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German Pages 252 Year 2003
Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes München Reihe: Wirtschaft und Gesellschaft Heft 25
Die Ukraine zwischen Autokratie und Demokratie Institutionen und Akteure Von Martina Helmerich
Duncker & Humblot · Berlin
MARTINA HELMERICH
Die Ukraine zwischen Autokratie und Demokratie
Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes M ü n c h e n Reihe: Wirtschaft und Gesellschaft früher Schriften des Institutes zum Studium der Sowjetwirtschaft an der Hochschule für Sozialwissenschaften Wilhelmshaven
Herausgegeben von Prof. Dr. G. Hedtkamp Redaktion: Dr. H. Clement Heft 25
Die Ukraine zwischen Autokratie und Demokratie Institutionen und Akteure
Von
Martina Helmerich
Duncker & Humblot · Berlin
Die Philosophische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0580-2008 ISBN 3-428-11045-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706®
Vorwort Das Entstehen dieser Arbeit verdanke ich der freundlichen Unterstützung vieler Menschen. Ich möchte hier zuallererst Frau Prof. Dr. Margareta Mommsen danken, die das Entstehen dieser Dissertation wissenschaftlich betreut und mit großem Interesse sowie wertvollen Anregungen begleitet hat. Frau Prof. Dr. Ellen Bos danke ich für ihre Hilfe bei der Konzeption und der Ausarbeitung dieser Arbeit. Sehr wertvoll war mir der Austausch mit Dr. Alexander Ott, der mir viele wichtige Hinweise und Anregungen gegeben hat. Ihm danke ich insbesondere für die Hilfe bei der Endfassung des Manuskripts. Der Heinz und Sybille Laufer Stiftung des Münchner Geschwister-Scholl-Instituts möchte ich für die finanzielle Unterstützung während meiner Promotion danken. Viele Freunde und Bekannte in der Ukraine haben mich bei Recherchearbeiten mit Hinweisen und Materialien unterstützt. Stellvertretend für sie alle möchte ich Frau Tatjana Terjoschina (Kiew) nennen und ihr für ihr Engagement danken. Das Entstehen dieser Arbeit wäre ohne vielfältige Hilfe bei der Betreuung meiner beiden Kinder nicht möglich gewesen. Ganz besonderer Dank gilt hier meiner Schwiegermutter Hedi Reis. Ohne sie wären etwa die erforderlichen Forschungsaufenthalte in der Ukraine nicht möglich gewesen. Mein Mann Dr. Achim Reis hat mich bei der Arbeit an der Dissertation in vielfacher Weise unterstützt und mir in vielen Gesprächen weitergeholfen, wofür ich ihm ausdrücklich danke. Johanna Thilenius, Bernd Wegmann, Irene Bräuninger, Andreas Heidrich, Kathrin Althans und Sabine Krebs möchte ich für ihre redaktionelle Hilfe bei der Fertigstellung des Manuskripts danken. Widmen möchte ich diese Arbeit meinen Kinder Konrad und Larissa. Bad Soden, i m November 2002
Martina
Helmerich
Inhaltsverzeichnis
Α. Einleitung I. Das politische System der Ukraine im Übergang II. Forschungsziele III. Quellenlage B. Theorien des Systemwandels I. Der Erklärungsansatz der Konsolidierungsforschung II. Akteurstheoretische Ansätze
11 14 16 17 19 19 22
III. Die Sonderform der „delegativen" Demokratie
24
IV. Vergleich zwischen parlamentarischem und präsidentiellem System
26
V. Erklärungsmodelle der ukrainischen Politikwissenschaft VI. Operationalisierung des Forschungsansatzes C. Die Grundlagen der ukrainischen Verfassungsinstitutionen I. Historische Wurzeln der Werchowna Rada II. Die Einführung der Institution des Präsidenten
29 32 34 34 38
1. Die Erweiterung der präsidentiellen Macht unter Präsident Krawtschuk
42
2. Institutionelle Experimente unter Präsident Krawtschuk
43
D. Der Weg zu einer neuen Verfassung I. Der „Verfassungskrieg" 1995/96 zwischen der Werchowna Rada und dem Präsidenten
45
47
1. Das „Gesetz über die Macht" - Die „kleine" Verfassung
48
2. Vom Verfassungsvertrag zur Verabschiedung der Verfassung 1996
51
8
Inhaltsverzeichnis
II. Die neue Machtverteilung zwischen den Verfassungsinstitutionen 1. Der Präsident
56 57
a) Die Präsidialadministration
60
b) Der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat (RNBOU)
64
2. Die Werchowna Rada
65
3. Das Ministerkabinett
67
E. Die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Ukraine
71
F. Die Akteure des ukrainischen Transformationsprozesses
77
I. Leonid Krawtschuk - seine Persönlichkeit und sein Führungsstil 1. Krawtschuks „symbolische" Politik
85
2. Krawtschuks Verhältnis zu Regierung und Werchowna Rada
90
II. Der Übergang von Krawtschuk zum „roten Direktor" Leonid Kutschma
98
1. Kutschmas Griff nach der Exekutive
102
2. Machtverständnis und Führungsprinzip von Präsident Kutschma
105
3. Der Pragmatiker Kutschma - Erster Reformelan
111
4. Rücknahme des Reformtempos und Anpassung der Reformen
115
G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende I.
77
Die Parlamentswahlen vom März 1998
II. Die Präsidentschaftswahlen vom Oktober und November 1999
120 120 125
III. Die Schwerpunkte des Wahlkampfes
130
IV. Kutschmas Kampf um seine Wiederwahl
134
V. Die „samtene Revolution" in der Werchowna Rada VI. Das Verfassungsreferendum vom April 2000
143 150
H. Die politische Krise der Jahre 2000 und 2001
159
I. Die Neuausrichtung der Außenpolitik
159
II. Die Gongadse-Affäre und der Tonbandskandal
162
Inhaltsverzeichnis
9
III. Die Regierung Juschtschenko und der Konflikt mit den Oligarchen
173
IV. Die Regierung Kinach und die Konsolidierung der präsidialen Macht
178
I. Transformation und Elitenbildung
184
I. Elitestrukturen zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1991
184
II. Elitenpolitik der Präsidenten Krawtschuk und Kutschma
188
J. Die Wahlen zur Werchowna Rada vom März 2002 I. Das neue Wahlgesetz von 2001 II. Die Werchowna Rada unter dem Einfluss der Exekutive
195 195 198
III. Der Verlauf der Parlamentswahlen 2002 und ihre Ergebnisse
201
IV. Die Kräfteverteilung im neuen Parlament
207
K. Zusammenfassung
213
L. Ausblick
220
Literaturverzeichnis
223
Personen- und Ortsregister
243
Stichwortverzeichnis
246
Abkürzungsverzeichnis CIS DS EESU FPU GUS IWF KPU MBR NDPU NIS NRU OSZE OUN PA PSPV SBU SDPU(o) SPU RNBOU UdSSR UNR USPP USSR ZWK
Community of Independent States Demokratytschnyj Sojus (Demokratische Union) Edyni Enerhetytschni Systemy Ukrajiny (Vereinigte Energiesysteme der Ukraine) Federazija Profspilok Ukrajiny (Föderation der Gewerkschaften der Ukraine) Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Internationaler Währungsfond Komunistytschna partija Ukrajiny (Kommunistische Partei der Ukraine) Mischrehional'nij Blok Reform (Interregionaler Reformblock) Narodno-demokratytschna partija Ukrajiny (Volksdemokratische Partei der Ukraine) New Independent States Narodni Ruch Ukrajiny (Volksbewegung der Ukraine Ruch, geführt von Hennadi Udowenko) Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Organisation Ukrainischer Nationalisten Präsidialadministration Prohresywna sozialistytschna partija Ukrajiny (Progressive Sozialistische Partei der Ukraine Sluschba bespeky Ukrajiny (Sicherheitsdienst der Ukraine) Sozial-demokratytschna partija Ukrajiny (objednana) (Vereinigte Sozialdemokratische Partei der Ukraine) Sozialistytschna partija Ukrajiny (Sozialistische Partei der Ukraine) Rada nazional'noij bespeky i oborony Ukrajiny (Nationaler Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine) Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Ukrajins'ki Narodni Ruch (Ukrainische Volksbewegung Ruch, geführt von Jurij Kostenko) Ukrajins'ka spilka promyslowziw ta pidpryjemziw (Ukrainischer Verband der Industriellen und Unternehmer) Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik Zentral'na wybortscha komisija (Zentrale Wahlkommission)
Α. Einleitung Die Ablösung der totalitären Herrschaft und der Übergang zur Demokratie haben in den Nachfolgestaaten der UdSSR bisher wenig befriedigende Lösungen hervorgebracht. Bis heute haben sich demokratische Spielregeln in den meisten Nachfolgestaaten der UdSSR nur unzureichend etablieren können. Die demokratische Konsolidierung der neuen Staaten hat sich als weitaus schwieriger und langwieriger herausgestellt als zunächst angenommen. 1 Die Verfassungen der Übergangssysteme in Osteuropa entstanden in Krisenzeiten unter dem Einfluss politischer Konflikte. Es fehlten kohärente Konzepte und langfristige Strategien 2 . Die Transformation wurde häufig von den ungünstigen Bedingungen einer permanenten Verfassungskrise begleitet. Vielfach leiden die daraus entstandenen politischen Systeme unter der mangelnden Trennschärfe der Kompetenzen und Funktionen der einzelnen Institutionen. Zwar wurden neue, dem Anschein nach demokratische Institutionen geschaffen. Die Akteure in den Institutionen verletzen jedoch häufig die verfassungsrechtlichen Bestimmungen oder ignorieren sie gänzlich. 3 Weitverbreitet ist eine eklatante Diskrepanz zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit. Diese hat ihre Ursache darin, dass die Akteure zum Teil das demokratische Geschäft noch nicht gelernt haben oder die Notwendigkeit demokratischer Verhaltensweisen nicht erkennen wollen. 4 Aus Unzufriedenheit mit dem institutionellen Rahmen versuchen die politischen Akteure durch Abänderung der Verfassung die Machtkonstellation zu ihren Gunsten zu verschieben. Verfassungsnormen werden als Manövriermasse in der politischen Auseinandersetzung immer wieder aufs Neue zur Disposition gestellt. Die vorliegende Arbeit greift von den Nachfolgestaaten der Sowjetunion das Beispiel der Ukraine heraus, deren Transformationsprozess genauer untersucht werden soll. Die Ukraine ist aufgrund ihrer Größe und geopolitischen Lage von besonderem Interesse, weil der Verlauf und Erfolg des ukrainischen Transformationsprozesses Auswirkungen auf die Stabilität Osteuropas hat. 1
Vgl. Mommsen, Margareta/Bos, Ellen /Steinsdorff, Silvia v. (Hrsg.), 1995: DemokratieExperimente im Postkommunismus. Politischer und institutioneller Wandel in Osteuropa, München, S. 1. 2 Vorndran, Oliver, 1997: Die Entstehung der ukrainischen Verfassung, Inaugural-Dissertation, Freiburg, S. 6. 3 Bos, Ellen, 2000: Verfassunggebung und Systemwechsel. Die Institutionalisierung von Demokratie im postsozialistischen Osteuropa, Habilitationsschrift München, S. 74. 4 Mommsen, Margareta; Gespräch mit Johannes Grotzky im Alpha-Forum des Bayerischen Rundfunks, ausgestrahlt am 15. Dezember 1999, 20.15 Uhr.
12
Α. Einleitung
Die Ukraine ist ein postsowjetischer Staat, der das vorangegangene totalitäre politische System hinter sich gelassen hat und der sich seit der Unabhängigkeit 1991 in einem Transformationsprozess befindet. Aus dem Selbstverständnis, kulturell und historisch zu Europa zu gehören, strebt die Ukraine prinzipiell ein Mehrparteiensystem und eine Gewaltenteilung nach europäischem Muster an. Der Übergang zur Marktwirtschaft sowie die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sind die erklärten Ziele der Transformation. Der Transformationsprozess der Ukraine ist komplex und lässt sich in mehrere Teilprozesse zergliedern. Demokratisierung und die Schaffung von marktwirtschaftlichen Beziehungen überlagern sich mit Staatsbildung und Nationenbildung. Kuzio spricht in diesem Zusammenhang von „quadruple transition" i m Sinne eines komplexen, in vier Teilbereichen sich abspielenden Transformationsprozesses. 5 Der Transformationsprozess des Landes findet unter den Vorzeichen einer nachhaltigen Wirtschaftskrise statt. 6 Durch den Zusammenbruch des alten Systems traten die Probleme der Wirtschaftsordnung erst richtig zutage. Einschnitte in das Leistungssystem des Staates und andere negative Begleiterscheinungen wie hohe Arbeitslosigkeit forderten von breiten Bevölkerungsschichten beträchtliche materielle Opfer. Die Ukraine hat im GUS-Vergleich besonders lange gebraucht, die Talsohle der Wirtschaftskrise zu durchschreiten. Die Ukraine wird daher zu den „langsamsten Reform Staaten" in der GUS gerechnet. 7 Erst 1996 hat die Ukraine als letzter Nachfolgestaat der Sowjetunion eine neue Verfassung verabschiedet. Zwar verhinderte eine gewisse Kompromissbereitschaft der innenpolitischen Akteure ein Szenario wie in Russland und Weissrussland, wo es zu gewaltsamen Parlamentsauflösungen kam. Die Annahme der ukrainischen Verfassung basierte jedoch nicht auf einer positiven Bejahung der neuen normativen Grundlage des Staates. Der situationsbedingte Konsens einer ansonsten zerstrittenen politischen Elite führte zu einem „Minimalkompromiss" 8 und kam nur deshalb zustande, weil eine Handlungsalternative fehlte und massiver Druck vom Präsidenten, aber auch vom Ausland ausgeübt wurde. 9 In keinem anderen postsow5
Kuzio, Taras, 2000: Civil Society in Ukraine: The Legacies of Totalitarianism and Empire, Arbeitspapier zur BIOst-Konferenz „Die neue Ukraine: Das erste Jahrzehnt", 11.-13. Mai 2000, Köln, S. 9. 6 Przeworski bezeichnet diesen Übergang, der in der Regel von einem starken Einbruch des Bruttoinlandsprodukts begleitet wird, als „valley of transition". Vgl. Przeworski, Adam, 1991: Democracy and the Market, New York, S. 138. 7 Vgl. Lindner, Rainer, 1998: Kutschmas Stuhl wackelt. Transformationsstau und Interessendivergenzen in der Ukraine, in: Osteuropa 8/9, S. 921. 8 Sasse, Gwendolyn, 2000: Die Krim-Autonomie zwischen Separatismus und Einheitsstaat, Vortrag im Rahmen der Konferenz des BlOst „Die neue Ukraine: Das erste Jahrzehnt", Köln, 11.-13. Mai 2000. 9 Die Verabschiedung der Verfassung hat insofern gewisse Ähnlichkeiten mit dem Beschluss der Werchowna Rada zur Unabhängigkeitserklärung 1991, als eine orientierungslose und überrumpelte Linke für eine Loslösung der Ukraine votierte. Beide Entscheidungen kamen überraschend eindeutig zustande und hatten einen improvisierten Charakter. Motyl
Α. Einleitung
jetischen Staat hat der Verfassunggebungsprozess ähnlich viel Zeit in Anspruch genommen wie in der Ukraine. Ursache für die Verzögerung waren der Mangel an politischem Konsens, divergierende Ansichten über die beste Transformationsstrategie und eine schwach ausgeprägte, übergreifende nationale Identität. 1 0 Worin besteht also das Grundproblem des politischen Systems der Ukraine, das immer wieder den politischen Prozess in die Selbstblockade führt? U m diese Frage zu beantworten, sollen i m Folgenden sowohl die Institutionen als auch die Akteure genauer untersucht werden. Die Fokussierung auf Institutionen und Akteure als zentralem Forschungsgegenstand erfolgt unter der Annahme, dass zum einen die „Angemessenheit des politischen Institutionensystems maßgeblich die Funktionsund Konsolidierungsfähigkeit neuer Demokratien" bestimmt 1 1 und es andererseits die Akteure sind, die mit ihrem Handeln die Öffnung und Ablösung autoritärer Systeme entscheidend beeinflussen. 12 Zwischen Institutionen und Akteuren herrscht eine Interdependenz, weil die institutionellen Arrangements eines Systems bestimmte Zwänge und Anreize enthalten, die das Verhalten der Akteure beeinflussen. Umgekehrt prägen die Akteure die Institutionen dadurch, dass sie beim Design neuer Institutionen mitwirken und die Institutionen durch ihren persönlichen Politikstil prägen. Sowohl das Institutionendesign als auch die politischen Akteure und ihre Problemlösungsfähigkeit bestimmen darüber, ob sich ein neues Verfassungssystem als erfolgreich erweist oder nicht. 1 3 Der Erfolg eines Konsolidierungsprozesses hängt nämlich entscheidend davon ab, ob es gelingt, tragfähige politische Institutionen zu schaffen, so dass Konflikte innerhalb der Institutionen über klar definierte Verfahren ausgetragen werden. 1 4 Offensichtlich generiert das bestehende Verhältnis der Institutionen in der Ukraine permanente Konflikte. Strukturimmanente Konflikte werden verstärkt durch das Verhalten der Akteure, die nicht so sehr den Ausgleich und Kompromiss suchen, sondern vielmehr die Konfrontation. Die vorliegende Arbeit w i l l die Einflussfaktoren sowohl auf der Ebene der Institutionen als auch der Akteure darstellen, die den politischen Prozess in der Ukraine bestimmen und mit spezifischen Konflikten und Reibungsverlusten belasten.
spricht in diesem Zusammenhang von einem surrealen Vorgang, insofern die Unabhängigkeit der Ukraine völlig unerwartet eintrat. Vgl. Motyl, Alexander J., 1995: The Conceptual President: Leonid Kravchuk and the Politics of Surrealism, in: Colton, Timothy ]. I Tucker, Robert C., Patterns in Post-Soviet Leadership, Boulder, S. 103/104. io Vgl. Sasse: 2000. " Bos, 1998: S. 78. 12 Bos, 1998, S. 78. 13 Bos, 2000: S. 71. 14 Mommsen I Bos ! Steinsdorff, 1995: S. 1.
14
Α. Einleitung
I. Das politische System der Ukraine im Übergang Die nationale Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit der Ukraine wurden durch den Zerfall der Sowjetunion begründet. Die Ukraine hat ihre Unabhängigkeit 1991 nicht durch eine Revolution von unten erlangt. Die Opposition i m Lande war nicht stark genug, um die kommunistische Parteiherrschaft zu stürzen. Die ukrainische Gegenelite war zu inhomogen und zu wenig verankert in der Gesamtbevölkerung, um als alleinige Kraft den Systemwandel zu betreiben. Statt dessen „zerbröselte die kommunistisch-bürokratische Herrschaftsschicht in einem mehrmonatigen, mehrjährigen Prozess aus reformerischen, revolutionären und chaotischen Impulsen". 1 5 Die Plötzlichkeit des Zusammenbruchs der Zentralgewalt brachte die Führung der Ukraine in eine missliche Lage. Ihnen fehlten ein funktionierendes Wirtschaftssystem und Ansätze von Rechtsstaatlichkeit. Sie erbten zwar jeweils intakte kommunistische Eliten. Diese wie auch die Eliten der antikommunistischen Opposition hatten jedoch nur unzureichende Führungserfahrung. Von Anfang an herrschte Unklarheit über das Ziel des Transformationsprozesses. Begriffe wie Demokratie und Marktwirtschaft waren i m ukrainischen Diskurs diffus und unterschiedlich interpretiert. Sie dienten häufig zur Verschleierung der tatsächlichen Ziele der Akteure. Eine weitere Besonderheit prägt den ukrainischen Tranformationsprozess. Er zeichnete sich bereits zu Beginn durch ein langsames Reformtempo aus. Schon 1991 kurz nach formaler Erlangung der Unabhängigkeit ebbte die Bereitschaft der Bevölkerung, sich für die Unabhängigkeit und einen echten Wandel zu engagieren, merklich ab. Es gab keinen politischen Willen, das alte System energisch abzustreifen. Ursachen hierfür waren die Entschlossenheit der alten sowjetischen Eliten zum Machterhalt, eine schwache Opposition, eine marginale Gegenelite sowie eine breite Orientierungslosigkeit und mangelnde Führungsqualifikation der politischen Akteure. Statt eines echten Neuanfangs fand die „Camouflage gespielter Reformarbeit" statt. 1 6 Nicht aus Überzeugung von Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft ließen sich die Eliten auf partielle Reformen ein, sondern um ihre Macht zu sichern. Nutznießer erster Reformmaßnahmen wurde nicht die A l l gemeinheit, sondern die herrschende E l i t e . 1 7 Die totalitären Strukturen des Sowjetregimes wirken in der Ukraine bis heute fort und haben sich als großes Hemmnis des Transformationsprozesses erwiesen. Taras Kuzio ist der Ansicht, dass „das totalitäre Erbe der Ukraine einen tiefen Einfluss auf den postkommunistischen System Wechsel ausübt". 1 8 Kuzio geht davon 15
Jahn, Egbert, 1993: Der Umbruch in Osteuropa - ein Ereignis mit weltpolitischen Auswirkungen, in: Osteuropa, H. 1, S. 24. 16 Weisskirchen, Gert: Tiefgreifende Krise der Transformation. Die Ukraine zum Zerreißen gespannt, in: Frankfurter Rundschau, 12. 11. 1999, S. 12. 17 Kowall, 2000: S. 73.
I. Das politische System der Ukraine im Übergang
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aus, dass das Sowjetregime, das eine totale Kontrolle über das öffentliche Leben ausübte, den Willen der Bürger nach Partizipation weitgehend ausgelöscht hat. So gibt es heute keine machtvollen Träger und Katalysatoren eines ökonomischen und politischen Wandels außer dem Staat und einer kleinen Führungselite. 19 In der Ukraine gibt es seit 1996 eine demokratische Verfassung und ein Verfassungsgericht. Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit klaffen jedoch weit auseinander. Die Verfassung trägt einen deklarativen Charakter, da die verfassungsmäßigen Machtmechanismen mit den tatsächlichen Strukturen nicht übereinstimmen. Es gibt immer wieder Versuche vor allem von Seiten des Präsidenten, die verfassungsrechtliche Ordnung zu seinen Gunsten zu verändern und seine Vollmachten auf Kosten des Parlaments zu erweitern. Die politische Kultur ist von einem tiefverwurzelten Misstrauen gegenüber dem Parlament, einem regelrechten „Antiparlamentarismus" geprägt, der in den GUS-Staaten weit verbreitet i s t . 2 0 Die von der Verfassung so nicht vorgegebene, aber real beherrschende Position des Präsidenten begünstigt das Entstehen von Opportunitätsstrukturen, die keiner Kontrolle unterliegen. Unter Opportunitätsstrukturen werden in diesem Zusammenhang Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verstanden, die nicht von formellen Verfahren geregelt sind, sondern informell in personellen Netzwerken ablaufen. Hier ist etwa der Einfluss von Vertretern der alten sowjetischen Elite und der sogenannten Oligarchen auf die Exekutive oder die Kontrolle vieler ukrainischer Medien durch Wirtschaftsoligopole zugunsten der Exekutive zu nennen. Die Oligarchen haben sich den Systemzusammenbruch zunutze gemacht, indem sie rasch ein großes Vermögen anhäuften. U m ihr unter fragwürdigen Umständen erworbenes Vermögen zu schützen, sind Oligarchen sowohl in der Hauptstadt als auch in den Regionen in legislative und exekutive Strukturen eingedrungen. Oligarchen kontrollieren eine Reihe von Parteien und verfügen häufig über Abgeordnetenmandate, die ihnen die Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung sichern. Sie üben im Parlament massiven Einfluss im Sinne von Lobbyinteressen aus und blockieren den Reformprozess dort, wo sie den Verlust von materiellen Vorteilen befürchten. Entgegen mancher Hoffnungen haben die Oligarchen sich nach einer Phase der räuberischen Akkumulation von ukrainischem Nationalvermögen nicht in eine zivilisierte Rechtsordnung einfügen lassen. Als „Stagnarchen" 2 1 behindern sie stattdessen die weitere Entwicklung von Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit. 22 Bestechlichkeit ist zu einem ernsten Problem geworden '8 Kuzio, 2000: S.4/5. '9 Ebda. 20 Rüb, Friedbert W., 1996: Zur Funktion und Bedeutung politischer Institutionen in Systemwechselprozessen. Eine vergleichende Betrachtung, in: Merkel, Wolfgang / Sandschneider, Eberhard ISegert, Dieter: Systemwechsel 2. Die Institutionalisierung der Demokratie, Opladen, S. 60. 21 Ludwig, 2001b.
Α. Einleitung
16
und behindert die Etablierung demokratischer Institutionen sowie das Funktionieren staatlicher Behörden. 2 3
II. Forschungsziele Ausgehend von den eingangs skizzierten Überlegungen w i l l die vorliegende Arbeit die Frage beantworten, welche Transformationen in der Ukraine seit 1991 stattgefunden haben und wo das ukrainische politische System heute einzuordnen ist. Hat eine Demokratisierung stattgefunden und wenn ja, wie weit ist der Demokratisierungsprozess vorangeschritten? Welche systemimmanenten und akteursbezogenen Faktoren sind ursächlich dafür, dass sich dieser Prozess länger als in anderen GUS-Republiken hingezogen hat? Das politische System gleicht einer „Baustelle, deren Fundament immer wieder Risse zeigt". 2 4 Die Auseinandersetzung zwischen den Machtzentren hat inzwischen Systemcharakter angenommen. 25 Dabei haben sowohl Exekutive als auch Legislative das institutionelle Gleichgewicht immer wieder ins Wanken gebracht. Liegt die Hauptverantwortung dafür beim Präsidenten oder beim Parlament? Eine von der Verfassungsreform erhoffte Stabilisierung des Systems ist jedenfalls nicht in dem Maße eingetreten wie in den anderen Transformationsländern. Ott kommt zu der Feststellung, dass die Ukraine in Bezug auf Geschwindigkeit und Vorankommen des Transformationsprozesses zu den „Outsidern unter den europäischen Reformstaaten" gehört. 2 6 Ist die Ukraine der „kranke Mann am Dnjepr"? Handelt es sich bei der Ukraine wirklich um einen „hoffnungslosen Transitionsfall", wie er gelegentlich bezeichnet w i r d ? 2 7 Weiter soll untersucht werden, wie sich das Institutionendesign auf den Gesetzgebungsprozess und auf die Transformation des politischen und wirtschaftlichen Systems auswirkt. Warum blockieren sich Parlament und Präsident häufig i m Gesetzgebungsprozess? Liegt dies an der Verfassung selbst, nach der die beiden Machtinstitutionen aufeinander angewiesen sind und nicht unabhängig voneinan22
Als Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips werden verstanden das Primat des Rechts, Verfassungsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Grundrechte, wirksamer Rechtsschutz und richterliche Unabhängigkeit. Vgl. Krennerich, Michael, in: Bendel /Croissant/ Rüb (Hrsg.), 2002: Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 57. 23 MeVnyk, Mykola, 2000: The authorities and corruption in Ukraine: Who will take the upper hand?, in: National security & defence, No. 5, S. 64 ff. Forscher wie Motyl sprechen von der „Zaireization" der Ukraine, wobei der Begriff für das Phänomen wuchernder Korruption in einem Parasitenstaat steht. Vgl. Motyl, 1998: S. 3. 24 Ott, 2000b: Die Ukraine auf dem Weg zu einer autoritären Präsidialherrschaft?, BlOstBericht, No. 17, S. 28. 25 Ott, 2000b: S. 7. 2 6 Ott, 2001b: S. 161. 2
? Fritz, 2001: S. 1022.
III. Quellenlage
17
der agieren können? Oder sind die Ursachen für die Konflikte bei den Akteuren zu suchen, bei denen verschiedene politische Auffassungen, unterschiedliche Prägungen und Sozialisationen, aber auch konträre Stile der Machtausübung aufeinandertreffen? In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie Konflikte zwischen Parlament und Präsident behandelt und beigelegt werden und welche institutionalisierten und welche informellen Spielregeln dabei zur Anwendung kommen. Die Ukraine ist wie andere postsowjetische Systeme charakterisiert durch Merkmale, die ukrainische Politologen als „NichtÖffentlichkeit der Macht" bezeichnet haben. Diese NichtÖffentlichkeit vieler politischer Vorgänge hat zur Folge, dass zwar Input und Output des Systems relativ gut messbare Größen sind. Viele Faktoren, die politische Entscheidungsprozesse beeinflussen, sind dagegen nur schwer messbar und daher einer genaueren Untersuchung kaum zugänglich. 2 8 Anders als westliche Verfassungssysteme, die sich über Jahrzehnte ausbilden konnten und daher gut beschreibbar sind, ist in der Ukraine weiterhin vieles im Fluss. Das Verhältnis von Exekutive und Legislative wird auf absehbare Zeit nicht gefestigt sein, sondern Veränderungen unterworfen bleiben. Eine Analyse, die den Systemwandel untersucht, muss dies berücksichtigen, und daher haben Antworten auf die angeführten Fragen notgedrungen einen zeitbezogenen Charakter.
III. Quellenlage Für die vorliegende Arbeit wurden vier Recherchereisen in die Ukraine unternommen. Ein erster Aufenthalt während des Präsidentschaftswahlkampfes i m September 1999 diente der Recherche zum Verhalten der Akteure. Aspekte der Fairness während des Wahlkampfes, die Chancengleichheit der Bewerber und die Frage, inwieweit die Medien ein objektives B i l d der Wahlkampagne zeichneten, standen dabei i m Vordergrund. Zum ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen am 31. Oktober 1999 war die Verfasserin erneut in der Ukraine, wobei sie als Wahlbeobachterin der OSZE in einem Wahlkreis in Kiew eingesetzt wurde. Dabei wurde der Frage nach dem demokratischen Charakter und der Transparenz des Wahlvorgangs besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ein dritter Aufenthalt i m Juni und Juli 2000 konzentrierte sich auf die Folgen des Verfassungsreferendums, das i m April 2000 stattgefunden hatte, und auf die einsetzende Diskussion über Verfassungsänderungen. Ein vierter Aufenthalt fand im Oktober und November 2001 statt. Dabei lag das Hauptinteresse auf den Vorbereitungen für die Parlamentswahlen und der Neufassung des Wahlrechts. Außerdem wurde die Rolle des Verfassungsgerichts daraufhin untersucht, welche Position diese Institution in den fünf Jahren seines Bestehens bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen Präsident, Regierung und Parlament eingenommen hat und inwieweit es zur Stabilisierung des politischen Institutionensystems beigetragen hat. 28 Dolschenkow, 2000: S. 9. 2 Hclmcrich
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Α. Einleitung
Die vorliegende Arbeit basiert in ihrem empirischen Teil überwiegend auf ukrainischen Dokumenten und Materialien. Dies sind zum einen Primärquellen wie Reden, Parlamentsprotokolle und Gesetzestexte, zum anderen aktuelle Quellen wie ukrainische bzw. russische Presseveröffentlichungen und Analysen ukrainischer Politikwissenschaftler sowie westliche Forschungsliteratur. Unter den ukrainischen Quellen sind besonders die Analysen des „Ukrainischen Zentrums für unabhängige politische Forschung" (das sogenannte Zentrum Pichowschek), Materialien des „Instituts für Politik" des Wissenschaftlers Mykola Tomenko sowie die wissenschaftlichen Arbeiten der Zeitschrift „Politytschna Dumka" („Politischer Gedanke") hervorzuheben. Unter den ukrainischen publizistischen Quellen seien die analytischen Artikel der Wochenzeitschrift „Serkalo Nedeli" („Wochenspiegel") gesondert erwähnt. Während der Studienaufenthalte i m Land konnte die Verfasserin eine Reihe von qualitativen Interviews führen. Gesprächspartner waren der Parlamentsabgeordnete und ehemalige Justizminister Serhij Holowatij sowie der Ruch-Abgeordnete und spätere Justizminister Olexandr Lawrynowitsch. Roman Bessmertnyj, der Vertreter des Präsidenten beim Parlament bis 2002, wurde über die Funktion seines Amtes befragt. Ein ähnliches Gespräch fand mit dem Vertreter des Präsidenten beim Verfassungsgericht, Wladyslaw Nosow, statt. Außerdem konnte die Verfasserin ein Gespräch mit dem ersten Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, Iwan Tymtschenko, sowie dem Büroleiter des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats (RNBOU), Wasyl Schewtschuk, führen. Aus der Zeit ihrer journalistischen Tätigkeit i m Land von 1992 bis 1997 sind der Verfasserin viele Akteure der ukrainischen Politik persönlich bekannt. Die Erfahrungen aus sechs Korrespondentenjahren sind naturgemäß in die vorliegende Arbeit mit eingeflossen. In Ergänzung zu den Studienaufenthalten waren umfangreiche Internetrecherchen zur innenpolitischen Entwicklung unverzichtbar. Hierbei waren die Adressen der Internetzeitung „Ukrajins'ka Prawda" („Ukrainische Wahrheit") sowie die Internetausgaben der Zeitungen „ K i e v Post" und „ D e n ' " („Tag") äußerst hilfreich. Weitere Quellenangaben aus dem Internet finden sich i m Anschluss an das Literaturverzeichnis. Freundlicherweise durfte ich das Zeitungsarchiv des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln (BlOst) für meine Recherchen in Anspruch nehmen. Zur Wiedergabe der kyrillischen Schriftzeichen habe ich mich an die deutsche Umschrift gehalten. Ortsnamen werden in der Regel nach der ukrainischen Schreibweise wiedergegeben. Ausnahmen hiervon sind Bezeichnungen wie ζ. B. Kiew und Odessa, bei denen die i m Deutschen übliche Schreibweise verwendet wurde.
Β. Theorien des Systemwandels Der Systemwandel und Demokratisierungsprozess in der Ukraine werden in der vorliegenden Arbeit anhand politikwissenschaftlicher Theorien über Prozesse der Transformation analysiert. Dabei handelt es sich zum einen um den Ansatz der Konsolidierungsforschung, wie er von Juan Linz und Alfred Stepan 1 , Adam Przeworski 2 und Wolfgang Merkel 3 vertreten wird. Zum anderen wird der akteurstheoretische Ansatz von Gerald Easter 4 zugrunde gelegt. Diese Theorien werden in den Kapiteln B . I und B . I I erläutert. I m theoretischen Teil werden außerdem Modelle und Ansätze der ukrainischen Politikwissenschaft vorgestellt. Aus diesen Theorien werden Kriterien entwickelt, mit deren Hilfe die Institutionen und Akteure des ukrainischen Transformationsprozesses untersucht werden sollen.
I. Der Erklärungsansatz der Konsolidierungsforschung Wesentliche Begriffe und Bewertungskriterien für Transformationsstaaten und von noch nicht gefestigten Demokratien hat die Konsolidierungsforschung entwickelt. Die Konsolidierungsforschung geht von der Annahme aus, dass sich Transformationsstaaten tendenziell auf demokratische Herrschaftsordnungen zubewegen, wobei die herrschenden Eliten ihre früheren autoritären Herrschaftsformen nach und nach ablegen und sich an demokratische Entscheidungsprozesse anpassen. Der Wechsel vom autoritären zum demokratischen System wird von der Konsolidierungsforschung in die Phasen der Liberalisierung, Demokratisierung und Konsolidierung unterteilt. 5 Dabei wird unter Liberalisierung die Öffnung eines vorher bürokratischen totalitären Systems durch Reformen verstanden. 6 Dem Konsolidierungsansatz zufolge folgt auf die Liberalisierung die Demokratisierung. Dabei wird das Herrschaftssystem ausgewechselt, es werden die ersten freien Wahlen durchgeführt und eine demokratisch legitimierte Regierung wird eingesetzt. In der > Linz!Stepan, 1996. Przeworski, 1991. 3 Merkel, 1995. 4 Easter, 1997. 2
5 Bos, 1998: S. 82. 6 Vgl. Przeworski, Adam, 1991: Democracy and the Market. Political and Economic Reforms in Eastern Europe and Latin America, New York, S. 51. 2*
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Β . Theorien des Systemwandels
anschließenden Konsolidierungsphase soll sich entscheiden, ob sich eine Übergangsdemokratie tatsächlich zu einem stabilen demokratischen System entwickeln kann. 7 In der vorliegenden Fallstudie soll untersucht werden, ob sich die Annahmen der Konsolidierungsforschung auf die Ukraine übertragen lassen oder ob eventuell von diesem Modell abgewichen wird. Nach der Definition von Gunther, Diamandouros und Puhle gilt ein System dann als konsolidiert, wenn alle politisch relevanten Gruppen alle zentralen politischen Institutionen als den einzigen legitimen Handlungsrahmen für den Wettbewerb um die politische Macht betrachten. 8 Nach einer ähnlichen Definition hält Przeworski eine Demokratie dann für konsolidiert, wenn sich ein bestimmtes System von Institutionen als „the only game in town" etabliert hat. Darunter versteht er, dass sich alle Akteure an die vereinbarten Spielregeln halten. 9 Dieses Verständnis von demokratischer Konsolidierung ist stark akteursbezogen, d. h. auf die politischen Eliten konzentriert, wobei Akteure als politisch aktive Handlungsträger verstanden werden. Erst wenn kein relevanter Akteur außerhalb der demokratischen Institutionen agiert und auch diejenigen, die ihre Macht verloren haben, diese nur unter demokratischen Regeln wiederzugewinnen suchen, hält Przeworski die Konsolidierung eines Systems für gegeben. Linz und Stepan haben einen Katalog von fünf Merkmalen für konsolidierte Demokratien entwickelt. Danach werden eine freie Zivilgesellschaft, eine autonome politische Gesellschaft, Rechtsstaatlichkeit, eine staatliche Bürokratie und die Wirtschaftsgesellschaft als Bedingungen einer funktionierenden Demokratie definiert. 1 0 Linz und Stepan heben unter diesen fünf Kriterien die Verantwortlichkeit gegenüber Recht und Gesetz besonders hervor und sehen darin die zentrale Voraussetzung für demokratischen Wandel. Von der Rechtsgebundenheit des Staates hängt es ab, ob sich eine Demokratie konsolidieren kann. Je mehr sich alle Institutionen des Staates an rechtsstaatliche Prinzipien halten, „umso höher die Qualität von Demokratie." 1 1 Eine weitere „Schlüsselkategorie der demokratischen Konsolidierung" hat Merkel mit dem Begriff der Legitimität eingeführt. 1 2 Ohne Legitimität ist ein demokratisches politisches System nicht konsolidiert und instabil. Merkel definiert Legitimität als die Bereitschaft der Bürger, die Entscheidungen des politischen Systems zu akzeptieren. Legitimität ist nach diesem Verständnis der Glauben aller am poli-
1 Ebda. 8 Gunther, Richard/Diamandouros, Nikoforos R/Puhle, Hans-Jürgen (Hrsg.), 1995: The Politics of Democratic Consolidation, Southern Europe in Comparative Perspective, Baltimore. 9 Przeworski, 1991: S. 26. 10 Linz I Stepan, 1996: S. 14-33. 11 Linz I Stepan, 1996: S. 19. 12 Merkel, 1995: S. 51.
I. Der Erklärungsansatz der Konsolidierungsforschung
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tischen Prozess Beteiligten, dass das Ensemble der existierenden politischen Institutionen und Verfahren besser ist als jede andere Systemalternative. 13 U m eine Aussage treffen zu können, ob und wie weit ein politisches System konsolidiert ist, hat Merkel ein Mehrebenenmodell der demokratischen Konsolidierung entwickelt. 1 4 Die Ebenen, auf denen Konsolidierung stattfindet und auf die sich Legitimität bezieht, sind die Verfassungsinstitutionen, die Parteien und die Interessenverbände. M i t diesem Instrumentarium können die Konsolidierungsniveaus der verschiedenen Teilsysteme benannt und in Beziehung zur Stabilität des Gesamtsystems gesetzt werden. Mithilfe dieses Mehrebenenmodells können Aussagen über die Stabilitätsaussichten eines demokratischen Systems getroffen werden.' 5 I m Vergleich zwischen Ländern Lateinamerikas, Süd- und Osteuropas sowie Ostasiens stellt Merkel fest, dass auch nach der Stabilisierung der Verfassungsinstitutionen, der Parteien und der Verbände der Konsolidierungsprozess der neuen Demokratien noch nicht abgeschlossen ist. Demnach sind die jungen Demokratien weiterhin „vielfältigen Dekonsolidierungsgefahren, Autokratisierungs- und Kartellisierungstendenzen durch die alten und neuen politischen Eliten ausgesetzt". 16 Erst eine vitale Bürgergesellschaft immunisiert die jungen Institutionen der Demokratie, begrenzt die undemokratischen Handlungsoptionen der politischen Eliten und stellt das demokratische Gemeinwesen auf eine krisenresistente Grundlage. Das Entstehen einer vitalen Zivilgesellschaft nimmt daher mehr Zeit in Anspruch als die Konsolidierung von Verfassung, Parteien und Interessen verbänden. Gerade in Übergangsregimen sind zivilgesellschaftliche Strukturen von großer Bedeutung. 1 7 Sie schützen das Individuum vor staatlicher Willkür, stützen die Herrschaft des Gesetzes und die Balance der Gewalten, sie schulen Bürger in zivilen Tugenden, rekrutieren politische Eliten und institutionalisieren die demokratische Selbstreflektion einer Gesellschaft. Merkel et al. gehen davon aus, dass an zivilgesellschaftliche Traditionen aus der eigenen Geschichte in Transformationsprozessen umso eher angeknüpft werden kann, je kürzer die autokratische Herrschaft war. 1 8 Während der kommunistischen Herrschaft in der Sowjetunion wurden alle Rudimente einer Zivilgesellschaft sowie die sie tragende Mittelschicht und deren Existenzgrundlagen beseitigt. I m Vergleich zu anderen Regimen Mitteleuropas war die Sowjetunion daher ein weitaus repressiverer und ideologiegeleiteterer Staat. 19 Die Chancen für die Herausbildung zivilgesellschaftlicher Strukturen nach 1991 waren daher deutlich eingeschränkter als anderswo. 13 Ebda. 14 Merkel, 1995: S. 54. is Ebda. 16 Merkel, 2000: S. 7. 17 Croissant /Lauth/Merkel,
2000: S. 14.
18 Croissant /Lauth/Merkel, 2000: S. 24/25. 19 Beichelt, T\mmlKraatz, Susanne, 2000: S. 117.
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Β . Theorien des Systemwandels
Zivilgesellschaftliche Gruppen finden in ökonomisch „fortgeschritteneren" Staaten mehr Betätigungsfelder und bessere Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. 2 0 Die Wirtschaftskrise in Osteuropa und besonders in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion hingegen behinderte die Ausbildung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Der Einbruch der Wirtschaftsleistung zwang viele Bürger, sich auf die Sicherung der eigenen materiellen Existenz zu konzentrieren. Für ein zivilgesellschaftliches Engagement fehlen daher bis heute vielfach die individuellen Ressourcen. Auch aus der Erfahrung mit der politisierten Vergangenheit war der Wunsch nach politischer Partizipation gering ausgeprägt 2 1 Wie in anderen osteuropäischen Ländern kam es in der Ukraine zu keiner Explosion zivilgesellschaftlicher Aktivitäten, sondern zum Zurückziehen in die Privatsphäre. Nach der Umbruchsituation und dem Erreichen der Unabhängigkeit 1991 nahm die gesellschaftliche Mobilisierung rasch wieder ab. Das politische Interesse stagniert seitdem auf niedrigem Niveau. 2 2 Dies äußert sich in einem geringen politischen Engagement in Parteien und Interessen verbänden. 23
II. Akteurstheoretische Ansätze Da der ukrainische Transformationsprozess stark akteursorientiert ist, war es für die vorliegende Arbeit sinnvoll, aus akteurstheoretischen Ansätzen der Transformationsforschung Bewertungskriterien zu entwickeln. Unter der Vielzahl akteurstheoretischer Ansätze hat vor allem der Ansatz von Gerald Easter 2 4 ein im Hinblick auf die Ukraine hohes Erklärungspotential. Easter vertritt die Ansicht, dass in Osteuropa im Wesentlichen die Struktur der alten politischen Eliten darüber bestimmt, welches Institutionendesign sich nach einem Systemumbruch etablieren kann. Easter hat zur Untermauerung dieser These drei Kategorien von alten politischen Eliten entwickelt. Beim ersten Typ handelt es sich um „konsolidierte alte Eliten", die eine Umbruchphase intakt überstanden haben und das Monopol über die Machtressourcen behalten konnten. Die Opposition ist zu schwach, sie zu einer Änderung ihrer Herrschaftsausübung zu zwingen. Konkrete Beispiele dieses Typs politischer Eliten, die sich für ein präsidentielles 20 Croissant /Lauth/Merkel, 2000: S. 27. 21 Lewis, Paul, 1993: Civil Society and the Development of Political Parties in East-Central Europe, in: Journal of Communist Studies, Η. 4 (9), S. 14. 22 Zu diesem Befund kommen Mansfeldovä und Szabó bei ihrer Analyse der Zivilgesellschaften von Tschechien, der Slowakei, Polen und Ungarn in dem Beitrag „Zivilgesellschaft im Transformationsprozess Ost-Mitteleuropas", in: Merkel, 2000: S. 105. 23 Lohmann, Manfred, 1999b: Die Parteien im ukrainischen Parlament, Auslandsinformationen der Konrad-Adenauer-Stiftung, H. 6, S. 43. 24 Im Folgenden wird Bezug genommen auf den Aufsatz von Gerald M. Easter: Preference for Presidentialism, Postcommunist Regime Change in Russia and the NIS, in: World Politics 49, 1997, S. 184-211.
II. Akteurstheoretische Ansätze
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System entschieden haben, sind für Easter die fünf zentralasiatischen GUS-Republiken sowie Aserbaidschan. Eine zweite Kategorie bildet der Typ der „zerstreuten politischen Eliten". Der Systemzusammenbruch hat hier zu einer Spaltung und Fragmentierung der alten politischen Eliten geführt. Sie werden von der Opposition erfolgreich aus ihren Positionen verdrängt. In Ländern mit zerstreuten Eliten wurden überwiegend parlamentarische Systeme etabliert. Dies war der Fall in Tschechien, Estland, Ungarn und Lettland. Drittens unterscheidet Easter die „reformierten politischen Eliten", die aus dem Systemzusammenbruch intakt hervorgegangen sind. Dabei haben nur geringe interne Spaltungen stattgefunden und nur ein kleiner Teil der Eliten wurde aus den Machtpositionen entfernt. Die reformierten Eliten müssen sich nun mit neuen politischen Akteuren im Kampf um die Macht arrangieren und sich neuen Spielregeln anpassen. Gemessen an ihrer vorherigen Monopolstellung sind die alten Eliten geschwächt, verfügen aber immer noch über strukturelle Vorteile gegenüber den neuen Akteuren. 2 5 In den Ländern reformierter politischer Eliten wurde aus strategischen Überlegungen mit dem Ziel, sich den Zugang zu den Machtressourcen des Staates zu sichern, überwiegend der Präsidentialismus als neue Staatsform gewählt. Diese sind nach der Einteilung von Easter Armenien, Belarus, Kroatien, Georgien, Rumänien, Russland und die Ukraine. In der Ukraine hat sich für die alten Eliten, die weiterhin die Schlüsselpositionen inne haben, der Begriff der „Partei der Macht" etabliert. In den ersten Jahren blieb der Begriff „Partei der Macht" abstrakt, weil es sich nicht um eine Partei im engeren Sinne handelte, sondern um Elitenetzwerke, die schon lange vor 1991 entstanden waren. A b Mitte der 90er Jahre entstand zunächst eine tatsächliche „Partei der Macht". Später wurde der Begriff der „Partei der Macht" auf mehrere Parteien in der Ukraine angewendet. 26 Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht von unten entstehen, sondern „von oben" organisiert werden. Die „Partei der Macht" steht der Exekutive wesentlich näher als dem Parlament. 27 Die zentralen Akteure der „Partei der Macht" sind in hohem Maße auf den Präsidenten bezogen, agieren in dessen unmittelbarer Umgebung und genießen dessen Protektion.
25 Ebda. 26 In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit diente die Bezeichnung „Partei der Macht" zunächst als Oberbegriff für den informellen Zusammenhalt von Netzwerken der alten Eliten aus der Sowjetzeit. 1996 entstand aus dem Zusammenschluss der „Partei der Demokratischen Wiedergeburt" („Partija demokratytscheskoj widrodschennja Ukrajiny") mit dem „Kongress der Werktätigen" („Trudowyj Konhres Ukrajiny") die „Volksdemokratische Partei der Ukraine" („Narodno-Demokratytschna Partija Ukrajiny", NDPU). Später wurden die Parteien „Demokratytschnyj Sojus" und die „Vereinigte Sozialdemokratische Partei der Ukraine" (SDPU(o)) mit dem Begriff der „Partei der Macht" in Verbindung gebracht. Zu den Parlamentswahlen 2002 etablierte sich der Wahlblock „Sa edynu Ukrajinu" („Für eine einige Ukraine"), der durch seine Nähe zum Präsidenten als neue „Partei der Macht" angesehen wird. Vgl. „Wybory-2002. Pamjatka istoriji", in: Ukrains'ka Prawda, 15. 4. 2002.
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Β . Theorien des Systemwandels
Die Einteilung Easters, dass es sich i m Falle der Ukraine um „reformierte politische Eliten" handelt, die sozusagen zwangsläufig den Präsidentialismus präferieren, ist freilich etwas ungenau. Denn auf der Verfassungsebene handelt es sich bei der Ukraine um ein präsidentiell-parlamentarisches Mischsystem und nicht um ein rein präsidentielles System. Das ukrainische Verfassungssystem sieht eine enge Abstimmung der Machtinstitutionen vor. Der Präsident muss mit dem Parlament zusammenarbeiten, um seine Politik durchsetzen zu können. Ein gut funktionierender politischer Prozess ist i m Prinzip nur möglich, wenn der Präsident über eine Mehrheit i m Parlament verfügt. Der Präsident wird vom Volk direkt gewählt. Er ist mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Als Gegengewicht hat er einen Premierminister und ein Kabinett, die jeweils nur so lange i m A m t bleiben, wie das Parlament sie stützt. Aber auch gemischte präsidentiell-parlamentarische oder semipräsidentielle Herrschaftsformen wie in der Ukraine sind nach allgemeiner Sicht der Politikwissenschaft keine gute Voraussetzung für die Demokratisierung eines Landes. So ist Merkel der Auffassung, dass der Semipräsidentialismus für junge unkonsolidierte Demokratien „besonders ungünstige institutionelle Arrangements" bietet. 2 8 Als eine der Ursachen hierfür sieht Merkel die institutionelle Konkurrenz zwischen dem Staatspräsidenten und dem Regierungschef. Drängende Problemlösungen werden aufgeschoben, die Unterstützung der Bevölkerung droht über diesem Institutionenkonflikt verlorenzugehen. Easter ist hingegen der Meinung, dass sowohl in einem präsidentiellen als auch in einem parlamentarischen System die Demokratisierung scheitern kann. 2 9 Für ihn sind die Akteure dafür maßgeblich, ob der Demokratisierungsprozess erfolgreich verläuft. Der Systemtyp an sich, ob parlamentarisch oder präsidentiell, ist für Easter nicht entscheidend. Nicht die Institutionen per se lassen den Transformationsprozess scheitern, sondern das Verhalten der Akteure innerhalb der Institutionen. Der Präsidentialismus als Systemtyp müsse den Transitionsprozess nicht zwangsläufig scheitern lassen.
III. Die Sonderform der „delegativen" Demokratie Die Transformation eines autoritären Regimes muss nicht notwendigerweise eine stabile liberale Demokratie hervorbringen, sondern kann auch zur Rückkehr zu alten Formen oder zu einem anderen Typ autoritärer Herrschaft führen. 3 0 Transitionsprozesse können auf halbem Wege steckenbleiben und so genannte hybride
2v 28 29 30
Simon, 2000: S. 62. Merkel, 1995: S. 45. Vgl. Easter, 1997: 186 ff. Bos, 2000: S. 2.
III. Die Sonderform der „delegativen" Demokratie
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Formen von Demokratie hervorbringen. Ein Kennzeichen hybrider Regime ist, dass zwar demokratische Institutionen etabliert werden, jedoch nicht in vollständigem Sinne funktionieren. Für diese Regimetypen, die durch blockierte Transitionsprozesse entstanden sind, wurden eine Reihe von Bezeichnungen geprägt. 31 Unter diesen soll hier der Begriff der „delegativen Demokratie" 3 2 näher ausgeführt werden, der von O'Donnell geprägt wurde. In der delegativen Demokratie wird der politische Prozess vom Präsidenten mit einem autoritären Regierungsstil dominiert. Der Präsident sieht sich als Verkörperung der Nation und als oberster Wächter der Interessen des Volkes. In einer delegativen Demokratie glaubt der Präsident, über den politischen Parteien und organisierten Interessenverbänden zu stehen. Andere politische Institutionen wie das Parlament oder die Gerichte werden dabei vom Präsidenten als Störfaktoren betrachtet. Das Prinzip der horizontalen Verantwortlichkeit der Exekutive gegenüber den anderen Staatsorganen ist in der delegativen Demokratie nur rudimentär ausgeprägt. 33 Eine verfassungsmäßig verankerte Rechenschaftspflicht gegenüber den Verfassungsinstitutionen erscheint dem Präsidenten als reines Hindernis und wird von ihm als hemmend bei der Erfüllung des Wählerauftrags empfunden. 3 4 Entscheidungsbefugnisse werden an einen mehr oder weniger charismatischen Führer delegiert. Diese Führerpersönlichkeit ist in fast allen GUS-Staaten der Präsident. 35 Kuzio hat die Ukraine als eine „archetypische delegative Demokratie" bezeichnet. 3 6 Er begründet dies damit, dass mit Ausnahme der Wahltermine, an denen Parlament und Präsident neu bestimmt werden, die Bevölkerung passiv und uninteressiert an politischer Teilhabe sei. Organisationen der Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit seien zwischen den ukrainischen Wahlen kaum aktiv und von den politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. M i t der Delegierung des politischen Auftrags werde die Möglichkeit für den Machtmissbrauch durch autoritäre und korporatistische Eliteninteressen geschaffen. Kuzio führt das mangelnde politische Interesse der ukrainischen Bevölkerung u. a. darauf zurück, dass es kaum historische Erfahrungen mit Demokratie gibt. Die These, dass es sich bei der Ukraine um eine hybride Form von Demokratie handelt, soll i m Verlauf der Arbeit diskutiert werden.
31 Vgl.Mommsen, 1997: S. 233 ff. 32 Vgl. O'Donnell, Guillermo, 1994: Delegative Democracy, in: Journal of Democracy, Η. 1 (5), S. 55-69. 33 Bos, 2000: S. 3. 34 O'Donnell, Guillermo, 1994: S. 60.
35 Vgl. von Beyme, 1999: S. 303. 36 Kuzio, 2000: S. 35.
Β . Theorien des Systemwandels
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IV. Vergleich zwischen parlamentarischem und präsidentiellem System Beim Vergleich der neu entstandenen Systeme in Europa nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft untersucht die Politikwissenschaft die Vorzüge bzw. Nachteile von Parlamentarismus auf der einen und Präsidentialismus auf der anderen Seite. Zur Einordnung des politischen Systems der Ukraine werden Aspekte dieses Diskurses miteinbezogen. Dies geschieht unter dem Gesichtspunkt, dass bestimmte Institutionenarrangements zu demokratieförderlichen Einstellungen beitragen können. Umgekehrt können politische Institutionen dysfunktionale Effekte auf das politische Verhalten ausüben und dadurch die Entwicklung junger Demokratien negativ beeinflussen. 37 A m Beispiel Lateinamerikas hat sich in der Politikwissenschaft die Meinung herausgebildet, dass in Staaten des demokratischen Übergangs ein parlamentarisches Regierungssystem der Demokratisierung zuträglicher sei. So liege ein großer Vorteil eines parlamentarischen Systems darin, dass es starke „institutionelle Anreize zur Konsensbildung" enthält. 3 8 In der Regel muss eine Parteienkoalition geschlossen werden, um eine Regierung bilden zu können, weil selten eine Partei über die absolute Mehrheit verfügt. Deshalb entsteht quasi ein institutioneller Zwang zum Kompromiss. Linz ist der Ansicht, dass ein parlamentarisches System die Wahrscheinlichkeit einer Konsolidierung des Systems erhöht, weil „der Parlamentarismus flexiblere und anpassungsfähigere institutionelle Rahmenbedingungen für den Aufbau und die Konsolidierung der Demokratie bietet". 3 9 Für die präsidentielle Demokratie hat Linz auf drei Hauptgründe für deren politische Instabilität hingewiesen. 40 Erstens besteht die Gefahr, dass Präsident und Parlament sich gegenseitig blockieren, weil beide demokratisch gewählt sind und daher volle Legitimität für sich beanspruchen können. Zweitens haben Exekutive und Legislative zeitlich fixierte Amtsperioden. Dies führt zur Unflexibilität des Verhältnisses zwischen beiden, wenn der Präsident die parlamentarische Unterstützung verliert. Die Exekutive ist auf eine bestimmte Amtszeit gewählt und kann nicht vom Parlament abgewählt werden, es sei denn, es gibt die Möglichkeit des Misstrauensvotums. Drittens haben andere politische Akteure, welche die Stimmenminderheit repräsentieren, keine Anreize für eine kooperative Haltung gegenüber dem Präsidenten, der aus der Abstimmung mit der Stimmenmehrheit als Sieger hervorgegangen i s t 4 1 37 Vgl. Grotz, 2002, S. 220. 38 Bos, 2000: S. 34. 39 Zitiert nach Bos, 2000: S. 33. 40
Im Folgenden wird Bezug genommen auf den Aufsatz Presidential or Parliamentary Democracy: Does it make a Difference? in: Linz / Valenzuela (Hrsg.), The Failure of Presidential Democracy, Bd. 1, Baltimore, S. 3-87. 4 ' Vgl .Linz, 1990a; Linz, 1994.
IV. Vergleich zwischen parlamentarischem und präsidentiellem System
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Die politische Atmosphäre wird dadurch belastet, dass sich Exekutive und Legislative gegenseitig politisches Versagen vorwerfen und für Krisenerscheinungen verantwortlich machen. Linz hält grundsätzlich das parlamentarische Regierungssystem für vorteilhafter als die präsidentielle Form der Machtausübung. Nach seiner Auffassung behindert ein präsidentielles System den Prozess demokratischer Konsolidierung. Da ein Präsident sich in der Regel als überparteilich versteht, ist er nicht an einem stabilen Parteiensystem interessiert und behindert gegebenenfalls die Entstehung eines solchen. Für ein funktionsfähiges demokratisches System ist jedoch die Herausbildung von politischen Parteien von besonderer Bedeutung, da sie die wichtigen gesellschaftlichen Interessen repräsentieren und die „wichtigsten intermediären Organisationen innerhalb des demokratischen Willensbildungsprozesses" sind. 4 2 Linz sieht in der Machtkonzentration beim Präsidenten ein erhebliches Problem. Durch fehlende Kontrollmechanismen besteht die Gefahr einer Verfestigung autoritärer Regime. Präsidentielle Systeme begünstigen seiner Meinung nach den Aufstieg starker Führer, die vorgeben, sie stünden für das ganze Volk, auch wenn nur eine Mehrheit von Wählern für sie gestimmt hat. 4 3 Wenn Präsidenten in Konflikt mit den Parlamenten geraten, neigen sie dazu, sich an das Volk zu wenden, statt sich mühevoller Verhandlungen und Kompromisse zu unterziehen. A u f diese Weise können plebiszitäre Mittel wie Referenden von Präsidenten missbraucht werden, so dass diese ihre demokratiestiftende Funktion verlieren. Eine Minderheit unter den Politologen weist darauf hin, dass der Präsidentialismus gegenüber dem parlamentarischen Modell bestimmte Systemvorteile besitzt. 4 4 Transformationsstaaten durchleben meistens eine Phase schmerzhafter ökonomischer Einschnitte. Präsidenten, die das Mandat einer Bevölkerungsmehrheit für eine bestimmte Amtszeit bekommen haben, können unabhängig von der jeweiligen öffentlichen Meinung notwendige Reformen eher durchsetzen als dies Parlamente und von ihnen abhängige Regierungen tun können. 4 5 Präsidenten können das demokratische Ansehen im Ausland stärken und daher einen wichtigen stabilisierenden Faktor in einer Umbruchphase darstellen. I m Präsidenten konzentriert sich der diffuse Wunsch nach einer „starken Hand", die den Staat durch die Wirren des politischen und wirtschaftlichen Umbruchs leitet. Die Präsidenten heben sich als Kristallisationspunkt der Stabilität positiv ab und profitieren von der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den Parlamenten und Regierungen. 46 Die neuen Staaten auf dem Gebiet der Sowjetunion entwickelten nach der Abschaffung der kommunistischen Einparteienherrschaft eine ausgesprochene Nei42 Grotz, 2002, S. 224. 43 Vgl. Zakaria, 1997: S. 31. Auch Präsident Kutschma führt häufig als Legitimation für sein Handeln das Argument an, dass er der „vom ganzen Volk gewählte Präsident" sei. 44 Vgl. Baylis, 1996: S. 305 ff. 45 Bunce, 1997: S. 173. 46 Baylis, 1996: S. 318.
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gung zu präsidentiell geprägten Systemen. Sozusagen Pate dieser Entwicklung war Michail Gorbatschow, der das sowjetische Präsidentenamt einführen ließ und 1990 Staatspräsident der UdSSR wurde. Für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion bekamen die Republikpräsidenten die Bedeutung von Symbolfiguren für die nationale Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit. Dabei wählten die meisten GUS-Republiken das Modell der präsidentiellen Herrschaftsausübung. 47 Ein starker Präsident wurde als Garant für die neuerworbene Selbständigkeit gesehen. Eine herausragende Stellung des Präsidenten hielt man für notwendig. Auch objektiv bieten präsidentielle Systeme gewisse Vorteile. Sie können politische Stabilität herstellen, solange das Parteiensystem und die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger noch unterentwickelt sind 4 8 Die ehemaligen Sowjetrepubliken, die die präsidentielle Herrschaftsform wählten und in ihren Verfassungen verankerten, beriefen sich häufig auf das Vorbild der fünften Republik Frankreichs. In der Verfassungsrealität der GUS-Staaten erinnert der Präsident jedoch häufig an die Rolle eines paternalistisehen Clanchefs oder Ersten Parteisekretärs zu kommunistischen Zeiten 4 9 Rasch nahm die Herrschaftsausübung vieler GUS-Präsidenten autoritäre und gelegentlich sogar diktatorische Züge an. So verlängerten viele Amtsinhaber ihre Präsidentschaft mit Hilfe von umstrittenen Referenden und Verfassungsänderungen. Die Usurpation von Macht durch die Staatspräsidenten ist ein ebenso weitverbreitetes Phänomen. Ausdruck ist die sogenannte „ukasokratija", wonach viele GUS-Präsidenten die Gesetzgebung durch die Produktion von Dekreten (ukas) aushöhlen. Die Ukraine schien zunächst einen weniger autoritären Weg einzuschlagen. Sie hatte sich für die Mischform des präsidentiell-parlamentarischen Systems entschieden. I m semipräsidentiellen System ist die Exekutive geteilt zwischen einem direkt gewählten Präsidenten und einem vom Parlament gewählten Premierminister, der gegenüber Parlament und Präsident verantwortlich ist. Der Präsident ist die dominierende Figur, wobei die Verfassung starke Gegenkräfte zur präsidentiellen Macht vorsieht. In der Literatur werden präsidentiell-parlamentarische Mischsysteme unterschiedlich bewertet. 5 0 Wegen der „Hyperkomplexität" von Transformationsprozessen seien diese Mischsysteme für unerfahrene politische Akteure in neuen Demokratien wenig geeignet, meint Rüb. 5 1 Schwache Parlamente könnten autoritären Tendenzen der Präsidenten wenig entgegensetzen. Die Befürworter hingegen meinen, dass sich semipräsidentielle Systeme gerade durch große Flexibilität auszeichnen. 52
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Im Gegensatz dazu haben sich die meisten osteuropäischen Transformationsländer wie Tschechien, Ungarn und Slowenien sowie die baltischen Staaten Estland und Lettland eine parlamentarische Staatsform gegeben. Polen und Litauen haben ein gemischtes System. 4 » Vgl. von Beyme, 1999: S. 297. 4 9 Baylis, 1996: S. 299. 50 Bos, 2000: S. 35. si Vgl. Rüb, 1994: S. 287.
V. Erklärungsmodelle der ukrainischen Politikwissenschaft
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V. Erklärungsmodelle der ukrainischen Politikwissenschaft Die ukrainische Politikwissenschaft als solche ist eine junge Disziplin. Erst nach 1991 ging man daran, ideologischen Ballast abzuwerfen. Seitdem ist man auf der Suche nach Ansätzen zur Beschreibung des ukrainischen Transformationsprozesses. Eine Mehrheit von ukrainischen Wissenschaftlern ist sich einig in der Ansicht, dass das politische System der Ukraine spezifische Eigenheiten aufweist und dass herkömmliche Ansätze es nur unzureichend beschreiben. Von Polochalo und Dergatschow wurde Mitte der 90er Jahre der Begriff des postkommunistischen Neototalitarismus geprägt. 53 Die Ukraine, so ihre These, sei ein autoritäres Regime mit Elementen des Totalitarismus. Nach dieser Auffassung hat in der Ukraine 1991 keine demokratische Revolution stattgefunden. Stattdessen schlossen die Nationaldemokraten eine Allianz mit den Nationalkommunisten und dem damaligen Parlamentsvorsitzenden Leonid Krawtschuk und führten so einen unblutigen Übergang von der Sowjetmacht zur Unabhängigkeit herbei. Polochalo bezeichnet diesen „schmerzlosen" Übergang als „unvollendete Revolution". 5 4 Die Ukraine hat nach dieser Interpretation das totalitäre kommunistische System durch einen postkommunistischen Neototalitarismus eingetauscht. In einem postkommunistischen neototalitären System haben sich nach Ansicht von Polochalo zwar die Formen der Kontrolle über die Gesellschaft geändert. So gibt es keine Einparteienherrschaft und Staatsideologie mehr. Die Effektivität der gesellschaftlichen Kontrolle sei jedoch die gleiche. Zur Untermauerung der These des postkommunistischen Neototalitarismus führen Polochalo et al. unter anderem die Rechtlosigkeit der Bürger gegenüber dem Staat und die Abhängigkeit der Gerichte an. Der Bürger sei weiterhin wie im Totalitari smus schutzloses Objekt staatlicher Manipulation. Er habe keine Möglichkeit, seine Bürger- und Freiheitsrechte gegenüber dem Staatsapparat durchzusetzen. Die Anwendung demokratischer Verfahren wie z. B. Wahlen diene lediglich der Verbrämung neototalitärer Strukturen. 55 Nach der These des Neototalitarismus ist die frühere sowjetische Wirtschaft aufgeteilt unter Oligarchen. Dabei haben sich enge Verbindungen zwischen politischen Eliten, der Schattenwirtschaft und dem organisierten Verbrechen gebildet. Oligarchische und autoritäre Strukturen seien eine Symbiose eingegangen, bei der die früheren kommunistischen Spitzenfunktionäre die Hauptakteure von heute sind. 5 6 Problematisch am Erklärungsmodell des Neototalitarismus ist nach Ansicht der Verfasserin die Annahme, in der Ukraine habe sich nach dem Umbruch 1991
52 Vgl. Bos, 2000: S. 35. 53 Dergatschow, O. /Polochalo, W., 1996: Metamorphosy postkomunistytschnoij wlady, in: Politytschna dumka, H. 1, S. 3 - 11. 54 Ebda. 55 Ebda. 56 Vgl. Kuzio, 2000.
Β . Theorien des Systemwandels
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ein neues System etabliert, das in sich statisch ist. In dem Denkmodell fehlt die Möglichkeit einer Weiterentwicklung des Systems, wobei sich die grundlegende Frage stellt, ob es sich tatsächlich um ein neues System oder um ein modifiziertes System handelt, das weiterhin viele Merkmale der Sowjetherrschaft in sich trägt. Ein dynamisches Entwicklungsmodell haben Schurawskij et al. entwickelt. 5 7 Sie gehen davon aus, dass das politische System der Ukraine seine endgültige Form noch nicht gefunden habe. Ihrer Ansicht nach überlagern sich in der Ukraine zwei Bereiche. Zum einen existiert das alte autoritäre System latent weiter. Parallel dazu hat sich ein Bereich demokratischer Elemente gebildet, zu denen freie Wahlen, Mehrparteiensystem und Pluralismus der Wirtschaftsbeziehungen gehören. Dieser Ansatz geht weiter davon aus, dass sich die Gewichte in diesem zweischichtigen System langsam aber sicher in Richtung Demokratie verändern. Während das alte autoritäre System latent weiterbesteht, erweitert das demokratische Parallelsystem nach und nach seine Grundlage und bildet neue demokratische Institutionen und Spielregeln heraus. In diesem Modell ist nur eine Entwicklungsrichtung, nämlich die in Richtung Demokratie vorgesehen. Eine Alternative zu einer Bewegung auf demokratische Strukturen hin gibt es nicht, meinen Schurawskij et a l . 5 8 Diese Grundannahme erscheint jedoch fragwürdig. Zwar lässt sich für die Jahre bis 1996, als die neue Verfassung verabschiedet wurde, eine grundsätzliche Tendenz zur Verfestigung von Demokratie beobachten. Seitdem scheint dieser Prozess aber zu stagnieren und sich teilweise ins Gegenteil zu verkehren. In dem Modell von Schurawskij et al. fehlen Einflussfaktoren, die erklären könnten, weshalb der Transformationsprozess ins Stocken geraten und seine Richtung ändern kann. Nach diesen Ansätzen Mitte der 90er Jahre wurden in der Ukraine verschiedene Thesen entwickelt, denen jedoch ein integrierendes Konzept fehlt. Da sie dennoch für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand von Erklärungswert sind, sollen sie in Grundzügen kurz dargestellt werden. Tomenko et a l . 5 9 glauben, dass die Chancen für demokratische Reformen in der Ukraine vertan wurden. Pseudodemokratische Mechanismen wurden geschaffen zur Reproduktion und Legitimation der M a c h t . 6 0 Obwohl viele ukrainische Bürger den „Fassadencharakter" des formal demokratischen Systems intuitiv wahrnähmen, verharren sie nach Meinung Tomenkos in einer passiven Haltung zur Politik. Eine der Ursachen hierfür sieht er in der mangelhaften politischen Bildung der Bevölkerung - ein fatales Erbe aus der Sowjetzeit, das von den neuen Machtstrukturen bewusst konserviert und ausgenutzt werde. Das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat ähnelt stark demjenigen
57
Schurawskij , Witalij, 1996: Politytschnyj prozes w sutschasnij Ukrajini: politolohytschnij analis, Kyiw, S. 19 ff. ss Ebda. 59 Vgl. Politytschnyj kalendar, No. 4, 2000, Instytut polityky, S. 26. 60
Die These von der Pseudodemokratie folgt damit einer ähnlichen Sichtweise wie das Konstrukt der „delegativen Demokratie" O'Donnells. Vgl. O'Donneil, 1994: S. 55 ff.
V. Erklärungsmodelle der ukrainischen Politikwissenschaft
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während der Sowjetunion. Es gelingt ihnen nicht, sich zur Durchsetzung ihrer Interessen zu organisieren. Tomenko et al. diagnostizieren für die Ukraine seit 1998/99 eine Rücknahme demokratischer Errungenschaften. 61 Die Methoden, massenhaften Druck auf alle Schichten der Gesellschaft auszuüben, seien seit den Präsidentschaftswahlen 1999 und vor allem während des Referendums vom April 2000 verfeinert worden. Tomenko vertritt außerdem die Ansicht, dass die politische Auseinandersetzung von künstlichen Konflikten und der Wiederholung von Stereotypen dominiert werde, die von den grundsätzlichen Problemen ablenken sollen. Das größte Scheingefecht, das seiner Ansicht nach den Diskurs bis Ende der 90er Jahre bestimmte, ist der angebliche Konflikt zwischen einem reformistisch orientierten und nationalgesinnten Präsidenten und einer kommunistischen Werchowna Rada. Die „rote" Mehrheit i m Parlament sei nach diesem Stereotyp verantwortlich dafür, dass Reformen und demokratische Prozesse verhindert würden. Dies sei so nicht richtig, meint Tomenko. 6 2 Diese vereinfachende Darstellung hat nach Meinung Tomenkos dazu beigetragen, dass ein Großteil der Bevölkerung das Parlament sehr kritisch sehe. In einer Umfrage i m Jahr 2000 sprachen sich 42 Prozent für das präsidentielle System aus, aber nur 26 Prozent für die parlamentarische Republik als Staatsform der Ukraine. 6 3 Die Werchowna Rada werde von der Bevölkerung als geradezu überflüssig angesehen. 64 Tomenko und Polochalo diagnostizieren eine Tendenz der „Deparlamentarisierung" in der Ukraine 6 5 , die sich darin äußert, dass die Rolle des Parlaments geschwächt werde zugunsten der anderen Machtinstitutionen.
61 Vgl. Politytschnyj kalendar, No. 4, 2000, Instytut polityky, S. 26. 62 Tomenko, Mykola, 1997: Realni ta udawani konflikty w Ukrajins'kij wladi, in: Politytschna dumka, H. 1, S. 31. 1994 gehörten von 394 Deputierten 145 Abgeordnete den drei linken Fraktionen von Kommunisten, Sozialisten und Agrariern an. Ähnliche Verhältnisse herrschten auch in den Jahren danach. So betrug der Anteil der linken Parlamentarier der Werchowna Rada im Schnitt 35 Prozent. Bei dieser Sitzverteilung konnten die linken Fraktionen zusammen verfassungsändernde Beschlüsse verhindern, die eine Zweidrittel-Mehrheit benötigen. Seit den Parlamentswahlen 2002, als die Kommunisten auf 20 Prozent und die Sozialisten auf 6,88 Prozent kamen, haben die linken Kräfte auch keine Sperrminorität mehr. Dennoch herrschte in der Ukraine bis vor kurzem die Ansicht vor, das Parlament sei der Bremser von Reformen und behindere den progressiven Präsidenten bei seinem Reformkurs. 63 Bytschenko, Andrij / Schdanow, Ihor, 2000: Soziolohytschne opytuwannja UZEPD: Narod, wlada, refendum, in: Nazional'na bespeka i oborona, H. 2, S. 9. 64 Zur Einordnung der Thesen von Tomenko sei angemerkt, dass seine Arbeiten einen populärwissenschaftlichen Charakter tragen und in den ukrainischen Medien deshalb breite Resonanz finden. Angesichts der Tatsache, dass er dem westukrainischen Lager der Nationaldemokraten um Wiktor Pynsenyk angehört und 2002 über den Juschtschenko-Block in das Parlament einzog, tragen seinen Analysen einen gewissen subjektiven Charakter. 65 Interview mit Wolodymyr Polochalo, dem Chefredakteur von Politytschna Dumka, in: Den', 1. 11. 2000, S. 1.
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Β . Theorien des Systemwandels
VI. Operationalisierung des Forschungsansatzes Zur Untersuchung des Systemwechsels in der Ukraine wurde der Transformationsprozess in zwei Etappen unterteilt. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass eine erste Transformationsperiode 1991 begann und 1996 mit der Verabschiedung der Verfassung und der Einrichtung des Verfassungsgerichts abgeschlossen wurde. Damit war die Phase einer ersten Demokratisierung abgeschlossen. Die zweite Transformationsperiode nach 1996 wird dahingehend untersucht, inwieweit es zu einer Fortsetzung der Demokratisierung und einer Konsolidierung eines demokratischen Systems gekommen ist. Dabei soll die Frage beantwortet werden, wo der ukrainische Transformationsprozess aktuell angekommen ist. In der Ukraine sind die Werchowna Rada, der Präsident, die Regierung und das Verfassungsgericht die zentralen Verfassungsinstitutionen, die den Transformationsprozess prägen. Diese werden daher auf ihre Funktion untersucht. In der Darstellung wird zunächst der Verfassungsprozess analysiert und der Aspekt herausgehoben, in welcher Weise die Akteure mit ihren jeweiligen Machtinteressen den Verfassungsprozess beeinflusst haben. Daran anschließend wird untersucht, wie sich die Kompetenzen und Funktionen der Institutionen gewandelt haben und welchen Verhaltensmustern die Akteure in den Institutionen folgen. Dabei werden der Verfassungstext und die Verfassungswirklichkeit gegenübergestellt und die wesentlichen Diskrepanzen herausgearbeitet. Bei der Untersuchung von Rolle und Funktion des Verfassungsgerichts soll besonderes Augenmerk darauf verwandt werden, wie sich das Verfassungsgericht bei Konflikten zwischen den Verfassungsinstitutionen verhält. Außerdem soll der Frage nachgegangen werden, wie das Verfassungsgericht zu einer Stabilisierung des Institutionengefüges beitragen kann. I m Anschluss an die Beschreibung der zentralen Verfassungsinstitutionen wird auf die Akteure eingegangen. Zentrale Kategorien zur Einordnung der Akteure sind ihr Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis, ihre Auffassung von Legitimität und ihr FührungsVerständnis. Zusätzlich sollen sie danach unterschieden werden, ob sie als Verwalter den Übergangsprozess begleitet oder als Gestalter des Übergangs den Systemwandel geprägt haben. Ein gesonderter Abschnitt ist den beiden Präsidenten Krawtschuk und Kutschma gewidmet (Kapitel F.). Dabei richtet sich das Hauptaugenmerk auf die sozialen und politischen Prägungen dieser beiden Akteurstypen, auf ihr jeweiliges Verständnis von Politik, Demokratie und ihre jeweilige Auffassung vom Präsidentenamt. Es soll die Frage beantwortet werden, welche Strategien von Machterringung und Machterhalt von diesen beiden Akteuren angewendet werden und welchen Beitrag sie zur Transformation des politischen Systems der Ukraine geleistet haben. Exemplarisch für die unterschiedlichen Akteurstypen werden die beiden Politiker Juschtschenko und Kinach in Kapitel H. III. und Η. IV. vorgestellt, wobei ihr
V I . Operationalisierung des Forschungsansatzes
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Amtsverständnis als Premierminister und ihr jeweiliges Verhältnis zu Parlament und Präsident i m Mittelpunkt des Interesses stehen. Als Ereignisse von zentraler Bedeutsamkeit werden die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 1998/1999, das Verfassungsreferendum vom April 2000 und die politische Krise von 2000 und 2001 behandelt und auf ihren Einfluss auf den Transformationsprozess untersucht. Nach der Analyse des neuen Wahlrechts und der Parlamentswahlen vom März 2002 werden die Ergebnisse der Arbeit in einem Abschlusskapitel zusammengefasst und zu den theoretischen Überlegungen in Beziehung gesetzt.
3 Hclmcrich
C. Die Grundlagen der ukrainischen Verfassungsinstitutionen I. Historische Wurzeln der Werchowna Rada Die Institution mit der längsten Kontinuität i m politischen System der Ukraine ist das Parlament, die Werchowna Rada. 1 Sie wurde als höchstes Organ der ukrainischen Sowjetrepublik mit der Verfassung der Ukrainischen SSR von 1937 geschaffen. 2 Ursprünglich waren die Räte als „Garanten und Organisationsform tatsächlicher politischer Partizipation gedacht" 3 . Formal übte die Werchowna Rada nach der Verfassung die höchste Gesetzgebung in der Republik aus und hatte umfassende Funktionen. Diese waren die Verabschiedung und Änderung der Verfassung der Ukrainischen SSR, die Gesetzgebung und Bestätigung des Haushalts sowie des volkswirtschaftlichen Plans, die Bildung der Republikregierung, der Erlass von Amnestien, die Vertretung der ukrainischen SSR in internationalen Beziehungen und die Schaffung von Militäreinheiten auf Republikebene. 4 Darüber hinaus verfügte die Werchowna Rada de jure über Kompetenzen, die in westlichen Demokratien der Regierung obliegen. 5 Neben die eigentliche legislative Domäne der Werchowna Rada traten bedeutende Zuständigkeiten von exekutivem Charakter. 1938 wurde zum ersten M a l die Werchowna Rada (russisch: Werchownyj Sowjet; deutsch: Oberster Sowjet) der Ukraine gewählt. Die Verfassung von 1937 sah pro 100.000 Einwohner einen Deputierten vor. So wurden bei der ersten Wahl 1938 304 Deputierte gewählt. Entsprechend der Zunahme der Bevölkerung stieg die Zahl der Wahlkreise beständig an. So setzte sich 1955 in der vierten Wahlperiode das Parlament aus 435 Deputierten zusammen. Umgekehrt proportional zur tatsächlichen Bedeutung der Werchowna Rada erhöhte sich durch die Verfassung von
1 Dem Namen nach erinnert die Werchowna Rada an die Zentral'na Rada, das Legislativorgan der Übergangsregierung von 1918, als die Ukraine kurzzeitig unabhängig war. 2 Erst ab der 12. Wahlperiode mit den Wahlen 1990 entwickelte sich aus der formaldemokratischen Institution ein echtes Arbeitsparlament. 3 Hildermeier, Manfred, 1998: Geschichte der Sowjetunion, München, S. 17. 4 Vgl. Enzyklopedia Ukrajinosnawstwa, tom 1, perewidannja w Ukrajini, Lwiw 1993, S. 233. 5 Die Werchowna Rada war zuständig für die Lenkung der Volkswirtschaft, für Straßenbau und Transportwesen sowie für die Leitung des Bildungs- und Gesundheitswesens. Vgl. Kislij, Pawlo/Mre, Charles, 2000: Stanowlennja parlamentarismu w Ukrajini: Na tli switowoho doswidu, Kyiw, S. 71.
I. Historische Wurzeln der Werchowna Rada
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1978 die Zahl der Deputierten auf 650 (Art. 98 Verf. USSR). Die Deputierten waren auf fünf Jahre gewählt. Die Kandidatenlisten für die Wahlen wurden von der kommunistischen Partei festgelegt. Die Wahlen zu den Räten waren bis 1990 weder alternativ noch geheim und „verkamen zur präformierten Bestätigung" 6 . Eine „formaldemokratische Fassade" verbarg die Tatsache, dass diese geschäftigen Gremien nur Befehlsempfänger waren und bereits Beschlossenes absegneten.7 Von der wirklichen Machtausübung blieben die Räte ausgesperrt, denn alle Befugnisse lagen bei den jeweiligen Parteisekretären. Wie in den anderen Republiken war auch die Werchowna Rada der Ukraine ein „Pseudo-Parlament" und auf repräsentative Funktionen reduziert. 8 Immerhin lagen einige Verwaltungsfunktionen in den Händen der Werchowna Rada. Sie hatte eine gewisse integrative Funktion innerhalb der Sowjetgesellschaft und trug zur relativen Stabilität der nachstalinistischen Ordnung bei: In der Werchowna Rada manifestierten sich „pseudodemokratische Verfahren und begrenzte oder scheinbare Partizipation vor allem an lokalen Angelegenheiten". 9 Viele Parteifunktionäre gehörten der Werchowna Rada ex officio an. Dort traf sich die politische Elite der Republik. Bis 1990 wurde das Parlament vom Präsidium des Obersten Sowjets nur zweimal im Jahr einberufen. Daraus ergab sich, dass andere Gremien die Sitzungen vorbereiteten. Dem Plenum der Werchowna Rada war mehr oder minder die reine Akklamation zu Gesetzesentwürfen und anderen Beschlüssen vorbehalten. Meist handelte es sich um Vorgaben des Politbüros und Zentralkomitees, die in Gesetzesform gegossen wurden. Da dem sowjetischen Rätesystem der Gedanke der Gewaltenteilung fremd w a r 1 0 , wurden Kompetenzabgrenzungen und „checks and balances" zwischen den Verfassungsinstitutionen nach westlichem Muster bewusst abgelehnt. Stattdessen vereinte die Werchowna Rada als Institution Wesensmerkmale aller drei Gewalten. Das Präsidium der Werchowna Rada, das aus dem Vorsitzenden, seinen zwei Stellvertretern, dem Sekretär und 19 weiteren Mitgliedern bestand, hatte das Recht, Dekrete zu erlassen, die der Ministerrat als höchstes Exekutivorgan auszuführen hatte. Neben exekutiven Vollmachten war das Präsidium mit legislativen Rechten ausgestattet. Es konnte geltende Gesetze auslegen und wachte über die Einhaltung der Verfassung. Damit nahm es Aufgaben wahr, die eigentlich zum Kompetenzbereich eines damals noch nicht existierenden Verfassungsgerichts gehörten. Die Werchowna Rada der ukrainischen SSR hatte also vom Wortlaut her eine Fülle von Aufgaben und Kompetenzen. Daher war es umso verständlicher, als mit 6 Hildermeier, 7 Hildermeier,
1998: S. 864. 1998: S. 678.
8
Brown, Archie (ed.), 2001: Contemporary Russian Politics. A Reader, Oxford, S. 9. 9 Hildermeier, 1998: S. 858. 10 Kislij / Wise, 2000: S. 67. 3*
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C. Die Grundlagen der ukrainischen Verfassungsinstitutionen
der staatlichen Unabhängigkeit diese papiernen Rechte zu echter Macht erwuchsen, dass sich das Parlament einem Verlust ebenderselben hartnäckig widersetzte. Das Parlament wollte die Gestaltungsmacht, die ihm so schnell zugefallen war, nicht gleich wieder aufgeben. M i t den ersten halbfreien Wahlen zum Obersten Sowjet der Ukrainischen SSR 1990 sollten sich Zusammensetzung und Funktion dieser Institution grundlegend ändern. Die Zahl der Abgeordneten wurde von 650 auf 450 reduziert. Die Bestimmungen des Wahlgesetzes begünstigten weiter den kommunistischen Parteiapparat und benachteiligten die Opposition. So hatten nur registrierte Organisationen das Recht, eigene Kandidaten aufzustellen. Nicht zufällig erhielt die Oppositionsbewegung Ruch ihre Zulassung erst fünf Tage nach Ablauf der Frist, bis zu der die Nominierung von Kandidaten möglich war. Wegen weiterer bürokratischer Hürden gelang es der nationaldemokratischen Opposition nur in 40 Prozent der Wahlkreise, eigene Kandidaten registrieren zu lassen. Dennoch war das Wahlergebnis ein herber Schlag für die Kommunistische Partei der Ukraine (KPU). Trotz massiver Behinderungen bei der Kandidatenaufstellung war es der Opposition gelungen, 117 Sitze von 450 zu erringen. A m 15. Mai 1990 nahm die Rada ihre Arbeit auf. Die Deputierten tagten von nun an in zweiwöchigem Turnus. Das Parlament arbeitete meist von Dienstag bis Freitag, dann folgte eine Woche Sitzungspause. Zum ersten M a l wurden die Sitzungen unmittelbar und unzensiert vom Fernsehen übertragen und von der Bevölkerung mit großem Interesse verfolgt. Vor allem in Kiew und in der Westukraine, wo die Opposition i m Wesentlichen ihre Erfolge errungen hatte, bildete sich eine politisierte Öffentlichkeit. Die nationaldemokratischen Abgeordneten schlossen sich zur „Narodna Rada" („Volksrat") zusammen, die zusätzlich einige Reformkommunisten für sich gewinnen konnte. So wuchs die Parlamentsopposition „Narodna Rada" auf 125 Abgeordneten, denen die konservativen Kommunisten, die sogenannte „Gruppe der 239" gegenüberstand. Etwa 70 Abgeordnete bildeten das Lager der Souveränkommunisten, die für mehr Eigenständigkeit der Ukraine bei gleichzeitigem Fortbestand der Sowjetunion eintraten. Ohne dass dies sogleich erkennbar war, demontierte die Werchowna Rada schrittweise die Kontrolle aus Moskau und machte den Weg frei für den Austritt der Ukraine aus der Sowjetunion. M i t einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit trafen die Abgeordneten nun Entscheidungen von großer Tragweite. A m 16. Juli 1990 wurde die Souveränitätserklärung der Ukraine mit 355 Ja-Stimmen bei vier Nein-Stimmen verabschiedet. Sogar die „Gruppe der 239" votierte fast geschlossen für die Souveränitätserklärung. Gestützt von der nationaldemokratischen Opposition und dem Reformflügel der Kommunisten schuf die Werchowna Rada die gesetzliche Grundlage für die weitere Emanzipation vom Unionszentrum. In Ergänzung zu Art. 71 Verf. USSR schrieb das Parlament fest, dass „auf dem Gebiet der Ukrainischen SSR die oberste Gültigkeit der Republikgesetze gesichert ist". M i t der Resolution vom 29. November 1990 unterstellte die Werchowna Rada
I. Historische Wurzeln der Werchowna Rada
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die innenministeriellen Truppen in der Ukraine der Republikführung. I m Dezember 1990 wurde auch die Steuerverwaltung in die Zuständigkeit der Republik gelegt. Die Trennung des Haushalts der Ukrainischen SSR vom Unionshaushalt wurde in dem Gesetz „Über das Haushaltssystem der Ukrainischen SSR" verankert, das am 5. Dezember 1990 angenommen wurde. Sicherlich bedeutete die Annahme dieser Normen noch nicht ihre automatische Umsetzung in der Praxis. Doch sie signalisierten eindeutig, welchen Kurs die Werchowna Rada unter Mitwirkung des Parlamentsvorsitzenden Krawtschuk nun einschlug, nämlich den in Richtung staatlicher Souveränität. Eine nicht weniger folgenschwere Rolle in der schrittweisen Demontage des Sowjetstaates spielte die Werchowna Rada in der Diskussion um den von Gorbatschow propagierten neuen Unionsvertrag. Als einzige Volksvertretung in den neun mit Gorbatschow zusammenwirkenden Republiken (Neun-plus-eins-Koalition von Nowo-Ogarewo) lehnte es die Ukraine ab, das Projekt des neuen Unionsvertrages zu ratifizieren. Dabei verfolgten Krawtschuk und die Souverän-Kommunisten nicht das Ziel der Loslösung der Ukraine von der Sowjetunion. Vielmehr strebte die ukrainische Delegation bei den Verhandlungen um einen neuen Unionsvertrag eine Umwandlung der Sowjetunion in eine Konföderation an. A m 27. Juni 1991 verschob die Werchowna Rada der Ukraine die Behandlung des Unionsvertrages auf September, was nichts anderes war als eine „verschleierte Ablehnung" 1 1 . Der Moskauer Putsch vom 18. und 19. August 1991 sollte dann alles entscheiden. A m 24. August 1991 verabschiedete die Werchowna Rada mit 392 Ja-Stimmen bei nur vier Gegenstimmen die Unabhängigkeitserklärung der Ukraine und nahm eine Umbenennung des Parlaments vor. 1 2 Aus der „Werchowna Rada der Ukrainischen Sozialistischen Unionsrepublik" wurde die „Werchowna Rada der Ukraine". Die letztendliche Loslösung von Moskau kam überraschend und wurde von den äußeren Umständen diktiert. M i t dem 24. August 1991 wurde die Werchowna Rada zum zentralen Machtorgan der Ukraine. Die situativ erlangte Unabhängigkeit stellte die ukrainischen Akteure vor die Notwendigkeit, ein von Moskau unabhängiges politisches System aufzubauen und institutionellen Wandel herbeizuführen. In der Werchowna Rada wurden nun die Weichen für den jungen Staat gestellt. Nachdem bei einer Volksabstimmung am 1. Dezember 1991 über 90 Prozent der Bevölkerung für die Unabhängigkeit der Ukraine gestimmt hatten, beschlossen die Parlamentarier den Austritt der Ukraine aus der Sowjetunion. A m 5. Dezember 1991 kündigten die Abgeordneten den Vertrag über die Bildung der Sowjetunion aus dem Jahre 1922. Der Forderung nach Neuwahlen und einer Demokratisierung der Wahlgesetzgebung verweigerte sich die kommunistische Mehrheit. Der Staatspräsident hatte " Simon , 1992: S. 63. '2 Wittkowski 1998, S. 50
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C. Die Grundlagen der ukrainischen Verfassungsinstitutionen
sogleich einen Legitimitätsvorsprung, weil er sein Mandat in freien Wahlen am 1. Dezember 1991 errungen hatte. So betonte Krawtschuk in den Auseinandersetzungen mit dem Parlament immer wieder, dass sein Wählerauftrag jüngeren Datums sei als derjenige der Werchowna Rada. 1 3 Vom Gesichtspunkt der Legitimität ergab sich für das Verhältnis von Parlament und Präsident sogleich eine Asymmetrie und Schieflage zuungunsten des Parlaments, das 1990 unter halbfreien Bedingungen gewählt worden war. Besonders das Verhältnis von Parlamentspräsidium und dem Präsidenten war spannungsgeladen. Nach der alten Verfassung von 1978 fungierte das Präsidium während der Sitzungspause der Werchowna Rada als kollektives Oberhaupt des Staates (Art. 106 Verf. USSR). Eine Schlüsselstellung wurde dem Parlamentsvorsitzenden zugewiesen. Formal nahm er die höchste Stellung in der Unionsrepublik ein. Protokollarisch wurden ihm die Ehren des Republikpräsidenten zuteil. Die Funktion des Staatsoberhauptes ging jedoch ab Dezember 1991 an den Präsidenten über. Es war daher nicht weiter verwunderlich, dass der Parlamentsvorsitzende ungern diese erste Stellung im Staat abgab und fortan zumindest die zweitwichtigste Position für sich beanspruchte. So wachten die Parlamentspräsidenten Iwan Pljuschtsch 1 4 und Olexandr M o r o s 1 5 eifersüchtig über der Bedeutung ihres Amtes. Vom späteren Parlamentsvorsitzenden Olexandr Tkatschenko 1 6 stammt die eigenwillige Charakterisierung seiner Position: „Ich bin nicht erster (im Staat), aber auch nicht zweiter." 1 7
II. Die Einführung der Institution des Präsidenten Obwohl das Präsidentenamt erst 1991 eingeführt wurde und es sich somit um eine relativ junge Institution handelt, sollte sich diese Position zum „dauerhaft dominierenden Element im politischen System der Ukraine" entwickeln. 1 8 Da die Ausstattung des Präsidentenamtes mit Vollmachten seit 1991 mehreren Veränderungen unterworfen war, lassen sich drei Phasen unterscheiden: 13
Wilson, 1997: Ukraine: Two Presidents and their Powers, in: Ray, Taras (hrsg.), Postcommunist Presidents, Cambridge, S. 71. 14 Iwan Pljuschtsch (Jahrgang 1941) war zweimal Vorsitzender der Werchowna Rada: Von Dezember 1991 bis April 1994 und erneut von Januar 2000 bis März 2002. 15 Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei SPU, Olexandr Moros (geb. 1944) war von Mai 1994 bis April 1998 Vorsitzender der Werchowna Rada. 16 Olexandr Tkatschenko (Jahrgang 1939), stellvertretender Vorsitzender der Bauernpartei, war von Juli 1998 bis Januar 2000 Vorsitzender der Werchowna Rada. 17 Zitiert nach: RFE/RL Poland, Belarus, and Ukraine Report, Vol. 1, No. 18, 28. September 1999. 18 Diese Einschätzung findet sich in: „Politytschna systema sutschasnoij Ukrajiny: Osoblywosti stanowlennja, tendenzij roswytku", Kyiw 1998, S. 112/113, zitiert nach: Kis, Teofil, 2000: Instytut presydentstwa w Ukrajiny, in: Nowa Polityka, H. 1 (27), S. 23.
II. Die Einführung der Institution des Präsidenten
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1. Von 1991 bis 1995 erfüllte der Präsident laut Verfassung die Funktion des Staatsoberhauptes. Er sollte das Land nach außen hin repräsentieren. Nach einem Jahr der Konsolidierung des neu etablierten Amtes geriet Amtsinhaber Leonid Krawtschuk 1992/ 1993 in die Krise. Das Parlament erwies sich als der stärkere Gegenpart und erzwang vorzeitige Präsidentschaftswahlen, die i m April 1994 stattfanden. 19 2. Während der Gültigkeit des Verfassungsvertrages vom Juni 1995 bis Juni 1996 war der Präsident gleichzeitig Staatsoberhaupt und Chef der Exekutive. Hinsichtlich der Wirtschaftspolitik war er mit dem Dekretierungsrecht ausgestattet. 3. Seit Annahme der neuen Verfassung 1996 ist der Präsident formal zwar wieder „nur" Staatsoberhaupt. Seine Kompetenzen und die Schlüsselfunktion des Präsidenten bei der Personalpolitik machen das Staatsoberhaupt jedoch zum „faktischen Leiter der Exekutivgewalt, und dies besonders dann, wenn sich der Präsident auf die Mehrheit i m Parlament stützen k a n n " . 2 0 Der Einführung des Präsidentenamtes war eine höchst kontroverse Debatte vorausgegangen. M i t der Deklaration der staatlichen Souveränität am 16. Juli 1990 durch die Werchowna Rada wurde die Notwendigkeit einer Verfassungsreform der Ukrainischen SSR offensichtlich. Seit Oktober 1990 arbeitete eine Verfassungskommission unter dem Vorsitz des Parlamentspräsidenten Leonid Krawtschuk an einem neuen Verfassungstext. Die Einführung eines Präsidentenamtes wurde bald zum zentralen Thema in diesem Gremium und rief bei der kommunistischen Mehrheit heftige Ablehnung hervor. Die Kommunisten befürchteten, dass die Einführung des Präsidentenamtes nationalistischen Tendenzen Vorschub leisten und einen Konflikt mit Russland heraufbeschwören könnte. M i t der Einführung der Präsidialgewalt sahen sie die Macht der Kommunistischen Partei in Gefahr, da ein vom Volk gewählter Präsident nicht das „folgsame Spielzeug in den Händen des Politbüros" sein würde. 2 1 Zudem würde das Präsidentenamt die Stellung des Parlaments verändern und dessen Machtposition schmälern. Wie so oft war Russland der Ukraine auch bei der Einführung des Präsidentenamtes einen Schritt voraus gewesen. In Russland hatten sich bei einem Referendum, das i m März 1990 abgehalten wurde, 70 Prozent der Bevölkerung für die Schaffung dieser Institution ausgesprochen. Boris Jelzin wurde bei den darauf folgenden Wahlen in Juni 1991 zum ersten russischen Präsidenten gewählt. Die Befürworter der ukrainischen Unabhängigkeit aus dem nationaldemokratischen Lager unterstützten die Idee eines starken Präsidenten. Ihrer Ansicht nach brauchte die Ukraine eine starke Führung, um in den Verhandlungen mit Moskau über einen neuen Unionsvertrag eine bessere Position zu haben. Sie hofften, dass ein Präsident den angestrebten Austritt der Ukraine aus der Sowjetunion beschleu-
'9 Vgl. Wilson, 1997: S. 67. 20 Kis, 2000: S. 25. 2' Vgl. Kudrjatschenko,
1997: S. 331.
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C. Die Grundlagen der ukrainischen Verfassungsinstitutionen
nigen würde. Ein starker Präsident erschien ihnen als der beste Garant für einen souveränen ukrainischen Staat. M i t dieser Argumentation setzten die Nationaldemokraten schließlich die Schaffung dieser neuen Institution durch. Die Schaffung des Präsidentenamtes stellte somit einen „Kompromiss zwischen den moderaten Vertretern der herrschenden und oppositionellen E l i t e n " 2 2 dar und war ein erster Schritt in Richtung eines neuen Verfassungssystems. Die Werchowna Rada verabschiedete am 5. Juli 1991 das „Gesetz über den Präsidenten" und das „Gesetz über die Wahl des Präsidenten" und nahm entsprechende Verfassungsänderungen vor. 2 3 Der erste Platz in der Rangfolge der Verfassung blieb weiterhin der Werchowna Rada zugewiesen. Die Abfolge der Institutionen war nicht zufällig, kam doch darin die Auffassung zum Ausdruck, dass alle Macht i m Sowjetsystem von den Räten ausgehen solle. Das Gesetz „Über den Präsidenten der Ukraine" war weniger Ausdruck einer klaren Aufgabenbeschreibung des ukrainischen Präsidenten, sondern betonte vielmehr den Unabhängigkeitskurs der Ukraine von Moskau. So bekam der Präsident das Recht, Exekutivakte der UdSSR auf dem Boden der Ukraine außer Kraft zu setzen, wenn sie den Gesetzen und der Verfassung der Ukraine widersprachen (Art. 7 des Gesetzes „Über den Präsidenten der Ukraine"). Er konnte Gesetze an die Werchowna Rada mit seinen Einwänden zur neuerlichen Beratung und Abstimmung zurückverweisen (Art. 5). M i t einfacher Parlamentsmehrheit konnte das Präsidentenveto jedoch relativ leicht überstimmt werden. 2 4 Der Präsident konnte Entscheidungen und Anordnungen des ukrainischen M i nisterkabinetts, der Regierung der Autonomen Sozialistischen Republik Krim, der ukrainischen Ministerien und der lokalen Exekutivkomitees aufheben, wenn sie den Gesetzen und der Verfassung der Ukrainischen SSR widersprachen. Der Präsident konnte notwendige Verwaltungs- und Beratungsgremien ins Leben rufen (Art. 6) und Dekrete in seinem Zuständigkeitsbereich erlassen. Der Präsident musste mindestens 35 Jahre alt sein, mindestens zehn Jahre in der Ukrainischen SSR gelebt haben und die Staatssprache Ukrainisch beherrschen. Die Amtszeit betrug fünf Jahre. Einmal in Folge konnte der Präsident wiedergewählt werden. Das Gesetz über den Präsidenten der Ukraine ließ jedoch in einigen Bereichen präzise Bestimmungen vermissen. Das Verhältnis zu den anderen Verfassungsinstitutionen war nicht ausreichend geregelt. Einem scheinbar starken Präsidentenamt fehlten wichtige Attribute, um der exekutiven Gewalt tatsächliche Gestaltungskraft zu verleihen. Der Kampf zwischen Exekutive und Legislative war vorprogrammiert und wurde bestimmend für den politischen Prozess. 22 Bos, 2000: S. 72. 23 Sakon ο wwedenii posta Presidenta Ukrainskoj SSR i wnesenii ismenenij i dopolnenij w Konstituziju (Osnownoj Sakon) Ukrainskoj SSR 5 ijulija 1991, in: Wedomosti Werchownogo Soweta USSR, Kiew 1990, Nr. 33; Sakon Ukrainskoj Sowetskoj Sozialistitscheskoj Respubliki ο Presidente USSR, Kiew 1991. 24 Wilson, 1997: S. 67-105.
II. Die Einführung der Institution des Präsidenten
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Zunächst ging es jedoch um die zentrale Frage, ob die Loslösung der Ukraine vom Unionszentrum gelingen würde. Zur Legitimierung des Machtwechsels und der Unabhängigkeitserklärung vom 24. August wurde für den 1. Dezember 1991 ein Referendum mit gleichzeitiger Präsidentenwahl angesetzt. Den Wahlzetteln war die Erklärung der Werchowna Rada über die Unabhängigkeit beigelegt worden. 90,32 Prozent antworteten auf die Frage, ob sie die Deklaration unterstützten, mit Ja. Nur 7,58 Prozent antworteten mit Nein. Die geringste Zustimmung für die Unabhängigkeit wurde auf der K r i m geäußert mit 54,19 Prozent Ja-Stimmen, die höchste in den westukrainischen Gebieten Ternopil (98,67 Prozent) und IwanoFrankiwsk (98,42 Prozent). A u f der Grundlage dieses Ergebnisses erklärte die Zentrale Wahlkommission ( Z W K ) die Unabhängigkeitserklärung des Parlaments vom 24. August 1991 für bestätigt. 25 Getragen von einer allgemeinen Unabhängigkeitseuphorie wurde Leonid Krawtschuk, der bis dahin Palamentsvorsitzender war, zum ersten ukrainischen Präsidenten gewählt. Er erhielt sofort im ersten Wahlgang mit 61,59 Prozent eine deutliche Mehrheit vor den anderen Mitbewerbern. Das zweitbeste Stimmenergebnis von 23,27 Prozent erzielte der Ruch-Kandidat Wjatscheslaw Tschornowil. In der hohen Wahlbeteiligung von 84,18 Prozent ließ sich die hohe Diszipliniertheit bei Abstimmungen erkennen, wie sie das Sowjetsystem herbeigeführt hatte. Gleichzeitig äußerte sich darin auch das vitale Interesse der Bevölkerung an einem politischen Neubeginn. 2 6 Das Jahr 1991 war keine „Stunde Null". Der Umbruch war vielmehr gekennzeichnet durch hohe Kontinuität bei den politischen Institutionen Parlament und Regierung. Die halbfreien Parlamentswahlen 1990 und das Verbot der K P U hatte die innenpolitische Akteurskonstellation nur teilweise verändern können. Die Schlüsselpositionen blieben i m Großen und Ganzen unverändert besetzt. Allerdings war mit der Etablierung des Präsidentenamtes ein neues Machtzentrum entstanden, das in der Folge zentripetale Wirkung entfalten sollte und beständig an Einfluss zunahm. Unmittelbar nach der formalen Unabhängigkeit war die Ukraine ein politisches System, bei dem alte und neue Institutionen kombiniert wurden und politische Verhaltensweisen, die in der Sowjetzeit entstanden waren, fortdauerten. Der totalitäre Machtanspruch des Sowjetsystems wurde gemindert durch Charakeristika eines Autoritarismus, der sich durch mangelnde Gewaltenkontrolle, beschränkte Medienfreiheit und begrenzte gesellschaftliche Autonomie auszeichnete. Zentraler Aspekt dieses Autoritarismus von 1991 und 1992 war die Tendenz der Machtausweitung des Präsidenten gegenüber der Regierung und der Legislative.
25 Ebda. 26 Das offizielle Endergebnis gab die Zentrale Wahlkommission am 4. 12. 1991 bekannt, vgl. Literaturna Ukrajina, „Tak proholosuwala Ukrajina", 12. 12. 1991, S. 2.
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C. Die Grundlagen der ukrainischen Verfassungsinstitutionen
1. Die Erweiterung der präsidentiellen Macht unter Präsident Krawtschuk Noch bevor Krawtschuk seinen triumphalen Wahlsieg errungen hatte, nahm er mit neuem Selbstbewusstsein wesentliche Veränderungen am politischen status quo der Ukraine vor. Bis zum Dezember 1991 wurden die Grenztruppen und die auf ukrainischen Territorium stationierten Teile der Sowjetarmee in nationale Einheiten umgewandelt. Davon ausgenommen waren die strategischen Nukleareinheiten und die Schwarzmeerflotte. 27 Krawtschuk sendete damit deutliche Signale an Moskau, dass nun die Festigung der Unabhängigkeit des Landes oberste Priorität hatte. Daher waren der Austritt aus der Rubelzone und die Einführung der Übergangswährung Kupon Karbowanez nur eine logische Konsequenz von Krawtschuks Unabhängigkeitskurs. Es begann nun das jahrelange Tauziehen um die anteiligen Besitzrechte der Ukraine an den Atomwaffen und der Schwarzmeerflotte. In diesem Streit ließ Moskau die „kleinere Schwester" Ukraine immer wieder ihre politische und wirtschaftliche Abhängigkeit vor allem bei Lieferungen von Erdöl und Erdgas spüren. Sogleich nach seiner Wahl zum Präsidenten ging Krawtschuk daran, seine Vollmachten zu erweitern. Er erklärte sich i m Dezember 1991 zum Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte. Schon am 14. Februar 1992 gelang es Krawtschuk, mit der Annahme von Verfassungsänderungen die Grundlage seines Amtes deutlich zu festigen. Der Präsident war nun nicht nur Staatsoberhaupt, sondern auch Chef der Exekutive. Das Ministerkabinett wurde neu organisiert und dem Präsidenten unterstellt. Der Präsident erhielt gegenüber dem Ministerkabinett eine generelle Leitungskompetenz und bestimmte dessen exekutive Aktivitäten. Der Präsident erhielt das Recht, dem Parlament einen Kandidaten für den Posten des Premierministers zur Bestätigung vorzuschlagen. Vorschlagsrecht erhielt der Präsident auch für die Portefeuilles Außenpolitik, Verteidigung, Finanzen, Justiz, Inneres sowie für die Besetzung der Komitees für Zoll und Grenzschutz. Allerdings konnte der Präsident den Ministerpräsidenten und seine Regierung nicht i m Alleingang entlassen, sondern benötigte dazu die Zustimmung des Parlaments. Die Befugnisse des Präsidenten umfassten nun die zusätzliche Aufgabe, „die Rechte und Freiheiten der Bürger der Ukraine zu verteidigen". Ebenso wurde er zum Garanten für die Einhaltung der Verfassung und der Gesetze der Ukraine. Er sollte die Verteidigungsbereitschaft, die nationale Sicherheit und die territoriale Unteilbarkeit der Ukraine gewährleisten. Der Präsident legte der Werchowna Rada den Haushaltsentwurf vor. Dem Präsidenten wurde zwar kein konkretes Recht auf Gesetzesinitiative zugebilligt. Er sollte jedoch in seinem Jahresbericht der Werchowna Rada ein umfangreiches Gesetzesprogramm über die Innen- und Außenpolitik des Präsidenten und der Regierung vorlegen. Detaillierte normative Befugnisse wurden dem Präsidenten i m Bereich der Wirtschaft zugestanden. Er erhielt 27 Wittkowsky,
1998a: S. 51.
II. Die Einführung der Institution des Präsidenten
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das Recht, Dekrete in Wirtschaftsfragen zu erlassen, die noch nicht durch Gesetze der Ukraine geregelt waren. Diese Dekrete bedurften der Zustimmung durch die Werchowna Rada. Das Parlament hatte das Recht, Verfassungsveränderungen und Entscheidungen über Veränderungen der staatlichen Grenzen vorzunehmen. Das Parlament bestimmte die Höhe des Haushalts. 28
2. Institutionelle Experimente M i t zusätzlichen Reformen i m Frühjahr 1992 versuchte der Präsident seine Position zu stärken. Krawtschuk schuf in Anlehnung an den Staatsrat Russlands mit der Duma ein nur ihm verantwortliches Beratungsgremium. Bei der Einführung der Duma berief sich Krawtschuk auf das „Gesetz über den ukrainischen Präsidenten" von 1991, das relativ unpräzise von dem Recht des Präsidenten sprach, „notwendige administrative und beratende Strukturen zu schaffen". 29 Die Duma stand auf verfassungsrechtlich schwachem Fundament. Besonders die linke Parlamentsmehrheit opponierte gegen die Duma als nicht gewähltes und niemandem verantwortliches Gremium. Die Duma stellte praktisch ein zweites und übergeordnetes Kabinett dar und lenkte zeitweise wie ein Zentralkomitee das Regierungshandeln. Alle anderen Staatsorgane waren zur Berücksichtigung ihrer Beschlüsse verpflichtet. 3 0 Weitere Kritik wurde laut, als Präsident Krawtschuk mit dem „Rat der Industriellen und Unternehmer", dem „Nationalen Sicherheitsrat" und dem „Koordinationsrat für wirtschaftliche Reformen" zusätzliche Gremien schuf, die ebenfalls nicht in der Verfassung vorgesehen waren. Per Dekret führte Krawtschuk die Institution der Vertreter des Präsidenten in den Regionen ein. Diese sogenannten Präfekte wurden vom Präsidenten ernannt und mit großen Vollmachten ausgestattet. Ihre Entscheidungen waren für alle Organe der örtlichen Verwaltung und für Industriebetriebe bindend. M i t den Stellvertretern des Präsidenten versuchte Krawtschuk, seine exekutive Macht in den Regionen zu festigen. Hoffnungen, dass die Präsidentenvertreter den Reformprozess vor Ort in Gang bringen und alte Machtstrukturen aufbrechen würden, wurden jedoch schnell enttäuscht. Krawtschuk ernannte vorwiegend etablierte Funktionäre für die neuen Positionen. 31 Es kam zu Spannungen mit den lokalen Räten, deren Kompetenzen sich die Präsidentenvertreter mehr und mehr anmaßten. Die Präsidenten Vertreter stellten prak28 Vgl. Ukrainisches Radio, 3. Programm, 14. 2. 1992; Monitoring Ukraine Today Nr. 40, 15. 2. 1992. 29 Vgl. Sekarev, Alexei, 1992: Ukraine's Policy Structure, in: RFE/RL Research Report, 1,32, 14. August 1992. 30 Ebda. 31
Von 26 Gebietspräfekten, die Krawtschuk ernannte, waren 20 vorher Vorsitzende oder Stellvertretende Vorsitzende des Gebietsrats oder des Exekutivkomitees gewesen. Vgl. Wilson, 1997: S. 77.
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C. Die Grundlagen der ukrainischen Verfassungsinstitutionen
tisch eine Verdoppelung der Exekutivstrukturen dar, da j a mit den Exekutivkomitees, die den lokalen Räten unterstellt waren, ein ausführendes Organ vor Ort bereits existierte. Die Präsidentenvertreter nutzten ihre Vollmachten zunehmend dazu, sich die Exekutivkomitees zu unterstellen. Die daraus resultierenden Konflikte führten schließlich dazu, dass das von Krawtschuk halbherzig betriebene Experiment im Frühjahr 1994 beendet wurde und die Präsidentenvertreter von ihm wieder abgeschafft wurden. Wenig später sollte es dem Nachfolger Kutschma mit größerem Nachdruck gelingen, dauerhaft die lokalen Räte aus Verwaltungskompetenzen zu drängen und seine Verwaltungschefs einzusetzen. Bis Mitte 1992 hatte Krawtschuk sich von den gesetzlichen Rahmenbedingungen her in eine strategisch günstige Lage gebracht. Er war nun sowohl Staatsoberhaupt als auch Chef der Exekutive. Dabei verstand sich Krawtschuk zuallererst als Staatsmann, der über allen Parteien stand. Er lehnte es ab, sich allzusehr mit dem politischen Tagesgeschäft zu befassen. Dies war seiner Meinung nach Sache der Regierung und des Ministerpräsidenten. Weil er einem Konflikt mit dem Parlament ausweichen wollte, beließ er die Regierung Fokin im Amt, die sich bereits zaghaften Reform versuchen versperrte. 32 Krawtschuks Amtszeit prägte das Zaudern, seine exekutiven Vollmachten auch tatsächlich auszuschöpfen. Seine Möglichkeit, i m Wirtschaftsbereich durch die Herausgabe von Dekreten reformerische Impulse zu setzen, blieben von Krawtschuk weitgehend ungenutzt. Dies tat er aus Rücksicht gegenüber den linken und zentristischen Kräften im Parlament, auf die er sich stützte und die einen marktwirtschaftlichen Kurs nicht mittragen wollten. 3 3 Krawtschuk war daher eher ein Verwalter des Systemübergangs als dessen aktiver Gestalter. In die Defensive geriet er, als sich mit den Parlamentswahlen 1994 seine Machtbasis in der Werchowna Rada verringerte. Die Kommunistische Partei, die ein Jahr zuvor ihre Wiederzulassung erreicht hatte, erzielte bei den Parlamentswahlen 1994 beträchtliche Erfolge und wurde zur stärksten Partei i m Parlament. 34 Der Parlamentsvorsitzende Iwan Pljuschtsch wurde i m M a i 1994 von dem Sozialisten Olexandr Moros abgelöst, der seine Rolle darin sah, ein starkes Gegengewicht zum Präsidenten zu bilden. Die Konfliktachse zwischen Moros und dem neugewählten Präsidenten Kutschma sollte zum bestimmenden Element in der ukrainischen Innenpolitik während der gesamten Legislaturperiode bis 1998 werden.
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Das Kabinett Fokin war seit Oktober 1990 im Amt. Obwohl die Regierung im Juli 1992 nur knapp eine Vertrauensabstimmung überstand, hielt Präsident Krawtschuk an der unpopulären Regierung fest. Statt dessen ersetzte er den reformorientierten Wirtschaftsminister Lanowyj durch Walentyn Symonenko, einen Befürworter des Staatsdirigismus. Vgl. Wilson, 1997: S. 78. 33 Ebda. 34 Vgl. Ott, 1999a: S. 24.
D. Der Weg zu einer neuen Verfassung Prinzipiell gibt es vier Varianten einer Verfassunggebung. 1 Dies sind die Restauration einer Verfassung aus vorautoritärer Zeit, die Verabschiedung einer provisorischen Verfassung, die Reform einer autoritären Verfassung und die Verabschiedung einer neuen Verfassung. In der Ukraine wurde zunächst eine provisorische Verfassung in Gestalt des „Gesetzes über die Macht" 1995 verabschiedet. Diese stellte eine teilweise Reform der autoritären Verfassung von 1978 dar. M i t der neuen Verfassung 1996 wurde die provisorische Verfassung von 1995 dann abgelöst. I m Folgenden werden diese Schritte der ukrainischen Verfassunggebung näher beleuchtet und auf ihre Bedeutung für die Systemtransformation untersucht. Der ukrainische Verfassunggebungsprozess war nicht von dem Anspruch getragen, dem Land eine möglichst demokratische Verfassung mit funktionierender Gewaltenteilung zu geben. Stattdessen war die Verfassunggebung geprägt von dem Kampf der Akteure, möglichst viel Kompetenzen und Macht für sich selbst und für die Institution, die sie vertraten, zu erhalten. In dem zähen Ringen um die ukrainische Verfassung spiegelte sich sowohl der Kampf zwischen Präsident und Parlament um die Vormachtstellung i m politischen System als auch „die Konfrontation zwischen der alten und der neuen Ordnung" wider. 2 Teile der alten Elite blockierten den Verfassungsprozess deshalb, weil sie das kommunistische System so lange wie möglich erhalten wollten. Bemühungen um die Gestaltung eines neuen Herrschaftsmodells reichen in die Zeit vor der Unabhängigkeit zurück. I m Oktober 1990 hatte das ukrainische Parlament eine Kommission aus 59 Mitgliedern zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung eingesetzt. Grundsätzlicher Konsens bestand darüber, dass eine neue ukrainische Verfassung auf der Souveränitätserklärung basieren sollte. Es sollte eine klare Trennung zwischen Exekutive und Legislative vorgenommen und eine föderative Aufteilung der Ukraine ausgeschlossen werden. Eine Mehrheit der Verfassungskommission plädierte zu diesem Zeitpunkt für ein parlamentarisches System. Das orthodoxe Lager der Kommunisten lehnte ein präsidentielles System als eine angebliche Form der Diktatur strikt ab. I m Juni 1991 beschloss die Werchowna Rada die „Konzeption zur Ausarbeitung und Annahme einer neuen Verfassung der Ukraine". 3 Nach der Verkündung der
' Vgl. Bos, 2000: S. 42. 2 Kowall, 2000: S. 99.
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D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
Unabhängigkeit der Ukraine am 24. August 1991 hatte sie jedoch an Aktualität verloren. Es wurden zwei weitere Varianten einer ukrainischen Verfassung erarbeitet, die 1992 und 1993 vorgelegt wurden. Keine der beiden Varianten fand jedoch die Zustimmung der Werchowna Rada. Die linken Fraktionen lehnten in den Entwürfen ein Zweikammer-Parlament, die Aufhebung des Systems der lokalen Räte, die Entideologisierung der Verfassung sowie den Verzicht auf soziale Garantien ab. Besonders strittig war das Problem der Kompetenzverteilung zwischen Exekutive und Legislative. Die Werchowna Rada war mit dem Recht des Präsidenten zur Auflösung beider Kammern nicht einverstanden. 4 Die linke Mehrheit wandte sich gegen eine starke Exekutive. Demgegenüber sollten die Grundlagen der geltenden Verfassung von 1978 bewahrt werden, die auf der Sowjetmacht basierte und das Prinzip der Gewaltenteilung abgelehnt hatte. Die nationaldemokratischen Abgeordneten hingegen verbissen sich in Nebenschauplätze. Sie mahnten immer wieder einen bevorzugten Status der ukrainischen Sprache und eine genauere Definition der Staatssymbole an. 1992 wurde dem Parlament der erste Verfassungsvorschlag vorgelegt. Erstmals wurde darin explizit das Modell einer präsidentiell-parlamentarischen Republik beschrieben. 1993 wurde eine überarbeitete Variante des Verfassungsentwurfs vorgelegt, die sich erheblich von dem vorherigen Dokument unterschied und unter dem Einfluss des damaligen Premierministers Kutschma zustande gekommen war. Kutschma wusste zu diesem Zeitpunkt die Werchowna Rada mehrheitlich hinter sich. Das Parlament sollte nur noch aus einer Kammer bestehen und wesentlich gestärkt werden, während die Macht des Präsidenten zugunsten der Regierung eingeschränkt werden sollte. Dies war ganz im Sinne Kutschmas, der als Ministerpräsident für die Regierung mehr Gestaltungsfreiheit forderte. Als zentraler Akteur strebte er für die Regierung größtmögliche Einflussmöglichkeiten an. Bei der Diskussion um die neue Verfassung dominierten also persönliche Machtinteressen über objektiven Kriterien, wie eine optimale Verfassungsordnung aussehen sollte. Der Präsident hatte in dem Entwurf von 1993 die Aufgabe als Leiter der Exekutive verloren und sollte nur noch als Staatsoberhaupt fungieren, während das Ministerkabinett eine deutliche Aufwertung erfuhr. Schon hier trat Kutschmas Bestreben zutage, den Systemwandel aktiver als sein Amtsvorgänger zu gestalten. Da die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 1994 kurz bevor standen, kam es nicht mehr zur Annahme der Verfassung in dieser Form.
3 Widomosti Werchownoi Rady Ukrainskoi RSR, 1991, Nr. 35. Pos. 466. 4 Kampo, 1995: S. 285.
I. Der „Verfassungskrieg" 1995/96
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I. Der „Verfassungskrieg" 1995/96 zwischen der Werchowna Rada und dem Präsidenten Erst mit der Wahl Kutschmas zum Präsidenten 1994 kam der Verfassunggebungsprozess wieder in Gang. Aus seiner Erfahrung als Ministerpräsident hatte er die Überzeugung gewonnen, dass ohne politische Reformen die Überwindung der wirtschaftlichen Krise nicht möglich sein würde. Präsident und Parlament beschlossen die Einsetzung einer neuen Verfassungskommission, damit der Verfassungsprozess wieder in Gang käme. Einigkeit herrschte über die Dringlichkeit einer Verfassungsreform, denn die Verfassung war inzwischen 140 Mal ergänzt worden, einige Artikel waren annulliert und fünf Artikel ganz entfernt worden. Dieses Stückwerk erwies sich zur Regelung für das Verhältnis der Institutionen und der Beziehungen zwischen Bürger und Staat als immer weniger geeignet. Zwischen 1991 und 1995 waren Art. 97 Verf., der die Zuständigkeiten des Obersten Rats regelt, neunmal und Art. 114 Verf., der die Zuständigkeiten des Präsidenten regelt, siebenmal geändert worden. 5 Über die Ausgestaltung einer neuen normativen Grundlage des Staates bestanden jedoch höchst konträre Ansichten. War die Diskussion in der Amtszeit Krawtschuks noch weitgehend moderat verlaufen, so spitzte sie sich unter Kutschma zu einem regelrechten Verfassungskrieg zu. Dabei spielten persönliche und psychologische Motive eine entscheidende Rolle. Vor allem zwischen Kutschma und den Fraktionen der Kommunisten und Sozialisten kam es schnell zum Zerwürfnis. Die Unterstützung der Kommunisten hatte dem Bewerber Kutschma in der Stichwahl 1994 zum Sieg verholfen. Dann musste die kommunistische Partei jedoch mit ansehen, wie er von seinen ursprünglichen Wahlversprechen wie der Aufwertung des Russischen als zweiter Staatssprache abrückte. Auch eine Annäherung an Moskau schien Kutschma nach seiner Wahl nicht mehr so dringend. Die Kommunisten konnten diesen vermeintlichen Verrat durch ihren einstigen Hoffnungsträger Kutschma nicht verwinden. Das Verhältnis des Präsidenten zu den Sozialisten und zu deren Vorsitzendem Moros war ebenfalls sehr gespannt. Moros wollte sich als der zweitwichtigste Mann i m Staat profilieren und den Verfassunggebungsprozess entscheidend mitgestalten. Die Werchowna Rada sah er als seine Machtbasis an, auch wenn die Sozialistische Partei in der Werchowna Rada nach den Parlamentswahlen 1994 nur 14 Sitze inne hatte. 6 Der Verfassunggebungsprozess lief auf ein Verfahren hinaus, das von Justizminister Holowatij i m Wesentlichen skizziert worden war. Der Verfassungsentwurf sollte durch die Verfassungskommission, Beratungen i m Parlament und öffentliche 5 Frenzke, 1995: Die Entwicklung des ukrainischen Verfassungsrechts von 1978 bis 1995, in: Osteuropa Recht, H. 4 (41), S. 338 ff. 6 Ott, 1999a, S. 24.
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D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
Anhörungen entwickelt und überarbeitet werden. In den Prozess sollten auch Anregungen und Ratschläge westlicher Staaten und von Organisationen wie der Europarat eingehen.
1. Das „Gesetz über die Macht" - Die „kleine" Verfassung A m 10. November 1994 wurde eine Verfassungskommission gebildet. Sie bestand aus 41 Mitgliedern, darunter j e 15 Vertreter des Präsidenten und des Parlaments, sieben der Judikative und ein Vertreter der Autonomen Republik Krim. Die persönlichen Rivalen Moros und Kutschma übten gemeinsam den Vorsitz der Kommission aus. Damit wurden die Spannungen zwischen Exekutive und Legislative, die man von der Werchowna Rada schon kannte, in die Verfassungskommission hineingetragen. Streit statt sachorientierter Auseinandersetzung war daher in diesem Gremium vorprogrammiert. 7 Verfassungsfragen bezüglich Staatsaufbau und Wirtschaftssystem sowie von Privateigentum an Grund und Boden blieben weiterhin strittig. Der Verfassungsprozess verlief von nun an zweigleisig. Zum einen bereitete die Präsidialadministration ein Gesetz zur Regelung der lokalen Herrschafts Verhältnisse vor, das dann später als „kleine Verfassung" übernommen wurde. Daneben arbeitete die Verfassungskommission an der Ausgestaltung der „großen Verfassung". Vier Verfassungsvorschläge u. a. von der Präsidialadministration wurden der Kommission vorgelegt. Die Verfassungskommission legte i m November 1995 dem Parlament ihren Entwurf vor, der kontrovers zwischen Anhängern von Präsident Kutschma und dem Parlamentsvorsitzenden Moros diskutiert wurde. Moros warnte davor, dass in dem Entwurf der Exekutive zuviel Macht verliehen werde. Er kritisierte die ungenügende Definition der präsidentiellen Rechte. Er sprach sich nicht nur dagegen aus, dass die Dekrete des Präsidenten Gesetzeskraft erlangen sollten, er hielt Dekrete und Anordnungen des Präsidenten überhaupt für überflüssig, „weil sie eine ständige Quelle von Konflikten" seien. 8 Nach Moros' Ansicht sollte nur der Werchowna Rada die Legislative obliegen und die ukrainische Gesetzgebung nicht durch Dekrete, Erlasse und Anordnungen des Präsidenten beeinflusst werden. Die Einführung eines Oberhauses lehnte Moros mit dem Argument ab, dass dies den Gesetzgebungsprozess ineffektiv machen und regionalem Separatismus Vorschub leisten würde. Kutschma hingegen warb für die Einführung des Zwei-Kammer-Parlamentes mit dem Argument, dass dies die wirtschaftliche Dezentralisierung des Landes beflügeln und die verschiedenen Regionen unter dem Ziel der Staatsbildung einigen würde. 9 Als Vorbild dienten ihm die beiden Parlamentskammern der Russischen Föderation. 7 Wilson, 1997: S. 86 ff. 8 Zitiert nach: Kuzio, 1997: S. 130. 9 Kuzio, 1997: S. 117.
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In dem festen Willen, durch den Verfassungsprozess die Macht der Räte zu brechen, die er als größten Störfaktor für Reformen ansah, legte Kutschma als Z w i schenetappe am 2. Dezember 1994 dem Parlament das sogenannte „Gesetz über die Macht" vor. Der eigentliche Titel des Gesetzes lautete „Über die Staatsmacht und die regionale Selbstverwaltung in der Ukraine". Nach polnischem Vorbild sollte dieses „provisorische Organisationsstatut" 10 die Zeit überbrücken, die nötig war, bis ein mehrheitlich akzeptabler Verfassungsentwurf vorlag. Dabei handelte es sich um eine Übergangsverfassung oder sogenannte kleine Verfassung, die eine Stärkung des Präsidenten durch weitreichende exekutive Vollmachten und eine Schwächung des Parlaments bedeutete. „Es ist offensichtlich, dass die präsidentielle Macht bei uns alles andere als vollkommen ist", begründete Kutschma die Vorlage des „Gesetzes über die Macht". 1 1 Das Gesetz sah unter anderem Folgendes vor: Der Präsident sollte ohne Zustimmung des Parlaments die Regierung einsetzen und abberufen können sowie die Richter und den General Staatsanwalt ernennen dürfen. A u f Gebiets- und Bezirksebene sollten die Räte abgeschafft und die übrigen Räte in lokale Selbstverwaltungsorgane umgewandelt werden. Eine Schlüsselstellung für die Umsetzung der präsidentiellen Politik kam den örtlichen Verwaltungen zu, die auf den Ebenen Gebiet, Stadt und Rayon neu geschaffen und dem Präsidenten unterstellt werden sollten. 1 2 I m Frühsommer 1995 spitzten sich die Gegensätze zwischen dem Präsidenten und dem Parlament dramatisch zu. Zwar verabschiedete das Parlament mit einfacher Mehrheit am 18. Mai 1995 mit 219 zu 104 Stimmen bei 17 Enthaltungen das Gesetz „Über die Staatsmacht und die regionale Selbstverwaltung in der Ukraine". Dabei musste Kutschma jedoch wesentliche Zugeständnisse machen. Das Recht des Präsidenten, das Parlament aufzulösen, wurde gestrichen. Dafür wurde ihm das Recht eingeräumt, ein Referendum über die neue Verfassung durchzuführen, den Regierungschef, die Minister und den General Staatsanwalt ohne Absprache mit dem Parlament zu ernennen sowie die örtliche Verwaltung neu zu strukturieren. Der Durchbruch wurde jedoch gefährdet, als das Parlament schon wenige Tage später die Annahme der Durchführungsverordnung verhinderte, ohne die das Gesetz nicht wirksam werden konnte. Die Fraktionen der Kommunisten, Sozialisten und Agrarier drangen darauf, die Durchführungsverordnung des Gesetzes mit Zweidrittelmehrheit zu verabschieden, weil sie argumentierten, dass es sich dabei um eine verfassungsändernde Verordnung handele. Die drei linken Parteien, die über eine Sperrminorität verfügten, verweigerten dabei aus taktischen Gründen ih-
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Schweisfurt, Theodor: Jahre eines ermüdenden Dauerdisputs, in: FAZ, 23. 3. 1996, S. 9. " „Glawnaja opasnost' dlja reform - neterpenije", Interview mit Leonid Kutschma, in: Iswestija, 3. 2. 1995. 12 Sakon ο wlasti i rol' litschnosti w istorii, in: Serkalo Nedeli, 17. 12. 1994. 4 Hclmcrich
D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
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re Stimmabgabe und versuchten auf diesem Weg, das „Gesetz über die Macht" doch noch zu verhindern. Der Präsident war jedoch entschlossen, den „Nervenkrieg" zu seinen Gunsten zu entscheiden. A m 31. Mai 1995 erließ er das Dekret „Über die Durchführung einer Umfrage über die öffentliche Meinung zur Frage des Vertrauens der Bürger in den Präsidenten und die Werchowna Rada". 1 3 Das Plebiszit wurde für den 28. Juni 1995 anberaumt. Das ukrainische Volk solle entscheiden, wem es vertraue, dem Präsidenten oder dem Parlament, erklärte Kutschma. Eine weitere Koexistenz von Präsident und der Werchowna Rada unter den aktuellen rechtlichen Bedingungen sei unmöglich. 1 4 Die Werchowna Rada untersagte die Befragung mit 252 gegen neun Stimmen als verfassungswidrig und wies die Regierung an, kein Geld für die Befragung bereit zu stellen. Kutschma blieb jedoch hart und hielt trotz Einspruchs des Parlaments an dem Referendum fest. Er werde nur auf die Befragung verzichten, wenn das Parlament das „Gesetz über die Macht" in Kraft setze. „Niemand hat das Recht, dem Präsidenten zu verbieten, die Meinung der Wähler zu erfahren", erklärte er. 1 5 Da die Abgeordneten wussten, dass der Präsident am längeren Hebel saß, und sie einen Urnengang kaum verhindern konnten, lenkten sie schließlich ein. Offensichtlich fürchtete das Parlament einen weiteren Prestigeverlust in der Öffentlichkeit und stimmte schließlich einem Kompromiss in Form der Verfassungsvereinbarung vom 7. Juni 1995 zu, mit dem das Plebiszit annulliert wurde. Aufgrund der Verfassungsvereinbarung, die mit einfacher Mehrheit verabschiedet wurde, konnte das „Gesetz über die Macht" schließlich in Kraft treten. Ingesamt votierten 240 der 349 anwesenden Abgeordneten für den Verfassungsvertrag. 16 Die Artikel der alten Verfassung, die im Widerspruch zur „kleinen Verfassung" standen, verloren ihre Gültigkeit. A m darauffolgenden Tag, dem 8. Juni 1995, wurde das „Gesetz über die Macht" durch Verfassungsvereinbarung von Kutschma und Moros in Kiew feierlich unterzeichnet und in Kraft gesetzt. Moros verteidigte den Kompromiss mit dem Argument, Präsident und Parlament könnten die Entscheidung über ihren Streit nicht der Bevölkerung überlassen und müssten Frieden schließen. 17 Damit war der Verfassungskonflikt zwischenzeitlich geglättet und Präsident Kutschma als Sieger aus dem Machtkampf hervorgegangen. Vor allem die Androhung des - rechtlich fol-
13 „Swernennja Presydenta Ukrajiny Leonida Kutschmy do Ukrajins'koho narodu", in: Urjadowyj kurjer, 3. 6. 1995, S. 1 /3. 14 Ebda. 15
„Das Parlament der Ukraine sucht die Machtprobe: Die Rada untersagt Präsident Kutschma die angekündigte Volksbefragung", in: Frankfurter Rundschau, 3. 6. 1995. 16 Die Fraktion der Kommunisten hatte die Verfassungsvereinbarung als verfassungswidrig kritisiert und fast geschlossen dagegen gestimmt 17 „Vereinbarung zwischen dem Kiewer Parlament und Kutschma", in: FAZ, 8. 6. 1995.
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genlosen - Referendums hatte sich als erstaunlich wirksames Mittel gezeigt, um die Abgeordneten in die Knie zu zwingen. Zum ersten M a l regelte ein Gesetz in der Ukraine die Gewaltenteilung von Exekutive, Legislative und Judikative. Nach dem Verfassungsvertrag war der Präsident Chef der staatlichen Exekutivgewalt und übte diese durch das Ministerkabinett und die zentralen und örtlichen Organe der Exekutive aus. Der Präsident hatte nun das Recht, den Premierminister und die anderen Mitglieder des Kabinetts ohne Zustimmung des Parlaments zu ernennen und die lokalen Verwaltungschefs einzusetzen. Die Werchowna Rada gab ihr aus Sowjetzeiten ererbtes Vorrecht auf, direkt in das Wirtschaftsgeschehen einzugreifen. 18 Zum ersten Mal zeigten die führenden Institutionen der legislativen und exekutiven Gewalt des Landes „demokratischen Schlichtungswillen und Kompromissbereitschaft" 19 . Der Verfassungsvertrag mit dem vollständigen Titel „Verfassungsvertrag zwischen der Werchowna Rada und dem Präsidenten der Ukraine über die Grundprinzipien der Organisation und des Funktionierens der Staatsgewalt und der örtlichen Selbstverwaltung der Ukraine für die Zeit bis zur Annahme der neuen Verfassung der Ukraine" nahm die Grundzüge der künftigen Verfassung bereits vorweg. 2 0
2. Vom Verfassungsvertrag zur Verabschiedung der Verfassung 1996 Der Verfassungsvertrag war mit einjähriger Gültigkeit angenommen worden. Er bestand aus 61 Artikeln, die faktisch die rechtliche Grundlage der Ukraine darstellten. Er stand „rechtlich auf schwachen Füßen, weil die Werchowna Rada ihm nur mit einfacher und nicht mit verfassungsändernder Zweidrittelmehrheit zugestimmt" hatte. 21 Die De-facto-Interimsverfassung sollte längstens bis zum 8. Juni 1996 gelten und dann von einer neuen Verfassung abgelöst werden. I m Verfassungsvertrag hatten sich beide Seiten verpflichtet, den Verfassungsprozess zu beschleunigen, innerhalb eines Jahres die neue Verfassung auszuarbeiten und in einem Referendum abstimmen zu lassen. Der Konflikt zwischen den Institutionen schwelte jedoch weiter. Nur wenige Wochen später kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Parlament und Präsident über die Entlassung des General Staatsanwaltes. 22 Die Tinte 18
„Endlose Kiewer Debatte über Interimsverfassung. Zuspitzung im Streit zwischen Parlament und Präsident", in: NZZ, 2. 6. 1995. 19 Evers, 1998: S. 42. 20 Ebda. 21 So deutet der Verfassungsrechtler Schweisfurth den Verfassungs vertrag. Vgl. Schweisfurth: Jahre eines ermüdenden Dauerdisputs, in: FAZ, 23. 3. 1996, S. 9. 22 Kuzio, 1997: S. 107. 4*
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D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
sei noch nicht trocken unter dem Verfassungsvertrag, und schon verstoße die Werchowna Rada gegen die Vereinbarung, kritisierte der Leiter der Präsidialadministration, Dmytro Tabatschnyk. Der Konflikt zeigte sogleich die mangelnde Bereitschaft der Akteure, sich an die vereinbarten Spielregeln des Verfassungsvertrages zu halten. Der Konflikt zwischen Exekutive und Legislative habe seit der Einigung sogar noch an Schärfe gewonnen, beklagte der Präsident. Nach Ansicht Kutschmas und der Präsidialadministration mischte sich das Parlament weiterhin in Angelegenheiten ein, die Prärogative der Regierung waren wie etwa Besteuerung und Zollwesen. Bis Ende 1995 stauten sich in der Werchowna Rada 100 Gesetzentwürfe der Präsidialadministration an. Das Parlament habe seine Hausaufgaben nicht gemacht und sich noch nicht einmal mit dem Entwurf einer neuen Verfassung befasst, kritisierte der Präsident. 23 Kutschma machte deutlich, dass er ein weiteres Hinauszögern des Verfassungsprozesses nicht dulden würde, und drohte mit Maßnahmen zur Eindämmung der „schädlichen Kräfte" i m Parlament. Dabei konnte sich Kutschma auch auf den Europarat berufen, der von der Ukraine die Verabschiedung einer neuen Verfassung innerhalb eines Jahres nach dem Beitritt verlangte. Demnach sollte der Verfassungsprozess spätestens bis zum 9. November 1996 abgeschlossen sein. Einer der Hauptstreitpunkte war weiterhin die Frage einer zweiten Parlamentskammer, die Kutschmas zusätzliche Machtbasis werden sollte. 2 4 Als eine Art Vorläufer eines Oberhauses hatte Kutschma bereits den „Rat der Regionen" geschaffen. 25 Dieses Konsultativorgan, das seit September 1994 regelmäßig tagte, diente der Stärkung der Präsidentenvertikalen. 26 In dem „Rat der Regionen" sah Kutschma „den Prototyp eines Oberhauses" 27 . Die Fraktion der Kommunisten hielt dagegen weiterhin an ihrem Ziel fest, mit der Verfassungsreform die Institution des Präsidenten zu streichen. Zur Durchführung eines Referendums sammelte die Kommunistische Partei bis März 1996 drei Millionen Unterschriften. Darin sollte die Bevölkerung ihre Meinung zu einer neuen Verfassung äußern können. Dies betraf die Frage der Staatssymbolik, eine mögliche Wiederherstellung der UdSSR, Russisch als zweite Staatssprache, das Zweikammer-Parlament, die Institution des Präsidenten und die Rolle der lokalen Räte. 2 8 23 Kuzio, 1997: S. 109. 24 Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Verfassung zeigten bereits eine tiefgehende Spannung zwischen Kutschma und Holowatij an, die später zur Entlassung des Justizministers führte und sich in der führenden Oppositionsrolle Holowatijs während Kutschmas zweiter Amtszeit fortsetzte. 25 Dieses Gremium existiert bis heute und besteht aus ausgesuchten regionalen Amtsträgern, die in der Regel die Politik des Präsidenten unterstützen. 26 Ein Teil der Volksdeputierten wandte sich gegen die Einrichtung des Rats der Regionen, da er in ihm einen Konkurrenten und ein Gegengewicht sah.Vgl. Kampo, 1995: S. 296. 27 Kuzio, 1997: S. 128. 2
« Kuzio, 1997: S. 120.
I. Der „Verfassungskrieg" 1995/96
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Die Zentrale Wahlkommission ( Z W K ) durchkreuzte jedoch die Referendumspläne der Kommunisten und weigerte sich, die Unterschriftenlisten als gültig zu registrieren. Die Z W K handelte damit i m Sinne der Präsidialadministration, die davor warnte, ein Verfassungsreferendum würde die Ukraine destabilisieren. Die kommunistische Partei gab sich jedoch noch nicht geschlagen. Sie stellte i m März 1996 ihren eigenen Verfassungsentwurf „Das Grundgesetz der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik" vor. Der Entwurf wurde von 125 linken Abgeordneten in der Rada unterstützt. In dem Entwurf war erwartungsgemäß die Institution des Präsidenten gestrichen worden. Dafür wurde die Werchowna Rada als höchstes Staatsorgan beschrieben, während die Exekutivkompetenzen beim Ministerrat liegen sollten. Der kommunistische Entwurf propagierte Russisch als zweite Staatssprache und die Wiedereinführung der Sowjetsymbolik. Von einer Rückkehr zur UdSSR war jedoch nicht mehr die Rede. Die Kommunisten planten, mithilfe organisierter Massenproteste die Annahme der Verfassung zu verhindern, die ihrer Meinung nach gegen die Interessen des Volkes gerichtet war. 2 9 Die Verfassungskommission erarbeitete unterdessen einen Verfassungsentwurf, der im März 1996 dem Parlament zur Erörterung und Beschlussfassung vorgelegt wurde. Der Entwurf milderte die autoritären Züge des Vorgängerdokuments etwas ab. Das Parlament sollte wieder mehr Rechte erhalten. Zudem waren in dem Entwurf alle Ansätze einer föderativen Struktur und eines ukrainischen Bikameralismus ad acta gelegt. Doch die mögliche Annahme des Textes rückte in weite Ferne, da die Werchowna Rada über jeden Verfassungsartikel einzeln abstimmen wollte. Drei Monate lang zog sich dieser Prozess hin, dessen Ende nicht abzusehen war. Es wurde eine neue Kompromiss variante erarbeitet, bei der Kutschma zahlreiche Zugeständnisse machte und die Anfang Mai 1996 dem Parlament vorgelegt wurde. Als sich erneut die Beratungen über den Verfassungsentwurf in der Werchowna Rada hinzogen, wandte Kutschma ein taktisches Manöver an, das ein Jahr zuvor bereits die Annahme des Verfassungsvertrages erzwungen hatte. Kutschma setzte für den 25. September 1996 ein Referendum an, bei dem die Bevölkerung um Zustimmung zum - für den Präsidenten günstigeren - Verfassungsentwurf vom März 1996 gebeten wurde. 3 0 M i t dem Damoklesschwert eines drohenden Referendums wollte der Präsident auch diesmal den Widerstand des Parlaments brechen. Kutschma sah sich in seinem Drängen durch die Öffentlichkeit unterstützt, die sich in Umfragen mehrheitlich für eine schnelle Annahme der Verfassung aussprach. Die angekündigte Volksbefragung, die vorgezogene Parlamentswahlen zur Folge haben konnte, wirkte wie 29
Vgl. Wolczuk, Kataryna, 1998: The Politics of Constitution Making in Ukraine, in: Kuzio, Taras (Hrsg.), Contemporary Ukraine, Dynamics of Post-Soviet Transformation, New York, S. 131. 30 Dekret von Präsident Kutschma vom 26. 6. 1996, vgl. Vorndran, 1997: S. 273.
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D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
ein Katalysator und bewegte die Abgeordneten zu seltener Einmütigkeit. Man wollte unter Beweis stellen, dass man sich der historischen Aufgabe der Verfassunggebung bewußt war. Durch konstruktive Gesetztätigkeit wollte man dem beschädigten Ansehen des Parlaments in der Öffentlichkeit entgegentreten. Dank mehrerer Abmachungen hinter den Kulissen kam schließlich die Verabschiedung der Verfassung mit Zweidrittelmehrheit zustande. Dafür war eine 23stündige bis in den Morgen des 28. Juni währende Marathonsitzung des Parlamentes nötig. Der Verfassungsentwurf vom Mai 1996 wurde in Anwesenheit des Präsidenten mit 316 Ja-Stimmen von der Werchowna Rada angenommen. 26 Abgeordnete nahmen an der Abstimmung nicht teil. 3 1 29 kommunistische Abgeordnete und sechs Sozialisten hatten bis zuletzt ihren Widerstand gegen die Verfassung aufrechterhalten und mit Nein gestimmt. 3 2 Unmittelbar nach der Abstimmung richtete Kutschma das Wort an die völlig übernächtigten Abgeordneten und sagte: „Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, dass es Zeiten gab, in denen ich Sie nicht völlig korrekt für Ihre Aufgabe motiviert habe. Ich muss zugeben, dass Sie es verdienen, weiterhin Deputierte genannt zu werden. Heute kann niemand mehr sagen, wir hätten ein ineffektives Parlament." 33 Die neue Verfassung wurde als gesunder Kompromiss gefeiert und von den meisten Fraktionen in der Erwartung begrüßt, dass damit der Machtkampf zwischen Exekutive und Legislative beigelegt werden könnte. Allerdings hatte sich der Präsident in wesentlichen Punkten nicht durchsetzen können. So gab ihm die neue Verfassung keine realistische Möglichkeit, das Parlament aufzulösen, und auch sein Vorschlag, ein Oberhaus einzurichten, war gescheitert. Der Chef der Präsidialadministration, Dmytro Tabatschnyk, erklärte nach der Verabschiedung der Verfassung: „Das Einkammerparlament ist der größte Fehler der neuen Verfassung." 34 Ein anschließendes Referendum zur Verfassung fand nicht statt. Der Präsident hatte zwar immer wieder ein Referendum über die Annahme der Verfassung gefordert. Erst durch die Annahme der Verfassung per Referendum gehe sie gewissermaßen in das „Eigentum des Volkes" über, meinte Kutschma. So aber bleibe die Verfassung „nur Eigentum des Parlaments". 35 Kutschma war der Überzeugung: „Die Geschichte lehrt uns, eine Verfassung, die nicht vom Volk angenommen wurde, sondern vom Parlament, ist keine absolut vollwertige Verfassung." 36 31
Vgl. Vorndran, 1997: S. 174 ff. In der Werchowna Rada gibt es vier Arten der Stimmabgabe für die registrierten Abgeordneten, Ja, Nein, Enthaltung und Abstimmungsverweigerung. Bei einer weiteren Variante der Abstimmungsverweigerung ist der betreffende Abgeordnete zwar im Plenarsaal anwesend, lässt sich jedoch nicht registrieren. 32 Die Mehrheitsverhältnisse wurden noch einmal deutlich, als die Abgeordneten auf die neue Verfassung eingeschworen wurden. Dabei verweigerten 60 Parlamentarier den Eid. Vgl. Vorndran, 1997: S. 288. 33 Zitiert nach: Vorndran, 1997: S. 275. 34 Vgl. Urjadowyj kurjer, 4. 7. 1996. 35 Kutschma, 1999: S. 116.
I. Der „Verfassungskrieg" 1995/96
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Kutschma offenbarte mit diesen Äußerungen seinen grundlegenden Argwohn gegen das Legislativorgan. Die Werchowna Rada war für ihn nicht die in freien und gleichen Wahlen gewählte Vertretung des Volkes, sondern eine Ansammlung von mehrheitlich ihm widerspenstigen Abgeordneten, die ihr Mandat für Eigeninteressen benutzten. Erst das Votum der Bevölkerung, auf das er sich selbst so gerne berief, um seine Legitimationsgrundlage als Präsident zu unterstreichen, hätte die Verfassung in seinen Augen zu einem vollgültigen Grundgesetz gemacht. Nach fünf Jahren einer zähen, ermüdenden Verfassungsdebatte fehlte es jedoch am politischen Willen, auch die ukrainische Bevölkerung per Plebiszit an der Verfassunggebung zu beteiligen. M i t dieser einstufigen Legitimierung, nämlich der Verfassunggebung nur durch ein Staatsorgan ging die Ukraine anders als etwa Russland, wo 1993 ein Verfassungsvorschlag per Referendum bestätigt wurde, den einfacheren Weg, um eine neue Verfassung zu erhalten. Die Verfassunggebung der Ukraine war daher mit wesentlichen Legitimitätsdefiziten behaftet. 37 Merkel, der eine dreiteilige Typologie verschiedener Methoden der Verfassunggebung entworfen hat, beschreibt das Verfahren als bestmögliche Variante, bei dem der Verfassungsentwurf von einer demokratisch gewählten Konstituante erarbeitet und durch Referendum von der Bevölkerung angenommen wird. In diesem Fall kann die Verfassung am ehesten dem Anspruch gerecht werden, den Willen des Volkes zu verkörpern. Wird die Verfassung hingegen von einem Staatsorgan ausgearbeitet und vom amtierenden Parlament verabschiedet, ohne die Bevölkerung dazu in einem Referendum zu hören, handelt es sich nach Merkel um ein „demokratietheoretisch bedenkliches" Verfahren 38 . In der Ukraine wurde letzterer Weg eingeschlagen. Zweifellos hat die Ukraine mit der besonders späten Verfassunggebung den idealen Zeitpunkt oder das „revolutionäre Zeitfenster", wie Rüb es bezeichnet 39 , verpasst. Unmittelbar nach der Ablösung des alten Regimes wären die günstigsten Bedingungen für die Schaffung einer neuen Verfassung gegeben gewesen, weil die Aufbruchsstimmung nach 1991 die politischen Kräfte dazu gebracht hätte, ihre Eigeninteressen zugunsten des Ideals der konstitutionellen Grundlagen zurückzustellen. In der Ukraine wurde der Verfassunggebung in den ersten Jahren jedoch nicht die ihr gebührende Priorität gegeben. Kompliziert wurde der ukrainische Verfassunggebungsprozess dadurch, dass sich die unmittelbar davon betroffenen Institutionen, nämlich das Parlament und der Präsident, daran beteiligten und versuchten, die Verfassunggebung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Durch den Interessengegensatz von Kutschma und Moros wurde der Verfassunggebungsprozess unnötig polarisiert. Die Verfassung wurde so zum Objekt, an dem die jeweiligen Institutionen ihre Machtposition zu behaupten 36 37 38 39
Kutschma, 1999, S. 117. Merkel, 1995: S. 42/43. Ebda. Rüb, 1996: S. 50 ff.
D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
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oder auszudehnen versuchten. So kam die Verabschiedung der Verfassung nicht i m Konsens und als Resultat überparteilicher, am Gemeinwohl orientierter öffentlicher Debatten zustande. Dies führte zu eingeschränkter Legitimität und Effektivität der Verfassung i m Hinblick auf die Institutionen und Akteure. Entgegen der Erwartungen kehrten mit einer neuen Verfassung nicht schlagartig stabile Verhältnisse ein. Das Zusammenspiel der Institutionen blieb auch nach der Verfassunggebung schwierig und funktionierte nicht nach den neuen Regeln. Einer der Gründe lag darin, dass sich von 1991 bis 1996 informelle Praktiken entwickeln und verfestigen konnten, die nicht von der neuen Verfassung gedeckt wurden. Dies sollte sich etwa i m Gesetzgebungsprozess zeigen, wo weiterhin Fristen nicht eingehalten, Gesetzesvorlagen nicht behandelt und verabschiedete Gesetze nicht unterzeichnet wurden. Die Verfassung war nicht der „gesunde Kompromiss", als der sie gefeiert wurde, sondern stellte vielmehr einen faulen Frieden dar, der nicht lange anhielt. Es sollte sich zeigen, dass der Respekt vor der Verfassung oft nur Lippenbekenntnissen gleichkam, weil die Akteure sich bewusst waren, dass die wirkliche Politik nach anderen Regeln gemacht wurde.
II. Die neue Machtverteilung zwischen den Verfassungsinstitutionen Die neue ukrainische Verfassung von 1996 war i m Geist von „Rechts- und Liberalstaatlichkeit" 4 0 entstanden, wobei demokratische Institutionen und Rechtsnormen nach westlichem Muster übernommen wurden. Der Verfassungstext ist Ausdruck einer liberalen Grundhaltung und der Orientierung an den humanistischen Grundwerten Westeuropas. Die Verfassung besteht aus 14 Kapiteln mit 161 Artikeln sowie einem Kapitel mit Übergangsbestimmungen. Davon sind etwa 30 Prozent den Rechten und Pflichten des Individuums und Staatsbürgers gewidmet. Viele Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention wurden in die ukrainische Verfassung aufgenommen. 41 In der Präambel wird das Bemühen, „die Rechte und Freiheiten des Menschen und ihm würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten", als Staatsziel definiert. Als Staatsziel wird in Art. 1 Verf. der „souveräne und unabhängige, soziale und Rechtsstaat" beschrieben. Ein Charakteristikum der ukrainischen Verfassung ist die Betonung des nationalen Einheitsstaates mit dem Prinzip des Unitarismus (Art. 2 Verf.). Die Verfassung verankert die republikanische Staatsform sowie die Prinzipien der Volkssouveränität (Art. 5 Verf.) und der Gewaltenteilung (Art. 6 Verf.). Konsolidierung und Entwicklung der ukrainischen Nation, ihres histori40 Evers, 1998: S. 43. 41 Bos, 2002, S. 452.
II. Die neue Machtverteilung zwischen den Verfassungsinstitutionen
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sehen Bewusstseins, ihrer Traditionen und Kultur gehören zu den vorrangigen Aufgaben des Staates (Art. 11 Verf.). Laut Verfassung ist der Mensch der höchste Wert der sozialen Ordnung. Der Schutz individueller Rechte und Freiheiten gehört zu den fundamentalen Aufgaben des Staates (Art. 3 Verf.). Dazu gehören auch beliebige Eigentümerrechte (Art. 13 Verf.), die Unantastbarkeit privaten Eigentums (Art. 41 Verf.) und die Freiheit unternehmerischer Betätigung (Art. 42 Verf.). Zu den Grundrechten und Freiheiten der Bürger gehören das Recht auf Arbeit (Art. 43 Verf.), das Recht auf Urlaub (Art. 45 Verf.) und das Recht auf Wohnung (Art. 47 Verf.). M i t dieser umfassenden Fürsorge des Staates für den einzelnen Bürger zeigt der Verfassungstext erhebliche Relikte der Ideologie des Sowjetsystems. Doch damit steht die Ukraine nicht allein. Rüb moniert die „inflationäre Auflistung" von sozialen Grundrechten auch in vielen neu entstandenen Verfassungen anderer mittel- und osteuropäischer Staaten. 42 Wegen der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Lage können die Versprechungen der ukrainischen Verfassung nicht effektiv umgesetzt werden, was letztlich der Legitimität der Verfassung schadet.
1. Der Präsident Die neue Verfassungsordnung unterstreicht die herausgehobene Position des Präsidenten. Als Staatsoberhaupt ist der Präsident Garant für die staatliche Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine. Er garantiert die Einhaltung der Verfassung und die Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte (Art. 102 Verf.). Die Vollmachten des Präsidenten sind weitreichend und werden in Art. 106, der i m Einzelnen 31 Kompetenzen beschreibt, detailliert dargelegt. Der Präsident der Ukraine wird in allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen für fünf Jahre gewählt. Er kann sich nur ein M a l um seine Wiederwahl bewerben. Der ukrainische Präsident wendet sich mit Botschaften an das Volk sowie mit jährlichen und außerordentlichen Botschaften an die Werchowna Rada. Er vertritt den Staat in den internationalen Beziehungen und übernimmt die Führung der ukrainischen Außenpolitik. Er kann Referenden über Verfassungsänderungen anordnen (Art. 106, Abs. 6 Verf.). Er bestimmt den Zeitpunkt für außerordentliche Wahlen der Werchowna Rada. Der Präsident kann unter bestimmten Bedingungen das Parlament auflösen (Art. 106, Abs. 8 und Art. 90 Verf.). 4 3 Diese sind gegeben, wenn die Werchowna Rada innerhalb von 30 Tagen während der laufenden Sitzungsperiode keine Plenarsitzung abhalten kann. In den letzten sechs Monaten der Amtszeit des Präsiden-
42 Rüb, 1996: S. 53. 43 Art. 106, Abs. 8 Verf. gewährt dem Präsidenten das Recht der vorzeitigen Parlamentsauflösung.
D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
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ten sowie i m ersten Jahr nach einer vorgezogenen Parlamentswahl ist die Auflösung des Parlaments jedoch ausgeschlossen (Art. 90 Verf.). Der Präsident ernennt mit Zustimmung der einfachen Parlamentsmehrheit den Premierminister und entlässt ihn. A u f Vorlage des Premierministers bestimmt er die Strukturen der Exekutive, das heißt der Ministerien und anderen Organe der vollziehenden Gewalt (Art. 106, Abs. 15 Verf.). In Abstimmung mit dem Premierminister ernennt der Präsident die Mitglieder des Ministerkabinetts, führende Amtspersonen der zentralen Behörden und die Verwaltungschefs in den Gebieten, die sogenannten Gouverneure (Art. 106, Abs. 10 Verf.). Für die Entlassung der genannten Amtspersonen benötigt der Präsident nicht die Zustimmung des Premierministers. Der Präsident ist befugt, Normativakte des Ministerkabinetts außer Kraft zu setzen (Art. 106, Abs. 16 Verf.). Hat der Präsident keine Bedenken gegen ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz, unterzeichnet und veröffentlicht er es innerhalb von 15 Tagen nach dem Erhalt des Gesetzes. Der Präsident kann jedoch gegen Gesetze, die von der Werchowna Rada verabschiedet wurden, sein Veto einlegen und sie zur neuerlichen Erörterung an die Werchowna Rada zurückverweisen (Art. 106, Abs. 30 Verf.). Das Veto des Präsidenten kann nur mit Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten überwunden werden. Ist dies der Fall, muss der Präsident das Gesetz innerhalb von zehn Tagen unterzeichnen und veröffentlichen (Art. 94 Verf.). Wie die Abgeordneten der Werchowna Rada, das Ministerkabinett und die Nationalbank hat der Präsident das Recht der Gesetzesinitiative. Er kann seine Gesetzesentwürfe außer der Reihe auf die Tagesordnung des Parlaments setzen lassen (Art. 93 Verf.). Der Präsident kann „auf der Grundlage und in Ausführung der Verfassung und der Gesetze der Ukraine Dekrete und Verfügungen" erlassen (Art. 106, Abs. 31 Verf.). Diese Dekrete und Verfügungen sind auf dem Gebiet der Ukraine verpflichtend auszuführen. Das Dekretrecht ist eine der zentralen Säulen der Präsidialmacht. Die Übergangsbestimmungen der Verfassung gestatteten dem Präsidenten, in den ersten drei Jahren nach Inkrafttreten der Verfassung Dekrete zu Wirtschaftsfragen zu erlassen, die noch nicht per Gesetz geregelt waren (Abschnitt XV, Abs. 4 Verf.). Die Dekrete mussten vom Ministerkabinett gebilligt und vom Premierminister gegengezeichnet werden. Von diesem Dekretrecht, das der Beschleunigung der Wirtschaftsreformen dienen sollte, machte der Präsident in der dreijährigen Übergangsfrist jedoch kaum Gebrauch. Art. 106, Abs. 28 Verf. gibt dem Präsidenten das Recht, „zur Umsetzung seiner Kompetenzen beratende und andere unterstützende Organe und Dienste" zu gründen. Diese Verfassungsnorm wurde vom Präsidenten sehr extensiv zu seinen Gunsten ausgelegt und diente ihm zum Ausbau der Präsidialadministration (vgl. Gliederungspunkt D.II.l.a)). Der Präsident, die Präsidialadministration und der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat R N B O U (vgl. Gliederungspunkt D.II.l.b))
II. Die neue Machtverteilung zwischen den Verfassungsinstitutionen
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bilden das Entscheidungszentrum der Macht, während die Regierung dem Präsidenten lediglich als Instrument für die Umsetzung seiner Politik dient. 4 4 Der Präsident ist berechtigt, außerordentliche Sitzungen der Werchowna Rada anzuberaumen (Art. 83 Verf.). Er ernennt die Hälfte des Personalbestandes der Nationalbank, den Vorsitzenden des Kartellamtes und des Staatlichen Vermögensfonds. Der Präsident ist der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte (Art. 106, Abs. 17 Verf.), leitet den Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat R N B O U und entscheidet über die Verhängung des Kriegs- und Ausnahmezustandes. Der Präsident bildet die Gerichte (Art. 106, Abs. 23 Verf.) und ernennt ein Drittel der Richter des Verfassungsgerichtes (Art. 106, Abs. 22 Verf.). Die Einführung eines Richters in sein A m t wird vom Präsidenten vorgenommen (Art. 128 Verf.). M i t Zustimmung der Werchowna Rada ernennt er den General Staatsanwalt (Art. 106, Abs. 11 Verf.). Der Präsident benennt den Vorsitzenden sowie die Hälfte der Mitglieder des Nationalrates für Angelegenheiten des Fernsehens und des Rundfunks (Art. 106, Abs. 13 Verf.). In den Gebieten, Bezirken sowie in den Städten Kiew und Sewastopol liegt die exekutive Gewalt bei den örtlichen staatlichen Verwaltungen (Art. 118 Verf.). Formal sind die Verwaltungsleiter laut Verfassung dem Präsidenten und der Regierung verantwortlich. Entscheidend ist jedoch der Präsident, der an der Spitze der Verwaltungspyramide steht. Die Verwaltungsleiter werden vom Präsidenten ernannt. Durch den Präsidenten sind sie in dieser Position geschützt und agieren in großer Unabhängigkeit von den regionalen Volksvertretungen. Zwar sieht Art. 118 Verf. auch Kontrollrechte der lokalen Räte über die Verwaltungen vor. Der Präsident muss dem Misstrauensvotum lokaler Räte gegen Verwaltungschefs nicht Folge leisten. Von seinem Recht, die Verwaltungschefs jederzeit abberufen zu können, hat der Präsident häufig Gebrauch gemacht. So setzte Kutschma nach seiner Wiederwahl 1999 mehrere Gebietsgouverneure sowie Verwaltungschefs von etwa 70 Bezirken ab, in denen die Bevölkerung mehrheitlich gegen Kutschma gestimmt hatte. 4 5 I m Verwaltungsaufbau äußert sich der für die Ukraine typische Zentralismus, bei dem die Entscheidungsabläufe auf die Hauptstadt und letztendlich den Präsidenten und seine Administration zugeschnitten sind. Die regionale Politik wird im Wesentlichen von Kiew aus gesteuert. Die Gebiete können die nationale Politik kaum beeinflussen. I m „Rat der Regionen" sind zwar die Leiter der Gebietsverwaltungen vertreten. Das Gremium hat jedoch nur beratende Funktion und kann jederzeit vom Präsidenten aufgelöst werden 4 6
44 Bos, 2002: S. 461. 45 Im Wahljahr 1999 wurden insgesamt 16 Gebietsgouverneure (von 24), 61 stellvertretende Gouverneure sowie 144 Bezirksgouverneure ausgewechselt. Vgl. Ott, 2000b: S. 21. 46 Bos, 2002: S. 483.
D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
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Einige Verfassungsnormen schränken die umfassenden Vollmachten des Präsidenten ein. So kann sich das Parlament an das Verfassungsgericht wenden, das Dekrete und Verfügungen des Präsidenten für unwirksam erklärt, wenn diese gegen die Verfassung und Gesetze der Ukraine verstoßen (Art. 114 Verf.). Eingeschränkt wird das Dekretrecht des Präsidenten durch Art. 92 Verf.. Hier werden 31 Rechtsbereiche aufgelistet, die ausschließlich durch Gesetze der Werchowna Rada geregelt werden und in denen der Präsident keine Dekrete erlassen darf. Zwar sieht die Verfassung die Möglichkeit des Amtsenthebungsverfahrens für den Fall von Hochverrat oder einem anderen Verbrechen des Präsidenten vor. Die Hürden für eine Amtsenthebung, wie sie Art. 111 Verf. vorsieht, sind jedoch sehr hoch und umfassen sechs Etappen. 4 7 U m ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten, muss die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten zustimmen (226 Deputierte). Zur Untersuchung der Vorwürfe gegen den Präsidenten bildet die Werchowna Rada eine Untersuchungskommission, der ein Sonderstaatsanwalt und ein Sonderermittler angehören. Das Parlament prüft die Untersuchungsergebnisse und Vorschläge der Untersuchungskommission und entscheidet mit Zweidrittelmehrheit (300 Deputierte) über die Anklage des Präsidenten mit dem Ziel, ihn aus dem Amt zu entfernen. Während das Verfassungsgericht überprüft, ob das Amtsenthebungsverfahren nach den Vorschriften der Verfassung eingeleitet wurde, befasst sich das Oberste Gericht mit dem strafrechtlichen Teil des AmtsenthebungsVerfahrens. Das Oberste Gericht entscheidet, ob der Präsident sich tatsächlich des Landesverrats oder eines anderen Verbrechens im Sinne der Anklage schuldig gemacht hat. Aufgrund der Stellungnahmen des Verfassungsgerichts und Obersten Gerichts entscheidet das Parlament, ob der Präsident aus dem A m t entfernt wird. Hierfür sind drei Viertel der Stimmen (mindestens 338 Deputierte) notwendig.
a) Die Präsidialadministration Die Präsidialadministration (PA) ist das Instrument, mit dem der Präsident am direktesten seine Politik umsetzen kann. Die bereits 1991 ins Leben gerufene Präsidialadministration 48 nahm sich von der zahlenmäßigen Besetzung und Ausstattung zunächst relativ bescheiden aus. Sie bestand unter Präsident Krawtschuk i m Wesentlichen aus seinem Pressesprecher und einigen Beratern. Kutschma hingegen war von Anfang an bestrebt, aus der PA den Nukleus seiner Macht zu formen. Gemäß dem in Art. 106, Abs. 28 Verf. verankerten Recht des Präsidenten, „konsultative, beratende und andere Hilfsorgane und -dienste" in den 47
Vgl. Burtschak, Fedir, 1997: Presydent Ukrajiny, Kyiw, S. 20. Die Ursprünge der Präsidialadministration gehen zurück auf eine Verfügung des Präsidenten vom 13. Dezember 1991. Vgl. Tomenko, Mykola, 1998: Abetka Ukrajins'koij polity ky, Kyiw, S. 40. 48
II. Die neue Machtverteilung zwischen den Verfassungsinstitutionen
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Grenzen des Staatshaushalts einzurichten, baute er die PA systematisch aus. 4 9 M i t dem Dekret des Präsidenten vom 14. Dezember 1996 „Über die Administration des Präsidenten der Ukraine" wurden alle Amtspersonen und Exekutivorgane dazu verpflichtet, die Anweisungen des Leiters der PA, seiner Stellvertreter und des Ersten Referenten des Präsidenten auszuführen. 50 So heißt es i m Wortlaut des Dekrets, „die Dienstanweisungen (dorutschennja) seien verpflichtend auszuführen (obowjaskowymy dlja wykonannja)". A u f dieser Grundlage hat sie sich zur einflussreichsten Machtinstitution entwickelt und dabei auch Aufgaben an sich gezogen, die laut Verfassung anderen Organen zugewiesen sind. 5 1 Die PA stellt heute ein ständig arbeitendes Organ dar, das dem Präsidenten organisatorische, rechtliche, beratende, informatorische und analytische Dienste leistet. Die Präsidialadministration besteht aus Analytikern, Beratern, Referenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern. Als „Schattenkabinett" 5 2 ist die PA praktisch eine zur Regierung parallele Struktur. Analog zu den Portefeuilles des Ministerkabinetts ist die Präsidialadministration aufgeteilt in die Ressorts Innen- und Wirtschaftspolitik, Humanitäre Fragen, Recht, Regionalpolitik und Makroökonomie sowie in den Pressedienst des Präsidenten. Eine wichtige Sonderstellung nehmen die Verwaltung für Außenpolitik und die Abteilung für Personalpolitik ein. Die PA ist ein wichtiges Kaderreservoir für den Präsidenten. Sie bereitet Ernennungen etwa der Gebietsverwaltungschefs vor, über deren Besetzung der Präsident entscheidet. In der Präsidialadministration wird somit entschieden, wer das Land regiert. Kernstück der PA ist die Kanzlei des Präsidenten. Dort verkehrt der innere Machtzirkel der ukrainischen Führung. Fast täglich bespricht sich der Präsident mit dem Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates (RNBOU), dessen Amtszimmer sich auf dem gleichen Flur befinden. Beim Präsidenten gehen der Innenminister, der Sicherheitsdienstchef sowie der Leiter der Präsidialadministration ein und aus, um die tägliche Feinabstimmung der Politik vorzunehmen. Die juristischen Fachleute der PA bereiten die Erlasse und Gesetzentwürfe des Präsidenten vor und unterziehen die Gesetze, die vom Parlament dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt werden, einer genauen Prüfung. Die PA erarbeitet die Anträge, die der Präsident beim Verfassungsgericht einreicht. Seit 1996 gibt es die ständigen Vertreters des Präsidenten beim Verfassungsgericht sowie bei der Werchowna Rada. 1999 kam der ständige Vertreter des Präsidenten beim Ministerkabinett hinzu. Diese drei Repräsentanten des Präsidenten bei den anderen Verfassungsorganen gehören zum Apparat der PA. Der Präsident setzt seine drei ständigen Vertreter dazu ein, um auf die Werchowna Rada, das Ver-
49 Ukas Presydenta Ukrainy „Ob Administrazii Presydenta Ukrajiny", 14. Dezember 1996, in: Urjadowyj kurjer, 19. 12. 1996. so Vgl. Ott, 1999a: S. 46.
si Vgl. Kudrjatschenko, 1997: S. 338. 52 Vgl. Ott, 1999a: S. 46.
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D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
fassungsgericht und die Regierung Einfluss zu nehmen. Der Präsident besetzt diese wichtigen Positionen daher mit engen Vertrauensleuten. Besonders der ständige Vertreter des Präsidenten beim Parlament (postijnyj predstawnyk presydenta u Werchownoji Rady) hat sich als sehr einflussreich erwiesen. Er erfüllt offiziell die Funktion eines Vermittlungsausschusses zwischen Parlament und Präsident. 53 Anders als in Russland, wo ein Beamter die Funktion des Vertreters des Präsidenten beim Parlament wahrnimmt, wird diese Position in der Ukraine aus dem Kreis der Abgeordneten besetzt. Die Fraktionen schlagen ihren Kandidaten für dieses A m t vor, das der Präsident per Erlass besetzt. Die offizielle Aufgabe des ständigen Vertreters des Präsidenten in der Werchowna Rada besteht in der Vermittlung und im Interessenausgleich zwischen dem Präsidenten und den Parlamentariern. 54 I m politischen Geschäft haben sich die ständigen Vertreter des Präsidenten i m Parlament bisher absolut loyal zum Präsidenten verhalten und dessen Positionen im Parlament geradezu kämpferisch vertreten. Eine Interessenskollision zwischen dem Dienst für den Präsidenten und dem persönlichen Wählerauftrag sieht etwa der Abgeordnete Roman Bessmertnyj nicht, der von Januar 1997 bis März 2002 ständiger Vertreter des Präsidenten i m Parlament war. Als Beweis dafür, dass er die Interessen seiner Wähler ordnungsgemäß wahrnimmt, führt Bessmertnyj die Tatsache an, dass er bei den Parlamentswahlen 1998 wiedergewählt wurde. 5 5 Eine herausgehobene Position in der ukrainischen Hierarchie hat der Leiter der PA inne. Er besetzt nach dem Präsidenten, dem Premierminister, dem Parlamentsvorsitzenden und dem Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates eines der fünf mächtigsten Ämter in der Ukraine. Die Bedeutung des Leiters der PA ergibt sich aus der Fülle von Entscheidungssträngen, die in seiner Behörde zusammenlaufen. Die Präsidialadministration ist seit ihrer Einrichtung beständig gewachsen. Der Etat dieses Apparats überschritt 1997 bereits den Ansatz für das Ministerkabinett. Die Präsidialadministration, so wie sie heute existiert, wurde von Kutschma geformt. Bei seiner Wahl 1994 hatte der Präsident versprochen, er werde ein „junges Team" haben. I m Einklang mit dieser Ankündigung berief er vor allem junge Leute in die Präsidialadministration. Die neuen Mitarbeiter der Präsidialadministration - in Regierungskreisen herablassend als „maltschiki" („Jungs") bezeichnet - gaben
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Der Berater des ständigen Vertreters des Präsidenten bei der Werchowna Rada, Anatolij Luzenko, definierte in diesem Sinne die Funktion dieses Amtes. Ein ausführliches Interview mit Luzenko fand Anfang Nobember 2001 in Kiew statt. 54 Pichowschekf Konontschuk, 1998: S. 185. 55 Diese Argumentation vertrat Bessmertnyj während eines Interviews, das die Autorin am 27. 6. 2000 in Kiew führte. Allerdings kandidierte Bessmertnyj 1998 nicht in seinem früheren Wahlkreis, sondern auf dem sicheren elften Listenplatz seiner Partei NDPU. Bei den Parlamentswahlen 2002 war Bessmertnyj Kandidat des Wahlblocks „Nascha Ukrajina" und zog über den Listenplatz 13 erneut ins Parlament ein. Sein Nachfolger als Vertreter des Präsidenten im Parlament wurde in der neuen Legislaturperiode Olexandr Sadoroschnyj.
II. Die neue Machtverteilung zwischen den Verfassungsinstitutionen
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sich ausgesprochen prowestlich und karrierebewusst. Die jungen Fachleute wurden mit so verantwortungsvollen Aufgaben betraut wie den Kreditverhandlungen mit dem I W F und der Weltbank. Als erster Leiter der Präsidialadministration unter Kutschma bestimmte Dmytro Tabatschnyk 56 maßgeblich die Vergabe von Spitzenämtern in Staat und Verwaltung. Bei der Besetzung von Posten bevorzugte Tabatschnyk Funktionsträger aus Dnipropetrowsk und Mitglieder des Unternehmerverbandes USPP. Schnell geriet er jedoch in die öffentliche Kritik, da er immer mehr Entscheidungsbefugnisse an sich zog. Machtgier, Arroganz und anmaßendes Verhalten wurden Tabatschnyk vorgeworfen. Tabatschnyk wurde schließlich zum „Stolperstein i m Verhältnis Parlament-Präsident" 57 , so dass sich Kutschma genötigt sah, sich von seinem Wegbereiter an die Macht trennen. Unmittelbarer Auslöser seiner Entlassung Anfang Dezember 1996 war, dass Tabatschnyk seinen Einfluss i m Verteidigungsministerium dazu benutzte, dass er sich zum 5. Jahrestag der ukrainischen Unabhängigkeit um mehrere Ränge befördern ließ. Alle anderen Mitglieder der Staatsführung wurden dagegen nur um einen Rang befördert. 58 A m 20. Dezember 1996 ernannte Kutschma Jewhen Kuschnarjow zum neuen Chef der Präsidialadministration. Da Kuschnarjow aus der Parteinomenklatura Charkiws stammte 5 9 und Chef des dortigen Stadtrats war, wurde dieser Schritt als Aufwertung der lokalen Charkiwer Elite und als Schaffung eines Gegengewichts zum Dnipropetrowsker Clan gewertet. Gleichzeitig sicherte sich Kutschma die Unterstützung der zentristischen Kräfte, da Kuschnarjow seit Mitte 1995 Vorsitzender der politischen Vereinigung „Nowa U k r a j i n a " 6 0 und Vorstandsmitglied der zentristischen „Volksdemokratischen Partei der Ukraine" (NDPU) war.
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Tabatschnyk (Jahrgang 1963) war 1992 vom damaligen Premierminister Leonid Kutschma zum Leiter des Pressedienstes des Ministerkabinetts ernannt worden. Auch nach Kutschmas Demissionierung als Regierungschef hielt Tabatschnyk treu zu Kutschma. Tabatschnyk war einer der maßgeblichen Personen in Kutschmas Umgebung, die ihn überredeten, für das Präsidentenamt zu kandidieren. Tabatschnyk war der führende Kopf von Kutschmas Wahlkampagne. Für den Wahlsieg wurde Tabatschnyk von Kutschma mit dem Amt des Leiters der Präsidialadministration belohnt, eine Aufgabe, der er sich mit taktischem und organisatorischem Geschick widmete. Vgl. Vorndran, 1997: S. 214. 57 Ott, 1999a, S. 34. 58 Vgl. Vorndran, 1997: S. 214, Fn. 31. 59 Kuschnarjow war in den 1980er Jahren stellvertretender Abteilungsleiter für Propaganda und Agitation in einem Bezirksparteikomitees von Charkiw gewesen. Kuschnarjow war zum ersten Mal Ende der 80er Jahre aufgefallen, als er öffentliche Kritik an der KPU äußerte und ein innerparteiliches Diskussionsforum gründete. Er kandidierte bei den ersten freien Wahlen zum Stadtsowjet und wurde dessen Vorsitzender. Während des Putsches 1991 gehörte er zu denjenigen, die die Moskauer Junta verurteilt hatten. Vgl. „Charkiwska iniziatiwa, NDP powyschaet swoj polititscheskij tonus", in: Den', 1.11. 2000. 60 Die „Nowa Ukrajina", unter anderem von Leonid Kutschma gegründet, vereinigte viele hochrangige Staatsbeamte, Minister und Gebietsgouverneure. Ihr gehörten u. a. der Nationalbankchef Wiktor Juschtschenko, der Bürgermeister von Kiew, Olexandr Omeltschenko, so-
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D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
Kuschnarjow wurde i m Dezember 1998 abgelöst von Mykola Biloblozkyj. Biloblozkyj leitete die Präsidialadministration während des Präsidentschaftswahlkampfes 1999. Nach der Wiederwahl von Präsident Kutschma i m November 1999 kam es in vielen Positionen des Staatsapparates zu Umbesetzungen, so auch in der Präsidialadministration. Biloblotzkyj wurde als Botschafter der Ukraine nach Moskau entsandt. Danach ernannte Kutschma Wolodymyr Lytwyn, der zuvor einer der stellvertretenden Leiter der Präsidialadministration gewesen war, zu seinem Stabschef. Anders als seine Vorgänger bemühte sich Lytwyn, die Behörde aus der politischen Schusslinie zu nehmen und das Verhältnis zur Werchowna Rada zu verbessern. Die Präsidialadministration arbeitete inzwischen mit größerer Stabilität und kontinuierlicher als in den Anfangsjahren, als interne Konkurrenzkämpfe zu häufigem Personalwechsel und zu Rotationen geführt hatten. Lytwyn galt zeitweise als potentieller Nachfolger Kutschmas und wurde Spitzenkandidat des Wahlblockes „Sa edynu Ukrajinu". In einem Testlauf sollte sich Lytwyn in den Parlamentswahlen 2002 bewähren. Allerdings zeigten die Wahlergebnisse, als der Wahlblock „Sa edynu Ukrajinu" mit 11,77 Prozent der Zweitstimmen unter den Erwartungen lag, dass der blasse Lytwyn es nicht mit anderen, charismatischen Politikern aufnehmen konnte. 6 1 Nach den Wahlen zur Werchowna Rada 2002 wurde Wiktor Medwedtschuk zum neuen Leiter der Präsidialadministration ernannt.
b) Der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat
(RNBOU)
Ein Vorläufer des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates (Rada nazional'noij bespeky i oborony Ukrajiny - R N B O U ) war bereits i m Juni 1992 unter Präsident Krawtschuk entstanden. 62 Der R N B O U hatte zunächst die Aufgabe eines beratenden Konsultativorgans i m Dienst des Präsidenten. Er bestand aus dem Premierminister, den Ministern für Inneres, Äußeres und Verteidigung sowie dem Chef des Sicherheitsdienstes SBU (Sluschba Bespeky Ukrajiny). 1996 wurde die Institution des R N B O U in der Verfassung (Art. 107) verankert. Der R N B O U ist neben der in der Verfassung nicht erwähnten Präsidialadministration der wichtigste Bestandteil des präsidialen Machtapparats. Die Beschlüsse des R N B O U werden mit einfacher Mehrheit getroffen und durch Erlasse des Präsidenten in Kraft gesetzt. In der neuen Verfassung wurden die bisherigen beratenden Aufgaben des R N B O U durch Kontrollrechte über die Exekutive erweitert. Nach Art. 107 Verf. soll der R N B O U die Organe der vollziehenden wie Anatolij Kinach, der Vorsitzende der ukrainischen Vereinigung von Industriellen und Unternehmern, an. 61 Vgl. „Wybory-2002. Pam'jatka istoriji", in: Ukrains'ka Prawda, 15. 4. 2002. 62 Vgl. Wilson, 1997: S. 76.
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Gewalt i m Bereich der nationalen Sicherheit und Verteidigung koordinieren und kontrollieren. Da die Tätigkeit des R N B O U von Anfang an von Geheimhaltung und mangelnder Transparenz begleitet war, begegneten das Parlament und die Öffentlichkeit diesem Organ mit Misstrauen. Der R N B O U wurde i m August 1997 per Dekret des Präsidenten auf insgesamt 16 Personen erweitert. 6 3 Den Vorsitz des R N B O U hat der Präsident, was sich aus der verfassungsmäßigen Aufgabe des Präsidenten ableitet, die nationale Sicherheit des ukrainischen Staates zu garantieren (Art. 106, Abs. 1 Verf.). Zur Führung der ständigen Geschäfte ernennt der Präsident den Sekretär des RNBOU. Von August 1996 bis November 1999 hatte der Kutschma-Vertraute Wolodymyr Horbulin dieses A m t inne. 6 4 Anfang Nobember 1999 wurde Jewhen Martschuk zum neuen Sekretär des R N B O U ernannt.
2. Die Werchowna Rada Das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, besteht aus 450 Abgeordneten, die alle vier Jahre in allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen gewählt werden. Die Werchowna Rada ist alleiniges Gesetzgebungsorgan (Art. 91 Verf.). Nur die Werchowna Rada kann Verfassungsänderungen vornehmen. Verfassungsverändernde Gesetzesentwürfe können entweder vom Präsidenten oder von mindestens einem Drittel der Abgeordneten eingebracht werden (Art. 154 Verf.). Eine Verfassungsänderung kann erst in der darauffolgenden Sitzungsperiode der Werchowna Rada angenommen werden. Dazu ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich (Art. 155 Verf.). Wie der Präsident kann die Werchowna Rada ein gesamtukrainisches Referendum ansetzen. Die Werchowna Rada verabschiedet den Staatshaushalt und nimmt Veränderungen an ihm vor (Art. 85, Abs. 4 Verf.). Sie bestimmt die Grundlagen der Innen- und Außenpolitik (Art. 85, Abs. 5 Verf.). Das Parlament übt die Kontrolle über die Tätigkeit des Ministerkabinetts aus (Art. 85, Abs. 13 Verf.). Einmal i m Monat finden die „Tage der Regierung" i m 63
Neu dazu kamen der Vorsitzende des Staatlichen Komitees für Grenzschutz, der Wirtschaftsminister, der Minister für Wirtschaftspolitik, der Finanzminister, der Vorsitzende des Koordinationskomitees zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption, der Minister für außerordentliche Situationen, der Umwelt- und Atomminister, der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften und der Leiter der Präsidialadministration. Der Vorsitzende der Werchowna Rada hat nach Art. 107 Verf. das Recht, an den Sitzungen des RNBOU teilzunehmen. 64 Horbulin war bei „Juschmasch" Ingenieur und Parteisekretär gewesen. Im März 1992 wurde Horbulin zum Vorsitzenden der neuen ukrainischen Raumfahrtagentur berufen. Unter Horbulin übte der RNBOU umfassenden Einfluss auf die ukrainische Innen- und Außenpolitik aus, der Sekretär nahm zu praktisch allen Fragen der ukrainischen Politik öffentlich Stellung. Horbulin definierte seine Rolle als Sekretär des RNBOU folgendermaßen: „Die Position, die ich bekleide, gibt mir die Möglichkeit, auf alles Einfluss zu nehmen, was in der Ukraine vor sich geht." Vgl. Pichowschek/Konontschuk, 1998: S. 209. 5 Hclmcrich
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D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
Parlament statt. Dabei müssen sich Mitglieder der Regierung den Fragen von Fraktionen und Ausschüssen zu festgelegten Themen stellen. Die „Tage der Regierung" haben sich allerdings noch nicht zu einem effizienten Mittel der Regierungskontrolle entwickelt. 6 5 Eine Abstimmung über ein Misstrauensvotum gegen die Regierung wird auf die Tagesordnung gesetzt, wenn dem mindestens ein Drittel der Abgeordneten zustimmt. U m die Regierung zu entlassen, muss die einfache Mehrheit der Abgeordneten zustimmen (Art. 87 Verf.). Die Werchowna Rada entscheidet über die Absetzung des Präsidenten per Amtsenthebungsverfahren (Art. 111 Verf.). Der Präsident braucht die Zustimmung der Werchowna Rada für die Ernennung des Generalstaaatsanwaits. Ein Misstrauensvotum der Rada zieht die Entlassung des Generalstaatsanwaltes nach sich (Art. 85, Abs. 25 Verf.). Die Werchowna Rada ernennt ein Drittel der Verfassungsrichter (Art. 85, Abs. 26 Verf.). Die Volksdeputierten genießen Immunität. Ohne Zustimmung der Werchowna Rada kann kein Abgeordneter rechtlich belangt und in Haft genommen werden (Art. 80 Verf.). Die Werchowna Rada entscheidet über die Erklärung des Kriegszustandes und den Einsatz ukrainischer Streitkräfte durch den Präsidenten (Art. 85, Abs. 9 Verf.). M i t der neuen Verfassung wurde das A m t des Parlamentsvorsitzenden deutlich abgewertet. Bis zur Annahme des Verfassungs Vertrages genoss der Parlaments Vorsitzende extensive Kompetenzen, die ihn zum zweitmächtigsten Mann noch vor dem Regierungschef machten 6 6 M i t der Verfassung wurde auch das Präsidium der Werchowna Rada abgeschafft, das bis dahin als eine Art Ersatzparlament fungiert hatte. Kritiker bemängeln die geringe Effizienz der Werchowna Rada. Vor allem i m ökonomischen Bereich hinkt die legislative Arbeit hinterher, was etwa bei der Steuergesetzgebung deutlich wird. Die Gesetzentwürfe, die von der Werchowna Rada vorbereitet werden, sind im Vergleich zu Entwürfen der Präsidialadministration oder der Nationalbank häufig schlecht ausgearbeitet und fehlerhaft. Dies wird unter anderem auf mangelnden juristischen Sachverstand im Parlament zurückgeführt. I m Parlament der 3. Legislaturperiode (1998-2002) hatten nur 53 Abgeordnete (11,7 Prozent) eine juristische Ausbildung, was sich in der Qualität der Gesetzgebung negativ niederschlägt. Auch die Deputierten kritisieren die Mängel des Gesetzgebungsprozesses, führen dies allerdings auf systeminterne Gründe zurück. Abgeordnete bemängeln die geringe Anwesenheit der Deputierten in den Ausschusssitzungen und die große Anzahl von Gesetzesentwürfen, die dem Parlament vorliegen 6 7 Der verbreitetste Mangel in der ukrainischen Gesetzgebung besteht nach Ansicht des Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, Wiktor Skomorocha, darin, dass die Abgrenzung der Gewaltenteilung nicht beachtet wird. 6 8 65 Vorndran, 2000: S. 251. 66 Bos, 2002: S. 463. 67 „Balans i mirylo sprawedlywosti", Interview mit dem Verfassungsgerichtsvorsitzenden Skomorocha, in: Jurydytschnyj wisnyk Ukrajiny, 6.-12. 10. 2001, S. 4. 68 Ebda.
II. Die neue Machtverteilung zwischen den Verfassungsinstitutionen
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Beeinträchtigt wird die Gesetzgebung durch die sowohl vom Parlament wie auch vom Präsidenten praktizierte Missachtung von Verfassungsnormen. So verletzt die Werchowna Rada häufig die Vorschrift, dass die vom Präsidenten als eilig eingebrachten Gesetzesentwürfe vorrangig zu behandeln sind (Art. 93, Abs. 2 Verf.). Der Präsident wandte sich daher an das Verfassungsgericht zur verbindlichen Auslegung von Art. 93, Abs. 2 Verf. A m 3. April 2001 traf das Verfassungsgericht eine entsprechende Entscheidung. 69 Das Verfassungsgericht bestätigte das Sonderrecht des Präsidenten, die Werchowna Rada verpflichten zu können, seine Gesetzentwürfe vorrangig zu behandeln. Nach dem Urteil der Verfassungsrichter müssen dringliche Gesetzesentwürfe des Präsidenten unverzüglich von der Werchowna Rada auf die Tagesordnung gesetzt werden. Sie müssen auf allen Etappen des Gesetzgebungsprozesses, d. h. in den drei vorgeschriebenen Lesungen vor anderen Gesetzesentwürfen behandelt werden. 7 0 A u f der anderen Seite verletzt auch der Präsident häufig die Verfassungsvorschriften bezüglich des Gesetzgebungsverfahrens. So verweigerte er in mehreren Fällen die Unterschrift unter ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz in der von der Verfassung vorgeschriebenen 15tägigen Frist und verzögerte damit dessen Inkraftsetzung.
3. Das Ministerkabinett Der Stellenwert der Regierung im politischen System der Ukraine wird dadurch deutlich, dass sie in der Verfassung nach Parlament und Präsident behandelt wird und ihre Kompetenzen weniger umfassend sind. Art. 116 Verf. definiert nur zehn einzelne Vollmachten der Regierung. Der Zuständigkeitsbereich der Regierung ist damit deutlich geringer ausgefallen als der von Präsident und Parlament. Das Ministerkabinett als oberstes Exekutivorgan der Ukraine ist dem Präsidenten gegenüber verantwortlich und gleichzeitig der Werchowna Rada unterstellt und rechenschaftspflichtig (Art. 113 Verf.). Nur der Präsident hat das Vorschlagsrecht für den Posten des Regierungschefs. Nach Art. 114, Abs. 2 Verf. ist die Zustimmung der Abgeordnetenmehrheit für die Bestätigung des Ministerpräsidenten erforderlich. Dennoch ist die Abhängigkeit des Regierungschefs vom Präsidenten größer als vom Parlament. Der Regierungschef kann sein Kabinett nicht selbst bestimmen. Er schlägt dem Präsidenten die Regierungsmitglieder vor, die von letzterem ernannt werden. Die Stellung der Regierung und insbesondere des Ministerpräsidenten sollte durch die neue Verfassung gestärkt werden. So wurde die Bestimmung in die Verfassung aufgenommen, dass die Werchowna Rada der Regierung nur einmal pro Sitzungsperiode das Misstrauen aussprechen darf. Zudem sieht Art. 87 Verf. vor, 69
Pres-Relis der Presseabteilung des Verfassungsgerichtes der Ukraine, 3. 4. 2001. 70 Ebda.
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D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
dass die Rada der Regierung frühestens ein Jahr nach Billigung des Regierungsprogramms ihr Misstrauen aussprechen darf. Das Misstrauensvotum gegen den Regierungschef zieht den Rücktritt der gesamten Regierung nach sich (Art. 115 Verf.). Bis zur Bildung einer neuen Regierung führt das zurückgetretene Kabinett die Amtsgeschäfte kommissarisch weiter, allerdings nicht länger als 60 Tage (Art. 115 Verf.). Die Regierung erarbeitet den Haushaltsentwurf, bringt ihn ins Kabinett ein und ist verantwortlich für dessen Ausführung. Rechtsakte des Ministerkabinetts werden vom Präsidenten gegengezeichnet und können von ihm annulliert werden (Art. 117 Verf.). Für Dekrete des Präsidenten, die bestimmte Bereiche der Innen- und Außenpolitik betreffen, ist die schriftliche Zustimmung des Regierungschefs oder des betreffenden Ministers erforderlich, der für den Regierungsakt und seine Durchführung verantwortlich ist (Art. 106, Abs. 31 Verf.). Ist der Präsident vorübergehend an der Ausübung seiner Amtsgeschäfte verhindert, können seine Befugnisse zum Teil dem Regierungschef übertragen werden. Der Regierungschef hat keine eigene Richtlinienkompetenz. Art. 116, Abs. 1 Verf. definiert lediglich, dass das Ministerkabinett die Innen- und Außenpolitik der Ukraine umsetzt. Die Grundprinzipien der Innen- und Außenpolitik werden von der Werchowna Rada festgelegt. 71 Bei der Diskussion um die Ursachen der Ineffizienz der Macht diente die Regierung in der Vergangenheit regelmäßig als „Blitzableiter". 7 2 Zwar hat sich der ukrainische Präsident immer wieder zu Reformen bekannt, jedoch keine Verantwortung für deren Durchführung übernommen. Der Präsident beschränkte sich auf Halbherzigkeiten und distanzierte sich von den Misserfolgen der Regierung. 7 3 Die Schwäche der Regierung als eines Teils der Exekutive manifestierte sich in der Vergangenheit durch häufige Regierungswechsel, die überwiegend auf die willkürliche Personalpolitik des Präsidenten zurückzuführen waren. 7 4 71 Geleitet wird die Außenpolitik laut Art. 106, Abs. 3 Verf. vom Präsidenten. Der Bereich der Außenpolitik ist ein Beispiel dafür, dass auf der Verfassungsebene keine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten vorgenommen wurde. Futey hat daher auf den teilweise „nebulösen" Charakter der ukrainischen Verfassung hingewiesen. Vgl. Futey, Bohdan, 1996: Comments on the Constitution of Ukraine, in: East-European Constitutional Review, Spring/ Summer, S. 31. 72 Dergatschow, 1999: S. 34.
73 Dergatschow, 1999: S. 35. 74 Es gibt unterschiedliche Angaben darüber, wie viele Regierungen seit der Unabhängigkeit im Amt waren. So ist nach Tomenko das Kabinett Janukowytsch (seit November 2002 im Amt) die zwölfte Regierung seit 1991. Eigenartigerweise rechnet er die Regierung Masol, deren Rücktritt 1990 erfolgte, hinzu. Nach Tomenko gibt es auch zwei Regierungen unter Pawlo Lasarenko. Die erste amtierte vom 28. Mai 1996 und trat am 5. Juli 1996 zurück. Aufgrund der neuen Verfassung, die am 28. Juni 1996 verabschiedet wurde, wurde ein neues Kabinett gebildet, das erneut von Lasarenko geleitet wurde. Vgl. Tomenko, 1998: S. 43. Ich folge in meiner Darstellung hingegen der Zählweise von Ott, derzufolge Janukowytsch der zehnte Regierungschef der unabhängigen Ukraine ist. Vgl. Ott, 1999a: S. 52.
II. Die neue Machtverteilung zwischen den Verfassungsinstitutionen
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Entgegen der ursprünglichen Absicht der Verfassung wurde die Handlungsfreiheit des Premierministers mit dem Dekret des Präsidenten vom 14. Dezember 1996 „Über das Kabinett der Minister" wieder eingeschränkt. In dem Dekret legte Kutschma fest, dass sich die Regierung aus dem Premierminister, einem Ersten und drei weiteren Stellvertretern des Premiers sowie 29 Ministern zusammensetzt. Die vier Ministerien für Inneres, Außenpolitik, Verteidigung und Information unterstellte er sich selbst. Diese vier Ministerien sind damit dem unmittelbaren Zugriff des Premierministers entzogen. 75 De facto kann der Präsident jederzeit Regierungsangelegenheiten an sich ziehen und entscheiden. Dies hat Kutschma vor allem im Bereich der Wirtschaftspolitik praktiziert, die er als seine eigentliche Domäne ansieht. Die Regierung ist eine schwache und unselbständige Institution. Sie hat sich nicht zu einem Zentrum entwickelt, in dem eine kohärente Strategie der Wirtschaftspolitik erarbeitet wird. Zudem war die Zusammensetzung des Kabinetts bisher unzureichend auf seine konkrete Aufgabenstellung zugeschnitten. 76 U m den Regierungsapparat enger an sich zu binden und eine ständige Kommunikation herzustellen, führte Kutschma 1999 das A m t des ständigen Vertreters des Präsidenten bei der Regierung ein. A m 15. März 2000 wurde der Ex-Vizepremier Wolodymyr Lanowyj für diese Position ernannt. 77 Die Regierungsumbildung nach der Absetzung von Premierminister Juschtschenko i m April 2001 nutzte der Präsident zu einem Umbau der Exekutive. M i t dem Erlass vom 29. Mai 2001 „Über regelmäßige Maßnahmen zur weiteren Umsetzung der Verwaltungsreform in der Ukraine" wurden die Posten der Staatssekretäre in den einzelnen Ministerien und i m Ministerkabinett geschaffen. Gleichzeitig wurden die stellvertretenden Minister abgeschafft. 78 M i t einem weiteren Dekret vom 14. Juli 2 0 0 1 7 9 wurden die Aufgaben der Staatssekretäre konkretisiert. Sie und ihre Stellvertreter werden vom Präsidenten auf Vorschlag des Premierministers für fünf Jahre ernannt. Entlassen werden sie ausschließlich vom Präsidenten. Der bedeutendste Staatssekretär ist derjenige, welcher dem Apparat des Ministerkabinetts und nicht einem einzelnen Ministerium zugeordnet i s t . 8 0 Die Staatssekretäre stellen „organisatorisch, rechtlich, analytisch und technischmateriell" die Tätigkeit der Ministerien und des Ministerkabinetts sicher und versorgen diese mit Informationen. Die Staatssekretäre nehmen die Ausgabenplanung des jeweiligen Ministeriums vor. Sie ernennen und entlassen die Mitarbeiter des Ott, 1999a: S. 51. 76 Dergatschow, 1999: S. 35. 77 Ott, 2000b: S. 24. 78 Der Wortlaut des Erlasses wurde in Urjadowyj kurjer vom 31.5. 2001 abgedruckt. 79 „Pro primirne poloschennja pro derschawnoho sekretarja ministerstwa", Dekret des Präsidenten Nr. 529/2001. Liegt der Verfasserin vor. 80 Als erster wurde Wolodymyr Jazuba für diese Aufgabe ernannt, der als Gefolgsmann Kutschmas gilt und aus Dnipropetrowsk stammt.
D. Der Weg zu einer neuen Verfassung
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Ministeriums in der Zentrale und die Leiter der regionalen Niederlassungen. Ebenso bestimmen sie die Leiter der Betriebe und Organisationen, die zum Zuständigkeitsbereich ihres Ministeriums gehören. Zwar muss sich der Staatssekretär mit dem Minister abstimmen, aber nach dem neuen Erlass bestimmt er die Struktur des Ministeriums. Die politische Leitung liegt weiterhin beim Regierungschef, seinem ersten Stellvertreter, den Vize-Premierministern und den Ministern. Nach Kutschmas Ansicht dient die Einführung der Staatssekretäre der Stärkung der Minister, weil sie dadurch vom täglichen Routinegeschäft befreit würden. 8 1 Er habe sich dabei „am westlichen Modell orientiert' 4 und strebe eine größere Stabilität der Exekutive auch bei Regierungswechseln a n . 8 2 I m Prinzip erscheint es gerade unter den instabilen Bedingungen der Ukraine begrüßenswert, mit Berufsbeamten die Kontinuität der Ministerien zu verbessern, da die Minister bisher häufig gewechselt hatten. Die Staatssekretäre bleiben auch nach Regierungsumbildungen im Amt. Nur aus Gesundheitsgründen, wegen Nichterfüllung der Amtspflichten und im Fall einer gerichtlichen Verurteilung können sie vorzeitig vom Präsidenten entlassen werden. Sie sind i m Gegensatz zu Ministern, Vize-Premierministern und dem Regierungschef Staatsbeamte. Der Erlass wurde als teilweise Entmachtung des Regierungschefs und der Minister interpretiert, die - zu „Frühstücksdirektoren' 4 degradiert - wesentliche Kompetenzen an die Staatssekretäre abgeben mussten. Nach Ansicht von Kritikern fehlte dem Präsidenten die verfassungsmäßige Grundlage für die Einführung der Staatssekretäre.
81
Vgl. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Juni 2001, S. 2. 82 „President udiwljon reskoj kritikoj opposiziej ego ukasa", in: Serkalo Nedeli, No. 21 (345), 2. 6. 2001, S. 2.
E. Die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Ukraine Die Einrichtung eines Verfassungsgerichts zog sich wie der gesamte Verfassungsprozess in die Länge. 1992 wurde ein Gesetz über das ukrainische Verfassungsgericht verabschiedet und ein Vorsitzender des Verfassungsgerichts gewählt. Weil sich die Werchowna Rada nicht über die von ihr zu besetzenden Richterämter einigen konnte, nahm diese erste Variante des Verfassungsgerichts nie ihre Arbeit auf. 1 Es sollte sich negativ auswirken, dass von 1991 bis 1996 keine Schiedsinstanz die Konflikte zwischen den Institutionen klären konnte. Bedingt durch diese Abwesenheit einer effektiven Gewaltenkontrolle maßten sich in der Übergangsszeit andere Institutionen die originären Aufgaben eines Verfassungsgerichts an, wobei es dabei zu einer Konkurrenz zwischen Präsident und Parlament kam. Das Parlament beanspruchte für sich das aus der Sowjetzeit überkommene Recht, die Gesetze auszulegen. Der Präsident wiederum konnte bis 1995 Rechtsakte der Regierung und anderer Staatsorgane annullieren, wenn sie der Verfassung und den Gesetzen der Ukraine widersprachen. Erst am 1. Januar 1997 konnte das Verfassungsgericht seine Tätigkeit aufnehmen. Maßgeblicher Initiator des Verfassungsgerichts in der heutigen Form war Iwan Tymtschenko, der ehemalige Leiter der juristischen Abteilung der Präsidialadministration unter Präsident Krawtschuk. 2 Tymtschenko wurde 1996 zum Vorsitzenden des neu eingerichteten Verfassungsgerichts gewählt. Die Rechtsgrundlage für die Tätigkeit des Verfassungsgerichts wird in drei Gesetzestexten geregelt. Dies ist zum einen die Verfassung der Ukraine vom 28. Juni 1996. Darin schreibt Art. 6 die Aufteilung der staatlichen Gewalt in Legislative, Exekutive und Judikative vor. Dem Verfassungsgericht ist in der Verfassung der Abschnitt X I I mit sieben Artikeln gewidmet. Darin werden die rechtliche Basis, seine Rolle, Struktur und seine Kompetenzen grundsätzlich geregelt. Weiteres wird 1 Wilson, 1997: S. 88/89. In dieser Fassung des Gesetzes über das ukrainische Verfassungsgericht von 1992 konnten die Werchowna Rada und der Präsident je die Hälfte der Verfassungsrichter bestimmen. 2 Tymtschenko hatte Krawtschuk seit 1990 als Rechtsberater gedient, als Krawtschuk noch Vorsitzender des Parlaments der Ukrainischen SSR war. Die distanzierte Haltung Krawtschuks während der Verhandlungen um den neuen Unionsvertrag im Nowo-OgarewoProzess wird unter anderem auf den Einfluss Tymtschenkos zurückgeführt. Auch nach der Ablösung Krawtschuks durch Kutschma im Präsidentenamt blieb Tymtschenko Leiter der Rechtsabteilung der Präsidialadministration. Vgl. Schljaposchnikow, 2001: S. 137.
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E. Die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Ukraine
im Gesetz „Über das Verfassungsgericht der Ukraine" und in der Geschäftsordnung über die Tätigkeit des Verfassungsgerichts geregelt. 3 Das Verfassungsgericht besteht aus 18 Richtern. 4 Alle drei Staatsgewalten wirken bei der Bildung des Verfassungsgerichts mit. Sechs Richter werden vom Präsidenten ernannt, wobei der Präsident mit dem Premierminister und dem Justizminister die Kandidaturen beraten muss (Art. 6 VerfGG). Sechs Richter werden von der Wechowna Rada gewählt. Weitere sechs Richter werden vom ukrainischen Richterkongress (S'ijsd Suddiw Ukrajiny) als höchstem Vertretungsorgan der Richterschaft ernannt (Art. 8 VerfGG). Die Richter des Verfassungsgerichts werden auf neun Jahre ernannt, eine Wiederwahl ist nicht möglich. 5 Die Richter des Verfassungsgerichts sind bei der Wahrnehmung ihrer Befugnisse unabhängig. Ihre Unabhängigkeit und Immunität werden durch die Verfassung und durch Gesetze der Ukraine garantiert (Art. 126, Abs. 1 und Art. 149 Verf.). Ein Verfassungsrichter darf ohne Zustimmung der Werchowna Rada vor seiner Schuldsprechung weder festgenommen noch verhaftet werden (Art. 28 VerfGG). Die Amtsbefugnisse der Verfassungsrichter und ihre verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten können durch Kriegs- oder Ausnahmezustand nicht eingeschränkt werden (Art. 18 VerfGG). Der Vorsitzende und seine Stellvertreter sind jeweils auf drei Jahre gewählt und können nicht ein zweites M a l in diese Ämter gewählt werden. Das Verfassungsgericht der Ukraine überprüft auf Antrag die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung und der Rechtsakte der Werchowna Rada, des Präsidenten, des Ministerkabinetts sowie der Werchowna Rada der Autonomen Republik K r i m . 6 Vom ukrainischen Verfassungsgericht können auch Rechtsakte überprüft werden, die vom Präsidium der Werchowna Rada vor der Verabschiedung der Verfassung am 28. Juni 1996 erlassen wurden. Dem Verfassungsgericht obliegt die
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In der Verfassung der Ukraine sind außerdem einschlägig die Artikel 85, 92, 104, 106, 111, 124, 126-128, 137, 159 sowie Abschnitt XV der Übergangsbestimmungen der Verfassung, vgl. Schemschutschenko, J. /Muraschyn, H., 1997: Konstytuzijnyj Sud Ukrajiny, Kyiw, S. 8. 4 Die meisten der heutigen Verfassungsrichter haben vor der juristischen Laufbahn eine einfache Tätigkeit ausgeübt gemäß der sowjetischen Gepflogenheit, dass man sich die Zulassung zum Studium erst durch mehrjährige „schwarze Arbeit" (tschernaja rabota) im Sinne schwerer körperlicher Arbeit erdienen musste. So ist es keine ungewöhnliche Laufbahn gewesen, vor dem Studium zunächst im Kohlebergwerk oder in einem landwirtschaftlichen Betrieb zu arbeiten. Der jetzige Vorsitzende des Verfassungsgerichts Skomorocha arbeitete zunächst als Traktorist einer Kolchose. Sein Vorgänger Tymtschenko hütete das Vieh auf einer Kolchose. 5 Diese Bestimmung wird als mögliche Störquelle für die Unabhängigkeit der richterlichen Entscheidung gesehen. Es wird argumentiert, dass ein Verfassungsrichter, der sich um eine weitere Beschäftigung kümmern muss, seine Entscheidung unter Karriereaspekten fällen könnte. Vgl. Futey, Bohdan: Comments on the Law on the Constitutional Court of Ukraine, in: East European Constitutional Review, H. 2 (6), 1997, S. 58. 6 Vgl. Martynenko, P., 1999: Konstituzijnyj Sud Ukrajiny: dwa roky dijal'nosti, in: Politytschnyj kalendar, No. 4, S. 11.
E. Die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Ukraine
verbindliche Auslegung der Verfassung und der Gesetze der Ukraine (Art. 13 VerfGG). A u f Antrag des Präsidenten oder des Ministerkabinetts der Ukraine prüft das Verfassungsgericht die Übereinstimmung der ukrainischen Verfassung mit internationalen Verträgen der Ukraine. Das Verfassungsgericht wird im Falle eines Amtsenthebungsverfahrens gemäß Art. 111 und 151 der Verf. gegen den Präsidenten eingeschaltet. Das Verfassungsgericht überprüft einen verfassungsändernden Gesetzentwurf dahingehend, ob er mit den Verfassungsartikeln 157 und 158 übereinstimmt (Art. 59 Verf.). Die Verfassung kann nicht geändert werden, wenn dies die Menschenrechte und Freiheiten der Bürger einschränken würde. Ebenso sind Verfassungsänderungen unzulässig, wenn sie die Unabhängigkeit der Ukraine aufheben und die territoriale Unversehrtheit des Landes verletzen würden. Die Verfassung der Ukraine darf nicht unter den Bedingungen des Kriegs- oder Ausnahmezustandes geändert werden (Art. 157 Verf.). Wurde ein verfassungsänderndes Gesetz von der Werchowna Rada bereits einmal abgelehnt, darf es frühestens nach einem Jahr wieder dem Parlament vorgelegt werden. Die Werchowna Rada darf innerhalb einer Legislaturperiode dieselbe Verfassungsnorm nicht zweimal ändern (Art. 158 Verf.). Das Gesetz über das Verfassungsgericht der Ukraine sieht zwei Rechtsmittel vor, die dort eingelegt werden können. Diese sind nach Art. 38 VerfGG der Prüfungsantrag (konstituzijne podannja) und die Anrufung des Verfassungsgerichts (konstituzijne swernennja). Einen Prüfungsantrag können nur juristische Personen stellen. Diese sind der Präsident der Ukraine, mindestens 45 Abgeordnete der Werchowna Rada, das Oberste Gericht der Ukraine, der Beauftragte der Werchowna Rada für Menschenrechte (Ombudsmann), die Werchowna Rada der Autonomen Republik K r i m und Organe der lokalen Selbstverwaltung. Das zweite Rechtsmittel, die Anrufung des Verfassungsgerichts (konstytuzijne swernennja), dient der offiziellen Auslegung der Verfassung der Ukraine und der Gesetze der Ukraine gemäß Art. 13, Abs. 4 VerfGG. Hier können sich die Bürger direkt an das Verfassungsgericht wenden. Die Anrufung des Verfassungsgerichts ist zulässig, wenn Verfassungsnormen oder Gesetze der Ukraine von ukrainischen Richtern nicht eindeutig angewendet wurden, so dass die verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten von Bürgern verletzt wurden. Ukrainische Staatsbürger, Ausländer, Personen ohne Staatsbürgerschaft und juristische Personen sind berechtigt, dieses Rechtsmittel beim Verfassungsgericht einzulegen. Von Anfang an lag das Schwergewicht seiner Tätigkeit auf der Klärung der Verhältnisse zwischen den Machtinstitutionen im Sinne einer Gewaltenteilung. Fragen der Kompetenzverteilung zwischen Exekutive und Legislative sind bis heute der Bereich, in dem mehr als die Hälfte der Verfahren am Verfassungsgericht anhängig werden. Da häufig bei Anträgen an das Verfassungsgericht der Präsident Beklagter oder Kläger ist, erschien es zweckmäßig, die Beziehungen zwischen Präsident und Gericht zu institutionalisieren. A m 22. Mai 1998 richtete Präsident Kutschma per Er-
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E. Die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Ukraine
lass das A m t des ständigen Vertreters des Präsidenten beim Verfassungsgericht ein. 7 Er bereitet dessen Anträge an das Verfassungsgericht vor, legt dem Verfassungsgericht den Standpunkt des Präsidenten dar und informiert diesen über den Fortgang der Verhandlung. Die Bedeutung des ständigen Vertreters des Präsidenten beim Verfassungsgericht kommt darin zum Ausdruck, dass er gleichrangig wie ein stellvertretender Leiter der Präsidialadministration ist. 8 Der Vertreter des Präsidenten beim Verfassungsgericht hat das Recht, an Kabinettssitzungen teilzunehmen. Seit der Einführung des Amtes wird es von dem früheren Abgeordneten Wladyslaw Nosow bekleidet. Nosow sieht seine Aufgabe darin, „Advokat des Präsidenten" zu sein. Er wird bei jedem Verfahren vor dem Verfassungsgericht, das die Interessen des Präsidenten berührt, hinzugezogen. 9 Eine Reihe wichtiger Entscheidungen dokumentiert die Bedeutung des Verfassungsgerichts. Dies gilt z. B. für die Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 29. Dezember 1999, mit dem die Todesstrafe für verfassungswidrig bezeichnet wurde. Der Präsident hatte dieses Verfahren vor dem Verfassungsgericht initiiert, weil sich die Werchowna Rada weigerte, über die Abschaffung der Todesstrafe zu entscheiden. 10 Eine der aufsehenerregendsten Verfahren vor dem Verfassungsgericht, das seit 1997 dort anhängig war, betraf das Verbot der ukrainischen Kommunistischen Partei durch das Präsidium der Werchowna Rada vom August 1991. Zwei Jahre später erreichte die Kommunistische Partei der Ukraine ihre Neuzulassung und kämpfte seitdem um die Rückgabe des enteigneten Besitzes. Einer der ersten Anträge an das neukonstituierte Verfassungsgericht stammte von der Kommunistischen Partei mit dem Antrag, das Verbot der Kommunistischen Partei der Ukraine vom August 1991 für rechtswidrig zu erklären. Entgegen den Fristenregelungen von Art. 57 VerfGG begann das Gericht erst am 16. Juli 1999 die Verhandlung in dieser Sache, also mit zweieinhalb Jahren Verspätung.
7
Auch bei dieser Institutionenbildung orientierte sich die Ukraine am russischen Beispiel, wo die Position des Vertreters des Präsidenten beim Verfassungsgericht bereits existierte. 8 Vgl. Poloschennja pro Postijnoho Predstawnyka Presydenta Ukrajiny u Konstytuzijnomu Sudi Ukrajiny, Pkt. 4 (liegt der Verfasserin vor). 9 Ein Hintergrundgespräch mit dem Vertreter des Präsidenten beim Verfassungsgericht fand am 1. November 2001 in Kiew in dessen Amtsräumen statt. 10 Die Ukraine hatte sich mit dem Beitritt zum Europarat am 9. November 1995 verpflichtet, die Todesstrafe abzuschaffen. Dieser Verpflichtung kam die Ukraine jedoch nicht nach, sondern ließ noch weitere 203 Menschen hinrichten. Vgl. „On execution in Ukraine of capital punishment - death penalty since 9 November 1995 till 31 March 1998", Mitteilung des ukrainischen Justizministeriums an den Europarat über den Vollzug der Todesstrafe (Stand 31. März 1998). Vgl. „Europarat droht der Ukraine mit Ausschluss", Deutsche Presse Agentur, 27. 1. 1999. In Belarus hingegen wurde die Entscheidung über Beibehaltung oder Abschaffung der Todesstrafe im Rahmen des umstrittenen Verfassungsreferendums vom 24. November 1996 getroffen. Für die Abschaffung der Todesstrafe plädierten nur 17,93 Prozent der Befragungsteilnehmer.
E. Die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Ukraine
Lange sah es so aus, als hätte die Klage der K P U keinerlei Aussicht auf Erfolg. Denn eine Wiederherstellung der alten Eigentumsverhältnisse hätte u. a. bedeutet, dass auch das Gebäude des Zentralkomitees der KPU, das heute als Sitz des Präsidenten dient, zurückgegeben werden müsste. Wider Erwarten entschied jedoch das Verfassungsgericht am 27. Dezember 2001, dass das Verbot der K P U durch zwei Resolutionen des Parlamentspräsidiums vom 26. und 30 August 1991 rechtswidrig erfolgte. Nur ein Gericht hätte das Parteiverbot aussprechen dürfen, hieß es in der Urteilsbegründung. 11 Die Forderung nach einer Rückübertragung der Eigentumswerte wurde freilich vom Verfassungsgericht abgelehnt. Stattdessen soll die K P U für die Enteignungen entschädigt werden. Dieser unerwartete Ausgang des Prozesses wurde von der K P U als „ A k t historischer Gerechtigkeit" gefeiert. 12 Das ukrainische Verfassungsgericht diente in der Vergangenheit häufig als Streitschlichtungsinstanz zwischen Parlament und Präsident und wurde zum Spielball gegensätzlicher Interessen. 13 Die Anträge an das Verfassungsgericht hatten häufig einen politischen Kontext. Oft musste das Verfassungsgericht eine Entscheidung über die Kompetenzabtrennung zwischen verschiedenen staatlichen Institutionen treffen. So ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Verfassungsgericht bisher überwiegend im Sinne des Präsidenten entschieden hat. Es entsteht der Eindruck, dass das Verfassungsgericht i m ukrainischen Institutionengefüge nur eine Scheinunabhängigkeit für sich reklamieren kann. Das Verfassungsgericht hat sich noch nicht zu einer unabhängigen Kontrollinstitution entwickeln können. 1 4 Politische Einflussnahme wird auch offen zugegeben. Der erste Vorsitzende des Gerichts, Tymtschenko, hat selbst eingeräumt, dass in mehreren Fällen von Deputierten oder Amtspersonen versucht wurde, einzelne Richter zu beeinflussen. 15 Von den linken Fraktionen i m Parlament wird versucht, die Suprematie über das Verfassungsgericht herzustellen, weil sie unzufrieden sind mit den bisherigen Entscheidungen des Verfassungsgerichts. Die Fraktion der Sozialisten warf dem Gericht in einer Erklärung über den „Angriff des Verfassungsgerichts auf die Demokratie und den Parlamentarismus in der Ukraine" vor, eine parlamentsfeindliche Haltung einzunehmen. Diese komme darin zum Ausdruck, dass in zehn Einzelent-
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Kuzio, Taras, 2000: The Communist Party, the Executive, and Ukraine's approaching Election, in: RFE/RL Newsline, Vol. 6, No. 10, Part II, 16. 1. 2002. 12 Vgl. Postanowa Presydiji Zentral'noho Komitetu Komunistytschnoji partiji Ukrajiny, 29. 12. 2001, in: http://www.kpu.kiev.ua/Arhiv/d020102.htm. 13 So wurde die Ernennung der Verfassungsrichter sogleich zum Politikum. Während der Präsident und der ukrainische Richterkongress zügig ihre Ernennungen vornahmen, konnte sich die Werchowna Rada zunächst nur auf vier Richter einigen, während zwei Richtersessel, die das Parlament besetzen sollte, vakant blieben. Erst im September 1997 waren die übrigen Richter gewählt und das Verfassungsgericht konnte in voller Besetzung arbeiten. 14 Vgl. Schemschutschenko, 2001: S. 194. 15 „Otsche, my potschynaemo", Interview mit dem ersten Vorsitzenden des Verfassungsgerichts Tymtschenko, in: Jurydytschnyj wisnyk Ukrajiny, 22.-28. 9. 2001, S. 7.
E. Die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Ukraine
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Scheidungen (von insgesamt über 60 Urteilen) des Verfassungsgerichts in der Zeit von 1997 bis 2000 die Rechte der Parlamentarier eingeschränkt worden seien. 1 6 Aus Unzufriedenheit mit dem Gericht plädierten in der Vergangenheit einige Fraktionen der Werchowna Rada für die Verlegung des Gerichts nach Charkiw. Das Gericht soll durch die räumliche Distanz zur Hauptstadt von den politischen Auseinandersetzungen zwischen den Institutionen ferngehalten werden, hieß es zur Begründung. In der Werchowna Rada wird auch diskutiert, Verfassungsänderungen vorzunehmen, denen zufolge das Verfassungsgericht nicht mehr die Aufgabe haben soll, Gesetze auszulegen. 17 Aus dem Parlament wird die Forderung erhoben, der Werchowna Rada das Recht zu geben, Entscheidungen des Verfassungsgerichts zu überprüfen. 18 Alle diese Vorschläge fanden jedoch bisher keine Mehrheit i m Parlament. Das Beispiel der Ukraine zeigt, welch essenzielle Rolle Verfassungsgerichte in Transformationsprozessen spielen. Die Entscheidungen von Verfassungsgerichten können richtungsweisend und prägend für junge Institutionen sein, die unter meist schwierigen Bedingungen entstanden sind und deren Bestand keineswegs gesichert ist. Denn bei der Ablösung von totalitären Systemen besteht eine relativ hohe Gefahr, dass die Entwicklung hin zu demokratischen Spielregeln wieder aufgegeben wird und dass es zu einem Rückfall in autoritäre Herrschaftsmodelle kommt. Dies können Verfassungsgerichte verhindern, wenn ihre Richtersprüche von einem tatsächlich unabhängigen Gesichtspunkt aus gefällt werden und wenn das Verfassungsgericht eine geachtete Institution ist. Zentral scheint hier das Problem der Legitimität zu sein. Nur wenn die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts garantiert ist, kann es seine Aufgabe umfassend wahrnehmen und werden seine Entscheidungen gebührend respektiert. Werden hingegen Verfassungsgerichte vorwiegend nach parteipolitischen Gesichtspunkten zusammengesetzt und werden die Gerichtsentscheidungen unter parteipolitischen Aspekten gefällt, dann ist die institutionelle Autonomie der Verfassungsgerichtsbarkeit verletzt. 1 9 Ein extensiver Einsatz des Verfassungsgerichtes zur Schlichtung politischer Konflikte, wie dies bis in die jüngste Vergangenheit in der Ukraine zu beobachten ist, beschädigt die Autorität dieser Institution.
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„Constitutional Court: Mirrored by Ukrainian politics", in: Research update, Ukrainian Center for Independent Political Research, No. 38/239, 22. 10. 2001. 17 Vgl. Schljaposchnikow, 2001: S. 201. 18 „Skomorocha, Wiktor: Rischennja ostatotschni i oskarschennju ne pidljahajut'", in: Urjadowyj kurjer, 18. 10. 2001, S. 8. 19 Rüb, 1996: S. 64.
F. Die Akteure des ukrainischen Transformationsprozesses Zur erfolgreichen Konsolidierung von demokratischen Strukturen in Übergangssystemen bedarf es politischer Führungspersönlichkeiten, die mit Mut und Visionen den Wandel zu stabilen Demokratien in Angriff nehmen. Nur wenn von Demokratie überzeugte Akteure in den Institutionen handeln, können diese eine demokratische politische Kultur herstellen. 1 Für den Transformationsprozess in der Ukraine soll daher untersucht werden, welche Akteurstypen hier Einfluss nehmen. Da die Institution des Präsidenten den Systemwandel des Landes maßgeblich bestimmt, werden die beiden bisherigen Amtsträger Leonid Krawtschuk (Dezember 1991 - Juli 1994) und Leonid Kutschma (seit Juli 1994) im Folgenden ausführlich dargestellt. Dabei ist von zentralem Interesse, mit welchen Prägungen und Erwartungen sie das Präsidentenamt antraten sowie welches Amtsverständnis und welcher Führungsstil für sie jeweils kennzeichnend waren. Ebenso soll herausgearbeitet werden, wie die Akteure das Präsidentenamt geprägt haben und wie sich die Beziehungen des Präsidenten zu den anderen Verfassungsinstitutionen gestaltet haben. Dabei soll auch die Frage beantwortet werden, welches Demokratieverständnis ihrem Handeln zugrunde liegt.
I. Leonid Krawtschuk seine Persönlichkeit und sein Führungsstil Leonid Makarowitsch Krawtschuk (Jahrgang 1934) ist das prominenteste Beispiel für die Kontinuität der Eliten beim Übergang von der ukrainischen Sowjetrepublik zu einem unabhängigen Staat. Nach den Parlamentswahlen 1990, mit denen das Machtmonopol der Kommunisten gebrochen wurde, hatte Krawtschuk die schwierige Aufgabe, als Vorsitzender der Werchowna Rada zwischen der nationaldemokratischen Opposition und den kommunistischen Abgeordneten zu vermitteln. Er tat dies, indem er eine Äquidistanz zur nationaldemokratischen Opposition und der linken Mehrheit einnahm. Seine Machtbasis wurden die sogenannten SouveränKommunisten. Diese traten für eine größere Eigenständigkeit der Ukrainischen SSR ein, stellten jedoch die Zugehörigkeit zur Sowjetunion nicht in Frage. Demgegenüber bildete die „Gruppe der 239" das orthodoxe kommunistische Lager. 2
> Vgl. MommsenI Bos/Steinsdorff, 1995: S. 3. Die 239 kommunistischen Abgeordneten wurden von dem Hardliner Stanislaw Hurenko angeführt, der zu Krawtschuk eine kritische Haltung einnahm. 2
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F. Die Akteure des ukrainischen Transformationsprozesses
Krawtschuk hielt zwar kritische Distanz zur Volksbewegung Ruch und lehnte deren Ansinnen einer Loslösung der Ukraine von Moskau kategorisch ab. Bei den Verhandlungen mit Gorbatschow über die Neuformulierung des Unionsvertrages vertrat Krawtschuk jedoch die Position weitreichender politischer und wirtschaftlicher Eigenständigkeit der Unionsrepubliken bei gleichzeitigem Fortbestand der Sowjetunion als Konföderation. Krawtschuks taktierende Haltung bei den Unionsverhandlungen sollte zum Zusammenbruch der Sowjetunion nicht unwesentlich beitragen. Krawtschuk, ein Paradebeispiel des Wendekommunisten, wählte instinktiv den Weg für seinen persönlichen Machterhalt. Während des Putsches vom 19. bis 21. August 1991 unterließ er einen direkten Aufruf zum Widerstand und eine öffentliche Verurteilung der Putschisten. Typisch für sein risikoscheues, vorsichtiges Wesen wagte er sich zunächst nicht aus der Deckung. In einem Fernsehauftritt 3 , der am 19. August um 16 Uhr unionsweit ausgestrahlt wurde, warnte er vor voreiligen Protesten und rief die Bevölkerung zu Ruhe und Besonnenheit auf, um Blutvergießen zu vermeiden. A m 20. August erklärte Krawtschuk in einem Radiointerview: „Ich denke, dass das Komitee (von Janajew, Pugo etc., Anm. d. Verf.) bereits einige Fehler gemacht hat, aber das ist normal, weil es ein neues Gremium ist. Es hat noch nicht zu sich selbst gefunden. Kann das korrigiert werden? Ich denke, j a . " 4 Krawtschuk spielte auf Zeit und wartete, bis sich die verworrene Lage in Moskau geklärt hatte, bevor er sich aus der Deckung wagte. Zu einer entschlossenen Haltung und Verurteilung der Putschisten kam Krawtschuk nicht aus eigener Überzeugung, sondern erst auf Drängen der Nationaldemokraten. A m 21. August 1991 erklärte er in einem Rundfunkinterview: „Meines Erachtens hat das Notstandskomitee aufgehört zu existieren . . . Das war eine Abweichung vom demokratischen Prozess." 5 Dem Drängen der nationaldemokratischen Opposition i m Parlament unter Ihor Juchnowskij war es zuzuschreiben, dass die Werchowna Rada der Ukraine schon am 24. August 1991 zu einer Sondersitzung zusammentrat. Die Sitzung konnte gegen den Willen Krawtschuks nur stattfinden, nachdem die Opposition unter den Deputierten 150 Unterschriften gesammelt hatte, die laut Geschäftsordnung für die Anberaumung der Sondersitzung erforderlich waren. Unter dem Druck der Verhältnisse setzte sich Krawtschuk an die Spitze derjenigen, die die Gunst der Stunde nutzten und den Austritt der Ukraine aus der Sowjet3 Krawtschuk behauptete, dass die Fernsehansprache, die in Kiew aufgezeichnet wurde, in Moskau zusammengeschnitten wurde. Daher sei in der ausgestrahlten Version der Eindruck entstanden, Krawtschuk unterstütze das Notstandskomitee. 4 Dieses Rundfunkinterview wurde zwei Tage später in der ukrainischen Presse nachgedruckt. Interessanterweise fehlt in der für den Zeitungsabdruck bestimmten Version die Aussage Krawtschuks, das Ausnahmekomitee habe „noch nicht zu sich selbst gefunden", die als eine Unterstützung der Putschisten gewertet werden konnte. Vgl. Solchanyk, Roman, 1991: Ukraine: Kravchuk's Role, in: Report on the USSR, S. 48, Fußnote 6. 5 Solchanyk, 1991: S. 48.
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union mit Entschiedenheit betrieben. Auch die kommunistische Mehrheit, die „Gruppe der 239", sah keine andere Handlungsalternative, als der Unabhängigkeitserklärung zuzustimmen. Die kommunistische Partei der Ukraine und ihre Führung waren gelähmt, ihr Herrschaftswille gebrochen. Der Partei Vorsitzende Stanislaw Hurenko hatte vor der Abstimmung die kommunistischen Abgeordneten versammelt und erklärt, ihre einzige Rettung sei der Austritt aus der Sowjetunion. 6 So kam das einstimmige Votum für die Unabhängigkeitserklärung am 24. August 1991 zustande. Nach dem August-Putsch sah sich Krawtschuk mit vielen Fragen zu seiner taktierenden Haltung konfrontiert. Vorwürfen, er habe nicht entschlossen genug gehandelt, und Rücktrittsforderungen an seine Person begegnete Krawtschuk mit wortreichen Ausführungen. So habe er sogleich am 19. August 1991, dem ersten Tag des Putsches, seinen Austritt aus der KPdSU erklärt, als der Ausgang des Staatsstreiches noch keinesfalls klar war. 7 Krawtschuk rechnete es seinem persönlichen Verhandlungsgeschick an, dass während des Putsches in der Ukraine kein Ausnahmezustand verhängt wurde. 8 Während Krawtschuk später seinen Heldenmut gegenüber den Putschisten herausstellte, verwies die Opposition auf die Unentschlossenheit des Parlamentsvorsitzenden. Für Oppositionsführer Ihor Juchnowskij war klar, dass Krawtschuk und die Parteinomenklatura in der Ukraine zu den Helfershelfern des Putsches gehörte. 9 Krawtschuk wies die Vorwürfe immer zurück: „Ich habe damals (in der Fernsehansprache vom 19. August, Anm. d. V.) erklärt, dass wir keine verfassungswidrigen Strukturen anerkennen würden. Es stimmt, ich bin nicht mit der Fahne auf die Straße gegangen, aber die Situation hat es auch nicht erfordert. Wir haben die Autorität des Staatskomitees nie anerkannt." 1 0
6 Interview mit Wjatscheslaw Tschornowil „Wid politw'jasna do deputata", in: Kyiws'ka Prawda, 29. 9. 1991, S. 1. 7 Der Wortlaut der Austrittserklärung aus der Partei ist in der Biographie Krawtschuks wiedergegeben. Darin heißt es: „Die Leitung des ZK der KPdSU hat in dieser für die Demokratie schwierigen Zeit die Demokratie verraten und muss dafür zur Verantwortung gezogen werden." Die Erklärung soll laut Krawtschuk am 19. 8. 1991 vormittags nach der Unterredung mit den Generälen des Notstandskomitees von ihm schriftlich niedergelegt worden sein. Vgl. Tschemerys, Walentin, 1994: Presydent, Kyiw, S. 213. 8
Am 19. August 1991 hatte eine Unterredung Krawtschuks mit hochrangigen Militärs stattgefunden, die im Auftrag der Moskauer Verschwörer die Kontrolle über die Ukraine sicherstellen sollten. Dies waren General Warennikow und der Kommandeur des Wehrbezirks Kiew, General Tschitschewatow. Warennikow forderte Krawtschuk auf, seinen Kurs zu ändern und „die richtige Position" einzunehmen, d. h. das Notstandskomitee zu unterstützen. Warennikow drohte damit, in der Westukraine und in Kiew den Ausnahmezustand zu verhängen. Nach der Darstellung Krawtschuks habe er Warennikow angeherrscht, dass er sich durch Drohungen nicht einschüchtern lasse. Außerdem habe er Dokumente verlangt, die belegten, dass Warennikow im Auftrag des Notstandskomitees handele. Vgl. Tschemerys, 1994: S. 207/208. 9 Vgl. Tschemerys, 1994: S. 215.
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A u f seine Bewerbung als Präsident sollte sich seine Wankelmütigkeit nicht nachhaltig negativ auswirken. 11 In der Parlamentssitzung vom 24. August 1991 erhielt Krawtschuk als Parlamentsvorsitzender weitreichende Sondervollmachten bis zu den Präsidentschaftswahlen. 12 Nachdem Krawtschuk seinen Sitz im Z K und Politbüro der KPdSU sowie i m Z K der Ukrainischen KP niedergelegt hatte 1 3 , präsentierte er sich als Symbolfigur eines gleitenden Übergangs in ein neues System. Da er die alte Nomenklatura als künftige Machtbasis benötigte, konnte Krawtschuk an einem Austausch der Eliten nicht interessiert sein. So blieben fast alle Strukturen bis auf die Parteiorgane von einem Kaderwechsel verschont. Das Kabinett unter Regierungschef Witold Fokin blieb weiterhin i m Amt. Krawtschuk unternahm auch keine Schritte, die kommunistische Parlamentsmehrheit von der Notwendigkeit von Gründungswahlen als einer sinnvollen Konsequenz aus dem Umbruch zu überzeugen. Der Klammergriff des Zentrums wurde nach dem August-Putsch 1991 immer schwächer je mehr die Republiken ihre Unabhängigkeitserklärungen mit politischem Leben erfüllten. Zum Mittelpunkt der politischen Entwicklung wurden die Republikparlamente, die grundlegende Weichenstellungen vornahmen. „Heute hat sich das Zentrum des politischen Lebens bereits in die Republiken verlagert", erklärte Krawtschuk am 3. September 1991 vor der Werchowna Rada in Kiew. Niemand könne den Republiken die Form des politischen Systems mehr aufzwingen. 1 4 A m 1. Dezember 1991 wurde Krawtschuk mit 61,59 Prozent der Stimmen zum ersten Präsidenten der Ukraine gewählt. 1 5 Krawtschuks Wahlerfolg zeigte, dass die Mehrheit der Bürger für eine „nationale Wiedergeburt ohne nationalen Führer" 1 6 eintrat, denn Krawtschuk war kein charismatischer Nationalheld. Weil die Verhältnisse stabil bleiben sollten, gaben die Wähler dem Apparatschik Krawtschuk das Mandat für die Verwaltung des Übergangs. Auch in den meisten anderen ehemaligen Sowjetrepubliken waren es ehemalige kommunistische Spitzenfunktionäre, die zu neuen nationalen Führern aufstiegen, die kommunistische Herrschaft liquidier10
„Jelzin darf nicht führen." Präsident Leonid Makarowitsch Krawtschuk über die Spannungen zwischen den GUS-Staaten, Interview in Profil Nr. 5/27. Jänner 1992, S. 49. 11 Vgl .Kuzio, 1993: S. 833. 12 Vgl. Interfax, 24. 8. 1991 sowie Literaturna Ukrajina, 29. 8. 1991. 13 Die Aufgabe dieser Parteiämter gab Krawtschuk in der Sitzung des Obersten Sowjets am 24. August bekannt. 14 „Informazija Holowy Werchownoij Rady Ukrajiny L. M. Krawtschuka na tschetwertij sesiji Werchownoij Rady Ukrajiny 3 weresnja 1991 roky, in: Kyiws'kyi wisnyk, 6. September 1991. 15 Krawtschuk gewann die meisten Stimmenanteile im linkszentristischen Wählerspektrum. Sein Herausforderer Wjatscheslaw Tschornowil von Ruch kam auf 23,3 Prozent, während auf die übrigen Bewerber Stimmenanteile von unter 5 Prozent entfielen. Vgl. Ott, 1999a: S. 16. 16 Ebda.
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ten und nationale Freiheit, Marktwirtschaft und Demokratie zu ihrer neuen Handelsmaxime machten. Nur selten gelang es dagegen Persönlichkeiten der Opposition, Spitzenpositionen in den neuen Staaten einzunehmen. 17 Krawtschuk selbst interpretierte seinen Wahlsieg folgendermaßen: „Die Ukrainer haben glücklicherweise nicht nach der Vergangenheit, sondern nach der Gegenwart geurteilt, also danach, wer die Interessen des Volkes am besten vertritt." 1 8 Ausdruck von Krawtschuks Vorstellung eines unabhängigen Staates war sein Wahlprogramm der „fünf D " . Diese standen für Derschawnist, Demokratija, Dostatok, Duchownist, Dowirja (Staatlichkeit, Demokratie, Wohlstand, Geistigkeit, Vertrauen). M i t der Person Krawtschuks verbanden sich die Hoffnung auf einen friedlichen Systemübergang und eine Bewältigung der Wirtschaftskrise sowie der Wunsch nach Eigenstaatlichkeit. 19 Krawtschuk, einstmals entschiedener Gegner einer Loslösung von der Sowjetunion, erklärte sich zum glühenden Verfechter einer unabhängigen Ukraine. Krawtschuks Nationalismus äußerte sich in einer brüsken außenpolitischen und ökonomischen Abgrenzung von Russland und einem kompromisslosen Unabhängigkeitskurs. Staatsbildung hatte nun für Krawtschuk obersten Stellenwert, nicht der Umbau des politischen und wirtschaftlichen Systems im Sinne einer größeren Leistungsfähigkeit. A u f dem Gründungskongress von Ruch 1989 hatte Krawtschuk noch vor einer Abspaltung von Moskau gewarnt. Seine listenreichen Manöver als Politiker brachten ihm die Bezeichnung Wendehals e i n 2 0 und brachten Kritiker wie Bewunderer dazu, über das Phänomen Krawtschuk zu rätseln. Als Krawtschuk 1934 in dem Dorf Welikij Schytyn i m Gebiet Riwne als Sohn eines Bauern geboren wurde, befand sich dieser Teil der Ukraine unter polnischer Herrschaft. 1939 kam das Gebiet zur Sowjetunion, zwei Jahre später etablierte Gauleiter Erich Koch dort die nationalsozialistische Schreckensherrschaft. Leonid Krawtschuks Vater fiel i m Zweiten Weltkrieg. Krawtschuk teilt dieses Schicksal mit Leonid Kutschma. Auch dessen Vater kehrte aus dem Krieg nicht mehr zurück. Unter ärmlichen Bedingungen aufgewachsen, hatte Krawtschuk es sich zur Lebensmaxime gemacht, besser als alle anderen zu sein und sich hochzuarbeiten. M i t Fleiß, Pedanterie und glänzenden Noten erreichte er die Aufnahme an die TarasSchewtschenko-Universität in Kiew, wo Krawtschuk eine Lehrerausbildung für Politökonomie absolvierte. Sein erster Berufseinsatz führte ihn 1958 im Alter von 24 Jahren nach Tschernowzi, um dort am Finanz-Technikum Politökonomie zu unterrichten. M i t dem Beitritt zur KPdSU i m selben Jahr eröffnete sich für '7 Jahn, 1993: S. 24. >8 „Jelzin darf nicht führen." In: Profil Nr. 5/27. Jänner 1992, S. 49. 19
„Rasnye liza Leonida Krawtschuka", Schisn' (Moskwa), H. 1, 1992, S. 4. Diese Wahrnehmung von Krawtschuks Wesen durch die Außenwelt hat in folgender Anekdote Niederschlag gefunden: Leonid Makarowytsch geht auf die Straße, es regnet. Jemand bietet ihm einen Regenschirm an, doch Krawtschuk lehnt ab. „Nicht nötig", sagt er. „Ich gehe zwischen den Regentropfen hindurch." Zitiert nach: Tschemerys, 1994: S. 24. 20
6 Hclmcrich
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Krawtschuk die Perspektive einer politischen Karriere. In Tschernowzi, der Provinzstadt mit verblichenem K.u.K.-Charme, war Krawtschuk zwölf Jahre lang tätig, zunächst zwei Jahre als Lehrer. Dann war er zehn Jahre Funktionär im Gebietsparteikomitee von Tschernowzi zuständig für Propaganda und Agitation. 1970 wurde er an die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der KPdSU in Moskau aufgenommen, an der er zum Kandidaten der Wirtschaftswissenschaften promoviert wurde. 2 1 Krawtschuk absolvierte damit wie Tausende von Ukrainern einen Moskauer Abschnitt in ihrer Ausbildung, mit der sie auf den Einsatz in ihrer Heimatrepublik vorbereitet wurden. 2 2 Folgerichtig rückte Krawtschuk in den Apparat des Zentralkomitees der K P U in Kiew auf. Ideologische Linientreue sicherte ihm während der Breschnew-Zeit den weiteren Aufstieg innerhalb der Partei, obwohl eine geheime ZK-Verordnung der K P U Westukrainern den Weg in hohe Parteiämter eigentlich verwehrte 2 3 . So wurde er zunächst Sektorleiter, dann Inspektor, später Gehilfe eines ukrainischen ZK-Sekretärs. Seit 1980 war Krawtschuk Abteilungsleiter für Propaganda und Agitation des Z K der KPU. 1989 stieg er zum ZK-Sekretär für ideologische Arbeit auf. 1990 wurde er Politbüromitglied und bekleidete für drei Monate die Position des Zweiten Sekretärs des Z K der KPU, mithin war er stellvertretender ukrainischer Parteichef. 30 Jahre hatte Krawtschuk Positionen in der kommunistischen Partei bekleidet, und dies ausschließlich i m Bereich Agitation und Propaganda. Er war ein Mitläufer des Systems und zeigte weder vor noch nach 1991 eine selbstkritische Haltung zu seiner persönlichen Rolle als Parteifunk.. 24 tionar. Früher oder später hätte ihn sein Weg in höhere Positionen nach Moskau geführt. Als sich jedoch der politische Niedergang der KPdSU abzeichnete, verließ er rechtzeitig das leckgeschlagene Schiff. Er ergriff die Gelegenheit, sich eine neue Machtbasis zu schaffen. 1990 gab Krawtschuk das Parteispitzenamt auf und über-
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Krawtschuks Dissertation trägt den Titel „Die Rolle des Gewinns im Sozialismus", vgl. Tschemerys, 1994: S. 123. 22 Vgl. Lindner/Meissner, 2001: S. 18. 23 Tschemerys, 1994: S. 43. 24 So hat Krawtschuk immer jedwede Schuldeingeständnisse wegen seiner Parteiarbeit abgelehnt. Auch als hochrangiger Parteifunktionär habe er keinen Gestaltungsspielraum gehabt. In einem Interview äußerte er sich dazu folgendermaßen: „Was hätte ich als Abteilungsleiter (für Agitation und Propaganda im ZK der KPU, Anm. der Verf.) ändern können? Nichts. Hätte Schtscherbizkij etwas anders machen können? Nein. Die Macht der Partei und des KGB, das System war so ausgearbeitet, dass auch der Partei Vorsitzende sofort vernichtet worden wäre, hätte er etwas ändern wollen. ( . . . ) Jeder im Sowjetsystem musste sich von der Balance seiner Möglichkeiten leiten lassen, nicht von seinen eigenen Vorstellungen. Die andere Frage ist, habe ich etwas getan, was jemandem persönlich Schaden zufügte? Meine Antwort ist Nein. Ich war nicht beteiligt an Folterungen, an Repressionen, an Hunger, an nichts. Deshalb tut es mir nicht leid um das, was war. Weil ich wusste, dass ich die Situation damals nicht ändern konnte." Zitiert nach: Tschemerys, 1994: S. 37.
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nahm den Vorsitz des Obersten Sowjets der Ukraine. Als ukrainischer Parlamentspräsident war er protokollarisch Staatsoberhaupt der Republik. Hatte Krawtschuk tatsächlich eine ideologische Wende vollzogen, und wenn ja, welche Faktoren hatten diese ausgelöst? Die Ukraine hatte später als die meisten anderen Sowjetrepubliken Veränderungen in der Gesellschaft erlebt. Durch die Öffnungspolitik Gorbatschows tauchten auch in der Ukraine Strömungen auf, die den Machtanspruch der Kommunistischen Partei erschütterten. Aufbauend auf der Dissidentenbewegung der 60er Jahre, den sogenannten Schestidesjatniki 25 , entstand eine Nationalbewegung aus mehreren Gruppierungen, die sich nicht mehr davor scheute, ihre Ziele in der Öffentlichkeit zu propagieren. Das Epizentrum der Gegenöffentlichkeit war die Volksbewegung Ruch. Zu Anfang vertrat sie moderate, überwiegend kulturpolitische Zielsetzungen, stellte den Fortbestand der Sowjetunion nicht in Frage und sah sich nicht in Opposition zur Kommunistischen Partei. Beim Ruch-Gründungskongress im September 1989 war Krawtschuk als Gast und Redner anwesend, was den Unwillen der ZK-Leitung erregte. 26 I m ZK-Apparat vertrat Krawtschuk die Ansicht, es sei besser, mit Ruch in Dialog zu treten und die Bewegung dadurch im Sinne der Partei zu beeinflussen, als die Konfrontation mit ihr zu suchen. In Rededuellen, die er sich mit Ruch-Vertretern im Fernsehen lieferte, wurde Krawtschuk republikweit bekannt. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Krawtschuk behilflich war, dass 100.000 Exemplare der unzensierten Fassung des Ruch-Programms gedruckt werden konnten. 2 7 Trotzdem blieb Krawtschuk der nationaldemokratischen Opposition suspekt. Als Krawtschuk im Sommer 1990 den nach Moskau weggelobten Wolodymyr Iwaschko als Parlamentsvorsitzenden beerben sollte, verweigerte die Opposition ihm ihre Zustimmung. 2 8 Krawtschuk wurde am 23. Juli 1990 mit 239 Stimmen, also der vollen Stimmenzahl des konservativen kommunistischen Blockes, zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets gewählt, während die oppositionelle Narodna 25 Der Begriff Schestidesjatniki steht für die Wiedergeburt der ukrainischen Kultur im Zuge einer Liberalisierung des öffentlichen Lebens nach Stalins Tod. Die Schestidesjatniki dies waren vor allem junge Dichter, Schriftsteller und Künstler aus der Generation der 60er Jahre - weckten in der Bevölkerung ein breites Interesse an der ukrainischen Sprache und Literatur. Vgl. Zhurzhenko, Tatjana: Sprache und Nationsbildung. Dilemmata der Sprachenpolitik in der Ukraine, in: Transit, Europäische Revue, H. 21, S. 149. 26 Krawtschuk war damals als ZK-Sekretär der KPU zuständig für Ideologiefragen. Auf dem Ruch-Kongress heftete eine Aktivistin Krawtschuk ein Ruch-Abzeichen ans Revers. Krawtschuk ließ die provozierende Geste zwar geschehen, legte dann aber sofort, so als ob ihm zu warm sei, sein Jacket zusammen mit dem damals offiziell verpönten blau-gelben Oppositionszeichen ab. Vgl. Tschemerys, 1994: S. 159. 27 Vgl. Kuzio, 1998a: S. 30. Krawtschuk selbst betonte in seiner Biographie die Tatsache, dass er Ruch nicht nur bei der Veröffentlichung des Statuts, sondern auch bei der Organisation des Gründungskongresses 1989 geholfen habe. Vgl. Tschemerys, 1994: S. 158. 28 Krawtschuk war bei den Parlamentswahlen im März 1990 im Wahlkreis Nr. 39 (Jampil', Gebiet Winniza) zum Abgeordneten gewählt worden. Am 22. Juni 1990 wurde Krawtschuk Zweiter ZK-Sekretär der KPU. 6*
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Rada die Wahl boykottierte. Die Nationaldemokraten warfen Krawtschuk vor, er schmücke sich mit dem Image des nationalbewussten Kommunisten nicht aus Überzeugung, sondern aus Machtkalkül. Zu diesem Zeitpunkt trat Krawtschuk noch uneingeschränkt für den Erhalt der Sowjetunion e i n . 2 9 Nach 1991 wurde Krawtschuk in unzähligen Interviews zu seiner Tätigkeit in der Partei und zu seinem ideologischen Wandel befragt. Ein frühes Fernsehinterview von 1991 3 0 wirft ein bezeichnendes Licht auf Krawtschuks Persönlichkeit, auf seine Denkweise und Argumentationsart. Es soll daher auszugsweise zitiert werden. Frage (des ORT-Jounalisten Urmas Ott): Sie haben 30 Jahre in der Partei gearbeitet, mehr als die Hälfte Ihres Lebens. Bedauern Sie heute, dass Sie so viele Jahre für nichts vergeudet haben? Krawtschuk: Ich halte es für falsch, über diese Jahre voreilig zu urteilen. ... Ich hatte immer mit Menschen zu tun. Wie in Tschernowzi, wo ich im Haus für politische Aufklärung anfing zu arbeiten. Ich reiste, hielt Vorträge und immer gab es kritische Fragen. Ich sah in diesen Fragen, dass nicht alles so glatt und einfach war wie es etwa in der „Prawda" dargestellt wurde ( . . . ) Ich habe es nicht ganz verstanden. Aber ich ahnte, dass das Volk in seiner Masse eine andere Meinung hatte. Und das bestätigte sich nach 1985. Frage: Fühlen Sie sich von der Kommunistischen Partei betrogen? Krawtschuk: Wir wurden alle betrogen. Wir bekamen nur dosierte Informationen. ( . . . ) Mehr noch, wir hatten nur positive Informationen. ( . . . ) Negative Informationen über den Sozialismus als Ganzes, über das System an sich gab es faktisch nicht. Dies führte zu einer entsprechenden Art des Denkens. Das heißt, wir wurden alle betrogen, weil uns wahrhafte Informationen vorenthalten wurden. ( . . . ) Ich habe zum Beispiel erst vor drei Jahren die Wahrheit über den Hunger in der Ukraine erfahren. Bis dahin hieß es nur, die Hungerkatastrophe sei durch eine Fehlernte verursacht worden. Typisch für Krawtschuk sind seine ausweichenden Antworten, seine dialektische Gedankenführung und seine Meisterschaft, sich einer eindeutigen Aussage entziehen zu können. Der Fernsehjournalist Urmas Ott resümierte nach dem Gespräch mit Krawtschuk nicht ohne Selbstironie: „Jetzt haben wir uns fast eineinhalb Stunden unterhalten. Ihnen ist es wunderbar gelungen, sich so darzustellen, wie Sie es wollten. Aber wer Sie wirklich sind, ist mir auch nach diesem langen Gespräch nicht klargeworden. ( . . . ) Ich gebe mich geschlagen.'4 In anderen Interviews bekräftigte Krawtschuk die Aussage, dass die Wahrheit über die Hungersnot 1933, über die Repressionen der Stalinzeit und die außenpolitischen Geheim Verträge (i.e. der Hitler-Stalin-Pakt 1939, Anm. d. V.) seine Ansichten „radikal" geändert habe. 31 Hätte er früher Kenntnis von diesen historischen Ereignissen gehabt, wäre er niemals in die Partei eingetreten, beteuerte er. 3 2 29 Vgl. Meldung von Radio Kiew, 3. Programm, 19. 7. 1990, 23:20 Uhr. 30 Vgl. Fernsehgespräch „Urmas Ott besedujet s presidentom Ukrainy Leonidom Krawtschukom", 1-j Kanal, 11. 2. 1992, 21:35 Uhr. 31 „Jelzin darf nicht führen." Interview in: Profil Nr. 5/27. Jänner 1992, S. 49.
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Aus der Höhe der neu gewonnenen Einsichten beanspruchte Krawtschuk für sich fürderhin die Rolle des Moderators zwischen der nationaldemokratischen Opposition und den früheren Parteigenossen. Er sah seine Aufgabe in der „Stabilisierung der wirtschaftlichen Krisensituation und Konsolidierung der politischen Kräfte für den Aufbau einer unabhängigen Ukraine." 3 3 Gleichzeitig war er vorsichtiger Taktierer, der sich mehrere Handlungsoptionen offenließ. Nicht zufällig ist Schachspiel sein Steckenpferd und das Fabelwesen des „Lys Mikita", des schlauen Fuchses, Krawtschuks Synonym. Vielleicht war es aber auch ein Übermaß der ihm eigenen Schlauheit, die 1994 zum Verlust seines Präsidentenamtes führte, als die Mehrheit der Bevölkerung für den intellektuell einfacher strukturierten Leonid Kutschma votierte. Auch wenn Krawtschuk sich als Präsident gerne volksnah gab, blieb doch eine akademische Distanz. Seine dialektische Denkweise, seine in vielen Jahren geschulte Rhetorik, seine Vergangenheit als Mitarbeiter des Parteiapparates, einer bis vor kurzem furchteinflößenden Institution, brachten ihm zwar den Respekt, nicht jedoch die Sympathie des ukrainischen Durchschnittsbürgers ein. Den Ton des einfachen Volkes traf er nicht.
1. Krawtschuks „symbolische" Politik Nach dem August-Putsch erkannte man in den einzelnen Republiken, dass man unerwartet und mehr oder weniger unfreiwillig in die Freiheit entlassen worden war. Auch wenn in der Ukraine die Volksbewegung Ruch Zehntausende zu mobilisieren verstand, war die Forderung nach Unabhängigkeit bis Jahresmitte 1991 eine Minderheitsposition, da die Oppositionsbewegung bei weitem nicht überall i m Land Fuß gefasst hatte. Die Nationaldemokraten konnten mit der Zustimmung von höchstens einem Drittel der Wahlbevölkerung der Ukraine rechnen. 34 Die Ukraine war ohne Revolution zu ihrer Unabhängigkeit gekommen. Die Unabhängigkeitserklärung wurde vor allem von der nationaldemokratischen Opposition und in den Westteilen des Landes gefeiert. Der Zusammenbruch jahrzehntelang recht und schlecht funktionierender Strukturen und das Ende der kommunistischen Herrschaft 1991 wurde hingegen von der Mehrheit der Bevölkerung mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Viele hatten den Eindruck gewonnen, dass die ukrainische Unabhängigkeit i m Wesentlichen von den nationalbewußten Westukrainern herbei geführt worden sei. Die Freude über dieses vermeintliche „Geschenk der Banderiwzi" 3 5 war daher verhalten.
32 Tschemerys, 33
1994: S. 121/122.
Vgl. „Hichto ne proti, wsi - sa!", in: Demokratytschna Ukrajina, 1. 2. 1992, S. 2. Vgl. „President Ukrainy prowel wstretschu s predstawiteljami partij i dwischenij", Tass, 21.2. 1992. 3 4 Kuzio, 1998a: S. 29.
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Wären die letzten Gorbatschow-Jahre nicht von so eklatanten Versorgungsmängeln geprägt gewesen, hätte sich die Unzufriedenheit mit dem alten Regime in Grenzen gehalten. Man schickte sich 1991 also in die Unvermeidlichkeit einer neuen Situation mit vielen unbekannten Faktoren. Die alte Elite unter Krawtschuk, die in der Nationalstaatlichkeit eine Möglichkeit zum Machterhalt sah, machte sich eine diffuse Bejahung für den Weg der Unabhängigkeit zunutze. Da sie weiterhin an den Schalthebeln der Macht saß, war es für sie nicht schwer, die „sogenannten administrativen Ressourcen" für eine Öffentlichkeitskampagne zu instrumentalisieren, um Krawtschuk zum Sieg zu verhelfen. Da kein wirtschaftliches Konzept für eine unabhängige Ukraine existierte, beherrschten außenpolitische Fragen und dabei zuallererst die Beziehungen zu Russland die politische Arena. Der Streit mit Russland über die in der Ukraine stationierten Atomwaffen, die Aufteilung der Schwarzmeerflotte und die Zugehörigkeit der K r i m dominierten die Diskussion, in der Krawtschuk die Rolle des Staatsmannes zu spielen pflegte. Entschlossen trieb er die Entwicklung einer eigenen Staatssymbolik voran. Vergessen war sein Kampf gegen die einstmals oppositionelle blau-gelbe Flagge, die das Erkennungszeichen der Ruch-Demonstrationen gewesen war, und die Krawtschuk noch in seiner Funktion als Chefideologe der K P U verurteilt hatte. Nach 1991 setzte er die blau-gelbe Flagge gegen den Widerstand der kommunistischen Parlamentsmehrheit als Staatssymbol durch. Ebenso wurde das oppositionelle Dreizack-Banner und die Hymne „Noch ist die Ukraine nicht verloren", welche die Kundgebungen der Opposition begleitet hatten, auf Staatsrang erhoben. Krawtschuk stilisierte sich zum Hüter des ukrainischen Volkes und machte sich gewissermaßen selbst zum zentralen Symbol der unabhängigen Ukraine. 3 6 Seinem Präsidentenamt verlieh er etwas Mystisch-Überhöhtes, so als sei es so vorherbestimmt, dass er, Leonid Krawtschuk, die Ukraine in die Unabhängigkeit führen sollte. Stolz bekannte sich der ehedem überzeugte Atheist dazu, getauft zu sein, und suchte demonstrativ die Nähe zur orthodoxen Kirche. Krawtschuk protegierte das Wiedererwachen der Ukrainischen Autokephalen Kirche, deren Priester unter Stalin verfolgt wurden und die seitdem nur im Untergrund bzw. im westlichen Ausland weiter existiert hatte. 35
Ein Teil der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung sah sich in der Tradition des Nationalhelden Stepan Bandera aus der Westukraine. Bandera wurde 1940 Anführer des radikalen Flügels der „Organisation Ukrainischer Nationalisten" (OUN) und war im ukrainischen Widerstand gegen die Sowjetherrschaft aktiv. Die OUN-B organisierte den antikommunistischen Partisanenkampf. Bandera wurde von den Nationalsozialisten in KZ-Haft gebracht. Im deutschen Exil wurde Stepan Bandera 1959 in München von einem Agenten des sowjetischen Geheimdienstes ermordet. In der Diktion sowjetischer Propaganda wurde die Bezeichnung „Banderiwzi" bis in die 90er Jahre gleichgesetzt mit den schlimmsten Formen von ukrainischem Nationalismus. Vgl. Bihl, Wolfdieter, 1992: Die Ukraine - Geschichte und Weg in die Unabhängigkeit, in: Österreichische Milit. Zeitschrift, H. 6, S. 500 ff. 36 Vgl.Motyl, 1998, S. 115.
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Dem Trend der Zeit folgend bemühte auch Krawtschuk das Klischee vom vermeintlichen 350jährigen Kampf des ukrainischen Volkes um seine Unabhängigkeit. Mühelos reihte er sich ein in die Nachfolge von Bohdan Chmelnizkij, Iwan Masepa und Wolodymyr Hruschewskij 3 7 , als deren Vermächtnis er es nun als seine Aufgabe ansah, die ukrainische Staatlichkeit unwiderruflich zu festigen. Kurzum, Krawtschuks Rhetorik beherrschten Schwulst und nationaler Pathos. Dies verhinderte die Einsicht in die Notwendigkeit sachorientierter Entscheidungen. Krawtschuks Bemühen war darauf gerichtet, die Ukraine als unabhängigen Staat auf der internationalen Bühne bekannt zu machen und in die westliche Staatengemeinschaft zu integrieren. Aufmerksamkeit ließ sich am ehesten mit den Atomwaffen erreichen, welche die Ukraine von der Sowjetunion geerbt hatte. Ein erstes Alarmsignal an Moskau und den Westen war i m Herbst 1991 Krawtschuks Entscheidung, den Abtransport der taktischen Atomwaffen nach Russland vorübergehend zu stoppen. Damit signalisierte der ukrainische Präsident, dass die Ukraine aus dem Schatten Russlands herauszutreten gewillt war und künftig eine eigenständige Rolle in der internationalen Politik anstrebte. I m Gegensatz zu den zwei anderen Nuklearnachfolgestaaten der Sowjetunion, Belarus und Kasachstan, verzichtete die Ukraine nicht von vorneherein auf die strategischen landgestützten Raketensysteme SS-19 und SS-24. 3 8 Die Ukraine beharrte auf ihre Eigentumsrechte, die sie nur gegen materielle Kompensation aufzugeben bereit war. In logischer Konsequenz verweigerte die Ukraine daher auch die Ratifizierung des Start-Vertrages, der die Ukraine zum Verzicht auf alle Atomwaffen verpflichtet hätte. 3 9 In Kiew glaubte man zeitweise entgegen aller Vernunft, eine eigene nukleare Streitmacht aufbauen zu können. Als klar wurde, dass das die technischen und finanziellen Möglichkeiten des Landes überschreiten würde, versuchte die ukrainische Führung, für den Verzicht auf die Atomwaffen westliche Finanzhilfe zu bekommen. 4 0 Infolge des Tauziehens um die Raketen wurde die Ukraine auf interna-
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Bohdan Chmelnizkij (1596- 1657) organisierte den großen Kosakenaufstand von 1648 gegen die polnische Herrschaft, erkannte jedoch in dem Freundschaftsvertrag von Perejaslawl 1654 die Unterstellung der Ukraine unter Russland an. Zusammen mit dem Kosakenhet'man Iwan Masepa (1639- 1709) symbolisiert Chmelnitzkij den Kampf um die nationale Eigenständigkeit. Der Sozialrevolutionär Wolodymyr Hruschewskij (1866- 1934) leitete das Präsidium der Zentral'na Rada, des Vorparlaments, das 1918 die kurzlebige Unabhängigkeit der ukrainischen Volksrepublik proklamierte. Vgl. Golczewski, 1993: S. 78 ff., S. 103- 107, S. 172 ff. 38 Alexandrova, Olga, 1992: Die Ukraine in Ostmitteleuropa: Bindeglied zwischen Ost und West?, in: Europa-Archiv, Folge 18, S. 542. 39 „Gespräche über Atomwaffen-Abbau gescheitert. Die Ukraine will dem Abkommen mit Washington als gleichberechtigter Partner beitreten", in: Süddeutsche Zeitung, 13. 4. 1992. Vgl. Schmidt-Häuer, Christian: Die Atom-Erben lassen sich Zeit. Kasachstan, Belarus und die Ukraine haben noch nicht über ihr Arsenal entschieden, in: Die Zeit, 3.4. 1992.
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tionaler Bühne nun heftig umworben. Es setzte eine rege Reisetätigkeit westlicher Politiker nach Kiew ein. US-Präsident B i l l Clinton traf sich wiederholt mit Krawtschuk, um die Ukraine für die US-amerikanischen Abrüstungspläne zu gewinnen. Gegenüber den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern, die eine starke Ukraine als regionales Gegengewicht zu Russland unterstützten, signalisierte Kiew verbal die Bereitschaft zu Reformen. Doch konkrete Schritte zum Systemwechsel unterblieben. Krawtschuk „lavierte, redete viel und sagte nichts". 4 1 Statt dessen verschlechterte sich zusehends das Verhältnis zu Russland. In dem Bemühen, die Rolle der „kleinen Schwester" im Schatten Russlands abzustreifen, und im Gefühl internationaler Anerkennung erklärte Krawtschuk an die Adresse Moskaus, „es gibt keinen Ersten unter Gleichen, keinen stillschweigenden Führer." Eine Unterordnung der Ukraine werde er niemals mehr zulassen, sagte Krawtschuk 4 2 Er forderte daher, dass die Ukraine sich aus der „russischen Umklammerung" 4 3 befreien müsse. Seine virtuos betriebene „Politik der Nadelstiche gegen den russischen Nachbarn und das verhasste I m p e r i u m " 4 4 führte zur Konfrontation mit Moskau und krisenhaften Zuspitzung vor allem um den Hauptstützpunkt der Schwarzmeerflotte Sewastopol, so dass zeitweise sogar das Szenario einer kriegerischen Auseinandersetzung auf der K r i m bedrohlich realistisch schien 4 5 Krawtschuk konzentrierte sich während seiner Amtszeit auf seine repräsentativen Funktionen, die Vertretung der Ukraine gegenüber dem Ausland und die Schaffung nationaler Attribute. Er sah seine Aufgabe darin, den jungen Staat zunächst nach außen hin zu konsolidieren. Daher trieb er die Bildung eigener Streitkräfte und diplomatischer Vertretungen im Ausland voran. Verwaltungs- und Staatsstrukturen wurden ausgebaut und eine neue Staatssymbolik etabliert. Dazu gehörte auch eine eigene Währung. Schon 1992 hatte sich die Ukraine von der Rubelwährung abgekoppelt und mit dem Kupon Karbowanez eine Übergangswährung eingeführt. Leider fehlte es zu diesem Zeitpunkt an wirtschaftspolitischem
40 „Code knacken. Der Welt drittgrößte Atommacht zaudert mit der Abrüstung - aus Argwohn gegenüber dem russischen Nachbarn und aus Geldnot", in: Der Spiegel, 2/1993, S. 125/126. 41 „Die Ukraine vor dem Reform-Abenteuer, Präsident Kutschma umwirbt Russland und den Westen", in: NZZ, 8./9. 4. 1995. 42 „Jelzin darf nicht führen." Interview: in Profil, Nr. 5/27. Jänner 1992, S. 48/49. 43
„Kiew bestreitet Nachfolgerechte Russlands", in: Die Presse, 4. 2. 1991, S. 1. Kohl, Hans-Helmut: In Kiew traut man „dem Zentrum" alle möglichen Tricks zu, in: Frankfurter Rundschau, 30. 1. 1992. 45 So sagte Russlands Präsident, Boris Jelzin, vor Arbeitern einer Flugzeugfabrik in Uljanowsk: „Niemand wird Russland die Schwarzmeerflotte wegnehmen, und das schließt auch Krawtschuk ein. Die Schwarzmeerflotte war, ist und wird russisch bleiben." zitiert nach: Malek, Martin, 1992: Der Streit um die Schwarzmeerflotte, in: Österreichische Milit. Zeitschrift, H. 6, S. 503. 44
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Sachverstand, so dass es in den Jahren 1992 und 1993 zu einer Geldententwertung dramatischen Ausmaßes k a m . 4 6 Konzentriert auf das Bemühen um internationale Anerkennung und den Aufbau staatlicher Fundamente wurden anfangs innenpolitische Reformen völlig vernachlässigt. Entscheidungsschwäche und die Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, kennzeichneten den gesamten Führungsapparat des Staates. Die Kommunikation zwischen den Ministerien war mangelhaft, selten fanden Sitzungen des Ministerkabinetts statt. Bis Ende 1993 hatte das Wirtschaftsministerium acht Programme zur Stabilisierung der Wirtschaft vorgelegt, wobei alle aus Mangel an konkreten Maßnahmen scheiterten 4 7 Krawtschuk hielt sich vom Alltagsgeschäft lieber fern, er war kein „chosjajstwennik", d. h. er kannte die wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht aus eigener Tätigkeit. Statt dessen stilisierte er seine historische Leistung, dass er im Dezember 1991 zusammen mit Jelzin und Schuschkewitsch die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gegründet und damit die UdSSR zu Grabe getragen hatte. In einem Interview bekannte er zu diesem Thema: „Die UdSSR stand auf zwei Säulen: der KPdSU und dem KGB. Demokratie und Imperium sind unvereinbar, und die UdSSR war ein Superimperium, ein totalitäres Imperium, wie es die Welt noch nie gesehen hatte. Sobald die eine Säule, die KPdSU, morsch wurde, fingen alle tragenden Konstruktionen an, morsch zu werden. Nach dem August-Putsch wurde klar, dass es zu einem katastrophalen Einsturz kommen würde, falls keine energischen Schritte unternommen würden. Als wir im Wald von Beloweschtsch zusammenkamen, ging es darum, den Zusammenbruch in eine solche Bahn zu lenken, dass er nicht zum Prototyp der jugoslawischen Variante wurde." 48 Zu seinem Selbstverständnis als Staatsoberhaupt erklärte er: „Der Präsident sollte für die Staatsbildung zuständig sein, während der Premierminister sich mit der Wirtschaft befasst." 49 Freilich hieß das nicht, dass Krawtschuk seinem jeweiligen Kabinettschef freie Hand in Wirtschaftsdingen zu geben gedachte. Er erließ eine Reihe von Anordnungen, die häufig antimarktwirtschaftlicher Natur waren. So flössen mit Krawtschuks Billigung und gegen den Widerstand von Premierminister Kutschma weiterhin die Kredite der Nationalbank, mit denen sich marode Agrarbetriebe und Industrieunternehmen über Wasser hielten. So ließ er es beispielsweise zu, dass die Nationalbank im Juni 1993 14,2 Trillionen Karbowanez emittierte, um Staatsbetriebe mit frischen Geld zu versorgen, und damit die Inflation neuerlich anheizte. Der Geldentwertung versuchte Krawtschuk mit völlig ungeeigneten
46 Die Inflation lag 1992 bei 1.210 Prozent; 1993 betrug sie 4.735 Prozent. Vgl. Siedenberg, Axel / Hoffmann, Lutz (hrsg.), 1999: Ukraine at the Crossroads, Heidelberg, New York, S. 27. 4v Nordberg, Marc, 1998: S. 42. 48 „U kaschdogo swoja prawda", Interview Krawtschuks zum ukrainisch-russischen Verhältnis, in: Argumenty i fakty, Nr. 15/1993, S. 3/6. 49 Zitiert nach: Kowall, 2000: S. 37.
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Mitteln Herr zu werden. Er ordnete einen festen Wechselkurs des Kupon Karbowanez und einen 50prozentigen Devisenzwangsumtausch an. Aus Mangel an ökonomischem Sachverstand hatte Krawtschuk den Staatsrat, die „Duma" gegründet. Die Duma war dem Staatsapparat aufgepropft und stellte wenig mehr als ein kurzlebiges institutionelles Experiment dar. Obwohl die Duma formal nur beratenden Charakter hatte, war sie allen anderen Staatsorganen übergeordnet. Diese waren verpflichtet, die Entscheidungen der Duma zu berücksichtigen. Bevor sich die Duma auch nur annähernd etablieren konnte, wurde sie wie andere Organe schon wieder abgeschafft. In der Amtszeit Krawtschuks wurden im „trial und error"-Prinzip auch die Vertreter des Präsidenten in den Regionen sowie der Rat der Industriellen kurzzeitig eingeführt. Wenig Glück hatte Krawtschuk mit Personalentscheidungen. So stellte es sich als sehr schwierig heraus, einen geeigneten Regierungschef zu finden - ein Problem, das auch während der Präsidentschaft Kutschmas nicht wirklich gelöst wurde. Vier Premierminister in den knapp zweieinhalb Amtsjahren Krawtschuks waren nicht in der Lage, konzeptionelle Reformen einzuleiten. Die Regierungen waren mit Ausnahme der Regierung Fokin viel zu kurz im Amt, als dass begonnene Maßnahmen greifen konnten. 5 0 Durch den raschen Austausch der Regierungschefs gab Krawtschuk das Muster vor, nach dem auch in den Folgejahren verfahren wurde. Die Regierung wurde zum Sündenbock für die politische Dauerkrise gemacht. M i t den Ab- und Neubesetzungen im Ministerkabinett wurde nur der Anschein eines qualitativen Neubeginns erweckt.
2. Krawtschuks Verhältnis zu Regierung und Werchowna Rada Krawtschuk strebte als Präsident eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Parlament an. So erklärte er: „Ich w i l l mit der Werchowna Rada in einem guten Verhältnis zusammenarbeiten." Durch seine Tätigkeit als Parlamentspräsident kannte er das Funktionieren dieses Organs aus eigener Anschauung. Er beherrschte das Spiel hinter den Kulissen. Ein vielfältiges Netzwerk versetzte ihn in die Lage, über Vorgänge frühzeitig informiert zu sein und Entscheidungsprozesse beeinflussen zu können. Vor allem seine guten Beziehungen zu Iwan Pljuschtsch, der sein Nachfolger als Parlamentsvorsitzender wurde, sicherten ihm in den ersten Amtsmonaten als Präsident ein konstruktives Verhältnis zur Werchowna Rada. 5 1 50 Leonid Kutschma (Premierminister von Oktober 1992 bis September 1993) war ein knappes Jahr im Amt. Bei Juchym Swjahil'skyj, dem amtierenden Regierungschef von September 1993 bis Juni 1994, und Witalij Masol (Juni 1994 bis März 1995) war die Regierungszeit noch kürzer bemessen. 51 Allerdings entwickelte Pljuschtsch bald eigene Ambitionen auf das Präsidentenamt. Folgerichtig trat er bei den Präsidentenschaftswahlen 1994 an, kam jedoch nur auf 1,3 Prozent der Wählerstimmen.Vgl. Ott, 1999a: S. 25.
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Seinen Aufstieg an die Spitze des Staates hatte Krawtschuk seiner früheren Funktion als Präsidiumsvorsitzender der Werchowna Rada zu verdanken. Doch Krawtschuk war rasch mit seinen Machtbefugnissen als Präsident unzufrieden und beklagte die Einschränkung seiner Gestaltungsmöglichkeiten durch die Verfassung als „unnatürlich". Die Werchowna Rada habe in dem Gesetz über den Präsidenten so viele Hemmnisse eingebaut, dass er nicht arbeiten könne: „Ich könnte heute eine Reihe von Dekreten über Entstaatlichung, Privatisierung, Freigabe der Preise erlassen, darf es aber nicht, weil das in die Kompetenz des Parlamentes fällt Ich habe nicht die Möglichkeit, mit Dekreten zu regieren. Wenn ich heute ein Dekret erlasse, das ich für notwendig halte, gerät es in Widerspruch zur ukrainischen Verfassung. ( . . . ) Und wenn der Präsident die Verfassung und Gesetze der Ukraine verletzt, kann das Parlament ihn des Amtes entheben." 5 2 Krawtschuk vermisste die Ausstattung des Präsidentenamtes mit starker Macht. I m fehlten ein echtes VetoRecht, das Recht der Parlamentsauflösung, umfassende Dekretrechte, originäre Gestaltungsbereiche der Politik und die Möglichkeit, Referenden zu initiieren. Der Konflikt zwischen Präsident und Parlament brach aus, als Leonid Kutschma am 13. Oktober 1992 zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Kutschma, der bei den Wahlen 1990 ein Abgeordnetenmandat errungen hatte, war bis dahin politisch ein unbeschriebenes Blatt gewesen. Der Leiter des Rüstungsbetriebes „Juschmasch" aus Dnipropetrowsk benahm sich in der Werchowna Rada unauffällig, ergriff nie das Wort von der Rednertribüne und war keiner Partei oder Gruppierung zuzuordnen. Als parteiunabhängiger Abgeordneter und „roter Direktor" verstand sich Kutschma eher als Lobbyist, der die Interessen der Rüstungsindustrie i m Allgemeinen und die seines Betriebes „Juschmasch" im Besonderen vertrat. Kutschma glaubte, seine Erfahrungen aus der Leitung von „Juschmasch" auf den „Riesenbetrieb" Ukraine übertragen zu können. Als Regierungschef wollte Kutschma die Währung stabilisieren, das Haushaltsdefizit abbauen und die Beziehungen zu Russland nachhaltig verbessern. So konnte er eine breite Basis im Parlament aus Linken, Liberalen und Nationaldemokraten gewinnen und wurde vom Parlament mit einer überragenden Mehrheit von 316 Ja-Stimmen gegen 23 NeinStimmen als Regierungschef bestätigt. 53 M i t Kutschma kam ein Vertreter der industriellen Elite an die Macht, auf den sich nun die Hoffnungen der Direktoren von Staatsbetrieben richteten.54 Gleichzeitig wurde die Regionalelite von Dnipropetrowsk aufgewertet. 55 Kutschma zeigte 52 Vgl. Fernsehgespräch „Urmas Ott besedujet s presidentom Ukrainy Leonidom Krawtschukom", 1-j Kanal, 11.2. 1992, 21:35 Uhr. Wittkowski 1998: S. 87. 54 Kutschma respräsentierte zu der Zeit den statistischen Durchschnittsabgeordneten der Werchowna Rada. Die Hälfte der Abgeordneten waren wie Kutschma Ingenieure. Die Dominanz von technischer Intelligenz war ein typisches Merkmal sowjetischer und postsowjetischer Parlamente. 55 Die herausgehobene Rolle der Region Dnipropetrowsk gründete sich darauf, dass sie als einzige in der Ukraine mehr zum Republikhaushalt beitrug als sie von dort Subventionen
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unerwartet schnell seinen Führungsanspruch und seine Entschlossenheit zu durchgreifenden Maßnahmen. Gleich nach seiner Wahl zum Regierungschef durch die Werchowna Rada 1992 forderte Kutschma Sondervollmachten für seine Regierung und schränkte das Streikrecht der Gewerkschaften ein. Schon frühzeitig war die Neigung Kutschmas zu einem autoritären Politikstil erkennbar. Kutschma hatte sich zum Ziel gesetzt, im Machtduell mit dem Präsidenten die Oberhand zu gewinnen. M i t einer Gesetzesergänzung erreichte Kutschma, dass die Präfekten des Präsidenten teilweise dem Regierungschef unterstellt wurden. 5 6 Als dann ein Verfassungsentwurf für den Präsidenten nur noch die Rolle des Staatsoberhauptes und nicht mehr die Leitung der Exekutive vorsah, wurde Krawtschuk klar, dass seine Macht ernsthaft in Gefahr war. Unter dem Eindruck der tiefen Wirtschaftskrise übertrug das Parlament dem Premierminister am 18. November 1992 mit 308 Ja- gegen 18 Nein-Stimmen Sondervollmachten. Diese Sonderrechte waren auf ein knappes halbes Jahr begrenzt und sollten am 1. M a i 1993 auslaufen. Sie erstreckten sich auf die Bereiche Haushalts·, Steuer-, Unternehmens-, Zoll- und Landwirtschaftspolitik. 5 7 M i t Dekreten des Regierungschefs konnten währenddessen Gesetze der Werchowna Rada und Dekrete des Präsidenten aufgehoben werden. Krawtschuk hatte die Übereignung präsidentieller Vollmachten an den Regierungschef zunächst toleriert. Später beklagte er sich, dass er dadurch völlig handlungsunfähig geworden sei, da er die Dekrete des Regierungschefs nicht hatte abändern können. 5 8 Bald zeigte sich Kutschmas mangelnde politische Erfahrung und das Unvermögen, zwischen dem Parlament und dem Präsidenten lavieren zu können. Bei der Regierungsbildung konnte der neue Premierminister auf keine geeigneten Leute zurückgreifen. Kutschma musste deshalb nolens volens die meisten Kabinettsmitglieder der Vorgängerregierung übernehmen. Von 37 Regierungsämtern besetzte er nur zwölf mit neuen Leuten. 5 9 Der Großteil der Fokin-Mannschaft blieb im A m t und behielt mit dem Finanzministerium und der Nationalbank wirtschaftspolitische Schlüsselpositionen. Als einziger profilierter Reformer wurde der Westukrainer
bekam. Außerdem befand sich dort das größte Potenzial für exportfähige Rohstoffe und Güter. Deshalb sollten in Dnipropetrowsk in der Folgezeit die wichtigsten Wirtschaftsclans und sogenannte Mafia-Gruppen der Ukraine entstehen. Vgl. Pichowschek, W. 1998: Korupzija w Ukrajini. Pochodschennja, dscherela, sutschasna situazija, Kyiw, S. 170 ff. Vgl. „Who owns Ukraine? In: Eastern Economist, 22.-28. 1. 2001, S. 17. 56 In politischen Fragen sollten die Präfekte dem Präsidenten rechenschaftspflichtig sein, in Wirtschaftsfragen hingegen dem Ministerkabinett unterstellt sein. Vgl. Wilson, 1997: S. 79. 57 Schneider, Eberhard, 1993: Der ukrainische Präsident L. M. Krawtschuk, in: Osteuropa, H. 8, S. 780. 58 Vgl. „Ja ne mogu brosit' Ukrainu w tjascheluju dlja nee minutu", Interview mit Leonid Krawtschuk, in: Nascha Respublika, Sonderausgabe zu den Präsidentschaftswahlen 1994. 59 Vgl. Lukanow, Jurij, 1996: Tretij presydent, Kyiw, S. 42.
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Wiktor Pynsenyk Kabinettsmitglied und erhielt den Posten des Vizepremiers für Wirtschaftsreformen. Die Startschwierigkeiten der Regierung Kutschma kamen Präsident Krawtschuk nicht ungelegen. Der Präsident wollte keinen starken Premierminister und keine echte Reformregierung. Außerdem war Krawtschuk nicht an klaren Verhältnissen zwischen Exekutive und Legislative interessiert. Wie sich zeigte, geriet Kutschma bald zwischen die Fronten. Den Unwillen Krawtschuks zog sich Kutschma zu, als er für die Abschaffung der Duma und des Rats für Wirtschaftsreformen eintrat, die Krawtschuk ins Lebens gerufen hatte. 6 0 Verursacht durch die Machtkonkurrenz von Krawtschuk und Kutschma entstanden mit der Präsidialadministration und der Regierung parallele Institutionen, die sich gegenseitig paralysierten. Krawtschuk gewann den Eindruck, der Premierminister beanspruche die exekutive Gewalt für sich und wolle den Präsidenten zur reinen Symbolfigur machen. Der Machtkonflikt zwischen den Machtzentren spitzte sich im Frühsommer 1993 zu. Das Parlament verweigerte dem Premierminister mit 354 Nein-Stimmen die Verlängerung der Vollmachten. Seine Regierung sei konservativ orientiert und habe bisher Reformen blockiert. Als Kutschma dann die Abgeordneten um seine Entlassung bat, wurde ihm dies mit 223 Nein-Stimmen bei 90 Ja-Stimmen ebenfalls versagt. Gleichzeitig weigerte sich die Werchowna Rada, die Verantwortung für die Wirtschaftskrise zu übernehmen. Präsident Krawtschuk konnte das Parlament nicht zu einer Aufgabe seiner Blockadehaltung bewegen. Die Lage spitzte sich zu, als Massenstreiks die ganze Ukraine und besonders den Donbass erschütterten. U m dem Protest vor allem in der Ostukraine die Spitze zu nehmen, ernannte Krawtschuk den Bürgermeister von Donezk, Juchym Swjahil'skyj, zum ersten Vize-Premierminister. Gleichzeitig entmachtete er Regierungschef Kutschma, indem Krawtschuk unmittelbar die Führung der Regierung übernahm, das Kabinett auf ein Außerordentliches Ministerkomitee reduzierte und ankündigte, hauptsächlich mit Dekreten zu regieren. 61 Nach seinem dritten Entlassungsgesuch wurde Kutschma dann am 21. September 1993 endlich von seinem A m t entbunden. Er kehrte mit dem Vorsatz, sich in Zukunft von der Politik fernzuhalten, auf den Direktorsessel von „Juschmasch" zurück. 6 2 Angesichts der Streikwelle im Land hatte die Werchowna Rada ein Referendum für den 26. September 1993 über das Vertrauen zum Parlament und zum Präsidenten angesetzt. Die Werchowna Rada zog ihren Beschluss über das Referendum zurück, als Swjahil'skyj zum geschäftsführenden Regierungschef ernannt wurde. Krawtschuk sah sich gezwungen, vorgezogenen Neuwahlen zuzustimmen. Diese sollten für das Parlament i m März 1994 stattfinden. Präsidentschaftswahlen wurden für Mai 1994 anberaumt. Unter dem Druck des Parlaments musste Krawtschuk
60 Kowall, 2000: S. 43. 61 Schneider, 1993: S. 780. 62 Kutschma, 1999: S. 67.
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somit auf die Hälfte seiner Amtszeit verzichten, die erst i m Dezember 1996 ausgelaufen wäre. Die Staatskrise hatte gezeigt, wie wenig das Präsidentenamt konsolidiert und i m ukrainischen Institutionengefiige verankert war. 6 3 Krawtschuk hatte sich mit der Einwilligung in Neuwahlen für 1994 aus der Affäre gezogen. Er hatte sich des unbequem gewordenen Premiers Kutschma entledigt, der die Vorrangstellung des Präsidenten in Frage gestellt hatte. Indem Kutschma öffentlich die Schuld an der Wirtschaftsmisere gegeben werden konnte, lenkte der Präsident von eigenen Versäumnissen ab. Die Ablösung Kutschmas durch Swjahil'skyj war auch „ein Triumph der Donezker Kohle-Elite über die Dnipropetrowsker Industriellen". 6 4 Swjahil'skyj, wie Kutschma ein „roter Direktor" und Interessenvertreter der Donezker Wirtschaftselite, genoss darüber hinaus große Popularität in der Arbeiterschaft dieser Region. Wie Kutschma ging ihm der Ruf des „chosjajstwennik", des Leiters eines staatlichen Wirtschaftsbetriebes, voraus. Swjahil'skyj war Leiter der Donezker Kohlenzeche Sasjadko. Die Bergleute sahen in ihm einen Hoffnungsträger, der ihre miserablen Lebensbedingungen verbessern konnte. Krawtschuk konnte somit darauf vertrauen, dass der unruhige Donbass fürs Erste befriedet sein würde. Der neue Premierminister kehrte zu staatlicher Wirtschaftssteuerung und administrativen Kontrollen zurück. Deutlichster Ausdruck der antireformerischen Politik Swjahil'skyjs war die Verordnung eines festen Wechselkurses für den Kupon Karbowanez, dessen Wert sich in einer Inflationspirale dramatisch verringerte. Es zeigte sich in dieser Phase bereits eine fatale Neigung der politischen Akteure zu kurzsichtigen Maßnahmen. Aus Unzufriedenheit mit der Kompetenz Verteilung zwischen den Institutionen gemäß der geltenden Verfassung und unter dem Druck ökonomischer Notwendigkeiten wurden kurzfristige Kompromisse geschlossen. So erhielt Premierminister Kutschma für kurze Zeit Sondervollmachten. Nach dem Prinzip von „trial und error" wurden für eine Interimszeit die alten Spielregeln außer Kraft gesetzt und neue etabliert. War der vereinbarte Burgfrieden dann abgelaufen, erwies sich, dass die neuen Spielregeln die Verhältnisse nur verkompliziert statt vereinfacht hatten. Danach kehrte man notgedrungen zum status quo ante zurück, hatte wertvolle Zeit mit innenpolitischem Tauziehen verloren und stand wieder am Anfang. So hatten die Sondervollmachten für den Regierungschef in der knappen Zeitspanne von sechs Monaten wenig bewirken können. Nach Ablauf dieser Frist hatte der Premier kaum noch Gestaltungsmöglichkeiten und wurde durch den Institutionenkonflikt zwischen Präsident und Parlament vollends seiner Handlungsfähigkeit beraubt. Die Ersetzung Kutschmas durch Swjahil'skyj diente dem Hauptzweck,
63 Wilson, 1997: S. 67. 64 Kowall, 2000: S. 44.
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wieder innenpolitische Ruhe einkehren zu lassen. Erkauft wurde das mit Stagnation und ordnungspolitischer Erstarrung für den Rest von Krawtschuks Amtszeit. Die Methode, bei Konflikten zwischen Präsident und Parlament zu einem Referendum aufzurufen, sollte in den Folgejahren noch häufig angewandt werden. Später war es jedoch überwiegend der Präsident, der mit dieser Maßnahme drohte, um eine Auseinandersetzung für sich zu entscheiden. Zweimal, nämlich 1995 und 1996, konnte Kutschma mit der Androhung eines Referendums die politische Blockade auflösen. Die Durchführung des Verfassungsreferendums vom April 2000, das von erheblichen Manipulationen begleitet wurde, führte jedoch rasch dazu, dieses basisdemokratische Instrument zu diskreditieren. M i t Kutschmas Amtszeit als Ministerpräsident begann ein Konflikt, der sich in den nächsten Jahren fortsetzen sollte. Eine starke Regierung als selbständiger politischer Akteur war weder vom Präsidenten noch vom Parlament gewünscht. 65 Kutschmas Zeit als Regierungschef hatte deutlich gemacht, dass die unklaren Machtverhältnisse zwischen den staatlichen Institutionen Ursache dafür waren, dass Wirtschaftsreformen blockiert wurden. Die Regierung verfügte nicht über ausreichende Vollmachten, um eine Reformpolitik einzuleiten. 6 6 Kutschma selbst hatte daraus den Schluss gezogen, dass der Versuch wirtschaftlicher Reformen ohne einen Umbau des politischen Systems zum Scheitern verurteilt war. 6 7 Die Auseinandersetzung hatte auch Kutschmas ausgesprochenes Machtbewusstsein demonstriert. Als Premierminister versuchte Kutschma, die Macht der Exekutive auf Kosten des Präsidenten und des Parlaments auszudehnen. Später als Präsident änderte er seine Taktik, indem er versuchte, die Exekutive unter seine Kontrolle zu bringen und den parlamentarischen Einfluss auf die Regierung zu minimieren. 6 8 Seit 1993 war Kutschmas Verhältnis zu Krawtschuk gespannt. Kutschma hielt sich für das Bauernopfer, mit dem der Präsident das Referendum hatte abwenden können, das für Krawtschuk womöglich ein Misstrauensvotum gebracht hätte. Krawtschuk war aus der Krise sichtlich angeschlagen hervorgegangen. Es blieb der Eindruck, dass Krawtschuk den Kampf mit der Rada gescheut und seinen reformbereiten Premierminister unzureichend unterstützt hatte. Wieder einmal hatte Krawtschuk seine Scheu, Konflikte auszutragen, deutlich unter Beweis gestellt. Seinem Naturell entsprach eine kompromissbereite Haltung gegenüber dem Parlament. So veränderte die Rada die Staatshaushalte, die Krawtschuk in den Jahren 1992 bis 1994 vorgelegt hatte, jeweils auf der Ausgabenseite. Krawtschuk war gegen die Freigebigkeit der Abgeordneten machtlos. Ebenso gelang es ihm nicht, die Nationalbank und die Privatisierungsbehörde der Kontrolle der Legislative zu entziehen. 6 9 Unter Krawtschuk blieb die Präsidialmacht schwach und erschien als künstliches Konstrukt i m ukrainischen Staatsgefüge. 70 65 66 6v 68
Ott, 1999: S. 21. Ott, 2001b, S. 163. Kuzio, 1997: S. 114. Ott, 2001: S. 163.
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Nach der Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 1994 schien es zunächst, als wäre damit die politische Laufbahn Krawtschuks, des ersten Präsidenten der Ukraine, beendet. In einem Interview äußerte er i m August 1995: „Ich habe mein politisches Leben gelebt". 7 1 Dass er die von ihm sicher erwartete Wiederwahl als Präsident verfehlte, war ein schwerer Schlag für sein Selbstbewusstsein, von dem er sich lange nicht erholen sollte. Krawtschuk empfand seine Niederlage als persönliche Kränkung. Noch ein Jahr nach der Wahlniederlage beklagte er, dass man ihm die Schuld für die krisenhafte Situation des Landes gebe und das Ansehen seiner Person in den Schmutz ziehe. Er sah sich als Opfer einer groß angelegten Kampagne, mit der auf seine Person so starker psychologischer Druck ausgeübt werde, dass ihm keine andere Option bleibe, als das Land zu verlassen. Verbittert äußerte er die Überzeugung, dass er vielen „ i m Wege s e i " . 7 2 U m nicht in die Bedeutungslosigkeit zu fallen und um sich eine neue Operationsbasis zu schaffen, gründete er, ähnlich wie der entmachtete Gorbatschow, eine Kulturstiftung. Von der Stiftung Krawtschuks wusste niemand so recht, was sie eigentlich tat und bezweckte. Ihr wurde nachgesagt, sie diene nur zur Verschleierung zweifelhafter Exportgeschäfte. Bei den Parlamentswahlen i m September 1994 kandidierte er i m Wahlkreis Terebowlija im Gebiet Ternopil. Hier in einer der Hochburgen der Nationaldemokraten fand er seine zweite politische Heimat und erhielt i m ersten Wahldurchgang auf Anhieb 87 Prozent. Als Abgeordneter schloss er sich zunächst der Gruppe „Konstituzijnyj zentr" an. Von dieser Basis aus bereitete er sein politisches Comeback vor. I m Januar 1998 schloss er sich der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei der Ukraine (SDPU (o)) an. Bei den Parlamentswahlen 1998 und 2002 wurde er jeweils wiedergewählt. Die beiden Präsidenten Krawtschuk und Kutschma unterschieden sich fundamental in ihrem jeweiligen Verhältnis zum Parlament als Verfassungsinstitution. Krawtschuk verstand sich mehr als Staatsmann mit einem Hang zur politischen „ R o m a n t i k " 7 3 . Er kümmerte sich um den „symbolischen Überbau" eines Nationalstaates, aber nicht um die ökonomische Basis. Er genoss die ihm persönlich und der Ukraine zuvor nie zuteil gewordene Aufmerksamkeit des Auslands. Als Präsident konzentrierte er sich auf repräsentative Funktionen. Krawtschuk verstand seine Rolle in der ukrainischen Politik als die des „statesman" (derschawnyk), der zentristische Positionen vertrat. 7 4 Der Schaffung staatlicher Attribute maß Krawtschuk große Bedeutung bei. Den Anspruch auf Eigenstaatlichkeit der Ukraine unterstrich er nicht zuletzt aus Eigen69 Wilson, 1997: S. 93. 70 Ott, 2001a: S. 5. 71 „Leonid Krawtschuk: Wischu, schto ja sdjes' otschen' mnogim meschaju", in: FinansowaUkrajina, 29. 8. 1995. 72 Ebda. 73 Kuzio, 1997: S. 90. 74 Kuzio, 1996: S. 127.
I. Leonid Krawtschuk - seine Persönlichkeit und sein Führungsstil
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nutz. Je unangefochtener die Unabhängigkeit der Ukraine, so Krawtschuks Kalkül, desto mehr würden alle Staatsinstitutionen mit ihm als Präsidenten an der Spitze aufgewertet werden. Der relative Frieden zwischen Exekutive und Legislative wurde erkauft mit politischer Stagnation während der Amtszeit Krawtschuks und zunehmender Unpopularität der Regierung. Die notwendigen Wirtschaftsreformen wie Entstaatlichung und Privatisierung kamen nicht voran. Die Aufteilung der politischen Macht zwischen Exekutive und Legislative, die klare Verhältnisse zwischen Präsident und Parlament geschaffen hätte, wurde ebenfalls verschoben. Krawtschuk suchte den Konsens mit dem linksorientierten Parlament, um nach außen die Geschlossenheit der politischen Führung der Ukraine zu demonstrieren. 75 A n der dominanten Stellung des Parlaments mochte Krawtschuk nicht rütteln, hatte er doch mit dem Parlament eine Art stillschweigenden Nichtangriffspakt geschlossen. Er glaubte, durch seine guten Beziehungen und informellen Kontakte zum Parlamentspräsidium und den Ausschüssen Entscheidungen in seinem Sinne beeinflussen zu können. Der Konflikt zwischen dem Parlament und dem Präsidenten gewann deshalb nicht die Schärfe späterer Jahre, weil sich die Grundeinstellungen beider noch sehr ähnelten. Sowohl Krawtschuk als auch die meisten Abgeordneten wollten einen allenfalls behutsamen Übergang zu einem neuen System. Die politische Auseinandersetzung konzentrierte sich nicht auf die Neugestaltung der Wirtschaftsordnung, die man im Wesentlichen von der Sowjetunion übernommen hatte und i m Grunde unangetastet ließ. Fatal sollte sich der Unwillen der ukrainischen Führung auswirken, mit Reformen zu beginnen. Die politische Elite und allen voran Krawtschuk waren sich einig, dass die staatliche Souveränität und territoriale Einheit wichtiger waren als die Notwendigkeit schmerzlicher Reformen. 7 6 Stattdessen wurde gerungen um die Selbstvergewisserung der ukrainischen Selbständigkeit und die Festigung des Staatswesens nach außen. Die symbolische Politik unter Krawtschuk diente vor allem der Abgrenzung gegenüber Moskau und sollte dem Westen signalisieren, dass die Ukraine als junger Staat ernst genommen werden wollte. Vernachlässigt wurde darüber die Tatsache, dass nur eine wirtschaftlich eigenständige Ukraine aus dem Schatten Russlands treten könnte und vom Ausland akzeptiert würde. Ohne einen Anschub durch westliche Kredite und Beratungsleistungen konnte die Ukraine dies nicht schaffen. Dafür fehlten ihr die finanziellen Mittel und genügend qualifizierte Fachleute. Hilfsangebote des Westens für knowhow-Transfer glaubte Krawtschuk jedoch ausschlagen zu können, weil er westlichen Ratschlag für entbehrlich hielt. Da unter ihm kein überzeugendes Reformprogramm zustande kam, flössen keine Kredite, Investitionen blieben aus. Die Ära Krawtschuks erscheint daher i m Nachhinein als Perpetuierung sowjetischer Verhältnisse. Dies wurde schon dadurch bedingt, dass die weiterhin gültige
Ott, 1999: S. 19. 76 Ott, 1999a: S. 23. 7 Hclmcrich
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F. Die Akteure des ukrainischen Transformationsprozesses
sowjetische Verfassung dem Parlament weitreichende Kompetenzen gab. Eine „Politik des Lavierens", das Schwanken zwischen Reformansätzen und die Angst vor tiefgreifenden Veränderungen waren die Merkmale von Krawtschuks Präsidentschaft. 77
II. Der Übergang von Krawtschuk zum „roten Direktor" Leonid Kutschma Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen i m „Superwahljahr" 1994 stellten einen erheblichen Einschnitt in die innenpolitische Situation dar. Die Bewerber bedienten sich teilweise schmutziger Kampagnen und scheuten sich nicht, die Medien für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und gekaufte Artikel in den Zeitungen zu lancieren. Erstmals erkannten Angehörige der Neuen Ökonomischen E l i t e n 7 8 , die durch neue privatwirtschaftliche Strukturen entstanden waren, in einem Parlamentssitz Vorteile für ihre wirtschaftliche Tätigkeit, sicherte ein Mandat doch die Immunität und gab damit einen umfangreichen Schutz vor der Verfolgung durch Strafbehörden. So bewarben sich viele Direktoren von Staatsbetrieben mit Erfolg um ein Mandat. Es kam zu einer Kommerzialisierung und Verzerrung des Wahlkampfes. I m Vorteil waren diejenigen Bewerber, die aufgrund ihrer beruflichen Position bereits Zugang zu den Medien hatten. Die Unsicherheiten, die sich aus dem komplizierten Wahlsystem ergaben, versuchte Präsident Krawtschuk zu seinen Gunsten zu nutzen. Die Wahl der Abgeordneten in den 450 Wahlkreisen war nur gültig, wenn mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten daran teilnahmen. Krawtschuk hatte deshalb vor der Wahl angekündigt, er wolle mit Sondervollmachten regieren, wenn wegen des Desinteresses der Bürger und des komplizierten Wahlsystems eine zu große Zahl der Mandate unbesetzt bleiben. Die linken Parteien gingen gestärkt aus den Parlamentswahlen hervor. Vor allem die Kommunistische Partei, die am 30. August 1991 verboten worden war und ihre Wiederzulassung i m M a i 1993 erkämpft hatte, hatte ihre Reihen wieder gefestigt. M i t dem Slogan „ A l l e Macht den Räten" und der erklärten Absicht, das Präsidentenamt abzuschaffen, errang sie 86 Sitze und wurde damit stärkste Kraft in der Werchowna Rada. Zusammen mit den Sozialisten (14 Mandate) und der Bauern-
77 Ott, 1999: S. 23. 78 Die Neuen Ökonomischen Eliten waren nicht in der Privatwirtschaft entstanden, sondern in den Staatsbetrieben. Indem sie profitable Geschäftsbereiche von Staatsbetrieben abtrennten und für sich vermarkteten, erwirtschafteten sie große Gewinne. Sie waren daher nicht an einer Etablierung echter marktwirtschaftlicher Verhältnisse interessiert, sondern an der Fortexistenz politisch abgesicherter Umverteilung (rent seeking). Den Begriff der Neuen Ökonomischen Eliten (NÖE) hat Wittkowsky eingehend dargestellt. Vgl. Wittkowsky, 1998a: S. 99-105.
II. Der Übergang von Krawtschuk zu Leonid Kutschma
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partei (18 Mandate) sowie den linksorientierten Abgeordneten, die als Parteilose angetreten waren, stellten die Linken über ein Drittel der Sitze. Krawtschuks fragile Basis i m Parlament ging verloren, als sich nach den Märzwahlen 1994 die Zusammensetzung der Rada änderte und auch der Parlamentsvorsitz in andere Hände überging. Der bisherige Vorsitzende Pljuschtsch, der durch geschicktes Taktieren erfolgreich Mehrheiten im Sinne des Präsidenten herzustellen wusste, scheiterte mit seiner erneuten Kandidatur. Statt dessen bewarb sich der Sozialistenführer Olexandr Moros um das A m t des Parlamentsvorsitzenden. Moros siegte wider Erwarten im ersten Wahlgang und zwar mit den Stimmen der Kutschma-Partei Interregionaler Reformblock (Mischrehional'nyj Blok Reform M B R ) . 7 9 Kutschma konnte bei den Parlamentswahlen erneut ein Abgeordnetenmandat erringen. In seinem Wahlkreis i m Gebiet Tschernihiw erhielt er 91 Prozent der Stimmen. M i t Kutschma bewarben sich sieben Kandidaten um das Präsidentenamt. Dabei handelte es sich um den Parlamentsvorsitzenden Iwan Pljuschtsch, den reformfreundlichen früheren Wirtschaftsminister Wolodymyr Lanowyj, den Sozialistenführer Olexandr Moros und Bildungsminister Petro Talantschuk. Als einziger Vertreter der Neuen Ökonomischen Eliten aus dem Bereich der Privatwirtschaft bewarb sich Walerij Babytsch um das Präsidentenamt. Amtsinhaber Krawtschuk selbst nahm eine höchst widersprüchliche den Präsidentschaftswahlen ein, denen er nur unter Zwang so vorzeitig hatte. Zunächst hatte Krawtschuk seine „endgültige Entscheidung" 8 0 geben, nicht mehr zu kandidieren. Hinter den Kulissen propagierte er die Verschiebung des Wahltermins und ein Weiterregieren per Dekret.
Haltung zu zugestimmt bekannt gegleichzeitig
Krawtschuk zeigte damit, wie wenig er von vereinbarten Regeln und Gesetzesnormen hielt. Wie auch andere Akteure bei späterer Gelegenheit hegte er keine Bedenken, Wahltermine und die Rechte des Parlaments in Frage zu stellen. Krawtschuk erweckte jedoch zu sehr den Eindruck der Unentschlossenheit, als dass er dieses Vorhaben durchzusetzen vermochte. Der Plan scheiterte am Widerstand des Parlaments. 81 U m seine Macht zu erhalten, blieb Krawtschuk schließlich keine andere Wahl, als doch noch auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Kurz vor Ablauf der Frist reichte er die erforderlichen Unterschriften zur Unterstützung seiner Kandidatur ein und wurde von der Zentralen Wahlkommission offiziell registriert. Da die meisten Zeitungen und Rundfunkprogramme staatlich waren, hatte er mit seinem Amtsbonus einen deutlichen Vorteil vor seinen Konkurrenten. Vor allem in den regionalen Massenmedien steigerten sich die Berichte über die Tätigkeit Krawtschuks als Präsident um ein Vielfaches. Internationale Beobachter konstatierten, dass eine faire Nachrichtenauswahl während des Wahlkampfes nicht statt79 Kutschma, 1999: S. 83. 80 Barshay, Jill: Kravchuk defied over election, in: Financial Times, 3. 6. 1994. si Ebda. 7*
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F. Die Akteure des ukrainischen Transformationsprozesses
fand und Krawtschuk von den ukrainischen Massenmedien stark bevorzugt wurde.82 Hinzu kam die Tatsache, dass der Staats- und Verwaltungsapparat mit den sogenannten „administrativen Ressourcen" Krawtschuk unterstützte. Übereifer i m Wahlkampf schien Krawtschuk daher nicht angebracht zu sein. Krawtschuk versäumte es jedoch, i m ukrainischen Osten wieder Punkte gut zu machen, die er wegen der Sprachenpolitik und der dort als diskriminierend empfundenen Ukrainisierung verloren hatte. Krawtschuk erkannte nicht, dass die Zeit der politischen Romantik vorbei und die Euphorie über die Unabhängigkeit verflogen war. Statt dessen waren nun konkrete Politikinhalte wie ein schlüssiges Wirtschaftsreformprogramm gefragt. Auch erkannte er nicht die Notwendigkeit, ein schlagkräftiges Wahlkampfteam um sich zu sammeln. Er hatte seine Wahlkampagne spät gestartet und schlecht geplant. Seine Mitarbeiter bestärkten ihn in der Annahme, dass er ohne große Anstrengungen seine Wiederwahl erreichen könne. Das Feld der Bewerber teilte sich schnell in die chancenlosen Kandidaten und in die aussichtsreichsten Konkurrenten Krawtschuk und Kutschma. Beide waren Vertreter der alten sowjetischen Elite und konnten auf ein jahrzehntelang gewachsenes Netzwerk von Verbindungen zurückgreifen. Krawtschuk stand für die sowjetische Parteibürokratie, während Kutschma der Repräsentant der Führungskräfte der Staatsbetriebe, der Industriellen und Direktoren war. Kutschma versuchte sich gerade auf dem Gebiet der Innen- und Wirtschaftspolitik als die bessere Alternative darzustellen. Er präsentierte sich als Reformer, der in seiner Zeit als Premierminister dem Land Nutzen gebracht hätte, wäre er nicht vom Parlament und von Krawtschuk daran gehindert worden. „Die aktuelle Wirtschaftspolitik hat die Ukraine in einen Friedhof verwandelt", erklärte Kutschma. 8 3 Beeindruckt waren die Wähler von Kutschmas Entschlossenheit und seiner unnachgiebigen Forderung nach starker präsidentieller Macht. Dies kam dem weitverbreiteten Wunsch nach einer „starken Hand" entgegen. 84 Unterstützung fand Kutschmas Wahlkampagne i m russischen Fernsehsender Ostankino, der in der Ukraine landesweit zu empfangen war und von vielen Zuschauern gegenüber ukrainischen Programmen bevorzugt wurde. Auch russische Politiker wie Jegor Gajdar sprachen sich öffentlich für Kutschma als den nächsten Präsidenten der Ukraine aus. Seine erklärte Position, die Beziehungen zu Russland zu erneuern und eine aktive Rolle in der wirtschaftlichen Integration der GUS zu spielen, wurde in Moskau gern vernommen. Trotzdem schienen die Chancen für Kutschma nicht allzu groß. Der hemdsärmelige Fabrikdirektor aus der Provinz sah neben dem eloquenten, international inzwi82 Wyswitlennja wybortschoij presidentskoij kampaniji u sasobach masowoij informaziji, Pres-relis, 27. Juni 1994, Europäisches Medieninstitut. 83 Kuzio, 1996: S. 130. 84 Kuzio, 1996: S. 129.
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sehen erfahrenen Staatsmann Krawtschuk blass und wenig überzeugend aus. Die Wahlplakate zeigten Kutschma schlecht frisiert in einem schlecht sitzenden Anzug. M i t seinen öffentlichen Auftritten erntete er alles andere als enthusiastische Ovationen. Die Intellektuellen des Landes äußerten sich abfällig über sein sprachliches Niveau. Sie kritisierten sein mangelhaftes Ukrainisch. Selbst in seiner russischen Muttersprache wirkte Kutschmas Redestil holprig und unbeholfen. Ohne den Beistand seines Pressesekretärs oder seiner anderen Berater geriet Kutschma bei Pressekonferenzen schnell in missliche Situationen. Seine Sätze ließen häufig einen logischen Zusammenhang vermissen und blieben unvollendet in der Schwebe. 85 Die ukrainischen Medien äußerten sich überwiegend pessimistisch über Kutschmas Siegeschancen und prognostizierten, dass Krawtschuk aus einer Stichwahl auf jeden Fall als Sieger hervorgehen würde. 8 6 Kutschma selbst schien an einen Wahlsieg nicht zu glauben und musste sich bestätigt fühlen, als im ersten Wahlgang Krawtschuk mit 37,72 Prozent die höchste Stimmenzahl errang. Kutschma lag mit 31,27 Prozent deutlich hinter Krawtschuk. Krawtschuk hatte in 15 Gebieten am besten abgeschnitten, nämlich i m Westen und im Zentrum des Landes. Kutschma hingegen war in acht östlich gelegenen Gebieten sowie i m Gebiet Odessa und auf der K r i m der mit Abstand erfolgreichste Kandidat. 8 7 Vor der Stichwahl am 10. Juli 1994 sprachen sich die Kommunistische Partei und die Sozialisten dafür aus, ihre Stimmen i m zweiten Durchgang Kutschma zu geben. Außerdem wurde er von sozialdemokratischen und liberalen Reformkräften unterstützt, die eine stärkere Integration der Ukraine innerhalb der GUS anstrebten. So gelang ihm das scheinbar Unmögliche. In der Stichwahl gewann Kutschma gegenüber dem ersten Wahldurchgang knapp 21 Prozent dazu, während sich Krawtschuk nur um 7 Prozent verbesserte. A u f Kutschma entfielen so insgesamt 52,1 Prozent, auf Krawtschuk 45,06 Prozent. 88 So deutlich wie nie zuvor zeigte
85
Diese Ansicht äußerte die ukrainische Journalistin Olena Prytula in einem Interview, das die Verfasserin mit ihr im November 2001 in Kiew führte. Prytula war für die Agentur Interfax-Ukraina tätig, bevor sie die Internetzeitung Ukrajins'ka Prawda mit aufbaute. Im Laufe seiner Amtsjahre konnte Kutschma seine Sprachfertigkeiten im Ukrainischem auch dank entsprechenden Unterrichts deutlich verbessern. Dabei bedient er sich wie die meisten Vertreter der politischen Elite des Ukrainischen in der Öffentlichkeit bei politischen Ritualen und im Kontakt mit den Medien. Im informellen Bereich und „off the record" bevorzugt Kutschma jedoch weiterhin das Russische. 86 Stepowoj, Anatolij, 1994: Ukraina usche ne wo mgle, no wse eschtsche prebywaet w polititscheskoj prostrazij, in: Iswestija, 7. 6. 1994. 8 ? Vgl. Wittkowsky, 1998a: S. 132. Vgl. Ott, 1999c: S. 24 ff. 88 Noch am Wahltag hatte Krawtschuk sich seines Sieges sicher geglaubt und bereits Vorkehrungen für ein Festbankett treffen lassen. Krawtschuks innenpolitischer Berater meldete am Wahltag sogar: „Wir haben gewonnen. Es war kein leichter Sieg, aber der Vorsprung liegt zwischen fünf und sieben Prozent." Vgl. Kuzio, 1996, S. 132. Hingegen hatte Kutschma offensichtlich nicht damit gerechnet, als Sieger hervorzugehen. Die Bekanntgabe des öffentlichen Wahlergebnisses wartete er in seiner Hochburg Dnipropetrowsk ab. Erst einen Tag
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sich, dass die Machtverhältnisse vom bevölkerungsreichen Ostteil des Landes bestimmt wurden. Die Region Dnipropetrowsk, die Kutschma repräsentierte, hatte eindrucksvoll unter Beweis gestellt, welch wichtige Stellung sie einnahm.
Tabelle 1 Ergebnisse der Präsidentschafts wählen vom 26. 6. und 10.7.1994 (Stimmen in %) Kandidaten
Position
1. Wahlgang
2. Wahlgang
Leonid Krawtschuk Leonid Kutschma
Amtsinhaber
37,7
45,1
ehemaliger Premierminister
31,3
52,1
Olexandr Moros
Parlamentsvorsitzender
13,0
Wolodymyr Lanowyj
ehem. Wirtschaftsminister
9,3
Walery Babytsch
Unternehmer
2,4
Iwan Pljuschtsch
ehem. Pari.Vorsitzender
1,3
Petro Talantschuk
Bildungsminister
Wahlbeteiligung
0,5 70,4%
71,7%
Quellen: Ott, 1999a: S. 25. Wittkowsky, 1998a, S. 133.
1. Kutschmas Griff nach der Exekutive Kutschma sollte sich schnell vom Schock über seinen Wahlsieg erholen und zeigte mit seinen ersten Schritten im Präsidentenamt sogleich ein ausgeprägtes Machtinteresse. Nach den negativen Erfahrungen als Premierminister strebte er umfassende Befugnisse und einen gut funktionierenden Machtapparat an, um seine Politik durchsetzen zu können. Keinesfalls sollte es ihm wieder so ergehen wie als Ministerpräsident: „Damals wurde ich ausgetrickst. Jeden Tag musste ich vor dem Parlament Rechenschaft leisten." 8 9 Kutschma war entschlossen, diesmal die Spielregeln selbst zu bestimmen und „wirklich die gesamte Macht in den Händen des Präsidenten zusammenzufassen". 90 M i t zwei Dekreten vom 9. August 1994 zog der neugewählte Präsident Kutschma exekutive Kompetenzen an sich. Zum einen unterstellte er die Regierung unmittelbar dem Präsidenten. Kutschma übernahm die Richtlinienkompetenz für
später flog er mit seinem Firmenflugzeug nach Kiew. Damaligen Gerüchten zufolge war er von seinem Wahlsieg so überrumpelt, dass er - in alkoholisiertem Zustand - nicht sofort der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte. 89 „Das hier ist wirklich ein Irrenhaus", Interview mit Präsident Kutschma, in: Der Spiegel 30/1994, S. 124. 90 Zitiert nach: Wittkowsky, 1998a, S. 135.
II. Der Übergang von Krawtschuk zu Leonid Kutschma
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die Regierungspolitik und machte sich damit faktisch zum Regierungschef und zum Leiter der Exekutive. 9 1 Der Präsident wurde damit zum „realen Machthaber in inneren Angelegenheiten". 9 2 M i t diesem Schachzug isolierte er Premierminister Masol, einen erklärten Reformverhinderer, der noch zehn Tage vor den Präsidentschaftswahlen von Amtsvorgänger Krawtschuk ernannt worden war und mit breiter Zustimmung der konservativen Parlamentsmehrheit rechnen konnte. Kutschma konnte sich Masol nicht einfach durch Entlassung entledigen, weil er dafür die zu diesem Zeitpunkt unwahrscheinliche - Zustimmung der Werchowna Rada benötigte. M i t seinem Dekret hatte Kutschma Masol jedoch weitgehend handlungsunfähig gemacht. M i t dem zweiten Dekret unterstellte sich Kutschma die Verwaltungschefs der Gebiete, die gleichzeitig die Vorsitzenden der Gebietsparlamente waren. 9 3 M i t diesen beiden Dekreten hatte sich Kutschma die Zentralexekutive und die Vorsitzenden der Regionalräte direkt untergeordnet. Für beide Erlasse fehlte Kutschma streng genommen eine rechtliche Grundlage. Kutschma setzte sich über diesen Mangel mit dem Hinweis hinweg, dass entsprechende Normen Eingang in eine neue Verfassung finden sollten. Erst mit der Annahme des „Gesetzes über die Macht", der sogenannten kleinen Verfassung von 1995, wurde die Rechtslücke beseitigt, die Kutschma mit den Erlassen vom 9. August 1994 geschaffen hatte. Schnell wurde deutlich, welches Grundmodell Kutschma anstrebte. Nach dem Vorbild Amerikas wollte er mit umfassenden präsidialen Befugnissen ausgestattet sein, die ihn im Grunde zum Präsidenten und Regierungschef in einer Person machten. Der Ministerpräsident sollte dem Präsidenten bei den Regierungsgeschäften lediglich assistieren. Sichtbar wurde zudem, dass Kutschma eine straffe exekutive Vertikale anstrebte, indem er die Entscheidungsträger bis hinunter auf die Gebietsebene selbst bestimmte. Die lokalen Verwaltungschefs waren ihm persönlich verantwortlich und zu Loyalität verpflichtet. Die Maßnahmen stellten einen ersten radikalen Einschnitt in das alte politische System der Ukraine dar. Das linke Lager in der Werchowna Rada bestehend aus Kommunisten, Sozialisten und Agrariern sah darin eine Kampfansage des Präsidenten, denn ihnen gingen durch die Neuregelung wichtige Posten verloren. Die Vorsitzenden der Gebietsparlamente waren häufig Mitglieder der kommunistischen Partei gewesen. Dies hatte zur Folge, dass häufig einem vom Präsidenten ernannten Verwaltungschef ein reformfeindlicher Gebiets- oder Stadtsowjet gegenüberstand. Das Verhältnis von Kutschma als Präsident zur Werchowna Rada prägte von Anfang an ein Dauerkonflikt. Hier prallten unterschiedliche Akteure aufeinander, Erlass vom 9. August 1994, in: Urjadowyj kurjer, 11.8. 1994, S. 2. 92 Vgl. Ott, 1999, S. 29. 93 Ebda.
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die völlig gegensätzliche Vorstellungen hinsichtlich Ziel, Strategie und Tempo des Transformationsprozesses hatten. Der Konflikt mit den linken Fraktionen der Werchowna Rada brach aus, als Kutschma i m Oktober 1994 sein ambitioniertes Wirtschaftsprogramm darlegte, in dem er als Ziel umfassende marktwirtschaftliche Reformen formulierte. Der Umbau der Wirtschaft sollte mit der Unterstützung jüngerer Reformpolitiker radikal und zügig vonstatten gehen. „Es ist an der Zeit, von der Imitation von Reformen zur Durchführung echter Reformen zu kommen", erklärte Kutschma. 9 4 Auch sparte er nicht mit Kritik an seinem Amtsvorgänger Krawtschuk. In einem Interview zürnte er: „ W i r können unsere Zeit nicht mit populistischen Projekten verplempern. ( . . . ) Drei Jahre lang hat mein Vorgänger die Reformen verschleppt, alle unseren Finanzreserven sind aufgezehrt." 95 So kündigte er an, „jeden dritten Betrieb stillzulegen", versprach aber gleichzeitig, Mittel für die soziale Absicherung der Arbeiter bereit zu stellen. „ M a n kann die Leute doch nicht auf die Straße werfen, sonst werfen die mich raus", erklärte er. 9 6 Schon ein halbes Jahr nach seiner Wahl 1994 wollte er Fabriken sehen, die ausschließlich ausländischen Investoren gehören. Haus und Garten sollten rasch in privates Eigentum umgewandelt werden, Ackerland sollte auf 99 Jahre zur Pacht vergeben werden - Versprechen, die alle uneingelöst blieben. Weitere Ziele dieses Programms waren Preisliberalisierung, beschleunigte Privatisierung, Finanz- und Bankenreform sowie die Eindämmung der Inflation. M i t einer Kürzung der Staatsausgaben und vor allem der Streichung von Subventionen sollte der hohen Staatsverschuldung Einhalt geboten werden. Das Wirtschaftsprogramm verband Elemente von freier Marktwirtschaft mit sozialer Stabilisierungspolitik. Der Staat sollte weiterhin in bestimmten Bereichen die Preise festsetzen dürfen. Von der Privatisierung waren „strategisch wichtige" Unternehmen wie Rüstungsbetriebe ausgenommen. M i t dem neuen Wirtschaftsprogramm gelang es der Ukraine, Kredite von I W F und Weltbank zu erhalten. Schnell sollte sich jedoch herausstellen, dass dieses Programm keinesfalls so schnell und umfangreich zu realisieren war wie ursprünglich gedacht. Dazu fehlten eine effektiv arbeitende, reformerische Regierung und eine entsprechende Mehrheit i m Parlament. Kutschmas Bemühungen, die Wirtschaft zu liberalisieren, das Steuersystem zu ändern und die Landwirtschaft und Industrie umzugestalten, wurden wiederholt vom linken Block in der Werchowna Rada gestoppt. Die linken Kräfte fühlten sich von ihm betrogen, hatten sie ihm doch zum Wahlsieg gegen Krawtschuk verholfen in der Annahme, Kutschma würde sein Wahlversprechen einer Annäherung an Russland erfüllen. Statt dessen wollte Kut94 Kutschma, 1999: S. 105. 95 „Ich muss das Kreuz tragen". Der ukrainische Präsident Leonid Kutschma über Wirtschaftsreformen, Tschernobyl und Boris Jelzin, in: Der Spiegel 27/1995, S. 130. 96 „Das hier ist wirklich ein Irrenhaus", Spiegel-Gespräch mit Präsident Kutschma, in: Der Spiegel, 30/1994, S. 123.
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schma marktwirtschaftliche Reformen voranbringen und das Verhältnis der Gewalten neu strukturieren. Auch rückte er von seinem Versprechen ab, Russisch zur zweiten Staatssprache zu machen. 9 7 Doch Kutschmas Vorhaben wurden nicht nur von den reinen Mehrheitsverhältnissen im Parlament ausgebremst. Zu seinen Unterstützern zählten nur 50 Abgeordnete des „Interregionalen Reformblocks" und der Fraktion „ E d n i s t ' " . 9 8 Auch auf der Ebene der Akteure gestaltete sich eine Kooperation zwischen Parlament und Präsident überaus schwierig. In Parlamentspräsident Moros, der bei den Präsidentschaftswahlen gescheitert war, fand Kutschma seinen Gegenspieler für die nächsten Jahre. Zwischen Kutschma und Moros, dem Chef der Sozialistischen Partei, spielten nicht nur unterschiedliche ideologische Positionen eine Rolle, sondern auch persönliche Kränkungen und verletzte Eitelkeiten. Kutschma stützte sich auf ein loyales und gut organisiertes Team, das anfangs ausschließlich aus den Personen bestand, die ihm zum Wahlsieg verholfen hatten. Mithilfe dieser Mannschaft baute er die Präsidialadministration zu einer „ A r t heimlicher Regierung" 9 9 aus. Wie in Russland wurde der Apparat des Präsidenten deutlich vergrößert. Da Kutschma der Rückhalt im Parlament fehlte, wurde die Präsidialadministration fast zwangsläufig zu seiner Hausmacht. Die Positionen in der Präsidialadministration stellten wie schon unter Krawtschuk häufig eine Doppelung der entsprechenden Ämter i m Ministerkabinett dar. Unter Kutschma entwickelte die Exekutive eine parallele Vertikale von Ministerkabinett einerseits und Präsidialadministration andererseits. Zwischen beiden Strängen bestand eine hierarchische Beziehung, da die Präsidialadministration de facto weisungsbefugt gegenüber der Regierung war.
2. Machtverständnis und Führungsprinzip von Präsident Kutschma Kutschma war als Mitglied der technischen Elite der Sowjetunion in den Betrieben des industriell-militärischen Komplexes groß geworden. Er selbst charakterisierte sich als „ehemaliges Mitglied der kommunistischen Partei und Vertreter der sowjetischen wissenschaftlich-technischen Intelligenz". 1 0 0 In der Sowjetunion waren nahezu unbegrenzte Ressourcen für das Ziel des Rüstungswettlaufs mit dem Westen zur Verfügung gestellt worden. Nicht wirtschaftlicher Nutzen war oberste Maxime für diesen Sektor, sondern der Aufbau eines militärischen Bedrohungspotentials, dessen Schlagkraft die der Gegenseite übertreffen sollte. Marktwirtschaftliche Kriterien waren in der Planwirtschaft sowjetischen Typs nicht vorgese9v Kowall, 2000: S. 74. 98 Wilson, 1997: S. 92. 99 Ott, 1999: S. 30. 'oo Kutschma, 1999: S. 28.
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hen. Dies galt erst recht für den Rüstungsbereich, wo es per se keinen Gewinn geben konnte und der Staat sowohl Auftraggeber als auch Abnehmer war. Nüchternes Kosten-Nutzen-Kalkül war nicht die Sache von sowjetischen Rüstungsmanagern. Mitnichten konnte Kutschma also während seiner Tätigkeit in der sowjetischen Rüstungsbranche Kenntnisse erworben haben, wie Marktwirtschaft funktionierte. Statt dessen müssen ihm die Mängel der zentralen Planwirtschaft bewusst gewesen sein, die sich in massiven Nachschub- und Allokationsproblemen äußerten. Die Mechanismen der sowjetischen Planwirtschaft mit der ihr eigenen Tonnenideologie stießen da an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit, wo die Produktionsprozesse immer komplexer wurden und sparsames und innovatives Management gefragt war. Ungeachtet der Systemmängel war die technische Intelligenz des Rüstungssektors überdurchschnittlich leistungsorientiert und von dem Bewusstsein geprägt, das Beste zu produzieren, was die Sowjetunion zu bieten hatte, nämlich taktische und strategische Waffensysteme. Die Kosten dafür waren praktisch irrelevant. Ein Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie war attraktiv, zumal wenn eine Leitungsfunktion mit ihm verbunden war. Eine bessere Vergütung ging einher mit Vorschriften der Geheimhaltung und dem reglementierten Zugang zu den Rüstungsschmieden. Dies galt in besonderem Maß für den Weltraumbahnhof Βajkonur in Kasachstan und den Rüstungsbetrieb „Juschmasch" in der geschlossenen Stadt Dnipropetrowsk, wo Kutschmas berufliche Tätigkeit begonnen hatte. Nach seinem Ingenieurstudium an der Universität Dnipropetrowsk trat er 1960 in das Kombinat „Juschmasch" e i n . 1 0 1 Sein Arbeitsumfeld wurde von den letzten ChruschtschowJahren und der gesamten Breschnew-Ära geprägt, Jahrzehnten also, in denen eine bessere Versorgung der Sowjetbürger mit Konsumgütern hintan gestellt wurde. Die wirtschaftlichen Ressourcen wurden statt dessen vor allem in die Schwerindustrie und den Militärsektor geleitet. Kutschma stieg in Dnipropetrowsk vom einfachen zum leitenden Ingenieur auf. Später avancierte er zum Assistenten des Chefkonstrukteurs und zum Parteisekretär zunächst eines Teilbereichs und später des Gesamtbetriebs „Juschmasch". Das Parteikomitee des Betriebs, „dem Wesen nach eine Kontrollinstanz und Doublette der Werksleitung" 1 0 2 , übte weniger ideologischen Einfluss aus, sondern bestimmte in Sachfragen den Produktionsprozess. Die Jahre als Parteisekretär waren für ihn freilich eine notwendige Zwischenetappe für den weiteren Aufstieg in der Rüstungsnomenklatura. I m Gegensatz zu Krawtschuk, der die Parteileiter emporgestiegen war, war Kutschmas Selbstverständnis das eines „chosjajstwennik", der nicht in der Partei, sondern in den Wirtschaftsstrukturen der Sowjetunion seine Prägung erhalten hatte.
101 Die Bezeichnung ist eine Abkürzung für „Juschnij maschinostrojtelnij sawod" und heißt übersetzt „Südlicher Maschinenbaubetrieb". 102 Kutschma, 1999: S. 131.
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Nach sechsjähriger Tätigkeit als Parteisekretär in seinem Betrieb wurde Kutschma 1982 zum ersten stellvertretenden Direktor und 1986 zum Generaldirektor von „Juschmasch" ernannt. Kutschmas steiler Aufstieg wäre ohne Protektion nicht denkbar gewesen. Kutschma wusste die schützende Hand des Unionsministers für Schweren Maschinenbau, Oleg Baklanow, über s i c h . 1 0 3 Baklanow bahnte Kutschma den Weg nach oben und sorgte dafür, dass Kutschma die Führung von „Juschmasch" trotz herrschender Widerstände in der Partei übernehmen konnte. M i t seiner Ernennung zum Werksdirektor 1986 hatte Kutschma seinen Platz in der sowjetischen Nomenklatura erobert, da er kraft seines Amtes nun auch Politbüromitglied der K P U war. Und allem Anschein nach war der Weg nach oben noch nicht zu Ende. So bot der Erste Sekretär der K P U und Vorsitzende des Obersten Sowjets der Ukraine, Wolodymyr Iwaschko, Kutschma bereits 1990 das A m t des damals wenig einflussreichen Vorsitzenden des Ministerrats der Ukraine an. Kutschma schlug das Angebot jedoch a u s . 1 0 4 „Juschmasch" fertigte die Satelliten der Baureihe „Kosmos" und die Trägerraketen „ Z y k l o n " und „Senit". In Dnipropetrowsk wurden außerdem die Atomraketen SS-7, SS-9, SS-12 sowie die wegen ihrer Schlagkraft berüchtigten SS-18 und SS-24 gebaut. „Juschmasch" war somit einer der führenden Betriebe der Sowjetunion für Spitzentechnologie im Rüstungsbereich. Kutschmas Aufgabenbereich führte ihn immer wieder auf Dienstreisen nach Bajkonur in Kasachstan, wo die in Dnipropetrowsk hergestellten Raketenantriebe getestet wurden. 1 0 5 In Bajkonur war er der technische Leiter zur Erprobung der Zyklon-2-Trägerrakete, mit deren Hilfe Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht wurden, die feindliche Objekte wie beispielsweise U-Boote überwachen sollten. Kutschma erhielt 1980 mit anderen Kollegen des „Juschmasch"-Kollektivs für seine Mitarbeit an der Zyklon-2-Rakete den Lenin-Preis. 1 0 6 In seinem Betrieb sorgte Kutschma zuallererst für die Erfüllung der Plankennziffern. Kutschmas Leitung von „Juschmasch" habe sich durch
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Oleg Baklanow war einer der Drahtzieher des Putsches vom August 1991 in Moskau. Baklanow war während des Umsturzversuches Stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates und leitete als ZK-Sekretär die Kommission für Militärpolitik. Im Notstandskomitee vom August 1991 war er der Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes. Kutschma und Baklanow verbanden die Interessen der Rüstungsindustrie und die gemeinsame ukrainische Herkunft. Baklanow stammte aus Charkiw. Vgl. auch: „Im Profil: Oleg Baklanow", in: Süddeutsche Zeitung, 21. 8. 1991, S. 4. 104 Kutschma, 1999: S. 54 ff. 105 Chto je chto w Ukrajini 2000, Kyiw 2000, S. 255. 106
Glaubt man den Aussagen seines früheren Arbeitskollegen Wolodymyr Komanow, Kutschmas Stellvertreter als „Juschmasch"-Direktor, so war Kutschma bereits 1974 als Lenin-Preisträger vorgeschlagen worden. Damals habe Kutschma sich geweigert, den Preis anzunehmen, weil er sich für zu jung hielt. Stattdessen habe er einem älteren Kollegen den Vortritt gelassen. Vgl. „Ot Leninskoj premii Leonid Kutschma otkasalsja ν polsu starschego kollegi", Interview mit Wladimir Komanow, in: Fakty, 13. 10. 2000. Die Zeitung „Fakty" gehört Kutschmas Schwiegersohn Pintschuk und nimmt daher eine offen propräsidentielle Haltung ein.
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„militärische Disziplin" ausgezeichnet, schreibt der Kutschma-Biograph Jurij Lukanow.107 Den Weg in die Politik schlug Kutschma bei den ersten halbfreien Parlamentswahlen 1990 ein, bei denen er ein Mandat errang. „Es hat mich eigentlich überhaupt nicht in die Politik gezogen", schreibt er in seinen Memoiren. Dies kam für ihn nur in Betracht, weil zu diesem Zeitpunkt Abgeordneten noch erlaubt war, parallel zum Mandat ihren Beruf auszuüben. Kutschma sah in der Leitung von „Juschmasch" weiterhin seine Hauptaufgabe. 1 0 8 Zwar bekennt er, er sei „aus Überzeugung" und im Glauben an „die soziale Gerechtigkeit und die Avantgarderolle der Partei" in die KPdSU eingetreten. 1 0 9 Zur Partei sei er jedoch in den Perestrojka-Jahren innerlich auf Distanz gegangen, als er von der Richtigkeit des Weges nicht mehr überzeugt gewesen war. In seiner Autobiographie stilisiert er sich zum Systemkritiker, der sich bereits i m Februar 1990 auf dem ZK-Plenum der K P U für die volle wirtschaftliche und politische Souveränität der Ukraine ausgesprochen und damit den Zorn der Genossen zugezogen habe. 1 1 0 Anstelle eines Parteiaustrittes aber habe er es vorgezogen, sich dem „demokratischen Flügel" innerhalb der KPdSU anzuschließen. 111 Obwohl er sich als nichtgläubig bezeichnet, sei es ihm wichtig gewesen, seine Tochter Olena taufen zu lassen. Dies sei in den frühen 70er Jahren riskant gewesen, da bei Bekanntwerden der Ausschluss aus der Partei drohte. 1 1 2 Ungeachtet solcher Selbstbekenntnisse spricht vieles für die Einschätzung, dass Kutschma all die Jahre ein Mitläufer des Sowjetsystems war. Während des Putsches vom August 1991 blieb auch Kutschma in Deckung bis der Pulverdampf sich verzogen hatte. Als Parlamentarier sah er sich weniger als Vertreter von Wählerinteressen. Vielmehr vertrat er die Belange seines Betriebes und des Rüstungssektors, dessen privilegierte Stellung durch den Abrüstungsprozess verloren zu gehen drohte. Die veränderten Marktbedingungen zwangen die Leitung von „Juschmasch", einen Teil der militärischen Produktion einzustellen und im Zuge der Konversion durch die Herstellung von Trolleybussen zu ersetzen. Die Einschränkung der Rüstungsproduktion sah Kutschma mit großem Bedauern. 1 1 3
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Vgl. Lukanow, Jurij, 1996: Tretij presydent. Politytschnyj portret Leonida Kutschmy, Kyiw, S. 16. los Kutschma, 1999: S. 53/54. 109 Kutschma, 1999: S. 131. no Kutschma, 1999: S. 18. in Kutschma, 1999: S. 131. 112 Kutschma, 1999: S. 28. 1,3
So erklärte Kutschma in einem Interview: „Als ich Direktor bei „Juschmasch" war, war meine Aufgabe Trolleybusse zu entwickeln. Das war bitter - mit unserer Spitzentechnologie sozusagen Kochtöpfe zu fertigen. Aber das Volk braucht was zu essen." In: „Das hier ist wirklich ein Irrenhaus", Gespräch mit Ukraine-Präsident Kutschma, Der Spiegel, 30/1994, S. 123.
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Aufgrund seiner Position als Direktor von „Juschmasch" hatte Kutschma enge berufliche Kontakte zum Management anderer Rüstungsbetriebe in der ganzen Sowjetunion. Zu seinen alten Freunden gehörte etwa der Präsident des russischen Industriellenverbandes, Arkadij Wolskij, der auch Kutschmas Wahlkampf unterstützte. In dieser arbeitsteiligen, auf Zulieferung und Kooperation angewiesenen Rüstungsbranche hatten die Grenzen der Sowjetrepubliken bis 1991 keinerlei Rolle gespielt. Der Gedanke einer wirtschaftlichen Abnabelung von Russland und den anderen GUS-Staaten war Kutschma deshalb fremd. Als Pragmatiker sah er, dass eine ukrainezentrierte Politik, die auf nationalwirtschaftliche Autarkie und Abschottung zielte, in die Sackgasse führen musste. „ W i r haben keine Alternative zu gutnachbarschaftlichen Beziehungen mit Russland", erklärte er. „ W i r sind wirtschaftlich, historisch und geistig so sehr verbunden, dass jeder Politiker, der die antirussische Karte spielen will, scheitern m u s s . " 1 1 4 Anstelle der Fortführung der alten planwirtschaftlichen Strukturen strebte Kutschma die „Gründung neuer Formen der Zusammenarbeit in Gestalt von transnationalen Finanz- und Industriegruppen, Korporationen und Joint Ventures" a n . 1 1 5 Der wirtschaftliche Austausch zwischen den Republiken sollte nicht mehr von staatlichen Mechanismen geleitet werden, sondern von privaten Wirtschaftsstrukturen. Was Kutschma präsentierte, war noch kein kohärentes Wirtschaftsprogramm. Es fehlten ihm konkrete Vorstellungen von der zukünftigen ökonomischen Ordnung der Ukraine. Ähnlich wie sein russischer Amtskollege Boris Jelzin begnügte Kutschma sich mit einfachen Antworten zu komplizierten Sachverhalten. I m Wahlkampf erklärte er auf die Frage, ob er eine kapitalistische oder sozialistische Ordnung anstrebe, dass die Bezeichnung des Systems irrevelant sei. Ausschlaggebend sei, dass die Menschen normal leben könnten. 1 1 6 Kutschma war kein Visionär und gab sich außerordentlich pragmatisch. So hatte er schon als Premierminister die Notwendigkeit der atomaren Abrüstung der Ukraine betont, weil das Land nicht die erforderlichen Mittel habe, nukleare Waffensysteme zu unterhalten. Die Zeit der „politischen R o m a n t i k " 1 1 7 sei vorbei, erklärte er nach seiner Wahl 1994. Jetzt, da die ukrainische Unabhängigkeit anerkannt sei und die Grundlagen eines staatlichen Institutionengefüges gelegt seien, müsse man daran gehen, das Alltagsleben der Menschen zu verbessern.
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„President Leonid Kutschma: „Po bolschomu schtschetu - wse zawisit ot nas sarnich,,", Interview von Julija Mostowaja mit Präsident Kutschma, in: Serkalo Nedeli, No. 41 (54), 14.-20. 10. 1995. 115 „Glawnaja opasnost' dlja reform - neterpenje", Interview mit Kutschma, in: Iswestija, 3.2. 1995. 116 „Sa moej spinoj 52-millionnyj narod. Dumaju ob etom, osobenno tschuwstwujesch, kak tjaschela schapka Monomacha", Interview mit Kutschma in Kiewskie Wedomosti, 25. 2. 1995. 117 Kutschma, 1999: S. 103.
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So wie er als Direktor seine Fabrik geleitet hatte sah er seine Rolle, nur auf die Größe eines Staates übertragen. Sein Amtsverständnis als Präsident illustriert sein Ausspruch aus dem Jahre 1994: „In den USA sagt man, was gut ist für General Motors, das ist gut für Amerika. Und ich denke: was gut ist für „Juschmasch", das ist gut für die Ukraine. Denn die Ukraine zählt in der Welt vor allem durch unsere Dnipropetrowsker Raumfahrttechnik, Schiffe aus Mykolaijw, die Maschinenbautechnologie aus Charkiw und alles, was wir in der Industrie haben." 118 Damit verkündete Kutschma zum einen den wirtschaftlichen Führungsanspruch der ukrainischen Rüstungsindustrie, der er politische Protektion in Aussicht stellte. Zum anderen wurde deutlich, dass Kutschma sich im Präsidentenamt als „natschal'nik", als Vorgesetzter eines Riesenbetriebes verstand, in dem seinen Anordnungen unbedingt Folge zu leisten war. Das Bemühen um Mehrheitsentscheidungen passte nicht zu diesem FührungsVerständnis. Wenn der langjährige Weggefährte Horbulin Kutschma als „liberalen Reformer in der Wirtschaftspolitik, als Sozialdemokraten in der Sozialpolitik und als National-Demokraten in der Außen- und Innenpolitik" charakterisierte 119 , so diente das mehr oder weniger Propagandazwecken. Kutschma war keineswegs der „sozialdemokratische Zentrist mit H e r z " 1 2 0 , wie er gelegentlich charakterisiert wurde. Statt dessen wurde er von der Grundüberzeugung geleitet, dass die Wirtschaft die Politik bestimmen solle und nicht umgekehrt. 1 2 1 Dem Diktat der Wirtschaft und dem W i l len des Präsidenten sollten alle anderen gesellschaftlichen Bereiche untergeordnet werden. M i t jedem Jahr seiner Präsidentschaft trat Kutschmas Hang zur autoritären Herrschaft stärker zutage. Dabei orientierte er sich an der Machtfülle der meisten anderen GUS-Präsidenten und besonders des russischen Präsidenten, die weitreichender waren als seine eigenen. So erfüllte ihn die Tatsache mit Neid, dass er im Gegensatz zu seinen Präsidentenkollegen in den GUS-Republiken wenig Hebel zur Maßregelung der Abgeordneten besaß. „ I n allen Ländern hat der Präsident das Recht, das Parlament aufzulösen. Nur ich habe dieses Recht nicht", beklagte e r . 1 2 2 I m Gegensatz zu Krawtschuk fehlte es Kutschma an Geschliffenheit und Charisma. Man merkte ihm seine Herkunft aus dem rauhen Betriebsklima eines Rüstungsgiganten an. Als später in der Gongadse-Affäre 1 23 Gesprächsmitschnitte pu-
ns Zitiert nach: Wittkowsky, 119 Ott, 1997: S. 9. 120 Kuzio, 1997: S. 93.
1998a: S. 158.
121 Kowall, 2000: S. 118. 122 Zitiert nach: Ott, 1999b: S. 7. 123 Im September 2000 verschwand der kritische Journalist und Chefredakteur der „Ukrajins'ka Prawda", Heorhij Gongadse, unter ungeklärten Umständen. Eine kopflose Leiche wurde später mit 99,6 prozentiger Sicherheit als die Gongadses identifiziert. Oppositionspoli-
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blik wurden, die das erschreckend primitive Sprachniveau und die ordinäre Ausdrucksweise Kutschmas offenbarten, verteidigte er sich trotzig: „Ich war einst Fabrikdirektor, ich habe einen gewöhnlichen Wortschatz, da geniere ich mich n i c h t . " 1 2 4 Die Veröffentlichung der sogenannten Melnytschenko-Tonbänder i m Herbst 2000, deren Echtheit später bestätigt wurde, zeigten den Präsidenten als einen Menschen, der in seiner engsten Umgebung vor allem Männer fürs Grobe bevorzugte, die i m Präsidentenauftrag auch vor Rechtsbrüchen nicht zurückschreckten. Die Mitschnitte von Unterredungen Kutschmas mit seinen engsten Vertrauten legten nahe, dass er nicht nur an der Beseitigung des wegen seiner Regimekritik lästigen Journalisten Gongadse interessiert war, sondern dass Kutschma selbst die Unterdrückung von Medien anordnete, Wahlmanipulation betrieb und Bestechungsgelder angenommen hatte. 1 2 5 Die ständigen Auseinandersetzungen mit dem Parlament ließen ihn an Ansehen in der Bevölkerung verlieren. Ohnehin entsprach er nicht dem Idealbild des „Batko", des Landesvaters, der in paternalistischer Manier über den Lagern stand und den Interessen des Volkes diente. Kutschma hatte vielmehr das Image eines Clanchefs, der die materiellen Interessen seiner engsten Umgebung bediente und möglicherweise selbst korrupt war. Kutschma ging es weniger um Glaubwürdigkeit als um den Machterhalt um jeden Preis.
3. Der Pragmatiker Kutschma - Erster Reformelan Dass Kutschma sich 1994 gegen Amtsinhaber Krawtschuk durchsetzen konnte, löste geteilte Reaktionen aus. Zum einen verkörperte Kutschma und sein junges dynamisches Unterstützerteam einen hoffnungsvollen Neubeginn nach der Stagnation und Vetternwirtschaft unter Krawtschuk. 1 2 6 Andererseits begegnete man Kutschma vor allem wegen seines außenpolitischen Kurses und seiner prorussischen Töne während des Wahlkampfes im westlichen Ausland mit großer Skepsis. Der russischen Minderheit, die ein Fünftel der Bevölkerung ausmachte, hatte Kutschma in Aussicht gestellt, das Russische mit dem Status einer offiziellen Sprache aufzuwerten. Man fürchtete, der „rote Direktor" könne die Ukraine womöglich in den Machtbereich Russlands zurückführen.
tiker versuchten anhand von heimlich angefertigten Gesprächsmitschnitten zu belegen, dass Kutschma die Beseitigung Gongadses angeordnet habe. Eine Beteiligung Kutschmas konnte jedoch nicht nachgewiesen werden (s. Kap. H. II.). 124 Zitiert nach: „Watergate in Kiew", Der Spiegel, 12/2001, S. 230. 125 Vgl. Neef, 2001: S. 138 ff. Vgl. auch: „Watergate in Kiew", in: Der Spiegel 12/2001, S. 230 ff. '26 Krawtschuks Regierungschef Swjahil'skyj wurde vorgeworfen, durch den Verkauf von Flugbenzin und illegale Exporte rund 25 Millionen Dollar verdient zu haben. Swjahil'skyj setzte sich zeitweise nach Israel ab.
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U m Unterstützung über den russischsprachigen Osten hinaus zu bekommen, machte er zielgerichtete Gesten an die nationalgesinnte Westukraine. Er präsentierte sich als Garant für die territoriale Einheit der Ukraine, indem er sich gegen eine zu enge Einbindung der Ukraine in GUS-Strukturen aussprach und konsequent den Separatismus auf der K r i m unterband. Kutschma hob die Verfassung der K r i m auf, erklärte die Institution des Präsidenten der Schwarzmeerhalbinsel für nichtig und unterstellte sich die Krim-Regierung. Vor allem durch das ehrgeizige Reformprogramm auf wirtschaftlichem Gebiet und die prowestliche Außenpolitik musste sich die kommunistische Wählerschaft düpiert fühlen. Kutschmas Regierungsmannschaft verhandelte erfolgreich mit dem Internationalen Währungsfonds über Kredite. Die Kommunisten lehnten jedoch die westlichen Finanzorganisationen wie I W F und Weltbank ab, die an die Kreditvergabe harte Bedingungen wie die Kürzung bei den Sozialausgaben knüpften. Die linken Abgeordneten fühlten sich regelrecht betrogen. Obwohl er hauptsächlich mit den Stimmen der Ostukraine gewählt worden war, gewann er zunehmend an Popularität auch in der Westukraine. Kutschma dehnte somit seinen Führungsanspruch auf das ganze Land aus. Kutschma reklamierte später für sich, die Spaltung des Landes überwunden und die Ost- und Westukraine miteinander „versöhnt" zu haben. 1 2 7 Trotz fortbestehender Abhängigkeit seines Landes von Moskau vor allem bei der Energieversorgung konnte er unabhängige Positionen der Ukraine durchsetzen und die Beziehungen zu Russland normalisieren. M i t der Unterzeichnung des lange aufgeschobenen russisch-ukrainischen Grundlagenvertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft am 31. Mai 1997 wurde der Konflikt um die Schwarzmeerflotte beigelegt. In dem Grundlagenvertrag wurde vereinbart, dass die ukrainisch-russischen Beziehungen auf den Prinzipien der Gleichberechtigung sowie auf der gegenseitigen Anerkennung und Achtung der staatlichen Souveränität und territorialen Integrität beruhten. Das Verhältnis zum westlichen Ausland entspannte sich, als die Ukraine 1995 in dem sogenannten G-7-Memorandum zusicherte, das Atomkraftwerk Tschernobyl bis zum Jahre 2000 endgültig zu schließen. Schließlich intensivierten sich durch das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union vom 1. Juni 1995 die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen. Kutschma erklärte mehrfach den ausdrücklichen Willen, die Zusammenarbeit der Ukraine mit europäischen und atlantischen Sicherheits- und Wirtschaftsstrukturen fortzusetzen und zu intensivieren. Die Ukraine trat am 8. Februar 1994 als erster Nachfolgestaat der Sowjetunion dem Nato-Programm „Partnerschaft für den Frieden" (PFP) bei. Kutschma baute gegen den Willen Moskaus die Beziehungen zur Nato weiter aus, so dass am 9. Juli 1997 die Charta über die besondere Partnerschaft zwischen der Nato und der Ukraine unterzeichnet w u r d e . 1 2 8 127
„Hoffnungsschimmer über der Ukraine. Präsident Kutschma als Förderer massiver Reformen", in: NZZ, 28. 3. 1995.
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Kooperationsbereitschaft kennzeichnete zunächst auch Kutschmas Innenpolitik. Weit entfernt von der scharfen Polemik späterer Amtsjahre erklärte er 1995, er sei an einem „Kalten Krieg" mit dem Parlament nicht interessiert: „Mein Verhältnis zur Opposition ist von Achtung geprägt. Allerdings würde ich mir wünschen, dass sich die Opposition konstruktiver verhalten würde. Opposition und auch die Gewerkschaften sind sozialpolitische Seismographen. Sie geben als erste eine Vorahnung von kommenden gesellschaftlichen Erschütterungen und beugen fehlerhaften Entscheidungen vor. Dafür muss man die Opposition schätzen und achten. Und auch ich versuche 1 ti 129 das zu tun. Widerstand wurde Kutschma sowohl vom rechten als auch vom linken Flügel der Werchowna Rada entgegengebracht. M i t den linken Parlamentsfraktionen gab es grundlegende Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des wirtschaftlichen Umbaus und der Reorganisation der Macht. Die national-patriotischen Kräfte kritisierten Kutschma für seine Politik, die Strukturen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten auszubauen und mit Russland eine strategische Bündnispartnerschaft zu entwickeln. Den Verzicht auf das ererbte Nuklearpotential als Faustpfand gegenüber Russland und dem Westen konnten die Nationaldemokraten lange nicht akzeptieren und blockierten den Beitritt der Ukraine zum Atomwaffensperrvertrag. Erst auf Druck des Präsidenten ratifizierte die Werchowna Rada den Atomwaffensperrvertrag am 16. November 1994. 1 3 0 M i t Präsidialdekreten forcierte Kutschma den Umbau des Wirtschaftssystems. 1994, i m Jahr seines Machtantritts, erließ er neun Dekrete. Davon betrafen sechs den wirtschaftlichen Bereich und dienten insbesondere der Liberalisierung der Außenwirtschaft, der Reform des Währungssystems und der Beseitigung der gegenseitigen Verschuldung von Wirtschaftsbetrieben. Die übrigen drei betrafen die Stärkung der Strafverfolgungsinstanzen bei der Bekämpfung von Mafia und organisierter Kriminalität. 1 3 1 Neben den wirtschaftlichen Reformen ging Kutschma den Umbau des politischen Systems an. Dies entsprach Kutschmas ausgeprägtem Führungsanspruch und seinem Selbstverständnis als aktiver Gestalter des Transformationsprozesses. Kutschma war entschlossen, der Ukraine seinen Stempel aufzudrücken und Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Nach nur wenigen Monaten im höchsten Staatsamt ging er zum Angriff auf die Institution über, die ihm am meisten ein Dorn i m Auge war, das Parlament. Die Werchowna Rada kranke an dem „Syndrom der direkten Kontrolle der Regierung", erklärte Kutschma. Die Rada maße sich Entscheidungsgewalt in Bereichen an, die, wie Lohn- und Preispolitik, Energieversorgung und Agrarfragen, zur Zuständigkeit der Regierung gehörten.
128 Bos, 2002, S. 484. 129 Iswestija, 3. 2. 1995. 130 Wittkowski 1998: S. 161. 131
Wittkowsky,
8 Hclmcrich
ebda.
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„Seinem Wesen nach kann das Parlament keine Exekutivfunktionen erfüllen", erklärte Kutschma. 1 3 2 M i t seiner Wahl zum Präsidenten i m Juli 1994 habe die Ukraine aufgehört, eine parlamentarisch-präsidentielle Republik zu sein. Diese habe sich schlicht als nicht lebensfähig erwiesen. Solche Äußerungen machten deutlich, dass Kutschma die präsidentielle Form des Regierungssystems anstrebte und dass er sich der Verfassung nur begrenzt verpflichtet sah. In Anlehnung an das amerikanische Modell befürwortete er langfristig die Abschaffung des Amtes des Regierungschefs. Kutschma war der Meinung, dass die Befugnisse des Premierministers bei ihm, dem Staatsoberhaupt, ohnehin viel besser aufgehoben wären. Dahinter stand der Wunsch, exekutive Vollmachten in einer Hand zu konzentrieren. Als Ausgleich für die Abschaffung des Premierministers sollte wie in den USA der Posten des Vizepräsidenten geschaffen werden. 1 3 3 M i t Unterstützung für ein solches Modell i m Parlament konnte Kutschma jedoch keinesfalls rechnen. Wohlweislich beließ Kutschma denn auch den amtierenden Ministerpräsidenten Masol, der die Mehrheit des Parlamentes hinter sich wusste, zunächst in seiner Funktion. Die reformerischen Kräfte in der ukrainischen Regierung blieben daher in der Minderheit, hatten jedoch mit Vizepremierminister Wiktor Pynsenyk und Ihor Mitjukow, der die Verhandlungen mit den internationalen Finanzinstituten leitete, profilierte Vertreter. Kutschmas erste Schritte i m Präsidentenamt nährten den Argwohn der Abgeordneten, die nicht ohne Grund fürchteten, der Präsident wolle die Rada schrittweise entmachten. I m Vergleich zu Amts Vorgänger Krawtschuk zögerte Kutschma nicht, dem Parlament mit Druck zu begegnen und das Diktat des Handelnden auszuüben. Schon früh drohte Kutschma mit einem Referendum für den Fall, dass sich das Parlament entsprechenden Gesetzesänderungen und insbesondere der Annahme des „Gesetzes über die lokale Selbstverwaltung" verweigern würde. Der Präsident ließ keinen Zweifel daran, dass er eine Politik von „Zuckerbrot und Peitsche" gegenüber dem Parlament würde walten lassen. I m Laufe seiner Amtsjahre sollte er insgesamt dreimal ein Referendum als Druckmittel gegen die Werchowna Rada einsetzen. Dabei argumentierte er in der Regel, er habe als der vom Volk gewählte Präsident das Recht, sich in wichtigen Fragen direkt an das Volk zu wenden, wenn eine Einigung mit der Rada nicht zu erzielen sei. Als entscheidend für die Legitimation seines Amtes betrachtete er die Tatsache, dass er das Mandat der Volkes hatte. Dies war für ihn eine ausreichende Legitimationsgrundlage, um den bestehenden Rechtsrahmen in seinem Sinne zu interpretieren.
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„Wystup Presydenta Ukrajiny Leonida Kutschmy na plenarnomu sasidanni sesiji Werchownoij Rady Ukrajiny 22 grudnja 1994 roku", in: Holos Ukrajiny, 24. 12. 1994. 133 In einer Übergangsperiode bis dahin sollte das Amt des Regierungschefs jedoch erhalten bleiben, wenn auch mit veränderten Kompetenzen.
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Kutschma drängte auf die Annahme einer neuen Verfassung, mittels derer die Position des Präsidenten gestärkt werden sollte. Die Exekutive sollte konzentriert werden bei einer „neuen Vertikalen der ausführenden Gewalt", nämlich beim Präsidenten und bei der Regierung. 1 3 4 Das Parlament sollte aufgelöst werden können, wenn es längere Zeit den Staatshaushalt blockierte oder wenn sich keine konstruktive Parlamentsmehrheit bildete. Als Ausgleich dafür sollte das Parlament das Recht haben, die Misstrauensfrage gegenüber dem Präsidenten in einem Referendum entscheiden zu lassen. Auch die Voraussetzungen für die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens sollten erweitert werden. Kutschma war wie auch sein Amtsvorgänger Krawtschuk nicht als Vertreter einer bestimmten Partei gewählt worden. Dies wirkte sich nachteilig bei der Mobilisierung einer Mehrheit i m Parlament aus. Zu heftigen politischen Auseinandersetzungen kam es immer wieder i m Bereich der Wirtschaftspolitik. Während Kutschma in den ersten Amtsjahren eine strenge Sparpolitik verfolgte, pochte das Parlament darauf, die Reformen sozial abzufedern. So hob die Werchowna Rada etwa die Höhe des Existenzminimums an, während der Präsident und die Regierung eine solche Maßnahme unter Hinweis auf die Haushaltslage kategorisch ablehnten. Unter Kutschma war ein ehrgeiziges Privatisierungsprogramm entworfen worden, wonach 8000 mittlere bis größere Betriebe privatisiert werden sollten. Die Werchowna Rada setzte dieses Programm aus und verhängte einen Privatisierungsstopp.
4. Rücknahme des Reformtempos und Anpassung der Reformen Etwa ein Jahr nach Kutschmas Machtantritt mehrten sich die Anzeichen, dass das Reformprogramm vom Präsidenten selbst teilweise revidiert werden würde. Es wurde der Begriff des „Ukrainischen Weges" oder „Dritten Weges" geprägt, der unterschiedlich interpretiert wurde. Der „Dritte Weg" war vage zwischen Kapitalismus und Kommunismus angesiedelt. Er wurde als Verschmelzung des klassischen Liberalismus mit dem Sozialismus bezeichnet. In jedem Fall bedeutete er eine Verlangsamung der Wirtschaftsreformen und eine Konservierung alter Strukturen. Unter dem Schlagwort der „slahoda" (ukrainisch für „Eintracht"), eines gesellschaftsumfassenden Konsenses, der soziale Konflikte vermeiden sollte, wurde die Herausbildung einer bürgerlichen Gesellschaft weitgehend verhindert. 1 3 5 Statt einer Affirmation des Wandels kam es zu einer Affirmation der Stagnation. Zwar gab der Verfassungsvertrag von 1995 Kutschma die Möglichkeit, den bisherigen Regierungschef Masol auszutauschen, ohne dass er die Zustimmung des Parlamentes brauchte. Doch sein Entschluss, dafür den bisherigen Ersten Vizepremierminister Martschuk zum Ministerpräsidenten zu machen, war eine Personal-
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Wittkowsky, ebda. '35 Kuzio, 2000: S. 31.
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entscheidung, die Kutschma später zutiefst bedauern sollte. Kutschma stellte an seinem Regierungschef Entscheidungsschwäche und fehlendes Verständnis für wirtschaftliche Vorgänge fest. Martschuk wolle keine unpopulären Entscheidungen treffen, seine Arbeitseffektivität sei äußerst gering, kritisierte Kutschma den ehemaligen Geheimdienstchef. 136 Kutschma hatte kein Vertrauen zu seinem Premierminister. Nicht von ungefähr nährte er den Verdacht, dass ihm von Martschuk Konkurrenz drohte. Martschuk galt in der Öffentlichkeit als hart, unnachgiebig, kühl analysierend und bestach vor allem im Vergleich zum Präsidenten durch seine Eloquenz. Als Martschuk entlassen wurde, beschränkte sich die offizielle Erklärung zum ersten M a l nicht auf die sonst übliche Formel „wegen des Wechsels in eine andere Position von den Amtspflichten befreit", sondern drückte deutlich Kutschmas Unzufriedenheit mit Martschuk aus. Martschuk habe sich statt auf tägliche Akten- und Organisationsarbeit darauf konzentriert, ein „eigenes politisches Image zu schaffen". Deshalb und wegen der „geringen Effektivität des Ministerkabinetts" musste Martschuk nach einem Jahr kurz vor Ablauf des Verfassungsvertrages gehen. 1 3 7 Martschuks Regierungszeit (8. Juni 1995 bis 27. Mai 1996) hatte wie bei seinen drei Amtsvorgängern nicht einmal ein ganzes Jahr umfasst. War schon Martschuk eine schlechte Personalentscheidung des Präsidenten gewesen, so wurde die Wahl seines Nachfolgers zum Desaster. Die Ernennung von Pawlo Lasarenko zum Ministerpräsidenten sollte der „Fehler seines Lebens" werden, wie Kutschma später einräumte. 1 3 8 Eklatant zeigten sich die Fehler des Systems, in dem Positionen nicht nach Qualifikation und meritokratisehen Kriterien vergeben werden, sondern nach Beziehungen innerhalb von Clans und Seilschaften. Lasarenko hatte beachtliches Gewicht in der Agrarlobby und repräsentierte gleichzeitig eine der industrialisiertesten Regionen der Ukraine. Lasarenko war in der Agrarhierarchie groß geworden und hatte sich vom Chauffeur zum Kolchoschef hochgearbeitet. Präsident Krawtschuk hatte Lasarenko 1992 zu seinem Stellvertreter für das Gebiet Dnipropetrowsk ernannt. 1996 gab Lasarenko seinen Posten als Gebietsverwaltungschef von Dnipropetrowsk auf und folgte dem Vorschlag Kutschmas, stellvertretender Regierungschef zu werden. M i t dieser
136 Als grobe Fehlleistung rechnete er Martschuk beispielsweise an, dass dieser bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen um die Beisetzung des Patriarchen der Autokephalen Kirche, Wolodymyr, nicht eingegriffen habe - ein Vorwurf, der für den westlichen Beobachter befremdlich sein muss. Der Einsatz von Sicherheitskräften bei Großveranstaltungen wird etwa in Deutschland auf der Ebene der Polizeipräsidien und Innenministerien geregelt. Keinesfalls jedoch ist der Regierungschef und schon gar nicht der Staatspräsident in derartige Entscheidungen mit einbezogen. In der Ukraine sind die Verantwortlichkeiten, wenn überhaupt, anders geregelt. Viele Entscheidungen werden nicht auf mittlerer Ebene, sondern „na werchu", von oben, getroffen. Μ Wittkowsky, 1998: S. 148. ι-3» Kutschma, 1999: S. 94.
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Besetzung sollte der fehlende ökonomische Sachverstand von Premierminister Martschuk kompensiert werden. 1 3 9 A m 28. Mai 1996 schließlich wurde Lasarenko vom Parlament als neuer Regierungschef bestätigt. Schon bevor Lasarenko Ministerpräsident wurde, gab es Hinweise auf Lasarenkos finanzielle Machenschaften und Unregelmäßigkeiten als Chef der „Vereinigten Energiesysteme der Ukraine" EESU (Edyni Enerhetytschni Systemy Ukrajiny). Die Handelsgesellschaft EESU war nach der Reform des Gassektors 1995 zu einem der großen privaten Gasimporteure geworden. Der Gasmarkt war unter die privaten Unternehmen Interhas, Itera-Ukraina und EESU sowie den Staatskonzern Ukrhasprom aufgeteilt. 1 4 0 Mithilfe seines Einflusses als Vizepremierminister baute Lasarenko den Energiekonzern EESU zum Hauptabnehmer russischer Energieträger aus. 1 4 1 EESU gelang es, in kurzer Zeit etwa 25 Banken und Industrieunternehmen um sich herum zu gruppieren, so dass einer der fünf größten Konzerne der Ukraine entstand. Ein ausländischer Berater konstatierte: „Lasarenko hat sich nicht auf die Wirtschaftspolitik, sondern auf das Geschäftemachen konzentriert." 1 4 2 Während Lasarenko als Premierminister weiterhin seine Geschäfte i m Gassektor betrieb, kamen die Reformen fast gänzlich zum Stillstand. Kriminalität und Korruption im Staatsapparat nahmen bisher unerreichte Ausmaße an, was dadurch noch begünstigt wurde, dass Generalstaatsanwalt Hryhorij Worsinow, ein enger Verbündeter Lasarenkos, die Untersuchung in zahlreichen Fällen von Korruption einstellte. 1 4 3 Lasarenko hatte währenddessen seinen wirtschaftlichen Einfluss auch auf einige Medien ausgedehnt. So unterstützten die auflagenstarken Zeitungen „Wseukrainskie Wedomosti" („Allukrainische Nachrichten") und die Parlamentszeitung „Holos Ukrajiny" („Stimme der Ukraine") Lasarenko. Dort wie auch in anderen Medien wurde Lasarenko als Konkurrent Kutschmas bei den nächsten Präsidentschaftswahlen aufgebaut. Gleichzeitig nahm während Lasarenkos Regierungszeit die Dominanz des Dnipropetrowsker Clans über den Staatsapparat weiter z u . 1 4 4 Lasarenko besetzte meh-
139 Vgl. RFE/RL Newsline Vol. 3, No. 20, Part II, 29. 1. 1999; Kutschma selbst behauptet, es sei nicht seine Initiative gewesen, dass Lasarenko Regierungsmitglied wurde. In seiner Autobiographie schreibt er, er sei von Martschuk gedrängt worden, Lasarenko im September 1995 zum Ersten Vizepremierminister zu ernennen. Mit dieser Darstellung versucht Kutschma seine Verantwortung für den Lasarenko-Skandal von sich auf Martschuk abzuwälzen. Vgl. Kutschma, 1999: S. 96. 140 Vgl. Vortrag von Pleines, Heiko: „Die Transformationskrise des ukrainischen Energiesektors als Beispiel für verschleppte Wirtschaftsreformen, Teil 1" im Rahmen der BlOstKonferenz „Die neue Ukraine: Das erste Jahrzehnt", Köln, 11.- 13. 5. 2000. 141 Kowall, 2000: S. 92. 142 Zitiert nach: Wittkowsky, 1998, S. 158. '43 Vgl. „Der neuen Verfassung folgt innenpolitisches Remis", in: Wostok 3/1997, S. 21.
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F. Die Akteure des ukrainischen Transformationsprozesses
rere Minister- und Stellvertreterposten in der Regierung mit Vertrauten aus Dnipropetrowsk. Mehrere Abteilungsleiter der Präsidialadministration, der Vorsitzende des Obersten Gerichts sowie der Generalstaatsanwalt kamen ebenfalls aus Dnipropetrowsk. Zu Recht wurde von einer „Seilschaft" gesprochen. A u f der Hand lag ein Vergleich mit Breschnews Kaderpolitik, der seinerzeit aus seiner Heimatstadt Dnipropetrowsk überdurchschnittlich viele Funktionsträger nach Moskau beordert hatte. Während Lasarenko das A m t des Ministerpräsidenten bekleidete, waren etwa 200 höchste Regierungsämter mit einflussreichen Persönlichkeiten aus Dnipropetrowsk besetzt. 1 4 5 Trotz dieses massiven Ausbaus seiner Machtstellung gelang es Premierminister Lasarenko nur mit Mühe, die innenpolitische Situation unter Kontrolle zu halten. Seine Regierung hatte keine langfristige Reformstrategie und reagierte nur wie eine „Feuerwehrmannschaft auf die wirtschaftlichen B r ä n d e " . 1 4 6 Nach 13 Monaten i m A m t erklärte Lasarenko seinen Rücktritt und kam damit seiner Entlassung durch Präsident Kutschma zuvor. Als Gründe wurden offiziell gesundheitliche Probleme angeführt. Die wahren Ursachen waren jedoch die Korruptionsvorwürfe und der Konflikt mit dem Präsidenten. Kutschma befürchtete, Lasarenko könne ihm seine Wiederwahl 1999 streitig machen. 1 4 7 Nach seinem Rücktritt widmete sich Lasarenko dem Aufbau seiner Partei „Hromada", die bei den Parlamentswahlen 1998 40 Sitze errang. Zusammen mit seiner Stellvertreterin beim Energiekonzern EESU, der „Gasprinzessin" Julija Tymoschenko, ging die linksorientierte Abgeordnetenvereinigung „Hromada" in Opposition zum Präsidenten und griff dabei mitunter auch auf die Unterstützung der Kommunisten z u r ü c k . 1 4 8 Als Lasarenko wegen Veruntreuung von Staatsgeldern mit Haftbefehl gesucht wurde, distanzierte sich Tymoschenko von ihm und gründete die Vaterlandspartei „Bat'kiwschtschyna". Lasarenko setzte sich Anfang 1999 ins Ausland ab. In den USA wurde er wegen des Verdachts, 114 Millionen Dollar gewaschen zu haben, in Untersuchungshaft genommen. Die Werchowna Rada entzog ihm wegen des Vorwurfs, mehrere hundert Millionen Dollar Staatsgelder veruntreut und ins Ausland transferiert zu haben, die Abgeordnetenimmunität. Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine legte ihm Anfang 2002 außerdem den Mord an dem Bankier Wadym Hetman und dem Geschäftsmann Je when Schtscherban zur L a s t . 1 4 9 Es gebe genügend Beweise, dass
144 Pichowschek, Wjatscheslaw, 1998: Korupzija w Ukrajini: Pochodschennja, dscherela, sutschasna situazija, 1998, S. 171/172. us Vgl. Lohmann, 1999b: S. 39.
Ott, 2001b, S. 174. W Vgl. East European Constitutional Review, H. 2 (6), S. 37. 148 „Lasarenko der Geldwäsche verdächtig", in: FAZ, 5. 12. 1998. 149 Wadim Hetman war Vorsitzender der ukrainischen Nationalbank und später Chef der Kiewer Wertpapierbörse. Im April 1998 wurde er vor seiner Wohnung erschossen. Als Motiv für Hetmans Ermordung gab die Generalstaatsanwaltschaft an, Hetman sei Lasarenko bei der Lösung von Finanzproblemen hinderlich gewesen. Schtscherban, Präsident eines ukrainisch-
II. Der Übergang von Krawtschuk zu Leonid Kutschma
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Lasarenko für die beiden Morde die Dienste einer Bande in Anspruch genommen habe und dafür insgesamt fast drei Millionen Dollar bezahlt habe, teilte die Generalstaatsanwaltschaft Anfang 2002 mit. Aufgrund der Beschuldigungen wurde Lasarenko am 7. Februar 2002 das Abgeordnetenmandat ab erkannt, das er bis dahin noch besessen hatte. Die Affäre um Lasarenko machte zum ersten M a l klar, dass der Staatsapparat bis in die höchsten Regierungsebenen von kriminellen Praktiken durchdrungen war. Die Vorwürfe an Lasarenko brachten auch Kutschma ins Zwielicht. Der Präsident wurde dafür kritisiert, den Machenschaften Lasarenkos lange tatenlos zu gesehen zu haben. Durch den Skandal um Lasarenko war zum ersten M a l die Autorität des Präsidenten ernsthaft in Frage gestellt. Zwar konnte Kutschma darauf verweisen, dass er nach der Verfassung keine Verantwortung für die Handlung der Regierung trage. In der Öffentlichkeit hielt sich freilich die Meinung, dass der Präsident etwas von den Vorgängen um Lasarenko gewusst haben musste. Es stellte sich daher die Frage, wie Kutschma die Legitimität seines Herrschaftsanspruchs ernsthaft vertreten konnte, wenn er zuließ, dass einer der mächtigsten Männer i m Staat die Ukraine skrupellos ausplünderte. Entweder hatte Kutschma Lasarenko zu sehr vertraut und diesem zu viel an Handlungsfreiheit zugestanden oder Kutschma hatte ein Eigeninteresse an Lasarenkos kriminellen Praktiken. Eine wirkliche Offenlegung der Vorgänge fand nicht statt. U m die verlorengegangene Legitimität wieder zu bekommen, griff der Präsident zu dem üblichen Mittel in solchen Situationen und setzte das Personenkarussell in Gang. Leicht angeschlagen konnte Kutschma sich aus der Affäre ziehen, indem er Lasarenko i m Juli 1997 durch den loyalen Gefolgsmann Walerij Pustowojtenko ersetzte.
russischen Unternehmens, das sich vor allem mit dem Chemiehandel beschäftigte, war im Nobember 1996 in Donezk erschossen worden. Im Parlament trat Schtscherban den Versuchen von Lasarenko entgegen, seinen wirtschaftlichen Einfluss auf die Donezker Region auszuweiten. Acht Mitglieder der Donezker Bande, die die Morde im Auftrag Lasarenkos ausgeführt haben soll, sollen festgenommen worden sein. Sie stehen im Verdacht, insgesamt 25 Morde begangen zu haben. Vgl. Kohl, Astrid: Ex-Premier der Ukraine des Mordes beschuldigt. Bezahlte Lasarenko eine Killerbande?, in: NZZ, 9. 2. 2002, S. 7.
G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende M i t der Annahme der Verfassung und der Einrichtung des Verfassungsgerichts 1996 war die Demokratisierung in der Ukraine einen großen Schritt vorangekommen. Unter dem Beifall des Westens waren die institutionellen Voraussetzungen für die Konsolidierung eines stabilen demokratischen Systems geschaffen worden. Es zeigte sich jedoch, dass das Lob etwa von Seiten des Europarats, der in der Ukraine „spektakuläre Fortschritte" bei der Entwicklung der Rechtstaatlichkeit und Einhaltung der Menschenrechte festgestellt hatte 1 , verfrüht war. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre kam es zu deutlichen Rückschlägen bei der Demokratisierung. Die neuen Spielregeln der Verfassung konnten nicht durchgesetzt werden, weil der Verfassungskompromiss schon sehr bald von den Akteuren wieder in Frage gestellt wurde, so dass die Chance einer zügigen Konsolidierung verpasst wurde.
I. Die Parlamentswahlen vom März 1998 Auch nach der Annahme der neuen Verfassung war das Verhältnis zwischen Parlament und Präsident weiter gespannt. Der Präsident erklärte, dass er in der entscheidenden Parlamentssitzung vom 27. auf den 28. Juni 1996, als die Verfassung verabschiedet wurde, den Abgeordneten zu weit entgegengekommen war. Außerdem beschuldigte er die Werchowna Rada, anstehende Reformen zu behindern. So blockierten etwa Fraktionen der Kommunisten und der Bauernpartei monatelang den Haushaltsentwurf für das Jahr 1997, der erhebliche Einsparungen bei den Sozialausgaben vorsah. Ohne die Verabschiedung des Haushaltes jedoch machte der Internationale Währungsfonds der Ukraine keine weiteren Kreditzusagen. 2 Ebenso blockierten die linken Fraktionen Kutschmas Dekret vom 25. April 1997 „Über die Verpachtung von Land", mit dem der Präsident die Privatisierung von Grund und Boden vorantreiben wollte. A m Privatisierungsprogramm der Regierung nahm die Werchowna Rada wesentliche Einschränkungen vor, so dass sich der Präsident an vielen bedeutenden Reformvorhaben gehindert fühlte. 3
ι Veser, 2001 : Eine Drohung nach der anderen, in: FAZ, 26. 4. 2001. 2 East European Constitutional Review, H. 1 (6), Winter 1997, S. 31. 3
East European Constitutional Review, H. 2 (6), Spring 97, S. 38.
I. Parlamentswahlen vom März 1998
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Auch Parlamentsvorsitzender Moros äußerte seine Unzufriedenheit mit der 1996 verabschiedeten Verfassung. Anfang 1997 plädierte er für die Einführung eines parlamentarischen Systems, in dem der Präsident nicht direkt vom Volk, sondern von den Deputierten der Werchowna Rada gewählt werden solle. 4 Nach der Ansicht von Moros sollte das Gewicht des Präsidenten im Gesetzgebungsprozess verringert werden. Zur Überwindung eines Vetos des Präsidenten gegen ein verabschiedetes Gesetz sollte nur noch die Hälfte statt zwei Drittel der Abgeordnetenstimmen erforderlich sein. Außerdem forderte Moros, dass weiterhin die Werchowna Rada das Recht haben sollte, die Gesetze auszulegen und zu interpretieren. 5 Diese Kontroversen nur wenige Monate nach der Verabschiedung der Verfassung waren mehr als das übliche Ping-Pong-Spiel zwischen Kutschma und Moros. Es zeigte sich darin der prinzipielle Unwillen der Akteure, sich im gültigen Rechtsrahmen des Staates einzurichten und an die neu getroffenen Vereinbarungen zu halten, weil sie diese für ihren Machtanspruch als hinderlich empfanden. Solange Kutschma jedoch im Parlamentsvorsitzenden Moros einen mächtigen Gegenspieler hatte, war es sinnlos, über eine Verteilung der Macht neu zu diskutieren. M i t Moros zu verhandeln, sei so sinnlos wie ein Gespräch zwischen einem Blinden und einem Taubstummen, sagte Kutschma. 6 A u f Betreiben der Präsidialadministration wurden 1997 mehrere Versuche in der Werchowna Rada unternommen, Moros aus dem A m t des Parlamentsvorsitzenden zu entfernen. Allerdings kam dazu die erforderliche Mehrheit von 226 Abgeordneten nicht zustande, um eine Abstimmung über die Entfernung von Moros aus dem Amt überhaupt auf die Tagesordnung des Parlamentes zu setzen. 7 Kutschma sah seine Position gefährdet, als vom Parlamentsausschuss für Rechtspolitik der Versuch unternommen wurde, gegen den Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Grund hierfür war die Weigerung des Präsidenten, das Gesetz „Über die lokalen staatlichen Verwaltungen" zu unterzeichnen, gegen das er sein Veto eingelegt hatte. Das Parlament hatte das Veto jedoch mit Zweidrittelmehrheit außer Kraft gesetzt. Außerdem wurde dem Präsidenten eine Verletzung von Art. 165 des ukrainischen Strafgesetzbuches zur Last gelegt. Die rechtlichen Grundlagen für eine Amtsenthebung standen jedoch chen Füßen. I m Parlamentsausschuss für Rechtsfragen hatten nur 7 von dern für ein Amtsenthebungsverfahren gestimmt. Bereits im Ausschuss keine Mehrheit. Für die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens
4
auf schwa16 Mitgliegab es also ist jedoch
Diesen Vorschlag machte Moros laut der ukrainischen Nachrichtensendung TSN vom 29. Januar 1997. 5 Damit beanspruchte Moros Kompetenzen, die nach der neuen Verfassung auf das Verfassungsgericht übergegangen waren.Vgl. Bericht auf UTN vom 24. und 28. Januar 1997. 6 Pichowschek / Konontschuk, 1998: S. 176. 7 Vgl. East European Constitutional Review, H. 2 (6), S. 38.
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
nach Art. 111 der Verfassung die Mehrheit i m Parlament nötig. 8 So blieb der Versuch einer Entmachtung Kutschmas per Impeachment-Verfahren wie auch bei späteren Anlässen i m Ansatz stecken. Nach vielen Verzögerungen wurde wenige Monate vor den Parlamentswahlen im März 1998 das neue Wahlgesetz „Über die Wahlen der Volksdeputierten der Ukraine" am 24. September 1997 verabschiedet. Nach dem nun geltenden gemischten Wahlrecht wurde bei den Parlamentswahlen 1998 erstmals die eine Hälfte der 450 Abgeordneten nach Parteilisten gewählt, die andere Hälfte über Direktmandate in den Wahlkreisen. Abgeschafft wurde die Wahlbeteiligungsgrenze von mindestens 50 Prozent. 9 Die geringe Wahlbeteiligung hatte vorher dazu geführt, dass das ukrainische Parlament während der gesamten vierjährigen Legislaturperiode unvollständig blieb. U m in seinem Wahlkreis gewählt zu werden, brauchte der Kandidat jetzt nicht mehr die absolute Mehrheit der abgegeben Stimmen (50 Prozent plus 1 Stimme), sondern nur die relative Mehrheit. Es wurde eine Sperrklausel von 4 Prozent festgelegt. 10 U m zugelassen zu werden, musste ein Kandidat nach dem neuen Wahlgesetz 2.000 Unterschriften sammeln. Parteien und Wahlblöcke mussten 200.000 Unterschriften vorweisen. Aufgrund des neuen Wahlgesetzes entstanden viele neue Parteien, die nur das Ziel hatten, ins Parlament zu kommen. Inoffiziell begann der Wahlkampf schon ein Jahr vor dem Abstimmungstermin, denn alle beteiligten Parteien betrachteten die Parlamentswahlen als „Generalprobe" für die Präsidentschaftswahlen 1999. 11 Daher spielte die ideologische Ausrichtung der Parteien eine untergeordnete Rolle. Sie definierten ihren politischen Standpunkt in erster Linie durch das Verhältnis für oder gegen den Präsidenten, was auch für spätere Wahlgänge charakteristisch bleiben sollte. 1 2 Da keine staatliche Parteienfinanzierung vorgesehen war, gerieten viele Parteien in die Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessengruppen. 1 3 Von 32 Parteien, die zur Wahl angetreten waren, schafften nur sieben Parteien und ein Wahlblock den Sprung über die 4-Prozent-Hürde. Die neu gewählte Werchowna Rada stellte kein Abbild des Wählerwillens dar, denn 34 Prozent der abgegebenen Stimmen entfielen auf Parteien und Blöcke, die es nicht geschafft hatten, ins Parlament zu kommen. Ein Drittel der Wählerstimmen fiel dadurch sozusagen unter den Tisch. 1 4 8 Vgl. Jewdokimow, Walerij /Medwedtschuk, Wiktor: Sajawa pro neprawomotschne i jurydytschno bespidstawne rischennja Komitetu Werchownoij Rady s pytan' prawowoij polityky i sudowo-prawowoij reformy schtschodo inizijuwannja pytannja pro usunennja Presydenta Ukrajiny s posta w porjadku impitschmentu, in: Holos Ukrajiny, 12. 9. 1997. 9 Vgl. Lohmann, 19989a: S. 43 ff.. Vgl. Ott, 1999c, S. 7. 10 Ott, 1999c: S. 7.
11 Ott, 1998: S. 2. 12 Ott, 1999c: S. 3. 13 Vgl. Lohmann, 1999a: S. 43.
I. Parlamentswahlen vom März 1998
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Durch die Parlamentswahlen am 29. März 1998 wurden die politischen Gewichte neu verteilt. Verglichen mit dem alten Parlament war das neue konsolidierter und strukturierter geworden mit acht Fraktionen und Abgeordnetengruppen. 15 Die linke Opposition errang einen deutlichen Erfolg, die antipräsidentiellen Kräfte wurden gestärkt. Die vier linken Parteien Kommunistische Partei, Progressive Sozialisten, Sozialisten und Bauernpartei erhielten zusammen 37 Prozent der Stimmen und besetzten i m neuen Parlament zusammen 176 Sitze. Dies war ein deutlicher Zugewinn gegenüber den Parlamentswahlen 1994, als die Linken nur 118 Mandate errungen hatten. Aufgrund der neuen Stimmenverteilung kam es zu einer Pattsituation i m Parlament, wobei sich zwei ideologische Blöcke gegenüberstanden: Die Linksparteien mit vier Fraktionen auf der einen Seite und die Zentristen plus Nationaldemokraten (fünf Fraktionen) auf der anderen Seite. Die Parlamentsarbeit geriet in eine Totalblockade, weil Stimmengleichheit zwischen diesen beiden politischen Lagern herrschte. Die Sitzverteilung stellte sich folgendermaßen dar: Kommunisten (123 Abgeordnete), „Linkes Zentrum" aus Sozialisten und Bauernpartei (34 Abgeordnete) und Progressive Sozialisten (16 Abgeordnete) kamen zusammen auf insgesamt 173 Mandate. Zusammen mit weiteren Direktmandaten verfügten die linken Kräfte über 176 Sitze. 1 6 Demgegenüber standen Demokratische Volkspartei N D P U (28), Grüne (19), Hromada (22), Vereinigte Sozialdemokraten (17) und Ruch (46). 24 Sitze gingen als Direktmandate an Vertreter kleinerer Parteien, die an der 4-Prozent-Hürde scheiterten. Parteilose Abgeordnete errangen 109 Mandate. Von ihnen war ein Drittel als links oder linkszentristisch einzuschätzen, während etwa zwei Drittel zentristische Positionen bezogen. Die meisten parteilosen Abgeordneten schlossen sich in der Folgezeit der Fraktion der präsidentennahen N D P U an. 1 7 Das Ergebnis der Parlamentswahlen wurde allenthalben als Sieg der antipräsidentiellen Kräfte und als Ausdruck des Protestes gegen die Politik Kutschmas gewertet. I m Hinblick auf seine Bewerbung um die Wiederwahl schien Kutschma in einer denkbar schlechten Position. Entgegen aller Erwartungen nutzte Kutschma die neue Konstellation jedoch zu taktischen Schachzügen. So gelang es ihm zunächst, die Pläne seines Rivalen Moros zu durchkreuzen, der erneut für das A m t des Parlamentsvorsitzenden kandidierte. 19 Probeabstimmungen mit jeweils neuen Kandidaten für das A m t des Parlamentsvorsitzenden brachten kein Ergebnis und zeigten, wie schwierig sich die neue Rada strukturierte. Erst i m 20. Anlauf wurde der Kandidat des linken Zentrums, Olexandr Tkatschenko von der Bauernpartei am 7. Juli 1998 zum neuen
Ott, 1998: S. 4. is Ebda. '6 Ott, 1998: S. 5. '7 Ebda. '4
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
Parlamentsvorsitzenden gewählt. 1 8 Beobachter sahen in der Wahl des neuen Parlamentsvorsitzenden das Ergebnis „undurchsichtiger Machenschaften der Kutschma-Administration", die eine Neutralisierung von Moros und die Spaltung der Linken anstrebte. 19 Auch bei der Wahl der beiden stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden, des Kommunisten Adam Marty njuk und Wiktor Medwedtschuk von den Vereinigten Sozialdemokraten SDPU(o) hatte die Präsidialadministration Einfluss genommen. M i t der Plazierung ihres Vorsitzenden Medwedtschuk in dieses strategisch wichtige A m t demonstrierte die SDPU(o), dass sie über gute Kontakte zum Präsidenten verfügte und allmählich zur „Partei der Macht" avancierte. 20 Somit war ein Vierteljahr verstrichen, bis die Werchowna Rada eine funktionsfähige Parlamentsleitung hatte. In dieser Zeit war der Gesetzgebungsprozess des Parlaments unterbrochen. Zwar konnte Kutschma in Teilbereichen per Dekret regieren, doch dringende Reformschritte vor allem zur Stabilisierung der Staatsfinanzen und zur Ankurbelung der Wirtschaft unterblieben, weil die Führungsstruktur des Parlamentes fehlte. Kutschma nutzte die Selbstblockade des Parlaments aus, um das Präsidentenamt in der Öffentlichkeit als einzige funktionsfähige Institution darzustellen und alle Negativerscheinungen der Werchowna Rada zuzuschreiben. 21 So erließ er eine Reihe von Wirtschaftsdekreten. Diese erlangten Gesetzeskraft, wenn sie vom Parlament nicht innerhalb von 30 Tagen umgestossen wurden. 2 2 Die Werchowna Rada verzichtete auf die Einlegung ihres Vetos, obwohl einige Dekrete gegen geltendes Recht verstießen. So griffen die Dekrete etwa in die Zuständigkeit der Werchowna Rada für Steuerrecht ein. 2 3 Der neue Parlamentsvorsitzende Tkatschenko setzte zunächst auf eine Konsolidierung des Verhältnisses zum Präsidenten. Ein Dauerkonflikt des Parlaments mit dem Präsidenten, wie er die Amtszeit des Parlamentsvorsitzenden Moros geprägt hatte, sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Tkatschenko betonte die Notwendigkeit einer konstruktiven Zusammenarbeit von Exekutive und Legislative und „eine Politik der abgestimmten Aktionen" zwischen den Gewalten. 2 4 Als Zeichen seines Entgegenkommens sprach sich Tkatschenko daher gegen die Absetzung von Premierminister Pustowojtenko aus und signalisierte seine Bereitschaft, die wirtschaftspolitischen Dekrete Kutschmas mitzutragen.
18 Tkatschenko lag mit 227 Stimmen nur eine Stimme über der zu seiner Wahl erforderlichen Mehrheit. Vgl. Yurchuk, Olexandr: Old kid on the new block. Deputies pick leftist speaker, in: Eastern Economist, 13. 7. 1998, S. 1. 19 Vgl. Haran', 1999: S. 5. 20 Ebda.
21 Schünemann, 1998: S. 7. 22 Ausgenommen von dieser Regelung war der Staatshaushalt, der zwingend vom Parlament genehmigt werden muss. Vgl. „Blockiertes Parlament in der Ukraine. Präsident Kutschma regiert mit Dekreten", in: NZZ, 30. 6. 1998. 23 Vgl. Ott, 1998: S. 32. 24 Haran', 1999: S. 3.
II. Präsidentschaftswahlen vom Oktober und November 1999
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Das kooperative Verhältnis zwischen Kutschma und Tkatschenko sollte jedoch schon bald in Antagonismus umschlagen. Kurz darauf im Dezember 1998 forderte Kutschma, die bis Juni 1999 geltenden Übergangsbestimmungen der Verfassung für weitere fünf Jahre zu verlängern, um weiterhin mit Wirtschaftsdekreten regieren zu können. Ein Referendum, mit dem die Meinung der Bevölkerung zu einer zweiten Parlamentskammer eingeholt werden sollte, sollte ihm die Rechtsgrundlage dafür geben. 2 5 Der Parlamentsvorsitzende Tkatschenko drohte dagegen mit dem Vorschlag, eine Verfassungsänderung vorzunehmen, mit der die Vollmachten des Präsidenten beschnitten werden sollten. Danach sollte die Werchowna Rada und nicht der Präsident den Premierminister und den Generalstaatsanwalt ernennen. Eine solche Verfassungsänderung hätte die Bedeutung des Staatspräsidenten auf reine Repräsentation reduziert. Nachdem Tkatschenko dann auch noch seine Bewerbung für das Präsidentenamt angemeldet hatte, verschärfte sich der Gegensatz zwischen Kutschma und Tkatschenko.
II. Die Präsidentschaftswahlen vom Oktober und November 1999 Das neue Gesetz über die Präsidentschaftswahlen bestimmte, dass neben Wählerversammlungen nur politische Parteien und ihre Wahlblöcke Kandidaten aufstellen durften. Diskussionen über Wahlkampftaktik und Aufstellung von Kandidaten setzten daher die Parteien unter Druck. Weil viele Parteien und Parteiblöcke von ihrem Recht Gebrauch machten, einen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, kam es zu einem regelrechten „parteipolitischen Erdbeben". 2 6 Bis auf wenige Ausnahmen spalteten sich alle Parteien. Als Folge einer „Atomisierung der Parteienlandschaft" 27 entstanden neue Parteien und Parteiwinzlinge. Es kam zu teilweise anarchischen Zuständen, weil ganze Gebietsorganisationen entweder ihre Partei verließen oder der Parteispitze in der Frage, welcher Präsidentschaftskandidat unterstützt werden solle, den Gehorsam verweigerten. So stellte sich die Liberale Partei der Ukraine hinter Kutschma. Die Gebietsorganisation der Liberalen Partei in Odessa spaltete sich hingegen ab und unterstützte den Ruch-Kandidaten Udowenko. Die Organisationen der Liberalen Partei in Luhansk und teilweise in Donezk wiederum sprachen sich für Martschuk aus. Es gab noch eine Reihe weiterer Parteien, die über ihren Kurs bei den Präsidentschaftswahlen ebenfalls tief zerstritten waren. Überlagert wurden die Machtkämpfe durch persönliche Rivalitäten der Parteiführer. 28 25
„Kuchma calls for referendum to amend constitution", in: Kyiv Post, 18. 12. 1998. Vgl. Yurchuk, Olexandr: Off-Guard. President wants to extend transition, in: Eastern Economist, 21. 12. 1998, S. 1/3. 26 Ott, 1999c: S. 4. 27 Ott, 1999c: S. 3.
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
Ursache für die Zerrissenheit der Parteien war die unterschiedliche Einschätzung darüber, welcher der Präsidentschaftskandidaten die aussichtsreichsten Chancen habe. Da in den Regionen Vertreter von wirtschaftlichen Strukturen sich häufig parteipolitisch engagierten und Führungspositionen bekleideten, erwarteten sie vom Ausgang der Wahl auch direkte Auswirkungen für ihre persönlichen Geschäftsinteressen. Deshalb wurde die Entscheidung, welchen Kandidaten sie unterstützen wollten, in der Regel nicht nach parteiideologischen Gesichtspunkten, sondern aus pragmatischen Gründen gefällt. Auch belegten die Auseinandersetzungen um die richtige Wahlkampfstrategie wie wenig hierarchisch die Parteien gegliedert waren. Die Parteiführer in der Hauptstadtzentrale hatten im Zweifelsfall keine Durchgriffsmöglichkeit bis in die Ortsverbände. Diese wiederum fühlten sich parteipolitisch nicht in dem Maße gebunden, dass sie vor Ort nicht ihre eigene Strategie verfolgen konnten. Kurzum, es herrschte eine allgemeine Zerstrittenheit zwischen den Parteien und innerhalb der Parteien selbst sowie zwischen den einzelnen Kandidaten. 2 9 Vor dem Hintergrund des heranrückenden Wahltermins wurde die Diskussion um eine Revision der erst drei Jahre zuvor verabschiedeten Verfassung neu angefacht. Sowohl Parlament als auch Präsident zeigten sich mit der Verfassung unzufrieden und meldeten Änderungswünsche an. Wieder war es der Präsident, der als erster den Hut in den Ring warf. Er beschuldigte das Parlament, korrupte und kriminelle Abgeordnete in Schutz zu nehmen und forderte die Abschaffung der Immunität der Abgeordneten. Wiederholt sprach er der Werchowna Rada die Existenzberechtigung ab. So erklärte Kutschma: „Wenn die Wechowna Rada nicht imstande ist, eine stabile parlamentarische Mehrheit zu bilden und produktiv zu arbeiten, dann soll sie sich entweder selbst auflösen oder ihr Recht auf Gesetzgebung dem Präsidenten oder der Regierung übertragen." 30 Wieder einmal demonstrierte er in aller Offenheit, wie sehr er das Parlament als lästigen Hemmschuh betrachtete, dessen er sich zu entledigen gedachte. Von demokratischen Grundprinzipien ohnehin nicht überzeugt, gab der Präsident zudem mit seinen Forderungen zu erkennen, dass er sich an die Vorschriften der Verfassung nicht gebunden fühlte. Inspiriert durch den schleichenden Staatsstreich des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko vom November 1996 propagierte Kutschma nun autoritäre Maßnahmen, die bei ihrer Umsetzung die Umkehr der bisherigen Demokratisierung bedeuteten. Lukaschenko hatte mit dem Verfassungsreferendum vom 24. November 1996 die Gewaltenteilung in Belarus aufgehoben und faktisch eine Präsidialdiktatur eingeführt. Vor allem die Möglichkeit, die beiden Parlamentskammern aufzulösen, die Lukaschenko durch die illegal re-
28 Ott, 1999c, S. 15-22. 29 Ebda. 30 Urjadowyj kurjer, 3. 11. 1998, S. 4. Zitiert nach: Ott, 1999c: S. 33.
II. Präsidentschaftswahlen vom Oktober und November 1999
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vidierte Verfassung erhalten hatte, erschien dem ukrainischen Präsidenten als eine interessante Handlungsoption. 31 Mehrmals brachte Kutschma auch die Idee eines Verfassungsreferendums ins Gespräch. Einmal sollte es dazu dienen, die Immunität der Abgeordneten aufzuheben. Ein anderes M a l forderte der Präsident, die Übergangsregelungen der Verfassung, die ihm das Recht gaben, bis Mitte 1999 mit Wirtschaftsdekreten zu regieren, um weitere fünf Jahre zu verlängern. Kutschma begründete seine Forderung nach einer Verlängerung des Dekretrechts mit der Tatenlosigkeit des Parlaments. Es hätten sich 600 Gesetzesentwürfe angestaut, die die Werchowna Rada noch nicht behandelt habe. In der üblichen Argumentation warf Kutschma den Deputierten Zeitverschwendung und Hinhaltetaktik vor und äußerte die Befürchtung, dass der Gesetzgebungsprozess während des ganzen Wahlkampfes zum Erliegen kommen werde. 3 2 Bei anderer Gelegenheit verlangte er, dass die Bevölkerung per Referendum die Verfassung billige. Die Annahme der Verfassung nur durch das Parlament, wie sie 1996 erfolgt war, sei als Rechtsgrundlage nicht ausreichend, erklärte der Präsident. Bei einem geplanten Verfassungsreferendum sollte nach den Vorstellungen Kutschmas auch eine zweite Parlamentskammer in der Verfassung verankert werden. 3 3 Der Präsident stiftete mit seinen Änderungswünschen, denen es an Konzept und Stringenz mangelte, völlige Verwirrung. Zudem setzte er das Parlament unter Druck, den Haushalt für das folgende Jahr rechtzeitig bis Ende 1998 zu verabschieden. Andernfalls drohte er damit, die Finanzierung der Werchowna Rada aus dem Staatshaushalt zu stoppen. Zwar entbehrte Kutschmas Androhung, das Parlament aufzulösen, jeder Rechtsgrundlage. Der Präsident kann nach Art. 106 und 90 Verf. das Parlament nur dann auflösen, wenn innerhalb von 30 Tagen während einer laufenden Sitzungsperiode keine Plenarsitzung zustande kommt. Abgeordnete bezeichneten den Vorstoß Kutschmas denn auch als versuchten Verfassungsbruch. Kutschma wolle den Machterhalt um jeden Preis und sei dafür bereit, die Grenzen der Verfassung zu ignorieren. Die demonstrative Geringschätzung des Parlaments und der wiederholte Druck, den Kutschma ausübte, wirkten sich jedenfalls äußerst kontraproduktiv aus. Gereizt holte die Werchowna Rada aus zur Konterattacke. U m dem Präsidenten Paroli
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Der weißrussische Präsident kann das Unterhaus (Repräsentantenkammer) auflösen, wenn es der Regierung das Misstrauen ausspricht oder sich weigert, den vom Präsidenten vorgeschlagenen Premierminister zu bestätigen. Beide Parlamentskammern (Repräsentantenkammer und Rat der Republik) können zudem im Fall grober, vom Verfassungsgericht bestätigter Verfassungsverstöße aufgelöst werden. Vgl. Sahm, Astrid, 2001: Von der parlamentarischen Republik zum präsidialen Regime, in: Lindner, Rainer /Meissner, Boris (hrsg.): Die Ukraine und Belarus in der Transformation. Eine Zwischenbilanz, Köln, S. 143. 32 Yurtschuk, Olexandr, 1999a: Delaying Tactics, Presidential economic decree struggles, in: Eastern Economist, 3. 5. 1999, S. 6. 33 Ott, 1999c: S. 7.
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
zu bieten, reaktivierte Tkatschenko die Idee einer Verfassungsänderung, wonach dem Präsidenten das Recht, den Premierminister und General Staatsanwalt zu ernennen, genommen und der Werchowna Rada übertragen werden solle. Die Fraktion der Kommunisten brachte im Januar 1999 den Gesetzentwurf „Über die Änderung und Ergänzung der ukrainischen Verfassung" i m Parlament ein, der von 158 Abgeordneten unterzeichnet war. Der Gesetzentwurf sah die Abschaffung des Präsidentenamtes und die Umwandlung der Ukraine in eine parlamentarische Republik vor. So sollte das Rätesystem wieder hergestellt und die regionalen staatlichen Verwaltungen abgeschafft werden. 3 4 Der Parlaments Vorsitzende sollte Staatsoberhaupt sein und die Ukraine international vertreten. Der Parlamentsvorsitzende Tkatschenko unterstützte den Vorstoß der Kommunisten, sah er doch darin die Gelegenheit, sein A m t zur höchsten Institution im Staat zu erheben. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte für den Antrag, das Verfassungsgericht solle die Möglichkeit einer solchen Verfassungsänderung überprüfen. 35 Kutschma wurde über diesen, wenn auch erfolglosen, Versuch seiner Entmachtung zum erbitterten Gegner Tkatschenkos und der Kommunisten. Er drohte den Abgeordneten mit dem Entzug ihrer Immunität. Zwar fand sich i m Parlament eine einfache Mehrheit, mit der das Verfassungsgericht zur Prüfung angerufen wurde, ob der Gesetzentwurf mit der Verfassung konform sei. Das Verfassungsgericht freilich lehnte die Aufnahme des Verfahrens wegen Formfehler ab und zeigte erneut seine Parteilichkeit zugunsten des Präsidenten. 36 Der Versuch der linken Kräfte i m Parlament, eine Verfassungsänderung zu initiieren, war daher von Anfang an aussichtslos. Das Kräftemessen zwischen Kutschma und dem Parlament war mehr als das übliche Geplänkel. Es zeigte, dass noch immer keine Übereinkunft über das politische System der Ukraine herrschte. Während die Initiativen von Seiten Kutschmas auf die Umwandlung der Ukraine in eine Präsidialrepublik abzielten, versuchten die linken Kräfte im Parlament den Verfassungstext zugunsten einer parlamentarischen Republik abzuändern. Diese prinzipielle Uneinigkeit beruhte darauf, dass die Verabschiedung der Verfassung 1996 nur unter höchstem Druck stattgefunden hatte und der geschlossene Kompromiss wegen unterschiedlicher Interessen der Akteure wieder aufgegeben wurde. Die Linken wollten die während der Sowjetunion formal bestehende Suprematie des Parlaments über die anderen Staatsinstitutionen wiederherstellen. Ihre Vorschläge zeigten zudem, dass sie das Prinzip der Gewaltenteilung für entbehrlich hielten. M i t seinen Änderungswünschen wiederum offenbarte Kutschma den ihm
34 „Ukrainisches Parlament lässt Abschaffung des Präsidentenamtes prüfen", Deutsche Presse Agentur, 14. 1. 1999. 35 Ebda. 36 Ott, 1999c: S. 9.
II. Präsidentschaftswahlen vom Oktober und November 1999
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eigenen rigiden Machtstil und seine Bereitschaft, Verfassungsnormen i m Zweifelsfall zu ignorieren. Als Ausdruck seines ausgeprägten Machtbewusstseins meldete er seinen Willen an, die Position des Präsidenten möglichst lange zu behaupten: „Eine Amtszeit als Präsident ist nicht genug . . . zehn Jahre sind das Minimum, damit ein Land, das gerade erst mit Reformen begonnen hat, Resultate erzielen kann." Ein andermal erklärte Kutschma, er werde auf seiner Wiederwahl 1999 „bestehen". 3 7 Es wäre ein „Verbrechen", nach einer Amtszeit aufzugeben. Er denke nicht daran, „das Feld kampflos zu räumen." 3 8 M i t seinen Forderungen zeigte er wie einige seiner Amtskollegen etwa in den zentralasiatischen GUS-Staaten, die mit rechtlich fraglichen Mitteln eine Verlängerung ihrer Präsidentschaft durchsetzten, ein quasi dynastisches Amtsverständnis. Er war verbittert darüber, wie wenig er von seinen ursprünglichen Plänen für den Umbau des Landes hatte umsetzen können und gab dafür der Werchowna Rada die alleinige Schuld. „ A l l e Reformen in der Ukraine sind Präsidenten-Erlassen zu verdanken und nicht Abstimmungen i m Parlament", behauptete Kutschma. 3 9 Die linken Kräfte setzten alles daran, bei den Präsidentschaftwahlen den angeschlagenen Präsidenten abzuwählen. Da die Parteiführer der vier linken Parteien hoffnungslos untereinander zerstritten waren, war an einen gemeinsamen Kandidaten nicht zu denken. Daher gingen Petro Symonenko (Kommunistische Partei), Olexandr Moros (Sozialisten), Natalija Witrenko (Progressive Sozialisten) und Olexandr Tkatschenko (Bauernpartei) als Präsidentschaftskandidaten jeweils getrennt ins Rennen. Nach dem neuen Gesetz „Über die Wahlen des Präsidenten der Ukraine", das am 25. März 1999 von der Werchowna Rada angenommen wurde, galten nun härtere Bedingungen für die Registrierung als Präsidentschaftskandidat. Waren 1994 noch 100.000 Unterschriften ausreichend gewesen, um die Zulassung als Kandidat zu erhalten, mussten nun eine M i l l i o n Unterschriften der Zentralen Wahlkommission vorgelegt werden. 4 0 Kutschma legte als erster die erforderlichen Unterschriftenlisten vor und wurde als erster von insgesamt 15 Kandidaten registriert. Fast alle Bewerber gehörten dem Parlament an und hatten dort führende Positionen inne bzw. bekleideten Leitungsfunktionen in den Parteien. 41 In dieser Konstellation wurde das jahrelange Tauziehen zwischen Parlament und Präsident nach den Märzwahlen 1998 nicht beigelegt, sondern sollte sich chronisch 37 Beide Äußerungen Kutschmas bezüglich seiner Wiederwahl sind zitiert nach: Pichowschek / Konontschuk, 1998: S. 160. 38 „Der Westen schaut weg", Spiegel-Gespräch mit Kutschma, in: Der Spiegel, 22/1998, S. 145. 39 „Die Bürger sind das Chaos leid", Interview mit Präsident Kutschma, in: Der Spiegel, 28/2000, S. 132. 40 Lohmann, 1999b: S. 38.
41 Vgl .Lohmann, 1999b: S. 38/39. 9 Hclmcrich
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
verschlimmern. Die gesetzgeberische Arbeit des Parlaments wurde immer mehr durch Wahlkampfthemen verdrängt. Die Werchowna Rada wurde zum Forum für die bevorstehende Präsidentschafts wähl. Da bei den meisten Bewerbern die finanziellen Mittel für den Wahlkampf knapp waren, nutzten sie die Möglichkeit der kostenfreien Selbstdarstellung i m Staatsfernsehen, in dem die Sitzungen der Rada übertragen wurden. Dass sich so viele Kandidaten aufstellen ließen, bei denen von vornherein klar war, dass sie nicht über prozentuale Stimmenanteile i m einstelligen Bereich hinauskommen würden, hatte taktische Gründe. Zum einen knüpften die Bewerber ihr persönliches Prestige an die Präsidentschaftskandidatur. Offensichtlich begriffen dies die Vorsitzenden der Parteien als Chance, die Bindung an ihre Wählerbasis zu festigen. So war die Präsidentschafts wähl etwa für die zwei Vorsitzenden der gespaltenen Ruch, Hennadij Udowenko und Jurij Kostenko, ein Test, wer von ihnen mehr Rückhalt in der Bevölkerung genoss. 42 Außerdem sollte durch eine Kandidatur der Führungsanspruch innerhalb der Partei gefestigt werden, wie dies nicht nur bei Ruch, sondern auch bei der Kommunistischen Partei, den Sozialisten, der Bauernpartei, den Progressiven Sozialisten und den Grünen der Fall war. Einige Kandidaten traten ohne eigene Partei an, wie zum Beispiel der Ex-Premierminister Jewhen Martschuk.
III. Die Schwerpunkte des Wahlkampfes Präsident Kutschma hatte mehrere Hebel in der Hand, um seine Wiederwahl zu erreichen und zögerte nicht, diese einzusetzen. Seine Strategie stützte sich auf drei Säulen 4 3 Zum einen wurde der gesamte Staatsapparat bestehend aus Regierung, Präsidialadministration und Gebietsverwaltungen für den Wahlkampf instrumentalisiert. Zweitens bediente er sich der Massenmedien, die weitgehend eine propräsidentielle Haltung einnahmen. Zum dritten stützte er sich wie Boris Jelzin während des Wahlkampfes auf mehrere Oligarchengruppen. Diese stellten erhebliche Finanzmittel für Kutschmas Wahlkampf zur Verfügung und sorgten über die Massenmedien, die sich in ihrem Besitz befanden, für eine positive Berichterstattung über den Amtsinhaber. Die wichtigsten Oligarchen, die Kutschma stützten, waren in den beiden „Parteien der Macht" SDPU(o) (Vereinigte Sozialdemokratische Par42
Ruch hatte sich im Februar 1999 gespalten, als der frühere Umweltminister Jurij Kostenko auf einem Sonderparteitag zum neuen Vorsitzenden gewählt und der bisherige Parteivorsitzende Tschornowil abgewählt wurde. Tschornowil erkannte die Abstimmung nicht an. Nach dem plötzlichen Tod Tschornowils bei einem Autounfall am 25. März 1999 spaltete Ruch sich auf in eine zentristisch orientierte Gruppe um Jurij Kostenko („Ukrajinski Narodni Ruch", UNR) und eine konservative Rumpfpartei mit dem Vorsitzenden Hennadij Udowenko („Narodni Ruch Ukrajiny", NRU). Vgl. „Ukrainische Unabhängigkeitspartei Ruch gespalten", Deutsche Presse Agentur, 28. 2. 1999. Vgl. Lindner, 1999, S. 31. « Ott, 1999c: S. 4.
III. Die Schwerpunkte des Wahlkampfes
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tei der Ukraine) und N D P U (Volksdemokratische Partei der Ukraine) aktiv. Als Partei der Staatsnomenklatura wurde die N D P U von Premierminister Walerij Pustowojtenko angeführt. Kutschma wurde zusätzlich von dem Wahlblock „Unsere Wahl - Leonid Kutschma" unterstützt. Dabei handelte es sich um 20 Parteien aus dem politischen Zentrum, die dem Präsidenten ihre Hilfe zugesichert hatten. 4 4 Davon waren die meisten jedoch kleine Parteien, die schwach und bedeutungslos waren. Nur die SDPU(o) und N D P U waren in Fraktionsstärke im Parlament vertreten. Die SDPU(o) nominierte Kutschma als erste Partei zum Präsidentschaftskandidaten. Kutschma verfügte nur über eine schwache politische und gesellschaftliche Basis. Er stützte sich i m Wesentlichen auf den Staatsapparat, die neue Nomenklatura, einflussreiche Wirtschaftsleute und die sogenannten Oligarchen 4 5 Die Oligarchen Wolkow, Medwedtschuk und Surkis bildeten den Rückhalt, den der Präsident i m Parlament genoss, und der später das Gerüst einer Präsidentenmehrheit bilden sollte. Wie schon bei Kutschmas erster Bewerbung 1994 spielte der undurchsichtige Wolkow eine zentrale Rolle in Kutschmas Wahlkampfstrategie 4 6 Wolkow beschaffte für Kutschma Wahlkampfgelder und war der Mittelsmann zum russischen Oligarchen Beresowskij, von dem es hieß, er würde ebenfalls Kutschma unterstützen. Kutschma beschäftigte drei verschiedene Wahl kämpf Stäbe mit der Planung und Durchführung der Wahlkampagne 4 7 M i t dem geballten Einsatz aller Kräfte sollte eine Wiederwahl des Präsidenten um jeden Preis erreicht werden. Wie bereits 1994 war ein Team von Soziologen damit befasst, das Meinungsklima in der Bevölkerung mittels Umfragen zu untersuchen und eine Feinsteuerung der Wahlkampagne vorzunehmen. Hilfreich für Kutschmas Wahlkampfzwecke erwies sich außerdem der „Koordinationsrat für Innenpolitik", den er ein Jahr vor den Wahlen gegründet hatte und der aus den sogenannten Machtministerien bestand. Dem Koordinationsrat für Innenpolitik gehörten der Innenminister, der Geheimdienstchef, der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, die Justizministerin, der General Staatsanwalt und der Leiter der staatlichen Radio- und Fernsehanstalt an. Als weitere Schlüsselfiguren aus Oligarchenkreisen wurde Kutschmas enger Freund Wolkow in den Koordinationsrat aufgenommen sowie Wiktor Medwedtschuk und Hryhoryj Surkis. I m Koordinationsrat wurden die Informationen gebündelt. Für Kutschma stellte der Koordinationsrat ein weiteres Wahlkampfinstrumentarium dar, das ihm zur Transmission seiner Kampagnenstrategie diente.
44 Lohmann, 1999b, S. 51. « Ott, 1999c: S. 36. 46 Wolkow hatte 1992 den Fernsehsender „Grawis" erworben. Im Wahlkampf 1994 war „Grawis" der einzige Kanal, der den Kandidaten Kutschma unterstützt hatte. Der für ukrainische Verhältnisse reiche Geschäftsmann Wolkow wurde nach Kutschmas Wahl zum Präsidentenberater für Wirtschaftsfragen berufen und rühmte sich, mit einem 600er Mercedes und einer Rolex-Uhr seine Arbeit in der Präsidialadministration angetreten zu haben. 47 Lohmann, 1999b: S. 40. 9*
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
Die Chancen für Kutschma auf Wiederwahl sahen zunächst nicht gut aus. Umfragen bescheinigten ihm nur noch zehn Prozent Unterstützung bei der Bevölkerung. Als amtierender Präsident trug er die Verantwortung für die wirtschaftliche und soziale Misere des Landes. Umfragen bescheinigten ihm eine sinkende Popularität. In der Bevölkerung herrschte die Meinung vor, er habe sein Versprechen, er werde Reformen durchführen, nicht gehalten und es sei keine spürbare Verbesserung der Lebensbedingungen eingetreten. U m das Blatt zu wenden, ließ Kutschma kurz vor der Wahl die drückendsten Zahlungsrückstände bei Pensionen und Gehältern i m Staatsdienst begleichen. Zur 50-Jahrfeier der Befreiung der Ukraine von der deutschen Besatzung erließ er den Kriegsveteranen per Dekret die Steuern. Eine Stoßrichtung seiner Wahlkampagne zielte auf Stimmengewinne unter der Jugend. Hier witterten Kutschmas Wahlkampfplaner die Mobilisierung eines unerschlossenen Wählerreservoirs. Da junge Erwachsene in der Ukraine häufig apolitisch sind und überdurchschnittlich oft nicht an Wahlen teilnehmen, sollten sie mit speziellen Massenveranstaltungen angesprochen werden. Kutschma präsentierte sich als Schlagersänger in der Oper und trat bei Pop- und Rockkonzerten auf, die landesweit zu bevorzugten Sendezeiten ausgestrahlt wurden. 4 8 Ukrainische Popstars warben für die Wiederwahl Kutschmas als dem „Präsidenten der Jugend". U m bei der jungen Generation anzukommen, ließ sich Kutschma mit einem gewissem Sinn für Humor auf Wahlplakaten mit Punkerfrisur porträtieren 4 9 Bei den Studenten warb Kutschma um Zustimmung, indem er überfällige Stipendien auszahlen und die Ausbildungsbeihilfen erhöhen ließ. Beim Werben des Präsidenten um die junge Wählerschaft zeigten sich deutliche Anleihen an den Präsidentschaftswahlkampf in der Russischen Föderation. Auch Boris Jelzin hatte Popkonzerte besucht und öffentlich getanzt, um seine Vitalität unter Beweis zu stellen. 5 0 Trotz westlicher Kredite und russischer Energielieferungen hielt während der ersten Amtszeit Kutschmas die Wirtschaftskrise weiter an. Viele Bürger beurteilten die bisherige Präsidentschaft Kutschmas daher als Jahre verpasster Chancen. Trotz einer Konzentration exekutiver Macht und eines personell immer mehr aufgeblähten Apparates war die Unfähigkeit der Präsidentenvertikalen evident, in dieser prekären Situation eine zielgerichtete Wirtschaftspolitik zu verfolgen. Kutschma behauptete, die wirtschaftlichen Probleme resultierten daraus, dass das Land sich noch nicht vom Kommunismus befreit habe. 51 48 Helmerich, MartinaI Klussmann, Uwe, 1999: Mit Geld und Granaten. Durch allerlei unsaubere Tricks sucht Amtsinhaber Leonid Kutschma seine Wiederwahl zum Präsidenten der Ukraine zu sichern. In: Der Spiegel 42/1999, S. 200/202. 49 Eine Abbildung des Wahlplakats mit Kutschma als Punker findet sich in: Pobeda rossijskich kutschmejkerow, in: Kommersant-wlast', 16. 11. 1999, S. 38. 50 Vgl. Hilkes, Peter: Medien in der Ukraine vor der Präsidentschaftswahl: Situation und Probleme aus der Sicht von außen, Diskussionsbeitrag auf der Tagung der Evangelischen Akademie zu Berlin „Partner Ukraine. Außenpolitische Optionen, gesellschaftliche Entwicklungen, Perspektiven der Zusammenarbeit", Berlin-Pankow, 22.-24. 10. 1999.
III. Die Schwerpunkte des Wahlkampfes
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M i t solchen Vereinfachungen lehnte er jede Eigenverantwortung für die Misserfolge ab. Statt dessen schob er der Werchowna Rada die Hauptschuld zu und schürte mit seiner Wahlkampfrhetorik den schwelenden Konflikt mit den Abgeordneten. Kutschma präsentierte sich gegenüber der ukrainischen Bevölkerung als Garant dafür, dass der prowestliche Kurs des Landes fortgesetzt würde. Er argumentierte, nur mit ihm an der Spitze würde die Ukraine weiterhin Aussichten auf westliche Hilfe haben. I m Falle des Wahlsiegs eines linken Kandidaten würde die Ukraine hingegen die Unterstützung des Westens verlieren. In dieser Situation könne er das Schicksal des Landes „nicht mit gutem Gewissen" in die Hände eines anderen Präsidenten legen, sagte er. 5 2 Als Erfolge seiner Präsidentschaft verbuchte Kutschma die makroökonomische Stabilisierung mit einer niedrigen Inflation und einem relativ stabilen Außenwert des Hrywna. So war Kutschma der Favorit der Unternehmer und Geschäftsleute, weil er nicht an den neuen Besitzständen dieser Wirtschaftsbürger zu rütteln versprach. Selbstredend unterstützte auch diesmal der Verband der Industriellen und Unternehmer (USPP) Kutschmas Bekenntnis zur „Fortsetzung von Systemreformen und marktorientierter Transformation". 5 3 Sein Wahlkampfstab vermarktete den inneren Frieden. Kutschma sei es zu verdanken gewesen, dass ein Auseinanderbrechen des Landes und bürgerkriegsähnliche Spannungen vermieden werden konnten. In Anspielung auf den Tschetschenien-Krieg, den Russland führte und der Tausenden von Rekruten und Zivilisten das Leben kostete, erklärte der Präsident: „Bei uns ist es nicht zum Krieg gekommen. Unsere Kinder (gemeint sind ukrainische Rekruten, Anm. d. Verf.) kommen alle nach Hause". 5 4 M i t dem Wahlprogramm, das Kutschma vorlegte, wurde deutlich, dass er in einer zweiten Amtszeit die altbekannten Themen wieder aufgreifen würde, bei denen er dem Parlament nachgegeben hatte, als die Verfassung ausgehandelt wurde. In seiner Agenda forderte Kutschma die Einführung einer zweiten Parlamentskammer. In Frage stellte er auch die geltende Immunität der Abgeordneten der Werchowna Rada. Außerdem kündigte er eine Verwaltungsreform an, in deren Vollzug das Ministerkabinett von der Parlamentsmehrheit gestellt werden sollte. 5 5 Klar erkennbar war Kutschmas Absicht, das Institutionengefüge einem radikalen Umbau zu unterziehen. Vorausschauend trafen Kutschmas Gefolgsleute die Vorbereitungen für ein Referendum, das möglichst bald nach den Präsidentschaftswahlen stattfinden sollte. I m Auftrag des Präsidenten organisierte Olexandr Wolkow mithilfe seiner Partei „Demokratische Union" (Demokratytschnyj Sojus) eine landesweite Unterschriftensammlung, die zeitgleich mit dem ersten Wahldurch51 Vgl. RFE/RL Newsline Vol. 3, No. 84, Part II, 30. 4. 1999. 52 Lindner, 1999: S. 15. 53 Lindner, 1999: S. 17. 54 Ebda. 55 Vgl. „My wystojaly. Ukrajina widbulasja. Widteper - nasawschdy." Wahlprogramm von Leonid Kutschma zur Präsidentschaftswahl am 31. Oktober 1999, Kyiw 1999.
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
gang am 31. Oktober 1999 stattfand. Dabei wurde gefragt, ob die Bevölkerung der Durchführung eines Referendums über Verfassungsänderungen zustimme. 5 6
IV. Kutschmas Kampf um seine Wiederwahl Die Präsidentschaftswahlen waren für den 31. Oktober 1999 anberaumt und stießen auf großes internationales Interesse. Das Office of Democratic Institutions and Human Rights der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) hatte zusammen mit der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Wahlbeobachter in die Ukraine entsandt. Diese monierten wesentliche Verstöße gegen das Wahlgesetz vor allem i m Vorfeld der Wahl. So fand landesweit eine systematische und koordinierte Agitation von Amtspersonen zugunsten Kutschmas statt. Die gesamte öffentliche Verwaltung des Landes, von den Gebietsadministrationen bis zu den Hausverwaltungen und der Polizei, wurde nach Einschätzung der Internationalen Beobachter für Wahlkampfzwecke instrumentalisiert. 57 „Dieser Machtmissbrauch verstößt gegen ukrainische Gesetze und verletzt internationale Verpflichtungen der Ukraine", erklärte der Leiter der OSZE-Mission, Simon Osborn. 5 8 Minister und staatliche Funktionäre sprachen sich öffentlich für Kutschmas Wiederwahl aus und diffamierten gleichzeitig die anderen Kandidaten. OSZE-Beobachter berichteten, Premierminister Pustowojtenko habe das Ministerkabinett „ i n einen präsidialen Wahlkampfstab verwandelt". 5 9 Pustowojtenko nahm als Ko-Vorsitzender der Allukrainischen Vereinigung demokratischer Kräfte „Slahoda" („Einvernehmen") eine zentrale Rolle in der Organisation von Kutschmas Wahlkampagne ein. Öffentlich erklärte er: „Ich tue alles, damit der jetzige Präsident bei den Wahlen gewinnt." 6 0 Dem Demokratieverständnis in der postsowjetischen Ukraine widersprach es keineswegs, dass der amtierende Ministerpräsident gleichzeitig der Chef von Kutschmas Wahlkampagne war. Schon Monate vor der Präsidentschaftswahl fand keine eigentliche Regierungspolitik mehr statt, da alle staatlichen Ressourcen dem Ziel von Kutschmas Wahlsieg untergeordnet wurden 6 1 Der gesamte Staatsapparat mit seinen Amtsträgern unterstützte den Präsidenten und dies wurde auch offen zugegeben 6 2 Die Rüge der
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Wahlbeobachter kritisierten diese Unterschriftensammlung während des Urnenganges als Störung des Wahlablaufes und Beeinflussung der Wähler zugunsten des Präsidenten. Schneider-Deters , 2000: S. 355. 58 Ebda. 59 Ebda. 60 Zitiert nach: „Poruschennja wybortschoho sakonodawstwa: tschy mae Ukrajina schans na demokratytschni wybory Presydenta", Materialy, Instytut Polityky, 6. weresnja 1999. 61 Vgl .Lindner, 1999, S. 16.
IV. Kutschmas Kampf um seine Wiederwahl
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OSZE, dass dieser Machtmissbrauch gegen ukrainische Gesetze und internationale Verpflichtungen der Ukraine verstoße, blieb folgenlos. Der Politikwissenschaftler Tomenko beklagte, dass für Verletzungen des ukrainischen Wahlrechts keine einzige Person zur Rechenschaft gezogen werde. 6 3 Vorteile durch die sogenannten administrativen Ressourcen 64 nutzte der Präsident auch bei der Zusammensetzung der Wahlkommissionen in den 225 Stimmkreisen. Kutschmas Vertreter leiteten in 38,20 Prozent aller Stimmkreise die Wahlkommissionen. Die anderen Kandidaten konnten weit weniger Wahlkommissionen mit ihren Leuten besetzen. Wie eine genauere Analyse der OSZE ergab, wurden Kutschma-Leute vor allem dort in Schlüsselpositionen der Wahlkommissionen (d. h. Vorsitzender, Stellvertreter und Sekretär) platziert, wo mit einem schlechten Abschneiden Kutschmas zu rechnen war. 6 5 Das beschriebene Ungleichgewicht zugunsten von Kutschma-Vertretern wurde von der OSZE nicht nur für die Zusammensetzung der Wahlkreiskommissionen, sondern auch bei den einzelnen Wahllokalen festgestellt. Kutschma gelang es also, landesweit die Organe, die für die Wahldurchführung zuständig waren, personell zu dominieren. Schon allein deshalb waren Manipulationen bei der Stimmenauszählung zu befürchten. Kritische Massenmedien wurden während der Wahlkampagne eingeschüchtert oder zum Schweigen gebracht. Auflagenstarke Presseorgane und Sender mit großer Reichweite wurden in das Eigentum von Personen gebracht, die zum engeren Umfeld des Präsidenten gehören. Vier von fünf nationalen Fernsehsendern gerieten so unter den direkten Einfluss der Exekutive. Einer der beliebtesten Fernsehsender „Inter" wurde durch ein Konsortium von Wolodymyr Horbulin, dem Sekretär des Rates für Nationale Sicherheit und Verteidigung, Olexandr Sintschenko („Inter"-Generaldirektor und SDPU(o)-Abgeordneter) sowie Hryhorij Surkis (Vorsitzender von Dynamo Kiew und ebenfalls SDPU(o)-Abgeordneter) kontrolliert. Der Fernsehkanal „Inter" betrieb offene Agitation für den Amtsinhaber Kutschma. 6 6
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„In den Organen der ausführenden Gewalt gibt es praktisch niemanden, der den Präsidenten nicht unterstützt. Sollte es sie geben, bin ich der Meinung, dass sie ihren Posten räumen müssen. Wenn andere gewählt werden, bekommen sie die Macht. Aber wir werden die Macht an niemanden abtreten", erklärte Premierminister Pustowojtenko. Vgl. Ukrainisches Fernsehen UT-2, 23. 9. 1999, 21.45 Uhr. 63 Diese Feststellung traf Tomenko in einem Interview, das die Verfasserin mit ihm am 8. Oktober 1999 in Kiew führte. Die gesetzwidrige Wahlwerbung von staatlichen Vertretern zugunsten von Kutschma führte weder vor noch nach der Wahl zu rechtlichen Konsequenzen. 64 Gemeint ist mit dem Begriff der administrativen Ressourcen der fast uneingeschränkte Einsatz der Behörden auf allen Ebenen zugunsten der „Partei der Macht". Die administrativen Ressourcen dienen der Informationsblockade bzw. Diskreditierung der Opposition und dem Druck auf die Wählermeinung. Vgl. Durkot, 2002c, S. 565. 65 Wysnowok OBSE „Presydentski wybory w Ukrajini 31 schowtnja ta 14 listopada 1999 roku, Pidsumkowyj swit, Warschawa, 2. beresnja 2000 r., in: Politytschnyj kalendar, No. 4, 2000, Instytut Polityky, S. 33.
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
Der Staatssender UT-1 erhielt einen Großteil der Programmzulieferungen von der Fernsehproduktionsgesellschaft „Era", die von dem Geschäftsmann Wadym Rabinowitsch, Kutschmas Patensohn Andrij Derkatsch und dem früheren Außenwirtschaftsminister Serhij Osyka finanziert wurde. Somit war sichergestellt, dass auch UT-1 über Kutschmas Wahlkampf ausschließlich positiv berichtete. 67 Über Mittelsmänner befand sich der populärste private Fernsehkanal „ 1 + 1 " unter dem Einfluss des Präsidenten. Der Leiter von Kutschmas Wahlstab, Olexandr Wolkow, hatte „1+1" und die weiteren Fernsehsender Grawis und I C T V in seinen Einflussbereich gebracht 6 8 Auch beim größten russischen Fernsehsender ORT konnte sich Kutschma einer positiven Darstellung sicher sein. Allein der unabhängige Sender STB hatte sich zunächst um eine ausgeglichene Darstellung bemüht und auch Kutschmas Konkurrenten zu Wort kommen lassen. Die Steuerinspektion durchsuchte daraufhin die Räume des Senders und sperrte dessen Konten. STB wurde der Lizenzerwerb einer dauerhaften Satellitennutzung verweigert, so dass der Sender außerhalb Kiews nicht mehr empfangen werden konnte 6 9 Schließlich wechselte STB durch Übergabe eines maßgeblichen Aktienpakets den Besitzer und berichtete fortan nur noch i m Sinne des Präsidenten. Dutzende Male durchsuchte die Steuerinspektion auch die Redaktion der Zeitung „ D e n ' " , die Kutschma attackierte und den Konkurrenten Martschuk unterstützte. Martschuk bezeichnete die Überprüfungen der Steuerinspektion als ein „staatliches Terror-Instrument" 70 . Der Parlamentarier und Gasindustrielle Wiktor Pintschuk, der Lebensgefährte von Kutschmas Tochter Olena, sorgte mit seiner auflagestarken Boulevardzeitung „Fakty" für eine präsidentenfreundliche Darstellung. So wurden die meisten Fernsehkanäle und eine Reihe von Printmedien von Finanzclans gesteuert, die der Umgebung des Präsidenten zuzurechnen waren. Damit wurde sichergestellt, dass fast alle Informationen in den ukrainischen Medien eine präsidentenfreundliche Ausrichtung hatten.
66 „Presydentski wybory w Ukrajiny: pidsumky reestraziji kandydatiw", Instytut Polityky, 5. serpnja 1999 roku. 67 Eine Analyse des Europäischen Medieninstituts kam zu dem Ergebnis, dass 63 Prozent der Wahlsendungen des Senders UT-1 Kutschma gewidmet waren. Symonenko erhielt dagegen nur 13 Prozent der Sendezeit und wurde nur negativ dargestellt. Vgl. „How Media worked for Kuchma", RFE/RL Poland, Belarus and Ukraine Report, Vol. 1, No. 25, 23. 11. 1999. 68 70 Prozent an ICTV wurden zu diesem Zeitpunkt kontrolliert von Wolkow und dem damaligen Leiter der Nationalen Öl- und Gasgesellschaft, Ihor Bakai. 1 + 1 konnte in der Folgezeit seine Marktstellung weiter ausbauen und 2001 bereits 45 Prozent des gesamten Werbeaufkommens des ukrainischen Fernsehmarktes für sich vereinnahmen. Vgl. „Alexandr Rodnjanskij, general'nyj prodjuser ukrainskogo telekanala „1 + 1": Dlja nas rossijskij rynok bolee interesen, tschem sapadnyj", in: Serkalo Nedeli, No. 42, 27. 10. 2001, S. 15. 69 Vgl. RFE/RL Newsline Vol. 3 (26. 5. 1999), No. 102, Part II sowie RFE/RL Newsline Vol. 3 (9. 6. 1999), No. 112, Part II. 70 Schneider-Deters, 2000: S. 357, Fn. 14.
IV. Kutschmas Kampf um seine Wiederwahl
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Der Druck von Seiten der Staatsmacht rief in der Bevölkerung Empörung hervor, weil er allzu sehr an die „kommunistischen Praktiken in sowjetischer Zeit" erinnerte. 71 Wegen der eklatanten Unterdrückung der Pressefreiheit durch den Staatsapparat nahm das US-Komitee zum Schutz der Journalisten im Jahr 1999 Präsident Kutschma in die Liste der zehn schlimmsten Feinde der Pressefreiheit auf. 7 2 Der OSZE-Beauftragte für Pressefreiheit, Freimut Duve, prangerte mehrere Fälle von Einschüchterung und Bedrohung von Privatmedien durch die Staatsorgane an. 7 3 Kutschma bediente sich eines engen Beziehungsgeflechtes aus Vertretern von Wirtschaft, Medien und Politik. A u f diesem Weg konnte Kutschma nach Ansicht von Beobachtern mehr Wahlkampfressourcen erschließen als alle seine Konkurrenten zusammengenommen. 74 Über die Herkunft des Geldes und die Höhe der Fonds, mit denen Kutschma seine Wiederwahl betrieb, gelangten nur wenige Informationen an die Öffentlichkeit. Es war jedoch offensichtlich, dass die Hauptbewerber, allen voran Kutschma, den gesetzlichen genehmigten Wahlkampffonds von 1,6 Millionen Dollar pro Kandidat wesentlich überschritten. Eine typische Erscheinung für ukrainische Wahlkämpfe war auch diesmal, dass mit Diffamierungen und Falschmeldungen gearbeitet wurde. Anonymes Pressematerial zur Diskriminierung der Kandidaten Tkatschenko, Witrenko, Moros und Martschuk kam in Umlauf, ohne dass dessen Urheberschaft geklärt werden konnte. So wurden drei gefälschte Ausgaben der Zeitung „Sil'ski Wisti" gedruckt und landesweit verkauft, in denen die Kandidaten Martschuk, Moros und Tkatschenko kritisiert wurden. 7 5 Viele Beobachter kritisierten, dass der Wahlkampf erheblich verzerrt wurde und dass es keine demokratischen Wahlen gegeben habe. Insgesamt sei die Wahl ein Zeugnis von einem sehr niedrigen Niveau der Demokratie und von den autoritären Methoden der Staatsmacht. 76 Die Stimmung während des Wahlkampfes wurde so angeheizt, dass sich die Präsidentschaftskandidaten Martschuk, Moros, Tkatschenko und Olijnyk an die Parlamentarische Versammlung des Europarates mit der Bitte wandten, eine Beobachtermission zu entsenden. Diese sollte Rechtsverstöße während der Wahlkampagne festhalten. Zur Begründung führten sie an, die Staatsorgane würden i m Präsident71 Schneider-Deters, 2000: S. 356. 72 Kutschma belegte in der Liste der „biggest enemies of the press" Rang sechs nach den Staatschefs von Kuba, Jugoslawien, Äthiopien, China und Ägypten. Vgl. Helmerich/Klussmann, 1999: S. 200. 73 Duve kritisierte die ukrainische Regierung insbesondere wegen der Einstellung des Sendebetriebs von STB und der Schließung von vier privaten Fernsehsendern und Radioprogrammen auf der Krim. Vgl. Statement to the Permanent Council, Organization for Security and Co-operation in Europe, Vienna, 2. 9. 1999. 74 Diese Einschätzung vertrat der Politikwissenschaftler Tomenko vom Instytut Polityky in einem Gespräch mit der Verfasserin am 8. 10. 1999 in Kiew. 75 Vgl .Lohmann, 1999b: S. 53/54. 76 Interview mit Mykola Tomenko am 8. 10. 1999.
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
schaftswahlkampf zu Maßnahmen greifen, die mit der Verfassung und den Gesetzen der Ukraine, wie auch mit den Normen und Standards demokratischer Staaten in Europa unvereinbar seien. 7 7 Kutschma, so der Vorwurf seiner Konkurrenten, habe „die vollständige Kontrolle über das nationale Fernsehen und Radio gewonnen."78 In der Beschwerde beim Europarat wurde die Besorgnis geäußert, dass i m Wahlstab Kutschmas Personen arbeiteten, gegen die Strafverfolgungsorgane bestimmter europäischer Staaten wegen Korruption und Geldwäsche ermitteln würden. Gerade diese Personen seien es, „die Kutschmas Wahlkampf finanzierten und die Massenmedien gesetzwidrig kontrollierten". 7 9 Dies richtete sich vor allem gegen den Präsidentenberater Wolkow, der von 1993 bis 1997 15 Millionen US-Dollar ins Ausland, vornehmlich auf belgische Konten, geschafft haben soll. Unter dem Verdacht der Geldwäsche hatte die belgische Justiz die Konten von Wolkow eingefroren und dort seine Autos und seinen Immobilienbesitz beschlagnahmt. 80 Die Stimmung gegen den Präsidenten schwenkte schließlich wenige Monate vor dem Wahltermin um. Die guten Umfragewerte für Kutschma waren vor allem mit der starken Medienpräsenz des Präsidenten zu erklären, während die anderen Bewerber nicht annähernd so gute Chancen für einen landesweiten Wahlkampf hatten. 8 1 Die ukrainischen Wähler waren von der dramatischen Verschlechterung der Lebensverhältnisse in hohem Maße desillusioniert und erwarteten von einem anderen Präsidenten keine wesentliche Verbesserung der Lage. Die Wähler folgten daher dem Prinzip, lieber für die bestehende Macht zu votieren. Diese habe sich schon ausgiebig bereichert. „Wenn sich schon eine Mücke auf meine Haut setzt, dann besser eine, die schon getrunken hat", sagten Wähler sarkastisch. 82 Experimente mit einem anderen Präsidenten zu wagen, dessen neue Mannschaft erneut den Staat betrügen und aussaugen würde, schien vielen Wählern nicht sinnvoll zu sein. Die Überzeugung setzte sich durch, dass sich unter den Herausforderern keine wirklich gute Alternative zu Kutschma biete und er daher das kleinere Übel darstellte. Ohnehin waren 58 Prozent i m Juni 1999 der Meinung, dass die Wahlen manipuliert und unehrlich verlaufen würden. 8 3 Das Zentrum und die gemäßigte Linke hatten es nicht geschafft, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen. Eine zunächst vielversprechende Initiative 77 Zitiert nach einem internen Bericht der Deutschen Botschaft Kiew an das Auswärtige Amt vom September 1999. 78 Ebda. 7 9 Ebda. 80
Clover, Charles, 1999: Questions over Kuchma's adviser cast shadows, Financial Times, 29. 10. 1999. si Lindner, 1999: S. 28. 82 Thumann, Michael, 1999: Onkel Kutschma lächelt. Trickreich kämpft der ukrainische Präsident um seine Wiederwahl, in: Die Zeit, 28. 10. 1999, S. 12. 83 Vgl. RFE/RL Newsline. 3 (3. 8. 1999) 149, Part II.
IV. Kutschmas Kampf um seine Wiederwahl
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mit dem Titel „Vier von Kaniw" war fehlgeschlagen. Diese Initiative war von Sozialistenführer Moros, Parlamentssprecher Tkatschenko, Ex-Premier Martschuk und dem Bürgermeister von Tscherkassy und Städtetagspräsidenten, Wolodymyr Olijnyk, in dem symbolträchtigen Ort K a n i w 8 4 mit dem Ziel gegründet worden, zugunsten des aussichtsreichsten Bewerbers unter ihnen auf die eigene Kandidatur zu verzichten. Kutschma erkannte wohl, dass dieses Bündnis i m Falle einer Einigung seine Position gefährden konnte. In einer ersten Reaktion diffamierte er sie als „Putschisten" und stellte die Initiative quasi als Staatsstreich hin, um ihn aus dem A m t zu entfernen. Auch das Bündnis der „Vier von Kaniw" freilich verhob sich mit seiner Wahlkampfrhetorik. In einem Pamphlet bezeichnete es Kutschma als „Diktator", unter dessen Herrschaft die Ukraine „mehr verloren habe als während der faschistischen Okkupation". 8 5 Doch die persönlichen Ambitionen der „Vier von Kaniw" erwiesen sich als zu stark und die jeweilige Wählerschaft als zu heterogen, so dass es nicht zu einer Bündelung der Kräfte kam. Moros und Tkatschenko repräsentierten das linke Wählerspektrum, während Martschuk und Olijnyk dem Zentrum zuzurechnen waren. Keiner der beiden Hauptrivalen des Kaniwer Bündnisses, Moros und Martschuk, wollte auf seine Bewerbung zugunsten des anderen verzichten. Kurz vor der Wahl schieden Olijnyk und Tkatschenko freiwillig aus dem Rennen. Wie erwartet, erhielt Kutschma im ersten Wahlgang am 31. Oktober 1999 mit 36,5 Prozent den größten Stimmenanteil. A n zweiter Stelle folgte der kommunistische Bewerber Symonenko mit 22,2 Prozent. Olexandr Moros lag mit 11,3 Prozent fast gleichauf wie die Vorsitzende der Progressiven Sozialistischen Partei, Natalija Witrenko. Der ehemalige Ministerpräsident Martschuk hatte 8,1 Prozent der Stimmen und das fünftbeste Ergebnis erhalten. Die übrigen acht Bewerber hatten zwischen 0,1 und 2,2 Prozent der Stimmen erhalten. 86 Alle Kandidaten, die nicht in die Stichwahl gekommen waren und dann ihre Wählerschaft aufforderten, im zweiten Wahlgang für Kutschma zu stimmen, bekamen dies politisch „vergütet". Weil Kutschma die Stimmen Martschuks für einen Wahlsieg brauchte, machte er Martschuk noch zwischen den beiden Wahlgängen zum Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates (RNBOU) und stattete ihn so mit einem der einflussreichsten Positionen in der Ukraine aus. Vergessen war das Zerwürfnis zwischen Kutschma und Martschuk aus den Zeiten, als letzterer Regierungschef gewesen war. Auch für diesen Schachzug Kutschmas schien Russland Pate gestanden zu haben. Jelzin machte nach dem ersten Wahl-
84 In Kaniw liegt der ukrainische Nationaldichter Taras Schewtschenko (1814-1861) begraben. Schewtschenko, der es als früherer Leibeigener zum Maler und Schriftsteller gebracht hatte, wurde schon zu Lebzeiten als ukrainischer Nationalheld gefeiert. Vgl. Golczewski, 1993: S. 160. »s Zitiert nach: Lindner, 1999: S. 21. 86
Zu den Wahlergebnissen vgl. Lohmann, 1999b: S. 56/57.
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
durchgang 1996 den Mitbewerber Alexander Lebed ebenfalls zum Sekretär des Sicherheitsrats und sicherte sich mithilfe von Lebeds Stimmen den Wahlsieg. Hingegen konnte Symonenko auf die Unterstützung der gescheiterten linken Präsidentschaftskandidaten rechnen. Der Sozialistenchef Moros und die Vorsitzende der Progressiven Sozialisten, Witrenko, die i m ersten Wahlgang zusammen rund 22 Prozent gewonnen hatten, riefen ihre Wähler auf, für Symonenko abzustimmen. 87
Tabelle 2 Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen vom 31.10. und 14.11.1999 (Stimmen in Prozent) Kandidaten
Position
1. Wahlgang
2. Wahlgang
Leonid Kutschma
Amtsinhaber
36,49
56,21
Petro Symonenko
1. Sekr. des ZK der Kommunistischen Partei
22,24
37,77
Olexandr Moros
Vorsitzender der Sozialistischen Partei
11,29
Natalja Witrenko
Vorsitzende der Progressiven Sozialistischen Partei
10,97
Jewhen Martschuk
ehemaliger Premierminister
8,13
Juri Kostenko
Ruch-Vorsitzender (UNR), früherer Umweltminister
2,17
Hennadij Udowenko
Ruch-Vorsitzender (NRU), früherer Außenminister
1,22
Wasyl Onopenko
Vorsitzender der Ukr. Sozialdemokratischen Partei
0,47
Olexandr Rschawskij
Vorsitzender der politischen Vereinigung „Eine Familie"
0,37
Jurij Karmasin
Vorsitzender der Partei der Verteidiger des Vaterlands
0,35
Witalij Kononow
Vorsitzender der Partei der Grünen
0,29
Olexandr Basyljuk
Vorsitzender der Slawischen Partei
0,14
Nikolaj Haber
Vorsitzender der Patriotischen Partei
0,12
Wahlbeteiligung
70,15%
73,8 %
Quelle: Lohmann, 1999b: S. 56/57. 87
Kohl, Astrid, 1999a: Stichwahl um die Präsidentschaft in der Ukraine, in: NZZ, 15. 11. 1999, S.5.
IV. Kutschmas Kampf um seine Wiederwahl
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In den zwei Wochen bis zur Stichwahl am 14. November 1999 lief alles nach einem vorbereiteten Drehbuch ab. Symonenko war Kutschmas Wunschgegner in der vermeintlichen „Schicksalsschlacht gegen die Kommunisten". 8 8 Kutschma präsentierte sich als Vertreter der demokratischen, gemäßigten und nationalen Kräfte gegen den kommunistischen Herausforderer. 89 Da Symonenko für die Wiederherstellung des Sozialismus, Privatisierungsstopp und für die Wiedervereinigung mit Russland und Belarus eintrat, war es für Kutschma ein Leichtes, die rote Gefahr im Falle eines Wahlsiegs von Kommunistenchef Symonenko zu beschwören. Kutschma dagegen präsentierte sich als das Bollwerk gegen die drohende kommunistische Diktatur. Nur mit ihm könne die Zahlungsunfähigkeit des Landes durch eine Umschuldung der fälligen 3 Mrd. US-Dollar Auslandsschulden abgewendet werden, erklärte er. Die von Kutschma und seiner Mannschaft betriebene antikommunistische Propaganda zog alle Register. Alle Übel des Kommunismus wurden in Erinnerung gebracht: die leeren Geschäfte und langen Warteschlangen, die Opfer des Afghanistan-Krieges, die Millionen Toten des GULag, die Hungersnot in der Ukraine sowie die Liquidierung der ukrainischen Intelligenz und Bauernschaft in den Jahren 1 9 3 2 / 3 3 . 9 0 M i t dieser Taktik gelang es Kutschmas Wahlkampfstab, besonders unter jungen Wählern die Angst vor dem Kommunismus zu schüren. Vermutlich hätte sich auch ohne das Trommelfeuer und das Aufbauschen der „roten Gefahr" in den Massenmedien die Mehrheit der Wähler gegen einen kommunistischen Präsidenten ausgesprochen. Aber zum einen wollte Kutschmas Mannschaft dem Präsidenten einen möglichst komfortablen Stimmenvorsprung vor Symonenko verschaffen. Auch Kutschma wollte einen glanzvollen Sieg. Anders als 1994, als er nur mit knapper Mehrheit zum Präsidenten gewählt wurde, sollte das Wahlergebnis diesmal eindeutiger ausfallen. So wurde in der Stichwahl noch mehr zugunsten des Amtsinhabers manipuliert als beim ersten Durchgang. Durch Nötigungen und Zwangsmaßnahmen wurde die Wahlbeteiligung hochgetrieben. Patienten in Krankenhäusern, Gefängnisinsassen, Soldaten in Kasernen und Studenten wurden offen aufgefordert, sich an der Wahl zu beteiligen. Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes wie Lehrern und Ärzten wurde mit Entlassung gedroht, wenn sie nicht für Kutschma stimmen würden. Durch die landesweite Mobilisierung erhöhte sich die Wahlbeteiligung von 70 Prozent i m ersten Durchgang auf 74 Prozent in der Stichwahl. Die höhere Wahlbeteiligung kam in erster Linie Kutschma zugute. 91
88 Neef, Christian, 2001 : Wanderer zwischen den Welten, in: Der Spiegel, H. 8, S. 138. 89 Rahr, Alexander, 1999: Die Ukraine und der Westen nach Kosovo, GUS-Barometer, Nr. 22, S. 7. 90 Schneider-Deters, 2000: S. 351. 9· Lohmann, 1999b: S. 57.
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
Regelverstöße wurden dadurch begünstigt, dass sich die Zahl der ausländischen Wahlbeobachter verringert hatte. Die OSZE und der Europarat konstatierten für die Stichwahl am 14. November 1999 noch gravierendere Manipulationen als beim ersten Durchgang. So wählten z. B. dieselben Personen mehrmals an verschiedenen Orten. Studenten und Soldaten mussten unter Aufsicht ihrer Vorgesetzten ihre Stimme abgeben. Die Auszählung der Stimmen fand „unter chaotischen Umständen" statt, wobei sich Amtspersonen in besorgniserregendem Maße in die Stimmenauszählung eingemischt hätten. 9 2 In einer Erklärung der OSZE wurde die einseitige Berichterstattung in den Medien und die systematische Einmischung staatlicher Institutionen zu Gunsten Kutschmas scharf kritisiert. Die OSZE wies auf die Verletzung von Art. 33.1 des Wahlgesetzes hin, wonach es staatlichen und öffentlichen Institutionen verboten ist, i m Wahlkampf aktiv zu werden. Gestützt auf die Ergebnisse der Wahlbeobachtung konnte die OSZE nachweisen, dass acht Gebietsverwaltungschefs öffentlich die Bürger zur Wahl von Präsident Kutschma aufgefordert hatten. Zugunsten Kutschmas agitierten Mitarbeiter der Wohnungsverwaltungsbehörden, der Post und M i l i z sowie Lehrer und medizinisches Personal. 93 So war eingetreten, was ein halbes Jahr vorher noch als unmöglich erschienen war. Kutschma hatte in der Stichwahl einen triumphalen Sieg errungen. M i t 56,31 Prozent übertraf er sein Ergebnis von vor fünf Jahren. Sein Herausforderer Symonenko kam auf 37,76 Prozent der Stimmen. 9 4 Von der auf den Stimmzetteln vorgesehenen Möglichkeit, keinen der beiden Kandidaten zu wählen, machten sechs Prozent der Wähler Gebrauch. Während die russische Wahlbevölkerung Kutschma und Symonenko in etwa zu gleichen Teilen favorisierte, kam Kutschma bei den ukrainischen Wahlberechtigten auf wesentlich mehr Stimmen als Symonenko. So hatte Kutschma in der nationalbewussten Westukraine fast 90 Prozent der Stimmen erhalten. Auch die wichtigen Gebiete Donezk, Dnipropetrowsk, Odessa sowie die Städte Sewastopol und Kiew fielen an ihn. Sein Herausforderer Symonenko hingegen hatte in den Gebieten Charkiw, Cherson, Kirowohrad, Luhansk, Mykolaijw, Poltawa, Saporischja, Tscherkassy, Tschernihiw, Winniza und auf der K r i m die höchste Zustimmung erhalten. 9 5 Aus einigen Wahlbezirken der Westukraine wurden nach sowjetischer Manier Stimmenanteile von 96 und 98 Prozent für den amtierenden Präsidenten gemeldet. Manche Bezirke rapportierten Wahlbeteiligungen von über 100 Prozent. Die Wahlbeobachter kamen insgesamt zu dem Schluss, dass in der Stichwahl noch mehr zugunsten Kutschmas manipuliert worden war. 9 6
92 Lohmann, 1999b: S. 32. 93 Vgl. Joint Preliminary Statement, International Election Observation Mission, Ukraine Presidential Election 31. 10. 1999, Press-Release. 94 „Kutschma klarer Wahlsieger in der Ukraine", in: NZZ, 16. 11. 1999, S. 1. 95 Dergatschow f Makejew, 2000: S. 16.
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Viele atmeten auf, dass die vielbeschworene „kommunistische Gefahr" abgewendet worden war, und gaben sich mit Kutschma als „dem kleineren Übel" zufrieden. Kutschmas Erfolg basierte nicht so sehr auf der eigenen Stärke, sondern war dank der Schwäche und Zerstrittenheit der Gegner zustande gekommen. Der Direktor des Instituts für Politik, Mykola Tomenko, beurteilte den Wahlausgang „nicht als Sieg der Demokratie, sondern als Niederlage des Kommunismus". 9 7 Die Kommunistische Partei und ihr Spitzenkandidat Symonenko fochten die Wahl an und beschuldigten Kutschma, den Staatsapparat wahlfälschend eingesetzt zu haben. Das Verfassungsgericht bezeichnete die Klage der Kommunistischen Partei jedoch als haltlos und erklärte, an dem offiziellen Wahlergebnis sei nichts zu korrigieren. 9 8 Zwar hatte Symonenko das Ziel der Präsidentschaft verfehlt. Der Stimmenzuwachs der Kommunistischen Partei gegenüber den Parlamentswahlen war jedoch beträchtlich. Man hatte eindrucksvoll demonstriert, dass mit einem stabilen linken Wählerpotential von deutlich über einem Drittel zu rechnen war.
V. Die „samtene Revolution" in der Werchowna Rada Der Wahlkampf und sein Ergebnis hatten Kutschma in der Überzeugung bestärkt, dass nur eine Politik der harten Hand in der Ukraine zum Erfolg führen könne. So erklärte Kutschma kurz nach seiner Wiederwahl vielsagend, er werde ein „neuer Präsident" sein. 9 9 Dadurch weckte er Hoffnungen auf einen politischen Neuanfang. Wer dies jedoch als Eingeständnis Kutschmas von Fehlern und Versäumnissen wertete, sah sich bald getäuscht. Kutschma wollte sich und seinen Herrschaftsstil keineswegs ändern, sondern vielmehr das politische System nach seinen Vorstellungen verändern. Kutschma erklärte, ein Schwerpunkt seiner zweiten Amtszeit sei die Bekämpfung von Korruption und organisiertem Verbrechen. Außerdem wolle er die verzögerten Reformen wie die Privatisierung der Kolchosen zügig realisieren. 1 0 0 Als weiteres großes Projekt kündigte er eine Verwaltungsreform an, bei der die Zahl der Ministerien von 15 auf 12 und die der anderen staatlichen Behörden von mehr
96 Hyde, Lily, 1999: Ukraine: Observers criticize presidential election, campaign, in: Johnson's Russia List, 17. 11. 1999 (Internetausgabe). 9v Zitiert nach Schneider-Deters, 2000, S. 352. 98 „Ukraine's Supreme Court upholds election results", Meldung von Associated Press, 26. 11. 1999. 99 „Leonid Kutschma poobizijaw suspil'stwu nowoho Presydenta", in: Den', 30. 11. 1999 (Internetausgabe). 100 In dem Dekret vom 4. Dezember 1999 hatte Kutschma verfügt, dass alle kollektiven Großbetriebe abgeschafft werden sollten. Land und Eigentum der Kolchosen sollten bis April 2000 auf die Beschäftigten aufgeteilt und in privates Eigentum verwandelt werden. Vgl. „ 1000-Tage-Programm für Kutschmas Reformen", in: FAZ, 15. 12. 1999, S. 8.
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
als 80 auf 30 vermindert werden sollte. Dazu und um den Kreditstopp des Internationalen Währungsfonds aufzuheben, benötigte er ein Kabinett aus Reformern. In seiner zweiten Amtsperiode wollte der Präsident gegenüber der Werchowna Rada aus einer Position der Stärke und Unabhängigkeit agieren. Kutschma kündigte Gespräche mit der Opposition an, jedoch nur mit dem Teil der Opposition, der „nicht bis zur letzten Patrone kämpfe". 1 0 1 Symbolisch für das neue Verhältnis war die Tatsache, dass Kutschma nicht mehr im Parlamentsgebäude seine Antrittsrede halten und seinen Amtseid ablegen wollte, sondern i m „Palast der Ukraine", einem Gebäude im Stadtzentrum von Kiew, wo üblicherweise große Kulturveranstaltungen abgehalten werden. Kutschma argumentierte, dass der „Palast der Ukraine" mehr Gästen Platz biete als das Parlamentsgebäude. 102 Nach Kutschmas Vorstellungen sollten der Inauguration nicht nur die Abgeordneten sondern auch eine große Zahl Prominenter und Vertreter des diplomatischen Corps beiwohnen und somit seinen Amtseid zu einem triumphalen Festakt werden lassen. M i t der Wahl der Örtlichkeit setzte sich Kutschma über die Verfassungsvorschrift hinweg, wonach der Präsident mit dem Amtseid während einer Feierstunde der Werchowna Rada in sein A m t eingeführt wird (Art. 104 Verf.). 1 0 3 Schon in dieser Frage zeigte sich, wie verhärtet die Fronten zwischen Parlament und Präsident waren. Die Werchowna Rada bestand noch am vorletzten Tag darauf, dass die Inauguration im Parlamentsgebäude stattfinden sollte, und lenkte erst im letzten Moment ein. Kutschma beharrte auf dem „Palast der Ukraine" als Veranstaltungsort und entschied das Kräftemessen für s i c h . 1 0 4 M i t Sinn für Theatralik fand das Zeremoniell von Kutschmas Inauguration statt. Er schwor den Amtseid auf die ukrainische Verfassung und eine mittelalterliche Bibel. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts legte Kutschma die Amtskette um, worauf dieser die Bulawa, das vormalige Herrschaftszeichen der Kosakenhetmane, erhob. 1 0 5 In seiner Antrittsrede erklärte Kutschma, das Volk brauche „nicht nur eine tatkräftige, sondern auch eine ehrliche Staatsmacht". Es sei „eine neue Generation von Pragmatikern und Professionellen erforderlich, die moralisch gefestigt und entschlossen ist, ihren Patriotismus bei konkreten Maßnahmen einzusetzen." 1 0 6 In 101
„Kutschma klarer Wahlsieger in der Ukraine. Internationale Beobachter registrieren zahlreiche Verstösse", in: NZZ, 16. 11. 1999, S. 1. 102 Skrjabin, Dmytro: Ukrajina i swit tschekajut' „snakiw". Waschlywe ne misze inawguraziji, a schtscho s'ohodni skasche Presydent, in: Den', 30. 11. 1999. 103 Der neugewählte Präsident muss laut Art. 104 Verf. seinen Amtseid während einer feierlichen Sitzung der Werchowna Rada leisten. Die drei linken Fraktionen interpretierten die Verfassungsvorschrift dahingehend, dass Kutschma seinen Eid im Sitzungssaal der Werchowna Rada ablegen müsse. Sie weigerten sich daher, an der Amtseinführung in einem anderen Gebäude teilzunehmen. 104 Kohl, 1999b: S. 5. 105
„Ukraine's Kuchma takes oath, vows new start", Meldung von Reuters, 30. 11. 1999. „Leonid Kutschma poobizjaw suspil'stwu nowoho Presydenta", in: Den', 30. 11. 1999 (Internetausgabe). 106
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diesem Zusammenhang kündigte er eine „entschlossene Säuberung des Staatsapparats" a n . 1 0 7 Was mit „Säuberung" gemeint war, zeigte sich bald in der Strategie, den linken Parlamentssprecher Tkatschenko aus dem Amt zu entfernen. So rief ein KutschmaBerater kurz nach den Wahlen dazu auf, Tkatschenko mit Hilfe einer rechts-zentristischen Koalition im Parlament abzulösen. „Das Parlament bestimmt über seinen Vorsitzenden und nicht die Präsidialadministration", ereiferte sich Tkatschenko über das Ansinnen, ihn zu stürzen. 1 0 8 Es war jedoch nur eine Frage der Zeit, bis eine Neuordnung der Parlamentsleitung i m Sinne des Präsidenten stattfinden würde, denn Kutschma hatte angekündigt, „der ukrainische Staat kann und wird nicht eine Geisel eines unzureichend organisierten Systems der Staatsmacht s e i n " . 1 0 9 Kutschma war entschlossen, eine stabile Mehrheit im Parlament herzustellen, die seine Gesetzesinitiativen nicht mehr blockieren würde. In der Werchowna Rada zeichnete sich sogleich nach Kutschmas Wiederwahl eine Neuverteilung der Kräfte ab. Eine Reihe von Abgeordneten verließen ihre bisherigen Fraktionen und wanderten zu den Oligarchenparteien ab, die Kutschmas Wahlkampf unterstützt hatten. Diese waren die „Vereinigte Sozialdemokratische Partei" (SDPU(o)) unter ihrem Vorsitzenden Medwedtschuk und die „Werktätige Ukraine" („Trudowa Ukrajina") mit ihrer Parlamentsfraktion „Wiedergeburt der Regionen" („Widrodschennja regioniw"), deren Vorsitzender Olexandr Wolkow als Architekt von Kutschmas Wahlsieg galt. Den größten Aderlass verspürte die Fraktion „Hromada", deren Anführer Lasarenko sich unter Korruptionsverdacht inzwischen ins Ausland abgesetzt hatte. Die einflussreichsten „Hromada"-Mitglieder um Julija Tymoschenko verließen die Fraktion und gründeten die Fraktion „Bat'kiwschtschyna" („Vaterland"). Zusammen mit den Grünen und der Ruch-Partei Kostenkos (UNR) sowie der „Volks-Demokratischen Partei" (NDPU), die ohnehin als „Partei der Macht" galt, zeichnete sich die Entstehung einer Mehrheit ab, die den Präsidenten künftig unterstützen würde. Kutschma vermied dabei den Anschein, dass er die Wanderungsbewegung der Abgeordneten auch nur im Entferntesten unterstützte. Hinter den Kulissen arbeiteten daran seine Vertrauensleute, zuvorderst Olexandr Wolkow. Wolkow war auch der Hauptorganisator der Parlamentskrise im Januar 2000, welche die Legislative ernsthaft destabilisieren sollte. Die Ausgangslage war zunächst die, dass sich scheinbar die von Kutschma gewünschte Mehrheit im Parlament bilden würde. Kutschma konnte darauf hoffen, dass seine angekündigten Reformschritte die notwendige Stimmenmehrheit erhalten würde. Als Schritt in die richtige Richtung wurde die Ernennung des Nationalbankpräsidenten, Wiktor
'07 Ebda. 108 „Kutschma legt sich mit Parlamentsführung an", in: Frankfurter Rundschau, 17. 11. 1999. 109 „Ukraine's Kuchma takes oath, vows new start", Meldung von Reuters, 30. 11. 1999. 10 Hclmcrich
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Juschtschenko, zum neuen Regierungschef gewertet, der in der Werchowna Rada am 21. Dezember 1999 die Zustimmung von elf Fraktionen erhielt. 296 Abgeordnete votierten für ihn. Damit hatte Juschtschenko 70 Stimmen mehr als zur Bestätigung nötig erhalten. 1 1 0 Der überzeugte Marktwirtschaftler, der beim Internationalen Währungsfonds und bei der Weltbank einen guten Ruf genoss, sollte die Ukraine vor der Zahlungsunfähigkeit retten und mit dem Westen erfolgreich über die Restrukturierung der fälligen Schulden in Höhe von mehr als drei Milliarden Dollar verhandeln. Als die linken Fraktionen i m Januar 2000 jedoch mehrmals die Annahme des Haushaltes blockierten, war die gewohnte Pattsituation wieder hergestellt. Hinter den Kulissen bereitete sich die propräsidentielle Mehrheit aus der „Vereinigten Sozialdemokratischen Partei", der „Werktätigen Ukraine" und der „Demokratischen Union" auf die Machtübernahme vor. A m 13. Januar 2000 präsentierte Leonid Krawtschuk, Abgeordneter der Vereinigten Sozialdemokraten, eine Grundsatzerklärung und ein Statut. Beide Dokumente, die eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Präsidenten und der Regierung ankündigten, trugen die Unterschriften der Vorsitzenden von elf Fraktionen und parlamentarischen Gruppen. In einem Anhang wurden 237 Unterschriften der dazugehörenden Abgeordneten hinterlegt. Damit war eine „Regierungskoalition" aus der Taufe gehoben. 1 1 1 Diese Koalition bildete ein Koordinationsgremium, dessen Leitung jeden Monat wechseln sollte. Als Koordinator für Januar 2000 wurde Krawtschuk gewählt. 1 1 2 Es war kein Zufall, dass sich die neue Präsidentenmehrheit nun anschickte, die Linken zu entmachten und aus allen Leitungsfunktionen, d. h. vom Vorsitz der Werchowna Rada und aus den einzelnen Ausschüssen zu verdrängen. M i t den linken Fraktionen hatte Präsident Kutschma noch offene Rechnungen aus den Bataillen des Wahlkampfes zu begleichen. Als erster geriet der Parlamentsvorsitzende Tkatschenko unter Beschuss. U m den Parlamentsvorsitzenden abzuwählen, bedurfte es nach der damals geltenden Geschäftsordnung der konstitutionellen Mehrheit von 300 Stimmen. Über so viele verfügten die Präsidentenparteien jedoch nicht. Deshalb versuchten sie, zunächst die Geschäftsordnung zu verändern, wofür die einfache Mehrheit von 226 Stimmen notwendig war. Eine namentliche Abstimmung über die Änderung der Geschäftsordnung am 18. Januar 2000 erklärte Tkatschenko für ungültig, weil Abgeordnete abgestimmt hatten, die gar nicht anwesend waren. 1 1 3 Auch den zweiten Absetzungsversuch am 110 Nur zwölf Abgeordnete überwiegend von der radikalsozialistischen Partei Natalja Witrenkos hatten gegen Juschtschenko gestimmt. Die Kommunisten nahmen an der Abstimmung nicht teil. in Schneider-Deters , 2000: S. 362. 112 Die Unterstützung Krawtschuks für Kutschma, an den er seinerzeit das Präsidentenamt abgeben musste, mag auf den ersten Blick verwundern. Krawtschuk war bereits im Oktober 1998 der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei beigetreten, die als Oligarchenpartei eine propräsidentielle Position einnahm. Im Wahlkampf 1999 befürwortete Krawtschuk die Wiederwahl Kutschmas.
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19. Januar 2000 schmetterte er unter Hinweis auf Verstöße gegen die Geschäftsordnung ab. Beim dritten Anlauf schließlich am 21. Januar 2000 wurden Tkatschenko und sein Erster Stellvertreter Martynjuk (KPU) von der neuen rechtszentristisehen, präsidententreuen Mehrheit mit 239 Stimmen abgewählt. 1 1 4 Danach war das Parlament nicht nur gespalten, es tagte auch an verschiedenen Orten: Die vier linken Fraktionen von Kommunisten, Sozialisten, Progressiven Sozialisten und Bauernpartei verbarrikadierten sich i m Parlamentsgebäude. Einige „Hromada"-Abgeordnete und Parteilose, die persönliche Gegner des Präsidenten waren, schlossen sich ihnen an. Die rechte Mehrheit tagte währenddessen im symbolträchtigen früheren LeninMuseum und beschloss eine Änderung der Geschäftsordnung, die Wahl einer neuen Parlamentsleitung und die Neuverteilung der Parlamentsausschüsse. „ I m Paket", das heißt mit einer einzigen Beschlussvorlage, wurde Iwan Pljuschtsch (NDPU) zum neuen Parlamentsvorsitzenden, Wiktor Medwedtschuk (SDPU(o)) zu seinem Ersten Stellvertreter und Stepan Hawrysch („Wiedergeburt der Regionen") zum Stellvertreter gewählt. 1 1 5 Ebenfalls „ i m Paket" wurden die Vorsitzenden von 23 Parlamentskomitees gewählt. Die linken Fraktionen, die zuvor die wichtigsten Komitees geleitet hatten, wurden dabei entgegen den Bestimmungen der Geschäftsordnung nicht mehr berücksichtigt. 1 1 6 Der „Krieg zwischen zwei Parlamenten" nahm groteske Züge an. Es gab nun nicht nur zwei Parlamentspräsidien, sondern auch jeweils parallele Ausschüsse mit ihren Vorsitzenden. Die rechte Mehrheit trug ironischerweise die Bezeichnung „Bolschewiki". In Verkehrung der historischen Vorläufer wurden die Linken als „Menschewiki" bezeichnet. Fraktionsmitglieder der Progressiven Sozialisten traten aus Protest in einen Hungerstreik. 1 1 7 Vor dem Parlamentsgebäude wurden Armeeangehörige postiert. Das Gebäude selbst wurde von den Sicherheitsbehörden versiegelt. Journalisten wurde der Zugang verwehrt und die Rundfunkübertragungen der Debatten eingestellt. Die Linken wandten sich an das Verfassungsgericht und protestierten gegen den Sturz der Parlamentsleitung. Sie stellten beim Verfassungsgericht den Antrag, die rechte Parlamentsmehrheit und deren Beschlüsse für illegal zu erklären. Die Linken wider1,3
Elf abwesende Abgeordnete hatten mit abgestimmt, indem ihre Fraktionskollegen deren elektronische Stimmkarten mitgebracht hatten - ein Verfahren, das zwar den Regeln der Parlamentsordnung widersprach, nichtsdestotrotz in der Werchowna Rada häufig angewandt wurde. Just an diesem Tag monierte der Parlamentspräsident diese sonst übliche Praxis, um seine Absetzung zu verhindern. 114 Ott, 2000a: S. 34. us Vgl. Ott, 2000a: S. 34. Pljuschtsch, Mitglied der Volksdemokratischen Partei der Ukraine, hatte das Amt des Parlamentsvorsitzenden bereits vom Dezember 1991 bis April 1994 ausgeübt. 116 Bos, 2002, S. 466. i ' 7 „Spikeriada-2 s golodowkoj", in: Sewodnja, 2. 2. 2000. Zehn hungerstreikende Abgeordnete mussten ärztlich versorgt werden. 10*
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setzten sich vorerst jedem Versuch, sie aus dem Parlamentsgebäude zu entfernen."8 Die Situation eskalierte, als am 8. Februar 2000 Abgeordnete der rechten Mehrheit in den Sitzungssaal des Parlaments eindrangen, der von den Abgeordneten der linken Minderheit besetzt war. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten und Kämpfen zwischen den Parlamentariern. Erst als die Auflösung des Parlaments nach Art. 90 der Verfassung drohte, glätteten sich die Wogen. Die Abgeordneten der Präsidentenmehrheit kehrten ins Parlament zurück. Bei den Linken bröckelte der Widerstand ab. Nach erfolgreicher Entmachtung der linken Fraktionen und der Parlamentsführung sprach der Koordinator der propräsidentiellen Mehrheit Krawtschuk in Anspielung auf die gewaltlose Beendigung der kommunistischen Herrschaft in der Tschechoslowakei 1989 von einer „samtenen R e v o l u t i o n " 1 1 9 . Damit prägte Krawtschuk jedoch nichts anderes als einen euphemistischen Begriff für einen Umsturz der Machtverhältnisse i m Parlament mittels undemokratischer Methoden. Die neu entstandene Präsidentenmehrheit fasste sogleich einige Beschlüsse von symbolischer Bedeutung. So wurde eine neue Zählweise der Legislaturperioden vereinbart. Die bisher 12. Legislaturperiode ( 1 9 9 0 - 1994) gilt seitdem als die erste, die 13. Legislaturperiode (1994-1998) als die zweite und die 14. Legislaturperiode (1998-2002) als die dritte usw. Als Tilgung weiterer Sowjetrelikte wurden die bisherigen Feiertage der Oktoberrevolution (7. und 8. November) zu normalen Arbeitstagen erklärt und die Entfernung des alten sowjetischen Wappens vom Parlamentsgebäude beschlossen. 120 Zwei verschiedene Abgeordnetengruppen aus 57 bzw. 69 Deputierten wandten sich an das Verfassungsgericht, um die Entscheidungen der Präsidentenmehrheit unter dem neuen Parlamentspräsidium anzufechten. Sie bezeichneten die Vorgänge als „Staatsumsturz, Usurpation der Macht und schweres Staatsverbrechen". 121 Nach Auffassung der Deputierten handelte es sich um einen Verstoß gegen Art. 5, 19, 78, 84, 88, 89 der Verfassung und gegen die Geschäftsordnung der Werchowna Rada. Das Verfassungsgericht bezeichnete die Entscheidungen der Parlamentsmehrheit jedoch als legitim. Es sei nicht gegen das Mehrheitsprinzip und das Öffentlichkeitsprinzip verstoßen worden. Die Verfassungsrichter lehnten ein Entscheidung darüber ab, ob die Aufteilung des Parlaments in zwei Gruppen rechtmäßig gewesen sei. Eine solche Frage falle nicht in ihren Kompetenzbereich. Insgesamt lehnten die Richter die Anträge der Deputierten mit dem Argument der Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichts z u r ü c k . 1 2 2 Die Ungleichbehandlung
118
Reutersmeldung vom 4. 2. 2000. 119 Ott, 2000a, S. 32 ff. 120 Vgl. Ott, 2000a: S. 35. 121 Pres-Relis des Verfassungsgerichts vom 4. Juli 2000. 122 Ebda.
V. Die „samtene Revolution" in der Werchowna Rada
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der Fraktionen hätte von den Verfassungsrichtern freilich moniert werden müssen. Dass dies nicht erfolgte, war einmal mehr Ausdruck der Voreingenommenheit des Gerichts zugunsten des Präsidenten. Obwohl der Präsident nun eine ihm genehme Besetzung der Positionen im Parlament erreicht hatte, ließ der Druck auf die Werchowna Rada nicht nach. Immer wieder drohte Kutschma damit, das Parlament vorzeitig aufzulösen, auch wenn ihm dafür eigentlich die verfassungsrechtliche Handhabe fehlte. Die Drohungen zeigten bei den Abgeordneten Wirkung. In der ersten Jahreshälfte 2000 wurden sie bei der Behandlung und Verabschiedung von Gesetzesvorlagen deutlich aktiver. Der Gesetzgebungsprozess veränderte sich qualitativ und quantitativ. So nahm die Anzahl der behandelten Gesetzesentwürfe um 47 Prozent zu. Bestanden früher über 60 Prozent der verabschiedeten Gesetze lediglich aus Änderungen und Ergänzungen bestehender Gesetze, so war nun jedes zweite Gesetz, das verabschiedet wurde, neu erarbeitet worden. 1 2 3 Die neue Mehrheit trug jedoch einen künstlichen Charakter und es war zu erwarten, dass sie genauso schnell auseinanderfallen würde wie sie entstanden war. Ein Indikator für den instabilen Charakter der Parlamentsmehrheit war ihr unterschiedliches Abstimmungsverhalten in Bezug auf Gesetzesinitiativen des Präsidenten einerseits und der Regierung andererseits. I m Herbst 2000 unterstützten 282 Abgeordnete von elf Fraktionen Initiativen des Präsidenten, während die Regierung Juschtschenko nur auf 140 Parlamentarier zählen konnte. 1 2 4 Zum regierungsfreundlichen Lager gehörten die „Vaterlandspartei" von Julija Tymoschenko, die beiden Ruch-Parteien sowie der „Reformen-Kongress" und die „Werktätige Ukraine". Auch die „Vereinigten Sozialdemokraten" und Grüne standen der Regierung zunächst loyal gegenüber, stimmten aber fallweise auch gegen sie ab. Eine prinzipiell gegnerische Haltung nahm die Fraktion „Wiedergeburt der Regionen" von Wolkow ein, die Juschtschenkos Wirtschaftskurs ablehnte. 1 2 5 Auch das linke Lager im Parlament war nicht so fest gefügt, wie es zunächst schien. Die entmachteten Linken und damit in erster Linie die Kommunisten und Sozialisten versagten dem Kabinett Juschtschenko zwar die Zustimmung zum Regierungsprogramm, das am 6. Mai 2000 vom Parlament mehrheitlich mit 261 Ja-Stimmen angenommen wurde. Als die Regierung ihren Gesetzesentwurf „Über den Energiemarkt" vorlegte, der unter anderem ein Ende der Barterbeziehungen vorsah, stimmte die Fraktion der Kommunisten fast geschlossen für das Gesetz. Das Abstimmungsverhalten des Parlamentes war nach der Bildung der präsidentiellen Mehrheit zwar strukturierter geworden. Es gab nun drei Hauptmodelle für 123 „Parlamentska bilschist' ta urjad Ukrajiny w konteksti spilnoij sakonodawtschoij dijalnosti", in: Politytschnyj kalendar, Instytut polityky, No. 6, 2000, S. 24. 124 „Propresydentska, prourjadowa tschy situatywna parlaments'ka bil'schist'", in: Politytschnyj kalendar, No. 9, 2000, S. 10. 125 „Parlamentska bilschist' ta urjad Ukrajiny w konteksti spilnoij sakonodawtschoij dijalnosti", in: Politytschnyj kalendar, Instytut polityky, No. 6, 2000, S. 25.
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G. Verpasste Konsolidierung und autoritäre Wende
Abstimmungen: eine präsidentielle Mehrheit, eine Regierungsmehrheit und eine „situative Mehrheit", insgesamt prägte jedoch weiterhin ein volatiles Abstimmungsverhalten die parlamentarische A r b e i t . 1 2 6
VI. Das Verfassungsreferendum vom April 2000 Schon bald nach der Annahme der Verfassung hatte Präsident Kutschma seine damalige Kompromissbereitschaft und Nachgiebigkeit gegenüber dem Parlament bereut und die Notwendigkeit von Verfassungsänderungen angemahnt. I m Präsidentschaftswahlkampf 1999 zeigte er sich immer entschlossener, ein Referendum über die Grundlagen des Staatsaufbaus durchzuführen mit dem Ziel, die Präsidialmacht zu stärken. Die Initiative für ein Referendum ging von der Präsidialadministration und einigen ihr eng verbundenen Parteien aus. Die Partei „Demokratische Union" des Kutschma· Vertrauten Wolkow sammelte die erforderlichen Unterschriften für die Ansetzung des Verfassungsreferendums. 127 Unterstützt von den staatlichen Institutionen dauerte es keine zwei Monate, bis fast 4 Millionen Unterschriften für das Referendum vorgelegt werden konnten. Die Initiatoren nutzten dafür hauptsächlich die beiden Wahlgänge der Präsidentschaftswahlen, um die Unterschriften zu sammeln. Dies wurde von den Wahlbeobachtern der OSZE als Einmischung in den Wahlablauf kritisiert und als Beeinflussung der Wähler zugunsten des Präsidenten gewertet. A m 15. Januar 2000 registrierte die Zentrale Wahlkommission ( Z W K ) die Listen mit 3.947.955 Unterschriften und erteilte somit dem Vorhaben grünes Licht. A m selben Tag veröffentlichte Präsident Kutschma sein Dekret „Über die Verkündigung des allukrainischen Referendums auf Volksinitiative". 1 2 8 Der Zusatz „auf Volksinitiative" war zwar formal richtig, da fast vier Millionen Bürger das Referendum mit ihrer Unterschrift befürwortet hatten, verschleierte aber die Tatsache, dass das Referendum letztendlich auf Anordnung des Präsidenten stattfand. Kutschma begründete das Referendum mit der Notwendigkeit, „die seit Jahren andauernde Konfrontation . . . zwischen den Organen der legislativen und exekutiven Gewalt zu überwinden, durch welche die wirtschaftlichen Reformen wesentlich gebremst wurden .. , " 1 2 9 Eigentlich war diese Begründung nicht mehr stichhaltig, da Kutschma zu diesem Zeitpunkt über eine Mehrheit im Parlament von ca.
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„Propresydents'ka, prourjadowa tschy situatywna parlaments'ka bil'schist'", in: Politytschnij kalendar, No. 9, 2000, S. 11. 127 Ott, 2000b, S. 11. 128 Ukas Presydenta No. 68: „Pro proholoschennja wseukrajinskoho referenduma sa narodnoju iniziatiwoju", in: Ofizijnyj wisnyk Ukrajiny, No. 3, 2000, S. 29/30. 129 Zitiert nach: Schneider-Deters, 2000: S. 364.
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280 Stimmen verfügte. Seine Umgebung riet ihm deshalb, den Referendumsplan fallen zu lassen. Doch Kutschma folgte dem Rat seines Vertrauten Wolkow und hielt unbeirrt am Referendumsprojekt fest. Wolkow hatte während des Wahlkampfes 1999 Wahlkampfstäbe in der ganzen Ukraine eingerichtet. U m diese Infrastruktur auch nach dem Wahltermin aufrechtzuerhalten und zu beschäftigen, propagierte Wolkow die Durchführung des Referendums. Persönliche Machtinteressen gaben den Ausschlag dafür, am Referendumsplan festzuhalten. 1 3 0 In der ursprünglichen Fassung des Referendums sollten folgende Fragen dem Volk vorgelegt werden: 1 3 1 1. Sprechen Sie der Werchowna Rada der 14. Legislaturperiode das Misstrauen aus und treten Sie damit für eine Änderung der Verfassung (Art. 90) ein, wonach der Präsident die Werchowna Rada auflösen kann, falls ihr bei einem Referendum das Misstrauen ausgesprochen wird? 2. Unterstützen Sie die Ergänzung der Art. 90 und 106 (Punkt 8) Verf., wonach der Präsident die Werchowna Rada vorzeitig auflösen kann, wenn sie nicht binnen eines Monats eine feste parlamentarische Mehrheit bildet oder nicht binnen dreier Monate den Haushaltsentwurf der Regierung billigt? 3. Sind Sie damit einverstanden, dass die Abgeordnetenimmunität eingeschränkt und Art. 80 Verf. entsprechend geändert wird, demzufolge die Abgeordneten ohne Zustimmung der Werchowna Rada nicht strafrechtlich verfolgt, festgenommen und verhaftet werden dürfen? 4. Sind Sie damit einverstanden, dass die Zahl der Abgeordneten von 450 auf 300 reduziert wird und dementsprechend die Verfassung (Art. 76) und das Wahlgesetz geändert werden? 5. Unterstützen Sie die Bildung eines Zweikammerparlamentes in der Ukraine, in dem eine Kammer die Interessen der Regionen vertritt, sowie entsprechende Änderungen in der ukrainischen Verfassung und in der Wahlgesetzgebung vorgenommen werden? 6. Sind Sie damit einverstanden, dass die ukrainische Verfassung durch ein allukrainisches Referendum angenommen werden soll? Die Fragen waren suggestiv formuliert und implizierten Verfassungsänderungen, die nach der Verfassung nur eine Zweidrittelmehrheit der Werchowna Rada vornehmen darf. Besonderes Erstaunen rief die sechste Frage hervor, derzufolge nun doch noch ein Referendum über die Annahme der Verfassung stattfinden sollte.
130
Diese Interpretation wurde mir während eines Hintergrundgesprächs im Zentrum für Politikwissenschaft Mychailo Pogrebinskij in Kiew am 5. 11. 2001 von dessen gleichnamigen Leiter mitgeteilt. ' 3' Ott, 2000b: S. 13.
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M i t einem zeitlichen Abstand von vier Jahren seit der Verabschiedung der Verfassung durch die Werchowna Rada schien es wenig sinnvoll, den Verfassungstext der Bevölkerung zur Abstimmung vorzulegen. Da eine Änderung der Verfassung per Referendum nicht vorgesehen war, schien das Ganze eine unnütze und teure Angelegenheit. A u f Antrag der linken Parlamentsfraktionen überprüfte das Verfassungsgericht das geplante Referendum auf seine Verfassungsmäßigkeit. Das ukrainische Verfassungsgericht entschied, dass der Referendumsukas des Präsidenten verfassungskonform sei und dass die Referendumsergebnisse nicht konsultativ, sondern obligatorisch seien. Die vom Volk unterstützten Vorschläge müssten in die Verfassung eingehen, indem das Parlament eine entsprechende Verfassungskorrektur vornehme, entschied das Verfassungsgericht. 132 Allerdings entschied das Verfassungsgericht, die Fragen eins und sechs zu streichen, da sie nicht verfassungskonform seien. Das Parlament sollte nicht aufgrund eines Misstrauensvotums der Bevölkerung vorzeitig aufgelöst werden können. Noch wesentlicher war die Streichung der sechsten Frage. Das Gericht machte damit deutlich, dass nur das Parlament das ausschließliche Recht habe, Verfassungsänderungen vorzunehmen. Kutschma hatte dadurch nicht die Möglichkeit, unter Umgehung des Parlaments Verfassungsänderungen vom Volk absegnen zu lassen. M i t den Einschränkungen, die das Verfassungsgericht getroffen hatte, verlor das Referendum für Kutschma einen Großteil seiner Bedeutung. Der Giftzahn des Referendums sei gezogen, kommentierte ein Abgeordneter das Urteil des Verfassungsgerichts. 133 Seit Jahren hatte Kutschma das Recht für sich gefordert, das Parlament auflösen zu können. Außerdem hatte er gehofft, künftig das Volk über Verfassungsänderungen abstimmen zu lassen und das Parlament umgehen zu können. In diesen beiden wichtigen Punkten hatte das Verfassungsgericht Kutschmas Pläne durchkreuzt. Hätte das Verfassungsgericht dem Referendum in der ursprünglichen Form stattgegeben, hätte dies das Parlament faktisch zum gefügigen Akklamationsorgan gemacht. Der Referendumsplan war offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt. Die rechtlichen Konsequenzen waren nicht durchdacht und das ganze Referendum stand auf rechtlich schwankendem Fundament. Bezüglich des Referendums blieben mehrere Widersprüche. So bedeutete die Einführung einer zweiten Parlamentskammer, in der die Regionen vertreten sein sollten, die Stärkung föderaler Elemente i m Institutionengefüge. Hingegen war der Föderalismusgedanke während der Diskussion um die Ausgestaltung der Verfassung immer abgelehnt worden. Artikel 2 der Verfassung beschreibt die Ukraine als unitaristischen Staat. Wie dieser Widerspruch zwischen föderalistischen und zentralistischen Elementen aufzulösen sei, blieb unklar. Statt dessen betonte Kutschma, dass die territorialen Verwaltungseinheiten
132 Ott, 2000b: S. 13. 133 Vgl. Ott, 2000b: S. 13/14.
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der Gebiete durch ein Oberhaus aufgewertet werden sollten. Diese hatten jedoch bereits im Rat der Regionen („Rada Rehioniw") ein Gremium, in dem sie ihre Interessen artikulieren konnten. Ein Oberhaus hätte also eine teilweise Verdoppelung bestehender Strukturen bedeutet. Die Präsidialadministration schien die geplante zweite Kammer als Instrument einsetzen zu wollen, mit dem man bei Bedarf die Gesetzgebung der Werchowna Rada blockieren könnte. Die zweite Kammer sollte unerwünschte Gesetzesentwürfe aufhalten, ohne dass der Präsident von seinem Veto-Recht Gebrauch machen müsste. Viele der Konflikte zwischen Präsident und Parlament würden sich in die beiden Parlamentskammern verlagern. Das Oberhaus sollte die für Kutschma willkommene Rolle eines „Dämpfers" zwischen Präsident und Parlament spielen. 1 3 4 Zur Erklärung des umständlichen Verfahrens und um für die Teilnahme am Referendum zu werben, druckten auflagenstarke Blätter wie die Kutschma-treue Zeitung „Fakty" umfangreiches Material. In vielen Medien wurde für eine positive Beantwortung der Fragen geworben. Kutschma brauchte eine hohe Beteiligung, um vom Parlament entsprechende Verfassungsänderungen einfordern zu können. Zwar hatte der Parlamentsvorsitzende Iwan Pljuschtsch schon voreilig versprochen: „Dem Willen des Volkes müssen die Abgeordneten gehorchen." Doch die präsidententreue Mehrheit im Parlament, der auch Pljuschtsch angehörte, umfasste zu diesem Zeitpunkt allenfalls 260 Parlamentarier. Verfassungsänderungen müssen jedoch mit Zweidrittelmehrheit, also 300 Stimmen, verabschiedet werden. Von vornherein war also der Nutzen des Referendums äußerst fraglich, weil die Gefahr bestand, dass die Ergebnisse der Befragung in der Luft hängen bleiben würden. Lediglich moralisch gab das Referendum Kutschma das Recht, das Parlament unter Druck zu setzen und weitere Kompetenzen einzufordern, mit denen Kutschma vorgeblich seine Wirtschaftsreformen umsetzen wollte. Hatte der Westen schon über Kutschmas rechtsverletzende Wahlkampftaktik die Nase gerümpft, so verlor der ukrainische Präsident durch das Verfassungsreferendum weiter an internationaler Wertschätzung. Kutschma hatte durch sein rigides Vorgehen das Image des reformorientierten Demokraten weitgehend verloren. Das für den 16. April 2000 geplante Referendum stieß auf heftige Kritik aus dem westlichen Ausland. Der Europarat warnte die Ukraine, die Durchführung einer Volksabstimmung könne zum Ausschluss der Ukraine aus der Staatenorganisation führen. Verfassungsänderungen seien ausschließliche Kompetenz der Werchowna Rada und dürften nicht mittels eines Referendums vorgenommen werden. 1 3 5 Verfassungsänderungen im Sinne des Referendums zerstörten die Machtbalance von Präsident und Parlament, argumentierte der Europarat.
'34 Schneider-Deters, 135
„Referendum 22. 3. 2000.
2000: S. 366.
Ukraine neobchodim. Ubeschden Leonid Kutschma", in:
Den',
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Vergeblich versuchte der Europarat die Ukraine zu einem Aufschub der Volksbefragung zu überreden, bis ein neues Gesetz über die Durchführung eines Volksreferendums angenommen sei. Der Präsident ignorierte die Proteste der Abgeordneten, die am 11. Januar 2000 mit Zweidrittelmehrheit ein Gesetz über ein zeitweiliges Moratorium bezüglich der Durchführung von Referenden verabschiedet hatt e n 1 3 6 , und hielt unbeirrt an der Volksbefragung fest. „Wenn es eine Krise der Macht gibt, soll ich dann herumsitzen und abwarten? Die Abgeordneten der Rada dürfen ein Impeachment-Verfahren gegen mich einleiten, aber ich soll das Parlament nicht auflösen dürfen?", beschwerte sich der Präsident. 1 3 7 Nun sollten endlich geordnete Verhältnisse im Land hergestellt werden, denn die Bürger seien „das Chaos leid". Gleichzeitig kritisierte er die Warnung des Europarates als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes und sagte, „wer die Ukraine als Kolonie betrachtet, täuscht s i c h " . 1 3 8 Die Ukraine brauche das Referendum, um das zentrale Problem der „Handlungsfähigkeit der Staatsmacht" zu lösen. 1 3 9 Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit OSZE lehnte es ab, Beobachter zum Verfassungsreferendum zu entsenden. Das ukrainische Außenministerium habe, so die offizielle Begründung, bei der OSZE zu spät um Wahlbeobachtung nachgesucht. 37 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, über die vier vom Verfassungsgericht gebilligten Fragen abzustimmen. Für die Gültigkeit des Referendums war laut Gesetz „Über das allukrainische und örtliche Referendum" eine Wahlbeteiligung von mindestens 50 Prozent erforderlich. Die Art der Durchführung des Referendums ließ erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Abstimmungsergebnisse aufkommen. So hatte die Zentrale Wahlkommission die Möglichkeit der vorzeitigen Stimmabgabe zehn Tage vor dem Referendumstermin eingeräumt. Ursprünglich sollten nicht mehr als 10 Prozent der Wahlberechtigten vorzeitig wählen können. Dann strich die Zentrale Wahlkommission diese prozentuale Beschränkung ersatzlos. Bei der Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse stellte sich heraus, dass landesweit 54,16 Prozent der Wähler vor dem 16. April abgestimmt hatten - ein sehr hoher Anteil im Vergleich zu anderen Urnengängen in der U k r a i n e . 1 4 0 Die staatlichen Medien hatten intensiv für die vorzeitige Stimmabgabe geworben nach dem Motto „Wer früher abstimmt, kann mit reinem Gewissen am Sonntag, den 16. April, auf seine Datscha fahren." 1 4 1
136 Vgl. Ott, 2000b: S. 12. 137 „Die Bürger sind das Chaos leid", Interview mit Präsident Kutschma, in: Der Spiegel 28/2000, S. 132. 138 Meldung von Interfax, 4. 4. 2000 139 „Referendum Ukraine neobchodim. Ubeschden Leonid Kutschma", in: Den', 22. 3. 2000. 1 40 „Ukrajina pislja referendumu: resultaty ta naslidky", in: Politytschnyj kalendar, No. 4, 2000, S. 9. 141 Vgl. Ott, 2000b: S. 15.
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Wie üblich wurde Druck der Behörden auf bestimmte Wählergruppen ausgeübt. Studenten hatte man auf Initiative der Hochschulverwaltungen zu den Wahllokalen gebracht. Betriebe schickten ihre Belegschaft während der Arbeitszeit zu den Wahlurnen. Die lokalen Wahlkommissionen riefen die Wahlberechtigten privat an und forderten sie zur Stimmabgabe a u f . 1 4 2 A m Tag des Referendums selbst stieg die Wahlbeteiligung in der letzten Stunde vor Schließung der Wahllokale ungewöhnlich stark an, was viele als Indiz für Manipulationen werteten. Das Institut für Politik in Kiew äußerte erhebliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl und hielt die offiziellen Ergebnisse für eine „zynische L ü g e " . 1 4 3 Seiner Meinung nach spielten die zentralen und örtlichen Behörden eine Schlüsselrolle bei der Durchführung und der Sicherstellung der Ergebnisse des Referendums. Der Abgeordnete der Ruch-Fraktion, Olexandr Lawrynowitsch, äußerte die Überzeugung, dass es zu erheblichen Fälschungen i m Vorfeld und während des Referendums gekommen war. Die offiziell bekannt gegebene Wahlbeteiligung mit 81,15 Prozent hielt Lawrynowitsch für wesentlich zu hoch. Die tatsächliche Wahlbeteiligung habe nach seiner Einschätzung bei 50 Prozent gelegen. 1 4 4 Auch die amerikanische nichtstaatliche Organisation N D I (National Democratic Institute) äußerte erhebliche Zweifel am Referendum. Bei der vorgezogenen Stimmabgabe sei manipuliert und die Wahlbeteiligung nach oben korrigiert worden. 1 4 5 Laut offiziellem Ergebnis der Zentralen Wahlkommission betrug die Zustimmung zu allen vier gestellten Referendumsfragen über 80 Prozent. Die erste Frage, ob der Präsident das Parlament vorzeitig auflösen dürfe, wenn sich innerhalb eines Monats keine ständige Mehrheit gebildet hat oder wenn das Parlament drei Monate die Annahme des Staatshaushaltes ablehnt, bejahten 84,69 Prozent. Die Einschränkung der Abgeordnetenimmunität befürworteten 89 Prozent. Die Reduzierung der Abgeordnetenzahl der Werchowna Rada von 450 auf 300 wurde von 89,91 Prozent unterstützt. Die Einführung einer zweiten Parlamentskammer (Oberhaus) schließlich fand mit 81,68 Prozent ebenfalls deutliche Zustimmung. 1 4 6 Zum wiederholten Male hatte sich Kutschma aus Anlass des Referendums davon überzeugen können, dass die regionalen Verwaltungen seine zuverlässigen Bündnispartner waren. 1 4 7 Einige Bezirksverwaltungschefs hatten aktiv ihre Loya-
142 Vgl. Ott, 2000b: S. 15. 143 Zitiert nach: „Ukrajina pislja referendumu: resultaty ta naslidky", in: Politytschnyj kalendar, No. 4, 2000, S. 9. 144 Diese Ansicht äußerte Lawrynowitsch in einem von der Verfasserin geführten Interview am 28. Juni 2000 in Kiew. 145 „NDI: Wybory-2002 pid snakom saljakanoij presy ta adminresursy", in: Ukrajins'ka Prawda, 17. 2. 2002. '46 „Powidomlennja zentralnoij wybortschoij komisiji pro pidsumky wseukrajinskoho referendumu 16 kwitnja 2000 roku", in: Politytschnyj kalendar, No. 4, 2000, Instytut polityky, S. 12/13.
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lität mit Präsident Kutschma bei den Vorbereitungen zum Referendum bekundet. Da der Präsident die Verwaltungschefs jederzeit absetzen kann, fürchteten sie i m Falle eines schlechten Abstimmungsergebnisses um ihre Position. Das Referendum erbrachte zwar das von Kutschma erhoffte Ergebnis. Der Präsident erhielt damit zusätzliche Druckmittel gegenüber dem Parlament. Allerdings zeigte die weitere Entwicklung, dass mit dem Referendum ein Prozess in Gang gesetzt wurde, den Kutschma nicht mehr völlig kontrollieren konnte. So stellte sich heraus, dass mit dem Referendum zusätzliche Probleme entstanden waren, ohne dass alte gelöst wurden. Der Präsident brachte neun Tage nach dem Referendum einen Gesetzentwurf ins Parlament ein und ließ ihn gleichzeitig vom Verfassungsgericht auf seine Vereinbarkeit mit den Verfassungsartikeln 157 und 158 überprüfen. Die Gesetzesvorlage sollte die Ergebnisse des Referendums in Gesetze umsetzen und sah die Änderung der Verfassungsartikel 76, 80, 90 und 106 vor. Zur Einführung eines Oberhauses sollte eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Rada und der Exekutive gegründet werden. Die Abgeordneten Moros, Holowatij und Pawlowskij bereiteten einen Gegenvorschlag vor, der unter Berücksichtigung der Referendumsergebnisse die Legislative stärken und den Präsidenten schwächen sollte. 152 Abgeordnete unterschrieben den Gesetzentwurf. Die verfassungsrechtliche Bedingung, dass eine Verfassungsrevision von mindestens einem Drittel, also 150 Abgeordneten, initiiert werden musste, war damit erfüllt. Der Entwurf der Abgeordneten sah vor, die Ukraine zur parlamentarischen Republik zu machen. Es sollte ebenfalls ein Oberhaus geschaffen werden. Der Präsident sollte jedoch nicht mehr direkt vom Volk, sondern von beiden Parlamentskammern alle vier Jahre gewählt werden. Das Unterhaus, die Werchowna Rada, sollte aus 300 Abgeordneten bestehen, die nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden sollten. Die Mehrheit im Unterhaus sollte den Regierungschef samt Kabinett stellen. 1 4 8 In der politischen Auseinandersetzung um die Implementierung der Referendumsergebnisse schlug sich das Verfassungsgericht auf die Seite des Präsidenten. Das Verfassungsgericht befand am 27. Juni 2000, dass der Präsidentenentwurf nicht gegen die Verfassung verstoße. Den Gegenentwurf der Abgeordneten brachte es mit seinem Urteil vom 13. Juli 2000 jedoch zu Fall. M i t dieser „politisch motivierten Entscheidung" 1 4 9 des Verfassungsgerichts gelang es dem Präsidenten, den konkurrierenden Entwurf der Abgeordneten zu stoppen.
147
„Powidomlennja zentralnoij wybortschoij komisiji pro pidsumky wseukrajinskoho referendumu 16 kwitnja 2000 roku", in: Politytschnyj kalendar, No. 4, 2000, Instytut polityky, S. 10. 148 Ott, 2000b: S. 17 ff. 149 Vgl. Ott, 2000b: S. 20.
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Doch die Zeitplanung der Präsidialadministration, die davon ausging, dass Kutschmas Variante noch bis zur Sommerpause 2000 angenommen würde, stellte sich als zu optimistisch heraus. Die Hinhaltetaktik der Parlamentsleitung trug dazu bei, dass sich die Diskussion über die Sommerpause hinzog. Das Verfassungsgericht habe die Wechowna Rada lediglich verpflichtet, sich mit den Referendumsergebnissen auseinanderzusetzen, wurde argumentiert. Eine automatische Implementierung der Referendumsergebnisse sei nicht vorgesehen. Als die Rada i m September 2000 wieder zusammentrat, hatte die Bereitschaft für Verfassungsänderungen, welche die Rechte der Abgeordneten beschneiden würden, deutlich abgenommen. Auch zwei weitere Gesetzesentwürfe, die Kutschma i m November 2000 dem Parlament vorlegte, bekamen nicht einmal die in erster Lesung erforderliche einfache M e h r h e i t . 1 5 0 Es zeigte sich, dass die Pessimisten recht gehabt hatten mit ihrer Einschätzung, dass das Referendum nur fruchtlose Debatten verursachen würde. Zudem wurde das Thema Verfassungsänderungen i m Herbst 2000 von anderen Themen verdrängt, die eine unerwartete Brisanz annahmen und alles andere in den Schatten stellten. Dies waren die Affäre um das Verschwinden des Journalisten Gongadse, das Auftauchen von Tonbandaufzeichnungen und der Konflikt um die Reformen i m Energiesektor. Danach wurde es für Kutschma zur Prestigefrage, dass zumindest einer der vier Referendumspunkte noch innerhalb seiner Amtszeit bis 2004 umgesetzt würde. Nach alter Gewohnheit gab er dem Parlament die Schuld daran, dass bisher seine Gesetzesvorlagen nicht angenommen wurden, weil seiner Ansicht nach die Abgeordneten am meisten die Abschaffung ihrer Immunität fürchteten. M i t eigentümlicher Argumentation betonte er, wie wichtig die Einführung eines Oberhauses sei, damit sich die Werchowna Rada nicht in ein politisches Organ verwandle. „Die meisten Entscheidungen des Parlaments sind politischer Natur", kritisierte der Präsident im November 2 0 0 1 . 1 5 1 Da sich die Debatten über die Implementierung der Referendumsergebnisse seit April 2000 ergebnislos hinzogen, stellte sich ein negativer Effekt ein. Die Volksbefragung als solche, die der Präsident so oft propagierte hatte, wurde durch ihre einmalige Anwendung bereits zu einer stumpfen Waffe. Solange es nur bei der Androhung eines Referendums blieb wie in den Jahren 1995 und 1996, als Kutschma damit die Annahme des Verfassungsvertrages bzw. der Verfassung durchsetzen wollte, hatte dieses Mittel seine potenzielle Kraft noch nicht verloren. Nun hatte es Kutschma im April 2000 zum ersten Mal eingesetzt, wobei sich der scheinbare Erfolg in eine Hypothek für die Glaubwürdigkeit des Präsidenten verwandelte. 150 In den Gesetzentwürfen ist vorgesehen, die rechtliche Grundlage für die vorzeitige Auflösung des Parlaments zu erweitern. 151 „Kutschma stschitaet, schto na 9-j sessii Werchowna Rada moschet wernut'sja k woprosu ob implementazii reschenij wseukrainskoho referenduma", in: Interfax-Ukraina, 2. 11.2001.
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Das Instrument des Referendums war schnell abgenutzt und büßte bei der Bevölkerung an Legitimität ein. Dies äußerte sich bereits i m mäßigen Erfolg der Unterschriftensammlung 2001, mit der die Oppositionspolitikerin Tymoschenko ein Referendum ansetzen wollte, das Kutschma zum Amtsverzicht zwingen sollte. A n der ukrainischen Volksbefragung vom April 2000 zeigte sich beispielhaft, dass Referenden in Gesellschaften ohne demokratische Traditionen, bei geringem Kenntnisstand der Bevölkerung in politischen Fragen und bei einer Monopolstellung staatlicher Massenmedien ein zweifelhaftes politisches Instrument sind. Unter diesen Umständen lassen sich auch undemokratische Entscheidungen vom Volk per Referendum absegnen. 1 5 2 Zudem verlieren plebiszitäre Mittel wie Referenden in Transformationsländern ihre Wirkung, wenn damit Konflikte zwischen den Institutionen entschieden werden sollen. Eine besondere Problematik besteht darin, der Bevölkerung Referendumsfragen zur Entscheidung vorzulegen, die die Verfassung betreffen. Die meisten Wahlberechtigten können aufgrund mangelnder Rechtskenntnisse kein fundiertes Urteil treffen. 1 5 3 Der ukrainische Soziologe Jewhen Holowacha stellte in diesem Zusammenhang fest, das Referendum sei einzig wegen der Indifferenz und politischen Apathie der Bevölkerung so erfolgreich verlaufen. 1 5 4 Es habe sich kaum jemand die Mühe gemacht, den Inhalt und die Folgen des Referendums genauer zu studieren. „Die Fragen (des Referendums) und ihre Auswirkungen auf die Politik haben die Leute nicht verstanden", erklärte er. Man habe einfach den Präsidenten unterstützt und damit unterstrichen, dass man seine Wiederwahl i m November 1999 für legitim halte. Nach Ansicht von Holowacha hätte der Präsident beim Referendum zu jeder x-beliebigen Frage ein zustimmendes Ergebnis erhalten.
152 Vgl. Ott, 2000b: S. 11. 153
Unter diesem Gesichtspunkt wurde das weißrussische Verfassungsreferendum vom 24. November 1996 von der Opposition und Fachleuten kritisiert. In den Feinheiten von Verfassungsfragen vermöge sich der einfache Bürger nur schwer zu orientieren, argumentierten Verfassungsrechtler. Ein Referendum zu Verfassungsfragen stelle keine qualifizierte Antwort auf die Frage dar, ob diese oder jene Verfassungsänderung sinnvoll sei. Vgl. Pastuchow, Michail: Moschno Ii prinjat' nowuju redakziju Konstituzii putem referenduma? in: Narodnaja wolja, No. 78, September 1996. 1 54 „Holowacha, Jewhen: Otsutstwie sozial'nogo konflikta priwodit k degradazii obschtschestwa. No konflikt dolschen byt' konstruktiwnym", in: Den', 24. 10. 2000.
Η. Die politische Krise der Jahre 2000 und 2001 Nach dem Verfassungsreferendum vom April 2000 war noch davon auszugehen, dass sich die Machtverhältnisse in der Ukraine rasch zugunsten von Präsident Kutschma verschieben würden. Dieser Eindruck entstand angesichts des Referendums vom 16. April 2000, bei dem der Präsident eine große Zustimmung in vier Punkten die Verfassung betreffend erhalten hatte. Außerdem konnte sich Kutschma zu dieser Zeit auf eine stabile Mehrheit i m Parlament stützen, so dass es nur eine Frage der Zeit schien, wann die Ergebnisse des Referendums ihren Niederschlag in konkreten Gesetzen finden würden. Doch i m Herbst 2000 überschlugen sich die Ereignisse. A m 16. September 2000 verschwand der Journalist Heorhij Gongadse, der Kutschma und seine Administration stark kritisiert hatte. A m 28. November 2000 wurden Tonbandaufzeichnungen publik, die Kutschma sowie den Chef der Präsidialadministration Lytwyn und Innenminister Krawtschenko schwer belasteten. Die mögliche Verstrickung des Präsidenten in die Entführung und Ermordung Gongadses löste den größten politischen Skandal seit 1991 aus. Durch die Gongadse-Affäre kam es zum Zerfall der propräsidentiellen Mehrheit im Parlament, zur Verschiebung der Implementierung der Referendumsergebnisse und zu einer Wiederbelebung der nichtkommunistischen Opposition gegen Kutschma. 1 Dem Druck von innen und von Seiten des Westens hielt Kutschma nur stand, weil er die Rückendeckung des russischen Präsidenten Wladimir Putin genoss.
I. Die Neuausrichtung der Außenpolitik Eine Verschiebung in der außenpolitischen Orientierung und eine Annäherung an Russland zeichnete sich ab, als Kutschma am 1. Oktober 2000 Außenminister Borys Tarasjuk entließ. Der prowestliche Tarasjuk, der in seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit die Kontakte Kiews zur Nato und Europäischen Union intensiviert hatte, wurde durch Anatolij Slenko ersetzt, der unter Krawtschuk der erste Außenminister einer unabhängigen Ukraine gewesen war. Kutschma erklärte seine Personalentscheidung damit, dass die Ukraine als Außenminister einen Mann des Ausgleichs und einen wirklichen Diplomaten brauche, der weder Ja noch Nein sage. Slenko stand für eine moderate Position und für ein Gleichgewicht der ukrainischen Beziehungen zu Russland und zum Westen. ' Ott, 2002, S. 97.
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Zum Missfallen Russlands hatte Tarasjuk besonders mit Washington und Brüssel enge Kontakte gepflegt. In Moskau galt Tarasjuk als „prowestlich bis zur Unanständigkeit". 2 Russische Medien hatten wiederholt auf die stagnierende wirtschaftliche Kooperation zwischen Kiew und Moskau hingewiesen und dafür die allzu offene Hinwendung der Ukraine zum Westen verantwortlich gemacht. Tarasjuks unabhängige Art zu handeln, missfiel dem Präsidenten. Mehrmals musste Kutschma Verstimmungen in Moskau, für die Tarasjuk verantwortlich gemacht wurde, wieder ausbügeln. Zum Schluss der Amtszeit Tarasjuks gab es zwei konkurrierende außenpolitische Konzepte, nämlich das des Präsidenten und dasjenige des Außenministers. Unter dem Deckmantel der außenpolitischen Doktrin von der „Multi-Vektorialität" ließ sich dieser Widerspruch einigermaßen kaschieren. 3 Nach seiner Abberufung nahm Tarasjuk eine Kutschma-kritische Haltung ein. Er quittierte den diplomatischen Dienst und erklärte, eine Rückkehr ins Außenministerium komme für ihn nur in Frage, wenn ein Machtwechsel stattfinde und wenn Präsident Kutschma abgelöst werde. A u f dem Höhepunkt der Gongadse-Affäre beschuldigte Tarasjuk den Präsidenten, eine Politik zu betreiben, die gegen den Staat gerichtet sei. Die innen- und außenpolitische Krise könne nur durch vorgezogene Parlaments- und Präsidentschafts wählen beendet werden. 4 Unter Slenko sollte die ukrainische Außenpolitik nach offizieller Darstellung Kiews wieder von „mehr Ausgewogenheit" bestimmt sein. 5 Slenko trat an mit dem Image eines mit Russland sympathisierenden Politikers. Russland sollte wieder zum außenpolitischen Partner Nummer eins werden. Die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland genössen „höchste Priorität", sagte Slenko bei seiner ersten Visite in Moskau. 6 Nach seiner Ernennung bemühte sich Slenko, das verlorene Vertrauen Russlands wieder aufzubauen. Bereits wenige Monate später vereinbarten Kutschma und Putin eine enge Zusammenarbeit auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet. 7 Kurz darauf wurden russische Beteiligungen an ukrainischen Großbetrieben abgeschlossen. Dass die beiden slawischen Republiken wieder auf mehr Tuchfühlung gingen, wurde unterschiedlich gedeutet. Die einen sahen darin die endgültige Kapitulation der Ukraine vor Russland, nachdem sie sich ein Jahrzehnt vergeblich abgemüht hatte, 2
Vgl. Iwanow, Jurij: Ukraine-Russland: pragmatische Partnerschaft, in: GUS-Barometer, Nr. 27, August 2001, S. 5. 3 Vgl. Schneider-Deters, 2000: S. 358. „Tarasjuk: Kutschma prowodit antigosudarstwennuju politiku", in: www.nuvse.com, 22. 3. 2001. 5 Mostowaja, Julija: Post sdan. Post prinjat. Schag wprawo? Schag wlewo?, in: Serkalo Nedeli, No. 39 (312), 7 . - 13. 10. 2000. 6 „Slenko proholoschue Rosiju holownym prioritetom sownischnoij polityky Ukrajiny", Ukrajins'ka Prawda, 23. 10. 2000. 7 Badrak, Walentin, 2001: Kiew i Moskwa sobirajutsja druschit' po-nowomu, in: Serkalo Nedeli, No. 21 (345), 2. 6. 2001, S. 3. 4
I. Die Neuausrichtung der Außenpolitik
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wirtschaftlich und politisch auf die Beine zu kommen. Optimisten betonten hingegen die Perspektiven einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit Russlands mit der Ukraine. Gemeinsam könnten neue Märkte erschlossen werden etwa für die Verteidigungs-, Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie. Die Unabhängigkeit der Ukraine werde von russischer Seite nicht mehr in Frage gestellt. Nun gelte es, sich gemeinsam auf den Weg nach Europa zu machen. 8 Noch immer gilt das Prinzip der Multivektorialität, nur mit veränderten Gewichten. Zwar hält die Ukraine langfristig an dem Ziel fest, sich Westeuropa und der Nato anzunähern und der E U beizutreten. Andererseits sollen die Beziehungen zu Russland auf eine neue Basis gestellt werden. Kutschma hat Russland zum „Hauptpartner der Ukraine für lange Zeit" erklärt. 9 Die wirtschaftliche Tragweite der Beziehungen zwischen beiden Ländern brachte er auf die Formel: „Wenn wir den russischen Markt verlieren, verlieren wir die Ukraine. Russland kann ohne die Ukraine existieren, die Ukraine aber nicht ohne Russland." Gleichzeitig unterstrich er das gute Verhältnis zum russischen Präsidenten: „Seit dem Amtsantritt Putins haben unsere Beziehungen an Dynamik gewonnen, und das Wichtige dabei ist, dass unsere gemeinsamen Vereinbarungen auch erfüllt werden." 1 0 Den Zeiten, als Jelzin und Kutschma sich bei den sogenannten „Treffen ohne Krawatten" 1 1 berieten, trauert man daher in Kiew nicht nach. Der Stil der russischukrainischen Gipfelgespräche ist nach Einschätzung von Beobachtern protokollarischer, aber auch substanzieller geworden. Kutschma und Putin entdeckten eine neue rationale Ebene der Zusammenarbeit, die zuvor noch nicht existiert hatte. 1 2 Das Verhältnis zwischen beiden Staaten hängt wesentlich von den Akteuren in Schlüsselpositionen ab. M i t der Absetzung von Premierminister Juschtschenko i m April 2001 hatte der letzte prowestliche Politiker das Kabinett verlassen. Russland signalisierte währenddessen mit der Entsendung von Wiktor Tschernomyrdin als russischem Botschafter nach Kiew im Mai 2001, dass es wieder stärkeren Einfluss auf die Ukraine ausüben will. Tschernomyrdin, der als „politisches Schwergew i c h t " 1 3 gilt, setzte sich über die Botschafterrolle hinaus massiv für russische Wirtschaftsinteressen ein, etwa für die Beteiligung russischer Energiekonzerne am ukrainischen Pipelinenetz.
8 Ebda. Interview Präsident Kutschmas für den russischen Fernsehsender RTR vom 30. 10. 2001. 10 Zitiert nach: Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, April 2001, S. 5. 11 Iwanow, 2001: S. 5. 12 Ebda. 9
13 Vgl. Wehner, Markus: Viktor, übernehmen Sie! In. FAZ, 12. 5. 2001. Vgl. Ludwig, Michael: Verbannter oder Statthalter Moskaus? In: FAZ, 16. 5. 2001. 11 Hclmcrich
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Η . Die politische Krise der Jahre 2000 und 2001
II. Die Gongadse-Affäre und der Tonbandskandal Kutschma, so schien es, hatte die Weichen für eine erfolgreiche zweite Amtszeit gestellt. Seinen Wahlsieg 1999 und die Durchführung des Verfassungsreferendums vom April 2000 verbuchte er als Erfolg und Bestätigung seiner bisherigen Politik. Der Prozess der Implementation der von der Bevölkerung gutgeheißenen Verfassungsänderungen wurde jedoch i m Herbst des Jahres 2000 nachhaltig gestört durch eine Kette von Ereignissen, die zur größten innenpolitischen Krise der Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit führen sollte. Auslöser war der „Fall Gongadse", der damit begann, dass der regierungskritische Journalist Heorhij Gongadse i m September 2000 verschwunden war. Gongadse hatte in seiner Internetzeitung „Ukrajins'ka Prawda" - der ersten ukrainischen Zeitung i m Internet - Korruptionsfälle auf den höchsten Ebenen der Macht angeprangert. Mitte November 2000 wurde ein enthaupteter Körper in der Nähe von Kiew gefunden. Der Körper wurde 13 Tage i m Leichenschauhaus des örtlichen Krankenhauses, das keine Kühlanlage hatte, aufbewahrt. Journalistenkollegen identifizierten anhand von Schmuckstücken den Körper als den von Gongadse. Bevor Gongadses Familie die Leiche identifizieren konnte, wurde sie nach Kiew überführt. Erst drei Wochen danach wurde bei Gongadses Mutter ein Bluttest zum genetischen Vergleich mit der Leiche vorgenommen, nachdem sie General Staatsanwalt Potebenko der Untätigkeit beschuldigt und ihm angedroht hatte, vor Gericht zu gehen. 1 4 Von Anfang an entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass die Behörden die Untersuchung des Falles bewusst verzögerten. Aufgrund des D N A Tests wurde die Leiche mit fast 1 OOprozentiger Sicherheit als die von Gongadse identifiziert. 1 5 A m 28. November 2000 präsentierte Oppositionsführer Moros i m Parlament Tonbandaufzeichnungen von elf Gesprächen, die ihm ein Geheimdienstoffizier zugespielt hatte. A u f den Tonbändern sprachen drei Männer in vulgärer Sprache darüber, was mit Gongadse geschehen solle. Sie schlugen unter anderem vor, den Journalisten nach Georgien zu bringen und ihn dort nackt abzuladen oder ihn an die Tschetschenen zu übergeben. Nach Moros' Darstellung handelte es sich um Kutschma, Innenminister Jurij Krawtschenko und den Leiter der Präsidialadministration, Wolodymyr Lytwyn. In grobem Straßenjargon wird der Journalist Gongadse in den Aufnahmen unflätig beschimpft. 1 6 14 Lewschin, 2001: S. 13. 15 Ebda. 16 Die Kutschma zugeschriebene Stimme sagt über den Journalisten Gongadse, der georgisch-ukrainischer Herkunft war: „Diese Ukrajins'ka Prawda, diese Idioten. Verfluchter Mistkerl, dieser Georgier. ( . . . ) Verdammt, alles hat doch seine Grenzen. Schweinehund, verfluchter. Nach Georgien sollte man ihn deportieren und da absetzen; verpissen soll er sich. Nach Georgien fortbringen und da liegen lassen, damit ihn die Tschetschenen einsacken." Zitiert nach „Watergate in Kiew", in: Der Spiegel 12/2001, S. 232. Besonders erregt sich Kutschma in den Mitschnitten über das Oppositionsblatt „Swoboda", das von der damaligen
II. Die Gongadse-Affäre und der Tonbandskandal
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Der Fall löste eine innenpolitische Krise aus: Die Gesprächsmitschnitte vermittelten den Eindruck, dass Kutschma selbst die Beseitigung Gongadses veranlasst hatte. Die Ausführungen von Moros schockierten das Parlament und stießen zunächst auf Ungläubigigkeit. Die Abgeordneten der Parlamentsmehrheit forderten die Einsetzung einer Untersuchungskommission. Von Moros verlangten sie die Herausgabe der Tonbänder und die Preisgabe der Identität des Geheimdienstoffiziers, der ihm das Material übergeben hatte. Moros warfen sie vor, nur aus eigenem Geltungsdrang das „Kompromat", das belastende Material, gegen den Präsidenten konstruiert zu haben. 1 7 Die propräsidentielle Parlamentsmehrheit stellte sich gegen Moros und wies die Anschuldigungen zurück. Der ständige Vertreter des Präsidenten i m Parlament, Roman Bessmertnyj, initiierte eine Erklärung zur Verteidigung des Präsidenten, die von fast allen Fraktionsvorsitzenden der Präsidentenmehrheit unterzeichnet wurde. Kutschma selbst schwieg acht Tage lang zu den Vorwürfen. In einer Fernsehansprache am 6. Dezember 2000 beschuldigte er nicht näher bezeichnete Kräfte des Versuchs, das Land ins Chaos zu treiben. 1 8 Die Anschuldigungen seien eine „ungeheure Provokation", hinter der ausländische Geheimdienste stünden, erklärte der Präsident. Er könne auf die Bibel und die Verfassung schwören, dass er „niemals Befehl gab, einen Menschen zu vernichten". 1 9 Die Mitschnitte seien eine Fälschung. Seinen ehemaligen Leibwächter Mykola Melnytschenko, den Urheber der heimlichen Tonbandaufzeichnungen, bezeichnete er als „krank i m K o p f 4 . In einem Beitrag für die „Financial Times" am 27. Februar 2001 behauptete Kutschma, er kenne Gongadse gar nicht und habe mit dessen Verschwinden nichts zu tun. Er verwahrte sich gegen den Vorwurf, dass er seine Macht zur Unterdrückung von Journalisten und Massenmedien einsetze, und versicherte, er habe sich immer an den Rechtsrahmen gehalten und werde dies auch weiterhin t u n . 2 0
Vize-Premierministerin Julija Tymoschenko finanziert wird, die er als „Hure" und „Schlampe" bezeichnet. Kutschma weist den Geheimdienstchef Derkatsch an, Tymoschenko einzuschüchtern. Aus einem weiteren Gesprächsmitschnitt mit Derkatsch geht hervor, dass der Geheimdienst immer noch das Fernsehen etwa bei der Freigabe von Bildmaterial zensiert. 17 „Bilschist' baschae snaty, tschy prawdu kasaw Moros", in: Ukrajins'ka Prawda, 30. 11.2000. 18 Lewschin, 2001: S. 14. 19 Zitiert nach: Neef, Christian, 2001: S. 139. 20
In dem Beitrag für die „Financial Times" schrieb Kutschma: „Ich kannte Herrn Gongadse nicht, war mir aber seiner Artikel und seiner Kritik an meiner Politik sehr bewusst. Tatsächlich gibt es viele professionelle Journalisten, die meine Regierung weit bösartiger als Herr Gongadse kritisieren. ... Trotz des Schmerzes, den dieser Fall den Verwandten und Kollegen Gongadses zugefügt hat, haben einige ukrainische Politiker diesen tragischen Fall in eine Waffe verwandelt, um die Ukraine zu destabilisieren. ... Vor allem möchte ich ausdrücklich meine Verpflichtung gegenüber einer freien und demokratischen Ukraine wiederholen, die Freiheit und Sicherheit der Presse zu schützen, die ein essenzielles Element jeder Demokratie ist." zitiert nach: Lewschin, 2001: S. 15. Vgl. auch „Tscherta, sa kotoroj anarchija", in: Kiewskie Wedomosti, 8. 12. 2000, S. 2 11*
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Dann bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft jedoch, dass Kutschma in seinen Amtsräumen abgehört worden war. Die Generalstaatsanwaltschaft räumte ein, dass Fragmente der Aufzeichnungen tatsächlich aus Gesprächen des Präsidenten stammten. Die Aufnahmen seien jedoch zusammengeschnitten und manipuliert worden. Zwei i m Westen angefertigte Gutachten konnten die Stimmen auf den Tonbändern nicht hundertprozentig identifizieren. Das Berliner Sprachzentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft kam jedoch zu dem Urteil, dass die Stimmen der Beteiligten mit denen von Vergleichsaufnahmen „unter ohren- und signalphonetischen Gesichtspunkten sehr ähnlich" seien. 21 Eine technische Fälschung und Montage der Bänder sei ausgeschlossen. Auch das Internationale Presseinstitut in Wien, das vom ukrainischen Parlament beauftragt wurde, konnte nicht zweifelsfrei belegen, dass es sich bei den Gesprächsteilnehmern um Kutschma, Krawtschenko und Lytwyn handelte. Die Werchowna Rada setzte unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe einen Untersuchungsausschuss unter dem Vorsitz des Ruch-Abgeordneten Olexandr Lawrynowitsch ein. I m Dezember 2000 reisten drei Mitglieder des Untersuchungsausschusses ins Ausland, um mit dem Geheimdienstoffizier Melnytschenko Kontakt aufzunehmen, der Kutschmas Amtsgespräche aufgezeichnet hatte. Wie Melnytschenko erklärte, habe er ein digitales Abhörgerät unter dem Sofa in Kutschmas Amtszimmer angebracht und Hunderte von Stunden aufgezeichnet. Aus Sicherheitsgründen wurde der Aufenthaltsort Melnytschenkos, der sich nach Westeuropa abgesetzt hatte, geheim gehalten. Als die Mitglieder der parlamentarischen Untersuchungskommission von dem Treffen mit Melnytschenko zurückkehrten, wurden sie von Sicherheitskräften am Flughafen in Kiew abgefangen, ihre Gepäckstücke untersucht und die Tonbänder mit einem Interview Melnytschenkos kurzzeitig beschlagnahmt. Dabei verstießen die Sicherheitskräfte gegen geltendes Recht. Die Durchsuchung des Gepäcks widersprach dem Prinzip auf Immunität der Parlamentarier. 22 Die Motive der Abhöraktion Melnytschenkos, der in der Ukraine bald den Ruf als „Don Quichotte gegen die Korruption" genoss, blieben zunächst i m Dunkeln. Klar wurde nur, dass er nicht allein gehandelt haben konnte, da es ihm gelang, sich vor der Veröffentlichung der Tonbänder ins Ausland abzusetzen, was ohne Geldgeber nicht möglich gewesen wäre. Melnytschenko selbst begründete sein Vorgehen damit, dass er Zeuge wurde, wie Kutschma Innenminister Krawtschenko, Geheimdienstchef Derkatsch und dem Leiter der Steuerbehörden, Asarow, gesetzeswidrige Anweisungen zur Unterdrückung der oppositionellen Presse und von politischen Gegnern gab. Dies habe die Zeitungen „Sil'ski Wisti", „Towarischtsch", „Grani", „Wetschirni Wisti", „Serkalo Nedeli" und „Swoboda" betroffen sowie die Radiosender B B C und Swoboda. Daraufhin habe er, Melnytschenko, 21 „Watergate in Kiew", Der Spiegel 12/2001, S. 230. 22 „Joho snae Kutschma, i saras win w odnij s kraijn Schengenskoij soni", in: Ukrajins'ka Prawda, 8. 12. 2000.
II. Die Gongadse-Affäre und der Tonbandskandal
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beschlossen, belastendes Material gegen den Präsidenten und seine Umgebung zu sammeln. Exemplarisch legte die Affäre Gongadse die rechtsstaatlichen Mängel in der Ukraine offen. Der Vorsitzende der parlamentarischen Untersuchungskommission, Lawrynowitsch, warf den Ermittlern vor, der Kommission die erforderlichen Informationen vorenthalten zu haben. Lawrynowitsch kritisierte, dass ein Teil der Informationen an die Öffentlichkeit gelangt sei, obwohl sie der Geheimhaltung unterlägen. 2 3 Die Gongadse-Affäre zeigte, wie wenig die Staatsorgane gewillt waren, sich an die gültigen Rechtsnormen zu halten und wie schlampig die Rechtsverfolgungsbehörden die Untersuchungen führten. 2 4 Der Präsident geriet infolge des Skandals im In- und Ausland unter Druck. International verlor der ukrainische Staat durch die Gongadse-Affäre erheblich an Ansehen. Besonders belastet wurde das Verhältnis zu den USA. Die Ukraine war der nach Israel und Ägypten größte Geldempfänger der USA gewesen. Wegen der Gongadse-Affäre äußerte US-Präsident George W. Bush seine Besorgnis über die Einhaltung von Demokratie und Menschenrechten in der Ukraine und drohte damit, die finanzielle Unterstützung für die Ukraine zu reduzieren. Auch der Europarat kritisierte i m Zusammenhang mit der Gongadse-Affäre mehrfach die Mängel bei der Einhaltung von Bürger- und Menschenrechten in der Ukraine. Nach Einschätzung des Europarates hatte sich die Situation in der Ukraine seit 1998/1999 zunehmend verschlechtert. Die Affäre um den Journalisten Gongadse und der Abhörskandal waren nach Einschätzung des Europarates nur der Gipfel einer langfristigen Entwicklung, in deren Verlauf Pressefreiheit und demokratische Rechte eingeschränkt wurden. Die Ukraine verletze eindeutig die Prinzipien des Europarates in Bezug auf Menschenrechte und Pressefreiheit, so die Kritik aus Strassburg. 25 A m 5. April 2001 empfahl das Komitee des Europarates für Bildung und Kultur, die Mitgliedsrechte der Ukraine zu suspendieren. Strassburg begründete dies mit „dem Machtmissbrauch durch staatliche Organe, vor allem in Form von Unterdrückung der Meinungsfreiheit und der Unterdrückung der Opposition". 2 6 In der Ukraine bildeten sich mehrere Organisationen als Protestforen von Bürgern gegen Kutschma und seine Umgebung. Als erstes gründeten 15 namhafte ukrainische Politiker, darunter der ehemalige Justizminister Holowatij, Sozialistenführer Moros und Taras Tschornowil, der Sohn des verunglückten Ruch-Gründers Kohl, A s t r i d , 2000: S c h w e r e V o r w ü r f e g e g e n K u t s c h m a i n K i e w , i n : NZZ, 9. 12. 2000. Am 26. 2. 2001 erhob die Generalstaatsanwaltschaft Anklage gegen Unbekannt wegen Mordes an Gongadse, vgl. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Februar 2001, S. 3. 25 „W Radi Jewropi serjosno stawljatsja do skandalu w Ukrajini", in: Ukrajins'ka Prawda, 9. 12. 2000. 26 Zitiert nach: Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, März 2001, S. 6. Wie schon mehrfach zuvor kam es dann doch nicht zu einer Suspendierung der Mitgliedsrechte der Ukraine durch den Europarat. 23
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Wjatscheslaw Tschornowil 2 7 , am 9. Februar 2001 die Bürgerinitiative „Forum zur nationalen Rettung". Die Bürgerinitiative hatte sich nicht nur das Ziel gesetzt, Kutschma aus dem A m t zu entfernen, sondern auch die Ukraine in eine parlamentarische Republik zu verwandeln. Außerdem entstanden die Organisationen „Ukraine ohne Kutschma" und „Für die Wahrheit", die ebenfalls weitreichende Forderungen formulierten. Ziel dieser Oppositionsgruppierungen war „nicht die Ablösung des einen Präsidenten durch den anderen, sondern ein grundlegender Umbau des politischen Systems". 2 8 I m April 2001 verständigten sich diese drei Initiativen darauf, ein Referendum zu initiieren, um Kutschma aus dem A m t zu entfernen. M i t einer Reihe von Demonstrationen unter dem Motto „Ukraine ohne Kutschma" wurde der Präsident zum Rücktritt aufgefordert. Das Bündnis der drei Protestbewegungen zerfiel bald wieder, da es sich um ein Konglomerat sehr heterogener Gruppierungen handelte. Die Idee eines Referendums propagierten nur noch Tymoschenko und Moros, wobei sie unterschiedliche Vorstellungen von der jeweiligen Fragestellung hatten. 2 9 Ein Stab zur Durchführung des Referendums begann Unterschriften in mehreren Gebietshauptstädten zu sammeln, wurde dabei nach eigenen Angaben jedoch von den örtlichen Behörden behindert. Als die Unterschriftenlisten der Zentralen Wahlkommission vorgelegt wurden, weigerte sich die Behörde, die Listen zu registrieren. Die Zentrale Wahlkommission begründete ihre Ablehnung mit Formfehlern. Zum anderen erklärte sie, die geplanten Fragen könnten nicht bei einer Volksabstimmung vorgelegt werden, da sie verfassungsändernden Charakter trügen. 3 0 Der Druck von der Straße manifestierte sich in sogenannten Zeltstädten, die nicht nur im Kiewer Stadtzentrum, sondern auch in anderen Städten des Landes aufgebaut wurden. M i t diesem Protestmittel hatten streikende Studenten 1990 den
27 Das Auftauchen der Tonbänder hat Gerüchten neue Nahrung gegeben, dass der Tod des Ruch-Vorsitzenden Wjatscheslaw Tschornowil im März 1998 kein Autounfall, sondern ein Attentat war. Auf einem der Melnytschenko-Tonbänder ist die Stimme eines Offiziers zu hören, der berichtet, dass der Autounfall, bei dem Tschornowil umkam, ein geplanter Mord gewesen sei. Der Offizier sei selbst daran beteiligt gewesen, heißt es an einer Stelle. 28 Zitiert nach: Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, März 2001, S. 11. 29 Tymoschenko plädierte für folgende Variante der Referendumsfrage: „Glauben Sie, dass sich der ukrainische Präsident L. D. Kutschma an die Oberhoheit des Gesetzes hält und fähig ist, seinen Rücktritt vom Präsidentenamt gemäß Art. 109 Verf. zu erklären?" Der Sozialistenchef Moros hingegen befürwortete folgende Fragestellung: „Glauben Sie, dass die Amtsführung von Präsident L. D. Kutschma zu Verletzungen der Bürgerrechte und -freiheiten führte und das internationale Ansehen der Ukraine beschädigt hat? Glauben Sie, dass L. D. Kutschma daher seinen Rücktritt vom Präsidentenamt gemäß Art. 108 und 109 Verf. erklären sollte?" Moros wollte in dem geplanten Referendum eine weitere Frage über die Stärkung der parlamentarischen Kompetenzen stellen. Vgl. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Mai 2001, S. 11. 30 Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Mai 2001, S. 12
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Rücktritt des damaligen Ministerpräsidenten Masol erzwungen. Diesmal forderten die Jugendlichen den Rücktritt nicht nur des Präsidenten, sondern auch vieler hochrangiger Repräsentanten des Staates. 31 U m dem Präsidenten den Amtsverzicht zu erleichtern, brachte der Parlamentsabgeordnete Terjochin einen Gesetzesentwurf ein, wonach Kutschma und seiner Familie für den Fall des freiwilligen Rücktritts Sicherheitsgarantien gegeben würden. Man versuchte somit ähnlich wie in Russland beim Rücktritt Boris Jelzins zum Jahreswechsel 2001, den ukrainischen Präsidenten mit einer großzügigen Apanage zum freiwilligen Amtsverzicht zu bewegen. Damit sollte der Weg frei gemacht werden zu vorzeitigen Neuwahlen. 3 2 A m 9. März 2001 kam es unter Beteiligung der Oppositionsforen in Kiew zur landesweit größten Demonstration gegen Kutschma. Etwa 10.000 Menschen beteiligten sich an einem Protestmarsch durch das Stadtzentrum zum Gebäude der Präsidialadministration. Eine radikale Gruppe unter den Demonstranten durchbrach die Sicherheitsabsperrung um das Gebäude. Dabei kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten, wobei etwa 50 Menschen verletzt wurden. Die Polizei verhaftete am selben Tag 217 Personen. Bis Ende des Monats blieben 13 von ihnen in Haft. Der staatliche Sicherheitsdienst SBU zog die Ermittlungen wegen des Tatbestandes der Organisation massenhafter Unruhen an sich. 3 3 I m Parlament büßte Kutschma die propräsidentielle Mehrheit ein, nachdem die Partei von Vizepremierministerin Tymoschenko, „Bat'kiwschtschyna", ausgetreten war. Tymoschenko wurde nun zu einer der zentralen Figuren der außerparlamentarischen Opposition und propagierte die Idee eines Referendums, mit dem Kutschma zum Rücktritt gezwungen werden sollte. 3 4 Nach dem Referendumsentwurf von Tymoschenko sollten Parlament und Regierung stark aufgewertet werden und die Regierung nur noch dem Parlament verantwortlich sein. Das „Forum zur nationalen Rettung" strebte eine zweite „samtene Revolution" an, mit der der Präsident auf repräsentative Aufgaben beschränkt werden sollte. 3 5
31 Rücktrittsforderungen richteten sich an den Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates Martschuk, den Generalstaatsanwalt Potebenko, den Leiter der Präsidialadministration, Lytwyn, den Chef der Steuerbehörde, Asarow und den Präsidenten des Staatlichen Fernsehens, Dolganow. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, März 2001, S. 1 32 Ebda. 33 Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, März 2001, S. 16. 34 Tymoschenko erkannte schon frühzeitig ihre Chance, aus den antipräsidentiellen Bewegungen eine Wahlplattform für die kommenden Parlamentswahlen zu formen. Außerdem erklärte sie bereits im April 2001 ihre Absicht, bei den Präsidentschaftswahlen 2004 anzutreten. Vgl. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, April 2001, S. 12.
35 Ludwig, 2001c.
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Nach anfänglicher Untätigkeit, die auf der Annahme basierte, die Affäre würde sich totlaufen, entließ Kutschma zunächst Geheimdienstchef Derkatsch. A m 26. März entließ Kutschma nach wiederholten Protestkundgebungen auch Innenminister Krawtschenko, der als einer der Erfüllungsgehilfen beim Verschwinden von Gongadse angesehen wurde. 3 6 M i t der Entlassung des Innenministers wollte Kutschma der Opposition sein Einlenken signalisieren. Als neuer Innenminister wurde Jurij Smirnow ernannt, der bis dahin die Polizeieinheiten von Kiew geleitet hatte. 3 7 Kutschma selbst brachte nach altem Muster die Möglichkeit eines Referendums ins Gespräch. Die Bevölkerung solle dazu Stellung nehmen, wem es mehr vertraue, dem Präsidenten oder dem Parlament. Eine Präzisierung seines Vorschlags blieb jedoch aus. Insgesamt schienen Kutschma und die Präsidialadministration vom Krisenmanagement überfordert. Auch in den eigenen Reihen drohte der Rückhalt für den Präsidenten abzubröckeln. Deshalb stellte Kutschma auf dem Höhepunkt der Gongadse-Affäre alle Staatsdiener vor die Alternative: „Wer aktives Mitglied oder Sympathisant in einer oppositionellen Formation ist, soll sich innerhalb einer Woche entscheiden: entweder räumt er seinen Platz in den Machtorganen oder er distanziert sich öffentlich von solchen staatsfeindlichen Organisationen." 3 8 Die Situation spitzte sich i m Frühjahr 2001 weiter so zu, dass ein Rücktritt Kutschmas in greifbare Nähe rückte. Moros gab dem Präsidenten nur noch wenige Monate i m A m t . 3 9 Die einzigen, die dem Präsidenten öffentlich zu Hilfe eilten, waren der Parlamentsvorsitzende Pljuschtsch und Premierminister Juschtschenko. Zusammen mit dem Präsidenten unterzeichneten sie am 13. Februar 2001 die „Erklärung der drei", in dem die Protestaktionen der Opposition gegen Kutschma mit faschistischen Methoden gleichgesetzt wurden. In der öffentlichen Erklärung wurden die Demonstrationen als „psychologische Kriegsführung" und „Gefahr für die nationale Sicherheit" verurteilt. 4 0 Es wurde vermutet, dass Juschtschenko, der sich bis dahin aus der Affäre weitgehend herausgehalten hatte, zu seiner Unterschrift unter das Dokument genötigt worden war 4 1 Jedenfalls verhinderten die öffentlich-
36 Kohl, 2001a. 37 Die Opposition beschuldigte Smirnow, für die Übergriffe der Polizei auf Demonstranten am 9. März 2001 vor der Präsidialadministration verantwortlich zu sein. Vgl. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, März 2001, S. 4. Infolge der Ausschreitungen gegen die Demonstranten wurde gegen 20 Polizeiangehörige ein Disziplinarverfahren durchgeführt. 38 Zitiert nach: Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, März 2001, S. 3. 39 „Das Regime ist kriminell". Interview mit Olexandr Moros, in: Der Spiegel 8/2001, S. 140. 40 Zitiert nach: Ukrajins'ka Prawda, 13. 2. 2001. 41 Die Kommentatoren der Zeitschrift „Serkalo Nedeli" vermuten, dass diese öffentliche Erklärung Kutschma das Amt gerettet hat. Dennoch sei das Misstrauen Kutschmas gegen
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keitswirksame „Erklärung der drei" sowie der Rückhalt, den Kutschma beim russischen Präsidenten Putin genoss, einen Rücktritt des schwer angeschlagenen Präsidenten Kutschma. Der Druck der Öffentlichkeit erwies sich als zu schwach, um Kutschma zum Aufgeben zu zwingen. Zwar erklärten 41 Prozent bei einer Umfrage, dass sie die Tonbänder für echt hielten und daher an eine Verwicklung des Präsidenten in die Ermordung des Journalisten glaubten. Trotzdem erwarteten nur 2,5 Prozent, dass Kutschma zurücktreten werde. 4 2 Die öffentlichen Proteste gegen Kutschma ebbten bald ab. Bald danach trat wieder der Normalzustand politischer Gleichgültigkeit ein, der für die Ukraine kennzeichnend ist. Die geringe Unterstützung für die Opposition war auch darauf zurückzuführen, dass viele Bürger um die eigene Sicherheit fürchteten und Repressalien am Arbeitsplatz befürchteten. 43 Zudem waren viele angesichts der verwirrenden und widersprüchlichen Informationen zur Gongadse-Affäre überfordert, sich eine eigene Meinung zu bilden, und zeigten sich bald desinteressiert. Wie bereits 1991 war der Druck einer zahlenmäßig geringen Gegenöffentlichkeit nicht ausreichend, um einen Wechsel der Eliten herbeizuführen. Es wurde klar, dass Kutschma nicht vorzeitig aus dem A m t scheiden würde. Auch i m Parlament fand sich keine erforderliche Mehrheit, um ein Amtsenthebungsverfahren zu initiieren. Der Antrag Ende Mai 2001, die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens auf die Tagesordnung zu setzen, scheiterte in der Werchowna Rada. Nur 200 Abgeordnete statt der erforderlichen 226 stimmten dafür, das Thema überhaupt zu behandeln. 44
Juschtschenko dadurch nicht beseitigt worden. So habe Kutschma den Premierminister im Verdacht gehabt, dieser sei persönlich am Lancieren der Tonbänder beteiligt gewesen. Vgl. Mostowaja, Julija/Rachmanin, Sergej: Ukraina partijnaja. Tschast' II. „Nascha Ukrajina", in: Serkalo Nedeli, 16.-22. 2. 2002, S. 1/2. Dort wird Kutschma mit den Worten zitiert: „Wenn der Präsident (in der Gongadse-Affäre, Erg. d. Verf.) die Nerven verloren hätte und zurückgetreten wäre, wer hätte dann die Amtsgeschäfte geführt? Juschtschenko, der Premierminister. Klar, wer dann bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen gewonnen hätte...". Kutschmas Argwohn gegenüber Juschtschenko wurde zusätzlich genährt, als der Financier George Soros aus den USA in einem Artikel der „Financial Times" vom 2. März 2001 Kutschma dazu aufforderte, seine Vollmachten bis zur Aufklärung des Falles Gongadse dem Premierminister zu übertragen. Solange die Schuldigen nicht gefunden und zur Verantwortung gezogen würden, sollte die internationale Staatengemeinschaft die Kontakte zu Kutschma abbrechen, erklärte Soros. Zitat nach: Monatsbericht des Kiewer Zentrum für politische Studien und Konfliktologie, März 2001, S. 7. 42 Bos, 2002, S. 477. « Lewschin, 2001: S. 17. 44 Vor allem das „Linke Zentrum" und „Bat'kiwschtschyna" plädierten für die Initiierung eines Amtsenthebungsverfahrens. Mit Nein oder Enthaltung votierten die Oligarchenparteien „Trudowa Ukrajina", „Vereinigte Sozialdemokratische Partei", „Demokratytschnyj Sojus", „Solidarnist'", „Regiony Ukrajiny", die Grüne Partei, die „Volksdemokratische Partei" und „Jabluko". Vgl. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Mai 2001, S. 4.
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Die Gongadse-Affäre zeigte exemplarisch den Systemmangel des Präsidentialismus auf. Der Präsidentialismus sieht neben dem Impeachment-Verfahren keine weiteren Möglichkeiten vor, einen Präsidenten aus dem A m t zu entfernen, wenn dieser sich als unfähig erwiesen hat und in der Bevölkerung über kein Vertrauen mehr verfügt. 4 5 In solchen Situationen erweist sich dieser Systemtyp als sehr unflexibel für Veränderungen. So konnte Präsident Kutschma schon im Sommer 2001 sicher sein, dass er trotz öffentlicher Beschädigung weiterhin im A m t bleiben würde. Auch die kritische Haltung des Auslands hatte sich in der Zwischenzeit relativiert. Kutschma stellte mit Erleichterung fest, der Tonbandskandal sei eine „praktisch umgeschlagene, aber unvergessene Seite" in der ukrainischen Geschichte 4 6 Die politischen Kreise gingen zur Normalität über, was sich u. a. darin bemerkbar machte, dass der politische Druck auf die Massenmedien, der auf dem Höhepunkt der Krise merklich nachgelassen hatte, wieder zunahm. Trotz aller Bemühungen konnte die Affäre Gongadse bisher nicht zweifelsfrei geklärt werden. A u f Betreiben der parlamentarischen Untersuchungskommission ließ der amerikanische Geheimdienst F B I die Tonbänder überprüfen. Dabei kam man im Februar 2002 zu dem Ergebnis, dass die Aufnahmen keine Montage darstellten, sondern echt seien 4 7 Die Stimmen könnten mit hoher Wahrscheinlichkeit als die Kutschmas, Krawtschenkos und Lytwyns identifiziert werden 4 8 Der Sekretär der parlamentarischen Untersuchungskommission Holowatij verfasste eine Botschaft an die Regierungen der Europaratsmitglieder sowie an die der USA und Kanadas. Darin wurden diese Regierungen aufgefordert, sich vom ukrainischen Präsidenten Kutschma zu distanzieren, da die Melnytschenko-Tonbänder „rechtswidrige Handlungen von hohen Amtsträgern der Ukraine bewie« 49
sen . Die Sozialistische Partei versuchte unterdessen, aus dem Skandal politisches Kapital zu ziehen und stellte den Urheber der Bänder, Melnytschenko, als Kandidat für die Parlamentswahlen i m März 2002 auf. Für Melnytschenko wurde der als sicher geltende Listenplatz 15 reserviert. Der Sozialistenchef Moros argumentierte, nur wenn der ehemalige Leibwächter die Abgeordnetenimmunität genieße,
45 Vgl. Bos, 2000: S. 33. 46 Zitiert nach: Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Juni 2001, S. 1. 47 „Pliwky Mel'nytschenka sprawschni abo Chto i koli sjade na nary?", in: Ukrajins'ka Prawda, 7. 2. 2002. 48 Ein dem widersprechendes Gutachten, das von der präsidentenfreundlichen Partei „Werktätige Ukraine" bei der US-Firma Kroll in Auftrag gegeben wurde, kam hingegen zu dem Ergebnis, dass es keine Beweise für die Beteiligung Kutschmas an dem Mord gebe und dass die Echtheit der Melnytschenko-Bänder zweifelhaft sei. Vgl. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, September 2001, S. 17. 49 „Tak Kutschma stawaw Lukaschenkom", in: Ukrajins'ka Prawda, 12. 2. 2002.
II. Die Gongadse-Affäre und der Tonbandskandal
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könne er gefahrlos aus seinem politischen Asyl, das die USA Melnytschenko i m April 2001 gewährt hatten, in die Ukraine zurückkehren und zur weiteren Aufklärung der Affäre beitragen. 50 Die Zentrale Wahlkommission lehnte es jedoch ab, Melnytschenko als Kandidat zuzulassen. Sie argumentierte, das Wahlgesetz schreibe vor, dass zur Zulassung als Kandidat die betreffende Person in den letzten fünf Jahren ihren Wohnsitz in der Ukraine gehabt haben müsse. Dies sei bei Melnytschenko nicht der Fall. Außerdem sei die Ausreise Melnytschenkos am 26. November 2000 aus der Ukraine illegal erfolgt. Damit habe Melnytschenko gegen Art. 8, Abs. 2 des Wahlgesetzes verstoßen. 51 Diesen Bescheid der Zentralen Wahlkommission ließ die Sozialistische Partei vor dem Obersten Gericht anfechten, das die Klage jedoch zurückwies. Aus Gründen „von unglaubwürdigen Angaben über den tatsächlichen Wohnort Melnytschenkos während der letzten fünf Jahre" bleibe seine Ablehnung als Kandidat rechtskräftig, entschied das Oberste Gericht i m Februar 2002 in letzter Instanz. 5 2 Die Sozialistische Partei, die sich der Aufklärung des Falls Gongadse besonders verschrieben hatte, forderte vergeblich die Ablösung des Generalstaatsanwalts M y chajlo Potebenko. Dieser sei in der Sache befangen, weil auch seine Stimme auf den Tonbändern zu identifizieren sei und er deshalb in die Affäre persönlich verstrickt sei. Solange Potebenko General Staatsanwalt sei, werde eine Klärung des Falles mit Sicherheit verhindert. 5 3 Obwohl ein Abschluss noch aussteht, hatten die Affäre Gongadse und der Tonbandskandal gezeigt, dass die Macht des Präsidenten zwar zum Schwanken, jedoch nicht zum Einsturz gebracht werden konnte. Es erwies sich, dass der präsidiale Teil der Exekutive das stärkste und stabilste Machtzentrum i m ukrainischen Staatsgefüge darstellt und selbst massivem Druck aus dem In- und Ausland standhalten kann. Kaum hatte sich die Entrüstung des Westens über die Affäre Gongadse gelegt, da belasteten weitere Skandale den Präsidenten. A m 4. Oktober 2001 war es über dem Schwarzen Meer zu einem zunächst ungeklärten Absturz einer russischen Tupolew-Maschine mit israelischen Passagieren an Bord gekommen. Das ukrainische Militär leugnete gegen besseres Wissen zunächst jede Verwantwortung, musste dann jedoch öffentlich eingestehen, dass eine fehlgeleitete ukrainische Rakete das Flugzeug abgeschossen hatte. Zur allgemeinen Empörung kommentierte Kutschma das Unglück mit den Worten: „Es besteht kein Grund, aus dem Flugzeugabsturz eine Tragödie zu machen. Fehler passieren überall. Es hat schon schlimmere Tragödien in anderen Teilen der Welt gegeben." 5 4
50
„Kutschma, jak saporuka nepowernennja Mel'nytschenka do Ukrajiny", in: Ukrajins'ka Prawda, 8. 2. 2002. si Ebda. 52 „Mel'nytschenku widmowyly u reestraziij", in: Ukrajins'ka Prawda, 8. 2. 2002. 53 „Ja schkoduju, schtscho ekspertysa na takomu wysokomu profesijnomu riwni ne buia prowedena schtsche rik tomu...", in: Ukrajins'ka Prawda, 8. 2. 2002.
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I m Frühjahr 2002 wurde der Präsident durch die Melnytschenko-Tonbänder erneut belastet, die beim Verfahren wegen Geldwäsche gegen den früheren Premierminister Lasarenko in den USA als Beweismaterial dienten. A u f den Tonbändern ist ein Gespräch Kutschmas mit dem Chef der Waffenexportbehörde Walerij Malew festgehalten. Darin gibt Kutschma genaue Anweisungen, wie die Lieferung von drei Radarsystemen vom Typ „Koltschuga" i m Wert von 100 Millionen Dollar an den Irak zu erfolgen habe. 5 5 Kutschma hat eine Verwicklung in einen Waffenexport in den Irak bestritten. Bis zum Herbst 2002 lagen keine Beweise für eine tatsächliche Lieferung der Systeme vor. Nach amerikanischen Angaben gibt es aber Hinweise darauf. Sollte diese Waffenlieferung tatsächlich erfolgt sein, hätte die Ukraine gegen den Beschluss des UN-Sicherheitsrates verstoßen, der Waffenlieferungen an den Irak verboten hat. Das Radarsystem, mit dem die Ortung von amerikanischen „Stealth"-Flugzeugen möglich sein soll, stellt nach Meinung von Experten eine große Gefahr für die Flugzeuge der USA und der Nato dar, die den irakischen Luftraum zum Teil kontrollieren. Nach eingehender Prüfung der Tonbandaufzeichnungen kam Washington zu der Überzeugung, dass an der Authentizität der Mitschnitte nicht zu zweifeln sei. Als Konsequenz setzten die USA im September 2002 ihre Finanzhilfe für die ukrainische Regierung aus und kündigten an, ihre Politik gegenüber dem Land und vor allem gegenüber Präsident Kutschma zu überdenken. 56 Betroffen von dem Zahlungsstopp sind rund 54 Millionen Dollar, die 2002 an die ukrainische Regierung zur Unterstützung politischer und wirtschaftlicher Reformen geflossen wären. Die Summe entspricht etwa 35 Prozent der gesamten westlichen Finanzhilfe in einem Jahr. 57 Auch die Beziehungen zur Nato kühlten infolge der „Koltschuga-Affäre" merklich ab. Nato-Generalsekretär George Robertson forderte von Kiew eine Stellungnahme und erklärte, die Beziehungen zwischen der Nato und der Ukraine seien in einer „sehr kritischen Phase". 5 8 Außenminister Slenko räumte ein, dass das belastende Tonband bei einer „Diskussion" im Präsidentenpalast mitgeschnitten worden sein könnte. Nach Slenkos Worten sei die ukrainische Regierung aber sicher, dass der Verkauf nie stattfand. 54
Zitiert nach: Lohmann, Manfred/Bohnet, Henri: Die Lage in der Ukraine nach dem amerikanischen Gegenschlag, Politischer Kurzbericht, Konrad-Adenauer-Stiftung, Kiew, Oktober 2001, S. 4. 55 Ludwig, 2002d. Das Gespräch Kutschmas mit Malew soll nach Aussage des früheren Leibwächters Mel'nytschenko am 10. Juli 2000 aufgezeichnet worden sein. Vgl. „Kutschma swynuwatschuet'sja u prodaschu sbroji Iraku", in: Ukrajins'ka prawda, 9. 5. 2002. Vgl. „Rosschyfrowka pres-konferenziji Mel'nytschenka: Derkatsch perekonaw ZRU", in Ukrains'ka pravda, 22. 5. 2002. 56 „Verdacht gegen die Ukraine", in: FAZ, 26. 9. 2002, S. 2. 57 Vgl. „USA suspendieren Finanzhilfe an die Regierung der Ukraine", dpa-Meldung, 24. 9. 2002. 58 Roser, 2002a.
III. Die Regierung Juschtschenko
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Britische und amerikanische Inspekteure untersuchten daraufhin in der Ukraine, ob das Land die Frühwarnsysteme an den Irak geliefert hat. Die Inspekteure konnten den Verbleib von vier Koltschugas aus ukrainischer Produktion nicht klären. Die Ukraine behauptete, dass die Frühwarnsysteme an China geliefert worden seien. Wegen einer Geheimhaltungsklausel wurde den Inspekteuren die Einsicht in Dokumente, die das Waffengeschäft beleuchten, verwehrt. China erklärte lediglich, es habe sich an die Sanktionen gegen den Irak gehalten, gab aber keine Auskunft darüber, ob die Koltschugas sich i m Land befinden oder an ein drittes Land geliefert worden sind. 5 9
III. Die Regierung Juschtschenko und der Konflikt mit den Oligarchen Wiktor Juschtschenko war der erste Regierungschef seit der Unabhängigkeit der Ukraine, der bei großen Teilen der Bevölkerung Vertrauen genoss und dessen Kabinett sich aus überdurchschnittlich vielen Reformkräften zusammensetzte. 60 Wie Leonid Kutschma stammt Wiktor Juschtschenko aus einem kleinen Dorf im Gebiet Sumy im Nordosten der Ukraine. 15 Jahre lang war Juschtschenko i m sowjetischen Bankenwesen tätig gewesen. 1993 wurde Juschtschenko Vorstandsvorsitzender der Nationalbank und 1997 zu ihrem Präsidenten berufen. Auch mit Juschtschenko an der Spitze konnte die Nationalbank keine unabhängige Geldpolitik verfolgen. Sie konnte sich den Interessen einzelner Gruppen nicht entziehen und führte partiell ihre lockere Kreditpolitik fort. Einen unabhängigen Kurs konnte die Nationalbank nicht verfolgen, weil sie sowohl dem Parlament als auch dem Präsidenten unterstellt ist. Immerhin schaffte es Juschtschenko, die Inflation zu stoppen und der Regierung Grenzen bei den Haushaltsausgaben zu setzen. Als sein Verdienst gilt die erfolgreiche Einführung der neuen Landeswährung Hrywna 1997. Dass Kutschma Ende 1999 den Nationalbankchef Juschtschenko zum neuen Regierungschef ernannte und dieser am 22. Dezember 1999 vom Parlament klar bestätigt wurde, galt allenthalben als gelungener Schachzug des Präsidenten. Berief er doch damit einen der wenigen renommierten ukrainischen Reformpolitiker, der bei I W F und Weltbank großes Ansehen genoss. Unter Juschtschenko konnte die Ukraine erstmals stattliche wirtschaftliche Erfolge aufweisen. I m Jahr 2000 erlebte die Ukraine die beste Wirtschaftsentwicklung seit ihrer Unabhängigkeit 1991. Zum ersten M a l wurde der Produktionsrückgang abgelöst von einem realen Wirtschaftswachstum. Das Bruttoinlandsprodukt stieg gegenüber dem Jahr 1999 um 6 Prozent. 61 Die Industrieproduktion nahm um 13 Prozent zu und die landwirtschaftliche Produktion stieg um gut 7 Prozent. 59 „Verbleib ukrainischer Radarsysteme unklar", in: FAZ, 28. 11. 2002, S. 5. 60 Vgl. Tomenko ! Olijnyk, 2000: S. 13.
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Η . Die politische Krise der Jahre 2000 und 2001
Juschtschenko gelang es nicht nur, die Zahlungsverbindlichkeiten gegenüber dem Ausland zu verringern und den Staatshaushalt zu entlasten, indem Subventionen und Vergünstigungen abgebaut wurden. Die Regierung beglich auch die Rentenschulden im öffentlichen Dienst ganz und die Lohnschulden teilweise, was in der Bevölkerung positiv vermerkt wurde. Das kurbelte die Nachfrage an und gab dem Staat verlorengegangene Glaubwürdigkeit zurück. Unter Juschtschenko wurde ein ausgeglichener Staatshaushalt für die Jahre 2000 und 2001 vorgelegt - auch dies hatte es in den Jahren vorher nicht gegeben. 62 Trotz der positiven wirtschaftlichen Bilanz geriet Juschtschenko zunehmend in die Kritik von Seiten des Parlaments und einem Teil der Medien. Das ukrainische Fernsehen verdächtigte Juschtschenkos amerikanische Ehefrau für den C I A zu spionieren. Die Erfolge der Regierung wurden in den Medien als großer Bluff hing e s t e l l t 6 3 Außerdem verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Präsident und Regierungschef zusehends, da Kutschma ihm seine wirtschaftliche Fortune und seine Beliebtheit beim Volk neidete. Symptomatisch waren die Demonstrationen während der Gongadse-Affäre, auf denen die Opposition den Rücktritt Kutschmas forderte und Juschtschenko als Nachfolger i m Präsidentenamt propagierte. Juschtschenko selbst versuchte sich aus der Gongadse-Affäre herauszuhalten. Schließlich ergriff er doch für den Präsidenten Partei und unterzeichnete die „Erklärung der drei", d. h. des Präsidenten, des Parlamentsvorsitzenden und des Premierministers, in der die Protestaktionen der Opposition als „kalte Kriegsführung" diffamiert wurden 6 4 Auch wenn der Eindruck entstand, Juschtschenko sei zur Unterschrift genötigt worden, war die Opposition, die in Juschtschenko eine Lichtgestalt gesehen hatte und ihn für ihren heimlichen Sympathisanten hielt, von dem Verhalten des Regierungschefs schwer enttäuscht. Zeigte sich doch darin Juschtschenkos zaudernder Charakter, der sich in Übervorsichtigkeit, Nachgiebigkeit und mangelnder Entschlusskraft äußerte. Mochte man die Linientreue Juschtschenkos als Versuch interpretieren, die ohnehin gespannten Beziehungen zu Kutschma nicht weiter zu belasten, oder darin reinen Kadavergehorsam sehen - es zeigte sich hier wiederum die generell schwache Position des Premierministers im Verhältnis zum Präsidenten. Die politische Handlungsfreiheit des Regierungschefs ist in der Ukraine stark eingeschränkt, und dies ist besonders dann der Fall, wenn die Position nicht mit einem Gefolgsmann des Präsidenten besetzt ist. Juschtschenko hätte mit seiner Entlassung rechnen
61
„In der Ukraine die besten Wirtschaftsergebnisse seit 1991", in: FAZ, 5. März 2001,
S. 18. 62
Olearchyk, Roman: Rada under pressure to pass 2001 budget, in: Kyiv Post, 12. 10. 2000, S.5B. 63 Kohl, 2001b. 64 Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Februar 2001, S. 2.
III. Die Regierung Juschtschenko
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müssen, wenn er in der Gongadse-Affäre den Präsidenten nicht öffentlich gestützt hätte. Bei aller ökonomischen Sachkunde und persönlichem Charisma fehlte Juschtschenko der politische Instinkt. „Wiktor Juschtschenko ist kein Diplomat und nicht einmal Politiker. Schlimmer noch, seine Meinung wird in der Bankowa (gemeint ist die Bankowa uliza, wo sich der Sitz des Präsidenten befindet, Anm. d. V.) nicht ernst genommen", urteilte die Kommentatorin Julija Mostowaja der Wochenzeitung „Serkalo Nedeli" über den Premierminister. 65 Juschtschenko fehlte es an einer starken Hausmacht sowie an einflussreichen Medien, die ihn stützten. So konnte er seine drohende Entmachtung nicht abwenden, die sich bereits Monate vorher angekündigt hatte. M i t sicherem Instinkt für die situative Schwäche Juschtschenkos formierte sich im Parlament unter der Ägide des stellvertretenden Parlamentvorsitzenden Medwedtschuk eine Front gegen den Regierungschef. Medwedtschuk forderte die Bildung einer Koalitionsregierung, bei der die Interessen der Parlamentsmehrheit gebührend berücksichtigt sein sollten. Für den Fall, dass Juschtschenko nicht auf diese Forderung eingehen würde, drohte Medwedtschuk mit der Abwahl des Regierungschefs per Misstrauensvotum. 66 Juschtschenko lehnte es jedoch ab, sein Kabinett umzubilden. Er sah in der ultimativen Position Medwedtschuks den Versuch, die Interessen der Oligarchenparteien durchzusetzen. Letztendlich ging es um die Besetzung von Ministerposten und Personalfragen. Die Abgeordnetengruppe „Wiedergeburt der Regionen" mit ihrem Führer Wolkow forderte vier Portefeuilles. Die „Vereinigte Sozialdemokratische Partei" wollte einige Gouverneursposten mit ihren Leuten besetzen. Juschtschenko verweigerte sich solchen Plänen, die seiner Meinung darauf abzielten, „die Regierung zu privatisieren ( . . . ) und zu einer Filiale der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei oder irgendeiner anderen Fraktion zu machen." 6 7 Kritik an der Regierung Juschtschenko hatte vor allem die Reform des Energiesektors ausgelöst. Die Branche war jahrelang von undurchsichtigen Industriegruppen kontrolliert worden, die Milliardenbeträge verdient hatten und dem Staat keine Steuern zahlten. Eine Verrechtlichung des Energiesektors, wie sie die Regierung Juschtschenko anstrebte, widersprach den materiellen Interessen dieser Industriegruppen und der hinter ihnen stehenden Oligarchen. Die Regierung hatte durch das Verbot von Bartergeschäften i m Energiesektor, also des Verbots der Entgegennahme von Waren für die Lieferung von Strom, einen erheblichen Zuwachs an Finanzmitteln erreicht. Damit konnten soziale Leistungen finanziert und der immense Schuldenberg an überfälligen Renten und Staatsgehältern abgebaut werden. 65
Mostowaja, 2000a. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Februar 2001, S. 6. 67 Zitiert nach: Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, März 2001, S. 2. 66
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Η . Die politische Krise der Jahre 2000 und 2001
Weil Juschtschenko sich den Forderungen auf Kabinettsumbildung jedoch dauerhaft widersetzte, initiierten die Oligarchenfraktionen im Parlament eine Unterschriftensammlung, um die Vertrauensfrage der Regierung auf die Tagesordnung zu setzen. 68 Treibende Kraft eines Misstrauensvotums waren die „Vereinigte Sozialdemokratische Partei", die „Demokratische Union", „Jabluko" und „Werktätige Ukraine". Unterstützt wurden sie von der Fraktion der Kommunisten, der N D P U und der „Progressiven Sozialistischen Partei". Dagegen konnte sich Juschtschenko auf ein Lager von etwa 80 Abgeordneten aus den beiden Ruch-Parteien, der Partei „Reformen und Ordnung", der Vaterlandspartei von Tymoschenko, „Solidarnist'" und einigen parteilosen Abgeordneten stützen 6 9 Diese Verteidigungsallianz des Premierministers warnte vor einer „kommunistisch-oligarchischen Verschwörung". Zunächst sollte Juschtschenko der Werchowna Rada den Rechenschaftsbericht seiner Regierung vorlegen. Dies fand in der Parlamentssitzung vom 17. April 2001 in einer emotional extrem aufgeheizten Atmosphäre statt. Über drei Millionen Unterschriften hatten die Befürworter des Premierministers in der Bevölkerung gesammelt. M i t Kisten voller Unterschriftenlisten bauten sie eine Art Verteidigungsring um die Rednertribüne i m Plenarsaal, als Juschtschenko seinen Regierungsbericht vortragen sollte. Der symbolische Verteidigungswall änderte jedoch nichts an der premierfeindlichen Haltung der Parlamentsmehrheit. 283 gegenüber 65 Abgeordneten erklärten die Arbeit der Regierung für „unbefriedigend". 7 0 Aus Protest gegen den drohenden Sturz Juschtschenkos unternahm die Ruch-Abgeordnete L i l i j a Hryhorowitsch i m Plenarsaal den Versuch der Selbstverbrennung, der jedoch unterbunden werden konnte, ohne dass die Abgeordnete zu Schaden kam. 7 1 Nach dieser Niederlage war das Ergebnis der Vertrauensfrage vorher bestimmt, die für den 26. April 2001 auf Antrag der Kommunisten auf die Tagesordnung der Werchowna Rada gesetzt wurde. 7 2 2 63 Abgeordneten sprachen Juschtschenko ihr Misstrauen aus. 69 Abgeordnete hatten gegen den Misstrauensantrag votiert. 7 3 Kutschma hatte während des Tauziehens um die Regierung nach außen Juschtschenko gestützt und die beiden Konfliktparteien zu einem Dialog aufgefordert. Zum Sturz Juschtschenkos äußerte Kutschma seine Unzufriedenheit. Er machte mangelnde 68 „Juschtschenku salyschylosja trochy bil'sche tyschnja", in: Ukrajins'ka Prawda, 17. 4. 2001. 69 Ebda. 70 Vgl. Kohl, 2001b.
71 Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, April 2001, S. 2. 72 An dem Tag jährte sich das Reaktorunglück von Tschernobyl zum 15. Mal. Kommentatoren bezeichneten die Absetzung der Regierung Juschtschenko daher als „politischen GAU". Vgl. Voß, Stefan: Politischer GAU am Jahrestag von Tschernobyl, in: Frankfurter Rundschau, 27. 4. 2001. 73 „Juschtschenko gestürzt. Kutschma sorgt sich um die Stabilität der Ukraine", in: FAZ, 27. 4. 2001.
III. Die Regierung Juschtschenko
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Gesprächsbereitschaft der Konfliktparteien dafür verantwortlich. Eine Reihe von Beobachtern unterstellten dem Präsidenten jedoch eine zweideutige Rolle. Kutschma hätte das Verbleiben Juschtschenkos i m A m t durchsetzen können, wenn er das gewollt hätte. Allerdings habe er dafür wenig Einsatz gezeigt. Offensichtlich kam dem Präsidenten die Gelegenheit zupass, seinen Premierminister loszuwerden, der ihm unbequem geworden war und den er als Konkurrenten betrachtete. Dabei hatte Juschtschenko stets seine Loyalität zu Kutschma bekundet: „ W i r haben einen vom Volk gewählten Präsidenten. Alle anderen Organe der exekutiven Gewalt sind aufgerufen, ihm bei der Verwirklichung des wirtschaftlichen Reformprogramms zu helfen. Wir haben die Verfassung zu achten und uns einzusetzen zum Wohl des Staates und des Volkes, das von uns keine politischen Intrigen erwartet, sondern die Lösung alltäglicher Probleme. Ich habe niemals politische Intrigen gesponnen und das wird auch so bleiben." 7 4 M i t frappierender Naivität charakterisierte er sein Verhältnis zu Kutschma als das eines „Sohnes zu seinem Vater", um damit zu unterstreichen, dass er an einer Konfrontation mit dem Präsidenten nicht interessiert sei. In der einheimischen Presse wurde Juschtschenko daher als politischer Romantiker und Illusionist dargestellt. Einer der Gründe seines Scheiterns war denn auch sein Unvermögen, sich eine politische Basis im Parlament zu schaffen. Juschtschenko fehlte die Gabe, über sein Regierungshandeln ausreichend zu kommunizieren und um Unterstützung zu werben. Das wurde ihm vor allem in Abgeordnetenkreisen übel genommen. 7 5 So hieß es in der Resolution des Misstrauensvotums über Juschtschenko, sein Kabinett habe nicht zufriedenstellend gearbeitet und sich einer Einigung mit dem Parlament über die Bildung einer Koalitionsregierung widersetzt. Aus Sicht Juschtschenkos stellte sich der Konflikt hingegen so dar, dass er die Wünsche vor allem der Oligarchenparteien nach Ministerposten abwehrte zugunsten seines aus Fachleuten bestehenden Kabinetts. Nachdem seine Regierung am 26. April 2001 per Misstrauensvotum durch Kommunisten und Oligarchenparteien gestürzt worden war, wurde allenthalben erwartet, dass er nun zur Opposition überwechseln würde. So erklärte der Ruch-Veteran Ihor Juchnowski i m Parlament: „ W i r haben den besten ukrainischen Premierminister verloren, aber einen nationalen Führer bekommen". 7 6 Dass Juschtschenko weiterhin eine herausgehobene Rolle in der ukrainischen Politik spielen würde, schien außer Zweifel, hatte er doch nach seinem Sturz durch das Parlament erklärt: „Ich trete ab, um wiederzukommen." 7 7 74 Juschtschenko wse schtsche ne chotsche buty presydentom, in: Ukrajins'ka Prawda, 24. 10. 2000. 75 Stepan Hawrysch: „Ja ne tworju wragow, a ischtschu drusej. Dasche sredy opponentow", in: Serkalo Nedeli No. 21 (345), 2. Juni 2001, S. 1 /4. 76 Zitiert nach: Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, April 2001, S. 12. 77 Ebda. 12 Hclmcrich
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Η . Die politische Krise der Jahre 2000 und 2001
Viele sahen in einem Bündnis mit der früheren „Gasprinzessin" und von Kutschma entlassenen Vize-Premierministerin Julija Tymoschenko die ideale politische Verbindung, die einen Neuanfang in der Ukraine herbeiführen würde. 7 8 Tymoschenko selbst warb so hartnäckig wie erfolglos für ein Bündnis mit Juschtschenko. Sie sei bereit mit Juschtschenko zusammen zu arbeiten, die eigenen Ambitionen hintanzustellen und „die Arbeit zu tun, die das Team mir aufträgt". 7 9 Doch Juschtschenko wollte mit der Oppositionsbewegung um Tymoschenko nichts zu tun haben und zog es stattdessen vor, eine eigene politische Plattform zu bilden. Er vermied auch nur den Anschein, dass er eine oppositionelle Position gegenüber dem Präsidenten einnehme. Juschtschenko beteuerte, eine Alternative zur Staatsmacht aufzeigen zu wollen und trotzdem treu zum Präsidenten zu stehen. 80 Statt seiner Enttäuschung über seine Entlassung Luft zu machen und auf Distanz zum Präsidenten zu gehen, brach Juschtschenko den Kontakt mit Kutschma nicht ab. Bei den Nationaldemokraten, die aus Treue zu ihm nicht an der Bildung einer neuen Regierung mitwirken wollten, warb Juschtschenko für Anatolij Kinach, Kutschmas neuen Kandidaten für den Posten des Regierungschefs. Juschtschenko handelte aus der Überzeugung, dass auf absehbare Zeit seine politische Zukunft von Kutschmas Wohlwollen abhängen würde, und ließ sich von dem Werben der Opposition, die ihn an ihre Spitze stellen wollte, nicht beeindrucken.
IV. Die Regierung Kinach und die Konsolidierung der präsidialen Macht Nach dem Sturz des unbequem gewordenen Premierministers Juschtschenko schlug Präsident Kutschma dem Parlament einen Nachfolger vor, von dem er sicher sein konnte, dass er sich absolut loyal zu ihm verhalten würde. Dies war Anatolij Kinach, der seit 1997 den Verband der Industriellen und Unternehmer (USPP) geleitet hatte. Der Verband plädierte für ein langsames Reformtempo und nutzte diese zur Nomenklatura-Privatisierung. Da der Verband zu 90 Prozent ehemalige Staatsbetriebe repräsentierte, war er von Haus aus konservativ strukturiert. Seine Mitglieder strebten größtmögliche Vorteile bei der Neuverteilung von Staatsvermögen an. Kinach fiel innerhalb des USPP die Rolle des Administrators und Statthalters von Kutschma zu. Kinach hatte auch dann zum Präsidenten gehalten, als dieser in Verdacht geriet, das Verschwinden des Journalisten Gongadse angeordnet zu haben. Unbeeindruckt 78 „The Economist: ros'ednani, Tymoschenko i Juschtschenko unemoschlywyly prohres Ukrajiny", in: Ukrajins'ka Prawda, 9. 2. 2002. 79 Zitiert nach: Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, April 2001, S. 12. 80 Gretzkij, Michael: Ein Brief aus Kiew. Die letzte Barrikade, in: Informationsdienst Mittel und Osteuropa, H. 2 (8. Jg.), 2000, S. 14.
IV. Die Regierung Kinach
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von den Massenprotesten gegen den Präsidenten hatte Kinach im Frühjahr 2001 den USSP zur Verteidigung Kutschmas aufgeboten. „ W i r unterstützen weiterhin die Bemühungen des Präsidenten, gesetzeswidrige Aktionen zur Änderung der Verfassungsordnung zu unterbinden. Wir treten für eine Beibehaltung der präsidentiell-parlamentarischen Staatsform ein", erklärte Kinach auf dem Sonderkongress des USPP am 29. März 2001. 8 1 Kinachs Wechsel an die Spitze der Regierung stand auch i m Zusammenhang mit der Umorientierung der ukrainischen Außenpolitik. Da der USPP traditionell für eine starke Ausrichtung nach Russland eintrat, wurde Kinach von Moskau als ideale Besetzung i m A m t des Ministerpräsidenten begrüßt. Auch innenpolitisch verlief die Neubesetzung des Premierministeramtes reibungslos. Schon i m ersten Anlauf erhielt Kinach am 29. Mai 2001 die erforderliche Mehrheit im Parlament von 239 Stimmen. 8 2 Das eindeutige Ergebnis war Ausdruck des Mehrheitswillens, die Krise der vorausgegangenen Monate hinter sich zu lassen und zu politischer Normalität zurückzukehren. M i t dem Austausch des Premierministers wurde die Regierungskrise beendet, die zur Absetzung Juschtschenkos geführt hatte, und ein vorläufiger Schlussstrich unter die Gongadse-Affäre gesetzt. Kinach galt als Technokrat und politisch neutral. Er fand deshalb eine übergreifende Unterstützung von Sozialisten, Zentristen und den Oligarchenparteien. Die rechten Parteien und die Kommunisten stimmten gegen ihn. Die Ruch-Partei Udowenkos kündigte jedoch an, dass sie mit dem neuen Premierminister zusammen arbeiten werde. Kinachs wichtigster Vorzug bestand darin, dass er keiner Oligarchengruppierung zuzurechnen war. Der Aufstieg Kinachs hatte die Hoffnungen der Regionalelite von Dnipropetrowsk zunichte gemacht, ihren Kandidaten als Regierungschef durchzusetzen. Als Favorit aus den Dnipropetrowsker Kreisen hatte Serhij Tihipko gegolten, der unter Juschtschenko Vize-Premierminister für Wirtschaftsfragen war, dann Abgeordneter wurde und die Partei „Trudowa Ukrajina" leitete. 8 3 Kinach erschien als geeigneter Kandidat, um einen geregelten Übergang bis zu den nächsten Parlamentswahlen 2002 und eventuell sogar bis zu den Präsidentschaftswahlen 2004 zu gewährleisten. In diesem Sinne äußerte sich auch der stellvertretende Parlamentsvorsitzende Hawrysch, der erklärte: „Die Chancen Kinachs, Premier zu werden, hingen nicht von ihm ab, nicht von mir oder von den anderen Abgeordneten. ( . . . ) Alles hing davon ab, ob diejenigen der Person Kinachs zustimmen würden, die morgen um die Macht kämpfen werden." 8 4
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Zitiert nach: Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, März 2001, S. 14. 82 „Kinach ukrainischer Ministerpräsident", in: FAZ, 30. 5. 2001. 83 Ludwig, 2001 f. 84
Stepan Hawrysch: „Ja ne tworju wragow, a ischtschu drusej. Dasche sredy opponentow", in: Serkalo Nedeli No. 21 (345), 2. Juni 2001, S. 1 /4. 12*
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Die Umbesetzungen, die unter dem neuen Ministerpräsidenten im Kabinett vorgenommen wurden, waren mehr kosmetischer Natur und zeigten, dass man sich in erster Linie der Person Juschtschenkos hatte entledigen wollen. Aus der vormaligen Regierungsmannschaft Juschtschenkos, die aus 20 Ministern bestand, wurden 13 Mitglieder in das Kabinett Kinach übernommen. 85 Der Reformpolitiker Jurij Jechanurow, bis dahin Erster Vizepremierminister unter Juschtschenko, verlor seinen Posten in der Regierung, wurde dafür aber Erster Stellvertretender Leiter der Präsidialadministration, was beispielhaft illustriert, dass das ukrainische Kabinett und die Präsidialadministration von der Bedeutung her auf vergleichbarem Niveau anzusiedeln sind. Die frühere stellvertretende Ministerpräsidentin i m Kabinett Juschtschenko, Julja Tymoschenko, kam nach ihrer Freilassung aus der Untersuchungshaft und ihrem Engagement in der Opposition nicht mehr für ein Regierungsamt in Frage. 8 6 Tymoschenko verglich den Wechsel von Juschtschenko zu Kinach „ m i t dem Tausch eines guten Computers gegen einen archaischen Abakus".87 Die Interessen der Oligarchenparteien, die Juschtschenkos Sturz unter dem Vorwand der geforderten Koalitionsregierung betrieben hatten, wurden nur zum Teil berücksichtigt. So erhielt die „Vereinigte Sozialdemokratische Partei" zwei Ministerien und zwei Gouverneursposten. A u f Betreiben des Kutschma-Vertrauten Olexandr Wolkow gingen das Umweltministerium und der Posten des Vizepremiers für Agrarfragen an die „Demokratische U n i o n " . 8 8 Die Einflussnahme des Präsidenten auf die Bildung der Regierung Kinach war vielfach stärker, als dies bei der Vorgängerregierung der Fall gewesen war. Es wurde deutlich, dass Kinach keinen eigenen Gestaltungsspielraum hatte und ihn auch nicht anstrebte. I m Gegenteil stellte seine Regierung nur den verlängerten A r m der Präsidialadministration und des Präsidenten dar. Die problemlose Installierung einer neuen Regierung nach seinem Geschmack war für den noch vor wenigen Monaten schwer angeschlagenen Präsidenten ein überraschend großer Triumph. Der Westen reagierte auf die Absetzung Juschtschenkos und die Ernennung Kinachs als Nachfolger ablehnend und wertete den Regierungswechsel als Rückschlag für den Reformprozess. Der Internationale Währungsfonds nahm seine Zahlungen aus einem 2,6 Mrd. Dollar Kreditprogramm, die er Ende 1999 eingestellt 85
Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Mai 2001, S. 3. 86 Tymoschenko war im Januar 2001 vom Präsidenten entlassen worden. Ihr wurde vorgeworfen, als Chefin des Energiekonzerns EES große Mengen russischen Gases illegal exportiert, die Erlöse auf Auslandskonten umgeleitet und Steuern in Millionenhöhe hinterzogen zu haben. Mitte Februar 2001 wurde Tymoschenko für mehrere Wochen in Untersuchungshaft genommen, dann wurde ihr aus Gesundheitsgründen Haftverschonung gewährt. Im April wurde die Oppositionspolitikerin erneut festgenommen, nach massiven Protesten der Bevölkerung aber wieder freigelassen. Vgl. Ludwig, 200 ld. 87 Zitiert nach: „Kinach ukrainischer Ministerpräsident", in: FAZ, 30. 5. 2001. 88 Mostowaja, 2001.
I . Die Regierung
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hatte, nicht wieder auf. Er forderte weiterhin höhere Transparenz und eine bessere Bekämpfung der Korruption, besonders i m Energiesektor. Trotz verbesserter Wirtschaftsdaten seit 2000 und 2001 existiert nach Einschätzung westlicher Experten in der Ukraine ein hohes Risiko eines wirtschaftlichen Rückschlages. 89 Dies liegt daran, dass wesentliche Strukturschwächen wie die hohe zwischenbetriebliche Verschuldung nicht behoben wurden. Da dem Kabinett Kinach klare strategische Ziele fehlten, war nicht zu erwarten, dass der neue Regierungschef die strukturellen Probleme angehen würde. Vor allem mit seiner Erklärung, die heimischen Unternehmen mit „wirtschaftlich begründetem Protektionismus" stärker zu schützen, löste der Premierminister bei den internationalen Finanzorganisationen Befremden aus. 9 0 Zur Zusammenarbeit mit dem I W F betonte der Regierungschef, die Ukraine werde sich keinem „Diktat" beugen. Überdies wolle die Ukraine stärker privates Kapital in Anspruch nehmen. A n die Adresse der Werchowna Rada gerichtet, plädierte er für eine „erneuerte und vertiefte Zusammenarbeit von Legislative und Exekutive". 9 1 Als Ausdruck des neuen Verhältnisses zwischen Regierung und Parlament richtete Kinach einen ständigen Koordinierungsausschuss ein, dem Vertreter des Ministerkabinetts und des Parlaments angehören. 92 Dieser konsultative Rat tagte wöchentlich während der laufenden Sitzungsperiode und wurde im Co-Vorsitz vom Premierminister und vom stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden geleitet. In dem Ausschuss wurden Gesetzesentwürfe der Regierung vorberaten und mit Parlaments Vertretern abgestimmt. Damit wurde den Parlamentariern die Möglichkeit gegeben, bereits bei der Formulierung der Regierungspolitik mitzuwirken. Nach Einschätzung von Beobachtern wirkte sich dies positiv auf die Effektivität des Parlaments und die Anzahl der verabschiedeten Gesetze aus. 9 3 Der Präsident zeigte sich denn auch voll des Lobes über den geräuschlos arbeitenden, gewissenhaften Premierminister, dessen Arbeit transparent und nicht - so ein Seitenhieb auf den Vorgänger Juschtschenko - durch „Populismus und Selbstverliebtheit" gekennzeichnet sei. Obwohl der blasse Kinach so recht dem Geschmack Kutschmas entsprach, entließ er nichtsdestotrotz im November 2002 die Regierung Kinach nach eineinhalb Jahren in Amt. Die offizielle Begründung lautete, die Regierung sei „ i n Sozialfragen untätig" gewesen. Kutschma schlug den Gebietsverwaltungschef von Donezk, Wiktor Janukowytsch als neuen Ministerpräsidenten vor. 9 4 A m 21. November be2001 /2002, S. 208 ff. Vgl. „Kinach ukrainischer Ministerpräsident", in: FAZ, 30. 5. 2001. Vgl. Mittel- und Osteuropa, Perspektiven, Jahrbuch 2001 /2002, hrsg. u. a. vom FAZ-Institut, S. 206. 91 Zitiert nach: Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Mai 2001, S. 1. 92 Vgl. „Kinach ukrainischer Ministerpräsident", in: FAZ, 30. 5. 2001. 93 Vgl. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Juni 2001, S. 2. 89 V g l . M i t t e l - u n d O s t e u r o p a P e r s p e k t i v e n , J a h r b u c h
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stätigte die Werchowna Rada Janukowytsch mit einer knappen Mehrheit von 232 Stimmen als neuen Regierungschef. 95 Kutschma hatte Janukowytsch 1997 als Gouverneur von Donezk eingesetzt. Dort machte sich Janukowytsch als „harter Hund" einen Namen, indem er die Opposition aus- und die Medien gleichschalten ließ. 9 6 Janukowytsch - eine wuchtige Erscheinung von knapp zwei Metern Körpergröße und einem Gewicht von 115 Kilogramm - sorgte während der Parlamentswahlen 2002 dafür, dass dort der Präsidentenblock „Sajedu" den größten Stimmenanteil erhielt. Seine Ernennung zum Premierminister durch Kutschma wurde daher als Dankeschön des Präsidenten für das gute Wahlergebnis interpretiert. 97 Hoffnungen auf einen demokratischen Neubeginn wurden mit der Berufung Janukowytschs nicht verbunden. M i t der Umbesetzung des Premierpostens ging eine Aufwertung der Regionalelite des Kohlereviers Donezk einher. Janukowytsch ist der siebte Premierminister seit der Amtsübernahme von Präsident Kutschma 1994 und der zehnte Regierungschef seit der Unabhängigkeit 1991. Der ukrainische Politologe Wolodymyr Polochalo sah in dem Wechsel des Regierungschefs die Absicht Kutschmas, „günstige wirtschaftliche und politische Bedingungen für den Kandidaten der propräsidentiellen Partei der Macht zu schaffen". 98 Janukowytsch gilt als erklärter Wunschkandidat Kutschmas für seine Nachfolge. Janukowytsch ist jedoch umstritten aufgrund der Tatsache, dass er in seiner Jugend wegen „Aneignung von Staatseigentum in großem Ausmaß" i m Gefängnis saß. Janukowytsch gilt als „Rauhbein" dem auch Verbindungen zu dem Donezker Clanchef Rinat Achmetow nachgesagt werden. Als angeblicher Gefolgsmann Achmetows gelang es Janukowytsch, die blutigen Machtkämpfe regionaler Clans zu beenden. M i t dem Karrieresprung Janukowytschs auf den Posten des Premierministers erwarteten Beobachter in Kiew, dass sich die Clanstrukturen in der Wirtschaft weiter verfestigen. Auch wurde verstärkter Druck auf die Medien und eine intensivere Hinwendung nach Russland erwartet. 9 9 „Eine Regierung unter Janukowytsch wird uns sicher nicht näher zu Europa bringen", erklärte Anatolij Hryzenko, Direktor des Rasumkow-Instituts in Kiew.
94 „Leonid Kutschma wydwinul kandidaturu Wiktora Janukowitscha na post prem'era", in: Ukrajina.ru, nowosti, 15. 11. 2002. 95 Die Fraktionen „Nascha Ukrajina", „Block Julija Tymoschenko", die Kommunisten und Sozialisten nahmen an der Abstimmung nicht teil. Vgl. „Prem'er-ministr Janukowitsch perestroit Ukrainu po obrasu i podobiju Rossii", in: Ukrajina-ru, 21. 11. 2002. 9 6 Rosen 2002c. 97 „Janukowytsch: akademik, paraschutyst, rezydywist?", in: Ukrajins'ka prawda, 18. 11.2002. 98 „Janukowytsch - nowyj prem'er?", in: Ukrajins'ka prawda, 15. 11. 2002. 99 Ludwig, 2002h.
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Tabelle 3 Premierminister der Ukraine seit 1990 Premierminister
Herkunft
Amtszeit
Witold Fokin
Nomenklatura
10/1990-9/1992
Leonid Kutschma
Dnjepropetrowsker Clan
10/1992-9/1993
Juchym Swjahilskij
Donezker Clan
9/1993-6/1994
Witalij Masol
Nomenklatura
6/1994-3/1995
Jewhen Martschuk
Nomenklatura (KGB / SBU)
3/1995-5/1996
Pawlo Lasarenko
Dnjepropetrowsker Clan / EESU
5/1996-7/1997
Walerij Pustowojtenko
Dnjepropetrowsker Clan
7/1997-12/1999
Wiktor Juschtschenko
Ehemaliger Nationalbankchef
12/1999-5/2001
Anatolij Kinach
USPP-Vorsitzender
5/2001-11/2002
Wiktor Janukowytsch
Gouverneur von Donezk
seit 11/2002
Quelle: Bos, 2002, S. 459; „Prem'er-ministr Janukowitsch perestroit Ukrainu po obrasu i podobiju Rossii", in: Ukrajina-ru, 21. 11. 2002.
I. Transformation und Elitenbildung Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass die Akteure den ukrainischen Transformationsprozess maßgeblich beeinflussen und prägen. In der bisherigen Darstellung wurden die zentralen Entscheidungsträger Präsident, Premierminister, Parlaments Vorsitzender, Sekretär des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates und der Leiter der Präsidialadministration untersucht. Diese zentralen Akteure sind eingebettet in ein Geflecht von Elitenetzwerken, deren Struktur über die Durchsetzungschancen politischer Ziele entscheidet. Die Eliten in der Ukraine sollen i m Folgenden darauf untersucht werden, wie sie strukturiert sind und auf welche Weise sie den bisherigen Transformationsprozess beeinflusst haben.
I. Elitestrukturen zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1991 Die herrschenden Eliten der Ukraine zum Zeitpunkt des Systemumbruchs 1991 stellten keineswegs einen monolithischen Block dar. Die Eliten wurden aus „regionalen und hauptstädtischen Netzwerken (gebildet, Erg. d. Ver.), deren Ursprünge in Großbetrieben und Partei- oder Komsomolorganisationen" lagen. 1 Die besten Führungskräfte befanden sich in den Regionalzentren Donezk und Dnipropetrowsk, die wirtschaftliche Entscheidungen zum überwiegenden Teil direkt mit Moskau trafen. Demgegenüber konzentrierte sich in der Republikhauptstadt Kiew und vor allem i m Z K der K P U eine Nomenklatura zweiten Ranges. 2 Aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen war die ukrainische Führungsschicht 1991 inhomogen und in mehrere konkurrierende Teileliten gespalten. Mehrheitlich vor allem i m Osten, Süden und i m Zentrum trat sie für den Fortbestand von Unionsstrukturen ein, während nur eine Minderheit sich für eine radikale Abspaltung von Moskau einsetzte. Gegen 1988/89 entstand dann vor allem in der Westukraine und in Kiew eine Gegenelite, die sich zunächst aus Intellektuellen zusammensetzte und mit der Zeit auch einen kleinen, reformfähigen Teil der herrschenden Elite für sich gewinnen konnte. Diese Gegenelite war national orientiert, überwiegend ukrainischsprachig und besetzte damals kaum einflussreiche Posten in Politik und Verwaltung. Die Krise von 1991 überstanden die herrschenden sowjetischen Eliten der Ukraine weitgehend unbeschadet. Ein Austausch der herrschenden Eliten fand ι Lindner IMeissner, 2001: S. 27. „Oligarchi i oligarchy", in: Nesawisimaja gaseta, 23. 8. 2002, S. 5.
2
I. Elitestrukturen zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1991
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nicht statt, da keine politische Kraft dies hätte durchsetzen können. Die Oppositionsbewegung Ruch erwies sich dazu als zu schwach. Schon frühzeitig hatte sie eine Verständigung mit Reformkommunisten gesucht und damit das Modell vorgegeben, das für die ersten Jahre der Unabhängigkeit Gültigkeit haben sollte. Die neuen Eliten nach 1991 setzten sich überwiegend aus Mitgliedern der alten Eliten, die ihre gewohnten Praktiken von Bürokratismus, Organisationsroutine und Konservativismus beibehielten, sowie aus wenigen und nur zum Teil innovativeren Vertretern der Opposition zusammen. Aus taktischen Erwägungen holte Präsident Krawtschuk einige wenige Persönlichkeiten der Opposition in die Präsidialadministration und in die Regierung und neutralisierte dadurch die Opposition. 3 Ein völliger Austausch der Eliten wäre nicht realistisch gewesen, weil die Opposition schon rein zahlenmäßig nicht in der Lage war, in den wesentlichen Bereichen von Wirtschaft und Politik personelle Alternativen anzubieten. Auch fehlte den Vertretern der Opposition häufig die konkrete Erfahrung in Leitungsaufgaben. Während die Opposition relativ konkrete Vorstellungen bei der Neugestaltung in der Außen- und Kulturpolitik hatte, fehlte ihr für die Wirtschaftspolitik ein schlüssiges Konzept. Eine Zusammenarbeit von alten Eliten und Opposition war schon deshalb unvermeidlich. 4 Über die Modalitäten, wie die Macht verteilt werden sollte, kam es zwischen diesen beiden Lagern schnell zu Konflikten. M i t der Erlangung der Unabhängigkeit der Ukraine setzte bei großen Teilen der ukrainischen Elite ein tiefgreifender Bewusstseinswandel ein. Aus einer „provinziellen und uninteressanten Elite wurden Vertreter eines großen Staates, die international plötzlich auf höchster Ebene empfangen wurden. Sie erreichten soziale Positionen, von denen sie unter sowjetischen Verhältnissen nur träumen konnten". 5 Die ukrainischen Eliten wurden daher relativ schnell Befürworter der ukrainischen Unabhängigkeit, die ihnen Machtzuwachs und Statusgewinn bescherte. I m Gegensatz dazu begegnete die Bevölkerung der Unabhängigkeit länger mit Skepsis, weil sie keinen konkreten Nutzen darin erblickte. Die meisten Führungsebenen der Sowjetukraine waren stark weisungsgebunden von Moskau. Die Entscheidungen wurden meist in Moskau getroffen, dort konzentrierten sich die zentralen Behörden wie auch die qualifiziertesten Kräfte. In der Ukraine selbst wurden nur fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts verwaltet, 95 Prozent dagegen von Moskau aus. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1991 waren in ukrainischen Ministerien 13.000 Personen beschäftigt. Dies waren für die eingeschränkten Aufgaben zu Sowjetzeiten zwar sehr viele, für die Leitung eines eigenen Staats aber viel zu wenige. Und nur ein Teil von ihnen besaß die erforderliche Qualifikation für die neuen Leitungsaufgaben. 6 3 Vgl. Bos: 2001. 4 Vgl. Kuzio, 1998a: S. 23 ff. 5 Zitiert nach: Holowacha, Jewhen: Otsutstwie sozial'nogo konflikta priwodit k degradazii obschtschestwa. No konflikt dolschen byt' konstruktiwnym", in: Den', 24. 10. 2000, S. 4.
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I. Transformation und Elitenbildung
Von daher hatte Russland Startvorteile, weil es das größte Führungspotenzial der Sowjetunion weiter an sich binden konnte. Die meisten Eliteangehörigen blieben in Moskau, nur wenige kehrten in ihre Heimatrepubliken zurück, um dort Leitungsaufgaben zu übernehmen. Die Ukraine stand wie andere Republiken vor der Aufgabe, Behörden und Ministerien neu aufzubauen. Das Außenministerium der Sowjetukraine 7 beispielsweise hatte aus 20 Mitarbeitern bestanden und war für die Erfordernisse des jungen Staates völlig unterbesetzt. Das Verteidigungsministerium und das Finanzministerium mussten nach 1991 komplett neu aufgebaut werden. Der Bedarf an Staatsbediensteten konnte infolgedessen nicht immer so befriedigt werden, dass qualifizierte Mitarbeiter die jeweils richtige Stelle besetzten. Schon zu Zeiten der Sowjetunion waren die Eliten der Ukraine nach regionaler Zugehörigkeit strukturiert. Als Regionaleliten mit überdurchschnittlich großem Einfluss galten die Eliten des Donbass-Kohlereviers und von Dnipropetrowsk. Diese beiden Regionaleliten waren durchweg russischsprachig. Sie verfügten über die besten Kontakte zur Republikhauptstadt Kiew und in die Moskauer Zentrale. Die Eliten der anderen ukrainischen Regionen konnten in Kiew und Moskau deutlich weniger Einfluss geltend machen. Nach 1991 kam es zu einer Ausdifferenzierung der regionalen Eliten. Es entstanden eine südliche Interessengruppe in den Gebieten Mykolajiw, Cherson und Odessa, eine östliche Gruppe in Charkiw, sowie Gruppen in L w i w , Kiew und auf der Krim. Donezk und Dnipropetrowsk, wo zusammen etwa 45 Prozent der ukrainischen Industrieproduktion erzeugt wurden, behaupteten ihre Bedeutung als einflussreichste Subzentren, die aufgrund ihres ökonomischen Potenzials den größten Einfluss in Kiew geltend machten. 8 In der Rivalität zwischen diesen beiden Subzentren gewann Dnipropetrowsk die Oberhand wegen der herausgehobenen Wirtschaftskraft im Gas-, Transport- und Rüstungssektor, in der Metallurgie sowie bei Finanzdienstleistungen. So gehört der Betrieb „Juschmasch" mit seinem Satellitenprogramm „Sea Launch" heute zu den wenigen ukrainischen Unternehmen von Weltmarktniveau. 9 Außerdem ist in Dnipropetrowsk die stark exportorientierte Röhrenindustrie angesiedelt. Großen Einfluss genießt auch die in dieser Stadt ansässige „Privatbank". Sie hat sich, nachdem sie Kutschma bei dessen Präsidentschaftskandidatur 1994 massiv unterstützt hatte 1 0 , zu einer der größten Banken der Ukraine entwickelt. Dnipropetrowsk hat 6 Nordberg, 1998: S. 43. 7 Als Mitglied in den Vereinten Nationen seit 1945 verfügte die Ukrainische SSR während der Sowjetunion über ein eigenes Außenministerium. Die formale Mitgliedschaft in der UNO als Ergebnis eines politischen Nachkriegskompromisses zwischen der Sowjetunion und den Westmächten hatte jedoch nur symbolischen Wert. 8 Lindner, 1998: S. 927. Pleines, 1998: S. 367. 9 Das Unternehmen „Sea Launch" bietet kommerzielle Satellitenstarts von einer Plattform im Pazifischen Ozean an. An „Sea Launch" ist „Juschmasch" zu 15 Prozent beteiligt. Außerdem sind Boeing (USA), Kvaerner Rosenberg (Norwegen) und der russische Konzern RKK Energija daran beteiligt.
I. Elitestrukturen zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1991
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seinen wirtschaftlichen Einfluss inzwischen auf das Gebiet Luhansk ausgedehnt, so dass beide zusammen als ein zusammengehöriges Subzentrum gesehen werden. 1 1 Die Elite aus Dnipropetrowsk verfügt über die meisten Einflussmöglichkeiten auf das Zentrum und ist innerhalb und außerhalb des Parlaments und der Machtorgane überproportional vertreten. 12 Wie in den meisten postsowjetischen Staaten bleibt auch in der Ukraine die Hauptstadt das Zentrum von Ressourcenverteilung und Interessenkonkurrenz. Die Regionaleliten drängen in das Zentrum, um dort Entscheidungsprozesse aus der Nähe beeinflussen zu können. Parallel zu der Herausbildung von Regionaleliten haben sich Oligarchengruppen gebildet. Diese sind mit den Regionaleliten nur partiell deckungsgleich. Nukleus der Oligarchengruppen waren die Finanz-Industrie-Gruppen, die sich Mitte der 90er Jahre herausgebildet hatten und die auch von Kutschma aktiv gefördert wurden. In der Ukraine werden heute vier große Oligarchengruppen unterschieden, die ihre Basis überwiegend in der wirtschaftlich starken Ostukraine haben. Dies ist zum einen die Donezk-Gruppe mit Rinat Achmetow sowie dem Vorsitzenden der Liberalen Partei, Wolodymyr Schtscherban an der Spitze. Zur Dnipropetrowsker Gruppe, die im Parlament mit der Partei „Trudowa Ukrajina" („Werktätige Ukraine") assoziiert ist, gehören die Oligarchen Wiktor Pintschuk 1 3 , Andrij Derkatsch 1 4 und Serhij Tihipko. Schließlich bilden die Schlüsselfiguren Olexandr Wolkow und Ihor Bakaj die dritte Oligarchengruppe aus der Ostukraine. 15 Die „Vereinigte Sozialdemokratische Partei" SDPU(o) mit dem Oligarchentandem Wiktor Medwedtschuk und Hryhorij Surkis hat hingegen in der Zentral- und Westukraine eine dominante Stellung. Jede einzelne Oligarchengruppe stellt ein „Riesenkonglomerat von miteinander durch Kreuzbeteiligungen verbundenen Unternehmen aus den verschiedensten Wirtschaftsbranchen" 16 dar. Die Oligarchengruppen legen Wert auf ihre Medienpräsenz und auf Abgeordnetenmandate, die ihnen den Schutz vor Strafverfolgung sichern und politische Einflussnahme ermöglichen. Es wäre jedoch falsch, von einer Omnipräsenz oligarchischer Strukturen zu sprechen. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme haben Oligarchen noch nicht die gesamte Ukraine unter sich
10
Unter anderem setzte die Privatbank die ihr gehörende Zeitung „Kiewskie Wedomosti" für Kutschmas Wahlkampf ein. Vgl. East European Constitutional Review, Η. 1 (6), Winter 1997, S. 32. 11 „Who owns Ukraine?" In: Eastern Economist, January 22-28, 2001, S. 15. 12 Lindner, 1998: S. 927. 13 Pintschuk ist der Schwiegersohn von Präsident Kutschma. Vgl. MasaVskyj, Andrij: „Malosimejka", in: Tschas, No. 40, 19.-25. 10. 2001, S. 4. Vgl. Vosswinkel, Johannes: Bei Anruf Sendepause, in: Die Zeit, 27. 3. 2002, S. 12. 14 Andrij Derkatsch ist der Patensohn von Präsident Kutschma. 15 Vgl. Ott, 2001a: S. 5. Vgl. ebenso „Who owns Ukraine?" in: Eastern Economist, 22.-28. 1. 2001, S. 14 ff. 16 Durkot, 2002b: S. 12.
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I. Transformation und Elitenbildung
aufgeteilt, sondern es dürfte durchaus noch einige „weiße Flecken" auf der Landkarte geben. 1 7 Nach Einschätzung ukrainischer und russischer Politologen sind die Oligarchen in der Ukraine mit weit weniger Finanzmittel ausgestattet als in Russland. 18 Bei der Privatisierung von Staatsbetrieben waren sie wegen knapper Liquidität nicht in der Lage, diese allein unter sich aufzuteilen. Diesen Mangel der i m internationalen Vergleich schwachen Kapitalausstattung versuchen die ukrainischen Oligarchen dadurch auszugleichen, indem sie sich politische Einflussmöglichkeiten sichern. Die jüngsten Parlaments wählen i m März 2002 haben zwar gezeigt, dass die Bäume der Oligarchenparteien nicht in den Himmel wachsen. So hat der Wahlblock „Sa edynu Ukrajinu", der i m Wesentlichen aus Oligarchenparteien bestand, trotz massiver staatlicher Unterstützung nur knapp 11,77 Prozent der Zweitstimmen bekommen. Die Oligarchenpartei SDPU(o), die alleine angetreten war, hatte nur 6,27 Prozent der Zweitstimmen bekommen (s. dazu detailliert Kap. J. I I I . ) . 1 9 Allerdings wurden die Oligarchenparteien bei der Ämtervergabe bevorzugt behandelt. So wurde Wiktor Medwedtschuk (SDPU(o)) Leiter der Präsidialadministration. Der Donezker Gouverneur Wiktor Janukowytsch, der dem Achmetow-Clan zugerechnet wird, rückte i m November 2002 auf den Posten des Premierministers.
II. Elitenpolitik der Präsidenten Krawtschuk und Kutschma Beide Präsidenten der Ukraine, Krawtschuk und Kutschma, sind in gefestigte Elitenetzwerke integriert, die weit vor 1991 entstanden waren und die sich durch politischen Konservatismus und das „Festhalten an traditionellen sozialistischstaatspaternalistischen Werten" auszeichnen. 20 Krawtschuk entstammte der Parteinomenklatura, während Kutschma in der sowjetischen Wirtschaftselite groß geworden war. Krawtschuk schaffte sich nach 1991 mit der „Partei der Macht", die sich aus den Souveränkommunisten zusammensetzte, eine neue Herrschaftsbasis. Auch die Eliten in Industrie, Landwirtschaft und Technik, die der Unabhängigkeit bis 1991 feindlich oder gleichgültig gegenüberstanden, konnte er vielfach für seinen neuen Kurs gewinnen. In der Wirtschaftspolitik fehlten ihm freilich das Verständnis und die Durchsetzungsfähigkeit für tiefgreifende Reformen. Hier setzte er 17 Durkot, 2002b: S. 14. 18 „Oligarchi i oligarchy - Tschem otlitschajutsja polititscheskie sistemy, instituty wlasti i presidentskie struktury Rossii i Ukrainy", in: Nesawisimaja gaseta, 23.8.2002, S. 4. 19 Vgl. die offiziellen Wahlergebnisse nach „Wybory-2002. Pam'jatka istoriji", in: Ukrains'ka Prawda, 15. 4. 2002. Die SDPU(o) konnte bei den Parlamentswahlen 1998 die Vier-Prozent-Hürde nur knapp überwinden und bekam 4,01 Prozent der Zweitstimmen. Vgl. Lohmann, 1999a: S. 51/58. 20 Lorenz, 2000, S. 364.
II. Elitenpolitik der Präsidenten Krawtschuk und Kutschma
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weitgehend auf die Vertreter der alten Nomenklatura, die beinahe alle Posten in der Regierung besetzte. 21 Während Krawtschuks Präsidentschaft war die Donezker Regionalelite bei der Ämterverteilung klar i m Vorteil. Denn mit Ausnahme Kutschmas hatten alle Regierungschefs unter Krawtschuk - Fokin, Swjahil'skyj und Masol - sowie andere wirtschaftlich einflussreiche Minister ihre Karriere i m Donbass begonnen. 22 Als Ministerpräsidenten holten sie Mitglieder ihrer jeweiligen Netzwerke aus der Region in die Hauptstadt in einflussreiche Positionen. Diese übliche Praxis wurde i m Laufe der Jahre zunehmend intensiviert, so dass die Hauptstadtelite die regionalen Eliten als immer größere Konkurrenz empfanden. Schon während der Amtszeit Krawtschuks war zu beobachten, dass sich mafiose Praktiken in Regierung und Verwaltung ausbreiteten - ein Übel, das in den Folgejahren immer größere Ausmaße annahm. Entscheidend für den jeweiligen Erfolg der alten Eliten waren die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Hier zeigte sich bei Krawtschuk eine vergleichsweise geringere Fähigkeit zur Adaptierung, während Kutschma einen bemerkenswerten Machtinstinkt entwickelte. Ihm gelang der Wechsel von der Wirtschaftselite zur politischen Elite mühelos. Kutschma verkörperte die spätsowjetische Funktionärsriege, die mit vitalen Verbindungen zu den fortbestehenden Netzwerken des untergegangenen Sowjetsystems die Macht in der Hand behalten und sich gleichzeitig nationalen Werten geöffnet hatte. 2 3 Dabei versicherte er sich langfristig der Unterstützung durch die Leiter der Staatsbetriebe, der sogenannten „roten Direktoren", indem er sie beim Umbau des Wirtschaftssystems mittels verdeckter zusätzlicher Einnahmequellen persönlich profitieren ließ. So wurden auch die Betriebsdirektoren zu Befürwortern der ukrainischen Unabhängigkeit, solange sie ihnen materielle Vorteile brachte. Die Vertreter des alten Systems stellten sich Kutschma daher nicht in den Weg, solange ihre wirtschaftlichen Interessen nicht tangiert wurden, die vor allem in „rent seeking", d. h. der Bereicherung an staatlichen Ressourcen, bestanden. Das Bekenntnis zur Marktwirtschaft war nur oberflächlich, ein Überzeugtsein von demokratischen Werten fehlte ihnen, wie auch Kutschma selbst, völlig. Statt dessen pflegten die alten Wirtschaftseliten weiter ihren atavistischen und autoritären Führungsstil. Parallel zur Zusammenarbeit mit den alten Eliten zielte die Strategie des Präsidenten darauf ab, eine neue Führungselite heranzubilden, die frei von Ideologie war und die in der Gewissheit handeln sollte, dass die Fortexistenz einer unabhängigen Ukraine ihren eigenen karriereorientierten Interessen diente. A m schnellsten begriffen die Mitglieder des kommunistischen Jugendverbandes Komsomol, welche neuen Entwicklungsmöglichkeiten sich in einem eigenen Staat ergeben sollten.
21 Kuzio, 1993: S. 831/832. 22 Wittkowski 1998a: S. 157. 23 Lindner! Meissner, 2001: S. 20.
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I. Transformation und Elitenbildung
Weil sie jedoch noch wenig eigene Erfahrung aufweisen konnten, waren diese neuen Eliten in jedem Fall „lernende Politiker". 2 4 So entstand in der Ukraine ein „Gemisch aus alter Sowjet- und neuer Wirtschafts- und Geschäftsnomenklatura". 25 Diese musste naturgemäß inhomogen sein und unterschiedliche Zielvorstellungen entwickeln. Die Mitarbeiter des Staatsapparates, die noch in der Sowjetzeit eingestellt worden waren, behielten ihre Positionen und zeigten ihre Fähigkeit zur „Reproduktion ohne Erneuerung". 2 6 Die Zusammensetzung und der Arbeitsstil der ukrainischen Bürokratie sind überwiegend von konservativen Zügen geprägt. So zeichnen sich gerade die Präsidialadministration und die Regierung der Ukraine bis heute dadurch aus, dass in ihren Apparaten reformorientierte Kräfte in der Minderheit sind. Durch Konflikte zwischen Konservativen und Reformern kommt es in beiden Strukturen permanent zu Reibungsverlusten. Bei der Kooptation zu den Eliten orientiert man sich an den personalisierten Netzwerken. Damit folgt man der Perzeption, dass persönliche Beziehungsnetzwerke, die schon während der Sowjetunion die Karrierechancen in der Partei- und Regierungshierarchie bestimmten, verläßlich und vertrauenswürdig sind. 2 7 Die Auswahl nach Clanherkunft gibt weiterhin den Ausschlag vor meritokratischen Verfahren. Die Clanzugehörigkeit ergibt sich durch Verwandtschaft, gleiche regionale Herkunft, gemeinsame Ausbildungszeiten und Berufszeiten sowie durch gemeinsame wirtschaftliche Interessen. Praktiziert wird zum einen die Kooptation von Personen des eigenen Clans anstelle einer Wahl aufgrund besserer Qualifikation. Zum anderen herrscht in der Personalpolitik das „Prinzip des politischen Favoriten".28 Aus machtstrategischen Gründen bringen diese jeweiligen „Favoriten", die gerade relativ einflussreich sind, ihre Seilschaften mit nach Kiew und installieren sie im Apparat. Infolgedessen zeichnet sich der Regierungsapparat vor allem seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre durch eine starke Fluktuation aus. Die Effektivität der Regierungstätigkeit wird durch permanente Machtkonflikte zwischen konkurrierenden Netzwerken und die geringe Verweildauer der Mitarbeiter auf ihren Positionen beeinträchtigt. Nach 1991 entstanden auf der Basis der alten kommunistischen Eliten die „Neuen Ökonomischen Eliten". Es bildeten sich Zusammenschlüsse und Interessenvertretungen von Staatsdirektoren und von freien Unternehmern, die sich jedoch nicht unabhängig vom Staat verstanden. Die früheste formelle und bis heute wichtigste Organisation von Führungskräften der Wirtschaft ist der ukrainische Verband der Industriellen und Unternehmer (USPP), deren Vorsitzender Kutschma war, bevor 24 Vgl. Kuzio, 1998a: S. 41. 25 Polochalo, 1999: S. 36. 26 Dergatschow, 1999: S. 35. 27 Vgl. Easter, Gerald, 1996: Personal Networks and Postrevolutionary State Building, in: World Politics, Η. 48, S. 551-578. 28 Polochalo, ebda.
II. Elitenpolitik der Präsidenten Krawtschuk und Kutschma
191
er zum Präsidenten gewählt wurde. Der USPP sollte den „roten Direktoren", die vormals über die Parteihierarchie ihren Einfluss geltend machten, die Teilhabe an der neuen Macht sichern und stellte eine Fortsetzung der korporatistisehen Beziehungen dar, die Systemmerkmal der Sowjetunion gewesen waren. 2 9 Die USPP diente den Mitgliedern der Nomenklatura als „sicherer Hafen", um ihre Stellung unter postkommunistischen Bedingungen zu sichern und sich bei der Privatisierung strategische Vorteile zu verschaffen. 30 A u f Arbeitnehmerseite wurden zum einen die unter dem Kommunismus bestehenden Gewerkschaften fortgeführt und zum anderen neue gegründet. Sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerorganisationen sind in der Ukraine ähnlich wie in Russland in hohem Maße mit dem ancien regime verbunden. Sie sind insofern korporatistisch organisiert, als diese Interessenvertretungen mit Zustimmung oder mit Zutun des Staates entstanden sind und sie in ihrem jeweiligen Bereich ein Monopol für sich beanspruchen. Sie sind nicht staatsfern und fallen auch nicht in den Bereich der Zivilgesellschaft, weil eine Mitgliedschaft in ihnen üblicherweise nicht freiwillig ist. Der Einfluss auf staatliche Politik wird erkauft durch staatliche Kontrolle über diese Gruppen. Der Staat appelliert an die Interessengruppen zur Einhaltung von sozialem Frieden („slahoda"). Da die Interessengruppen sich das Wohlwollen des Staates erhalten wollen, sind sie bereit sich anzupassen. Korporatisti sehe Interessengruppen haben in der Ukraine häufig einen statischen Charakter und tragen zur politischen Stabilität bei, können jedoch nur unzureichend die Interessen ihrer M i t glieder wahrnehmen. In der Ukraine ist selbst der größte Dachverband der Gewerkschaften FPU („Federazija Profspilok Ukrajiny") nur wenig mehr als ein „Schaf i m Wolfspelz". 3 1 Ein negativer Aspekt von Korporatismus besteht darin, dass in diesen Organisationen Reformen und Demokratisierung regelrecht blockiert werden können. In der Ukraine hat die Entwicklung interessenvertretender Organisationen und ihre Abhängigkeit von staatlichen Strukturen zu einem „korporatistischen, faulen Frieden" geführt. 3 2 Sowohl Krawtschuk als auch Kutschma haben diesen „faulen Frieden" maßgeblich unterstützt. Krawtschuk tat dies, indem er beispielsweise den Gewerkschaftsfunktionär Olexandr Stojan zuerst zu seinem Berater über Arbeitsbeziehungen machte und dann für dessen Wahl zum Vorsitzenden der Gewerkschaftsunion FPU
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In der UdSSR waren alle Nichtparteiorganisationen, die sich in den Bereichen Kultur, Sport, Wissenschaft etc. betätigten, vom Staat gegründet, geleitet und kontrolliert. Arbeitgeberorganisationen im Bereich Wirtschaft gab es nicht. Insofern ist in der postkommunistischen Ukraine eine gewisse Vielfalt an Interessenvertretungen vor allem im Wirtschaftsbereich zu konstatieren. Die meisten versichern sich jedoch staatlichen Wohlwollens. 30 Kubicek, 1996: S. 28. 31 Kubicek,, 1996: S. 34. 32 Kubicek, 1996: S. 32 ff.
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I. Transformation und Elitenbildung
sorgte. Die Gewerkschaftsunion hat sich seit 1991 mit Forderungen an den Staat oder gar Streiks sehr zurückgehalten. Während Krawtschuk die Kontakte zu den Staatsdirektoren und Unternehmern vernachlässigte und sie seinen Regierungschefs überließ, sah Kutschma hierin seine eigentliche Domäne. Die alten Wirtschaftseliten waren für Kutschma ein wesentlicher Bestandteil der „Partei der Macht", die ihn nach oben gebracht hatte. In engen Beziehungen zu den Entscheidungsträgern vor allem der Wirtschaft sah er das Instrument, um den Fortgang von Reformen zu beeinflussen. Diese Beziehungen waren von vornherein assymetrisch angelegt. Der Präsident und seine Administration erwarteten von den Eliten zuallererst Linientreue. Beschränkte die Wirtschaftselite bis 1996 ihre Lobbyarbeit auf die Sicherstellung guter Beziehungen zur Exekutive, sollte sie fortan auch andere wesentliche Bereiche der ukrainischen Gesellschaft beeinflussen. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre sahen die Neuen Ökonomischen Eliten in der Einflussnahme auf die Legislative ein neues Instrument, um Entscheidungsprozesse zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Einflussreiche Unternehmer kandidierten für die Wahlen zur Werchowna Rada und besetzten rasch Führungspositionen in bestehenden Fraktionen oder gründeten selbst Parteien oder Fraktionen. Parallel zur Ausdehnung ihres politischen Einflusses setzte unter ihnen ein regelrechtes Wettrennen um die Kontrolle wichtiger Massenmedien und zuallererst der Fernsehsender ein. In den Amtsjahren Kutschmas lässt sich eine zunehmend professionelle Kaderpolitik beobachten. Die Kooptation zum Machtzentrum Kutschma wurde durch mehrere Kriterien bestimmt. Persönliche Treue und Loyalität waren das wichtigste Auswahlkriterium für Personalentscheidungen Kutschmas. Besonders bevorzugt wurden Personen, zu denen Kutschma ein persönliches Bekanntschafts- und Vertrauensverhältnis aus der Zeit hatte, bevor er zum Präsidenten gewählt wurde. Seine engsten Berater wählte er häufig aus dem Kreis langjähriger Weggenossen. Dabei bevorzugte er die Kontakte aus dem Bereich der Betriebsdirektoren vor Beziehungen aus Parteistrukturen. Kutschma wählte Leute aus, die praktische Erfahrung in der Leitung von Betrieben und in der Verwaltung gesammelt hatten. Amts Vorgänger Krawtschuk hatte sich mit älteren Vertretern der früheren Nomenklatura umgeben, auf deren Rat er in der Regel nicht hörte, weil er seine persönlichen Fähigkeiten als Politiker höher einschätzte. Kutschma hingegen, mit weniger politischer Erfahrung und geringerem intellektuellem Potenzial ausgestattet, war in den ersten Amtsjahren stärker auf Berater angewiesen und beachtete deren Einschätzungen. Nach seinem Amtsantritt verringerte Kutschma den Einfluss von Leuten aus dem Donbass und der Westukraine, die Krawtschuk noch bevorzugt hatte, zugunsten von Repräsentanten aus Dnipropetrowsk. Nach seiner Wahl zum Präsidenten 1994 brachte Kutschma viele Mitarbeiter und Vertraute von Dnipropetrowsk nach Kiew. Mitte 1996 arbeiteten bereits 160 Leute aus Dnipropetrowsk in der Präsidial-
II. Elitenpolitik der Präsidenten Krawtschuk und Kutschma
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administration. Gleichzeitig wurden 25 Parlamentsabgeordnete und der Premierminister zur sogenannten „Dnipropetrowsker Mafia" gerechnet. Dies bedeutete eine enorme Konzentration von politischer Macht in den Händen einer regionalen Elite. 3 3 Insgesamt scheint Kutschma sich bei der Besetzung von Posten wenig vom Gesichtspunkt der fachlichen Qualifizierung lenken zu lassen. Hervorragende intellektuelle und analytische Fähigkeiten sind eher hinderlich, um einen Platz i m ukrainischen Machtzentrum dauerhaft einnehmen zu können. Leute, die sich durch große Eigenständigkeit auszeichnen, fallen leicht einem Revirement zum Opfer. Ein rotierendes System bei der Ämterbesetzung sorgt dafür, dass die wichtigen A k teure zwischen den Positionen ausgetauscht werden. Selbst solche, die zeitweise in Ungnade gefallen sind und entlassen wurden oder selbst zurücktraten, finden sich mittelfristig wieder in einer Position nahe am Machtzentrum wieder. Diesen Mechanismus eines sich im Kreis drehenden Personenkarussells hat Mostowaja als „perpetuum cadrum" bezeichnet. 34 Über Rochaden zwischen verschiedenen Positionen entscheidet in der Regel der Präsident bzw. seine Administration. Das Betreiben eines solchen Personalkarussels dient dabei nicht dem Kalkül, die jeweils qualifizierteste Person auf die geeignete Stelle zu setzen. M i t der Ämterrotation demonstriert der Präsident seinen Willen, sich nicht zu eng an bestimmte Personen zu binden. Außerdem werden mit den Umbesetzungen die Interessen der regionalen Eliten berücksichtigt. Gelegentlich stellen die Rochaden auch regelrechte „Strafversetzungen" dar. Der frühere Innenminister Krawtschenko, der von Kutschma auf dem Höhepunkt der Gongadse-Affäre entlassen wurde, erhielt darauf den Gouverneursposten in Cherson. Fernab von Kiew sollte Krawtschenko in dem überwiegend linksorientierten Gebiet für ein gutes Abschneiden des Präsidentenblocks „Sa edynu Ukrajinu" („Für eine einige Ukraine") während der Parlamentswahlen 2002 sorgen. Hat sich ein Amtsträger während einer solchen „Strafversetzung" bewährt, wird ihm über kurz oder lang die Rückkehr zum Machtzentrum Kiew gestattet. Es ist einer der zentralen Machtsicherungsstrategien Kutschmas, dieses „perpetuum cadrum" in Bewegung zu halten. Ungelöst ist bis heute das Problem, dass der ukrainische Beamtenapparat chronisch unterbezahlt ist und daher anfällig ist für Korruption aller Art. Nach Ansicht von Beobachtern herrscht i m Verwaltungsapparat „absolute Bestechlichkeit" 3 5 . Dabei kann die Bürokratie kaum von außerhalb kontrolliert werden. Sie ist vielmehr bestrebt, sich in einen von der Gesellschaft abgeschotteten „Superkonzern" 3 6 zu verwandeln. Der Staatsapparat in der Ukraine ist durchwirkt von Strukturen,
33 34 35 36
Nordberg, 1998: S. 48. Mostowaja, 2001: S. 1. Polochalo, 1999: S. 36. Dergatschow, 1999: S. 35.
13 Hclmcrich
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I. Transformation und Elitenbildung
deren Handlungsmotive Eigennutz und Bereicherung sind und die ihre Macht für privaten Profit missbrauchen. Als besonders anfällig für Machtmissbrauch und die Annahme von Bestechungsgeldern galten in den ersten Jahren seit der Unabhängigkeit bestimmte Behörden wie die Steuerinspektion, Zoll und Gerichte. Allerdings mehren sich in den letzten Jahren die Anzeichen, dass inzwischen fast alle gesellschaftlichen Bereiche davon infiziert sind. Der Präsident selbst hatte zugegeben, dass sich die Korruption in allen Abteilungen der Regierungsorgane und auf jeder Verwaltungsebene ausgebreitet hat. 3 7 Der sozialistische Oppositionsführer Olexandr Moros diagnostizierte i m Hinblick auf das ukrainische System: „Nicht die offiziellen Strukturen üben die Macht aus, sondern Oligarchen und Clans." 3 8 Offensichtlich ist die Legislative nicht weniger anfällig für Korruption. Dies ist zum Teil wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass ein Abgeordnetenmandat noch zu gering vergütet wird, um die Parlamentarier gegen materielle Verlockungen immun zu machen. Das prominenteste Beispiel eines Abgeordneten mit krimineller Vergangenheit ist der Ex-Premierminister Lasarenko (vgl. Kap. 6.2.4). Das Koordinationskomitee zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, das Kutschma gegründet hatte, durchleuchtete die Einkommensverhältnisse der Deputierten. Bei dieser Überprüfung mithilfe der Steuerverwaltung kam heraus, dass i m Jahr 2000 364 Volksdeputierte Einkünfte aus kommerziellen Strukturen bezogen hatten und dass 202 Unternehmen von Parlamentariern geleitet wurden. Von diesen und affiliierten Unternehmen sind 1999 Importe i m Wert von 13,2 Mrd. Hrywna getätigt worden, was einem Viertel aller ukrainischer Importe zu diesem Zeitpunkt entsprach. Alle bisherigen Kampagnen zur Eindämmung von Korruption i m Staatsapparat waren wenig effektiv und trugen plakativen Charakter. I m Wesentlichen dienten sie einem Ziel: Als Bestandteil des Machtkampfes zwischen Exekutive und Legislative sollten die Kampagnen vor allem das Parlament treffen, jedoch exekutive Strukturen möglichst ausnehmen. Korruptionsfälle etwa der untergeordneten M i liz·, Zoll- und Steuerbehörden wurden häufiger aufgedeckt. I m Mittelbau der Staatspyramide sind Enthüllungen eher die Ausnahme und Bekämpfungsversuche von Korruption sind im Ansatz stecken geblieben.
37 Lewschin, 2000: S. 42. 38 Mel'nyk, 2000: S. 65.
J. Die Wahlen zur Werchowna Rada vom März 2002 Die dritten freien Parlamentswahlen seit 1991 wurden vor allem i m Ausland als Test gesehen, inwieweit sich demokratische Verfahren in der Ukraine etablieren konnten. M i t Spannung wurde verfolgt, ob es diesmal gelingen würde, den Einfluss des Staatsapparates auf den Wahlkampf und den Wahlprozess zu minimieren und ob sich die Medien des Landes einer einseitigen Instrumentalisierung entziehen könnten. Wie bereits bei den Wahlgängen 1990, 1994 und 1998 zur Werchowna Rada wurde der Herrschaftszugang über eine Reform des Wahlrechts neu geregelt. Die neuerliche Änderung der Wahlgesetzgebung für die Parlamentswahlen 2002 belegte auf eklatante Weise, wie wenig das politische System der Ukraine konsolidiert ist.
I. Das neue Wahlgesetz von 2001 Eine Überarbeitung des Wahlgesetzes aus dem Jahre 1997 war notwendig geworden, nachdem 1998 das Verfassungsgericht einige Bestimmungen des Wahlgesetzes für verfassungswidrig erklärt hatte. So hatten die Verfassungsrichter die Ungleichbehandlung bei der Aufstellung von Wahlblöcken und bei der Registrierung von Stimmkreiskandidaten moniert. 1 Als das Verfassungsgericht 16 Vorschriften des Wahlgesetzes i m Februar 1998 für ungültig erklärte, lief der Wahlkampf jedoch schon auf Hochtouren. 2 Die Parteilisten und Direktkandidaten waren bereits von der Zentralen Wahlkommission registriert. U m den Wahltermin nicht zu gefährden, billigte das Verfassungsgericht dem Wahlgesetz zwar vorläufige
1 So begann die Aufstellung von Parteilisten 170 Tage vor der Wahl und musste bis 120 Tage vorher abgeschlossen sein. 100 Tage vor der Wahl endete die Registrierung von Parteien und Blöcken, die dafür 200.000 Unterschriftenlisten vorlegen mussten. Direktkandidaten begannen ihre Bewerbung um Zulassung 90 Tage vor der Wahl. Spätestens 60 Tage vor dem Wahltermin mussten sie 900 Unterschriften von Bürgern aus ihrem Wahlkreis vorlegen. Die Registrierung von Direktkandidaten schloss 45 Tage vor dem Wahltermin. Diese Ungleichbehandlung nach Art. 22 und Art. 21 des Wahlgesetzes wurde vom Verfassungsgericht als Verletzung von Verfassungsnormen gewertet. Ebenso verwarfen die Verfassungsrichter die vom Wahlgesetz vorgesehene Möglichkeit, sowohl auf einer Parteiliste zu kandidieren und sich gleichzeitig als Direktkandidat zu bewerben (Art. 20, Abs. 3 des Wahlgesetzes). 2 Insgesamt wurden 16 einzelne Vorschriften des Wahlgesetzes von 1997 vom Verfassungsgericht als nichtvereinbar mit der Verfassung bezeichnet. Eine detaillierte Aufstellung der vom Verfassungsgericht abgelehnten Normen findet sich in: Politytschnyj kalendar, Instytut polityky, No. 9, 2001, S. 12- 14.
13*
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J. Die Wahlen zur Werchowna Rada vom März 2002
Gültigkeit zu, beauftragte jedoch das Parlament, die erforderlichen Änderungen in der neuen Legislaturperiode vorzunehmen. 3 Das neue Wahlgesetz war über ein Jahr lang zwischen der Werchowna Rada und dem Präsidenten kontrovers diskutiert worden. Umstritten waren das Verhältnis zwischen Direktmandaten und Mandaten über Parteilisten, die Zusammensetzung der Wahlkommissionen und die Dauer des Wahlkampfes. Ein erster Gesetzentwurf sah ein reines Verhältniswahlrecht mit Vier-Prozent-Hürde vor, so dass alle Parlamentsabgeordneten ausschließlich über Parteilisten gewählt werden sollten. Ein entsprechendes Gesetz, das am 18. Januar 2001 von 254 Abgeordneten verabschiedet wurde, belegte der Präsident mit seinem Veto. Danach verabschiedete das Parlament ein Wahlgesetz mit einer Mischung von Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht. 75 Prozent der Mandate (335 Sitze) sollten nach Parteilisten und 25 Prozent (115 Sitze) als Direktmandate vergeben werden. Auch dies lehnte der Präsident ab. 4 Insgesamt viermal wurde das Wahlgesetz vom Präsident abgelehnt und mit seinem Veto belegt. Es dauerte bis Oktober 2001, bis das Parlament nachgab und der Präsident seine Position durchsetzen konnte. Kutschma vertrat ein paritätisches Verhältnis von Direktmandaten und Listenplätzen sowie eine Verkürzung des Wahlkampfes von ursprünglich 170 auf 90 Tage. M i t 227 Stimmen (eine mehr als erforderlich) wurde das Gesetz gegen die Kommunisten, Sozialisten und einige Fraktionslose verabschiedet. A m 30. Oktober 2001 wurde es vom Präsidenten unterschrieben und trat damit in Kraft. 5 Gegenüber dem vorherigen Wahlgesetz waren das Verhältnis von 225 Direktmandaten und 225 Listenplätzen sowie die Vier-Prozent-Hürde für Parteien und Wahlbündnisse gleich geblieben. Der Wahlkampf durfte laut Gesetz frühestens 90 Tage vor dem Wahltermin beginnen. Die Kandidaten mussten keine Unterschriften mehr sammeln, wie es zuvor für die Registrierung bei der Zentralen Wahlkomission erforderlich gewesen war. Wer sich für ein Direktmandat bewarb, musste nun ein Geldpfand in Höhe von 1.020 Hrywna (rund 200 Euro) in einen Wahlkampffonds einzahlen. U m sich als Partei oder Wahlblock registrieren zu lassen, musste ein Geldpfand in Höhe von 255.000 Hrywna (etwa 53.000 Euro) entrichtet werden. Diese Kaution wird nur i m Fall des Wahlerfolgs zurückgezahlt. Nur Parteien, die mindestens zwölf Monate vor dem Wahltermin vom Justizministerium registriert waren, wurden zur Wahl zugelassen. In den lokalen Wahlkommissionen, die aus
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Rachmanin, 2001. Diese Informationen stammen aus dem Interview der Verfasserin mit Anatolij Luzenko Anfang November 2001 in Kiew. Luzenko war der Berater des ständigen Vertreters des Präsidenten im Parlament, Roman Bessmertnyj. 5 Das Gesetz wurde am 2. November 2001 in der Zeitung Urjadowyj Kurjer veröffentlicht. Vgl. auch Bljudo, Pawel: Sakon podpisan, sametschanija ostalis', in: Wlast' i Politika, No. 8 (85), 2.-8. 11. 2001, S. 2. Vgl. auch „Kuchma signs final version of election bill", in: Kiev Post, 1. 11.2001. 4
I. Das neue Wahlgesetz von 2001
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zwölf bis 20 Personen bestanden, waren die Parteien vertreten, die bei den letzten Parlamentswahlen über die Vier-Prozent-Hürde gekommen waren. Weitere M i t glieder der lokalen Wahlkommissionen wurden unter den anderen Parteien ausgelost. 6 Kleine und finanzschwache Parteien hatten unter dem neuen Wahlgesetz deutlich schlechtere Chancen. Für sie war es kaum möglich, sich während des verkürzten Wahlkampfes den Wählern bekannt zu machen. Doch auch große Parteien wie Kommunisten und Sozialisten, die sich in der Opposition befanden, mussten mit Behinderungen rechnen, da sie nicht über die sogenannten „administrativen Ressourcen" verfügten. Mithilfe von administrativen Ressourcen wurden bestimmte Parteien und Blöcke durch staatliche Organe organisatorisch und finanziell etwa beim Zugang zu den Massenmedien oder bei der Genehmigung von Wahlkampfveranstaltungen begünstigt. Auch das neue Wahlgesetz schien verfassungsrechtlich bedenklich. So war etwa die Vorschrift, dass nur Parteien an den Wahlen teilnehmen können, die vor dem 31. März 2001 vom Justizministerium registriert waren, fragwürdig und stellte eine Verletzung des Grundsatzes auf Chancengleichheit dar. 7 Daher wurde allgemein erwartet, dass auch dieses Wahlgesetz einer Überprüfung des Verfassungsgerichts nicht standhalten würde und dass mit einer neuerlichen Überarbeitung des Wahlgesetzes zu rechnen sei, sobald das neue Parlament gewählt ist. 8 Eine Resolution des US-amerikanischen Kongresses im Vorfeld der Wahl wies auf die grundlegenden Mängel des ukrainischen Wahlsystems hin. In einer Resolution 9 , die der Kongress am 21. März 2002 verabschiedete, wurde moniert, dass i m Wahlgesetz die rechtliche Grundlage für die Durchführung von Wahlbeobachtung durch nichtstaatliche Organisationen fehle. Die Bestimmungen für den Wahlkampf seien im Wahlgesetz nicht eindeutig geregelt, was zu gerichtlichen Sanktionen gegen Massenmedien führen könne. Die Resolution kritisierte fünf systeminterne Missstände, die immer wieder bei Wahlen zu beobachten waren 1 0 : Amtspersonen setzten ihre Position zugunsten bestimmter politischer Kräfte ein. Die Opposition und unabhängige Massenmedien würden unter Druck gesetzt. M i t Wahlgeschenken werde Einfluss auf die Wähler genommen. Parteieintritte fänden teilweise unter Zwang statt. Personen würden genötigt, sich i m Wahlkampf einzusetzen. Außerdem würden anonyme und kompromittierende Informationen über politische Gegner in Umlauf gebracht. 6 Durkot, 2002a: S. 11. 7 Kipiani, Wachtang: Tri mesjaza i deneschnyj salog, Parlamentarii dali swet isbiratel'noj kampanii, in: Kiewskie Wedomosti, 19. 10. 2001, S. 4. 8 Davon dass erneut eine Überarbeitung des Wahlgesetzes nach den Parlamentswahlen 2002 erforderlich ist, gehen eine Reihe von Kommentatoren aus, so etwa Rachmanin, 2001. 9 „Resoluzija Senatu USA po Ukrajini: neobchidni prosori wybory, nowyj sakon ta sposterihatschi", in: Ukrajins'ka Prawda, 14. 2. 2002. Ό Ebda.
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J. Die Wahlen zur Werchowna Rada vom März 2002
Für ein demokratischeres Wahlverfahren forderte der Kongress ein neues Wahlgesetz, das folgende Prinzipien garantiert: die Transparenz des Wahlprozesses, die Beteiligung internationaler Beobachter, die Präsenz der verschiedenen Parteien in den Wahlkommissionen, der gleichberechtigte Zugang aller Wahlbeteiligten zu den Massenmedien, Beschwerdemöglichkeiten bei den Wahlkommissionen und vor Gericht, administrative Strafen für Verstöße während des Wahlprozesses. 11 Außerdem wurde die Ukraine aufgefordert, die massive Kritik der OSZE an den Präsidentschaftswahlen 1999, die gegen die Einmischung von Amtspersonen in die Wahlkampagne und gegen den Druck auf die Massenmedien gerichtet war, beim nächsten Wahltermin zu berücksichtigen. Wie schon bei der Verfassunggebung spielte auch bei der Diskussion des Wahlrechts der Gesichtspunkt einer demokratietheoretisch optimalen Konstruktion keine Rolle. Es wurde nicht gefragt, welches Wahlrecht den Wählerwillen möglichst genau abbildet, sondern wiederum waren Aspekte der Machtoptimierung entscheidend.
II. Die Werchowna Rada unter dem Einfluss der Exekutive Der Präsident hatte die Ausarbeitung des neuen Wahlgesetzes von 2001 maßgeblich bestimmt. Dies war Ausdruck einer Strategie Kutschmas, das Parlament und die Parteien „an die kurze Leine zu nehmen" und den politischen Prozess bis in Detailfragen zu dominieren. Die Politik des Präsidenten und seiner Verwaltung zielte darauf ab, keine Partei zu mächtig werden zu lassen, Oppositionsparteien zu schwächen, bestimmte Parteien zu protegieren und damit auch die Mehrheitsverhältnisse in der Werchowna Rada zu steuern. Obwohl Präsident Kutschma bei den Präsidentschaftswahlen 1999 von einer ganzen Reihe von Parteien unterstützt wurde, fühlte er sich in keiner Weise verpflichtet, sie bei der Vergabe von Ämtern oder der Regierungsbildung zu berücksichtigen. 1 2 Der Präsident bestimmte häufig das Parteigeschehen bis in die Fragen der Personalpolitik. So wurde i m November 2001 der bisherige Vorsitzende der Partei „Demokratische Union", Olexandr Wolkow, aus dem A m t gedrängt und durch den Kutschma-Vertrauten Horbulin ersetzt. Horbulin war der „Demokratischen Union" erst zwei Tage vorher überhaupt beigetreten. Diese höchst kuriosen Rotationen des „perpetuum cadrum" 1 3 geschehen nicht ohne Zutun des Präsidenten. Nach Einschätzung von Beobachtern gilt in der Ukraine das Prinzip, „nicht die Parteien organisieren die Macht, sondern die Macht organisiert die Parteien." 1 4
11 Ebda. 12 Vgl. Dergatschow, 2001: S. 24. 13 Mostowaja, 2001: S. 1. 14 Dergatschow, 2001: S. 26.
II. Die Werchowna Rada unter dem Einfluss der Exekutive
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Von den Parlamentswahlen 2002 wurde erhofft, dass sich nun in der Werchowna Rada stabile Mehrheiten bilden würden, denn das Parlament war in der vorhergehenden Legislaturperiode durch wechselnde Mehrheiten in seiner Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt. In der dritten Legislaturperiode (1998 bis 2002) hatten sich zeitweilig 19 verschiedene Fraktionen gebildet. Dies war dadurch verursacht, dass man die Zahl der für eine Fraktion notwendigen Abgeordneten von 25 auf 14 reduziert hatte. 1 5 Diese Änderung der Geschäftsordnung löste massenhafte Fraktionswechsel der Abgeordneten aus. Insgesamt wurden zwischen 1998 und 2002 über 500 Fraktionswechsel bei insgesamt 448 Abgeordneten registriert. 16 Statistisch gesehen hatte also jeder Abgeordnete in vier Jahren mindestens einmal seine Fraktion gewechselt. 17 Kaum ein anderes Parlament in der GUS zeichnet sich durch eine solch extreme Instabilität aus. Einer der Gründe für diese hohe Volatilität liegt darin, dass es eine Reihe von Abgeordneten gibt, die zwar über Parteilisten ins Parlament kamen, aber keine Parteimitglieder sind. Sie fühlen sich von daher an keine Partei- und Fraktionsdisziplin gebunden und wechseln ihre Fraktion, wenn sie darin persönliche Vorteile sehen. Die Wertorientierung der ukrainischen Abgeordneten ist wenig ausgebildet und durch „finanzielle und machtstrategische Anreize" leicht zu beeinflussen. 18 M i t dem neuen Partei engesetz wurde der Versuch gemacht, das Vagabundieren zwischen den Fraktionen zu unterbinden. In dem Entwurf war vorgesehen, dass Abgeordnete, die über eine Parteiliste ins Parlament gekommen sind, ihr Mandat verlieren, wenn sie ihre Fraktion wechseln. Das Parteiengesetz wurde dann allerdings ohne diese Norm verabschiedet. 19 Das Verfassungsgericht entschied, dass es sich hier um eine verfassungsändernde Norm handelt, die nicht als einfaches Gesetz verabschiedet werden kann. Prinzipiell entschied das Verfassungsgericht, dass nicht gegen die Verfassung verstoßen wird, wenn per Gesetz sogenannten Fraktionsflüchtlingen das Mandat aberkannt wird. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde am 11. Juli 2001 in erster Lesung angenommen. 262 Abgeordnete stimmten für den Gesetzesentwurf „Über Veränderungen in der Verfassung". M i t Nein votierten 5 Abgeordnete, 6 enthielten sich, 126 nahmen an der Abstimmung nicht t e i l . 2 0 Das Gesetz sieht den Verlust des Abgeordnetenmandats vor, wenn der Betreffende die Fraktion verlässt, über deren Liste er ins Parlament eingezogen ist. Erst das neugewählte Parlament 15 Vgl. Dergatschow, 2001: S. 22. 16 Vgl. Lindneri Meissner, 2001: S. 21. 17 Vgl. Ott, 2001: S. 9. 18
Vgl. Lindner, 2001 in: Lindner IMeissner: S. 22. 19 Vgl. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Juli-August 2001, S. 3. 20 Ebda.
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J. Die Wahlen zur Werchowna Rada vom März 2002
wird darüber entscheiden, ob eine solche Norm mit Zweidrittelmehrheit in die Verfassung aufgenommen wird. Die Abgeordneten der Werchowna Rada zeichnen sich inzwischen durch ein höheres Maß an ideologischer Bindungslosigkeit aus, als dies in den ersten Jahren der Unabhängigkeit gewesen war. Während unmittelbar nach 1991 die Parteien eine starke ideologische Ausrichtung kennzeichnete, ist für ihr Handeln heute eine inhaltliche Orientierung keine Handlungsmaxime mehr. Die frühen Idealisten à la Tschornowil, eines der Gründerväter von Ruch, wurden abgelöst von neuen Parteiführern mit ausgeprägtem Machtpragmatismus. Heute geht es um konkrete Fragen der Machtverteilung und um wirtschaftliche Interessen einzelner Gruppierungen. Die Unterscheidung der Parteien in rechts und links ist eine vernachlässigbare Größe geworden. Parteiprogramme enthalten viele Allgemeinplätze und sind weitgehend austauschbar. Ohnehin werden sie kaum vom Wahlvolk gelesen. Die Bezeichnungen der Parteien sind oft irreführend und ein regelrechter Etikettenschwindel. Vielmehr definieren sich die Parteien durch eine propräsidentielle oder präsidentenfeindliche Haltung. Wer Einfluss haben will, bemüht sich um möglichst enge informelle Kontakte zur Staatsmacht. Zu beobachten ist die Bildung kleiner und kleinster Parteien, die eine mehr virtuelle Existenz denn ein reale Verankerung in der Bevölkerung haben. 21 Sie nutzen Massenmedien wie etwa das Internet. Eine konkrete Parteienstruktur mit lokalen Organisationen fehlt ihnen völlig. Es gibt bis heute keine ukraineweite Partei, die überall gleichmäßig vertreten ist. Auch die beiden Volksparteien, die Kommunistische Partei und Ruch, haben regionale Schwerpunkte. So sind die Kommunisten in der Westukraine praktisch nicht existent, während Ruch in der Ostukraine nur marginal vorkommt. Die ukrainische Innenpolitik ist ausgesprochen akteursorientiert. Dies zeigt sich besonders deutlich an den Parteien. Die meisten Parteien sind keine Programmparteien, sondern „Führerparteien". 22 Einzelne charismatische Persönlichkeiten prägen eine Partei in extremem Maße. M i t dem Vorsitzenden steht und fällt eine Partei oder Fraktion. Bei der „hypertrophierten Rolle des Partei Vorsitzenden" 23 hat sich die innerparteiliche Demokratie bisher schwach entwickeln können. Es gibt zwar viele Parteien in der Ukraine - inzwischen sind es über 120 - aber kein Vielparteiensystem, das sich durch inhaltlichen Pluralismus auszeichnet. Die Parteien und damit auch das Parlament sind schwache Institutionen i m politischen Prozess. Sie werden in der Öffentlichkeit weitgehend negativ wahrgenommen. Dies macht es dem Präsidenten umso leichter, sie als Spielball für eigene Pläne einzusetzen. Dies zeigte sich erneut bei den Wahlen zur Werchowna Rada 2002, bei dem es dem 21
Der Begriff der „virtuellen Parteien" wurde eingeführt in der Botschaft des Präsidenten an die Werchowna Rada „Pro wnutrischne i sownischne stanowischtsche Ukrajiny u 2000 rozi", zitiert nach: Dergatschow, 2001: S. 25. 22 Vgl. Ott, 2001a: S. 14. 23 Vgl. Ott, 2001a: S. 14.
III. Verlauf der Parlamentswahlen 2002
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Lager der Präsidentenbefürworter durch eine Reihe von Manipulationen gelang, dem Herausforder Juschtschenko den Wahlsieg zu nehmen.
III. Der Verlauf der Parlamentswahlen 2002 und ihre Ergebnisse Die Wahlen zur Werchowna Rada fanden am 31. März 2002 statt. U m die von der Verfassung vorgeschriebene Vier-Prozent-Hürde bei den Parlamentswahlen 2002 zu überwinden, waren die meisten Parteien gezwungen, sich zu Blöcken zusammenzuschließen, um eine Chance auf Abgeordnetensitze zu haben. Die größten Parteienbündnisse stellten „Nascha Ukrajina" („Unsere Ukraine") und „Sa edynu Ukrajinu" („Für eine einige Ukraine") dar. In diesem Gegensatz offenbarten sich nicht so sehr konträre politische Inhalte als vielmehr die Konkurrenz des früheren Premierministers Juschtschenko zu Präsident Kutschma. „Nascha Ukrajina" wurde von nationaldemokratischen Parteien gebildet und von Juschtschenko angeführt. „Nascha Ukrajina" war zunächst als interfraktionelle Vereinigung im Parlament gegründet worden. 2 4 Zu „Nascha Ukrajina" gehörten i m Wahlkampf die beiden Ruch-Parteien, „Reformen und Ordnung" von Wiktor Pynsenyk, die „Liberale Partei" von Wolodymyr Schtscherban und „Solidarnist'" von Petro Poroschenko. Die Unternehmer Schtscherban und Poroschenko gelten beide als dem Präsidenten nahestehend, und die Bezeichnungen ihrer Parteien haben wie häufig in der Ukraine mit dem tatsächlichen Zweck wenig zu tun. Weitere fünf kleinere Parteien gehörten „Nascha Ukrajina" an. Das Wahlbündnis stellte also eine Ansammlung von rechten und liberalen Parteien dar. Juschtschenko gelang es nur in zähen Verhandlungen, die sehr heterogenen Interessen in einen Wahlblock zu integrieren. Daher schien es nur eine Frage der Zeit, wann „Nascha Ukrajina" wieder auseinander brechen würde. 2 5 Juschtschenko bezog auch keine klare Position, wo er selbst politisch einzuordnen sei. Er betonte, „Nascha Ukrajina" gehöre nicht zur Opposition, sei aber auch nicht dem Präsidentenlager zuzurechnen. Eine solche Weder-Noch-Politik ist in der Ukraine dem durchschnittlichen Wähler üblicherweise kaum verständlich zu machen. Trotzdem erfreute sich Juschtschenko dank seines Charismas gleichbleibend hoher Popularität. Dies zeigte wieder einmal, dass eine politische Ausrichtung von unter-
24 Die Gründung fand am 19. September 2001 statt. Vgl. Politytschnyj kalendar, No. 9, 2001, S. 6. 25 Vor allem für die beiden Ruch-Parteien, die nach dreijähriger Trennung am 16. 2. 2002 beschlossen sich wieder zu vereinigen, war klar, dass sie im neuen Parlament eine eigenständige Fraktion bilden und ihren Traditionsnamen nicht zugunsten des Wahlblocks „Nascha Ukrajina" aufgeben würden. Vgl. „Juschtschenko stanet odin", in: www.proua.com, 24. 2. 2002, vgl. Wpered, u mynule, in: Ukrajins'ka Prawda, 16. 2. 2002.
202
J. Die Wahlen zur Werchowna Rada vom März 2002
geordneter Bedeutung ist. In der akteursbezogenen politischen Kultur der Ukraine werden in erster Linie die Führungspersönlichkeiten wahrgenommen. Finanziert wurde nach Aussage Wiktor Juschtschenkos „Nascha Ukrajina" vor allem von kleineren und mittleren Unternehmen. Als Zugeständnis an die Finanziers wurden viele Listenplätze von „Nascha Ukrajina" an die Vertreter der Neuen Ökonomischen Elite vergeben. Auch Juschtschenkos Bruder Petro wurde auf den aussichtsreichen 45. Listenplatz gesetzt, was Spekulationen über persönliche Interessen des Ex-Premiers nährte. 2 6 Einem Vorwurf war „Nascha Ukrajina" jedoch nicht ausgesetzt, nämlich dass sie der Verbrämung von oligarchischen Interessen dienen würde. Es war klar, dass Juschtschenko mit keiner der Oligarchenparteien, die im April 2001 seinen Sturz betrieben hatten, ein Bündnis eingehen würde. So ergab sich das Konkurrenzverhältnis zwischen „Nascha Ukrajina" und dem Wahlblock „Sa edynu Ukrajinu", denn „Saedu" wie er abkürzend hieß war ein Sammelbecken oligarchischer Interessen. „Saedu" bestand aus den fünf propräsidentiellen Parteien „Werktätige Ukraine", die vor allem die Interessen des Dnipropetrowsk-Clans vertritt, der N D P U und der „Partei der Regionen". Außerdem zählten die Agrarpartei und die Partei der Industriellen und Unternehmer zu dem Wahlbündnis „Saedu". Angeführt wurde es vom Leiter der Präsidialadministration Lytwyn. Premierminister Kinach kandidierte auf Listenplatz zwei von „Saedu". A u f den Listen der Wahlblöcke wurden eine Reihe von Kandidaten aufgestellt, die keine Parteimitglieder waren. So waren auch Lytwyn und Juschtschenko keine Mitglieder einer ihrer Blockparteien. In der Ukraine ist eine Parteimitgliedschaft eher hinderlich für die politische Manövrierfähigkeit. Es ist Ausdruck der außerordentlichen Schwäche der ukrainischen Parteien, dass viele Politiker keine persönliche Parteibindung anstreben. Die Oligarchenpartei, die keine Blockbildung nötig hatte, weil sie auch alleine über genügend Einfluss verfügte, war die „Vereinigte Sozialdemokratische Partei" SDPU(o). Hier waren die beiden einflussreichen Wirtschaftsleute Medwedtschuk und Surkis als zentrale Figuren der sogenannten „Kiewer Holding" tonangebend. 27 Die Kombination der drei Geschäftsbereiche der SDPU(o), nämlich politischer Einfluss, Medienkontrolle und Fußball nahm Züge einer „Berlusconisierung" der 26 „Ze - „Nascha Ukrajina", Veröffentlichung der insgesamt 209 Kandidaten umfassenden Wahlliste von Nascha Ukrajina, in: Ukrajins'ka Prawda, 16. 1. 2002. 27 Zu dieser Holding gehören der Industrie- und Finanzkonzern Slawutytsch, der Fußballclub Dynamo Kiew und acht Energieversorger in den Gebieten (Oblenergo). Die Partei verfügt über enorme Kapitalreserven, die sie dafür eingesetzt hat, in allen Gebieten des Landes regionale Partei strukturen aufzubauen. Sie hat von allen ukrainischen Parteien auch den größten Einfluss auf die Medien. Die Partei kontrolliert zwei Fernsehsender, mehrere Zeitungen und Radiosender. Außerdem gehört der ukrainische Fußball zum Imperium der Vereinigten Sozialdemokraten. Surkis ist Präsident des ukrainischen Fußballverbandes, sein Bruder Ihor Surkis ist Präsident von Dynamo Kiew. Vgl. Tomenko ! Olijnyk, 2000: S. 175.
III. Verlauf der Parlamentswahlen 2002
203
Ukraine an. M i t sozialdemokratischer Programmatik hat die SDPU(o) wenig gemein. Vielmehr strebt die SDPU(o) nach mehr Macht und Spitzenämtern. I m Vorfeld der Wahl kam es jedoch zu einem schweren Rückschlag für die hochgesteckten Ambitionen der Partei, denn der SDPU(o)-Parteivorsitzende Wiktor Medwedtschuk wurde aus dem A m t des ersten stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden abgewählt. 2 8 Die Parteiführer wissen, dass ihr Erfolg davon abhängt, ob sie die Protektion des Präsidenten genießen. So haben sich vor allem die Hoffnungen auf Wiktor Juschtschenko zerschlagen, den die Opposition zu ihrer Galionsfigur machen wollte. Juschtschenko hatte nach seinem Sturz als Regierungschef anders als erwartet nicht mit Kutschma gebrochen, sondern suchte sich dessen Wohlwollen oder zumindest Neutralität zu versichern. Die Parteien, die in Opposition zu Kutschma standen und sich bei den Wahlen bewarben, waren im Wesentlichen die Kommunisten, die Sozialisten, die Progressiven Sozialisten und der Wahlblock von Julija Tymoschenko mit ihrer „Vaterlandspartei" („Bat'kiwschtschyna"). Vor allem die Sozialisten, die vom Erzrivalen des Präsidenten Olexandr Moros geleitet werden, und der Wahlblock von Tymoschenko wurden während des Wahlkampfes am Medienzugang behindert. Zur Diskreditierung des Wahlblocks von Tymoschenko strahlten einige Fernsehsender einen Film über ihre angebliche Liebesbeziehung zu Ex-Regierungschef Lasarenko 29
aus. Wie schon bei früheren Wahlgängen 1998 und 1999 hatten Appelle des westlichen Auslands, für einen fairen Wahlkampf und einen ordnungsgemäßen Abstimmungsablauf zu sorgen, wenig Wirkung. Der Europarat stellte bezüglich der von ihm beobachteten Wahlen in der Ukraine eine ständige Verschlechterung bei der ordnungsgemäßen Durchführung fest. 3 0 Demokratischen Verfahren würde immer weniger Beachtung geschenkt. Auch das US-amerikanische Nationale Demokratische Institut für Internationale Beziehungen (NDI) stellte für die Ukraine eine „historische Tendenz wesentlicher Wahlfälschung" 3 1 fest.
28 Medwedtschuk war am 13. Dezember 2001 durch ein überraschendes Bündnis von Kommunisten und Nationaldemokraten aus dem Amt entfernt worden. Die Nationaldemokraten hatten Medwedtschuk seine führende Rolle bei der Absetzung des Reformpremiers Juschtschenko im April 2001 nicht verziehen. Die Kommunisten verübelten Medwedtschuk, dass er die Verabschiedung des Bodengesetzes unterstützt hatte, das ab 2005 den Verkauf von Grund und Boden ermöglicht. Vgl. Durkot, 2002a: S. 10. 29 Gretzkij, 2002. 30 Zu diesem Schluß kam der Europarat anläßlich der letzten Präsidentschaftswahlen 1999. Vgl. Hyde, Lily: Observers Criticize Presidential Election, Campaign, in: Kiev Post, 17. 11. 1999. 31 Die Vorsitzende von NDI, die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright, kritisierte im Vorfeld der Parlamentswahlen 2002 den Druck auf kritische Massenmedien und Journalisten, die voreingenommene Berichterstattung von staatlichen Medien, die Einmischung von Behörden und Amtsträgern in die Wahlkampagne und die Benachteiligung
204
J. Die Wahlen zur Werchowna Rada vom März 2002
Wie bei Abstimmungen in den Jahren zuvor ging den Parlamentswahlen 2002 ein „Krieg der Kompromittierungen" 3 2 voraus. Die Auseinandersetzung über Sachthemen wurde hintangestellt. Statt dessen bestimmten Verleumdungen und Diffamierungen der jeweiligen politischen Gegner den Diskurs. Der politische Kampf wurde mit harten Bandagen ausgetragen. Oppositionelle Politiker klagten über zahlreiche Behinderungen wie etwa die Weigerung offizieller Stellen, Wahlkampfprospekte zu drucken, politische Werbung unterzubringen, Säle zu vermieten und Werbezeit im Fernsehen zu buchen. Jeden Monat veröffentlichte das regierungskritische ukrainische Wählerkomitee eine lange Liste von Verstößen. 33 I m Vorfeld wurde die Parlamentswahl von gewalttätigen Zwischenfällen überschattet. Wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale wurde ein Kandidat der SDPU(o) in der westukrainischen Stadt Iwano-Frankiwsk erschossen. 34 Auch die Medien wurden wieder instrumentalisiert und dem Versuch einer Gleichschaltung unterworfen, so dass eine objektive Berichterstattung kaum noch möglich war. Das Staatsfernsehen favorisierte offen den Präsidentenwahlblock „Saedu" ebenso wie der Sender ICTV, der von Andrij Derkatsch, einem Mitglied von „Saedu" kontrolliert wird. Der Fernsehkanal „Inter" begünstigte die „Vereinigte Sozialdemokratische Partei der Ukraine" (SDPU(o)). Das unabhängige „Public Radio", ein von der Europäischen Union mitfinanziertes Projekt, konnte bis zu den Wahlen nicht seine Tätigkeit aufnehmen, weil der Nationale Rundfunkrat dessen Zulassung verzögerte. 35 A m 31. März 2002 nahmen 65,2 Prozent der Wahlberechtigten an den dritten Parlaments wählen seit der Unabhängigkeit t e i l . 3 6 33 Parteien und Wahlblöcke sowie Direktkandidaten bewarben sich um die 450 Sitze in der Werchowna Rada. 3 7 Nur sechs Parteien und Wahlblöcke konnten die Vier-Prozent-Hürde überwinden. Das Wahlbündnis Juschtschenkos „Nascha Ukrajina" ging als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor. „Nascha Ukrajina" erzielte die besten Ergebnisse in der Westukraine. Für den Juschtschenko-Block stimmten 23,57 Prozent der Wähler. Gemeinsam mit 40 Direktkandidaten wurde das Bündnis mit 110 Abgeordneten stärkste Kraft. 3 8
von Kandidaten, Parteien und Wahlblöcken. Vgl. „NDI: Wybory-2002 pid snakom saljakanoij presy ta adminresursu", in: Ukrajins'ka Prawda, 17. 2. 2002. 32 Lindner, 1998: S. 927. 33 Vgl. Durkot, 2002c: S. 565. 34
Roser, Thomas: Kutschma sichert sich Vorsprung. Ukrainischer Präsident kann bei Wahlen Mehrheit halten, in: Frankfurter Rundschau, 2. 4. 2002, S. 1. 35 Vgl. Durkot, 2002c, S. 566. 36 Die Wahlbeteiligung lag 2002 niedriger als 1998, als 69,6 Prozent zur Wahl gingen. Vgl. Durkot, 2002c, S. 568. 37 Vgl. „Wybory-2002. Pamjatka istoriji", in: Ukrains'ka Prawda, 15. 4. 2002. 38 „Knapper Ausgang der Parlamentswahl in der Ukraine", in: FAZ, 2. 4. 2002, S. 1/2.
III. Verlauf der Parlamentswahlen 2002
205
In der bevölkerungsreichen Ostukraine schnitt dagegen der Präsidentenblock „Saedu" dank massiver Unterstützung des Staatsapparates weit besser ab als anderswo. 3 9 Er erhielt zwar landesweit nur 11,77 Prozent der Zweitstimmen, konnte aber mit 67 Sitzen überdurchschnittlich viele Direktmandate erringen und wurde daher mit insgesamt 102 Sitzen zweitstärkste Kraft in der Werchowna Rada. So erwies sich das gemischte Wahl verfahren, bei dem 225 Mandate über Listen und 225 Mandate direkt vergeben wurden, als „herrschaftstechnischer Trick zur Bewahrung des machtpolitischen Status quo im Interesse des Präsidenten" 40 . Denn der Präsidentenblock hätte sicherlich nicht so viele Direktmandate gewonnen, wenn die wirtschaftliche und politische Führungsschicht über traditionelle paternalistische Beziehungen zur Bevölkerung in der Provinz nicht so viel Druck zugunsten von „Saedu" ausgeübt hätte. Besonders wirksam waren der Einsatz administrativer Mittel und materieller Anreize zur Gewinnung von Wählern i m Gebiet Donezk, wo von Wahlbeobachtern die meisten Verstöße und Unregelmäßigkeiten registriert wurden 4 1 Dort erreichte der Präsidentenblock in den Listenwahlen 37 Prozent der Stimmen. Zusätzlich gingen 19 von insgesamt 23 Direktmandaten i m Gebiet Donezk an „Saedu". Dies war besonders auffällig, weil Donezk bis dato traditionell eine kommunistische Wählerschaft hatte. Landesweit verloren die Kommunisten deutlich und konnten nur 19,98 Prozent erringen. Sie besetzen 66 Sitze in der neugewählten Werchowna Rada. Die Kommunisten hatten damit ihre Bedeutung als stärkste politische Kraft verloren. Gegenüber den Parlamentswahlen 1998 büßten sie fast fünf Prozentpunkte ein. Vor allem für Jungwähler hatte die Sowjet-Nostalgie der Kommunistischen Partei kaum noch Anziehungskraft 4 2 Die Vereinigte Sozialdemokratische Partei SDPU(o) hatte 25 Mandate gewonnen, die Sozialisten 24, und der Wahlblock von Julija Tymoschenko kam auf 22 Sitze 4 3 Die „Demokratische Union" gewann vier Direktmandate und die Bewegung „Jednist'" des Kiewer Oberbürgermeisters Omeltschenko drei Direktmandate. 93 Abgeordnete zogen mit einem Mandat als Unabhängige in die Werchowna Rada ein 4 4 Die Zentrale Wahlkommission erklärte die Wahlen in zwei Stimmkreisen für ungültig, so dass zunächst nur 448 Mandate vergeben waren. I m Vergleich zur Zusammensetzung der Werchowna Rada der 3. Legislaturperiode verfehlten diesmal die Grünen, „Jabluko" und die Progressiven Sozialisten von Natalija Witrenko den Einzug ins Parlament. Die Grünen erhielten 1,30 Prozent, „Jabluko" 1,15 Prozent und die Progressiven Sozialisten 3,22 Prozent der Zweitstimmen 4 5 39 Ludwig, 2002a. 40 Ludwig, 2002c. 41 42 43 44
Durkot, 2002c, S. 566. Durkot, 2002c, S. 569. Ludwig, 2002d. Ebda.
45 „Wybory-2002. Pamjatka istoriji", in: Ukrains'ka Prawda, 15. 4. 2002.
206
J. Die Wahlen zur Werchowna Rada vom März 2002
Tabelle 4 Ergebnisse der Parlaments wählen vom 31. März 2002 Parteien / Blöcke
'% der Zweitstimmen
Parteilisten
Direktmandate
Summe
Nascha Ukraina
23,57
70
40
110
Sa edynu Ukrainu
11,77
35
67
102
KPU
19,98
59
6
65
SDPU(o)
6,27
19
6
25
SPU
6,87
20
4
24
Block J. Tymoschenko
7,26
22
Demokratische Union
0,87
-
Jednist'
1,09
-
3
3
-
93
93
Unabhängige Wahlbeteiligung
-
22
-
4
4
65,2
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach: Ludwig, 2002d: S. 6; „Wybory-2002. Pam'jatka istoriji", in: Ukrains'ka Prawda, 15. 4. 2002. Die Zentrale Wahlkomission erklärte die Wahlen in zwei Stimmkreisen für ungültig. Vgl. „15 lypnja: „Prawda prawdu dowede?", in: Ukrajins'ka Prawda, 6. 6. 2002. Juschtschenko stellte die Stimmenauszählung in Frage und warf den Behörden vor, das Wahlergebnis gefälscht zu haben. 4 6 Er reklamierte, dass sein Wahlblock in Wahrheit um acht bis zwölf Prozent besser abgeschnitten habe. Die Wahlkommissionen seien von offiziellen Stellen unter Druck gesetzt worden, damit diese das Ergebnis für den Präsidentenblock aufbesserten. Auch nach Ansicht des Ruch-Vorsitzenden Jurij Kostenko wurden die Wahlergebnisse auf mehrfache Weise gefälscht. 4 7 Zu Wahlfälschungen sei es hauptsächlich auf dem Land gekommen. So seien Wahlurnen gegen andere ausgetauscht worden, in denen schon ausgefüllte Wahlzettel zugunsten einer bestimmten politischen Kraft vorhanden waren. Es seien Stimmzettel für Verstorbene und für diejenigen abgegeben worden, die wegen eines Auslandsaufenthaltes nicht zur Wahl erschienen waren. Gegen einen Sack Buchweizen, Zucker und ein paar Hrywna seien Stimmen gekauft worden, erklärte Kostenko. 4 8 „Die Demokratie ist die Verliererin der Wahl", sagte Juschtschenko und kündigte eine juristische Überprüfung an 4 9 Der Wahlblock der Oppositionspolitikerin Ju46
„Kritik an Ukraine-Wahl: Ergebnisse gefälscht?", in: Frankfurter Rundschau, 3. 4. 2002, S. 4. 4 ? Gretzkij, 2002. 4 » Ebda. 49
S. 4.
„Kritik an Ukraine-Wahl: Ergebnisse gefälscht?", in: Frankfurter Rundschau, 3. 4. 2002,
IV. Die Kräfteverteilung i m neuen Parlament
207
lija Tymoschenko wollte in 17 Wahlkreisen den Sieg von Regierungskandidaten anfechten. Wahlbeobachter der OSZE, des Europarates und des Europaparlamentes hatten während der Abstimmung rund 1.500 Wahllokale besucht und kamen zu der generellen Einschätzung, dass die Parlamentswahlen 2002 gegenüber den letzten Parlamentswahlen 1998 einen gewissen Forschritt bedeuteten, dass allerdings eine Reihe von Mängeln fortbestünden. 50 Die Wahlbeobachter kritisierten, dass lokale Wahlkommissionen fast nur von Vertretern präsidentennaher Parteien geleitet worden seien. Ein großer Teil der Massenmedien habe voreingenommen über den Wahlkampf und die Kandidaten berichtet. Außerhalb Kiews sei den oppositionellen Kandidaten und Wahlblöcken von der örtlichen Verwaltung der Zugang zur den Medien eingeschränkt worden. Ein auffallendes Missverhältnis in der Berichterstattung zugunsten von propräsidentiellen Kandidaten stellten die Wahlbeobachter bei staatlichen Fernsehsendern fest. 51 Es habe nur geringes Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Wahlablaufs bei den Wählern und bei den Kandidaten geherrscht. Weiter stellten die internationalen Wahlbeobachter die gesetzwidrige Einmischung staatlicher Organe in den Wahlprozess und den Missbrauch administrativer Ressourcen fest. Staatsbedienstete seien zur Stimmabgabe für bestimmte Kandidaten gedrängt worden. Der Wahlblock „Saedu" hatte trotz eines mittelmäßigen Abschneidens die besten Aussichten, die 93 Abgeordneten, die als unabhängige Kandidaten gewählt wurden, für sich zu gewinnen und auf diese Weise seine Fraktion in der Werchowna Rada zu vergrößern.
IV. Die Kräfteverteilung im neuen Parlament A m 14. Mai 2002 trat die Werchowna Rada der 4. Legislaturperiode zum ersten Mal zusammen. Wie erwartet kam es sogleich zu erheblichen Wanderungsbewegungen. M i t Druck und Einschüchterung wurden die meisten der 93 unabhängigen Abgeordneten zum Eintritt in den Präsidentenblock bewegt, so dass dieser zur stärksten Kraft i m Parlament wurde. Die Opposition erhob den Vorwurf, dass die General Staatsanwaltschaft und die Steuerpolizei die unabhängigen Abgeordneten mit vorhandenen oder vermeintlich existierenden Akten eingeschüchtert und zum Eintritt in den Präsidentenblock genötigt hätten. 5 2 Die Umkehr der Mehrheitsverhältnisse zugunsten des Präsidenten wertete die Opposition als Betrug am Wähler.
50 „Mischnarodna misija spostereschennja sa wyborami 2002: poperedni wysnowky", in: Ukrajins'ka prawda, 1. 04. 2002 si Ebda. 52 Vgl. Ludwig, 2002e.
208
J. Die Wahlen zur Werchowna Rada vom März 2002
Bei der konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments präsentierte sich die Fraktion „Edyna Ukrajina", die aus dem Wahlbündnis „Saedu" hervorgegangen war, in einer Stärke von 177 Abgeordneten. „Nascha Unkrajina" vereinigte 118 Abgeordnete auf sich. 5 3 Deutlich geschwächt gingen die linken Kräfte in die neue Legislaturperiode. Die Fraktion der Kommunisten hatte sich mit 64 Deputierten gegenüber der vorherigen Legislaturperiode fast halbiert. 5 4 Als kleinste Fraktion nahmen die Sozialisten mit 22 Deputierten ihre Arbeit auf. 5 5 Die Bat'kiwschtschyna-Fraktion von Julija Tymoschenko zählte zu Beginn der neuen Legislaturperiode 23 Abgeordnete. 56 Die Fraktion der Vereinigten Sozialdemokraten konstituierte sich mit 31 Deputierten, wovon 19 über die Parteiliste gewählt worden waren. 5 7 Z w ö l f Abgeordnete zogen es vor, als Fraktionslose die parlamentarische Arbeit aufzunehmen. Das Konkurrenzverhältnis zwischen „Nascha Ukrajina" und „Edyna Ukrajina" bestimmte sogleich auch die parlamentarische Arbeit. Schon in den ersten Wochen traten sechs Abgeordnete aus der Fraktion von „Nascha Ukrajina" aus und schlossen sich der Fraktion von „Edyna Ukrajina" an. 5 8 Weitere Abwanderungen von Abgeordneten stärkten den Präsidentenblock zusätzlich, so dass es Kutschma gelang, i m Parlament die Schlüsselposition des Vorsitzenden der Werchowna Rada mit seinem Gefolgsmann Lytwyn zu besetzen, der bereits den Wahlblock „Sa edynu Ukrajinu" geleitet hatte. A m 28. Mai 2002 wurde Lytwyn mit der Mindestanzahl von 226 Ja-Stimmen zum neuen Parlamentsvorsitzenden gewählt. 5 9 Für ihn gestimmt hatten „Edyna Ukrajina", die Vereinigten Sozialdemokraten sowie einige Unabhängige und Kommunisten. Sieben Abgeordnete von „Nascha Ukrajina" widersetzten sich dem Fraktionszwang und stimmten für Lytwyn. Diese Abstimmung wurde daher als eine Niederlage für Juschtschenko gewertet. Die Abweichler wurden aus der Fraktion „Nascha Ukrajina" ausgeschlossen 6 0
53
„Frakziji nowoobranogo parlamentu", in: Ukrains'ka prawda, 16. 5. 2002. „64 komunisty", in: Ukrajins'ka prawda, 15. 5. 2002. 55 „Parlaments'ke predstawnyztwo sozialistiw", in: Ukrajins'ka prawda, 15. 5. 2002. 56 „Parlaments'ki „tymoschenkiwzi,,", in: Ukrajins'ka prawda, 15. 5. 2002. 57 „Parlamentari - sozial-demokraty. Ti, schtscho ob'ednani", in: Ukrajins'ka prawda, 15. 5. 2002. 58 Einer der prominenten Überläufer war der Vorsitzende der Liberalen Partei, Wolodymyr Schtscherban. Schtscherban hatte sich während des Wahlkampfes zwar dem JuschtschenkoBündnis „Nascha Ukrajina" angeschlossen, als Verwaltungschef des Gebiets Sumy jedoch offen das Präsidentenlager unterstützt. Deshalb war seine Trennung vom JuschtschenkoBündnis bald nach der Wahl erwartet worden. Vgl. „Nascha Ukraina trebuet otkasat'sja ot deputatstwa ot wyschedschich is ee frakzii w Rade. Musijaka ne otdaet mandat", in: Ukrajina.ru, nowosti, 30. 5. 2002. 59 Vgl. „Poteben'ko poobeschtschal Kompartii sloschit' polnomotschija deputata", in: Ukrajina.ru, nowosti, 30. 5. 2002. 60 Ludwig, 2002e. 54
IV. Die Kräfteverteilung i m neuen Parlament
209
Erster stellvertretender Vorsitzender der Werchowna Rada wurde Hennadij Wasil'ew von der „Partei der Regionen", die zur Fraktion „Edyna Ukrajina" gehört. Zum einfachen stellvertretenden Vorsitzenden wurde Olexandr Sintschenko von der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei SDPU (o) gewählt. 6 1 Die Fraktionen der Kommunisten, Sozialisten, Bat'kiwschtschyna und „Nascha Ukrajina" protestierten gegen die Wahl der neuen Parlamentsleitung. Juschtschenko bezeichnete den Vorgang als „Niederlage der Demokratie". Die erforderliche Stimmenzahl für Lytwyn und seine zwei Stellvertreter sei nur durch „Druck, Erpresssung und Bestechung" zustande gekommen. 6 2 Durch die Installierung Lytwyns sei das Parlament zu einer „Unterabteilung der Präsidialadministration" geworden, rügte Juschtschenko in Anspielung darauf, dass Lytwyn als bisheriger Leiter der Präsidialadministration fungierte. Die Verteilung der parlamentarischen Komitees wurde i m Juni vorgenommen. Dabei wurden die Vorsitze von insgesamt 24 Komitees folgendermaßen verteilt: 10 Komitees leiteten Abgeordnete von „Nascha Ukrajina", die kommunistische Partei übernahm den Vorsitz in 6 Komitees, an „Edyna Ukrajina" gingen 4 Komitees. Der Block Julija Tymoschenko erhielt den Vorsitz eines Komitees. Ebenfalls je ein Komitee bekamen die Sozialistische Partei und die Vereinigten Sozialdemokraten. 6 3 A m 15. Juli 2002 wurden in zwei Wahlkreisen, in denen die Zentrale Wahlkommission die Abstimmung vom 31. März 2002 für ungültig erklärt hatte, Nachwahlen veranstaltet. 64 Bewegung kam in die Parlamentsstruktur, als sich die Fraktion „Edyna Ukrajina" in sieben verschiedene Fraktionen aufspaltete. Diese wollten jedoch weiter unter dem Dach der Fraktionsgemeinschaft „Edyna Ukrajina" kooperieren. 65 Nach der Aufspaltung von „Edyna Ukrajina" bestand die Werchowna Rada aus 10 Fraktionen, drei Abgeordnetengruppen sowie der Gruppe Unabhängiger, die aus 12 Parlamentariern bestand. Die Aufspaltung in mehrere Fraktionen führte jedoch zu keiner merklichen Schwächung des Präsidentenblocks. Kutschma gelang es vielmehr, seine Position durch mehrere Schachzüge entscheidend zu verbessern. Zum einen ernannte er den Vorsitzenden der Oligarchenpartei SDPU (o), Wiktor Medwedtschuk, zum Nachfolger Lytwyns als Leiter der Präsidialadministration. 66 Die Umbesetzungen in der Präsidialadministration ziel61
„Lytwyn - holowa Werchownoji Rady Ukrajiny", in: Ukrains'ka prawda, 28. 5. 2002. „Wsi na borot'bu s Lytwynom!", in: Ukrains'ka prawda, 29. 5. 2002. 63 Vgl. „Komu prinadleschat kakie „portfeli"?", in Ukrajina.ru, nowosti, 7. 6. 2002. 64 „15 lypnja: „Prawda prawdi dowede"?", in Ukrains'ka prawda, 6. 6. 2002. 65 Vgl. „Na base Edinoj Ukrainy budet sosdano meschfrakzionnoe ob"edinenie", in: Ukrajina.ru, nowosti, 11.6. 2002. „Edyna Ukrajina" spaltete sich unter anderem in die Fraktionen der Volksdemokratischen Partei, der „Trudowa Ukrajina" (Werktätige Ukraine), die Agrarier und in die „Partei der Regionen" sowie in die Abgeordnetengruppen „Narodowladdja" (Volksmacht), „Demokratytschni iniziatywy" (Demokratische Initiativen) und „Ewropejs'kyj wybir" (Europäische Wahl) auf. Vgl. „Nowe oblytschtschja Werchownoji Rady", in: Ukrains'ka prawda, 20. 6. 2002. 62
14 Hclmcrich
210
J. Die Wahlen zur Werchowna Rada vom März 2002
ten offenbar darauf ab, die verschiedenen rivalisierenden Oligarchenclans gleichmäßig zu berücksichtigen. Medwedtschuk repräsentiert den „Kiewer Clan", während sein Stellvertreter Walerij Choroschkowskij dem „Familienclan" von Kutschmas Schwiegersohn Pintschuk zugerechnet wird. Der Erste Berater des Präsidenten, Lewotschkin, wiederum gehört zum „Donezker C l a n " . 6 7 Die Ernennung Medwedtschuks zum Leiter der Präsidialadministration wurde als Maßnahme Kutschmas gewertet, Juschtschenko zu neutralisieren. Medwedtschuk war ein unversöhnlicher Gegner Juschtschenkos und hatte in seiner neuen Position als Leiter der Präsidialadministration viele Hebel in der Hand, um Juschtschenko bei einer Bewerbung um das Präsidentenamt zu behindern. Unter Medwedtschuk als Leiter der Präsidialadministration nahmen sogleich die Maßregelungen von staatlichen Medien neue Formen an. Per e-mail erhalten die Journalisten Anweisungen, worüber und in welcher Form berichtet werden durfte 6 8 Als zweites plädierte der Präsident überraschenderweise für die Stärkung des Parlamentes per Verfassungsreform. In der Rede an die Nation zum elften Jahrestag der Unabhängigkeit am 24. August 2002 plädierte er dafür, dass die Regierung nur noch dem Parlament verantwortlich sein solle und dass die Parteien mehr Verantwortung übernehmen sollten 6 9 Die Ukraine sei mit der Festigung der Eigenstaatlichkeit so weit vorangekommen, dass sie keine starke Präsidentenmacht mehr benötige, die bisherige „Präsidialdemokratie habe sich überlebt", erklärte Kutschma und stellte in Aussicht, die Vollmachten des Präsidenten einzuschränken. 70 Eine solches Wendemanöver hatte Kutschma niemand zugetraut und daher herrschte zunächst ungläubige Sprachlosigkeit. Kutschma hatte jedoch schon zuviel verbrannte Erde hinterlassen, als dass man ihm redliche Motive zugestehen wollte. Vielmehr wurde seine Offerte einer Verfassungsreform zugunsten des Parlaments als Kehrtwende mit Kalkül interpretiert, um der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen und für die Zeit nach dem Ende seiner Präsidentschaft vorzusorgen. Ein schwacher Nachfolger hätte weniger Hebel in der Hand, um Kutschma womöglichen Amtsmissbrauch nachzuweisen. Nach den Parlamentswahlen vom März 2002 hatte es zunächst so ausgesehen, dass sich die Opposition gegen den Präsidenten organisieren würde. Es bildete sich die sogenannte „Vierergruppe" aus Kommunisten, Sozialisten, der Vaterlandspartei von Julija Tymoschenko und „Nascha Ukrajina". 7 1 Dann jedoch entschied sich
66
Vgl. „Podarok ukrainskim bolel'schtschikam futbola", in: Ukrajina.ru, nowosti, 13.6. 2002. 67 „Oligarchi i oligarchy", in: Nesawisimaja gaseta, 23. 8. 2002, S. 5. 68 Ludwig, 2002g. 69 „Präsident Kutschma will das Parlament stärken", in: Frankfurter Rundschau, 26. 8. 2002. Vgl. Ludwig, 2002 f. ™ Rosen 2002b. 7
' Ludwig, 2002 f.
IV. Die Kräfteverteilung i m neuen Parlament
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Juschtschenko für den Ausstieg aus der Vierergruppe und initiierte die Bewegung „Forum aller demokratischer Kräfte", die selbständig zu Protestaktionen gegen den Präsidenten aufrief. Als weitere Ziele formulierte das „Forum demokratischer Kräfte" die Bildung einer Parlamentsmehrheit unter Beteiligung von „Nascha Ukrajina" und die Bildung einer Koalitionsregierung auf der Basis der Wahlsieger vom März 2002. 7 2 In der Konsequenz bedeutete dies also die Forderung nach einer Ablösung der Regierung von Ministerpräsident Kinach durch ein neues Kabinett unter Leitung von „Nascha Ukrajina". Die Chancen Juschtschenkos, eine Mehrheit zustande zu bringen, scheiterte jedoch an der heterogenen Interessenslage innerhalb der Opposition. A m 14./ 15. September 2002 fand in Kiew auf Initiative von „Nascha Ukraj i n a " das Forum demokratischer Kräfte statt, auf dem nach einem Ausweg aus der politischen Krise des Landes gesucht werden sollte und zu dem auch der Präsident eingeladen war. A m 16. September 2002 kam es landesweit zu den größten Protestaktionen während der achtjährigen Präsidentschaft Kutschmas. A n diesem Tag jährte sich das Verschwinden des Journalisten Heorhij Gongadse zum zweiten Mal. Zu der Veranstaltung unter dem Motto „Erhebe Dich, Ukraine" hatten die Kommunistische Partei, die Sozialisten und die Vaterlandspartei von Julija Tymoschenko aufgerufen. Die Behörden hatten per Gerichtsbeschluss die Demonstration i m Stadtzentrum untersagt. Stattdessen sollte sie auf einem alten Flugplatz außerhalb von Kiew stattfinden. M i t Rundfunkmeldungen, dass es in Kiew an Blutkonserven fehle, wurde versucht, die Menschen von einer Teilnahme abzubringen. Allen Behinderungen zum Trotz wurde die Kundgebung auf dem Europaplatz i m Stadtzentrum abgehalten. Danach drangen die Demonstranten zu Kutschmas Amtssitz vor, um dort ein Zeltlager zu errichten. Inoffiziellen Schätzungen zufolge beteiligten sich im ganzen Land bis zu 100.000 Menschen, davon allein in Kiew rund 50.000 Menschen. 7 3 Dabei kam es zu Übergriffen der Polizei gegen Demonstranten, als deren Zelte vor der Präsidialadministration gewaltsam beseitigt wurden. Über 100 Menschen wurden vorübergehend in polizeiliche Gewahrsam genommen. 7 4 A u f der Kundgebung wurde eine Resolution angenommen, derzufolge Kutschma aufgefordert wurde, die Führung der Amtsgeschäfte niederzulegen und seinen Posten durch vorzeitige Wahlen freizumachen. 75 Bei der Darstellung der Protestaktionen in den Medien hatte die Zensur eingegriffen. Alle nationalen Fernsehsender hatte man an dem Tag wegen an-
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„Nascha Ukrajina ne chotschet byt' w sbornoj soljanke", in: Obosrewatel', 28. 8. 2002. „Slona-to ja ne primetil...", in: Ukrains'ka prawda, 17. 9. 2002. 74 „Wo wremja likwidazii palatotschnogo gorodka bylo saderschano bolee 100 tschelowek", in: Ukrajina.ru, nowosti, 17. 9. 2002. 75 „Leonid Kutschma otkasalsja wstretschat'sja s opposizionerami", in Ukrajina.ru, nowosti, 18. 9. 2002. 73
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J. Die Wahlen zur Werchowna Rada vom März 2002
geblich dringend notwendiger Reparaturarbeiten abgestellt. Die Journalisten hatten Anweisungen erhalten, die Demonstranten als „politische Wilde" darzustellen. 76 Ein weiterer Schritt Kutschmas, um seine Position bis zum Ende der Amszeit zu sichern, war die Herstellung einer Parlamentsmehrheit. A m 8. Oktober 2002 erklärten neun propräsidentielle Fraktionen der Werchowna Rada ihren Zusammenschluss zu einer Parlamentsmehrheit von insgesamt 231 Abgeordneten. 77 Das lag knapp über der einfachen Mehrheit von 226 Stimmen. I m Einzelnen schlossen sich der neuen Mehrheit an: Die Partei der Industriellen und Unternehmer und die Partei „Trudowa Ukrajina" (41 Abgeordnete), die Partei „Regionen der Ukraine" (37 Abgeordnete), die Vereinigte Sozial-Demokratische Partei (36 Abgeordnete), die Volksdemokratische Partei (17 Abgeordnete), die Agrarier-Partei (16 Abgeordnete), die Abgeordnetengruppe „Europäische Wahl" (18 Abgeordnete), die Gruppe „Demokratische Initiativen" (19 Abgeordnete), die Gruppe „Volksmacht" (18 Abgeordnete) sowie die Gruppe „Volkswahl" (14 Abgeordnete). Außerdem schlossen sich noch 10 fraktionslose Deputierte und 5 Abgeordnete aus den Reihen der Opposition der neuen Mehrheit an. Zweifellos hatten Präsident Kutschma und Premierminister Anatolij Kinach auf die Bildung der Mehrheit Einfluss genommen. Zuvor hatten sie mehrfach die Notwendigkeit einer stabilen Mehrheit als Voraussetzung einer effektiven Legislative angemahnt. Ein wichtiger Testlauf der neuen Parlamentsmehrheit war die Abstimmung über Kutschmas neuen Kandidaten für das A m t des Premierministers, Wiktor Janukowytsch. A m 21. November 2002 wurde Janukowytsch, bis dahin Gouverneur von Donezk, mit 232 Ja-Stimmen gewählt. Politische Beobachter werteten den Regierungswechsel als weiteres Indiz dafür, dass Claninteressen in Kutschmas zweiter Amtszeit immer mehr in den Vordergrund rückten.
76 Ludwig, 2002g. 77 „W Werchownoj Rade pojawilos' parlamentskoe bol'schinstwo", in: Ukrajina.ru, nowosti, 8. 10. 2002.
Κ. Zusammenfassung Die Ukraine war 1991 vor die Aufgabe gestellt, die Bereiche Politik, Wirtschaft und Verwaltung radikal zu reformieren, um den jungen Staat auf ein sicheres Fundament zu stellen. Dabei erwies es sich als unmöglich, diese einzelnen Bereiche synchron zu reformieren. Schnelle und radikale Reformen, die westliche Politiker empfahlen, haben sich in der Ukraine als undurchführbar erwiesen, weil das institutionelle Erbe der Sowjetunion und die Interessen der postsowjetischen Eliten des Landes dies verhinderten. Die Ukraine befindet sich daher heute in einem „Krisenzustand unabgeschlossener Reformen". 1 Erste zaghafte Demokratisierungserfolge sind akut gefährdet durch einen „Trend zu wachsendem Autoritarismus", der den gesamten GUS-Raum erfasst hat und auch in der Ukraine auf dem Weg der Demokratisierung bereits Erreichtes wieder zunichte zu machen droht. 2 Die Chance für den Neubeginn nach 1991 wurde in dreierlei Hinsicht verpasst: Es fand kein Austausch der Eliten statt, es wurden keine raschen Neuwahlen zum Parlament angesetzt, und die Annahme einer neuen Verfassung zog sich über Gebühr lange hin. Zentrale Institutionen blieben von Veränderungen verschont. So konnten die ersten Fortschritte der Demokratisierung keine nachhaltige Wirkung entfalten und wurden in der zweiten Häfte der 90er Jahre teilweise wieder umgekehrt. Da die Akteure und Eliten ihre soziale Prägung zu Sowjetzeiten erfahren haben, wurden auch typische Praktiken des sowjetischen Nomenklaturastaats wie die Personalisierung der Macht 3 fortgeführt. Personalisierte Netzwerke sind in der Ukraine weiterhin die vorherrschende Form für die Durchsetzung von Interessen. 4 Beibehalten wurde die Gepflogenheit, formale Verfahrensregeln durch informelle Praktiken zu unterlaufen. Informelle Praktiken wie Klientelismus und Korruption prägen das Binnenleben der politischen Institutionen und den politischen Prozess stärker als verfassungsrechtliche Regelungen. 5 Die Prinzipien des Rechtsstaates haben sich in der Ukraine erst schwach herausbilden können. Nicht Gesetze und Normen bestimmen die Beziehungen zwischen den Institutionen und deren Binnenleben, sondern einzelne Akteure mit ihren persönlichen Machtinteressen. 6 1 Diese Diagnose stellt Valerij Ljubin auch für die Russländische Föderation, vgl. Ljubin, Valerij P., 2002: Autoritarimus oder Demokratie? Zur politischen Kultur im heutigen Russland, in: Osteuropa, H. 2, S. 187. 2 Bos, Ellen, 2001: „Superpräsidentialismus" in Russland und der Ukraine, Redemanuskript, 23. April 2001. 3 Stykow, 1999: S. 170. 4 Vgl. Bos, 2002, S. 485.
5 Vgl Bos, 2001.
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Κ . Zusammenfassung
Ein weiteres Problem auf der Akteursebene besteht darin, dass es der Ukraine vor allem in den Anfangsjahren an Problemlösungskompetenz mangelte, wie der Transformationsprozess sinnvoll zu gestalten wäre (s. Kap. I.I.). Obwohl in der Ukraine i m Vergleich mit den anderen Sowjetrepubliken ein relativ hohes Ausbildungsniveau bestand, war der Mangel an qualifizierten Rechts- und Verwaltungsexperten sowie Wirtschaftsfachleuten eklatant. Der „brain drain", den Moskau zu Sowjetzeiten auf alle Republiken und in besonderem Maße auf die slawischen Republiken Weißrussland und Ukraine ausübte, fand seine Fortsetzung nach 1991 in einer Abwanderung qualifizierter Fachkräfte vor allem in die westlichen Industriestaaten. Die Unabhängigkeit des Landes kam zu einem Zeitpunkt, als es in der Ukraine um die Verfügbarkeit von Führungskräften schlecht bestellt war. Formen des Frühkapitalismus prägen den Transformationsprozess in der Ukraine. Durch ungleiche Zugangsbedingungen für die Marktteilnehmer bei der Neuaufteilung des Staatsvermögens entstanden Wirtschaftsclans und Oligarchen, die am meisten von einer „räuberischen Privatisierung" profitieren konnten. Später nutzten sie demokratische Verfahren wie Wahlen, um sich zu legitimieren und Schlüsselpositionen in staatlichen Strukturen zu besetzen. Sie beeinflussen hochrangige Entscheidungsträger i m Staatsapparat, die sich aus Gründen des persönlichen Machterhalts in die Abhängigkeit von diesen Wirtschaftsclans begeben haben. Wie in den Kapiteln G.III, und H.III, exemplarisch dargestellt, waren die Oligarchen sowohl bei der Sicherstellung von Kutschmas Wiederwahl 1999 als auch bei der Absetzung von Premierminister Juschtschenko 2001 maßgeblich beteiligt. Viele der ukrainischen Akteure haben kein oder nur geringes Verständnis für die Gewaltenteilung. Dies wurde schon beim „Verfassungskrieg" der Jahre 1995 und 1996 deutlich (s. Kap. D.I.). In der fehlenden Bereitschaft der Akteure, sich an verfassungsmäßige Bestimmungen zu halten, die das Zusammenspiel der formal demokratischen Institutionen regeln, spiegelt sich der tief verwurzelte Rechtsnihilismus wider, der für die Sowjetunion typisch war und der in ihren Nachfolgestaaten bis heute fortwirkt. Eine solche Haltung hat das Entstehen eines positiven staatsbürgerlichen Bewusstseins bisher verhindert. Eine Konsolidierung auf der Ebene der Interessengruppen, die Merkel in seinem Mehrebenenmodell als eine der Voraussetzungen für eine Konsolidierung des Gesamtsystems definiert 7 , hatte in der Ukraine bisher nur mäßigen Erfolg. So sind z. B. kaum neue einflussreiche Gewerkschaften entstanden. Die Bedeutung und der Einfluss von Parteien sind weiterhin deutlich geringer als in westlichen Demokratien. Parteien sind häufig auf wenige Führungspersonen konzentriert. Parteienbündnisse und Fraktionsgemeinschaften zerfallen fast so schnell wie sie entstehen.
6 Mostowaja, Julija: Kto sa komissiej, sosdatel'?, in: Serkalo Nedeli, No. 43 (316), 4.-10. 11. 2000, S. 1. 7 Merkel, 1995: S. 54.
Κ . Zusammenfassung
Demokratische Gepflogenheiten haben in der Ukraine noch keine tiefen Wurzeln entwickeln können. Es fehlt eine vitale parlamentarische Demokratieerfahrung. Zwar zeigte man sich ab 1991 in der Ukraine bemüht, demokratische Verfahren nach westlichem Vorbild zu übernehmen. In der Praxis handelt es sich jedoch meist um eine bloße Imitation demokratischer Regeln. Dies haben die Manipulationen bei den Präsidentschaftswahlen 1999, beim Verfassungsreferendum 2000 sowie den Parlamentswahlen 2002 (s. Kap. G.II., G.IV. und J.III.) gezeigt. Man begnügt sich mit einer „niedrigen Zielerreichung bei der Demokratisierung". 8 Ohne den Druck des Europarates, der die Ukraine wegen der notorischen Verletzung ihrer Mitgliedspflichten schon mehrfach ausschließen wollte, wäre das Land möglicherweise längst eine „konstitutionelle Diktatur". 9 Zwar werden regelmäßig Wahlen vorgenommen, um den Verfassungsvorschriften Genüge zu tun. Bei den Abstimmungen konkurrieren verschiedene Kandidaten, Parteien und Wahlblöcke. Was jedoch den Ablauf von Wahlkampagnen und Wahlen angeht, so zeigt sich, dass Mechanismen des alten totalitären Systems fortwirken. 1 0 I m Wahlkampf gibt es keine Chancengleichheit der Bewerber. Bei der Durchführung von Wahlen und der Stimmenauszählung kommt es immer wieder zu Manipulationen. Massenmedien und Wahlbeobachter können den Missständen durch die Herstellung von Öffentlichkeit nur wenig entgegensetzen, da ihre Kritik entweder zurückgewiesen oder ignoriert wird. Die Hauptstörquelle für den Transformationsprozess aber liegt im Verhältnis der Verfassungsinstitutionen Präsident und Parlament. Wie auch in anderen GUS-Republiken verläuft hier die Konfliktachse mit den größten Problemen. Die Auseinandersetzung zwischen Exekutive und Legislative hat inzwischen Systemcharakter angenommen. Das Ping-Pong-Spiel zwischen Präsident und Parlament bei der Ausarbeitung von Gesetzen ist nur äußerer Ausdruck eines tieferliegenden Problems. Das Zusammenspiel der institutionellen Bereiche ist noch nicht ausreichend geklärt. Es wird weiter um feststehende Verfahren gerungen, so dass permanent strukturell bedingte Reibungsverluste auftreten. Ressourcen der politischen Macht werden verschwendet und gebunden, die durch klare Entscheidungsroutinen freigesetzt werden könnten. 1 1 Durch Machtkämpfe und Selbstblockaden zwischen Parlament und Präsident wurde bei der bisherigen Transformation der Ukraine wertvolle Zeit vertan. 1 2 Die verspätete Verfassunggebung ist ursächlich auf diesen Interessenskonflikt zwischen Exekutive und Legislative zurückzuführen (s. Kap. D.I.).
8 Gramatzki, 2001, S. 69. 9 Veser, 2001: a. a. O. 10
Eklatante Beispiele dafür sind etwa die Bekanntgabe von einer Wahlbeteiligung von 99 oder gar 100 Prozent in einzelnen Wahlbezirken, wie sie etwa bei der Präsidentschaftswahl 1999 offiziell vermeldet wurde. " Rüb, 1996: S. 41 ff. '2 Vgl. Lindner! Meissner, 2001: S. 21.
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Κ . Zusammenfassung
Eine demokratische Gewaltenteilung, wie sie die Verfassung von 1996 vorsieht, hat sich bisher nicht etablieren können. In der Verfassungsrealität haben sich die Gewichte immer mehr zugunsten des Präsidenten verschoben. M i t dem Parlament, der Regierung, dem Verfassungsgericht, dem Generalstaatsanwalt und den lokalen Selbstverwaltungen unterliegen alle Verfassungsinstitutionen dem Einfluss des Präsidenten und seiner Verwaltung. Wie auch in Russland und Belarus konzentriert die Exekutive immer mehr Macht in ihren Händen. Besonders prekär an dieser Entwicklung ist, dass das Parlament Macht und Eigenständigkeit zunehmend eingebüßt hat, so dass sogar der „Niedergang des ukrainischen Parlamentarismus" befürchtet w i r d . 1 3 Das Parlament stellt nicht, wie in der Verfassung vorgesehen, ein Gegengewicht zum Präsidenten mit echten Kontrollfunktionen gegenüber der Exekutive dar. Die „samtene Revolution" i m Parlament Anfang 2000 führte unter Missachtung der Geschäftsordnung eine propräsidentielle Mehrheit herbei (s. Kap. G.III.). Wie die Ergebnisse der Parlamentswahlen 2002 gezeigt haben, konnte der Staatsapparat vor allem bei der Vergabe der 225 Direktmandate mithilfe der „administrativen Ressourcen" manipulierend eingreifen (s. Kap. J.III.). Die Regierung wird de facto vom Präsidenten kontrolliert und geleitet. Der Machtanspruch des Präsidenten geht weit über das von der Verfassung zugestandene Maß hinaus, so dass er faktisch zusätzlich für sich die Rolle des Regierungschefs beansprucht (s. Kap. D.II.3.). Das Verfassungsgericht trifft häufig Entscheidungen i m Sinne des Präsidenten und hat sich noch nicht zu einer unabhängigen Institution entwickeln können (s. Kap. E.). Somit hat sich die ursprünglich vorgesehene Machtbalance zwischen Legislative, Exekutive und Judikative nicht i m Sinne der Verfassung etablieren können. Es ergibt sich eine faktische Schieflage zugunsten des Präsidenten. Die Stärkung des Präsidenten hat nicht zu einer Stärkung des Staates an sich geführt. 1 4 Der Zuschnitt von Entscheidungsprozessen auf die Präsidentenvertikale hat einen fragwürdigen Politikstil hervorgebracht. Wie die Gongadse-Affäre exemplarisch aufzeigte, herrscht in den obersten Machtkreisen der Ukraine eine primitive politische Kultur. Die Teilhaber der Macht, die i m Wesentlichen vom Präsidenten kooptiert werden, verfolgen eigene Interessen und kennen kaum gesellschaftliche Verantwortung. Nur eine geringe Anzahl von Personen hat Zugang zu politischer Macht. Die Selektion dieses inneren Machtzirkels findet nach subjektiven Kriterien statt und hat einen erratischen Charakter. M i t dem Wahlkampf 1999, der von Präsident Kutschmas unbedingtem Willen zur Wiederwahl geprägt war, wurde die autoritäre Wende in der ukrainischen Politik eingeläutet. Seither wurde das von der Verfassung vorgesehene semi-präsiden-
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Dieses Szenario entwirft etwa Gerhard Simon, Vgl. Simon, 2000: S. 61. So ist es auch in Belarus und Russland, die für Kutschma die Vorbilder eines starken Präsidialsystems darstellen, zu keinen überzeugenden Reformerfolgen gekommen. 14
Κ . Zusammenfassung
tielle System in eine Ein-Mann-Herrschaft verwandelt. Dabei haben die GongadseAffäre und der Tonbandskandal die Legitimität der derzeitigen politischen Führung des Landes erheblich und womöglich irreparabel beschädigt. Die Affäre hat die Staatsführung in der Auffassung bestärkt, dass sie nur mit rigiden Maßnahmen ihre Macht erhalten kann. Statt einer Besinnung auf demokratische Mechanismen verstetigte sich seitdem der Autoritari smus ukrainischer Prägung. Das Parteiensystem bleibt von Unreife gekennzeichnet und verharrt in einem Protostadium. Viele Parteien spielen nur eine untergeordnete Rolle. Die ukrainische Parteienlandschaft zeichnet sich durch ein „hypertrophes Vielparteiensystem" aus. 1 5 Die Parteien sind nicht in der Gesellschaft verwurzelt und dienen oft nur den Absichten ihrer machtgierigen Führer. Die wirkliche Macht konzentriert sich beim Präsidenten und seiner Verwaltung. Es gibt keine Partei, die alleine oder in einer Koalition die Regierungsverantwortung übernehmen könnte. Bei vielen Parteien scheint die inhaltliche Ausrichtung zweitrangig bis irrelevant. Sei es die Partei der Grünen, sei es die Liberale Partei oder die der Sozialdemokraten - die Bezeichnungen sind irreführend, weil die Parteien mit der jeweiligen Programmatik so gut wie nichts gemein haben. Auch für viele andere ukrainische Parteien gilt diese inhaltliche Indifferenz. Unter diesen Umständen ist die Bevölkerung den Parteien gegenüber verständlicherweise distanziert und skeptisch. Während sich die Politikverdrossenheit in den ersten Jahren der Unabhängigkeit vor allem gegen das Parlament richtete, hat seit dem Skandal um Premierminister Lasarenko und der Gongadse-Affäre auch die Staatsführung mit dem Präsidenten an der Spitze ihre Glaubwürdigkeit verloren (s. Kap. F.II.4. und Kap. H.II.). Die Reputation der Staatsführung ist durch innenpolitische Skandale und Verwicklungen in Korruptions- und Verbrechensfälle stark beschädigt worden. 1 6 Nach seiner Wiederwahl im Herbst 1999 hat der Präsident seinen Ruf, ein Reformer zu sein, verspielt und sich als skrupelloser und autoritärer Machtpolitiker entpuppt. In seiner zweiten Amtszeit hangelt er sich von Skandal zu Skandal und es ist trotz seines Stehvermögens keineswegs ausgemacht, dass sich Kutschma bis zum Ende seiner Amtszeit an der Macht halten kann. In der Bevölkerung überwiegt die Meinung, dass Machthaber wie Kutschma nicht die Interessen der Bürger, sondern eigennützige Interessen vertreten. Statt klarer Programmatik herrscht inhaltliche Beliebigkeit. Die Parteien sind größtenteils Sammelbecken und Katalysatoren undurchsichtiger Partikularinteressen. Die Staatsbürokratie wird mit Korruption und Parasitentum gleichgesetzt. 17 A m Bei'5 Dergatschow, 2001: S. 18. >6 Lindner! Meissner, 2001: S. 27 17 Nach Einschätzung des Berliner Zentrums „Transparency International" ist die Ukraine eines der am meisten korrumpierten Länder. Die Ukraine nimmt den 83. Platz unter 91 Ländern ein. Vgl. Monatsbericht des Kiewer Zentrums für politische Studien und Konfliktologie, Juni 2001, S. 15. Trotz vielfacher Regierungsprogramme gegen die Bestechlichkeit im
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Κ . Zusammenfassung
spiel der Ukraine zeigt sich, dass ein von der Verfassung vorgesehenes semi-präsidentielles System in der Verfassungsrealität häufig eine unbeabsichtigte Dynamik entwickelt. 1 8 Diese Mischform erlaubt es dem Präsidenten, de facto weit mehr Macht auf sich zu vereinigen, als de jure von der Verfassung vorgesehen ist. Unter den genannten Voraussetzungen konnte sich in der Ukraine ein System etablieren, in dem ein zwar demokratisch legitimierter, aber autoritär agierender Präsident den politischen Prozess dominiert. Der Machtapparat des Präsidenten stützt sich auf vier offizielle Hauptsäulen. Diese sind die Präsidialadministration, die öffentlich nahezu unkontrollierbar ist. Die zweite Säule ist der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat (RNBOU) als eine Art Schattenkabinett. Die dritte Säule ist die Regierung, die der Präsident faktisch selbst kontrolliert. Die vierte Säule sind die Leiter der staatlichen Gebiets Verwaltungen. Diese vier Komponenten sind in eine straffe Präsidentenvertikale eingefügt. Die Präsidialadministration und der R N B O U haben sich zu den einflussreichsten Entscheidungszentren entwickelt, welche die anderen Verfassungsinstitutionen Parlament, Regierung und Verfassungsgericht in beträchtlichem Ausmaß beeinflussen können (s. Kap. D.II.l.a) und D.II.l.b)). M i t der „Hypertrophie von exekutiven Strukturen" befinden sich immer mehr Machtinstrumente in der Hand des Präsidenten. 19 Ein zusätzliches informelles Fundament der Präsidentenmacht sind die verschiedenen Oligarchengruppen, die um die Gunst des Präsidenten buhlen. Die Mehrheit der Bevölkerung hat kein Vertrauen in die politischen Parteien und Verfassungsinstitutionen. In der Meinung, dass die Interessen der Bürger i m politischen Prozess kaum eine Rolle spielen, ist der Wunsch nach persönlichem Engagement in Parteien, gewählten Gremien oder zivilgesellschaftlichen Strukturen kaum vorhanden. So sind kaum zwei Prozent der Bevölkerung Mitglied in politischen Parteien, nur 20 Prozent sympathisieren mit einer der Parteien. Politik wird von der Mehrheit der Bevölkerung als „schmutzige Angelegenheit" empfunden und genießt wenig Akzeptanz. 2 0 Nach den bisherigen Erfahrungen in der Ukraine hat sich das semi-präsidentielle Herrschaftssystem für die Demokratisierung des Landes als sehr hinderlich erwiesen. Die negativen Seiten und der rigide Charakter von präsidentieller Macht kommen in der zweiten Amtszeit eines Amtsinhabers besonders zum Tragen. Ist eine Wiederwahl des Präsidenten aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr mögStaatsapparat haben die Korruptionsfälle von 1990 bis 1999 um das 2,6-fache zugenommen. Dies stellte eine Analyse des ukrainischen Zentrums für wirtschaftliche und politische Untersuchungen (UCEPI) fest. Demnach zahlten Geschäftsleute bis zu 6,5 Prozent des durchschnittlichen Jahreseinkommens als Bestechungsgelder an Staatsdiener. Vgl. Ott, 2000b, S. 25. 18 Rüb hat auf diese Besonderheit semi-präsidentieller Systeme hingewiesen. Vgl. Rüb, 1994: S. 268. 19 Kononenko, 1998: S. 13. 20 Ott, 1999a: S. 58.
Κ . Zusammenfassung
lieh, führt die Furcht vor dem Auslaufen der Amtszeit „zu konzeptionell wenig ausgearbeiteten Politiken, zu überstürzter Implementation, politischer Ungeduld gegenüber Kritikern und der Opposition" 2 1 . So wurden in der zweiten Amtszeit von Präsident Kutschma die bis dahin erreichten Demokratisierungserfolge teilweise zunichte gemacht. Dies ist ein Phänomen, das auch auf andere GUS-Republiken zutrifft. Einmal wiedergewählt, muss der jeweilige Amtsinhaber noch weniger Rücksichten auf andere politische Richtungen und die Interessen der Bevölkerung nehmen, da er j a nicht noch einmal gewählt werden kann. Gegenwärtig handelt es sich beim ukrainischen System nicht um eine Demokratie, sondern um ein autoritäres Regime, bei dem die Probleme der Personalisierung von Macht eklatant zutage treten. 2 2 Eine demokratische Fassade dient der Bemäntelung eines autoritären Präsidialregimes. Die Hauptmerkmale des Autoritarismus ukrainischer Prägung sind die Schwäche von Institutionen, von Parteien und von zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen. Das Stadium, das die Ukraine heute erreicht hat, stellt sich als eine Mischung aus Autoritarismus, Anarchie und Oligarchie dar. Klientelismus, Korruption sowie die Verfilzung von Wirtschaft, Kriminalität und Politik haben sich zu einem System verbunden, das die Entstehung einer Bürgergesellschaft verhindert und Manipulationen von Wahlen und demokratischen Institutionen ermöglicht. Kriterien eines demokratischen Staatswesens werden nur scheinbar erfüllt, indem unter anderem regelmäßig Wahlen stattfinden. Die Entscheidungsabläufe werden jedoch maßgeblich durch die Exekutive und Eliten ohne ausreichende demokratische Kontrolle durch das Parlament bestimmt. M i t der Einordnung der Ukraine als autoritäres System verneint diese Arbeit daher auch ausdrücklich politikwissenschaftliche Ansätze, die die Ukraine als zwar demokratisch bezeichnen, aber durch Adjektive wie unvollständig, delegativ, defekt oder illiberal einschränkend qualifizieren. Diese Bezeichnungen wie ζ. B. der delegativen Demokratie treffen auf die Ukraine nicht zu, weil sie vom undemokratischen Kern des politischen Systems ablenken. Wie andere Länderstudien i m Rahmen der GUS zeigen ist die Ukraine kein isolierter Einzelfall. Die meisten postsowjetischen Staaten haben das Ziel einer liberalen Demokratie weit verfehlt. Die politische Realität dieser Länder widerlegt damit die optimistische Annahme der Konsolidierungsforschung, dass es bei Übergangsregimen notwendigerweise zu der Abfolge von Liberalisierung, Demokratisierung und Konsolidierung kommt. Das Beispiel der Ukraine zeigt, dass Systeme verhältnismäßig lange in einer Grauzone verharren können, ohne eine eindeutige Entwicklungsrichtung einzuschlagen.
21 Rüb, 1996: S. 58. 22 Dolschertkow, Oleh, 2000: Sutnist' politytschnoho resehymu Ukrajiny, in: Nowa Polityka, H. 2 (28), S. 9.
L. Ausblick Ob nach den Parlamentswahlen vom März 2002 der ukrainische Transformationsprozess wieder aufgenommen wird, ist offen und hängt in erster Linie von den Akteuren ab. Die Tatsache, dass die Kommunisten nur noch drittstärkste Kraft wurden, hat gezeigt, dass Rückwärtsgewandtheit und die Sehnsucht nach den alten Zeiten i m Schwinden begriffen sind. Der starke Zuspruch, den das Wahlbündnis „Nascha Ukrajina" Wiktor Juschtschenkos erfahren hat, verdeutlichte den Wunsch vieler Wähler nach einer qualitativ anderen Politik und einer Abkehr von einem arroganten Machtstil, der sich in den letzten Jahren verfestigt hat. A u f den ersten Blick scheiterte der Präsident mit seiner Strategie, den Präsidentenblock „Saedu" zur stärksten politischen Kraft zu machen. Informelle Verfahren und der Einsatz materieller Anreize, die parteiungebundene Abgeordnete zu einem Überwechseln veranlassen sollen, haben jedoch die tatsächlichen Kräfteverhältnisse zugunsten von „Saedu" verschoben. Tatsächlich kam es zu einem „Sieg nach der Wahl" 1 , indem der Präsidentenblock die meisten unabhängigen Abgeordneten für sich gewinnen konnte. Spätestens mit der Installierung seines neuen Regierungschefs Wiktor Janukowytsch i m November 2002 hat der Präsident wieder die Oberhand i m politischen Prozess gewonnen. Die Gefahr eines AmtsenthebungsVerfahrens gegen Kutschma, das die Opposition bisher vergebens einleiten wollte, ist wesentlich kleiner geworden, seitdem Wolodymyr Lytwyn Vorsitzender der Werchowna Rada ist. In dieser Konstellation ist es auch unwahrscheinlich, dass es zu einer Beschneidung präsidentieller Rechte auf dem Verfassungswege kommt. 2 Die Verteilung der wirtschaftlichen und politischen Macht dürfte daher weiter nach eigenen informellen Regeln erfolgen, die mit dem verfassungsrechtlichen Rahmen nichts mehr zu tun haben. Es steht zu erwarten, dass Präsident Kutschma in der ihm verbleibenden Amtszeit an seinem autoritären Kurs festhalten und eine weitere Expansion seiner Macht anstreben wird. Der Druck des präsidentiellen Apparates z. B. auf die Medien ist inzwischen so perfektioniert, dass die Entwicklung politischer Alternativen für kommende Wahlen in Zweifel gezogen werden muss. Es steht daher zu befürchten, dass auch ein - möglicherweise demokratisch gesinnter - Amtsnachfolger die vorgeprägten Machtmechanismen fortführen wird, weil diese vom System bereits internalisiert sind. Auch ein Präsident nach Kut-
1 Ludwig, 2002e. 2 Ludwig, 2002e.
L. Ausblick
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schma wird nicht bei Null beginnen können. Er ist den Gesetzen der „Pfadabhängigkeit" des Transformationsprozesses unterworfen. 3 Solange die Akteure weiterhin informelle Praktiken und Manipulationen als die beste Methode zur Durchsetzung ihrer Interessen sehen, dürfte eine Demokratisierung kaum vorankommen. Selbst wenn es mittels Wahlen zu einem personellen Austausch politischer Entscheidungsträger kommt, garantiert das noch keine Anknüpfung an den demokratischen Systemwandel, auch wenn die neuen Amtsinhaber formal ein demokratisches System anstreben. Eine Implementierung des Verfassungsreferendums vom April 2000 ist nicht in Sicht und ist auf einen längeren Zeitraum gesehen nicht zu erwarten. Gleichzeitig zeigen immer wieder aufkommende Forderungen nach Verfassungsänderungen, dass die verfassungsmäßigen Grundlagen des Staates keineswegs fest gefügt sind. Solange jedoch der Verfassungsprozess nicht abgeschlossen ist, muss auch der Demokratisierungsprozess in der Schwebe bleiben. Die Chancen für eine Wiederaufnahme des Demokratisierungsprozesses sind nicht allzu groß, solange das Funktionieren der Machtstrukturen für die Gesellschaft weitgehend undurchschaubar ist und Entscheidungsprozesse im Rahmen nichtöffentlicher Politikformen ablaufen. Angesichts der prekären Lage von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine weitere Stärkung der Position des ukrainischen Präsidenten nicht wünschenswert. Unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten wäre sie geradezu gefährlich. Bei den jetzigen Akteuren bestünde vielmehr eine große Wahrscheinlichkeit, dass ein reines Präsidialsystem in der Ukraine noch stärker autoritäre Züge entwickeln würde, als dies ohnehin schon der Fall ist. 4 Dies würde die ukrainische Herrschaftskultur der von Belarus noch ähnlicher machen, als sie es ohnehin schon ist. 5 Entgegen verbreiteter Appelle an die westlichen Demokratien, den Transformationsstaaten und damit der Ukraine mehr Hilfestellung zu geben, scheint Skepsis angebracht, ob mit Einfluss von außen der Transformationsprozess in der Ukraine wieder angeschoben werden kann. In der Ukraine selbst bei den Akteuren muss befördert von einem Generationswechsel - die Überzeugung wachsen, dass die Einhaltung demokratischer Spielregeln zu gerechterer Ressourcen- und Machtverteilung führt und somit allen nützt. Auch muss sich in der Ukraine die Einsicht durchsetzen, dass nur durch eine Abkehr von autoritären Machtmethoden das Ziel einer langfristigen Integration in europäische Strukturen erreichbar ist. 6 M i t den derzeitigen Akteuren und Entscheidungsträgern, die sich als nur begrenzt demokratie- und lernfähig erwiesen haben, ist dies offensichtlich nicht möglich.
3 Kubicek, 1996: S. 30. 4 Vgl. Ott, 2000c. 5
Dies konstatiert Rainer Lindner in: Lindner ! Meissner, 2001: S. 22. 6 Simon, 2000, S. 66.
222
L. Ausblick
Welche Richtung der ukrainische Transformationsprozess einschlagen wird, ist schwer zu prognostizieren. Zwar lässt die bisherige Entwicklung den Schluss zu, dass sich in der Ukraine auch langfristig keine Demokratie westlichen Typs etablieren wird und dass der Transformationsprozess in einer Grauzone verharrt. Darüber hinaus dürfte das Ergebnis der Transition von einem ehemals totalitären System zu einem „uncertain something else" 7 weiterhin offen bleiben.
7 O' Donneili Schmitter,
1986, S. 3.
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und Verteidigungsrates
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Personen- und Ortsregister Achmetow, Rinat 182, 187, 188 Albright, Madeleine 203 Asarow, Mykola 164, 167
Haber, Nikolaj 140 Hawrysch, Stepan 147,179 Hetman, Wadym 118 Holowacha, Jewhen 158 Holowatij, Serhij 18, 47, 52, 156, 170 Horbulin, Wolodymyr 65, 110, 135, 198 Hruschewskij, Wolodymyr 87 Hryhorowytsch, Lilija 176 Hryzenko, Anatolij 182 Hurenko, Stanislaw 77, 79
Babytsch, Walerij 99, 102 Bajkonur 106, 107 Bakaj, Ihor 136, 187 Baklanow, Oleg 107 Bandera, Stepan 86 Basyljuk, Olexandr 140 Beloweschtsch 89 Beresowskij, Boris 131 Bessmertnyj, Roman 18,62,163 Biloblozkyj, Mykola 64 Breschnew, Leonid 118 Bush, George W. 165
Iwano-Frankiwsk 41,204 Iwaschko, Wolodymyr 83, 107 Janukowytsch, Wiktor
Charkiw 63,76, 107, 110, 142 Cherson 142, 186, 193 Chmelnizkij, Bohdan 87 Choroschkowskij, Walerij 210 Clinton, Bill 88 Dergatschow, Olexandr 29 Derkatsch, Andrij 136, 163, 164, 168, 204 Dnipropetrowsk 63, 69, 91, 92, 94, 102, 106, 110, 116-118, 142, 179, 186, 187, 192, 193,202 Dolganow, Wadym 167 Donbass 93, 186, 189, 192 Donezk 93, 94, 119, 125, 142, 181, 184, 205,210,212 Duve, Freimut 137
187, 101, 184,
182,
Fokin, Witold 44, 80, 90, 183, 189 Gajdar, Jegor 100 Gongadse, Heorhij 110, 111, 157, 159, 162, 163, 168, 178,211 Gorbatschow, Michail 28, 78, 83, 86 1*
68, 181-183, 188,
212, 220 Jazuba, Wolodymyr 69 Jechanurow, Jurij 180 Jelzin, Boris 39, 88, 89, 109, 130, 132, 161, 167 Juchnowskij, Ihor 78,79, 177 Juschtschenko, Petro 202 Juschtschenko, Wiktor 31, 32, 63, 69, 146, 149, 161, 168, 169, 173-177, 179-181, 183, 201, 203, 204, 206, 208, 209, 211, 220 Kaniw 138 Karmasin, Jurij 140 Kiew 59, 102, 142, 162, 184, 186 Kinach, Anatolij 32, 64, 178-181, 183, 202,
210,212 Kirowohrad 142 Koch, Erich 81 Komanow, Wolodymyr 107 Kononow, Witalij 140 Kostenko, Jurij 130,140,145,206, Krawtschenko, Jurij 159, 162, 164, 168, 170, 193
244
Personen- und Ortsregister
Krawtschuk, Leonid (Präsident der Ukraine von Dezember 1991 bis Juli 1994) 29, 32, 38, 39, 41 ff., 47, 60, 64, 70, 77 ff., 93 ff., 110, 111, 114, 116, 146, 185, 188, 189, 191, 192 Krim 88, 101, 112, 137, 142, 186 Krim, Autonome Sozialistische Republik der 40,41 Kuschnarjow, Jewhen 63, 64 Kutschma, Leonid (Premierminister der Ukraine von Oktober 1992 bis September 1993, seit Juli 1994 ukrainischer Präsident, wiedergewählt im November 1999) 27, 32, 44, 46 ff., 59-61, 63, 64, 69-71, 73, 81, 85, 90 ff., 99 ff., 123 ff., 137, 138, 141-145, 149, 150, 153, 156 ff., 172-174, 176-179, 182, 183, 186, 188, 189, 191-194, 196, 198, 201, 208, 209, 211-213,216,219, 220 Kutschma, Olena 108, 136 Lanowyj, Wolodymyr 44, 69, 99, Lasarenko, Pawlo 68, 116-119, 183, 194, 203,217 Lawrynowytsch, Olexandr 18, 165 Lebed, Alexander 140 Luhansk 125, 142, 187 Lukanow, Jurij 108 Lukaschenko, Alexander 126 Luzenko, Anatolij 62 Lwiw 186 Lytwyn, Wolodymyr 64, 159, 167, 170, 202, 208, 209, 220
102 145, 171, 155, 164,
Moros, Olexandr 38, 44, 47, 48, 50, 55, 99, 102, 105, 120, 123, 124, 129, 137, 138, 140, 156, 162, 163, 165, 166, 168, 194, 203 Mostowaja, Julija 193 Mykolaijw 110, 142, 186 Nosow, Wladyslaw 18, 74 Odessa 18, 101, 125, 142, 186 Olijnik, Wolodymyr 137,138 Omeltschenko, Olexandr 63, 205 Onopenko, Wasyl 140 Osyka, Serhij 136 Pintschuk, Ihor 107,136,187,210 Pljuschtsch, Iwan 38, 44, 90, 99, 102, 147, 153, 168 Polochalo, Wolodymyr 29, 31, 182 Poltawa 142 Poroschenko, Petro 201 Potebenko, Michajlo 162,167,171 Pustowojtenko, Walerij 119, 124, 134, 135, 183 Putin, Wladimir 159, 160, 161, 169 Pynsenyk, Wiktor 31,93, 114,201 Rabynowitsch, Wadym 136 Riwne 81 Robertson, George 172 Rschawskij, Olexandr 140
162, 164,
Malew, Walerij 172 Martschuk, Jewhen 65, 115, 117, 125, 130, 136-138, 140, 167, 183 Martynjuk, Adam 124,147 Masepa, Iwan 87 Masol, Witalij 68, 90, 103, 114, 115, 167, 183,189 Medwedtschuk, Wiktor 64, 124, 131, 145, 147, 175, 188, 202, 203, 209,210 Melnytschenko, Mykola 111, 163-166, 170-172 Mitjukow, Ihor 114
Sadoroschnyj, Olexandr 62 Sapori schij a 142 Schewtschenko, Taras 139 Schewtschuk, Wasyl 18 Schtscherban, Jewhen 118 Schtscherban, Wolodymyr 187, 201, 208 Schtscherbizkij, Wolodymyr 82 Schurawskij, Witalij 30 Schuschkewitsch, Stanislaw 89 Sewastopol 59, 88, 142 Sintschenko, Olexandr 135,209 Skomorocha, Wiktor 66 Slenko, Anatolij 159,160,172 Smirnow, Jurij 168 Soros, George 169 Stalin, Josef 83, 86
Personen- und Ortsregister
Stojan, Olexandr 191 Sumy 173,208 Surkis, Hryhorij 131, 135, 187, 202 Surkis, Ihor 202 Swjahil'skyi, Juchym 90, 93, 94, 111, 183, 189 Symonenko, Petro 129,139-142 Symonenko, Walentyn 44 Tabatschnyk, Dmytro 52, 54, 63 Talantschuk, Petro 99, 102 Tarasjuk, Boris 159,160 Terebowlija 96 Terjochin, Serhij 167 Ternopil 41,96 Tihipko, Serhij 179,187 Tkatschenko, Olexandr 38, 123-125, 128, 129, 137, 138, 145-147 Tomenko, Mykola 30, 68, 135, 137, 143, 242 Tscherkassy 142 Tschernihiw 99, 142
245
Tschernomyrdin, Wiktor 161 Tschernowzi 81,82,84 Tschornowil, Taras 165 Tschornowil, Wjatscheslaw 41,79,80, 130,
166, 200
Tymoschenko, Julija 118, 145, 149, 158, 163, 166, 167, 178, 180, 182, 203, 205-211 Tymtschenko, Iwan 71, 75 Udowenko, Hennadij 125, 130, 140, 179 Wasil'ew, Hennadij 209 Winniza 142 Witrenko, Natalija 129, 137, 139, 140, 146, 205 Wolkow, Olexandr 131, 133, 136, 138, 145, 149-151, 175, 180, 187, 198 Wolodymyr, Patriarch der Ukrainischen Autokephalen Kirche 116 Wolskij, Arkadij 109 Worsinow, Hryhorij 117
trtverzeichnis Abgeordnete (Deputierte) 34-36, 62, 65, 66, 73,76, 127, 128, 145, 149, 151, 154, 156, 194, 199, 209, 221 Abgeordnetenimmunität 66, 72, 98, 118, 127, 128, 133, 151, 155, 170 Afghanistan-Krieg 141 Agrarpartei der Ukraine (Bauernpartei) 31, 38, 49, 98, 103, 120, 123, 147, 202, 209, 212 Ägypten 137, 165 Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der KPdSU 82 Akteure 13, 17, 19, 20, 23, 24, 26, 28, 32, 45, 56, 77, 94, 103, 121, 184, 213, 220, 221 Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) 60, 73, 115, 121, 154, 169, 170, 220 Armenien 23 Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU 112 Äthiopien 137 Atomwaffen 86, 87 Atomwaffensperrvertrag 113 Außenministerium 69, 186, 241 Außenpolitik 42, 65, 68, 112, 179, 185 Autoritarismus 41, 213, 217 Banderiwzi 85, 86 BBC 165 Belarus 12, 74, 126, 141, 216, 221 Boeing 186 Breschnew-Zeit 82 Bruttoinlandsprodukt 173, 185 Bulawa 144 China 137, 173 Clan 92, 182, 190, 194,202,210
Dekret (Ukas) 28, 43, 44, 48, 50, 58, 60, 61, 65, 69, 91, 92, 99, 102, 113, 120, 124, 132, 150, 152 Delegative Demokratie 25, 219 Demokratische Initiativen (Demokratytschni Iniziatywy) 209,212 Demokratische Union (Demokratytschnyj Sojus) 23, 133, 146, 150, 169, 176, 180, 198, 205, 206 Demokratisierung 16, 19, 24, 26, 32 Den' 18,136,241 Deputierte siehe Abgeordnete Direktkandidaten 195,204 Direktmandate 196,205 Dissidentenbewegung 83 Duma 43, 90, 93 Dynamo Kiew 135,202 Ednist' 105 Einige Ukraine (Edyna Ukrajina) 208, 209 Elite 20-24, 29, 35, 40, 80, 86, 91, 94, 105, 169, 182, 184-186, 188-190, 192, 193, 213,219 Elitenetzwerke 23, 188, 190 Energiesektor 149, 157, 175 Estland 23, 28 Europäische Menschenrechtskonvention 56 Europäische Union (EU) 112,159,161 Europäische Wahl (Ewropejs'kyj Wybir) 209,212 Europäisches Medieninstitut 136 Europaparlament 207 Europarat 48, 74, 134, 137, 138, 142, 153, 154, 165, 203, 207,215 Exekutive 17, 23, 25-27, 39, 40, 42, 44, 46, 48, 52, 58,71,93, 97, 103, 115,216,219 Exekutivkomitee 44 Financial Times 163,169 Finanz-Industrie-Gruppe 187
Stichwortverzeichnis
Finanzministerium 42, 92, 186 Forum aller demokratischer Kräfte 211 Forum zur nationalen Rettung 166, 167 Fraktionen 75,76, 123, 146, 147, 149, 192, 199, 201 Frankreich 28 Für die Wahrheit 166 G-7-Memorandum 112 Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 23, 25, 89, 101, 109, 110, 112, 129, 199,213,215,219 General Motors 110 Generalstaatsanwalt 49, 59, 66, 118, 125, 128, 164, 171,207,216 Georgien 23, 162 Geschäftsordnung des Verfassungsgerichts 72 Gesetz über die Macht 49, 50, 103 Gewaltenteilung 12, 35, 45, 46, 50, 66, 73, 128 Gewerkschaften 92, 113, 191, 213 Gongadse-Affäre 160, 162, 165, 169-171, 174, 175, 179, 193 Gouverneur, siehe Verwaltungschef eines Gebietes Grawis 131, 136 Grundlagenvertrag zwischen Russland und der Ukraine über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft (31. 5. 1997) 112 Gründungswahlen 80 Gruppe der 239 36,77,79 GULag 141 Haushaltsdefizit 91 Hitler-Stalin-Pakt 84 Holos Ukrajiny 117 Hromada 123, 145, 147 Hrywna 133, 173, 194,206 Hungersnot 1933 84, 141 Hybride Regime 25 ICTV 136,204 Industrie 104 Industriell-militärischer Komplex 105 Industrieproduktion 173 Inflation 89,94, 104, 133, 173
247
Informationsministerium 69 Innenministerium 42, 69 Innenpolitik 65, 68, 113 Institutionen 13, 19-21, 24-26, 38, 56, 69, 71 Instytut Polityky 18 Inter 135,204 Interessen 31 Interessenverbände 22, 25 Interhas 117 Internationaler Währungsfonds (IWF) 63, 104, 112, 120, 144, 146, 173, 180, 181 Interregionaler Reformblock (Mischrehional'nyj Blok Reform-MBR) 99, 105 Investitionen 97 Irak 172, 173 Israel 165 Itera-Ukraina 117 Jabluko 169, 176,205 Jednist' 205,206 Judikative 71 Jugoslawien 137 Juschmasch 65,91,93, 106-110, 186 Justizministerium 42,74, 196, 197 Kanada 170 Kartellbehörde 59 Kasachstan 87, 106 KGB 89 Kiev Post 18,241 Kolchose 143, Koltschuga 172, 173 Komitee für Zoll und Grenzschutz 42 Kommunismus 115,141,143 Kommunistische Partei der Ukraine (KPU) 31, 35, 36, 39, 41, 44, 45, 47, 49, 52-54, 74, 75, 79, 82-84, 86, 98, 101, 103, 107, 120, 123, 128, 130, 143, 147, 149, 176, 182, 184, 196, 197, 200, 203, 205, 206, 208 ff., 241 Komsomol 184,189 Konföderation 37, 78 Kongress der Werktätigen 23 Konsolidierung 19, 21, 26, 27, 32, 77, 120 Konsolidierungsforschung 19,20 Konstituzijnyj zentr 96 Koordinationsrat für Innenpolitik 131
248
trtverzeichnis
Koordinationsrat für wirtschaftliche Reformen 43 Korruption 143,193,194,217-219 KPdSU 79,80,81, 108 Kroatien 23 Kuba 137 Kupon Karbowanez 42, 88-90, 94 Kvaerner Rosenberg 186 Landwirtschaft 104 Lateinamerika 26 Legislative 17, 26, 27, 40, 46, 48, 52, 71, 93, 97, 194 Legislaturperiode 73, 148, 196, 199, 207, 208 Legitimität 20, 26, 32, 38, 56, 57, 76, 119, 217 Lenin-Preis 107 Lesungen 67 Lettland 23,28 Liberale Partei 125,217 Liberalisierung 19 Litauen 28 Mafia 92, 113, 193 Mandate 196 Marktwirtschaft 15 Massenmedien 130, 132, 135, 137, 163, 170, 192, 197, 198, 200, 207, 215 Mehrebenenmodell 21,213 Mehrheitswahlrecht 196 Mehrparteien system 12, 30 Ministerkabinett siehe Regierung Ministerpräsident siehe Premierminister Ministerrat 35, 53 Misstrauensvotum 66, 152, 175-177 Narodna Rada (Volksrat) 36, 83, 84 Nascha Ukrajina (Unsere Ukraine) 201, 202, 204, 206, 208-211,220 National Democratic Institute (NDI) 155, 203 Nationalbank 59, 66, 89, 92, 95, 118, 173 Nationaldemokraten 29, 40, 78, 84, 96, 113, 123, 178, 203 Nationaler Sicherheitsrat 43
Nationaler Sicherheits- und Verteidigungsrat (RNBOU) 18, 58, 59, 61, 64, 65, 218, 241 Nationalismus 86 Nationalkommunisten 29 Nato 112, 113, 159, 161, 172 Neototalitarismus 29 Neue Ökonomische Eliten 98, 190, 192, 202 Neun-plus-eins-Vertrag (Nowo-Ogarewo) 37,71 Nomenklatura 107, 184, 188-190 Nowa Ukrajina (Neue Ukraine) 63 Oberhaus 48, 52, 54, 125, 127, 133, 152, 153, 155, 156 Oberstes Gericht 60, 118, 171 Oblenergo 202 Oktoberrevolution 148 Oligarchen 15,29, 130, 131, 188, 194, 213 Oligarchenparteien 175, 177, 179, 180,202 Ombudsmann (Beauftrager des Parlaments für Menschenrechte) 73 Opposition 14, 23, 36, 77, 78, 83, 85, 86, 113, 123, 144, 159, 168, 174, 178, 182, 197, 207,219, 220 Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) 86 ORT 136 Orthodoxie 86 Ostankino 100 Ostukraine 93, 100, 112 OSZE 17, 134, 135, 137, 142, 150, 154, 198, 207, 241 Parlament der Autonomen Republik Krim 72, 73 Parlament der Ukraine 17, 31 ff., 45, 46, 48, 50, 52-55, 57, 60, 64-67, 70, 72, 74-76, 78, 80, 90, 91, 93, 95, 97, 104, 113, 115, 118, 121, 124 ff., 133, 145, 146, 148, 152, 153, 157, 164, 169, 173, 176, 177, 179, 181, 196, 199, 200, 204, 205, 210,215,218, 220, 241 Parlamentarismus 26 Parlamentspräsidium 38, 74 Parlamentsvorsitzender 29, 62, 66, 77, 80, 83, 184
Stichwortverzeichnis
Parlamentswahlen 17, 33, 44, 46, 64, 83, 96, 98, 122, 123, 188, 193, 195, 197, 199, 204, 206,215 Partei der Demokratischen Wiedergeburt 23 Partei der Grünen 123, 130, 145, 149, 169, 205,217 Partei der Industriellen und Unternehmer 212 Partei der Macht 23, 124, 130, 135, 188, 192 Partei der Regionen (Partija Regioniw) 202, 209,212 Parteien 21, 22, 25-27, 122, 125, 126, 192, 197,198,200, 204, 214, 215, 217-219 Parteiensystem 27, 28 Parteisekretär 35 Parteiverbot 75 Partnerschaft für den Frieden (PFP) 112 Perestrojka 108 Planwirtschaft 105, 106 Plenarsitzung 57 Pluralismus 29 Polen 28 Politbüro 35 Politytschna Dumka 18, 241 Präfekte siehe Vertreter des Präsidenten in den Regionen Präsident der Ukraine 17, 24, 25, 27, 31-33, 38-Φ0, 42, 45, 47, 48, 50, 52 ff., 62, 65, 67-70, 72-75, 80, 92, 97, 110, 114, 120, 121, 125, 126, 128, 129, 135, 149, 153, 171, 173, 175, 184, 193, 196, 200, 203, 205,210,215,216,217, 221 Präsidentschaftswahlen 17, 31, 33, 39, 46, 80, 90, 93, 96, 98, 99, 125, 130, 134, 150, 198,215 Präsidialadministration 48, 52-54, 58, 60, 61,63,64, 66, 74, 93, 105, 118, 121, 130, 131, 145, 153, 157, 180, 184, 185, 188, 190, 192, 193, 202, 209, 210, 217, 218 Präsidium des Werchowna Rada 35, 66 Prawda 84 Premierminister 24, 33, 44, 47, 50, 58, 62, 67, 69, 72, 90, 91, 93, 95, 100, 102, 114, 116, 125, 128, 156, 179, 180, 183, 184, 188 Privatbank 186 Privatisierung 91, 104, 115, 120, 188
249
Progressive Sozialistische Partei der Ukraine (PSPU) 123, 147, 176, 203, 205 Putsch, Moskauer vom 18./19. 8. 1991 37, 79, 80, 85,89, 107, 108 Radio Swoboda 165,241 Rat der Industriellen und Unternehmer 43, 90 Rat der Regionen 52, 59, 153 Rat für Wirtschaftsreformen 93 Rechtsstaatlichkeit 14,15,20 Referendum 27, 28, 31, 39, 41, 51, 53, 55, 57, 65, 91, 93, 95, 125, 150, 151, 153, 156, 157, 166, 168 Reformen 27, 30, 31, 43, 97, 105, 132, 192 Reformen und Ordnung 176, 201 Reformkommunisten 36, 185 Regierung 24, 26, 32, 44, 46, 49, 52, 58, 61, 65-68, 73, 89, 93, 105, 130, 133, 156, 174, 175, 181, 185, 190,216,218, 241 Regierungsumbildung 70 Regionen der Ukraine (Regiony Ukrajiny) 169 Revolution 29 Richtlinienkompetenz 68, 102 RKK Energija 186 Roter Direktor 91, 94, 111, 189, 191 Ruch 36, 78, 80, 81, 83, 85, 123, 125, 130, 145, 149, 155, 177, 184, 200, 201,206 Rumänien 23 Russische Föderation 12, 39, 48, 62, 81, 86, 91, 97, 104, 105, 113, 132, 133, 138, 141, 159, 160, 179, 186, 188, 191,216 Russische Sprache 47, 52, 53, 111 Russland, siehe Russische Föderation Rüstungssektor 91, 106, 108, 109, 186 Rüstungswettlauf 105 Sa edynu Ukrajinu (Saedu, Für eine einige Ukraine) 23, 64, 182, 188, 193, 201, 202, 204-208 Samtene Revolution 148, 216 Schattenwirtschaft 29 Schestidesjatniki 83 Schwarzmeerflotte 86,88, 112 Sea Launch 186 Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates (RNBOU) 62,65, 184
250
trtverzeichnis
Semipräsidentialismus 24 Serkalo Nedeli 164,168,175,241 Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) 64, 167 Sil'ski Wisti 164 Sitzungsperiode 67 Slowenien 28 Solidarität (Solidarnist') 169, 176,201 Souveränität 37 Souveränitätserklärung 36, 39, 45 Souveränkommunisten 36,77, 188 Sowjetherrschaft 30 Sowjetunion 21, 36, 78, 81, 83, 84, 87, 105, 186, 191,213 Sozialismus 84, 141 Sozialistische Partei der Ukraine (SPU) 31, 38, 47, 49, 54, 75, 98, 101, 103, 105, 123, 130, 147, 149, 170, 171, 179, 182, 196, 197, 203, 206, 209-211 Sperrklausel 122 Sprachenpolitik 100 Staatshaushalt 34,61,65,68, 115, 124, 127, 146, 174 Staatssekretäre 69, 70 Staatssymbolik 86,88 Stalinzeit 84 Start-Abrüstungsvertrag 87 STB 136, 137 Stealth-Flugzeuge 172 Stimmkreis 135 Stimmkreiskandidaten 195 Streik 93 Streitkräfte der Ukraine 42, 59, 66, 88 Systemwandel 17 Tag der Regierung 65, 66 Todesstrafe 74 Totalitarismus 29 Transformationsprozess 11, 12, 14, 24, 30, 32, 33, 76, 104, 184, 213, 215, 220-222 Tschechien 23, 28 Tschechoslowakei 148 Tschernobyl 112,176 Tschetschenien 133 Ubergangsbestimmungen der Verfassung 58, 72, 125, 127 UdSSR 40,52,53,89, 191
UdSSR, Nachfolgestaaten der 11 Ukraine ohne Kutschma 166 Ukrainische Autokephale Kirche 86 Ukrainische Raumfahrtagentur 65 Ukrainische Sprache 40, 46, 83, 101 Ukrainische SSR 34,36,37, 186 Ukrainischer Dachverband der Gewerkschaften (FPU) 191, 192 Ukrainischer Fußballverband 202 Ukrainischer Richterkongress (S'ijsd Suddi w Ukrajiny) 72 Ukrainischer Verband der Industriellen und Unternehmer (USPP) 63, 133, 178, 190 Ukrainisches Wählerkomitee 204 Ukrainisches Zentrum für unabhängige politische Forschung (Zentrum Pichowschek) 18, 242 Ukrainisches Zentrum für wirtschaftliche und politische Untersuchungen (Rasumkow-Institut) 182, 218 Ukrajins'ka Prawda 18, 101,162,241 Ukrhasprom 117 Umweltministerium 180 Unabhängigkeit 14, 29, 36, 46 Unabhängigkeitserklärung vom 24. August 1991 12,41,79,80,85 Ungarn 23,28 Unionsvertrag 37, 39 Unitarismus 56, 152 UNO 186 UN-Sicherheitsrat 172 USA 88, 103, 165, 170-172 UT-1 136 Vaterlandspartei (Bat'kiwschtschyna) 118, 145, 167, 169, 176, 203, 208-210 Vereinigte Energiesysteme der Ukraine (EESU) 117,180 Vereinigte Sozialdemokratische Partei der Ukraine (SDPU (o)) 23, 96, 123, 124, 130, 131, 135, 145-147, 149, 169, 176, 180, 187, 202-206, 208, 209, 212, 217, 242 Verfassung der Autonomen Republik Krim 112 Verfassung der Ukraine 12, 15, 30, 32, 39, 40, 46, 47, 54, 56, 57, 73, 114, 115, 120, 121, 126, 144, 150, 152, 158,216
Stichwortverzeichnis
Verfassunggebungsprozess 13, 45, 47, 55 Verfassungsänderungen 17,42,65,73, 128, 162 Verfassungsgericht 15, 32, 60, 61, 66, 67, 71,75, 121, 128, 143, 147, 148, 152, 156, 157, 195, 197, 199,216,218 Verfassungskommission 47, 48 Verfassungsreferendum 17, 33, 95, 127, 134, 150, 153, 159, 162,215,221 Verfassungsrichter 66,72, 149, 195 Verfassungsvertrag von 1995 39, 45, 50, 115, 116 Verhältniswahlrecht 196 Verteidigungsministerium 69, 186 Vertreter des Präsidenten bei der Regierung 69 Vertreter des Präsidenten beim Parlament 18, 62 Vertreter des Präsidenten beim Verfassungsgericht 18,74 Vertreter des Präsidenten in den Regionen 43, 90, 92 Verwaltungschef eines Gebietes 50, 58, 59, 61, 103, 142, 156, 181,218 Vetorecht des ukrainischen Präsidenten 40, 58, 90, 121, 124, 153, 196 Vier-Prozent-Hürde 188,196,201 Volksdemokratische Partei der Ukraine (NDPU) 23,63, 123, 131, 145, 147, 169, 176, 202,212 Volksmacht (Narodowladdja) 209,212 Vorsitzender des Verfassungsgerichts 71 Wahlbeobachter 134, 142,205,207,215 Wahlberechtigte 204 Wahlbeteiligung 102, 140-142, 154, 155, 204, 206,215 Wahlblock 125,131,196,201,204
251
Wahlen 30,34-36,57,65,221 Wahlgesetz 36, 122, 142, 195, 197, 198 Wahlkampf 17, 130, 137, 195,207 Wahlkommission 135, 155, 196-198, 206, 207 Währung 88,91 Weissrussland siehe Belarus Weltbank 63, 104, 112, 146, 173 Werchowna Rada (Oberster Sowjet) siehe Parlament Werktätige Ukraine (Trudowa Ukrajina) 145, 146, 169, 170, 176, 179, 187, 209,212 Wertpapierbörse 118 Westukraine 36, 79, 82, 85, 112, 142, 184, 192, 200 Wiedergeburt der Regionen (Widrodschennja Regioniw) 145, 147, 149, 175 Wirtschaftsclans 92 Wirtschaftskrise 12,22,93 Wirtschaftsministerium 89 Wirtschaftsreformen 93, 100, 104, 115, 153 Wseukrainskie Wedomosti 117 Zentrale Wahlkommission (ZWK) 41, 53, 99, 129, 150, 154, 155, 166, 171, 195, 196, 205, 209 Zentralkomitee der KPU 35, 75, 80, 82, 108, 184 Zentralrat (Zentral'na Rada) 34, 87 Zentristen 179 Zivilgesellschaft 20, 21,25, 191 Zweidrittelmehrheit 51, 58, 60, 65, 153, 200 Zweikammer-Parlament 46, 52, 151 Zweite Parlamentskammer, siehe Oberhaus Zweiter Weltkrieg 81 Zweitstimmen 188,205