungen bestätigt.1399 Hierbei hatten die Richter zwar auf die Vorläufigkeit dieser Einschätzung hingewiesen, dennoch aber festgestellt, dass hinreichende Indizien dafür vorlagen, dass der Beschwerdeführer sich aktiv an einer Straftat beteiligt habe.1400 Daneben hatten sie noch die Fortdauer seiner Haft angeordnet und sein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung verworfen.1401 Der EGMR stellte heraus, dass die Richter zwar die Vorläufigkeit ihrer Entscheidung betont hätten, dennoch aber der Wortlaut ihrer Entscheidung sowie der weiteren Entscheidungen über die Haft des Beschwerdeführers vermuten lasse, dass es hinreichende Indizien gäbe, dass eine Straftat begangen wurde.1402 Auch berücksichtigte der EGMR, dass die beiden Richter mehrfach Zwischenentscheidungen getroffen hatten, die für den Beschwerdeführer ungünstig waren und zum Teil vom Verfassungsgericht aufgehoben wurden.1403 Aus diesen Gründen hielt der EGMR die Zweifel des Beschwerdeführers an der Unparteilichkeit der Richter für gerechtfertigt und bejahte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.1404 (dd) Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien1405 Im Verfahren Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien rügte der Beschwerdeführer die umfangreiche Vorbefassung seiner Richter mit der Eröffnung des Verfahrens

1395 1396 1397 1398 1399 1400 1401 1402 1403 1404 1405

EGMR, Urt. v. 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien, Nr. 28194/95, Ziff. 46. EGMR, Urt. v. 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien, Nr. 28194/95, Ziff. 48. EGMR, Urt. v. 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien, Nr. 28194/95, Ziff. 49 ff. EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99. EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 15. EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 15. EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 18 ff. EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 50. EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 50. EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 51 f. EGMR, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04.

232

E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

gegen ihn.1406 Zwei der Richter hatten zunächst als Mitglieder einer Kammer aus drei Richtern die Anklage gegen ihn für zulässig erklärt und seine Beschwerde gegen diese Entscheidung zurückgewiesen.1407 Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft eröffnete dann dieselbe Kammer, nun aber in der Besetzung mit dem in die Beschwerde einbezogenen dritten Richter, das mündliche Verfahren gegen den Beschwerdeführer1408 und lehnte dessen Beschwerde gegen diese Entscheidung ab.1409 Weiterhin rügte der Beschwerdeführer die subjektive Parteilichkeit eines Richters.1410 Mit dieser Rüge befasste sich der EGMR in seiner Entscheidung jedoch nicht, da er bereits eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK aufgrund objektiver Parteilichkeit der Richter annahm.1411 Hinsichtlich der Vorbefassung der Richter stellte der EGMR klar, dass die bloße Tatsache, dass ein Richter bereits Zwischenentscheidungen getroffen habe, keine Zweifel an seiner Unparteilichkeit rechtfertige.1412 Entscheidend sei der Umfang der Maßnahmen, die der Richter vor dem Hauptverfahren getroffen habe.1413 Hier hatte die Kammer in den ersten beiden Zwischenentscheidungen deutlich hervorgehoben, dass es sich jeweils nur um vorläufige Einschätzungen gehandelt habe.1414 Zudem hatten sich die Richter jeglicher Ausführungen über diejenigen hinaus, die für die Entscheidung erforderlich waren, enthalten.1415 Daher sah der EGMR aufgrund dieser Zwischenentscheidungen keine Zweifel an der Unparteilichkeit der Richter begründet.1416

1406

EGMR, Ziff. 55. 1407 EGMR, Ziff. 14 f. 1408 EGMR, Ziff. 18. 1409 EGMR, Ziff. 21. 1410 EGMR, Ziff. 56. 1411 EGMR, Ziff. 61. 1412 EGMR, Ziff. 64. 1413 EGMR, Ziff. 64. 1414 EGMR, Ziff. 65. 1415 EGMR, Ziff. 66. 1416 EGMR, Ziff. 66.

Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04,

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Auch in der Entscheidung, mit der sie das mündliche Verfahren eröffneten, stellten die Richter die Vorläufigkeit ihrer Einschätzung heraus.1417 Aus Sicht des EGMR war der Wortlaut der Entscheidung dennoch geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit der Richter zu wecken.1418 Durch den Verweis auf mögliche Rechtfertigungsgründe oder mildernde Umstände könne vermutet werden, dass die Richter bereits davon ausgingen, es sei eine Straftat verwirklicht worden.1419 Diese Feststellungen glichen damit mehr einem Urteil als nur der vorläufigen Einschätzung.1420 Hieraus könne gefolgert werden, dass die Richter bereits Fragen der Schuld des Beschwerdeführers einbezogen.1421 Daher sah der EGMR berechtigte Zweifel des Beschwerdeführers an der Unparteilichkeit der Richter und nahm eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK an.1422 (ee) Auswertung der Entscheidungen Der EGMR geht davon aus, dass die Vorbefassung des Richters bei Zwischenentscheidungen vor dem Hauptverfahren seine Unparteilichkeit grundsätzlich nicht gefährdet.1423 Eine vorläufige Einschätzung der Sache ist hiernach mit Feststellungen

1417 EGMR, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Ziff. 67 f. 1418 EGMR, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Ziff. 68. 1419 EGMR, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Ziff. 68. 1420 EGMR, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Ziff. 68. 1421 EGMR, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Ziff. 68. 1422 EGMR, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Ziff. 71 f. 1423 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38; Urt. v. 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien, Nr. 28194/95, Ziff. 46; Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Ziff. 64; vgl. auch mutatis mutandis EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50; so auch EGMR, Urt. v. 16. 12. 1992, Sainte Marie ./. Frankreich, Nr. 12981/87, Ziff. 32; Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30; Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 33; Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 35; Urt. v. 22. 02. 1996, Bulut ./. Österreich, Nr. 17358/90, Ziff. 33; Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 47; Urt. v. 22. 04. 2004, Cianetti ./. Italien, Nr. 55634/00, Ziff. 40; Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55; Urt. v. 15. 02. 2007, Mathony ./. Luxemburg, Nr. 15048/03, Ziff. 29; Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 34; Urt. v. 08. 12. 2009, Savas¸ ./. Türkei, Nr. 9762/03, Ziff. 78; Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 101; Urt. v. 01. 04. 2010, Gultyayeva ./. Russland, Nr. 67413/01, Ziff. 197; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 36; Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/ 06, Ziff. 31; Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 52.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

zur Schuld des Angeschuldigten nicht vergleichbar.1424 Maßgeblich ist dabei der Inhalt der konkreten Zwischenentscheidungen.1425 Soweit der Wortlaut der Entscheidung über die Eröffnung des (Haupt-)Verfahrens auf das mögliche Vorliegen einer Straftat oder der Schuld des Angeschuldigten abstellt, bejaht der EGMR berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters.1426 Eröffnet der Richter mit der Entscheidung hingegen schlicht das Verfahren oder erfordert diese Eröffnung die Feststellung, dass hinreichende Beweismittel vorliegen, um eine „zuverlässige Bewertung der Wahrscheinlichkeit der Schuld“ des Angeklagten vorzunehmen, sind nach der Rechtsprechung des EGMR Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters nicht gerechtfertigt.1427 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der EGMR in den Entscheidungen, in denen er eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK annahm, nicht nur die Entscheidung, die das Hauptverfahren eröffnet, als solche, sondern auch Haftentscheidungen oder die Übernahme der Einschätzung eines anderen Gerichts einbezog. Insgesamt lassen die Entscheidungen des EGMR wie schon im Bereich der Vorbefassung im Ermittlungsverfahren1428 keine klaren Entscheidungskriterien erkennen. Der EGMR verneint eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK durch den Erlass des despacho de pronúncia, der voraussetzt, dass „hinreichende Beweise vorliegen, um eine zuverlässige Bewertung der Wahrscheinlichkeit der Schuld des Angeklagten vorzunehmen“, auch in Kombination mit der Anordnung der Haftfortdauer.1429 Durch die Übernahme der Einschätzung, dass „hinreichende Beweismittel die Annahme zulassen, dass ein Vergehen begangen wurde“, sieht er das Recht auf den unparteilichen Richter hingegen verletzt.1430 Dasselbe gilt für die Annahme, dass „hinreichende Indizien dafür vorliegen, dass der Beschwerdeführer sich an einer Straftat beteiligt habe“ nebst Entscheidungen zur Haftfortdauer1431 sowie die Vornahme zahlreicher Zwischenentscheidungen, von denen in einer auf mögliche 1424 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38; vgl. auch EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50, ebenso EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 36; Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 31; Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 52. 1425 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38; vgl. auch EGMR, Urt. v. 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich, Nr. 14396/88, Ziff. 30. So auch EGMR, Urt. v. 24. 08. 1993, Nortier./. Niederlande, Nr. 13924/88, Ziff. 33; Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 35; Urt. v. 31. 07. 2007, Ekeberg und andere ./. Norwegen, Nr. 11106/04, 11108/04 u. a., Ziff. 34. 1426 EGMR, Urt. v. 28. 10. 1998, Castillo Algar./. Spanien, Nr. 28194/95, Ziff. 49 ff.; Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Ziff. 68. 1427 EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38. 1428 Vgl. oben D. II. 2. b) bb) (1) (b) (bb) (S. 198). 1429 Vgl. EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38, 12. 1430 Vgl. EGMR, Urt. v. 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien, Nr. 28194/95, Ziff. 14, 48. 1431 Vgl. EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 15.

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Rechtfertigungsgründe oder mildernde Umstände abgestellt wird.1432 Erkennbar wird hier vor allem, dass der EGMR sehr einzelfallbezogen entscheidet und dabei den Inhalt der Zwischenentscheidung in den Fokus rückt. Eine sichere Einschätzung, wann eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK außerhalb dieser Einzelfälle vorliegt, lässt sich kaum vornehmen. Einzubeziehen sind insofern die grundlegenderen Aussagen des EGMR, der unter anderem darauf abstellt, dass die Fragen, die der Richter bei der Vornahme von Zwischenentscheidungen beantworten müsse, nicht dieselben sind, die für das verfahrensbeendende Urteil entscheidend sind.1433 Während Zwischenentscheidungen lediglich eine summarische Prüfung der verfügbaren Hinweise auf die Möglichkeit einer Tatbegehung erfordern, setzt die Urteilsfindung die Beurteilung voraus, ob die Beweise, die im Verfahren vorgebracht und erörtert wurden, ausreichen, um die Schuld des Angeklagten festzustellen.1434 Jedenfalls eine Zwischenentscheidung, deren Begründung einer Beurteilung der Schuld oder Strafbarkeit des Angeschuldigten oder deren Nachweisbarkeit nahe kommt, dürfte damit zu einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK führen. Grundsätzlich fehlen jedoch auch hier konsistente Abgrenzungskriterien, aus denen sich ein zuverlässiger Maßstab für das deutsche Recht bilden ließe. (c) Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in Fällen der Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren Soweit der EGMR bei der Prüfung der Unparteilichkeit des Richters angesichts seiner Vorbefassung im Zwischenverfahren auf den Wortlaut der Entscheidung abstellt,1435 kann im Hinblick auf den Eröffnungsbeschluss im deutschen Strafverfahren angenommen werden, dass der EGMR dem neuen Inhalt des Eröffnungsbeschlusses deutlich weniger kritisch entgegen treten dürfte, als dies noch der Fall gewesen wäre, als die ausdrückliche Feststellung des hinreichenden Tatverdachts erforderlich war. Zwar ist für den Eindruck des Angeschuldigten und damit für seine mögliche Besorgnis der Befangenheit der Wortlaut der Eröffnungsentscheidung durchaus erheblich. Jedoch verflüchtigt sich der Eindruck nur des Wortlauts, sobald sich der rechtsunkundige Angeschuldigte rechtlich beraten lässt und vom Maßstab dieser Entscheidung erfährt. Dann erlangt er nämlich Kenntnis darüber, dass der Richter 1432 Vgl. EGMR, Urt. v. 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien, Nr. 21369/04, Ziff. 68. 1433 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83 Ziff. 50. So auch EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55. 1434 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50, ebenso EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55; Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 101; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 36; Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 31; Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 52. 1435 Vgl. oben D. II. 2. b) bb) (3) (b) (dd) (S. 233).

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

den hinreichenden Tatverdacht bejaht hat. Insofern ist es bedauerlich, dass die Bedeutung, die der EGMR dem Wortlaut der Entscheidung zumisst, derart hoch ist. Fraglich ist aber, ob die Voraussetzungen des nationalen Rechts für den Erlass des Eröffnungsbeschlusses einer Überprüfung der Vorbefassung durch den EGMR standhalten würden. Dies hängt davon ab, inwieweit der Eröffnungsbeschluss bereits eine Festlegung des Richters hinsichtlich Schuld oder Strafbarkeit des Angeschuldigten erkennen lässt. Wie bereits erörtert, erlässt der Richter den Eröffnungsbeschluss, wenn er aufgrund des abgeschlossenen Ermittlungsverfahrens, wie es sich aus der Ermittlungsakte ergibt, nicht nur das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen bejaht, sondern es für überwiegend wahrscheinlich hält, dass der Angeschuldigte die ihm vorgeworfene Tat begangen hat und ihretwegen im Hauptverfahren verurteilt würde.1436 Der Vergleich mit den einschlägigen Entscheidungen des EGMR zeigt, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Angeschuldigte die ihm vorgeworfene Tat begangen hat und ihretwegen im Hauptverfahren verurteilt würde, weniger vergleichbar ist mit der Feststellung, dass „hinreichende Beweismittel vorliegen, um eine zuverlässige Bewertung der Wahrscheinlichkeit der Schuld des Angeklagten vorzunehmen“,1437 als mit den Feststellungen, dass „hinreichende Beweismittel die Annahme zulassen, dass ein Vergehen begangen wurde“1438 oder „dass hinreichende Indizien dafür vorliegen, dass der Beschwerdeführer sich an einer Straftat beteiligt habe.“1439 Bei abstrakter Betrachtung kann ein marginaler Unterschied zwischen diesen Feststellungen insoweit angenommen werden, als der Richter im ersten Fall das Hinreichen der Beweise für die Durchführung eines Verfahrens bejaht, dessen Ausgang noch offen ist, und im zweiten Fall feststellt, dass hinreichende Beweise für die Strafbarkeit des Angeschuldigten sprechen. Dem Inhalt der Entscheidung nach ist daher davon auszugehen, dass der EGMR die Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren als nicht vereinbar mit dessen Unparteilichkeit einschätzen würde. Wendet man darüber hinaus die grundlegenden Aussagen des EGMR auf den Eröffnungsbeschluss an, nach denen die Fragen, die der Richter bei der Vornahme von Zwischenentscheidungen beantworten müsse, nicht dieselben sind, die für das verfahrensbeendende Urteil entscheidend sind,1440 so stellt sich die Frage, ob im deutschen Recht ein erheblicher Unterschied zwischen der Entscheidung über das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts und der Entscheidung über die Schuld des Angeklagten im Urteil besteht. Der EGMR hebt hervor, dass Zwischenentscheidungen lediglich eine summarische Prüfung der verfügbaren Hinweise auf die 1436

Vgl. oben E. II. 2. b) bb) (3) (a) (S. 212). So EGMR, Urt. v. 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal, Nr. 15651/89, Ziff. 38, 12. 1438 So EGMR, Urt. v. 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien, Nr. 28194/95, Ziff. 14, 48. 1439 So EGMR, Urt. v. 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien, Nr. 45238/99, Ziff. 15. 1440 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83 Ziff. 50. So auch EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55. 1437

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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Möglichkeit einer Tatbegehung erfordern, wohingegen die Urteilsfindung die Beurteilung voraussetzt, ob die Beweise, die im Verfahren vorgebracht und erörtert wurden, ausreichen, um die Schuld des Angeklagten festzustellen.1441 Wie oben schon festgestellt, ist die Feststellung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Angeschuldigte die ihm vorgeworfene Tat begangen hat und ihretwegen im Hauptverfahren verurteilt würde, stärker als die die Feststellung verfügbarer Hinweise auf die Möglichkeit einer Tatbegehung. Dennoch besteht zunächst ein Unterschied zwischen der Entscheidung des Richters über die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung für den Eröffnungsbeschluss und seiner Überzeugung von der Schuld des Angeklagten im Sinne des § 261 StPO.1442 Die Überzeugung des Richters ist seine persönliche, subjektive Gewissheit von der objektiven Wahrheit.1443 Diese Gewissheit unterscheidet sich von der Bejahung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Dennoch sind die Fragen, die der Richter sich bei diesen beiden Entscheidungen stellen muss, inhaltlich dieselben. Er untersucht die verfügbaren Beweismittel daraufhin, ob sie die Annahme der Strafbarkeit des Angeschuldigten oder Angeklagten tragen oder ob dieser Annahme erhebliche Zweifel entgegenstehen.1444 Der größte Unterschied zwischen den Entscheidungen liegt, wie Wohlers und Isfen zutreffend feststellen, einzig in der unterschiedlichen Tatsachengrundlage, die der Richter diesen Entscheidungen zugrunde legen kann, was regelmäßig aber nicht geschieht.1445 Denn gerade durch die Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren ist eine abweichende Einschätzung der Beweislage durch ihn in der Hauptverhandlung angesichts der psychologischen Phänomene, die seine Wahrnehmung steuern, äußerst unwahrscheinlich. Eine Differenzierung in der Art der Entscheidung und des geistigen Entscheidungsprozesses ist nicht vorhanden. Mithin kann die Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht nicht einer Einschätzung prima facie, ob verfügbare Hinweise für die Möglichkeit einer Tatbegehung sprechen, gleichgestellt werden.1446 Die Bestätigung des hinreichenden Tatverdachts durch den Eröffnungsrichter ist daher auch bei Anwendung der all1441 EGMR, Urt. v. 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark, Nr. 10486/83, Ziff. 50, ebenso EGMR, Urt. v. 20. 12. 2005, Jasin´ski ./. Polen, Nr. 30865/96, Ziff. 55; Urt. v. 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen, Nr. 54729/00, Ziff. 101; Urt. v. 22. 04. 2010, Chesne ./. Frankreich, Nr. 29808/06, Ziff. 36; Urt. v. 26. 10. 2010, Cardona Serrat ./. Spanien, Nr. 38715/06, Ziff. 31; Urt. v. 17. 01. 2012, Alony Kate ./. Spanien, Nr. 5612/08, Ziff. 52. 1442 Vgl. Paeffgen, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 10, Art. 6 EMRK Rdn. 58; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 586. 1443 Ott, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 261 Rdn. 2, 4; Sander, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 6/2, § 261 Rdn. 7 ff. 1444 Vgl. Wohlers, in: FS Roxin, 2011, S. 1313 (1326). 1445 Wohlers, in: FS Roxin, 2011, S. 1313 (1324); Isfen, ZStW 125 (2013), 325 (328). 1446 So auch Wohlers, in: FS Roxin, 2011, S. 1313 (1325 f.). A.A. Paeffgen, in: Systematischer Kommentar, StPO, Bd. 10, Art. 6 EMRK Rdn. 58; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 586.

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E. Vereinbarkeit der Vorbefassung des Richters und seine Unparteilichkeit

gemeineren Aussagen des EGMR nach dessen Rechtsprechung nicht mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar.1447 Das nationale Recht, das die Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren durch die Zuständigkeitsregelungen des § 199 Abs. 1 StPO ermöglicht und eine Ablehnung des derart vorbefassten Richters im Hauptverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit nicht zulässt, verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK und bedarf einer Anpassung an die Anforderungen der EMRK an die Unparteilichkeit des Richters. (4) Zwischenergebnis Nach nationalem Recht führt die Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren weder zu seiner Ausschließung noch zu seiner Ablehnbarkeit wegen Besorgnis der Befangenheit. Dies gilt nicht nur für die Vorbefassung im Ermittlungsverfahren außerhalb der Anordnung von Zwangsmaßnahmen, sondern auch für Entscheidungen des Richters über Zwangsmaßnahmen. Selbst die Bejahung eines dringenden Tatverdachts, die für einzelne Zwangsmaßnahmen erforderlich ist, führt nicht zu einer gerechtfertigten Besorgnis der Befangenheit des Richters. Diese Einschätzung entspricht nur teilweise Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR. Ermittlungshandlungen des Richters sowie die Anordnung von Zwangsmaßnahmen, die nicht mit der Bejahung eines erhöhten Verdachtsgrades einhergehen, gefährden auch am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK die richerliche Unparteilichkeit nicht. Jedoch werden die Bejahung des dringenden Tatverdachts durch den Richter sowie eine vorzeitige Festlegung des Richters hinsichtlich der Schuld des Beschuldigten, die sich bei einer Zwischenentscheidung zeigt, dem Recht auf einen unparteilichen Richter nicht gerecht. Soweit die nationale Rechtsprechung hier dennoch von der Unparteilichkeit des Richters ausgeht, ist dies nicht mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar. Aufgrund der Vorbefassung des Richters im Klageerzwingungsverfahren sind nach der nationalen Rechtsprechung kein Ausschluss und keine Ablehnbarkeit des Richters geboten. In der Rechtsprechung des EGMR findet sich kein vergleichbarer Fall. Anhand der Grundsätze, die der EGMR im Übrigen für Zwischenentscheidungen heranzieht, ist angesichts der Auswertung der Rechtsprechung zur Vorbefassung im Zwischenverfahren von der Unvereinbarkeit nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK auszugehen. Die Bejahung des hinreichenden Tatverdachts aufgrund des abschließenden Ermittlungsergebnisses kann hier nicht anders beurteilt werden als bei der Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren. Ebenfalls weder zum Ausschluss noch zur Ablehnbarkeit des Richters führt nach der nationalen Rechtsprechung und überwiegenden Lehre die Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren. Auch diese Einschätzung entspricht nicht der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. Daher ist noch eindring1447

So auch Wohlers, in: FS Roxin, 2011, S. 1313 (1325 f.).

II. Die einzelnen Konstellationen der Vorbefassung

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licher die Ablehnbarkeit des Eröffnungsrichters im Hauptverfahren aufgrund der aufgezeigten Gefahren für seine Unparteilichkeit anhand der aktuellen Rechtslage zu fordern. Weitergehend sollte eine Umgestaltung des Strafverfahrens erwogen werden. Die Zuständigkeit des Richters für die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 199 Abs. 1 StPO, der die Personenidentität von eröffnendem und erkennendem Richter vorsieht, ist dahingehend zu ändern, dass der Eröffnungsrichter und der erkennende Richter personenverschieden sein müssen. Die Unparteilichkeit des erkennenden Richters ist bisher durch die Aktenkenntnis und den Erlass des Eröffnungsbeschlusses in zu hohem Maße gefährdet. Entsprechend muss § 23 StPO durch einen Ausschlussgrund ergänzt werden, der den Ausschluss des eröffnenden Richters als erkennenden Richter regelt. Das Hauptverfahren ist derart umzugestalten, dass der erkennende Richter, der weiterhin die Verhandlung leitet, über keine Aktenkenntnis verfügt. Der Staatsanwalt und der Verteidiger hingegen besitzen Aktenkenntnis und beantragen die Heranziehung von Zeugen und anderen Beweismitteln. Ergänzend kann der Richter Beweismittel, von denen er in Zeugenvernehmungen oder durch andere Beweismittel Kenntnis erlangt hat, zusätzlich heranziehen.

F. Zusammenfassung der Ergebnisse und Reformbedarf Mit der Maxime der Unparteilichkeit des Richters im deutschen Strafverfahren sind hohe Anforderungen an das Strafverfahrensrecht gestellt. Als Ziel dieser Arbeit wurde formuliert, diese Anforderungen zu untersuchen, ihre Umsetzung für den Bereich der Vorbefassung des Richters im nationalen Strafverfahrensrecht zu erörtern und diese Umsetzung auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK zu prüfen. Im Folgenden werden die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung zusammengefasst. I. Das Bild des Richters von sich selbst und seiner rechtsprechenden Tätigkeit wirft Probleme im Hinblick auf einen unvoreingenommenen Umgang mit dem Problem richterlicher Parteilichkeit auf. Die abwehrende Haltung vieler Richter gegenüber der Möglichkeit eigener Parteilichkeit versperrt den Blick dafür, dass bereits der Anschein der Parteilichkeit und damit eine gerechtfertigte Befangenheitsheitsbesorgnis vermieden werden sollen. II. Demgegenüber besteht Einigkeit darüber, dass die Unparteilichkeit des Richters ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht jedes Beschuldigten ist. Sie ist im Grundgesetz entgegen einer weit verbreiteten Annahme jedoch nicht in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verankert. Auch gewährleisten Art. 92, 97 oder 103 Abs. 1 GG nicht die richterliche Unparteilichkeit. Vielmehr ist sie Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausprägung als Fair-trial-Grundsatz. In der EMRK findet die Unparteilichkeit des Richters hingegen ausdrückliche Erwähnung in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. Dieser gewährleistet jedem, dem in einem staatlichen Verfahren eine Straftat vorgeworfen wird, ein Verfahren vor einem unparteilichen Richter. III. Im nationalen Recht wird die Unparteilichkeit des Richters einfachgesetzlich durch die Vorschriften über den Ausschluss und die Ablehnung von Richtern gesichert. Die StPO normiert dabei in §§ 22, 23, 148a Abs. 2 S. 1 StPO Konstellationen, in denen eine persönliche oder sachliche Voreingenommenheit des Richters derart wahrscheinlich ist, dass der Richter gesetzlich aus dem Verfahren ausgeschlossen ist. § 22 Nr. 4 – 5 StPO enthalten Fälle nichtrichterlicher Vorbefassung des Richters, wohingegen §§ 23, 148a Abs. 2 S. 1 StPO den Richter in Fällen ausschließen, in denen er zuvor als Richter bereits mit der Sache befasst war. Das Problem der richterlichen Vorbefassung für die Unparteilichkeit des Richters wurde mithin vom Gesetzgeber gesehen. Ergänzt werden die Ausschlussgründe durch die Möglichkeit, den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 Abs. 2 StPO abzulehnen. Die Ablehnung

F. Zusammenfassung der Ergebnisse und Reformbedarf

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erfordert nicht den Nachweis der Befangenheit des Richters, sondern die begründete Besorgnis seiner Befangenheit. Befangenheit ist hierbei gleichbedeutend mit Voreingenommenheit und Parteilichkeit. Befangenheit entsteht in Folge einer sachlichen oder persönlichen Berührung mit dem Fall; sie ist zu verstehen als eine unsachliche innere Einstellung des Richters zu den Beteiligten oder zum Gegenstand des Verfahrens, die zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Behandlung des Verfahrens durch den Richter im Sinne einer Bevorzugung oder Benachteiligung von Verfahrensbeteiligten führen kann. Eine gerechtfertigte Besorgnis dieser Befangenheit ist gegeben, wenn aus der Sicht eines „vernünftigen Angeklagten“ Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung Zweifel an der Unbefangenheit des Richters als begründet erscheinen lassen. Aus § 30 StPO ergibt sich nach überwiegender Ansicht lediglich eine Dienstpflicht des Richters, diejenigen Umstände anzuzeigen, aus denen sich ein Ablehnungs- oder Ausschließungsgrund in Bezug auf ihn ergeben kann. Nach nationalem Recht ist die Unparteilichkeit des Richters nicht mehr gewahrt, wenn ein Richter parteilich ist, einen Ausschlussgrund erfüllt oder begründet abgelehnt wird. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, der als unmittelbar anwendbares Recht im Rang eines einfachen Bundesgesetzes die Unparteilichkeit des Richters auch in Deutschland gewährleistet, konkretisiert den Begriff der Unparteilichkeit nicht und gibt damit keine Auskunft über seinen Gewährleistungsumfang. Daher wird die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK herangezogen. Der EGMR versteht die Unparteilichkeit des Richters als das Fehlen von Vorurteilen und Voreingenommenheit. Er überprüft sie anhand eines subjektiven und eines objektiven Ansatzes. Die subjektive Parteilichkeit spielt in der Rechtsprechung des EGMR eine untergeordnete Rolle. Für jeden Richter wird dessen subjektive Unparteilichkeit widerleglich vermutet. Sie ist verletzt, wenn sich aus dem Verhalten oder der Einstellung des Richters seine tatsächliche Voreingenommenheit ergibt. Der objektive Ansatz stellt darauf ab, ob der Richter aus objektiver Sicht hinreichende Gewähr dafür bietet, dass jegliche Zweifel an seiner Unparteilichkeit ausgeschlossen sind. Der EGMR prüft in jedem Einzelfall, ob nachprüfbare Tatsachen Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters begründen können. Dabei kann bereits der bloße Anschein von Parteilichkeit von Bedeutung sein. Der EGMR sieht es als eine prozessuale Pflicht des Richters an, Umstände anzuzeigen, aus denen sich Zweifel an seiner Unparteilichkeit ergeben können. Nach der Rechtsprechung des EGMR entsprechen damit tatsächlich befangene Richter sowie Richter, deren Parteilichkeit aus objektiven Gründen gerechtfertigter Weise befürchtet wird, nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. Die Maßstäbe des nationalen und des europäischen Rechts für die richterliche Unparteilichkeit gleichen sich damit weitestgehend. Allerdings stimmt die derzeit herrschende Auslegung von § 30 StPO nicht mit den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK an die Unparteilichkeit des Richters überein.

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IV. Im Fokus dieser Arbeit stehen die Fälle der Vorbefassung des Richters. Die Vorbefassung des Richters umfasst jeden privaten oder dienstlichen Kontakt des Richters mit dem Verfahrensgegenstand vor der Entscheidungssituation. Die Vorbefassung ist problematisch, da sich der Richter durch sie bereits einen Eindruck von der Sache oder einem Verfahrensbeteiligten bildet, der dann seine weitere Wahrnehmung beeinflusst. Der primacy-Effekt, das Selektions- und Redundanzprinzip sowie das Perseveranzphänomen führen zu einer erheblichen Lenkung der richterlichen Wahrnehmung durch die gewonnenen Vor-Eindrücke. Diese kann der Richter nicht bewusst steuern und vermeiden. Für eine möglichst unvoreingenommene Wahrnehmung des Richters in der Hauptverhandlung muss das Ausmaß an VorEindrücken möglichst gering gehalten werden. Diese Problematik erkennt die nationale Rechtsprechung in der Regel jedoch nicht. Die Annahme, dass aus richterlicher Vorbefassung Gefahren für die Unparteilichkeit des Richters erwachsen können, lehnt die Rechtsprechung grundsätzlich ab. Hervorgehoben wird vielmehr, dass die Pflicht des Richters zur Unparteilichkeit sowie seine Ausbildung es ihm ermöglichen, auch wiederholt unvoreingenommen über ein und dieselbe Sache zu entscheiden. 1. Bei der Untersuchung der einzelnen Vorbefassungskonstellationen wurde zunächst festgestellt, dass die rechtliche Vorbefassung des Richters, also seine frühere Beschäftigung mit rechtlichen Fragen, die in dem Verfahren auftreten, weder nach nationalem Recht noch nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Bedenken im Hinblick auf seine Unparteilichkeit aufwirft. 2. Unter den Fallgruppen der tatsächlichen Vorbefassung wurde zunächst die nichtrichterliche Vorbefassung untersucht. Die private Vorbefassung des Richters kann im nationalen Recht abhängig von ihrem Ausmaß und ihrer Intensität zu einer gerechtfertigten Ablehnung des Richters führen. War der Richter zuvor in anderer amtlicher oder beruflicher Funktion mit der Sache befasst, ist die darauf gestützte Befangenheitsbesorgnis in der Regel als gerechtfertigt anzusehen. Aus der Rechtsprechung des EGMR lassen sich nur Rückschlüsse für Fälle der Vorbefassung des Richters in anderer amtlicher oder beruflicher Funktion ziehen. Hiernach sind Funktionsvermischungen des Richters innerhalb einer Sache oder innerhalb unterschiedlicher Sachen, die sich zeitlich erheblich überschneiden, mit den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht vereinbar. Im nationalen Recht bestehen für diese Fälle teilweise Ausschlussgründe, jedenfalls aber kann der Richter in diesen Konstellationen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Daher ist das nationale Recht in Konstellationen nichtrichterlicher Vorbefassung mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar. 3. Zur Überprüfung der Fälle richterlicher Vorbefassung wurden diese in zwei Bereiche unterteilt, einerseits die Vorbefassung in einer anderen Instanz oder einem anderen Verfahren und andererseits die Vorbefassung in unterschiedlichen Verfahrensabschnitten der ersten Instanz. Innerhalb der ersten Fallgruppe greift bei der Wiederbefassung nach Zurückverweisung kein Ausschlussgrund ein, jedoch ist die

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Ablehnbarkeit des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit geboten. Von der nationalen Rechtsprechung wird diese Möglichkeit aber abgelehnt. Diese Auffassung ist nach der Rechtsprechung des EGMR mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar. Anders stellt sich das Bild in den Konstellationen dar, in denen der Richter vor der Entscheidung im Strafverfahren bereits in einem vorangegangenen Zivilprozess mit der Sache befasst war. Auch diese Fallgestaltung wird nicht von den Ausschlussgründen erfasst, und die Rechtsprechung verneint die Ablehnbarkeit des Richters. Jedoch wird die vorzugswürdige Gegenansicht, die die Ablehnbarkeit des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit bejaht, durch die Rechtsprechung des EGMR gestärkt. Die Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK erfordert, dass der Richter abgelehnt werden kann, wenn er in dem abgeschlossenen Zivilverfahren über dieselben Fragen zu entscheiden hatte, die in dem Strafverfahren relevant sind, und zudem in beiden Verfahren dieselben Beweise entscheidungserheblich sind. Hier besteht folglich ein Anpassungsbedarf des nationalen Rechts an Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. Auch bei der Vorbefassung des Richters in einem vorangegangenen Strafverfahren lehnt die Rechtsprechung die Möglichkeit der Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie verkennt damit die Gefahren für die Unparteilichkeit des Richters, die mit dieser Vorbefassung einhergehen. Lediglich in Fällen, in denen das Urteil unnötige und sachlich nicht begründete Werturteile über den nunmehr Angeklagten enthält oder wenn andere besondere Umstände hinzutreten, ist nach der Rechtsprechung die Besorgnis der Befangenheit begründet. Der EGMR nimmt hingegen eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht erst an, wenn der Richter sich bereits wertend über den Angeklagten geäußert hat, sondern es reichen sachliche Feststellungen über seine Tatbeteiligung aus, die über das nötige Maß hinausgehen, das erforderlich ist, um die Tatbeteiligung des dort Angeklagten festzustellen. Bereits dann müsste nach nationalem Recht die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt sein, um den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK zu genügen. Insgesamt ist im Bereich der Vorbefassung des Richters in einer anderen Instanz oder einem anderen Verfahren teilweise eine Anpassung der nationalen Rechtslage an Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK erforderlich. Nach diesem Ergebnis wurde der Blick auf die Vorbefassung des Richters in unterschiedlichen Verfahrensabschnitten der ersten Instanz gelenkt. Hier ist zunächst die Beteiligung des Richters im Ermittlungsverfahren für seine Unparteilichkeit nach nationalem Recht unbedenklich. Hierunter fallen sowohl Ermittlungshandlungen des Richters als auch Konstellationen, in denen der Richter im Ermittlungsverfahren Zwangsmittel anordnet oder bestätigt. Nach nationalem Recht führt diese Vorbefassung des Richters weder zu seinem Ausschluss noch zu seiner Ablehnbarkeit wegen Besorgnis der Befangenheit. Auch die Bejahung eines dringenden Tatverdachts durch den Richter, beispielsweise zur Anordnung der Untersuchungshaft,

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begründet als solche keine gerechtfertigten Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters. Der EGMR ist bei seiner Rechtsprechung mit zahlreichen Strafverfahrensordnungen unterschiedlicher Staaten konfrontiert, die dem Richter unterschiedlich weitgehende Ermittlungs- und Entscheidungsbefugnisse einräumen. Daher ist die Einschätzung der richterlichen Vorbefassung im Ermittlungsverfahren am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK differenzierter: Zunächst führt eine umfangreiche Beteiligung des Richters im Ermittlungsverfahren zu einer Verletzung der richterlichen Unparteilichkeit. Eine derart umfangreiche Beteiligung des Richters in diesem Verfahrensstadium sieht das nationale Recht indessen nicht vor. Umgekehrt rechtfertigt die vereinzelte Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren nach dem EGMR keine Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters. Äußert sich der Richter vorzeitig zur Schuld oder Strafbarkeit des Beschuldigten, ist Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK verletzt. Allerdings ergibt sich die Parteilichkeit des Richters hier – wie im nationalen Recht – nicht aus der Vorbefassung, sondern aus der vorzeitigen Festlegung des Richters. Problematisch sind in der Rechtsprechung des EGMR Konstellationen, in denen der Richter im Ermittlungsverfahren eine Entscheidung treffen muss, für die er das Vorliegen hinreichender Beweise für die Tatbegehung durch den Beschuldigten oder einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch diesen bejahen muss. Gleicht die Feststellung des Richters einer Aussage zur Schuld des Beschuldigten, sind Zweifel an seiner Unparteilichkeit gerechtfertigt. Dies ist hingegen nicht der Fall, wenn es sich ersichtlich nur um eine vorläufige Einschätzung des Richters zur Beweislage oder zur Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung handelt. Für diese Konstellationen stellt der EGMR keine konsistenten Unterscheidungskriterien auf, sondern entscheidet einzelfallbezogen und teilweise willkürlich. Entscheidungen des EGMR in diesem Bereich sind kaum vorhersagbar. Soweit sich eine Einschätzung der Rechtsprechung des EGMR vornehmen lässt, führen Ermittlungshandlungen des Richters sowie eine Anordnung von Zwangsmaßnahmen, die nicht mit der Bejahung eines erhöhten Verdachtsgrades einhergehen, auch am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht zu gerechtfertigten Zweifeln an der Unparteilichkeit des Richters. Die Feststellung eines dringenden Tatverdachts bei der Anordnung von Zwangsmaßnahmen wie dem Haftbefehl ist nach der Rechtsprechung des EGMR aber nicht mehr mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar, da sich kein erheblicher Unterschied zwischen der Zwischenentscheidung und der Entscheidung über die Schuld des Angeklagten feststellen lässt. Insoweit verstößt das nationale Recht gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. Soweit die nationale Rechtsprechung auch dann von der Unbefangenheit des Richters ausgeht, wenn aus dessen Entscheidung eine Einschätzung der Schuld des Beschuldigten hervorgeht, ist dies erst recht nicht mit der Unparteilichkeit des Richters vereinbar. Insgesamt entspricht das nationale Recht im Hinblick auf die Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren nur sehr eingeschränkt den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1

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S. 1 EMRK. Der Richter, der im Ermittlungsverfahren den dringenden Tatverdacht oder sogar die Schuld des Beschuldigten bejaht hat, muss zumindest durch den Angeklagten wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden können. Problematisch erscheint weiterhin die Vorbefassung des Richters im Klageerzwingungsverfahren. Diese führt jedoch in den seltenen Fällen, in denen sie auftritt, nicht zum Ausschluss oder zur Ablehnbarkeit des Richters nach nationalem Recht. Obwohl sich keine entsprechende Entscheidung des EGMR findet, ist anhand der Grundsätze, die der EGMR in anderen Fällen der Vorbefassung heranzieht, anzunehmen, dass auch in diesem Fall die nationale Rechtslage mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht vereinbar ist. Auch der Richter, der im Klageerzwingungsverfahren vorbefasst war, muss zumindest vom Angeklagten wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden können. Die letzte erörterte Vorbefassungskonstellation ist die Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren als Eröffnungsrichter. Diese Vorbefassung führt zu erheblichen Gefahren für die richterliche Unparteilichkeit in zweierlei Hinsicht: Der Richter trifft zum einen die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens und muss in diesem Zusammenhang aufgrund des abschließenden Ermittlungsergebnisses eine Aussage darüber treffen, ob der Angeschuldigte hinreichend verdächtig ist. Zum anderen erlangt der Richter Kenntnis der Ermittlungsakte und zieht diese für seine Eröffnungsentscheidung heran. Zur Lösung dieser Problematik kommen einerseits die Trennung von eröffnendem und erkennendem Richter oder die Abschaffung des Zwischenverfahrens sowie andererseits die Einführung des sogenannten Wechselverhörs, die Trennung von verhandlungsleitendem und erkennendem Richter oder die Abschaffung des Aktenkenntnis der Richters in Betracht. Vorzugswürdig ist die Lösung der Gefahren für die Unparteilichkeit über eine Umgestaltung des Strafverfahrens. Hierzu wird in Anlehnung an Schünemann ein Modell vorgeschlagen, das die Trennung von eröffnendem und erkennendem Richter vorsieht und auf die Aktenkenntnis des erkennenden Richters verzichtet. Der erkennende Richter entscheidet danach nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens und verfügt auch im Hauptverfahren nicht über Aktenkenntnis, sondern lediglich über die Kenntnis der Anklageschrift. Er lädt auf begründeten Antrag des Verteidigers und des Staatsanwalts, der zugleich der für das Ermittlungsverfahren zuständige Dezernent ist, Zeugen und zieht weitere Beweismittel heran. In der Hauptverhandlung vernimmt der Richter die Zeugen zuerst und erschließt sich ausgehend von der Anklageschrift das maßgebliche Geschehen. Die Begründung des Beweisantrages soll daher offenlegen, unter welchem Gesichtspunkt der Zeuge zur Sachaufklärung beitragen kann. Im Anschluss an die richterliche Vernehmung haben Staatsanwalt und Verteidiger die Gelegenheit, den Zeugen zu befragen. Hält der Richter im Hauptverfahren die Heranziehung weiterer Beweismittel für geboten, so führt er diese in das Hauptverfahren ein. Solange ein solches Verfahrensmodell nicht umgesetzt ist, wird eine Lösung des Problems anhand des geltenden Ausschluss- und Ablehnungsrechts gesucht. Der

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Ausschluss des Eröffnungsrichters ist nicht normiert, eine Ablehnbarkeit des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit verneinen Rechtsprechung und Lehre nahezu einhellig. Die Argumente, anhand derer diese Ablehnung erfolgt, gehen aber von unzutreffenden Prämissen aus und greifen nicht durch. Die Vorbefassung des erkennenden Richters im Zwischenverfahren rechtfertigt die Besorgnis seiner Befangenheit. Diese Ansicht wird gestärkt durch die Auswertung der Rechtsprechung des EMGR. Der EGMR zieht in diesem Zusammenhang die Grundaussagen heran, die bereits hinsichtlich der Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren erörtert wurden. Er differenziert zwischen der summarischen Prüfung der verfügbaren Hinweise auf die Möglichkeit der Tatbegehung und der Feststellung der Schuld anhand der Beweise, die im Verfahren vorgebracht und erörtert wurden. Stellt der Richter bei der Eröffnung des Hauptverfahrens auf das wahrscheinliche Vorliegen einer Strafbarkeit oder Schuld des Angeklagten ab, sieht der EGMR etwaige Zweifel des Angeklagten an der Unparteilichkeit des Richters als gerechtfertigt an. Schätzt der Richter bei der Eröffnungsentscheidung hingegen lediglich ein, ob hinreichende Beweismittel vorliegen, um die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung zu bewerten, ist Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht verletzt. Auch in diesem Kontext stellt der EGMR keine konsistenten Kriterien auf, die eine Vorhersehbarkeit seiner Entscheidung ermöglichen würden. Die Feststellung des hinreichenden Tatverdachts für den Erlass des Eröffnungsbeschlusses gleicht den Sachlagen, bei denen der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK bejahte. Zudem unterscheidet sich die Entscheidung über den Eröffnungsbeschluss von derjenigen des Urteils nicht in dem Maße, das der EGMR für ausschlaggebend hält, um keine Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Die Vorbefassung des Richters im Zwischenverfahren verstößt damit gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. Gestützt auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ist mit Blick auf diese Vorbefassungskonstellation daher eine weitgehende Reform des Zwischen- und Hauptverfahrens, wie oben angesprochen, mindestens aber die Ablehnbarkeit des Richters zu fordern. Das geltende nationale Recht ist nicht mit den Anforderungen der EMRK vereinbar. V. Insgesamt ist das nationale Recht im Hinblick auf die Unparteilichkeit des Richters nur sehr eingeschränkt mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar. Lediglich die Wiederbefassung des Richters nach Zurückverweisung sowie die Vorbefassung des Richters im Ermittlungsverfahren außerhalb der Feststellung des dringenden Tatverdachts verstoßen nicht gegen das Recht auf einen unparteilichen Richter. In den Fällen der Vorbefassung des Richters in einem vorangegangenen Verfahren einer anderen Verfahrensart, der Vorbefassung in einem vorangegangenen Strafverfahren, der Vorbefassung im Ermittlungsverfahren bei Bejahung des dringenden Tatverdacht sowie der Vorbefassung im Klageerzwingungs- und Zwischenverfahren ist eine Anpassung der nationalen Rechtslage an die Anforderungen von Art. 6

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Abs. 1 S. 1 EMRK erforderlich. Zudem ist die nationale Rechtsprechung nicht mit der Unparteilichkeit des Richters vereinbar, soweit sie davon ausgeht, dass der Richter auch dann unbefangen ist, wenn aus seinen Entscheidungen im Ermittlungsverfahren eine Feststellung der Schuld des Beschuldigten hervorgeht. Allerdings leidet diese Einschätzung darunter, dass die Rechtsprechung des EGMR in sich nicht konsistent ist. Daher lassen sich mögliche Entscheidungen des EGMR in etwaigen Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht mit Sicherheit vorhersagen. Entwickelt sich die Rechtsprechung des EGMR weiter so einzelfallbezogen, wird jedenfalls im Bereich der Verletzung des Rechts auf einen unparteilichen Richter durch richterliche Vorbefassung der Anreiz für die Konventionsstaaten schwinden, das nationale Recht an den Vorgaben von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK auszurichten. Wünschenswert wäre daher eine Bildung von konsistenten Entscheidungskriterien durch den EGMR. Derzeit zeigt der Vergleich mit der Rechtsprechung des EGMR jedoch, dass die Gefahren für die richterliche Unparteilichkeit, die das nationale Recht zulässt, erheblich sind. Zu fordern ist ein weitgehendes Umdenken und die Bereitschaft zu größeren Reformen des Strafverfahrensrechts. Bis es zu solchen Reformen kommt, sollte in den zahlreichen Vorbefassungskonstellationen, in denen ein Anpassungsbedarf des nationalen Rechts herausgearbeitet wurde, einem Ablehungsgesuch der Verweis auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK und die entsprechenden Entscheidungen des EGMR wenigstens zu etwas mehr Nachdruck verhelfen.

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* Entscheidungen des EGMR wurden über die HUDOC database des EGMR unter http:// hudoc.echr.coe.int/sites/eng/Pages/search.aspx#{%22documentcollectionid2 %22:[%22 GRANDCHAMBER%22,%22CHAMBER%22]} (zuletzt abgerufen am 14. 04. 2015) abgerufen.

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Sachverzeichnis Ablehnung des Richters 68, 78 f., 81, 123, 146, 152, 176, 179, 190, 226 Aktenkenntnis 93, 133, 135, 140, 215 f., 218, 220 ff., 239, 245 Alltagstheorien 137 f. Amtsermittlungsgrundsatz 160 f. Ankereffekt 134 f. Ausschluss des Richters 63 f., 67 ff., 83, 126, 139, 152, 155, 179, 209, 221, 226, 228 – ehemals weitere Ausschlussgründe 73 Befangenheitsbegriff 85 ff. Besorgnis der Befangenheit 79 – 83, 85 – 88, 92, 98, 100, 102, 105, 130, 140 f. Bevorzugung bzw. Benachteiligung 93, 97, 241 Bindungswirkung von Entscheidungen des EGMR 107, 112 Dringender Tatverdacht 246

182, 206 f., 243,

Einheitlichkeit der Rechtsprechung 35 – 37 Einschränkung des Befangenheitsbegriffs 93, 96 f. Ermittlungshandlungen des Richters 177, 180, 238, 243 f. Ermittlungsverfahren 19, 76 f., 111, 135, 140, 146, 177 – 180, 183 – 189, 191, 198 f., 202 – 207, 212, 234, 238, 243 – 246 – Ermittlungshandlungen 177 – Zwangsmaßnahmen 180 Eröffnung des Hauptverfahrens 73, 211 – 216, 218 f., 225, 229, 231, 234 f., 239, 245 f. Fair-trial-Grundsatz 59 – 61, 240 Faktische Orientierungswirkung 116 Fallbezogenheit 87, 89 – 91, 204

Gemischt subjektiv-objektiver Maßstab 104 Gesetzlicher Richter 48, 51, 53 f., 56 – gesetzlich zuständiger Richter 51 – Materialisierung des Rechts 52 Haftbefehl 180, 182 – 184, 187, 207, 213, 244 Halo-Effekt 134, 137 Hinreichender Tatverdacht 208, 212, 215, 245 Innere Haltung 87, 89 – 91, 167 inter-partes-Wirkung 113 Klageerzwingungsverfahren 208 – 210, 245 Konsistenz der Ausschlussgründe 76, 78 Näheverhältnis 67 Nichtrichterliche Vorbefassung 146, 149, 242

68, 144,

Primär subjektiver Maßstab 99 Private Kenntniserlangung 144, 146, 242 Psychologische Problematik 130 Rang der EMRK 107, 111 Recht auf den unparteilichen Richter 106 – objektiver Ansatz 119, 123 – subjektiver Ansatz 118, 123 Rechtliches Gehör 57 Rechtsstaatsprinzip 59 – 61, 240 restitutio in integrum 114 Richter(selbst)bild 94, 139 Richterbegriff 29 – 31, 53 Richterliche Vorbefassung 71, 75 f., 149, 247 Richtervorbehalt 28, 180

Sachverzeichnis Selbstanzeige des Richters 105, 127 Selektions- und Redundanzprinzip 136 Streng objektiver Maßstab 98 Trennung von eröffnendem und erkennendem Richter 217 – 219, 226, 228 f., 245 Unabhängigkeit des Richters 29, 31 f., 50, 61 – innere Unabhängigkeit 44 f. – persönliche Unabhängigkeit 41 – sachliche Unabhängigkeit 33, 35, 37 Untersuchungshaft 180, 182, 185 f., 188, 197, 201, 206, 213, 243 Verhältnis der Ablehnungsgründe zu den Ausschlussgründen 79 Verletzung des Richters 65 Vernünftiger Angeklagter 101 – 104, 126, 227 Vor-Urteil 131 f.

273

Vorangegangenes Strafverfahren 164 f., 173 f., 176, 243 Vorangegangenes Zivilverfahren 159 – 162, 164, 243 Vorbefassung – Die psychologische Problematik 130 – Nichtrichterliche Vorbefassung 144 – Rechtliche Vorbefassung 141 – Richterliche Vorbefassung 149 Vorschlag einer Reform des Zwischen- und Eröffnungsverfahrens 225 vorzeitige endgültige Festlegung 142, 152, 165, 184, 201, 229, 244 Wechselverhör 221 – 224 Wiederbefassung nach Zurückverweisung 150 – 152, 154 f., 157, 159, 242 Zwangsmaßnahmen 180 – 182, 202, 207, 212, 229, 238, 244 Zwischenverfahren 210, 212 f., 215, 217, 225, 229, 235, 238, 245